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German Pages 516 [520] Year 1983
Grathwohl, Energieversorgung
Manfred Grathwohl
Energieversorgung Ressourcen · Technologien · Perspektiven
2., völlig neubearbeitete und stark erweiterte Auflage
w DE
G Walter de Gruyter · Berlin · New York · 1983
Autor Dipl.-Phys. Dr. rer. nat. Manfred Grathwohl Wissenschaftlicher Direktor an der Führungsakademie der Bundeswehr, H a m b u r g
CIP-Kurztitelaufnahme
der Deutschen
Bibliothek
Grathwohl, Manfred: Energieversorgung : Ressourcen, Technologien, Perspektiven / Manfred Grathwohl. — 2., völlig neubearb. u. stark erw. Aufl. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1983.ISBN 3 - 1 1 - 0 0 8 5 9 2 - 5
Copyright © 1983 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sehe Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit & Comp., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie die Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Satz und Druck: Sulzberg-Druck GmbH, Sulzberg im Allgäu. - Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer Buchgewerbe GmbH, Berlin. - Umschlagentwurf: K. Lothar Hildebrand, Berlin. Printed in Germany
Vorwort zur 2. Auflage
Die freundliche Aufnahme, die dieses Buch gefunden hat, zeigt, daß hierfür ein Bedarf vorhanden war. Es hat die Anerkennung vieler gefunden, die sich in verschiedenen Fachdisziplinen mit den für die Energieversorgung relevanten Problemen befassen und die die unterschiedlichsten beruflichen Tätigkeiten ausüben. Wegen der zustimmenden Aufnahme, die dieses Buch auch im Ausland gefunden hat, erschien vom Verfasser im Jahre 1982 — auch im Verlag Walter de Gruyter — das Buch World Energy Supply. Dies alles veranlaßte den Verfasser, an der Konzeption des Buches festzuhalten. Gleichwohl wurde die vorliegende Auflage grundlegend überarbeitet, stark erweitert und dem aktuellen Wissensstand angepaßt. Einige Kapitel wurden detaillierter untergliedert; inhaltlich neue Abschnitte wurden hinzugefügt. So wurden einige physikalisch-technische Grundlagen, soweit sie für das Verständnis von Energiefragen wichtig sind, neu aufgenommen. Möglichkeiten, Energie sparsamer und rationeller einzusetzen, wurden wesentlich ausführlicher behandelt. Außerdem wurde wirtschaftlichen Fragen einzelner Energieträger und Energieumwandlungstechnologien sowie unterschiedlicher Energieversorgungssysteme erheblich mehr Raum gegeben; dies gilt auch dann, wenn wirtschaftliche Aspekte im Inhaltsverzeichnis nicht besonders hervorgehoben wurden. Aber auch die anderen Problemfelder beziehungsweise Abschnitte wurden sehr gründlich überarbeitet, erweitert und verbessert und dem gegenwärtigen Kenntnisstand angepaßt. Stark erweitert wurde auch das Literaturverzeichnis. Allen, die mich auf Verbesserungsmöglichkeiten aufmerksam gemacht haben, danke ich an dieser Stelle. Mein Dank gilt auch denjenigen, die mich bei der Arbeit an dieser Neuauflage unterstützt haben, besonders danke ich wiederum meiner Frau. Hamburg, im Januar 1983
Manfred Grathwohl
Vorwort zur 1. Auflage
Energie ist eine der fundamentalen Größen, auf denen unsere Zivilisation ruht, für die es keinen Ersatz gibt. Bis vor geraumer Zeit war es weitgehend selbstverständlich, genügend Energie verfügbar zu haben. Dies ist anders geworden: Die langfristige Sicherstellung der Energieversorgung ist angesichts der Vielfalt der damit zusammenhängenden Aufgaben zu einem der großen Probleme der Menschheit geworden. Viele sprechen von einem Jahrhundertproblem. Zweifellos haben Energiefragen sowohl interdisziplinären als auch internationalen Charakter. Um das Energieproblem zu lösen, bedarf es einer großen naturwissenschaftlichen, technischen, wirtschaftlichen und politischen Kraftanstrengung. Außerdem machen viele Aspekte der zukünftigen Energieversorgung eine internationale Zusammenarbeit notwendig. Als Beispiele seien erwähnt: die unausgewogene geographische Verteilung einzelner Primärenergieträger, der immense Aufwand für neu zu entwickelnde Energietechnologien und Energieversorgungssysteme, globale Umweltprobleme sowie Sicherheitsprobleme im Zusammenhang mit der weltweiten Verbreitung kerntechnischer Anlagen. Viele noch ungelöste und umstrittene Fragen sollten Anlaß genug sein, sich mit dem Energieproblem zu beschäftigen. Wenn man zu den bereits vorhandenen Büchern über Energiefragen noch ein weiteres hinzufügt, so sollte man versuchen, ein solches Unterfangen zu rechtfertigen. Bisherige Veröffentlichungen behandeln im wesentlichen Einzelgebiete des gesamten Energieproblems, zum Beispiel energiewirtschaftliche Fragen, Energieumwandlungstechniken oder Umweltaspekte. Dies ist zur Analyse des komplexen Problems sicherlich notwendig. Auch wurde vielfach die künftige Energieversorgung auf die Problematik eines Energieträgers reduziert, wie Veröffentlichungen über die Kernenergie oder die Sonnenenergie zeigen. Es hat den Anschein, daß dadurch manchmal wichtige Zusammenhänge zu kurz gekommen sind. Es ist Zweck des vorliegenden Buches, die Problematik der künftigen Energieversorgung und vielschichtige damit zusammenhängende Fragen in einer geschlossenen Darstellung zu behandeln. Dies ist ein Versuch. Der Verfasser möchte in erster Linie durch gesicherte Sachverhalte informieren. Das Buch wendet sich an Wissenschaftler und Techniker, die in speziellen Bereichen der energiebezogenen Lehre, Forschung und Entwicklung tätig sind sowie an die für die Energieversorgung Verantwortli-
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Vorwort zur 1. Auflage
chen. Verständlicherweise mußte aus Raumgründen auf interessante Dinge verzichtet werden. Wo ein Problem angeschnitten wurde, aber nicht vollständig erörtert werden konnte, sind weitere Literaturhinweise angegeben. Das Buch wendet sich aber auch an Studenten, die sich im Rahmen ihrer Fachrichtung mit dem Thema Energieversorgung befassen sowie an alle, die sich über Fragen der Energieversorgung informieren möchten. Allen, die mich bei dieser Arbeit unterstützt haben, möchte ich hier meinen Dank aussprechen, besonders danke ich meiner Frau. Hamburg, im Januar 1978
Manfred Grathwohl
Inhalt
Vorwort
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1. Einleitung
1
2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft 2.1 Ein Beitrag zur Energiegeschichte 2.2 Physikalisch-technische Grundlagen 2.21 Arbeit, Energie, Leistung 2.22 Erster und zweiter Hauptsatz der Thermodynamik 2.23 Energieumsetzungen 2.3 Entwicklung des Primärenergieverbrauchs in der Welt 2.31 Primärenergieverbrauch und Erdbevölkerung 2.32 Primärenergieverbrauch und Bruttosozialprodukt 2.33 Energieeinsparungspotentiale und Prognosen zum Primärenergiebedarf 2.331 Analyse des Energiebedarfs 2.332 Energieeinsparungsmöglichkeiten 2.333 Voraussichtliche Entwicklung des Primärenergiebedarfs in der Welt 2.4 Aspekte der Energiewirtschaft 2.41 Zur Entwicklung der Energiewirtschaft 2.42 Der zukünftige Investitionsbedarf der Energiewirtschaft 2.421 Investitionsbedarf der Mineralölwirtschaft 2.422 Investitionsbedarf der gesamten Energiewirtschaft 3. Das 3.1 3.2 3.3
Energiepotential der Welt Einteilung des Energieangebots Weltvorräte und Reichweiten von Primärenergieträgern Primärenergieträger 3.31 Kohle 3.311 Geographische Verteilung der Kohlevorräte 3.312 Förder-und Verbrauchszentren von Kohle 3.313 Besonderheiten der Kohletechnologie 3.32 Erdöl 3.321 Geographische Verteilung der Erdölvorräte 3.322 Förder-und Verbrauchszentren von Erdöl 3.323 Besonderheiten der Erdöltechnologie 3.33 Erdgas 3.331 Geographische Verteilung der Erdgasvorräte 3.332 Förder- und Verbrauchszentren von Erdgas 3.333 Besonderheiten der Erdgastechnologie
6 6 9 9 10 13 17 17 24 36 37 44 50 61 61 68 68 70 73 73 75 86 86 86 91 97 101 101 110 118 125 125 130 133
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Inhalt 3.34 Ölschiefer und bituminöse Sande 3.341 ölgewinnung aus Ölschiefer 3.342 ölgewinnung aus bituminösen Sanden 3.343 Erschließung von Erdöl-und Erdgasvorkommen durch nukleare Sprengungen . 3.343.1 Physikalische und politische Aspekte der nuklearen Sprengtechnik . . . . 3.343.2 Unterirdische Kernsprengungen zur Gewinnung von Kohlenwasserstoffen
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3.35 Nukleare Energieträger für die Kernfission 3.351 Geographische Verteilung der Uran-und Thoriumvorräte 3.352 Produktions-und Verbrauchszentren von Uran und Thorium 3.36 Nukleare Energieträger für die Kernfusion 3.361 Geographische Verteilung der Lithium-und Deuteriumvorräte 3.362 Brennstoffkosten eines Fusionsreaktors 3.37 Sonnenenergie 3.371 Grundlegende Daten zur Sonnenenergie 3.372 Möglichkeiten und Beschränkungen bei der Nutzbarmachung der Sonnenenergie 3.38 Gezeitenenergie 3.39 Geothermische Energie
149 149 155 159 159 162 162 162
4. Energieversorgungssysteme 4.1 Zur Rolle von Sekundärenergieträgern 4.2 Sekundärenergie aus nuklearen Energieträgern 4.21 Energiegewinnung durch Kernfission 4.211 Grundlagen der Reaktorphysik 4.212 Wassergekühlte und wassermoderierte Reaktoren 4.212.1 Schwerwasserreaktoren 4.212.2 Leichtwasserreaktoren 4.213 Gasgekühlte und graphitmoderierte Reaktoren 4.213.1 C0 2 -gekühlte und graphitmoderierte Reaktoren 4.213.2 Fortgeschrittene gasgekühlte Reaktoren 4.213.3 Hochtemperatur-Reaktoren 4.214 Flüssigmetallgekühlte Schnelle Brutreaktoren 4.215 Gasgekühlte Schnelle Brutreaktoren 4.22 Energiegewinnung durch Kernfusion 4.221 Physikalische Grundlagen 4.222 Zur Entwicklung eines Fusionsreaktors 4.3 Sekundärenergie aus Sonnenenergie 4.31 Direkte Verfahren 4.311 Solarthermische Konversion 4.311.1 Komponenten solarthermischer Systeme 4.311.2 Solarthermische Anlagen 4.312 Solarthermische Kraftwerke 4.313 Photoelektrische Konversion 4.313.1 Solarzellen 4.313.2 Anwendungsmöglichkeiten 4.32 Indirekte Verfahren 4.321 Wasserkraft 4.322 Wellenergie 4.323 Meereswärme, Meeresströmungen 4.324 Windenergie
146
172 180 180 183 183 185 185 185 194 194 196 201 201 202 203 210 219 219 219 222 234 234 234 234 241 248 252 252 255 257 257 260 262 264
Inhalt
XI 4.325 Nutzung gespeicherter Sonnenwärme mit Wärmepumpen 4.326 Photochemische Konversion
4.326.1 Photosynthese 4.326.2 Biomasse 4.326.3 Photolyse des Wassers 4.4 Sekundärenergie aus Gezeitenenergie 4.5 Sekundärenergie aus geothermischer Energie 4.6 Sekundärenergieträger 4.61 Elektrische Energie 4.611 Erzeugung 4.611.1 Elektrizitätserzeugung mit Wärmekraftwerken 4.611.2 Elektrizitätserzeugung aus mechanischer Energie 4.611.3 Direkte Elektrizitätserzeugung 4.611.31 Brennstoffzellen 4.611.32 Magnetohydrodynamische Generatoren 4.611.33 Thermoelektrische Energieumwandlung 4.611.34 Thermionische Energieumwandlung 4.611.35 Radionuklidbatterien 4.612 Transport 4.613 Speicherung 4.614 Wirtschaftliche Aspekte 4.62 Fernwärme 4.63 Erdölveredelungsprodukte 4.64 Kohleveredelungsprodukte 4.641 Zur Bedeutung der Kohleveredelung 4.642 Kohlevergasung 4.643 Kohleverflüssigung 4.643.1 Fischer-Tropsch-Synthese 4.643.2 Kohlehydrierung 4.644 Kokserzeugung 4.645 Wirtschaftliche Aspekte 4.65 Fernenergie 4.66 Wasserstoff als Energieträger 4.661 Herstellung 4.662 Transport 4.663 Speicherung 4.664 Sicherheitsprobleme 4.665 Umweltaspekte 4.67 Alternative Antriebssysteme für mobile Verbraucher 4.671 Methanol, Äthanol 4.672 Wasserstoff 4.673 Elektroantrieb 5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme 5.1 Probleme durch Energiefreisetzung 5.2 Direkte anthropogene Wärmebelastung 5.3 Fossilen Energieträgern spezifische Umweltbelastungen 5.31 Schadstoffemissionen 5.32 Das Kohlendioxid-Problem 5.4 Klimaveränderungen 5.41 Klimaschwankungen in der Vergangenheit
266 270 270 272 276 278 278 279 279 279 279 284 285 285 288 290 291 292 293 294 297 300 302 304 304 307 312 312 315 316 318 321 323 323 325 327 328 329 330 330 334 338 340 340 341 343 343 349 357 357
XII
5.5 5.6 5.7 5.8
5.9
Inhalt 5.42 Mögliche klimatische Folgewirkungen durch Kohlendioxid 5.43 Mögliche Klimabeeinflussung durch andere anthropogene Einwirkungen Umweltbelastungen durch Sonnenenergie Umweltbelastungen durch Gezeitenenergie Umweltbelastungen durch geothermische Energie Für die Kernfission spezifische Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme 5.81 Einführende Betrachtungen 5.82 Zum Kernbrennstoffkreislauf 5.821 Kernbrennstoffversorgung 5.822 Entsorgung 5.822.1 Entsorgungskonzepte 5.822.2 Behandlung abgebrannter Brennelemente 5.822.21 Konditionierung 5.822.22 Wiederaufarbeitung 5.822.3 Endlagerung radioaktiven Materials 5.83 Das Problem der Nichtverbreitung von Kernwaffen 5.84 Zur Sicherheit kerntechnischer Anlagen 5.841 Normalbetrieb 5.842 Störfälle und Unfälle 5.843 Äußere Einwirkungen 5.844 Einwirkungen Dritter Für die Kernfusion spezifische Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
364 365 369 370 370 371 371 373 373 378 378 380 380 382 386 393 400 400 405 427 430 434
6. Schlußfolgerungen
447
7. Anhang 7.1 Literatur 7.2 Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Text) 7.3 Abkürzungen 7.4 Maßeinheiten 7.5 Umrechnungstabelle 7.6 Namenverzeichnis 7.7 Sachverzeichnis
457 457 483 487 492 494 496 496
1. Einleitung
Eine sichere Energieversorgung gehört unbestritten zu den Lebensfragen sowohl eines einzelnen Landes als auch der gesamten Menschheit. Es ist deshalb verständlich, daß seit Jahren Fragen im Zusammenhang mit der künftigen Energieversorgung weltweit eine zentrale Stellung in der öffentlichen Diskussion einnehmen. Trotz vielfacher Bemühungen ist es — wie die Erfahrung zeigt — für Staaten außerordentlich schwierig, ein angemessenes Konzept für eine zukunftsorientierte Energieversorgung zu entwickeln. Obwohl in aller Welt große Anstrengungen unternommen werden, ist es offensichtlich nur bedingt möglich, sich in absehbarer Zeit vom Hauptenergieträger Erdöl auf andere Energieträger umzustellen (1,2). Eingehende Untersuchungen ergeben folgende Erkenntnis: Der weltweite Energiebedarf wird weiterhin noch zunehmen — insbesondere dürften noch auf absehbare Zeit die fossilen Primärenergieträger Erdöl, Erdgas und Kohle weltweit die Grundlage der Energieversorgung bilden — selbst wenn große Anstrengungen unternommen werden, Energie einzusparen beziehungsweise Energie rationeller einzusetzen sowie andere Energieträger zu entwickeln. Trotzdem darf die Menschheit das langfristige Ziel, von den fossilen Energieträgern weitgehend wegzukommen, nicht aus den Augen verlieren. In dieser Abhandlung werden — nach der Einleitung (1.) — für die künftige Energieversorgung wichtige Fragen in folgende Kapitel unterteilt: Primärenergieträger und Weltwirtschaft; das Energiepotential der Welt; Energieversorgungssysteme; Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme; Schlußfolgerungen. Wegen Umfang und Komplexität der Energieprobleme kann eine Vollständigkeit im Rahmen dieser Abhandlung — falls überhaupt möglich — nicht erreicht werden. Zusammenhänge zwischen dem Einsatz von Primärenergieträgern und der wirtschaftlichen Entwicklung in aller Welt (2.) sind unverkennbar, und eine ausreichende Energieversorgung dürfte zur erfolgreichen Bekämpfung globaler Menschheitsprobleme wie Hunger und Armut und somit letzten Endes zur Erhaltung des Weltfriedens eine entscheidende Voraussetzung sein. Da Menge und Art der Energie, die der Menschheit jeweils zur Verfügung standen, zweifellos Meilensteine der Menschheitsgeschichte waren, beginnen die Ausführungen mit einem Beitrag zur Energiegeschichte (2.1). Im Anschluß daran werden einige physikalisch-technische Grundlagen (2.2) behandelt, soweit sie für das Verständnis von Energiefragen rele-
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1. Einleitung
vant sind: Es sind dies die Begriffe Arbeit, Energie, Leistung (2.21), der erste und zweite Hauptsatz der Thermodynamik (2.22) sowie einige grundsätzliche Aussagen zu Energieumsetzungen (2.23). Für die Entwicklung des Primärenergieverbrauchs in der Welt (2.3) war das Wachstum der Erdbevölkerung eine wichtige Bestimmungsgröße (2.31). Außerdem dürfte die Erhöhung des Bruttosozialprodukts pro Kopf, insbesondere in den Entwicklungsländern, wegen des offensichtlich — in gewissen Grenzen — existierenden Zusammenhangs mit dem Primärenergieverbrauch pro Kopf (2.32), einen wachsenden Weltprimärenergiebedarf zur Folge haben. Das heißt, trotz der — insbesondere in den Industriestaaten — vorhandenen Energieeinsparungspotentiale und der Möglichkeiten, Energie rationeller einzusetzen, ist auf voraussehbare Zeit noch mit einer Zunahme des Weltprimärenergiebedarfs zu rechnen (2.33). (Einzelne technische Verfahren zur rationellen Energieverwendung werden in den entsprechenden Abschnitten des 4. Kapitels — Beispiele sind 4.61 und 4.62 — behandelt). An dieser Stelle sei betont, daß es außerordentlich schwierig ist, Prognosen zum Primärenergiebedarf sowohl für einzelne Länder als auch für die gesamte Welt aufzustellen, da eine Reihe von für die künftige Bedarfsentwicklung wichtiger Faktoren wie die Verfügbarkeit von Primärenergieträgern, ihre Preise, die Energiepolitik einzelner Staaten (Staatengruppen), die technologische Entwicklung, das Verbraucherverhalten usw. schwer voraussehbar sind. Die meisten Prognosen zum künftigen Primärenergiebedarf sowohl für einzelne Länder als auch für die gesamte Welt wurden in den letzten Jahren mehrmals nach unten revidiert. Nach Meinung des Verfassers dürfte dieser Trend noch anhalten, da — insbesondere in den Industriestaaten — die vorhandenen Energieeinsparungspotentiale und die Möglichkeiten, Energie rationeller einzusetzen, noch nicht ausgeschöpft sind. Aufgrund der fundamentalen Bedeutung der Energieversorgung für eine Volkswirtschaft fällt der Energiewirtschaft in aller Welt (2.4) eine wichtige Rolle zu. Dabei ist besonders zu berücksichtigen, daß künftig die prozentualen Aufwendungen im Energiebereich — gemessen am jeweiligen Bruttosozialprodukt — beträchtlich höher liegen werden als bisher. Nach einigen Ausführungen zur Entwicklung der Energiewirtschaft (2.41) wird der voraussichtliche Investitionsbedarf dieses Wirtschaftszweiges behandelt. (Wirtschaftliche Fragen der jeweiligen Energieversorgungssysteme beziehungsweise einzelner Energieumwandlungstechnologien werden — auch wenn wirtschaftliche Aspekte im Inhaltsverzeichnis nicht besonders hervorgehoben sind — in den entsprechenden Abschnitten des 3. und insbesondere des 4. Kapitels erörtert). Im 3. Kapitel wird das Energiepotential der Welt analysiert. Zunächst erfolgt die Einteilung des Energieangebots (3.1), dann werden die Weltvorräte und die Reichweiten von Primärenergieträgern behandelt (3.2). Eine sichere Versorgung mit Primärenergie ist für Staaten, Regionen oder wirtschaftspolitische Ländergruppen nicht nur davon abhängig, ob es — global betrachtet — genügend Vorräte gibt. Das heißt, die Tatsache, daß es - global betrachtet - reichlich
1. Einleitung
3
Vorräte von einem Primärenergieträger gibt, ist nicht gleichbedeutend damit, daß dieser Energieträger auch für ein Land immer verfügbar ist. Aus diesem Grunde hängt die Versorgungssicherheit auf dem Energiesektor auch wesentlich von der geographischen Verteilung einzelner Primärenergieträger ab. So kann die geographische Verteilung von Primärenergiequellen durchaus für die Wahl eines Energieträgers beziehungsweise für eine Kombination von Energieträgern ausschlaggebend sein. Außerdem besteht neben der zum Teil sehr unausgewogenen Verteilung einzelner Primärenergieträger in vielen Ländern und Regionen eine Diskrepanz zwischen Förderung und Reserven, was unterschiedliche Reichweiten zur Folge hat sowie eine Diskrepanz zwischen Förderung und Verbrauch, woraus — bei einem Förderdefizit — unterschiedliche politische Abhängigkeitsverhältnisse resultieren können. Darüber hinaus sind neben der geographischen Verteilung der Förder- und Verbrauchszentren eines Primärenergieträgers auch die Besonderheiten der Technologie bei der Lagerstättenerkundung, Erschließung, Gewinnung/Förderung, Vorratshaltung, bei den Veredelungsprozessen, bei dem Transport usw. von großer Bedeutung. Aus diesen Gründen werden diese Fragen für Kohle (3.31), Erdöl (3.32), Erdgas (3.33) sowie für Ölschiefer und bituminöse Sande (3.34) ausführlich behandelt. Da der Einsatz unterirdischer nuklearer Sprengungen zur Gewinnung von Kohlenwasserstoffen — insbesondere zur ölgewinnung aus Ölschiefer und ölsanden — möglich sein könnte, werden an dieser Stelle einige damit zusammenhängende physikalische und politische Aspekte diskutiert. In 3.35 werden die nuklearen Energieträger für die Kernfission behandelt. Dabei wird auf die geographische Verteilung sowie Produktions- und Verbrauchszentren von Uran und Thorium eingegangen. Obwohl noch schwierige physikalische und technische Probleme auf dem Wege zur Verwirklichung der kontrollierten Kernfusion zu lösen sind, wächst die Zuversicht, in absehbarer Zeit einen Reaktor auf der Basis der kontrollierten Kernfusion entwickeln zu können. Nach allem, was wir wissen, dürfte dies eine interessante Möglichkeit für eine praktisch „unbegrenzte" Energieversorung sein (3.36). Aus diesem Grunde werden die geographische Verteilung nuklearer Energieträger für die Kernfusion und — soweit derzeit möglich — Aussagen über Brennstoffkosten eines Fusionsreaktors in die Betrachtungen aufgenommen. Im Gegensatz zur kontrollierten Kernfusion ist die Nutzung der Sonnenenergie im Prinzip technisch gelöst. Das riesige Potential der Sonnenenergie wird aber gegenwärtig fast noch in keinem Lande in nennenswertem Umfange genutzt. Wegen ernst zu nehmender Probleme bei anderen Energieträgern sowie wegen gewisser Vorteile bei der Sonnenenergienutzung hinsichtlich der nationalen (regionalen) Versorgungssicherheit, des Ressourcenverzehrs und der — im Vergleich zu anderen Energiequellen — relativ geringen Umweltbelastungen, verdient die Sonnenenergienutzung zweifellos weltweit größere Beachtung. Deshalb werden grundlegende Fragestellungen zur Beurteilung von Einsatzmöglichkeiten der Sonnenenergie — auch in gemäßigten Breiten — ausführlich diskutiert (3.37).
4
1. Einleitung
Das Potential der Gezeitenenergie ist im Vergleich zu anderen Energiequellen sehr klein (3.38). Die geothermische Energie stellt zwar ein großes Energiepotential dar (3.39), jedoch dürfte aufgrund vielfältiger Schwierigkeiten — global betrachtet — der Anteil dieser Energiequelle an der Energieversorgung auch in Zukunft gering bleiben. Das 4. Kapitel behandelt Energieversorgungssysteme. Zunächst werden einige Ausführungen zur Rolle von Sekundärenergieträgern gemacht (4.1), dann werden verschiedene Verfahren zur Gewinnung von Sekundärenergieträgern behandelt. Aufgrund des derzeitigen technologischen Standes werden — bei Betrachtung der „neuen" Energiequellen — der Energiegewinnung aus nuklearen Energieträgern auf der Basis der Kernfission und der Sonnenenergienutzung die größten Zukunftschancen eingeräumt, einen nennenswerten Beitrag zur weltweiten Energiebedarfsdeckung zu leisten. Deshalb werden zunächst die entsprechenden Technologien behandelt. Die Gewinnung von Sekundärenergie aus nuklearen Energieträgern (4.2) wurde — entsprechend den beiden grundsätzlichen Methoden — eingeteilt in: Energiegewinnung durch Kernfission (4.21) (nach Grundlagen der Reaktorphysik werden die wichtigsten Reaktortypen behandelt) und — obwohl noch nicht realisiert — Energiegewinnung durch Kernfusion (4.22). Verschiedene Gründe sprechen — wie bereits erwähnt — für eine stärkere Sonnenenergienutzung. Um zu einer differenzierten Bewertung der Zukunftschancen unterschiedlicher Methoden der Sonnenenergienutzung zu gelangen, wurden die einzelnen Verfahren der Gewinnung von Sekundärenergie aus Sonnenenergie (4.3) untergliedert in direkte Verfahren (4.31) (solarthermische Konversion, solarthermische Kraftwerke, photoelektrische Konversion) und indirekte Verfahren (4.32) (Wasserkraft, Wellenenergie, Meereswärme, Meeresströmungen, Windenergie, Nutzung gespeicherter Sonnenwärme mit Wärmepumpen, photochemische Konversion). Da die Gezeitenenergie und insbesondere die geothermische Energie in absehbarer Zeit durchaus lokale Bedeutung erlangen können, wird anhand konkreter Beispiele die Gewinnung von Sekundärenergie aus Gezeitenenergie (4.4) beziehungsweise aus geothermischer Energie ebenfalls behandelt (4.5). Sekundärenergieträger dürften in Zukunft im Hinblick auf eine optimale Verwendung der eingesetzten Primärenergie eine noch größere Bedeutung gewinnen. Deshalb werden einige zukunftsträchtige Sekundärenergieträger (4.6) diskutiert: Die elektrische Energie (4.61) dürfte voraussichtlich auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Im Zusammenhang mit einer rationelleren Energieverwendung könnte die Fernwärme (4.62), insbesondere in Ballungszentren, zur Deckung des Bedarfs an Niedertemperaturwärme eine wichtige Funktion übernehmen. Erdölveredelungsprodukte werden insbesondere im Transportwesen noch auf längere Zeit dominieren (4.63). Wegen der enormen Kohlevorräte haben Kohleveredelungsprodukte (4.64) große Zukunftschancen. Das System der Fernenergie (4.65) könnte besonders für den Energietransport über größere Entfernungen Bedeutung gewinnen. Insbesondere könnte langfristig Wasserstoff (4.66) als ein sehr vielseitig verwendbarer Energieträ-
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ger Verwendung finden. Wegen der — wie ausgeführt — starken Abhängigkeit des Transportwesens von Mineralölprodukten verdienen mögliche alternative Antriebssysteme für mobile Verbraucher (4.67) große Beachtung. Im 5. Kapitel werden Umweltbelastungen behandelt, die im Zusammenhang mit dem Einsatz von Energieträgern auftreten. Mögliche Sicherheitsprobleme werden in die Betrachtungen einbezogen. Nach einer Einführung in Probleme, hervorgerufen durch Energiefreisetzung (5.1), wird auf die direkte anthropogene Wärmebelastung (5.2) durch Energieumsetzungsprozesse eingegangen. Danach werden die für fossile Energieträger spezifischen Umweltbelastungen (5.3) erörtert: In 5.31 werden Schadstoffemissionen diskutiert und in 5.32 wird das Kohlendioxid-Problem als globales Umweltproblem behandelt. Nach allem, was wir wissen, besteht durchaus die Gefahr von Klimaveränderungen (5.4), falls die Energiefreisetzung bedenkenlos erhöht werden sollte. Um gewisse Anhaltspunkte zu erhalten, werden zunächst Klimaschwankungen in der Vergangenheit (5.41) betrachtet und danach mögliche klimatische Folgewirkungen durch Kohlendioxid (5.42) sowie eine mögliche Klimabeeinflussung durch andere anthropogene Einwirkungen (5.43) erörtert. Umweltbelastungen durch Sonnenenergie (5.5), durch Gezeitenenergie (5.6) sowie durch geothermische Energie (5.7) werden in die Betrachtungen einbezogen. Die für die Kernfission spezifischen Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme werden in (5.8) behandelt. Nach einführenden Betrachtungen (5.81) werden Fragen des Kernbrennstoffkreislaufs (5.82) erörtert. Ein besonderes sicherheitspolitisches Problem ergibt sich aus der Tatsache, daß nukleare Energieträger wie Uran und Plutonium nicht nur zur Energiegewinnung, sondern auch zur Herstellung von Nuklearwaffen verwendet werden können. Aus diesem Grunde sind Fragen der friedlichen Nutzung der Kernenergie verbunden mit dem Problem der Nichtverbreitung von Kernwaffen (5.83). Fragen der Sicherheit bei kerntechnischen Anlagen werden — unter bestimmten Bedingungen - in 5.84 diskutiert. Ausführungen über die für die Kernfusion spezifischen Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme (5.9) — soweit im derzeitigen Entwicklungsstadium möglich — bilden den Abschluß. Die Komplexität zahlreicher angesprochener Fragen sowie ungelöste beziehungsweise noch nicht zufriedenstellend gelöste Probleme, machen es zum Teil schwer, eindeutige Schlußfolgerungen zu ziehen. Trotz aller Problematik wurde an einigen Stellen und insbesondere am Ende der Abhandlung auf einige grundsätzliche Schlußfolgerungen, die es vielleicht wert sind, genauer untersucht zu werden, nicht verzichtet (6.). Ich hoffe, daß das Buch nützliche Anregungen geben wird.
2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft
2.1
Ein Beitrag zur
Energiegeschichte
Jede Form pflanzlichen und tierischen Lebens ist gebunden an die Zufuhr von Energie, sei es durch Strahlung, Leitung, Konvektion oder durch Aufnahme von chemisch gebundener Energie in Form von Nahrungsmitteln. Obwohl Menge und Art der Energie, die der Menschheit jeweils zur Verfügung standen, Marksteine in ihrer Entwicklung waren, wurde der Energiegeschichte bisher relativ geringe Bedeutung beigemessen. Geht man von einer Menschheitsgeschichte von etwa einer Million von Jahren aus, so war der Mensch die ersten 600000 Jahre allein auf die Muskelarbeit angewiesen. Vor etwa 400000 Jahren entdeckte der Mensch das Feuer. Mit dieser Energiequelle verbesserte er schon in prähistorischen Zeiten seine Lebensbedingungen entscheidend: Er schuf sich, sofern nötig, Wärme in seinen Aufenthaltsstätten und war durch das Licht nicht mehr an Tageshelle gebunden. Außerdem war es mit Hilfe des Feuers möglich, den Nahrungsmittelspielraum durch Zubereitung der Speisen zu erweitern. Im dritten Jahrtausend v. Chr. wird die Nutzung des Feuers entscheidend erweitert: Es gelingt, durch Schmelzprozesse aus Erzen Metalle zu gewinnen. Die Menschheit tritt in eine neue Entwicklungsphase ein. Der Übergang von der Steinzeit zur Bronzezeit wird vollzogen und um etwa 700 v. Chr. von der Eisenzeit abgelöst. Weder damals noch heute lassen sich mit menschlicher oder auch tierischer Muskelarbeit die für die Metallgewinnung und Verarbeitung erforderlichen hohen Temperaturen und Leistungsdichten erzielen. Bis zur Bronzezeit und noch einige Jahrtausende danach wurde der Bedarf an mechanischer Energie durch menschliche und tierische Muskelarbeit gedeckt. Insbesondere die Römer setzten Sklaven zu schwerer körperlicher Arbeit ein. Die ursprünglich ausschließlich zur Fleischgewinnung gehaltenen Haustiere wurden bereits von den Sumerern als Zugtiere eingesetzt. Bei den asiatischen Steppenvölkern kommt das Pferd als Reittier etwa im 18. Jahrhundert v.Chr. vor. Eine entscheidende Voraussetzung für das Entstehen der Hochkulturen seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. war, daß es möglich wurde, durch immer bessere Bewirtschaftung des Bodens eine wenn auch kleine Gruppe von Menschen, die nicht mehr für ihren täglichen Lebensunterhalt arbeiten mußte, für kulturelle Leistungen freizusetzen.
2.1 Ein Beitrag zur Energiegeschichte
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Die fortschreitende Entwicklung der Energietechnik führte zu einer weiteren Verbreiterung der einsetzbaren Energiearten bis hin zur ersten industriellen Revolution. Die Nutzung der Energie des fließenden Wassers mit Hilfe des Wasserrades war um 200 v. Chr. bereits in Byzanz bekannt. Diese erste rein mechanische Energiequelle wurde insbesondere zum Antrieb von Mühlen verwendet. Bereits um 200 n.Chr. konnte eine Getreidemühle bei Arles in 24 Stunden nahezu 28 t Mehl mahlen. Im Mittelalter war es weit verbreitet, die Wasserkraft zur Arbeitsleistung einzusetzen. Die Windmühle soll den Arabern schon im 9. Jahrhundert bekannt gewesen sein. Durch die Kreuzzüge kam diese im 12. Jahrhundert nach Europa, wo man die Windenergie bislang nur zum Schiffsantrieb genutzt hatte. Windmühlen wurden dann beispielsweise zum Getreidemahlen, bei Förderanlagen im Bergbau und zum Wasserpumpen eingesetzt. Der Nachteil des zeitweiligen Betriebsausfalls bei ungünstigen Windverhältnissen wurde von Leonardo da Vinci teilweise durch Windmühlen mit drehbarem Dach behoben. Die Lichttechnik blieb über sehr lange Zeiten unverändert. Die Menschen verbrannten tierische und pflanzliche Fette in einfachen Dochtlampen mit Lichtausbeuten der Größenordnung 0,1 lm/W. Fackeln und Kienspäne brachten zwar eine größere Lichtausbeute, waren aber wegen der damit verbundenen Geruchsbelästigung lichttechnisch gesehen kein nennenswerter Fortschritt. Ende des Mittelalters wurde, nicht zuletzt wegen der zunehmenden Bevölkerung, der Bedarf an mechanischer Energie immer größer. Außerdem suchten die Menschen von der Natur orts- und zeitunabhängige Energiequellen, um die Nachteile der Wasserkraft und Windenergie zu umgehen. So kam es, daß zu Beginn des 17. Jahrhunderts viele Versuche aus dem Altertum wieder aufgearbeitet wurden. Schon Heron von Alexandrien versuchte um 100 v. Chr. mit Heißluft und Dampf Kraftwirkungen zu erzielen. Die entscheidenden Arbeiten zur Verwirklichung des Dampfmaschinenprinzips wurden aber in England geleistet. Hier brauchte man in den Bergwerken zum Auspumpen des Grubenwassers eine neue mechanische Kraftquelle. Nach der kolbenlosen Dampfpumpe (1698) von Thomas Savery wurden Kolbendampfmaschinen entwickelt. James Watt (1736—1819) erfand dann die erste brauchbare Dampfmaschine. Eine seiner ersten Dampfmaschinen (1784) hatte eine Leistung von 7,5 kW. Mit der Dampfmaschine als erster beweglicher Antriebsmaschine begann die Erste industrielle Revolution. An die Fertigungstechnik wurden neue Anforderungen gestellt. Wirtschaft, Industrie, Verkehr und somit auch die Lebensgewohnheiten der Menschen wurden tiefgreifend verändert. In zwei Jahrhunderten wurde eine von der Technik geprägte Umwelt geschaffen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts kam neben der Dampfmaschine die Heißluftmaschine und die Maschine mit Innenverbrennung auf, die durch das von Nikolaus August Otto erfundene Viertaktverfahren der Heißluftmaschine weit überlegen war. Die Turbinentechnik kann als Fortentwicklung der Wasserräder und der Windmühlen angesehen werden. Die ersten Wasserturbinen gab es zu Beginn des 19.
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2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft
Jahrhunderts, und gegen Ende des Jahrhunderts setzte dann die Entwicklung der Dampfturbinen ein. Durch die im 18. Jahrhundert einsetzende Industrialisierung stieg der Lichtbedarf erheblich an. So kam es, daß die Nutzenergie Licht einen entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung der Energietechnik und Energiewirtschaft hatte. Gas und ö l erlangten zunächst als Lichterzeuger und erst dann als Energieträger Bedeutung, und die Starkstromtechnik ist u. a. eine Folge der Entwicklung und Verbreitung der elektrischen Beleuchtung. Der Nachweis der elektromagnetischen Wechselwirkung durch Hans Christian Oersted (1820), die Entdeckung der elektromagnetischen Induktion durch Michael Faraday (1831) und die Entdeckung des dynamoelektrischen Prinzips durch Werner v. Siemens (1866) waren hier Meilensteine. Thomas Alva Edison begann dann mit der Entwicklung der neuzeitlichen Glühlampe (1879), und bereits 1882 wurde in New York das erste öffentliche Elektrizitätswerk der Welt (500 kW, 100 V Gleichspannung) von Edison erbaut. Um 1900 gab es in Deutschland bereits 94 Elektrizitätswerke mit einer Gesamtleistung von etwa 160 M W für Beleuchtungszwecke und Elektromotoren (1). Die Entdeckung der Kernspaltung durch Otto Hahn und Fritz Straßmann im Dezember 1938 in Berlin eröffnete der Menschheit eine ganz neue Energiequelle. Bei der Spaltung schwerer Atomkerne «Thorium, Uran, Plutonium u.a.) werden je kg umgesetzter Substanz etwa 1 Million mal größere Energiebeträge frei als bei Verbrennungsprozessen. In einer Atombombe läuft eine solche Energiefreisetzung unkontrolliert innerhalb eines Bruchteils einer millionstel Sekunde ab, in einem Kernreaktor wird die gleiche Energie während eines längeren Zeitraumes kontrolliert abgegeben. Der erste funktionierende Kernreaktor (CP 1) wurde von Enrico Fermi am 2. Dezember 1942 in Chicago in Betrieb genommen. Elektrizität kann aus allen Primärenergieträgern gewonnen werden. Diese Sekundärenergie ist eine einfach zu handhabende Energieform, die beim Verbraucher praktisch keine Umweltschäden verursacht. Wärmekraftwerke zur Elektrizitätserzeugung arbeiten alle prinzipiell gleich: Der erhitzte Dampf treibt eine Turbine an, die wiederum einen Generator zur Stromerzeugung antreibt. Beim konventionellen Dampfkraftwerk wird die zur Dampferzeugung nötige Wärme durch Verbrennung fossiler Brennstoffe erzeugt, beim Kernkraftwerk entsteht die Wärme durch Energiefreisetzung bei der Kernspaltung im Reaktorkern. In einem modernen Druckwasserreaktor vom Typ Biblis (elektrische Leistung ca. 1200 MW) wird pro Jahr ca. 1 t reiner Spaltstoff 2 |fU in Wärme umgewandelt. Dazu ein Vergleich: Ein Kohlekraftwerk gleicher Leistung verbrennt jährlich 2,5 · 1 0 6 1 Steinkohle; das sind 7 0 0 0 1 an einem Tag. Zum Antransport wären täglich etwa 4 0 0 Güterwagen notwendig.
9
2 . 2 Physikalisch-technische Grundlagen
2.2 Physikalisch-technische
Grundlagen
2.21 Arbeit, Energie, Leistung Die Energie eines Systems wird definiert als die Arbeitsfähigkeit des Systems. Um einem System eine solche Arbeitsfähigkeit zu erteilen, muß vorher an ihm Arbeit geleistet werden. Wird zum Beispiel ein Körper, an dem eine konstante Kraft F angreift, um eine Strecke 1 verschoben, so muß eine Arbeit W = F ·1
(1)
aufgewendet werden. (Dies gilt, wenn Kraft und Verschiebung gleichgerichtet sind und die Kraft längs des Weges konstant ist1*). In einem Körper, an dem Arbeit geleistet wurde, ist also ein vom Betrag dieser Arbeit abhängiger Vorrat an Arbeitsfähigkeit, d. h. Energie, gespeichert. Wenn man von der Energie eines Körpers — allgemein der Energie eines Systems - spricht, so ist darunter eine bestimmte Menge Energie der jeweilige Energieinhalt des Systems — zu verstehen. Da Energie Arbeitsfähigkeit, also aufgespeicherte Arbeit ist, wird Energie und Arbeit in der gleichen Einheit Joule angegeben, wobei gilt: 1 J = 1 Ws. Die Energie eines Körpers in einem bestimmten Zustand ist äquivalent der Arbeit, die notwendig ist, um ihn in diesen Zustand zu versetzen. Umgekehrt ist ein Körper dann befähigt, unter Rückgängigmachung der Zustandsänderung, Arbeit an anderen Körpern zu verrichten. Stemmt z.B. ein Athlet eine Hantel von 100 kg zwei Meter in die Höhe, so hat er eine bestimmte Hubarbeit geleistet. Läßt der Athlet die Hantel in zwei Meter Höhe frei, so kann sie, indem sie frei herabfällt, beim Auftreffen auf den Boden so viel Verformungsarbeit leisten, wie an Hubarbeit zum Heben der Hantel notwendig war. An diesem Vorgang wird ein Energieumwandlungsprozeß deutlich: Bringt man das System in einen Zustand höherer potentieller Energie, dann muß Arbeit von außen zugeführt werden. Die potentielle Energie der Hantel verwandelt sich nach dem Loslassen in kinetische Energie, und diese kann beim Auftreffen auf dem Boden eine äquivalente Verformungsarbeit verrichten. Energie tritt in zahlreichen Formen auf. Einige Beispiele sind: mechanische Energie, Wärme, elektrische Energie, chemische Energie, Strahlungsenergie, Kernbindungsenergie. Das heißt, eine Aufspeicherung von Arbeitsfähigkeit ist nicht nur in Form von mechanischer Energie (potentieller und kinetischer Energie) möglich, sonυ Allgemein ist die Arbeit definiert als das skalare Produkt aus dem Kraftvektor und dem Verschiebungsvektor. Ändert sich längs der Bahn eines Körpers sowohl der Betrag und die Richtung der an ihm angreifenden _Kraft als auch die Richtung seiner Verschiebung, dann gilt für die einzelnen Bahnelemente dl : d W = F dl. Die längst eines endlichen Weges geleistete Arbeit ergibt sich durch Integration über den ganzen Verschiebungsweg: W = { f dl. In einem konservativen Kraftfeld oder konservativen System ist das Arbeitsintegral von O r t 1 zum O r t 2 wegunabhängig.
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2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft
dem auch in Form von in einem Körper enthaltener Wärme, in Form einer gewissen Verteilung elektrischer Ladungen (elektrische Energie) oder in Form eines bestimmten chemischen Zustandes eines Körpers (chemische Energie) usw. (2). Um anzugeben, daß eine bestimmte Energiemenge während der Zeiteinheit von einem System abgegeben oder aufgenommen wird, verwendet man den Begriff der Leistung. Wenn z.B. ein Tauchsieder einen Liter Wasser in fünf Minuten zum Kochen bringt, während ein anderer hierzu zehn Minuten benötigt, so ist zwar die dafür aufzuwendende Energie in beiden Fällen gleich, jedoch ist der erste Tauchsieder leistungsfähiger als der zweite. Die Leistung Ρ ist definiert als das Verhältnis von Arbeit W zur Zeit t, während der sie verrichtet wird, d. h. W p = —
(2)
Dies gilt, wenn die in gleichen Zeiten geleistete Arbeit konstant ist 1 '. Die Maßeinheit der Leistung ist das Watt. Für eine kurze Zeit kann ein Mensch eine Leistung von l k W erbringen. Dazu muß er innerhalb einer Sekunde 102 kg auf die Höhe von 1 m heben. Die Dauerleistung des Menschen über längere Zeit beträgt etwa 100 W.
2.22 Erster und zweiter Hauptsatz der Thermodynamik Für den Vorrat an Arbeitsfähigkeit, d. h. für die Energie eines Körpers (Systems) — bei vorläufiger Beschränkung auf rein mechanische Vorgänge — gilt: In jedem abgeschlossenen System bleibt die Gesamtenergie, das ist die Summe aus potentieller und kinetischer Energie, konstant (mechanischer Energieerhaltungssatz). Soll von einem (abgeschlossenen) mechanischen System (nach außen) Arbeit verrichtet werden, ohne daß sein Energievorrat sich ändert, so kann dies nur durch Energiezufuhr von außen her erreicht werden; sonst resultiert aus der Arbeitsverrichtung eine Energieabnahme des Systems. (Satz von der Unmöglichkeit eines mechanischen perpetuum mobile erster Art: Es ist unmöglich, eine Maschine zu bauen, die dauernd Arbeit verrichtet, ohne daß ihr von außen Energie zugeführt wird). Physikalische Systeme, innerhalb derer keine anderen Energieumwandlungen stattfinden als Umwandlungen von potentieller Energie in kinetische Energie und umgekehrt, nennt man konservative Systeme, solche in denen auch Umwandlungen in andere Energieformen vorkommen, dissipative Systeme.
'' Ist die in gleichen Zeiten geleistete Arbeit nicht konstant, so ist die Momentanleistung durch den Differentialquotienten Ρ = d W / d t definiert. In der endlichen Zeitspanne t wird also die Arbeit W = j Pdt ver0 richtet.
2.2 Physikalisch-technische Grundlagen
11
R. Mayer und J. P. Joule erkannten, daß der Energieerhaltungssatz nicht nur auf mechanische Vorgänge beschränkt ist, sondern auch für Vorgänge der Umwandlung von mechanischen Energieformen in Wärme oder umgekehrt von Wärme in mechanische Energieformen gilt: Sie erkannten, daß auch die Wärme eine Energieform ist und in den Energiehaltungssatz einzubeziehen ist. R. Mayer berechnete im Jahre 1842 aus den Eigenschaften der spezifischen Wärmen der Gase das sogenannte mechanische Wärmeäquivalent, d.h. den quantitativen Zusammenhang zwischen der Einheit Kalorie und der Einheit Joule, die ja nichts anderes waren als zwei verschiedene Einheiten derselben Größe, nämlich der Energie. Experimentell ist das mechanische Wärmeäquivalent zuerst von J. P. Joule ermittelt worden. Es gilt: 1 J = 0,238 845 cal oder 1 kWh = 0,8598 · 10 6 cal. Mechanische Arbeit und Wärme sind also zwei verschiedene, ineinander umwandelbare Formen der Energie; die mechanische Arbeit 1 J ist äquivalent der Wärmemenge 0,238 845 cal. Durch Einbeziehung der Wärme kann der Energieerhaltungssatz umfassender formuliert werden: Die Summe der einem System von außen zugeführten Wärme AQ und der von außen zugeführten Arbeit AW ist gleich der Zunahme der inneren Energie AU, d.h. AU = AQ + AW
(3)
Dies ist der 1. Hauptsatz der Thermodynamik. (Z. B. wenn es sich um einen homogenen Körper handelt ist AU =c v mAT, wobei c v die spezifische Wärmekapazität bei konstantem Volumen, m die Masse des Körpers und AT die Zunahme seiner Temperatur ist). Unabhängig von R. Mayer formulierte H. v. Helmholtz 1846 den Energieerhaltungssatz oder das Energieprinzip in voller Allgemeinheit. Sie kamen zu der Erkenntnis, daß man auf allen Gebieten der Physik Größen von der Art der Energie definieren kann, z.B. elektrische Energie, magnetische Energie, chemische Energie. Das Energieprinzip kann dann in seiner allgemeinen Fassung wie folgt ausgesprochen werden: In einem abgeschlossenen System, in dem beliebige (mechanische, thermische, elektrische, chemische) Vorgänge ablaufen, bleibt die Gesamtenergie unverändert. (Unter einem abgeschlossenen System ist eine Anordnung zu verstehen, der von außen weder Energie zugeführt noch Energie entzogen wird). Alle Energieformen können weder aus dem Nichts entstehen noch ohne Ausgleich verschwinden. Sie können nur aus einer Form in eine andere übergehen; aber die Gesamtenergie eines abgeschlossenen Systems ändert sich nicht (2). Man kann das Energieprinzip auch so formulieren: Ein perpetuum mobile erster Art ist unmöglich. Darunter versteht man nicht - wie der Name eigentlich sagt - eine Vorrichtung, die ohne äußeren Antrieb in ständiger Bewegung bleibt. Eine solche Vorrichtung wäre bei völliger Ausschaltung der Reibung durchaus möglich und kein Widerspruch zum Energieprinzip. Das ist zwar auf der Erde technisch unmöglich,
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2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft
doch bedeutet dies keinen Widerspruch zu einem Naturgesetz. Ein Beispiel für einen solchen Vorgang ist mit sehr großer Annäherung die ständige Bewegung der Planeten um die Sonne. M a n versteht unter einem perpetuum mobile erster Art vielmehr eine Vorrichtung, die ohne Energiezufuhr von außen dauernd Arbeit verrichtet und damit Energie aus dem Nichts erzeugt. Eine solche Vorrichtung ist nach dem Energieprinzip nicht möglich. Der Energieerhaltungssatz kann keine Aussagen darüber machen, ob in der Natur ein Prozeß in einer bestimmten Richtung oder in der gerade entgegengesetzten Richtung eintritt. Mit dem Energieprinzip wäre z. B. in Einklang, daß ein vom Dach gefallener Ziegel wieder auf das Dach springt, indem er aus seinem Wärmeinhalt unter Abkühlung die Energie gewinnt, die zur Hubarbeit notwendig ist. Ein solcher Vorgang ist in der Natur niemals beobachtet worden. Das heißt, nicht alle nach dem Energieerhaltungssatz möglichen Prozesse kommen in der Natur vor. Es muß also ein außerhalb des Energieprinzips liegender Grund dafür vorhanden sein, daß die Natur den einen Prozeß dem umgekehrten vorzieht, oder allgemeiner formuliert: Es muß — wenn zwei verschiedene Zustände eines Systems betrachtet werden — ein Grund dafür vorhanden sein, weswegen der eine Zustand nur als Anfangszustand, der andere Zustand nur als Endzustand vorkommt, nicht aber umgekehrt. Die Frage, in welche Richtung von einem gegebenen Anfangszustand aus ein Prozeß vor sich gehen kann, beantwortet der 2. Hauptsatz der Thermodynamik, der ebenso wie der 1. Hauptsatz ein Erfahrungssatz ist. Der 2. Hauptsatz beantwortet auch die Frage — dies ist im wesentlichen dasselbe Problem —, wann von einem bestimmten Zustand aus kein Prozeß eintritt, d. h. wann dieser gegebene Zustand ein Gleichgewichtszustand ist. Einige weitere Beispiele für Naturvorgänge, die von selbst nur in einer bestimmten Richtung vor sich gehen, seien noch genannt. Wenn ein mit einem Gas gefüllter Raum mit einem gasleeren Raum verbunden wird, dann strömt solange Gas in den letzteren, bis sich Druckgleichheit eingestellt hat. Niemals wird aber das Gas einen Teil des ihm zur Verfügung stehenden Raumes von selbst wieder freigeben. Zwei in einem Gefäß unvermischte Gase vermischen sich von selbst vollständig durch Diffusion, aber eine Entmischung von selbst findet nicht statt. Ein Stück Zucker löst sich in einem Glas Wasser von selbst — ohne unser Zutun — auf, d. h. die Zuckermoleküle verteilen sich gleichmäßig auf den ganzen Raum. Auch dieser Prozeß verläuft nur in einer Richtung, denn es wurde noch nie beobachtet, daß sich die im Wasser verteilten Zuckermoleküle wieder sammeln und sich zu einem Stück Zucker vereinigen. Solche Prozesse bezeichnet man als irreversible Prozesse. Irreversible (nicht umkehrbare) Prozesse können nicht rückgängig gemacht werden, ohne daß Veränderungen in der Natur zurückbleiben. Alle makroskopischen Naturvorgänge sind irreversibel. Reversible Vorgänge treten in voller Strenge in der Natur nicht auf, sie sind in Wirklichkeit lediglich mit großer Annäherung realisierbar. Es sei erwähnt, daß es zwar mit Hilfe äußerer Einwirkungen möglich ist, bei einem
2 . 2 Physikalisch-technische Grundlagen
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irreversiblen Prozeß den Anfangszustand wieder herzustellen, z.B. unter Aufwand äußerer Energie. Jede Umkehrung eines irreversiblen Prozesses hinterläßt aber in der Natur auf keine Weise wieder zu beseitigende Veränderungen. R. Clausius definierte aus den Zustandsgrößen eines Körpers oder Körpersystems eine Größe, die Entropiefunktion S 1 ', die in unmittelbarer Beziehung zur einseitigen Richtung des Ablaufs der Naturvorgänge steht. Ein besonders wichtiger Spezialfall ist, daß das betrachtete System abgeschlossen ist. Dann läßt sich der 2. Hauptsatz der Thermodynamik wie folgt formulieren: Die Entropie eines abgeschlossenen Systems von Körpern, die miteinander in Wechselwirkung stehen, kann nur zunehmen, niemals aber abnehmen, d. h. bei einem abgeschlossenen System ist die Entropie im Endzustand S(2) stets größer als die Entropie im Anfangszustand S(l). Es ist: S (2) > S (1)
(4)
Die Vorgänge in einem abgeschlossenen System sind also stets mit einer Entropiezunahme verbunden. Dieses Prinzip legt die Richtung aller Vorgänge fest. Ist das System nicht abgeschlossen, so kann man es stets zu einem solchen machen, indem man diejenigen Körper der Umgebung, mit denen es in Energieaustausch steht, in das System einbezieht. Es läßt sich zeigen, daß nach dem 2. Hauptsatz die Existenz einer periodisch arbeitenden Maschine, die Wärme vollständig in Arbeit umwandelt, unmöglich ist, (vgl. 2.23) (Satz von der Unmöglichkeit eines perpetuum mobile 2. Art). Ein perpetuum mobile zweiter Art wäre also eine Maschine, die zwar dem 1. Hauptsatz der Thermodynamik, nicht aber dem 2. Hauptsatz genügt (2).
2.23 Energieumsetzungen Jedes physikalische System, in dem Prozesse ablaufen, bei denen Energie aufgenommen und abgegeben, also umgewandelt wird, ist ein Energiewandler. Besteht die Funktion eines Systems darin, eine bestimmte Energieumwandlung vorzunehmen, d. h. Energie einer bestimmten Energieform zu liefern, also abzugeben, so nennt man dieses System eine Maschine. Der Wirkungsgrad ist dann definiert als das Verhältnis des Betrags der von der Maschine — allgemein des energieumwandelnden Systems — abgegebenen Energieform zu dem Betrag der ihr zugeführten Energieform. So ist z. B. der Wirkungsgrad eines elektrischen Generators η α das Verhältnis der vom Genera-
Jedem Zustand eines Systems kann man eine Funktion S zuordnen, die als Entropie des Zustandes bezeichnet wird und deren vollständiges Differential dS bei einer reversiblen Änderung dS = d Q / T ist, wobei d Q die aufgenommene Wärmemenge und Τ die Temperatur ist, bei der die Aufnahme erfolgt.
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2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft
tor abgegebenen elektrischen Energie W e zu der vom Generator aufgenommenen Rotationsenergie W r , d.h. ^
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1 t S K E = 2 9 , 3 1 • 1 0 9 J . Nach neueren Untersuchungen könnten in diesem Sektor im Jahre 2 0 0 0 bis zu 70 · 10 6 t SKE der Endenergie durch solar erzeugte W ä r m e bereitgestellt werden (21).
21
Quellen: Energy R & D , OECD, Paris 1975 (62). Project Interdependence: U.S. and World Energy Outlook through 1990, A Report printed by the Congressional Research Service, U.S. Government Printing Office, Washington, D.C., November 1977 (20).
brauch in diesem Sektor von 1 9 5 0 bis 1 9 7 5 um das 6-fache, und im Jahre 1 9 9 0 wird dieser Sektor voraussichtlich mit 3 8 % der größte Stromverbraucher sein. Im Sektor Haushalt und Kleinverbraucher wird Kohle fast nicht mehr eingesetzt werden. Das heißt, der Einsatz dieses Energieträgers beschränkt sich fast ausschließlich auf die Industrie und auf die Erzeugung von elektrischer Energie. Es kann davon ausgegangen werden, daß Kohle auch noch um die Jahrhundertwende seine Vorrangstellung bei der Elektrizitätserzeugung behält und daß hier die Kernenergie die stärkste Zuwachsrate haben wird. Im Sektor Verkehr werden Ölprodukte auch noch um die Jahrhundertwende ihre dominierende Stellung behalten.
44 2.332
2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft
Energieeinsparungsmöglichkeiten
Die Erfahrungen seit 1 9 7 3 zeigen, daß es aufgrund der gestiegenen Energiepreise und eines geschärften Energiebewußtseins — insbesondere in den Hauptverbraucherländern - zu einer Vielzahl von Veränderungs- und Anpassungsprozessen in Wirtschaft und Gesellschaft kam. Dies hatte zur Folge, daß die für einzelne Länder bzw. für die gesamte Welt prognostizierte Entwicklung des Primärenergiebedarfs wiederholt nach unten revidiert wurde. Die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland prognostizierte zum Beispiel im Jahre 1 9 7 3 - kurz vor der sogenannten Ölkrise - den Primärenergiebedarf für das Jahr 1 9 8 5 auf 6 1 0 · 10 6 t SKE. Aufgrund der veränderten energiepolitischen Situation nach dem Oktober 1 9 7 3 wurde dieser Wert ein Jahr später — in der ersten Fortschreibung des Energieprogramms - für 1 9 8 5 auf 5 5 5 • 10 6 t SKE zurückgenommen, was einer Reduzierung um etwa 1 0 % entspricht. Im März 1 9 7 7 veröffentlichte die Bundesregierung, im Zusammenhang mit der Vorbereitung einer erneuten Fortschreitung des Energieprogramms, die „Grundlinien und Eckwerte", in denen der Primärenergiebedarf für 1 9 8 5 mit 4 9 6 · 1 0 6 t SKE angegeben wurde, was erneut eine Reduzierung um 1 0 % bedeutete (11). Im Dezember 1 9 7 7 wurde dann die zweite Fortschreitung des Energieprogramms veröffentlicht. Hier wurde der Primmärenergiebedarf für 1 9 8 5 auf 4 8 3 · 1 0 6 t SKE festgelegt (9). Die Deutsche Shell AG prognostizierte im Jahr 1 9 7 9 für 1 9 8 5 sogar nur einen Primärenergiebedarf von 4 6 4 · 10 6 t SKE. Bei den längerfristigen Prognosen, z.B. für das Jahr 2 0 0 0 , sind die Abweichungen naturgemäß noch größer. Kurz vor der sogenannten Ölkrise 1973 wurde der Primärenergiebedarf von der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland für das Jahr 2 0 0 0 mit 888 · 1 0 6 t SKE angegeben. Dieser Wert wurde in der im Dezember 1 9 7 7 veröffentlichten zweiten Fortschreitung des Energieprogramms auf 6 0 0 · 1 0 6 t SKE, d.h. um rd. ein Drittel reduziert (9). Die Deutsche Shell AG gibt im Jahre 1 9 7 9 den Primärenergiebedarf für das Jahr 2 0 0 0 mit nur 513 · 1 0 6 t SKE an und im Jahre 1 9 8 2 prognostizierte die Deutsche Shell AG den Primärenergiebedarf für das Jahr 2 0 0 0 sogar nur auf 4 4 5 · 1 0 6 t SKE (18). In der 3. Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung vom November 1 9 8 1 wird der Primärenergiebedarf für das Jahr 1 9 9 5 mit 4 6 0 · 1 0 6 t SKE bis 4 9 7 · 1 0 6 t SKE angegeben (19). Die Prognosen über den zukünftigen Primärenergiebedarf in den Vereinigten Staaten zeigen eine ähnliche Entwicklung (66-72). Der Report „U.S. Energy Through the Year 2 0 0 0 " , erstmals veröffentlicht im Jahre 1 9 7 2 , prognostizierte den Primärenergiebedarf der Vereinigten Staaten für das J a h r 1 9 8 5 auf 4 2 0 0 · 1 0 6 t SKE (116,1 · 1 0 1 5 Β tu) (66). In dem von Präsident R. Nixon am 2 3 . 1. 1 9 7 4 - kurz nach der sogenannten Ölkrise von 1 9 7 3 — verkündeten „Project Independence", dessen Ziel es sein sollte, die Vereinigten Staaten auf dem Energiesektor autark zu machen, wurde der Primärenergiebedarf für 1 9 8 5 mit 3 7 0 0 · 1 0 6 t SKE bis 3 9 0 0 · 1 0 6 t SKE ( 1 0 2 , 9 · 1 0 1 5 bis 109,1 · 10 1 S Btu) angegeben (67). Die zweite revidierte Ausgabe des
2.3 Entwicklung des Primärenergieverbrauchs in der Welt
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Reports „U.S. Energy Through the Year 2000", die im Jahre 1975 veröffentlicht wurde, prognostizierte den Primärenergiebedarf für 1985 auf 3750 · 10 6 t SKE (103,5 · ΙΟ 15 Β tu) (66). Der Report „Project Interdependence: U.S. and World Energy Outlook through 1990" vom November 1977 erwartet für das Jahr 1985 einen Primärenergiebedarf von 3280 · 10 6 t SKE (91,2 · 10 1S Btu) (20), E. T. Hayes prognostizierte im Jahre 1979 für 1985 sogar nur einen Primärenergiebedarf von 3140 · 10 6 t SKE (86,7 · 10 1S Btu) (21). Das heißt, der für 1985 prognostizierte Primärenergiebedarf wurde in der Zeit von 1972 bis 1979 um 1060 · 10 6 t SKE (29,4 · 10 15 Btu) nach unten revidiert, was eine Reduzierung um rd. 25% bedeutet. Bei den längerfristigen Prognosen, z.B. für das Jahr 2000, sind die Abweichungen — wie auch in anderen Ländern — noch größer. Der Report „U.S. Energy Through the Year 2000", prognostizierte in der ersten Ausgabe 1972 den Primärenergiebedarf der Vereinigten Staaten für das Jahr 2000 auf 6900 · 10 6 t SKE (191,9 · 10 1S Btu) (9) und in der zweiten Ausgabe von 1975 auf 5900 · 10 6 t SKE (163,4 · 10 1S Btu) (66). E. T. Hayes dagegen gibt im Jahre 1979 den Primärenergiebedarf für das Jahr 2000 nur noch mit 3440 · 10 6 t SKE an (95,0 · 10 1S Btu) (21); die Exxon Corporation prognostizierte im Jahre 1981 den Primärenergiebedarf für das Jahr 2000 sogar nur noch auf 3200 t SKE (89,0 • 10 1S Btu). Daraus ist ersichtlich, daß der 1981 für das Jahr 2000 prognostizierte Primärenergiebedarf nicht einmal halb so hoch liegt wie der 1972 prognostizierte Wert. Was exemplarisch für die Bundesrepublik Deutschland und die Vereinigten Staaten ausgeführt wurde, gilt auch für andere Industriestaaten und Staatengruppen wie z.B. die Staaten der Europäischen Gemeinschaft (EG) und die der OECD (73-77). Für den zukünftigen Weltprimärenergiebedarf wurden die Prognosen ebenfalls wiederholt nach unten revidiert (78). Im Jahre 1973 — vor der sogenannten Ölkrise — wurde der Weltprimärenergiebedarf für das Jahr 2000 noch mit 30 · 10 9 t SKE (829 · 10 15 Btu) angegeben (62). H. Kahn prognostizierte 1976 diesen Wert auf 22 · 10 9 t SKE (608 · 10 1S Btu) (5). Die Conservation Commission of the World Energy Conference schätzte 1977 den Weltprimärenergiebedarf für das Jahr 2000 auf 19,1 • 10 9 t SKE (528 · 10 1S Btu) (26). Dagegen prognostizierte 1977 das Bundesministerium für Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland den Weltprimärenergiebedarf für das Jahr 2000 nur auf 17,9 · 10 9 t SKE (494 · 10 15 Btu); die Exxon Corporation prognostizierte im Jahre 1981 den Weltprimärenergiebedarf für das Jahr 2000 auf 15,0 · 10 9 t SKE (417 · 10 15 Btu) (9). Ein wesentlicher Grund dafür, daß in den letzten Jahren Energiebedarfsprognosen wiederholt nach unten revidiert wurden, ist, daß offensichtlich Energieeinsparungsmöglichkeiten unterschätzt wurden (79-83). Eine Reihe von Gründen sprechen dafür, Energie einzusparen beziehungsweise Energie möglichst rationell einzusetzen, ζ. B. durch Verbesserung der Wirkungsgrade bei Energieumwandlungsprozessen. Einige Vorteile sind: Verringerung der Abhängigkeit eines Landes von Primärenergieimporten, Schonung nicht regenerierbarer Primärenergieträger, Vermeidung von Umweltschäden und Umweltrisiken und Ver-
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2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft
längerung der Reichweite vorhandener Primärenergievorräte, was einen Zeitgewinn für die Entwicklung neuer Energietechnologien bedeutet. Eine Verringerung der Abhängigkeit eines Landes von Primärenergieimporten, insbesondere von Mineralölimporten erhöht die Versorgungssicherheit. Außerdem könnte eine zwischen den Hauptverbraucherländern abgestimmte Einsparungsstrategie den Weltmineralölmarkt entlasten und den Preiserhöhungsspielraum der ö l förderländer in Grenzen halten. Die Schonung nicht regenerierbarer Primärenergieträger — dies gilt insbesondere für das Mineralöl - ergibt sich aus der Notwendigkeit, daß diese nicht nur als Energieträger sondern auch als Rohstoffe eingesetzt werden und es für die Menschheit viel schwieriger ist, das Mineralöl als Rohstoffträger zu ersetzen, denn als Energieträger. Dabei hat die Frage, ob es — im Hinblick auf spätere Generationen — überhaupt zu rechtfertigen ist, daß die derzeitige Menschheit in relativ kurzer Zeit in Jahrmillionen entstandene Rohstoffe verbraucht, einen besonders hohen — auch moralischen — Stellenwert. Außerdem darf die derzeitige weltweite Wachstumsrate beim Einsatz fossiler Primärenergieträger, wegen der bei den Energiefreisetzungsprozessen verursachten globalen Umweltbelastungen, nicht unbegrenzt anhalten: Ein überhöhter C0 2 -Gehalt in der Atmosphäre könnte das Klima beeinflussen (vgl. 5.3). Durch Energieeinsparung verringerter Energiebedarf hat eine Minderung des Verbrauchszuwachses und somit eine Verlängerung der Reichweite vorhandener Primärenergieressourcen zur Folge. Dies bedeutet — auch wegen der unausgewogenen geographischen Verteilung der Primärenergieressourcen — eine Entschärfung von Versorgungsproblemen. Dadurch können Lösungen, die langfristig Vorteile bieten, angestrebt werden, an Stelle von Lösungen mit kurzfristigen Vorteilen aber langfristig zum Teil noch nicht abschätzbaren Folgewirkungen. Die Tatsache, daß — bei vergleichbarer „Lebenqualität" — der Primärenergieverbrauch pro Kopf beispielsweise in den Vereinigten Staaten etwa doppelt so groß ist wie in der Bundesrepublik Deutschland, zeigt aber, daß es in wichtigen Hauptverbraucherländern noch große Möglichkeiten gibt, Energie einzusparen bzw. Energie rationeller einzusetzen (84-86). Dieser Vergleich zeigt auch, daß ein geringerer Primärenergieverbrauch nicht unbedingt identisch sein muß mit einem Verzicht auf Güter und Dienstleistungen oder mit einer Verringerung der Lebensqualität (87-89). Obwohl in der Bundesrepublik Deutschland — verglichen mit anderen hochindustrialisierten Ländern — mit einem relativ geringen Primärenergieverbrauch ein relativ hohes Bruttosozialprodukt pro Kopf erzielt wird, wurden zum Beispiel im Jahre 1980 von der eingesetzten Primärenergie nur ca. 33% genutzt, und ca. 67% gingen bei Umwandlung, Transport und Anwendung verloren. Dies hängt u. a. damit zusammen, daß beim Einsatz von Energieträgern zum Teil Zweck der Verwendung und Art der Bedarfsdeckung in einzelnen Verbrauchssektoren bisher oft unzureichend berücksichtigt wurden. So tragen beispielsweise die in Jahrzehnten gewachsenen Energieversorgungssysteme in zahlreichen Staaten nicht immer in ausreichendem
2.3 Entwicklung des Primärenergieverbrauchs in der Welt
47
Maße der Tatsache Rechnung, daß auf der Verbraucherseite in erster Linie ein Bedarf an Wärme besteht. Ein Teil dieser Verluste ist unvermeidlich aufgrund von Naturgesetzen (vgl. 2.2). Der andere Teil der Verluste kann aber durch bessere Techniken vermieden werden. Eingehende Untersuchungen zeigen, daß es auch in der Bundesrepublik Deutschland noch beträchtliche Energieeinsparungsmöglichkeiten gibt. Für das Jahr 1985 wird das relative Endenergie-Einsparungspotential im Sektor Industrie — das ist das Verhältnis von (voraussichtlich) eingesparter Endenergie zu dem prognostizierten Endenergieverbrauch ohne Einsparung - mit ca. 11 % angegeben. Im Sektor Verkehr beträgt das entsprechende Endenergie-Einsparungspotential ca. 10% und im Sektor Haushalt und Kleinverbraucher ca. 15% (89). Es kann gezeigt werden, daß es — ohne auf Annehmlichkeiten zu verzichten — noch Möglichkeiten gibt, Energie einzusparen. Das heißt, derselbe Nutzen, der bisher durch Einsatz bestimmter Mengen von Energieträgern realisiert wurde, kann auch durch geringeren Einsatz realisiert werden, wenn entsprechende Maßnahmen zur Einsparung von Energie getroffen werden (91-95). So zum Beispiel kann Behaglichkeit in Räumen durch geringe Isoliermaßnahmen und mehr Energiezufuhr oder durch mehr Isoliermaßnahmen und geringere Energiezufuhr realisiert werden. Mit anderen Worten kann also Behaglichkeit in Räumen durch die Kombination von Isoliermaßnahmen und Energiezufuhr erzielt werden, d. h. letzten Endes durch eine bessere Energienutzung. Insofern übernimmt die Energieeinsparung im Rahmen von Energieversorungssystemen durchaus die Funktion einer „Energiequelle" (89). Für alle Maßnahmen zur Energieeinsparung ist charakteristisch, daß sie anfänglich mit einem zum Teil erheblichen Kapitalaufwand verbunden sind (96, 97). Es kann aber davon ausgegangen werden, daß die Substitution von Energieträgern durch Energieeinsparung (Kapital), d.h. die Realisierung eines bestimmten Nutzens mit relativ geringem Energieeinsatz, nicht zwangsläufig ein entsprechend geringes Sozialprodukt zur Folge hat (89). Im Folgenden sollen einige spezifische Merkmale und Einsparungsmöglichkeiten in den wichtigsten Verbrauchssektoren (Industrie, Haushalt und Kleinverbraucher, Verkehr) in den OECD-Staaten behandelt werden. Einer Untersuchung der Deutschen Shell AG aus dem Jahre 1979 ist zu entnehmen, daß der Primärenergieverbrauch pro Einheit des Bruttosozialprodukts in der gesamten OEDC von 1973 bis 1978 um rd. 7% zurückgegangen ist. Hierfür waren insbesondere folgende Gründe maßgebend: Der Anteil der weniger energieintensiven Konsumgüterindustrie an der Produktion nahm zu, und durch neu eingeführte Verfahren — insbesondere in der Schwerindustrie - wurde die Energienutzung verbessert (87). Der Energiebedarf der verschiedenen Industriezweige ist sehr unterschiedlich. Die Schwerindustrie (Eisen und Stahl, NE-Metalle, Glas, Steine und Erden, Zement) sowie die chemische Industrie sind besonders energieintensiv (87). Zwar entfallen auf diese Industriezweige in der OECD im Durchschnitt nur 20% der Industrieproduktion, jedoch benötigen sie mehr als die Hälfte des industriellen Energiebedarfs. Des-
48
2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft
halb sollten in diesen Industriezweigen zuerst Maßnahmen getroffen werden, Energie möglichst rationell einzusetzen. In der Schwerindustrie konzentriert sich der Energieeinsatz in der Regel auf große kapitalintensive Anlagen mit langer Nutzungsdauer (niedrige Erneuerungsrate). Aus diesem Grunde dürften sich kurz — wie mittelfristig Möglichkeiten zu rationellerem Energieeinsatz durch den Einbau energiesparender Komponenten in bestehende Anlagen ergeben — verbunden mit verbesserter Verfahrenskontrolle — sowie durch Verwendung anderer Brennstoffe und durch Rückgewinnung von Abwärme. Oft sind größere Einspareffekte bei der Dampferzeugung (z. B. durch verbesserte Meß- und Regeltechnik) und bei der Raumheizung (z.B. Verwendung von Abwärme bei besserer Isolation) erzielbar. Langfristig sollten in der Produktion energiesparende Verfahren bzw. Anlagen eingesetzt werden. Häufig ist durch Integration des Energiebedarfs verschiedener Bereiche eines ganzen Industriekomplexes ein rationellerer Energieeinsatz möglich. Beispielsweise kann die Abwärme aus einem Hochtemperaturverfahren als Eingangswärme für einen Prozeß, der bei niedrigerer Temperatur abläuft, verwendet werden (siehe Abb. 2-10). Außerdem sollte — soweit energiewirtschaftlich sinnvoll — das Prinzip der Wärme/Kraft-Kopplung oder der Wärmerückgewinnung Anwendung finden (vgl. 4.62). Institutionelle Schranken, die einen Austausch von Energie (Strom) zwischen einzelnen Firmen oder dem öffentlichen Netz behindern, sollten abgebaut werden. Der Großteil der Energie im Sektor Haushalt und Kleinverbraucher wird für Raumheizung verwendet (siehe Abb. 2-9). Dabei ist zu berücksichtigen, daß Wohnhäuser eine relativ lange Nutzungsdauer — bis zu 80 Jahren — haben. Deshalb sollten Möglichkeiten zu rationellerem Energieeinsatz auch noch bei den vorhandenen Gebäuden verwirklicht werden. Da aber für Modernisierungsmaßnahmen (energiesparende Investionen) bei der vorhandenen Bausubstanz und insbesondere für die Erstellung neuer Gebäude relativ viel Zeit benötigt wird, dürfte in diesem Bereich die Nutzung des technisch möglichen Energieeinsparungspotentials einen entsprechend langen Zeitraum in Anspruch nehmen. Selbst wenn sich durch energiesparende Investionen der Energieverbrauch in vorhandenen Gebäuden bis 1985 um 2 0 % und — durch Bauvorschriften — in den nach 1980 errichteten Gebäuden sogar um 5 0 % reduzieren ließe, wäre das technisch mögliche Energieeinsparungspotential in diesem Bereich bis zum Jahre 2000 erst etwa zur Hälfte genutzt (87). Untersuchungen haben gezeigt, daß überall in der Welt die Menschen innerhalb eines engen Temperaturbereichs, zwischen 22° C und 24° C, leben und arbeiten wollen. Dieser Temperaturbereich ist aber u. a. durch die Art der getragenen Kleidung sowie durch Lüftung und Luftfeuchtigkeit zu beeinflussen. Dieser Temperaturbereich könnte beispielsweise gesenkt werden, sofern die Menschen bereit wären, wärmere Kleidung zu tragen. Jedes zusätzliche Grad Innentemperatur erfordert in Westeuropa für Raumheizung einen Mehrverbrauch an Energie von 5 bis 1 0 % . Deshalb können in diesem Bereich durch Senkung der Raumtemperatur in Wohnräumen — ohne großen Aufwand — beträchtliche Mengen an Energie eingespart werden.
2.3 Entwicklung des Primärenergieverbrauchs in der Welt
49
Die Wohnhäuser lassen sich grob in solche mit Einzel- und solche mit Sammelheizung einteilen. Kapitaleinsparung und größere Anpassungsfähigkeit bei Brennstoffen sprechen für zentrale Kesselanlagen. Jedoch sollte die durch Sammelheizung bereitgestellte Wärme individuell gemessen werden. Einzelmessungen zeigen dem Verbraucher direkt seinen eigenen Verbrauch an und fördern somit das Sparverhalten. Was die Heizungsanlage eines Hauses angeht, so besteht zwischen Hauseigentümer (Vermieter) und Mieter in der Regel eine unterschiedliche Interessenlage, da der Einbau von brennstoffsparenden bzw. einen anderen Brennstoff verwendenden Heizungsanlagen vom Hauseigentümer die Zahlung höherer Kapitalkosten verlangt, was dem Mieter durch niedrigere Betriebskosten zugute kommt. Es gibt Anzeichen dafür, daß solche Widersprüche erkannt und seitens der Gesetzgebung Schritte zu ihrem Abbau unternommen werden. Der Sektor Verkehr zeichnet sich dadurch aus, daß dessen prozentualer Anteil am gesamten Mineralölverbrauch in einigen Ländern besonders hoch ist: In Japan entfallen ca. 20% des Mineralöls auf den Sektor Verkehr, in Westeuropa sind es im Durchschnitt 27% (in der Bundesrepublik Deutschland sind es 30%), und in den Vereinigten Staaten — hier ist der Individualverkehr am stärksten vertreten — sind es ca. 50%. (Im Jahre 1978 war beispielsweise der Kraftstoffverbrauch pro Kopf in den USA mit 1281 Liter etwa viermal so hoch wie in der Bundesrepublik Deutschland mit 289 Liter). Dabei ist der Straßen-, Luft- und Binnenschiffahrtverkehr jeweils nahezu 100%ig vom ö l abhängig. Im Bereich des gewerblichen Güterverkehrs waren die Energiekosten - sie betragen 30% der Gesamtkosten - schon seit längerer Zeit als wichtiger Kostenfaktor bekannt, und deshalb wurden auch entsprechende Maßnahmen zu ihrer Senkung unternommen. Da die verschiedenen Transportwege (Wasser, Straße, Schiene, Luft) bisher schon die Tendenz hatten, sich auf solche Gebiete zu spezialisieren, in denen ihre Wettbewerbsvorteile am größten waren, dürfte der Spielraum für weitere Energieeinsparung z. B. durch Verlagerung des Güterverkehrs von einem Transportmittel auf das andere begrenzt sein (87). Die Leistungsfähigkeit verschiedener Arten des Personenverkehrs auf dem Landwege hängt im wesentlichen von der Auslastung ab. So z.B. sind Eisenbahnen und Busse bei voller Besetzung am leistungsfähigsten. Der Auslastungsgrad ist aber in gewissen Grenzen abhängig von der Dichte des öffentlichen Verkehrsnetzes. Ein dichtes öffentliches Verkehrsnetz wird zwangsläufig eine relativ niederige Auslastung zur Folge haben, dagegen wird ein weniger dichtes Verkehrsnetz den Auslastungsgrad — und damit die Energienutzung — erhöhen, andererseits aber auch Verkehrsteilnehmer davon abhalten, bestimmte Fahrten mit einem öffentlichen Verkehrsmittel zu machen. (87). In den nächsten Jahren dürften im Personenverkehr auf dem Landwege durch die Entwicklung leistungsfähigerer Kraftfahrzeuge, insbesondere durch kraftstoffsparende Motoren, beträchtliche Mengen an Treibstoff eingespart werden. (Bei gleicher Fahrleistung sollen — bis zum Jahre 2000 — bis zu 35% Treibstoff eingespart werden können).
50
2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft
Die Conservation Commission of the World Energy Conference hat das mögliche Energieeinsparungspotential in der Welt bis zum Jahre 2020 untersucht. Dabei wird eine Wachstumsrate des Bruttoweltprodukts (BWP) von 4,6% pro Jahr in der Zeit von 1975 bis 2000 und von 4,1% in den Jahren von 2000 bis 2020 angenommen, was einem durchschnittlichen Wachstum des BWP von 4,37% pro Jahr für den ganzen Zeitraum entspricht. Außerdem liegt den Untersuchungen der derzeitige technologische Stand (z.B. der derzeitige spezifische Energieverbrauch für die industrielle Produktion, d.h. der Energieeinsatz je Produkteinheit), die voraussichtliche technologische Entwicklung (z.B. die voraussichtliche Entwicklung des spezifischen Energieverbrauchs für die industrielle Produktion) zugrunde; als Anhaltspunkt wird auch berücksichtigt, inwieweit bereits in vielen Ländern — bezogen auf den ursprünglich erwarteten Energiebedarf — Energie eingespart werden konnte (26). Für das Jahr 2020 wird der Weltprimärenergiebedarf ohne Energieeinsparung, mit 63,1 · 10 9 t SKE angegeben und mit Energieeinsparung wird der Weltprimärenergiebedarf auf 34,1 · 10 9 t SKE prognostiziert. Das heißt, das Energieeinsparpotential für das Jahr 2020 wird mit maximal 46% angegeben. Für das Jahr 1985 wird das entsprechende Energieeinsparungspotential mit 9% und für 2000 mit 33% angegeben (26). Andere Untersuchungen über Energieeinsparungspotentiale kommen zu ähnlichen Ergebnissen (87,95). 2.333 Voraussichtliche Entwicklung des Primärenergiebedarfs in der Welt Aufgrund vielschichtiger Einflußfaktoren ist es — wie die Vergangenheit gezeigt hat — außerordentlich schwierig, die voraussichtliche Entwicklung des Primärenergiebedarfs einzelner Länder sowie von Staatengruppen vorherzusagen. Die Preis- und Verknappungspolitik der OPEC-Länder nach dem 17. Oktober 1973 hatte zum Beispiel zur Folge, daß 1974 und 1975 der Ölverbrauch weltweit zurückging (98). Außerdem wurde, wie bereits ausgeführt, seit 1973 — aufgrund der stark gestiegenen Energiepreise und eines dadurch veränderten Verbraucherverhaltens — der für einzelne Länder prognostizierte Primärenergiebedarf mehrfach nach unten revidiert (vgl. 2.332). Darüber hinaus zeigen die wiederholt in fundamentalen Punkten revidierten Energieprogramme einzelner Staaten, daß es für Regierungen außerordentlich schwierig ist, die für ihr Land angemessene Energiekonzeption zu entwickeln. Dies wird besonders deutlich, wenn man das von Präsident R. Nixon am 23. 1. 1974 verkündete Energieprogramm „Project Independence", dessen Ziel es sein sollte, die Vereinigten Staaten energiewirtschaftlich autark zu machen (99), mit der von Präsident J. Carter am 19. 4. 1977 dem amerikanischen Volk präsentierten Konzeption, die den Akzent auf Maßnahmen zur Energieeinsparung setzte, vergleicht (100-103). Ähnliches läßt sich auch an Hand der für die Bundesrepublik Deutschland sowie der für andere Industriestaaten und Staatengruppen entwickelten Energiekonzeptionen zeigen (9, 11, 104). Dabei wurden in den letzten Jahren nicht nur quantitative
2.3 Entwicklung des Primärenergieverbrauchs in der Welt
51
Aussagen revidiert, sondern es zeigte sich auch, daß das energiepolitische Hauptziel der größten ölverbraucherländer, den Mineralölanteil an der Energieversorgung zurückzudrängen und andere Primärenergieträger (z. B. Kohle, Kernenergie oder Sonnenenergie) entsprechend auszuweiten, aus mehreren Gründen in dem ursprünglich angestrebten Maße nicht realisierbar war (vgl. 3.313) (105, 106). Daß die Möglichkeiten für einen erheblich größeren Einsatz der Kernenergie zur Energieversorgung in zahlreichen hochentwickelten Industriestaaten überschätzt wurden, zeigt die Entwicklung der letzten Jahre. Die Widerstände in Teilen der Bevölkerung gegen die Kernenergie, insbesondere gegen bestimmte Entwicklungslinien, wie beispielsweise die Brüter-Technologie, sind in mehreren Ländern groß (107—110). In diesem Zusammenhang sei insbesondere auf die Diskussion in den Vereinigten Staaten, in Österreich, in Schweden, in der Schweiz und in der Bundesrepublik Deutschland hingewiesen (111 — 115). Dagegen hat es den Anschein, daß in Frankreich der zügige Ausbau der Kernenergie auf keinen nennenswerten Widerstand in der Bevölkerung stößt. In den Vereinigten Staaten prognostizierte im Jahre 1973 die Atomic Energy Commission für das Jahr 1985 eine nukleare Kapazität mit einer elektrischen Leistung von 240 GW; 1977 wurde dieser Wert auf 163 GW und 1978 sogar auf 110 GW reduziert. Am 1 . 1 . 1 9 8 2 betrug die installierte nukleare Kapazität 58 GW (siehe Tabelle 4-2). Es kann davon ausgegangen werden, daß die Kernenergie bis zum Jahre 1985 auf eine installierte Kapazität mit einer elektrischen Leistung von nahezu 100 GW ausgebaut sein wird, was einem Primärenergieanteil von 2 2 0 · 10 6 t SKE (6 · 10 1 S Btu) oder 7 % entspricht (21). Bei den längerfristigen Prognosen, z.B. für das Jahr 2000, sind die Abweichungen naturgemäß noch größer. Neuen Entwicklungen zu Folge wird davon ausgegangen, daß im Jahre 2 0 0 0 die nukleare Kapazität erst bei 185 GW liegen dürfte, was einem Primärenergieanteil von 4 0 0 · 10 6 t SKE (11 · 10 1 5 Btu) oder 1 2 % entspricht (21). In der Bundesrepbulik Deutschland wurde 1973 für das Jahr 1985 - bezogen auf den Kernenergieanteil - eine Kapazität mit einer elektrischen Leistung von rd. 55 GW prognostiziert; im März 1977 wurde von der Bundesregierung für 1985 die nukleare Kapazität von 3 0 GW und im Dezember 1977 sogar nur noch mit 24 GW angegeben, was einem Primärenergieanteil von 50 · 10 6 t SKE oder 1 0 % entspricht (9, 11). Die längerfristigen Prognosen, z.B. für das Jahr 2000, liegen noch weiter auseinander. Im Jahre 1973 wurde in der Bundesrepublik Deutschland die nukleare Kapazität für das Jahr 2 0 0 0 auf 170 GW prognostiziert; im Dezember 1977 wurde von der Bundesregierung für das Jahr 2 0 0 0 die nukleare Kapazität mit 75 GW angegeben (9). Dagegen liegt die Schätzung der Deutschen Shell AG für das Jahr 2 0 0 0 nur bei rd. 27 GW, was einem Primärenergieanteil von 59 · 10 6 t SKE oder 1 4 % entspricht (18). Am 1. 1. 1982 betrug die installierte nukleare Kapazität 10 GW (siehe Tabelle 4-2). Für die gesamte westliche Welt prognostizierte im Jahre 1975 die OECD Nuclear Energy Agency (ΝΕΑ) für das Jahr 2 0 0 0 eine nukleare Kapazität mit einer elektri-
52
2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft
sehen Leistung von 2 0 0 0 GW; im Dezember 1977 wurde dieser Wert auf rd. 1000 GW reduziert. Im Jahre 1982 wurde dagegen für die gesamte westliche Welt die nukleare Kapazität für das Jahr 2 0 0 0 auf 585 bis 804 GW prognostiziert (siehe Tabelle 4-1). Frankreich wird im Jahre 1985 voraussichtlich eine nukleare Kapazität von 3 0 GW haben. Dadurch soll der relativ hohe Anteil des Öls an der Stromerzeugung, der 1978 noch etwa 5 1 % betrug, weiter abgebaut werden. (In Großbritannien betrug der Anteil des Öls an der Stromerzeugung 1978 etwa 2 5 % und in der Bundesrepublik Deutschland rd. 8%). Der prognostizierte Primärenergieverbrauch für die Bundesrepublik Deutschland bis zum Jahre 2 0 0 0 sowie dessen strukturelle Entwicklung ist in Abb. 2-4 beziehungsweise Tabelle 2-3 dargestellt. Tabelle 2-4 zeigt dies für die Vereinigten Staaten sowie Abb. 2-3 und Tabelle 2-2 für die Welt. Daraus ist zu entnehmen, daß auch neuere Prognosen eine gewisse Schwankungsbreite haben, was u.a. durch die in 2.332 beziehungsweise oben gemachten Ausführungen zu erklären ist. (In der Regel haben später erstellte Prognosen niedrigere Werte). Betrachtet man die voraussichtliche Entwicklung des Primärenergiebedarfs der hochentwickelten Industriestaaten, so ist eine gewisse strukturelle Ähnlichkeit — auch mit der voraussichtlichen Entwicklung des Weltprimärenergiebedarfs — festzustellen. Allen Voraussagen ist gemeinsam, daß bis zum Jahre 2 0 0 0 — und darüber hinaus (s.w.u.) — die fossilen Energieträger Erdöl, Erdgas und Kohle weltweit noch die Grundlage der Energieversorgung bilden werden, insbesondere wird Erdöl bis zum Jahre 2 0 0 0 voraussichtlich der Hauptprimärenergieträger bleiben. Für die hochentwickelten Industriestaaten ist jedoch zu erwarten, daß der Anteil des Mineralöls von geringfügigen Schwankungen abgesehen, die zum Teil konjunkturbedingt sind — fallende Tendenz haben wird. Die Kernenergie wird die stärkste Zuwachsrate haben, und auch bei Kohle sind beachtliche Zuwachsraten zu erwarten. Die Erfahrung zeigt, daß es — wie ausgeführt wurde — außerordentlich schwierig ist, die zukünftige Entwicklung des Primärenergiebedarfs selbst eines einzigen Landes für ein bis zwei Jahrzehnte vorherzusagen. Deshalb ist es verständlich, daß es noch schwieriger ist, die voraussichtliche Entwicklung des Weltprimärenergiebedarfs bis zur Jahrhundertwende und darüber hinaus zu prognostizieren, da viele Größen die in solch eine Prognose entscheidend eingehen, im allgemeinen von Land zu Land bzw. Region zu Region sehr unterschiedlich sind. Dispositionen im Energiebereich erfordern einen beträchtlichen Zeitaufwand. So erfordert beispielsweise die Neuerrichtung einer großtechnischen Energieanlage (z.B. Kernkraftwerk) nach bewährter Technik von der Beschlußfassung bis zur Inbetriebnahme rd. 10 Jahre. Rechnet man mit einer Betriebszeit von etwa 2 0 Jahren, so erfordert der Baubeschluß eine gesicherte Erwartung hinsichtlich der Nutzung für einen Zeitraum von 20—30 Jahren. Dieser Zeithorizont verschiebt sich noch beträchtlich in die Zukunft, wenn nicht eine bewährte, sondern eine neu zu entwik-
53
2.3 Entwicklung des Primärenergieverbrauchs in der Welt
kelnde Technologie eingesetzt werden soll. Einer Studie des International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) in Laxenburg/Wien ist zu entnehmen, daß bei den aufeinanderfolgenden Primärenergieträgern wie Holz, Kohle, ö l , Gas, Kernenergie auf der Basis der Kernspaltung zur Gewinnung (Verlust) eines 50%igen Marktanteils die Anstiegsphase (Abstiegsphase) jeweils mehr als 50 Jahre beträgt (117). Aus diesen Fakten folgt, daß — wegen der weltweiten komplexen Abhängigkeitsverhältnisse auf dem Energiesektor — zur langfristigen Sicherstellung der Energieversorgung der Menschheit — soweit möglich — gesicherte Aussagen über die voraussichtliche Entwicklung des Weltprimärenergiebedarfs und dessen mögliche Dekkung, trotz der oben erwähnten Schwierigkeiten, notwendig sind. Aus diesen Gründen soll im Folgenden noch die Prognose der Conservation Commission of the World Energy Conference über die voraussichtliche Entwicklung des Weltprimärenergiebedarfs behandelt werden. Durch die Zusammenarbeit von 76 1 ' Nationen aus Ost und West, Nord und Süd werden gewisse national beziehungsweise regional bedingte Einflüsse eliminiert. Den Untersuchungen der Conservation Commission liegt u. a. die Einteilung der Länder der Welt in drei Gruppen zugrunde: Die OECD-Länder (Nordamerika, Westeuropa, Japan, Australien, Neuseeland), die Staatshandelsländer (UdSSR, Osteuropa, VR China, die kommunistischen Länder Asiens) und die Entwicklungsländer (OPEC, Lateinamerika, Vorderer Orient, Afrika, Ost- und Südasien).
" Die nationalen Komitees der Weltenergiekonferenz sind: Ägypten, Arab. Rep. Äthiopien Algerien Argentinien Australien Bangladesch Belgien Brasilien BR Deutschland Bulgarien Chile Costa Rica Dänemark Deutsche Dem. Rep. Ecuador Elfenbeinküste Finnland Frankreich Ghana Griechenland Großbritannien Indien Indonesien Iran Irland
Island Israel Italien Japan Jordanien Jugoslawien Kanada Kolumbien Korea, Rep. Kuba Liberia Luxemburg Malaysia Marokko Mexiko Nepal Neuseeland Niederlande Nigeria Norwegen Österreich Pakistan Paraguay Peru Philippinen
Polen Portugal Republik Südafrika Rumänien Sambia Schweden Schweiz Senegal Sierra Leone Spanien Sri Lanka Sudan Taiwan Tansania Thailand Trinidad und Tobago Tschechoslowakei Türkei Tunesien UdSSR Uganda Ungarn Uruguay USA Venezuela Vietnam
54
2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft
Tabelle 2-9: Voraussichtliche Entwicklung des Primärenergiebedarfs in der Welt nach Regionen OECD-Länder Jahr
[109tSKE]*%
1980 1990 2000 2010 2020
6,1 7,2 8,2 8,9 9,5
57 51 43 35 27
Staatshandelsländer [10 9 tSKE] % 2,9 4,1 5,7 7,9 11,1
28 28 30 31 33
Entwicklungsländer [10 9 tSKE] %
Welt
15 21 27 34 40
10,6 14,2
1,6 2,9 5,2 8,6 13,5
[10 9 tSKE] %
19,1 25,4 34,1
100 100 100 100 100
* 1 t SKE = 29,31 · 10 9 J. Quelle:
World Energy: looking ahead to 2020. Report by the Conservation Comission of the World Energy Conference, Guildford (UK) and New York: IPC Science and Technology Press 1978.
In Tabelle 2-9 ist der voraussichtliche Weltprimärenergiebedarf, aufgeteilt auf die einzelnen Regionen, bis zum Jahre 2020 angegeben, und in Abb. 2-11 ist diese Entwicklung dargestellt. Danach soll der Primärenergiebedarf der Welt auf 34,1 · 10 9 t SKE im Jahre 2020 ansteigen (26). Dabei wird der Anteil der OECDLänder im Jahre 2020 auf 27% abnehmen und insbesondere der Anteil der Entwicklungsländer auf 40% zunehmen. Der hier für die Entwicklungsländer für das Jahr 2020 prognostizierte Primärenergiebedarf in Höhe von 13,5 • 10 9 1 SKE bedeutet für diesen Teil der Welt einen durchschnittlichen Primärenergieverbrauch pro Kopf etwa von der Größe des derzeitigen Weltdurchschnitts (vgl. Tabelle 2-5). Maßgebend für den zukünftigen Weltprimärenergiebedarf ist die Einschätzung der weiteren Entwicklung des Elastizitätskoeffizienten k (vgl. 2.32). Der Elastizitätskoeffizient k beträgt derzeit in den OECD-Ländern etwa 0,8 und in den Entwicklungsländern liegt er bei 1,3. Es ist davon auszugehen, daß k mit zunehmendem Industrialisierungsgrad abnimmt. Das heißt, durch strukturelle Veränderungen und Anpassungsprozesse der Wirtschaft, durch Sättigungserscheinungen und durch rationelleren Energieeinsatz ist anzunehmen, daß auch in Zukunft der Energieeinsatz pro Einheit des Bruttosozialprodukts tendentiell abnehmen wird. Die Conservation Commission rechnet damit, daß der Elastizitätskoeffizient k in den OECD-Ländern von derzeit k = 0,8 bis zum Jahre 2020 sukzessive auf k = 0 , 4 absinkt und der der Entwicklungsländer von derzeit k = l , 3 auf k = 0 , 9 (26). Den Einfluß des zukünftigen Energiepreises auf den Verbrauch hat die Conservation Commission durch den Preiselastizitätskoeffizienten k p berücksichtigt. Der Preiselastizitätskoeffizient k p ist definiert als das Verhältnis von der prozentualen Änderung des Energieverbrauchs zur prozentualen Änderung des Preises für diese Energie. Beispielsweise wird für die OECD-Länder ein Preiselastizitätskoeffizient von k p = — 0,4 und für die Entwicklungsländer von k p = — 0,3 angesetzt. Das heißt, eine
2.3 Entwicklung des Primärenergieverbrauchs in der Welt
55
Quelle: World Energy: looking ahead to 2020. Report by the Conservation Commission of the World Energy Conference, Guildford (UK) and New York: IPC Science and Technology Press 1978.
Energiepreiserhöhung von 10% führt in den OECD-Ländern zu einer Verminderung des Energieverbrauchs von 4 % und in den Entwicklungsländern zu einer Drosselung des Energieverbrauchs um 3 % * Es stellt sich die Frage, ob und gegebenenfalls wie der voraussichtliche Weltprimärenergiebedarf gedeckt werden kann. Aufgrund umfangreicher Untersuchungen kommt die Conservation Commission zu dem Ergebnis, daß bis zum Jahre 2020 das in den Tabellen 2-10 bis 2-12 dargestellte Energiepotential zur Deckung des Weltprimärenergiebedarfs vorhanden ist. Insbesondere ist aus den Tabellen 2-10 und 2-11 das vorhandene Energiepotential an Mineralöl und Erdgas, verteilt auf die einzelnen Regionen, ersichtlich (vgl. 3.32, 3.33). Daraus ist zu entnehmen, daß beim Mineralöl voraussichtlich der zukünftige Anteil der OECD-Staaten in dem betrachteten Zeitraum zwischen 15% und 19% liegen wird, dagegen der Anteil der Entwicklungsländer zwischen 59% und 63%. Beim Erdgas wird der Anteil der OECDStaaten von über 50% auf 14% bis zum Jahre 2020 abnehmen; parallel zu dieser Entwicklung nimmt voraussichtlich der Anteil der Entwicklungsländer von unter 20% auf 58% zu.
56
2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft
Tabelle 2-10: Mögliche Entwicklung der Ölförderung OECD-Länder
Staatshandels-
Entwicklungs-
länder
länder [10'tSKE] %
Welt
Jahr
[109tSKE]*%
[109tSKE] %
1972
0,8
21
0,9
24
2,1
55
3,8
1,5
23
62
6,6
100
16
21
63
7,5
100
15
1,6 1,8
4,1 4,7
2000
1,0 1,2 1,0
15
27
3,8
58
6,6
100
2010
0,8
16
1,3
26
2,9
58
5,0
100
2020
0,7
19
0,8
22
2,1
59
3,6
100
1980 1990
[109tSKE] % 100
* 11 SKE = 29,31 · 1 0 9 J . Quelle:
World Energy: looking ahead to 2 0 2 0 . Report by the Conservation Commission of the World Energy Conference, Guildford (UK) and N e w York: IPC Science and Technology Press 1978.
Tabelle 2-11: Mögliche Entwicklung der Erdgasförderung OECD-Länder Jahr
[109t SKE]* %
1972
1,0 1,0
1980 1990 2010
1,1 1,3 1,0
2020
0,6
2000
*
.
Staatshandels-
Entwicklungs-
länder
länder
Welt
[ 1 0 9 t SKE] %
[ 1 0 9 t SKE] %
63
0,4
25
0,2
12
1,6
100
50
0,6
30
0,4
20
2,0
100
35
1,2 2,0
39
0,8
26
3,1
100
27
41
1,6
32
4,9
100
21
1,7
35
44
4,8
100
14
1,2
28
2,1 2,5
58
4,3
100
[ 1 0 9 t SKE] %
1 t SKE = 2 9 , 3 1 · 1 0 9 J .
Quelle:
World Energy: looking ahead to 2 0 2 0 . Report by the Conservation Comission of the World Energy Conference, Guildford (UK) and N e w York: IPC Science and Technology Press 1978.
An dieser Stelle sei nachdrücklich darauf hingewiesen, daß es — aufgrund von politischen Entwicklungen — nicht unwahrscheinlich ist, daß die Versorgung wichtiger Industrieländer mit Mineralöl erheblich gedrosselt wird, lange bevor die Ölquellen auf natürliche Art und Weise versiegen. Wie aus Tabelle2-12 bzw. 3 - 1 0 b ersichtlich ist, wird die Kohleförderung in dem betrachteten Zeitraum — und darüber hinaus (vgl. 3.31) — voraussichtlich eine stark steigende Tendenz aufweisen. Aufgrund der Vorratssituation bei diesem Primärenergieträger ist diese Steigerung der Weltkohleförderung realisierbar, jedoch nur unter der Voraussetzung, daß entsprechende Anstrengungen in der Weiterentwicklung der Fördertechnik unternommen werden. Dabei ist bei diesem Primärenergieträger von Bedeutung, daß ein Großteil der Kohlevorräte in den OECD-Staaten liegt (vgl. 3.31).
57
2 . 3 Entwicklung des Primärenergieverbrauchs in der Welt Tabelle 2 - 1 2 : Mögliches Aufkommen einzelner Primärenergieträger (in 1 0 9 t S K E * ) Jahr
1972
1985
2000
2020
Energiequelle Mineralöl
3,8
7,4
6,6
3,6
Erdgas
1,6
2,6
4,9
4,3
Kohle
2,3
3,9
5,8
8,7
Wasserkraft
0,5
0,8
1,2
1,9
Kernenergie
0,1
0,8
3,0
10,7
Nichtkonventionelles ö l und Gas
-
-
0,1
1,4
Regenerative Energiequellen (Sonnenenergie, geotherm. Energie usw.)
0,9
1,1
1,9
3,4
Insgesamt
9,2
16,6
23,6
34,1
*
1 tSKE = 29,31 · 1 0 ' J .
Quelle:
World Energy: looking ahead to 2 0 2 0 . Report by the Conservation Commission of the World Energy Conference, Guildford (UK) and New Y o r k : IPC Science and Technology Press 1 9 7 8 .
Für die westeuropäischen Staaten wird — wegen der ungünstigen Förderbedingungen — nur mit einem relativ geringen Anstieg der Steinkohleförderung von rd. 2 6 0 • 1 0 6 1 S K E im Jahre 1 9 8 0 auf rd. 4 0 0 · 1 0 6 1 SKE im J a h r e 2 0 2 0 gerechnet. Die größten Beiträge werden in dem betrachteten Zeitraum von den Vereinigten Staaten (1980: 7 2 4 · 1 0 6 1 SKE, 2 0 2 0 voraussichtlich 2 4 0 0 · 10 6 t SKE), der UdSSR (1980: 5 5 2 · 10 6 t SKE, 2 0 2 0 voraussichtlich 1 8 0 0 · 1 0 6 1 SKE) und der V R China (1980: 6 0 6 · 1 0 6 1 SKE, 2 0 2 0 voraussichtlich 1 8 0 0 · 10 6 t SKE) erwartet (vgl. 3 . 3 1 2 ) (26). Da die Kohlevorräte — im Gegensatz zum Mineralöl — vorwiegend in wichtigen Industrieländern liegen, die diesen Primärenergieträger zur eigenen Bedarfsdeckung benötigen, ist davon auszugehen, daß die Zunahme des Welthandels mit Kohle auch in Zukunft verhältnismäßig gering sein wird und auf absehbare Zeit nicht das Volumen des derzeitigen Welthandels mit Mineralöl erreichen wird. (Wegen des relativ geringen Energieinhaltes kommt Braunkohle für den Welthandel praktisch nicht in Frage.) Das Welthandelsvolumen mit Kohle liegt derzeit bei ca. 2 4 0 · 1 0 6 1 SKE/a, wovon aber etwa ein Drittel auf eine Art Binnenhandel innerhalb der Wirtschaftsblöcke EG, C O M E C O N 1 ' und USA/Kanada entfällt (vgl. 3 . 3 1 2 ) . Bis zum Jahre 2 0 2 0 wird mit einer Erhöhung des Weltkohlehandels auf etwa 8 0 0 · 1 0 6 t SKE gerechnet, was etwa 3 0 % des heutigen Welthandels mit Mineralöl ist. Der Anteil der fossilen Primärenergieträger Mineralöl, Erdgas und Kohle am ge11 Mitglieder sind: Bulgarien, Deutsche Dem. Republik, Kuba, Polen, Rumänien, Sowjetunion, Ungarn, Mongolische Volksrepublik, Tschechoslowakei, (Albanien, Mitglied seit 1 9 4 9 , ist praktisch seit 1 9 6 2 ausgeschieden).
58
2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft
genwärtigen Primärenergieverbrauch in der Welt beträgt rd. 9 0 % . Aufgrund der voraussichtlichen Förderentwicklung beim Mineralöl und Erdgas ist die Menschheit gezwungen, in absehbarer Zeit einen Teil der Kohlenwasserstoffe (Mineralöl, Erdgas) durch andere Energieträger zu decken. Die Conservation Commission of the World Energy Conference kommt zu dem Ergebnis, daß von einem möglichen Aufkommen einzelner Primärenergieträger ausgegangen werden kann, wie es in Tabelle 2-12 dargestellt ist, d.h. dies Potential liegt in dem betrachteten Zeitraum über dem voraussichtlichen Weltprimärenergiebedarf (siehe Tabelle 2-9 und Abb. 2-11). Danach können im Jahre 2 0 2 0 die fossilen Primärenergieträger Mineralöl, Erdgas und Kohle zusammen voraussichtlich nur etwa 16,7 · 10 9 t SKE/a bereitstellen, was nur etwa der Hälfte des Primärenergiebedarfs in Höhe von 34,1 · 10 9 t SKE/a entsprechen würde. Die andere Hälfte müßte durch Wasserkraft, Kernenergie, nichtkonventionelles ö l und Gas, regenerative Energiequellen (Sonnenenergie, geothermische Energie usw.) bereitgestellt werden. Es ist danach zu erwarten, daß die Wasserkraft - insbesondere durch Ausbau in den nicht industrialisierten Ländern - auf etwa 1,9 · 10 9 t SKE/a, d.h. auf etwa das Vierfache des derzeitigen Wertes ausgebaut wird. Den größten Anteil könnte den Untersuchungen zu Folge nur die Kernenergie mit 1 0 , 7 · 10 9 t SKE/a liefern; die Kernenergie wäre dann der Hauptprimärenergieträger. Weiter wird angenommen, daß die regenerativen Energiequellen 3,4 · 10 9 t SKE/a bereitstellen und die Energiequellen aus heute noch nicht zugänglichen oder abbauwürdigen Öl- und Gasvorkommen — hierzu gehören z.B. Vorkommen in der Tiefsee, in arktischen Regionen sowie ö l aus Ölschiefer und ölsanden - 1,4 · 10 9 t SKE/a. In 2.332 wurde gezeigt, daß in den vergangenen Jahren realisierbare Energieeinsparungspotentiale wiederholt unterschätzt wurden. Ein Grund hierfür dürfte sein, daß zwar in der Vergangenheit der Aufwand zur Bereitstellung von Energie - insbesondere in den Hauptverbraucherländern — enorm war, dagegen die Anstrengungen, Energie einzusparen beziehungsweise Energie rationeller zu verwenden, erst gegen Mitte der 70er Jahre verstärkt einsetzten. Außerdem zeigt die Entwicklung der vergangenen Jahre, daß die Möglichkeit, den Ausbau der Kernenergie rasch voranzutreiben — gemessen an den jeweiligen Prognosen —, wiederholt überschätzt wurde. Die Kernenergie dürfte zwar weiterhin die stärkste Zuwachsrate haben, jedoch ist zu erwarten, daß der Anteil dieses Primärenergieträgers an der Bedarfsdeckung langsamer ansteigen wird als bisher angenommen wurde. Aus diesen Gründen ist — auch wegen der voraussichtlich weiter ansteigenden Energiepreise - damit zu rechnen, daß der Trend zu rationellerem Energieeinsatz beziehungsweise zu Einsparung von Energie — insbesondere in den Hauptverbraucherländern - anhalten wird. Die Folge davon könnte ein geringerer Anstieg des Primärenergiebedarfs in vielen Ländern und in der gesamten Welt sein, als aus heutiger Sicht noch angenommen wird. Inzwischen ist es allgemeine Auffassung, daß neue Primärenergien wie Gezeitenenergie, geothermische Energie und einige — bereits einsetzbare — Methoden der
2.3 Entwicklung des Primärenergieverbrauchs in der Welt
59
Sonnenenergienutzung (z. B. Windenergie) zu Beginn des kommenden Jahrhunderts bestenfalls lokale aber nicht globale Bedeutung erlangen werden. Dagegen gibt es Anzeichen dafür, daß sich bei der Beurteilung der Sonnenenergienutzung zur Bereitstellung von Niedertemperaturwärme eine Wende anbahnt. In vielen Ländern - Beispiele sind die Vereinigten Staaten, Japan, die Staaten der EG setzt sich mehr und mehr die Auffassung durch, daß — bei entsprechender Förderung — die Sonnenenergie einen nennenswerten Beitrag zur Deckung des großen Bedarfs an Niedertemperaturwärme liefern könnte (vgl. 2.331). Die ERDA (Energy Research and Development Administration) rechnet im Jahre 2 0 0 0 in den USA mit einem Sonnenenergieanteil am Primärenergieverbrauch von 6 % , und im Jahre 2 0 2 0 sollen bereits 2 5 % durch Sonnenenergie gedeckt werden (118, 119). Neuere Zielprojektionen liegen sogar noch höher (120—122). Laut EG-Projektionen sollen beispielsweise im Jahre 2 0 0 0 5 - 1 0 % des Primärenergiebedarfs durch Sonnenenergie gedeckt werden (123). Auch in Japan läuft unter der Bezeichnung „Sun-shine-Project" ein staatlich gefördertes Forschungs- und Entwicklungsprogramm (124, 125). Darüber hinaus hat es den Anschein, daß die Beiträge zur zukünftigen Primärenergiebedarfsdeckung aus heute noch nicht zugänglichen oder abbauwürdigen Ölund Gasvorkommen (z.B. Vorkommen in der Tiefsee und in arktischen Regionen) sowie aus Ölschiefer und ölsanden größer eingeschätzt werden (126—129). Gründe für diese Entwicklung liegen in der Tatsache, daß der Entwicklungsprozeß bei den Sekundärenergieträgern seit 1950 — besonders in den Industriestaaten — dadurch bestimmt ist, daß der Abnehmermarkt immer mehr von den festen Energieträgern weg zu flüssigen und gasförmigen Sekundärenergieträgern beziehungsweise zu elektrischer Energie tendierte, und es ist anzunehmen, daß diese Entwicklung weiter anhalten wird. Dies führte dazu, daß Europa, Nordamerika und andere Teile der Welt über ein weitverzweigtes Gasverbundnetz verfügen, das noch in zahlreichen Ländern durch ein Niederdruckrohrnetz für Kleinverbraucher ergänzt ist. (Das Gasverbundnetz in der Bundesrepublik Deutschland hat z.B. eine Länge von rd. 1 1 4 0 0 0 km, und Nordamerika hat für den Erdgastransport ein Pipelinenetz von rd. 6 4 0 0 0 0 km Länge.) Auch die ölwirtschaft verfügt über eine Versorgungskette, bestehend aus ölpipelines, Tankerschiffen, Tanklastwagen, die mit großen Investitionskosten aufgebaut worden sind. (Allein in Nordamerika existiert für den Öltransport ein Pipelinenetz von rd. 3 7 0 0 0 0 km Länge.) Das heißt, gewichtige Gründe - zum Beispiel vorhandene Verbrauchsstrukturen - sprechen dafür, daß flüssige und gasförmige Energieträger im Vergleich zu festen auch in Zukunft große Vorteile haben werden (vgl. 3.313, 3.323, 3.333). Es ist sogar davon auszugehen, daß in dem Maße wie — wegen einer allmählichen natürlichen Erschöpfung der Erdöl- und Erdgasquellen - der Bedarf an flüssigen und gasförmigen Energieträgern ungedeckt bleibt, Öl und Gas aus Kohle (Kohleveredelung) hergestellt werden (vgl. 4.64) (130). Das heißt, an die Stelle von Mineralöl und Erdgas aus natürlichen Quellen werden Öl und Gas aus „künstlichen" Quellen treten.
60
2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft
Wegen der vielschichtigen Einflußgrößen auf die zukünftige Bedarfsentwicklung der Primärenergieträger ist es einleuchtend, daß es noch schwieriger ist, über das Jahr 2020 hinaus Prognosen zu erstellen. W. Häfele und W. Sassin geben z.B. den Weltprimärenergiebedarf im Jahre 2030 mit rd. 38 • 10 9 t SKE an (131, 132). H. Kahn prognostiziert für das Jahr 2176 einen Primärenergieverbrauch von 3,6 · 10 3 q (lq = 3,62 · 10 7 t SKE = 10 1S Btu « 10 18 J) siehe Tabelle 2-13). Dabei wird angenommen, daß sich ein neues „Energiebewußtsein" entwickelt und sich die Umwandlung und Nutzbarmachung von Energie allmählich immer wirkungsvoller gestaltet. Der Energiebedarf wird daher nicht so schnell wachsen wie das Bruttoweltprodukt BWP. Das heißt, in den nächsten 200 Jahren soll demzufolge der Primärenergiebedarf um etwa das 15-fache und das BWP um das 60-fache zunehmen. Um sich eine konkrete Vorstellung über Größenverhältnisse im Zusammenhang mit dem zukünftigen Primärenergiebedarf in der Welt machen zu können, sei noch folgendes einfache Modell dargestellt. Der durchschnittliche Primärenergieverbrauch pro Kopf betrug 1979 z.B. in Japan rd. 4,3 t SKE. Geht man davon aus, daß die anderen Staaten der Erde eine ähnliche wirtschaftliche Entwicklung nachvollziehen, die die Industriestaaten hinter sich haben, legt man also bei einer Weltbevölkerung (untere Grenze) von rd. 10 · 10 9 Menschen diesen Verbrauch pro Kopf zugrunde, so hätte das einen Weltprimärenergieverbrauch von rd. 43 · 10 9 t SKE/a (—1,2 · 10 3 q/a « 10 18 Btu/a) zur Folge. Zweifellos ist dies eine sehr hypothetische Betrachtungsweise. Auch ist zu berücksichtigen, daß — wie bereits ausgeführt — gegen Mitte des kommenden Jahrhunderts über 80% der Bevölkerung in den heutigen Entwicklungsländern leben und in den meisten dieser Länder nicht, wie beispielsweise in Westeuropa, ein großer Teil der
Tabelle 2-13: Prognostizierte Entwicklung des Weltprimärenergiebedarfs Bevölkerung
BWP'VKopf
Jahr
[10 9 Menschen]
[1975 US-Dollar]
Verbrauch pro Jahr [10 3 q] 2 )
1975 1985 2000 2025 2076 2126 2176
4,0 5,0 6,6 9,3 14,6 15,0 15,0
1300 1700 2600 5600 10400 15200 20000
0,25 0,35 0,60 1,20 2,40 3,20 3,60
1) 2)
Kumulativer Verbrauch seit 1975 [10 3 q]
_ 3 10 30 115 240 400
BWP: Bruttoweltprodukt. 1 q = 3,62 · 1 0 7 t SKE = 10 1 8 J.
Quelle:
H. Kahn, Vor uns die guten Jahre, Wien—München—Zürich-Innsbruck: Verlag Fritz Molden 1977.
2 . 4 Aspekte der Energiewirtschaft
61
Energie für Raumheizung eingesetzt werden muß. Das heißt, es dürfte in einigen Regionen der Welt ein vergleichbarer Lebensstandard mit einem beträchtlich geringeren Primärenergieverbrauch pro Kopf realisierbar sein.
2.4 Aspekte der
Energiewirtschaft
2 . 4 1 Zur Entwicklung der Energiewirtschaft Die wirtschaftliche Entwicklung im vergangenen Jahrhundert war nur durch die Erfindung orts- und zeitunabhängiger Antriebsmaschinen sowie durch die Bereitstellung großer Mengen kostengünstiger Primärenergieträger möglich. Die Ansiedlung von Großindustrien orientierte sich deshalb häufig an der geographischen Lage der Primärenergieträger. Dem Stand der Energietechnologie entsprechend war die Steinkohle in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 2 0 . Jahrhunderts in allen hochentwickelten Industriestaaten Ausgangsbasis für die Industrialisierung. Erst durch die Steinkohle als Reduktionsmittel im Hochofen wurde der Aufbau einer eisenschaffenden Industrie in Westeuropa, Japan, den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion möglich. In China, Indien, Polen und der Tschechoslowakei hat die Steinkohle beim Industrialisierungsprozeß heute noch eine entscheidende Bedeutung. Demzufolge entstand die Schwerindustrie häufig in den großen Steinkohlengebieten der Erde. Folgende Beispiele seien hier angeführt: Ruhr- und Saargebiet (Bundesrepublik Deutschland); Yorkshire, Nottinghamshire, Durham (Großbritannien); Lothringen (Frankreich); Beuthen, Kattowitz (Polen); Donezbecken, Kusnezk, Karaganda (UdSSR); Pensylvania, Virginia, Kentucky (USA); Chikugo, Ishikari (Japan); Bihar, Bengal (Indien) (133). M i t fortschreitender Entwicklung der Industriekerne nahm meist deren Energiebedarf zu. Zur weiteren Bedarfsdeckung wurden dann oft neue Lagerstätten in der Nähe erschlossen, weil entweder die ursprünglichen Vorkommen ausgebeutet waren beziehungsweise nicht mehr wirtschaftlich abgebaut werden konnten, oder weil die Produktion zur Deckung des Energiebedarfs nicht mehr ausreichte. Die Einbeziehung immer entfernter gelegener Primärenergielagerstätten in die energiewirtschaftliche Nutzung war häufig von einer Verlagerung von besonders energieintensiven Industriezweigen begleitet. Diese zogen Komplementärindustrien nach sich, wodurch ein neuer Industrie-Randkern entstand, der sich mehr und mehr vom Hauptkern trennte und sich zu einem neuen selbständigen Industriezentrum entwickelte. Der oben beschriebene Entwicklungsprozeß ist in vielen Fällen nachvollziehbar. So zum Beispiel begann die Industrialisierung der Moskauer Region (Industriekern) mit der Erschließung der dort vorhandenen Kohlenreserven. Der erste energetische
62
2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft
Industrie-Randkern war das Donezbecken, das sich dann zum neuen Hauptkern entwickelte. Der Randkern Ural, wo es vor der Revolution eine metallurgische Industrie auf Holzkohlebasis gab, fand sein Ergänzungsgebiet im 2000 km entfernten Kusnezk-Becken. Es folgte die Nutzbarmachung der Karaganda-Kohle, des Fergana-Lagers usw. (134). Auf der Basis des Primärenergieträgers Erdöl sind in der Sowjetunion ähnliche Schritte nachweisbar. Aufgrund anderer geographischer Randbedingungen vollzog sich dieser Entwicklungsprozeß in kleineren Ländern zum Teil auf beträchtlich engerem Räume 1 '. In wachsendem Maße wurden die fossilen Primärenergieträger Kohle, Erdöl und Erdgas auch als Rohstoffe eingesetzt. So entstand beispielsweise in der Anfangsphase der Industrialisierung häufig bei Stein- und Braunkohlelagern eine chemische Industrie. Immer mehr wurde aber das Erdöl Rohstoffbasis für diesen Industriezweig, und die verschiedenen Erdölprodukte waren wieder Ausgangsstoffe für ganz neue Industrien. So hat die Erfindung vielfältiger neuer Produkte in der chemischen Industrie eine Substitution von vollkommen anderen Rohstoffen, wie zum Beispiel Metallerze (Metalle) durch Erdöl (Kunststoffe) gebracht. Diese Entwicklung wird auf absehbare Zeit anhalten, und es ist aus mehreren Gründen, auf die hier nicht eingegangen werden soll, für die Menschheit viel schwieriger, das Erdöl als Rohstoffträger zu ersetzen, denn als Energieträger. Auch für das Entstehen anderer Industrien war das Vorhandensein kostengünstiger Energie oft ausschlaggebend. So wurden beispielsweise oft Aluminiumwerke oder andere energieintensive Bereiche der Elektrometallurgie in der Nähe von Wasserkraftwerken angesiedelt. Mannigfache Änderungen in den Energietechnologien sowie im Preisgefüge und Angebot einzelner Energieträger führten dazu, daß für die energiewirtschaftliche Entwicklung andere determinierende Faktoren so entscheidend wurden, daß Primärenergielagerstätten in der Nähe oder im eigenen Lande nicht einmal mehr unabdingbare Voraussetzung einer Industrialisierung waren. Solche für die Energiewirtschaft wichtige Faktoren sind: das Verkehrs- und Transportsystem, geologische, klimatische, demographische, ökologische sowie außerökonomische Faktoren. In Japan beispielsweise hat sich eine bedeutende Stahlindustrie entwickelt, obwohl gerade dieser Industriezweig besonders energieintensiv und Japan fast ausschließlich auf den Import von Kokskohle und Erzen aus Übersee angewiesen ist. Dieser Sachverhalt war ausschlaggebend für die Wahl der Meeresküsten als Standort der Stahlindustrie, denn dadurch ließ sich die Ein- und Ausfuhr der Massengüter zu minimalen Kosten verwirklichen. Das Problem der Energiefernversorgung konnte immer besser durch den Aufbau eines Fernstromversorgungsnetzes im nationalen und internationalen Elektrizitäts-
'' In der Bundesrepublik Deutschland (Niedersachsen), Ostfrankreich, England (Corby) und Schweden wurden Erzlagerstätten zur Basis von Hüttenwerken, die ihre Existenz mit Erfolg auf die Verhüttung preiswerter regionaler Rohstoffe gründeten.
2.4 Aspekte der Energiewirtschaft
63
verbünd gelöst werden. Hinzu kamen ein zum Teil trans- und interkontinental verlaufendes Pipelinesystem für den Erdöl- beziehungsweise Erdgastransport sowie der Bau von Großtankern für den Rohöl- und Flüssiggastransport. Dies hatte zur Folge, daß sich meist die bisherigen industriellen Standorte weit besser fortentwickeln konnten, als es aufgrund der örtlichen und regionalen Primärenergielagerstätten möglich gewesen wäre. (Der wirtschaftliche Erdöl- und Gastransport in Pipelines war u.a. ein wesentlicher Grund dafür, daß Erdöl und Erdgas die Kohle als Energieträger in vielen Bereichen weitgehend verdrängt haben (vgl. 3.323 und 3.333) (135). Die Möglichkeit, Erdöl in Rohrleitungen kostengünstig zu transportieren, führte zum Beispiel in vielen Ländern dazu, daß die Raffinerien nicht mehr bei den Rohölquellen errichtet wurden (Rohstofforientierung), sondern daß man die Raffineriestandorte in die Nähe der Verbrauchszentren legte (Verbrauchsorientierung). Diese Tendenz wurde durch den starken Zuwachs des Verbrauchs an Erdölfolgeprodukten und die immer stärkere Verwendung von Heizöl begünstigt und war selbst in so unterschiedlichen Ländern wie der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland zu beobachten. Dabei ist festzustellen, daß wegen der geringeren geographischen Ausdehnung die Bedingungen für diese Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland besonders günstig waren. So hatte beispielsweise bis 1962 südlich der Main-Linie noch keine Erdölverarbeitung stattgefunden, aber bereits 1967 lagen etwa 44% der Raffineriekapazitäten der Bundesrepublik südlich des Mains. Hierdurch wurde erreicht, daß die Verbraucher in der Bundesrepublik Deutschland kaum mehr als 120 km von der nächsten Raffinerie entfernt sind. Aufgrund geologischer Bedingungen können die Aufwendungen für Erschließung und Förderung von Primärenergieträgern sowohl bei Kohle als auch bei Kohlenwasserstoffen Erdöl und Erdgas sehr unterschiedlich sein. So gibt es zum Beispiel im Mittelwesten der Vereinigten Staaten Kohlefelder riesigen Ausmaßes, die an der Erdoberfläche liegen und wo Kohle mit geringem Aufwand erschlossen, gewonnen und gefördert werden kann. In Westeuropa dagegen sind im allgemeinen die diesbezüglichen Aufwendungen für Steinkohle verhältnismäßig hoch. Deshalb ist hier die Einfuhr dieses Energieträgers unter Umständen wesentlich billiger als die Erschließung neuer Lagerstätten oder der Abbau von Vorkommen in großen Tiefen. So führte zum Beispiel die Bundesrepublik Deutschland trotz eines zeitweiligen Produktionsüberschusses an Kohle und Kapazitätsverminderungen — von 1957 bis 1974 wurden insgesamt 105 Schachtanlagen stillgelegt—, Steinkohle aus den Vereinigten Staaten ein, was insbesondere für küstennahe Standorte kostengünstig ist. Die Bundesrepublik importierte 1976 beispielsweise 13% der benötigten Steinkohle. Ähnlich liegen die Verhältnisse beim Erdöl. Die Erschließungskosten des Nordseeöls sind um ein Vielfaches höher als die im Nahen Osten (vgl. 3.312 u. 3.322). Da die Industriestaaten bis zur Ölkrise im Herbst 1973 billiges Erdöl in großen Mengen auf dem Weltmarkt beziehen konnten, wurde eigenen Lagerstätten, die aufgrund geologischer Faktoren nicht abbauwürdig waren, keine allzu große Beachtung
64
2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft
geschenkt. Durch die Ölpreispolitik der OPEC-Länder ist dies anders geworden. Zwar mußten zur Überwindung widriger geologischer Bedingungen zum Teil neue Technologien (Offshore-Technologie) und Fördertechniken (sekundäre-, tertiäre Fördermethoden) entwickelt werden, jedoch haben durch die zeitweilige Verknappungspolitik der OPEC-Länder während der Ölkrise im Herbst 1973 Aspekte der Versorgungssicherheit die Entwicklung neuer Technologien in den Industriestaaten beschleunigt (vgl. 3 . 3 2 3 ) . Es gibt eine Reihe von Staaten, die in klimatisch besonders ungünstigen Gebieten — im hohen Norden — über große Primärenergielagerstätten verfügen und diese neuerdings erschließen beziehungsweise schon abbauen: Es sind dies die Vereinigten Staaten, die in Alaska enorme Erdölreserven haben, Kanada, die Sowjetunion (136) und die skandinavischen Länder. Norwegen beginnt bereits über das Gebiet der Nordsee hinaus, im Bereich der Barents-See, seine Schelfgebiete zu explorieren. Die Nordgebiete von Alaska, Kanada und der Sowjetunion waren bisher gleichermaßen schwach oder gar nicht besiedelt (demographische Faktoren). Die Ausgangssituation ist also sehr ähnlich. Für den Norden Kanadas und Alaskas ist charakteristisch, daß man bei der Erschließung der Energievorkommen bemüht ist, den Einsatz des Arbeitsfaktors minimal zu halten und die Produktion soweit wie möglich zu automatisieren. Dies bedingt eine starke Begrenzung der Komplementärindustrie auf das wirklich Notwendige. Das heißt, die für die Produktion erforderlichen Materialien wie zum Beispiel Maschinen, Fertigbauten für Arbeitskräfte werden zum Teil eingeflogen, und Reparaturwerkstätten beschäftigen sich im wesentlichen mit dem Austausch von Maschinenteilen. Im Gegensatz hierzu werden in den nördlichen sowjetischen Erschließungsgebieten häufig Komplementärindustrien wie zum Beispiel die Bauindustrie angesiedelt. Die Auswüchse einer zum Teil regional stark konzentrierten Industrieansiedlung hatten zur Folge, daß ökologische Faktoren in aller Welt zunehmende Beachtung fanden. Von dieser Entwicklung war besonders die Energiewirtschaft betroffen. Hierzu gehören u.a. alle Bereiche, bei denen aus Primärenergieträgern veredelte Energieträger hergestellt werden — ein Beispiel ist die Kraftwerkswirtschaft — gleich ob fossile Primärenergieträger oder Kernbrennstoffe eingesetzt werden (137). Nicht nur bei den verschiedensten Veredelungsprozessen spielen ökologische Faktoren eine Rolle, sondern auch bei der Gewinnung beziehungsweise beim Transport von Primärenergieträgern, insbesondere beim Rohöl. In diesem Zusammenhang seien noch die besonderen Probleme der Offshore-Technologie erwähnt, die bei der Exploration, der Verladung von ö l auf Tanker und beim Transport durch im Meer liegende Pipelines auftreten. Die für die energiewirtschaftliche Entwicklung relevanten Faktoren sind nicht unabhängig voneinander. Viele Gebiete mit großen Primärenergielagerstätten haben ein unzureichend ausgebautes oder gar kein Verkehrs- und Transportsystem, ein ungünstiges Klima und eine unausgeglichene demographische Struktur. Beispiele hierfür sind große Gebiete des asiatischen Landesteiles der Sowjetunion und des nord-
2 . 4 Aspekte der Energiewirtschaft
65
amerikanischen Kontinents. In einigen Fällen ermöglichte es jedoch die technologische Entwicklung, daß selbst unter extrem widrigen natürlichen Bedingungen, Primärenergielagerstätten abgebaut werden konnten. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß auch außerökonomische Faktoren für die energiewirtschaftliche Entwicklung ausschlaggebend sein können. Aufgrund der fundamentalen Bedeutung der Energieversorgung für eine Volkswirtschaft wurden häufig durch nationale Energieprogramme und Energiegesetze die einheimischen Primärenergieträger unterstützt. In der Bundesrepublik Deutschland sind hier als Beispiele zu nennen: das Gesetz zur Förderung der Verwendung von Steinkohle (1. Verstromungsgesetz) vom August 1 9 6 5 , das Gesetz zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes in der Elektrizitätswirtschaft (2. Verstromungsgesetz) vom September 1 9 6 6 , das Gesetz über die weitere Sicherung des Einsatzes von Kohle aus den EGStaaten in der Elektrizitätswirtschaft (3. Verstromungsgesetz) von 1 9 7 4 , das Gesetz zur Sicherung der Energieversorgung bei Gefährdung oder Störungen der Einfuhren von Mineralöl und Erdgas (Energiesicherungsgesetz) vom November 1 9 7 3 . Auch in den Vereinigten Staaten von Amerika wurden in den vergangenen Jahren Maßnahmen ergriffen, um die Energieversorgung des Landes sicherzustellen (20, 99—101, 1 1 4 , 130). Darüber hinaus können auch, wie das Beispiel Sowjetunion zeigt, strategische Faktoren für energiepolitische Entscheidungen maßgebend sein. Da Energiefragen in zunehmendem M a ß e nur durch internationale Zusammenarbeit zu lösen sind, befassen sich mehrere internationale (intergouvernementale) Organisationen und Gremien mit dem Problem der Energieversorgung. Innerhalb der westlichen Industrienationen sind dies zum Beispiel die Europäische Gemeinschaft (EG), die Internationale Energieagentur (IEA) und die Kernenergieagentur (ΝΕΑ) der O E C D und innerhalb der Staatshandelsländer ζ. B. der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe ( C O M E C O N ) . Außerdem gibt es internationale (intergouvernementale) Organisationen und Gremien, in denen Staaten aus der ganzen Welt — unabhängig von ihrer jeweiligen politischen oder wirtschaftlichen Ordnung beziehungsweise ihrer Zugehörigkeit zu Staatengruppen — bei der Lösung von Problemen, die mit der Energieversorgung zusammenhängen, zusammenarbeiten. Beispiele hierfür sind die Internationale Atomenergie-Agentur (IAEA), eine Unterorganisation der Vereinten Nationen, mit Sitz in Wien, und die International Nuclear Fuel Cycle Evaluation (INFCE), einer von Regierungen wichtiger Staaten geschaffene Expertenkommission zur Bewertung etablierter und alternativer Brennstoffkreisläufe (vgl. 5 . 8 3 ) . Die für eine Energiewirtschaft bedeutenden Faktoren sind grundsätzlich unabhängig vom jeweiligen Wirtschaftssystem obwohl sie durchaus in verschiedenen Wirtschaftsund Gesellschaftsordnungen einen unterschiedlichen Stellenwert haben können. So haben ökologischeBelastungen sowohl in hoch entwickelten Systemen, die vorwiegend an Prinzipien der freien Marktwirtschaft orientiert sind, als auch in planwirtschaftlich ausgerichteten Systemen regional ein gefährliches Ausmaß erreicht. In Wirtschaftssystemen, die an der freien Marktwirtschaft orientiert sind, streben die Unternehmen sy-
66
2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft
stembedingt danach, Gewinne zu machen. Dieses Motiv zwingt dazu, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten. Lange Zeit konnten die Unternehmen die Umweltkosten auf die Allgemeinheit abwälzen und mußten diese bei der Preiskalkulation nicht berücksichtigen. Selbst wenn eingeräumt wird, daß in planwirtschaftlich orientierten Wirtschaftssystemen das Gewinnmotiv nicht im Vordergrund steht, so haben die Unternehmen doch die Aufgabe, Kosten zu minimieren. Unter dem Druck, ehrgeizige Planziele zu erreichen, wurden auch hier die lästigen Umweltkosten meist übersehen und abgeschoben. Denn diese binden Produktionskräfte, die auf dem Wege zu einer stärkeren Industrialisierung vermeintlich viel dringender benötigt werden. Wenn die ökologische Belastung im Osten in einzelnen Bereichen noch kleiner ist als in den westlichen Industriestaaten, so liegt der Grund dafür weitgehend am beträchtlich geringeren Lebensstandard. In den dicht besiedelten Ländern Westeuropas mit einem hohen Energieverbrauch pro Kopf und einer starken Motorisierung werden Luft und Gewässer naturgemäß stärker belastet als in den zum Teil dünn besiedelten Staaten des Ostblocks, wo der Energieverbrauch pro Kopf beträchtlich geringer ist und das Auto nicht zum allgemeinen Konsumgut zählt. Viele ökologische Probleme sind in den hoch entwickelten Industriestaaten zwar spät, aber in den letzten Jahren doch klar erkannt worden. Nur so lange können Unternehmen volkswirtschaftliche Kosten abwälzen, wie der Staat dies zuläßt. Wenn der Staat die entsprechende Berücksichtigung erzwingt und bei Verstößen gesetzliche Sanktionen festlegt, müssen Unternehmen die von ihnen verursachte Umweltbelastung in die Kostenrechnung und Preiskalkulation einbeziehen (138 — 140). Diese Absicht liegt dem in verschiedenen Industriestaaten der freien Welt geltenden Verursacherprinzip zugrunde. Darüber hinaus besteht die zwingende Notwendigkeit, umweltfreundliche Technologien zu entwickeln (142—146). Es ist offensichtlich, daß Umweltprobleme, vor allem in Westeuropa, internationalen Charakter haben. Wind, Weltmeere und Flüsse kennen keine Landesgrenzen. Aus diesem Grunde ist zur Lösung ökologischer Probleme eine internationale Zusammenarbeit unabdingbare Notwendigkeit. Diesem Tatbestand hat auch die NATO Rechnung getragen. Sie verfügt über entsprechende Mittel und organisatorische Einrichtungen und hat als internationale Organisation, der die meisten der großen Industrienationen angehören, für diese Aufgaben günstige Voraussetzungen. Bei der Unterzeichnung des Nordatlantikvertrages am 4. April 1949 verpflichteten sich 12 europäische und nordamerikanische Nationen — heute sind es 16 Staaten —, einen bewaffneten Angriff auf eine dieser Nationen als Angriff auf alle zu betrachten. Außer Regelungen, die sich mit der Bedrohung durch einen Krieg und dem Verfahren zur Beilegung internationaler Probleme befassen, enthält Artikel 2 des Nordatlantikvertrages ein Friedensprogramm. Darin kommt insbesondere zum Ausdruck, daß die NATO mehr sein müsse als ein reines Militärbündnis. Zwanzig Jahre nach der Vertragsunterzeichnung, am 6. November 1969, beschloß der Nordatlantikrat die Schaffung eines NATO-Umweltausschusses (Committee on the Challenges of Modern Society = CCMS).
2.4 Aspekte der Energiewirtschaft
67
Der Aufgabenstellung des NATO-Umweltausschusses liegen folgende grundsätzliche Überlegungen zugrunde: 1. Bei jedem konkreten Vorhaben hat ein Land die Federführung und somit die Verantwortung für ein Projekt, das vom Umweltausschuß als lohnend festgestellt worden ist. 2. Die Konzeption des Umweltausschusses ist auf konkrete Maßnahmen ausgerichtet und nicht auf Forschungsarbeiten. Es werden vorhandene Erkenntnisse gesammelt. Den NATO-Mitgliedern werden Tatsachen und Empfehlungen vorgelegt, die dadurch zu konkreten Maßnahmen angeregt werden sollen. 3. Die Arbeitsergebnisse des Umweltausschusses sind allgemein zugänglich, kein Dokument trägt irgendeine Geheimhaltungsstufe. So haben die Vereinigten Staaten beispielsweise die Sowjetunion und andere Nichtmitglieder der NATO eingeladen, an Tagungen teilzunehmen. Die zunehmende Verschmutzung der Ozeane, insbesondere durch Öl, hat ein gefährliches Ausmaß erreicht (147). Schätzungsweise fließen jährlich größenordnungsmäßig 1 Million t Öl aus Abwasserleitungen, Tankerlecks und Bohrlöchern ins Meer. Am 18. März 1967, als der öltanker „Terrey Canyon" an der Südwestspitze Englands auf ein Riff lief, flössen allein ca. 1 1 0 0 0 0 t Rohöl ins Meer. Weitere Unglücksfälle, bei denen sich dieselbe Größenordnung ö l ins Meer ergoß, ereigneten sich im Mai 1976 vor der nordspanischen Küste (Tanker „Urquiola"), im Dezember 1976 bei Philadelphia (Tanker „Olympic Games") und im März 1978 bei Brest (Tanker „Amoco Cadiz"). Wegen der großen Diskrepanz zwischen Förderung und Verbrauch von Erdöl in den einzelnen Wirtschaftszentren sind die Welthandelsströme dieses Energieträgers besonders für die Staaten der freien Welt als Hauptverbrauchszentren von vitaler Bedeutung. Rund jede zweite auf der Welt geförderte Tonne Rohöl wird auf dem Seeweg vom Förderland in die Verbrauchszentren transportiert (siehe Abb. 3-8). Die Offshore-Katastrophen im Ölfeld Ekofisk, im April 1977, wo mehrere hunderttausend Liter ö l in die Nordsee flössen und in einem Ölfeld vor der südmexikanischen Küste (in der Nähe von Ciudad del Carmen), im Juni 1979, wo wochenlang täglich ca. 10 6 Liter ö l ins Meer flössen, haben gezeigt, mit welchen ökologischen Risiken die Nutzbarmachung der Offshore-Reserven verbunden ist. Der weltweite Offshore-Anteil an der Erdölförderung, der derzeit etwa 1 7 % beträgt, wird auf etwa 5 0 % im Jahre 2 0 0 0 ansteigen. Diesem Gefahrenpotential für die Weltmeere muß deshalb in Zukunft noch mehr Beachtung geschenkt werden, zumal die Nordsee nach dem Persischen Golf das zweitgrößte Offshore-Gebiet der Welt ist (148). Bedenkt man, daß etwa 8 0 % des auf der ganzen Welt transportierten Öls in Tankern der NATO-Staaten befördert werden, und daß die Förderländer des Nordseeöls auch der NATO angehören, so wird deutlich, daß die verstärkte Zusammenarbeit unter diesen Ländern, hinsichtlich der zu treffenden Sicherheitsvorkehrungen, ein großer Schritt auf dem Wege zur Lösung eines globalen Umweltproblems ist.
68
2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft
2 . 4 2 Der zukünftige Investitionsbedarf der Energiewirtschaft 2 . 4 2 1 Investitionsbedarf der Mineralölwirtschaft Die Vervierfachung der Rohölpreise in rund 2 Jahren nach dem Oktober 1 9 7 3 , sowie die zeitweilige Ölverknappungspolitik der OPEC-Staaten während der Ölkrise im Herbst 1 9 7 3 führten dazu, daß die Sicherstellung der Energieversorgung in den von Energieimporten abhängigen Industrieländern eine erhöhte Priorität bekam. Allen daraufhin entwickelten Energiekonzeptionen waren folgende Ziele gemeinsam: Energie rationeller und sparsamer einzusetzen, Forschung und Entwicklung alternativer Energieträger voranzutreiben, geographische Diversifikation bezüglich der Energielieferanten anzustreben und verstärkt neue fossile Energiereserven, insbesondere Erdölvorräte, in Regionen zu erschließen, die als politisch sicher gelten. Ausgehend von der prognostizierten strukturellen Bedarfsentwicklung lassen sich die erforderlichen Investitionsaufwendungen zur Bereitstellung einzelner Energieträger abschätzen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß aufgrund des erschwerten Zugangs zu neuen Lagerstätten und der damit verbundenen aufwendigen Gewinnungsverfahren enorme Kostensteigerungen zu verzeichnen sind. Es müssen beispielsweise neue Technologien zur Gewinnung konventioneller Energieträger entwickelt werden, z. B. für die Gewinnung von Öl aus großen Tiefen, aus dem Meeresboden, aus arktischen Gebieten ( 1 4 9 - 1 5 4 ) . Wegen der Begrenztheit der konventionellen Ölreserven muß aber auch die großtechnische Produktion synthetischer Brennstoffe bewältigt werden, wie zum Beispiel die Herstellung flüssiger und gasförmiger Brennstoffe aus Kohle. Es ist jedoch damit zu rechnen, daß aufgrund der sich abzeichnenden Tendenzen der Anteil dieser synthetischen Brennstoffe im Jahre 1 9 9 0 erst etwa 1 % zur Deckung des Primärenergiebedarfs der Welt beitragen wird. Wie bereits ausgeführt, gehen alle Prognosen davon aus, daß das Mineralöl bis zur Jahrtausendwende aller Voraussicht nach Hauptenergieträger bleiben wird und daß immer kostenintensivere Verfahren zur ölgewinnung erforderlich sein werden (vgl. 3 . 3 2 3 ) . Nach Angaben der Chase Manhattan Bank, die sich traditionell besonders mit Energiefragen beschäftigt, betrug der Kapitalbedarf der Weltmineralölindustrie im Jahre 1 9 7 2 2 5 Mrd. Dollar, dazu kam noch ein Explorationsaufwand von 1,5 Mrd. Dollar, so daß das Gesamtvolumen 2 6 , 5 Mrd. Dollar betrug ( 1 9 6 0 : 11,6 Mrd. Dollar). Im Jahre 1 9 7 5 betrug das gesamte Investitionsvolumen bereits 5 2 Mrd. Dollar. Die Bank schätzt, daß sich der gesamte Kapitalbedarf von 1 9 7 0 bis 1 9 8 5 auf insgesamt 8 1 0 Mrd. Dollar belaufen wird. (Das ist das Vierfache dessen, was in der Zeit von 1 9 5 5 bis 1 9 7 0 von der Mineralölindustrie aufgewendet wurde.) Zu dem Kapitalbedarf und Explorationsaufwand kommen noch Schuldendienst und Verzinsung des eingesetzten Kapitals hinzu, so daß voraussichtlich der gesamte Investitionsaufwand der Weltmineralölindustrie von 1 9 7 0 bis 1 9 8 5 1 3 5 0 Mrd. Dollar betragen wird.
2.4 Aspekte der Energiewirtschaft
69
Auf den einzelnen Etappen von der Rohölquelle bis zum Verbraucher fallen Investitionen in sehr unterschiedlicher Größe an. Die Aufwendungen für Exploration und Förderung betrugen 1972 rd. 11,6 Mrd. Dollar. Von 1970 bis 1985 sollen sie sich auf insgesamt 450 Mrd. Dollar belaufen. (Von 1955 bis 1970 waren es nur 104 Mrd. Dollar) (155). Diese Zunahme ist mengenmäßig begründet und hängt u.a. davon ab, daß immer mehr in schwer zugänglichen Gebieten exploriert und gefördert wird. Die Investitionen im Transportsektor betrugen 1972 insgesamt 5 Mrd. Dollar, davon entfielen 3,8 Mrd. auf Tanker und 1,2 Mrd. auf Pipelines (155). In Zukunft werden die Investitionsaufwendungen für Pipelines stärker steigen, da die Leitungen zum Teil in schwer zugänglichen Gebieten verlegt werden müssen. So betragen beispielsweise die Kosten für Pipelines in Offshore-Gebieten 2 bis 3 Mio. Dollar/km (für Land-Pipelines 0,4 bis 0,8 Mio. Dollar/km), und die 1977 fertiggestellte Alaska-Pipeline kostete wegen der widrigen Umweltbedingungen sogar ca. 5,5 Mio. Dollar/km. Bei einer Länge von 1276 km sind dies Gesamtkosten in Höhe von rd. 7 Mrd. Dollar. Die Investitionen im Verarbeitungssektor betrugen 1972 rd. 6,3 Mrd. Dollar (1960: 1,6 Mrd. Dollar). Der Grund für diese starke Steigerung lag vor allem im Ausbau der Raffineriekapazität, die sich im Zeitraum von 1960 bis 1972 weltweit (ohne Ostblock) von 1,1 Mrd. t auf 2,5 Mrd. t erhöhte. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Auflagen hinsichtlich des Umweltschutzes insbesondere in den Industrieländern ein beträchtliches Ausmaß erreicht haben. Beim Bau einer Raffinerie betragen heute die umweltschutzbedingten Investitionskosten rd. 2 0 % . Dieser prozentuale Anteil wird nur noch von der Kraftwerkswirtschaft übertroffen. Im Sektor Marketing, der letzten Etappe des Weges von der Rohölquelle bis zum Verbraucher, sind die Investitionskosten relativ niedrig. Die gesamten Investitionen betrugen hier 1972 etwa 2,8 Mrd. Dollar. Betrachtet man die regionale Verteilung der Investitionen der Weltmineralölindustrie (ohne Ostblock), so stehen die Vereinigten Staaten an der Spitze, vor Westeuropa. (Dies ist einleuchtend, da die USA nicht nur der Ausgangspunkt der Weltmineralölindustrie, sondern auch das weitaus größte Verbraucherland sind und 1981 immer noch die drittgrößte Ölförderung der Welt aufzuweisen hatten) (siehe Abb. 2-8b). Einer Studie der Irving Trust Company, New York, ist zu entnehmen, daß in den USA bis 1985 8 5 % des Energieinvestitionsvolumens (ohne Elektrizitätswirtschaft) auf die Energieträger Erdöl und Erdgas einschließlich Tanker- und Pipelinebau entfallen. In Westeuropa konzentriert sich die Investitionstätigkeit der Weltmineralölindustrie in der Vergangenheit im wesentlichen auf den Verarbeitungssektor. Die Gewinnung der Offshore-Vorräte an ö l und Gas in der Nordsee brachte eine Verschiebung zugunsten des Explorations- und Produktionssektors mit sich, zumal es sich bei der Nordsee auch im Vergleich zu anderen Offshore-Förderregionen, wie zum Beispiel die des Nahen Ostens um sehr schwer zugängliche Vorräte handelt (vgl. 3.323). In
70
2 . Primärenergieträger und Weltwirtschaft
der Nordsee wurden bis 1 9 7 5 ca. 15 Mrd. Dollar für Exploration und Entwicklung von Kohlenwasserstoffen investiert, und bis Ende der 80er Jahre werden schätzungsweise zusätzliche Investitionen in Höhe von mehr als 4 0 Mrd. Dollar (in Preisen von 1 9 7 5 ) erforderlich sein, um das angestrebte Förderziel in Höhe von rd. 1 5 0 M i o . t pro Jahr zu erreichen (156). 2 . 4 2 2 Investitionsbedarf der gesamten Energiewirtschaft Für die hochentwickelten Industriestaaten besteht nach wie vor die zwingende Notwendigkeit, noch stärkere Anstrengungen als bisher zu unternehmen, um Substitutionsmöglichkeiten von Öl durch alternative Energieträger zu entwickeln. Aller Voraussicht nach ist, wie später noch erörtert wird, neben Kohle nur die Kernenergie auf der Basis der Kernspaltung in der Lage, als Substitutionsenergie während des Übergangs von der Erdölphase zur Fusions- und/oder Sonnenenergiephase einen angemessenen Beitrag zur Energiebedarfsdeckung zu leisten. Im Zusammenhang mit dieser Jahrhundertaufgabe gilt es, ausreichende und umweltfreundliche Sekundärenergieträger zu entwickeln, sowie die eventuell erforderlichen Sekundärenergieversorgungssysteme aufzubauen. Auf der Grundlage der zu erwartenden strukturellen Bedarfsentwicklung lassen sich die erforderlichen Investitionen in den einzelnen Energiebereichen und daraus die gesamten Aufwendungen abschätzen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß im Zuge der exorbitant gestiegenen Rohölpreise auch die Preise für die anderen Primärenergieträger wie Erdgas, Kohle und Uran gestiegen sind. Nach Angaben der Citibank, New York, betrugen die Investitionen im gesamten Energiebereich in der Welt (ohne Ostblock) im Jahre 1 9 7 0 insgesamt 7 4 Mrd. Dollar. Davon entfielen 5 6 % auf den Elektrizitätsbereich, 2 8 % auf die Ölwirtschaft, 1 3 % auf die Gasversorgung und 3 % auf sonstige Energieträger einschließlich Kernenergie. Im Jahre 1 9 8 0 soll den gleichen Angaben zu Folge die Investitionssumme 162 Mrd. Dollar betragen, was einer durchschnittlichen jährlichen Zuwachsrate von 8 , 2 % entspricht. Geht man von der gleichen Steigerungsrate bis 1 9 8 5 für die freie Welt aus, so ergibt sich für den Zeitraum von 1 9 7 0 bis 1 9 8 5 eine Investitionssumme im gesamten Energiebereich von rd. 2 0 0 0 Mrd. Dollar, wovon etwa die Hälfte auf die 80er Jahre entfällt. Die Schätzungen der Chase Manhattan Bank liegen sogar noch etwas höher. Nach Angaben dieser Bank betragen die erforderlichen Investitionen in der gesamten Energiewirtschaft der westlichen Welt von 1 9 7 0 bis 1 9 8 5 rd. 2 7 0 0 Mrd. Dollar. (Das entspricht mehr als dem Sechsfachen des Bruttosozialprodukts der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1 9 7 5 ) . W. Häfele und W. Sassin schätzen - unter der Annahme, daß im Jahre 2 0 3 0 ein Weltprimärenergiebedarf in Höhe von 38 · 1 0 9 t SKE gedeckt werden muß - die hierzu erforderlichen weltweiten Investitionen in der gesamten Energiewirtschaft auf rd. 4 0 • 10 1 2 Dollar (in Preisen von 1 9 7 5 ) (131, 132). Untersucht man die regionale Verteilung der zu erwartenden gesamten Investitionssumme, so nehmen die Verei-
2.4 Aspekte der Energiewirtschaft
71
nigten Staaten die Spitzenposition ein. Die wichtigsten Gründe hierfür liegen wohl darin, daß in den USA im Jahre 1981 der ölanteil am Primärenergieverbrauch 4 1 % betrug, davon rd. die Hälfte durch Importe gedeckt werden mußte und die statische Reichweite (konstante Förderung) der eigenen nachgewiesenen Ölreserven voraussichtlich nur noch 8 Jahre beträgt (siehe Tabelle 3-17). Diese ölabhängigkeit kann aber für den mächtigsten Staat der Erde lebensgefährlich sein. Die zweite Großmacht, die Sowjetunion, und die dritte potentielle Großmacht, die VR-China, sind unabhängig vom Weltmarkt der Primärenergieträger. Nach C. F. v. Weizsäcker sind eben vielleicht diese drei Mächte wegen dieser ihrer zumindest relativen Unabhängigkeit Großmächte (157). Obwohl die Vereinigten Staaten wirtschaftlich am mächtigsten sind, dürfte für sie die Erreichung der vollen Unabhängigkeit während der Erdölphase, d. h. solange das Erdöl noch Hauptenergieträger ist, nicht realisierbar sein (158). Deshalb war das von Präsident R. Nixon am 23. 1. 1974 verkündete Energieprogramm „Projekt Independence", dessen Ziel es sein sollte, die USA energiewirtschaftlich autark zu machen, vom Ansatz her nicht realistisch und zum Scheitern verurteilt (99). Außerdem sollten die diesbezüglichen Investitionen nach Angaben des National Petroleum Council bis 1990 über 500 Mrd. Dollar erfordern. Bedenkt man, daß das Manhattan-Projekt 1 ' 2,5 Mrd. Dollar kostete und zur Realisierung des Apollo-Projektes rd. 25 Mrd. Dollar notwendig waren, so wird darüber hinaus deutlich, um welche finanziellen Größenordnungen es hier gegangen wäre. Im Gegensatz zu dem gescheiterten „Projekt Independence" setzte Präsident J. Carter in seiner am 19. 4. 1977 dem amerikanischen Volk präsentierten Konzeption, den Schwerpunkt auf Maßnahmen zur Energieeinsparung. Außerdem sollen danach die einheimische Kohleförderung beträchtlich erhöht sowie Forschung und Entwicklung zur Nutzbarmachung der Sonnenenergie forciert werden (100-103). In Westeuropa ist die Diskrepanz zwischen Förderung und Verbrauch von Primärenergieträgern besonders ausgeprägt. Dies gilt besonders für den Erdölsektor. Im Jahre 1981 mußte Westeuropa rd. 8 0 % des ölbedarfs importieren. Die Abhängigkeit vom Weltmarkt der Primärenergieträger ist aber für Westeuropa nach unserem derzeitigen naturwissenschaftlich-technischen Kenntnisstand für längere Zeit unaufhebbar. Dies gilt bekanntermaßen für Erdöl, im wesentlichen für Kernenergie auf der Basis der Kernspaltung und in geringerem Maße auch für Kohle wegen der im Weltvergleich sehr hohen Förderkosten. Die Kernenergie auf der Basis der Kernfusion, falls in absehbarer Zeit technologisch realisierbar, dürfte frühestens in 50 Jahren einen Beitrag zur Energieversorgung leisten können. Diese Energiequelle könnte Westeuropa ein hohes Maß an Unabhängigkeit vom Weltmarkt der Primärenergieträger bringen (vgl. 3.36). Im Gegensatz zur Kernfusion sind zur Nutzbarmachung der Sonnenenergie die Basistechnologien bereits vorhanden. Der Einsatz der Sonnenen-
Decknahme für den Bau der ersten Atombombe.
72
2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft
ergie in unseren Breiten — zum Beispiel zur Erzeugung von Niedertemperaturwärme — könnte helfen, die Abhängigkeit Westeuropas von Energieimporten zu reduzieren. Da die natürlichen Bedingungen zur großtechnischen Sonnenenergienutzung (z.B. Elektrizitätserzeugung oder Wasserstoffherstellung) in Regionen mit hoher Sonnenenergieeinstrahlung, wie zum Beispiel in Nordafrika, günstiger sind als in unseren Breiten (vgl. 3.37), dürfte Westeuropa aller Voraussicht nach auch nach der wirtschaftlichen Realisierung der großtechnischen Sonnenenergienutzung auf Energieimporte (z.B. aus den Ländern Nordafrikas) angewiesen sein. Die Anstrengungen der westeuropäischen Staaten zur Energieversorgung sollten diesen Fakten Rechnung tragen. Die Investitionen der EG-Staaten im Energiebereich sollen im Zeitraum von 1975 bis 1985 2 bis 2,5% des Bruttosozialprodukts der EG ausmachen, gegenüber 1,5% von 1965 bis 1970. Dies hätte zur Folge, daß sich die Investitionen in dem gesamten Energiesektor von 1975 bis 1985 auf nahezu 300 Mrd. Dollar (zu Preisen von 1973) belaufen würden. Davon entfielen rd. 150 Mrd. Dollar auf den Elektrizitätsbereich (einschließlich Kernenergie), 110 Mrd. Dollar auf die Erdöl- und Erdgaswirtschaft und rd. 6 Mrd. Dollar auf den Kohlebereich (155, 159). Es wurde bereits ausgeführt, daß Maßnahmen zur Energieeinsparung anfänglich mit einem zum Teil erheblichen Kapitalaufwand verbunden sind. Trotzdem sprechen aber eine Reihe von Gründen dafür, Energie einzusparen beziehungsweise Energie möglichst rationell einzusetzen (vgl. 2.332). Es wird geschätzt, daß innerhalb der EG für Umstellungsprozesse auf energiesparende Technologien bis 1990 rd. 500 · 10 9 Dollar investiert werden (160).
3. Das Energiepotential der Welt
3.1 Einteilung des
Energieangebots
Für die Deckung des Energiebedarfs auf der Erde stehen grundsätzlich zwei Arten von Energieangeboten zur Verfügung. Erstens Energievorräte, die Bestandteil der Erdkruste sind (fossile und nukleare Primärenergieträger); diese werden auch als nicht regenerative Energiequellen (Ressourcen) bezeichnet. Zweitens stehen kontinuierliche Energieströme zur Verfügung (Sonnenenergie, Gezeitenenergie und geothermische Energie); diese werden auch als regenerative Energiequellen bezeichnet (siehe Abb. 3-1). Diese Energieströme können — gemessen an dem Zeitraum der menschlichen Zivilisation — als kontinuierlich angesehen werden (vgl. 3.37; 3.38; 3.39). Zu den fossilen Primärenergieträgern zählen Torf, Braunkohle, Steinkohle, Erdöl, Erdgas, Ölschiefer und ölsande. Zu den nuklearen Primärenergieträgern gehören Uran und Thorium — falls die Energiefreisetzung durch Kernspaltung erfolgt — beziehungsweise Deuterium und Lithium bei Energiegewinnung durch Kernfusion. Die Sonnenenergie steht in vielen Formen zur Verfügung. (Die fossilen Primärenergieträger sind nichts anderes als in Jahrmillionen gespeicherte Sonnenenergie. Trotzdem ist es üblich, diese als nicht regenerative Energieträger getrennt von den anderen Formen der Sonnenenergie aufzuführen.) Sonnenstrahlen erwärmen die Erde und erzeugen über die Photosynthese Biomasse und den freien Sauerstoff und ermöglichen so das Leben auf der Erde. Ohne diese Energiequelle gäbe es keine Wasserkraft, Wellenenergie, Meereswärme, Meeresströmungen und Windenergie. Durch Konversion kann die Sonnenenergie in andere Energieformen umgewandelt werden. Folgende Verfahren sind zum Beispiel möglich: solarthermische Konversion, photoelektrische Konversion, photochemische Konversion. Aus der Einteilung in nicht regenerative Energiequellen und regenerative Energiequellen leiten sich, von technologischen und ökologischen Problemen einmal abgesehen, die Optionen für eine langfristige Energieversorgung ab. Die Sonnenenergie und geothermische Energie stellen als kontinuierlicher Energiestrom zwei Optionen für eine unbegrenzte Versorgung mit Energie dar. (Der Energiestrom an Gezeitenen-
74
3. Das Energiepotential der Welt
3 . 2 Weltvorräte und Reichweiten von Primärenergieträgern
75
ergie ist im Vergleich zu diesen beiden Energieströmen klein (siehe Tabelle 3-3 und Abb. 3-11). In der Sonne werden aus Protonen je Sekunde 10 3 8 He-Kerne gebildet. Da die Sonne aber 2 · 10 3 3 g Protonen enthält, kann sie trotz des sekundlichen Verbrauchs von 7 · 10 1 4 g Protonen ihre für unser Leben notwendige Strahlung noch rd. 10 1 1 Jahre aufrechterhalten. Sollte die Energiegewinnung durch Kernfusion in Form des Fusionsreaktors auf der Basis des D-T-Prozesses technologisch realisierbar sein (vgl. 4.22), so stünde aufgrund der weltweiten Lithiumvorräte ein Energiepotential der Größenordnung von 10 9 q zur Verfügung (1). Nur 1 % davon würden ausreichen, um das Zehnfache des derzeitigen Weltenergiebedarfs für rd. 10 4 Jahre zu decken. Auf der Basis der D-DProzesse wäre dieser Bedarf sogar für rd. 10 7 Jahre zu decken. Das heißt, die Kernfusion ist praktisch eine dritte Option für eine „unbegrenzte" Energieversorgung.
3.2 Weltvorräte und Reichweiten von Primärenergieträgern Vergleicht man die voraussichtliche Entwicklung des Primärenergiebedarfs in der Welt (vgl. 2.333) mit den Vorräten an Primärenergieträgern, so kann man die Reichweite (Lebensdauer) einzelner Primärenergieträger abschätzen beziehungsweise Aussagen darüber machen, wann entsprechende Energieträger knapp werden. Bei einer solchen Abschätzung kommt es nicht auf ein exaktes Ergebnis an. Entscheidend ist vielmehr, daß in voraussehbarer Zeit einige der gegenwärtig eingesetzten Primärenergieträger nicht mehr ausreichen werden, einen wachsenden Anteil am Weltenergiebedarf zu ökonomischen Bedingungen zu decken (2). Die Angaben für die Reserven/Ressourcen an Primärenergieträgern weichen in der Literatur — von wenigen Ausnahmen abgesehen — relativ geringfügig voneinander ab. Dies hängt damit zusammen, daß in den letzten Jahren bei der Entwicklung von international einheitlichen Klassifikationsprinzipien für mineralische Rohstoffe Fortschritte erzielt werden konnten (3-7). Abb. 3-2 zeigt das Schema der Klassifikation von Lagerstättenvorräten mineralischer Rohstoffe nach den gemeinsamen Richtlinien des US-Bureau of Mines und des US-Geological Survey. Das auch als McKelvey-Diagramm bezeichnete Schema ist durch eine Matrixstruktur gekennzeichnet. Der Grad der geologischen Gewißheit nimmt dabei von rechts nach links zu, wobei dieser von „spekulativ in unentdeckten Revieren" bis „gemessen" reicht. Der Grad der wirtschaftlichen Verwendbarkeit
Abb. 3 - 1 : Primärenergieformen und ihre Umwandlung in Nutzenergie Quelle: Eigene Zusammenstellung.
76
3. Das Energiepotential der Welt
Gesamte Ressourcen Entdeckt
Unentdeckt Hypothetisch (In bekannten Revieren)
Erkannt Gemessen JS w -c υ
1-1 rt -O c
• Ü -ε
1
'53 υ Τί re JZ υ
'C «X 6Ή ο 1
Angedeutet
....
11
+
Gefolgert
Spekulativ (In unentdeckten Revieren)
•
+
....
+
+
0>
Ο
*L·,νC.aJ*
= 1 , 1 10 11 t L· (2,7 bis 9,5) · 10 9 q = 4,6 10 13 t 3)
Aller Voraussicht nach läßt sich die D-T-Reaktion leichter realisieren als die D-D-Reaktionen. Neben Deuterium ist damit Lithium Brennstoff eines D-T-Reaktors. Da mehr Lithium als Deuterium benötigt wird und außerdem die verfügbaren Lithiummengen kleiner sind als die Deuteriummengen, ist das Lithium maßgebend für die insgesamt freisetzbare Energie. Die Energieäquivalente sind vom jeweiligen Reaktorkonzept abhängig: Dem niedrigen Wert liegt ein Reaktorkonzept mit festen Li-Verbindungen als Brutmittel zugrunde; dem hohen Wert liegt ein Reaktorkonzept mit flüssigem Lithium als Brut- und Kühlmittel zugrunde (17). ( l q = 3,62 · 10 7 t SKE). Dieser Deuteriummenge entspricht beim D-D-Reaktor ein Energieäquivalent von 15 · 10 1 2 q (18).
Quelle: Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, Garching/München, ASA-ZE/09/78 (1978).
Rohstoffes, X„ die Verbrauchsmenge im Ausgangsjahr und Ρ die Wachstumsrate des Verbrauchs (in v.H. pro Jahr). Es läßt sich zeigen, daß sich die Reichweite eines Rohstoffes bei steigendem Preis erhöht, weil einerseits weniger davon verbraucht wird und andererseits ein zunehmender Anteil des Rohstoffvorrats zu technischen und ökonomischen Bedingungen gewinnbar wird.
82
3. Das Energiepotential der Welt
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3 . 3 Primärenergieträger
111
Tabelle 3 - 1 5 : Zeitliche Entwicklung der nachgewiesenen förderbaren Reserven an Erdöl in der Welt (konventionelles ö l ) Nachgewiesene Jahr
Welt-Ölförderung
förderb. Reserven 1 '
Verhältnis Reserven/Förderung
[ 1 0 6 t]
[ 1 0 6 t]
[R/F]
1950
10600
521
20
1955
21600
771
36
1960
41000
1085
38
1961
42200
1155
37
1962
41800
1251
33
1963
45100
1341
34
1964
46100
1450
32
1965
47600
1547
31
1966
51900
1693
31
1967
55400
1813
31
1968
61900
1976
31
1969
72000
2136
34
1970
83400
2336
36
1971
85200
2463
35
1972
86400
2604
33
1973
87400
2851
31
1974
87600
2 873
31
1975
89500
2 707
33
1976
875002'
2937
30
1977
87800
3 039
29
1978
88 8 0 0
3 097
29
1979
8 7 400 2 »
3191
27
1980
88400
3 060
29
1981
91500
2859
32
Stand jeweils 3 1 . 1 2 . ; die Werte sind gerundet. 2)
In einigen Ländern gegenüber dem Vorjahr korrigierte Zahlen.
Quelle: Esso AG, Presse- und Informationsabteilung, Hamburg, 1 9 8 2 .
gungsströme des Jahres 1981 (70). Hieraus ist ersichtlich, wie lebenswichtig die Ölzufuhr aus den Ländern des Persischen Golfes und die Ölrouten durch den Indischen Ozean für Westeuropa, Japan und — in zunehmendem Maße — für die Vereinigten Staaten sind. Die strategische Bedeutung des Seeweges um das Kap als der Hauptstraße der Rohölversorgungsströme für Westeuropa und USA kann von den westlichen Industrienationen nicht hoch genug bewertet werden. Die weitere Entwicklung der Erdölförderung in einzelnen Ländern hängt von einer Reihe zum Teil durch nationale Interessen bestimmter Faktoren ab. Einige wesentliche sind: das zu erwartende Wirtschaftswachstum, Substitutionsmöglichkeiten des Erdöls, insbesondere in den Industriestaaten mit einer erdölintensiven Wirtschaftsstruktur, die Verbesserung der Reservestituation durch neu zu entdeckende Erdöl-
112
3. Das Energiepotential der Welt
Tabelle 3-16: Erdölanteil der größten Primärenergieverbraucher der Welt. Erdölanteil
%
Primärenergieverbrauch 1981 [ 1 0 6 t SKE]
76 77 70 55 47 50 43 37 27 15
207 509 271 373 2610 282 319 1725 1332> 719
66 63 53 44 41 38 37 37 25 17
Erdölanteil
Land"
Primärenergieverbrauch 1973 [10 6 1 SKE]
Italien Japan Frankreich BR Deutschland USA Großbritannien Kanada UdSSR Indien* VR China
197 510 259 379 2700 324 275 1238 112 527
Jahr
%
" Die Reihenfolge orientiert sich an dem Erdölanteil 1981. Dieser Wert gilt für 1976.
2)
Quellen: BP statistical review of world energy 1981, London 1982. United Nations, Statistical Yearbook 1977, New York 1978*. Esso AG, Presse- und Informationsabteilung, Hamburg 1978.
Ölverbrauch, Ölförderung [10 6 1] 825 (902) Nordamerika 556(621) 228(164) 319(272)
Lateinamerika = •
630(749)
Westeuropa
J 134(23) 76(48) IIIIII 233(290) Η ] II
Afrika
85 (63) 788 (1047)
^ 727 (495)
J 134(101)
428 (413)
Ferner
°sten
Mitderer Osten
UdSSR, Osteuropa, VR China
I I Ölverbrauch ΠΤΠΤΠΤΠ ölförderung
Abb. 3-6: Förder- und Verbrauchszentren von Erdöl 1981 (in 10 6 t).* (Für 1973 sind die Zahlen in Klammern angegeben.) * Die Daten wurden entnommen: BP statistical review of world energy 1981, London 1982.
3.3
113
Primärenergieträger
Tabelle 3 - 1 7 : Verbrauch und Förderung von Erdöl in einigen Ländern (in 1 0 6 t) sowie statische Reichweiten (in Jahren) Verbrauch Land"
1973
Förderung
1979
1981
aus (69)
1. UdSSR 2.
Saudi-Arabien
3 . USA 4.
Mexiko
1973
Statische Reichweite
1979
1981
aus (70)
Nachgewiesene Insges. noch förderbare
förderbares
Reserven 2 '
Erdöl 3 '
324
426
465
421
586
609
17
18
19
21
365
470
492
49
91
813
861
743
519
481
482
8
41 143
78
29
44
62
27
81
128
50
5 . Venezuela
12
17
16
179
125
112
21
6. V R China
39
91
84
55
106
101
25
113
97
71
78
89
1 9
8. Indonesien
10
19
19
66
79
79
18
110
9 . Kanada
89
91
82
102
84
74
9
122
10. Nigeria
3
4
3
100
114
71
22
76
20
27
26
293
158
66
51
114
12. Ver. Arab. Emirate k . A .
7.
Großbritannien
11. Iran
0,1
4)
-
160 42
k.A.
k.A.
63
70
55
61
130
1 3 . Libyen
1
4
4
105
101
54
32
89
14. Kuwait
5
5
5
138
113
48
81
96
15. Irak
4
5
4
99
171
44
26
124
25
9
9
8
2
20
14s)
200
B R Deutschland
Norwegen
150
147
122
7
5
4,5
8
350
Italien
105
104
96
1
2
1,7
25
125
Frankreich
124
122
97
1
1
1,7
8
65
Japan
281
284
249
0,7
0,5
0,4
10
40
' ' Dies waren 1 9 8 1 die 15 größten Förderländer. 2) 3'
Grundlagen sind Förderung und Reserven des J a h r e s 1 9 7 9 (siehe Tabelle 3 - 1 4 ; aus ( 1 2 ) ) . Grundlagen sind Förderung des Jahres 1 9 7 9 und das insgesamt noch förderbare Erdöl (siehe Tabelle 3 - 1 4 , aus ( 2 ) ) .
41
Hier wurde eine Jahresförderung von 1 0 0 · 1 0 6 t zugrunde gelegt.
5)
Hier wurde eine Jahresförderung von 4 0 • 1 0 6 t zugrunde gelegt.
Quellen: Esso A G , Presse- und Informationsabteilung, Hamburg 1 9 8 2 (69). BP statistical review of world energy 1 9 8 1 , London 1 9 8 2 (70). Eigene Berechnungen.
Vorräte, die Erdölpreisentwicklung und deren Relation zu anderen Primärenergieträgern. Es wurde bereits erwähnt, daß die Conservation Commission der Weltenergiekonferenz zu dem Ergebnis kam, daß das vorhandene Potential an Erdöl eine beträchtliche Steigerung der Förderung ermöglicht (vgl. 2 . 3 3 3 ) . M. Grenon, International Institute for Applied Systems Analysis, Laxenburg/Wien, kommt zu noch optimistischeren Ergebnissen. Danach soll es — entsprechende Maßnahmen und Gewin-
114
3. Das Energiepotential der Welt
115
3.3 Primärenergieträger
nungskosten vorausgesetzt - möglich sein, die Ölförderung von derzeit rd. 3 · 10 9 t Öl bis um 1990 noch beträchtlich zu steigern und danach eine auf ca. 3,75 · 10 9 t SKE (rd. 2,5 · 10 9 t ö l ) fallende Förderquote bis zum Jahre 2065 aufrechtzuerhalten (vgl. 3.2). Das dabei zugrundegelegte förderbare ö l (konventionelles Öl, gesamtes förderbare Erdöl) beträgt 450 · 10 9 t SKE (rd. 300 · 10 9 t ö l , Gewinnungskosten bis zu etwa 20 Dollar/bbl, zu Preisen von 1976). Diese Betrachtungsweise läßt aber wichtige Aspekte, wie beispielsweise die geographische Verteilung der Vorräte sowie politische Faktoren, außer acht. Es ist zu berücksichtigen, daß bei Erdöl voraussichtlich der zukünftige Förderanteil der OECD-Staaten nur zwischen 15% und 19% liegen wird, dagegen der Anteil der Entwicklungsländer zwischen 59% und 63% (siehe Tabelle 2-10). Insbesondere ist damit zu rechnen, daß die OPEC-Staaten auf absehbare Zeit ihre Monopolstellung unter den Rohölförderländern behalten werden. So zum Beispiel könnte sich die Rohölförderung (Welt ohne Ostländer) im Jahre 1990 in Höhe von ca. 3,4 · 10 9 1 auf die Förderregionen wie folgt aufteilen: OPEC-Staaten 62%, Nordamerika 16%, Westeuropa 8%, andere 14% (69). (Da die Ostländer eine ausgeglichene Bilanz zwischen Verbrauch und Förderung haben, ist die Annahme der Bedarfsdeckung außerhalb der Ostländer realistisch.) Die politische Brisanz dieser Daten wird am deutlichsten, wenn man die statische
Fortsetzung Abb. 3-7: Gesamte Ölversorgungsströme 1981 (in 10 6 t)
n -ο
ιη in CS in Tt· cS rn VC rn On, ON •f. 00 ON TJ-, r-». On, oo CN" [--" CN •Ί-" in" in" V in" •n" cs" cs"
-ο Ί=
ω
c «ο
« 10 s eV (schnelle Neutronen), die sie bei ihrer Entstehung haben, zu weiteren Spaltungen benutzt. Diese Reaktoren haben daher keinen Moderator (vgl. 4 . 2 1 4 und 4.215).
4.2 Sekundärenergie aus nuklearen Energieträgern
189
wird dagegen in Leistungsreaktoren nicht verwendet; der Grund dafür ist unter anderem, daß bei geeigneter Geometrie die kritische Masse bei 10 kg und weniger liegt. Zu den keramischen Brennstoffen zählen vor allem die Oxide und Karbide von Uran, Thorium und Plutonium, die in gesinterter Form im Brennelement verwendet werden. (In den heutigen Leistungsreaktoren wird fast ausschließlich keramischer Brennstoff eingesetzt.) Wenn man hochangereicherte Brennstoffe verwendet und auf Konversion und Brüten verzichtet, kann man den Brennstoff in verdünnter Form in ein metallisches Trägermaterial, in eine Matrix, einbauen. Eine wichtige Form der Dispersionsbrennstoffe bilden metallkeramische Verbindungen. (Dispersionsbrennstoffe werden in Leistungsreaktoren bisher nicht eingesetzt.) (4). Wie bereits erwähnt, verhindern Brennstabhüllrohre das Austreten von Brennstoffen und Spaltprodukten in das Kühlmittel; außerdem wird durch die Hüllrohre der Brennstoff vor dem Kühlmittel geschützt. Im wesentlichen gibt es vier Gruppen von Hüllwerkstoffen; Hüllwerkstoffe auf Aluminiumbasis, Magnesiumbasis, Stahlbasis sowie Zirkoniumbasis. (Bei Hochtemperatur-Reaktoren — einem Sonderfall — verwendet man die Technik der umhüllten Teilchen, das heißt, kleine Brennstoffkörper — zum Beispiel aus Urankarbid oder Uranoxid — werden mit Kohlenstoff (Graphit), Oxyden oder Karbiden beschichtet.) Hüllwerkstoffe auf Aluminium- und Magnesiumbasis zeichnen sich durch einen relativ kleinen Absorptionsquerschnitt für thermische Neutronen aus und werden daher vor allem in Natururanreaktoren eingesetzt. Die größte Bedeutung hat die Magnesiumlegierung Magnox gewonnen. Sie wird in den C0 2 -gekühlten, graphitmoderierten Reaktoren (CGR) verwendet, die deshalb auch als Magnox-Reaktoren bezeichnet werden (6). Hüllenwerkstoffe aus Stahl (zum Beispiel Chrom-Nickel-Stahl, Molybdän-Niob-Stahl) zeichnen sich durch relativ hohe Festigkeit, Temperatur- und Korrosionsbeständigkeit aus; jedoch sind die Absorptionsquerschnitte für thermische Neutronen relativ groß. Zirkonium hat einen relativ niedrigen Absorptionsquerschnitt für thermische Neutronen bei gleichzeitig guten mechanischen und thermischen Eigenschaften sowie guter Korrosionsbeständigkeit. Zirkonium und insbesondere die Zirkoniumlegierungen Zircaloy-2 und Zircaloy-4 (Zirkonium mit Sn-, Fe-, Cr-, Ni-Zusätzen) werden vorzugsweise in wassergekühlten Reaktoren eingesetzt. Für den Betrieb eines Kernreaktors ist zusätzlich ein Moderator erforderlich. Dieser soll möglichst wenig Neutronen absorbieren, und bei jedem Zusammenstoß zwischen einem Neutron und einem Moderator-Kern soll möglichst viel Energie übertragen werden. Dies ist der Fall, wenn sich die Massen der zusammenstoßenden Teilchen möglichst wenig unterscheiden. Als Moderator werden — je nach Reaktortyp — leichtes oder schweres Wasser, organische Flüssigkeiten (C x H y ) oder feste Moderatoren wie Graphit, Beryllium (als BeO) verwendet. Der Moderator kann unter Umständen mit dem Kühlmittel identisch sein. (Zum Beispiel kann leichtes beziehungsweise schweres Wasser als Moderator und Kühlmittel verwendet werden.) Graphit wird als Moderator fast in allen gasgekühlten Leistungsreaktoren verwendet; es hat ausgezeichnete Eigenschaften gegenüber Hochtemperatur- und Temperaturwechsel-
190
4.
Energieversorgungssysteme
Beanspruchung. (Als Kühlmittel graphitmoderierter Reaktoren wird häufig C 0 2 verwandt.) Sind Brennstoff und Moderator getrennte Einheiten, so spricht man von einem heterogenen Reaktor; bilden Brennstoff und Moderator eine Einheit, so spricht man von einem homogenen Reaktor. In der Anfangszeit der Reaktorentwicklung hat man versucht, durch Lösung eines Uransalzes in Wasser einen homogenen Reaktor zu verwirklichen. Wegen Korrosionsproblemen wurde dieses Vorhaben nicht weiter verfolgt. Die heutigen Leistungsreaktoren sind heterogene Reaktoren. Bei leichtem Wasser als Moderator muß berücksichtigt werden, daß der Absorptionsquerschnitt von Wasserstoffkernen gegenüber Neutronen sehr groß ist, so daß ein relativ hoher Prozentsatz der entstehenden Neutronen für die Spaltung verloren geht. Man kann deshalb leichtes Wasser nur verwenden, wenn ein ausreichender Überschuß an Neutronen produziert wird. Das ist der Fall, wenn z. B. angereichertes Uran der Brennstoff ist. Bei Natururan als Brennstoff würde die starke Absorption von Neutronen durch leichtes Wasser zu einem Absterben der Kettenreaktion führen. Deshalb erfordert Natururan schweres Wasser, Kohlenstoff (Graphit) oder Beryllium als Moderator. Ein weiteres wichtiges Bauelement eines Reaktors ist der Regelmechanismus, mit dem die Kettenreaktion geregelt werden kann. Die Regelung erfolgt in der Art, daß Stäbe aus Stoffen mit besonders großem Absorptionsquerschnitt für Neutronen (zum Beispiel Cadmium oder Borstahl) mit Hilfe von Hubspulen (Magnetspulen) mehr oder weniger tief in das Innere des Reaktorkerns geschoben werden. (In der Praxis enthält ein Teil der Brennelemente Steuerstäbe.) Im stationären Betrieb ist der Multiplikationsfaktor Κ = 1; die Größe ρ = (K — 1)/K, die man als Reaktivität bezeichnet, ist dann ρ = 0, das heißt, die Zahl der Neutronen pro Volumeneinheit ändert sich zeitlich nicht. (Die verzögerten Neutronen sind an der ausgeglichenen Neutronenbilanz beteiligt). Ist Κ = 1, dann sind die Neutronenverluste, die dadurch auftreten, daß Neutronen ohne Reaktion aus dem System entweichen bzw. die durch Absorption hervorgerufen werden, gerade so groß, daß im Mittel ein Neutron, das bei der Spaltung frei wird, wiederum zur Kernspaltung führt. (Die Neutronenabsorption wird u.a. durch Stoffe wie Kühlmittel, Brut- und Strukturmaterial, Regelstäbe hervorgerufen). In diesem Zustand ist die Zahl der Kernspaltungen je Zeiteinheit bzw. die Leistung des Reaktors konstant: Der Reaktor ist kritisch oder eingeschaltet. Wird, ausgehend vom stationären Zustand (K = 1), die Anzahl der Neutronen pro Volumeneinheit geringer (K< 1), indem der Anteil der absorbierten Neutronen vergrößert wird (die Regelstäbe werden in das Innere des Reaktorkerns geschoben), dann nimmt die Leistung des Reaktors ab: Der Reaktor ist unterkritisch oder abgeschaltet. Wird, ausgehend vom stationären Zustand (K = 1), die Anzahl der Neutronen pro Volumeneinheit größer (K > 1), indem der Anteil der absorbierten Neutronen verkleinert wird (die Regelstäbe werden aus dem Inneren des Reaktorkerns gezogen), dann nimmt die Leistung des Reaktors zu. Die Regeleinrichtung wird nun so ausgelegt, daß immer 1,0075 > Κ ist, d.h. der Multiplikationsfaktor Κ überschreitet den Wert Κ = 1 immer nur um weniger als 0,75%. Die bei der Kern-
4.2 Sekundärenergie aus nuklearen Energieträgern
191
Spaltung prompt auftretenden Neutronen reichen dann allein nicht aus, Κ = 1 zu machen; hierzu sind noch die verzögerten Neutronen nötig. Die Leistung des Reaktors nimmt deshalb bei 1,0075 > Κ > 1, wegen des Anteils von 0 , 7 5 % an verzögerten Neutronen, erst nach einer Verzögerungszeit von ca. 12 s mäßig schnell zu: Der Reaktor ist überkristisch. Das heißt, wenn die Neutronenproduktion anwachsen sollte, so wirkt sich diese Steigerung erst nach einer gewissen Verzögerungszeit von ca. 12 s voll aus. Diese Zeitspanne würde aber genügen, um automatische bzw. mechanische Regeleinrichtungen auszulösen und wirksam werden zu lassen. Bei Κ > 1,0075 würde die Leistung des Reaktors sehr schnell zunehmen. Der Reaktor würde prompt überkritisch werden, weil die Aufrechterhaltung der Kettenreaktion allein durch die prompten Neutronen - also bereits ohne die ebenfalls vorhandenen verzögerten Neutronen — stattfände. In diesem Zustand sind sehr schnell Reaktorleistungen erreicht, bei denen die Wärmeabfuhr nicht mehr ausreichend ist, so daß Schäden an Brennelementen, Primärkreislauf und Strukturmaterialien auftreten können. Die Regeleinrichtungen des Reaktors müssen so konzipiert sein, daß ein derartiger Zustand nicht auftreten kann (7). Beim Schnellabschaltbefehl (scram), das heißt Notabschaltung, müssen sich sämtliche Regelstäbe aus jeder beliebigen Stellung möglichst schnell ganz in das Core bewegen. Bei einzelnen Reaktortypen wird diese Aufgabe auf unterschiedliche Weise gelöst. Zum Beispiel fallen beim Druckwasserreaktor (DWR) — durch Stromlosigkeit der Spulen — die Regelstäbe durch die Schwerkraft in das Core. Im Unterschied zum DWR mußte beim Siedewasserreaktor (SWR) ein anderes Antriebsprinzip entwickelt werden, da die Regelstäbe von unten in das Core eingefahren werden und diese für die Schnellabschaltung durch eine zusätzliche Kraft nach oben bewegt werden müssen. Dazu wird eine hydraulische Vorrichtung verwendet. Die C0 2 -gekühlten, graphitmoderierten Reaktoren (CGR) haben aus prinzipiellen Gründen große Kernabmessungen, was Regelstablängen von 6 bis 8 m zur Folge hat. Bei Notabschaltungen fallen die Regelstäbe durch die Schwerkraft in das Core. Erwähnt sei noch, daß die Temperatur des Reaktorkerns — innerhalb gewisser Grenzen — eine selbsttätige Reaktorregelung bewirkt. Mit steigender Temperatur erhöht sich die mittlere Neutronenenergie, was einen höheren Neutroneneinfang nach sich zieht. Eine Verringerung von Κ ist die Folge (negativer Temperaturkoeffizienz). Jeder Reaktor benötigt ein Kühlmittel, um die entsprechende Wärme abzuleiten. Hierzu werden Flüssigkeiten (zum Beispiel leichtes oder schweres Wasser, organische Flüssigkeiten), Gase (zum Beispiel Kohlendioxid, Helium) oder flüssige Metalle (zum Beispiel Natrium, Kalium) verwendet (8). Besonders strenge Maßstäbe müssen bei einem Kernreaktor an den Strahlenschutz angelegt werden. Es wurde bereits erwähnt, daß in einem Kernreaktor intensive Strahlungen verschiedenster Art entstehen (α-, β-, γ-, n-Strahlung, Spaltprodukte). Deshalb muß durch geeignete Maßnahmen (z.B. Spezialbeton) insbesondere der Reaktorkern so weit wie möglich abgeschirmt werden. Außerdem entstehen durch die Neutronen- oder Gammastrahlung sog. Aktivierungsprodukte. Hierzu gehört prak-
192
4.
Energieversorgungssysteme
tisch das gesamte Bau- und Betriebsmaterial des eigentlichen Reaktors (z. B. Brennstabhüllen, Primärkühlwasser). Darüber hinaus fallen beim Betrieb gasförmige, flüssige und feste radioaktiv verunreinigte Abfälle an, die eine sorgfältige Überwachung erfordern. Schließlich ist die Behandlung der rd. 300 radioaktiven Isotope mit ganz unterschiedlichen Halbwertszeiten (Atommüll) ein außerordentlich schwieriges Problem. Die Behandlung des zur Endlagerung kommenden hochaktiven Abfalls konnte noch nicht zufriedenstellend gelöst werden, jedoch lassen Ergebnisse intensiver Forschungs- und Entwicklungsarbeiten in mehreren Ländern hoffen, daß das Problem der Endlagerung hochaktiven Abfalls befriedigend gelöst werden kann (vgl. 5.822). Die erste gesteuerte Kettenreaktion mit Hilfe einer Anordnung aus metallischem Natururan (Spaltmaterial) und Graphit (Moderator) wurde am 2. Dezember 1942 von E. Fermi in Chicago in Gang gesetzt. Seitdem wurden durch Kombination von Komponenten — insbesondere der Grundkomponenten Brennstoff (Spaltmaterial), Moderator und Kühlmittel — zahlreiche Möglichkeiten der nuklearen Energiegewinnung für friedliche Zwecke entwickelt. Bei den Leistungsreaktoren haben sich relativ schnell einige Reaktortypen für die kommerzielle Anwendung herauskristallisiert. Es sind dies die wassergekühlten und wassermoderierten Reaktoren (water-cooled and water-moderated reactors) sowie die gasgekühlten, graphitmoderierten Reaktoren (gas-cooled, graphite-moderated reactors). Zu den wassergekühlten und wassermoderierten Reaktoren gehören die Schwerwasserreaktoren (SchWR) (Heavy Water Reactors, HWR) und die Leichtwasserreaktoren (LWR) (Light Water Reactors, LWR), die nach ihrem Funktionsprinzip in Siedewasserreaktoren (SWR) (Boiling Water Reacotrs, BWR) und Druckwasserreaktoren (DWR) (Pressurized Water Reactors, PWR) eingeteilt werden. Zu den gasgekühlten, graphitmoderierten Reaktoren gehören die C0 2 -gekühlten, graphitmoderierten Reaktoren (CGR) (C0 2 -cooled, graphitmoderated Reactors (CGR) oder Magnox-Reaktoren), die fortgeschrittenen gasgekühlten Reaktoren (FGR) (Advanced Gas Reactors, AGR) und die noch in der Entwicklung stehenden Hochtemperatur-Gasgekühlten-Reaktoren (HTGR oder kurz: HTR) (High Temperature Gas-cooled Reactors, HTGR). Eine weitere Reaktorbaulinie stellen die Schnellen Brutreaktoren (SBR) (Fast Breeder Reactors, FBR) dar, bei denen — im Gegensatz zu den thermischen Reaktoren — die Spaltreaktionen mit schnellen Neutronen durchgeführt werden. Das heißt, Schnelle Brutreaktoren erhalten keinen Moderator. In zahlreichen Staaten wird seit Jahren mit hohem Aufwand an der Entwicklung des Flüssigmetallgekühlten Schnellen Brutreaktors (Liquid Metal-cooled Fast Breeder Reactors, LMFBR) gearbeitet; seit einigen Jahren wird in den USA und in der Bundesrepublik Deutschland auch untersucht, einen gasgekühlten Schnellen Brutreaktor (Gas-cooled Fast Breeder Reactor, GFBR) zu entwickeln. Nahezu die gesamte derzeit und — soweit vorhersehbar — zukünftige in der Welt installierte Kraftwerksleistung basiert auf diesen Reaktortypen, insbesondere haben die LWR zunehmend eine dominierende Stellung erhalten (siehe Tabelle 4-1) (8-10). Es ist üblich, die Leistungsreaktoren nach dem verwendeten Primärkühlmittel ein-
193
4.2 Sekundärenergie aus nuklearen Energieträgern -α a 3
d
na
J3 :3
aä
Η X
Ο υ
I I
aä Ο υ
SO ^O ^O Ν Ρ^ ''
ai
ü tu
rn so so so vo
-C :3
S3 - TO TO D e. D t , 3 C
194
4.
Energieversorgungssysteme
zuteilen. (Bisweilen wird zur genaueren Spezifizierung noch der Moderator angegeben.) Das Primärkühlmittel bestimmt nicht nur den Aufbau des Primärkreises, sondern wirkt sich auch auf den Sekundärkreis — zum Beispiel auf die erzielbare Temperatur — aus. Das heißt, das verwendete Primärkühlmittel bestimmt weitgehend den Typ der Anlage, insbesondere auch die Wirtschaftlichkeit des Kernkraftwerkes. 4.212 Wassergekühlte und wassermoderierte Reaktoren 4.212.1 Schwerwasserreaktoren Von Anfang der Reaktorentwicklung an, wurde schweres Wasser als Kühlmittel und Moderator in Betracht gezogen. Schweres Wasser (D2o) unterscheidet sich von leichtem Wasser ( H 2 0 ) durch eine sehr viel geringere Neutronenabsorption und ein etwas schlechteres Bremsvermögen. ( D 2 0 ist beträchtlich teurer als H 2 0 (vgl. 3.362)). Die geringe Neutronenabsorption des D z O ermöglicht bei schwerwassermoderierten Reaktoren die Verwendung von natürlichem Uran als Brennstoff, an Stelle des bei H 2 0-Moderation (leichtwassermoderierten Reaktoren) erforderlichen angereicherten Urans (etwa 3 % 2|2U-Gehalt). Das heißt, eine Urananreicherung ist nicht erforderlich, was vorteilhaft ist. Andererseits wird aber zur Neutronenbremsung wesentlich mehr D 2 0 als H 2 0 benötigt. Schwerwassermoderierte Reaktoren sind daher bei gleicher Leistung stets wesentlich größer als leichtwassermoderierte Reaktoren. Da zur Kühlung weit weniger D 2 0 als zur Moderation benötigt wird, werden die einzelnen Brennstäbe nicht gleichmäßig über den Reaktor verteilt (wie zum Beispiel bei den LWR mit aneinander grenzenden Brennelementen), sondern die Brennstäbe werden — zu Bündeln (Stabbündelelemente) zusammengefaßt — in getrennten Kühlkanälen angeordnet, die von D 2 0 umgeben sind (Trennung von Moderator und Kühlmittel) (5). Diese funktionelle Trennung von Moderator D 2 0 und Kühlmittel bietet die Möglichkeit, neben D z O auch andere Kühlmittel, wie zum Beispiel C 0 2 , H 2 0-Dampf und organische Flüssigkeiten zu verwenden. (Die meisten D 2 0-moderierten Reaktoren sind auch D 2 0-gekühlt; das heißt, es sind schwerwassergekühlte und schwerwassermoderierte Reaktoren (Schwerwasserreaktoren), die mit natürlichem U 0 2 betrieben werden.) Weiter ist es möglich, die einzelnen Kühlkanäle als Druckröhren auszubilden (Druckröhrenreaktor oder pressure tube reactor) und somit auf einen Druckkessel zu verzichten. Der Schwerwasserreaktor (Heavy Water Reactor, HWR) ist insbesondere in Kanada und in geringem Maße in einigen anderen Ländern (zum Beispiel in der Bundesrepublik Deutschland und Großbritannien) zur kommerziellen Reife entwickelt worden (5,9). In Kanada wurde der Versuchsreaktor NPD (Nuclear Power Demonstration, Ontario) mit einer elektrischen Leistung von 22 M W im Jahre 1962 kritisch. Seitdem wurden folgende CANDU (Canadian Deuterium Uranium) Power Reactors in Betrieb genommen: Douglas Point, Ontario, 208 M W (1967); Pickering A, Ontario,
4 . 2 Sekundärenergie aus nuklearen Energieträgern
195
514 M W (1971); Gentilly 1, Quebec, 250 M W (1971); KANUPP (Karachi Nuclear Power Project), Pakistan, 125 M W (1971); RAPP 1 und 2 (Rajastan Atomic Power Project), Indien, jeweils 203 M W (1972); Bruce A, Ontario, 745 M W (1976); Gentilly 2, Quebec, 600 M W (1979). Weitere CANDU-Reaktoren sind in Bau oder in Planung. Beispiele sind: Point Lepreau, New Brunswick, 600 MW; Cordoba (Argentinien), 600 MW; Pickering B, Ontario, 514 MW; Wolsung 1 (Korea), 600 M W ; Bruce B, Ontario, 750 MW; Darlington, Ontario, 800 M W (5). In der Bundesrepublik Deutschland wurde die Entwicklungslinie des schwerwassergekühlten und schwerwassermoderierten Reaktors — in erster Linie für Exportzwecke — nur mit beschränkten Mitteln entwickelt. Da bei dieser Reaktorlinie — anders als bei den LWR — der Einsatz von Natururan möglich und somit kein angereichertes Uran erforderlich ist, das heißt, eine Isotopentrennanlage zur Versorgung mit Brennstoff nicht benötigt wird, ist eine größere Unabhängigkeit in der Brennstoffversorgung gegeben. Beispielsweise wurde das Kernkraftwerk ATUCHA, Argentinien, mit einem D 2 0-gekühlten und D 2 0-moderierten Reaktor, der 1974 in Betrieb genommen wurde, aus der Bundesrepublik Deutschland geliefert. In Großbritannien wurde der 100 MW-SGHWR (Steam Generating Heavy Water Reactor) im Jahre 1968 in Winfrith Dorset in Betrieb genommen. Aufgrund der guten Erfahrungen wurde beschlossen, weitere Reaktoren dieses Typs unter der Bezeichnung PTR (Pressure Tube Reactor) mit jeweils 660 M W zu bauen (10-12). Die PTR haben als Kühlmittel siedendes H 2 0 und als Moderator (außerhalb der Druckrohre) D 2 0 . (Wegen H 2 0-Kühlung wird angereichertes Uran - ca. 2,1% 2 ||U-Gehalt — benötigt. Unter diesem Aspekt entspricht der PTR mehr einem Siedewasserreaktor (SWR) als einem Schwerwasserreaktor (vgl. 4.212.2)). Bei den D 2 0-gekühlten und D 2 0-moderierten Reaktoren ist - wegen der guten Neutronenökonomie - die Konversionsrate höher als bei den LWR (vgl. 4.213.3), das heißt, Schwerwasserreaktoren produzieren mehr Plutonium als LWR. Schwerwasserreaktoren produzieren bei Verwendung von Natururan als Brennstoff (0,720% 2 | 2 U-Gehalt) 607 kg Plutonium 238 " 2 ^Pu(gesamt) - davon sind 450 kg spaltbares 2%1 Pu und ^ P u — je GWa elektrischer Energie bei einem Abbrand von 21GWd/t; LWR produzieren dagegen bei Verwendung von angereichertem Uran (ca. 3,2% 2 ||U-Gehalt) 285 kg Plutonium 2 3 8 " 2 ^Pu (gesamt) - davon sind 194 kg spaltbares ^ P u und 2 9iPu — je GWa elektrischer Energie bei einem Abbrand von 33 GWd/t (vgl. 5.83). Bezüglich der Kosten für den Brennstoffverbrauch gibt es zwischen Schwerwasserreaktoren und LWR keinen nennenswerten Unterschied, da den niedrigeren Kosten je kg Natururan bei Schwerwasserreaktoren eine geringere Energieproduktion je kg Uran entspricht. Die spezifischen Anlagekosten sind bei einem Schwerwasserreaktor — unter anderem wegen des D 2 0-Inventars und der kleineren Leistungsdichte — erheblich größer als bei einem LWR. In den USA und auf dem europäischen Festland haben sich die Schwerwasserreaktoren — unter anderem aus den oben erwähnten Gründen — bisher nicht durchsetzen
196
4. Energieversorgungssysteme
können. Schwerwasserreaktoren sind aber offensichtlich wegen ihrer Unabhängigkeit von Anreicherungsanlagen von grundsätzlicher Bedeutung. (Schwerwasserreaktoren gibt es — wie bereits erwähnt — in Indien, Pakistan, Argentinien; diese Länder sind aber bisher dem NV-Vertrag nicht beigetreten) (vgl. 5.83). 4.212.2 Leichtwasserreaktoren Von den 613 bis zum 1. 1. 1982 in der Welt in Betrieb, in Bau sowie in Auftrag gegebenen Kernkraftwerken war die überwiegende Anzahl vom Typ der Leichtwasserreaktoren (LWR) (Light Water Reactors, LWR) (siehe auch Tabelle 4-1). Tabelle 4-2 gibt die Kernkraftwerke der Welt wieder (13, 14). Die nukleare Kapazität in der Welt betrug am 1. 1. 1982 159200 M W elektrische Leistung; das sind rd. 8% der gesamten Stromerzeugungskapazität der Welt. Darüber hinaus werden den Prognosen der OECD/NEA, Paris, zufolge die LWR auf absehbare Zeit ihre dominierende Stellung behalten (siehe Tabelle 4-1). Der Erfolg der LWR gegenüber anderen Reaktortypen beruht in erster Linie auf ihrem relativ einfachen Aufbau und den relativ niedrigen Anlagekosten. Diese Vorteile resultieren im wesentlichen aus den günstigen neutronenphysikalischen und wärmetechnischen Eigenschaften des leichten Wassers H 2 0 . Außerdem geht die IAEA, Wien, davon aus, daß bis 1990 in mehreren Entwicklungsländern Kernkraftwerke — in erster Linie mit Leichtwasserreaktoren - gebaut werden (siehe auch Tabelle 4-1) (15-17). Leichtwasserreaktoren (leichtwassergekühlte und leichtwassermoderierte Reaktoren) (LWR) werden nach ihrem Funktionsprinzip in Druckwasserreaktoren (DWR) (Pressurized Water Reactors, PWR) und Siedewasserreaktoren (SWR) (Boiling Water Reactors, BWR) eingeteilt. Der Druckwasserreaktor (DWR) hat sich — im Vergleich zum Siedewasserreaktor (SWR) mehr und mehr durchgesetzt. LWR benötigen als Kernbrennstoff angereichertes Uran mit ca. 3 % 2 ||U-Gehalt. Abb. 4-3 zeigt den Aufbau eines Druckwasserreaktors (DWR) (18). Die im Reaktorkern durch Kernspaltungen freigesetzte Wärme wird mit Hilfe eines geschlossenen Reaktorkühlsystems (Primärkreislauf) in den Dampferzeugern an den Speisewasser-Dampfkreislauf (Sekundärkreislauf) übertragen. Durch die Trennung des Primärkreislaufs vom Sekundärkreislauf gelangen keine radioaktiven Stoffe aus dem Reaktor in den Speisewasser-Dampfkreislauf, was im Vergleich zum SWR (siehe weiter unten) von Vorteil ist. Der in den Dampferzeugern erzeugte Dampf treibt den Turbogenerator an. Die Hauptkühlmittelpumpe hält den Umlauf des Wassers im Primärkreislauf aufrecht. Ein an den Primärkreislauf angeschlossener Druckhalter hält einen so hohen Druck aufrecht (ca. 155 bar), daß das Wasser trotz der relativ hohen Austrittstemperatur aus dem Reaktor (ca. 590 K) nicht siedet. In den Dampferzeugern wird Sattdampf erzeugt (ca. 54 bar; ca. 543 K). (An einem Reaktor sind je nach Größe zwei bis acht Primärkreisläufe (Loops) mit einer entsprechenden Anzahl von Pumpen und Dampferzeugern angeschlossen.) Der Reaktorkern (Core) besteht aus einer größeren Anzahl Brennelementen, die
197
4 . 2 Sekundärenergie aus nuklearen Energieträgern Tabelle 4-2: Die Kernkraftwerke der Welt In Betrieb 2 ' Land » 1
In Bau 3 )
Bestellt 3 '
Insgesamt
An-
Elektr.
An-
Elektr.
An-
Elektr.
An-
Elektr.
zahl
Netto-
zahl
Netto-
zahl
Netto-
zahl
Netto-
leistung
leistung
leistung
leistung
in M W
in M W
in M W
in M W
1. USA 2 '
77
57885
76
83 7 9 5
25
28052
178
169702
2. UdSSR
35
15250
28
27260
31
32000
94
74510
3. Frankreich 2 »
30
21606
25
26901
10
12750
65
61257
4. B R Deutschland 2 »
15
9835
10
10700
5
6206
30
26741
5. J a p a n
25
16074
10
8343
-
35
24417
6. Kanada
11
5516
10
6358
5
3 800
26
15 674
7. Großbritannien 2 »
31
8060
10
6194
1
1200
42
15464
8. Spanien
4
1953
9161
3
3 077
9
6455
3 025
-
17 12
14191
9. Schweden 2 '
10 3
5
1760
3
1840
5
3 840
13
7440
10. D D R
-
-
9480
11. Korea
1
564
6
4934
2
1900
9
7398
12. Bulgarien
3
1260
2
1420
4
4000
9
6680
13. Tschechoslowakei
2
840
4
1680
7
3 520
13
6040
14. Belgien
4
1660
4
3 797
-
8
5497
15. Italien
4
1447
3
1999
2
1960
9
5406
16. Schweiz
4
1926
1
942
2
2065
7
4 933
17. Taiwan
3
2159
18. Brasilien
-
19. Finnland
4
20. Rep. Südafrika
-
2 1 . Indien
4
22. Rumänien
-
23. Argentinien
1
-
2160 -
784 -
319
-
3
2 765
-
-
6
4 924
3
3116
-
-
3
3116
-
-
4
2160
-
-
2
1844
-
-
2
1844
4
880
-
-
8
1664
1
600
2
1020
1
1620
1
600
1
692
3
1611
24. Ungarn
-
-
4
1588
-
-
4
1588
25. Mexiko
-
-
2
1308
-
-
2
1308
26. Luxemburg
-
-
-
27. Philippinen
-
-
1
28. Polen
-
-
-
29. Jugoslawien
1
30. Ägypten
-
3 1 . Niederlande
2
32. Kuba
-
33. Pakistan Gesamt
632 -
500 -
1
125
277
159200
1
1247
1
1247
1
620
2
1240
-
2
840
2
840
-
-
-
1
632
-
-
1
1
622
-
-
-
-
2
500
-
-
1
420
-
-
1
125
613
480281
1 -
226
-
620
420 -
2I1670
110
-
622
109411
" Die Reihenfolge orientiert sich an der elektr. Nettoleistung (insgesamt). Stand 1. 1. 1982. » In den Spalten „in Betrieb" und „ i n s g e s a m t " sind folgende inzwischen wieder endgültig abgeschaltete Kernkraftwerke nicht mehr berücksichtigt: Bundesrepublik Deutschland: K K N (100 MW), H D R (25 MW), K W L (252 MW), K R B (252 MW); Frankreich: Chinon-1 (70 MW), G-2 (40 MW); Großbritannien: PFR Dounreay (13 MW), A G R (28 M W ) ; Schweden: Agesta (12 M W ) ; USA: Peach Bottom-1 (40 MW). Außerdem sind die Länder Iran und Österreich wegen der ungeklärten Situation ihrer Kernkraftwerksvorhaben nicht mehr aufgeführt. 3 ) Ohne stornierte Anlagen. 2
Quelle: Atomwirtschaft - Atomtechnik, Bd. 2 7 , März 1982.
198
4. Energieversorgungssysteme
1 Reaktordruckbehälter 2 Dampferzeuger Brennelementbecken Lager für neue Brennelemente Lademaschine Personenschleuse 7 Sicherheitsbehälter 8 Speisewasserleitung Frischdampfleitung
Abb. 4-3: Kernkraftwerk mit Druckwasserreaktor (Reaktorgebäude) Quelle: H. H. Frewer, W. Mattik, Economic and Safety Advantages of Standardization, 10th World Energy Conference, Istanbul, September 1977.
ihrerseits aus einzelnen Brennstäben zusammengesetzt sind. Die gesamte Brennelementanordnung wird von einem Kernbehälter und dieser wiederum vom Reaktordruckbehälter umschlossen. Z u m Beispiel hat der Reaktorkern des Kernkraftwerks Biblis A, Bundesrepublik Deutschland (3517 M W thermische Leistung, 1150 M W elektrische Leistung (netto), Kraftwerkswirkungsgrad (netto) 32,7%) insgesamt 193 Brennelemente, die jeweils aus 236 Brennstäben bestehen (9,16). Ein Teil der Brennelemente enthält Regelstäbe, das heißt, Stäbe aus Stoffen mit besonders großem Absorptionsquerschnitt für Neutronen. Weitere Daten dieser Reaktoranlage sind: Urangewicht im Erstkern 102,7 t; Reaktordruckbehälter-Innendurchmesser 5000 mm und Reaktordruckbehälter-Gesamtgewicht 530 t; Anzahl der Hauptkühlkreise 4; Kühlmitteldurchsatz 7 2 0 0 0 t/h; Kühlmitteldruck am Reaktoraustritt 155 bar; mittlere Kühlmitteltemperatur am Reaktoraustritt 590 K. Die Brennstäbe enthalten als Brennstoff gesinterte Tabletten aus angereichertem U 0 2 mit etwa 3 % 2 ^f-Gehalt. (Natürliches Uran - es hat 0,720% 2 | | U - G e h a l t -
4 . 2 Sekundärenergie aus nuklearen Energieträgern
199
kann bei H 2 0-moderierten Reaktoren wegen der Neutronenabsorption des H 2 0 nicht verwendet werden.) Als Hüllrohrwerkstoff für die Brennstäbe werden — wegen der relativ geringen Neutronenabsorption — Zirkonium-Legierungen verwendet. Die in den Brennstäben erzeugte Wärme wird durch das in den Brennelementen — von unten nach oben — strömende Wasser abgeführt. Das Wasser hat zwei Funktionen: Es ist zum einen Kühlmittel, und zum anderen bremst es die bei der Kernspaltung entstehenden schnellen Neutronen auf thermische Geschwindigkeiten ab. (Zur Spaltung von
U werden thermische Neutronen benötigt.) Das heißt, das Wasser ist zu-
23925
gleich Kühlmittel und Moderator. Bei modernen D W R beträgt die spezifische Wärmeleistung 3 0 bis 4 0 k W je kg eingesetzten Urans und die mittlere thermische Leistungsdichte etwa 100 M W je m 3 Kernvolumen. Pro 1 0 0 0 M W thermischer Leistung werden somit rd. 3 0 t angereichertes Uran und ca. 10 m 3 Reaktorkern-Volumen benötigt. Der realisierbare mittlere Abbrand liegt bei rd. 33 0 0 0 M W d / t . Die mittlere Einsatzzeit der Brennelemente beträgt rd. 1 0 0 0 Vollasttage. (In der Praxis wird einmal pro Jahr ein Drittel des Brennstoffeinsatzes erneuert und die im Core verbleibenden Brennelemente umgesetzt, um eine gleichmäßige Leistungsdichteverteilung zu erzielen.) Die Reaktorleistung wird mit Hilfe von Neutronenabsorbern geregelt. Schnelle Reaktivitätsänderungen werden mit den bereits erwähnten Regelstäben geregelt; bei langsameren Reaktivitätsänderungen wird flüssige, in Wasser gelöste Borsäure verwendet, deren Konzentration mit Hilfssystemen in weiten Grenzen variiert werden kann. Alle unter Druck stehenden Komponenten des Primärkreislaufs befinden sich in einem zylindrischen oder kugelförmigen Reaktorgebäude, das als Sicherheitsbehälter (Containment) dient. Dieses Containment ist so ausgelegt, daß auch im Falle des Kühlmittelverluststörfalls (LOCA, Loss Off Coolant Accident), die Sicherheitseinrichtungen automatisch arbeiten, die Umgebung des Kernkraftwerkes also nicht gefährdet wird (19-21). (Im deutschen Sprachraum wurde dieser Störfall als „Größter Anzunehmender Unfall" (GAU) bezeichnet.) (Vgl. 5 . 8 4 2 ) . Das Regelkonzept moderner DWR-Kraftwerke erlaubt — in gewissen Grenzen — relativ schnelle Laständerungen. Zum Beispiel ist für das Kernkraftwerk Biblis A eine Laständerung von 1 3 0 M W pro Minute (für den Lastbereich zwischen 6 0 % und 1 0 0 % ) durchführbar, was einer Laständerungsgeschwindigkeit von 1 0 % pro Minute entspricht. Die zweite Baulinie unter den L W R ist der Siedewasserreaktor (SWR). Der D W R unterscheidet sich von dem S W R in erster Linie durch die Methode der Wärmeabfuhr aus dem Reaktor (22). Wie erwähnt, wird beim D W R die Wärme mit Hilfe eines geschlossenen Reaktorkühlkreissystems (Primärkreislauf) in den Dampferzeugern an den Speisewasser-Dampfkreislauf (Sekundärkreislauf) übertragen. Dagegen wird im S W R der im Reaktor erzeugte Dampf — ohne Zwischenschaltung von Dampferzeugern — direkt zur Turbine geleitet (Direktkreislauf). Der auf etwa 5 6 0 Κ erhitzte Dampf steht unter einem Druck von ca. 7 0 bar, das heißt, der Reaktorbe-
200
4.
Energieversorgungssysteme
triebsdruck ist beim SWR — bei etwa gleicher Betriebstemperatur — wesentlich niedriger als beim DWR. Beide Reaktor-Systeme haben gewisse Vor- und Nachteile. Einerseits ergibt sich durch die Methode der Wärmeabfuhr aus dem Reaktor beim SWR eine Vereinfachung des Kreislaufs: Die Dampferzeuger, der Druckhalter entfallen und die Pumpleistungen sind kleiner als beim DWR. Andererseits bringt der Direktkreislauf auch Mehraufwendungen mit sich, die damit zusammenhängen, daß hier - wenn zum Beispiel ein Brennelement einen Schaden erleidet — radioaktive Verunreinigungen in das Kühlmedium und somit in die Turbine gelangen können. Turbine und Kreisläufe müssen daher gegen Strahlung abgeschirmt sein und befinden sich deshalb innerhalb des Sicherheitsbehälters (Containment). (Das gesamte Kondensat muß in einer Aufarbeitungsanlage dekontaminiert werden.) Auch beim Reaktor selbst gibt es gewisse Unterschiede zwischen einem SWR und DWR. Der SWR hat eine niedrigere Leistungsdichte als der DWR, jedoch können im SWR Brennelemente mit größerem Durchmesser eingesetzt werden, deren Herstellung relativ billiger ist. Außerdem wird im Reaktordruckgefäß des SWR mehr Platz für Dampfabscheider benötigt, weshalb die Druckgefäße der SWR größer und teurer sind als die der DWR. LWR produzieren bei Verwendung von ca. 3 , 2 % 2||U 285 kg Plutonium " 9|Pu(gesamt) - davon sind 194 kg spaltbares "^Pu und 2%\ - je GWa elektrischer Energie bei einem Abbrand von 33 GW/t. Das anfallende Plutonium kann sowohl in schnellen Brutreaktoren (vgl. 4.214) als auch in LWR als Kernbrennstoff eingesetzt werden (Pu-Rezyclierung). Das heißt, es besteht grundsätzlich die Möglichkeit, Plutonium (nach der Wiederaufarbeitung) — etwa in Höhe der Eigenerzeugung—in bestehende LWR zurückzuführen (Uran-Plutonium-Brennstoffzyklus) (vgl. 5.822.1). Die kommerzielle Pu-Rückführung hat zum Beispiel im Kernkraftwerk Obrigheim (Bundesrepublik Deutschland) mit dem Brennelementwechsel 1973 begonnen. 238 2
Obwohl sich die LWR weltweit durchsetzen konnten, waren die mit ihnen erreichten Dampfzustände, die einen relativ niedrigen Wirkungsgrad bedingen, unbefriedigend. Aus diesem Grunde wurden Versuche unternommen, den zum Beispiel in einem SWR erzeugten Sattdampf noch einmal durch Brennelemente des gleichen Cores zu schicken und so auf ca. 820 Κ zu überhitzen. Wegen des vorhandenen Wassers liegt immer noch ein thermischer Reaktor vor; man spricht deshalb von einem thermischen Überhitzreaktor oder Heißdampfreaktor (Superheat Reactor). (Da Wasserdampf auf ca. 820 Κ überhitzt wird, handelt es sich hier um eine besondere Form der Gaskühlung) (vgl. 4.213). Zweifellos hat der Heißdampfreaktor wegen des höheren Wirkungsgrades Vorteile. Da aber Zircaloy bei diesen Temperaturen nicht mehr als Hüllwerkstoff der Brennelemente verwendet werden kann, werden die Brennelemente kompliziert und teuer. Deshalb haben sich die Heißdampfreaktoren bisher nicht durchsetzen können. Die Leichtwasserreaktoren (LWR), das heißt, die DWR und die SWR, bilden weltweit — wie bereits ausgeführt — derzeit und in absehbarer Zukunft die Basis für
4 . 2 Sekundärenergie aus nuklearen Energieträgern
201
die wirtschaftliche Nutzung der Kernenergie in Kernkraftwerken. Diese Wirtschaftlichkeit ist bei der Erzeugung von elektrischer Energie gegeben. Dabei hat sich unter den LWR der DWR mehr und mehr durchgesetzt. Leichtwasserreaktoren zeichnen sich im Vergleich zu anderen Reaktortypen (vgl. 4.212.1 und 4.213) durch hohe Leistungsdichte, einfachen Aufbau und niedrige Anlagekosten aus. Von Nachteil ist die relativ niedrige Betriebstemperatur und — daraus resultierend — der gegenüber konventionellen Kraftwerken niedrige Wirkungsgrad von etwa 33%, das heißt, nur etwa 33% der erzeugten Wärme werden in elektrische Energie umgewandelt. (Moderne Öl- und Kohlekraftwerke haben dagegen einen Wirkungsgrad von etwa 40%). 4.213 Gasgekühlte und graphitmoderierte Reaktoren 4.213.1 C0 2 -gekühlte und graphitmoderierte Reaktoren Graphit hat neutronenphysikalisch ähnliche Eigenschaften wie D 2 0 . Das heißt, Graphit hat ein vergleichbar geringes Neutronenabsorptionsvermögen und ein gutes Bremsvermögen für schnelle Neutronen. Graphitmoderierte Reaktoren können deshalb grundsätzlich mit natürlichem Uran betrieben werden. Sie benötigen aber ein größeres Moderator-Volumen als D 2 0-moderierte Reaktoren und haben daher — bei gleicher Leistung — ein größeres Kernvolumen als D 2 0-moderierte Reaktoren und ein erheblich größeres Kernvolumen als H 2 0-moderierte Reaktoren (8, 9). Die älteste — auch zahlreichste — Gruppe der gasgekühlten und graphitmoderierten Reaktoren (Gas-cooled and Graphit-moderated Reactors, GGR) ist die der C0 2 -gekühlten und graphitmoderierten Reaktoren (CGR). Als Brennstoff dient metallisches Natururan, und als Hüllwerkstoff der Brennelemente wird eine Magnesium-Aluminium-Legierung Magnox verwendet. Diese Reaktoren werden deshalb auch als Magnox-Reaktoren bezeichnet. (Zum Beispiel ist das 1956 in Calder Hall, Großbritannien, in Betrieb genommene Kernkraftwerk mit einem Magnox-Reaktor ausgestattet) (26). Wegen der relatv niedrigen maximal zulässigen Hüllrohrtemperatur von Magnox (ca. 720 K) und wegen des großen Moderatorvolumens ergeben sich für die mittlere Leistungsdichte im Core niedrige Werte von ca. 0,87 M W je m 3 Kernvolumen. Das heißt, dieser Wert ist rd. um den Faktor 100 kleiner als bei einem DWR. Die Anlagekosten sind daher relativ hoch. Der Kraftwerkswirkungsgrad (netto) ist wegen des hohen Eigenbedarfs (zum Beispiel für die Gebläseleistung) trotz der höheren Kühlmittelaustrittstemperatur - sie beträgt ca. 680 Κ - niedriger als bei den LWR. Da auch der Abbrand etwa um den Faktor 100 kleiner ist als bei einem DWR, können die relativ niedrigen Herstellungskosten der Brennelemente die übrigen Nachteile nicht ausgleichen. Von 1956 bis 1970 wurden ca. 30 Magnox-Reaktoren gebaut mit elektrischen Leistungen bis zu 590 MW; insgesamt sind rd. 5000 M W elektrische Leistung installiert. Die Anlagen stehen im wesentlichen in Großbritannien und in Frankreich. (In
202
4.
Energieversorgungssysteme
den französischen Reaktoren wird als Hüllmaterial der Brennelemente eine Magnesium-Zirkonium-Legierung verwendet.) Die Magnox-Reaktoren waren mit den in den USA entwickelten LWR wirtschaftlich nicht konkurrenzfähig. Magnox-Reaktoren werden nicht mehr gebaut, sie können aber als Vorläufer der Fortgeschrittenen gasgekühlten Reaktoren (FGR) (Advanced/Gas Reactors, AGR) und des Hochtemperatur-Gasgekühlten Reaktors (HTGR) (High Temperature Gas Reactor, HTGR) angesehen werden. 4.213.2 Fortgeschrittene gasgekühlte Reaktoren Die Fortgeschrittenen gasgekühlten Reaktoren (FGR) (Advanced Gas Reactors, AGR) stellen eine britische Weiterentwicklung des Magnox-Reaktors dar. Kühlmittel ( C 0 2 ) und Moderator (Graphit) wurden beibehalten. Zur Erhöhung der Leistungsdichte, der Kühlmittelaustrittstemperatur und des Abbrandes werden Stabbündel-Elemente mit angereichertem U 0 2 in Hüllrohren aus Chrom-Nickel-Stahl verwendet. Diese Hüllrohre ermöglichen zwar höhere Temperaturen, jedoch ist das Absorptionsvermögen von Chrom-Nickel-Stahl für thermische Neutronen größer als von Magnox, weshalb in den FGR angereichertes Uran mit etwa 1,5 bis 2 % 2 f 2 UGehalt verwendet werden muß (27, 28). C0 2 -gekühlte und graphitmoderierte Reaktoren haben — wie bereits ausgeführt — ein relativ großes Kernvolumen. Bei der Herstellung des Reaktordruckgefäßes aus Stahl stieß man bei FGR auf Schwierigkeiten. Erstmalig wurden hier Druckgefäße aus Spannbeton gebaut, die neben der Einschließung des Kühlmittels zugleich die Aufgabe haben, die radioaktive Strahlung abzuschirmen. Das englische Kraftwerk Dungeness B, das 1974 den Leistungsbetrieb aufnahm, ist mit zwei FGR zu je 1595 M W thermische Leistung ausgerüstet. Die gesamte elektrische Leistung beträgt 1200 M W , das Volumen des Reaktorkerns beträgt 390 m 3 . Die Brennstoffstäbe sind mit Tabletten aus U 0 2 (auf 1,5% 2||U-Gehalt) gefüllt. Der mittlere Druck des Kühlgases beträgt etwa 20 bar, die mittlere Leistungsdichte im Core 9,6 M W je m 3 Kernvolumen. Die Kühlmittelaustrittstemperatur beträgt etwa 920 K; dies ermöglicht einen Kraftwerkswirkungsgrad von 4 1 , 5 % (29). FGR wurden bisher nur in Großbritannien gebaut beziehungsweise in Auftrag gegeben. Nach Fertigstellung aller in Auftrag gegebenen Anlagen wird Großbritannien im wesentlichen über 5 Doppelanlagen mit 10 FGR verfügen (insgesamt 6234 M W elektrische Leistung). Es sind dies; Windscale 34 M W ; Dungeness Β zweimal 600 M W ; Hinkley Point Β zweimal 625 M W ; Hunterston Β zweimal 625 M W ; Hartlepool zweimal 625 M W ; Heysham zweimal 625 M W (11). Im Vergleich zu den LWR haben die FGR unter anderem folgende Nachteile: Der Abbrand ist bei einem FGR erheblich geringer, und die Leistungsdichte ist um den Faktor 3 0 kleiner. Deshalb haben die FGR - trotz guten Wirkungsgrades und erheblicher Verbesserungen gegenüber den Magnox-Reaktoren — mit den LWR wirtschaftlich nicht konkurrieren können.
4.2 Sekundärenergie aus nuklearen Energieträgern
203
4.213.3 Hochtemperatur-Reaktoren Unter Hochtemperatur-Gasgekühlte-Reaktoren (HTGR) oder kurz Hochtemperatur-Reaktoren (HTR) (High-Temperature Gas-cooled Reactors, HTGR) versteht man im allgemeinen Reaktoren mit Kühlmittelaustrittstemperaturen oberhalb 1000 K. Bei derartigen Temperaturen sind metallische Hiillrohre und C0 2 -Kühlung nicht mehr verwendbar. (Der Einsatz von C 0 2 als Kühlgas beschränkt die obere Temperatur auf ca. 920 K; von da ab setzt im Graphitmoderator eine Reduktion von C 0 2 zu CO ein.) Man ging deshalb zu Helium als Kühlmittel über. Einige Vorteile der He-Kühlung sind: reiner einphasiger Betrieb, das heißt, keine temperaturabhängigen Phasensprünge des Kühlmittels; geringe Neutronenabsorption des Heliums (He praktisch nicht radioaktiv); chemische Passivität des Heliums. Analysen des Energiemarktes, insbesondere in den Industrieländern, ergeben, daß der Bereitstellung von Wärme große Bedeutung zukommt (vgl. 2.331). Zur Erfüllung dieser Aufgabe ist der Hochtemperatur-Reaktor (HTR) besonders geeignet, da er Wärme hoher Temperatur (hochtemperaturige Prozeßwärme) liefert, was unter anderem bei der Erzeugung von elektrischer Energie einen relativ hohen Wirkungsgrad von ca. 4 0 % ermöglicht. Ein weiterer wichtiger Vorteil des HTR besteht darin, daß mit Hilfe dieser Reaktorlinie es möglich ist, die großen Thoriumvorräte zur Energieerzeugung zu nutzen und somit die Primärenergiebasis erheblich zu erweitern (vgl. 3.35). Das in der Natur vorkommende Thorium enthält — im Unterschied zum Uran — kein durch thermische Neutronen spaltbares Isotop. Durch Einfang von thermischen Neutronen wandelt sich aber " o T h in 2 | 2 U um, das - ähnlich wie 2 | 2 U - durch thermische Neutronen spaltbar ist. Den Aufbau von spaltbaren Kernen (zum Beispiel 2 | 2 U) aus einem durch (thermische) Neutronen nicht spaltbaren Brutstoff (zum Beispiel 29oTh) nennt man Brüten oder Konversion. Diese Umwandlung läuft wie folgt ab: 2
llTh
(η, γ) 2UTh
> 2%\Va. + e" + v e > 23932U + e" + v e Τ = 22,4 Min. Τ = 27,4d
(3)
Der durch Neutroneneinfang entstehende Zwischenkern 2 |oTh wandelt sich unter zweimaliger Elektronenemission e", die jeweils mit Antineutrinoemission v e verbunden ist, in 2 9 2 U um. (Die Zeiten über den Pfeilen sind die Halbwertzeiten der entsprechenden ß"-Zerfälle.) 2 | 2 U kommt wegen seiner relativ kleinen Halbwertzeit von 1,62 · 10 s a in der Natur nicht mehr vor; es ist aber für praktische Zwecke stabil und wegen seines hohen η-Wertes ein „wertvoller" Spaltstoff (siehe weiter unten). Da jeder Konversionsprozeß mit dem Einfang eines Neutrons beginnt, hängt die Ausbeute an neuem Kernbrennstoff unmittelbar von der Neutronenbilanz ab. Von den bei der Spaltung eines Kerns im Mittel frei werdenden η Neutronen wird ein Neutron zur Aufrechterhaltung der Kettenreaktion benötigt (η nennt man die Spalt-
204
4. Energieversorgungssysteme
neutronenausbeute). Ferner treten Neutronenverluste V durch Neutronenabsorption im Strukturmaterial und Kühlmittel auf beziehungsweise dadurch, daß Neutronen ohne Reaktion aus dem System entweichen. (Zum Beispiel beträgt V bei einem DWR etwa 0,55.) Deshalb steht also für die Konversion nur der Anteil Α = η- 1- V
(4)
für die Überführung von 2 |oTh in 2 giU zur Verfügung. Es wird definiert (bezogen auf die Volumen- und Zeiteinheit):
^ _ Anzahl der neu erzeugten Kerne Anzahl der verbrauchten Kerne Der Verbrauch der Kerne kann entweder durch Spaltung erfolgen oder durch reinen Neutroneneinfang. Ist A > 1, so wird pro verbrauchtem Kern mehr als ein spaltbarer Kern erzeugt, der Kernreaktor brütet (Brutreaktor oder Brüter), das heißt, hierzu muß η > 2 sein. Für η typische Werte sind: η = 2,23 ( 2 ||U; thermische Neutronen) oder η = 2,93 ( " ' P u ; schnelle Neutronen). Man bezeichnet Α = Β als die Brutrate (oder das Brutverhältnis). Ist 1 > A = C > 0, so wird pro verbrauchtem Kern weniger als ein spaltbarer Kern erzeugt. Man bezeichnet A = C als die Konversionsrate (Konverter Reaktor oder Konverter). Untersucht man η für verschiedene Kernbrennstoffe, so ergibt sich: Brüten ist mit | | U , " l U und thermischen Neutronen möglich (Thermische Brüter) oder mit 2 | | P u und schnellen Neutronen (Schneller Brüter); das heißt, mit einer Anordnung aus 2 92U als Spaltstoff und " o T h als Brutstoff bei thermischen Neutronen (Thermischer Brüter) oder mit einer Anordnung aus " i P u als Spaltstoff und 2 | | U als Brutstoff bei schnellen Neutronen (Schneller Brüter) (vgl. 4.214) (9). Die Schnellen Brüter ermöglichen prinzipiell höhere Brutraten als Thermische Brüter. Für Schnelle Brüter wurde A = 1,25 bis 1,40 berechnet und für Thermische Brüter A = 0,9 bis 1,1 (30, 31). Bei Leichtwasserreaktoren (LWR) beträgt die Konversionsrate etwa 0,5 bis 0,6, das heißt ein mit 2 | | U und 2 | | U angefahrener LWR erzeugt und verbrennt in zunehmendem Maße spaltbares Plutonium ("4PU und 2 ojPu). Beim Thorium-Hochtemperatur-Gasgekühlten-Reaktor (THTGR oder kurz THTR) beträgt die Konversionsrate etwa 0,6 bis 0,8, das heißt, ein mit " f U und 2 |oTh angefahrener THTR erzeugt und verbrennt in zunehmendem Maße 2%\U und es läßt sich damit eine günstigere Konversionsrate erzielen als bei einem mit 2 | | U und 2 | f U betriebenen LWR. ( 2 | | U kann das in der Natur vorkommende 2 | f U weitgehend ersetzen und somit den „Natururanbedarf" des HTR reduzieren.) Spezielle „Hochkonverter", die besonders auf die Erzielung hoher Konversionsraten hin ausgelegt sind, können Konversionsraten bis nahe zum Wert Eins erreichen. Beim Schnellen Brutreaktor (SBR) liegen die typi2
4 . 2 Sekundärenergie aus nuklearen Energieträgern
205
sehen Werte für die Brutraten bei 1,14 bis 1,28. Zum Beispiel ist beim französischen Prototyp-Kraftwerk Phenix (elektrische Leistung 250 MW) eine Brutrate von 1,16 beim Betrieb nachgewiesen worden. Der THTR benötigt wie der LWR thermische (langsame) Neutronen zur Aufrechterhaltung der Kettenreaktion. Die bei der Spaltung eines Urankerns frei werdenden schnellen Neutronen werden durch den Moderator Graphit abgebremst. Die im Core entstehende Wärme wird durch das Kühlgas Helium abgeführt. Da sowohl der innere Core-Aufbau als auch der Brennstoff aus keramischem Material bestehen, sind Betriebstemperaturen von rd. 1300 Κ realisierbar. (Selbst bei hypothetischen Störfällen garantiert die thermische Stabilität des Graphits bis zur Grenze von rd. 3700 Κ eine intakte Core-Struktur (32)). Bezüglich des Brennstoffinventars zeichnet sich der HTR durch hohe Flexibilität aus. Ein HTR kann mit folgenden Brennstoffvarianten betrieben werden: 1. Reiner Uran-Plutonium-Zyklus, das heißt, niedrig angereichertes Uran (< 10% "^U-Gehalt); 2. Uran-Thorium-Zyklus mit mittlerer Urananreicherung (ca. 20% 2 ||U-Gehalt); 3. Uran-Thorium-Zyklus mit hoher Urananreicherung (ca. 93% 2 g|U-Gehalt). Bei der 1. Brennstoffvariante, die — im Unterschied zu den Varianten 2 und 3 — alleine mit angereichertem Uran (8,53% "fU-Gehalt) arbeitet, beträgt die Konversionsrate 0,58 und der mittlere Abbrand 101,5 MWd/kg. Da aber mit Hilfe des THTR durch die Brennstoffvarianten 2 und 3 (Uran-Thorium-Zyklus) die großen Thoriumvorräte zur Energieerzeugung genutzt werden können und dies somit zu einer erheblichen Erweiterung der Primärenergiebasis führt, besteht an den Zyklen 2 und 3 besonderes Interesse. Bei der 2. Brennstoffvariante (mittlere Urananreicherung) sind folgende Werte typisch: 19,8% "fU-Gehalt, Konversionsrate 0,58 und mittlerer Abbrand 99,8 MWd/kg. Für die 3. Brennstoffvariante (hohe Urananreicherung) sind folgende Werte typisch 93 % "fU-Gehalt, Konversionsrate 0,74 und mittlerer Abbrand 69 MWd/kg. Vor dem Hintergrund der Diskussion über proliferationsresistente Zyklen sind die ersten beiden Brennstoffvarianten von besonderem Interesse, dies gilt besonders für die 2. Variante (vgl. 5.83). Wegen des relativ geringen Anteils des 2 | | U am Brennstoffeinsatz beträgt hier im THTR die Plutoniumproduktion — verglichen mit der 1. Brennstoffvarianten — nur etwa 23 %; verglichen mit einem LWR (gleiche Leistung vorausgesetzt) beträgt die Plutoniumproduktion der 2. Brennstoffvarianten sogar weniger als 10% (32). Bei Verwendung der 3. Brennstoffvarianten ist — wegen des geringen Anteils des 2 | | U am Brennstoffeinsatz — die Menge des erbrüteten Plutoniums in den abgebrannten Brennelementen „vernachlässigbar" klein; die Probleme dieser Varianten liegen in erster Linie beim hochangereicherten 2 yfU. Die mit den HTR-Versuchsanlagen Dragon (Großbritannien), Peach Bottom (USA), AVR-Jülich (BR Deutschland) gemachten Erfahrungen bilden die Grundlage für die weitere HTR-Entwicklung. In den Versuchsanlagen Dragon und Peach Bottom — diese Anlagen wurden inzwischen stillgelegt — sind Kühlwassertemperaturen von 1120 Κ über längere Betriebszeiten erreicht worden. Der AVR-Reaktor (16 M W
206
4. Energieversorgungssysteme
elektrische Leistung) ist seit 1967 in Betrieb. Seit 1974 wurde hier die Kühlgastemperatur von 1120 Κ auf 1220 Κ angehoben; der Betrieb der Anlage ist problemlos (33). Mit dem Bau der ersten HTR-Prototypanlage Fort St. Vrain (elektrische Leistung 330 MW) wurde 1968 in Colorado (USA) begonnen. Aufbauend auf den Erfahrungen des AVR-Reaktors wurde 1971 in Uentrop (Bundesrepublik Deutschland) mit dem Bau des Thorium-Hochtemperatur-Reaktors (THTR) (elektrische Leistung 300 MW) begonnen; mit der Fertigstellung ist Mitte der 80er Jahre zu rechnen (34). Abb. 4-4 zeigt den Aufbau eines THTR (35). Beim THTR besteht der Brennstoff aus Mischkristallpartikeln aus U 0 2 und T h 0 2 mit Durchmessern unter 0,8 mm. (Die Verwendung von Mischkarbid aus UC 2 und ThC 2 ist ebenfalls möglich.) Zur Riickhaltung der Spaltprodukte werden diese Partikel mit bis zu drei Pyrokohlenstoffschichten umgeben (coated particles). Anschließend werden sie in eine Graphitmatrix eingebettet und unter hohem Druck zu Brennstoffkörnern von 50 mm Durchmesser gepreßt; schließlich werden diese noch mit einer einige Millimeter dicken brennstoffreien Graphithülle umgeben. (Graphit dient als Moderator.) Das Endprodukt ist eine Brennstoffkugel (Brennelement) mit einem Durchmesser von ca. 60 mm. Das hochangereicherte Uran enthält zunächst 93% 2 , 2 U als Spaltstoff. Durch Einfang von thermischen Neutronen wandelt sich " o T h in 2 | | U um, welches mit zunehmendem Abbrand die Funktion des Spaltstoffs übernimmt. Jede Brennstoffkugel enthält 190 g Kohlenstoff; 0,96 g 2 | | U (in 1,03 g U) und 9,62 g 2 ^ T h (9). Das Core besteht aus einer Kugelschüttung von rd. 675000 Brennelementkugeln. (Die Brennelementkugeln befinden sich in einem Graphitgefäß von 5,6 m Durchmesser und ca. 6 m Höhe.) Die mittlere Leistungsdichte im Core beträgt ca. 6 M W je m 3 Kernvolumen. Im Vergleich zum Druckwasserreaktor (DWR) beträgt die Leistungsdichte des THTR ca. 6% und im Vergleich zum flüssigmetallgekühlten Schnellen Brutreaktor nur ca. 2 % . Dies bedeutet, daß einerseits die Kühlung relativ einfach ist, daß aber andererseits ein relativ großes Volumen vom Reaktordruckbehälter eingeschlossen werden muß. Der THTR hat im Unterschied zu den LWR beziehungsweise flüssigmetallgekühlten schnellen Brutreaktoren kein flüssiges Kühlmittel, sondern — wie bereits ausgeführt — gasförmiges Helium (Betriebsdruck ca. 40 bar). Die Abwärme wird beim THTR erstmalig über einen Trockenkühlturm abgeführt. Durch die Trockenkühlung ergeben sich - im Vergleich zu den LWR - Vorteile bezüglich der Standortwahl (höhere Flexibilität) und der Umweltbelastung. Dabei fällt die Abwärme auf relativ hohem Temperaturniveau an und kann — unter Inkaufnahme eines geringfügig niedrigeren Wirkungsgrades bei der Erzeugung von elektrischer Energie — zur Versorgung mit Fernwärme ausgekoppelt werden. Ein für HTR- Anlagen typisches technisches Merkmal ist der Spannbetonbehälter. Wegen des relativ großen Kernvolumens konnte das Reaktordruckgefäß nicht mehr — wie bei den LWR — aus Stahl angefertigt werden. Für die beiden Prototypen Fort St. Vrain und THTR-Uentrop wurde daher ein Spannbetonbehälter als Druckgefäß gewählt.
207
4.2 Sekundärenergie aus nuklearen Energieträgern
Sekundäre
Regelstäbe
Prozeßgas-
Dampferzeuger-
Abb. 4-4: Komponenten eines Hochtemperatur-Reaktors (THTR) Quelle: GHT-Gesellschaft für Hochtemperatur-Reaktor-Technik, Köln 1981.
Beide Baulinien (Fort St. Vrain und THTR-Uentrop) enthalten Uran als Spaltmaterial und Thorium als Brutmaterial, Graphit als Moderator und Reflektor sowie Helium als Kühlmittel. Die beiden Entwicklungslinien unterscheiden sich im wesentlichen nur durch die Art des Brennelements. Der THTR-Uentrop enthält den Brenn-
208
4.
Energieversorgungssysteme
stoff - wie ausgeführt - in Form von Graphitkugeln, das heißt, die Brennelemente sind kugelförmig. Die Anlage Fort St. Vrain enthält dagegen den Brennstoff in Form von prismatischen Graphitblöcken. Die prismatischen Brennelemente aus Graphit mit hexagonalem Querschnitt haben vertikale Bohrungen für den Kühlgasstrom. Der Brennstoff aus Mischkarbid von UC 2 und ThC 2 (coated particles) befindet sich in separaten Bohrungen. Das Core Fort St. Vrain enthält 247 je 4,7 m hohe Brennelementsäulen, von denen jede 108 Kühlkanäle enthält. Die Verwendung von Brennelementkugeln (THTR-System) gestattet eine kontinuierliche Be- und Entladung des Reaktors während des Betriebes, so daß keine Abschaltung des Reaktros zum Brennelementwechsel vorgenommen werden muß. Zwei Beschickungsvarianten, das MEDUL- und das OTTO-Konzept, stehen zur Wahl (36). Im Falle des MEDUL-Konzepts (Mehrfach Durchlauf) werden dem Reaktor während des Betriebes kontinuierlich Brennelemente entzogen und auf den Abbrand (und Beschädigung) hin untersucht. Schadfreie Kugeln, die den maximalen Abbrand (rd. 100 MWd/kg) noch nicht erreicht haben, werden an unterschiedliche Positionen der Core-Oberfläche pneumatisch zurückgefördert. (In der Regel erreichen die Brennelementkugeln nach drei bis sechs Durchläufen den maximalen Abbrand). Dadurch kann unter anderem die Leistungsverteilung innerhalb des Cores gesteuert werden. Beim OTTO-Konzept (Once Through Then Out) werden die Brennelementkugeln — ohne Abbrandmessung — ebenfalls kontinuierlich abgezogen und durch frische Kugeln ersetzt. Die Durchlaufgeschwindigkeit der Kugeln ist so abgestimmt, daß sie beim Verlassen des Cores im wesentlichen ihren maximalen Abbrand erreicht haben. Langjährige erfolgreiche Tests der Kugeln in der AVR-Anlage Jülich haben gezeigt, daß die Kugeln mechanisch sehr stabil sind, so daß im THTR-Uentrop eine OTTO-Beschickung vorgesehen ist. Zur Zeit werden drei HTR-Anlagenvarianten untersucht. Die HTR-Zweikreisanlage, die HTR-Einkreisanlage und die HTR-Prozeßwärmeanlage (37). Die HTRZweikreisanlage wird bereits in den beiden Prototypanlagen Fort St. Vrain und THTR-Uentrop verwirklicht. Diese Kraftwerksanlagen bestehen aus einem Zweikreissystem, das heißt, das erhitzte Helium des Primärkreises gibt im Wärmetauscher seine Wärmeenergie an den sekundärseitigen Wasser-Dampf-Kreis ab, der einer konventionellen Dampfanlage entspricht. Es liegt also eine Trennung von Primärund Sekundärkreis vor wie zum Beispiel beim Druckwasserreaktor (DWR) (vgl. 4.212.2). Der HTR hat ein hohes Entwicklungspotential, da man daran denkt, den Wärmetauscher zu umgehen und das heiße Helium direkt auf eine Helium-Gasturbine zu leiten (HTR-Einkreisanlage). Erst wenn dieser Schritt technisch realisiert ist, hat der HTR die optimale Wirtschaftlichkeit erreicht. Wie bereits erwähnt, sind Betriebstemperaturen von rd. 1300 Κ realisierbar, da sowohl der innere Core-Aufbau als auch der Brennstoff aus keramischem Material besteht. Die Prozeßtemperaturen bei Dampfkraftprozessen sind aus metallurgischen (und wirtschaftlichen) Gründen auf rd. 815 Κ begrenzt, so daß sich höhere Gasaustrittstemperaturen oberhalb 970 Κ
4.2 Sekundärenergie aus nuklearen Energieträgern
209
nicht auf den Dampfkreislauf und somit auf den Wirkungsgrad auswirken. Bei einer HTR-Einkreisanlage mit Gasturbine kann dagegen durch die Anhebung des Temperaturniveaus der Wirkungsgrad der Erzeugung elektrischer Energie verbessert werden, da hier die metallurgischen Grenztemperaturen höher liegen, das heißt, es ist sogar ein Wirkungsgrad von etwas über 4 0 % möglich. Deshalb werden bei der Einkreisanlage die bereits genannten für den H T R spezifischen Vorteile besonders deutlich. Es sind dies die Möglichkeit der Trockenkühlung (vgl. 5.2) und der Wärmeauskopplung (Wärme bis zu Temperaturen von 440 K) zur Fernwärmeversorgung (vgl. 4.62). Dazu kommt noch die einfachere Prozeßführung und die dadurch kompaktere Bauweise. (Während bei der HTR-Zweikreisanlage nur die Dampferzeuger im Spannbetonbehälter untergebracht sind, ist bei der HTR-Einkreisanlage auch die Gasturbine in den Spannbetonbehälter integriert.) Neben der Erzeugung von elektrischer Energie beruht die besondere Eignung des H T R wegen der hohen Temperatur des Kühlmittels Helium, in der Bereitstellung von Wärme hoher Temperatur (Prozeßwärme). Die im AVR-Jülich erfolgreich demonstrierte Anhebung der Gasaustrittstemperatur auf 1220 Κ ermöglicht unter anderem den Einsatz der Wärme für folgende Prozesse (Bereitstellung von Sekundärenergieträgern): die Verdelung von Erdöl (zum Beispiel thermisches Cracken von Schwerölen) (vgl. 4.63); Veredelung von Kohle (zum Beispiel Kohlevergasung) (vgl. 4.642); die Methanolerzeugung (vgl. 4.643.1); die nukleare Fernenergie (vgl. 4.65); die nukleare Wasserspaltung (vgl. 4.661). (Für zahlreiche Prozesse ist Wärme hoher Temperatur im Bereich von 1000 Κ bis 1200 Κ notwendig.) Auf die Möglichkeit der Wärmeauskopplung zur Fernwärmeversorgung wurde bereits hingewiesen (vgl. 4.62). Hierdurch dürfte es insbesondere möglich sein, in vielen Bereichen Ölprodukte und Naturgas durch aus Kohle erzeugte Sekundärenergieträger zu substituieren. Zukünftige Einsatzmöglichkeiten hochtemperaturiger Prozeßwärme bestehen außerdem in der Direktreduktion von Eisenerz. Darüber hinaus wird in vielen industriellen Prozessen Wärme in einer Form gebraucht, für die Dampf ein idealer Wärmeträger ist, so zum Beispiel in der chemischen Industrie und in der Papierindustrie. Über Umwelteinflüsse und Sicherheitsprobleme sowie Fragen der Entsorgung (Wiederaufarbeitung, vgl. 5.822.2) von HTR-Anlagen gibt es - verglichen mit den kommerziell eingeführten LWR — weniger Erfahrungen (38). Der hohe Wirkungsgrad bei der Erzeugung von elektrischer Energie sowie die Möglichkeit der Wärmeauskopplung haben zweifellos eine relativ geringe Wärmebelastung der Umwelt zur Folge. Die sicherheitstechnischen Vorteile des H T R resultieren aus der niedrigen Leistungsdichte und der großen Wärmekapazität des im Core verwendeten Graphits, der hochtemperaturbeständigen Umhüllung der Brennelemente, dem chemisch passiven Kühlmittel und dem berstsicheren Spannbetonbehälter. Dies hat zur Folge, daß HTR-Anlagen inhärent sicher gebaut werden können. Außerdem ist der H T R vor dem Hintergrund der Diskussion über proliferationsresistente Brennstoffzyklen von internationalem Interesse (vgl. 5.83). Zweifellos hat der H T R aufgrund der erreichten und der absehbaren Entwicklung
4.
210
Energieversorgungssysteme
gute Aussichten, als Reaktor der 2. Generation kommerziell eingeführt zu werden, zumal der Kernenergie dadurch nicht nur der Einsatz zur Stromerzeugung, sondern auch der Einsatz auf dem Wärmemarkt eröffnet werden würde, auf den der größte Anteil des Endenergiebedarfs entfällt. 4.214 Flüssigmetallgekühlte Schnelle Brutreaktoren Ziel der Entwicklung Schneller Brutreaktoren (SBR) (Liquid-Metal-cooled Fast Breeder Reactor, LMFBR oder kurz: Fast Breeder Reactor, FBR) ist es, den Primärenergieträger Uran wesentlich besser zu nutzen als es in thermischen Reaktoren möglich ist. Man ist dabei bestrebt, Reaktoren zu entwickeln, die einerseits kommerziell nutzbare Energie liefern und andererseits mehr spaltbares Material erzeugen, als in dem betreffenden Reaktor verbraucht wird, das heißt, spaltbares Material erbrüten. (SBR bezeichnet man — wie die HTR — als Reaktoren der 2. Generation.) Dabei ist von Bedeutung, wieviel von dem eingesetzten (praktisch nicht spaltbaren) in spaltbares Plutonium ^ P u umgewandelt werden kann. Durch Absorption der bei der Kernspaltung entstehenden schnellen Neutronen entsteht aus " f U das 2||Pu wie folgt: 2
92Ö (η, γ) 2%lU
> 2l%Np + e" + ve > 2 ^ P u + e" + v e Τ = 23,5 Min. Τ = 2,34d
(6)
Der durch Neutroneneinfang entstehende Zwischenkern 2 |fU wandelt sich unter zweimaliger Elektronenemission e~, die jeweils mit Antinentrinomission ve verbunden ist, in 29®Pu um. (Die Zeiten über den Pfeilen sind die Halbwertszeiten der entsprechenden ß"-Zerfälle) (32). Wie bereits in 4.213.3 ausgeführt, nennt man den Aufbau von spaltbaren Kernen (zum Beispiel 294Pu) aus einem durch Neutronen nicht spaltbaren Brutstoff (zum Beispiel 2 |fU) Brüten oder Konversion. Dieser Prozeß der Kernumwandlung läuft in jedem Reaktor ab, der Uran als Brennstoff verwendet also auch in einem LWR. Gleichzeitig werden aber durch Kernspaltung Spaltstoffkerne ^ U verbraucht. Wie bereits ausgeführt, ist 1 > A = C > 0 die Konversionsrate. Bei LWR beträgt die Konversionsrate etwa 0,5 bis 0,6; das heißt, pro verbrauchten Kern wird weniger als ein spaltbarer Kern erzeugt. Durch Übergang von " f U auf " ^ P u (Spaltstoff) und von thermischen (langsamen) auf schnelle Neutronen, kann dieser Konversionsprozeß bei 2 |fU (Brutstoff) entscheidend verbessert werden. Dies wird im SBR erreicht. Dann wird A > 1, und es wird pro verbrauchten Kern mehr als ein spaltbarer Kern erzeugt. Der Kernreaktor brütet (Brutreaktor oder Brüter); Α nennt man die Brutrate. Damit A > 1 wird, muß die Spaltneutronenausbeute η > 2 sein (vgl. 4.213.3). Bei Neutronenenergien E n > 50 keV (schnelle Neutronen) ist η groß genug, um mehr Spaltstoff zu erbrüten, als beim Ablauf der Kettenreaktion verbraucht wird: Dann kann im Mittel ein Neu-
4 . 2 Sekundärenergie aus nuklearen Energieträgern
211
tron zur Aufrechterhaltung der Kettenreaktion verwendet werden, ein zweites Neutron zur Erzeugung eines neuen "'Pu-Kernes als Ersatz für den durch Spaltung zerstörten "'Pu-Kern; mit dem Überschuß (η - 2) können Neutronenverluste gedeckt und zusätzlich "iPu-Kerne erbrütet werden. Bei 2||Pu liegen die für η typischen Werte im Bereich η = 2,5 (bei E n = 50 keV) und η = 2,9 (bei E n = 10 3 keV). Für SBR wurde A = 1,25 bis 1,40 berechnet (30,31). Erreichbare typische Werte liegen bei 1,14 bis 1,28. Zum Beispiel ist beim französischen Prototyp-Kraftwerk Phenix (elektrische Leistung 250 MW) eine Brutrate von 1,16 beim Betrieb realisiert worden. Beim Betrieb des SBR wird also — durch den Brutprozeß — mehr neuer Spaltstoff in Form von "|Pu aus dem Brutstoff " f U produziert („erbrütet"), als der Reaktor durch Spaltprozesse selbst verbraucht. Das heißt, Brutreaktoren können den eigenen Brennstoff und den für weitere Kernreaktoren erzeugen. Darin besteht der grundsätzliche Vorteil des Schnellen Brutreaktors im Vergleich zu den thermischen Reaktoren (39). Für das Brutverhalten eines Brüters ist — neben der Brutrate — die Verdopplungszeit eine wichtige Kenngröße. Die Verdopplungszeit ist die Zeitdauer, in der sich der Spaltstoffeinsatz pro GW verdoppelt. (Der Spaltstoffüberschuß ergibt sich als Differenz aus Spaltstoffproduktion und Spaltstoffverbrauch.) Es läßt sich zeigen, daß die Verdopplungszeit umgekehrt proportional ist zu (A— 1) und der spezifischen Spaltstoffleistung (thermische Leistung pro Gramm Spaltstoff). Zum Beispiel ergibt sich bei A = 1,3 und einer spezifischen Spaltstoffleistung von 550 MW/t eine Verdopplungszeit von rd. 17 Jahren (9). In einem Reaktor, der Uran als Brennstoff verwendet, entsteht durch den Konversionsprozeß nicht nur reines 294Pu, sondern ein Isotopengemisch. Zum Beispiel hat in einem LWR das Isotopengemisch im wesentlichen folgende Zusammensetzung: 5 5 - 6 0 % 2%lPu, 2 0 - 2 5 % 2 ^ P u , 1 0 - 1 5 % 2 ^ P u und 5 - 1 0 % 2 £fPu. (Von Pu sind derzeit 15 Isotope mit den Massenzahlen 232 bis 246 bekannt.) Durch Neutronenabsorption entsteht aus 2||Pu zum Teil 29°Pu, das - ähnlich wie 2 |fU - durch thermische Neutronen nicht spaltbar ist. Dieses ist wiederum als Brutstoff zu betrachten, da es durch Absorption eines weiteren Neutrons in 29|Pu übergeht, das wieder ebenso leicht spaltbar ist wie " i P u . Aber auch ein Teil des 29
USA
2) 3>
2560
2560
1958
2400
in Bau 1 9 7 8 2 )
2300
2300
1955
1816
2270
1969
2250
U.C.
-
-
700
2100
1975
-
2100
in Bau
-
2100
in Bau
1024 -
2069
1956
2000
in Bau
1950
1961
-
1890
in Bau 1 9 7 8 2 )
-
1880
in Bau 1 9 8 0 2 )
1872
1973
1950
1872
Die Namen wurden in englischer Sprache (wie in der Quelle angegeben) übernommen. Dieses Jahr gibt die voraussichtliche Inbetriebnahme an. P.S. = Pumpspeicher-Kraftwerk.
Quelle: T. W. Mermel, Contributions of Dams to the Solution of Energy Problems, 10th World Energy Conference, Istanbul, September 1977.
260
4. Energieversorgungssysteme
ren abhängt. Aufgrund der veränderten Situation in den letzten Jahren auf dem Weltenergiemarkt zeigt aber das wirtschaftlich ausbauwürdige Wasserkraftpotential in vielen Ländern steigende Tendenz. Denn ein wesentlicher Vorteil der Wasserkraftwerke im Vergleich zu thermischen Kraftwerken liegt in der viel besseren Ausnutzung der Primärenergie, der potentiellen Energie des Wassers. (Der Gesamtwirkungsgrad von Laufwasserkraftwerken beträgt 80% — 90%.) Bei einem Vergleich der Gestehungskosten von mit Wasserkraftwerken gewonnener Energie mit der z.B. in thermischen Kraftwerken gewonnenen darf nicht nur von den jeweiligen Investitionskosten je kW elektrischer Leistung ausgegangen werden, sondern es müssen noch andere Bewertungskriterien berücksichtigt werden. So veralten beispielsweise Wasserkraftwerke im Vergleich zu anderen weniger schnell, und die Betriebskosten sind außerdem niedriger. Obwohl (zum Beispiel in der Bundesrepublik Deutschland) die Investitionskosten eines Pumpspeicherwerks bei 600 bis 700 D M / k W und bei einem Gasturbinenkraftwerk nur bei 350 D M / k W liegen, sind die Gestehungskosten je kW durchaus vergleichbar. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Pumpspeicherwerke zu einer rationelleren Auslastung von großen thermischen Anlagen (insbesondere von Kernkraftwerken) beitragen und daß wegen der geringen Umweltbelastung bei Wasserkraftwerken die diesbezüglichen Aufwendungen im Vergleich zu anderen Kraftwerken außerordentlich niedrig sind (136). Der Anteil der Wasserkraft am Primärenergieverbrauch in der Welt betrug 1981 rd. 5%, in der Welt ohne Ostblock 8%. (In einzelnen Ländern ist der Anteil aber höher (137)). An dieser Größenordnung wird sich den Prognosen zufolge bis zum Jahre 2000 im wesentlichen nichts ändern (siehe Tabelle 2-2, Abb. 2-3). Dagegen betrug der Anteil der Wasserkraft an der Stromerzeugung in der Welt im Jahre 1979 rd. 23% (siehe auch Tabelle 4-4) (138). Prognosen zufolge soll dieser Anteil bis 2020 auf 16% zurückgehen (114). In den industrialisierten Ländern wird das hydraulische Potential bereits weitgehend genutzt. Deshalb beschränkt sich die mögliche Erweiterung der Nutzbarmachung der Wasserkraft im wesentlichen auf Teile Asiens, Afrikas und Lateinamerikas. Tabelle 4-5 zeigt die größten Wasserkraftwerke der Welt (135). Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß auch die Nutzung des Schmelzwassers von Gletschern zur elektrischen Energieerzeugung denkbar ist. Voraussetzungen dafür sind in Grönland und der Antarktis grundsätzlich gegeben. Konkrete Angaben über eine etwaige Nutzbarmachung dieser Energiequelle sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht möglich. 4.322 Wellenenergie Die für eine Energieumwandlung in Frage kommenden Meereswellen entstehen durch Einwirkung von Windkräften auf die Wasseroberfläche. Die in einer Welle vorhandene Energie kann theoretisch ermittelt werden, indem man die potentielle Energie berechnet, die bei der Orbitalbewegung von der Höhe des Wellenberges
261
4.3 Sekundärenergie aus Sonnenenergie
hinab in das Wellental frei wird. Ozeanwellen können bei starken Stürmen zwischen Wellenberg und Wellental eine Höhe von etwa 34 m haben und eine Wellenperiode von 16,5 s. Die mittlere Leistung von Ozeanwellen beträgt rd. 77 kW/m Wellenfrontbreite (139-141). Für die deutsche Nordseeküste sind folgende Werte typisch: Mittlere Wellenhöhe 1,52 m, mittlere Wellenperiode 6,42 s, mittlere Leistung 14,4 kW/m. Damit ergeben sich für eine Wellenfront von 250 km eine Leistung von 3,6 GW und ein Energiepotential von 64 TWh/a (142). Nach Angaben des Marine Science and Technology Center, Japan, soll das Wellenenergieangebot an japanischen Küsten sogar zwischen 17 kW/m und 100 kW/m während 3000 Stunden im Jahr betragen. Wellenenergiewandler, die eine elektrsiche Leistung von 70 bis 500 W zur Verfügung stellen, werden heute z. T. zur dezentralen Stromversorgung von Bojen, Leuchttürmen usw. eingesetzt. Das Problem bei der großtechnischen Nutzbarmachung der Wellenenergie besteht darin, einen Mechanismus zur Umwandlung der verteilten, wechselnden Wellenkräfte in konzentrierte, direkt wirkende Kräfte zu entwickeln,
1 2
6
Abb. 4-17:
Wellenenergiewandler 1 = Wellenlaufrichtung; 2 = Wasseroberfläche; 3 = Drehbares Außenteil; 4 = Hochdruckkammer; 5 = Innenzylinder; 6 = Tragstruktur.
Quelle: J. Fricke, W. L. Borst, Energie aus dem Meer, Physik in unserer Zeit, Bd. 10, Nr. 3, 1979.
262
4. Energieversorgungssysteme
der sowohl bei niedrigen als auch bei großen Wellenhöhen zuverlässig arbeitet. Zur Problemlösung gibt es bisher zwei Vorschläge: Schaufelrad- und Druckschlauchkraftwerke in Küstennähe (143, 144). Beim Schaufelradkraftwerk, das als Halbtaucher geplant ist, wird die kinetische Energie der Orbitalbewegung der Wellen genutzt. Die Umwandlungswirkungsgrade sollen bei bis zu 70% liegen, und Leistungen von kW bis M W sollen erreichbar sein. Abb. 4-17 zeigt einen Wellenenergiewandler zur Ausnutzung der Orbitalbewegung von Wellen (Schaufelrad) (143). Beim Druckschlauchkraftwerk werden die Druckschwankungen unterhalb der Wasseroberfläche an ein Arbeitsmedium übertragen, das einen Turbogenerator betreibt. Die erzielbaren Leistungen sollten ebenfalls im MW-Bereich liegen. Durch Parallel- und Hintereinanderschaltung solcher Kraftwerkseinheiten könnten — ähnlich wie bei der eventuellen großtechnischen Nutzung der Windenergie — Systeme mit höheren Leistungen geschaffen werden. Grundsätzlich wäre es möglich, Wellenenergiewandler auf dem Ozean zu betreiben. Das Problem der Energiespeicherung könnte beispielsweise durch elektrolytisch erzeugten Wasserstoff gelöst werden. Derartige Kraftwerke dürften im wesentlichen keine Umweltprobleme mit sich bringen. Dagegen könnte das Betreiben von Wellenkraftwerken in Küstennähe das biologische Gleichgewicht lokal negativ beeinflussen. Durch Verringerung der Orbitalbewegung könnten nämlich Austauschvorgänge wie Sauerstoff- und Planktontransport zwischen Oberfläche und tieferen Wasserschichten behindert werden. Aussagen über Stromgestehungskosten bei eventuell großtechnischer Wellenenergienutzung sind derzeit noch nicht möglich. 4.323 Meereswärme, Meeresströmungen Der größte Teil der auf die Erde eingestrahlten Sonnenenergie wird in den Weltmeeren überwiegend oberflächennah gespeichert. Es gibt Schätzungen, denen zufolge die in den tropischen Ozeanen gespeicherte Energie ausreichen würde, im Jahre 2000 rd. 6 Mrd. Menschen mit dem Energieverbrauch/Kopf der USA von 1970 zu versorgen (145). Das Hauptproblem bei der Nutzbarmachung dieser gespeicherten Energie ist der geringe (vertikale) Temperaturunterschied von 20 bis 30 K, der nur einen niedrigen Wirkungsgrad zulassen würde. Beispielsweise hat ein Meereswärmekraftwerk, das zwischen Temperaturen von 300 Κ und 280 Κ arbeitet, einen Carnot-Wirkungsgrad von etwa 7%. Nach Berücksichtigung aller Verlsute ließe sich ein effektiver Wirkungsgrad von etwa 3% realisieren (Ocean Thermal Energy Conversion, OTEC) (116). Außerdem müßten große Mengen Meerwasser durch die Wärmetauscher eines solchen Systems geschleust werden. In den USA gibt es Vorschläge (Offshore Technology Conference, Houston 1975), mit Hilfe von schwimmenden Kraftwerken ( 1 0 0 - 1 0 0 0 MW) das vertikale Temperaturgefälle des Meeres in elektrische Energie umzuwandeln (siehe Abb. 4-18) (144-147). Danach sollen in einem etwa 120 m hohen Plattformkörper von ca. 100 m Durchmesser Verdampfer, Kondensatoren, Turbinen, Generatoren und andere
4.3 Sekundärenergie aus Sonnenenergie
263
Quelle: Project Interdependence: US and World Energy Outlook through 1990. Α Report printed by the Congressional Research Service, U.S. Government Printing Office, Washington D.C., November 1977.
Teile der Kraftwerksanlage installiert werden. Vom Zentrum aus ragt ein Kaltwasser-Ansaugrohr mit 15 m Durchmesser aus glasfaserverstärktem Kunststoff einige hundert Meter in die Tiefe und fördert Wasser von ca. 275 Κ in die Anlage. Warmes Oberflächenwasser verdampft das zum Betrieb der Turbinen verwendete Ammoniak. Das Gas verflüssigt sich im geschlossenen Kreislauf wieder in den Kondensatoren durch Wärmeabfuhr an das Kaltwasser. Technische Probleme stehen der Realisierung eines solchen Projekts noch im Wege. Auch bereiten Meerwasserkorrosion und Mikrobenbewuchs Schwierigkeiten. Eine Nutzung der Meeresströmungen dürfte sehr unwahrscheinlich sein. Diese entstehen aufgrund der regional unterschiedlich einfallenden Sonnenstrahlung. Zu diesen Meeresströmungen zählen der Golfstrom, der Guineastrom, der Brasilienstrom, der Mozambiquestrom und der Australische Strom. Der Golfstrom hat die höchste Strömungsgeschwindigkeit (über 2 m/s). Für das Kerngebiet des Golfstromes (mittlere Breite 50 km und mittlere Tiefe 120 m) ergibt sich eine Leistung von 24 GW. Die Nutzung der Strömung könnte durch im Meer angeordnete, frei lau-
264
4. Energieversorgungssysteme
fende Wasserturbinen erfolgen. Geht man davon aus, daß aus ökologischen Gründen nur 20% des Golfstroms genutzt werden können, so ergäbe sich — unter Berücksichtigung eines Wirkungsgrades von 40% — eine Auskoppelung von etwa 2 GW, die in elektrische Leistung umgesetzt werden könnten (143). Diese Abschätzung zeigt, daß die Ausnutzung der kinetischen Energie von Meeresströmungen keinen nennenswerten Beitrag zur Energieversorgung leisten kann. 4.324 Windenergie Die Windenergie gehört - ähnlich wie die Wasserkraft - zu den ältesten Energiequellen der Menschheit. Der Grund hierfür ist, daß sich Wind relativ einfach in mechanisch nutzbare Energie umwandeln läßt. So z.B. nimmt man an, daß in den Vereinigten Staaten Mitte des 19. Jahrhunderts rd. 14% des Energiebedarfs durch Windenergie gedeckt wurden. Billige und reichliche fossile Energieträger verdrängten die Windenergie zunehmend, da es sich um eine lokal und zeitlich schwankende Energiequelle handelt. Erschwerend für die Nutzung der Windenergie sind außerdem die kleinen Energiedichten — dies gilt auch für andere Verfahren der indirekten Sonnenenergienutzung (Wellenenergie, Meereswärme, Meeresströmungen) — sowie die Tatsache, daß die Leistung einer Windturbine mit der 3. Potenz der Windgeschwindigkeit anwächst (148). Eine genaue Ermittlung der evtl. nutzbaren Potentiale an Windenergie muß auf örtlichen Windgeschwindigkeitsmessungen basieren. Kostenanalysen für eine Windenergienutzung in großtechnischem Maßstab (mit Netzeinspeisung) am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland ergeben, daß hierfür nur Gebiete mit einer Windgeschwindigkeit im Jahresmittel von = 4 m/s in Frage kommen (Standardmeßhöhe ist 10 m über Grund). In den USA gibt es Gebiete, in denen Windgeschwindigkeiten von 13 m/s 4000 bis 5000 Stunden im Jahr vorherrschen; in Europa hat man dagegen nur in wenigen Gegenden (zum Beispiel an den Küstenstreifen im Norden) Windgeschwindigkeiten von = 4 m/s. Die technisch nutzbaren Potentiale an Windenergie (mit dem Wirkungsgrad einer 3 MW-Anlage) werden wie folgt angegeben: Welt 2,9 · 10 5 TWh/a, EG-Staaten 4590 TWh/a, Bundesrepublik Deutschland 220 TWh/a (142). Aufgrund der neuen Situation auf den Weltenergiemärkten und des großen Potentials an Windenergie besteht derzeit in vielen Ländern wieder ein zunehmendes Interesse an der wirtschaftlichen Nutzung der Windenergie. Der technologische Stand der Windenergiekonverter ist hoch. Zwei Typen scheinen heute für eine wirtschaftliche Nutzung der Windenergie geeignet: die in vielen Exemplaren erprobten Horizontalachsen-Windturbinen mit einfachem Rotor und zwei bis drei Rotorblättern und die VertikalachsenWindturbine nach dem Darrieus-Prinzip (149). Abb. 4-19 zeigt Beispiele für große Windturbinengeneratoren. Die Windturbinen nach dem Darrieus-Prinzip besitzen generell den Vorteil, daß sie der sich ändernden Windrichtung nicht nachgeführt werden müssen; von Nachteil — im Vergleich zu Windturbinen mit horizontaler
4.3 Sekundärenergie aus Sonnenenergie
265
Quelle: S. Quraeshi, Large wind turbine generators for electrical utility application, 11th World Energy Conference, Vol. 1 A, München, September 1980.
Achse — ist jedoch, daß eine Darrieus-Turbine nur rd. 75% der Leistung einer optimal ausgelegten Horizontalachsen-Turbine gleicher Baugröße erreicht. In mehreren Ländern gibt es Versuchsanlagen mit Windturbinen im 100 kW-Bereich; Prototypanlagen bis zu einigen M W elektrischer Leistung werden derzeit gebaut. Windgeneratoren kosten gegenwärtig aber noch 2 bis 4 mal soviel wie konventionelle Generatoren gleicher Leistung (114). Problematisch bei der Nutzung der Windenergie in großtechnischem Maßstab könnte der erforderliche Flächenbedarf werden. Faßt man 100 Einzelanlagen von je 3 M W zu einem 300 MW-Kraftwerk zusammen, so ergibt sich ein Gesamtflächenbedarf von 10 bis 12 km 2 (142). Diese Fläche wird jedoch nur zu einem geringen Anteil (0,2 km 2 ) durch die Konvertersysteme selbst in Anspruch genommen. Eine untragbare Lärmbelästigung ist nicht zu erwarten (150). Nennenswerte Beiträge zur Energieversorgung sind von der Windenergie voraussichtlich nur dann zu erwarten, wenn entweder leistungsfähige Energiespeicher zur Verfügung stehen oder wenn es gelingt, die gewonnene Energie in bestehende Energieversorgungssysteme zu integrieren. Es ist davon auszugehen, daß in verschiedenen Ländern für die Versorgung entlegener Gebiete Interesse an Windenergiekonvertern mit einer Leistung von bis zu 100 kW besteht (dezentrale Energieversorgung) (151).
266
4. Energieversorgungssysteme
Größere Anlagen mit einer Leistung von 100 kW bis in den MW-Bereich könnten in bestehende Energieversorgungsnetze integriert oder für den Betrieb von Pumpspeicherwerken eingesetzt werden. 4.325 Nutzung gespeicherter Sonnenwärme mit Wärmepumpen Die Deckung des Wärmebedarfs für Raumheizung und Warmwasserbereitung ist durch den Einsatz von Wärmepumpen grundsätzlich möglich. Wärmepumpen sind in der Lage, Wärme niedriger Temperatur zu nutzen, indem diese Wärme durch Einsatz von mechanischer Energie auf ein höheres Temperaturniveau angehoben („gepumpt") wird; diese Wärme ist dann zur Deckung des Raumwärme- und Warmwasserbedarfs nutzbar. Als Wärmequelle kann die in Wasser, Luft und Erde gespeicherte Sonnenwärme (Umgebungswärme) oder die mit Flachkollektoren gewonnene Sonnenwärme dienen; außerdem ist die Nutzung der Abwärme von Haushalten und Industrie möglich (Wärmerückgewinnung). Der Wärmepumpenprozeß ist ein thermodynamischer Kreisprozeß. Abb. 4-20 zeigt die Prinzipanordnung einer Kompressionswärmepumpe, die den höchsten
1
7 4
5
3
6 2
Abb. 4-20:
Ν
8
Diagramm einer Kompressions-Wärmepumpe 1 = Von der Wärmequelle; 2 = Zur Wärmequelle; 3 = Verdampfer; 4 = Kompressor; 5 = Kondensator; 6 = Expansionsventil; 7 = Zum Heizsystem; 8 = Vom Heizsystem.
Quelle: H. Michel, J. Pottier, J. Jaegle, Compression and Adsorption Heat Pumps. Fields of Use and Future, 10th World Energy Conference, Istanbul, September 1977.
4 . 3 Sekundärenergie aus Sonnenenergie
267
Entwicklungsstand erreicht hat (152, 153). Im wesentlichen besteht sie aus dem Verdampfer, dem Kompressor, dem Kondensator (Verflüssiger) und dem Expansionsventil. Als Absorbermedium dient im Wärmepumpenprozeß ein „Kältemittel", das im Verdampfer durch Wärmezufuhr Q z (Wärmeentzug aus der Wärmequelle) bei der Temperatur T u verdampft. Das Absorbermedium wird vom Kompressor aus dem Verdampfer angesaugt und unter Zufuhr von mechanischer Energie W verdichtet, dabei erwärmt es sich und gelangt mit dem erhöhten Druck in den Kondensator. Dort gibt es bei der dem Druck entsprechenden Kondensationstemperatur
Tk
Wärme Q a (Kondensationswärme) an einen Wärmeträger ab, wodurch es kondensiert. Im Anschluß daran erfolgt eine Entspannung des Kondensats im Expanisonsventil bei gleichzeitiger Temperaturabnahme; das Arbeitsmedium gelangt wieder in den Verdampfer, wo unter Wärmeaufnahme der Kreisprozeß von neuem einsetzt. Die Leistungszahl ε einer Wärmepumpe ist allgemein definiert als der Quotient von abgegebener Wärmemenge Q a zu zugeführter mechanischer Energie W. Für den Carnotschen Wärmepumpenprozeß gilt: k
Tk-T,
(15)
T k ist die Kondensationstemperatur (Nutzwärmetemperatur) und T u ist die Temperatur der Wärmequelle (in K). Die Leistungszahlen praktisch ausgeführter Wärmepumpen ε ρ liegen — wegen der im Prozeß auftretenden Verluste — unter dem theoretischen Wert von e c = 1/η ς , d.h. der theoretsiche Wert von e c ist gleich dem Kehrwert des Carnotwirkungsgrades. Es ist: ε ρ ~ 0,5 · e c . Die praktisch erreichbaren Leistungszahlen ε ρ von Wärmepumpen liegen im Jahresmittel — je nach Klimazone und Wärmequelle — im allgemeinen im Bereich zwischen 2 und 3,5. Die Leistungszahl ist ein M a ß für die Güte einer Wärmepumpe; sie sollte möglichst hoch sein, damit die zugeführte Arbeit W — bei vorgegebenem Heizwärmebedarf Q a — so klein wie möglich ist. Gleichung (15) zeigt, daß die Leistungszahl von der Temperaturdifferenz (T k - T u ) abhängig ist. Bei tiefer Außentemperatur wird die Leistungszahl klein; dies führt zu einem starken Anstieg der notwendigen mechanischen Energie W. Aus diesem Grunde wird ein bivalenter Betrieb vorgeschlagen. Beim bivalenten Betriebssystem ist neben der Wärmepumpe ein zweites Zusatzheizungssystem vorhanden, wobei die Zusatzheizung bei Unterschreiten bestimmter Temperaturen den alleinigen Betrieb oder den Parallelbetrieb mit der Wärmepumpe übernimmt. Beim monovalenten System deckt die Wärmepumpe ohne Zusatzheizung den Wärmebedarf. Für den Einsatz von Wärmepumpen ist die Wahl des Arbeitsmediums sowie die Abstimmung der Einzelkomponenten wichtig. Die maximal erzielbare Vorlauftemperatur kann zum Beispiel 60° C erreichen, so daß auch eine Warmwasserbereitung grundsätzlich möglich ist. Bezüglich der Größe der installierten Heizflächen liegen die Verhältnisse ähnlich wie bei Heizungsanlagen mit Flachkollektoren, das heißt, es
268
4. Energieversorgungssysteme
ist grundsätzlich eine möglichst niedrige Vorlauftemperatur anzustreben, wie zum Beispiel bei der Fußbodenheizung üblich. Als Kältemittel werden Ammoniak oder Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffverbindungen (zum Beispiel Freon) verwendet; als Verdichter können prinzipiell Kolbenverdichter oder rotierende Verdichter verwendet werden. Der Antrieb erfolgt meist mit Elektromotoren, es können aber auch Verbrennungsmotoren, die mit Gas oder Dieselöl betrieben werden, eingesetzt werden, wobei dann noch die Abwärme des Motors genutzt werden kann. Das heißt, bei Nutzung gespeicherter Sonnenwärme mit Wärmepumpen ist stets eine „hochwertige" (exergiereiche)Energie erforderlich (153, 154). Gemessen am Primärenergieeinsatz ist zum Beispiel die mit Verbrennungsmotoren betriebene Wärmepumpe günstiger als die elektromotorisch betriebene, da dabei — neben gespeicherter Sonnenwärme — die Abwärme des Motors noch genutzt wird, dagegen bei elektrisch betriebenen Wärmepumpen der Strom erst noch mit einem relativ schlechten Wirkungsgrad von ca. 33% erzeugt werden muß. Abb. 4-21 zeigt für verschiedene Heizungssysteme den Primärenergieeinsatz zur Erzeugung einer Einheit Nutzenergie (spezifischer Primärenergieeinsatz) (155). Wie in 4.311.2 erwähnt, kann durch Kombination von Wärmepumpe/Solarkollektor der Wärmebedarf für die Raumheizung in gemäßigten Klimazonen während einer längeren Zeitspanne im Jahr bereits gestellt werden als alleine mit einem Solarkollektor. Bei solchen Mehrsystemheizungen (Kombination von Wärmepumpe/Kollektor, konventionelles Heizungssystem) stehen den Energiekosteneinsparungen Investitionskosten gegenüber, die aus wirtschaftlichen Gründen allein derzeit im allgemeinen (noch) nicht gerechtfertigt sind. Da die Sonnenstrahlung in gemäßigten Klimazonen — vor allem während der Heizperiode — gering ist, eignet sich der Kollektor allein — unter vertretbarem Kostenaufwand — kaum, während einer möglichst großen Zeitspanne im Jahr die Versorgung mit Heizwärme zu übernehmen. Eine neue interessante Lösung zur indirekten Nutzbarmachung von Sonnenwärme ist das System Energiedach (Energiefassade)/Wärmepumpe (156). Bei diesem System übernimmt ein sogenannter Solarabsorber (das Energiedach beziehungsweise die Energiefassade) die Funktion des Kollektors im Heizungssystem. Der Solarabsorber hat eine niedrige Oberflächentemperatur; dies wird dadurch erreicht, daß er von einer kalten Flüssigkeit durchströmt wird. (Die Temperatur der Flüssigkeit bleibt niedrig, weil sie — durch Wärmeentzug — mit einer Wärmepumpe abgekühlt wird.) Von Vorteil dabei ist, daß mit dem Solarabsorber nicht nur die Strahlungsenergie genutzt werden kann, sondern auch die Umgebungswärme. Als Wärmelieferant dienen also — neben Sonnenstrahlung — zum Beispiel Luftfeuchtigkeit (Regen), Luft, das heißt, das Energiedach beziehungsweise die Energiefassade ist auch bei stark bedecktem
'' Exergie ist unbeschränkt in Arbeit umwandelbare Energie. Anergie ist nicht in Arbeit umwandelbare Energie. Energie = Exergie + Anergie.
4 . 3 Sekundärenergie aus Sonnenenergie
Abb. 4 - 2 1 :
269
Primärenergieeinsatz zur Erzeugung einer Einheit Nutzenergie für verschiedene Heizungssysteme 1 = Fernwärme; 2 = ö l k e s s e l ; 3 = Gaskessel; 4 = Nachtstromspeicher; 5 = Bivalente Elektrische W ä r m e p u m p e ; 6 = M o n o v a l e n t e Diesel-Wärmepumpe; 7 = Bivalente Diesel-Wärmepumpe; 8 = Solar + ö l k e s s e l ; 9 = M o t o r - G e n e r a t o r a n l a g e mit Spitzenkessel.
Quelle: D. Oesterwind, Aspekte der Soft-Hard-Diskussion — Zentrale und dezentrale Energiesysteme als gemeinsame Option, Atomkernenergie - Kerntechnik, Bd. 3 4 , Nr. 3 , 1 9 7 9 .
Himmel oder nachts funktionsfähig, so daß sich die Speicherprobleme verringern. Für extrem kalte Tage ist jedoch auch eine Zusatzheizung notwendig. Zur Beurteilung der Zukunftschancen von Heizungssystemen ist nicht nur der Primärenergieeinsatz zur Erzeugung einer Einheit Nutzenergie von Bedeutung, sondern auch noch andere Faktoren, zum Beispiel wirtschaftliche und politische Faktoren. Sämtliche Kosten, die durch Installation und Nutzung der Heizungssysteme entstehen, müssen berücksichtigt werden; außerdem sollten die unterschiedlichen Umweltbelastungen nicht außer acht gelassen werden (155). Auch ist zu bedenken, daß — wie in 2.331 ausgeführt — in den Industriestaaten derzeit ein Großteil des Mineralöls zur Deckung des Raumwärme- und Warmwasserbedarfs (Niedertemperaturwärmebedarf) verwendet wird und der Importanteil des Mineralöls in einigen Staaten besonders hoch ist. Deshalb kann es zur Verringerung der Importabhängigkeit durchaus zweckmäßig sein, zum Beispiel elektrisch betriebene Wärmepumpen zur
270
4. Energieversorgungssysteme
Deckung des Bedarfs an Niedertemperaturwärme einzusetzen, um Mineralöl zu substituieren. 4.326 Photochemische Konversion 4.326.1 Photosynthese Die bisher behandelten Verfahren der Sonnenenergienutzung basieren grundsätzlich entweder auf der Nutzung der durch Sonnenstrahlung erzeugten Wärme (beziehungsweise der daraus resultierenden Naturvorgänge) oder auf der direkten Umwandlung der Sonnenstrahlung in elektrische Energie (photovoltaische Methode). Eine weitere Grundmethode der Sonnenenergienutzung sind solar-chemische (photochemische beziehungsweise photoelektrochemische) Verfahren, das sind Prozesse, die unter Lichteinwirkung ablaufen (lichtinduzierte Prozesse). Die Photosynthese der grünen Pflanzen ist nichts anderes als eine photochemische Reaktion, durch die letzten Endes aus Kohlendioxid C 0 2 und Wasser H 2 0 unter Ausnutzung des Sonnenlichtes Zucker C 6 H 1 2 0 6 aufgebaut und Sauerstoff freigesetzt wird (157, 158). Im wesentlichen läßt sich der Vorgang mit folgender Bruttogleichung beschreiben: (Licht) 6 CO, + 6 H 2 0 ,
Ph0t0SyntheSe
- C6 H12 0 6 + 6 0 2
(16)
Atmung Zucker bildet das Grundmaterial für die Biosynthese von Stärke, Zellulose und Eiweiß. Diese Substanzen dienen Bakterien, Tieren und Menschen als Nahrung, das heißt, sie werden in zelleigene Substanz übergeführt beziehungsweise beim Atmungsvorgang — unter Verbrauch von Sauerstoff — wieder zu Kohlendioxid und Wasser abgebaut. Zum Beispiel atmet ein Mensch in 24 Stunden rd. 1 kg C 0 2 aus. (Beim Prozeß der Verwesung entsteht aus Pflanzen- und Tierresten mit Hilfe von Bakterien und Pilzen (Saprophyten) ebenfalls C0 2 .) Die Bildung der Photosyntheseprodukte, den Kohlenhydraten (Biomasse), durch grüne Pflanzen geht also mit der Aufnahme von Kohlendioxid (Assimilation) und der Abgabe von Sauerstoff einher. Der Prozeß der Photosynthese konnte daher erst auf der Erde entstehen, als Kohlendioxid in der Atmosphäre vorhanden war. Dies war vor rd. 3,5 · 10 9 Jahren. Das heißt, seit etwa 3,5 · 10 9 Jahren entsteht auf der Erde freier Sauerstoff: einmal durch den Photosyntheseprozeß (bei Blaualgen), aber auch durch direkte Zersetzung des Wassers durch ultraviolette Strahlung in der oberen Atmosphäre. Vor rd. 400 · 10 6 Jahren entstanden die höheren Landpflanzen und seitdem erfolgt der relativ schnelle Aufbau des Sauerstoffgehalts durch die Photosynthese. Seit etwa 2 bis 3 · 10 6 Jahren besteht die Atmosphäre in ihrer heutigen Zusammensetzung. Die atmosphärische Luft besteht aus 78,08% Stickstoff N 2 ; 20,95% Sauerstoff 0 2 ; einem örtlich — durch Lebensvorgänge und zivilisatorische
4.3 Sekundärenergie aus Sonnenenergie
271
Faktoren — schwankenden Gehalt an Kohlendioxid C 0 2 (Durchschnitt 0,03%); der Rest sind Spuren von Edelgasen sowie anderen Verbindungen. (Die Volumenprozente sind Angaben nach Abzug des Wasserdampfgehalts, der relativ stark schwankt). Der Prozeß der Photosynthese ist die Grundlage des Lebens auf der Erde. Durch die Photosynthese aller Land- und Wasserpflanzen werden pro Jahr etwa 1,7 · 10 1 1 1 Biomasse aufgebaut. Die Pflanzen produzieren auch den freien Sauerstoff (siehe Gleichung (16)). Auf der Erde werden pro Jahr etwa 27,5 • 10 1 0 1 C 0 2 assimiliert — das sind rd. 5% des in der Lufthülle vorhandenen C 0 2 - und es entstehen pro Jahr rd. 2 · 10 1 1 1 Sauerstoff. Zur Freisetzung des jährlichen Sauerstoffs werden rd. 2,3 · 10 11 t Wasser benötigt. (Die Erde verfügt über etwa 1,5 · 10 18 t Wasser, davon sind 1,37 · 10 18 t in den Weltmeeren) (159). Wie bereits ausgeführt sind die fossilen Primärenergieträger — sie decken derzeit zu über 90% den Weltenergiebedarf - nichts anderes als in Jahrmillionen gespeicherte Sonnenenergie (vgl. 3.1). Diese sind durch komplizierte Umwandlung aus Biomasse entstanden, die durch Photosynthese erzeugt wurde. (Durch geochemische Einwirkung, wie erhöhter Druck und erhöhte Temperatur, sind zum Beispiel Kohlen entstanden. Man bezeichnet diese Umwandlung, die zu einer zunehmenden Anreicherung an Kohlenstoff führt als Inkohlung.) Der von den Pflanzen produzierte freie Sauerstoff dient nicht nur zur Atmung, sondern ermöglicht auch die technischen Verbrennungsprozesse. Durch die Verbrennung fossiler Primärenergieträger entstehen aber große Mengen an C 0 2 ; es erhöht sich der C0 2 -Gehalt in der Atmosphäre und die Photosynthese ist nicht mehr in der Lage, diese zusätzlichen Mengen an C 0 2 zu assimilieren (vgl. 5.2). Obwohl die Photosynthese wohl der größte globale Produktionsprozeß ist, sind noch nicht alle Details des sehr komplizierten Prozeßablaufs geklärt (109, 160). Im wesentlichen beruht der Photosyntheseprozeß grüner Pflanzen darauf, daß diese mit Hilfe des Chlorophylls einen relativ großen Bereich des sichtbaren Sonnenlichts von 400 nm — 700 nm absorbieren. Die Lichtquanten bewirken — in einer Reihe von komplizierten biophysikalischen und biochemischen Reaktionen — die Assimilation (ein Reduktionsvorgang) des atmosphärischen C 0 2 zu Kohlenhydraten, einem wesentlichen Bestandteil der Pflanzen. Der durch photolytische Wasserspaltung entstehende Wasserstoff dient der Reduktion des C 0 2 (160). (Der bei der Wasserspaltung entstehende Sauerstoff wird ausgeschieden.) Das heißt, der primäre Prozeß bei der Photosynthese ist die lichtinduzierte Zersetzung des Wassers (Photolyse): H
2
O ^ H
2
+
}o
2
(17)
Vom Wasser wird jedoch nur Strahlung mit Wellenlängen λ < 200 nm direkt absorbiert (Wasser wird zu H- und OH-Radikalen photolysiert); von der auf der Erde
Ill
4. Energieversorgungssysteme
einfallenden Sonnenstrahlung hat aber nur ein verschwindend kleiner Anteil diese Wellenlänge (siehe Abb. 3-14). Die photolytische Spaltung des Wassermoleküls unter Ausnutzung des sichtbaren Spektrums — etwa 45% des auf die Erdoberfläche fallenden Sonnenlichts liegen in diesem Bereich von 400 nm bis 700 nm, wobei die maximale Intensität im Grünen bei 550 nm liegt — erfolgt bei der Photosynthese der grünen Pflanze durch einen Mehrquantenprozeß, der an einem Photokatalysator (Chlorophyll) abläuft. Die Basis für diesen Mehrquantenprozeß ist das sogenannte photosynthetische Elektronentransportsystem, das in den Membranen der Chloroplasten von Laubblätterzellen (oder in Zellen mikroskopisch kleiner Algen) eingebettet ist (161). (Chloroplasten sind kleine strukturierte Körperchen von etwa 3 x 5 μπι Durchmesser. Die Membranen sind Träger des Chlorophylls, das dem Blatt seine grüne Farbe gibt). Das heißt, nur im photosynthetischen Elektronentransportsystem wird die Umwandlung des Sonnenlichts in energiereiche chemische Verbindungen vollzogen. 4.326.2 Biomasse Bislang sind die Pflanzen die einzigen Lebewesen, die einen substantiellen Teil der Sonnenenergie ausnutzen können. Aus diesem Grunde gibt es Vorhaben, durch entsprechende Züchtungen, den Wirkungsgrad, mit dem Sonnenenergie in Biomasse umgewandelt wird, zu erhöhen. Die Ausnutzung der Lichtenergie errechnet sich, indem man die durch Photosynthese entstehende pflanzliche Trockenmasse, der sogenannten (trockenen) Biomasse, als polymere Kohlenhydrate auffaßt. Für eine Abschätzung ist dies ausreichend, da das Pflanzenmaterial bis zu über 90% aus C, Η und Ο besteht (5 — 10% sind Stickstoff und Mineralstoffe wie zum Beispiel P, S, K). 1 g trockener Biomasse entspricht 17 kj. (Dabei wurde nur der Nettosubstanzgewinn angegeben, da bei Bildung photosynthetischer Assimilate auch energieverbrauchende Hilfsprozesse — wie zum Beispiel Transpiration — stattfinden). Zur Synthese von 1 kg (trockener) Biomasse benötigen höhere Pflanzen (Kulturpflanzen) 300—800 kg Wasser, das durch Wurzeln aufgenommen und aus den Blättern verdunstet wird, wozu Wärme (Sonnenstrahlung) erforderlich ist. Durch die Photosynthese aller Land- und Wasserpflanzen werden pro Jahr etwa 1,7 · 10 11 t Biomasse aufgebaut. Der Energieinhalt der Biomasse ist 3 · 10 21 J und entspricht etwa dem 10-fachen des derzeitigen Weltenergieverbrauchs pro Jahr. Aus diesem Grunde ist es verständlich, wenn gegenwärtig in vielen Ländern untersucht wird, inwieweit die Photosynthese als Energiegewinnungsprozeß einen Beitrag zur Energieversorgung leisten kann (161, 162). Global betrachtet ist der Wirkungsgrad beim Aufbau von Biomasse durch Photosynthese nicht groß. Ein Grund hierfür ist unter anderem die Tatsache, daß der C0 2 -Gehalt in der Atmosphäre mit 0,03 Vol-% wesentlich geringer ist, als er für einen optimalen Photosyntheseprozeß notwendig wäre. Auf der Landfläche wird nur 0,3%, in den Meeren nur 0,07% der Strahlungsenergie in chemisch gebundene
4.3 Sekundärenergie aus Sonnenenergie
273
Energie (in Form von Biomasse) übergeführt. Für die gesamte Erde ergibt sich ein Wirkungsgrad von 0,12% (161). Die Fähigkeit einzelner Ökosysteme zur pflanzlichen Substanzbildung ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Im folgenden sollen einige typische Werte für die pflanzliche Substanzbildung an (trockener) Biomasse angegeben werden: Tropischer Wald 2,0 kg/m 2 pro Jahr (bei einer Gesamtfläche auf der Erde von 20 · 10 6 km 2 sind dies 40 · 10 9 t pro Jahr); Wald in gemäßigten Klimazonen 1,3 kg/m 2 pro Jahr (bei einer Gesamtfläche von 18 · 10 6 km 2 sind dies 23,4 · 10 9 t pro Jahr); Wiesen in gemäßigten Klimazonen 0,5 kg/m 2 pro Jahr (bei einer Gesamtfläche von 9 · 10 6 km 2 sind dies 4,5 • 10 9 t pro Jahr; gesamte Landfläche im Mittel 0,73 kg/m 2 pro Jahr (bei der Landfläche der Erde in Höhe von 149 · 10 6 km 2 sind dies 109 · 10 9 t pro Jahr); Ozean 0,13 kg/m 2 pro Jahr (bei der Wasserfläche der Erde in Höhe von 332 · 10 6 km 2 sind dies 43 · 10 9 1 pro Jahr); gesamte Erdfläche im Mittel 0,32 kg/m 2 pro Jahr (bei der gesamten Erdoberfläche in Höhe von 5 1 0 · 10 6 km 2 sind dies 168 · 10 9 1 pro Jahr) (162). Kein technischer Produktionsprozeß auf der Erde erzielt auch nur annähernd vergleichbare Größenordnungen. Durch geeignete Kulturpflanzen und moderne Landwirtschaft (zum Beispiel gute Wasserversorgung und Düngung) kann die Effektivität für pflanzliche Substanzbildung erhöht werden. In gemäßigten Klimazonen kann zum Beispiel — je nach Pflanzenart — pro Quadratmeter und Tag folgende pflanzliche Substanzbildung erzielt werden: für Getreide um 20 g, für Zuckerrüben 28 bis 3 1 g , für Mais (in den USA) 50 g. Bei Mais wird 1,3% der Strahlungsenergie in chemisch gebundene Energie (in Form von Biomasse) übergeführt, das heißt, der Wirkungsgrad beträgt hier immerhin 1,3%. Dabei ist aber zu bedenken, daß intensive Landwirtschaft ein technisch aufwendiger und energieintensiver Prozeß ist. So zum Beispiel ist nur Erzeugung einer Biomasse mit dem Energieäquivalent von 6 J bis 9 J in den entwickelten Agrarländern des Westens bereits 1 J erforderlich (163, 164). (Dieser Betrag setzt sich zusammen aus dem Energieaufwand zum Beispiel für die Herstellung von Dünger, landwirtschaftlichen Maschinen (aufgrund des ständig gesunkenen Personaleinsatzes), Dieselöl (während der Feldarbeit). Bezogen auf die Maiserzeugung betrug zum Beispiel in den USA das Verhältnis von aufgewendeter Energie zu landwirtschaftlich erzeugter Energie im Jahre 1940 etwa 1:4, dagegen stieg es bis zum Jahre 1970 auf 1:2,8 an. Eine ähnliche Entwicklung ist auch bei anderen Produkten wie zum Beispiel Sojabohnen und Kartoffeln festzustellen (162). Zu den Pflanzen, die die Sonnenenergie mit einem relativ hohen Wirkungsgrad in Biomasse umzuwandeln vermögen, gehören zum Beispiel rasch wachsende Baumarten (Pappeln) und Zuckerrohr. Es gibt Planungen, durch Anbau geeigneter Pflanzen im Großen (energy farming), Biomasse zu erzeugen, die dann als Energierohstoff oder als Rohstoff für Kunststoffprodukte verwendet werden kann. (Ein Beispiel ist: Zuckerrohranbau in Brasilien). Die forcierte Erzeugung von Biomasse alleine unter energetischen Gesichtspunkten hat sich bisher im allgemeinen noch nicht als wirtschaftlich erwiesen (165). Der große Nachteil der nachwachsenden Biomasse im
274
4.
Energieversorgungssysteme
Vergleich zu den fossilen Energierohstoffen besteht im wesentlichen in dem geringen spezifischen Energieinhalt (wegen des relativ hohen Wasser- und Sauerstoffgehalts der Pflanzen) sowie in dem großen Flächenbedarf bei Erzeugung von Biomasse (wegen des relativ geringen Ertrages pro Flächeneinheit). Dies führt zu einem erheblichen Sammel- und Transportaufwand. Der amerikanische Nobelpreisträger M . Calvin (Berkeley) versucht, Öl „landwirtschaftlich" zu erzeugen. Eine mögliche Pflanzenart sieht er in einem zur Familie der Euphorbia-Gewächse gehörenden Strauch, der Saft aus einem Gemisch von Kohlenwasserstoffen und Wasser bestehend produziert. Dieser Saft hat eine gewisse Verwandtschaft zum Erdöl, so daß daraus Benzin oder andere ölprodukte gewonnen werden können (166, 167). Außerdem wurde auch schon mit Erfolg versucht, statt der üblichen landwirtschaftlichen Nutzpflanzen, einzellige Algen (Chlorella, Scendesmus) zu züchten. Alle diese Verfahren haben sich bisher nicht als wirtschaftlich erwiesen. Außerdem ist einzuwenden, daß die gleichen Flächen für die Produktion von Nahrungsmitteln (beziehungsweise bei Algen für die Erzeugung von Futter- und Nahrungsmitteln) wohl dringender benötigt werden als zur Erzeugung von Energieträgern (vgl. 2 . 3 2 ) , zumal — wie erwähnt — intensiv betriebene Landwirtschaft zur Erzeugung von Biomasse (energy farming) auch technisch aufwendig und energieintensiv ist. Darüber hinaus würden bei Verwendung dieser „landwirtschaftlich" erzeugten Energieträger in großem Stil ähnliche Umweltprobleme auftreten wie beim Einsatz fossiler Energieträger (vgl. 5.3). Die Erzeugung pflanzlicher Nahrungsmittel in der Welt beträgt rd. 1,4 · 1 0 9 t Trockensubstanz pro Jahr; das sind etwa 1 , 3 % der gesamten photosynthetischen Produktion auf der Landfläche der Erde pro Jahr. Ein Mensch benötigt pro Jahr etwa 4 · 1 0 9 J an Nahrungsmitteln, was 2 5 0 kg Kohlenhydrat entspricht. Energetisch betrachtet reicht die derzeitige Welternte aus, um 5,6 · 1 0 9 Menschen zu ernähren. Trotzdem ist die verfügbare Nahrungsmittelmenge in weiten Teilen der Erde unzureichend (vgl. 2 . 3 2 ) . Dies hängt unter anderem damit zusammen, daß es die reine Pflanzenernährung fast nirgendwo gibt, und bei der Veredelung über die Tierzucht verliert man bis zu 9 / 1 0 der Energie durch Verfütterung. (Außerdem ist das Welternährungsproblem zum Teil auch ein Verteilungsproblem, da es in mehreren Gebieten der Erde — Beispiele sind die USA, Kanada und Westeuropa — bisweilen eine Nahrungsmittelüberproduktion gibt.) Derzeit wird davon ausgegangen, daß zur Ernährung eines Menschen etwa 4 0 0 0 m 2 Nutzfläche benötigt werden. (In der Bundesrepublik Deutschland stehen zum Beispiel für jeden Einwohner 2 0 0 0 m 2 landwirtschaftlich genutzte Fläche zur Verfügung). Insgesamt dürften sich 2 1 % der Landfläche der Erde für verschiedene Formen des Ackerbaus eignen; 11 % der Landfläche werden bereits bebaut. Daraus folgt, das vorhandene Ackerflächenpotential würde ausreichen, um — aus heutiger Sicht — mindestens 8 · 1 0 9 Menschen zu ernähren (vgl. 2.31) (162). Die Einrichtung spezieller Energiefarmen (energy farming) scheint aus den aufgeführten Gründen — insbesondere für die dichtbesiedelten Industriestaaten — wenig
4.3 Sekundärenergie aus Sonnenenergie
275
aussichtsreich zu sein. Die energetische Nutzung von Biomasse dürfte dagegen dort zweckmäßig sein, wo aus anderen Gründen große Mengen an Biomasse anfallen. Dies gilt zum Beispiel für die Müllbeseitigung in Ballungszentren oder für die Nutzung von Abfällen aus land- und forstwirtschaftlicher Produktion. Insbesondere scheint die energetische Nutzung von land- und forstwirtschaftlichen Abfällen in Entwicklungsländern mit fehlender oder geringer Infrastruktur (fehlende Transportwege und Versorgungsnetze) aussichtsreich zu sein (dezentrale Energieversorgung). Im wesentlichen gibt es folgende Verfahren zur energetischen Nutzung von Biomasse: thermische Verfahren, chemische Verfahren und biologische Verfahren. Unter den thermischen Verfahren ist die direkte Verbrennung von Biomasse (zum Beispiel Holz, Stroh) mit das älteste von Menschen angewandte Verfahren zur Energiegewinnung. Seit einiger Zeit werden in Ballungszentren hochentwickelter Industriestaaten vielfach Müllverbrennungsanlagen zur Beseitigung des Abfalls eingesetzt; dabei kann die freiwerdende Energie genutzt werden. (Landwirtschaftliche Betriebe verwenden beispielsweise zum Teil Strohverbrennungsanlagen zur Energiegewinnung). Die technische Nutzung durch direkte Verbrennung von Biomasse ist nur sinnvoll, wenn ein kontinuierlicher Energiebedarf beziehungsweise Anfall von Biomasse vorhanden ist. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, ist es bisweilen wünschenswert, Biomasse in speicherfähige Energieträger umzuwandeln. Dabei wird Biomasse in Pyrolyseanlagen in Öle oder brennbare Gase umgewandelt. Ein in den USA entwickeltes chemisches Verfahren (Eco-Fuel Ii-Prozeß) erzeugt aus Biomasse — unter Einsatz von Versprödungschemikalien — einen trockenen, feinkörnigen Brennstoff (Korngröße < 0,8 mm) der lagerfähig ist und zum Beispiel in Kohlestaubfeuerungsanlagen eingesetzt werden kann. Die beiden wichtigsten biologischen Verfahren sind die Gewinnung von Biogas beziehungsweise von Äthanol aus Biomasse (biologischen Abfallstoffen). Biogas ist ein stark methanhaltiges Gas (50—70% Methan-Anteil), das bei der anaeroben Zersetzung (Fäulnisvorgang unter Luftabschluß) gebildet wird. Als biologische Abfallstoffe kommen zum Beispiel menschliche oder tierische Exkremente sowie pflanzliche Abfallstoffe (Gras, Stroh usw.) in Frage; außerdem wird beim Fäulnisvorgang Wasser benötigt. Für eine optimale anaerobe Zersetzung sollte das Verhältnis Kohlenstoffgehalt: Stickstoffgehalt der eingesetzten Abfallstoffe rd. 2 5 : 1 betragen. (Exkremente haben einen relativ hohen Stickstoffgehalt; pflanzliche Abfallstoffe haben dagegen einen relativ hohen Kohlenstoffgehalt). Der Abbau der Stoffe (Faulzeit) benötigt ca. 15 bis 25 Tage; die Temperatur sollte zwischen 30°C und 40°C liegen. In den Biogasanlagen findet der Abbau durch Mikroorganismen statt. Der Heizwert des Biogases beträgt rd. 20 MJ/m 3 . Wegen der erforderlichen Temperaturen (30—40°C) sind die Bedingungen für den Einsatz von Biogasanlagen in Entwicklungsländern (zum Beispiel Pakistan, Indien, Bangladesch, Indonesien, VR China) mit relativ hohen mittleren Jahrestemperaturen und fehlender Infrastruktur (Versorgungsnetze) zweckmäßig (dezentrale Energieversorgung) (168).
276
4. Energieversorgungssysteme
Alkohole haben als flüssige Energieträger in letzter Zeit zunehmend Beachtung gefunden. Die Herstellung von Alkohol für industrielle Zwecke durch chemische Synthese — auf der Basis petrochemischer Grundstoffe — ist derzeit im allgemeinen am günstigsten. Trotzdem besteht an der Weiterentwicklung der biologischen Alkoholgewinnung auf der Basis von Biomasse neuerdings Interesse. Ausgangsprodukte der Äthanolgewinnung sind zuckerhaltige-, stärkehaltige- oder cellulosehaltige Substrate. Bei der alkoholischen Gärung werden beispielsweise zuckerhaltige Lösungen mit bestimmten Hefen bei 30—40°C vergoren, jedoch lassen sich nur zuckerhaltige Substrate unmittelbar vergären; die übrigen Substrate müssen erst „aufgeschlossen" werden (vgl. 4.671). Beispielsweise wird in Brasilien Zuckerrohr für die Äthanolproduktion eingesetzt. Dabei wird Äthanol in einer Mischung aus etwa 80% Benzin und 20% Äthanol als Treibstoff eingesetzt, was relativ problemlos möglich ist (169). 4.326.3 Photolyse des Wassers Wie ausgeführt scheint die Einrichtung von speziellen Energiefarmen (energy farming) — von wenigen Ländern abgesehen — zur Energiegewinnung aus Biomasse im großen Stil wenig zweckmäßig zu sein, da die Nutzung von Landflächen für die Energiegewinnung mit anderen Nutzungen höherer Wertschöpfung (Nahrungsmittelerzeugung) konkurriert. Deshalb wird versucht, die photolytische Wasserspaltung beziehungsweise das photosynthetische Elektronentransportsystem zur Umwandlung der Sonnenstrahlung auszunutzen, das heißt, freien Wasserstoff zu erzeugen, ohne die Reduktion von C 0 2 . Man versucht mittels eines künstlichen Membransystems, Wasserstoff zu gewinnen, ohne daß dabei organische Substanz (Biomasse) gebildet wird (170). Wie bereits in 4.326.1 ausgeführt, absorbiert Wasser selbst nicht sichtbares Licht, sondern nur Licht mit einer Wellenlänge λ < 200 nm; dann wird Wasser zu H- und OH-Radikalen photolysiert (171). Werden dem Wasser geeignete Absorber (Photokatalysatoren) beigemengt, so ist es möglich, mit sichtbarem Sonnenlicht das Wasser zu zersetzen. Die Aufgabe der Photokatalysatoren ist es, das Sonnenlicht zu absorbieren und die aufgenommene Lichtenergie möglichst verlustfrei an das Wasser abzugeben, das heißt, mittels Photokatalysatoren ist die lichtinduzierte Zersetzung des Wassers gemäß Gleichung (17) möglich (172). (Bei den grünen Pflanzen übernimmt das Chlorophyll die Rolle des Photokatalysators). Als Photokatalysatoren eignen sich bestimmte lösliche Salze (zum Beispiel Ceroder Eisensalze) oder einige Halbleitermaterialien (zum Beispiel ein Rutileinkristall n-Ti0 2 ). Bei gelösten Salzen als Photokatalysatoren liegen Ionen in verschiedenen Oxidationsstufen vor. Die Lichteinwirkung führt zu einer Änderung des Oxidationszustandes, dabei wird das Wasser unter Elektronenaufnahme entweder zu Wasserstoff reduziert oder unter Elektronenabgabe zu Sauerstoff oxidiert (109, 116).
277
4 . 3 Sekundärenergie aus Sonnenenergie
Belichtet man geeignete Halbleiter, so werden Elektronen aus dem Valenz- in das Leitungsband gehoben. (Der Halbleiter selbst ist der Photokatalysator, an dem sich der Mehrquantenprozeß abspielt.) Die in einem Halbleiter durch Lichteinwirkung entstehenden Elektron-Loch-Paare bewirken die Zersetzung des Wassers. Der Halbleiter (zum Beispiel n - T i 0 2 ) dient dabei als belichtete Elektrode (Anode), der in einem Elektrolyt (zum Beispiel I m N a O H ) eingetaucht ist; Platin (in 0,5 m H 2 S 0 4 ) wird als Kathode verwendet. A. Fujishima und K. Honda konnten erstmals mit dieser Zelle (Fujishima-Honda-Zelle) eine Wasserphotolyse an der Oberfläche eines n-Ti0 2 -Halbleiters beobachten. Das heißt, die Oxidationsreaktion (0 2 -Bildung) findet an der Anode, die Reduktion (H 2 -Bildung) an der Kathode statt. Abb. 4 - 2 2 zeigt die schematische Darstellung der Fujishima-Honda-Zelle (172). Es war möglich, mit einem Gesamtwirkungsgrad (Energie des erzeugten H 2 /eingestrahlter Sonnenenergie) von einigen 1 / 1 0 % Wasserstoff aus Wasser zu erzeugen (173). Durch Dotierung des n - T i 0 2 mit Strontium konnte der Wirkungsgrad auf einige % erhöht werden.
O,
t 2
1 m
Abb. 4 - 2 2 :
NaOH
0 , 5 m H 2 S O'4 ,
Schematische Darstellung der Fujishima-Honda-Zelle 1 = Rutileinkristall; 2 = Pt-Elektrode; 3 = Quarz-Fenster.
Quelle: N . G e t h o f f , S. Solar, M . G o h n , Sonnenenergienutzung. Untersuchung photoelektrochemischer Systeme, Die Naturwissenschaften, Bd. 6 7 , Nr. 1, 1 9 8 0 .
278
4.
Energieversorgungssysteme
Diese Ausführungen zeigen, daß es grundsätzlich möglich ist, Sonnenenergie über den photolytisch gewonnenen Wasserstoff nutzbar zu machen. Wasserstoff ist aber in vieler Hinsicht ein vielseitig einsetzbarer und umweltfreundlicher Sekundärenergieträger (vgl. 4 . 6 6 und 4 . 6 7 2 ) . Zweifellos sind noch große Anstrengungen — auch auf dem Gebiet der Grundlagenforschung — notwendig, um Wasserstoff unter vertretbarem Aufwand durch photolytische Spaltung des Wassers zu gewinnen.
4.4 Sekundärenergie aus Gezeitenenergie Wie in 3 . 3 8 ausgeführt, sind für die wirtschaftliche Nutzung der Gezeitenenergie außer dem Tidenhub auch noch geographische Bedingungen wie zum Beispiel Ausdehnung und Tiefe von Meeresbuchten oder Flußmündungen von Bedeutung. Deshalb kommen für Gezeitenkraftwerke relativ wenig Standorte in der Welt in Frage (114). Das erste große Gezeitenkraftwerk wurde an der Rance-Mündung bei St. M a l o (Nordfrankreich) 1 9 6 6 mit einer elektrischen Leistung von 2 4 0 M W in Betrieb genommen. (Eine Erweiterung auf 3 2 0 M W wird erwogen). Die Sowjetunion hat ebenfalls ein Gezeitenkraftwerk bei Kislogubsk (Barents-See) mit 0,8 M W in Betrieb genommen (114, 144). Der Gesamtwirkungsgrad bei Gezeitenkraftwerken liegt bei 80-90%). Weitere Gezeitenkraftwerke sind geplant. Das wirtschaftlich ausbauwürdige Potential an Gezeitenenergie zeigt in mehreren Ländern (zum Beispiel Frankreich, Großbritannien, USA, Kanada und UdSSR) steigende Tendenz (174—176). Trotzdem ist davon auszugehen, daß die Gezeitenenergie auch in Zukunft in erster Linie lokale Bedeutung haben wird und keinen nennenswerten Beitrag zur Weltenergieversorgung leisten kann.
4.5 Sekundärenergie aus geothermischer
Energie
Die Verwendung geothermischer Energie beschränkt sich bisher im wesentlichen auf die Nutzung trockener Dampfvorkommen sowie die Nutzung von Dampf-WasserGemischen zur Stromerzeugung, für Heizung und Warmwasser. Tabelle 4 - 4 gibt den Anteil der geothermischen Energie an der Stromerzeugung im Vergleich zu anderen Energieträgern in einigen Ländern wieder (138). Die Nutzbarmachung trockener Dampfvorkommen zur Stromerzeugung ist besonders günstig. Solche Quellen sind jedoch selten. Beispiele sind Larderello, Italien ( 5 0 0 M W ) , The Geysers, USA (500 M W ) , El Salvador, Mittelamerika (90 M W ) , Onikobe, Japan (25 M W ) (177, 178). In Larderello wird seit 1 9 0 4 die Heißdampflagerstätte zur Stromerzeugung genutzt, und seit 1 9 6 0 wird mit Dampf bei „The Gey-
4.6 Sekundärenergieträger
279
sers", nördlich von San Francisco, Strom erzeugt. Wegen des geringen Drucks und der geringen Temperaturen (etwa 7 bar und 4 8 0 K) liegt der Wirkungsgrad der Verstromung bei Verwendung geothermischer Energiequellen im allgemeinen nur bei 6 % - 1 8 % . Trotzdem sind in Kalifornien diese Kraftwerke im Bau und Betrieb billiger als konventionelle oder nukleare Kraftwerke. Meist liefern geothermische Quellen Dampf/Wasser-Gemische. Bevor der Dampf zur Stromerzeugung eingesetzt wird, muß er abgetrennt werden. Naßdampfquellen werden in Wairakei, Neuseeland (193 M W ) und Cerro Prieto, M e x i k o (75 M W ) zur Stromerzeugung genutzt; in Japan sind es die Quellen von Onuma (10 M W ) , Otake (11 M W ) und Matsukawa (22 M W ) ; in geringem Umfang wird in Pauzhetsk, UdSSR (5 M W ) und Island (3 M W ) Strom erzeugt (178). Mit dem heißen Wasser selbst kann auch Strom erzeugt werden. Hierzu muß jedoch die Wärme über einen Wärmetauscher auf eine niedrigsiedende Sekundärflüssigkeit (z.B. Freon, Isobutan) übertragen werden. Der Vorteil dieser Technik ist, daß die Korrosion der Turbine und die Freisetzung von für die Umwelt unerwünschten Substanzen verhindert wird. Die Wirtschaftlichkeit der bisher genutzten geothermischen Energie ist gegeben. Die Erschließungs- und Betriebskosten geothermischer Lagerstätten variieren erheblich. Bei „The Geysers" (USA) betrugen die Investitionskosten — bezogen auf eine 1 1 0 MW-Einheit - 1 1 0 $ / k W elektrische Leistung und bei Cerro Prieto (Mexiko) bezogen auf eine 75 MW-Einheit — 8 0 $ / k W elektrische Leistung (in Preisen von 1 9 7 3 ) (179). Die Investitionskosten bei Stromerzeugung mit Heißwasserquellen liegen aufgrund technischer Probleme und auftretender Umweltbelastungen nicht so günstig. Die Verwertung des heißen Wassers kommt wegen der hohen Transportkosten nur in unmittelbarer Nähe der geothermischen Energiequelle in Frage. Der Einsatz für Gebäudeheizung, Warmwasserbereitung oder Meerwasserentsalzung kann durchaus einen lokalen Beitrag zur Energieversorgung leisten. So sind z.B. in Reykjavik rd. 9 0 % aller Häuser an ein geothermisches Heißwassersystem angeschlossen.
4.6
Sekundärenergieträger
4 . 6 1 Elektrische Energie 4 . 6 1 1 Erzeugung 4 . 6 1 1 . 1 Elektrizitätserzeugung mit Wärmekraftwerken Elektrische Energie kann aus allen Primärenergiequellen gewonnen werden. Diese sehr einfach zu handhabende Sekundärenergie, die beim Verbraucher im wesentlichen keine Umweltschäden verursacht, wird aller Voraussicht nach auch zukünftig
280
4.
Energieversorgungssysteme
durch keinen anderen gleichwertigen Energieträger zu ersetzen sein. Insbesondere ist Elektrizität für die Beleuchtung und die elektrochemische Industrie unersetzlich. In allen Regionen der Erde hatte die Elektrizitätserzeugung in den vergangenen Jahrzehnten mehr oder weniger starke Wachstumsraten zu verzeichnen (siehe Tabelle 4-6). Dieser Trend zur Elektrifizierung wird — regional unterschiedlich — anhalten, da die Industrialisierung in vielen Ländern der Erde weitergehen wird. Die Umwandlung von Primärenergie in Elektrizität erfolgte zum Beispiel 1 9 7 9 in der Welt zu rd. 7 0 % über Wärme in konventionellen thermischen Kraftwerken (siehe Tabelle 4-4). Nach den Gesetzen der Thermodynamik beträgt der Wirkungsgrad fossil beheizter Kraftwerke rd. 4 0 % , das heißt, nur dieser Anteil der eingesetzten Primärenergie wird in elektrische Energie umgewandelt. Der übrige (größere) Anteil geht im allgemeinen als Abwärme in das Kühlmittel, zum Beispiel in einen Fluß oder direkt in die Atmosphäre (vgl. 4 . 6 2 ) . Die Kernenergie hatte 1 9 7 9 an der Stromerzeugung in der Welt einen Anteil von 8 % (LWR-Kernkraftwerke haben einen Wirkungsgrad von rd. 3 3 % ) . Der Anteil der geothermischen Energie betrug 1 9 7 9 nur 0 , 1 % und die Wasserkraft — der Gesamtwirkungsgrad von Laufwasserkraftwerken beträgt 8 0 - 9 0 % - hatte 1 9 7 9 einen Anteil von rd. 2 1 % . (Wie in 4 . 3 1 2 ausgeführt, kann auch solar erzeugte Wärme zur Stromerzeugung verwendet werden.) Der weitaus größte Anteil der in der Welt bereitgestellten elektrischen Energie stammt somit aus fossilbefeuerten thermischen Kraftwerken. Als Brennstoffe können Steinkohle, Braunkohle, Öl, Gas und Müll verwendet werden. Der Dampfkraftprozeß ist grundsätzlich in allen Fällen der gleiche; lediglich die Feuerungseinrichtungen, die Vorrichtungen zur „Beseitigung" der Verbrennungsprodukte (Abgase, Asche) und die erreichbaren Dampfzustände (Druck, Temperatur) ändern sich. In allen Fällen wird jedoch mit der bei der Verbrennung freigesetzten Wärme Dampf erzeugt, der eine Turbine antreibt. Die Rotationsenergie wird im elektrischen Generator über ein Magnetfeld — nach dem elektrodynamischen Prinzip — in elektrische Energie umgewandelt (vgl. 2 . 2 3 ) . Ein Kernkraftwerk arbeitet — bis auf die Wärmeerzeugung — prinzipiell wie ein normales Dampfkraftwerk. Die Bewegungsenergie der bei der Kernspaltung entstehenden Bruchstücke wird von einem Kühlmittel aufgenommen und in Wärme umgewandelt. Das heißt, im herkömmlichen Dampfkraftprozeß wird der Dampfkessel durch den Reaktor (mit Dampferzeuger) ersetzt. Die Dampfzustände heute üblicher Leichtwasserreaktoren erreichen aber nicht ganz die Werte fossilbefeuerter Kraftwerke, so daß bei Kernkraftwerken mit einem L W R — wie ausgeführt — nur Gesamtwirkungsgrade von rd. 3 3 % erzielt werden. Flüssige und gasförmige Brennstoffe lassen sich auch mit Hilfe von Gasturbinen oder Verbrennungsmotoren in elektrische Energie umwandeln. Bei der Gasturbine wird von einem Kompressor Umgebungsluft angesaugt, verdichtet und zur Verbrennung von Öl oder Gas in die Brennkammer gedrückt. Die heißen, hochkomprimierten Verbrennungsgase werden in der Turbine entspannt und treiben dabei die Turbine an. Die Rotationsenergie wird im elektrischen Generator in elektrische Energie
281
4.6 Sekundärenergieträger
ο.
Ο ON
s · JS ΪΪ
ο 4 H + + 4 e~ Kathodische Teilreaktion: 0 2 —» 2 O a d s —» 2 Ο - 4 e~ Bruttoreaktion
2 H 2 + 0 2 ->
2 H20
(18)
Der Brennstoff (Wasserstoff) wird an der Anode unter Elektronenabgabe oxidiert; das Oxidationsmittel (Sauerstoff) wird an der Kathode unter Aufnahme von Elektronen reduziert. Als „Verbrennungsprodukt" entsteht Wasser. (Arbeitet die Zelle mit alkalischem Elektrolyten, ergeben sich entsprechend andere Teilreaktionen.) Die zunehmend negative Aufladung der Anode und die positive Aufladung der Kathode führt zum Aufbau einer Potentialdifferenz zwischen den Elektroden, deren Maximalwert von der Differenz der Ionisierungsenergie beider Reaktionspartner abhängt. Der Ladungsausgleich zwischen den beiden Elektroden erfolgt über einen äußeren Kreis aus einem metallischen Leiter mit eingeschaltetem Verbraucher. Bei kontinuierlicher Zufuhr von Brennstoff und Oxidationsmittel kann dem System am Verbraucher eine entsprechende Leistung entnommen werden. Die Vorgänge bei Brennstoffzellen sind in Wirklichkeit kompliziert und werden hauptsächlich durch die Katalysatoren, die Elektroden, die Elektrolyten und die Betriebstemperatur beeinflußt. Für die Wasserstoffelektrode eignen sich als Katalysatoren vor allem Nickel, Platin, Palladium und Legierungen dieser Metalle. Platin und Palladium sind sowohl bei alkalischen als auch bei sauren Elektrolyten verwendbar, jedoch ist der hohe Preis von Nachteil. (Nickel ist nur bei alkalischen Elektrolyten geeignet.) Bei Herstellung von Wasserstoff aus Kohlenwasserstoffen (zum Beispiel Methan) oder durch Kohlevergasung treten bei Wasserstoff Verunreinigungen auf (zum Beispiel CO, C 0 2 ) ; dies führt — falls keine aufwendige Reinigung erfolgt — bei Brennstoffzellen mit alkalischem Elektrolyten zur Karbonatbildung. Bei Verwendung von saurem Elektrolyten ist es nicht erforderlich, das CO und C 0 2 aus dem Wasserstoff zu entfernen. Daher
4.6 Sekundärenergieträger
287
besteht an der Verwendung von sauren Elektrolyten besonderes Interesse. Die in sauren Elektrolyten als Katalysator geeigneten Edelmetalle sind jedoch für einen großtechnischen Einsatz zu teuer, so daß Katalysatoren auf der Basis von Nicht-Edelmetallen entwickelt wurden. Als Anodenkatalysatoren geeignet sind Wolframkarbid, Kobalt-, Nickel- und Eisenphosphide und als Kathodenkatalysator zum Beispiel Aktivkohle mit großer spezifischer Oberfläche (rd. 1300 m 2 /g). Da die elektrochemischen Reaktionen an denjenigen Stellen der Elektrode ablaufen, wo Brennstoff (beziehungsweise Oxidationsmittel), Katalysator und Elektrolyt, das heißt Gas-Festkörper-Flüssigkeit, zusammentreffen (Dreiphasengrenze), sind Elektrodenformen (poröse Elektroden) mit „großflächiger Dreiphasengrenze" günstig. Beispiele für geeignete Elektroden sind: Gasdiffusionselektroden, Doppelschicht-, Mehrschichtelektroden. H 2 /0 2 -Brennstoffzellen haben sich in der Weltraumfahrt bewährt (Apollo-, Geminiprojekt). Da die Spannung einer Zelle relativ gering ist (größenordnungsmäßig 1 V), müssen in der Praxis mehrere Zellen in Serie zu Batterien geschaltet werden. Für terrestrische Anwendungen gibt es seit Jahren Anlagen mit Leistungen im kWBereich, die zum Beispiel zur Energieversorgung von meteorologischen Stationen eingesetzt werden (dezentrale Energieversorgung). Auch gibt es Versuche, Brennstoffzellenbatterien als Antriebssystem für mobile Verbraucher einzusetzen (vgl. 4.673). Aussichtsreich ist die Verwendung von Brennstoffzellen in stationären Stromversorgungsanlagen. Beispielsweise wird in den USA von der United Technology Corporation ein FCG-1 Brennstoffzellen-Kraftwerk von 26 M W zur Spitzenlastdeckung entwickelt, um Elektrizität umweltfreundlich in der Nähe des Verbrauchers erzeugen zu können (182, 183). Aufgrund der zahlreichen vorteilhaften Anwendungsmöglichkeiten von Brennstoffzellen gibt es eine Vielzahl von bereits untersuchten und entwickelten Zelltypen. Die Einteilung der Typen kann nach Wahl der Arbeitstemperatur, des verwendeten Oxidationsmittels, des Elektrolyten oder des Brennstoffes erfolgen. Je nach Arbeitstemperatur unterscheidet man Niedrigtemperaturzellen bis ca. 500 K, Mitteltemperaturzellen von ca. 500 Κ bis ca. 800 Κ und Hochtemperaturzellen bis über 1300 K. Als Oxidationsmittel kommt beispielsweise in Frage: Luft, Sauerstoff, Wasserstoffperoxid; auch wurden mit Chlor schon Versuche durchgeführt. Die Wahl des Elektrolyten hängt wesentlich von der Arbeitstemperatur der Zelle ab. Bei den hauptsächlich entwickelten Niedrigtemperaturzellen werden flüssige Elektrolyte (alkalische oder saure Elektrolyte) verwendet. Wie bereits erwähnt, werden saure Elektrolyte (zum Beispiel verdünnte Schwefelsäure H 2 S 0 4 oder Phosphorsäure H3PO4) im allgemeinen bevorzugt, da es bei Verwendung von alkalischen Elektrolyten (zum Beispiel verdünnter Kalklauge KOH) bei CO- oder C 0 2 - Verunreinigungen im Brennstoff zur Karbonalbildung kommt. Als Brennstoffe wurden bisher insbesondere untersucht: Gasförmige Brennstoffe wie zum Beispiel Wasserstoff, Kohlenwasserstoffe (Äthan, Propan, Butan), Erdgas,
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4. Energieversorgungssysteme
Ammoniak; flüssige Brennstoffe wie zum Beispiel Hydrazin, Methanol; im Elektrolyten suspendierte Brennstoffe wie zum Beispiel Dieselöl; feste Brennstoffe wie zum Beispiel Kohle. Da Wasserstoff (vgl. 4.66), Kohlenwasserstoffe (zum Beispiel Methan CH 4 ) (vgl. 4.642) sowie Methanol (vgl. 4.643.1) mögliche Sekundärenergieträger sind, die in Zukunft in der Energiewirtschaft eine wichtige Rolle spielen können, sind die Brennstoffzellen, die Wasserstoff, Methan oder Methanol als Brennstoff verwenden, besonders interessant (184). Aus diesem Grunde sind, neben der H 2 /0 2 -Zelle, die CH 4 /0 2 -Zelle und die C H 3 0 H / 0 2 - Z e l l e eine der meist untersuchten Zelltypen. Aufgrund der großen Kohlenvorräte sind kohlenverwertende Brennstoffzellen von großem Interesse, da dadurch die umweltfreundliche Erzeugung von elektrischer Energie mit einem Wirkungsgrad um 50% durchgeführt werden könnte. Insbesondere in den USA (Argonne National Laboratory, Illinois) wird an kohleverwertenden Brennstoffzellen gearbeitet; dabei wird Kohle zur Verwertung in einer Brennstoffzelle zuerst vergast. 4.611.32 Magnetohydrodynamische Generatoren Ein weiteres interessantes Verfahren der direkten Elektrizitätserzeugung beruht auf dem Prinzip des magnetohydrodynamischen Generators. Mit Hilfe des MHD-Generators sollen — mit einem nachgeschalteten konventionellen Dampfkraftwerk — Wirkungsgrade von 60% erreichbar sein. Mit diesem Verfahren wäre es möglich, Kohle (Erdgas) effektiver und auch umweltfreundlicher in elektrische Energie umzuwandeln als mit konventionellen Wärmekraftwerken (185). Beim MHD-Generator wird heißes, ionisiertes Gas (Plasma von ~ 3000 K) beziehungsweise flüssiges Metall mit hoher Geschwindigkeit durch ein senkrecht zur Strömungsrichtung wirkendes Magnetfeld hoher Induktion (1 bis 10 Tesla) geführt. Bei diesem Vorgang entsteht senkrecht zur Strömungs- und Magnetfeldrichtung eine Gleichspannung, die an geeigneten Elektroden abgenommen werden kann. Die Leistungsdichte des MHD-Generators ist vor allem von folgenden Größen abhängig: von der elektrischen Leistungsfähigkeit, der Strömungsgeschwindigkeit des Arbeitsmediums und der magnetischen Induktion im MHD-Kanal. Um die elektrische Leitfähigkeit des Arbeitsmediums zu erhöhen, strebt man — bei gasförmigen Medien — hohe Arbeitstemperaturen an beziehungsweise führt man dem Medium leicht ionisierbare Substanzen als Ionisationskeime (zum Beispiel Alkalimetalle) zu. Eine andere Möglichkeit ist, flüssige Metalle als Arbeitsmedien zu verwenden. Bei der Erzeugung der erforderlichen hohen Strömungsgeschwindigkeiten der flüssigen Metalle treten jedoch große Schwierigkeiten auf, so daß beim MHDGenerator mit Flüssigmetall als Arbeitsmedium größere Probleme auftreten als bei einem MHD-Generator mit gasförmigem Medium. (Bei gasförmigen Arbeitsmedien bereitet die Erzeugung der notwendigen hohen Strömungsgeschwindigkeiten im MHD-Kanal keine allzu großen Schwierigkeiten.) Da MHD-Generatoren in erster Linie für Leistungen im MW-Bereich in Frage
4.6
Sekundärenergieträger
289
kommen — die Kanalquerschnitte müssen daher entsprechend groß dimensioniert sein — ist die Erzeugung der hierfür erforderlichen starken Magnetfelder schwierig. Die Erzeugung von Magnetfeldern mit Induktionen von mehreren Tesla ist mit supraleitenden Magnetspulen möglich und grundsätzlich gelöst, jedoch kommt hier erschwerend hinzu, daß im MHD-Kanal Temperaturen bis zu rd. 3 0 0 0 Κ auftreten, die supraleitenden Magnetspulen aber auf 4 Κ gehalten werden müssen. Dies hat zur Folge, daß der Aufwand für die thermische Isolierung sehr groß ist. Große Anforderungen werden an die Elektrodenmaterialien sowie an die Kanalwandungen gestellt. Zum Beispiel soll das Elektrodenmaterial eine gute elektrische Leitfähigkeit haben, jedoch thermisch schlecht leitend sein; es muß hohen Temperaturen Stand halten, jedoch soll es nicht oxidieren. Zirkonoxid ( Z r 0 2 ) mit Zusätzen wie zum Beispiel Yttriumoxid ( Y 2 0 3 ) hat sich bis ca. 2 5 0 0 Κ als geeignet erwiesen. Da die Kanalwandungen ähnlichen thermischen und chemischen Einflüssen wie die Elektroden ausgesetzt sind, eignen sich auch hier Materialien aus Zirkonoxid (116). Im wesentlichen existieren derzeit folgende Konzepte für MHD-Generatoren: Offene MHD-Anlagen mit gasförmigem Arbeitsmedium und geschlossene MHD-Anlagen mit gasförmigem und flüssigem Arbeitsmedium (flüssigem Metall). Bei der offenen MHD-Generatoranlage wird das Arbeitsmedium (Verbrennungsgase) nicht mehr zur Brennkammer zurückgeführt, sondern gelangt in die Atmosphäre: Nach Verlassen der Brennkammer durchströmt das Arbeitsmedium zunächst den MHD-Kanal, dann einen Luft-Vorerhitzer, einen Wärmetauscher, eine Reinigungsanlage und gelangt dann — nach weiterer Kühlung — in die Atmosphäre. Der Verbrennungsprozeß findet in einer Brennkammer statt, in der dem Brennstoff — zur Erhöhung der elektrischen Leitfähigkeit der Verbrennungsgase — Ionisationskeime zugeführt werden. (Als Ionisationskeime eignen sich Elemente mit relativ geringer Ionisierungsenergie wie zum Beispiel Natrium, Kalium oder deren Verbindungen wie K 2 C 0 3 . ) Hohe Gastemperaturen ( ~ 3 0 0 0 K) und damit entsprechend gute elektrische Leitfähigkeit werden erreicht, indem man dem Brennstoff vorerwärmte Luft (von ca. 2 0 0 0 K) zusetzt. (Die Luft wird mit Hilfe der heißen Verbrennungsgase, nach Verlassen des MHD-Kanals, in dem Luft-Vorerhitzer erwärmt.) In dem — nachgeschalteten — Wärmetauscher wird den heißen Gasen ein möglichst großer Teil der Wärme entzogen und einem konventionellen Dampfkreis (Dampfkraftwerk) zugeführt. (Grundsätzlich wäre auch eine Energieumwandlung mit einer Gasturbine denkbar, jedoch führen die korrosiven Gase zu Materialproblemen.) Nach erfolgter Reinigung der Verbrennungsgase und Entfernen der Ionisationskeime in der Reinigungsanlage gelangen die Abgase — nach weiterer Kühlung — in die Atmosphäre. Anlagen nach dem Prinzip des MHD-Generators werden seit Jahren in der Sowjetunion und in den USA gefördert. In den USA wurden in Probeläufen eines M H D Generators (Mark V; Firma „Avco Everett") 3 2 M W elektrische Leistung erzielt. M i t der Anlage U-25 am Institut für Hochtemperaturphysik in Moskau verfügt die UdSSR über einen großen MHD-Generator ( 1 8 6 , 1 8 7 ) . Der U-25 arbeitet mit Erdgas
290
4. Energieversorgungssysteme
als Brennstoff: Atmosphärische Luft wird bis zu 40% mit Sauerstoff angereichert, anschließend mit Kompressoren auf einen Druck von rd. 3 bar gebracht, dann in einem Lufterhitzer auf ca. 1500 Κ erhitzt und zusammen mit K 2 C 0 3 in die Brennkammer geleitet, wo die Verbrennung von Erdgas erfolgt. Das so entstehende (leitfähige) Verbrennungsgas (Plasma von rd. 2800 K) tritt aus der Brennkammerdüse und gelangt mit einer Geschwindigkeit von rd. 1000 m/s in den MHD-Generatorkanal. Die Kanalabmessungen betragen am Eingang 0,38 x 0,77 m 2 und am Ausgang 0,38 x 1,88 m 2 ; die Länge des Arbeitsabschnittes ist rd. 5 m. Der Generatorkanal befindet sich in einem normalleitenden Magnetsystem; die magnetische Induktion beträgt ca. 2 Tesla. Das aus dem MHD-Generatorkanal austretende heiße Gas gelangt in einen Wärmetauscher und erzeugt Dampf von ca. 810 Κ und 100 bar. Nach Reinigung der Verbrennungsgase und Entfernen der Ionisationskeime (K 2 C0 3 ) gelangen die Abgase — nach weiterer Abkühlung — in die Atmosphäre, das K 2 C 0 3 wird wieder der Brennkammer zugeführt (116). Anfang 1977 wurden mit dieser Anlage für die Dauer von 250 Stunden 12 M W elektrische Leistung — vorübergehend sogar schon 20 M W — erzielt. Durch Einsatz von supraleitenden Magneten erwartet man eine beachtliche Leistungssteigerung. Die UdSSR plant den Bau einer 500 MW-Anlage. Die beiden anderen Konzepte für MHD-Generatoren — geschlossene MHD-Anlagen mit gasförmigem und flüssigem Arbeitsmedium (flüssigem Metall) — sind wesentlich weniger weit entwickelt. Bei der geschlossenen MHD-Anlage mit gasförmigem Arbeitsmedium (zum Beispiel Helium) soll das Edelgas Helium in einem geschlossenen Kreislauf geführt werden. Als Wärmequelle ist an den Einsatz von Hochtemperaturreaktoren mit besonders hoher Kühlmitteltemperatur vom 1500 bis 2000 Κ gedacht (vgl. 4.213.3). Bei MHD-Anlagen mit flüssigem Metall als Arbeitsmedium soll das Medium ebenfalls in einem geschlossenen Kreislauf geführt werden. Bei Verwendung von flüssigen Metallen als Arbeitsmedien ist von Vorteil, daß die elektrische Leitfähigkeit um einige Zehnerpotenzen höher liegt als bei gasförmigen Arbeitsmedien. Demgegenüber gibt es jedoch bei Verwendung von flüssigen Metallen große Probleme. Zum Beispiel bereitet die Erzeugung der erforderlichen hohen Strömungsgeschwindigkeiten große Schwierigkeiten. 4.611.33 Thermoelektrische Energieumwandlung Die direkte Elektrizitätserzeugung kann in der Energiewirtschaft nur dann eine Rolle spielen, wenn das jeweilige Verfahren — unter wirtschaftlich vertretbaren Bedingungen — für große Leistungen geeignet ist. Die thermoelektrische Energieumwandlung sowie Radionuklidbatterien dürften hierfür nicht in Frage kommen, sondern dürften sich nur für bestimmte Anwendungen eignen. Bei der thermoelektrischen Energieumwandlung wird, unter Ausnutzung eines von T. Seebeck entdeckten Effektes (Seebeck-Effekt), Wärme direkt in elektrische Energie umgewandelt. Hält man die beiden Verbindungsstellen zweier verschiedener
4.6
Sekundärenergieträger
291
Leitermaterialien auf verschiedenen Temperaturen T\ beziehungsweise T 2 (T, > T 2 ), so entsteht eine Thermospannung. Für die Thermospannung U gilt: U = a s (T, - T 2 ), wobei a s der Seebeck-Koeffizient ist. (Zum Beispiel beträgt die Thermospannung bei Wismut-Antimon 1 • 1 0 ^ V/K.) Vorrichtungen der beschriebenen Art nennt man Thermoelemente. Durch Hintereinanderschalten vieler Elemente zu einer Thermosäule erhält man eine größere Spannung. In der Praxis sind diese Art von Thermoelementen — wegen der geringen Spannung, der niedrigen Leistung und des schlechten Wirkungsgrades — nicht einsetzbar. Jedoch lassen sich bei Verwendung geeigneter Halbleitermaterialien und optimal ausgelegter Thermogeneratoren Wirkungsgrade von bis zu rd. 11 % erzielen. Thermoelektrische Materialien sollten einen hohen Seebeck-Koeffizienten, hohe elektrische und niedrige thermische Leitfähigkeit haben. Je nach Temperaturbereich (der „heißen Lötstelle") eignen sich verschiedene Materialien für thermoelektrische Generatorelemente: Im Temperaturbereich bis ca. 600 Κ eignen sich Wismut-Antimon-Tellur-Legierungen für p-leitendes Material und Wismut-Tellur-Selen-Legierungen für n-leitendes Material; im Temperaturbereich von ca. 600 K - 8 0 0 Κ eignet sich Bleitellurid, das als p- und als n-leitendes Material hergestellt werden kann; im Temperaturbereich von ca. 800 K—1300 Κ eignen sich Germanium-Silizium-Legierungen, die ebenfalls als p- und als η-dotiertes Material hergestellt werden können (116).
Da ein einzelnes Thermoelement nur eine geringe Spannung liefert, müssen — für praktische Zwecke — bei einem Thermogenerator viele Elemente elektrisch in Serie geschaltet werden. Als Wärmequelle für Thermogeneratoren kann jede Wärmequelle verwendet werden, die die erforderlichen Temperaturen liefert. Wegen des relativ niedrigen Wirkungsgrades von bis zu rd. 11% eignen sich jedoch Thermogeneratoren nicht für größere Anlagen, sondern nur für bestimmte Anwendungen, wie zum Beispiel zur elektrischen Energieversorgung von unbemannten extraterrestischen Meßstationen. Wegen der Forderung nach wartungsfreiem und langem Betrieb eignen sich als Wärmequelle Radionuklide (vgl. 4.611.35) oder — für größere Leistungen bis zu einigen kW — kleine Kernreaktoren (116). 4.611.34 Thermionische Energieumwandlung Bei der thermionischen Energieumwandlung wird — unter Ausnutzung des Effektes der „Glühemission" von Elektronen aus heißen Elektrodenoberflächen — thermische Energie direkt in elektrische Energie umgewandelt. Ein thermionischer Energiewandler (Thermionikdiode, -element) besteht aus zwei Elektroden. Der einen Elektrode (Ermitter, Kathode) wird thermische Energie zugeführt; diese Energiezufuhr bewirkt die Elektronenemission aus der Elektrodenoberfläche. Die Elektronen gelangen zur kälteren Elektrode (Kollektor, Anode). Durch diesen Vorgang baut sich zwischen Emitter und Kollektor eine Spannung U auf (116). Bei Anschluß eines Verbrauchers gelangen die Elektronen über den äußeren
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4.
Energieversorgungssysteme
Stromkreis wieder zum Emitter. Um eine entsprechende Elektronenemission (Stromdichte) zu erzielen, sind — je nach Typ — Temperaturen zwischen 1 3 0 0 Κ und 2 8 0 0 Κ erforderlich. (Bei Thermionikelementen ist der Transport der Wärme zum Emitter — wegen der kleinen Elektrodenabmessungen — problematisch. Eine Möglichkeit ist, hierzu das sogenannte Wärmerohr (heat-pipe) zu verwenden.) Die Thermionikdiode (zum Beispiel Cs-Diode) unterscheidet sich von einer normalen Diode dadurch, daß durch extrem kleine Elektrodenabstände — die Abstände liegen bei ca. 0 , 0 1 mm — das Auftreten einer Raumladung verhindert wird, so daß die Elektronen nahezu vollzählig von dem Emitter zum Kollektor gelangen. Die nutzbare Klemmenspannung liegt bei rd. 0,5 V, so daß zur Erzielung einer bestimmten Spannung die Zahl der in Serie geschalteten Elemente wesentlich kleiner ist als bei thermoelektrischen Elementen. Außerdem werden mit Thermionikelementen — im Vergleich zu thermoelektrischen Elementen — etwas höhere Wirkungsgrade (bis zu ca. 2 0 % ) erzielt. Als Wärmequelle für den Emitter kann — wie bei thermoelektrischen Elementen — jede Wärmequelle verwendet werden, die die erforderlichen Temperaturen liefert. Es wurden beispielsweise mit Radionukliden, mit Kernreaktoren (20 k W elektrische Leistung) und mit Sonnenenergie betriebene Thermionikgeneratoren gebaut (116). 4.611.35
Radionuklidbatterien
Radionuklidbatterien wandeln die Strahlungsenergie, die beim Zerfall eines Radionuklids (radioaktiven Isotops) frei wird, in elektrische Energie um. Dabei können unterschiedliche Umwandlungsmethoden angewendet werden. So kann die kinetische Energie der α- oder ß-Teilchen durch Abbremsung in einer Metallkapsel in Wärme umgewandelt werden; die Wärme kann beispielsweise mit Thermoelementen (thermoelektrische Radionuklidbatterien) (vgl. 4 . 6 1 1 . 3 3 ) oder mit Thermionikelementen (thermionische Radionuklidbatterie) (vgl. 4 . 6 1 1 . 3 4 ) in elektrische Energie umgewandelt werden. Einer der Vorteile von Radionuklidbatterien ist der wartungsfreie Betrieb. Die meisten Radionuklidbatterien arbeiten mit Thermoelementen. Um eine möglichst konstante Leistung zu liefern, muß die Halbwertzeit des verwendeten Radionuklids um ein mehrfaches größer sein als die gewünschte Betriebsdauer der Batterie. (Je größer die Halbwertzeit eines Radionuklids ist, desto kleiner ist aber meist die Leistungsdichte.) Die Halbwertzeiten der verwendeten Nuklide liegen — je nach Verwendungszweck — bei bis zu 1 0 0 Jahren. Beispiele für verwendete Radionuklide sind: 'gSr (ß-Strahler mit einer Halbwertzeit von 28 a; die spezifische Leistung von SrO beträgt 0 , 2 3 W/g) und 2 |fPu (α-Strahler mit einer Halbwertzeit von 8 6 a ; die spezifische Leistung von P u 0 2 beträgt 0 , 4 4 W/g). Eine Radionuklidbatterie auf der Basis von IgSr, wie sie zum Beispiel zur Energieversorgung von Wetterstationen eingesetzt wird, ist wegen der notwendigen Abschirmung schwer. Typische Werte sind: Elektrische Leistung ca. 5 0 M W , Masse ca. 1 0 0 0 kg, Lebensdauer der Batterie 5 bis
4.6
Sekundärenergieträger
293
10 Jahre. Kleine Radionuklidbatterien auf der Basis von 2 ||Pu werden unter anderem für einoperierte Herzschrittmacher verwendet (116). 4 . 6 1 2 Transport In einem Energieversorgungssystem hat die Elektrizität zwei Nachteile. Ein Nachteil besteht darin, daß die elektrische Energieübertragung — für gleiche Energiemengen —, verglichen mit anderen Energieträgern, eine teuere Art des Energietransports ist. Der andere Nachteil ist, daß Energiespeichersysteme für elektrische Energie aufwendig sind (vgl. 4 . 6 1 3 ) . In den Industriestaaten werden zum Teil rd. 3 0 % der Primärenergie zur Elektrizitätserzeugung verwendet. Aus wirtschaftlichen Gründen und wegen der ökologischen Belastung wird Elektrizität meist in großen Einheiten (Grundlastwerke) und in einiger Entfernung von Ballungszentren erzeugt. Deshalb sind Methoden des Transports von elektrischer Energie von großer Bedeutung und deren Weiterentwicklung wird in vielen Ländern der Welt besonders gefördert. Bei elektrischer Energieübertragung ist die übertragbare Leistung um so größer, je größer die Übertragungsspannung und die Leiterstromstärke ist. Für beide Größen gibt es aber — aus technischen und wirtschaftlichen Gründen — nach oben Grenzen. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, elektrische Energie in Freileitungen und in (unterirdischen) Kabeln zu übertragen. Die Freileitung wird auch in Zukunft über große Entfernungen die bevorzugte Art der elektrischen Energieübertragung sein. Bei der Freileitung sind unter anderem die relativ geringen Anlagekosten, die rasche Schadenserkennung und Schadensbehebung (größere Verfügbarkeit) von Vorteil; von Nachteil ist der große Platzbedarf. In der Vergangenheit ist man mehr und mehr zu Drehstromübertragungssystemen übergegangen. Bei dieser Art der elektrischen Energieübertragung ist - aus technischen und wirtschaftlichen Gründen - die Grenze der Leiterstromstärke weitgehend erreicht. (Zum Beispiel kann der Querschnitt der Leitungen — wegen des Seilgewichts, der Materialbeanspruchung und Kostenfragen — nicht beliebig vergrößert werden.) Deshalb sind die Übertragungsspannungen bei Fernleitungen mehr und mehr erhöht worden. In der Bundesrepublik Deutschland ist heute das Fernnetz überwiegend ein 3 8 0 kV-Netz. In den USA sind über 8 0 0 0 Meilen ( 2 2 % ) des Netzes Leitungen mit 5 0 0 kV, und 1 9 7 0 wurde eine 1000-Meilen-Leitung mit 7 6 5 kV gebaut. Versuche finden bereits mit Übertragungsspannungen von 1 1 0 0 kV, 1 5 0 0 kV und 2 2 5 0 k V statt ( 1 8 9 , 1 9 0 ) . In den letzten Jahren gewinnt auch die Hochspannungs-Gleichstromübertragung an Bedeutung. Diese Art der elektrischen Energieübertragung kommt jedoch aus wirtschaftlichen Gründen erst bei Leitungen über 1 0 0 0 km in Frage, da aufwendige Gleich- und Wechselrichteranlagen erforderlich sind (183). In Ballungszentren müssen zum Transport von elektrischer Energie in zunehmendem M a ß e — wegen des geringeren Platzbedarfs im Vergleich zu Freileitungen — unterirdische Kabel eingesetzt werden. Dies ist mit beträchtlichen Mehrkosten verbun-
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4. Energieversorgungssysteme
den; der Transport von elektrischer Energie mit unterirdischen Kabeln ist 10 bis 2 0 mal teurer als der mit oberirdischen Hochspannungsleitungen. In Großstädten wie zum Beispiel New York, Berlin, Tokyo braucht man unterirdische Leitungen, die 1 0 0 0 M V A übertragen können (1, 183). Hinsichtlich der elektrischen Leistungsübertragung gilt für Kabel im Prinzip dasselbe wie für Freileitungen, jedoch sind die Übertragungsspannungen zusätzlich durch Isolationsmaterialien nach oben begrenzt. Als Lösungen bieten sich Öl-Papier-Kabel und Kabel mit Wasserkühlung oder gasförmiger SF 6 -Kühlung an. Beispielsweise gibt es bereits SF 6 -Kabel für spezielle Anwendungen (700 m Länge, 4 2 0 kV, 1 0 0 0 M W ) (183). An der Entwicklung von supraleitenden Kabeln für die Übertragung von elektrischer Energie wird intensiv gearbeitet. Gegenwärtig müssen die Leiter solcher Kabel noch auf die Temperatur des flüssigen Heliums (4 K) gekühlt werden. Derartige Installationen wären jedoch mit zu hohen Kosten verbunden. Es hat den Anschein, daß supraleitende Kabel erst bei wesentlich höheren als den heute üblichen Übertragungsleistungen interessant sind (2—10 GW) und auch dann nur, wenn Materialien entwickelt worden sind, die höhere Betriebstemperaturen zulassen als z.B. die des flüssigen Wasserstoffs. Auch Wasserstoff eignet sich grundsätzlich zum Transport (und zur Speicherung) von elektrischer Energie. Zum Beispiel könnte elektrolytisch erzeugter Wasserstoff (vgl. 4.661), abgesehen von Wirtschaftlichkeitsaspekten, in der Nähe von Verbrauchszentren (beispielsweise in einem Brennstoffzellenkraftwerk) (vgl. 4 . 6 1 1 . 3 1 ) wieder in elektrische Energie umgewandelt werden. Flüssige Energieträger (zum Beispiel Methanol) (vgl. 4 . 6 4 3 . 1 ) und gasförmige Energieträger (zum Beispiel bei der Kohlevergasung entstehende Produkte) (vgl. 4 . 6 4 2 ) eignen sich ebenfalls grundsätzlich zum Transport (und Speicherung) von Energie. Diese Art des Energietransportes (Rohrleitungstransport) ist preiswerter als der Transport in Form von Elektrizität. Auch ist mit dem System der Fernenergie (Latentwärmegas Synthesegas/Methan) die Möglichkeit gegeben, Energie über größere Entfernungen zu transportieren (vgl. 4.65). Bei diesen Arten des Energietransports ist — im Unterschied zur Fernwärme — neben der Wärmebedarfsdeckung auch die Erzeugung von elektrischer Energie in der Nähe von Verbrauchszentren möglich (vgl. 4 . 6 1 1 . 1 und 4 . 6 1 1 . 3 1 ) . 4 . 6 1 3 Speicherung Die Speicherung von elektrischer Energie ist insbesondere aus zwei Gründen von Bedeutung. Zum einen sind die Kosten der Kraftwerke so gestiegen, daß es immer wichtiger wird, diese Anlagen maximal auszulasten. Zum anderen unterliegt aber die Nachfrage sowohl Tages- und Monatsschwankungen als auch jahreszeitlichen Schwankungen (vgl. 4 . 6 1 4 ) . Deshalb ist es notwendig, durch gespeicherte Energie Spitzenlasten decken zu können; außerdem muß verhindert werden, daß bei Erreichen einer bestimmten Überlast das ganze Netz zusammenbricht und somit alle Ver-
4.6 Sekundärenergieträger
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braucher ohne elektrische Energie sind. Die Speicherung von Energie kann grundsätzlich hydraulisch, pneumatisch, mechanisch, elektrisch, magnetisch, chemisch oder thermisch erfolgen. Im folgenden sollen einige zur Speicherung von elektrischer Energie günstige Methoden behandelt werden. Die Speicherung dieses Sekundärenergieträgers ist schwierig, da hierzu im allgemeinen aufwendige zusätzliche Anlagen erforderlich sind. Zur Deckung von Spitzenlasten haben sich Pumpspeicherwerke bewährt. Bei dieser Methode wird mit Elektrizität Wasser bergauf in einen Speichersee gepumpt, das dann auf dem Rückweg Elektrizität durch Wasserturbinen erzeugt. Der Gesamtwirkungsgrad von Pumpspeicherkraftwerken liegt derzeit bei rd. 75%. Mit diesen Anlagen kann elektrische Energie großtechnisch und wirtschaftlich gespeichert werden. In den USA bestehen beispielsweise Pumpspeicherkraftwerke von rd. 8100 M W (2% der gesamten installierten Elektrizitätsleistung) (siehe auch Tabelle 4-5) (183). Elektrische Energie pneumatisch zu speichern, erfordert große Druckbehälter. Hierzu eignen sich beim Betrieb von Gasturbinenkraftwerken unterirdische Salzstock-Kavernen, in die in Zeiten des Energieüberschusses Luft unter hohem Druck (40—60 N/m 2 ) gepumpt wird. Bei Spitzenbedarf an elektrischer Energie wird die komprimierte Luft unmittelbar über die Brennkammer in die Turbine geleitet, wodurch sich die Gesamtleistung des Gasturbinenkraftwerkes etwa auf das Doppelte steigern läßt. Neben der Möglichkeit, elektrische Energie für kommerzielle Zwecke mit Hilfe von Pumpspeicherkraftwerken (indirekt) zu speichern, sind Luftspeicherkraftwerke eine weitere geeignete Methode, elektrische Energie zur Deckung von Spitzenlasten großtechnisch und wirtschaftlich (indirekt) zu speichern. In der Nähe von Bremen (Huntorf), Bundesrepublik Deutschland, wurde im Dezember 1978 das erste Luftspeicher-Gasturbinenkraftwerk (air storage gas turbine plant) der Welt mit 290 M W elektrischer Leistung in Betrieb genommen. Zwei Salzstockkavernen nehmen täglich rd. 2,7 · 10 6 m 3 Druckluft auf. Bei Spitzenstrombedarf wird die unter Druck stehende Luft für die Verbrennungsprozesse in der Gasturbine genutzt (vgl. 4.611.1) (192). Eine Möglichkeit, elektrische Energie als mechanische Energie zu speichern, ist bei thermischen Werken der Dampfspeicher, da hier der Dampf im Kraftwerk bereits existiert, der dann in Gefäßen gespeichert wird. (Ein 67 MWh-Dampfspeicher mit 3300 m 3 Kapazität ist in Berlin-Charlottenburg seit 1929 in Betrieb.) Heute können in Guß-Druckbehältern 8000 m 3 Dampf bei 60 N / m 2 in einem Gefäß von 7 1 m Höhe und 12 m Durchmesser gespeichert werden (83). Die elektrische Speicherung in Batterien eignet sich nur für kleinere und mittlere Leistungen, da die Kosten für Batterien — zumindest heute noch — zu hoch sind. Die Entwicklung von Batterie-Systemen für den Lastausgleich und mobile Verbraucher wird in vielen Ländern gefördert (vgl. 4.663). Brennstoffzellen, die auf „kalter" Verbrennung von Wasserstoff basieren, eignen sich ebenfalls zur Speicherung von elektrischer Energie. Dieser Wasserstoff könnte in einem Grundlast-Kraftwerk während Zeiten geringen Verbrauchs erzeugt werden.
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Allerdings wurden Brennstoffzellen nicht zu Speicherzwecken, sondern — wie in 4 . 6 1 1 . 3 1 erwähnt — zur Elektrizitätserzeugung entwickelt. Als magnetische Speicherung bieten sich supraleitende Spulen an. Der Drehstrom aus dem Netz wird zu diesem Zweck gleichgerichtet und fließt in eine surpaleitende Spule. Da der Wirkungsgrad 85 — 9 0 % beträgt, wäre diese Speichermethode besonders interessant. Dieses Verfahren ist heute jedoch noch zu kostspielig (183). Der Lastausgleich in Netzen kann auch durch Speicher beim Verbraucher erfolgen (Nachtspeicher für Raumheizung). Bezogen auf den Primärenergieeinsatz ist jedoch diese Methode, Wärmebedarf zu decken, nicht günstig (vgl. 4 . 3 2 5 ) . Energiespeicher haben grundsätzlich die Funktion, Sekundärenergieträger (oder Primärenergieträger) aufzunehmen und diese — bei Bedarf — wieder abzugeben. Die Aufgabe von Energiespeichern kann zum Beispiel sein: Bevorratung, Ausgleich des schwankenden Energiebedarfs und optimale Nutzung der eingesetzten Primärenergie (vgl. 4 . 6 2 ) . Wie in 4 . 6 1 1 behandelt, kann elektrische Energie aus allen Primärenergiequellen gewonnen werden. Das heißt, flüssige und gasförmige Energieträger sind grundsätzlich geeignet, Energie zu speichern und können — bei Bedarf — in elektrische Energie umgewandelt werden. (Dies gilt auch für feste Energieträger, jedoch ist der feste Aggregatzustand für die weitere Verwendung oft von Nachteil, da feste Energieträger nicht — wie gasförmige und flüssige Energieträger — „pumpfähig" sind.) In den letzten Jahren ging man — auch aus Platz- und Kostengründen — dazu über, flüssige und gasförmige Energieträger unterirdisch zu speichern. Als Untergrundspeicher eignen sich: Leere Öl- und Gaslagerstätten, Porenspeicher (Aquiferspeicher), künstlich in Salzstöcken (durch Aussolen) geschaffene Hohlräume oder in festen und dichten Gesteinsformationen geschaffene Hohlräume (zum Beispiel Felskavernen, Tunnel, stillgelegte Bergwerke). Leergeförderte ö l - beziehungsweise Gaslagerstätten eignen sich im allgemeinen besonders gut zur Speicherung von flüssigen beziehungsweise gasförmigen Energieträgern. Von Vorteil dabei ist, daß diese Speicher meist ohne großen Kostenaufwand genutzt werden können. Porenspeicher eignen sich in erster Linie für die Speicherung von Gasen. Voraussetzung hierfür sind geeignete poröse permeable Gesteinsschichten sowie geologisch günstige Bedingungen (zum Beispiel gasundurchlässige Schichten), die das Abströmen des Gases verhindern. Porenspeicher, die größenmäßig bis zu etwa 1 0 9 m 3 Gas speichern können, sind seit einigen Jahren in den USA, in Kanada, in Frankreich, in der Bundesrepublik Deutschland, in der UdSSR im Einsatz. Künstlich durch Aussolen geschaffene Steinsalzkavernen — sie zeichnen sich durch hohe Dichtheit aus — eignen sich sowohl für die Speicherung von Öl als auch für Gas. Ölspeicher dienen in erster Linie zur Bevorratung. Gasspeicher eignen sich dagegen — wegen ihrer raschen Entladbarkeit — besonders zur Deckung von Spitzenlasten. Wie bereits erwähnt, kann in Salzstockkavernen auch Druckluft gespeichert werden. Neuerdings wird auch die Untergrundspeicherung von flüssigem Erdgas (LNG) erprobt. Die Speicherung in festen Gesteinsformationen ist — wegen mangelnder
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Sekundärenergieträger
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Dichtheit des Gesteins — bisweilen problematisch. Aus diesem Grunde gibt es derzeit noch keine entsprechenden Gasspeicher, sondern nur Ölspeicher (zum Beispiel Felskavernen in Norwegen und Schweden) (116). 4.614 Wirtschaftliche Aspekte Der Bedarf an elektrischer Energie unterliegt — wie erwähnt — sowohl starken Tagesund Monatsschwankungen als auch jahreszeitlichen Schwankungen. Abb. 4-23 zeigt typische Tageslastkurven — jeweils für einen Werktag, einen Samstag und einen Sonntag — im Januar beziehungsweise Juli, am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland (193). Aus den dargestellten Diagrammen sind einerseits die verschiedenen Lastkurven an einzelnen Wochentagen ersichtlich, und andererseits werden die Unterschiede zwischen Lastkurven im Winter und Sommer deutlich. D a die großtechnische und wirtschaftliche Speicherung von elektrischer Energie nur indirekt und im allgemeinen mit aufwendigen zusätzlichen Anlagen möglich ist (zum Beispiel mit Pumpspeicherkraftwerken, Luftspeicherkraftwerken), kann aufgrund von Lastkur-
Q u e l l e : E. Pestel et al., D a s D e u t s c h l a n d - M o d e l l , S t u t t g a r t : D e u t s c h e Verlags-Anstalt 1 9 7 8 .
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ven nicht ohne weiteres auf die zur Bedarfsdeckung notwendige Kraftwerkskapazität geschlossen werden. Die Kraftwerkskapazität muß vielmehr in folgende Lastbereiche eingeteilt werden: Grundlastbereich ^ (Dauerbetrieb), Mittellastbereich und Spitzenlastbereich (194). Da Kraftwerke als Wirtschaftsunternehmen auch kostenoptimal arbeiten sollen, werden unterschiedliche Kraftwerkstypen in dem jeweils geeigneten Lastbereich zur Strombedarfsdeckung eingesetzt. Das heißt, für die einzelnen Lastbereiche (Grundlast, Mittellast, Spitzenlast) sind die entsprechenden Kraftwerkskapazitäten gesondert zu ermitteln. Dabei muß die Elektrizitätswirtschaft in der Kraftwerksplanung so disponieren, daß die verfügbare Kraftwerkskapazität ausreicht, auch den Strombedarf bei Jahreshöchstbelastung zu decken, um zu verhindern, daß bei Erreichen einer bestimmten Überlast das ganze Netz zusammenbricht. Grundlastkraftwerke sind an erster Stelle Laufwasserkraftwerke sowie Kernkraftwerke und Kohlekraftwerke. Diese Kraftwerkstypen sollen möglichst das ganze Jahr hindurch arbeiten. (Zum Beispiel sind Kernkraftwerke im Normalfall größenordnungsmäßig 7000 bis 8000 h pro Jahr im Einsatz.) Mittellastkraftwerke sind Kohle-, Öl- und Gaskraftwerke, die zum Teil auch als Mischfeuerungskraftwerke betrieben werden. (Zum Beispiel sind Steinkohlekraftwerke — bei Einsatz im Mittellastbereich — 3000 bis 4000 h pro Jahr im Einsatz.) Von der Technik her können auch Mittellastkraftwerke — zum Beispiel Steinkohlenkraftwerke — einen Teil der Grundlast übernehmen und umgekehrt. Der Spitzenlastbereich wird durch Speicherkraftwerke und Gasturbinenkraftwerke gedeckt, die vielleicht nur wenige Stunden pro Tag arbeiten. Kennt man die in einzelnen Lastbereichen abgenommene Strommenge (Arbeit), so erhält man — unter Berücksichtigung der üblichen Ausnutzungsstunden (Zeit) — die erforderliche Kraftwerkskapazität (Leistung) zur Strombedarfsdeckung in den einzelnen Lastbereichen, da ja gilt: Leistung = Arbeit/Zeit (vgl. 2.21). Bei der Planung zukünftiger Kraftwerkskapazitäten ist unter anderem die Kapazität bezogen auf die einzelnen Lastbereiche zu berücksichtigen. Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit ist man bestrebt, die Stromkosten niedrig zu halten. Dies wird unter anderem dadurch erreicht, daß unterschiedliche Kraftwerksarten möglichst in dem Lastbereich eingesetzt werden, in dem sie am wirtschaftlichsten arbeiten. Der Strompreis setzt sich im wesentlichen aus den Stromgestehungskosten sowie den Kosten für Fortleitung und Verteilung zusammen. Unabhängig von der Kraftwerksart kann man die Stromgestehungskosten in einen Anlagenkostenanteil (dazu gehören Herstellungskosten sowie Nebenkosten wie zum Beispiel Bauzinsen) aufteilen und in einem Betriebskostenanteil. Der Betriebskostenanteil kann noch
" Grundlast ist im allgemeinen der Lastbereich unter einer Tageslastkurve, der von 0.00 Uhr bis 24.00 Uhr, das heißt, während 24 h/Tag in Anspruch genommen wird, zuzüglich 10% dieser Leistung. Spitzenlast ist im allgemeinen der Leistungsbereich zwischen der Tageshöchstlast und der Leistung, die zwischen 08.00 Uhr und 20.00 Uhr, also während 12 h/Tag, nicht unterschritten wird. Mittellast ist der Lastbereich zwischen Grundlast und Spitzenlast.
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untergliedert werden in variable Betriebskosten (zum Beispiel Brennstoffkosten und - bei Kernkraftwerken - Brennstoffkreislaufkosten sowie Stillegungskosten) und fixe Betriebskosten (zum Beispiel Kosten für Personal, Wartung, Instandhaltung). Die Kostenkomponenten sind zeitlich unterschiedlich veränderlich. Deshalb ist es auch schwierig, präzise Angaben über absolute Stromgestehungskosten zu machen. Vielmehr ist es zweckmäßiger, die Kostenstruktur von Kraftwerken anzugeben. Eine solche Kostenstruktur ermöglicht es, Aussagen darüber zu machen, inwieweit Kostenänderungen einzelner Komponenten die Stromgestehungskosten beeinflussen. Im folgenden soll die Struktur der Stromgestehungskosten eines Steinkohlekraftwerks mit der Struktur der Stromgestehungskosten eines Kernkraftwerks (LWR) verglichen werden. Dabei werden beim Steinkohlekraftwerk beziehungsweise beim Kernkraftwerk für die Bundesrepublik Deutschland typische Größen zugrunde gelegt. Beim Steinkohlekraftwerk (Doppelblock-Kraftwerk) werden unter anderem folgende Ausgangsgrößen zugrunde gelegt: Leistung (netto) 2 X 6 7 7 M W , Nettowirkungsgrad 3 6 , 5 % , Anlagekosten 1 0 7 5 D M / k W , Brennstoffkosten (frei Kraftwerk) 1 8 2 D M / t SKE. Beim Kernkraftwerk (LWR) werden unter anderem folgende Ausgangsgrößen zugrunde gelegt: Leistung (netto) 1 2 2 8 M W , Nettowirkungsgrad 3 2 , 0 % , Anlagekosten 1 6 3 4 D M / k W sowie Brennstoffkosten, die sich zusammensetzen aus: Uran 2 7 $/Ib U 3 O s , Trennarbeit 1 1 0 $ / k g , Brennelementfertigung 3 4 0 D M / k g , Wiederaufarbeitung 9 0 0 D M / k g (195, 1 9 6 ) . 0 Ausgehend von diesen Daten wird die Struktur der Stromgestehungskosten bei einem Steinkohlekraftwerk (Auslastung 6 5 0 0 h/a; Inbetriebnahme Frühjahr 1 9 7 7 ) wie folgt aussehen: Anlagekosten 2 4 % , Betriebskosten 7 6 % (Variable Betriebskosten 6 8 % , fixe Betriebskosten 8 % ) . Die Struktur der Stromgestehungskosten bei einem Kernkraftwerk (Auslastung 6 5 0 0 h/a; Inbetriebnahme Frühjahr 1 9 7 7 ) beträgt: Anlagekosten 4 8 % , Betriebskosten 5 2 % (variable Betriebskosten 3 5 % , fixe Betriebskosten 1 7 % ) . Das heißt, bei Steinkohlekraftwerken sind die Anlagekosten im Vergleich zu den variablen Betriebskosten — wegen der hohen Brennstoffkosten — relativ niedrig. Dies gilt im wesentlichen für alle mit fossilen Brennstoffen befeuerten Kraftwerke. Dagegen sind bei Kernkraftwerken die Anlagekosten im Vergleich zu den variablen Betriebskosten relativ hoch. Die Stromgestehungskosten werden — aufgrund dieser Daten — bei einer Auslastung von 6 5 0 0 h/a wie folgt angegeben: Steinkohlekraftwerk 8,2 Pf/kWh, Kernkraftwerk 4 , 8 Pf/kWh. (Bei einer Auslastung von 4 0 0 0 h/a werden die Stromgeste-
" Diese Daten sind für die Stromgestehungskosten bei Steinkohle- und Kernkraftwerken - bis auf die in einzelnen Regionen (besonders bei Steinkohle) unterschiedlichen Brennstoffkosten - typisch. So zum Beispiel wurden auf der 10. Weltenergiekonferenz in Istanbul die Anlagekosten für ein 1 0 0 0 MW-Steinkohlekraftwerk (mit Entschwefelungsanlage) mit 6 7 5 US-Dollar/kW angegeben und für ein 1 0 0 0 M W - K e r n kraftwerk ( D W R ) mit 8 5 8 US-Dollar/kW. Baubeginn: 1. 7. 1 9 7 8 ; Inbetriebnahme: 1. 7. 1 9 8 4 . Dabei nehmen mit wachsender Größe der Kraftwerke die Investitionskosten je installiertem Kilowatt ( $ / k W ) stark ab.
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hungskosten beim Steinkohlekraftwerk mit 10,1 Pf/kWh und beim Kernkraftwerk mit 7,1 Pf/kWh angegeben.) Das Atomic Industrial Forum (AIF), USA, gibt die Stromgestehungskosten im Jahre 1 9 7 8 bei Kern-, Kohle- und Ölkraftwerken — aufgrund einer Umfrage bei 43 Energieversorgungsunternehmen — wie folgt an: Stromgestehungskosten bei Kernkraftwerken l , 5 c t s / k W h , bei Kohlekraftwerken 2,3 cts/kWh, bei Ölkraftwerken 4 , 0 cts/kWh. Dabei wird der Anteil der Brennstoffkosten an den jeweiligen Stromgestehungskosten bei Kernkraftwerken mit 2 2 % , bei Steinkohlekraftwerken mit 5 5 % und bei Ölkraftwerken mit 5 9 % angegeben. Aufgrund des hohen Brennstoffkostenanteils bei Steinkohlekraftwerken sind jedoch die Stromgestehungskosten bei Kraftwerken, die in der Nähe von Kohlelagerstätten liegen, in denen Kohle besonders kostengünstig gewonnen werden kann, derzeit zum Teil niedriger als bei Kernkraftwerken (vgl. 3 . 3 1 2 ) . Dies gilt zum Beispiel für einige Gebiete der USA. Bei Vergleichswerten der Stromgestehungskosten von Steinkohleund Kernkraftwerken dürften allerdings die Brennstoffkreislaufkosten sowie die Stillegungskosten bei Kernkraftwerken mit Unsicherheiten behaftet sein, da es zum Beispiel bisher weder eine großtechnisch und kommerziell arbeitende Wiederaufbereitungsanlage noch ein entsprechendes Endlager für den hochaktiven Atommüll gibt (vgl. 5 . 8 2 2 ) .
4 . 6 2 Fernwärme Heißwasser hat als Energieträger — wegen des großen Bedarfs an Niedertemperaturwärme—eine große Bedeutung (vgl. 2 . 3 3 1 ) . Eine zweckmäßige Methode, den Bedarf an Niedertemperaturwärme in Ballungsräumen zu decken, ist die zentrale Wärmeerzeugung. Dabei dürfte die Fernwärmeübertragung bei vertretbarem Isolationsaufwand — je nach Temperatur des Wärmeträgers — über Entfernungen bis zu größenmäßig 3 0 km zweckmäßig sein. Gründe für die zentrale Wärmeerzeugung sind unter anderem: der relativ niedrige spezifische Primärenergieeinsatz (siehe Abb. 4 - 2 1 ) ; die geringe Schadstoffemission im Vergleich zur Wärmebedarfsdeckung durch viele Einzelanlagen; die Möglichkeit, unterschiedliche Primärenergieträger (zum Beispiel Steinkohle) effizient einzusetzen und — bei Anwendung des Prinzips der Kraft/Wärme-Kopplung— Gesamtwirkungsgrade bis zu etwa 7 5 % zu realisieren, wodurch die eingesetze Primärenergie optimal genutzt und die direkte Wärmebelastung der Umgebung relativ gering wird (197). Bereits im Jahre 1 8 8 2 wurd in Lockport (New York) die erste Fernheizung betrieben. Allein in der Bundesrepublik Deutschland betrug 1 9 7 9 das Fernwärmenetz rd. 6 0 0 km (Hamburg verfügt mit 3 4 2 km über die größte Netzlänge in der Bundesrepublik Deutschland); die Einspeisung erfolgt durch etwa 4 0 0 größere Heizwerke und 1 1 0 Heizkraftwerke. Da der Verbrennungsprozeß von Kohle — zum Beispiel in Anlagen mit Wirbelschichtfeuerung — umweltfreundlicher als bisher zu realisieren ist, besteht die Möglichkeit, wirbelschichtgefeuerte Anlagen in der Nähe von Bai-
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lungsräumen zu bauen und zur zentralen Wärmebedarfsdeckung einzusetzen. Das heißt, Fernwärme bietet die Möglichkeit, in Ballungsräumen leichtes Heizöl in den Bereichen Raumheizung und Warmwasser zum Beispiel durch Kohle zu substituieren. (Auch andere Primärenergieträger können zur Fernwärmeversorgung eingesetzt werden.) In weniger dicht besiedelten Gebieten ist es dagegen nicht zweckmäßig, Fernwärme zur Deckung des Bedarfs an Niedertemperaturwärme einzusetzen; in dünnbesiedelten Gebieten bietet sich zum Beispiel der Einsatz der Sonnenenergie zur Wärmebedarfsdeckung an. Als Wärmequellen für Fernwärmenetze kommen reine Heizwerke, die nur zur Erzeugung von Wärme dienen, in Frage oder kombinierte Heizkraftwerke, die durch Anwendung des Prinzips der Kraft/Wärme-Kopplung sowohl elektrische Energie als auch Wärme bereitstellen. Das heißt, im Vordergrund steht hier die Elektrizitätserzeugung, während die Wärmeerzeugung ein „Nebenprodukt" ist. Die Kraft/Wärme-Kopplung ermöglicht einen besonders rationellen Primärenergieeinsatz: Bei reiner Elektrizitätserzeugung in thermischen Kraftwerken hat das Kühlwasser des Kraftwerks ein so niedriges Temperaturniveau, daß es nicht mehr zweckmäßig ist, es für Heizzwecke einzusetzen. Wird das Kraftwerk so ausgelegt, daß die Wärme etwa auf einem Temperaturniveau zwischen 8 0 ° C und 1 3 0 ° C entnommen und an ein Fernwärmesystem abgegeben werden kann, so sinkt zwar der Wirkungsgrad der Stromerzeugung etwas, der Gesamtwirkungsgrad solcher Anlagen kann jedoch auf bis zu rd. 7 5 % gesteigert werden (vgl. 4 . 6 1 1 . 1 ) . In der Industrie werden Anlagen zur kombinierten Erzeugung von Wärme (Prozeßwärme) und Elektrizität schon seit Jahrzehnten betrieben. Im Vordergrund steht hier aber die Versorgung mit Prozeßdampf, während die Elektrizitätserzeugung ein Nebenprodukt ist. Diese Betriebsweise wird demzufolge als Wärme/Kraft-Kopplung bezeichnet. (Neuerdings ist es üblich, nicht mehr nach Haupt- und Nebenprodukt zu unterscheiden und nur noch von Kraft/Wärme-Kopplung zu sprechen.) Bei der Wahl der Vorlauftemperatur des Fernwärmenetzes ist folgendes zu berücksichtigen: Um die Wärmeverluste — bei vertretbarem Isolationsaufwand — klein zu halten, sollte die Vorlauftemperatur niedrig sein; außerdem kann dann bei Anwendung der Kraft/Wärme-Kopplung mehr Wärme zur Elektrizitätserzeugung eingesetzt werden. Jedoch muß bei niedriger Vorlauftemperatur eine größere Heißwassermenge zu den Verbrauchern transportiert werden, um einen bestimmten Wärmebedarf zu decken, woraus erhöhte Kosten für Transportleitungen und Pumpstationen resultieren. Wie erwähnt, liegen typische Wasservorlauftemperaturen zwischen 8 0 ° C und 1 3 0 ° C (116). Da der Wärmebedarf auf Seiten der Verbraucher von der Jahreszeit abhängt, muß die übertragene Fernwärme — zum Beispiel durch Änderung der Vorlauftemperatur — dem Bedarf angepaßt werden. Das Prinzip der Kraft/Wärme-Kopplung ist unabhängig von der primärseitigen Energieerzeugung, das heißt, sie kann sowohl in fossilbeheizten Kraftwerken als auch grundsätzlich in Kernkraftwerken angewendet werden (198). Die Technik derartiger Verbundsysteme wird zum Beispiel in der Bundesrepublik Deutschland bei
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der Fernwärmeschiene „Ruhr" entwickelt und erprobt (197). Auch in anderen Ländern — Beispiele sind: USA, Japan, Frankreich, Großbritannien, Niederlande, Belgien, Polen, CSSR - werden große Anstrengungen zur verstärkten Einführung der Fernwärme unternommen. In einigen Ländern mit ausgeprägter städtischer Siedlungsstruktur und großen Ballungsräumen besteht die Möglichkeit, entsprechende Investitionen vorausgesetzt, bis zu rd. 30% des Bedarfs an Niedertemperaturwärme (Raumheizung, Warmwasser) durch Fernwärme zu decken. Um die Wärmeverluste klein zu halten, ist es zweckmäßig, die wärmeerzeugende Anlage möglichst in der Nähe von Ballungsräumen zu errichten. Bei Verwendung von nuklearen Heizwerken — in Frage kommen Reaktoren bis zu rd. 100 M W thermische Leistung (Heizreaktoren) — beziehungsweise Kernkraftwerken ist dies nicht unproblematisch, da diese — aus Sicherheitsgründen — in angemessener Entfernung von Ballungszentren errichtet werden sollten. Für die Kraft/Wärme-Kopplung wäre der Thorium-Hochtemperatur-Reaktor T H T R besonders geeignet (vgl. 4.213.3). Es ist geplant, Hochtemperatur-Reaktoren nicht nur zur Erzeugung von Elektrizität einzusetzen, sondern im Verbund damit die Abwärme als Fernwärme zu nutzen.
4.63 Erdölveredelungsprodukte Das Rohöl ist als solches nicht direkt brauchbar. Aus Rohöl werden in Raffinerien verschiedene verwendbare Mineralölprodukte gewonnen. Beim Raffinerieprozeß fallen leichte Destillate (Benzine), Mitteldestillate (Diesel- und Heizöl), schwere Destillate (schweres Heizöl) und übrige Produkte (zum Beispiel Bitumen) in einem technologisch begründeten Kuppelverhältnis an, das mit einer vorgegebenen Mineralölverarbeitungsanlage, die über keine Crackeinrichtungen verfügt (Hydroskimming-Raffinerie), nur in gewissen Grenzen verändert werden kann. Erdölveredelungsprodukte haben weltweit eine besondere Bedeutung in der Energiewirtschaft. Gründe hierfür sind unter anderem ihre vielseitige Einsetzbarkeit und der kostengünstige Transport (Rohrleitungstransport oder Transport auf dem Seewege in Tankern) beziehungsweise die kostengünstige Speicherung flüssiger Energieträger. Insbesondere haben Erdölveredelungsprodukte eine dominierende Rolle im Verkehrssektor und als Industrierohstoff. Dabei ist bei flüssigen Kohlenwasserstoffen — bezüglich ihrer vielseitigen Einsetzbarkeit — besonders von Vorteil, daß sie in mobilen Behältern (zum Beispiel Tankwagen) zum Verbraucher transportiert werden können. Dies ist ein entscheidender Vorteil beispielsweise zu gasförmigen Kohlenwasserstoffen (wie zum Beispiel Erdgas), die den Verbraucher nur über ein Rohrleitungsnetz erreichen oder zur elektrischen Energie, die zur Verteilung ein Leitungssystem benötigt. Schweres Heizöl kann von den Ölprodukten am leichtesten durch andere Energieträger ersetzt werden (zum Beispiel durch Kohle, Gas oder durch Kernbrennstoff in Kernkraftwerken). Dagegen ist die Substitution von leichten Destillaten und Mittel-
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destillaten durch andere Energieträger relativ schwierig. Deshalb ist man bestrebt, aus einer Tonne Rohöl einen möglichst großen Anteil an leichten Destillaten und Mitteldestillaten zu gewinnen. Die etwa 1 3 0 westeuropäischen Mineralölverarbeitungsanlagen und die ca. 5 0 Anlagen in Japan sind im wesentlichen Hydroskimming-Raffinerien. Der Grund hierfür ist der relativ hohe Bedarf an Mitteldestillaten und schwerem Heizöl in diesen Gebieten. Der Anteil des schweren Heizöls am Mineralölverbrauch beträgt zum Beispiel in Westeuropa 3 4 % und in Japan 4 0 % , während der Anteil des Roh- und Motorenbenzins in Westeuropa und in Japan jeweils nur 2 0 % beträgt. Dagegen sind in den USA Roh- und Motorenbenzin zu etwa 4 0 % am Mineralölverbrauch beteiligt. Die rd. 2 6 0 Raffinerien der USA stellen — mit Hilfe von Konversionsanlagen — aus Rohöl anteilmäßig mehr Benzine her als die in Westeuropa. Ein Grund für diese Entwicklung in den USA war der sehr niedrige Erdgaspreis, der dazu geführt hat, daß Erdgas zur Bereitstellung von Raumwärme, Warmwasser und Prozeß wärme (in der Industrie) sowie bei der Stromerzeugung zum Teil Funktionen übernommen hat, die in anderen Ländern leichtes und schweres Heizöl haben (siehe Tabelle 2-8 b). Eine Raffinerie ohne Konversionsanlage (Hydroskimming-Raffinerie) produziert etwa 1 6 % Benzine, 3 9 % Mitteldestillate, 3 9 % schweres Heizöl und 6 % übrige Produkte. Diese Anteile schwanken — je nach Rohölsorte — geringfügig. Will man mehr Benzine erzeugen, als von Natur aus im Rohöl enthalten sind, so muß man in Konversionsanlagen größere Kohlenwasserstoffmoleküle in kleinere umwandeln, das heißt „cracken". Wegen des relativ hohen Benzinbedarfs sind in den USA Konversionsanlagen häufig Bestandteil der Raffinerien. (Die Konversionskapazität der USA ist etwa 7mal so hoch wie die von Westeuropa.) Die wichtigsten Konversionsverfahren sind: das thermische Crack-Verfahren, das katalytische Crack-Verfahren und das Hydrocrack-Verfahren. Beim thermischen Crack-Verfahren werden die großen Kohlenwasserstoffmoleküle lediglich durch Wärme gespalten. Bei Temperaturen über 6 3 0 Κ beginnen die großen Kohlenwasserstoffmoleküle in so starke Schwingungen zu geraten, daß die Bindungen zwischen den Kohlenstoffatomen zerreißen. Dieser Prozeß spielt sich in Röhren eines Spaltofens bei Temperaturen ab, die bis zu etwa 1 1 5 0 Κ reichen können. Höhe der Temperatur und Verweilzeit im Crackofen hängen von der Zusammensetzung des eingesetzten Produkts und dem Verarbeitungsziel ab. Eine Raffinerie mit thermischer Crackanlage produziert etwa 1 9 % Benzine, 4 5 % Mitteldestillate, 3 0 % schweres Heizöl und 6 % übrige Produkte. Beim katalytischen Crack-Verfahren werden die großen Kohlenwasserstoffmoleküle in Gegenwart von Katalysatoren bereits bei einer niedrigeren Temperatur gespalten als beim thermischen Crack-Verfahren. Außerdem entstehen beim katalytischen Cracken — neben einem höheren Anteil leichter Produkte — Benzinkomponenten mit höherer Oktanzahl. Eine Raffinerie mit katalytischer Crackanlage produziert etwa 2 5 % Benzine, 4 9 % Mitteldestillate, 1 7 % schweres Heizöl und 9 % übrige Produkte.
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Beim Hydrocrack-Verfahren erzielt man nahezu eine vollständige Umwandlung der schweren Ausgangsprodukte in leichte Kohlenwasserstoffe. Dabei verläuft die Molekülumwandlung in Gegenwart eines Katalysators in einer Wasserstoffatmosphäre ab. Je nach Betriebsbedingungen (Druck, Temperatur) und Katalysator erhält man vorwiegend Benzine und Mitteldestillate. Allerdings ist ein höherer Wirkungsgrad — bezogen auf die Konversion — auch mit höheren Investitions- und Betriebskosten verbunden. Eine Raffinerie mit Hydrocrackanlage produziert etwa 3 9 % Benzine, 3 9 % Mitteldestillate, 1 0 % schweres Heizöl und 1 2 % übrige Produkte (199). Neuerdings gibt es Überlegungen, den Energiebedarf der Raffinerien und Konversionsanlagen durch den Einsatz von Prozeßdampf und Strom aus Kernkraftwerken zu decken (200). Da schweres Heizöl — wie ausgeführt — am leichtesten durch andere Energieträger ersetzt werden kann, dürfte die Nachfrage nach schwerem Heizöl tendenziell abnehmen. Dagegen wird erwartet, daß der weltweite Bedarf an Motorenbenzin und Dieselkraftstoff sowie Rohbenzin (Naphtha) für die chemische Industrie weiter steigen wird, zumal deren Substitution durch andere Energieträger beziehungsweise Rohstoffe relativ schwierig ist. Außerdem werden die Raffinerien — in absehbarer Zeit — zunehmend schwere Rohöle mit relativ geringen Anteilen an leichten Produkten verarbeiten müssen (zum Beispiel auch aus Ölschiefer und Ölsand gewonnenes Öl), da ja ein Großteil der Erdölvorräte schwere Rohöle sind. Derzeit verfügt der größere Teil der Mineralölverarbeitungsanlagen der Welt mit einer Destillationskapazität von rd. 3,5 · 1 0 9 t über keine Konversionsanlagen. Deshalb dürften in den kommenden Jahren, insbesondere in Westeuropa, Raffinerien in zunehmendem Maße mit Konversionsanlagen ausgerüstet werden sowie leistungsfähigere Mineralölverarbeitungsanlagen errichtet werden, die einen größeren Anteil an leichten Kohlenwasserstoffen produzieren als bisher. Die hierfür erforderlichen weltweiten Investitionsaufwendungen werden bis zur Jahrhundertwende mit rd. 130 · 10 9 Dollar angegeben (199).
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Kohleveredelungsprodukte
4 . 6 4 1 Zur Bedeutung der Kohleveredelung Unter Berücksichtigung der weltweiten Kohlevorräte wird angestrebt, die Nachteile auszugleichen, die in vielen Ländern zum Rückgang des Einsatzes der Kohle im Energiebereich geführt haben. Man ist bestrebt, durch Entwicklung effizienter Umwandlungsverfahren die Einsatzmöglichkeiten von Kohle zu verbreitern und ihre Handhabung zu vereinfachen. Kohle ist aus Biomasse entstanden, die vor etwa 2 6 5 · 10 6 Jahren - während des Erdzeitalters Carbon — durch Photosynthese erzeugt wurde. Es gibt auch Kohle, die aus dem Tertiär stammt (vor rd. 60 • 10 6 Jahren). Im Laufe von Millionen Jahren
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Sekundärenergieträger
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wurde die Biomasse durch andere Ablagerungen überdeckt und der Vorgang der Inkohlung — die zunehmende Anreicherung von Kohlenstoff — setzte ein. Durch geochemische Einwirkung (erhöhter Druck, erhöhte Temperatur und Luftabschluß) verwandelte sich die Biomasse zunächst in Torf, dann in Braun- und Steinkohle. Durch den Vorgang der Inkohlung gehen Sauerstoff und Wasserstoff nach und nach verloren. J e nach Inkohlungsstufe kann Kohle — grob — in Braun- und Steinkohle unterteilt werden. Braunkohle hat eine niedrige Inkohlungsstufe und einen Heizwert von 0,2—0,91 SKE. Beispiele sind: Weichbraunkohle, Mattbraunkohle (engl. Lignite) sowie Glanzkohle (engl. Subbituminous coal). Für Braunkohle sind folgende Werte typisch: Kohlenstoffgehalt 58—72 Gewichtsprozent, Wasserstoffgehalt 6—9 Gewichtsprozent. Steinkohle hat eine höhere Inkohlungsstufe und einen Heizwert von 0,9—1,11 SKE. Beispiel sind: Gaskohle, Fettkohle (engl. Bituminous coal) mit einem Kohlenstoffgehalt von 82—87 Gewichtsprozent und einem Wasserstoffgehalt von ca. 5 Gewichtsprozent; Magerkohle (engl. Semibituminous coal) mit einem Kohlenstoffgehalt von ca. 95 Gewichtsprozent und einem Wasserstoffgehalt von ca. 3 Gewichtsprozent; Anthrazit (engl. Anthracite) mit einem Kohlenstoffgehalt von > 95 Gewichtsprozent und einem Wasserstoffgehalt von < 3 Gewichtsprozent. Außerdem enthalten Kohlen Schwefel und Stickstoff sowie mineralische Bestandteile und Wasser in unterschiedlichen Mengen. Bei Kohlen beträgt das Atomverhältnis von Wasserstoff zu Kohlenstoff etwa 0 , 8 ; bei Erdöl ist dieses Verhältnis fast 2 und bei Erdgas ca. 4. Eine Umwandlung von Kohlen in Öl oder Gas kann also durch Erhöhung des Wasserstoffgehaltes und durch Entfernen der Fremdatome wie Schwefel, Stickstoff sowie durch Entfernen von Wasser erzielt werden. Kohle hat ein hohes Veredelungspotential. Sie kann sowohl in elektrische Energie als auch in gasförmige und flüssige Energieträger umgewandelt werden. Außerdem kann Kohle als Chemierohstoff verwendet beziehungsweise in metallurgischen Koks und Aktivkohle übergeführt werden. (Verfahren der Stromerzeugung aus Kohle wurden bereits in 4 . 6 1 1 . 1 behandelt.) Gasförmige und flüssige Energieträger haben — im Vergleich zu Kohle — eine Reihe wesentlicher Vorteile: Vorteilhaft ist der kostengünstige Transport von gasförmigen und flüssigen Energieträgern in Rohrleitungen; bei flüssigen Energieträgern, insbesondere bei flüssigen Kohlenwasserstoffen, ist — auch über große Entfernungen — der Transport auf See in Tankern wirtschaftlich. Zum Beispiel spielen die Welthandelsströme von Rohöl seit Jahren in der Weltwirtschaft eine große Rolle (siehe Abb. 3-7); außerdem gewinnt der Transport von Flüssiggas in LNG-Tankern zunehmend an Bedeutung (vgl. 3 . 3 3 3 ) . Gasförmige Kohlenwasserstoffe können jedoch dem Verbraucher nur über ein Rohrleitungsnetz zugeführt werden, das heißt, der Einsatz ist an eine entsprechende Infrastruktur gebunden. Im Unterschied hierzu ist bei flüssigen Kohlenwasserstoffen von Vorteil, daß sie in mobilen Behältern (zum Beispiel in Tankwagen) zum Verbraucher transportiert werden können. Außerdem
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4. Energieversorgungssysteme
4.6 Sekundärenergieträger
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sind gasförmige und insbesondere flüssige Kohlenwasserstoffe — auch in großen Mengen — wirtschaftlich speicherbar. Darüber hinaus ist bei Verbrennung von gasförmigen und flüssigen Kohlenwasserstoffen - im Vergleich zu Kohle - von Vorteil, daß keine festen Verbrennungsrückstände (Asche) anfallen. Bei Kohleveredelungsprozessen ist von Bedeutung, daß auch schwefelhaltige Kohle eingesetzt werden kann, da der Schwefel bei den Umwandlungsverfahren — durch entsprechende Prozeßführung - entfernt werden kann. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte können Kohleveredelungsprodukte in Form von gasförmigen und flüssigen Kohlenwasserstoffen auf dem Energiemarkt grundsätzlich die Nachfolge von Erdgas und Erdöl antreten. Abb. 4-24 zeigt einen Überblick über Kohleveredelungsverfahren und mögliche Kohleveredelungsprodukte sowie deren Einsatzmöglichkeiten in einzelnen Sektoren (201). Besonders interessante Produkte dürften Synthesegas (CO/H 2 -Gemisch) und synthetisches Naturgas (SNG) sowie flüssige Kohlenwasserstoffe (zum Beispiel Benzin) und Methanol sein. 4.642 Kohlevergasung Noch bis in die jüngste Vergangenheit wurde in Industrieländern Kohlegas zur Energieversorgung eingesetzt, das sowohl bei der Entgasung von Kohle durch Verkokung anfiel als auch durch die Vergasung von Kohle mit einem Vergasungsmittel erzeugt wurde, bis es zur Umstellung auf das kostengünstige Erdgas kam. Da der energetische Wirkungsgrad bei Gaserzeugung aus Kohle günstig ist und gasförmige Energieträger — im Vergleich zu Kohle — Vorzüge haben, ist es verständlich, daß die großtechnische und wirtschaftliche Realisierung der Kohlevergasung für Länder mit großen Kohlevorräten von Interesse ist. Zur Kohlevergasung gibt es etwa 35 Verfahren (202—204). Im Prinzip werden dabei aus Braun- oder Steinkohle — unter Einsatz geeigneter Vergasungsmittel (zum Beispiel Wasserdampf, Wasserstoff) — Gase erzeugt; die Zusammensetzung der Produktgase — im wesentlichen ist es Kohlenmonoxid CO, Wasserstoff H 2 und Methan CH 4 — kann durch Prozeßführung in weiten Grenzen dem Bedarf angepaßt werden. Je nach dem, ob man Kohlenstoff mit Wasserdampf oder mit Wasserstoff reagieren läßt, spricht man von Wasserdampfvergasung oder hydrierender Vergasung. Im allgemeinen jedoch sind die Ausgangsstoffe Kohlenstoff (in Form von Braun- oder Steinkohle) und Wasser in flüssiger Form. Einige wichtige Grundreaktionen (Bruttoreaktionen) der Kohlevergasung sind —
Abb. 4-24: Überblick über Kohleveredelungsverfahren und mögliche Kohleveredelungsprodukte Quelle: A. Ziegler, R. Holighaus, Technical possibilities and economic prospects for coal refining, E N D E A V O U R , Vol. 3, N o . 4, 1979.
308
4. Energieversorgungssysteme
unter Berücksichtigung von H 2 0 l i q = H 2 O v a p ( Δ Η = +44,0kJ/mol) - durch folgende Gleichungen darstellbar: Erzeugung von Methan: Erzeugung von Synthesegas: Erzeugung von Wasserstoff:
2 C + 2 H 2 0 I i q = CH 4 + C 0 2 ; Δ Η = + 79,2 kj/mol
(19)
C + H20liq
= CO + H 2 ;
Δ Η = + 162,9 kj/mol
(20)
C + H20liq
= C 0 2 + 2 H 2 ; Δ Η = + 165,5 kj/mol
(21)
Das heißt, die Überführung des Kohlenstoffs in gasförmige Produkte ist immer endotherm, wenn Kohle und Wasser die Ausgangsstoffe sind; die Zusammensetzung der Produktgase hängt von den Reaktionsbedingungen ab. Die wirklich ablaufenden Vorgänge sind wesentlich komplizierter als durch die Bruttogleichungen (19) —(21) zum Ausdruck gebracht wird. Das thermodynamische System Kohlenstoff, Wasserdampf, Methan, Kohlenmonoxid, Kohlendioxid und Wasserstoff erlaubt mehrere voneinander unabhängige Reaktionen. Das heißt, aufgrund thermodynamischer und kinetischer Gesetzmäßigkeiten ergibt sich, daß bis zur Realisierung der oben aufgeführten Bruttogleichungen mehrere Reaktionsschritte durchlaufen werden müssen. Die Kohlevergasungsverfahren lassen sich nach mehreren Kriterien unterteilen. Eine Möglichkeit ist, diese Prozesse im Hinblick auf das erzeugte Produkt (zum Beispiel Schwachgas, Synthesegas, SNG) zu klassifizieren. Eine andere Möglichkeit ist, die Klassifizierung aufgrund der Art der Wärmebereitstellung vorzunehmen: Bei den autothermen Verfahren wird durch Teilabbrand der Kohle die für die Vergasung benötigte Reaktionswärme bereitgestellt; dagegen wird bei den allothermen Verfahren die Wärme außerhalb des Vergasers erzeugt und über geeignete Wärmeträger in den Reaktionsraum gebracht. Nicht alle Kohlevergasungsverfahren sind für Braunkohle und Steinkohle gleich geeignet. Die unterschiedlichen Eigenschaften der Kohle (zum Beispiel bezüglich Körnung, Reaktionsfähigkeit, Aschezusammensetzung) machen Änderungen in der Prozeßführung erforderlich. Braunkohle kann beispielsweise wegen ihrer höheren Reaktionsfähigkeit bei niedrigeren Temperaturen vergast werden als Steinkohle. Im folgenden sollen einige zukunftsträchtige Verfahren zur Kohlevergasung behandelt werden: das Lurgi-Druckgasverfahren, das Winkler-Wirbelschichtverfahren, das Koppers-Totzek-Verfahren, das Bigas-Verfahren der Bituminous Coal Research, Inc., das Synthese-Verfahren des U.S. Bureau of Mines, das Hygas-Verfahren des Instituts of Gas Technology (Chicago). Mit dem Lurgi-Druckgasverfahren (Festbett-Verfahren) kann Synthesegas (CO/H 2 -Gemisch) und SNG (Gas mit hohem Methangehalt) erzeugt werden. Hierzu wird gemahlene und getrocknete Kohle (Braun- oder Steinkohle) — über einen Kohleverteiler — in einen Festbettvergaser gegeben, in welchem die Vergasung stattfindet.
4.6
Sekundärenergieträger
309
(Die Vergasungstemperatur liegt zwischen 9 0 0 und 1 0 0 0 K; der Druck liegt zwischen 2 5 und 1 0 0 bar; die Verweilzeit beträgt 1 Stunde.) Durch Verbrennung eines Teils der Kohle mit Sauerstoff wird die Reaktionswärme bereitgestellt. Ein Drehrost am Boden des Reaktors trägt die Kohle und entfernt die Asche. Der Eintritt des Vergasungsmittels (Wasserdampf und Sauerstoff) erfolgt im unteren Teil des Vergasers. Das Rohgas verläßt den Vergaser — je nach verwendeter Kohleart — mit Temperaturen zwischen 6 5 0 und 9 0 0 K. Anschließend wird das Gas entschwefelt und Naphtha, ungesättigte Kohlenwasserstoffe und Kohlendioxid werden entfernt. Zur Erzeugung von 1 0 0 0 N m 3 CO/H 2 -Synthesegas werden zum Beispiel 7 3 0 kg Braunkohle, 7 0 0 kg Wasserdampf und 90 N m 3 Sauerstoff benötigt. Typische Werte für die Zusammensetzung des Reingases sind (in Vol % ) : 5 4 , 0 % H 2 ; 2 5 , 2 % C O ; 1 7 , 6 % C H 4 ; 2 % ( C 0 2 + H 2 S ) ; 1 , 2 % N 2 und andere Gase. Aus dem CO/H 2 -Gemisch kann Methan hergestellt werden gemäß der Gleichung: CO + 3 H2 = CH4 + H 2 0 ; Δ Η = - 2 0 5 kj/mol
(22)
Nach anschließender Entfernung von Kohlendioxid und Trocknung steht S N G zur Verfügung. Weltweit sind zahlreiche Anlagen nach dem Lurgi-Druckgasverfahren in Betrieb (201—203). Eine Anlage bei Sasolburg (Südafrika) erzeugt ca. 2 2 5 0 0 N m 3 / h Synthesegas für die Herstellung von flüssigen Kohlenwasserstoffen nach dem Fischer-Tropsch-Verfahren (vgl. 4 . 6 4 3 . 1 ) . In den USA gibt es Anlagen mit Leistungen bis zu rd. 5 0 0 0 0 N m 3 / h . In der Bundesrepublik Deutschland hat die Kohledruckvergasungsanlage „Ruhr 1 0 0 " Ende 1 9 7 9 in Dorsten (Ruhrgebiet) den Betrieb aufgenommen, die der Weiterentwicklung des Lurgi-Druckgasverfahrens dient. Mit dieser Anlage sollen rd. 2 8 0 0 0 t Kohle/Jahr vergast und ca. 15 · 1 0 6 m 3 S N G / J a h r erzeugt werden, das in das Leitungsnetz der Ruhrgas AG eingespeist wird. Mit dem Winkler-Wirbelschichtverfahren (Wirbelbett-Verfahren) kann Synthesegas erzeugt werden. Hierzu wird gemahlene und getrocknete Kohle (Braun- oder Steinkohle) mit Sauerstoff und Wasserdampf in einem Wirbelbett — unter Normaldruck — bei Temperaturen von 1 1 0 0 bis 1 3 0 0 Κ (je nach Kohleart) vergast. (Bei der hohen Vergasungstemperatur werden alle Teere und schweren Kohlenwasserstoffe vergast.) Die Wasserdampf- und Sauerstoffzufuhr erfolgt im unteren Teil des Wirbelbettes, der Gasabzug im oberen Teil des Generators. Die anfallende Asche wird unten abgezogen. Winkler-Gasgeneratoren zeichnen sich durch eine hohe Vergasungsleistung aus. Bei Vergasung von Braunkohle wurden Leistungen von 6 0 0 0 0 N m 3 / h erreicht. Zur Zeit arbeiten rd. 16 industrielle Anlagen nach dem Winkler-Verfahren. Zur Erzeugung von 1 0 0 0 N m 3 CO/H 2 -Synthesegas werden zum Beispiel 6 6 0 kg Braunkohle, 3 6 0 kg Wasserdampf und 3 2 0 N m 3 Sauerstoff benötigt. Mit dem Koppers-Totzek-Verfahren (Flugstrom-Verfahren) kann Synthesegas erzeugt werden. Hierzu wird Kohle gemahlen, getrocknet und pulverisiert; der Kohlestaub und das Vergasungsmittel (Sauerstoff und Wasserdampf) werden in den Generator eingeblasen. Die Vergasung findet bei einem Druck von etwa 3 0 bar und einer
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4. Energieversorgungssysteme
Temperatur um 1800 bis 1900 Κ statt. Vorteilhaft bei diesem Verfahren ist, daß alle Kohlearten (und Petrolkoks) vergast werden können, auch solche mit hohem Asche-, Schwefel- und Wassergehalt; von Nachteil ist, daß der Sauerstoffverbrauch größer ist als zum Beispiel beim Lurgi-Druckgasverfahren und beim Winkler-Wirbelschichtverfahren. Zur Erzeugung von 1000 Nm 3 CO/H 2 -Synthesegas werden — je nach Kohleart — 550 kg Kohle, 230 kg Wasserdampf und 430 Nm 3 Sauerstoff benötigt. Typische Werte für die Zusammensetzung des Reingases sind (in Vol %): 25,5% H 2 ; 65,2% CO; 1,1% ( C 0 2 + H 2 S); 8,2% N 2 und andere Gase. Weltweit wurden nach 1950 rd. 15 Anlagen gebaut, die nach dem Koppers-Totzek-Verfahren arbeiten. Eine Pilot-Anlage mit einem Tagesdurchsatz von 6 1 Kohle/Tag ist im Shell-Laboratorium in Amsterdam seit Dezember 1976 in Betrieb. Ende 1979 wurde von der Shell International Petroleum Maatschappij (Den Haag) in Hamburg eine auf der Basis des Koppers-Totzek-Verfahrens arbeitende Großanlage in Betrieb genommen. Abb. 4-25 zeigt das Fließschema des Shell-Koppers-Prozesses (205). Typische Daten dieses Shell-Koppers-Prozesses sind: Tagesdurchsatz 150 t Kohle/Tag; die Rohgasproduktion beträgt etwa 2000 N m 3 je t Steinkohle; Sauerstoff- und
Abb. 4-25: Fließschema des Shell-Koppers Prozesses zur Kohlevergasung Quelle: H. K. Völkel, M. J. van der Bürgt, Deutsche Shell AG, Hamburg 1982.
4.6
Sekundärenergieträger
311
Dampfverbrauch hängen von der Qualität der Einsatzkohle ab. Der Sauerstoffbedarf beträgt etwa 0 , 9 - 1 1 je Tonne wasser- und aschefreier Kohle. M i t Sauerstoff als Vergasungsmittel und anschließender Entfernung der Schwefelkomponenten und des C 0 2 kann ein hochwertiges Synthesegas hergestellt werden. Der Heizwert des Gases beträgt rd. 1 1 3 0 0 k J / N m 3 ; der Gesamtwirkungsgrad dieses Prozesses liegt bei 7 7 % . (Mit dieser halbtechnischen Anlagen sollen die Planungsdaten für eine Demonstrationsanlage mit einem Kohledurchsatz von 1 0 0 0 t/d ermittelt werden.) Das hochwertige Synthesegas dieses Prozesses eignet sich für die industrielle Wärmeerzeugung sowie als Ausgangsbasis für die Herstellung verschiedenartiger gasförmiger und flüssiger Produkte. Beispiele sind: Die Herstellung von Wasserstoff oder wasserstoffreichem Gas (durch entsprechende Prozeßführung), die Herstellung von Reduktionsgas für die Direktreduktion von Eisenerz, die Herstellung von Methan beziehungsweise S N G (Methanisierung gemäß Gleichung (22)), die Herstellung von Methanol beziehungsweise von synthetischen flüssigen Kohlenwasserstoffen (zum Beispiel Benzin oder Leicht- und Mitteldestillate nach der Fischer-Tropsch-Synthese) (vgl. 4 . 6 4 3 . 1 ) . In der Bundesrepublik Deutschland sind derzeit 8 Pilotanlagen zur Kohlevergasung in Betrieb: 6 Anlagen stellen Synthesegas her, 1 Anlage erzeugt SNG, und 1 Anlage erzeugt elektrische Energie über Kohlegas. Im Unterschied zu den bisher behandelten Prozessen haben die in den USA entwickelten Verfahren (Bigas-, Synthane-, Hygas-Verfahren) die unmittelbare Erzeugung von S N G zum Ziel. Beim Bigas-Verfahren der Bituminous Coal Research, Inc., wird Kohle gemahlen, getrocknet und pulverisiert. Kohle und Dampf werden in den oberen Reaktor durch vier konzentrisch angeordnete Einfüllrohre eingegeben. Hier wird die Kohle auf rd. 1 2 0 0 Κ durch heißes Gas des unteren Reaktors aufgeheizt; es entsteht ein Rohgas. Unreagierte Kohle wird vom Rohgas getrennt und anschließend in den unteren Vergaser eingeführt; gleichzeitig wird Sauerstoff und Dampf zugegeben. Hier findet die Vergasung bei rd. 1 7 0 0 Κ statt. In der anschließen Reinigung wird C 0 2 und H 2 S entfernt, danach wird das Gas methanisiert und getrocknet. Eine Pilotanlage mit einem Kohledurchsatz von 1 2 0 t/d ist in den USA in Betrieb und produziert rd. 7 0 0 0 0 Nm 3 /d. Beim Synthane-Verfahren des U.S. Bureau of Mines wird gemahlene und getrocknete Kohle einem Schweler (Arbeitstemperatur ca. 7 0 0 K) zugeführt. (Ungefähr 1 2 % des gesamten Dampf- und Sauerstoffbedarfs wird dem Schweler zugeführt.) Hier wird ein Teil der Kohle vergast; der andere Teil wird in einem Vergaser - unter Dampf- und Sauerstoffzufuhr — bei ca. 1 3 0 0 Κ und einem Druck zwischen 3 5 und 7 0 bar vergast. Das Gas wird anschließend gereinigt, methanisiert und getrocknet. Eine Pilotanlage mit einem Kohledurchsatz von 7 0 t/d erzeugt rd. 4 0 0 0 0 N m 3 / d . Beim Hygas-Verfahren des Instituts of Gas Technology (Chicago) wird Kohle gemahlen und getrocknet. Dann wird Kohle mit Öl zu einem Kohleschlamm angerieben, der in einen 3-Stufen-Vergaser eingeführt wird. In der ersten Stufe verdampfen die leichten Kohlebestandteile, in den beiden nächsten Stufen wird eine hydrierende Vergasung durchgeführt. (Der erforderliche Wasserstoff wird aus der Restkohle der
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4. Energieversorgungssysteme
letzten Vergasungsstufe erzeugt.) Das Gas wird gereinigt, methanisiert und getrocknet. Von Vorteil bei diesem Verfahren ist, daß alle Kohlearten verwendet werden können. Eine Anlage mit einem Durchsatz von 75 t/d produziert in Chicago rd. 50000 Nm 3 /d Gas von einer Qualität, die mit der von Erdgas vergleichbar ist. Es gibt Planungen für Anlagen mit einer Leistung von rd. 200000 Nm 3 /d (206). Neben diesen relativ weit entwickelten Verfahren gibt es noch mehrere in den Anfängen stehende Entwicklungen zur Kohlevergasung. Beispiele hierfür sind der Hydrane-Prozeß des U.S. Bureau of Mines, der Molton-Salt-Prozeß der M.W. Kellogg Corporation, der ATGAS-Prozeß der Applied Technology Corporation. Bei den behandelten konventionellen Vergasungsverfahren wird die erforderliche Prozeßwärme durch Verbrennung eines Teils der Einsatzkohle gedeckt (autotherme Verfahren). Es ist geplant, bei der nuklearen Kohlevergasung die Prozeß wärme durch nuklear erzeugte Wärme des Hochtemperatur-Reaktors bereitzustellen (vgl. 4.213.3 und 4.65). Dadurch würde sich eine höhere Gasausbeute — bezogen auf die eingesetzte Kohle — ergeben, das heißt, eine Schonung der Kohlevorräte wäre möglich (207). Langfristig werden Verfahren angestrebt, die enormen Kohleressourcen ohne den konventionellen Kohleabbau nutzbar zu machen. Die Methode der Untertagevergasung scheint hier besonders erfolgversprechend zu sein (208, 209). Dabei ist von besonderer Bedeutung, daß bei Realisierung der Untertagevergasung voraussichtlich die Nutzung von Flözen möglich ist, deren konventioneller Abbau nicht wirtschaftlich ist. Dadurch würde sich das Potential der nutzbaren Kohlevorräte um ein Vielfaches erhöhen (vgl. 3.31). In den USA, der Sowjetunion und in Europa gibt es diesbezüglich umfangreiche Arbeiten. Zum Beispiel plant das belgische „Institut National des Industries Extractives" (INIEX) einen größeren Feldversuch. In Manna, Wyoming (USA) werden durch Untertagevergasung täglich 56000 Nm 3 Gas mit einem Energieinhalt zwischen 3,7 und 5 , 6 M J / N m 3 erzeugt (210, 211). 4.643 Kohleverflüssigung 4.643.1 Fischer-Tropsch-Synthese Grundsätzlich gibt es zwei Verfahren zur Herstellung flüssiger Energieträger aus Kohle: einmal die Vergasung von Kohle zu Kohlenmonoxid und Wasserstoff (Herstellung von CO/H 2 -Synthesegas) mit anschließender Synthese zu flüssigen Produkten (Fischer-Tropsch-Synthese), zum anderen die direkte Hydrierung der Einsatzkohle (Kohlehydrierung nach F. Bergius). Abb. 4-26 zeigt die einzelnen Verfahrensschritte der Kohleverflüssigung nach der Fischer-Tropsch-Synthese in einem Blockdiagramm (201). Die Fischer-Tropsch-Synthese liefert — je nach Reaktionsbedingungen (Druck, Temperatur) und verwendeten Katalysatoren - die verschiedensten C,H-Verbindungen (von Methan bis zu hochmolekularen Kohlenwasserstoffverbindungen wie Paraffine, Olefine sowie auch
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4 . 6 Sekundärenergieträger
Kohle
Produkte
Abb. 4-26: Kohleverflüssigung nach der Fischer-Tropsch-Synthese (Blockdiagramm) Quelle: A. Ziegler, R. Holighaus, Technical possibilities and economic prospects for coal refining, E N D E A V O U R , Vol. 3, N o 4, 1979.
C,H,0-Verbindungen (wie Alkohole, Aldehyde, Ketone). Das heißt, es lassen sich flüssige Kraftstoffe, Heizöle in allen Siedebereichen und wichtige Grundstoffe der chemischen Industrie synthetisch — auf Kohlebasis — herstellen (202). F. Fischer und H. Tropsch konnten im Jahre 1925 aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff bei etwa 470 Κ und normalem Druck an metallischen Katalysatoren (Fe, Co) flüssige Kohlenwasserstoffe herstellen. Zwischen 1935 und 1939 wurden in Deutschland 9 Synthese-Anlagen gebaut, die teils bei Normaldruck, teils bei Mitteldruck arbeiteten. Sie hatten eine Gesamtkapazität von rd. 700000 t an flüssigen Kohlenwasserstoffen pro Jahr. Auch nach 1945 wurde der Fischer-Tropsch-Synthese zunächst noch große Bedeutung beigemessen. Zum Beispiel wurden ab 1949 in den USA, beim U.S. Bureau of Mines, systematische Untersuchungen an einer Großversuchsanlage mit einer täglichen Erzeugung von rd. 7 t flüssiger Produkte durchgeführt. Außerdem wurde in Brownsville (Texas, USA) von der Hydrocarbon Research Corp. und von US-ölgesellschaften das Hydrocol-Wirbelbettverfahren (Synthese im Wirbelbett) entwickelt und 1950 als großtechnische Anlage für eine Jahresproduktion von ca. 400 0001 flüssiger Kohlenwasserstoffe gebaut. Durch die Verfügbarkeit von billigem Erdöl und Erdgas wurde das Interesse an der Fischer-Tropsch-Synthese weltweit ab Mitte der 50er Jahre geringer. (Eine Ausnahme bildete Südafrika.) Aufgrund der relativ starken Verteuerung des Mineralöls besteht seit einigen Jahren wieder Interesse an der Fischer-Tropsch-Synthese. Bei der Kohleverflüssigung über Synthesegas ist von Vorteil, daß die Abtrennung des in der Kohle enthaltenen Schwefels in der Gasaufbereitung relativ einfach ist und daß auch aschereiche Kohlen als Rohstoffe verwendet werden können. Das heißt, Produkte der Fischer-Tropsch-Synthese sind weitgehend schwefelfrei.
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4. Energieversorgungssysteme
Die Grundreaktion der Fischer-Tropsch-Synthese besteht in der Bildung aliphatischer Ketten aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff (katalytische Hydrierung von Kohlenmonoxid): nCO + 2 n H 2 = ( - C H 2 - ) n + n H 2 0
(23)
Es ist Δ Η = - 1 5 8 k j / m o l ( - C H 2 - ) bei ca. 520 Κ (exotherme Reaktion). Als Katalysatoren kommen zum Beispiel die Metalle Eisen, Kobalt, Nickel und Ruthenium in Frage. Die optimale Ausbeute an Kohlenwasserstoffen erhält man, indem die Partialdrucke von C O und H 2 im Synthesegas auf das CO/H 2 -Verbrauchsverhältnis eingestellt werden. Das Verbrauchsverhältnis wird von der Zusammensetzung des Katalysators, von den Betriebsvariablen (Druck, Temperatur) und der mittleren Verweilzeit des Gases am Katalysator beeinflußt. Je nach Katalysator, Reaktionsbedingungen und Zusammensetzung der Gasphase kann das gebildete Wasser mit noch nicht umgesetzem C O reagieren nach der Gleichung: H 2 0 + C O = C 0 2 + H 2 . Die Reaktionsprodukte bestehen in den meisten Fällen aus Paraffinen und Olefinen. Die Prozeßführung kann auch so gestaltet werden, daß sauerstoffhaltige organische Verbindungen, insbesondere Alkohole (zum Beispiel Methanol) zu Hauptprodukten werden. Die Bildung von Sauerstoffverbindungen wird unter anderem begünstigt durch niedrige Temperatur, hohen Druck und hohes CO/H 2 -Verhältnis. Die Herstellung von Methanol aus C O und H 2 erfolgt - unter Wirkung geeigneter Katalysatoren (zum Beispiel Zinkoxid/Chromoxid-Katalysatoren) - bei einem Druck von ca. 300 bar und einer Temperatur von ca. 620 Κ nach der Gleichung C O + 2 H 2 = CH3OH; Δ Η = - 9 1 k j / m o l
(24)
Die Reaktion ist exotherm und verläuft unter Volumenkontraktion. Wie bereits erwähnt, ist Methanol ein wichtiger Grundstoff für die chemische Industrie und — da Methanol schwefelfrei ist — ein umweltfreundlicher flüssiger Energieträger. Bei der großtechnischen Durchführung der Fischer-Tropsch-Synthese haben sich bisher insbesondere folgende Reaktoren bewährt: der Festbettreaktor (Arge-Prozeß), entwickelt von der Lurgi-Ruhrchemie (Bundesrepublik Deutschland) und der KELLOGG-SASOL-Flugstaubreaktor (Synthol-Prozeß), entwickelt von M.W. Kellogg (USA) und von SASOL (South African Coal, Oil and Gas Corp.) weiter verbessert (202). Die SASOL ist derzeit die einzige Firma, die Fischer-Tropsch-Anlagen betreibt. SASOL I setzt beide Verfahren (Arge- und Synthol-Prozeß) zur Produktion von synthetischen Kohlenwasserstoffen ein. Seit 1960 sind 5 Festbettreaktoren in Betrieb, die derzeit rd. 1 0 0 0 0 0 t/Jahr an flüssigen Kohlenwasserstoffen liefern, sowie 3 Flugstaubreaktoren, die rd. 2 5 0 0 0 0 t/Jahr an flüssigen Kohlenwasserstoffen produzieren. (Das erforderliche Synthesegas wird durch Lurgi-Druckvergasung von Kohle hergestellt.) Beispielsweise liefert der Synthol-Prozeß an flüssigen Produkten 7 5 %
4.6 Sekundärenergieträger
315
Olefine, 10% Paraffine, 7% Aromate und 8% sauerstoffhaltige Verbindungen; etwa 65% der gesamten Endprodukte entfallen beim Synthol-Prozeß auf Benzin, das den üblichen Spezifikationen für Otto-Kraftstoffe entspricht. Derzeit ist - auf der Basis des Synthol-Prozesses — eine Großanlage SASOL II in Bau. Nach Fertigstellung soll SASOL II unter anderem rd. 1,5 · 10 6 t/Jahr an Kraftstoffen produzieren. 4.643.2 Kohlehydrierung Unter Kohlehydrierung versteht man die Wasserstoffanlagerung an Kohle unter hohem Druck und hohen Temperaturen in Anwesenheit von Katalysatoren. Bereits im Jahre 1913 gelangt es F. Bergius, Kohle zu verflüssigen: Er lagerte Wasserstoff unter hohem Druck und hoher Temperatur an Kohle an und erhielt ölartige Verbindungen. Die Entwicklung der Kohlehydrierung zum großtechnischen Verfahren erfolgte unter M. Pier in der Badischen Anilin und Soda-Fabrik (BASF), in Ludwigshafen/Rhein. Bei der Kohlehydrierung wird von der gesamten Einsatzkohle nur etwa ein Drittel zu flüssigen Produkten hydriert; zwei Drittel der Kohle werden zur Wasserstoff- und Energieerzeugung benötigt. Das heißt, um 4 1 Öl aus Kohle zu gewinnen, benötigt man rd. 12,5 t Kohle. (Der Wasserstoffbedarf zur Erzeugung von 11 Benzin beträgt — je nach Kohleart und Herstellungsverfahren - rd. 2000 Nm 3 H 2 ; dieser Bedarf hängt auch davon ab, inwieweit die schweren Ölanteile zu Benzin verarbeitet werden.) Im Jahre 1943 waren in Deutschland 12 Hydrieranlagen in Betrieb, die Braunund Steinkohle sowie Teere verarbeiteten. Sie produzierten rd. 4 · 10 6 t Treibstoffe pro Jahr und deckten 1943 etwa ein Drittel des damaligen Mineralöl-Gesamtbedarfs in Deutschland. (Der Bedarf an Benzin und Dieselöl wurde dadurch zu 50% und der von Fliegerbenzing sogar zu 90% gedeckt.) Hydrieranlagen auf Kohlebasis gab es auch in England (Steinkohlehydrieranlage der Imperial Chemical Industries Ltd.), in Frankreich, Japan und in den USA. (Zum Beispiel baute die Standard Oil Co. of New Jersey im Jahre 1930 zwei Hydrieranlagen.) Alle Anlagen wurden stillgelegt. In den 50 er und 60 er Jahren ging man mehr und mehr zu der hydrierenden Spaltung von Schwerölen über, insbesondere wurden in den USA ab den 60 er Jahren zahlreiche große Anlagen zur Gewinnung von Treibstoffen durch hydrierende Spaltung von Schwerölen in Betrieb genommen (Hydrocrack-Anlagen) (vgl. 4.63). Bei der Kohlehydrierung erfolgt die Umwandlung von Kohle in zwei Stufen: Die erste Stufe erfolgt in flüssiger Phase. Kohle wird bei etwa 720 Κ und einem Druck von ca. 700 bar — in Gegenwart feinverteilter Katalysatoren — in ein Zwischenprodukt (Rohbenzin, Mittelöl, Schweröl) übergeführt. In Gegenwart von Katalysatoren wie Eisen-, Zinn- und Molybdän-Verbindungen wird Wasserstoff an Kohlenstoff angelagert; ein Teil der Heteroatome (wie S,0,N) wird in Wasserstoffverbindungen (H 2 S, H 2 0 , NH 3 ) übergeführt, die relativ leicht entfernt werden können. (Als erste Stufe der Kohleverflüssigung läßt sich auch eine Kohleextraktion mit wasserstoffabgebenden Lösungsmitteln durchführen. Unter Kohleextraktion versteht man die Be-
316
4.
Energieversorgungssysteme
handlung von Kohle unter Druck mit einem Lösungsmittel, wobei Kohle depolymenisiert und Wasserstoff aus dem Lösungsmittel an Kohle gelagert wird.) Die zweite Stufe erfolgt in der Gasphase. Die von Asche und verbrauchtem Katalysator getrennten Zwischenprodukte (Rohbenzin und öle) werden in der Gasphase über fest angeordnetem Katalysator bei etwa 670 Κ und ca. 3 0 0 bar raffiniert und zum Beispiel in hochwertige Benzine umgewandelt. Während die in der flüssigen Phase gewonnenen Produkte noch weitgehend den Charakter von Rohstoffen haben, können — durch Wahl der Reaktionsbedingungen (Druck, Temperatur, Katalysator) - die Hydrier-, Spalt-, Dehydrier-, Isomerisierungsreaktionen so abgestimmt werden, daß — in gewissen Grenzen — die gewünschten Fertigprodukte anteilmäßig entstehen. Abb. 4-27 zeigt wichtige Verfahrensschritte der Kohlehydrierung (201). In mehreren Ländern, insbesondere in den USA und der Bundesrepublik Deutschland, wird seit einigen Jahren an der Weiterentwicklung der Kohleverflüssigung auf der Basis der Kohlehydrierung gearbeitet (212, 213). In der Bundesrepublik Deutschland sind mehrere kleinere Versuchsanlagen in Betrieb; zwei Pilotanlagen befinden sich in Bau. (Es handelt sich um modifizierte IG-Verfahren.) Die Betreiber sind: die Saarbergwerke AG (Einsatzkohle ist Steinkohle: 6 t/d; Produkte sind: Rohbenzin, Mitteldestillate) und die Ruhrkohle AG/VEBA-Öl (Einsatzkohle ist Steinkohle: 200 t/d; Produkte sind: Benzin, Mitteldestillate). Ausgehend von den bisherigen Erfahrungen mit Kohleverflüssigungsanlagen auf der Basis der Kohlehydrierung gibt es folgende Weiterentwicklungen: Das SRC IiVerfahren (Solvent-Refined-Coal II) der Gulf Oil Corp.; das EDS-Verfahren (Exxon Donor Solvent) der Exxon Corporation; das Synthoil-Verfahren des U.S. Bureau of Mines; das Η-Coal-Verfahren der Hydrocarbon Research Inc.; das CSF-Verfahren der Consolidation Coal Co.; das COED-Verfahren (Char Oil Energy Development) der Food Machinery Corp..(212, Corp. (212, 213). 4.644 Kokserzeugung Erhitzt man Kohle unter Luftabschluß, so entstehen gasförmige Produkte (zum Beispiel Kokereigas), flüssige Produkte (zum Beispiel schwere und leichte Teeröle) und feste Produkte (zum Beispiel Braunkohlen- und Steinkohlenkoks). Menge, Art und Zusammensetzung dieser Zersetzungserzeugnisse werden sowohl durch den Rohstoff als auch durch die Bedingungen, unter denen die sogenannte trockene Destillation abläuft, bestimmt. Bei Zersetzung der Kohle bis etwa 900 Κ spricht man von Schwelung, bei Temperaturen von 1200 Κ und höher von Verkokung.
Abb. 4 - 2 7 : Verfahrensschritte der Kohleverflüssigung durch Hydrierung Quelle: A. Ziegler, R. Holighaus, Technical possibilities and economic prospects for coal refining, E N D E A V O U R , Vol. 3, N o 4, 1 9 7 9 .
317
318
4.
Energieversorgungssysteme
Tabelle 4 - 7 : Steinkohlenförderung und Steinkohlenkokserzeugung nach Ländern (in 1 0 6 t) Steinkohlenkoks
Steinkohle Land
Jahr
1966
1973
1977
1979
1980
1966
1973
1977
1979
1980
UdSSR
k.A.
524"
556
554
552
k.A.
83"
85
87
87
USA
493
530
606
667
724
65
58
50
48
42
V R China
k.A.
450"
550
635
606
k.A.
28"
28
35
36
B R Deutschland
132
104
91
93
94
40
34
28
27
29
Großbritannien
177
130
121
121
128
19
18
14
13
10
50
26
21
19
18
13
12
11
12
11
EG
389
270
240
239
247
89
82
68
67
67
Europa (ohne UdSSR)
565
478
478
494
493
122
123
114
114
112
2093
2238
2594
2789
2830
315
367
357
374
370
Frankreich
Welt
" Diese Zahlen gelten für 1 9 7 4 . Quelle: Statistik der Kohlenwirtschaft, Essen und Köln, September 1 9 7 8 und September 1 9 8 1 .
Wirtschaftliche Bedeutung hat nur die Verkokung von Steinkohle. Koks wird als Reduktionsmittel benötigt, um aus verschiedenen Eisenerzen Roheisen zu gewinnen. Tabelle 4 - 7 zeigt die Steinkohlenkokserzeugung und die Steinkohlenförderung in der Welt (214). Während in der Welt die Steinkohlenkokserzeugung in der Vergangenheit zugenommen hat, ist diese Entwicklung in wichtigen Industriestaaten rückläufig. Der Rückgang ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, daß die Eisen- und Stahlindustrie als Hauptabnehmer von Koks (bis zu jeweils 8 0 % der Kokserzeugung) den spezifischen Koksverbrauch reduzieren konnte. Die Verringerung des Koksverbrauchs war durch Verbesserung der Hochofentechnik möglich und durch die teilweise Substitution des Kokses durch Heizöl. Beispielsweise betrug im Jahre 1 9 6 0 der spezifische Koksverbrauch je Tonne Roheisen ca. 8 3 0 kg und 1 9 7 4 nur noch ca. 5 0 0 kg. Es ist davon auszugehen, daß die eigenschaffende Industrie zur Herstellung von Roheisen im Hochofen noch auf absehbare Zeit metallurgischen Koks benötigt.
4 . 6 4 5 Wirtschaftliche Aspekte Die Vergasung und Verflüssigung von Steinkohle wird derzeit in großtechnischem Maßstab nur in Südafrika - auf der Basis billiger Steinkohle - betrieben. In den USA, in Japan und in einigen europäischen Ländern (zum Beispiel in der Bundesrepublik Deutschland, in Großbritannien) wird an der Realisierung der großtechnischen und kommerziellen Kohlevergasung und Kohleverflüssigung gearbeitet. Vergleicht man verschiedene Verfahren der Kohleveredelung, so beträgt der ener-
4.6 Sekundärenergieträger
319
getische Wirkungsgrad bei der autothermen Vergasung von Kohle (konventionelle Vergasung) ca. 7 0 % und bei der allothermen Vergasung (nukleare Kohlevergasung) 8 7 % ; bei der Kohleverflüssigung (direkte Hydrierung der Einsatzkohle) können Wirkungsgrade — je nach Kohleart und Verfahren — in der Größe um 6 0 % erzielt werden (203). Technologisch relativ weit entwickelt und der Wirtschaftlichkeitsschwelle am nächsten ist die Kohlevergasung. Großanlagen zur Vergasung und Verflüssigung von Kohle werden komplex und teuer sein. Die Rand Corporation, USA, schätzt die Investitionen für Anlagen, die entweder 5 · 1 0 6 1 Kohleöl (Syncrude) pro Jahr oder 6 · 10 9 m 3 Kohlegas (SNG) pro Jahr herstellen können, auf rd. 3 · 1 0 9 US-Dollar (in Preisen von 1979). Größenordnungsmäßig müßten hierzu - aus heutiger Sicht - jeweils rd. 15 · 1 0 6 t Kohle pro Jahr bereitgestellt werden. Die Frage, inwieweit die Herstellung von Kohleveredelungsprodukten wie gasförmige beziehungsweise flüssige Energieträger (insbesondere Kohlenwasserstoffe) wirtschaftlich ist, hängt von einer Anzahl von Einflußgrößen ab. Beispiele hierfür sind: Verfügbarkeit und Preis der Einsatzkohle, die technologische Entwicklung bei der Kohlevergasung und Kohleverflüssigung, Verfügbarkeit und Preisentwicklung des Mineralöls. Hieraus folgt, daß die Wirtschaftlichkeitsschwelle bei der Herstellung synthetischer Kohlenwasserstoffe aus Kohle für einzelne Länder sehr verschieden ist (215, 216). Für die USA schwanken — nach Angaben des Department of Energy — die Kosten für die Herstellung synthetischer Energieträger aus Kohle je nach Produkt (zum Beispiel gasförmige oder flüssige Energieträger) und je nach Standort zwischen 2 7 und 4 5 Dollar pro Barrel Öl beziehungsweise bei Gas pro Barrel Öl äquivalent (zu Preisen von 1979). (Die Kosten für die Herstellung von Kohlegas liegen am unteren Ende der Bandbreite.) Wie in 3 . 3 4 1 behandelt, sind die Ölschiefervorkommen der Vereinigten Staaten außerordentlich groß. Die Herstellung von Flüssigbrennstoffen aus Ölschiefer ist kostengünstiger als aus Kohle; das Department of Energy schätzt diese Kosten auf 25 bis 35 Dollar/bbl (zu Preisen von 1979). Das heißt, die Kosten sind von einer Größe, daß aus Ölschiefer gewonnenes Öl der erste Brennstoff sein dürfte, der mit konventionellem Öl konkurrieren kann. Durch die Produktion von Methanol — dies geschieht in einem Zweistufenverfahren, bei dem zunächst Synthesegas erzeugt und dieses dann in Methanol umgewandelt wird (vgl. 4 . 6 4 3 . 1 ) — und durch die Produktion von Äthanol (zum Beispiel aus Biomasse) könnte grundsätzlich ein Beitrag zur Deckung des Bedarfs an flüssigen Energieträgern geleistet werden. Methanol beziehungsweise Äthanol als Zusatz zu Benzin, das heißt Gasohol (Mischung aus ca. 9 0 % Benzin und 1 0 % Alkohol), vermag Kraftstoffe auf Ölbasis zu strecken und die Klopffestigkeit zu erhöhen. Gemessen am Energiehaushalt ist die Herstellung von Alkoholen auf der Basis von Kohle oder Biomasse im Vergleich zu Kraftstoffen auf Ölbasis derzeit (noch) zu teuer. Die Wirtschaftlichkeitsschwelle für synthetische Brennstoffe auf Kohlebasis dürfte auch davon abhängen, inwieweit es in den USA gelingt, das enorme Potential an nicht konventionellen Gasquellen (zum Beispiel
320
4. Energieversorgungssysteme
„geopressured gas") (vgl. 3.331) mit neuen Technologien zu kostengünstigen Preisen zu nutzen. Im Unterschied zu den USA ist in der Bundesrepublik Deutschland die Situation im wesentlichen dadurch gekennzeichnet, daß Kohle (Braun- und Steinkohle) der einzig vorhandene Energierohstoff ist. Außerdem ist die Steinkohle — durch geologische Faktoren bedingt — sehr teuer, was unter anderem zur Folge hatte, daß die Steinkohleförderung in den 60 er und 70 er Jahren zurückging und die Importkohle in der Bundesrepublik Deutschland preisgünstiger ist. Nach Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaft, Bonn, ist die Umwandlung inländischer Steinkohle in Kohleöl zu einem Preis möglich, der bei 5 0 bis 55 Dollar/bbl liegt; für Importkohle reduziert sich der Preis auf 35 bis 4 0 Dollar/bbl (zu Preisen von 1979). Daraus folgt, daß die Kohleverflüssigung — alleine aus Kostengründen — in absehbarer Zeit nicht wirtschaftlich werden wird. Dagegen ist die Kohlevergasung — insbesondere auf Braunkohlenbasis — kostengünstiger als die Kohleverflüssigung durchzuführen. Derzeit wird in der Bundesrepublik Deutschland Braunkohle in Höhe von rd. 3 0 · 1 0 6 1 SKE/a in elektrische Energie umgewandelt. Von Bedeutung ist noch, daß Kohlegas (SNG beziehungsweise Synthesegas) in vielen Bereichen zur Substitution von Mineralölprodukten geeignet ist. Die Situation in Großbritannien ist dadurch gekennzeichnet, daß inländische Steinkohle kostengünstiger zu gewinnen ist als in der Bundesrepublik Deutschland. Außerdem hat Großbritannien durch das Nordseeöl und Nordseegas beträchtliche Vorräte an konventionellem Öl und Gas. Dadurch dürften sich hochwertige Kohleveredelungsprodukte gegenüber Mineralölprodukten und Naturgas auf dem Energiemarkt und insbesondere auf dem Rohstoffmarkt relativ spät durchsetzen. Derzeit liegt das Welthandelsvolumen mit Kohle bei ca. 2 4 0 · 1 0 6 t SKE/a; bis zum Jahre 2 0 2 0 wird mit einer Erhöhung des Weltkohlenhandels auf etwa 8 0 0 · 1 0 6 t SKE gerechnet (vgl. 3 . 3 1 2 ) . (Dies entspricht etwa 3 0 % des derzeitigen Welthandelsvolumens an Mineralöl.) Der Import von Kohle dürfte insbesondere für Länder, die über wenig Energierohstoffe verfügen, wie zum Beispiel Frankreich, Italien, Japan, steigende Tendenz haben, da Kohle (Gas aus Kohle) gegenüber Mineralöl in einigen Einsatzbereichen zunehmend wettbewerbsfähig werden dürfte. Wie bereits erwähnt, ist die Umwandlung von Kohle in Kohleöl — unter Zugrundlegung von Importkohle — zu etwa 35—40 Dollar/bbl (zu Preisen von 1979) möglich. Kohleöl ist bei dem derzeitigen Preisgefüge mit konventionellem Öl noch nicht konkurrenzfähig. Die ersten konventionellen Kohleverflüssigungsanlagen dürften dort errichtet werden, wo große Vorkommen an Kohle liegen, deren Gewinnung kostengünstig ist, da der Transport flüssiger Energieträger — auch über große Entfernungen auf See — wirtschaftlich ist. Dagegen dürften die ersten Kohlevergasungsanlagen dort entstehen, wo ein größerer Bedarf an Gas ist, da es günstiger ist, Kohle über große Entfernungen auf See zu transportieren als Gas. Das heißt, es ist davon auszugehen, daß in dem Maße wie — wegen einer allmählichen Erschöpfung der natürlichen Erdöl- und
4.6 Sekundärenergieträger
321
Erdgasquellen — der Bedarf an flüssigen und gasförmigen Energieträgern ungedeckt bleibt an die Stelle von Erdöl und Erdgas (aus natürlichen Quellen) Öl und Gas aus „künstlichen" Quellen treten. Die Frage, wann und in welchen Bereichen Kohleveredelungsprodukte gegenüber Mineralölprodukten konkurrenzfähig werden, dürfte in starkem Maße von der Verfügbarkeit und der Preisentwicklung von Mineralöl abhängen. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, daß sich die Zeithorizonte für die Wirtschaftlichkeitsschwelle von Kohleveredelungsprodukten (gegenüber konventionellem Mineralöl und Erdgas) in die Zukunft verschoben haben (217). Ein wichtiger Grund hierfür ist, daß auch der Preis für Kohle — wie für andere Energieträger — steigende Tendenz hat. Die Substitution des schweren Heizöls in Industrie und Kraftwerken zum Beispiel durch Kohle und die Konversion des dadurch frei werdenden schweren Heizöls in Benzin und leichtes Heizöl, dürfte noch für geraume Zeit zweckmäßiger sein als die Kohleverflüssigung. Durch den Bau von leistungsfähigen Konversionsanlagen ist es möglich, einen größeren Anteil an leichteren Produkten aus Rohöl zu gewinnen als bisher (vgl. 4.63). Mineralölprodukte könnten somit noch für lange Zeit den Bedarf im Verkehrsbereich und in der chemischen Industrie decken (218).
4.65 Fernenergie Der grundsätzliche Gedanke bei dem System der Fernenergie besteht darin, Wärme als chemische Energie — also „kalt" — über größere Entfernungen zum Verbraucher zu transportieren. Die in solch ein Latentwärmegas (z.B. Synthesegas/Methan) eingekoppelte Wärme hat im Vergleich zur Fernwärme den Vorteil, daß beim Transport Wärmeverluste vermieden werden und verbraucherseitig höhere Temperaturen (bis zu 873 K) als bei der Fernwärmeversorgung erreichbar sind. Hierdurch wird das Einsatzpotential gegenüber der Fernwärme beträchtlich erweitert. Zum einen kann ein Teil des Industriebedarfs an Prozeßwärme gedeckt werden, und zum anderen ist eine verbrauchernahe (relativ umweltfreundliche) Stromerzeugung möglich. Durch das System der Fernenergie ist es möglich, Wärmeenergie wie sie z.B. der Hochtemperatur-Reaktor liefert, über größere Entfernungen zu transportieren und dadurch den Ort des Nuklearreaktors vom Verbraucher zu trennen (nukleare Fernenergie NFE) 1 '. Im Gegensatz zur Kohlevergasung verwendet das System der Fernenergie fossile Energieträger nur als Transportmedium in einem geschlossenen Kreislauf, d. h. das Medium wird nach der Energieauskopplung beim Verbraucher zur erneuten Energieeinkopplung zum Reaktor zurückgeführt. Gegenüber der Elektrizität liegen die möglichen Vorteile in einem höheren Wirkungsgrad bei der Umwandlung von Primär- in Sekundärenergie zur Wärmebedarfsdeckung (Wärme kann unmittel-
Die Wärme kann auch durch andere Energiequellen (z. B. Sonnenenergie) bereitgestellt werden.
322
4. Energieversorgungssysteme
bar ein- bzw. ausgekoppelt werden) sowie in der leichteren Speicherfähigkeit des Transportmediums. Unter einer Vielzahl von möglichen chemischen Systemen ist das von R. Schulten, Jülich, favorisierte Latentwärmegas Synthesegas/Methan besonders geeignet (32, 219). Die Grundgleichung dieser Reaktion ist CO + 3 H 2 = CH 4 + H 2 0 ; Δ Η = - 2 0 5 kj/mol
(25)
Dieser Zyklus ist in beiden Prozeßschritten, der Methanisierung und der Methanspaltung in der konventionellen Technik erprobt. Abb. 4-28 zeigt das Schema des Fernenergie-Systems Synthesegas/Methan, das den Arbeitstitel ADAM/EVA-System hat. Es handelt sich um zwei Anlagegruppen. Die Energieeinkopplung in den Kreislauf erfolgt am Standort des Kernreaktors und die Enerigeauskopplung in der Nähe des Verbrauchers. Bei der Energieeinkopplung wird die für die Methanspaltung notwendige Wärme bei 1098 Κ durch einen Hochtemperatur-Reaktor geliefert. Das Helium gibt seine fühlbare Wärme im Röhrenspaltofen (EVA) zur katalytischen Spaltung von Methan mit Wasserdampf ab. Aus der Spaltung entsteht ein wasserstoff-/kohlenmonoxidreiches Spaltgas (3 H 2 + CO), das noch Kohlendioxid und nicht umgesetztes Methan enthält. Das Spaltgas, das bei 40 bar erzeugt wird, wird
Abb. 4-28: Schema des Fernenergie-Systems Synthesegas/Methan 1 = Kernreaktor; 2 = Röhrenspaltofen (EVA) (Reaktion bei 1098 K; 40 bar); 3 = Vorwärmer; 4 = Gebläse; 5 = Abwärmenutzung; 6 = H 2 , CO-Kompressor; 7 = Methanisierung (ADAM); 8 = Wärmetauscher; 9 = CH 4 -Kompressor; 10 = Nahwärme + Strom + Abwärme; 11 = Heizwärme (Dampf 873 K). Quelle: K. J. Euler, A. Scharmann (Hrsg.), Wege zur Energieversorgung, München: Karl Thiemig 1977.
4.6
Sekundärenergieträger
323
außerhalb des Nuklearteils abgekühlt, getrocknet und auf 64 bar verdichtet. Vom Standort des Hochtemperatur-Reaktors wird das Spaltgas in erdverlegter Gasleitung zu dem ungefähr 70 km entfernten Ballungsraum geführt und dort an einigen zentralen Stellen zur Wärmeerzeugung genutzt. Bei der Energieauskopplung im Methanisierungsreaktor (ADAM) wird das Synthesegas nach Vorwärmung auf die Prozeßtemperatur über einen Katalysator geleitet, worauf die Umsetzung zu Methan und Wasserdampf stattfindet. Die anfallende Latentwärme (chemisch gebundene Wärme) kann dann an den Verbraucher abgegeben werden. Das Temperaturniveau der Methanisierungsreaktion gestattet über die Dampferzeugung die Wärme/KraftKopplung. Aus dem Methanisierungsreaktor (ADAM) werden Strom und Fernwärme abgegeben. Aus dem Gasgemisch (CH 4 + H 2 0 ) wird das Wasser abgetrennt. Dann wird das Methan in einer parallel zur Spaltgasleitung angeordneten Methangasleitung zum Hochtemperatur-Reaktor zurückgeleitet und dort erneut im Röhrenspaltofen (EVA) zu Spaltgas umgesetzt. Methan bzw. das aus ihm gewonnene Spaltgas zirkuliert also in einem geschlossenen System (220). Ergänzend sei noch erwähnt, daß in einem sog. offenen System ein Teil des kohlenmonoxid- und wasserstoffhaltigen Gasgemisches (Synthesegas) für die chemische Industrie als Rohstoff verwendet werden könnte (32, 206).
4 . 6 6 Wasserstoff als Energieträger 4 . 6 6 1 Herstellung Wasserstoff ist ein vielseitig verwendbarer Sekundärenergieträger: Er steht im Wasser der Weltmeere in praktisch „unbegrenzten" Mengen zur Verfügung; er eignet sich zum Transport und zur Speicherung von Energie; die Umwandlung von Wasserstoff in Wärme und elektrische Energie sowie die Verwendung als Treibstoff ist möglich. (Die Erzeugung von elektrischer Energie aus Wasserstoff kann zum Beispiel auf thermischer Basis mittels Gasturbine und Generator (vgl. 4 . 6 1 1 . 1 ) oder in H 2 / 0 2 Brennstoffzellen (vgl. 4 . 6 1 1 . 3 1 ) beziehungsweise in MHD-Generatoren (vgl. 4 . 6 1 1 . 3 2 ) erfolgen.) Die Verwendung von Wasserstoff ist überaus umweltfreundlich; außerdem ist Wasserstoff als wichtiger Grundstoff für die chemische Industrie sowie als Reduktionsmittel verwendbar. Viele sprechen in diesem Zusammenhang von einer möglichen zukünftigen „Wasserstoffökonomie" (171, 221—223). Der zur Zeit hergestellte Wasserstoff wird — von Versuchseinrichtungen abgesehen — fast ausschließlich als Rohstoffträger verwendet. Im Jahre 1938 betrug die Weltproduktion ca. 70 · 1 0 6 N m 3 , 1973 waren es 2 5 0 · 1 0 1 2 N m 3 ( ^ 22,5 · 1 0 6 t ) , und 1 9 7 7 wurden rd. 3 3 0 · 1 0 1 2 N m 3 ( = 3 0 · 1 0 6 t ) Wasserstoff erzeugt. Davon wurden ca. 8 0 % aus Erdöl, 1 5 % aus Kohle und der Rest mit Hilfe der Elektrolyse hergestellt (116). Die großtechnische wirtschaftliche Erzeugung von Wasserstoff für die Verwen-
324
4. Energieversorgungssysteme
dung als Sekundärenergieträger ist ein noch ungelöstes Problem. Die Herstellung des Energieträgers Wasserstoff auf der Basis fossiler Rohstoffe ist — wegen des nicht verwendeten Kohlenstoffes — gesamtwirtschaftlich nicht zweckmäßig. Als Rohstoffbasis für die großtechnische Wasserstofferzeugung als Energieträger eignet sich Wasser. Dabei liegt die in 4.326.1 beschriebene Reaktionsgleichung (Gleichung 17) zugrunde. Das heißt, unter Aufwendung von Energie werden aus Wasser Wasserstoff und Sauerstoff erzeugt. Die gesamte Energie Δ Η, die aufgewendet werden muß, beträgt bei Τ = 25°C (= 298,2 K) und ρ = 1 bar für die Spaltung von flüssigem Wasser H 2 Oii q in die gasförmigen Produkte Wasserstoff H 2 und Sauerstoff 0 2 : Δ Η = 286 kj/mol. Die Energie kann in Form von elektrischer Energie, Wärme oder Strahlung zugeführt werden. (Diese Energie wird beim Verbrennen von H 2 und 0 2 zu H 2 0 wieder freigesetzt.) Im wesentlichen gibt es folgende Herstellungsverfahren: Konventionelle Elektrolyseverfahren, die Hochtemperatur-Dampfphase-Elektrolyse, Thermochemische Kreisprozesse. (Die erforderliche elektrische Energie beziehungsweise Wärme kann grundsätzlich auch durch Einsatz der Sonnenenergie bereitgestellt werden) (vgl. 4.31). Ein überaus günstiges Herstellungsverfahren wäre die photolytische Zersetzung des Wassers; dieses Verfahren wurde bereits in 4.326.3 behandelt. Die konventionellen Elektrolyseverfahren zur Gewinnung von Wasserstoff sind dadurch gekennzeichnet, daß hierzu Strom notwendig ist. Das heißt, die Herstellung erfolgt über einen anderen hochwertigen Sekundärenergieträger, was für die H 2 Herstellungskosten nachteilig ist. Die Methode der Wasserstofferzeugung durch Elektrolyse von Wasser ist schon seit dem 19. Jahrhundert bekannt und wird seit langem zur Erzeugung von reinem Wasserstoff (Reinheit > 99,5%) verwendet. Durch Anlegen einer Gleichspannung an zwei Elektroden, die in einen Elektrolyten eingetaucht sind, bildet sich an der Kathode H 2 und an der Anode 0 2 . Zur Erzeugung von 1 Nm 3 H 2 werden etwa 5 kWh benötigt. Eine Elektrolyseanlage besteht im allgemeinen aus drei Grundeinheiten: dem elektrischen System (Spannungsgenerator, Gleichrichtungen usw.), der Elektrolyseeinheit mit den Einzelzellen und deren Bauteilen (Elektroden, Diaphragmen usw.) und zusätzlichen Prozeßeinheiten (Pumpen, Wärmeaustauscher, Druckregler, Kompressoren usw.). In jeder Anlage müssen diese Einheiten optimiert und aufeinander abgestimmt werden. Außerdem sind an die Materialien, die zum Bau von Elektrolyseeinheiten verwendet werden, hohe Anforderungen bezüglich der Korrosionsfestigkeit zu stellen. Konventionelle Elektrolyseanlagen arbeiten mit 25 bis 30%iger Kalilauge als Elektrolyten bei Temperaturen von 60 bis 90°C (333 Κ bis 363 K). Typische Werte einer Elektrolyseanlage (bipolare Anordnung) sind: Stromdichte 0 , 2 - 0 , 4 A/cm 2 ; Betriebsspannung 1 , 8 7 - 2 , 1 V/Zelle; H 2 -Ausbeute pro Einzelzelle: 1 0 0 0 - 4 0 0 0 m 3 H 2 /h; H 2 -Ausbeute der Anlage bis zu 200000 m 3 H 2 /h; Energieverbrauch 4 , 3 - 4 , 6 kWh/m 3 H 2 ; Druck 0 , 1 - 1 bar. Bei der Hochtemperatur-Dampfphase-Elektrolyse wird Wasserdampf mit Hilfe eines festen, temperaturbeständigen Elektrolyten zersetzt. Die grundsätzliche Bedeutung dieses Verfahrens beruht darauf, daß der Strombedarf bei diesem Elektrolyse-
4.6
325
Sekundärenergieträger
verfahren auf Kosten eines vermehrten Wärmebedarfs reduziert wird. Dies läßt eine Steigerung des Gesamtwirkungsgrades erwarten. Ein zukunftsträchtiger Weg ist die Herstellung von Wasserstoff durch thermochemische Kreisprozesse. Im Gegensatz zu den Elektrolyseverfahren wird der Wasserstoff bei thermochemischen Kreisprozessen ausschließlich unter Einsatz von Prozeßwärme gewonnen, also ohne den Umweg über elektrische Energie. Die Prozeßwärme kann z.B. durch den Hochtemperatur-Reaktor (vgl. 4.213.3) oder durch Sonnenenergie geliefert werden. (Es wurde bereits erwähnt, daß der Sekundärenergieträger Wasserstoff, wegen der günstigeren Speicher- und Transporteigenschaften, wahrscheinlich besser zur Sonnenenergie „paßt" als die Elektrizität.) Thermochemische Kreisprozesse sind erforderlich, da Wasser erst oberhalb 3 0 0 0 Κ in merklichen Mengen dissoziiert und seine Spaltung bei den technisch beherrschbaren Temperaturen nicht in einem einzigen Verfahrensschritt möglich ist. Ein thermochemischer Kreisprozeß besteht aus einer Folge von chemischen Reaktionen, wobei deren Bruttoreaktion die der Wasserspaltung ist. H 2 0 + X = XO XO = X h2o = h2
+ + +
1 2
H2 o2 A
J o2
(26)
Reaktionspartner in dieser Folge von Reaktionen sind außer Wasser, Wasserstoff und Sauerstoff, sog. Reaktionsmittler X , die aber weder verbraucht noch produziert, sondern „im Kreise geführt" werden. Die Mengen des zu spaltenden Wassers lassen sich problemlos bereitstellen. So z.B. erfordert der jährliche Wärmebedarf einer durchschnittlichen Wohnung die Spaltung von nur 6 m 3 Wasser, was nur ca. 2 , 4 % des Jahreswasserbedarfs eines Haushaltes ausmacht. 4 . 6 6 2 Transport Wasserstoff wird als möglicher zukünftiger Sekundärenergieträger großtechnisch im allgemeinen in größerer Entfernung vom Verbraucher hergestellt werden und muß deshalb transportiert werden. Der Rohrleitungstransport hat, wie bereits erwähnt, im Vergleich zum Schienentransport bzw. zur elektrischen Energieübertragung aus mehreren Gründen Vorteile. Die wichtigsten sind: Transportweg, Transportmittel und Transportgefäß bilden eine Einheit; die Versorgung ist unabhängig von Verkehrs- und Witterungseinflüssen; eine schnelle Änderung des Mengendurchsatzes ist möglich; hoher Wirtschaftlichkeitsgrad (gleiche Energiemengen zugrunde gelegt) und geringe Umweltbelastung. Untersuchungen zeigen, daß Wasserstoff sowohl in gasförmigem als auch in flüssigem Zustand ähnliche Fließeigenschaften wie Erdgas hat. Lediglich die Pumplei-
326
4. Energieversorgungssysteme
Tabelle 4-8: Physikalische Eigenschaften von H 2 - und CH 4 -Gas H2 Siedepunkt bei 1 bar Verdampfungswärme Gasdichte (0°, 1 bar) Diffusionskoeffizient in Luft Zündbereich in Luft Zündbereich in Sauerstoff Explosionsgrenze in Luft Zündtemperatur Zündenergie Flammen temperatur Flammengeschwindigkeit Heizwert
20,4 0,45 0,08987 0,63 4-76 4-95 18-59 850 0,02 2400 2,75 143000
CH 4 Κ MJ/kg g/1 cm 2 /s Vol.-% Vol.-% Vol.-% Κ mj Κ m/s kj/kg
112 Κ 0,51 MJ/kg 0,717 g/1 0,20 cm 2 /s 5 - 1 5 Vol.-% 5 - 6 1 Vol.-% 6 - 1 4 Vol.-% 807 Κ 0,3 MJ 2200 Κ 0,37 m/s 55700 kj/kg
Quelle: C. Keller, Wasserstoff: Energieträger mit Zukunft, Bild der Wissenschaft, Bd. 13, 10 (1976).
stung und die Anlagengröße der Verdichter sind wegen des geringen volumenspezifischen Heizwertes von Wasserstoff zu vergrößern (224). Tabelle 4-8 gibt einige wichtige physikalische Eigenschaften von H 2 - und CH 4 -Gas im Vergleich wieder (225). Für den Rohrleitungsbau ergeben sich wenig wasserstoffspezifische Probleme. Außerdem kann auf Erfahrungen mit Wasserstoffversorgungsnetzen zurückgegriffen werden. Im Ruhrgebiet existiert z.B. seit über 30 Jahren ein Wasserstoffverbundnetz von 204 km Länge zur Versorgung des Bedarfs an chemischem Rohstoff. (Bei einem Transportdruck von 15 bar wird durch die Rohrleitungen mit Nennweiten zwischen 10 und 30 cm eine Menge von rd. 3 · 10 8 Nm 3 /a durchgesetzt (224)). Darüber hinaus kann auf Erfahrungen bei Versorgungsleitungen für Kokerei- und Stadtgas mit einem Wasserstoffanteil von bis zu 80% zurückgegriffen werden. Abschätzungen ergeben, daß bereits mit heutiger Technologie ein energieäquivalenter Wasserstofftransport für Entfernungen von mehr als 400 km wirtschaftlicher ist als ein Stromtransport. Legt man unterirdische Stromleitungen zugrunde, so ist der Wasserstofftransport schon ab etwa 30 km Entfernung günstiger (1). (Etwaige Sicherheitsauflagen des Gesetzgebers sind nicht berücksichtigt.) Es ist davon auszugehen, daß in der Bundesrepublik Deutschland bei dem heute üblichen Rohrleitungssystem aus geschweißten Stahlrohren die Investitionen für eine Umstellung der derzeitigen Gasversorgung allein auf Wasserstoff relativ niedrig sein werden. Das Netz wird in seiner jetzigen Form im wesentlichen beibehalten werden können (224). Außerdem müßten durch Einführung von Wasserstoff Verbrauchergewohnheiten kaum geändert werden. Der mobile Transport von Wasserstoff zu Verbrauchern kommt nur in gewissen
4.6 Sekundärenergieträger
327
Grenzen in Frage. Gasförmiger Wasserstoff hat selbst bei hohem Kompressionsdruck nur eine relativ geringe Energiedichte. Deshalb müßte der Wasserstoff verflüssigt werden. (Flüssiger Wasserstoff kann bei einer Temperatur von 20 Κ und einem Druck vom 1 bar in flüssigem Zustand gehalten werden, bei Temperaturen bis zu 32 Κ bei einem Druck von 11 bar.) Zur Verflüssigung ist aber ein relativ großer Energieaufwand erforderlich. Es ist daher anzunehmen, daß der mobile Transport nur für Gebiete in Frage kommt, die nicht an ein Pipelinenetz angeschlossen sind. Sollte die Wasserstofferzeugung auf See erfolgen, könnte — ähnlich wie bei Erdgas — der Transport von Wasserstoff in verflüssigter Form (LH 2 ) mit Spezialtankern erfolgen. Praktische Erfahrungen zum Transport verflüssigter Gase in Rohrleitungen liegen im wesentlichen nur aus der Raketentechnik vor. Kleine Versorgungspipelines für LH 2 gibt es in den USA am Cape Canaveral Space Center und in Los Alamos. Die Leitungen haben eine Länge von 500 m, einen Durchmesser von bis zu 4 0 cm und einen Betriebsdruck bis zu 150 bar. Die maximal erreichte Transportkapazität beträgt 3 , 8 m 3 / s (ca. 10 7 Nm 3 /h) flüssigen Wasserstoffs (224). 4.663 Speicherung Neben den spezifischen Transportkosten eines Sekundärenerigeträgers hat die Speicherung von Energie in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Wichtige Gründe hierfür sind: die schwankende Nachfrage und der Umstand, daß man bestrebt ist, die Anlagen, die Primär- in Sekundärenergie umwandeln, aus Kostengründen optimal auszulasten. Es wurde bereits erwähnt, daß die Speicherung von elektrischer Energie schwierig ist, da dies im allgemeinen nur mit zusätzlichen aufwendigen Anlagen möglich ist. Hier hat Wasserstoff (wie andere gasförmige, flüssige und feste Sekundärenergieträger) im Vergleich zur elektrischen Energie einen großen Vorteil. Zwar dürfte z.B. der Wirkungsgrad eines Elektrizitätsspeichersystems auf der Basis von Wasserstoff nur bei ca. 5 6 % liegen — der Wirkungsgrad bei Pumpspeicherwerken beträgt bis zu 7 5 % —, jedoch wäre der Vorteil einer Energiespeicherung in Form von Wasserstoff die Verfügbarkeit der so gespeicherten Energie, und zwar unabhängig von der geographischen Lage. Das heißt, Wasserstoff bietet die Möglichkeit der Anlage von strategischen Reserven. Grundsätzlich kann Wasserstoff in stationären und mobilen Behältern gespeichert werden. Wegen des außerordentlich geringen volumenspezifischen Energieinhaltes von Wasserstoff — selbst flüssiger Wasserstoff hat nur ca. 23 % der Energiedichte von Heizöl — ist die Speicherung vorwiegend ein Volumenproblem (siehe Tabelle 4-9). Dies führt aber im wesentlichen nur bei mobilen Speichersystemen zu Schwierigkeiten. Zur stationären Speicherung des gasförmigen Wasserstoffes eignen sich u. a. oberirdische und unterirdische Hochdruckbehälter, leergeförderte Erdöl- und Erdgasfelder sowie Pipelines. Außerdem ist die Speicherung als Flüssigkeit in ober- und unterirdischen Kryotanks und in Form von Metallhydriden möglich. Einige dieser statio-
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4. Energieversorgungssysteme
Tabelle 4-9: Spezifischer Energieinhalt verschiedener Energieträger Energieträger
Energie/Masse [MJ/kg]
Energie/Vol [MJ/Nm 3 ]
Benzin Dieselöl Methanol Äthanol Methan H 2 -Gas LH 2
42,5 41,4 22,8 29,8 55,7 143,0 143,0
31250 35820 18200 23 500 40 13 7560
Quelle: Auf dem Wege zu neuen Energiesystemen, Teil III, Wasserstoff und andere nichtfossile Energieträger, Bundesministerium für Forschung und Technologie (Hrsg.), Bonn 1975.
nären Speichermethoden eignen sich auch — in gewissen Grenzen — zu mobiler Speicherung (Drucktanks, Kryotanks, Metallhydride) (vgl. 4.672). Hochdruck-Gasbehälter bis zu einem Inhalt von 330000 Nm 3 sind von der Speicherung wasserstoffhaltigen Stadtgases (bis zu 80% H 2 -Anteil) bekannt. Interessant für die Anlage von strategischen Reserven ist die Speicherung in leergeförderten Erdöl- und Erdgasfeldern. Wegen der höheren Diffusionsgeschwindigkeit von Wasserstoff im Vergleich zu Erdgas sind aber an die Dichtigkeit solcher unterirdischer Gasspeicher höhere Anforderungen als bei Erdgas zu stellen. Unüberwindliche Probleme scheint es hier nicht zu geben, wie die Speicherung großer Mengen Heliums in leeren Erdgasfeldern in den USA zeigt. (In den USA existieren für Erdgas rd. 300 derartige unterirdische Speicher. In der Bundesrepublik Deutschland waren im Jahr 1982 für Erdgas nur Speicher mit einer Kapazität von ca. 2 • 10 9 m 3 Erdgas in Betrieb, was rd. 4,5% des jährlichen Verbrauchs entspricht.) Pipelines können in Grenzen über die Auslegungslast gefahren werden und stellen somit eine gewisse Speicherkapazität zum Ausgleich von Spitzenlasten dar (Kurzzeitspeicherung). Die Gesamtspeicherkapazität einer Gas-Pipeline beträgt bei einer Rohrlänge von 500 km (1 m Durchmesser, 70 bar Betriebsdruck) ca. 2,7 • 1 0 7 N m 3 Gas. Dies entspricht bei Wasserstoff einer Energie von etwa 10 8 kWh (bei Erdgas 3 · 10 8 kWh) (224, 226). Zur Speicherung von flüssigem Wasserstoff (LH2) eignen sich Doppelwandtanks mit evakuierter Perlite-Isolationsschicht. Diese Technik wird beim Vorratsspeicher auf Cape Canaveral (Kapazität 2,4 · 10 s kg LH 2 ) und in Los Alamos (Kapazität 1,3 · 10 s kg LH 2 ) angewandt. In Europa sind bei CERN (Genf) drei kleinere Speicher mit einer Kapazität von je 50 m 3 eingesetzt. 4.664 Sicherheitsprobleme Vermutlich sind Sicherheitsaspekte das strittigste Problem bei einem eventuellen Einsatz von Wasserstoff als Sekundärenergieträger. (Erwähnt sei hier, daß der mit Was-
4 . 6 Sekundärenergieträger
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serstoff gefüllte Zeppelin Hindenburg am 6. 5. 1937 in Lakehurst, USA, explodierte (227)). Wasserstoff ist gefährlicher als Methan. Die weiten Zünd- und Explosionsgrenzen sowie die geringe Zündenergie von 0,02 m j im Gemisch mit Luft (rd. 1/10 der Zündenergie von Erdgas-Luftgemischen) sind die Hauptprobleme (siehe Tabelle 4-8). Der leichteren Zündfähigkeit von Wasserstoff steht allerdings im Vergleich zu Methan die etwa dreifach höhere Diffusionsgeschwindigkeit von Wasserstoff gegenüber. Dadurch verdünnt sich Wasserstoff bei Undichtigkeiten und Lecks sehr schnell unter die Entzündbarkeitsgrenze. Bei dem heute üblichen Rohrleitungssystem aus geschweißten Stahlrohren besteht bei der Verteilung von Wasserstoff keine wesentlich größere Gefahr als bei der Verteilung von wasserstoffhaltigem Gas (bis zu 80% H 2 -Gas). Die Art der Speicherung von Wasserstoff steht in engem Zusammenhang mit der Sicherheit. So z.B. dürfte die unterirdische Speicherung im allgemeinen sicherer sein als die oberiridische, da der Zutritt von Luftsauerstoff weitgehend verhindert werden kann. Bei oberirdischen Speichern sollte die Gefahr von Sabotageakten sehr ernst genommen werden. Den Sicherheitsproblemen kommt bei der Speicherung von Wasserstoff in mobilen Verbrauchern besondere Bedeutung zu. Bei Flugzeugen und Schiffen z.B. kann das Sicherheitsrisiko durch Einsatz von geschultem Personal beträchtlich reduziert werden. Da hier die Verwendung von flüssigem Wasserstoff wahrscheinlich ist, kann an Erfahrungen, die beispielsweise bei LNG-betriebenen Fahrzeugen gemacht wurden, angeknüpft werden (227). 4.665 Umweltaspekte Wasserstoff ist ein relativ umweltfreundlicher Sekundärenergieträger. Die Wasserstoffherstellung ist frei von Schadstoffemission, d.h. bei Elektrolyseverfahren oder thermochemischen Kreisprozessen fallen praktisch keine umweltbelastenden Produkte an. (Von Abwärme sei einmal abgesehen.) Bei Transport und Speicherung von Wasserstoff dürften ebenfalls umweltbelastende Faktoren weitgehend ausgeschaltet werden können. Wasserstoff hätte als Brennstoff zur Bedarfsdeckung von Heiz- und Prozeß wärme in Ballungsgebieten erhebliche Vorteile gegenüber anderen Sekundärenergieträgern, da die Schadstoffemission der Wasserstoff-Luft-Flamme gering ist. Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Schwefel- und Schwermetallverbindungen, unverbrannte Kohlenwasserstoffe und Rußteilchen, wie in den Heizölabgasen vorhanden, können bei der Wasserstoffverbrennung nicht entstehen. Neben Wasserdampf werden — abhängig von der Luftzufuhr und somit von der Verbrennungstemperatur — Stickoxide (NO x ) und Ammoniak in geringen Anteilen gebildet (224). Aufgrund des weiten Zündbereiches von Wasserstoff in Luft können die Brenner so ausgelegt werden, daß die Schadstoffemission minimiert wird (Luftanteil von 3 5 % am Gesamtgemisch).
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4. Energieversorgungssysteme
Erwähnt sei noch folgendes: Geht man davon aus, daß Wasserstoff aus Wasser gewonnen wird, so wäre es möglich, nichtregenerierbare Ressourcen wie z. B. fossile Rohstoffe zu schonen. Die zur Wasserstoffherstellung erforderliche Energie könnte beispielsweise durch Kernenergie (auf der Basis der Kernspaltung oder Kernfusion) oder durch Sonnenenergie bereitgestellt werden.
4.67 Alternative Antriebssysteme für mobile Verbraucher 4.671 Methanol, Äthanol Die starke Abhängigkeit des Transportwesens von Mineralölprodukten (vgl. 2.332) sowie die Forderung, die Umweltbelastung durch Automobil-Abgase, insbesondere in Ballungszentren mit hohem Verkehrsaufkommen zu reduzieren, machen es notwendig, alternative Kraftstoffe zu entwickeln. (Unter alternativen Kraftstoffen sollen hier nicht die synthetisch hergestellten konventionellen Kraftstoffe — wie zum Beispiel Benzin auf Kohlebasis — verstanden werden.) Mobile Verbraucher (zum Beispiel Automobile) müssen die notwendige Grundenergie mitführen und unterscheiden sich dadurch von stationären Verbrauchern (zum Beispiel Haushalten), die durch Zuleitungen versorgt werden können. Derzeit ist der Straßen-, Luft- und Binnenschiffahrtverkehr weltweit nahezu 100% ig von Mineralölprodukten abhängig. Obwohl damit gerechnet wird, daß bis zum Jahre 2000 — bei gleicher Fahrleistung — bis zu 35% Treibstoff eingespart werden können, dürfte der Bedarf an Kraftstoffen — wegen der zunehmenden Motorisierung, insbesondere in den weniger entwickelten Regionen — noch für einige Zeit steigende Tendenz haben (siehe auch Tabelle 2-7b und 2-8 b) (228). Beispielsweise gibt es derzeit auf den Straßen der Welt (ohne Ostländer) rd. 260 · 10 6 Personen- und Kombi-Kraftfahrzeuge; diese verbrauchen ca. 700 · 10 9 Liter Ottokraftstoff (= 530 · 10 6 t) pro Jahr, zu dessen Herstellung derzeit rd. 25% des jährlichen Rohölverbrauchs eingesetzt werden. Die Zahl der Lastkraftwagen in der Welt (ohne Ostländer) beträgt rd. 70 · 10 6 . Von den Kraftfahrzeugen entfallen auf Nordamerika 4 7 % , Westeuropa 36%, Ferner Osten/Australien 11%, Südamerika 4 % , Afrika 1%, Naher Osten 1% (229). Die Kraftfahrzeuge tragen zum Teil erheblich zur Gesamtschadstoffemission bei. Beispielsweise hat der Kraftfahrzeugverkehr im Großraum Köln an der Schadstoffemission folgenden Anteil: Kohlenmonoxid C O 49,2%; Stickoxide N O x 10,4%; unverbrannte Kohlenwasserstoffe C n H m 5,7%; Rußteilchen 2,9% und Schwefeldioxid 0,5%; außerdem emittiert ein Verbrennungsmotor Bleiverbindungen (224). Bisher war der Anteil der Kraftfahrzeuge mit Dieselmotor im Vergleich zu denjenigen mit Ottomotor — insbesondere in den USA — gering. Untersuchungen zeigen, daß bei Vergleichen zwischen Diesel- und Ottomotor — gleiche Motorleistung zugrunde gelegt — der Dieselmotor bezüglich wichtiger Kriterien günstig abschneidet.
4.6
Sekundärenergieträger
331
Zum Beispiel benötigt bei einer Motorleistung von 3 7 k W ein Dieselmotor 1 1 , 4 7 Liter Kraftstoff/100 km und ein Ottomotor 12,4 Liter Kraftstoff/100 km. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß für die Mineralölwirtschaft Dieselkraftstoff preisgünstiger und energiesparender herzustellen ist als hochwertiger Ottokraftstoff. Bezüglich der Schadstoffbelastung ist die CO-Emission beim Dieselmotor im Vergleich zum Benzinmotor niedrig, dagegen liegt die Emission von N O x und von Rußteilchen beim Dieselmotor höher als beim Benzinmotor. Der Forderung, die Umweltbelastung durch Automobil-Abgase zu verringern, wird in zahlreichen Ländern durch eine schärfere Abgasgesetzgebung Rechnung getragen. Zum Beispiel gelten in den USA sowohl für Fahrzeuge mit Ottomotor als auch für Fahrzeuge mit Dieselmotor für das Kraftfahrzeug-Modelljahr 1 9 7 9 laut Gesetzgebung folgende Abgasgrenzwerte: C O 15 g/mile; C n H m 1,5 g/mile; N O x 2 , 0 g/mile. Für das Kraftfahrzeug-Modelljahr 1 9 8 1 gilt: C O 3 , 4 g/mile; C n H m 0 , 4 1 g/mile; N O x 1,0 g/mile. Für Kraftfahrzeuge mit Dieselmotor wurden die Partikel-Emissionsgrenzwerte wie folgt festgelegt: Modelljahr 1 9 8 1 0,6 g/mile; Modelljahr 1 9 8 5 0 , 2 g/mile. Untersuchungsergebnissen der EPA (Environmental Protection Agency), USA, ist zu entnehmen, daß zur Zeit noch kein Fahrzeug mit Dieselmotor den für 1 9 8 5 vorgeschriebenen Grenzwert für die Partikel-Emission bei gleichzeitig ausreichend niedriger NO x -Emission erfüllt, jedoch wird davon ausgegangen, daß der zur Verfügung stehende Zeitraum zur Problemlösung ausreichend sein wird. Es ist damit zu rechnen, daß in den kommenden Jahren der Anteil der Fahrzeuge mit Dieselmotor weltweit zunehmen wird. So zum Beispiel ist in den USA nach einer Prognose der N H T S A (National Highway Traffic Safety Administration) bis 1 9 8 5 mit einem Anstieg des Anteils der Personenkraftwagen mit Dieselmotor an den Neuzulassungen von 2 5 % zu rechnen. Die Eignung des Kraftstoffs für den Antrieb von Straßenfahrzeugen hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Der Kraftstoff, der als Substitut für Benzin oder Dieselöl in Frage kommt, muß in ausreichender Menge für einen relativ langen Zeitraum wirtschaftlich herstellbar sein. Er muß so beschaffen sein, daß die Schadstoffbelastung der Umwelt möglichst gering ist. Außerdem müssen einige Kriterien erfüllt sein, die bei stationären Anlagen von untergeordneter Bedeutung sind: Kraftstoffe müssen einen hohen massen- und volumenspezifischen Energieinhalt haben (siehe Tabelle 4-9). J e höher diese Werte sind, desto leichter und kleiner kann der Tank für den mobilen Verbraucher bei gegebener Reichweite sein. Darüber hinaus sollte der Betankungsvorgang problemlos durchführbar sein. Grundsätzlich kommen für Verbrennungsmotoren aus heutiger Sicht vier Gruppen von Kraftstoffen in Frage: Anorganische Wasserstoff-Verbindungen, Kohlenwasserstoff-Verbindungen, Kohlenwasserstoff/Sauerstoff-Verbindungen sowie Wasserstoff. Die bekannteste anorganische Verbindung ist Ammoniak (NH 3 ). Ammoniak kann zwar synthetisch aus Luft und Wasser hergestellt werden, jedoch sind Speicherung des toxischen Ammoniaks in einem mobilen Tank und die Schadstoffbelastung bei Verbrennung (Stickoxide) überaus problematisch, so daß an eine Verwendung im Kraftfahrzeug vorläufig nicht zu denken ist (230). Bei den Kohlenwas-
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4.
Energieversorgungssysteme
serstoff-Verbindungen handelt es sich um unter Normalbedingungen gasförmige Kraftstoffe wie zum Beispiel Propan, das zu LPG (Liquefied Petroleum Gas) verflüssigt wurde, oder verflüssigtes Erdgas L N G (Liquefied Natural Gas). Die zur Erzielung einer höheren Energiedichte notwendige Verflüssigung erfordert einen entsprechenden Energieaufwand, was zusätzliche Kosten versursacht. Aus diesen Gründen sowie aus der begrenzten Verfügbarkeit ist davon auszugehen, daß verflüssigte Kohlenwasserstoffe — global betrachtet — keine große Rolle als alternative Kraftstoffe übernehmen können. Ausnahmen dürften Länder sein, die lediglich über Energierohstoffe in Form von gasförmigen Kohlenwasserstoffen verfügen, wie zum Beispiel die Niederlande, wo der Anteil der verflüssigten Kraftstoffe am gesamten Kraftstoffverbrauch derzeit rd. 5 % beträgt. Zukunftsträchtige Alternativkraftstoffe sind die Kohlenwasserstoff/SauerstoffVerbindungen Methanol und Äthanol. Diese Alkohole sind zum Betrieb herkömmlicher, leicht modifizierter Verbrennungsmotoren geeignet und in zahlreichen langjährigen Versuchen in großem Maßstab bereits erfolgreich erprobt worden. Dabei ist von Bedeutung, daß die Herstellung von Methanol auf Kohlebasis beziehungsweise Biomasse großtechnisch gelöst ist; die Herstellung von Äthanol ist aus Biomasse günstig. Das heißt, hiermit würden vom Erdöl unabhängige Kraftstoffe zur Verfügung stehen. Die Herstellung von Methanol ist ein zweistufiger Prozeß. Zunächst wird ein Synthesegas (Kohlenmonoxid und Wasserstoff) erzeugt, aus dem mit Hilfe eines Katalysators Methanol hergestellt wird (vgl. 4 . 6 4 3 . 1 ) . Die Gesamtkosten der Methanolherstellung hängen in starkem M a ß e von Art und Preis des verwendeten Rohstoffs Kohle ab sowie von den Kosten der erforderlichen Prozeß wärme. Derzeit ist die Herstellung von Methanol auf Kohlebasis noch rd. zweimal so teuer wie die Herstellung von Kraftstoffen auf Ölbasis (gleiche Energiemengen zugrundegelegt). Bei Methanol ist der Heizwert im Vergleich zu Benzin — bezogen auf das Volumen — nur etwa halb so groß (siehe Tabelle 4-9). Durch den größeren Gesamtwirkungsgrad beim Methanolbetrieb ist jedoch eine Tankvergrößerung von ca. 7 0 % ausreichend, um bei einem mit Methanol betriebenen Fahrzeug die gleiche Reichweite zu realisieren wie mit einem mit Benzin betriebenen Fahrzeug. Da bei Methanol keine größere Brand- beziehungsweise Explosionsgefahr besteht als bei den derzeitigen Kraftstoffen, können die bei den heutigen Fahrzeugen getroffenen Schutzmaßnahmen bezüglich der Kraftstoffanlage übernommen werden. Der Betankungsvorgang ist ebenfalls problemlos. Da verschiedene Kunststoffe bei Berührung mit Methanol quellen oder verspröden, sind einige Teile durch entsprechend resistente Werkstoffe zu ersetzen. Beim Betrieb von Ottomotoren mit Methanol treten keine grundsätzlichen technischen Probleme auf. Einige Maßnahmen müssen getroffen werden, die den veränderten Verhältnissen bezüglich Gemischbildung, Zündverhalten und Verbrennungsablauf Rechnung tragen. Obwohl die Betriebsbedingungen der mit Methanol oder Benzin betriebenen Ottomotoren ähnlich sind, muß dem Kaltstartverhalten — insbe-
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sondere beim Betrieb mit Rein-Methanol-Kraftstoff Μ 100 — Beachtung geschenkt werden, da Methanol als Einkomponentenkraftstoff keine leichtsiedenden Stoffe hat. (Ein Starten unterhalb 0°C ist bei Μ 100-Betrieb nicht mehr ohne weiteres möglich.) Zur Abhilfe kann beim Anlaßvorgang ein leichtsiedender Stoff wie zum Beispiel Benzin oder Äther eingespritzt werden oder eine Vorerwärmung des Ansaugrohres auf elektrischem Wege — in Analogie zum Anlaßvorgang beim Dieselmotor — erfolgen. Mit Methanol betriebene Ottomotoren haben bezüglich Leistung, spezifischen Kraftstoffverbrauchs und der Abgase — im Vergleich zum Benzinbetrieb — günstige Eigenschaften. Beispielsweise beträgt bei Methanolbetrieb die auftretende Stickoxid-Emission etwa nur ein Drittel derjenigen Emission, die bei Benzinbetrieb auftritt; außerdem enthält das Abgas des Methanolmotors beträchtlich weniger Kohlenmonoxid, unverbrannte Kohlenwasserstoffe und — wegen des geringeren Kohlenstoffanteils im Methanol — praktisch keine Rußteilchen. Ebenso ist im Methanol — im Unterschied zu Benzin und vor allem zu Dieselkraftstoff — kein Schwefel enthalten. Infolge der hohen Klopffestigkeit von Methanol kann auch bei hoher Verdichtung auf einen Bleizusatz verzichtet werden, so daß das Abgas keine Bleiverbindungen enthält. Von 1979 bis 1982 führte die Volkswagen AG in Berlin (West) mit Unterstützung des Bundesministeriums für Forschung und Technologie, Bonn, einen Großversuch mit über 1000 Automobilen durch. Dabei wurden Automobile mit Methanolantrieb, mit Wasserstoffantrieb (vgl. 4.672) und Elektroantrieb (vgl. 4.673) getestet. Schwerpunkt des Untersuchungsprogramms war die Erprobung von rd. 800 Personenkraftwagen mit Methanolantrieb: 600 Wagen fuhren mit einem Methanol-Benzin-Mischkraftstoff Μ 15, der aus 15% Methanol und 85% Superbenzin besteht; 100 Wagen fuhren mit Rein-Methanol-Kraftstoff Μ 100, der aus 100% Methanol besteht, und 100 Wagen sollen — in einem späteren Zeitabschnitt — mit einem Methanol-Diesel-Mischkraftstoff fahren. Die für den Großversuch notwendige Infrastruktur besteht unter anderem aus rd. 30 Tankstellen in Berlin (West), Hamburg, Hannover, Köln, Dortmund, Frankfurt, Stuttgart, München und Nürnberg. Bisherige Erfahrungen zeigten, daß es mit Μ 15 zu fahren ebenso problemlos ist wie mit konventionellem Benzin; die Motoren sind bis auf wenige Bauteile im Kraftstoffsystem serienmäßig. Die Kosten der Umrüstung von Motoren auf Μ 15 werden mit ca. 300,— D M angegeben. Die Umrüstungen von Ottomotoren auf den Betrieb mit Μ 100 sind etwas aufwendiger. Äthanol hat als Kraftstoff im wesentlichen die gleichen Eigenschaften wie Methanol. Die Herstellung von Äthanol kann auf der Basis von zuckerhaltigen Stoffen (zum Beispiel Zuckerrüben), stärkehaltigen Stoffen (zum Beispiel Kartoffeln, Getreide) oder zellulosehaltigen Rohstoffen (zum Beispiel Holz) erfolgen. Im wesentlichen laufen bei der Herstellung aus stärkehaltigen Stoffen folgende Prozesse ab: Umwandeln der Stärke unter Enzymzusatz zu Zucker; Vergären der Zuckerlösung zu Alkohol; Abdestillation des Alkohols; Konzentrieren und Entwässern des Alkohols. Bei zellulosehaltigen Rohstoffen wird die Zellulose in Glukose übergeführt. Die gewon-
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nene Glukose wird mit Hefe zu Alkohol vergoren und — wie oben ausgeführt — weiter behandelt. In Brasilien wird Äthanol als Ersatz für konventionelles Motorenbenzin bereits in großwirtschaftlichem Maßstab verwendet. Äthanol wird in Brasilien aus Zuckerrohr erzeugt: 1979 wurden rd. 2,5 · 1 0 6 m 3 Äthanol produziert - dadurch konnten ca. 15% des Kraftstoffbedarfs gedeckt werden — und bis 1985 soll die Jahresproduktion auf rd. 11 · 1 0 6 m 3 Äthanol steigen. (Nach brasilianischen Angaben könne aus einer Tonne Zuckerrohr 70 Liter Äthanol gewonnen werden.) Um dieses Produktionsziel zu erreichen, muß die derzeitige Zuckerrohranbaufläche Brasiliens verdoppelt werden; parallel dazu müssen rd. 120 Destillationsanlagen gebaut werden. Derzeit wird der gewonnene Äthanol in den Raffinerien und Tanklagern dem (konventionellen) Motorenbenzin zugemischt. Der Alkoholanteil beträgt bis zu 20%. Das Gemisch eignet sich für den Antrieb normaler Ottomotoren. Ab Anfang der 80 er Jahre werden ca. 200000 der neu in Brasilien hergestellten Kraftfahrzeuge mit Ottomotoren ausgerüstet sein, die mit reinem Äthanol fahren. Auch die USA planen, in absehbarer Zeit einen Teil des konventionellen Kraftstoffs durch Äthanol zu substituieren. Nach Angaben des Department of Energy, USA, sollen ab Mitte der 80 er Jahre rd. 7 · 10 9 Liter Äthanol hergestellt werden, mit denen dann rd. 3,5% des Kraftstoffbedarfs der USA gedeckt werden sollen. Derzeit ist die Gewinnung von Äthanol (oder Kohlenwasserstoffen) auf der Grundlage von Biomasse noch nicht wirtschaftlich. Der Energie-Nutzeffekt der Äthanolgewinnung aus Agrarprodukten hängt wesentlich von den Kosten für deren Erzeugung und von denen des Umwandlungsprozesses ab. Insbesondere hängt das Erreichen einer positiven Energiebilanz davon ab, inwieweit es gelingt, den Bedarf an hochwertigen Brennstoffen (wie zum Beispiel Erdgas oder Heizöl) für den Destillationsprozeß zu vermeiden (231). (Aus diesem Grunde wird zum Beispiel untersucht, das Alkohol-Wasser-Gemisch mit Hilfe von Membranen zu trennen.) Die Kosten für Äthanol liegen in den USA — unter den Bedingungen der derzeitigen Agrarverhältnisse — etwa drei- bis viermal so hoch wie die Kosten für synthetisches Benzin auf Kohlebasis, das — wie in 4.645 ausgeführt wurde — erheblich teurer ist als konventionelles Benzin auf Ölbasis. Auch in Brasilien ist der aus Zuckerrohr gewonnene Äthanol noch erheblich teurer als konventionelles Benzin. Trotzdem hat für Brasilien die inländische Äthanolproduktion große wirtschaftspolitische Bedeutung, da Brasilien derzeit rd. 50% aller Exporterlöse für Rohöleinfuhren ausgeben muß. Obwohl die Eigenschaften des Methanol- beziehungsweise Äthanol-Motors relativ günstig sind, ist eine Umstellung des Kraftfahrzeugbetriebes von Benzin auf Methanol beziehungsweise Äthanol nur schrittweise zu erwarten, da hierzu der Aufbau eines entsprechenden Produktions- und Verteilungssystems erforderlich ist. 4.672 Wasserstoff Wie bereits erwähnt, ist die großtechnische wirtschaftliche Herstellung von Wasserstoff für die Verwendung als Sekundärenergieträger noch nicht gelöst (vgl. 4.661).
4.6
Sekundärenergieträger
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M a n kann davon ausgehen, daß die Kosten pro Wärmeeinheit bei Wasserstoff je nach Art des Rohstoffs und der Prozeßenergie mindestens dreimal so hoch sind wie bei Benzin. Langfristig dürfte sich aber - unter Berücksichtigung weiter steigender Preise für fossile Energieträger — die Relation zugunsten des Wasserstoffs verschieben. Bei Verwendung von Wasserstoff als Alternativkraftstoff wäre es außerdem möglich, die fossilen Energieträger zu schonen und nur noch als Rohstoffe zu nutzen. Während die Betankung von Kraftfahrzeugen mit Methanol und die Speicherung irt mobilen Tanks — wie erwähnt — relativ einfach sind, bereiten beim Wasserstoff die Betankung und Speicherung Probleme. Das Hauptproblem bei der Verwendung von Wasserstoff als Alternativkraftstoff in mobilen Verbrauchern ist die Speicherung. Grundsätzlich sind drei Arten von Speichern möglich: Druckgasspeicher, Flüssigwasserstoffspeicher (Kryogenspeicher) und Hydridspeicher. Das Speichervolumen und die Speichermasse sind — bezogen auf gleichen Energieinhalt — sehr unterschiedlich. Wählt man das Speichervolumen eines Benzintanks als Bezugsgröße, so ergibt sich — bei gleichem Energieinhalt — bei Methanol fast das zweifache, bei Wasserstoff-flüssig (LH 2 ) das fünffache, bei Titan-Eisen-Hydridspeicher das dreifache und bei Wasserstoff-Druckgasspeicher (400 bar) das siebenfache Speichervolumen. Legt man als Bezugsgröße die Masse eines Benzintanks zugrunde, so ergibt sich — bei gleichem Energieinhalt — bei Methanol die zweifache, bei Wasserstoff-flüssig (LH 2 ) die vierfache, bei Titan-Eisen-Hydridspeicher die fünfzehnfache und bei Wasserstoff-Druckgasspeicher ( 4 0 0 bar) die rd. zweiunddreißigfache Speichermasse (230). Daraus ist ersichtlich: Wasserstoffbehälter haben einen enormen Volumenbedarf und eine große Masse. Eine Speicherung von Wasserstoff in Hochdrucktanks kommt wegen des Raumbedarfs, der großen Masse und vor allem wegen des hohen Sicherheitsrisikos (Explosionsgefahr bei Unfällen) nicht in Frage. Flüssiger Wasserstoff dürfte aus energiewirtschaftlichen Gesichtspunkten, aber auch aus Kosten- und Sicherheitsgründen nicht in Betracht kommen. (Zu den Herstellungskosten kommen noch die für die Verflüssigung.) Für die Wasserstoffspeicherung in Kraftfahrzeugen ist nach heutigen Erkenntnissen die Metall-Hydridspeicherung am aussichtsreichsten. Bei dieser Art der Speicherung geht Wasserstoff unter bestimmten Druck- und Temperaturbedingungen eine Verbindung mit einem Metall oder einer Metallegierung ein. Als Material eignen sich z.B. Titan, Eisen, Aluminium, Magnesium oder Legierungen (z.B. Titan-Eisen). Das Speichermaterial wird durch Schmelzen gewonnen. Die dabei entstehenden Metallblöcke werden anschließend zerkleinert. Das so erhaltene Granulat oder Pulver wird in einen Behälter gefüllt und anschließend druckhydriert. Der Vorgang der Wasserstoffaufnahme bzw. Wasserstoffabgabe erfolgt — wie bei anderen chemischen Reaktionen — bei gleichzeitigem Energieumsatz. Das heißt, durch Regelung der einem Titan-Eisen-Hydridspeicher zugeführten Wärme kann die für eine gewünschte Fahrleistung notwendige Wasserstoffmenge (Desorptionsrate) dem Speicher entnommen werden (230).
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Die Abhängigkeit der Desorptionsrate des Wasserstoffs von der Temperatur ist für die Sicherheit von großer Bedeutung. Platzt beispielsweise infolge eines Unfalls ein Metall-Hydrid-Speicher, so wird — im Gegensatz zum Wasserstoff-Druckgasspeicher — der Wasserstoff nicht sofort freigesetzt, sondern erst nach und nach. Durch geeignete Konstruktion kann erreicht werden, daß das den Speicher heizende MotorKühlwasser beim Bersten des Behälters ausläuft, so daß die freigesetzte Wasserstoffmenge so klein ist, daß keine Explosionsgefahr besteht. (In den USA wurde sogar versuchsweise ein Metall-Hydrid-Speicher beschossen; es gelang nicht, ihn in Brand zu schießen oder zur Explosion zu bringen.) Die Betankung dürfte nach den bisher üblichen Verbrauchergewohnheiten nicht möglich sein. Das gesamte heute bestehende Verteilernetz für Kraftstoffe müßte umgestellt werden. Das derzeit praktizierte halbmanuelle Verfahren der Betankung müßte voraussichtlich durch einen weitgehend automatisierten Tankprozeß ersetzt werden. Wasserstoff ist — im Vergleich zu anderen Kraftstoffen — umweltfreundlich. (Kohlenmonoxid, Kohlendioxid und Kohlenwasserstoffe entstehen nur, wenn Schmieröl in den Brennraum gelangt.) Die Emission von Stickoxiden dürfte wesentlich kleiner sein als die bei Benzinbetrieb, da die Verbrennungstemperaturen niedriger sind. Außerdem entstehen keine Schadstoffe wie Rußteilchen, Blei- und Schwefelverbindungen. Wasserstoff bietet grundsätzlich die Vorteile gasförmiger Brennstoffe. (Flüssige Brennstoffe müssen bei Verwendung in konventionellen Verbrennungsmotoren zunächst durch einen Vergaser beziehungsweise eine Einspritzanlage aufbereitet werden, mit dem Ziel, ein möglichst homogenes und gasförmiges BrennstoffdampfLuft-Gemisch zu erhalten.) Als Verbrennungsart bietet sich der Wasserstoff-Luft-Betrieb an. Die Betriebseigenschaften des Wasserstoff-Motors werden unter anderem durch die Art der Gemischbildung und die Eigenschaften des Gemisches beeinflußt. Der relativ große Diffusionskoeffizient von Wasserstoff erleichtert eine schnelle und homogene Gemischbildung. Außerdem hat Wasserstoff — im Vergleich zu anderen flüssigen und gasförmigen Brennstoffen — weite Zündgrenzen. Infolge der weiten Zündgrenze ist es möglich, innerhalb des gesamten Betriebsbereichs, die Leistungsregelung allein über die Masse des zugeführten Wasserstoffs vorzunehmen. Dadurch kann mit dem Wasserstoff-Motor ein günstigerer Wirkungsgrad (ca. 20%) erzielt werden als mit dem Benzin-Motor. Außer dem reinen Wasserstoff-Luft-Betrieb ist es auch grundsätzlich möglich, Wasserstoff dem Benzin-Luft-Gemisch zuzugeben. Dies ermöglicht eine geringere Schadstoffemission und einen höheren Wirkungsgrad als bei reinem Benzin-Luft-Betrieb. Wie bereits erwähnt, entstehen bei der Verbrennung von Wasserstoff mit Luft Stickoxide, Motoren, die den Wasserstoff mit reinem Sauerstoff verbrennen, vermeiden dies. Bei diesem Konzept müßte allerdings neben dem Brennstoff auch noch Sauerstoff im Fahrzeug mitgeführt oder aus der Umgebungsluft erzeugt werden. Außerdem besteht die Möglichkeit, Wasserstoff „kalt" in einer Brennstoffzelle zu verbrennen (Elektroantrieb) (vgl. 4.611.31 und 4.673).
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Bisherige Versuche mit Kraftfahrzeugen, die einen Wasserstoff-Motor als Antriebssystem und einen Hydrid-Speicher hatten, verliefen erfolgsversprechend. Insgesamt liegen die Schwierigkeiten wohl nicht so sehr beim Antriebssystem, sondern bei der wirtschaftlichen Herstellung von Wasserstoff. Es ist damit zu rechnen, daß Fahrzeuge mit Wasserstoffantrieb zunächst dort eingesetzt werden, wo eine Verringerung der Umweltbelastung durch Auto-Abgase besonders notwendig ist und wo aus diesem Grunde auch an einen Elektroantrieb gedacht wird (innerstädtischer Bereich). Wasserstoff kann aber auch — wie Alkohol — als Zusatzkraftstoff bei Benzinbetrieb verwendet werden. Das heißt, eine Umstellung des Kraftfahrzeugbetriebs von Benzin auf Wasserstoff — einem von fossilen Rohstoffen unabhängigen Kraftstoff — könnte schrittweise erfolgen. Ein Kraftfahrzeug mit Wasserstoffantrieb ist bei einem Vergleich mit einem Elektrofahrzeug mit Bleibatterie bezüglich des Volumens und der Masse (Gewicht) des Energiespeichers — gleicher Energieinhalt vorausgesetzt — eindeutig im Vorteil. Das Volumen der Bleibatterie ist 16 mal größer als das des Wasserstoffspeichers, und die Masse (Gewicht) der Bleibatterie ist 6 mal größer. Außerdem ist davon auszugehen, daß Wasserstoffspeicher schneller betankt werden können als eine Bleibatterie — die Betankungsdauer des Wasserstoffspeichers eines Mittelklassewagens dürfte bei einigen Minuten liegen — und daß sie eine höhere Lebensdauer haben. Auf ein Anwendungsgebiet des Wasserstoffs sei noch hingewiesen: die Verwendung von flüssigem Wasserstoff als Flugzeugtreibstoff. Flüssiger Wasserstoff wird schon seit Jahren in der Raumfahrt als Antriebsstoff eingesetzt. Der erfolgreiche Abschluß des Apollo-Programms hat gezeigt, daß die Technik des Wasserstoffantriebs beherrscht wird. Das Problem der Speicherung und Betankung ist beim Flugzeug leichter zu lösen als beim Kraftfahrzeug. Im Gegensatz zu den Landfahrzeugen braucht die Betankung von Flugzeugen nur an relativ wenigen Stellen zu erfolgen, d. h. es genügen wenige Tankanlagen. Flüssigwasserstoff hat einen um den Faktor 3 höheren Heizwert als Kerosin. (Heizwert von LH 2 : 143 000 k j / k g und von Kerosin: 42 800 kj/kg.) Durch Verwendung von flüssigem Wasserstoff als Treibstoff bei Flugzeugen sind größere Reichweiten bzw. eine Erhöhung der Nutzlast bei gegebener Reichweite möglich. Von Nachteil ist, daß wegen der niedrigen volumetrischen Energiedichte (LH 2 hat etwa 1/4 der volumetrischen Energiedichte von Kerosin) zusätzlicher Raum zur Unterbringung von LH 2 erforderlich ist. Obwohl der Motorbetrieb mit Wasserstoff (wie bei Methanol beziehungsweise Äthanol auf keine grundsätzlichen Schwierigkeiten stößt, ist die Einführung von Wasserstoff-Fahrzeugen in absehbarer Zeit nicht zu erwarten, da die Probleme bei der Wasserstoffspeicherung im Kraftfahrzeug noch nicht befriedigend gelöst sind und der Wasserstoff großtechnisch noch nicht wirtschaftlich hergestellt werden kann. Außerdem muß bei Einführung des Wasserstoffs als Kraftstoff eine neue Infrastruktur für die Lagerung und Verteilung geschaffen werden.
338
4. Energieversorgungssysteme
4.673 Elektroantrieb Besondere Vorteile von Elektrofahrzeugen sind der abgasfreie und geräuscharme Betrieb. Obwohl schon seit Jahrzehnten Fahrzeuge mit Elektroantrieb für bestimmte Zwecke eingesetzt werden, sind bei der Entwicklung elektrischer Antriebssysteme in der Vergangenheit relativ kleine Fortschritte erzielt worden. Bezüglich Leistung, Gewicht und Anschaffungspreis waren Blei-Batterien bisher die optimalste Lösung beim Elektroantrieb. Typische Daten für ein mit Blei-Batterien ausgerüstetes Elektrofahrzeug sind: Bleibatteriesysteme mit einem Energieinhalt von rd. 20 kWh und einem Gewicht von rd. 850 kg, Reichweite zwischen 60 und 100 km; Höchstgeschwindigkeit ca. 80 km/h; Beschleunigung von 0 auf 50 km/h in 12 s. Ein wichtiges Kriterium zur Bewertung von Batterien ist die Energiedichte, das heißt, die pro Masseneinheit speicherbare elektrische Energie. Bei der theoretischen Energiedichte wird nur die Masse der Reaktionspartner zugrunde gelegt, dagegen werden bei der praktischen Energiedichte auch die übrigen Batteriekomponenten wie zum Beispiel Elektrolyt, Zellgehäuse etc. berücksichtigt. Daraus folgt, daß die praktische Energiedichte kleiner ist als die theoretische Energiedichte. Die zukünftige Bedeutung von Elektrofahrzeugen hängt im wesentlichen von der Entwicklung von Batterien hoher Energiedichte ab und in geringerem Maße von der Entwicklung von Elektromotoren beziehungsweise der Elektrotechnik. Bisher haben Forschung und Entwicklung von Batteriesystemen noch nicht die erwünschten Ergebnisse gebracht. Angesichts der begrenzten Leistungsfähigkeit bisheriger Batteriesysteme ist damit zu rechnen, daß Elektrofahrzeuge auf absehbare Zeit nur innerhalb von Stadtgebieten eingesetzt werden. Um nicht nur für Lieferwagen, sondern auch für Kraftfahrzeuge interessant zu sein, sollten Batteriesysteme etwa 100 kWh/kg und 10 kW/kg erzielen (183). Mehrere Batteriesysteme befinden sich in der Entwicklung. Als Batterie-Pluspole werden beispielsweise Lithium, Natrium, Magnesium, Aluminium, Eisen und Wasserstoff favorisiert und als Batterie-Minuspole Fluor, Chlor, Sauerstoff (oder Luft) und Schwefel. Als Elektrolyten können Salzschmelzen wie zum Beispiel eine Mischung von Lithiumchlorid und Kaliumchlorid verwendet werden oder feste Elektrolyte wie zum Beispiel eine Natriumionen-leitende Keramik ( N a 2 0 — 8 A1 2 0 3 ), die Strom so gut wie flüssige Elektrolyte leiten (232, 233). Tabelle 4-10 zeigt einige neue Hochenergiesysteme für Elektrofahrzeuge (183). Besonders leistungsfähige Systeme sind von den Hochtemperatur-Zellen aus Natrium/Schwefel und Lithium/Eisensulfid zu erwarten. Die Arbeitstemperaturen liegen bei 300°C beziehungsweise 400° C. In der Na-S-Zelle dienen flüssiges Na als negative Elektrode, eine Natriumionen-leitende Keramik als Elektrolyt und flüssiger Schwefel als positive Elektrode. Zur Aufrechterhaltung der Betriebstemperatur wird eine größere Zahl von Zellen zu einer Batterie vereinigt. Die Batterie wird mit einer sehr wirkungsvollen Wärmeisolation umgeben. Die an die Umgebung abgegebene Wärme wird durch die beim Laden oder Entladen entstehende Verlustwärme ersetzt. Aus wirtschaftlichen Gründen muß die
339
4.6 Sekundärenergieträger
Tabelle 4-10: Neue Hochenergiesysteme für Elektro-Fahrzeuge und Spitzenstromspeicherung (im Vergleich mit P b / P b 0 2 und F e / N i O O H ) Ruhe-
Arbeits-
Energiedichte
spg· [V]
temperatur
[Wh/kg]
[°C]
theor.
prakt.
Pb/Pb02
2,0
- 2 0 bis + 6 0
161
40
~ 1200
Fe/NiOOH
- 2 0 bis + 4 5
260
50
~ 2000
Na/S
1,2 1,8
300
660
120
~ 1000
Li(Al)/FeS 2
1,8
400
650
120
150—1000
Na/SbClj
200
780
Ca/CuF 2
3,0 3,4
450
1290
? ?
H 2 /O 2
1,2
System
80-120
3670
Lade-/ Entlade-
140-200
zyklen
? ? -
Quelle: F. de Hoffmann, Energie-Speicherung und Methoden des Energie-Transports, Die Naturwissenschaften, Bd. 64, 4 (1977).
Lebensdauer einer Batterie möglichst groß sein; dies ist gleichbedeutend mit einer möglichst hohen Zahl von Lade-Entlade-Zyklen. Eisen-Nickel-Batterien haben eine relativ hohe Lebensdauer. Es ist damit zu rechnen, daß zum Beispiel ein fertig entwickeltes Na/S-Batteriesystem für den Einsatz in Elektrofahrzeugen vorteilhafter sein wird als ein ca. 850 kg schweres Bleibatteriesystem. In dem Volumen, das derzeit von einem Bleibatteriesystem eingenommen wird, kann voraussichtlich ein Na/S-Batteriesystem mit halbem Gewicht, doppeltem Energieinhalt und höherer Leistung untergebracht werden. Das heißt, bei Na/S-Batteriesystemen sind die erzielbare Reichweite, die Höchstgeschwindigkeit sowie das Beschleunigungsvermögen höher als bei konventionellen Bleibatteriesystemen. Außerdem wird erwartet, daß Na/S-Batterien preisgünstiger produziert werden können als Bleibatterien (234). Neuerdings werden auch Elektrofahrzeuge, die mit zwei unabhängig voneinander arbeitenden Motoren ausgestattet sind, erprobt (Hybrid-Antrieb): Ein Benzin- (oder Diesel-)Motor dient als Antrieb über längere freie Wegstrecken, während im Stadtverkehr auf Elektroantrieb umgeschaltet wird (235). Der Elektroantrieb von Kraftfahrzeugen kann grundsätzlich auch auf der Basis von Brennstoffzellen erfolgen. Für Wasserstoff- wie Kohlenstoff-Brennstoffzellen ist es schwierig, ausreichend hohe Leistungsdichten zu erzielen, da an den Elektroden die Reaktionen nicht schnell genug ablaufen. Derzeit existieren noch keine wirtschaftlich arbeitenden Brennstoffzellen für Autos. 1 '
Als Antriebssystem für mobile Verbraucher ist grundsätzlich auch der nukleare Antrieb möglich. Die Anlagen (Leichtwasserreaktoren mit konventionellem Dampfturbinensatz) sind jedoch zu groß, um sie in Land- oder Luftfahrzeugen einsetzen zu können, so daß der nukleare Antrieb bisher nur auf Schiffe beschränkt ist. Weltweit gibt es davon derzeit rd. 3 0 0 Schiffe; es sind fast ausschließlich Kriegsschiffe.
5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
5.1 Probleme durch
Energiefreisetzung
Immer deutlicher zeichnet sich ab, daß die Problematik der Energieversorgung — von Verteilungsproblemen und Gewinnungskosten einzelner Energieträger abgesehen — nicht in der Begrenztheit der vorhandenen Energieressourcen liegt, sondern in den durch Energiefreisetzungsprozesse verursachten Umweltbelastungen und Sicherheitsproblemen. Bei der Größenordnung des zu erwartenden Weltprimärenergiebedarfs werden — unter Berücksichtigung der derzeitigen Optionen — die zur Bedarfsdeckung eingesetzten Energieträger einen solchen Umfang erreichen, daß Effekte, die bei Nutzung in kleinen Mengen vernachlässigbar waren, zu globalen Umweltproblemen werden können (1, 2). Bei jedem Energieträger treten ins Gewicht fallende Effekte und Folgewirkungen auf, wenn er nur in hinreichend großem M a ß e verwendet wird. Dies gilt besonders für die fossilen Energieträger und die Kernenergie (Kernfission), die den Prognosen zufolge bis zur Jahrtausendwende den wachsenden Energiebedarf — bis auf wenige Prozente — decken werden (vgl. 2 . 3 3 3 ) . Umweltprobleme — wenn auch nur örtlich — treten aber auch bei Nutzung der geothermischen Energie, der Wasserkraft usw. auf. Selbst die direkte Nutzbarmachung der Sonnenenergie auf der Erdoberfläche ist, wenn dies einmal im großen Maßstab realisiert sein wird, nur in erster Näherung „umweltneutral". Umweltbelastende Faktoren können im wesentlichen eingeteilt werden in solche, die allen Energiequellen (eine mögliche Ausnahme ist die Sonnenenergie) gemeinsam sind und solche, die für fossile und nukleare Energieträger spezifisch sind. Allen Energiequellen gemeinsam ist die Umweltbelastung durch Abwärme (vgl. 5 . 2 und 5.5). Den fossilen Energieträgern spezifisch ist die zusätzliche Belastung der Umwelt durch Kohlendioxid und Schadstoffe, wie Schwefeldioxid, Stickoxide, Kohlenmonoxid, Kohlenwasserstoffe, Staub und Aerosole (feinverteilte feste oder flüssige Substanzen in der Luft). Den nuklearen Energieträgern spezifisch sind alle mit der Radioaktivität zusammenhängenden möglichen Sicherheits- und Folgeprobleme, einschließlich des Problems der Nichtverbreitung von Kernwaffen. Zwangsläufig werden Art und Umfang der Umweltbelastung sowie mögliche Si-
5 . 2 Direkte anthropogene Wärmebelastung
341
cherheits- und Folgeprobleme in zunehmendem Maße für die Einsetzbarkeit eines Energieträgers entscheidende Kriterien sein. In diesem Kapitel soll — soweit im Rahmen dieser Abhandlung überhaupt möglich - dieser Fragenkomplex behandelt werden.
5.2 Direkte anthropogene
Wärmebelastung
Allen Energiequellen gemeinsam ist die Umweltbelastung durch Abwärme (vgl. 5.5). Nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik ist der thermodynamische Wirkungsgrad η, d. h. das Verhältnis der von einer Maschine (ζ. B. Wärmekraftwerk) geleisteten Nutzarbeit zu der für den Betrieb aufgewandten Energie
η= ι-
—
Τι
(i)
T | bzw. T 2 ist die absolute Temperatur, der der Turbine zu- bzw. von ihr abgeführten Wärme. Die nicht nutzbare Wärme wird über einen Kondensator an die Umgebung abgeführt. (Thermodynamische Verluste, wie z.B. Wärmeaustausch mit den Wänden, sind nicht berücksichtigt.) Moderne mit fossilen Brennstoffen betriebene Kraftwerke haben einen Wirkungsgrad von 4 0 % , Kraftwerke mit Leichtwasserreaktoren einen Wirkungsgrad von ca. 3 3 % , und für den Thorium-Hochtemperatur-Reaktor wird der Wirkungsgrad mit 4 0 % angegeben. Das heißt, rd. zwei Drittel der eingesetzten Primärenergie geht als Abwärme verloren, und nur ein Drittel wird in elektrische Energie umgewandelt (vgl. 2.2). Wegen des hohen Wärmeaufnahmevermögens bietet sich Wasser als Kühlmittel an. Bei Kraftwerken unterscheidet man im wesentlichen drei Gruppen von Kühlverfahren: die Frischwasserkühlung (Durchlaufkühlung), die Kühlung mit Naßkühltürmen (Verdunstungskühlung) und die Trockenkühlung (direkte Luftkühlung) (3). Das einfachste Verfahren ist die Frischwasserkühlung. Deshalb wurden die Standorte für Kraftwerke bevorzugt an die großen Flüsse gelegt. Die Kühlkapazität der Flüsse hat in einigen dichtbesiedelten Industrieregionen die Belastungsgrenze erreicht. (Der Sättigungswert des im Wasser gelösten Sauerstoffs sinkt mit steigender Temperatur.) Um schwere nachteilige Folgen zu starker Erwärmung der Gewässer zu verhindern, wurden Wärmelastpläne für die großen Flüsse aufgestellt. Außerdem ist man dazu übergegangen, die Kühlung mit Naßkühltürmen durchzuführen. Bei diesem Kühlsystem werden große Mengen Wasser verdunstet, d. h. die Abwärme wird in Form von Verdunstungswärme an die Atmosphäre abgegeben. Da aber die verdunstete Wassermenge den Flüssen entnommen wird, sind auch dieser Kühltechnik Grenzen gesetzt. Man muß dann zur Trockenkühlung übergehen. Bei dieser Kühl-
342
5 . Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
technik strömt das Kühlwasser durch luftgekühlte Rippenrohre. Es kommt also nicht in direkten Kontakt mit der Luft. Lezten Endes wird aber bei allen Verfahren dem System Erde/Atmosphäre Wärme zugeführt (3). Es sei darauf hingewiesen, daß die Kraftwerksabwärme nur einen Teil der thermischen Belastung der Umwelt ausmacht. Nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik führt naturgesetzlich jede Art von Energieumwandlung letzten Endes zu einer Erwärmung der Umgebung. (Selbst die beim Bau von Häusern vorübergehend gespeicherte mechanische potentielle Energie geht letztlich in Wärme über.) Physikalisch heißt das: Die Entropie eines abgeschlossenen Systems kann nur zunehmen oder konstant bleiben, aber nicht abnehmen. Das heißt, nicht nur die Abwärme ist eine Wärmebelastung der Umwelt, sondern der gesamte Primärenergieeinsatz (vgl. 2.22). Im folgenden soll nun behandelt werden, welcher Zusammenhang zwischen der direkten (künstlichen) Wärmezufuhr an das System Erde/Atmosphäre und der Gleichgewichtstemperatur des Systems besteht. Das System Erde/Atmosphäre wird von der Sonne mit 1,78 · 10 1 4 kW bestrahlt und gibt dieselbe Leistung nach außen ab. Eine Gleichgewichtstemperatur (rd. 2 9 0 K) stellt sich dadurch ein, daß die absorbierte Strahlungsleistung S s gleich der thermisch abgestrahlten Leistung S p wird. Im Gleichgewicht S s = S p = S gilt das Stefan-Boltzmann-Gesetz S = σ T4
(2)
mit S in Wm" 2 , Τ in Κ und o = 5,7 · ΗΓ 8 Wm" 2 Κ Λ (Der Einfluß der Atmosphäre sei zunächst vernachlässigt.) Wenn durch Verbrennen von Brennstoffen die auf der Erdoberfläche in Wärme umgesetzte Leistung um dS wächst, so wird sich dieses Gleichgewicht verschieben und sich auf einem um dT erhöhten Temperaturniveau neu einstellen. Durch Differentiation folgt aus Gleichung (2)
— Τ
= — 4S
{
(3) 1
Das heißt, eine Erhöhung von S um 1 % bewirkt eine Temperaturerhöhung dT = 2,5 · 1 0 - 3 · Τ = 0,75 Κ für das System. Wird die Atmosphäre noch berücksichtigt, so erhält man eine etwa doppelt so große Temperaturerhöhung, da die Atmosphäre die Abstrahlung von Wärme von der Erdoberfläche behindert (4). Näherungsweise kann man also sagen, daß eine künstlich zugeführte Energie, die 1% der absorbierten Sonnenenergieeinstrahlung entspricht, eine Erhöhung der mittleren Temperatur der Erde um 1 Grad bewirkt. Die direkte anthropogene Wärmezufuhr an das System Erde/Atmosphäre ist derzeit noch gering im Vergleich mit der natürlichen Sonnenenergieeinstrahlung (siehe Tabelle 5-1). Der Weltprimärenergieverbrauch des Jahres 1981 entspricht einer „künstlichen" zusätzlichen Energiefreisetzung von etwa 0 , 0 0 7 % der mittleren Son-
5 . 3 Fossilen Energieträgern spezifische Umweltbelastungen
343
Tabelle 5 - 1 : Direkte anthropogene Wärmebelastung im Vergleich zur Sonneneinstrahlung Mittlere
Anteil
Anteil
Anteil
Primärenergieverbrauch
Sonnenener-
Sp. 1 / 4
Sp. 2 / 4
Sp. 3 / 4
pro Jahr
giezufuhr [W/m2]
%
%
%
5
6
7 0,1
[W/m2] 1981
2000
2176
Spalte
1
2
3
4
Gebiet
Jahr
Erdoberfläche
0,016
0,047
0,25
230
0,007
0,02
Festland
0,054
0,16
0,87
230
0,023
0,07
0,4
USA
0,27
0,36
-
220
0,12
0,16
-
B R Deutschland
1,6
1,9
-
150
1,07
1,27
-
Quelle: Eigene Berechnungen unter Zugrundelegung der in 2 . 3 3 3 angegebenen Prognosen.
nenenergiezufuhr (230 W/m 2 ) bezogen auf die gesamte Erdoberfläche. In den USA und der Bundesrepublik Deutschland liegt dieser Wert deutlich höher. Insbesondere in Ballungszentren, wie zum Beispiel dem Ruhrgebiet, wird dieser Wert mit 1 0 % angegeben (5). Legt man für das Jahr 2 0 0 0 einen Weltprimärenergieverbrauch von ca. 600 q/a zugrunde (siehe Tabelle 2-13), so entspricht dies einer „künstlichen" Energiefreisetzung von rd. 0 , 0 2 % der mittleren Sonnenenergiezufuhr, bezogen auf die ganze Erdoberfläche und rd. 0 , 0 7 % , bezogen auf das Festland. Geht man von einem Primärenergieverbrauch von ca. 3,6 · 10 3 q/a aus — dieser Wert wurde für das Jahr 2 1 7 6 prognostiziert (siehe Tabelle 2-13) —, so würde das einer „künstlichen" Energiezufuhr von etwa 0 , 1 % der mittleren Sonnenenergiezufuhr, bezogen auf die ganze Erdoberfläche und rd. 0 , 4 % , bezogen auf die Landfläche, entsprechen. Globale Temperaturerhöhungen von wenigen zehntel Grad wären die Folgen (6). Es ist daher anzunehmen, daß - von Ballungszentren abgesehen - die direkte Wärmebelastung und somit die globale Temperaturerhöhung aufgrund der zu erwartenden Zunahme des Weltprimärenergieverbrauchs klein ist im Vergleich zu der indirekten Wärmebelastung, die auf eine erhöhte C0 2 -Konzentration in der Atmosphäre zurückzuführen ist (vgl. 5.42).
5.3 Fossilen Energieträgern spezifische Umweltbelastungen 5.31 Schadstoffemissionen Bei fossilen Energieträgern wird durch Verbrennung (Oxidation) Wärme freigesetzt. Dies führt letzten Endes zu einer bereits in 5.2 behandelten direkten Wärmebela-
344
5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
stung der Umwelt. Außerdem wird bei Verbrennungsprozessen eine Vielzahl unterschiedlicher Schadstoffe in die Atmosphäre emittiert. Einige Beispiele sind gasförmige Verbrennungsprodukte wie Schwefeldioxid ( S 0 2 ) , Stickoxide ( N O x ) , Kohlenmonoxid ( C O ) , Kohlenwasserstoffe ( C m H J , Kohlendioxid ( C 0 2 ) und Staub bzw. Aerosole. Grundsätzlich treten diese Schadstoffe bei der Verbrennung in unterschiedlichen Mengen auf. Tabelle 5-2 zeigt exemplarisch die Schadstoffemissionen (Mittelwerte) bei der Stromerzeugung durch einzelne fossile Energieträger in Kraftwerken (7). Als Schadstoff besitzt das ungiftige C 0 2 keine Bedeutung (vgl. 5.32). Ebenso wie bei der Verbrennung in Kraftwerken entstehen auch bei der Verbrennung im Endenergiebereich (Industrie, Verkehr, Haushalt und Kleinverbraucher) vergleichbare Schadstoffemissionen, die mit den Rauchgasen an die Luft abgegeben werden. Im Sektor Verkehr ist die Kohlenmonoxidemission besonders hoch (8). So zum Beispiel hat der Kraftfahrzeugverkehr an der Emission von C O in der Bundesrepublik Deutschland einen Anteil von nahezu 5 0 % (vgl. 4.671). Die natürliche („reine") atmosphärische Luft besteht aus 78,07 V o l - % Stickstoff N 2 und 20,95 V o l - % Sauerstoff 0 2 . (Die Volumenprozente sind Angaben nach Abzug des Wasserdampfgehaltes.) Der Rest (im Mittel < 1 V o l - % ) sind Spurengase sowie andere Verbindungen. Beispiele hierfür sind: H 2 0 , C 0 2 , C O , 0 3 , Edelgase (Helium, Neon, Argon, Krypton, Xenon), C H 4 , S 0 2 und Aerosole. Das heißt, die durch Verbrennungsprozesse in die Atmosphäre emittierten Stoffe sind zum Teil bereits in der Natur vorhanden. Die Rolle der anthropogenen Quellen kann erst abgeschätzt werden, wenn die Kreisläufe in der natürlichen „reinen" Atmosphäre bekannt sind. Über die natürlichen Kreisläufe ist noch relativ wenig bekannt, zumal es kaum noch Bereiche auf der Erde gibt, in denen sich nicht bereits Spurenstoffe anthropogener Herkunft befinden. Das der Atmosphäre direkt zugeführte S 0 2 stammt fast ausschließlich aus anthropogenen Quellen und hat bereits einen beachtlichen Anteil am globalen Schwefelhaushalt. Schwefel ist in der Atmosphäre gasförmig als Schwefelwasserstoff (H 2 S) und Schwefeldioxid
(S0 2 ),
als schwefelige Säure ( H 2 S 0 3 )
und Schwefelsäure
( H 2 S 0 4 ) in Tröpfchen und als Sulfataerosole vorhanden. Die anthropogenen S 0 2 -
Tabelle 5-2: Schadstoffemissionen ( M i t t e l w e r t e ) bei der Stromerzeugung kg Schadstoff p r o t SKE Brennstoff Brennstoff
so 2
NOx
Heizöl S
23
7
0,2
0,1
-
5
-
-
-
0,1 0,1
0,5 0,1
3,5 4,5
Gas Steinkohle Braunkohle
26 23
7
8,5
CmH„
CO
Staub
1,0
Quelle: Z u r friedlichen N u t z u n g der Kernenergie, Bundesministerium für Forschung und T e c h n o l o g i e (Hrsg.): Bonn 1978.
345
5 . 3 Fossilen Energieträgern spezifische Umweltbelastungen μg/m : ' S 0 2
• 1 Buchen - Georgii •J Rudolf Δ
/
/ s, — · ·
60°N
/
/
/
/
·
•\
« \
r\
\
s
• Ν • \ • •
50°N
40°N
Prahm
30°N
20°N
• ·
1 • • — 10°N
0°
10°S
Abb. 5 - 1 : S 0 2 - K o n z e n t r a t i o n über dem Atlantik Quelle: H . - W . Georgii, Large Scale Distribution of Gaseous and Particulate Sulfur Compounds and its Impacts on Climate, in: W . Bach, J. Pankrath, W . W . Kellogg (Eds.), Man's Impact on Climate, Amsterdam, Oxford, N e w Y o r k : Elsevier Publishing Company 1 9 7 9 .
Quellen sind nicht gleichmäßig über die Erde verteilt: 9 3 % des S 0 2 werden auf der Nordhalbkugel und 7 % auf der Südhalbkugel in die Atmosphäre emittiert. Derzeit beträgt die weltweite anthropogene Schwefelemission (als S 0 2 ) 6 0 bis 8 0 · 10 6 t/Jahr. Abb. 5-1 zeigt die S0 2 -Konzentration gemessen über dem Atlantik (horizontales Profil) zwischen den Breitengraden 6 0 ° Ν und 1 0 ° S . (Die S 0 2 - K o n zentration über den Kontinenten ist im allgemeinen höher als über den Ozeanen und erreicht die höchsten Werte über den Industriezentren bzw. über den Großstädten.) Trotz steigender Produktionsraten des aus Verbrennungsprozessen stammenden S 0 2 sind — global betrachtet — derzeit die den natürlichen Quellen entstammenden Schwefelkomponenten noch im Übergewicht. Zum Beispiel sind natürliche Quellen von S 0 2 Vulkane, von H 2 S die mikrobiologische Produktion und von Sulfat die Ozeane (9). (In den Seesalzpartikeln ist Sulfat mit 7,7 Gewichts-% enthalten.) Die in der Atmosphäre vorkommenden Stickoxide sind N 2 0 , N O und N 0 2 . Am biologischen Kreislauf ist N H 3 stark beteiligt. Ähnlich wie beim Schwefelkreislauf gibt es neben den gasförmigen Verbindungen auch an Aerosole gebundenes Nitrat und Ammonium. Bei allen Komponenten gibt es einen natürlichen Anteil und einen Anteil aus anthropogenen Quellen. Die natürlichen Quellen produzieren rd.
346
5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
1,2 • 1 0 9 t NH 3 /Jahr; der anthropogene Anteil ist hier relativ klein. Die anthropogene NO-, N0 2 -Emissionsrate beträgt rd. 50 · 10 6 t/Jahr, bei einer natürlichen Produktionsrate von rd. 450 · 10 6 t/Jahr (9). Der N 2 0-Gehalt wird zunehmend durch die Verwendung von Düngemitteln beeinflußt. Bei unvollständiger Verbrennung fallen Kohlenwasserstoffe C m H n in etwa derselben Konzentration an wie CO. Fast 75% der anthropogen erzeugten Kohlenwasserstoffe fallen bei Verbrennung von Kraftstoffen an. Die weltweite anthropogene Emission von Kohlenwasserstoffen wird derzeit auf rd. 9 0 · 10 6 t/Jahr geschätzt. Beispielsweise beträgt der Methan(CH 4 )-Gehalt am Boden ca. 1,4 ppm und in 50 km Höhe 0,25 ppm. CH 4 entsteht auch durch Mikroorganismen bei der anaeroben Zersetzung organischen Materials, jedoch ist auf der nördlichen Halbkugel — wie bei CO - die CH 4 -Konzentration höher als auf der südlichen Halbkugel, was auf anthropogene Quellen zurückzuführen ist. Bei CO gibt es natürliche und anthropogene Quellen. Beispielsweise kommt es durch Oxidation von Methan durch OH-Radikale zur CO-Bildung. (Die OH-Radikale entstehen in der Tropo- und Stratosphäre 1 ' durch photochemische Vorgänge.) Die weltweite anthropogene Emission von CO wird derzeit auf rd. 300 · 10 6 t/Jahr geschätzt. Der CO-Gehalt ist in nördlichen Breiten etwa doppelt so hoch wie in südlichen Breiten; dies kann nur durch die starken anthropogenen Quellen erklärt werden. Die Aerosolquellen sind hauptsächlich über den Kontinenten. Die globale natürliche Emission an Aerosolpartikeln beträgt etwa 2,3 · 10 9 t/Jahr. Natürliche Quellen sind zum Beispiel Erdstaub, Meersalze, Vulkanausbrüche, Waldbrände. Die globale anthropogene Emission an Aerosolpartikeln wird mit 3 · 10 6 t/Jahr angegeben. Anthropogene Quellen sind zum Beispiel Schmutzteilchen, Partikel aus gasförmigen Verschmutzungen, Sulfat aus S 0 2 , Nitrat aus N O x (9). Rd. 99% der Aerosolpartikel befinden sich etwa bis zu einer Höhe von 5 km. In bodennaher Luft über den Kontinenten werden rd. 10 4 Teilchen/cm 3 und über den Ozeanen 300 bis 600 Teilchen/cm 3 gemessen. S 0 2 , N O x führen in der Atmosphäre zu „sauerem" Regen. Zwar ist selbst „sauberer" Regen, insbesondere bedingt durch den natürlichen C 0 2 - , S0 2 - und Stickoxid-Gehalt der Atmosphäre etwas sauer, jedoch fallen in manchen Gegenden inzwischen Niederschläge, mit einem Säuregehalt, der erheblich über dem liegt, der der natürlichen („reinen") Atmosphäre entsprechen würde. Zum Beispiel werden in der Bundesrepublik Deutschland derzeit der Atmosphäre rd. 3,5 · 1 0 6 t S0 2 /Jahr durch anthropogene Prozesse zugeführt; rd. 80% stammen von Kohle- und Ölkraftwerken, von Fernheizungen und der Industrie, der Rest von Privatheizungen und dem Autoverkehr. (In der Bundesrepublik Deutschland würden pro Jahr 100000 t S 0 2 ,
Der untere Teil der Atmosphäre - bis ca. 11 km Höhe — ist die Troposphäre und daran — bis zu ca. 45 km Höhe - schließt sich die Stratosphäre an. Der Teil von 4 5 - 8 0 km Höhe ist die Mesosphäre und daran schließt sich die Ionosphäre an.
5 . 3 Fossilen Energieträgern spezifische Umweltbelastungen
347
8 3 0 0 0 t N O x und 7 3 0 0 t Staub mehr der Atmosphäre zugeführt werden, wenn der derzeit mit Kernkraftwerken erzeugte Strom mit Kohlekraftwerken erzeugt werden würde.) Mögliche gesundheitliche Schäden für Menschen, die durch überhöhte Schadstoffkonzentrationen hervorgerufen werden, sind heute weitgehend bekannt. Beispielsweise kann sich S 0 2 an Aerosole anlagern, die dann in die feinen Lungenkanäle gelangen und Erkrankungen der Atemweg verursachen können. Meßbare Wirkungen werden bereits bei Konzentrationen um 1 0 0 μg S 0 2 pro m 3 festgestellt. So zum Beispiel verursacht nach Angaben der National Academy of Sciences (NAS), USA, ein in New York gelegenes 6 2 0 MW-Kohlekraftwerk, das pro J a h r ca. 43 0 0 0 Tonnen Schwefel an die Atmosphäre abgibt, jährlich rd. 4 2 vorzeitige Todesfälle (10). Stickstoffmonoxid N O kann Lähmungserscheinungen im Gehirn verursachen. Kohlenmonoxid C O geht eine Verbindung mit Hämoglobin (Carboxyhämoglobin) ein, wodurch die Aufgabe des Hämoglobins als Sauerstoffübermittler im Blut blockiert wird. Die krebserregende Wirkung von Kohlenwasserstoffen wie zum Beispiel Benzpyren ( C 2 0 H 1 2 ) konnte in Tierversuchen nachgewiesen werden. Aerosole wirken — wie ausgeführt — häufig als Träger giftiger Substanzen. x ) Außerdem beeinflussen Chlorfluorkohlenstoffe (Treibgase der Spraydosen wie zum Beispiel CF 2 C1 2 , CFC1 3 ) sowie Stickoxide — dazu gehören auch Stickoxidabgase durch Flüge in der Stratosphäre — und C H 4 den Ozonhaushalt in der Stratosphäre. (Einem Bericht der National Academy of Sciences (NAS), USA, betrug im Jahre 1 9 7 7 die Produktion an Chlorfluorkohlenstoffen weltweit 6 8 0 0 0 0 t.) Ozon 0 3 , das etwa 1 ppm der Masse der Atmosphäre ausmacht und die kurzwellige UV-Strahlung des Sonnenlichts abschirmt, wird zunehmend photochemisch abgebaut. Dies geschieht durch Chlorfluorkohlenstoffe und die Kohlenwasserstoffe, die in die Stratosphäre eindringen sowie durch Stickoxide - diese entstehen durch die Abgase (NO x ) und durch die weltweit immer mehr eingesetzten Stickstoffdünger ( N 2 0 ) —, die ebenfalls in die Stratosphäre gelangen. Insbesondere sind bei den Chlorfluorkohlenstoffe keine Abbaureaktionen bekannt, das heißt, sie haben eine relativ hohe Lebensdauer (ca. 3 0 Jahre), so daß es zu einer Anreicherung in der Stratosphäre kommt. Dies führt zu einer Störung des natürlichen chemischen Gleichgewichts innerhalb der Ozonschicht der Stratosphäre (Zerstörung von 0 3 ) . Außerdem gibt es auch 0 3 - b i l dende Reaktionsmechanismen. Bisher ist es noch nicht möglich, eindeutig einen Trend der 0 3 -Konzentration festzustellen. Darüber hinaus werden beim Verbrennen fossiler Brennstoffe mit der Flugasche natürliche radioaktive Stoffe emittiert. Ein modernes Steinkohlekraftwerk mit An dieser Stelle sei auch darauf hingewiesen, daß — nach Angaben der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie - zwischen 1 9 6 0 und 1 9 8 0 im Steinkohlenbergbau allein in der Bundesrepublik Deutschland 4 8 3 1 1 Bergleute bei Arbeits- und Wegeunfällen sowie durch Berufskrankheiten ums Leben gekommen sind. Im Jahre 1 9 6 2 fanden alleine bei dem Grubenunglück auf der Schachtanlage Luisenthal im Saarland 2 9 9 Bergleute den Tod. Z u den Todesfällen kommen noch rd. 1 3 5 0 0 0 Fälle von Berufskrankheiten wie Silikose (Steinstaublunge) und rd. 3 , 5 Mio. Arbeitsunfälle.
348
5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
3 0 0 M W elektrischer Leistung gibt pro Jahr etwa 5 0 0 1 Flugasche mit der Abluft an die Umgebung ab. In der Flugasche sind eine Reihe von radioaktiven Stoffen aus der Kohle angereichert. Unter anderem werden aus dem Schornstein jährlich etwa 3 0 mCi 2 s?Pb und 4 mCi 2 Ü R a emittiert. Die Aufnahme dieser Stoffe mit der Nahrung führt zu einer Strahlenbelastung der Knochen, die pro Jahr ca. 19 mrem betragen kann. (Ein Kernkraftwerk mit 6 0 0 M W elektrischer Leistung emittiert zum Beispiel pro Jahr in Durchschnitt 10 mCi Die Aufnahme dieses Stoffes — " j l hat eine Halbwertszeit von ca. 8 d — erfolgt ebenfalls mit der Nahrung und kann zu einer Strahlenbelastung der Schilddrüse von 0,4 mrem pro Jahr führen) (11). Diese radioaktiven Strahlenbelastungen liegen erheblich unterhalb des Schwankungsbereiches der natürlichen Strahlenbelastung (vgl. 5 . 8 4 1 ) (12). Diese genannten Umweltbelastungen sind durch technische Maßnahmen — bei vertretbaren Kosten — weitgehend reduzierbar oder bisweilen sogar vermeidbar. Beispielsweise ist es in modernen Kohlekraftwerken durch entsprechende Prozeßführung möglich, die Emission von Schwefel-, Stickoxid und Staub beträchtlich zu verringern (vgl. 4 . 6 1 1 . 1 ) (13). Dagegen kennt man heute noch keine praktikable Methode, um den Ausstoß von Kohlendioxid ( C 0 2 ) in die Atmosphäre zu vermeiden oder wesentlich zu reduzieren. Ein wesentlicher Grund hierfür sind die entstehenden C 0 2 - M e n g e n . Bei Verbrennung von Steinkohle entstehen rd. 3 , 4 t C 0 2 / t SKE und bei Erdgas rd. 1 , 9 1 C 0 2 / t SKE. (Wegen der jeweiligen Molekulargewichte sind 12 g C äquivalent von 4 4 g C 0 2 . ) Weltweit beträgt derzeit die anthropogene Emission an C 0 2 ungefähr 2 0 · 1 0 9 t pro Jahr (14). Wollte man zum Beispiel das C 0 2 auffangen und — durch Ausfällen von Calciumcarbonat C a C 0 3 — chemisch binden, so würde pro M o l Kohlenstoff (12 g C) ein Mol Calciumcarbonat (100 g C a C 0 3 ) entstehen. Legt man zum Beispiel ein Kohlekraftwerk zugrunde, so folgt daraus, daß — bezogen auf die verbrannte Kohlenmenge — rd. die 10-fache Menge an C a C 0 3 anfallen würde und wegtransportiert werden müßte. C. Marchetti hat vorgeschlagen, das industriell anfallende C 0 2 auszufrieren oder zu verflüssigen und dann in die Tiefsee zu leiten (15). Dieser Umweg des C 0 2 könnte — wegen der relativ langsamen Verweilzeit von größenordnungsmäßig 5 0 0 Jahren — das C 0 2 - P r o b l e m in der Atmosphäre entsprechend entschärfen. Da das Molekulargewicht von C 0 2 4 4 ist, wäre jedoch das Transportproblem mit festem C 0 2 - flüssiges C 0 2 könnte in Pipelines transportiert werden — mengenmäßig nicht entscheidend günstiger als bei C a C 0 3 , kostenmäßig wahrscheinlich ungünstiger. Das heißt, die Kosten der C0 2 -Beseitigung dürften — aus heutiger Sicht — prohibitiv hoch sein. Eine nennenswerte Abnahme des atmosphärischen Sauerstoffs aufgrund der Verbrennung fossiler Energieträger konnte bisher nicht registriert werden. In 4 . 3 2 6 . 1 wurde bereits erwähnt, daß der Sauerstoff in der Atmosphäre einen Anteil von 2 0 , 9 5 Vol-% (nach Abzug des Wasserdampfgehaltes) hat; dies entspricht 1,2 · 1 0 l s t 0 2 . Die Pflanzen produzieren durch den Prozeß der Photosynthese rd. 2 · 1 0 1 1 1 0 2 pro Jahr. Zur Verbrennung aller fossilen Energieträger werden derzeit rd. 15 · 1 0 9 t 0 2
5.3 Fossilen Energieträgern spezifische Umweltbelastungen
349
pro Jahr verbraucht; das sind nur rd. 7% des jährlich durch den Prozeß der Photosynthese produzierten Sauerstoffs beziehungsweise rd. 10 _ 3 % des in der Atmosphäre derzeit vorhandenen Sauerstoffs (16). Auf der Erde werden pro Jahr etwa 27,5 · 1 0 1 0 1 C 0 2 assimiliert (rd. 5% des in der Lufthülle vorhandenen C 0 2 ) , jedoch zeigt die Erfahrung, daß das bei Verbrennung fossiler Energieträger in großen Mengen anfallende C 0 2 durch die Photosynthese nicht mehr assimiliert wird (vgl. 5.32). Bei dieser C0 2 -Anreicherung in der Atmosphäre handelt es sich — wie bei der Gefährdung der Ozonschicht — im Unterschied zu den anderen Emissionen wie beispielsweise S 0 2 , CO, Staub, die sich in erster Linie lokal beziehungsweise regional auswirken, um ein globales, nicht eingrenzbares Umweltproblem (17, 20).
5.32 Das Kohlendioxid-Problem Wegen des relativ starken Anstiegs des C0 2 -Gehaltes in der Atmosphäre durch anthropogene Emissionen und seiner Bedeutung für den Wärmehaushalt der Erde, findet das C0 2 -Problem in der Welt zunehmend Beachtung (21). Die natürliche (vorindustrielle) C0 2 -Konzentration ist nicht genau bekannt; um 1860 betrug die C0 2 -Konzentration in der Atmosphäre etwa 295 ± 5 p p m . (Der Gehalt von 295 ppm C 0 2 entspricht einer Menge in der Atmosphäre von 2300 · 10 9 1 C 0 2 oder 627 · 10 9 1 C.) Erst seit Ende des 19. Jahrhunderts ist ein Anstieg der C0 2 -Konzentration in der Atmosphäre festzustellen, der auf zunehmende anthropogene Emissionen zurückzuführen ist. Dazu gehören insbesondere die C0 2 -Produktion durch die Verbrennung von fossilen Energieträgern und — in weit geringerem Maße - durch Zementfabriken, Kalkbrennereien etc. Seit 1860 sind nach Abschätzung von UN-Statistiken - rd. 500 · 1 0 9 t C 0 2 durch anthropogene Emissionen freigesetzt worden, was rd. 135 · 1 0 9 t C entspricht. (Wegen der jeweiligen Molekulargewichte sind 12 g C äquivalent 44 g C 0 2 . ) Derzeit beträgt die anthropogene Emission etwa 20 · 1 0 9 t C 0 2 pro Jahr (A rd. 5,4 · 1 0 9 t C). Abb. 5-2 zeigt die jährliche anthropogene C0 2 -Produktion (in t Kohlenstoff beziehungsweise in Volumenanteilen der Atmosphäre) (22). Seit 1958 gibt es systematische Messungen der C0 2 -Konzentration in der Atmosphäre auf Hawaii und auf dem Südpol (23, 24). (Das Mauna-Loa-Observatorium, Hawaii, betrieben von der US-National Oceanic und Atmospheric Administration, NOAA, eignet sich besonders für Messungen globaler Umweltparameter, da das nächste Festland rd. 3000 km entfernt ist.) Abb. 5-3 zeigt Messungen der C0 2 -Konzentration in der Atmosphäre am Mauna-Loa-Observatorium, Hawaii, seit 1958 (24). (Die Punkte geben die monatliche Durchschnitts-Konzentration von C 0 2 an; die Schwankungen im Verlauf eines Jahres werden durch die Änderung der Assimilation der Vegetation verursacht.)
350
5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
Abb. 5-2: Jährliche anthropogene C0 2 -Produktion (in t Kohlenstoff bzw. Volumenanteile der Atmosphäre) Quelle: R. M. Rotty, Energy Demand and Global Climate Change, in: W. Bach, J. Pankrath, W. W. Kellogg (Eds.), Man's Impact on Climate, Amsterdam, Oxford, New York: Elsevier Publishing Company 1979.
Die derzeigte C0 2 -Konzentration in der Atmosphäre beträgt 333 ppm. Dies entspricht einer gesamten Menge in der Atmosphäre von 2600 · 1 0 9 t C 0 2 (= 703 · 10 9 1 C) (14). Das heißt, die C0 2 -Konzentration der Atmosphäre hat seit 1860 um rd. 13% zugenommen. (Die Anstiegsrate liegt derzeit bei etwa 1,3 ppm/Jahr.) Dieser Zuwachs entspricht mengenmäßig aber nur etwa der Hälfte des insgesamt seit 1860 durch anthropogene Emission freigesetzten C 0 2 in Höhe von 500 · 10 9 1 C 0 2 . Das heißt, die C0 2 -Konzentration in der Atmosphäre ist erheblich niedriger, als es aufgrund der anthropogenen C0 2 -Emission zu erwarten wäre. Es wird angenommen, daß der andere Teil des C 0 2 von den Weltmeeren und der Biosphäre aufgenommen wurde (25, 26). Der Einfluß des C 0 2 in der Atmosphäre besteht darin, daß es für sichtbares Licht der Sonne durchlässige ist, für die von der Erdoberfläche abgestrahlte langwellige Strahlung (mit einem Maximum bei 10 μιη) hingegen nicht. Das heißt, das C0 2 -Problem besteht darin, daß C 0 2 - im Unterschied zu den Hauptbestandteilen der Atmosphäre Stickstoff (N 2 ) und Sauerstoff (0 2 ) - infrarote Strahlung absorbiert, die den Hauptteil der von der Erdoberfläche in den Weltraum ausgehenden Strahlung dar-
351
5.3 Fossilen Energieträgern spezifische Umweltbelastungen I
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Ε ä"2 Φ : 1000 ppm im Jahre 2100 zunehmen. Eine
5.4 Klimaveränderungen
365
durchschnittliche globale Temperaturerhöhung von etwa 4 Κ wäre voraussichtlich die Folge (siehe Abb. 5-5 b). (Es sei hier erwähnt, daß bei Energiegewinnung aus Biomasse die Emissionsmengen von C 0 2 und anderer Spurengase wie zum Beispiel N O x (vgl. 5.43) geringer sind als bei fossilen Energieträgern und C 0 2 lediglich im Stoffhaushalt zirkuliert.) Legt man eine 30 TW Energiestrategie zugrunde, die nur in reduziertem Umfange fossile Energieträger verwendet und verstärkt Kern- und Sonnenenergie einsetzt (Abb. 5-6a), so würde die C0 2 -Emission von derzeit 5,4 · 10 9 t C/a auf etwa 8 · 1 0 9 t C/a ansteigen, und die C0 2 -Konzentration in der Atmosphäre würde entsprechend von derzeit 333 ppm auf etwa 400 ppm ansteigen. In diesem Falle wäre voraussichtlich eine durchschnittliche globale Temperaturerhöhung von etwa 0,5 Κ die Folge (siehe Abb. 5-6b). Bei diesen Simulationen ist jedoch zu berücksichtigen, daß — wie bereits erwähnt — nicht sämtliche Details des globalen Kohlenstoffzyklus sowie der für Klimaveränderungen verantwortlichen Ursachen und Wechselwirkungen bekannt sind (63—66). Jedoch haben diese Simulationen für das Erkennen von Trends große Bedeutung. Außerdem sei noch darauf hingewiesen, daß die in 5-5 b und 5-6 b dargestellten Simulationen nur den C0 2 -Einfluß berücksichtigen und nicht auch die anderen anthropogenen Einwirkungen (vgl. 5.43).
5.43 Mögliche Klimabeeinflussung durch andere anthropogene Einwirkungen Neben dem C 0 2 gibt es noch eine Anzahl anderer anthropogener Einflüsse, insbesondere aufgrund von Energieumsetzungen, die das Klimasystem beeinflussen können und die in thermisch-klimatischer Hinsicht ähnlich wie C 0 2 wirken. Es sind dies die Veränderung der Zusammensetzung der Atmosphäre durch Spurengase und Aerosolpartikel, die direkte Wärmebelastung (durch Energiefreisetzung), die Änderung der Albedo der Erdoberfläche. Die Zusammensetzung der Atmosphäre wird im wesentlichen durch folgende Spurengase verändert: Distickstoffoxid (N 2 0), das bei der künstlichen Düngung freigesetzt wird; Chlorfluor-Kohlenstoffe (zum Beispiel CC12F2 und CC13F), die als Treibgase der Spraydosen und in der Kühltechnik verwendet werden; Methan (CH 4 ); Ammoniak (NH 3 ); Ozon (0 3 ). Diese Gase absorbieren im nahen Infrarot (im Bereich bis zu 12 μιη) und verstärken so den Treibhauseffekt des C 0 2 . Besonders N 2 0 erhält in diesem Zusammenhang zunehmend Bedeutung, da es ein Endprodukt der stickstoffhaltigen Düngemittel ist, deren Einsatz in den letzten Jahren um rd. 10% pro Jahr zugenommen hat; allein im Jahre 1979 wurden weltweit 54 · 10 6 1 Stickstoff als Düngemittel eingesetzt (67, 68). Vor ungefähr 100 Jahren erzielte man — in gemäßigten Klimazonen — bei Weizen etwa 1201 je Hektar Anbaufläche, heute sind es etwa 5001 je Hektar, und Spitzenerträge liegen bereits bei 1000 t je Hektar. Dieser Mehrertrag ist nicht nur auf Pflanzenzucht, bessere Bodenbearbeitung und Pflanzenschutz zurückzuführen, sondern wesentlich auf die Düngung. Da
366
5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
aufgrund der wachsenden Weltbevölkerung die Nahrungsmittelproduktion gesteigert werden muß, ist davon auszugehen, daß der Einsatz von stickstoffhaltigen Düngemitteln weltweit noch zunehmen wird. Abschätzungen ergeben, daß die durch industrielle Prozesse erzeugten Gase — insbesondere durch N 2 0 , CC1 2 F 2 , CC1 3 F, C H 4 und N H 3 - den C0 2 -Treibhauseffekt um rd. 5 0 % verstärken (69, 70). Außerdem stören - wie in 5 . 3 1 ausgeführt wurde Chlorfluorkohlenstoffe, Stickoxide und Methan den Ozonhaushalt in der Stratosphäre (71). (Ozon schirmt die kurzwellige UV-Strahlung des Sonnenlichts ab.) Darüber hinaus können Emissionen von Krypton ||ΚΓ, das insbesondere von Wiederaufbereitungsanlagen freigesetzt wird, die Niederschlagsverteilung auf der Erde beeinflussen. Das radioaktive Edelgas I f K r , das bei der Kernspaltung entsteht, bleibt in den Brennelementen eingeschlossen. Erst bei der chemischen Auflösung der Brennelemente bei der Wiederaufarbeitung wird das fgKr freigesetzt. Die Halbwertszeit von ®|Kr beträgt 1 0 , 7 6 Jahre. Seit Beginn der technischen Anwendung der Kernspaltung hat der f^Kr-Gehalt der Atmosphäre ständig zugenommen. Von 1 9 6 0 bis 1 9 7 5 ist der flKr-Gehalt auf das 4-fache gestiegen. Die Hauptquellen liegen auf der Nord-Halbkugel; 1 9 7 5 betrug die Konzentration auf der Nord-Halbkugel 17 Picocurie/m 3 (72). Da die Löslichkeit von ®|Kr in Wasser vernachlässigbar gering ist, verbleibt das freigesetzte l|Kr praktisch vollständig in der Atmosphäre; der einzige Ausscheide-Mechanismus ist der radioaktive Zerfall. Als Betastrahler emittiert ||ΚΓ Elektronen, die die natürliche Ionisationsrate der Luft erhöhen, die durch natürliche Radionuklide und durch die Höhenstrahlung erzeugt wird. Eine Folge ist die Abnahme des elektrischen Widerstandes zwischen Erde und Ionosphäre. Aufgrund des derzeitigen Kenntnisstandes ist es noch nicht möglich, eindeutige Aussagen darüber zu machen, welche Auswirkungen die Veränderungen des luftelektrischen Feldes auf das Klima haben. Eine Reihe von Effekten werden derzeit diskutiert, insbesondere werden bei einem weiteren raschen Anstieg der fgKr-Konzentration — derzeit liegt die durch ®|Kr hervorgerufene Ionisation noch unter 1 % — Auswirkungen auf die weltweite Niederschlagsverteilung für möglich gehalten. Die in einigen Ländern aus radiologischen Erwägungen angestrebte Rückhaltung von fgKr bei der Wiederaufarbeitung scheint daher auch unter dem Aspekt nichtradiologischer Auswirkungen gerechtfertigt. Außer den Spurengasen verändern — wie in 5 . 3 1 ausgeführt — noch Aerosolpartikel die Zusammensetzung der Atmosphäre (73). Satellitenaufnahmen zeigen, daß eine Trübung der Atmosphäre durch Industriezentren, Großstädte oder Waldbrände über Entfernungen von rd. 100 km verursacht wird. Über den Trockengebieten der Erde wird Staub durch den Wind hochgewirbelt; dies ist zum Teil eine Folge der seit Jahrhunderten von Menschen betriebenen Zerstörung der natürlichen Vegetation. Die Auswirkungen der Aerosolpartikel auf das Klimasystem sind im einzelnen sehr kompliziert: größere Teilchen ( > 10 μιτι) absorbieren hauptsächlich die längerwellige Ausstrahlung der Erde und erwärmen so die Troposphäre. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, daß die Verweilzeiten der Aerosole in der unteren Tropo-
5.4 Klimaveränderungen
367
Sphäre größenmäßig nur einige Tage betragen. Das heißt, die Aerosole der unteren Troposphäre sind längst nicht so wirksam, wie die in 5 . 4 1 behandelten vulkanischen Staubwolken, die bei starken Eruptionen bis in die Stratosphäre gelangen, dort einige Jahre bleiben können und zu Abkühlungseffekten führen. Kleinere Teilchen ( < 2 μπι) absorbieren Sonnenstrahlung, gleichzeitig streuen sie jedoch — entsprechend den Gesetzen der Mie-Streuung — einen Teil der Sonnenstrahlung zurück in den Weltraum. Das Verhältnis Absorption/Rückstreuung hängt zum Teil von der Zusammensetzung der Aerosolpartikel ab. Insgesamt überwiegt bei Aerosolen im allgemeinen ein Erwärmungseffekt; das zeigt sich besonders im Bereich der Großstädte mit hoher Aerosolkonzentration. Erwähnt sei, daß durch gesetzliche Maßnahmen in vielen Großstädten — Beispiele sind London, Tokyo, Los Angeles — die Aerosolkonzentration zurückgegangen ist (73). In 5 . 2 wurde bereits behandelt, daß die direkte anthropogene Wärmezufuhr an das System Erde/Atmosphäre derzeit in Höhe von 0 , 0 1 6 W / m 2 noch gering ist im Vergleich mit der mittleren Sonnenenergieeinstrahlung in Höhe von 2 3 0 W / m 2 (siehe Tabelle 5-1). Daraus darf jedoch nicht geschlossen werden, daß der direkten Wärmebelastung klimatologisch keine Beachtung geschenkt werden muß. Vielfach ist der Energieumsatz in den großen Industrie- und Ballungszentren konzentriert und erreicht dort lokal 10—50 W / m 2 . Diese Wärmezufuhr erzeugt die Wärmeinseln der großen Städte mit einer zusätzlichen thermischen Zirkulation. Statistisch konnte zum Beispiel die Häufung starker lokaler Regenfälle nachgewiesen werden (74). Eine der wichtigsten Größen im Wärmehaushalt der Erde ist die Albedo (Reflexionsfähigkeit) der Erdoberfläche (73). Aus diesem Grunde wird durch Änderung der Oberflächenbeschaffenheit der Erde das klimatische System beeinflußt. Die Rückstrahlung hängt wesentlich von der Farbe der Vegetation auf dem Boden ab. Beispielsweise beträgt die Albedo für Wald etwa 0 , 1 2 ; für Steppe und Grasland 0 , 2 0 bis 0 , 2 5 ; für hellen Wüstensand 0 , 3 5 ; für frisch gefallenen Schnee 0 , 8 0 ; für das Meer 0 , 0 5 bis 0 , 2 5 (je nach Sonnenhöhe und Wellenzustand). Die mittlere Albedo für Kontinente wird — unter Berücksichtigung der jahreszeitlichen variablen Schneedecke—mit 0 , 2 6 0 ± 0 , 0 2 angegeben; die mittlere Albedo der Ozeane wird auf 0 , 1 0 0 ± 0 , 0 0 5 geschätzt. Für die ganze Erde wird somit die Albedo mit 0 , 1 4 7 ± 0 , 0 1 0 angegeben (75). Aus Strahlungsmodellen ergibt sich bei einer Abnahme der mittleren Albedo um 1 % eine Abnahme der Gleichgewichtstemperatur um 1,3 Κ (60). Es wird geschätzt, daß sich die Albedo der Erde in den letzten 6 0 0 0 Jahren von 0 , 1 3 8 auf 0 , 1 4 7 verändert hat; der entsprechende Temperaturrückgang wird mit etwa 1 Κ angegeben (75). Das heißt, die Vegetationszerstörung in Trockengebieten, die Umwandlung von Wäldern in Ackerland seit dem Klima-Optimum vor 6 0 0 0 Jahren, waren mit einer Zunahme der Albedo gekoppelt (vgl. 5.41). Im allgemeinen führt die Umwandlung beziehungsweise Zerstörung der ursprünglichen Vegetation zu einer Zunahme der Albedo; dies ist ein Eingriff des Menschen, der zu einer Abkühlung führen kann. Im Zusammenhang mit diesem Problemkreis steht auch die verstärkte Wüstenbil-
368
5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
dung in mehreren Regionen der Erde. In den Ländern des Maghreb (Tunesien, Algerien, Marokko), in Lybien und im Sudan rückt die Wüste im Mittel um 1 bis 2 km jährlich vor, das bedeutet alleine bei der Sahara eine jährliche Zunahme um rd. 20 000 km 2 . Dies ist nicht die Folge einer Klimaänderung, sondern das Ergebnis der vom Menschen über Jahrtausende fortgesetzten Eingriffe in die natürlichen Haushalte. Dies kann durch Vermehrung des Weideviehs über das ökologische Gleichgewicht hinaus geschehen, das dadurch gestört wird. Beispielsweise ist in den Ländern der Sahelzone die Zahl des Weideviehs in den Jahren 1 9 4 9 - 1 9 6 8 auf das sechsfache vermehrt worden. Hinzu kommt noch die Nutzung der letzten Bäume und Sträucher als Feuerholz. Eine Modellrechnung zeigt, daß die Zunahme der Albedo durch Vegetationszerstörung zu einem weiteren Rückgang der Niederschläge und zu verstärkter Wüstenbildung führt. Zwar sind die großen Wüsten der Erde nicht vom Menschen geschaffen worden, jedoch ist die verstärkte Ausweitung der Wüste eine Folgewirkung menschlicher Eingriffe. Faßt man die beschriebenen anthropogenen Einwirkungen, die das Klimasystem beeinflussen können, zusammen, so bewirken nach derzeitiger Kenntnis — mit Ausnahme des Ozongehaltes in der Stratosphäre und der Änderung der Albedo — alle anthropogenen Faktoren offensichtlich eine Erwärmung. Nach W. Bach könnte die Gesamtheit der anthropogenen Effekte zu einer globalen Temperaturerhöhung von 0,8 Κ bis 1,2 Κ im Jahre 2000 und von 2 Κ bis 4 Κ im Jahre 2050 führen, dabei könnten die Temperaturerhöhungen in den Polargebieten jeweils um wenige Grade höher liegen (76). Nach allem, was wir heute wissen, stellen Temperaturerhöhungen um wenige Grade eine ernstzunehmende Gefahr dar, da sie globale Klimaveränderungen zur Folge haben können (vgl. 5.41). Diese Darstellungen zeigen, daß die Energiefreisetzung nicht bedenkenlos erhöht werden darf. Die Möglichkeit — etwa zu Beginn des kommenden Jahrtausends — weltweit verstärkt Kohle zur Energiebedarfsdeckung einzusetzen, dürfte begrenzt sein, da mögliche klimatische Auswirkungen durch erhöhte C0 2 -Konzentration in der Atmosphäre katastrophale Folgen haben können. Insbesondere kann es als gesichert angesehen werden, daß — wegen des C0 2 -Problems nur ein Teil der weltweit vorhandenen großen Kohlenvorräte verwendet werden darf, um einen wachsenden Energiebedarf zu decken. Das C0 2 -Problem zeigt aber auch, daß Effekte, die bei Verwendung eines Energieträgers in kleinen Mengen vernachlässigbar sind, bei Nutzung im Großen zu wesentlichen Kriterien werden. Außerdem könnte bei umweltbelastenden Faktoren, die sich global auswirken, durchaus einmal die Frage aufkommen, ob es hingenommen werden soll, daß der kleinere Teil der Menschheit das ökologische System um ein Vielfaches stärker belastet als der größere Teil (vgl. 2.32). H. Häfele vergleicht das Klima-Risiko-Problem in gewisser Weise mit kerntechnischen Risiken: Es kann nicht durch das traditionelle Lernschema von Versuch und Irrtum abgetastet werden. Sind klimatische Rückwirkungen erst einmal da, so ist davon auszugehen, daß sie — für kulturgeschichtliche Zeiträume — irreversibel und folgenschwer sind. Deshalb sei mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß bei einer langfri-
369
5 . 5 Umweltbelastungen durch Sonnenenergie
stigen Energiekonzeption das Problem der möglichen Klimabeeinflussung große Beachtung finden muß.
5.5 Umweltbelastungen durch
Sonnenenergie
Die Sonnenenergie ist wohl diejenige Energiequelle, bei deren Nutzung die geringsten Umweltprobleme auftreten. Dies gilt beispielsweise bei Einsatz der Sonnenenergie zur dezentralen Energieversorgung mit Hilfe von Kollektoren, Photozellen usw. (vgl. 4 . 3 1 1 und 4 . 3 1 3 ) . Jedoch läßt sich auch bei dieser Energiequelle zeigen, daß Nebeneffekte, die bei Nutzung im Kleinen vernachlässigbar sind, im Großen zu umweltbelastenden Faktoren werden können. So kann zum Beispiel bei Nutzung der Sonnenstrahlung im Großen (direkte Verfahren) die Albedo gebietsweise verändert und dadurch das Klimasystem beeinflußt werden (vgl. 5.43) (77). Auch ist davon auszugehen, daß die großtechnische Nutzung der Sonnenenergie — wegen des großen Flächenbedarfs — in schwach oder nicht besiedelten Regionen (zum Beispiel in der Sahara) erfolgen wird, und die mit Sonnenenergie gewonnene Sekundärenergie (zum Beispiel in Form von Wasserstoff beziehungsweise elektrischer Energie) über weite Strecken in andere Regionen transportiert werden wird. Die Energie wird also nicht dort freigesetzt, wo sie „eingefangen" wird, und eine entsprechende Umweltbelastung bei dieser Art der Sonnenenergienutzung ist die Folge. Auch bei Nutzbarmachung der Sonnenenergie mit indirekten Verfahren können umweltbelastende Faktoren auftreten. Im folgenden seien einige Beispiele erwähnt. Durch ein Wasserkraftwerk (vgl. 4 . 3 2 1 ) wird häufig der natürliche Wasserabfluß verändert. So zum Beispiel stellt der Staudamm von Assuan einen Eingriff in den Naturhaushalt des Niltals dar. Der Nil hatte bislang eine einzigartige Doppelfunktion für Ägypten; er war Wasserspender und Düngemittellieferant zugleich. So verteilte der Nil seit Urzeiten im August und im September einen Teil seines fruchtbaren kalihaltigen Schlamms — bis zu 1 0 8 1 pro Jahr — auf das überschwemmte Ackerland. Das jetzt durch die Kraftwerksturbinen kontrolliert ablaufende Wasser ist nährstoffarm. Der Schlamm setzt sich nämlich schon am südlichen Ende des Sees ab, nachdem die Strömung nachgelassen hat. Außerdem ist in weiten Teilen dieser Region das bisherige Verhältnis zwischen Oberflächenwasser und Grundwasser gestört worden. Bei Nutzung der Wellenenergie (Wellenkraftwerke) (vgl. 4 . 3 2 2 ) kann beispielsweise die Verringerung der Orbitalbewegung die Austauschvorgänge wie Sauerstoffund Planktontransport zwischen Oberfläche und tieferen Wasserschichten beeinflussen und damit unter Umständen das biologische Gleichgewicht lokal stören (78). Nutzt man das vertikale Temperaturgefälle tropischer Meere zur Energiegewinnung (vgl. 4 . 3 2 3 ) , so wird vermutet, daß dies zu einer Abgabe von in den Tiefseeschichten gelöstem C 0 2 führt (vgl. 5 . 3 2 ) ; dies könnte entsprechende Auswirkungen auf das Klima haben (76).
370
5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
Bei Nutzung der Windenergie kann es beispielsweise zu Veränderungen der Luftzirkulation kommen; außerdem könnte — bei Nutzung der Windenergie in großtechnischem Maßstab — der erforderliche Flächenbedarf problematisch werden (vgl. 4.324). Auch die Nutzung gespeicherter Sonnenwärme mit Wärmepumpen ist nicht umweltneutral. Dient beispielsweise die im Grundwasser beziehungsweise in der Erde gespeicherte Sonnenwärme als Wärmequelle, so besteht — insbesondere bei Nutzung in großem Maßstab — unter anderem die Gefahr, daß es zu Verunreinigungen des Grundwassers kommt und gebietsweise der Wärmehaushalt beeinflußt wird (vgl. 4.325). Abgesehen von der großwirtschaftlichen Durchführbarkeit gibt es auch bei Nutzbarmachung der photochemischen Konversion im Großen eine Umweltbeeinflussung (vgl. 4.326). Werden beispielsweise in einer Art „Energiefarm" große Flächen mit Zuckerrohr oder anderen geeigneten Pflanzen (Biomasse) in Monokultur bebaut, so sind ökologische Veränderungen abzusehen. In 5.32 wurde darauf hingewiesen, daß noch nicht sämtliche Details des Kohlenstoffzyklus bekannt sind, jedoch zirkuliert das C 0 2 bei Energiegewinnung aus Biomasse — im Gegensatz zur Energiegewinnung aus fossilen Energieträgern - in dem Subsystem Atmosphäre - Ozean Biomasse — Detritus (siehe Abb. 5-4).
5.6 Umweltbelastungen
durch
Gezeitenenergie
Da für eine wirtschaftliche Nutzung der Gezeitenenergie außer dem Tiedenhub auch noch geographische Bedingungen eine Rolle spielen, kommen für Gezeitenkraftwerke relativ wenig Standorte in Frage (vgl. 3.38 und 4.4). Gezeitenkraftwerke haben jedoch ebenfalls Auswirkungen auf die Umwelt (78). Durch ein Gezeitenkraftwerk wird zum Beispiel die Meeresströmung beeinflußt, das heißt, der natürliche Wasserabfluß wird verändert.
5.7 Umweltbelastungen
durch geothermische
Energie
Eine technische Nutzung der geothermischen Energie ist derzeit nur dann möglich, wenn sie in Form von geothermischen Lagerstätten auftritt. Die Umweltbelastungen, die bei Ausnutzung geothermischer Energie in der Regel auftreten, sind beträchtlich (79, 80). Bei der Elektrizitätserzeugung mit geothermischen Kraftwerken ist die anfallende Abwärme im allgemeinen — wegen des niedrigen thermodynamischen Wirkungsgrades von nur 8 % — 16 % - erheblich größer als bei anderen Kraftwerken. Für die Ab-
371
5.8 Für die Kernfission spezifische Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
fuhr dieser Abwärme stehen im Prinzip dieselben Methoden zur Verfügung wie bei anderen Kraftwerken (vgl. 5.2). Geothermische Energiequellen liefern oft salzhaltige Dampf/Wasser-Gemische. Beispielsweise kann in der Nähe des Salton Sea, Kalifornien, der Salzgehalt des geothermischen Wassers bis zu 20% betragen. (Das Meerwasser hat einen Salzgehalt von etwa 3,3%.) Das tägliche Abwasser eines geothermischen 1000 MW-Kraftwerkes, würde es in Cerro Prieto (Salzgehalt 2%), Mexiko, betrieben, enthielte rd. 12000 t Salz (81). Deshalb wird es häufig notwendig sein, das Abwasser wieder in die Bohrlöcher zurückzuführen. Dieses Verfahren kann auch dazu beitragen, Bodensenkungen zu verhindern, die möglicherweise eintreten, wenn große Wassermengen aus unterirdischen Reservoirs entnommen werden. Aufgrund der durch eine Förder-Bohrung sich ergebenden Störungen kann es auch zu größeren Verschiebungen der Gesteinsschichten kommen. Diese Vorgänge äußern sich unter Umständen in sogenannten „seismic effects", das heißt, in örtlich begrenzten Erdbeben. Außerdem enthalten geothermische Dämpfe auch nicht kondensierbare Gase, die beim Betrieb der Anlagen erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Die prozentuale Gaszusammensetzung bei „The Geysers", USA, beträgt: C 0 2 63,4%; CH 4 15,3%; H 2 14,7%; Ar 3,5%; H 2 S 1,7%; N H 3 1,3%; H 2 B 0 3 0,1%. Bei Wairakei, Neuseeland, beträgt die Gaszusammensetzung: C 0 2 92,1%; H 2 S 4,2%; H 2 1,8%; CH 4 0,9%; N H 3 0,6%; Ar 0,3%; H 2 B 0 3 0,1% (78). Ein geothermisches Kraftwerk hat auch einen erheblichen Flächenbedarf. Legt man beispielsweise die für „The Geysers" typischen Werte zugrunde — eine Bohrung liefert ca. 7 M W - so ist für ein 1000 MW-Kraftwerk (ca. 150 Bohrungen) ein Flächenbedarf von rd. 30 km 2 erforderlich (78),
5.8 Für die Kernfission Sicherheitsprobleme
spezifische
Umweltbelastungen
und
5.81 Einführende Betrachtungen Die Rolle der Kernenergie in der Energieversorgung wurde in letzter Zeit in vielen Ländern zu einer zentralen Frage, obwohl bereits in 23 Ländern der Erde — zum Teil schon seit vielen Jahren — Kernkraftwerke in Betrieb beziehungsweise in weiteren 10 Ländern Kernkraftwerke in Bau oder bestellt sind (Stand 1 . 1 . 1982, siehe Tabelle 4-2). Ein entscheidender Grund für die zum Teil heftigen Auseinandersetzungen um das Für und Wider der Kernenergie dürfte wohl darin liegen, daß wegen der Entwicklung seit der Entdeckung der Kernspaltung — insbesondere seit Hiroshima und Nagasaki - die Kernenergie bei vielen Menschen tiefe Angst und Furcht auslöst. Da in einzelnen Ländern die Kernenergie mehr und mehr einen beträchtlichen Anteil an der Energieversorgung (Elektrizitätsversorgung) übernimmt, ist es verständlich, daß
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5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
vielen Menschen einige Aspekte der friedlichen Nutzung der Kernenergie erst jetzt deutlich werden. Denn bei der Kernenergie treten auch — wie bei jedem anderen Energieträger — ins Gewicht fallende Folgeprobleme auf, wenn sie nur in hinreichend großem Maßstab eingesetzt wird. (Beispielsweise hatte 1979 in den Staaten der Europäischen Gemeinschaft die Kernenergie an der Elektrizitätserzeugung einen Anteil von rd. 11% (siehe Tabelle 4-4); in Frankreich betrug 1982 der Anteil bereits ca. 38%.) Betrachtet man die Entwicklung der Diskussion über die friedliche Nutzung der Kernenergie, so ist festzustellen, daß nicht mehr nur die eigentlichen Kernkraftwerke im Blickpunkt stehen, sondern Probleme des gesamten Kernbrennstoffkreislaufs. Der Allgemeinheit ist offensichtlich deutlich geworden, daß der Kernreaktor nur ein Element des Brennstoffkreislaufs ist und daß man bei der langfristigen Planung der Kernenergie den gesamten Kreislauf berücksichtigen muß. (Unter dem Begriff Kernbrennstoffkreislauf werden alle Prozesse und Arbeitsschritte verstanden, die zur Versorgung der Kernreaktoren mit Brennstoff und zur Entsorgung der Reaktoren von abgebranntem Brennstoff notwendig sind.) Die Versorgung der Kernreaktoren, das heißt die Bereitstellung des Natururans, die Anreicherung des Brennstoffs an 2 | f U auf ca. 3 % in Anreicherungsanlagen sowie die Verarbeitung des Urans (die Rückführung des Plutoniums) zu Brennelementen, hat heute einen beachtlichen Entwicklungsstand erreicht. Dagegen konnten einige Probleme der Entsorgung der Kernreaktoren, das heißt, die Bereitstellung der Lagerkapazität für abgebrannte Brennelemente vor der Wiederaufarbeitung, die Wiederaufarbeitung selbst, die Überführung des radioaktiven Abfalls in eine endlagerfähige Form und die Endlagerung selbst, bis heute noch nicht voll zufriedenstellend gelöst werden, jedoch wird von dafür kompetenten Technikern und Wissenschaftlern (z.B. Geologen, Hydrologen) gesagt, daß diese Probleme lösbar seien. Der zur Endlagerung kommende hochaktive Abfall muß — falls die abgebrannten Brennelemente wiederaufgearbeitet werden — über Jahrhunderte und — falls die abgebrannten Brennelemente nicht wieder aufgearbeitet werden — über Jahrtausende (29®Pu hat eine Halbwertszeit von 24400 Jahren) so gesichert werden, daß eine Gefährdung der Biosphäre ausgeschlossen ist. Das heißt aber, den Nutzen der freigesetzten Energie haben die Menschen heute, jedoch geben sie späteren Generationen den endgelagerten Atommüll weiter. Eine gewisse Überwachung einer jeden Endlagerstätte dürfte wohl immer notwendig sein. In diesem Zusammenhang werden bisweilen Fragen aufgeworfen wie zum Beispiel, ob das sogenannte Verursacherprinzip, d.h. die Berücksichtigung der Entsorgung im Preis der Energie aus Kernbrennstoffen, hier überhaupt noch angewendet werden kann (vgl. 5.822.2). Ein ganz besonderes sicherheitspolitisches Problem ergibt sich aus der Tatsache, daß Uran und Plutonium nicht nur zur Energiegewinnung, sondern auch zur Herstellung von Kernwaffen verwendet werden können. Grundsätzlich ist es möglich, mit hochangereichertem Uran nukleare Sprengkörper zu bauen. Dieses Verfahren ist aber aufwendig und erfordert mehr Zeit als mit Plutonium, das mit Hilfe einer Wie-
5.8 Für die Kernfission spezifische Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
373
deraufarbeitungsanlage gewonnen werden kann. Aus diesem Grunde sind Fragen der friedlichen Nutzung der Kernenergie in Reaktoren eng verbunden mit der Nichtverbreitung von Kernwaffen. Kerntechnische Risiken unterscheiden sich nach H. Häfele von anderen technischen Risiken unter anderem dadurch, daß sie nicht durch das traditionelle Lernschema von Versuch und Irrtum abgetastet werden können. Insofern stellt diese Technik eine Art „neue Qualität" dar. Nach C. F. von Weizsäcker gibt es „für erkannte technisch verursachte Gefahren im allgemeinen auch einen technisch möglichen Weg der relativen Sicherung. Eine Schwierigkeit ist, die Gefahren rechtzeitig zu erkennen" (82). Der Mensch als unkalkulierbare „Gefahrenquelle" wird sich nie ganz ausschalten lassen. Es sei darauf hingewiesen: In der Technik gibt es keine absolute Sicherheit, sondern nur eine mehr oder weniger hohe Zuverlässigkeit beziehungsweise geringe Unfallwahrscheinlichkeit. Ein absolut sicheres Kernkraftwerk wird es nicht geben. Eine sogenannte Reaktorsicherheitsstudie kann deshalb auch keine Aussagen machen, ob das mit der Kernenergie verbundene Risiko akzeptiert werden soll. Manchmal hat es den Anschein, daß bei vielen Menschen das in der Vergangenheit zum Teil vorhanden gewesene große Vertrauen in das, was allgemein als „technischer Fortschritt" bezeichnet wird, erschüttert ist. Wäre dies so, die Menschheit befände sich in einem tiefgreifenden historischen Wandlungsprozeß (83, 84). Im Rahmen dieser Abhandlung kann eine umfassende Diskussion aller für die Kernfission spezifischen Umweltbedingungen und Sicherheitsprobleme, die möglicherweise bei der großtechnischen Nutzung von Bedeutung sind, nicht durchgeführt werden. Deshalb werden in den folgenden Abschnitten einige ausgewählte Aspekte dargestellt.
5.82 Zum Kernbrennstoffkreislauf 5.821 Kernbrennstoffversorgung Die Kernbrennstoffversorgung ist wohl der Abschnitt des Brennstoffkreislaufs, der am weitesten entwickelt ist. Abb. 5-9 a zeigt den Kernbrennstoffkreislauf der Leichtwasserreaktoren (LWR) (vgl. 4.212.2). Der Kernbrennstoffkreislauf der Reaktoren der 2. Generation, der Thorium-Hochtemperatur-Reaktoren (THTR) (vgl. 4.213.3) sowie der Flüssigmetallgekühlten Schnellen Brutreaktoren (vgl. 4.214) weicht in einigen Punkten von dem Kernbrennstoffkreislauf der Leichtwasser-Reaktoren ab. Zusätzliche Entwicklungsarbeiten müssen hier noch geleistet werden. Abb. 5-9 b zeigt den Brennstoffkreislauf des Thorium-Hochtemperatur-Reaktors und Abb. 5-9 c den Brennstoffkreislauf des Flüssigmetallgekühlten Schnellen Brutreaktors (85). Die Kernbrennstoffversorgung läßt sich im wesentlichen in folgende Teilab-
374
5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
LWR-Brennstoffkreislauf
I
Geschlossener Brennstoffkreislauf
Offener Brennstoffkreislauf
375
5.8 Für die Kernfission spezifische Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
Elektrizität ThoriumExploration
UranExploration
ThoriumAufbereitung
Abbau
Abbau
• Transport erforderlich Transport nicht erforderlich
-
Aufbereitung
UF 6 Produktion
Brennelement-Herstellung
HTGR
-0—7
Wiederaufarbeitung
U 2:
Behandlung des radioakt. Abfalls
Abb. 5 - 9 b : Kernbrennstoffkreislauf des Thorium-Hochtemperatur-Reaktors Quelle: Project Interdependence: US and World Energy Outlook through 1990, Α Report printed by the Congressional Research Service, U.S. Government Printing Office, Washington D.C., November 1977.
schnitte untergliedern: die Beschaffung von Natururan (Prospektion, Exploration, Gewinnung), die Konversion zu UF 6 , die Anreicherung von 2 gfU und die Fertigung der Brennelemente. Die geographische Verteilung der Uran- und Thoriumvorräte, die Produktionsund Verbrauchszentren sowie die voraussichtliche Bedarfsentwicklung wurden in 3.35 eingehend behandelt. Ob der voraussichtliche Bedarf gedeckt werden kann, dürfte sehr stark davon abhängen, welchen Preis man für die Gewinnung von Uran aus ärmeren Erzen beziehungsweise aus Meerwasser zu zahlen bereit sein wird. Die in vielen Ländern forcierte Brüterentwicklung (siehe Tabelle 4-3) könnte u. a. ein Indiz dafür sein, daß die wirtschaftlich gewinnbaren Uranreserven als sehr begrenzt angesehen werden und daß einige Länder dieses Uran als nur bedingt verfügbar ansehen. Die Konversion des Natururans (U 3 0 8 ) zu Uranhexafluorid (UF6) als Eingangssubstanz für Anreicherungsanlagen ist ein relativ problemloser chemischer Prozeß.
Abb. 5-9a: Kernbrennstoffkreislauf der Leichtwasser-Reaktorsysteme Quelle: Project Interdependence: US and World Energy Outlook through 1990, Α Report printed by the Congressional Research Service, U.S. Government Printing Office, Washington D.C., November 1977.
376
5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
Uranversorgung
Transport erforderlich Transport nicht erforderlich
5 . 8 Für die Kernfission spezifische Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
377
Dies ist kein kritischer Punkt des Brennstoffkreislaufs, da die chemische Industrie in vielen Ländern den Umgang mit Fluor beherrscht. Große Kapazitäten zur Konversion gibt es im Westen in Großbritannien, Frankreich, Kanada und den USA. Es kann davon ausgegangen werden, daß die Konversion in der Bundesrepublik Deutschland jederzeit großtechnisch durchgeführt werden könnte. Leichtwasserreaktoren benötigen als Kernbrennstoff angereichertes Uran mit ca. 3 % 292U. Zur Zeit erfolgt diese Anreicherung in Großbritannien, Frankreich, in den USA und der UdSSR. Der Bedarf an angereichertem Uran wird sich weiter erhöhen. Es wird erwartet, daß im Laufe der 80er Jahre mehr als die Hälfte des europäischen Bedarfs durch die europäischen Anreicherungskapazitäten Eurodif (Trenndüsenverfahren) und Urenco (Zentrifugenverfahren) gedeckt werden kann (vgl. 3.352) (86—90). Beispielsweise werden die für die Erstausstattung eines LWR vom Typ Biblis (elektrische Leistung ca. 1200 MW) etwa 100 t auf ca. 2 , 5 % 2 , f U angereichertes Uran benötigt. Für die Nachladung benötigt man pro Jahr etwa 30 t auf ca. 3 % " 2 U angereichertes Uran (91). Die Fertigung von Uranoxid-Brennelementen für die heutigen Leichtwasserreaktoren kann als technisch ausgereift bezeichnet werden. Erster Schritt für die Brennelementherstellung ist die Konversion des aus der Anreicherungsanlage kommenden UF 6 ZU sinterfähigem U0 2 -Pulver; danach werden U0 2 -Tabletten hergestellt. Um den Brennstoff vor dem Kühlmittel zu schützen und um zu verhindern, daß Spaltprodukte in den Kühlkreislauf eintreten, werden diese Tabletten in metallische Hüllrohre (Einzelrohre) eingefüllt und gasdicht zugeschweißt. Ein Bündel von gefüllten Einzelrohren bildet ein Brennelement. Als Hüllrohrwerkstoffe haben sich Zirkoniumlegierungen bewährt. Sie haben eine geringe Absorption für thermische Neutronen, besitzen gut Korrosionsbeständigkeit sowie ausreichende Festigkeit. Auch Plutonium kann in einem LWR als Spaltstoff verwendet werden (vgl. 5.822.22). Mengenmäßig sind " f P u und — in geringerem Maße — 2 9lPu von Bedeutung (vgl. 4.214). Bis Anfang 1977 sind in der westlichen Welt etwa 15 t Pu zu NSBR- und LWR-Brennstäben verarbeitet worden. Dabei hat sich gezeigt, daß den sicherheitstechnischen Forderungen, die sich aus der Radiotoxizität des Plutoniums ergeben, entsprochen werden kann (92). Im wesentlichen werden folgende Gründe für eine Verwendung von Plutonium als Spaltstoff in LWR angegeben: Durch Rezyklierung von Plutonium in LWR wird verhindert, daß große Mengen Plutonium endgelagert werden müssen, das heißt, das Langzeitproblem kann dadurch erheblich vermindert werden; außerdem wird dadurch eine Verbesserung der Uranausnutzung möglich. (Die unterschiedlichen Brennelementkonzepte einzelner Reaktoren wurden bei den jeweiligen Reaktortypen behandelt) (vgl. 4.212; 4.213; 4.214 und 4.215). Abb. 5 - 9 c: Kernbrennstoffkreislauf des Flüssigmetallgekühlten-Schnellen-Brutreaktors Quelle: Project Interdependence: US and World Energy Outlook through 1 9 9 0 , Α Report printed by the Congressional Research Service, U.S. Government Printing Office, Washington D.C., November 1977.
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5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
5.822 Entsorgung 5.822.1 Entsorgungskonzepte Während des Einsatzes der Brennelemente im Reaktor werden zum einen die spaltbaren Isotope (zum Beispiel " f U ) des Brennstoffs verbraucht und zum anderen neutronenabsorbierende Spaltprodukte gebildet. Begrenzte mechanische Stabilität der Hüllmaterialien schränkt die Verweildauer der Brennelemente im Reaktor ebenfalls ein. Das heißt, neutronenphysikalische und sicherheitstechnische Gründe machen es notwendig, daß nach ca. 3 Jahren die Brennelemente ausgetauscht werden müssen. Es hat sich als zweckmäßig erwiesen, jedes Jahr ein Drittel der Brennelemente auszuwechseln. Nach Ablauf dieser Zeit im Reaktor hat sich die Zusammensetzung der Brennelemente entscheidend verändert. Bei einem LWR vom Typ des DWR (Ausgangsmaterial 3 , 3 % 2||U; 9 6 , 7 % 2||U; Abbrand 33 MWd/kg) haben 1000 g des abgebrannten Brennstoffs folgende Zusammensetzung: 2||U 945,0 g; 2||U 4,2 g; 2 ||U 8,6 g; 2%lPu 5,3 g; 2 94?u 2,4 g; 2 ^ P u 1,2 g; 2 ^ P u 0,4 g; andere Actiniden-Elemente ca. 0,4 g; Spaltprodukte 32,5 g. Das heißt, der Gehalt an 2||U in den abgebrannten Brennelementen ist vergleichbar mit dem des Natururans (0,86% 2||U in abgebrannten Brennelementen im Vergleich zu 0 , 7 2 % " f U in Natururan). Die abgebrannten Brennelemente, die nach etwa dreijähriger Betriebszeit dem Reaktor entnommen werden, stellen also noch keinen radioaktiven Abfall dar. Sie enthalten neben den hochradioaktiven Spalt- und Aktivierungsprodukten (dem eigentlichen Abfall) noch erhebliche Mengen an Wertstoffen (Spalt- und Brutstoffe). Werden diese Wertstoffe in den Kernreaktor zurückgeführt, spricht man von einem geschlossenen Brennstoffkreislauf; werden die Wertstoffe nicht in den Reaktor zurückgeführt, spricht man bisweilen von einem offenen Brennstoffkreislauf (Wegwerfzyklus). Die Entsorgung der Kernkraftwerke beginnt mit der Behandlung der abgebrannten Brennelemente. Bei den abgebrannten Brennelementen handelt es sich um stark radioaktiv strahlendes Maerial, das wegen der Nachzerfallswärmeentwicklung ständig gekühlt werden muß. Im allgemeinen werden die abgebrannten Brennelemente zunächst in einem Wasserbecken des Kernkraftwerkes — in der Regel befindet sich dieses innerhalb des Reaktorgebäudes — zwischengelagert. Wände und Boden des Lagerbeckens bestehen aus Stahlbeton. Die Brennelemente werden in Lagergestelle eingesetzt. Es gibt Normal- und Kompaktgestelle (Kompaktlagerung). Bei den Normalgestellen wird die Unterkritikalität der Anordnung über den Abstand sichergestellt; bei Kompaktgestellen muß — wegen des geringeren Abstandes der Brennelemente — ein Neutronenabsorber eingebaut werden. Durch die Verwendung von Kompaktgestellen kann die Lagerkapazität in einem Kernkraftwerk um ein Mehrfaches erhöht werden. (Kompaktlagerung wird heute in mehreren Ländern praktiziert.) Bereits nach ca. 12, Monaten beträgt die Radioaktivität entsprechend der Halbwertszeiten der Spaltprodukte — nur noch 2 % der ursprünglich vorhandenen Aktivi-
5.8 Für die Kernfission spezifische Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
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tät. Während dieser Zeit zerfallen die kurzlebigen Isotope, so z.B. das gasförmige Χ 53ΐ, das eine Halbwertszeit von ca. 8 Tagen hat. Als Folge davon sinkt auch die Wärmeproduktion, die durch die Nachzerfallswärme der Spaltprodukte hervorgerufen wird. Da in den ersten Jahren nach der Entnahme der Brennelemente aus dem Reaktor die spezifische Aktivität und die Wärmeleistung der Brennelemente um Größenordnungen abnimmt, in späteren Jahren hingegen nur noch sehr langsam abklingt, ist es zweckmäßig, die abgebrannten Brennelemente zunächst zwischenzulagern. Deshalb werden im allgemeinen abgebrannte Brennelemente — unabhängig vom Entsorgungskonzept — bis zum Zeitpunkt der Weiterverarbeitung 5 bis 7 Jahre zwischengelagert. (Die Zwischenlagerung kann am Standort der Kernkraftwerke oder anderswo geschehen.) Hierdurch werden die anschließenden Entsorgungsschritte wesentlich vereinfacht. Für die Behandlung abgebrannter Brennelemente bieten sich im wesentlichen folgende drei Möglichkeiten an: die langfristige Zwischenlagerung mit dem Ziel einer späteren Weiterbehandlung; die Konditionierung der Brennelemente zum Zwecke der direkten Endlagerung; die Wiederaufarbeitung mit dem Ziel, die in den abgebrannten Brennelementen noch enthaltenen Energierohstoffe zu rezyklieren und die dabei anfallenden radioaktiven Abfälle in eine endlagergerechte Form überzuführen. Die langfristige Zwischenlagerung (Langzeitzwischenlagerung) mit dem Ziel einer späteren Weiterbehandlung bedeutet, daß die abgebrannten Brennelemente in Behälter gepackt werden, die entweder oberirdisch oder unterirdisch gelagert werden. Es gibt Konzepte sowohl für trockene als auch für nasse Zwischenlagerung. Insbesondere ist nachgewiesen, daß man trockene Zwischenlager bauen kann, die inhärent sicher sind. Das heißt, es ist möglich, die abgebrannten Brennelemente relativ lange — zweifellos mehrere Jahrzehnte — luftgekühlt zu lagern, so daß die Kühlung nicht vom Funktionieren technischer Apparaturen oder menschlicher Zuverlässigkeit abhängt. (Die Nachwärmeabfuhr geschieht dabei über Naturkonvektion mit Umgebungsluft.) Der Bau eines inhärent sicheren nassen Zwischenlagers wird ebenfalls für möglich gehalten. Bei nassen Lagern muß jedoch geprüft werden, wie ein auslaufendes Bekken mit Sicherheit vermieden werden kann und ob die Wärme auch dann noch abgeführt wird, wenn die Kühlung ausfällt (93). Solche Trocken- und Naßlager können am Standort der Kernkraftwerke, am Standort einer Wiederaufarbeitungsanlage oder anderswo errichtet werden. Bisher wurden Zwischenlager oberirdisch beziehungsweise oberflächennah gebaut. Grundsätzlich ist es jedoch möglich, Brennelemente in einer tiefen geologischen Formation — zum Beispiel in einem Bergwerk — zwischenzulagern; dabei kann auch die Wärmeabfuhr durch das geologische Medium erfolgen. Wie bei jeder Zwischenlagerung von abgebrannten Brennelementen muß aber bei einer Zwischenlagerung in geologischen Formationen jederzeit ein Zugriff zu den abgebrannten Brennelementen möglich sein. Zwar könnten während der Langzeitzwischenlagerung die Wertstoffe (Spalt- und Brutstoffe) nicht in den Kernreaktor zurückgeführt werden, das heißt, nutzbare
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5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
Energierohstoffe würden — wenn auch nur während eines begrenzten Zeitraumes — nicht eingesetzt werden, jedoch ist sichergestellt, daß diese Wertstoffe nicht verloren gehen. Außerdem verbaut dieses Konzept keine anderen Möglichkeiten der Entsorgung für die Zukunft, insbesondere können noch zur Entsorgung erforderliche Forschungs- und Entwicklungsarbeiten durchgeführt werden. Diese Langzeitzwischenlagerung würde aber nur ein Hinausschieben der Weiterbehandlung der abgebrannten Brennelemente (einer der direkten Endlagerung beziehungsweise Wiederaufarbeitung vergleichbaren Behandlung) auf einen späteren Zeitpunkt bedeuten. In der Zwischenzeit würden sich aber erhebliche Mengen von abgebrannten Brennelementen im Zwischenlager ansammeln, was langfristig unter Sicherheitsaspekten nicht unproblematisch sein würde. Aus den genannten Gründen kommen nach derzeitigem Kenntnisstand für die Entsorgung — unter Langzeitaspekten — nur die beiden anderen Konzepte in Frage: die Konditionierung der Brennelemente zum Zwecke der direkten Endlagerung oder die Wiederaufarbeitung der Brennelemente mit dem Ziel, die noch darin enthaltenen Energierohstoffe zu rezyklieren und die dabei anfallenden radioaktiven Abfälle in eine endlagergerechte Form überzuführen (siehe Abb. 5-9a). 5.822.2 Behandlung abgebrannter Brennelemente 5.822.21 Konditionierung Wie in 5.822.1 erwähnt, werden im allgemeinen abgebrannte Brennelemente — unabhängig vom Entsorgungskonzept — bis zum Zeitpunkt der Weiterbehandlung 5 bis 7 Jahre zwischengelagert, da sich dadurch anschließende Entsorgungsschritte wesentlich vereinfachen. Im Anschluß daran werden die abgebrannten Brennelemente in eine Konditionierungsanlage gebracht und weiterbehandelt. Der Transport bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfallstoffe unterliegt strengen Sicherheitsvorschriften, der sich weltweit nach einheitlichen, von der IAEO aufgestellten Richtlinien vollzieht. Auch an die Transportbehälter selbst werden strenge Anforderungen hinsichtlich Stabilität, Temperaturfestigkeit und Dichtheit gestellt. Durch räumliche Konzentration und teilweise Integration der einzelnen Schritte der Entsorgung wie Konditionierung der Brennelemente und Endlagerung oder Wiederaufbereitung, Herstellung neuer Brennelemente (Refabrikation), Konditionierung der radioaktiven Abfallprodukte und Endlagerung an einem Standort (räumlich integriertes Entsorgungssystem) ist es möglich, die Zahl der Transporte von radioaktivem Material zu reduzieren. Im Unterschied zur Wiederaufbereitung (vgl. 5.822.22) gibt es zur Konditionierung von abgebrannten Brennelementen zum Zwecke der Endlagerung noch kein Standardverfahren, und außerdem liegen noch keine Erfahrungen im industriellen Maßstab vor (94). Im Prinzip sind mehrere Verfahren zur Konditionierung von abgebrannten Brennelementen denkbar. Das einfachste Verfahren besteht darin, komplette Brennele-
5 . 8 Für die Kernfission spezifische Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
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mente ohne weitere Vorbehandlung — wie etwa die Abtrennung der Spaltgase oder die mechanische Zerkleinerung der Brennelemente — in geeigneten Behältern zu verpacken. Ein anderes Verfahren ist, einzelne Brennstäbe zu verpacken; dadurch wird eine höhere Verpackungsdichte erzielt und damit die Anzahl der in das Endlager zu transportierenden Behälter reduziert. Als Füllmaterial für den Zwischenraum zwischen den Brennelementen beziehungsweise — bei der Verpackung einzelner Brennstäbe - zwischen den Brennstäben kann man Blei verwenden. Dieses Material besitzt gute Abschirmeigenschaften für Gamma-Strahlung und eine relativ hohe Wärmeleitfähigkeit. Es stellt außerdem eine zusätzliche Barriere gegenüber dem Grundwasser dar. Ein weiteres Konditionierungsverfahren beruht darauf, die Brennelemente in stabile Glas- oder Keramikprodukte überzuführen. Hierbei werden die Brennelemente mechanisch zerkleinert und die Spaltgase abgetrennt. Das heißt, es sind für die Konditionierung von Brennelementen Verfahren denkbar, die eine gewisse Ähnlichkeit mit einzelnen Teilschritten der Wiederaufarbeitung und Abfallbehandlung aufweisen (vgl. 5 . 8 2 2 . 2 2 ) . Bisher wurden noch keine abgebrannten Brennelemente zu einem endlagergerechten Produkt verarbeitet, außerdem existieren hierfür noch keine verbindlichen und weltweit akzeptierten Kriterien. Ein Grund hierfür ist unter anderem die Tatsache, daß es unterschiedliche Brennelementtypen der Reaktoren gibt (zum Beispiel Brennelemente der Leichtwasserreaktoren oder Schwerwasserreaktoren); außerdem können — bei einem Brennelementtyp — je nach Abbrand, Position im Core usw. zwischen einzelnen Brennelementen große Unterschiede in der Wärmeentwicklung auftreten. Weiter hängt die Notwendigkeit der Verwendung von Mehrfachbarrieren (Immobilitätsbarriere, Behälterbarriere, geologische Barriere) und die daraus resultierenden Konsequenzen für die Sicherheit des Endlagers in starkem Maße von der geologischen Formation und von standortspezifischen Eigenschaften des Endlagers ab (99). Zur Konditionierung abgebrannter Brennelemente gibt es in Kanada, in den USA und in Schweden entsprechende Demonstrationsprogramme (100—102). Bisherige Untersuchungen zur Konditionierung von abgebrannten Brennelementen zum Zwecke der Endlagerung ergeben, daß derzeit keine technisch-wissenschaftlichen Gründe zu erkennen sind, die die direkte Endlagerung abgebrannter Brennelemente als nicht realisierbar erscheinen lassen. Zweifellos sind aber noch eine Reihe von Forschungs- und Entwicklungsarbeiten erforderlich, um die entsprechenden Verfahren zu optimieren sowie die Langzeit-Beständigkeit der Behälter unter für Endlager spezifischen Bedingungen nachzuweisen (94). Das radiologische Gefährdungspotential konditionierter Brennelemente ist — wegen ihres höheren Gehaltes an Uran und Plutonium — höher, als das des entsprechenden bei der Wiederaufarbeitung entstehenden hochaktiven Abfalls (vgl. 5 . 8 2 2 . 2 2 ) . (Plutonium kommt in der Natur praktisch nicht vor. In Bastnaesit aus Kalifornien konnten geringe Spuren an 2%iV\i nachgewiesen werden, das aus der Zeit der Erdentstehung stammt und in den vergangenen ca. 5 · 1 0 9 Jahren noch nicht zerfallen ist.) Die direkte Endlagerung abgebrannter Brennelemente führt dazu, daß
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5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
große Mengen an Plutonium in die Erde gelegt werden (103). Die Folge ist ein echtes Langzeitproblem der Entsorgung. ^ P u hat eine Halbwertszeit von 2 4 4 0 0 Jahren. Das heißt, die technischen/geologischen Barrieren müssen daher bei diesem Endlagerkonzept entsprechend ausgelegt werden (vgl. 5 . 8 2 2 . 3 ) . Außerdem bedeutet die Realisierung des Entsorgungskonzeptes der direkten Endlagerung einen Verzicht auf die Wertstoffe (Spalt- und Brutstoffe) als verwendbare Energierohstoffe (Wegwerfzyklus) (siehe Abb. 5 - 9 a ) . (Diese Option des Wegwerfzyklusses wird auch bisweilen als „offener" Brennstoffkreislauf bezeichnet.) Eine weitverbreitete Auffassung ist es, daß durch die direkte Endlagerung abgebrannter Brennelemente eine mißbräuchliche Verwendung des Plutoniums zur Herstellung von Nuklearwaffen erschwert werden würde (vgl. 5.83). Schnelle Brüter können jedoch nur eingesetzt werden, wenn die Brennelemente der Leichtwasserreaktoren wieder aufgearbeitet werden, um den aus 2 gfU erbrüteten Spaltstoff ^ P u und - in weit geringerem Maße - 2g|Pu zu gewinnen (vgl. 4 . 2 1 4 ) . Ebenfalls können Thorium-Hochtemperatur-Reaktoren (Uran-Thorium-Zyklus) ohne Wiederaufarbeitung nicht optimal eingesetzt werden, da der aus 2 |oTh erbrütete Spaltstoff durch Wiederaufarbeitung gewonnen wird (vgl. 4 . 2 1 3 . 3 ) (95).
5.822.22
Wiederaufarbeitung
Die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente hat zweifellos entsorgungstechnische Vorteile. Der Prozeß der Wiederaufarbeitung hat die Aufgabe, den abgebrannten Brennstoff — es handelt sich um ein Vielelementgemisch — in einzelne Fraktionen zu zerlegen: in unverbrauchtes Uran, in das neu gebildete Plutonium und in die radioaktiven Abfallprodukte. Das unverbrauchte Uran sowie das neugebildete Plutonium können zur Herstellung von neuen Brennelementen genutzt werden. Das heißt, die Wertstoffe (Spalt- und Brutstoffe) werden in den Brennstoffkreislauf zurückgeführt; deshalb wird diese Option auch bisweilen als „geschlossener" Brennstoffkreislauf bezeichnet (siehe Abb. 5 - 9 a ) (96, 97). Durch den Prozeß der Wiederaufarbeitung ist es möglich, den radioaktiven Abfall — getrennt von den Wertstoffmengen — weiter zu verarbeiten und der Endlagerung zuzuführen. Dabei ist von Vorteil, daß mit Hilfe der Wiederaufarbeitung — wie bereits in 5 . 8 2 2 . 2 1 ausgeführt — das Langzeitproblem bei direkter Endlagerung, das insbesondere durch die Endlagerung relativ großer Mengen Plutonium verursacht wird, um etwa drei Größenordnungen reduziert wird. Außerdem besteht — bei Anwendung der Wiederaufarbeitung — durch Rückführung der Wertstoffe (Spalt- und Brutstoffe) die Möglichkeit, wertvolle Energierohstoffe (Uran und Thorium) optimal zu nutzen. Es ist aber eine weitverbreitete Auffassung, daß durch die Wiederaufarbeitung die mißbräuchliche Verwendung des Plutoniums zur Herstellung von Nuklearwaffen erleichtert werden würde. Die INFCE-Studie (International Nuclear Fuel Cycle Evaluation) hat jedoch ergeben, daß das Problem der Nichtverbreitung
5 . 8 Für die Kernfission spezifische Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
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von Kernwaffen in erster Linie ein politisches Problem ist, das rein technisch-wissenschaftlich nicht gelöst werden kann (vgl. 5.83). Für ein Kernkraftwerk mit Leichtwasserreaktor sind folgende Daten typisch: Anfangsanreicherung des Urans bei einem DWR 3 , 3 % 2 |fU; zur Wiederaufarbeitung anfallende Menge pro Jahr je 1000 M W (elektrische Leistung) etwa 25—30 t abgebrannter Brennstoff; mittlerer thermischer Abbrand 3 0 0 0 0 - 4 0 0 0 0 MWd je t Uran (ein Teil des Plutonium wird während des Abbrandes bereits „weiterverbrannt"); Radioaktivität in einem LWR mit einer elektrischen Leistung von 1000 M W nach mehrmonatigem Betrieb rd. 10 1 0 Curie (91). Wie in 5.822.1 ausgeführt, werden die Brennelemente nach ca. 3 Jahren dem Core entnommen und zwischengelagert. Im Anschluß daran werden die abgebrannten Brennelemente in eine Wiederaufarbeitungsanlage gebracht und weiter verarbeitet. Durch räumliche Konzentration und Integration einzelner Schritte der Entsorgung (Wiederaufarbeitung, Herstellung neuer Brennelemente, Konditionierung der radioaktiven Abfallprodukte und Endlagerung) ist es möglich, die Zahl der Transporte von radioaktivem Material zu reduzieren. Dies gilt vor allem für Plutonium, das — durch teilweise Integration der einzelnen Schritte der Entsorgung — dann nur noch in abgebrannten beziehungsweise in neu hergestellten Brennelementen transportiert werden muß. Ebenfalls würden durch die unmittelbare Endlagerung am Ort der Wiederaufarbeitung Transporte radioaktiver Abfälle entfallen, die hier von den abgebrannten Brennelementen anfallen. Von einer Vielzahl von Wiederaufarbeitungsprozessen, die in der Vergangenheit entwickelt wurden, hat sich das in den USA, Großbritannien und Frankreich für militärische Nuklearprogramme entwickelte PUREX-Verfahren (Plutonium and Uranium Recovery by Extraction) durchgesetzt. (Bisher sollen im militärischen Bereich weltweit etwa 1300 t Plutonium erzeugt und verarbeitet worden sein) (94). Nach dem PUREX-Verfahren werden derzeit in mehreren Ländern abgebrannte Reaktorbrennelemente wiederaufgearbeitet. Zum Beispiel hat die Wiederaufarbeitungsanlage in Cap de la Hague (Frankreich) einen Durchsatz von 8 0 0 1 Uran pro Jahr; in der Wiederaufarbeitungsanlage in Karlsruhe (Bundesrepublik Deutschland), einer Demonstrationsanlage (Durchsatz ca. 4 0 1 Uran pro Jahr), werden seit 1971 Brennelemente verschiedenster Versuchs- und Leistungsreaktoren aufgearbeitet. Das PUREX-Verfahren beruht auf dem Prinzip der Lösungsmittel-Gegenstromextraktion, das auch flüssig-flüssig-Extraktion genannt wird. Die spezielle Form des PUREX-Verfahrens beruht darauf, daß die bei der Auflösung des bestrahlten Brennstoffs in Salpetersäure entstandenen Nitrate des Urans und des Plutoniums von organischen Lösungsmitteln leicht extrahiert werden, während die Salze der Spaltprodukte zu über 9 9 % in der wässrigen Phase verbleiben. Als organisches Lösungsmittel hat sich Tributylphosphat (TBP) bewährt. Der PUREX-Prozeß besteht aus drei Verfahrensabschnitten: dem Head End, der Extraktion, dem Tail End. In der Eingangsstufe des Wiederaufarbeitungsprozesses, dem „Head End", werden die Brennelemente mechanisch (oder chemisch) zerlegt.
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5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
Bei mechanischer Zerlegung (diese Methode hat sich weitgehend durchgesetzt) fallen die Brennstababschnitte — sie sind ca. 5 cm lang — direkt von der Zerlegemaschine in heiße Salpetersäure. Beim anschließenden Kochen gehen Uran, Plutonium und die festen Spaltprodukte in Lösung, während das Hüllmaterial Zirkaloy (oder Edelstahl) ungelöst zurückbleibt. Schon beim Zerlegen, jedoch besonders beim Auflöseprozeß, entweichen die gasförmigen Spaltprodukte. Das heißt, im „Head End" fallen feste Produkte an (Hülsen, Brennelement-Strukturmaterial), flüssige Produkte (Uran/Plutonium-Lösung, Spaltprodukt-Lösung; außerdem fällt als Kondensat tritiumhaltiges Wasser an) sowie gasförmige Produkte (nitrose Gase, Krypton, Xenon, Tritium, Jod). Nur ein Teil des Tritium entsteht gasförmig als H T oder T 2 ; der größere Teil entsteht bei der Auflösung als HTO. Von den gasförmigen Produkten müssen insbesondere l | K r mit einer Halbwertszeit von 10,76 a (vgl. 5.43) und das langlebige 1 | | I mit einer Halbwertszeit von 1,72 · 10 7 a beachtet werden. Bei den bisher in Betrieb befindlichen Wiederaufarbeitungsanlagen werden in der Regel die Radioisotope | | K r und 1 1|I unbegrenzt in die Atmosphäre abgegeben. Beim Betrieb von Großanlagen ist dies — aufgrund der in Strahlenschutzverordnungen festgelegten Grenzwerte — nicht mehr möglich (98). Im Hinblick auf diese Begrenzungen sind geeignete Rückhaltetechniken entwickelt worden. Beispielsweise ist vorgesehen, das Jod im Abgasstrom an Spezialfiltern abzuscheiden; Krypton kann durch Tieftemperaturrektifikation abgeschieden und anschließend in Gasflaschen gelagert werden, bis es weitgehend zerfallen ist. Der gesamte Verfahrensablauf des Brennstoffaufschlusses erfolgt fernbedient in „Heißen Zellen" mit bis zu 2 m dicken Betonwänden als Abschirmung. Im Verfahrensabschnitt „Extraktion" werden zunächst in einem ersten Extraktionsschritt Uran und Plutonium zusammen in die organische Phase überführt. In der wässrigen Phase verbleiben etwas mehr als 99% der Spaltprodukte. Dieser hochaktive Abfall (High Active Waste, HAW) wird dann zur weiteren Abfallsbehandlung gegeben. Im nächsten Schritt erfolgt die Trennung von Uran und Plutonium sowie die Reinigung von den restlichen Spaltprodukten. Für die Extraktion haben sich die gepulste Siebbodenkolonne, der Mischabsetzer und der Zentrifugalextraktor bewährt (94). Im letzten Verfahrensabschnitt, dem „Tail End" werden die Uran- und PlutoniumEndprodukte hergestellt. Endprodukte sind konzentrierte Uranylnitratlösung sowie entweder konzentrierte Plutoniumnitratlösung oder festes Plutoniumoxid. Die Aufkonzentration der aus den Extraktionszyklen kommenden Brennstofflösungen geschieht in Verdampfern. Für den Fall, daß als Endprodukt Plutoniumoxid verlangt wird, wird das Plutonium aus der Nitratlösung mit Oxalsäure als festes Plutoniumoxalat ausgefällt, das durch Erhitzen in Plutoniumoxid überführt wird; dieses Verfahren wird „Calcinieren" genannt. Die Wiederaufarbeitungstechnologie ist soweit entwickelt, daß über 98% des Urans und über 99% des Plutoniums gewonnen werden können; somit gelangt weniger als 1% des Plutoniums in den Abfall oder bleibt in den Anlageteilen zurück.
5.8 Für die Kernfission spezifische Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
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Auch dieses restliche Plutonium wird meßtechnisch verfolgt, das heißt, Plutonium geht nicht verloren (Spaltstoff-Flußkontrolle) (91). Die Herstellung von Mischoxidbrennstoff aus Uran und Plutonium ist zum Beispiel nach dem Zwisint-Verfahren möglich (91). Dabei wird zunächst Uran und Plutonium in einem bestimmten Verhältnis gemischt. Aus der Pulvermischung werden dann durch Kaltpressen Pellets hergestellt, die anschließend bei ca. 2000 Κ gesintert werden. Die Anforderungen an das Hüllrohr (an den Hüllrohrwerkstoff, an die Arbeitsschritte für das Verschweißen) sind für Brennstäbe mit (U, P u ) 0 2 die gleichen wie für Brennstäbe mit U 0 2 . Die Aufgabe der Abfallbehandlung ist es, die bei dem Prozeß der Wiederaufarbeitung und bei der Herstellung von Mischoxid-Brennelementen anfallenden radioaktiven Abfälle in feste stabile Matrixmaterialien einzubinden. Damit soll erreicht werden, daß die in den Abfällen enthaltenen Radionuklide entsprechend lange gegenüber Einwirkungen von außen (zum Beispiel Auslaugen, mechanische Belastungen) und innen (Strahlung, thermische Beanspruchung) gesichert werden. Da durch den Prozeß der Wiederaufarbeitung (zum Beispiel durch die im Prozeß verwendeten Chemikalien) das Volumen der radioaktiven Abfälle stark zugenommen hat, ist es bei der Abfallbehandlung außerdem das Ziel, das Volumen der Rohabfälle wesentlich zu verringern. Das heißt, die Behandlung der radioaktiven Abfälle hat das Ziel, sie zu konzentrieren und in ein stabiles endlagergerechtes Produkt überzuführen (vgl. 5.822.3). Bis Anfang 1980 wurden weltweit folgende Brennelementmengen wiederaufgearbeitet: ca. 800000 t Brennstoff aus dem militärischen Bereich, ca. 28000 t Brennstoff aus Gas-Graphit-Reaktoren (Magnox), ca. 900 t Brennstoff aus LeichtwasserReaktoren (94). Im Brennstoff für militärische Zwecke beträgt der Pu-Gehalt ungefähr 0,3% gegenüber etwa 1% im Brennstoff von Leichtwasserreaktoren. Für die Wiederaufarbeitung ist dieser Unterschied unerheblich, so daß Erfahrungen aus dem militärischen Bereich auf Anlagen zur Wiederaufarbeitung von LWR-Brennstoff übertragbar sind. Das PUREX-Verfahren ist auch geeignet, den oxidischen Brennstoff der Brutreaktoren (Natriumgekühlter Schneller Brutreaktor, NSBR) wiederaufzuarbeiten. Die abgebrannten Brennelemente von Brutreaktoren unterscheiden sich unter anderem in folgenden Punkten von abgebrannten LWR-Brennelementen: 1. NSBR-Brennstoff hat einen wesentlich höheren Plutoniumgehalt (vgl. 4.214); dies beeinflußt die Auflösung des Brennstoffs in der Head-End-Stufe und erfordert besondere Maßnahmen zur Kritikalitätskontrolle bei der Prozeßführung. 2. Der Abbrand und die Zerfallswärme bei abgebrannten NSBR-Brennelementen ist größer; dies hat einen erhöhten Kühlaufwand beim Transport und bei der Handhabung der abgebrannten Brennelemente zur Folge. Um die Bestrahlung, insbesondere des organischen Lösungsmittels Tributylphosphat (TBP) bei der Wiederaufarbeitung möglichst gering zu halten, besteht die Möglichkeit, hochaktive Brennelemente aus der inneren Spaltzone zusammen mit weniger aktiven Brennelementen aus
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5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
der radialen Brutzone im geeigneten Verhältnis aufzuarbeiten. Dadurch kann die Aktivität der zu verarbeitenden Mischsubstanz auf Werte begrenzt werden, die beim Wiederaufarbeitungsprozeß von LWR-Brennelementen beherrscht werden. 3. Die Kästen der NSBR-Brennelemente und die Brennstabhüllen bestehen aus rostfreiem Stahl, das heißt, sie sind erheblich härter als die aus Zirkaloy bestehenden Brennstabhüllen der LWR-Brennelemente. Dadurch sind Modifikationen bei der mechanischen Zerlegung erforderlich. Aufgrund bisheriger Erfahrungen mit der Wiederaufarbeitung von oxidischen Brüterbrennstoffen (zum Beispiel in Dounreay, Schottland; der Jahresdurchsatz der Anlage beträgt etwa 10 t) ist davon auszugehen, daß die Wiederaufarbeitung von NSBR-Brennstoff nach dem PUREX-Verfahren — geringfügig modifiziert - technisch so durchführbar ist, wie die von LWR-Brennstoff (104). Thorium-Hochtemperatur-Reaktoren (Uran-Thorium-Zyklus) können ebenfalls ohne Wiederaufarbeitung nicht optimal eingesetzt werden, da der aus 2|oTh erbrütete Spaltstoff 2 l l U durch Wiederaufarbeitung gewonnen wird. Der andersartige Aufbau der THTR-Brennelemente und der Einsatz von Thorium als Brutstoff haben einen - im Vergleich zum PUREX-Verfahren - in einigen Teilschichten geänderten Wiederaufarbeitungsprozeß (THOREX-Prozeß) zur Folge. Bei dem U-Th-Zyklus wird das Entladeinventar im wesentlichen durch das Brutmaterial " o T h bestimmt, das am Schwermetallgehalt einen Anteil von 9 3 , 1 - 9 6 , 1 % hat; das Spaltmaterial bestehend aus 2 |f U und 2||U - hat einen Anteil von 2,6 bis 3,3 % (2||U wurde erbrütet); der Anteil von Plutoniumisotopen und Actiniden liegt unter 1% des Schwermetallgehaltes. In der Eingangsstufe des Wiederaufarbeitungsprozesses (Head-End) wird der Graphit durch Verbrennen beseitigt. Weitere Prozeßschritte sind: Auflösen des Spaltstoff-Brutstoff-Spaltproduktgemisches, Solventextraktion nach dem THOREX-Verfahren sowie die Feinreinigung der Spalt- und Brutstofflösungen. Am Ende des Wiederaufarbeitungsprozesses liegen hochreine Uran-, Thorium- und Plutoniumnitratlösungen und Abfallösungen vor. Die Abfallösungen werden aufbereitet, verfestigt und konditioniert, das heißt, in ein endlagergerechtes Produkt übergeführt. Die durch die Wiederaufarbeitung zurückgewonnenen Spalt- und Brutstoffe können wieder zu Brennelementen verarbeitet werden. Beispielsweise wird derzeit in Jülich, Bundesrepublik Deutschland, eine Pilotanlage JUPITER (Jülicher Pilotanlage für Thorium Element Reprocessing) mit einem Durchsatz von 2 kg Schwermetalloxid pro Tag gebaut, in der die dem AVR (vgl. 4.213.3) entnommenen kugelförmigen Brennelemente wiederaufgearbeitet werden sollen (104). 5.822.3 Endlagerung radioaktiven Materials Je -
nach spezifischer Aktivität unterscheidet man drei Klassen radioaktiver Abfälle: schwachaktive Abfälle (Low Active Waste, LAW) mit weniger als 10 _ 1 Ci/m 3 ; mittelaktive Abfälle (Medium Active Waste, MAW) mit 10" 1 bis 10 3 Ci/m 3 ; hochaktive Abfälle (High Active Waste, HAW) mit mehr als 10 3 Ci/m 3 .
5 . 8 Für die Kernfission spezifische Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
387
Weiterhin werden die Abfälle noch nach ihrem Aggregatzustand in gasförmige Abfälle, flüssige Abfälle und feste Abfälle untergliedert (105). Radioaktive Abfälle fallen in allen Stufen des Kernbrennstoffkreislaufs an, wo radioaktive Stoffe verarbeitet oder benutzt werden, insbesondere fallen in einer Wiederaufarbeitungsanlage im wesentlichen alle Arten von Abfällen an - wenn auch in etwas anderen Mengen, anderer Zusammensetzung und anderer spezifischer Aktivität —, die auch bei anderen Abschnitten des Brennstoffkreislaufes auftreten. Auch wird nach der Stillegung von kerntechnischen Anlagen radioaktives Material anfallen. Die Betriebsdauer von Kernkraftwerken, die unter anderem auch von der Wirtschaftlichkeit sowie von der weiteren technischen Entwicklung abhängen wird, dürfte bei 3 bis 4 Jahrzehnten liegen. (Forschungs- und Prototypreaktoren werden bereits nach kürzerer Zeit den Betrieb einstellen.) Das Aktivitätsinventar eines Kernkraftwerkes im Zeitpunkt der Stillegung besteht im wesentlichen aus Brennelementen und Betriebsmitteln (zum Beispiel Filtereinsätze), Betriebsmedien (zum Beispiel Kühlwasser) und Korrisionsprodukten sowie Bauten und Komponenten. Nach der letzten Abschaltung eines Reaktors werden Brennelemente, Betriebsmittel und Betriebsmedien entfernt. (Nach vierzigjährigem Betrieb und einem Jahr Abklingzeit beträgt bei einem Kernkraftwerk der Größe 1100 M W die verbleibende Aktivität etwa 10 7 Ci) (91). Je nach technischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten könnte die stillgelegte Anlage entweder sicher verschlossen oder abgebaut werden. Bei Anlagen moderner Bauart können einzelne Komponenten — bis auf den Reaktordruckbehälter — als Ganzes aus dem Reaktorgebäude gebracht werden, das heißt, Zerlegungsarbeiten in großem Umfange können in der Anlage vermieden werden. Bisher liegen relativ wenig Erfahrungen hinsichtlich der Stillegung und Beseitigung von Kernkraftwerken beziehungsweise anderen kerntechnischen Anlagen vor, jedoch werden dabei keine unlösbaren Schwierigkeiten erwartet. Aufgabe der Abfallbehandlung ist es, anfallende radioaktive Abfälle in feste und stabile Matrixmaterialien einzubinden. Als Matrixmaterialien kommen — je nach Abfallart - Glas, Zement, Bitumen oder PVC in Frage ( 1 0 6 - 1 0 8 ) . Verglichen mit den hochaktiven Abfällen (Wiederaufarbeitungsabfälle beziehungsweise abgebrannte Brennelemente) ist die Endlagerung der schwach- und mittelaktiven Abfälle relativ problemlos und wird in zahlreichen Ländern - Beispiele sind: Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada, Schweden, USA, UdSSR — bereits routinemäßig durchgeführt. Schwachaktiver Abfall kann in Bitumen verfestigt und in Fässern zur Endlagerung gebracht werden. Nach einer Abklingzeit von 2 bis 3 Jahren kann mit mittelaktiven Abfällen ähnlich verfahren werden. In der Bundesrepublik Deutschland wurden zum Beispiel von 1967 bis 1976 im Salzbergwerk Asse (Braunschweig) 6 0 5 0 0 Behälter (200 bis 4001 Fässer) mit schwachaktiven Abfällen in 750 m Tiefe endgelagert. Von 1972 bis 1977 kamen ca. 1300 Fässer mit mittelaktiven Abfällen hinzu, die in 511 m Tiefe endgelagert wurden (94). Auch sind für bestimmte schwachaktive Abfälle international überwachte Versenkungen im tiefen Ozean möglich (Londoner Konvention von
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5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
1972). Die ΝΕΑ der OECD führt seit 1967 beinahe jährlich derartige international überwachte Versenkungen an tiefen Stellen (4000—5000 m) des Nord-Atlantiks durch (109). Im Vergleich zur Endlagerung schwach- und mittelaktiver Abfälle ist die Endlagerung hochaktiver Abfälle (Wiederaufarbeitungsabfälle beziehungsweise abgebrannte Brennelemente) ein schwieriges Problem, das bisher noch in keinem Lande praktiziert wird. Die hochaktiven Abfälle besitzen nicht nur Aktivitäten mit mehr als 10 3 Ci/m 3 , sondern entwickeln infolge der hohen Aktivität auch große Wärme. Ein weiteres Problem sind die relativ langen Halbwertszeiten einiger Elemente. Für die Verfestigung der hochaktiven Abfälle wird heute weltweit die Verglasung als das geeignetste Verfahren angesehen. Der Verarbeitungsprozeß besteht im wesentlichen aus folgenden Verfahrensschritten: Denitrieren, das heißt Zerstören der freien Salpetersäure im HAW; Trocknen des HAW und Calcinieren, das heißt Überführen der Spaltprodukte in Oxide; Einschmelzen des Calcinats in ein Glasschmelzbad (bei ca. 1500 K), Abfüllen der Glasschmelze in Edelstahlbehälter und Verschweißen der Behälter. Die Verglasung (Borsilikatglas, Phosphatglas) des hochaktiven Wiederaufarbeitungsabfalls, der von einem Reaktor mit einer elektrischen Leistung von 1000 M W pro Jahr anfällt, führt zu ca. 5 m 3 verfestigtem HAW (102). (Der hochaktive Abfall enthält mehr als 99% der gesamten Aktivität.) Außerdem fallen noch — je nach Aufkonzentration - größenordnungsmäßig 200 m 3 verfestigte mittelaktive und 150 m 3 schwachaktive Abfälle an (94). An der Entwicklung von Verfestigungsverfahren wird insbesondere in Frankreich, in den USA, in der Bundesrepublik Deutschland, in Großbritannien, in Kanada, in Schweden und in der UdSSR gearbeitet. An eine geologische Formation, in die hochaktive Abfälle eingelagert werden sollen, sind eine Reihe von Anforderungen zu stellen: Kein Kontakt mit dem Grundwasser; tektonische Stabilität; ausreichende Wärmeleitfähigkeit, Festigkeit und Plastizität; ausreichende Tiefe; gutes Rückhaltevermögen der Deckschichten für Radionuklide (94). Da eine Gefährdung der Umwelt durch das Endlager langfristig praktisch nur über einen Transport der Radionuklide mit dem Grundwasser möglich ist, sollte die für die Endlagerung gewählte geologische Formation keinen Kontakt haben mit dem Grundwasser. Weiter sollte ein Endlager in einer Gegend liegen, in der geringe tektonische Spannungen auftreten und die Wahrscheinlichkeit für Erdbeben gering ist. (Nach Möglichkeiten sollten in der Nähe eines Endlagers auch keine wertvollen Rohstoffe vorhanden sein.) Außerdem sollte eine geologische Formation in der Lage sein, die von hochaktiven Abfällen ausgehende Wärme aufzunehmen und weiterzuleiten, ohne daß dadurch die Festigkeit des Endlagers gefährdet wird. Die Tiefe des Endlagers sollte so gewählt werden, daß einige postulierte Ereignisse wie zum Beispiel ein Meteoriteneinschlag, eine Eiszeit usw. zu keiner unzulässigen Freisetzung von Radionukliden aus dem Endlager führen. Darüber hinaus sollte gewährleistet sein, daß — falls es in späteren Zeiten doch zu einem Kontakt der Radionuklide mit dem Grundwasser kommen sollte — durch die über einem Endlager befindlichen
5 . 8 Für die Kernfission spezifische Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
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Deckschichten der Transport der Radionuklide so weit verzögert wird, daß diese nur noch in unschädlichen Konzentrationen in die Biosphäre gelangen (94). Es ist keine geologische Formation bekannt, die alle genannten Kriterien gleichzeitig in optimaler Weise erfüllen könnte. Als günstige geologische Formation für die Endlagerung radioaktiver Abfälle werden Salz, Granit und Ton angesehen (110, 111). Wie bereits erwähnt, wird noch in keinem Land die Endlagerung hochaktiver Abfälle praktiziert, das heißt, bisher werden verglaste hochaktive Abfälle zwischengelagert. In Frankreich wurden in der AVM-Anlage (Atelier Vitrification Marcoule) bis Ende 1979 140 m 3 HAW verglast und die daraus resultierenden 6 0 1 Glas in 180 Behälter abgefüllt, die sich seitdem in einem luftgekühlten Zwischenlager befinden. Als mögliche geologische Formation für die Errichtung eines Endlagers werden hier Granit und Salz betrachtet. In den USA wurde schon Ende der 50 er Jahre vorgeschlagen, die Endlagerung radioaktiver Abfälle in geologische Steinsalzformationen durchzuführen. Im Jahre 1969 wurde ein Demonstrationsversuch mit abgebrannten Brennelementen in einem Salzbergwerk in Lyons (Kansas) durchgeführt (Project Salt Vault). In den folgenden Jahren wurden schwerpunktmäßig die Eigenschaften von Steinsalzlagerstätten als Endlagerformation untersucht, und in den letzten Jahren wurde das Untersuchungsprogramm auf andere geologische Formationen ausgedehnt, wie zum Beispiel Granit, Basalt, Tuff und Ton. Im Rahmen des CLIMAXProjektes wurden 14 eingekapselte Brennelemente in einer Granitformation eingelagert. (Die Versuche in der CLIMAX-Mine sind auf 5 Jahre begrenzt.) Ein ähnliches Demonstrationsprogramm soll mit 22 eingekapselten Brennelementen in einer Basaltformation in Hanford (Washington) durchgeführt werden. In der Bundesrepublik Deutschland entstand schon Anfang der 60 er Jahre das Konzept, radioaktive Abfälle in Salzlagerstätten endzulagern. Im Salzbergwerk Asse (Braunschweig) werden Versuche durchgeführt, mit denen das Verhalten des Steinsalzes unter Wärmeeinfluß ermittelt wird. In Großbritannien werden Granit, Ton und Steinsalz als geeignete geologische Formationen für die Endlagerung radioaktiver Abfälle angesehen. In Kanada soll die Endlagerung von abgebrannten Brennelementen oder Wiederaufarbeitungsabfällen in Granit erfolgen. Der Schwerpunkt der Arbeiten liegt vor allem bei geowissenschaftlichen Untersuchungen. In der UdSSR existiert für die Endlagerung hochaktiver Abfälle ein umfangreiches Forschungs- und Entwicklungsprogramm, in dessen Rahmen eine Vielzahl von Möglichkeiten der Lagerung in geologischen Formationen untersucht wird (94). Vergleicht man die beiden Entsorgungskonzepte - Konditionierung der Brennelemente zum Zwecke der direkten Endlagerung oder die Wiederaufarbeitung der Brennelemente — bezüglich des Abfallvolumens, so bestehen zwischen beiden Konzepten gewisse Unterschiede: Das Volumen der konditionierten Brennelemente ist etwa 9 mal größer als das der hochaktiven Wiederaufarbeitungsabfälle; dagegen ist jedoch beim Entsorgungskonzept mit Wiederaufarbeitung die Menge an mittel- und schwachaktiven Abfällen wesentlich größer (94).
390
5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
Ein Vergleich der Abfallmengen dieser beiden Entsorgungskonzepte darf jedoch nicht vollkommen losgelöst betrachtet werden von den Abfallmengen, die in den anderen Abschnitten des Brennstoffkreislaufs anfallen. Dem INFCE-Bericht ist zu entnehmen, daß die schwach- und mittelaktiven Reaktorabfälle um ein Vielfaches größer sind als die schwach- und mittelaktiven Wiederaufarbeitungsabfälle. Außerdem hat der Verzicht auf Wiederaufarbeitung und Rezyklierung — wegen der zusätzlichen Uranförderung und Uranverarbeitung — erheblich größere Abfallmengen im Bereich der Urangewinnung, Konversion und Anreicherung zur Folge; die hieraus resultierenden radiologischen Auswirkungen haben einen bedeutenden Anteil an der radiologischen Belastung (102). Wie in 5 . 8 2 2 . 2 1 behandelt, führt die Abtrennung des Plutoniums und des Urans bei der Wiederaufarbeitung und deren Rezyklierung dazu, daß diese Elemente in außerordentlich geringeren Mengen in das Endlager gebracht werden als im Falle der direkten Endlagerung abgebrannter Brennelemente. Da aber gerade diese beiden Elemente beziehungsweise ihre Folgeprodukte entscheidend sind für die LangzeitRadiotoxizität abgebrannter Brennelemente, ist die Langzeit-Radiotoxizität konditionierter Brennelemente wesentlich höher als die des entsprechenden Wiederaufarbeitungsabfalls. Abb. 5 - 1 0 zeigt die relative Radiotoxizität 1 ' des hochaktiven Wiederaufarbeitungsabfalls aus 11 Uran/Plutonium-Kernbrennstoff (91). Während der ersten 5 0 0 Jahre sind die Spaltprodukte - insbesondere 3gSr und i3575Cs - vorherrschend. Dabei klingt die relative Radiotoxizität in den ersten 100 Jahren auf ca. 1 0 % , nach etwa 5 0 0 Jahren auf unter 0 , 5 % ab. Danach sind die langlebigen alphastrahlenden Transurane, hier insbesondere Americium und im späteren Verlauf dessen AlphaZerfallsprodukt Neptunium, bestimmend. Zum Vergleich ist auch die relative Radiotoxizität der rd. 2 0 0 0 1 U-Erz-Aufbereitungsrückstände angegeben, die im Zusammenhang mit der Bereitstellung von 1 1 Kernbrennstoff — unter Berücksichtigung der Rezyklierung von Uran und Plutonium — anfallen. (Hier sind die Tochternuklide der U-Zerfallsreihe, insbesondere 2 |gRa und 2 |oTh, vorherrschend.) Die Zusammensetzung der U-Erz-Aufbereitungsrückstände entspricht dem in Jahrmillionen entstandenen Gleichgewicht der U-Zerfallsreihe; ihre Aktivität und somit auch ihre relative Radiotoxizität klingen — wie beim Natururan — praktisch nicht mehr ab (112). υ Als M a ß für die relative Radiotoxizität eines radioaktiven Stoffes wird oft das Wasservolumen [ m i ] beziehungsweise Luftvolumen [m,3] angegeben, das zur Verdünnung auf maximal zulässige Konzentration ( M Z K ) (Maximum Permissible Concentration, M P C ) im Wasser beziehungsweise in der Luft erforderlich wäre. Diese relative Radiotoxizität ändert sich mit dem Zerfall, bleibt aber existent bis zum völligen Abklingen der Aktivität.
Abb. 5 - 1 0 : Relative Radiotoxizität des hochaktiven Aufarbeitungsabfalls aus 1 1 U, Pu-Kernbrennstoff. (Zum Vergleich: zugehörige Hüllen und U-Erz-Aufbereitungsrückstände) Quelle: Bundesministerium für Forschung und Technologie (Hrsg.), Z u r friedlichen Nutzung der Kernenergie, Bonn 1 9 7 8 .
5.8 Für die Kernfission spezifische Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
391
392
5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
Vergleicht man die relative Radiotoxizität von hochaktivem Wiederaufarbeitungsabfall mit derjenigen von konditionierten Brennelementen — insbesondere unter Langzeitaspekten —, so hat die relative Radiotoxizität des Wiederaufarbeitungsabfalls nach rd. 10 3 Jahren den Wert der U-Erz-Aufbereitungsrückstände erreicht, dagegen erreicht die relative Radiotoxizität konditionierter Brennelemente das Niveau der U-Erz-Aufbereitungsrückstände größenordnungsmäßig nach rd. 10 6 Jahren. Das heißt, aufgrund des nicht abgetrennten Urans und Plutoniums geht von abgebrannten Brennelementen im Endlager grundsätzlich eine höhere potentielle Langzeitgefährdung aus als von Wiederaufarbeitungsabfällen. Um Aussagen über die Langzeitgefährdung machen zu können, die von den beiden alternativen Endlager-Konzepten ausgeht, genügt jedoch nicht alleine der Vergleich der jeweiligen relativen Radiotoxizität. Zweifellos spielen Menge, Art der eingelagerten Radionuklide, ihre relative Radiotoxizität und ihre Halbwertszeit eine Rolle; ebenfalls wichtig ist aber der physikalisch/chemische Zustand der Abfallprodukte und der Radionuklide im Falle einer eventuellen Auslaugung (einem postulierten Störfall) sowie die Wirksamkeit von Barrieren, die zwischen den Abfällen und der Biosphäre liegen (94). Bisherige Untersuchungen zeigen, daß die Transportzeiten von Radionukliden von einem gestörten Endlager in die Biosphäre extrem lang sind und eine Größenordnung von 10 6 Jahren haben. Aufgrund dieser außerordentlich geringen Wanderungsgeschwindigkeiten der Radionuklide im Erdreich würde jedoch bei einer unfallbedingten Freisetzung von radioaktiven Materialien aus einem versiegelten Endlager eine radiologische Gefährdung nicht unmittelbar von diesen Stoffen ausgehen, sondern von den Produkten des natürlichen Zerfalls. (In diesen Zeiträumen sind neben den Spaltprodukten auch wichtige Actiniden wie Plutonium und Americium im wesentlichen zerfallen.) Das heißt, die radiologische Belastung der in diesen Zeiträumen lebenden Generationen wäre fast vollkommen auf das 2 s|Ra zurückzuführen, einem Tochterisotop des ^ f U . Daraus folgt auch, daß die radiologische Belastung der in diesen Zeiträumen lebenden Generationen — aufgrund von endgelagerten Brennelementen — wesentlich höher wäre als aufgrund von Wiederaufarbeitungsabfällen, die nur geringe Mengen Uran enthalten. Die Strahlendosen, die in ferner Zukunft (> 5 · 10 5 Jahre) als Folge einer störfallbedingten Freisetzung von radioaktiven Stoffen aus einem Endlager auftreten können, würden aber — unabhängig davon, ob es sich um endgelagerte Brennelemente oder um Wiederaufarbeitungsabfälle handelt — erheblich unterhalb der natürlichen Strahlenbelastung liegen. Das heißt, bezüglich der Langzeitgefährdung gibt es zwischen beiden Entsorgungskonzepten keine grundsätzlichen Unterschiede. (Da aber die Strahlendosis vor allem von 2 l f R a resultiert, ist jedoch bei der Endlagerung abgebrannter Brennelemente — wegen der größeren Uranmenge — mit einer geringfügig höheren Strahlenbelastung zu rechnen als bei der Endlagerung von Wiederaufarbeitungsabfällen.) Neben den bisher behandelten Entsorgungskonzepten — Konditionierung der Brennelemente zum Zwecke der direkten Endlagerung oder die Wiederaufarbeitung der Brennelemente — werden noch eine Reihe außergewöhnlicher Möglichkeiten zur
5.8 Für die Kemfission spezifische Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
393
Beseitigung hochaktiver Abfälle diskutiert. Hierzu gehört die Umwandlung (Transmutation) von radioaktiven Abfällen. Um nicht langlebige Radionuklide einem Endlager zuführen zu müssen, wird die Umwandlung (zum Beispiel langlebiger Spaltprodukte) in stabile oder kurzlebige Isotope durch den Einfang von Neutronen diskutiert oder die Umwandlung in kurzlebige Spaltprodukte durch Kernspaltung der schweren Elemente (zum Beispiel der Actiniden). Die Umwandlung setzt deren chemische Abtrennung aus dem hochaktiven Abfall voraus; außerdem sollte die Umwandlung (zum Beispiel in Reaktoren) weitgehend vollständig sein, da sonst wieder langlebiger hochaktiver Abfall entsteht (vgl. 4.222). Ein anderer Gedanke ist, hochaktive Abfälle in den Weltraum zu schießen (113). Dies dürfte aber auf absehbare Zeit zu teuer und — wegen möglicher Unglücksfälle — zu risikoreich sein. Versenkung im Polareis und die Lagerung in Bohrlöchern auf dem Meeresboden sind weitere Möglichkeiten, die diskutiert werden. Aufgrund bisheriger Untersuchungen ist davon auszugehen, daß das Problem der Endlagerung hochaktiven Materials zufriedenstellend gelöst werden kann. Intensive Entwicklungsarbeiten, insbesondere in Ländern mit einem umfassenden Nuklearenergieprogramm, dürften allerdings hierzu noch erforderlich sein (94).
5.83 Das Problem der Nichtverbreitung von Kernwaffen Der Umstand, daß nach der sogenannten Ölkrise vom Oktober 1973 verstärkt in vielen Ländern die Meinung vertreten wird, die Frage der Energieversorgung könne durch die Kernenergie gelöst werden, bringt es mit sich, daß das Problem der Nichtverbreitung von Kernwaffen ein wichtiges Thema der internationalen Politik bleibt (114—118). Bei diesen weltweiten Bemühungen, die weitere Verbreitung von Kernwaffen zu verhindern, nimmt der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NV-Vertrag) (Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, TNP oder Non-Proliferation Treaty, NPT) eine zentrale Stellung ein (vgl. 3.343.1). Am 1. Juli 1968 wurde der NV-Vertrag (vgl. 7.2) von den Bevollmächtigten der drei Signatarmächte, den Vereinigten Staaten von Amerika, dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, gleichzeitig in Washington, London und Moskau unterzeichnet. Am 5. März 1970 trat dieser Vertrag in Kraft. Die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland hat den Vertrag am 28. November 1969 unterzeichnet; am 8. März 1974 wurde der Vertrag ratifiziert, und nach Hinterlegung der Beitrittsurkunde in Washington und London hat dieser Vertrag für die Bundesrepublik Deutschland ab 2. Mai 1975 Rechtskraft. (Eine Hinterlegung in Moskau unterblieb, da die Sowjetunion den Hinweis nicht akzeptieren wollte, daß Berlin (West) in diesen Vertrag einbezogen wurde.) Mit der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde hat die Bundesregierung eine Erklärung abgegeben, in der es u. a. heißt, „daß keine Bestimmung des Vertrages so ausgelegt werden kann, als behindere sie die weitere Entwicklung der europä-
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5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
ischen Einigung, insbesondere die Schaffung einer Europäischen Union mit entsprechenden Kompetenzen" (sog. europäische Option). (Erwähnt sei, daß die Bundesrepublik Deutschland bereits im Oktober 1954 im Brüsseler Vertrag auf die Herstellung nuklearer, biologischer und chemischer Waffen verzichtet hat und entsprechende Kontrollen angenommen hat.) Mit dem NV-Vertrag soll das Ziel verfolgt werden, daß Kernwaffenstaaten auf die Weitergabe von Kernwaffen und Nichtkernwaffenstaaten auf Herstellung und Erwerb von Kernwaffen verzichten (120). Artikel I des NV-Vertrags bestimmt, daß die dem Vertrag beigetretenen Kernwaffenstaaten keine Kernwaffen an Nichtkernwaffenstaaten weitergeben dürfen (vgl. 7.2). Artikel II untersagt den beigetretenen Nichtkernwaffenstaaten, Kernwaffen herzustellen oder anzunehmen. Nach diesem Vertrag (Artikel I und II) läßt sich die Welt in Vertrags- und Nichtvertragsstaaten unterteilen; zu beiden Gruppen gehören Kernwaffenstaaten und Nichtkernwaffenstaaten. Die Tatsache, daß Indien am 18. Mai 1974 einen nuklearen Sprengkörper zur Detonation gebracht hat, führte dazu, daß die angestrebte Zielsetzung des NV-Vertrags nachhaltig in Frage gestellt wurde. Obwohl von den sechs Kernwaffenstaaten Frankreich, die VR China und Indien dem Vertrag bisher nicht beigetreten sind und diese drei Staaten einen Beitritt auch nicht beabsichtigen, kann folgendes festgehalten werden: Nach Angaben der IAEA sind bis Ende 1981 114 Länder dem NV-Vertrag beigetreten (120). Im einzelnen gibt die IAEA den derzeitigen Stand (Dezember 1981) wie aus Tabelle 5-3 ersichtlich wieder. (In den Angaben der IAEA wird Indien nicht als Kernwaffenstaat bezeichnet.) Mit dem NV-Vertrag verpflichten sich die Nichtkernwaffenstaaten alle ihre nuklearen Anlagen auf ihrem Territorium den Sicherungsmaßnahmen (Safeguards) der IAEA zu unterstellen (Artikel III). (Kernwaffenstaaten sind von entsprechenden Verpflichtungen frei.) Diese Sicherungsmaßnahmen sollen - nach Artikel III, 3 und IV keine Behinderung darstellen für die wirtschaftliche und technologische Entwicklung der Vertragsparteien oder für die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiete friedlicher nuklearer Tätigkeiten. Ziel der Sicherungsmaßnahmen ist es, eine Abzweigung oder mißbräuchliche Verwendung von spaltbarem Material für nicht friedliche Zwecke zu verhindern. Im wesentlichen wird dabei durch IAEA-Kontrollmaßnahmen die Spaltstoff-Flußkontrolle (Ein- und Ausgang von Spaltmaterial) an einer begrenzten Zahl von strategisch wichtigen Punkten einer nuklearen Anlage vorgenommen (121). Im Zusammenhang mit dem Problem der Nichtverbreitung von Kernwaffen sind die sogenannten „sensitiven Anlagen", das heißt insbesondere die Anreicherungsund Wiederaufarbeitungsanlagen, in den Mittelpunkt des Interesses gerückt (122—127). Eine Anreicherungsanlage setzt ein Land, das Natururan hat, in die Lage, Kernbrennstoff (auf ca. 3 % 2 gfU angereichertes Uran) herzustellen (vgl. 5.821). Die Herstellung von hochangereichertem („kernwaffenfähigem") Uran ist aber außerordentlich aufwendig und nur mit einer hochentwickelten, leistungsfähi-
5.8 Für die Kernfission spezifische Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
395
Tabelle 5-3: Das internationale nukleare System Nichtkernwaffenstaaten: Mitglieder des NV-Vertrages, bei denen die vereinbarten Sicherungsmaßnahmen des NV-Vertrages in Kraft sind Äthiopien
Jamaika
Afghanistan
Japan
Österreich
Australien
Jordanien
Paraguay
Belgien
Jugoslawien
Peru
Bulgarien
Kanada
Philippinen
Bundesrepublik Deutschland
Korea, Rep.
Polen
Costa Rica
Lesotho
Portugal
Dänemark
Libanon
Rumänien
Deutsche Dem. Republik
Libyen
Samoa
Dominikanische Republik
Liechtenstein
Schweden
Ecuador
Luxemburg
Schweiz
El Salvador
Madagaskar
Senegal
Fidschi Inseln
Malaysia
Singapur
Finnland
Malediven
Sudan
Gambia
Marokko
Surinam
Ghana
Mauritius
Swasiland
Griechenland
Mexiko
Thailand
Honduras
Mongolei
Tschechoslowakei
Indonesien
Nepal
Türkei
Irak
Neuseeland
Ungarn
Iran
Nicaragua
Uruguay
Norwegen
Irland
Niederlande
Vatikan
Island
(einschließlich Niederl.
Zaire
Italien
Antillen)
Zypern
Nichtkernwaffenstaaten: Mitglieder des NV-Vertrages, bei denen die vereinbarten Sicherungsmaßnahmen des NV-Vertrages noch nicht in Kraft sind 0 Ägypten •
Jemen, Dem. V R
Sierra Leone
Bangladesch
Kamerun
Somalia
Barbados
Kamputschea
Sri Lanka
Benin
Kenia
St. Lucia
Bolivien
Kongo, VR
Syrien, Arab. Rep.
Botswana
Laos, Dem. V R
Taiwan •
Burundi
Liberia
Togo
Die Bahamas
Mali
Tonga
Elfenbeinküste
Malta
Tschad
Gabun
Nigeria
Tunesien
Grenada
Obervolta
Tuvalu
Guatemala
Panama
Venezuela •
Guinea-Bissau
Ruanda
Zentralafrik. Rep.
Haiti
San Marino
'' Wo nicht besonders angezeigt, haben die Staaten dieser Liste keine bedeutenden nuklearen Anlagen. • Alle nuklearen Anlagen unterliegen zur Zeit den Sicherungsmaßnahmen der IAEA. • Kleiner Forschungsreaktor, der den Sicherungsmaßnahmen der IAEA nicht unterliegt.
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5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
Tabelle 5-3 (Fortsetzung): Das internationale nukleare System Nichtkernwaffenstaaten: Nichtmitglieder des NV-Vertrages, bei denen die vereinbarten IAEA-Sicherungsmaßnahmen, bezogen auf alle betriebenen und geplanten nuklearen Anlagen, in Kraft sind Argentinien
Kolumbien
Spanien
Brasilien
Korea, Dem. V R
Vietnam
Chile
Kuba
Nichtkernwaffenstaaten: haben
Nichtmitglieder des NV-Vertrages, die keine bedeutenden nuklearen Anlagen
Äquator-Guinea
Guyana
Papua-Neuguinea
Albanien
Jemen, Arab. Rep.
Sambia
Algerien
Kapverd. Rep.
Sao Tome und Principe
Andorra
Katar
Saudi-Arabien
Angola
Kuwait
Seychellen
Bahrain
Malawi
Simbabwe
Belize
Mauretanien
Tansania
Bhutan
Monaco
Trinidad und Tobago
Birma
Mosambik
Uganda
Die Komoren
Nauru
Vereinigte Arab. Emirate
Djibouti
Niger
Guinea
Oman
Nichtkernwaffenstaaten: Nichtmitglieder des NV-Vertrages, bei denen gewisse nukleare Anlagen nicht den Sicherungsmaßnahmen der IAEA unterliegen Indien 2 '
Pakistan
Republik Südafrika
Israel Kernwaffenstaaten, Großbritannien Kernwaffenstaaten, Frankreich 2)
die dem NV-Vertrag beigetreten sind Sowjetunion
Vereinigte Staaten
die dem NV-Vertrag nicht beigetreten sind VR China
Anmerkung des Autors: In den IAEA-Bulletins wird Indien nicht als Kernwaffenstaat aufgeführt.
Quelle: International Atomic Energy Agency, Bulletin, Vol. 2 3 , No 4, December 1981.
gen Industrie zu realisieren (128). Eine Wiederaufarbeitungsanlage dient zur Aufarbeitung von abgebranntem Reaktormaterial. Das heißt, Uran, Plutonium oder der radioaktive Abfall werden voneinander getrennt (vgl. 5 . 8 2 2 . 2 2 ) . Nach Schätzungen soll es möglich sein, bei Vorhandensein einer funktionsfähigen Wiederaufarbeitungsanlage innerhalb einiger Wochen eine Nuklearwaffe herzustellen, falls „projektbegleitende" Vorbereitungen getroffen werden (129). T. B. Taylor hat vor selbstgebastelten Plutoniumbomben von Terroristen gewarnt. Andere Auffassungen ste-
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hen dem entgegen, da - von der Beschaffung einiger kg Plutonium einmal abgesehen — allein die mechanischen Schwierigkeiten dieser Arbeit zu groß seien (130-132). Unbestritten ist, daß der NV-Vertrag (Artikel III, 3 und IV) die Entwicklung der Kernenergie für friedliche Zwecke nicht behindert. Eine weitverbreitete Auffassung ist aber, daß die Verbreitung von „sensitiven Anlagen" dazu beiträgt, die Trennlinie zwischen „militärischer" und „ziviler" Nukleartechnologie zu verwischen (133 — 136). Hinzu kommt noch, daß bereits in 23 Ländern der Erde Kernkraftwerke in Betrieb beziehungsweise in weiteren Ländern Kernkraftwerke in Bau oder bestellt sind (siehe Tabelle 4-2). Wegen der Gefahr der Weiterverbreitung von Kernwaffen wurden mehrere Brennstoffkreisläufe diskutiert, die bezüglich der Nichtverbreitung von Kernwaffen von Interesse sind, das heißt, es wurden technische Lösungen gesucht, die die Proliferationsgefahr verhindern oder zumindest reduzieren könnten (137—139). In diesem Zusammenhang ist vor allem der Uran-Thorium-Zyklus von Bedeutung (vgl. 4.213.3). Verwendet man zum Beispiel in einem Thorium-Hochtemperatur-Reaktor (Uran-Thorium-Zyklus) eine mittlere Urananreicherung (ca. 20% "fU-Gehalt), so beträgt — wegen des relativ geringen Anteils an 2||U am Brennstoffeinsatz — die Plutoniumproduktion im Vergleich zu einem LWR nur ca. 10% (gleiche Leistungen vorausgesetzt) (140-144). Ein besonderes Brennstoffkreislaufkonzept hat F. von Hippel von der Princeton University (USA) vorgeschlagen: Das aus Thorium erbrütete spaltbare 2||U soll mit dem praktisch nicht spaltbaren 2 |fU vermischt („denaturiert") werden, und diese Mischung soll zur Herstellung neuer Brennelemente Verwendung finden. Da diese Mischung (denaturierter Brennstoff) nicht mit chemischen Methoden in ihre Bestandteile zerlegt werden kann, bringt das Verfahren gewisse Vorteile bezüglich der Proliferationsresistenz (139, 140, 145). Bei diesem Konzept ist jedoch zu bedenken, daß in hochangereicherter Form nicht nur "^Pu, sondern auch ^ U und 2||U als Kernwaffenmaterial verwendet werden können. Brennstoff — bestehend aus 2||U —, der mit 2||U beziehungsweise 2||U auf 12 bis 20% angereichert ist, kann relativ leicht mit modernen Verfahren, zum Beispiel mit Ultrazentrifugen, auf 90% angereichert und damit zur Herstellung von Kernwaffen verwendet werden (146, 147). Wegen der Gefahr der weiteren Verbreitung von Kernwaffen kam es — auf Anregung der Vereinigten Staaten — im Juni 1975 zu Gesprächen der sogenannten Londoner Gruppe der Industriestaaten (Nuclear Suppliers Group, NSG), mit dem Ergebnis, beim Export kerntechnischer Anlagen verbindliche, die Nichtverbreitung von Kernwaffen sichernde Richtlinien einzuhalten (148). Zu dieser NSG gehörten anfangs die USA, Kanada, Japan, die Sowjetunion, Großbritannien, Frankreich, die Bundesrepublik Deutschland, 1976 wurden Schweden, Belgien, Italien, die Schweiz, die Niederlande, die DDR, Polen und die CSSR hinzugezogen. Darüber hinaus hat vom Oktober 1977 bis Februar 1980 die internationale Konferenz INFCE (International Fuel Cycle Evaluation) etablierte und alternative Brennstoffkreisläufe nicht nur im Hinblick auf die spezifischen Gefahren für eine miß-
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bräuchliche Verwendung der Technologien und Materialien untersucht, sondern auch die energiepolitische Bedeutung dieser Technologien betrachtet (149,150). Alle an der Konferenz interessierten Staaten und mit dieser Materie befaßten internationalen Gremien waren zur Teilnahme eingeladen; 66 Staaten und fünf internationale Organisationen machten von dieser Möglichkeit Gebrauch. Darunter befanden sich Industrie- und Entwicklungsländer, Staaten mit unterschiedlich weit fortgeschrittenen Kernenergieprogrammen, Länder mit freier Marktwirtschaft und Planwirtschaft, Kernwaffenstaaten und Nichtkernwaffenstaaten und Staaten, die dem Euratom· Vertrag, dem NV-Vertrag, dem Vertrag von Tlatelolco angehören sowie solche, die keinem dieser Verträge beigetreten sind, und Länder aus allen geographischen Räumen der Erde. Das Ergebnis der Konfernez war eine umfangreiche technisch-analytische Studie, die keine politischen Empfehlungen enthält (150). Neben dem besseren Verständnis für die unterschiedliche Vorgehensweise einzelner Staaten in der Nuklearpolitik hat INFCE im wesentlichen folgende Ergebnisse gebracht: 1. INFCE hat deutlich gemacht, daß es keinen Brennstoffkreislauf gibt, der absolut resistent wäre gegen einen Mißbrauch zur Herstellung von Kernwaffen. Nach Analyse aller Fakten soll es nicht möglich sein, ein generelles — auch in Zukunft gültiges — Urteil darüber abzugeben, ob ein Brennstoffkreislauf im Hinblick auf die Verbreitung von Kernwaffen gefährlicher ist als ein anderer. (Dies gilt auch für den denaturierten Uran-Thorium-Kreislauf.) 2. INFCE hat deshalb betont, daß das Problem der Nichtverbreitung von Kernwaffen vor allem ein politisches und kein technisches Problem ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn Regierungen Anlagen oder Materialien zur friedlichen Nutzung der Kernenergie für die Herstellung von Kernwaffen mißbrauchen wollen. Das heißt, keine noch so umfassende Kombination von technischen Maßnahmen kann einen Mißbrauch von spaltbarem Material verhindern beziehungsweise einen Ersatz darstellen für politische Aktionen zur Beseitigung der Beweggründe für den Bau von Kernwaffen. Im Prinzip können zwar die Anlagen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie dazu mißbraucht werden, „kernwaffenfähiges" Material herzustellen oder aus ihnen abzuzweigen, jedoch soll der gezielte Aufbau von Anlagen zur direkten Produktion solchen Materials preisgünstiger sein. 3. Aus den genannten Gründen behandelte INFCE schwerpunktmäßig geeignete Maßnahmen, die auf verschiedenen Stationen des Brennstoffkreislaufs angewendet werden können, um das Risiko der Verbreitung von Kernwaffen zu reduzieren. Hierzu gehören die Weiterentwicklung der technischen und institutionellen Maßnahmen sowie auch die Weiterentwicklung der internationalen Sicherungskontrollen (Safeguards) der IAEA. In der Praxis sollen alle drei Maßnahmen in geeigneter Weise kombiniert werden, um dem Mißbrauch von Anlagen durch Abzweigung sensitiven Materials entgegenzuwirken. Auch bei Wiederaufarbeitungsanlagen kann der mißbräuchlichen Abzweigung von Kernmaterial grundsätzlich mit technischen Mitteln, institutionellen Maßnah-
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men und Sicherungskontrollen der IAEA entgegengewirkt werden. Technische Mittel sind im allgemeinen wirkungsvoll, sie haben jedoch in erster Linie eine Schutzfunktion gegenüber einem möglichen Diebstahl von Material, aus dem „kernwaffenfähiges" Material hergestellt werden kann und weniger gegenüber dessen Abzweigung durch Staaten. (Es wird erwartet, daß infolge technischer Weiterentwicklungen auch in großen Anlagen effiziente Kontrollen mit vertretbarem Aufwand durchgeführt werden können.) Auch wird der Entwicklung geeigneter institutioneller Maßnahmen und Sicherungskontrollen der IAEA große Bedeutung beigemessen, wie zum Beispiel der Lagerung von Überschuß-Plutonium nach Statuten der IAEA (120). Die Lagerung und der Transport abgebrannter Brennelemente sollen in Übereinstimmung mit nationalen und multinationalen Anforderungen sowie in Übereinstimmung mit der IAEA durchgeführt werden. Für alle Abfallarten aus der Wiederaufarbeitung und Refabrikation können geeignete Sicherungskontrollen (Safeguards) wahrscheinlich bereits vor der Endlagerung durchgeführt und beendet werden. Dies gilt jedoch nicht für abgebrannte Brennelemente, die direkt endgelagert werden. Zwar ist anfangs eine Abzweigung — wegen der hohen Aktivität — nur unter schwierigen Bedingungen möglich, jedoch reduziert sich dieser Aufwand nach mehreren Jahrzehnten beträchtlich, da ja die Aktivität und die Wärmeleistung abgebrannter Brennelemente in den ersten Jahren nach der Entnahme aus dem Reaktor stark abnehmen. Die Durchführung von Sicherungskontrollen für abgebrannte Brennelemente ist während des Transports, der Einbringung in das Endlager und nach Verschließen des Endlagers relativ einfach. Ein derartiges Endlager muß jedoch auf unbestimmte Zeit überwacht werden (94, 102). 4. INFCE kommt zu dem Ergebnis, daß bei der Bewertung von Brennstoffkreisläufen der Aspekt der Nichtverbreitung von Kernwaffen zwar sehr wichtig ist, aber nicht der einzige Aspekt ist. Andere Faktoren wie zum Beispiel Versorgungssicherheit, Umweltschutz und Wirtschaftlichkeit sind auch wichtige Kriterien bei Entwicklung und Einsatz von Kernenergiesystemen. Unterschiedliche Gewichtungen einzelner Faktoren — entsprechend den nationalen Gegebenheiten — werden zu unterschiedlichen Lösungen führen. Neben diesen Übereinstimmungen im Grundsätzlichen bezüglich der friedlichen Kernenergienutzung gab es auf einzelnen Gebieten auch unterschiedliche Auffassungen. Beispielsweise wurde der zukünftige Uranbedarf unterschiedlich eingeschätzt; außerdem bewerten Länder mit großen eigenen Uranvorkommen die Notwendigkeit des Einsatzes uransparender Reaktorsysteme - wie etwa dasjenige des Schnellen Brüters — zeitlich anders als diejenigen Länder, die keine nennenswerten Uranvorkommen haben, wie beispielsweise einige europäischen Staaten und Japan. Der großtechnische Einsatz Schneller Brüter auf kommerzieller Basis wird allerdings erst um die Jahrhundertwende — in einigen Industriestaaten jedoch früher — erwartet. Insgesamt kommt INFCE zu dem Ergebnis, daß die Kernenergie weltweit verfügbar gemacht werden kann und gleichzeitig das Risiko der Verbreitung von Kernwaffen reduziert werden kann.
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Im Zusammenhang mit dem Problem der Nichtverbreitung von Kernwaffen ist noch die 2. Konferenz zur Überprüfung des NV-Vertrags (2.NPT Review Conference) von Bedeutung, die 1980 in Genf stattfand. Diese 2. Konferenz, an der rd. 80 der Mitgliedstaaten des NV-Vertrags teilnahmen, fand insbesondere deshalb Beachtung, weil sich die Teilnehmer — im Gegensatz zur 1. Überprüfungskonferenz 1975 in Genf - nicht auf ein gemeinsames Schlußdokument hatten einigen können. Ein Grund hierfür war die Kritik insbesondere einiger Entwicklungsländer an der Londoner Nuclear Suppliers Group (NSG) sowie an dem praktischen Verhalten einzelner dieser Staaten, die zum Teil einseitig — oft rückwirkend — neue Forderungen beim Export an Empfängerländer stellen und den Zugang zu Nukleartechnologien nicht nur erschweren, sondern bisweilen sogar verweigern. Das heißt, eine Reihe von Staaten sahen den Artikel IV des NV-Vertrags, der den Technologie-Transfer garantiert (vgl. 7.2), in der Praxis in Frage gestellt. Außerdem wurde von mehreren Staaten Kritik am Abrüstungswillen sowie an mangelnden Abrüstungserfolgen der Supermächte geübt (Abrüstung ist im Artikel VI des NV-Vertrags gefordert). Trotz mancher Kritik am NV-Vertrag kann — auch nach der 2. Überprüfungskonferenz - festgehalten werden, daß nach Auffassung der überwiegenden Mehrheit der Staaten der Weltgemeinschaft der NV-Vertrag eine Schlüsselrolle bei der Nichtverbreitung von Kernwaffen hat. An dieser Stelle sei erwähnt, daß ein Vorteil eines möglichen Fusionsreaktors darin besteht, daß keine Materialien anfallen, die zur Herstellung von Waffen verwendet werden können (vgl. 4.22 und 5.9).
5.84 Zur Sicherheit kerntechnischer Anlagen 5.841 Normalbetrieb Langjährige weitgehend zufriedenstellende Betriebserfahrungen mit über 2 7 0 Kernkraftwerken in 23 Ländern (siehe Tabelle 4-1 und 4-2) führten zu der heute wohl allgemeinen Auffassung, daß Kernkraftwerke im Normalbetrieb umweltfreundlicher seien als die mit fossilen Energieträgern betriebenen Kraftwerke (vgl. 5-3) (130, 151 — 156). In verschiedenen Ländern sind Kernkraftwerke seit rd. 30 Jahren in Betrieb. Die aufsummierte Betriebszeit beträgt nach Angaben der IAEA für alle Anlagen zusammen rd. 2 0 0 0 Reaktorbetriebsjahre. Kernkraftwerke und andere kerntechnische Anlagen geben auch im normalen störungsfreien Betrieb mit der Abluft und mit dem Abwasser geringe Mengen an radioaktiveri Stoffen ab. Diese sogenannten betrieblichen Abgaben verursachen eine gewisse Strahlenbelastung, die unterhalb festgelegter Werte liegen muß (157, 158). Nach derzeitigen Erkenntnissen muß angenommen werden, daß zu dem durch ionisierende Strahlung verursachten Gesamtrisiko die Strahlenbelastung durch natür-
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lieh bedingte Strahlenexpositionen ebenso beiträgt wie die Strahlenbelastung durch zivilisatorisch bedingte Strahlenexpositonen. Für die Beurteilung des Einflusses zivilisatorisch bedingter Strahlenbelastungen ist das Ausmaß der natürlichen Strahlenbelastung von großer Bedeutung, da sich der Mensch unter dem Einfluß der durch die natürlichen Strahlenexpositionen bewirkten Strahlenbelastung entwickelt und eine Anpassung an diese vollzogen hat. Als natürliche Strahlenexposition wird im allgemeinen die Exposition bezeichnet, der die Menschen durch natürliche Strahlenquellen an den von ihnen gewählten Aufenthaltsplätzen und in ihren normalen Bewegungsräumen ausgesetzt sind. Als zivilisatorische Strahlenexposition wird im allgemeinen die Exposition bezeichnet, der die Menschen aufgrund der von ihnen durchgeführten Tätigkeiten — mit denen sie ihre Strahlenexposition durch natürliche oder durch künstliche Strahlenquellen erhöhen — über das durch die natürliche Strahlenexposition vorgegebene Maß ausgesetzt werden (12). Bei der durch natürliche Strahlenexposition bewirkten Strahlenbelastung ist zwischen externer und interner natürlicher Strahlenbelastung zu unterscheiden. Die externe natürliche Strahlenbelastung wird durch die kosmische und die terrestrische Strahlung verursacht. Die kosmische Strahlung hat ihren Ursprung im Sternensystem (gallaktische Komponente) beziehungsweise auf der Sonne (solare Komponente); sie ist stark höhenabhängig. Beispielsweise variiert die Jahres-Körperäquivalentdosis in der Bundesrepublik Deutschland durch kosmische Strahlung bei Daueraufenthalt im Freien — höhenabhängig — zwischen 31 mrem 1 ' (0 m über dem Meer) und etwa 160 mrem (2964 m über dem Meer, Zugspitze). Die terrestrische Strahlung geht von in der Erdkruste vorhandenen Radioisotopen aus; sie hängt von den geologisch-mineralogischen Verhältnissen ab. Beispielsweise liegt die Jahres-Körperäquivalentdosis in der Bundesrepublik Deutschland, verursacht durch die terrestrische Strahlung — ortsabhängig — zwischen wenigen mrem und etwa 310 mrem. (In anderen Regionen der Erde werden diese Werte zum Teil überschritten. Zum Beispiel beträgt die Jahres-Körperäquivalentdosis in Kerala, Indien, verursacht durch die terrestrische Strahlung, 500 mrem und mehr.) Die gesamte externe natürliche Strahlenbelastung in der Bundesrepublik Deutschland, die durch kosmische und terrestrische Strahlung verursacht wird, das heißt die entsprechende Jahres-Körperäquivalentdosis, variiert ortsabhängig zwischen 31 mrem und 360 mrem (12). Die interne natürliche Strahlenbelastung wird durch die Aufnahme natürlich radioaktiver Stoffe mit der Nah-
Zwei wichtige Größen der Dosimetrie sind die Energiedosis D und die Äquivalentdosis H, wobei Η die unterschiedliche biologische Wirksamkeit verschiedener Strahlenarten berücksichtigt. Die Einheit der Energiedosis D ist das rad (1 rad = 10~2 J/kg); die Einheit der Äquivalentdosis Η ist das rem. Ionisierende Teilchen mit hoher Ionisationsdichte längs der Teilchenbahn (zum Beispiel Alpha-Teilchen) haben - bei gleicher Energiedosis D — eine höhere biologische Wirksamkeit als ionisierende Teilchen mit niedriger Ionisationsdichte (zum Beispiel Gamma-Strahlen, Röntgenstrahlen). Diesem Sachverhalt wird durch die Einführung eines Qualitätsfaktors Q Rechnung getragen, der für Alpha-Teilchen — laut ICRP - auf 20 und für Gamma-, Röntgen- und Betastrahlen auf 1 festgelegt ist. Das heißt, das Produkt aus Energiedosis D und Qualitätsfaktor Q ergibt die Äquivalentdosis Η der jeweiligen Strahlenart in dem betrachteten Gewebe. Es ist also Η [rem] = Q · D [rad].
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rung (Ingestion) und mit der Atemluft (Inhalation) bewirkt; dabei spielen vor allem die Radioisotope i ° K , '^C, 2 l | R a und ^ R n sowie die Folgeprodukte der beiden letztgenannten eine Rolle. Kalium und Kohlenstoff sind im menschlichen Körper relativ gleichmäßig verteilt. Aus diesem Grunde kommt es durch Inkorporation von Radioisotopen dieser beiden Elemente zu einer Ganzkörperbestrahlung, die bei t ° K rd. 20 mrem/a und bei ^ C rd. 1,5 mrem/a ausmacht. Anders liegen die Verhältnisse bei 2 ggRa und seinen Folgeprodukten. Diese Isotope werden nach Aufnahme in den menschlichen Körper bevorzugt in der Knochensubstanz und im Knochenmark abgelagert und führen dort zu einer Belastung von ca. 40 mrem/a. Auch bei der Inhalation von gasförmigen Isotopen, wozu insbesondere das 2 | l R n und seine Folgeprodukte gehören, erfolgt eine ähnliche Teilkörperbelastung. Hiervon sind in erster Linie die Luftwege betroffen. Am stärksten werden die Bronchien mit 80—200 mrem/a belastet. Diese hohe Partialdosis wird durch den großen Luftdurchsatz verursacht und vor allem dadurch, daß einige Zerfallsprodukte des 2 ü R n dicht ionosierte Alpha-Strahlen emittieren. Für die gesamte Strahlenbelastung, das heißt, für die externe und interne Strahlenbelastung ergibt sich durch Addition entsprechender Einzelwerte in Meereshöhe eine Ganzkörperbelastung von ca. 110 mrem/a (12, 155). Bei der durch zivilisatorische Strahlenexposition bewirkten Strahlenbelastung ist ebenfalls zwischen externer und interner zivilisatorischer Strahlenbelastung zu unterscheiden. Den höchsten Beitrag zur externen zivilisatorischen Strahlenbelastung liefert die Anwendung der Röntgenstrahlung in der medizinischen Diagnostik und die Verwendung von Materialien, die einen überdurchschnittlich hohen Gehalt an natürlichen radioaktiven Stoffen besitzen, zum Beispiel für die Herstellung von Gebäuden. Die genetisch signifikante Keimdrüsenäquivalentdosis infolge der Anwendung von Röntgenstrahlung wird zum Beispiel in der Bundesrepublik Deutschland mit 50 mrem/a angegeben (12). (Es handelt sich dabei um einen Durchschnittswert pro Kopf der Gesamtbevölkerung, also um einen Wert, der auch die nicht untersuchten Personen mit einbezieht. Da im Verlauf eines Jahres nur ein Teil der Bevölkerung röntgendiagnostisch untersucht wird, liegt im Einzelfall die tatsächliche Belastung erheblich höher.) Durch Verwendung unterschiedlicher Baustoffe, die teilweise mit radioaktiven Elementen angereichert sind, ergibt sich zum Beispiel - durch den Aufenthalt in Gebäuden — im Durchschnitt eine Keimdrüsenäquivalentdosis von 4 5 mrem/a. Gegenüber diesen beiden Beiträgen können alle übrigen Einzelbeiträge zur externen zivilisatorischen Strahlenbelastung vernachlässigt werden. Vernachlässigbare Einzelbeiträge liefern beispielsweise: die Verwendung radioaktiver Stoffe und ionisierender Strahlung in Forschung und Technik; der Flug in großen Höhen; das Streuen von Phosphatdüngemitteln und die damit verbundene Erhöhung der spezifischen Aktivität des Bodens; die Verbrennung fossiler Brennstoffe und der damit verbundene Ausstoß an radioaktiven Stoffen mit der Flugasche (vgl. 5.31); der Betrieb von Kernkraftwerken. Alle diese Einzelbeiträge sind jeweils < 2 mrem/a (155). Insbesondere wäre beim Betrieb von 20 Kernkraftwerken (mit jeweils 1000 M W elektrischer Leistung) einschließlich der für deren Betrieb erforderlichen
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Anlagen und Einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland - aufgrund der externen zivilisatorischen Strahlenbelastung - eine zusätzliche mittlere Keimdrüsenäquivalentdosis von nur etwa 0,23 mrem/a zu erwarten (12). Beiträge zur internen zivilisatorischen Strahlenbelastung liefern beispielsweise auch die Verbrennung fossiler Brennstoffe und der damit verbundene Ausstoß an radioaktiven Stoffen mit der Flugasche sowie der Betrieb von Kernkraftwerken. Das heißt, die Aufnahme radioaktiver Stoffe mit der Nahrung (Ingestion) und mit der Atemluft (Inhalation) bewirkt innere Bestrahlungen. Die interne Strahlenbelastung durch Kernkraftwerke einschließlich der für deren Betrieb erforderlichen Anlagen und Einrichtungen wird vor allem durch das freigesetzte Tritium (Halbwertszeit ca. 12 a), " f l (Halbwertszeit 1,72 · 1 0 7 a ) und " j l (Halbwertszeit ca. 8d) bewirkt. Durch den Betrieb von 2 0 Kernkraftwerken (mit jeweils 1 0 0 0 M W elektrischer Leistung) einschließlich der für deren Betrieb erforderlichen Anlagen und Einrichtungen wären in der Bundesrepublik Deutschland - aufgrund der internen zivilisatorischen Strahlenbelastung zum Beispiel eine zusätzliche mittlere Äquivalentdosis der Keimdrüsen von < 0 , 0 1 mrem/a und der Schilddrüse von 0 , 0 3 mrem/a zu erwarten (12, 159). Wie erwähnt, ist die natürliche Strahlenbelastung eine wesentliche Bezugsgröße zur Beurteilung der zivilisatorischen Strahlenbelastung. Die Wirkung von ionisierender Strahlung in toter Materie wie in lebender Materie beruht auf Wechselwirkungen zwischen Strahlung und Materie; diese Wechselwirkungen unterliegen physikalischen Gesetzen und sind davon unabhängig, ob es Strahlungen von natürlichen oder künstlichen Radioisotopen sind ( 1 6 0 , 1 6 1 ) . Im wesentlichen handelt es sich um Anregung und Ionisation von Atomen beziehungsweise Molekülen. Diese Vorgänge können — wie bereits ausgeführt — in Abhängigkeit von der Strahlenenergie und der Strahlenart unterschiedliche biologische Wirkungen hervorrufen. Die schädigende Wirkung einer Strahlung hängt aber nicht nur von der Höhe der Dosis ab, sondern auch von der Zeit, in der eine bestimmte Dosis dem Organismus übertragen wird. In der Regel ist dabei die schädigende Wirkung einer bestimmten Dosis um so geringer, je größer die Zeitspanne ist, in welcher die Dosis übertragen wird. Weiter hängt die Wirkung einer Strahlenbelastung davon ab, ob eine bestimmte Dosis als Ganz- oder Teilkörperbestrahlung übertragen wird. (Verschiedene Organe des menschlichen Körpers zeigen eine unterschiedliche Strahlensensibilität.) Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die natürliche Strahlenbelastung erheblichen örtlichen Schwankungen unterliegt, die von der geographischen Breite, der Höhe über dem Meeresspiegel und den geologischen Verhältnissen abhängen. Unter normalen Betriebsbedingungen ist die von Kernkraftwerken einschließlich der für deren Betrieb erforderlichen Anlagen und Einrichtungen ausgehende zusätzliche Strahlenbelastung gering, verglichen mit der natürlichen Strahlenbelastung, insbesondere ist diese zusätzliche Strahlenbelastung geringer als örtliche Schwankungen der natürlichen Strahlenbelastung. (Die zusätzliche Strahlenbelastung ist etwa vergleichbar mit derjenigen, der ein Mensch ausgesetzt ist, wenn er zum Beispiel seinen Wohnsitz von der Küste in ein Mittelgebirge (800 m Höhe) verlegt) (162).
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In 5.822.2 wurde ausgeführt, inwieweit bei der Konditionierung beziehungsweise Wiederaufarbeitung von abgebrannten Brennelementen - bei bestimmungsgemäßem Betrieb der entsprechenden Anlagen — radioaktive Stoffe freigesetzt werden. Sowohl bei der Konditionierung von abgebrannten Brennelementen als auch bei der Wiederaufarbeitung liegen die Emissionen an gasförmigen und leichtflüchtigen Radionukliden aus den entsprechenden Anlagen — bei bestimmungsgemäßem Betrieb — unterhalb der zulässigen Werte. Emissionen aus einer Konditionierungsanlage sind im allgemeinen geringer als aus einer Wiederaufarbeitungsanlage. (Experimentelle Untersuchungen zeigen, daß der größte Teil der gebildeten Spaltgase oder der leichtflüchtigen Spaltprodukte unter den bei der Zwischenlagerung, Konditionierung oder Endlagerung herrschenden Bedingungen fest im Brennstoff gebunden ist.) Die (rechnerisch ermittelte) Ganzkörperbelastung in der Umgebung einer Wiederaufarbeitungsanlage (Durchsatz 700 t/a) wird am ungünstigsten Aufpunkt für Abwasser- und Abluftpfad mit jeweils < 10mrem/a angegeben (94). Der zulässige Wert nach der Strahlenschutzverordnung beträgt 3 0 m r e m (157, 158). Meßergebnisse über die Ausbreitung und Aufnahme von radioaktivem Jod in der Umgebung der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe, Bundesrepublik Deutschland, zeigen, daß die reale Organdosis nur 0,5% der berechneten Dosis beträgt (163). In 5.822.3 wurde daraufhingewiesen, daß bisher noch in keinem Land hochaktive Abfälle endgelagert werden. Aus diesem Grunde können die Emissionen aus einem Endlager von hochaktiven Abfällen (entweder Wiederaufarbeitungsabfälle oder abgebrannte Brennelemente) im Normalbetrieb nur auf der Basis von Modellannahmen oder durch Extrapolation der beim Betrieb von Versuchsprogrammen gewonnenen Erfahrungen abgeschätzt werden (94). Dies gilt auch für Emissionen von Radionukliden während der Einlagerungsphase. Das heißt, über die Strahlenbelastung der Bevölkerung, die aus dem Betrieb eines Endlagers resultiert, können noch keine experimentell gesicherten Angaben gemacht werden. Vergleicht man jedoch die beiden Entsorgungskonzepte — Konditionierung der Brennelemente beziehungsweise Wiederaufarbeitung der Brennelemente — so ist es dennoch möglich, aufgrund der unterschiedlichen Verfahren, einige Aussagen zu machen. Wie in 5.822.3 ausgeführt, bestehen zwischen beiden Konzepten unter anderem folgende Unterschiede: Im Falle der Konditionierung von Brennelementen treten im Bereich der hochaktiven Abfälle größere Abfallvolumen auf als bei der Wiederaufarbeitung; dafür ist jedoch bei der Wiederaufarbeitung die Menge an mittel- und schwachaktiven Abfällen größer. Außerdem werden beim Wiederaufarbeitungsprozeß die gasförmigen und leicht flüchtigen Spaltprodukte (zum Beispiel ffKr) beim Auflöseprozeß abgetrennt, und durch Rückhaltetechniken kann verhindert werden, daß gasförmige und leicht flüchtige Spaltprodukte entweichen. ®|Kr mit einer Halbwertszeit von 10,76 a kann beispielsweise in Gasflaschen — getrennt von den anderen hochaktiven Wiederaufarbeitungsabfällen — gelagert werden (Kryptonlager), bis es weitgehend zerfallen ist. (Die Aktivität anderer gasförmiger und leicht flüchtiger Spaltprodukte — zum Beispiel jH, 'f,C, ' f f l — liegt um mehrere Größenordnungen niedriger als die Aktivität des IlKr.)
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Zwar zeigen experimentelle Untersuchungen, daß der größte Teil der Spaltgase oder der leicht flüchtigen Spaltprodukte unter den Bedingungen, die bei der Endlagerung von konditionierten Brennelementen herrschen, fest im Brennstoff gebunden ist, jedoch ist im Falle der Endlagerung abgebrannter Brennelemente wahrscheinlich mit einer zusätzlichen Strahlenbelastung — insbesondere während der Einlagerungsphase (Normalbetrieb) - durch Spaltgase und leicht flüchtige Spaltprodukte aus undichten Brennelementbehältern zu rechnen (94). 5 . 8 4 2 Störfälle und Unfälle Die Qualität der Sicherheitstechnik bei kerntechnischen Anlagen ist ganz allgemein bestimmt durch das innewohnende Gefährdungspotential, das heißt, den möglichen Freisetzungsanteil des radioaktiven Inventars. Beispielsweise enthält ein 1 0 0 0 M W Leichtwasserreaktor nach mehrmonatigem Betrieb eine Aktivitätsmenge von rd. 1 0 1 0 C i (theoretisches Gefährdungspotential). Wie in 4 . 2 1 2 . 2 ausgeführt, ist der Druckwasserreaktor (DWR) von den Leichtwasserreaktoren (LWR, Reaktoren der 1. Generation) der am weitesten verbreitete Reaktortyp. Der D W R hat eine mehr als 2 0 jährige Entwicklung hinter sich; der erste D W R zur kommerziellen Stromerzeugung (136 M W ) wurde 1 9 5 7 in Shippingport, USA, fertiggestellt. Die Ausführungsform des D W R zur kommerziellen Stromerzeugung ist heute weitgehend standardisiert; bei gleichem Aufbau im Grundsätzlichen gibt es jedoch bei verschiedenen Herstellern in der Detailausführung einzelner Komponenten Unterschiede. Das heißt, beim D W R liegen weltweit die ausgiebigsten Erfahrungen vor. Aus diesen Gründen beziehen sich die folgenden Betrachtungen — nach einigen prinzipiellen Ausführungen zur Reaktor-Sicherheitstechnik — in erster Linie auf den D W R . Danach werden einige besondere sicherheitstechnische Aspekte des Siedewasserreaktors (SWR) behandelt und — soweit im Rahmen dieser Abhandlung sowie aufgrund des derzeitigen Wissensstandes möglich — Aussagen über sicherheitstechnische Fragen gemacht, die für fortgeschrittene Reaktoren wie den Natriumgekühlten Schnellen Brutreaktor (NSBR) (vgl. 4 . 2 1 4 ) und den Hochtemperatur-Gasgekühlten-Reaktoren ( H T G R ) (vgl. 4 . 2 1 3 . 3 ) sowie für andere Stationen des Brennstoffkreislaufes (Wiederaufarbeitung, Endlagerung) typisch sind. Das Ziel der Reaktor-Sicherheitstechnik ist es, unabhängig vom Reaktortyp, durch sicherheitstechnische Einrichtungen und Maßnahmen zu verhindern, daß durch Störungen im Kernkraftwerk, radioaktive Substanzen in die Umwelt freigesetzt werden. Die radioaktiven Substanzen befinden sich zu rd. 9 5 % im Reaktorbrennstoff. Das heißt, die Spaltprodukte stellen den weitaus größten Teil des Aktivitätsinventars dar; der Rest befindet sich im Reaktorkühlkreislauf, in Lagerbecken für verbrauchte Brennelemente, in (beladenen) Brennelement-Transportbehältern sowie in Hilfsanlagen wie dem Abgas- und Abwassersystem. Aus diesem Grunde konzentrieren sich im allgemeinen die Betrachtungen auf möglich Freisetzungen aus dem Reaktorbrennstoff. Bei intakter Anlage sind diese Spaltprodukte durch mehrere
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hintereinander liegende Strukturen, die Spaltproduktbarrieren, eingeschlossen. Abb. 5-11 zeigt exemplarisch die prinzipielle Anordnung der Spaltproduktbarrieren bei einem DWR (164). Das heißt, es gibt folgende Barrieren: Das Kristallgitter des Brennstoffes selbst, in dem der überwiegende Teil der Spaltprodukte (rd. 95%) zurückgehalten wird; die Brennstabhüllrohre, die gasdicht verschweißt sind; der Reaktordruckbehälter, zusammen mit dem völlig geschlossenen Reaktorkühlkreislauf; der gasdichte und druckfeste Sicherheitsbehälter, der den Reaktorkühlkreislauf umschließt. Die äußere Stahlbetonhülle hat nur eine begrenzte Dichtefunktion; sie ermöglicht ein Absaugen bei Leckagen aus dem Sicherheitsbehälter und schützt die Anlage gegen äußere Einwirkungen. Spaltprodukte können nicht in die Umwelt gelangen, solange die Brennelemente intakt bleiben. Aus diesem Grunde müssen Übertemperaturen an den Brennelementen vermieden werden. Demzufolge besteht prinzipiell die übergreifende Strategie der Reaktor-Sicherheitstechnik darin, Übertemperaturen an den Brennelementen —
Abb. 5-11:
Prinzipielle Anordnung der Spaltproduktbarrieren bei einem Druckwasserreaktor 1 = Kristallgitter des Brennstoffs; 2 = Brennstabhüllrohr; 3 = Reaktorkühlkreislauf; 4 = Sicherheitsbehälter; 5 = Stahlbetonhülle.
Quelle: Bundesministerium für Forschung und Technologie (Hrsg.), Deutsche Risikostudie-Kernkraftwerke, Bonn 1979.
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das heißt, ein Ungleichgewicht zwischen erzeugter und abgeführter Wärme — zu verhindern. Solch ein Ungleichgewicht kann sowohl während des Leistungsbetriebes als auch bei abgeschaltetem Reaktor auftreten. Beim Leistungsbetrieb unterscheidet man: Transienten (zeitlich veränderliche Ereignisse), bei denen die Wärmeerzeugung über dem Sollwert oder die Wärmeabfuhr unter dem Sollwert liegt, und Kühlmittelverlust, bei dem das zur Kühlung des Reaktorkerns eingesetzte Medium durch ein Leck entweicht (154). (Transienten können auch als diejenigen Störereignisse betrachtet werden, die nicht durch Lecks oder Brüche im Reaktorkühlkreis eingeleitet werden.) Im Unterschied zum Leistungsbetrieb ist beim abgeschalteten Reaktor nur die Nachzerfallswärme abzuführen. Neben dem normalen, störungsfreien Betrieb von Kernkraftwerken ist es üblich, Störungen in Kernkraftwerken — unter sicherheitstechnischen Aspekten — prinzipiell in drei Klassen zu unterteilen: Betriebliche Störungen, Störfälle und Unfälle (154). Betriebliche Störungen (im amerikanischen Sprachgebrauch werden sie als upset conditions bezeichnet) ermöglichen — nach Auffangen durch das System — einen normalen Weiterbetrieb der Anlage. Das heißt, diese Abweichungen vom Normalbetrieb haben keinen Einfluß auf den Betrieb, die Sicherheit der Anlage und die Strahlenbelastung durch betrieblich bedingte Ableitungen radioaktiver Stoffe an Luft und Wasser, überschreiten also nicht die für den Normalbetrieb zugelassenen Abgabewerte (vgl. 5.841) (157, 158). Störfälle sind Ereignisabläufe, bei denen der Betrieb aus sicherheitstechnischen Gründen nicht fortgeführt werden kann, für deren Beherrschung die Sicherheitssysteme jedoch so ausgelegt sind, daß die entsprechenden Grenzwerte der Strahlenbelastung (bei Störfällen) nicht überschritten werden. Die Strahlenschutzverordnung läßt hierfür bestimmte einmalige Belastungswerte zu (157,158). (Im amerikanischen Sprachgebrauch werden bei den Störfällen folgende zwei Untergruppen unterschieden: Emergency-conditions und Fault-conditions.) Unfälle sind Ereignisabläufe, deren Folgen nicht mehr durch Sicherheitssysteme innerhalb zulässiger Grenzen beherrscht werden. (Die Unterscheidung zwischen Störfällen, für deren Beherrschung Sicherheitssysteme vorgesehen sind, und Unfällen, für die dies nicht der Fall ist, wird nur im deutschen Sprachgebrauch gemacht; im englischen Sprachgebrauch wird das Wort „accident" allgemeiner verwendet) (154). Die Aufgabe der Reaktor-Sicherheitstechnik ist es, unabhängig vom Reaktortyp, Störfälle möglichst zu vermeiden oder — falls dies nicht möglich ist — die Folgen von Störfällen zu begrenzen. Dazu ist ein mehrstufiges Sicherheitskonzept (defense in depth) entwickelt worden. Die qualitativen Grundlagen zur Optimierung der Zuverlässigkeit der Einzelsysteme von Kernkraftwerken lassen sich im wesentlichen in drei Ebenen von Sicherheitsmaßnahmen unterteilen. 1. Sicherheitsebene: Qualitätsgewährleistung, 2. Sicherheitsebene: Verhinderung von Störfällen; 3. Sicherheitsebene: Begrenzung von Störfallfolgen. Dabei soll die Qualtitätsgewährleistung die Wahrscheinlichkeit betrieblicher Störungen herabsetzen. Maßnahmen zur Verhinderung
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von Störfällen sollen bewirken, daß sich betriebliche Störungen nicht zu Störfällen entwickeln. Die Begrenzung von Störfallfolgen soll verhindern, daß Störfälle sich zu Unfällen ausweiten (154). Die Qualitätsgewährleistung wird vor allem durch zuverlässige Ausführung bei der Fertigung von Komponenten sowie bei der Errichtung der Anlage bestimmt. Beispielsweise wird eine mehrfache, unabhängige Kontrolle sicherheitstechnisch wichtiger Komponenten wie Reaktordruckbehälter, Kühlmittelleitungen und Sicherheitsbehälter vorgenommen; außerdem werden vor allem die Steuersysteme zur Einstellung der Leistungsabfuhr zuverlässig ausgeführt. Alle Maßnahmen zur Qualitätssicherung haben in erster Linie das Ziel, das Auftreten von Störungen soweit wie möglich von vornherein zu verhindern. Zur Verhinderung von Störfällen, die sich aus Störungen entwickeln können, sind Kernkraftwerke mit mehrfach gestaffelten Regel- und Schutzeinrichtungen versehen. Wichtigste Schutzeinrichtung ist das Reaktorschutzsystem: Es überwacht alle wichtigen Meßwerte der Anlage (zum Beispiel Reaktorleistung, Druck im Reaktorkühlkreislauf, Drehzahl der Hauptkühlmittelpumpen) und löst automatische Schutzmaßnahmen aus (zum Beispiel Abschaltung des Reaktors), wenn gemessene Prozeßgrößen bestimmte Werte überschreiten. Zur Begrenzung von Störfallfolgen werden Kernkraftwerke mit umfangreichen technischen Sicherheitssystemen ausgerüstet. Ausgelöst durch das oben erwähnte Reaktorschutzsystem greifen technische Sicherheitssysteme bei Störfällen weitgehend automatisch ein, um den Einschluß der Spaltprodukte zu gewährleisten und die mit einem Störfall verbundenen Schadensfolgen zu begrenzen. Die Sicherheitssysteme sind so ausgelegt, daß sie eine große Anzahl möglicher Störfälle beherrschen (164-166). Die Sicherheitssysteme eines Kernkraftwerkes bestehen im allgemeinen aus Teilsystemen, die wiederum aus einzelnen Bauelementen (zum Beispiel Ventile, Pumpen, Leitungen, Meßgeräte usw.) oder Komponenten zusammengesetzt sind. Da Ausfälle von Bauelementen nicht auszuschließen sind, wird in Auslegungsgrundsätzen verlangt, daß die Teilsysteme — in jedem Falle jedoch das Gesamtsystem — so aufgebaut sein müssen, daß das Versagen eines oder auch einiger Bauelemente zu keiner Beeinträchtigung der sicherheitsgerichteten Funktion führt. Das heißt, durch zweckmäßige Auslegung kann erreicht werden, daß die Funktion der Sicherheitssysteme auch bei Ausfall einzelner Bauelemente erhalten bleibt. Dabei sind sowohl unabhängige als auch voneinander abhängige Fehler (Ausfälle) zu berücksichtigen. Unabhängige Fehler, die in einzelnen Bauteilen auftreten können, sind unabhängig von dem Zustand, in dem sich die anderen Bauteile befinden. Unabhängige Fehler können auch als sogenannte innere Fehler bezeichnet werden; ihre Ursache liegt im Bauelement selbst, das heißt, die Ursachen können beispielsweise Alterungseffekte oder Fertigungsmängel sein. Da unabhängige Fehler — laut Definition — nicht mit anderen Fehlern korreliert sind, treten sie als statistisch unabhängige Einzelereignisse
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5 . 8 Für die Kernfission spezifische Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
auf. Die wichtigste M a ß n a h m e gegen unabhängige Fehler besteht darin, mehrere Bauteile parallel für die gleiche Aufgabe einzusetzen. Dann hat ein unabhängiger Fehler eines Bauteils keine Folgen, da ein anderes seine Funktion übernimmt. Dies ist das Prinzip der Redundanz (vgl. 4 . 2 1 4 ) . Redundanz bedeutet, daß für jede Sicherheitsfunktion mehr Bauelemente oder Systeme vorhanden sind, als dafür unbedingt notwendig wären. Außerdem werden redundante Systeme im allgemeinen auch räumlich getrennt angeordnet und baulich besonders geschützt. Diese M a ß n a h m e n bieten zum Beispiel Schutz gegen Ausfälle infolge von Brand oder Überflutung. Abhängige Fehler lassen sich in zwei Gruppen einordnen: Eine Gruppe sind direkt ursächlich verknüpfte Fehler. Das heißt, sind Α und Β abhängige Fehler, so besteht eine ursächliche Verknüpfung derart, daß das Auftreten von Α auch das Auftreten von Β bewirkt. Die zweite Gruppe sind systematische Fehler. Das heißt, mehrere gleichartige Bauelemente versagen infolge gleichartiger fehlerhafter Konstruktion oder fehlerhafter Kalibrierung gleichzeitig oder in einem sehr engen Zeitraum zusammen. (In der amerikanischen Literatur werden abhängige Fehler auch als common-mode-failures bezeichnet.) Das Redundanzprinzip bietet keine ausreichende M a ß n a h m e gegen voneinander abhängige Fehler. Solche Fehler (Ausfälle) können aufgrund der gleichen Ursache in redundanden Teilsystemen gleichzeitig auftreten und die Redundanz unwirksam machen. Eine wichtige M a ß n a h m e n gegen abhängige Fehler ist, wenn mehrfache — für den gleichen Sicherheitszweck vorgesehene — Einrichtungen nach verschiedenen Konstruktionsprinzipien aufgebaut werden, und deren Aktionen von physikalisch unterschiedlichen Funktions- oder Anregungsprinzipien ausgelöst werden. Dies ist das Prinzip der Diversität (vgl. 4 . 2 1 4 ) (154). Ein weiteres wichtiges Prinzip zur Verhinderung der Folgen von unabhängigen oder abhängigen Fehlern ist das Prinzip der sicheren Richtung oder
Fail-safe-Prinzip.
Danach sollen Sicherheitssysteme so konzipiert sein, daß die Anlage bei ihrem Ausfall von selbst in einen sicheren Zustand übergeht. Beispielsweise werden die Absorberstäbe durch Elektromagnete so gehalten, daß sie bei Ausfall ihrer Stromversorgung unmittelbar in den Reaktorkern hineinfallen und den R e a k t o r abschalten. Im folgenden sollen exemplarisch die wichtigsten Systeme und Sicherheitseinrichtungen eines Druckwasserreaktors ( D W R ) beschrieben werden. Abb. 5 - 1 2 zeigt sicherheitsrelevante Systeme eines Kernkraftwerkes mit einem D W R (von den vier primären Kühlmittelkreisläufen sind nur zwei abgebildet) ( 1 6 5 ) . D e r Reaktordruckbehälter enthält den Reaktorkern (Core), der die Wärmeleistung im Betrieb und die Nachwärmeleistung im abgeschalteten Zustand erzeugt; er enthält auch — wie bereits ausgeführt — den weitaus größten Teil des radioaktiven Inventars des Kernkraftwerkes. Das Primärsystem (druckführende Umschließung) besteht aus dem Reaktordruckbehälter, der Primärseite der Dampferzeuger, den Hauptkühlmittelleitungen, den Hauptkühlmittelpumpen, dem Druckhaltesystem; das Primärsystem hat die Funktion, das dauernde Vorhandensein von Kühlwasser für das Core zu gewährleisten sowie zu verhindern, daß aktive Substanzen in die Umgebung austreten. Das Regelsystem sorgt im Normalbetrieb und bei leichten Betriebsstörungen dafür, daß
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5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme