Handbuch der germanischen Philologie [Unveränderter Nachdr. der 1. Aufl. 1952. Reprint 2012] 9783110855012, 9783110104974


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German Pages 840 [868] Year 1985

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Handbuch der germanischen Philologie [Unveränderter Nachdr. der 1. Aufl. 1952. Reprint 2012]
 9783110855012, 9783110104974

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HANDBUCH D E R GERMANISCHEN

PHILOLOGIE

HANDBUCH DER

GERMANISCHEN PHILOLOGIE

Von

Dr.phii. F R I E D R I C H

STROH

o. ö. P r o f e s s o r a n der U n i v e r s i t ä t E r l a n g e n

I WALTER DE GRUYTER

& CO.

vormals G. J. Göschcn'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer / Karl J. Trübner / Veit & Comp. BERLIN

1 9 5 2

Mit 82 Abbildungen im Text und auf Tafeln Unveränderter photomechanischer Nachdruck 1985

ISBN 3 11 010497 0 Φ 1952/85 by Walter de Grayter & Co., Berlin 30 Printed in the Netherlands Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung, sowie der Ubersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

VORWORT Aller Wissenschaft ist immer wieder aufgegeben, aus den Quellen zu schöpfen. Erkenntnisquelle der Philologie ist die Sprache, gesprochene und geschriebene. Auch die geschichtliche Erforschung aller übrigen Wissenschaftszweige fußt vornehmlich auf Sprachquellen und deren Auslegung auf Sprachverständnis. In der Sprache sammeln sich letztlich auch die übrigen Ergebnisse der Wissenschaft. Denn in ihr findet das Menschliche seinen vollständigsten, erschöpfendsten und objektiv verständlichsten Ausdruck. Sie ist die allgemeinste menschliche Erkenntnisform. Daher ist auch unsere Germanische Philologie fest zu gründen auf die sprachlichen Quellen. Sie legt damit zugleich den Grund für die quellenmäßige Erforschung von Literatur, Recht, Religion, Geschichte, Volkskunde usw.: als Literarphilologie, Rechtsphilologie usw. Quelle Germanischer Philologie ist die germanische Mundart samt ihren Schriftsprachen. Diese wahren den grundsätzlichen Mittelpunkt und Umkreis unserer Wissenschaft: die germanische Spracheinheit. Die Germanische Philologie springt im Grunde also aus einer einzigen Quelle. Sie ist daher auch als e i n e Wissenschaft möglich, so wie etwa Romanische oder Slawische Philologie (ohne andere Schwerpunkte und Umgrenzungen wie Deutsche, Niederländische, Englische, Nordische Philologie usw. auszuschließen). Ihr Bild entwarf erstmals Jacob Grimm und bisher letztmals Her-

VI

VORWORT

mann Pauls 'Grundriß'. Diesen gegenüber schließt das vorliegende Handbuch u. a. auch die neueren germanischen Sprachquellen mit ein: deutsche, niederländische, friesische, englische und skandinavische. Gerade auf unserer germanistischen Landkarte gibt es noch große weiße Flächen, um die sich der deutsche „Germanist" meist wenig kümmert. Solche Gebiete sind etwa die Niederlande und Skandinavien. Es sprechen aber viele Gründe dafür, die neerlandistischen und skandinavistischen Studien auch in Deutschland stärker zu pflegen, und dies notwendig vom Studium der Sprache aus. In der „Ordnung der Prüfung für das Lehramt an Höheren Schulen im Deutschen Reich" von 1940 sind Niederländisch, Schwedisch und Dänisch-Norwegisch Prüfungsgegenstände (Beifächer).

Unsere Darstellung verfährt systematisch und geschichtlich. Beide Betrachtungsweisen schließen einander nicht aus. Jede Frage erfordert die systematische Behandlung: Kritik, Würdigung und Einordnung. Jede Betrachtung aber, die das Auge nur auf ein Einziges heftet, kann schaden. Allgemeinbegriffe wiederum vergewaltigen leicht die Wirklichkeit und lösen sich von ihr. Diese Darstellung will daher nicht nur systematisch und mit begrifflicher Schärfe ordnen, sondern auch von verschiedenen Seiten aus anschauen. Sie will jede Frage gleichsam auf ein besonderes Postament stellen. Sie will auch individualisieren, will die feineren Schattierungen treffen und doch einfach bleiben. Sie will die Quellen und Zeugen womöglich auch selber reden lassen. Das Buch entstand in der zweiten Hälfte des Jahres 1947 und wurde mit dem Vorwort vom 20. Mai 1948 abgeschlossen Der Satz begann Anfang 1949. Während des Druckes sind die einschlägigen Veröffentlichungen bis etwa zum Jahre 1950 womöglich noch berücksichtigt worden. Es freut mich, allen denen danken zu dürfen, die durch Rat und Beistand meine Arbeit gefördert und sie mir erleichtert haben. Mit Verlag, Druckerei und graphischer Kunstanstalt verband mich die angenehmste Zusammenarbeit. Fast

VORWORT

VII

alle Staats- und Universitätsbibliotheken vorwiegend der Länder germanischer Zunge gaben bereitwilligst Auskünfte. Buchnachweise verdanke ich auch meinem Freunde Dr. phil. Walther Gebhardt, Bibliotheksrat in Marburg an der Lahn. Die bibliographische Hauptlast trugen freilich meine heimische (nun zerstörte) Gießener und meine Erlanger Universitätsbibliothek. Beide halfen vorbildlich. Die folgenden Herren hatten die große Freundlichkeit, die Probeabzüge mitzulesen und sie sprach- und sachkundig zu bessern: Dr. phil. Heinrich Kuen, o. ö. Professor der Romanischen Philologie an der Universität Erlangen, Dr. phil. Heinrich Marzeil, Oberstudienrat i. R. zu Günzenhausen (Franken), Dr. phil. Karl Schneider, Privatdozent für Englische Philologie an der Universität Marburg, Assistent Erich Schilder, Universität Erlangen, und (einzelne Teile) mein Schüler Dr. phil. Karl-Heinz Weimann. Dr. phil. Karl Hauck, Professor für Mittlere und Neuere Geschichte sowie Mittellatein an der Universität Erlangen, förderte freundschaftlich die Nachweise zur Mittelläteinischen Philologie, mein Schüler cand. phil. Heike Neuner im Zwiegespräch ebenso die sprachphilosophische Besinnung. Fragen haben mir beantwortet: Herr Lektor Dr. med. Adrianus Boerlage (Erlangen) über das Neuniederländische, Herr Lektor Diplomkaufmann Erik Lindh (Erlangen) über das Neuschwedische, Fräulein Lektorin Annie Becke (Erlangen) über das Neudänische und das Neuisländische, Herr Lektor Ove Bakken (von der Kathedralschule in brontheim) über das Neunorwegische und Herr Dozent Dr. phil. Ernst Krenn (Universität Wien) über das Neufäröische. Besonders verdient machten sich meine beiden Assistenten Frau Studienassessorin Gertrud Frauenknecht (sie zeichnete auch die meisten Karten) und Herr Erich Schilder (dieser förderte namentlich die Bibliographie, zumal durch weitreichenden Schriftwechsel die leidige Ergänzung der fehlenden oder abgekürzten Verfasservornamen).

VIII

VORWORT

Nicht genug zu rühmen vermag ich auch den Anteil meines Herrn Kollegen Dr. med. Berthold Kihn, o. ö. Professor der Psychiatrie und Nervenheilkunde, Honorarprofessor der Universität Erlangen. Nicht genug zu rühmen weiß ich endlich die rege und stete Teilnahme meines Freundes Heinrich Kuen. Seinen Eingebungen und seiner scharfsinnigen Kritik bin ich zu meinem Gewinn oft gefolgt. Ich danke den Meinigen für mancherlei Hilfe: meiner Frau Elsa Stroh und den Kindern Wolf und Holle. Ich gedenke Dankes voll der Eltern (zu Weilburg an der Lahn), die nun in Gott geborgen ruhen: Lehrer Friedrich Stroh (geb. 1864 zu Marköbel vor Hanau am Main) und Friedrike, geb. Hoffmann (geb. 1870 zu Herborn, Westhessen).

Unvergessen seien hier auch die großen hessischen Väter unserer Wissenschaft, auf deren Schultern wir Heutigen stehen: Jacob und Wilhelm Grimm aus Hanau am Main (Begründer der Germanischen Philologie), Franz Bopp aus Mainz am Rhein (Begründer der Indogermanischen Sprachwissenschaft) , Wilhelm Heinrich Riehl aus Biebrich am Rhein (Begründer der Volkskunde) und Friedrich Diez aus Gießen an der Lahn (Begründer der uns nachbarlich verbundenen Romanischen Philologie). Daß ich von JACOB GRIMM ausführlicher handle, als dieses Buches ganzer Anlage gemäß scheint, wird keinen verwundern, der den Meister kennt. SEINEM LEBENDIGEN GEISTE SEI DAS BUCH GEWEIHT. FRIEDRICH STROH

IX

INHALT

Inhalt Vorwort . . . . Inhaltsverzeichnis Textbild-Verzeichnis Tafel-Verzeichnis

S. V S. IX S. XVIII S. XIX

Erster . Teil: Begriff der Germanischen Philologie

S.

1

Wissenschaft S. 1. Voraussetzungen und Richtungen S. 4. Einteilung S. 9. Geisteswissenschaft S. 12. Naturwissenschaft S. 14. Philologie S. 15. Sprache S. 16. Auslegung (Spracherklärung) S. 18. Völkerphilologie S. 22. Idealistische Philologie S. 22. Positivistische Philologie S. 23. Rationalistische Philologie S. 25. Irrationalistische Philologie S. 26. Philologie des Eigenen S. 26. Germanische Philologie S. 29. Bibliographie S. 31. Nordische Philologie S. 33. Englische Philologie S. 34. Niederländische Philologie S. 34. Deutsche Philologie S. 34. Mittellateinische Philologie S. 36.

Zweiter Teil: Geschichte der Germanischen Philologie Bibliographie S. 38. Römische Renaissance (Tacitus) S. 39. Karolingische Renaissance (Kaiser Karl) S. 40. Ottonische Renaissance (Notker) S. 41. Dänische Renaissance (Saxo) S. 42. Isländische Renaissance (Snorri) S. 42. Deutsche Renaissance S. 46. Aufklärung S. 49. Germanische Renaissance S. 50. Möser S. 51. Herder S. 52. Romantik 53. Historische Schule S. 54. Savigny S. 56. Rask S. 58. Jacob und Wilhelm Grimm S. 59. Bibliographie S. 59. Über Jacob S. 60. Über Wilhelm S. 62. Hessische Herkunft S. 62. Marburger Studenten S. 65. Kasseler Bibliothekare S. 69. Göttinger Professoren S. 70. Berliner Akademiker S. 71. Bruderschaft S. 72. Persönlichkeiten S. 74. Schöpferische Einsamkeit S. 76. Lehrer S. 79. Arbeitsweise S. 81. Wissenschaftsverfahren S. 82. Wissenschaftsgesinnung S. 84. Wissenschaftsbegriff S. 85. Altdeutsche Wälder S. 87. Sprachforschung S. 88. Grammatik S. 88. Sprachgeschichte S. 97. Wörterbuch S. 101. Namenforschung S. 107. Runenforschung S. 107. Rechtschreibung S. 108. Literaturforschung S. 110. Altdänische Heldenlieder S. 110. Meistersang S. 110. Hildebrandslied und Wessobrunner Gebet S. 111. Edda S. 112. Armer Heinrich S. 113. Reinhart Fuchs S. 113. Freidank S. 113. Germania S. 113.

S. 38

χ

INHALT

Mittellateinische Dichtung S. 114. Angelsächsische Dichtung S. 115. Merseburger Zaubersprüche S. 115. Versgeschichte S. 116. Märchen S. 116. Sage S. 121. Heldensage S. 122. Rechtsforschung S. 122. Poesie im Recht S. 124. Rechtsaltertümer S. 125. Weistümer S. 126. Religionsforschung S. 127. Sitte S. 132. Akademieabhandlungen S. 132. Kleinere Schriften S. 133. Briefwechsel S. 133. Jugendbriefe S. 134. Freundesbriefe S. 134. Dichterbriefe S. 135. Gelehrtenbriefe S. 135. Germanistenbriefe S. 136. Niederländischer Briefwechsel S. 137. Nordischer Briefwechsel S. 137. Slawischer Briefwechsel S. 138. Lachmann S. 138. Grimm und Lachmann S. 140. Schmeller S. 143. Indogermanistik S. 144. Germanisten — Romanisten S. 145. Germanische Rechtsphilologie S. 147. Germanistenversammlungen S. 147. Germanistenname S. t51. Positivismus S. 153. Lebensdenken S. 157. Riehl S. 157. Gierke S. 159. Heusler S. 159. Germanistengeographie S. 162.

Dritter Teil: System der Germanischen Philologie . Erster Abschnitt: Volkheit

.

Volksbegriff S. 166. Volk und Sprache S. 167. Volkskunde S. 169. Philologie und Volkskunde (Philologisch-historische Volkskunde) S. 170. Soziale Volkskunde S. 171. Zweischichtenlehre S. 172. Geographische Volkskunde S. 173. Psychologische Volkskunde S. 174. Volksgliederung S. 174. Stamm S. 175. Familie S. 177. Nachbarschaft S. 179. Generation S. 181. Bund S. 183. Stand S. 185. Staat S. 186. Mensch S. 187. Urvolk S. 188. Indogermanen S. 189. Germanen S. 194. Ingwäonen S. 200. Istwäonen S. 201. Irminonen S. 201. Ostgermanen S. 201. Goten S. 202. Burgunden S. 203. Rugier S. 203. Wandalen S. 203. Nordgermanen S. 204. Ostnordisch — Westnordisch S. 206. Wikinger S. 207. Schweden S. 209. Dänen S. 211. Norweger S. 212. Isländer S. 213. Färinger S. 215. Südgermanen S. 217. Westgermanen S. 217. Angelsachsen S. 218. Engländer S. 220. Angloamerikaner S. 220. Friesen S. 222. Nordfriesen S. 223. Ostfriesen S. 223. Westfriesen S. 224. Niederländer S. 224. Gemeinsprache S. 226. Holländer S. 229. Flamen S. 230. Flämische Bewegung S. 230. Deutsche S.231. Volksname S.232. Volkspersönlichkeit S.234. Volkskunde S.234. Volkskundeatlas S.236. Stämme S.238. Niederdeutsche S. 238. Sachsen S. 239. Niedersachsen S. 239. Westfalen S. 241. Schleswig-Holsteiner S. 242. Mecklenburger S. 243. Pommern S. 244. Märker S. 244. Altpreußen S. 246. Balten S. 247.

S. 166 S. 166

INHALT

XI

Mitteldeutsche S. 248. Franken S. 2^8. Niederfranken S. 251. Lothringer S. 251. Rheinländer S. 252. Pfälzer S. 254. Hessen S. 256. Thüringer S. 258. Obersachsen S. 259. Schlesier S. 260. Sudetendeutsche S. 261. Karpathendeutsche S. 261. Siebenbürger S. 262. Donauschwaben S. 262. Oberdeutsche S. 263. Mainfranken (Ostfranken) S. 263. Alemannen S. 264. Niederalemannen S. 265. Elsässer S. 266. Hochalemannen S. 266. Schwaben S. 267. Baiern S. 268. Altbaiern S. 268. Oberpfälzer S. 269. Ostbaiern S. 269. Tiroler S. 270. Kärntner S. 270. Steirer S. 270. Langobarden S. 271.

Zweiter Abschnitt: Kultur

S. 272

Begriff S. 272. Kultursoziologie S. 272. Kulturgeographie und Kulturmorphologie S. 273. Kulturgeschichte S. 275. Altgermanische Kultur S. 276. Nordische Kulturgeschichte S. 277. Englische Kulturgeschichte S. 278. Angloamerikanische Kulturgeschichte S. 278. Niederländische Kulturgeschichte S. 278. Deutsche Kulturgeschichte S. 278.

1. Sprache Sprachbegriff (Sprachphilosophie) S. 279. Sprachwissenschaft (Philologie und Sprachwissenschaft) S. 281. Mundartforschung S. 282. Sprachverschiedenheit S. 283. Sprachvergleichung S. 284. Übersetzung S. 284. Organologische Sprachbetrachtung S. 285. Organismus S. 287. Artikulation S. 288. Zeichensystem S. 289. Form und Bedeutung S. 290. Sprachkörper und Sprachfunktion S. 291. Volkssprache S. 291. Idealistische Sprachbetrachtung S. 292. Bedeutungsforschung S. 294. Phänomenologie S. 295. Sprache als Bedeutung S. 298. Sprache und Erkenntnis S. 299. Begriffliche Sprachverschiedenheit S. 300. Wortfeld S. 302. Synonymik S. 305. Sprache als Ausdruck S. 306. Sprachpsychologie S. 307. Bedingungen und Triebkräfte S. 307. Materialistische Sprachbetrachtung S. 308. Lautliche Sprachverschiedenheit S. 309. Grammatik S. 309. Ihre Geschichte S. 310. Darwinismus S. 312. Positivismus (Empirismus) S. 312. Junggrammatiker S. 313. Lautbildungslehre (Phonetik) S. 315. Phonologie S. 317. Schallanalyse S. 318. Mundartphonetik S. 319. Sprechkunde S. 319. Redekunst S. 320. Wörterbuch S. 321. Soziologische Sprachbetrachtung S. 323. Soziologische Sprachverschiedenheit S. 324. Mehrsprachigkeit S. 325. Sondersprache S. 334. Standessprache S. 335. Berufssprache S. 335. Fachsprache S. 335. Geographische Sprachbetrachtung S. 336. Geschichtliche Sprachbetrachtung S. 338. Geschichtliche

S. 279

XII

INHALT

Sprachverschiedenheit S. 340. Geschichtliche Sprachvergleichung und Spracherschließung S. 341. Etymologie S. 342. Sprachursprung S. 344. Indogermanisch S. 345. Mittellateinisch S. 346. Germanisch S. 347. Urgermanisch (Altgermanisch) S. 349. Gotisch S. 352. Burgundisch S. 353. Wandaliscfa S. 353. Nordisch S. 353. Urnordisch S. 354. Altnordisch S. 354. Altostnordisdi S. 356. Altwestnordisch S. 357. Neunordisch S. 357. Schwedisch S. 357. Altschwedisch S. 358. Neuschwedisch S. 358. Dänisch S. 359. Altdänisch S. 360. Neudänisch S. 361. Norwegisch S. 361. Altnorwegisch S. 361. Neunorwegisch S. 362. Isländisch S. 363. Altisländisch S. 363. Neuisländisch S. 363. Färöisch (S. 364. Anglonordisch S. 364. Englisch S. 364. Altenglisch S. 367. Mittelenglisch S. 367. Neuenglisch S. 368. Amerikanisches Englisch S. 370. Indoaustralisches Englisch S. 371. Friesisch S. 371. Altfriesisch S. 372. Neufriesisch S. 372. Niederländisch S. 372. Mittelniederländisch S. 374. Neuniederländisch S. 375. Flämisch S. 375. Burisch S. 376. Deutsch S. 376. Grammatik S. 376. Sprachgeschichte S. 379. Wortgeschichte S. 381. Sondersprachen S. 382. Soldatensprache S. 383. Studentensprache S. 383. Schülersprache S. 384. Sportsprache S. 384. Gaunersprache S. 385. Bauernsprache S. 386. Imkersprache S. 386. Winzersprache S. 386. Weidmannssprache S. 387. Seemannssprache S. 387. Handwerkersprachen S. 388. Bergmannssprache S. 391. Kaufmannssprache S. 391. Druckersprache S. 393. Akademische Fachsprache S. 393. Kanzleisprache S. 393. Politische Fachsprache S. 394. Zeitungssprache S. 394. Heeressprache S. 394. Linguistische Fachsprache S. 395. Musikalische Fachsprache S. 395. Tiernamen S. 396. Pflanzennamen S. 396. Mathematische Fachsprache S. 397. Astronomische Fachsprache S. 397. Physikalische Fachsprache S. 398. Chemische Fachsprache S. 398. Medizinische Fachsprache S. 398. Sprache der Technik S. 399. Wörterbücher S. 399. Niederdeutsch S. 401. Frühdeutsch S. 402. Altniederdeutsch (Altniedersächsisch) S. 402. Althochdeutsch S. 403. Mittelniederdeutsch S. 406. Sachsenspiegelsprache S. 407. Mittelhochdeutsch S. 407. Frühneuhochdeutsch S. 410. Schriftsprache S. 411. Neuhochdeutsch S. 413. Sprachkritik S. 414. Mundarten S. 417. Sprachatlas S. 418. Wenker-Sätze S. 419. Wortgeographie S. 425. Wortatlas S. 426. Dialektgeographie S. 426. Sprachlandschaft S. 429. Mundart-Gliederung S. 431. Mundart-Wörterbücher S. 433.

INHALT

XIII

Neuniederdeutsch S. 433. Niedersächsisch S. 433. Schleswig-HoIsteinisch S. 434. Westfälisch S. 434. Ostfälisch S. 434. Märkisch S. 434. Mecklenburgisch S. 434. Pommerisch S. 434. Preußisch S. 435. Luxemburgisch S. 435. Lothringisch S. 435. Rheinisch S. 435. Pfälzisch S. 435. Hessisch S. 435. Nassauisch S. 436. Thüringisch S. 436. Obersächsisch S. 437. Schlesisch S. 437. Sudetendeutsch S. 437. Siebenbürgisch S. 437. Ostfränkisch S. 437. Alemannisch S. 438. Schwäbisch S. 438. Elsässisch S. 438. Schweizerdeutsch S. 438. Bairisch S. 439. Tirolisch S. 439. Kärntisch S. 440. Steirisch S. 44b. Langobardisch S. 440.

2. Namen Begriff S. 440. Forschung S. 441. Sammlung S. 444. Deutung S. 444. Felder S. 445. Deutungskreuzungen S. 445. Geschichte S. 446. Als Geschichtsquelle S. 446. Geographie S. 447. Soziologie S. 447. Einteilung S. 449. Götternamen S. 449. Personennamen S. 450. Indogermanische S. 450. Nordische S. 450. Englische S. 450. Niederländische S. 450. Deutsche S. 451. Taufnamen S. 453. Altgermanische S. 455. Eurznamen S. 458. Christliche S. 458. Heiligennamen S. 459. Neuzeitliche S. 459. Familiennamen S. 460. Geschichte S. 461. Geographie S. 462. Taufnamen als Familiennamen S. 463. Herkunftsnamen S. 463. Berufsnamen S. 464. Mittelbare Berufsnamen S. 464. Übernamen S. 465. Satznamen S. 465. Humanistennamen S. 466. Slawische Personennamen S. 466. Judennamen S. 466. Völkernamen S. 467. Ortsnamen S. 468. Deutsche S. 468. Niederländische S. 471. Englische S. 471. Nordische S. 471. Schwedische S. 472. Dänische S. 473. Westnordische S. 473. Allgemeine S. 473. Wüstungen S. 473. Einteilung S. 474. Ländernamen S. 474. Ortsnamen S. 475. Naturnamen S. 475. Kulturnamen S. 475. Siedlernamen S. 476. Ortsnamenbildung S. 476. Ortsnamengeschichte S. 477. Ortsnamenbücher S. 478. „Historische" Ortsnamengebung S. 479. Siedlungsnamen und Siedlungsgeschichte S. 479. Siedlungsnamen und Stämme S. 481. Ortsnamengeographie S. 482. Ortsnamenausgleich S. 482. Keltische Ortsnamen S. 483. Römische Ortsnamen S. 484. Slawische Ortsnamen S. 484.

S. 440

XIV

INHALT

Flurnamen S. 485. Bibliographie S. 486. Sammlung S. 486. Deutung S. 487. Geschichte S. 488. Geographie S. 488. Soziologie S. 488. Gebirgsnamen S. 489. Gewässernamen (Flußnamen) S. 489. Straßennamen S. 491. Hausnamen (Häusernamen) S. 492.

3. Schrift

S. 492

Begriff S. 492. Schriftkunde S. 494. Philologie und Paläographie S. 494. Sinnbilder S. 495. Runen S. 496. Runologie S. 497. Runenreihen S. 498. Runenfunktion S. 500. Runennamen S. 501. Urgermanische Runennamen S. 501. Runenursprung S. 503. Altgotische (wulfilanische) Schrift S. 507. Lateinische Schrift S. 508. Lateinische Paläographie S. 509. Deutsche Paläographie S. 510. Niederländische Paläographie S. 511. Insulare Schrift S. 511. Nordische Paläographie S. 512. Karolingische Minuskel S. 512. Fraktur S. 513. Antiqua S. 515. Rechtschreibung S. 516. Lautschrift S. 517.

4. Schrifttum (Literatur) Begriff S. 519. Sprachwerk (Form, Inhalt) S. 520. Dichtung S. 520. Geschriebenes Sprachwerk S. 523. Inschrift S. 524. Handschrift S. 524. Druckschrift S. 525. Urkunde S. 526. Philologie und Literaturwissenschaft S. 527. Literaturwissenschaft S. 529. Literarphilologie S. 532. Textkritik (Editionstechnik) S. 533. Ihre Geschichte S. 534. Textbestimmung S. 536. Textherstellung S. 537. Uberlieferungstreue Ausgabe S. 537. Kritische Ausgabe S. 539. Textnormalisierung S. 541. Literarphilosophie S. 542. Idealistische Literaturbetrachtung S. 542. Dichtung und Philosophie S. 544. Materialistische Literaturbetrachtung S. 545. Organologische Literaturbetrachtung S. 546. Literarästhetik S. 547. Dichtung und Kunst S. 549. Poetik S. 550. Verslehre (Versgeschichte) S. 551. Literarsoziologie S. 552. Literarhistorie S. 553. Literaturgeschichte S. 554. Literargeographie S. 554. Quellen und Texte (Literatur) S. 555 ff. Altgermanische S. 555. Runeninschriften S. 555. Antike S. 558. Tacitus S. 558. Text-Probe S. 560. Mittellateinische S. 563. Gotische S. 563. Text-Probe S. 564. Altnordische S. 565. Edda S. 565. Text-Probe S. 566. Jüngere Edda S. 570. Skaldik S. 570. Kormak-Probe

S. 519

INHALT

S. 571. Saga S. 571. Saxo S. 572. Skandinavische S. 573. Schwedische S. 573. Dänische S. 574. Norwegische S. 574. Neuisländische S. 574. Färöische S. 574. Englische S. 575. Altenglische S. 575. Beowulf S. 575. Mittelenglische S. 576. Neuenglische S. 576. Angloamerikanische S. 576. Friesische S. 577. Niederländische S. 577. Altniederländische S. 577. Flämische S. 577. Deutsche S. 578. Inschriften S. 578. Binger Grabinschrift S. 580. Niederdeutsche S. 583. Altdeutsche S. 584. Handschriften S. 584. Urkunden S. 585. Würzburger Markbeschreibung S. 586. Frühdeutsche S. 588. Altniederdeutsche S. 589. HeliandProbe S. 590. Althochdeutsche S. 592. Vocabularius Sancti Galli S. 593. Vaterunser S. 593. Tatian S. 593. Hildebrandlied S. 594. Wessobrunner Gebet S. 597. Muspilli S. 598. Merseburger Zaubersprüche S. 598. Otfrid S. 599. Ludwigslied S. 599. Ezzo S. 600. Heinrich von Melk S. 600. Mittelniederdeutsche S. 601. Sachsenspiegel S. 601. Sachsenspiegel-Probe S. 602. Mittelhochdeutsche S. 602. Nibelungenlied S. 603. Hartman S. 603. Gottfried S. 604. Wolfram S. 604. Liederhandschriften S. 604. Minnesang S. 605. Walther S. 605. Mystik S. 606. Neuhochdeutsche S. 607. Gegenwärtige S. 608. Mundarttexte S. 608. Volksdichtung S. 609. Volkserzählgut-Forschung S. 609. Erzählgut-Archiv S. 611. Märchen S. 611. Wesen S. 611. Märchen und Glaube S. 611. Märchen und Geschichte S. 612. Märchenstil S. 613. Märchenphilologie S. 613. Finnische Schule S. 614. Märchensamnilungen S. 615. Märchenstudium S. 617. Märchenforschung S. 617. Sage S. 618. Wesen S. 618. Sage und Glaube S. 618. Sage und Geschichte S. 619. Sagensammlungen S. 620. Sagenstudium S. 621. Sagenforschung S. 621. Heldensage S. 622. Volkslied S. 624. Wesen S. 624. Naturlied S. 624. Gemeinschaftslied S. 625. Religiöses Volkslied S. 625. Politisches Volkslied S. 626. Liebeslied S. 627. Primitives Gemeinschaftslied S. 627. Schnaderhüpfel S. 627. Kinderlied S. 627. Arbeitslied S. 628. Zeitstil-Lied S. 629. Gehobenes Volkslied S. 629. Gesunkenes Kunstlied S. 629. Umsingen (Zersingen) S. 631. Geschichte der Volksliedforschung S. 632. Limburger Chronik S. 632. Lochamer Liederbuch S. 633. Stimmen der Völker S. 633. Wunderhorn S. 634. Uhland S. 634.

XV

INHALT

XVI

Volksliedphilologie S. 635. Volksliedarchiv S. 635. Volkskundliche Volksliedforschung S. 637. Volksliedstudium S. 637. Volksliedforschung S. 637. Volksliedsammlung S. 638.

5. Glaube (Religion)

S. 638

Begriff S. 638. Philologie und Glaube (Religionsphilologie) S. 639. Altgermanische Religion S. 639. Mythologie S. 640. Religionsgeschichte S. 640. Religionsdeutung S. 641. Quellen S. 641. Darstellung S. 647. Schicksalsglaube S. 648. Gottesglaube S. 649. Gott und Götter S. 650. Asen und Wanen S. 651. Tiwas (Ziu) S. 652. Wodan S. 652. Donar S. 653. Göttliche Brüder (Alken) S. 654. Nerthus S. 654. Freia S. 655. Ing S. 655. Frey und Freyja S. 655. Balder S. 656. Göttliche Mütter S. 656. Geisterwesen S. 657. Seelenglaube S. 657. Unsterblichkeitsglaube S. 658. Jenseitsvorstellungen S. 658. Mächteglaube (Zauber) S. 659. Das Heilige S. 660. Kult S. 660. Kultstätte S. 661. Priestertum S. 661. Seherin S. 662. Kultfeste S. 662. Mythus S. 663. Schöpfung S. 664. Weltbaum S. 664. Weltordnung S. 665. Weltuntergang S. 665. Christianisierung — Germanisierung S. 666. Volksglaube S. 667. Hexenglaube S. 668.

6. Sittlichkeit

S. 669

Begriff S. 669. Altgermanische Höfisch-ritterliche Ethik S. 670.

7. Sitte und Brauch

.

Sittlichkeit S. 669.

.

S. 671

Wesen S. 671. Brauchtumsformen S. 671. Lebensbaum S. 672. Feuer S. 672. Wasser S. 672. Umgang S. 673. Tanz S. 674. Verhüllung S. 674. Speisegemeinschaft S. 675. Heischen S. 676. Lärm S. 676. Feste S. 676. Jahreslauf S. 677. Zwölfnächte S. 677. Zwölftengestalten S. 678. Weihnachtsbaum S. 678. Fastnacht S. 679. Ostern S. 680. Maien S. 680. Johannistag S. 681. Kirchweih S. 681. Menschenleben S. 682. Geburt S. 682. Bund S. 683. Eheschließung S. 683. Tod S. 684. Sitte-und-Brauch-Forschung S. 685. Volksmedizin S. 685. Medizinphilologie S. 685. Volksbotanik S. 686.

8. Recht Begriff S. 687. Rechtliche Volkskunde S. 688. Philologie und Rechtswissenschaft (Rechtsphilologie) S. 690. Sprache und Recht S. 694. Rechtssprache S. 696.

S. 687

INHALT

XVII

Rechts (sprach) geographie S. 697. Rechtliche Namen S. 697. Flurnamen S. 698. Recht und Dichtung S. 700. Urfehdebann S. 701. Altfriesische Rechtsdichtung S. 705. Recht und Sitte S. 709. Rechtsbrauchtum S. 710. Recht und Religion S. 710. Recht und Kunst S. 711. Rechtssymbolik S. 711. Rechtsarchäologie S. 711. Rechtsgeschichte S. 712. Rechtsquellen S. 712 ff. Indogermanische S. 713. Germanische S. 714. Gotische S. 716. Burgundische S. 716. Nordische S. 716. Schwedische S. 717. WestgötenrechtProbe S. 718. Dänische S. 720. Norwegische S. 720. Isländische S. 721. Graugans-Probe S. 721. Englische S. 725. Friesische S. 725. Sächsische S. 726. Sachsenspiegel S. 726. Sachsenspiegel-Probe S. 729. Thüringische S. 729. Fränkische S. 730. Lex-Salica-Probe S. 731. Alemannische S. 732. Bairische S. 732. BaiernrechtProbe S. 732. Langobardische S. 733. Langobardenrecht-Probe S. 733. Deutsche S. 734. Weistümer S. 735. Weistum-Probe S. 736.

9. Kunst

S. 739

Begriff S. 739. Philologie und Kunstgeschichte S. 739. Altgermanische Kunst S. 739. Volkskunst S. 740. Wesen S. 740. Gehalt S. 741. Form S. 741. Werkstoff S. 742. Leben S. 743. Volkskunstforschung S. 743. Volkstracht S. 744. Wesen S. 744. Leben S. 744. Deutsche Volkstrachten S. 745. Trachtenlandschaften (Trachtentypen) S. 745. Trachtenforschung S. 746. Geschichtlich-geographisch S. 746. Volkskundlich S. 747.

10. Siedlung Siedlungsforschung S. Siedlungstypen S. 748. siedlung S. 750. Hausforschung S. 751. schaften (Haustypen)

S. 747 747. Siedlungsgedanken S. 748. Einzelsiedlung S. 748. GruppenBaugedanken S. 752. HauslandS. 754.

Dritter Abschnitt: Geschichte Begriff (Sein und Werden) S. 757. Philologie und Geschichtswissenschaft (Geschichtsphilologie) S. 759. Philologie und Vorgeschichte (Archäologie) S. 761. Innere und äußere Geschichte S. 762. Volksgeschichte S. 763. Kulturgeschichte S. 764. Geistesgeschichte S. 765. Geschichtszusammenhang (Kontinuität) S. 765. Geschichtsgliederung (Periodisierung) S. 767. Kosmologische S. 769. Biologische S. 769. Dreizeitalter S. 770. Altertum S. 771. Germanisches Altertum S. 771. Mittelalter S. 773. Neuzeit S. 774. Soziologische S. 774. Volksord-

S. 757

XVIII

INHALT

nungen S. 774. Zeitstil und Volksstil S. 775. Ständische S. 775. Generationslehre S. 776. Dynastische S. 777. Persönlichkeiten S. 777. Ideologische S. 777. Religionsgeschichtliche S. 777. Erkenntnistheoretische S. 778. Formalästhetische S. 778. Materialistische S. 779.

Register

S. 780 Verzeichnis der Abbildungen

(im Text)

Abb. 1. Herkunft großer Germanisten Abb. 2. Geburtsorte deutscher Germanisten . . . . . . . . . Abb. 3. Vermutliche Wohnsitze der altindogermanischen Völker in der Jungsteinzeit Abb. 4. Indogermanische Sprachvölker (um 1930) Abb. 5. Germanische Sprachvölker (um 1930) Abb. 6. Westnordisch-Ostnordisch Abb. 7. Färöer Abb. 8. Stammesgefüge der Niederlande Abb. 9. Entstehung der niederländischen Schriftsprache . . . Abb. 10. Rheinischer Fächer Abb. 11. Sprachströmungen rheinabwärts Abb. 12. Verbreitung der Brotformen im westlichen Deutschland Abb. 13. Neuhochdeutsche Diphthongierung historisch-geographisch (Entstehung und Ausbreitung) Abb. 14. 'Töpfer' Abb. 15. Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache . . Abb. 16. Wenkerbogen Vorderseite Abb. 17. Wenkerbogen Rückseite Abb. 18. 'Pferd' im Sprachgebiet des Deutschen Reiches . . . Abb. 19. Dialektgrenzen: Kombinationskarte Abb. 20. Territorialraum als Wortraum Abb. 21. Territorialgrenze als Sprachschranke Abb. 22. Rheinfränkische Sprachlandschaft Abb. 23. Deutsche Mundarten Abb. 24. 'Böttcher* Abb. 25. Heutige Ausbreitung der INGEN-Orte in Deutschland Abb. 26. Fünf Runenreihen Abb. 27. Gotische Schrift (um 1300) Abb. 28. Einige wichtigere ältere Runeninschriften Abb. 29. Tacitus, De Germania Abb. 30. Binger Grabinschrift Abb. 31. Hildebrandlied I Abb. 32. Hildebrandlied II Abb. 33. Hildebrandlied III Abb. 34. Erzählgut-Fragebogen: Kopf

S. 163 S. 165 S. 192 S. 193 S. 198 S. 205 S.216 S. 225 S. 228 S. 249 S. 253 S. 274 S. 337 S. 389 S. 411 S, 420 S. 423 S. 424 S. 427 S. 428 S. 429 S. 430 S. 432 S. 462 S. 481 S. 499 S. 514 S. 556 S. 561 S. 580 S. 595 S. 596 S. 597 S. 610

INHALT

XIX

Verzeichnis der T a f e l n Taf. 1 (Titelbild). Jacob Grimm. Aus: Fritz Behrend, Geschichte der deutschen Philologie in Bildern, 1927. Nach Herman Grimm (1850). „Wir haben eine vielbekannte Zeichnung von Herman Grimm: scharf springt die Nase hervor, stark stehen die Backenknochen vor, alles an diesem Gesicht ist gestrafft. Goedeke erschien diese Zeichnung nicht getreu: sie sei zu physiognomisch. Und doch, will uns scheinen, hatte dieses Bild sein gutes Recht. Allzusehr wird heute das Leutselige des großen Forschers betont; gewiß milde konnte er, namentlich im Alter, sein, in seiner Forschung aber war er von früh an heischend, schroff, ja unerbittlich. . . ." Fritz Behrend, Deutsche Studien, Vorträge und Ansprachen. 1936. S. 9. Die Unterschrift aus der Widmung „Malchen Hassenpflug, wir schenken dir das, bei deinem nunmehrigen austritt aus den kinderjahren, zur erinnerung an die schöne zeit. Den 30. jan. 1826. Jacob Grimm. Wilhelm Grimm." (Die faksimilierte Vorlage in meinem Besitz.) Amalie Hassenpflug war die jüngste Schwester des hessischen Ministers Ludwig Hassenpflug (dessen Frau Lotte Grimm). Sie lebte von 1800-1871. Taf. 2 (nach S. 820). Jacob und Wilhelm Grimm. Nach Ludwig Grimms Radierung von 1843. Steht auch vor den „Deutschen Sagen". Im Kupferstichkabinett zu Berlin. Taf. 3. Ahnherren: a. Justus Moser. Nach einem Stich von Johannes Samuel Ringk (1797). — b. Wilhelm von Humboldt. Aus: Fritz Behrend, Geschichte der deutschen Philologie in Bildern, 1927. Gezeichnet von Franz Krüger, gestochen von Friedrich Eduard Eichens. — c. Friedrich Carl von Savigny. Aus: Ludwig Emil Grimm, Erinnerungen aus meinem Leben, 1911. Nach der Radierung Ludwig Grimms vom 10, Oktober 1815 zu Frankfurt am Main. — d. Rasmus Rask. Aus: Petei Skautrup. Det danske sprogs historie. Bd. 1, 1944. Taf. 4. Klassiker: a. Franz Bopp. Aus: Fritz Behrend, Geschichte dei deutschen Philologie in Bildern. 1927. — b. Karl Lachmann. Aus: Fritz Behrend, Geschichte der deutschen Philologie in Bildern, 1927. Nach Raphael Biows Lichtbild gestochen von Albert Teichel. — c. Andreas Schmeller. Nach dem Ölbild von Joseph Bernhardt, gemalt 1849. Das Original in der Bayerischen Staatsbibliothek zu München, der ich die Aufnahme verdanke (Direktor Professor Dr. Paul Ruf). — d. Eduard Sievers. Nach PBB 57. Taf. 5. Junggrammatiker und Wortforscher: a. Otto Behaghel. Nach dem Gemälde von Carl Bantzer (in Gießen). — b. Edward Schröder. Nach dem Lichtbild der Festschrift Edward Schröder, Deutsche Namenkunde, 1938. — c. Friedrich Kluge. Aus: Fritz Kehrend, Geschichte der deutschen Philologie in Bildern, 1927. Nach dem Titelbild der Friedrich-Kluge-Festschrift, 1926. Aufnahme aus seiner Straßburger Privatdozentenzeit (1880-84). — d. Alfred Götze (Lichtbild aus dem Jahre 1943). Taf. 6. Atlas der deutschen Volkskunde. Lief. 1, Taf. 10 (Fragebogen 1, Frage 33 .aufgenommen 1930).

XX

INHALT

Taf. 7. Volksforscher: a. Otto von Gierke. Aus: Erik Wolf, Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte. 2. Aufl. 1944. Lichtbild aus dem Jahre 1901. — b. Wilhelm Heinrich Riehl. Kupferstich von August Weger. — c. Georg Wenker. Nach einem Lichtbild beim Marburger Deutschen Sprachatlas (durch die Freundlichkeit Bernhard Martins). Taf. 8. Nordische Steinritzungen als religiöse Urkunden: a. Felsritzung von Lökeberg. Aus: Wolfgang Schultz, Altgermanische Kultur in Wort und Bild. 4. Aufl. 1937. — b. Kivikstein Nr. 7. Aus: Oscar Almgren, Nordische Felszeichnungen als religiöse Urkunden. 1934. — c. Kivikstein Nr. 8. Aus: Oscar Almgren, Nordische Felszeichnungen als religiöse Urkunden. 1934. Taf. 9. Älteste Runeninschriften: a. Speerspitze von övre Stabu. — b. Speerspitze von Kowel. — c. Speerspitze von Dahmsdorf. — d. Felswand von Käxstad. Taf. 10. Klassische Runeninschriften: a. Reiterstein von Möjebro. — b. Goldring von Pietroassa. — c. Goldhorn von Gallehus. Taf. 11. Spätere Runeninschriften: a. Grabstein von Kylver. — b. Bügelflbel von Freilaubersheim. — c. Bügelfibel Α von Nordendorf. Taf. 12. Codex argenteus. Taf. 13. Codex regius (Edda). Taf. 14. Heliand. Taf. 15. Hildebrandslied. Taf. 16. Althochdeutsche Handschriften: a. Wurmsegen. — b. Merseburger Zaubersprüche. Taf. 17. Sachsenspiegel (Landrecht I, 1). Vgl. Taf. 22. Taf. 18. Älteres Westgötenrecht. Taf. 19. Graugans. Taf. 20. Sachsenspiegel (Bilderhandschrift): a. Morgengabe. — b. Recht des Reisenden. — c. Der Ältere teilt, der Jüngere wählt. Taf. 21. Hessisches Weistum. Taf. 22. Sachsenspiegel (Ldr. I, 1). Mehrfarbig (original). Wo die Nachbildung von Handschriften usw. verkleinert oder vergrößert, 1st dies und das Maß der Größenänderung nur vereinzelt bezeichnet.

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25: £ α statt α 2 : 8 statt 7 2 : 9 statt 8 27: 10 statt 9

ERSTER

TEIL

BEGRIFF DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

Wissenschaft

Dem deutschen Wort Wissenschaft liegt letztlich die Bedeutung 'sehen, beobachten' zugrunde. Wissenschaft ist daher im Grunde nichts anderes als eine ursprüngliche, natürliche Lebensäußerung: eine Weise zu leben. Sie glimmt in der menschlichen Natur und kann aus ihr unmittelbar aufschlagen zur Flamme (Jacob Grimm). Sie ist vielleicht das menschlichste alles menschlichen Tuns. Die stumpfe Scheu vor ihr ist für ein gesundes Gemüt unnatürlich. Es sucht ja den Urgrund in ihr: Gott. Denn das Wahre ist gottähnlich (Goethe). Am Wert der Wissenschaft zweifeln, wäre daher im Grunde ein Zweifel am Wert des Lebens, ein Zweifel an Gott. Jacob Grimm, Über Schule, Universität, Akademie. 1849: Kleinere Schriften 1, 1864, S. 214. „Von der Wissenschaft hege ich die höchste Vorstellung. Alles Wissen hat eine elementarische Kraft und gleicht dem entsprungenen Wasser, das unablässig fortrinnt, der Flamme, die einmal geweckt Ströme von Licht und Wärme aus sich ergießt. Solang es Menschen gibt, kann dieser lechzende Durst nach Wissen, wie vielfach er gestillt wurde, nie völlig erlöschen. Eigenheit der Elemente ist es aber, aller Enden hin in ungemessene Weite zu wirken, und darum verdrießt es die Wissenschaft jeder ihr in den Weg gerückten Schranke und sie findet sich nicht eher zufrieden gestellt, bis sie eine nach der· andern überstiegen hat. Ihrer Unermessenheit zufolge scheint sie notwendig unpraktisch in der Meinung, daß sie nicht auf irgend ein bestimmtes Ziel einzuengen, sondern der guten Fabel ähnlich statt auf einzelne Nutzanwendungen vielmehr auf jeden Nutzen gerecht und bei aller Gelegenheit diensam ist." S. 236. „Die Universität, wenn schon zuS t r o h , Germanische Philologie

1

BEGRIFF DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

2

erst entlehnt, ist eine eigentümlich deutsche Pflanzung geworden, die auf fremdem Boden nicht mehr so gedeiht. Hier treffen alle Kennzeichen der deutschen Volksart zusammen, innere Lust zur Wissenschaft, eifriges Beharren, unmittelbares nie ermüdendes Streben nach dem Ziel mit Hintansetzung eitler Nebenrücksichten, treues Erfassen, unvergleichliche Kombinationsgabe. Aller andern Lust vergessend sitzt der deutsche Gelehrte froh über seiner Arbeit, daß ihm die Augen sich röten und die Knie schlottern1; dem Student ist dieselbe Weise wie angeboren und es bedarf für ihn keines andern Antriebs."

Der Begriff der Wissenschaft wird bestimmt durch Gegenstand und Methode. G e g e n s t a n d . Auftrag und unverlierbarer Sinn aller Wissenschaft ist das Suchen nach Wahrheit. In diesem Suchen liegt auch die Freude jedes wissenschaftlichen Studiums: im Weiterschreiten auf das Geheimnis zu, das ihre Grenzen entlang wogt. Eine Erkenntnis gewinnt nur Bedeutung und Siegkraft durch den ihr innewohnenden Wahrheitsgehalt. Niemals aber ist die Wahrheit fertiger, in sich ruhender Besitz, da das Fragen nie aufhören kann, keine Wissenschaft erschöpflich ist. Stets ist die Wahrheit aufgegeben, neu aufgegeben, von neu gewonnener Erkenntnisgrundlage und entsprechender Lebensaufgabe her. Das ist die ernsteste Veranwortung, die es gibt, aber auch das lockendste Geheimnis. Es ist, in religiöser Sprache, Weg und Erhebung zu Gott. V e r f a h r e n . Wissenschaft soll vor allem das Verfahren lehren, wie Wissen gewonnen wird, das heißt, wie selbständige Fragen und Antworten gefunden werden. Denn Fragen ist Antrieb der Erkenntnis, und Zweifel neue Sicherung. In der Wissenschaft herrscht das grenzenlose Fragen und eine immerwährende heilige Unruhe. Alle wissenschaftliche Erkenntnis ist daher im besten Fall nur ein Weg zur Wahrheit: das immer tiefere Eindringen in den Gegenstand selber durch stete Begriffsbildung und Fragestellung. Jacob Grimm in der Akademievorlesung Uber Schule, Universität, Akademie (1849): „Das Forschen nannte ich ein unendliches, es muß so endlos sein wie der sich über uns dehnende Raum, in dessen unermessene Fernen wir immer weiter vordringen. Jede Wissenschaft ist ein sich wölbender Tempel, am Giebel aber bleibt eine Öffnung, die 1

Studierte, daz ime daz gebeine slotterte in siner hüt. myst. 210, 7. do macht ich mir ein sitz in eim winkel nit wit von des schulmeister stul und gedacht, in dem winkel wilt studieren oder sterben. Plater 36.

BEGRIFF DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

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nicht kann zugemauert werden, gleichsam ein Anblick des menschlichen Augen undurchdringbaren Himmels. Man könnte der Philosophie, die kühne Bauten aufführt, vorhalten, daß sie der Theologie nachgebend jenes Giebelloch öfter als es ihr frommte zu schließen unternommen hat." Kleinere Schriften 1, 246.

Das Wesen der wissenschaftlichen Methode hat Goethe einmal schlicht wie treffend bezeichnet: „Willst im Unendlichen zurecht dich finden: mußt unterscheiden und dann verbinden." Dieser Weg allein führt zu wissenschaftlicher Erkenntnis. Beide Verfahrensrichtungen steuern sich gegenseitig. Sie wechseln offenbar auch geschichtlich miteinander ab: die Neigung, strenger zu beobachten, zu scheiden und zu beschreiben, mit der andern, freier zusammen zu verbinden. U n t e r s c h e i d e n . Das heißt Analyse: zerlegen, zergliedern, auflösen, Kritik (diese im ursprünglichen Sinne des unterscheidenden Prüf ens: gr. κρίνειν, nhd. Reiter 'Getreidesieb', rein). Der analytische Trieb sucht die Erscheinungen von ihren natürlichen Bindungen zu befreien. Er hat die Richtung auf das Objektive. Er wird genährt durch den rationalistischen Zug der neuen Zeit, zumal in den Naturwissenschaften. Jacob Grimm (Kleinere Schriften 6, 154): „Die heutige Wissenschaft pflegt alles haarklein zu spalten, (unsere Vorfahren) aber trennten nichts, sondern genossen alles aus einem vollkommen zureichenden Grund; alles war ihnen nur für die geradeste, lebendigste Anwendung vorhanden."

V e r b i n d e n . Das heißt Synthese: vergleichen, verknüpfen, zusammensetzen, aufbauen. Der synthetische Trieb sucht neue Bindungen. Er hat die Richtung auf das Subjektive. Er wird genährt durch den idealistischen, und den irrationalistischen Zug in der Geistesgeschichte, zumal in den Geisteswissenschaften. Synthetisch arbeitet zum Beispiel die juristische „Konstruktion". Aus analytisch Begriffenem stellt sie schöpferisch neue Rechtsgebilde, neue Rechtsbegriffe zusammen. Die ursprüngliche Imperativische Form der rechtlichen Begriffsbildung durch einen Gesetzgeber oder Richter setzt sie damit um in die eigentlich wissenschaftliche, die systematische Form. Dadurch enthistorisiert und logisiert sie das Recht. Synthetisch arbeitet auch die „Vergleichung" (ζ. B. Sprach1*

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BEGRIFF DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

vergleichung, Religionsvergleichung). Der vergleichende Trieb entspringt der Sehnsucht, über die Vielheit der Erscheinungen hinweg vorzudringen zu einer Einheit. Er wird seit dem achtzehnten Jahrhundert genährt durch den pantheistischen Zug in der deutschen Geistesgeschichte und Wissenschaft. Allgemeine Methodik und Technik der geistigen Arbeit: Oskar Kutzner, Allgemeine Methodik des Studiums. 1944. — Johannes Erich Heyde, Technik des wissenschaftlichen Arbeitens. 6. Aufl. 1941. — Leopold Fonck, Wissenschaftliches Arbeiten. Beiträge zur Methodik und Praxis des akademischen Studiums. 3. Aufl. 1926. — Friedrich Kuntze, Die Technik der geistigen Arbeit. 4. Aufl. 1923. — Horst Kliemann, Werkzeug und Technik des Kopfarbeiters. 1934 — Kurt Kaufmann und Uwe Jens Kruse, Der Kopfarbeiter. 1922. — Josef Spieler, Einführung und Anleitung zu wissenschaftlichem Denken und Arbeiten. Ölten (Schweiz) 1946. — Franz Denk, Kleine Anleitung für Erwachsene zum Umgang mit Geschriebenem und Gedrucktem. 1946. Gegen übermäßige Technisierung. — Arnim Graesel, Führer für Bibliotheksbenutzer. 2. Aufl. 1913.

V o r a u s s e t z u n g e n und

Richtungen

Wissenschaft ist keine abgeschlossene, in sich ruhende und für sich seiende Welt. Sie erwächst vielmehr aus dem Gemeinbewußtsein. Mit diesem bleibt sie immer mehr oder weniger verbunden. Sie ist überhaupt wohl nicht völlig abzutrennen von den Anschauungs- und Denkformen des Gemeinbewußtseins, dem „vorwissenschaftlichen" Denken: von ihren eigenen anthropologischen Voraussetzungen (Weltanschauungen). Denn hinter aller Wissenschaft steht zum mindesten die Frage nach dem Menschsein als solchem. Sie läßt sich ebenso wenig überspringen wie der eigene Schatten. Auch im Bereich der Wissenschaft gibt es viele Weisen des Menschseins. Materialistische Wissenschaft setzt ein materialistisches Menschenbild voraus, idealistische ein idealistisches, „reine" Wissenschaft die Gültigkeit unserer Vernunftprinzipien. Die Wissenschaft ist also in dieser Hinsicht gebunden. Sie muß sich daher ihrer heimlichen Voraussetzungen gewahr, bewußt und klar werden. Es geht in ihr daher letztlich um Existenzerhellung. So fällt sie am Ende freilich den Philosophen zu. Der Begriff der Wissenschaft hat sich daher auch geschichtlich immer stark gewandelt, zumal wieder seit der

BEGRIFF DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

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Zeit des deutschen Idealismus. Ihrer Seinsformen und Richtungen sind viele: metaphysische wie erkenntnistheoretische, gläubige wie skeptische. So unterscheidet heute zum Beispiel Eduard Spranger eine technologische Wissenschaftsauffassung (Materialismus), die Werttheorie (Idealismus), seinsverbundenes Denken (Soziologie) und Existentialismus. Wir können daher auch nicht zum voraus und aus allgemeinen Begriffen bestimmen, was und wie künftig Wissenschaft sei, welcher Art ihre Methode beschaffen sei und zu welchem Ergebnis sie führe. Sondern der Charakter der Wissenschaft und die Art ihrer Methode werden erst bestimmt durch unabsehbare schöpferische Leistungen. Das Wesen der Wissenschaft .wird daher strenggenommen immer vieldeutig sein, ihre Bestimmung und Grenze fließend. Im Angesicht der Wirklichkeit ist 'die Wissenschaft' nur ein nach äußerlichen Merkmalen geschaffener Sammelbegriff, der den Gegenstand nie scharf umgrenzt und bestimmt. Der OrganismusbegrifT der o r g a n o l o g i s c h e n Richtungen bedeutet mehr als eine naturwissenschaftliche, als eine biologische Denkform im engeren Sinne. Er ist auch nichts bloß Ideelles, nicht ein Ergebnis rationalistischer Deduktion. Er ist vielmehr die Frucht einer geistigen Anschauung, eine synthetische Denkform, eine metaphysische Kategorie und eine Erfahrung. Er überwindet die begriffliche Gespaltenheit von Natur und Geist, von Leib und Seele und deren Rangordnungen: im Begriff des Wesens und der Individualität. Er verleugnet die Grenzen der Trennung und den Gegensatz naturwissenschaftlich und geisteswissenschaftlich zugunsten einer gliedhaften Ordnung von Welt und Wirklichkeit. Auch die sprachlichen Erscheinungen sind nicht bloß wahrnehmbar, anderseits nicht bloß seelisch. Sie stehen in dem Bereich des Seelischen wie des Körperlichen. Solche sozialen Organismen, leiblich-geistige Lebensganzheiten sind etwa auch die Völker. Der alles in sich fassende Begriff aber und die gestaltende Kraft ist das Leben und das Wachstum. Der Begriff des Organischen enthält unlösbar auch den der Entelechie, das heißt, der inneren Zielstrebigkeit und der fortgesetzten Selbsterneuerung. Hierin wurzelt das organische Geschichtsdenken.

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BEGRIFF DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

Organisch lebt das germanische Altertum. Ihm sind Leib und Seele, Diesseits und Jenseits begrifflich weithin noch ungeschieden. „Die heutige Wissenschaft pflegt alles haarklein zu spalten, (unsere Vorfahren) aber trennten nichts, sondern genossen alles aus einem vollkommen zureichenden Grund; alles war ihnen nur für die geradeste, lebendigste Anwendung vorhanden" (Jacob Grimm: Kleinere Schriften 6,154). In neuerer Zeit drängt das Organische mächtig empor im Denken des Paracelsus, des Leibniz (Monadologie) . Es bestimmt Herders Geschichtsbild und Goethes Wissenschaftsauffassung. Es gipfelt in der deutschen Romantik, die zumal danach strebt, die Ausprägung der Menschheit in organisch gegliederte Volksgestalten zu verstehen. Es bewegt seitdem weiterhin das Denken, zumal der mittel- und osteuropäischen Völker. Friedrich Carl von Savigny (Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 1814): „Das Recht nämlich hat kein Dasein für sich, sein Wesen vielmehr ist das Leben des Menschen selbst, von einer besonderen Seite angesehen... Ist es denn möglich, die Gegenwart eines organischen Zustandes anders zu begreifen als in Verbindung mit seiner Vergangenheit, das heißt, anders als auf genetische Weise." Hans Driesch, Philosophie des Organischen. 4. Aufl. 1928. — Paul Krannhals, Das organische Weltbild. Bd. 1. 2. 1928.

Der I d e a l i s m u s sucht die Wahrheit in den Urbildern des Geistes, wie sie die Geschichte verwirklicht. Er setzt Werte. Er überschreitet damit, metaphysisch, die Grenzen der Sinneserfahrung. Idealistisch ist weithin das Denken unseres Mittelalters, dessen Lehre die christliche. Idealistisch ist der Humanismus, dessen Theorie die klassische Philologie. Der Idealismus gipfelt endlich im Klassizismus der neueren Zeit. Dessen Theorie ist die philosophische Lehre: von Kant bis Hegel, von Humboldt bis Dilthey. Der M a t e r i a l i s m u s sucht die Wahrheit in den objektiven „stofflichen" Gestaltungen der Natur, in der „äußeren" Welt der Erfahrung. Diese wird gedacht als losgelöst vom Bewußtsein. Insofern überschreitet auch der Materialismus, metaphysisch, die Erfahrung. Geist sei ein Abgeleitetes, geistige Bewegungen gesellschaftlich, zumal wirtschaftlich bedingt. Nicht herrschen Idee, noch Glaube. Die Welt wird entzaubert und unpersönlich. Das Bild des per-

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sönlichen Gottes erlischt. Der Materialismus hat — scheinbar — das geringste Maß weltanschaulichen Gehaltes und Wertens. Ja diese sollen gänzlich außerhalb und ohne Einwirkung bleiben. Die Richtung auf den Materialismus nimmt das neunzehnte Jahrhundert. Dessen Theorie ist die Naturwissenschaft. Die Gesellschaftslehre (Soziologie) strebt danach, die Rolle einer allgemeinen Kulturphilosophie zu übernehmen. Der Behaviorismus erschüttert dann weiterhin den Glauben an den Geist, der aufklärerische Deismus atomisiert das Weltbild und rückt den persönlichen Gottesbegriff ferner. Inzwischen ist das materialistische Denken weithin auch in die sogenannten Geisteswissenschaften eingedrungen. Es hat die Gesetze der körperlichen vielfach auch in die geistige Welt übertragen, so auch in der Philologie. Der P o s i t i v i s m u s ist vornehmlich eine Erkenntnisform. Er verlegt das Schwergewicht wissenschaftlicher Arbeit in das Verfahren. Er verzichtet darauf, die Erfahrung (Empirismus) gedanklich, zu überschreiten (durch Spekulation und Metaphysik). \ Er fordert Beweisbarkeit und Erklärung: erfahrungsgemäße, vernunftgerechte, genaue (exakte). Erkenntnisgrundlage ist die unmittelbare Wahrnehmung, sind die Tatsachen: in grundsätzlicher Gleichwertigkeit. Der erste Versuch einer „Philosophie des Positiven" stammt von dem Franzosen Auguste Comte (1798—1857). Der Positivismus trägt die Naturwissenschaften empor. Von hier entlehnt, dringt er auch in die Geisteswissenschaften ein. Man übertrug damit allzu unbefangen aber auch den naturwissenschaftlichen Gattungsbegriff. Wie man dort etwa von „Insekten" reden kann, gleichgültig, ob sie im Diluvium oder heute leben, ob in Australien oder in Skandinavien, so sprach man nun in der Rechtswissenschaft von „der Ehe" im babylonischen Codex Hammurabi und verglich diese ohne weiteres mit „der Ehe" im salischen Recht. In ähnlicher Weise arbeitete die Sprachwissenschaft lange mit dem Axiom der „Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze". Der E x i s t e n t i a l i s m u s versucht eine neue Kritik und Würdigung der eigenen Voraussetzungen: die Klärung des menschlichen Seins, unseres Seinskerns. Denn in der

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Mitte steht offenbar der Mensch als die eigentliche (geistige) „Existenz". Jedes einzelne Wesen ist seinsgebunden: ein Mittelpunkt, mit andern völlig unvergleichbar. Es steht im Grunde immer in einer unbedingten, in einer einsamen Einzigartigkeit. Im religiösen Bewußtsein ist es unmittelbar zu Gott. Der Existentialismus zieht sich also folgerecht zurück auf ein gänzlich für sich laufendes Denken, von dem man keine Allgemeingültigkeit mehr erwarten darf. Die Wahrheit, die er erreichen kann, wäre demnach nur eine ganz einsame, auf sich selbst bezogene. Das Existentiellste — im sittlichen Bewußtsein — aber ist das Gewissen. Es sagt nur aus für mich, über mich. Der Seinsgrund im Denken ist daher für Eduard Spranger nichts anderes als das lebendige Gewissen, besondert zum wissenschaftlichen Gewissen. Die existentielle Denkweise geht aus von dem Dänen Sören Kierkegaard: von dessen radikaler Rückbesinnung (gegenüber Hegelscher Systemphilosophie) auf unmittelbare konkrete Existenz. Wissenschaftlich ausgebaut haben sie besonders Deutsche (Martin Heidegger, Karl Jaspers).

Der R a t i o n a l i s m u s nimmt als letzten Maßstab die Vernunft. Er liebt die scharfen Umrisse und Grenzen, die geläuterte Klarheit, die Diesseitigkeit. Rationalistische Wissenschaft gleicht dem hellen Tag. Rationalistisches Denken drängt zur Vollendung. Es strebt hin zum Allgemeinen und zum Einen (Universalen), zum Unbedingten, Weltverbindlichen, zur Norm. Ihm erscheint daher die eigene Ansicht leicht als die allgemeingültige Weltansicht. Der Rationalist ist Optimist. Er drängt zum Fortschritt — durch „Aufklärung". Die Richtung auf das Rationale war das Erbe des Humanismus. Sie führte auch die Naturrechtslehre herauf. Sie gipfelt nachher im naturwissenschaftlichen Denken des neunzehnten Jahrhunderts, zumal in der westlichen Welt. Das angloamerikanische Volk hat hier vielleicht die letzten Folgerungen gezogen, am meisten Ernst gemacht mit dem Cartesianismus: dem Vertrauen auf die eigene Vernunft. Zur Wissenschaft schlechthin wurde ihr die Naturwissenschaft (franz. ne. science).

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Der I r r a t i o n a l i s m u s nimmt auch die Gefühls- und Seelenkräfte zum Wertmaßstab: die unbewußten, geheimnisvollen, jenseitigen. Irrationalistische Wissenschaft gleicht eher dem dämmernden Morgen, dem aufsteigenden Tag, der auf seinen Zehen steht. Sie strebt zum Besonderen, zum unterschiedlichen Sosein der Dinge, zu Gestalt und Stil. Letzte Wirklichkeit ist ihr das Individuelle. Dieses liegt allererst im Ursprung und in der Geschichte. Daher drängt das irrationale Denken, dynamisch, unaufhörlich auf Erneuerung und Wiedergeburt des Ursprünglichen: in den „Renaissancen" der Geschichte. E i n t e i l u n g der

Wissenschaft

Alle Wissenschaft glimmt in der menschlichen Sprache. Ihr aller Anfang ist das Wort. Was aber aus einer gemeinsamen Wurzel, aus einer Quelle springt, das ist sich jederzeit auch selbst verwandt und greift ineinander. Daher sind alle Wissenschaften, so verstanden, im Grunde eine einzige, nämlich allererst Philologie, ihre scharfen Scheidungen aber für diese weithin bedenklich und von untergeordneter Bedeutung. Doch erweist sich insbesondere die geschichtliche Betrachtung noch als eine wahrhaft wissenschaftliche. Immer aber entsprießen „der Wissenschaft" neue Zweige, immer treiben neue Äste. Diese schreiben sich bald ihr neues Gesetz und bringen dann gesondert neue Frucht. Ihre Grenzen aber fließen immerfort. Sie werden, wie der Lebensatem, aus- und eingetrieben. Ihre Begriffe sind geschichtliche: auch dem Zeitstil und weltanschaulicher Wandlung unterworfen. So ist auch die Einteilung in Fakultäten keine eigentlich wissenschaftliche. Daher betrachtet man sie auch seit langem als überlebt und als wissenschaftsfeindlich. Jacob Grimm (Kleinere Schriften 1, 167): „Bricht einmal die altverlebte Einteilung alles Wissens in vier Fakultäten zusammen, deren jede in ihrem Schlepp die verschiedenartigsten Gegenstände des Lebens und Lernens gefaltet mit sich trägt, dann wird auch Jünglingen der gerade Weg zu dem, was sie mit deutlichem Trieb von frühauf anziehen und einmal erfüllen soll, unverbaut sein."

Anders der Aufbau der Akademien. Von der Ausbildung der Philologie war die französische Akademie ausgegangen.

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Andere Wissenschaften hatten sich allmählich angereiht. Unsere Akademien besitzen jetzt gewöhnlich eine philologisch-historische und eine physikalisch-mathematische Klasse, keine theologische, juristische, medizinische. In ihren Denkschriften gibt es im allgemeinen nur philologische, historische, physikalische, mathematische Abhandlungen. Pfarrer, Richter und Ärzte sind nicht und wollen nicht an erster Stelle Gelehrte sein. Der praktische Beruf und seine Forderung sind hier auch schon auf der Universität fühlbarer. Die philosophische und die naturwissenschaftliche Fakultät sind die eigentlich gelehrten Fakultäten, die übrigen vielmehr Anstalten der „Lebensnot" (Nietzsche). Jacob Grimm, Über Schule, Universität, Akademie (Kleinere Schriften 1, 245): „Es leuchtet ein, daß jene drei Fakultätswissenschaften keine sind noch sein können im Sinne der akademischen. Entkleidet man sie dessen, was in ihnen schon andern Wissenschaften angehört, so bleibt ihnen eine feste, unbewegliche Satzung zurück, die bei noch so hohem Werte wissenschaftliches Gehalts ermangelt. Man nehme der Theologie Kirchengeschichte, orientalische und klassische Sprachstudien und Moral, welche bereits Stücke der Historie, Philologie und Philosophie sind, oder der Jurisprudenz ihre überreiche Rechtsgeschichte, die einen glänzenden Teil aller und jeder Geschichtsforschung bildet, und deren Gegensatz das Naturrecht; so sieht sich der Theolog auf sein Dogma, der Rechtsgelehrte auf sein ständiges Gesetzbuch gewiesen, denen sie beide Geltung verschaffen möchten und die nur der Lehre, nicht mehr des unendlichen Forschens bedürfen. Die Heilkunde fordert zur Erkenntnis der Krankheiten und Arzneien umfassende Studien in der Naturgeschichte und Chemie; allein der sie ausübende Arzt unterscheidet sich von dem wissenschaftlichen Naturforscher, wie das Studium der Anatomie weit über den Bedarf des Chirurgen hinaus zu hohen Ergebnissen führt. Die Ergründung der gestörten Gesundheit und die Kunst sie herzustellen ist durch jene Wissenschaften bedingt, ungefähr wie die Kriegskunst in Mathematik, Geographie und Geschichte, die Politik in Philosophie und Geschichte schöpfen. Hieraus folgt, daß die drei ersten Fakultäten keine neuen wissenschaftlichen Gesetze entfalten, nur die geltenden anwenden."

Die damals sich anbahnende neuere Scheidung in die (humanistische) Geisteswissenschaft und die (realistische) Naturwissenschaft hat Jacob Grimm auf der Frankfurter Germanistenversammlung meisterhaft gezeichnet (1846). Verhandlungen S. 58 ff.: „Lichtenberg bringt die Wissenschaften unter vier Klassen. In die erste stellt er, die Ehre verleihen, in die zweite, die Brot verleihen, in die dritte, die Ehre und Brot verleihen, endlich in die vierte, die weder Ehre noch Brot verleihen. Sein Witz spielt aber in den Ausführungen. Die Brotwissenschaft ist auch nicht einmal seine

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eigene Erfindung, sondern ein lange vor ihm gangbarer Ausdruck, davon hergenommen, daß die, welche statt die Herde zu weiden oder zu pflügen, ihren Gedanken nachhängen wollen, wohl einsehen, daß um ihr Brot zu essen, sie ein Amt auf sich zu nehmen haben, das ihnen Brot verleiht. Nach des Amtes glücklicher Erlangung begegnet es aber Vielen, daß sie ihre wisenschaftlichen Gedanken wieder fahren lassen, und die Vorzeit war gewiß besser, wo noch niemand nach solchen Ämtern trachtete. Man weiß auch, wie die Studenten auf der Universität unterscheiden: sie haben zweierlei Wissenschaft, solche, die sie testiert erhalten müssen, und andere, wo das nicht notwendig ist; darnach richtet sich dann ihre Neigung zur Annahme und zum Besuch der einzelnen Vorlesungen. Es ist aber viel freier und schöner, diesen Unterschied zu verkennen, sich gehen zu lassen und blind in den Tag hinein zu studieren, dessen Licht genug Augen eröffnende Kraft hat; rechte Wissenschaft gleicht dem Tag. Aber auch auf diese falsche Unterscheidung wollte ich nicht eingehen, mich vielmehr hier an die von Franzosen aufgebrachte zwischen exakten und inexakten Wissenschaften halten, warum soll ich nicht lieber deutsch sagen zwischen den genauen und ungenauen Wissenschaften? Zu den genauen werden bekanntlich die gerechnet, welche alle Sätze haarscharf beweisen: Mathematik, Chemie, Physik; alle deren Versuche ohne solche Schärfe gar nicht fruchten. Zu den ungenauen Wissenschaften hingegen gehören gerade die, denen wir uns hingegeben haben und die sich in ihrer Praxis so versteigen dürfen, daß ihre Fehler und Schwächen möglicherweise lange Zeit gelitten werden, bis sie in stetem Fortschritt aus Fehlern und Mängeln immer reiner hervorgehen: Geschichte, Sprachforschung, selbst Poesie ist eine allerdings ungenaue Wissenschaft. Ebenso wenig Anspruch auf volle Genauigkeit hat das der Geschichte anheim gefallene Recht, und ein Urteil der Jury ist kein Rechenexempel, sondern nur schlichter Menschenverstand, dem auch Irrtum mit unterläuft. Im Krieg hat den exakten Grundsatz die Artillerie zu vertreten, wogegen von der Kavallerie nicht verlangt wird, es mit dem Einhauen, wenn sie dazu kommt, genau zu nehmen. Den genauen Wissenschaften schlägt noch etwas anderes zum Vorteil aus: sie lösen die einfachsten Urstoffe auf und setzen sie neu zusammen. Alle Hebel und Erfindungen, die das Menschengeschlecht erstaunen und erschrecken, sind von ihnen allein ausgegangen, und weil ihre Anwendungen schnell Gemeingut werden, so haben sie für den großen Haufen den größten Reiz. Viel sanfter und zugleich viel träger ziehen die ungenauen Wissenschaften nach sich, es gehört schon eine seltnere Vorrichtung einzelner Naturen dazu, um sie an deutsche Geschichte oder an die Untersuchung deutscher Sprache innig zu fesseln, während wir die Hörsäle der Chemiker und Physiker wimmeln sehen von einer dem Zeitgeist auch unbewußt huldigenden Jugend. Und doch stehen die Philologen und Historiker an Fülle der Kombination den gewandtesten Naturforschern nicht eben nach; ich finde sogar, daß sie den schwierigsten Wagstücken mutvoll entgegengehen, daß umgekehrt die exakte Wissenschaft einer

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Reihe von Rätseln ausweicht, deren Lösung noch gar nicht herangekommen ist. Oder kann sie uns zum Beispiel erklären, wie sich aus der Pflanze allmählich eine andere mit verschiedener Farbe und verschiedenem Duft entwickelt? . . . "

In neuerer Zeit hat sich besonders Jacob Grimms Landsmann Wilhelm Dilthey um diese grundlegende Unterscheidung bemüht. Hermann Paul scheidet dagegen Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft. Alle diese Scheidungen überspitzen aber vielfach schon den Gegensatz von Geist und Natur, von Kultur und Natur. Denn auch diese beiden Wissenschaftsbereiche greifen tief ineinander und überschneiden sich weithin. So gibt es ja etwa auch eine historische Naturwissenschaft. Geisteswissenschaft und Naturwissenschaft springen aus e i n e r Wurzel, und es sind dieselben elementaren logischen Verfahren, die in beiden geübt werden: Unterscheiden und Verbinden. Aber darum handelt es sich nun, welche besondere Form diese innerhalb der Erfahrungsgebiete der Geistes- und der Naturwissenschaften annehmen. Wilhelm Dilthey, Gesammelte Schriften 5, 1924, 334. Hermann Paul, Aufgabe und Methode der Geschichtswissenschaften. 1920 — Heinrich Rickert, Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft. 7. Aufl. 1926. Geisteswissenschaft

Sie ist die herrschende Wissenschaftsauffassung im Zeitalter des Idealismus. In neuerer Zeit hat sich besonders Wilhelm Dilthey bemüht, die Eigenart und Selbständigkeit der Geisteswissenschaften gegenüber den Naturwissenschaften festzustellen. Seine Auffassung der Geisteswissenschaften wird stark bestimmt durch die Eindrücke ihres geschichtlichen Werdens. Wilhelm Dilthey, Einleitung in die Geisteswissenschaften. 2. Aufl. 1923. — Erich Rothacker, Einleitung in die Geisteswissenschaften. 1920. 2. Aufl. 1930. Eine Philosophie der Historischen Schule. — Ders., Logik und Systematik der Geisteswissenschaften. 1927. Zuletzt 1947. — Ders., Geschichtsphilosophie. 1934. — Heinz Heimsoeth, Geschichtsphilosophie. In: Deutsche Philosophie. 1942.

G e g e n s t a n d . Der Schwerpunkt der Geisteswissenschaften ruht in der Frage der Individuation und einer Gesetzlichkeit, die auch durch Werthaltungen bedingt ist. Geisteswissenschaft sucht das Einmalige des Individuellen zu

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erfassen: Gestalten. Alle Gestalt aber ist Grenze. Geisteswissenschaft hat es daher mit dem Menschen und dem Menschlichen zu tun, zum Beispiel mit geschichtlichen Persönlichkeiten oder mit Völkern. Friedrich Carl von Savigny suchte nach dem Gesetz, das die geschichtliche Entwicklung beherrscht. Dieses Gesetz der organischen Entfaltung des Volksgeistes verstand er aber nicht als Kausalgesetz einer empirisch feststellbaren Geschehensfolge, sondern als Wesensbestimmung einer geistigen Wirklichkeit, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einschließt. Karl Lachmann suchte die dichterische Individualität zu erkennen, die am Nibelungenepos gedichtet habe. Jacob Grimm aber übertrug die Achtung und Ehrfurcht vor der Individualität grundlegend auf die Spräche. Jacob Grimm bemerkt in einer 1812 erschienenen Besprechung von Rasks isländischer Grammatik: „Jede Individualität soll heilig gehalten werden, auch in der Sprache; es ist zu wünschen, daß auch der kleinste, verachtetste Dialekt, weil er gewiß vor dem größten und geehrtesten heimliche Vorzüge voraus haben wird, nur sich selbst und seiner Natur überlassen bleibe und keine Gewaltsamkeit erdulde." Kleinere Schriften 4, 176. — An Dorothee Dahlmann: „Beides ist gleich richtig, zu schreiben getraide oder getreide. Ich ziehe ersteres vor, aus bloßem Mitleiden, weil wir so wenig ai in unserer Sprache haben und soviel ei." (Edmund Stengel, Private und amtliche Beziehungen der Brüder Grimm zu Hessen 1, 22.) — Die Lübecker Germanistenversammlung von 1847 im Angesicht der aufsteigenden Naturwissenschaften: „Es ist nicht der Beruf der Wissenschaft, auf die Vernichtung der Individualität zu wirken, sondern vielmehr dieselbe zu erkennen, zu verstehen, zu erhalten" (Verhandlungen S. 22).

In unserer Zeit aber wurde vor allen Wilhelm Dilthey der große Ausleger, Nachspürer und Deuter des geistigen Lebens großer Persönlichkeiten und historischer Zeitalter. V e r f a h r e n . Wir haben auch hier im Grunde immer nur zu unterscheiden und zu verbinden, wenn wir uns wissenschaftlich etwa mit der Sprache beschäftigen, geschichtlich oder vergleichend, mit dem Verständnis eines Textes, eines Gedichtes, einer Geschichtsquelle, mit einer geschichtlichen, einer dichterischen Persönlichkeit. Doch wird der Geisteswissenschaft zumal seit Wilhelm Dilthey auch eine eigene Methodik zur Aufgabe gemacht: das Verstehen, das heißt, das in seinen Individuationen Sichselbstoffenbarwerden des Geistes. Dieses Verstehen setzt Dilthey in Gegen-

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satz zum Erklären der Naturwissenschaften. Das Geistige sei aber zu verstehen nur durch die Erfassung des ihm innewohnenden oder auch des ihm eingelegten Sinnes: durch Sinndeutung (die philologische Auslegung oder Interpretation, die Hermeneutik und Exegese der Theologie und Jurisprudenz) . Das Verstehen steigert sich zum Nacherleben, und darin zeigt Dilthey selbst eine ungewöhnliche Fähigkeit. Naturwissenschaft

Sie wird die herrschende Wissenschaftsform im Zeitalter des Positivismus. Seitdem zumal werden ihre Verfahren, naturalistische und biologische Denkformen, weithin auch auf philologische Tatbestände angewendet, ζ. B. auf die Lautbildung. G e g e n s t a n d . Das Schwergewicht ruht in der Frage der Generalisation und einer Gesetzmäßigkeit, die nicht bedingt ist durch Werthaltungen. Naturwissenschaft denkt größenmäßig (quantitativ). Sie hat es mit Gattungen zu tun. Sie sucht allgemeinste Begriffe, Begriffe von unbedingter Geltung: das allumfassende Gesetz. Sie ist generalisierende Gesetzeswissenschaft. Sonne, Mond und Sterne scheinen heute wie vor Jahrtausenden; ebenso zeitlos und gesetzmäßig blüht offenbar „die Rose". V e r f a h r e n . Auch die Naturwissenschaft hat im Grunde immer nur zu unterscheiden (beobachten) und zu verbinden: in der chemischen Analyse, Synthese und Formel, im physikalischen Fallgesetz, aber auch im Lautgesetz der Junggrammatiker. Doch wird der Naturwissenschaft auch eine eigene Methodik zur Aufgabe gemacht: das Erklären, das heißt, die logische und kausale Zurückführung auf allgemeinste Begriffe, auf mathematisch messende Gesetze. Das Erklären stehe somit dem Verstehen der Geisteswissenschaften gegenüber. Seit der Jahrhundertwende, eingeleitet durch Max Plancks Quantenlehre, wird der Kernsatz der materialistischen Naturphilosophie angefochten und zunächst in der Mikrophysik widerlegt: der Satz von dem lückenlos determinierten Naturgeschehen. Im Reiche der Atome gibt es keine Determinierung, also keine vorausberechenbare Ursächlichkeit. Damit fällt die Grenze zwischen Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft. — Werner Heisenberg, Wandlungen in den Grundlagen der exakten

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Naturwissenschaft. 8. Aufl. 1948. — Pascual Jordan, Die Physik des 20. Jahrhunderts. 8. Aufl. 1949. — Carl Friedrich von Weizsäcker, Zum Weltbild der Physik. 4. Aufl. 1949. — Ders., Die Geschichte der Natur. 1948. Philologie

Sie ist die Wissenschaft vom Sprachlichen Kuen).

(Heinrich

Die Gruppe Philologe und Philologie (im 16. Jahrhundert entlehnt); philologisch (seit Mitte des 17. Jahrhunderts bezeugt) geht zurück auf griech. φιλόλογος 'der das Sprechen liebt, Sprachfreund usw.', φιλολογία 'Liebe zum Sprechen, Sprachliebe usw.' Zu griech. φίλος 'lieb, wert'; 'Freund' und λόγος 'Wort, Rede, Begriffsbestimmung usw.' Vgl. Hans Schulz und Otto Basler, Deutsches Fremdwörterbuch 2, 1942, 502.

Ihre eigenste Aufgabe ist die sprachlich gesicherte und erklärte Auslegung. Daher ist ihr Verfahren ihrem Gegenstande besonders gemäß. Wollte man das Wesen der Philologie nach demselben Formgesetz bezeichnen wie das der Theologie usw., so müßte man sie etwa Logologie nennen. In einem sehr weiten Sinne, mehr geistreich als scharf, bestimmt sie August Boeckh a. a. O. S. 10: „Das Handeln und Produzieren, womit sich die Politik und Kunsttheorie beschäftigen, geht den Philologen nichts an; aber das Erkennen des von jenen Theorien Produzierten. Hiernach scheint die eigentliche Aufgabe der Philologie das Erkennen des vom menschlichen Geist Produzierten, d. h. des Erkannten zu sein."

Die älteste Philologie im Abendlande ist die „Altphilologie" oder „klassische" Philologie. Sie befaßt sich mit dem Spracherbe des griechischen und römischen Altertums. Sie hat sich herausgebildet aus der hellenistischen Grammatik, die wissenschaftlich war, aber noch keine geschichtliche Wissenschaft (Wilamowitz a. a. O. S. 1 ff). Sie hat methodische Grundsätze erarbeitet, die gültig geworden sind für alle philologischen Wissenschaften (so besonders durch Karl Lachmann für die Deutsche Philologie). Für die „lebenden" Philologien insbesondere sind sie im vorigen Jahrhundert sinngemäß fortgebildet und weiter ausgebaut worden (Jacob Grimm). Überhaupt hat sich die ältere formale und normgebende Philologie unter dem Einflüsse der von Herder, Winckelmann und der Romantik ausgehenden Anschauungen zu einer geschichtlichen Wissenschaft umgebildet. Als „neuere" Philologien faßt man mitunter zusammen die deutsche, englische, romanische, slawische usw. Da die

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Deutsche Philologie in Deutschland als Philologie des Eigenen auf besonderen Voraussetzungen ruht, wird hier unter „neuerer" Philologie im engeren Sinne gewöhnlich englische und romanische Philologie verstanden. Die germanische Philologie im weiteren Sinne ist Alt- und Neuphilologie. August Boeckh, Enzyklopädie und Methodologie der philologischen Wissenschaften. 1877 (posthum). 2. Aufl. 1886. Galt lange als der Eingang in das Allerheiligste der Philologie. — Ferdinand Heerdegen, Die Idee der Philologie. 1879. — Ulrich vom Wilamowitz-Moellendorff, Geschichte der Philologie. In: Einleitung in die Altertumswissenschaft. Hg. von Alfred Gercke und Eduard Norden. Bd. 1. 3. Aufl. 1927. Sprache

Gegenstand der Philologie ist der Logos, d. h. die Sprache. Denn der Logos kann sich nur in Sprache aussprechen. Der Doppelsinn des Wortes λόγος eignet aber diesen Ausdruck, die Beschäftigung sowohl mit der Form als mit dem Inhalt der Sprache zu bezeichnen: die sinnerfüllte Sprache. Die Philologie fragt also danach, wie und was Sprache aussagt. So ist für den Philologen das Sprachwerk, was etwa für den Kunsthistoriker das Original, Bild- und Tonwerk, was für den Geographen die Landschaft. Doch liegt ja dem Kunsthistoriker das Bildkunstwerk meist nicht als Original vor, sondern in der sehr unvollkommenen Nachbildung, so dem Musikhistoriker das Tonkunstwerk nicht in der Urgestalt, gespielt vom schaffenden Künstler, ζ. B. in der Improvisation, sondern in der unvollkommenen Notenschrift oder in der nachschaffenden Wiedergabe.

In der Klassischen Philologie beschränkte man sich bis in die neuere Zeit auf das Teilgebiet der schriftlichen Überlieferung: die Literatur (Literarphilologie). Gegenstand der Philologie ist aber alles Sprachliche: mündliches und schriftliches. Denn Sprache und Sprachwerk sind die weiteren Begriffe, und der Bereich der schriftlich niedergelegten Sprachwerke ist sehr viel kleiner als der Gegenstand der Philologie: ein winziger Bruchteil von ihr. Denn die gesamte Menschheit erzeugt (und versteht) zwar Sprache, aber nur ein eingeschränkter Kreis von Menschen auch Literatur. Die Sprache ist schon vor der Schrift und Literatur da. Viele Jahrtausende, bevor die Menschheit zu schreiben begann, sprach sie und führte sie bereits Gespräche. Die Sprache ist immer audi neben der Literatur dagewesen und noch da. Millionen von Menschen, die nicht schreiben oder lesen, sprechen und verstehen.

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Doch wandelte sich philosophisch der Inhalt der Philologie, ihre Wesensbestimmung, so wie der Sprachbegriff selbst (Völkerphilologie, idealistische und positivistische, rationalistische und irrationalistische Philologie). Sprachen sagen aber allererst aus über Völker, Kulturen und Geschichte (System der Philologie). Ihre Auslegung kann sich jedoch auch beschränken auf bestimmte inhaltliche Elemente, um diese in den weiteren universalen Sachzusammenhang einzufügen: das Sprachliche im engeren Sinne, das Literarische, das Soziale, das Recht, das Religiöse usw. Neben die philologische, nationale Abteilung der Fächer als organische Lebensganzheiten tritt damit eine andere: die sachlich vergleichende, universale. Solche Wissenschaften mit sachlichem Mittelpunkt und universaler Begrenzung oder Richtung sind demnach ζ. B. Sprachwissenschaft und Literaturwissenschaft, Soziologie, Rechts- und Religionswissenschaft, Kunstwissenschaft. Doch werden die meisten von diesen aus ihrer allgemeinen sachlichen Richtung heraus immer wieder auf ihre sprachlichen Quellen mehr oder weniger zurückverwiesen, und bezeichnenderweise hat unter ihnen bisher wohl nur die vergleichende Sprachwissenschaft in einem besonderen Berufskreise und als besondere Fakultätswissenschaft Pflege gefunden. Denn aller Wissenschaft ist immer wieder aufgegeben, aus den Quellen selbst zu schöpfen, nicht aus deren Abwässern. Daher (nach Ansicht meines Schülers Karl-Heinz Weimann) ähnelt die Frage, ob für den deutschen Literarhistoriker der französische Literarhistoriker oder der deutsche Sprachhistoriker der nächste Fachgenosse sei, der, ob der Anatom dem Physiologen oder dem Veterinäranatomen näher stehe. Anatomie und Physiologie, Stoffbeschreibung und Funktionsbeschreibung, bedingen einander innerhalb der Human- und innerhalb der Veterinärmedizin so wie Sprach- und Literaturgeschichte innerhalb der germanischen und der romanischen Philologie. Engste Wechselbeziehungen zwischen beiden Anatomen und zwischen beiden Literarhistorikern ohne Frage zugestanden: Anatomen und Physiologen sind aber erst Mediziner, erst Veterinäre, dann Anatomen oder Physiologen. So sind auch dort deutsche und französische Sprach- und Literarhistoriker erst Germanisten, erst Romanisten, dann Sprach- oder Literarhistoriker.

In der Sprache sammeln sich letztlich offenbar alle übrigen Erkenntnisquellen. Denn sie ist die allgemeinste menschliche Erkenntnisform: Erkenntnismittel. Alle Wissenschaft zumal geht durch sie hindurch oder in sie ein. S t r o h , Germanische Philologie

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Leo Weisgerber, Die Stellung der Sprache im Aufbau der Gesamtkultur. Τ. 1: 1933. T. 2: 1934. Aus: Wörter und Sachen. Bd. 15 und 16.

Der Vorgang der „Quellung" als Schöpfung reicht freilich hinein in ein nicht zu enträtselndes Dunkel: in das große Geheimnis alles Lebens. Und er bleibt letztlich ein transzendentes Geheimnis, das völliger Aufklärung spottet. Er wird daher auch philosophisch in verschiedener Weise erfaßt. Dem organologischen Denken wird das Leben zum Schöpfungsgrund. Den Schöpfungsvorgang umschreiben die Bilder Zeugung, Geburt, Wachsen und Erlebnis (so bei Dilthey). „Aus der stillen Kraft des Ganzen gehen diese leise hervor" (Jacob Grimm). Im idealistischen Sinne sind die Ideen Quelle, Grund und aufbauende Kräfte der Wirklichkeit. Quellung und Schöpfung werden begriffen in Wortbildern wie Offenbarung, Ausdruck, Formung und Gestaltung, Verwirklichung und Objektivierung, in Konzeption, Inspiration und Intuition der Dichtungslehre. Quellenwissenschaft ist hier die Geistes Wissenschaft. Im realistischen und positivistischen Sinne sind die Erscheinungen Quelle und eigengesetzlich: als Sachwissenschaften (Sprachkörper, Tracht, Haus usw.). Auslegung

(Spracherklärung)

Die philologische Methode zielt auf Sprachverständnis. Sie hat den Sinn sprachlicher Äußerung zu erschließen: zu erklären und zu kommentieren, auszulegen und zu deuten (gr. Ιξήγησις 'Ausführung, Auseinandersetzung', lat. interpretatio 'Verdolmetschung'). Deren unmittelbare Frucht ist das Verständnis. Auslegung oder Interpretation nennt Wilhelm Dilthey (a. a. O. S. 317) das „kunstmäßige Verstehen von dauernd fixierten Lebensäußerungen", Verstehen aber „den Vorgang, in welchem wir aus Zeichen, die von außen sinnlich gegeben sind, ein Inneres erkennen" (ebd. S. 318) — also allererst eine Sprachtätigkeit. Mittelpunkt aller Auslegung sind aber sprachliche Lebensäußerungen: denn allein in der Sprache findet das menschliche Innere seinen vollständigen, erschöpfenden und objektiv verständlichen Ausdruck, — und darin liegt ihre unermeßliche Bedeutung (ebd. S. 319). Es ist nach Dilthey unmöglich, Erklären und Verstehen im Sprachgebrauch zu sondern: Auslegung und Erklärung sind nur gradweise unterschieden, ohne feste Grenze.

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„Denn das Verstehen ist eine unendliche Aufgabe" (ebd. S. 336 f.). Die Kunst der Auslegung ist seit alters ausgebildet. Ihre Lehre ist die Hermeneutik (gr. ερμηνεία 'Auslegung'). Das φιλολογεϊν, das Streben nach Sprachverständnis, ist ein dem Menschen angeborenes natürliches Bedürfnis. Jeder Mensch übt ständig und unwillkürlich die Kunst sprachlicher Auslegung. Es fragt sich, wie eine solche Auslegung überhaupt möglich sei: wie Verständnis, Erkenntnis. „Wie kann eine Individualität eine ihr sinnlich gegebene fremde individuelle Lebensäußerung zu allgemeingültigem objektivem Verständnis sich bringen?" (Dilthey a, a O. S. 334). Denn die Möglichkeit, ein Fremdes aufzufassen, ist eine der wichtigsten u n d tiefsten erkenntnistheoretischen Fragen: die ganze philologische und geschichtliche Wissenschaft ist auf diese Voraussetzung gegründet (und das Geschichtsbewußtsein hierauf gebaut), daß das Nachverständnis des „Singulären" zur Objektivität erhoben werden könne (Dilthey a. a. 0 . S. 317). Eine solche Möglichkeit beruht offenbar auf Verwandtschaft: auf dem praktischen Erfahrungssatz, daß die Gesetze, nach denen sich alle Spracherzeugung vollzieht, in ähnlicher oder derselben Weise auch beim Sprachverstehen befolgt werden. Dieser Erfahrungssatz hat seinen inneren Grund wohl in der Einheit der menschlichen Natur. Denn w e n n nicht von vornherein ein Zusammenhang zwischen d e m verstehenden und erkennenden Subjekt und sein e m Gegenstande vorläge, so wäre wohl k a u m einzusehen, wie irgendein nachträgliches Gespräch ihn herstellen sollte (Pos a. a. O. S. 18). „Die Bedingung, an welche diese Möglichkeit gebunden ist" (Dilthey a. a. O. S. 334), „liegt darin, daß in keiner fremden individuellen Äußerung etwas auftreten kann, das nicht auch in der auffassenden Lebendigkeit enthalten wäre. Dieselben Funktionen und Bestandteile sind in allen Individualitäten, und nur durch die Grade ihrer Stärke unterscheiden sich die Anlagen der verschiedenen Menschen." So setzt die Auslegung allererst die genaue Kenntnis der Sprache voraus: ihrer Form und Bedeutung. Nur der Sprachkundige versteht das Sprachwerk, kein anderer, dies aber auch nur, nachdem er gelernt hat, nicht von vornherein, dem Aussehen nach. Somit stützen sich Auslegung und Er2*

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klärung hauptsächlich auf die Sprachwissenschaft: Grammatik und Lexikographie. „Die Grundlage aller philologischen Tätigkeit i s t . . . die Grammatik" (Hermann Usener, Philologie und Geschichtswissenschaft, 1882 S. 25). Die sprachwissenschaftlichen Hilfsmittel der Auslegung sind im 19. Jahrhundert weiter ausgebildet worden, besonders unter dem Einfluß der neu aufkommenden vergleichenden und historischen Richtung. Doch erfüllt hier die Sprachwissenschaft ihren Sinn wohl nur bei dem dazu Befähigten, und zwar ist die Fähigkeit zur sprachwissenschaftlichen Analyse und zur Sprachtheorie typologisch grundsätzlich verschieden von derjenigen zum praktischen Erlernen und Beherrschen von Sprachen. Doch schließen beide einander nicht aus.

Auslegen heißt aber vor allem: unterscheiden (Kritik). Dem folgt erst das Verbinden (Vergleichung), und „nur eine so gewonnene Synthese ist legitim" (Ernst Robert Curtius a. u. a. O.). Damit erschließt die Auslegung historische und überhistorische Zusammenhänge, in die sich das zu Erklärende einfügt, als Glied eines unabsehbaren Ganzen. So ist die Auslegung wahrer Anfang des Erkennens und die Grundlage vieler Wissenschaftszweige. Die philologische Methode gewann daher die Redeutung eines allgemeinen wissenschaftlichen Verfahrens, Philologie im weiteren Sinne diejenige von wissenschaftlicher Methode schlechthin, -logie die allgemeine von 'Lehre' (dieses germanische Wort hatte die sinnliche Grundbedeutung 'einer Fußspur folgen'). Neben Philologie schlechthin stehen gleichsam als Resonderungen die Wortbildungen Theologie, Anthropologie, Ethnologie, Soziologie, Archäologie, Zoologie, Geologie usw. Denn die Sprache ist die konstanteste Äußerung des Menschen und die allgemeinste menschliche Erkenntnisform. Alle Wissenschaft fußt insofern auf Sprachverständnis. Studieren heißt, zuerst den Wortverstand erforschen (Herder). Das eignete auch den Namen des Philologen dazu, die Vertreter verschiedenster Fachrichtungen zu e i n e m Rerufe zu vereinigen: dem Stand des wissenschaftlichen Lehrers. Hermann Usener, Philologie und Geschichtswissenschaft, 1882, S. 35: „Einen bedeutenden Mathematiker hat es mich einmal überrascht behaupten zu hören, daß die sogenannten Naturwissenschaften nur in dem Maße den Anspruch, als Wissenschaften zu gelten, erheben dürfen, als sie mathematisch geworden seien. Mit größerem Recht darf

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man sagen, daß alle geschichtlichen Disziplinen eines philologisch gelegten Fundaments und der Einführung philologischer Methode bedürfen." — Wilhelm Dilthey (a. a. O. S. 319): „Nur im Zusammenhang mit dieser Kunst [philologischer Auslegung] und ihren Ergebnissen kann jede andere Interpretation von Denkmalen oder geschichtlich überlieferten Handlungen gedeihen." Vornehmlich die geschichtliche Erforschung aller Wissenschaftszweige verfährt philologisch (wie weiter unten im systematischer* Teil dieses Buches jeweils deutlicher werden w i r d ) : Literaturwissenschaft (als Literarphilologie), Volkskunde (Völkerphilologie), die politische Geschichtsforschung, soweit sie auf Sprachquellen beruht (Geschichtsphilologie, Staatsphilologie). Philologischer Natur ist zu einem großen Teil die Theologie mit Einschluß der Kirchengeschichte (Religionsphilologie), weithin auch die Rechtswissenschaft, zumal die Rechtsgeschichte (Rechtsphilologie), ferner die Philosophiegeschichte sowie die Geschichte der Naturwissenschaften, der Medizin und der Technik. Andere Auslegungsweisen sind von hier aus umstritten. — Ernst Robert Curtius (Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 1948, S. 22): „Keine Intuition und Wesensschau kann diesen Mangel [philologischer Methode] ersetzen." — Georg Baesecke (Der Vocabularius Sancti Galli in der angelsächsischen Mission, 1933, S. VI): „Ich will damit nicht von der philologischen Methode hinweglenken, schon deshalb nicht, weil mir keine andre möglich ist und weil ich mir in dieser meiner Beschränktheit bei einer hinterweltlichen und übermorgen zu ersetzenden Schau von oben wie ein betrogener Betrüger vorkäme. Darüber hinaus aber bin ich längst der Meinung, daß es an der Zeit wäre, die aus feindlicher Giftsaat aufgeschossenen Minderwertigkeitsgefühle der Philologie auszurotten und einen kräftigen Angriff gegen ihre Verkleinerer und Verleumder vorzutragen." — Anderseits Walter Stach (Historische Vierteljahrschrift 26, 2) gegen den Behelfsbegriff „Hilfswissenschaft", „der neuerdings herhalten muß, um jede beliebige τέχντ·, ja irouvaia mit Hilfe wirklicher Wissenschaften als επιστήμη zu drapieren." Die Gefahr falscher Auslegung droht aber auch besonders dann, wenn sich der allgemeine W u n s c h nach A u f k l ä r u n g steigert zu dem nach A u f k l ä r u n g in einem bestimmten Sinne: wenn eine Interpretation mit einem schon vorgestellten Ergebnis begonnen wird. Daher sollte der Ausleger eigentlich immer nur danach fragen, was die Quelle sagt, und nie, ob sie dieses oder jenes sagt. In einem sehr engen u n d irreführenden Sinne endlich verstehen manche unter (formaler) Philologie die bloße Text-

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kritik. Diese bereitet aber der philologischen Auslegung im literarischen Bereich nur den Boden. Wilhelm Dilthey, Die Entstehung der Hermeneutik. 1900. In: Gesammelte Schriften Bd. 5, 1924, 317 ff. — Hendrik Josephus Pos, Kritische Studien über philologische Methode. 1923. Kritische Erfassung der Struktureigentümlichkeiten des Textes sowie eine Analyse des Weges seiner Untersuchung (vom phänomenologischen Realismus her). — Hermann Paul, Methodenlehre. In: Grundriß der germanischen Philologie. 2. Aufl. Bd. 1 (1901), 159 ff.

Völkerphilologie

Im organologischen Denken ist die Trennung von Geist und Natur aufgehoben. Es erschließt grundsätzlich den vollen anthropologischen Gehalt der Philologie. Es begrenzt die Philologien daher allererst volklich als geschichtliche Wissenschaften von den Völkern wie germanische, deutsche, englische, romanische, slawische Philologie. Grundsätzlich kann sich an jede Volkssprache (Nationalsprache) eine Philologie anschließen. Diese erforscht von da aus Wesen und Eigenart der Völker, deren Kultur und ihre Geschichte. Deutschland wurde, zumal seit der Romantik, die Heimat der neueren philologischen Wissenschaften, und zwar vorzüglich der Völkerphilologien. Herder und seine Nachfahren sind daher „Philologen der Nation" genannt worden. Friedrich Stroh, Der volkhafte Sprachbegriff. 1933. Idealistische

Philologie

Im idealistischen Sinne ist Philologie geistwärts gewendet. Sie wird zur Mutter der Philosophie und Geisteswissenschaft. Dem Philologen wird der allgemeine Name des Humanisten überwiesen, denn ihm vor allem liegt die Pflege des Menschlichen ob: das Humanum und die Humaniora, insbesondere Sprache und Literatur. Idealistische Philologie trägt die humanistischen Bewegungen: den ersten, zweiten und dritten Humanismus. Eine neuere eigentümliche Erhebung in die idealistische Richtung entsprang der Abwendung von Positivismus und Materialismus. Ihre Hauptvertreter sind der italienische Philosoph Benedetto Croce und der Münchner Romanist Karl Voßler und dessen Schüler. Diese „idealistischen

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Philologen" treiben Sprache um des Geistes willen, der auch alle Sprachveränderung bewirke. Sie treiben daher vornehmlich Philologie der Schriftsprache, zumal der kunstvoll stilisierten Schriftsprache. Karl Voßler, Positivismus und Idealismus in der Sprachwissenschaft. 1904. — Jahrbuch für Philologie. 1 (1925) ff. Das Organ dieser Richtung. — Dieäe Richtung idealistischer Philologie hat eine starke Kritik auf sich gezogen: Karl Jaberg (Schweizer Romanist), Idealistische Neuphilologie (sprachwissenschaftliche Betrachtungen). GRM 14, 1926, 1. Auseinandersetzung mit der Sprachbetrachtung Karl Voßlers. Lichtvolle Darstellung der Sprachphilosophie Croces. „Die Sprache ist zunächst als sprachliches und dann erst als psychologisches oder soziales oder ästhetisches oder kulturhistorisches Phänomen zu betrachten." — Gerhard Rohlfs, 'Idealistische' Neuphilologie. In: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 48, 1926, 121 ff. — Gunther Ipsen (Leipzig) , Besinnung der Sprachwissenschaft (Karl Voßler und seine Schule): Indogermanisches Jahrbuch 11, 1927, 1. Positivistische

Philologie

Aus den Naturwissenschaften ging der Positivismus auch in die Philologie ein, mit ihm ihre Denkformen und Verfahren, mit ihm Gesetze und Begriffe der physikalischen Welt. Positivistische Philologie drängt zu den Erscheinungen und Gegenständen hin. Sie treibt gern die Worte um der Worte willen, die Sachen um der Sachen willen, beide aber um allgemeiner Gesetze willen. Der philologische Positivismus hat in Deutschland seit dem neunzehnten Jahrhundert Heimrecht. Er hat grundlegende wissenschaftliche Aufgaben erfüllt. Da er etwa dem neueren amerikanischen Denken weithin besonders gemäß ist, herrscht er heute stark im philologischen Betrieb der amerikanischen (ebenso der nordischen) Universitäten. Der „idealistische" Philologe Leo Spitzer spricht in diesem Zusammenhang (a. a. O. S. 594) von dem „unphilologischen Volk der Amerikaner". Leo Spitzer, Das Eigene und das Fremde. In: Die Wandlung 1, 1946, 585 f.: „In den Vereinigten Staaten hat der herrschende Pragmatismus und Behaviorismus beide Pole, die für die Entfachung des »philologischen Stroms« notwendig sind, sowohl das erfassende nationale Ich wie das zu erfassende fremdnationale Du, geschwächt. Das nationale Ich ist zwar naiv, aber nicht reflektiert vorhanden, es wird in wissenschaftlicher Diskussion gern umgangen — wie ja auch die Einheit des subjektiven Ich fragwürdig geworden ist: nicht nur Ordnungsbegriffe wie

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»Zeitgeist«, »Volksgeist«, »Stil« erregen nervöses Unbehagen, auch der Geist des Einzelmenschen (und gar erst der Goethes und Shakespeares) erscheint atomisiert und deterministisch aufgelöst, in eine Anzahl kleinerer Bereiche zerfällt, deren jeder seine biologisch-soziologische Motivierung hat und mit vielen zusammenhanglosen Dingen angefüllt ist —in eine Anzahl von »neighborhoods«. Einheit und Hierarchie in diesen vielfältigen Bereichen herzustellen, sie dem einen Geiste unterzuordnen, würde einen erregenden Eingriff in die demokratisch-pantheistische Fülle und Komplikation der Welt bedeuten — was der Amerikaner gern dem »perfectionism« (Weltverbesserertum) dogmatisch verbissener deutscher Ideologen überläßt, Was Wunder, daß deutsche Geistesgeschichte seit Dilthey am philologischen Betrieb der amerikanischen Universität fast spurlos vorübergegangen ist, daß dieser prinzipiell noch immer in den Bahnen des deutsch-französischen Positivismus der Siebzigerjahre wandelt (Biographismus, Quellensuche, Statistik, Katalogisieren, Bibliographie), und daß an keine Beschneidung der anarchischen und relieflosen, in den vielen Zeitschriften verstreuten Publikationen gedacht wird — Publikationen, die dem Typus der dingbesessenen Anmerkungswissenschaft entsprechen, keinem beruflichen oder weltanschaulichen Muß entspringen und das Hervortreten von erlesenen Problemen und Forscherpersönlichkeiten verhindern. Auch hier herrscht demokratisch-pantheistische Duldsamkeit, das Vertrauen der Reichen und Glücklichen auf eine gütige Vorsehung, die ohne Eingriff des Menschen das »survival of the fittest« schon besorgen werde. Im Gegensatz zu amerikanischer Mathematik und Naturwissenschaft hat amerikanische Philologie keine Elite hervorgebracht, die nationale Repräsentanz ist der Masse und dem Durchschnitt überlassen. Während einige originelle Schriftsteller und Dichter, die sich zu Universitätsstellen durchringen konnten, wenigstens auf dem Gebiet der Methodik der englischen Literaturkritik Neues und Bodenständiges bringen, werden auf dem Gebiet der Philologie fremder Sprachen von Routiniers, die mehr an der Lehre als an der Forschung und mehr an dem job als an der Lehre Interesse finden, die von Europa einst entlehnten Methoden in kolonialer Erstarrung einfach mechanisch weitergetragen, ohne Rechtfertigung ihres Sinns hier und heute. John Hopkins in Chicago, eine Universitätsgründung der Siebzigerjahre nach deutschem Muster, die dem von älteren Universitäten gepflegten Gentleman- oder Bürgerideal das der reinen Forschung gegenüberstellte, hat leider auch die Belastung durch den damals herrschenden Positivismus als Erbe mitbekommen. Der Behaviorismus, der von Hopkins' University ausging, hat dann den »Glauben an den Geist« weiter erschüttert — und heute ist diese ehrwürdige Stätte noch immer ein Tempel der Forsch- und Lehrfreiheit, ohne daß seine Hierodulen recht wüßten, welchem Gotte sie opfern sollten. Letzthin ist es der aufklärerische Deismus mit seiner Fernrückung und Auflösung des persönlichen Gottesbegriffs, der für die Atomisierung des Weltbildes und so auch für das Versanden der Philologie, verantwortlich gemacht werden muß (bezeichnend auch, daß, im Gegensatz zu Europa, der von Natur aus monotheistisch gesinnte Stamm der Juden, der allerorts instinktiv aus der Diaspora des Lebens

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zur Einheit des Geistes strebt, Amerika keine großen Philologen mehr liefert). Nur Eines hat die im spezifisch-Religiösen flaue Richtung des Deismus in dem ursprünglich calvinistisch festgefügten Charakter der Nation unerschüttert gelassen: das (individuelle und nationale) Moralgefühl, das in den Vereinigten Staaten sensitiver, höher entwickelt und weiter verbreitet ist als in irgendeinem Lande, das ich sah." Rationalistische

Philologie

Das V e r n u n f t d e n k e n strebt zu allgemeinen B e g r i f f e n h i n : w i e in der Naturwissenschaft so auch in der Philologie. Diese arbeitet d a n n stark vergleichend (wie z u m Beispiel die L i teraturvergleichung u n d Literarkritik der Franzosen u n d der Skandinavier). Sie w i r d letztlich z u m reinen V e r f a h r e n . D a s Besondere (Individuelle) aber ist vielmehr untergeordnet: das Germanische, Romanische, Slawische u s w . der P h i l o logie. E s ist bloßer Formgrundsatz. D e m methodischen H o c h ziel a m nächsten k o m m t hier grundsätzlich die Philologie des Fremden. Diese verbürgt von vornherein den weiteren Abstand u n d die sachlichere Beziehung. Leo Spitzer, Das Eigene und das Fremde (Die Wandlung 1, 1946, 576): „Der deutsche Philologe, der Französisches betrachtet, muß sich dies Französische fast bis zu dem Punkt aneignen können, wo ihm die Nationalgrenzen schwinden — und der Deutsche, der Deutsches zu ergründen sucht, einen Abstand zum studierten Objekt wahren können, fast als ob er ein Fremder wäre (das letztere ist wesentlich schwerer und seltener). Überflüssig zu bemerken, daß eine auf ein doppeltes »Fast« eingerichtete Wissenschaft außerordentliche Fähigkeiten von ihren Zöglingen fordert, phantasievolle Exaktheit, Anpassungsfähigkeit, die nicht der Standfähigkeit ermangelt, ein Pendeln zwischen Polen, das zum Gleichgewicht strebt, das Sich-Verlieren- und das Sich-Erfassen-Können, ein geistig gefährliches Leben, das nicht in den Abgrund stürzt. Wenn Thomas Mann in seiner »Pariser Rechenschaft« von dem »hochverräterischen Kitzel« spricht, den für Augenblicke der Repräsentant deutscher Geistigkeit unter französischen Kollegen fühlte, so charakterisiert er die lebenslange Haltung, die dem Philologen eigen sein muß: er muß den Kitzel zum Verrat spüren, ohne ihm zu erliegen, er muß den Ausgleich zwischen Nationalgefühl und Philologie sich immer neu erkämpfen; ohne Rereitschaft zum Sich-Verlieren gibt es keine Philologie; aber sie endet, wenn Wendigkeit zur Wetterfahnenexistenz führt: das Fenster auf das Fremde hin, das der Philologe seiner Nation eröffnet, muß ein festumgrenztes Fenster bleiben." D a s V e r n u n f t d e n k e n drängt ferner z u m W e l t v e r b i n d lichen: zur N o r m . I h m erscheint daher seine eigene Ansicht gern als allgemeingültige Weltansicht.

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Darauf zielt Jacob Grimms Wort (Kleinere Schriften 1, 235): „Keine unter allen Wissenschaften ist hochmütiger, vornehmer, streitsüchtiger als die Philologie und gegen Fehler unbarmherziger. Den Maßstab der Schule, auf welcher grammatische Verstöße für die schimpflichsten gelten und in anderen Aufgaben zurück zu bleiben Entschuldigung findet, rät uns der Zweck des eigentlichen Lebens an, beiseite zu legen und nach einer gleichmäßigen Gerechtigkeit und Milde in allen Dingen zu streben."

Die Vernunftzeitalter waren daher ziemlich unfruchtbar für die Ausbildung der Völkerphilologien, so auch der germanischen: von der Scholastik bis zur Aufklärung und zum Positivismus. Irra t i ο η a1 i s t i s ch e Philologie

Das irrationale Denken strebt zum Besonderen, so auch in der Philologie. Diese verfährt dann stark individualisierend und charakterisierend. Ihr Schwergewicht ruht auf dem Individuellen: dem Germanischen, Romanischen, Französischen usw. Dieses bestimmt ihren grundsätzlichen Mittelpunkt. Das Hochziel ist daher die Philologie des Eigenen, die als solche ein engeres Verhältnis zu ihrem Gegenstande verbürgt: der germanische Germanist, der romanische Romanist, der slawische Slawist usw. Da das Individuelle ursprünglich ist, führen immer wieder „Renaissancen" zu ihm hin. Sie sind bezeichnend für das irrationale Denken und besonders fruchtbar geworden für die Ausbildung der Völkerphilologien. Sie sind die Geburtsstunden auch der germanischen Philologie: von Tacitus bis in das Zeitalter der Romantik. P h i l o l o g i e des

Eigenen

Das Eigene erregt und erweckt die wissenschaftliche Betrachtung am spätesten: die eigene Sprache (Muttersprache), die eigene Wesensart usw. Diese Erscheinung befremdet, ist aber doch leicht erklärbar. Was man besitzt, glaubt man nicht mehr erwerben zu müssen. Mit dem Eigenen beschäftigen sich etwa der slawische Slawist, der romanische Romanist und auch der germanische, zumal der deutsche Germanist. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Eigenen hat besondere Voraussetzungen. Subjekt und Objekt sind weithin eins oder doch nah

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miteinander verwandt: kindelterlich, geschwisterlich, vertraulich. Der Erkenntnisweg führt hier vom Ich zum Wir: zur Selbsterkenntnis und zum Selbstverständnis, in erziehlicher Richtung hin zur Selbstentfaltung und -gestaltung, zur organischen Bildung der eigenen Persönlichkeit. Rationalistisch gesehen, verliert die Betrachtung dadurch jedoch an Voraussetzungslosigkeit. Die Quelle der Erkenntnis aber wird hier grundsätzlich tiefer und leidenschaftlicher ergründet, ja wir können (Dilthey, Gesammelte Schriften 5, 332) vollkommen nur verstehen, was uns verwandt ist. Der Philologe seines Volkes hat das Vorrecht, das Wesen dieses seines Volkes aus erster Quelle erleben zu dürfen. Er wird vom eigenen Geiste getrieben, oft so wie ein Bekenner. Er wird dann (Hans Naumann, Karl Simrock und die Deutsche Philologie in Bonn, 1944, S. 8) „so etwas wie ein Priester sein, d. h. er darf nicht seiner Theologie, seiner Patrologie allein nur dienen, sondern er muß es auch der Gemeinde. Es lebt etwas Sakrales durch ihn hindurch, dessen dienender Priester er ist, das er weiter zu geben hat mit ehrfürchtigen Händen und mit überzeugendem Mund. Simrock wußte das wohl, wie die Grimms, seine hessischen Väter, wie Uhland, sein schwäbischer Bruder . . . " Richard Newald (Einführung in die deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft 1947, S. 13): „Zur Wissenschaft gehört das Bekennertum, auch dieses wird in dem Wort Professor gleichsam durch die philologische Probe aufs Exempel offenbar. Dennoch steht die priesterliche Haltung dem Gelehrten schlecht an. Sie wird zur Pose und öffnet dem Unfehlbarkeitsglauben, sakramentalen oder rituellen Bräuchen, die mit dem Wesen der Wissenschaft nicht das Geringste zu tun haben, die Tür." Leo Spitzer, Das Eigene und das Fremde. Über Philologie und Nationalismus. In: Die Wandlung 1, 1945/46, 576 ff. Der Romanist zeichnet hier, aus persönlicher Erfahrung, vergleichend die Philologie einiger Völker und Länder, ihre Haltung dem Volks- und Weltgefühl gegenüber: so die „französisch-missionarische, die spanisch-apologetische, die italienisch-antiquarische, die amerikanisch-indifferente" philologische Wesenshaltung. S. 580. „Die philologische Situation in Frankreich habe ich gegen 1910 vor allem auf dem Gebiete der französischen Philologie kennengelernt, also in dem Bezirk der Meisterschaft der Franzosen: in der Selbstauslegung Frankreichs, die ihre Interpretation fremder Sprachen und Literaturen weit übertrifft. Der Franzose, der über Französisches berichtet, ist nun einmal in seinem Gegenstand ganz anders zu Hause, als wenn er über Mittelhochdeutsch oder Griechisch zu berichten hat:

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nicht, daB dem französischen Germanisten oder Gräzisten Kenntnisse und Einfühlsamkeit fehlten, aber der liebevolle Dienst an der eigenen Sprache ist mit dem innersten Wesen des französischen Forschers so fest verbunden, daß seine Fähigkeiten sich imermeßlich steigern und zur Einheit zusammenschließen, wenn er die Größe und Schönheit der eigenen Nation bezeugen, fast möchte man sagen: besingen darf. Ob Bidier das alte Epos, Brunot die Sprachreinigung der Grammatiker im 17. Jahrhundert, Lanson Descartes und Corneille besprach, der »gesta Dei per Francos«-Gedanke einte den Hörsaal: der Gedanke der gottgewollten Mission eines großen Volkes, das der Welt gültige, sprachlich-literarische und ästhetisch-moralische Lösungen vorzuschlagen hat. Im Gegensatz zu der abstrakten Lebensdünne des österreichischen Imperiums, das sich vom Moralisch-Verpflichtenden in ein ästhetischsprachliches Als-ob zurückgezogen hatte, umhegte hier das Nationalgefühl in seiner konkreten Dichtigkeit und Allgegenwart alle philologische Bemühung, die von selbst in nationale Willensstärkung, in Selbstrechtfertigung des nationalen Soseins einmündete. Die Toleranz des Franzosen gilt allem Französischen; Fremdes, das sich nicht unter die Ägide Frankreichs begibt (fremdnationale Schüler französischer Lehrer stehen unter Frankreichs Schutz), wird höflich ignoriert. Brunot, der feurige Republikaner, verfolgte mit Liebe die Spuren, die das französische Königtum in der Landessprache gelassen hat — ob er mit derselben Liebe das Europäische am Französischen hätte studieren können? Er erklärte bescheiden, daß der Erfolg seiner vielbändigen Geschichte der französischen Sprache dem »beau sujet« zuzuschreiben sei — aber war sie ihm ein »beau sujet« nicht deshalb, weil sie für ihn die Geschichte der europäischen Sprache par exellence war, weil sein persönlichstes Fühlen mit dem Nationalgefühl parallel lief, weil er die Nation durch die Erfassung ihres zielsichersten Organs, der Sprache, potenzieren half? Selbst die Stärke des Polyhistors Meillet, der wie kein anderer Sprachwissenschaftler die linguistischen Leistungen der ganzen Welt auf allen Teilgebieten überblickte, beruhte auf seinem festgegründeten Nationalgeschmack, an dem er neue Gedankenrichtungen des Auslands anbranden, von dem er sie abprallen ließ, mit der ruhigköniglichen Haltung eines praeceptor Europae linguisticae. Vollends die französische Literaturkritik lebt in der Sonne der französischen Literatur, durch Widerspiegelung der Strahlen, die sie von ihr empfängt: sie ist selbst, von Sainte-Beuve über Lanson zu Thibaudet, ein Teil dieser Literatur, mit der sie die klare Gedankenarchitektur und die ästhetischen Reize der Darstellung teilt. Daß der in der Dichte seines Nationalgefühls webende und wesende französische Philologe ein wenig dünn-provinzlerisch wirkt, wenn er beim Abwägen fremden Einflusses auf die französische Literatur oder bei der Betrachtung der relativen Größenverhältnisse fremder und französischer Leistung dem Fremden oft seltsame Zensuren erteilt, ist die zu erwartende Schwäche seiner Tugend. Nahblick und Fernblick, Nationalgefühl und Weltbürgersinn können in Frankreich nicht immer balanciert sein — es bleibt abzuwarten, ob das künftige Frankreich zur alten Missionsideologie zurückkehren oder einem neuen guten Europäertum zustreben wird."

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S. 589. „Der Deutsche dagegen denationalisiert — oder renationalisiert — sich leichter als der Franzose: er trägt sein Wissen gern in fremde Lande, damit es in sie eingehe und in ihnen fruchtbar werde, statt wie sich der Franzose, durch Tradieren französischer Kunstwerte, in den Apparat französischer Kultur-Propaganda einzufügen."

Schließlich ist die Philologie des Eigenen natürlicherweise auch die wirklichkeits- und lebensnächste. Von ihr aus führen die meisten Wege in den Beruf: so in das Lehramt, dessen Wirkungsweite eine außerordentlich große ist, und zwar für alle Lebensalter und Bildungsstufen, für alle Schularten (denen vor allem der muttersprachliche Unterricht gemeinsam ist), so in Bibliothek und Archiv, in Theater, Presse usw. Germanische

Philologie

Darunter versteht man nicht die in der Germania oder von Germanen betriebene Philologie, etwa im Gegensatz zu der in der Romania oder von Romanen betriebenen, vielmehr eine Philologie, deren Gegenstand das Germanische (zumal als Sprache) ist. Dieses Merkmal (zum Volksbegriff Germanen) ist der unterscheidende Grund und das verbindende Element. Es bestimmt die innere Einheit dieser philologischen Wissenschaft. Es schließt ihren Aufgabenkreis zusammen (System). Es fügt alle Gegenstände ein, denen es mehr oder weniger innewohnt. In welchem Sinne es begrenzt, wie Eigenart und Selbständigkeit dieser Wissenschaft festzustellen sei, ruht jeweils in der Anwendung des Begriffes und Merkmals germanisch: seinem Inhalt und seinem Umfang. I n h a l t . Germanisch kann reales Merkmal sein, innerliches, natürliches, notwendiges: so vor allem bei der Sprache (germanische Sprachen). Sie bestimmt daher allererst Eigenart und Selbständigkeit unserer Wissenschaft. Sie wahrt den grundsätzlichen Mittelpunkt des Faches. Sie bezeichnet seinen Umkreis. Germanisch kann auch bloßes formales Merkmal sein, äußerliches, künstliches, willkürliches: so bei der Technik oder dem Boden (germanische Länder). Hier verflüchtigen sich inhaltlich die Grenzen unserer Wissenschaft. U m f a n g . Je nach dem mehr realen oder mehr formalen germanischen Element, das den Gegenständen inne-

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wohnt, sind diese grundsätzlich in die germanische Philologie einzugliedern und einzustufen. Hieraus ergibt sich deren Begrenzung, Eigenart und Selbständigkeit sowie die germanistische Rangordnung der Gegenstände und Sachgebiete: sachliche wie geschichtliche. S a c h l i c h e Begrenzung. Germanisch ist reales Merkmal vor allem der Sprache. Diese vornehmlich individualisiert die germanische Volkheit soziologisch. Sie begrenzt sie am schärfsten geographisch. Sie wahrt am strengsten den geschichtlichen Zusammenhang: von indogermanischer Zeit bis zur Gegenwart. Daher erneuerte Jacob Grimm die germanische Philologie im Jahre 1819 von der Sprache aus. Um die Sprache als Mitte legen sich wie Kreise zunächst etwa Religion und Recht. Jacob Grimm war durchdrungen davon, daß Philologie, Mythologie, Jurisprudenz in ihrem Grunde ein und denselben Gegenstand beträfen. Wissenschaftlich kannte er daher auch nicht ihre Abteilung in verschiedene Fächer. Von der Dreiheit der Sprache, des Glaubens und des Rechts spricht er am schönsten in der Vorrede zum vierten Bande der „Weisthümer" (1863). „Diese Dreiheit der Sprache, des Glaubens und des Rechts leiten sich aus einem und demselben Grunde her und um der nämlichen Ursache willen ist ihre sinnliche Fülle im Verlauf der Zeit verloren gegangen" (S.III).

Als Jacob Grimm die erste Germanistenversammlung zu Frankfurt am Main am 24. September 1846 eröffnet, fordert er daher für Sprachforscher, Juristen und Historiker den gemeinsamen Namen Germanisten, der bisher ungebührlich auf die Rechtsforscher beschränkt worden sei (Verhandlungen S. 103; auch Kleinere Schriften 7, 568). An Sprache, Religion und Recht schließen sich dann etwa noch Kunst, Staat, Wirtschaft, Philosophie an und andere Sach- und Stoffgebiete bis hin zur Technik (vgl. den „Grundriß der germanischen Philologie" oder „Germanische Wiedererstehung", 1926). Germanische Philologie ist daher vielmehr eine Volkswissenschaft als eine Staatswissenschaft. Sie wird volklich begrenzt, nicht staatlich. Germanisten sind in erster Linie Philologen, dann aber erst Sprachforscher, Literarhistoriker, Religions- und Rechtsforscher. Seltener wird der Name ausgedehnt auch auf den Erfor-

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scher von Staat, Wirtschaft oder gar der Technik der germanischen Völker. G e s c h i c h t l i c h e Begrenzung. Die germanische Philologie ruht seit Jacob Grimm hauptsächlich auf der wissenschaftlichen Erschließung des im wesentlichen einheitlichen urgermanischen Kulturkreises. Dieser drückt sich am bezeichnendsten aus in der urgermanischen Sprache. Er wird getragen von Menschen, deren Muttersprache die germanische ist. Kaum aber kann eine anthropologische oder politische Einheit den Ausgang bilden. Das Germanische wohnt grundsätzlich also vor allem der Frühzeit inne. Diese vornehmlich individualisiert auch ethnisch. So könnte daran gedacht werden, die germanistische Wissenschaft hierauf zu beschränken. Jacob Grimm hat sie daher vornehmlich vom germanischen Altertum und Mittelalter aus erneuert. Doch sind ihr aber durchaus keine zeitlichen Grenzen zu ziehen. „Was aus einer Quelle springt, das ist sich jederzeit auch selbst verwandt und greift ineinander" (Jacob Grimm: Kleinere Schriften 3, 154). Auch der Gleichlauf der germanischen Kulturen endete niemals völlig: weder am Ausgang der urgermanischen Zeit noch an irgendeinem Punkt des Mittelalters oder der Neuzeit. Otto Höfler, Germanische Einheit. In: Von deutscher Art in Sprache und Dichtung. Bd. 2, 1941, 3 ff.

E i n f l ü s s e . Die Gleichförmigkeit des ursprünglich einheitlicheren Sprachkreises, des Volks- und Kulturkreises blieb nicht gewahrt. Völker und Kulturen beeinflussen sich auch gegenseitig. Sie vermischen sich miteinander. Grundformen dieses Einflusses sind die Ausbreitung oder Expansion (aktiver Einfluß) und die Übernahme oder Rezeption (passiver Einfluß). Diese vornehmlich gehört herkömmlich auch in den germanistischen Aufgabenbereich. Hauptformen der Übernahme sind Fremdsprachigkeit und Übersetzung (schriftsprachliche, mittellateinische u. a.). Sie wandeln die ursprüngliche Individualität, stilisieren sie um, normen. Allgemeine

germanistische

Bibliographie

B e g r i f f u n d W e s e n s b e s t i m m u n g e n . Hermann Paul, Begriff und Aufgabe der germanischen Philologie. In: Grundriß der germanischen Philologie. 2. Aufl. 1, 1901, 1 ff. — Hermann Paul, Die

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Bedeutung der deutschen Philologie für das Leben der Gegenwart. Rede. München 1897. — Viktor Michels, Uber Begriff und Aufgaben der deutschen Philologie. Rede. Jena 1917. — Gustav Roethe, Wege der deutschen Philologie. Rede. Berlin 1923. Auch: Deutsche Reden. 1927. S. 439. E i n l e i t u n g e n u n d E i n f ü h r u n g e n in das Gesamtfach fehlen. — Namentlich die germanischen Sprachen berücksichtigt der Studienführer von Bruno Busse, Wie studiert man neuere Sprachen? 3. Aufl. 1920. — Besonders wertvoll ist noch immer die weitgreifende und hervorragende „Einführung in das Studium der germanischen Rechtsgeschichte und ihrer Teilgebiete" (1922) von Claudius Freiherrn von Schwerin. S y s t e m a t i s c h e D a r s t e l l u n g e n . GrundriB der germanischen Philologie. Hg. von Hermann Paul (München). 1891 ff. 2. Aufl. 1900—1909. (Abk.: Gdr.) Gesamtgermanisch und (sachlich) das Gesamtgebiet. Die Literaturgeschichte bis zum Ausgang des Mittelalters. Inhalt: Bd. 1. Begriff und Geschichte der germanischen Philologie. Methodenlehre. Schriftkunde. Sprachgeschichte (mit Phonetik): altgermanische, gotische, nordische, deutsche, niederländische, englische, friesische. — Bd. 2. Abt. 1. Literaturgeschichte: gotische, deutsche, niederländische, friesische, nordische, englische. — Anhang: Volkspoesie, skandinavische, deutsche und niederländische. — Abt. 2 Metrik: altgermanische, deutsche, englische. — Bd. 3. Wirtschaft, Recht, Kriegswesen, Mythologie, Sitte, Kunst, Heldensage, Ethnographie. Seit der dritten Auflage in eine Folge von selbständigen Einzelbänden aufgelöst (doch sind einige Abschnitte bisher nur in zweiter Auflage erschienen). Abgezweigt ist ein besonderer „GrundriB der deutschen Literaturgeschichte", weil die Darstellung der Literaturgeschichte bis zur Neuzeit fortgeführt werden soll. Das gleiche gilt für einen besonderen „GrundriB der englischen Literaturgeschichte". F o r s c h u n g s b e r i c h t e . Ergebnisse und Fortschritte der germanistischen Wissenschaft im letzten Vierteljahrhundert. Hg. von Richard Bethge. 1902. Zum Teil unbefriedigend. — Edward Schröder, Deutsche Philologie. In: Aus fünfzig Jahren deutscher Wissenschaft. Festschrift für Friedrich Schmitt-Ott. 1930. In dem umfassenden Sinn gefaBt. — Germanische Philologie. Ergebnisse und Aufgaben. Festschrift für Otto Behaghel (Gießen). Hg. von (dessen GieBener Fachgenossen) Alfred Götze (Germanist), Wilhelm Horn (Anglist), Friedrich Maurer (Germanist). 1934. Weiter Gesichtskreis, hoher wissenschaftlicher Rang (Gustav Ehrismanns Beitrag fällt ab). B i b l i o g r a p h i e . Karl von Bahder, Deutsche Philologie im GrundriB. 1883. Angelegt nach dem Vorbild des gleichnamigen Werkes von Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1836). — Fritz Loewenthal, Bibliographisches Handbuch zur Deutschen Philologie. 1932. — Otto Springer (Philadelphia), Germanic Bibliography. 1940—45. In: The Journal of English and Germanic Philology 45, 1946, 251—326. Jahresbericht über die Erscheinungen auf dem Gebiete der germanischen Philologie. Jg. 1 (Bibliographie für 1879) ff. — Jahresberichte des literarischen Zentralblattes über die wichtigsten wissenschaftlichen Neu-

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erscheinungen des gesamten deutschen Sprachgebietes. Jg. 1 (1924) ff. Darin kommen in Frage: Abt. 9. Sprach- und Literaturwissenschaft. Abt. 11. Germanische Sprachen und Literaturen. Abt. 16. Volkskunde. — Georg Schneider, Handbuch der Bibliographie. 4. Aufl. 1930. — Lexikon des gesamten Buchwesens. Hg. von Karl Löffler und Joachim Kirchner. Drei Bände. 1935. Z e i t s c h r i f t e n . Carl Diesch, Bibliographie der germanistischen Zeitschriften. 1927. Vom achtzehnten Jahrhundert bis zur Gegenwart. Der Begriff „germanistisch" ist sehr weit gefaßt. — Zeitschrift für deutsches Altertum (19, 1876,ff.: und deutsche Literatur) (ZfdA). Begründet von Moriz Haupt. 1841 ff. Die älteste der bestehenden germanistischen Zeitschriften. Eröffnet mit einem Aufsatz Jacob Grimms. Später wurde sie recht eigentlich Edward Schröders Werk. Er hat über sechzig Jahre an ihr mitgearbeitet. Er hat sie fast ein halbes Jahrhundert lang herausgegeben (1891—1939). Er hat ihre Haltung stark bestimmt. Hat von Anfang an auch das Mittellatein mit in ihren Bereich genommen. — Damit verbunden: Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Literatur (AfdA). Bd 1 (1867) ff. Kritische Besprechungen. — Germania. Begründet von Franz Pfeiffer. 1856—1892 (zuletzt von Otto Behaghel herausgegeben). Unabhängiges Organ, das die Befreiung von der Autorität Karl Lachmanns und seiner Schule erstrebte. — Zeitschrift für deutsche Philologie. (ZfdPh). Begründet von Julius Zacher. 1868 ff. Zum Teil entstanden im Gegensatz zur „Germania". Schließt auch die neuere Literatur ein. Verzeichnet seit 1926 regelmäßig neue germanistische Dissertationen. — Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur. Begründet von Hermann Paul und Wilhelm Braune (PBB: Paul und Braunes Beiträge). 1874 ff. Führend namentlich in der sprachgeschichtlichen Forschung (Eduard Sievers, Theodor Frings). — Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen. Begründet von Ludwig Herrig. 1846 ff. Pflegt die germanische (und romanische) Philologie: Altertum, Mittelalter und Neuzeit; Sprache, Literatur, Volks- und Kulturkunde. Berichtet ausführlich auch über den Inhalt ausländischer germanistischer Zeitschriften. — The journal of Germanic philology (5 ff.: of English and Germanic philology). 1897 if. — Revue germanique. 1905 ff. — Germanisch-romanische Monatsschrift (GRM). Begründet von Heinrich und Franz Rolf Schröder. Jg. 1 (1909) ff. Auch für Unterrichtszwecke. — Literaturblatt für germanische und romanische Philologie (Lbl. oder LfGRPh). Begründet von Otto Behaghel und Fritz Neumann. 1880 ff. Nur Rezensionen und Bibliographie. — PMLA. Publications of the Modern Language Association of America. 1886 ff. Mit germanistischer Bibliographie. — Etudes Germaniques. Lyon, Paris 1 (1946) ff.

Nordische

Philologie

Arkiv för nordisk filologi. Begründet von Gustav Storm. Oslo (dann Lund) 1883 ff. Mit jährlicher Bibliographie. — Danske Studier. 1904 ff. — Acta Philologica Scandinavica. Seit 1926. Mit Bibliographie. S t r o h , Germanische Philologie

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BEGRIFF DEB GEBMANISCHEN PHILOLOGIE

Englische

Philologie

E i n f ü h r u n g e n u n d G r u n d r i s s e . Karl Elze, Grundriß der englischen Philologie. 2. Aufl. 1889. — Wilhelm Vietor (Marburg), Einführung in das Studium der englischen Philologie. 4. Aufl. 1910. — Wilhelm Roth, Englische Sprache und Literatur. 1925. Studienführer. — Henry Cecil Wyld, English philology in English universities. 1921. — Friedrich Brie, Englische Philologie. In: Aus fünfzig Jahren deutscher Wissenschaft. Festschrift für Friedrich Schmidt-Ott. 1930. B i b l i o g r a p h i e . Levin Ludwig Schücking (Leipzig, jetzt Erlangen) und Walther Ebisch, Grundlinien einer Bibliographie zum Studium der englischen Philologie. Neu bearbeitet von Walther Ebisch. 1948. — Encyclopaedia Britannica. 24 vols. 14. Aufl. 1929. Z e i t s c h r i f t e n . Englische Studien. Begründet von Eugen Kolbing. 1877 ff. Register zu Bd. 1—50. — Anglia. Zeitschrift für englische Philologie. Begründet von Richard Wülcker. 1878 ff. Mit einem kritischen Anzeiger. Register zu Bd. 1—50. — Beiblatt zur Anglia. Mitteilungen über englische Sprache und Literatur. Begründet von Ewald Flügel. 1891 ff. — English Studies. Amsterdam 1919 ff. — The Review of English studies. London 1925 ff. Niederländische

Philologie

Tijdschrift voor Nederlandsche taal- en letterkunde. Jg. 1 (1881) ff. — Louis David Petit, Bibliographie der middelnederlandsche taal- en lefterkunde. T. 1—3. 1888—1925. Deutsche

Philologie

B e g r i f f . Georg Baesecke, Begrenzung und Einteilung der Deutschen Philologie. In der Zeitschrift „Blick in die Wissenschaft", Bd. 1, 1948, 434 ff. E i n f ü h r u n g e n . Friedrich von der Leyen (Köln und München), Das Studium der deutschen Philologie. 1913. Noch wertvoll. — Georg Baesecke (Halle), Wie studiert man Deutsch? 1917. 2. Aufl. 1926. Anregende Ratschläge für den Anfänger. — Hermann Ammon, Deutsche Sprache und Literatur. Studium, Examen, Beruf. 2. Aufl. 1930. Mit dankenswerten Nachweisen. — Richard Newald (Freiburg), Einführung in die deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft. 1947. Ohne Berücksichtigung des nordischen Quellenbereichs. F o r s c h u n g s b e r i c h t e . Gustav Roethe, Die Deutsche Kommission der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Ihre Vorgeschichte, ihre Arbeiten und Ziele. In: Neue Jahrbücher für das klassische Altertum Jg. 16, 1913, Bd. 31, S. 37 ff. Am Werk seit 1903. Arbeiten: Grimmsches Wörterbuch, Rechtswörterbuch, Mundartwörterbücher, Handschriftenaufnahme (deutsches Mittelalter); Ziele: Thesaurus linguae Germanicae, ein „Deutsches Institut". — Georg Baesecke, Deutsche Philologie (1914—1917). 1919. Stand und Ergebnisse. — Julius Schwietering, Ältere deutsche Literatur und Sprache. In: Deutsche Wissenschaft. Arbeit und Aufgabe. 1939. S. 34 f.

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Z e i t s c h r i f t e n . Zeitschrift für den deutschen Unterricht (fortgesetzt 1920 u. d. T.: Zeitschrift für Deutschkunde). Begründet unter Rudolf Hildebrands Mitwirkung. 1887 ff. — Zeitschrift f ü r Deutsche Bildung. Begründet von Ulrich Peters. Jg. 1 (1925) ff. D e u t s c h u n t e r r i c h t . Johann Georg Sprengel (Frankfurt am Main), Des Deutschen Unterrichts Kampf um sein Recht. 1917. — Der neue Deutschunterricht. Hg. von Walther Hofstaetter. 2. Aufl. 1926. — Grundzüge der Deutschkunde. Hg. von Walther Hofstaetter und Friedrich Panzer. Bd. 1. 2. 1925. Sprache, Schrifttum, Musik, bildende Kunst usw. — Deutschkunde. Ein Buch von deutscher Art und Kunst. Hg. von Waither Hofstaetter (Studienrat). 5. Aufl. 1929. — Sachwörterbuch der Deutschkunde. Hg. von Walther Hofstaetter und Ulrich Peters. Bd. 1. 2. 1930. — Handbuch für den Deutschunterricht. Hg. von Rudolf Murtfeld (Dozent der Weilburger Hochschule f ü r Lehrerbildung). Bd. 1. 2. 1937. Entwurf von Richtlinien für das D e u t s c h - S t u d i u m : (1) Verständnis f ü r grundsätzliche Fragen der germanischen Philologie. — Einblick in ihre Geschichte und ihre Forschungsrichtungen sowie nähere Bekanntschaft mit einem bedeutenderen Germanisten (ζ. B. Jacob Grimm). — Vertrautheit mit ihren Arbeitsweisen, namentlich mit den Grundsätzen der Auslegung. — Umgang mit den wichtigsten wissenschaftlichen Hilfsmitteln. — Ausreichende Weite des Gesichtskreises und vor allem selbständige Beschäftigung mit den Quellen. — In einem bedeutenden Gebiet die Befähigung zu selbständigem wissenschaftlichen Urteil und zu eigener wissenschaftlicher Arbeit. (2) Bekanntschaft mit den germanischen Ländern und Völkern, namentlich mit der germanischen Altertumskunde und der deutschen Volkskunde. — Allgemeines Verständnis für ihre Kultur und Geschichte, insbesondere Zugang zu wesentlichen Gebieten der Philosophie und Ethik, der Religions- und Rechtsgeschichte sowie der Bildenden und der Tonkunst. (a) Einsicht in die Arbeitsweisen und die Hauptergebnisse der Allgemeinen Sprachwissenschaft und der Sprachphilosophie. Bekanntschaft mit einem großen deutschen Sprachdenker (ζ. B. Wilhelm von Humboldt). — Einblick in das Verwandtschaftsgefüge der indogermanischen und der germanischen Sprachen. Ausreichende Kenntnis der lateinischen und tunlich der griechischen sowie einer zweiten neueren germanischen Sprache (ζ. B. Englisch, Schwedisch, Niederländisch, Dänisch, Norwegisch). — Uberblick über die Geschichte der deutschen Sprache in ihren Hauptepochen. — Uberblick über die vergleichende und historische Sprachlehre (mit EinschluB der Wortlehre) in ihren Hauptergebnissen. — Bekanntschaft mit Mundart- und Namenforschung. — Einblick in die Geschichte der Schrift. — Eingehendere, auf Text- und Quellenstudium beruhende wissenschaftliche Beschäftigung mit der Sprache jedes der drei großen Zeitalter. In Betracht kommen für das germanische Altertum Gotisch (zweckmäßig mit Griechisch), Altnordisch oder Altfriesisch, für das Mittelalter Altniederdeutsch oder Althochdeutsch, Mittelniederdeutsch oder Mittelhochdeutsch und für die Neuzeit Frühneuhochdeutsch oder die neuere Schriftsprache mit den 3*

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Mundarten. — Ausreichende Gewandtheit im mündlichen und schriftlichen Gebrauch der neuhochdeutschen Schriftsprache. — Vertrautheit mit den Haupttatsachen der Lautbildungslehre (Phonetik) und mit den für die Sprecherziehung notwendigen Maßnahmen. — Übung in der Kunst des Vertrags, der Rede und des Schreibens. — Verständnis für die' Bestrebungen der Stilkunde. — Einblick in die Grundlagen des Versbaues. (b) Einsicht in die Arbeitsweisen und die Hauptergebnisse der Allgemeinen Literaturwissenschaft und in ihre philosophischen Grundlagen. — Einblick in die Zusammenhänge der abendländischen und europäischen Geistesgeschichte. Kenntnis einiger hervorragenden Werke der Weltliteratur. — Auf ausgedehnter Belesenheit beruhender Uberblick über die Geschichte des deutschen Schrifttums in ihren Hauptepochen vom germanischen Altertum bis zur Gegenwart. — Bekanntschaft mit der Volksdichtung (z.B. Märchen, Sage, Volkslied). — Eingehendere, auf Text- und Quellenstudium beruhende wissenschaftliche Beschäftigung mit einigen bedeutenden Schriftwerken, Dichtern und Verfassern jedes der drei großen Zeitalter. In Betracht kommen namentlich für das germanische Altertum Edda, Skaldik, Saga oder die Germania des Tacitus, für das Mittelalter geistliches, ritterliches, bürgerliches Schrifttum oder die Mystik und für die Neuzeit Humanismus, Renaissance, Barock, Aufklärung, Klassik, Romantik, 19. Jahrhundert oder die Gegenwart in ihrem Schrifttum. Für das Neben- oder Beifach können entfallen die allgemeinen Forderungen Ziff. (2) Abschn. 1 u. 2, Ziff. 2 a u. 2 b je Abschn. 1 u. 2; kann sich beschränken das sprachliche und das literarische Text- und Quellenstudium auf je zwei der großen Zeitalter. Μ i 11 e 11 a t e i η i s c h e

Philologie

Das (höhere) Geistesleben der germanischen Völker spricht sich im Mittelalter viele Jahrhunderte hindurch weithin auch in mittellateinischer Sprache aus. So steht das (geschriebene) Mittellatein in engster Beziehung zum Deutschen: durch seine Überlieferungen (als Traditionssprache), durch die Dichtung Deutscher. Es ist der Schlüssel zu Kellern voller reicher Schätze. Daher wird der Germanist immer wieder auch auf mittellateinische Quellen und Texte geführt, und manche unter ihnen wie neuerdings namentlich Georg Baesecke räumen dem Mittellatein einen vollen Platz ein. Karl Langosch, Mittellatein als Deutschkunde. 1937. S. 144: „Das Ideal wäre natürlich, daß die Betreuung des Mittellateins dem Deutschlehrer zufiele, da das deutsche Mittellatein zur Deutschkunde gehört. Er kann eher als der Altphilologe zu einem inneren Verhältnis zum Mittellatein gelangen, weil altes und mittelalterliches Latein zwei ganz verschiedene Geisteswelten sind, Mittellatein und Deutsch aber dieselbe."

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Das Mittellatein war jedoch keine Muttersprache, keine Volkssprache (zum Unterschied vom gesprochenen Volkslatein: dem Vulgärlatein). Es wurde vielmehr schulmäßig erlernt, bis die Humanisten des 15. und 16. Jahrhunderts es auch dieses Lebens berauben, indem sie den Anschluß an die ciceronische Latinität fordern und durchsetzen. Als selbständige Disziplin gegründet haben die mittellateinische Philologie vor einem bis zwei Menschenaltern die drei deutschen Gelehrten Wilhelm Meyer aus Speyer (Göttingen), Ludwig Traube (München) und Paul von Winterfeld (Berlin). Ludwig Traube, Einleitung in die lateinische Philologie des Mittelalters. Hg. von Paul Lehmann. 1911. Meisterwerk. — Karl Strecker, Einführung in das Mittellatein. 3. Aufl. 1939. Französische Übersetzung 1948. Elementarer Standpunkt: knapp und mit Schriftennachweisen. Sehr brauchbar. — Walther Bulst, Uber die mittlere Latinität des Abendlandes. 1946. — Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. 1948. Auch methodologisch bedeutsam. — Georg Ellinger, Grundfragen und Aufgaben der neulateinischen Philologie. In: GRM 21, 1931, 1 ff.

ZWEITER

TEIL

GESCHICHTE DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE Bibliographie G e s a m t d a r s t e l l u n g e n . Rudolf von Raumer (ein Schüler Jacob Grimms, wirkte später als erster ordentlicher Vertreter der germanischen Philologie an der Universität Erlangen), Geschichte der germanischen Philologie, vorzugsweise in Deutschland. 1870. Das grundlegende Werk (mit einem Germanistenregister). — Hermann Paul, Geschichte der germanischen Philologie. Im Grundriß der germanischen Philologie. 2. Aufl. Bd. 1, 1901, S. 9. — Karl Goedeke, Deutsche Philologie. Im Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung. 2. Aufl. Bd. 6, 1898, 349. — Theodor Siebs, Die Entwicklung der germanistischen Wissenschaft im letzten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts. 1902. Aus: Ergebnisse und Fortschritte der germanistischen Wissenschaft im letzten Vierteljahrhundert. 1902. Betont den Sachgesichtspunkt, keine Personengeschichte. — Konrad Burdach, Wissenschaftsgeschichtliche Eindrücke eines alten Germanisten. 1930. — Ders., Die Wissenschaft von deutscher Sprache. Ihr Werden. Ihr Weg. Ihre Führer. 1934. — Finnur Jönsson, Udsigt over den norsk-islandske Filologis Historie. Kopenhagen 1918. — Theobald Bieder, Geschichte der Germanenforschung. Bd. 1—3. 1921/25. Mit großer Hingabe geschrieben, doch teilweise mit geringer Teilnahme für die geistigen Fragenkreise. Τ. 1: 1500—1806. 2. Aufl. 1939. — Sigmund von Lempicki, Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts. 1920. — Erik Wolf, Große Rechtsdcnker der deutschen Geistesgeschichte. 2. Aufl. 1944. U m r i s s e . Erich Schmitt (Dillenburg, jetzt Leipzig), Germanische Philologie: Meyers Großes Lexikon 4, 1938. — Friedrich Stroh, Ahnherren der Germanistik. In: Feldpostbriefe der Philosophischen Fakultät Erlangen (1944, Nr. 1). — Ders., Die Wiedergeburt der germanistischen - Wissenschaft im Zeitalter der Deutschen Bewegung. Ebd. 1914,

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Nr. 4. — Kurt Stegmann von Pritzwald, Kräfte und Köpfe in der Geschichte der indogermanischen Sprachwissenschaft. In: Germanen und Indogermanen. Festschrift für Herman Hirt. 2, 1936, 1 ff. — Als neuere Einzelschrift: Hans Naumann, Karl Simrock und die Deutsche Philologie in Bonn. 1944. — Weitere Nachweise in Fritz Loewenthals „Bibliographischem Handbuch zur deutschen Philologie". 1928. S. 18. — Zu den wertvollsten und anziehendsten Quellen der Geschichte unserer Wissenschaft gehören die Briefe ihrer Großen: so der „Briefwechsel der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm mit Karl Lachmann", hg. von Albert Leitzmann. 1927. Mit Konrad Burdachs geschichtlicher Einleitung. B i l d w e r k . Fritz Behrend, Geschichte der deutschen Philologie in Bildern. 1927. Römische Renaissance

(Tacitus)

So dürfen wir die Strömung kenntlich machen, die mit Tacitus ins helle Licht drängt. Das zivilisatorisch übersättigte Rom wendet sich dem urwüchsigen verwandten Nachbarvolke zu. Es nimmt Anteil und findet Gefallen an dessen Art. Es spürt seine Natur, seine Jugendlichkeit. Es will sich darin verjüngen, von den reinen Ursprüngen her erneuern. So wird Tacitus auch zu einem frühen Ahnherrn der Germanisten. Denn mit ihm spätestens beginnt die Geschichte der germanistischen Wissenschaft, wenn wir absehen von dem höheren Altertum, von Homer etwa und Herodot und deren Beziehungen zum nördlichen Europa. An ihrem Anfang steht das Werk des unsterblichen Römers, „der gleichsam Morgendämmerung dem Aufgang unserer Geschichte vorangehen ließ", wie Jacob Grimm in der ersten Sitzung der Frankfurter Germanistenversammlung am vierundzwanzigsten September 1846 (Verhandlungen S. 15) schön sagt. So ist die „Germania" unsere erste germanische Volkskunde, eine Volkskunde mit ethischen Maßstäben. Denn es geht Tacitus um die Wahrheit und um Wesenserfassung und er durchdringt und bewahrt in seinem Werk alle wichtigen Lebenserscheinungen Altgermaniens. Siegfried Gutenbrunner, Germanische Frühzeit in den Berichten der Antike. 1939. — Eduard Norden, Die germanische Urgeschichte in Tacitus' Germania. 3. Abdr. 1923. — Hans Naumann, Die Glaubwürdigkeit des Tacitus. In: Altdeutsches Volkskönigtum. 1940.

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K a r o l i n g i s c h e R e n a i s s a n c e (Karl der Große)

Mitten inne steht Kaiser Karl der Große, als treibende Kraft, auch für die germanistischen Bestrebungen. Darüber berichtet uns Einhard im neunundzwanzigsten Kapitel seiner Vita Caroli („Leben Kaiser Karls"). Anderes erfahren oder erschließen wir aus der Frühgeschichte der deutschen Sprache und Literatur. Karl hatte damit begonnen, die Sprache der Väter darzustellen (inchoavit et grammaticam patrii sermonis, Einhard a.a.O.). Diese Sprache war wohl die rheinfränkische Mundart an Mittelrhein und Main, um Mainz, Ingelheim und Fulda. Es ist dieselbe Sprache, in der dann später seine Erben und Enkel bei Straßburg sich Eide schwuren, die Sprache auch der Isidorübersetzung und Otfrids. Diese Mundart hatte seit der Karolingerzeit hervorragende Bedeutung gewonnen. Aus ihr erhebt sich eine Art früher fränkischer, gemeindeutscher Schriftsprache. Sie gewinnt diese Bedeutung im Zusammenhang mit der Vormachtstellung der karolingischen Franken: auf politischem, kulturellem und kirchlichem Gebiet. Sie war auch dazu berufen, Norden und Süden miteinander zu verbinden: kraft ihrer geographischen Stellung inmitten des damaligen deutschen Gebietes. Geist und Wille des Kaisers stehen auch hinter den starken Bestrebungen dieser Zeit zum eigenen Schrifttum. Er läßt die heimischen Überlieferungen aufzeichnen und sammeln, wie Einhard berichtet, gewissermaßen eine südgermanische Lieder-Edda, Jahrhunderte vor der nordischen Sammlung. Auf uns gekommen ist aus diesem Umkreis freilich nur das althochdeutsche Hildebrandslied, im hessischen Fulda aufgezeichnet. Karls TheoderichVerehrung weist in eben diese Richtung. Er regt ferner Ubersetzungen und ein deutschsprachiges Schrifttum an. Urkunden werden ganz oder teilweise in deutscher Sprache aufgezeichnet, so die Hamelburger und Würzburger Markbeschreibungen. Germanisches Stammesrecht wird vom Lateinischen zurück ins Althochdeutsche übertragen: so die Lex Salica. Vor allem machen Karl und seine Bewegung die fränkische Zunge den kirchlichen Zwecken des Christentums dienstbar. Es entstehen Isidor, Tatian, Heliand, Otfrids Krist u.a.

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Hans Naumann, Altdeutsches Volkskönigtum. 1940. S. 183: Karls germanische Art. — Georg Baesecke, Die karlische Renaissance und das deutsche Schrifttum. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 23, 1949, 143 ff. Ottonische Renaissance

(Notker)

Das ottonische Christentum lebt vor allem in den Benediktinerklöstern. Dieses Christentum benediktinischer Prägung ist vom humanistischen Geiste erfüllt: weit aufgeschlossen den antiken Bildungsgütern. Im Grunde ist es aber mehr noch als romantisch denn als klassizistisch anzusprechen: volkhaft getönt und vom Ursprünglichen und Individuellen getränkt. Damals tritt das Abendland in seine erste volkhaft geprägte Stilperiode ein, zumal in der bildenden Kunst: in die Frühromanik. In dieser bildet es die Antike zwar weiter, setzt sich aber, eigenschöpferisch, erstmals von ihr ab. Nun beginnen auch die heimischen Quellen wieder stärker zu fließen. Wurzelhaftes und Bodenständiges drängt und wächst empor: volkhafte Überlieferungen wie Sage und Märchen. Denn auch in der lateinisch geschriebenen Dichtung der Zeit ist fast alles deutsch — bis auf die Sprachform. Aber auch dieses mittlere Latein wird stark deutsch geformt, wie etwa Roswitha von Gandersheim und der sanktgallische Waltharius zeigen. Im Sagastil des Ruodlieb spricht das frühe deutsche Rittertum zu uns. Auf diesem Grunde erhebt sich die Gestalt Notkers des Deutschen: ein Alemanne, um die Wende des ersten Jahrtausends, Neffe des Walthariusdichters Ekkehard und Lehrer an der berühmten benediktinischen Klosterschule zu Sankt Gallen. Dem kaiserlichen Germanisten des vorigen Zeitalters folgt der Mönch. Notker empfindet sein Übersetzungs- und Verdeutschungswerk selbst als unerhört kühn. Er vollbringt es aber ganz aus dem Geist der ottonischen Renaissance. Seine besondere Leistung ist die Formung der deutschen Sprache aus ihrem eigenen Wesen heraus. Er entkleidet die römischen Meister durch ihre Übertragung auch innerlich ihrer Latinität. Er gibt seiner Sprache die Deutschheit etwa der alten Rechtssprache.

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Notkers Sprachkunst möge kenntlich werden am Beispiel eines seiner Sprichworte: Tu ne maht nieht mit einero dohder zewina eidima machön, noh tu ne maht nieht follen munt haben melwes unde doh blasen 'mit e i n e r Tochter kannst du keine zwei Schwiegersöhne gewinnen, noch kannst du beides zugleich tun: den Mund voll Mehl haben und blasen'. Zur Einführung in Notker und seine Welt: Paul Th. Hoffmann, Der mittelalterliche Mensch. Gesehen aus Welt und Umwelt Notkers des Deutschen. 2. Aufl. 1937. In einigem jedoch von der Kritik stark bemängelt. D ä n i s c h e R e n a i s s a n c e (Saxo)

Ihr Hauptvertreter ist Saxo Grammaticus (um 1200). Der Name Saxo weist hin auf die Herkunft der Vorfahren aus dem deutschen Nachbargebiet. Der Beiname Grammaticus verrät den sprachgelehrten Humanisten. Saxo wirkt in Lund als Geistlicher. Zu der Zeit, als man in Deutschland zwar die Nibelungensage erneuerte, als dort im allgemeinen aber dem mittelalterlich universalistischen Menschen die eigene Vergangenheit kaum fragenswert erschien, wendet sich Saxo wissenschaftlich dem nordischen Altertum zu. Seine vielbändige „Dänengeschichte", Prosa wie Vers, ist zwar in lateinischer Sprache geschrieben („Gesta Danorum"). Sie bricht aber einer kritischen germanistischen Geschichtsauffassung Bahn. Sie erschließt und bewahrt reiche Quellen altgermanischer Überlieferung, besonders aus dem altdänischen Sagenkreis der Skjöldunge (Hrolf Kraki, Bjarki, Amlethus). Saxos Quellen sind namentlich altdänische Heldenlieder und isländische Vorzeitsagas. Uber die Isländer als seine Gewährsleute (Saxo, ed. Holder S. 3,16 ff.): „Nec Tylensium industria silencio oblitteranda... Cunctarum quippe nacionum res gestas cognosse memorieque mandare, uoluptatis loco reputant: non minoris glorie iudicantes alienas uirtutes disserere, quam proprias exhibere. Quorum thesauros historicarum rerum pignoribus refertos curiosius, consulens, haut paruam presentis operis partem ex eorum relacionis imitacione contexui..." Paul Herrmann, Dänische Geschichte des Saxo Grammaticus. T. 2: Kommentar („Die Heldensagen des Saxo Grammaticus"). 1922. — Paul Lehmann, Skandinaviens Anteil an der lateinischen Literatur und Wissenschaft des Mittelalters. Τ. 1 MSB 1936. H. 2, S. 25 ff. Isländische Renaissance

(Snorri)

Auf Island blieb man den eigenen Ursprüngen immer viel näher als im Süden. Große Namen bleiben freilich meist im

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Dunkel hinter den bedeutenden Werken. Im Lichte der Geschichte steht an erster Stelle Snorri Sturluson (um 1200). Snorris berühmter Vorfahr ist Egil Skallagrimsson: Sagaheld, Bauer, Wiking und Skalde. Egil lebt um 900 auf Hof Borg im Südwesten der Insel. Borg ist der Stammsitz des Geschlechtes. Hier lebt denn auch Snorri. Der ist Bauer wie die andern. Er ist zeitweilig Gesetzessprecher. Als solcher bekleidet er das höchste Amt im isländischen Freibauernstaat. Er ist Staatsmann, und er ist vor allem Dichter und Gelehrter. Als solcher schuf er zwei bedeutende germanistische Werke. Das eine ist die „Jüngere Edda", auch Prosa-Edda oder (mit altnordischem Wesfall) Snorra Edda genannt (um 1222). So heißt sie zum Unterschied von der freilich noch bedeutsameren Älteren oder Lieder-Edda. Snorris Edda ist eines der bedeutendsten Bücher der germanischen Philologie und eine der merkwürdigsten Überlieferungen der Weltliteratur. Sie ist unsere erste germanische Dichtungslehre. Snorri schuf sie als solche für den Skalden seiner Zeit. Thüle 20. Kap. 1: Jungen Skalden, die es verlangt, die Dichtersprache zu erlernen und mittelst der alten Bezeichnungen ihren Werken sprachliche Fülle zu verleihen, oder die es verlangt, dunkle Dichterwerke verstehen zu können, denen ist zu sagen, daß sie dieses Buch studieren müssen, zur Bereicherung ihres Wissens und zu ihrem Zeitvertreib. Die hier erzählten Sagen dürfen nicht vergessen oder Lügen gestraft werden, indem man aus der Dichtkunst die alten Umschreibungen verbannt, an welchen die Klassiker Gefallen gefunden haben. Doch sollen Christenmenschen nicht an die heidnischen Götter und nicht an die W a h r heit dieser Sagen auf andere Weise glauben als so, wie es im Anfang dieses Buches zu lesen ist.

Als Lehrbuch der Dichtkunst ist das Werk vor allem Stillehre und endlich Verslehre, als solche noch völlig frei von lateinischen Einflüssen. Thüle 20, Kap. 68: Unumschriebene Frauenbezeichnungen der Poesie sind: Weib, Braut und Fljod heißen verheiratete Frauen, Sprund und Swanni solche, die anspruchsvoll sind und sich putzen. Snöt ist Name solcher, die geschickt mit Worten sind. Drös ist eine von ruhiger Sinnesart. Swarri und Swark drücken Stolz der Betreffenden aus. Ristil ist eine Frau von tatkräftigem Charakter. Ryg heißt eine, die sehr mächtig ist. Feima dagegen eine, die schüchtern ist, wie ganz junge Mädchen oder zaghafte Frauen. Säta heißt eine Frau, deren Mann auf Reisen ist. Häl eine, deren Mann erschlagen ist. Witwe (Ekkja) eine, deren Mann

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an einer Krankheit gestorben ist. Jede heißt zuerst Mädchen, Greisin aber, wenn sie alt geworden ist. Es gibt auch Frauenbezeichnungen, die zur bösen Nachrede dienen; die kann man in Gedichten finden, hier mögen sie wegbleiben. Eljur (Einzahl Elja) heißen solche Frauen, die einen Mann gemeinsam haben. Schnur heißt die Frau des Sohnes. Schwiegermutter heißt die Mutter des Mannes. Es gibt ferner Mutter, Amma (Großmutter), drittens Edda (Urgroßmutter); Eida bedeutet auch „Mutter". Weitere Namen sind Tochter, Kind, Jöd; ferner Schwester, Dis, Jöd-Dis. Die Frau heißt auch Bettgenossin, Gemahlin, Raunerin ihres Mannes; das sind Bei-Kenningar.

Man stelle sich dieses Skaldenlehrbuch freilich nicht vor als eine rein formale Poetik im Sinne etwa der klassischen Ästhetik. Diese frühe Kunst und Kunstlehre kennt keine reinen, abgezogenen Formen. Ihre Formen sind noch viel mehr dem Gehalte gemäß: diesem unterworfen und verbunden. Der Gehalt der Snorra Edda ist aber der alte religiöse und heldische Mythus. Den überliefert uns Snorris Edda: lehrend, erläuternd zum Beispiel in folgender Weise. Thüle 20, Kap- 24: Später bekam Njörd in Noatun zwei Kinder, das eine hieß Frey, die Tochter Freyja; sie waren schön anzusehen und mächtig. Frey ist der berühmteste der Asen. Er waltet über Regen und Sonnenschein und dadurch über das Wachstum der Erde, und er ist gut anzurufen um Erntesegen und Frieden. Er waltet auch über den Wohlstand der Menschen. — Freyja ist die berühmteste der Asinnen. Sie besitzt im Himmel das Gehöft Folkwang. Wo immer sie zu einem Kampfe geritten kommt, da gehört ihr die Hälfte der Gefallenen, die andere Hälfte Odin, wie hier gesagt ist: Folkwang heißt es, Freyja waltet dort der Sitze im Saal; Tag für Tag kiest sie der Toten Hälfte, doch die andre fällt Odin zu. Ihr Saal Seßrumnir ist groß und schön. Wenn sie reist, so lenkt sie ihre Katzen und sitzt im Wagen. Sie leiht den Menschen das geneigteste Ohr, wenn sie sie anrufen, und von ihrem Namen stammt die Ehrenbezeichnung vornehmer Weiblichkeiten: Frauen. Sie fand viel Gefallen an Liebesliedern, und Liebende tun gut, sie anzurufen. Thüle 20, S. 219: Für Schlacht sagt man auch „der Hjadninge 1 ) Wetter" oder „Bö", für Waffen „der Hjadninge Feuer" oder „Stäbe", und dazu gibt es eine Geschichte. Ein König namens Högni hatte eine Tochter, die hieß Hild. Sie nahm als Heerbeute ein König, welcher Hedin hieß, Hjarrandis 2 ) S o h n . . . ' ) *) Ableitung von Hedin: die Leute Hedins. 2 ) Der Name entspricht dem deutschen Horant; die Figur ist nur in dieser mißverstandenen Rolle bei Snorri gerettet. s ) Im folgenden überliefert Snorri die Hilde-Sage.

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Thüle 20, S. 220: Diese Sage hat der Skalde Bragi dargestellt in seiner Drapa auf Ragnar Lodbrok: Für Ader-Ausdorrung eifernde Ran hoffte feindwütig dem Vater Föhn' der Sehn* zu bringen, als Sif, schwerterschütt'lnde — schlimm'n Sinn hegt' sie — trug da hin zum Hengst der Stürme Halsring für Kampfs Bringer. Auflösung: Hilde hoffte, dem Vater Kampf zu bringen, als sie den Halsring für den Vater hintrug zum Schiff.

So ist Snorris Edda die erste germanische Mythologie: wertvoll vor allem als religions- und sagengeschichtliche Quelle. Ja, sie ist geradezu unsere erste germanische Altertumskunde. Denn im Mythus vor allem stellt sich die geistige Einheit der altgermanischen Welt dar. Diese Altertumskunde ist im Unterschied von der Germania des Tacitus von einem Germanen selbst verfaßt, in germanischer, nämlich altnordischer Sprache. Snorris zweites Werk ist die „Heimskringla" (1225). Die deutsche Übertragung in der Sammlung Thüle nennt sie „Snorris Königsbuch". Snorri schreibt hier altnordische Geschichte, von ihren frühesten mythischen Ursprüngen an. Er schreibt im Sagastil. Dieses Werk ist auch methodologisch bedeutsam. Snorri verwendet darin seine Quellen ausgesprochen kritisch. Seine quellenkritischen Grundsätze legt er im Vorwort dar. Darin steht das Werk, steht Snorri als Geschichtsschreiber fast einzig da in der Literatur des Mittelalters. Es mutet neuzeitlich und wissenschaftlich an: die Behutsamkeit des Urteils, die pragmatische Kürze der Fassung. Heimskringla, Vorrede (Thüle 14, 20): In diesem Buch habe ich aufzeichnen lassen die Geschichten von Herrschern, die in den Nordlanden regiert haben und die die nordische Sprache redeten, so wie ich sie von kundigen Männern habe berichten hören, wie auch von deren Genealogien, soweit man mich darüber unterrichtet hat. Einiges von diesen Geschichten findet sich in den Ahnenüberlieferungen der Vorfahren, in denen Könige oder andere Männer von hoher Abkunft ihr Geschlecht aufgezählt haben. Anderes aber ist aufgezeichnet nach alten Skaldenliedern oder Sagaweisen, mit denen sich die Leute die Zeit vertrieben. Obwohl wir nun nicht genau wissen, was Wahres daran ist, so wissen wir doch sicher, daß kundige Männer aus alter Zeit diese Überlieferung für wahr gehalten haben.

In dieser kritischen Grundhaltung vorausgegangen war ihm freilich schon Ari, der vor Snorri auch auf Borg lebte (f 1067). Dieser Ari ist der Vater der isländischen und über-

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GESCHICHTE DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

haupt der neueren germanischen Geschichtsschreibung. Aris wissenschaftlichen Sinn kennzeichnet etwa der folgende Satz in der Vorrede zu seinem „Isländerbuch": „Wenn aber in diesen Uberlieferungen sich etwas Falsches findet, ist es Pflicht, sich an das zu halten, was sich als wahrer herausstellt" (Thüle 23, S. 43). Sigurtfur Nordal, Snorri Sturluson. Reykjavik 1920. — Gustaf Cederschiöld, Snorre Sturlasson och hans verk. Stockholm 1922. 1. Snorres levnad och hans Edda. 2. Snorres Heimskringla. — Hans Naumann, Versuch über Snorri Sturluson. 1943. 16 S. — Snorris Edda ist von Gustav Neckel und Felix Niedner verdeutscht, erläutert und von Gustav Neckel vortrefflich eingeleitet in der Sammlung Thüle, Bd. 20: Die jüngere Edda (1925); die Heimskringla („Snorris Königsbuch") ebd. Bd. 14—16 (von Felix Niedner). Deutsche

Renaissance

Die Wissenschaftsauffassung der Scholastik ist rationalistisch und universalistisch: gerichtet auf Reinigung vom Individuellen und auf die Emporläuterung zum Allgemeinen. Allgemein verbindliche Normen aber sind für sie Christentum und Latinität. Die Weise des scholastischen Denkens und Menschseins vertritt zum Beispiel im Grunde auch Gottfried von Straßburg. Gottfried ist Rationalist westlicher Prägung, durch Form und Norm: so in seiner großartigen Konstruktion einer unbedingten Liebe (in „Tristan und Isolde"). Diese steht über allen natürlichen weltlichen Werten und Ordnungen wie Familie und Rittertum. Gottfried der radikale Anarchist I Sie steht über den religiösen Ordnungen. Gottfried, der Ketzer, stiftet gleichsam eine neue Religion, eine neue Sittlichkeit. Gottfried ist auch Germanist: in seiner Kritik der zeitgenössischen Dichter deutscher Zunge wie Veldeke, Hartman, Walther, Wolfram u. a. (Tristan und Isolde V. 4619ff.). Gottfried ist aber eben ein ausgesprochen rationalistischer Germanist, zumal in seiner Ablehnung Wolframs: des Wildwuchses, des Dunkeln, Barocken, Unergründlichen — des Irrationalen. V. 4663 f. vindaere wilder maere, der maere wildenaere 'Erfinder seltsamer Geschichten, Wilderer auf Geschichten'. Gottfried weist daher geistesgeschichtlich in die Aufklärung auf Gottsched, Lessing und Mozart, Wolfram aber über Shakespeare, Rembrandt, Beethoven in die Romantik.

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Emil Nickel, Studien zum Liebesproblem bei Gottfried. 1927. mut de Boor (Bern), Die Grundauffassung von Gottfrieds Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und geschichte 18, 1940, 262. — Jost Trier, Gotfrid von Straßburg. Welt als Geschichte 6, 1941, 72.

47 — HelTristan: GeistesIn: Die

Gegen Ende des Mittelalters aber zerbricht die Einheit der abendländischen Kultur. Die Volkstümer brechen durch, zumal seit dem Ausgang des dreizehnten Jahrhunderts. Sichtbar entfaltet sich das Individuelle. Die Vielfalt bildet sich kräftiger und deutlicher aus: das Stammliche, Landschaftliche, das Heimatliche. Damals erfährt der Deutsche die Fülle der Heimat, der nahen, vertrauten Dinge des eigenen Lebens. Pieter Bruegels Bilder etwa zeugen eindrucksvoll vom neuen Lebensgefühl. Die Volkswelt steigt empor: in Volkslied, Volksbuch, Volksrecht. Das Bürgertum wächst. Der Bauer steht auf und ringt um seine Befreiung. Auch politisch und sozial strebt das Volk machtvoll empor und zu sich selber. Aber es kommt damals doch zu keinem entscheidenden theoretischen Ansatz in wissenschaftlichen, rationalen oder literarischen Bemühungen um das Deutsche. Diesen gewinnen erst die Humanisten. Die italienische Renaissancebewegung, die um das Jahr 1500 gipfelt, gilt in unserer Geschichtsschreibung als die Renaissance schlechthin. Damals werden in den italienischen Klöstern die altgriechischen und römischen Handschriften entdeckt, kritisch bearbeitet und gedeutet. Aus diesen Quellen wird der Geist der Antike erweckt. Diese Bewegung ist ursprünglich eine italienische. Der italienische Geist findet hier den Weg zu seinen Ursprüngen und zu sich selbst, und er verjüngt sich damit. Dante (1265—1321) fordert die italienische Nationalsprache („De vulgari eloquentia"). Cola di Rienzo (1313—1354), der römische Volksführer, will den altrömischen Staat politisch erneuern. Aus dieser Bewegung geht die neue Wissenschaft der Klassischen Philologie hervor, und mit dieser wächst auch die romanistische Rechtswissenschaft empor. Jost Trier, Zur Vorgeschichte des Renaissance-Begriffes. In: Archiv für Kulturgeschichte 33, 1950, 45. Zugrunde liegt die Anschauung pflanzlichen Wiederwuchses. — Als das bedeutendste Renaissance-Werk gilt noch immer das Buch des Baseler Kulturhistorikers und Renaissanceforschers Jacob Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien. 1860. 16. Aufl. 1927. — Einen Abriß gibt Robert F. Arnold, Die Kultur

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GESCHICHTE DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

der Renaissance. Gesittung, Forschung, Dichtung. 3. Aufl. 1920. (Sammlung Göschen.)

Die neue humanistische Bewegung war von Italien ausgegangen. Sie hatte den italienischen Geist an seine Ursprünge geführt. Sie klärt nun auch das deutsche Selbstbewußtsein, das im späten Mittelalter erwacht war. Auch der deutsche Geist sucht den Weg zu sich selbst. Deutsche Humanisten spüren in den Überlieferungen ihres Volkes den gemeinsamen indogermanischen Ursprüngen nach. Sie begründen damit neuerlich die germanische Philologie und die deutsche Volkskunde. Wie die klassische Philologie klassische Altertumskunde, so ist die germanische Philologie nun zuerst und allererst germanische Altertumskunde. Als solche tritt sie später seit der Romantik in scharfen Gegensatz zu der herkömmlichen Sprachmeisterei des Faches. Im Jahre 1455 war zu Hersfeld in Hessen die Germania des Tacitus entdeckt worden, ihre einzige Handschrift. Conrad Celtis wird unser erster Germaniaforscher. Er gibt sie heraus. Er liest (1500) als erster über sie an der Wiener Universität, wo in unserer Zeit Rudolf Much den besten GermaniaKommentar verfaßte. Später werden weitere Quellen des deutschen Altertums entdeckt: Wulfila, Otfrid, die alten Volksrechte. Unter den humanistischen Germanisten ragen hervor eben der Franke Conrad Celtis sowie der schwäbische Bauernsohn Heinrich Bebel. Celtis arbeitet an einer Volkskunde der deutschen Stämme und Landschaften („Germania illustrata"). In der „Norimberga" (1495) bemüht er sich um die Erkenntnis des Stammescharakters — eine echt humanistische Fragestellung. Heinrich Bebel bringt die erste Sammlung deutscher Sprichworte zustande („Proverbia Germanica", 1508), sowie die erste Sammlung deutscher Schwanke („Facetiae", 1509). Im Rechtsdenken bahnt sich die neue Linie der kritisch-historischen Richtung an und damit die theoretische Wiederentdeckung des deutschen Rechtes. Bahnbrecher wird hier der Friese Hermann Coftring. Dessen Werk „De origine iuris germanici" (1643) begründet die Germanische Rechtsgeschichte. Erik Wolf, Große Rechtsdenker der 2. Aufl. 1944. S. 200: Hermann Conring.

deutschen Geistesgeschichte.

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In dem folgenden Zeitalter der Polyhistorie greifen weiter drei Männer entscheidend ein in den Gang unserer Wissenschaft: sie bringen als erste die germanischen Sprachen in Verbindung miteinander. Franciscus Junius (1589—1677), niederländischer Muttersprache, eröffnet die Hauptquellen germanischer Sprache. Er läßt die erste Ausgabe des Codex argenteus erscheinen (1665), führt das Gotische in den Kreis der germanischen Sprachforschung ein und legt damit den Grund zu einer vergleichenden germanischen Sprachforschung und der germanischen Philologie. Junius vereinigt als erster in sich die verschiedenen Zweige der germanischen Studien, die bis dahin nach den einzelnen Völkern und Ländern getrennt getrieben wurden. Gelehrte Männer in Skandinavien hätten sich um das Nordische, Engländer um das Angelsächsische, Deutsche um das Fränkische große Verdienste erworben. Mehrere unter ihnen hätten sehr wohl eingesehen, welche Vorteile eine Vergleichung dieser Sprachen bieten werde. Aber sie hätten es mehr bei dem Wunsch bewenden lassen, daß einmal einer kommen möchte, der jene drei Sprachen in Verbindung brächte, als daß sie selbst Hand ans Werk gelegt hätten. Sein Wille und seine Meinung aber, fügt er bescheiden hinzu, seien immer die gewesen, daß lieber einer von denen, die geschickt dazu seien, dies unternehmen möchte, als er, aber lieber er als gar niemand. Rudolf von Raumer a. a. O. S. 128. Der Engländer George Hickes (1642—1715) veröffentlicht dann die erste Grammatik der altgermanischen Sprachen. Der Niederländer Lambert ten Kate (1674—1731) arbeitet zuerst vergleichend germanistisch in Jacob Grimms Richtung: er gibt der Sprache nicht Gesetze, sondern sucht und findet spurenweise schon solche in der Sprachgeschichte: auch das geschichtliche Gesetz der germanischen Spracheinheit. Einen Ehrenplatz in der Geschichte der germanischen Philologie nimmt auch Leibniz ein, der die germanische Sprachforschung mit dem ganzen Gebiet des Wissens verband. Aufklärung

Ihre Wissenschaftsauffassung ist rationalistisch und universalistisch. Sie strebt — vergleichend — zum Allgemeinen. Dem entspringt auch der Gedanke einer allgemeinen Sprache. S t r o h , Germanische Philologie

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Sie reinigt — kritisch — vom Individuellen. Ihr erscheint — normativ — die eigene Weltansicht als allgemeingültige. Weltverbindliche Norm aber ist ihr die westeuropäische Vernunft. Die Philologen der Aufklärung sind Kritiker, zumal des Gegenwärtigen. Sie regeln wie Gesetzgeber und Diktatoren, sanktionieren wie Päpste. Gottsched wirkt im Bereich der Dichtung. Er würdigt nur das Allgemeingültige, verwirft hingegen das Individuelle, so die „Volksdichtung". Adelung steht im Bereich der Sprache, diese „reinigt" er vom Mundartlichen. Die Aufklärung ist unhistorisch. Sie verneint die Volksgestalt, den Volksgedanken. Ihr selbstherrlicher Staat bekämpft daher auch in seinen Polizeiverordnungen die Überlieferungen des Volkes. Die Aufklärung behandelt das Recht vor allem philosophisch, so auch ihre späteren Richtungen unter dem belebenden Einfluß insbesondere von Kant. Das Rechtsdenken der Aufklärung spricht sich besonders in der sogenannten Naturrechtslehre aus. Das Naturrecht der Aufklärungszeit muß verstanden werden als ein reines Verstandesgebilde. Es ist aus der reinen Vernunft geschöpft, insofern richtiger ein Vernunftrecht. Rechtsbegriffe und Rechtssätze seien ewig gültige Offenbarungen der Rechtsvernunft. Sie werden apriorisch aus der „Natur" der Sache abgeleitet. Sie gelten ihr für jedes Volk und für jede Zeit. Als „ratio scripta" galt jedoch das römische Recht. Die Enthüllung und Findung des Rechts ist Sache der aufklärenden Vernunft, seine Verwirklichung Aufgabe der fortschreitenden Gesetzgebung. In der naturrechtlichen Gesellschaftslehre steigen auch wichtige germanische Rechtsgedanken wieder empor wie zum Beispiel Genossenschaft und Gesamthand. Doch verläßt das Naturrechtsdenken ja den streng geschichtlichen Boden. Von diesem aus tritt ihm später die Historische Schule in bewußtem Gegensatz gegenüber. Germanische R e n a i s s a n c e So können wir die geistige Bewegung zwischen 1770 und 1830 in ihrem wesentlichen Anliegen kenntlich machen. Sie gipfelt um das Jahr 1800 in der Romantik. Ihre Gedanken

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ergreifen vor allem die germanischen Völker: Engländer (Percy, Young, Macpherson), Skandinavier (Tegn£r) und besonders die Deutschen. In den Klassikern Goethe, Winckelmann und Wilhelm von Humboldt war das griechische Altertum wiedererstanden. Die romantischen Strömungen dieses Zeitalters heben das alte Germanentum ins helle Licht. Sie erwecken das germanische Bewußtsein. In diesem Zeitalter vollzieht sich kraftvoll auch die Wiedergeburt der germanischen Philologie. Josef Körner, Germanische Renaissance. 1912. Quellenstellen (Charakteristiken und Kritiken). — Ders., Die Renaissance des germanischen Altertums. In: Zeitschrift für deutschen Unterricht 27, 1913, 1. — Otto Springer (Philadelphia), Die nordische Renaissance in Skandinavien. 1936. — Horst Oppel, Studien zur Auffassung des Nordischen in der Goethezeit. 1944. Justus Moser

(1720—1794)

Mit ihm setzen die Strömungen ein gegen die überspannte Aufklärung, namentlich gegen das abstrakt verallgemeinernde naturrechtliche Denken. Es ringt sich nun das geschichtliche Denken empor, bei Moser zumal der Gedanke des geschichtlichen Rechtes und der geschichtlichen Volksordnung: der grundlegenden Bedeutung des Bauerntums. Einleitung zu seiner „Osnabrückischen Geschichte" (1768): „Die Geschichte von Deutschland hat meines Ermessens eine ganz neue Wendung zu hoffen, wenn wir die gemeinen Landeigentümer (d. s. die Bauern) als die wahren Bestandteile der Nation durch alle ihre Veränderungen verfolgen, aus ihnen den Körper bilden und die großen und kleinen Bedienten dieser Nation (die Fürsten und Minister) als böse oder gute Zufälle des Körpers betrachten. Wir können sodann dieser Gcschichte nicht allein die Einheit, den Gang und die Macht der Epopöe g e b e n . . . , sondern auch den Ursprung, den Fortgang und das unterschiedliche Verhältnis des Nationalcharakters mit weit mehr Ordnung und Deutlichkeit entwickeln, als wenn wir bloß das Leben der Ärzte (d. h. der Politiker) beschreiben, ohne des kranken Körpers zu gedenken."

Moser wird zum Vorahner der Historischen Schule. Friedrich Carl von Savigny selbst nennt ihn als seinen Vorgänger (in seiner grundsätzlichen Schrift „Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft", 1814). Auch die soziale Volkskunde Riehlscher Prägung sieht in Moser ihren ersten Klassiker. Volkskundlich ergiebig sind 4*

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besonders Mosers „Patriotische Phantasien" (1774). Diesem Niedersachsen verdankt die Volkskunde auch die beste Deutung des Niedersachsenhauses. Dieses Haus ist — nach Moser — in seinem Plan das beste, weil es in vorbildlicher Weise eine Lebens- und Arbeitseinheit ermöglicht. „Der Herd ist fast in der Mitte des Hauses und so angelegt, daß die Frau, welche bei demselben sitzt, zu gleicher Zeit Alles übersehen kann. Ein so großer und bequemer Gesichtspunkt ist in keiner anderen Art von Gebäuden. Ohne von ihrem Stuhle aufzustehen, übersieht die Wirtin zu gleicher Zeit drei Türen, dankt denen, die hereinkommen, heißt solche bei sich niedersetzen, behält ihre Kinder und Gesinde, ihre Pferde und Kühe im Auge, hütet Keller, Boden lind Kammer, spinnet immer fort und kocht dabei." Justus Moser, Sämtliche Werke. Hg. von Bernhard Rudolf Abeken. Zehn Bände. 1842. — Die Göttinger Akademie der Wissenschaften gibt seit einigen Jahren Mosers Werke neu heraus. In einer ersten kritischen Gesamtausgabe: vollständig, texttreu und sachkundig erläutert.— Fritz Rinck, Justus Mosers Geschichtsauffassung. Diss. Göttingen 1908. — Friedrich Meinecke, Über Justus Mösers Geschichtsauffassung. 1932. — Karl Brandl, Justus Moser: Preußische Jahrbücher 225, 1932. — Ulrike Brünauer, Justus Moser. 1933. — Peter Klassen, Justus Moser. 1936. — R. Hofmann, Justus Moser, der Vater der deutschen Volkskunde. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Landeskunde von Osnabrück 32, 1907. Johann Gottfried Herder

(1744—1803)

Der ostpreußische Denker verdichtet die neuen Ahnungen zu Begriffen, in trächtigen sprach- und geschichtsphilosophischen Werken. Er wird ihr großer und anregender Deuter. Ein Grundzug seines Weltbildes ist das Ursprüngliche. Damit zielt Herder auf Wesenskerne: naturhafte, dumpf schlummernde, geheimnisvoll wachsende. Darin sucht er auch die dunklen Wachstumsgründe der Völker. Volkheit entfaltet und offenbart sich in ihren Schöpfungen: Sprachen, Volksliedern usw. Diese gehen leise hervor aus der stillen Kraft des Ganzen, wie Jacob Grimm es später ausspricht. Herder hebt mit diesem Gedanken die Geschichte ins Licht. Das andere ist das Irrationale, dem Ursprünglichen organisch verwoben. Es sind die Urgründe und Tiefenwurzeln des Geistes: die unbewußten Gefühlskräfte. Damit hebt Herder den Begriff der Seele, zumal der Volksseele, ins Licht. Das dritte ist das Individuelle, dem Ursprünglichen und dem Irrationalen orga-

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nisch verwoben. Es meint die bestimmte Einmaligkeit des Geschichtlichen: das So-Sein, die Ganzheit, die Eigengeschöpflichkeit, die Persönlichkeit, zumal der Völker. Sie prägt die Stile: Nationalsprachen usw. Damit hebt Herder den Begriff, der Volkheit ins Licht. Neuere, knapp zusammengedrängt einführende Herderdarstellungen: 1938 von Wolfdietrich Rasch (Leben und Werk in ihrem Ineinander, die geistige Gestalt allseitig gesehen) und 1939 von Benno von Wiese (Weltbild). — Im besonderen: Annemarie von Harlem, Herders Lehre vom Volksgeist. Diss. Rostock 1922. — Rudolf Stadelmann, Der historische Sinn bei Herder. 1928. — Gisela Ulrich, Herders Beitrag zur Deutschkunde. Mit besonderer Berücksichtigung seiner literaturwissenschaftlichen Theorie. 1943. Romantik

Sie denkt Herder zu Ende, in letzten Folgerungen. Sie antwortet der Aufklärung. Diese Züge aber bestimmen das Wesen des romantischen Weltbildes. Der Gedanke des Ursprünglichen führt in die Geschichte, und zwar letztlich in die Frühzeit: in des alten Volkes Herrlichkeit, in das germanische Altertum, zu den indogermanischen Ursprüngen. Auch in den Wertungen: das Echte und Reine, das Individuelle und das Schöpferische stehen am Anfang. Darüber leuchtet noch der Schein des göttlichen Ausganges und Glanzes. Die Entwicklung aber vernichtet das vielmehr. Sie entzaubert. Im geschichtlichen Denken drängen die bewegenden Kräfte der Zeit mächtig empor gegen das statisch-starre, ungeschichtliche Denken des Rationalismus. Vom Irrationalen her tritt der Begriff der Volksseele ins Licht: der Inbegriff der transzendierenden Gefühlskräfte. Die Seele erhebt sich mit gläubiger Kraft gegen das eiskalte Vernunftdenken. Hierin wurzelt auch der Name des Romantischen. Aus dem Gedanken des Individuellen wächst der Begriff der Volkheit. Der Volksbegriff wird von nun an mächtig, auch als geschichtsbildende Kraft, gegenüber dem naturrechtlichen Staatsdenken, gegenüber auch dem erklügelten Etatismus der französischen Revolution, den Napoleon politisch verwirklicht. Ihre dichteste Darstellung, die ihnen selbstgemäße Wirklichkeit finden die Volkstümer in dem eigentümlichen Wesen der Volkssprachen. Diese treten in den Vordergrund. Die Romantiker setzen Sprachgrenze gegen Naturgrenze. Die

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Philologie wird erneuert, jetzt als Philologien der Sprachvölker. Seit Herder stand die rein gedankliche Besinnung im Vordergrund. Im Zeitalter der Romantik kündigt sich das Jahrhundert des Realismus und des Positivismus auf Zehenspitzen an. Vor das theoretische Anliegen treten nun die Formungen und Schöpfungen selbst: Kultur und Geschichte der Völker. Schließlich wenden sich die Romantiker vor allem jetzt dem Eigenen zu: der eigenen Geschichte, dem eigenen Volke, der eigenen Kultur: der Philologie des Eigenen. Sie spüren des eigenen Volkes Sehnsüchten nach und dienen ihrer Erfüllung. Sie wollen allen wiedergeben, „was in vieljährigem Fortrollen seine Demantfestigkeit bewährt hat". Sie erwecken im Volk das Bewußtsein seiner selbst und den Glauben an das Eigene. Sie alle sind gewissermaßen Germanisten — wennschon ästhetische oder patriotische. Aber es vollzieht sich kraftvoll nun auch die Erneuerung der germanischen Philologie. Friedrich Pfaff, Romantik und germanische Philologie. 1886. — Paul Kluckhohn, Das Ideengut der deutschen Romantik. 1941. — Romantische Wissenschaft. Bearbeitet von Wilhelm Bietak. 1940. Textsammlung. In der Reihe: Deutsche Literatur, hg. von Heinz Kindermann. Historische

Schule

Diese Männer verbindet der Zusammenhang von Überzeugungen, die Herder und die Romantik erweckt hatten. Rechts-, Sprach- und Geschichtsforscher hatten sich seit dem Jahre 1814 geistig frei verbunden: Friedrich Carl von Savigny, Karl Friedrich Eichhorn, Barthold Niebuhr, Philipp August Böckh, Karl Otfrid Müller, Friedrich Gottlieb Welcker, Franz Bopp, Jacob und Wilhelm Grimm, Karl Lachmann, Leopold Ranke, Karl Ritter. Die geistesgeschichtliche Wirkung der Schule aber ging von Savigny aus. Er hat sie im Wissen um ihre Bedeutung heraufgeführt. Ausdruck dieses Gründungswillens ist sein berühmt gewordener Einleitungsaufsatz in der „Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft" (1815). Die Historische Schule befreite das geschichtliche Bewußtsein im Bereich der Wissenschaft vom Joch bloßer philosophischer Allgemeinbegriffe. So löste sie auch das naturrechtliche Denken ab. Damit eröffnete sie den Blick für die

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Bedeutung der geschichtlichen Kontinuität der Rechtsbildung, f ü r den geschichtlichen Ablauf überhaupt. Alles Recht ist geschichtlich geworden. Es ist weithin Gewohnheitsrecht. Die Leistungsfähigkeit der bewußten gesetzgeberischen Tat sei verhältnismäßig gering. Das Recht ist ein geschichtliches Erzeugnis aber des menschlichen Gemeinlebens. Solche Lebensgemeinschaften sind vor allem die Völker. Aus deren innerstem Wesen geht auch das Recht hervor, ja dieses ist das Volksleben selbst, nämlich von einer besonderen Seite gesehen (Savigny). So denn auch alle übrigen Erscheinungen des Volkslebens: des „Volksgeistes", des „Volkstums", der „Kultur". Friedrich Carl von Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft S. 8: „Wo wir zuerst urkundliche Geschichte finden, hat das bürgerliche Recht schon einen bestimmten Charakter, dem Volk eigentümlich so wie seine Sprache, Sitte, Verfassung. Ja diese Erscheinungen haben kein abgesondertes Dasein, es sind nur einzelne Kräfte und Tätigkeiten des einen Volkes, in der Natur untrennbar verbunden und nur unserer Betrachtung als besondere Eigenschaften erscheinend. Was sie zu einem Ganzen verknüpft, ist die gemeinsame Uberzeugung des Volkes, das gleiche Gefühl innerer Notwendigkeit, welches allen Gedanken an zufällige und willkürliche Entstehung ausschließt." — Ebd. S. 11: „Aber dieser organische Zusammenhang des Rechts mit dem Wesen und Charakter des Volkes bewährt sich auch im Fortgang der Zeiten, und auch hierin ist es der Sprache zu vergleichen. So wie für diese gibt es auch für das Recht keinen Augenblick eines absoluten Stillstandes, es ist derselben Bewegung und Entwicklung unterworfen wie jede andere Richtung des Volkes, und auch diese Entwicklung steht unter demselben Gesetz innerer Notwendigkeit wie jene früheste Erscheinung."

Ohne die romantische Bewegung und die Historische Schule gäbe es keine Rechtsgeschichte, keine Sprachgeschichte. Ohne sie sprächen wir auch heute noch in Sprache und Recht nur von den „Gesetzgebungen" als von planmäßigen Erzeugnissen des Witzes und Verstandes einzelner Menschen. Ohne sie glaubten wir auch heute noch an ein alleinseligmachendes Vernunftrecht, eine Vernunftsprache, die man ebenso naiv auf alle Zeiten und Völker anwenden zu können meinte, wie man von der Ewigkeit der Allongeperücke und Barockkuppel überzeugt war. Ohne sie hielten wir auch heute noch Recht und Sprache für Gebiete, auf denen sich die nur von nüchternen Zweckmäßigkeitserwägungen geleitete Rechtsvernunft des Juristen, der Sprachverstand der

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Schulmeister tummeln könne. Das seitdem unverblichene Verdienst der Historischen Schule ist daher die Ausbildung einer organischen geschichtlichen Welt- und Menschenbetrachtung: der „historisch-philologischen" Methode. Erich Rothacker, Einleitung in die Geisteswissenschaften. 2. Aufl. 1930. — Ders., Logik und Systematik der Geisteswissenschaften. 1926. — Ders., Geschichtsphilosophie. 1934. — Ders., Savigny, Grimm, Ranke. Ein Beitrag zur Frage nach dem Zusammenhang der Historischen Schule: Historische Zeitschrift 128, 1923, 416. — Ernst Troeltsch, Die Organologie der deutschen historischen Schule. In: Der Historismus und seine Probleme, Gesammelte Schriften 3, 1922, 2?7. — Friedrich Meinecke, Die Entstehung des Historismus. 1936. 2. Aufl. 1946. — Otto Gierke, Die historische Rechtsschule und die Germanisten. 1903. Eine klassische kleine Schrift. Friedrich

Carl von

Savigny

Im hessischen Marburg hatte der junge Frankfurter Savigny von 1802 bis 1806 den neuen Standpunkt erarbeitet, bei der Vorbereitung seiner methodologischen und geschichtlichen Vorlesungen zum römischen Recht. Von hier ging die Erneuerung der Rechtswissenschaft aus, in der Folge auch die Neubegründung der germanischen Philologie. Der junge Savigny fühlte den Beruf in sich, ein Reformator der Rechtswissenschaft zu werden, der Begründer einer echt metaphysischen Rechtslehre. Ausdruck dafür sind besonders seine programmatischen Schriften. Das Recht des Besitzes. Gießen 1803. — Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. 1814. Die Programmschrift der Historischen Schule. — Uber den Zweck der Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft: Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 1, 1815, 1.

Savigny steht besonders unter dem Eindruck Mosers und Herders. Von diesem übernimmt er viele geprägte Begriffe lind Vorstellungen. Früh erfüllt ihn eine tiefe Abneigung gegen alles bloß Erdachte, Konstruierte, Unlebendige. Er haßte den platten Rationalismus und suchte Recht und Rechtswissenschaft daraus zu lösen, sie zu befreien von jeder Vernunftspekulation. Savigny übernimmt Herders Organologie. „Das Recht nämlich hat kein Dasein für sich, sein Wesen vielmehr ist das Leben der Menschen selbst, von einer besonderen Seite angesehen" (Vom Beruf S. 30). — „Die Gesetze wachsen heutzutage nicht

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aus einem natürlichen Triebe und innerer Notwendigkeit hervor wie etwa einem Vogel die Federn aus der Haut, sondern sie werden fabriziert und ausgedacht, ich will glauben, oft mit mit dem besten Willen" (Wilhelm Grimm 1837: Briefe der Brüder Grimm an hessische Freunde 1, 291).

Mit besonderer Betonung führte Savigny den Herderschen Gedanken der Individualität im Sinne der Lebensganzheit als eigentlichen Gegenstand der Geschichte ein. „Er lehnte das formale und rationalistische Gleichheitsideal sowohl als politischen Grundsatz wie als philosophisches Erkenntnisprinzip ab. Was sein geistiges Auge sah, war gerade die Fülle der natürlichgeschichtlichen Bildungen des Menschen; sie weckte immer neu seine Bewunderung. Nicht die allgemeine Gesetzlichkeit, sondern die individuelle Mannigfaltigkeit zog ihn an. Dies aber stärkte seinen angeborenen Sinn für Erhaltung. Ihn erfüllte eine tiefe Ehrfurcht vor dem Geheimnis des Entstehens, Wachsens und Vergehens jeder geschichtlichen Einzelerscheinung, weil er sie als Ausdruck des Ganzen begriff. Die Geschichte erschien ihm so als die eigentliche Verwirklichung des Göttlichen." (Erik Wolf a. a. O. 450.)

Geistiger Kern der Savignyschen Rechtsanschauung wurde daher die Lehre vom Volksgeist als Quelle und Norm alles Rechts. Savigny wird so zum Vater nicht nur der historischdogmatischen, sondern auch der historisch-soziologischen Richtung der deutschen Rechtslehre im neunzehnten Jahrhundert. Er durchdringt von daher die Rechtswissenschaft mit geschichtlichem Sinn. Er entfaltet eine genetische Geschichtsbetrachtung, wie sie von Herder vorgedacht worden war. „Die strenge historische Methode der Rechtswissenschaft . . . geht dahin, jeden gegebenen Stoff bis zu seiner Wurzel zu verfolgen und so sein organisches Prinzip zu entdecken, wodurch sich von selbst das, was noch Leben hat, von demjenigen absondern muß, was schon abgestorben ist und nur noch der Geschichte angehört." Vom Beruf unserer Zeit S. 117 f. Savigny wird der Neuschöpfer der Rechtsgeschichte. Er versteht die Jurisprudenz nur als Rechtsgeschichte. Er wird zum Bannerträger des Historismus als geistige Bewegung und ihrer historisch-philologischen Methode. Savigny hat die Rechtswissenschaft dadurch in einen höheren kulturellen Rang erhoben: zu einer Kulturwissenschaft. Er wurde darin der Lehrmeister Europas — und seines größten Schülers Jacob Grimm.

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Adolf Stoll, Friedrich Karl von Savigny. Ein Bild seines Lebens mit einer Sammlung seiner Briefe. Bd. 1—3, 1927 ff. — Erik Wolf, Friedrich Carl von Savigny. In: Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte. 2. Aufl. 1944. S. 436. Rasmus Rask

(1787—1832)

Dieser ausgezeichnete dänische Forscher veröffentlichte im Jahre 1818 seine „Undersögelse om det gamle Nordiske eile Islandske Sprogs Oprindelse". Er untersucht darin die Verwandtschaft des Isländischen mit den übrigen germanischen Sprachen (und einigen andern indogermanischen), auch die Erscheinungen der ersten Lautverschiebung. Es ist der erste neuere Versuch einer vergleichenden Betrachtung des Germanischen. Damit steht Rask an der Schwelle der germanischen Sprachwissenschaft. Er ist freilich an der Schwelle stehen geblieben, gewann daher auch nicht den Einfluß auf die germanische Philologie wie Jacob Grimm. Dieser, ihr Begründer, hat sie dann überschritten, in seiner Deutschen Grammatik. Rasks Arbeiten haben ihn aber dabei beträchtlich gefördert: die geschichtliche und vergleichende Auffassung und Behandlung der germanischen Sprachen. Jacob Grimm am 5. Juli 1818 an Georg Friedrich Benecke (Briefe S. 97): „Eine eben erhaltene Preisschrift von Rask: om det gamle Nordiske Sprogs oprindelse, Kjöbenhavn 1818, kann ich Ihnen nicht genug rühmen. Sie ist voll der scharfsinnigsten und richtigsten Gedanken; es freute mich sehr, manches ebenso gefunden und gedacht zu haben. Das Buch verdient in mehr als eine Sprache übersetzt zu werden, aber von Leuten, die es lassen könnten, wieder ihre Anmerkungen beizufügen. Also übersetze ich es nicht." — Rasks Briefwechsel mit Jacob und Wilhelm Grimm steht im „Briefwechsel der Gebrüder Grimm mit nordischen Gelehrten", 1885. Er reicht von 1811 bis 1826, wo er infolge einer literarischen Fehde zwischen Rask und Jacob Grimm plötzlich abgebrochen wurde. — Rask am 10. August 1825 an Jacob Grimm (Briefe S. 124): „I den frisiske Sproglaere, som jeg giver mig den Frihed ad vedlaegge, finder De atter Modsigelser og det ikke fä, dog ihvordan de mätte forekomme Dem udtrykte, sä tilskriv ikke nogen Mangel p» Venskab eller Hengivenhed det. Amicus Plato, amicus Socrates, sed magis amica Veritas, skal altid vaere mit L«*sen, när Talen er om Videnskab, men i venskabelig Omgang skulde det smaerte mig meget at stS tilbage." — Darauf Jacob Grimm am 25. November 1825 (ebd. S. 125): „Es tut nichts, daß wir in manchem, auch in einigen wichtigen Punkten, voneinander abweichen; die Wahrheit kommt dadurch

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GRIMM

desto vollständiger ans Licht." — 1941 erschien: Breve fra og til Rasmus Rask. Hg. von Louis Hjelmslev. Bd. 1: 1805—19. Bd. 2: 1820—32. 859 Seiten. Jacob und Wilhelm

Grimm

Die Grimm-Forschung ist im Rückstand. Es gibt noch keine einigermaßen erschöpfende Lebensgeschichte Jacob und Wilhelm Grimms. Scherers schönes Buch verfolgt ein anderes Ziel. Die persönliche und örtliche Grimm-Forschung förderte in den letzten Jahrzehnten namentlich der Hersfelder Studiendirektor Wilhelm Schoof. Doch ist vor allem auch gerade beider Werk wissenschaftlich noch nicht ausgeschöpft und umfassend gewürdigt worden. Für ein Teilgebiet, ein einzelnes Kapitel, hat das Rudolf Hübner versucht in seinem Buch „Jacob Grimm und das deutsche Recht" (1895), leider ohne die Möglichkeit, den Briefwechsel mit Friedrich Carl von Savigny zu benützen. Überhaupt bewahren die Grimm-Schränke der Handschriften-Abteilung der Preußischen Staatsbibliothek noch eine Fülle ungedruckten Nachlasses. Erst wenn auch die bis vor kurzem der Wissenschaft unzugänglichen Briefschätze der Grimm-Schränke völlig ans Tageslicht kommen, wird es möglich sein, die wissenschaftliche Bedeutung und mehr noch die rein menschliche Größe Jacob und Wilhelm Grimms ins volle Licht zu rücken. Wieviel hier noch zu tun übrig bleibt, lehrt ein Blick in das von Hans Daffis bearbeitete „Inventar der GrimmSchränke in der Preußischen Staatsbibliothek" (1923) (der Berliner Grimm-Nachlaß z. Zt. in Obhut der Tübinger Universitätsbibliothek) . In Kassel ist im Jahre 1942 die Brüder-Grimm-Gesellschaft neu gegründet worden. Sie plante auch die Förderung der Grimm-Forschung: Neuherausgabe der Schriften und ihres Briefwechsels, ein BrüderGrimm-Jahrbuch u. a. Die Kasseler Landesbibliothek wurde im letzten Krieg durch Luftangriff zerstört, die Schätze der Grimm-Sammlungen waren jedoch rechtzeitig geborgen worden. S c h r i f t e n über Jacob und W i l h e l m

Grimm

Bernhard Denhard, Die Gebrüder Jacob und Wilhelm Grimm, ihr Leben und Wirken. Hanau 1860. 47 S. — Fr6diric Baudry, Les frferes Grimm, leur vie et leurs travaux. Paris 1864. 48 S. — Albert Duncker, Die Brüder Grimm. 1884. — Anton E. Schönbach, Die Brüder Grimm. 1885. — Johannes Hausleiter, Die Brüder Grimm in ihrer Bedeutung

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für das deutsche Volk. 1885. — Carl Franke, Die Brüder Grimm. 1899. Leben und Werke (176 S.). Gemeinfaßlich. — Ernest Tonnelat. Les frfcres Grimm. Leur oeuvre de jeunesse. Diss. Paris 1912. 438 S. Verdienstliche Untersuchung: Grimms Jugendwerk verstanden und gewürdigt vom französischen Standpunkt und im Sinn des späten neunzehnten Jahrhunderts. Daher teilweise verfehlt und überholt. — Ewiges Deutschland. Die Brüder Grimm. Ihr Werk im Grundrifi hg. von WillErich Peuckert. 1935. — Ders., Wilhelm und Jacob Grimm. In: Die großen Deutschen. 3, 1936, 185. — Eonrad Burdach, Die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm und Karl Lachmann: Die Wissenschaft von deutscher Sprache. 1934. S. 70. — Ludwig Wolff (Marburger Germanist), Jacob und Wilhelm Grimm. In: Lebensbilder aus Kurhessen und Waldeck 1830—1930. Hg. von Ingeborg Schnack. 2 (1940), 175. — Carl Zuckmayer, Die Brüder Grimm. Ein deutscher Beitrag zur Humanität. 1948. 66 S. S. 17: „Das Herrliche und Produktive für einen heutigen Schriftsteller, der sich mit ihrem Werk befaßt, ist eben dieser völlige Mangel an abstrahierender Didaktik und diese fortwährende Bezogenheit auf die Dinge, die Sachen, das lebendige Menschentum." Schriften über Jacob

Grimm

Die wissenschaftliche Gestalt Jacob Grimms bleibt noch zu würdigen, die Geschichte seines Werks zu schreiben. Jacob Grimm hat den wesensverwandten ebenbürtigen Darsteller noch nicht gefunden. Andere Richtungen und Zeitalter maßen ihn mit ihren Maßstäben. Wilhelm Scherers JacobGrimm-Buch ist ein glänzendes Werk, gelehrt (doch ohne Quellenangaben), geschichtlich vorzüglich gestaltet, lebendig, anregend und lesbar geschrieben. Es gibt eine Geschichte der persönlichen Entwicklung Jacob Grimms auf dem Hintergrund seiner Vorgänger und Zeitgenossen und ihrer Bestrebungen. Es stellt Jacob Grimm in weite geschichtliche Zusammenhänge hinein. Es gibt insofern mehr ein „historisches Fragment als eine Biographie". Es erweitert sich zu einer Geschichte der neueren germanischen Philologie, einer allgemeinen Geschichte der Geistesbewegung seit Herder. Das Buch will zudem mehr sein als bloße Geschichte. Es gibt sich von vornherein als eine Kritik. Mit dem Blick auf das Verhältnis Jacob Grimms zur Zukunft wollte Scherer des Meisters Werk auch korrigieren. Dem Grimm-Biographen Scherer waren als solchem aber Schranken gesetzt. Die Persönlichkeiten der beiden Meister trennt eine tiefe Kluft voneinander, ein Gegensatz des Wesens. Scherers eigene Natur war der Jacob Grimms entgegengesetzt und doch nicht eben-

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bürtig. Ihn trennt von diesem ein lehrhafter, ein philosophischer Zug positivistischer, rationalistischer, universalistischer Prägung. Ihm fehlt auch die Grimmsche fromme Ehrfurcht vor der geschichtlichen Gestalt des Ursprünglichen. Scherer selbst verdankt seinen wissenschaftlichen Standpunkt auch nicht Jacob Grimm, sondern Karl Müllenhoff. Derselbe tiefe Wesensunterschied besteht ja auch zwischen den Zeitaltern Grimms und Scherers. Was sie verbindet, ist der Empirismus: der Erkenntnisweg der Erfahrung und der Induktion. Sigrid von der Schulenburg im Nachwort zu Scherers Grimm-Biographie, 1921, S. 339: „Es mag sein, daß Scherers Antwort nicht erschöpfend ist. Was ζ. B. Grimms Kategorie des .Organischen', was sein ästhetisch-moralisches Ideal der .Reinheit' oder seine tiefe Ansicht von ,innerer Wahrheit' in der Geschichte uns auch heute noch oder wiederum bedeuten können, wie viele seiner Begriffe und Anschauungen, so wie er sie formulierte und gebrauchte, freilich nicht mehr anwendbar, doch vielleicht wandelfähig zum Weiterleben bestimmt, ja, den eigentümlichen Gegenständen seiner Wissenschaft oft gemäßer sein möchten als manche später erfundenen, dies alles bleibt noch auf weite Strecken hin im Dunkel. Wir stoßen hier wohl an eine innere Schranke Scherers, vielleicht auch auf ein Hindernis in der allgemeinen Stimmung seiner Zeit." Jacob Grimm, Selbstbiographie. In: Karl Wilhelm Justi, Grundlage zu einer hessischen Gelehrten-, Schriftsteller- und Künstler-Geschichte. Marburg 1831. S. 148. Auch: Kleinere Schriften 1, 1864, 1. Dazu als Ergänzung der eigenhändige „Lebensabriß Jacob Grimms" in der Zeitschrift f ü r deutsche Philologie 1, 1869, 489 f. — Karl Weinhold, Rede auf Jacob Grimm. 1863. — Herman Grimm (über seinen Vaterbruder, aus persönlichen Eindrücken). In: Jacob Grimms Kleinere Schriften, 1, 1864, 178. — Georg Waitz, Zum Gedächtnis an Jacob Grimm. Gelesen in der Gesellschaft der Wissenschaften. Göttingen 1864. — Moriz Haupt, Gedächtnisrede auf Jacob Grimm. Bericht der Akademie der Wissenschaften zu Berlin. 1864. S. 477 ff. Auch: Opuscula 3, 164—200. — Wilhelm Scherer, Jacob Grimm. 1865. Benutzt den Briefwechsel zwischen Grimm und Lachmann. Erschien zu Jacob Grimms Tode, zuerst in den „Preußischen Jahrbüchern" 1864 und 1865. 2. Aufl. 1885. Zweite Bearbeitung durch die Dilthey-Schülerin Sigrid von der Schulenburg. 1921. Ergänzt durch Scherers Gedenkrede auf Jacob Grimm von 1885. —• Wilhelm Scherer, Jacob Grimm: Allgemeine deutsche Biographie 9, 1879, 678. — August Raßmann, Jacob Grimm. In: Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften, hg. von Ersch und Gruber, Sect. 1, Th. 91. 1871. S. 176. — Georg Curtius, Jacob Grimm. 1871. 20 S. Auch: Im neuen Reich 1, 1871, 308. — Karl Goedeke, Jacob Grimm. In: Göttinger Professoren. 1872. — Barend Sijmons, Jacob Grimm de schepper der historische spraakkunst. Groningen 1880. 30 S. Hab.-Schrift. — Arthur Hübner, Jacob Grimm. In: SBA 1935, S. XXVIII. Auch: Zeitschrift f ü r Deutschkunde 49,153. Auch: Kleine Schriften zur deutschen Philologie 1940.

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Schriften über

Wilhelm

Grimm

Wilhelm Grimm, Selbstbiographie. In: Karl Wilhelm Justi, Grundlage zu einer hessischen Gelehrten-, Schriftsteller- und Künstler-Geschichte von 1806—1830. Marburg 1831. S. 164. Audi: Kleinere Schriften 1, 1881, 3. Wilhelm Grimm 1831 an Paul Wigand (Beziehungen zu Hessen 3, 1910, 285): „Es freut mich, daß du die Lebensbeschreibungen mit Teilnahme gelesen hast; ich habe die meinige erst geschrieben, nachdem ich es Justi zweimal abgesagt hatte, und insoweit ungerne, als ich vieles und dazu vielleicht das merkwürdigste gar nicht sagen konnte." — Jacob Grimm, Rede auf Wilhelm Grimm: Kleinere Schriften 1, 1864, 163. Gehalten wurde diese in der Akademie der Wissenschaften am 5. Juli 1860. Wie fast immer, wenn er öffentlich zu sprechen hatte, begann Jacob Grimm mit etwas heiserer, oft unterbrochener Stimme, bis er allmählich in Fluß kam. Er war der letzte, der in jener Sitzung sprach, und die Zeit vorgerückt, als er begann. Viele werden sich seines Anblicks noch erinnern, wie er die beschriebenen Blätter gegen das Fenster gewandt hielt, um besseres Licht zu erhäschen, und wie der Schein der Dämmrung auf sein weißes Haar fiel. (Hermann Grimm im Nachwort dazu.) — August Raßmann, Wilhelm Grimm: Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften, hg. von Ersch und Gruber. Sect 1. Th. 91. 1871. S. 275. — Wilhelm Scherer, Wilhelm Grimm: Allgemeine deutsche Biographie 9, 1879, 610. — Reinhold Steig, Wilhelm Grimm und Herder. In: Vierteljahrschrift f ü r Literaturgeschichte 3, 1890, 573. Hessische

Herkunft

„Ich bin . . . in Hessen geboren und fühle mich noch heftig allen Eigenheiten meiner Heimat zugewandt, selbst von ihren Mängeln und Gebrechen berührt" (Jacob Grimm „Uber meine Entlassung", 1838). Jacob und Wilhelm Grimm stammten auch von hessischen Vorfahren. Sie haben sich ihr Leben lang zu ihrer hessischen Heimat bekannt. Ihr waren sie geradezu religiös verbunden. In einem Brief vom 10. Januar 1829 an Franz Joseph Mone erklärt sich Jacob Grimm als „einen Stockhessen, der die vielen Vorzüge anderer Gegenden vor seinem Vaterlande gern einsehe, und ihm doch hartnäckig anhänge" (abgedruckt in den „Neuen Heidelberger Jahrbüchern" 7, 1897, 89). So gedachten sie denn auch, „in Hessen zu leben und zu sterben" (Jacobs Selbstbiographie: Kleinere Schriften 1, 16). Jacob 1805 aus Paris an seine Mutterschwester Henrifette Philippine Zimmer (Briefwechsel aus der Jugendzeit S. 57): „Meine innern Neigungen, d. h. die Studien, die ich mit Lust und Liebe ergreifen könnte, stehen mit meinen äußern Verbindungen, Familien- und andern Ver-

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hältnissen in ziemlichem Widerspruch, meine Verwandten fesseln mich an mein Vaterland, ohne sie würde ich im Ausland nicht glücklich sein können; auf der andern Seite sind aber in Hessen so wenig Aussichten für ein gelehrtes und eigentliches juristisches S t u d i u m . . . Es scheint mir nun hier schwer zu raten, allein mein Entschluß ist fest, ich bleibe in Hessen und wünsche da meine Anstellung, weil alle meine äußern Verhältnisse in Hessen liegen. Da praktische Geschäfte meinen Neigungen ziemlich entgegen sind (ich würde gewiß mehr Lust am Professorfach haben, wenn mir nicht dabei die äußere Lage sehr mißfiele, abgesehen, daß die Universität auch nicht in Cassel, sondern in Marburg ist, also immer in Entfernung von den Meinigen), — so wünsche ich nichts mehr als einen Dienst zu haben, der mir nicht den ganzen Tag wegnimmt, sondern Zeit läßt, meine Lieblingsstudien fortzusetzen, denn ich gestehe es, ohne dieses würde ich ziemlich unglücklich sein."

Sie lebten denn auch bis ins fünfte Jahrzehnt ihres Lebens im wesentlichen in Hessen. Jacob lehnte im Jahre 1816 den Bonner Ruf auch deswegen ab, um nicht Hessen verlassen zu müssen (Kleinere Schriften 1, 16). Ungern gingen sie deswegen schließlich nach Göttingen. Nämlich aus dem folgenden Grund. Wilhelm Grimm am 2. November 1829 an die hessische Kurfürstin (Beziehungen zu Hessen 1, 404): „Mit dem tiefsten Schmerz verlassen wir Hessen, dem unsere Familie seit Jahrhunderten mit unbefleckter Ehre gedient h a t . . . Die Uberzeugung, daß wir hier für unsere Familie und für unser Alter, wenn es Gott gewährt, keine Versorgung finden würden, und das kränkende Gefühl, das unverdiente Zurücksetzung erregt und sich nicht ganz unterdrücken läßt, hat uns allein zu diesem Schritte bewogen." — Wilhelm im November 1829 an Carl Hartwig Gregor von Meusebach (Briefwechsel S. 122): „Unser am Mittag eingereichtes Abschiedsgesuch erhielten wir schon am andern Morgen gewährt, die einzige schnelle Beförderung, der wir uns im hessischen Dienste zu erfreuen gehabt. Der Kurfürst hat geäußert: ,Die Herrn Grimms gehen wegl großer Verlust! sie haben nie etwas für mich getan!'" So hat der Kurfürst die Gelegenheit versäumt, selbst ruhmvoll mit ihnen in die deutsche Geistesgeschichte einzugehen.

In Göttingen hielt Jacob am dreizehnten November 1830 seine öffentliche akademische Antrittsrede (in lateinischer Sprache) über das Heimweh: De desiderio patriae (Kleinere Schriften 6, 411). Bezeichnend genug: der Zustand seines Gemütes gab ihm den Gegenstand ein. „Unter dem desiderium patriae meinte ich heimlich auch Hessen mit", schreibt Jacob am fünfzehnten November 1830 an Karl Lachmann (Briefwechsel S. 552), „führte es aber hauptsächlich auf Deutschland und die deutsche Sprache aus."

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Jacob am 9. Dezember 1829 an Johann Smidt (Briefe, ges. von Hans Gürtler S. 143): „Gottes Sonne, sie wird uns auch zu Göttingen leuchtcnl" — Wilhelm in seiner Selbstbiographie (Kleinere Schriften 1, 6): „Unter so manchen schönen Punkten, die ich hier in Göttingen sehe, erscheint mir der Meißner, den ich Jahre lang aus meinem Fenster in Cassel betrachten konnte, allein bekannt und zutraulich." — Dennoch Jacob am 21. Juli 1830 an Karl Lachmann (Briefwechsel S. 549): „Ich kann es mir nicht verhehlen, daß es ein dummer Streich war, von Cassel wegzugehen, obgleich Sie und Savigny auch dazu geraten haben. Dort war ich ein freier Mann, hier komme ich mir wie ein Knecht im Joch vor."

Auch als sie im Jahre 1841 nach Berlin gingen, „ward es [ihnen] doch schwer, Hessen zu verlassen" (Wilhelm am fünfundzwanzigsten April 1841 an Dahlmann: Briefwechsel 1, 444). „Es wird uns doch immer in die Heimat am meisten ziehen" (Jacob am zwölften März 1841 an Hupfeld (Beziehungen zu Hessen 2, 283). Gern wären sie hier geblieben (am liebsten in Marburg), „in dem Lande, das vielleicht am reinsten in Deutschland von seinen Bewohnern geliebt wird" (Herman Grimm: Jacobs Kleinere Schriften 1, 183). Jacob 1840 an Gervinus (Briefwechsel 2, 36 : „Ich gebe dabei auch noch etwas auf die hessische Landsmannschaft." — 1847 an Konsul Kulenkamp in Lübeck (Briefe, ges. von Hans Gürtler S. 265): „Sie führen einen uns aus Hessen, wo wir her sind, geläufigen Namen und kommen uns fast schon wie ein Landsmann vor." — Das HessenKapitel seiner „Geschichte der deutschen Sprache" (1848) eröffnet Jacob Grimm mit den Worten: „Daß ich von den Hessen ausführlicher handle als dieses Buches ganzer Anlage gemäß scheint, wird keinen, der mich kennt, verwundern, da ich an meiner Heimat, in der meines Bleibens nicht war, immer lebhaft hing und noch hänge." — Im Jahre 1856 an Friedrich August Raßmann (Briefe, ges. von Hans Gürtler S. 114): „Herzlichen Dank für die Zueignung Ihres Buches, die mich desto stärker freut, weil sie von einem Landsmann ausgeht, der in die Fußtapfen meiner Forschungen tritt Mein Wunsch ist also, daß es Ihnen zuerst in Hessen durch Vilmar und Mittler gelinge, die Zukunft wird sich hernach weiter auftun. In der Heimat haften viel Fäden, die abzuschneiden nicht gut ist, zumal alle Ihre Studien wesentlich Geschichte und Sage des [hessischen] Vaterlandes ins Auge fassen." — Doch Jacob am 9. Mai 1829 an Hupfeld (Beziehungen zu Hessen 2, 250): „Von der hessischen Mundart weiß ich gar wenig, weil ich nie in das Land gekommen bin." — Wilhelm im Jahre 1853 an Gervinus (Briefwechsel 2, 124): „Daß sie [seine hessische Frau Dorothea in Berlin] über die hessische Sprache nicht selten gefragt wird und immer gute Antwort geben kann, gibt ihr das Gefühl, daß ihr Anteil am Wörterbuch nicht unbedeutend sei."

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Wilhelm Scherer beginnt sein Grimm-Buch mit dem Satz: „Jacob Grimm war ein Hesse"; so Tonnelat das seinige: „C'est en H e s s e , . . . que Ies frfcres Grimm ont νέοι durant la p^riode qui faxt l'objet de cette itude." Gewiß hat diese Feststellung einen tieferen Sinn. Aus dem Zusammenhange mit seiner Heimat ist namentlich Jacob zum guten Teil zu verstehen. Wie tief Jacob Grimms wissenschaftliches Werk auch in diesem Grunde wurzelt, wäre noch des näheren zu untersuchen. Darauf hat zuletzt der Jurist Ernst Heymann hingewiesen in seinen Einleitungsworten zu der außerordentlichen öffentlichen Sitzung der Preußischen Akademie der Wissenschaften zur Feier der 150. Wiederkehr des Geburtstages von Jacob Grimm am 4. Januar 1935. Edmund Stengel, Private und amtliche Beziehungen der Brüder Grimm zu Hessen. 1—3. 1895 ff. Briefe und Aktenstücke. — Ludwig Emil Grimm, Erinnerungen aus meinem Leben. Hg. von Adolf Stoll. 1911. Eine reiche Fundgrube für die äußeren Verhältnisse, für alles Persönliche in der Familie Grimm, zumal das gemeinsame Jugendleben, ihre Verwandten und Bekannten. — Ernst Heymann, Über Jacob Grimms Heimat: BSB 1935, XXI ff. — Wilhelm Schoof, Die Brüder Grimm und die hessische Volkskunde. In: Hessische Blätter für Volkskunde 37, 1939, 137. Marburger

Studenten

Beide sollten Juristen werden, wie der früh verstorbene Vater gewesen war. Das hat Jacob in später Rückschau (Zeitschrift für deutsche Philologie 1, 1869) als entscheidend hingestellt f ü r sein Leben und seine Wirksamkeit: die väterliche Vorausbestimmung zur Rechtswissenschaft habe ihn davon abgehalten, sich der klassischen Philologie enger anzuschließen, wozu wohl Trieb und Anlage in ihm gewesen wäre. So aber konnte sich unvermerkt und ungehindert die Neigung in ihm festwurzeln und entfalten, alle Kräfte den germanistischen Studien zu widmen. So studieren denn beide, Jacob seit 1802, in Marburg die Rechte. (Ernest Tonnelat, Les frfcres Grimm, 1912, S. 1.) Beide fanden in Friedrich Carl von Savigny einen Lehrer, der machtvoll und entscheidend auf sie wirkte. Ein glücklicher Zufall machte sie beide, welche die germanische Philologie erneuern sollten, zu Schülern dessen, der damals die Rechtswissenschaft neu begründete. Savigny regte sie nachhaltig an. Jacobs S t r o h , Germanische Philologie

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eigenes Wort ist: „Diesem Manne verdanke ich alle wissenschaftliche Anregung für mein Leben und habe unwandelbar seine redlichste Freundschaft genossen" (1827: Briefwechsel mit Karl Lachmann S. 512). Savigny weckt in ihm den wissenschaftlichen Trieb. Er gibt ihm das Muster exakter Quellenforschung (Vom Beruf unsrerZeit S. 121): „In den Quellen zu Hause zu sein, um sie selbst lesen zu können und um neuere Schriftsteller unabhängig und mit eigenem Urteil zu lesen und ihnen nicht mehr preisgegeben zu sein." Savigny lehrt ihn eine Methode, und zwar eine neue, eine umwälzende. Wie Savigny das römische Recht des Besitzes geschichtlich betrachtet, so sollte Jacob Grimm einst die germanischen Sprachen historisch verstehen lernen. Wie Savigny später die Gesetzgebung grundsätzlich ablehnte, so sollte Grimm einst die gesetzgebende Grammatik, die nur nach praktischen Regeln suchte, in seiner Wissenschaft stürzen und durch eine Lebensgeschichte der Sprache verdrängen. Die historische Methode ging so über von der Rechtswissenschaft auf die germanische Sprachwissenschaft, auf die germanische Philologie. Die romantische Stimmung des Zeitalters aber erweckte den Gegenstand ihrer Studien. In Savignys Bibliothek ergriff sie Bodmers Ausgabe der deutschen Minnesinger. Seit Marburg wandten sie sich den altdeutschen Studien zu. In dieser Stadt also keimte die germanische Philologie neu auf. Jacob Grimm 1831 in seiner Selbstbiographie (Kleinere Schriften 1, 6): „Was kann ich aber von Savignys Vorlesungen anders sagen, als daß sie mich aufs gewaltigste ergriffen und auf mein ganzes Leben und Studieren entschiedensten Einfluß erlangten? Ich hörte bei ihm Winter 1802 bis 1803 juristische Methodologie,... Im Jahr 1803 war das Buch über den Besitz erschienen, welches begierig gelesen und studiert wurde. Savigny pflegte damals in seinen Collegien den Zuhörern die Interpretation einzelner schwieriger Gesetzstellen aufzugeben und die eingegangenen Arbeiten erst schriftlich auf dem eingereichten Bogen selbst und dann öffentlich zu recensieren. Einer meiner ersten Aufsätze betraf die Collation, und ich hatte die darin aufgestellte Frage vollkommen begriffen und richtig gelöst; welche unbeschreibliche Freude mir das machte und welchen neuen Eifer das meinen Studien gab, wäre zu bemerken unnötig. Das Uberbringen dieser Ausarbeitungen veranlaBte nun öftere Besuche bei Savigny. In seiner damals schon reichen und auserwählten Bibliothek bekam ich dann auch andere nicht juristische Bücher zu sehen, ζ. B. die Bodmersche Ausgabe der deutschen Minnesinger, die ich später so oft in die

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Hand nehmen sollte, und auf welche Tiecks Buch und dessen hinreißende Vorrede mich gespannt gemacht hatte." Jacob Grimm in dem Glückwunschschreiben des Jahres 1850 f ü r Savigny (Kleinere Schriften 1, 113): „Lieber Savigny. Unsere Bekanntschaft ist von lange her. Ich war einmal überrascht, Geschäftsbriefe schon Ihres Vaters an meinen aus Frankfurt nach Hanau zu entdecken, die als Vorbedeutung unseres innigeren Verhältnisses angesehen werden könnten. Nein, unsere Eltern haben noch keinen Grund gelegt zu unserer Freundschaft, sondern wir sie ganz von freien Stücken und mit eigenen Händen erbaut, wie froh machte mich immer, Slein auf Stein an diese Mauer zu tragen. Ich kam nach Marburg, wußte nichts von einem Unterschied der Lehrer und glaubte, alle wären gleich gut; bald erfuhr ich unvermerkt, daß Ihre Vorlesungen mir die liebsten wurden, alle andern nicht halb so lieb blieben, und ich hörte nicht nur bei Ihnen, ich prägte mir Ihre Mienen und Gebärden ein. Nachdem ich nun auch zu Paris, wohin Sie mich gerufen hatten, neben ihnen gehend, mit Ihnen arbeitend, meine Augen unverwandt auf Sie, als das mir vorleuchtende Muster richtete, schien das Schicksal uns wieder zu trennen. Seit unserer Heimkehr währte es kurze Zeit, so drehten Sie Hessen den Rücken z u . . . bis zuletzt auch mir, dein im Sturm Verschlagenen, ich glaube nicht ohne Ihr Mitwirken, eine Zuflucht sich in Berlin öffnete. Nun wird hier, denn nur fünf Jahre Alters unterscheiden uns, einer von uns den andern traurig zu Grabe geleiten. [Savigny starb am 25. Oktober 1861.] Schnell dahin geronnen ist unser Leben, wir haben unsere Kräfte ehrlich angesetzt, daß unter den nächst folgenden Menschen unser Andenken noch unverschollen sein wird, hernach mag es zuwachsen. Ich bekenne mich Ihren Schüler, und doch ist der Schüler seinem Lehrer ungleich geblieben, fast in allem unähnlich geworden. Durch das Wehen Ihrer milden Lehre weckten Sie meinen Geist, daß er wissenschaftliche Stimmung annahm, und da alle Wissenschaften im Grund eine einzige sind und die vier Fakultäten zusammenfallen in eine große, so hat auch Ihr Einfluß auf mich fortgewährt, Ihr Beispiel mich noch da getrieben, wo meine Lernbegierde sich an Stellen niederließ, die Ihr eigener Fuß nie betrat. Zwar das römische Recht hätte mich länger angezogen, doch eine innere Stimme und der Drang äußerer Ereignisse lenkten mich von ihm a b . . . Ich tröstete und labte mich immer stärker am Altertum unserer edlen Sprache und Dichtkunst, aus welchem auch Seitenpfade in das altheimische Recht einschlugen, zu welchem Sie mich nicht hingeführt hatten, dem Sie selbst sich erst später näherten; von dieser deutschen Grundlage meines erworbenen Wissens bin ich hernach auch wieder freudig auf die Zustände der klassischen Literatur und Sprache eingegangen. Mein Leben hat sich lang genug erstreckt und wirft schon abendliche Schatten, ich kann mich auf viele Vorgänge besinnen, in deren Mittelpunkt oder Hintergrund Sie stehn, wer darf aber in allen E r innerungen schwelgen? Lassen Sie mich aus früher und später Zeit gleichsam zwei Bilder darstellen, die an sich gar nichts auf sich haben 5*

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und andern bedeutungslos Ihnen ein Zeugnis ablegen sollen meiner Anhänglichkeit und Liebe. Das erste Bild fällt in irgend einen Sommertag des Jahres 1803. Zu Marburg muß man seine Beine rühren und Treppe auf, Treppe ab steigen. Aus einem kleinen Hause der Barfüßer Straße führte mich durch ein schmales Gäßchen und den Wendelstieg eines alten Turmes der tägliche Weg auf den Kirchhof, von dem sichs über die Dächer und Blütenbäume sehnsüchtig in die Weite schaut, da war gut aufund abwandeln, dann stieg man an der Mauerwand wieder in eine höherliegende Gasse vorwärts zum Forsthof, wo Professor Weis noch weiter hinauf wohnte. Zwischen dessen Bereich und dem Hoftor unten, mitten an der Treppe, klebte wie ein Nest ein Nebenhaus, in dem Sie Ihr heiteres, sorgenfreies und der Wissenschaft gewidmetes Leben lebten. Ein Diener, namens Bake, öffnete und man trat in ein nicht großes Zimmer, von dem eine Tür in ein noch kleineres Gemach mit Sopha führte. Hell und sonnig waren die Räume, weiß getüncht die Wände, tännen die Dielen, die Fenster gaben ins Gießer Tal, auf Wiesen, Lahn und Gebirg duftige Aussicht, die sich zauberhafter Wirkung näherte, in den Fensterecken hingen eingerahmt Kupferstiche von J. G. Wille und Bause, an denen ich mich nicht satt sehn konnte, so freute mich deren scharfe und zarte Sauberkeit. Doch noch viel größeren Reiz für mich hatten die im Zimmer aufstrebenden Schränke und in ihnen aufgestellten Bücher, deren ich bisher außer Schulbüchern und des Vaters Hinterlassenschaft nur wenige kannte. Einzelne Reihen folgten unserer gewöhnlichen Ordnung, bei andern war sie umgekehrt, wie man hebräisch schreibt von der rechten zur linken, und ich hörte Sie die Verdrehung, deren Notwendigkeit mir nicht einleuchten wollte, erklären und verteidigen. Man durfte auf die Leiter steigen und näher treten. Da bekamen meine Augen zu schauen, was sie noch nie erblickt hatten. Ich entsinne mich, von der Tür eintretend, an der Wand zur rechten Hand ganz hinten fand sich auch ein Quartant, Bodmers Sammlung der Minnelieder, den ich ergriff und zum erstenmal aufschlug, da stand zu lesen ,her Jacob von Warte' und ,her Kristan von Hamle', mit Gedichten in seltsamem, halb unverständlichem Deutsch, das erfüllte mich mit eigner Ahnung, wer hätte mir damals gesagt, ich würde dies Buch vielleicht zwanzigmal von vornen bis hinten durchlcsen, und nimmer entbehren. Bei Ihnen prangte es unnütz auf dem Brett, Sie haben es sicher nie gelesen, damals aber getraute meine keimende Neigung noch nicht, es von Ihnen zu entleihen; doch blieb es so fest in meinen Gedanken, daß ich ein paar Jahre hernach auf der Pariser Bibliothek nicht unterließ, die Handschrift zu fordern, aus welcher es geflossen ist, ihre anmutigen Bilder zu betrachten und mir schon Stellen auszuschreiben. Solche Anblicke hielten die größte Lust in mir wach, unsere alten Dichter genau zu lesen und verstehn zu lernen. Was rede ich aber von den Büchern, nicht von dem Mann, dem sie gehörten, dessen Worte mich noch mehr ermahnten und heimlich ermunterten als was ich lesen konnte? Groß war er gewachsen, damals noch schlank, trug grauen Oberrock, braune blaustreifige Seidenweste, sein dunkles Haar hing ihm schlicht herunter, das heute noch die

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Farbe hält, während meine braunen krausen Locken sich schon gebleicht haben. Dieses lehrenden Mannes freundliche Zurede, Hand bietende Hülfe, feinen Anstand, heiteren Scherz, freie ungehinderte Persönlichkeit kann ich nie vergessen, wie stand er vor uns auf dem Katheder, wie hingen wir an seinen Worten. Meine erste eingelieferte schriftliche Arbeit hatte einen Fall der Collation bei der Intestaterbfolge zu- behandeln, wollen Sie wissen, wie die Worte lauteten, mit welchen Sie mich beurteilten? Ich kann sie immer noch auswendig: .Nicht nur vollkommen richtig entschieden, sondern auch sehr gut dargestellt'. So günstig hat mich nachher kein anderer Recensent loben mögen. Wenn ich frischen Atem bei Ihnen geschöpft hatte, und mich, ich wußte kaum wie, aus den Schranken gehoben fühlte, in denen meine ganze Art vorhin befangen war, schritt ich frohgemut, über Stock und Stein springend, die Stufen hinab nach Haus in mein kleines Stübchen. Damals lag meine Seele offen vor Ihnen, ich hätte Ihnen alles vertrauen können." Kasseler

Bibliothekare

Die Kasseler Jahre waren die glücklichsten ihres Lebens. „In solcher Ruhe ergrünte unser Herz v i e auf einer Aue", sagt Jacob einmal von ihnen. Äußerlich lebten sie hier zwar in einer großen geistigen Einsamkeit. Doch muß man umsomehr Jacobs Schöpferkraft bewundern, die hier die grundlegenden Werke einer Wissenschaft entwarf. Von Kassel nach Hanau war Jacobs ältester (auf uns gekommener) Brief gegangen (Briefwechsel zwischen Jacob und Wilhelm Grimm aus der Jugendzeit, 1881, S. l f . ; diesen Brief geben wir in der ursprünglichen Schreibart): „Kassel, den 30ten Septembr. 1798. Liebe MutterI Gestern Mittag um 12 Uhr sind wir glücklich hier angekommen, ich muß Ihnen doch ein wenig unsre Reise erzehlen. von Hanau aus kamen wir in Frankfurt vorigen Dienstag gegen 10 Uhr an, wir sahen uns dort ein wenig um und giengen hernach nach dem HainerhofF, wo Hr. Oberpostmeister Rüppel w o h n t e . . . Hier gefällt mir es recht gut und die Tante ist auch. Sie hat uns schon seidne Geldbeutel 4 schöne Kalenderchen und sonst noch allerhand gegeben. Sie will uns auch Nachtcamisoelen machen l a s s e n . . . Das andere wird der Wilhelm wohl geschrieben haben, die Frau Volbrecht, der Hr. Stroh, die Wilhelmine Hr. und Frau Sauer lassen sich Ihnen bestens emphelen. Was machen dann die Brüder und die gute Pänny, strickt sie mir denn bald einen Strumpf? die Lichterformen werden Sie wohl von dem Kreuz bekommen haben. Grüßen Sie doch alle Bekannte und behalten Sie lieb Ihren gehorsamsten Sohn Jacob Ludwig Karl Grimm. N. S. Ich habe mein Blatt nicht ganz voll geschrieben wie der Wilhelm aber ich schreibe viel enger. Der Wilhelm hat mir einen Flecken [Klex über der ersten Zeile] drauf gemacht, ol " — In Kassel hatten sie die höhere Schule besucht. In Jacobs Abgangszeugnis (Zeitschrift für deutsche

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Philologie 6, 1875, 103): „Das Lob herrlicher Geistesgaben und eines unaufhaltsamen Fleißes verdient der edle Jüngling Jacob Grimm." — Nach Kassel kehrten sie von Göttingen zurück. Jacob am 17. August 1840 an Karl Lachmann (Briefwechsel S. 717): „Von der Welt habe ich Ehre übergenug genossen, gelernt aber immer am liebsten mit mir selbst, hier im stillen Cassel leichter als in Göttingen." Göttinger

Professoren

Mit Georg Friedrich Benecke hatte sie längst schon gelehrter Verkehr und Freundschaft verbunden. Diese wurden noch befestigt durch das langjährige Zusammenleben in Göttingen. Jacob am 18. Dezember 1822 an Benecke (Briefe S. 156): „Vieles auf der Welt geht mir hinderlich und nicht so, wie ich sehnlich wünsche, doch gibt es auch Stunden der Vergütung, zu solchen stillen Freuden rechne ich den Erwerb Ihrer biederen Freundschaft."

Diese Freundschaft mit Benecke beruhte auf der Gemeinsamkeit der Studien. Benecke war Dozent des Englischen und Bibliothekar der Universität. Er arbeitete als erster streng methodisch auch auf dem Gebiet der deutschen Philologie. Er zeigte nämlich, wie man altdeutsche Handschriften behandeln müsse: die Herstellung kritischer Texte als erste Bedingung aller literarischer Untersuchungen. Dabei trennte er Sprache und Dichtung nicht voneinander. Wohl durch ihn erkannte Jacob Grimm zuerst, daß das wissenschaftliche Studium der Sprache auch jeder Literaturforschung vorausgehen müsse. Benecke war zudem einer der besten Kenner des Mittelhochdeutschen: ja gerade er begründet erst die mittelhochdeutsche Lexikographie. Seine Einzelglossare (so zum Iwein 1833) sind die ältesten mittelhochdeutschen Spezialwörterbücher. Sie sind bis heute im ganzen unüberholt. Auch hierin, wortgeschichtlich zumal, wurde der Göttinger Jacob Grimms Lehrer. Briefe der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm an Georg Friedrich Hunecke aus den Jahren 1808—1829. Hg. von Wilhelm Müller. 1889. — Briefe aus der Frühzeit der deutschen Philologie an Georg Friedrich Benecke. Hg. von Rudolf Baier. 1901. — Ernest Tonnelat, Les frfcres Glimm. 1912. S. 300.

Nun traten die Brüder auch in enge freundschaftliche Verbindung mit dem Historiker Friedrich Christoph Dahlmann sowie dem Historiker und Literarhistoriker Georg Gottfried

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Gervinus. Diese Freundschaft blieb unverbrüchlich bestehen, lebenslang, auch als die Freunde wegen ihres offenen und freimütigen Einspruchs gegen den Verfassungsbruch des hannöverischen Königs ihres Amtes enthoben, Jacob aus Göttingen vertrieben wurde (mit jenen, dem Juristen Eduard Albrecht, dem Orientalisten Heinrich Ewald und dem Physiker Wilhelm Weber). Sie hatten den Mut, ihre Lebensstellung für ein moralisches Gebot aufs Spiel zu setzen. Denn ihr verletztes Rechtsgefühl kämpfte für die Heiligkeit des Eides, für die Sauberkeit der Gesinnung. Nun kehrten sie nach Kassel zurück zu unabhängiger wissenschaftlicher Arbeit, ohne Stellung und Einkommen, doch aufrecht, mit dem Stolz eines ungebeugten Gewissens. Diese Lage löste dann den gewaltigen Plan des deutschen Wörterbuches aus. Briefwechsel zwischen Jacob und Wilhelm Grimm, Dahlmann und Gervinus. Hg. von Eduard Ippel. 1. 1885. 2. 1886. Gewährt die beste Auskunft über die mit der Vertreibung der Sieben zusammenhängenden Ereignisse. — Jacob Grimms Rechtfertigungsschrift „Uber seine Entlassung" erschien im Jahre 1838 in Basel, weil sie in Deutschland nicht gedruckt werden durfte. Ein getreuer Neudruck 1945 (Jahresgabe der Brüder-Grimm-Gesellschaft für 1944). Sie ist ein dauerndes Denkmal seiner reinen Gesinnung sowie der sittlichen und historischen Gesichtspunkte, die ihn bestimmten. — Jacob am 15. Januar 1838 an Dahlmann (Briefwechsel 1, 72): „Ich verlange für unsern Schritt nicht den Beifall andrer Leute, nur, daß unsre Gesinnung rein und ungefälscht der folgenden Zeit überliefert werde." — Am 24. Februar 1838 (ebd. 1, 97); „Mir schien es wesentlich, meine eigne individuelle Stimmung frei auszudrücken." — Am 13. März 1838 an Otfried Müller (ebd. 1, 133): Die Druckbogen „wollen unverdeckt erzählen, was sich ereignete und ich empfand; ihr Erscheinen allein wird mir jede Rückkehr abschneiden. Das konnte ich mir keinen Augenblick verbergen." Hans Kück, Die ,Göttinger Sieben'. Ihre Protestation und ihre Entlassung im Jahre 1837. Diss. Göttingen 1934. — Ferdinand Frensdorff, Jacob Grimm in Göttingen. 1885. — Wilhelm Schoof, Göttingen und die Brüder Grimm: Niedersächsisches Jahrbuch 14, 1937, 233. — Wilhelm Schoof, Die Brüder Grimm nach der Göttinger Amtsenthebung: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde 58 (1932). Nach ungedruckten Briefen. — Wilhelm Schoof, Wie Jacob Grimms „Uber meine Entlassung" entstand: Hessenland 49, 1938. Berliner

Akademiker

Ihre Berufung nach Berlin ist hauptsächlich das Verdienst Alexander von Humboldts (und der Bettine von Arnim). Briefwechsel mit Dahlmann und Gervinus 1, 401, 418;

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2, 201. Allein Preußen bot ihrem wissenschaftlichen Trieb in glücklicher Weise äußere Erfüllung, und zwar beiden Brüdern: die freie Tätigkeit an Universität und Akademie. Am dreißigsten April 1841 hielt Jacob seine Berliner Antrittsvorlesung über deutsche Rechtsaltertümer. Jacob am 8. November 1840 an Dahlmann (Briefwechsel 1, 420): „Von woher könnte uns Ähnliches oder mehr geboten werden? Es läßt sich nicht verhehlen, daß eine Hauptschwierigkeit, uns zu berufen, in unsrer Untrennbarkeit liegt; wo finden sich zwei ähnliche Ämter für zwei Brüder zugleich offen?" — Gleichwohl „würden sie auch 1840 nicht nach Berlin gegangen sein, hätten ihnen ihre Verhältnisse irgend die Wahl gelassen" (Herman Grimm: Jacobs Kleinere Schriften 1, 182). — Jacob am 19. August 1838 an Dahlmann (Briefwechsel 1, 220): „Ich empfinde täglich mehr Widerwillen in mir, einen Ruf nach Preußen anzunehmen." — Am 27. Oktober 1838 (ebd. 1, 263): „Ich . . . spüre die allergeringste Lust nach Preußen." — Am 13. Mai 1840 an Lachmann (Briefwechsel S. 710): „Mir graut vor der Stadt." — Am 12. August 1840 an Luise Dahlmann (Briefwechsel 1, 399): „Trieb nach Berlin empfinde ich gar keinen." — Am 17. August 1840 an Lachmann (Briefwechsel S. 717): „Meine Abneigung vor den Berliner Steinhaufen hat auch Frau von Savigny, die neulich hier war, in nichts gehoben." — Am 19. August 1840 an Dahlmann (Briefwechsel 1, 402): „Mich zöge es mehr in das schöne Gebirgland als in die Heide von Berlin und in die Steinhaufen darauf." — Am 26. November 1841 an Paul Wigand (Beziehungen zu Hessen 3, 307)^ „Was [die Verhältnisse hier in Berlin] Günstiges bringen, wäre ungerecht zu verkennen; doch sehne ich mich nicht selten in die größere Einsamkeit des alten hessischen Stübchens zurück." — Gervinus am 5. April 1844 an Jacob (Briefwechsel 2, 73): „Ich wollte, Sie empfingen bald einen Ruf anderswohin, der Ihnen möglich machte, Berlin zu quittieren, dies ist kein Boden für Sie." — Jacob am 13. April 1844 an Gervinus (Briefwechsel 2, 77): „Wie sollte es denn überhaupt anders möglich sein, als daß es auch in Berlin natürliche Menschen gibt, mit denen sich auf einfachen Fuß leben läßt, die Empfindung des Gebrechens, Sehnsucht nach dem bessern mit uns teilen?" — Doch wogen auch ihre Berliner Freunde diese Fremdheit nicht auf: die Landsleute von Savigny und Bettine von Arnim sowie Karl Lachmann, mit dem der briefliche Verkehr wärmer gewesen war als der persönliche nachher (Jacob am 9. April 1851 an Dahlmann: Briefwechsel 2, 106). Pour eux, ce fut toujours un peu comme un temps d'exil (Ernest Tonnelat, Les frferes Grimm, 1912, S. 419). Bruderschaft

Sie hat in der Gelehrten- und Geistesgeschichte kaum ihresgleichen. Der zwanzigjährige Jacob am 12. Juli 1805 aus Paris an Wilhelm (Briefwechsel aus der Jugendzeit S. 59): „Immer zusammenvereinigt, —

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denn, lieber Wilhelm, wir wollen uns einmal nie trennen, und gesetzt, man wollte einen anderswohin tun, so müßte der andere gleich aufsagen. Wir sind nun diese Gemeinschaft so gewohnt, daß mich schon das Vereinzeln zum Tode betrüben könnte." — Darauf Wilhelm am 10. August 1805 aus Marburg (ebd. S. 68): „Sonst, lieber Jacob, was Du schreibst von Zusammenbleiben, ist alles recht schön und hat mich gerührt. Das ist immer mein Wunsch gewesen, denn ich fühle, daß mich niemand so lieb hat als Du, und ich liebe Dich gewiß ebenso herzlich." — Wilhelm am 21. April 1809 (ebd. 84): „Dein Brief hat mir große Freude gemacht und Deine Liebe darin, wie ich nicht sagen kann, und ich fühle wohl, wie sie der einzige Grund meines Lebens ist und ich sie beständig in meinen Gedanken trage."

So nahm sie in den Schuljahren ein Bett auf und ein Stübchen. Da saßen sie an einem und demselben Tisch arbeitend. Hernach in der Studentenzeit standen zwei Betten und zwei Tische in derselben Stube, im späteren Leben noch immer zwei Arbeitstische in dem nämlichen Zimmer, endlich bis zuletzt in zwei Zimmern nebeneinander, immer unter einem Dach, in gänzlicher Gemeinschaft ihrer Habe und Bücher, immer in ungetrübtem Verhältnis. Auch ihre letzten Betten wurden wieder dich^ nebeneinander gemacht, die Gräber auf dem neuen Matthäikirchhof zu Berlin, als sie — Jacob wie von großer Arbeit ermüdet — zur Ruhe gingen. Er wäge man, ob wir zusammengehören" (Jacob in der Rede auf Wilhelm Grimm: Kleinere Schriften 1, 166). Jacob am 2. März 1823 an Karl Lachmann (Briefwechsel S. 380): „Der Gedanke an das Schlimmste, an Wilhelms Tod, wodurch mein ganzes Leben zerstört worden wäre, fuhr mir in die Seele; ich erschrecke noch jetzt vor dem Schreiben des Worts." — Am 12. Dezember 1834 an den Anglisten Kemble (Briefe, ges. von Hans Gürtler S. 80): „Gott erhalte mir den lieben Bruder, der fest in mein eignes Dasein und Wesen verwachsen ist, so daß ich nicht wüßte, was aus mir werden sollte, wenn ich ihn verlöre." — Am 17. Dezember 1859 an Karl Weigand (Beziehungen zu Hessen 1, 368): „Lieber Freund, was hab ich Ihnen zu melden 1 Gestern den sechzehnten um drei Uhr Nachmittag ist Wilhelm, die Hälfte von mir, gestorben."

Gemeinsam war auch das wissenschaftliche Werk ihrer Jugend bis zu den „Deutschen Sagen" (1816). Erst als sich die wissenschaftliche Arbeit bei beiden zu festigen begann, schlugen sie verschiedene Wege ein, nun schufen sie, jeder auf seinem Sondergebiet, ihre Hauptwerke. Am Abend ihres Lebens aber vereinigten sie sich wieder zum „Deutschen Wörterbuch".

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Persönlichkeiten

Jacob und Wilhelm Grimm besaßen zeitlebens eine gewisse unabänderliche Gleichheit in ihrem Wesen: dieselbe Güte, Bescheidenheit, Selbstlosigkeit. In ihnen war kein Falsch. Sie wollten immer nur die Sache und fast nichts für sich selbst. Leben und Werk aber, Wort und Tat lagen auf einer Linie. Wilhelm Scherer, Jacob Grimm. 2. Aufl. (1921) S. 73: „ . . . so stehen die Brüder Grimm unter den Romantikern als einfache Menschen, welche schlicht ihre Seele auf ein Einziges richten. Bescheiden und anspruchslos, ohne Eitelkeit, ohne starkes Selbstgefühl, weniger glänzend und zuversichtlich in ihrem Auftreten als andere, aber ernster und pflichtbewußter, waren sie dem jüngsten Königssohn im Märchen zu vergleichen, welchem die vortrefflichen Eigenschaften seines Herzens und die Gunst freundlicher Geister die Prinzessin entzaubern helfen, die den älteren Brüdern unerreichbar blieb. Sie sind der eine Pol der Romantik wie Friedrich Schlegel der andere." — Ernest Tonnelat, Les frferes Grimm, 1912, S. VII: „Le disinterdssement sans doute n'est pas rare chez les vrais savants; les frfcres Grimm pourtant se distinguerent entre tous les savants par leur d6sint£ressement." — Wilhelm Grimm am 27. Mai 1832 an Karl Lachmann von Jacob (Briefwechsel S. 863): „Ich fühle mich glücklich mit ihm, der die liebreichste Seele von der Welt hat." — Bettina von Arnim von Jacob und Wilhelm Grimm (Briefwechsel der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm mit Karl Lachmann S. 701): „Es sind die einzige Mensche in der Welt, die ich lieb hab." — Wilhelms Tochter Auguste meldet am 21. September 1863 Jacobs Tod an Karl Weigand (Beziehungen zu Hessen, 1, 388): „Er liegt so mit dem Ausdruck der Herzensgüte, die der Pulsschlag seines Lebens war, auf seinem Bett: man möchte ihn gar nicht verlassen, seine Bücher umstehen ihn wie Waisen." — Jacob, lebensbejahend, am 26. April 1834 an Kemble (Briefe, ges. von Hans Gürtler S. 78): „Unser Leben vergeht so schnell, daB alles, was uns reine Freude machen kann, unaufgehalten den Weg zu uns finden sollte." — Ein andermal: „Es scheint heut eine milde Frühlingssonne und Gott ist so gut, seien Sie auch von diesem Frühling an heiter und zufrieden, man kann sich daran gewöhnen, und das ist eine der schönsten Gewohnheiten."

Gleichwohl waren Jacob und Wilhelm Grimm verschiedene Naturen, kräftige Individualitäten, jede bestimmt bezeichnet in ihrer Eigenart. Auch wissenschaftlich waren sie in gewisser Hinsicht gegensätzlich veranlagt. Jacob war der männlichere, kühn und heftig, Wilhelm zarter und feiner, er „tut seiner Natur keine Gewalt an" (Briefwechsel mit Dahlmann 1, 538). Jacob wahrte die mehr wissenschaftliche Eigenart, Wilhelm war mehr Künstler, daher seine Forschungen besonders der Dichtung des Mittelalters zugewen-

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det. Jacobs Studien haben sich mehr mit Sprache und Altertum als mit dem Leben der einzelnen Dichter befaßt (184ß an Bettina von Arnim: Briefe, ges. von Hans Gürtler S. 3). Wilhelms „ganze Art war weniger gestellt auf Erfinden als auf ruhiges sicheres Insichausbilden" (Jacob in der Rede auf Wilhelm Grimm: Kleinere Schriften 1, 172). Er war eine empfängliche und aufnehmende Natur. In Jacob wohnte vielmehr die Schöpferkraft, die Begierde des Entdeckers. Er pflügte alle Gebiete, die er betrat, um: erneuerte sie. Jacob am 1. April 1820 an Lachmann (Briefwechsel S. 81): „Arbeitsani und anhaltend bin ich von Haus aus, und wenn ich etwas taugen werde, geschiehts bloß dadurch." — Am 11. Juni 1841 an Dahlmann (Briefwechsel 1, 458): „Ich könnte aller äußeren Ehre entbehren, wenn man mich ruhig und nach Herzenslust für mich arbeiten und gewähren ließe; ich wollte mir dann den schlichtesten Kittel aus grobem Zeug gefallen lassen und nach nichts anderm trachten." — 1849 in der Akademievorlesung Uber Schule, Universität, Akademie (Kleinere Schriften 1, 240): „Der Mensch hat auch ein Recht darauf, mitunter faul zu sein oder zu scheinen und sich, wie er will, gehn zu lassen." — Wilhelm Grimm am 15. Juli 1809 an Jacob (Briefwechsel aus der Jugendzeit S. 127): „Alles Nichtarbeiten macht Dir Langeweile." — Am 4. Juli 1821 an Benecke (Briefe aus der Frühzeit der deutschen Philologie S. 44): „Der Jacob wird mich immer an Gelehrsamkeit, wahrscheinlich auch an schnellem Scharfsinn übertreffen; er hat eine Ausdauer, die mir Gott versagt hat, nicht bloß einen Tag, sondern eine Anzahl hintereinander kann er von Morgen bis in die Nacht sitzen, ohne sich fast zu regen; es ist ebenso, wie er wohl zwei Tage ohne Nahrung (es ist wirklich wahr) zubringen kann, während mir das Hungern immer schlecht gerät." — Am 20. Mai 1825 (ebd. S. 59) „Möge uns Gott nur diese stille und ruhige Lage erhalten mit Muße f ü r Arbeiten, in welchen unsere Freude liegt, ungestört und von zerstreuenden Sorgen frei; ich halte das für das höchste Glück, denn aus dem, was die Welt so nennt und was ich mehr, wie mancher andere in sehr verschiedenartigen Verhältnissen in der Nähe gesehen habe, mache ich mir nicht viel und meine Brüder denken nicht anders." — In seiner Selbstbiographie (Kleinere Schriften 1, 15): „Doch die Arbeit selbst ist es ja, worin die eigentliche Freude liegt, wenigstens nach meinem Gefühle."

Kein Gelehrter war wohl je dem Urgeist der deutschen Sprache so eng verbunden wie Jacob Grimm, gerade als ob er im Rat der Geister gesessen habe, die diese Sprache erschufen. Er wußte um die ursprüngliche Kraft des Wortes. Jedes Wort ward ihm zum lebendigen Wesen, körperhaft, durchblutet, sinnvoll. Er hauchte ihm den lebendigen Odem ein. Ihm strömte immer der natürliche, schlichte wie dichte

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Ausdruck zu, unmittelbar aus dem Herzen selbst. Er schaute alles sinnlich an wie im Bilde. Auch wußte er in seinem Wort das Unscheinbare zu verklären und selbst dem Gewöhnlichen und Alltäglichen die Erhabenheit des Außerordentlichen zu verleihen. Dabei drang sein Stil tief in die Sache ein. Ernst Simon a.a.O.: „ . . . d i e B e s e e l u n g d e r W ö r t e r . Wenn Scherer feststellt, daß den Höhepunkt der deutschen Grammatik die Lehre vom grammatischen Geschlecht bildet, wo die Wörter mythologisch lebendig werden, so haben wir hier den genauen stilistischen Gegenwert dazu: es ist ein P a n t h e i s m u s d e r W ö r t e r , der jedes von ihnen gleichsam zu einer selbständigen Monade macht, die Träger eigenen Satzlebens sein kann, und damit Grimms entscheidender Tribut an sein Zeitalter, dessen kindlich rückläufige Allbeseelung ganz unmittelbar mit den Grundlagen von Märchen und Fabel wie mit dem häußgen Subjektwechsel der älteren deutschen Sprache in Einklang steht." S. 557.

Man hat oft die Verwandtschaft bemerkt, die Jacob Grimms und Goethes Sprache miteinander verbindet (in Wilhelm Grimm regte sich von vornherein stärker ein literarischer, schriftstellerischer Zug). Goethe selbst nennt Jacob Grimm in „Kunst und Altertum" (V 2) einen „Sprachgewaltigen". Man hat aber noch kaum geachtet auf die gemeinsame Herkunft der beiden Sprachgewaltigen aus derselben Sprachlandschaf t. Karl Gustav Andresen, Uber die Sprache Jacob Grimms. 1870. — Ernst Simon, Zu Jacob Grimms Sprache, Stil und Persönlichkeit: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 7, 1929, 515—559. Beschränkt sich auf einige Altersreden. — Heinz Diewerge, Jacob Grimm und das Fremdwort. 1935. Schöpferische

Einsamkeit

Jacob Grimm war — nach einem treffenden Wort Wilhelm Scherers in seiner Lebensgeschichte — eine monologische Natur. Sein eigentliches Element war die Stille, sein Glück die „selige Einsamkeit", die einsame Tätigkeit. Gesellschaften und der Geselligkeit hingegen war er abgeneigt. „Jamais savant laique ne merita plus que Jacob d'etre comparö ä un b£nedictin. Sa constance, sa t6nacit6 et son esprit de renoncement furent vraiment monastiques. II n'y a aucun amour de femme dans son existence. II η' eut qu'une passion, celle de la langue, de la poesie, des antiquit6s alle-

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mandes" (Ernest Tonnelat, Les frferes Grimm, 1912, S. VII). So wünschte Jacob Grimm sich einmal geborgen in der Sitte des klösterlichen Lebens. Mit der Berufung an die Berliner Akademie ging dieser Wunsch in gewissem Sinne in Erfüllung. Der junge Jacob 1809 an Wilhelm (Briefwechsel aus der Jugendzeit S. 129): „Und ist nicht das sonderbare Gesellschaftswesen etwas Unnatürliches, um nicht zu sagen, etwas Modernes, denn vor ein paar hundert Jahren war es sicher ganz anders und man setzte sich nicht zueinander hin, um sich Zeit und Lust zu nehmen, wie jetzo. Ich mag zu keinem andern gehen, als den ich lieb habe und der mich auch lieb hat, nicht um mit ihm etwa zu sprechen oder etwas von ihm zu lernen, sondern um bei ihm zu sein, wo sich hernach das andere geben wird." — Am 1. November 1811 an Achim von Arnim (in Bezug auf Goethe): „Es ist das ein uralter Trieb, der alle alte Helden aus dem Geräusch in die Einsamkeit zieht" (Reinhold Steig, Goethe und die Brüder Grimm, S. 84). — Am 1. April 1820 an Karl Lachmann (Briefwechsel S. 81): „Ich bin nun schon aus langer Gewohnheit einsam und still." — Am 7. Juni 1836 an Dahlmann (Briefwechsel 1, 65): „Das Zurücktreten... entsprang bei mir aus blöder Scheu (der ich von Natur und aus langer Gewohnheit mich zur Einsamkeit neige)". — Wilhelm am 22. Juli 1838 an Friedrich Blume (Briefe, ges. von Hans Gürtler S. 193): „Ich in meiner Lage finde mich weder abgestumpft noch gleichgültig oder herzlos gegen die Welt, aber hätte ich soviel, daß ich still leben könnte, ich setzte mich in eine Ecke, und nichts, was die Welt anzubieten vermag, würde mich heraus und von meinen Arbeiten weglocken." — Jacob am 2. März 1839 an Gervinus (Briefwechsel 2, 13): „Wie ich von Natur keine Anlage zur Schwermut, eher zu Stille und Einsamkeit habe." — Am 13. Mai 1840 an Lachmann (Briefwechsel S. 710): „Der Welt bin ich nicht feind und hänge heiß an allem Vaterländischen. Doch ich fühle, nach der Göttinger Periode wieder in die hiesige Casseler Zurückgezogenheit versetzt, eigentlich mich behaglicher, und hätten wir Protestanten die Sitte des klösterlichen Lebens ohne andern Mönchsdienst, so brächte ich darin gern vor dem Andrang der Leute meine übrigen Tage, die sich leicht umspannen lassen, geborgen zu. Es ist so meine Natur, daß ich aus Umgang und Lehre immer weniger gelernt habe als durch mich selbst." — 1860 in der Rede auf Wilhelm Grimm (Kleinere Schriften 1, 172): „Wie manchen Abend bis in die späte Nacht habe ich in seliger Einsamkeit über den Büchern zugebracht, die ihm [Wilhelm] in froher Gesellschaft, wo ihn jedermann gern sah und seiner anmutigen Erzählungsgabe lauschte, vergingen."

Hier erwies sich, daß die schöpferische Einsicht in das innere Wesen der Dinge ebenso bedeutsam oder bedeutsamer sein kann als die aktive Teilnahme an ihrer äußeren Bewältigung. Und Jacob legte das schwerere Gewicht auf

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Kraft und Willen des Einzelnen. Allein aus der Freiheit entspringe die Stärke zur Ausführung. So sprach er sich sogar auf das bestimmteste und mit bemerkenswerter Begründung gegen alle Gesellschafterei aus. Am 13. Juli 1818 an Benecke (Briefe S. 98): „Gelehrte Gesellschaften werden entweder gestiftet von Fürsten und Vornehmen, Patronen, die dadurch ihre Eitelkeit befriedigen, vielleicht auch der Mode des Zeitgeistes nachgeben (wieviel Gesellschafterei ist im achtzehnten J a h r hundert entsprungen?) oder von gutmütigen Leuten, die den natürlichen Trieb des Menschen, mit seinesgleichen zusammenzukommen und sich zu unterhalten, aus Irrtum auf gelehrte, d. h. nur in der Stille des Geistes gedeihen könnende Arbeiten, hinwenden und sich nur zu leicht in einer gewissen Mittelmäßigkeit (die fast notwendig aus einer gleichsam physischen Verteilung der Kräfte unter alle Mitglieder folgt) gefallen und beruhigen. Ist ein guter Kopf darunter, so arbeitet er entweder allein und lenkt alle andern (also er mißbraucht die Gesellschaft, in dem er sich der andern Mitglieder gar nicht oder wie seine Werkzeuge bedient) oder er läßt aus Bescheidenheit den übrigen Mitgliedern Raum und schadet damit seiner eigenen Kraft. Sind zwei gute Köpfe darunter, so beginnt ein ähnliches Spiel und die Gesellschaft wird entweder durch die Eifersucht der beiden (selbst im milden Sinne des Worts) oder durch die Nachgiebigkeit des einen in dem andern gestört und heruntergebracht werden. Wer Beruf hat, etwas Tüchtiges auszusinnen und zu bearbeiten, bei dem bildet sich natürlicherweise ein sicherer Plan, der keine Einmischung eines dritten oder gar einer ganzen Gesellschaft verträgt, aus der Unabhängigkeit allein entspringt aber die Stärke zur Ausführung. Adelungs Wörterbuch zum Beispiel würde sicher durch keine Gesellschaft so schnell zustande gebracht worden sein. Es geht mir wenigstens, bei kleinen Nebenarbeiten sogar, nur dann vonstatten, wenn ich selbst darauf verfalle, aufgetragene Rezensionen kosten mir eine gewisse Überwindung (diese Bestellung der Arbeit ist der Fluch, welcher auf dem Rezensierwesen lastet), teils weil mir das fremde Buch näher oder ferner liegt, teils weil es gerade nicht in meine jetzige Zeit paßt. — Die scheinbarsten; auch von Ihnen angeführten Vorteile der Gesellschaften sind Geld (zur Herausgabe von Werken, wozu Privatleute die Kosten nicht erbringen könnten) und Erleichterung oder vielleicht Möglichmachung der Sammlung zerstreuter Gegenstände durch Verteilung der Arbeit unter alle Mitglieder... Ich glaube nicht, daß ein recht gutes Werk aus Mangel an Unterstützung zurückblieb und umgekehrt, wie leicht wäre Geld zu finden, wenn Arbeiter da wären. Mit zehn- bis zwanzigtausend Gulden, sollte man meinen, wären alle wichtigen Denkmäler altdeutscher Literatur zu drucken, eine kleine Summe für die deutschen Fürsten, aber wo liegt der korrekt ausgearbeitete Text, der den Druck verdiente? Die fruchtbringende' Gesellschaft usw. hätte freilich besser getan, alte Poesien, Mundarten, Volkssagen und dgl. herauszugeben, als sich mit ihrer eigenen Reimerei zu ermatten; allein dasselbe hätten auch einzelne gesellschaftslose Schriftsteller des siebzehnten Jahrhun-

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derts, die eine Menge mittelmäßiger Bücher drucken ließen, vollbringen können. Warum hat Goldast nichts von dem herausgegeben, was er unter Händen hatte? Vermutlich weil ihm seine paraenet. vett. des Drucks viel würdiger schienen als die Quellen selbst; so wird es wiederum schwer halten, die jetzige Berliner Gesellschaft davon zu überzeugen, daB das Verdienst ihrer orthographischen Untersuchungen weit unter dem der Herausgabe eines Dorfidiotikons steht. Sollte das Sammeln gesellschaftlich besser gehen? Meine Erfahrung spricht dagegen. Leute, die beitragen können und wollen, tun es auch unangespornt von der Ehre, Mitglieder einer Gesellschaft zu sein. Das Bremer Wörterbuch ist meiner Meinung nach einem oder zwei Männern zu verdanken, die Eifer genug für die Sache hatten, um sich auch von anderen Orten im Lande her Materialien zu erbitten und sie zu sichten und zu nutzen; das nämliche hat Stalder ohne Gesellschaft mit derselben Operation bewerkstelligt. Das Zuerregenwissen und Antreiben zum Sammeln ist dabei das eigentlich tätige Prinzip, geht also wieder vom einzelnen aus. Ich bin fest überzeugt, daß weder die Berliner noch die Frankfurter Gesellschaft eine Grammatik oder ein Idiotikon zustande bringt, wenn sie nicht in ihrer Mitte jemanden hat, der es auch ohne sie verfertigen könnte. Einzelne (gute) Arbeiten werden ebenso leicht einzeln auftreten können, was aber der Gesellschaft als solcher zukommen wird, erregt zu haben, das sind — einzelne, mittelmäßige Studien. Die Notwendigkeit, ja die Herrlichkeit von Einwirkungen, Einflüssen, Mitteilungen der Menschen untereinander will ich gewiß nicht leugnen, es deucht mir nur, daß sich alles dies von selbst und unschuldig auf einem andern Wege darbieten müsse als den die f ö r m liche Gesellschaft dazu eröffnet." Lehrer

Jacob Grimm lebte vor allem in seinen Werken. Er mochte wie Goethe lebenslang lernen und ungern lehren. Sein Wort war „besser gelernt als gelehrt" (Rede auf Wilhelm Grimm: Kleinere Schriften 1, 175). Er war eine stark „monologische Natur". Zum Lehrer war ihm jede besondere Anlage versagt. Es fehlte ihm der pädagogische Zug. Ihm lag mehr die an keine Stundenordnung gebundene schöpferische Freiheit des Forschens am Herzen als der regelmäßige Lehrbetrieb, der Fertiges in fester Dosierung geben muß. Daher auch zog er im Jahre 1816 seine Kasseler Bibliothekarstelle einem Ruf an die Bonner Universität vor, daher empfand er seine Göttinger Lehrverpflichtung gelegentlich als lästig, daher legte er wie Lachmann das Schwergewicht seiner Kraft nicht in die Vorlesung. Wilhelm dagegen gewann der Lehrtätigkeit mehr Freude ab.

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Jacob Grimm 1840 an Karl Lachmann (Briefwechsel S. 710): „Es ist so meine Natur, daß ich aus Umgang und Lehre immer weniger gelernt habe als durch mich selbst." — Der Marburger Professor Hupfeld 1829 an Jacob Grimm (Beziehungen zu Hessen 2 252): „Ich bin begierig zu sehen, wie Ihnen das akademische Leben zusagt — denn wie ich aus der Frankfurter ΟΡΑ-Zeitung ersehen habe, sind Sie auch in meinen Orden getreten, worüber ich mich sehr gefreut habe. Ich habe immer gedacht, das Katheder müsse Ihnen wohl anstehen, und es müsse Ihnen Freude machen, nicht bloß durch das tote Wort, sondern auch durch das lebendige zu wirken. Freilich ist dieser mündliche Wirkungskreis beschränkter, und man muß sich weit mehr herunterlassen als im Buch, hat auch wohl mit Stumpfheit eine Zeitlang seinen Kampf: aber es ist doch auch ein eigner Genuß, eine junge Welt endlich beseelt und begeistert zu sehen und eine lebendige Pflanzschule und Tradition zu gründen — die Rückwirkung einer solchen Gemeinschaft auf den Lehrer gar nicht einmal zu rechnen I" — Jacob Grimm 1829 an Lachmann (Briefwechsel S. 541): „Es wird uns schwer fallen, die langgewohnte Lebensart zu verlassen, und der Versuch von Vorlesungen scheint mir auch nicht leicht." — 1831 an Bang (Beziehungen zu Hessen 1, 116): „Zum Professorleben, sagt man, muß man sich vom Doktor auf anschicken und bilden, späterhin schmeckts nicht recht mehr." — Schon 1825 an Paul Wigand (Beziehungen zu Hessen 3, 248): „Fürs Dozentenleben muß man sich früh ausbilden, in spätem Jahren geniert vieles dabei. Es gehört eine gewisse Allgemeinheit dazu, die einem, den ein spezielles Fach lange angezogen hat, unbequem sein muß." — An Laßberg 1829 (ebd. 2, 182): „Es hätte schon zehn Jahre früher geschehen sollen, damals waren unsere Organe noch weicher, unser ganzes Wesen noch fügsamer." — 1830 (ebd.): „Daneben nun auch Kolleg zu lesen, ist für einen Professor, der in seinem Leben noch nie gelesen hat, eine tüchtige Anstrengung; ein solches Kolleg ist wie eine Predigt, in der man nicht stecken bleiben soll, und kehrt täglich zu bestimmter Zeit wieder, und in den fünfzig Minuten, die es dauert, muß man eine Menge Worte sprechen. Dergleichen kostet reifliche und mühsame Vorbereitung."—1829 an von Meusebach (ebd.) „Ich hoffte, diesen Winter sollte die angeschlagene Grammatik nicht zustande kommen . . . Diese Vorlesung macht mir keine Freude, aber viel Mühe; ich muß mich besinnen, was den Studenten aus meinem Kram taugt, und es für sie ordnen und einrichten. Ich lerne nichts dadurch. Das Auftreten zu bestimmter Stunde auf dem Katheder hat etwas Theatralisches und ist mir zuwider." — 1841 an Gervinus (Briefwechsel 2, 50): „Bei den Vorbereitungen merkte ich, wie viel mehr meiner Natur stilles Ausarbeiten zusagt als öffentliche Mitteilung oben abgeschöpfter Resultate. Ich meine, von Haus aus oder durch lange Verwöhnung für den Zellenfleiß gemacht zu sein und es gebricht mir für die Welt an Fasson, obgleich ich das Frische und Tüchtige in der Welt hochhalte und gern erreichte." — 1833 an Dahlmann (Briefwechsel 1, 57): „Ich bin nicht einmal gegen das eifrige Nachschreiben, es ist durchaus natürlich, daß der Schüler selbst die einzelnen Worte des Lehrers fassen und behalten möchte. Ein ordentlicher Schüler wird

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nicht dadurch verdorben." — Wilhelm Grimm 1851 an Karl Simrock (Briefe, gesammelt von Hans Gürtler, S. 236): „Ich war fünfundvierzig Jahre alt, als ich zum erstenmal aufs Katheder trat und hatte früher nie gedacht, daß das je geschehen würde. Als ich an dem Tage mit den Meinigen darüber sprach, wie es wohl ausfallen würde, sagte Hermann: 'Vater, ich kann mich ja bei dich stellen und dir helfen.' Mir haben die Vorlesungen noch immer Vergnügen gemacht, zumal seitdem ich das Heft ganz beiseite gelegt habe." Arbeitsweise

Darüber geben besonders die Briefe Aufschluß. Jacob arbeitet fast nur, was ihm Lust macht (am sechsten Dezember 1820 an Benecke: Briefe S. 132). Ohne eine gewisse Spannung vermag er nichts niederzuschreiben (am dreiundzwanzigsten November 1823 an Lachmann: Briefwechsel 427). Die Arbeit geht ihm nur dann vonstatten, wenn er von selbst auf einen Gegenstand verfällt. Aufgetragene Besprechungen kosten ihm eine gewisse Überwindung und er hält überhaupt die Bestellung der Arbeit für einen Fluch, der auf dem Rezensierwesen haftet (am dreizehnten Juli 1818 an Benecke: 99). Er liest hastig, in stetem Bezug auf das Einzelne (am fünfundzwanzigsten September 1822 an Benecke: Briefe S. 154). Doch schreibt er nur langsam nieder, manchmal täglich nur eine Seite, manchmal in drei vier Tagen keinen Buchstaben, kann aber auch ganz schnell gestalten (Briefe an Benecke, S. VII). Er überlegt die Sache, selten die Worte. Er erklärt es häufig für buchstäblich wahr, daß er weder konzipiere noch gewöhnlich das Geschriebene durchlese, außer bei dei· Korrektur, die aber schnell geschehe. „Freilich wirds auch darnach" (am 17. Januar 1821 an Benecke: Briefe S. 140). Auch sein Neffe Herman Grimm bestätigt (Jacobs Kleinere Schriften 1, 185), daß Jacob alle seine Bücher gleich so niederschrieb, wie sie gedruckt wurden, ohne Konzept und Umänderungen. Sobald ein Buch vollendet war, erschien es ihm reif für eine völlige Neugestaltung. Er hat nach eignem Geständnis sein Hauptwerk, die Deutsche Grammatik, fertig und im Zusammenhang niemals durchgelesen. Am 1. April 1821 an Lachmann (Briefwechsel 293): „Ich habe weder Zeit noch Lust, Konzepte zu machen." — Am 20. August 1824 an Otfried Müller (Briefe, ges. von Hans Gürtler S. 105): „Die tadelnswerte S t r o h , Germanische Philologie

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Niederschreibung des Buches als Buch kommt auch dazu, nämlich ohne alles Konzept, ohne den gleich fort in den Druck gesandten Bogen je einmal durchzulesen." — Am 31. Dezember 1839 an Gervinus (Briefwechsel 2, 25): „Ich lese nicht einmal die vorigen Ausgaben [erste und zweite Auflage der Grammatik] dabei nach, sondern schleppe alle Steine wieder neu zusammen." — Am 22. März 1840 an Gervinus (Briefwechsel 2, 30 f.): „Soweit bis jetzt meine neue Behandlung der Lautlehre gediehen ist (auf einige zwanzig gedruckte Bogen), habe ich noch keinen Satz der letzten Ausgabe gebraucht, ja ich lese sie gewissenlos nicht einmal nach." — Wilhelm am 9. Dezember 1840 an Gervinus (Briefwechsel 2, 43): „Der erste Band der umgearbeiteten Grammatik, in welcher keine Zeile der vorigen geblieben ist, ist eben fertig geworden." Wissenschaftsverfahren

Herder, Wilhelm von Humboldt und die Romantiker waren philosophisch-spekulativ verfahren. Sie deuteten, deduktiv, von der Idee her die Erscheinung, vom Allgemeinen her das Besondere. Jacob Grimm verfährt eher umgekehrt, und in einer Richtung die schon Herder eingeschlagen hatte: historisch-empirisch. Er sucht, induktiv, in der Eischeinung den Sinn. Er lernt, nach eigenem Geständnis, seine Begriffe erst und gern aus den Sachen. Sein Denken bleibt immer bezogen auf das Lebendige, das Organische, es zielt niemals aufs rein Mechanische. Es bleibt innerhalb der Welt, der dichten, greifbaren, sinnlichen Menschenwelt. Es bleibt daher blutwarm, beseelt, lebensnah. Seine Anschauung sprengt die beengende Kausalkette der abstrakten Logik. Er mißt allen Gestalten und Erscheinungen eine konkrete, aufs Lebensganze gerichtete Glied- und Zielhaftigkeit bei. Daher empfindet er eine starke Abneigung gegen jede Art abgezogener Systematik. Am 3. September 1819 an Benecke (Briefe S. 120): „Ich habe die Zeit her einige Briefe mit Grotefend über grammatikalische Gegenstände gewechselt. Er ist ein scharfsinniger, aber wie mir scheint, in seinem System eigensinnig versessener Mann; er hat es sich nämlich aus dem Latein und Griechischen abstrahiert und möchte es auf unsere Sprache, die sich nicht recht dazu hergeben will, anwenden. Die Methode, den Buchstab und das Wort treu zu sammeln und einfach aufzustellen, scheint mir viel sicherer zu der wahren Theorie hinzuführen, als wenn man eine halbreife zu früh ins Spiel bringt." — Am 25. Juli 1823 an Kar! Lachmann (Briefwechsel S. 418): „Ich lerne aber meine Begriffe erst und gern aus den Sachen, in denen uns noch so vieles dunkel liegt. Mit der Zeit werden Sachen und allgemeine Begriffe deut-

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licher werden. Jene bilden sich aber irgend einen fertigen Begriff und wenden ihn gewaltsam auf die Sachen an." — Am 4. November 1835 an Friedrich Blume ( Briefe, ges. von Hans Gürtler S. 18): „Übrigens ist das opus ['Deutsche Mythologie'] darin meinen früheren gleich, daß das Material weit über die Reflektion vorherrscht: damit sichere ich meinen Arbeiten vielleicht eine etwas längere Dauer." — In seiner Berliner Antrittsvorlesung vom 30. April 1841 (Kleinere Schriften 8, 545 f.): „Es gibt eine doppelte Art und Weise, die Dinge zu betrachten, je nachdem man diese oder jene [Betrachtung oder Dinge] überwiegen läßt. Herrscht die Betrachtung vor, so erhebt sie sich in die Höhe und schwingt sich in großen Kreisen über ihrem Gegenstand, den sie von oben herab fassend bewältiget. Es ist nicht zu verkennen, daß dann der Gedanke behende Kraft gewinnt und aus sich selbst eine große ungehemmte Fülle zu entfalten vermag; er wird aber auch u n vermerkt genötigt sein, sich zu senken, und, gleichsam auf einem Ruheplatz, auf einzelnen Gegenständen zu verweilen. Wo aber umgekehrt ausgegangen wird von den Gegenständen und aufgestiegen zu der Betrachtung, da bleibt das Verfahren zäher und ruhiger, die Gedanken entsprießen erst an ihrer Stelle und pflegen nur ausnahmsweise ihren sichern Schritt gegen kühneren Aufflug zu vertauschen. Dort also wird immer ein günstiger Gesichtspunkt gesucht, eine Ansicht gewonnen; die Betrachtung weiß von vornherein, wo sie sich befindet, wie weit sie reicht. Hier hingegen klimmt sie an den Dingen selbst auf und erlangt bald niedere, bald höhere, meistens aber unerwartete, unberechnete Aussichten. Wenn uns dort ein Gefühl der Unzulänglichkeit menschlicher Augen und Sinne befallen mag, so können wir hier, innerhalb fester Schranke, sicheren Ertrages uns erfreuen." Wilhelm Grimm in seiner Selbstbiographie von 1831 (Kleinere Schriften 1, 6): „Ich möchte am liebsten das Allgemeine in dem Besondern begreifen und erfassen, und die Erkenntnis, die auf diesem Wege erlangt wird, scheint mir fester und fruchtbarer als die, welche auf umgekehrtem Wege gefunden wird." — Ebd. S. 13: „Ein glücklicher Umstand scheint mir, daß der Charakter dieser Bildung [der geistigen Bildung des Mittelalters] einer flüchtigen, bloß geistreichen Betrachtung widerstrebt und die Geschicklichkeit, mit allgemeinen Formeln das Ganze zu erfassen, oder, wie man sagt, sich anzueignen, dabei zu Schanden wird. Es sind schon Bücher in diesem Geiste geschrieben worden, vielleicht mit Talent. Wer die Dinge nicht kennt, mag hoffen, etwas daraus zu lernen, wer sie kennt, dem wird der Widerwille vor grundlosen Einbildungen und leeren Spiegelfechtereien alle Nachsicht unmöglich machen. Hier muß jedes einzelne nach seiner freien und unabhängigen Natur untersucht und gewürdigt werden, und nur auf diesem mühsamsten Wege darf man hoffen, zu einem wahrhaften Bilde jener Zeit zu gelangen."

So hoch Jacob Grimm die Kritik achtete und an Geistern, die für sie ausgerüstet schienen, bewunderte, ihm lag doch mehr am Herzen, versiegte Quellen wieder aufzutun. „Ihm 6·

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galt es mehr darum, in dem flutenden Wasser zu baden als die hineingefallenen Halme und Spreuer wegzuschaffen, die sich entweder von selbst ausstoßen oder von tapfern Fegern fortgebracht werden" (Zeitschrift für deutsche Philologie 1, 1869). So öffnet er die Quellen und läßt die Völker selbst reden, ihre Kultur, zumal die Sprache, ihre Geschichte. Für alle germanischen Völker schöpfte er aus dem Quell ihrer Sprache selbst. Ernest Tonnelat, Les frferes Grimm, 1912. S. IX: „Iis furent d'admirables philologues, appliquis, patients, scrupuleux; aucune minutie ne les rebuta; ils eurent toujours le souci de travailler sur des documents aussi nombreux et aussi peux suspects que possible." — Jacob Grimm am 29. März 1840 an Paul Wigand (Beziehungen zu Hessen 3, 305): „Die Pertzischen monumenta wachsen immer mehr an und bieten eine groBe Fülle dar. In mir steckt die alte Lust, alle Quellen unaufhörlich durchzulesen, und niemand kann sie zu Ende schöpfen."

Doch geht die organische Einheit der Persönlichkeit durch sein ganzes Lebens werk hindurch. Jacob hat sich dagegen gesträubt, eine scharfe Grenze zu ziehen zwischen philosophischer und historischer Schule, zwischen idealistischer und realistischer Forschung. Er hat von sich bekannt, daß er sich keiner von beiden allein zugehörig fühle. In der Berliner Antrittsrede vom Jahre 1841: „Ich will mit dieser Erwägung lange nicht einen Unterschied zwischen idealer und realer Forschung, noch weniger zwischen philosophischer und historischer Schule aufgestellt haben: denn diese Namen scheinen mir vom Übel, sobald sie über das hinaus, was wirklich in ihrer Entgegensetzung begründet ist, schroffe Parteien einander gegenüberstellen. Was mich betrifft, bin ich mir bewußt, keiner von beiden anzugehören, achte und schätze vielmehr ihre beiderseitigen Bestrebungen auf das willigste und bin bereit, von dem, was ihnen beiden gelingt, zu lernen. Methode und Studium (und das ist weit von solchen Grundansichten verschieden) neigen sich aber bei mir dahin, die Dinge nicht von der Betrachtung abhängen zu lassen, sondern aus ihnen als einem unerschöpften und unerschöpflichen Stoff neue und immer reichere Ergebnisse zu gewinnen." W isseηschaftsgesiηηuηg

In Jacob Grimm verkörpert sich die sittliche Bedeutung der Wissenschaft. Er hatte keinen anderen Ehrgeiz als der Wahrheit zu dienen. Sie leite zu Gott. Seine Grundhaltung ist die Ehrfurcht. Durch sein Werk geht der reine Hauch einer großen Seele, ja des Kindes. Auf ihm ruhte der Segen

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schlichter und gediegener Gründlichkeit. Doch besaß er auch den Mut des Wagens und Fehlens, ohne den kein großer Wurf gelingt. „Jacob Grimm est peut-etre le type le plus achev£ du savant allemand au XIXe siecle. II est de tous les hommes de son temps celui chez qui l'on observe le plus clairement la double nature du chercheur miticuleux et du mitaphysicien aventureux" (Ernest To'nnelat, Les freres Grimm, 1912, XI). Ebd. S. 173 von den jungen Jacob und Wilhelm Grimm, „ä qui l'on ne connaissait point d'ambition, hors Celle de bien servir la viriti". — Jacob Grimm 1816 (Freundesbriefe S. 212): „Die Wissenschaft ist keine Sünde, denn sie leitet, wenn sie wahr und aufrichtig ist, immer und allenthalben zu Gott, wie die Natur und das Denken. Und dazu sind wir erschaffen und nicht zum Leben gekommen, wenn wir uns selbst verleugnen sollten." — Am 25. November 1825 an Rasmus Rask (Briefwechsel mit nordischen Gelehrten S. 125): „Es tut nichts, daß wir in manchem, auch in einigen wichtigen Punkten, voneinander abweichen; die Wahrheit kommt dadurch desto vollständiger ans Licht." — Am 24. Juni 1825 an Carl Christian Rafn. (ebd. S. 149): „Wir alle sind auf diesem Felde Irrtümern und Fehlern ausgesetzt, aber nur dann zur Arbeit unberufen, wenn wir es nicht verstehen, mehr zu finden als zu verfehlen." — Wilhelm am 30. August 1840 an Gervinus (Briefwechsel 2, 35): „Verschiedener Meinung werden wir wohl in manchen Dingen bleiben, selbst in einigen Hauptpunkten, aber eigensinnig, glaube ich, bin ich so wenig als Sie, und da wir überhaupt nicht Müller und Schornsteinfeger sind, so dürfen unsere Meinungen schon aneinander stoßen." — Jacob am 1. Dezember 1856 an Friedrich August Raßmann (Briefe, ges. von Hans Gürtler S. 115): „Sie werden manches Gewagte aufgestellt haben, das sich nicht halten läßt, aber ich bin der Meinung zugetan, daß man, um zu gewinnen, wagen müsse." — Schöne Gedanken auch in Jacobs Akademievortrag vom 8. November 1849 Über Schule, Universität, Akademie (Kleinere Schriften 1, 211). Wissenschaftsbegriff

Grundsätzlicher Mittelpunkt ist die Ehrfurcht vor dem einzelnen Leben: vor der Individualität. Diese ist von Gott. Jacob Grimm in seiner 1812 erschienenen Besprechung von Rasmus Rasks Isländischer Grammatik: „Jede Individualität soll heilig gehalten werden." — Am 10. September 1822 an Fräulein von Haxthausen (Freundesbriefe S. 88): „Gott hat auch das Kleine wie das Große geschaffen und alles, was der Mensch genau betrachtet, ist wunderbar, Sprache, Wort und Laut. Das Sandkorn bestätigt uns den Sinn und die Bedeutung der großen Kugeln, wovon unsere Erde eine der kleinsten ist.'1 — Jacob Grimm hinterließ in seiner Brieftasche ein gefal-

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tetes Papier mit wenig kleinen schwarzen Samenkörnern und darauf geschrieben: „Samen eines armen Unkrautpflänzchen, das ich im Sommer 1821 vor dem Verderben und Verdorren rettete, daß es hernach so fortkam und wucherte, daß es eine ganze Scherbe deckte. Es ist rankicht und trägt kleine Sternblüten und hatte unzählich viel Samenkapseln, in deren jeder sechzehn bis achtzehn solcher (verhältnismäßig großer) Körnchen waren. Aus einer Pflanze sind also sicher fünfhundert neue, junge zu ziehen" (Kleinere Schriften 1, 22).

Hauptgestalt und Begrenzung seines Wissenschaftsbegriffes ist die germanische Volkheit, deren ursprüngliche Einheit Jacob von der Sprache her auf weist. Er beschreibt die deutsche Volkheit nie anders als im germanischen oder indogermanischen Zusammenhang. Ihm schwebt auch die politische Erneuerung des uralten Bundes zwischen Deutschen und Skandinaviern vor (Briefwechsel der Gebrüder Grimm mit nordischen Gelehrten 1885, S. 161, 166, 170, 171, 230). Für 'germanisch' wählt er die Bezeichnung 'deutsch'. Deutsche Grammatik S. XXXVIII: „Ich bediene mich, wie jeder sieht, des Ausdrucks deutsch allgemein, so daß er auch die nordischen Sprachen einbegreift. Viele würden das Wort germanisch vorgezogen und unter seine Allgemeinheit das Deutsche und Nordische als das Besondere gestellt haben. Da indessen nordische Gelehrte neuerdings förmliche Einsprache dawider tun, daß ihr Volksstamm ein germanischer sei, so soll ihnen die Teilnahme an diesem seit der Römerzeit ehrenvollen Namen so wenig aufgedrungen werden als der von ihnen vorgeschlagene allgemeine gotisch gebilligt werden kann. Die Goten bilden einen sehr bestimmten Stamm, nach dem man unmöglich andere Stämme benennen darf. Deutsch bleibt dann die einzige allgemeine, kein einzelnes Volk bezeichnende Benennung." — Deutsche Rechtsaltertümer 1 (1922), VIII: „Deutsche Rechtsaltertümer heißen sie in dem Verstand, wie ich die Grammatik eine deutsche genannt habe, obgleich beide auch die nordischen und angelsächsischen Quellen unter sich begreifen und begreifen müssen. Ist einmal eine solche Verbindung natürlich und notwendig, so kann man auch nicht lange mit dem Namen zaudern. Wir bedürfen hier eines allgemeinen, und Einwürfe, welche man gegen die Ausdehnung des Wortes deutsch gemacht hat, scheinen mir deshalb unerheblich, weil ähnliche wider jedes andere, man müßte denn ein ganz neues erfinden, erhoben werden könnten und weil allenthalben die wachsende allgemeine Benennung die besonderen irgendwo verletzt." — Kleinere Schriften 4, 67 f.

Die Volkheit formt sich aus in der Kultur. Deren verschiedene Zweige trennt der Philologe Jacob Grimm grundsätzlich nicht voneinander. Er erblickt sie in einem einzigen Bilde — dem der Philologie.

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Die im Jahre 1846 zu Frankfurt am Main versammelten Germanisten berufen zu ihrem Vorsitzenden Jacob Grimm, „in dessen Hand schon seit so vielen Jahren alle Fäden der deutschen Geschichtswissenschaft zusammenlaufen, von dessen Hand mehrere dieser Fäden zuerst ausgelaufen sind" (Verhandlungen S. 11).

Die Volkheit endlich verwandelt sich in der Geschichte. Diese erblickt Jacob Grimm im Bilde organischen Wachsens, von den göttlichen Ursprüngen her. Wilhelm Grimm am 1. August 1816 an Goethe (Reinhold Steig, Goethe und die Brüder Grimm S. 115): „Alles, was dauern und halten soll, muß wie edle Pflanzen langsam wachsen."

So durchschreitet Jacob Grimm in seinem Werk den ganzen Raum der germanischen Volkheit. Er legt damit den Grund zu einer neuen Wissenschaft und ihren Teilgebieten. Wilhelm Bietak, Das deutsche Volkstum im Werke der Brüder Grimm. In: ZeitschriftJür Deutsche Bildung 11, 1935, 1. — Willi Berger, Jacob Grimm und seine völkische Gedankenwelt. 1937. 229 S. Kap. 1—3 zugleich Frankfurter Dissertation. — Aus den Schriften von Jacob Grimm. Zusammengestellt von Mohammed Rassem. 1948. Ein GrimmLesebuch. Altdeutsche

Wälder

Altdeutsche Wälder. Hg. durch die Brüder Grimm. 1—3. 1813—1815. Fast alle Beiträge rühren von den Herausgebern her. — Wilhelm Grimm am 1. August 1816 an Goethe (Reinhold Steig, Goethe und die Brüder Grimm S. 113ff.): „In den altdeutschen Wäldern haben wir einzelne Vorarbeiten und aus unserer Qitellensammlung kleinere Stücke, so mannichfach als möglich, mitgeteilt. Wir haben diese Zeitschrift streng für Leute vom Handwerk bestimmt und suchen in diesem Umstand, den man getadelt, eher ein Lob, da es Unterhaltungsschriften, in welchen das Ernsthaftere gewöhnlich verloren geht, genug g i b t . . . Bis jetzt ist es unter den Gelehrten erlaubt, gar wohl schicklich, [die altdeutsche Literatur] ganz zu übersehen und fürs erste garnichts davon wissen zu wollen, so daß schon eine besondere Lebendigkeit und Freiheit des Geistes dazu gehört, um zu fühlen, daß sie beachtet zu werden verdiene... Uns reizt weniger, was schon damals aus der Fremde eingeführt wurde, so ausgezeichnet und schön manches darunter ist, als was unmittelbar aus deutschem Geist hervorgegangen war, denn es findet auch jetzt, weil es nie ganz versiegen konnte, noch seine Berührungspunkte, welche die Hoffnung an eine fruchtbare Wiederbelebung gar wohl gestatten." — Wilhelm Scherer, Jacob Grimm, 2. Aufl. 1921, S. 115 ff. — Ernest Tonnelat, Les frferes Grimm. 1912. S. 223 ff.

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Sρrachforschung

In ihr gewinnt Jacob Grimm den methodischen Standpunkt: das wissenschaftliche Verfahren des Faches. Was ihn vor allem trieb, auf diese Urstimme seines Volkes zu hören und dem schaffenden Sprachgeist nachzuspüren, war die Ehrfurcht vor dem Leben (das er auch aus der toten Sprache zu wecken verstand) und vor seiner geschichtlichen Gestalt — der Individualität. Darin suchte er ja letztlich das Göttliche: Gott selbst. Jacob Grimm in der im Jahre 1812 erschienenen Besprechung von Rasmus Rasks Isländischer Grammatik „Jede Individualität soll heilig gehalten werden, auch in der Sprache; es ist zu wünschen, daß auch der kleinste, verachtetste Dialekt, weil er gewiß vor dem größten und geehrtesten heimliche Vorzüge voraus haben wird, nur sich selbst und seiner Natur überlassen bleibe und keine Gewaltsamkeit erdulde." — 1822 an Fräulein von Haxthausen (Freundesbriefe S. 87): „Vor einigen Monaten ist die neue Auflage meiner Grammatik fertig geworden; ein dickes Buch von 1100 Seiten, garstig gedruckt und auf schlechtem Papier; ich hüte mich wohl, es Ihnen zu schicken. Sie würden sagen: wozu solche Häckelei mit den Buchstaben und Wörtern 1 Ich muß mich aber verteidigen und sprechen: Gott hat auch das Kleine, wie das Große geschaffen und alles, was der Mensch genau betrachtet, ist wunderbar, Sprache, Wort und Laut. Das Sandkorn bestätigt uns den Sinn und die Bedeutung der großen Kugeln, wovon unsere Erde eine der kleinsten ist." Grammatik Jacob Grimm, Deutsche Grammatik. 1. Formenlehre. 1819. Mit der gehaltreichen Vorrede. Wilhelm von Humboldt las sie und bekennt (im Brief vom 28. Juni 1824 an Jacob Grimm), „daß mich nie etwas über Sprache Geschriebenes so durch die Wahrheit der Behauptungen und die Schönheit des Ausdruckes angezogen hat." — 2. Aufl. Laut- und Formenlehre. 1822. 2. 3. Wortbildung. 1826. 1831. 4. Syntax. Der einfache Satz. 1837. Jacob Grimm 1821 an Georg Friedrich Benecke (Briefe 1889, S. 143): „Die Wortbildung und Syntax liefert unendlichen Stoff und interessanteren als die langweilige Formenlehre, aus der ich mich sehne." — 1838 an Karl Lachmann (Briefwechsel S. 687): „Ich meine, dieser Versuch einer Syntax ist so fleißig und so eigentümlich wie der meiner Laut- und Formlehre." — Dennoch unvollendet geblieben (964 Seiten). Es folgte kein fünfter Band über den zusammengesetzten Satz. Die Göttinger Amtsenthebung drängte Jacob Grimm aus dieser Bahn. — Wilhelm Scherer, Jacob Grimm S. 307 (1921): „Was Jakob Grimm in der Syntax geschaffen, steht so hoch wie seine Lautlehre, aber es ist nicht weitergeführt worden wie diese: was Jacob Grimm darin unvollendet gelassen, ist unvollendet geblieben. War es Bescheidenheit, was unsere Gelehrten bisher abhielt, die Er-

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gänzung zu versuchen? Oder war es Trägheit, die sich nicht selbst ihre Bahn brechen mag?" 1865. Otto Behaghel hat diese Ergänzung inzwischen versucht. — Jacob Grimms Briefe aus den ersten Jahren seiner Verbindung mit Karl Lachmann wirken wie Vorstudien oder wie Erläuterungen zu seiner Arbeit an der „Deutschen Grammatik". — Ferner: Wilhelm Scherer, Jacob Grimm. 2. Aufl. (1921), S. 128 ff.; S. 306 („Leistung und Wirkung der Grimmschen Grammatik"). — Ernest Tonnelat, Les frferes Grimm. 1912. S. 323.

Die Grammatik hatte seit den Griechen das Schicksal der Logik geteilt. Jacob Grimm bricht damit. Er verläßt das überkommene Gebäude (Vorrede IX ff.). Er sagt sich los von aller philosophischen, die Erfahrung überschreitenden Sprachbetrachtung. Er löst sich von der kritisphen und gesetzgebenden, der praktischen und lehrhaften Sprachmeisterei der Aufklärer, welche die Sprache zu regeln, zu zügeln suchten. Er konnte alle Vorgänger ungelesen lassen, Adelung mit eingeschlossen. Vorrede IX: „Seit man die deutsche Sprache grammatisch zu behandeln angefangen hat, sind zwar schon bis auf Adelung eine gute Zahl Bücher und von Adelung an bis auf heute eine noch fast größere darüber erschienen. Da ich nicht in diese Reihe, sondern ganz aus ihr heraustreten will, so muß ich gleich vorweg erklären, warum ich die Art und den Begriff deutscher Sprachlehren, zumal der in dem letzten halben Jahrhundert bekannt gemachten und gutgeheißenen für verwerflich, ja für töricht halte." XI: „Die Philosophie hat von jeher gestrebt, auch in die Natur der menschlichen Sprache zu dringen und aus der Vergleichung der Wörter sowie ihrer merkbaren Verhältnisse untereinander das Rätsel des Ursprungs und zugleich der Mannigfaltigkeit aller Zungen zu lösen... XII: „Außer dieser etymologischen ist noch eine andere philosophische Behandlungsart der Grammatik zu erwähnen, welche viel abstrakter zu Werke geht und ohne Rücksicht auf die Wurzeln der Wörter die bloß allgemein gedachten Formen und Formeln einer Sprache logisch erörtert. . . . gleichsam das Nahe unbekannter und ungewisser ist als die gesuchte Weite. . . . Unausbleibliche Dürre und Verwirrung müßte aber der Erfolg sein, insofern ausgebildete Abstraktionen über Begriff und Wesen der Sprache vorläufig, bevor jene unumgängliche Grundlage zustande gekommen, auf irgendeine und eben unsere deutsche Sprache, wie in der Tat vorgeschlagen worden ist, angewendet werden sollten. — (Fußnote:) Die Bairische Akademie der Wissenschaften hat im Jahr 1807 Preise auf ein vollständiges in den Prinzipien der allgemeinen philosophischen Sprachlehre gegründetes System der deutschen Sprachgesetzgebung (1) und auf eine den praktischen Jugendunterricht in der deutschen Sprache bezielende Abhandlung ausgesetzt (Intell.Bl. der Jen. A.L.Z. 1807, Nr. 78). Meines Wissens ist keine einzige Schrift gekrönt worden oder nur herausgekommen;

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eine solche Aufgabe machen, heißt völlig verkennen, was in einer Sache dringend Not und garnicht Not tut. Mit den Preisen wäre die ungedruckte, zu München liegende Evangelienharmonie vollständig abgedruckt worden und hätte seit zehn Jahren zahllose Dunkelheiten aufgehellt." XIII: „Von dieser philosophischen Richtung des grammatischen Studiums unterscheidet sich die kritische, deren Wesen auf das Praktische hingeht. Sie will die sinkende oder doch sich ändernde Sprache festhalten und setzt, weniger aus einer inneren Ergründung dieser selbst, als aus den für vollkommen gegebenen besten Schriftstellern gewisser Zeiten ein System zusammen, von welchem abzuweichen ihr für fehlerhaft oder bedenklich gilt. Diese Idee hat sich in Frankreich und Italien entwickelt, aber in den übrigen Ländern Nachahmung gefunden . . . Es scheint freilich noch immer zulässiger, die gegenwärtige Sprache mit dem Ansehen früherer bedeutender Schriftsteller im Zaum und Zügel zu halten als sie mit philosophischen Abstraktionen zu beherrschen; dieses ist jedoch beinah unausführbar, jenes ausführbarer und etwa darum gefährlicher... Sobald die Kritik gesetzgeberisch werden will, verleiht sie dem gegenwärtigen Zustand der Sprache kein neues Leben, sondern stört es gerade auf das empfindlichste. Weiß sie sich hingegen von dieser falschen Ansicht freizuhalten, so ist sie eine wesentliche Stütze und Bedingung für das Studium der Sprache und Poesie."

Wesentliche Anregung und Vorarbeit verdankt Jacob Grimm allein Rasmus Rask, kritische Hilfe August Wilhelm Schlegel, methodisches Beispiel Georg. Friedrich Benecke und besonders Karl Lachmann, schöpferisches Vorbild vor allem aber Friedrich Carl von Savigny. Dessen Lehre, die Meisterschaft neuer geschichtlicher Auffassung und Forschung, die auf Jacob Grimms Erziehung in Marburg gewirkt hatte, drang jetzt erst völlig in diesem durch. Das folgenreiche Verhältnis drückt sich auch darin aus, daß er dem Lehrer und Freunde seine „Deutsche Grammatik" widmet. „An Herrn Geh. Justizrath und Professor von Savigny zu Berlin. Wie hat sich mein Herz danach gesehnt, lieber Savigny, was ich einmal Gutes und Taugliches hervorzubringen im Stande sein würde, Ihnen und keinem andern öffentlich zuzuschreiben. Gott weiß und tut stets das Beste. Als nach dem frühen Tode des Vaters und dem Absterben beinahe aller Verwandten der liebsten seligen Mutter unermüdliche Sorge nicht mehr übersah, was aus uns fünf Brüdern werden sollte und ich, mir selbst überlassen, in manchem verabsäumt, doch voll guten Willens, redlich mein vorgesetztes Studium zu betreiben, nach Marburg kam, da fügte es sich, daß ich Ihr Zuhörer wurde und in Ihrer Lehre ahnen und begreifen lernte, was es heiße, etwas studieren zu wollen, sei es die Rechtswissenschaft oder eine andere. Auf

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diese Erweckung folgte bald nähere Bekanntschaft mit Ihnen, deren liebreichen Anfang ich niemals vergesse und woran sich mehr und mehr Fäden knüpften, die von dieser Zeit an bis jetz'o auf meine Gesinnung, Belehrung und Arbeitsamkeit unveränderlichen Einfluß behauptet h a b e n . . . Meine bisherigen Arbeiten, von denen Sie stets unterrichtet gewesen sind und an welchen Sie immer Anteil genommen haben, schienen mir doch zu gering ausgefallen oder bloße Sammlung roher Stoffe, deren Wichtigkeit künftig einmal gezeigt werden kann, zu wenig mein eigen als daß ich sie zu einem Mafistab meiner Dankbarkeit und Anhäng· lichkeit hätte brauchen dürfen. Ich schlage auch gegenwärtiges Buch, dessen Mängel nicht verborgen bleiben werden, nur etwas höher an, weil es midi größeren Fleiß gekostet hat, und weil ihm ein gewisses Verdienst nicht entgehn kann, insofern in einem ungebauten Feld es zugleich leichter und schwerer ist, Entdeckungen zu machen. Man nimmt mit der ersten, halbwilden Frucht vorlieb, da sie an der Stätte, woher sie kommt, nicht erwartet wurde, aber ihr wohl die Mühseligkeit des unbefahrenen Weges anzusehen ist, auf dem ich sie einbringe. Sollte es hiermit auch anders stehen, so versehe ich mich doch zum voraus, daß Sie meinem Versuch, von dieser Seite her in unser deutsches Altertum Bahn zu brechen, sein Recht geschehen lassen und den Gedanken billigen werden: einmal aufzustellen, wie auch in der Grammatik die Unoerletzlichkeit und Notwendigkeit der Geschichte anerkannt werden müsse." Ernest Tonnelat, Les frferes Grimm. 1912. S. 325: „Jacob Grimm tenait & reconnaltre publiquement combien l'influence de Savigny sur ses propres travaux avait £t£ profonde et durable. Nulle part cette influence n'ltait plus sensible qu'ici. Savigny avait £t£, sans s'en douter, le principal et presque l'unique inspirateur de la Grammaire. Jacob avait transports dans l'ltude des formes linguistiques la mdthode historique que Savigny avait inaugurde dans l'£tude du droit; c'est en restant fldfele h 1'esprit et ä la doctrine de son mattre qu'il avait pu, dans un domaine different, obtenir des risultats qui faisaient de lui, ä son tour, un initiateur."

Fast von heute auf morgen faßt Jacob Grimm den Entschluß und die Kraft, zu den Sprachquellen selbst vorzudringen und sich allein von der Beobachtung leiten zu lassen. Für alle germanischen Sprachen schöpft er aus den Quellen selbst. Er sucht auch als erster ernstlich, die Personen- und Ortsnamen heranzuziehen. So schreitet er, schöpfend, vergleichend und verbindend, von Sprache zu Sprache, von Mundart zu Mundart. So fügt er, streng, geduldig, induktiv, Stein an Stein. XX: „Von den Quellen und Hülfsmitteln, die mir bei der Ausarbeitung zu Gebot gestanden, gibt die Einleitung nähere Rechenschaft; ich darf behaupten, daß mir weniges von Bedeutung, insofern es bis jetzt zugänglich genannt werden kann, fehlt und daß ich sämtliche Haupt-

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quellen nicht ein-, sondern zehn- und mehrmal durchlesen habe. Alle Zitate sind von mir selbst aufgefunden w o r d e n . . . " —1839 an Otfried Müller (Briefe, gesammelt von Hans Gürtler S. 107): „Ich arbeite auch fleißig den ersten Teil meiner Grammatik um, in dem, seit 1822, es viel aufzuräumen und neu zu entdecken gibt. Dabei gewahre ich denn doch, daß alles, was von außen her (vorzüglich durch Bopp) zugetragen, bestätigt, bezweifelt oder anders gestellt worden ist, nicht reicht an die Fülle dessen, was aus der Sprache noch innerlich zu lernen und zu gewinnen ist. Zugleich führt dieser Weg größere Sicherheit mit sich, während die Anknüpfung des Sanskrit an das Deutsche vielen Wagnissen ausgesetzt bleibt. Ich weise die Vergleichung des Urverwandten nicht ab und halte sie für heilsam und fruchtbar, aber die Erforschung aller Gesetze, die in der einheimischen Sprache selbst zu erkennen sind, muß doch vorausgehn."

Das Buch wird etwas anderes und viel mehr als die herkömmlichen Sprachlehren und als der Name „Grammatik" wohl ahnen läßt. Jacob Grimm entdeckt das natürliche Leben der Sprache: ihren ganzen Organismus, ihren Lebensgehalt, den Lebensinhalt der Sprachvölker, deren innere Gestalt, ihre Volkheit, Ursprünge und Geschichte. Er wollte, wie Savigny für das Recht, kein Gesetzgeber sein. Er gibt der Sprache nicht Gesetze, sondern sucht und findet solche in ihrer Geschichte (Ablaut, Umlaut, Brechung, Lautverschiebung) . So findet er auch das geschichtliche Grundgesetz der germanischen Spracheinheit. Die neueren Volksmundarten spielen in seiner „Grammatik" jedoch eine weit geringere Rolle als die Weistümer in den „Rechtsaltertümern", als Märchen, Sage und Volkslied in der „Mythologie". Vorrede IX: „Ich behaupte nichts anders, als daß dadurch [den abgezogenen Grammatikunterricht der Sprachmeister] gerade die freie Entfaltung des Sprachvermögens m den Kindern gestört und eine herrliche Anstalt der Natur, welche uns die Rede mit der Muttermilch eingibt und sie in dem Befang des elterlichen Hauses zu Macht kommen lassen will, verkannt werde. Die Sprache gleich allem Natürlichen und Sittlichen ist ein unvermerktes, unbewußtes Geheimnis, welches sich in der Jugend einpflanzt und unsere Sprach Werkzeuge für die eigentümlichen vaterländischen Töne, Biegungen, Wendungen, Härten oder Weichen bestimmt; auf diesem Eindruck beruht jenes unvertilgliche, sehnsüchtige Gefühl, das jeden Menschen befällt, dem in der Fremde seine Sprache und Mundart zu Ohren schallt; zugleich beruhet darauf die Unlernbarkeit einer ausländischen Sprache, d. h. ihrer innigen und völligen Übung. Wer könnte nun glauben, daß ein so tief angelegter, nach dem natürlichen Gesetze weiser Sparsamkeit aufstrebender Wachstum durch die abgezogenen, matten und mißgegriffenen Regeln der Sprachmeister gelenkt oder gefördert würde, und wer

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betrübt sich nicht über unkindliche Kinder und Jünglinge, die rein und gebildet reden, aber im Alter kein Heimweh nach ihrer Jugend fühlen. Frage man einen wahren Dichter, der über Stoff, Geist und Regel der Sprache gewiß ganz anders zu gebieten weiß als Grammatiker und Wörterbuchmacher zusammengenommen, was er aus Adelung gelernt habe und ob er ihn nachgeschlagen? Vor sechshundert Jahren hat jeder gemeine Bauer Vollkommenheiten und Feinheiten der deutschen Sprache gewußt, d. h. täglich ausgeübt, von denen sich die besten heutigen Sprachlehrer nichts mehr träumen lassen; in den Dichtungen eines Wolframs von Eschenbach, eines Hartmanns von Aue, die weder von Deklination noch von Konjugation je gehört haben, vielleicht nicht einmal lesen und schreiben konnten, sind noch Unterschiede beim Substantivum und Verbum mit solcher Reinlichkeit und Sicherheit in der Biegung und Setzung befolgt, die wir erst nach und nach auf gelehrtem Wege wieder entdecken müssen, aber nimmer zurückführen dürfen, denn die Sprache geht ihren unabänderlichen G a n g . . . Sind aber diese Sprachlehren selbst Täuschung und Irrtum, so ist der Beweis schon geführt, welche Frucht sie in unseren Schulen bringen und wie sie die von selbst treibenden Knospen abstoßen statt zu erschließen. Wichtig und unbestreitbar ist hier auch die von vielen gemachte Beobachtung, daß Mädchen und Frauen, die in der Schule weniger geplagt werden, ihre Worte reinlicher zu reden, zierlicher zu setzen und natürlicher zu wählen verstehen, weil sie sich mehr nach dem kommenden inneren Bedürfnis bilden, die Bildsamkeit und Verfeinerung der Sprache aber mit dem Geistesfortschritt überhaupt sich von seihst einfindet und gewiß nicht ausbleibt. Jeder Deutsche, der sein Deutsch schlecht und recht weiß, d. h. ungelehrt, darf sich, nach dem treffenden Ausdruck eines Franzosen, eine selbsteigene, lebendige Grammatik n e n n e n . . . und kühnlich alle Sprachmeisterregeln fahren lassen..." Daher auch Wilhelm schon im Jahre 1816 an Goethe zum Forschungsplan des Freiherrn vom Stein (Reinhold Steig, Goethe und die Brüder Grimm, 1892, S. 150): „Der vorherrschende Charakter der [Grammatik] müßte eine historische (nicht kritische) Betrachtung der Sprache sein." — Jacobs Vorrede XVII: „Von dem Gedanken, eine historische Grammatik der deutschen Sprache zu unternehmen, sollte sie auch als erster Versuch von zukünftigen Schriften bald übertroffen werden, bin ich lebhaft ergriffen worden. Bei sorgsamem Lesen altdeutscher Quellen entdeckte ich täglich Formen und Vollkommenheiten, um die wir Griechen und Römer zu neiden pflegen, wenn wir die Beschaffenheit unserer jetzigen Sprache erwägen; Spuren, die noch in dieser trümmerhaft und gleichsam versteint stehen geblieben, wurden mir allmählich deutlich und die Ubergänge gelöst, wenn das Neue sich zu dem Mitteln reihen konnte und das Mittele dem Alten die Hand bot. Zugleich aber zeigten sich die überraschendsten Ähnlichkeiten zwischen allen verschwisterten Mundarten und noch ganz übersehene Verhältnisse ihrer Abweichungen. Diese fortschreitende, unaufhörliche Verbindung bis in das Einzelnste zu ergründen und darzustellen, schien von großer Wichtigkeit; die Ausführung des Plans habe ich mir so

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vollständig gedacht, daß, was ich gegenwärtig zu leisten vermag, weit dahinten bleibt. Kein Volk auf Erden hat eine solche Geschichte für seine Sprache wie das deutsche. Zweitausend Jahre reichen die Quellen zurück in seine Vergangenheit, in diesen zweitausenden ist kein Jahrhundert ohne Zeugnis und Denkmal. Welche ältere Sprache der Welt mag eine so lange Reihe von Begebenheiten aufweisen . . . ? XXIV: „Mein Hauptzweck, die Führung des Beweises, daß und wie alle deutsche Sprachstämme innigst verwandt und die heutigen Formen unverständlich seien, wo man nicht bis zu den vorigen, alten und ältesten hinaufsteige, daß folglich die gegenwärtige grammatische Struktur nur geschichtlich aufgestellt werden dürfe, scheint mir nicht ganz mißlungen . . . "

So unterscheidet seine geschichtliche Betrachtung einen dreifachen Stand der Sprache: älteren, mittleren und neueren. Auf den älteren fällt das meiste Gewicht. Die Ursprünge behandelt er weit ausführlicher und liebevoller als die späteren Zeiten. Die jüngste Sprachstufe war nur im Umriß gehalten. Das ganze Gebäude aber ruht auf dem Satz von der ursprünglichen Einheit des germanischen („deutschen") Sprachstammes: aller Tochtersprachen von Island bis in die Alpen. Denn allein von der Sprache her konnte der Beweis für die ursprüngliche germanische Einheit geführt werden. XVIII: „Ich hätte mich auf die Untersuchung der uns in Deutschland zunächst liegenden Überbleibsel der althochdeutschen Mundart, für deren sicheres Verständnis eine feste grammatische Behandlungsart nicht bloß wünschenswert, sondern unerläßlich war, beschränken können und vielleicht zu meinem Vorteil. Inzwischen stand mir bald vor Augen, daß ohne das Gotische als Grundlage überhaupt nichts auszurichten wäre und selbst die Anknüpfung der Sprache, wie sie von den hochdeutschen Dichtern des dreizehnten Jahrhunderts geredet worden, an unsre heutige mißlingen würde, wo nicht die Einflüsse der niederdeutschen Mundart in den Anschlag kämen. Es mußte folglich auf ältere Quellen des Niederdeutschen, sächsisdie, anglische und friesische, Bedacht genommen werden, woran sich wiederum die nordischen, ohnedem in Absicht auf unverkümmerte, freie Entfaltung voraus gesegneten Sprachen von selbst fügten. Der Erfolg scheint mir bewährt zu haben, daß keine einzige dieser vielfachen Mundarten des großen deutschen Stammes ohne merklichen Nachteil des Ganzen hätte außer Acht gelassen werden dürfen. Verführerischer war die Vergleichung der fremden, gleichwohl unleugbare Urgemeinschaft verratenden Sprachen. Hat man einmal bis zu einem gewissen Punkt fort untersucht, so wird es schwer, einzuhalten und sich nicht noch weiter zu wagen. Indessen war mir zu wenig Raum vergönnt, um meine Vorstellung von dem großen Zusammenhang beinahe aller europäischen Zungen untereinander und

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mit einigen asiatischen vorzulegen; bloß einzelnes ist hin und wieder, und zwar das meiste hei der Konjugation mehr angedeutet als ausgeführt w o r d e n . . . Unterdessen hat Rasks treffliche, mir erst beinahe nach der Beendigung dieses Buchs zugekommene Preisschrift (Undersdgelse om det gamle Nordiske eller Islandske Sprogs Oprindelse, Kjöbnhavn 1818) weitreichende Aufschlüsse über die vielseitige Berührung der deutschen mit den lettischen, slawischen, griechischen und lateinischen Sprachen geliefert... Insoweit ich mit Rasks Ansichten von der Beschaffenheit der alten deutschen Sprachen übereingetroffen war, mußte mir daraus die erfreulichste Bestätigung der Richtigkeit meiner Untersuchungen hervorgehen; historische Studien führen notwendig zu ähnlichen Resultaten, wie unabhängig voneinander sie auch angestellt gewesen sein mögen. Über das Verhältnis der europäischen Sprachen untereinander bin ich durch die Raskische Schrift beträchtlich gefördert worden; da mein Buch mehr die durchgeführte Aufstellung des Einzelnen bezweckte, wird hoffentlich auch Rask manche willkommene Ergänzung u n d Bestätigung, zumal was die ihm größtenteils unbekannt gebliebene alt- und mittelhochdeutsche Mundart angeht, daraus schöpfen. Daß er die persische und indische Sprache aus der Reihe seiner Forschungen absichtlich geschlossen hat, gereicht diesen gewiß zum Vorteil und ihm zum Lob; denn sich beschränken, tut jeder Arbeit wohl, wenn man von dem Innern, d. h. hier dem Einheimischen ausgehen will und soll. Die Ringe der Verwandtschaft, welche die slawische, lateinische und griechische Sprache um unsre deutsche herum bilden, sind engere und der Aufgabe näher gelegene als die weiteren des Persischen und Indischen. Aufschlüsse aber, wozu uns die allmählich wachsende Bekanntschaft mit der reinsten, ursprünglichsten aller dieser Sprachen, nämlich dem Sanskrit, berechtigt, erscheinen darum nicht geringer, sondern als Schlußstein der ganzen Untersuchung überhaupt, und sie hätten keinen besseren Händen anvertraut werden können als denen unseres Landmannes Bopp (vorläufig ist von ihm erschienen; das Conjugationssystem der Sanscritsprache, Frankfurt 1816 . . . ) . "

So wurde die „Deutsche Grammatik" doch ganz Jacobs Werk, bahnbrechende Schöpfertat beinah von heute auf morgen. Sie offenbart seine eigentliche Begabung. Ihr verdanke er auch alles, was er erreichte. 1819 an Georg Friedrich Benecke (Briefe, 1889, S. 105): „Vor drei Jahren um diese Zeit wußte ich noch wenig von diesen Gegenständen oder nur Oberflächliches. Seit dem Herbst 1816 bin ich aber unablässig dahinter her gewesen und war ein Jahr darauf so weit, daß ich mit einigem Sicherheitsgefühl an die Herausgabe denken durfte. Je mehr man zulernt, desto bedächtiger und nachdenklicher wird man." — Wilhelm Grimm 1831 an Suabedissen (Beziehungen zu Hessen 1, 198): „Jacob arbeitet fleißig an der neuen Auflage seiner Grammatik, die ein ausgezeichnetes Werk werden wird. Es ist das Fach, wo er sein Talent am glänzendsten s anwenden kann." — Jacob noch 1858 an Friedrich Christoph Dahlmann (Briefwechsel 539): „Ich empfinde weit

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mehr Lust, die Grammatik, der ich doch am Ende alles verdanke, was ich erreichte, überhaupt zu vollenden. Jetzt wächst sie über mich, und ich muß sie unvollendet liegen lassen, vermag ihr nicht zu geben, was in meinen Kräften stände, wenn ich mich frei fühlte" (von den Aufgaben des Wörterbuchs).

Die „Deutsche Grammatik" ist Jacob Grimms Hauptwerk, das gewaltigste seines Lebens. Sie ist ein geniales und zugleich ein gründliches Buch. Sie enthält bereits die Keime aller Fortschritte der Sprachforschung seitdem. Der Meister gewinnt darin vor allem den neuen Weg. Die Sprache wurde und blieb methodisch immer das Beispiel, wonach er auch die anderen Lebenserscheinungen beurteilte. Die „Deutsche Grammatik" wurde methodisch das Vorbild seiner Arbeiten über Recht, Sitte und Glaube und die Grundlage des Wörterbuchs. Sie wurde daher zum Grund- und Eckpfeiler der erneuerten germanischen Philologie, das Jahr 1819 deren Geburtsjahr (1818 hatte das Buch zu erscheinen begonnen). In ihr sieht man denn auch mit Recht das Werk, das die neuere streng historische Forschung begründet hat, die dann im neunzehnten Jahrhundert zu ihren großen Erfolgen schritt. So wurde sie zum Grundstein der neueren historischen Geisteswissenschaften. Karl Lachmann am 28. Mai 1821 an Georg Friedrich Benecke (Briefe aus der Frühzeit der deutschen Philologie, 1901, S. 43): „Über Grimms neue Grammatik... muß ich immer mehr erstaunen und demütig werden: ich würde bei voller Muße und bei größerem Fleiß als ich ihn habe, mich nie so weit auszubreiten wagen. Es ist wunderbar, wie ungeheuer viel er beisammen hat, und wie vortrefflich er zu kombinieren weiß. Man findet überall mehr, als man noch den Augenblick vorher geahnt hat." — Wilhelm Scherer (Jacob Grimm, 2. Aufl. 1921, S. 176): „Wenn wir nun die gesamte Gestalt dieser Schöpfung überblicken, so dürfen wir sagen, daß Jacob Grimms deutsche Grammatik ein Buch ist, wie bis dahin kaum eines gedacht und noch viel weniger eines unternommen worden war." Dazu Jacob 1822 an Karl Lachmann (Briefwechsel S. 381): „Was Sie von der Verachtung schreiben, worin jetzo philologische Studien stehen, fühle ich hier, an meinem Beispiel, hart genug; der selige Kurfürst, als ich ihm mein Buch überreicht hatte, ließ mir nichts sagen als: er hoffe, daß ich über solchen Nebengeschäften den Dienst nicht versäume. Dem jetzigen hab ich es gar nicht präsentiert, ich fürchte, er sieht sogar die Bibliotheksstelle für überflüssig an, wenigstens sind wir beinahe allein ohne die billigste Zulage geblieben, die allen andern Staatsbeamten zuteil geworden i s t . . . hier nehmen sie gar keine Kundschaft von einem, ob wir uns in etwas versuchen, wissen sie nicht und wenn sies wüßten, wärs ihnen gleichgültig. Den Staaten unserer

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Zeit ist überhaupt mit mittelmäßigen Leuten am besten gedient, die sich in alles fügen. Streben nach eigentümlicher unabhängiger Gelehrsamkeit wird nicht nur nicht begünstigt, sondern gefürchtet." Sprachgeschichte Jacob Grimm, Geschichte der deutschen Sprache. 1848. 4. Aufl. 1880. — Hierzu: Wilhelm Scherer, Jacob Grimm (1921), S. 243. — Das Buch ist Georg Gottfried Gervinus gewidmet, dem Freunde und Landsmann. III: „Außer unsrer Landsmannschaft, auf die ich immer noch ein gutes Stück gebe, die ich jetzt sogar enger geschürzt wünsche, hat in vielen Dingen gemeinsame Forschung und Sinnesart, zu Göttingen gleiches Schicksal uns verbunden . .

Die „Geschichte der deutschen Sprache" erscheint im Jahre 1848. Ihr Erscheinen steht unter dem Eindruck der Gedanken und Ereignisse dieses Jahres. IV: „In wie ungelegener Zeit nun mein Buch erscheine,... ist es doch durch und durch politisch. Es lehrt, daß unser Volk nach dem abgeschüttelten Joch der Römer seinen Namen und 'seine frische Freiheit zu den Romanen in Gallien, Italien, Spanien und Britannien getragen, mit seiner vollen Kraft allein den Sieg des Christentums entschieden und sich als undurchbrechlichen Damm gegen die ungestüm nachrückenden Slawen in Europas Mitte aufgestellt hat. Von ihm zumal gelenkt wurden die Schicksale des ganzen Mittelalters, aber welche Höhe der Macht wäre ihm beschieden gewesen, hätten Franken, Burgunden, Langobarden und Westgoten gleich den Angelsachsen ihre angestammte Sprache behauptet. Mit deren Aufgeben gingen sie uns und großenteils sich selbst verloren; Lothringen, Elsaß, die Schweiz, Belgien und Holland sind unserm Reich, wir sagen noch nicht unwiederbringlich, entfremdet. Viel zäher auf ihre Muttersprache hielten die Slawen und darum kann uns heute ein übermütiger Slawismus bedrohen; in unserer innersten Art lag je etwas Nachgiebiges, der ausländischen Sitte sich Anschmiegendes, sollen wir von dem Fehler bis zuletzt nicht genesen? Der sich zunächst dem Forscher in der Sprache enthüllende Grundsatz, daß zwischen großen und waltenden Völkern (neben welchen es jederzeit unterwürfige und bewältigte gab) auf die Dauer allein s i e scheide und anders Redende nicht erobert werden sollen, scheint endlich die Welt zu durchdringen. Aber auch die i n n e m Glieder eines Volks müssen nach Dialekt und Mundart zusammentreten oder gesondert bleiben; in unserm widernatürlich gespaltenen Vaterland kann dies kein fernes, nur ein nahes, keinen Zwist, sondern Ruhe und Frieden bringendes Ereignis sein, das unsere Zeit, wenn irgend eine andere mit leichter Hand heranzuführen berufen ist. Dann mag, was unbefugte Teilung der Fürsten, die ihre Leute gleich fahrender Habe zu vererben wähnten, zersplitterte, wieder verwachsen, und aus vier Stücken S l r o h , Germanische Philologie

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ein neues Thüringen, aus zwei Hälften ein starkes Hessen erblühen, jeder Stamm aber, dessen Ehre die Geschichte uns vorhält, dem großen Deutschland freudige Opfer bringen. Mein Blick sucht in lichte Zukunft einzudringen, wenn auch noch über uns schwer ein wolkenbedeckter Himmel steht und nur am Saum der Berge die Helle' vorbricht. Vielleicht, bevor einige Menschenalter vergangen sind, werden sich nur drei europäische Völker in die Herrschaft teilen: Romanen, Germanen, Slawen. Und wie aus der letzten Feindschaft zwischen Schweden und Dänen der schlummernde Trieb ihres engen Verbandes erwacht ist, wird auch unser gegenwärtiger Hader mit den Skandinaven sich umwandeln zu brüderlichem Bunde zwischen uns und ihnen, welchen der Sprache Gemeinschaft laut begehrt."

Jacob Grimm erschließt in diesem Buch erneut die Sprache als Geschichtsquelle. Er stellt die kulturhistorischen Beweismittel der vergleichenden Sprachforschung erstmals entschlossen auch der Geschichtsforschung im engeren Sinne bereit. VII: in welchem die Geschichte aller deutschen Völker, tiefer als es bisher geschah, getränkt werden sollte aus dem Quell unserer Sprache, den zwar die Historiker als Ausstattung ihres Gartens gelten lassen, dem sie doch kaum zutreten, um die Lippe daran zu netzen. Jede Wissenschaft hat ihre natürlichen Grenzen, die aber selten dem Auge so einfach vorliegen, wie das Stromgebiet des Bachs, in dessen Mitte nach unsern Weistümern ein schneidendes Schwert gesteckt wird, damit das Wasser zu beiden Seiten abfließe. Willige Forscher sollen also den verschlungenen Pfaden folgen und bald leichteres bald schwereres Geschütz anlegen, um sie betreten zu können. Wer nichts wagt, gewinnt nichts, und man darf mitten unter dem Greifen nach der neuen Frucht auch den Mut des Fehlens haben. Aus dem Dunkel bricht das Licht hervor und der vorschreitende Tag pflegt sich auf seine Zehen zu stellen. Von der großen Heerstraße abwärts liebe ich es, durch enge Kornfelder zu wandeln und ein verkrochenes Wiesenblümchen zu brechen, nach dem andere sich nicht niederbücken würden.. XI: „Sprachforschung, der ich anhänge und von der ich ausgehe, hat mich doch nie in der Weise befriedigen können, daß ich nicht immer gern von den Wörtern zu den Sachen gelangt wäre; ich wollte nicht bloß Häuser bauen, sondern auch darin wohnen. Mir kam es versuchenswert vor, ob nicht der Geschichte unsers Volks das Bett von der Sprache her stärker aufgeschüttelt werden könnte, und wie bei Etymologien manchmal Laienkenntnis fruchtet, umgekehrt auch die Geschichte aus dem unschuldigeren Standpunkt der Sprache Gewinn entnehmen sollte . . . "

Die „Geschichte der deutschen Sprache" befestigte, vergleichend, die gewonnene Erkenntnis der germanischen Spracheinheit (das meint hier „deutsch"), der indogermani-

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sehen Urgemeinschaft. Sie warf neues Licht auf die alten germanischen Stämme und die vorgermanische Zeit. Besonders wichtig war der Versuch, auch diejenigen germanischen Sprachen zu beschreiben, von denen uns keine zusammenhängenden Schriftdenkmäler erhalten sind: Salfränkisch, Langobardisch, Burgundisch, Wandalisch. XII: „Man kann sich von dreien aus eine Geschichte der deutschen Sprache behandelt denken. Im engsten Sinn wäre sie nur auf das, was wir heute in Deutschland herrschende Sprache nennen, auf die hochdeutsche angewiesen, deren gegenwärtige Erscheinungen sie nicht nur vollständig zur Schau bringen, sondern auch, soweit die Quellen reichen, aus allen frühern Grundlagen erläutern würde. Solch eine noch lange nicht einmal angemessen begonnene, geschweige gelöste Arbeit könnte nicht anders als zu bedeutenden Ergebnissen führen, welchen sogar die enggesteckte, darum leichter zu erfüllende Schranke zustatten käme. Es war längst mein Vorsatz, die Regel neuhochdeutscher, d. h. der ganz in unsre Gegenwart gerückten deutschen Sprache vollständig und überall auf die Geschichte gestützt hinzustellen, ich weiß aber nicht, ob es mir vergönnt sein wird, Hand an ein Werk zu legen, das, wenn es gelänge, einer reinlich und scharf umrissenen Zeichnung grau in grau sich vergleichen könnte. Höhere Färbung empfangen würde eine Geschichte der deutschen Sprache, welche, diesen Ausdruck in seiner allgemein umfassenden Bedeutung genommen, deren wir bedürfen, auf alle einzelnen Zweige des großen Stamms gerichtet wäre und sich dadurch hellere Lichter so wie stärkere Schatten zuwege bringen könnte. Aus der wechselseitigen Zuneigung oder dem Abstand dieser deutschen Sprachen müßte ein lebendiges Gemälde entspringen, das in streng entworfnen und günstig beleuchteten Gestalten jedes Verhältnis unserer Sprachverastung überschauen ließe. Nach solcher Richtung hin ist meine Grammatik ausgearbeitet, welche den übergroßen Reichtum zu bewältigen angefangen hat, aber ihr Ziel, je mehr sie ihm auch zu nahen wähnt, immer noch in ungemessene Weite sich entrückt wahrnimmt. Wie nicht Sicherheit, allein Fülle und Gewicht der Sprachgesetze durch Aufnahme 'aller Mundarten und Dialekte in den Kreis der Untersuchung sich steigern, muß es diese noch in höherem Grade fördern, wenn auch die Sprachen der uns benachbarten und urverwandten Völker zugezogen werden. Erst damit erlangt jenes Bild, in welchem uns sämtliche deutsche Sprachen die vordere Bühne einnehmen, seinen Grund für die in der Tiefe aufgestellten ausländischen, und eine rechte Perspektive tut sich unsern Blicken auf. Von solchem Stand aus habe ich mich nicht enthalten können, diesmal die Geschichte unserer Sprache zu unternehmen, und ihr wenigstens eine Reihe von wechselnden Aussichten zu eröffnen, im bessern Fall Haltepunkte zu gewinnen, an welchen fortgesetzte Untersuchungen haften, und indem sie Auswüchsiges wieder abstreifen, aller wahren Fortschritte sich bemächtigen können. Es scheint mir insgemein eine löbliche Eigenschaft deut7*

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scher Arbeiten, daß sie nicht alles abtun noch vorschnell zu Schlüsse bringen wollen, solidem sich auch unterwegs gefallen, an unvorhergesehner Stelle niederlassen und Beete anlegen, die noch fortgrünen, nachdem das Hauptfeld schon in rüstigere Hände übergegangen ist; französische und selbst englische Bücher, welchen an sorgsamer Ausgleichung des Inhalts mit der Form allzuviel liegt, pflegen, wenn sie veralten, leicht entbehrlich zu werden."

Die „Geschichte der deutschen Sprache" ist eines der kühnsten Bücher, die geschrieben worden sind. Konrad Burdach nennt sie „ein bewunderungswürdiges, dichterisch herrliches Werk" (Briefwechsel mit Karl Lachmann LXXIX). Aber der einsam gewordene Meister schien doch mit diesem Werk zurückzufallen in den vorkritischen, den „romantischen" Abschnitt seines Schaffens, sein Lieblingsgedanke, Geten und Goten gleichzusetzen, ein Irrweg. So enttäuschte und verstimmte es auch manchen seiner Freunde. Im Grunde war die Unstimmigkeit aber doch auch ein drohendes Zeichen der neuen Zeit. 1847 an Ernst Friedrich Johann Dronke (Briefe, gesammelt von Hans Gürtler S. 51): „Viele werden sich zwar anderes darunter denken, als meine Absicht zu geben ist; dafür überrasche ich vielleicht mit allerhand Neuem und Unerwartetem, wenn auch, wie sich bei so dunkeln Gegenständen versteht, nicht überall Befriedigendem." — Vorrede XIII: „Ich arbeite zwar mit ungeschwächter innerer Lust, aber ganz einsam, und vernehme weder Beifall noch Tadel sogar von denen, die mir am nächsten stehend mich am sichersten beurteilen können. Ist das nicht ein drohendes Zeichen des Stillstands oder gar der Abnahme gemeinsam sonst froh gepflogener Forschungen, für die fast kein Ende abzusehen schien? Was ich zujüngst in der deutschen Grammatik geleistet habe und der größten Erweiterung allenthalben fähig wäre, ist nur lässig und kalt aufgenommen und von keinem fortgeführt worden; darum versuche ich in vorliegendem Werk schwierige Hauptstücke dieses Fachs, wie sie mir bei wiederholtem Nachsinnen sich gestalten, neuerdings auf die Bahn zu bringen. Mein Capitel XXXV [Verschobenes Praeteritum] lehrt augenscheinlich, daß man bei den Wörtern auch ohne die Sachen nicht abkomme." — So hat auch Karl Lachmann dieses Buch nur „mit der größten Mühe hinuntergewürgt" (an Moriz Haupt 1848). — Kritisch auch Karl MüllenhofT 1850 an Karl Weigand (Beziehungen zu Hessen 2, 355): „Einen großen Schmerz habe ich inmitten solcher Studien gehabt und noch nicht überwunden: Jacob Grimms Geschichte der deutschen Sprache, die Torheit seines Alters. Es wird hohe Zeit, etwas Rechtes und Ernstes dawider zu setzen, damit uns Forschungen dieser Art nicht zurückführen in einen Zustand der Wissenschaft, der ärger wäre als er je zuvor auf diesen Gebieten gewesen. Eine Recension, die mir Waitz und andere, die mit meinen Arbeiten vertraut sind, fast zur Pflicht machen, vermag ich indes bis

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jetzt nicht übers Herz zu bringen, obgleich der Alte selbst mich dazu herausgefordert hat. Aber es ist mir ein Bedürfnis, von Kundigen, und solchen, die Grimm zugleich lieben und ihm nahe stehen, ein Urteil zu hören über das Buch. Ich kann mir gar nicht denken, daß man mit aufrichtiger Überzeugung die dort geführten Beweise für den getischgotischen Kram, und was damit zusammenhängt, aufnehmen kann; ich vermag schlechterdings in dem Buch im ganzen weder Sinn noch Verstand zu entdecken. Wenn Sie mir einmal gelegentlich schreiben, so vergessen Sie nicht, mir Ihre Meinung zu sagen." — Jacob Grimm 1850 an Gervinu-s (Briefwechsel mit Dahlmann und Gervinus 2, 98): „Für [Ihren letzten Brief] bin ich Ihnen im Herzen wahrlich dankbar geblieben, da Sie mir offen und ohne Rückhalt Ihre Meinung über mein Buch aussprachen, an dem andere Freunde größeren Anstoß genommen zu haben scheinen, weil sie es lieber garnicht berühren. Und doch wollte ich ungern weiteren Streit anspinnen über die Geten und Goten, deren Zusammenhang ich fortwährend verbürge. Ich glaube, sogar, daß diese positive Meinung mit der Zeit durchdringen wird gegen die bisherige negative." Wörterbuch Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 1 ff. 1854 ff. — Zur Geschichte und Einrichtung: Jacob Grimms Vorrede zum ersten Band. — Wilhelm Scherer, Jacob Grimm. 2. Aufl. (1921), S. 250. — Rudolf Meißner, Zur Geschichte des Grimmschen Wörterbuches: PrJbb. 142, 1910, 62 und 526. — Arthur Hübner, Bericht über das Deutsche Wörterbuch: SB A 1933, XXVII. Auch: Kleine Schriften 1940. S. 37.

Das Deutsche Wörterbuch wurde mit dem Opfer des Göttinger Lehrstuhls erkauft. Nach ihrer Enthebung lebten die Brüder ohne Amt und feste Tätigkeit in Kassel. Hier wurde im Jahre 1838 der Plan an sie herangebracht: durch den unternehmenden und einsichtigen Verleger Karl Reimer. Angeregt hatte diesen der Leipziger Germanist Moriz Haupt. Nach kurzem Schwanken und ernsten Bedenken sagten die Brüder zu, das Werk zu übernehmen, das — es war das einzige in ihrem Leben — nicht ihrer eigenen innersten Eingebung entsprang. Jacob vom März bis Juli 1838 an Dahlmann (Briefwechsel S. 142, 145, 193). — Jacob am 24. August 1838 an Lachmann (Briefwechsel 688): „Nun tritt auch der weitaussehende Plan des Deutschen Wörterbuchs dazwischen, der mir anfangs störender vorkam und jetzo lieber wird. Er kann uns Stütze und Unabhängigkeit gewähren, und kommt die Arbeit in Gang und Gelingen, so entsage ich jeder noch so ehrenvollen Anstellung und widme dem Werk alle meine Kräfte." — Am 28. August 1838 an den Marburger Professor Hupfeld (Beziehungen

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zu Hessen 2, 277): „Wir haben uns in eine große, weite Arbeit eingelassen, die uns auch äußerlich Halt und Stütze gewähren soll. Wir denken ein ausführliches Deutsches Wörterbuch von Luther an bis zu Goethe zu unternehmen und haben es schon mit einem Verleger (Weidmann in Leipzig) verabredet. A l l e Schriftsteller sollen dafür gründlich ausgezogen werden." — Am 2. Oktober an den Bremer Bürgermeister Johann Smidt (Briefe, ges. von Hans Gürtler S. 148): „Ohne daS meine andern Bücher und Pläne liegen bleiben, ist ein weitaussehendes Deutsches Wörterbuch begonnen worden, an das ich mich wohl nie gewagt hätte ohne das hannöversche Patent." — Am 20. Januar 1839 an Pfarrer Bang (Beziehungen zu Hessen 1, 121): „Das Übel unserer Verjagung aus Göttingen und der hartnäckigen Schwierigkeit aller Wiederanstellungen trägt uns vielleicht eine gute Frucht. Wir haben uns einer Sache unterfangen, die sonst wahrscheinlich garnicht in uns aufgekommen wäre, eines großen .deutschen Wörterbuchs' von Luther bis auf Goethe, worin a l l e Schriftsteller der drei Jahrhunderte sorgsam sollen eingetragen werden. Wie wäre es, wenn Sie Lust bezeigten, für die Herbeischaffung des Materials mit anzustehn? Wir haben schon einige dreißig Mitarbeiter geworben." — Ferner: Wilhelm Schoof, Zur Entstehungsgeschichte des Grimmschen Wörterbuches (nach ungedruckten Briefen): Wörter und Sachen. N. F. 1, 1938.

Das Deutsche Wörterbuch sollte kein reglementierendes Akademiewörterbuch werden: nicht lehrhaft auswählen, das vermeintlich Angemessene und Zulässige, wie einst Adelung tat. Wilhelm Grimm am 22. Juli 1831 an den Rechtshistoriker Friedrich Blume (Briefe, ges. von Hans Gürtler S. 192): „Der Erfolg bleibt insofern ungewiß als es sich fragt, ob dem Publikum ein in diesem Sinne ausgearbeitetes, auf den bloß praktischen Gebrauch nicht berechnetes Werk behagen wird. Zu einer bloßen Umarbeitung von Adelung können wir uns nicht entschließen, im Gegenteil, es würde sehr wenig davon für unseren Zweck zu gebrauchen sein."

Es wollte vielmehr den ganzen bezeichnenden Reichtum des Wortschatzes vorlegen — eine Schatzkammer deutschen Geistes. Jacob in der Vorrede zum ersten Band (1854): „Es soll ein Heiligtum der Sprache gründen, ihren ganzen Schatz bewahren, allen zu ihm den Eingang offen h a l t e n , . . . ein hehres Denkmal des Volkes, dessen Vergangenheit und Gegenwart in ihm sich v e r k n ü p f e n . . . Deutsche geliebte Landsleute, welches Reichs, welches Glaubens ihr seiet, tretet ein in die euch allen aufgetane Halle eurer angestammten, uralten Sprache, lernet und heiliget sie und haltet an ihr, eure Volkskraft und Dauer hängt in ihr."

Es sollte keine einzelne Geschmacksepoche bevorzugen wie Adelung, sollte vielmehr die neuhochdeutsche Literatur-

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spräche umfassen, wie sie sich ausgebildet hatte in den drei Jahrhunderten von Luther bis Goethe, also in dem Zeitalter unserer hochgebildeten Kultur. Jacob am 24. August 1838 an Lachmann (Briefwechsel S. 688): „Enthalten soll das Wörterbuch die neuhochdeutsche Sprache, von da an, wo die mittelhochdeutsche aufhört, von Luther bis auf G o e t h e . . . Wir gehn also drauf aus, nicht bloß den ganzen Umfang der lebenden hochdeutschen Sprache zu sammeln, sondern auch alle Wörter des sechzehnten, siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts aufzunehmen, die mit Recht oder mit Unrecht veraltet sind. Wer lauter unveraltete und heute gültige Wörter geben wollte, würde sich ein zu enges Ziel stecken und fast nach einem Lexikon der Mode oder des feinen Tons streben." — Am 1. Dezember 1838 an den Cambridger Anglisten John Mitchell Eemble (Briefe, ges. von Hans Gürtler S. 87): „Vielleicht ist Ihnen von einer groBen... zu Ohren gekommen, in die wir uns einlassen. Wir unterfangen uns eines ausführlichen Wörterbuchs der deutschen Sprache von Luther bis Goethe oder auf heute." — Am 5. Januar 1839 an Gervinus (Briefwechsel 2, 9): „An fortgeführten und neuen Arbeiten mangelt es uns nicht; daß wir ein etwas weit aussehendes deutsches Wörterbuch unternommen haben, ist Ihnen wohl zu Ohren gekommen: es soll zumeist nach dem Plan der Crusca behandelt werden und aus einer breiten Grundlage hervorgehen, alle Schriftsteller von Luther bis auf Goethe, oder wenn Sie wollen bis auf heute, werden exzerpiert, und von allem, was unsere Schriftsprache in diesen vier Jahrhunderten geleistet hat, soll das Werk volle Rechenschaft geben. Zu einer so mühevollen Arbeit hätten wir in Göttingen uns nimmer das Herz gefaßt; es versteht sich, daB in der Beischaffung des Materials auf Mithelfer gerechnet ist, deren schon gegen dreißig angeworben sind." —• Wilhelm Grimm am 16. März 1839 an Dahlmann (Briefwechsel 1, 315): „Seltsam, sowie die Sprache der Betrachtung und Kritik anheimflel, etwa von Klopstock an, so zog sie sich auf einen ziemlich beschränkten Kreis zurück, den Goethe allein zu überschreiten Mut behielt. Es wurde gewaltig viel außer Kurs gesetzt. Die Bücher vor jener Zeit gewähren daher für das Wörterbuch ungleich größere Ausbeute, jeder gab aus, was er im Vermögen hatte, ohne sich um das Gepräge zu bekümmern." — Wilhelm am i4. Juli 1839 an Hupfeld (Beziehungen zu Hessen 1, 282): „Die Sache ist in gutem Gang, schon an fünfundvierzig Mitarbeiter helfen dabei, aber die Aufgabe ist groB, alle bedeutende Schriftsteller von Luther bis Goethe sind durchzulesen und auszuziehen, und wir bedürfen, wenn sich die Ausarbeitung nicht zu lange verziehen soll, noch weiteren Beistand."

Im Jahre 1838 begannen die Vorarbeiten und die Sammlungen. Wilhelm berichtete den im Jahre 1846 zu Frankfurt am Main versammelten Germanisten über den Stand der Vorarbeiten (Verhandlungen; auch: Kleinere Schriften 1, 508). Die erste Lieferung erschien im Mai 1852, der erste

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Band 1854. Jacob bearbeitete die Buchstaben Α Β C Ε F. Er drang bis zu dem Artikel FRUCHT vor. Hier bei der Arbeit an diesem Wort der vollendeten Reife entsank auch ihm die Feder. Es war seine letzte Ernte. Wilhelm hatte „nur" das D vollendet. Das Wörterbuch war von außen an sie herangetragen worden. Es blieb auch in mancher Beziehung für sie immer ein fremdartiges Unternehmen, „ein Abgrund, der sie verschlang" und „es hat etwas Melancholisches, daß dieser freischaffende Geist [Jacob] sich an das lexikographische Kreuz schlagen ließ" (Gustav Roethe, 1913). Jacob am 26. Juni 1839 an Lachmann (Briefwechsel S. 702): „Noch jetzt kommen Stunden genug, wo es mich gereut, daß wir uns auf so ein so schweres Werk eingelassen haben. Auf jeden Fall ist es uns bei den Verhandlungen heißer zu Mut gewesen als dem Verleger." — Am 31. Januar 1850 an Gervinus (Briefwechsel 2, 99): „Das übernommene große Wörterbuch drückt mit bleiernem Gewicht und ich werde ihm zu Gefallen manches andere mir liebere müssen fahren lassen." — Am 3. Dezember 1851 an den hessischen Mythologen Johann Wilhelm Wolf (Beziehungen zu Hessen 2, 319): „Ich habe mich seit einigen Monaten in den Abgrund des Deutschen Wörterbuchs gestürzt, der nun über mir zusammenschlägt und fast kein Ende absehen läßt. Freude ist zwar auch bei der Arbeit, doch der Mühe weit mehr; die Zeit muß Erleichterung schaffen." — Am 10. Januar 1852 an Karl Weigand (Beziehungen zu Hessen 1, 332): „Das Wörterbuch greift fast zu sehr an, Sie haben selbst diese Kost geschmeckt, man ist dabei genötigt, auf alles und jedes einzugehn und darf sich nicht bloß auswählen, wofür man sich Neigung und Kenntnisse zutraut. Freilich lernt man auch auf unerwartetem Fleck; doch die längst angebauten Felder trügen reichere Frucht." — Wilhelm am 9. Februar 1852 an Karl Simrock (Briefe, ges. von Hans Gürtler S. 237): „Woher soll ich die Zeit nehmen, da seit ein paar Monaten das Wörterbuch angefangen hat, wobei ich mich anstrengen muß wie ein Soldat, der täglich mit dem Gewehr in der Hand fünf oder sechs Stunden exerzieren muß." — Jacob am 18. März 1854 an Luise Dahlmann (Briefwechsel 1, 529): „Nun ist e i n Band des schweren Werks vollendet und ich habe jeden der enggedruckten Buchstaben geschrieben, die dazu gehören, ich gedachte, jetzt loszukommen und für andere Arbeiten aufzuatmen; aber es geht doch nicht. Mir ist heimlich angst vor dem Zeitpunkt, wo Wilhelm eintreten soll, es wird notwendig ein ungleiches Werk werden, da in solchen Dingen zwei nicht überein arbeiten können." — Am 14. April 1858 an Dahlmann (Briefwechsel 1, 539): „Alle meine Arbeiten und Erfolge waren nie auf ein Wörterbuch hingerichtet, und es tritt nachteilig dazwischen. Als mir 1838 oder 1839 von Weidmanns der Antrag geschah, so stand zunächst unsere damalige ungewisse hülflose Lage, die wohl verleiden konnte, die Gedanken anderswohin zu wenden als sie sonst gegangen wären. Die Wucht des Unternehmens

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stand mir wohl im Geiste vor, und es war kein Leichtsinn, der mich in die Annahme des Vorschlags willigen ließ, es lag damals etwas Unausweichliches darin Unterdessen auch haben sich manche andere und neue Gegenstände vor mir aufgetan, deren Behandlung mir weit näher zu Herzen ginge als das Wörterbuch, sie könnte ich erreichen, während das Ende des Wörterbuchs unnahbar steht. Hätte ich diese ganze schwierige Lage vorausgesehn, ich würde damals mit Händen und Füßen das Wörterbuch abgewehrt haben. Meine Besonderheit und Eigentümlichkeit leidet darunter Abbruch. Manche Leute sagen und meinen, durch die beiden Bände werde dargelegt, wie die folgenden bearbeitet werden müssen, damit sei genug geschehen. Am Ende ist es auch fast einerlei, ob wir am dritten Band sterben oder am sechsten, achten. Sie stellen sich kaum vor, wie mir von Bekannten und den Nächsten im Hause, zumal Dortchen und Gustchen, die mir sehr vertraut ist, zugesetzt und aufs Wörterbuch gescholten wird.". — Am 10. Dezember 1858 an Karl Weigand (Beziehungen zu Hessen 1, 352): „Das unsrige [Wörterbuch], welches, wenn es nochmals zu tun wäre, ich nie auf die Schulter genommen hätte und gern wieder davon a b würfe." — Am 5. Februar 1859 an Gervinus (Briefwechsel 2, 134): „Ich stecke wieder bis an die Ohren im Wörterbuch und habe eben ein neues Heft lassen ausgehn. Bei dieser Arbeit sind so vielfache sich begreiflich immer noch mehrende Manipulationen, daß darüber alle Zeit und aller Raum verloren geht und versperrt wird, ohne daß sich ein Ziel absehen läßt, ich habe bloß die Aussicht, in den folgenden Jahren, wenn ich leben bleibe, etwa 12 000 bis 14 000 Quartseiten Manuskript abfassen zu müssen. Solange Wilhelm eingetreten war, dachte ich, freier Atem zu schöpfen, er arbeitet sehr hübsch und gewissenhaft, aber zu gelassen und l a n g s a m . . . Über diesem Buch gehen andere zugrunde, die ich in mir trage und lieber schriebe, es sollte aus jedem der fünf Finger meiner Hand eins hervorgehn." — Ende November 1859 an Karl Weigand (Beziehungen zu Hessen 1, 366): „Es ist aber traurig, für ein nichtlesendes Publikum zu schreiben, das beste, was mir in einzelnen Artikeln gelingen kann, wird vielleicht zufällig in fünfzig oder hundert Jahren wahrgenommen, am ersten wahrscheinlich von einem fähigen neuen Bearbeiter des Ganzen." — Endlich Jacob am 5. Juli 1860 in der Rede auf Wilhelm (Kleinere Schriften 1, 176): „Wir haben noch zuletzt gegen unseres Lebens Neige ein Werk von uiiermeßlichem Umfang auf die Schultern genommen, besser, daß es früher geschehen wäre, doch waren lange Vorbereitungen und Zurüstungen unvermeidlich; nun hängt dieses deutsche Wörterbuch über mir allein." — Ebd. S. 177: „Wohl ist die aufgewandte Mühe anstrengend, doch macht die Aufeinanderfolge der verschiedensten Wörter, daß im steten Wechsel der Gesichtspunkt erfrischt erscheint."

Die Eigenart des Wörterbuchs hat sich nach dem Tode seiner Schöpfer mehr und mehr geändert. Unter den Fortsetzern treten besonders hervor Karl Weigand, Rudolf Hildebrand, Moriz Heyne, Matthias Lexer (der Τ bearbeitet und bei TODESTAG starb) und Alfred Götze. Hildebrand hob die

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Bearbeitung in Grimms eigentlichem Sinne auf eine neue Stufe. Unter seinen Händen wurde aus einem Abriß der neuhochdeutschen Literatursprache ein Gebäude des ganzen deutschen Sprachschatzes. Er machte vollen Ernst mit der Forderung, die ganze deutsche Sprachgeschichte in ihrer zusammenhängenden Entwicklung als einen lebendigen Organismus zu umfassen. Umfängliche Beiträge wie sein Artikel GEIST (durch Erich Rothacker 1926 als Sonderdruck neu herausgegeben: Groß-8° VI, 224 S.) lassen sich nicht leicht lesen, sondern nur mit angestrengtester Aufmerksamkeit durchstudieren. Nach Moriz Heynes Tode im Jahre 1906 drängte eine lange Krise der Wörterbucharbeit zu einer Neuordnung. Seine schlimmste Krankheit war die „ungebührliche Schwellsucht" geworden: Seele, sein (Gustav Roethe, 1913). Gustav Roethe und Edward Schröder stellten die Arbeiten im Jahre 1908 auf eine neue Grundlage. Das Wörterbuch wurde zu einem Unternehmen der Deutschen Kommission der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Eine zentrale Sammelstelle für den Belegstoff wurde ihm in Göttingen angegliedert und Edward Schröders Leitung unterstellt. Arthur Hübner hat im Jahre 1929 die Wörterbucharbeit noch stärker umgestaltet und dadurch neue Wege gebahnt zu seiner Vollendung in absehbarer Zeit. In Berlin wurde die Arbeitsstelle des Wörterbuchs eingerichtet. Jüngere Germanisten übernahmen hier einen Teil der Arbeiten und Vorarbeiten, die bisher von freien älteren Mitarbeitern geleistet werden mußten. Im Jahre 1934 wurde auch die Göttinger Zentralstelle mit dieser Berliner Arbeitsstelle vereinigt. Arthur Hübner, Die Lage des Deutschen Wörterbuchs: AfdA 49, 1930, 73. — Peter Diepers, Die Neuordnung des Deutschen Wörterbuches der Brüder Grimm: Minerva-Zeitschrift 6, 1930, 109.

Heute ist das Werk auf rund dreißig Bände angewachsen, fertigen oder teilweise vollendeten. Das gewaltige Gebäude ist aber noch immer unvollendet. Es ist auch ungleichmäßig ausgeführt, mitunter veraltet und durch neue Quellen zu ergänzen: die lebende Sprache, Mundarten, Berufs- und Fachsprachen, so die des Deutschen Rechts Wörterbuchs. Sein Abschluß wäre daher zugleich der Anfang seiner Erneuerung.

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Ulrich Pretzel, Die Vollendung des Grimmschen Wörterbuchs. In: Jahrbuch der Deutschen Sprache 1, 1941, 51. — Hans Neumann (Göttingen), Über den Stand des Deutschen Wörterbuches. In: Muttersprache. Jg. 1949, S. 69. Namenforschung Schon in der „Deutschen Grammatik" zieht Jacob Grimm als erster ernstlich auch die Namen heran. An Ernst Wilhelm Förstemann 1857 (Briefe, ges. von Hans Gürtler, 1923, S. 57): „Mein wirklicher E i f e r . . . hatte sich doch schon 1826 bei Abhandlung der Composition in der Grammatik erzeigt, und es mußten hinter ihm vorgenommene Sammlungen liegen. Ich bin wirklich stolz auf die Priorität dieser lebendigen Schätzung der Eigennamen, von der später Graff nicht gehörig durchdrungen war." Jacob Grimm, Bemerkungen über hessische Ortsnamen: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde 2, 1840, S. 132-154. Auch: Kleinere Schriften 5, 297.

Dieser Aufsatz leitet wohl die Geschichte der neueren deutschen Namenforschung ein. Im Jahre 1846 stellt dann Jacob Grimm grundlegend an den Anfang der neueren geschichtlichen Namenforschung die Preisaufgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften, die älteren germanischen Personennamen zu sammeln. Aus ihr erwuchs Ernst Förstemanns „Altdeutsches Namenbuch". Jacob Grimm 1853 an seinen hessischen Landsmann, den Germanisten Karl Weigand (Beziehungen zu Hessen 1, 334): „Ich hatte auf die Wichtigkeit der Flurbücher in Kurhessen vor Jahren schon aufmerksam gemacht und gesucht, für Sammlungen anzuregen, die Leute sind aber auf Nebendinge erpicht und versäumen die Hauptsache. Die Deutung der Ortsnamen ist vielleicht das allerschwerste in der Sprachforschung, immer aber anziehend und auch verführerisch." Runenforschung Wilhelm Carl Grimm, Uber deutsche Runen. 1821. — Hierzu: Ernest Tonnelat, Les frferes Grimm. 1912. S. 364. Dessen Kritik ist im wesentlichen verfehlt und überholt.

Wilhelm Grimm verglich die überlieferten nordischen und angelsächsischen Runenreihen. Er erschloß als erster auch urdeutsche, festländische Runen, obwohl damals noch kein Denkmal dieser Art bekannt war. Später aufgefundene Überlieferung bestätigte seinen Schluß: erstmals die Entdeckung des Goldringes von Pietroassa im Jahre 1837. Auch über den Ursprung der germanischen Runen vertritt er eine An-

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sieht, die heute noch nicht völlig abgetan scheint, nachdem in der Zwischenzeit verschiedene und einander widersprechende Lehrmeinungen aufeinander gefolgt sind. Nach Wilhelm Grimms Auffassung gehören die Runen zu der großen Familie der europäischen Alphabete, die aus einer alten genieinsamen, heute unbekannten Schrift hervorgegangen sind. Wilhelm Grimm leitet damit die Runenforschung ein, nach den vorausgegangenen unreifen Versuchen in der karolingischen (Hraban) und der nachgotischen Renaissance: c'est de sa publication que date 1'etude vraiment scientifique des runes (Ernest Tonnelat a.a.O. S. 364). Das klare und gediegene Büchlein sucht (nach Achim von Arnims Urteil) seine tiefe Gelehrsamkeit mehr zu verbergen als darzutun. Rechtschreibung

Jacob Grimms eigentümliche Bestrebungen auf diesem Gebiete wurzeln wieder in seiner romantischen Geschichtsauffassung, die der göttliche Ursprung bestimmt, die „altdeutsche Herrlichkeit". Daher geht er aus auf eine Wiedergeburt der ursprünglichen Schreibung: zumal lateinische Buchstaben und die Kleinschreibung. Er will nichts anderes als vielmehr der Schreibung ihr altes Recht wieder herstellen. Deutsche Grammatik, Vorrede (2. Ausg. 1893, X V I I ) : „So schien mir, als ich an die niederschreibung dieses werks ging, ohne daß ich es früher gewollt hatte oder jetzo besonderen wert darauf legte, die Verbannung der großen buchstaben vom anlaut der substantive tunlich, ich glaube nicht, daß durch ihr weglassen irgend ein satz undeutlich geworden ist. F ü r sie spricht kein einziger innerer grund, wider sie der beständige frühere gebrauch unserer spräche bis ins sechzehnte, siebzehnte jahrhundeit, ja der noch währende aller 1 ) übrigen Völker, um nicht die erschwerung des Schreibens, die verscherzte einfachheit der schrift anzuschlagen. Man braucht nur dem ursprung einer so pedantischen Schreibweise nachzugehen, um sie zu verurteilen; sie kam auf, als über Sprachgeschichte und grammatik gerade die verworrensten begriffe herrschten." A m 25. November 1820 an Karl Lachmann (Briefwechsel S. 234): „ . . . d e n n es ist eine (Pedanterie) und beruht auf keinem Grund, der ans W e s e n unserer Sprache rührte, sondern schreibt sich aus dem 1 ) „ N u r die Dänen haben uns nachgeahmt; englische bücher, gedruckt in der ersten hälfte des achtzehnten jahrhunderts, schreiben zuweilen die substantive mit großem buchstaben, ζ. B. ausgaben des Spectator; nachher hat man es bald wieder aufgegeben."

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fünfzehnten, sechzehnten Jahrhundert her, wo man dies Wesen am wenigsten fühlte." — Unter dem 24. Dezember 1822 an Karl Hartwig Gregor von Meusebach (Briefwechsel 6): „Wider die kleinen Buchstaben der Substantiva haben Sie nichts eingewendet, als ein Kenner der im sechzehnten, siebzehnten Jahrhundert regierenden Verwirrung; in der Tat, wenn ich in etwas recht habe, so ist es in solcher Kleinigkeit. Die großen Buchstaben heben die Neutralität und Gleichheit aller Wörter in dieser Republik auf, führen einen unbegründeten Adel ein und müssen einem Gesunden, Unverwöhnten so fatal erscheinen als mir und Ihnen das viele Unterstreichen fatal erscheint." — Am 15. Januar 1828 schreibt Wilhelm scherzend an von Meusebach: „Die großen Buchstaben habe ich dem Jakob zu Gefallen verbannt, bei dem man sich durch nichts mehr einschmeicheln kann. Er sagte neulich von einem jungen Mann, der auf der Bibliothek ein Buch erhielt: ,Das ist ein recht ordentlicher und verständiger Mensch'. Warum? ,Er hat da den Empfangschein mit kleinen Buchstaben geschrieben'". — Über das Pedantische in der deutsdien Sprache, 1847 (Kleinere Schriften 1, 351): „Was sich in der gesunknen Sprache des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts Verkehrtes festsetzte, nennt man nationale deutsche Entwicklung: wer das glaubt, darf sich getrost einen Zopf anbinden und Perücke tragen." — Ebd. nennt er die Großschreibung „unser Laster". — Am 17. Juli 1851 an Gervinus (Briefwechsel 2, 110): „Wir haben sie seit ein paar Jahrhunderten, in denen sich überhaupt von allen Seiten Unrat eindrängte, der immer fort geführt werden soll. Ich wollte nichts als unser altes Recht herstellen." — Grundlegend in der Vorrede zum „Deutschen Wörterbuch". 1, 1854, LH. Ebd.: „Leider nennt man diese verdorbene und geschmacklose Schrift eine deutsche, als ob alle unter uns im Schwünge gehenden Mißbräuche, zu ursprünglich deutschen gestempelt, dadurch empfohlen werden dürften."

Er hat seine Anschauungen auch, in die Tat umgesetzt. In der Grammatik vom Jahre 1822 griff er gleich mit Veränderungen durch. Er schrieb zum Beispiel kleine Anfangsbuchstaben. Die engeren und bedeutendsten Fachgenossen folgten ihm darin, ebenso die angesehensten germanistischen Zeitschriften, bis in unsere Zeit. Es entstand bald ein Unterschied zwischen einer gelehrten und einer gemeinen Rechtschreibung. Deren allmähliche Annäherung an die gelehrte schien eine Zeitlang sogar der natürliche Gang in der Entwicklung der deutschen Rechtschreibung. Jacob Grimms Anschauungen über diese verdienen noch immer kritische Würdigung, heute mehr denn je, wenn auch von neuen Voraussetzungen aus. Er war vor allem ja kein Pedant. Karl Gustav Andresen, Über Jacob Grimms Orthographie. 1868. — Gustav Michaelis, Über Jacob Grimms Rechtschreibung. 1868. — Unsere Anführungen wurden orthographisch gewöhnlich verneuzeitlicht.

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Literaturforschung

Sie zieht sich nur als Hintergrund durch Jacobs gesamte Tätigkeit namentlich während der vorbereitenden Jahre seines Schaffens, das heißt, der Jahre, die den eigentlich schöpferischen und gründenden vorausgingen. Wilhelms mehr aufnehmendem und künstlerischem Sinn bleibt die literargeschichtliche Arbeit dagegen lebenslang besonders gemäß. Jacob am 6. September 1841 an Gervinus (Briefwechsel 2, 50): „Den langweiligen und wirren Ulrich von Lichtenstein . . . hat Lachmann nun im Urtext herausgegeben, ich lese, von dem Gewinn f ü r Sprache abgesehen, leichter und lieber einen Band Urkunden als solch ein Gedicht, dessen Trockenheit peinigt, während seine Form ganz gelungen ist."

Doch durchschreitet Jacob, auch hier weit ausgreifend, den ganzen Raum der germanischen Volkheit, zumal die frühe und mittlere Zeit: das altdeutsche, niederländische, angelsächsische und altnordische Schrifttum. Altdänische

Heldenlieder

Altdänische Heldenlieder, Balladen und Märchen. Ubersetzt von Wilhelm Carl Grimm. 1811. — Reinhold Steig, Goethe und die Brüder Grimm. 1892. S. 70 ff. — Ernest Tonnelat, Les frferes Grimm, 1912, S. 129 ff.

Die Beschäftigung mit dem Nibelungenlied hatte Wilhelm Grimm hingeführt zum Studium der nordgermanischen Überlieferung. Die erste Frucht dieser Forschungen war die Übertragung der altdänischen Heldenlieder: diesen Um- und Neubildungen altgermanischer Sage. Wilhelm Grimm am 18. Juni 1811 an Goethe (Reinhold Steig, Goethe und die Brüder Grimm S. 74): „Darin daß diese Lieder durch so lange Zeiten lebendig geblieben,... liegt auch der Grund, daB sie der modernen Kritik unverwundbar bleiben, und sie können es wohl noch vertragen, wenn sie jetzt ein einzelner schlecht nennt." — Goethe (ebd. S. 58): „Sie sind wunderbar und wir haben dergleichen nicht gemacht, wir müssen davor erstaunen." Meistersang Jacob Grimm, Uber den altdeutschen Meistergesang. 1811. — Ernest Tonnelat, Les frferes Grimm, 1912, S. 47 ff.

Darin führt Jacob Grimm den Meistersang mit Recht zurück auf den Minnesang: er beruhe auf keinem neuen

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Grundsatz, sondern dieser müsse bereits im Minnesang erkannt werden, Minnesang sei Meistersang, jeder Minnesänger ein Meistersänger, aber nicht umgekehrt. Er gebraucht also den Namen Meistersang für die gesamte altdeutsche Kunstlyrik, im Gegensatz zu der gewachsenen Natur- oder Volksdichtung, — ohne dabei freilich die unterscheidenden neuen Kräfte hinlänglich in Betracht zu ziehen. Hildebrands lied und W e s s o b r u n n e r

Gebet

Die beiden ältesten deutschen Gedichte aus dem achten Jahrhundert: Das Lied von Hildebrand und Hadubrand und das Weißenbrunner Gebet zum erstenmal in ihrem Metrum dargestellt und herausgegeben durch die Brüder Grimm. 1812. — Ernest Tonnelat, Les fr&res Grimm, 1912. S. 174 ff.

Die beiden Kasseler Bibliothekare zogen hiermit einen der größten Schätze ihrer Bibliothek ans Licht. Diese Überlieferung galt vorher als Prosa. Jacob erkannte als erster darin den Stabreim und er bestimmte ihren poetischen Charakter als stabendes Lied mit Langzeilen. Wilhelm Grimm am 12. Juli 1812 an den dänischen Gelehrten Rasmus Nyerup (Briefwechsel mit nordischen Gelehrten S. 57): „Wir haben eben eine kleine Schrift fertig, eigentlich auch eine Untersuchung, der Edda wegen angestellt, nämlich wir haben das altsächsische Fragment von Hiltibrand und Hathubrand, bei Eccard in der Francia orientalis abgedruckt, aus dem hiesigen MS. dem Text nach neu bearbeitet, neu übersetzt und interpretiert. Das Gedicht ist ungemein merkwürdig, aus dem achten Jahrhundert, auffallend mit dem Geist der eddaischen Lieder verwandt, es i s t . . . ganz mit den in den nordischen und angelsächsischen Gedichten vorkommenden Alliterationen abgefaßt." — Am 1. August 1816 an Goethe (Reinhold Steig, Goethe und die Brüder Grimm S. 108): „Da unsere Bibliothek diese schätzbare Handschrift besitzt, so glaubten wir uns schon schuldig, den Gewinn, der aus der eigenen Betrachtung derselben sich ergibt, mitzuteilen, wenn uns auch nicht die Arbeiten an der Edda schon dazu geführt hätten. Es bleibt als das älteste deutsche Gedicht und bei der Echtheit, die glücklicherweise keinem Zweifel unterliegt, immer sehr merkwürdig und gewährt, wenn auch nur einen, doch einen hellen Blick in die Bildung damaliger Zeit, welcher das Großartige, das den eddischen Gesängen eigen ist, auch natürlich gewesen zu sein scheint. Wäre ein ähnliches Werk, auch nur von geringem Umfang, aus jener Zeit übrig geblieben, es würde mehr Aufklärung nach allen Seiten daraus hervorgehen als durch die mühsamsten Arbeiten eines ganzen Menschenlebens."

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Wilhelm veröffentlichte im Jahre 1830 noch eine treue Nachbildung der Handschrift und machte diese damit gelehrter Untersuchung zugänglich. Edda Die Lieder der alten Edda, aus einer Handschrift herausgegeben und erklärt durch die Brüder Grimm. Bd. 1. 1815. 2. Aufl. 1885. — Dazu: Ernest Tonnelat, Les frfcres Grimm, 1912, S. 154 ff.

Die Ausgabe enthält auch eine wörtliche und eine freie Prosaübersetzung. Diese ist mustergültig und in ihrer Art unübertroffen: durch ihre Treue und die ursprüngliche Kraft der Sprache. Die Brüder hatten bei ihren Vorarbeiten mit Rasmus Rask in lebhafter Verbindung gestanden (Briefwechsel der Gebrüder Grimm mit nordischen Gelehrten, 1885). Von Rask erschien nun im Jahre 1818 in Kopenhagen die erste kritische Gesamtausgabe der Edda. Sie enthielt viel Vorzügliches, das nur in der Nähe der dortigen Sammlungen möglich war. Die Fortsetzung der Grimmschen Ausgabe wurde dadurch entbehrlicher (Wilhelm Grimm am 25. August 1818 an Suabedissen: Beziehungen zu Hessen 1, 178). So blieb sie eine Teilausgabe: der zweite und dritte Teil sind nicht erschienen. Wilhelm Grimm am 18. Juni 1811 an Goethe (Reinhold Steig, Goethe und die Brüder Grimm S. 75): „Das Vorzüglichste, was ich habe, ist eine Abschrift des zweiten Teils der Sämundischen E d d a . . . Es kann mich eine Vorliebe, die aus dem Studium eines Gegenstandes leicht erwächst und' welche nicht zu sehr Tadel verdient, wenn sie nur wahr ist, in etwas täuschen, allein diese Lieder scheinen mir von so gewaltiger, großartiger Poesie, daß ich sie mit zu dem Vorzüglichsten rechnen muß, was uns aus der Zeit des ernsten, grandiosen Stils von irgendeinem Volk übrig geblieben." — Am 1. August 1816 (ebd. S. 111): „Bei der Edda kam es uns darauf an, sowohl die wissenschaftlichen Forderungen nach unsern Kräften zu befriedigen, als auch die ausgezeichnete und gewaltige Poesie darin so nah als möglich zu r ü c k e n . . . Uns Deutschen gehören diese eddischen Lieder in so vielen Beziehungen an, daß sie kaum etwas Ausländisches heißen können. Merkwürdig bleibt wiederum ihre geistige Verwandtschaft mit dem Ossian, ob sie gleich mehr Leib und sinnliche Gegenwart haben." — Am 9. Februar 1852 an Karl Simrock (Briefe, ges. von Hans Gürtler S. 237): „Sie haben den Geist dieser wunderbaren Dichtung, über die ich immer wieder von neuem erstaune, wohl erfaßt. Welches Volk hat etwas Ähnliches? Wie trocken ist Hesiod dagegen."

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Armer

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Heinrich

Der arme Heinrich von Hartmann von der Aue. Aus d e r . . . Handschrift erklärt durch die Brüder Grimm. 1815. — Ernest Tonnelat, Les frferes Grimm, 1912, S. 264 ff. Die Brüder kündigten ihre Ausgabe an mit den Worten (Wilhelms Kleinere Schriften 2, 504): „In der glücklichen Zeit, wo jeder dem Vaterland Opfer bringt, wollen wir das altdeutsche schlichte, tiefsinnige und herzliche Buch vom armen Heinrich, worin dargestellt ist, wie kindliche Treue und Liebe Blut und Leben ihrem Herrn hingibt und dafür herrlich von Gott belohnt wird, neu herausgeben." Sie verzichteten auf den Erlös zugunsten der Verwundeten und lieferten 194 Taler ab (Wilhelms Jahresgehalt betrug 100 Taler).

Der Kommentar dazu und besonders die mustergültige treue und schlichte Übersetzung sind grundlegend geblieben. Beinhart

Fuchs

Reinhart Fuchs, hg. von Jacob Grimm. 1834. — Wilhelm Scherer, Jacob Grimm. 2. Aufl. (1921), S. 236 ff. — Ernest Tonnelat, Les frferes Grimm, 1912, S. 188 ff.

Dieses Buch war Jacob Grimm unter allen seinen Werken mit das liebste. Ihm lag hier besonders an der Entfaltung des wunderbaren Wesens der Tiersage. So wuchs sich die Vorrede aus zu einer inhaltsreichen Geschichte der deutschen Tiersage. Jacob Grimms Sinn richtet sich also auch hier wieder vielmehr auf die gewachsene Uberlieferung des Volksgeistes als auf die einzelne Dichtung. Freidaηk Wilhelm Grimm, Vridankes Bescheidenheit. 1834. 2. Aufl. 1860.

Un-er allen Gedichten war es der Freidank, den Wilhelm Grimm am eingehendsten bearbeitete, auch kritisch herausgab: das geistreiche Spruchwerk des staufischen Zeitalters, volkstümliche Spruchweisheit. Es berührt nach allen Seiten aufschlußreich den sittlichen Zustand dieses großen Zeitalters. Verfehlt war freilich Wilhelm Grimms Versuch, als Verfasser des Buches Waither von der Vogelweide nachzuweisen. Germania Taciti Germania. Hg. von Jacob Grimm. 1835. — Am 23. Juli 1835 an Lachmann (Briefwechsel S. 646): „Ich will diesen Winter über TaciS t r o h , Germanische Philologie

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tus Germania lesen, dazu aber in den Herbstferien einen ganz wohlfeilen Text für die Zuhörer drucken lassen, bloßen Text, ohne Varianten und Noten, doch mit Register, auch die auf Deutschland bezüglichen Stellen aus den Historien und Annalen g e b e n . . . Da es von der Germania keine alte Handschrift gibt, vor der man rechten Respekt hätte, so halte ich Konjekturen für erlaubt und notwendiger." — Dazu Lachmann am 29. August 1835 (ebd. 651): „Zur Germania wünsche ich viel Glück und möchte das viele Schöne hören, das Sie dabei im Collegium sagen werden." — Jacob Grimm am 6. Dezember 1835 an Lachmann (ebd. 654): „Ich bin durch meine Vorlesung über die Germania (wozu sich doch 61 Zuhörer gefunden haben, obgleich Müller erst im vorigen Semester darüber las) auf den Gedanken geraten, alle lateinischen Inschriften, die sich auf Deutschland beziehen, zu sammeln und zu behandeln."

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Dichtung

Lateinische Gedichte des zehnten und elften Jahrhunderts. Hg. von Jacob Grimm (gemeinsam mit Andreas Schmeller). 1838.

Den Herausgeber des Reinhart Fuchs (1834) zog hier jetzt zunächst besonders noch und nur die alte Tiersage an. Doch regten nun und in der Folge zumal Waltharius und Rudlieb das germanistische Studium der mittellateinischen Überlieferungen im allgemeinen nachhaltig an. Jacob Grimm am 27. Juni 1837 an Karl Lachmann (Briefwechsel S. 676): „Ich denke diesen Winter mit Schmellers Ruodliep meine Brüsseler Ecbasis drucken zu lassen." — Am 21. Dezember 1839 an Gervinus (Briefwechsel 2, 25): „Diesmal kann ich Ihnen nur die Ausgabe zweier angelsächsischen Gedichte schicken, denen ich noch ein Exemplar von Waltharius und Rudlieb b e i f ü g e . . . Rudlieb verdient auf jeden Fall eine Erwähnung in Ihrem Werk, die ecbasis captivi ist sehr unreizend, doch meiner Begierde, etwas Älteres über die Tierfabel auszumitteln, nachzusehen." — Lateinische Gedichte a.a.O. Vorrede V: „Die hier mitgeteilten Beiträge zur lateinischen Poesie des Miitelalters hoffe ich, sollen willkommen sein und vielleicht geeignet, unhaltbare Gesichtspunkte zu verrücken, unter welchen diese gewöhnlich ins Auge gefaßt wird; man ist bereit gewesen sie gering zu schätzen, ohne sie vorher erst einmal vollständig kennen zu lernen; sie hat fast nur Duldung erlangen können, je näher der klassischen Dichtkunst sie zu treten schien, und gerade das müßte an ihr herausgestellt werden, was sie von jener zumeist entfernte und auf besondere Wege brachte. Wo zwei Elemente sich binden, zieht uns der daraus hervorgehende Schmelz an, nicht das entschiedene Übergewicht des einen, in welchem bloß eine unbehagliche allgemeine Trübung zurückgeblieben ist."

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Angelsächsische

Dichtung

Andreas und Elene (Gedicht). Hg. von Jacob Grimm. 1840.

Er eröffnet damit auch den Ausblick auf den Stil, zumal die epische Formelhaftigkeit der altgermanischen Dichtung, hier vielmehr ihres herbstlichen Widerscheins. „Solch ein Herbstesaussehn hat mir die im Heidentum wurzelnde angelsächsische Dichtung: nicht ohne matten Widerschein setzt sie ihre Säfte noch einmal um und verkündet ihren nahen Tod." Am 30. Dezember 1839 an Dahlmann (Briefwechsel 1, 369): „Zur Herausgabe der angelsächsischen Gedichte brachten mich drei oder vier darin enthaltene bisher unerhörte Formen reduplizierender Präterita; daneben fand ich dann noch andres wahrzunehmen, doch auch Schwieriges genug, was einer langsameren und reiferen Ausarbeitung vielleicht gewichen wäre." — Am 31.Dezember 1839 an Gervinus (Briefwechsel 2, 25 f.): „Die angelsächsischen Gedichte bewegen Sie hoffentlich, dem Beowulf . . . mehr Gerechtigkeit zu beweisen . . . Übrigens waren diese Texte im ganzen so schwer, daß man, auch ohne alles herauszubringen, leidlich mit Ehren bestehn kann; ohnehin konnte ich nicht die erforderliche Zeit und Sorgfalt darauf verwenden."

Merseburger

Ζa u ber sρ r ü ch e

Jacob Grimm, Über zwei entdeckte Gedichte aus der Zeit des deutschen Heidentums. 1842: Kleinere Schriften 2, 1.

Der junge Historiker Georg Waitz hatte sie im Jahre 1841 entdeckt: in Merseburg, auf einer Studienreise in diese Stadt Heinrichs I. Jacob Grimm erschloß sie wissenschaftlich und legte seine Ergebnisse bald der Berliner Akademie vor. Diese umfassende Abhandlung ist in ihren Grundzügen noch heute maßgebend. Jacob Grimm am 16. März 1842 an Gervinus (Briefwechsel 2, 52): „Ich habe Ihnen durch den Buchhandel eine akademische Vorlesung über zwei entdeckte Gedichte zugesandt, deren Fund mich kindisch gefreut hatte, es sind aber nur wenige Verse und darunter noch sehr dunkle, deren Deutung auf bessern Bescheid wartet. Auf jeden Fall wird dadurch der Zweifel an der allgemeinen Ausbreitung des Systems von Göttern, das wir nordische Mythologie nennen, abgeschnitten." — Jacob Grimms Briefwechsel mit dem Merseburger Domkapitel veröffentlichte vor kurzem Siegfried Berger: „Neue Lebenszeugnisse von Jakob Grimm und Leopold von Ranke." 1942. 8*

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Versgeschichte Wilhelm Grimm, Zur Geschichte des Reims. 1851.

Diese Arbeit wurde grundlegend durch ihre geschichtliche Auffassung: ausgedehnte Sammlungen, reiche und gute Beobachtungen. An der damals Bahn brechenden Verslehre Karl Lachmanns hatte Jacob Grimm früh Zweifel angemeldet. Diese bestätigte eine spätere Zeit. Märchen Kinder- und Hausmärchen. Gesammelt durch die Brüder Grimm. 1. 1812. 2. 1815. 3. 1822 (die Anmerkungen jetzt zuerst als selbständiger Band). — Wilhelm Scherer, Jacob Grimm, 2. Aufl. 1921, S.86ff. — Ernest Tonnelat, Les frfcres Grimm, 1912, S. 196 ff., 373 ff.

Es ist das erste gemeinsame Werk der Brüder. Damit erschlossen sie als erste grundsätzlich und wissenschaftlich zulänglich die mündliche Überlieferung des Volkes. Wilhelm Grimm am 1. August 1816 an Goethe (Reinhold Steig, Goethe und die Brüder Grimm S. 109): „In den Haus-Märchen haben wir versucht, die noch jetzt dieser Art gangbaren Uberlieferungen zu sammeln. Sie bezeichnen einmal ohne fremden Zusatz die eigentümliche poetische Ansicht und Gesinnung des Volks, da nur ein gefühltes Bedürfnis jedesmal zu ihrer Dichtung antrieb, sodann aber auch den Zusammenhang mit dem früheren, aus welchem deutlich wird, wie eine Zeit der andern die Hand gereicht und manches Reine und Tüchtige, wie ein von einem guten Geist bei der Geburt gegebenes Geschenk immer weiter überliefert und dem begabten Geschlecht erhalten worden." Wilhelm Schoof, Zur Entstehungsgeschichte der Grimm'schen Märchen. In: Hessische Blätter für Volkskunde 29, 1930, 1.

S a m m l u n g . Die Brüder schöpfen „aus treuer mündlicher Tradition" (Jacob in dem Brief vom 12. November 1812 an Benecke), besonders Hessens, Westfalens, Niederdeutschlands. Der erste Band zumal ist stockhessisch: in ihm fast noch alles in Hessen gesammelt. Der westfälische Anteil der Familie von Haxthausen an den Sammlungen erhellt aus vielen Stellen der „Freundesbriefe" (hg. von Alexander Reifferscheid, 1878). KHM, Vorrede von 1819: „Gesammelt haben wir an diesen Märchen seit etwa dreizehn Jahren, der erste Band, welcher im Jahre 1812 erschien, enthielt meist, was wir nach und nach in Hessen, in den Main- und Kinziggegenden der Grafschaft Hanau, wo wir her sind, von mündlichen Überlieferungen aufgefaßt hatten."

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Unter den Gewährsleuten ragt hervor Katharina Dorothea Viehmann, geborene Pierson (1755-1815), die hessische Bäuerin aus Niederzwehren bei Kassel. Diese berühmte Märchenfrau wurde zum Urbild der Erzählerin. EHM. Vorrede ebd. IX: „Einer jener guten Zufälle aber war es, dafl wir aus dem bei Kassel gelegenen Dorfe Niederzwehren eine Bäuerin kennen lernten, die uns die meisten und schönsten Märchen des zweiten Bandes erzählte. Die Frau Viehmännin war noch rüstig und nicht viel über fünfzig Jahre alt. Ihre Gesichtszüge hatten etwas Festes, Verständiges und Angenehmes, und aus großen Augen blickte sie hell und scharf. Sie bewahrte die alten Sagen fest im Gedächtnis und sagte wohl selbst, daß diese Gabe nicht jedem verliehen sei, und mancher gar nichts im Zusammenhange behalten könne. Dabei erzählte sie bedächtig, sicher und ungemein lebendig, mit eigenem Wohlgefallen daran, erst ganz frei, dann, wenn man es wollte, noch einmal langsam, so daB man ihr mit einiger Übung nachschreiben konnte. Manches ist auf diese Weise wörtlich beibehalten und wird in seiner Wahrheit nicht zu verkennen sein. Wer an leichte Verfälschung der Uberlieferung, Nachlässigkeit bei Aufbewahrung und daher an Unmöglichkeit langer Dauer als Regel glaubt, der hätte hören müssen, wie genau sie immer bei der Erzählung blieb und auf ihre Richtigkeit eifrig war; sie änderte niemals bei einer Wiederholung etwas in der Sache ab und besserte ein Versehen, sobald sie es bemerkte, mitten in der Rede gleich selber. Die Anhänglichkeit an das Uberlieferte ist bei Menschen, die in gleicher Lebensart unabänderlich fortfahren, stärker, als wir, zur Veränderung geneigt, begreifen " Ludwig Griinm zeichnete sie am 30. August 1814 in Kassel und radierte sie später. Das Bild wurde dem zweiten Teil der neuen Märchenauflage von 1819 beigegeben. — Wilhelm am 5. Februar 1815 an L[udowine] von Haxthausen (Freundesbriefe S. 27): „Hierbei, gnädiges Fräulein, kommt nun der zweite Band der Märchen; Sie werden alte Bekannte darunter finden; ich hoffe aber, auch einiges Neue und wünsche, daß Ihnen das gefällt. Ich hätte gern schöne Bilder zu dem Buch, aber das ist eine gar nicht leichte Sache. Die Märchenfrau, die in der Vorrede genannt und beschrieben ist, hat mein Bruder gut gezeichnet, und wenn es einmal zu einer zweiten Auflage kommt, so soll er sie dazu radieren. Es ist ein feines, gescheites und gutes Gesicht; die arme Frau ist in diesen Zeiten sehr krank gewesen und hat viel Unglück erlebt und es geht ihr kümmerlich."

U r h a n d s c h r i f t . Eine Urgestalt der Grimmschen Märchen in einer Handschrift vom Jahre 1810 gelangte durch Clemens Brentano ins Elsaß. Dort hat sie jüngst der Straßburger Volkskundler Josef Lefitz in einem zuverlässigen Abdruck ins Licht gerückt und damit der KHM-Forschung zugänglich gemacht. Sie ist stilistisch noch leichter

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überarbeitet als die späteren Fassungen: wortkarger, unbeholfen, aber voll kräftigen und herben Erdgeruchs. Märchen der Brüder Grimm. Urfassung nach der Originalhandschrift der Abtei ölenberg im Elsaß. Hg. von Josef Lefitz. 1927. — Kurt Schmidt, Die Entwicklung der Grimmschen Kinder- und Hausmärchen seit der Urhandschrift nebst einem kritischen Texte der in die Drucke übergegangenen Stücke. 1932.

A u s g a b e n . Weihnachten 1812 erschien der erste Band der Kinder- und Hausmärchen, 1815 der zweite, der dritte (Anmerkungen) 1822. Eine Neuausgabe des Erstdruckes veranstaltete Friedrich Panzer 1913. Die Ausgabe letzter Hand erschien 1857 (siebte Auflage), des Anmerkungsbandes 1856 (in dritter Auflage). Dem Erstdruck folgten bald auch Übertragungen in die Zungen anderer Völker. Jacob Grimm an den Verleger Georg Reimer am 16. August 1823: „Zu London ist eine Übersetzung der Kindermärchen erschienen unter dem Titel German popular stories translated from the Kinder und Haus Märchen collected by Μ. Μ. Grimm with 12 plates by George Cruikshank [d. i. Edward Taylor]. Sie hat so viel Beifall gefunden, daß schon jetzt, d. h. nach dreiviertel Jahren eine zweite Auflage gedruckt wird. Nun wünsche ich auch eine kleine deutsche Ausgabe zu veranstalten, welche wie die englische nur eine Auswahl enthält und in einem einzigen Band bestände." (Briefe, gesammelt von Hans Gürtler, 1923, 285 f.) — Diese kleine deutsche Ausgabe erschien zuerst 1825, ihre 28. Auflage 1880.

Die Kinder- und Hausmärchen sind seitdem vielfach neu aufgelegt oder gedruckt worden: in der großen Gesamtausgabe und in kleineren Auswahlausgaben, ζ. B. bei Reclam, Elwert u. a. Die Ausgaben enthalten teilweise Bilder von der Hand angesehener Märchenmaler wie Moritz von Schwind, Ludwig Richter, Otto Ubbelohde. Hervorhebung verdient die Ausgabe: Kinder- und Hausmärchen. Gesammelt durch die Brüder Grimm. Gesamtausgabe mit 447 Zeichnungen von Otto Ubbelohde. Marburg (Hessen): N. G. Elwert. 6. Aufl. 1941. Mit trefflichen Federzeichnungen des hessischen Künstlers nach hessischen Motiven. — Auswahl daraus: Kinder-Märchen der Brüder Grimm. Mit 78 Zeichnungen von Otto Ubbelohde. Hg. von Karl Hobrecker. 1942.— Hans Laut, Otto Ubbelohde. Leben und Werk. 1943.

M ä r c h e n g a t t u n g e n . Die Brüder Grimm öffneten dem Märchengut ihre Sammlungen weitherzig. Sie verfuhren darin so wie das Volk, das nicht ängstlich nach literarischen Gattungen scheidet. Unter dem Gattungsgesichtspunkt bedürfen diese „Märchen" jedoch genauerer Scheidungen.

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Märchen im engeren Sinn, d. h. solche magischen oder mythischen Gehaltes, ist das Zauber- oder Wundermärchen: ζ. B. Rumpelstilzchen (KHM 55), Machandelboom (KHM 47), Frau Holle (KHM 24), Dornröschen (KHM 50), Sneewittchen (KHM 53). Ihm steht das verchristlichte Legendenmärchen noch nah: Marienkind (KHM 3). Das Schwankmärchen dagegen nimmt das Wunderbare nicht mehr ernst, sondern lächelnd, komisch oder kritisch (Lügenmärchen): Das tapfere Schneiderlein (KHM 20). Stärker entzaubert und rationalisiert sind das Novellenmärchen, das zwar noch Außergewöhnliches erzählt :König Drosselbart (KHM 52), und vor allem der Schwank: Hans im Glück (KHM 83), Doktor Allwissend (KHM 98). Das Tiermärchen lebt sowohl in der zauberischen als vielmehr auch in der vernünftigen Welt: Der Hase und der Igel (KHM 187). Konrad Tönges, Lebenserscheinungen und Verbreitung des deutschen Märchens. 1937. — Werner Spanner, Das Märchen als Gattung. 1939.

W i s s e n s c h a f t l i c h e B e a r b e i t u n g . Jacobs Werk vornehmlich ist der Kommentar: die geschichtliche und vergleichende Erläuterung der Märchen. Er begründet damit die Märchenforschung. Ursprünglich als Anmerkungen unter dem Text, füllen die Erläuterungen seit der Ausgabe von 1822 den dritten Band des Werkes. Johannes Bolte und Georg Polivka haben ihn in langen gelehrten Bemühungen neu bearbeitet und wieder erhoben zum Grundwerk der Märchenforschung. Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. Fünf Bände. 1913—32.

K ü n s t l e r i s c h e Ge s t a l t u n g . Jacob wollte die Gegenwart zur Geschichte hinführen. Er mußte daher auch die Form der Märchen ungeändert lassen, also wissenschaftlich verfahren. Wilhelm wollte dagegen die älteren Stufen in die Gegenwart einführen. Er mußte auch die Form der Märchen verändern — in künstlerischer, poetischer Weise. So wurde die Gestaltung der gesammelten Märchen vor allem Wilhelms Werk. Stofflich bleibt er treu, auch wo er verschiedene Fassungen miteinander verschmilzt. Er hat sie aber sprachlich geformt und stilisiert. Er hat damit einen einheitlichen deutschen Märchenstil ausgebildet, doch — anders

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GESCHICHTE DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

als beim Wunderhorn — aus den Märchen selbst: aus Form und Gesetz seiner mündlichen, zumal mundartlichen und seiner geschichtlichen Überlieferungen — seinem volkstümlichen Stil.

KHM, Vorrede von 1819: „Was die Weise betrifft, in der wir hier gesammelt haben, so ist es uns zuerst auf Treue und Wahrheit angekommen. Wir haben nämlich aus eigenen Mitteln nichts hinzugesetzt, keinen Umstand und Zug der Sage selbst verschönert, sondern ihren Inhalt so wiedergegeben, wie wir ihn empfangen hatten; daß der Ausdruck und die Ausführung des einzelnen großenteils von uns herrührt, versteht sich von selbst. Doch haben wir jede Eigentümlichkeit, die wir bemerkten, zu erhalten gesucht, um auch in dieser Hinsicht der Sammlung die Mannigfaltigkeit der Natur zu lassen Verschiedene Erzählungen haben wir, sobald sie sich ergänzten und zu ihrer Vereinigung keine Widersprüche wögzuschneiden waren, als e i n e mitgeteilt, wenn sie aber abwichen, wo dann jede gewöhnlich ihre eigentümlichen Züge hatte, der besten den Vorzug gegeben und die andern für die Anmerkungen aufbewahrt. Diese Abweichungen nämlich erschienen uns merkwürdiger als denen, welche darin bloß Abänderungen und Entstellungen eines einmal dagewesenen Urbildes sehen, da es im Gegenteil vielleicht nur Versuche sind, einem im Geist bloß vorhandenen, unerschöpflichen, auf mannigfachen Wegen sicji zu nähern Eine entschiedene Mundart haben wir gerne beibehalten. Hätte es überall geschehen können, so würde die Erzählung ohne Zweifel gewonnen haben. Es ist hier ein Fall, wo die erlangte Bildung, Feinheit und Kunst der Sprache zuschanden wird, und man fühlt, daß eine geläuterte Schriftsprache, so gewandt sie in allem übrigen sein mag, heller und durchsichtiger, aber auch schmackloser geworden ist und nicht mehr so fest dem Kerne sich anschließt." — Wilhelm Grimm 1816 an Goethe: „Wir haben sie aus beiden Gründen so rein als möglich aufgefaßt und nichts aus eignen Mitteln hinzugefügt, was sie abgerundet oder auch nur ausgeschmückt hätte; obgleich es unser Wunsch und Bestreben war, das Buch zugleich als ein an sich poetisches erfreulich und eindringlich zu erhalten." Reinhold Steig, Goethe und die Brüder Grimm, 1892, S. 109. — Hermann Hamann, Die literarischen Vorlagen der Kinder- und Hausmärchen und ihre Bearbeitung durch die Brüder Grimm. 1906. — Wilhelm Schoof, Zur Geschichte des Grimmschen Märchenstils. In: Zeitschrift für Deutschkunde 63, 1939, 352.

W i r k u n g e n . Diese Gattung der volkstümlichen Dichtung lebte nur noch in den breiten niederen Ständen — verkannt. Sulpiz Boisserie verspottet hochmütig ihre „Andacht zum Unbedeutenden". Wilhelm Schlegel spielt in einer Besprechung auf ihre Märchensammlung an: „Wenn man die ganze Rumpelkammer wohlmeinender Albernheit ausräumt und für jeden Trödel im Namen der .uralten Sage' Ehrerbietung begehrt, so wird in der Tat gescheiten Leuten allzuviel zugemutet." Hierzu Wilhelm Scherer (Jacob Grimm,

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2. Aufl. 1921, S. 124): „ so spricht er sich selbst das Urteil und verrät seine Borniertheit an einem Punkt, an welchem die Grimm die freieren Menschen waren."

Was Ludwig Tieck mit den Volksbüchern erstrebte, was Achim von Arnim und Clemens Brentano f ü r das Volkslied versuchten, das haben Jacob und Wilhelm Grimm f ü r das Märchen geleistet. Sie haben es dem Volk in allen seinen Schichten wiedergegeben. Die Bänder- und Hausmärchen wurden zum wahren Volksbuch und zum Besitz der Weltliteratur, wie kaum eine andere, wie kaum eine Kunstdichtung des Zeitalters. Sie nährten die wieder erwachenden Gefühlskräfte, sie stärkten das schlichte, das natürliche Lebensgefühl. Sie bildeten in glücklicher Weise am deutschen Sprachstil. Ihnen wohnte vor allem aber nach Goethes Wort die Kraft inne, „Kinder glücklich zu machen" (Reinhold Steig, Goethe und die Brüder Grimm, S. 118). Kinder haben daher auch Wilhelm Grimms letztes Bett dankbar mit Blumen geschmückt. Wilhelm Grimm ist vielleicht der einzige Gelehrte, dem diese Ehrung f ü r ein Buch zuteil wurde. Auch ist allein durch diese Märchen der Name der Brüder Grimm in das Gedächtnis des ganzen deutschen Volkes eingegangen, was einem Gelehrten nicht oft widerfuhr. Gudrun Wenz, Die Grimmschen Märchen im deutschen Geistesleben. Diss. Erlangen 1945. [Maschinenschrift.] Sage Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsche Sagen. Τ. 1. 1816. örtlich gebundene (vorwiegend mythische Volkssagen, aus denen altertümliche Glaubensvorstellungen sprechen). T. 2. 1818. Geschichtliche. — Hierzu: Wilhelm Scherer, Jacob Grimm. 1921. S. 79. — Siegfried Aschner, Die deutschen Sagen der Brüder Grimm. Diss. Berlin 1909. Unbefriedigend. — Ernest Tonnelat, Les frires Grimm. 1912. S. 271. — Fritz Erfurth, Die „Deutschen Sagen" der Brüder Grimm. Ein Beitrag zu ihrer Entstehungsgeschichte, unter besonderer Berücksichtigung Westfalens. Diss. Münster 1938.

Die Sammlung umfaßt Land- und Ortssagen: Volkssagen. Ausgeschlossen sind Helden- und Göttersagen, überhaupt die Sagendichtungen. Vieles in der Sammlung ist aus der älteren gedruckten Literatur übernommen, die geringere Zahl der Sagen aus mündlicher Überlieferung. Die „Deutschen Sagen" sind besonders Jacobs Werk. Einen eigentümlichen Sagen-

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GESCHICHTE DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

stil haben die Herausgeber nicht ausgebildet. Auch der lang gehegte Plan einer vollständigen Abhandlung über die Sage wurde nicht mehr ausgeführt. Im Vorwort über die Freude des treuen Sammeins: „Das Geschäft des Sammeins, sobald es einer ernstlich tun will, verlohnt sich bald der Mühe, und das Finden reicht doch noch am nächsten an jene unschuldige Lust der Kindheit, wann sie in Moos und Gebüsch ein brütendes Vöglein auf seinem Nest überrascht; es ist auch hier bei inn, pä veit ek vitit Tpitt J . 458. — 44. engi madr skapar sik själfr J . 361. — 45. sä mun sigr hafa er fyrstr kemr ä möt J. 356. — 46. af litlum neista verdr mikill eldr J. 291. — 47. eigi veit hverjum sparir J. 381. — 48. sveltr sitjandi kräka J. 221. — 49. brüdir eru barns hugir J. 27. — 50. svä er audr sem augabragd J . 19. Uew. Q u e l l e n n a c h w e i s e - Finnur Jönsson, Oldislandske ordsprog og talemflder. In: Arkiv for nordisk filologi 30, 1914, 61. (J). — Hugo Gering, Altnordisdie Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten. In: Arkiv för nordisk filologi 31, 1916, 1. (G) Altnordische

Sprachgeschichte

Adolf Noreen, Geschichte der nordischen Sprachen, besonders in altnordischer Zeit. 3. Aufl. 1913. (Im „Grundriß der germanischen Philologie".) Altnordische Wörterbücher Erik Jönsson, Oldnordisk Ordbog. Kopenhagen 1863. — Sveinbjörn Egilsson, Lexicon poeticum antiquae linguae septentrionalis. Ordbog over det norsk-islandske skjaldesprog. Neu hg. von Finnur Jönsson. Kopenhagen 1913. Unentbehrlich für ein tieferes Eindringen in den an. Wortschatz (auch den umfangreichen skaldischen). Doch unzuverlässig und voller Fehler. — Theodor Möbius, Altnordisches Glossar. 1866. Zu einer Auswahl altisländischer und altnorwegischer Prosatexte. Das ideale Wörterbuch für die Sagalektüre. — Finnur Jönsson, Ordbog til de af samfund til udgivelse af gammel nordisk litteratur udgivne rimur. Kopenhagen 1926-1928. — Dem Studierenden fehlt ein kurzes an. Wörterbuch (neben dem unerschwinglichen Holthausen). — Siehe auch unter Altwestnordisch, Altisländisch. Altostnordische

Sprachlehre

Adolf Noreen, Altnordische Grammatik. 2: Altschwedische Grammatik mit Einschluß des Altgutnischen. 1904. Die vollständige und zuverlässigste Darstellung: Laut- und Formenlehre, Einleitung mit grundlegenden Schriften- und Quellennachweisen.

357

SPRACHE

Altwestnordische

Sprachlehre

Adolf Noreen, Altnordische Grammatik. 1: Altisländische und altnorwegische Grammatik. Unter Berücksichtigung des Urnordischen. 4. Aufl. 1923. Die vollständigste und zuverlässigste Darstellung: Laut- und Formenlehre, Einleitung mit grundlegenden Schriften- und Quellennachweisen. — Ragnvald Iversen, Norrtfn Grammatikk. 4. Aufl. Oslo 1946. S. 1: „Ved «norrfln tunge» (norroena jfr. shetl. norn) forstär vi det gamle mäl som ble talt i Norge og de norske utbygdene i vest fra vikingetiden og ned til omkr. 1350 (eller litt lenger)." — Wolfgang Krause (Göttingen), Abriß der altwestnordischen Grammatik. 1948. Tritt an die Stelle von Adolf Noreens vergriffenem „Abriß der altisländischen Grammatik" (3. Aufl. 1913). Sprachhistorisch. Gute Berücksichtigung der Runeninschriften. Marius Nygaard, Norrtfn syntax. 1905. Ergänzungen 1917. Das Hauptwerk. Altwestnordische

Wörterbücher

Ferdinand Holthausen (Wiesbaden), Vergleichendes und etymologisches Wörterbuch des Altwestnordischen (Altnorwegisch-Isländischen) einschließlich der Lehn- und Fremdwörter sowie der Eigennamen. 1948. Füllt eine lange und stark gefühlte Lücke aus. Neunordisch Natanael Beckman, Dansk-norsk-svensk ordbok. 4. Aufl. Stockholm 1923. Vergleichend-charakterisierend: Verzeichnis der Abweichungen. Schwedische

Sprachlehre

Axel Kock, Svensk ljudhistoria. 1906. — Elias Wessέn, Svensk spräkhistoria. I. Ljudlära och ordböjningslära. 1941. 2. Aufl. Stockholm 1945, 153 S. II. Ordbildningslära 1943. 113 S. — Elof Hellquist, Svensk ordbildningslära fram historisk synpunkt. 1922. Schwedische

Sprachgeschichte

Hjalmar Ideforss, Värt modersmäls liv och utveckling. 3. Aufl. 1942. Abriß (63 Seiten). — Johan Palmar, Spräkutveckling och spi&kvärd 2. Aufl. 1947. Abriß. — Gösta Bergman, A short history of the Swedish language [Übersetzung]. 1947. 106 S. Elof Hellquist, Det svenska ordförrädets ilder och ursprung. 1929. Eine Ubersicht. Bd. 1: Alter und Ursprung des heimischen Wortschatzes. Bd. 2: Das Lehnwortgut des Schwedischen. Schwedische

Wörterbücher

Ordbok öfver svenska spräket. Lund 1898 ff. (noch im Erscheinen); Hg. von der schwedischen Akademie. Großes, vielbändiges Unternehmen. Nach dem Vorbild des Deutschen Wörterbuchs der Brüder Grimm.

358

SYSTEM DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

Elof Hellquist, Svensk etymologisk ordbok. Bd. 1. 2. 2. Aufl. 1939: Ein Meisterwerk. Vergleichende Berücksichtigung der germanischen Schwestersprachen. Behandelt auch zahlreiche Personen- und Ortsnamen. Lichtvolle Darstellung. Vorzüglich brauchbar. A11schwe d i sche

Sprachlehre

Adolf Noreen, Altschwedische Grammatik mit Einschluß des Altgutnischen. 1904. Grundwerk (behandelt die Sprache bis zur Reformation) . — Ders., Grunddragen av den fornsvenska grammatiken. 2. Aufl. 1918. Altschwedische

Worterbücher

Knut Fredrik Söderwall, Ordbok öfver svenska medeltids-sprSket 1884-1918. Suppl. Η. 1. 1926. — Carl Johan Schlyter, Ordbok tili Sämlingen af Sveriges gamla lagar. 1877. Bietet die Sprache der altschwedischen Gesetze. Vortrefflich. E i n f ü h r u n g in d a s N e u s c h w e d i s c h e

(praktisch)

Edward Theodor Walter, Schwedische Konversations-Grammatik. 5. Aufl. 1929. Sehr eingehender Lehrgang. — Nils-Herman Lindberg, Lehrbuch der schwedischen Sprache. 4. Aufl. Göteburg 1945. Mittleren Umfanges. — Werner Wolf, Kleine schwedische Sprachlehre. 4. Aufl. 1949. Übersichtlicher Lehrgang (das Wesentliche). Sehr brauchbar. — Alexander Muten, Dreißig Stunden Schwedisch. 2. Aufl. 1941. Zusammenhängende Texte umfassen die wichtigsten Sachkreise. Knapper Lehrgang. Sehr brauchbar für den Anfänger. — Karl Albert Mügge, Kurze schwedische Sprachlehre. 1946. Sehr elementar. Noch unerprobt. Νeuschwedische

Sprachlehre

Adolf Noreen, Värt SprSk. Nysvensk grammatik i utförlig frauiställning. 1903-23. Eine großartige Darstellung des Neuschwedischen. Beschreibend und geschichtlich. Laut-, Bedeutungs-, Formenlehre. Methodologische Einleitungen. — Gustav Cederschiöld, Om svenskan som skriftsprSk. 5. (unveränderte) Aufl. 1924. — Erik Wellander, Riktig svenska. Stockholm 1939. 813 S. Νeusch wedische

Wörterbücher

Olof östergren, Nysvensk ordbok., Bd. 1 ff. Stockholm 1919 ff. (noch ini Erscheinen). Mehrbändig. Will den lebendigen Sprachgebrauch erfassen, besonders in der Alltags- und Umgangssprache. Carl Auerbach, Svensk-tysk ordbok. Schwedisch-deutsches Wörterbuch. 4. Ausg. Stockholm 1928. Ein ausgezeichnetes Buch. — Svenn Henrik Helms, Neues vollständiges schwedisch-deutsches und deutschschwedisches Wörterbuch. 5. Aufl. Τ. 1. 2. 1904. Für praktische Zwecke (früher sehr verbreitet). — Langenscheidts Taschenwörterbuch der

359

SPRACHE

schwedischen und deutschen Sprache. Τ. 1.: Schwedisch-Deutsch. Von Hans Hellwig. 1930. T. 2: Deutsch-Schwedisch. Von Ernst Wrede. Für praktische Zwecke: bewährt (in vielen Auflagen). Aussprachebezeichnungen. Νeuschwedische

Mundarten

Das Organ der Forschung ist die Zeitschrift „Svenska Landsmäl" (Schwedische Mundarten). Johann Ernst Rietz, Svenskt dialekt-lexikon eller ordbok öfver svenska allmoge-spräket 1867. 2. Ausg. 1877. Dänische

Sprachlehre

Alf Torp und Hjalmar Falk, Dansk-norskens lydhistorie med saerligt hensyn paa orddannelse og btfjning. 1898. — Hjalmar Falk und Alf Torp, Dansk-norskens syntax i historisk fremstelling. 1900 (1920). Dänische

Sprachgeschichte

Verner Dahlerup, Det danske sprogs historie. 2. Aufl. 1917. Guter Überblick über die Entwicklung. Die erste Auflage übersetzte Wilhelm Heydenreich u. d. T.: Geschichte der dänischen Sprache. 1905. — Mit Ergänzungen: Lis Jacobsen, Studier i dansk rigssprogs historie. 1. 1910. Peter Skautrup (Aarhus), Det danske sprogs historie. Bd. 1—3. Kopenhagen. 1944 ff. Neuester Stand der Forschung: auch mit Einschluß von Wortgeschichte, Wortbildung, Mundart, Namen. Zahlreiche Abbildungen und Karten. Geschickte und ansprechende Darstellung. Ein schönes Werk. Bd. 1: Fra Guldhornene til Jyske Lov. 1944. Umfaßt: Urnordisk (200 bis 800); Olddansk (800-1100); Aeldre Middeldansk (1100-1350). — Bd. 2: Fra Unionsbrevet til danske Lov. — Bd. 3 ist noch nicht erschienen. Vorwort 1, VII: „Dette sprogs historie har som ethvert andet sprogs historie sävel en ydre, mere formel som en indre, mere substantiel side. Den beskrivende sproghistorie omfatter i reglen kun den ydre side, s p r o g e t s f o r m i videste forstand: sprogets enkeltlyd og lydsystem, ordenes betjningsformer og ordenes f0lge og gruppering i sammenhaengende tale, undertiden ogsä ordenes klassifikation og ordbetydningernes indbyrdes afgraensning — alt set historisk, det vil sige flydende, i bevaegelse, men skildret gennem en raekke enkeltstadier, som man ntfdes til at betragte som hvilende. Man kan laegge snit, der registrerer og beskriver s l d a n n e enkeltstadier, mer eller mindre taet op ad hinanden, men for overskuets skyld og for at fä udviklingens afgerende stadier frem, kan man hverken laegge dem mekanisk eller for naer hinanden, thi udviklingen er ujaevn. Den kan inden for et kort tidsspand vaere voldsom, kvalitativt dybtgäende, for sä gennem lange tidsrum at vaere naesten umaerkelig. I vaerket her er fulgt nogenlunde samme periodeinddeling som i andre oversigter over det

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SYSTEM DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

danske sprogs historie; gennem beskrivelse af de enkelte perioder fär vi da at vide, h v o r l e d e s udviklingen i store traek er forlebet. Men bag om denne ydre sprogbeskrivelse s0ger man en besvarelse af, h ν ο r f ο r udviklingen fik netop dette forlerb. Her m0der forskeren i sin s0gen virkende kraefter og forhold, som er besternt af andre sociale institutioner og foreteelser. Disse afhaengighedsforhold mellem sproget og samfundet lader sig ikke altid udrede klart, men hvor der har vaeret mulighed for at benytte samfunds- og kulturhistorien til at vise et jaevnsides 10b eller overhovedet til bag livets ytringsformer at skimte bevaegende Srsager, d6r er der lagt vaegt ρ8. at fä denne bagvedliggende og mere substantielle side af sproghistorien draget frem. Sprogets ydre og indre historie bliver säledcs et vaesentligt led i folkets historie." Dänische

Wörterbücher

Dansk Ordbog. Hg. von Videnskabernes Selskap. Acht Bände. 1793 bis 1905. — Christian Molbech, Dansk Ordbog. 2. Aufl. 1854. — Ordbog over det dansk sprog. 1 (1918) ff. (noch im Erscheinen). Begründet von Verner Dahlerup. Großartiges Grundwerk. Vielbändig. Dänische etymologische

Wörterbücher

Hjalmar Falk und Alf Torp, Etymologisk ordbog over det norske og det danske sprog. 1906. — Die deutsche Übersetzung und Bearbeitung u. d. T.: Norwegisch-dänisches etymologisches Wörterbuch. Auf Grund der Obersetzung von Hermann Davidsen neu bearbeitete deutsche Ausgabe. 1910. Zwei Bände. Ein hervorragendes Buch. Grundlegend auch für die gemeingermanische Etymologie. Altdänische

Sprachlehre

Johannes Β r0ndum-Nielsen, Gammeldansk grammatik i sproghistorisk fremstilling. Kopenhagen 1928 ff. Bd. 1: Vokalisme. 1928. Bd. 2: Konsonantisme 1932. Bd. 3: Substantivernes deklination. 1935. Grundlegendes Werk. Altdänische

Wörterbücher

Georg Frederik Wilhelm Lund, Det aeldste danske skriftsprogs ordforrld. 1877. Wörterbuch der altdänischen Schriftsprache. — Otto Kalkar, Ordbog til det aeldre danske Sprog. 1-5. 1881—1918. Das Hauptwerk (für die Schriftsprache). E i n f ü h r u n g i n d a s N e u d ä n i s c h e (praktisch) Karl Wied, Dänische Konversationsgrammatik. 5. Aufl. 1924. — Henning Henningsen, Dreißig Stunden Dänisch. 3. Aufl. 1941. Sehr brauchbar: Lebenskreise, Sachgruppen.

SPRACHE

Neudänische

361

Sprachlehre

Otto Jespersen, Modersmälels Fonetik. 3. Aufl. 1934. — Kristian Mikkelsen, Dansk sproglaere. 1894. Wissenschaftliche Grammatik. — Ders., Dansk ordl0 jningslaere. 1911.— Hans Jensen, Neudänische Laut- und Formenlehre. 1922. — Ders., Neudänische Syntax. 1923. Neudänische

Wörterbücher

Frederik August Mohr, Taschenwörterbuch der dänischen und deutschen Sprache. 1907. 8. Aufl. 1923. Τ. 1: Dänisch-norwegisch-Deutsch. T. 2: Deutsch-Dänisch. Bei Langenscheidt. Für praktische Zwecke: bewährt. Neubearbeitung durch Henning Henningsen. Τ. 1: 1940. T. 2: 1941. Neudänische

Mundarten

Johannes Br0ndum-Nielsen, Dialekter og dialektforskning. Kopenhagen 1927. Mit reichen Schriftennachweisen. Christian Molbech, Dansk Dialect-Lexikon. 1841. — Henning Frederik Feilberg, Bidrag til en ordbog over jyske almuesmäl. 1-4. 1886 bis 1914. — Johann Christian Subcleff Espersen, Bornholmsk Ordbog. 1908. Norwegische

Sprachlehre

Hjalmar Falk und Alf Torp, Dansk-Norskens lydhistorie med saerligt hensyn p& orddannelse og b0jning. 1898. — Hjalinar Falk, Dansk-Norskens syntaks i historisk fremstilling. 1900. Norwegische

Sprachgeschichte

Didrik Arup Seip (Oslo), Norsk Sproghistorie. Starre utgave. 1920. (Landsmäl.) — Didrik Arup Seip, En liten Norsk Sproghistorie. 4. utg. 1923. Norwegische etymologische

Wörterbücher

Hjalmar Sejersted Falk und Alf Torp, Etymologisk ordbog over det norske og det danske sprog. 1906. — Die deutsche Übersetzung und Bearbeitung u. d. T.: Norwegisch-dänisches etymologisches Wörterbuch. Auf Grund der Übersetzung von Hermann Davidsen neu bearbeitete deutsche Ausgabe. 1910. Zwei Bände. Mit reichen Schriftennachweisen. Das Werk gilt als das beste etymologische Wörterbuch der germanischen Sprachen. Alf Torp, Nynorsk etymologisk ordbok. Kristiania 1915 ff. (1919). Für Landsmäl und Riksmäl. Berücksichtigt vergleichend den gesamtgermanischen Sprachstoff. Dessen umfassendste Sammlung bisher. Altnorwegische

Sprachlehre

Adolf Noreen, Altisländische und altnorwegische Grammatik. 4. Aufl. 1923. Die klassische Darstellung.

362

SYSTEM DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

Altnorwegische

Sprachgeschichte

Didrik Arup Seip, Norsk Spräkhistorie til omkring 1370. 1931.

A 11 η ο r w e g i s c h e W ö r t e r b ü c h e r Johan Fritzner, Ordbog over det gamla norske sprog. 2. Aufl. 1886 bis 96. Zuverlässigstes Wörterbuch des Altwestnordischen. Schöpft namentlich aus altnorwegischen Quellen. Berücksichtigt vorzugsweise die Prosa. Eingehende Erklärung der Realien. — Leiv Heggstad, Gamalnorsk ordbok med nynorsk tyding. Neuausgabe. Oslo 1930. Vollständigstes altnordisches Wörterbuch. — Ebbe Hertzberg, Glossarium. Im fünften Bande der Sammlung Norges gamle love. 1895. Bietet die altnorwegische Gesetzessprache. E i n f ü h r u n g in d a s N e u n o r w e g i s c h e

(praktisch)

Marius Sandvei, Norwegische Konversations-Grammatik. 2. Aufl. 1941. Der erste, und zwar ausführlichere Teil behandelt das Riksmäl, der zweite das Landsmäl. Die Aneignung des Landsmäl hat jedoch zur Voraussetzung, daß man mit der Grammatik des Riksmäl vertraut ist. Auch das Wortverzeichnis berücksichtigt die Zweisprachigkeit. Zusammenhängende Texte vermitteln Auskünfte über Norwegens Land, Volk, Kultur. — Robert Dix und Edith Schie Larsen, Dreißig Stunden Norwegisch. 3. Aufl. 1941. Für Anfänger sehr bauchbar: knapp, lichtvoll, Sachkreise. Neunorwegische

Sprachlehre

August Western, Norsk Riksmäls-Grammatikk. Christiania 1921. 584 S. Für Studierende und Lehrer. — Ivar Aasen, Norsk Grammatikk. 2. Aufl. 1899. Landsmäl. — Leiv Heggstad, Norsk Grammatikk. 1931. Landsmäl. Kann vielleicht Ivar Aasens Norsk Grammatikk ersetzen, die schon seit langem vergriffen ist. Neunorwegische

Wörterbücher

R i k s m ä l . Hans Ross, Norsk Ordbog. Christiania 1890—1913. — Norsk Riksmäls-Ordbog. Hg. von Trygve Knudsen und Alf Sommerfeit. Oslo 1930 ff. (im Erscheinen). Ein vollständiges Wörterbuch der norwegischen Literatursprache von etwa 1500 bis zur Gegenwart. — John Brynildsen, Norsk-tysk ordbog. Oslo 1900. Zuletzt 1926. 1078 S. L a n d s m ä l . Ivar Aasen, Norsk Ordbog med dansk Forklaring. 1873. 4. unveränderte Aufl. 1918. Umgearbeitete Ausgabe des Ordbog over det norske Folkesprog. 1850. Grundlegend. — Norsk ordbok (seit 1950): das neue große Wörterbuch der norwegischen Volkssprache und der neunorwegischen Schriftsprache. — Johan Fredrik Voss, Tysknorsk ordbok. Oslo 1933. 813 S.

SPRACHE

363

Isländisch Finnur Jönsson, Det islandske sprogs historie i kort omrids. Kopenhagen 1918. — Alexander Jöhannesson, Isländisches etymologisches Wörterbuch. Seit 1951. Altisländisch

Es steht im Vordergrund der wissenschaftlichen Behandlung der nordischen Sprachen, der reichen Sprachquellen und literarischen Überlieferungen wegen. Es gilt daher als das „Altnordische" im engeren Sinne und schlechthin. Jacob Grimm im Jahre 1811 an Georg Friedrich Benecke (Briefe aus der Frühzeit der deutschen Philologie an Georg Friedrich Benecke, S. 9): „Das Isländische studiere ich jetzo besonders fleißig. Es ist eine gar herrliche, unter allen des germanischen (oder theotischen) Stammes am innerlich vollkommenst gebliebene Sprache." Altisländische

Sprachlehre

Adolf Noreen, Altisländische und altnorwegische Grammatik. 4. Aufl. 1923. Das Grundwerk. — Ders., Abriß der altisländischen Grammatik. 3. Aufl. 1913. Ein knapp gehaltener Leitfaden. — Andreas Heusler, Altisländisches Elementarbuch. 4. Aufl. 1950. Gewährt dem Stilistischen und Syntaktischen großen Raum, besonders wertvoll die Syntax der Sagasprache. Reiche Belege. Auch darstellerisch ein Kunstwerk. Altisländische

Wörterbücher

Richard Cleasby und Gudbrand Vigfusson, An Icelandic-English dictionary. 1874. Sehr brauchbar. Doch ohne Belegstellen. — Geir T. Zoega, A concise dictionary of old Icelandic. 1910. 560 S. E d d a - W ö r t e r b ü c h e r . Hugo Gering, Vollständiges Wörterbuch zu den Liedern der Edda. 1903. — Edda. Hg. Gustav Neckel. 2. Kommentierendes Glossar. 2. Aufl. 1936. E i n f ü h r u n g in d a s

Neuisländische

Snaebjörn Jönsson, A primer of modern Icelandic. London 1927. — Eiöur S. Kvaran und Otto Fingerhut (Greifswald), Lehrbuch der isländischen Sprache. 1936. 2. Aufl. 1940. Einführung in die isländische Gegenwartssprache. Knapp und übersichtlich. Νeuis1äηdische

Sprachlehre

Valtyr Gudmundsson, Islandsk Grammatik. Islandsk Nutidssprog. Kopenhagen 1922. — Björn GuÖfinnsson (Reykjavik), Islenzk mälfraeöi· Handa skölum og ütvarpi. 4. Ausg. 1946.

364

SYSTEM DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

Νeu i s1 ä η d is ch e Wörterbücher Jön Ofeigsson, £>yzk-islenzk ordabök. Deutsch-isländisches Wörterbuch. Reykjavik 1935. 944 S. Färöische

Sprachlehre

Venceslaus Ulricus Hammershaimb (Schöpfer der neufäröischen Schriftsprache), Faerjask Anthologi. Kopenhagen 1884—91. Im letzten Teil die neufäröische Sprachlehre (Det faerflske sprog). Grundlegend. Reiche Quelle für den Germanisten. — Ernst Krenn (Wien), Föroyische (Aussprache: förjisch) Sprachlehre. 1940. Erste Darstellung der derzeitigen färingischen Schriftsprache in einer Weltsprache. Sehr brauchbar für Lernende und Forscher. Doch ungeschichtlich. Färöische

Wörterbücher

Μ. A. Jacobsen und Christian Matras, F0roysk-donsk ordabök. 1928. Das neue färöisch-dänische Wörterbuch. Mit maßgeblicher Rechtschreibung. — In Vorbereitung (1940): Ernst Erenns Ftfroysk-tysk ordabök und Deutsch-föroyisches Wörterbuch. Anglonordisch

(Norn)

Jacob Jakobsen, ein geborener Faring, hat die Reste des ausgestorbenen Nordischen auf Shetland gesammelt und in vortrefflicher Weise dargestellt: Det norrane Sprog pa Shetland. Kopenhagen 1897. — Namentlich desselben Etymologisk Ordbog over det n o r r 0 n e Sprog ρ Shetland. Kopenhagen 1921. — Englisch u. d. T.: An etymological dictionary of the Norn language in Shetland. Τ. 1. 2. London, Kopenhagen 1928. Hugh Marwick, The Orkney Norn. 1929. Zur Geschichte der norwegischen Sprache der Orkneys. Englisch Jacob Grimm auf der Versammlung der Germanisten zu Frankfurt am Main am 24. September 1846 (Verhandlungen S. 12): „Ein Hauptast unserer Sprache, den der sächsische Volksstamm über das Meer nach Britannien verpflanzte, nachdem er Jahrhunderte lang dort in kräftiger Ausbildung sich behauptet hatte, konnte zwar nicht gleich dem fränkischen völlig erliegen, doch eine ganz eigentümliche Rückwirkung romanischer Zunge erfahren. Daraus ist jene wundersame Mischung deutscher und römischer, dem ersten Anschein nach unvereinbarer Stoffe hervorgegangen, welche den Grundcharakter einer weltherrschend gewordnen Sprache, wie man die englische gewiß nennen kann, festsetzte. Bekanntlich hat dieser Zusammenfluß in der Weise stattgefunden, daß ihr sinnlicher und leiblicher Bestandteil aus der deutschen, ihr geistiger und abstrakter hingegen aus der französischen entnommen ward, und da Sprachformen und Denkungsart der Völker unsicht-

SPRACHE

365

bar ineinandergreifen, so heißt es nicht zuviel behauptet, daB die Natur der deutschen und französischen Sprache in vollen Anschlag kommen müsse, wenn man ein Volk verstehen will wie das englische, das seit Elisabeth die Geschichte, seit Shakespeare die Literatur mitzulenken gewohnt ist. Wir sehen also unsere Sprache und ihre Geschichte auf einer Seite an die des klassischen Altertums reichen, auf der a n dern mit denen der mächtigsten Völker unserer Gegenwart unzerreißbar zusammenhängen." Auch in seiner Abhandlung „Uber den Ursprung der Sprache" (1851) kommt Jacob Grimm auf die Vorzüge der englischen Sprache und die Wahrscheinlichkeit, daß sie noch größeren Einfluß auf dem Erdboden gewinnen werde. Allgemeines Schrifttum. Hermann Martin Flasdieck, England und die Sprachwissenschaft. Englische Sprachforschung als Ausdruck völkischen Denkstils. In: GRM 19, 1931, 169. Johannes Hoops (Heidelberg), Englische Sprachkunde. 1923. Forschungsbericht. — Wilhelm Horn (Berlin), Die englische Sprachwissenschaft. In: Stand und Aufgaben der Sprachwissenschaft. Festschrift für Wilhelm Streitberg. 1924. — Ders., Englische Sprachforschung. In: Germanische Philologie. Festschrift f ü r Otto Behaghel. 1934. Stand und Aufgaben. — Otto Funke (Bern), Englische Sprachkunde. Ein Überblick ab 1935. 1950. Arthur G. Kennedy, A bibliography of writings on the English language from the beginning of printing to the end of 1922. Cambridge und New Haven 1927. Englische

Sprachlehre

Friedrich Koch, Historische Grammatik der englischen Sprache. 2. Aufl. 1878 ff. Im ganzen veraltet. — Eduard Mätzner, Englische Grammatik. 3. Aufl. 1880. Verfolgt die einzelnen Spracherscheinungen vom Neuenglischen her rückwärts. — Max Kaluza, Historische Grammatik der englischen Sprache. 2. Aufl. 1906. — Karl Luick (Wien), Historische Grammatik der englischen Sprache. Bd. 1-2,1914-40. (Ζ. T. aus dem Nachlaß hg. durch Friedrich Wild und Herbert Koziol.) Dazu Wortweiser 1934. Das wissenschaftliche Hauptwerk: benützt alle Quellen. — Karl Brunner, Die englische Sprache. Ihre geschichtliche Entwicklung. Bd. 1: Allgemeines. Lautgeschichte. 1950. Englische Herbert Breisgau), dienstliche Kruisinga,

Wortbildungslehre

Koziol (aus der Schule Karl Luicks, jetzt zu Freiburg im Handbuch der englischen Wortbildungslehre. 1937. VerZusammenfassung (seit der altenglischen Zeit). — Etsko De bouw van het Engelse woord. Amsterdam 1941. Englische

Satzlehre

Eugen Einenkel, Historische Syntax. 3. Aufl. 1916. Ist: Geschichte der englischen Sprache. II.

866

SYSTEM DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

Englische

Sprachgeschichte

Friedrich Kluge, Geschichte der englischen Sprache. In: Grundriß der germanischen Philologie. Bd. 1. 2. Aufl. 1901. 926 ff. Bis zum sechzehnten Jahrhundert. Auch historische Grammatik. — Uno Lorentz Lindelöf, Grundzüge der Geschichte der englischen Sprache. 1912. 2. Aufl. 1928. Auch historische Grammatik. — Henry Cecil Wyld. A short history of English. 2. Aufl. 1927. Deutsch von Heinrich Mutschmann u. d. T.: Kurze Geschichte des Englischen 1919. Zugleich historische Grammatik. — Ren6 Huchon, Histoire de la langue anglaise. Τ. 1. 2. Paris 1923. 1930. Unvollendet hinterlassen (bis zum Ausgang des Mittelalters). — Albert C(roll) Baugh, A history of the English language. 1935. Für Studierende. — Wolfgang Jungandreas, Geschichte der englischen Sprache. 1949. Henry Bradley, The making of English. 1924. Geistvolles Buch. Auch f ü r einen weiteren Leserkreis. — Otto Jespersen, Growth and structure of the English language. 8. Aufl. Leipzig 1935. Fesselndes Werk. Auch für einen weiteren Leserkreis. Jeremiah J. Hogan, The English language in Ireland. Dublin 1927. Mary S. Serjeantson, A history of foreign words in English. London 1935. — Erik Björkman, Scandinavian loanwords in middle English. Τ. 1. 1900. T. 2. 1902. — Per Thorson, Anglo-Norse studies. An inquiry into the Scandinavian element in the modern English dialects. Amsterdam 1936. — J. F. Bense, A dictionary of the Low-Dutch element in the English vocabulary. Haag 1926 ff. — Ε. C. Llewellyn, The influence of Low Dutch on the English vocabulary. 1936. Englische

Fachsprache

James Britten und Robert Holland, A dictionary of English plantnames, 1878. 1886. — Bernhard Fehr, Die Sprache des Handels in Altengland. 1909. Hab.-Schrift Zürich 1909/10. — Albert Dienst, Untersuchungen zur akademischen Berufssprache in England. Diss. Gießen 1937. Englische

Wörterbücher

M(itford) M(acLeod) Mathews, A survey of English dictionaries. Oxford 1933. James Murray u. a., A New English dictionary on historical principles. 1888 ff. Supplement von William A. Craigie und Charles Talbut Onions. 1933. Das sogenannte Oxford Dictionary. Großartiges Grundwerk: geschichtlich im Sinne des Grimmschen Wörterbuchs. Das größte und zuverlässigste englische Wörterbuch. Charles Talbut Onions, The shorter Oxford English dictionary on historical principles. 1933. Bedeutungsgeschichte. — Henry Watson Fowler und Francis George Fowler, The concise Oxford dictionary of current English. Neuauflage. 3. Aufl. 1942. — Dies., The pocket Oxford dictionary of current English. 4. Aufl. 1949. Sehr praktisch. Durchaus selbständig neben dem genannten Werk The concise Oxford dictionary.

367

SPRACHE

Englische etymologische

Wörterbücher

Walter William Skeat, An etymological dictionary of the English language. 4. Aufl. 1910. •— Ders., A concise etymological dictionary of the English language. 1911. — Friedrich Kluge und Frederick Lutz, English etymology. A select glossary. 1898. —• Ferdinand Holthausen, Etymologisches Wörterbuch der englischen Sprache. 3. Aufl. 1948. — Ernest Weekley, A concise etymological dictionary of modern English. Neuyork 1924. John Jamieson, An etymological dictionary of the Scottish language. Edinburg 1808. Zuletzt 1910 hg. von John Johnstone. Altenglische

(angelsächsische)

Sprachlehre

Hector Munro Chadwick, The study of Anglo-Saxon. Cambridge 1941. 90 S. Eduard Sievers, Angelsächsische Grammatik. 1882. 3. Aufl. 1898. Von größtem Verdienst für die Grundlegung der anglistischen Wissenschaft. Mustergültigste und zuverlässigste Darstellung. — Neu bearbeitet von Karl Brunner (Innsbruck) u. d. T.: Altenglische Grammatik nach der Angelsächsischen Grammatik von Eduard Sie vers. 1942. — Eduard Sievers, Abriß der altenglischen (angelsächsischen) Grammatik. 11. Aufl. neubearb. von Karl Brunner. 1948. Karl Bülbring, Altenglisches Elementarbuch. 1902. Nur Lautlehre. Eingehende Darstellung. —- Joseph und Elizabeth Mary Wright, Old English grammar. 3. Aufl. 1925. Dient vorwiegend praktischen Zwecken. — Ernst Kieckers, Altenglische Grammatik. 1935. — Martin Lehnert, Altenglisches Elementarbuch. 1939. (Sammlung Göschen.) Zur Einführung. Altenglische

Wörterbücher

Eduard Mätzner, Altenglisches Wörterbuch. Drei Bände. 1878 ff. — Joseph Bosworth, An Anglo-Saxon dictionary. Hg. von Thomas Northcote Toller. 1882—1898. Supplement 1921. „Bosworth-Toller." — Christian Wilhelm Michael Grein. Sprachschatz der angelsächsischen Dichter. Neu hg. von Johann Jakob Köhler. 1912 ff. Henry Sweet, The student's dictionary of Anglo-Saxon. 1897. 1911.— Clark Hall, A concise Anglo-Saxon dictionary for the use of students. 3. Aufl. 1931. — Josef Raith (München), Altenglisches Wörterbuch zum altenglischen Lesebuch. 1944. Ferdinand Holthausen (Wiesbaden), Altenglisches etymologisches Wörterbuch. 1934. Μi 11e1eηg1ische

Sprachlehre

Edith Elizabeth Wardale, An introduction to ME. 1937. 2. Aufl. 1949. Elementar. Lorenz Morsbach (Göttingen), Mittelenglische Grammatik. 1896. — Richard Jordan, Handbuch der mittelenglischen Grammatik. Τ. 1: Laut-

368

SYSTEM DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

lehre. 2. Aufl. hg. von Heinrich Christoph Matthes (Erlangen), 1934. — Karl Brunner, Abriß der mittelenglischen Grammatik. 1938. — Joseph und Elizabeth Mary Wright, An elementary Middle English grammar. 2. Aufl. 1928. Eugen Einenkel, Streifzüge durch die mittelenglische Syntax unter besonderer Berücksichtigung der Sprache Chaucers. 1887. Bernhard ten Brink, Chaucers Sprache und Verskunst. 3. Aufl. 1920. Wird dem Mittelenglischen gleichmäßig gerecht nach seinen germanischen -wie nach seinen französischen Elementen. Mittelenglische

Wörterbücher

Franz Heinrich Stratmann (Krefeld), A Middle-English dictionary. Neu hg. von Henry Bradley. 1891. Grundwerk. — Anthony Lawson Mayhew und Walter William Skeat, A concise dictionary of Middle English from a. d. 1150 to 1580. Oxford 1888. Neuenglische

Sprachlehre

Wilhelm Franz (Tübingen), Die Sprache Shakespeares in Vers und Prosa. 4. Aufl. 1939. Die älteren Auflagen u. d. T.; Shakespeare-Grammatik. Wilhelm Horn, Historische neuenglische Grammatik. Τ. 1: Lautlehre (nur diese erschienen). 1908. Vorzüglich klärend. — Otto Jespersen, Α modern English grammar on historical principles. Τ. 1-4. Heidelberg 1909-31. Τ. 5-7. Kopenhagen 1940-49. Anregend. — Etsko Kruisinga, An English grammar. Vol. 1: Accidence and syntax. 6. Aufl. Groningen 1941. — Ellert Ekwall, Historische neuenglische Laut- und Formenlehre. 2. Aufl. 1922. (Sammlung Göschen.) Joseph und Elizabeth Mary Wright, An elementary historical New English grammar. Oxford 1924. — George Oliver Curme und Hans Kurath, A grammar of the English language. Bd. 1-3. Boston 1931. William Edward Collinson, Spoken English. 11. Aufl. Leipzig 1938. Max Deutschbein (Marburg) u. a., Handbuch der englischen Grammatik. 2. Aufl. 1931. — Ders., Grammatik der englischen Sprache für höhere Schulen auf wissenschaftlicher Grundlage. 11. Aufl. 1941. Gustav Krüger, Schwierigkeiten des Englischen. 3. Aufl. 1920. Vier Teile (Synonymik und Wortgebrauch, Syntax, Unenglisches Englisch). Neuenglische La u tb i1d u η gs1eh r e Henry Sweet, Elementarbuch des gesprochenen Englisch. 3. Aufl. 1910. — Daniel Jones, The pronunciation of English. 3. Aufl. 1950. — Ders., Phonetic readings in English. 28. Aufl. 1949. Phonologie: Etsko Kruisinga, De bouw van het engelse woord. Amsterdam. 1941. Stark erweiterte Neubearbeitung u. d. T.: The phonetic structure of English words. Bern 1943.

SPRACHE

Neuenglische Wortkunde

369 und.Wortgeschichte

Heinrich Spies, Kultur und Sprache im neuen England. 2. Aufl. 1926. Im wesentlichen wortkundlicher Beobachtungsstoff: die Entwicklung der englischen Sprache seit 1880 im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen, sozialen, ethischen, religiösen und künstlerischen Kräften. Stoff-. lieh und methodisch wertvoll. Philipp Aronstein, Englische Wortkunde. 1925. Kultur- und volkskundlich, „mit dem Wesen und «Charakter, der geistigen Eigenart des englischen Volkes bekannt zu machen" (III). — Rudolf Plate, Englische Wortkunde auf sprach- und kulturgeschichtlicher Grundlage. 1934. Neuenglische

Satzlehre

Gustav Wendt, Syntax des heutigen Englisch. 1911 ff. — Max Deutschbein (Marburg), System der neuenglischen Syntax. 4. Aufl. 1931. Psychologische Auffassung (gegen den Historismus). — George Oliver Curme (Northwestern University, USA), Syntax. 1931. (Grammar of the English language 3.) — Charles Talbut Onions, An advanced English syntax. London 1929. Neuenglische

Mundarten

English Dialect Society. London 1873 ff. (mit achtzig Veröffentlichungen). — Joseph Wright, The English dialect grammar. 1905. — Englische Dialekte. Bearbeitet unter der Leitung von Alois Brandl (Berlin). 1928. Phonetische Platten und Umschriften. Joseph Wright, The English dialect dictionary. Sieben Bände. 1898 ff. F. Schubel, Zur neueren englischen Dialektforschung. In: Englische Studien 73, 1938/39, 344-380. Neuenglische

Wörterbücher

Alexander Schmidt, Shakespeare-Lexicon. Zwei Bände. 4. Aull. Berlin 1923. — Charles Talbut Onions, Α Shakespeare glossary. 1922. — Leon Kellner, Shakespeare-Wörterbuch. 1922. Felix Flügel, Allgemeines englisch-deutsches und deutsch-englisches Wörterbuch. 4. Aufl. 1908. — Muret-Sanders, Enzyklopädisches englischdeutsches und deutsch-englisches Wörterbuch. Zuletzt 1922 u. ö. 4 Bde. — Dass., Hand- und Schulausgabe. 2 Bde. Zuletzt 1929. Dazu: Nachtrag 1933. — Christoph Friedrich Grieb und Arnold Schröer, Englischdeutsches und deutsch-englisches Wörterbuch. 11. Aufl. 1911. — Michael Martin Arnold Schröer, Englisches Handwörterbuch in genetischer Darstellung. Mitbearbeitet und herausgegeben von Paul Lothar Jaeger. 1937 ff. (im Erscheinen). — Karl Wildhagen (Kiel), Englisch-deutsches, deutsch-englisches Wörterbuch. Bd. 1. 1938. 2. Aufl. 1943. — Johannes Ziegler und Hermann Seiz, Englisches Wörterbuch. 8. Aufl. 1944. Henry Watson Fowler, Dictionary of modern English usage. 1926. — Henry Cecil Wyld, The universal dictionary of the English language. 1932. 3. Aufl. 1936. Die heutige Literatur- und Umgangssprache: WortS t r o h , Germanische Philologie

24

370

SYSTEM DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

bedeutungen, ausführliche Etymologie. — Noah Webster, New international dictionary of the English language. 2. Aufl. Springfield, Massachusetts 1938. Usw. Langenscheidts Taschenwörterbuch der englischen und deutschen Sprache. — Herbert Schöffler, Neues Wörterbuch der englischen und deutschen Sprache. 1923 ff. Taschenwörterbuch. — Kurt Wittig (Erlangen), Englisches Taschenwörterbuch. Englisch-Deutsch. DeutschEnglisch. 1946. Berücksichtigt besonders den alltäglichen Wortschatz (Kragenknopf, Lebensmittelkarte) und das amerikanische Englisch. Neuenglische

Aussprachewörterbücher

Daniel Jones, An English pronouncing dictionary. 11. Aufl. 1950. Das Hauptwerk. — Arnold Schröer, Neuenglisches Aussprachewörterbuch. 2. Aufl. 1922. Neuenglische

Synonymenwörterbücher

Peter Mark Roget, Thesaurus of English words and phrases. 1852. Zuletzt 1944. Der klassische Versuch dieser Art von Wortschatzdarstellung. Ordnet die Worte nicht, wie gewöhnlich, abecelich, sondern logisch, nach Begriffen; unter einem Hauptbegriff zusammengestellt sind alle verwandten und entgegengesetzten Begriffe und Redensarten. Gustav Krüger, Synonymik und Wortgebrauch der englischen Sprache. 3. Aufl. 1920. Für Unterrichtszwecke. — Ders., Englische Synonymik. Mittlere Ausgabe. 3. Aufl. 1928. Amerikanisches

Englisch

American speech. Baltimore 1925 ff. — Henry Louis Mencken, The American language. 1. Aufl. 1919. 4. (wichtige) Neuaufl. 1936. 800 S. Supplement I, 1945; II, 1949. — Deutsche Bearbeitung von Heinrich Spies u. d. Τ.: Die amerikanische Sprache (das Englisch der Vereinigten Staaten). 1927. — George Philipp Krapp, The English language in America. I. II. Neuyork 1925. — John Samuel Kenyon und Thomas A. Knott, A pronouncing dictionary of American English. 1944. — Hans Galinsky, Die Sprache des Amerikaners. Eine Einführung in die Hauptunterschiede zwischen amerikanischeiii und britischem Englisch der Gegenwart. Bd. 1: Das Klangbild — Die Schreibung. 1951. Walther Fischer (Gießen, Marburg), Die Erforschung des amerikanischen Englisch. In: Germanen und Indogermanen. 2, 1936, 409. Bericht über Lexikographie, Dialektgeographie, Ortsnamenforschung. Wörterbücher

des a m e r i k a n i s c h e n

Englisch

Friedrich Köhler, Wörterbuch der Amerikanismen. 1866. — John Russell Bartlett, Dictionary of Americanisms. 1896. — Richard Η. Thornton, American glossary. 1912. — Francis George Fowler und Henry Watson Fowler, The pocket Oxford dictionary of current English. American edition 1927. — Heinrich Mutschmann, A glossary of Americanisms. Dorpat 1931.

371

SPRACHE

William A. Craigie und James R. Η Ulbert, A dictionary of American English on historical principles. Bd. 1, 1938 ff. (im Erscheinen). Großes Grundwerk. Vorbereitet seit 1925 von der Universität Chicago unter Leitung von William A. Craigie. Berücksichtigt ausschließlich den besonderen amerikanischen Wortschatz, und zwar die amerikanische literarische Gemeinsprache bis zur Gegenwart. Amerikanische

Mundarten

Die Forschung sammelt sich in den „Dialect Notes", der Zeitschrift der amerikanischen Dialect Society. Ein amerikanischer Sprachatlas wird vorbereitet, nach europäischem Vorbild, von Hans Kurath, dem Germanisten der Brown Universität, in Providence, Rhode Island. Teile davon sind erschienen. A linguistic atlas of the United States and Canada. 1939 ff. „American Dialect Dictionary." Wird vorbereitet: ein groß angelegtes wissenschaftliches Wörterbuch der gesprochenen Sprache mit ihren dialektischen Ausprägungen. Ein amerikanisches Seitenstück zu Joseph Wrights Englischem Mundartwörterbuch. Die Anfänge des amerikanischen Planes reichen bis zum Jahre 1889 zurück. Seit J a h r zehnten planmäßig vorbereitet unter Leitung von Professor Percy W. Long von der Neuyorker Universität. Marcus Bachman Lambert, A dictionary of the non-English words of the Pennsylvania-German dialect. 1924. 224 S. Pennsylvaniendeutsches Wörterbuch. Wertvoll. Indoaustralisches

Englisch

Hugo Schuchardt, Das Indo-Englische. In: Englische Studien 15, 1891, 286. Sidney J. Baker, The Australian language. Sidney 1945. Friesisch

Die friesische Sprache bildet das vermittelnde Glied zwischen dem Deutschen und dem Englischen. Ihr Studium wird aber, zumal in Deutschland, stark vernachlässigt. Schon Willem Lodewijk van Heltens „Altostfriesische Grammatik" (1890) sollte dieses „Aschenbrödel unter den germanischen Schwestern" aus seiner Vernachlässigung erlösen. Bei der rechtsgeschichtlichen Forschung genießt das Friesische zwar hohes Ansehen infolge des besonderen rechtsgeschichtlichen Wertes der altfriesischen Quellen. Es wird aber doch nur wenig gekannt und philologisch gepflegt. 24*

372

SYSTEM DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

Unter den deutschen Germanisten und Anglisten haben die friesische Forschung besonders gefördert Theodor Siebs (Breslau), Conrad Borchling (Hamburg) und Ferdinand Holthausen (Kiel, Wiesbaden). Einen Bericht über die Erforschung des Friesischen bis zum Ende des Jahres 1931 gibt Ferdinand Holthausen: Friesisch. In: Germanische Philologie. 1934. S. 291. Friesische

Sprachgeschichte

Thodor Siebs, Zur Geschichte der englisch-friesischen Sprache. I. 1889. Behandelt das Verhältnis des Friesischen zum Angelsächsischen (Anglofriesisch). — Ders., Geschichte der friesischen Sprache. In: Grundriß der germanischen Philologie. 2. Aufl. Bd. 1 (1901), 1152 ff. Mit Einschluß der lebenden Mundarten. Grundlegend. E i n f ü h r u n g i n d a s A 11 f r i e s i s c h e Wilhelm Heuser, Altfriesisches Lesebuch. 1903. Mit knapper Lautund Formenlehre. Wortverzeichnis. — Walther Steiler (Breslau, Kiel), AbriB der altfriesischen Grammatik. 1928. Mit Lesestücken und Wortverzeichnis. Berücksichtigt die übrigen westgermanischen Mundarten des Altenglischen, Altsächsischen und Althochdeutschen. Mit Mängeln. A 11 f r i e s i s c h e

Sprachlehre

Willem Lodewijk van Helten, Altostfriesische Grammatik. Leeuwarden 1890. Reiche Sammlungen. Zuverlässig gearbeitet. — Walther Steller, Abriß der altfriesischen Grammatik. 1928. Dazu die Besprechungen. A 11 f r i e s i s c h e W ö r t e r b ü c h e r Karl von Richthofen, Altfriesisches Wörterbuch. 1840. Grundlegend. — Ferdinand Holthausen, Altfriesisches Wörterbuch. 1925. Abriß. Ohne Belege. Neufriesische

Wörterbücher

Waling Dijkstra und Foeke Buitenrust-Hettema, Friesch woordenboek. (Lexicon Frisicum.] 1898-1911. — Jürgen Schmidt-Petersen, Wörterbuch und Sprachlehre der nordfriesischen Sprache nach der Mundart von Föhr und Amrum. 1912. — Peter Jensen, Wörterbuch der nordfriesischen Sprache der Wiedingharde. 1927. Niederländisch

Es sprechen wichtige Gründe dafür, das Niederländische, die Sprache der Holländer und Flamen, die heute von etwa fünfzehn Millionen Menschen gesprochen wird, Wissenschaft-

373

SPRACHE

lieh und praktisch zu größerer Bedeutung zu bringen und sie dem germanistischen Studium zumal in Deutschland fester einzugliedern. Namentlich westdeutsche Germanisten haben ja immer die Grenzen der beiden Schriftsprachen überschritten, so besonders Mundartforscher wie die Bonner Johannes Franck, Theodor Frings und Adolf Bach, dieser neuerdings auch in seiner großen „Deutschen Namenkunde" (Bd. 1, 1943), sowie die Münsterer Karl Schulte-Kemminghausen und William Foerste und der Hamburger Hans Teske. Charles P. F. Lecoutere, Inleiding tot de taalkunde en tot de geschiedenis van het Nederlands. (1915.) 6. Aufl. bearb. von Lodewijk Grootaers. 1948. — Jacob van Ginneken, Handboek der Nederlandsche taal. Τ. 1. 2. 1913 f. Τ. 1 2. Aufl. 1928. Großangelegtes Werk des scharfsinnigen Sprachpsychologen. Soziologisches Gefüge, Dialekte. Ζ e i t s c fi r i f t e n. Tijdschrift voor Nederlandsche taal- en letterkunde. 1 (1881) ff. — Onze taaltuin. Maanblad voor de wetenschap der taal als volksuiting, nationale cultuurschat en instrument voor schoone kunst. 1 (1932) ff. — De taalgids. 1 (1859) ff. Niederländische

Sprachlehre

Moritz Schönfeld, Historiese Grammatika van het Nederlands. Schets van de klankleer, vormleer en woordforming. 4. Aufl. 1947. Überlegene Darstellung der Forschung. — Marten Jan van der Meer, Historische Grammatik der niederländischen Sprache. 1927. Erschienen ist n u r der erste Band: (Sprachgeschichtliche) Einleitung und Lautlehre. Historische Grammatik zumal in dem Sinne, die Unterschiede zwischen dem Neuniederländischen und dem Neuhochdeutschen geschichtlich zu b e gründen. Niederländische

Sprachgeschichte

Jan te Winkel, Geschichte der niederländischen Sprache. In: Grundriß der germanischen Philologie. 2. Aufl. Bd. 1, 1901, S. 781 ff. Noch immer grundlegend. Mit einer zuverlässigen Sprachkarte. — Cornelius Gerrit Nicolaas de Vooys, Geschiedenis van de Nederlandsche taal. 3. Aufl. 1937. — Jacob Verdam, Uit de geschiedenis der Nederlandsche taal. 4. Aufl. 1923. F ü r weitere Kreise. — Theodor Frings, Die Stellung der Niederlande im Aufbau des Germanischen. 1944. Sprachgeographisch (mit Karten). Grundlegender Abriß. N i e d e r l ä n d i s c h - D e u t s c h . William Foerste (Münster), Der Einfluß des Niederländischen auf den Wortschatz der jüngeren niederdeutschen Mundarten Ostfrieslands. 1938. — Hermann Teuchert (Rostock), Die Sprachreste der niederländischen Siedlungen des zwölften Jahrhunderts. 1944. Das heißt: in den neueren niederdeutschen

374

SYSTEM DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

Mundarten. Umfangreiche Einzeluntersuchung (515 Seiten) des Rostokker Germanisten. Krönung langjähriger Forschungen. Methodisch (sprachgeographisch) und sachlich von höchster Bedeutung. Niederländische

Wörterbücher

Matthias de Vries, Lambert Allard te Winkel u. a., Woordenboek der Nederlandsche taal. 1864 ff. Ausführliche Behandlung. Bis zum Jahr 1940 sind dreihundertzwanzig Lieferungen erschienen. Niederländische

etymologische

Wörterbücher

Johannes Franck (weiland Professor der Bonner Universität), Etymologisch Woordenboek der Nederlandsche taal. 2. Aufl. von Nicolaas van Wijk. 1912. Neudruck 1929. Mit Supplement (die nach 1912 erschienene Literatur) von Coenraad Bernardus van Haeringen. 1936. Hauptwerk. — Josef Vercouillie, Beknopt Etymologisch Woordenboek der Nederlandsche Taal. 3. Aufl. 1925. Mittelniederländische

Sprachlehre

Die beste Einführung bietet Johannes Franck, Mittelniederländische Grammatik. 2. Aufl. 1910. Der Hauptnachdruck liegt auf der Sprache der sorgfältigeren Schriftsteller des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts. Daneben sind die des späteren vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts berücksichtigt. Die Belege ohne Angabe der Fundstellen. Mit Lesestücken und Glossar. — Frederik August Stoett, Middelnederlandsche spraakkunst. Syntaxis. 3. Aufl. 1923. Mittelniederländische

Wörterbücher

Eelco Verwijs und Jacob Verdam. Middelnederlandsch Woordenboek. T. 1-10. 1882—1940. Vollendet durch F. A. Stoett. Das umfassendste etymologische Wörterbuch einer germanischen Sprache. Als elfter Teil erschien seit 1941: Aanvullingen en verbeteringen op het gebied van dijk- en waterschapsrecht, bodem en water, aardrijkskunde enz. Von Anton Albert Reekman. Jacob Verdam, Middelnederlandsch Handwoordenboek. 2. Aufl. 1932. „Waarin bij elk woord alleen de beteekenis is vermeld, dus zonder bewijsplaatsen. Daarin zijn meer woorden opgenomen dan in het groote Woordenboek, terwijl ook eenige verbeteringen zijn aangebracht. Volgens het Voorwoord is dit niet bestemd voor de groote Studie onzer oude taal, maar voor hen wier werk hen met het Middelnederlandsch in aanraking brengt, zooals b. v. geschiedkundigen, beheerders en ambtenaren aan de archieven, beoefenaars van het oud-vaderlandsche recht, onderwijzers en ook het beschaafde publiek, dat wil kennis maken met de voornaamste voortbrengselen der steeds in ruimer kring bekend wordende Middelnederlandsche letterkunde."

375

SPRACHE

Einführung

in

das

Neuniederländische

(praktisch)

Michael A. van de Kerckhove, Lehrbuch der Niederländischen Sprache. 1923. Geschickt eingerichtet. Natürliche Sachkreise führen zugleich ein in das Studium von Land, Leuten, Kultur, Geschichte und niederländischem Leben. Mit selbständigem grammatischem Teil. — Cornells Willem Hendrinus Lindenburg, Niederländische Konversations-Grammatik. 8. Aufl. 1942. Wendet die seit 1934 vorgeschriebene neue Rechtschreibung an. Brauchbar. Neuniederländische

Sprachlehre

Marten Jan van der Meer (Frankfurt am Main), Grammatik der ueuniederländischen Gemeinsprache. (Het algemeen beschaafd.) 1923. Mit Wort- und Satzlehre, Übungs- und Lesestücken. Für den akademischen Unterricht (praktisch). — Cornelius Gerrit Nicolaas de Vooys, Nederlandse Spraakkunst. Met medewerking van Moritz Schönfeld. 2. Aufl. 1949. — Hendrik Zwaardemaker und L. P. H. Eijkman, Leerboek der phonetiek. Inzonderheid met betrekking tot het Standaard-Nederlandsch. 1928. Neuniederländische

Wörterbücher

Jan Hendrik van Dale, Groot Woordenboek der Nederlandsche taal. 6. Aufl. 1924. Lebende Sprache. Sinngehalt: — Ders., Handwoordenboek der Nederlandsche taal. 4. Aufl. 1925. — Langenscheidts Taschenwörterbuch der niederländischen und deutschen Sprache.

Neuniederländische

Mundarten

Jacob van Ginneken, De Studie der Nederlandsche streektalen. 1943. Einführung in die neuere niederländische Mundartforschung mit o f f nem Blick auf die allgemeine Mundartforschung. Eine inhaltsreiche und anregende Darstellung: von dem bedeutenden niederländischen Sprachforscher. Klaus Heeroma, Hollandse dialektstudie. 1935. — Antonius Angelus Weijnen, De Nederlandse dialecten. 1941. 189 S. — Karl Schulte-Kemininghausen (Münster), Verzeichnis der Mundartkarten des niederländischen Sprachraumes. In: Deutsches Archiv für Landes- und Volksforschung 6, 440. Flämisch Werner Herx, Lehrbuch der flämischen Sprache. 1916. — Bernhard Gaster, Leitfaden zur schnellen Erlernung der vlämischen Sprache. 2. Aufl. 1916. Jozef Jacobs, Het Westvlaamsch van de oudste tijden tot heden. 1927.

376

SYSTEM DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

Flämische

Wörterbücher

Lodewijk Willem Schuermans, Algemeen Vlaamsch Idiolicon. 1865. — Leonard Lodewijk de Bo, Westvlaamsch Idioticon. 1873. 2. Aufl. 1892.— Isidoor Teirlinck, Zuid-Oostvlaandersch Idioticon. 1908 ff. (nur bis L erschienen). Burisch Heinrich Meyer, Die Sprache der Buren. Göttingen 1901. Einleitung, Grammatik, Sprachproben. — Nicolaas Marais-Hoogenhout, Praktisches Lehrbuch der kapholländischen Sprache (Burensprache). 1904. Sprachlehre, Lesestücke, Wörterbuch. — Marcel Romeo Breyne, Afrikaans. Eine Einführung in Laut-, Formen- und Satzlehre mit Literaturproben. 1936. — Gesinus Gerhardus Kloeke, Herkomst en groei van het Afrikaans. 1950. Deutsch Jacob Grimm auf der Versammlung der Germanisten zu Frankfurt am Main am 24. September 1846 (Verhandlungen S. 13): „Aus der Vielheit unserer Mundarten haben wir allmählich eine Sprache gewonnen, die ohne Pracht und Eitelkeit ihren Grundzug, das ist schlichte Treue, festhält, die schon im Mittelalter liebliche Frucht getragen und auch nach langer Versäumnis regeste Verjüngungskraft bewahrt hat. Seit Luther ist die Herrschaft des hochdeutschen Dialekts u n a b änderlich festgestellt, und willig entsagen alle Teile Deutschlands einzelnen Vorteilen, die jede vertrauliche Mundart mitführt, wenn d a durch Kraft und Stärke der aus ihnen allen aufsteigenden gemeinschaftlichen und edelsten Schriftsprache gehoben wird. Jeder Verlust ist f ü r ein Glück zu achten, der höhere Gewinne zuwege bringt." W e s e η . Leo Weisgerber, Von den Kräften der deutschen Sprache. T. 1-4. 1950. F o r s c h u n g s b e r i c h t e . Victor Michels (.Jena), Deutsch. In: Stand und Aufgaben der Sprachwissenschaft. Festschrift f ü r Wilhelm Streitberg. 1924. S. 463 ff. Für weitere Kreise: Friedrich Knorr (Leipzig), Deutsche Sprachwissenschaft. 1942. Geschichtliche Entwicklung, Hauptfragen, Aufgaben. E i n f ü h r u n g in die d e u t s c h e

Sprachlehre

Otto Behaghel (Gießen), Die deutsche Sprache. 8. Aufl. 1930. Unveränderter Neudruck der 6. Aufl. von 1917. Meisterhaft. Auch f ü r weitere Kreise. — Ders., Von deutscher Sprache. 1927. Vielseitige Sammlung von Aufsätzen und Vortragen. Leitet lebendig und meisterlich an zur wissenschaftlichen, zumal geschichtlichen Betrachtung der deutschen Sprache. — Louis Leonor Hammerich, Indledning i tysk Grammatik. Kopenhagen 1935. 78 S. Der Kopenhagener Germanist e r örtert hier grundsätzliche Fragen: zunächst f ü r dänische Studenten bestimmt.

SPRACHE

377

Zeitschrift des Allgemeinen deutschen Sprachvereins. 1886 ff. Seit 1925 u. d. T.: Muttersprache. — Jahrbuch der deutschen Sprache. Bd. 1. 1941. Bd. 2. 1944. Wissenschaftliche Beiträge gemeinverständlich. Anregend. Über den Stand der Forschung berichtete Helmut Arntz (Honnef) in der Otto-Behaghel-Festschrift „Germanische Philologie" (1934) S. 75: Deutsche Grammatik. Deutsche

Sprachlehre

Wilhelm Wilmanns (wirkte in Bonn), Deutsche Grammatik. Abt. 1. Lautlehre. 3. Aufl. 1911. Abt. 2. Wortbildung. 2. Aufl. 1906. Abt. 3. 1. Hälfte. Flexion des Verbums. 1906. 2. Hälfte. Flexion des Nomens und Pronomens. 1. und 2. Aufl. 1909. Die Syntax, der Schlußstein des Ganzen, fehlt. Behandelt Gotisch, Alt-, Mittel- und Neuhochdeutsch. Doch Betonung der Frühzeit. Meisterliches und führendes Grundwerk. Hermann Paul (wirkte in München), Deutsche Grammatik. Fünf Bände. Inhalt: 1. Geschichtliche Einleitung. Lautlehre. 1916. Die geschichtliche Einleitung gilt als gute Einführung in die 'innere' Geschichte der germanischen Sprachen, insbesondere des Deutschen. 2. Flexionslehre. 1917. 3. 4. Syntax. 1919. 5. Wortbildungslehre. 1920. Der „Paul" ist neben dem „Wilmanns" das Grundwerk. Doch Betonung der neueren Zeit: die grammatische Darstellung der neuhochdeutschen Schriftsprache auf geschichtlicher Grundlage. — Heinz Stolte (Jena), Kurze deutsche Grammatik. Auf Grund der fünfbändigen Deutschen Grammatik von Hermann Paul eingerichtet. 1949. 456 S. — 2. Aufl. 1951. Carl Karstien (Hirt- und Behaghel-Schüler in Gießen, jetzt Köln), Historische deutsche Grammatik. 1939 ff. Erschienen ist bisher nur der erste Band des Gesamtwerkes, das drei Bände umfassen soll. Die Einleitung enthält eine eingehende kritische Betrachtung der Hilfsmittel. Karstien stellt streng diachronisch dar, d. h. er entwickelt das Schicksal der einzelnen Laute durchlaufend vom Urgermanischen bis zum Neuhochdeutschen. Das Werk will als Studienbuch die Mitte halten zwischen den großen Darstellungen von Wilmanns und Paul und den Abrissen. Als Studienbuch hat es sich erst noch tu bewähren. Jan van Dam (Amsterdam), Handbuch der deutschen Sprache. Groningen 1937 ff. Bd. 1. Einleitung und Lautlehre. 1937. Bd. 2. Wortlehre 1940. (Formenlehre und Wortbildungslehre.) Bd. 3, Syntax, in Vorbereitung. In erster Linie bestimmt für Niederländer, die das Deutsche studieren. Daher vergleichende Berücksichtigung des Niederländischen, normative Darstellung (doch mit weitem Spielraum) und umfangreiche Darstellung der Phonetik und der Rechtschreibung. Auf geschichtlicher Grundlage. (Die Karte ist leider unzulänglich.) Auch sehr geeignet für deutschsprachige Studierende: eine klare Einführung, zumal in den deutsch-niederländischen Zusammenhang. Henrik Becker (Leipzig), Deutsche Sprachkunde. 1. Sprachlehre. 1941. Eigenwilliger Versuch im 'Geist der deutschen Sprache'. Doch stark vernunftmäßig.

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SYSTEM DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

A b r i s s e . Hans Schulz (Friedrich-KIuge-Schüler), Abriß der deutschen Grammatik. 2. (1933) und 3. Aufl. (1947) von Friedrich Stroh. Querschnitte: vom Indogermanischen bis zum Neuhochdeutschen. Fachwissenschaftlich. Versuch einer knappen und klaren Darstellung. — Friedrich Kauffmann (Kiel), Deutsche Grammatik. 10. Aufl. 1933. Kurzgefaßte Laut- und Formenlehre des Gotischen, Althochdeutschen, Mittelhochdeutschen und Neuhochdeutschen. — Joseph Wright, Historical German grammar. 1907. Deutsche

Lautlehre

Louis Leonor Hammerich (Kopenhagen), Kortfattet tysk lydhistorie. 1935. 86 S. In erster Linie für dänische Studierende. — Heinrich Ehlinger, Geschichtliche deutsche Lautlehre. 2. Aufl. 1950. Elementare übersichtliche und sehr klare Darstellung der wichtigsten Tatsachen: vom Indogermanischen bis zum Neuhochdeutschen. Deutsche

Wortbildungslehre

Jacob Grimm, Deutsche Grammatik. T. 2. u. 3. Von der Wortbildung. Neuer vermehrter Abdruck. 1877. 1890. — Wilhelm Wilmanns, Deutsche Grammatik. Bd. 2: Wortbildung. 2. Aufl. 1899. — Hermann Paul, Deutsche Grammatik. Bd. 5: Wortbildungslehre. 1920. — Jan van Dam, Handbuch der deutschen Sprache. Bd. 2: Wortiehre. 1940. Mit einer Wortbildungslehre. — Walter Henzen (Bern, Albert-Bachmann-Schüler), Deutsche Wortbildung. 1947. Neueste aufgeschlossene Darstellung. Auch stärkere Einbeziehung der Mundart. Zur E i n f ü h r u n g . Friedrich Kluge, Abriß der deutschen Wortbildungslehre. 2. Aufl. 1925. Ein kleines Meisterwerk. Deutsche

Wortkunde

Herman Hirt, Etymologie der neuhochdeutschen Sprache. 2. Aufl. 1921. Durchaus geschichtlich. Inhaltsreich und brauchbar: wichtiges Arbeitsbuch. — Othmar Meisinger (Rappenau im Südfränkischen), Vergleichende Wortkunde. 1932. Und zwar der fünf Schulsprachen Deutsch, Englisch, Französisch, Latein, Griechisch. Gesammelt und erprobt in einem langen Lehrerleben. Für den Unterricht. — Rudolf Plate, Deutsche Wortkunde auf sprach- und kulturgeschichtlicher Grundlage. 1936. — Albert Waag (Heidelberg), Bedeutungsentwicklung unseres Wortschatzes. 5. Aufl. 1926. Ältere Betrachtungsweise: auf Grund von Hermann Pauls „Deutschem Wörterbuch" und im Sinne von dessen „Prinzipien der Sprachgeschichte" dargestellt. Deutsche

Fremdwortkunde

Elise Richter (Wien), Fremdwortkunde. 1919. (Aus Natur und Geisteswelt.) — Friedrich Seiler, Die Entwicklung der deutschen Kultur im Spiegel des deutschen Lehnworts. 3. Aufl. 1913 ff.

379

SPRACHE

Wilhelm Pfaff, Zum Kampf um deutsche Ersatzwörter. Diss. Gießen 1933. — Otto Steuernagel, Die Einwirkungen des Deutschen Sprachvereins auf die deutsche Sprache. 1935. — Theodor Steche, Neue Wege zum reinen Deutsch. 1925. E i n f ü h r u n g in die d e u t s c h e

Satzlehre

Rudolf Blümel, Einführung in die Syntax. 1914. — Hans Naumann, Kurze historische Syntax der deutschen Sprache. 1915. — Otto Behaghel, Deutsche Satzlehre. 1926. Abriß von 56 Seiten. — Berthold Delbrück, Grundlagen der neuhochdeutschen Satzlehre. 1920. Gute Einführung (ein Schulbuch für Lehrer). — Hjalmar Falk, Tysk syntaks. Oslo 1927. Kurze Darstellung der Sprache von heute: für Studierende und Lehrer. — Rudolf Plate, Zur historischen und psychologischen Vertiefung der deutschen Schulsyntax. 1935. Ein Hilfsbuch in Frage und Antwort: (nach Otto Behaghel) ein wertvolles Hilfsmittel. Deutsche

Satzlehre

Otto Behaghel, Deutsche Syntax. Vier Bände. 1923 ff. Bd. 1: W o r t klassen (Nomen, Pronomen). 1923. Bd. 2: Wortklassen (Adverbium, Verbum). 1924. Bd. 3: Satzgebilde. 1928. Bd. 4: Wortstellung. Periodenbau. 1932. Das Hauptwerk. Vollendet Grimms Deutsche Grammatik, die „des Ziels nur die Hälfte erreicht". Geschichtliche Betrachtungsweise (Ursprung, Entstehung, Entwicklung der Erscheinungen). Beschreibung der äußeren Tatbestände. Streng analytische Darstellung. Läßt das gesamte Material hervortreten. Hermann Wunderlich und Hans Reis (Mainz), Der deutsche Satzbau. Bd. 1. 2. in 3. Aufl. 1924 f. Die gesamte Entwicklung von den frühesten Quellen bis zur Gegenwart, doch namentlich des Neuhochdeutschen, und mehr grundsätzlich als geschichtlich. Mit Einschluß der Mundarten. — Oskar Erdmann und Otto Mensing, Grundzüge der deutschen Syntax nach ihrer geschichtlichen Entwicklung. Bd. 1. 2. 1896. Die Entwicklung in großen allgemeinen Zügen. Unbefriedigend. — Hermann Paul, Deutsche Grammatik. Bd. 3. u. 4: Syntax. 1919. In der Hauptsache der neueren Zeit. — Ferdinand Sommer (München), Vergleichende Syntax der Schulsprachen mit besonderer Berücksichtigung des Deutschen. 2. Aufl. 1925. Deutsche

Sprachgeschichte

E i n f ü h r u n g . Hermann Paul, Geschichtliche Einleitung. In: Hermann Pauls Deutscher Grammatik. Bd. 1, 1916. In meiner Studienzeit gern benutzt. G r u n d w e r k e . Wilhelm Scherer, Geschichte der deutschen Sprache. 1868. 2. Aufl. 1878. Neuer Abdruck 1890. Ein Versuch im Sinne Wilhelm von Humboldts: die Entstehung der deutschen Nationalität von der besonderen Seite der Sprache anzusehen, die Entwick-

380

SYSTEM DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

lung der deutschen Sprache aus der Eigenart des deutschen Volkstums zu erklären. Unter dem Einfluß des neuen naturalistischen und teutonistischen Denkens. Glänzend durch Scharfsinn und Verknüpfungskraft. Doch nicht geglückt und veraltet, aber noch immer a n regend. Otto Behaghel (Gießen), Geschichte der deutschen Sprache. 5. Aufl. 1928. Das wissenschaftliche Grundwerk: Quellenausschöpfung, Quellennachweise. Die Gesamtentwicklung im Überblick. Im Hauptteil namentlich „innere" Sprachgeschichte, historische Grammatik. Mit Einschluß der lebenden gesprochenen Sprache und der Mundarten. Auch f ü r Einzelfragen zu benützen. Die neue sechste Auflage wird von mir vorbereitet. Herman Hirt (Gießener Indogermanist), Geschichte der deutschen Sprache. 2. Aufl. 1925. Namentlich f ü r die indogermanischen Ursprünge und die germanische Frühgeschichte der deutschen Sprache. Berücksichtigt insbesondere die Schriftsprache. Gut lesbares Studienbuch. Friedrich Kluge (Freiburg im Breisgau), Deutsche Sprachgeschichte. 2. Aufl. 1925. Betonung der Wortgeschichte und der volks- und kulturgeschichtlichen Zusammenhänge, zumal der älteren germanischen Zeit. Darin grundlegend. Grimmscher Geist. — Ders., Von Luther bis Lessing. 5. Aufl. 1932. Ergänzt zeitlich Friedrich Kluges „Deutsche Sprachgeschichte". Das Grundwerk der neuhochdeutschen Sprachgeschichte. Franz Thierfelder (München), Deutsch als Weltsprache. Bd. 1. Die Grundlagen der deutschen Sprachgeltung in Europa. 1938. Verbreitung und Studien des Deutschen in Europa. Statistisch, sprachpolitisch. Mit einer Einleitung: Die Sprache im geistigen Austausch der Völker (Weltsprachen usw.). A b r i s s e . Adolf Bach (Bonn), Geschichte der deutschen Sprache. 3. Aufl. 1943. Mit Einschluß des Niederländischen. Neueste zusammenfassende Darstellung. Bestes Studienbuch. — Sigmund Feist (Berlin), Die deutsche Sprache. 2. Aufl. 1933. Ein geschichtlicher Abriß: vom Indogermanischen bis zur Gegenwart. Mit Sprachproben. — Hans Sperber, Geschichte der deutschen Sprache. 1926. (Sammlung Göschen.) Darstellung der Gemeinsprache: wort- und geistesgeschichtlich. Eine Neubearbeitung wird vorbereitet von Josef Weisweiler (Marburg). — Wolfgang Jungandreas, Geschichte der deutschen Sprache. 1947. Ist: Geschichte der deutschen und englischen Sprache. T. 2 — Hugo Moser (Tübingen), Deutsche Sprachgeschichte. Mit einer Einführung in die Sprachbetrachtung. 1950. Gustaf Wenz, Germanisch-deutsche Sprachgeschichte bis zum Ausgang des Mittelalters. 1929. Äußerst knapp. — Hermann Ammon, Geschichte der deutschen Sprache in Frage und Antwort. Zwei Teile. 2. Aufl. 1931. Repetitorium, das das eigne ernste Studium keineswegs ersetzen oder gefährden darf. Jakob Sverdrup, Kortfattet tysk sproghistorie. Lyd- og formsystemets utvikling. Oslo 1930. — Henri Lichtenberger, Histoire de la langue allemande. 1895. 492 S. — Ernest Tonnelat, Histoire de !a langue allemande. 1927.

SPRACHE

381

Hans Naumann (Bonn), Versuch einer Geschichte der deutschen Sprache als Geschichte des deutschen Geistes. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 1, 1923, 139. — Ders., Geschichte der deutschen Literatursprachen. 1926. Theodor Frings (Leipzig), Grundlegung einer Geschichte der deutschen Sprache. In: Zeitschrift für Deutsche Geisteswissenschaft 1, 1938, 193. Die äußere Gesamtentwicklung im großen germanischromanischen Zusammenhang. Sprachgeographische Forschungsweise. — Ders., Grundlegung einer Geschichte der deutschen Sprache. 1948. 2. Aufl. 1950 „Fundament und Balkenwerk." Zusammenfassung fünfundzwanzigjähriger Arbeit. Besondere Bedeutung wird den zahlreichen Karten beigemessen. Die umfassenderen Vorarbeiten zu einer Geschichte der deutschen Sprache sind im Brand des Germanistischen Instituts der Universität Leipzig am 4. Dezember 1943 untergegangen. F ü r e i n e n w e i t e r e n K r e i s . Ellert Pastor, Die Entwicklung der deutschen Sprache. 1924. Volkhaft, ästhetisch. Anregend. — Hermann Baltzer, Die deutsche Sprache. 1935. Gesamtgermanischer Blick. Sprachgeist. — Friedrich Kluge, Unser Deutsch. 5. Aufl. von Alfred Götze. 1929. Meisterhafte Aufsätze und Grundthemen der deutschen Sprachgeschichte. — Wolfgang Krause (Göttinger Indogermanist), Deutsch als indogermanische Sprache. In: Jahrbuch der deutschen Sprache 2, 1944. Gemeinverständlich dargestellt. Q u e l l e n s a m m l u n g . Der deutschen Sprache Ehrenkranz. Dichterische Zeugnisse zur Geschichte der deutschen Sprache. Gesammelt und erläutert von Paul Pietsch (Greifswald). 3. Aufl. 1922. — Dass» Kleine Ausgabe. Ausgewählt von Richard Jahnke. 1927. — Es fehlt ein eigentliches Quellenbuch. F o r s c h u n g s b e r i c h t e . Friedrich Maurer (Freiburg im Breisgau), Geschichte der deutschen Sprache. In der Otto-Behaghel-Festschrift „Germanische Philologie", 1934, S. 201. — Friedrich Stroh (Gießen, jetzt Erlangen), Der Aufbau des Deutschen. (Die sprachgeschichtliche Bedeutung der Stämme.) In der Herman-Hirt-Festschrift „Germanen und Indogermanen", 2, 1936, 373. Deutsche

Wortgeschichte

Sie hatte allzulange im Schatten gestanden, hinter der Lautgeschichte, dem Liebling der Junggrammatiker. Friedrich Kluge hat zeitlebens darunter gelitten. Er hat der Wortgeschichte wieder das erste neue Reis geimpft und zu prächtiger Blüte gebracht, in grundlegenden Werken. Kluge hat im Jahre 1901 auch die „Zeitschrift für deutsche Wortforschung" begründet. Sie wurde ein wertvolles Forschungsarchiv. Sie ist aber 1914 mit dem fünfzehnten Band leider eingegangen. Die Bände fünf, zehn und fünfzehn enthalten erschließende Wortverzeichnisse.

382

SYSTEM DER GERMANISC ι JEN PHILOLOGIE

Alfred Götze hatte in Freiburg lange Jahre neben Friedrich Kluge gearbeitet (1902—25), bevor er in Gießen wirkte (1925—46). Götze namentlich hat Kluges Forschungsrichtung fortgeführt. Er hat die deutsche Wortgeschichte ins helle Licht gerückt. Ein Kreis seiner Schüler und Freunde hat zu seinen Ehren die erste deutsche Wortgeschichte herausgegeben. Sie ist im Kriegs jähr 1943 erschienen, in drei starken Bänden, im „Grundriß der germanischen Philologie". Es ist der erste Versuch, die Geschichte der deutschen Sprache als Wortgeschichte darzustellen: umfassend und aus den Quellen. Dieses Werk wollte die Ergebnisse der Wortforschung zusammenfassen, doch auch neue Felder roden und andere, die noch im Dunkel liegen, zukünftiger Forschung kenntlich machen. Auf diesem Gebiete sind überhaupt noch wichtige Fragen beschlossen, noch fruchtbare Aufgaben gestellt. Friedrich Kluge, Wortforschung und Wortgeschichte. 1912. — Über den Stand der neueren Forschung berichtet ansprechend Alfred Götze: Deutsche Wortforschung. In: Germanische Philologie. Festschrift f ü r Otto Behaghel. 1934. S. 155. Deutsche Wortgeschichte. Hg. von Friedrich Maurer und Friedrich Stroh. 1943. (Festschrift für Alfred Götze.) Im Grundriß der germanischen Philologie. Inhalt: Bd. 1: Vorgeschichte, Altertum, Mittelalter. Bd. 2: Neuzeit. Bd. 3: Stämme und Landschaften. — Alfred Schirmer (inSigmar-Schönau, Obersachsen), Deutsche Wortkunde. 1926. 3. Aufl. 1949. Wortgeschichtlicher Abriß (Sammlung Göschen). Mit dem Untertitel: Eine Kulturgeschichtliche Betrachtung des deutschen Wortschatzes. Recht brauchbar. — Ernst Schwarz, Deutsche Wortgeschichte. 1949. Abrie. — Jost Trier (Münster), Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk 4es Verstandes. Bd. 1 1931. Bedeutende Monographie (Wortfeldforschung). Deutsche Sondersprachen (Standes-, Berufs- und Fachsprachen) A b r i s s e . Friedrich Kluge, Unser Deutsch. 5. Aufl. 1929. Fesselnd dargestellt. — Alfred Schirmer, Deutsche Wortkunde. 1926. 3. Aufl. 1949. (Sammlung Göschen.) F o r s c h u n g s b e r i c h t e . Alfred Schirmer, Die Erforschung der deutschen Sondersprachen. In: Germanisch-romanische Monatsschrift 5, 1913, 1 ff. — Alfred Götze, Deutsche Wortforschung. In: Germanische Philologie. Festschrift für Otto Behaghel. 1934. S. 155 ff.

SPRACHE

383

Soldatensprache

Sie stellt nicht nur militärische Dinge dar, sondern sie erfaßt grundsätzlich alle Lebensgebiete. Als eine ihrer früheren geschichtlichen Formen hat man die Feldsprache der Landsknechte des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts zu betrachten, ζ. B. bei Moscherosch. Diese hat rotwelsche Züge. Die Soldatensprache offenbart eine eigentümliche Bildkraft, Witz und Humor ( A f f e 'Tornister') und ein namenloses Schöpfertum (Barras). Was aus dem Soldatenleben in den allgemeinen Wortschatz einging und darin erhalten ist, entstammt älteren Schichten: rüstig, Stegreif, im Schilde führen, Stich halten (eigtl. 'den Stich des Gegners aushalten'), von der Pike auf dienen, Spießruten laufen, den Spieß umkehren, Spießbürger, übers Ziel schießen, die Flinte ins Korn werfen. Die Geschichte der deutschen Soldatensprache ist noch nicht geschrieben, trotz einigen guten Vorarbeiten dazu. Eine Vmf assende Sammlung des Wortschatzes hat der „Verband deutscher Vereine f ü r Volkskunde" vor Jahrzehnten eingeleitet. Deren Ergebnisse verwahrt das Deutsche Volksliedarchiv zu Freiburg im Breisgau. Paul Horn, Die deutsche Soldatensprache. 1899. 2. Aufl. 1905. — Otto Maußer (München), Deutsche Soldatensprache. Ihr Aufbau und ihre Probleme. 1917. — Theodor Imme, Die deutsche Soldatensprache der Gegenwart und ihr Humor. 1917. — Hans Bächtold-Stäubli (Basel) , Die schweizerische Soldatensprache. 1922. — Arthur Hübner, Zur Charakteristik der Soldatensprache. In: Kleine Schriften zur deutschen Philologie. 1940, 77. — Georg Haupt-Heydemarck, Soldatendeutsch. 1934, Wörterbuch mit witzigen Abbildungen. Ohne wissenschaftliche Absicht. — Walter Transfeldt, Wort und Brauch im deutschen Heer. 1942. Studentensprache

Ihre geschichtlichen Quellen führen zurück namentlich auf mitteldeutsche und niederdeutsche protestantische Universitäten wie Jena und Gießen. Die Studentensprache trägt noch humanistische Züge (prosit). Eigentümlich sind deutschlateinische Zwitterbildungen: Luftikus, Pfiffikus, Schwulität, burschikos, gassatim. Französische Einflüsse sind unbedeutend (schauderös).

384

SYSTEM DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

Vieles ist in die deutsche Schriftsprache eingedrungen: Philister (aus Jena), fidel. Beobachtet hat man neuerdings auch ihr Absinken in die dörflichen Mundarten, namentlich im Umkreis der Universitätsstädte (gassatim). Gesinnungsmäßig sprechen sich im alten Wortschatz vor allem Renommisterei und gespielte Überlegenheit aus, wie sie unsterblich wurden durch Friedrich Wilhelm Zachariaes komische Heldendichtung „Der Renommiste" (1744) und Karl Arnold Kortums „Jobsiade" (1784). Friedrich Kluge, Deutsche Studentensprache. 1895. — John Meier (Freiburg im Breisgau), Die Hallische Studentensprache. 1894. — Ders., Baseler Studentensprache. 1910. — Alfred Götze, Deutsche Studentensprache. 1928. Schülersprache

(Pennälersprache)

Ältere Quellen sind Klostersprache und Studentensprache. Die Schülersprachen sind stark örtlich und mundartlich getönt, ihre Erforschung ist daher örtlich gebunden, ihr Einfluß auf die Gemeinsprache gering. Kennzeichnend sind Scherz und Spott und die Verwendung als Geheimsprache. Manches ist lateinischen Ursprungs (Direx, kapieren, Pennal), einiges französisch (chassen), sonst muttersprachlich (Abc-Schütze, Fibel, Pauker, rasseln, spicken). Rudolf Eilenberger, Pennälersprache. 1910. Entwicklung, Wortschatz, Wörterbuch. — Kurt Schladebach, Die Dresdener Pennälersprache. In: Zeitschrift für deutschen Unterricht 18, 1904, 56. — Kurt Hoffmann, Liebenthaler Schülersprache. In: Muttersprache 47, 1932, 111 (Beilage). Sportsprache

Ihr Erforschung ist noch jung. Sie wandte sich zunächst Friedrich Ludwig Jahn zu, dem Schöpfer der deutschen Turnsprache (turnen, Barren, Reck, Hantel, Riege). Es heben sich auch geschichtlicher Betrachtung besondere Sachfelder heraus: so der Wander- und Bergsport, der auch sprachlich alpin und bairisch-alemannisch geprägt ist (kraxeln, rodeln). Andere Felder verraten starke englische Einflüsse (boxen, Tennis, Rekord). Martin Dietz, Der Wortschatz der neueren Leibesübungen. Diss. Heidelberg 1937. — Johannes Zeidler, Die deutsche Turnsprache bis 1819. 1942. — Olga Eckhardt (aus Fürth), Die Sportsprache von Nürnberg und Fürth. 1937. (Erlanger Dissertation.) Volkskundliche Gesichts-

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SPRACHE

punkte. — Melvin Valk, Die Entwicklung der deutschen Fußballsprache. In: The journal of English and Germanic philology 34, 1935. — Manfred Bues, Die Versportung der deutschen Sprache im zwanzigsten Jahrhundert. Diss. Greifswald 1937. Gaunersprache

(Rotwelsch)

Man hat ihre Geschichte bisher fünf Jahrhunderte zurückverfolgen können. Der Name rotwelsch selbst erscheint schon 1250 im Passional. Es bedeutet wörtlich 'unverständliche Bettlersprache' (zu Rotte). Träger dieser Sondersprache sind im Mittelalter die unehrlichen Gewerbe wie Hausierer, Marktschreier, Scharfrichter, Abdecker, Totengräber, Fahrende, später Bettler, Landstreicher, Diebe, Räuber, in neuerer Zeit auch Dirnen und Zuhälter. Rotwelsche Einflüsse verraten Soldaten-, Studenten- und Kaufmannssprache. Der Wortschatz ist zumeist hebräisch, und zwar jiddischer Prägung: Dalles, Moos 'Geld', Schlamassel,

kapores,

baldo-

wern 'auskundschaften', ganfen, auch Gauner selbst. In die Gemeinsprache gingen etwa blechen, mogeln. Das Rotwelsch ist die hervorstechendste Geheimsprache, so wie die Gaunerzinken die verbreitetsten Geheimzeichen sind, Daher verhüllt sie durch Umschreibungen: Breitfuß 'Gans', Stapler 'brotsammelnder Bettler' (16. Jh.), Hochstapler, dies ein Gaunerwort des achtzehnten Jahrhunderts. Manches erhält sich in Familiennamen: Roller 'Taschendieb'. Daher schiebt sie auch Silben ein: wie W-sprachlich vielleicht in stibitzen. Friedrich Christian Benedikt Ανέ-Lallement, Das deutsche Gaunerthum in seiner social-politischen, literarischen und linguistischen Ausbildung zu seinem heutigen Bestände. Vier Bände mit Holzschn. 1858 ff. Bd. 3. 4. Die Gaunersprache. 1862. — Friedrich Kluge, Rotwelsch. Bd. 1. Rotwelsches Quellenbuch. 1901. Quellen der Gaunersprache und der verwandten Geheimsprachen. Nicht erschienen ist der geplante 2. Bd.: Rotwelsches Wörterbuch. — Ludwig Günther (GieBener Jurist), Das Rotwelsch des deutschen Gauners. 1905. — Ders., Die deutsche Gaunersprache und verwandte Geheim- und Berufssprachen. 1919. Erich Bischoff, Wörterbuch der wichtigsten Geheim- und Berufssprachen. 1916. Jüdisch-Deutsch, Rotwelsch, Kundensprache, Soldaten-, Seemanns-, Weidmanns-, Bergmanns- und Komödiantensprache. — Albert Bertsch, Wörterbuch der Kunden- und Gaunersprache. 1938. — Hans Ostwald, Rinnsteinsprache. 1906. Wörterbuch der Gauner-, Dirnen- und Landstreichersprache. S t r o h , Germanische Philologie

25

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SYSTEM DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

Der Stoff ist unerschöpflich, wie örtliche Einzeluntersuchungen zeigen: so etwa für Ostschwaben von Hermann Josef Seitz (in „Heimat und Volkstum" 17, 1939, 241). — Meine Schülerin Edith Knaus bearbeitet das Schillingsfürster Rotwelsch. Bäuerliche

Fachsprache

Ihre Erforschung ist besonders eng verbunden mit der Mundartforschung. Mein Schüler Bernhard Horn arbeitet über die Fachsprache des Hersbrucker Hopfenbauern. Es ist hier auch zu einer allgemeinen praktischen Aufgabe aufzurufen: einem deutschen Wörterbuch der mundartlichen Bezeichnungen für die wichtigsten landwirtschaftlichen Begriffe. Denn die Verschiedenheit der landwirtschaftlichen Fachausdrücke im deutschen Sprachgebiet bereitet vor allem dem landwirtschaftlichen Verwaltungsmann nicht geringe Schwierigkeiten. Imkersprache

Die Zeidlerei ist alt, zumal ihr Brauchtum (Lorscher Bienensegen: Handschrift des neunten Jahrhunderts). Die volkskundliche Erforschung hat jüngst Bruno Schier (Leipzig) aussichtsvoll eröffnet. Er verwendet die reichen Sammlungen des „Atlas der deutschen Volkskunde". Geschichtstief ist vielfach auch der Wortschatz (ζ. B. Beute, das alte germanische Wort für 'Tisch')· Man hat kaum damit begonnen, die deutsche Imkersprache zu erforschen. Bruno Schier (Leipzig), Der Bienenstand in Mitteleuropa. 1939. — Lore Herrmann, geborene Wünzer, Die Fachsprache der südhessischen Imker. In: Hessische Blätter für Volkskunde 36 (1937), 113. Aus Alfred Götzes Gießener Seminar. Winzer spräche

Der alte Wortschatz ist zumeist romanischen Ursprungs: Wein, Winzer, Keller, Kelter, Pfropfen, Trichter. Die Winzersprache von heute ist erst vereinzelt erforscht worden. So von Paul Kadel in einer GieBener Dissertation von 1929: Beiträge zur rheinhessischen Winzersprache. — Manches enthalten örtliche und unzünftige Zeitschriften (ζ. B. „Muttersprache" 53, 1938, 342), mehr noch die Sammlungen zumal der rheinischen Wörterbucharchive. — Meine Schülerin Marianne Hilpert bearbeitet die mainfränkische Winzersprache.

SPRACHE

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Weidmannssprache

Diese Berufs- und Standessprache hat Liebhaber wie Forscher besonders angezogen. Wir können ihre Geschichte gut verfolgen. Schon die alten Götter pflegten das Weidwerk. Phol und Wodan zogen mit großem Gefolge zur Jagd (Merseburger Zauberspruch). Aufschlußreich ist auch altgermanische Namengebung (Wolf, Wisent, Wirnt). Aus der höfischen Ritterzeit gibt etwa „Tristan" eindrucksvolle Belege von Jagd und Jagdsprache, vielfach altfranzösischen Ursprungs (mhd. birsen). In der neueren Weidmannssprache spricht sich eine starke lind stolze Berufsgesinnung aus. Sie wird auch mit zünftiger Strenge bewahrt und gepflegt. Der Wortschatz ist überwiegend deutscher Herkunft und sinnlich kräftig. Viel ging in die Gemeinsprache: lehren aus altgerm. laisjan 'einer Fußspur folgen' (vgl. nhd. leisten, Geleise), spüren, hetzen; weidlich, eigentlich 'weidgerecht', vorlaut, naseweis; einer Sache nachhängen (wie der Jagdhund der Fährte folgen: bei lockerem Leitseil), nachstellen, umgarnen, Fallstrick, auf den Busch klopfen, zur Strecke bringen. Joseph und Franz Kehrein (rheinische Hessen), Wörterbuch der Weidmannssprache. 1871. Neue Ausg. 1898. Geschichtlich, doch ohne die Gesamtheit der Quellen auszuschöpfen. — Ernst von Dombrowski, Deutsche Waidmannssprache. 1892. 3. Aufl. 1913. Die heutige Weidmannssprache gesammelt und für den praktischen Jäger bearbeitet. — Paul Lembke, Studien zur deutschen Weidmannssprache. Diss. Rostock 1897. — Ders.: Zeitschrift für deutschen Unterricht, 12, 1898,233. Einfluß der Weidmannssprache auf die Gemeinsprache. — Theodor Imme, Die deutsche Weidmannssprache nach ihrer Eigenart und ihren Wechselbeziehungen zum Gemeindeutsch sprachwissenschaftlich beleuchtet. 1906. — Eugen Teuwsen, Einführung in die Weidmannssprache. 1927. — Hermann Kautzsch, Die Jägersprache. 2. Aufl. 1940. Abriß (24. S.). — Paul Trost-Brünn, Zur Sondersprache der Jäger. In: Wörter und Sachen 16 (1934), 61. Seemannssprache

Sie ist vorbildlich untersucht. Friedrich Kluges großartige Bearbeitung, mit reichem geschichtlichem Stoff, gilt als die beste Darstellung einer deutschen Sondersprache. Kluges Werk wird der Bedeutung seines Gegenstandes vollauf gerecht. Denn diese Sondersprache ragt hervor durch ihre Geschichtstiefe, Volkstümlichkeit und Wirkungsweite. 25*

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SYSTEM DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

Die indogermanischen Völker, zumal die germanischen, sind die ersten Seefahrervölker der neueren Zeitalter. So bilden sie auch eine weltweite Seemannssprache aus, und zwar namentlich germanischer Prägung. Germanischen Ursprungs sind etwa die deutschen Worte Schiff, Nachen, Ruder, Segel, auch die Bezeichnungen der Himmelsrichtungen. Römische Einflüsse sind gering: Anker, Riemen 'Ruder'. Die Grundlage der deutschen Seemannssprache ist niederdeutsch: Ebbe, leck (obd. lech), stoppen, Helling (zu Halde) eig. 'geneigte Fläche', Werft, Flagge, hissen. Stark entlehnt ist aus dem Niederländischen: so Matrose aus älterem maatgenoot 'Speisegenosse'. Denn die Schiffsmannschaften des germanischen Altertums waren in Mahlgenossenschaften aufgeteilt. Verwandt hiermit ist das nd. Maat aus wgerm. *gimato 'Speisegenosse'. Derselbe Stamm erscheint auch in *matisahs, woraus nhd. Messer. Aus dem Englischen kommen im Mittelalter Boot und Lotse (dies ein verkürzter Rufname für mnd. lootsman, zu engl, load 'Gang', nhd. leiten). Später entlehnt ist etwa Steward. Seit den Kreuzfahrten wird die Levante-Schiffahrt bedeutungsvoll und auch sprachlich wirksam, zunächst in oberdeutscher Seemannssprache. Deren Wortschatz ist stark romanisch bestimmt: Fregatte, Pilot, Regatta, Bai. In die deutsche Gemeinsprache gingen aus der Seemannssprache Ausdrücke wie Abstecher 'Nebenreise', Kurs, bugsieren, landen. Alfred Stenzel, Deutsches seemännisches Wörterbuch. 1904. — Friedrich Kluge, Seemannssprache. 1911. Wortgeschichtliches Handbuch deutscher Schifferausdrücke älterer und neuerer Zeit. — Gottfried Baist, Germanische Seemannsworte in der französischen Sprache. In: Zeitschrift für deutsche Wortforschung 4, 1903, 257. Handwerkersprachen

Grundlegende Forschungen verdanken wir dem hessischen Volkswirtschaftler Karl Bücher. Namentlich seine wirtschaftsgeschichtlichen Arbeiten über das mittelalterliche Frankfurt am Main gaben reiche Aufschlüsse. Sie erwiesen die eigentümliche Zergliederung des Handwerks der mittelalterlichen Stadt, die sich auch sprachlich ausdrückt. So

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zerfiel etwa das Schmiedehandwerk dieser Stadt in fünfundvierzig Zweige. Deren Bezeichnungen leben mannigfach fort in unseren Familien- und Straßennamen. Die wortgeographische Erforschung der deutschen Handwerkernamen hat Alfred Götze, seinerzeit in Freiburg, in Gang gebracht. Sein Schüler Leo Ricker hat sie in seiner Freiburger Dissertation eingeleitet. Ricker zeigte an einigen glücklich gewählten Beispielen sowohl die geographische Breitenschichtung als auch die geschichtliche Tiefenschichtung unsrer Handwerkernamen.

Aus Adolf Bach, Die deutschen Personennamen, 1943 (nach Leo Ricker, Zur landschaftlichen Synonymik der deutschen Handwerkernamen. Diss. Freiburg im Breisgau 1917)

So stehen räumlich im Deutschen nebeneinander Hafnerl ΤöpferIEuler(Auler)\Pötter; BöttcherIBüttnerIKüferIBinder (Bender); KlempnerlSpenglerjFlaschner. Geschichtlich aber entstehen nacheinander: Töpfer (urgermanischen Ur-

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SYSTEM DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

sprungs, Böttcher (seit althochdeutscher Zeit), Tischler (seit dem Mittelhochdeutschen). Rickers Untersuchungen verdienen Nachfolge und haben diese namentlich in den Arbeiten zum „Deutschen Wortatlas" gefunden. Überhaupt steht hier der Wortforschung ein weites und fruchtbares Gebiet offen. Schöne Einzelarbeiten liegen vor etwa für Zimmermann, Maurer und Schmied. Weithin aber sind die Handwerkersprachen im engeren Sinn noch unerforscht: so Bäcker, Fleischer, Sattler, Schreiner, Seiler. Erforderlich sind namentlich Einzeluntersuchungen in landschaftlicher oder quellenmäßiger Begrenzung. Sie hätten den Wortschatz zu sammeln und geographisch wie geschichtlich zu untersuchen, dies namentlich auf Grund der alten Zunftordnungen und der Handwerkslexika des achtzehnten Jahrhunderts, aber auch volkskundlich zu behandeln und auszuwerten. Was aus den Handwerkersprachen in den allgemeinen Wortschatz ging, kann in seinem ganzen Umfang jetzt kaum schon abgemessen werden und erfordert noch vielfältige Aufklärung. Von daher kamen z.B. gut beschlagen (Schmied), außer Rand und Band (Böttcher), anzetteln (Weber), einem das Fell gerben (Gerber), über einen Leisten schlagen (Schuhmacher), über die Schnur hauen (Zimmermann). Moriz Heyne (Göttingen), Das altdeutsche Handwerk. 1908. — Leo Ricker, Zur landschaftlichen Synonymik der deutschen Handwerkernamen. Diss. Freiburg im Breisgau. 1917. — Eugen Weiß, Die Entdeckung des Volks der Zimmerleute. 1923. Bietet manches zur Sprache. — Johannes Saß, Die Sprache des niederdeutschen Zimmermanns. 1927. Diss. Hamburg. Auf Grund der Mundart von Blankenese. — Friedrich Krebs, Die Fachsprache des Maurers in der Pfalz. 1934. E r langer Dissertation. — Josef Bröcher, Die Sprache des Schmiedehandwerks im Kreis Olpe auf Grund der Mundart von Rhonard. Diss. Münster 1907. — Ernst Meier, Beiträge zur Kenntnis des Niederdeutschen: Gewerksausdrücke des Sdilachters in Westfalen mit besonderer Berücksichtigung Ravensbergs. Diss. Münster 1914. — Johann Wirtz, Handweber und Handweberei in der Krefelder Mundart. 1938. — Märta Asdahl arbeitet zur Zeit, in ihrer Lunder Dissertation, über die niederdeutschen Handwerkernamen, mein Schüler Rudolf Stettner über die Fachsprache des Nürnberger Glasers. — Heinrich Klenz, Schelten-Wörterbuch. Die Berufs-, besonders Handwerkerschelten. 1910. Grundsätzlicher handelt über die deutsche Handwerkersprache Friedrich Maurer (Freiburg) in der „Deutschen Wortgeschichte", Bd. 3, 1943.

SPRACHE

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Bergmannssprache

Sie enthält viel altdeutsches Sprachgut. In die Gemeinsprache gingen ζ. B. bestechen, ursprünglich 'rings um etwas stechen, einstechend versuchen', Stichprobe, Fundgrube, (zutage) fördern, Raubbau, verwittern, Anreicherung. Mythologischen Ursprungs ist der Erzname Kobalt aus Kobold: schon bei Paracelsus, und das sechzehnte Jahrhundert bezeugt den Bergmannsglauben, das Bergmännchen schiebe es unter, nachdem es das Silber geraubt und verzehrt habe. Nickel aus Nikolaus: im Erzgebirge stießen die silbersuchenden Knappen auf das Mineral, aus dem sie trotz seiner Kupferfarbe kein Kupfer gewinnen konnten und das sie darum wie Kobalt mit einem Scheltnamen belegten. Heinrich Veith, Deutsches Bergwörterbuch. 1870. Mit Belegen. — Es bedarf noch vieler Einzelaufnahmen und Untersuchungen wie Ernst Göpfert, Die Bergmannssprache in der Sarepta des Johann Mathesius. 1902. — Paul Gerhard, Wörterbuch der Siegerländer Bergmannssprache. Betzdorf 1922. Diss. Marburg 1923. — Josef Huber (Penzberg), Aus der Sprache des oberbayerischen Bergmannes. In: Heimat und Volkstum 16, 1938, 246 ff. Kaufmannssprache

Früher indogermanischer und germanischer Tausch- und Marktverkehr legen den geschichtlichen Grund. Heimisch sind Geld, Wechsel, Kram, Wucher, Schranne, feil, teuer, billig, borgen, Bürge; Warenbezeichnungen wie Seife; Münznamen wie Schilling. Starke Einwirkungen hinterlassen die römischen Beziehungen: kaufen, kosten (aus constare), Markt; Warenbezeichnungen wie Essig, Pfeffer, Wein; Münz- und Gewichtsbezeichnungen wie Münze, Pfund, Zoll. Im Mittelalter bildet die Hansa eine niederdeutsche Handelssprache aus. Diese strahlt weithin aus. Sie ist auch gut belegt. Sie erlischt aber wieder mit der Hansa. Manches lebt fort in der neuhochdeutschen Schriftsprache: Stapel (hd. Staffel), Makler (wozu mäkeln), Börse. Lateinisches fließt jetzt ein aus den städtischen Kanzleisprachen: Rente; Datum, Summe, Nota, Passiva, Konkurs; per, pro.

392

SYSTEM DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

Im Kaufmannsdeutsch von heute lebt vor allem die Sprache des älteren oberdeutschen Handels. Diese Handelssprache bildet sich im späten und ausgehenden Mittelalter in den oderdeutschen Städten aus. Sie lebt aus den Handelsbeziehungen mit den oberitalienischen Städten und den Mittelmeerhäfen und aus dem Levantehandel. Der Wortschatz ist daher überwiegend italienischen Ursprungs: Bank, Bankerott, Lombard; Porto, franko, netto, ditto, Risiko, Ultimo, Giro, Saldo, Skonto, Valuta, Muster. Mit der doppelten Buchführung kommen aus Italien etwa Konto, Posten, Kredit. Warenbezeichnungen sind romanischen und orientalischen Ursprungs: Kattun, Papier, Spinat, Wirsing, Zimt, Zucker, Zwetsche. Aus Frankreich kommen im siebzehnten Jahrhundert Kommis, Sortiment, aus dem Englischen im achtzehnten und neunzehnten Banknote, Partner, Safe, Scheck. Was in die neuhochdeutsche Gemeinsprache ging, zeigen etwa noch Muster und Interesse. Ein eigentümliches Sondergebiet der Kaufmannssprache bilden die Münznamen: Schilling, Heller, Groschen, Taler (wozu Dollar). Wie alle Fachsprachen zergliedert auch die Kaufmannssprache begrifflich feiner als die Gemeinsprache. So sagt sie etwa für 'billiger werden' im Preise zurückgehen, abbrökkeln, abwärts tendieren, nachgeben, weichen, sinken, fallen, gedrückt werden. Den Stil neuerer Kaufmannssprache kennzeichnet die eigentümliche Verbindung von wortgeizender Knappheit und floskelhafter Höflichkeit. Ihre geschichtliche Erforschung hat der Obersachse Alfred Schirmer ergebnisreich eingeleitet, die geschichtlichen Quellen fließen reichlich: Zur Geschichte der deutschen Kaufmannssprache. Diss. Leipzig 1911. — Ders., Wörterbuch der deutschen Kaufmannssprache auf geschichtlichen Grundlagen. 1911. Einleitend zur Wort- und Stilgeschichte. — Ders., Vom Werden der deutschen Kaufmannsprache. Sprach- und handelsgeschichtliche Betrachtungen. 1925. — Bernhard Fehr, Die Sprache des Handels in Altengland. St. Gallen 1909. — Peter Nolte, Der Kaufmann in der Sprache und Literatur des Mittelalters. Diss. Göttingen 1909. K r i t i s c h . August Engels und Friedrich Wilhelm Eitzen, Kaufmannsdeutsch. 1905. 6. Aufl. 1924, Zwei Preisarbeiten des deutschen Sprachvereins. — Oskar Hauschild, Sprache und Stil des Kaufmanns. 1927. Ein Ratgeber auf sprachwissenschaftlicher Grundlage. — Kauf-

SPRACHE

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mannsdeutsch. Biberach. 1939. — Ludwig Wendelstein, Die Sprache des Kaufmanns und seiner Korrespondenz. 1912. Sprachpsychologischer Standpunkt. Druckersprache

Der Drucker war immer eng verbunden mit dem Gelehrten. Daher flöß früh lateinische Gelehrtensprache ein: Faksimile, Folie, Matrize. Einiges ist französisch: Klischee, Petit. Der Berufsname selbst ist deutsch: neben dem umgelauteten drücken wird die oberdeutsche Form drucken zum Fachausdruck in den süddeutschen Städten. Denn von hier geht die Druckerkunst aus. Hier wird sie zufrühst ausgebildet. Deutschen Ursprung haben etwa auch Buch, Buchstabe, Gänsefüßchen, Speck 'leerer Raum im Satz', Zwiebelfische 'durcheinandergeratene Lettern (verschiedener Art)'. Die Einwirkungen auf die Gemeinsprache hat man als gering angeschlagen: Verleger, Verlag. Heinrich Klenz, Die deutsche Druckersprache. 1900. Baut auf auf die gedruckten Quellen, die bis zum Jahre 1634 zurückreichen. Aka dem i sch e Fach sρ ra ch e

Sie bewahrt einen starken Kern von mittelalterlichem und humanistischem Latein. Sie verrät namentlich ihre humanistischen Ursprünge: Universität, Fakultät, Dekan, Dissertation, Promotion, Doktor, Dozent, Kollege, Matrikel, Semester. Die Volkssprachen sind ihr dauernd fern geblieben. Alfred Götze (Gießen), Akademische Fachsprache. 1929. Aus: Germanisch-romanische Monatsschrift 17, 1929. Kanzleisprache

Ihre geschichtliche Erforschung ist in zunehmendem Maße eine dringende Aufgabe geworden. Ihr Aufkommen steht im Zusammenhang besonders mit dem Aufstieg der Muttersprache als Amtssprache und ferner mit der Entstehung der neueren nationalen Schriftsprachen. Es liegen bereits zahlreiche Untersuchungen über einzelne Kanzleisprachen und über die Sprache der Urkunden vor. Mehr sind noch erforderlich. Die Beschäftigung mit der gegenwärtigen Amtssprache ist vornehmlich ein stilkritisches Anliegen: in Wortschatz und

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SYSTEM DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

Satzbau. Die praktischen volksnahen Aufgaben der Amtssprache leiden unter deren humanistischer Herkunft und Verbildung: dasig, diesbezüglich, diesfallsig, besagter, zwecks, Bezugnahme, Stellungnahme. Richard Deinhardt, Ausdruck und Gedanke in deutschen Amtsstuben. 4. Aufl. 1927. Kritisch und sprachpflegerisch. Bewährt. —Ernst Schliack, Die Amtssprache. 2. Aufl. 1941. In seiner Art vortrefflich. — Wilhelm Martin Esser (Dortmund), Gutes Amtsdeutsch. 1939. Weit fruchtbarer war die Erforschung der Rechtsprache, in die sich die Wissenschaften von Sprache und Recht (s. ebd.) teilen. Politische

Fachsprache

Politische Bewegungen, besonders Umwälzungen, kündigen sich in der Sprache an und sprechen sich in ihr aus, zumal in ihren Bereichen. Das politische Wollen entlädt sich im Schlagwort: Kulturkampf, Menschenrechte, Militarismus, Volk ohne Raum, Gleichschaltung, Auch die Geschichtsschreibung bedarf der geschichtlichen Schlagwortforschung. Es ist hier fast noch alles zu tun, besonders in bedeutungsgeschichtlicher Hinsicht. Otto Ladendorf, Historisches Schlagwörterbuch. 1906. Praktischen Bedürfnissen dienen Bücher wie die folgenden: Eugen Haberkern und Joseph Wallach, Hilfswörterbuch für Historiker. Mittelalter und Neuzeit. 1935. — Wilhelm Martin Becker (Darmstadt), Taschenwörterbuch des Heimatforschers. 1936. Für die Arbeit mit geschichtlichen Quellenschriften (vom späten Mittelalter an), besonders Hessens. Geeignet für Benutzer mit geringen Vorkenntnissen. Zeitungssprache Nikolaus Paul Becker, Die Schäden der deutschen Zeitungssprache, ihre Ursachen und ihre Heilung. 1928. — Franz Rodens, Die Zeitungssprache. 1938. Militärische

Fachsprache

Ihre Geschichte spiegelt die Entwicklung des Heerwesens. Heer, Herzog, auch Volk selbst als ursprüngliches Heereswort, kommen aus dem Volksheer der germanischen Frühzeit. Von da aus geht auch sehr viel in die Romania: Marschall. Das Rittertum überliefert uns eine reich ausgebildete Kampf- und Turniersprache. Das Söldnerheer des Dreißigjährigen Krieges wirkt sprachlich fort in den neueren Heeressprachen. Hier entspringen

395

SPRACHE

die Bezeichnungen der Truppeneinheiten: Armee, Brigade, Regiment; der Waffengattungen: Garde, Infanterie; der Ränge und Dienstgrade: General, Korporal, Leutnant, Oberst, Feldwebel, Fähnrich; der Waffen: Bajonett, Kanone, Pistole. Durchaus bezeichnend ist jetzt die Überfremdung. Entlehnt ist zumeist aus den romanischen Sprachen. So kommen aus dem Französischen noch Standarte, Kadett eigentlich 'der Jüngere von mehreren Geschwistern, Junker'. Spanisch sind Brigade, Infanterie (letztlich zu lat. infans 'kleines Kind, das noch nicht reden kann'), Soldat selbst italienisch. Ungarisch ist Husar 'der Zwanzigste' (einer von je zwanzig Ausgehobenen mußte Reiter werden). In neuerer Heeressprache prägen sich Begriffe für neue Kampfmittel aus (Tank aus dem Englischen), für geänderte Kampfesweisen (Trommelfeuer, vergasen), für neue Waffengattungen: so in der Fliegersprache (Flieger, Fallschirm). Bezeichnend sind auch dienstliche Kurzwörter: Flak. Georg Stucke, Deutsches Heer und deutsche Sprache. 1915. Wortgeschichtliche Skizzen. — Friedrich Stuhlmann, Die Sprache des Heeres. 1939. Heeresgeschichtlich und sprachlich. Sprachwissenschaftliche

Fachsprache

Leo Weisgerber (Bonn), Vorschläge zur Methode und Terminologie der Wortforschung. In: Indogermanische Forschungen 46, 1928, 305 ff. Rational. — Ders., Das Wörterbuch der sprachwissenschaftlichen Terminologie: Beiheft zu den Indogermanischen Forschungen 51, 1933, 5 ff. Uber die Fachworte in der deutschen Sprachlehre und ihre Verdeutschung handelte mehrfach Klaudius Bojunga. Ein erklärendes Verzeichnis .philologischer Fachworte in Richard Newalds „Einführung in die deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft", 1947, S. 147 ff. — Johann Baptist Hofmann und Hans Rubenbauer, Wörterbuch der grammatischen und metrischen Terminologie. 1950. Musikalische

Fachsprache

Die Geschichte der Musik ist weithin die Geschichte ihrer Fachsprache: ihrer Werkbegriffe wie Lied, ihrer Sachbegriffe wie der Instrumentalbezeichnungen Geige, Fiedel. Die neuere musikalische Fachsprache wird im siebzehnten Jahrhundert geprägt: durch die italienische Opernmusik. Nhd. kunterbunt geht zurück auf mlat. contrapunctum.

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SYSTEM DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

In einem Gießener fachsprachlichen Seminar hat uns Alfred Götze in den zwanziger Jahren starke Anregungen zu ihrer Erforschung gegeben. Doch ist bisher keine wortgeschichtliche Untersuchung der musikalischen Fachsprache hervorgetreten. T i e r n a m e n (Tierkundliche Fachsprache)

Im Schwerpunkt der Forschung stehen die geschichtlichen und volkstümlichen Tiernamen. Es fehlt ein geschichtlich und volkskundlich gegründetes Wortwerk, das etwa Heinrich Marzells „Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen" einigermaßen entspräche und dabei auch die Mundarten ausschöpfte. Mehr noch fehlen freilich ausgedehnte Vorarbeiten dazu. Das „Wörterbuch der deutschen Tiernamen" wird jetzt in Berlin vorbereitet (unter Wilhelm Wißmann). Viktor Hehn, Kulturpflanzen und Haustiere in ihrem Übergang von Asien nach Europa. 8. Aufl. 1911. — Hugo Palander (Suolahti), Die althochdeutschen Tiernamen. 1. Die Namen der Säugetiere. Diss. Helsingfors 1899. — Ders., Die deutschen Vogelnamen. 1909. 573 Seiten. Eine wortgeschichtliche Untersuchung: mustergültig im Sprachlichen wie im Sachlichen. — Wilhelm Wackernagel, Voces variae animantium. 2. Aufl. 1869. — Anna Luise Brockmans, Untersuchungen zu den Haustiernamen des Rheinlands. 1939. Von Adolf Bach beraten. Pflanzennamen

(Pflanzenkundliche Fachsprache)

Im Mittelpunkt germanistischen Forschens stehen hier die volkstümlichen Pflanzennamen. Sie werden nun vollständig bearbeitet in dem großen „Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen". Dabei stehen Naturwissenschaft und Sprachwissenschaft miteinander im Bunde. Herausgeber ist der beste Kenner der deutschen Pflanzennamen Heinrich Marzell, Oberstudienrat (Naturwissenschaftler) im fränkischen Günzenhausen. Sprachwissenschaftlich wirkt Wilhelm Wißmann mit. Das große Unternehmen wird (seit 1951) von der Deutschen Akademie der Wissenschaften unterstützt. Die Namen werden darin sprachlich belegt und erklärt. Jede Pflanze wird botanisch beschrieben, fast jede erscheint im Bild. Das großartige Quellenwerk übertrifft an Reichhaltigkeit und Genauigkeit bei weitem das große englische Pflanzennamenbuch von James Britten und Robert Holland (1878/86).

SPRACHE

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Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen. Mit Unterstützung der Preußischen (seit 1951: Deutschen) Akademie der Wissenschaften bearbeitet von Heinrich Marzell. Unter Mitwirkung von Wilhelm Wißmann. 1937 ff. Bd. 1 (Äbelia bis Cytisus) 1943. Für das ganze deutschsprachige Gebiet. Alle Zeiten und Schichten. Mit Synonymik und Wortgeographie. — Georg August Pritzel und Karl Friedrich Wilhelm Jessen, Die deutschen Volksnamen der Pflanzen. Aus allen Mundarten und Zeiten zusammengestellt. 1882. Nicht zuverlässige Angaben. Muß aber zunächst noch aushelfen. — Julius Wilde, Die Pflanzennamen im Sprachschatze der Pfälzer. Ihre Herkunft, Entwicklung und Anwendung. 1923. — Joseph Nießen, Die Pflanzen in der Sprache des Volkes. 1936. (Rheinische Volksbotanik, Bd. 1.)—Wilhelm Meigen (Gießener Botaniker), Die deutschen Pflanzennamen. 1898. — Friedrich Krauß (jetzt Mainz), Nösnerländische Pflanzennamen. 1943. 768 Sp. Die Pflanzennamenforschung bedarf der Mithilfe vor allem der Sprachgeschichte, Mundartforschung und Volkskunde: Viktor Hehn, Kulturpflanzen und Haustiere in ihrem Übergang von Asien nach Europa. 8. Aufl. 1911. — Johannes Hoops (Heidelberg), Waldbäume und Kulturpflanzen im germanischen Altertum. 1905. 705 S. — Uber die Pflanzen im deutschen Volksleben schrieb Heinrich Marzell mehrfach. Mathematische

Fachsprache

Bezeichnend ist ihr deutschtümliches Gepräge: Bewegung, Raum, Dreieck, Winkel, Würfel, Durchmesser, Oberfläche. Auch die Zählung ist hier einzuschließen: Hundert, Schock, Stiege; Dutzend, Gros. Diese Fachsprache ist geschichtlich verhältnismäßig gut erforscht. Doch sollten die Untersuchungen einzelner Mathematikersprachen fortgesetzt werden. Alfred Schirmer (Siegmar-Schönau, Obersachsen), Der Wortschatz der Mathematik. 1912. Nach Alter und Herkunft. — Alfred Götze, Anfänge einer mathematischen Fachsprache in Keplers Deutsch. 1919. — Wilhelm Busch, Die deutsche Fachsprache der Mathematik. Diss. Gießen 1933. Mit besonderer Rücksicht auf Johann Heinrich Lambert. Astronomische

Fachsprache

Im Vordergrund stand seit langem die geschichtliche Erforschung der Monatsnamen (Karl Weinhold) und namentlich der Wochentagnamen: seit Friedrich Kluges grundlegenden Arbeiten in der „Zeitschrift für deutsche Wortforschung" (1, 1901, 150 usw.). Bairische Wochentagnamen (Erchtag, Pftnztag), auch das süddeutsche Samstag sind aufschlußreich geworden für die deutsch-gotisch-griechi-

398

SYSTEM DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

sehen Zusammenhänge. Die Erkenntnis der astronomischen Fachsprache im engeren Sinne ist dann neuerdings besonders gefördert worden durch Alfred Götzes Kepler-Forschung. Karl Glaser, Die deutsche astronomische Fachsprache Diss. Gießen 1935. Aus Alfred Götzes Seminar. Physikalische

Keplers.

Fachsprache

Ihre Wirkung auf das Sprachganze sei hier nur kenntlich gemacht am Beispiel der hochdeutschen Worte Brennpunkt,

Dunstkreis,

Fernsprecher,

Chemische

Lupe und

röntgen.

Fachsprache

Aus ihr kommt Gas, zuerst belegt bei dem Brüsseler Chemiker van Helmont (f 1644). Grundwort ist vielleicht gr. χάος. In die Gemeinsprache ging aus ihr auch Wahlverwandtschaft. Medizinische

Fachsprache

Im Schwerpunkt der Sprachforschung standen bisher die volkstümlichen Krankheitsnamen:

Fallende

Sucht,

Veits-

tanz. Die Erforschung ihrer Geschichte bedarf vor allem der Hilfe der Religionsgeschichte und der Volkskunde: Hexenschuß, Gicht (aus giht 'Sprechen', weil man glaubte, die Krankheit sei durch Besprechen angezaubert). Aus der lateinischen Fachsprache gingen in die Gemeinsprache Pille, Puls,

Pulver.

Es fehlt ein umfassendes neueres Wortwerk, das Heinrich Marzells „Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen" entspräche und das auch die Mundarten ausschöpfte. Max Höfler, Deutsches Krankheitsnamen-Buch. 1899. Im ganzen ein ausgezeichnetes Buch. Vorab sachlich-medizinisch eingestellt, doch auch historisch, vergleichend, volkskundlich. Anordnung nach dem deutschen Fachwort (entgegen lateinischem in Marzells Pflanzennamenbuch). — Joseph Hyrtl, Die alten deutschen Kunstworte der Anatomie. 1885. Sammlung, Erläuterung. Mit Synonymenregister. — Karl-Heinz Weimann, Die deutsche medizinische Fachsprache des Paracelsus. Diss. Erlangen 1951. Masch.-Schr. Gegen die Sprachverwilderung im ärztlichen Schrifttum schrieb mehrfach Erwin Lieck, so „Im Bannkreis des Arztes", 1935, S. 97.

399

SPRACHE

Sprache der

Technik

Die Technik greift in neuerer Zeit umwälzend in das aligemeine Sprachgefüge ein: mit Volldampf, gleichschalten. Die sprachwissenschaftliche Erforschung ist kaum eröffnet worden. Nur die regelnden Bestrebungen der Sprachnormung sind stärker hervorgetreten (Eugen Wüster). Walter Landsberg, Sprache und Technik. 1932. 24 S. — Eugen Wüster, Internationale Sprachnormung in der Technik, besonders in der Elektrotechnik. 1931. 446 S. Grundlegend. — Ders., Die Wörterbücher der Technik. In: Wörter und Sachen 17, 1936, 164. Deutsche

Wörterbücher

Jacob und Wilhelm Grimm (und andere), Deutsches Wörterbuch. 1854 ff. Der deutsche Wortschatz seit dem späten Mittelalter: grundsätzlich ohne den altdeutschen, den mundartlichen und fachsprachlichen, ohne Fremdworte. Kein Thesaurus. Kein reglementierendes Akademiewörterbuch, sondern eine Schatzkammer deutschen Geistes. Noch unvollendet und unvollendbar. — Moriz Heyne, Deutsches Wörterbuch. 2. Aufl. 1905 f. Als kleine Ausgabe des Grimm gedacht (drei Bände). Vollständig. Daniel Sanders, Wörterbuch der deutschen Sprache. (Mit Belegen von Luther bis auf die Gegenwart.) Bd. 1; 2, 1. 2. 1860-65. Dazu: Ergänzungs-Wörterbuch der deutschen Sprache. 1885. Große Vollständigkeit. Doch ohne geschichtliche Auffassung'. Pedantisch trocken. Sanders ist der Kritiker des Grimmschen Wörterbuches. — Ders., Handwörterbuch der deutschen Sprache. 8. Aufl. von Johann Ernst Wülfing. 1910. Nur der Besitzstand der heutigen Schriftsprache. Trübners Deutsches Wörterbuch. Hg. und unvollendet hinterlassen von Alfred Götze. 1936 ff, (vielbändig, steht dem Abschluß nicht allzufern). Trägt seinen Namen zu Ehren des bedeutenden germanistischen Verlegers in Straßburg. Erschöpft den Wortschatz nicht, wählt aus: das sprachgeschichtlich Ansprechendste, das kulturgeschichtlich Bedeutsamste. Wortgeschichten. Zusammenhänge mit Volkstum, Kultur, Geschichte. Gute Quellenausschöpfung und Quellennachweise. Lesbar auch f ü r den weiteren Kreis der Gebildeten. An dieser Fernwirkung war Alfred Götze immer gelegen: „Ich weiß von vielen Beziehern, die Lieferung für Lieferung durchlesen: Privatgelehrte in Rom, Missionare in Indien, ein Farmer auf den Molukken, der Sekretär der deutschen Kolonie in D a i r e n . . . " (brieflich am 14. November 1939 an mich). — Zur Vollendung: Muttersprache 1950, 91 (Alfred Schirmer). D e u t sc h e e t y m o l o g i s c h e

Wörterbücher

Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 11. Aufl. Mit Unterstützung durch Wolfgang Krause (als Indogermanisten) bearbeitet von Alfred Götze. 1934. 15. Aufl. 1951. (Dazu ein

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SYSTEM DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

älterer Gesamtindex von Vincent Franz Janssen. 284 S. 1890). Das erste etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache (1. Aufl. 1883). Das Hauptwerk: Ursprünge (mit frühsten Belegen). Ein Konzentrat deutscher Wortursprungsforschung. Friedrich Kluge hat als Straßburger Student 1881 den großen Wurf dieses Buches gewagt. Bis in seine letzten Lebenstage (1946) hat Alfred Götze alles darangesetzt, daß die neue Auflage ein noch besseres Buch werde. Friedrich Ludwig Karl Weigand (der erste Inhaber des Gießener germanistischen Lehrstuhls), Deutsches Wörterbuch. 4. Aufl. 1873 ff. Klassische Behandlung und Durchdringung des Stoffes. Noch immer sehr brauchbar und ergiebig, namentlich für den hessischen Quellenbereich. 5. Aufl. von Herman Hirt. 1909. Bedeutungsinhalt: Wortbegriffe. Die Etymologie trat jetzt mehr in den Vordergrund. Fremdworte, Zusammensetzungen. Doch ohne einige Vorzüge der vierten Auflage. Hermann Paul, Deutsches Wörterbuch, 4. Aufl. von Karl Euling (Wiesbaden). 1935. Der Philosoph unter den Lexikographen: Bedeutungsentwicklung. Besonders die Sprache des achtzehnten Jahrhunderts. Alfred Götze bekennt einmal (Germanische Philologie, 1934, 156), daß er durch die Lektüre dieses Werks zur Wortforschung gelangt und in ihr heimisch geworden ist. Ernst Wasserzieher, Woher? 12. Aufl. von Paul Herthum. 1950. Ursprünge. Doch aus zweiter Hand. Wertvolle wortkundliche Zusammenstellungen. Für elementare und Unterrichtszwecke recht brauchbar. — Auguste Pinloche (Franzose) und Theodor Matthias, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 1922. Mit einem Bildwörterbuch (sachlich geordnet). Auch Wortbedeutungen. Für praktische Zwecke. Deutsche

Fremdwörterbücher

G e s c h i c h t l i c h . Hans Schulz und Otto Basler, Deutsches Fremdwörterbuch. Bd. 1: Α—Κ. 1913. Bd. 2: L—P. 1942. Begonnen von dem Friedrich-Kluge-Schüler Hans Schulz. Fortgeführt von dem um Wortforschung und Sprachkritik verdienten Münchner Germanisten Otto Basler. Noch unvollendet. Das Hauptwerk, das einzige wissenschaftlichen Ansprüchen genügende, d. h. eine geschichtliche Darstellung: Quellenausschöpfung, Quellennachweisung, Entstehungszeit, Belege, Wortgeschichte. Nimmt jedoch nur allgemein geläufige Worte auf. S o n d e r w ö r t e r b ü c h e r . Enno Littmann (Tübingen), Morgenländische Wörter im Deutschen. 2. Aufl. 1924. Mit einem Anhang über die amerikanischen Worte (Kakao, Schokolade, Tomate, Mais usw.).— Karl Lokotsch, Etymologisches Wörterbuch der europäischen Wörter orientalischen Ursprungs. 1927. Deutsche Wortliste S. 188 ff. — Ders., Etymologisches Wörterbuch der amerikanischen (indianischen) Wörter im Deutschen. 1926. Von der Kritik abgelehnt. — Philip Motley Palmer, Neuweltwörter im Deutschen. 1939. P r a k t i s c h e n Zwecken dienen: Johann Heyse, Fremdwörterbuch. 21. Aufl. 1922. Beschreibend und ableitend. Bewährtes Handbuch. — Friedrich Erdmann Petri, Handbuch der Fremdwörter in der deut-

SPRACHE

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sehen Schrift- und Umgangssprache. 42. Aufl. 1929. — Wilhelm Eitzen, Der Irrgarten der Sprache. Gefährliche Fremdwörter, Mißverständnisse und Entgleisungen. 1929. Mit Wörterbuch. — Gustav Koepper, Fremdwörterbuch für Gewerbe, Handel und Industrie. 2. Aufl. 1941. Deutscher

Sprachunterricht

Rudolf Hildebrand (der ehemalige Leipziger Germanist und bedeutende Fortsetzer des Grimmschen Wörterbuchs), Vom deutschen Sprachunterricht in der Schule und von deutscher Erziehung und Bildung überhaupt. 1867. 19. Aufl. 1930. Das Meisterwerk. „Heute ein Weltbuch, das auf jeden empfänglichen Leser immer wieder wirkt wie ein Sonnenaufgang. Hat es doch der Schule den Zauberstab gereicht, der alles Lernen der Sprache durchstrahlt mit der Freiheit und Freude des Spiels." (Konrad Burdach 1934.) — Oskar Weise (Altenburg), Unsere Muttersprache. 11. Aufl. 1929. Ihr Werden und ihr Wesen (für weitere Kreise). — Hans Stahlmann (Würzburg), Vom Werden und Wandel der Muttersprache. 1940.—Zeitschrift: Wirkendes Wort. 1,1950/51. Niederdeutsch

Die neueren Grundlagen für seine Erforschung legte Konrad Borchling (Hamburg). Hervorragenden Anteil an den niederdeutschen Studien nehmen die skandinavischen Forscher. Eine „Niederdeutsche Arbeitsgemeinschaft" wurde 1944 im Anschluß an das Deutsche Seminar der Universität Lund begründet: ein Kreis von Forschern, welche das gemeinsame Interesse an niederdeutschen Studien vereinigt. Der Zweck dieser Gesellschaft ist die wissenschaftliche Erforschung der niederdeutschen Sprache, Literatur und Kultur von den ältesten Zeiten bis auf unsere Tage. Im Mittelpunkt der niederdeutschen Philologie stand bisher das Mittelniederdeutsche. Hermann Tümpel, Niederdeutsche Studien. 1898. Wertvolle, aber zerfließende Materialsammlung. Erik Rooth, Saxonica. Beiträge zur niedersächsischen Sprachgeschichte. 1949. — Gustav ΚοΓίέη (Dozent der Lunder Universität), Niederdeutscher Literaturbericht 1939—1945. In: Niederdeutsche Mitteilungen 2, 1946, 135. Altsächsisch, Mittelniederdeutsch, neuere Mundarten. Z e i t s c h r i f t e n . Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung. 1 (1875) ff. — Korrespondenzblatt des Vereins f ü r niederdeutsche Sprachforschung. 1 (1877) ff. — Niederdeutsche Mitteilungen. Hg. von der Niederdeutschen Arbeitsgemeinschaft zu Lund. Jg. 1 (1945) ff. Herausgeber ist der Lunder Germanist Erik Rooth. S t r o h , Germanische Philologie

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SYSTEM DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

Frühdeutsche

Sprachlehre

Karl Meisen (Bonn), Altdeutsche Grammatik. Historische Laut- und Formenlehre des Althochdeutschen und Altsächsischen unter Berücksichtigung des Gotischen und Mittelhochdeutschen. 1947. Für Studierende geschrieben. Ohne Schriftennachweise. Frühdeutsche

Sprachgeschichte

Hennig Brinkmann (Frankfurt am Main, Lippstadt), Sprachwandel und Sprachbewegungen in althochdeutscher Zeit. 1932. Jüngste zusammenfassende Behandlung. Verfahren und Ergebnisse der neueren Sprachgeographie: das räumliche Gefüge, das geschichtliche Kräftespiel. Umfaßt die frühdeutsche Sprachgeschichte im ganzen. — Weiterführende Veröffentlichungen Hennig Brinkmanns standen bevor. Seine „Frühgeschichte der deutschen Sprache" war zu Kriegsende im Druck. E i n f ü h r u n g in d a s A l t n i e d e r d e u t s c h e (Altsächsische) Otto Basler (München), Altsächsisch. 1923. Textproben, Auswahlausgaben: Heliand, Genesis und kleinere Denkmäler. Erläutert. Einführung: sprachlich und sachlich. Ferdinand Holthausen (Wiesbaden), Altsächsisches Elementarbuch. 2. Aufl. 1921. Übersichtliche Darstellung. Altniederdeutsche

(altsächsische)

Sprachlehre

Moriz' Heyne, Kleine altsächsische und altniederfränkische Grammatik. 3. Aufl. 1910. — Johann Hendrik Gall£e, Altsächsische Grammatik. 1. Hälfte Laut- und Formenlehre. 2. Aufl. von Johannes Lochner. 1910. Grundlegende Darstellung. Fülle des Stoffes. Nicht immer ausreichend bearbeitet. — Ferdinand Holthausen, Altsächsisches Elementarbuch. 2. Aufl. 1921. Die methodisch beste Grammatik. — Weit gediehen waren Agathe Laschs (Hamburg) Vorarbeiten zu einer neuen altsächsischen Grammatik. — Otto Behaghel, Die Syntax des Heliand. 1897. Altsächsische

Sprachgeschichte

Ludwig Wolff (Göttingen, jetzt Marburg), Die Stellung des Altsächsischen. In: Zeitschrift für deutsches Altertum 71, 1934. Gründlich eindringend, vorsichtig abwägend — Friedrich Stroh, Altsächsisch und Deutsch. In: Herman-Hirt-Festschrift „Germanen und Indogermanen" 2, 1936, 400. Altniederdeutsche

(altsächsische)

Wörterbücher

Edward Henry Sehrt (Deutschamerikaner), Vollständiges Wörterbuch zum Heliand und zur altsächsischen Genesis. 1925. Bucht den altsächsischen Wortschatz lückenlos. Belegstellen.

403

SPRACHE

Althochdeutsch

Das Studium des Althochdeutschen ist für die Grundlegung der heutigen Schriftsprache (samt ihren Mundarten) im allgemeinen wichtiger als das Studium des (stärker stilisierten) Mittelhochdeutschen. Die althochdeutschen Studien ruhen heute auf dem Fundament, das uns die junggrammatischen Forscher errichtet haben. Am stärksten verbreitert hat dieses in unserer Zeit Georg Baesecke (Halle), dessen große Liebe das Althochdeutsche ist. Georg Baesecke, Das heutige Bild des Althochdeutschen. In: Zeitschrift für Deutsche Bildung 11, 1935. — Ders., Das Althochdeutsche: Jahrbuch der Deutschen Sprache 2, 1943. Gemeinverständlicher Überblick. E i n f ü h r u n g in d a s

Althochdeutsche

Joseph Mansion (Universität Lüttich), Althochdeutsches Lesebuch für Anfänger. 2. Aufl. 1932. Zur ersten Einführung geeignet: Grammatik, Lesestücke, Erläuterungen, Wortverzeichnis. — Hans Naumann und Werner Betz (aus Wiesbaden, jetzt in Bonn: jüngerer Erforscher des Althochdeutschen), Althochdeutsches Elementarbuch. 1937. (Sammlung Göschen.) Geschichtliche Einleitung, Grammatik (Erschließung des Westgermanischen, Kennzeichen der Mundarten), Texte. Sehr brauchbar: knapp und vielseitig. Mit Berücksichtigung der neuesten Forschung. — Georg Baesecke, Einführung in das Althochdeutsche. Lautund Flexionslehre. 1918. Gelehrtes Werk. Dringt vor zur inneren Verknüpfung und Erklärung der Erscheinungen aus £iner Wurzel (dem dynamischen Anfangsakzent). Keine Einführung in eigentlichem Sinne. Althochdeutsche

Sprachlehre

Wilhelm Braune, Althochdeutsche Grammatik. 7. Aufl. bearb. von Karl Helm (Marburg). 1950. Rein beschreibende Darstellung. Das klassische Lehrbuch. — Wilhelm Braune, Abriß der althochdeutschen Grammatik mit Berücksichtigung des Altsächsischen. 8. Aufl. von Karl Helm. 1950. Mit vergleichender Berücksichtigung auch des Gotischen und Mittelhochdeutschen, auch daher für den Anfänger mehr zu empfehlen als die große Braunesche Grammatik: der klassische Abriß. — Ernst Schwarz, Kurze althochdeutsche Grammatik. 1949. Ohne den wissenschaftlichen Apparat. Sprachgeschichtlich auflockernd. Joseph Schatz (Innsbruck), Althochdeutsche Grammatik. 1927. Vollständigste Ausschöpfung und Verarbeitung der althochdeutschen Sprachquellen. Belegstellen. Steht ganz auf dem Boden der unmittelbar bezeugten Tatsachen. Normalisiert nicht. Hält sich fern von Erklärungen. Für den Fachmann. Kurt Wagner (Mainz), Zum Problem einer althochdeutschen Grammatik. In: Altdeutsches Wort und Wortkunstwerk. 1941. 26*

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SYSTEM DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE

Althochdeutsche

Mundarten

Joseph Schatz (Innsbruck), Altbairische Grammatik. Laut- und Flexionslehrfe. 1907. Ausschöpfung der altbairischen Sprachquellen. — Eine alemannische Grammatik bereitet Karl Bohnenberger (Tübingen) seit langem vor. — Johannes Franck (weiland Professor in Bonn, Erforscher des älteren Fränkischen und des Niederländischen), Altfränkische Grammatik. Laut- und Flexionslehre. 1909. Althochdeutsche

Sprachgeschichte

Klassische Einzelschriften: Rudolf von Raumer (Erlangen), Die Einwirkung des Christentums auf die althochdeutsche Sprache. 1851. — Wilhelm Braune, Althochdeutsch und Angelsächsisch. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (PBB) 43, 1918. Althochdeutsche

Wörterbücher

Eberhard Gottlieb G r a f f (Königsberg), Althochdeutscher Sprachschatz oder Wörterbuch der althochdeutschen Sprache. 1834 ff. Sechs Bände. Nach Wurzeln geordnet, die Bände nach dem Wortanlaut. Bd. 1: Vokale und Halbvokale (J W). Bd. 2: Liquide und Nasale (L R Μ N). Bd. 3: Lippenlaute (Β Ρ Ph F). Bd. 4: Gaumenlaute (G Κ C CH Q X). Bd. 5: Zahnlaute (D Th Τ Ζ). Bd. 6: S. Die Anordnung erschwert die Benutzung. Daher bearbeitete Hans Ferdinand Maßmann einen vollständigen alphabetischen Index dazu aus: Bd. 7 des Werkes, 1846. Er dient als Schlüssel des Werkes, ist aber wieder nicht rein alphabetisch geordnet. Graff erfaßt die damalige handschriftliche Überlieferung vollständig. Das Werk dient nun schon über hundert Jahre der germanistischen Forschung: eines ihrer Hauptwerke. Es ist noch nicht ersetzt. Es ist aber veraltet. Der Belegstoff genügt nicht mehr, die Angaben bedürfen sorgfältiger Nachprüfung. Die Ausgaben, die ihm zugrunde liegen, sind vielfach durch neue überholt. In diesen sind Graffs Belege nachzuprüfen (was mitunter unmöglich ist). Das wertvolle Werk ist also mit Vorsicht zu benützen. Ebd. Vorrede: Welche lange mühselige Arbeit hat dieses Werk mir auferlegt, welchem Gram und Kummer, welchen Kränkungen und Verletzungen mich ausgesetzt, welche Opfer von mir gefordertl Gesundheit, Besitz und Erwerb habe ich für dasselbe hingeben m ü s s e n . . . Nur durch frommes, vertrauungsvolles Gebet und durch treuen, unermüdlichen Fleiß — zu ermuthigendem Tröste sei dies Allen gesagt, denen es, gleich mir, auf ihrem Wege zu einem fernen Ziele an Hülfe gebricht — bin ich, wenn auch spät, erst beim Sinken meines Lebens, halberblindet und an Geist und Körper geschwächt, der Vollendung meines Werkes nahe gekommen..." Oskar S c h a d e (Königsberg), Altdeutsches Wörterbuch. Bd. 1. 2. 2. Aufl. 1872—82. Ein vortreffliches Werk, das sich als sehr brauchbar erwiesen hat. Berücksichtigt vergleichend die übrigen altgermanischen

SPRACHE

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Sprachen: das Gotische, Nordische und Angelsächsische, insbesondere aber das Althochdeutsche, Mittelhochdeutsche, Altniederdeutsche und Mittelniederdeutsche. Daher eigentlich ein altgermanisches Wörterbuch (deutsch verstanden im Sinne Jacob Grimms).' Betonung der E t y m o logie: reicher etymologischer Stoff. Eingehendere Behandlung des naturwissenschaftlichen Wortschatzes, der Tier- und Pflanzennamen, zumal der Gesteinsnamen. Doch fehlen dem Werk Stellenangaben und Belege. Es bleibt daher ein Wortverzeichnis, also ungeeignet f ü r weiter gespannte Untersuchungen. Lesenswert ist auch die Einleitung: in sachlicher wie menschlicher Hinsicht. Auch Schade verlor die Vorarbeiten zu diesem Werk durch einen Brand. S. VI: „Er (Schade) saß bereits in voller Tätigkeit am Werke, Otfrid war vollständig eingetragen, in Notker schon ein gijt Stück hineingearbeitet, als ein Unglück von grausamer Härte, blind und maßlos, die Früchte seiner Tätigkeit nicht bloß vernichtete, sondern ihn selbst fast in ein Nichts schleuderte. Am 2ten Mai 1869 (Sonntag vor H i m melfahrt) Nachmittag kam unmittelbar seiner Wohnung gegenüber Feuer aus, das, anfangs vernachlässigt durch die Kopflosigkeit der zum Löschen Berufenen, bald, als es um sich gefressen, mit rasender Schnelligkeit emporwachsend, vom Sturme getrieben, sich auf sein Haus warf, so daß ihm, nachdem er in fliegender Hast kostbares anvertrautes Gut geborgen (Handschriften fremder Bibliotheken), n u r eben noch so viel Zeit übrig blieb, sein schwerkrankes Weib aus dem Wochenbette heraus und sein neugeborenes Söhnlein durch die F l a m men zu retten: er ist mit ihnen im eigentlichsten Sinne des Wortes durchs Feuer gegangen. Alles Übrige, seine Wohnung, eine Herberge des Glückes und Friedens, all sein Hab und Gut mit kaum nennenswerten Ausnahmen, vor allem seine herrliche Bibliothek, ein Schatz ohne gleichen, die der unbemittelte Gelehrte mit unsäglichen Opfern erkauft, all seine Collectaneen und Collationen, die Früchte zwanzigjährigen rastlosen Fleißes, alles, alles ist ein Raub der Flammen geworden. Auch vom Wörterbuche und allen Arbeiten dazu ist nicht ein Blatt übrig geblieben. Man denke sich, wenn man es vermag, was seine Seele bewegte, als er in der Nacht nach diesem Tage der Schrecken in fremder Behausung mildherziger Menschen neben dem ahnungslos schlummernden Söhnlein am Lager seines todkranken Weibes stand, der Edeln, Guten, die so jung und schon soviel Leiden erduldend, hart gebettet am Boden vor ihm lag!" Auch Oskar Schade überwand das Unglück. S. VII: „Freilich, alles Ding will seine Zeit haben, und schwere Wunden heilen nicht über Nacht. Es hat lange gebraucht, bis der so schwer Betroffene den Schlag verwunden. Zwei volle Jahre hat es gedauert, bis er an die gewaltsam unterbrochenen Arbeiten nur wieder zu denken vermochte. Es lag dazwischen sein Decanatsjahr, ein Jahr voll Mühe und Verdruß, es folgte das Kriegsjahr mit seinen Aufregungen und Ängsten, seiner Glorie: erst Pfingsten 1871 überfiel ihn wieder die alte Arbeitslust, wie sich nach schwerer Krankheit beim Genesenden plötzlich ein u n widerstehlicher Hunger einstellt. Er saß auch gleich am Wörterbuche, um von Grund aus neu zu bauen. Aber nun fehlte es an allen Ecken

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PHILOLOGIE

und Enden. Die inzwischen neubeschaffte Büchersammlung reichte nicht aus, manches war gar nicht mehr zu bekommen, vieles unerschwinglich, anderes lief erst nach und nach e i n . . . Ein absonderlich schmerzliches Gefühl ist es, wenn man aufsteht, um nach einem Buche zu greifen, und man sich dann erst erinnert, daß man es ehedem b e sessen hat: das geschieht dem Verfasser noch alle Tage. Man mag aus diesen Andeutungen ermessen, auf wie viele Hindernisse die Ausarbeitung dieses Wörterbuchs gestoßen ist." Die S o n d e r w ö r t e r b ü c h e r zu den Ausgaben althochdeutscher Sprachdenkmäler wie Isidor, Tatian, Otfrid, Notker enthalten sämtliche Belegstellen. — Ohne diese sind die Wortverzeichnisse (Glossare), so das zu Wilhelm Braunes Althochdeutschem Lesebuch. Ein n e u e s g r o ß e s a l t h o c h d e u t s c h e s Wörterbuch, das dem heutigen Forschungsstand entspricht, ist ein dringendes Bedürfnis. Es ist im Entstehen. Seine Anfänge reichen zurück ins J a h r 1870. Begonnen hat es Elias von Steinmeyer in Erlangen (dessen Universitätsbibliothek heute noch sein Eigentümer ist). Carl Karstien, ein Gießener Hirt- und Behaghel-Schüler, führte das Werk seit 1925 in Köln fort. Seit 1934 liegen die Vorarbeiten in den Händen von Theodor Frings und Elisabeth Karg-Gasterstädt in Leipzig. — Elisabeth KargGasterstädt, Das Althochdeutsche Wörterbuch. Geschichte und Bericht. In: Jahrbuch der Deutschen Sprache 2, 1944. Mittelniederdeutsche

Sprachlehre

August Lübben, Mittelniederdeutsche Grammatik. 1882. Veralteter vorjunggrammatischer Standpunkt und ohne geschichtliche Auffassung. Agathe Lasch (verstorbene Vertreterin der niederdeutschen Philologie an der hamburgischen Universität), Mittelniederdeutsche Grammatik. 1914. Ziel: Aufkommen und Art der mittelniederdeutschen Schriftsprache und die von dieser Norm abweichenden Sonderformen der einzelnen Sprachlandschaften. Schöpft d a f ü r weniger aus der Sprache der Dichtung als besonders aus der schlichten Prosa der ö r t lich gebundenen Geschäftssprache, der Urkunden, Stadtbücher und Chroniken, der hansischen Bürgersprache mit Lübeck als der Anführerin. Sorgsame Berücksichtigung der handschriftlichen Überlieferung. Die mündliche Volkssprache und die neueren Mundarten sind ungenügend herangezogen. Das Buch ist vieler Verbesserungen bedürftig und einer zweiten Auflage. — Einen „Abriß der mittelniederdeutschen Grammatik" hatte Agathe Lasch vorbereitet. Ob der Entwurf hierzu (nach ihrem Tode) in Hamburg gerettet wurde, ist mir nicht bekannt. Wertvoll sind Christian Sarauws „Niederdeutsche Forschungen": 2. Die Flexionen der mittelniederdeutschen Sprache. Kopenhagen 1924. Gewinnt aus den heutigen Mundarten ein ziemlich klares Bild des gesprochenen Mittelniederdeutschen.

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SPRACHE

Mittelniederdeutsche

Sprachgeschichte

Agathe Lasch (Hamburg), Vom Werden und Wesen des Mittelniederdeutschen: Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung 51, 1925. Ein Abriß der mittelniederdeutschen Sprachgeschichte. — Dringend ist der Ausbau einer mittelniederdeutschen Wortgeographie. Mittelniederdeutsche

Wörterbücher

Karl Schiller und August Lübben, Mittelniederdeutsches Wörterbuch. Bd. 1-6. 1875—81. Neudruck 1931. Wortschatz des mittelalterlichen, zumal hansischen Niederdeutschlands, insbesondere auch seiner Rechts