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German Pages 673 [680] Year 1971
Kurzer Grundriß der germanischen Philologie bis 1500 Band 2
Kurzer Grundriß der germanischen Philologie bis 1500 Herausgegeben von
Ludwig Erich Schmitt
Band 2
Literaturgeschichte
Walter de Gruyter & Co. Berlin 1971
Redaktion: Wolfgang Putschke
© Archiv-Nr. 434470/1 Copyright 1971 by Walter de Grnyter & Co., vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung — J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J . Trübner — Veit & Comp., Berlin 30 — Printed in Germany — Alle Rechte des Nachdrucks, der Übersetzung, der photomechanischen Wiedergabe und der Anfertigung von Mikrofilmen— auch auszugsweise — vorbehalten. Satz und Druck: Walter de Gruyter Sc Co., Berlin
VORWORT Die positive Aufnahme der „Sprachgeschichte" als erster Band des „Kurzen Grundriß der germanischen Philologie bis 1500" bestätigt die dringende Notwendigkeit nach einem zusammenfassenden Uberblick über die germanische Philologie. Sie ist bedingt durch neue Prinzipien und Methoden der Forschung, insbesondere durch Entwicklung und Ausweitung der strukturalistischen Betrachtungsweisen. Der gegenwärtige Forschungsstand ist darin nicht einheitlich. Die Beiträge des ersten Bandes spiegeln diese Vielfalt getreu wider. Unsere geraffte Bestandsaufnahme macht also nicht nur den gegenwärtigen Stand, sondern auch die künftigen Aufgaben der Forschung sichtbar. Die fragmentarische sprachliche Überlieferung, die im ersten Band zu behandeln war, verhindert in Methode und Darstellung Einheit und Geschlossenheit, unabhängig von der Zeitgebundenheit eines solchen Projektes und der an ihm beteiligten Forscher und Darsteller. Der hier vorgelegte zweite Band umfaßt eine Darstellung der einzelnen Literaturen der germanischen Sprachen. Er versucht einen Uberblick über die vielfältigen literarischen Erscheinungsformen sowie über den literaturwissenschaftlichen Methodenpluralismus. Ein Vergleich mit der „Sprachgeschichte" zeigt deutlich den weitgehend vorstrukturalistischen Forschungsstand der germanischen Literaturwissenschaft, deren Arbeitsverfahren fast durchgehend auf den „außertextualen" Aspekten beruhen, die vor allem durch die biographische, geistesgeschichtliche und soziologische Methode repräsentiert werden. Mit einer sehr deutlichen zeithchen Verzögerung beginnt die germanische Literaturwissenschaft die strukturgerichtete Methodenbasis der Linguistik zu übernehmen, indem sie die „textualen" Aspekte ihres Gegenstandes in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungsarbeiten stellt. Diese vergleichende Gegenüberstellung läßt die künftigen und notwendigen Forschungsrichtungen deutlich erkennen und zeigt in eindringlicher Weise die Hauptleistung der zusammenfassenden Bestandsaufnahme der germanischen Philologie, wie sie von dem „Kurzen Grundriß" angestrebt wird. — In der Darstellungsweise
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Vorwort
wurde das Aufbauprinzip des ersten Bandes analog auf die literaturgeschichtlichen Beiträge übertragen. Es ist vor allem den Bemühungen der Autoren und des Verlages zu danken, daß dieser zweite Band des „Kurzen Grundriß der germanischen Philologie bis 1500" in Jahresfrist fertiggestellt werden konnte, um somit termingerecht zu erscheinen. Der zusammenfassende Rechenschaftsbericht bleibt dem dritten Band überlassen. L. E. Schmitt
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Vorwort GEORGES Z I N K ,
V Heldensage
P I E R G I U S E P P E SCARDIGLI,
1
Gotische Literatur
Altnordische Literatur: Edda und Skalden
D I E T R I C H HOFMANN,
F R E D E R I C K NORMAN,
117
Altfriesische Literatur
JOHANNES RATHOFER,
164
Mittelniederländische Literatur
.
.
.
Altsächsische Literatur
ratur
und
HARALD BURGER,
186
242
Mittelniederdeutsche Literatur
STEFAN SONDEREGGER
69
100
Altenglische Literatur
CEBUS CORNELIS DE B R U I N ,
W I L L Y KROGMANN,
.
Altnordische Literatur: Saga
GABRIEL T U R V I L L E - P E T R E ,
W I L L Y KROGMANN,
48
263
Althochdeutsche Lite-
326
WOLFGANG BRANDT,
Mittelhochdeutsche Literatur: Epik
. . . .
384
H A N S SCHOTTMANN,
Mittelhochdeutsche Literatur: Lyrik
. . . .
464
GERHARD E I S ,
Mittelhochdeutsche Literatur: Fachprosa
WOLFGANG F . MICHAEL, F R I E D R I C H NEUMANN,
(Metrik)
Deutsche Literatur bis
Deutsche Literatur bis
1500:
1500:
Drama
528
.
.
Versgeschichte
573
608
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HELDENSAGE 1 1.0 Allgemeine Probleme 1.1 Definition der Heldensage Bei den verschiedensten Völkern, in Sumer wie in Indien, im alten Griechenland wie bei den Germanen, bei den türkischen Stämmen Zentralasiens wie auf den Inseln der Südsee, gibt es Gebilde, die man als Heldensagen zu bezeichnen pflegt. Ihnen allen sind gewisse, immer wiederkehrende Züge eigen2. Die tragende Gestalt der Heldensage ist der Held. Manchmal von geringer, gewöhnlich aber von hoher, oft göttücher Herkunft, wird er als in einer mehr oder weniger fernen Vergangenheit lebend dargestellt. Mit Bewunderung blicken die nachfolgenden Geschlechter zu ihm auf, als zu einem Vorbild, dem es nachzueifern gilt. Erworben hat er sich seinen Ruhm durch seine Bewährung im Kampf, ausgefochten für die Gemeinschaft, der er angehört, sei es gegen Ungeheuer, sei es gegen menschliche Feinde. Physische Kraft, Mut und Entschlossenheit sind ihm wesentlich eigen, bewähren muß er sich in den bedrängten Lagen, in die er — oft durch eigene Schuld, denn er ist nicht frei von irdischen Schwächen — gerät, bewähren muß er sich besonders im Angesicht des drohenden Todes. Kurz, er muß immer der Beste sein und alle anderen durch seine Taten übertreffen (II. XI, 784). Meistens ist der Held eine geschichtliche Persönlichkeit, auf jeden Fall wird er als eine solche aufgefaßt: in seinem Schicksal spiegelt sich die heroisch verklärte Vergangenheit seines Volkes. Und oft ist es geschehen, daß Geschichtsschreiber Heldensagen als Quellen für ihre Darstellung benutzten. Nicht hingewiesen wird im folgenden auf die einzelnen Artikel im Verfasserlexikon und auf die Darstellungen in den bekannten Literaturgeschichten. H. M. u. N. K.Chadwick, The Growth of Literature, Göttingen 2 1961; C. M., Bowra, Heldendichtung, Stuttgart 1964; J . de Vries, Heldenlied und Heldensage Bern-München 1961; V. Schirmunski, Vergleichende Epenforschung I, Berlin 1961.
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Doch nicht jede Zeit eignet sich zur Bildung von Heldensagen. Von dem englischen Forscher H. M. Chadwick3 wurde hervorgehoben, daß sich in ihnen eine Kulturstufe spiegelt, die er das Heldenzeitalter nennt. Gekennzeichnet ist diese Stufe durch das Vorherrschen einer kriegerischen Aristokratie in einer bewegten Zeit, da sich das jugendliche Ungestüm der Völker in Kriegen und Eroberungszügen Luft macht. So war es bei den in das Industal vordringenden Ariern, bei den Griechen in der homerischen Zeit, bei den Germanen zur Zeit der Völkerwanderung. Die dabei vollbrachten Taten wurden zur Sage umgeformt und in der Heldendichtung verherrlicht. Es darf wohl angenommen werden, daß es sich in den Anfängen überall und immer um mündlich tradierte Dichtung handelte, gleichgültig, ob es dabei zur Bildung eines eigentlichen Sängerstandes kam oder nicht. Aus dieser mündlichen Dichtung gingen dann später in Indien, Griechenland, Deutschland die Buchepen hervor. Doch neben diesen gemeinsamen Zügen gibt es auch beträchtliche Unterschiede zwischen den Heldensagen der einzelnen Völker. Die germanisch-deutsche Heldensage z. B. steht dem Mythus ferner als die griechische oder gar die indische, das Märchenhafte spielt in ihr eine geringere Rolle als in der irischen, und von dem Nationalstolz, der das französische Rolandslied durchzieht, ist in ihr fast nichts zu spüren. Wir lassen es also bei diesen allgemeinen Bemerkungen bewenden; auf die verschiedenen Probleme der Heldensagenforschung wird im folgenden nur insofern näher eingegangen, als sie für die germanischdeutsche Heldensage von Bedeutung sind. 1.2 Germanische Heldensage Die deutsche Heldensage wurzelt in der germanischen Heldensage. Von ihr muß demnach bei jeder Darstellung ausgegangen werden4. Die meisten der uns überlieferten Sagen aus dem germanischen Altertum führen uns in die Zeit der Völkerwanderung zurück, in die Zeit also, die sich etwa von dem Einfall der Hunnen in das südrussische Gotenreich (375) bis zur Gründung des Langobardenreichs in Italien (568) erstreckt. In dem altenglischen Widsith („Weitfahrt"), einer Dichtung 8 4
H. M. Chadwick, The Heroic Age, Cambridge 1912. Zur germanischen Heldensage: A. Heusler, Die altgermanische Dichtung, Potsdam 2 1941 (Nachdr. Darmstadt 1967); G. Baesecke, Vor- und Frühgeschichte des deutschen Schrifttums, Halle 1940—1953; J. de Vries, Altnordische Literaturgeschichte I, Berlin 2 1964; F. Genzmer, Vorgeschichtliche und frühgeschichtliche Zeit, in: Annalen der deutschen Literatur, hg. von H. O. Bürger, Stuttgart 2 1962.
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aus dem 7. Jh., deren Bestandteile z. T. noch weiter in die Vergangenheit hinaufreichen und in der mannigfache Erinnerungen an die altgermanische Heldendichtung anklingen, ist die älteste historisch greifbare Gestalt Eastgota (bei Jordanes Ostrogotha, 3. Jh.), die jüngste der Langobardenkönig Ealfwine/Alboin (f 576). Und dies Verankertsein der Sagen in jener stürmischen Zeit bestätigen auch die Helden, für die sich uns historische Anknüpfungen darbieten: der Gotenkönig Ermanarich/Ermenrich, der 375 bei dem Hunnensturm ums Leben kam, Attila/Etzel (f 453), Gundicarius/Gunther, der über die Burgunden herrschte und dessen Reich 437 von den Hunnen zerstört wurde, Theoderich, der berühmte König der Ostgoten (j 526), der als Dietrich von Bern in die Sage einging. Das eigentliche Heldenzeitalter der Germanen ist also die Völkerwanderungszeit. Doch wird es sich dabei nicht um ein plötzliches Einsetzen der Sagenschöpfung und, damit verbunden, der Heldendichtung gehandelt haben, sondern man muß wohl damit rechnen, daß der eigentlichen Blütezeit ein vorbereitendes Stadium vorausging. Die Erwähnung des Eastgota, des Unwen, des Offa im Widsith, die Tatsache, daß Vidigoia, von dem Jordanes berichtet, er sei im 4. Jh. von den Sarmaten erschlagen worden, als Wudga in der altenglischen, als Witege in der deutschen Heldendichtung weiterlebt, scheinen dies zu bestätigen. Ob es schon viel früher, zu Tacitus' Zeiten, Heldensage und Heldendichtung bei den Germanen gegeben hat? Zum Beweis dafür wird immer wieder der Satz aus den Annalen (II, 88) herangezogen, in dem es heißt, Arminius (f 21) werde noch immer bei den „Barbaren" besungen. Heusler und Baesecke allerdings denken bei dieser Stelle eher an Preislieder, während Genzmer6 sich für eine Vorform des Heldenliedes entscheidet. Sollte sich die neuerdings von O. Höfler wieder aufgenommene These bewahrheiten, der zufolge die Siegfriedssage auf Arminius zurückgeht6, so wäre damit der Beweis für ein frühes Einsetzen der Heldendichtung bei den Germanen erbracht. Bei alledem kommt man jedoch über bloße Vermutungen kaum hinaus. Greifbar wird uns die germanische Heldensage und Heldendichtung erst viel später. Es wird oft angenommen, daß die Goten bei deren Herausbildung eine bedeutende Rolle spielten. In der Tat waren bei diesem Volk schon in sehr früher Zeit all die Bedingungen vereint, die das Heldenzeitalter kennzeichnen: die Wanderzeit setzte bei den Goten schon um die Zeitwende ein, unter fortwährenden Kämpfen drangen sie von der Weichsels a. a. O. S. 10 • O. Höfler, Siegfried, Arminius und die Symbolik, Heidelberg 1961.
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mündung immer weiter nach Süden und kamen dabei mit der höherstehenden Kultur des römischen Imperiums in Berührung. Doch gibt es auch bei anderen Völkern Sagen, die weit in die Vergangenheit zurückreichen (Hildesage, Offasage); es muß also mit der Möglichkeit einer Polygenese gerechnet werden, mit der Möglichkeit, anders ausgedrückt, daß sich auch anderswo in der germanischen Welt — etwa in dem Raum um Ost- und Nordsee — Herde der Sagenbildung entwickelten. Vielleicht war es aber so, daß sich das Heldenlied in seiner klassischen Gestalt bei den Goten herausgebildet hat; dies würde erklären, daß die Sagen dieses früh untergegangenen Volkes sich bei den übrigen Germanenstämmen einer solchen Beliebtheit erfreuten. Auf jeden Fall ist eine Tatsache bemerkenswert und verdient hervorgehoben zu werden: mögen sich auch zur Zeit der Völkerwanderung die germanischen Sprachen schon beträchtlich weit voneinander entwickelt haben, auf dem Gebiete der Heldensage bildete die germanische Welt damals noch eine Einheit; Sagen, wo immer sie entstanden sein mochten, breiteten sich rasch aus und viele von ihnen erklangen wohl überall dort, wo Germanen saßen. Anlaß zur Sagenbildung gaben in den meisten Fällen geschichtliche Ereignisse. Doch Sage ist nicht Geschichtsschreibung; sie ist von ihr wesentlich verschieden, und es ist ein mißliches Unternehmen, in den Sagen das geschichtliche Geschehen in all seinen Einzelheiten aufspüren zu wollen. Was die Sage festhält, das sind höchstens ein paar Ereignisse, die mit der Gestalt, die sie sich zum Helden erkorenhat, zusammenhängen und die ihr bedeutungsvoll erscheinen. Bemerkenswert ist dabei, wie sehr diese Ereignisse umgebogen, ja oft geradezu in ihr Gegenteil verkehrt werden. Am klarsten tritt dies in der Dietrichsage zutage: Theoderich führte seine Goten aus Pannonien nach Italien, eroberte das Land in harten Kämpfen gegen Odoaker und regierte es dann über dreißig Jahre lang als ruhmvoller Herrscher. Die Sage jedoch stellt ihn als einen vertriebenen König dar, der dreißig Jahre am Hof des Hunnenfürsten weilen muß. In der Regel sind derartige Umbiegungen durch ein Doppeltes gekennzeichnet: in den germanischen Sagen werden die geschichtlichen Ereignisse — von einigen Ausnahmefällen (Offa, Hunnenschlacht) abgesehen — weitgehend entpolitisiert, die Volkskämpfe aus der Völkerwanderungszeit werden zu Privatfehden innerhalb der Königssippen umgedeutet, am deutlichsten wohl in der Sage vom Untergang der Burgunden; sodann scheint schon früh die später sich immer entschiedener äußernde Neigung bestanden zu haben, die einzelnen Sagenkreise durch genealogische Verbindungen miteinander zu verknüpfen: in den ältesten
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nordischen Zeugnissen (9. Jh.) treten uns schon die Ermanarichsage und die Nibelungensage als durch die Gestalt Gudruns verbunden entgegen. Außer den geschichtlichen Begebenheiten hat manch anderes bei der Sagenbildung mitgewirkt. „Die Heldenlieder", sagt Heusler, „schöpfen aus der Geschichte, dem Privatleben, eigenem Erleben und noch anderem Erzählgut" 7 . Dies „andere Erzählgut" ist mannigfacher Art: Einflüsse aus anderen Kulturkreisen, besonders aus dem klassischen Altertum, Geschichtliches aus jüngerer Zeit, Lokalsagen, Mythus und Märchen. Die beiden letzten Gattungen spielten von jeher und spielen noch jetzt eine bedeutende Rolle in der Forschung, und es soll deshalb etwas näher auf sie eingegangen werden. Im 19. Jh. galt weitgehend der Satz: die Heldensage ist aus der Mythologie hervorgegangen. So wurde allgemein angenommen (W. Grimm, L. Uhland, M. Müller), daß in den Riesenkämpfen Dietrich erst nachträglich an Thors Stelle getreten sei, daß, allgemeiner gesprochen, mythologische Erzählungen dadurch „verweltlicht" werden konnten, daß man sie auf geschichtliche Gestalten übertrug. Diese Auffassung wurde dann später von A. Heusler und H. Schneider schroff zurückgewiesen: erst sekundär sind, ihrer Meinung nach, mythische Bestandteile in die Heldensage eingedrungen, und zwar besonders im Norden: „Der Göttermythus hat — so wie wir aus unserer Überlieferung erkennen — nur die westnordische Heldendichtung des spätnordischen Heidentums befruchtet" (A. Heusler)8. Der Gegenstoß indessen ließ nicht lange auf sich warten. Auf den Ergebnissen der Tiefenpsychologie (C. A. Jung) und der Religionswissenschaft (M. Eliade, G. Dumézil) weiterbauend, sind in neuerer Zeit mehrere Forscher (F. R. Schröder, J . de Vries, 0 . Höfler u. a.) den Beziehungen zwischen Mythus und Heldensage wieder nachgegangen9. An einzelnen Beispielen wurde dargetan, wie ein Mythus heroisiert werden kann (Hildesage) oder es wurde die Ansicht vertreten, daß der Heldensage die Mythisierung einer geschichtlichen Gestalt zugrunde liegen kann (so bei Theoderich, Arminius/Siegfried, in der Sage vom Kampf Vater-Sohn). Daß dem Mythus bei der Bildung der Heldensage eine größere Bedeutimg zukommt als Heusler wahrhaben wollte, ist möglich und sogar wahrscheinlich: es besteht z. B. wohl irgendein Zusammenhang zwischen ' Hoops II, S. 436. 8 Altgermanische Dichtung, S. 163. * Grundsätzliches: J. de Vries, Betrachtungen zum Märchen, besonders in seinem Verhältnis zu Heldensage und Mythos, F F C 1 6 0 , i960; F . R. Schröder, Mythos und Heldensage, GRM 36 1966, S. 1—21 (abgedr. in: Sammelbd, S. 286—316).
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dem bei den Germanen schon in der Germania des Tacitus bezeugten Dioskurenmythus (Alces) und der Sage von den Härtungen. Doch geht es nicht an, alles in der germanischen Heldensage durch den Mythus erklären zu wollen. J. de Vries selbst hat eindringlich darauf hingewiesen, daß sie in ihrem vollentwickelten Stadium viel weniger mythische Elemente aufweist als etwa die griechische oder die indische10. Und wie könnte es auch anders sein, da im eigentlichen Heldenzeitalter die Stämme, bei denen die Heldensage ganz besonders blühte, schon Christen waren oder wenigstens im Begriffe standen, zum Christentum überzutreten, so daß bei ihnen also das mythische Denken schon wesentlich abgeschwächt sein mußte. Zudem muß bedacht werden, daß man nicht überall dort, wo ein mythisches Motiv — etwa das vom Drachenkampf— auftritt, auf eine unmittelbare Einwirkung des Mythus schließen darf; denn war ein solches Motiv einmal in die Heldensage eingedrungen, so konnte es sich als verweltlichtes Motiv immer weiter ausbreiten. Auch von dem Märchen wurde behauptet, daß es bei der Bildung der Heldensage mitgewirkt habe. Diese These wurde besonders von Fr. Panzer verfochten, der in mehreren Episoden aus der Nibelungen- und aus der Hilde/Gudrunsage ursprüngliche Märchen sehen wollte11. In gewissen Fällen hat sich denn auch die Forschung Panzers Ergebnisse zu eigen gemacht, so wenn er Gunthers Werbung um Brünhild auf ein Märchen („russisches Brautwerbermärchen") zurückführt. Doch sind Heldensage und Märchen zwei wesensverschiedene Gattungen, und es ist wohl kaum anzunehmen, daß sich die eine aus der anderen entwickelt hat. Daß sekundär Märchenmotive in die Heldensage aufgenommen wurden, liegt auf einer anderen Ebene und hat mit der Ursprungsfrage eigentlich nichts zu tun. Mythus, Märchen und Heldensage greifen immer wieder auf dieselben Motive zurück — das hat besonders J. de Vries einleuchtend dargetan12—, denen letztlich dieselben urbildlichen Vorstellungen zugrunde hegen. Was jedoch wesentlich ist, ist die Art, wie diese Motive jeweils verwandt, wie sie, genauer ausgedrückt, durch das Wesen der Gattung, die sie aufnimmt, geprägt werden. Als literarische Gebilde werden uns die germanischen Sagen erst in dem Heldenlied aus der Völkerwanderungszeit greifbar. Aus so früher Zeit ist uns allerdings kein Lied erhalten. Doch es darf als sicher ange10 u
12
Heldenlied und Heldensage, S. 321. Hilde-Gudrun, Halle 1901; Studien zur germanischen Sagengeschichte II, 1912; vgl. auch die Anm. 28 u. 34 angeführten Arbeiten zum Nibelungenlied. Betrachtungen zum Märchen, S. 154ff.
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nommen werden, daß Dichtungen wie das Hildebrandslied in Deutschland, das Finnsburglied in England, und die ältesten Lieder der Edda (Brot af Sigurdarkvidu, Atlakvida, Hamdismdl), zu denen noch das anderweitig überlieferte Lied von der Hunnenschlacht hinzutritt, dem Typus des germanischen Heldenlieds noch nahe stehen und Rückschlüsse auf dessen Gestalt erlauben. Über die soziale Umwelt, in der das Heldenlied, blühte, über den Sänger, der es schuf und vortrug, sind wir durch die altenglischen und später dann durch die altnordischen Zeugnisse ziemlich gut unterrichtet. Das Heldenüed war die Dichtung der führenden Schicht, der um den König geschalten Kriegeraristokratie. Fürstenhöfe waren die Stätten, an denen es gepflegt wurde; es erklang zur Erhöhung der Freude beim festlichen Mahl, wenn die Gefolgschaft in der Königshalle beisammensaß, manchmal auch bei Beginn einer Schlacht, um den Kampfeifer der Krieger anzufeuern. Ob und wiefern die anderen Schichten der Bevölkerung damals schon an der Pflege des Heldenlieds teilnahmen, ist schwer zu bestimmen. Welcher Art waren die „weltlichen" Lieder, die in einem nordhumbrischen Kloster in Caedmons Gegenwart vorgetragen wurden? „Auf stolze Preis- und Heldenlieder wird niemand raten", antwortet darauf A. Heusler13, doch sollte man sich die Kluft, die in jener Zeit die verschiedenen Gesellschaftsklassen voneinander trennte, nicht allzu tief vorstellen. Schöpfer des Heldenlieds war der germanische Sänger (alte, scop, altn. skald). Einen besonderen Sängerstand, dem der altirischen Fili ähnlich, hat es bei den Germanen wohl nicht gegeben. Der Sänger gehörte mit zu der Gefolgschaft eines Fürsten; vielleicht — das geht wenigstens aus den altnordischen Zeugnissen hervor — kämpfte er selbst in den Schlachten mit, die er nachher im Gesang verherrlichte. Ein solcher Sänger war Deor, der lange scop bei den Heodeningen war und der dann dieses Amt an Heorrenda abtreten mußte, war auch der „Weitfahrer", der sich in seiner Dichtung rühmt, die berühmtesten Fürstenhöfe aufgesucht und überall durch seinen Gesang die Gunst der Herrscher erworben zu haben. Wohl ist dieser Bericht nicht wörtlich zu fassen, doch etwas Wahres liegt der Fiktion zugrunde: das Wanderleben des germanischen Sängers, das die rasche und weite Ausbreitung der Heldendichtung förderte. Eine Stelle aus dem Beowulf (V. 864—900) gibt uns Auskunft über die Art der Dichtungen, die er vortrug. Beowulf hat Grendel aus Hrothgars Halle vertrieben und ihm beim Kampf einen Arm ausgerissen. 18
Altgermanische Dichtung S. 100.
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Diese eben vollbrachte Tat besingt zuerst ein „sagenkundiger Mann", dann gedenkt er in seinem Sange eines ähnlichen Sieges, den Sigmund einst über den horthütenden Drachen errungen hatte. Hier folgen also die beiden großen Gattungen der altgermanischen Dichtung, das Preislied (Taten aus der Gegenwart) und das Heldenlied (Taten aus der Vorzeit), aufeinander. Könnte es dann nicht so sein, daß sich das Heldenlied aus dem Preislied entwickelt hat ? Baesecke bekennt sich zu dieser Annahme, während Heusler ihr zweifelnd, ja ablehnend gegenübersteht; Genzmer endlich möchte beide Gattungen auf eine gemeinsame Vorform zurückführen. Die Schwierigkeit rührt daher, daß wir das Preislied eigentlich nur durch die Skaldendichtung kennen, die doch wohl eine Sonderform darstellt. Aus den oben angeführten Dichtungen läßt sich Form und Wesen des Heldenlieds einigermaßen bestimmen. Das Heldenlied ist verhältnismäßig kurz: etwa 100—200 Langzeilen. Jeder Langvers besteht aus zwei jeweils zweihebigen Kurzversen, die durch den Stabreim miteinander verbunden sind. Der Hauptstab fällt dabei auf die erste Hebung des Abverses, während im Anvers beide Hebungen oder nur eine davon den Stab tragen kann: Hiltibrant enti Hadubrant untar heriun tüem. Dies gibt dem Vers ein dynamisch-wuchtiges Gepräge, das im Einklang steht mit dem Gesamtaufbau des Liedes. Ein Lied erzählt in der Regel nur eine Fabel, die aber dann vom Anfang bis zum Ende, die Sage etwa vom Burgundenuntergang (Altes Atlilied) von Atlis verräterischer Einladung an seine Schwäger bis zu Gudruns Rache für deren Ermordung. Die Bewältigung einer derartigen Stoffmasse erfordert eine besondere Erzähltechnik, die man als „Gipfeltechnik" bezeichnet hat: nur die Hauptmomente der Handlung werden hervorgehoben, in Dialogszenen ausführlich dargestellt, was dazwischen liegt, wird in ein paar berichtenden Versen knapp zusammengefaßt (Heuslers „doppelseitiges Ereignislied"). Was den Dichter dabei fesselt, ist nicht so sehr Kampf und Tat als die Bewährung des Helden in Kampf und Tat, die Bewährung insbesondere angesichts des drohenden Untergangs, der Trotz, den er dem harten Spruch der Nornen entgegensetzt. Kraft zu einer solchen Haltung schöpft der Held nicht etwa aus dem Gedanken an ein Jenseits, sondern aus dem Bewußtsein, dem Gebot der Ehre entsprechend gehandelt und sich dadurch Ruhm bei den kommenden Geschlechtern erworben zu haben. Das Heldenlied war für den mündlichen Vortrag bestimmt. Wahrscheinlich wurde es, wo nicht gesungen, so doch in der Art eines Rezita-
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tivs vorgetragen; jedenfalls wird in den alt englischen Zeugnissen immer wieder die Harfe, das „Lustholz" erwähnt. Wie bei jeder mündlichen Dichtungsgattung hat gewiß auch im Heldenlied die Formel eine Rolle gespielt, d. h. für gewisse immer wiederkehrende Begriffe und Vorstellungen konnte der Sänger aus einem Vorrat von altüberlieferten festgefügten Wendungen schöpfen. Ob man noch weitergehen und die bei den Südslaven und bei den türkischen Völkern Zentralasiens gemachten Beobachtungen auf die germanischen Verhältnisse übertragen darf14? Man hat dies entschieden verneint, wie es scheint, zu Recht: denn das germanische Heldenlied, sowie wir es kennen, ist ein zu eigenwilliges Gebilde, als daß man es sich aus dem Stegreif gedichtet denken möchte. Doch bedürfte die Frage noch näherer Untersuchung15. Weil das Heldenlied das einzig greifbare Gebilde ist, in dem uns in früher Zeit die Heldensagen entgegentreten, haben Heusler und Schneider die These aufgestellt, daß es müßig sei, überhaupt nach etwas anderem zu forschen: „Die Heldensage lebt nur im Lied; pointierter in der Umdrehung: außerhalb des Liedes gibt es keine .Heldensage'; Heldensage wird erst im Lied und durch das Lied. Der erste, der ein Dietrichslied schuf, schuf die Dietrichsage . . ,18". Diese überspitzten Formulierungen sollten jedoch nicht lange unwidersprochen bleiben, besonders W. Mohr, F. Genzmer und Hans Kuhn haben dargetan, daß es Heldensagen „vor und außerhalb der Dichtung" gegeben hat17. Und in einem 1955 veröffentlichten Aufsatz18 hat H. Schneider denn auch zugegeben, daß am Anfang und vor jeder Dichtung die Sage war, deren Entstehung 14
Was der Sänger memoriert, sind nicht eigentlich Dichtungen, sondern Handlungsgerüste und -Schablonen, Formeln sodann, die ihm erlauben, ein von Vortrag zu Vortrag in den Einzelheiten verschiedenes Gedicht zu improvisieren. Näheres bei Chadwick und bei Bowra, a. a. O. 15 Erste Ansätze hierzu bei Fr. P. Magoun jr., Oral-formulatic character of anglosaxon narrative poetry. Spéculum 28 1953, S. 446—467. Näheres in dem Forschungsbericht von M. Curschmann, Oral Poetry in Mediaeval English, French and German Literature, Spéculum 1967, S. 36—52; s. auch Fr. H. Bäuml u. D. J. Ward, Zur mündlichen Überlieferung des Nibelungenlieds, DVS 1967, 18 S. 351—390. Germanische Heldensage Bd I S. 10. 17 W. Mohr, Thor im Fluß, PBB 64 1940, S. 209—229; F. Genzmer, Vorzeitsaga und Heldenlied, Festschr. Kluckhohn-Schneider, Tübingen 1948, S. 1—31 ; Hans Kuhn, Heldensage vor und außerhalb der Dichtung, Festschr. F. Genzmer, Heidelberg 1952, S. 262—278 (die letzten zwei Aufsätze auch in: Sammelbd S. 102—137 u. 173—194). 18 PBB (W) 77 1955, S. 71—83 (abgedr. in: Deutsche Heldensage S. 445—457, u. in: Sammelbd S. 316—329).
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auf rationalem Weg wohl kaum zu ergründen ist, daß das in der Sage Vorgegebene nachträglich vom Dichter aufgegriffen und geformt wurde, sei es in liedhafter, sei es in ungebundener Form, und daß die Sagen dann in der von dem Dichter geschaffenen Prägung weiterlebten. Diese nuancierte Auffassung, die dem Heldenlied eine Sonderstellung einräumt, die aber auch anderes vor und neben ihm gelten läßt, dürfte wohl im wesentlichen das Richtige treffen. Heldensagen, die in ungebundener oder (doch wohl meist) in gebundener Form bei den verschiedenen Germanenstämmen vorgetragen wurden, gab es wohl mehr als wir aus den auf uns gekommenen Denkmälern und Zeugnissen erschließen können. Diese Denkmäler und Zeugnisse sind verschiedener Art, und verschieden ist auch der Wert, der ihnen beigelegt werden darf. In den günstigsten Fällen kennen wir die Sagen durch volkssprachige Dichtwerke: Lieder, die dem germanischen Heldenlied noch nahestehen, mhd. Epen, Heldenballaden wie die nordischen Kämpeviser oder das Jüngere Hildebrandslied, Prosaromane (Thidrekssaga, Völsungensaga), kürzere Prosaerzählungen wie die in Snorris Edda, wozu noch in gewissen Fällen lateinische Nachdichtungen bzw. Nacherzählungen (Waltharius, Saxo) hinzutreten. Manchmal sind Heldensagen, als Geschichte aufgefaßt, in die Werke lateinisch schreibender Autoren eingegangen (Jordanes: Ermanarichs Tod; Paulus Diaconus: Thurisind und Alboin, Alboins Tod; Widukind von Corvey: Irings Verrat). Inwieweit derartige Heldensagen auch in der fränkischen Geschichtsschreibung (Gregor von Tours, Fredegar) zu finden sind, ist umstritten; vielleicht ist Heuslers diesbezüglich geäußerte Skepsis doch übertrieben, zumal wenn man annimmt, daß die Heldensage nicht einzig und allein im Heldenlied lebte. Auf anderer Ebene liegen die Dinge bei gewissen Geschichtsschreibern des Mittelalters, die die Heldensagen dagegen polemisierend {Kaiserchronik) oder nicht (Quedlinburger Annalen) erwähnen; H. Schneider spricht in dem Falle von „unmittelbaren Anspielungen", denen er die „mittelbaren Anspielungen" (kenningar, Metaphern, Namen aus der Heldensage) entgegensetzt. Eine besondere Aufmerksamkeit wird in neuerer Zeit wieder den bildlichen Darstellungen zuteil, die zwar nicht immer leicht zu deuten sind, die aber besonders unsere Kenntnis von der Verbreitung der Sagen wesentlich fördern können19. w
K. Hauck, Germanische Bilddenkmäler des frühen Mittelalters, DVjs. 31, 19B7, S. 349—379; W. Stammler, Wort und Bild, Berlin 1962. E. Ploss, SiegfriedSigurd, Der Drachenkämpfer, Köln 1966; F. P. Pickering, Literatur und darstellende Kunst im Mittelalter, Berlin 1966.
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Folgende Stämme scheinen bei der Entwicklung der Heldensagen in besonderem Maße beteiligt gewesen zu sein: die Goten, vornehmlich die Ostgoten, die Franken und die Burgunden, die Thüringer, die Langobarden, die Angelsachsen, die nordischen Völker, vor allem die Dänen, die Gauten und vielleicht auch die Schweden. Die so entstandenen Sagenkreise können zu zwei großen Gruppen zusammengefaßt werden: eine südländische Gruppe mit den Sagen, die sich bei den auf dem Festland wohnenden Germanen herausgebildet haben; eine nordländische Gruppe, der man die Sagen der Völker an der Nord- und Ostsee, die Sagen also der Angelsachsen und der skandinavischen Völker zuzählen kann. Bei einer solchen Zusammenstellung fällt auf, daß es besonders die südländischen Sagen waren, die bei den germanischen Stämmen eine rasche und weite Verbreitung fanden. Sagen aus dem gotischen und aus dem burgundischen Kreis drangen sowohl nach England als nach dem skandinavischen Norden; sie vor allem liefern den mhd. Heldenepen ihren Stoff. Nur ausnahmsweise ist es dagegen den Sagen der Seevölker gelungen, sich auf dem Festland auszubreiten, so etwa der wohl an der Ostsee entstandenen Hildesage. 1.3 Weiterleben der Heldensagen in Deutschland Nur an zwei Stellen in der germanischen Welt sollte den Heldensagen ein längeres Weiterleben beschieden sein: im skandinavischen Norden und in Deutschland20. Im Norden erhielten sich die alten Heldenlieder vornehmlich auf Island, wo sie dann im 12.—13. Jh., zusammen mit jüngeren Sproßliedern, aufgezeichnet wurden. Kennzeichnend für den Norden ist ferner der Umstand, daß diese Lieder dort in die spezifisch nordische Form der Saga (Völsungensaga und, auf jüngerem deutschen Import beruhend, Thidrekssaga) umgegossen wurden, daß lateinschreibende Schriftsteller wie Saxo Grammaticus die Sagen weitgehend zu ihrer Darstellung der einheimischen Geschichte benutzten, daß sie schließlich mancherorts in den sog. Kämpeviser bis in die Neuzeit hinein erklangen. 20
In England — einst „der reichste Sagenherd in unserer fühmittelalterlichen Überlieferung" (A. Heusler) — setzte die Eroberung des Landes durch die Normannen der Heldendichtung ein Ende. Sehr umstritten ist noch immer die Frage, ob die germanische Dichtung bei der Entstehung der Heldenepik in den romanischen Ländern mitgewirkt habe. Bödier hat dies entschieden verneint, doch mehren sich in neuerer Zeit wieder die Stimmen, die sich für einen genetischen Zusammenhang zwischen germanischer und romanischer Heldenepik einsetzen.
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Auf deutschem Sprachgebiet hat sich aus der Frühzeit nur weniges erhalten, was sich mit der reichen nordischen Überlieferung vergleichen ließe. Doch wie festverwurzelt die alten Sagen da waren, wie zäh sie durch die Jahrhunderte hindurch unterirdisch weiterlebten, das erhellt aus dem Umstand, daß sie das 12.—13. Jh. zur neuen Blüte in den sog. Heldenepen erwecken konnte. Diese Entwicklung vom Lied zum Epos soll im folgenden kurz nachgezeichnet werden. Wie bei allen Germanenstämmen blühte die Heldensage auch bei den Stämmen, die man später als Deutsche bezeichnen sollte. Aus den Grabfunden (Krieger mit Schwert und Harfe) geht hervor, daß es auch bei ihnen den Sänger gegeben hat, der uns in den altenglischen Zeugnissen entgegentritt. Und eines der Lieder, die er vortrug, das Hildebrandslied, ist uns durch einen glücklichen Zufall erhalten. Dies Lied wurde 810—820 im Kloster Fulda aufgezeichnet. Wenig später berichtet Karls Biograph Einhard, der Kaiser habe die alten „barbarischen" Lieder, die Taten und Kriege der vormaligen Könige besangen, sammeln und aufschreiben lassen. Wie ist das zu verstehen? Gemeinhin wird angenommen, daß es sich um Heldenlieder handelte, in denen die anderweitig bezeugten Sagen der festländischen Germanenstämme erklangen21, und trotz verschiedener gegen diese Annahme erhobener Einwände22 glauben wir, an ihr festhalten zu dürfen. Dann wird es auf Jahrhunderte seltsam still um die Heldensage, erst rund 400 Jahre nach der Niederschrift des Hildebrandslieds erklingt sie wieder in einer uns erhaltenen Dichtung, dem Nibelungenlied. Daß hier, wie später auch in den anderen mhd. Heldenepen, Sagen auftauchen, die Jahrhunderte zuvor schon bekannt waren, dies allein würde genügen, um ihr ununterbrochenes Weiterleben außer Zweifel zu setzen. Bestätigt wird es uns aber noch durch anderes: das alte Hildebrandslied tritt uns im 13. Jh. als ritterliche Ballade (vgl. die Nacherzählung in der Thidrekssaga), im 15.—16. Jh. als Volkslied wieder entgegen, der Dichter des Waltharius schöpft seinen Stoff aus der germanischen Sagenwelt, und immer wieder wird in Geschichtswerken und in Chroniken bald mehr, bald minder deutlich auf die Heldensagen angespielt. Die Dichtungen — wir lassen die Frage offen, inwiefern auch Prosaerzählungen in Betracht kommen —, die die alten Sagen von Geschlecht zu Geschlecht weitergaben, lebten nur in der mündlichen Überlieferung und keine einzige ist bis auf uns gekommen. Wie sie aussahen, wissen 21 22
Fr. von der Leyen, Das Heldenliederbuch Karls des Großen, München, 1964. So vor allem von G. Baesecke, a. a. O. S. 366, und von G. Meissburger, Zum sog. Heldenliederbuch Karls des Großen, GRM 44 1963, S. 103—119.
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wir also nicht; man hat von „Spielmannsliedern" gesprochen, ohne den Begriff näher bestimmen zu können, man hat die lateinisch-deutschen oder nur lateinischen Balladen der Ottonenzeit zum Vergleich herangezogen ; auch auf die Folkeviser hat man, wohl zu Unrecht, hingewiesen. Nur eins ist sicher: mit dem Übergang von der stabreimenden Dichtung zum Reimvers im Laufe des 8. Jhs. war es mit dem Heldenlied alter Prägung zu Ende und die neugedichteten Lieder waren wohl der alten Gattung in manchem unähnlich. Ob damit auch ein Wandel in dem Publikum verbunden war, das diesen Liedern lauschte ? Möglich ist, daß die Heldensagen immer mehr zum Gesamtbesitz des ganzen Volkes wurden, doch blieben nach wie vor die führenden Schichten an ihrer Pflege wesentlich beteiligt, und der Klerus stand dabei wohl kaum hinter der Laienwelt zurück. Hält doch im Jahre 1061 der Bamberger Dommagister Meinardus seinem Bischof Gunther vor, daß er sich lieber mit Attila und mit dem Amelungen ( = Dietrich von Bern) befasse als mit den Schriften des Augustinus! Was Geist und Inhalt der Heldenballaden betrifft, so geht aus einem Vergleich zwischen der germanischen Heldendichtung und den mhd. Epen ein Doppeltes hervor: es wurde einerseits zäh am Althergebrachten festgehalten, andererseits fehlte es auch nicht an tiefgreifenden Neuerungen. Es gibt z. B. im Nibelungenlied noch Strophen, die ganz den Geist der altgermanischen Dichtung atmen: man vergleiche etwa Hagens Trutzworte an Kriemhild (Nl. Str. 2371) mit Gunnars Worten im alten Atlilied (Str. 29)! In anderen Fällen jedoch wurde die herbe Tragik des Heldenlieds ins Versöhnliche umgebogen (Waltharius, jüngeres Hildebrandslied) oder es wurden an das Burleske streifende Szenen (Gunthers Brautnacht) eingeschaltet. Inhaltlich auch hat sich manches gut erhalten, anderes aber wurde tief umgeformt. So hatte die schon früh sich geltendmachende Neigung zur genealogischen Verknüpfung zur Folge, daß die Ermanarichsage in die Dietrichsage aufgenommen wurde und darin fast ganz aufging. Wie dies im einzelnen vonstatten ging, ist wohl kaum zu ermitteln; wahrscheinlich waren die Umänderungen z. T. eine Folge der mündlichen Überlieferung selbst, wahrscheinlich liegt aber auch in manchen Fällen bewußtes Eingreifen eines Dichters vor. Ein Dichter war es auf jeden Fall, der die Sage vom Untergang der Burgunden dahin abänderte, daß die Burgunden hinfür nicht mehr als Opfer von Atlis Hortgier, sondern von Kriemhilds Rache fielen. Sieht man von dem Sonderfall ab, den der Beowulf darstellt, so ist es im germanischen Bereich nur in Deutschland zu einer Weiterbildung vom Lied zum Epos gekommen. Das Verhältnis der beiden Gattungen
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hat besonders eindringlich Heusler, im Anschluß an W. P. Ker, behandelt 23 ; ihm zufolge hegt der wesentliche Unterschied nicht so sehr in dem, was erzählt wird, in der Fabel also, als in der Art, wie erzählt wird: sprunghaft von Gipfel zu Gipfel eilend im Lied, im Epos, in einem gemächlicheren Tempo, das dem Erzähler gestattet, länger bei Einzelheiten zu verweilen und sich in ausführlichen Schilderungen zu ergehen; das Atlilied z.B. erzählt den Untergang der Burgunden in rund 170 Langzeilen, das Nibelungenlied verwendet auf dieselbe Fabel mehr als 2000 Verse. Das Nibelungenlied (um 1200) ist die erste Dichtung, in der uns die neue Gattung des Heldenepos entgegentritt. Doch muß angenommen werden, daß der Weg vom Lied zum Epos schon vorher beschritten wurde; keines aber der früheren Epen ist erhalten, und so stellt uns deren Erschließung vor schwierige Fragen. Manches hat wohl bei dem Übergang vom Lied zum Epos mitgewirkt, einheimische Einflüsse sowohl als auch Anregungen aus dem Westen24. In der 2. Hälfte des 11. Jh. setzte in Deutschland die Bibeldichtung neu ein, und gleich in der Wiener Genesis (1060-—70) mit ihren rund 6000 Versen erreichte sie buchmäßiges Format; im Exodus (um 1120) nähert sich dann die Erzähltechnik der epischen Breite. Damals war man in Frankreich schon dazu übergegangen, die Heldensagen aus dem karolingischen Zeitalter epenmäßig zu behandeln; und bei den regen Beziehungen, die zwischen den beiden Ländern bestanden, wird dies Beispiel wohl auch in Deutschland anregend gewirkt haben, zumal wenn man annimmt, daß die Chanson de Roland schon vor 1150 übertragen wurde. So käme man denn, für den Ubergang vom Lied zum Epos, etwa auf die Zeit um 115025. Nun aber ist es so, daß die ersten auf uns gekommenen Dichtungen von epischem Ausmaß, die sich mit einheimischen Stoffen befassen, 23
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W. P. Ker, Epic and Romance, London 1897; A. Heusler, Lied und Epos in germanischer Sagendichtung, Dortmund 1905 (Nachdr. Darmstadt 1956). W. Stammler, Die Anfänge weltlicher Dichtung in deutscher Sprache, ZfdPh 70, 1947, S. 10—32 (jetzt in: Kleine Schriften zur Literaturgeschichte des Mittelalters, München, 1963, S. 3—26); S. Beyschlag, Zur Entstehung der epischen Großform in früher deutscher Dichtung, Wirk. Wort 5, 1964—1955, (jetzt in: Wirk. Wort, Sammelbd II. Düsseldorf 1962, S. 119—126). Hauptgewicht legen beide Aufsätze auf die innerdeutsche Entwicklung. W. Stammler zufolge fand der Übergang schon im ausgehenden 11. Jh. statt. Uber die späteren Beziehungen zwischen den chansons de geste und dem deutschen Heldenepos, s. bes. H. Schneider, Deutsche und französische Heldenepik, ZfdPh 61,1926, S. 200—243 (abgedr. in: Kleine Schriften, Berün 1962, S. 52—95) und F. Panzer, Studien zum Nibelungenliede, Frankfurt 1945.
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nicht der Heldenepik, sondern der sog. Spielmannsdichtung zugezählt werden. Wir denken dabei vor allem an König Rother (um 1150) und an Herzog Ernst (um 1180), auch an die Adelger-Episode in der Kaiserchronik. Der Zusammenhang zwischen diesen Dichtungen und der Heldenepik hegt auf der Hand: beide Gattungen stimmen in ihrem Formelschatz weitgehend überein, dieselben Motive (etwa der treue Gefolgsmann und der ungetreue Ratgeber) treten hier wie dort auf, manchmal sind ihnen sogar Namen und Gestalten gemeinsam (Berker/ Berhtung mit seinen Söhnen im Rother und im Wolfdietrich). Wir sind deshalb geneigt, die „Spielmannsepen" nahe an die damalige Heldendichtung heranzurücken. Ja, man kann sich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, daß die Zuteilung eines Werkes zu der einen oder der anderen Gattung mehr durch die Macht der Gewohnheit als durch stichhaltige Gründe bedingt ist: im Ortnit z. B. ist ein alter Sagenkern nicht besser gesichert als im Rother und dieser steht in manchem dem Wesen der Heldendichtung näher als Ortnit. Die erhaltenen Dichtungen, die auf alte Heldensagen zurückgehen oder doch wenigstens Gestalten dieser Sagen zu Trägern ihrer Handlung machen, stammen fast sämtliche aus dem südostdeutschen Raum (Bayern, Österreich), wo sich das Einheimische gegenüber den aus Frankreich kommenden Einflüssen besser gehalten zu haben scheint als anderswo. Sie verteilen sich über das ganze 13. Jh.; das Nibelungenlied macht den Anfang; mit den sog. Voglerepen aus dem letzten Viertel des 13. Jh. klingt dann die Heldenepik aus. Den deutschsprachigen Werken muß natürlich die um 1250 in Norwegen entstandene Thidrekssaga hinzugefügt werden, da sie, wie ausdrücklich in ihr bezeugt ist, auf die Erzählungen „deutscher Männer" (aus Niedersachsen) zurückgeht. Faßt man diese Werke in ihrer Gesamtheit ins Auge, so fällt zunächst einmal deren Uneinheitlichkeit auf. Da stehen Dichtungen, die noch manches von dem alten Sagenkern, auch von dem Geist des altgermanischen Heldenlieds treu bewahrt haben (Nibelungenlied) neben solchen, die man der Heldenepik nur darum zuzählt, weil in ihnen berühmte Sagenhelden auftreten (Dichtungen vom Kampf zwischen Dietrich und Siegfried). Selbst da, wo Altererbtes sich erhalten hat, ist viel Neues hinzugekommen. Manches Erzählgut ist den Heldenepen aus der reichen Literatur der mhd. Blütezeit zugeflossen, überall spürt man in ihnen das Bestreben, in der Darstellung höfischen Wesens mit der Artusepik zu wetteifern, die Recken aus der Völkerwanderungszeit werden weitgehend verritterlicht: ohne Minnedienst und Minnesang wäre die Art, wie der junge Siegfried um Kriemhild wirbt, nicht denkbar.
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So ist es denn durchaus berechtigt, die Heldenepen nicht nur als Zeugnisse für die Sagenforschung, sondern auch als eigenständige Werke des 13. Jh. zu betrachten, nach ihrem literarischen Wert zu fragen und zu untersuchen, inwiefern sich der Geist ihrer Zeit in ihnen spiegelt26. Doch ganz lassen sich die Unterschiede, die sie von den anderen Gattungen trennen, nicht verwischen. Nicht nur durch ihren Stoff, sondern auch durch Stil und Metrik (Festhalten an veraltenden Ausdrücken, starkes Hervortreten des Formelhaften, Vorliebe für strophischen Aufbau) nehmen sie eine Sonderstellung ein. Dieser Sonderstellung waren sich die Zeitgenossen wohl bewußt: im Gegensatz zu den anderen Gattungen sind uns die Heldenepen ohne Verfassernamen überliefert27. Der Übergang vom Lied zum Epos will nicht heißen, daß alle Lieder zu Epen erweitert wurden noch daß mit dem Aufkommen der neuen Gattung die Lieder ausstarben. Die Sage vom Vater-Sohn-Kampf erhielt sich im Lied bis ins 16. Jh., in demselben Jh. wurde in Niederdeutschland ein Lied über König Ermenrichs Tod aufgezeichnet, und bekannt ist das Lieder-Repertoire des Marner aus der 2. Hälfte des 13. Jh. Doch das meiste, was uns aus dem ausgehenden Mittelalter über die alten Sagen überliefert ist, geht auf die Heldenepen der höfischen Zeit zurück. Diese Dichtungen wurden immer wieder abgeschrieben, die meisten Handschriften, die wir davon besitzen, stammen aus dem 14., 15., ja sogar (Ambraser Handschrift) aus dem beginnenden 16. Jh. Und als um 1450 der Buchdruck erfunden wurde, da dauerte es nicht lange, bis auch Drucke davon erschienen, Einzeldrucke und die sog. Heldenbücher. Dabei macht sich der Wandel im Geschmack, der sich schon im späten 13. Jh. anbahnte, immer deutlicher bemerkbar. Was das Publikum in diesen Werken sucht, ist nicht mehr das eigentlich Heldische — es gibt bezeichnenderweise keinen Frühdruck von dem Nibelungenlied —, sondern das Abenteuerliche und das Wunderbare: Ortnit, Wolfdietrich, die märchenhaften Dietrichsepen bilden den Grundstock aller Heldenbücher. Der Dreißigjährige Krieg setzte dann dieser Entwicklung ein 2e
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Unter den vielen Arbeiten seien als besonders wichtig genannt: E . Tonnelat, L a Chanson des Nibelungen, Strasbourg 1926; G. Weber, Das Nibelungenlied. Problem und Idee, Stuttgart 1963. B. Nagel, Das Nibelungenlied, Stoff-FormEthos, Frankfurt 1966; Fr. Neumann, Das Nibelungenlied in seiner Zeit, Göttingen 1967; W. Schröder Nibelungen-Studien, Stuttgart 1968. O. Höfler, Die Anonymität des Nibelungenlieds, DVjs. 29, 1955, S. 167—213 (abgedr. mit Ergänzungen in: Sammelbd S. 330—392); G. Zink, Pourquoi la Chanson des Nibelungen est-elle anonyme ? Et. germ. 10, 1955, S. 247—256.
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Ende. Doch im 18. Jh., zur Zeit also, als sich die wissenschaftliche Beschäftigung mit den alten Sagen langsam anbahnte, erzählten Volksbücher noch von Siegfrieds Abenteuern.
2.0 Die einzelnen Sagenkreise 2.1 Nibelungensage 2.11 Uberlieferung Es ist etwas Seltsames um die Nibelungensage28 in Deutschland. Keine Chronik, keine Dichtung aus dem frühen Mittelalter berichtet auch nur andeutungsweise von ihrem Inhalt. Einzelne ihrer Gestalten treten im Waltharius auf, Saxo Grammaticus (er schrieb übrigens erst im ausgehenden 12. Jh.) erwähnt für das Jahr 1131 ein (nieder)deutsches Lied über Kriemhilds Verrat an ihren Brüdern: das ist alles. Und plötzlich, um 1200, baut ein unbekannter Dichter auf diesem Sagenstoff ein Epos auf, das das erste erhaltene Heldenepos und eine der gewaltigsten Schöpfungen des deutschen Mittelalters ist. Das Werk — dem kurz darauf eine viel schwächere Fortsetzung, die Klage, angehängt wurde — gab dem Stoff seine endgültige Prägung, so daß das meiste, was uns später über Siegfried und die Burgundenkönige berichtet wird, aus dem Nibelungenlied fließt. Daß aber daneben doch noch manches andere unterirdisch weiterlebte, das geht vor allem aus dem Seyfriedslied (14.—15. Jh.) hervor29. Siegfrieds Werbung um Kriemhild, die Schwester der Burgundenkönige in Worms, die tatkräftige Hilfe, die er Gunther bei seiner Werbung um Brünhild leistet, der Streit der beiden Königinnen, Siegfrieds Ermordung auf der Jagd im Odenwald, das ist, knapp umrissen, der Inhalt des 1. Teils der Dichtung. Im 2. Teil sind dann Hagen, Siegfrieds Mörder, und Kriemhild die eigentlichen Gegenspieler. Er erzählt, wie Kriemhild, 28
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Gesamtdarstellungen: A. Heusler, Nibelungensage und Nibelungenlied, Dannstadt 6 1965; D. von Kralik, Die Siegfriedtrilogie im Nibelungenlied und in der Thidrekssaga I, Halle 1941; F. Panzer, Das Nibelungenlied. Entstehung und Gestalt, Stuttgart 1955; G. Weber-W. Hoffmann, Nibelungenlied, Stuttgart 2 1964; vgl. auch H. de Boors Einleitung zu seiner Ausgabe des Nibelungenlieds, Wiesbaden 15 1959. Ausführliche Literaturangaben in: W. Krogmann u. U. Pretzel, Bibliographie zum Nibelungenlied u. zur Klage, Berlin 4 1966. K. C. King, Das Lied vom hürnen Seyfried, Manchester 1958. 2 Grundriß Band 2
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nun mit Etzel vermählt, aber Rache sinnend für den Tod ihres ersten Gatten, die Burgunden in verräterischer Absicht nach Etzelburg lockt, wie es auf ihr Anstiften zwischen den rheinischen Gästen und den Recken des Hunnenkönigs zu einem furchtbaren Kampf kommt, aus dem nur Etzel, Dietrich und Hildebrand lebend hervorgehen. Zwei Sagen sind in dem Nibelungenlied zu einem Ganzen verschmolzen: die Sage von Siegfrieds Leben und Tod, die Sage vom Untergang der Burgunden. Den Werdegang dieser beiden Sagen gilt es nun im folgenden zu umreißen. 2.12 Vorlagen Schon die unmittelbaren Vorlagen zu bestimmen, aus denen der Dichter des Nibelungenlieds schöpfte, fällt schwer. „Uns ist in alten maeren wunders vil geseit," das ist alles, was er uns über seine Quellen kundtut. Aus der Art der Darstellung in der Dichtung selbst — im 2. Teil ist die Erzählung gestraffter, ereignisreicher als im 1., wo die mit höfischen Beschreibungen angefüllten Szenen besonders zahlreich sind —, aus einem Vergleich mit den entsprechenden Kapiteln in der Thidrekssaga scheint hervorzugehen, daß diese Vorlagen uneinheitlicher Art waren. Für den 2. Teil wird angenommen, daß der um 1200 dichtende Anonyme ein schon ausführliches Epos als Quelle benutzte, das man die Ältere Not nennt und das man sich um 1160 im südostdeutschen Raum entstanden denkt. Mehrere Forscher, so vor allem A. Heusler, haben sich um die Erschließung des Inhalts dieser Dichtung bemüht; dabei gingen sie von der Annahme aus, daß die Thidrekssaga, obwohl erst um 1250 verfaßt, in ihrem Bericht über den Untergang der Burgunden auf niederdeutsche Erzählungen zurückgehe, die ihrerseits aus dem älteren Epos schöpften. Gegen diese Annahme machten sich jedoch immer wieder Bedenken geltend; in jüngerer Zeit hat besonders Panzer zu beweisen versucht, daß für den Burgundenuntergang das Nibelungenlied selbst die Quelle der Saga sei, daß aber deren Verfasser, „der . . . mit genagelten Stiefeln und nassem Lodenmantel durch die Königsgemächer des Liedes gestapft ist", die Erzählung verballhornt habe. Panzers Argumente sind nicht alle stichhaltig30, und die Frage nach dem Ver30
H. Hempel, Sächsische Nibelungendichtung und sächsischer Ursprung der Thidrikssaga, Festschr. F. Genzmer, Heidelberg 1962, S. 138—156; R. Wisniewski, Die Darstellung des Niflungenunterganges in der Thidrekssaga, Tübingen 1961.
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hältnis von Thidrekssaga einerseits, Nibelungenlied (und Älterer Not) andererseits bedürfte wohl einer neuen Untersuchung. An der Annahme einer Älteren Not jedoch glauben wir festhalten zu dürfen. Verwickelter liegen die Dinge für den 1. Teil. Gab es schon im 12. Jh. ein (rheinisches) Siegfriedsepos, für das sich z. B. Dröge, Hempel, Wesle einsetzten ? Oder lebten die Sagen bis um das Jahr 1200 bloß im Lied ? Der oben hervorgehobene Unterschied zwischen dem 1. und dem 2. Teil der Dichtimg scheint uns für letzteres zu sprechen. Doch mit einem einzigen Lied (Heuslers Brünhildlied) kommt man da schwerlich aus. H. Schneider dachte an zwei (Brünhild- und Kriemhildlied), D. Kralik an drei Lieder, von denen das eine (Siegfrieds Hochzeit) eine Art Satyrspiel zu den beiden anderen (Brünhild- und Kriemhildlied) gewesen wäre. Uns will scheinen, daß man mit mindestens zwei Liedern (einem Werbungslied, einem Lied von Siegfrieds Tod) rechnen muß, die wahrscheinlich in jeweils verschiedenen Fassungen verbreitet waren. Diese Lieder hat der Dichter des Nibelungenlieds weitgehend benutzt und episch ausgebaut. Doch gab es auch andere Lieder, Lieder märchenhaften Inhalts über Siegfrieds Jugend und seine ersten Abenteuer, die er in seinem Bestreben, das Wunderbare nach Möglichkeit auszuschalten und seine Helden dem höfischen Ideal anzunähern, entweder nur kurz zusammenfaßte (Siegfrieds Kampf mit dem Drachen und, davon getrennt, Erwerbung von Hort und Tarnkappe) oder ganz überging (Siegfried beim Schmied). Eines dieser Lieder (Siegfrieds Waldleben und Drachenkampf) wird uns in der Nacherzählung der Thidrekssaga und im Seyfriedslied einigermaßen greifbar: beide Berichte stimmen in manchem (Siegfrieds Leben beim Schmied, die Art, wie er den Drachen erlegt) weitgehend überein. Wollen wir über die unmittelbaren Vorlagen des Nibelungenlieds hinaus weiter in die Vergangenheit zurückdringen, so müssen wir uns nach England und besonders nach dem Norden wenden. Wenig ergiebig für die Sagenforschung ist die Erwähnung einiger Namen aus dem Sagenkreis der Nibelungen im Widsith. Dem Dichter des Waldere war Gunther als Herrscher über die Burgunden bekannt. Die größte Bedeutung jedoch kommt der schon oben (S. 8) angeführten Stelle im Beowulf zu, die von Sigmunds (und Fitelas, vgl. im Norden Sinfjötli) Waldleben berichtet und sodann erzählt, wie Sigmund allein den horthütenden Drachen erschlagen habe. Nun ist in der nordischen wie in der deutschen Überlieferung Sigmund der Vater Siegfrieds; wahrscheinlich wurde also in England die Tat des Sohnes auf den Vater übertragen. 2*
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Wie beliebt die Siegfriedssage und die Sage vom Burgundenuntergang im Norden waren, geht aus der Tatsache hervor, daß die meisten der in der Edda überlieferten Heldenlieder sich mit diesem Stoff befassen und daß die übrigen, mit Ausnahme der Völundarkvida, irgendwie daran anknüpfen. Zur ältesten Schicht gehören das Bruchstück eines Sigurdliedes ( Brot af Sigurdarkvida) und das alte Atlilied ( Atlakvida ). Ersteres berichtet von Sigurds Tod, letzteres vom Untergang der Burgunden; beide Sagenstoffe wurden dann später in jüngeren Liedern wieder aufgenommen und ausgeweitet. Beträchtlich jünger als Brot und Atlakvida sind die Lieder über Sigurds Leben beim Schmied und seinen Kampf mit dem Drachen (Reginsmdl, Fdfnismdl), doch gehen auch sie bestimmt auf alte Überlieferung zurück, wie besonders aus den zahlreichen bildlichen Darstellungen hervorgeht. Isländisches Sondergut dagegen stellen die Weissagungs- und die Rückblickslieder dar. Zu den Liedern der Edda treten als Zeugnisse für die Nibelungensage noch die Anspielungen bei den Skalden hinzu, der kurze Prosabericht in Snorris Edda, die Völsungensaga, die darum besonders wertvoll ist, weil sie erlaubt, verlorene Lieder wenigstens inhaltsmäßig zu erschließen, die Hvensche Chronik (16.—17. Jh.), endlich die Balladen (Kämpeviser), die sich mancherorts bis in die Neuzeit hinein gehalten haben. E s kann hier nicht die Rede davon sein, auf die verschiedenen Probleme einzugehen, die die reiche nordische Überlieferung aufwirft. Nur auf das soll kurz hingewiesen werden, was sie von der deutschen trennt 31 . Der Hauptunterschied zwischen beiden Uberlieferungen ist folgender: in Deutschland betreibt Kriemhild den Untergang der Burgunden, um an ihnen Siegfrieds Tod zu rächen; im Norden lockt Atli aus Goldgier die Burgunden zu sich, ermordet sie und wird dafür von Gudrun ( = Kriemhild) umgebracht, die ihm zuvor noch die Herzen ihrer beiden Knaben als Speise vorsetzt (Atreusmahl!). E s besteht also hier kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Sigurds Tod und dem Tod der Burgundenkönige, und hierin hat wohl der Norden das Ursprüngliche bewahrt. E s war ein großer Wurf, als in Deutschland ein unbekannter Dichter beide Sagen dadurch inniger miteinander verband, daß er den Untergang der Burgunden neu motivierte und Kriemhild zur Rächerin ihres ersten Gatten machte, was dann zur Folge hatte, daß Hagen, Siegfrieds Mörder ( 81
Hugo Kuhn, Über nordische und deutsche Szenenregie in der Nibelungendichtung, Festschr. F. Genzmer, Heidelberg 1952, S. 138—156 (abgedr. in: Dichtung und Welt im Mittelalter, Stuttgart 1959, S. 196—219); A. Wolf, Gestaltungskerne u. Gestaltungsweisen in der altgermanischen Dichtung, München 1965.
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zu dem anderen Hauptträger der Handlung befördert werden konnte. Wann dies geschah, ist schwer zu sagen. Heusler nimmt an, daß ein bayrischer Dichter aus dem 8. Jh. der Schöpfer der neuen Sagenfassung war. Sein Lied hat wahrscheinlich auch Dietrich mit seinen Mannen32 in die Nibelungensage eingeführt und ihm die Hauptrolle bei dem Tod der Burgundenkönige zugeteilt. Unter dem Einfluß der Dietrichepik tritt ferner im deutschen Attilabild selbst eine wesentliche Änderung ein: aus dem goldgierigen Atli der Edda wird nun der milde Etzel, der Hort der Vertriebenen. Sehr verwickelt liegen die Verhältnisse bei der Werbungssage und bei der Sage von Siegfrieds Tod33. Beiden Überlieferungen gemeinsam ist die Hilfe, die Siegfried König Gunther bei dessen Werbung um Brünhild leistet. Doch die Art dieser Hilfe ist verschieden; dort Gestaltentausch, Ritt durch den Flammenwall, keusches Beilager, hier Tarnkappe, Wettkämpfe und Bezwingung der widerspenstigen Braut. Man hat insgesamt den Eindruck, daß, von einem alten Kern ausgehend, der Norden sowohl als auch Deutschland weitgehend geneuert haben, wobei wohl der Märchentypus vom starken Helfer auf die deutsche Fassung gestaltend einwirkte34. Allgemein wird angenommen, daß der durch den Betrug bei der Werbung hervorgerufene Streit der beiden Königinnen zum ältesten Bestand der Sage gehört, doch machten sich in jüngster Zeit Bedenken gegen diese Annahme geltend. Bei Siegfrieds Tod sind im Norden die Rollen anders verteilt als in Deutschland: während hier Hagen zum Morde drängt und ihn auch ausführt, warnt hingegen der nordische Högni manchmal vor der Tat, deren Ausführung dem an den Eiden nicht beteiligten Guthorm überlassen wird; dem Tod im Walde setzen dabei einige Fassungen den Bettod entgegen. Bemerkenswert ist schließlich, daß 32
Hildebrand, Wolfhart, usw. Rüdiger auch scheint in der Dietrichepik beheimatet zu sein; in der Edda fehlen die Rüdigerszenen, die zu den schönsten im deutschen Epos gehören. 33 Zu dem ganzen Komplex s. zuletzt S. Beyschlag, Das Motiv der Macht bei Siegfrieds Tod, GRM 1952, S. 96—108 (abgedr. mit Ergänz, in: Sammelband, S. 195—213; ders.: Deutsches Brünhildenlied und Brautwerbermärchen, Festschr. Fr. von der Leyen, S. 121—146; Kl. von See, Die Werbung um Brünhild, ZfdA 88 1957/58, S. 1—20; ders., Freierprobe und Königinnenzank in der Siegfriedsage, ZfdA 89 1959, S. 163—172; J. Bumke, Die Quellen der Brünhildfabel im Nibelungenlied, Euph. 54 1960, S. 1—38. 34 F.Panzer, Das russische Brautwerbermärchen im Nibelungenlied. Mit einem Nachwort von Th. Frings, P B B 72, 1950, S. 463—498 (abgedr. in: Sammelbd S. 138—172).
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die nordische Überlieferung, im Gegensatz zur deutschen, den Nachdruck immer mehr auf Brünhild legt. Die Sagen von Siegfried und von den Burgundenkönigen sind, aus Deutschland kommend, nach dem Norden gelangt. Zum Beweis dafür braucht nur auf ihre Lokalisierung in Deutschland hingewiesen zu werden: immer wieder ist in der Atlakvida vom Rhein die Rede, und als um 1150 der isländische Abt Nikülas durch Deutschland nach Rom pilgerte, da suchte er in Westfalen die Gnitaheide auf, wo Sigurd den Fafner erschlagen hatte. Die Wanderung der Sagen aus Deutschland nach dem Norden muß schon in früher Zeit erfolgt sein38. In ihrer jetzigen Gestalt stammen die ältesten Lieder der Edda wohl aus dem 9. Jh. und ihnen waren bestimmt schon ältere Fassungen vorausgegangen; eine dieser Fassungen hat, nach Genzmers ansprechender Vermutung, der Skalde Thorbjörn Hornklofi zur Atlakvida umgedichtet86. Als um 850 Bragi die Ragnarsdrdpa verfaßte, konnte er die Nibelungensage seinen Zuhörern als bekannt voraussetzen, da er Gudruns Söhne „Gjükis Nachkommen" nennt (Gjüki = Gibich, der Vater Gudruns und der Burgundenkönige). Aus dieser Umschreibung, aus der Tatsache, daß Svanhild als die Tochter Sigurds und Gudruns dargestellt wird, darf man wohl schließen, daß damals schon Gudrun und ihre Brüder sowohl in der Siegfriedssage als in der Sage vom Burgundenuntergang auftraten. Und so wird es auch schon in den deutschen Liedern gewesen sein, aus denen die nordischen hervorgegangen sind. Über Zahl, Art und Inhalt dieser Lieder können natürlich nur Vermutungen angestellt werden. Wahrscheinlich wurden sie kurz nach den geschichtlichen Ereignissen gedichtet, die ihnen z. T. zugrunde Hegen. Und so darf man wohl mit Heusler annehmen, daß es schon im 6. Jh. ein fränkisches Brünhildlied und ein fränkisches Lied vom Burgundenuntergang gegeben hat. 2.13 Ursprung Abschließend soll nun nach dem Ursprung der Sagen gefragt werden, die in diesen Liedern dichterische Gestalt gewannen. Bei der Sage vom Untergang der Burgunden Hegen die Dinge ziemHch klar: sie baut 35
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Uber jüngeren Import aus Deutschland s. W. Mohr, Entstehungsgeschichte und Heimat der jüngeren Eddalieder südgermanischen Stoffes, ZfdA 75, 1938/39, S. 217—280; ders., Wortschatz und Motive der Eddalieder mit südgermanischem Stoff, ZfdA 76, 1939/40, S. 149—217). Der Dichter der Atlakviöa, Arkiv 1926.
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wesentlich auf geschichtlichen Ereignissen aus dem 5. Jh. auf. Im Jahre 437 vernichtete eine Hunnenschar — von Attila selbst ist dabei nicht die Rede — das Reich der Burgunden bei Worms; deren Könige hießen, der vor 516 verfaßten Lex Burgundionum zufolge, Gibica (Gibich/Gjüki), Godomar (in der Edda Guthorm), Gislahari (Giselher) und Gundahari (Gunther/Gunnar); von letzterem wird ausdrücklich berichtet, daß er in der Schlacht umkam. Sechzehn Jahre später, 453 also, starb Attila in der Hochzeitsnacht mit einer Germanin namens Hildico (vgl. (Kriem)hild) an einem Blutsturz. Dieser beiden Ereignisse nun bemächtigte sich die Sage, verknüpfte sie derart, daß nun erzählt wurde, diese Hildico habe Attila ermordet, und zwar aus Rache für den Tod ihrer Brüder, der Burgundenkönige. Viel schwieriger ist es, die U r s p r ü n g e der S i e g f r i e d s a g e zu ergründen. Das hegt z. T. daran, daß in ihr Elemente verschiedener, geschichtlicher sowohl als auch mythischer Herkunft verbunden sind. Dieses Doppelgesichtige an der Sage sucht O. Höfler dadurch zu erklären, daß er annimmt, ein geschichtliches Ereignis sei in ihr mythisiert worden. Ihm zufolge ist Siegfried niemand anders als Arminius, dessen Sieg über Varus nach der archetypischen Vorstellung vom Kampf des Göttersohnes umgemodelt wurde zum Kampf mit dem Drachen. Eins jedoch darf nicht außer acht gelassen werden: die Siegfriedsage, so wie wir sie kennen, spiegelt im allgemeinen die Verhältnisse einer viel jüngeren Zeit, man atmet darin, wie H. Schneider sagt, merowingische Luft, und sehr wahrscheinlich waren schon im fränkischen Brünhildlied die Burgundenkönige Siegfrieds Mörder. So hat man denn immer wieder versucht, die Sage an Ereignisse aus der Merowingerzeit anzuknüpfen, vor allem an den Streit der beiden Königinnen Brünhild und Fredegund, der in der von Fredegund angestifteten Ermordung von Brünhilds Gemahl Sigibert (f 575) gipfelte37. H. de Boor seinerseits sieht in Siegfried den (historisch nicht bezeugten) fränkischen Schwager der Burgundenkönige, den diese vor dem Untergang ihres Reiches ermordet hätten38. Möglich ist immerhin, daß uralte, letztlich mythische Vorstellungen vom Kampf mit dem Drachen, die einst vielleicht mit der Gestalt des Arminius verbunden waren, nun auf die merowingischen Träger der Handlung übertragen wurden. 37
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Hugo Kuhn, europas und H. de Boor, Sammelbd S.
Brünhild und das Kriemhildlied, in: K. Wais, Frühe Epik Westdie Vorgeschichte des Nibelungenliedes, Tübingen 19B3, S. 9—21. Hat Siegfried gelebt?, P B B 63, 1939, S. 250—271 (abgedr. in: 31—61).
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2.2 Gotische Heldensagen Auf die Bedeutung der gotischen Sagen in der germanischen Welt wurde schon in 1.2 hingewiesen. Von gotischer Dichtung selbst ist nichts erhalten, doch deren Nachhall finden wir sowohl in Deutschland als auch im Norden und in England. In den Heldenepen des deutschen Mittelalters ist Dietrich von Bern (Theoderich der Große, 454—626) die alles überragende Gestalt, so sehr, daß sich die Erinnerung an andere gotische Sagen nur insofern erhalten hat, Eds sie irgendwie mit ihm in Zusammenhang gebracht werden konnten39. Im Hildebrandslied schon klingt seine Sage an, in manchem späteren Werk wird auf sie angespielt, der zweite Teil des Nibelungenlieds setzt sie als bekannt voraus, und zahlreich sind die Dichtungen aus der 2. Hälfte des 13. Jhs., die sich mit Dietrichs Taten und Leiden befassen. Man pflegt diese Dichtungen in vier Gruppen einzuteilen: Werke, in denen uns Sagen überliefert werden, die letztlich auf geschichtliche Ereignisse zurückgehen — märchenhafte Dichtungen — Dichtungen, in denen sich Dietrich und Siegfried im Kampfe messen (Rosengarten, Biterolf und Dietleib, Thidrekssaga) — Dichtungen (oder Prosaberichte ?) in denen Dietrich mit slawischen Völkerschaften kämpft (sie werden uns besonders in den Nacherzählungen der Thidrekssaga greifbar). Die beiden letztgenannten Gruppen sind jüngeren Ursprungs und auf sie soll deshalb im folgenden nicht näher eingegangen werden. Hauptgewicht wird unsere Darstellung auf die sog. historischen Sagen legen40. 2.21 Historische Sagen Sie sind uns vor allem in den Voglerepen (Dietrichs Flucht oder das Buch von Bern und Rabenschlacht, beide aus dem letzten Viertel des 13. Jhs.), sodann in den Anfangspartien von Alpharts Tod (um 1250),
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Gesamtdarstellungen: Th. Steche, Das Rabenschlachtgedicht, das Buch von Bern und die Entwicklung der Dietrichsage, Greifswald 1938 ; W. Mohr, Dietrich von Bern, ZfdA 80, 1943/44, S. 117—155; G. Zink, Les légendes héroïques de Dietrich et d'Ermrich dans les littératures germaniques, Paris-Lyon 1950; R. von Premerstein, Dietrichs Flucht und Rabenschlacht. Eine Untersuchung über die äußere und innere Entwicklung der Sagenstoffe, Gießen 1957. Eine der großartigsten gotischen Sagen, die Sage von der Hunnenschlacht, die uns in dem nordischen Hunnenschlachtlied (erhalten in der im 14. Jh. aufgezeichneten Hervararsaga) entgegentritt, ist in Deutschland nicht bezeugt. Ist sie da deshalb untergegangen, weil sie den Anschluß an die Dietrichsage nicht finden konnte ? Oder ist es nicht vielmehr so, daß die Sage in sehr früher Zeit auf direktem Wege, d. h. ohne deutsche Vermittlung, nach dem Norden gelangte ?
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in der Thidrekssaga und in dem sog. Anhang zum Heldenbuch (AHB) überliefert. Im wesentlichen erzählen die Voglerepen, wie Ermrich, angestachelt durch die Einflüsterungen eines treulosen Ratgebers, Sibeche, zuerst seinen Sohn in den Tod schickt, wie er sodann seine Neffen, die Harlungen, hängen läßt, wie er es schließlich unternimmt, Dietrich, seinen anderen Neffen, aus Bern zu vertreiben. Zwar wird sein Angriff zurückgeschlagen, doch um seine acht Mannen zu lösen, die in Ermrichs Hand gefallen sind, geht Dietrich freiwillig in die Verbannung. Er findet Aufnahme bei Etzel und bei Frau Helche, mit deren Hilfe er später versucht, sein Reich zurückzuerobern. Dreimal besiegt er denn auch seinen Gegner, doch nach jedem Sieg kehrt er wieder zurück zu den Hunnen. In der 3. Schlacht, der Rabenschlacht, fallen Etzels junge Söhne Scharphe und Orte sowie Dietrichs Bruder Diether von Witeges Hand, und Dietrich sucht vergebens, dafür an dem Mörder Rache zu nehmen. Weitschweifig und rührselig, fast grotesk wirkend in ihrer Schwarzweißmalerei, sind die Voglerepen alles andere als Meisterwerke; ihrem Verfasser muß man auf jeden Fall die sinnlose Verdreifachung der einen Rabenschlacht zur Last legen. Doch manchmal stößt man in ihnen auf Stellen (Anfang der Fluchterzählung, Witeges Verfolgung durch Dietrich), die zu erkennen geben, daß die Vorlagen doch von höherem Niveau waren. Für die Rabenschlacht darf als Vorlage wohl auf ein Epos (Ältere Rabenschlacht) geschlossen werden, das man sich gewöhnlich als gleichzeitig mit der Älteren Not — also um 1160 — entstanden denkt. Dieses Epos liegt sicher der Erzählung der Thidrekssaga zugrunde, die in ihrer Ausführlichkeit schwerlich auf ein Lied zurückgehen kann. Anspielungen darauf finden sich in dem Nibelungenlied (Witege hat Rüdigers Sohn Nuodunc erschlagen, was durch die Saga bestätigt wird), bei Wolfram (Witeges Wüten in der Schlacht und Sibeches Feigheit), bei Werner dem Gärtner (auf des jungen Helmbrecht Haube ist der Tod von „frouwen Heichen kinden" und von Diether dargestellt). Und eine Sproßfabel zum Tod der Etzelsöhne ist doch wohl die Erzählung vom Tod des jungen Alphart, der wie sie von Witege (und von Heime) erschlagen wird. Merkwürdig ist, daß in der Thirekssaga wie in den Voglerepen Dietrich nach seinem Sieg über Ermrich zu den Hunnen zurückkehrt. Diese seltsam anmutende Rückkehr muß also schon in der Älteren Rabenschlacht gestanden haben, während ursprünglich Dietrichs Sieg sicher mit seiner endgültigen Heimkehr verbunden war. Der Grund für diese nicht eben glückliche Umbiegung der Fabel Hegt auf der Hand: sie ist eine Folge von Dietrichs Eintritt in die Nibelungensage. Von dem Augenblick an.
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wo ihm die Hauptrolle bei dem Untergang der Burgunden zugeteilt wurde, mußte er mit seinen Getreuen beim Schlußakt am Hunnenhof weilen. Und chronologisch — das geht aus der Thidrekssaga und aus der Nuodunc-Stelle im Nibelungenlied hervor — fand die Rabenschlacht vor dem Untergang der Burgunden statt. Die Vorlagen von Dietrichs Flucht sind schwer zu bestimmen. Schöpfte Heinrich der Vogler aus liedmäßigen Gebilden oder lag ihm schon ein Epos vor ? Die Antwort auf diese Frage hängt wesentlich von dem Wert ab, den man seiner Erzählung von den Vorgängen bei Dietrichs Vertreibung beimißt. Nimmt man an, daß die Episode von der Gefangennahme der Dietrichhelden auf alter Uberlieferung beruht, die bis zu Theoderichs Zeiten zurückreicht (Tufas Verrat!), dann mag man auf ein Epos schließen41. Doch findet sich diese Episode nur bei dem Vogler vor; in den entsprechenden Kapiteln der Thidrekssaga wie in dem ersten Teil von Alpharts Tod, der auch Dietrichs Vertreibung aus Bern schildert, ist weder von einer vorangehenden Schlacht noch von den Gefangenen die Rede. Und da hegt denn die Vermutung nahe, daß der Vogler Schlacht und Gefangenenepisode erfunden hat, weil er nicht wahrhaben wollte, daß Dietrich kampflos sein Reich verließ, weil für ihn die Schlacht nur mit Dietrichs Sieg enden konnte und er deshalb nach einem anderen Grunde für die Verbannung suchen mußte: dabei griff er zu dem weitverbreiteten Motiv von der Treue des Königs seinen Mannen gegenüber (vgl. Wolfdietrich), das er in der ihm eigenen rührseligen Weise übertrieb. Ist diese Vermutung richtig, dann wird man als Vorlage eher an Lieder als ein Epos denken. Uns will scheinen, daß uns solche Lieder in der weitgehenden Ubereinstimmung zwischen dem Anfang von Dietrichs Flucht, der Thidrekssaga und dem AHB. greifbar werden (Ermrich tut Sibeches Gemahlin Gewalt an und aus Rache dafür betreibt Sibeche 1. den Tod des Königssohns [oder der Königssöhne] 2. den Tod der Härtungen 3. Dietrichs Verbannung.) In der gesamten mhd. Überlieferung tritt Ermenrich als Dietrichs Gegenspieler auf. Das war nicht immer so: im Hildebrandslied wird — den geschichtlichen Verhältnissen entsprechend — Odoaker als Dietrichs Gegner bezeichnet, die Quedlinburger Annalen (10. Jh.) kennen zwar Odoaker noch, aber er ist da zu Ermenrichs Ratgeber herabgesunken; später dann verschwindet er ganz und Ermenrich beherrscht allein das 41
So H. Schneider, der annimmt, daß das erste Dietrichepos schon den ganzen Sagenstoff von der Flucht bis zur Heimkehr behandelte und der zwischen diesem Epos und den Voglerepen ein zweites, um 1230 entstandenes Epos ansetzt.
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Feld. Darüber, wie es zu dieser Verdrängung Odoakers durch Ermenrich kommen konnte, lassen sich folgende Erwägungen anstellen: es gab schon in sehr früher Zeit Sagen, die Ermenrich als Verwandtenfeind darstellten; nun gehören aber beide, Ermenrich und Dietrich, dem Geschlecht der Amaler an (in der deutschen Überlieferung ist der Gotenname durch den der Amelungen verdrängt worden), und so wurde ersterem eine neue Schandtat dadurch zur Last gelegt, daß ihn die Sage an Odoakers Stelle treten ließ und zu Dietrichs bösartigem Onkel machte. Die Folge davon war, daß die Ermenrichsage ganz in der Dietrichsage aufging. Ursprünglich handelte es sich jedoch um zwei getrennte Sagenkreise, und getrennt muß denn auch ihr Werdegang untersucht werden. 2.211 D i e t r i c h s a g e Für die Erforschung der Dietrichsage fällt die nordische Überlieferung so gut wie ganz aus. Keine Skaldenkenning weist auf Dietrich hin, weder Snorri noch Saxo kennen ihn, und nur in einem einzigen Lied der Edda, im 3. Gudrunlied, ist von ihm die Rede, und zwar auf eine Weise, die anzudeuten scheint, daß dem Verfasser des verhältnismäßig jungen Liedes verworrene Kunde von der deutschen Nibelungensage zu Ohren gekommen wax; erst mit der Thidrekssaga drang der Strom der Erzählungen um Dietrich nach dem Norden. Kaum ergiebiger für die Sagenforschung sind die Zeugnisse aus England. Der Sänger des Widsith scheint den ostgotischen Theoderich nicht zu kennen. In Deors Klage wird er zwar erwähnt, aber auf reichlich unklare Weise: „Dietrich besaß dreißig Jahre lang die Burg der Maeringer", heißt es da, „viele wissen es. Jenes ging vorüber, so wird auch dies (des Sängers Unglück) vorübergehen". Es ist schwer zu entscheiden, ob hier auf die Sage von Dietrichs dreißigjähriger Verbannung angespielt wird oder auf die geschichtliche Tatsache, daß der Arianer Theoderich etwas mehr als dreißig Jahre über Italien herrschte. So sind wir im wesentlichen auf die deutschen Zeugnisse angewiesen. Doch da haben wir das Glück, daß das einzig erhaltene Heldenlied in deutscher Sprache, das Hildebrandslied, uns von der Dietrichsage Kunde gibt. Die eigentliche Fabel des Liedes, der Vater-Sohn-Kampf, ist zwar mit dieser Sage nur lose verbunden; außerhalb des Dietrichkreises tritt sie uns mancherorts entgegen, so vor allem in der irischen, persischen und russischen Heldendichtung42. Überall endet da der Kampf mit dem 42
H. Rosenfeld, Das Hüdebrandslied, die idg. Vater-Sohn-Dichtung und das Problem ihrer Verwandtschaft, DVjs. 26, 1962, S. 413—432. Für mythische Herkunft des Motivs setzt sich J. de Vries ein (Das Motiv des Vater-Sohn-
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Tod des Sohnes, und so war es bestimmt auch im Hildebrandslied, dessen Schluß nicht überliefert ist: das geht einerseits aus der Anlage des Liedes selbst hervor („welaga nü, waltant got, wewurt skihit"), das wird uns überdies durch das Zeugnis einer altisländischen Saga, der Asmundarsaga kappabana, bestätigt. Zu dieser Fabel stellt die Dietrichsage nun den Rahmen. Aus den Anspielungen, die der Dichter auf sie macht, können wir entnehmen, daß die Sage seinen Zuhörern in folgender Gestalt bekannt war: Dietrich wurde zusammen mit seinen Getreuen durch Odoaker aus seinem Land vertrieben — er weilte darauf dreißig Jahre lang am Hof des Hunnenfürsten (sicher Attila) — schließlich kehrte er an der Spitze eines Heeres zurück und, so darf man wohl fortfahren, besiegte seinen Gegner in einer Schlacht (der nachmaligen Rabenschlacht), durch die er sein Land zurückgewann (man vergleiche hierzu den Bericht der Quedlinburger Annalen: angestachelt durch Odoaker, hat Ermenrich seinen Neffen Dietrich vertrieben und ihn gezwungen, bei Attila Schutz zu suchen; später dann erobert er mit Attilas Hilfe Ravenna zurück). Es darf wohl angenommen werden, daß die Sagen um Dietrich schon bei den Goten im Liede lebten, ob nur in einem Lied (Rabenschlachtlied) oder in zwei Liedern (Flucht- und Rabenschlachtlied), ist schwer zu bestimmen. Auf direktem Wege oder durch langobardische Vermittlung (für das Hildebrandslied steht eine solche fest) kamen sie dann zu den süddeutschen Stämmen, Alemanen und besonders Bayern, von wo sie später nach dem Norden ausstrahlten. Manches Geschichtliche hat sich dabei erhalten. Dietrich, sein Bruder, sein Vater und sein Onkel, Odoaker, Attila, Frau Helche gehören der Geschichte an, Verona (Bern) war eine von Theoderichs Lieblingsstädten, der Kampf zwischen Theoderich und Odoaker nahm tatsächlich mit der Eroberung von Ravenna (Raben) ein Ende . . . Doch wie seltsam wurden dabei die geschichtlichen Ereignisse umgestaltet! Aus dem rücksichtslosen Eroberer, der nach seinem Sieg seinen Gegner eigenhändig niederstach und dann als der mächtigste Germanenfürst seiner Zeit dreiunddreißig Jahre lang in Italien herrschte, wird nun der unschuldig Vertriebene, dem es erst nach dreißigjährigem Exil am Hunnenhofe gelingt, sein Reich zurückzuerobern. Zu dieser Umformung kam es wohl in den leidvollen Jahren nach Theoderichs Tod, als die Goten sich in schweren Kämpfen gegen die Heere des oströmischen Kaisers Justinian zu verKampfes im Hildebrandslied, GRM 34, 1953, S. 267—274); über die Forschungslage unterrichtet: H. van der Kolk, Das Hildebrandslied. Eine forschungsgeschichtliche Darstellung, Amsterdam 1967.
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teidigen hatten und dabei geneigt sein mochten, Italien als ihr angestammtes Erbe, dessen Eroberung als eine Rückeroberung darzustellen. Und wo anders konnte der verbannte Dietrich weilen als am Hofe des Hunnenkönigs, an dem sein Vater und seine Onkel tatsächlich gelebt hatten ? Es wird von ihnen berichtet, daß sie sich Attilas Gunst erfreuten, und daher rührt wohl das Bild des „milden" Etzels her, das später zu dem alleinherrschenden in der deutschen Epik werden sollte. Auf eine Schwierigkeit soll abschließend noch kurz hingewiesen werden. Kern der mhd. Uberlieferung über die Rabenschlacht ist der Tod Diethers und der Etzelsöhne. Aber vor dem 13. Jh., vor Werner dem Gärtner gibt es kein einziges Zeugnis, das davon auch nur andeutungsweise spricht. Sollte die Fabel dennoch verborgen durch die Jahrhunderte hindurch gelebt haben? Hält man an einem geschichtlichen Ursprung der Fabel fest, dann ist wohl das Wahrscheinlichste die immer wieder erwogene Anknüpfung an den Tod der Attilasöhne in der Schlacht am Flusse Nedao und, durch die Sage, damit verbunden, an den Tod von Theoderichs Bruder Theodemund, der 479 im Kampf mit dem oströmischen Feldherrn Sabinianus fiel43. 2.212 Ermenrichsage 4 4 Wie bekannt Ermanarich in der germanischen Welt war, geht schon daraus hervor, daß ihn der Widsith in seinem Herrscherkatalog an zweiter Stelle, gleich hinter Attila, nennt. Die Geschichte weiß von ihm zu berichten, daß er im jetzigen Südrußland ein großes Reich gründete, das aber 375 unter dem Ansturm der Hunnen zusammenbrach; bei ihrem Überfall habe Ermanarich, so heißt es bei Ammianus (f400), noch vor der Entscheidungsschlacht Selbstmord begangen. Der plötzliche Glückswechsel, die bei einem Germanenfürsten ungewöhnliche Todesart mögen bei den Zeitgenossen Aufsehen erregt und Anlaß zur Sagenbildung gegeben haben. Hundertfünfzig Jahre nach Amminanus' Bericht tritt uns denn auch eine solche Sage bei Jordanes vollausgebildet entgegen: aus Rache für den verräterischen Abfall eines Mannes aus dem treulosen Stamme der Rosomonen, habe Ermanarich dessen Frau Sunilda durch Pferde zerreißen lassen; Sunildas Brüder Sarus und 43
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Vielleicht liegt dann in den bei Johannes von Antiochien überlieferten Worten, die Theodorich ausgesprochen haben soll, als er Odoaker niederstreckte — „es ist das Gleiche, was du den meinen getan hast" — ein erster Ansatz zur Sagenbildung vor; vgl. H. Rosenfeld, Wielandlied, Lied von Frau Heichen Söhnen und Hunnenschlachtlied. Mit Nachtrag: Theodorich und das Blutrachemotiv, Tübingen 19B5. O. Brady, The Legends of Ermanaric, Berkeley-Los Angeles, 1943.
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Ammius hätten darauf den König, dem die Hunnen schon hart zusetzten, überfallen und ihn schwer verwundet; Ermanarich sei dann sowohl an den Wunden als aus Kummer über den siegreichen Einfall der Hunnen in hohem Alter gestorben. Dieser sagenhaften Erzählung liegt höchstwahrscheinlich ein gotisches Lied zugrunde, und dieses Lied wanderte schon in sehr früher Zeit nach dem Norden, wo es in den Hamdismäl weiterlebt. Es ist bemerkenswert, wie so manches in dem nordischen Lied mit Jordanes' Bericht übereinstimmt: die Namen (Sunilda/Svanhild, Sarus/Sörli, Ammius/Hamöir), Svanhilds Todesart und die Verwundung des Königs. Anderes ist im Norden neu hinzugekommen (einzelnes davon mag vielleicht schon im gotischen Lied gestanden haben): der Halbbruder Erp, den Hamöir und Sörli auf dem Ritt nach Ermanarichs Burg töten, das Motiv der gegen Eisen gefeiten Rüstungen und der abgehauenen Hände und Füße, die durch Gudruns Gestalt geschaffene Verbindung mit der Nibelungensage, besonders aber die Vorgeschichte, die von Bikkis Ränken berichtet (Bikki hat Jörmunreks Sohn Randver zum Ehebruch mit Svanhild angestiftet und die jungen Leute dann beim König verklagt; darauf läßt dieser seinen Sohn hängen und Svanhild durch Pferde zertreten). Zahlreich sind im Norden die Zeugnisse, die uns von dieser Sage Kunde geben. In der Ragnarsdrdpa spielt Bragi in einer Weise auf sie an, die ihre Kenntnis bei seinen Zuhörern voraussetzt, die Skalden greifen oft in ihren Kenningen auf sie zurück, ein jüngeres Lied der Edda (Gudruns Aufreizung) übernimmt manches aus dem Hamdirlied, Prosaberichte über Ermanarichs Tod finden wir in Snorris Edda, in der Völsungensaga und bei Saxo. Ganz anders hegen die Verhältnisse in England und in Deutschland. England scheint die Svanhildsage überhaupt nicht gekannt zu haben45. In Deutschland berichten die Quedlinburger Annalen (und, auf ihnen fußend, Ekkehard von Aura), Ermanarich sei von drei Brüdern, Hemidus Serila und Adaocar, die den Tod ihres Vaters rächen wollten, getötet worden (wobei das Motiv der abgeschlagenen Glieder auftaucht). Das nd. Lied von Koninc Ermenrikes Döi (Druck aus dem 16., nach einer Vorlage aus dem 13. Jh.) erzählt von einem Überfall auf Ermenrichs Burg, der in manchem (Ermenrichs Haltung, als ihm das Herannahen der Feinde gemeldet wird) an das Hamdirlied erinnert; nur sind dabei 45
Es sei denn, daß man sich mit R. W. Chambers (Widsith, Cambridge, 1912 und K. Malone (Widsith, Kopenhagen 21962) zu der Gleichsetzung Ealhhild-Svanhild bekennt.
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Dietrich und seine Gesellen (Blödelin!) an die Stelle von Svanhilds Brüdern getreten. Merkwürdig bleibt bei alledem, daß die so reich entwickelte mhd. Dietrichepik nicht nur die beiden Brüder nicht kennt, sondern ganz anderes über Ermenrichs Tod zu berichten weiß: er stirbt ihr zufolge an einer üblen Krankheit oder wird auf einem schwarzen Pferd in die Ewigkeit entführt. Man hat den Eindruck, daß die schon bei Jordanes bezeugte Sage in Deutschland nie recht hat Fuß fassen können, ja man darf sich fragen, ob das wenige, was uns darüber überliefert ist, nicht auf Ausstrahlungen aus dem Norden zurückgeht. Dagegen sind uns in Deutschland und in England Sagen bezeugt, die hinwiederum dem Norden (bis zur Thidrekssaga) unbekannt geblieben sind. Dem Rheimser Geschichtsschreiber Flodoard (10. Jh.) ist Ermanarich schon der ausgesprochene Verwandtenfeind. Zwei Sagen, die ihn als solchen darstellen, werden oft in der mhd. Heldenepik erwähnt: er hat seinen Sohn in den Tod geschickt, er hat seine Neffen, die Harlungen, hängen lassen. Anstifter ist dabei immer der treulose Ratgeber Sibeche, von dem wohl angenommen werden muß, daß er irgendwie mit dem nordischen Bikki zusammenhängt. Der erste Beleg für den Tod des Ermanarichsohnes Hegt in den Quedlinburger Annalen vor. Der Sohn heißt hier Friedrich, und diesen Namen trägt er später auch in Dietrichs Flucht und in der Thidrekssaga (die noch von zwei anderen Söhnen spricht). Dies führte zu der Vermutung, daß der im Widsith erwähnte FreoJ)eric schon Ermanarichs Sohn bezeichne. Doch beweisen läßt sich dies natürlich nicht, und unmöglich ist es auch, über die Herkunft der Sage, über ihren etwaigen Zusammenhang mit der nordischen Randversage Sicheres auszusagen. Sehr verbreitet war in Deutschland die Sage von den Harlungen, wie aus den zahlreichen Ortsnamen hervorgeht, die deren Namen als erstes Bildungsglied aufweisen. Dem Sänger des Widsith war sie wahrscheinlich schon bekannt, denn in zwei aufeinanderfolgenden Versen führt er die Namen Herelingas, Emerca und Fritla an. In den Quedlinburger Annalen heißen die Harlungen Embrica und Fritla, und da wird zum ersten Male von ihnen berichtet, ihr Oheim habe sie an den Galgen knüpfen lassen. Die späteren Berichte (Thidrekssaga, Dietrichs Flucht, AHB) halten alle an diesem Zug fest, wenn sie auch im einzelnen voneinander abweichen; allen gemeinsam ist auch die Gestalt des treuen Eckhard, der als Gegenbild zum ungetreuen Sibeche auftritt und der den Harlungen helfend zur Seite steht. Hier wie fast nirgends sonst in der deutschen Heldensage fühlt man sich der Welt des Mythus nahe. Es darf wohl angenommen werden, daß
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ein ursprünglicher, wenn auch unklarer Zusammenhang besteht zwischen der Harlungensage und dem schon bei Tacitus bezeugten germanischen Dioskurenmythus. Andererseits wird E c k h a r d (allerdings nur in jüngeren Zeugnissen) im Gefolge der Wilden J a g d genannt, wo er als W a r n e r fungiert (vgl. Goethes Ballade Der Getreue Eckart), und der N a m e der Harlungen selbst wird als „die zu Harilo, zu Odin als dem F ü h r e r des Wilden Heeres und dem Gott der Gehängten Gehörenden" gedeutet. Doch bleibt es bei alledem unklar, wie es dazu kommen konnte, daß die Harlungen in den Sagenkreis u m den Gotenkönig E r m a n a r i c h eintraten. Ob dabei Geschichtliches mitgespielt hat, m a g dahingestellt bleiben. Hinweis auf die Helden um Dietrich und um Ermenrich Die Dietrichepik — wohl unter dem Einfluß der Chansons de geste — schwelgt gern in hohen Zahlen, zumal bei den Schlachtenschilderungen, und zahlreich sind die Helden, die in ihr auftreten; oft wird dabei das Bestreben spürbar, zu einer Zwölfzahl der Helden um Dietrich zu gelangen (in Anlehnung an die Paladine um Karl den Großen). Die meisten dieser Gestalten sind jedoch nicht viel mehr als bloße Statisten, deren Namen erfunden oder aus anderen Sagenkreisen zusammengetragen wurden. Bei einigen jedoch treten individuelle oder, genauer, funktionelle Züge zutage: Hildebrand, der getreue alte Waffenmeister, Wolfhart, der Heißsporn, der Hauptvertreter der Wülfinge, Rüdiger, der Vermittler zwischen Dietrich und Etzel. Dietleib/Thetleif scheint in Niederdeutschland der Held einer Sage gewesen zu sein, die auf dem Motiv von dem Aschenlieger und auf dem von der hilfreichen Tochter des Feindes aufbaute (Thidrekssaga cap. 108—131). Eine eigenartige Stellung nehmen Witege und Heime ein. Sie stehen bald auf Dietrichs, bald auf Ermenrichs Seite, fast immer aber erscheinen sie in sehr schlechtem Lichte, die Ermordung junger Helden wird ihnen mit Vorliebe zur Last gelegt. Das Zwiespältige in ihrer Stellung erklärt sich dadurch, daß sie, ursprünglich zu Ermenrich gehörend, früh schon mit Dietrich in Beziehung gesetzt wurden. Im Widsith werden Wudga und Hama Ermanarichs Kriegern zugezählt, doch leben sie als „Recken" an der Grenze seines Reiches, wo sie „des gewundenen Goldes" walten und ständig Krieg führen. Vielleicht hängt ihre Verbannung mit dem Raub zusammen, den Hama dem Beowulf zufolge beging, als er Ermanarich den geheimnisvollen Brosingenschatz entwandte. Im Walder e ist dann die Verbindung Widias mit Dietrich schon hergestellt. Was die Herkunft der beiden Sagengestalten betrifft, so liegt sie im Falle Heimes völlig im Dunkeln, während WudgafWitege doch wohl der Vidigoia ist, von dem es bei Jordanes heißt, er, der tapferste der Goten, sei im 3. Jh. der Tücke der Sarmaten erlegen. 2.22 M ä r c h e n h a f t e
Dichtungen
Zahlreich sind in mhd. Zeit die Dichtungen, die Dietrich im K a m p f mit Riesen, mit Zwergen und manchmal auch mit Drachen darstellen {Eckenlied, Sigenot, Laurin, Dietrichs erste Ausfahrt, auch Virginal ge-
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nannt, Wunderer). In ihren erhaltenen Fassungen stammen die meisten dieser Dichtungen aus der 2. Hälfte des 13. Jhs., doch viele von ihnen waren schon in einer älteren Form dem Verfasser der Thidrekssaga bekannt. Allen ist gemeinsam, daß Dietrich zuerst hart bedrängt wird und an dem Sieg beinahe verzagt, daß es ihm aber schließlich doch gelingt, seiner Gegner Herr zu werden. Auf die Einzelheiten dieser Kämpfe kann hier nicht eingegangen werden, nur die Frage nach Alter und Herkunft soll kurz gestreift werden. Manches in der märchenhaften Dietrichdichtungen ist gewiß jungen Ursprungs und geht auf Anregungen der verschiedensten Art zurück: aus der Sage von Jungsiegfried (Dietrichs Kämpfe finden gewöhnlich in seiner Jugend statt), aus der Heldenund aus der Artusepik, aus der niederen Mythologie (Zaubergarten in den Alpen, Waldfräulein). Doch gibt es eine Stelle im altenglischen Waldere (B 4—10), aus der hervorgeht, daß Dietrich schon in früher Zeit mit der Welt des Wunderbaren in Berührung trat: es ist da die Rede von einem Schwert, das Dietrich dem Widia (Witege) zum Dank dafür geschenkt hatte, daß dieser ihn aus der Gewalt der Riesen befreit hatte. Vielleicht darf man hierin den Beweis für eine einsetzende Mythisierung Dietrichs sehen, mit der dann auch sein Eintritt in das Wilde Heer zusammenhängen würde. Ob man so weit gehen kann, mit O. Höfler anzunehmen, daß König Theoderich bald nach seinem Tode zu einer Odin-Hypostase mythisiert wurde, bleibt fraglich, denn die Deutung der Rökstein-Inschrift, auf die sich diese Annahme hauptsächlich stützt, ist noch immer sehr umstritten44. Es ist übrigens schwer, im Falle Dietrichs von Bern zwischen Mythisierung und Dämonisierung genau zu unterscheiden, denn auch eine solche ist eingetreten. Die katholische Kirche sah in König Theoderich vor allem den Arianer, der Boethius und Symmachus hinrichten und Papst Johann gefangen setzen ließ. Im 6. Jh. berichtet Papst Gregor in seinen Dialogen, er sei zur Strafe dafür nach seinem Tode von seinen Opfern in einen Vulkan gestürzt worden. Und im 12. Jh. nimmt dann Otto von Freisingen diese Erzählung wieder auf, wobei er auf die im Volke gängigen Fabeln hinweist, denen zufolge Dietrich bei lebendigem Leibe auf einem Roß in die Hölle entführt worden sei. Ein ausführlicher Bericht hierüber steht in der Thidrekssaga (besonders in der schwedischen 48
O. Höfler, Der Runenstein von Rök und die germanische Individualweihe, Tübingen-Münster-Köln 1952; ders., Der Rökstein und die Sage, Arkiv 1963, S. 1—121. Dagegen: E. Wessen, Teoderik — myt eller hjältesaga? Arkiv 1964, S. 1—20. 3
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Fassung) und mehrere andere Denkmäler spielen darauf an47. Mit dieser Todesart stehen doch wohl die Hinweise auf seine dämonische Geburt (Thidrekssaga, A HB) in Zusammenhang, vielleicht auch das in den Quellen oft erwähnte Feueratmen, das ihn in den Augenblicken höchsten Zornes befällt und das die Rüstung seiner Gegner zur Siedehitze bringen kann. 2.3 Ortnit und Wolfdietrich Die Gedichte, die uns die Sage von Ortnit und von Wolfdietrich48 übermitteln, stammen sämtliche aus dem 13. Jh.; die ältesten (Ortnit und Wolfdietrich A) entstanden um 1240, die Fassungen B, C und D des Wolfdietrich in der 2. Hälfte des Jhs. oder noch später. Die Verbindung zwischen den ihrem Wesen nach sehr verschiedenen Sagen wird dadurch hergestellt, daß erzählt wird, Wolfdietrich habe den Drachen erschlagen, der Ortnit verschlungen hatte, und darauf dessen Witwe geheiratet. Ortnit ist im wesentlichen die mit Kreuzzugsmotiven ausgeschmückte Geschichte einer Brautfahrt. Mit Heeresmacht zieht der junge König von Lamparten nach Syrien, um die Tochter des Heiden Machorel für sich zu gewinnen. Dabei stehen ihm zwei Helfer zur Seite, sein Vater, der Albenfürst Alberich, und sein Mutterbruder Iljas von Rußland. Machorel wird besiegt und Ortnit kehrt mit seiner Frau nach Lamparten heim. Versöhnung heuchelnd, aber Rache sinnend, schickt später Machorel zwei Dracheneier in Ortnits Land. Die Ungeheuer, die ihnen entschlüpfen, verwüsten die Gegend, und König Ortnit unternimmt es, sie zu erlegen. Doch er schläft unter einem Baum ein und wird selbst von den Drachen verschlungen. Wolfdietrich, zumal in der ältesten Fassung A, steht dem Geist der Heldendichtung näher als Ortnit. Da ist die Rede von einem treulosen Dienstmann, Sabene, der aus Rache dafür, daß die Königin sein Liebeswerben zurückgewiesen hat, dem König — er heißt Hugdietrich und herrscht in Konstantinopel — erzählt, sein letztgeborener Sohn, der junge Dietrich, sei in Wirklichkeit der Sohn des Teufels. Ein treuer Dienstmann, Berhtunc, nimmt sich jedoch des Kindes an und, statt es 47
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E. Benedikt, Die Überlieferungen vom Ende Dietrichs von Bern, Festschr. D. Kralik, Horn 1954, S. 99—111; G. Plötzeneder, Die Teufelssage von Dietrich von Bern, Innsbr. Beitr. f. Kulturwiss. 6,1969, S. 33—40; W. Haug, Theodorichs Ende und ein tibetisches Märchen, Festschr. Fr. von der Leyen, Manchen 1963, S. 83—115. Gesamtdarstellungen: H. Schneider, Die Gedichte und die Sage von Wolfdietrich, München 1913; L. Baeker, Die Sage von Wolfdietrich und das Gedicht A, ZFDA 92 1963/64, S. 31—82.
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im Walde auszusetzen, wie der König ihm befohlen hatte49, übergibt er es einem Waldhüter zur Pflege und zieht es dann, nach Sabenes Entlarvung, zusammen mit seinen sechzehn Söhnen auf. Nach Hugdietrichs Tod gelingt es indessen Sabene, Wolfdietrichs ältere Brüder gegen ihn aufzuhetzen und Berhtuncs Burg wird von ihnen belagert. Wolfdietrich jedoch entkommt aus der Burg und macht sich auf, um bei König Ortnit Hilfe zu suchen. Die Fassung A erzählt noch sein Abenteuer mit einem Meerweib, dann bricht sie ab. Die Fassungen B und besonders D lassen den Helden auch manches Seltsame erleben, bis er schließlich nach Garda kommt, Ortnits Tod rächt, dessen Witwe heiratet und darauf nach Griechenland zurückkehrt, wo er seine Dienstmannen befreit, die Verräter bestraft und sich am Ende seines Lebens in ein Kloster zurückzieht (Motiv der altfr. moniages!). 2.31 Vorlagen Als unmittelbare Vorlage für die erhaltenen Fassungen nimmt H. Schneider ein erstes Wolfdietrichepos an, das er um 1215 ansetzt. Auf diese Dichtung gehen wahrscheinlich die Kapitel der Thidrekssaga (416—422) zurück, die von einem Hertnid von Bergara berichten; dieser Hertnid erleidet Ortnits Schicksal (er wird von einem Drachen verschlungen), die Rache aber für seinen Tod überträgt der Sagamann auf Dietrich von Bern. Nun gibt es jedoch in der Thidrekssaga noch zwei andere Sagengestalten (Großvater und Enkel), die den Namen Hertnid führen. Ihr Reich ist Rußland (altisl. Garöariki), ihre Hauptstadt Nowgorod (altisl. Holmgarör). Was von ihnen berichtet wird, klingt nur von ferne an die Ortnitfabel an, doch daß sie irgendwie mit Ortnit zusammenhängen, geht daraus hervor, daß zwischen Großvater und Enkel Iljas von Griechenland steht, der in der oberdeutschen Dichtung als Iljas von Rußland wiederkehrt. Beide verdanken ihren Namen dem berühmten russischen Bylinenhelden Ilja Muromec, und es darf wohl angenommen werden, daß der Name, zusammen mit dem des Hertnit von Gardarfki oder von Holmgarö, durch niederdeutsche Vermittlung nach Süddeutschland kam80. Da wußte man jedoch mit dem unbekannten Ländernamen 49
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Hier fügt sich das auch in den späteren Fassungen, wenn auch in anderer Gestalt, überlieferte Motiv von den Wölfen ein, die das Kind verschonen. Es handelt sich da um eine ätiologische Fabel, die dazu dient, den nicht mehr verstandenen Namen des Helden (Wolfdietrich = der verbannte Dietrich) zu erklären. Eine tiefere Beeinflussung der Sage durch die russische Bylinendichtung bestreitet V. Schirmunski, Vergleichende Epenforschung I, S. lOOf. Auffallend dagegen sind die Anklänge an Huon de Bordeaux (Alberich-Auberonl). 3*
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nichts anzufangen, und so wurde Ortnit denn kurzerhand nach dem vertrauteren lombardischen Garda versetzt. Noch anderes ist in dem Bericht der Thidrekssaga bemerkenswert: die Rolle, die der jüngere Hertnid bei Osangtrix' Werbung um die Tochter von König Melias spielt. Diese Erzählung ist ein Seitenstück zu Rothers Brautwerbung, und so weist uns die Saga auf eine Dichtung hin, die manches mit Ortnit und mit Wolfdietrich gemeinsam hat. Im Rother sind Herren- und Mannentreue einerseits, Brautwerbung andererseits eng verbunden, während sie in den beiden anderen Dichtungen getrennt behandelt werden; der treue Dienstmann heißt im Rother Berker von Meran, im Wolfdietrich Berhtunc von Meran, und beide sind reich mit Söhnen gesegnet. Wer ist hier der Gebende, wer der Nehmende? Die Antwort auf diese Frage hängt wesentlich davon ab, ob man geneigt ist, die Wolfdietrichsage als alt zu betrachten. In die Zeit des Rother führt uns auch eine Erzählung in der Kaiserchronik, wo von einem „alten Dietrich" die Rede ist, der, von Etzel aus Meran (Istrien) vertrieben, nach der Lombardei flüchtet und erst nach Etzels Tod in seine Heimat zurückkehrt. Von diesem „alten Dietrich" heißt es nun, er sei des Berners Großvater gewesen, und im Ortnit sowie später in Dietrichs Flucht und im AHB wird uns Wolfdietrich als Dietrichs Großvater bezeichnet; die Möglichkeit, daß der „alte Dietrich" der Kaiserchronik niemand anders ist als eben Wolfdietrich, darf also erwogen werden. 2.32 Ursprung So gelangt man denn mit der Vorgeschichte des Ortnit-WolfdietrichKomplexes bis in die Zeit um 1150. Weiter hinauf in die Vergangenheit zu steigen fällt aus Mangel an klaren, eindeutigen Zeugnissen schwer, so schwer, daß die Frage nach der Herkunft der Wolfdietrichsage — bei Ortnit kommt man wohl kaum über den nd. Hernit hinaus, denn die Anknüpfung an den Mythus der Haddingjar sind doch etwas weit hergeholt — auf die verschiedenste Weise beantwortet wurde und wohl immer beantwortet werden wird. Für D. Scheludko61 ist die Sage jungen Ursprungs, geschaffen von einem Dichter, der zu diesem Zwecke Motive aus Märchen, Legende, Heldendichtung, chansons de geste und Artusepik zusammentrug und sie geschickt zu einem Abenteuerroman mit heldischem Einschlag verarbeitete. 51
D. Scheludko, Versuch neuer Interpretation des Wolfdietrich-Stoffes, ZfdPh 55, 1930, S. 1—49.
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Andere Forscher dagegen vertreten die Ansicht, daß die Sage von dem verbannten Dietrich bis in die Völkerwanderungszeit zurückreicht. Dabei liegt für die einen der Ausgangspunkt in der fränkischen, für die anderen in der ostgotischen Geschichte. Fränkische Lieder als Ausgangspunkt der Wolfdietrichsage werden von der Mehrzahl der Forscher angenommen, ob sie nun diese Lieder auf Chlodwigs Sohn Theuderich oder auf seinen Enkel Theudebert beziehen62. Hauptargument ist in dem einen wie in dem anderen Fall die Tatsache, daß schon im Beowulf die Franken Hugas heißen, daß Widukind von Corvey Chlodwig als Huga bezeichnet und daß in den Quedlinburger Annalen der austrasische Theuderich Hugo Theodericus (also Hugdietrich) genannt wird. Großen Wert hat man auch oft dem Zeugnis einer chanson de geste beigemessen, deren Held Floovant ( = Chlodoving) heißt und — mit geringem Erfolg — hat man versucht, sie neben dem deutschen Wolfdietrich als einen späten Ausläufer der fränkischen Lieder darzustellen. Merkwürdig indessen, wenn auch schwer zu erklären, sind die unleugbaren Beziehungen zwischen dem Wolf dietrich und einer anderen chanson de geste, Parise la Buchesse (der treue Dienstmann — er hat vierzehn Söhne — heißt hier Clarembaut; vgl. Berhtunc). Eher als um ererbtes Gut aus merowingischer Zeit wird es sich da doch wohl um jüngere Entlehnungen handeln. Ein Zusammenhang zwischen Wolfdietrich und dem ostgotischen Theodorich wurde schon von Forschern wie M. Müller und S. Bugge erwogen. In neuerer Zeit hat N. Lukman63 nachzuweisen versucht, daß geschichtliche Ereignisse und Gestalten aus Theodorichs Wanderleben auf dem Balkan in großer Zahl im Wolfdietrich zu erkennen sind. Neuerdings hat J. de Vries die These — mit den nötigen Einschränkungen — wieder aufgenommen und dabei in Anlehnung an O. Höfler auf die Möglichkeit einer Mythisierung auch des balkanischen Theoderich hingewiesen54. Am überzeugendsten wirkt bei dieser These die Gleichsetzung des Verräters Sabene mit Sabinianus, einem oströmischen Feldherrn, der Theoderich (und seinem Bruder Theodemund) als Gegner gegenüberstand. Auffallend ist, daß schon im Widsith das Paar Seafola/ Peoderic genannt wird. 62
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L. Baeker, a. a. O., weist allgemeiner auf die durch das ,, merowingische Mehrkönigtum'* hervorgerufenen Streitigkeiten hin. N. C. Lukman, Der historische Wolfdietrich (Theodorich der Große), Classica et Mediaevalia 3, 1940, S. 263—284, und 4, 1941, S. 1—61. J. de Vries, Die Sage von Wolfdietrich, GRM 39, 1958, S. 1—18.
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2.4 H i l d e - K u d r u n Der einzige Text, der uns beide Sagen, Hildesage und Kudrunsage 55 , überliefert, ist das nur in einer einzigen Handschrift, dem Ambraser Heldenbuch, erhaltene Kudrunepos, das in seiner jetzigen Fassung um 1240 im bayrisch-österreichischen Raum verfaßt wurde. Inhaltlich ist der — rein genealogische — Aufbau der Dichtung denkbar einfach; sie gliedert sich in drei Teile, die von dem Großvater Hagen, von der Tochter Hilde und von der Enkelin Kudrun handeln. Sagengeschichtlich ist die Forschungslage für die drei Teile knapp umrissen folgende: es wird allgemein angenommen, daß die Vorgeschichte (Hagenteil) eine junge Erfindung des Kudrundichters ist, der zu seinem Zwecke verschiedene, letztlich aus dem Orient stammende Motive verwendet hat; auf sie soll deshalb im folgenden nicht näher eingegangen werden. Nicht minder einhellig ist die Forschung in der Feststellung, daß der Hildeteil auf uralte Überlieferung zurückgeht. Sehr geteilt sind dagegen die Ansichten über die Entstehung des Kudrunteils, auf den zwei Drittel der mhd. Dichtung entfallen. 2.41 H i l d e s a g e Um Hilde, Hagens Tochter, wirbt König Hetele von Hegelingen. Seinen Werbern (Wate, Horant, Fruote), die als Kaufleute verkleidet nach Irland fahren, gelingt es, ihr Vertrauen zu gewinnen (Horants Gesang!) und Hilde willigt in ihre Entführung ein. Hagen verfolgt die Entführer, die indessen mit Hetel zusammengetroffen sind, es kommt zum Kampf, dem aber bald eine allgemeine Versöhnung ein Ende setzt. Dieser Schluß ist sicher jung, denn noch um 1130—40 erwähnt der Pfaffe Lamprecht den tragischen Ausgang der Schlacht auf dem Wülpenwerder, in deren Verlauf Hagen von Wate erschlagen wurde (Vorauer Alex. v. 1321ff.). Man nimmt gewöhnlich an, daß er sich dabei auf ein (rheinisches) Spielmannsepos bezieht. Neuerdings wurde die Vermutung ausgesprochen, daß der vor ein paar Jahrzehnten entdeckte jiddische Dukus Horant eher aus dieser verschollenen Dichtung als aus dem Hildeteil der Kudrun geschöpft habe 58 . 85
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Gesamtdarstellungen: Fr. Panzer, Hilde-Gudrun, Halle, 1901; W. Jungandreas, Die Gudrunsage in den Ober- und Niederlanden, Göttingen 1948; J. Caries, Le poème de Kudrun. Etude de sa matière, Paris 1963; R. Wisniewski, Kudrun, Stuttgart 1963; W. Hoffmann, Kudrun. Ein Beitrag zur Deutung der nachnibelungischen Heldendichtung, Stuttgart 1967. Vgl. auch den Forschungsbericht von W. Hoffmann in Wirk. Wort 14, 1964, s. 183—196 u. 233—243. L. Fuks, The Oldest Known Literary Documents of Yiddish Literature, Leiden
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In England war die Hildesage sicher schon dem Sänger des Widsith bekannt, denn die Erwähnung von drei der Hauptgestalten aus dieser Sage (Hagena, Heoden, Wada) in zwei aufeinanderfolgenden Versen (21—22) beruht doch wohl kaum auf Zufall. Deors Klage sodann kennt einen Heorrenda (vgl. Horant), zu dessen Gunsten Deor sein Amt als Scop bei den Heodeningen (Hetelingen/Hegelingen) verliert. Im Norden ist es wieder Bragi, der als erster die Hüdesage in der Ragnarsdrdpa erwähnt. Auf seine dunklen Anspielungen wirft dann später Snorris Bericht in den Skdldska-parmdl einiges Licht: Heöinn, Hjarrandis (vgl. Heorrenda, Horant) Sohn, hat Högnis Tochter Hilde geraubt und entführt. Högni eilt ihm nach, erreicht den Fliehenden und trotz Hildes seltsam zweideutigem Vermittlungsversuch kommt es zum Kampf. Dieser Kampf, der Hjadningavig, wird ewig fortdauern, denn in jeder Nacht erweckt Hüde die gefallenen Krieger zu neuem Leben. Etwas anders lautet der Bericht bei Saxo (er kennt das Motiv des Brautraubs nicht, weiß aber von einem zweimaligen Kampf zwischen Höginus und Hithinus) und in der Sörlapattr aus dem 14. Jh. (Anknüpfung an die nordische Mythologie). Den drei Berichten gemeinsam ist jedoch das (wohl junge) Motiv von Hüde als kampfweckender Walküre und von der immer neu beginnenden Schlacht. Noch im 18. Jh. wurde auf den Shetlandinseln eine in norwegischer Sprache verfaßte Ballade aufgezeichnet, die eine unter dem Einfluß der Sage vom Burgundenuntergang umgeformte Fassung der Hüdesage enthält. Die in den verschiedenen Denkmälern enthaltenen geographischen Angaben werfen einiges Licht auf die Wanderung der Sage. Dem Widsith zufolge herrschte Hagena über die Holmrugier, Heoden über die Glommen, Wada über die Hälsingen, über Völker also, die im Ostseeraum ansässig waren. Dem entspricht, daß Saxo den zweiten Kampf zwischen Höginus und Hithinus bei der Insel Hithinsö ( = Hiddensee in der Nähe von Rügen) stattfinden läßt. Daraus darf man wohl schließen, daß die Sage in sehr früher Zeit (vor der Ende des 4. Jhs. erfolgten Abwanderung der Rugier?) im Ostseeraum entstanden ist. Wie weit Geschichtliches, wie weit Mythisches dabei mitgewirkt hat, ist schwer zu sagen67. Von dem Raum um die Ostsee strahlte dann die Sage zunächst einmal nach
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1957 (dazu I. Schröbler in ZfdA 89, 1968/59, S. 135—162, u. J. Fourquet in Et. germ. 14, 1959, S. 50—56); Dukus Horant, hg. von P. F. Ganz, F. Norman, W. Schwarz. Mit einem Exkurs von S. A. Birnbaum Tübingen 1964. Für mythischen Ursprung setzt sich F. R. Schröder ein (Die Sage von Hetel und Hüde, DVjs. 32 1958, S. 38—70.
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Norden und nach Westen aus. Die norwegischen Wikingerzüge aus dem 9.—10. Jh. brachten eine Neulokalisierung der Schlacht auf Häey, einer der Orkneyinseln, mit sich. Den deutschen Zeugnissen zufolge findet der Kampf auf dem Wülpenwerder an der Scheidemündung statt (der Wasserarm, der die Insel umschloß, hieß in alter Zeit Hedinsee). Es muß also angenommen werden, daß die Sage durch niederländische (oder friesische?) Vermittlung nach Süddeutschland gelangte, daß es, anders ausgedrückt, zwischen demUrlied und dem spielmännischen Hildeepos ein „wikingisches" Hildelied an der Scheidemündung gegeben hat. 2.42 Kudrunsage Brautwerbung (um Kudrun, Hetels und Hildes Tochter, bewerben sich Hartmut von Ormanie (=Normandie), Siegfried von Morlant und Herwig von Seeland: letzterem wid Kudrun zugesprochen), Brautraub (in Abwesenheit ihres Vaters und ihres Verlobten wird Kudrun von Hartmut entführt), Verfolgung und Schlacht (Hetel wird dabei von Hartmuts Vater Ludwig erschlagen), dies alles sind Motive der Hildesage, die in der Kudrunsage wiederkehren. Als Neues tritt hinzu, daß Kudrun, die im Gegensatz zu ihrer Mutter sich gegen ihre Entführung sträubt und sich weigert, Hartmut zu heiraten, in harter Gefangenschaft, den Quälereien von Hartmuts Mutter Gerlint ausgesetzt, jahrelang bei den Normannen weilen muß, bis sie schließlich durch ihren Bruder und durch ihren Verlobten befreit wird, wonach eine vierfache Hochzeit die Versöhnung zwischen den Gegnern besiegelt. Aus alledem hat man geschlossen, daß die Kudrunsage nur eine Sproßfabel der Hildesage ist. Hauptargument ist dabei der Umstand, daß die Schlacht zwischen Helgen und Hetel im Hinblick auf die Kudrunhandlung einen versöhnlichen Ausgang bekommen hat und daß sie sogar ihren althergebrachten Namen an den späteren Kämpf zwischen Hetel und den Normannen abtreten mußte; zur Ausfüllung der von ihm zurechtgemachten Fabel hätte sodann der Dichter nach allerhand vorhandenem Erzählgut, so vor allem nach dem weitverbreiteten Motiv von der bösen Alten gegriffen. Doch wer war dieser Dichter ? War es der Verfasser der uns bekannten Kudrun ? Oder gab es vor ihm schon eine Ur-Kudrun ? Für letzteres scheint besonders der Name der Heldin selbst zu sprechen, der als eine Anpassung einer ursprünglich nd. (oder friesischen?) Form (Gunörün > Güörün > Güdrün > Küdrün) an oberdeutsche Lautverhältnisse zu erklären ist. Zu welcher Zeit nun wurde diese Ur-Kudrun verfaßt ? Schon um 1100 wie Br. Boesch der Alexanderstelle entnehmen zu dürfen
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glaubt58? Oder später, zur Zeit der Blüte des Spielmannepos (so H. de Boor)69? Oder gar erst im beginnenden 13. Jh. (H. Schneider)60? Vor manch andere, nicht minder schwer zu beantwortende Frage sieht sich die Forschung noch gestellt. Wie ist das Verhältnis zwischen der Kudrun und den Balladen der sog. Südeli-Gruppe zu beurteilen81? Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Fabel von Kudruns Entführung und der Herborterzählung, wie sie uns in der Thidrekssaga und im Biterolf und Dietleib entgegentritt82? Inwiefern haben Märchen, altgriechische Romane oder gar orientalische Erzählungen bei der Ausgestaltung der Kudrunsage mitgewirkt83 ? Wie konnte es kommen, daß Ariost in der letzten Ausgabe seines Orlando Furioso (1533) eine Erzählung, die sog. Olimpiaepisode, einschaltete, die der Kudrunfabel in manchem sehr nahesteht ? Geht diese Erzählung auf die uns erhaltene Kudrun oder auf eine ältere Fassung zurück64? Und schließlich: gab es ein Zeitgedicht, das von dem Uberfall des Normannenführers Sigifridus auf Esloo (882) handelte und ist das „Wikingische" in der Kudrun, ist insbesondere die Gestalt des Siegfried von Morlant diesem Gedicht entnommen66 ? Im allgemeinen macht die Forschung bei dieser wikingischen Stufe halt, doch hat in jüngster Zeit R. Wisniewski den Versuch unternommen, die Kudrunfabel auf ein germanisches Heldenlied aus dem 3.—4. Jh. zurückzuführen, wobei sie von der Annahme ausgeht, daß die Sage von Leid und Bewährung einer in Gefangenschaft geratenen fürstlichen Frau ursprünglich eine Hildburg/Herborgsage gewesen sei (Finnsburgfragment, Herborgstrophen des 1. Gudrunliedes)86. 58
Einleitung zur Kudrunausgabe, Tübingen «1964, S. X X X I X . Literaturgeschichte II, München a 1960, S. 202. Deutsche Heldensage S. 377. S1 Menendez Pidal, Das Fortleben des Kudrungedichtes, Jahrb. f. Volksliedforsch. 5, 1936 S. 85—122; B. Boesch, Kudrunepos und Ursprung der deutschen Ballade, GRM, 28, 1940, S. 259—169. 62 Th. Frings, Herbort. Studien zur Thidrekssaga, Sachs. Akad. d. Wiss. philos.hist. Kl. 95, H; 3, 1943. ,s S. hierzu besonders F. Panzer, a. a. O.; E. Castle, Die Geschichte von der getreuen Jasmin, Neophilol. 19, 1933, S. 24—26. 44 O. Grüters, Das Märe von der getreuen Braut, GRM 3, 1911, S. 138—151, ders., Kudrun und Orlando Furioso, GRM 38, 1957, S. 75—78; H. Frenzel, Ariost und die Ambraser Handschrift, GRM 38, 1957, S. 78—84. 65 I. Schröbler, Wikingische und spielmännische Elemente im zweiten Teil des Gudrunliedes, Halle 1934; H. W. J. Kroes, Kudrunprobleme, Neophilol. 38, 1954, S. 11—23. «« a. a. O., S. 17—37. tB
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2.5 W a l t h e r s a g e Den vollständigen Bericht über die Walthersage finden wir in einem lateinischen Epos von rund 1500 Hexametern, dem WaÜharius. Einleitend wird da erzählt, wie Walther und Hildegund zusammen mit Hagen als Geiseln an Attilas Hof kommen, wie nach Hagens Flucht die beiden jungen Leute, die als Kinder schon verlobt waren, ihrerseits ihre Flucht bewerkstelligen. Als sie durch das Gebiet der Franken ziehen, werden sie von dem hortgierigen Gunther angefallen. Zwölf Gegner, darunter Hagen, stehen dem einen Walther gegenüber, das Gelände jedoch — eine enge Schlucht im Wasgenwalde — läßt nur Einzelkämpfe zu. Sieger in diesen Kämpfen ist stets Walther, so daß am Ende von seinen Gegnern nur noch Gunther und Hagen übrigbleiben. Hagen hatte gleich zu Anfang vom Kampf abgeraten, und sich dann davon ferngehalten, jetzt aber gibt er Gunthers Drängen nach — Lehnspflicht siegt über Freundespflicht —, Walther wird aus der Schlucht herausgelockt, es kommt zu neuem Kampf, aus dem die drei Gegner schwer verstümmelt hervorgehen. Bei einem Wachfeuer wird dann unter grimmigen Scherzen die Versöhnung gefeiert. Auf die literarhistorischen Fragen, die das Epos aufwirft und um die sich in letzter Zeit eine lebhafte Diskussion entwickelt hat, soll hier nicht eingegangen werden (Wurde das Epos von Ekkehard I. von Sankt Gallen verfaßt oder von dem Geraldus, der sich in dem Prolog nennt ? Handelt es sich bei dem Erckambald, dem das Gedicht — oder nur eine Handschrift? — gewidmet ist, um einen Bischof von Eichstätt oder von Straßburg? Entstand der WaÜharius um 885, um 930 oder um 970?). Sagengeschichtlich stellt uns die Dichtung auch vor manche Frage. Die erste und wichtigste ist folgende: ist der WaÜharius ein Urlied (Panzer)97, eine Urdichtung (Genzmer)68? Anders ausgedrückt: hat der dichtende Mönch, der sich — das wird allgemein zugegeben — in der Heldensage gut auskannte, die Fabel erfunden oder lag sie ihm in einem älteren volkssprachigen Liede vor ? Die Antwort auf diese Frage hängt wesentlich davon ab, wie man das Verhältnis des WaÜharius zum altenglischen Waldere beurteilt, von dem uns zwei Bruchstücke (zusammen rund 60 Verse) erhalten sind. Mißlich ist dabei, daß die Datierung sowohl des Waltharius als auch des Waldere (8.—10. Jh.) umstritten ist. Doch scheint manches — so vor allem die Zeichnung von Hildegunds Gestalt — dafür zu sprechen, daß beide, das lateinische und das altengliche 67 65
F. Panzer, Der Kampf am Wasichenstein. Walthariusstudien, Speyer 1948. F. Genzmer, Wie der Waltharius entstanden ist, GRM 36, 1954, S. 161—178.
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Epos, aus einer gemeinsamen Vorlage, einem deutschen, wohl alemanischen Lied schöpfen, das im Gegensatz zum Waltharius sicher tragisch endete69. Auf dieses Lied geht doch wohl auch im wesentlichen die spätere volkssprachige Uberlieferung zurück, wenn auch bei dem regen Interesse, das hohe Geistliche der Heldensage entgegenbrachten, mit einem möglichen Einfluß der lateinischen Dichtung gerechnet werden muß. Den ersten Anspielungen auf die Walthersage in einem deutschen Werk begegnen wir in dem Nibelungenlied (Etzel entläßt Hagen vom Hunnenhof, während Walther mit Hildegund entflieht, Str. 1756 — Hagen sieht untätig dem Kampf auf dem Wasgensteine zu, Str. 2344). Etwa zwanzig Jahre später entsteht dann das mhd. Epos von Walther und Hildegund. Zwar sind uns davon nur zwei ziemlich nichtssagende Bruchstücke überliefert, H. Schneider jedoch ist es gelungen, den Inhalt mit großer Wahrscheinlichkeit zu erschließen; dabei stützte er sich vornehmlich auf das Gedicht von Biterolf und Dielleib sowie auf die Kapitel 396—402 der Thidrekssaga (Dietrichs Heimkehr)70. An anderer Stelle finden wir in der Saga einen von den anderen Zeugnissen ziemlich abweichenden Bericht (Hagen verfolgt Walther und Hildegund in Etzels Auftrag), dem wohl ein nd. Lied zugrunde liegt. Bemerkenswert ist, daß sich die Walthersage auch im nichtgermanischen Ausland ausbreitete. Schon im 11. Jh. knüpft die Chronik von Novalese (Italien) an die Geschichte von Waltharius manu fortis einen Bericht über dessen späteres Mönchsleben, der schon viele Züge der später so beliebten „moniages" aufweist. Auch in einer polnischen Chronik aus der ersten Hälfte des 13. Jh. tritt uns die — in manchem sehr entstellte — Erzählung von Walther und Hildegund entgegen. Inwiefern der Waltharius, zusammen mit anderen mittellateinischen Dichtungen, bei der Entstehung der chansons de geste eine Rolle gespielt hat, ist umstritten; doch wird immer wieder die Möglichkeit erwogen, daß hinter dem Gautier de l'Hum der Chanson de Roland der Held des Waltharius stecke. Von den Forschern, die wie wir an ein deutsches Urlied über Walther und Hildegund glauben, wird allgemein angenommen, daß es zur jüngsten Schicht der germanischen Heldenlieder gehörte. Historische 69
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G. Zink, Walther et Hildegung. Remarques sur la vie d'une légende, Et. germ. 1,1 1966, S. 193—201; Hans Kuhn, Zur Geschichte der Walthersage, Festg. U.Pretzel, Berlin 1963, S. 5—12. H. Schneider, Das Epos von Walther und Hüdegund, GRM 13, 1925, S. 14—32, 119—130.
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Anknüpfungen bieten sich dafür keine an. Daraus darf man vielleicht schließen, daß der erste Dichter auch der Schöpfer der Sage war und daß er dabei von gewissen geschichtlichen Gegebenheiten allgemeiner Art ausging: dem Schicksal der vom Hunnenhof fliehenden Geiseln (in diesem Falle wäre das Lied spätestens um 600 entstanden) oder, falls man das Lied für jünger hält, dem Frankenhaß, der im beginnenden 8. Jh. bei den Alemannen bezeugt ist. 2.6 W i e l a n d s a g e In Deutschland selbst gibt es keinen zusammenhängenden Bericht über die Wielandsage'1, doch sicher war sie auch da bekannt. Schon der Waltharius spricht von Walthers Brünne als von „Wielands Werk", und noch im 15. Jh. weiß der AHB von einem Wieland zu erzählen, der Alberichs Geselle und ein Schmied war „in dem berg zuo gloggensachszen". Mehr noch: die Wielandsage ist bestimmt deutschen Ursprungs. Das erhellt allein schon aus dem Umstand, daß in dem ältesten ausführlichen Bericht über diese Sage, in der Völundarkvida, fast alle Eigennamen auf deutsche Formen zurückgehen, und daß darin Wörter vorkommen, die in altnordischer Lautgestalt den Sinn beibehalten haben, der ihnen im Deutschen eignet (draga = tragen, sonst ziehen, drehen . . . ) . Die Völundarkvida setzt ein mit dem bekannten Motiv von den Schwanenjungfrauen. Drei von ihnen fallen in die Hände von drei Brüdern, Egill, Slagfidr und Völundr; neun Jahre weilen sie bei ihnen, dann fliegen sie wieder davon. Während seine Brüder sich aufmachen, sie zu suchen, bleibt Völundr allein im Wolfstal zurück, Ringe schmiedend und immer an die Geliebte denkend. Im Schlaf überfallen ihn König Niduds Krieger und führen ihn gebunden in die Königshalle. Die Königin befiehlt, ihn zu lähmen und also verstümmelt wird er auf eine Insel gebracht, wo er dem König Kleinode schmieden muß. Was nun folgt, berichtet von Wielands Rache. Er tötet Niduds junge Söhne, die ihn heimlich in seiner Werkstatt aufsuchen, aus Schädel, Augen und Zähnen verfertigt er Geschmeide, die er an den Königshof schickt; als Bödvild, die Königstochter, zu ihm kommt, berauscht er sie mit Bier und tut 71
J. de Vries, Bemerkungen zur Wielandsage, Festschr. f. F. Genzmer, Heidelberg 1952 (gotischer Ursprung) ; H. Rosenfeld, Wielandlied, Lied von Frau Heichen Söhnen und Hunnenschlachtlied, Tübingen 1955 (rugischer Ursprung); Ph. Jolivet, La légende de Wieland le Forgeron dans les littératures allemande et et française. Et. germ. 9, 1954, S. 37—45.
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ihr Gewalt an. Die Schlußszenen zeigen uns Wieland, wie er, auf dem Zaun vor der Halle sitzend, dem König seine Rachetaten kundtut und dann davonfliegt. Das deutsche Lied, das der Völundarkvida zugrunde liegt, kannte bereits die Verbindung der Kernfabel mit dem Motiv von den Schwanenjungfrauen, das viele Jahrhunderte später in einer Dichtung des 14. Jhs., Friedrich von Schwaben, wieder auftaucht (auf der Suche nach seiner Geliebten — er führt dabei den Decknamen Wieland — trifft der Held auf drei Tauben, die sich zum Baden in Mädchen verwandeln; er nimmt ihnen die Kleider weg und entdeckt dann, daß eines der Mädchen Angelburg, die Geliebte, ist). Möglich ist jedoch, daß es ältere Fassungen des Wielandslieds gegeben hat, denen das Motiv noch fehlte. Auf jeden Fall gelangte die Sage frühzeitig nach dem Norden, wo schon im 9. Jh. eine Skaldenkenning auf sie anspielt. Nicht minder früh kam sie auch nach England. Im Beowulf und im Waldere ist die Rede von „Wielands Werk"72, Deors Klage kennt den verstümmelten Schmied und Baduhilds Leid. Auf dem Runenkästchen von Clermont (8. Jh.) sind drei Szenen aus der Wielandsage dargestellt. Eine davon ist besonders wichtig: mein sieht da einen Bogenschützen und einen in der Luft schwebenden Krieger, der seinen Schild nach unten hält; eine Runeninschrift nennt uns den Namen des Schützen, Ägili. Dem ist zu entnehmen, daß man damals schon in England die Erweiterung der Sage kannte, wie sie uns in dem langen, aber verworrenen Bericht der Thidrekssaga entgegentritt. Egill ist da Wielands Bruder, der sich durch einen Tellschuß als Meisterschütze ausweist, der Wieland die Federn zur Anfertigung von Flügeln verschafft und der dann von König Nidung gezwungen wird, auf den davonfliegenden Schmied zu schießen; vorsorglich hatte sich aber Wieland eine mit Blut gefüllte Schweinsblase unter den Arm gebunden, die dann Egill verabredungsgemäß mit seinem Pfeil durchbohrt. Noch anderes geht aus den altenglischen Zeugnissen hervor: früh schon ist man dazu übergegangen, den Sohn, den Wieland mit der Tochter des Niarenfürsten zeugte, mit dem gotischen Sagenhelden Witege (Vidigoja) gleichzusetzen; im Waldere ist Widia Welands Sohn und der Verwandte des Nidhad. In der Thidrekssaga ist dann diese Genealogie breit ausgesponnen (König Vilcinus zeugt mit einer Meerfrau den Riesen Vadi; dessen Sohn ist Wieland, Witeges Vater) und auch in den deutschen Denkmälern wird manchmal auf sie angespielt. 72
Auch die chansons de geste kennen den berühmten Waffenschmied Galand.
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GEORGES
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Es ist wahrscheinlich, daß die Wielandssage erst in der Völkerwanderungszeit ihre endgültige Prägung erhalten hat. Ob dabei Geschichtliches mitgespielt hat, bleibt fraglich; man hat auf das Schicksal der Schmiede hingewiesen, die, von der rugischen Königin Gisa in harter Gefangenschaft gehalten, ihre Freilassung dadurch erlangten, daß sie drohten, andernfalls den in ihre Gewalt geratenen Königssohn zu ermorden {Vita Severini, 511). Nach Baeseckes Darlegungen dagegen darf wohl als sicher angenommen werden, daß die Dädalus-Sage — und zwar in der Form, die sie im Vergil-Kommentar des Servius erhalten hat — auf die Gestaltung der Fabel eingewirkt hat; damals wurde wohl auch der „sprechende" Name Wieland ( = etwa der „Listenreiche") geschaffen73. Doch Älteres hat sich dabei erhalten, uralte Vorstellungen von der geheimnisumwobenen Macht des Schmiedes. Unter den Heldenliedern nimmt somit das Wielandslied, dessen Held ein elbischer Schmied ist, der an dem bleichen König Nidud und an der bösartigen Königin auf furchtbare Weise sich rächt, eine Sonderstellung ein74.
Literaturhinweise W. Grimm, Die deutsche Heldensage. Unter Hinzufügung der Nachträge von K. Müllenhoff u. O. Jänicke aus der ZfdA. Darmstadt 41957. Ausgaben Gedichte des Bragi. I n : F. Jönsson, Den norsk-islandske Skjaldedigtning I. Kopenhagen-Kristiania 1908. — Edda. Die Lieder des Codex Regius nebst verwandten Denkmälern. Hrsg. von G. Neckel, 3. umgearbeitete Aufl. von Hans Kuhn [Bd. I : Text] Heidelberg 1962 [übers, von F. Genzmer, Sammlung Thüle X]. — Edda Snorra Sturlungsonar. Hrsg. von F. Jönsson, Kopenhagen 1931 [übers, von G. Neckel u. F. Niedner, Sammlung Thüle XX]. — Völsungasaga, nach Bugges Text mit Einl. u. Glossar hrsg. von W. Ranisch. Berlin 1891. — Pidriks Saga af Bern. Hrsg. von H. Bertelsen. Kopenhagen 1905—1911 [übers, von F. Erichsen, Sammlung Thüle XXII], — Saxonis Gesta Danorum. Hrsg. von J. Olrik u. H . Raeder. 1931. [übers, von H. Jantzen (Berlin 1900) und von P. Herrmann (Leipzig 1901)]. — Widsiö. Hrsg. von K. .Malone, Kopenhagen 2 1962; von G. Ph. Krapp u. E. von Kirk. I n : The Exeter Book. New-York/London s 1966. — Beowulf nebst den Finnsburg-Bruchstücken. Hrsg. von F. Holthausen. Heidelberg 1905—1906; hrsg. von C. L. Wrenn. London 1953. — Deor. Hrsg. von K. Malone. London 1937 [Neudr. 1966].—Waldere. Hrsg. von F. Norman. London 1933; hrsg. von U. Schwab. 78 74
G. Baesecke, Vor- und Frühgeschichte, S. 299 f. Kl. Fuss, Der Held, ZfdPh 82 1963, S. 295—312.
Heldensage
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Messina 1967 [mit den betr. Abschnitten der Ths., den Auszügen aus dem Chronicon Novaliciense und aus der polnischen Chronik, den Bruchstücken des mhd. Waltherepos]. — Hildebrandslied. In: Die kleineren ahd. Sprachdenkmäler. Hrsg. von E. von Steinmeyer. Berlin 1916; in: Ahd. Lesebuch von W. Braune, 14. Aufl. von E. A. Ebbinghaus. Tübingen 1962. — Jüngeres Hildebrandslied. In: MSD, 3. Ausg. von E. Steinmeyer. Berlin 1916; s. auch J . Meier, Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien, Bd. I. Berlin/Leipzig 1935. — Das Nibelungenlied. Nach der Ausg. von K. Bartsch hrsg. von H. de Boor. Wiesbaden 18 1965 (B). — Der Nibelungen Not u. die Klage. Hrsg. von K. Lachmann, Abdr. der 6. Aufl. durch U. Pretzel. Hamburg 1960 (A). — Das Nibelungenlied. Hrsg. von Fr. Zarncke. Leipzig «1887 (C). — Über das Verhältnis der Fassungen s. jetzt H. Brackert, Beiträge zur Handschriftenkritik des Nibelungenliedes. Berlin 1963. — Das Lied vom Hürnen Seyfrid. Hrsg. von H. C. King. Manchester 1958. — Deutsches Heldenbuch. BerUn 1866—1873: Bd. 1: Biterolf u. Dietleib, Laurin u. Walberan. Hrsg. von O. Jänicke u. K. Möllenhoff [Neudr. Berlin 1963]; Bd. 2: Alpharts Tod, Dietrichs Flucht, Rabenschlacht. Hrsg. von E. Martin; Bd. 3 u. 4: Ortnit u. die Wolfdietriche. Hrsg. von A. Amelung u. O. Jänicke; Bd. 6: Virginal, Goldemar, Sigenot, Ecken Liet, Dietrich u. Wenezlan. Hrsg. von J . Zupitza. — Dresdener Heldenbuch des Kaspar von der Rhön. Hrsg. von Fr. von der Hagen u. A. Primisser [Der Helden Buch in der Ursprache, Bd. 2. Berlin 1826]. — Strassburger Heldenbuch. Hrsg. von A. von Keller, StLV 87. Stuttgart 1867. — Koninc Ermenrikes Döt. Hrsg. von K. Goedeke. Hannover 1851; hrsg. von J . Meier, Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien, Bd. 1. Berlin/Leipzig 1936. — Laurin u. der kleine Rosengarten. Hrsg. von G. Holz, Halle 1897. — Zwei unberücksichtigte mhd. Laurin-Versionen. Hrsg. von T. Dahlberg, Lund 1948. — Le Wunderer. Hrsg. von G. Zink. Paris 1949. — Die Gedichte vom Rosengarten zu Worms. Hrsg. von G. Holz. Halle 1893. — Der echte Teil des Wolfdietrich der Ambraser Handschrift (Wolfd. A). Hrsg. von H. Schneider. Halle 1931. — Kudrun. Hrsg. von B. Symons, 4. Aufl. von Br. Boesch. Tübingen 1964; hrsg. von K. Bartsch, 6. Aufl. von K. Stackmann. Wiesbaden 1966. — Dukus Horant. Hrsg. von P. F. Ganz, F. Norman, W. Schwarz. Mit einem Exkurs von S. A. Birnbaum, Tübingen 1964. Gesamtdarstellungen O. L. Jiriczek, Deutsche Heldensagen I. Strassburg 1898. — H. Schneider, Germanische Heldensage, 3 Bde. Berlin 1928—1934 [Neudr. von Bd. I Deutsche Heldensage 1962, mit einem Anhang „Einleitung zu einer Darstellung der Heldensage" und ausführlicher Bibliographie bis i960]. — W. Betz, Die deutsche Heldensage. In: DPhiA. I I I . — H.Schneider u.W.Mohr, Heldendichtung. In: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte 1; H. Schneider u. R. Wisniewski, Deutsche Heldensagen. Berlin 2 1964. — Vgl. auch den Sammelband: Zur germanisch-deutschen Heldensage. Sechzehn Aufsätze zum neuen Forschungsstand. Hrsg. von K. Hauck. Darmstadt 1961 [abgek.: Sammelbd.]. — Weitere Literaturangaben sind in den Anmerkungen zu finden.
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GOTISCHE LITERATUR
1.0 Literarische S t o f f e Vergleichen wir Berichte wie die des Ammianus (31,3, lf.; Zeitgenosse) und des Jordanes (24, 129f.; 6. Jh.) über den Ostgotenkönig (H)ermanaricus (Ermenrich) oder die Nachrichten derselben Autoren (Amm. 27, 10, 3; 30, 7, 7; Jord. 104,18) über den westgotischen Helden Vidigoia (Witege), mit den entsprechenden Darstellungen im germanischen Heldenepos, so stellen wir fest, daß schon im 4. Jh. die Goten die Taten ihrer Helden in Liedern besungen haben und daß diese Lieder später von der Lombardei bis Island verbreitet waren. Die Dichtung der Goten, wohl die Schöpfer des Heldenliedes überhaupt, hat früh den Weg zu den verwandten Stämmen gefunden. Betrachtet man weiter die Rolle Dietrichs von Bern in der germanischen Dichtung und rechnet die untergegangenen Epen (z. B. um Eterpamara, Hanala, Fridigernus: Jord. 5, 43) dazu, so ergibt sich ein reiches Bild der Anregungen, die dieses Volk ausstrahlte. Allerdings befinden wir uns hiermit auf dem Gebiet der histoire sans textes, die den Vermutungen einen fast zu großen Spielraum läßt. Wie dem auch sei, der älteste Bestandteil der gotischen .Literatur' waren Lieder, Heldenlieder. Aus der Tatsache, daß Namen und Geschichten (wenn auch diese in sehr lückenhafter Weise) so zäh die Jahrhunderte überdauerten, können wir wohl auf die starke Wirkung der gotischen Dichtung schließen. Wir können wohl auch mit gutem Gewissen von einer gotischen ,Stilschule' reden, von der auch Wulfila bestimmt sein dürfte. Zahlreiche Gelehrte haben den Ursprung der germanischen Dichtung untersucht, so besonders in den letzten Jahrzehnten A. Heusler (Die Altgermanische Dichtung, 2. Auflage Potsdam 1943, Neudruck Darmstadt 1957, ausgezeichnetes allgemeines Werk), H. Schneider (Germanische Heldensage I, 2, 2. Auflage Berlin 1962, S. 211— 331), H. Kuhn (Heldensage vor und außerhalb der Dichtung, in: Edda, Skalden, Saga, Festschrift F. Genzmer, Heidelberg 1952, S. 262—278), H. de Boor (Reallexikon der dt. Literaturgeschichte I, 2. Auflage Berlin 1958, S. 601—603). Zum Problem der mittelalterlichen Epik äußerte sehr gute Gedanken W. P. Ker, Epic and Romance, 2. Auflage London 1908, Neudruck New York 1957.
Gotische Literatur
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2.0 Überlieferte T e x t e Zu einer schriftlichen Literatur gelangten die Goten unter den Auspizien der griechischen Kultur und des Christentums. Untersucht man die gotische Literatur nach einem absoluten Maßstab und vergleicht man sie mit den größten Werken der Dichtung vom Altertum bis in unsere Tage, so kann sie diesem Vergleich sicherlich kaum standhalten. Jedoch aus der Nähe betrachtet, im Zusammenhang der damaligen Zeit und an einer erst entstehenden Wertskala gemessen, erscheint sie uns als ein Relikt, das einer ehrfürchtigen Betrachtung höchst würdig ist. Es ist daher zweckmäßig, die äußere Gestalt und den Inhalt der auf uns gekommenen Zimelien kurz zu beschreiben, bevor wir über ihre Bedeutung ein relatives, doch nichtsdestoweniger prägnantes Urteil fällen. 2.1 Gotische T e x t e Obwohl die gotischen Hss samt und sonders einem einheitlichen (nämlich dem kirchlichen) Bereich angehören, stellen sie eine sehr ungleichartige Sammlung dar. Die Tatsache, daß etwa die Hälfte der uns bekannten Texte aus codices rescripti besteht, bestimmt uns zu einer ersten Unterteilung in zwei Gruppen: Der Codex Argenteus (CA), den schönsten Handschriften des Mittelalters zuzurechnen, ist das bedeutendste Beispiel für eine Uberlieferung ohne unglückliche Eingriffe. Offensichtlich hat es niemand gewagt, ein derartiges Meisterwerk auf unheilvolle Weise zu verunstalten. Er enthält lange Abschnitte aus den 4 Evangelien1. Dem CA an die Seite zu stellen ist wohl der Codex Gissensis (G), ein Bruchstück aus etwa dreißig verstümmelten gotischen und etwa ebensovielen lateinischen Wörtern. Die gotischen und lateinischen Wörter entstammen jeweils verschiedenen, aber eng benachbarten Stellen des Lukas-Evangeliums2. Er wurde in der Nähe von Antinoe (Ägypten) gefunden. Außerhalb des biblischen Bereiches stehen die zwei Kaufverträge von Neapel 1
Besteht aus 187 Blättern (Rest der ursprünglich 336 [ ?] Blätter), die die folgenden Stellen aus den vier Evangelisten in der hier eingehaltenen Reihenfolge enthalten : Matthäus 5, (15)—6, (32); 7, (12)—9,38; 10, (1), (23)—11, (25) (15—26 mit Lücken); 26, (70)—27, (19); 27, (42)—(66); Johannes 5, (45)—7, 52; 8 , 1 2 — 1 1 , (47); 12, (1)—(49); 13. (11)—19, (13); Lukas 1 , 1 — 1 0 , (30); 14, (9)—16, (24); 17, (3)—20, (46); Markus 1 , 1 — 6 , (30); 6, (53)—12, (38); 13, (16)—(29); 14, ( 4 ) — (16); 14, (41)—16, (12).
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23, 2—6 lat.; 2 3 , 1 1 — 1 4 got.; 24, 5—9 lat.; 24,13—17 got. (sichtbare probationes pennae. Seit 1945 ist die Schrift ausgeblichen). 4
Grundriß Band 2
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und Arezzo, sind ihm aber aus sprachlichen und milieubedingten Gründen verwandt3. In den anderen Handschriften sind lateinische Texte über den ursprünglichen gotischen Text geschrieben worden. Sie haben alle der Bibliothek von Bobbio (Provinz Piacenza) gehört, sind aber dort weder entstanden noch überschrieben worden, d. h. sie gelangten erst in späterer Zeit in den Besitz des Klosters (der Codex Ambr. A und Taur. wahrscheinlich sogar erst nach dem 10. Jh., er wird in dem Bobbienser Bibliothekskatalog des 10. Jhs. noch nicht aufgeführt). Es handelt sich um den Codex Carolinus (Car) von Wolfenbüttel (der im 10. Jh. noch in Bobbio, seit dem 14. Jh. in Weißenburg war), aus 4 Blättern bestehend, zweisprachig (gotisch-lateinisch), mit Fragmenten aus dem Römerbrief4, und die Codices Ambrosiani (A, B, C, D, im 15. Jh. noch in Bobbio), in denen uns folgendes erhalten ist: ein Fragment des Buches Nehemia6, ein Fragment aus Matthäus6, ein Großteil der Paulus-Briefe7 außer jenem 8
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Wegen ihrer geringen literarischen Bedeutung schließen wir die gotischen Randbemerkungen des Cod. bibl. Capitol L I (49) aus Verona aus; sie geben ungefähr den Inhalt der einzelnen in die Hs aufgenommenen lateinischen Homilien wieder. Die Hs Alkuins von Salzburg-Wien aus dem 9./10. Jh. enthält unbedeutende Bruchstücke des Lukas-Evangeliums und der Genesis entnommene gotische Zahlen (was eine verlorengegangene gotische Hs voraussetzt); ferner drei gotische Alphabetreihen mit Buchstabennamen. Röm. 11, (33)—12, (5); 12, (17)—13, (5); 14, (9)—(20); 16, (3)—(13). D (Ambr. G. 82 sup.) besteht aus 3 Blättern, Nehemia 6, (13)—(18); 6, (14)—7, (3); 7, (13)—7, (45). Der obere Text ist ein lateinischer Kommentar zu den Büchern der Könige. Schrifttyp I. Das aus 2 Blättern bestehende Fragment C (Ambr. J . 61 sup.) enthält Matthäus 26, 38—26, (3); 26, (66)—27, (1). Der obere Text enthält Evangelienteile. Schrifttyp II. A (Ambr. S. 36 sup.) aus 102 Blättern. Briefe in folgender Reihenfolge: Röm. 6, 23—10; 11, (1)—(11)—(33); 12, (8)—13,14; 14,1—(5); 16, (21)—24; 1 Kor. 1, (12)—(25); 4, (2)—(12); 6, (3)—6, (1); 7, (5)—(28); 8, (9)—9, (9); 9. (19)—10, (4); 10, (15)—11, (6); 11, (21)—(31); 12, (10)—(22); 13, (1)—(12); 14, (20)—(27); 15,1—(36); 15, (46)—16, (11); 16, 23—16, 24; 2 Kor. 1, (8)—4, (10); 6, (1)—9, (7); 12, (1)—13,13; Eph. 1,1—2, (20); 3, (9)—5, (3); 5, (17)—5, (29); 6, (9)—6, (19); Philip. 2, (26)—4, (6); Koloss. 1, (10)—1, (29); 2, (20)—3, (8); 4. (4)—4, (13); 1. Thess. 5, (22)—5, 28; 2. Thess. 1, 1—2, (4); 3, (7)—3, 18; 1. Tim. 1,1—1, (9); 1, (18)—4, 8; 6, (4)—5,10; 5, (13); 5, (17)—6, (12); 6, (13)—6, (14); 2. Tim. 1, 1—1, 18; 2, (21)—4, (16); Tit. 1, (9)—2, (1); Philem. (11)—(23). Schrifttyp II. 53 Randglossen. Der obere Text enthält S. Gregori Magni homilías in Ezechielem. B (Ambr. S. 45 sup.) hat 77 Blätter. Briefe in dieser Reihenfolge: 1. Kor. 15,
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an die Hebräer, der bei den Arianern unbeliebt war8; ferner der sogenannte gotische Kalender (Ende Oktober und November umfassend): eine Reihe von Zahlen, die Tagen entsprechen; sieben von diesen sind knapp gehaltene Angaben über Heilige und Märtyrer der gotischen Kirche beigefügt, deren Feste am 23. und 29. Oktober sowie am 3., 6., 15., 19. und 29. November wiederkehrten; die übrigen Tage sind nicht ausgefüllt8. Es verbleibt noch der Codex Taurinensis (Taur),der aus 4 stark beschädigten, ursprünglich zu A gehörenden Blättern besteht und kleine Bruchstücke des Galater- und des Kolosserbriefes enthält10. Schließlich ist die Skeireins zu nennen, von der 8 Blätter erhalten sind, die teils in Mailand (Ambr. E. 147 sup., Blätter 1, 2, 5—7), teils in der Biblioteca Apostolica Vaticana (Vat. Lat. 5750, Blätter 3, 4, 8) aufbewahrt werden. Wenn die Skeireins, wie es den Anschein hat, durch den Kommentar des hl. Cyrill von Alexandrien angeregt wurde — eine unmittelbare Vorlage konnte bisher nicht nachgewiesen werden, selbst der Übersetzungscharakter des Textes ist strittig —, so wird man ihre Abfassung nach 430 ansetzen müssen (Schrifttyp II). Eine weitere Unterscheidung läßt sich zwischen zweisprachigen Hss und solchen, die nur den gotischen Text bieten, treffen. Zweisprachig (lateinisch-gotisch) sind außer G und Car auch die Kaufverträge, wenngleich zwischen den beiden Texten keine absolute Ubereinstimmung herrscht. Im Grunde genommen stellen auch CA und f (Codex Brixianus) sowohl von einem äußeren wie von einem inneren Gesichtspunkt aus ein zweisprachiges Ganzes dar.
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(48)—16, 24; 2. Kor. vollständig; Eph. 1 , 1 — 4 (6); 4, (17)—5, (11); 6, (8)—6, 24; Gal. 1,1—1, (7); 1, 20—2, (17); 4, (19)—6, 18; Philip. 1, (14)—2, (8); 2, (22)—4, (17); Kol. 1, (6)—1, (29); 2, (11)—4,19; 1. Thess. 2, (10)—5, 28; 2. Thess. 1,1—1, (6); 2, (16)—3,18; 1. Tim. 1,1—3, (4); 4,1—5, (10); 5,11—12; 6, (13)—5, (14); 6, (16); 6, (21)—5, 25; 6, 1—6, (16); 2. Tim. 1, (5)—4, (11); Tit. 1, 1—1, (10). Schrifttyp I. Der obere Text enthält S. Hieronymi explanatio in Isaiam. Zur paläographischen Begründung dafür, daß er fehlt, beachte man, daß auf Bl. 216r, dem vorletzten der got. Original-Hs, der Schlußteil des gotischen Kalenders steht. Der übrige Teil des Kalenders beanspruchte vermutlich 4 verlorene Blätter zwischen dem Schluß des Briefes an Philemon und dem erhaltenen Fragment. Zur historischen Begründung vgl. Epiphanios, Adversus haereses, MG 42, 69, 259; Theodoret, Comm. in omnes S. Pauli epistulas MG 82, 673. A, S. 196 (entspricht Bl. 216r der gotischen Original-Hs). (Turin, Bibl. Naz. F. IV. 1 Fase. 10) Gal. 1, (22)—2, (9); 2, (17)—3, (6); 3, (27)—4, 23; 5, (17)—6, 18; Kol. 2, 13—2, 20; 4, 13—4, 19.
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Ein drittes Einteilungsprinzip kann darin bestehen, daß wir die zwei Schriftarten berücksichtigen. Die eine, archaischere, aber nicht notwendigerweise ältere, erinnert an die schräge Unziale der griechischen Hss, von denen sich Wulfila vermutlich anregen ließ, und ist durch die ambrosianischen Bruchstücke B und D, die Randglossen von A sowie die Papyri von Neapel und Arezzo bezeugt. Besonderheiten dieser Schreibung I sind: ein geringerer Grad von Gepflegtheit, halbkursive Züge, das s, das an das griech. Z erinnert, und der Gebrauch des Abkürzungsstrichs nur für -n. Die Schreibung II kommt in CA, G, Car, A, C und in der Skeireins vor. Charakteristisch sind für sie Vertikalität, Symmetrie, volle Schriftzüge, Gleichmäßigkeit, ein dem lateinischen gleichendes s und der Gebrauch des Abkürzungsstrichs auch für -m. CA, von zwei verschiedenen, doch fast gleichen Händen geschrieben, ist dafür der Prototyp11. Auch die Untersuchung der Randglossen legt eine Klassifikation nahe: 53 in A, 15 im CA. Alle anderen Hss. enthalten keine12. Die Bedeutung dieser Glossen ist nicht sehr hoch zu veranschlagen, wenn man bedenkt, daß sich mehr als 50% davon auf parallele Stellen oder den Kontext beziehen. Der Rest besteht aus Varianten, die man eher als einfache Angaben einer besseren Lesart denn als eigentliche Verbesserungen bezeichnen kann. Erwähnenswert ist eine paläographische Besonderheit der Skeireins-. Den Text, der von einem mehr auf den ästhetischen als auf den literarischen Gesichtspunkt der Schrift konzentrierten Kopisten geschrieben wurde, bearbeitete unmittelbar darauf ein äußerst sensibler und aufmerksamer got. Korrektor, der mit seiner Vorlage vollkommen vertraut war und sein Revisionsgeschäft erst in Angriff nahm, als der eigentliche Schreiber seine Arbeit beendet hatte. 11
Angesichts des begrenzten Umfangs und der außerordentlichen Bedeutung der gotischen Literatur verdienen jene Stellen erwähnt zu werden, die zweifach überliefert sind. E s sind: Mat. 26, 7 0 — 2 7 , 1 ; Rom. 12, 17—13, 5; 1. Kor. 15, 4 8 — 1 6 , 1 1 und 16, 23—24; 2. Kor. 1, 8—4, 10; 5, 1—9, 7; 1 2 , 1 — 1 3 ; Eph. 1, 1—2, 20; 3, 9—4, 6; 4 , 1 7 — 5 , 3; 6, 9 — 6 , 1 9 ; Gal. 1, 22—2, 9; 4 , 1 9 — 4 , 23; 5 , 1 7 — 6 ; Philip. 2, 26—4, 6; Kol. 1, 10—1, 29; 2, 20—3, 8; 4, 4—4, 13; 1. Thess. 5, 22—5, 28; 2. Thess. 1 , 1 — 1 , 6; 3, 7 — 3 , 1 8 ; 1. Tim. 1, 1—1, 9; 1 , 1 8 — 3 , 4; 4 , 1 — 4 , 8; 5, 4 — 5 , 1 0 ; 5, 2 1 — 6 , 1 4 ; 2. Tim. 1, 5 — 1 , 1 8 ; 2, 2 1 — 4 , 1 1 ; Tit. 1,9—1, 10; dazu Joh. 6, 9—13, welche Stelle sich wie andere aus dem Johannes-Evangelium in freier Übertragung auch in der Skeireins findet.
12
Was in B (1 Kor. 15, 47) für eine Glosse gehalten worden war, ist jedoch eine Zahl, nämlich 18 (ih, Otto von Friesen).
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Abb. 1 Cod. Ambr. B pag. 121 (Eph. 4, 23—29), Schrifttyp I
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