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German Pages 282 Year 2020
Maria Frölich-Kulik Landbahnhöfe
Rurale Topografien | Band 10
Editorial Rurale Topografien erleben nicht nur gegenwärtig in den medialen, literarischen und künstlerischen Bilderwelten eine neue Konjunktur – sie sind schon seit jeher in verschiedensten Funktionen ganz grundsätzlich am Konstituierungsprozess sowohl kultureller als auch individueller Selbst- und Fremdbilder beteiligt. Imaginäre ländliche und dörfliche Lebenswelten beeinflussen die personale und kollektive Orientierung und Positionierung in bestimmten Räumen und zu bestimmten Räumen. Dabei entwerfen sie Modelle, mit denen individuelle und gesamtgesellschaftliche Frage- und Problemstellungen durchgespielt, reflektiert und analysiert werden können. Auch in ihren literarischen Verdichtungsformen und historischen Entwicklungslinien können sie als narrative und diskursive Reaktions-, Gestaltungsund Experimentierfelder verstanden werden, die auf zentrale zeitgenössische Transformationsprozesse der Koordinaten Raum, Zeit, Mensch, Natur und Technik antworten. Damit wird auch die Frage berührt, wie eine Gesellschaft ist, war, sein kann und (nicht) sein soll. Die Reihe Rurale Topografien fragt aus verschiedenen disziplinären Perspektiven nach dem Ineinandergreifen von künstlerischer Imagination bzw. Sinnorientierung und konkreter regionaler und überregionaler Raumordnung und -planung, aber auch nach Möglichkeiten der Erfahrung und Gestaltung. Indem sie die Verflechtungen kultureller Imaginations- und Sozialräume fokussiert, leistet sie einen Beitrag zur Analyse der lebensweltlichen Funktionen literarisch-künstlerischer Gestaltungsformen. Ziel der Reihe ist die interdisziplinäre und global-vergleichende Bestandsaufnahme, Ausdifferenzierung und Analyse zeitgenössischer und historischer Raumbilder, Denkformen und Lebenspraktiken, die mit den verschiedenen symbolischen Repräsentationsformen imaginärer und auch erfahrener Ländlichkeit verbunden sind. Die Reihe wird herausgegeben von Werner Nell und Marc Weiland. Wissenschaftlicher Beirat: Friederike Eigler (Washington, D.C.), Kerstin Gothe (Karlsruhe), Dietlind Hüchtker (Leipzig), Sigrun Langner (Weimar), Ernst Langthaler (Linz), Magdalena Marszalek (Potsdam), Claudia Neu (Göttingen), Barbara Piatti (Basel), Marc Redepenning (Bamberg), Bernhard Spies (Mainz) und Marcus Twellmann (Konstanz) Maria Frölich-Kulik (Dr.-Ing.), geb. 1985, ist Architektin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Landschaftsarchitektur und -planung an der BauhausUniversität Weimar. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf der Verflechtung urbaner und ruraler Lebensformen sowie auf den sozialen und geographischen Beziehungen zwischen Gebäuden und Landschaften.
Maria Frölich-Kulik LANDBAHNHÖFE Ressourcen nachhaltiger Landschaftsentwicklung
Die vorliegende Arbeit wurde an der Fakultät Architektur und Urbanistik der Bauhaus-Universität Weimar im Jahr 2020 als Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doktor-Ingenieur (Dr.-Ing.) angenommen. Die Publikation wurde gefördert durch die VolkswagenStiftung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2021 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Maria Frölich-Kulik, Weimar Korrektorat: Bianka Trötschel-Daniels, Bonn Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5156-0 PDF-ISBN 978-3-8394-5156-4 https://doi.org/10.14361/9783839451564 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-down load
INHALT
1 Einleitung | 7 2 Raumverständnis | 23 ›Alles ist Landschaft‹ | 24 ›Alles ist vernetzt‹ | 33 ›Alles ist Rurban‹ | 39 Landschaften als rurbane Netzräume | 46 Fazit: Raumverständnis rurbaner Netzräume | 50 3 Netzraumproduktion | 51 Raumproduktion nach Lefebvre | 52 Momente der Raumproduktion | 56 Gesellschaftliche Wirklichkeit | 59 Landbahnhöfe als Knoten rurbaner Netzräume | 62 Vom Knotenpunkt zur Leerstelle | 70 Die Pfefferminzbahn – Entwicklung eines rurbanen Netzraumes | 76 Die Pfefferminzbahn – sozial-räumlicher Aushandlungsort | 94 Von der Leerstelle zum revitalisierten Objekt | 102 Fallbeispiele | 104 Prototypische Impulse | 109 Netzraumproduktion und Impulswirkung | 117 Fazit: Produktion von rurbanen Netzräumen | 124
4 Landbahnhöfe als Ressourcen rurbaner Netzraumproduktion | 127 Landbahnhöfe als Möglichkeitsräume | 128 Landbahnhöfe als materielle Ressource | 129 Landbahnhöfe als soziale Ressource | 134 Landbahnhöfe als imaginäre Ressource | 137 Landbahnhöfe als Ressourcensystem | 139 Prototypische Nutzungsszenarien zu Ressourcensystemen | 148 Produktion von Ressourcensystemen | 172 Landbahnhöfe als rurbane Allmenden | 183 Rurbane Netzraumproduktion an der Pfefferminzbahn – ein Szenario | 197 Fazit: Landbahnhöfe als Ressourcen rurbaner Netzraumproduktion | 228 5 Fazit und Ausblick | 229 Anhang | 239 Literaturverzeichnis | 257 Abbildungsverzeichnis | 273 Dank | 279
1 EINLEITUNG
Das einzige Vergnügen, das wir noch haben: Zügen nachschauen.
FRIEDRICH DÜRRENMATT
Ausgangspunkt Der Bahnhof ist einer der zentralen Orte der Moderne. Während die Bahnhöfe in den Großstädten wichtige Infrastrukturen darstellen, modernisiert und zeitgemäßen Nutzungsanforderungen angepasst werden, verlieren Landbahnhöfe ihren Status. Im Zuge des demographischen Wandels sind wachsende Unterschiede zwischen peripheren und zentralen Regionen zu verzeichnen. Ländliche Regionen haben häufig mit Abwanderung, Rückbau von Infrastrukturen und mangelnder Versorgung zu kämpfen. Besonders in modernen, vernetzten Gesellschaften üben die urbanen Ballungsgebiete als Knotenpunkte eine große Anziehungskraft auf viele Bevölkerungsschichten aus. Das führt zu immer größeren Differenzen zwischen urbanen und ruralen Gebieten (Sassen 1991) – wenngleich die einst charakteristischen Unterschiede der Alltagspraxis zwischen Stadt und Land weitgehend verschwunden sind (Lefebvre 1970). Ungenutzte, brachliegende, ehemals öffentliche Gebäude im ländlichen Raum spiegeln diesen Transformationsprozess in besonderer Weise wider. Bereits stattgefundene oder aber andauernde Veränderungen lassen sich exemplarisch an stillgelegten Bahnhofsgebäuden im ländlichen Raum feststellen und beobachten. So war der Bahnhof ein immanent wichtiger Ort mit gesellschaftlich zentralen Funktionen: Er förderte Mobilität, Beschleunigung und Modernisierung. In der gegenwärtigen Zeit jedoch büßt er im ländlichen Raum diese Funktionen zunehmend ein oder hat sie bereits verloren. Viele Landbahnhöfe stehen leer und verfallen. Im kollektiven Gedächtnis sind sie aber immer noch vorhanden
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und bilden einen alltagsrelevanten Ort. Realität und Wunschvorstellung stehen in einem eklatanten Widerspruch, der nicht zuletzt zu dem gesellschaftlichen Bedürfnis nach zukunftsfähigen und nachhaltigen Nutzungen führt. Der Landbahnhof stellt den räumlichen Knotenpunkt zwischen Stadt und Land dar (Hengartner 2010). Ungenutzte und heute oft dem Verfall preisgegebene vormalige Orte des Austausches und der Begegnung veranschaulichen somit ihre Entkopplung vom zugehörigen infrastrukturellen Netzwerk und damit von gesellschaftlichen Zusammenhängen und Prozessen. In den Debatten um ländliche Regionen geht es meist um den Aufbau und Ausbau von Netzwerken, die darauf abzielen, die Entwicklungschancen von Regionen zu verbessern (u.a. TMIL 2014). Im Vergleich zu den Ballungsräumen fehlt es ländlichen Regionen an dichter Infrastruktur, so dass eine entsprechend hohe Mobilität ihrer Bewohner verlangt wird (BMVI 2013, 2018). In diesem Zusammenhang wird der Verlust von Bahnhöfen und -strecken oft als Paradebeispiel für ›abgehängte Regionen‹ angeführt. So sind seit der Bahnreform 1994 mehr als 5400 km des deutschen Streckennetzes stillgelegt worden, was 16 % des gesamten Netzes entspricht (Balser 2018). Sie stehen beispielhaft für die sogenannte Peripherisierung von ländlichen Regionen (vgl. Keim 2006; Neu 2006). Gebäude können als Teil sich dynamisch wandelnder Landschaften begriffen werden. Das zeigt sich auch an den teils brachliegenden, teils schon umgenutzten Landbahnhöfen. Die funktionslosen Gebäude verbleiben als Knotenpunkte in der Landschaft. In ihrer Funktionslosigkeit bilden sie Leerstellen, die aus verschiedenen Perspektiven (neu) interpretiert und (aus-)gefüllt werden können. Wenn leerstehende Landbahnhöfe als wesentlicher Bestandteil sozial-räumlicher Netzwerke (und deren systemische Einbindung, Funktionen und Abhängigkeiten) betrachtet werden, können sie durch neue Nutzungsstrategien wieder zu gesellschaftlich relevanten Orten werden und dabei auf das Landschaftsgefüge nachhaltig Einfluss nehmen. Mit ihnen können neue Verbindungen und Zusammenhänge hergestellt werden (Abb. 1).
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Abb. 1: Prozess der Entwicklung von Knotenpunkten zu Leerstellen und wiederum zu neuen Verknüpfungen. Bestehende Verknüpfungen lösen sich durch geänderte gesellschaftliche Prozesse. Es entstehen Leerstellen. Durch ihre Revitalisierung können neue Verbindungen hergestellt werden (v.l.n.r.).
Leerstehende Landbahnhöfe sind nicht nur aus sozial-räumlicher, sondern ebenso aus erinnerungs-kultureller Perspektive relevant. Als Zeugnisse der Industrialisierung sind sie baukulturell erhaltenswert. Sie sind als Eingangstore von Orten und gleichzeitig deren Zugang zur Welt im kulturellen Gedächtnis verankert, so dass sie trotz ihres Abgekoppelt-Seins nicht ›sinnlos‹, sondern weiterhin sinnbehaftet erscheinen (vgl. Steets 2015). Durch Verkauf werden sie – losgelöst vom Schienennetz – zu wirtschaftlichen Gütern, deren Eigentümer die Nutzung bestimmen und damit neue Sinnmuster und -belegungen produzieren. Mit unterschiedlichen Motivationen der Akteure werden die Gebäude, häufig unter den Richtlinien des Denkmalschutzes, von Privatpersonen, Vereinen oder sonstigen Interessengemeinschaften umgenutzt. Dadurch gestalten und verändern die Akteure auch das Umfeld der Landbahnhöfe. Der Zustand der Gebäude ist somit Ergebnis gesellschaftlicher Umstände. Das zieht wiederum Handlungen nach sich, die das Landschaftsgefüge beeinflussen. Landbahnhöfe können insofern sowohl als Produkt als auch als Produzent sozialen Raumes (Lefebvre 1991) betrachtet werden. Zielsetzung, These und Fragestellung Landbahnhöfe büßen leerstehend, aber oft auch nach privat initiierter Umnutzung, ihre Funktionen als gesellschaftliche und infrastrukturelle Schnittstellen und Verteilerzentralen ganzer Regionen ein. Der Zusammenhang dieser einst im Verbund genutzten Infrastruktur stellt jedoch vor allem in strukturschwachen Regionen eine relevante Ressource dar, auf denen auf der Suche nach
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Entwicklungsstrategien Netzverbindungen aufgebaut und ausgebaut werden könnten. Bestehende Bahnstrecken mit ihren derzeit leerstehenden Bahnhöfen können als prototypisches Beispiel einer bereits bestehenden und umnutzbaren Infrastruktur betrachtet werden. Dabei ist auch das Potential des Verbundes aus Landbahnhof, Eisenbahnstrecke und Fahrzeugen als relevante Ressource für eine nachhaltige Landschaftsentwicklung anzuerkennen. Aus raumplanerischer Perspektive verfolgt diese Arbeit daher die zentrale These: Gebäude sind Teile sich dynamisch wandelnder Landschaften und damit eingebunden in vielfältige Beziehungsgefüge. Jede Nutzung und Umnutzung von Gebäuden nimmt Einfluss auf das Landschaftsgefüge. In Bezug auf leerstehende Landbahnhöfe knüpft folgende Unterthese an: Bestehende physische infrastrukturelle Netze können durch neue funktionelle Verbindungen re-interpretiert und somit neu gedacht werden. Indem die Verbundqualitäten der Landbahnhöfe revitalisiert werden, wächst auch ihr Einfluss auf das Landschaftsgefüge. Insbesondere für die Revitalisierung sogenannter strukturschwacher Regionen können sich diese einst verknüpften Knotenpunkte als relevante Impulsgeber erweisen. Das Ziel der Arbeit ist es, bestehende Gebäude und deren infrastrukturelle Netzwerke als solche Impulsgeber für eine nachhaltige Landschafts- und Raumentwicklung zu identifizieren und zur Diskussion zu stellen. Die zentralen Fragen der Arbeit sind: Wie lässt sich das Beziehungsgefüge von Gebäuden und Landschaft beschreiben? Welchen Einfluss nehmen Gebäude unter welchen Umständen auf das Landschaftsgefüge? Die leerstehenden Landbahnhöfe sind methodisches Hilfsmittel, um die Zusammenhänge zwischen gebauter und unbebauter
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Umwelt sowie den sozialen Aushandlungsprozessen lesbar und beschreibbar zu machen. Anhand der Landbahnhöfe wird gefragt: Welche Rolle spielten und spielen Landbahnhöfe in einem dynamischen Landschaftsgefüge? Wie kann eine gegebene, vernetzte Infrastruktur genutzt werden, um strukturschwache Regionen im ländlichen Raum nachhaltig zu stärken? Dafür ist der Umgang mit leerstehenden und ehemals repräsentativen Gebäuden in ländlichen Räumen zu diskutieren. Die Gebäude und die Prozesse ihrer Aneignung, ihrer Transformation sowie Nutzungsmöglichkeiten sind als soziales Produkt und zugleich als elementare Produzenten dynamischer Landschaften und sozialer Beziehungen zu begreifen. Aus dieser Perspektive bildet die Arbeit eine Schnittstelle zu sozial- sowie kulturwissenschaftlichen Diskursen. Vorgehensweise und Methodik Die Arbeit ist entwurfsorientiert ausgerichtet und verlangt daher die Einbeziehung unterschiedlicher Disziplinen und methodischer Ansätze. Im Entwerfen werden verschiedene Dimensionen vereint: Es wird wahrgenommen, analysiert, beobachtet und synthetisiert. Auf der Suche nach einem kohärenten Handlungsstrang im Entwurfsprozess werden die jeweiligen Erkenntnisse zusammengefügt (Nowotny 2008, S. 14). In diese Forschungsarbeit fließen Ansätze aus Architektur, Landschaftsarchitektur, Soziologie, Stadtund Raumplanung sowie den Literaturwissenschaften ein. Der herangezogene Stand der Wissenschaft dieser einzelnen Fachdisziplinen kann nur einen Ausschnitt des jeweiligen Diskurses darstellen, dient jedoch zur Verortung der vorliegenden Arbeit. Die Arbeit ist in drei aufeinander aufbauende Kapitel gegliedert, die theoretische, empirische und konzeptionelle Ansätze miteinander verbinden. Gebäude werden in dieser Arbeit nicht als vereinzelte Objekte, sondern als Teile sich dynamisch entwickelnder Landschaften im Sinne eines Geflechts aus Verbindungen verstanden. Die Beziehungen zwischen Gebäuden in sich dynamisch entwickelnden Landschaften stehen im Zentrum. Ihre vielschichtigen, sowohl unter-
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einander bestehenden Beziehungen als auch diejenigen zu ihrer sozial-räumlichen Umgebung lassen sich anhand des hier entwickelten theoretischen Raumverständnisses von Landschaft beschreiben. Der Fokus liegt auf dem Verhältnis zwischen Gebäude, Infrastruktur und Landschaftsraum. Es wird hier als rurbaner Netzraum bezeichnet. Diese Landschaften unterwandern den verbreiteten Dualismus von Stadt und Land (Kap. 2). Anschließend wird die Produktion solch rurbaner Netzräume untersucht (Kap. 3). Die Theorie zur Produktion von Raum nach Henri Lefebvre (1991) bietet die Grundlage, um Gebäude als Produkte und gleichzeitig Produzenten von rurbanen Netzräumen lesen, verstehen und beschreiben zu können. Vor diesem Hintergrund werden anschließend ausgewählte Landbahnhöfe und deren Bedeutung im Netzraum empirisch untersucht und in soziologische und raumplanerische Diskurse eingebettet. Rurbane Netzräume beschreiben großräumige Zusammenhänge, deren Erkundung eine intensive Auseinandersetzung mit dem Bestehenden erfordert. Das Studio Urbane Landschaften1 befördert u.a. das dafür notwendige forschende, entwerferische Vorgehen (Prominski/von Seggern 2019). In Forschungsarbeiten wurden Methoden großräumigen Lesens, Verstehens und Erzählens herausgearbeitet. Für den in dieser Arbeit verfolgten raum-entwerferischen Ansatz stellen wandern (Schultz 2014), navigieren (Langner 2013) und erzählen bzw. Storytelling (Schmidt 2018) zentrale methodische Hilfsmittel zur Erkundung, Erfassung und Darstellung der Beziehungen zwischen Gebäuden und Landschaft dar.2
1 Das Studio Urbane Landschaften ist ein transdisziplinäres Netzwerk für Lehre, Forschung und Praxis und wurde 2005 von Prof. Dr. Hille von Seggern gegründet (http://www.urbanelandschaften.de). 2 Wandern bildet eine Grundlage für großräumiges Entwerfen. Erst im Durchschreiten und ›Begreifen‹ des Entwurfsgegenstandes Landschaft können Eigentümlichkeiten und Besonderheiten erfasst werden. Navigieren bietet dafür eine Orientierung. Eine bestimmte Fährte verfolgend können neue Erkenntnisse erlangt und entsprechend weiterentwickelt werden. Dabei können Konstellationen und Beziehungen zwischen Subjekten und Objekten weiter- und neu erzählt werden. Storytelling bietet einen Ansatz, um mögliche alternative Zusammenhänge,
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Das Thema ›Landbahnhöfe‹ ist in der Forschung bisher weitgehend unbeachtet geblieben, lag doch der Fokus auf Untersuchungen der Bahnhöfe in städtischen Kontexten. Hier lassen sich u.a. Studien aus kulturgeschichtlicher (u.a. Herzog/Leis 2010a), soziologischer (u.a. Girtler 2010) oder städtebaulicher (u.a. Gerkan/Kähler 1996) Perspektive finden. Einzig Hengartner widmet sich am Rande den Landbahnhöfen angesichts ihres gegenwärtigen Verfalls und beschreibt sie im Gegensatz zu städtischen Bahnhöfen als »ein Stück Heimat, als Brennpunkte imaginierter Gemeinschaft« (Hengartner 2010, S. 66). Daher wird vorliegend für die Betrachtung von Landbahnhöfen weniger der rein stadtplanerische als vielmehr der landschaftsplanerische Blick eingenommen, der es erforderlich macht, Landbahnhöfe im großräumigen Zusammenhang zu betrachten. Die generelle Bedeutung und kontinuierliche Entwicklung von Landbahnhöfen und vergleichbaren öffentlichen Gebäuden als soziale Knotenpunkte werden zunächst im Kontext soziologischer und kulturwissenschaftlicher Diskurse erörtert. Darauf aufbauend werden mögliche Wechselwirkungen von Landbahnhof, Bahnstrecke und Landschaft durch landschaftsplanerische Analysen an einer ausgewählten Bahnstrecke exemplarisch konkretisiert. Drei Thüringer Bahnlinien in sehr unterschiedlichen Kulturlandschaften kamen zunächst dafür in die nähere Auswahl: die Hinterlandbahn als Beispiel einer handwerklich geprägten Region, die Elstertalbahn als Beispiel einer Industrielandschaft sowie die Pfefferminzbahn als Beispiel einer Agrarlandschaft. Alle drei sind mäßig frequentierte Bahnstrecken auf denen nur noch wenige Bahnhöfe ihre ursprüngliche Funktion erfüllen. Radtouren entlang jener Strecken vermittelten einen ersten subjektiven Eindruck der jeweiligen Gegebenheiten. Dabei wurde die Pfefferminzbahn als Untersuchungsgegenstand für diese Arbeit ausgewählt. Die gegenwärtige Situation der repräsentativen Bahnhofsgebäude entlang der Pfefferminzbahn bietet ideale Voraussetzungen für deren gemeinsame Weiterentwicklung. Bis auf den zentralen Knotenpunkt in Sömmerda sind sie abgekoppelt vom Schienennetz und stehen,
die im großräumigen Entwurfsprozess gesucht werden, zu entwickeln und erzählbar zu machen.
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bis auf ein weiteres Gebäude, leer. Zudem gibt es erste Initiativen zur Nachnutzung einzelner Gebäude. Im Gegensatz zu etablierten Planungsprozessen in der Sanierung und Revitalisierung historischer Gebäude betrachtet die vorliegende Arbeit diese Gebäude in ihrer Funktion als Knotenpunkte in einem Netzwerk. Grundlage für dieses Verständnis bilden kartographische Analysen zur historischen Raumentwicklung, Archivrecherchen, die Auswertung aktueller demographischer Daten sowie subjektive Beobachtungen vor Ort. Die Pfefferminzbahn wird dabei als Rückgrat eines rurbanen Netzraumes erkennbar. Leerstehende Landbahnhöfe werden zunehmend umgenutzt und so in neue Verbindungen gestellt. An die exemplarische Beschreibung der Entwicklung von Landbahnen am Beispiel der Pfefferminzbahn schließt sich die Diskussion zweier Punkte an: Zum einen wird erörtert, in welchem Verhältnis wiederbelebte Landbahnhöfe zu ihrem sozialen Umfeld stehen und welche Funktionen sie darin erfüllen. Zum anderen wird untersucht, welche Vernetzungsweisen von Gebäuden sich dabei beobachten lassen und welches Potential einst verbindende, heute jedoch durch Privatisierungsprozesse zergliederte Infrastrukturen besitzen. Auf der Grundlage der Raumtheorie Lefebvres werden dafür anhand von Fallbeispielen Einfluss und Wirkmöglichkeit von bereits wiederbelebten und öffentlich nutzbaren Bahnhöfen im ländlichen Raum untersucht (Kap. 3). Daraus abgeleitet beschreiben drei exemplarische good-practice Projekte sowohl die überwiegenden Motivationen zur Wiederbelebung von leerstehenden Bahnhöfen für öffentliche Nutzungen als auch deren Bedeutung als Knotenpunkte im Netzraum. Mit Hilfe von Literaturrecherchen und Methoden der Landschaftswahrnehmung können in den drei good-practice Projekten prototypische Impulse aufgezeigt und die jeweiligen politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Bedingungen herausgearbeitet werden, die zur Umnutzung der Landbahnhöfe geführt haben. Im Zusammenhang mit der Theorie zur Produktion von Raum nach Lefebvre werden Umnutzungsweisen und deren Impulswirkungen erkennbar. Auf Basis des dargestellten Landschaftsverständnisses (Kap. 2), der empirischen Untersuchung einer exemplarischen Bahnstrecke und der Fallbeispiele (Kap. 3) wird abschließend diskutiert, wie Landbahnhöfe wieder eine Bedeutung als gesellschaftlich relevante
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Knotenpunkte und damit als strukturfördernde Bausteine im rurbanen Netzraum erlangen können (Kap. 4). Dafür werden deren architektonische, systematische und strukturelle Potentiale herausgearbeitet und als mögliche Strategie der Revitalisierung zusammengeführt. Um die vielschichtige Relevanz leerstehender Gebäude als Möglichkeitsräume im und für den ländlichen Raum zu belegen, werden die Ressourcenqualitäten von Landbahnhöfen distinktiv herausgearbeitet. Die Gebäude bilden ein zusammenhängendes System und können als ein relevantes, sozial-räumliches Ressourcensystem verstanden werden. Um mögliche Nutzungen dieses Systems vorschlagen zu können, werden denkbare Aufgaben der Landbahnhöfe von den ermittelten Fallbeispielen abgeleitet und auf die leerstehenden Landbahnhöfe übertragen. Es entstehen prototypische Ressourcensysteme, aus denen Entwürfe der Umnutzung entwickelt werden könnten. An die architektonische und systematische Betrachtung schließt sich eine Diskussion zu strukturellen Potentialen und damit Planungsweisen und -umständen von im Verbund stehenden Gebäuden als rurbane Allmende an. Sie knüpft an gegenwärtige Diskurse zum Thema, wie soziale Räume geschaffen werden können, um die Produktion von Ressourcensystemen zu ermöglichen, an. Das in dieser Arbeit vorgestellte Verständnis von Landbahnhöfen als Knotenpunkte sozial produzierter rurbaner Netzräume ermöglicht ein Umdenken: Landbahnhöfe werden nicht mehr als individualisierte bzw. vereinzelte Objekte betrachtet, sondern als zusammenhängende Orte des Austauschs und der Begegnung mit dem Potential, sowohl Gemeinsinn zu fördern als auch gemeinsame Tätigkeiten zu ermöglichen. Elinor Ostrom hat auf Basis weltweiter exemplarischer Analysen ein Regelwerk aufgestellt, das die »Bauprinzipien langlebiger Allmenderessourcen« (Ostrom 1999, S. 117) aufzeigt. Diese Bedingungen für das Gelingen von nachhaltigen Gemeingütern haben bereits in Planungstheorien und -diskussionen des urbanen Raumes Einzug gehalten (vgl. Harvey 2013; ARCH+ 2018). In Anlehnung an diese Untersuchungen und in Verbindung mit Lefebvres theoretischem Ansatz zur Produktion von Raum wird schließlich eine strukturelle Strategie vorgeschlagen. Sie soll helfen, die Bahn wieder als zusammenhängend bewirtschaftetes System zu
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verstehen und so der Zerstückelung und Privatisierung dieser bestehenden, ursprünglich zusammenhängenden Infrastruktur entgegenzuwirken. Das erlaubt eine »pragmatische Utopie« (von Borries 2016, S. 89) zur Revitalisierung von Landbahnhöfen in rurbanen Netzräumen und weist auf ein realisierbares Gedankenkonzept hin, das auch gesellschaftliche Entwicklungen leiten kann. In diesem Sinne werden die drei Strategien der Revitalisierung leerstehender Landbahnhöfe – die architektonische, systematische und strukturelle – zusammengeführt und stellen so eine Möglichkeit nachhaltiger Raumentwicklung in ländlichen, schrumpfenden Regionen dar. Am räumlich konkreten Szenario der Pfefferminzbahn wird abschließend kartographisch gezeigt, dass, indem gegebene infrastrukturelle Verbindungen aufgegriffen und Bahnhöfe als Allmenderessource verstanden werden, von den Gebäuden punktuelle Impulse ausgehen können, die Landschaften wirksam nachhaltig beeinflussen und entwickeln können. Diesem scheinbar linearen Aufbau der Arbeit liegt eine Entwurfs- und Forschungsweise zugrunde, in der rationale und intuitive Erkenntnisse zusammentreffen und die oben beschriebenen theoretischen, empirischen und konzeptuellen, methodischen Vorgehensweisen verbunden werden: Der entwurfsorientierte Ansatz lenkt die Arbeit. Um Strategien des Umgangs überprüfen und diskutieren zu können, fließen in das entwerferische Handeln theoretische und analytische Erkenntnisse ein. Es werden mögliche Impulse konstruiert, die einer systemischen Sicht auf den Forschungsgegenstand folgen (von Seggern 2018, S. 159). Hille von Seggern beschreibt die Entwurfs- und Forschungsweise als einen iterativen Prozess, der durch intuitive und rationale Erkenntnisse kontinuierlich entwickelt wird. In der Abbildung 2 veranschaulicht von Seggern die doppelte Iteration der beiden zusammenarbeitenden Stränge, die drei Maßstabsebenen betreffen: Das jeweilige Ganze, einzelne Dimensionen und das Einzelne. An den Überschneidungen werden explizite Verbindungen zwischen den beiden Strängen hergestellt, »die es braucht, um wissenschaftlich in der Welt handeln zu können« (von Seggern 2018, S. 159).
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Abb. 2: Rahmenskizze der Entwurfs- und Forschungsweise von Hille von Seggern
Hintergrund und Rahmung der Arbeit Die Arbeit ist entstanden im Forschungsprojekt »Rurbane Landschaften als Projektions- und Handlungsraum«. Dieses ist wiederum Teilprojekt des transdisziplinären Verbundprojektes »Experimentierfeld Dorf«3, in dem sich Germanisten, Slawisten, Literatur-
3 Das Teilprojekt »Rurbane Landschaften als Projektions- und Handlungsraum« ist angesiedelt in der Landschaftsarchitektur und -planung an der Bauhaus-Universität Weimar. Das interdisziplinäre Verbundprojekt »Experimentierfeld Dorf. Die
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wissenschaftler und (Landschafts-)Architekten der gegenwärtigen Wiederkehr des Dörflichen als Imaginations-, Projektions- und Handlungsraum zuwenden. Das Dorf ist Ort und Treffpunkt sozialer und kultureller Aushandlungsprozesse im ländlichen Raum. Der ländliche Raum wird einerseits als arkadisches Idyll imaginiert und andererseits fungiert er als hochindustrieller Produktionsraum. Das Teilprojekt untersucht die Verschränkungen urbaner und ruraler Lebensweisen und Raumstrukturen, die durch die Gleichzeitigkeit von städtischen und ländlichen Aspekten vor allem infolge von alltäglichen Lebenspraktiken und Raumgestaltungen hervorgebracht werden. Aus der hier verfolgten Perspektive stellt sich die Frage, inwiefern imaginäre Raumbilder und konkrete regionale und überregionale Raumplanung ineinandergreifen und verschränkt werden können. Um sich dieser Frage zu nähern, wird vor den verschiedenen fachlichen Hintergründen insbesondere auch möglichen Erzählweisen von Landschaften nachgegangen. Das Erzählen kann aus unterschiedlichen Perspektiven untersucht werden. In und mit ihm erschließt sich der Mensch seine Welt und nimmt damit aktiv an ihrer Gestaltung teil. Dabei geht es nicht nur um literarisch-künstlerische Gestaltungen, sondern auch um alltagsweltliche Funktionen des Erzählens, die gerade für den entwerferischen Umgang mit Landschaften relevant sind (Schmidt 2018). So kann eine Erzählung auch als Darstellung und Schaffung eines Ausschnittes verstanden werden, in dem ›Bausteine‹ nach einem bestimmten Prinzip zusammengefügt sind. Bei einer Erzählung handelt es sich demnach um eine spezifische Rahmung, die bestimmte bedeutungstragende Elemente selektiert und kombiniert und die schließlich auch selbstanzeigend wirkt (vgl. Iser 1991, S. 48). In ähnlicher Weise funktionieren die ›Landschaftsbilder‹ (Abb. 3): Der vor die Kamera gehaltene Rahmen fasst ausgewählte Landschaftselemente zu einem Landschaftsbild zusammen und stellt zugleich selbstanzeigend ein Bild im Bild aus.
Wiederkehr des Dörflichen als Imaginations-, Projektions- und Handlungsraum«, wurde von der VolkswagenStiftung gefördert. Laufzeit 2015–2020.
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Abb. 3: Landschaftsbilder Der Rahmen hebt die gestalteten Qualitäten von Landschaften hervor. Mit der Rahmung ist das Einschließen und Ausschließen von spezifischen Elementen, die als dazugehörig oder nicht dazugehörig gelesen werden (vgl. Kühne 2008), verbunden.
Eine Erzählung vereint zweierlei Positionen: Etwas Erlebtes, ›Erlesenes‹, wird wiedergegeben und gleichzeitig wird mit der jeweiligen Interpretation, der Erzählung, eine neue Sichtweise auf das gelesene Geschehen vermittelt. Das Verstehen einer Erzählung variiert von Leser zu Leser. Das Erleben und Erfahren einer Landschaft unterliegt dem gleichen Phänomen: Wie eine Erzählung entsteht Landschaft in den Köpfen der Betrachter als Ergebnis persönlicher
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Erfahrungen, vorangegangener Erziehung und individueller Studien (Burckhardt 2006a, S. 33). Dieser narrative Zugang zum Erzählen einer Landschaft findet sich auch in der mittlerweile klassischen Landschaftskonzeption von Lucius Burckhardt (Burckhardt 2006a). Mit ihm lassen sich zwei Ebenen des Verhältnisses von Landschaftserzählungen ansprechen. Zum einen prägen die narrativen Formen das kognitive Verständnis der Betrachter von Landschaften und erscheinen somit als vermittelndes Element, das den Zugang, das Verständnis und das Verhalten der Subjekte prägt: »Wir durchqueren ein Feld, überqueren einen Fluß, passieren ein Dorf, kommen durch ein Tal oder über einen Hügel, sind bald in der Enge oder haben Fernblick, und wir sehen tausend Einzelheiten, eine graue Katze und eine abgebrannte Scheune, und wir versorgen das Gesehene teils in unserem Gedächtnis, teils in unserem ›Vergeßnis‹. Was wir gesehen haben, das integrieren wir, im Kopf, versteht sich, zu jenem Bilde, das wir dann das Landschaftserlebnis nennen.« (Ebd., S. 105)
Landschaft erscheint immer als strukturiertes Bild, das ein Narrativ beschreibt. Je nach Betrachtungswinkel werden Phänomene und Eigenschaften ausgeklammert, filtriert, prononciert und wenn möglich und nötig ›dazu gedichtet‹. Das Verständnis von Landschaft ist Ergebnis subjektiver Beobachtungen, die auf individuellem und kulturellem Wissen und Erfahrungen beruhen. Als mehr oder minder kohärentes Bild eines räumlichen Zusammenhanges werden sie in sprachlichen oder graphischen Bildern weitererzählt. Zum anderen aber ist Landschaft in ihren räumlichen Zusammenhängen nach Burckhardt selbst als ein narratives Gebilde zu verstehen: »Die Abfolge der historischen Landschaft hat eine Logik. Wir verlassen die Stadt, wir durchqueren eine Zone von Gärtnereien, von wo das Gemüse und die frischen Blumen in die Stadt geliefert werden, dann kommen Felder, Wiesen für die Milchproduktion und Äcker für das Getreide, schließlich beginnt der Wald, wobei der Waldrand die für den städtischen Spaziergänger vielleicht erholsamste Landschaftssituation ist, sei es wegen ihrer Vielfalt und der reichen Vegetation, sei es dadurch, daß hier weder der Bauer noch der Förster Aufsicht führen.« (Ebd., S. 104)
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Die Struktur von Landschaften ist demnach historisch geprägt und reflektiert eine Abfolge verschiedener sozialer Ordnungen, die dem Wechselspiel der Herstellung einer narrativen Ordnung und dem zeitgleichen Bilden narrativer räumlicher Strukturen unterworfen sind. Der disziplinäre Hintergrund der Autorin als Architektin verlangt das Erarbeiten einer spezifischen verbindenden Perspektive auf Landschaften in ihren imaginären wie auch räumlichen Logiken, um die Rolle von Gebäuden darin herausarbeiten zu können. Die in der Arbeit vorgestellte Betrachtungsweise stellt damit eine Sichtweise auf Landschaften vor, die es erlaubt, etablierte Strukturen aufzunehmen und dabei räumliche Bilder vorstellbar zu machen und diese in die zukünftige entwerferische Arbeit einfließen zu lassen.
2 RAUMVERSTÄNDNIS LANDSCHAFTEN ALS RURBANE NETZRÄUME
Hätte man die Beziehungsfäden sichtbar machen können, welche zwischen den Anwesenden hin und her liefen, wäre für den Uneingeweihten ein undurchschaubares Knäul zum Vorschein gekommen.
JULI ZEH
Gebäude sind Teil sich kontinuierlich wandelnder Landschaftszusammenhänge. Sie sind einerseits gesellschaftliche Schnittstellen und andererseits raumbildende Anker- und Orientierungspunkte ihres Umfeldes. Als gesellschaftliche Dreh- und Angelpunkte sind Gebäude auf sehr vielfältige Weise mit dem Landschaftsgefüge vernetzt. Die Beziehung von Gebäude und Landschaft ist jedoch keine einseitige, sondern basiert auf kontinuierlichen sozialen Aushandlungsprozessen, in denen die Beziehungen zwischen Gebäude und Landschaft immer wieder neu ausgelotet werden. Um diese Korrelationen beschreiben und deren Beziehungs- und Vernetzungsweisen herausarbeiten zu können, werden im Folgenden die der Arbeit zugrunde liegenden theoretischen Raum- und Landschaftsverständnisse erläutert. Als Zugriff und ›Lesebrille‹ zum Verstehen funktionaler Zusammenhänge in rurbanen Landschaften wird das Verständnis von Landschaften als rurbane Netzräume entwickelt, um die Beziehung von Gebäude und Landschaft in den Fokus der Betrachtungen rücken zu können. Geleitet wird dieses Kapitel von der Frage: Wie lässt sich die Beziehung zwischen Gebäuden und Landschaft als sozial-räumliches Gefüge beschreiben?
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›A LLES
IST
L ANDSCHAFT‹
Der Begriff Landschaft ist omnipräsent und einen Bezug dazu pflegt jeder – es wird von Urlaubslandschaften, politischen Landschaften, idyllischen Landschaften, Theaterlandschaften, Gebirgslandschaften, Bildungslandschaften, Autolandschaften oder blühenden Landschaften gesprochen. Abhängig vom kulturellen Hintergrund liest jeder sein Umfeld unterschiedlich, äußert sich darüber und erzählt davon. Aus planungspraktischer Sicht stellen die Rezeption und das Verständnis von Landschaft einen zentralen Kern im Entwurfsprozess dar, denn unabhängig vom Planungsmaßstab baut jeder Entwurf implizit oder explizit auf einer spezifischen Landschaftsauffassung auf. Unter dem Begriff ›Landschaft‹ wird weitverbreitet eine Sehund Sinnfigur verstanden, die häufig ein arkadisches Landschaftsverständnis reproduziert. Demnach stellen Landschaften ein idyllisches Lebensumfeld dar, in dem Mensch und Natur in harmonischem Einklang miteinander leben. Noch heute sucht der Landschaftstourist nach diesem idyllischen Bild und vielleicht gelingt es ihm einen Ausschnitt einer als idyllisch empfundenen Gegend, in der es keine Windräder, IKEA-Lager oder Hochgeschwindigkeitstrassen gibt, abzulichten. Der Frage, inwiefern dieser gefundene Bildausschnitt die verschiedenen Bedeutungsschichten, die mit dem Konzept Landschaft verbunden sind, umfasst, gilt es im Folgenden nachzugehen. Landschaft Der Begriff ›Landschaft‹ beschreibt Raumqualitäten, die in einem Wechselspiel zwischen Mensch und Natur entstehen, dabei dynamischen Prozessen und Veränderungen unterliegen und je nach Perspektive unterschiedlich gelesen, beschrieben und gelebt werden. Die etymologische Bedeutung des Wortes Landschaft beschreibt eben diese gegenseitige Bedingtheit. Landschaften sind »geschaffenes, bearbeitetes Land« (Ritter 2005, S. 597), denn der Mensch verwaltet und konstruiert seinen Bedürfnissen entsprechend das ihn umgebende Land (Kirchhoff/Trepl 2009, S. 29) – es
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wird gebaut, angefertigt, wiederhergestellt, entwickelt oder erneuert – gemäß den ›Nutzungsbedingungen‹ seiner Zeit.1 Landschaften können imaginativ wahrgenommen werden, zum Beispiel auf Postkarten, durch die sie zu Sehnsuchtsorten avancieren und Räume eines vermeintlich besseren Lebens darstellen. Sie werden als konzeptionelle Grundlage für Landwirtschaft und Tourismus genutzt, wodurch sie materielle Gestalt annehmen. Je nach zeitgenössischen Anforderungen werden Gebrauchsspuren überzeichnet oder umgedeutet und jeweils neue Funktionalisierungen erzeugt. Dabei überschreibt der Mensch kontinuierlich sein in Besitz genommenes Land, so dass sich verschiedene Schichten überlagern. Diesen Prozess beschreibt der Architekturhistoriker André Corboz metaphorisch als Palimpsest (Corboz 2001, S. 143), ein Schriftstück, dessen ursprüngliche Beschriftung entfernt und neu beschrieben wurde. Jede Generation stellt andere Anforderungen an das in Besitz genommene Land und zeichnet dabei kontinuierlich neue Gebrauchsspuren in die Landschaft: »Die Bewohner [...] streichen in dem alten Buch des Bodens immer wieder etwas aus und schreiben es neu« (ebd., S. 148). Dabei verbleiben jedoch Reminiszenzen vergangener Zeiten – Gebäude, Straßen- und Schienennetze, Flurstücke und Gemeindegrenzen sind Zeugnisse vorangegangener kultureller, politischer und sozialer Prozesse. Entsprechend der Metapher von Landschaften als Palimpsest sind Landschaften auch Speicher historischer Veränderungsprozesse. Gleichzeitig beschreibt der Mensch die über Generationen geschaffene und gewachsene Landschaft. In Beschreibungen bzw. Erzählungen von Landschaften – sei es in Literatur, Malerei oder Landschaftsplanung – werden spezifische Landschaftsverständnisse vermittelt, die sowohl von individuellen Sichtweisen des Betrachters in seiner Epoche als auch seinem jeweiligen kulturellen Kontext geprägt sind (ebd., S. 160; Jackson 2005, S. 43). Auch sie beeinflussen das jeweilige Verhalten und damit die Haltung zu und den Umgang mit der jeweiligen Landschaft. Landschaftsverständnisse sind also handlungsleitend.
1 Mit dieser Bedeutung wurde der Begriff Landschaft schon früh auf »Bilder und politische Vertreter eines Territoriums« (Kluge 1999, S. 501) angewendet.
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Ursprünglich wurden Landschaften nach strategisch günstigen Bedingungen, landwirtschaftlichem Anbaupotential und Siedlungsmöglichkeiten gelesen und beschrieben. Die Entwicklung und Ausdifferenzierung wissenschaftlicher Methoden und technischer Entwicklungen führte zu einer »Zerlegung der Natur in Einzelteile« (Prominski 2015, S. 14) und brach »den bis zum Mittelalter haltgebenden, kosmischen Zusammenhang Mensch-Natur-Gott« (ebd.) auf. Dies führte zugleich, so die These Ritters (1978), zu einer ästhetischen Gegenbewegung, die in der Betrachtung und Beschreibung von Landschaft die aufgegebene Harmonie zwischen Mensch und Natur wiederherstellte und so einen Gegenpol zum systematischen Sezieren der Welt bildete. In der Landschaftsmalerei der Romantik entwarfen Künstler wie Caspar David Friedrich Zufluchts- und Sehnsuchtsorte (Du Ry van Beest Holle 1991, S. 672) als Antwort auf eine zunehmend industrialisierte Welt. Die während der Romantik entstandenen Gemälde erzählen von einem harmonischen Mensch-Natur-Verhältnis, das für die Romantiker mit dem Beginn der Industrialisierung in Auflösung begriffen schien. Im Laufe der Zeit entwickelten sich diese harmonischen Darstellungen – vor allem in der Malerei und Literatur – zu heute noch immer gegenwärtigen und wirkmächtigen Bildern des ländlichen Raumes als Landschaft (Piepmeier 1980). Gerade auch der aufkommende Tourismus nahm diese auf, um die Wirklichkeit mit ihnen in Übereinstimmung zu bringen (vgl. Vöckler 2006; Gothe 2011). Obwohl das arkadische Verständnis von Landschaften als homogene Einheit von Mensch und Natur ideal und erstrebenswert erscheint, ist dieses Verhältnis in heutigen modernen Gesellschaften bei Weitem kein gleichwertiges (Piepmeier 1980): Landschaften sind ein »System menschgemachter Räume auf der Erdoberfläche«, in dem der Mensch »das kosmische Programm durch [seine] Ordnung ersetzt« (Jackson 1984, S. 43). Er verwaltet das Land ganz im Sinne eines Territoriums, als Einheit von landwirtschaftlich genutzten Flächen, Siedlungen und Erholungsräumen (Corboz 2001, S. 144). Dabei werden die Schichten des Territoriums je nach anvisierter und realisierter Nutzung immer wieder überschrieben, ausradiert und erweitert: »In den Gegenden, in denen der Mensch seit Generationen, ja mehr noch, seit Jahrtausenden ansässig ist, hat jede Zufälligkeit des Landes eine Bedeutung« (ebd., S. 164). Als
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kulturelles Produkt ergibt sich Landschaft immer aus ihren materiellen wie auch symbolischen Funktionalisierungen. Dieses zwiespältige Verständnis von Landschaft – einerseits als noch in den Köpfen verankerte ästhetische Kulisse, andererseits als funktionaler und immer wieder re-konfigurierter landwirtschaftlicher Produktionsraum – wird in den Disziplinen unterschiedlich verhandelt. In der Auseinandersetzung mit Landschaft werden die verschiedenen Textschichten und Schreibweisen aus unterschiedlichen Perspektiven zusammengetragen, interpretiert und verstanden, so dass ein und dieselbe Landschaft unterschiedlich aufgefasst werden kann (Burckhardt 2006a, S. 34) – auch unabhängig von urbanen und ruralen Zuschreibungen. Ein jüngeres literarisches Beispiel dazu findet sich in dem Gesellschaftsroman UNTERLEUTEN von Juli Zeh (2016). In diesem sind die Protagonisten von verschiedenen Interessen geleitet. Sie verwalten und verteidigen dementsprechend ihr Land in und um Unterleuten, einem kleinen Dorf in Brandenburg: Für den Zugezogenen ist die Gegend Inbegriff einer zu schützenden Idylle, für den Investor ist einzig die beste Rendite relevant und der Alteingesessene kämpft mit Besitzverteilungen vergangener Zeiten. Es entstehen scheinbar unlösbare Konflikte in einer Region, die aus Touristenperspektive als landschaftlich schöne Gegend vermarktet wird. Die verschiedenen Positionen der Protagonisten in Zehs Romans zeigen, inwiefern das Verständnis von Landschaft einer subjektiven Erzählung gleicht: Das Dorf Unterleuten wird von den einen als märchenhafte Idylle, von den anderen als reine Produktionsfläche wahrgenommen und beschrieben. Das nach wie vor verbreitete arkadische Landschaftsverständnis geht zurück auf die bukolische Poesie, die vom »schlichten und friedlichen Leben der Bauern und Hirten« (Lamer/Kroh 1995, S. 111) in der gebirgigen und armen Gegend Arkadien auf der griechischen Halbinsel Peloponnes berichtet und bis heute das Bild der Idylle bestimmt. Die Malerei der beginnenden Neuzeit verbildlichte dieses idyllische Mensch-Natur-Verhältnis und präsentierte damit einen idealtypischen Rückzugsraum. In der Literatur und den bildenden Künsten findet sich ein impliziter Stadt-Land-Dualismus, bei dem das Land die der Stadt vorgelagerte scheinbare Idylle darstellt (Williams 2016). Dabei können Stadt und Land jedoch nicht isoliert betrachtet werden, sondern sind in ihrer
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scheinbaren Gegensätzlichkeit doch immer aufeinander bezogen. Die tatsächlich seit jeher bestehenden Handelsbeziehungen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten zwischen den Polen werden häufig nicht wahrgenommen. Die Idealbilder überlagern die realen Beziehungsgefüge. Diese alltäglichen Strukturen bilden jedoch die Grundlage der Darstellungsweisen von Landschaft – seien es die Landschaftsmalerei der Renaissance oder die aktuellen Diskussionen um Handlungsbeziehungen und wirtschaftliche Abhängigkeiten. Um den vermeintlich starren Stadt-Land-Dualismus aufzubrechen und Landschaften, auch im Sinne der ursprünglichen etymologischen Bedeutung eines geschaffenen Landes, als beziehungsreiche Handlungsräume beschreiben zu können, haben sich in den Fachdiskussionen verschiedene Sichtweisen herausgebildet, die Landschaft nicht als Kulisse, sondern als Produkt menschlichen Handelns und damit als soziale Konstruktion (Kühne 2008) beschreiben. Insbesondere in den landschaftsarchitektonischen Diskursen und Entwürfen wird ein Verständnis zu Grunde gelegt, nach dem im Sinne eines sozial geschaffenen Raumes alles – sowohl der rurale als auch der urbane Raum – als geschaffenes Land und damit Landschaft beschrieben werden kann. Die ursprünglichen Differenzierungen in bäuerliche und arbeitsteilige, also ländliche und städtische Alltagspraxis besitzen demnach kaum noch Gültigkeit. Nachfolgend soll ein Überblick über zwei Ansätze von Landschaftsverständnissen gegeben werden, die die Basis des in dieser Arbeit entwickelten Landschaftsverständnisses bilden. Die Verbindung zwischen einem bestimmten Landschaftsverständnis und den sich daraus ergebenden Umgangsformen mit Landschaft im Laufe der Geschichte hat einerseits der Landschaftstheoretiker John Brinckerhoff Jackson besonders deutlich aufgezeigt. Andererseits untersucht Hille von Seggern vor allem aktuelle dynamische Prozesse in Landschaften. Sie hat zum Verstehen aktueller Raumnutzungsweisen das Oxymoron ›urbane Landschaften‹ (von Seggern 2010) geprägt, um den mit dem Begriff Landschaft implizit
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vermittelten Gegensatz von Stadt und Land und damit von Landschaft als »›umruhende‹ Natur« (Ritter 1978, S. 29) aufzulösen.2 Landschaft 1, 2 und 3 Für Jackson gestalten die Bewohner und Nutzer einer Landschaft maßgeblich deren Erscheinung und organisieren und entwickeln entsprechend ihrer Bedürfnisse die »durch Topografie und politische Entscheidungen geprägt[en]« (Jackson 1984, S. 43) Landschaften. Indem Landschaften eine Möglichkeit darstellen, durch die »wir Menschen Raum und Zeit organisieren« (ebd.), stellen sie ein dynamisches Gefüge dar, das »stets künstlich, stets synthetisch, stets plötzlichen und unvorhersehbaren Veränderungen ausgesetzt [ist]« (ebd., Hervorhebung im Original). Das Verständnis von und der Umgang mit Landschaft erfolgt nach Jackson in drei aufeinanderfolgenden Aneignungsformen. Die Betrachtungsweisen von Landschaft 1, Landschaft 2 und Landschaft 3 beschreiben die entsprechenden Nutzungen und Bedürfnisse der Bewohner der Landschaften in verschiedenen Epochen: Bei Landschaft 1 wird nach Jackson die Landschaft bedürfnisorientiert als natürliche Überlebensressource genutzt. Die Nutzer von Landschaft 1 passen sich den naturgegebenen Bedingungen an und reagieren entsprechend natürlicher Einflüsse. Sie identifizieren sich weniger mit besitzrechtlichen Zuschreibungen und politischen Organisationen, sondern vielmehr durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder Großfamilie (ebd., S. 34). Damit ist Landschaft 1 temporär, kurzlebig und beweglich, denn sie beschreibt ein Konglomerat verschiedener, unterschiedlich genutzter Räume, die hauptsächlich von überlebensrelevanten Handlungen geprägt sind. Jackson bezeichnet diese Landschaft auch als vernakuläre Landschaft, denn es fehlen größtenteils »Hinweise auf die politische Organisation des Raumes« (ebd.), die sich in großräumigen Strukturen und langfristigen Planungen zeigen (ebd.). Stattdessen
2 Daneben finden sich in anderen Diskursen auch weitere Ansätze, die diesen vermeintlichen Dualismus aufheben und die Verschränkung von Stadt und Land fokussieren, beschreiben und analysieren. Dabei wurden hybride Begriffe wie z.B. »Stadt-Landschaft« (Seel 1996), »Stadtland Schweiz« (Eisinger 2003) oder »Rurbane Landschaften« (Langner/Frölich-Kulik 2018) gefunden.
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prägen Traditionen und Gebräuche bestimmter sozialer Gruppen die Lebensweisen und damit Raumaneignung und Gestalt der Landschaft. Im Gegensatz zu dem mit Landschaft 1 beschriebenen temporären und sich dynamisch wandelnden Raum beschreibt Jackson mit Landschaft 2 das Raumverständnis arkadischer Landschaften, das nach wie vor die alltagsweltliche Bedeutung von Landschaft bestimmt. Indem das vermeintliche Durcheinander bäuerlicher Gemeinschaften in geordnete Besitz- und Arbeitsverhältnisse überging, entstanden Räume, deren Bestimmungen klar definiert wurden. Landschaft 2 beschreibt eine gewisse Dauerhaftigkeit und Beständigkeit, die an statische und konservative Gesellschaftsformen gekoppelt sind (ebd., S. 41). Diese Landschaftsform wird seit Generationen als idealtypische weitergegeben. Jackson sieht zugleich einen erheblichen Widerspruch zwischen diesem Verständnis von Landschaft und den aktuellen Entwicklungen in Landschaften – schnelllebige, dynamische und globalisierte Prozesse führen zu entsprechend geänderten Nutzungs- und Aneignungsweisen von Landschaften. Diese aktuelle Landschaftsaneignung beschreibt Jackson als Landschaft 3, die geprägt ist von »wuchernden Raumnutzungen [...]: Parkplätze, Landebahnen, Shoppingcenter, Wohnmobilplätze, Apartmenthäuser, Zufluchtsstätten für Wildtiere, Disneyland.« (ebd., S. 40). In Landschaft 3 schwindet der nach dem Verständnis von Landschaft 2 bezeichnete Unterschied zwischen der Stadt als urbanem Zentrum und dem Land, geprägt von bäuerlichen Lebensformen. Die Bewohner von Landschaft 3 nutzen die Räume ähnlich funktionsorientiert wie die Nutzer von Landschaft 1. Die eindeutigen Zuschreibungen von Landschaft 2 sind als Vorstellungen der Nutzer von Landschaft 3 präsent und werden vor allem auf der Suche nach Erholungsorten abgerufen. Kriterien wie Dauerhaftigkeit und Beständigkeit von Wohnund Arbeitsorten würden in den von Jackson betitelten ›vernakulären Landschaften‹, zu denen er Landschaft 1 und Landschaft 3 zählt, kaum noch Beachtung finden. Stattdessen sind sie gezeichnet von einem kontinuierlichen Anpassen an aktuelle, kurzlebige und damit unstete Transformationen. Indem moderne Gesellschaften permanent auf Änderungen und Zwänge gegebener Bedingungen, ähnlich der Nutzer von Landschaft 1, reagieren, so Jackson,
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produzieren sie mit Hilfe immer ausgefeilterer Kommunikationssysteme und Mobilitätsweisen dynamische Landschaften, die nach dem herkömmlichen Verständnis von Landschaft 2, mit dem die Bewohner von Landschaft 3 aufwuchsen, weder begreifbar noch gestaltbar sind. Kurzlebige, spontan entstehende gemeinschaftliche Bedarfsräume, die sich weder an den Kategorien Stadt und Land noch an vermittelten ursprünglichen Nutzungszuschreibungen orientieren, werden relevant. Jackson sieht darin eine Raumaneignung analog zur Raumnutzung von Landschaft 1 sowie eine Diskrepanz zu Landschaft 3: Denn einerseits sind die Imaginationen und Raumbilder von und über Landschafen träge und hängen nach wie vor an dem Verständnis von Landschaft 2. Andererseits aber gestalten sich die räumlichen und strukturellen Übergänge und Aneignungen von Stadt und Land, von urbanen und ruralen Lebensweisen fließend, dynamisch und spontan.3 Urbane Landschaften Das arkadische Landschaftsverständnis von Landschaft 2 ist also eine Kulturleistung der frühen Neuzeit und bestimmt auch heute noch alltagsweltliche Zuschreibungen. In den gegenwärtigen Diskursen wird das Landschaftsverständnis erweitert (u.a. Prominski 2004; Hokema 2013; von Seggern 2018) und die multidimensionalen und anerkannten dynamischen und globalen Urbanisierungsprozesse mit einbezogen. Von Seggern führt zur Beschreibung dieses erweiterten Landschaftsverständnisses den Begriff »Raumgeschehen« (von Seggern u.a. 2008, 2010, 2018) ein, um das komplexe Zusammenspiel und die vielschichtigen Prozesse subjektiver Erfahrungswelten und materieller Strukturen wider idyllischer Idealbilder und unabhängig von den Kategorien Stadt, Land oder Landschaft verstehen zu können.4 Damit wird der Fokus auf die
3 Dieses gleichzeitige Bestehen von Imagination und realer Raumnutzung beschreibt der Geograph und Soziologe Olaf Kühne mit dem Begriff der »polyvalenten Landschaft« (u.a. Kühne 2012). 4 Eine philosophische Grundlage dieses Raum- und Landschaftsverständnisses findet sich bei Seel, für den Landschaften »geschehene Räume« (Seel 1996, S. 62) sind, die zu der Erfahrung führen, »wie es ist, inmitten eines vielgestaltigen und unüberschaubaren räumlichen Geschehenszusammenhangs zu sein« (ebd.).
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mehrdimensionalen und sich gegenseitig beeinflussenden Beziehungen zwischen Objekten, Akteuren und auch Umweltbedingungen gelenkt. Nach von Seggern ist mit jeder Landschaftsbeschreibung das Aufdecken und Verstehen von Landschaftszusammenhängen durch sowohl subjektive Auslegungen und Deutungen als auch objektive Zugänge verbunden, die gegenseitig kontinuierlich iterativ rückgekoppelt und reflektiert werden. Denn »Raum als Raumgeschehen zu begreifen, eröffnet uns die Freiheit zu entscheiden, welche seiner Dimensionen wir forscherisch-entwerferisch bearbeiten wollen« (ebd., S. 154).5 Um diesen Deutungsweisen und den darauf aufbauenden landschaftsplanerischen Prozessen eine zukunftsfähige Richtung zu geben, bezeichnet von Seggern das aktuelle Raumgeschehen als urbane Landschaften, denn es ist – unabhängig von der Bebauungsdichte – geprägt durch »urbane Lebensweisen, das heißt arbeitsteilig, durch Begegnung mit dem Fremden und eine urbane Sichtweise« (von Seggern 2010, S. 220). In der Zusammenführung dieser gegensätzlichen Begriffe zu dem Oxymoron urbane Landschaften wird das Zusammenspiel von urban und rural, von Stadt und Land(schaft) betont. Von Seggern verweist damit auf die hoch technologisierten landwirtschaftlichen Produktions- und damit Gestaltungsprozesse und zugleich auf die urbanen Sehnsuchtsbilder, wenn als Gegenbild zur städtischen Lebenswelt entsprechend der Bilder von Landschaft 2 Weite und vermeintliche Wildnis gesucht wird (ebd.). Dieser Terminus »ist damit eine Art Zwitter, ein Kontinuumsbegriff anstelle von dualistischen Begrifflichkeiten« (ebd., S. 220), der Landschaften als einen durch menschliche Handlungen produzierten Raum beschreibt. Dieses Verständnis ist für Planungsprozesse relevant. Wenn Landschaften als alltägliches Lebensumfeld geplant und entwickelt werden, ist eine Denkweise in festgeschriebenen und festgefahrenen Kategorien wie dem ›Städtischen‹ und dem ›Ländlichen‹ hinderlich, da sie die seit jeher bestehenden und notwendigen Abhängigkeiten, Beziehungen und Vernetzungen von Stadt und Land
5 Im Verlauf der Arbeit wird überwiegend der Begriff Raumgeschehen anstatt des Landschaftsbegriffes verwendet, da er das Zusammenspiel verschiedener Prozesse und Akteure im Raum deutlicher macht.
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verschattet. Wechselwirkungen zwischen Stadt und Land können nur unzureichend erfasst und berücksichtigt werden.
›A LLES
IST VERNETZT ‹
Urbane Landschaften werden von sozialen Zusammenhängen gestaltet, die sich in der gebauten Umwelt manifestieren. Dabei bedingen und ergänzen sich soziale Beziehungen und gebaute Architekturen gegenseitig. Nur indem die einzelnen Landschaftsbausteine in Beziehung zueinander gesetzt werden, können Landschaften analysiert und folglich weiterentwickelt werden (Löw/Steets/Stoetzer 2008, S. 63). Martina Löw beschreibt diese beiden raumbildenden Elemente und Prozesse als Spacing und Synthese. Als Spacing bezeichnet Löw »das Errichten, Bauen oder Positionieren« (Löw 2001, S. 158) von Elementen »in Relation zu anderen Platzierungen« (ebd.). Über die daran gekoppelte Syntheseleistung, »das heißt über Wahrnehmungs-, Vorstellungs- oder Erinnerungsprozesse« (ebd., S. 159), werden die positionierten »Ensembles von Gütern und Menschen zu einem Element« (ebd., S. 160) zusammengefasst. Individuen und Gruppen stehen in kontinuierlichen und vielschichtigen Beziehungen zu den umgebenden Personen, Dingen und Orten und eignen sich dabei ihren eigenen Raum an. Gebäude sind dabei ein Kristallisationspunkt und Spiegel gesellschaftlicher Wandlungen: Sie sind sowohl Ausdruck einer bestimmten Zeitepoche als auch durch Veränderungen an ihnen, wie beispielsweise An- und Umbauten Verweis auf konkrete Bedürfnisse und damit einhergehend auf Lebensvorstellungen und -möglichkeiten der jeweiligen Nutzer. So erzählen leerstehende und abgerissene Gebäude auch von fehlender Legitimation ihres Bestehens aufgrund geänderter Alltagsabläufe. Die Sinnhaftigkeit und Legitimation von Gebäuden drückt sich entweder in der Nutzung oder »über eine legitimatorische Erzählung [aus], die verdeutlicht, wofür ein Gebäude steht, wofür es ein Zeichen oder ein Symbol ist« (Steets 2015, S. 248). Weil der Mensch als Mensch seit jeher in Geschichten verstrickt ist und diese Geschichten an verschiedenen Schauplätzen und Orten spielen, ist es Aufgabe von Planern, Räume in ihren sinnhaften, ›geschichtlichen‹ Netzstrukturen wahrzunehmen und
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ihnen im Entwurfsprozess neue Sinnhaftigkeit zu geben. Sie stricken die Beziehungsfäden neu. Beispiele solcher Netz-strukturen sind Handel, Fortbewegung sowie Erfahrungs- und Wissensaustausch zwischen unterschiedlichen Gruppen, die seit jeher Orte des Austauschs etablierten. Dazugehörige Verbindungstrassen wurden und werden kontinuierlich ausgebaut, verfeinert und angepasst. Die Grundlage infrastruktureller Vernetzung ist der soziale Austausch, der sich besonders im Produzieren von und Handel mit Waren zeigt. Besonderen materiellen Niederschlag fand diese Vernetzung im Ausbau des Eisenbahnnetzes, das zugleich den Motor überregionaler Vernetzung darstellte und damit die Zirkulation von Waren, Personen und Ideen vorantrieb und beschleunigte. England gilt als Geburtsland der effizienten, maschinellen und industrialisierten Produktionstechnik. Durch »die Mechanisierung der Triebkräfte« (Schivelbusch 1993, S. 9), also durch die Entwicklung der Dampfmaschine, konnten einerseits mehr Güter von weniger Arbeitskräften produziert und andererseits durch Einsatz der Dampfkraft mechanische Bewegungen durchgeführt werden, die, im Gegensatz zu den physischen Grenzen der Zugtiere, »Gleichförmigkeit, Regelmäßigkeit, beliebige Dauer und Steigerung« (ebd., S. 15) garantierten. Die folgende Entwicklung der Eisenbahn führte zum Aufbau eines überregionalen Verkehrsnetzwerks. Insbesondere für kleine Städte und Dörfer waren die Bahnanschlüsse von großer Bedeutung, weil sie eine Beteiligung an überregionalen Handelsströmen mit sich brachte. Ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann auch in Deutschland der Eisenbahnbau. Die Eröffnung der Bahnstrecke zwischen Nürnberg und Fürth 1835 war Ausgangspunkt für die Entwicklung des heutigen Streckennetzes. Für dünnbesiedelte Regionen, die von lokaler Produktion lebten, wurde die Eisenbahn zu einem neuen Motor. Im Zusammenhang mit der Entwicklung der Eisenbahn stellte der Telegraph die wichtigste Ergänzung dar, weil die Übertragung von »Signale[n] von Anfang an eine lebenswichtige Rolle« (ebd., S. 32), spielte. Er veränderte, wie auch der Ausbau des Streckennetzes, in nachhaltiger Weise das Raumgeschehen und die Landschaftsbilder. Der Ausbau des Schienennetzes brachte also starke räumliche Veränderungen mit sich. Es ist nicht nur die Beschaffenheit der Wegeführung, sondern ebenso die technische Maschinerie und zusätzlich die notwendigen
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Telegraphenmasten und -drähte, die den Charakter von Landschaften von Grund auf veränderten und zeichenhaft für die Urbanisierung von Landschaften und damit der Gesellschaft standen. »[Der Eisenbahnreisende] sieht nie allein die Landschaft, durch die er fährt, sondern immer auch diese Maste und Drähte, die zur Eisenbahn gehören wie die Schienen. Die Landschaft erscheint hinter den Telegraphenmasten und -drähten, sie wird durch sie hindurch gesehen.« (Ebd., S. 34)
Die Entwicklung der Eisenbahn kann also als Initialereignis gegenwärtiger, ubiquitär vernetzter Räume und der (nahezu) inzwischen vollständigen Vernetzung der heutigen Gesellschaft gelesen werden. Erfahrungen können via Telekommunikation ausgetauscht werden, Distanzen verlieren an Bedeutung, der Austausch von Waren kann über große Entfernungen und in großen Mengen erfolgen (vgl. Hilger 2011, S. 60). Durch das veränderte Zeitregime, eine beschleunigte Zeitwahrnehmung und -empfindung wurde die Modernisierung kontinuierlich forciert und angeschoben (Rosa 2014, S. 79). Aus dieser Perspektive erscheint die Eisenbahn als Motor der Modernisierung, die sich auf die räumlichen Strukturen und Netzwerke auswirkte – Produktionsstätten konnten außerhalb der Städte errichtet werden und das Wissen um andere Kulturen und Lebensweisen verbreitete sich rasant, so dass sich verschiedene Lebenspraktiken zunehmend überschnitten und überlagerten. Als infrastrukturell, sozial und kulturell vernetzt wird die moderne Gesellschaft aus verschiedenen Perspektiven beschrieben. Die für diese Arbeit grundlegenden Beschreibungen des Netzgedankens in Bezug auf die sozial-räumliche Umwelt werden im Folgenden vorgestellt. Global Cities Aus sozial-räumlicher Perspektive untersuchte die Soziologin und Wirtschaftswissenschaftlerin Saskia Sassen das Phänomen der vollständigen Vernetzung (Sassen 1991). Darin beschreibt sie Städte, die sich auf den internationalen Finanzmärkten als privilegierte Finanz- und Wirtschaftszentren herauskristallisiert haben, als sogenannte Global Cities. Sassen zufolge fließen die Finanz- und Dienstleistungsströme in Metropolen wie New York, Tokyo und London zusammen. Durch die Entwicklung neuer Märkte schließen sich
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immer mehr Städte diesem Netzwerk an. Das bedeutet, dass kleinteilige, gewachsene Gesellschafts- und Raumstrukturen (wie bspw. Dörfer und Kleinstädte) als Orte des Austausches, des Handels und des Transfers an Bedeutung verlieren (ebd.) – sie fallen zwischen den Maschen hindurch und gelten als strukturschwach (Kuhn/ Klingholz 2013). Damit wird ein hierarchisches Verhältnis von globalen, treibenden Städten und peripheren, zurückbleibenden Regionen beschrieben. Dieser Prozess führt zu immer größer werdenden Differenzen zwischen unterschiedlich starken Regionen und das trotz beinahe grenzenloser Telekommunikationsmöglichkeiten. Die Handelsbeziehungen profitieren von diesen Wirtschaftszentren: Obwohl Echtzeitkommunikation heute weltweit ortsungebunden möglich ist, lassen sich große Unternehmen in Global Cities nieder. Netzwerkgesellschaft Der spanische Soziologe Manuel Castells konzentriert sich auf die digitale Vernetzung mit ihren Möglichkeiten und Auswirkungen. In seinem dreibändigen Werk THE INFORMATION AGE (Castells 2001 [1996]) beschreibt er die heutige Gesellschaft als Netzwerkgesellschaft. Wenn Digitalisierung die Möglichkeit ubiquitärer Vernetzung bedeute, dann erscheine es »völlig plausibel, dass die fortgeschrittene Telekommunikation die Standorte von Büros überallhin verteilen werde [...], um sich an maßgeschneiderten Standorten und an schönen Plätzchen auf der ganzen Welt niederzulassen« (ebd., S. 432).
Für Castells bietet die Digitalisierung einen positiven modernen Weg der Kommunikation, der – im Gegensatz zu der von McLuhan diskutierten Metapher der Global Villages (McLuhan 1995) – »Segmentierung, situationsbedingte[] Anpassung und Individualisierung« (Castells 2001, S. 385) zulässt. Die Räume der heutigen Informationsgesellschaft werden nach Castells durch ihren Informationsfluss definiert und weniger durch die Verortung und das Verhältnis zu Raum und Zeit. Diese Annahme steht im Gegensatz zu den von Sassen vorgestellten Global Cities. Die von Castells beschriebene Möglichkeit, sich individuell und abseits der Ballungszentren niederzulassen, kann einerseits vor
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allem für strukturschwache Regionen, die vermeintlich aus dem globalen Netz herausfallen, entscheidend sein. Andererseits bestärkt sie das Verständnis von Landschaft 3 nach Jackson, wonach soziale Kontexte des Lebensumfeldes durch Reaktionen, Tätigkeiten und Handlungen gestaltet werden und entsprechend eine gebaute Umwelt hinterlassen, in der die Grenzen zwischen städtischen und ländlichen Lebenspraktiken verwischen. Die Perspektive Castells verdeutlicht die Notwendigkeit eines Landschaftsverständnisses und Denkmodells, die es ermöglichen, Landschaften für ein scheinbar ortloses urbanes Leben (Häussermann/Siebel 1997, S. 305) durch Nutzung digitaler, sozialer und infrastruktureller Vernetzung produktiv zu machen. Netzstadt Ein solches Modell, das diese Vernetzung auf unterschiedlichen Ebenen beschreibt, stellen Frank Oswald und Peter Baccini aus städtebaulicher Sicht als Netzstadt (2003) vor. Dieses Kompositum beschreibt einen urbanen Zusammenhang, der ein flächendeckendes und dreidimensionales vernetztes »Groß-System« (ebd., S. 46) darstellt. Dieses Groß-System besteht aus unterschiedlich gearteten Teilsystemen, die die Folge von sowohl natürlichen und erdgeschichtlich entstandenen als auch kulturell gestalteten Prozessen darstellen. Diese Systeme können als übereinander gelagerte Netze verstanden werden und bestehen nach Oswald und Baccini aus ›Knoten‹ und ›Flüssen‹. Die Netzstadt weist unterschiedlich große Knoten verschieden hoher Dichte an Menschen, Gütern und Informationen auf. Diese Knoten wiederum sind durch Ströme von Personen, Gütern und Informationen verbunden (ebd., S. 46). Davon ausgehend, dass »die einzelnen geogenen und anthropogenen Systeme [...] eine stark differenzierte Dynamik der Prozesse« (ebd., S. 47) zeigen, kann eine klare Trennlinie zwischen Stadt und Land im Rahmen einer Netzstadt nicht mehr gezogen werden, denn die Netzstadt »manifestiert sich als großräumige Kulturlandschaft« (ebd.). Dieses Modell ermöglicht, so die Autoren, städtebauliche Entwurfsweisen unabhängig der Kategorien Stadt und Land. Zwischenstadt Das Modell der Netzstadt schließt unter anderem an Metaphern für die Stadt wie das von Thomas Sieverts geprägte Verständnis der
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Zwischenstadt (2013 [1997]) an. Sieverts beschreibt mit der Zwischenstadt ein Raumparadigma, das sich von dem Verständnis der ›alten Stadt‹ als fest ummauertes Siedlungsfeld löst und die aktuellen Siedlungsstrukturen, die jene »gesetzten räumlichen Grenzen« (ebd., S. 13) sprengen, beschreibbar und damit gestaltbar macht. Durch Modernisierungs- und Globalisierungsprozesse greift die Stadt der Gegenwart in ihr Umland ein, bildet »eigene Formen einer verstädterten Landschaft oder einer verlandschafteten Stadt« (ebd., S. 14) aus und nimmt dabei sowohl städtische als auch ländliche Eigenschaften an. Zwischenstädte sind nach Sieverts überall auf der Welt vertreten, wo die »historischen stadtbildenden Kräfte und die durch sie gesetzten Begrenzungen an ihr Ende gekommen waren« (ebd., S. 15). Gemeinsam haben die Zwischenstädte, dass sie trotz der scheinbar diffusen, ungeordneten und dezentralisierten Struktur ein Netzwerk unterschiedlicher und differenzierter »Stadtfelder mit einzelnen Inseln« (ebd.) bilden. Durch verschiedene Mobilitätsformen werden Wohnen, Arbeit und Freizeit verknüpft und führen zu einer vernetzten Raumentwicklung. Sieverts fordert, dass dieses Raumparadigma auch im stadtplanerischen Interesse Berücksichtigung finden sollte. Urban Tissue Eine Grundlage der vorgestellten Thesen und Theorien zu heutigen Vernetzungsweisen von Stadt und Land hat Henri Lefebvre bereits in den 1970er Jahren mit seinem Buch DIE REVOLUTION DER STÄDTE (Lefebvre 1970) aufgestellt und ausgearbeitet, in dem er eine vollständig urbanisierte Gesellschaft beschreibt. Angesichts moderner gesellschaftlicher Gegebenheiten löse sich der Gegensatz zwischen Stadt und Land zunehmend auf. Diese Beobachtung führt zur Hypothese der »vollständigen Verstädterung der Gesellschaft« (ebd., S. 7). Es entstehen Ballungsgebiete von Produktions- und Handelszentren und die dafür notwendigen Ausbauten der erforderlichen und zugehörigen Infrastruktur. Ausgangspunkt der vollständigen Verstädterung ist nach Lefebvre die Industrialisierung, durch deren Verbreitung die Handelsbeziehungen zunehmen und sich vervielfachen (ebd., S. 20). Indem dieser »Prozeß alles erfasst, wird seine Auswirkung [...] ihrerseits Ursache und Sinn« (ebd., S. 21). Die Industrialisierung ist dabei ›selbstregulierend‹: Sie schiebt Transformationsprozesse an, ist
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dadurch die Ursache für Veränderungen und gleichzeitig auch das Ergebnis von Entwicklungsprozessen, deren Ziel Effizienzsteigerung – auch durch das Einsparen von Arbeitskräften – ist. Resultat ist ein urbanes Gewebe, das urban tissue, das den Globus überzieht. Diese Verstädterung der Gesellschaft führt zur »Ballung in den Städten, Landflucht, Ausdehnung des Stadtgewebes, vollständige Unterordnung des Agrarsektors unter den städtischen Sektor« (ebd., S. 22). Das bedeutet für Lefebvre, dass der Verstädterung nicht nur das Primat zukommt und deshalb der Herstellung von Wohnraum im Zuge dessen Priorität zuerkannt wird (ebd., S. 98), sondern zugleich »völlig neue[...] Beziehungen zwischen Architekt und Urbaniker« (ebd., S. 99) erfordert: Die Stadtplanung unterliege den industriellen Forderungen der Stadtgesellschaft und der Architekt »konstruiert entsprechend den Zwängen, die von Einkommen [...], Normen und Werten ausgeübt werden, also von Klassenkriterien, die unweigerlich zur Absonderung führen« (ebd.)6.
›A LLES
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Die Ausbreitung der Stadtgesellschaft bildet ein dichtes Netz, das von der Mode über die Medien bis hin zur Freizeitgestaltung reicht. Alltagspraktiken sind urban geprägt und werden kontinuierlich produziert und re-produziert – auch auf dem Land, das durch moderne Kommunikation und Mobilität an die städtischen Lebensweisen angeschlossen und mit ihnen vernetzt ist. Dadurch ist eine Unterscheidung in urbane und rurale Lebenswelten nicht mehr möglich. Stattdessen bilden sich »unterschiedliche urbane Konfigurationen« (Schmid 2010, S. 155) heraus. Stadt und Land können als sozial-räumliche Einheit verstanden werden. Die Nutzer und Produzenten heutiger urbaner Landschaftsräume sind unabhängig von peripheren oder zentralen Regionen nicht mehr per se »gezwungen [...], sich tagtäglich mit einer unkultivierten Natur auseinander[zu]setzen [...], um überleben zu können« (Siebel 2002,
6 Die von Lefebvre gewählten Begriffe zeigen seine marxistische Ausrichtung. 7 Die begriffliche Herleitung des Kunstbegriffes rurban ist eine erweiterte und überarbeitete Version aus dem Einleitungskapitel in Langner/Frölich-Kulik 2018.
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S. 155). Und auch wenn vielerorts scheinbar ursprüngliche bäuerliche Lebenspraktiken Zuspruch und Interesse finden (vgl. Neu 2016), sind diese Teil des urbanen Gewebes, da nicht mehr die überlebensnotwendige Dringlichkeit von Subsistenzwirtschaft besteht, sondern das Interesse aus einer kritischen Sicht bezogen auf die urbane Gesellschaft resultiert. Diese Reaktionen zeigen aber auch, dass Stadt und Land nach wie vor lebensweltliche Kategorien darstellen, an denen sich die Gesellschaft orientiert und die insofern als gesellschaftliche Aushandlungsorte fungieren können (Nell/ Weiland 2014).8 Zur Beschreibung solcher im vorangegangenen Abschnitt dargestellten urban-ruralen Verknüpfungen wird seit den zunehmenden Globalisierungsprozessen des 20sten Jahrhunderts u.a. der Kunstbegriff rurban als Synthese von rural und urban verwendet. Städtische Lebensweisen und davon geprägte Vorstellungswelten sind gegenwärtig global vertreten und bestimmen auch den Alltag ländlicher Regionen, so dass ursprünglich bäuerliche, subsistenzwirtschaftliche Lebenspraktiken überformt oder nur noch untergeordnet praktiziert werden. Zunehmende Pendlerbewegungen, Schlafstädte und hochtechnologisierte Produktionsstätten sind das Resultat von Industrialisierungs- und Urbanisierungsprozessen und bestimmen das Raumgeschehen und damit die Raumstrukturen des ländlichen Raumes. Insoweit bestimmt die Stadt das Geschehen auf dem Land. Gleichzeitig ist im Zuge dieser gesellschaftlichen Transformationen aber auch eine umgekehrte Bewegung zu beobachten: Auf der »Suche nach dem guten Leben« (Rössel 2014) erfährt das Land eine neue Bedeutung und bestimmt und gestaltet als idealisierter Sehnsuchtsort zunehmend städtische Lebenspraktiken. Ergebnis ist, dass viele Städter nach einer Entschleunigung aus dem »urbanen Habitus« (Dirksmeier 2009), der
8 Das spiegeln auch die Verkaufszahlen des Landmagazins Landlust wieder. Während es 2006 noch 130.000 Auflagen gab, wurden knapp zehn Jahre später über 1 Mio. Exemplare verkauft (www.ivw.eu). Auch die zeitgenössischen literarischen Werke setzen sich mit der aktuellen Wiederkehr des Ländlichen auseinander und reflektieren die Verschränkung von Stadt und Land. So z.B.: MACHANDEL (Scheer 2014), VOR DEM FEST (Stanišić 2014), DER ORT (Maier 2015), ALTES LAND (Hansen 2015) oder UNTERLEUTEN (Zeh 2016).
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Hektik des Stadtlebens, suchen und dabei eine »Neue Ländlichkeit« (Hahne 2011; Neu 2016) produzieren. Bilder des Ländlichen mit samt ihren Zuschreibungen werden von Städtern aufgegriffen und leiten deren Alltagspraktiken. Nach einer Studie der Soziologin Claudia Neu suchen Landlustige, grüne Familien, Heimatler, Money-Poor-Time-Rich-Typen, Aussteiger oder Aktivisten nach Entschleunigung, nachhaltigen und ökologischen Nahrungsmitteln oder kritisieren den Konsum, der urbane Lebensweisen prägt (Neu 2016, S. 6)9. Dabei stehen sie für eine neue Ländlichkeit, die den Dualismus von Stadt und Land, von dienstleistungsorientierter, arbeitsteiliger Arbeit und Subsistenzwirtschaft vermeintlich aufhebt. Es sind nicht nur die Städter, die das Dorf- bzw. Kleinstadtleben suchen, sondern es wandelt sich auch das Verständnis von Stadt, deren Kieze zunehmend als Dorf verstanden werden (Nell 2014, S. 192). Dabei orientieren sich heute viele Menschen an den imaginierten, vermeintlich ländlichen Lebensweisen. Das hat Rössel empirisch nachgewiesen. Ihre Interviewpartner, alles Zugezogene in die Uckermark, schreiben Gemeinschaft, Freiheit, Einfachheit, Naturnähe, Zeit, Ruhe und Kapitalismuskritik dem guten ländlichen Leben zu (Rössel 2014, S. 222) und führen sie als Beweggründe für ihren Umzug an. Dabei produzieren sie neue Raumstrukturen, die sich als materialisierte, gebaute Umwelt im Raumgeschehen abzeichnen und, obwohl sie durch die Suche nach einem Gegenbild zur Stadtgesellschaft entstehen und damit die Trennung von Stadt und Land betonen, stets Vermischungsformen aus beidem sind und so zu neuen Raumqualitäten führen. Die von Rössel festgestellten Zuschreibungen und Wertevorstellungen eines ländlichen Lebens finden sich auch bei dem, was das Land in die Stadt projiziert. Die Sehnsucht nach idealen Lebensweisen und -formen, die sich nach Rössel unter anderem durch selbstbestimmtes Handeln, das Leben in Gemeinschaften oder die Eigenerzeugung von Nahrungsmitteln ausdrücken, beeinflussen und gestalten zunehmend auch das Stadtgeschehen und zeigen sich insbesondere in den
9 In ihrer Studie NEUE LÄNDLICHKEIT. EINE KRITISCHE BETRACHTUNG beschreibt Claudia Neu aus soziologischer Perspektive diese sechs Typen mit ihren jeweiligen Ansprüchen, Bedürfnissen und Antrieben (Neu 2016).
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Bewegungen des ›Urban Gardenings‹10 (Baier 2013; Krug-Richter 2015). Dem Ländlichen zugeschriebene Lebenspraktiken halten immer mehr Einzug in der Stadt und ändern den Alltag entscheidend. Stadt und Land als alltagsweltliche Kategorien verschmelzen zu einem Gefüge, das die Eindeutigkeit der Begriffe in Frage stellt und dabei einen neuen Begriff erforderlich macht, um die Perspektive auf diese urban-rurale-Verstrickung und Verschmelzung zu schärfen. Der Begriff rurban verschränkt die beiden Begriffe urban und rural und stellt sie gleichwertig nebeneinander. Je nach Betrachtungsweise wurden und werden mit diesem Kunstbegriff Urbanisierungsprozesse, Siedlungsstrukturen und Raumqualitäten gefasst. Aus geographischer Perspektive beschreibt bereits 1945 Helen Balk mit dem Begriff der ›Rurbanization‹ Austausch- und Aushandlungsprozesse von Stadt und Land, die Verstädterung des Landes beziehungsweise die Provinzialisierung der Stadt (Balk 1945). Am Beispiel der amerikanischen Stadt Worcester beschreibt sie sechs Entwicklungsstadien der Landnutzung: Ausgehend von der ersten Besiedlung des Landes folgte auf die subsistenzwirtschaftliche Landnutzung die Viehzucht. Einen besonderen Antrieb für die Vermischung urban-ruraler Strukturen und Lebenspraktiken stellte in diesem Zusammenhang die Entwicklung der Eisenbahn dar, die, nach Hengartner, »das Zusammenrücken der Welt förderte« (Hengartner 2010, S. 65) und entscheidend dazu beitrug, »den Graben zwischen Stadt und Land einzuebnen« (ebd., S. 66). Diese technischen Entwicklungen führten zu einem sich steigernden »flow of foodstuffs« (Balk 1945, S. 109), woraus die Spezialisierung der Landwirtschaft folgte, die als kommerzialisierte Intensivlandwirtschaft mit Subsistenzwirtschaft der Farmfamilie kombiniert wurde. Mit dieser Entwicklung – der Rurbanization – ging nach Balk aber auch das »back-to-the-land-movement« (ebd., S. 111) einher. Durch die zunehmende Überlastung der Städte, hohe Lebenshaltungskosten sowie steigende Grundstückspreise in der Stadt bei gleichzeitigem Aufkommen des Automobilverkehrs
10 Als Urban Gardening wird der urbane Gartenbau auf städtischen Flächen bezeichnet. Meistens handelt es sich dabei um selbstverwaltete Gemeinschaftsgärten.
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und dem Ausbau der Straßen verlagerten sich Wohn- und Erholungsorte auf das Land. Rurbanization bezeichnet hier den Prozess der Landaneignung und Urbanisierung ländlicher Regionen. In Europa wurde der Begriff der ›Rurbanisation‹ in den 1970er Jahren von den französischen Geographen Bauer und Roux verwendet, um die Raumstrukturen, die aus der Verflechtung von urbanen und ruralen Raumnutzungen hervorgehen, zu beschreiben (Bauer/Roux 1976). Etwa zeitgleich mit Lefebvres Beobachtungen zum urban tissue beobachteten auch sie, dass zeitgenössische Raumstrukturen zunehmend weder urbanen noch ruralen Raumkategorien zugeschrieben werden können. Bauer und Roux charakterisieren fünf rurbane Strukturen: Als rurban beschreiben sie 1. die Restflächen zwischen neuen Siedlungen und der nahe gelegenen ›alten Stadt‹; 2. das zeitgleiche (Fort-)Bestehen von ruralen Lebenspraktiken und landwirtschaftlichen Gebäuden in direkter Nachbarschaft zu modernen Wohn- und Bauprojekten; 3. Einfamilienhaussiedlungen mit einer maximalen Entfernung von 30 Minuten zur ›alten Stadt‹; 4. den Rückgang von Bauern und Handwerkern in der demographischen Wirtschaftsstruktur und 5. die Ausdifferenzierung der Landnutzung und damit verbundene steigende Grundstückspreise durch den Wohnungsbau in ländlichen Regionen (nach: Madaleno/Gurovich Weisman 2004, S. 514). Die beschriebenen Raumstrukturen finden sich auch in der von Sieverts bezeichneten Zwischenstadt, die ähnliche Merkmale aufweist (vgl. Kap. 2). Während die Geographen vor allem eine strukturelle Entwicklung beschreiben, bezeichnet Sieverts einen Typus urbaner Landschaften, um sie als Tätigkeitsfeld für Planer produktiv werden zu lassen. Indem Sieverts diese diffusen und planlos wirkenden Stadtgebilde (Sieverts 2013, S. 15), »die weder Stadt noch Land [sind], aber Eigenschaften von beiden besitzen« (ebd., S. 14), als Zwischenstadt beschreibt, lassen sich aus dieser Perspektive konkrete Handlungsfelder für die Regionalplanung (ebd., S. 155) herleiten, die in Planungsprozessen Anwendung finden können.11
11 Für Sieverts ergeben sich fünf große Handlungsfelder für die Zwischenstadt: 1. Transport und Kommunikation, 2. Schutz, Pflege und Entwicklung, 3. Trans-
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Mit dem Kunstbegriff rurban wurden also vorerst aus geographischer Perspektive die rasanten Urbanisierungs- und Suburbanisierungsprozesse nach dem ersten Weltkrieg in den USA beschrieben und in den 1970er Jahren die zunehmend suburbanen Raumstrukturen globaler Verstädterungsprozesse. In den 1990er Jahren hat der Humangeograph Gerhardt Henkel mit dem Begriff ›Rurbanisierung‹ Austauschvorgänge zwischen städtischen und ländlichen Sozialstrukturen beschrieben, bei denen ein »neue[r] vorstädtische[r] Lebensstil […] in den Randzonen der Stadtregionen« (Henkel 1993, S. 34) entstand. Der Begriff rurban bietet sich also an, um die Vermischung von Stadt und Land, von städtischen und ländlichen Alltagspraktiken und sowohl Prozess als auch Ergebnis dieser Vermischung zu beschreiben. So taucht der Begriff aktuell im raumpolitischen Zusammenhang auf, um partnerschaftliche Beziehungen und neue Allianzen zwischen Stadt und Land zu beschreiben.12 Um räumliche Qualitäten, »die sich den gewohnten städtischen Deutungsmustern entzieh[en]« (Pretterhofer/Spath/Vöckler 2010), phänomenologisch zu fassen, wird der Begriff Rurbanismus verwendet. Im aktuellen, rurbanen Raumgeschehen zeigen sich keine kontinuierlich homogen ausgeprägten Raumstrukturen, wie sie im Konzept des Stadt-Land-Kontinuums angenommen werden, sondern die räumlichen Gegebenheiten werden als heterogene Strukturen begriffen. Urbanisierte ländliche Regionen lassen sich nicht als »zusammenhängendes räumliches Kontinuum« (ebd., S. 19) losgelöst von der etablierten Gegensätzlichkeit von Stadt und Land erfassen und darstellen, sondern die Beziehung beschreibt ein Verhältnis von Stadt und Land, bei der nicht nur die Stadt, sondern zunehmend gleichberechtigt auch das Land die Vorgänge bestimmt. Das gegenwärtige vernetze und urbanisierte Raumgeschehen ist nicht mehr in Kategorien von Stadt und Land zu entwickeln.
formation und Erweiterung, 4. Orientierung und Information, 5. Kultur und Sport (Sieverts 2013). 12 RURBAN (Partnership for sustainable urban-rural development) »is a preparatory action agreed by the European Parliament in 2010 and managed by the European Commission« (Siehe http://ec.europa.eu/regional_policy/en/policy/what/ territorial-cohesion/urban-rural-linkages/).
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Vielmehr müssen die Zusammenhänge, Strukturen, gegenseitigen Abhängigkeiten, Konflikte aber auch produktiven Verbindungen dieses vielschichtigen Beziehungsgefüges beleuchtet werden. Um die gegenseitige Befruchtung von Stadt und Land wahrnehmen zu können, müssen die Beziehungen zwischen Stadt und Land in Planungsprozessen gleichzeitig und als gleichwertig betrachtet werden. Als Grundlage dafür kann Art. 72 des Grundgesetzes13 herangezogen werden (vgl. Töpfer/Klingholz 2013, S. 5). Nur so können zeitgenössische Lebensumfelder entwickelt werden, auch wenn sie von Ideal- und Wunschvorstellungen zu Stadt und Land geprägt sind. Die Beschreibung ›rurbane Landschaften‹ (Langner 2014, 2016a, 2016b; Langner/Frölich-Kulik 2018) bietet sich an, um das aktuelle Raumgeschehen mit seiner Gleichzeitigkeit von Stadt und Land auf verschiedenen Ebenen und aus unterschiedlichen Perspektiven zu diskutieren. Das Begriffspaar rurbane Landschaften betont das Beziehungsgefüge zwischen urban und rural, um Landschaften als sich kontinuierlich neu zusammensetzende Gefüge aus urbanen und ruralen Praktiken, räumlichen Elementen, Bedeutungszuschreibungen und deren Sinnkontexten zu lesen. Diese Perspektivierung ermöglicht eine Untersuchung der produktiven und produzierten Verbindungen aber auch der konfliktträchtigen Beziehungen von Stadt und Land auf verschiedenen Ebenen. Das Verständnis rurbaner Landschaften als dynamische, beziehungsreiche Räume führt die scheinbar gegensätzlichen Kategorien von Stadt und Land zusammen und hebt deren Verschränkung hervor. Dennoch sind die Differenzen zwischen Stadt und Land, zwischen infrastrukturell ausgebauten Ballungsräumen und strukturschwachen Regionen unbestreitbar und sollen durch den Begriff des Rurbanen auch nicht aufgelöst bzw. in Abrede gestellt werden. Auf der einen Seite werden in vielen Dörfern und Kleinstädten öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Postämter oder Bahnhöfe geschlossen, was mitunter auch zu einem »Demokratie-
13 Nach Artikel 72 Abs. 2 des Grundgesetzes »hat der Bund das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht«.
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und Kompetenzverlust« (Henkel 2016a, S. 15) führen kann. Auf der anderen Seite stehen diesen negativen Entwicklungen auch positive Bilder des Ländlichen gegenüber, das zum Teil als Ort des ›guten Lebens‹ (vgl. Rössel 2014) imaginiert wird. Gemeinsam ist beiden Seiten, dass sie die alltagspraktische Gegensätzlichkeit von Stadt und Land fortführen. Die Stadt bleibt dementsprechend »der Raum zum Überleben« (Neu 2016, S. 6) im Alltag, während das Land als »Raum der Imagination eines besseren Lebens« (ebd.) erscheint.
L ANDSCHAFTEN
ALS RURBANE
N ETZRÄUME
Begriffe und Bilder geben Auskunft über gesellschaftliche Zuschreibungen und können aktuell mögliche Transformationsprozesse beschreiben. Um den Blick auf die Beziehungen der gebauten Umwelt als Resultat gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse zu lenken, werden – abgeleitet von dem Verständnis ubiquitär vernetzter Räume, die als Landschaften wahrgenommen werden können – im Folgenden Landschaften als rurbane Netzräume betrachtet. Damit wird der Blick innerhalb der Begrifflichkeit von rurbanen Landschaften auf die sozialen und funktionalen Verbindungen gerichtet. Dieser Fokus unterstützt die Betrachtung der konkreten Wechselbeziehungen sowie deren Beeinflussung, Steuerung und Akteure und erlaubt die Re-interpretation physisch materieller Infrastrukturnetze. Der rurbane Netzraum ist ein theoretisches Abstraktionsmodell zur Veranschaulichung von Zusammenhängen und Abhängigkeiten verschiedener Systeme und Sub-Systeme. Netzräume sind dynamische Gebilde (vgl. u.a. Löw 2001; Burckhardt 2006a; von Seggern 2010), die sich u.a. entsprechend sozialer, politischer, ökonomischer, technischer und naturräumlicher Entwicklungen und Prozesse wandeln und dabei kontinuierlichen Veränderungen unterliegen. Diffizile, unterschiedliche und sich gegenseitig beeinflussende Transformationsprozesse gestalten nachhaltig die Relevanz, Beschaffenheit und Relationen von Netzräumen – eingeschlossen die Beziehungen zwischen Gebäuden und unbebautem Raum innerhalb eines Raumgeschehens (u.a. von Seggern 2010).
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Gebäude sind Knotenpunkte in einem Netzwerk, das einen bestimmten Netzraum definiert, der sowohl städtisch als auch ländlich geprägt ist und von sozial-räumlichen Austauschprozessen gestaltet wird. Durch den kontinuierlichen Austausch von Lebenspraktiken, Handlungsweisen, Infrastrukturen und Bauweisen spannen Orte wie bspw. Gebäude einen spezifischen Raum auf, losgelöst von den Kategorien Stadt und Land. Die gebaute Umwelt ist Teil des Raumgeschehens, speichert »als System gebauter Zeichen […] Erfahrungen und Bedeutungen einer bestimmten Zeit« (Steets 2015, S. 175) und erzählt so die Geschichte(n) der Landschaft als Geschichte(n) der materialisierenden Geschehenszusammenhänge. Umgenutzte Gebäude berichten durch gewählte Materialien, Konstruktionsweisen, Einbindung und Anordnung vom Wandel gesellschaftlicher Auffassungen und Handlungen. Neue Nutzungen, häufig ablesbar an baulichen Eingriffen, aber auch den damit einhergehenden Veränderungen des sozialen Umfeldes, schreiben die Geschichte der Landschaft fort. Im Prozess der Aneignung und Umnutzung, losgelöst von ihrer einstigen Bestimmung, werden neue Verbindungen und Beziehungen zwischen Gebäude und Landschaft hergestellt. Durch neue Nutzungen werden Gebäude in einen neuen Kontext gestellt und nehmen als Teil vorgefundener Strukturen selbst wiederum auf diesen Kontext Einfluss. Angesichts des Netzraumverständnisses müssen Analyseschwerpunkte geschaffen werden. Die Betrachtung der Entwicklung von Knotenpunkten und ihrer Verbindungen erlaubt dabei ein Verständnis raum-zeitlicher Zusammenhänge eines dynamischen Raumgeschehens. Diese Betrachtung ermöglicht auch Rückschlüsse auf den sogenannten Zwischenraum, der von Knoten und Verbindungen definiert wird (vgl. Böhme 2004). Gleichzeitig können aus der Beobachtung und Analyse von Raumzusammenhängen mögliche Knotenpunkte als Schwerpunkte gefunden werden, die die Aufmerksamkeit von Politik, sozialem Handeln und entwerferischer Praxis nachhaltig beeinflussen können (vgl. Faber/ Oswalt 2013; von Borries 2016). Als zusammenhängende Systeme sind Netzräume produktiv (vgl. Böhme 2004, S. 18) und gleichzeitig Produkt sozialen Handelns. Sie sind Produkt gesellschaftlichen Austauschs und bieten wiederum die Basis für weiteren Austausch. Ihre Beschaffenheit – ablesbar an baulich-dinglichen
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Gestaltungen aber auch an sozial-mentalen Konstruktionen – ergibt sich aus dem Wechselspiel von produziertem Raum als Ergebnis und gleichzeitig als Basis fortlaufender sozialer Aushandlungsprozesse. Die vorliegende Arbeit fokussiert Landbahnhöfe als Teil eines Netzes. Dabei werden Gebäude als Knotenpunkte, gebaute Infrastrukturen als Verbindungslinien, natur- und sozialräumliche Prozesse als das ›Dazwischen‹ verstanden. Das ›Dazwischen‹ beschreibt in Anlehnung an Böhme (2004) nicht die aufgespannte Fläche zwischen drei Knotenpunkten und deren gebauten Verbindungslinien wie bspw. Straßen, Schienen und Wegen, sondern bezeichnet die gesellschaftlichen und naturräumlichen Dynamiken, aus denen heraus Gebäude und Infrastrukturen produziert und gleichzeitig davon wiederum beeinflusst und gestaltet werden. Dieses ›Dazwischen‹ bildet so ein entscheidendes Moment der sozialen Raumproduktion. Das Zusammenspiel von Knotenpunkten, Verbindungslinien und den natur- und sozialräumlichen Prozessen zeigt die Abbildung 4. Handlungen und Alltagsabläufe unterschiedlicher Art sind Teil eines dynamischen rurbanen Netzraumes. Die Gebäude darin, hier das Beispiel der Landbahnhöfe, sind in dieses Netz eingebunden und bestimmen einerseits dessen Abläufe, andererseits sind sie aber auch dessen Ergebnis. Als Resultat und gleichzeitig Ausgangspunkt zukünftiger Gestaltungen bilden Gebäude Knotenpunkte in rurbanen Netzräumen und sind somit sowohl dessen Produkt als auch (Mit-) Produzent des Netzraumes selbst. Indem einst leerstehende Gebäude in neue Nutzungszusammenhänge gebracht werden, ändern sich ihr Bezug und ihre ›Aufgabe‹ im Netzraum. An ihnen können die Zusammenhänge zwischen gebauter und unbebauter Umwelt, zwischen Knotenpunkt und Netzraum, beschrieben werden.
RAUMVERSTÄNDNIS 49
Abb. 4: Rurbaner Netzraum – Knotenpunkte, Verbindungslinien, Dazwischen. Die skizzenhafte Darstellung zeigt mögliche Verbindungen in einem sozial-räumlichen Gefüge.
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F AZIT : R AUMVERSTÄNDNIS N ETZRÄUME
RURBANER
Landschaften beschreiben Räume, die in einem Wechselspiel zwischen Mensch und Natur entstehen. Etymologisch beschreibt der Begriff Landschaft »geschaffenes, bearbeitetes Land« (Ritter 2005, S. 597), weshalb sich die Beschreibung von Landschaft auf verschiedenste Raumkonfigurationen übertragen lässt. Landschaften werden in sozialen Zusammenhängen gestaltet, die als dynamische Beziehungen und Netzwerke Teil des gesamten Raumgeschehens (von Seggern 2010, 2018) sind. Durch wachsenden Informationsaustausch, steigende Mobilität und anhaltende Globalisierungsprozesse verknüpfen diese Netzwerke zunehmend Stadt und Land. Eine Differenzierung in urbane und rurale Räume kann kaum noch vorgenommen werden – alles ist vernetzt. Nach Lefebvre (1970) kann von einem urban tissue gesprochen werden, das sich über den gesamten Globus ausbreitet. Um diese gegenwärtigen Landschaftszusammenhänge beschreiben zu können, hilft der Begriff ›rurban‹, als Zusammensetzung von urban und rural. Verschiedene Praktiken, die ursprünglich als typisch urban oder rural beschrieben werden konnten, werden unabhängig von ihrer ursprünglichen Zuschreibung in Städten oder auf dem Land praktiziert. Auch Gebäude sind als Ergebnis sozialer Aushandlungsprozesse Teil von Landschaften und unterliegen deren dynamischen Veränderungen. Damit sind sie eingebettet in gesellschaftliche Netzwerkzusammenhänge. Als statische Objekte in dynamischen Landschaften sind sie zum einen das Resultat bisheriger und zum anderen auch Ausgangspunkt für zukünftige Gestaltungen. Über soziale und infrastrukturelle Verknüpfungen stehen die Gebäude immer auch mit anderen Gebäuden in Beziehung. Als Zugriff zum Raumgeschehen kann ein Landschaftsraum mit dem Fokus auf die Gebäude und deren Vernetzungen als materielle Zeugnisse als rurbaner Netzraum bezeichnet werden. Dieser Begriff fungiert somit als ›Raumbrille‹, deren Fokus den räumlich-entwerferischen Umgang mit leerstehenden Landbahnhöfen an befahrbaren Strecken argumentativ unterstützt.
3 NETZRAUMPRODUKTION LANDBAHNHÖFE ALS KNOTEN UND LEERSTELLEN
Die Schienen verrosten, und die wenigen alten Bahnhofsgebäude, die die Verwahrlosung des letzten halben Jahrhunderts heil überstanden haben, wurden inzwischen verkauft und werden bewohnt.
GÜNTHER DE BRUYN
Das Abstraktionsmodell von Landschaften als rurbane Netzräume dient dazu, die Beziehungen von Gebäuden sowohl zueinander als auch in Bezug zu sozial-räumlichen Entwicklungen zu betrachten. Auf der Grundlage der Theorie zur Produktion von Raum nach Henri Lefebvre sollen im Folgenden am Beispiel leerstehender Landbahnhöfe Gebäude als Produkte und Produzenten von Netzräumen betrachtet werden. Wie werden rurbane Netzräume produziert? Welche Rollen spielten und spielen Gebäude wie beispielsweise Landbahnhöfe in diesem Kontext? Um den Zusammenhang zwischen Gebäuden und Netzraum darzustellen, wird zunächst die zugrunde gelegte, von Henri Lefebvre entwickelte Theorie zur sozialen Raumproduktion zusammengefasst. Daran schließt sich die Vorstellung von Landbahnhöfen als relevante soziale Orte des Alltags und gegenwärtige Erinnerungsfiguren an. Änderungen von Beziehungen und Bedeutungen, die Gebäuden im Laufe sich ändernder gesellschaftlicher Verhältnisse zugeschrieben werden, haben Veränderungen von Netzraumstrukturen zur Folge. Am Beispiel von Landbahnhöfen zeigen sich diese Transformationen einerseits am häufigen Leerstand der Gebäude, andererseits an deren Umnutzungsweisen. Deshalb werden in einem weiteren Schritt die Veränderungen von Netzräumen aus zwei Perspektiven auf der Grundlage der Produktion von
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sozialem Raum nach Lefebvre untersucht: Zum einen wird die Entwicklung und die gegenwärtige Situation am Beispiel der Pfefferminzbahn im Thüringer Landkreis Sömmerda aufgezeigt. Zum anderen werden bereits umgenutzte Landbahnhöfe exemplarisch untersucht, um prototypische Impuls- und damit auch Vernetzungsweisen transformierter Landbahnhöfe und Netzräume abzuleiten.
R AUMPRODUKTION
NACH
LEFEBVRE1
Das Verständnis von rurbanen Netzräumen basiert auf den Betrachtungen des französischen Philosophen und Soziologen Henri Lefebvre (1901–1991) zu weltweiten Urbanisierungs- und Globalisierungsprozessen. Ausgangspunkt der Positionen Lefebvres waren die von ihm beobachteten Bewegungen in den sechziger und siebziger Jahren des 20sten Jahrhunderts, in denen die Zivilbevölkerung – noch unter dem Eindruck des 1945 beendeten Krieges – sich in Zeiten zunehmender Globalisierung artikulierte und ihren Vorstellungen durch machtvolle Demonstrationen Nachdruck verlieh. Das Stadtgeschehen – und damit auch die alltäglichen Arbeitsund Wohnverhältnisse – war geprägt von den »Folgen der Rationalisierung, der regionalen und sektoralen Umgruppierung großer Kapitale, der Auslagerung ganzer Produktionszweige, der dauernden Ersetzung und Abstoßung menschlicher Arbeitskraft bei Stagnation oder gar Rückgang evtl. neuer Beschäftigungsmöglichkeiten« (Evers 1978).
Ausgehend von der ›Krise der Stadt‹ begann Lefebvre die Zusammenhänge von Alltag und Stadt, von sozialem Handeln und materialisierter Umwelt zu untersuchen. Er entwickelte die Theorie zur Production of Space (Lefebvre 1991 [1974]). Darin formulierte er die These, dass jede Gesellschaft ihren eigenen Raum produziert und Raum demnach ein gesellschaftliches Produkt sei – eine, wie
1 Dieses Kapitel ist zu Teilen der überarbeitete und bereits erschienene Artikel »Netzraumtopografie – Architektonische Leerstellen im Landschaftsgeschehen«, Frölich-Kulik, Maria (2018).
NETZRAUMPRODUKTION 53
Schmid es beschreibt »von Menschenhand geschaffene ›zweite Natur‹« (Schmid 2010, S. 30). Damit ebnete er den Weg zu einer neuen räumlichen Gesellschaftstheorie (ebd., S. 31) und bot die Grundlage für zwei entscheidende Denk- und Erklärungstheorien zur ›Krise der Stadt‹: Der Soziologe Manuel Castells entwickelte aufbauend auf Lefebvres Gedanken die Theorie der kollektiven Konsumption, nach der das Städtische als Einheit bestimmt wird. Seine Position wurde zur Basis der new urban sociology. Der Geograph David Harvey widmete sich im Rahmen der radical geography vorrangig der Theorie der Produktion der gebauten Umwelt und beeinflusst damit auch gegenwärtig politische und stadtplanerische sowie -theoretische Diskurse (ebd., S. 32). Für Lefebvre als »›revolutionären Romantiker‹« (ebd., S. 74), radikalen Philosophie- und Wissenschaftskritiker und Verfechter eines dialektischen Materialismus ist die soziale Praxis, im Sinne menschlicher Tätigkeit, entscheidend für die Gestaltung von Landschaften. Lefebvres Theorie verbindet die materielle Umwelt mit immateriellen Prozessen zu einer produzierten und produktiven Einheit. Die gebaute Umwelt ist dabei gesellschaftliches Produkt und gleichzeitig Produzent und somit Nährboden folgender Entwicklungsprozesse. »Der tätige Mensch modifiziert die Natur – um ihn herum und in ihm. Er schafft seine eigene Natur, indem er auf die Natur einwirkt. Er hebt sich in die Natur auf und hebt diese in sich auf. Indem er sie nach seinen Bedürfnissen umformt, ändert er sich in seiner Tätigkeit und schafft sich neue Bedürfnisse. Er bildet und erfaßt sich als Macht, indem er Gegenstände hervorbringt, ›Produkte‹. Er schreitet fort, indem er die mit seinem eigenen Tun gesetzten Probleme löst.« (Lefebvre 1966, S. 95)
Lefebvre selbst versteht seine Theorie zur Produktion von Raum als »orientation« (Lefebvre 1991, S. 423). Das macht es argumentativ möglich, auch die ›Lebensläufe‹ von Gebäuden sowohl als Resultat gesellschaftlicher Produktion als auch als gestaltende Faktoren eines dynamischen rurbanen Netzraumes zu begreifen. »We are concerned with what might be called a ›sense‹: an organ that perceives, a direction that may be conceived, and a directly lived movement
54 LANDBAHNHÖFE progressing towards the horizon. And we are concerned with nothing that even remotely resembles a system.« (Ebd.)
Lefebvre differenziert nach phänomenologischen, also sinnlich erfassbaren, sowie semiotischen, also symbolhaften Erscheinungen. Dabei beschreibt er jeweils drei dialektisch miteinander verschränkte Dimensionen, durch die sich Raum konstituiert. Danach entsteht Raum phänomenologisch betrachtet durch wahrgenommene, konzipierte und konkret erlebte Momente. Semiotisch werden dabei räumliche Praktiken, Räume der Repräsentationen und Präsentationen des Raumes produziert. Durch das praktische, mentale und symbolische (Re-) Kombinieren und Neu-Verknüpfen von Objekten, Subjekten und Ideen wird Raum produziert und reproduziert (Schmid 2010, S. 320). Da die einzelnen Momente des Produktionsprozesses sich gegenseitig konstituieren, könnten sie zwar aus heuristischen Gründen getrennt untersucht werden, letztlich stellen sie aber sich gegenseitig bedingende Dimensionen eines Prozesses dar und sind deshalb gleichwertig und gleichzeitig zu betrachten (ebd.). Mit der von Lefebvre vorgeschlagenen dialektischen Triade aus erfahrenem, erdachtem und gelebtem Raum wird deutlich, dass ›Raum‹ die sozialen Beziehungen verschiedener Ebenen beeinflusst und bestimmt. Indem er seine Theorie zur Produktion von Raum mit drei sich gegenseitig bedingenden Momenten ausdrückt, werden statische Gegensätze, Dualismen und vereinfachte Schemata, die von zwei Begriffen aufgestellt werden, verhindert. So wird eine größere Komplexität der Raumanalyse erreicht (Gottdiener 2002, S. 23). Die Triade erfordert eine Auseinandersetzung und Gegenüberstellung scheinbarer Widersprüchlichkeiten der Erscheinungen bei gleichwertiger Betrachtung – so kann ein Bahnsteig beispielsweise gleichzeitig als triste, überdachte Betonfläche wahrgenommen werden, als moderner Haltepunkt konzipiert sein und ebenso als Ort inniger Verabschiedung und Begrüßung erlebt werden. Indem Räume sozial produziert werden, können sie nicht eindimensional und statisch sein, sondern entwickeln sich kontinuierlich und dynamisch fort. Durch das kontinuierliche Aufeinanderprallen der scheinbaren Gegensätze von wahrgenommenem, konzipiertem und gelebtem Raum und den daraus folgenden sozialen
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Aushandlungsprozessen überschreiten soziale Räume immer wieder »erdachte Grenzen und geregelte Formen« (ebd., S. 23). Das steht im scheinbaren Widerspruch zur der in der Architektur verbreiteten Raumauffassung: Hier wird vorrangig von einem abstrakten Raum ausgegangen und versucht, »über den sozialen Raum des alltäglichen Lebens mit seinen beständigen Veränderungen zu herrschen und ihn zu kontrollieren« (ebd., S. 23). In Abgrenzung dazu lässt sich die Bedeutung des Ansatzes einer sozialen Raumproduktion vor dem Hintergrund rurbaner Netzräume deutlich machen: Die stattfindenden Vermischungen von urbanen und ruralen Praktiken und Raumstrukturen entsprechen weniger übergeordneten Planungen als vielmehr sozialen Haltungen und Handlungen, die sich dann auch in der gebauten Umwelt festschreiben. Gebäude, ob genutzt oder leerstehend, repräsentieren »meeting places« (Massey 2006, S. 26) eines spezifischen sozialen Netzwerkes und präsentieren die sozialen Verhältnisse auch durch räumlichbauliche Beziehungen (Gottdiener 2002, S. 23). Gerade für ländliche Räume, die sowohl als Orte hocheffizienter landwirtschaftlicher Produktion als auch als idealisierter Sehnsuchtsort verstanden werden können, ist der von Lefebvre vorgeschlagene analytische Apparat relevant (Halfacree 2006). Soziale Raumproduktion Der bekannte Ausspruch Lefebvres »(Social) space is a (social) product« (1991, S. 26) zielt darauf ab, Räume als Produkte gesellschaftlicher Prozesse zu verstehen und weiter entwickeln zu können. Als phänomenologisch begreifbare Repräsentanten ihrer sozialen Umgebung können Räume nach Lefebvre auf semiotischer Ebene nur als Einheit von physisch wahrnehmbarem, mental konstruiertem und sozial gelebtem Raum gelesen und verstanden werden. Dabei besteht die Herausforderung darin, die einzelnen Aspekte dieser Triade aus analytischer wie auch aus praktischer Perspektive als gleichberechtigte Elemente eines im besten Fall harmonischen Ganzen zu fassen, zusammenzuführen und weiter zu gestalten. Diese triadische Unterteilung ermöglicht analytische Untersuchungen der einzelnen Teilmomente (Schmid 2010, S. 206). Für Lefebvre ist diese »perceived-conceived-lived triad« (Lefebvre 1991, S. 40) aus verknüpften und sich gegenseitig implizierenden Produktionsprozessen von physisch wahrnehmbarem und sozial
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gelebtem Raum nicht als abstraktes Modell zu verstehen, sondern muss konkret anwendbar sein, sonst bliebe es nur ein ideologischer Vermittlungsversuch unter vielen (ebd.). Die Raumtheorie Lefebvres wird vor allem in der Human-Geographie für konkrete Analysen aufgegriffen (vgl. Halfacree 2006; Rössel 2014) und ist Grundlage stadtsoziologischer Auseinandersetzungen (vgl. Diener/ Herzog/Meili 2006). Sowohl die humangeographische als auch die stadtsoziologische Perspektive betrachtet – aufbauend auf Lefebvres Analysemodell – die gebaute Umwelt vor dem Hintergrund sozialer Raumproduktion. Während sich die Humangeographin Julia Rössel in ihrer Forschung der Alltagswirklichkeit und damit auch der materialisierten Realisierung der Wohn- und Lebensvorstellungen von Zugezogenen im ländlichen Raum widmet (am Beispiel der Uckermark), plädiert die Soziologin Silke Steets für die Entwicklung eines Baukulturbegriffes, »der nicht nur an Hochkultur, sondern auch am Alltag orientiert ist und der architektonisches Wissen und die Bedürfnisse der Nutzer und Nutzerinnen stärker verbindet« (Steets 2015, S. 249). Architektur ist also das Abbild alltäglicher, gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse (Fischer/Delitz 2009). Dafür lassen sich vielerorts Beispiele finden. So erzählen etwa ungenutzte, niedersächsische Hallenhäuser im Umkreis von Hamburg sowie die unzähligen leerstehenden Kirchen in Thüringen von gesellschaftlichen und politischen Transformationen. Momente der Raumproduktion Lefebvre geht davon aus, dass der Mensch sein Lebensumfeld intuitiv und sinnlich wahrnimmt und dabei seine Alltagswirklichkeit mit der urbanen Wirklichkeit verknüpft. Hiermit wird die Ebene des physisch wahrnehmbaren Raumes angesprochen. Materialisierte Produkte der urbanen Gesellschaft bestimmen den Alltag der Bewohner. Es ist das Material, das sich jeder Nutzer individuell aneignet und dabei entsprechend seiner alltäglichen Bedürfnisse und Vorstellungen formt und gestaltet. Diese kontinuierlichen Re-Produktionsprozesse materieller Räume und Dinge bezeichnet Lefebvre als räumliche Praxis. Praktisch realisierte und damit geformte und raumbildende Gegenstände, Gebäude oder städtebauliche Ensembles sind mit Fakten belegbar und damit empirisch nachvollziehbar und beschreibbar (Lefebvre 2012, S. 335).
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Die materielle Produktion von Raum wird von raumplanerischen Konzepten beeinflusst. Unabhängig vom Maßstab wird dabei auf einem bestimmten Wissen aufgebaut und gleichzeitig neues Wissen generiert. Es ist die Ebene des mental konstruierten bzw. des Wissensraumes, auf der sich die Planung als Produktionsmoment sozialen Raumes bewegt. Raumplanerische Konzepte repräsentieren ein bestimmtes Gesellschaftsverständnis und sind Ausdruck ihrer konkreten Zeitumstände mit den jeweiligen gesellschaftlichen Übereinkünften und individuellen bzw. kollektiven Bedürfnissen, die auf sprachliche Konventionen, Darstellungsweisen, gesellschaftliche und ethische Regeln, Normen und politische Richtungen reagieren. Damit schreibt Lefebvre Planern bei der Produktion von Raum eine besondere Rolle zu, denn sie kombinieren zeitspezifische Grundeinstellungen und Werte mit sozial-räumlichem Wissen und technischem Können (Lefebvre 1991, S. 45). In diesem Kontext hebt Lefebvre die Entwicklung und Anwendung der linearen Perspektive in raumplanerischen Konzeptionen hervor, denn sie repräsentierten »einen festen Beobachter, ein unbewegliches Wahrnehmungsfeld, eine dauerhafte visuelle Welt« (Schmid 2010, S. 229). Damit dränge dieser abstrahierte, konzeptionelle Raum die »›ursprüngliche‹ Einheit von Erlebtem und Konzipiertem [...] in den ›Untergrund‹« (ebd., S. 253). Einen Höhepunkt fanden diese Vorgehensweisen in den Planstädten des zwanzigsten Jahrhunderts. Dabei konnten Wissenschaftler, Planer und Urbanisten Systeme »verbaler, verstandesmäßig geformter Zeichen« (Lefebvre 2012, S. 336) entwickeln, die von relativem, sich stets änderndem Wissen durchzogen sind, von diesem abhängen und zugleich neues Wissen produzieren (ebd., S. 339). Nach Lefebvre ist es daher auch Aufgabe von Planern, die lineare Perspektive, die Ausgangspunkt einer zunehmend abstrakten, von der Alltagswelt unabhängig konzipierten Architektur ist, weiterzuentwickeln. Die Triade der Raumproduktion Lefebvres wird vervollständigt durch die sozial gelebten Repräsentationsräume. Es handelt sich dabei um die symbolischen Qualitäten von Räumen. Konzipierte und materialisierte Räume sind stets aufgeladen mit Bedeutung und tendieren »zu einem mehr oder weniger kohärenten nonverbalen Symbol- und Zeichensystem« (ebd., S. 336). Dabei produzieren und vermitteln Bilder und Symbole Bedeutung, die wiederum
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Ansichten, Normen sowie Werte einer bestimmten Zeit implizieren und dementsprechend erlebt und dabei re-produziert werden können. Die Räume repräsentieren Bedeutungen, die ihnen historisch zugeschrieben werden. Dies hat auch eine sozial-praktische Dimension. Ein Beispiel: Aufgabe der Denkmalpflege ist es, gebaute Räume, die eine bestimmte Zeit in besonderer Weise repräsentieren, zu bewahren und vor grundlegenden Veränderungen zu schützen. Sinn denkmalpflegerischer Zielstellungen besteht darin, »Erhaltungsinteresse und Veränderungsnotwendigkeit miteinander abzugleichen« (Dietl 2019, S. 258). Abseits von geplantem und praktischem Alltagsraum kommen auf der Ebene der Bedeutungsproduktion aber auch idealistische und utopische Raumvorstellungen zum Vorschein, die mitunter essentiell für den Erhalt und Fortbestand bestehender Bausubstanz sein können. Das schließt ein, vorhandene Räume nicht allein unter dem Gesichtspunkt ihrer tatsächlichen Nutzungsqualitäten zu bearbeiten, sondern zugleich hinsichtlich ihrer historisch produzierten Bedeutung, die wiederum Raum-Vorstellungen beeinflussen können. Auch für den Umgang mit leerstehenden Gebäuden im ländlichen Raum ist die vorgestellte Triade der Raumproduktion entscheidend – obwohl Lefebvre selbst die Rekonstruktion und Wiederaneignung von Gebäuden kritisch sah: Sie verdeutliche die direkten Abhängigkeiten und Ambivalenzen von Planung und Alltagspraxis vor dem Hintergrund symbolischer Zuschreibungen. Lefebvres Perspektive zeigt, dass bei der Betrachtung von z. B. leerstehenden Landbahnhöfen nicht nur Bausubstanz und Umsetzung zählen, sondern dass Gebäude als Bausteine eines sozialen Raumes selbst soziale Produkte sind und damit Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit (Abb. 5). Landbahnhöfe sind Repräsentationsräume, deren Bedeutung Ergebnis und Produkt gelebter Alltagshandlungen ist. Sie sind Teil der räumlichen Praxis. Durch konkrete soziale Aushandlungsprozesse und Nutzungsweisen werden die Gebäude kontinuierlich in ihren Funktionalitäten wahrgenommen, was mit baulichen, räumlich-materiellen Anpassungen und Ergänzungen einhergeht. Das können z. B. durch sehr hohen Bedarf weitere Bahnhofsgebäude entlang einer Bahnstrecke sein oder auch An- und Umbauten, wie z. B. für notwendig erachtete Zeitungsläden nahe des Warteraumes.
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Diese triadische Betrachtung von Landbahnhöfen als Teil sozialer, materieller und symbolischer Aushandlungsprozesse bietet die Möglichkeit, Umgangsweisen für leerstehende Landbahnhöfe zu entwickeln, mit denen die Gebäude wieder zu lebendigen Teilen von Landschaften als sozial produzierte rurbane Netzräume werden. Abb. 5: Momente der Raumproduktion. Die Zeichnung zeigt die drei Momente der Produktion von Raum am Beispiel von Landbahnhöfen.
Gesellschaftliche Wirklichkeit Die Produktion von Raum findet immer im gesellschaftlichen Kontext statt. Lefebvre geht es dabei weniger um eine Rekonstruktion unterschiedlicher räumlicher Einheiten als solche, sondern vielmehr um das Verständlich- und Handhabbarmachen des ihnen zugrunde liegenden Rasters (Lefebvre 1991, S. 155). Er führt drei Ebenen der gesellschaftlichen Wirklichkeit ein und differenziert, wieder triadisch, in eine nahe Ordnung (P), eine mittlere Ordnung (M) und eine ferne Ordnung (G). Der Landbahnhof ist in seiner ursprünglichen Funktionsweise auf allen drei Ebenen relevant (Abb. 6).
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Die nahe Ordnung, »the private realm P« (ebd.), ist die Ebene der Sicht- und Nachbarschaftsbeziehungen; der praktisch sinnlichen Wirklichkeit des Wohnens, der Gemeinschaft und der Familie sowie der Arbeitsteilung. Diese vertrauten Beziehungen, eng verwoben mit Alltagsabläufen, sind Quellen für (sozial-) räumliche Veränderungen. In direktem Miteinander und ohne institutionellen Einfluss können utopische Vorstellungen geboren werden, die kraft ihrer Unmittelbarkeit die Raumproduktion von unterster Ebene her beeinflussen können. Auf das Beispiel der Landbahnhöfe angewandt beschreibt diese Ebene den Bahnhof als alltäglichen Knotenpunkt: Er bietet Raum für direkten Austausch – so kommen bspw. die Wartenden in Gespräche und tauschen sich über bereits Erlebtes und noch bevorstehende Erlebnisse aus. Dabei werden Lebensvorstellungen und Wünsche ausgetauscht, die auch gesellschaftliche Ideen transportieren und Lebensweisen beeinflussen können. Dieser Ebene privater Beziehungen übergeordnet findet sich nach Lefebvre die mittlere Ordnung, »M [...] for intermediate space« (ebd.). Es ist die Ebene der Stadt, ausgerichtet um Institutionen wie Stadtbehörden mit ihren Dienstleistungen, Versorgungsund Informationsnetzen. In Abgrenzung zur privaten Alltagsebene (P) beschreibt Lefebvre mit dieser mittleren Ebene die urbane Gesellschaft, die sich durch Versorgungs- und Dienstleistungsbeziehungen auszeichnet. Der Landbahnhof ist auch auf dieser Ebene stark verankert – er stellt die konkrete bauliche Verbindung zur Stadt dar. Der Anschluss an das Bahnnetz ermöglichte den Ortschaften Anbindung an wirtschaftliche Zentren und damit Teilhabe an zeitgenössischen urbanen Entwicklungen. Neben dem Rathaus und der Kirche wurde der Landbahnhof zu einer zentralen Institution, die das Raumgeschehen mit seinen Alltagspraktiken, aber auch Infrastrukturen erheblich und nachhaltig beeinflusste. Über diesen beiden Ebenen steht die Ebene der globalen Ordnung (G). Mit ihr beschreibt Lefebvre den »religious or political space [that] has retained its relevance for thousands of years because it was rational from the outset« (ebd.) Auf dieser Ebene finden sich neben religiösen und politischen Auffassungen und Regeln auch ökonomische und juristische Prinzipien im nationalen und internationalen Rahmen (Schmid 2010, S. 164).
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Der Bau von Landbahnhöfen ist immer im Zusammenhang mit ökonomischen und juristischen Voraussetzungen und Verhältnissen zu lesen. Finanzielle Möglichkeiten und institutionelle Entscheidungen beförderten oder verhinderten den Anschluss von Ortschaften an das Schienennetz. Auch die architektonische Gestaltung der Gebäude hing mit den übergeordneten ›globalen‹ Auffassungen und Zwängen zusammen. Häufig sind Landbahnhöfe als Typengebäude gebaut. Entlang einer Strecke gleichen sich die Gebäude daher in Struktur und Materialität. Das liegt nicht nur an den verwendeten lokalen Materialen und dem ökonomischen Druck, Planungskosten zu reduzieren, sondern kann auch als ein politisch gewollter Wiedererkennungseffekt und damit als mögliche Zuschreibung zu einem bestimmten regionalen Terrain interpretiert werden (vgl. Stein 1996). Abb. 6: Ebenen der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Die Zeichnung zeigt die drei von Lefebvre vorgeschlagenen Ebenen in Form von drei unterschiedlich großen Quadraten. Der Landbahnhof ist in seiner ursprünglichen Funktionsweise auf allen Ebenen relevant.
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L ANDBAHNHÖFE N ETZRÄUME
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RURBANER
Die Theorie von Lefebvre über die Produktion von sozialem Raum unterstützt das Verständnis von Landbahnhöfen als Knotenpunkte rurbaner Netzräume. Damit sind sowohl deren infrastrukturelle und funktionale als auch ideelle und identitätsstiftende Qualitäten gemeint, die im Folgenden näher beleuchtet werden. Die Eisenbahn kann als Symbol für den technischen Fortschritt im Rahmen der Industrialisierung verstanden werden. Sie kann Distanzen überwinden, Orte verbinden und dient als Transportmittel. Durch die Entwicklung der Eisenbahn als »maschinelle Einheit« (Schivelbusch 1993, S. 23), bestehend aus Fahrzeugen, Schienen und Bahnhöfen, wurde das gesellschaftliche Gefüge von Grund auf umstrukturiert. Mobilitätssteigerung, der direkte Austausch sowie die dadurch scheinbar schwindenden Distanzen zwischen den Orten änderten das Raumgeschehen. Die Eisenbahn erforderte geänderte Eigentumsverhältnisse, die Herstellung von neuen Raumstrukturen durch Neuverteilungen und einen veränderten sozialen Austausch durch andere Zeitwahrnehmungen. Zugleich teilte sie, was ursprünglich zusammen gehörte. Der Bau der Bahnhöfe ließ die jeweiligen Standorte zu Bestandteilen eines überregionalen Transport- und damit Handelsnetzwerkes werden. Insbesondere für den ländlichen Raum stellte der Bau der Bahnhöfe entscheidend die Weichen zur Entwicklung der Region. Ihre infrastrukturellen Verbindungen zwischen den Ortschaften sowie der Anschluss an ein überregionales Netzwerk ließ die Bahnhöfe zu wichtigen funktionalen Bausteinen rurbaner Netzräume werden. Als gebaute Knotenpunkte sind sie Teile und Resultate sozial produzierter Räume und können als besondere Repräsentanten ihres sozialen Umfeldes verstanden werden: Auch wenn Landbahnhöfe in ihrer Funktion den großstädtischen Bahnhöfen glichen – sie dienten sowohl als Umschlagorte für Güter als auch dem Schutz der Ankommenden, Abfahrenden und Wartenden –, unterschieden sie sich in Wahrnehmung, Bedeutungszuschreibung und räumlicher Repräsentation von großstädtischen Bahnhöfen. Der großstädtische Bahnhof gilt als Inbegriff von Öffentlichkeit und zentraler Schnittstelle urbanen Lebens. Seine bauliche Struktur
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spiegelt diesen Schnittstellencharakter wider: Der großstädtische Personenbahnhof ist baulich zweiteilig strukturiert. Die Gesamtanlage eines Bahnhofs setzt sich aus einer häufig dem offenen Land zugewandten, »in Eisen und Glas ausgeführte[n] Bahnhalle« (Schivelbusch 1993, S. 153) und einem der Stadt zugekehrten, steinernen Empfangsgebäude zusammen. Großstadtbahnhöfe sind Transitorte, an denen große Menschenmassen anonym zusammentreffen. Der Bahnhof verkörpert »scheinbar die maximale Anonymität der Großstadt« (Hengartner 2010, S. 66) und wird heute auch als Nicht-Ort2 (Augé 2012) charakterisiert, der »keine besondere Identität und keine besondere Relation, sondern Einsamkeit und Ähnlichkeit« (ebd., S. 104) erzeugt. Landbahnhöfen wurden zu Zeiten ihrer Entstehung ähnliche Charakteristika zugeschrieben. Die Bahnhöfe, meist nur aus einem Empfangsgebäude bestehend, wurden »mal im Heimatstil der Welt der Moderne entgegengesetzt, weit öfter aber als (back)steinernes Symbol des Fortschrittsein, zwei Nummern zu groß geraten« (Hengartner 2010, S. 66) errichtet. Sie wurden zum Symbol des »ersehnten oder verteufelten Fortschritts« (ebd., S. 65) und standen zeichenhaft für den »Anschluss an Welt und Moderne« (ebd.). Dabei wurde ihnen nachgesagt »›Gemeinschaft‹ zu zerstören, Tür und Tor zur Anonymität, zur Mobilität und Flüchtigkeit zu öffnen« (ebd., S. 66). Als zentraler Knotenpunkt ländlicher Regionen kann der Landbahnhof jedoch als ein »Ort der Tätigkeit« (Augé 2012, S. 71) verstanden werden, das heißt als ein Ort, an dem »die Wege der Einzelnen sich kreuzen und verbinden, an [dem] Kommunikation stattfindet« (ebd.). Das lässt sich auch an den Grundrissen ablesen, die stets ähnlich aufgebaut waren: Als neue Eingangstore der Ortschaften wurden Landbahnhöfe entsprechend ortstypischer baulicher Merkmale repräsentativ gestaltet. Das Erdgeschoss diente dem Empfang. Die Empfangshalle war von beiden Seiten des Hauses zugänglich. Sie kann als Verbindung zwischen Dorf und Stadt, zwischen Lokalität
2 Marc Augé bezeichnet »mit dem Ausdruck ›Nicht-Orte‹ zwei verschiedene, jedoch einander ergänzende Realitäten: Räume die in Bezug auf bestimmte Zwecke (Verkehr, Transit, Handel, Freizeit) konstituiert sind, und die Beziehung, die das Individuum zu diesen Räumen unterhält.« (Augé 2012, S. 96).
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und Globalität verstanden werden. Im Erdgeschoss fanden sich ursprünglich auch Warteräume getrennt nach gesellschaftlichen Schichten. Für Frauen und Männer, aber auch für betuchte und einfache Leute wurden mancherorts separate Warteräume eingerichtet. Einen zentralen Anlaufpunkt bot die Bahnhofsgaststätte. Im Obergeschoss befanden sich die Wohnungen der Bahnangestellten. Der Landbahnhof avancierte zu einem zentralen Element dynamischer rurbaner Netzräume – Alltagsabläufe änderten sich, Relationen und Verbindungen bestehender Strukturen wurden verschoben, urbane und rurale Lebensweisen traten in einen direkten Austausch. Als infrastrukturelle Schnittstelle neuer Transportmöglichkeiten, repräsentativ gestaltetes Tor zum Ort und weiterer lokaler Ort des Austausches regelte das Bahnhofsgebäude im Sinne Steets »das Zusammenleben seiner Nutzer [neu], stellt sich in einen historischen Kontext [...], bietet Identifikationspotential [...] und evoziert bestimmte körperliche Modi des Umgangs« (Steets 2015, S. 209). Das Bahnhofsgebäude wurde neben dem Rathaus, der Schule und der Kirche zu einem symbolträchtigen und identitätsstiftenden Gebäude – »als Treffpunkt der Dorfjugend, die sich zigaretterauchend ins Erwachsenendasein einübt, als Bühne zur mitunter ergreifenden Inszenierung dörflicher Gemeinschaft in Ritualen des Abschieds und des Willkommens« (Hengartner 2010, S. 66).
Es lässt sich also auch als »anthropologischer Ort« (Augé 2012, S. 62) begreifen, das eine spezifische Geschichte aufweist. Landbahnhöfe sind somit Orte des Alltags, deren Nutzungen Alltagsabläufe ritualisierten. Die Tagesstruktur wurde durch die Nutzung der Eisenbahn mitbestimmt – der Fahrplan gab einen Takt vor, der sich auf die alltäglichen Abläufe auswirkte. Mit ihm wurden nicht nur individuelle Alltagsabläufe strukturiert, sondern auch die durch die Bahnhöfe miteinander verbundenen und ›in Reihe geschalteten‹ Ortschaften mussten zeitlich aufeinander abgestimmt erreichbar werden. Das bedeutete für das Raumgeschehen, dass sich Produktionsschwerpunkte herausbilden konnten, in Folge dessen Arbeitsplätze verlagert und durch die konzentrierte Produktion Erträge gesteigert werden konnten.
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Bahnhöfe ländlicher Regionen stellten neue Rahmen für alltägliche Kommunikation zur Verfügung. Die baulich-räumliche Struktur bot verschiedene Schauplätze für unterschiedliche Begegnungen: Auf dem Bahnhofsvorplatz, in den Wartesälen und auf dem Bahnsteig trafen Abfahrende, Ankommende und Wartende aufeinander; zufällige Gespräche zwischen den Reisenden ebenso wie lang ersehnte Wiedersehen oder traurige Abschiede fanden statt und sorgten für eine Verschmelzung von Erinnerung und Ort. Dadurch schrieb und schreibt sich der Bahnhof in das kommunikative Gedächtnis ein, ein Gedächtnis, das einerseits sozial vermittelt, andererseits gruppenbezogen ist (Jan Assmann 1988, S. 10).3 Jeder Bahnhofsnutzer ist Teil einer bestimmten Gruppe, die ein spezifisches Bild über sich, das heißt über ihre »Einheit und Eigenheit« (ebd.), hat – die zigarettenrauchende Dorfjugend verbindet mit dem Gebäude etwas ganz anderes als bspw. der täglich zur Arbeit fahrende Fabrikarbeiter oder die zu Besuch kommende Großmutter. Das entsprechende Selbstbild, das kommunikativ konstituiert wird, hat nach Assmann einen Zeithorizont von drei bis vier Generationen (ebd., S. 11), der mit dem »fortschreitenden Gegenwartspunkt« (ebd.) mitwandert. Das Alltagsgedächtnis wird gefüttert durch »den Umgang mit anderen, durch Sprache, Gefühle, Handeln, Kommunikation innerhalb der Konstellationen des sozialen Lebens« (Assmann 2002, S. 64). Die Dorfjugend, der Fabrikarbeiter oder die Großmutter geben ihre Erlebnisse als Teil eines bestimmten, individuell wahrgenommenen gesellschaftlichen Kontextes an ihr Umfeld und die nächste Generation lebhaft weiter. Für die folgenden Generationen verblassen die Erzählungen, Geschichten und Erinnerungen, bis sie als konkrete Erfahrungen in Vergessenheit geraten sind. Dennoch sind Landbahnhöfe auf Grund ihrer kulturellen Bedeutung im kulturellen Gedächtnis gespeichert. Denn einerseits kommt ihnen die beschriebene Bedeutung zu, die entsprechend individuell gespeichert wurde und andererseits trägt der Bahnhof als
3 Assmann bezieht sich auf Maurice Halbwachs, der bereits in den 1920er Jahren den Begriff des kollektiven Gedächtnisses prägte, bei dem zwischen dem kommunikativen und kulturellen Gedächtnis unterschieden wird. (Vgl. dazu auch Erll 2017).
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Ort auch eine bestimmte kollektive Bedeutung bspw. als Repräsentant für die Entwicklung und Vernetzung von Orten und Regionen. Deshalb teilen viele Menschen dieses Narrativ (vgl. dazu Nora 1998). Als »Symbol und Verdichtungsraum von Modernität, Urbanität und Industrialisierung« (Herzog/Leis 2010b, S. 7) wird seine Bedeutungszuschreibung durch zum Teil überhöhte Darstellungen in Literatur, Kunst oder Fotografie (vgl. bspw. Leis 2003; Künzli 2007) kulturell geformt und durch »institutionalisierte Kommunikation (Rezitation, Begehung, Betrachtung) wachgehalten« (Assmann 1988, S. 12). Damit kann der Landbahnhof als ein Fixpunkt des kulturellen Gedächtnisses bezeichnet werden. Er stellt als »Schauplatz großer und kleiner Schicksale« (Herzog/Leis 2010b, S. 7) und alltäglicher Ereignisse eine zeitlose »Erinnerungsfigur« (Jan Assmann 1988, S. 12) dar. Erinnerungsfiguren sind nach Assmann Zeitinseln mit »vollkommen anderer Zeitlichkeit bzw. Zeitenthobenheit«, die sich »zu einem Erinnerungsraum ›retrospektiver Besonnenheit‹ ausweiten und durch »kulturelle[...] Objektivationen[...] ein kulturelles Gedächtnis stabilisieren« (ebd.). Assmann benennt sechs Merkmale des kulturellen Gedächtnisses: Identitätskonkretheit, Rekonstruktivität, Geformtheit, Organisiertheit, Verbindlichkeit und Reflexivität. Für die »unverrückbare[n] Erinnerungsfiguren«, mit denen sich »jede Gegenwart [...] dazu in aneignende, auseinandersetzende, bewahrende und verändernde Beziehungen [setzt]« (ebd., S. 13) und die dadurch in den entsprechenden zeitgenössischen Situationen neu-verhandelt werden, ist das Merkmal der Rekonstruktivität im Rahmen des in dieser Arbeit thematisierten Umgangs mit Landbahnhöfen von besonderer Relevanz. Demnach ist es nicht möglich, die Vergangenheit als solche zu bewahren. Stattdessen ist der Bezugsrahmen der jeweiligen Epoche ausschlaggebend und bestimmend für die Rekonstruktionsweise der Bahnhöfe (vgl. Assmann 2013, S. 40). Als Fixpunkt des kollektiven Gedächtnisses verkörpern Landbahnhöfe sowohl den »Modus der Potentialität als Archiv«, als auch den »Modus der Aktualität« (Assmann 1988, S. 13) – sie sind Speicher gesammelter, gesellschaftlicher Erfahrungen und gleichzeitig Spiegel zeitgenössischer sozialer Aushandlungsprozesse und Perspektivierungen. Das Bewahren von Erinnerungsfiguren, die kollektive Erfahrungen speichern und repräsentieren, ist insbesondere auch
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Aufgabe des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege. Als »institutionelle Vermittlungsform der eigenen Geschichte« (Meyer 2009, S. 32) und damit wesentlicher »Aspekt kultureller Sinnzuweisung« (ebd.) werden Gebäude und Gebäudeensembles geschützt, um auch nachfolgende Generationen an ein spezifisches Zeitgeschehen zu erinnern. Die Aufgabe der Denkmalpflege und des Denkmalschutzes ist es, »Kulturdenkmale als Quellen und Zeugnisse menschlicher Geschichte und erdgeschichtlicher Entwicklung zu schützen und zu erhalten sowie darauf hinzuwirken, dass sie in die städtebauliche und dörfliche Entwicklung sowie in die Raumordnung und Landschaftspflege einbezogen werden. Dabei obliegt dem Denkmalschutz die hoheitlich-rechtliche Aufgabe und Verantwortung, der Denkmalpflege die fachliche Beratung und Fürsorge für den hoheitlichen Denkmalschutz.« (ThürDSchG § 1 Abs. 1)
Die Eintragung eines Gebäudes oder Gebäudeensembles als Denkmal kann in Thüringen vom Eigentümer, der unteren Denkmalschutzbehörde, der Gemeinde sowie von einem der Denkmalpflege verpflichteten Verband oder Verein angeregt werden (ThürDSchG § 5 Abs. 1). Als materielle Geschichtszeugnisse manifestiert sich in ihnen die historische Bedeutung als Denkmal nicht nur »im einzelnen Objekt, sondern auch in den Beziehungen der Denkmäler unter- und zueinander sowie in städtischen und ländlichen Denkmalensembles« (Eidloth 2019, S. 17). Denn für Denkmalensembles ist es »[n]icht erforderlich, dass jeder einzelne Teil des Denkmalensembles ein Kulturdenkmal darstellt« (ThürDSchG § 2 Abs. 2). Mittlerweile sind viele Landbahnhöfe unter Denkmalschutz gestellt. Als Teil eines Netzes verdeutlicht deren Denkmalstatus die Bedeutung eines kulturell erhaltenswerten Ensembles, das die Industrialisierungsprozesse in ländlichen Regionen repräsentiert. Die Denkmalschutzgrundsätze lassen sich unabhängig vom konkreten Schutzstatus eines einzelnen Gebäudes auf die in Beziehung zueinander stehenden Landbahnhöfe übertragen: Jeder Landbahnhof ist Teil eines Streckennetzes und darüber direkt mit weiteren Landbahnhöfen verbunden. Die Bahnhöfe werden als Schnitt- und Verbindungsstelle wahrgenommen. Gleichzeitig wird ihre Bedeutung durch den Status als erhaltenswertes Gebäude gestärkt. Indem Landbahnhöfe ein zusammenhängendes Ensemble darstellen,
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von dem einige Teile von der Denkmalpflege exemplarisch hervorgehoben werden, kann die institutionalisiert kommunizierte Bedeutung von Landbahnhöfen auf das gesamte Ensemble übertragen werden. Im Ergebnis können nicht nur die konkret denkmalgeschützten Gebäude als zu erhaltende Erinnerungsfiguren wahrgenommen werden, sondern sämtliche Landbahnhöfe zunehmende Anerkennung als schützens- und erhaltenswerte Gebäudeensembles erfahren. Landbahnhöfe sind »Ausdruck, Zeichen und Symbol einer Region« (Ipsen 2006, S. 141), mit denen sich Menschen identifizieren. Die Identität der Gebäude bestimmt sich durch individuelle und kollektive Einstellungen zur Bedeutung des Raumes (ebd., S. 136), auch abhängig von denkmalpflegerischen Zuschreibungen. Dabei kann die räumliche Identität positiv oder negativ sein, je nachdem, ob die Bedeutungszuschreibung angenommen oder abgelehnt wird und kann je nach Ausprägung stark oder schwach sein.4 Identität, Bedeutungsstärke und Bedeutungsschwäche von Orten werden wesentlich durch den sich verändernden Referenzraum bestimmt. Die Bedeutungszuschreibung und die Stellung von Landbahnhöfen im Netzraum ist also immer Teil sozial-räumlicher Perspektivierungen und Transformationen – sowohl baulichräumlicher als auch sozial-kultureller –, so dass ihre Rolle im Netzraum als sinnstiftende Objekte stets neu zu verhandeln ist. Als markante Repräsentanten ihres vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Umfeldes können Landbahnhöfe in Anlehnung an Ipsen als »poetische Orte« (ebd., S. 135) gelesen und verstanden werden. Die nach Ipsen hinter der Bezeichnung poetischer Orte stehenden Charakteristika – Erkennbarkeit, Unterscheidbarkeit und Ausstrahlung – sind auf Landbahnhöfe übertragbar, um sie als besondere Orte einer Region zu beschreiben. Als erkennbare Teile des Streckennetzes machen Landbahnhöfe symbolisch ihren
4 Die Bedeutungskraft hängt dabei nach Ipsen von dem »Bezug zwischen der Identität der Menschen und der Bedeutung des Raumes ab« (Ipsen 2006, S. 135). Bedeutungsleere Räume sind von außen kaum erfahrbar, da sich ihre »Geschichtlichkeit [...] nicht in kollektiven Erfahrungen und allgemeingeteilten Symbolen niederschlägt« (ebd.). Die Wirkung von bedeutungsstarken Räumen reicht hingegen weit über bestimmte Raumgrenzen hinaus.
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Bezugsraum kenntlich und repräsentieren zeichenhaft regionale und überregionale Zusammenhänge. Durch ihre Bedeutung sowohl als Infrastruktur als auch als soziale sowie kulturelle Knotenpunkte und ihre ortstypische Gestalt heben sich Bahnhöfe in Ortschaften und Regionen hervor. Sie stellen ›besondere‹ Orte im Raumgeschehen dar. Drittes Merkmal poetischer Orte nach Ipsen war Ausstrahlung. Ipsen meint, dass sich ein solcher Ort der »Reproduzierbarkeit entzieht« (ebd., S. 142). Landbahnhöfe erfüllen dieses Kriterium, denn sie können nicht beliebig reproduziert werden. Sie sind – angelehnt an Ipsens Ausführungen – »gemacht, gewollt, gesetzt und zwar dort wo [sie] sind« (ebd., S. 143).5 Demnach sind Landbahnhöfe baukulturelle Besonderheiten entlang einer Kette konkreter regionaler Zusammenhänge und können im Gegensatz zu ihren Großstadt-Pendants weniger als »Kathedralen der Moderne« (Herzog/Leis 2010b, S. 7), als »Monstren an Hässlichkeit« (ebd., S. 8) und schon gar nicht als »Konsumtempel« (ebd., S. 11) bezeichnet werden. Landbahnhöfe stellen sowohl kulturelle Erinnerungsfiguren als auch – als zentrale Infrastruktur – relevante, sozial-räumliche Knotenpunkte im Netzraum dar. Während der Landbahnhof ursprünglich einen Auftakt für Modernisierungsprozesse bildete und mit erheblichen Veränderungen wie Abwanderung der Bevölkerung in die Großstädte verbunden wurde, hat sich Lesart und Verständnis intakter Landbahnhöfe gewandelt: »Kleine Bahnhöfe werden weniger als Orte der Abfahrt gedeutet, sondern als solche des Ankommens, als ein Stück Heimat, als Brennpunkt imaginierter Gemeinschaft« (Hengartner 2010, S. 66). Dies spiegelt sich auch in den gegenwärtigen Wiederaneignungs- und Umnutzungsversuchen wider.
5 Die Reproduzierbarkeit nach Ipsen ist nicht mit der von Jan Assmann beschriebenen Rekonstruktivität zu verwechseln. Während Assmann mit Rekonstruktivität meint, »dass sich in keinem Gedächtnis die Vergangenheit als solche zu bewahren vermag, sondern nur das von ihr bleibt, ›was die Gesellschaft in jeder Epoche mit ihrem jeweiligen Bezugsrahmen rekonstruieren kann‹« (Assmann 2013, S. 40), bezieht sich Ipsen mit der Reproduzierbarkeit von Orten auf die Ausstrahlung, »die sich von einem bestimmten Ort nicht lösen lässt« (Ipsen 2006, S. 142).
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V OM K NOTENPUNKT
ZUR
L EERSTELLE
Obwohl Landbahnhöfe als relevante Knotenpunkte im rurbanen Netzraum imaginiert und verstanden werden können, ist ihre gegenwärtige Situation eine andere. Allein in Thüringen wurden seit der Bahnreform im Jahr 1994 35 Bahnstrecken stillgelegt (EBA 2018), im Zuge dessen die Bahnhofsgebäude ihre Funktionen verloren haben. An anderen Streckenabschnitten wurden und werden die Fahrtzeiten reduziert. Die Bahnhofsgebäude werden aus Rentabilitätsgründen häufig losgelöst von den Schienen verkauft und zu individuellem Zweck umfunktioniert oder abgerissen. Gründe für die Stilllegung von Bahnstrecken und Bahnhöfen sind vor allem ungenügende Fahrgastzahlen, die durch zunehmend individualisierte Mobilität, aber auch Abwanderung und Bevölkerungsverlust entstehen und zu entsprechend hohen Instandhaltungskosten für die Betreiber führen, die durch Einnahmen nicht gedeckt werden können. Mit Lefebvre kann der Bau, die Nutzung und auch die Stilllegung von Gebäuden als Ergebnis und Auftakt gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse beschrieben werden. Dabei beeinflussen politische Entscheidungen die Raumstrukturen ebenso wie raumstrukturelle Konzeptionen oder alltagsrelevante, private Entscheidungen. Die gegenwärtigen Entwicklungen im ländlichen Raum gründen auch auf der vom Geographen Walter Christaller vorgeschlagenen Strategie eines Zentrale-Orte-Konzeptes, das als regulierendes Raumordnungsprinzip im Sinne Lefebvres auf der globalen Ebene verankert ist. Dieses Modell stellt in der Raumplanung nach wie vor eine wichtige Referenz für Planungsstrategien dar. Von verschiedenen Seiten wird dessen Anwendung vor allem für Regionen, die stark vom demographischen Wandel gezeichnet sind, kritisiert (u.a. Oswalt 2013; Kersten/Neu/Vogel 2017). Denn sobald »die Zahl der Einwohner unter einen kritischen Wert [sinkt], verlieren viele Funktionen ihre Tragfähigkeit und verschwinden. Die Zentren verlieren damit ihre Versorgungsfunktion« (Kuhn/ Klingholz 2013, S. 56) und die Bewohner müssen weite Strecken in Kauf nehmen. Nachfolgend soll zusammengefasst werden, was dieses raumordnende Prinzip nach Christaller beinhaltet und welche
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Konsequenzen für ländliche Räume sich aus ihrer Umsetzung ergeben haben. Entwicklung von Knotenpunkten im ländlichen Raum – zentrale Orte? Um notwendige Infrastrukturen und Voraussetzungen für Städte einer bestimmten Region zu gewährleisten, analysierte der Geograph Walter Christaller in den 1930er Jahren die wirtschaftlichen Voraussetzungen und Grundlagen der Raumentwicklung mit dem Ziel, eine zusammenhängende Theorie zu erarbeiten (Christaller 1933). Er suchte nach »ökonomischen Gesetz[en…], die die Anzahl, Verteilung und Größe der Städte eines bestimmten Gebietes bestimmen« (Schmid 2010, S. 26) und die Zentralität sowie Funktionalität von Städten beeinflussen. Dabei konzentrierte er sich weniger auf konkrete Stadtstrukturen, sondern vielmehr auf die ökonomischen Beziehungen zwischen einzelnen Städten und deren jeweiliger Versorgungsbedeutung hinsichtlich Gütern und Dienstleistungen. Aus seinen Analysen entwickelte er ein hexagonales System zur »idealen Verteilung und Hierarchie von Städten und Raum« (ebd.). Dies führte zur Konzeption des Zentrale-Orte-Prinzips (Abb. 7). Abb. 7: Zentrale-Orte-Prinzip nach Walter Christaller
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Das Zentrale-Orte-Prinzip ist ein idealtypisches Modell, das über verschiedene Hierarchiestufen homogene Raumstrukturen entwickelt. Ziel dieses Prinzips ist es, »die Versorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft mit privaten Dienstleistungen und Arbeitsplätzen und einem komplexen Bündel öffentlicher Leistungen der Daseinsvorsorge wie Schulen, Krankenhäuser, Kultureinrichtungen, öffentlichem Nahverkehr, Ver- und Entsorgungsinfrastrukturen zu angemessenen Erreichbarkeitsbedingungen gewährleisten« (Klauser/Leidorf 2013, S. 18)
zu können. Christaller ordnete Orte nach einem »Markt- bzw. Versorgungsprinzip« hierarchisch in Grund-, Mittel-, und Oberzentren, »deren Verteilung von Angebotsstandorten so organisiert sein [soll], daß innerhalb größeren Raumes keine Gebiete unversorgt bleiben, zugleich aber die Zahl der Angebotsstandorte so gering wie möglich ist« (Köck/Blotevogel/Böhn 1992, S. 69). Zentrale Orte zeichnen sich nach Christaller durch einen Bedeutungsüberschuss aus. Erst wenn eine Stadt so viel mehr Güter und Dienstleistungen produzieren und vorhalten kann, dass sie auch in der Lage ist, ihr Umland zu versorgen, kann von einem zentralen Ort die Rede sein. Zentrale Orte haben eine bestimmte, spezifische Reichweite, die nach Christaller »jene Distanz [ist], die ein Konsument gerade noch zurückzulegen bereit ist, um einen bestimmten Angebotsstandort aufzusuchen« (ebd., S. 68). Die Reichweite bzw. Distanz spielt auf allen Maßstabsebenen eine entscheidende Rolle dieses hierarchischen Prinzips. Christallers System der Zentralen Orte blieb nicht nur Analysewerkzeug, sondern hielt vor allem in der Nachkriegszeit Einzug in die Planungsgrundlagen. In dem 1965 in Kraft getretenen Raumordnungsgesetz wurde das Konzept der Zentralen Orte »zum Instrument einer Raumordnungspolitik, deren Ziel es war, in allen Teilen der Bundesrepublik Deutschland gleichwertige Lebensbedingungen zu schaffen« (ebd., S. 75), wie sie auch im Grundgesetz im Art. 72 verankert sind (vgl. Kuhn/Klingholz 2013, S. 70). Zu den Grundlagen des Systems der Zentralen Orte gehören auch die verbindenden Infrastrukturen und Mobilitätsangebote bzw. -möglichkeiten. Durch die Überwindung einer Strecke in kürzerer Zeit als vorindustrielle Mobilität es ermöglichte, verkleinerte
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sich der Raum verkehrsökonomisch (Schivelbusch 1993, S. 35). Hier spielte und spielt die Eisenbahn als wichtiges Transportmittel eine bedeutende Rolle. Dadurch, dass immer größere Distanzen in weniger Zeit überwunden werden können, verschmelzen ehemals getrennte Orte zu einer scheinbaren Einheit. Die Möglichkeit, zunehmend größere Distanzen in immer kürzeren Zeitabschnitten überwinden zu können, führt zugleich zur Verlagerung relevanter Knotenpunkte: Indem die Schienenstränge immer größere Raumzusammenhänge durchziehen, wird das Netz gröber und immer mehr Orte fallen durch die Maschen (siehe dazu Sassen 2005). Auch wenn durch optimierte Verkehrsmittel Orte räumlich und zeitlich zusammenwachsen, führen geographisch lesbare, gröbere Netzstrukturen tendenziell zu einer Konzentration von Infrastruktur in Ballungsgebieten und damit zum Wegzug der Bevölkerung aus dem ländlichen Raum in die Ballungszentren. In Regionen grobmaschiger Netzräume ist der demographische Wandel, die damit zusammenhängende Abwanderung der jungen Bevölkerung und die wiederum daraus resultierende Überalterung der Abwanderungsregionen an dem zunehmenden Leerstand einst repräsentativer Gebäude ablesbar (Abb. 8). Gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Regionen aufrechtzuerhalten, wird durch derartige Bevölkerungs- und Raumstrukturen erschwert. Abb. 8: Veränderungen von Netzräumen im ländlichen Raum. Die Zeichnung zeigt die zunehmend fehlenden Austauschbeziehungen und fehlenden infrastrukturellen Verbindungen im ländlichen Raum.
Die Vergröberung der Netzstruktur durch zunehmend fehlende Austauschverbindungen führt dazu, dass die Verbindungen zwischen urbanen Zentren nicht mehr Teil eines sozialen Raumgefüges sind. Denn das Modell der Zentralen Orte benötigt stabile
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Austauschverhältnisse. Entgegen aktueller Entwicklungen ländlicher Regionen (vgl. u.a. Kuhn/Klingholz 2013; Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung 2013) geht das Zentrale-Orte-Prinzip von einem stabilen Wirtschaftswachstum und einer stabil wachsenden Bevölkerung aus. Dies war vor allem in den 1960er und 1970er Jahren der Fall. Wendet man die Kriterien des Zentralen-Orte-Prinzips auf Regionen an, die mit Bevölkerungsschwund und Überalterung kämpfen, können dort die Voraussetzungen für einen solchen Zentralen Ort nicht mehr erfüllt werden. Für die verbleibende Bevölkerung dennoch wichtige Infrastrukturen schließen, weil sie – die Definition für einen Zentralen Ort nach Christaller zugrunde gelegt – zahlenmäßig unzureichend genutzt werden. Resultat dieser Entwicklung sind immer mehr leerstehende, ehemals bedeutende Gebäude in peripheren Räumen: Schulen, Krankenhäuser, Rathäuser, Feuerwachen, Postämter oder Bahnhofsgebäude.6 Die meisten Bewohner des ländlichen Raumes waren ursprünglich in der Landwirtschaft tätig (Henkel 2005, S. 45). Um die Jahrhundertwende arbeitete über ein Drittel der Erwerbstätigen (38,2 Prozent) in der Landwirtschaft. Während um 1950 in dem früheren Bundesgebiet gut noch ein Fünftel der Beschäftigten (24,3 Prozent) Landwirte waren, sind es heute nicht einmal mehr zwei von einhundert Personen, die überhaupt in der Landwirtschaft arbeiten (dazu www.bauernverband.de). Mittlerweile erfordern globalisierte, hoch-technologisierte und spezialisierte Produktionsabläufe in der Landwirtschaft bei großflächigerer Landnutzung zunehmend weniger, aber dafür z. T. spezieller ausgebildetere Arbeitskräfte – »[s]elbstfahrende Kraftwagen, Produktionssteuerung über Satelliten, Generic Engineering, implantierte Transponder, Mass Customization, Roboter, Drohnen und vieles mehr« (Oswalt 2017, S. 92) prägen die Gegenwart der Landwirtschaft. Damit schwindet die Bedeutung von Orten in ländlichen, landwirtschaftlich
6 Diese Entwicklungen wurden schon seit den 1970er und 1980er Jahren beobachtet. Vor allem nach der politischen Wende 1990 galten die Schrumpfungsprozesse »als Spezialproblem der neuen Bundesländer« (Küpper et al. 2013, S. 1). Mittlerweile beziehen sich die Diskurse auf das gesamte Bundesgebiet und werden besonders seit den 2000er Jahren geführt (ebd.).
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geprägten Regionen – die arbeitsfähige und -willige Bevölkerung zieht in die Ballungszentren. Scheinbar überflüssige Infrastrukturen werden geschlossen, wodurch die Gegend zunehmend unattraktiver wird und potentielle ›Zuzügler‹ abschreckt. Strukturschwäche – infrastrukturell, kulturell und sozial – und zunehmender Bevölkerungsverlust sind Probleme vieler ländlicher Gegenden. Kil verweist auf das diesem Zustand zugrunde liegende Dilemma: »Warum soll man als aktiver, mobiler und ehrgeiziger Mensch in einer Region bleiben [oder in eine Region ziehen, Anmerkung MFK], die sich dauerhaft auf eine [hohe] Arbeitslosigkeit [...] eingerichtet hat? In der die Bahn erst einzelne Bahnhöfe, dann ganze Strecken stilllegt, wo Sparkassen und Postfilialen reihenweise schließen, wo Ärzte und Schulen nur noch in der Kreisstadt zu finden sind, der Einzelhandel zum Erliegen kommt und – als finale Katastrophe – die letzte Kneipe aufgibt.« (Kil 2004, S. 58)
Das Zentrale-Orte-Prinzip, das in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs entwickelt wurde und nach wie vor Anwendung findet, hat insofern seine Berechtigung, als dass in Ballungsgebieten Ressourcen und Kapazitäten effektiv gebündelt und vorgehalten werden können. Das Resultat dieses Prinzips bedeutet jedoch zugleich für bestimmte Regionen eine Abwärtsspirale (Dehne et al. 2008, S. 3), die einem Teufelskreis zu entsprechen scheint: Der ländliche Raum gilt heute vielerorts als abgehängt und damit unattraktiv. Dass die Bevölkerung aus manchen Regionen verstärkt abwandert, ist politisch allerdings nicht gewollt. Im Gegenteil stehen vor allem solche Strategien im Zentrum politischen Handelns, die die betroffenen Regionen als ein modernes, rurbanes Lebensumfeld mit gleichwertigen Lebensverhältnissen zu Ballungszentren erhalten. Dazu gehören u.a. der Zugang zu Infrastrukturen, multimodale Mobilitätskonzepte sowie die digitale Anbindung der Regionen. Als im kulturellen und kommunikativen Gedächtnis verankerte gesellschaftliche Anlaufstellen könnten die einst repräsentativen Bahnhofsgebäude eine tragende Rolle in der nachhaltigen Entwicklung von konkreten ländlichen Räumen und damit auch Landschaften übernehmen. Dafür sind die (noch) vorhandenen Netzstrukturen als potentielle Rahmen und Voraussetzung rurbanen Lebens und damit als Möglichkeitsräume zu identifizieren und
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Nutzungsweisen für Gebäude innerhalb bestimmter Bezugsrahmen aufzuzeigen. Die Pfefferminzbahn – Entwicklung eines rurbanen Netzraumes Die Bedeutung von Landbahnhöfen als Knotenpunkte eines Netzraumes wandelt sich durch private, wirtschaftliche und politische Entscheidungen. Sie sind Resultat sozialer Aushandlungsprozesse, die auch in Raumordnungskonzepten ihren Niederschlag finden. Das wird bei der Betrachtung der Entwicklung(sgeschichte) von Nebenbahnen im ländlichen Raum deutlich. Anhand der Pfefferminzbahn, einer Nebenbahn im Thüringer Becken (Abb. 9), soll beispielhaft veranschaulicht werden, wie räumliche und soziale Bedingungen und Transformationen zu Bedeutungsänderungen von Nebenbahnen geführt haben. Dabei soll einerseits die Bahn als Produzent von epochenspezifischem Raum beschrieben werden, um einen Überblick über deren Bedeutung als identitätsstiftenden Baustein im Raumgeschehen zu geben. Andererseits soll ein möglicher Ausgangspunkt für konkrete Überlegungen zur Umnutzung von Landbahnhöfen gegeben werden (s. Kap. 4). Räumliche Veränderungen sind nicht nur das Produkt objektiv nachvollziehbarer Prozesse, sondern wirken sich auch auf das subjektive Empfinden und das kollektive Selbstbild aus. Um ein möglichst umfangreiches Bild der dynamischen Prozesse entlang der Pfefferminzbahn zeichnen zu können, fließen in die Beschreibungen sowohl archivierte Berichte7 als auch subjektive Erfahrungen ein. Die Pfefferminzbahn schlängelt sich durch das Thüringer Becken – ursprünglich zwischen dem Verkehrsknotenpunkt Großheringen und der Ortschaft Straußfurt. Damit stellte sie die Ost-WestVerbindung zwischen den Nord-Süd-Strecken nach Jena und Erfurt bzw. Halle und Leipzig dar (Abb. 9).
7 Siehe hier vor allem die Bahnhofsakten der Reichsbahndirektion Erfurt, Landesarchiv Thüringen, Hauptstaatsarchiv Weimar.
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Abb. 9: Die Pfefferminzbahn (rot) im heutigen Eisenbahnnetz in Thüringen/Sömmerda. Die gepunkteten Streckenabschnitte dienen lediglich dem Güterverkehr. Die dicker hervorgehobene Strecke ist die ICE-Trasse, die durch das Thüringer Becken führt, ohne die Ortschaften zu tangieren.
Das Thüringer Becken liegt im Landkreis Sömmerda, nördlich der Hauptstadt Erfurt. Die Gegend ist ein Ackerhügelland, das besonders von guten Böden und mildem Klima gekennzeichnet ist und sich hervorragend für die Landwirtschaft eignet. In dieser dünn besiedelten Region wurden und werden vorrangig Getreidesorten angebaut, aber auch Vieh gezüchtet. Die kartographische Darstellung von ca. 1855 zeigt den Ausgangszustand des Landesteils vor dem Bau der Eisenbahn (Abb. 10). Ein Wegenetz verband die Ortschaften und enthielt darüberhinaus Querverbindungen. Zentrale Anlaufpunkte bildeten das westlich gelegene Sömmerda, das nordwestlich gelegene Kölleda sowie das östlicher gelegene Buttstädt als größte Siedlungen der Gegend. Die Verbindungen der einzelnen Ortschaften folgten der Topographie und weniger einer übergeordneten, großräumigen Raumplanung.
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Die Pfefferminzbahn – die Saal-Unstrut-Bahn8 Die Pfefferminzbahn führt durch das fruchtbare Thüringer Becken und stellte die Ost-West-Verbindung zwischen der Thüringischen Eisenbahn und der Nordhausen-Erfurter Eisenbahn dar. Diese beiden Hauptadern des Eisenbahnnetzes konnten die dazwischen liegende Region nicht ausreichend bedienen. Im Zuge der Industrialisierung und Intensivierung der Landwirtschaft wurde der Bevölkerung mehr Mobilität abverlangt, was allein die Hauptstrecken nicht ermöglichen konnten – für viele Ortschaften im Thüringer Becken waren die Eisenbahnstrecken nicht oder nur sehr beschwerlich erreichbar. Die Region, das Thüringer Becken, fiel bildhaft gesprochen zwischen den Maschen hindurch. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg wurde 1871 in Straußfurt die Zuckerfabrik und in Sömmerda die Gewehrfabrik gegründet, in Kindelbrück florierte die Papierproduktion und in Weißensee wurde Stärke produziert. Der Ertrag der vielen Gärtnereien um Kölleda nahm zu und die Viehmärkte in Buttstädt blühten auf. Abb. 10: Das Thüringer Becken um 1855 – lokale Landwirtschaft
8 Die Beschreibung der Entwicklung der Pfefferminzbahn basiert zum großen Teil auf Ausarbeitungen von Paul Lauerwald (1997) mit Ergänzungen aus den Bahnhofakten, Landesarchiv Thüringen, Hauptstaatsarchiv Weimar.
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Diese Intensivierungen der Produktionsleistungen erforderten bessere Verkehrsanbindungen. Deshalb bildeten sich bereits in den 1860er Jahren Interessengruppen in einzelnen Ortschaften heraus, die sich zu einem Gründungskomitee der Saal-Unstrut-Bahn zusammenfanden. Da die Strecke verschiedene Thüringer Staaten durchqueren sollte (Thüringen bestand zu diesem Zeitpunkt aus zehn Herzog- bzw. Fürstentümern), war ein Staatsvertrag zwischen dem Königreich Preußen und dem Großherzogtum SachsenWeimar-Eisenach Voraussetzung. 1870 wurde der Vertrag unterzeichnet und ein Statut der zu gründenden Saal-Unstrut-Eisenbahn-Gesellschaft als Aktiengesellschaft vorgelegt. 1874 wurde die 53km lange Strecke eröffnet.
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Die Bedeutung der Bahn als Impulsgeber landwirtschaftlicher Produktion und zugleich für einen entsprechenden Aufschwung der angrenzenden Orte sowie der gesamten Region, lässt sich auch an der Lage der Bahnhofsgebäude ablesen: Die Gebäude wurden außerhalb der Orte platziert, denn ihre zunächst vorrangige Funktion bestand im Transport der landwirtschaftlichen Erträge und Güter (Abb. 11)9. Den Kosenamen ›Pfefferminzbahn‹ trägt die Saal-Unstrut-Bahn wohl wegen der reichen Kräutervorkommen im Thüringer Becken. Schon kurz nach der Eröffnung musste die Bahnstrecke allerdings zum Verkauf ausgeschrieben werden – Fehlkalkulationen führten zum Bankrott der Saal-Unstrut-Eisenbahn-Gesellschaft. Die Bahn ging 1882 in den Besitz der Nordhausen-Erfurter Eisenbahn-Gesellschaft über, die alles daran setzte, mehr Verkehr auf die Strecke zu ziehen – auch indem neue Haltestellen für den Personenverkehr geschaffen wurden. Zeitgleich war Preußen bereits im Begriff, ein umfangreiches Staatseisenbahnnetz aufzubauen und errichtete dafür neue Strecken. Abb. 11: Lage der Bahn und Bahnhöfe in den damaligen Ortschaften
9 Die Abbildung zeigt die damaligen Ortschaften mit Bahnhofsgebäuden entlang der Bahnstrecke um 1920 (vgl. Abb. 13).
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Die preußische Staatsbahnlinie Erfurt-Sangerhausen wurde zeitgleich mit der Saal-Unstrut-Bahn in Betrieb genommen. Zusätzlich versuchte Preußen, bestehende Privatbahnen zu erwerben. Mit einer entsprechenden Tarifpolitik der Preußischen Bahn wurde das Bestehen kleiner Bahngesellschaften erschwert, so dass 1887 auch die Saal-Unstrut-Bahn in Preußischen Besitz überging. Die Zeit, in der sie privat bewirtschaftet wurde, war beendet, was auch die Angleichung an staatliche Tarife zu Gunsten der Bahnnutzer zur Folge hatte. Zugleich führte die Zugehörigkeit zur Preußischen Staatsbahn zur stärkeren globalen Vernetzung und erforderte entsprechend notwendige Regulierungen. Das zeigt ein Hinweis auf die europäische Eisenbahnkonferenz aus dem Jahr 1898, bei der »alle hervorragenderen Eisenbahnverwaltungen [...] ihre Teilnahme an den Conferenzverhandlungen zugesagt [haben]« (Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar, Reichsbahndirektion Erfurt, Bahnhofsakten, Nr. 6267, Bl. 149r)10, um für die »Feststellung der Winterfahrpläne für die internationalen Züge während der Saison 1898/1899 versammelt [zu] sein« (ebd.). Diese Koordination beeinflusste auch die Fahrpläne der Nebenbahnstrecken beeinflussen.
10 »Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar, Reichsbahndirektion Erfurt – Bahnhofsakten« im Folgenden als LATh – HStA Weimar abgekürzt.
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Durch die zunehmende Industrialisierung der Region wuchsen das Fracht- und das Personenaufkommen an den Bahnhöfen, so dass diese an das sich steigende Verkehrsaufkommen angepasst werden mussten. Den rasanten Aufschwung bestätigen beispielhaft schon die am Sömmerdaer Bahnhof verkaufen Fahrkarten sowie die Zahlen des empfangenen und versandten Stückgutes, der Wagenladungen und der abgefertigten Frachtbriefe (Abb. 12). So wurden bspw. im Jahr 1895 77.000 Fahrkarten verkauft. 30 Jahre später, 1924, waren es 184.700, also fast 250 % mehr. Abb. 12: Tabelle aus der Sömmerdaer Zeitung, Nr. 78 vom 1. April 1939
Die Pfefferminzbahn stellte zwar eine Nebenbahn dar, ihre Transportleistung jedoch verhalf der Region zu Aufschwung und Stabilität. Die Zahlen der am Bahnhof Sömmerda verkauften Fahrkarten belegen den enormen Verkehrszuwachs innerhalb weniger Jahre. In dem Erläuterungsbericht zur Erweiterung des Bahnhofs Sömmerda vom 2. August 1918 sind folgende Verkaufszahlen festgehalten: »Der Fahrkartenverkauf betrug im Jahre 1913 – 134.038 Stück, 1914 – 150.439 St., 1915 – 231.551 St., 1916 – 319.744 St., 1917 – 383.233 St. Die Zunahme von 1917 gegen 1913 beträgt 186 v.H. Aber diese Zahlen gaben insofern kein richtiges Bild, als der größte Teil der Arbeiter auf Arbeiterwochenkarten oder Monatskarten fährt, andere auch auf der Ausgangsstation schon Rückfahrkarten lösen. Nach Zählungen an der Sperre muß der Personenverkehr auf das Vierfache angenommen werden, also für 1917 auf rund 1.500.000 Personen. Sonnabend, den 17.2.1917 wurden z. B. 8.888 Personen an der Sperre gezählt. Hierzu kommen etwa 1.200 Personen für den Übergang innerhalb der Sperre, so daß an diesem Tage rund 10.000 Personen in Sömmerda zu- und abreisten. Zählungen an anderen Wochentagen
NETZRAUMPRODUKTION 83 haben 5.000 Personen, welche die Sperre benutzten, ergeben, wovon etwa 3.500 auf dem oberen Bahnhof, 1.500 auf den unteren Bahnhof entfielen.« (LATh – HStA Weimar, Nr. 6269, Bl. 344r, v; 345r)
Gleichzeitig stieg aber auch der Automobilverkehr an, so dass entsprechende Vorkehrungen getroffen werden mussten, um beiden Transportmitteln Sicherheit garantieren zu können. Aus einem Brief an die Königliche Eisenbahndirektion in Erfurt vom April 1907 wird deutlich, welche verkehrstechnischen Probleme auch durch den Schienenbau gelöst werden mussten: »Es hat sich aber jetzt herausgestellt, daß dieser Schienenübergang sehr gefährlich für Automobile ist, welche von Eckartsberga den Berg herab in ziemlicher Geschwindigkeit fahren müssen und auf den Überweg mit seinen vier Schienen und dazwischen liegenden Erdhügeln stoßen. Hierbei müssen Federbrüche und dergleichen allzuleicht entstehen, wenn nicht gar ernstere Unfälle durch Herausschleudern der Insassen sich ereignen. [...] Es wird [...] erforderlich sein, den obengenannten Wegübergang von Seiten der Bahnverwaltung so herzustellen, daß die Automobile glatt darübergleiten können. Am besten wohl mit Zwangsschienen und Schlackenpflaster.« (LATh – HStA Weimar, Nr. 3152, Bl. 63r, 63v)
Die Bahn avancierte also zu einem Kristallisationspunkt für das Aushandeln räumlich-struktureller sowie sozial-kultureller Prozesse. Diese wirkten sich auch auf die konkrete Raumnutzung aus. Im Vergleich zur Situation um 1855 zeigt sich nunmehr eine kleinteilige, geradlinig verlaufende Raumstruktur (Abb. 13). Das bestehende Wegesystem wurde begradigt, so dass die landwirtschaftlichen Erzeugnisse auf direktem Wege und in höherer Geschwindigkeit zwischen den Ortschaften transportiert werden konnten. Die Begrenzungen der Landwirtschaftsflächen lassen auf geregelte Besitz- und Produktionsverhältnisse schließen. Die Bahnstrecke schneidet jedoch unabhängig von den Parzellierungen die Flächen. Sie liegt wie ein zusätzliches Raster über der landwirtschaftlichen Struktur. Anlässlich des 60. Jubiläums der Strecke wurde im Kölledaer Anzeiger am 13. August 1934 die Strecke in ihrer vollen Länge und Bedeutung für die Region beschrieben. Die Beschreibung verdeutlicht noch einmal die Bedeutung des Streckennetzes für die
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kulturelle Selbstbeschreibung. Sie zeigt, wie sich ökonomische Angaben, Vergangenheitsbezüge, Zukunftsaussichten sowie kulturelle Zuschreibungen, wie bspw. des Idyllischen, verschränken. Daher soll der Text hier ausführlich zitiert werden: »Um die Bahn kennenzulernen besteigen wir in Großheringen den Zug und fahren zunächst bis Eckartsberga. Unterwegs halten wir in Bad Sulza, einem kleinen heilkräftigen Solbad – der Haltepunkt [mit] de[m] Namen Bad Sulza Nord – und Auerstedt, dessen Name durch die Schlacht von 1806 geschichtlichen Klang bekommen hat. Kurz vor Bahnhof Eckartsberga sehen wir schon die alte Eckartsburg in der Morgensonne erstrahlen. An den Burgberg schmiegt sich die Stadt, als suche sie Schutz. Eckartsberga, ein Städtchen mit etwa 2000 Einwohnern, trägt ländlichen Charakter. Deshalb werden auch fast nur landwirtschaftliche Erzeugnisse mit der Bahn versandt. Neben Kartoffeln, Getreide und Zuckerrüben wird viel Vieh, vor allem Schweine, ausgeliefert. In nächster Nähe liegen grosse Forsten, die beim Bahnhof Eckartsberga grosse Mengen Nutz- und Brennhölzer und zur Weihnachtszeit etliche Wagenladungen Christbäume versenden. Die Eisenbahn führt für Eckartsberga und zahlreiche Nachbarorte vor allem Dünge- und Futtermittel, Sämereien und landwirtschaftliche Maschinen heran.
Abb. 13: Die Pfefferminzbahn um 1920 – Industrialisierung
NETZRAUMPRODUKTION 85 Wir setzen die Fahrt nach Buttstädt fort. Unterwegs hält der Zug auf dem Bahnhof Tromsdorf, dessen Bedeutung zunehmen wird, weil zwischen ihm und dem grossen Gut Marienthal vor kurzem eine Verbindungsstrasse gebaut worden ist. Die Erzeugnisse dieses Gutes und vor allem das Holz seiner Forsten brauchen nun nicht mehr über die steilen Wege nach Eckartsberga gefahren werden. Buttstädt, eine Stadt von 4.000 Einwohnern, ist durch seine Märkte weit bekannt. Monatlich, ausgenommen im Dezember, finden Vieh- und Krammärkte statt. Das Bild dieser Märkte wird vollständig vom Pferdehandel beherrscht. In früheren Jahren war der Markt ein Volksfest, zu dem so viele Besucher herbeiströmten, dass die Wirtschaften den Betrieb nicht bewältigen konnten und einigen Bewohnern für die Marktzeit das Schankrecht eingeräumt wurde. Die Märkte brachten viel Geld in den Ort. Leider haben sie jetzt nicht mehr den früheren Umfang, wenn sie auch immer noch bedeutend sind. An Bedeutung gewonnen hat der Antrieb von Schlachtpferden, die mit der Eisenbahn nach verschiedenen grösseren Plätzen befördert werden. Im Herbst werden neben Getreide und Kartoffeln vor allem Zuckerrüben in grossen Mengen (täglich etwa 30 Wagenladungen) versandt. Von Buttstädt führt eine Anschlußbahn für den Güterverkehr nach dem idyllischen Luftkurort Rastenberg. Die frühere Vollbahn ist stillgelegt worden. Dafür ist zwischen Buttstädt und Rastenberg eine Kraftwagenlinie eingerichtet worden.
86 LANDBAHNHÖFE Die Fahrt geht nun weiter über Guthmannshausen, Olbersleben und Großneuhausen. Dörfer mit grossen Gütern, nach Kölleda, einer Kreisstadt mit Amtsgericht und Finanzamt. Sie hat ungefähr 4.000 Einwohner. Diese Gegend ist besonders bemerkenswert dadurch, dass hier viele Arten Tee und Gewürze angebaut werden. Daneben sind vor allem Baldrian, Angelika und Liebstock zu finden, deren Wurzeln zu ätherischen Ölen und Essenzen verarbeitet werden. Dieser ausgesprochenen Gewürzgegend hat die Saal-Unstrut-Bahn den im Volksmunde gebräuchlichen Namen ›Pfefferminzbahn‹ zu verdanken. In Sömmerda kreuzt die Bahn die Linie Erfurt-Sangerhausen. Über Weissensee, Sitz der Kreisbehörde des gleichnamigen, an Erfurt anschließenden Landkreises, kommen wir schließlich zum Übergangsbahnhof Straussfurt.« (LATh – HStA Weimar, Nr. A803, Bl. 4r, 5r, 6r)
Die infolge des Zweiten Weltkrieges durch das Potsdamer Abkommen im Jahr 1945 für Deutschland festgelegten Reparationsleistungen betrafen die Pfefferminzbahn nicht, wohl auch, weil die technische Ausstattung dieser seit jeher als Nebenbahn verstandenen Strecke sehr spärlich war. Grundsätzliche strukturelle Veränderungen brachten schließlich die planwirtschaftlichen Strukturänderungen der DDR (Abb. 14). Abb. 14: Die Pfefferminzbahn um 1985 – sozialistische Landwirtschaft
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Die zentrale Verwaltungsstruktur führte zur Reduzierung der Reichsbahnämter: verschiedene Dienststellen entlang der Strecke wurden den Reichsbahndirektionen unterstellt und Bahnmeistereien aufgelöst. In den 1960er Jahren wurde die Pfefferminzbahn tiefgreifend erneuert. Der Oberbau wurde modernisiert, so dass die Strecke auch als Umleitung für den schwergewichtigen Güterverkehr der Hauptbahnen dienen konnte. Ganz im Sinne zentralistischer Planungsprozesse wurde der Ladungsverkehr auf wenige Knotenbahnhöfe konzentriert. In den 1980er Jahren war die Pfefferminzbahn vor allem eine wichtige Regionalverbindung für den Personenverkehr. Pro Werktag nutzten über 7.000 Fahrgäste die Strecke, um zu den Fabriken in Kölleda, Sömmerda, Weißensee und Buttstädt zu gelangen (Lauerwald 1997, S. 34). Mit der politischen und wirtschaftlichen Wende 1989/90 verloren die Produktionsstätten und damit auch der Gütertransport entlang der Bahnstrecke drastisch an Bedeutung. Die sich ab dem 20. Jahrhundert ändernden Bedingungen für die Produktion landwirtschaftlicher Produkte führten zwar zu einer Qualitäts- und Quantitätssteigerung der Erträge, gleichzeitig wurden aber auch immer weniger Arbeitskräfte in den Betrieben benötigt, was zur Folge hatte, dass die Bevölkerungszahl seitdem kontinuierlich zurück geht. Diese Entwicklung prägt seit den 1990er Jahren den Landkreis Sömmerda.
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Die Aufzeichnungen der Bevölkerungsentwicklung seit 1950 zeigen einen deutlichen Rückgang der Bevölkerung seit den Jahren 1989/1990. Die Statistiken seit 2000 verdeutlichen diesen Prozess: Es leben immer weniger Einwohner je Quadratkilometer. Das führt zugleich dazu, dass Ausbildungsstellen weniger werden und die Zahlen der Auszubildenden in dem Landkreis stark zurück gegangen sind. Der Wegzug vor allem der jungen Bevölkerung trägt schließlich zu einer Unausgewogenheit des Generationenverhältnisses bei, mit der nicht unerheblichen Folge, dass die Anzahl der Pflegebedürftigen kontinuierlich steigt. (Abb. 15) Abb. 15: Bevölkerungsentwicklung im Landkreis Sömmerda seit 1950 sowie Einwohner, Schulabgänger, Pflegebedürftige zwischen 2000 bis 2015
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Im Dezember 2017 wurde der Personenverkehr auf dem Abschnitt zwischen Sömmerda und Buttstädt weiter reduziert. Entlang der Strecke wurden mittlerweile viele Bahnhöfe abgerissen, obwohl es Bestrebungen in der Bevölkerung gab, die Gebäude in neue Nutzungszusammenhänge zu stellen und dadurch zu erhalten.12 Sie scheiterten an der Finanzierung. Die noch vorhandenen Gebäude stehen nahezu alle leer und es wird nach Möglichkeiten der Umnutzung gesucht. Von den ursprünglich dreizehn Bahnhofsgebäuden existieren heute lediglich noch acht (Abb. 16), die bis auf das Gebäude in Tromsdorf privatisiert sind. In seiner ursprünglichen Funktion ist gegenwärtig nur noch das Bahnhofsgebäude in Sömmerda in Betrieb. In den Bahnhof in Auerstedt ist ein Getränke- und Lebensmittelladen eingezogen. Die übrigen Gebäude stehen leer und es liegen kaum Planungen vor.
12 In Gesprächen vor Ort entlang der Pfefferminzbahn wurde oft über den Abriss von Bahnhofsgebäude geklagt, wie z. B. in Guthmannshausen und Großneuhausen (siehe dazu auch die mediale Berichterstattung bspw.: http://thueringerallgemeine.de/web/mobil/wirtschaft/detail/-/specific/Mehrere-Bahnhoefe-imLandkreis-stehen-zum-Verkauf-1489533218, aufgerufen am 28.11.2017).
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Abb. 16: Landbahnhöfe entlang der Pfefferminzbahn in den Ortschaften (v.l.n.r): Straußfurt, Weißensee, Sömmerda, Kölleda, Buttstädt, Tromsdorf, Eckartsberga, Auerstedt
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Seit Dezember 2015 durchquert die ICE-Strecke Berlin–Nürnberg das Thüringer Becken beinah orthogonal zur Pfefferminzbahn. Von Erfurt führt die Strecke nordöstlich an Buttstädt vorbei nach Halle bzw. Leipzig. Mit nur wenigen Haltepunkten verbindet die Eisenbahn die Städte Berlin und München mittlerweile innerhalb von vier Fahrtzeitstunden miteinander. Das kann einerseits den Automobilverkehr entlasten (vormals betrug die Fahrtzeit 6,5 Stunden), andererseits verlieren die regionalen Infrastrukturen dadurch nochmals an Bedeutung – regionale Knotenpunkte werden überflüssig und die Relevanz der Metropolen steigt.11 Der ländliche Raum wird so zunehmend zu einem Transitraum. Das scheinbare Resultat durch das »Zusammenrücken der Welt, das mit der Bahn in großem Stil eingeleitet wurde« (Hengartner 2010, S. 65), manifestiert sich unter anderem auch darin, dass der »Weg seine sinnliche Qualität verliert« (ebd., S. 66) und lediglich einen Zwischenraum darstellt. Der ländliche Raum erscheint als strukturschwacher Durchgangsraum, der beinahe nur noch durch die Rahmung der Zug- oder Autofenster wahrgenommen wird. Wegen dieser ›Grobmaschigkeit‹ und den damit geänderten Bedingungen bzgl. infrastruktureller, kultureller und sozialer Anbindungen werden Individuallösungen und Subsysteme entwickelt, die die entstehenden Lücken in ›Eigenregie‹ füllen sollen. Für verschiedene gesellschaftliche Problemstellungen wie etwa fehlendem ÖPNV, mangelnder ärztlicher Versorgung oder fehlender Kulturangebote werden zunehmend alternative, vom Staat losgelöste Lösungsansätze gefunden (vgl. Faber/Oswalt 2013).
11 So haben zum Beispiel Jena und Weimar ihre ICE-Anbindung verloren. Stattdessen wird der Metropolcharakter Erfurts durch einen ausgebauten Bahnhof mit zusätzlichen Gleisen gestärkt. Was für Erfurt ein Gewinn ist, stellt beispielsweise für Jena einen Verlust dar – einige der Unternehmen erwägen bereits einen Standortwechsel in Städte mit ICE-Anschluss. (Vgl. bspw. http://www.sueddeutsche.de/politik/2.220/democracy-lab-in-jena-jenas-angst-vor-der-bummelbahn-1.3 585878 oder http://www.zeit.de/2015/29/jena-bahn-netz-anbindung-ice-fernverkehr/komplettansicht, aufgerufen am 22.11.2018).
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Die kartographische Darstellung der gegenwärtigen Situation der Region entlang der Pfefferminzbahn zeigt die gewachsenen Ortschaften entlang der Strecke innerhalb der letzten 150 Jahre (Abb. 17): Die Bahnhofsgebäude, die ursprünglich außerhalb der Ortschaften lagen (Abb. 11), sind mittlerweile in die gebaute Struktur der Orte eingebunden. Die ICE-Trasse, welche die Pfefferminzbahn nordwestlich von Buttstädt kreuzt, hat keine Anschlusspunkte in dem Untersuchungsraum, obwohl sie die Gegend schneidet. Wie der Bau der Pfefferminzbahn vor ca. 150 Jahren änderte auch dieses Infrastrukturprojekt Raumstrukturen. Landwirtschaftsflächen wurden geteilt und z. T. über aufwändige Brücken für die Landwirtschaftsfahrzeuge wieder verbunden. Gleichzeitig gewinnt durch dieses Projekt die Landeshauptstadt Erfurt als Tagungs- und Kongresszentrum Deutschlands an Bedeutung12. Die Pfefferminzbahn als Nebenbahn wird dabei nicht unterstützt und verliert verkehrspolitisch weiter an Bedeutung. Abb. 17: Die Pfefferminzbahn um 2017 – Globalisierung
12 Siehe dazu die mediale Berichterstattung. U. a.: http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/leben/detail/-/specific/Hochgeschwindigkeits-ICE-Streckemacht-Erfurt-zum-Tagungs-und-Kongresszentrum-D-922247631, aufgerufen am 30.11.2017.
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Nachdem der Personenverkehr bereits 2007 zwischen Straußfurt und Sömmerda eingestellt worden war, wurde die Strecke Ende 2017 zwischen Großheringen und Buttstädt abermals reduziert und dient nun nur noch dem Güterverkehr.13 Die dargestellte Entwicklung zeigt, dass sich mit dem Bau der Pfefferminzbahn der Netzraum der Region grundlegend änderte und inwiefern sich im Laufe der Zeit das Netz ausgedünnt hat. Vor dem Bau der Bahn zeichnete sich eine kleinteilige Raumstruktur ab. Die einzelnen Siedlungen und Ortschaften des fruchtbaren Thüringer Beckens lebten von der Landwirtschaft. Es entstanden infrastrukturelle Knotenpunkte, die die wirtschaftliche Entwicklung beförderten. Durch gesellschaftliche Umbrüche, wie der politischen Wende 1990, aber auch aufgrund der sich ändernden landwirtschaftlichen Produktionsweisen hin zu immer größeren, global agierenden Unternehmen mit entsprechenden Flächen, sind diese
13 Siehe dazu die mediale Berichterstattung. U. a.: http://soemmerda.thueringerallgemeine.de/web/soemmerda/startseite/detail/-/specific/Endstation-ButtstaedtEtappenweise-schrumpft-die-Pfefferminzbahn-1719791356, aufgerufen am 30.11.2017.
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Knotenpunkte – hier das Beispiel der Landbahnhöfe – in ihrer Funktion als gesellschaftliche Austauschorte und Aushandlungsorte überflüssig geworden. Große Teile der arbeitenden Bevölkerung wanderten in die pulsierenden Ballungsgebiete ab. Übrig geblieben sind u. a. Gebäude, die zwar nach wie vor im kulturellen Gedächtnis als zentrale Schnittstellen und lebendige Orte des Austauschs und der Vernetzung verankert sind – als aktuelle Leerstellen fordern sie jedoch einen neuen Umgang. Nachdem die Entwicklung eines Netzraumes am Beispiel der Pfefferminzbahn beschrieben wurde, soll im Folgenden der Fokus auf das ursprüngliche Geschehen an den Bahnhöfen entlang der Bahnstrecke gelegt werden, um zu zeigen, dass Landbahnhöfe einschließlich ihres Schienennetzes als sozial-kulturelle und damit auch räumlich-materielle Aushandlungsorte zu begreifen sind. Die Pfefferminzbahn – sozial-räumlicher Aushandlungsort Anhand der Pfefferminzbahn lässt sich exemplarisch soziale Raumproduktion durch den Eisenbahnbau nachvollziehen. Archivierte Berichte14 zeigen auf, inwiefern der Bau der Eisenbahn die regionale Raumentwicklung im Sinne sozialer Raumproduktion, wie sie Lefebvre fasste, gestaltete und formte: Alltagspraktiken änderten sich, repräsentative Gebäude entstanden, die auch zu Diskussionen um die ästhetische Gestalt der neuen Infrastrukturbauten führten; und es entstand neues Wissen durch notwendig gewordene technische Installationen. Die Berichte vom Anfang des 20. Jahrhunderts belegen exemplarisch, auf welche vielschichte Art und Weise der Bau dieser Eisenbahn den sozialen Raum im Thüringer Becken bestimmte und weiterentwickelte. Die Bahn als Alltagsraum – räumliche Praxis Die Veränderungen, welche die Eisenbahn mit sich brachte, wirken sich grundlegend auf das Alltagsgeschehen aus. Mit den neuen Transport- und damit auch Reisebedingungen gingen gesteigerte
14 Die herangezogenen Berichte stammen aus dem Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar.
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Produktionsmöglichkeiten für landwirtschaftliche Produkte, ein erhöhter Wettbewerb zwischen den landwirtschaftliche Güter produzierenden Ortschaften sowie der Bau notwendig gewordener Infrastrukturen zur Bewältigung des zunehmenden Güterverkehrs einher. Zugleich wurde durch die Bahn die Produktion landwirtschaftlicher Erträge angekurbelt, da sie den Transport erheblich erleichterte. Gleichzeitig hing die Produktion aber auch von der Erreichbarkeit des neuen Transportmittels ab.15 Der Anschluss an die Bahn wurde essentiell für die landwirtschaftlichen Regionen, um auf dem infolge der Vernetzung durch die Bahn erweiterten Markt mithalten zu können. Die Entscheidung zum Bahnbau kann nach Lefebvre auf der globalen Ebene verortet werden, die stark die lokale Ebene beeinflusste: Die Alltagsabläufe (nach Lefebvre auf der lokalen Ebene der gesellschaftlichen Wirklichkeit angesiedelt) werden wesentlich von dem notwendig zu erwirtschafteten Ertrag bestimmt. Der Anschluss an das Schienennetz bedeutete bessere Anbindung an Abnehmer und entsprechend höhere Verkaufszahlen. Durch diese neu entstandenen Verhältnisse änderten sich die Alltagsabläufe. Diese beeinflussten wiederum die Vorstellungen und konkreten Forderungen hinsichtlich der Verbesserung der praktischen Lebensumstände der Einwohner dieser Region. Das verdeutlichen die dokumentierten Beschwerden der Anlieger, die sie im Zusammenhang mit dem Bahnbau und damit verbundenen Güterverkehr an die damals entscheidungsbefugten Stellen richteten. So forderte beispielsweise ein Viehbesitzer aus Weißensee 1917 eine »vorschriftsmäßige Rampe [zu] errichten, [so]
15 Dafür lassen sich im Archiv mehrere Belege finden, die zeigen, dass den Bewohnern vor Ort diese Abhängigkeit bewusst war. So musste bspw. in Auerstedt durch das Fehlen eines Verladegleises der »gesamte Güterverkehr (mit Ausnahme von Stückgut) [...] über Bahnhof Eckartsberga erfolgen und dort ist zu manchen Zeiten der Verkehr und Andrang dermaßen groß, daß er kaum zu bewältigen ist«, weshalb »sich mancher Bauer von Auerstedt aber besonders von den übrigen Ortschaften, deren Entfernung noch weiter ist, abhalten [lässt], die und jene Frucht anzubauen, die zu verfrachten ist.« (LATh – HStA Weimar, Nr. A1993, Bl. 144r, 144v).
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dass die Leute, welche Vieh antreiben, selbige unterstellen können, ehe die angeforderten Wagen eintreffen« (LATh – HStA Weimar, Nr. 7076, Bl. 45r, 46r), denn bei ausfallenden Zügen »schaffen sie mir das ganze Vieh auf meinen Hof, damit sie zu Hause können [...] [und] [b]in ich nicht zu Hause, da stellen sie mir alle Ställe voll Vieh, nehmen die Stricke wieder mit zu Hause und ich habe die Arbeit und quäle mich die Nacht mit meinen Leuten herum und lade selbiges ein« (ebd.). Die Eisenbahn führte gleichzeitig zu erheblichen Einschnitten in den Arbeits- und Wohnverhältnissen. Durch die Neuverteilung und -organisation von Grundeigentum und -besitz mussten zu Gunsten der Bahn viele private Grundstücke aufgegeben werden, die den Lebensmittelpunkt der dort Wohnenden gebildet hatten.16 Die Eisenbahnstrecke, »wie ein Lineal durch die Landschaft gelegt« (Schivelbusch 1993, S. 27), teilte also nicht nur die Landschaft in Segmente, sondern zerschnitt auch Lebensentwürfe und -vorstellungen und damit alltägliche Praktiken (siehe Abb. 13). Raumkonzepte – Repräsentation des Raumes Gleichzeitig konnte der Betrieb der Bahn, insbesondere auch der Bahnhofsgebäude, zur Lösungssuche für konkrete historische und ›bahnfremde‹ Problemlagen eingesetzt werden: Am Ende des Ersten Weltkrieges herrschte große Wohnungsnot in der Region der Pfefferminzbahn. Durch die in Sömmerda angesiedelten Fabriken, die »während des Krieges eine erhebliche Vergrößerung [...] verzeichne[ten]« (LATh – HStA Weimar, Nr. 6269, Bl. 344r, v; 345r), hatte die Region einen bedeutenden Bevölkerungsaufschwung zu verzeichnen, der schlussendlich in eine überregionale Wohnungsnot mündete. Viele der Arbeiter hatten »ihren Wohnsitz in und bei den Stationen der Strecken [...]. Sie benutzen,
16 So bat bspw. der Friseur Max Müller aus Sömmerda im Jahr 1919 darum, dass sein »schönes Gartengrundstück« (LATh – HStA Weimar, Nr. 6271, Bl. 10r) mit »musterhafte[r] Gartenanlage« und »wohnbare[m] Gartenhaus«, das ihm als »nervenleidend« seine »einzige Erholung« bietet, nicht »vollständig [...] zerstört« (ebd.) werden solle. Der Bitte des Friseurs konnte jedoch nicht entsprochen werden, so dass er, wie viele andere Anwohner auch, sein Grundstück aufgeben und seinen Lebensmittelpunkt an einem anderen Ort suchen musste.
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um zu ihrer Arbeitsstelle zu gelangen, die Eisenbahn« (ebd.). Mit dem Ende des Krieges wurden »Teile der Betriebe für Friedenserzeugnisse umgestellt« (ebd.), so dass mit »einer Verringerung der Arbeiterzahl nach Kriegsende nicht zu rechnen [war]« (ebd.). Die entstandene Wohnungsnot zeigte sich auch in einem Mangel an Wohnraum für das Bahnpersonal, das eigentlich in direkter Nähe zum Bahnhof als Arbeitsort mitsamt Familie unterkommen sollte.17 Die gesellschaftliche Stellung der Bahn und ihrer Mitarbeiter wird deutlich: Arbeitende anderer Gewerke legten z. T. weite Strecken zu ihrem Arbeitsort zurück. Den Mitarbeitern der Bahn jedoch war eine Wohnung im Bahnhof bzw. nicht weit entfernt davon zugesichert. Die Landbahnhöfe boten Raum, die Zwänge der damaligen Wohnungsknappheit (mit) zu mildern. Die zum Teil überdimensionierten Gebäude konnten in Zeiten von Wohnungsnot entsprechend angepasst werden. Aus Olbersleben ist der Vorschlag überliefert, »aus dem großen Wartesaal III. Klasse, ebenda, durch Einziehen einer Wand eine Familienwohnung zu machen, da der bisher nicht benutzte Warteraum II. Klasse für Olbersleben vollkommen ausreiche« (LATh – HStA Weimar, Nr. 5587, Bl. 64r). Dieser Vorschlag und seine Umsetzung zeigen, dass die Bahn als Teil einer sich kontinuierlich weiterentwickelnden Infrastruktur auch zu einem Projektionsraum für mögliche Zukunftsszenarien wurde. Sie wurde entsprechend kontinuierlich den Bedürfnissen angepasst, weiterentwickelt und umgebaut. Gestaltungsweisen – Räume der Repräsentation Die jeweils zeitgenössischen Diskussionen um die Gestaltung und erweiterte Nutzung von Bahnbauten beinhaltete immer zugleich die Frage nach der Art und Weise der Repräsentation von konkreten, zeitgenössischen Raumvorstellungen. Die Bahn war also nicht nur Hoffnungsträger, Arbeitsplatz oder Transformator alltäglicher Praxis, sondern wurde auch zum Gegenstand zeitgenössischer
17 So wurde in einem Brief an den Staatskommissar für Wohnungswesen Berlin vom 20. Mai 1919 hervorgehoben, dass »tatsächlich der Fall vor(liegt), dass ein Beamter [der Bahn, Anmerkung MFK], um seiner Familie ein Obdach zu verschaffen, gezwungen war, eine Wohnung an einem anderen Orte zu mieten.« (LATh – HStA Weimar, Nr. 4660, Bl. 90r, 91r).
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ästhetischer Auffassungen und sozio-kultureller sowie räumlichstruktureller Nutzungen und Entwürfe, an denen sich Diskussionen entzünden konnten. An einem Schrankenwärterhäuschen in Sömmerda, das den Eingang zur Gartenkolonie Gartenberg bildete, entfachte sich zum Beispiel im Jahr 1920 ein Streit um die angemessene architektonische Repräsentation des Gebäudes. Die Bewohner der Gartenkolonie legten, wie es auch andernorts der Fall war, viel Wert auf die Repräsentation ihrer Siedlung. Als Antwort auf einen Vorschlag zum Schrankenwärterhäuschen (Abb. 18) beschwerten sich die Bewohner über »eine üble Wellblechbude als Schrankenwärterhaus« (LATh – HStA Weimar, Nr. 6271, Bl. 147r,v), die den »Eingang zur Kolonie [verunstaltete]« (ebd.) und verlangten, »dass die in der Kolonie beheimatete Bauweise [...] durchgeführt wird« (ebd.), auch um eine »gesunde heimatliche Bauweise« (ebd.) zu fördern und machten einen Gegenvorschlag (Abb. 19). Abb. 18: Schrankenwärter-Bude in Sömmerda
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Abb. 19: Gegenvorschlag zur Schrankenwärter-Bude
So verdeutlichen die Entwurfszeichnungen für die ›Schrankenwärter-Bude‹ in Sömmerda exemplarisch den Aushandlungsprozess zwischen der Stadt Sömmerda und den Bewohnern der Gartenkolonie. Sie zeigen, dass, einerseits von Seiten der Stadt, die Funktion des Gebäudes, andererseits aber, von Seiten der Koloniebewohner, die Gestaltung im Sinne der Gartenbewegung im Vordergrund stand.18 Bahnhofsgebäude wurden von der Bevölkerung nicht nur schlechthin als Teil der gebauten Umwelt, sondern als gebaute Repräsentationen ihrer jeweils konkreten, zeitgenössischen Vorstellungen wahrgenommen, weshalb ihnen auch eine entsprechende Bedeutung zugeschrieben wurde. Als Repräsentanten des Stadtbzw. Ortsgeschehens sollten sie auch im Thüringer Becken einen »gute[n] erste[n] Eindruck« (LATh – HStA Weimar, Nr. 6480, Bl. 3r) sichern. Zur Standardausstattung eines Bahnhofsgebäudes gehörte
18 Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelten sich zwei entscheidende Ansätze zur Gestaltung der gebauten Umwelt: Auf der einen Seite findet das Gartenstadtmodell Howards (Howard 1898) Anerkennung, auf der anderen Seite finden sich Akteure und Denker eines funktionalistischen Stadtmodells zusammen. Das Beispiel des Schrankenwärterhäuschens kann auch als Konflikt dieser beiden konträren Strömungen gelesen werden – auf der einen Seite steht die Repräsentation einer ländlichen, heimatlichen Idylle und auf der anderen Seite das Verständnis der Bahn und deren Bauten als funktionale, infrastrukturelle Objekte und Zeichen des Fortschritts.
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deshalb eine »Trinkgelegenheit« (ebd.), ein großzügiger Warteraum, ein »bequeme[r] Abfertigungsraum für Gepäck und Fahrkartenverkehr« (ebd.) sowie ein »Abortgebäude« (ebd.).19 Der Bau einer Bahn viele zusätzliche Anforderungen mit sich: neben der notwendig gewordenen Telegrafie zur Signalübertragung musste der Transport des Gepäcks, der Güter und Personen auf den Bahnhöfen organisiert sowie Bedürfnisse der Reisenden während der Wartezeiten berücksichtigt werden. Der Transport großer und sperriger Güter auf ebener Strecke über große Entfernungen ermöglichte auch den Bau und Transport von Modulbauhäusern, die »fix und fertig auf den Waggon verladen« (LATh – HStA Weimar, Nr. 6651, Bl. 6r, 7r) und vor Ort montiert werden konnten.20 Auch die technischen Entwicklungen, die der Bahnbau mit sich brachte, manifestierten sich in den entstandenen Räumen, so dass sie, in Anlehnung an das Konzept Lefebvres, zur konkreten Repräsentation von sozialem Raum beitrugen. Das Beispiel der Eisenbahn verdeutlicht dieses Moment in besonderem Maße – es wurden Entwicklungen angestoßen, die wiederum durch die entstandenen und kontinuierlich an die Anforderungen angepassten Bahnhöfe repräsentiert wurden.21
19 Auch wenn die Empfangsgebäude der Nebenbahnen zum Teil überdimensioniert waren, konnten Anfang des 20. Jahrhunderts viele Bahnhöfe diesen Anforderungen nicht gerecht werden, wie ein Zeitungsbericht der Thüringer Montagszeitung (33. Jahrgang, Nr. 53) vom 30. Dezember 1912 aus Bad Sulza zeigt (LATh – HStA Weimar, Nr. 6480, Bl. 3r). 20 Im Zuge dessen wurden vieler Orts transportable Toilettenhäuschen errichtet. Von vielen Bahnhöfen entlang der Pfefferminzbahn sind Zeichnungen zu unterschiedlich gestalteten, transportablen Häuschen überliefert. 21 So war zum Beispiel im Bahnhof der Stadt Sömmerda die Entwicklung eines Fahrstuhls notwendig geworden, um zwischen den sich kreuzenden Eisenbahnstrecken der in Ost-West-Richtung verlaufenden Pfefferminzbahn und der in Nord-Süd-Richtung angelegten Strecke Erfurt-Sangerhausen zu vermitteln. Der Bau des Fahrstuhls erwies sich als kompliziert, da beim »Betriebe des Aufzuges starke Stromschwankungen« auftraten, die den Bahnhofsverkehr behinderten. Aus diesem akuten Bedarf heraus wurden Lösungsvorschläge entwickelt und es muss als Fortschritt und neues Wissen betrachtet werden, dass es »gelungen [ist],
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Es zeigt sich, wie die von Lefebvre benannten Momente ineinandergreifen: Durch die Alltagspraxis auf dem Bahnhof wuchs das Bedürfnis nach Verbesserung der räumlichen Umstände. Der Transport der Güter und des Gepäcks war aufwendig und es galt eine Lösung zu finden. Die Schwierigkeiten, die z. B. die Installation eines Aufzugs mit sich brachte, führten zu technischer Weiterentwicklung und damit zu neuem Wissen. Durch diese technischen Errungenschaften stieg wiederum die Bedeutung des Bahnhofes als repräsentatives und dem zeitgenössischen technischen Standard entsprechendes Eingangstor zur Ortschaft. Landbahnhöfe als Produkt und Produzent sozialen Raumes Die detaillierte Beschreibung des Beispiels der Pfefferminzbahn verdeutlicht, dass die Bahnentwicklung in unmittelbarem Zusammenhang mit den gesellschaftlichen, insbesondere wirtschaftlichen Bedingungen stand und dieser Zusammenhang zugleich Wechselwirkungen implizierte: Der Eisenbahnbau und -betrieb mit seinen Entwicklungen beeinflusste die konkret-historischen Raumbezüge, die dadurch (mit) gebildet und strukturiert wurden. In gleichem Maße wurde der Bahnbau und -betrieb von den Bedingungen dieses Landschafts- und Wirtschaftsraumes wesentlich bestimmt. So wie Landbahnhöfe ein zusammenhängendes Netz für Transport, Austausch und damit auch regionalen Aufschwung repräsentierten, so repräsentieren sie leerstehend ebenso einen Netzzusammenhang, jedoch mit funktionslos gewordenen Schnittstellen. Als Repräsentanten ihrer sozialen Umgebung heben die leerstehenden Bahnhofsgebäude auch die Strukturschwäche der jeweiligen Regionen hervor. Wenn die beschriebenen wechselseitigen Abhängigkeiten zutreffen, ergibt sich die Frage, ob und unter welchen Umständen sich für leerstehende Bahnhofsgebäude deren Knotenpunkt- bzw. Schnittstellenfunktion (re)aktivieren lässt und welche Impulse davon ausgehen können.
eine Lösung zu finden« (LATh – HStA Weimar, Nr. 6268, Bl. 213r, 213v), so dass der Bahnhofsverkehr unbeeinträchtigt ablaufen konnte.
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Zur Beantwortung dieser Frage soll dafür zunächst an bereits transformierten Bahnhofsgebäuden exemplarisch betrachtet werden, unter welchen Bedingungen sie welche Rolle in ihren Regionen einnehmen, welche Wirkungen von ihnen ausgehen und ob, je nach Einflussfaktoren, unterschiedliche Impulse von den Gebäuden auf den Netzraum ausgehen, um daran anschließend (Kap. 4) mögliche Perspektivierungen für eine nachhaltige Landschaftsentwicklung entwerfen zu können.
V ON
DER L EERSTELLE ZUM REVITALISIERTEN
O BJEKT22
Die Stilllegung von Landbahnhöfen steht stellvertretend für die zunehmende ›Vergröberung‹ der Maschen von Netzräumen im ländlichen Raum. Die Gebäude können als Leerstellen im rurbanen Netzraum interpretiert werden, deren Zustand als Brachen nach einer Erklärung verlangt (vgl. Burckhardt 2006a, S. 107). In Anlehnung an die Leerstelle in literarischen Erzählungen, können leerstehende Gebäude als ein Hilfsmittel im Sinne des Erzählens von Geschichte(n) – im Sinne von Zusammenhängen und denkbaren, zukunftsorientierten Fortschreibungen – der Landschaft verstanden werden (vgl. Iser 1994). Analog dem literarischen Strukturmerkmal bieten sie Raum für Interpretationen und Projektionen, denn sie repräsentieren nicht nur den Glanz vergangener Tage, sondern eröffnen gleichzeitig auch neue Perspektiven für die Zukunft. Die ›Transformatoren‹ von Gebäuden, die Initiatoren und Gestalter der gegebenen baulichen Substanz, die auf der privaten, mittleren und globalen Ebene Lefebvres agieren können, sind in diesem Sinne die Erzähler und tragen erheblich zur Wahrnehmung und zu den Umgangsweisen in und mit rurbanen Netzräumen bei. Die Suche nach Lösungsvorschlägen und Strategien zur Wiederbelebung leerstehender, einst identitätsstiftender Gebäude im ländlichen Raum wie Landbahnhöfe führt bislang vornehmlich
22 Dieses Kapitel ist zu Teilen der überarbeitete und bereits erschienene Artikel »Netzraumtopografie – Architektonische Leerstellen im Landschaftsgeschehen«, Frölich-Kulik, Maria (2018).
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zu privaten Nutzungen der ehemals öffentlichen Gebäude. In leerstehenden Gebäuden entstehen attraktive Wohn-, Arbeits- und Gemeinschaftsräume urbaner Nutzungsformen (u.a. Aicher/Kaufmann 2015). So werden neue Lebensmittelpunkte in bestehenden Strukturen geschaffen. Der Einfluss urbaner Lebensweisen und -formen in ursprünglich ländlichen Strukturen kann solche Räume wieder attraktiver machen und in den jeweiligen Regionen neuartige Strukturen etablieren. Die Aneignung und Transformation von Gebäuden ist wichtiger Ansatz zur möglichen Wiederbelebung von rurbanen Netzräumen sogenannter strukturschwacher ländlicher Regionen. Leerstehende Landbahnhöfe stellen trotz oder eben gerade weil sie abgekoppelt sind, Anziehungspunkte im Netzraum dar. Als funktionslos gewordene Infrastruktur werden sie häufig zum Verkauf freigegeben und entsprechend der individuellen Vorstellungen der zukünftigen Nutzer oder Betreiber (um-)gestaltet. Die Gebäude dienen dann entweder der Öffentlichkeit oder privaten Wohnzwecken. Im Rahmen dieser Arbeit steht die Bedeutung der umgenutzten Landbahnhöfe als mögliche öffentliche Gebäude im Vordergrund. Ein Gebäude ist dann öffentlich, wenn es z. B. eine Einrichtung für Kultur, Bildung oder das Gesundheitswesen beherbergt23. In den umgenutzten Landbahnhöfen müssen folglich solche Nutzungen einziehen. Auch wenn im Sinne Lefebvres jede private Aktivität auch eine öffentliche und politische Dimension hat, werden Beispiele privater Wohngebäude in den Mauern ehemals öffentlicher Empfangsbauten hier nicht näher betrachtet. Stattdessen steht die Qualität eines von Anfang an als gesellschaftlich und infrastrukturell gedachten öffentlichen Ortes im Fokus. Öffentlich nutzbare Gebäude können als Zentren sozialen Austauschs in sogenannten strukturschwachen Regionen besonders relevant sein. Ungenutzte Bahnhofsgebäude als Leerstellen und somit Projektions- und Imaginationsräume rurbaner Netzräume ermöglichen
23 Nach DIN 18040-1 gehören zu den öffentlichen Gebäuden »Einrichtungen der Kultur und des Bildungswesens, Sport- und Freizeitstätten, Einrichtungen des Gesundheitswesens, Büro-, Verwaltungs- und Gerichtsgebäude, Verkaufs- und Gaststätten, Stellplätze, Garagen und Toilettenanlagen«.
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Nutzungskonzepte, die je nach den Akteuren sehr verschieden ausfallen können. Diese Prozesse sollen im Folgenden exemplarisch an revitalisierten und öffentlich nutzbaren Bahnhofsgebäuden im ländlichen Raum beschrieben werden. Anschließend werden die Beispiele nach ihren Nutzungen gruppiert, um abschließend jeweils ein good-practice Projekt als Prototyp24 detaillierter zu betrachten und mit der Raumtheorie Lefebvres die jeweilige Impulswirkung der Gebäude auf ihre Umgebung zu untersuchen. Fallbeispiele Bahnhöfe vermitteln lokale und (über-)regionale Beziehungen ganz besonderes deutlich: Als wohl einziger Gebäudetypus mit zwei öffentlichen Zugängen – einem der Stadt und einem den Gleisen Zugewandten – beschreiben Bahnhofsgebäude sowohl einen lokal bedeutsamen Anlaufpunkt als auch einen Knotenpunkt eines Regionen und Länder verbindenden infrastrukturellen Netzwerkes. Die Arbeit verfolgt die These, dass Landbahnhöfe identitätsstiftende Knotenpunkte in rurbanen Netzräumen darstellen. Um gegenwärtige Vernetzungsweisen und Impulswirkungen von revitalisierten Landbahnhöfen herauszustellen, wurden für die Untersuchung 15 Fallbeispiele gesucht, die einen Überblick über realisierte Umnutzungsweisen von Landbahnhöfen geben (Abb. 20). Dabei lassen sich verschiedene Ansätze zur Nutzung von Landbahnhöfen als öffentliche Gebäude unterscheiden. Die Beispiele wurden nach folgenden Kriterien ausgewählt: Die Gebäude befinden sich im ländlichen Raum in Klein- bzw. Mittelstädten, sie sind denkmalgeschützt und liegen an noch befahrenen Bahnstrecken. Damit liegt der Schwerpunkt auf dem Bezug der Gebäude zum ländlichen Raum, ihrer Bedeutung als Erinnerungsfiguren sowie ihre mögliche Anbindung an ein etabliertes Infrastrukturnetz. Bei der Auswahl wurde nicht regionsspezifisch gesucht. Stattdessen stand – unabhängig von der konkreten Region – die
24 Der Begriff ›Prototyp‹ wird hier im Sinne einer typisierenden und beispielhaften Umgangsweise mit Landbahnhöfen verwendet und nicht im technischen Sinne als Vorbild bzw. Grundform.
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Funktionsweise der Gebäude im Fokus. In der Annahme, dass Gebäude mit öffentlichen Nutzungen medial repräsentiert werden, basieren die zusammengetragenen Informationen zu den Fallbeispielen auf Internetrecherchen. Die Beschreibung der Fallbeispiele befindet sich in Form von Steckbriefen im Anhang. VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION
Abb. 20: 15 Fallbeispiele umgenutzter Bahnhöfe in Deutschland
Demokratiebahnhof Anklam
KuBa Hitzacker
Der Bahnhof Avenwedde
Bahnhof Chorin Naturparkbahnhof Melchow Kultur im Bahnhof Biesenthal Bahnhof Rehfelde Bahnhof Bad Saarow Bahnhof Klasdorf
Generationenhaus Bahnhof Hümme Bahnhof Kettwig Generationenbahnhof Erlau Kulturbahnhof Stollberg Bahnhof Bad Münstereifel Netzwerkbahnhof Langstadt
Auf Grundlage der Annahme, dass Gebäude Produkt und Produzent sozialen Raumes sind, wurde in einem weiteren Schritt für die gewählten Fallbeispiele untersucht, welche Gründe zur RevitaVECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION
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lisierung der Gebäude geführt haben. Dafür wurde das Zusammenwirken von den Schlüsselakteuren (a), der Initialfinanzierung (b) und dem Nutzungskonzept (c) betrachtet. Die exemplarischen Landbahnhöfe haben dabei jeweils unterschiedliche Schwerpunkte in ihrer Funktionsweise für die Öffentlichkeit. Die einzelnen Gruppen sind nicht scharf voneinander trennbar, sondern es gibt stets Überschneidungen und Parallelitäten, wie die Abbildung 21 zeigt. Das parallele Koordinatensystem stellt mögliche Zusammenhänge und Beziehungen zwischen den Parametern dar, die zur Revitalisierung der Gebäude geführt haben. Die Abbildung verdeutlicht, dass die Initiatoren, die Landbahnhöfe revitalisieren, zum großen Teil Gruppen wie Vereine oder Gemeinden sind und weniger Einzelpersonen. Unabhängig von den Akteuren erfolgt die Anschubfinanzierung hauptsächlich über Fördermittel und weniger über Gelder von Privatpersonen, Gemeinden oder Spenden. Auffallend ist, dass die revitalisierten Gebäude vor allem regional relevant sind. Ein ausschließlich lokales oder auch überregionales Einzugsgebiet der Nutzer findet sich dagegen seltener. Abb. 21: Parallele Darstellung der Parameter, die zur Revitalisierung der Gebäude führten. Die graphische Darstellung zeigt die Beziehungen zwischen den Akteuren, der Anschubfinanzierung und dem Einzugsgebiet der Nutzer.
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Aus diesen einzelnen Gruppen lassen sich drei typische Muster für die Umnutzung von Landbahnhöfen zu öffentlich nutzbaren Gebäuden feststellen. Die Schwerpunkte der Revitalisierungskonzepte können in Nutzungen für Versorgung, Erholung und Nachbarschaft aufgeteilt werden (Tab. 1). Tab. 1: Interpretation und Zuordnung der Fallbeispiele Versorgung • Generationenbahnhof Erlau • Bahnhof Hümme • Naturbahnhof Melchow • Bahnhof Rehfelde • Kulturbahnhof Stollberg • Bahnhof Avenwedde • Bahnhof Bad Münstereifel
Erholung • Bahnhof Klasdorf • Bahnhof Bad Saarow • Bahnhof Chorin • Netzwerkbahnhof Langstadt • Alter Bahnhof Kettwig
Nachbarschaft • KuBa Hitzacker • Demokratiebahnhof Anklam • Kulturbahnhof Biesenthal
Einige der umgenutzten Landbahnhöfe dienen nach ihrer Transformation hauptsächlich der Versorgung ihrer Nutzer. Die für die Ortschaften zentralen Gebäude werden zu Bürgerhäusern, Touristeninformationen, Läden, Arztpraxen, Treffpunkten für Senioren und Jugendliche, Kulturverwaltungen oder Vereinszentren. Die Rolle des Bahnhofs als ortsbildprägendes Gebäude und seit jeher sozialer Anlaufpunkt der Ortschaft spielt für diese Nutzungsweise eine tragende Rolle. Andere dienen vorrangig der Erholung im Unterschied zur (Erwerbs-)Arbeit. Es entstehen Tanzlokale, Ausstellungsorte, Konzerträume, Cafés oder Pensionen. Die Anziehungskraft dieser so genutzten Gebäude wird auch aus dem Erhalt des historischen Gebäudebestandes gezogen – die Besitzer und Betreiber legen besonderen Wert auf einen denkmalgerechten Umgang mit den Gebäuden. Die dritte Gruppe umgenutzter Landbahnhöfe dient insbesondere der gemeinschaftlichen Nachbarschaft – sie bieten Arbeitsräume und Proberäume, die auch zum Unterrichten genutzt werden können, interkulturelle Treffpunkte oder Werkstätten für verschiedene Interessenten. So wird der Bahnhof zu einem Ort
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nachbarschaftlicher Gemeinschaft, an dem auch Ideale und Vorstellungen gesellschaftlichen Zusammenlebens evoziert werden, die wiederum die Gestaltung und Nutzung des Gebäudes beeinflussen. Die Zuordnung der gewählten Beispiele zu den Nutzungsmustern Versorgung, Erholung und Nachbarschaft zeigt, dass ein großer Teil der transformierten Bahnhöfe der Versorgung und Erholung dient. Die Nutzung der Gebäude als nachbarschaftliche Drehund Angelpunkte hingegen, die sich auch bzw. erst durch den sozialen Austausch etablieren können und darüber veränderbar sind, ist weniger häufig vertreten. Landbahnhöfe, die als öffentliche Gebäude der Versorgung, der Erholung oder der Nachbarschaft dienen, avancieren zu gesellschaftlichen Gütern: Nach verschiedenen Mustern – seien es Vereinszugehörigkeiten, generationsbezogene Interessen oder Lebensentwürfe – werden die Landbahnhöfe wieder zu gesellschaftlich relevanten Knotenpunkten. Dabei stellt sich die Frage, welche Wirkung beziehungsweise welchen Impuls die umgenutzten Gebäude auf den rurbanen Netzraum ausüben können, in den sie eingebettet sind. Die in dem Diagramm (Abb. 21) aufgeführte Kategorie des Einzugsgebietes der Nutzer lässt Rückschlüsse zur Ausstrahlungskraft und zum möglichen Impuls, der vom jeweiligen revitalisierten Gebäude ausgeht, zu. Das Einzugsgebiet der Nutzer kann insofern als Reichweite des Gebäudes verstanden werden. Aus dem Diagramm geht hervor, dass die meisten Gebäude regional vernetzt sind – die Nutzung ist nicht nur für die Bewohner vor Ort interessant, sondern zieht auch Interessenten aus der Region an. Starke lokale Vernetzung und überregionale Reichweite sind nur in wenigen Fällen nachweisbar. In diesen Fällen haben die Nutzer explizit entweder die besondere Ortsverbundenheit betont oder auf die internationale und interkulturelle Ausrichtung ihres Projektes hingewiesen. Um mögliche Vernetzungsmuster rurbaner Netzräume zu verstehen, wurde aus den Fallbeispielen je ein typischer Vertreter der jeweiligen Nutzungsart gewählt und intensiver untersucht.
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Prototypische Impulse Die prototypischen Vertreter wurden ausgewählt, weil sich an ihnen exemplarisch die Beziehung zwischen Akteurskonstellation, Finanzierungsart, Nutzungskonzept und der Anziehungskraft der Umnutzungsstrategie (ablesbar an dem Einzugsgebiet der angesprochenen Nutzerinnen und Nutzer) besonders deutlich darstellen lässt. Die als Prototypen gewählten revitalisierten Landbahnhöfe befinden sich in Erlau, Klasdorf und Hitzacker. Der Bahnhof in Erlau steht stellvertretend für einen zentralen Ort der Versorgung, in Klasdorf wurde vor allem ein Erholungsraum geschaffen und in Hitzacker dient der Bahnhof der nachbarschaftlichen Gemeinschaft. Die drei prototypischen Fallbeispiele – Erlau, Klasdorf und Hitzacker – wurden qualitativ und teilnehmend beobachtet (siehe zur teilnehmenden Beobachtung Lamnek/Krell 2016, S. 590). In ein- bis zweitägigen Aufenthalten an den Orten wurden bei Spaziergängen (vgl. dazu u. a. Schultz 2014) mit mindestens drei Personen semi-strukturierte Gespräche geführt. Dabei wurde zum einen nach deren Bezug zum jeweiligen Bahnhofsprojekt gefragt, zum anderen wurde das Gespräch auch auf deren persönliche Einschätzung zum Dorfgeschehen und die Region gelenkt. Dafür wurde unter anderem nach gastronomischen Einrichtungen, Kindergärten und Schulplätzen und im Ort vorhandenen Arbeitsplätzen gefragt. Im Nachgang wurden die Beobachtungen in Erinnerungsskizzen zusammengefasst, die auf der Grundlage der triadischen Betrachtung von Raum nach Lefebvre die Beziehungen zwischen den jeweiligen Ebenen in Anlehnung an Abb. 6 zeichenhaft repräsentieren. Die drei ineinander liegenden Quadrate, die in der Abbildung 6 die von Lefebvre beschriebenen Ebenen darstellen, beschreiben die Zusammenhänge der Ebenen der gesellschaftlichen Wirklichkeit bezüglich der entsprechenden Bahnhöfe. Die Ebene, auf der sich nach den Untersuchungen (sowohl im Vorfeld als auch vor Ort) der Schwerpunkt für die Realisierungsvoraussetzungen herausgestellt hat, wurde jeweils graphisch betont (siehe Abb. 23, 25, 27). Ebenso wurden in den Photographien, die die Bahnhöfe oder Ausschnitte davon zeigen, in Anlehnung an Abb. 3 die im Fokus stehenden Bildelemente durch den vor die Linse gehaltenen Rahmen hervorgehoben.
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Staatliche Lokalversorger Erlau ist ein Waldhufendorf in Mittelsachsen mit ca. 3.000 Einwohnern. Zentrales Thema dieser Region ist der Umgang mit dem demographischen Wandel. Die Revitalisierung des 120 Jahre alten Erlauer Bahnhofsgebäudes (Abb. 22) an der Bahnstrecke Riesa-Chemnitz geht auf eine Bürgerinitiative zum Erhalt des Gebäudes aus dem Jahr 2000 zurück. In Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Dresden wurde eine studentische Studie durchgeführt, um ein Nutzungskonzept für den seit dem Jahr 1999 leerstehenden Bahnhof zu entwickeln. Darauf aufbauend gründete sich ein Verein, um aus dem Bahnhof ein Generationenhaus entstehen zu lassen, in dem hauptsächlich gepflegt und betreut wird. Nach Auskunft einer Mitinitiatorin des Projektes sollte es vorrangig Bürger im sogenannten mittleren und höheren Alter ansprechen. Die notwendigen Initialgelder wurden über das Förderprojekt Neulandgewinner der Robert-Bosch-Stiftung gewonnen. Abb. 22: Bahnhof in Erlau während der Sanierungsarbeiten 2016
Der Grund für die Realisierung dieses Projektes ist die Versorgung der Bevölkerung mit Pflege- und Betreuungsangeboten und gründet auf einem zwischenmenschlichen und intergenerativen Miteinander. Dabei orientiert sich das Projekt in Erlau an bestehenden
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und förderbaren Institutionen und Referenzobjekten, wie beispielsweise Mehrgenerationenhäusern25. Als staatlich unterstütztes Projekt, das die lokalen Strukturen im ländlichen Raum aufbaut und damit zur Versorgung der lokalen Bevölkerung beiträgt, können Projekte wie dieses in Erlau auch als Staatliche Lokalversorger betitelt werden (Abb. 23). Abb. 23: Staatliche Lokalversorger – Erlau. Markiert ist die globale Ebene der gesellschaftlichen Wirklichkeit.
25 Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterstützt seit 2006 Mehrgenerationenhäuser als Orte der Begegnung für alle Generationen. Dieses 2016 ausgelaufene Förderprogramm wird als »Bundesprogramm Mehrgenerationenhaus« fortgeführt. Unter anderem: https://www.mehrgenerationen haeuser.de/meldungen/neues-aus-dem-aktionsprogramm/details/news/2017-startet-bundesprogramm-mehrgenerationenhaus/, aufgerufen am 13.2.2018.
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Städtische Liebhaber Klasdorf ist ein typisches brandenburgisches Straßendorf mit knapp 250 Einwohnern, gelegen im sogenannten Berliner Speckgürtel im Landkreis Teltow-Fläming südöstlich von Potsdam. Die Region legt viel Wert auf ihr baukulturelles Erbe.26 Das Bahnhofsgebäude in Klasdorf (Abb. 24), erbaut 1907, ist ein Typenbahnhof der Stecke Dresden–Berlin. Kennzeichnend für die preußische Staatsbahn sind die schlichten und solide ausgeführten, typisierten Stationsgebäude, für die der Klasdorfer Bahnhof exemplarisch steht. Indem er nicht nur dem Personen-, sondern auch dem Güterverkehr diente, verhalf der Bahnhof als wichtige Verkehrsanbindung der nahegelegenen Glashütte zu wirtschaftlichem Erfolg. Die Glashütte steht heute als baukulturelles Erbe unter Denkmalschutz. Abb. 24: Bahnhof in Klasdorf
Nach langem Leerstand wurde der Bahnhof von dem Geschäftsführer des Museumsdorfes Glashütte gekauft. Seine Frau, studierte Museumswissenschaftlerin, hat den Bahnhof federführend saniert. Seit Mai 2014 ist er als Ausflugslokal geöffnet, das Interessierte zum Tanzen, Musizieren und Übernachten einlädt. An die private Initialfinanzierung schloss sich eine Förderung durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes (ELER) sowie eine Unterstützung des Landes Branden-
26 Siehe dazu zum Beispiel die zurzeit entstehende Datenbank der Stiftung Baukultur: www.laendliche-baukultur.de.
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burg an. Das Konzept des Bahnhofs orientiert sich an etablierten und althergebrachten regionalen Einrichtungen für Dienstleistungen wie Ausflugs-Cafés, Tanzlokalen oder Ferienorten. Damit lässt sich der Bahnhof der mittleren, der städtischen, also der von Versorgungsbeziehungen geprägten Ebene zuordnen (Abb. 25). Als konzipiertes, geplantes, erdachtes Produkt ist es nach Henri Lefebvre eine Repräsentation von Raum – aber eben kein aus dem lokalen nachbarschaftlichen Miteinander notwendig hervorgegangenes oder dafür geschaffenes Produkt. Abb. 25: Städtische Liebhaber – Klasdorf. Markiert ist die mittlere Ebene der gesellschaftlichen Wirklichkeit.
Dieser Bahnhof ist als Ausflugslokal vor allem regional relevant. Als Teil des sogenannten Berliner Speckgürtels ist er insbesondere für die Städter dieser Region von Bedeutung – die Veranstaltungen orientieren sich sogar zum Teil an dem Fahrplan der zwischen Berlin und Dresden verkehrenden Eisenbahn. Zugleich fördert das Projekt verdienstvoll den Erhalt vorhandener Baukultur. Es ist ein regional relevantes Liebhaberprojekt, das ganz offensichtlich dem
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Verständnis eines sich seines baukulturellen Erbes bewussten Landkreises entspricht. Als attraktives Ausflugsziel mit abwechslungsreichen kulinarischen und kulturellen Angeboten ist es vor allem für die Stadtbewohner der näheren und weiteren Umgebung interessant und kann daher auch als Städtischer Liebhaber bezeichnet werden. Internationale Nachbarn Hitzacker mit knapp 5.000 Einwohnern liegt im Wendland im Landkreis Lüchow-Dannenberg in Niedersachsen an der Elbe zwischen Berlin und Hamburg an der Bahnlinie Wittenberge-Buchholz. Bekannt geworden ist das Wendland in den 1980er und 1990er Jahren durch die Proteste gegen das Atommülllager Gorleben und das Ausrufen der Republik Freies Wendland. Über die AntiAtombewegung definiert sich die Region mitunter noch heute: Ein besonders aktiver Teil der Bevölkerung lebt ›alternativ‹ in Wohngemeinschaften unterschiedlicher Generationen, der Landkreis verzeichnet die höchste Biobauerndichte in Deutschland und die Zugehörigkeit zu der Bewegung wird von einem Teil der Bevölkerung gern öffentlich repräsentiert. Als Zeichen dafür ist das gelbe X-Symbol überall sichtbar und steht für den ungebrochenen Widerstand im Landkreis. Es ist auf Strohballen, an Fenstern und Türen, am Bahnhof und sogar im Namen des Regionalzuges eriX zu finden (Abb. 25). Die Wiederbelebung des Bahnhofes in Hitzacker ist Teil dieser Bewegung: Das Bahnhofsgebäude, erbaut 1872 im Stil der Hannoverschen Schule in Ziegelrohbauweise, stand nach jahrelangem Leerstand 2014 zum Verkauf. Eine Gruppe aus den Kreisen der Anti-Atombewegung hat sich zu einem Verein zusammengeschlossen, um den Bahnhof zu einem interkulturellen und internationalen Treffpunkt zu entwickeln. Der Bahnhof soll Raum zum gemeinsamen Arbeiten, Diskutieren und Planen bieten (Abb. 26).
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Abb. 26: Bahnhof in Hitzacker. Das gelbe X ist zum Symbol der Anti-Atom-Bewegung geworden und findet sich auf Strohballen, Fenstern, Türen und im Namen des Regionalzuges eriX sowie am Bahnhof.
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Die Umnutzung des Bahnhofsgebäudes beruht also auf dem nachbarschaftlichen und sozialen Bedürfnis einer bestimmten Gruppe, ähnlich dem Projekt in Erlau. In Falle von Hitzacker ist es jedoch vor allem auf der privaten Ebene der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu verorten: Auf der Ebene der Nachbarschaftsbeziehungen und ›Sicht‹-Beziehungen werden durch alltägliches und persönliches Miteinander gemeinsame Vorstellungen des Zusammenlebens entwickelt, produktiv und realisierbar gemacht (Abb. 27). Das zeigt sich am Beispiel des Kulturbahnhofes Hitzacker – der Bahnhof ist Ausgangspunkt für ein basisdemokratisch organisiertes, gemeinschaftliches Dorfprojekt. Aktuell plant eine Gruppe von fünfzig aktiven Vereinsmitgliedern ein ›Dorf der Zukunft‹, das 300 Menschen aller Sozialschichten, Generationen und Herkünfte ein gemeinschaftliches, arbeits- und alltagsteiliges Zusammenleben ermöglichen soll.27 Abb. 27: Internationale Nachbarn – Hitzacker. Markiert ist die private Ebene der gesellschaftlichen Wirklichkeit.
27 Siehe dazu auch die mediale Berichterstattung: http://hitzacker-dorf.de/.
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Das Beispiel verdeutlicht, dass auf der privaten Ebene der gesellschaftlichen Wirklichkeit vorrangig ein Raum der Repräsentation produziert wird – der Bahnhof repräsentiert die gelebten und sozialen Beziehungen der Nutzer untereinander und zu ihrer Umwelt. Durch das Weitertragen und Vermitteln der verbindenden Idee einer internationalen und interkulturellen Lebensgemeinschaft vernetzen sich die Akteure international. Projekte dieser Art, die auf einem nachbarschaftlichen Miteinander gründen und mit ihren Aktivitäten überregional, oder gar international, Interessierte erreichen, können als Internationale Nachbarn bezeichnet werden. Netzraumproduktion und Impulswirkung Die vorgestellten good-practice Projekte zeigen, dass die Revitalisierung von Landbahnhöfen in Netzräume eingebettet ist und in unterschiedlichen Qualitäten und Reichweiten stattfinden kann. In leerstehenden Landbahnhöfen können auf Basis von Alltagspraktiken, regionalem (Selbst-)Verständnis und gesellschaftlichen Richtlinien (er)neu(ert)e Knotenpunkte und damit wesentliche Teile unterschiedlich ausgeprägter Netzräume entstehen. Im Umgang mit architektonischen Leerstellen in sogenannten strukturschwachen Regionen stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, unter welchen Bedingungen welche Relevanz und Strahlkraft von umgenutzten Gebäuden erwartet werden kann. Von Gebäuden als lokale Knotenpunkte eines weltumspannenden Netzes gehen, entsprechend der jeweiligen Nutzungs- und Akteurskonstellationen, Impulswirkungen unterschiedlicher Reichweite auf das Umfeld aus. Die mit der Auswertungskategorie des Einzugsgebietes der Nutzer (Abb. 21) beschriebenen vorgefundenen Nutzungsqualitäten bezeichnen eine spezifische geographische Relevanz für die Akteure der Bahnhöfe – sei es lokal, regional oder überregional. Abgeleitet aus den Untersuchungen und Auswertungen der prototypischen Impulse können die bereits zusammengefassten Grundzüge des Lefebvr¢ischen Raumverständnisses um das Kriterium der geographischen Reichweite erweitert werden. Damit sollen die geographischen Muster, die von Gebäuden ausgehen, darstellbar und für Planungsprozesse nutzbar gemacht werden. Die geographische Reichweite beschreibt die Relevanz
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und Einflussnahme eines konkret (um-)genutzten Gebäudes als Knotenpunkt im rurbanen Netzraum. Gebäude sind Orte, die nach Giddens als »lokale Schauplätze« (Giddens 1995, S. 30) zu verstehen sind, die durchdrungen sind »von weit entfernten sozialen Einflüssen« (ebd.). Die »sichtbare Form« der Gebäude verberge »die weit abgerückten Beziehungen, die sein Wesen bestimmen« (ebd.). Gebäude können also als kleinste Einheit der Globalisierungsprozesse und zugleich geographisch bestimmbare Konstante sozial-räumliche Beziehungen und damit Netzwerke konstruieren und vorantreiben (vgl. Massey 2006). Das bedeutet, dass die Umnutzung von Landbahnhöfen als lokale soziale Knotenpunkte auch Einfluss auf globale Prozesse haben kann.28 Diese möglichen Impulse einzelner Gebäude sind vor allem für sogenannte strukturschwache Regionen von Bedeutung, da die Stärkung vorhandener Strukturen dort besonders gefragt ist. Abhängig von Einflussfaktoren wie Schlüsselakteuren, Initialfinanzierung und Nutzungskonzept sind Gebäude – je nach Perspektive – Teile verschieden dimensionierter sozialer rurbaner Netzräume. In Anlehnung an das Raumverständnis Lefebvres lassen sich von der Analyse der dargestellten Beispiele drei geographische Reichweiten erkennen, die von transformierten Gebäuden ausgehen können (Abb. 28). Sie werden in lokal, regional und (inter-)national unterschieden: Lokale Beziehungen beschreiben direkte lokal-räumliche Verbindungen innerhalb einer Ortschaft. Sowohl die räumlichen Distanzen als auch der kommunikative Austausch können zu Fuß bzw. auf direktem, persönlichem Wege erfolgen. Regionale Verknüpfungen finden zwischen Ortschaften statt. Die Distanzen sind größer und im Alltag nicht mehr zu Fuß zurück zu legen. Der öffentliche Nahverkehr, der private PKW oder das Fahrrad dienen der Vernetzung auf regionaler Ebene. Nationale und internationale Verbindungen bedürfen Transportmittel, die weite Strecken überwinden können. Kommuniziert wird auf diesem (inter-)nationalen
28 Der französische Soziologe und Philosoph Bruno Latour, Begründer der Akteur-Netzwerk-Theorie, widmet sich Vernetzungsweisen. Für ihn bleibt »[a]uch ein großes Netz […] in allen Punkten lokal« (Latour 2008, S. 155).
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Terrain vorrangig über das world wide web, das virtuelle Treffpunkte und Austauschplattformen bietet. Abb. 28: Geographische Reichweiten. Die gewählten exemplarischen Beispiele verweisen auf unterschiedliche geographische Muster von rurbanen Netzräumen. Unterschieden werden kann in lokal, regional und (inter-)national.
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An den gewählten good-practice Projekten können diese Beziehungen exemplarisch beschrieben werden: Erlau ist ein Vorzeigebeispiel für den Aufbau lokaler Strukturen durch die Revitalisierung eines einzigen, identitäts-stiftenden Gebäudes (Abb. 29). Indem es hauptsächlich von institutionellem Interesse im Sinne staatlicher Vorsorge ist, fördert und schafft es vor allem lokale Strukturen. Abb. 29: Geographische Reichweite Erlau
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Die in Klasdorf privat ermöglichte Umnutzung, die Ausflugsangebote bereichert, ist in diesem Fall vor allem regional relevant. Die Besucher kommen zu den jeweiligen Veranstaltungen aus dem größeren Umfeld, wohingegen die lokale Bevölkerung nur vereinzelt an den Veranstaltungen teilnimmt (Abb. 30). Abb. 30: Geographische Reichweite Klasdorf
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Das Projekt in Hitzacker basiert auf lokal relevanten Interessen und erreicht damit eine Aufmerksamkeit, die, in Zeiten der sogenannten Flüchtlingskrise, bis weit über die nationalen Landes-grenzen hinweg wahrgenommen wurde. An dem angesprochenen Dorfprojekt, dessen Organisation vom Bahnhof Hitzacker ausgeht, sind unter anderem Familien aus Syrien oder Afghanistan beteiligt (Abb. 31). Abb. 31: Geographische Reichweite Hitzacker
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An diesen Beispielen ist besonders interessant, dass sich die geographische Vernetzung diametral zu den Ebenen der gesellschaftlichen Wirklichkeit verhält (Abb. 32): Erlau kann der globalen Ebene der gesellschaftlichen Wirklichkeit zugeordnet werden (s. Abb. 23). Es bleibt jedoch ein lokal vernetztes Projekt (s. Abb. 29). Das Projekt in Klasdorf hingegen ist auf der mittleren Ebene zu verankern (s. Abb. 25) und ist im Gegensatz zu Erlau weniger lokal als vor allem regional vernetzt (s. Abb. 30). Hitzacker kann auf der privaten Ebene der gesellschaftlichen Wirklichkeit verortet werden (s. Abb. 27). Dabei scheint es am weitesten vernetzt zu sein. Es ist nicht nur im lokalen, regionalen sondern auch im überregionalen Kontext relevant (s. Abb. 31). Abb. 32: Exemplarische Darstellung der Ebenen der gesellschaftlichen Wirklichkeit (Quadrate) und geographischen Reichweiten (Kreise), die sich zueinander diametral verhalten.
Unabhängig von ihrer Umnutzung lassen die Beispiele die Annahme zu, dass durch ihre Abkopplung von der verbindenden Infrastruktur und der daraus folgenden Individualisierung der Gebäude zwar wieder sozial relevante Anlaufpunkte entstehen, deren Funktion als verbindende Knotenpunkte in Netzräumen jedoch gelöst worden ist, da sie vorrangig unabhängig von dem dazugehörenden Eisenbahnnetz fungieren. Das Potential ihres historischen Erbes, Teil einer zusammenhängenden Struktur zu sein, wird wegen der unterschiedlichen Funktionen und Umnutzungen nicht für eine zusammenhängende, vernetzte Struktur genutzt, obwohl
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Letztere für die sozialen Netzwerke im ländlichen Raum eine tragende Rolle spielen könnte und (aus ökologischer Sicht) auch sollte. Die Bahnhöfe entlang einer Strecke werden zusammenhanglos betrachtet. Ihre möglichen funktionalen Beziehungen und Verknüpfungen stehen durch Privatisierungsprozesse hinsichtlich der revitalisierten Einzelobjekte deshalb nicht im Fokus der Planungen. Dabei erscheint eine inhaltliche, also über die bloße räumliche Verbindung hinausgehende Vernetzung der Einzelobjekte als eine Möglichkeit, in ländlichen Regionen mit Strukturschwäche infrastrukturelle und soziale Zusammenhänge zu fördern, da an das vorhandene Netz ›angeschlossene‹ Bahnhofsgebäude ihre Funktion als relevante Knotenpunkte im Netzraum reaktivieren würden. Welche Ressourcen und Werte Landbahnhöfe bergen, die unter Nutzung des Streckenpotentials über die beschriebenen Einzellösungen hinaus als wertvoll auszuschöpfen sind, wird im folgenden Kapitel erörtert.
F AZIT : P RODUKTION
VON RURBANEN
N ETZRÄUMEN
Im Zuge des demographischen Wandels und der Binnenwanderungen junger Menschen verlieren viele öffentliche Gebäude im ländlichen Raum ihre Bedeutung und stehen leer. Durch sich ändernde Beziehungsgefüge, die durch neue Mobilitätsformen und Kommunikationsweisen entstehen, werden sie nicht mehr gebraucht und verfallen. Als Resultat von Globalisierungsprozessen können sie nach Massey auch als »Opfer der Globalisierung« (Massey 2006, S. 28) verstanden werden. Dennoch sind sie als Erfahrungsspeicher (Steets 2015, S. 175) und Erinnerungsfiguren im kulturellen Gedächtnis (vgl. Assmann 1988, S. 12) verankert. Diese Leerstellen im Raumgeschehen repräsentieren nicht nur den Glanz vergangener Tage, sondern eröffnen gleichzeitig auch neue Perspektiven für die Zukunft. Sie bieten Möglichkeitsräume, die Interpretationen zulassen und Phantasien und Ideen zur Umgestaltung erlauben. In Anlehnung an die Theorie zur Produktion von Raum nach Lefebvre konnte gezeigt werden, dass Landbahnhöfe in ihrer ursprünglichen Funktion einen Alltagsraum darstellten, Teil eines
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übergeordneten (infrastrukturellen) Konzeptes und damit gleichermaßen eingebunden und abhängig von Finanzströmen und gesetzlichen Regularien waren. Infrastrukturell über die Schienenstränge und konzeptionell über die sie verbindende Funktion verknüpft, standen die Gebäude in einem unmittelbaren Zusammenhang. Die nutzlos gewordenen Gebäude werden zur Befriedigung unterschiedlicher Bedürfnisse umgenutzt und so in neue Zusammenhänge gestellt. Auf Grundlage von Lefebvres Theorie konnten für die revitalisierten Gebäude unterschiedliche Vernetzungsweisen aufgezeigt werden. Durch ihre Wiederbelebung und Umwidmung dank verschiedener Akteurskonstellationen, Nutzungskonzepte und Initialfinanzierungen werden die Gebäude Teil neuer Netzstrukturen, haben unterscheidbare Reichweiten und Impulsstärken und ändern und beeinflussen den Netzraum, dessen Teil sie sind. Anhand der Entwicklung der Pfefferminzbahn und der gewählten prototypischen Fallbeispiele konnte gezeigt werden, dass Landbahnhöfe die Geschichte(n) und die Fortentwicklung rurbaner Netzräume beeinflussen. Aus unterschiedlichen Perspektiven wird ihnen Bedeutung und damit eine Wertigkeit zugeschrieben, weshalb sie einer Neukonzeption und Neuaneignung bedürfen, was auch neue Bedeutungs- und Wissensproduktionen benötigt. Um in sogenannten strukturschwachen Regionen Impulse für ein nachhaltiges und gemeinschaftlich-soziales Miteinander zu setzen, sollten die unzähligen leerstehenden Landbahnhöfe als Möglichkeitsräume dafür in Betracht gezogen werden: Wenn nicht allein die Revitalisierung der baulichen Substanz im Vordergrund steht, sondern die Revitalisierung ihrer Bedeutung als Knotenpunkt im Netzraum, dann können Landbahnhöfe wieder zu sozialen Sammelstellen und Verteilerzentralen werden und neue Raumzusammenhänge schaffen.
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PERSPEKTIVIERUNGEN NACHHALTIGER LANDSCHAFTSENTWICKLUNG
Der Bahnhof: Ein tragischer und zauberhafter Ort. NACH MARCEL PROUST
Die vorgestellten Projekte haben gezeigt, dass die Revitalisierungen leerstehender Landbahnhöfe unterschiedlich starke Auswirkungen auf den rurbanen Netzraum haben können. Auch wenn die Gebäude unterschiedlichen Zwecken dienen, so ist ihnen gemeinsam, dass sie wichtige Knotenpunkte bildeten – und mitunter auch wieder bilden können. Die Gebäude wurden dabei vor allem als materielle Ressource und Erinnerungsfigur im Raumgeschehen aufgegriffen und verstanden. Die besonderen Ressourcenqualitäten von Landbahnhöfen als Teil eines Netzzusammenhangs spielten jedoch in den vorgestellten Projekten eine untergeordnete, wenn nicht gar keine Rolle. Um das Potential leerstehender Landbahnhöfe für den ländlichen Raum herauszuarbeiten, werden im Folgenden deren Ressourcenqualitäten diskutiert, um darauf aufbauend mögliche Szenarien ihrer Revitalisierung zu entwickeln. Diese Szenarien illustrieren mögliche großräumige Nutzungszusammenhänge, die in der verbindenden Infrastruktur eine Ressource sehen, welche wesentlich dafür steht, dass die Revitalisierung von Landbahnhöfen als Impulsgeber für sogenannte strukturschwache Regionen wirken kann. Es bleibt die Frage zu beantworten, nach welcher Strategie die unzähligen, noch ungenutzten und scheinbar nutzlosen Landbahnhöfe wieder zu Teilen einer verbindenden Infrastruktur und damit
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zu Räumen alltäglicher Lebenspraktiken werden können, die zugleich das Raumgeschehen nachhaltig beeinflussen. Leerstehend werden sie zu Projektions- und Imaginationsräumen, die sich zu Orten gesellschaftlichen Handelns entwickeln können. Die aktuellen und zukünftigen Nutzungsarten sind, wie die Beschaffenheit und Formgebung der verknüpften Gebäude, Resultat gesellschaftlicher Aushandlungs- und Transformationsprozesse, die entscheidend von den jeweiligen Lebensvorstellungen und Bedürfnissen der Menschen, aber auch der baukulturellen Bedeutung der Gebäude bestimmt werden. Um Landbahnhöfe auf allen Ebenen räumlich-entwerferisch bearbeiten zu können, werden im Folgenden deren architektonische, systematische und strukturelle Ressourcen und Potentiale herausgearbeitet und als mögliche Strategie zur Umnutzung leerstehender Landbahnhöfe zusammengefasst.
L ANDBAHNHÖFE
ALS
M ÖGLICHKEITSRÄUME
Die Raumverfügbarkeit von leerstehenden Landbahnhöfen, deren bestehende Grundrissqualitäten sowie die im kulturellen Gedächtnis verankerte Geschichte und Sinnzuschreibung der Gebäude führen dazu, dass Bahnhofsgebäude auf dreifache Weise als Ressourcen im Raumgeschehen interpretiert werden können, die auch im Zusammenhang mit den Momenten der Raumproduktion nach Lefebvre stehen (Abb. 33): Sie bilden eine materielle (wahrnehmbare), eine soziokulturelle (belebbare) und eine imaginäre (konzipierbare) Ressource für den architektonischen Entwurf (vgl. Warda 2016, S. 361).
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Abb. 33: Landbahnhöfe als materielle, soziokulturelle und imaginäre Ressource
Landbahnhöfe als materielle Ressource Leerstehende Landbahnhöfe stellen eine materielle Ressource dar. Für den Bau und den eventuellen Abriss eines Gebäudes wurden verschiedene Energievorräte benötigt – sei es für die Herstellung der Baumaterialien, den Transport, die Lagerung, den Verkauf oder aber auch die Entsorgung von Bauteilen, die nicht mehr gebraucht werden. Damit sind Gebäude Speicher von grauer Energie, die häufig »bei einer energetischen Bewertung nicht berücksichtigt und bei Abbrüchen bedenkenlos freigesetzt [wird]« (Petzet 2012, S. 9). Das Weiterverarbeiten des Materials kann demnach auf zweifache Weise den Gebäudekreislauf bestimmen: Auf der einen Seite sind es die konkret wiederverwertbaren Baumaterialien, die bei einem Abbruch freigesetzt und in neuem Kontext wieder verbaut werden können. Im Ergebnis verschwinden die Gebäude, auch unter erheblichem Energieverbrauch, die Baumaterialien leben jedoch in anderem Kontext fort. Entstandene
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Brachflächen werden zu Bauflächen, auf denen neue Raumstrukturen entstehen können. Auf der anderen Seite, und die soll hier im Fokus stehen, stellt die materialisierte Struktur der entfunktionalisierten Gebäude als solche eine Ressource dar. Die Gebäudestruktur kann, wie die vorangegangenen Beispiele exemplarisch gezeigt haben, auf verschiedenste Weise genutzt werden. Strategien der Wiederaneignung von Bahnhofsgebäuden wurden anhand der Beispiele erkennbar, die Schienen wurden allerdings nicht in den Prozess der Wiederaneignung einbezogen. Grund dafür ist die Abkopplung der Gebäude von dem Streckennetz. In ihrem Ursprung bedingten sich jedoch Schiene und Gebäude – ohne die Schienen wären die Gebäude nicht entstanden. Deshalb sollte zur materiellen Ressourceneigenschaft von Landbahnhöfen auch das jeweilige Streckennetz gehören. Der Umgang mit dem Bestand gewinnt unter anderem vor dem Hintergrund des zunehmenden Klimawandels und einer potenziellen Ressourcenknappheit an Bedeutung und erfordert grundsätzlich eine schonende und nachhaltige Nutzung materieller Ressourcen: »Schrumpfung und Verkleinerung sind wichtige Planungsaufgaben, und auch da, wo noch Wachstum ist, geht es nicht um Tabula rasa und Neubau, sondern um Revitalisierung, Umnutzung, Ergänzung sowohl in bestehenden Gebäuden als auch im Gewebe der Stadt« (ebd., S. 9).
Der Umgang mit Leerstand war auch Thema der Internationalen Bauausstellung (IBA) Thüringen. Unter dem Titel ›Leergut‹ beleuchtete sie den »innovativen Versuchsaufbau aus Leerstandssituation und zukünftigen (Nutzungs)potentialen« (IBA 2016, S. 24). In diesem Rahmen wurde u. a. der Bahnhof in Apolda zu einem Untersuchungslabor für Studierende der Bauhaus-Universität Weimar. Die Ansätze in den Semesterprojekten ›iba campus APOLDA‹ (Betreuung IBA Thüringen/IBA Werkstatt, Sommersemester 2014) und ›abgehängt? – Bahnhöfe in Thüringen‹ (Betreuung Professur Denkmalpflege und Baugeschichte der Bauhaus-Universität Weimar, Wintersemester 2013/14) zur zukunftsfähigen und nachhaltigen Nutzung von Bahnhofsgebäuden folgten auch der von Petzet
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vorgeschlagenen Umgangsweise REDUCE, REUSE, RECYCLE1 mit dem Bestand (IBA 2015). Auch wenn die Beschäftigung der Studierenden mit den Bahnhofsgebäuden sich auf ein Semester beschränkte, zeigt die »Inkulturnahme« des Gebäudes in Apolda, dass so »Menschen miteinander ins Gespräch gebracht [werden können], die sich um ihre Stadt bemühen, [sie] hat Erfahrungen und Erkenntnisse zu Tage gebracht, die nun in die Sanierung durch die Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen fließen können« (ebd., S. 60).
Die bestehende Gebäudestruktur von Landbahnhöfen bietet die Möglichkeit vielfältiger Um-Nutzungen, die wiederum auf unterschiedliche Weise ihr Umfeld prägen und verändern können. Dass Veränderungen an Bahnhofsgebäuden seit jeher stattfinden, um auf geänderte Umstände zu reagieren, zeigt exemplarisch der Erdgeschossgrundriss des Bahnhofsgebäudes in Buttstädt aus dem Jahr 1901. In ihm wurden bereits mögliche »bauliche Veränderungen am Empfangsgebäude« vorgeschlagen – erkennbar an den rot gezeichneten Wänden, die bestehende Räume neu gliederten, um Funktionstrennungen und -erweiterungen vornehmen zu können. Das Bahnhofsgebäude in Buttstädt – in seiner Grundfläche 23,20 m lang und 9,40 m breit – zeichnet sich durch eine sehr regelmäßige Struktur aus, die an den Öffnungen zur Ortschaft und zu den Gleisen ablesbar ist. Der Zugang in das Gebäude erfolgt ortsseitig über zentral gelegene, dem Gebäude vorgelagerte Stufen. Der Grundriss zeigt die Aufteilung des Gebäudes in zwei Bereiche: Für den von der Ortschaft kommenden Besucher finden sich auf der linken Seite zwei Wartebereiche von 27 qm für die erste und zweite Klasse und ein weiterer Bereich von 43 qm für die dritte und vierte Klasse. Auf der rechten Seite sind kleinteiligere Funktionsräume für den Kartenverkauf, das Lagern des Gepäcks sowie Büroräume für die Bahnmitarbeiter angeordnet (Abb. 34).
1 Die gegenwärtige Tendenz, Vorhandenes weiter zu nutzen, zeigte u. a. auch der deutsche Pavillon auf der 13. Biennale, kuratiert von Muck Petzet, der unter dem Titel REDUCE, REUSE, RECYCLE das Thema eines ressourcenschonenden Umgangs mit bestehenden Strukturen in den Fokus rückte.
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Abb. 34: Grundriss Bahnhof Buttstädt
Diese gegebene Gebäudestruktur aus sowohl weiten als auch kleinteiligen Nutzungsbereichen bietet für unterschiedliche Zwecke Raum. Sie kann im Transformationsprozess neu konfiguriert und uminterpretiert werden und vielfältige Nutzungen zulassen. Durch ihre Anlage sowie die mit ihr einhergehenden Umnutzungsmöglichkeiten kann die Gebäudestruktur auch heutigen modernen Ansprüchen genügen. So fordert Petzet in seinem Beitrag REDUCE, REUSE, RECYCLE eine »Ökonomie der Aufmerksamkeit und der architektonischen Mittel« (Petzet 2012, S. 11), nach der »[j]eder für eine Änderung nötige Aufwand […] durch eine Verbesserung gerechtfertigt [sein] muss« (ebd.). Damit bezieht er sich auch auf die Logik der sogenannten Abfallhierarchie und überträgt diese auf die Architektur (ebd., S. 10). Dabei geht es an erster Stelle um die »Verringerung des Abfallvolumens« (Reduce), darauf folgt die »möglichst direkte Weiterverarbeitung« (Reuse) und an letzter Stelle die »materielle Umformung« (Recycle) (ebd., S. 9). Der Effekt einer Umbaustrategie bemesse sich dann an den vorgenommenen Änderungen – je kleiner der Eingriff, desto besser und nachhaltiger sei der Prozess. Wird der Blick auf materielle Ressourcen gerichtet, dann sind jedoch nicht nur die einzelnen Landbahnhöfe, wie dieser in Buttstädt, mit ihren Raumkapazitäten und verwendeten Baumateri-
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alien zu betrachten. Ein besonderes Potential von Bahnhöfen ist ihre Anbindung an das Schienennetz als nutzbare, materielle Infrastruktur. Dieses zusammenhängende System aus Landbahnhöfen und Schienensträngen ist als Teil rurbaner Netzräume eingebunden in die Logik und das ›Gewebe der Stadt‹ und entspricht dadurch auch bereits den Forderungen Petzets. Das ›Gewebe der Stadt‹ kann im Sinne Lefebvres verstanden werden, nach dem sich städtische Strukturen als urban tissue mittlerweile über den gesamten Globus legen. Leerstehende Landbahnhöfe sind Teil dieser Struktur, die auch über die verbindenden Schienen hergestellt wird. Dieses Potential kann eine wichtige materielle Ressource im rurbanen Netzraum darstellen. Die noch vorhandenen Schienenstränge sind ein ressourcenschonendes Mobilitätsnetzwerk und verbinden die Gebäude auf direktem Weg miteinander. Betrachtet man die graue Energiemasse, die für den Bau der Gleisstrecken aufgewendet werden musste, so liegt es auf der Hand, dieses bestehende Netzwerk weiter zu benutzen. Große Mengen an Material mussten produziert, transportiert, gelagert und verbaut werden. Gleichzeitig ist die Eisenbahn als Transportmittel im Vergleich zum Automobilverkehr ressourcen- und umweltschonender. Das zeigt schon ein Vergleich der Emissionen von Treibhausgasen deutlich: Im Eisenbahnnahverkehr emittieren mit 77,9g/Pkm nur etwa halb so viele Treibhausgase pro Personenkilometer wie bei der Benutzung des PKW – hier sind es 142,3g/Pkm (Umweltbundesamt 2012, S. 32). Besonders für den ländlichen Raum werden alternative, ressourcenschonende Mobilitätskonzepte erarbeitet, um die Erreichbarkeit von Versorgungsinfrastrukturen wie Bildungseinrichtungen, Ärzte oder die nötige Nahversorgung zu gewährleisten. Durch den Rückgang der Bevölkerung wurden und werden öffentliche Verkehrsnetze durch eine zu geringe Nachfrage eingestellt (u. a. BMVI 2013, 2018), wodurch die Nutzung von PKW notwendig wird, was jedoch für die jüngere und ältere Bevölkerung nicht immer möglich ist. Neben uneingeschränkter Erreichbarkeit von Infrastrukturen im ländlichen Raum sind Ziele ressourcenschonender Verkehrskonzepte Klimaneutralität, Multimodalität der Verkehrsmittel sowie der Erhalt bestehender Infrastrukturen (WWF Deutschland et al. 2014). Dabei spielt die Einbindung des bestehen-
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den Bahnnetzes in den Konzepten für den Berufs-, Freizeit- und Güterverkehr eine tragende Rolle (ebd.). Damit stellt das materialisierte Netzwerk aus Gebäuden und Bahnstrecke eine mögliche materielle Grundlage und Ressource zur Belebung sogenannter strukturschwacher Regionen dar. Die infrastrukturellen Verbindungen zwischen den Ballungsgebieten und den weniger dicht besiedelten Regionen können, angepasst an gegenwärtige wie auch potentiell zukünftige Bedürfnisse, durch entsprechende Schienenfahrzeuge wieder aufgenommen und zwischen den Ortschaften produktiv nutzbar gemacht werden. Landbahnhöfe als soziale Ressource Das Land unterliegt gegenwärtig vielschichtigen und ambivalenten Vorstellungen. Auf der einen Seite wird das Landleben als heile Welt idealisiert – »man inszeniert das dörfliche (Zusammen-) Leben im Einklang mit einer intakten Natur und freundlichen und hilfsbereiten Nachbarn, man liest vom gesunden und ruhigen Leben und dazu passenden Lebensmitteln« (Vogelsang et al. 2016, S. 35).
Dabei wird das Leben auf dem Land als sozial und gemeinschaftlich im Gegensatz zu der städtischen Lebenswirklichkeit, die »sogar dissozial sei« (ebd.), assoziiert. Auf der anderen Seite wird das Land mit zerfallenden sozialen Strukturen (bspw. dörflicher Gemeinschaften) und Orten gleichgesetzt. Gesamtgesellschaftliche Problemlagen erscheinen hierbei in geballter und mitunter verstärkter Form, seien es nun Überalterung und Abwanderung, wegbrechende Infrastruktur und gefährdete Daseinsvorsoge oder aber Wahrnehmungen und Erfahrungen des Abgehängtseins und des Ausschlusses von Andersartigem sowie der Gewalt gegen Fremde im Zeichen einer vermeintlich homogenen Gemeinschaft. Doch stehen sich hier nicht nur utopische und dystopische Vorstellungen gegenüber; es ist vielmehr eine verstärkte Ausdifferenzierung der Ländlichkeitsimaginationen festzustellen, die auch mit einer zunehmenden Pluralisierung der Erscheinungs- und Nutzungsweisen ländlicher Räume korrespondiert (vgl. Marszałek/Nell/Weiland 2018). Darüber hinaus dient das Land aber insbesondere auch der
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Lebensmittelproduktion und damit der Versorgung der Bevölkerung; wobei es dabei, das zeigen verschiedene Studien, »in mancher Hinsicht moderner als die Stadt« (Oswalt 2017, S. 92) ist. Diese mit dem Land verbundene Technisierung und Fortschrittlichkeit steht der Idealisierung und Romantisierung des Landes als vermeintlich heile Welt einerseits sowie der ausschließlichen Fokussierung auf »Defizitnarrationen« (Fenske/ Hemme 2015, S. 14) und Zuspitzung des Ländlichen als rural horror (Bell 1997) andererseits diametral gegenüber. Leerstehende Gebäude im ländlichen Raum, wie etwa Landbahnhöfe, spiegeln diese Kontroverse: So werden sie einerseits »als ein Stück Heimat, als Brennpunkte imaginierter Gemeinschaft« (Hengartner 2010, S. 66) betrachtet und andererseits als »Opfer der Globalisierung« (Massey 2006, S. 28), der Automatisierung und der Technologisierung von Landwirtschaft und ihren Produktionsweisen verstanden. Durch die steigende Orientierung an globalen Prozessen scheinen lokale Strukturbestandteile wie Landbahnhöfe überflüssig zu werden. Im Zuge dieser Entwicklungen wird der Leerstand auf dem Land jedoch zunehmend als Möglichkeitsraum für die individuelle Entfaltung und Gestaltung der eigenen Lebensvorstellungen genutzt. Der Leerstand wird zur Projektionsfläche für mögliche Szenarien, die sich auch auf das Land als idealisierten, arkadischen Ort beziehen. Damit können die leerstehenden Gebäude auch als soziale Ressource, mithin als eine Quelle für gesellschaftliche Aushandlungsprozesse, aufgefasst werden. Als soziale Ressourcen werden in der Psychologie »Hilfsmittel und Quellen zur Erledigung oder Bewältigung von Anforderungen in der Gesellschaft und Umsetzung in zielorientierte Handlungen« (Wenninger 2000) bezeichnet. Als ein solches Hilfsmittel, das bestimmte gesellschaftliche Anforderungen bewältigen lässt und damit zielorientierte Handlungsweisen initiiert und ermöglicht, können auch leerstehende Landbahnhöfe verstanden werden. Sie sind als Knotenpunkte und soziale Schnittstellen bereits im kollektiven Gedächtnis verankert und damit als materialisierte Objekte »Bestandteil eines sozialen Kontextes« (Warda 2016, S. 361). Nicht nur der demographische Wandel und die Überalterung der Gesellschaft, sondern vor allem erheblich veränderte Arbeitsbedingungen – Mobilität, Erreichbarkeit, Vereinzelung – gehen einher mit der Suche nach Ausgleich zum und gar Ausweg aus dem
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von Hektik und Geschwindigkeit geprägten Alltag und der Forderung nach Räumen für Gemeinschaft und sozialem Austausch. Davon geleitet sind nicht nur ruhesuchende Touristen, sondern auch junge Familien, Firmenleiter oder Ruheständler. Leben auf dem Land bedeutet für viele, neben der Suche nach Ruhe und Naturnähe, vorrangig lebbare Gemeinschaft, die mit einem ›guten Leben auf dem Land‹ in Verbindung gebracht wird (u. a. Petersen 2014; Rössel 2014). Aus dem Bedürfnis nach Gemeinschaft und autarkem, wirtschaftlich unabhängigem Leben werden bspw. Wohnprojekte gegründet, die auf diesen Werten basieren. Das hat zur Folge, dass angesichts der »neue[n] Ansprüche und Wertevorstellungen« (Henkel 2016b, S. 124) der Generationen leerstehende Gebäude entsprechend der Vorstellungen vom ›guten Leben‹ umgebaut werden. Das zeigen auch die prototypischen Impulse, in denen individuelle und kollektive Idealvorstellungen ländlicher Lebensweisen auf die leerstehenden Landbahnhöfe projiziert und dort umgesetzt wurden. Dabei standen bei den Initiatoren vor allem die sozialräumlichen Potentiale und Ressourcen im Fokus, indem die Eigenschaft der Landbahnhöfe als ehemalige soziale und räumliche Knotenpunkte hervorgehoben und für die jeweiligen Konzepte produktiv gemacht wurden. Die umgenutzten Gebäude boten nicht nur das Potential für die Erfüllung individueller Lebensvorstellungen, sondern dienen auch der regionalen Daseinsvorsorge: Sie sind Teil einer öffentlich zugänglichen zentralen Verkehrsinfrastruktur und sie bieten Räume für öffentliche Einrichtungen, die das Bildungs-, Kultur- und Versorgungsangebot im ländlichen Raum gestalten können.2
2 Nach dem Raumordnungsbericht von 2017 ist »die Versorgung mit Dienstleistungen und Infrastrukturen der Daseinsvorsorge, insbesondere die Erreichbarkeit von Einrichtungen und Angeboten der Grundversorgung für alle Bevölkerungsgruppen […] zur Sicherung von Chancengerechtigkeit in den Teilräumen in angemessener Weise zu gewährleisten; dies gilt auch in dünn besiedelten Regionen. Die soziale Infrastruktur ist vorrangig in Zentralen Orten zu bündeln; die Erreichbarkeits- und Tragfähigkeitskriterien des Zentrale-Orte-Konzepts sind flexibel an regionalen Erfordernissen auszurichten. Es sind die räumlichen Voraussetzungen für die Erhaltung der Innenstädte und örtlichen Zentren als zentrale Versorgungsbereiche zu schaffen.« (BBSR 2017, S. 6).
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Bestehende materielle Netzwerke aus Bahnhöfen und Schienen können und sollten für die beschriebenen gegenwärtigen Anforderungen eines ›guten Lebens‹ genutzt werden – Abgeschiedenheit bei gleichzeitiger Vernetzung, ländliche Idylle mit städtischen Qualitäten, Gemeinschaft und Individualität sind mit Hilfe des vorhandenen Verbundes aus Schiene, Fahrzeug und Landbahnhof denkbar und – unter den richtigen Voraussetzungen – auch realisierund gestaltbar. Eingebettet in gegenwärtige soziale Kontexte und damit Vorstellungen, die stark von der Idealisierung eines harmonischen, ländlich geprägten Lebens bestimmt sind, bilden die Landbahnhöfe eine soziale Ressource für die gegenwärtigen gesellschaftlichen Anforderungen wie Mobilität, Vernetzung und Individualität bei gleichzeitigen »gesund[en], harmonisch[en], geordnet[en] und in sich ruhend[en]« (Vogelsang et al. 2016, S. 35) ländlichen Verhältnissen. Landbahnhöfe als imaginäre Ressource Zusätzlich zur materiellen und sozialen Ressourcenqualität sind leerstehende Gebäude eine imaginäre Ressource, da sie »im Prozess der Wiederaneignung […] Ausgangspunkt für entwerferische Interventionen sein können, die eine neue bauliche Gesamtheit erzeugen« (Warda 2016, S. 361). Leerstehende Gebäude können individuelle oder kollektive Bilder und Zuschreibungen zum Umgang mit der Bausubstanz evozieren. Spontane Raum(um)nutzungen, aber auch mögliche geplante Raumentwürfe und -szenarien werden damit verbunden. Lefebvre unterscheidet in diesem Zusammenhang die praktische Raumaneignung und die theoretische Auseinandersetzung zur Produktion von sozialem Raum. Raumaneignungen im Sinne von Umnutzungen seien dabei »of great significance, for they teach us much about the production of new spaces« (Lefebvre 1991, S. 167). Von Raumaneignungsprozessen, die nach Lefebvre auch im Einzelfall sinnvoll sein können (Meyer 2007, S. 262), könne demnach vor allem für das theoretische Denken und Planen sozialer Räume gelernt werden. Aneignungsprozesse führten zu verschiedensten Raumnutzungen, die jedoch keine ›Neu-Schöpfungen‹ seien, sondern vielmehr einer Zweckbindung entsprächen. »The goal and meaning of theoretical thinking is production rather
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than diversion. Diversion is in itself merely appropriation, not creation« (Lefebvre 1991, S. 16). Der praktischen Raumaneignung wird dabei das theoretische Denken gegenübergestellt, das sich nicht auf Aneignungsprozesse und -weisen konzentriert, sondern die kreative und schöpferische Produktion von Raum betont. Auch wenn Lefebvre die Wiederaneignung und damit Umnutzung und Revitalisierung von Räumen im theoretischen Diskurs kritisch sah, so verlangt die Rekonstruktion von Gebäuden »spezifische Vorbildung, breites Wissen, handwerk-liches Verständnis, gesellschaftlichen Konsens« (Welzbacher 2010, S. 47). Damit ist sie auch Ergebnis wissenschaftlicher und gesellschaftstheoretischer Diskurse und weniger alltäglicher Handlungen. Die Aufgabe theoretischer Diskussionen ist demnach das Erarbeiten von vorstellbaren Strategien zur Transformation sozial-räumlicher Strukturen, deren konkrete Umsetzung den jeweiligen Nutzern obliegt. Brachen wie leerstehende Gebäude erfordern und fördern einen kreativen Umgang, der sowohl praktische Raumaneignungen als auch theoretische Konzeptionen vereinen sollte. Lucius Burckhardt beschreibt die Brache als vorhandenen und bearbeitbaren Grund (Burckhardt 2006b, S. 103), der Erklärungsbedarf schafft (ebd., S. 107). Das bedeutet für ihn, dass »in der Brache Landschaftsteile geschaffen werden [müssen], die selbst eine Logik haben« (ebd., S. 108). Um diese Logik nachvollziehbar zu machen, müssen die Objekte »als Bestandteil einer Sequenz, die auch Prozesse zeigt« (ebd., S. 109) lesbar und verständlich dargestellt werden. In diesem Sinne sind leerstehende Gebäude eine Ressource für den imaginativen und kreativen Umgang mit Landschaft als alltägliches, soziales Handlungsumfeld, da die Gestaltung von Gebäuden Einfluss auf die sie umgebende Landschaft hat. Für Burckhardt gibt es zwei ›Formeln‹, die seiner Auffassung nach die Umgangsweisen mit Brachen prägen: Auf der einen Seite steht die »alte Formel […]: Brache plus Geschwätzigkeit« (ebd., S. 113), nach der die Gestaltung der Brache entsprechend der vorangeschrittenen Desinformation »geschwätziger« werden müsse, da sie sowohl auf die zu füllende Leerstelle einzugehen hätte als auch die individuellen Gestaltungsvorlieben der Planer zu repräsentieren habe (ebd., S. 108). Auf der anderen Seite lautet die »neue [Formel]: totale Vorgabe der Gestaltung und Rollen«, nach der Nutzer keine eigenen Interessen verfolgen und umsetzen können, sondern sich in das ›Korsett‹ vor-
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gegebener Abläufe integrieren müssen (ebd., S. 113).3 Aus den Betrachtungen zum Umgang mit Brachen ist nach Burckhardt jedoch eine neue Form der Wiederaneignung von Brachen möglich, die eine »landschaftliche Mischung von menschlicher Tätigkeit, menschlicher Muße und Zufall« (ebd.) erlaubt und demnach ein Zusammenspiel von praktischer und sozialer Raumaneignung sowie theoretischen Konzeptionen erfordert.
L ANDBAHNHÖFE
ALS
R ESSOURCENSYSTEM
Leerstehende Landbahnhöfe als materielle und soziokulturelle Ressourcen und gleichzeitig zu Imaginationen auffordernde Leerstellen können in sogenannten strukturschwachen Regionen den Aufbau bzw. die Weiterentwicklung regionaler Strukturen fördern. Umnutzungsentwürfe für leerstehende Landbahnhöfe entlang einer Bahnstrecke sollten dabei Gebäude, Infrastruktur und soziales Umfeld zusammenbringen und so den gegenwärtig negativen Entwicklungen des ländlichen Raumes Möglichkeiten entgegensetzen, die zur Stabilisierung von bestehenden oder zur Etablierung neuer Strukturen führen können. Das Potential als imaginäre Ressource – auch verstanden als Imaginations- und Projektionsraum – kann dabei auch die ambivalenten Bewegungen und Entwicklungen aufnehmen, die von dem globalen Infrastruktursystem, dessen Teil sie sind, ausgehen. Auf der einen Seite stehen Optimierung, Rationalisierung und Technisierung der Fahrzeug- und Schienenqualität. Auf der anderen Seite erfahren alternative Nutzungsmöglichkeiten
3 Burckhardt beschreibt in mitunter ironischem Ton den Umgang mit Brachen am Beispiel eines fiktiven, abgebrannten Rathauses an zwei verschiedenen Standorten: Er wählt eine Baulücke in einer historischen Stadt und eine weite Grünfläche inmitten eines Konglomerats unterschiedlicher Siedlungs- und Funktionstypen. Der Entwurf für die Brache im historischen Stadtkontext würde eine »besondere Interpretation [des Architekten] eines Rathauses an dieser Stelle […] zeigen« (Burckhardt 2006b, S. 107). Im Gegensatz dazu müsse der Architekt des zweiten Standortes »zwei Informationen übermitteln; die eine: Ich bin das Rathaus […] und die andere: Ich bin von dem berühmten Architekten sowieso« (ebd., S. 108).
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auf Nebenstrecken zunehmende Beliebtheit.4 Indem die materiellen und sozio-kulturellen Potentiale der Gebäude und ihrer infrastrukturellen Anbindung als Zusammengehörendes Beachtung finden, kann das System aus Landbahnhöfen und Schieneninfrastruktur eine wichtige Ressource für die konzeptionelle und entwerferische Weiterentwicklung strukturschwacher Regionen darstellen, die darauf abzielt, Möglichkeitsräume sichtbar und vorstellbar zu machen, aus denen nachhaltige Raumentwicklungen hervorgehen können. Die Art und Weise des Streckenbetriebes ist dabei eine entscheidende Voraussetzung, die für die noch folgenden thesenartig entworfenen prototypischen Nutzungsszenarien zu Ressourcensystemen eine entscheidende Rolle spielt. Landbahnhöfe im Netzwerk Die Stärke von Landbahnhöfen ist ihre ursprüngliche Vernetzungsqualität, auch wenn diese heute scheinbar überflüssig geworden zu sein scheint. Das Eisenbahnnetz ist eine bestehende materielle Ressource der Vernetzung im Raumgeschehen und kann in Anlehnung an die Ebenen der gesellschaftlichen Wirklichkeit nach Lefebvre auf der vermittelnden, also dienstleistenden Ebene angesiedelt werden. Wird in der Planung darauf abgezielt, einen möglichst weitreichenden Impuls zu setzen, der den ländlichen Raum nachhaltig positiv beeinflusst, dann scheint es wider der aktuellen Praxis notwendig, das gesamte System als Einheit zu betrachten – als ein Netzwerk –, denn »[n]ur was vernetzt ist, ist überlebensfähig und produktiv« (Böhme 2004, S. 18). Das System aus Verbindungsschienen, Landbahnhöfen und Fahrzeugen bildet demnach per se ein Netz. Netze lassen sich nach Böhme als »geschlossene, selbstregulierte Welten mit einem historischen Index« verstehen, die »eines geregelten In-/Output-verkehrs mit ihren jeweiligen Umwelten« (ebd., S. 21) bedürfen. Diese Umwelten können wiederum selbst als Netze in Erscheinung treten. Die Transformation und Anpassung dieses bestehenden, kulturell verankerten und etablierten Systems an gegenwärtige Bedürfnisse kann dann – so die These – zu einer Wiederbelebung vermeintlich strukturschwacher Regionen
4 So kann man bspw. das Pfälzer Bergland, die Mecklenburgische Schweiz oder den brandenburgischen Fläming auf den Schienen ›radelnd‹ mit Draisinen erleben.
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führen, wenn der sogenannte In-/Outputverkehr, also der Austausch und die Kommunikation zwischen den anliegenden Ortschaften, gegeben ist. Denn lokale, regionale und ggf. sogar (inter)nationale Impulse könnten durch die Betrachtung von Landbahnhöfen als Teil eines Netzwerkes gesetzt werden. Die Nutzung von Landbahnhöfen als Teil dieses gegebenen und ressourcenschonenden Mobilitätsnetzwerkes ermöglicht es Qualitäten zu entwickeln, die eine Region beleben können. Die gegebene Infrastruktur fungiert dann nicht als bloße Transitstrecke, sondern ist auch inhaltlicher Teil des Netzwerkes. Denkbare Mobilitätsformen der Zukunft fließen in die folgenden thesenartigen Entwürfe und Szenarien ein. Dabei sollen auch Möglichkeiten der Schienennutzung aufgezeigt werden, die eine Nutzung der Strecke alternativ zum getakteten Linienverkehr erlauben. Das kann sich auf der einen Seite auf individuelle Schienenfahrzeuge beziehen, auf der anderen Seite aber auch auf Fahrzeuge, die sowohl dem Transport von Personen als auch Gütern dienen, der bis dato getrennt betrachtet und behandelt wird. Die Möglichkeit der Umnutzung und Weiterentwicklung des Bahnnetzes als zusammenhängendes, zukunftsweisendes System von Gebäuden, Verbindungen und Fahrzeugen wurde bereits 1964 von dem englischen Architekten Cedric Price für die Bahnstrecken ehemaliger Industrieanlagen im englischen Staffordshire vorgeschlagen und entwerferisch zur Diskussion gestellt (Abb. 35). Sein Entwurf POTTERIES THINKBELT gilt als »total invention and imagination: from its very name, to the types of drawings generated, to the means of publication by which it was disseminated« (Hardingham/Rattenbury/Price 2007, S. 11).
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Abb. 35: Skizze von Price – Blick aus dem Zug beim Ankommen in der Transferzone.
Price entwickelte ein komplexes System aus bestehenden Bahnhöfen, Neubauten und Schienen, das ein mobiles Universitätsnetzwerk bilden sollte. In seinem Ansatz greifen sowohl die existierenden gebauten Strukturen als auch soziale Alltagspraxis sowie die Weiterentwicklung der gegebenen und denkbaren Infrastruktur ineinander (Abb. 36). Der als POTTERIES THINKBELT betitelte Entwurf nutzt die »Advantages […] of the existing rail network and stations« (ebd., S. 38), die Teil dieses mobilen Universitätsverbundes sein sollten. Für Price bedeutete es, dass »interaction between faculties and existing industry will be, at once, a short-term benefit to both« (ebd.). Damit fungiert sein Entwurf auch als ein »useful model in relation to current regeneration debates« (ebd., S. 13). Die 1960er Jahre waren geprägt von der Auffassung, dass es erforderlich sei, die »Systematisierung der sozialisierenden Funktion des Raumes voranzutreiben« (Vrachliotis 2017, S. 34). Dafür »konzipierte man anstelle einzelner, freistehender Bauwerke zunehmend
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zusammenhängende Raumstrukturen von utopischem Ausmaß« (ebd.). POTTERIES THINKBELT kann vor diesem Hintergrund als Beitrag zu diesen Debatten über die Zukunft von Gebäuden und gesellschaftlichem Miteinander gelesen werden, die in den 1960er Jahren eine große Rolle spielten. Abb. 36: Hauptdiagramm für den Lageplan des THINKBELTS. Der Plan zeigt den Verbund aus Gebäuden und Infrastrukturen.
Price Vorschlag ist die Verbindung von Bildungsinstitutionen mit der lokalen Bevölkerung. Er interpretiert damit auf ganz innovative Weise die von den englischen Architekten ›geliebten Universitäten‹ (Hardingham/Rattenbury/Price 2007, S. 69) um und stellt sie in einen neuen gesellschaftlichen Bezugsrahmen. Dabei verfolgte er unter anderem das Ziel, von den gestalterischen Zwängen abzukommen und das zu gestaltende Problem und die damit verbundenen sozial-räumlichen Fragen in den Mittelpunkt zu rücken (ebd., S. 83). Vor seinen Überlegungen zum POTTERIES THINKBELT soll Price in einem Gespräch mit dem Bildungsminister dessen konventionellen Umgang mit Bildungseinrichtungen und -neubauten kritisiert und einen Zeitgemäßeren gefordert haben:
144 LANDBAHNHÖFE »›Look, you are doing this all wrong – you are just putting up a few monuments to a medieval sense of learning. Why don't you really think about what education is about, what learning is about? How people access it?‹ And Kennett replied: ›If you are so clever, why don't you do it?‹ So Cedric said: ›I bloody well will, then.‹« (Ebd., S. 103).
Mit seinem darauf folgenden POTTERIES THINKBELT regte und regt er nicht nur Fragen der Gestaltung von Bildungseinrichtungen an, sondern macht auch alternative Finanzierungs- und Umnutzungsstrategien vorstellbar. »One could very easily imagine an amazing new proposition that combines the regeneration budget with the educational budget, with cross-subsidies for transport investment, which would become a sustainable program, involving the use of public transport, the re-use of existing infrastructure and assets« (ebd., S. 73).
Diese Überlegung, leerstehende Bahnhöfe in Bildungseinrichtungen zu integrieren, hat auch Elisabeth von Thadden in der ZEIT als eine von »Sieben Ideen, wie die Universität der Zukunft aussehen könnte« (von Thadden 2017) am Beispiel des zur Pfefferminzbahn gehörenden Bahnhofes in Großheringen angesprochen.5 Sie wählt leerstehende Landbahnhöfe als Ausgangspunkte für ihre Überlegungen zu einer zukünftigen Universitätslandschaft, da die »Bauhistorie […] [der Gebäude] noch nicht verstummt ist«, »etwas gartenbautaugliches Land drum rum« liegt, sich »eine Stadt möglichst in E-Bike-Nähe« befindet und auch »eine oder zwei der bewährten deutschen Staatsuniversitäten […] in Reichweite [sind], wegen der Bibliotheken und der Labore« (ebd.). In ihrem Konzept entwarf von Thadden eine »kleine radikale Universität«, in der die Studierenden drei Jahre vor Ort blieben, sich mit einer spezifischen Frage auseinandersetzten und sich dabei um den Garten sowie die Energiegewinnung kümmerten, »[u]m Kraft zu tanken. Um Verlorenheiten in Verbindlichkeit zu verwandeln. Um die umgebende Wirklichkeit außerhalb der Köpfe und Bildschirme buchstäblich
5 Zum Zeitpunkt, als der Artikel erschien, war das Bahnhofsgebäude in Großheringen bereits abgerissen.
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fruchtbar zu machen« (ebd.). Die Autorin imaginiert den Landbahnhof als einen Ort, an dem in ländlicher Abgeschiedenheit städtische Lebenswelten realisierbar scheinen und an dem die zentralen gegenwartsbezogenen Frage- und Problemstellungen abseits der (post-)modernen Lebenswelten der Großstädter bearbeitet werden – und suggeriert dabei, dass die Zukunft moderner Gesellschaften eben auch im Ländlichen liege. Die mögliche Vernetzung ruraler und urbaner Lebenswelten – ganz im Sinne rurbaner Netzräume – wird sowohl an dieser kleinen von von Thadden aufgezeichneten Utopie als auch an dem von Price vorgeschlagenen Konzept zur Umgestaltung einer ganzen Gegend deutlich. Die Visionen Prices und von Thaddens blieben utopische Konzepte. Die dargestellten Möglichkeiten zur Um- und Weiternutzung von Bestandgebäuden beeinflussen jedoch auch zukünftige Denkmodelle und Planungen. So ist nach Price der Sinn des THINKBELTS das Hinterfragen von Feststehendem. Dabei ging es ihm weniger um »the usefulness at the time that it is useful« (Hardingham/Rattenbury/Price 2007, S. 119) als vielmehr um ein planerisches Prinzip: »questioning its longevity, questioning its life, questioning why we safe things« (ebd.). Auch wenn er viele Aspekte seines Projektes für überflüssig hielt, so sind die Themen wie »mobility, the community change, the reuse of land and the whole attitude to communications, to thinking and to change« (ebd.) dem Projekt notwendig inhärent. Das Ziel des Projektes war es vor allem, einen Denkprozess anzustoßen und für eine Gegend eine möglichst ›gesunde‹ Entwicklung zu imaginieren und planerisch vorzuschlagen. Vielleicht flossen die Überlegungen von Price in das Konzept der ›Wanderbahnhöfe‹ in Brandenburg mit ein. Wanderbahnhöfe sind Teil des Projektes ABGEFAHREN, LOSGEWANDERT. Ziel dieses Projektes ist es, über eine Website das Planen von Wanderungen zu unterstützen, indem Wanderwege mit öffentlichen Verkehrsmitteln verknüpft werden.6 In diesem Projekt werden die verbindenden Qualitäten der bestehenden Infrastruktur genutzt, deren Teil die kleinen Bahnhöfe sind. Das bestehende Wandernetz wurde im
6 Zu finden ist diese Website unter: www.wanderbahnhoefe-brandenburg.de (aufgerufen am 18.10.2018).
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Rahmen des Projektes aufgearbeitet und mit dem Schienennetz abgestimmt. Bestehende Haltepunkte und Bahnhöfe gewinnen so an Bedeutung. Sie werden zu Repräsentanten des Wandernetzes, woraus sich auch Umnutzungen der Gebäude ergeben haben (siehe die Bahnhöfe Melchow und Rehfelde im Anhang). Landbahnhöfe als Ressourcensystem Das Konzept von Price, die Idee von Thaddens sowie das Projekt der Wanderbahnhöfe in Brandenburg illustrieren die Kernthese des hier verfolgten Ansatzes, dass Landbahnhöfe mit dem dazugehörigen Schienennetz ein zusammenhängendes infrastrukturelles Netzwerk bildeten und in anderen Nutzungszusammenhängen wieder bilden können. Sie stellen so betrachtet ein Ressourcensystem dar. Jedem Teil dieses Netzes waren ursprünglich bestimmte Funktionen zugeschrieben, die darüber hinaus, bei intaktem System, qualitativ über das Einzelne herausgehende Gesamtfunktionen erfüllten. Die einzelnen Bahnhöfe entlang der Pfefferminzbahn etwa hatten ortsspezifische Merkmale – sei es der notwendige Aufzug in Sömmerda, die Zuwegung und Unterstellmöglichkeiten am Bahnhof Weissensee oder der an den Wohnraummangel angepasste Gebäudegrundriss in Olbersleben. Durch die scheinbar punktuellen Verbesserungen und kontinuierlichen Anpassungen an die sich ändernden Anforderungen wurde mit der Pfefferminzbahn als zusammenhängendes System im Zuge der 100-Jahrfeier 1974 rückblickend eine »zukunftsfrohe« (LATh – HStA Weimar, Nr. A803, Bl.19r) Zeit verbunden. Jeder einzelne Knotenpunkt konnte das Gesamtsystem nachhaltig verändern und gestalten. Dabei avancierten die Landbahnhöfe bereits zur Zeit ihrer Blüte zu materiellen, sozialen und imaginären Ressourcen – sie wurden weiter- und umgebaut, mit ihnen konnte man den sich modernisierenden gesellschaftlichen Anforderungen gerecht werden und sie boten einen Ausgangspunkt für entwerferische Innovationen. Diese funktionalen Zusammenhänge können als Ressourcenzusammenhänge verstanden werden, deren Potential wesentlich durch Zuschreibungen von Möglichkeiten bestimmt wird. Die Politik- und Wirtschaftswissenschaftlerin Elinor Ostrom hat intensiv zu kollektivem Handeln von Individuen und deren Nutzung von Ressourcen geforscht, wobei sie sich vorrangig auf natürliche Ressourcensysteme bezog. Nach Ostrom (1999) bestehen Ressourcen-
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systeme aus Ressourceneinheiten, die individuell unterschiedlich angeeignet werden, sich dabei aber immer auf ihr jeweiliges Ressourcensystem beziehen. Beispiele lassen sich etwa in der kollektiven Nutzung von Wasserressourcen oder Gebirgsweiden finden. Da eine Ressource stets für bestimmte Zwecke genutzt wird, geht es bei der Betrachtung von leerstehenden Landbahnhöfen vor allem um deren materielle, soziale und imaginäre Ressourcenfähigkeit. Analog zu natürlichen Ressourcensystemen können die in Reihe geschalteten Landbahnhöfe als Ressourcensystem verstanden werden. Im Gegensatz zur Betrachtung natürlicher Ressourcensysteme müssen im Zusammenhang mit der ›Landeisenbahn‹ als Ressourcensystem auch die Aufgaben der derzeit unbefahrenen bzw. sporadisch genutzten Schienen definiert werden. Die Landbahnhöfe als einzelne Ressourceneinheiten können, wie die Fallbeispiele gezeigt haben, sehr gut losgelöst von dem Gesamtsystem genutzt werden. Für das Ressourcensystem der Landeisenbahn, bestehend aus Landbahnhöfen, Verbindungsschienen und Fahrzeugen, stellt sich die Frage nach den Funktionen, die ein wieder zusammenhängendes Ressourcensystem erfüllen kann7. Dabei sind möglicherweise im Vergleich zur Betrachtung einzelner, losgelöster Gebäude größere Effekte und Impulse auf das Raumgeschehen des interpretierten Systems zu erwarten und planerisch zu entwerfen.
7 In den gegenwärtigen Debatten um nachhaltige Mobilität geht es vor allem um multimodale Verkehrskonzepte (u. a. WWF Deutschland et al. 2014). Die gegebenen Bahnstrecken können Teile multimodaler Nutzungen sein – »(Leih-)fahrräder, Pedelecs, […] und ein […] vielfältige[s] Angebot an elektrisch betriebenen Carsharing-Fahrzeugen, die, je nach Bedarf, in unterschiedlichen Größen im öffentlichen Raum bereit stehen« (ebd., S. 13). Derartige Nutzungen können mit dem Schienennetz und den Bahnhöfen in Verbindung gebracht werden.
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Prototypische Nutzungsszenarien zu Ressourcensystemen Ressourcenqualitäten und -erträge sind ganz wesentlich abhängig von der Art und Weise ihrer (Be-)Nutzung. Die Untersuchung bereits umgenutzter Landbahnhöfe hat Nutzungsstrategien offengelegt, die in drei Mustern zusammengefasst werden können (siehe Kap. 3). Die individualisierten Bahnhöfe dienen unter anderem der Versorgung, der Erholung und der Nachbarschaft. Im Folgenden soll die Übertragbarkeit dieser Umnutzungsmuster für leerstehende Landbahnhöfe insbesondere im Hinblick auf die verbindende Revitalisierung mehrerer Bahnhofsgebäude entlang einer gemeinsamen Strecke konzeptionell geprüft werden. Ziel ist es, in Szenarien zu skizzieren, wie die entlang einer Strecke ›in Reihe geschalteten‹, leerstehenden Landbahnhöfe wieder ein zusammenhängendes System aus Knotenpunkten und Verbindungslinien zur nachhaltigen Raumentwicklung ländlicher Regionen darstellen und so verschiedene Vernetzungsmuster etabliert bzw. gestärkt werden könnten. Die vorgestellten, exemplarischen Nutzungsweisen stehen dabei stellvertretend für eine Reihe denkbarer Nutzungen. Sie sollen Möglichkeiten zur Stärkung ländlicher Regionen aufzeigen und damit auch Teil einer aktiven Veränderung gegenwärtiger Raumvorstellungen sein. Dafür werden im Folgenden drei imaginäre Typisierungen von Ländlichkeit aufgenommen und anhand planerischer Szenarien verarbeitet. Zum einen wird der ländliche Raum als idyllischer Ort (z. B. Baumann 2016), mit dem Gemeinschaft und Erholung verbunden wird, imaginiert. Zum anderen gilt er als hochindustrialisierter und globalisierter Produktionsraum (Oswalt 2017), der vor allem der Versorgung der Bevölkerung dient. Und drittens sind es die Bilder der ›Leere‹, die den ländlichen Raum als strukturschwach darstellen (Beetz 2008, S. 572). Insbesondere für das großräumige Entwerfen ergibt sich daraus das breite Aufgabenfeld, denkbare Raumnutzungen aus dem Vorhandenen zu entwickeln und vorstellbar zu machen, um sie in die Diskussionen mit lokalen Akteuren einzubringen. Dabei wird das Vorhandene interpretiert und in neue Sinnzusammenhänge gesetzt. Indem die materiellen, sozialen und imaginären Ressourcenpotentiale leerstehender Landbahnhöfe Beachtung finden – nämlich
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deren baulich-räumliches Verbindungspotential, ihr Potential als gesellschaftliche Schnittstelle sowie das Potential einer zu Imaginationen auffordernden Leerstelle –, wird das Verständnis von Landbahnhöfen als Teil eines Ressourcensystems im Sinne Ostroms nachvollziehbar. Das bedeutet, die einzelnen Landbahnhöfe nicht abgekoppelt und individualisiert zu bearbeiten, sondern als Teil eines Systems zu betrachten, das zur Wiederbelebung strukturschwacher Regionen beitragen kann. Auch wenn es bei diesem Ansatz, die Landbahnhöfe als Teil eines Systems zu denken, eine Tendenz zu den Auffassungen der 1960er Jahre gibt, nämlich dem Entwerfen und Konzipieren von zusammenhängenden Raumstrukturen anstatt von einzelnen, freistehenden Gebäuden (vgl. Vrachliotis 2017, S. 34), soll es dabei »nicht zu einem anti-technischen Reflex kommen, bei dem man Gefahr läuft, sich in sozialromantischen Bildern vergangener Tage zu verlieren« (ebd., S. 35). Aufbauend auf den bisherigen Erkenntnissen zur Produktion eines rurbanen Netzraumes und der Umnutzung von leerstehenden Landbahnhöfen sollen stattdessen die mit ›dem Land‹ verbundenen positiven und negativen Charakteristika, u. a. das Erholungspotential, das nachbarschaftliche Leben, die Verfügbarkeit von Raum und Fläche, aber auch die fehlende Versorgung ländlicher Regionen, in Szenarien thesenartig skizziert werden, um eine mögliche Grundlage für zukünftige Planungsprozesse zu bieten. Dabei werden die Erkenntnisse aus den Untersuchungen der vorangegangenen Fallbeispiele (Kap. 3) herangezogen. Dargestellt werden exemplarische Systeme mit Nutzungsschwerpunkten, die sich auf spezifische Raumzuschreibungen beziehen. Darunter fallen sowohl ›Defizite‹ (Fenske/Hemme 2015), wie die Versorgungssituation vieler ländlicher Räume, als auch die Stärken als Möglichkeitsraum für Wünsche und Vorstellungen eines gesunden Lebens auf dem Land – sowohl im Sinne eines temporären Erholungsraumes als auch im Sinne eines dauerhaften Lebensmittelpunktes. Landbahnhöfe haben in diesem Zusammenhang Ressourcenfähigkeiten, die eine nachhaltige Entwicklung der Region fördern können. Es werden Perspektiven einer denkbaren Landschaftsentwicklung aufgezeigt und deren mögliche Relevanz und Reichweite diskutiert. Dafür wird zunächst für die jeweilige Perspektive die spezifische Ausgangslage beschrieben, um daran anknüpfend das entsprechende Nutzungskonzept vorzustellen. In Anlehnung an
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die vorangestellten Analysen einzelner Landbahnhöfe werden die daraus denkbaren geographischen Reichweiten beschrieben. Die drei Nutzungsweisen werden exemplarisch auf den Erdgeschossgrundriss in Buttstädt übertragen (Abb. 38, 41, 44). Die Vorschläge für Nutzungen orientieren sich an den jeweils beschriebenen prototypischen Szenarien. Dabei soll die Flexibilität und mögliche Vielfalt der Grundrisse von Landbahnhöfen illustriert werden. Die Szenarien stellen damit mögliche Handlungsvorschläge dar, wie leerstehende Landbahnhöfe entlang einer Strecke interpretiert und genutzt werden könnten und machen das Potential der vorhandenen architektonisch-infrastrukturellen Ressourcen deutlich. Das szenarische Vorgehen und die Ansätze sind auch auf andere sozial-räumliche Kontexte übertragbar. Versorgungsnetz – Gesund im Verbund Ausgangslage: Der demographische Wandel zeigt sich besonders stark in ländlichen Regionen. Schrumpfung, Alterung sowie massive Binnenmigration von den ländlichen Regionen in die urbanen Zentren prägen weltweit das aktuelle Gesellschaftsbild (Oswalt 2013, S. 6). In der Folge haben ländliche Regionen häufig mit einem Mangel an Grundversorgungseinrichtungen zu kämpfen – Nahrungsmittel, Bildungseinrichtungen oder ärztliche Versorgung sind häufig nur über große Distanzen erreichbar. Zusätzlich wird der öffentliche Nahverkehr vielerorts eingestellt, weil die für einen rentablen Betrieb notwendigen Nutzerquoten nicht mehr erreicht werden, so dass für viele Bewohner der private PKW unumgänglich ist (Greiner 2000). Um zu Versorgungseinrichtungen zu kommen, müssen viele Bewohner ländlicher Räume weite Strecken in die nächstgelegenen Orte zurücklegen: Meist sind sie nur auf regionaler Ebene erreichbar (Abb. 37). Häufig bleibt jedoch die ältere Generation zurück, für die bei fehlendem öffentlichen Nahverkehr und zunehmend größeren Distanzen zu den medizinischen Versorgungseinrichtungen oft die einzige Möglichkeit der Umzug vom Land in die Städte ist, wo die Versorgungszentren erreichbar sind. Viele ältere Menschen wollen jedoch nicht aus ihrem bekannten Umfeld wegziehen, sondern Teil ihres gewohnten gesellschaftlichen Lebens bleiben. Der dennoch häufige Fortzug älterer Leute in die Städte erfolgt dann aus
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unterschiedlichen Motiven. Dabei sind zwei Tendenzen zu beobachten: Es gibt zum einen Menschen, die vorsorglich umziehen, was allerdings nur unternommen wird, »wenn ein bestimmter Auslöser die Vorteile altengerechten Wohnens für den Haushalt erkennbar macht« (Scheiner/Reuschke/Friese 2011, S. 1). Deshalb ziehen zum anderen die meisten Menschen erst um, wenn ihr gesundheitlicher Zustand bereits einen selbstständigen Alltag erschwert bzw. unmöglich macht. Abb. 37: Versorgungsbeziehungen im ländlichen Raum. Zu den Versorgungseinrichtungen in den Städten müssen z. T. weite Strecken in Kauf genommen werden.
Insbesondere die ärztliche und medizinische Versorgung auf dem Land stellt sich häufig und zunehmend als Problem dar, da es zu wenig Ärzte auf das Land zieht, trotz eines »ganzen Strauß[es] an Maßnahmen« (Reinhard 2017), wie beispielsweise Stipendien für
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sich als Landarzt verpflichtende Studierende oder günstiges Bauland und Hilfe bei der Praxisausstattung. Um dem Problem fehlender Ärzte auf dem Land entgegenzuwirken, werden bereits Modelle wie beispielsweise die »Satellitenpraxis« (ebd.) gedanklich durchgespielt. Bei diesem Modell teilen sich mehrere Ärzte eine Praxis, so dass die Patienten regelmäßig verschiedene Ärzte an einem Ort konsultieren können. Dennoch steht das Leben auf dem Land »deutlich an der Spitze der Wohnwünsche der Bundesbürger« (Henkel 2016b, S. 27). 45 % der Bevölkerung würden, wenn eine Wahl unabhängig von der finanziellen Situation oder anderen Rahmenbedingungen möglich wäre, auf das Land bzw. in ländliche Gemeinden ziehen, ein Drittel der Bevölkerung würde Klein- oder Mittelstädte wählen (33 %) und ein Fünftel (21 %) würde sich für die Großstadt entscheiden (ebd.). Personen ab 30 Jahren finden das Leben auf dem Land nach einem Bericht der Bundesstiftung Baukultur besonders attraktiv (2015). Sie suchen eine im Vergleich zur Stadt größere Freiheit, Gemeinschaft, Bodenständigkeit und Einfachheit des Alltagslebens, mehr Zeit und Ruhe sowie einen stärkeren Bezug zur Natur (Rössel 2014, S. 222). Sie sind auch angezogen von kostengünstigerem Wohnraum. Der Zuzug junger Familien ist für die ländlichen Regionen ein großer Gewinn. Sie sind das sogenannte ›Humankapital‹ (Henkel 2016b, S. 93), von dem die Regionen profitieren können. Dorfkerne könnten lebendigere Orte darstellen, in denen die »gelebte Solidarität zwischen den Generationen« (ebd., S. 94) durch gegenseitige Unterstützung wieder zunimmt. Viele gegenwärtige Arbeitsplätze setzen zuverlässige und hohe Mobilität voraus und erfordern schnelle Funkverbindungen. Im Zuge des stattfindenden und politisch geplanten Ausbaus der Netzanschlüsse kann davon ausgegangen werden, dass »ein wesentlicher Teil der Standortnachteile des Dorfes behoben werden kann« (ebd., S. 37). Ein Zuzug junger Familien kann dazu führen, dass durch mehr Engagement in Vereinen, Kirchengemeinden oder der Kommunalpolitik die »Identifikation mit der lokalen Gemeinschaft durch aktive Beteiligung« (ebd., S. 97) gestärkt wird. Soziale, lebendige Dörfer auf dem Land können dafür sorgen, dass Jugendliche nach Berufsausbildung, Studium oder Auslandsaufenthalten in ihre Heimatregionen zurückkehren (ebd.).
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Nutzungskonzept – Gesund im Verbund Die Symbiose von Alt und Jung, von Eingesessenen und Zugezogenen scheint ausschlaggebend für die Attraktivität ländlicher Räume und damit für das generationenübergreifende zukunftsfähige Zusammenleben. Gemeinschaftliche Räume, die der Freizeit, Gemeinschaft, medizinischen Versorgung, Bildung etc. dienen, können eine Grundlage dafür bieten. Dafür dürfen sie jedoch nicht die eine oder andere Gruppe einseitig begünstigen, sondern alle Generationen einbeziehen können. Die Nutzung von Landbahnhöfen im Verbund kann für die Verbindung der Generationen, aber auch für die Verbindung von Stadt und Land zu einem wichtigen Modell werden, denn sie haben das Potential, als Ressourcensystem eine ausreichende medizinische und infrastrukturelle Versorgung zu gewährleisten. Die Bahnhöfe würden in diesem Rahmen vernetzte Anlaufstellen der Versorgung darstellen. Damit könnten sie über ihre ursprünglichen Funktionen als ›Tor zum Ort und Zugang zur Welt‹ hinaus bestehende Lücken in der Versorgung ländlicher Regionen füllen und dabei gleichzeitig Dörfer und Gemeinden (wieder) verbinden und so die Attraktivität von Regionen stärken. An diesem Szenario wird die Relevanz und das Potential ehemals verknüpfter und wieder zu verknüpfender Infrastrukturen im ländlichen Raum als vor allem soziale Ressource deutlich. Die einst vernetzende Infrastruktur wird aufgegriffen, um dem Bedürfnis nach Stärkung von räumlich-kulturellen Netzwerken und Beziehungen im ländlichen Raum nachzukommen und den Defiziten vieler strukturschwacher Regionen durch die Wiederaufnahme und Weiterentwicklung der gegebenen Infrastruktur eine positive Alternative gegenüber zu stellen. Die notwendige Grundversorgung – sei es die Pflege, die Bildung oder aber das Angebot an Freizeitveranstaltungen – ist eine Quelle für ein generationenübergreifendes Zusammenleben, das den ländlichen Raum stärken und damit lebenswerter machen kann. Der Ansatz des Versorgungsnetzes knüpft an die Wiederherstellung eines ausgewogenen Generationenverhältnisses im ländlichen Raum an. Dem starken Bevölkerungsrückgang durch Wegzug und Überalterung soll eine Möglichkeit gegenübergestellt werden, dieser Abwärtsspirale entgegenzuwirken. Es gibt bereits viele Initiativen, die die Versorgung der Bevölkerung in ländlichen
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Regionen sicherstellen sollen wie bspw. durch mobile Einkaufsmöglichkeiten oder fahrende Arztpraxen8. Das hier vorgeschlagene Nutzungskonzept orientiert sich an dem Bedürfnis notwendiger Versorgung unter Berücksichtigung der aufzuhaltenden Bevölkerungsentwicklung. Wie kann das Netzwerk von Landbahnhöfen an intakten Schienensträngen dem Trend des Wegzugs der Bevölkerung entgegenwirken? Der Umzug der älteren Bevölkerung stellt in den ländlichen Gebieten häufig ein Problem dar: Es gibt wenig Anreize, die häufig großzügigen ›eigenen vier Wände‹, damit das bekannte soziale Umfeld zu verlassen und stattdessen in Pflegeeinrichtungen auf unbekanntem ›Terrain‹ zu ziehen. Die entlang eines Streckennetzes leerstehenden Landbahnhöfe könnten diesem Kreislauf eine Möglichkeit altersgerechten Lebens bei gleichzeitigem Verbleib im bekannten Umfeld entgegensetzen: Wenn die Bahnhofsgebäude altersgerechte Wohnungen für die Bewohner der zu dem Bahnhof gehörenden Ortschaften enthielten, ist zwar ein Umzug aus den eigenen vier Wänden notwendig, das bekannte, soziale Umfeld bliebe jedoch bestehen. Das System aus repräsentativen Bahnhofsgebäuden, funktionsfähigen Schienen und für die Zwecke der Versorgung angepassten Fahrzeugen kann eine tragende Rolle bei der Versorgung ländlicher Regionen spielen und so einen Kontrapunkt zur derzeitigen demographischen Entwicklung setzen. Die einzelnen Bahnhofsgebäude können dabei zu Teilen eines ganzen Versorgungssystems werden.9 Die Fallbeispiele (Kap. 3) haben gezeigt, dass die Grundrissstruktur von Landbahnhöfen Räume unterschiedlicher Qualitäten für Wohn- und Gemeinschaftsräume bieten kann. Im Erdgeschoss mit den ehemaligen großräumigen Wartesälen sind
8 Siehe zum Beispiel die »Rollende Arztpraxis« als Maßnahme des Landesprojektes »Gesundheitsregionen Niedersachsen« (siehe dazu http://www.rollendearztpraxis.de/Startseite/, aufgerufen am 19.10.2018) oder »Sparkassenbusse« (siehe dazu https://rp-online.de/wirtschaft/finanzen/bus-statt-bankfiliale-spar kassenbus-so-funktioniert-geldversorgung-auf-dem-land_aid-19470919, aufgerufen am 19.10.2018). 9 So finden sich hier u. a. mehrere Konzepte wie Generationenparks oder Generationenhäuser.
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Gemeinschaftsräume möglich, in denen Veranstaltungen wie Tanznachmittage, Cafés, Film- oder Theatervorführungen stattfinden könnten. Auch können eine geräumige Küche sowie notwendige Zugänge zu Fahrstuhl und Treppe eingerichtet werden. Außerdem können ärztliche Konsultationsräume oder auch Postämter untergebracht werden. Die ehemaligen Obergeschosse der Landbahnhöfe könnten altersgerechte Wohnräume verschiedener Größe bieten. Beispielhaft lässt sich diese potentielle Umnutzung an einer möglichen Transformation des Warteraumes in Buttstädt nachvollziehen (Abb. 38). Die leerstehenden Bahnhöfe entlang einer Strecke ließen sich nach diesem Muster umfunktionieren. Abb. 38: Buttstädt – Versorgung. Zwei zentrale Erschließungsachsen teilen das Erdgeschoss in drei separat nutzbare Bereiche. Von dem zentralen Eingang können so über ein Café auf der einen Seite ein Veranstaltungsraum und auf der anderen Seite Praxisräume erschlossen werden.
Die Bahn, die ohne großen Aufwand zu erreichen ist, könnte die Bewohner und auch Güter zwischen den einzelnen Standorten befördern, so dass ein Austausch zwischen den Ortschaften möglich wäre. In einem solchen Versorgungsnetz bieten die Gebäude Wohn- und Versorgungsräume, wohingegen die Eisenbahnen die infrastrukturelle Verbindung zwischen den einzelnen Ortschaften herstellen.
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Im Rahmen dieses Versorgungsnetzes könnten Räume geschaffen werden, die verschiedene nachbarschaftliche Szenarien zulassen, die sowohl für Zuziehende aus der Stadt als auch für Alteingesessene vom ›Land‹ attraktiv sein können. So ist es vorstellbar, dass Landärzte, nach denen händeringend gesucht wird, vor allem von der direkten Vernetzung zwischen den Bahnhöfen und damit Dörfern profitieren. Der Arzt erreicht seine Patienten im nächsten Bahnhof ohne aufwändige Anfahrtswege. Es ist auch denkbar, dass gesundheitsorientierte Dienstleister (wie z. B. Physiotherapeuten oder Yogalehrer) Interesse am Leben auf dem Land haben, die Vorstellung einer eigenen Praxis bzw. eines eigenen Studios jedoch vor dem Hintergrund einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung schwer fällt. Indem eine solche Praxis oder ein Studio Teil eines Versorgungnetzes ist, vergrößert sich jedoch das Einzugsgebiet. Die Möglichkeit ländliches Leben mit gut frequentiertem Arbeitsplatz zu verbinden, könnte so gegeben werden. Durch ein Versorgungsnetz würden die Bahnhöfe zentrale Versorgungseinrichtungen und Kulturzentren sowohl für die Bahnhofsbewohner selbst als auch für die Bewohner der Umgebung sein. Die einzelnen Versorgungsangebote sollten sich dabei nicht ausschließlich auf die ältere Bevölkerung beziehen. Stattdessen sind Versorgungszentren, die Angebote für große Teile der Bevölkerung schaffen, anziehender: Apotheken, Reformhäuser, Fitnessstudios, Physiotherapien, aber auch Arztpraxen als Teil von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) in den Bahnhöfen würden die Strecke zu einem neuen Impulsgeber in Regionen machen, in denen es an Versorgungseinrichtungen mangelt. Ein Versorgungsnetzwerk dieser Art ist ein Dienstleistungsnetzwerk, das einen sozialen, rurbanen Netzraum entscheidend prägen kann. Die Relevanz und Reichweite dieses Verbundes wird – so die Annahme – vor allem auf regionaler Ebene stark sein (Abb. 39). Dieses Versorgungssystem ist an das Beispiel in Erlau angelehnt, das vor allem auf lokaler Ebene Einfluss hat. Durch die Verbindung der einzelnen Gebäude untereinander vergrößert sich der Netzraum – indem die einzelnen Ortschaften verknüpft werden, erweitert sich das Einzugsgebiet der Nutzer und damit das Netzwerk. Ein Verbund dieser Art wäre über die gegebenen Schienenstränge angebunden an ein regionales Infrastrukturnetz, so dass
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der ›Zugriff‹ auf die Grundversorgungseinrichtungen auch aus größeren Distanzen realistisch scheint. Es wäre eine regionale Versorgungsinfrastruktur, die mehrere Gemeinden und Dörfer verbindet, nach dem Motto: ›Gesund im Verbund‹. Abb. 39: Ein Versorgungsnetz erlaubt die lokale Versorgung. Angrenzende Ortschaften im ländlichen Raum profitieren davon. In den Bahnhöfen befinden sich die notwendigen Versorgungseinrichtungen. Das Versorgungsnetz bereichert die bestehenden Strukturen.
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Erholungsstrecke – Rückzug am Zug Ausgangslage: Dem vorstehenden und im Wesentlichen Mängel behebenden Szenario steht das folgende gegenüber, das vor allem noch gegenwärtige vorhandene und wirksame Imaginationen des Ländlichen als Idylle – in der Erholung, Ruhe und Naturverbundenheit den Alltag bestimmen – aufnimmt und verarbeitet. Das Interesse am vermeintlich idyllischen Landleben spiegeln unter anderem die hohen Verkaufszahlen der Landmagazine wider.10 Diese Tendenz zeigt sich auch an Praktiken in der Stadt, in die vermeintlich ländliche Handlungsweisen zunehmend in die Alltagsabläufe integriert werden. Insbesondere Gemeinschaftsgärten verdeutlichen den Wunsch nach gemeinschaftlichen, lebensnahen Praktiken wie das gemeinschaftliche Anbauen und Ernten von Obst oder Gemüse inmitten von Großstädten.11 Auf dem Land jedoch scheinen die Ideale ländlicher Lebensweisen viel seltener tatsächlich realisiert zu werden. Viele Bewohner ländlicher Regionen pendeln in die größeren Städte zu ihren Arbeitsplätzen, nutzen die städtischen Einkaufsgelegenheiten und leben in Orten und Gemeinden schwindender Bevölkerung, sodass auch das mit dem Landleben verbundene gemeinschaftliche Leben schwindet (vgl. Hauss/Land/ Willisch 2006). Dennoch ist nach einem Bericht des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) zu beobachten, dass viele Städter das Land im Zuge des gegenwärtigen Landtrends als idyllischen Erholungsraum aufsuchen (Ebert et al. 2017). So verstehen 85 % der Menschen in Deutschland den ländlichen Raum als Ort der Erholung und Freizeit (BMEL 2016, S. 8). Viele Städter zieht es an den Wochenenden oder in den Ferien auf das Land. Nach Henkel sind insbesondere traditionsreiche Orte und Regionen mit ausgeprägter regionaler Identität attraktiv für Besucher (2016b, S. 131).
10 Die Verkaufszahlen des Landmagazins LANDLUST stiegen von 2006 mit 130.000 Auflagen auf über 1 Mio. Exemplare knapp zehn Jahre später (www.ivw.eu). 11 Häufig werden diese Gärten zu interkulturellen Treffpunkten, an denen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund gemeinsam wirtschaften. Eines von vielen Beispielen sind in diesem Zusammenhang die Prinzessinnengärten in Berlin. Siehe dazu: http://prinzessinnengarten.net/
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Auf der Suche nach dem geeigneten Erholungsort auf dem Land stehen »sowohl das ›natürliche‹ als auch das ›kulturräumliche Erholungspotential‹ einer Landschaft im Vordergrund« (ebd., S. 117). Demnach haben Landschaften mit einer abwechslungsreichen Topographie, vielfältigen und kontrastreichen Landnutzung und Gewässern bzw. Waldrändern einen hohen Erholungswert. In Korrelation dazu steht das kulturräumliche Erholungspotential, das durch ›schöne Landschaftsbilder‹, die sich aus »schöne[n] Orts-, Flur- und Waldbilder[n], aber auch einzelne[n] Bau- und Naturdenkmäler[n] wie Burgen, Schlösser, Mühlen, Parkanlagen, Quellteiche[n]« (ebd.) zusammensetzen lassen und auf deren Suche sich die Objektive der Besucherkameras richten, vermittelt wird. Die Nutzung dieser natürlichen und kulturellen Ressourcen kann somit Bewohnern und Besuchern ländlicher Regionen gleichermaßen »vielfältige Möglichkeiten der Erholung und Freizeitnutzung« (ebd.) bei »standortgerechte[r] Wertschöpfung« (ebd.) bieten. Zur Unterbringung, aber auch Freizeitgestaltung der Besucher, kann der ländliche Raum sein naturräumliches und baukulturelles Potential nutzen. Dadurch gewinnt er nicht nur an Attraktivität, sondern auch Arbeitsplätze. Die Stärke ländlicher Regionen liegt also in ihren »weitflächigen natürlichen Ressourcen [die neben] nutzbare[m] Boden für Ackerbau, Viehzucht, Holz- und Energiewirtschaft, Wasser als Rohstoff und Energielieferant oder Sonne und Wind als Energiequelle« (ebd., S. 33) auch abwechslungsreiche Freizeitnutzung und Tourismus ermöglichen. So wählten 21 % der Familien mit kleinen Kindern und 17 % ältere Paare als Ferienorte Bauernhöfe auf dem Land (N.I.T. Statista 2017). Nicht nur für Familien und Ältere ist ›das Land‹ ein Erholungsund Rückzugsraum. Auf der Suche nach Rückzugsorten erlangen abgeschiedene Orte im ländlichen Raum neue Bedeutung. So erfreuen sich seit einigen Jahren Klosteraufenthalte immer größerer Beliebtheit. Die Menschen, die für eine Auszeit in ein Kloster gehen, verfolgen dabei häufig nur untergeordnet religiöse Absichten. Aufenthalte in Ruhe und Stille, die Klöster schon seit einiger Zeit vielerorts anbieten, wirken zugleich »unvermindert anziehend auf Gestresste jeglichen Glaubens, die durch ihren überfrachteten Alltag taumeln« (Kals 2017). Orte der Erholung befinden sich vereinzelt im ländlichen Raum. Die Besucher nehmen die z. T. weiten
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Strecken auf sich, um die punktuell interessanten Orte zu erreichen, die selten in einem Zusammenhang stehen (Abb. 40). Abb. 40: Der ländliche Raum wird als Ort der Ruhe und Erholung wahrgenommen. Punktuelle Erholungsorte werden aufgesucht.
Das folgende Nutzungskonzept nimmt dabei – mit Blick auf die Dreiteilung der Ressourcenqualitäten – insbesondere das imaginäre Potential des ländlichen Raumes auf. Neben materiellen Ressourcen – wie leerstehende Bauernhöfe oder Klöster –, die bereits etablierte Erholungsorte auf dem Land sind, können die dem ländlichen Raum unter anderem zugeordneten Attribute wie Ruhe und Gemeinschaft gleichfalls in Umnutzungsstrategien von Landbahnhöfen als Erholungssystem einfließen.
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Nutzungskonzept – Rückzug am Zug Das Ziel einer Erholungsstrecke ist es, den unterschiedlichen Ansprüchen an Ruhe, Erholung, aber auch mögliche Urlaubsunterhaltung gerecht zu werden und somit eine Region für unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse in eine attraktive Erholungslandschaft zu transformieren. Dafür wird ein touristisches Nutzungskonzept vorgeschlagen, das die einzelnen Landbahnhöfe zwar angelehnt an ›städtische Liebhaberobjekte‹ als Erholungs-orte imaginiert, sie jedoch als Teile eines zusammenhängenden Erholungssystems denkt. Auch wenn der ländliche Raum als attraktiver Erholungsraum gesehen wird, profitieren von den steigenden Touristenzahlen vor allem die großen Städte. Nach einer Studie des BMEL »lauten die entscheidenden Schlagworte für die Stärkung des ländlichen Tourismus […] Vernetzung, Qualifizierung und Professionalisierung« (BMEL 2016, S. 33). An diese ›Schlagwörter‹ anknüpfend, scheint eine touristische Erholungsstrecke, deren Knotenpunkte die Bahnhöfe darstellen, eine mögliche Konzeptbasis zu sein. Dabei kann eine solche Erholungsstrecke beinahe den Charakter eines Freizeitparks haben. Freizeitparks »gelten als potentielle Leuchttürme der touristischen und regionalen Entwicklung« (ebd.), die jedoch sowohl negative ökologische Auswirkungen auf die Naturräume haben können als auch häufig mit schlechten Arbeitsbedingungen verbunden sind, da sie vor allem saisonal betrieben werden. Eine Erholungsstrecke, aufgespannt von Landbahnhöfen, könnte einen Freizeitraum beschreiben und dabei (im Gegensatz zu den herkömmlichen Freizeitparks) auf »Klimaneutralität oder die konsequente Einbindung regionaler Zulieferer« (ebd.) setzen. Die einzelnen Bahnhöfe könnten verschiedene Erholungsangebote bereitstellen, die über das Schienennetz miteinander verbunden sind. Ein Gebäude könnte der Kontemplation und Ruhe vor der Hektik des Alltags dienen, so wie andernorts Klöster. Andere Gebäude könnten als Wellnessoasen umgenutzt werden und wieder andere könnten, im Kontrast dazu, Räume für kulturelle Veranstaltungen bereithalten. Eine solche Angebotsvielfalt hätte zudem die Chance, zumindest in Teilen übersaisonal zur Verfügung zu stehen. Der Erdgeschossgrundriss des Bahnhofs in Buttstädt zeigt exemplarisch die mögliche Umgestaltung der Gebäudestruktur,
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die sowohl einen großzügigen Raum (für z. B. Konzerte, Fitness, Tanz) als auch die Rezeption eines kleinen Hotels erlaubt (Abb. 41). Die Landbahnhöfe als Ressourceneinheiten einer Erholungsstrecke können in Klausurzentren im Sinne eines Ortes am Netz ohne Netz, in Kulturvermittler als Bühne vor Ort, in Familienferienhäuser ohne notwendige PKW-Anreise oder auch in WellnessPensionen mit Spezialangeboten transformiert werden. Die Bahn würde als Voraussetzung für die Vernetzung der einzelnen Orte wieder eine tragende Rolle in der Verbindung der einzelnen Anlaufpunkte einnehmen, so dass die Besucher dieser Erholungsstrecke auch die Angebote in den benachbarten Landbahnhöfen nutzen könnten. Sie sichert die Mobilität der Besucher, indem sie das notwendige Verkehrsnetz für die Erkundungen der Umgebung stellt. Darüber hinaus könnte die Bahn als mobile Rezeption die Erholungssuchenden an zentralen infrastrukturellen Schnittstellen empfangen und zu den jeweiligen Orten befördern. Abb. 41: Buttstädt – Erholung. Auch hier wird die zentrale Achse des Gebäudegrundrisses aufgenommen, worüber die Erschließung eines Bewegungsraumes und eines Hotels erfolgt. Die Hotelzimmer befinden sich im Obergeschoss, im Erdgeschoss die Rezeption mit möglichem Sitzbereich. Zwei geschlossene Funktionskerne bieten Sanitärräume bzw. dienen der Erschließung. Sie erlauben außerdem einen flexiblen Umgang mit den Nutzungsbereichen.
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Eine solche Erholungsstrecke kann für den ländlichen Raum ein Impuls sein, entsprechende Angebote für die verschiedenen Interessen der Besucher zu etablieren. Dazu könnten neben Gastronomieangeboten auch Reiterhöfe oder Hofverkäufe aus regionaler Produktion gehören. Für die lokale Bevölkerung kann eine solche Erholungsstrecke auch neue Arbeitsplätze schaffen – nicht nur durch das konkrete Betreiben der Gebäude, sondern auch durch die Möglichkeit, Angebote für Touristen in den jeweiligen Orten zu schaffen. Als Regionen verbindendes Netzwerk würde eine solche Erholungsstrecke regional relevant sein. In Anlehnung an die ›städtischen Liebhaber‹ stellen die zusammenhängenden Erholungszentren einen Dienstleistungsverbund dar, an dessen nicht nur saisonalem Betrieb die lokale Bevölkerung entscheidend teilhaben könnte, da sie erheblich zur Bewirtschaftung der einzelnen Gebäude beitragen kann. Davon ausgehend, dass der ländliche Raum für viele Menschen als Erholungsraum gilt, ist es vorstellbar, dass ein solches Freizeitband Besucher nicht nur der näheren Umgebung, sondern auch aus größeren Entfernungen anzieht – es ist ein ›Rückzug am Zug‹. Die Ausstrahlung und Reichweite auf internationales Terrain hängt dabei stark vom Marketing der Strecke ab (Abb. 42).
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Abb. 42: Durch den Zusammenschluss von Erholungsorten entlang einer Erholungsstrecke wird deren mögliche Ausstrahlungskraft gesteigert und Besucher auch aus größeren Entfernungen erreicht.
Nachbarschaftsband – Siedlung am Gleis Ausgangslage: Zusätzlich zu den vorangegangenen Szenarien wird der ländliche Raum häufig als Ort der Gemeinschaft imaginiert und zwar neben seiner Funktion als Großproduzent landwirtschaftlicher Güter bzw. Raum ländlicher Idylle. Großflächige Landwirtschaft bei immer weniger Arbeitskräften führt, wie bereits mehrfach beschrieben, zu zunehmendem Leerstand von Gebäuden im ländlichen Raum. Die entstehenden Leerstellen gewähren jedoch »auch Platz
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für Gegenstrombewegungen« (Neu 2008, S. 561)12. Sowohl Zugezogene als auch Einheimische tragen oft durch ihr kreatives Potential zur Wiederbelebung ländlicher Regionen bei. Als »Raumpioniere« bezeichnet, gestalten sie zum großen Teil experimentell aus verschiedenen Motivationen heraus ihr Lebensumfeld durch eigene oder vereinte Kräfte um und finden »neue Wege der Daseinsvorsorge« (Faber/Oswalt 2013). Ein Raumpionier erscheint dabei als ein »multipler Akteur« (Veihelmann 2013, S. 99), der aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Hintergründen handelt: »Er ist jung oder alt, pflanzt Rübensorten aus alten Zeiten oder baut Solaranlagen von übermorgen, er schätzt die Stille und macht laute Musik« (ebd.). Auf der einen Seite fördern also Leerstellen im ländlichen Raum zum Teil experimentelle Lösungsstrategien, die sowohl von Zugezogenen als auch von der lokalen Bevölkerung entwickelt werden. Auf der anderen Seite spielt die Sehnsucht nach Gemeinschaft in Zeiten zunehmender Individualisierung von Lebenswelten eine immer größere Rolle (John 2008). Das Land wird dabei für viele zu einem Imaginationsraum, der ein Leben in Gemeinschaft erlaubt. Der Gemeinschaftssinn ländlicher Regionen zeigt sich auch an einem zum Teil lebendigen Vereinsleben. Vereine, in denen sich Sportbegeisterte oder Heimatforscher zusammenfinden, geben, wie auch die Freiwillige Feuerwehr, Strukturen für gemeinschaftliche Tätigkeiten. Die Sehnsucht nach Gemeinschaft als Gegenpol zur Individualisierung von Lebensentwürfen ist für viele Menschen ein Impuls, von der Stadt auf das Land zu ziehen (vgl. Rössel 2014). Dabei werden häufig die großzügigen, aber leerstehenden Landwirtschaftsgebäude wie bspw. Bauernhöfe von einer Gruppe von Interessierten angeeignet und für Wohnprojekte umgenutzt, in denen nicht selten mehrere Generationen in einer gemeinsamen Wohnung, einem gemeinsamen Haus oder einer ganzen Siedlung wohnen und in ihrem alltäglichen Leben »engere soziale Kontakte pflegen«
12 Claudia Neu betrachtet diese entstehende neue Ländlichkeit auch kritisch (Neu 2016) und macht auf die Gefahr aufmerksam, dass »der allmähliche Abbau von Infrastrukturen, die schleichende Akzeptanz von Versorgungsengpässen oder die Abwertung des öffentlichen Raums zu regionalen und kulturellen Eigenheiten umgedeutet werden« (ebd., S. 8).
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(Fedrowitz 2011). Das zeigt sich einerseits in generationsübergreifender Unterstützung – sei es die Kinderbetreuung durch die Nicht-mehr-Arbeitenden, Hilfe für die Älteren durch die jüngere Generation oder regelmäßige Treffen in Plenen zur gemeinschaftlichen Besprechung anstehender Arbeiten in ›Haus und Hof‹. Baustrukturell unterstützen diesen Gemeinschaftsgedanken »Begegnungszonen, gemeinschaftliche Gärten und Innenhöfe sowie Gemeinschaftsräume bzw. Gemeinschaftshäuser« (ebd.), in denen Raum für gemeinschaftliche Aktivitäten geboten wird. Derzeit finden immer mehr Menschen Interesse an solchen Wohngemeinschaften (ebd.), in denen sie »selbstbestimmt und selbstorganisiert« (Schader-Stiftung 2013, S. 7) handeln. Dafür werden auch leerstehende Bestandsgebäude genutzt. Periphere Regionen, in denen sich »eine unglückliche Verknüpfung von ökonomischer Strukturschwäche und sich beschleunigender demografischer Entwicklung feststellen [lässt]« (Neu 2007, S. 34), bieten für diese Art von Raumpionieren ausreichend Räume für gemeinschaftliche Wohnprojekte, die in ländlichen Gegenden auch eine Möglichkeit darstellen können, »um den Bestand zukunftssicher zu gestalten« (Schader-Stiftung 2013, S. 20) und so zugleich die Region ›mit neuem Leben‹ zu füllen. Die Abbildung 43 verdeutlicht, dass Projekte dieser Art ›Insellösungen‹ sind, deren überregionale Verbindungen von den Bewohnern abhängen. Hinterfragt werden soll, ob solche punktuellen Impulse noch gesteigert werden können, um auch auf regionaler Ebene das Raumgeschehen nachhaltig zu entwickeln.
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Abb. 43: Der ländliche Raum wird als Ort nachbarschaftlichen Zusammenlebens imaginiert. In gemeinschaftlichen Wohnprojekten, die auch überregional vernetzt sind, werden diese Vorstellungen umgesetzt.
Nutzungskonzept – Siedlung am Gleis Wohnprojekte werden häufig von größeren Gruppen initiiert. Die Interessenten an gemeinschaftlichem Wohnen auf dem Land verfolgen häufig einen ganzheitlichen Ansatz, nach dem das gemeinschaftliche Leben ökologisch und hierarchiefrei strukturiert sein sollte (Fedrowitz 2011). Das Erwirtschaften von Nahrungsmitteln und das Herstellen von Bedarfsgütern für den eigenen Ge- und Verbrauch (und darüber hinaus) ist häufig Teil des Konzeptes solcher Wohngemeinschaften. Die erwirtschafteten Erträge aus den Gemeinschaftsgärten werden unter den Beteiligten verteilt bzw. verkauft.
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Je nach Konstellation stellen sich bei der Gründung eines solchen Wohnprojektes auch die grundsätzlichen Fragen des Zusammenlebens wie z. B. danach, wie viel Privatsphäre und wie viel Gemeinschaft das Wohnprojekt verträgt und vor allem praktische Fragen nach der Verwaltungsstruktur, Finanzierungsweise und des richtigen Ortes für das Vorhaben. Zur Unterstützung solcher Wohnprojekte haben sich Agenturen, Stiftungen oder Vereine13 gegründet, deren Ziel es ist, Akteure zu vernetzen, zu beraten und zu betreuen. Die Landbahnhöfe bieten eine materielle Ressource, um die imaginären und sozialen Vorstellungen von gelebter Gemeinschaft umzusetzen. Wie die derzeit vielerorts verkauften und umgenutzten Landbahnhöfe zeigen, bieten sich die Gebäude als Wohnungen und Arbeitsräume an.14 Die Grundrissstrukturen der Gebäude erlauben polyvalente Nutzungen, die in Wohnprojekten häufig thematisiert werden – Vereinsräume, Sitzungssäle, Werkstätten mit Materiallager oder Unterrichts- und Bildungsräume können in den Erdgeschossen der Bahnhofsgebäude realisiert werden. Die oberen Geschosse bieten Wohnräume. Alternativ wäre auch denkbar, Wohnhäuser und Arbeitsgebäude separat zu entwickeln und zu nutzen. Die Gebäude und die Schienen würden als materielle, soziale und imaginäre Ressourcen genutzt werden. Der vernetzte Verbund der Gebäude könnte eine soziale Gemeinschaft über die bestehenden Ortsgrenzen hinweg ermöglichen, die die lokale Bevölkerung und Zugezogene gleichermaßen einschließt. Landbahnhöfe entlang intakter Schienenstränge können bei dieser ›Suche nach dem guten Leben‹ einen Beitrag leisten. Die ›in Reihe geschalteten Landbahnhöfe‹ können ein Nachbarschafts-
13 So finden sich eine Vielzahl von Agenturen (z. B. Wohnprojektor – Agentur für gemeinschaftliches Wohnen und Arbeiten, Agentur für Landschaftsentwicklung, WIR-Agentur), Stiftungen (z.B. z. B. Stiftung Trias, Stiftung Edith Maryon) und Vereinen (z. B. FORUM Gemeinschaftliches Wohnen e.V. Bundesvereinigung, Kompetenznetzwerk-Wohnen). 14 In der Ausgabe April 2017 des Magazins MOBIL der Deutschen Bahn wurden bspw. verschiedene umgenutzte Bahnhöfe auf dem Land vorgestellt, die hauptsächlich dem Wohnen und Arbeiten dienen (Buwert 2017).
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band beschreiben, das aus einzelnen Einheiten – nämlich den Bahnhöfen – besteht. Die Bahnhöfe stellen so eine ›Siedlung‹ dar, deren Gebäude jeweils Wohn- und Gemeinschaftsräume unterschiedlicher Qualitäten aufweisen. Die verbindende (Bahn-)Strecke ermöglicht einen Austausch zwischen den (Siedlungs-)Teilen. Das sogenannte ›Dazwischen‹ ist Aushandlungsort alltäglicher Abläufe. Dazu zählen u.a. die Lebensmittelbeschaffung bzw. der Lebensmittelanbau, die notwendigen Anschlüsse für Schulzüge und weiterführende Busse oder Arztzubringer, die allen ›Siedlungsbewohnern‹ zugänglich gemacht werden. Ein solcher Ansatz erlaubt alternative ökonomische Modelle und Lebensmodelle, denn er befördert ein hohes Maß an individuellem Leben und erfordert gleichzeitig sowohl eine Planungs- als auch eine Mitwirkungsleistung, um die Gemeinschaft entlang der Strecke zu bilden und lebendig zu halten. Die Grundrisse der Landbahnhöfe können, wie bereits erwähnt, vielfältigen Nutzungen dienen, weil sowohl Wohnräume unterschiedlicher Größe als auch Gemeinschaftsräume in den ehemaligen Bahnhofsgebäuden Platz finden. Wie das Beispiel in Hitzacker zeigt, können die Bahnhöfe dank ihrer baulichen Strukturen den Vorstellungen gemeinschaftlichen Wohnens in besonderer Weise gerecht werden: Neben bereits vorhandenen Wohnungsgrundrissen können vor allem die ehemaligen Wartesäle und -hallen gemeinschaftlichen Aktivitäten dienen. Außerdem könnten die Gebäude neben unterschiedlichen Wohnungsgrößen verschiedene Wohngemeinschaften zulassen und auch Werkstätten, Gemeinschaftsküchen, Veranstaltungsräume oder Verkaufsräume für die von der Gemeinschaft erwirtschafteten, hergestellten und vertriebenen Produkte bieten. Eine mögliche Umnutzung lässt sich am Beispiel Buttstädt entwerfen (Abb. 44).
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Abb. 44: Buttstädt – Nachbarschaft. Die Regelmäßigkeit des Grundrisses erlaubt ein Auflösen der gegebenen Raumstruktur in tragende Stützen. Das bietet Flexibilität. Je nach Anforderungen können Raumeinheiten geschaffen werden: So ist eine offene Küche oder Werkstatt denkbar. Außerdem kann ein großzügiger Veranstaltungsraum, ein Ausstellungsraum oder ein Marktplatz im Rahmen der gegebenen Rasterstruktur realisiert werden.
Die gegebene Bahnstrecke fungiert dabei als Zubringer und Vermittler zwischen den einzelnen Knotenpunkten des Nachbarschaftsbandes. Das Szenario eines gemeinschaftsorientierten Verbundes zwischen den Ortschaften verlangt justierbare und auch individuell betreibbare Verbindungen zwischen den Landbahnhöfen. Es gibt bereits verschiedene alternative Schienennutzungen: Fahrraddraisinen bilden mittlerweile touristische Attraktionen. Weniger bekannt sind die sogenannten Schienenomnibusse, die bereits in den 1920er Jahren entwickelt wurden, um als wirtschaftliche Leichtwagen auf Strecken mit geringem Fahrgastaufkommen eingesetzt werden zu können. Heute sind sie vorrangig Museumsstücke, die gelegentlich ausgefahren werden. Ob von Fahrraddraisinen oder umgebauten motorgetriebenen Fahrzeugen genutzt, können die existierenden und funktionierenden Schienenstränge die Ortschaften verbinden. Selbstverständlich müssen die jeweiligen Nutzungsarten der Schiene aufeinander abgestimmt und getaktet sein. Ein mögliches Nebeneinander von fahrplangebundenem öffentlichem Nahverkehr auf der Schiene und individueller Nutzung derselben Infrastruktur ist zugestandenermaßen eine Idee, die hinsichtlich ihrer Zulässigkeit – rechtlich und technisch –
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einer vertiefenden Prüfung bedarf, die hier nicht angestellt werden soll. Ungeachtet dessen sind Fahrzeuge nach dem Prinzip von Fahrstühlen denkbar: Individuelle Schienenfahrzeuge verkehren zwischen den Bahnhöfen als Ringbahnsystem. In Anlehnung an die aktuelle Entwicklung von Fahrstühlen, die sowohl horizontal als auch vertikal fahren können15, könnten Kleinfahrzeuge entwickelt werden, die ohne viel Aufwand die Schienen verlassen und wieder eingesetzt werden können. Kleinteiliger Gütertransport sowie individueller Personenverkehr sind so zwischen den Landbahnhöfen denkbar. Zusätzlich können die entlang der Bahnlinie und in näherer Umgebung zu den Landbahnhöfen gelegenen ›Restflächen‹, die als Brachen Teil des Bahnnetzes sind, gemeinschaftlichen Nutzungen dienen – z. B. im Sinne eines Gemeinschaftsgartens. Ein Nachbarschaftsband dieser Art ist vor allem lokal verankert und verbindet sich regional über die zueinander in Beziehung stehenden Landbahnhöfe. Damit kann es als eine Dorfstruktur verstanden werden, die sich zwischen den aufgereihten Gebäuden aufspannt – als ›Siedlung am Gleis‹ (Abb. 45). Im Gegensatz zu den vorangestellten Szenarien, die der Versorgung und der Erholung dienen, hat dieses nicht vordergründig eine dienstleistende Funktion, auch wenn natürlich (z. B. im Rahmen von Wohnprojekten) Dienstleistungen eine Rolle spielen könnten. Als lokaler Netzraum liegt das Potential dieses Szenarios in der konkreten Vernetzung der Akteure vor Ort – und ist gleichzeitig von deren Engagement abhängig. Ein Nachbarschaftsband könnte es ermöglichen, dass sich im Sinne Neus aus den »lokalen Stärken und […] Ideen lokale Dienstleistungen entwickeln, die […] Arbeitsplätze vor Ort schaffen« (Neu 2007, S. 36). Ein zusammenhängendes soziales, gemeinschaftliches System entlang der bestehenden Infrastrukturen kann in sogenannten strukturschwachen
15 Das Unternehmen Thyssen Krupp hat aktuell einen Fahrstuhl entwickelt, der »erstmals mehrere Kabinen im selben Aufzugsschacht vertikal und horizontal […] betreiben [kann]« (https://multi.thyssenkrupp-elevator.com/de/, aufgerufen am 6.3.2018). Die Funktionsweise des Fahrstuhls ist mit einem »Ringbahnsystem auf vertikaler Ebene« (ebd.) vergleichbar.
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Regionen durch die Vernetzung der Ortschaften entscheidende Impulse setzen. Abb. 45: Ein Nachbarschaftsband erlaubt Austausch untereinander, aber auch mit lokalen, regionalen und überregionalen Interessenten.
Produktion von Ressourcensystemen Die entworfenen Szenarien zeigen Möglichkeiten einer Umnutzung der Landbahnhöfe als Teil eines Systems auf, zu dem neben den Bahnhöfen auch Schienen und Fahrzeuge gehören. Es sind überhöhte Szenarien, die erläutern, wie dieses System aus leerstehenden Gebäuden, wenig frequentierten Schienenverbindungen und derzeit ausschließlich dem Personentransport dienenden Fahrzeugen einen wichtigen Baustein im Raumgeschehen bilden und somit rurbane Netzräume etablieren bzw. stärken könnte. Dabei
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stehen die verschiedenen möglichen Aneignungsweisen von Landbahnhöfen im Fokus. Die Szenarien zeigen aber auch, dass es viele Überschneidungsmöglichkeiten geben kann. So ist es z. B. denkbar, dass Versorgungseinrichtungen und touristische Angebote tragende Teile des Nachbarschaftsbandes sind. Mögliche Kombinationen der einen mit der anderen Nutzungsvariante sind jeweils abhängig von den konkreten gesellschaftlichen Ausgangsbedingungen und Bedürfnissen. Gemeinsam haben die Szenarien, dass sie Wohn- und Gemeinschaftsräume für verschiedene Generationen ›unter einem Dach‹, dem der Bahnhofsgebäude, vereinen; und zwar bei gleichzeitiger direkter Anbindung an eine regionale Infrastruktur, die je nach Nutzungskonzept unterschiedlich ausformuliert ist. Sie verdeutlichen, dass das Einbinden großräumiger, bereits bestehender und identitätsstiftender Strukturen einen Beitrag zu nachhaltigen Entwicklungen leisten kann. Es bleibt jedoch die Frage nach den Schlüsselakteuren der jeweiligen Nutzungskonzepte. Wie und von wem kann diese Art einer Großstruktur initiiert, organisiert und auch finanziert werden? Für den als Ressourcensystem zu gestaltenden Netzzusammenhang spielt der Einfluss der globalen Ebene der gesellschaftlichen Wirklichkeit nach Lefebvre eine entscheidende Rolle. Unabhängig davon, ob die Bahnstrecken mit ihren Landbahnhöfen als Versorgungsnetz, Erholungsstrecke oder Nachbarschaftsband interpretiert werden, ist es erforderlich, dass die Landbahnhöfe als strukturfördernde Bausteine und landschaftsprägende Elemente in kommunale Planungen eingebunden werden. Die gestalterische Ausformulierung der einzelnen, lokalen Orte als Teile eines Ensembles erfolgt im Sinne Lefebvres auf der ›privaten‹ Ebene, wird also von der lokalen Bevölkerung getragen und mitentschieden. Als Verbund erfährt das System eine vermittelnde und damit eine ›städtische Funktion‹. Für ein Netzwerk dieser Art, das ertragreich für den näheren und weiteren Umkreis sein soll, ist jedoch die Anerkennung und damit Einbettung in ›globale‹ Planungen und Regularien auf staatlicher Ebene als zusammenhängendes und zusammennutzbares System notwendig. Um leerstehende Landbahnhöfe als Teil einer vorhandenen Infrastruktur wieder zu einem Impulsgeber für eine nachhaltige Raumentwicklung im rurbanen Netzraum werden zu lassen, ist die gleichberechtigte Einbeziehung aller drei Ebenen der gesellschaft-
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lichen Wirklichkeit – der privaten, der mittleren und der globalen Ebene – erforderlich. Auf der privaten Ebene steht der lokale Treffund Austauschort im Vordergrund; auf der mittleren Ebene der gesellschaftlichen Wirklichkeit etabliert sich das System durch die gegebene, überregionale Vernetzung, welche die Schienenstränge mit sich bringen, als Versorgungs- und Dienstleistungsnetz und damit als städtische Infrastruktur. Auf globaler Ebene ist es als institutionelles Infrastruktursystem anzuerkennen. Der Einfluss und die Funktionsweise von Institutionen der staatlichen, im Sinne Lefebvres globalen Ebene ist vor diesem Hintergrund organisatorische Grundvoraussetzung für die Handlungsspielräume der Akteure in Prozessen auf der privaten und mittleren Ebene. Unabhängig von dicht oder dünn besiedelten Regionen wird nach gleichwertigen Lebensverhältnissen gestrebt (Töpfer/Klingholz 2013, S. 5). Aufbauend auf dem nach wie vor gültigen Zentrale-Orte-Prinzip Christallers »agieren Kommunen, Landkreise, Regierungsbezirke und Bundesländer je für sich nach ihren gesetzlich definierten Aufgaben« (Oswalt 2013, S. 13). Indem jede politische Einheit jedoch für sich handelt, »bilden sich zwischen den Kommunen lokale Doppelungen und Konkurrenzen aus« (ebd.). Nach Oswalt bedeuten diese »Ressortgrenzen« ein Hindernis: »Synergien aus der Verknüpfung verschiedener Aufgaben werden nicht genutzt« (ebd.). Dieser Realität der Organisation – einem top-down-Prinzip – steht die Vorstellung eines zusammenhängenden, daseinsvorsorgenden Ressourcensystems gegenüber. Da das Ressourcensystem durch die raumordnenden, rigiden Einheiten wie Kommunen, Gemeinden oder Landkreise hindurch führt, verbindet es sowohl infrastrukturell als auch inhaltlich. Es verknüpft »netzförmig [...] und bilde[t] Querverbindungen und Überlagerungen« (ebd., S. 14). Christopher Alexander hatte etwa zeitgleich mit Lefebvres Beobachtungen eines sozial produzierten Raumes die Stadt als Gebilde aus unzähligen, nicht-hierarchisch geordneten Verknüpfungen und Zusammenhängen beschrieben und stellte sich damit auch gegen die vorherrschenden Vorstellungen der Stadt als ein funktionales, geordnetes System (Alexander 1966). Die moderne, urbanisierte Gesellschaft bestehe aus unzähligen »overlaps« (ebd.), denen
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Systematisierungen nach dem hierarchischen ›Baumprinzip‹ bei der Entwicklung im Wege stünden. Für den ländlichen Raum ist das Verständnis eines vernetzten, stark lokal verankerten und gleichzeitig überregional eingebetteten vielschichtigen Netzraums von besonderer Bedeutung und sollte auch von administrativer Seite als solcher anerkannt und entsprechend verwaltet werden. Denn auf der einen Seite nutzen »Wirtschaftsakteure wie Bewohner [...] den Raum vielmehr regional [und] sind oft verbunden mit überregionalen Netzwerken« (Oswalt 2013, S. 14). Auf der anderen Seite sind »die administrativen Strukturen und die Daseinsvorsorge aber kommunal zersplittert« (ebd.) und unterstützen diese Überschneidungen, Überlagerungen und Verbindungen wenig bzw. gar nicht. Wenn öffentliche Infrastrukturen wie Landbahnhöfe als Ressourcensystem verstanden und behandelt würden, könnte dieses System im Sinne Oswalts für »jede[n] einen adäquaten Zugang zu den benötigten Diensten« (ebd.) garantieren, die mit den konkreten und ›in Reihe‹ vorgehaltenen Nutzungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden. Nach dem Verständnis eines sozial produzierten Netzraumes, in dem Personen und Institutionen infrastrukturell miteinander vernetzt sind und in einem sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Austausch stehen, »muss nicht mehr alles überall vorgehalten werden, sondern nur garantiert sein, dass jeder einen adäquaten Zugang zu den benötigten Diensten hat« (ebd.). Versorgungseinrichtungen, Erholungsgebiete oder Gemeinschaftsorte, die Teil eines Netzwerkes sind, können so tatsächlich zu Knotenpunkten und Impulsgebern für weitere Entwicklungen im rurbanen Netzraum avancieren und so das Raumgeschehen im ländlichen Raum nachhaltig beeinflussen. Dafür müssen nach Lefebvre jedoch die administrative, infrastrukturelle und private Ebene der gesellschaftlichen Wirklichkeit ineinander greifen und zwar mit dem Ziel, Raum im Sinne eines »›Werk[s]‹ [...] zu erschaffen, das allen Teilen der Bevölkerung offensteht« (Schmid 2010, S. 289). Dabei geht es auch darum, eine Situation zu provozieren, in der der wahrgenommene, der konzipierte und der gelebte Raum wieder ineinander verschränkt werden – Alltag, Beruf und Freizeit sowie lokale und regionale Interventionen sind aufeinander zu beziehen (ebd.). Rigide Fest-
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schreibungen der Regionalplanung, aber auch der Gebäudekonzeptionen stehen dieser Forderung im Weg. Dabei sind die Momente der Raumproduktion Lefebvres und insbesondere die Ebene der Repräsentation von Raum kritisch zu betrachten, auf der auch die Arbeit von Architekten anzusiedeln ist – »perhaps by ›developers‹, perhaps by government agencies« (Lefebvre 1991, S. 360). Denn der Architekt habe ein aus einem Ganzen herausgeschnittenes Stück vor sich, das er nach seinem persönlichen Geschmack, technischem Geschick, Ideen und Vorlieben gestaltet; einen kleinen, abstrahierten Ausschnitt aus einem komplexen, dynamischen, sozial produzierten Raumgeschehen. Der Planende sei dabei lediglich mit verobjektivierenden Informationen ausgestattet und kann deshalb noch lange nicht ›vertraut‹ sein mit dem Raum als Gegenstand seiner Arbeit: »His ›subjective‹ space is freighted with all-too-objective meanings« (ebd., S. 361). Dadurch, dass der Raum auf geometrische Formen reduziert und darin ausgedrückt wird, würden in dieser »world of image[s]« (ebd.) die Imagination, Phantasie und der Einfallsreichtum zum Erliegen kommen. Der immer auch subjektive Zugang des Menschen zum Raum komme dadurch zu kurz.16 In diesem Sinne sei die »tendency to make reductions« auch eine »tendency that degrades space« (ebd.). Die Komplexität von Raum, der von Materialität, Wissen und Bedeutung produziert und re-produziert wird, kann demnach nicht vollständig mit den Mitteln der Architekten und Raumplaner erfasst und bearbeitet werden. Es ist stattdessen immer ein Ausschnitt, der nach festgesetzten Richtlinien und individuellen Vorstellungen der Planer, gestaltet wird. Dabei verwundert nicht, dass die Repräsentation eines Raumes der Planer mitunter stark von dem der Bewohner abweichen kann:
16 Wie bereits erwähnt, finden sich dem gegenüber in der neueren Forschung und auch Praxis Ansätze einer Gegenbewegung, die methodisch geleitet die subjektive Erfahrung von Raum in den Planungsprozess einbeziehen (Prominski/von Seggern 2019). Sie zielen darauf, Landschaften mit ihren gestaltprägenden Elementen in alternativen und auch den Planungsprozess inspirierenden Weisen lesbar, verstehbar und erzählbar zu machen.
LANDBAHNHÖFE ALS RESSOURCEN RURBANER NETZRAUMPRODUKTION 177 »Thus as exact a picture as possible of this space would differ considerably from the one embodied in the representational space which its inhabitants have in their mind, and which for all its inaccuracy plays an integral role in social practice.« (Ebd., S. 93).
Der Soziologe Lucius Burckhardt, von dessen Landschaftskonzeption und -umgang diese Arbeit auch beeinflusst ist (s. S. 18), stellt sich explizit mit seinen Landschafts- und Raumbeobachtungen in die Tradition Lefebvres (Burckhardt 2014a [1967]).17 Für Burckhardt sind Räume wie bspw. Landschaften oder Gebäude historisch geprägt und reflektieren und produzieren eine Abfolge verschiedener sozialer Ordnungen. In Anlehnung an die von Lefebvre eingeführte Triade der Raumproduktion stellte Burckhardt ein Interaktionsmodell auf, das ebenfalls aus »drei Analysekriterien, drei Konzeptionen von Raum, die sich gegenseitig durchdringen« (Fezer 2014, S. 12), besteht (Abb. 46). Daraus »entwickelt [er] eine Kritik der statischen Planungslogik sauberer Problemlösungen« (ebd., S. 11). Burckhardt bezeichnet die zusammenwirkenden Momente seines Interaktionsmodells als Politik, Umwelt und Mensch (Burckhardt 2014a [1967]), mit denen er sich konkret auf die Momente der Raumproduktion Lefebvres bezieht.
17 So schreibt Burckhardt explizit auch »von Altvater Lefebvre« (Burckhardt 1985, S. 304).
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Abb. 46: Momente der Raumproduktion als Interaktionsmodell nach Lucius Burckhardt (Burckhardt 2014a, S. 45)
Der konzipierte Raum Lefebvres, der »nach gängiger Verwaltungspraxis Probleme isoliert, um sie an ›Fachmänner‹ [z. B. Architekten, Anmerkung MFK] zu delegieren« (Fezer 2014, S. 12), entspricht bei Burckhardt der analytischen Kategorie der Politik. Diese Trennung von Aufgabenbereichen hat bereits Lefebvre kritisiert (Lefebvre 1991, S. 360). Auch nach Burckhardt wird dabei »ein Problemfeld auf das vermeintlich ›Wesentliche‹ reduziert und dann unter Einsatz von Institutionen einer baulichen ›Lösung‹ zugeführt« (Fezer 2014, S. 12). Zu den gestaltenden und festgesetzten Regelungen gehören auch die »Denkmalpflichten« (Burckhardt 2014a [1967]), die nach Burckhardt häufig den Zeitfaktor und damit dynamische, sozial-räumliche Veränderungen ignorieren, weshalb Bauwerke zu »imaginären Urzuständen hin, wenn nicht sogar an Hand artifizieller Stilbegriffe« (ebd., S. 27) restauriert werden. Aber diese bauliche Lösung im Sinne der sichtbaren Umgebung ist nicht das, woran sich Menschen primär orientieren. Vielmehr sind es gesellschaftliche Bezüge und Verbindungen, die Burckhardt als Umwelt beschreibt und sich damit auf Lefebvres erfahrbaren und wahrgenommenen Raum bezieht. Soziale Umwelten werden gebildet »durch Verpflichtungen, Verträge, gesellschaftlichen Status, Nachbarschaft, Beziehung zu Institutionen am Ort; und keineswegs
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etwa durch [bspw.] den Kolonialstil dieser Häuser« (Burckhardt 2014b, S. 172). Damit ist die soziale Umwelt ein »nicht voll manipulierbares System räumlicher und sozialer Strukturen« (Fezer 2014, S. 13). Mit dieser Umwelt steht der Mensch »als handelndes und betroffenes Subjekt« (ebd., S. 14) in direkter und gelebter Beziehung. Diese dritte Perspektive bezieht sich auf den von Lefebvre bezeichneten gelebten Raum. So wie Lefebvre hebt auch Burckhardt in diesem Zusammenhang die Bedeutung des individuellen Wohnraumes hervor. Lefebvre beschreibt den Wohnraum als Ort, an dem »die Beziehung des ›menschlichen Wesens‹ zur Natur und zu seiner Natur, zum ›Sein‹ und zu seinem eigenen Wesen, [...] realisiert und ablesbar wird« (Lefebvre 1970, S. 90). In Anlehnung daran betont Burckhardt, dass der Gebrauch, die Aneignung und damit auch die Gestaltung eines Wohnraumes sich den vorgeschriebenen Planungen entzieht (Burckhardt 2014c). Besonders deutlich wird diese von vorgegebenen Planungen losgelöste Raumnutzung bei »Hausbesetzungen, Umnutzungen und Selbstbau« (Fezer 2014, S. 14), bei denen ohne Aufforderung gehandelt wird bzw. Planungen auch gänzlich verweigert werden. Burckhardt untersucht die einzelnen Beziehungen der drei Aspekte – Politik, Umwelt, Mensch – und macht deutlich, dass »das Bauen [...] wieder Teil des gesamten Prozesses der Veränderung und der Gestaltung der Umwelt werden [muss]« (Burckhardt 2014a, S. 45). Die Entschlüsselung der Beziehungen dieser drei Aspekte zueinander zeigt, dass sie weder hierarchisch festgelegt noch losgelöst voneinander betrachtet werden können. Das Verhältnis von Politik und Mensch beispielsweise sei häufig geprägt von der Vorstellung, die Politik löse die Probleme der Menschen (ebd., S. 32). Dabei würden einzelne, konkrete Lösungen erarbeitet und umgesetzt. Diese konkreten Lösungen, die auf der Grundlage klar definierter Problemlagen basierten (die Lösung für bspw. das Problem des Alterns etwa sei das Altersheim (ebd.)), seien jedoch keine »tatsächliche Bearbeitung [...] des Problems« (ebd., S. 33). Stattdessen handele es sich um Einzellösungen, welche die Komplexität des Problems reduzierten. Um mit der Vielschichtigkeit eines Problemfalls umgehen zu können, sind nach Burckhardt keine »direkten Problemlösungen« (ebd.) gefragt, sondern »Strategien, d. h. das Ergreifen von mehreren Maßnahmen, die auf verschiedenen Wegen das Ziel, das gewünschte, herbeiführen« (ebd.).
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Die politische Ebene hat nach Burckhardt einen »Ableger […] und das ist der Fachmann, der Gestalter, der Architekt, der Planer, der konsultiert wird« (ebd.). Damit der Architekt eine möglichst klare ›Lösung‹ liefern kann, »muss er ein exaktes Programm haben, dann wird seine Arbeit schon gut sein« (ebd., S. 34). Ein solches Raumprogramm, das die Grundlage für den Entwurf darstellt, ist sozusagen die in Zahlen und Mengen ausgedrückte Beschreibung des Menschen. Der Mensch »wird einmal festgelegt, damit man das ›U‹ [die Umwelt, Anmerkung MFK] danach gestalten kann« (ebd., S. 35). Das sei jedoch ein großer Fehler, denn »die Gestaltung des U hat einen eminenten Einfluss auf das M [den Menschen, Anmerkung MFK]« (ebd.).18 Solche determinierenden Programme bilden aber regelmäßig die Grundlage für architektonische Entwürfe. Damit haben sie die Tendenz, »zu eindeutigen Nutzungen zu führen, d. h. ein Gebäude gilt als umso richtiger und besser, als es nur einem einzigen und keinem anderen Zwecke dienen kann« (ebd., S. 39). Das scheint jedoch in Anbetracht der Tatsache, dass sich die Nutzungen von Gebäuden im Laufe von 20 Jahren ändern, ein wenig nachhaltiger Ansatz zu sein (ebd., S. 40). Aus diesem Grund bestimmt nach Burckhardt nicht die determinierte Nutzung eines Gebäudes seine Qualität, sondern eine Mehrfachnutzung, »eine gewisse Polyvalenz der Räume« (ebd.), die in der Landschaftsarchitektur bereits Raumverständnisse prägt und einen entsprechenden Umgang mit sich bringt.19 Die mögliche Überlagerung von Nutzungen, die Polyvalenz, macht das aus, was Stadt, aber eben auch Landschaften und Gebäude sind: Sozial produzierte Orte, die entsprechend
18 Als Beispiel nennt Burckhardt in diesem Zusammenhang die Befestigung eines Waschbeckens, welches 20 cm tiefer als Normal für ein neun Jahre altes Mädchen angebracht wurde, mit der Folge, dass die Familien sich viele Jahre lang bückenden mussten, um das Waschbecken zu benutzen. 19 So beschreibt der Geograph und Soziologe Olaf Kühne polyvalente Landschaften wie folgt: »Polyvalente Landschaften umfassen polyfunktionale Nutzungen, eine Fläche unterliegt mehreren gesellschaftlichen Nutzungen, polyvalente angeeignete physische Landschaften sind somit charakteristischerweise simultane Räume.« (Kühne 2012, S. 149).
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gegenwärtiger Vorstellungen und Bedürfnisse veränderbar, gestaltbar und anpassbar sind. In diesem Sinne stellen die im vorherigen Kapitel beschriebenen Szenarien Lösungsvorschläge dar, die auf nachvollziehbaren, grundlegenden, aktuellen Bedürfnissen – Versorgung des ländlichen Raumes, Erholungsorte auf dem Land, Suche nach Gemeinschaft – basieren. Bei diesen Szenarien handelt es sich vorrangig um Ideenskizzen, die einem Raumkonzept eines Gebäudes folgen. Damit wird hauptsächlich das konzeptionelle Moment der Triade der sozialen Raumproduktion bedient. Für die Suche nach einer Strategie, wie diese Gebäude im Sinne eines Ressourcensystems nachhaltig auf die dynamische Entwicklung des Raumgeschehens reagieren können, muss daher angestrebt werden, »jede Ecke dieses Dreiecks ernst [zu] nehmen und ihr die Möglichkeit [zu] geben, sich an der Gestaltung [zu] beteiligen« (ebd., S. 45). Um dieses Dreieck zu stabilisieren, darf jeder Partner immer nur so viel formulieren, »daß auch der nächste Partner im Prozess […] noch etwas zu sagen hat« (ebd.). Die Frage, die sich daraus für Burckhardt ergibt, ist: »Wie wenig können wir planen, so daß die gewünschten Entwicklungen eingeleitet sind, daß aber den nachkommenden Leuten auch noch etwas zum Planen und Beschließen übrigbleibt?« (Ebd., S. 38).
Und weiter geführt lautet die zu bearbeitende Frage: Wie können die Beziehungen von planenden Behörden und individuellen Nutzern sein, damit das Bauen an und mit Gebäuden, wie bspw. leerstehenden Landbahnhöfen, »Teil des gesamten Prozesses der Veränderung und der Gestaltung der Umwelt [des Raumgeschehens, Anmerkung MFK] werden [kann]« (ebd., S. 45)? Damit plädiert Burckhardt für einen politischen, ganzheitlichen Gestaltungsansatz (Fezer 2014, S. 15) und fordert »nicht die Propagierung bestimmter Planungsmaßnahmen […], sondern die Einführung planerischen Denkens in öffentliche Diskussionen über kommunale und regionale Politik« (Burckhardt 2014d, S. 58). Die von Oswalt diskutierte »Neukonzeption der Daseinsvorsorge« (Oswalt 2013, S. 15) im Sinne eines Gewährleistungsstaats, der »die Homogenität des Raumes« (ebd.) und damit nach Burckhardt die »Einheit der Materie« (Burckhardt 2014d, S. 49) in Frage
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stellt, knüpft an die Forderungen Burckhardts an: Je nach örtlichen Bedingungen bzw. der Umwelt müssen sich auch die adäquaten Lösungen für räumliche Strukturen unterscheiden. Um lokal spezifische Lösungen zu finden, zu erlauben und umzusetzen, können nicht »einheitliche Normen, Gesetze und Anschlusszwänge« (Oswalt 2013, S. 15) durchgesetzt werden, sondern es sind Öffnungsklauseln nötig, die individuelle Nutzungsweisen erlauben. Um für leerstehende Landbahnhöfe Strategien zu finden, die es erlauben, einerseits die Gebäude als Teil eines Ressourcensystems zu verstehen und entsprechend ›einheitlich‹ zu behandeln und andererseits aber die lokal spezifischen Umwelten und Menschen in der Einheitlichkeit einer möglichen Lösung erkennen zu können, müssen vor allem von politischer Seite Freiräume geschaffen werden. Dabei geht es nicht darum, dass sich der Staat zurückzieht, sondern um ein Gleichgewicht der privaten, mittleren und globalen Ebene im Sinne Lefebvres (Schmid 2010, S. 289) – also von alltäglicher Praxis, urbanen Infrastrukturen bei gleichzeitiger institutioneller Anbindung und Verantwortung. Ziel muss es sein, eine Strategie des Umgangs mit leerstehenden Landbahnhöfen als Güter zu finden, die einerseits staatlich anerkannt sind und andererseits der lokalen Bevölkerung Spielräume geben für die Anpassung der Nutzungen an sich ändernde gesellschaftliche Strukturen und Bedürfnisse (im Sinne Burckhardts: der jeweiligen Umwelt). Wie die Nutzungsszenarien gezeigt haben, können von den im Verbund verstandenen Landbahnhöfen Impulse ausgehen, die städtische und ländliche Zuschreibungen und Nutzungsweisen miteinander verweben. In diesem Zusammenhang stellt sich jedoch die Frage nach einer möglichen Strategie und Aneignungsform, mit der lokale Impulse in einem regional vernetzten Verbund auch von politischer Seite anerkannt und gefördert werden. Neben dem bereits beschriebenen architektonischen und systematischen Potential von Landbahnhöfen wird im Folgenden deren strukturelles Potential als rurbane Allmenderessourcen in Anlehnung an die aktuellen Debatten zur gemeinschaftlichen Aneignung von vor allem Stadtfreiräumen beschrieben und diskutiert (siehe dazu u.a. ARCH+ 2018). Diese Form der Raumaneignung ergänzt sowohl gegenwärtige politische als auch planerische Umgangsweisen, um Leerstandsgebäude zu zentralen, sozialen Knotenpunkten in einem rurbanen Netzraum werden zu lassen.
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L ANDBAHNHÖFE
ALS RURBANE
A LLMENDEN
Die Differenzierung in urbane und rurale Räume ist aus planerischer Perspektive bezogen auf die Lebensweisen beinahe nicht mehr möglich. Es zeigt sich vielmehr, dass aus dieser Perspektive auch die ländlichen Gegenden der Logik urbanen Lebens folgen: Arbeitsweisen, Alltagsabläufe, politische Verwaltungen entsprechen denen der Ballungsgebiete – auch wenn die Kategorien von Stadt und Land nach wie vor Gültigkeit tragen (vgl. Kersting/Zimmermann 2015; Wüstenrot Stiftung 2015). Gleichzeitig finden Praktiken, die dem ursprünglich ländlichen Leben zugeschriebenen werden, in den Ballungszentren zunehmend Aufmerksamkeit. Die Allmende, als ursprünglich bäuerliches, Subsistenz sicherndes Organisationsmodell, wird dabei zunehmend als Strategie zur Nutzung von Stadträumen vorgeschlagen (Harvey 2013; Dellenbaugh et al. 2015; Stavrides 2016; Pelger/Kaspar/Stollmann 2016; ARCH+ 2018). Allmenden sind »das im Besitz einer Gemeinschaft befindliche Land innerhalb einer Gemarkung« (Thiem 2019, S. 201); sie bezeichnen also den »gemeinschaftlichen Besitzanteil an einer Ressource« (Pelger/Kaspar/ Stollmann 2016, S. 2). Städtische Brachen werden in diesem Rahmen neu interpretiert und durch eine alternative, nicht von institutioneller Ebene geplante Organisationsstruktur rekonfiguriert. Im Ergebnis entstehen räumliche Strukturen, die den Bedürfnissen und Veränderungen der Nutzer angepasst werden. So finden sich bspw. in städtischen Brachflächen Strukturen des Urban Gardenings als selbstverwaltete Gemeinschaftsgärten. Die Nutzer sind die Produzenten des Raumes und verwalten ihn entsprechend ihren Vorstellungen und Wünschen. Dieses Prinzip der gemeinschaftlichen Herstellung von Allmenden hat wohl seinen Ursprung im Feudalsystem des mittelalterlichen Europas. Bis in das frühe 15. Jahrhundert hinein betrieb die Bauernschaft die Gemeinschaftsgüter, basierend auf u. a. kollektiven Entscheidungen, Sanktionen und Konfliktlösungsmechanismen. Die sich formierende Kapitalwirtschaft durch Privatisierungen und Kapitalbündelungen wirkte sich stark auf die bis dahin betriebenen Gemeinschaftsgüter aus. Sie wurden eingehegt und es kam zu einem weitgehenden Verschwinden der Allmenden, deren Charakteristika ein »frei zugänglicher Ressourcenraum und eine
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selbstorganisierte Commoner-Gemeinschaft ist« (ebd., S. 8). Gemeinschaftliche Nutzung ist das Grundmerkmal von Allmenden. Damit ihr Fortbestand jedoch langlebig und nachhaltig ist, müssen Abgrenzbarkeit und Zugänglichkeit der Güter von der Nutzergemeinschaft reglementiert werden. Nur durch eine Einschränkung der Nutzungsrechte kann eine Überbeanspruchung und Übernutzung der Gemeingüter vermieden werden. Damit ergänzt Ostrom die von Hardin 1968 aufgestellte These der »Tragedy of the commons« (Hardin [1968] 2009): Um die Hauptfunktion der Allmenden zu gewährleisten, nämlich gemeinschaftlich genutzte Räume für lebensnotwendige Bedarfe wie der Nahrungsmittelproduktion (z. B. Wiesen und Weiden), als Materialressource (z. B. Wald) oder Energiespender und -speicher (z. B. Wasser), bedarf es Regulierungsmechanismen, die von der Nutzergemeinschaft aufgestellt werden. Die heutige urbane Gesellschaft ist geprägt von »Ressourcenverknappung, Kapitalisierung vieler Lebensbereiche, Segregation und kultureller Diversifizierung« (Pelger/Kaspar/Stollmann 2016, S. 28). Einerseits geht es um die natürlichen Ressourcen wie Rohstoffe, Wasser- und Luftqualität. Auf der anderen Seite fehlt es vielerorts an sozialen Ressourcen wie Kindergartenplätzen, Schulen oder Arztpraxen – unabhängig von Stadt und Land. Für die Bewältigung dieser Herausforderungen kann die Funktionsweise von Allmenden ein »hochrelevantes Modell« (ebd.) darstellen, denn sie »sind eine Beziehung zwischen Menschen und den von ihnen kollektiv als essentiell für ihre Existenz beschriebenen Bedingungen. [Sie] drücken also eine Beziehung aus und definieren diese.« (Stavrides 2017, S. 15).
Wie bereits erwähnt, wird das Prinzip der Allmenden gegenwärtig zunehmend auf städtische (Frei)Räume übertragen. Diese Bewegungen zu städtischen Allmenden gehen zurück auf David Harvey, der von der »Erschaffung der urbanen Allmende« (Harvey 2013, S. 127) spricht, um »Produktion, Verteilung, Austausch und Konsum so zu organisieren, dass sie menschlichen Wünschen und Bedürfnissen auf antikapitalistischer Basis gerecht werden« (ebd., S. 160). Damit bezieht er sich einerseits auf die Untersuchungen zu Allmenden von Elinor Ostrom (Ostrom 1999) und andererseits auf das von Lefebvre geforderte »Recht auf Stadt« (Lefebvre 2016
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[1968]), aus dem seine Theorie zur sozialen Produktion von Raum, erstmals erschienen 1974, entstanden ist. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick zu dem von Lefebvre geforderten RECHT AUF STADT (ebd.) gegeben werden, da es die Grundlage für die gegenwärtigen Allmendebewegungen bildet (vgl. Holm/Gebhardt 2011), die auch als ein ›Recht auf Land‹ interpretiert werden können: Nach Lefebvre sollen Alltag, städtische Infrastrukturen sowie institutionelle Anbindung und Anerkennung in einem Gleichgewicht stehen. Die raschen Urbanisierungsprozesse der Nachkriegszeit veränderten die Alltagsabläufe der Menschen grundlegend. Besonders deutlich zeigte sich das an einem geänderten Verständnis von einem »Wohnraum«, der »lebendig […], konkret […], funktionell, multifunktionell, transfunktionell« (Lefebvre 1970, S. 89) war, hin zu einem »Lebensraum«20, der den Wohnraum beiseite schob und statt dessen »das ›menschliche Wesen‹ auf einige elementare Lebensäußerungen: Essen, Schlafen, Zeugen, beschränkt[e]« (ebd.). An der Veränderung der gebauten Umwelt ist diese sich wandelnde Wohnauffassung ablesbar: Die Nachkriegszeit war, ganz im Sinne der CHARTA VON ATHEN21, die funktiona-
20 Der Begriff ›Lebensraum‹ bezieht sich hier vor allem auf die Lebenstätigkeiten und deren Separierung. Der Begriff ›Wohnraum‹ bei Lefebvre ist – ganz im Gegensatz zur alltäglichen Verwendung – als eine die verschiedenen Ebenen menschlicher Existenz umfassende Kategorie konzipiert, die sich vor allem auf die gelebte Umwelt bezieht und die einzelnen Praktiken ganzheitlich und in verschränkter Weise betrachtet. 21 1933 diskutierten Architekten und Stadtplaner unter dem Thema »Die funktionale Stadt« auf dem IV. Congrès International d`Architecture Moderne (CIAM, Internationaler Kongresse für neues Bauen) die durch die Industrialisierung notwendig gewordenen Verbesserungen von Wohn-, Arbeits- und Erholungsräumen der sich zunehmend urbanisierenden Gesellschaft. Die auf diesem Kongress entwickelten 95 Thesen veröffentliche Le Corbusier 1942 als CHARTA VON ATHEN, die einen entscheidenden Wendepunkt städtebaulichen Denkens in der Moderne darstellten und die Entwicklungen des Städtebaus der Nachkriegszeit maßgeblich leiteten. Hauptforderung war die Aufteilung der Stadt in einzelne Funktionsbereiche. Dabei sollten Arbeiten, Wohnen und Erholen baulich-räumlich voneinander getrennt sein. Im Ergebnis entstanden satellitenartige, monofunktionale
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listisches Denken propagierte, »durch eine rigorose Trennung der Funktionen, durch Automobilorientierung und Solitärbauten geprägt« (Echter 2019, S. 241). Dieser Fokus auf die Optimierung von Funktionen hatte das Lebensumfeld elementar verändert: »Der Lebensraum hatte in Ideologie und Praxis schließlich die elementarsten Merkmale städtischen Lebens unterdrückt: die Verschiedenheit der Lebensweisen, der Verstädterungstypen, der ›patterns‹ – kultureller Modelle und Werte, die mit den Modalitäten und Schwankungen des Alltagslebens im Zusammenhang stehen. Der Lebensraum wurde von oben her installiert: Anwendung eines globalen, homogenen und quantitativen Raums, Zwang für das ›Erlebte‹, sich in Schachteln, Käfigen oder ›Wohnmaschinen‹ einschließen zu lassen.« (Lefebvre 1970, S. 89).
Dem gegenüber sei jedoch die Stadt, das Urbane, das sich wie ein Gewebe über unseren Globus lege als ein »offener Raum des kulturellen Austausches und der Kommunikation« (Holm/Gebhardt 2011, S. 8) zu verstehen, auf den jeder Bürger ein Recht habe: »Das Recht auf die Stadt umfasst das Recht auf Zentralität, also den Zugang zu den Orten des gesellschaftlichen Reichtums, der städtischen Infrastruktur und des Wissens; und das Recht auf Differenz, das für eine Stadt als Ort des Zusammentreffens, des Sich-Erkennens und Anerkennens und der Auseinandersetzung steht.« (ebd.).
Vor dem Hintergrund einer ubiquitär urbanisierten und vernetzten Gesellschaft gilt diese Forderung unabhängig der Kategorien von Stadt und Land. Dabei geht es nicht nur um den Zugriff auf spezifische Ressourcen wie infrastrukturelle Anbindung, Erreichbarkeit
Stadtgebilde. In den 1980er Jahren wurden die Folgen dieser Funktionstrennung offensichtlich. Hohes Verkehrsaufkommen, verödende Innenstädte und der damit einhergehende Verlust kleinteiliger städtischer Funktionsgefüge sowie schwindende lebendige und vielfältige Urbanität führten zu Zweifeln an der CHARTA VON ATHEN. 1998 wurde die CHARTA VON ATHEN erneuert und anstelle einer Funktionstrennung wurde »die Vision einer vernetzten Stadt mit der Forderung nach einem Erhalt und der Kontinuität historischer Strukturen, somit der Bewahrung des gebauten Erbes für künftige Generationen« (Echter 2019, S. 241) propagiert.
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von Versorgungseinrichtungen oder Nutzung von Erholungsräumen, sondern darüber hinaus um Möglichkeiten der Veränderung und Neu-Erfindung des Urbanen nach den eigenen Wünschen und Vorstellungen (Harvey 2013, S. 28). Das so verstandene ›Recht auf Stadt‹ fordert ein Mitsprache- und Gestaltungsrecht der Nutzer und verbindet damit »die Hoffnung auf soziale Mobilisierungen und neue Bündnisse, und auf eine Vergesellschaftung jenseits von Staat und Markt« (Holm/Gebhardt 2011, S. 9). Das von Lefebvre in den 1970er Jahren geforderte ›Recht auf Stadt‹ gewinnt seit Anfang des 21. Jahrhunderts eine regelrechte Renaissance (ebd.). In der kritischen Stadtforschung wird die »Tauglichkeit des Rechts auf die Stadt als Inspirationsquelle, Utopie und Slogan« (ebd., S. 10) unter anderem von Mark Purcell (2002), David Harvey (2013) oder Don Mitchell (Mitchell 2003) untersucht. Parallel dazu gibt es Bewegungen und NGOs, die mit dem ›Recht auf Stadt‹ vor allem die praktischen Veränderungen in den Städten verbinden.22 Weder in der Wissenschaft noch in der Praxis lässt sich das ›Recht auf Stadt‹ auf »einzelne Projekte, Forderungen und Kontexte beschränken« (Holm/Gebhardt 2011, S. 12). Stattdessen steht es »vielmehr für den Anspruch auf eine (Re)Politisierung der Stadtpolitik, verstanden als eine öffentliche Verhandlung über Dinge, von denen alle betroffen sind« (ebd). Das ›Recht auf Stadt‹ setzt der Kommodifizierung des urbanen Raumes die Perspektive der kollektiven Wiederaneignung urbanen Raumes entgegen. Zentralität und Erreichbarkeit gesellschaftlich relevanter Orte, Infrastruktur und Zugang zu Wissen und Bildung sowie Vielfältigkeit sollten durch urbane Strukturen gewährleistet werden. Die vielfältigen Ansätze, das ›Recht auf Stadt‹ anwendbar und handhabbar zu machen, berufen sich auf die Tradition der Allmenden – weshalb sich David Harvey für die »Erschaffung der urbanen Allmende« (Harvey 2013, S. 127) einsetzt. In den Diskussionen um urbane Allmenden im städtischen Raum werden Raumqualitäten als bestimmte Konditionen formuliert, die bestehende bzw. herzustellende Stadträume erfüllen müssen, um als Allmende
22 Anzuführen ist besonders das Projekt der Habitat International Coalition (HIC) als globales Netzwerk, das sich für ein Recht auf Wohnraum und soziale Gerechtigkeit einsetzt.
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fungieren zu können (Pelger/Kaspar/Stollmann 2016, S. 28).23 Vor dem Hintergrund rurbaner Raumzusammenhänge sind es aber nicht nur städtische, sondern ebenso ländliche Räume und deren gestaltprägende Elemente, die ein ›Recht auf Stadt‹ haben. Die ›Erschaffung rurbaner Allmenden‹ kann eine Möglichkeit darstellen, in den vordergründig strukturschwachen ländlichen Regionen relevante soziale Knotenpunkte zu etablieren und so eine nachhaltige Raumentwicklung zu befördern. Landbahnhöfe als Allmenderessourcen rurbaner Netzräume Leerstehende Gebäude können mit ihren materiellen, sozialen und imaginären Potentialen als ›Allmenderessourcen‹ nach Ostrom (1999) interpretiert werden. Sie sind Möglichkeitsräume, die vielfältige Nutzungen zulassen, wenn die Ressource nach bestimmten »Bauprinzipien« (Ostrom 1999, S. 117) organisiert ist. Nach Ostrom gibt es davon acht: (1) Allmenderessourcen brauchen »klar definierte Grenzen«. Das betrifft sowohl den physisch-baulichen Rahmen als auch die quantitative Begrenzung der Nutzer. (2) Lokale Bedingungen und die Aneignungs- und Bereitstellungsregeln müssen aufeinander abgestimmt sein. (3) Diejenigen, die Teil der Allmenderessource sind, »können über Änderungen der operativen Regeln mitbestimmen«. (4) Der Zustand der Allmenderessource wird überwacht. (5) Es gibt »abgestufte Sanktionen« im Falle von Verletzungen der operativen Regeln. (6) Im Falle von Konflikten können neutrale Dritte kostengünstig und rasch zur Schlichtung hinzugezogen werden. (7) Das Organisationsrecht der Allmenderessource »wird von keiner externen staatlichen Behörde in Frage gestellt«. (8) Wenn die Allmenderessource in »mehrere Ebenen
23 Dabei, so Pelger et. al., nehmen Räume »nicht nur die Rolle eines ›Behälters‹ […] sondern sogar eines ›Mittlers‹ ein […], der […] ›die Menschen zu etwas bringt‹« (Pelger/Kaspar/Stollmann 2016, S. 28). Die Autoren der Studie beziehen sich auf Bruno Latour, der, auch in der Tradition Lefebvres stehend, Räume als aktive Gestalter und damit Mit-Produzenten sozialer Zusammenhänge beschreibt. Räume können nach Latour »ermächtigen, ermöglichen, anbieten, ermutigen, erlauben, nahelegen, beeinflussen, verhindern, autorisieren, ausschließen und so fort« (Latour 2019, S. 124).
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eingebettet« ist, dann sind »Aneignung, Bereitstellung, Überwachung, Durchsetzung, Konfliktlösung und Verwaltungsaktivitäten […] in Unternehmen […] organisiert« (ebd., S. 117 f.). Damit ist das Prinzip der Allmende eine Herausforderung auf der politischen, sozialen und planerischen bzw. entwerferischen Ebene (Pelger/Kaspar/ Stollmann 2016, S. 29). Nach Lefebvre stehen in einer solchen raumstrukturellen Organisationsform die Ebenen gesellschaftlicher Wirklichkeit in einem Gleichgewicht – soziale Aushandlungsprozesse führen zu räumlich-materiellen Veränderungen, die gleichzeitig auch durch bestimmte Raumvorstellungen repräsentiert und auch von diesen beeinflusst werden. Die Beschaffenheit des physischen Raumes – sei es ein Freiraum oder ein Gebäude – ermöglicht und beeinflusst ein bestimmtes soziales Miteinander (vgl. dazu Steets 2015). Die zentralen Voraussetzungen für ein ›Comeback‹ des traditionellen sozial-räumlichen Prinzips der Allmende sind die Bereitstellung und Gewährleistung der Räume von politischer Seite und die Bereitschaft der Beteiligten zur Mitgestaltung durch lokale und regionale Initiativen. Damit ist die »[Allmende] sowohl als intuitives handlungsbasiertes, das Zusammenleben der Menschen organisierendes Prinzip zu verstehen, genauso ist sie aber auch strategischer Raumplan unter sich verschlechternden politischen und Umweltbedingungen« (Pelger/Kaspar/Stollmann 2016, S. 29).
Vor diesem Hintergrund stellen leerstehende Landbahnhöfe Ressourcen dar, die einerseits Netzzusammenhänge auf infrastrukturelle Weise herstellen können, die aber andererseits Räume sozialer Mitbestimmung und -gestaltung bieten. Als Brachen im Raumgeschehen können sie auch im Sinne Burckhardts auf sehr verschiedene Weisen interpretiert und re-konfiguriert werden. Leerstehende Landbahnhöfe haben das Potential, als vernetzte Allmenderäume die Entwicklung in ländlichen Regionen erheblich zu beeinflussen: Mit dem gegebenen Schienensystem liegen bereits die physischen Voraussetzungen vor, um über die bloße infrastrukturelle Verbindung hinaus funktionale und sozial-räumliche Zusammenhänge herstellen zu können. Als Ressourcen rurbaner Netzräume
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können Landbahnhöfe vor diesem Hintergrund als rurbane Allmenden24 verstanden und nutzbar gemacht zu werden, denn sie sind Teil einer Stadt und Land verbindenden Infrastruktur, deren Gebäudestruktur gemeinschaftliche Tätigkeiten ermöglicht. Und sie sind identitätsstiftende Orte im Raumgeschehen, deren Bedeutung als gesellschaftliche Zentren revitalisiert werden können, da die Gebäude als Erinnerungsfiguren präsent sind. Als Knotenpunkte eines Allmende-Ressourcensystems können sie einen Netzraum beleben und etablieren, der sich von den Knotenpunkten ausgehend entwickeln und verteilen kann. Vor diesem Hintergrund und in Anlehnung an die traditionelle Allmendeorganisation und die von Ostrom aufgestellten Bauprinzipien bedarf es auf der politischen und administrativen Ebene eines neuen Verständnisses von und des Umgangs mit Landbahnhöfen sowie deren Verbindungen. Als Alternative zum Leistungsstaat schlägt Oswalt den Gewährleistungsstaat vor, der »nicht mehr alle Dienstleistungen selbst [erbringt], sondern […] Voraussetzungen [schafft], die es den Bürgern ermöglichen, sich produktiv für das je örtliche Gemeinwesen zu engagieren« (Oswalt 2013, S. 13). Damit müsse der Staat nicht alles vorhalten, stattdessen gewährleisten und garantieren, »dass jeder einen adäquaten Zugang zu den benötigten Diensten hat« (ebd., S. 14). Ein solches Konzept ist aber auch der Kritik ausgesetzt. So weist bspw. Neu darauf hin, dass »der Wert der gleichen Lebensverhältnisse ein zentrales, normatives und strukturelles Prinzip des sozialen Rechtsstaates der demokratischen Wohlfahrtsgesellschaft und des sozialen Zusammenhaltes repräsentiert« (Neu 2016, S. 8). Beim Öffnen von bestehenden Prinzipien gelte es darauf zu achten, dass die »›reale‹ Ländlichkeit«
24 Silke Helfrich hat den Begriff der rurbanen Allmende – der »rurban commons« – in ihrem Vortrag »Imagining the (r)urban Commons in 2040« im Rahmen der Konferenz »IASC Thematic Conference on Urban Commons« in Bologna am 7.11.2015 verwendet. Grund für die Erweiterung des Begriffes von ›urbanen Allmenden‹ (Harvey 2013, S. 127) zu ›rurbanen Allmenden‹ ist aus ihrer Sicht die notwendige Verbindung des Urbanen mit dem Ruralen. Dabei geht es sowohl um das Zusammenfügen von Praktiken als auch um das infrastrukturelle Verbinden von Stadt und Land. Siehe dazu: http://commonstransition.org/imagining-therurban-commons-in-2040/, aufgerufen am 2.3.2018.
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nicht von »im schlechtesten Fall ›Bullerbü in Braun‹, Homogenitätsfantasien und einfache[n] Antworten auf komplexe Fragen« überholt werde (ebd., S. 9). Vor dem Hintergrund der von Oswalt aufgezeigten benötigten Möglichkeitsräume zur produktiven Mitgestaltung im Raumgeschehen, aber auch der damit verbundenen Risiken, wie Neu sie benennt, können für die Wiederbelebung der in einem Zusammenhang stehenden Landbahnhöfe in Anlehnung an die Bauprinzipien Ostroms (s. o.) Mindestanforderungen formuliert werden, um sie als Allmenderessourcen nachhaltig zugänglich zu machen: (1) Innerhalb der gegebenen baulichen Grenzen der Gebäude und ihrer feststehenden Lage am Schienensystem können die in bestimmten Interessengemeinschaften (in rechtlichen Formen wie z. B. Vereinen, Genossenschaften o. ä.) zusammengeschlossenen Nutzer als ‚Ressourcenbewirtschafter‘ eigenverantwortlich regeln, welchen festzulegenden konkreten Funktionen die Gebäude dienen, wie der Kreis der Nutzungsberechtigten gefasst wird und welche spezifischen Zugänge dafür zu schaffen sind. (2) Landbahnhöfe stellen ›in Reihe geschaltete‹ Möglichkeitsräume dar. Damit das Potential dieser Räume auch im Verbundsystem genutzt werden kann, müssen die konkreten lokalen Bedingungen für die Aneignung der einzelnen Bahnhöfe (also Funktionsbestimmung, Kreis der Nutzer, Besonderheiten der jeweiligen ›Bahnhofsortschaften‹ etc.) bei der Festlegung der Aneignungsund Bereitstellungsregelungen berücksichtigt und miteinander abgestimmt werden. Solche Festlegungen kommen insbesondere in Betracht, wenn sich die Bedingungen entlang eines Streckensystems so unterscheiden, dass die Zugangsvoraussetzungen für die Nutzung der Gebäude tatsächlich differenzierte Regelungen erfordern. Zweifellos unterscheiden sich in dieser Hinsicht zum Beispiel bereits schon nach ihren Funktionen und damit den erforderlichen Zugängen Betreuungseinrichtungen oder medizinische Zentren einerseits und touristische Einrichtungen oder ›Kulturanker‹ andererseits. Diese lokalen Festlegungen sind nicht nur wesentliche Grundlage für die tatsächlich mögliche Qualität der Nutzung des vorhandenen Systems Bahnhof-Schiene, sondern werden zugleich auch Ergebnis einer in der Alltagspraxis gebotenen Neujustierung des unter Punkt 1 bezeichneten Bauprinzips ›Grenzen‹ sein müssen.
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(3) Der gegebene Verbund der Bahnhöfe ermöglicht auf Basis des Vorstehenden eine über das einzelne Bahnhofsgebäude hinausgehende operative Managementstruktur. Entscheidend ist, dass sowohl die Festlegung dieser Struktur als auch der dazugehörigen Regelungen – und ihre Änderungen – durch diejenigen erfolgt, die selbst als Teil der Allmenderessource anzusehen sind, also die Nutzer der Gebäude. Das schließt ein, die in Abhängigkeit von der gewählten Rechtsform der Organisation maßgeblichen rechtlichen Rahmen und Entscheidungsregularien einzuhalten bzw. anzuwenden. (4) Eine solch übergeordnete Managementstruktur ermöglicht zugleich die effektive Organisation der Überwachung des Zustandes sowohl der Gebäude und ihrer funktionsabhängigen Ausstattung als auch des Schienensystems. Wirtschaftliche Beauftragungen von entsprechenden Fachunternehmen gehen so einher mit abgestimmter Schwerpunktsetzung hinsichtlich des ökonomischen Einsatzes. Zugleich kann damit auf Nachjustierungen hinsichtlich der Funktionen und davon abhängigen Reichweiten der einzelnen Bahnhofsnutzungen reagiert werden. (5) Abhängig von der jeweils gewählten Rechtsform der organisierten Interessengemeinschaften/Nutzergruppen sind nicht nur die danach vorgesehenen Mechanismen der Willensbildung innerhalb der organisierten Gemeinschaft, sondern auch die rechtsstaatlich vorgesehenen Konfliktlösungsregularien und -mechanismen anzuwenden. Insoweit geht es auch um die Anwendung bestehender rechtlicher Vorgaben und Möglichkeiten. Die Ausfüllung der jeweiligen vom Gesetzgeber bzw. der Rechtsprechung eingeräumten Gestaltungsspielräume (z. B. Satzungsbestimmungen des rechtsfähigen Vereins § 25 BGB, Statut einer Genossenschaft §§ 6 bis 8 GenG, Vertrag über die Bildung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts §§ 705, 709 BGB) gehört zu den originären, am Organisationszweck orientierten Aufgaben der Vertretungsorgane der jeweiligen Rechtsform. (6) Das Vorstehende konkretisiert sich nicht zuletzt darin, dass diejenigen, die sich den Raum aneignen »raschen Zugang zu kostengünstigen lokalen Arenen« (Ostrom 1999, S. 118) haben, um Konflikte zu lösen bzw. zu schlichten: Die Gebäude und Schienensysteme sind an verschiedene verwaltungs- und ortsspezifische Strukturen angeschlossen bzw. Verwaltungseinheiten zugeordnet;
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Fachämter lokaler Gebietskörperschaften (z. B. Bauämter) sind zugänglich und vorgesehene Ansprechpartner. (7) Die Bindung der kommunalrechtlich vorgesehenen ›lokalen Arenen‹ an das Gesetz sichert zugleich wesentlich, dass die beschriebene Nutzung der Landbahnhöfe von staatlicher Seite nicht in Frage gestellt wird, solange deren konkrete Ausgestaltung rechtmäßig ist. (8) Grundvoraussetzung für die angesprochenen Szenarien ist eine grundlegende politische Weichenstellung, mit der überhaupt ermöglicht wird, die Landbahnhöfe als ›in Reihe geschaltete Möglichkeitsräume‹ im Sinne einer Allmenderessource wahrzunehmen. Als solche sollten sie in eine Gemeinschaftsstruktur (z. B. Vereine, Genossenschaften, ...) eingebettet sein, die in verschiedene Zuständigkeitsbereiche strukturiert und nach kollektiv anerkannten Regularien organisiert ist. Wie die Untersuchung der Umnutzungsweisen von Landbahnhöfen gezeigt hat, sind geographische Vernetzungsmuster – lokal, regional und überregional bzw. international – beeinflusst von den Ebenen der gesellschaftlichen Wirklichkeit: der privaten, städtischen und globalen Ebene. So ließe sich eine gemeinschaftliche Organisationsform wie die der Allmende auf die leerstehenden, ehemals identitätsstiftenden Gebäude und deren gegebene Schienenverbindung übertragen und nutzbar machen. Die Voraussetzung dafür ist, dass auf der einen Seite die Gebäude und die Strecken erhalten und instandgesetzt und auf der anderen Seite Nutzungsalternativen eingeräumt werden, die über »Standardöffnungsklauseln […] flexible, lokal spezifische Lösungen ermöglich[en]« (Oswalt 2013, S. 13). Das bedeutete für den Bahnverkehr entlang wenig genutzter Strecken, dass neben der Personenbeförderung auch der Gütertransport in ein und demselben Fahrzeug ermöglicht würde und auch alternative Schienenfahrzeuge auf den Strecken erlaubt wären. Für die Gebäude hieße das, dass nicht mehr »rigide Mindestgrößen die Nutzung […] für neue Aufgaben […] verhindern« (ebd.) würden. Entsprechend der ›prototypischen Nutzungsszenarien zu Ressourcensystemen‹ könnten die Gebäude für vielfältige Bedarfe ertüchtigt werden. Es bedarf also einer staatlichen Verantwortung, das gegebene Netz zu erhalten, bereitzustellen und gemeinschaftliche Entwicklungen zu unterstützen. Dazu gehört auch eine vorausschauende und strategische Immobilien-
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und Flächenpolitik – das können z. B. kommunale und überkommunale Flächenzuweisungen oder ein kommunales Vorkaufsrecht mit Konzeptvergaben an lokale Initiativen sein. Die Anerkennung von Landbahnhöfen als Allmenderessourcen für lokale Initiativen durch Kommunen, Zweckverbände oder Gemeinden würde den unzähligen und beklagten Abrissen der scheinbar nutzlos gewordenen Gebäude entgegenwirken und gleichzeitig starke Impulse im Netzraum geben. Im Zuge der Organisation von Landbahnhöfen als Allmenderessourcen stellt sich auch die Frage nach der Nutzergruppe. Wie die Fallbeispiele im Anhang zeigen, gibt es Initiativen und Bewegungen, die die leerstehenden Landbahnhöfen wieder zum Leben erwecken wollen. Die Beispiele revitalisierter Bahnhofsgebäude bezeugen, dass vielfältige Ideen zur Umnutzung existieren und auch umsetzbar sind. Auf Grund der Eigentums- und Besitzverhältnisse können die Bahnhöfe jedoch stets nur als individuelle Objekte betrachtet werden. Für eine gemeinsame Nutzung und damit die Ausschöpfung der Ressource als Allmende bedarf es daher einer Planung als Gemeingut über die konkreten rechtlichen Besitz- und Eigentumsverhältnisse hinaus, was über interkommunale Regelungen (z. B. Vorkaufsrecht, vorsorgende Flächenpolitik o. ä.) erfolgen kann. Das Verständnis eines zusammenhängenden, im wahrsten Sinne des Wortes: an einem Strang ziehenden Bündnisses von Allmenderäumen würde den Austausch, die gegenseitige Unterstützung und die Nutzung von gemeinsamen Ressourcen erlauben. Nach Burckhardt haben Planende die Aufgabe, Strategien zu finden (Burckhardt 2014e). Um die Gebäude so zu ertüchtigen, dass sie in dem vorhandenen System vielfältige Nutzungen ermöglichen, müssen Politik, Planung und Nutzer so aufeinander bezogen handeln, dass den jeweils anderen genug Spielraum eingeräumt wird, selbst Entscheidungen zu treffen: Die Voraussetzung für die Entwicklung solcher Allmenderessourcen ist der Erhalt und die Bereitstellung des gesamten Netzsystems von politischer Seite. Gerade in Regionen, in denen die Bereiche der Daseinsvorsorge zunehmend Schwierigkeiten begegnen, können Bereiche wie Mobilität, Gesundheit oder Bildung nicht ausschließlich marktwirtschaftlich orientiert sein, sondern es müssen Spielräume für die Nutzer ermöglicht werden, die sich als Teil des Netzsystems für
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genau dieses und seine Entwicklung engagieren wollen, können und sollen. Für die Entwicklung dieses Netzsystems als nachhaltige Allmenderessource sind planerische Strategien erforderlich, die die Potentiale des Netzzusammenhangs erkennbar machen, indem strategisch-planerische Ideen als Voraussetzung für vorsorgende Flächen formuliert werden. Erst im Zusammenspiel der drei Ebenen Politik, Planung und Nutzer kann eine rurbane Allmenderessource entstehen. Die prototypischen Impulse betreffen derzeitige gesellschaftliche Imaginationen, Projektionen und Handlungen, die auf Wünsche, Bedürfnisse und auch Dringlichkeiten eines ›guten Lebens‹ im rurbanen Netzraum reagieren und sicherlich auch noch lange aktuell bleiben. Die wie aufgereiht leerstehenden Landbahnhöfe haben als Erinnerungsfiguren im Raumgeschehen das Potential, nachhaltige materiell-dingliche sowie sozio-kulturelle Möglichkeitsräume zu bilden. Indem die Gebäude zu einem Ressourcensystem zusammengefasst werden, sind unter dessen Schirm vielfältige Belebungen in Anlehnung an die gegenwärtigen prototypischen Nutzungsweisen und damit Einflussmöglichkeiten von Landbahnhöfen denkbar (Abb. 47).
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Abb. 47: Allmendebahnhöfe und deren mögliche geographische Reichweite. Die Gebäude sind Teile von lokalen, regionalen und überregionalen Netzwerken.
Als Allmenderessourcen anerkannt und genutzt, wird sowohl von der lokalen Bevölkerung als auch von globaler, staatlicher Ebene ein Aushandeln und Verändern bestehender Strukturen und deren Organisation verlangt.25
25 Damit wäre im Verständnis nach Burckhardt allerdings auch ein problematischeres Unterfangen begründet. Denn im Gegensatz zu den »›reinen‹ Projekten« (Burckhardt 2014a, S. 51) – die sich auf die Monofunktionalität des Raumes beziehen – ist die hier angestrebte Polyfunktionalität risikoreicher. »Komplizierte Konglomerate aus vielfach verflochtenen Nutzungen […] [sind] niemals unangreifbar und deshalb auch nicht, nach heutiger Auffassung, im Rate präsentierbar« (ebd.).
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Das entworfene Verständnis von Landbahnhöfen als Allmenderessourcen eines rurbanen Netzraumes kann eine Antwort auf die vielen Fragen zum Umgang mit leerstehenden, ehemals repräsentativen Gebäuden im ländlichen Raum sein. Nicht der individualisierte Entwurf steht im Mittelpunkt, sondern das Zusammenspiel von Politik, Umwelt und Mensch. Erst dann kann ein nachhaltiger sozialer Raum produziert und reproduziert werden. Die Interpretation von Landbahnhöfen als Teil eines gemeinschaffenden26 Ressourcensystems erlaubt soziale Raumproduktion, die auch neue Formen sozialen und gesellschaftlichen Miteinanders zulässt. Es ist »ein Feld für Erfindungsreichtum, für Formen des Schaffens, die alle möglichen Bereiche menschlicher Tätigkeit umfassen – Lebensmittel, Gesundheit, Bildung, Kultur, Güterproduktion, Stadtbau usw.« (Stavrides 2017, S. 58).
R URBANE N ETZRAUMPRODUKTION AN DER PFEFFERMINZBAHN – EIN S ZENARIO Wie ist eine rurbane Netzraumproduktion vorstellbar? Wie kann ein Allmenderessourcensystem am Beispiel der Pfefferminzbahn funktionieren? Am Beispiel der Pfefferminzbahn wird abschließend entwurfsorientiert kartographisch gezeigt, dass durch das Zusammenspiel von politischen Setzungen, staatlicher Versorgung, strategischen Planungen und Eigeninitiativen, die baulichen Ressourcen, bestehend aus Gebäuden und verbindenden Strecken, als Allmenderessource entwickelt werden können und welche regionalen Auswirkungen denkbar sind. Das Nachdenken über
26 Der Begriff ›Gemeinschaffen‹ beschreibt einen »Prozess der Aushandlung von Unterschieden und Konflikten zwischen Individuum, Gemeinschaft und Gesellschaft. Ein Prozess der räumlichen Organisation der Beziehungen zwischen Produktion und Reproduktion, Eigentum und Zugang zu Ressourcen. Ein Prozess, in dem Solidaritätsnetzwerke geknüpft und die individuellen und kollektiven Rechte neu definiert werden.« (Arch+ 2018, S. 1).
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perspektivische Entwicklungsmöglichkeiten am Beispiel der Pfefferminzbahn bedeutet nicht nur Entwürfe für Zukünftiges aus Vergangenem abzuleiten, sondern soll eine Grundlage für weitere Diskussionen zum Umgang mit leerstehender und identitätsstiftender Bausubstanz im ländlichen Raum bilden. Die gegenwärtigen Entwicklungen entlang der Pfefferminzbahn zeigen bereits Tendenzen rurbaner Netzraumproduktion: Zum einen haben sich in dem Zweckverband ALLIANZ THÜRINGER BECKEN vier Gemeinden zusammen geschlossen, um als interkommunale Kooperation verschiedene Stärken und Kräfte der Region zu bündeln und gemeinsam Projekte umzusetzen. Zum anderen zeigt die Erfurter Bahnservice GmbH mit der Aktion ›Lückenfüller‹, dass die Strecke der Pfefferminzbahn vor allem während der Hauptverkehrszeit für Pendler von Bedeutung ist und zugleich, dass alternative Nutzungen, beispielsweise am Bedarf orientierte Fahrten, möglich sind. Auch die lokale Bevölkerung setzt sich für den Erhalt der Strecke als Personenbahn ein. Die noch bestehenden Bahnhofsgebäude spielen für den Streckengebrauch keine tragende Rolle mehr. Sie sind fast ausschließlich privatisiert und stehen größtenteils leer. Für diese identitätsstiftenden Gebäude entlang der Pfefferminzbahn ist es jedoch vorstellbar, dass sie im Sinne von Allmenderessourcen für lokal spezifische Zwecke geöffnet werden, indem deren bisherige Funktionen oder Planungen erweitert werden. Im Verbund stehend bilden sie eine zentrale Kette und können eine soziale Raumproduktion und somit eine nachhaltige Landschaftsentwicklung fördern. Gegenwärtige Entwicklung Der interkommunale Zweckverband ALLIANZ THÜRINGER BECKEN ist nach dem Thüringer Gesetz über die kommunale Gemeinschaftsarbeit27 ein im Jahr 2016 gebildeter Zusammenschluss der vier Kommunen Buttstädt, Sömmerda, Straußfurt und Kindelbrück, um übergemeindlich und zusammenhängend in verschiedenen Bereichen tätig sein zu können (Abb. 48).
27 ThürKGG i.d.F. der Bekanntmachung vom 10.10.2001 (GVBl. S. 290), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 23.07.2013 (GVBl. S. 194).
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Abb. 48: ZWECKVERBAND ALLIANZ THÜRINGER BECKEN und die Schienen der Pfefferminzbahn als Ost-West Verbindung. Kreuzungspunkte zu den in Nord-Süd Richtung verlaufenden Strecken sind in Straußfurt im Westen, Sömmerda und Großheringen im Osten. Durch das Thüringer Becken verläuft die ICE-Strecke (grau gestrichelt), ohne die Ortschaften direkt zu tangieren.
Die Allianz spannt einen Rahmen sowohl für die Gestaltung des Lebens in den dazugehörenden Städten und Gemeinden als auch für die geschlossene Vertretung der Interessen der Region nach außen. Die Gemeinden kooperieren insbesondere in den Bereichen ›Leben/Wohnen‹ sowie ›Tourismus/Freizeit‹, indem sie die jeweiligen Angebote (bspw. für die verschiedenen Altersgruppen, eine Wohnungsbörse oder Kultur-, Erholungs- und Gastronomieangebote) bündeln und als Region zur Verfügung stellen. Genannt werden soll auch die unter dem Dach des Zweckverbandes organisierte Initiative ›Leerstand teilen‹, die nach den Mitteilungen des Verbandes mit einer Leerstandsanalyse in den Mitgliedsgemeinden einhergeht. Darüberhinaus akquirieren sie als Zweckverband gemeinschaftlich Fördermittel z. B. für den Ausbau des Radweges zwischen Kindelbrück und Buttstädt und bieten gemeindeübergreifende Informationen zu ›Mobilität‹, ›Radwege(n)‹ sowie zur medizinischen Versorgung, zu touristischen Angeboten, Gewerbe-
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gebieten und einen Seniorenwegweiser an.28 Die Schienen der Pfefferminzbahn durchqueren dabei drei der Gemeinden dieser Allianz, nämlich Straußfurt, Sömmerda und Buttstädt. Die Bedeutung der Strecke für den Pendlerverkehr wurde mit der Aktion des ›Lückenfüllers‹ auf der Pfefferminzbahn von der privaten Erfurter Bahnservice GmbH und der Thüringer Eisenbahn GmbH als Antwort auf die vom Land Thüringen beschlossene Kürzung der Strecke für den Personenverkehr ins Leben gerufen, um auf die Relevanz dieser Nebenbahn als infrastrukturellem und auch identitätsstiftendem Faktor aufmerksam zu machen: Für zwei Monate, zwischen dem 8. Januar 2018 und dem 4. März 2018, stellten Organisatoren der privaten Thüringer Eisenbahn GmbH zweimal täglich auf eigene Kosten den sogenannten ›Lückenfüller‹ zwischen Sömmerda und Buttstädt auf die Schienen (Wetterauer 2018). Damit wollten sie nachweisen, dass »der neue Fahrplan auf der Pfefferminzbahn am Bedarf vorbei aufgestellt wurde« (Burghardt 2018a). Der ›Lückenfüller‹ diente dabei nicht nur als Infrastruktur, sondern erlaubte zusätzlich alternative Zahlungsweisen sowie verschiedene touristische Angebote. So konnte im ›Lückenfüller‹ in Naturalien bezahlt werden – »Für einen Apfel und ein Ei ist die Fahrt bei uns frei« –, die an die Sömmerdaer Tafel gespendet wurden (Burghardt 2018b). Oder es fand ein Solokonzert eines Cellisten während einer Nachmittagsfahrt statt. Die fahrende Diesellock aus dem Jahr 1981 zog zusätzlich viele Bahnbegeisterte an, die vor allem am letzten Tag der Aktion in Scharen den Zug begleiteten. Die Initiatoren erhofften sich von ihrer Aktion, dass der ›Lückenfüller‹ gut in Anspruch genommen würde und im Anschluss im Auftrag des Landes weiter betrieben werden könnte (Wetterauer 2018). Denn aus Sicht der Initiatoren ist die Pfefferminzbahn nicht nur bedeutend für den Pendlerverkehr, sondern darüber hinaus für den Tourismus in der Region. Ein Einstellen des Bahnverkehrs auf dieser Strecke wird als ein ›Abschneiden des ländlichen Raumes‹ wahrgenommen. Seit 2018 fahren die Züge für den Personenverkehr nur noch zwischen Sömmerda und Buttstädt, womit die ursprüngliche Verbindung bis nach Großheringen, von wo aus
28 Siehe http://www.allianz-thueringer-becken.de/home.html, aufgerufen am 13.08.2020.
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Anschlüsse nach Naumburg oder Jena führten, abgekoppelt wurde (Abb. 49). Für den Transport von Gütern übernimmt die gesamte Strecke jedoch weiterhin eine tragende Rolle (Burghardt 2018b). Abb. 49: Pfefferminzbahn gekürzt. Ein Kreuzungspunkt für den Personenverkehr zu einer Nord-Süd-Verbindung befindet sich seit 2018 nur noch in Sömmerda. Rot gestrichelte Linie: Strecken des Personenverkehrs. Rot gepunktete Linie: Güterverkehr. Grau gestrichelte Linie: ICE-Strecke.
Diese Ansätze, durch die mit der Pfefferminzbahn gemeindeübergreifend den gegenwärtigen, insbesondere Mobilitätsbedürfnissen Rechnung getragen werden sollte, lassen sich wegen ihrer ortsübergreifenden Zielrichtung auch als mögliche Bausteine rurbaner Netzraumproduktion begreifen. Zukunftsszenario Soziale Räume können nach Lefebvre durch ein gleichwertiges Zusammenspiel der von ihm so bezeichneten globalen, mittleren und privaten Ebene produziert werden. Übertragen auf die Region entlang der Pfefferminzbahn kann der interkommunale Zweckverband ALLIANZ THÜRINGER BECKEN auf der globalen Ebene
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angesiedelt werden, denn er ist eine übergeordnete, durch Zusammenschluss entstandene Verwaltungsstruktur, mit deren Hilfe wiederum lokale Bedürfnisse effektiver befriedigt und Ressourcen und Vorhaben übergemeindlich genutzt bzw. umgesetzt werden können. Die existierende Infrastruktur, bestehend aus Schienen und den Haltepunkten nahe den ehemaligen Empfangsbauten, übernimmt dienstleistende und versorgende Funktionen. Daher lässt sie sich der mittleren, vermittelnden Ebene zuordnen: Sie vermittelt zwischen Ortschaften und Versorgungszentren und stellt so auch die Verbindung zwischen Städten und Gemeinden, Stadt und Land, zwischen größeren und kleineren Ballungszentren dar. Die private Ebene der gesellschaftlichen Wirklichkeit wird nach Lefebvre durch nachbarschaftliche Beziehungen beschrieben. Für das hier beleuchtete Beispiel der Pfefferminzbahn findet dieser alltägliche Austausch vor allem innerhalb der einzelnen, an der Strecke liegenden Ortschaften statt. Vor dem Hintergrund rurbaner Netzraumproduktion können, so die These, die Bahnhofsgebäude entlang dieser Strecke einen Beitrag dazu leisten, die private Ebene zielgerichtet zum Bestandteil überregionaler Zusammenhänge werden zu lassen: Die sie verbindende Infrastruktur ermöglicht ein Zusammenwirken sowie Kooperieren und Austausch zwischen den Nutzern der einzelnen Gebäude, macht aber gleichzeitig die Produktion eines rurbanen Netzraumes mit seiner kennzeichnenden Nutzung gemeinschaftlicher Ressourcen (und des effektiven, sparsamen Umgangs mit ihnen) notwendig. Die vorgegebene Situation entlang der Pfefferminzbahn – es gibt einen interkommunalen Zusammenschluss, gegen eine mögliche weitere Kürzung bzw. Stilllegung der Bahnstrecke wird vorgegangen und die Bahnhöfe stehen weitestgehend leer – macht ein Szenario denkbar, bei dem der rurbane Netzraum gestärkt und so die Region nachhaltig entwickelt werden kann. Dafür ist das Ineinandergreifen von Architektur und systemischer Verbindung als rurbane Allmenderessource notwendig. Ausgangspunkt für die Förderung eines rurbanen Netzraumes entlang der Pfefferminzbahn ist eine übergeordnete Verwaltungsstruktur, die die entsprechenden Gemeinden und Kommunen verbindet und übergemeindliche Beschlüsse zur Nutzung der Infrastruktur sowie der Bahnhofsgebäude fassen kann. Dafür bietet sich
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der bereits bestehende Zweckverband ALLIANZ THÜRINGER BECKEN an, dessen Wirkungsbereich erweitert werden könnte, indem weitere Mitglieder wie die Gemeinden Weißensee, Kölleda und Bad Sulza (wegen der Ortsteile Tromsdorf und Reisdorf, in dem sich das Bahnhofsgebäude des Haltepunktes Eckartsberga befindet) gewonnen werden. Die Bahn durchkreuzt außerdem die Thüringer Gemeinden Großneuhausen, Kleinneuhausen und Großheringen sowie die zu Buttstädt gehörenden Ortsteile Ellersleben und Guthmannshausen. Diese Ortschaften verfügen zwar über Haltepunkte, aber nicht (mehr) über Bahnhofsgebäude. Die Impulse, die von der Nutzung der Bahnstrecke und der anderen Gemeinden zuzuordnenden, aber eben an dieser Strecke liegenden Bahnhofsgebäude ausgehen, reichen schon wegen der übergemeindlichen Streckennutzung auch in diese Gemeinden, so dass eine Erweiterung des Zweckverbandes um diese von der Pfefferminzbahn durchkreuzten Gemeinden sinnvoll erscheint (Abb. 50). Abb. 50: ZWECKVERBAND ALLIANZ THÜRINGER BECKEN und durch die Schienen der Pfefferminzbahn verbundene Gemeinden. Hellgrau sind die Gemeinden des bisherigen Zweckverbandes, dunkelgrau die Gemeinden mit Bahnhofsgebäuden entlang der Pfefferminzbahn und umrandet die Gemeinden mit Haltepunkten gekennzeichnet.
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Der Zweckverband ALLIANZ THÜRINGER BECKEN stellt nach dem Thüringer Gesetz über die kommunale Gemeinschaftsarbeit (ThürKGG) eine Form der übergemeindlichen Zusammenarbeit dar29, über die unterschiedliche Synergieeffekte durch das interkommunale Bearbeiten von gemeinsam gesetzten Zielen erreicht werden können. Unter dieser oder ähnlich übergeordneten Verwaltungsstrukturen könnten Abstimmungen von Planungen der einzelnen Beteiligten bzw. des Tätigwerdens von Einrichtungen oder die Vorbereitung gemeinsamer Flächennutzungspläne30 bzw. die Sicherstellung einer gemeinsamen wirtschaftlichen und zweckmäßigen Erfüllung der Aufgaben in einem größeren nachbarlichen Gebiet geregelt werden. Der Zweckverband ALLIANZ THÜRINGER BECKEN – oder eine andere Form der interkommunalen Kooperation nach dem ThürKGG – könnte demnach die Bahnhofsgebäude entlang der Pfefferminzbahn als zentrale Orte für die städtebauliche und regionale Entwicklung koordinieren und konkret zu Orten des Gemeinschaffens machen, indem sie – je nach lokalen Bedingungen – nutzbare Räume für Versorgung, Erholung und Nachbarschaft bieten.31
29 Nach dem Thüringer Gesetz über die kommunale Gemeinschaftsarbeit in der Fassung vom 10.10.2001 (ThürKGG) sieht der Landesgesetzgeber die für die kommunale Gemeinschaftsarbeit von Gemeinden und ihnen gleichstehenden Verwaltungsgemeinschaften sowie Landkreisen drei Rechtsformen vor: Das sind nach § 2 Abs. 1 ThürKGG zum einen zu gründende kommunale Arbeitsgemeinschaften, zum anderen abzuschließende Zweckvereinbarungen und schließlich die Bildung von Zweckverbänden als Anstalten öffentlichen Rechts. Je nach Rechtsform sieht das ThürKGG unterschiedlich ausgestaltete Kompetenzen und Zuständigkeiten sowie Regelungen über die Bildung der konkreten Form der Zusammenarbeit und Aufsicht darüber vor. 30 Vgl. dazu: §§ 5 bis 7 Baugesetzbuch – BauGB (BGBl. I, 2004, S. 2414) i.d.F. vom 30.6.2017 (BGBl. I S. 2193). 31 Welche der rechtlichen Möglichkeiten – kommunale Arbeitsgemeinschaften, Zweckvereinbarungen oder Zweckverbände – für die Schaffung der übergeordneten Verwaltungsstruktur die geeignetste ist oder ob eine Kombination mehrerer Rechtsformen nach dem ThürKGG für die Sicherung verlässlicher übergemeindlicher Zusammenarbeit sinnvoll wäre, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden, bedürfte aber einer sorgfältigen rechtlichen Prüfung. Eine solche
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In dem Szenario wird davon ausgegangen, dass eine Mischnutzung der Schiene für die gesamte Strecke der Pfefferminzbahn möglich ist. Der Güter- und Personentransport würde dabei nicht getrennt auf den Schienen abgewickelt werden, gemischte Züge wären für den Transport sowohl von Personen als auch von Gütern zu bevorzugen, was auch die Auslastung der Züge erhöhen könnte. Die Bahnhofsgebäude entlang der Pfefferminzbahn sind bis auf das Gebäude in Tromsdorf privatisiert. Es gibt bereits einige Umnutzungen, zum großen Teil stehen sie jedoch (noch) leer und es liegen kaum Planungen vor. Abgeleitet von ihrer Lage und möglichen Bezügen im Raumgeschehen werden im Folgenden für die Bahnhofsgebäude entlang der Pfefferminzbahn Nutzungsvorschläge skizziert. Die kartographischen Darstellungen (ca. im Maßstab 1:20.000) verweisen auf die städtebauliche Struktur der einzelnen Ortschaften und deren naturräumliche Einbindung sowie die Lage der Bahnhofsgebäude. Die für die Betrachtung wesentlichen Beziehungen und Verbindungen sind kartographisch notiert. Es ist stets eine Fahrradverbindung gezeigt. Diese nimmt Bezug auf das regionale Radwegenetz, das der Zweckverband ALLIANZ THÜRINGER BECKEN bereits plant.
Prüfung setzt die verbindliche Zweck-/ Aufgabenbestimmung und ihre Ausformulierung durch die potentiell Beteiligten bzw. die bereits im bestehenden Zweckverband verbundenen Mitglieder voraus – nämlich die der Wiederbelebung der Bahnhofsgebäude entlang der betriebenen Strecke der Pfefferminzbahn als gemeinschaftliche Ressource für praktische Lebensgestaltung.
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Straußfurt (1.850 Einwohner) Studierstube – Bibliothek im Netz
Straußfurt bildete bis 2007 den westlichen Knotenpunkt der Pfefferminzbahn. Nach Süden sind es auf dem Schienenweg 26 Minuten nach Erfurt, das wiederum Teil der Thüringer Städtekette und damit der wichtigsten Infrastrukturachse Thüringens ist. Von Erfurt sind Weimar in 15 Minuten und Jena in weiteren 14 Minuten erreichbar. Das nördlich gelegene Nordhausen ist in einer knappen Stunde zu erreichen. Damit liegt Straußfurt zwischen den Hochschulstädten Erfurt mit direkter Anbindung nach Weimar und Jena sowie Nordhausen. Derzeit steht der Bahnhof in Straußfurt leer und es liegen keine offiziellen Planungen vor. Das Gebäude bietet sich an, das Erdgeschoss als Bibliothek im Sinne einer Zweigstelle der Universitätsbibliotheken zu etablieren. Im Obergeschoss sind Wohnungen für studentische Wohngemeinschaften denkbar. So könnte der Bahnhof zu einer Studierstube für die Studierenden verschiedener Hochschulen werden.
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Abb. 51 (S. 206, oben): Bahnhof Straußfurt Abb. 52 (S. 206, unten): Szenarische Schnittdarstellung Straußfurt Abb. 53: kartographische Darstellung Straußfurt
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Weißensee (3.400 Einwohner) Arztpraxis – Satelliten-MVZ
Weißensee ist eine mittelalterliche Stadt, die zwischen Straußfurt und Sömmerda liegt. Besonders bekannt ist in Weißensee unter anderem die Runneburg aus dem 6. Jhd. Bis zum Jahr 2007 konnte Weißensee in wenigen Minuten über die Pfefferminzbahn erreicht werden. Heute werden nur noch Güter über die Schienen transportiert. Für Touristen und die 800 Erwerbstätigen des in Weißensee sitzenden und weltweit agierenden Unternehmens Mubea könnte der Personenbetrieb auf der Pfefferminzbahn jedoch von großer Bedeutung sein. Das Bahnhofsgebäude ist privatisiert und es sind Wohnungen geplant. Diese Wohnungen könnten barrierefrei sein und so auch der älteren Bevölkerung zur Verfügung stehen. Das Erdgeschoss bietet sich an, darin ein medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) einzurichten. Als Satelliten-MVZ kooperiert es mit Krankenhäusern. So kann eine wohnortnahe fachärztliche Erstversorgung und/ oder allgemeinmedizinische Betreuung ermöglicht werden. Angebunden an das Schienennetz ist nicht nur eine direkte Verbindung zu den Krankenhäusern gegeben, sondern auch der Austausch der Fachärzte gebündelt vor Ort in Weißensee möglich.
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Abb. 54 (S. 208, oben): Bahnhof Weißensee Abb. 55 (S. 208, unten): Szenarische Schnittdarstellung Weißensee Abb. 56: kartographische Darstellung Weißensee
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Sömmerda (20.200 Einwohner) Verteilerzentrale mit Marktplatz – Marktschwärmer Pfefferminz
Sömmerda ist der zentrale Knotenpunkt entlang der Pfefferminzbahn und bietet sich daher als Verteilerzentrale im doppelten Sinne an: Der Bahnhof dort ist auf der einen Seite ein Verkehrsknotenpunkt. Auf der anderen Seite kann er auch zu einem Umschlagort für regionale Nahrungsmittel werden. In Zeiten des Online-Handels gewinnt der Versandhandel von Nahrungsmitteln eine immer größere Bedeutung. So ist die OnlinePlattform ›Marktschwärmer‹ entstanden, über die bäuerliche Familienbetriebe und Verbraucher zusammengebracht werden. Auf wöchentlichen Märkten, die als ›Schwärmereien‹ bezeichnet werden, treffen Bauern und Abnehmer zusammen (siehe https://marktschwaermer.de). In dem privatisierten Bahnhofsgebäude in Sömmerda könnte eine solche Schwärmerei einziehen und so in der stark landwirtschaftlich geprägten Gegend lokale und kleinteilige Produktion durch gezielt organisierten Vertrieb fördern. Damit könnte sich der Bahnhof zu einer Verteilerzentrale mit Marktplatzcharakter entwickeln, über die auch die Erträge der nahe des Bahnhofs gelegenen Gartenkolonie Gartenberg vermarktet werden.
LANDBAHNHÖFE ALS RESSOURCEN RURBANER NETZRAUMPRODUKTION 211
Abb. 57 (S. 210, oben): Bahnhof Sömmerda Abb. 58 (S. 210, unten): Szenarische Schnittdarstellung Sömmerda Abb. 59: kartographische Darstellung Sömmerda
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Kölleda (5.500 Einwohner) Mehrgenerationenhaus – Die repräsentative Adresse
Kölleda liegt zwischen Sömmerda und Buttstädt. Die Firmen MCD-Power der Daimler AG und die Funkwerk AG haben im Stadtteil Kiebitzhöhe ihren Sitz und garantieren vielfältige Beschäftigungsmöglichkeiten. Diese weltweit agierenden Unternehmen ziehen sowohl Auszubildende und Absolventen als auch Berufserfahrene an. Das Bahnhofsgebäude ist privatisiert und steht leer. Bis dato liegen noch keine Planungen für die Nutzung des Gebäudes vor. Das Bahnhofsgebäude könnte einen Ort bilden, in dem die verschiedenen Generationen zusammen kommen. Als Mehrgenerationenhaus können im Obergeschoss des Bahnhofs Wohngemeinschaften einziehen und im Erdgeschoss ein repräsentativer Treffpunkt für Begegnung und Austausch der verschiedenen Generationen – nicht nur aus Kölleda, sondern auch aus der Region um die Pfefferminzbahn – entstehen, der auch mit dem Mehrgenerationenhaus in Sömmerda kooperiert.
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Abb. 60 (S. 212, oben): Bahnhof Kölleda Abb. 61 (S. 212, unten): Szenarische Schnittdarstellung Kölleda Abb. 62: kartographische Darstellung Kölleda
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Buttstädt (2.500 Einwohner) Kulturvermittler – Bühne am Gleis
Buttstädt ist derzeit der östliche Punkt der noch betriebenen Pfefferminzbahn. Von hier konnte bis Dezember 2017 Bad Sulza über Großheringen innerhalb von 25 Minuten erreicht werden. Etwa zeitgleich mit dem Stilllegen dieser Verbindung wurde die ICETrasse der Verbindung München-Berlin in Betrieb genommen und tangiert das Gebiet nordwestlich von Buttstädt. Die Züge dieser Strecke können als nächstes in Erfurt erreicht werden. Der Bahnhof in Buttstädt ist privatisiert, steht leer und es liegen noch keine Planungen vor. Vor der Privatisierung gab es Initiativen zur Umnutzung des Bahnhofes als Kulturzentrum für Jugendliche. Als Allmenderessource kann dieser Vorschlag aufgegriffen und der Bahnhof als Kulturvermittler genutzt werden. Im Obergeschoss können Gästezimmer für Besucher und Künstler entstehen und das Erdgeschoss dient öffentlichen Veranstaltungen. Der Bahnhof würde so das kulturelle Angebot der Innenstadt erweitern.
LANDBAHNHÖFE ALS RESSOURCEN RURBANER NETZRAUMPRODUKTION 215
Abb. 63 (S. 214, oben): Bahnhof Buttstädt Abb. 64 (S. 214, unten): Szenarische Schnittdarstellung Buttstädt Abb. 65: kartographische Darstellung Buttstädt
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Tromsdorf (200 Einwohner) Schule – Das grüne Klassenzimmer
Tromsdorf ist ein Ortsteil der Stadt Eckartsberga in Sachsen-Anhalt. Es ist der kleinste zur Strecke gehörende Ort und hat auch das kleinste Bahnhofsgebäude entlang der Pfefferminzbahn. Das Dorf kann nur noch mit dem Auto erreicht werden, da seit Dezember 2017 die Pfefferminzbahn auf diesem Stück eingestellt wurde. Der Bahnhof ist noch im Besitz der Deutschen Bahn. In Tromsdorf gibt es keine Bildungseinrichtungen. Das Bahnhofsgebäude könnte als ›grünes Klassenzimmer‹ eine Schnittstelle zwischen den einzelnen Schulen der angrenzenden Ortschaften und Gemeinden bilden, in der Schüler unterschiedlichen Alters für eine bestimmte Zeit in einem Real-Labor tätig werden können. Diese Idee schließt an den Vorschlag von Thaddens (siehe Kapitel ›Landbahnhöfe als Ressourcensysteme‹) an, Landbahnhöfe als Bildungsinseln zu interpretieren.
LANDBAHNHÖFE ALS RESSOURCEN RURBANER NETZRAUMPRODUKTION 217
Abb. 66 (S. 216, oben): Bahnhof Tromsdorf Abb. 67 (S. 216, unten): Szenarische Schnittdarstellung Tromsdorf Abb. 68: kartographische Darstellung Tromsdorf
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Eckartsberga (Stadt Eckartsberga 2.400 Einwohner, Reisdorf 300 Einwohner) Museum und Klausur – Ort am Netz ohne Netz
Der Bahnhof mit der Aufschrift ›Eckartsberga‹ gehört nicht zu der gleichnamigen, nahegelegenen sachsen-anhaltinischen Stadt Eckartsberga, sondern zum thüringischen Reisdorf, einem Ortsteil von Bad Sulza. Eigentümer des Bahnhofsgebäudes ist eine Immobilienfirma in Übersee. Der Bahnhof mit dem Namen Eckartsberga bietet sich als Museum und Klausur im Sinne eines Ortes am Netz ohne Netz an. Es ist ein Ort mit vielfältigen Geschichtszeugnissen und touristischen Anziehungspunkten – die Eckartsburg aus dem 10. Jhd., die Nähe zum Ort der Schlacht bei Jena und Auerstedt im 19. Jhd., aber auch die Nähe zum Festivalgelände in Auerstedt mit dem Auerworldpalast aus dem Jahr 1998. Im Obergeschoss des Bahnhofs könnten Gästezimmer entstehen und im Erdgeschoss ein Ausstellungsbereich, der mit überregionalen Museen und Universitäten mit Gestaltungsstudiengängen wie z. B. in Leipzig oder Weimar kooperiert.
LANDBAHNHÖFE ALS RESSOURCEN RURBANER NETZRAUMPRODUKTION 219
Abb. 69 (S. 218, oben): Bahnhof Eckartsberga Abb. 70 (S. 218, unten): Szenarische Schnittdarstellung Eckartsberga Abb. 71: kartographische Darstellung Eckartsberga
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Auerstedt (450 Einwohner) Markt – Laden.lokal
In Auerstedt steht das von Westen kommend letzte Bahnhofsgebäude der Pfefferminzbahn. Über den Schienenweg war Buttstädt in 15 Minuten und der Verkehrsknotenpunkt Großheringen in 5 Minuten zu erreichen. Das Dorf Auerstedt ist – wie auch Tromsdorf oder Reisdorf – sehr ländlich geprägt. Landwirtschaftliche Produkte werden hier in verschiedenen Maßstäben produziert – sei es in intensiver oder kleinteiliger und privatwirtschaftlicher Landwirtschaft. Das ehemalige Bahnhofsgebäude ist privatisiert und wird als Wohnhaus genutzt. Im Erdgeschoss befindet sich bereits ein Getränkemarkt und Lebensmittelladen. Daran anknüpfend könnte das Bahnhofsgebäude seine Funktion als Marktplatz ausbauen und regionale Produkte aus der Gegend vermarkten – und dabei im Austausch mit der Verteilerzentrale in Sömmerda stehen.
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Abb. 72 (S. 220, oben): Bahnhof Auerstedt Abb. 73 (S. 220, unten): Szenarische Schnittdarstellung Auerstedt Abb. 74: kartographische Darstellung Auerstedt
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Es lässt sich anhand des vorgestellten Szenarios resümieren: Ein rurbaner Netzraum kann im Thüringer Becken gestärkt werden, wenn die Bahnhofsgebäude als rurbane Allmenderessourcen behandelt werden und deren gegebene infrastrukturelle Verbindungen, angepasst an die lokalen Bedingungen, wieder aufgenommen werden. Die Landbahnhöfe können zu Umschlagplätzen mit unterschiedlichen Funktionen werden und so – ähnlich ihrer ursprünglichen Nutzung – wieder als Orte des Austausches fungieren. Orte, die sozial angeeignet werden, können durch gemeinschaftliche Bedürfnisse und deren Befriedigung Räumlichkeiten schaffen, die der Versorgung, Erholung und nachbarschaftlichen Gemeinschaft dienen und so das Raumgeschehen entscheidend beeinflussen und prägen. Die Abbildung 75 zeigt mögliche Effekte, die sich aus der Revitalisierung der Landbahnhöfe sowie der Stärkung und dem Etablieren vorhandener Verbindungen und Potentiale entlang der Pfefferminzbahn ergeben können. Natur-räumliche und sozial-räumliche Strukturen greifen ineinander, verweben sich engmaschig und führen zur Stärkung eines rurbanen Netzraumes entlang der Pfefferminzbahn. Die Abbildung zeigt denkbare lokale, regionale und (inter-)nationale Vernetzungsweisen auf, deren Impulsgeber die Bahnhofsgebäude sind. Die von zwei Seiten zugänglichen Bahnhofsgebäude verbinden Stadt und Land, Lokalität und Globalität. Je nach Nutzung spannen sie unterschiedlich weit reichende Verbindungen auf. Durch ihre ortspezifische Aneignung beschreiben sie einen Raum, der lokale Relevanz hat. Die verschiedenen Nutzungsweisen erreichen durch infrastrukturelle Verbindungen regional vielfältige Akteure. Als infrastrukturelle, soziale und kulturelle Knotenpunkte sind die Gebäude nicht nur lokal und regional relevant, sondern auch überregional vernetzt. Die in der Abbildung dargestellten Verbindungen und Nutzungsszenarien basieren auf dem Lesen und Interpretieren von bestehenden sozial-räumlichen und baulich-strukturellen Gegebenheiten: Bereits durchgeführte Umnutzungen wie in Auerstedt zu einem Getränkemarkt, bestehende Ideen und Planungen wie in Buttstädt, stadträumliche Potentiale wie z. B. die Gartenstadt in Sömmerda oder das kulturlandschaftliche Potential des Thüringer Beckens bilden den Ausgangspunkt für die dargestellten Verbindungen, die diesen rurbanen Netzraum gestalten.
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Durch den so gedachten Zusammenschluss der Bahnhofsgebäude kann das lokal relevante Einzugsgebiet für die nunmehr vorgehaltenen und möglich gewordenen Angebote erheblich vergrößert werden. Allein in den Ortschaften mit einem Bahnhofsgebäude leben insgesamt ca. 35.000 Menschen (siehe zu den Einwohnerzahlen der einzelnen Ortschaften: Thüringer Landesamt für Statistik und Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt, https://www. statistik.thueringen.de). Das entspricht einer mittleren Stadt oder einem nach Christaller definierten Mittelzentrum, in dem nicht nur die alltägliche Grundversorgung der Bevölkerung, sondern darüber hinaus auch der Zugang zu weiterführenden Schulen, medizinischen Versorgungszentren mit entsprechender Facharztpalette oder zu Ämtern und kommunalen Behörden sichergestellt sein muss. Die Bahn ›zieht‹ die an ihr bzw. in der Umgebung liegenden Ortschaften ›zusammen‹ – ein Leben auf dem Land erscheint möglich, ohne dass die Vorzüge urbanen Lebens aufgegeben werden müssen bzw. auf sie verzichtet werden muss. Die Region um die Pfefferminzbahn kann als rurbaner Netzraum ein nachhaltiges attraktives Lebensumfeld für Jung und Alt darstellen. Abb. 75 (S. 224–227): Rurbaner Netzraum und denkbare geographische Reichweiten entlang der Pfefferminzbahn (ca. M 1:100.000) in Anlehnung an Abb. 4 und Abb. 28. Die Landbahnhöfe sind zu Knotenpunkten revitalisiert, deren Impulsstärke sich auch im direkten Umfeld zeigt. Die Abbildung zeigt ein Netzwerk, das in die gegebene Raumstruktur greift und dabei urbane und rurale Qualitäten vereint. Die Textbänder beschreiben mögliche ortsspezifische Handlungsverläufe und Verknüpfungen entlang der Pfefferminzbahn – lokale, regionale und überregionale Netzzusammenhänge werden hergestellt. Von innen nach außen: lokale Beziehungen im hellen Kartenbereich, regionale Verknüpfungen im dunkel hinterlegten Bereich und überregionale Verbindungen im einfarbigen Randbereich.
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F AZIT : L ANDBAHNHÖFE ALS R ESSOURCEN RURBANER N ETZRAUMPRODUKTION In dem vorstehenden und abschließenden Kapitel 4 wurden die architektonischen, systematischen und strukturellen Potentiale von Landbahnhöfen diskutiert und zusammengeführt. Der Ansatz, Landbahnhöfe sowohl als Möglichkeitsräume und Einheit eines Ressourcensystems als auch als rurbane Allmenderessource zu begreifen, ermöglicht es, das Verständnis von Landschaften als sozial produzierte rurbane Netzräume mit der konkreten gesellschaftlichen Produktion von Gebäuden als Teil dieses dynamischen Netzraumes zu verbinden. Indem Landbahnhöfe entlang einer gemeinsamen Strecke als Ressourcensystem betrachtet werden, dessen Knotenpunkte – die Landbahnhöfe – entsprechend der Bedürfnisse vor Ort angeeignet werden können, wird einer nur vereinzelten und in diesem Sinne individuell begrenzten Umnutzung der Bahnhofsgebäude eine Möglichkeit gegenübergestellt, die eine nachhaltige Landschaftsentwicklung befördern kann. Dafür müssen die drei Ebenen der Produktion von Raum nach Lefebvre ineinandergreifen: Die Gebäude werden für auf der privaten Ebene der gesellschaftlichen Wirklichkeit entstehende Bedürfnisse angeeignet. Um eine Ausbeutung der Allmenderessource (vgl. Hardin [1968] 2009) zu verhindern und ihre Ressourcenqualität zu erhalten, ist dafür jedoch eine auf globaler Ebene verankerte Regulierung notwendig (vgl. Ostrom 1999). Mit der Wiederaufnahme der vorhandenen Verbindungen über die Schienenstränge als wesentlichen Bausteinen des Ressourcensystems werden die Landbahnhöfe selbst Teil der vermittelnden Infrastruktur. Damit wird die mittlere Ebene der gesellschaftlichen Wirklichkeit bedient. Die von den Gebäuden und deren infrastrukturellen Verbindungen ausgehenden Impulse beeinflussen so das gesamte Raumgeschehen. Die verschiedenen Nutzungsszenarien sowie die Konkretisierung eines denkbaren Konzeptes für die Pfefferminzbahn haben deutlich gemacht, dass das Verständnis von leerstehenden Landbahnhöfen als Allmenderessourcen rurbaner Netzraumproduktion zu neuen Raumstrukturen führen und so dazu beitragen kann ländliche und vordergründig sogenannte strukturschwache Räume nachhaltig entwickeln zu können.
5 FAZIT UND AUSBLICK
Und wenn er noch so beschissen ist: Mit einem Bahnhof fängt alles an.
SERGIO LEONE
In diesem Fazit werden die wichtigsten Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit zusammengefasst und der Beitrag der Arbeit zu aktuellen Diskussionen zum Umgang mit leerstehenden und identitätsstiftenden Gebäuden im ländlichen Raum herausgestellt. Die Arbeit verknüpft theoretische, empirische und konzeptionelle Ansätze. Aus ihnen ergeben sich offene Fragen, zu denen weiterer Bearbeitung Anstoß gegeben werden soll. Zentrale Erkenntnisse Die Arbeit ging aus Überlegungen hervor, wie aus planerischer Perspektive mit dem vielfach beklagten Leerstand von Bahnhöfen im ländlichen Raum umgegangen werden kann. Sie wurde von der Frage geleitet, wie Landbahnhöfe revitalisiert werden können, so dass sie im ländlichen Raum wieder nachhaltige soziale Knotenpunkte bilden, die möglichst weitreichenden Einfluss auf ihr Umfeld haben und flexibel auf die dynamischen Veränderungen von Landschaften als sozial produzierte Räume reagieren können. Damit trägt die Arbeit zu den gegenwärtigen Diskussionen zum Umgang mit leerstehenden, ehemals repräsentativen Gebäuden im ländlichen Raum, die durch strukturelle Veränderungen ihre Bedeutung verloren haben, bei. Um Gebäude als prägende Teile ihres Umfeldes zu verstehen, wurde vorerst das Verständnis von Landschaften als ›rurbane Netzräume‹ aufgenommen: Mit dem Begriff ›Landschaft‹ werden sozial geschaffene Räume bezeichnet, die von Menschen in der Auseinandersetzung mit der vorgefundenen Natur gestaltet werden und kontinuierlichen Veränderungsprozessen unterworfen sind. Der Betrachter von Landschaft beschreibt mit dem Begriff
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einen Ausschnitt aus seiner subjektiven Perspektive. Der Landschaftsbegriff wird damit sehr weit gefasst – von arkadischen Landschaftsauffassungen bis hin zum gegenwärtigen Verständnis von Landschaften als dynamisches Raumgeschehen losgelöst von den Kategorien Stadt und Land. Die Vernetzungen der alltagsweltlichen Kategorien von Stadt und Land finden sich in den Raumverständnissen verschiedener Disziplinen und Betrachtungen wieder – sei es z. B. in der Vorstellung der Zwischenstadt, der Netzstadt oder des urban tissue. Damit werden die jeweiligen Sichtweisen auf Landschaften als ein durch Beziehungen und Vernetzungen geprägter Raum spezifiziert und eingegrenzt. Das Verwobensein von städtischen und ländlichen Praktiken führt zu einem Verschwinden der klaren Grenzen zwischen urbanen und ruralen Lebensweisen. Um diese Verknüpfungen und Überlagerungen beschreibbar zu machen, hat sich im Zuge der sich verstärkenden Globalisierung des 20. Jahrhunderts der Begriff ›rurban‹ etabliert. Diese Begriffsbildung zielt auf zweierlei: Auf der einen Seite verlangt sie die gleichzeitige und gleichwertige Betrachtung von urbanen und ruralen Praktiken, Raumstrukturen und Vorstellungswelten. Auf der anderen Seite reflektiert sie sowohl die alltagsweltlichen als auch wissenschaftlichen Reichweiten der Kategorien ›Stadt‹ und ›Land‹ und verlangt so eine kritische Betrachtungsweise und (Re-)Positionierung innerhalb komplexer Beziehungsgeflechte. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen zu Landschaften als dynamisch vernetztes Raumgeschehen wurde das Abstraktionsmodell von Landschaften als ›rurbane Netzräume‹ verwendet, um innerhalb der Begrifflichkeit von rurbanen Landschaften die sozialen und funktionalen Verbindungen von Gebäuden als Teil von Landschaft fassen zu können. Der Begriff ›Netzraum‹ beschreibt zueinander in Verbindung stehende Gebäude und Räume, die darüber wiederum einen bestimmten umfassenderen Raum definieren. Damit ist der Begriff ein Zugriff auf das Raumgeschehen (von Seggern 2018) und wird innerhalb der Reihe von Landschaftsverständnissen, die Landschaften als dynamische, sozial hergestellte Umwelten bezeichnen und sich von einem idyllisch-arkadischen Landschaftsverständnis lösen, verortet. Dabei bezieht sich der Begriff auf die Produktion von sozialem Raum im Sinne Lefebvres,
FAZIT UND AUSBLICK 231
wonach Gebäude als gestaltende und vernetzte bzw. vernetzende materielle Knotenpunkte verstanden werden können. Rurbane Netzräume werden durch soziale Beziehungsgefüge geprägt und produziert, die sich in der gebauten Umwelt manifestieren. Durch soziale Handlungen gehen punktuelle Impulse von Gebäuden aus, die rurbane Netzräume nachhaltig gestalten können. Die Abhängigkeiten zwischen Gebäuden und Netzraum lassen sich mit Hilfe der Theorie zur Raumproduktion Lefebvres beschreiben und untersuchen. Nach der Theorie zur Produktion von Raum können auch Landbahnhöfe als Produkt und Produzent rurbanen Netzraumes nutzbar gemacht werden. Als Repräsentanten ihres sozialen Umfeldes verweisen sie auf vergangene und gegenwärtige räumliche (Alltags-)Praktiken und repräsentieren so auch unterschiedliche Raumauffassungen. Sie wurden konzipiert, gelebt und wahrgenommen und sind so als Erinnerungsfiguren im kollektiven Gedächtnis verankert. Die charakteristischen Eigenschaften von Landbahnhöfen als Produkt und Produzent sozialen Raumes wurden anhand der Entwicklungsgeschichte der Pfefferminzbahn im Thüringer Becken vorgestellt. Die dazugehörenden Bahnhofsgebäude als Infrastruktur, Erinnerungsfigur und Imaginationsraum nahmen und nehmen eine tragende Rolle im ländlichen Raum ein. Die Gebäude stehen für die Entwicklung ganzer Regionen in Zeiten der Industrialisierung. Während ihrer Blütezeit avancierten sie zu wichtigen gesellschaftlichen Knotenpunkten und Schnittstellen und als solche sind sie noch immer im kollektiven Gedächtnis verankert. Durch Globalisierungsprozesse, Mobilitätsänderungen und damit einhergehende Strukturveränderungen verloren die Gebäude jedoch an Bedeutung, so dass sie gegenwärtig als Leerstellen in Landschaften wahrgenommen werden und einen Umgang fordern – sei es der Abriss oder die Umnutzung. Anhand von Fallbeispielen wurden mögliche Strategien der Umnutzung aufgezeigt und an drei revitalisierte Landbahnhöfe exemplarisch untersucht. Es ging dabei um die Frage, welchen Einfluss Gebäude unter welchen Umständen auf ihr Umfeld ausüben können, welche Art von Netzraum sie dabei aufspannen und schließlich auch um ihre mögliche Impulswirkung. Dies wurde unter anderem vor Ort anhand von Gesprächen mit Akteuren und
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Begehungen der Gebäude erörtert. Für die drei Beispiele lassen sich Muster einer geographischen Reichweite, abhängig von Faktoren wie Akteurskonstellation, Initialfinanzierung und Nutzungskonzept ableiten. Demnach können die umgenutzten Landbahnhöfe als staatliche Lokalversorger, städtische Liebhaber oder internationale Nachbarn erfasst werden. Diese prototypischen Beschreibungen beziehen sich sowohl auf die Konstellation von Akteuren, Finanzierung und Nutzungskonzept, die zur Revitalisierung der Gebäude geführt hat, als auch auf deren Impulsstärke und Einflussradius im Netzraum. Bei der Untersuchung der Impulsstärke und Reichweite der Gebäude ist festzustellen, dass bei keinem der revitalisierten Gebäude der noch vorhandene Schienenanschluss und damit die (über-)regionale Vernetzung explizit aufgenommen wurde und die offensichtlich bestehende Möglichkeit der Vernetzung mit weiteren Landbahnhöfen durch besitzrechtliche Rahmenbedingungen nicht in Erwägung gezogen wurde. Das besondere Potential von Landbahnhöfen als Knotenpunkte eines infrastrukturellen Netzwerkes wurde bzw. konnte trotz aller Erfolge und Entwicklungen nicht ausgeschöpft werden. Diese Erkenntnis führt im abschließenden Teil der Arbeit zur Diskussion von Potentialen, die unzählige leerstehende Landbahnhöfe entlang nutzbarer Bahnstrecken für den ländlichen Raum bieten könnten: Die gewonnenen theoretischen und empirischen Erkenntnisse werden schlussendlich um eine mögliche Zukunftsperspektive zum Umgang mit leerstehenden Landbahnhöfen erweitert. Dafür wird deren architektonisches, systematisches sowie strukturelles Potential zusammengeführt. Leerstehende Landbahnhöfe bieten materielle, soziale und imaginäre Ressourcen – sie stellen als materialisierte, infrastrukturelle Knotenpunkte soziale Ressourcen dar, in denen gegenwärtige Lebensvorstellungen realisiert werden können. Sie bilden Möglichkeitsräume im rurbanen Netzraum. Die Besonderheit von Landbahnhöfen liegt in ihrem Anschluss an ein Infrastrukturnetz, das zur Belebung von Regionen einen besonderen Beitrag leisten kann. In prototypischen Szenarien wurden Ressourcensysteme vorgestellt, die aufbauend auf den Fallbeispielen mögliche Konzeptionen zur Revitalisierung von Landbahn-höfen als Teil eines Zusammenschlusses darstellen. Der Vorschlag
FAZIT UND AUSBLICK 233
eines Versorgungsnetzes veranschaulicht die Möglichkeit, Landbahnhöfe als ein Netzwerk für Versorgungseinrichtungen in strukturschwachen Regionen zu interpretieren. Das Szenario einer Erholungsstrecke bietet an, die mit dem Ländlichen imaginierten Charakteristika eines Freizeitraumes zu verwirklichen. Der Entwurf eines Nachbarschaftsbandes stellt einen Rahmen für gesellschaftliches Zusammenleben dar. Die Szenarien führten zu der Frage nach planerischen Möglichkeiten ihrer Umsetzung, vor dem Hintergrund sozialer Raumproduktion. Das Ergebnis ist der Vorschlag, leerstehende Landbahnhöfe als vernetzte rurbane Allmenderessourcen zu interpretieren. Die Ausprägung der einzelnen Einheiten im Ressourcensystem ist dabei abhängig von ortsspezifischen Potentialen sowie arbeitsteilig sinnvollen Kombinationen von konkreten Funktionen der Landbahnhöfe. Auf der Grundlage der Erkenntnisse Elinor Ostroms zu langlebigen Allmenderessourcen muss dafür die gesellschaftliche Aneignung des entsprechenden Raumes ermöglicht und sie selbst sowie ihr Ergebnis gesellschaftlich anerkannt sein. Diese Anerkennung geschieht ganz wesentlich durch die entsprechenden übergeordneten Regulationsmöglichkeiten. Das auf leerstehende Landbahnhöfe entlang einer Strecke übertragene Konzept von rurbanen Allmenden erlaubt es, wirkungsvolle Formen sozialer Raumproduktion zu entwickeln. Dabei entstehen lokale, regionale und überregionale Verknüpfungen, die einen rurbanen Netzraum etablieren. Versorgungs-, Dienstleistungsund Nachbarschaftsbeziehungen werden in besonderem Maße organisier- und gestaltbar, wie das behandelte Beispiel der Pfefferminzbahn gezeigt hat. Die Arbeit stellt eine wissenschaftlich fundierte Strategie zur Revitalisierung leerstehender Landbahnhöfe dar. Das Resultat ist eine informierte Hypothese, die intuitiv motiviert und durch rationale Erkenntnisse untermauert wurde. Nach Hille von Seggern gibt es in diesem Prozess »nicht die objektiv betrachteten Forschungsobjekte, sondern Forschende und Beforschtes wandeln sich und lernen« (von Seggern 2018, S. 158). Die Abbildung 76 reflektiert in Anlehnung an den ›Entwurfs- und Forschungsprozess‹ in Verbindung mit dem ›tatsächlichen Ablauf der Ereignisse‹ nach von Seggern (2019, S. 17, Abb. 2 und 3) zusammenfassend das entwerferisch-
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forschende Vorgehen, das der Arbeit zugrunde liegt. Gezeigt ist ein iterativer Prozess rational (rote Linie) und intuitiv (schwarze Linie) gewonnener Erkenntnisse mit Rückkopplungsschlaufen. Die Verflechtungsbereiche der beiden schematisch gezeigten Prozesse (große Punkte) stellen die zentralen Erkenntnisse aus den beiden Erkenntnisweisen dar, die es nach Hille von Seggern braucht, »um wissenschaftlich in der Welt handeln zu können« (Seggern 2018, S. 159). Die drei Ebenen beschreiben die betrachteten Maßstabsebenen und Zugriffe: Das ›Ganze‹ beschreibt den Zugriff auf das Raumgeschehen als rurbaner Netzraum, die ›Dimension‹ den Fokus auf die der Arbeit zugrunde liegenden Theorien Henri Lefebvres und Elinor Ostroms und ›das Einzelne‹ verdeutlicht konkrete Beobachtungen von Fallbeispielen und des Untersuchungsraumes sowie Testentwürfe. Dargestellt sind die wichtigsten Zwischenschritte mit entsprechenden rationalen und intuitiven Einflüssen auf den Erkenntnisgewinn (kleine Punkte). Die Konkretisierungen stellen dabei keine ausgereiften Entwürfe dar, sondern fließen in das abschließende exemplarische Szenario eines rurbanen Netzraumes entlang der Pfefferminzbahn ein (Abb. 75).
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Abb. 76: Verflechtung rationaler (rot) und intuitiver (schwarz) Iterationsschleifen im Entwurfs- und Forschungsprozess (nach von Seggern 2019, S. 17, Abb. 2 u. 3). Zentrale Erkenntnisse (große Punkte) entstehen in Überschneidungsbereichen beider Linien. Konkrete Beispiele aus der vorliegenden Arbeit sind auf der linken Seite der Grafik genannt. Wichtige rationale und intuitive Zwischenschritte sind mit kleinen Punkten gekennzeichnet und auf der rechten Seite beispielhaft benannt.
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Beitrag und Ausblick der Arbeit Landbahnhöfe stehen hier beispielhaft für die zunehmend leerstehenden, ehemals repräsentativen und identitätsstiftenden Gebäude im ländlichen Raum. Auch Kirchen, Rathäuser oder Postämter zählen zu solchen zentralen, öffentlichen Gebäuden. Das besondere Potential von Landbahnhöfen ist ein Dreifaches: Sie sind, erstens, als Erinnerungsfiguren im kollektiven Gedächtnis verankert. Daraus resultiert, zweitens, vielerorts der Wunsch und das Bedürfnis, die Gebäude durch Umnutzungen zu erhalten. Schließlich, drittens, können Landbahnhöfe als vorhandene Infrastruktur einen entscheidenden Beitrag zur Strukturstärkung ländlicher Regionen liefern. Anhand der Landbahnhöfe zeigt die Arbeit einen möglichen Umgang mit leerstehender, erhaltenswerter Gebäudesubstanz auf, der die gegebenen Räume als soziale und gemeinschaffende Knotenpunkte in einem dynamischen Raumgeschehen versteht. Dieser Ansatz knüpft auch an die aktuellen Diskussionen zur Nutzung von vorrangig städtischen Freiräumen als Allmenderäume an. Das Verständnis von bestehenden und schützenswerten gebauten Strukturen im ländlichen Raum als mögliche Allmenderessourcen wurde bis dato noch nicht näher betrachtet. Können Landbahnhöfe trotz ihres vielerorts schlechten Zustandes zu einer nachhaltigen Landschaftsentwicklung beitragen? Diese Arbeit schlägt eine Revitalisierungsstrategie vor, die es in nachfolgenden Untersuchungen zu konkretisieren und evaluieren sowie in der Praxis zu erproben gilt. Aus dem Verständnis von Landbahnhöfen als Ressourcen rurbaner Netzraumproduktion eröffnen sich Untersuchungsfelder für verschiedene Disziplinen: Aus soziologischer, politikwissenschaftlicher, ökonomischer und planerischer Perspektive sollte – im besten Fall interdisziplinär – die Umsetzbarkeit eines solchen Interpretationsansatzes untersucht werden: • Welche politischen Rahmenbedingungen sind für die Ausbil-
dung eines rurbanen Netzraumes erforderlich und können tatsächlich gesetzt werden? • Welche bestehenden Fördermittel können genutzt werden und wie können Förderrahmenbedingungen angepasst werden, so dass nicht nur einzelne Gebäude und Projekte, sondern der
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Verbund mehrerer Objekte und Akteure als Teil einer übergeordneten Entwicklung realisiert werden kann? • Welche ökonomischen Vorteile bietet die Nutzung von Landbahnhöfen als Allmenderessourcen? • Wie könnten Gemeinden kooperieren und die Aneignungen von Landbahnhöfen überörtlich ermöglichen? • Welche Akteurskonstellationen sind denkbar? Die Arbeit leistet einen Diskussionsbeitrag. Der gegenwärtige Umgang mit leerstehenden Landbahnhöfen deutet in Richtung Privatisierung bzw. Abriss. Das Verständnis der Gebäude als vernetzte rurbane Allmenderessourcen stellt eine mögliche Perspektive dar, die eine nachhaltige Landschaftsentwicklung im Prozess des Zusammenspiels verschiedener Akteure und Instanzen erlaubt und erfordert. Die Umsetzung dessen ist eine gemeinschaftliche Aufgabe für die Zukunft.
ANHANG STECKBRIEFE
Im Folgenden werden die 15 ausgewählten Fallbeispiele stichpunktartig vorgestellt. Vor dem Hintergrund, dass gegenwärtig Gebäude mit öffentlichen Nutzungen medial repräsentiert werden, basieren die Steckbriefe vor allem auf Internetrecherchen. Die z. T. vorangestellten Zitate stammen aus online-Repräsentationen1 und verdeutlichen das jeweilige Verständnis bezüglich der Projekte, aber auch die externe Wahrnehmung. Daran anschließend folgt jeweils eine kurze Beschreibung der Entwicklung des Bahnhofsgebäudes. Abschließend werden Schlüsselakteure, Initialfinanzierung und Nutzungskonzept genannt. Die revitalisierten Bahnhofsgebäude sind nach den drei Kategorien Versorgung (1), Erholung (2) und Nachbarschaft (3) gegliedert und jeweils alphabetisch aufgelistet: Versorgung (1) • • • • • • •
Avenwedde Bad Münstereifel Erlau Hümme Melchow Rehfelde Stollberg
Erholung (2) • • • • •
Bad Saarow Chorin Langstadt Kettwig Klasdorf
Nachbarschaft (3) • Anklam • Biesenthal • Hitzacker
1 Sämtliche Internetseiten im Anhang wurden am 30.11.2018 aufgerufen.
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Abb. 77: 15 Fallbeispiele umgenutzter Bahnhöfe in Deutschland VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION
Demokratiebahnhof Anklam
KuBa Hitzacker
Der Bahnhof Avenwedde
Bahnhof Chorin Naturparkbahnhof Melchow Kultur im Bahnhof Biesenthal Bahnhof Rehfelde Bahnhof Bad Saarow Bahnhof Klasdorf
Generationenhaus Bahnhof Hümme Bahnhof Kettwig Generationenbahnhof Erlau Kulturbahnhof Stollberg Bahnhof Bad Münstereifel Netzwerkbahnhof Langstadt
VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION
ANHANG 241
Bahnhof Avenwedde (1) »Die Geschichte des denkmalgeschützten Bahnhofsgebäudes aus dem Jahr 1918 darf man wohl als wechselvoll bezeichnen, doch heute steht sie als gutes Beispiel für eine gelungene Neunutzung. Und in gewisser Weise erfüllt der ›Bahnhof Avenwedde‹ immer noch die gleichen Funktionen, wie vor knapp 100 Jahren: Er ist Mittelpunkt des Ortsteils, Treffpunkt der Menschen hier, und er führt nach wie vor in die weite Welt – per Zug.«1
Der Bahnhof
Schlüsselakteure Initialfinanzierung Nutzungskonzept
Das Bahnhofsgebäude in Avenwedde entlang der Strecke Hamm-Minden stammt aus dem Jahr 1918. Die Stadt Gütersloh hat im Jahr 2004 das Gebäude von der Deutschen Bahn erworben und für 1,2 Mio € saniert. 2006 übertrug die Stadt die Trägerschaft auf den Förderverein ›Bahnhof Avenwedde – Bürger- und Jugendhaus e.V.‹. Heute ist er kultureller Mittelpunkt des Ortes, ein Zentrum für Jugendarbeit sowie Vereinshaus für die Eisenbahn- und Modelbahnfreunde Gütersloh e.V. • Stadt Gütersloh • Stadt Gütersloh
Der Bahnhof ist ein Kommunikations- und Begegnungszentrum, in dem sich ebenso Vereinsräume befinden.
Quellen: 1 http://www.bahnhof-avenwedde.de/.
242 LANDBAHNHÖFE
Bad Münstereifel (1) Der Bahnhof
Schlüsselakteure
Das Empfangsgebäude in Bad Münstereifel wurde 1890 eröffnet. Es ist im Schweizer Landhausstil errichtet. Ein zweigeschossiger Mitteltrakt wird von zwei eingeschossigen Seitenflügeln flankiert. Dieser Originalzustand wurde in und nach den Weltkriegen durch Erweiterungen des Gebäudes verändert. Als die DB AG im Jahr 2000 das Empfangsgebäude an die Stadt Münstereifel verkaufte, wurde dieser äußere Originalzustand wieder hergestellt. Seit dem Jahr 2003 wird das Gebäude vorrangig städtisch genutzt. • Stadt Bad Münstereifel
Initialfinanzierung
• Stadt Bad Münstereifel
Nutzungskonzept
In dem Bahnhof befinden sich die Kurverwaltung, das Büro der Eifel- und Touristikagentur sowie ein Fahrradladen im ehemaligen Güterschuppen.
Quellen: https://www.kuladig.de/Objektansicht/O-120452-20150403-4.
ANHANG 243
Generationenbahnhof Erlau (1) »Eine intensive Einbeziehung der Bürger und vielfältige Aktivitäten und Angebote im Bereich Bildung, Kultur, Freizeit und Versorgung unterstützen und beleben die Dorfgemeinschaft. So entsteht heute ein Zentrum für die Zukunft, in dem alle Generationen willkommen sind und sich mit ihren Ideen und Engagement einbringen können. Die Perspektive der Dörfer und ländlichen Regionen wird vom gelingenden Miteinander der Bewohner bestimmt – und diesem wird der Generationenbahnhof Erlau Raum geben.«1
Der Bahnhof
Schlüsselakteure Initialfinanzierung
Der Bahnhof in Erlau wurde im Jahr 1862 erbaut und liegt an der Bahnstrecke Riesa– Chemnitz. Nach über 20 Jahren Leerstand wurde die Umnutzung des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes von einer Interessengemeinschaft vorangetrieben, so dass im Jahr 2014 die Gemeinde Grundstück und Gebäude von der Deutschen Bahn erwerben konnte und die Planung für einen ›Generationenbahnhof‹ in Auftrag geben konnte. Der im selben Jahr gegründete Verein ›Generationenbahnhof Erlau e.V.‹ koordiniert den inhaltlichen Aufbau dieses Bürgerzentrums. • Gemeinde Erlau • Verein ›Generationenbahnhof Erlau e.V.‹ • Gemeinde erwarb Grundstück und Gebäude • Fördermittel zur Umsetzung des Umnutzungskonzeptes durch die Robert-BoschStiftung im Rahmen des Programms ›Neulandgewinner‹
244 LANDBAHNHÖFE
Nutzungskonzept
In dem Generationenzentrum gibt es einen ehrenamtlich verantworteten Bürgerbereich und einen Dienstleistungsbereich mit professionellen Angeboten wie einer Seniorentagespflege, einem ambulanten Pflegedienst, Arztpraxen und Büroräumen. Langfristige Mieter wie die Seniorentagespflege sollen die wirtschaftliche Tragfähigkeit absichern. Durch den ehrenamtlich verantworteten Bürgerbereich und damit aktive Teilhabe der Bürger soll die Dorfgemeinschaft unterstützt und belebt werden.
Quellen: 1 http://www.generationenbahnhof.de/.
ANHANG 245
Generationenhaus Bahnhof Hümme (1) »Eine Arbeitsgruppe aus interessierten Hümmer Bürgern hat im Rahmen einer Machbarkeitsstudie intensiv alle Nutzungsmöglichkeiten [für das denkmalgeschützte Bahnhofsgebäude, Anmerkung MFK] diskutiert. Nach dem Vorbild der Mehrgenerationenhäuser des Bundesfamilienministeriums wurde ein Ort der Begegnung aller Generationen geplant.«1
Der Bahnhof
Schlüsselakteure Initialfinanzierung
Nutzungskonzept
Der Bahnhof in Hümme wurde 1897 entlang der Strecke Kassel–Warburg errichtet. Eine Gruppe interessierter Bürger entwickelte nach dem Vorbild von Mehrgenerationenhäusern ein Konzept für die Umnutzung des Bahnhofes. Daraufhin hat die Stadt Hofgeismar das Gebäude erworben. 2015 konnte das Gebäude als Mehrgenerationenhaus wieder eröffnet werden, für dessen Betrieb der Verein ›Generationenhaus Bahnhof Hümme‹ zuständig ist. Die Stadt Hofgeismar hat als Eigentümerin des Bahnhofes einen langfristigen Nutzungsvertrag mit dem Verein geschlossen und so die gemeinnützige Nutzung sichergestellt. • Arbeitsgruppe interessierter Bürger • Stadt Hofgeismar • Baukosten von 700.000 € durch Fördergelder • ca. 4000 Stunden Eigenleistung der Bevölkerung für Grundsanierung und Umbaumaßnahmen Nach dem Vorbild von Mehrgenerationenhäusern wurde ein offener Treff- und Anlaufpunkt für Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Ältere mit Angeboten für Betreuung, Beratung, Weiterbildung und Nachbarschaftshilfe geschaffen.
Quellen: 1 https://www.generationenhaus-huemme.de.
246 LANDBAHNHÖFE
Naturparkbahnhof Melchow (1) Der Bahnhof
Schlüsselakteure Initialfinanzierung
Nutzungskonzept
Das Bahnhofsgebäude in Melchow entstand um die Jahrhundertwende 1900 entlang der Bahnstrecke Berlin–Stettin. Im Jahr 2000 gründete sich ein Verein, um den Bahnhof zu rekonstruieren. Ziel der Umnutzung ist es, einen Ausgangspunkt für Wanderungen und Radtouren zu schaffen. Als Teil des Projektes ›abgefahren. losgewandert‹ gehört der Bahnhof zu einer Reihe sogenannter Wanderbahnhöfe, die entlang von noch befahrenen Nebenbahnstrecken im Land Brandenburg den Freizeitverkehr fördern und so zum Erhalt der Strecken und Gebäude dienen sollen. • Gemeinde Melchow • Verein Naturparkbahnhof Melchow e.V. • Fördermittel und Zuschüsse u. a. von: Arbeitsamt Eberswalde, WWF, Amt Biesenthal-Barnim, Naturpark Barnim, Jobcenter Barnim, Landkreis Barnim, Land Brandenburg und Gemeinde Melchow. • Spenden und Mitgliedsbeiträge Der Bahnhof stellt einen Informations- und Ausgangspunkt für Besucher des Naturparks Barnim dar.
Quellen: http://www.wander-bahnhoefe-brandenburg.de/. http://bewahrenswert.de/Bildbiograf/mat/offweb/c2/html/orte/melchow2.html. https://geo.uni-greifswald.de/lehrstuehle/geographie/geooekologie-und-boden geographie/bodenlehrpfade/bodenlehrpfad-barnim/naturparkbahnhof-melchow/.
ANHANG 247
Bahnhof Rehfelde (1) »Durch die gewerbliche Nutzung des Gebäudes (moderne Zahnarztpraxis) und die Tourismusinformation hat das Bahnhofsgebäude nicht nur lokale Bedeutung für Rehfelde ›Das Grüne Tor zur Märkischen Schweiz‹ sondern soll in Zukunft, wie auch in seiner Vergangenheit einen regionalen und überregionalen Bedarf für die Gemeinden des Amtes Märkische Schweiz und der Region im engeren Verflechtungsraum von Berlin erfüllen.«1
Der Bahnhof
Schlüsselakteure Initialfinanzierung
Nutzungskonzept
Das Bahnhofsgebäude in Rehfelde wurde 1908 entlang der Bahnstrecke Berlin–Küstrin erbaut. Nach langem Leerstand wurde das Gebäude 2009 von der Gemeinde gekauft, um das Gebäude als ›Eingangstor‹ zum Ort zu erhalten und neu zu schaffen. Neben der Sanierung des Bestandsgebäudes ist ein Touristenpavillon errichtet worden. Der Bahnhof gehört zu einer Reihe sogenannter Wanderbahnhöfe, die entlang von noch befahrenen Nebenbahnstrecken im Land Brandenburg den Freizeitverkehr fördern und so zum Erhalt der Strecken und Gebäude beitragen sollen. • Gemeinde Rehfelde • LEADER-Förderung • Gemeinde Rehfelde • Private Investoren Das Bestandsgebäude dient vor allem der gewerblichen Nutzung durch eine Zahnarztpraxis. In dem Neubau – dem Tourismuspavillon – finden touristische und kulturelle Angebote statt und es können künstlerische Projekte der Region präsentiert und verkauft werden.
Quellen: 1 http://www.lag-maerkische-seen.de/texte/seite.php?id=146641%20#.
248 LANDBAHNHÖFE
Kultur-Bahnhof Stollberg (1) »[Der] Bahnhof und sein Vorplatz [sind] das Eintrittstor zur Stadt. […] Für die Stadt Stollberg bietet das gesamte Areal die Chance, kulturelle Angebote und jugendgerechte Freizeitmöglichkeiten an einem attraktiven und stadtzentralen Anlaufpunkt für die Bürger und Gäste der Stadt zu bündeln.«1
Der Bahnhof
Auszeichnungen Schlüsselakteure Initialfinanzierung Nutzungskonzept
Der Bahnhof in Stollberg wurde 1878 entlang der Strecke Stollberg–St. Egidien eröffnet. Nach langem Leerstand hat die Stadt Stollberg das Gebäude mit Unterstützung des Architekturbüros Skirl+Heinrich aus Stollberg saniert und umgebaut mit dem Ziel, sowohl für die Fahrgäste des öffentlichen Verkehrs ein ›Eintrittstor zur Stadt‹ zu schaffen als auch einen zentralen Anlaufpunkt für die Bürger der Stadt zu kreieren. • Otto-Borst-Preis für Stadterneuerung • Stadt Stollberg • Stadt Stollberg Das Gebäude beherbergt ein Reisebüro, die Touristeninformation, ein Café und eine ›Rad-Station‹. Außerdem einen Mehrzweck- bzw. Ausstellungs- und Veranstaltungsraum, der für verschiedene Zwecke angemietet werden kann. Weitere Räume dienen dem Modelleisenbahnclub Stollberg/Sachsen e.V. und dem Schnitz- und Klöppelverein e.V.
Quellen: 1 http://www.stollbergerzgebirge.de/inhalte/stollberg/_inhalt/freizeit/sehens wuedigkeiten/kulturbahnhof/otto_borst_preis/ otto_borst_preis_kulturbhf. https://www.blick.de/erzgebirge/kulturbahnhof-in-stollberg-wird-zehn-artikel 10005148.
ANHANG 249
Historischer Bahnhof Bad Saarow (2) »Tauchen Sie ein in das Flair der 20iger Jahre. Die Bühne im Bahnhofshotel – der Name ist Programm, ob bei gemütlichen Stunden auf der Terrasse, interessanten Lesungen, Kurkonzerten oder aufregenden Kabaretts im historischen Festsaal. […] Und wie jede Bühne lebt auch diese von und mit ihren Gästen!«1
Der Bahnhof
Schlüsselakteure Initialfinanzierung
Nutzungskonzept
Der Bahnhof in Bad Saarow wurde im Jahr 1911 als repräsentatives dreiflügeliges Gebäude im sog. Heimatstil entlang der Eisenbahnstrecke zwischen Fürstenwalde und Bad Saarow errichtet. Nachdem das Gebäude von der Gemeinde gekauft wurde, konnten durch eine öffentliche Spendenaktion des Fördervereins Kurort Bad Saarow e.V. 108.000 € als Kofinanzierung für Fördermittel des Landes sowie Eigenmittel der Gemeinde zur Sanierung erbracht werden. Im Jahr 2004 wurde die denkmalgerechte Sanierung der Außenfassade fertiggestellt und im Jahr 2007 des Innenausbaus. • Gemeinde Bad Saarow • Förderverein Kurort Bad Saarow e.V. • Gemeinde Bad Saarow • öffentliche Spenden in Höhe von 108.000 € • Fördermittel des Landes In dem Bahnhof befinden sich die Touristeninformation, ein Trauzimmer und Ausstellungsräume.
Quellen: 1 http://www.bahnhofshotel-diebuehne.de/. http://m.ort.bad-saarow.de/bahnhof-1. https://www.seenland-oderspree.de/Media/Attraktionen/Historischer-BahnhofBad-Saarow.
250 LANDBAHNHÖFE
Naturbahnhof Chorin (2) »Genießen Sie auf unseren hochwertigen Mieträdern die üppige und abwechslungsreiche Natur im UNESCO-Biosphärenreservat SchorfheideChorin […], bewundern Sie die backsteingotische Baukunst der Mönche im Kloster Chorin oder das atemberaubende und einzigartige Schiffshebewerk Niederfinow. […]. Kaufen Sie im Bahn-Hofladen Ihren Proviant oder stärken Sie sich vor Fahrtantritt im alternativen Bistro ›Lindenblatt‹«1
Der Bahnhof
Schlüsselakteure Initialfinanzierung Nutzungskonzept
Der Naturbahnhof Chorin stand in den 1990er Jahren leer und wurde im Jahr 2005 von einem privaten Investor erworben. Die Umbaumaßnahmen konnten im Jahr 2007 aufgenommen werden. Zwei Jahre später wurde der Bahnhof als Touristeninformation mit Fahrradverleih eröffnet. Als Anlaufstelle für Touristen ist er zu einem Eingangstor in das UNESCO-Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin geworden und hat die Besucherzahlen erheblich gesteigert. Der Bahnhof bietet neben Informationen zu Ausflugszielen einen Bahnhofsladen. Bereits 2009 wurde der Bahnhof mit dem ›Fahrtziel Natur Award‹ ausgezeichnet, der vom Naturschutzbund Deutschland (NABU) und vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) vergeben wird. • Unternehmerehepaar • Unternehmerehepaar Der Bahnhof ist Touristeninformation und Fahrradverleih.
Quellen: 1 http://www.fahrradverleih-chorin.de/index.php. https://land-der-ideen.de/projekt/naturbahnhof-chorin-2260. http://www.schorfheidechorin.info/.
ANHANG 251
Netzwerk Bahnhof Langstadt (2) »Der Netzwerk Bahnhof-Langstadt e. V., Verein zur Förderung kultureller Bildung, möchte die Region durch Kulturangebote bereichern, soziale, mediale und künstlerische Angebote fördern, mit Schulen und Firmen der Region sowie mit der Hochschule Darmstadt zusammenarbeiten und die Geschichte des Bahnhofs sowie der Eisenbahnlinie zwischen Heubach und Babenhausen darstellen und erlebbar machen.«1
Der Bahnhof
Schlüsselakteure Initialfinanzierung Nutzungskonzept
Das Bahnhofsgebäude wurde von einem privaten Bauunternehmer im Jahr 2011 ersteigert. In Zusammenarbeit mit einem Sozialpädagogen und einem Medienwissenschaftler wurde ein Nutzungsplan erstellt, der eine Mischung aus privater Nutzung und öffentlichen Veranstaltungen vorsah. Dabei sollten insbesondere Räumlichkeiten für mediale, künstlerische und soziale Angebote geschaffen werden. Zur Umsetzung des Vorhabens wurde der Verein ›Netzwerk Bahnhof Langstadt e.V.‹ gegründet. Um das Projekt zu finanzieren, wurden 2012 das ›Regionalmanagement des Landkreises Darmstadt-Dieburg‹ und die ›Dorferneuerung‹ (IKEK) eingebunden. • privater Bauunternehmer, Sozialpädagoge, Medienwissenschaftler • privater Bauunternehmer Der Bahnhof bietet mediale, künstlerische und soziale Angebote für Langstadt und die Region.
Quellen: 1 http://bahnhof-langstadt.de/.
252 LANDBAHNHÖFE
Bahnhof Kettwig (2) »130 Jahre nach der Eröffnung und 25 Jahre nach der Stilllegung wurde das leerstehende Bahnhofsgebäude […] zu einem Bürger-, Sport- und Kulturzentrum um- und ausgebaut. Heute gibt es dort wochentags Kurse […] für alle Altersgruppen und am Wochenende Konzerte, Vorträge, Tanzabende, aber auch Seminare und Kreativmärkte. Ein Restaurant vervollständigt das Angebot.«1
Der Bahnhof
Schlüsselakteure Initialfinanzierung Nutzungskonzept
Das Bahnhofsgebäude in Kettwig wurde 1873 eingeweiht. Bis 1945 spielte der Bahnhof als Güterumschlagplatz zwischen Düsseldorf, Essen, Kupferdreh, Wuppertal und Mülheim eine wichtige Rolle. Danach verlor der Eisenbahnverkehr an Bedeutung. In den 1970er Jahren wurde das Bahnhofsgebäude geschlossen. 1997 fand sich die Interessengemeinschaft ›Bahnhof Kettwig e.V.‹ zusammen, um in dem Baudenkmal ein Bürgerzentrum für Sport und Kultur zu errichten. • ehrenamtlich tätige Bürger • Sponsoren, Krupp Stiftung, Stadt Essen, Land NRW, Arbeitsamt, Politik Der Bahnhof ist ein kulturelles Begegnungszentrum der Stadt Kettwig. Verschiedene Räume können für individuelle Veranstaltungen, Seminare und Workshops gemietet werden. Regelmäßig finden kulturelle und sportliche Veranstaltungen, Kurse für alle Generationen und Interessen sowie Ferienangebote statt. Zusätzlich beherbergt der Bahnhof ein Restaurant.
Quellen: 1 https://www.essen.de/kultur_und_bildung/kultureinrichtungen/alter_ bahnhof_kettwig.de.html. http://www.bahnhof-kettwig.de/. http://www.pamis-essen.de/.
ANHANG 253
Bahnhof Klasdorf (2) »Der Regionalexpress 5 hält achtmal täglich in Klasdorf. Das BahnhofsCafé lädt die Reisenden zu hausgemachten Kuchen und Eis, Suppe oder Stulle ein. Drei Ferienwohnungen sind ein besonderes Quartier für Übernachtungsgäste.«1
Der Bahnhof
Schlüsselakteure Initialfinanzierung
Nutzungskonzept
Der Bahnhof in Klasdorf wurde 1907 als Typengebäude entlang der Strecke Berlin– Dresden errichtet und diente als Verbindung zum Industrieort Glashütte. Nach langem Leerstand wurde das Gebäude denkmalgerecht saniert und ist seit 2014 Ausflugslokal entlang der Bahnstrecke. • Geschäftsführer des Museumsdorfes Glashütte und seine Frau • Geschäftsführer des Museumsdorfes Glashütte und seine Frau • Fördergelder des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes (ELER), Unterstützung durch das Land Brandenburg Als Ausflugslokal bietet der Bahnhof neben einem Café an den Wochenenden und Feiertagen der Sommermonate auch Tanzund Musikveranstaltungen. Zusätzlich gibt es drei verschiedene Ferienwohnungen.
Quellen: 1 https://www.bahnhof-klasdorf.de/.
254 LANDBAHNHÖFE
Demokratiebahnhof Anklam (3) »Die kreative Belebung des Bahnhofs wirkt in die Stadt hinein. Durch die offene Diskussion über Gemeinschaft und Zusammenleben trägt der Demokratiebahnhof dazu bei, dass in Anklam nach und nach ein neues gesellschaftliches Selbstverständnis entsteht. Es werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie junge Stadtpolitik funktionieren und Stadtentwicklung ›von unten‹ aussehen kann.«1
Der Bahnhof
Schlüsselakteure Initialfinanzierung
Nutzungskonzept
Das Bahnhofsgebäude in Anklam, erbaut 1861, ging mit der Eröffnung des Streckenabschnitts der Angermünde–Stralsunder Eisenbahn 1863 in Betrieb. Das lange Zeit leerstehende Gebäude wurde 2013 von der Grundstücks- und Wohnungswirtschaftsgesellschaft Anklam (GWA) gekauft und von dem Pfadfinderbund MecklenburgVorpommern gemietet, mit dem Ziel, den Bahnhof als Jugend- und Kulturzentrum zu nutzen. • ehrenamtliche Jugendliche im Pfadfinderbund Mecklenburg-Vorpommern • Grundstücksund Wohnungswirtschaftsgesellschaft Anklam (GWA) • Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung aus Bonn im Rahmen des Programms ›Jugend.Stadt.Labor‹ • Fördermittel ›Experimenteller Städtebau‹ des Bundesinstitutes Jugendliche aus Vorpommern bauen ein selbstverwaltetes Jugendzentrum mit demokratischen Strukturen in dem alten Bahnhofsgebäude auf.
Quellen: 1 https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/FP/ExWoSt/Forschungsfelder/2013/ JugendStadtLabor/Modellvorhaben/MV_Anklam.html?nn=425678. http://www.zeit.de/2016/38/anklam-rechtsextremismus-npd-landtagswahl/seite-2.
ANHANG 255
Kulturbahnhof Biesenthal (3) »Wer sich einen lebendigen Ort in guter Nachbarschaft wünscht, ist hier gut aufgehoben. Ein Bahnhof ist ein Ort der täglichen Begegnung, des Kommen und Gehens. Von hier gehen Impulse aus, hier entsteht etwas, hier kann sich jeder engagieren.«1
Der Bahnhof
Schlüsselakteure Initialfinanzierung Nutzungskonzept
Das erste Bahnhofsgebäude in Biesenthal wurde im Jahr 1843 entlang der Bahnstrecke Berlin–Eberswalde errichtet. Bis zum Jahr 2001 wurde das Bahnhofsgebäude betrieben. 2005 wurde es zum Verkauf ausgeschrieben. Daraufhin gründeten Biesenthaler »Zu(g)gereiste[...] und Bahnfahrer[...]«1 den Verein ›Kultur im Bahnhof e.V.‹ (KiB) und kauften das Gebäude. Um ein inhaltliches Konzept zu entwickeln, bekam der Verein Unterstützung von dem Projekt der Barnimer Tourismusgesellschaft Wito ›Kulturschiene‹. Im Jahr 2013 nahm der Verein an dem Wettbewerb ›Call for Members‹ der Kulturstiftung des Bundes teil mit dem Ergebnis, dass ca. 35 neue Mitglieder akquiriert werden konnten. Heute ist der Bahnhof zu einem zentralen Anziehungspunkt geworden, der »für manche sogar eine Rolle bei der Entscheidung, nach Biesenthal zu ziehen«2, spielt. • Verein Kultur im Bahnhof e.V. KiB • Verein Kultur im Bahnhof e.V. KiB Der Bahnhof bietet Raum für ein unabhängiges Kulturzentrum, das für Kultur, Erziehung und Bildung sowie Umweltschutz und Völkerverständigung tätig ist.
Quellen: 1 http://www.bahnhof-biesenthal.de/index.php. 2 https://www.moz.de/artikel-ansicht/dg/0/1/1635232/.
256 LANDBAHNHÖFE
Kulturbahnhof (KuBa) Hitzacker (3) »Das hat die kleine Stadt an der Elbe noch nicht gesehen: Ein großer Bahnhof für Kunst, Kultur, Bildung, Begegnung und Austausch. Mit viel Mut, Einsatzfreude und Phantasie hat eine Handvoll Idealisten den historischen Backsteinbau aus seinem Dornröschenschlaf erweckt. […] [D]er KuBa [mausert sich] zum quirligen Treffpunkt und etablierten Veranstaltungsort.«1
Der Bahnhof
Schlüsselakteur Initialfinanzierung
Nutzungskonzept
Quellen: 1 http://www.kuba-ev.de/.
Der Bahnhof in Hitzacker wurde im Jahr 1872 an der Strecke Wittenberg–Buchholz erbaut. Der Bahnhof avancierte zu einem wichtigen Knotenpunkt zwischen Berlin und Hamburg. Insbesondere zwischen Hamburg und Hitzacker förderte der Bahnhof den Austausch – die Bewohner Hitzackers konnten in Hamburg arbeiten und umgekehrt ermöglichte der Bahnhof den Hamburgern »die bequeme Möglichkeit einer Landpartie«.1 Im März 2014 stand das Bahnhofsgebäude zur Versteigerung und konnte von dem frisch gegründeten Verein Kulturbahnhof Hitzacker e.V. für 46.000 € ersteigert werden. • Verein Kulturbahnhof Hitzacker e.V. • Spenden und Eigenleistung • die KulturAktie als eine Aktion von Jugendlichen aus Hitzacker Es entsteht ein internationaler und interkultureller Treffpunkt mit Freiräumen für Kunst und Kreativität, Seminarräumen, Ateliers, Ausstellungsräumen, Selbsthilfewerkstätten, aber auch mit Räumen für Projekte und Bildungsangebote für verschiedene Gruppen.
LITERATURVERZEICHNIS
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ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abb. 1, S. 9, Prozess der Entwicklung von Knotenpunkten, Maria Frölich-Kulik. Abb. 2, S. 17, Rahmenskizze der Entwurfs- und Forschungsweise, von Seggern 2018, S. 157. Abb. 3, S. 19, Landschaftsbilder, Fotos 2016, Maria Frölich-Kulik. Abb. 4, S. 49, Rurbaner Netzraum, Maria Frölich-Kulik. Abb. 5, S. 59, Momente der Raumproduktion, Maria Frölich-Kulik. Abb. 6, S. 61, Ebenen der gesellschaftlichen Wirklichkeit, entnommen aus: Frölich-Kulik, Maria (2018): Netzraumtopografie. Architektonische Leerstellen im Landschaftsgeschehen. In: Ehrler, Martin/Weiland, Marc (Hg.): Topografische Leerstellen. Ästhetisierungen verschwindender und verschwundener Dörfer und Landschaften. Bielefeld: transcript. S. 93. Wiederverwendung mit Genehmigung durch den transcript Verlag (2018). Abb. 7, S. 71, Zentrale Orte Prinzip, Christaller 1933, S. 71. Abb. 8, S. 73, Veränderungen von Netzräumen im ländlichen Raum, Maria Frölich-Kulik. Abb. 9, S. 77, Die Pfefferminzbahn im heutigen Eisenbahnnetz, Maria Frölich-Kulik, Grundlage: TLUG, Das Eisenbahnnetz Thüringens 2015. Abb. 10, S. 78–79, Das Thüringer Becken um 1855, Maria FrölichKulik, Grundlage: © GeoBasisDE / TLVermGeo. Abb. 11, S. 80–81, Lage Bahn-Bahnhöfe-Ortschaften, Maria FrölichKulik, Grundlage: © GeoBasisDE / TLVermGeo. Abb. 12, S. 82, Tabelle aus der Sömmerdaer Zeitung, LATh – HStA Weimar, Nr. 803, Bl. 8r. Abb. 13, S. 84–85, Die Pfefferminzbahn um 1920, Maria Frölich-Kulik, Grundlage © GeoBasisDE / TLVermGeo. Abb. 14, S. 86–87, Die Pfefferminzbahn um 1985, Maria Frölich-Kulik, Grundlage © GeoBasisDE / TLVermGeo. Abb. 15, S. 88, Bevölkerungsentwicklung im Landkreis Sömmerda seit 1950 sowie Einwohner, Schulabgänger, Pflegebedürftige im
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Landkreis Sömmerda zwischen 2000 bis 2015, Maria Frölich-Kulik, Grundlage Thüringer Landesamt für Statistik. Abb. 16, S. 90, Landbahnhöfe entlang der Pfefferminzbahn, Fotos 2017, Maria Frölich-Kulik. Abb. 17, S. 92–93, Die Pfefferminzbahn um 2017, Maria Frölich-Kulik, Grundlage © GeoBasisDE / TLVermGeo. Abb. 18, S. 98, Schrankenwärter-Bude in Sömmerda, LATh – HStA Weimar, Nr. 6271, Bl. 175. Abb. 19, S. 99, Gegenvorschlag zur Schrankenwärter-Bude, LATh – HStA Weimar, Nr. 6271, Bl. 149. Abb. 20, S. 105, 15 Fallbeispiele umgenutzter Bahnhöfe in Deutschland, Maria Frölich-Kulik. Abb. 21, S. 106, Parallele Darstellung der Parameter zur Revitalisierung, Maria Frölich-Kulik. Abb. 22, S. 110, Bahnhof in Erlau, Foto 2016, entnommen aus: Frölich-Kulik, Maria (2018): Netzraumtopografie. Architektonische Leerstellen im Landschaftsgeschehen. In: Ehrler, Martin/Weiland, Marc (Hg.): Topografische Leerstellen. Ästhetisierungen verschwindender und verschwundener Dörfer und Landschaften. Bielefeld: transcript. S. 99. Wiederverwendung mit Genehmigung durch den transcript Verlag (2018). Abb. 23, S. 111, Staatliche Lokalversorger, Maria Frölich-Kulik. Abb. 24, S. 112, Bahnhof in Klasdorf, Foto 2016, entnommen aus: Frölich-Kulik, Maria (2018): Netzraumtopografie. Architektonische Leerstellen im Landschaftsgeschehen. In: Ehrler, Martin/Weiland, Marc (Hg.): Topografische Leerstellen. Ästhetisierungen verschwindender und verschwundener Dörfer und Landschaften. Bielefeld: transcript. S. 98. Wiederverwendung mit Genehmigung durch den transcript Verlag (2018). Abb. 25, S. 113, Städtische Liebhaber, Maria Frölich-Kulik. Abb. 26, S. 115, Bahnhof in Hitzacker, Foto 2016, entnommen aus: Frölich-Kulik, Maria (2018): Netzraumtopografie. Architektonische Leerstellen im Landschaftsgeschehen. In: Ehrler, Martin/Weiland, Marc (Hg.): Topografische Leerstellen. Ästhetisierungen verschwindender und verschwundener Dörfer und Landschaften. Bielefeld: transcript. S. 97. Wiederverwendung mit Genehmigung durch den transcript Verlag (2018). Abb. 27, S. 116, Internationale Nachbarn, Maria Frölich-Kulik. Abb. 28, S. 119, Geographische Reichweiten, entnommen aus: Frölich-Kulik, Maria (2018): Netzraumtopografie. Architek-
ABBILDUNGSVERZEICHNIS 275
tonische Leerstellen im Landschaftsgeschehen. In: Ehrler, Martin/Weiland, Marc (Hg.): Topografische Leerstellen. Ästhetisierungen verschwindender und verschwundener Dörfer und Landschaften. Bielefeld: transcript. S. 94. Wiederverwendung mit Genehmigung durch den transcript Verlag (2018). Abb. 29, S. 120, Geographische Reichweite Erlau, Maria Frölich-Kulik. Abb. 30, S. 121, Geographische Reichweite Klasdorf, Maria FrölichKulik. Abb. 31, S. 122, Geographische Reichweite Hitzacker, Maria Frölich-Kulik. Abb. 32, S. 123, Exemplarische Darstellung der Ebenen der gesellschaftlichen Wirklichkeit und geographische Reichweiten, angelehnt an: Frölich-Kulik, Maria (2018): Netzraumtopografie. Architektonische Leerstellen im Landschaftsgeschehen. In: Ehrler, Martin/Weiland, Marc (Hg.): Topografische Leerstellen. Ästhetisierungen verschwindender und verschwundener Dörfer und Landschaften. Bielefeld: transcript. S. 101. Wiederverwendung mit Genehmigung durch den transcript Verlag (2018). Abb. 33, S. 129, Landbahnhöfe als materielle, soziokulturelle und imaginäre Ressource, Maria Frölich-Kulik. Abb. 34, S. 132, Grundriss Bahnhof Buttstädt, LATh – HStA Weimar, Nr. 2918, Bl. 64. Abb. 35, S. 142, Skizze von Price – Blick aus dem Zug, Hardingham/Rattenbury/Price 2007, S. 32. Abb. 36, S. 143, Hauptdiagramm für den Lageplan des THINKBELTS, Hardingham/Rattenbury/Price 2007, S. 25. Abb. 37, S. 151, Versorgungsbeziehungen im ländlichen Raum, Maria Frölich-Kulik. Abb. 38, S. 155, Buttstädt – Versorgung, Maria Frölich-Kulik, Grundlage LATh – HStA Weimar, Nr. 2918, Bl. 64. Abb. 39, S. 157, Versorgungsnetz erlaubt lokale Versorgung, Maria Frölich-Kulik. Abb. 40, S. 160, Der ländliche Raum als Ort der Ruhe und Erholung, Maria Frölich-Kulik. Abb. 41, S. 162, Buttstädt – Erholung, Maria Frölich-Kulik, Grundlage LATh – HStA Weimar, Nr. 2918, Bl. 64. Abb. 42, S. 164, Zusammenschluss von Erholungsorten, Maria Frölich-Kulik.
276 LANDBAHNHÖFE
Abb. 43, S. 167, Der ländliche Raum als Ort nachbarschaftlichen Zusammenlebens, Maria Frölich-Kulik. Abb. 44, S. 170, Buttstädt – Nachbarschaft, Maria Frölich-Kulik, Grundlage LATh – HStA Weimar, Nr. 2918, Bl. 64. Abb. 45, S. 172, Nachbarschaftsband erlaubt Austausch untereinander, Maria Frölich-Kulik. Abb. 46, S. 178, Momente der Raumproduktion als Interaktionsmodell nach L. Burckhardt (2014a, S. 45), Maria Frölich-Kulik. Abb. 47, S. 196, Allmendebahnhöfe und mögliche geographische Reichweite, Maria Frölich-Kulik. Abb. 48, S. 199, Zweckverband Allianz Thüringer Becken und Schienenverbindung, Maria Frölich-Kulik, Grundlage © Thüringer Landesamt für Statistik und www.allianz-thueringer-becken.de (aufgerufen am 28.2.2019). Abb. 49, S. 201, Pfefferminzbahn gekürzt, Maria Frölich-Kulik, Grundlage © Thüringer Landesamt für Statistik. Abb. 50, S. 203, Zweckverband Allianz Thüringer Becken und durch Schienen verbundene Gemeinden, Maria Frölich-Kulik, Grundlage © Thüringer Landesamt für Statistik. Abb. 51, S. 206, Bahnhof Straußfurt, Foto 2017, Maria Frölich-Kulik. Abb. 52, S. 206, Szenarische Schnittdarstellung Straußfurt, Maria Frölich-Kulik. Abb. 53, S. 207, kartographische Darstellung Straußfurt, Maria Frölich-Kulik, Grundlage © GDI-Th, Open Street Maps, Google 2019. Abb. 54, S. 208, Bahnhof Weißensee, Foto 2017, Maria Frölich-Kulik. Abb. 55, S. 208, Szenarische Schnittdarstellung Weißensee, Maria Frölich-Kulik. Abb. 56, S. 209, kartographische Darstellung Weißensee, Maria Frölich-Kulik, Grundlage © GDI-Th, Open Street Maps, Google 2019. Abb. 57, S. 210, Bahnhof Sömmerda, Foto 2017, Maria Frölich-Kulik. Abb. 58, S. 210, Szenarische Schnittdarstellung Sömmerda, Maria Frölich-Kulik. Abb. 59, S. 211, kartographische Darstellung Sömmerda, Maria Frölich-Kulik, Grundlage © GDI-Th, Open Street Maps, Google 2019. Abb. 60, S. 212, Bahnhof Kölleda, Foto 2017, Maria Frölich-Kulik. Abb. 61, S. 212, Szenarische Schnittdarstellung Kölleda.
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Abb. 62, S. 213, kartographische Darstellung Kölleda, Maria Frölich-Kulik, Grundlage © GDI-Th, Open Street Maps, Google 2019. Abb. 63, S. 214, Bahnhof Buttstädt, Foto 2017, Maria Frölich-Kulik. Abb. 64, S. 214, Szenarische Schnittdarstellung Buttstädt . Abb. 65, S. 215, kartographische Darstellung Buttstädt, Maria Frölich-Kulik, Grundlage © GDI-Th, Open Street Maps, Google 2019. Abb. 66, S. 216, Bahnhof Tromsdorf, Foto 2017, Maria Frölich-Kulik. Abb. 67, S. 216, Szenarische Schnittdarstellung Tromsdorf, Maria Frölich-Kulik. Abb. 68, S. 217, kartographische Darstellung Tromsdorf, Maria Frölich-Kulik, Grundlage © GDI-Th, Open Street Maps, Google 2019. Abb. 69, S. 218, Bahnhof Eckartsberga, Foto 2017, Maria Frölich-Kulik. Abb. 70, S. 218, Szenarische Schnittdarstellung Eckartsberga, Maria Frölich-Kulik. Abb. 71, S. 219, kartographische Darstellung Eckartsberga, Maria Frölich-Kulik, Grundlage © GDI-Th, Open Street Maps, Google 2019. Abb. 72, S. 220, Bahnhof Auerstedt, Foto 2017, Maria Frölich-Kulik. Abb. 73, S. 220, Szenarische Schnittdarstellung Auerstedt, Maria Frölich-Kulik. Abb. 74, S. 221, kartographische Darstellung Auerstedt, Maria Frölich-Kulik, Grundlage © GDI-Th, Open Street Maps, Google 2019. Abb. 75, S. 224–227, Rurbaner Netzraum entlang der Pfefferminzbahn, Maria Frölich-Kulik, Grundlage © GDI-Th, Open Street Maps, Google 2019. Abb. 76, S. 235, Ablauf der Ereignisse des Entwurfs- und Forschungsprozesses, Maria Frölich-Kulik, Grundlage: von Seggern 2019, S. 17, Abb. 2 und 3. Abb. 77, S. 240, 15 Fallbeispiele umgenutzter Bahnhöfe in Deutschland, Maria Frölich-Kulik.
DANK An erster Stelle möchte ich mich bei meiner Doktormutter Prof. Dr. Sigrun Langner bedanken. Ohne die inspirierende Zusammenarbeit in dem interdisziplinären Forschungsprojekt ›Experimentierfeld Dorf‹ wäre die Arbeit nicht entstanden und die Landbahnhöfe blieben unbearbeitete Leerstellen. Ein weiterer großer Dank gilt Prof. Dr. Hille von Seggern. Ihr Interesse an dem Projekt und der produktive Austausch mit ihr haben mich immer wieder angespornt. Von besonderem Wert waren für mich die Doktorandenkolloquien vom Studio Urbane Landschaften. Hier danke ich neben Sigrun Langner und Hille von Seggern besonders Prof. Dr. Niels Albertsen, Prof. Dr. Tom Nielsen, Prof. Antje Stokman, Prof. Dr. Martin Prominski, Prof. Dr. h.c. Thomas Sieverts, Prof. Dr. Anne Tietjen und Prof. Dr. Henrik Schultz für die interessanten, zum Nachdenken anregenden und Mut machenden Diskussionen. Ebenso möchte ich mich bei den Professorinnen und Professoren sowie den Kollegiatinnen und Kollegiaten des Graduiertenkollegs ›Identität und Erbe‹ bedanken. Prof. Dr. Hans-Rudolf Meier, Sprecher des Graduiertenkollegs, hatte bereits vor dessen Gründung eine herausragende Rolle inne; als die Ideen bezüglich der Revitalisierung verlassener Landbahnhöfe in mir reiften, war er mein erster Ansprechpartner, der mich ermutigte, das Projekt im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit anzugehen. Ganz besonders danke ich meinen Kolleginnen und Kollegen vom Forschungsprojekt ›Experimentierfeld Dorf‹ und insbesondere Julia Kölling, Martin Ehrler und Marc Weiland. Dank ihrer unglaublichen Geduld und vermittelten Freude beim kritischen Lesen meiner Manuskripte konnte dieses Buch entstehen. Mein größter Dank gilt meiner Familie, die jede Berg- und Talfahrt mit Gelassenheit und Zuversicht hingenommen hat. Und ganz besonders danke ich meiner Mama, ohne die ich diese Arbeit wohl weder begonnen noch abgeschlossen hätte.
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