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German Pages 448 [456] Year 1969
Kurzer Grundriß der germanischen Philologie bis 1500 Band 1
Kurzer Grundriß der germanischen Philologie bis 1500 Herausgegeben von
Ludwig Erich Schmitt
Band 1
Sprachgeschichte
Walter de Gruyter & Co. Berlin 1970
© Archiv-Nr. 434469/1 Copyright 1970 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J . GGschen'sche Verlag shandlung — J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J . Trüboer — Veit tc Comp., Berlin 30 — Printed in Germany — Alle Rechte des Nachdrucks, der Übersetzung, der photomechanischen Wiedergabe und der Anfertigung von Mikrofilmen — auch auszugsweise — vorbehalten. Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin
VORWORT Zwischen 1850 und 1880 führte die am Ende des 18. Jahrhunderts begonnene neue Wissenschafts-Epoche einer historisch-kritischen Philologie der klassischen Sprachen zu einer vielseitigen Erweiterung und Vertiefung der philologischen Einzeldisziplinen. Das bedeutete zugleich eine wachsende Spezialisierung und ihre Verselbständigung. Diese Entwicklung wurde verstärkt durch den Aufbau der Philologien der neueren Sprachen und Literaturen Europas, vornehmlich der germanischen und romanischen Philologie, etwas später der slawischen. Am folgenreichsten erwiesen sich dabei die Erweiterung der „Feld-Forschung" auf „Archäologie" als „Wissenschaft vom Spaten" und die gesprochenen Sprachen indoeuropäischer und nicht-indoeuropäischer Herkunft. Zwar werden auch dann noch textkritisch-hermeneutische und historisch-antiquarische Richtungen bevorzugt, aber die Gesamtentwicklung erzwingt ständig verfeinerte Methoden und Techniken und besondere Disziplinen der Methodologie und Technologie. Diese ihrerseits nötigen zur theoretischen und technologischen Auseinandersetzung mit benachbarten Naturwissenschaften und ihren angewandten Disziplinen der Fein(geräte)technik. So kommt es zu neuen Arbeits- und Organisationsformen über individuelle Forschertätigkeit in Einzelpublikationen, persönliche Kontakte und Briefwechsel zu kontinuierlicher Kooperation in erweiterten Publikationsformen von „Zeitschriften" und „Reihen", zu groß geplanten Unternehmen („Corpus", „Thesaurus", „Sprachatlas") und nicht zuletzt zum Erstellen von Lehr- und Handbüchern, die in engeren und erweiterten fachwissenschaftlichen Enzyklopädien gipfeln. Sie ersetzen ältere Versuche universalwissenschaftlicher Enzyklopädien wie die berühmten von Diderot — D'Alembert und Ersch — Gruber oder drängen sie auf den Typ des alphabetisch geordneten oder enzyklopädischen Lexikons zurück. Als deutsche Bezeichnung für „fachwissenschaftliche Enzyklopädie" wird „Grundriß" seit 1883 von Karl J. Trübner aufgenommen und vom Verlag Walter de Gruyter seit 1906 geführt. Die Arbeit beginnt mit Gröbers „Grundriß der romanischen Philologie" (Planung ab 1883) und wird fortgesetzt mit Pauls „Grundriß der germanischen Philologie". Er wird 1884 bis 1889 geplant, erscheint in 1. Auflage 1889—1891 und hat
Vorwort
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einen so durchschlagenden Erfolg, daß bereits 1891 die Arbeit an der zweiten Auflage beginnt. Die Hoffnung, sie schneller als die 1. Auflage herauszubringen, erfüllt sich nicht. Statt 8 Jahre brauchen Herausgeber und Verlag 17 Jahre. Daher erscheinen schon einzelne Beiträge der zweiten Auflage in Sonderausgaben. Mit der 3. Auflage erhält der „Grundriß" eine andere äußere Gestalt. Er soll in kleineren Einzelbänden publiziert werden. So erscheinen 1911 bis 1913: Die Elemente des Gotischen. Eine erste Einführung in die deutsche Sprachwissenschaft. Von Friedrich KLUGE. 1911. Urgermanisch. Vorgeschichte der altgermanischen Dialekte. Von Friedrich KLUGE. 1913.
Geschichte der deutschen Sprache. Von Otto BEHAGHEL. 1911. Mit einer Karte. Geschichte der nordischen Sprachen. Besonders in altnordischer Zeit. Von Adolf NOREEN. 1913. Grundriß des Germanischen Rechts. Von Karl von AMIRA. 1913. Der erste Weltkrieg bedeutet einen schwerwiegenden Einschnitt in die enzyklopädische Arbeit, der noch verstärkt wird durch das Erblinden von Friedrich Kluge und Hermann Paul nach 1901. Nur Otto Behaghels „Geschichte der deutschen Sprache" bringt es 1916 zu einer vierten, 1928 zu einer fünften Auflage. Aus der ersten Auflage von 1889/91 mit 107 Seiten sind aber inzwischen 130 Seiten in der 2. Aufl. (1897/98), 363 Seiten in der 3. (1911), 400 Seiten in der 4. (1916) und 589 Seiten in der letzten 5. Auflage (1928) geworden. Das Anschwellen des Umfangs, die Schwierigkeiten, geeignete Mitarbeiter zu finden für die entsagungsvolle Arbeit, und die nötige Kooperation als innere, schließlich die Wiederholung der äußeren Schwierigkeiten in der Hitlerzeit und dem zweiten Weltkrieg als äußere Gründe haben in der Umformung der dritten Auflage zu keinem restlos befriedigenden Ergebnis geführt. Der Verlag de Gruyter hat sich von den Schwierigkeiten nicht entmutigen lassen, sondern das große Konzept der Zeit vor dem ersten Weltkrieg immer wieder aufgenommen und sogar auf andere philologische, sprach- und literaturwissenschaftliche Bereiche erweitert. Im Bereich der germanischen Sprach- und Literaturwissenschaft zeichnet sich seit Jahren deutüch das Fehlen einer Neuauflage des „Grundriß der germanischen Philologie" von Hermann Paul als enzyklopädische Zusammenfassung ab, da die seit 1911 erscheinende dritte Auflage eine zwanglose Folge von Monographien geworden ist, die keine thematische Geschlossenheit anstrebt. Eine Neuauflage konnte nun nicht in Form einer wissenschaftlichen und redaktionellen Bearbei-
Vorwort
VII
tung der zweiten Auflage des „Grundriß der germanischen P h i lologie" durchgeführt werden, sondern erforderte eine gänzlich neue Darstellung des gegenwärtigen Forschungsstandes der germanischen Sprach- und Literaturwissenschaft, da die theoretischen, methodischen und stofflichen Kenntnisse gegenüber der zweiten Auflage eine wesentliche Erweiterung und Neuorientierung, teilweise auch grundlegende Veränderung, erfahren haben. Die Aufgabe einer solchen Zusammenfassung besteht in wissenschaftlicher Hinsicht in einer erneuten Bestandsaufnahme eines weitgehendjgeschlossenen Forschungsbereiches und in didaktischer Hinsicht in einer lehrbuchartigen Darstellung. Wie bei dem „Grundriß der germanischen Philologie" ging auch beim „Kurzen Grundriß" die Initiative vom Verlag aus, der bereits 1960 mit den Vorarbeiten begonnen hatte. Im Jahre 1967 übernahm ich auf Einladung des Verlages die Herausgabe des Werkes. Der Stand der Vorarbeiten, welche die für Unternehmen dieser Art typischen Schwierigkeiten und Krisen durchlaufen hatten, veranlaßte mich, den Stoff in einem ersten Arbeitsabschnitt auf die Periode vor 1500 zu begrenzen. In dieser Periode kann die „germanische Philologie" noch als zusammenhängende Disziplin aller einzelnen germanischen Sprachen und Literaturen gefaßt werden, während in den neueren Jahrhunderten weitgehende Sonderung und relative Selbständigkeit in Einzelphilologien eintritt und zugleich die Scheidung von Sprachwissenschaft (Linguistik) und Literaturwissenschaft unvermeidlich ist. Im Zuge dieser Entwicklung kann mißverständlich „Germanistik" und „germanische Philologie" auf „deutsche Philologie" als Sprach- und Literaturwissenschaft des Deutschen eingeengt werden. Man sollte sie aber deutlich unterscheiden. Schlechte Terminologie ist in jedem Fall die nicht seltene Begrenzung von Germanistik auf „Wissenschaft von der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts". Diese Konzeption einer „germanischen Philologie bis 1500" führt zu der thematischen Dreiteilung in „Sprachgeschichte, Literaturgeschichte, Sach- und Kulturgeschichte", die im wesentlichen der Gliederung des von Hermann Paul herausgegebenen „Grundriß der germanischen Philologie" entspricht. Die Darstellung der germanischen Sprachgeschichte in diesem Bande zeigt die vielfältigen Entwicklungsrichtungen der germanischen Einzelsprachen und ihre wechselseitigen Bezüge. Mit der unterschiedlichen Materialgrundlage und den unterschiedlichen Entwicklungen ist eine Demonstration sprachwissenschaftlicher Methodik verbunden, die von traditionellen Verfahren bis zur modernen strukturellen Linguistik
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Vorwort
reicht. Der Umfang dieser Beiträge und eine angemessene Berücksichtigung der verschiedenartigen Interessenkreise ließen es ratsam erscheinen, die Gesamtdarstellung in drei einzelnen Bänden zu publizieren, die jeweils ein thematisches Teilgebiet umfassen: Band 1: Sprachgeschichte Band 2: Literaturgeschichte Band 3: Sach- und Kulturgeschichte Theorienbildung und Methodologie zur germanischen Philologie, Sprach- und Literaturwissenschaft Namen- und Sachregister für alle Bände Diese Aufteilung in Einzelbände entsprach auch dem unterschiedlichen Bearbeitungsstand der einzelnen Sachgebiete, so daß dadurch eine weitere Verzögerung der Publikation verhindert wurde. Eine schnelle Fortführung der Publikation hängt im wesentlichen von den Mitarbeitern ab, doch hoffe ich, den zweiten und dritten Band in kurzer Zeit vorlegen zu können. Eine Fortsetzung des gesamten Unternehmens bis zur Gegenwart befindet sich zur Zeit noch in der Planung, wobei zunächst beabsichtigt ist, mit einer zusammenfassenden Darstellung der neueren deutschen Philologie zu beginnen. Enzyklopädische Entwürfe zu einem größeren Fachgebiet sind notwendig „zeitgebunden" in mehrfacher Hinsicht. Noch stärker ist ihre Ausführung personengebunden. Ebenso wie der Verlag hat der Herausgeber nach vielen Seiten Dank zu sagen und um Verständnis zu bitten. Dieser Dank gilt vor allem Herrn Professor Dr. Werner Betz, der die erste' Konzeption entworfen und die Mehrzahl der Mitarbeiter gewonnen hat. Im dritten Band hoffen wir noch 1970 allen Beteiligten danken zu können. Als Herausgeber muß ich aber schon hier dankbar die Mithilfe meines Assistenten Dr. Wolfgang Putschke vom Forschungsinstitut für deutsche Sprache in Marburg hervorheben. L. E. Schmitt
INHALT Vorwort
V
FRANS VAN COETSEM,
Zur Entwicklung der germanischen Grand-
sprache JAMES
W.
1 MARCHAND,
HANS KUHN,
Gotisch
Altnordisch
HERBERT PILCH,
Altenglisch
94 123 144
WILLY KROGMANN,
Altfriesisch
190
WILLY KROGMANN,
Altsächsisch und Mittelniederdeutsch . . . .
211
ADOLPHE VAN LOEY,
Altniederländisch und Mittelniederländisch
STEFAN SONDEREGGER,
Althochdeutsch
. 253 288
GABRIELE SCHIEB,
Mittelhochdeutsch
347
JOHANNES ERBEN,
Frühneuhochdeutsch
386
FRANS VAN COETSEM
ZUR ENTWICKLUNG DER GERMANISCHEN GRUNDSPRACHE* 1.0 Einführung 1.1 Aufgabe und Anlage der Arbeit 1.11 In der vorliegenden Darstellung, die der Aufgabe nach ganz kurzgefaßt sein soll — sie hätte doch nicht mehr als zwei bis drei Bogen umfassen dürfen —, ist versucht worden, die betreffende Sprachentwicklung an und für sich zu betrachten, wobei das Indogermanische und die altgermanischen Einzelsprachen nur herangezogen wurden, wenn sie zur Erhellung und Einordnimg der betrachteten germanischen Sprachentwicklung oder Sprachphasen dienlich erschienen. Die Arbeit hat also keine direkt komparatistische Absicht, stützt sich aber notwendigerweise auf die Ergebnisse der komparatistisch ausgerichteten Grammatiken, wobei der Aufbau dieser kurzen Zusammenfassung Einschränkungen und Auslassungen erforderte. Der Vokalismus in schwachakzentuierter Stellung1, der Wortschatz2 und die Syntax8 z. B. wurden nicht plan• Meine tiefe Erkenntlichkeit möchte ich meinem Freund O. Leys (Univ. Löwen, Belgien) aussprechen, mit dem ich den Inhalt der Arbeit wiederholt erörtert habe, und der außerdem die Korrekturbogen mitgelesen hat. Folgenden Fachkollegen, die das Manuskript gelesen haben, bin ich für ihre sehr geschätzten Bemerkungen zu großem Dank verpflichtet: D. Green (Univ. Cambridge, Engl.), H. L. Kufner (Cornell Univ.), W. P. Lehmann (Univ. Texas), Ε. Ροίοπιέ (Univ. Texas) und J. W. Marchand (Cornell Univ.). In Dank erwähnt sei auch: W. Betz (Univ. München), für wertvolle Anregungen bei der Behandlung verschiedener Probleme; A. Kylstra (Univ. Groningen), der mich über das Problem der germanischen Lehnwörter im Finnischen und Lappischen beraten hat; W. Putschke (Marburg/Lahn), der den ganzen Text mit Rücksicht auf die Sprachpflege durchgelesen hat und eine undankbare Aufgabe mit größter Bereitschaft auf sich genommen hat; G. Tops (Graduate Student, Cornell Univ.), der eine Anzahl von Verweisungen überprüft hat. 1 Vgl. 4.214. 2 Siehe Allgem. Schrifttum; W. Betz, Zum Germanischen Etymologischen Wörterbuch, in Festgabe für L. L. Hammerich, Kopenhagen, 1962, 7—12; O. Szemeränyi, 1
Grundriß Band 1
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mäßig bzw. gax nicht behandelt. Die Morphologie konnte im Vergleich zur Phonologie nur gestreift werden. All dies erklärt sich nicht nur durch die summarisch gehaltene Darstellung, sondern auch durch den heutigen Forschungsstand der germanischen Grundsprache und die neueren, sich vielfach ändernden Einsichten der modernen Sprachtheorie; die Darstellung bringt eigentlich in erster Linie die Teilgebiete, in denen die Forschung der letzten Jahrzehnte tätig gewesen ist. Bis die Vorarbeiten, die eine erneute und vollständige Synthese ermöglichen, zur Verfügung stehen, gibt es kaum eine andere Behandlungsmöglichkeit, wenn man wenigstens den Grundsatz annimmt, daß die Sprachbetrachtung der verschiedenen Teilgebiete einheitlich sein solle. Die vorliegende Behandlung ist auch mehr oder weniger persönlich bedingt, wenngleich sie die angewandte Methode immer deutlich zu erläutern versucht. Dabei ist sich der Verfasser der Tatsache bewußt, daß seine Beschreibungsweise, wie überhaupt jede Beschreibungsweise Vor- und Nachteile bietet. 1.12 Auch das angeführte Schrifttum stellt lediglich eine Auswahl dar, wobei in der Regel die neueren bzw. zusammenfassenden Veröffentlichungen genannt wurden, aus denen die sonstige Literatur ohne große Schwierigkeit zu erschließen ist. Eine weitere Einschränkung besteht darin, daß hier die Grammatiken der altgermanischen Einzelsprachen nur gelegentlich aufgeführt wurden, da sie in den Literaturverzeichnissen der entsprechenden Beiträge des Grundriß auf mehr systematische Weise genannt sind. Buchbesprechungen mußten trotz ihrer möglichen Bedeutung hier ebenfalls unerwähnt bleiben. An Gesamtbibliographien stehen zur Verfügung: Bibliographie Linguistique . . . Linguistic B i b l i o g r a p h y und die Zeitschrift Germanistik, sowie die Literaturverzeichnisse der neuen vergleichenden Grammatik der germanischen Sprachen, die in russischer Sprache erscheint. Zu beachten ist, daß jede Literaturangabe hier nur bei ihrer ersten Nennung vollständig zitiert wurde.
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Principles of Etymological Research in the Indo-European Languages, Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft, Sonderheft 15 (1962), 175—212; vgl. auch 3.1, Anm. 7 und 3.3, Anm. 13. H. Hirt, Handbuch des Urgermanischen, Heidelberg, 1934, III. Weiter vor allem K. Schneider, Die Stellungstypen des finiten Verbs im urgermanischen Hauptund Nebensatz, Heidelberg, 1938; J. Fourquet, L'ordre des Clements de la phrase en germanique ancien, Paris, 1938. Zusammenhang von Wortstellung und Wortbetonung bei H. Kuhn, Zur Wortstellung und -betonung im Altgermanischen, Beitr. z. Gesch. d. deutschen Spr. und Lit., LVII (1933), 1—109.
Zur Entwicklung der germanischen Grundsprache
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Da die vorliegende Darstellung bis zur Mitte des Jahres 1965 fertiggestellt war, konnten später erschienene Veröffentlichungen nur ausnahmsweise herangezogen werden. 1.2 Forschungsverfahren Ein wesentlicher Unterschied zwischen der vorstrukturalistischen, junggrammatischen und der modernen Sprachbetrachtung kann ganz schematisch folgendermaßen ausgedrückt werden. Die vorstrukturalistische Forschung hat der Sprachwissenschaft einen unschätzbaren Beitrag geleistet, hat aber grundsätzliche Unterschiede nicht deutlich erkannt lind formuliert, wobei sie von einer hauptsächlich linear-eindimensionalen und atomistischen Denkweise gekennzeichnet war1. Dagegen sucht die moderne Linguistik auf Grund fundamentaler Unterschiede, die Sprachverhältnisse in mehrdimensionaler Betrachtung aufzudecken. Außerdem ist der vorstrukturalistischen Forschung vorzuwerfen, daß sie den sozialen Charakter der Sprache ungenügend berücksichtigt hat. Hiermit sind zwei vor allem theoretische Pole angegeben, zwischen denen sich die Forschung bewegt. Hinzu kommt, daß sich eine immer feiner werdende Methodik der Sprachbetrachtung herausbildet. Erst die Sprachgeographie, später auch der sog. Strukturalismus haben in eigener Weise und eigenem Bereich die junggrammatische Schule angefochten und die Betrachtungsmöglichkeiten wesentlich bereichert. Auch auf dem Gebiete der germanischen Sprachen und Dialekte und insbesondere der germanischen Grundsprache haben sich die Einsichten vertieft, obwohl die junggrammatische Denkungsweise auch heute in diesen Bereichen noch häufig zu finden ist. Im Laufe der Zeit haben sich die zwei neueren Richtungen weiterentwickelt, wobei keine von beiden als einheitlich betrachtet werden kann. Die Sprachgeographie, die wertvolle Resultate hervorbrachte, hat sich in ihrem Bereich graduell von der junggrammatischen Tradition losgelöst und verrät ganz deutlich eine mehrdimensionale Sicht in neueren Arbeiten über Stammeskunde, Sprachausgliederung, Sprachberührungen usw. des Germanischen und auch des 1
1*
Schon in vorstrukturalistischer Zeit wurde nicht selten in Systemverhältnissen gedacht, jedoch nicht in folgerichtiger Weise aus Mangel an deutlicher Erkennung fundamentaler Unterschiede; vgl. A. Noreen, Abriß der urgermanischen Lautlehre, Straßburg, 1894, z. B. lf. und W. Streitberg, Urgermanische Grammatik, Heidelberg, 1900, z. B. 31f. Insbesondere in der vorstrukturalistischen Betrachtung der sog. Lautverschiebung läßt sich ganz deutlich eine gewisse Systematik erkennen; vgl. 4.224.
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Indogermanischen. Solche Resultate hat sie vielfach ganz unabhängig und sogar ohne Berücksichtigung der strukturellen Betrachtungsweise erzielt2, aber doch lassen sich diese manchmal sehr gut mit den Ergebnissen der modernen Betrachtung des Sprachbaus (d. h. des Sprachsystems oder der Sprachsystematik)3 und dessen Entwicklung vereinigen. In Zukunft werden sich die beiden Richtungen wohl immer mehr zusammenschließen und zu einer Synthese führen, wie es sich schon in der heutigen Entwicklung in der sprachgeographischen (Strukturgeographie) und -typologischen Betrachtungsmethode zeigt. Die moderne Sprachbetrachtung hat aber im Forschungsbereich der germanischen Grundsprache nur auf dem Gebiete der Lautlehre wirklich Eingang gefunden, viel weniger auf anderen Gebieten. Bei der Erforschung der germanischen Grundsprache wird hier unterschieden zwischen Systementwicklung4 und sprachgeographischer Entwicklung, wobei aber die gegenseitigen Verhältnisse beider Aspekte immer berücksichtigt werden.
1.3 Sprachgeographische Entwicklung 1.31 Bei der modernen, mehrdimensionalen Sprachbetrachtungsweise (zeitlich-räumlich) erweist sich das auch jetzt noch öfters angewandte 2
In der deutschen Germanistik und Indogermanistik ist die sprachgeographische Erforschung des Germanischen weit vorgestoßen, und man ist hier zu einer mehrdimensionalen Sicht gekommen. In schroffem Gegensatz dazu ist die grammatische Darstellung der germanischen Grundsprache, jedenfalls in den Handbüchern, noch im großen ganzen völlig traditionell und überwiegend junggrammatisch geblieben. 3 S p r a c h s y s t e m (Sprachbau, S p r a c h s y s t e m a t i k ) ist hier im weiten Sinne zu verstehen, indem es neben den sog. paradigmatischen Beziehungen auch die syntagmatischen (Distribution) umfaßt; siehe auch 4.1. S y s t e m bezieht sich in der vorliegenden Arbeit jedoch öfters allein auf paradigmatische Beziehungen, da syntagmatische Erscheinungen nur gelegentlich berücksichtigt werden. Zu der zugrunde liegenden Systemauffassung sehe man F. van Coetsem, Structural Linguistics and the Study of Old Germanic, Lingua, XIII (1964), 31—32. 4 Die Termini s p r a c h g e o g r a p h i s c h e E n t w i c k l u n g und S y s t e m e n t w i c k l u n g , können hier als „catch-words" dienen. Obwohl man gegen den Gebrauch der Benennungen S p r a c h g e o g r a p h i e , s p r a c h g e o g r a p h i s c h Bedenken erhoben hat, sind sie beibehalten worden; vgl. W.P.Lehmann, Α Definition of Proto-Gennanic, Α Study in the Chronological Delimitation of Languages, Language, XXXVII (1961), 68, Fußnote 3. Sich beschränkend auf die Phonologie hat R. Jakobson, Prinzipien der historischen Phonologie, Trav. Cercle
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Ausgliederungsbild der Sprachen, nämlich der Stammbaum, mit der einseitigen Vorstellung einer fortschreitenden Verästelung, als völlig unzulänglich. Obwohl die Stammbaumvorstellung (A. Schleicher) wie übrigens auch die Wellenvorstellung (J. Schmidt) von einigen Forschern als Schematisierungen oder Vereinfachungen der Wirklichkeit entschuldigt werden, können sie jedoch schon wegen ihrer vertikalen bzw. horizontalen Eindimensionalität als Vorstellung der wirklichen Gegebenheiten nicht gelten. Sie vereinfachen die Sprachwirklichkeit nicht, sondern entstellen sie und sind nur noch als Analyseverfahren zu verteidigen1. Sprachen können sich in ihrer Entwicklung ausgliedern. Sie können aber nicht nur auseinanderstreben, sondern auch in wechselnder und erneuter Verbindung mittelbar oder unmittelbar zueinandertreten. So ist es zu erklären, daß jüngere Trennungslinien (Isoglossen) ältere überlagern, daß, wie man in horizontaler Perspektive deutlich sieht, Isoglossen sich in verschiedener Weise durchkreuzen und überschneiden, daß sie nicht selten in Bündeln erscheinen, die als Grenzzonen interpretiert werden, und daß die Verhältnisse zwischen Sprachen und den Spracharealen2 sich im Laufe der Zeit vielfach ändern. Sprachareale entstehen als Ausstrahlungsgebiete aktiver Sprachzentren, wobei es selbstverständlich auch Areale als Rückzugsgebiete gibt. Mit der Änderung und Verlegung der Sprachzentren entwickeln sich neue Sprachareale. Diese durchkreuzen einander, umfassen mehrere Areale, durchkreuzen Ling, de Prague, Prague, IV (1931), 247 zwischen phonologischer Geographie und historischer Phonologie unterschieden. 1
Noch immer und wiederholt warnen historische Sprachgeographen vor solcher Sicht; vgl. z. B. H. Krähe, Sprache und Vorzeit, Europäische Vorgeschichte nach dem Zeugnis der Sprache, Heidelberg, 1954, 88: „Für alles Weitere aber ist zu bedenken, daß die Forschung nur allzu gern den Fehler begeht (oder begangen hat), die sprachlichen Individualitäten, wie wir sie in historischer Zeit vor uns haben, sozusagen in gradliniger Verlängerung nach rückwärts in die Vergangenheit zu projizieren". Über diese und die damit verbundenen Fragen: O. Höfler, Stammbaumtheorie, Wellentheorie, Entfaltungstheorie, Beitr. z. Gesch. d. deutschen Spr. und Lit., Tübingen, LXXVII (1965), 30—66, 424—476; LXXVIII (1956), 1—44; O. Höfler, Über die Vorbestimmtheit sprachlicher Entwicklung, Anz. d. Österreich. Akad. d. Wissensch., phil.-hist. Klasse, VC (1958), 111—127. Zu Höflers Gedanken, die ebenfalls in anderen Arbeiten von ihm zum Ausdruck kommen, siehe jetzt E. Buyssens, Linguistique historique, Homonymie, Stylistique, S&nantique, Changements phonötiques, Bruxelles, Paris, 1965, 135—138.
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Dabei ist Areal zu verstehen als ein in einer gewissen Hinsicht einheitliches Gebiet (als ein von einer Isoglosse umschriebenes, einheitliches Gebiet).
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oder umfassen Sprachen bzw. Sprachgemeinschaften, bedingen diese und lösen sich gegebenenfalls darin auf. Dabei lassen sich Trennung und Differenzierung, aber auch Berührung und Ausgleich bestätigen. Neben genetischer Sprachverwandtschaft ist also mit den Ergebnissen der Sprachberührung zu rechnen, die sowohl zwischen nicht verwandten als zwischen genetisch verwandten Sprachen vorkommen kann. Die Entwicklung besteht darin, daß sich zwischen den sich berührenden Sprachen Beeinflussungen und Entlehnungen einstellen. Dabei gilt natürlich auch ein Verhältnis von Geber und Nehmer und je nach dem Standpunkt kann man von Ausbreitung bzw. von Entlehnung sprechen (Entlehnungsrichtung); solche Verhältnisse gibt es natürlich auch innerhalb ein und derselben Sprachgemeinschaft, aber in vorhistorischen Zeiten lassen sie sich nicht fassen. Die Sprachberührung kann oberflächlich oder tiefgreifend sein, sich allgemein oder auf beschränktem Gebiet geltend machen, sogar zu einer neuen Spracheinheit führen, die auch die Gestalt einer Sprachverdrängung annehmen kann. Ein solcher Ausgleich läßt sich selbstverständlich nur erkennen, wenn die Elemente, die dabei beteiligt sind, ihr Vorhandensein noch sonstwo bezeugen. Ob die Sprachberührung durch Nachbarschaft oder durch Zusammentreffen bzw. Symbiose in ein und demselben Lebensraum erfolgte, ist hier nebensächlich. Zur genauen Bestimmung solcher Verhältnisse, also zur genauen Beschreibung der sprachgeographischen Entwicklung einer Sprache innerhalb der in Frage kommenden Sprachenfamilie oder Sprachengruppe, müßte man alle dazu geeigneten Kriterien (Spracherscheinungen) heranziehen und in ihren richtigen Verhältnissen einschätzen können. Für die sprachgeographische Entwicklung sind selbstverständlich nicht alle Kriterien gleichwertig. 1.32 Man nimmt an, daß Sprachareale'als Reflexe von Verkehrsarealen, von welcher Art diese auch sein mögen, zu gelten haben; umgekehrt können Verkehrsareale durch Sprachareale mitgestaltet werden. Ähnliches ist auch von dem Verhältnis zwischen Sprachgemeinschaft und Verkehrsgemeinschaft zu sagen. Trotzdem sind Sprachareal bzw. Sprachgemeinschaft einerseits und Verkehrsareal bzw. Verkehrsgemeinschaft andererseits nicht ohne weiteres gleichzusetzen, weil sich ihre gegenseitigen Reflexe, falls sie sich ganz oder teilweise durchsetzen können, nur graduell entwickeln. Auf solche Weise wird z. B. das gleichlaufende Auftreten vom sog. i-Umlaut des α in verschiedenen, d. h. getrennten Sprachkreisen deutlich. Die phonetische Vorstufe dieser Erscheinung ist am besten im selben Areal anzusetzen, während eine gleiche oder ähn-
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liehe phonologische Folge dann später in getrennten Gebieten auftritt. Zugleich mit ihrer zeitlichen Entwicklung kann sich die Spracherscheinung, oder was man als eine einheitliche Spracherscheinung betrachtet, räumlich ausbreiten. Schließlich sei noch bemerkt, daß mit Sprachareal, Sprachgemeinschaft, Verkehrsareal, Verkehrsgemeinschaft zugleich die Frage nach dem Verhältnis und der Wechselwirkung zwischen Sprache, Volk und Kultur gestellt wird. Die historische Sprachgeographie hat vielfach Ergebnisse anderer historischer Disziplinen, wie z. B. der Archäologie herangezogen, nicht selten ohne genügend zu berücksichtigen, daß die Forschung den direkten Beziehungen schrittweise nachspüren soll und daß also im Prinzip Rückschlüsse auf sprachliche Verhältnisse zunächst auf sprachlichen Vorlagen basieren sollen. Doch erweist es sich in der Praxis der Rekonstruktion häufig sehr schwierig immer an einer solchen Folgerichtigkeit festzuhalten3. 1.33 Das vielfach angewandte Forschungsverfahren bei der Beschreibung der sprachgeographischen Entwicklung in vergangener und besonders vorhistorischer Zeit besteht in der Musterung der Sprachgemeinsamkeiten oder -Übereinstimmungen. Doch gibt es dabei Schwierigkeiten, da Sprachgemeinsamkeiten in bestimmten Fällen hinsichtlich ihres Ursprungs (genetische Verwandtschaft, generische Gleichheit, mittelbare bzw. unmittelbare Entlehnung oder Kombination verschiedener dieser Faktoren) oft mehrdeutig bleiben. Auch die Sprachunterschiede dürfen nicht übersehen werden, wie ebenfalls die Frage von Bedeutung ist, ob die betrachteten Sprachen gemeinsam bewahren oder gemeinsam neuern. Im Falle der Berührung ist zu beachten, daß, je mehr die sich berührenden Sprachen voneinander verschieden sind, um so ausgeprägter sind die Entlehnungen, und somit sowohl die Gemeinsamkeiten wie auch die Entlehnungsrichtung. Doch ist zu berücksichtigen, daß eine solche Ausprägung im Laufe der Sprachentwicklung normalerweise geringer wird, weil Entlehnungen die Neigung zeigen, sich den eigenen Systemverhältnissen der entlehnenden Sprache anzupassen, oder umgekehrt, in bestimmten Fällen, diese Systemverhältnisse beeinflussen. Die Berührungszeit und die Belegzeit des betreffenden Sprachmaterials sind jedenfalls gegeneinander abzuwägen. Andererseits stellen sich Entlehnungen leichter und rascher im lexikalischen als im grammatikalischen oder phonischen Bereich ein, was wieder Rückschlüsse auf den Charakter (Intensität, Dauer) der Sprachberührung, aber auch auf den Grad der 3
3.11 und 3.31
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Verwandtschaft der sich berührenden Sprachen ermöglicht. Die bei Entlehnung normalerweise auftretende Adaptierungserscheinung wird noch im folgenden kurz zu behandeln sein4.
1.4 Systementwicklung 1.41 Unsere Kenntnis der germanischen Grundsprache als Sprachbau ist auf Rekonstruktion, vor allen Dingen durch methodische Vergleichung der ältest belegten Phasen der verschiedenen germanischen Einzelsprachen oder Sprachkreise (Urnordisch, Altnordisch, Gotisch, Althochdeutsch, Altniederfränkisch, Altsächsisch, Altenglisch, Altfriesisch) unter Heranziehung des Indogermanischen gegründet, da es keine sicheren Belege (Texte und Inschriften) aus voreinzelsprachlicher Zeit gibt. Der einzige, den man hierfür bisweilen in Anspruch genommen hat, ist die sehr bekannte Amgastfi-Inschrift, die wegen der vielen Probleme in Lesung, Deutung und Datierung hier außer acht gelassen wird1. Die frühest überlieferten, schriftlichen Aufzeichnungen, nämlich die Runeninschriften im älteren Futhark (die ältesten ± 2. Jh.) 2 und die gotische Bibelübersetzung (4. Jh.) sind schon zur einzelsprachlichen Zeit zu rechnen, denn die Vergleichung solcher Runeninschriften mit dem 41.43.
Viele Forscher haben sich mit der Inschrift beschäftigt; wichtige Beiträge darüber haben vor allem Marstrander, Kretschmer, Reinecke, Reichardt, Egger und Callies-Düwel geliefert. Siehe jetzt die zusammenfassende Darstellung mit ausführlichem Schrifttum von F. de Tollenaere, De Harigasti-Inscriptie op Helm Β van Negau, Haar betekenis voor de Oergermaanse klankleer en voor het probleem van de oorsprong der runen, Med. Kon. Ned. Akad. v. Wetensch., Afd. Lett., Ν. R., Deel 30, No. 11, Amsterdam, 1967. * Vom einschlägigen Schrifttum sei hier nur einiges erwähnt. Für die Runenkunde im allgemeinen: H. Arntz, Handbuch der Runenkunde, Halle-Saale, 1944 2 ; L. Musset, Introduction k la Runologie, Paris, 1965. Literaturangaben bei S. Sonderegger, Überlieferungsgeschichte der frühgermanischen und altnordischen Literatur, in Geschichte der Textüberlieferung der antiken und mittelalterlichen Literatur, Zürich, 1964, II, 720—721; W. Krause, Bibliographie der Runeninschriften nach Fundorten, Göttingen, 1961—. Insbesondere für die älteren Runeninschriften: A. Jöhannesson, Grammatik der urnordischen Runeninschriften, Heidelberg, 1923; C. J . S. Marstrander, De nordiske runeinnskrifter i eldre alfabet, Oslo, 1952, I ; E. A. Makajev, Jazyk drevnejäich runiieskich nadpisej, Moskva, 1965; W. Krause, Runeninschriften im älteren Futhark, Göttingen 1966®, mit Beitrag von H. Jankuhn. 1
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Bibelgotischen läßt im Germanischen jener Zeit eine deutliche, wenn auch noch nicht sehr tiefgreifende Differenzierung erkennen. Mit Recht wird die Sprache der ältesten Runeninschriften als der germanischen Grundsprache nahe verwandt betrachtet. Die frühere Forschung, insbesondere die junggrammatische Schule, hat bei der Rekonstruktion der germanischen Grundsprache und mit Hilfe der sog. komparatistischen Methode bereits sehr bedeutende Resultate erzielt, worauf sich natürlich die heutige Forschung stützt. Diese Resultate waren aus Mangel an deutlicher Erkennung und Formulierung grundsätzlicher Unterschiede, insbesondere durch das Fehlen einer mehrdimensionalen Sicht (Synchronie, Diachronie, Sprachbau, Sprachentwicklung usw.) nicht selten verzerrt. Solche grundsätzlichen Unterschiede dürfen aber auch jetzt nicht zu scharfen Scheidungen führen, wenn man der Sprachwirklichkeit näherkommen will. So braucht man den Nutzen einer rein synchronischen (statisch-synchronischen), bzw. rein diachronischen (linear-diachronischen) Beschreibung im Rahmen der Analyse gar nicht zu leugnen, aber doch sollte man jetzt das Sprachsystem, das ja in fortwährender Entwicklung ist, in seiner Dynamik, also entwicklungsmäßig, und die Sprachentwicklung systemmäßig zu betrachten versuchen3. Dies führt zu einem dynamischsynchronischen Verfahren, zur Erforschung der S y s t e m e n t w i c k l u n g , d. h. zu einer die Synchronie und Diachronie voraussetzenden, sog. metachronischen Methode4, die schon bei der Rekonstruktion bestimmter Teilbereiche der germanischen Grundsprache angewandt wor3
Der von F. de Saussure, Cours de Linguistique Gdndrale, Paris, 1955 s (hrsg. Ch. Bally, A. Sechehaye, A. Riedlinger, 19161), 114 f. gemachte Unterschied zwischen Synchronie und Diachronie mit dem von der junggrammatischen Schule bedingten Begriff der Diachronie, hat zu einer ausführlichen Diskussion Anlaß gegeben. Für eine gegenüber de Saussure erweiterte Sicht der Diachronie und des Verhältnisses zwischen Synchronie und Diachronie, vgl. schon R. Jakobson, Prinzipien der historischen Phonologie, 247f. und N. van Wijk, Phonologie, Een hoofdstuk uit de structurele taalwetenschap, 's-Gravenhage, 1939, 145 f. Siehe jetzt H. Schultink, Statische of dynamische taalbeschrijving (Antrittsvorlesung Utrecht), 1963. Immer mehr wird die ursprünglich scharfe Scheidung zwischen Synchronie und Diachronie aufgegeben. * L. Hjelmslev, La cat^gorie des cas. Etudes de grammaire gdndrale, Premifere partie, Aarsskrift for Aarhus Universitet, VII (1935), 110: „Par opposition ä la diachronie qui fait abstraction des systfcmes, la mötachronie procfcde par la juxtaposition explicative de plusieurs systfemes successifs". Für die Entwicklung einer solchen Denkungsart ziehe man auch das in der vorigen Anm. verzeichnete Schrifttum (Jakobson, Van Wijk) heran.
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den ist5. Selbstverständlich kann man dabei, je nachdem man sich auf den Standpunkt des Sprachbaus oder der Sprachentwicklung stellt, eine angepaßte Terminologie gebrauchen, wie z. B. System oder Systematik gegenüber Systematisierung. Ein solches Verfahren gewährt in unserem Fall einen tieferen Einblick in die internen Verhältnisse und Entwicklungen der germanischen Grundsprache und fördert zugleich die Lösung umstrittener Fragen, die früher allzu einseitig diachronisch vom Indogermanischen her, ohne Berücksichtigung des eigenen germanischen Sprachsystems und seiner Entwicklung, angefaßt worden sind. In diesem Zusammenhang ist auch die an sich vertretbare Laryngaltheorie zu erwähnen, die sich gleichfalls um ungelöste Fragen der germanischen Grundsprache bemüht hat, die aber vor allem in ihren Anfängen ohne genügende Berücksichtigung des germanischen Sprachsystems und seiner Entwicklung vorgegangen ist. Man sollte ihren auf diesem Gebiete bis jetzt gebotenen Lösungen deshalb mit Vorsicht begegnen®. 1.42 Wie man bei jeder Entwicklung, auch bei der sprachgeographischen, Phasen oder Perioden unterscheiden kann, so hat es sich bei der Erforschung der Systementwicklung, und zwar aus praktischen Gründen, als zweckmäßig erwiesen, das System in seinen Entwicklungsphasen, -schichten oder -perioden zu betrachten. Doch sollte man sich dabei, wie überhaupt bei jeder Geschichtsforschung, den relativen Charakter jeder Periodisierung deutlich vergegenwärtigen. Diese muß in diesem Fall auf interne Erscheinungen der Sprachentwicklung aufgebaut werden. Die Sprachentwicklung geschieht aber ununterbrochen und graduell 6
β
Als Beispiel kann gelten: J. Fourquet, Les mutations consonantiques du germanique, Essai de position des problämes, Paris, 1948 mit ausdrücklicher Erwähnung der von ihm angewandten metachronischen Methode (S. 18); dazu auch J. Fourquet» Die Nachwirkungen der ersten und der zweiten Lautverschiebungen, Versuch einer strukturellen Lautgeschichte, Zs. f. Mundartf., XXII (1954), 1—33. Ε. Polome, Theorie .laryngale' et germanique, Mel. de Ling, et de Phil. Fern. Mossd in Memoriam, Paris, 1959, 387—402. Jetzt: Evidence for Laryngeals (hrsg. W. Winter), London, The Hague, Paris, 1965a (Austin, I9601), woraus hier zu verzeichnen ist: als allgemeine Übersicht E. Polomi, The Laryngeal Theory so Far, A Critical Bibliographical Survey, 9—78; für das Germanische W. P. Lehmann, The Germanic Evidence for Laryngeals, 212—223. Vgl. noch W. P. Lehmann, Proto-Indo-European Phonology, Austin, 1952 und 4.212, 4.233, 4.32, Anm. 3.
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und jede dabei auftretende Erscheinung trifft nur einen Teil des Sprachsystems und ist demnach als Kriterium zur Periodenbegrenzung relativ und sogar subjektiv. Das heißt auch, daß solche Erscheinungen für die Systementwicklung nicht immer gleichwertig sind. Zu einer objektiven Darstellung müßte man wiederum alle in der Entwicklung des Sprachsystems auftretenden Erscheinungen in Betracht ziehen und in ihr richtiges Verhältnis stellen, aber dann wäre die Periodisierung letzten Endes doch die Systementwicklung selbst. Es gelten hier somit dieselben Bedingungen wie bei der sprachgeographischen Entwicklung, deren genaue Beschreibung ebenfalls die Betrachtung aller dazu geeigneten Kriterien (Spracherscheinungen) voraussetzt. Wie in sprachgeographischer Perspektive Linienbündel hervortreten, die als Grenzzonen interpretiert werden, so lassen sich in der Systementwicklung Konzentrationen von Erscheinungen nachweisen, die als Anhaltspunkte einer Periodisierung dienen können. Mit all diesem ist zugleich deutlich gemacht, daß Periodisieren hier nicht Selbstzweck ist, sondern nur als Mittel zur Erforschung der Systementwicklung zu gelten hat. 1.43 In sprachgeographischer Perspektive läßt sich der Übertritt einer Spracherscheinung oder eines Sprachelements von einem Sprachsystem in ein anderes sehr gut beobachten, und je nach dem Standpunkt spricht man dann von Ausbreitung bzw. von Entlehnung. Eine aus der traditionellen Forschung stammende Methode, die man vor allem gern auch zur Ermittlung der Lautlehre der germanischen Grundsprache verwertet hat, ist die Betrachtung der Entlehnungen (Lehnwörter, Namenmaterial usw.). Doch ist zu bemerken, daß für die Beurteilung sprachsystematischer Fakten Entlehnungen immer nur beschränkte Möglichkeiten bieten, da bei Lehnbeziehungen vielfach Adaptierungserscheinungen (z. B. die Lautsubstitution) auftreten. Zum richtigen Verständnis solcher Adaptierungserscheinungen müßte man die sich berührenden Systeme kennen7, aber man sucht gerade aus jenen Erscheinungen diese Systeme zu ermitteln. Dies ist ein Verfahren, das nur mit größter Umsicht angewandt werden darf8. 7
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Vgl. vor allem U. Weinreich, Languages in Contact, Findings and Problems, The Hague, 19632 (New York, 19531). Auf die notwendige Vorsicht, die man bei der Deutung und Verwertung solcher Wörter und Namen an den Tag legen sollte, wurde schon früh und wiederholt hingewiesen. Vgl. mit Verzeichnis älterer Literaturangaben Fr. van Coetsem, Das System der starken Verba und die Periodisierung im älteren Germanischen, Med. Kon. Ned. Akad. v. Wetensch., Afd. Lett., Ν. R., Deel 19, No. 1, Amster-
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1.44 Ein deutlicher Zusammenhang zwischen sprachgeographischer Entwicklung und Systementwicklung hat sich also bereits herausgestellt. Es ist übrigens schon lange bekannt, daß z. B. Lautentwicklungsphasen sich manchmal räumlich widerspiegeln. Auch können Elemente eines sprachsoziologischen bzw. sprachstilistischen Aufbaus des Sprachsystems sich in sprachgeographischer Perspektive reflektieren und umgekehrt erhalten Elemente einer sprachgeographischen Entwicklung (Entlehnungen) im Sprachsystem nicht selten eine sprachsoziologische bzw. sprachstilistische Wertung. Die Verhältnisse und insbesondere die Spannung zwischen einer sozial bzw. stilistisch höher bewerteten Sprachform und einer solchen, die als niedriger gilt, sind gerade Triebkräfte der sprachgeographischen Bewegungen; man vergleiche die Entwicklung und Ausbreitung einer Koine gegenüber dem Einfluß der Volkssprache. Sprachgeographische Entwicklung und Systementwicklung sind also wohl zu unterscheiden, aber auch nicht voneinander zu trennen. Gerade aus diesem Grund sind die vormals vielfach gebrauchten Termini externe und interne Sprachgeschichte oder -entwicklung j etzt vielleicht am besten zu vermeiden.
2.0 Allgemeine Charakterisierung und Periodisierung der germanischen Grundsprache 1 2.1 Es ist selbstverständlich nicht möglich anzugeben, seit wann man mit einem mehr oder weniger selbständigen Germanisch zu rechnen hat. Man könnte für die germanische Grundsprache eine Entwicklung dam, 1966, 16f. und auch J. W. Marchand, Names of Germanic Origin in Latin and Romance Sources in the Study of Germanic Philology, Names, Journal of the American Name Society, VII (1969), 167—181. Weiter: Allgem. Schrifttum ; 3.0, 4.217 und 4.224. Für die Frage germanischer Eigennamen bei antiken Schriftstellern seien vor allem folgende Materialsammlungen erwähnt: M. Schönfeld, Wörterbuch der altgermanischen Personen- und Völkernamen, Heidelberg, 1911; S. Gutenbrunner, Die germanischen Götternamen der antiken Inschriften, HalleSaale, 1936. 1
Die zur allgemeinen Charakterisierung und Periodisierung der germanischen Grundsprache vorgeführten Erscheinungen sind in Handbüchern (vgl. H. Hirt, Handbuch des Urgermanischen, Heidelberg, 1931, I, 16—16; H. Krähe, Germanische Sprachwissenschaft, Berlin, 1942, I, 34—36 [auch in späteren Auflagen]) als sog. Merkmale des Germanischen gegenüber dem Indogermanischen verzeichnet. Meistens sind diese reihenweise aufgezählt, d. h. ohne
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von ein bis zwei Jahrtausenden in Betracht ziehen und dabei ist zu berücksichtigen, daß ihre Ausgliederung zu mehr oder weniger selbständigen Einzelsprachen nicht früher als in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung anzusetzen ist, obwohl mundartliche Unterschiede schon vorher eingetreten sein werden. Im Laufe einer solchen längeren Entwicklung kann sich das Sprachsystem in mancher Hinsicht stark verändert haben. Man hat die Akzentgenügende zeitliche Einordnung in die Entwicklung der germanischen Grundsprache und gleichfalls ohne genügende Berücksichtigung einer gewissen Hierarchie hinsichtlich der Wichtigkeit jeder betreffende Erscheinung f ü r die Systementwicklung. Selbstverständlich sind solche Merkmale meistenteils nicht ausschließlich germanisch, obwohl ihre Verbreitung doch gewöhnlich beschränkt erscheint. Die germanische Sprachindividualität wird deshalb am besten charakterisiert durch eine Ganzheit von Erscheinungen, die zugleich in die Entwicklung eingeordnet werden sollten. Siehe Allgem. Schrifttum. Zu allgemeinen Charakterisierungen bzw. zusammenfassenden Beschreibungen der germanischen Grundsprache sei noch auf folgendes Schrifttum hingewiesen: H. Arntz, Urgermanisch, Gotisch, Nordisch, in Germanische Philologie, Ergebnisse und Aufgaben, Festschrift für O. Behaghel (hrsg. A. Goetze, W. Horn, F. Maurer), Heidelberg, 1934, 29—74; H. Arntz, Gemeingermanisch, in Germanen und Indogermanen, Festschrift für H. Hirt (hrsg. H. Arntz), Heidelberg, 1936, I I , 429—451 und in derselben Festschrift (II) H. Amman, Germanischer und indogermanischer Sprachtypus, 329—342. Heranzuziehen ist auch W. P. Lehmann, The Conservatism of Germanic Phonology, Journal of Engl, and Germ. Phil., L I I (1953), 140—152. — Die in der vorliegenden Arbeit gemachte Charakterisierung und Periodisierung geht im allgemeinen auf Van Coetsem, Das System der starken Verba, 70 f. zurück. Uber eine solche Periodisierung und vor allem über die dabei gebrauchten Benennungen v o r g e r m a n i s c h , u r g e r m a n i s c h , g e m e i n g e r m a n i s c h , f r ü h g e r m a n i s c h , s p ä t g e r m a n i s c h , wie auch über Rekonstruktion und den Begriff U r s ρ r a c h e (Ρ r ο t ο 1 a η g u a g e) im allgemeinen hat sich eine Diskussion entwickelt: Lehmann, Α Definition of Proto-Germanic, 67—74; Ε. A. Makajev, Ponjatie oblöegermanskogo jazyka, in Voprosy germanskogo jazykoznanija, Materialy vtoroj nauinoj sessii po voprosam germanskogo jazykoznanija, Moskva, Leningrad, 1961, 44—67, 278—279; Ε. A. Makajev, in Sravnitel'naja grammatika germanskich jazykov, Moskva, 1962, I, 114—124; Ε. A. Makaev, The Morphological Structure of Common Germanic, Linguistics, X (1964), 22 und Fußnote 1 (Übersetzung eines Beitrags in Problemy morfologiieskogo stroja germanskich jazykov, Moskva, 1963, 54—73); Ε. Η. Antonsen, Zum Umlaut im Deutschen, Beitr. z. Gesch. d. deutschen Spr. und Lit., Tübingen, L X X X V I (1964), 177 f., insbesondere 179, Fußnote 9; Ε. H. Antonsen, On Defining Stages in Prehistoric Germanic, Language, X L I (1965), 19—36. Schon früher h a t man Periodisierungen der germanischen Grundsprache vorgeschlagen; dazu L. E. van Wijk, De
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neuerung wegen ihrer sehr großen Bedeutung für die Sprachentwicklung als ein sich selbst einstellendes Kriterium zur Periodisierung der germanischen Grundsprache vorgeschlagen2. Doch ist gerade auch dieses Kriterium nur begrenzt anzuwenden. Trotzdem kann man einer auf dieser Grundlage entworfenen Periodisierung einen gewissen und jedenfalls praktischen Wert nicht absprechen, weil sie zunächst als Grundeinteilung dienen kann, in der wenn möglich weiter periodisiert werden sollte. Auf Grund der Akzentverhältnisse sind für die germanische Grundsprache zwei Perioden zu unterscheiden. Die e r s t e P e r i o d e , die ältere, der man die Namen u r g e r m a n i s c h , f r ü h g e r m a n i s c h oder v o r g e r m a n i s c h gegeben hat, besitzt im wesentlichen noch den freien, wechselnden Wortakzent, d. h. die Betonungsart des Indogermanischen, wie aus dem Vernerschen Gesetz gefolgert wird. Uber die musikalische oder dynamische Art dieser Akzentuierung kann noch immer nichts mit Sicherheit festgestellt werden, obwohl man vielfach annimmt, daß die Akzentuierung damals vorwiegend musikalisch gewesen ist, wobei jedoch möglicherweise die Dynamik schon gegen Ende dieser Periode immer mehr verstärkt worden ist3. Hierin ließen sich dann Ansätze zur AkzentKlinkers der Oergermaanse Stamsyllaben in hun onderling Verband, BilthovenTegal, 1936,19—20. Es gibt viele Periodisierungs- und Rekonstruktionsschwierigkeiten, sowie Uneinigkeit bei der Begrenzung der „Ursprache". Es scheint jetzt erwünscht, die weiter angenommenen Sprachperioden mit neutralen Benennungen (erste, zweite Periode) oder mit Termini, die sich auf eine Sprachcharakteristik beziehen (e-a-Periode), anzudeuten, wobei als umfassender Begriff das neutrale und für sich selbst redende „ g e r m a n i s c h e G r u n d s p r a c h e " oder einfach „ G e r m a n i s c h " (dies insbesondere gegenüber Keltisch, Italisch usw.) angewandt werden. 2
Auf die sehr große Bedeutung der Akzentneuerung für das Germanische wurde schon früher die Aufmerksamkeit gelenkt; siehe z. B. A. Meillet, Caractöres Gdniraux des Langues Germaniques, Paris, 1917, 61 f., insbesondere 72; „L'introduction de l'accent d'intensity k une place fixe, l'initiale, a 6t6 une revolution, et rien ne caract^rise davantage le germanique". Von hieraus läßt sich die von Van Coetsem, Das System der starken Verba, 75f., vor allem 80—81, vorgeschlagene Periodisierung, besser begreifen. Vgl. Fourquet, Die Nachwirkungen der ersten und der zweiten Lautverschiebungen, vor allem 32—33 und auch die Anmerkung bei Antonsen, On Defining Stages in Prehistoric Germanic, 24, Fußnote 17: „ I t is primarily the fixation of the stress on the root syllable rather than its dynamic nature which should be noted here".
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Die sog. Schwundstufe setzt auch eine starke Dynamik voraus, die selbstverständlich in indogermanischer Zeit anzusetzen ist; Lehmann, Proto-Indo-European
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neuerung erkennen, deren Vollziehung sich in der folgenden Periode ereignet. In der ersten Periode weisen die Silben einen relativ autonomen und äquilibrierten Charakter auf, was sich auch gegen Ende der Periode immer mehr aufgelöst haben wird. Im morphologischen Bereich zeigt sich die freie Akzentuierung bei der Nominalflexion in akzentuell verschiedenen Paradigmatypen, einem solchen mit fester und einem solchen mit wechselnder Akzentuierung4. In der zweiten Periode, der jüngeren, die man gemeingermanisch, spätgermanisch, auch urgermanisch genannt hat, wurde die von einem Exspirationsdruck charakterisierte Akzentprominenz auf die Wurzel- oder Anfangssilbe des Wortes festgelegt. In Simplicia erscheint die Akzentprominenz auf der ersten Silbe, aber bei Komposita läßt sich eine solche Konsequenz offenbar nicht feststellen. Man macht einen Unterschied zwischen Nominal- und Verbalkomposita, wobei jedoch zu berücksichtigen ist, inwieweit die Struktur, die später als Kompositum erscheint, schon in dieser Periode als solches zu gelten hat. Alle germanischen Sprachen setzen die Akzentneuerung voraus und man ist berechtigt anzunehmen, daß wenigstens ihre Vorbedingung in einem verhältnismäßig einheitlichen germanischen Sprachgebiet anzusetzen ist. Wie sich oben genügend herausgestellt hat, bedeutet dies aber keineswegs, daß die Germanen noch in der zweiten Periode einen Siedlungsraum mit einheitlicher Verkehrslage besessen hätten. Tatsächlich scheinen die Verkehrsverhältnisse schon damals aufgelockert gewesen zu sein. Demgegenüber erscheint die Sprache als noch verhältnismäßig einheitlich, obwohl auch sie immer mehr an Einheit einbüßt. In dieser Periode hat sich der ganze Rhythmus der Sprache geändert; die Wurzel- oder Anfangssilbe trägt die Akzentprominenz, die anderen Silben neigen zur Abschwächung, wobei selbständige Auslautserscheinungen auftreten; der autonome Charakter der Silben ist verschwunden; akzentuierte und schwachakzentuierte Silben — man hat hierbei verschiedene Grade unterschieden — stehen in enger Beziehung zueinander; es gibt spezifische, assimilatorische Prozesse (z. B. Umlaut6), deren erste ErscheiPhonology, 112 f. Mögliche Verstärkung der Dynamik vor der Festlegung der Akzentprominenz im Germanischen nehmen an: Hirt, Handbuch des Urgermanischen, I, 16; E. Jung, Chronologie relative des faits phondtiques en germanique commun. Etudes germaniques, XI (1958), 304—305 mit Tabelle gegenüber S. 321. 4 4.1. B Man hat der Umlautserscheinung der zweiten Periode gegenüber ähnlichen Erscheinungen in der einzelsprachlichen Zeit bisweilen auch einen eigenen Namen gegeben, so ä l t e r e n U m l a u t (was sich noch verteidigen läßt), aber auch V o k a l -
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nungen schon in dieser Periode zu erkennen sind und die zu einer wichtigen Umgestaltung des Vokalsystems führen. Schließlich ist noch zu bemerken, daß die schon alte Streitfrage, ob die primäre Bedingung der beschriebenen Entwicklung der Anfangsakzent bzw. die Funktionslosigkeit der Endungen sei, sich als unfruchtbar erweist®. Auch Betrachtungen über (außersprachliche) Ursachen der Akzentneuerung sind noch immer rein spekulativ7. 2.2 Der Übergang von der ersten zur zweiten Periode scheint sich ganz graduell vollzogen zu haben und zwar etwa gegen Ende des ersten vorchristlichen Jahrtausends oder um Christi Geburt. Man weiß selbstverständlich nicht, ob die für eine solche Periodisierung kennzeichnenden Sprachneuerungen auch bei früh abgewanderten und nachher aufgelösten sog. ostgermanischen Stämmen vorkamen, deren Sprache und Spracheigenheiten nur unvollkommen bekannt oder sogar völlig unbekannt geblieben sind. Die uns näher stehende zweite Periode nimmt eine verhältnismäßig kurze Zeit in Anspruch und läßt sich auch genauer beschreiben als die entferntere, erste Periode, die eine längere Zeit umfaßt. Über diese grobe Periodisierung hinaus möchte man zu einer differenzierten Gliederung des germanischen Entwicklungsablaufes gelangen, wobei jedoch der heutige Forschungsstand keine eigentliche Feingliederung zuläßt. Der Zusammenfall von / a / und / ο / bzw. / ä / und / δ / ermöglicht eine weitere Einteilung dadurch, daß der Zeitraum nach diesem Zusammenfall als eine zweite Phase der ersten Periode bzw. als eine Ubergangsstufe zur zweiten Periode anzusehen ist. Dies ist die sog. e-a-Periode, d. h. also die Zeit zwischen dem ^-i-Zusammenfall und der Umgestaltung des Vokalsystems, an der sich auch / e / beteiligt hat. Für jene Zeit lassen sich einerseits noch Spracheigenheiten der ersten Periode nachweisen und andererseits schon bestimmte Vorbedingungen für die Sprachverhältnisse der zweiten Periode als möglich voraussetzen. Die Einordnung der e-a-Periode vor Christi Geburt und zwar spätestens im 2. oder 1. vorchristlichen Jahrhundert (Terminus ante quem), scheint auf Grund der gesamten Verhältnisse, die durch h a r m o n i e und B r e c h u n g , obwohl dazu offenbar kein Anlaß besteht; vgl. Van Coetsem, Structural Linguistics and the Study of Old Germanic, 40; Antonsen, On Defining Stages in Prehistoric Germanic, 24—25, insbesondere Fußnote 18. • Vgl. A. Martinet, ficonomie des changements phondtiques, Traits de phonologie diachronique, Berne, 1965, 169—170, 199 f. 7 Op. cit., 169: ,,Οη peut. . . se demander si, en ces matures, on dipassera jamais le stade des pr&omptions".
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sprachgeographische8 und sprachsystematische9 Betrachtung zu erkennen sind, berechtigt zu sein. Die Unterscheidung einer e-a-Periode findet übrigens ihre Begründung nicht nur in der Entwicklung des Vokalismus, sondern auch in der Tatsache, daß infolge des A-/>A-Isoglosse (skrt. bharämi, gr. φέρω) ist ein Beispiel für eine Linie, die das Gebiet „auf eine ganz andere Weise" aufgliedert; vgl. Fourquet, Les mutations consonantiques du germanique, vor allem U l f . Krähe, Sprache und Vorzeit, insbesondere 63—71; H. Krähe, Indogermanisch und Alteuropäisch, Saeculum, VIII (1957), 1—16; H. Krähe, Vorgeschichtliche Sprachbeziehungen von den baltischen Ostseeländern bis zu den Gebieten um
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auf Grund toponymischen, insbesondere hydronymischen Materials vorausgesetzt wird. Gerade im Rahmen dieses westlichen oder alteuropäischen Bereichs mit einer Ubergangszone zum östlichen Teil läßt sich die sprachgeographische Entwicklung des Germanischen ziemlich gut verfolgen, besonders gegenüber dem Italischen und Keltischen, die mit dem Germanischen den Kern des Westflügels des Indogermanischen bilden, aber auch gegenüber dem Illyrischen und Venetischen als Kentum-Sprachen, sowie gegenüber dem Baltisch-Slavischen als SatemSprachen. In verschiedener Hinsicht scheint das Germanische sogar eine Zwischenstellung zwischen dem Italischen und Keltischen einerseits und dem Baltisch-Slavischen andererseits einzunehmen. Auch die Berührung des Germanischen mit dem Lateinischen in der Römerzeit ist nicht außer acht zu lassen. Zu all diesem sei noch bemerkt, daß es sehr wahrscheinlich noch andere, nicht nachgewiesene bzw. nicht leicht identifizierbare (indogermanische) Völker und Sprachen (Mundarten) gegeben hat, mit denen die Germanen und das Germanische sich möglicherweise berührt haben und wodurch die sprachlichen Verhältnisse (Wortschatz) des Germanischen beeinflußt sein könnten7. 3.13 Es besteht die berechtigte Annahme, daß im 3. oder im 2. vorchristlichen Jahrtausend, als die Germanen (oder Prägermanen) in Dänemark und den angrenzenden Teilen Norddeutschlands und Südschwedens beheimatet waren, in ihrer unmittelbaren, südlichen Nachbarschaft andere Indogermanenvölker angesiedelt waren; es könnten z. B. Italiker gewesen sein. Es muß sich um nah verwandte westindogermanische Völkergruppen handeln, die in einer so frühen Zeit in enger Verkehrs-
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den Nordteil der Adria, Akad. Wissensch, und Lit. (Mainz), Abh. geistes- und sozialwissensch. Klasse, 1957, 103—121; H. Krähe, Sprachliche Aufgliederung und Sprachbewegungen in Alteuropa, Akad. Wissensch, und Lit. (Mainz), Abh. geistes- und sozialwissensch. Klasse, 1959, 3—24. Man sehe z. B. H. Kuhn, Anlautend p- im Germanischen, Zs. f. Mundartf., XXVIII (1961), 1—31; R. Hachman, G. Kossack, H. Kuhn, Völker zwischen Germanen und Kelten, Schriftquellen, Bodenfunde und Namensgut zur Geschichte des nördlichen Westdeutschlands um Christi Geburt, Neumünster, 1962; weiter die in der folgenden Anm. erwähnte Arbeit Kuhns und die in der vorhergehenden Anm. verzeichneten Schriften Krahes. — Im Zusammenhang mit der Entstehung des Germanentums hat man auch darauf hingewiesen, daß es eine beträchtliche Anzahl von germanischen Wörtern gibt, die sich aus dem Indogermanischen (vorläufig) nicht herleiten lassen; vgl. dazu Schwarz, Germanische Stammeskunde, 21—22 und auch P. G. Scardigli, Elementi non indoeuropei nel gennanico, Firenze, 1960.
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gemeinschaft gestanden haben, da eine Reihe alter, den bezüglichen Sprachkreisen eigene Sprachgemeinsamkeiten zu belegen sind, die aus einer Zeit herrühren müssen, als die Konsonanten noch gar nicht verschoben waren. Dabei ist noch zu bedenken, daß die Berührungszeit und die Belegzeit des zu vergleichenden Sprachmaterials weit auseinanderliegen. Diese Gemeinsamkeiten lassen sich sowohl im grammatikalischen wie im lexikalischen Bereich nachweisen, was nicht nur den Gedanken enger Beziehungen zwischen diesen Völkergruppen nahelegt, sondern auch die Vermutung unterstützt, daß diese Sprachen oder Sprachkreise noch genügend verwandt waren, um eine gegenseitige Durchdringung leicht zu ermöglichen. Weil man aber einen solchen nördlichen Siedlungsbereich der Italiker nur als sehr problematisch beurteilt hat, ist man auch zu der Annahme gekommen, daß Gemeinsamkeiten zwischen dem Italischen und dem Germanischen auf eine Vermittlung des allerdings nur resthaft bekannten Illyrischen zurückzuführen sind. Von diesen Gemeinsamkeiten zwischen Italisch und Germanisch können hier nur wenige Beispiele erwähnt werden; zuerst einige der zahlreichen Wortübereinstimmungen: lat. farina „Mehl", got. barizeins „von Gerste"; lat. haedus „Ziegenbock", got. gaits, ahd. geij
„Geiss, Ziege"; lat. tacere, got. pahan „schweigen" (vgl. auch lat. e, got. ai, lat. tacere, got. pahaida). In der Wortbildung gibt es auch treffende Ubereinstimmungen; z. B. kommt ein Suffix, idg. /*-»£/ zur Bildung von Ortsadverbien in beiden Sprachkreisen vor, lat. superne „von oben", got. utana, ahd. «5an(a) „von außen". Sehr auffallend ist noch das übereinstimmende Vorkommen von Perfektformen mit Wurzelvokal e lat. edimus, sedimus, got. etum, setum „wir saßen, aßen" und einer ganz ähnlichen Präsensflexion beim Typ lat. capio, capis „ich greife, du greifst", ahd. heffu, hevis „ich hebe, du hebst". Schließlich sei noch bemerkt, daß man auch auf Ubereinstimmungen zwischen Umbrisch und Germanisch (z. B. cringatro „Schulterband", ahd. (h)ring „Ring") hingewiesen hat8.
3.14 Im betreffenden westlichen Bereich läßt sich ein Areal ansetzen, das außerhalb des Italischen und Germanischen auch noch das Keltische 8
Für die Beziehungen zwischen Germanisch und Italisch siehe noch E. Polom6, Germanisch und Italisch im Lichte der deskriptiven Sprachbetrachtung, Orbis, XV (1966), 190—199 und für Ubereinstimmungen zwischen Germanisch und Umbrisch vgl. H. Kuhn, Vor- und frühgermanische Ortsnamen in Norddeutschland und in den Niederlanden, Westfälische Forschungen, XII (1959), 43.
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umfaßt; keltische Völker werden damals vielleicht südlich und (südwestlich der Italiker gesessen haben. Ein solches Areal läßt sich wiederum auf Grund spezifischer sprachlicher Übereinstimmungen erkennen, z. B. lat. menium „Kinn", kymr. mant „Kinnbacken", got. munßs „Mund" l*mnt~l [*tn «i-]; die Lautübereinstimmung ss für Alveolar (d, t) -f- t, lat. invlsus (s nach Länge gegenüber ss nach Kürze, *invittos, *invid-tos) „unsichtbar", air. fiss „Wissen", an. viss „gewiß". Andererseits gibt es eigene Gemeinsamkeiten zwischen Italisch und Keltisch, die, wie oben schon bemerkt worden ist, nicht nur das Bestehen enger Beziehungen zwischen diesen beiden Sprachkreisen voraussetzen, sondern die Vermutimg nahelegen, daß es sich wiederum um nah verwandte Sprachkreise handelt. Übrigens scheinen in jenen frühen Zeiten südöstlich der Italiker und östlich der Kelten, also im östlichen Mitteleuropa, noch Illyrer und Veneter gewohnt zu haben, von denen man annimmt, daß sie nicht nur in enger Verwandtschaft und Beziehung zu westlichen Sprachkreisen des Westindogermanischen gestanden haben, sondern sich auch östlich mit Satem-Völkern, Balten, Slaven, Thrakern berührt haben. Wie weit das Gebiet der Illyrer und Veneter sich nach Norden erstreckt hat, ist nicht deutlich zu erkennen, aber es gibt einige Übereinstimmungen zwischen Illyrisch und Germanisch (z. B. besitzanzeigendes Pron. mit -wo-Element, illyr. (messap.) veina „sein", got. meina- „mein"), zwischen Venetisch und Germanisch (z. B. Personalpron. ven. mecho, echo, got. mik „mich", ik „ich"), die darauf hinweisen können, daß Germanen und Illyrer bzw. Veneter doch einmal in Beziehung zueinander gestanden haben. Bei den Illyrern und Venetern bzw. bei dem Illyrischen und Venetischen handelt es sich um nur sehr fragmentarisch bekannte Volksstämme und Sprachen, wodurch die Vergleichungen und deren Beurteilung besonders schwierig werden9. 3.15 Der Abzug der Italiker aus ihrer nördlichen Heimat nach Italien, etwa gegen Ende des 2. vorchristlichen Jahrtausends scheint eine südliche Ausbreitung der Germanen eingeleitet zu haben. Vielleicht wird diese Expansion die Germanen um 750 v. Chr. östlich bis über die • Siehe Allgem. Schrifttum; jetzt insbesondere E. G. Polomd, The Position of Illyrian and Venetic, in Ancient Indo-European Dialects, Proc. of the Conf. on Indo-European Linguistics, Held at the Univ. of California, Los Angeles, April 25—27, 1963 (hrsg. Η. Birnbaum, J. Puhvel), Berkeley, Los Angeles, 1966, 59—76; auch Ε. Polom^, Germanisch und Venetisch, in Mnemes Charin, Gedenkschrift P. Kretschmer, Wien, 1957, II, 86—98; H. Kronasser, Illyrier und Illyricum, Die Sprache, XI (1965), 155—183.
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Weichsel, westlich zwischen Ems und Rhein, und um 500 v. Chr. im Osten noch südlicher die Weichsel entlang und westlich über den Rhein gebracht haben; im Süden stehen sie dann etwa halbwegs zwischen der Nordküste Europas und der Donau. Durch diese Expansion sind zu Nachbarn der Germanen geworden: Kelten im Südwesten, möglicherweise Illyrer und Veneter bzw. Illyrer- und Veneterreste im Südosten, und spätestens in der ersten Hälfte des vorchristlichen Jahrtausends, Balten, die sich in einem östlichen Areal mit Slaven berühren. Die Kelten sind jetzt die Nachbarn, mit denen die Germanen für eine längere Zeit in Beziehung stehen werden. Restillyrer Mitteleuropas unterliegen vielleicht einer Keltisierung, während ein Teil der Veneter sich offenbar schon im Anfang des 1. vorchristlichen Jahrtausends im Osten der PoTiefebene angesiedelt hat. Jedenfalls scheinen die Germanen spätestens schon in der 1. Hälfte des 1. vorchristlichen Jahrtausends mit Venetern in Beziehung gestanden zu haben, wie auch die durch die Lautverschiebung getroffene germanische Gestalt des Veneter-Namens (vgl. ahd. Winida, ae. Winedas) bezeugen könnte. Die direkte Berührung zwischen Kelten und Germanen wird jedenfalls frühestens dann erfolgt sein, als die Italiker nach Süden abgezogen waren. Die im 1. vorchristlichen Jahrtausend und bis nach Christi Geburt sich unmittelbar berührenden keltischen und germanischen Sprachkreise sind jedoch schon als deutlich unterschiedene Individualitäten zu betrachten. Daher läßt sich jetzt auch die Entlehnungsrichtung gelegentlich etwas besser erkennen als bei den früheren, italisch-germanischen Beziehungen. Die aufgezeigte, ganz allgemeine Chronologie der Beziehungen zwischen Italikern und Germanen in der Bronzezeit, zwischen Kelten und Germanen seit der Eisenzeit, könnte sich übrigens treffend widerspiegeln in der Tatsache, daß im westindogermanischen Gebiet, Italisch und Germanisch ein gemeinsames Wort für E r z bzw. B r o n z e , lat. aes, got. aiz, besitzen, das den andern Sprachen des betreffenden Gebietes fehlt, während Keltisch und Germanisch ein gemeinsames Wort für E i s e n , gall, tsarno, got. eisarn, gegenüber lat. ferrum, aufweisen. Außerdem scheinen bestimmte keltische Namen, wie z. B. der Volksname Volcae (Caesar) in ihrer germanischen Gestalt, an. Valir, ahd. Walha, ae. Wealas, auf Entlehnung durch das Germanische aus dem Keltischen noch vor der Durchführung der germanischen Lautverschiebung hinzuweisen. Doch ist, wie gesagt, bei der Beurteilung von Entlehnungen, bei denen vielfältige Adaptierungen auftreten können, immer die größte Vorsicht zu beachten. Bei den meisten Gemeinsamkeiten zwischen Keltisch und Germanisch, wenn tatsächlich Entlehnung
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vorliegt, ist die Entlehnungsrichtung kaum oder nicht anzugeben, air. luige „Eid", got. liuga „Ehe"; air. orbe „das Erbe", got. arbi, ahd. arbi, erbt „das Erbe". In einigen Fällen scheinen weniger Zweifel zu bestehen, wie bei dem Wort für Herrscher, got. reiks, ae. rica, das gewöhnlich aus dem Keltischen (vgl. -rix in Personennamen wie Vercingetorix) "abgeleitet wird, obwohl auch hierüber noch keine endgültige Sicherheit erreicht ist 10 . 3.16 Durch die in der Römerzeit auch in nördlicher Richtung sich vollziehende römische Expansion, treten die immer mehr südwärts vorstoßenden Germanen, und zugleich das Germanische, in Beziehung zu den Latinern und dem Lateinischen. Germanisch und Lateinisch erscheinen jetzt als ganz verschiedene Sprachindividualitäten, so daß Entlehnungen sowie .die Entlehnungsrichtung sich leicht erkennen lassen11. Diese Berührung geht zunächst über eine keltische Vermittlung, die jedoch immer mehr zugunsten einer direkten Beziehung zwischen Germanen und Latinern aufgegeben wird. Die Kelten werden allmählich verdrängt und behaupten sich schließlich nur in peripheren Gebieten. In den sprachlichen Beziehungen zwischen Germanen und Römern (bzw. Romanen) sind im allgemeinen die letzteren anfänglich die Geber gewesen, später z. B. im Frankenreich, Geber, aber auch Nehmer. Mit dieser Entwicklung, sowie mit der Verdrängung der keltischen Völker, ist man jedoch in bezug auf das Germanische in einzelsprachlicher Zeit angelangt, denn die Römerzeit umfaßt auch die Periode der allmählichen Ausgliederung des Germanischen. Es kann also nicht überraschen, daß sich für die Römerzeit sprachliche Vorgänge und Gegebenheiten feststellen lassen, die vielleicht frühestens in der e-a-Periode, meistens aber wohl in der zweiten Periode der germanischen Grundsprache und in einzelsprachlicher Zeit anzusetzen sind. So scheint die Tatsache, daß ο bei frühen lateinischen Lehnwörtern im Germanischen sich behauptet, ein guter Beweis dafür zu sein, daß offenbar gegen Ende der zweiten Periode bzw. in ganz früh10
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Krähe, Sprache und Vorzeit, 137f.; auch J.Trier, Vorgeschichte des Wortes Reich, Nachrichten d. Akad. d. Wissensch, in Göttingen aus dem Jahre 1943, Phil.-Hist. Klasse, 1943, 535—582; P. von Polenz, Das Wort .Reich* als unpolitische Raumbezeichnung, Zs. f. deutsche Philol., LXXVI (1957), 80—94. In der Arbeit von J. de Vries, Kelten und Germanen, Bern, München, 1960, 69—71, ist die jüngere Literatur leider übersehen oder vernachlässigt. Allgem. Schrifttum; E. Gamillscheg, Romania Germanica, Grundr. germ. Phil., 11/1, Berlin, Leipzig, 1934, I, vor allem 1—41.
Zur Entwicklung der germanischen Grundsprache
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einzelsprachlicher Zeit wieder ein joj vorkommt (lat. coquere, ahd. kochön, lat. postis, ahd. fifost, ae. post). Man hat auf Grund des ä in
Bäcenis (Caesar) den Schluß gezogen, daß zur Zeit Caesars idg. jäj und /