Kulturgutschutz in Europa und im Rheinland: Franziskus Graf Wolff Metternich und der Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg [1 ed.] 9783412519964, 9783412519940


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Kulturgutschutz in Europa und im Rheinland: Franziskus Graf Wolff Metternich und der Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg [1 ed.]
 9783412519964, 9783412519940

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Brüche und Kontinuitäten Forschungen zu Kunst und Kunstgeschichte im Nationalsozialismus Band 5

Herausgegeben von Magdalena Bushart und Christian Fuhrmeister

Vereinigte Adelsarchive im Rheinland e. V. – Schriften 7

Hans-Werner Langbrandtner, Esther Rahel Heyer, Florence de Peyronnet-Dryden (Hg.)

Kulturgutschutz in Europa und im Rheinland Franziskus Graf Wolff Metternich und der Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e. V. und des Landschaftsverbands Rheinland

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Cie. KG, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Links: Franziskus Graf Wolff Metternich (re.) und Bernhard von Tieschowitz auf dem Balkon des Hôtel Majestic, dem Sitz der deutschen Militärverwaltung und Sitz des militärischen Kunstschutzes, Paris 1940/1941. Foto: Nachlass Graf Wolff Metternich. Rechts: Kölner Dom, Binnenchor, Südseite nach Südwesten: Sicherung des Chorgestühls und der Chorschrankenmalereien durch Sandsäcke und der Chorpfeilerfiguren durch Holzverschalungen, 1942. Foto: Dombauarchiv Köln, A. Kreyenkamp. Inhaltliche Redaktion: Dr. Verena Limper, Köln Satz: büro mn, Bielefeld Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51996-4

Inhalt Einführung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



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Peter K. Weber Regionale Verantwortung für internationalen Kultur- und Kunstschutz. Der Beitrag rheinischer Kultureinrichtungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



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Grußwort I  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grußwort II  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grußwort III  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grußwort IV  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grußwort V  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Esther Rahel Heyer Ziele und Struktur der Tagung  Kulturgutschutz im Kontext 

  

Arnaud Bertinet Pour une histoire des politiques d’évacuations et de protection face aux pillages, spoliations et translocations patrimoniales  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



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Sabine von Schorlemer Von der „Stunde Null“ zur Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut im bewaffneten Konflikt und ihren Protokollen. Fortschritte in der Entwicklung des völkerrechtlichen Kulturgutschutzes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



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Esther Rahel Heyer Franziskus Graf Wolff Metternich (1893 – 1978). Biografie als Kontextforschung 

Christina Kott Militärischer Kunstschutz im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Institutionen, Akteure, Diskurse, Handlungsfelder  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  115

Perspektive der Quellenforschung 

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Hans-Werner Langbrandtner Präsentation des archivischen Sachinventars zum deutschen militärischen Kunstschutz. Die Entstehung des Projektes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  143 Florence de Peyronnet-Dryden Die Online-Datenbank des Sachinventars: www.kunstschutz-wolff-metternich.de 

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Esther Rahel Heyer „Als künstlerisch wertvoll unter militärischem Schutz!“ Ein archivisches Sachinventar zum militärischen Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg  . . . . . . . . . . . . . .  157 Katrin Hammerstein (Ein-)Blick in die Akten: themenorientierte Erschließung von Quellen zur Provenienzforschung im Landesarchiv Baden-Württemberg  . . . . . . . . . . . . . . . . . .  167 Kunstschutz in Frankreich: Teilbereiche und Partnerinstitutionen 

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Stefan Martens Deutsche Militärverwaltung und Besatzung in Frankreich  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  185 Isabelle le Masne de Chermont La protection des biens culturels en France pendant l’Occupation 

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Susanne Dörler Fotokampagnen des Bildarchivs Foto Marburg für den Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg. Geschichte und Quellenlage  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  211 Julia Schmidt Die Bücher der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris in der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Der französischsprachige Bestand: geschenkt – gekauft – gewollt  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  235 Sabine Scherzinger Bonn – Paris – Bürresheim – Mainz. Die Translokation der Bibliothek der ehemaligen Kunsthistorischen Forschungsstätte in Paris in den besetzten Gebieten vor und nach 1945  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  249

6 I Inhalt

Christian Hoffmann „(…) auch deutsche Interessen wahrgenommen (…)“. Der Hannoversche Staatsarchivdirektor Georg Schnath und die Gruppe „Archivschutz“ im besetzten Frankreich 1940 bis 1944  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  267 Kunstschutz in besetzten Gebieten Europas 

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Christian Fuhrmeister Kunstschutz Italien 1943 – 1945: Wieso wir differenzieren müssen 

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Ulrike Schmiegelt-Rietig Kunstschutz an der Ostfront. Ernstotto Graf zu Solms-Laubach und der militärische Kunstschutz der Heeresgruppe Nord  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  295 Raik Stolzenberg Kunstschutz und SS-Ahnenerbe: eine Beziehung von Relevanz? 

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309

Alexandra Kankeleit Der Wagenlenker von Delphi in den Fängen des Zweiten Weltkrieges . . . . . . . . . . . . .  345 Kulturgutschutz im Rheinland 

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369

Jan Schleusener Denkmalpflege unter dem Hakenkreuz. Franziskus Graf Wolff Metternich, das „Rheinische Amt für Denkmalpflege“ und der Nationalsozialismus  .. . . . . . . . . .  371 Hans-Werner Langbrandtner Die Gründung der Archivberatungsstelle der Rheinischen Provinzialverwaltung im Kontext der landschaftlichen Kulturpflege und die Archivschutzmaßnahmen während des Zweiten Weltkriegs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  399 Michael Herkenhoff Kulturgutschutz rheinischer Bibliotheken im Zweiten Weltkrieg. Das Beispiel der Universitätsbibliothek Bonn  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  423 Gudrun Sievers-Flägel „Beethoven. Evakuiert!“ – ein Ausstellungsbericht zum Kulturgutschutz im Bergungsort Schloss Homburg 1939 bis 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  439

Inhalt  I  7

Ruth Türnich/Ute Christina Koch Provenienzforschung in NRW: Bedarfe – Strukturen – Perspektiven. Ein Projektbericht der Museumsberatungsstellen der beiden Landschaftsverbände 

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449

Wolfgang Schaffer Archivische Überlieferung zum Kunstschutz im Rheinland am Beispiel des Archivs des LVR  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  461 Kulturgutschutz heute 

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Florence de Peyronnet-Dryden Kulturgutschutz in Frankreich: staatliche und private Akteure 

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495

Anna Kaiser Militärischer Kulturgüterschutz im 21. Jahrhundert  Zukunftsperspektiven: Diskussion und Vernetzung 

465

Christoph Zuschlag Der deutsche militärische Kunstschutz – Statement 

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Anna Kaiser Zivil-militärische Zusammenarbeit für erfolgreichen Kulturgüterschutz 

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503

Elisabeth Furtwängler Das Repertorium der Akteure auf dem französischen Kunstmarkt während der deutschen Besatzung 1940 – 1945. Von der Notwendigkeit aktiver Vernetzung  .. . .  509 Christian Fuhrmeister Forschungsperspektiven 

.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

Esther Rahel Heyer Netzwerkforschung im Kollektiv  Verzeichnisse 

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Abbildungsverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  535 Autoren*innenverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  541

8 I Inhalt

Einführung

Regionale Verantwortung für internationalen Kulturund Kunstschutz Der Beitrag rheinischer Kultureinrichtungen Peter K. Weber

Es verwundert kaum, dass ein starker regionaler Kulturpartner mit Tradition wie der Landschaftsverband Rheinland (LVR) sich von der Thematik Kunstschutz besonders angesprochen sieht. Seit langer Zeit engagiert er sich für Kulturschutz im weitesten Sinne und auch mit sichtbarem Erfolg. Es gehört aber auch zu den Merkwürdigkeiten, dass von den heute in Deutschland in dieser Form nur noch in Nordrhein-Westfalen anzutreffenden Landschaftsverbänden oftmals nur eine vage Vorstellung von ihrer Funktion, ihrer Herkunft und auch ihrer gesellschaftspolitischen Bedeutung besteht. Beim Thema Kunstschutz sollte dieser Background nicht gänzlich aus den Augen verloren werden, weil der LVR mit der Kunstschutztagung eine Tradition fortsetzt, die weit in seine Geschichte zurückreicht. Insofern ist es eine gute Gelegenheit – gleichsam als Einstieg zu den nachfolgenden Beiträgen, auf diese komplexe Institution landschaftlicher Kulturpflege einzugehen. Im Jahre 1953 wurde der LVR mit Sitz in Köln ebenso wie sein in Münster ansässiges westfälisches Pendant gegründet. Der Namensteil „Landschaft“, der sich in der deutschen Verfassungsgeschichte bis in das späte Mittelalter zurückverfolgen lässt, erinnert an die Bedeutung von Städten und Gemeinden für die politische Mitgestaltung eines Landes bzw. eines Territoriums im Ancien Régime, wo sie in Landtagen Sitz und Stimme hatten und an der Ausübung von Herrschaft bzw. Staatlichkeit beteiligt waren. Die Landschaftsverbände der Nachkriegszeit gelten dank ihrer kommunalen Verfasstheit zumindest in ihrer Selbstwahrnehmung als beispielhaft für ein Mehr an struktureller Demokratie, wodurch sich das Land NRW dank dieser Körperschaften vor anderen Bundesländern besonders auszeichnet. Genetisch und funktional knüpft dieser nordrhein-westfälische Sonderweg an die preußische Provinzialverfassung auf ständischer Grundlage und ihrer späteren Umwandlung in einen Kommunalverband bzw. eine regionale Gebietskörperschaft heutiger Prägung an. Diese Kommunalisierung und die damit einhergehende weitgehend staatlich unabhängige Regionalverwaltung fanden ihren Abschluss mit der Provinzialordnung von 1887, gewissermaßen der Verfassung der ehemaligen, einst von Kleve bis Saarbrücken reichenden preußischen Rheinprovinz. Bis zu seiner Gleichschaltung 1933 und dem damit einhergehenden

Verlust seiner politischen Organe – dem Provinziallandtag und Provinzialausschuss – war der Verband u. a. besonders auch auf dem Gebiet der Kulturpflege sehr aktiv und erfolgreich. Dazu einige wenige Schlaglichter: Die Provinzialmuseen in Bonn und Trier wie auch die Denkmalpflege fielen in die alleinige Zuständigkeit des Provinzialverbandes. Die mit Vehemenz betriebene Institutionalisierung der Denkmalpflege fand 1911 ihre Krönung mit der etatmäßigen Einstellung des Provinzialkonservators, nachdem wenige Jahre zuvor bereits die Gründung des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Heimatschutz gelungen war. Zu den wichtigen Kulturprojekten vor dem ­Ersten Weltkrieg zählen die Inventarisation von Kunstdenkmälern und nichtstaatlichen Archiven. In der Weimarer Republik machte sich der Verband um die Förderung der rund um die Jahrtausendfeier im Jahr 1925 entstandenen zahlreichen Heimatmuseen wie auch die Gründung des Verbandes rheinischer Museen und der Archivberatungsstelle Rheinland verdient. Örtliche Präsenz und qualifiziertes Fachpersonal sind damals wie heute Markenzeichen des Verbandes, flankiert von finanziellen Fördermaßnahmen für zahlreiche Aktivitäten, die von unterschiedlichen Vereinen, Kommissionen, Anstalten, Kulturinstituten und wissenschaftlichen Einrichtungen getragen werden. Unter ihnen erfuhren das Institut für geschichtliche Landeskunde und die dort angelegte grenzüberschreitende Kulturraumforschung besondere Hochschätzung – nicht zuletzt auch als ein Instrument der kulturellen Auseinandersetzung mit dem französisch geprägten Westen. Diese Auseinandersetzung erfolgte in der NS -Diktatur unter neuen völkisch-nationalis­ tischen Vorgaben mit den bekannten zerstörerischen Konsequenzen einer irrsinnigen und menschenverachtenden Ideologie – gerade auch für Kunst und Kultur. Mit dem staatlichen Neuanfang nach 1945 obliegt der Schutz von Kunst und Kultur demokratisch, repräsentativ und u. a. auch kommunal verfassten Einrichtungen. Dafür stehen in besonderer Weise auch der LVR und sein oberstes Beschlussorgan, die Landschaftsversammlung, ein indirekt gewähltes Parlament von derzeit 124 Delegierten, die aus 13 kreisfreien Städten, zwölf Landkreisen und einer kürzlich gegründeten Städteregion entsandt werden. Es handelt sich um eine regionale Körperschaft, die für Belange der Daseinsvorsorge von über 9 Millionen Menschen im Landesteil Nordrhein zuständig ist. Derzeit kümmern sich rund 19.000 Beschäftigte um die Erledigung spezieller kommunaler Aufgaben auf regionaler Ebene, vor allem solcher, die über die Grenzen der kommunalen Gebietskörperschaften hinausreichen oder deren Möglichkeiten und Kapazitäten übersteigen. Dazu gehören Aufgabenfelder wie die Einrichtung und Unterhaltung von heilpädagogischen Heimen, Jugendheimen, Schulen für Körper- und Sinnesbehinderte, regionale Museen und regional agierende hochspezialisierte Kulturdienststellen wie die der Denkmalpflege, der Landeskunde oder der Archiv- und Museumsberatung. Der Verband verwaltete 2018 ein jährliches Budget von fast 4,1 Milliarden Euro; davon wurden 90,3 Millionen Euro für Kultur und Wissenschaft ausgegeben. Dieser kleine Exkurs zum LVR und seinem Vorläufer scheint für das Verständnis auch einer international angelegten Tagung nicht ganz unwichtig zu sein, weil alte Aufgaben übernommen und einer neuen Ära mit teilweise andersartigen Herausforderungen und Rahmenbedingungen angepasst wurden.

12 I Peter K. Weber

Kulturgutschutz ist und bleibt ein Dauerthema, dem sich der LVR , wie wir gesehen haben, von Beginn an in besonderer Weise widmete, nicht zuletzt auch durch die in jüngster Zeit verstärkt stattfindenden kritischen Auseinandersetzung mit seiner eigenen Geschichte in der NS-Zeit und der damit eng verknüpften Geschichte des Kulturgutschutzes. Der LVR hält an dem bisherigen Weg fest, was der nachfolgende Beitrag von Anne Henk-Hollstein, der amtierenden Vorsitzenden der Landschaftsversammlung, eindrucksvoll unterstreicht. Es könnte sich im Übrigen auch kaum ein anderer Ort besser für ­dieses Thema eignen als die bald 1000 Jahre alte Abtei Brauweiler mit ihren Kulturschätzen, aber auch einer wechselvollen, zum Teil schrecklichen Geschichte in der NS-Zeit, deren Aufarbeitung noch nicht abgeschlossen ist. Besonders aber spricht für diese Örtlichkeit, dass hier seit mehr als 30 Jahren das Amt für Denkmalpflege genauso beheimatet ist wie die Archivberatung, und in enger Anbindung zu ihr auch die Geschäftsstelle der Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e. V. (VAR) in der Abtei Brauweiler ihren Sitz hat. Dr. Andrea Pufke (LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland), Dr. Mark Steinert (LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrum) und Raphael Frhr. v. Loë (VAR) werden als Repräsentanten dieser rheinischen Kulturinrichtungen die Thematik in ihren Kurzbeiträgen unter funktionsspezifischen Blickwinkeln einordnen. Warum es sich beim Kunstschutz um ein gesellschaftlich anerkanntes und zu Recht förderwürdiges Thema handelt, erläutert uns danach Dr. Uwe Hartmann vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste, das das Kunstschutzprojekt im Wesentlichen förderte. Wie das DZK so setzte sich auch Frau Dr. Christina Kott (Paris) im Abendvortrag für ein Projekt ein, wozu kein Geringerer als der ehemalige Provinzial- und Landeskonservator Franziskus Graf Wolff Metternich, ein Kunst- und Kulturschützer par exellence aus rheinischem Adel, den Anlass gab. Dessen bedeutender Nachlass wird inzwischen im Familienarchiv der Grafen Wolff Metternich zur Gracht im Archivdepot der VAR auf Schloss Ehreshoven verwahrt – dank seiner Nachfahren, die ebenfalls das ­diesem Projekt zugrunde liegende Forschungsanliegen mit Interesse verfolgen und unterstützen. Ihnen allen und den vielen anderen – Referent*innen, Diskussionspartner*innen, dem Team der Tagungsmacher*innen und allen, die aus dem In- und Ausland den Weg zu dieser Tagung mit einem umfänglichen Programm gefunden haben – gilt es herzlich Dank zu sagen. Ihre Beiträge unterstreichen einmal mehr, wie erhaltungswert Kunst und Kultur sind, die wir wie die Luft zum Atmen brauchen.

Regionale Verantwortung für internationalen Kultur- und Kunstschutz  I  13

Grußwort I „Warum?“ Für mich steht diese zentrale Frage immer am Anfang einer Auseinandersetzung mit ­Themen, mit Orten, mit Beteiligten. So auch heute Abend: – Warum ist der Schutz von Kunst- und Kulturgütern so bedeutend für uns? – Warum veranstaltet der Landschaftsverband Rheinland hierzu eine Tagung? – Warum findet diese hier in der Abtei in Brauweiler statt? – Warum ist bei dieser Tagung die Person von Graf Wolff Metternich entscheidend? In seiner Vielfalt, meine Damen und Herren, ist das Rheinland eine der ältesten und lebendigsten Kulturregionen – mitten in Europa. Es verfügt über eine Fülle von wunderbaren, kulturhistorischen Schätzen, die es zu bewahren und zu ­schützen gilt. Seine Geschichte ist von einer Vielschichtigkeit, Tiefe und Dauer geprägt, die ihresgleichen in Deutschland sucht. Und über diese Geschichte brauchen wir möglichst genaue Informationen, damit wir Kenntnisse über die Vergangenheit gewinnen und verstehen, warum es w ­ elche Strukturen und Entwicklungen gegeben hat, und warum vieles so ist, wie es sich heute darstellt. Damals wie gegenwärtig – beim Provinzialverband der Rheinprovinz wie auch beim LVR – steht der Schutz unserer Kulturgüter im Mittelpunkt unseres kulturellen Auftrages. Denn letzten Endes geht es auch um den Schutz unserer Kultur insgesamt, unserer Werte, unseren Umgang miteinander – eben um das, was uns ausmacht und Teil unserer Identität ist. Diesem Dauerthema fühlt sich der LVR in besonderer Weise verpflichtet, nicht nur als Bewahrer und Archivar, sondern vielmehr auch bezogen auf die Aufarbeitung des eigenen historischen Erbes. Und damit komme ich zur nächsten Frage: dem Tagungsort. Kein anderer Platz würde sich besser für diese Thematik eignen, als die in Kürze 1000 Jahre bestehende Abtei Brauweiler mit ihren Kulturschätzen, aber auch mit ihrer wechselvollen, schrecklichen und beschämenden Historie während der NS-Diktatur wie in der Nachkriegszeit. Insbesondere dieser Vergangenheit und ihrer Aufarbeitung hat sich der LVR in den zurückliegenden Jahrzehnten ausführlich gestellt. Für die Wahl der Abtei spricht aber auch besonders, dass hier seit gut 30 Jahren der Landeskonservator bzw. die Landeskonservatorin amtiert. Das Amt für Denkmalpflege im Rheinland ist hier genauso beheimatet wie die Archivberatungsstelle. Und in enger Anbindung zu dieser hat hier die Geschäftsstelle der Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e. V. ihren Sitz. In ­diesem Zusammenhang rückt nun Franziskus Graf Wolff Metternich in das Zentrum des Geschehens. Graf Wolff Metternich war Student beim ersten Provinzialkonservator bzw. Landeskonservator im Rheinland, Paul Clemen, und folgte ihm in d ­ iesem Amt in der Zeit von 1928

bis 1950 nach. Während des Zweiten Weltkrieges war er abgeordnet als Beauftragter beim Oberkommando des Heeres an der Spitze des Kunstschutzes in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten in Europa, aber hauptsächlich im besetzten Paris, wo er bis zu seiner Absetzung 1943 die Plünderung staatlicher Museen verhinderte. „Der Graf, der die Mona Lisa vor Göring schützte“, so titelte die Kölnische Rundschau zu seinem Tod im Mai 1978. Er verstand ­dieses Kulturerbe, speziell das französische, als Kulturerbe der gesamten Menschheit, sodass es insbesondere ihm zu verdanken ist, dass so viele Schätze im Rheinland wie auch im westlichen Europa die Kriegswirren überdauern konnten. Dem Verein Vereinigte Adelsarchive im Rheinland e. V. wurden mit seinem Nachlass 2013 und 2014 umfangreiche Handakten aus seiner Kriegstätigkeit im Kunstschutz überliefert, die eine bis dahin unbekannte, einzigartige Quelle darstellten. Nach dem Abschluss der Verzeichnungsarbeiten durch das LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrum können im Rahmen dieser Tagung nunmehr die Erkenntnisse hieraus präsentiert und der nationalen wie internationalen Forschung zur Verfügung gestellt werden. In weiteren Vorträgen und Sektionen werden darüber hinaus Ansätze erörtert, wie der Schutz von Kulturgütern heute präventiv und praktisch gestaltet werden kann. Zum Schluss möchte ich noch einmal auf meine eingangs gestellte Frage nach dem „Warum?“ zurückkommen. Nur wer die Frage nach dem „Warum“ stellt, wird Antworten erhalten, die Verbindungen ­zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart herstellen, Verbindungen, die uns das Zukünftige begreifen und entsprechend handeln lassen. Denn was kommen wird, kann man nur verstehen, wenn man weiß, was war. In ­diesem Sinne möchte ich Sie alle sehr herzlich zu unserer Tagung „Kulturgutschutz in Europa und im Rheinland – Franziskus Graf Wolff Metternich und der Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg“ hier in unserer schönen Abtei Brauweiler willkommen heißen und darf Ihnen spannende, informative und erkenntnisreiche Tage wünschen! Herzlichen Dank! Anne Henk-Hollstein Vorsitzende der Landschaftsversammlung Rheinland

16 I Grußwort I

Grußwort II Sehr geehrte Frau Henk-Hollstein, sehr geehrte Mitglieder der Landschaftsversammlung, sehr geehrte Referentinnen und Referenten, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, als einer der „Hausherren“ heiße ich Sie hier in der einstigen Benediktinerabtei Brauweiler herzlich willkommen! Die Abtei Brauweiler kann auf eine wechselvolle Geschichte von fast 1000 Jahren zurückblicken. Die Gründung der Abtei erfolgte im Jahr 1024, und so stehen am Anfang d ­ ieses Zeitraums 778 Jahre Klostergeschichte. Diese Jahrhunderte haben eindrucksvolle architektonische und künstlerische Zeugnisse hinterlassen: – die romanische ­Kirche mit gotischen Modifikationen und ihrer teilweise barocken Ausstattung, – den romanischen Kapitelsaal mit seiner alten Ausmalung, – den ebenfalls romanischen Kreuzgang, heute als Marienhof bekannt, sowie – den barocken Prälaturhof aus den letzten Jahren der Existenz der klösterlichen Gemeinschaft mit zwei weitgehend im Originalzustand erhaltenen Sälen: dem Kaisersaal und dem Äbtesaal. Auf die vielen Jahrhunderte der klösterlichen Kontinuität folgten bewegte Zeiten. 1802 erfolgte die Säkularisierung. Die Abteikirche wurde zur Pfarrkirche und entging daher dem Schicksal anderer Klosterkirchen, wie der Profanierung oder dem Abriss. Die einstigen Abteigebäude wurden fortan für neue Zwecke genutzt – als Bettleranstalt, als Arbeitsanstalt und als psychiatrische Klinik –, zunächst durch die Franzosen, s­ päter in Verantwortung der preußischen Provinzialverwaltung und schließlich des LVR. Die dunkelsten Jahre der Geschichte Brauweilers waren die der nationalsozialistischen Herrschaft von 1933 bis 1945, als in der Arbeitsanstalt Brauweiler ein Gestapogefängnis und ein Konzentrationslager eingerichtet wurden. Nach 1945 war Brauweiler dann zunächst wieder Arbeitsanstalt und dann psychiatrische Klinik. Nach diversen Skandalen kam 1978 das Ende der Klinik. In dem Bewusstsein, mit den alten Klostergebäuden über ein architektonisches Kleinod zu verfügen, wurde die alte Abtei vom LVR in den nächsten zehn Jahren grundlegend saniert und restauriert; Änderungen aus nachklösterlicher Zeit wurden zurückgebaut und Gebäudetrakte aus Anstaltszeiten abgerissen, der Abteipark neu gestaltet. Mit der Sanierung war ein Standort für eine Reihe wichtiger Kultureinrichtungen des LVR geschaffen worden.

So entstand bis 1988 das Kultur- und Dienstleistungszentrum Brauweiler, in dem Sie heute zu Gast sind, und angesichts seiner Geschichte gibt es wohl wenige Orte im Rheinland, die für eine Tagung zum Kulturgutschutz in Europa und im Rheinland besser geeignet wären als dieser. Das gilt umso mehr, als er Sitz von zwei Kultureinrichtungen des LVR ist, deren Kernaufgaben der Erhalt und die Bewahrung von Kulturgut und kulturellem Erbe sind: – des Amtes für Denkmalpflege im Rheinland und – des Archivberatungs- und Fortbildungszentrums mit dem Archiv des Landschaftsverbandes, dessen Überlieferung im frühen 19. Jahrhundert ansetzt. Beide Einrichtungen leisten rheinlandweit durch ihre Beratung und praktische Hilfe Unterstützung beim Erhalt des kulturellen Erbes: hier schwerpunktmäßig bei der Erhaltung und Bewahrung der Baudenkmäler, dort schwerpunktmäßig beim Erhalt und bei der Sicherung des schriftlichen Kulturerbes in den Archiven. Einen weiteren zukunftsweisenden Schwerpunkt in der Kulturarbeit in Brauweiler setzte der LVR in den letzten Jahren durch den Ausbau des Kulturzentrums Abtei Brauweiler. Die Abtei soll fortan mehr sein als ein Baudenkmal und der Dienstsitz traditionsreicher Dienststellen, nämlich auch ein Ort der aktiven und lebendigen Kulturpflege: – ein Ort der Begegnung, – des wissenschaftlichen Diskurses und – der Musik- und der Literaturpflege. Die anstehende Tagung lässt sich gleich unter zwei dieser Aspekte fassen, der Begegnung und des wissenschaftlichen Diskurses. Mein besonderer Dank gilt schon jetzt all den Referierenden der kommenden zwei Tage und den Kolleg*innen, die an dem Zustandekommen der Tagung ihren Anteil hatten und heute, morgen und übermorgen noch haben werden. Ich wünsche Ihnen interessante und angenehme spätsommerliche Tage hier in Brauweiler. Vielen Dank! Dr. Mark Steinert Leitung des LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrums

18 I Grußwort II

Grußwort III Sehr geehrte Damen und Herren, als Nachfolgerin von Franziskus Graf Wolff Metternich in der Funktion der Landeskonservatorin für das Rheinland begrüße ich Sie auch im Namen des gesamten LVR-Amtes für Denkmalpflege im Rheinland (LVR-ADR) sehr herzlich zu dieser Tagung in unserer schönen Abtei Brauweiler. Seit 1985 wurde der Dienstsitz des ehemaligen Provinzial- und späteren Landeskonservators sukzessive von verschiedenen kleineren Dienstsitzen in Bonn nach Brauweiler verlegt. Und das ist gut so, denn in der Abtei kann das Amt seit dieser Zeit seine gesamten Aufgabenbereiche mit seinen vielfältigen Archiven unter einem Dach bündeln. Die überwiegenden Räumlichkeiten in der alten Abtei werden durch das Denkmalamt genutzt. Als weitere Kulturdienststellen sind – wie bereits durch meinen Kollegen Dr. Steinert erläutert – das LVR -Archivberatungs- und Fortbildungszentrum sowie die Rheinland Kultur KG in Brauweiler tätig. Einen k­ urzen historischen Abriss zur Geschichte des Amtes finden Sie in Ihren Unterlagen, sodass ich jetzt nicht näher darauf eingehen werde. Hinweisen will ich nur kurz darauf, dass wir im letzten Jahr das 125-jährige Bestehen der amtlichen rheinischen Denkmalpflege mit einer kleinen Ausstellung und einem Themenheft in unserer Zeitschriftenreihe gefeiert haben. Mit der Tagung „Kulturgutschutz in Europa und im Rheinland. Franziskus Graf Wolff Metternich und der Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg“ wird aus Sicht der Denkmalpflege ein Thema beleuchtet, welches das Amt selbst noch nicht bearbeitet hat. Neben einem Aufsatz unseres ehemaligen Kollegen Thomas Goege zum Kunstschutz im ­Ersten Weltkrieg unter Paul Clemen,1 war die Aufarbeitung der Amtsarbeit in der Zeit der Nationalsozialisten u. a. wohl deshalb nicht erfolgt, weil der fast vollständige Verlust der Registratur des Amtes infolge eines Bombenschadens 1944 dieser Arbeit eine wesentliche Grundlage entzogen hatte. Das Agieren der Denkmalpflege (z. B. in national-völkischem oder rassistisch motiviertem Sinne) ist vor d ­ iesem Hintergrund schwer zu bewerten. Darüber hinaus sollte eine ­solche Aufarbeitung aufgrund der notwendig erforderlichen Neutralität eher durch externe Forschungsvorhaben erfolgen, so auch für das LVR-ADR. Ich freue mich daher, dass wir hierzu am Samstag einen Sachstandsbericht von einem, dem Amt erst mehr oder weniger zufällig bekannt gewordenen, an der Universität Erfurt angesiedelten Forschungsprojekt zur Denkmalpflege in Bayern, Thüringen und im Rheinland, hier am Beispiel der Denkmalpflege im Rheinland von 1920 bis 1960 erhalten. 1 Thomas Goege, Kunstschutz und Propaganda im E ­ rsten Weltkrieg. Paul Clemen als Kunstschutzbeauftragter an der Westfront, in: Udo Mainzer (Hg.), Paul Clemen zur 125. Wiederkehr seines Geburtstages (Jahrbuch der Rheinischen Denkmalpflege 35), Köln 1991, S. 149 – 168.

Den Berichten des Provinzialkonservators, die auch während der Kriegsjahre in den Jahrbüchern der Rheinischen Denkmalpflege veröffentlicht worden sind und die seit jeher als „Leistungsschau“ der amtlichen Denkmalpflege fungierten, sind nur wenige Hinweise auf eine veränderte oder etwa politisierte oder ideologisierte Arbeitsweise zu entnehmen. So weisen vor allem einige national-konservative Formulierungen auf die politischen Zeitläufte hin, die einerseits einem allgemein üblichen, zeitgenössischen Gedankengut zuzuordnen sind und andererseits durchaus auch im Sinne eines völkischen Heimatbegriffes gedeutet werden könnten. Im Verwaltungsbericht des Provinzialkonservators im Jahrbuch der Rheinischen Denkmalpflege von 1936 heißt es z. B.: „Wie in den seit dem nationalen Umbruch erstatteten Berichten, so kann auch in d ­ iesem Jahrgange festgestellt werden, daß die Rückbesinnung des deutschen Volkes auf seine Grundlage überall den Sinn für die überkommenen Kulturdokumente geweckt hat. Damit ist wohl allen Kreisen der Bevölkerung die Erkenntnis gekommen, daß die Erhaltung der Denkmale nicht Wunsch einiger Liebhaber oder Kenner sein kann und darf, sondern daß die Denkmale zur Wesenheit des Volkes gehören und deren Ausdruck bilden.“ 2

Am deutlichsten treten die „Maßnahmen der Reichsregierung zur Arbeitsbeschaffung sowie Zuschüsse zu Instandsetzungsarbeiten, die Gewährung von Zinsvergütungsscheinen und die Darlehen der Gesellschaft für öffentliche Arbeiten (Öffa)“ 3 für die Denkmalpflege in Erscheinung, indem sie als uneingeschränkt positive Auswirkungen auf die Erhaltung der Denkmäler beschrieben werden. So heißt es im Jahrbuch der Rheinischen Denkmalpflege 1935 beispielsweise wie folgt: „Heute darf die Denkmalpflege auf ein schönes Stück geleisteter Arbeit zurückblicken. Sie verdankt es den Möglichkeiten, die ihr beim Aufbau des Dritten Reiches geboten wurden.“ 4 Thematisch bleiben die Aufsätze und Berichte selbst im einzigen Jahrbuch in Kriegszeiten 1941 eigentümlich unbeeindruckt vom aktuellen Weltgeschehen.5 Mit der Übergabe des Nachlasses von Franziskus Graf Wolff Metternich in das Familienarchiv der Grafen Wolff Metternich zur Gracht im Archivdepot der Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e. V. auf Schloss Ehreshoven durch die Erben und Archiveigentümer Winfried

2 Verwaltungsbericht des Provinzialkonservators, in: Jahrbuch der Rheinischen Denkmalpflege 13 (1936), S. 468 – 470, hier S. 468. Der Bericht ist mit „Sch.“ unterzeichnet, stammt demnach nicht von Graf Wolff Metternich selbst. 3 Udo Mainzer, Vom Ehrenamt zur Professionalität. Einhundert Jahre Rheinisches Amt für Denkmalpflege, in: Festschrift zum Hundertjährigen Bestehen des Rheinischen Amtes für Denkmalpflege (Jahrbuch der Rheinischen Denkmalpflege 36), Köln 1993, S. 15 – 88, hier: S. 38. 4 H. Reinhold, Denkmalpflege und Arbeitsbeschaffung, in: Jahrbuch der Rheinischen Denkmalpflege 12 (1935), S. 315 – 318, hier: S. 317. 5 Siehe Mainzer, Vom Ehrenamt zur Professionalität (wie Anm. 3), S. 42.

20 I Grußwort III

und Antonius Grafen Wolff Metternich ist nun eine für die Forschung ganz hervorragende Situation eingetreten. Ein Blick auf den Aktenbestand bestätigt zunächst die von Wolff Metternich von seinem geschätzten Lehrer Paul Clemen übernommene (schlechte) Angewohnheit oder Selbstverständlichkeit, auch dienstliche Akten im Privathaushalt zu führen. Auch wenn uns heute damit einiges Aktenmaterial aus seiner Zeit als Provinzialkonservator der Rheinlande und natürlich in besonderem Maße aus der Zeit als Kunstschutzbeauftragter beim Oberkommando des Heeres erhalten geblieben ist (ich verweise nochmals auf den o. g. Bombentreffer), bin ich ganz froh, dass diese Sitte, die noch unter Metternichs Nachfolger Walter Bader en vogue war, heute nicht mehr praktiziert wird. Den Nachlass von Paul Clemen hat das Amt dankenswerterweise von den Erben erhalten, und aus dem Nachlass Walter Baader, der sich im Stiftsarchiv in Xanten befindet, wurden dem Amt weitgehend alle Akten überlassen, die Projekte zur Denkmalpflege im Rheinland insgesamt betreffen. Die nun zugänglichen Archivalien aus dem Nachlass Wolff Metternich sind für das Denkmalamt ebenso erkenntnisreich wie für die Forschung zum Kunstschutz. Mit einiger Spannung dürfen daher die im Rahmen der Tagung vorgestellten ersten Ergebnisse der Quellenrecherche erwartet werden. Mit der Öffnung des Nachlasses von Franziskus Graf Wolff Metternich für die historische Forschung wird natürlich auch die Frage nach Wolff Metternichs Rolle als Kunstschutzbeauftragter im Zweiten Weltkrieg noch einmal neu betrachtet werden müssen. Ich kann der Tagung sowie der weiteren Arbeit der Kunstschutzforschung nur wünschen, dass diese neu zu bewertenden Dokumente helfen werden, zu einer notwendigen sachlich-kritischen Analyse zu gelangen. Noch immer sind viele Fragen zum Wesen des Kunstschutzes, dem Verhältnis von Kunstschutz und Propaganda oder auch ganz konkret zu Beschlagnahmungen jüdischer Sammlungen offen, bei denen aus meiner Perspektive eine positivistische Sicht weniger hilfreich wäre. All diese Th ­ emen tauchen im Nachlass auf. Eine ­solche Aufarbeitung mag mitunter auch zu schmerzlichen Erkenntnissen führen, sodass ich der Familie der Grafen Wolff Metternich sehr herzlich danke für Ihre Offenheit hinsichtlich einer wissenschaftlichen Bewertung. Ich freue mich auf den heutigen Vortrag und wünsche uns allen im Verlauf der Tagung spannende und erkenntnisreiche Beiträge und Diskussionen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. Dr. Andrea Pufke Leitung des LVR-Amts für Denkmalpflege im Rheinland und Landeskonservatorin

Grußwort III  I  21

Grußwort IV Verehrte Gäste, liebe Referent*innen und Zuhörer*innen dieser Tagung, ich würde gerne mit einer ganz persönlichen Begebenheit beginnen – meinem „persönlichen Eingefangenwerden“ im Projekt Kulturgutschutz: Zwischen Vereinsvorstand, Geschäftsführung und Forschungsteam hatten wir sogenannte Meilensteine vereinbart sowie punktuelle Treffen der drei genannten Gruppen zum Erfahrungsaustausch. Als ich den Forscher*innen beim ersten dieser Erfahrungsaustausche die Frage nach dem bewegendsten Moment ihrer Forschungsarbeit stellte, berichteten sie von einem Gespräch mit einem Namensvetter des Franziskus Graf Wolff Metternich, der in einem französischen Schloss zu Gast war. Als er auf die Frage des Hausherrn nach seiner Beziehung zu dem genannten Franziskus auf die fehlende Blutsverwandtschaft hinwies, wurde ihm gleichwohl signalisiert, einem Mann ­dieses Namens stehe in seinem Schloss jede Türe offen! Nun aber doch noch einmal zwei Schritte zurück: Die Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e. V. (VAR ) – ein zu Beginn der 1980er Jahren gegründeter Verein von Förderern und Eignern rheinischer Adelsarchive, deren Familiengeschichte und deren Archive bis in das Spätmittelalter zurückreichen – nennt in seiner Satzung drei Schwerpunkte seiner Tätigkeit: die Sicherung und die Erschließung von Archiven sowie die Veröffentlichung aus den dort vorhandenen Quellen. Wenn wir heute – ausgehend vom Nachlass Franziskus Graf Wolff Metternich – hier zu einer Tagung zum Kulturgutschutz zusammengekommen sind, dann ist – bezogen auf diesen Nachlass – jeder dieser drei Aspekte zum Tragen gekommen: – die Sicherung aus dem Bestand einer Familie heraus, die für diesen Nachlass den richtigen Ort suchte, – die Erschließung im Zuge mehrerer, inzwischen über fünf Jahre hinweggehender Projekte – und die Veröffentlichung im Rahmen von Vorträgen zum Thema dieser jetzigen Tagung einschließlich des geplanten Tagungsbandes und ganz wesentlich: im Rahmen einer Datenbank, die quer über die Welt Zugang zu und Recherche in den Quellen d ­ ieses Nachlasses ermöglicht. Die Gründung unseres Vereines beruht also auf dem Selbstverständnis der Vereinsmitglieder, das, was in unseren Archiven (oder wo auch immer) in unserer persönlichen Verfügung steht, für unsere Nachwelt – und das ist nicht nur diejenige unserer eigenen Familien – dauerhaft zu erhalten und es in aller Regel auch für diese Nachwelt nutzbar zu machen. Wo lässt sich d ­ ieses Selbstverständnis besser veranschaulichen als gerade in einem solchen Projekt! Natürlich war es ein Glücksfall, dass die Brüder Winfried und Antonius Wolff

Metternich sich an unsere Geschäftsstelle wandten mit der Frage, ob es Möglichkeiten des Vereins gäbe, dem Nachlass ihres Vaters ein sicheres Zuhause zu geben. Mit dem Verbleib des Nachlasses im Archivdepot der VAR auf Schloss Ehreshoven und d ­ iesem jetzt erst möglichen Forschungsprojekt wurde etwas deutlich, was die Gründungsväter der Deutschen Wiedervereinigung – folgenschwer – übersehen haben: die Bereitschaft unserer Familien, sich gerade für diese Überlieferung – im damaligen Fall war es der Erhalt und vielfach auch die Wiederherstellung der durch ihre Vorfahren geschaffenen alten Häuser – persönlich und auch finanziell in einem Maße zu engagieren, das in keinem Verhältnis steht zu deren wirtschaftlichem Wert. In dem konkreten Fall, der hier und heute im Mittelpunkt steht, war es ein Mitglied dieser Gemeinschaft, das sich – der dem Nationalsozialismus innewohnenden Gefahren bewusst – in einer besonderen Form des Kulturgutschutzes im benachbarten Frankreich angenommen und sich damit über die Weisungen der eigenen Regierung hinweggesetzt hat. Franziskus Graf Wolff Metternich tat nichts anderes, als seinem inneren Selbstverständnis zu folgen. Unser Verein durfte Träger eines Projektes werden, das sich gerade ­diesem in schwierigsten Zeiten bewahrten Kulturgut gewidmet hat. Und so ist der heutige Abend für mich als derjenige, der für den Projektträger sprechen darf, in allererster Linie ein Moment des Dankes, des Dankes an – die Familie der Grafen Wolff Metternich, die diesen Nachlass zur Erschließung freigegeben hat, – an die Wulffen’sche Stiftung, die Familienstiftung der Grafen Wolff Metternich, – an die Fördermittelgeber und wie immer gearteten Unterstützer*innen ­dieses so umfassenden Erschließungs- und Publikationsprojektes: ʶ Ich nenne auf gleicher Ebene das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste, das den handelnden Akteuren diesen Kraftakt zugetraut hat und das Projekt mit einem sechsstelligen Betrag unterstützt hat, ʶ wie auch den Landschaftsverband Rheinland – und jetzt spannen wir den Bogen etwas weiter –, der uns, die nicht in staatlicher Hand liegenden Archiveigner aus den Bereichen ­Kirche, Wirtschaft und Adel in der täglichen Arbeit in und für unsere Archive unterstützt, sodass überhaupt erst eine ordnungsgemäße Archivarbeit möglich wird: Wir sind ja zwar in großen Teilen als Archivare geboren, aber eben niemals dazu ausgebildet! Uns ist bewusst, dass wir als nichtstaatliche Archive im Rheinland dank der Archivberatungsstelle in Brauweiler in einer beneidenswerten Sonderstellung sind, profitieren wir doch von einer personellen Fachkompetenz innerhalb des LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrums, die in ihrer finanziellen Größenordnung die zusätzlich gegebenen Zuschüsse weit übersteigt. Diese Sonderstellung hat im Ergebnis dazu geführt, dass es wenig Regionen unseres Vaterlandes gibt, in denen die aus der Quellenlage veröffentlichte Geschichte der Region so dicht ist wie gerade hier – trotz der Verluste, die das Rheinland gerade im letzten

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Jahrhundert erlitten hat. Ohne beides – die Unterstützung aus Magdeburg wie diejenige aus Köln – wäre ­dieses Projekt auch nicht in Ansätzen umsetzbar gewesen. Mein Dank heute geht aber auch – an die Geschäftsführung und die Gremien unseres Vereines, für den Mut, angesichts eines „normalen Jahresetats“ von zwanzig- bis dreißigtausend Euro ein solches Projekt mit über zehnfacher Dimension in so kurzer Zeit zu schultern und zu einem sicheren Ergebnis zu führen, – an diejenigen, die die Forschung in akribischer Detailarbeit mit Reisen in weit entfernte Archive und mit dem nötigen Herzblut für das Untersuchungsobjekt betrieben, und diejenigen, die sie mit demselben Herzblut dabei begleitet haben, und nicht zuletzt an diejenigen, die das Thema Kulturgutschutz um Franziskus Graf Wolff ­Metternich herum aufgeweitet und damit die Plattform für die jetzt beginnende Tagung geschaffen haben. Ich freue mich auf Ihrer aller Vorträge! Raphael Frhr. v. Loë, Vorsitzender der Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e. V.

Grußwort IV  I  25

Grußwort V Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich, die Gelegenheit zu haben, Ihnen an d ­ iesem historischen Ort die Aufgaben des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste (DZK) in Magdeburg vorstellen zu dürfen. Das DZK ist national und international der zentrale Ansprechpartner zu Fragen unrechtmäßiger Entziehungen von Kulturgut, das sich heute in Sammlungen deutscher kulturgutbewahrender Einrichtungen befindet. Es fördert Provenienzforschung über finanzielle Zuwendungen. Das Hauptaugenmerk des Zentrums gilt hierbei dem im Nationalsozialismus verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgut insbesondere aus jüdischem Besitz (sog. NS -Raubgut). Grundlage für seine Arbeit in ­diesem Bereich sind die 1998 verabschiedeten Washingtoner Prinzipien, zu deren Umsetzung sich Deutschland 1999 im Sinne seiner historischen und moralischen Selbstverpflichtung bekannt hat. Kulturgutverluste aus ­diesem Bereich werden als Such- und Fundmeldungen in der öffentlich zugänglichen Datenbank „Lost Art“ dokumentiert. Daneben zählen kriegsbedingt verlagerte Kulturgüter (sog. Beutegut) sowie Kulturgutverluste während der sowjetischen Besatzung und in der DDR zu den Handlungsfeldern des Zentrums. Seit April 2018 befasst sich das Zentrum zudem mit Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten. Der Bund, die Länder und die drei kommunalen Spitzenverbände haben das Zentrum zum 1. Januar 2015 als rechtsfähige Stiftung bürgerlichen Rechts mit Sitz in Magdeburg gegründet. Die jährliche Zuwendung des Bundes umfasst knapp zehn Millionen Euro, um die Aufgaben und vor allem die Zuwendungen für die inzwischen zahlreichen geförderten Einzelprojekte zu finanzieren. Seit 2008 – als die Arbeitsstelle für Provenienzforschung bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz gegründet wurde – konnten insgesamt 356 Projekte mit insgesamt 34,7 Millionen Euro gefördert werden. Das DZK verfügt über 34 Planstellen, ein Team unter meiner Leitung kümmert sich um die intensive Beratung der antragstellenden Institutionen, Vereine und inzwischen auch Privatpersonen im Vorfeld und während der Umsetzung der Antragstellung sowie bei der finanziellen Durchführung der jeweiligen Projekte. Die Mehrzahl dieser Projekte zielte auf die Stärkung und Ausweitung der Provenienzforschung in den Museen, die die Besitz­ geschichte ihrer Kunstwerke und anderer musealen Objekte untersuchten. Die Quellen zur Provenienzforschung befinden sich überwiegend in öffentlichen Archiven und sind weitgehend nutzbar. Auch wenn viele Archivalien seit den 1920er Jahren in Maschinenschrift geschrieben sind, gibt es zahlreiche Quellen in deutscher Kursive. Die Ausbildung von Kunsthistoriker*innen umfasst in den wenigsten Fällen die Schriftenkunde –

die Paläografie –, also die Grundlage dafür, die Archivalien erst einmal zu entziffern, bevor diese auf den Quellenwert für die Fragestellung untersucht werden können. Ebenso wenig vermittelt die Ausbildung Kenntnisse über archivische Provenienzen, also die korrekte Suche nach aussagefähigen Quellen. Das Wissen um diese archivischen Zusammenhänge muss in jedem Einzelfall neu recherchiert werden. Ein Wissenstransfer ist deshalb unabdingbar, um aufwendige Doppel- und Dreifachrecherchen zu reduzieren, das ist aber bei den meist befristeten Projektstellen nicht so einfach zu bewerkstelligen. Als wichtiges Austauschforum u. a. für s­ olche Informationen hat sich der bundesweite Arbeitskreis Provenienzforschung e. V. seit einigen Jahren etabliert. Eine zielführende Provenienzforschung kann nur auf der Grundlage einer adäquaten Erfassung und Erschließung der zu erforschenden Bestände aufbauen. Als ein wichtiger Schritt dahin sind der Aufbau von zentralen archivischen Recherchedatenbanken anzusehen, so wie es mit Unterstützung des DZK beispielsweise im Landesarchiv Baden-Württemberg geschieht. Das Landesarchiv mit seinen sechs Abteilungen hat es sich zum Ziel gesetzt, die eigenen Bestände systematisch nach Informationen zu NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut zu sichten und die Ergebnisse digital recherchierbar zur Verfügung zu stellen. Ein Vortrag der Tagung wird ­dieses Vorhaben vorstellen. Und ein weiteres wichtiges Hilfsmittel für die Provenienzforschung wird die gerade aufgebaute Recherchedatenbank zur Überlieferung des deutschen militärischen Kunstschutzes und zum Kunstraub im Zweiten Weltkrieg in deutschen, französischen und englischsprachigen Archiven sein, die ebenfalls während dieser Tagung vorgestellt wird. Dieses vom DZK geförderte dreijährige Projekt ist in mehrfacher Hinsicht ein Pilotprojekt: – Zum einen, weil der Projektträger mit den Vereinigten Adelsarchiven im Rheinland e. V. ein privater Verein ist, – zum Zweiten, weil im Mittelpunkt der Recherchedatenbank ein privater Nachlass steht, nämlich der von Franziskus Graf Wolff Metternich, der als Leiter des militärischen Kunstschutzes von 1940 bis 1943 eine bislang unbekannte Kernüberlieferung zum Kunstschutz bewahrt und hinterlassen hat, – und zum Dritten, weil hier kein öffentliches Archiv seine Bestände thematisch vorstellt, sondern eine Recherchedatenbank bestands- und länderübergreifend Archivbestände sachthematisch erschließt. Ich freue mich auf spannende Vorträge und viele Gespräche mit Fachkolleg*innen während dieser Tagung. Dr. Uwe Hartmann Deutsches Zentrum Kulturgutverluste, Leitung Fachbereich Provenienzforschung

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Ziele und Struktur der Tagung Esther Rahel Heyer

Bei der Konzeption des Projekts „Bereitstellung von archivischen Quellen aus deutschen, französischen und englischsprachigen Archiven für die deutsche und internationale Provenienz­ forschung zu Kunstschutz und Kunstraub im Zweiten Weltkrieg“ stand von Anfang an auch die Planung einer Tagung im Fokus.1 Diese sollte eine Plattform für die Projektpräsentation, den wissenschaftlichen Austausch zur Thematik und eine Versammlung möglichst vieler Ansätze zum militärischen Kunstschutz sowie den daran angrenzenden Bereichen sein. Daraus ergaben sich die folgenden Ziele für die Struktur der Tagung: – Austauschplattform und Diskussionsforum für aktuelle Forschungsansätze zum militärischen Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg in Europa und im Rheinland, – Präsentation des Quellenforschungsprojektes und archivischen Sachinventars, – Impuls für weiterführende insbesondere internationale Forschungsvernetzung und Öffnung von Archivbeständen zu Kunst- und Kulturgutschutz, – aktive Partizipation in Poster-Sektion und Vernetzungstreffen. Der Fokus der Tagung auf Franziskus Graf Wolff Metternich (1893 – 1978) ergab sich zum einen aus seiner zentralen Position im militärischen Kunstschutz des Zweiten Weltkrieges als Beauftragter für Kunstschutz in den besetzten Gebieten; zum anderen aus der herausragenden Überlieferungslage zu diesen Aktivitäten in seinem Privatnachlass (NL FGWM) und seinen persönlichen Netzwerken. Diese Schwerpunkte der Quellenüberlieferung des militärischen Kunstschutzes im Zweiten Weltkrieg, die Person Wolff Metternich und dessen Netzwerke standen auch im Zentrum des Forschungsprojektes. Die Hauptquellenüberlieferung im NL FGWM konzentriert sich auf Akten des Oberkommandos des Heeres (OKH), bei dem seine Stelle angegliedert war. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf Berichten und Korrespondenz aus den einzelnen Militärverwaltungsbezirken in Frankreich, die das Aufgabengebiet des Referats für Kunstschutz bei der Militärverwaltung (MV) in Frankreich widerspiegeln. Daher konzentrierte sich das Quellenforschungsprojekt auf die Tätigkeiten Wolff Metternichs und der Abteilung Kunstschutz sowie die Zusammen­ arbeit mit den französischen Stellen. Im Rahmen der Tagung konnte jedoch der Fokus erweitert werden, indem weitere Akteure und Zeitabschnitte in den Blick genommen wurden. 1 Siehe Projektseite auf der Homepage des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste: https://www. kulturgutverluste.de/Content/03_Forschungsfoerderung/Projekt/Vereinigte-Adelsarchive-im-­ Rheinland-eV-Pulheim/Projekt1.html;jsessionid=92D843255E9E90869C56455447F9622B.m7 (Stand: 26. 07. 2020).

Sowohl die Tagung als auch das Forschungsprojekt arbeiteten sich an verschiedenen Aspekten ab, die hier kurz erläutert werden sollen. Zunächst muss der Interpretationsraum „Kunstschutz“, der im Kern als eine Form von Kulturgutschutz in einem spezifischen historischen Kontext zu verstehen ist, weitgreifender definiert werden, da der Begriff durchaus ambivalent ist: Einerseits war der Kunstschutz ein beim Militär angesiedeltes Verwaltungsorgan, das historisch auf die Kriegsdenkmalpflege im ­Ersten Weltkrieg zurückgeht. Zu ­diesem Zeitpunkt wurde der Begriff „Kunstschutz“ geprägt und aufgrund der während des E ­ rsten Weltkrieges definierten Aufgabenbereiche ausgestaltet. Kulturgutschutz in Kriegssituationen ist historisch jedoch auch schon auf die Zeit vor den Weltkriegen zurückzuführen, beispielsweise die Auslagerung der französischen staatlichen Sammlungen im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71. Andererseits ist der Kunstschutz in seiner eigentlichen Wortbedeutung ein denkmalpflegerisches und kunsthistorisches Tätigkeitsfeld – heute unter dem Begriff Kultur­ gutschutz geläufig –, bei dem der Schutz von ortsfesten, historisch wertvollen Bauten und beweglichem Kulturgut im Zentrum steht. Für die Tagung war es daher wichtig die historische Tiefe des Begriffes „Kunstschutz“ offenzulegen und danach zu fragen, wie sich die Wortbedeutung veränderte. Eine weitere Ebene der Kunstschutzthematik war die Verhältnisbestimmung ­zwischen dem Gesamtkonstrukt „Militärischer Kunstschutz“ und dem Ausagieren der Maßnahmen in den jeweiligen besetzten Gebieten. Schutzmaßnahmen an Baudenkmalen und Kulturgut wurden nicht nur durch die Besatzer ausgeführt, sondern auch durch diverse staatliche und private Institutionen der einzelnen Länder, oft schon in Vorbereitung auf die drohende Kriegsgefahr. Während des Krieges kam es aber auch zur Zusammenarbeit mit den deutschen Offizieren. Die Aufgabenfelder des deutschen militärischen Kunstschutzes unterschieden sich in den besetzten Gebieten dabei grundlegend, weswegen die einzelnen Abteilungen auch differenziert betrachtet und ihre Spezifika entsprechend herausgearbeitet werden sollten. Aufgrund der zentralisierten Organisationsstruktur, die in der Person des Beauftragten für Kunstschutz für die besetzten Gebiete beim OKH zusammenlief, gab es aber auch Gemeinsamkeiten im Arbeitsauftrag und den Tätigkeitsfeldern. Durch das Aufzeigen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden ließen sich so dem Gesamtkonstrukt „Kunstschutz“ weitere Aspekte hinzufügen. Aufgrund der Doppelfunktion Wolff Metternichs als Beauftragter für Kunstschutz in den besetzten Gebieten und Provinzialkonservator der Rheinprovinz war auch der „Kunstschutz“ im Rheinland von Relevanz für das Projekt. Der Begriff Kunstschutz wurde auch im Inland hinsichtlich der Auslagerungen von Kulturgut während des Krieges, in Abgrenzung zum Luftschutz, dem Gebäudeschutz vor Luftangriffen, verwendet. Zu den Aufgaben des Provinzialkonservators gehörten in der Nachkriegszeit auch die Rückführung von Kulturgut sowie die Zusammenarbeit mit den alliierten Kunstschutzoffizieren der Monuments, Fine Arts and Archives Section („Monuments Men“). Somit ist auch der alliierte Kulturgutschutz während und nach dem Zweiten Weltkrieg von Interesse für die Analyse des Aufgabenfeldes „Kunstschutz“.

30 I Esther Rahel Heyer

Der Kulturgutschutz aus rechtlicher Perspektive ist ein weiterer Forschungsansatz zum „Kunstschutz“, einerseits hinsichtlich der rechtlichen Grundlage der Haager Landkriegsordnung von 1899 und 1907, auf die sich der deutsche militärische Kunstschutz unter Paul Clemen (1866 – 1947) im E ­ rsten Weltkrieg und unter Wolff Metternich im Zweiten Weltkrieg bezogen, andererseits hinsichtlich der Nachwirkungen des Kriegsgeschehens und Kulturgutzerstörung für beispielsweise die UNSECO-Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten von 1954. Schließlich stellt sich in der historischen Analyse des „Kunstschutzes“ auch die Frage nach dem Kulturgutschutz heute, im Sinne von Denkmalpflege und praktischen Maßnahmen zum Erhalt von Kulturgut, internationalen Abkommen und nationalen Gesetzen, und des Weiteren die Frage, inwiefern heute „Kunstschutz“ eine Aufgabe des Militärs bei bewaffneten Konflikten und im Katastrophenschutz ist. Die Gliederung der Tagung in Sektionen sollte die Thematik möglichst logisch und strukturiert auffächern. Durch den Abendvortrag von Christina Kott zum G ­ esamtkonstrukt „Kunstschutz“ und seinen Anfängen im E ­ rsten Weltkrieg, bei dem sie einem Fokus auf Institutionen, Akteure, Diskurse und Handlungsfelder legte, wurde ein erster Überblick und Einstieg gegeben. Den Auftakt der Tagung bildeten Grußworte der Vorsitzenden der Landschaftsversammlung Rheinland und des Leiters des LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrums. Auch die Landeskonservatorin begrüßte mit einem Beitrag zur Denkmalpflege im Rheinland. Aus der Perspektive des Projektträgers sprach der Vorsitzende der Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e. V. Der Projektförderer Deutsches Zentrum Kulturgutverluste formulierte Anmerkungen über die Bereitstellung von Quellen für die Provenienzforschung. Auf die Signifikanz der Quellenlage nahm die Vorsitzende des Arbeitskreises für Provenienzforschung e. V. in ihrem Impuls zu Provenienzrecherche ­zwischen Einzelfallstudie und Kontextforschung Bezug. In der „Sektion I – Kulturgutschutz im Kontext“ wurde das Aufgabenfeld Kunstschutz historisch und rechtlich kontextualisiert sowie das titelgebende Forschungsprojekt und dessen zentrale Figur, Franziskus Graf Wolff Metternich, als Ausgangspunkt der Veranstaltung vorgestellt. Die „Sektion II – Kunstschutz Frankreich: Teilbereiche und Partnerinstitutionen“ zeigte angrenzende Akteure und Themenbereiche in Frankreich auf. Beiträge zur deutschen Militärverwaltung und Besatzung in Frankreich sowie zum französischen Kulturgutschutz während der Besatzungszeit erläuterten das Umfeld des Kunstschutzes näher. Mit den Fotokampagnen im besetzten Frankreich, der Kunsthistorischen Forschungsstätte in Paris und der Gruppe Archivschutz wurden weitere Akteure, die mit dem Kunstschutz in Verbindung standen, präsentiert. Die „Table Ronde: Kunstschutz in den besetzten Gebieten Europas“ in der Sektion III brachte Fachleute zu den verschiedenen Kunstschutzabteilungen in den von Deutschland besetzten Ländern an einen Tisch. Dabei wurden Impulse ihrer Forschung präsentiert und diskutiert. Insbesondere Gemeinsamkeiten und Unterschiede des Kunstschutzes in Italien, Frankreich, Russland und Griechenland standen im Zentrum der Debatte.

Ziele und Struktur der Tagung  I  31

In der Sektion IV wurde zunächst die Bereitstellung von Quellen für die Provenienzforschung anhand der themenorientierten Quellenerschließung im Landesarchiv BadenWürttemberg vorgestellt, dann folgten die „Präsentation des archivischen Sachinventars zum deutschen militärischen Kunstschutz“ und die Einführung in die freigeschaltete Forschungsdatenbank. Der zweite Tag spannte in der „Sektion V – Kulturgutschutz im Rheinland“ den Bogen zu Kunstschutzmaßnahmen im Deutschen Reich auf der regionalen Ebene des Rheinlands. Dies wurde anhand von Beiträgen zu Institutionen wie der Rheinischen Denkmalpflege sowie zu Archivschutzmaßnahmen der rheinischen Archivberatungsstelle vorgestellt. Beispiele von Auslagerungsmaßnahmen und -orten – Universitätsbibliothek Bonn und Schloss Homburg – sowie die Vorstellung einer Bedarfsermittlung zur Provenienzforschung in NRW und der Quellenlage zum Kulturgutschutz im Archiv des LVR führten diesen Aspekt weiter aus. Um die Thematik schließlich, aufbauend auf der vorangegangenen historischen und analytischen Betrachtung, in ihrer Aktualität zu verorten, folgten in der „Sektion VI – Kulturgutschutz heute“ Beiträge dazu, wie Maßnahmen des Kulturgutschutzes im 21. Jahrhundert Anwendung finden. Dies wurde anhand der staatlichen und privaten Akteure des heutigen französischen Kulturgutschutzes, der Organisation Blue Shield Deutschland sowie der heutigen militärischen Beteiligung am Kulturgutschutz in bewaffneten Konflikten erläutert. Abschließend folgte in der „Podiumsdiskussion: Schlussfolgerung und Zukunftsperspektiven“ ein Austausch zu den zentralen Th ­ emen der Tagung sowie ein Ausblick auf weitere Forschungsvorhaben und Problemfelder. Nach dem offiziellen Ende der Tagung fand ein Vernetzungstreffen zur Thematik „Akteure und ihre Netzwerke“ statt. Dort wurden die Projektposter besprochen, die während des gesamten Verlaufs der Tagung im Kreuzgang zugänglich waren und Grundlage des Vernetzungstreffens wurden. Die Poster-Sektion ermöglichte es, laufende und geplante Projekte zu präsentieren und in den Pausen auch direkt darüber zu diskutieren. Diskussionsschwerpunkte und Fragen waren dabei: Gibt es ersichtliche Anknüpfungspunkte, Überschneidungen, Austauschmöglichkeiten mit den vorgestellten Projekten? Zu ­welchen konkreten Ergebnissen sollte die Vernetzung im Idealfall führen? Wo lassen sich Kapazitäten feststellen, die zusammengeführt werden können, sodass sich daraus Neues entwickeln lässt? Das Vernetzungstreffen bot in kleinerem Rahmen Raum für den Austausch der Referent*innen, Moderator*innen und den Teilnehmer*innen zu Fragen nach Personen und Netzwerken. Generell sollte dabei ermittelt werden, wo noch Bedarfe bestehen, um die Informationen in den bestehenden Datenbanken zugänglich zu machen und die Verbindungen ­zwischen Akteuren sichtbar und nutzbar gemacht werden können. Dieses Treffen hatte – insbesondere für die Nachwuchswissenschaftler*innen – zum Vorteil, sich mit Fachleuten austauschen, offene Fragen direkt diskutieren und auch die Möglichkeit, von neuen Projektentwicklungen berichten zu können oder durch Weitergabe von Kontakten und Anlaufstellen den Radius des eigenen Netzwerkes zu erweitern.

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Dass die Tagung neben Austauschplattform und Diskussionsforum aber nicht Schlusspunkt sein kann und soll, sondern vielmehr einen Ausgangspunkt für weitere Forschung, die Öffnung und Erschließung von Nachlässen und Archivbeständen und somit eine produktive Synthese von Kapazitäten und Anstoß für weitere gemeinsame Projekte darstellen könnte, soll an dieser Stelle nochmals betont werden. Insbesondere ein vergleichender Ansatz in Kooperation und im Austausch mit Archiven, Institutionen und Forscher*innen im Ausland im Sinne einer histoire croisée ist hierfür unabdingbar. Ein schöner Effekt im Verlauf des Forschungsprojektes und auch auf der Tagung war der persönliche Austausch mit Nachfahr*innen und Familienmitgliedern der ehemaligen Kunstschutzoffiziere. Der Kontakt mit ihnen, ihre Erinnerungen und Erzählungen über die Akteure des Kunstschutzes waren eine große Bereicherung. Während der Tagung konnte die freundliche Verbindung der ehemaligen Kollegen in späteren Generationen wiederaufleben. Zudem bot der Impuls von Thomas Kufus (zero one film GmbH) über die Produktion des Films Francofonia des russischen Regisseurs Alexander Sokurow aus dem Jahr 2015 spannende Einblicke in die Rezeption der Geschichte des Kunstschutzes. Ein Handlungsstrang des Filmes konzentriert sich auf die Beziehung ­zwischen Franziskus Graf Wolff Metternich als Leiter des deutschen militärischen Kunstschutzes und Jacques Jaujard, dem Leiter der staatlichen französischen Museen, mit einem Fokus auf den Schutz der Kunstwerke in Kriegszeiten. Diese Filmproduktion war einer der ausschlaggebenden Punkte für die Öffnung des Privatnachlasses von Wolff Metternich. Thomas Kufus bestärkte so die Relevanz, die Thematik Kulturgutschutz historisch und aktuell anhand weniger bekannter Persönlichkeiten und Aspekten des Zweiten Weltkrieges künstlerisch und medial aufzubereiten und dadurch einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen. So konnten positive Effekte z­ wischen Filmproduktionen und Forschung aufgezeigt werden. Zum Aufbau des Tagungsbandes: Die Beiträge der Tagung sind in d ­ iesem Band versammelt und auch hier weitgehend den Sektionen entsprechend thematisch gegliedert.2 Einführung, Grußworte und Erläuterung zu Zielen und Struktur der Tagung bilden den ersten Teil des Bandes. Als nächstes folgen die Beiträge zum Kontext Kulturgutschutz ­(Sektion I), hier wurde für den thematischen Einstieg Christina Kotts Abendvortrag hinzugefügt. Da die Tagung auf der Frage der archivischen Überlieferung basierte, folgen als dritter Teil die Perspektiven auf die Quellenforschung, einschließlich der Projektpräsentation sowie einem beispielhaften Beitrag zur themenorientierten Erschließung von Quellen zur 2 Stefan Martens, Nikola Doll und Jan Schleusener konnten leider nicht an der Tagung teilnehmen. Die Beiträge von Stefan Martens und Jan Schleusener finden sich aber dennoch in ­diesem Tagungsband. Abgesagt hat Andreas Roth, dessen Forschung jedoch kürzlich veröffentlicht wurde: Andreas Roth, Johann Albrecht von Reiswitz (1899 – 1962). Vom unbequemen Südosteuropaexperten zum Kunstschützer, Graz 2020. Leider fehlen aufgrund von Absagen der Autor*innen aber die Beiträge von Nikola Doll, Christoph Frank und Friederike Waentig in ­diesem Band.

Ziele und Struktur der Tagung  I  33

­Provenienzforschung (Sektion IV). Darauffolgend wird gemäß dem Ablauf des Tagungsprogramms die Situation in Frankreich mit Teilbereichen und Partnerinstitutionen des Kunstschutzes thematisiert (Sektion II). Daraufhin werden die länderspezifischen Analyseansätze von Organisationen und Strukturen des Kunstschutzes in den besetzten Gebieten Europas vorgestellt (Sektion III). Hierauf folgen Beiträge zu exemplarischen Kulturgutschutzmaßnahmen im Rheinland (Sektion V). Der Band schließt mit aktuellen Positionen zum Kulturgutschutz heute (Sektion VI). Ausblick auf Zukunftsperspektiven und Vernetzung werden abschließend in gesammelten Statements aus der Podiumsdiskussion und dem Vernetzungstreffen aufgezeigt.3 Durch die Publikation der Tagungsbeiträge in Form d ­ ieses Bandes soll über die Veranstaltung hinaus ein breiteres Publikum angesprochen werden, in der Hoffnung, die weitere Forschung zu bereichern.

3 Impulse der Referent*innen und Autor*innen ­dieses Bandes für die Poster-Sektion und das Vernetzungstreffen finden in deren Beiträgen Niederschlag. Die Beiträge von Marco Rasch zum ameri­kanischen Kunstschutz und Kulturgutsammelstellen (Fortsetzung folgt? Die amerikanischen „Monuments Men“ und der „Kunstschutz“ nach dem „Kunstschutz“) und Julia Schmidt aus deren Forschungsprojekt (Das „Netzwerk Hermann Bunjes“. Ein Kunsthistoriker z­ wischen Kunstmarkt, Kunstschutz, Museen, der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris und dem Kunsthandel) sind im Begleitband zum Sachinventar im Kapitel der Forschungsansätze publiziert: Esther Rahel Heyer/­ Florence de Peyronnet-Dryden/Hans-Werner Langbrandtner (Hg.), „Als künstlerisch wertvoll unter militärischem Schutz!“ Ein archivisches Sachinventar zum militärischen Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg, Köln/Wien/Weimar (im Erscheinen).

34 I Esther Rahel Heyer

Kulturgutschutz im Kontext

Pour une histoire des politiques d’évacuations et de protection face aux pillages, spoliations et translocations patrimoniales Arnaud Bertinet

Lors des conflits armés, le patrimoine d’un pays est à la fois l’emblème d’une identité collective, une source de convoitise et un otage éventuel. Les confiscations abusives et pillages à grande échelle sont multiples tout au long de l’histoire, depuis la destruction du temple de Jérusalem en 70 ap. JC 1, en passant par le sac du Palais d’Été par les troupes britanniques et françaises en 1860 lors de la seconde guerre de l’opium 2, ou le pillage du musée de Bagdad en avril 2003. Les exemples de destructions de lieux patrimoniaux et de la portée symbolique forte de ces dernières sont également nombreux, qu’il s’agisse pour rester dans une actualité proche des dynamitages et combats qui ont pu avoir lieu à Hatra en Irak ou à Palmyre en Syrie, alors même qu’il existe désormais une législation internationale protégeant le patrimoine culturel.3 La période de mise en danger patrimoniale peut-être la mieux connue de l’histoire de France, après celle de la Révolution, est, sans conteste, la Seconde Guerre mondiale. Pourtant, il existe des précédents qui ont annoncé le processus d’évacuation de 1939 et qui avaient disparu de la mémoire collective européenne. En effet, qui sait que quand l’impératrice Eugénie fuit les Tuileries, en passant par la Grande Galerie du Louvre, le 4 septembre 1870,4 elle traverse un musée dont les tableaux ont été évacués ; et, que lorsque les « Pariser Kanonen »5 bombardent Paris en 1918, les collections des musées ont, depuis longtemps, quitté la capitale ? Afin de mieux comprendre la situation et les événements de la Seconde Guerre mondiale, il apparaît alors nécessaire de présenter l’histoire longue de ces tentatives de préservation depuis la guerre franco-prussienne de 1870 autour d’éléments

1 Nous renvoyons à la future publication du professeur Jonah Siegel qui abordera notamment cet exemple. 2 Cf. Colombe Samoyaut-Verlet et alii, Le musée chinois de l’impératrice Eugénie, Paris 1994, p. 6 – 13. 3 Cf. Roger O’Keefe, The Protection of Cultural Property in Armed Conflict, Cambridge 2006. 4 Philibert d’Ussel (éd.), « Barbet de Jouy, son journal pendant la Commune », dans : La revue hebdomadaire (1898), p. 182. 5 Il s’agissait de sept canons appelés Pariser Kanonen par les Allemands et très différents du modèle Dicke Bertha, cf. Alain Huyon, « La Grosse Bertha des Parisiens », dans : Revue historique des armées 253 (2008), p 111 – 125.

concrets afin de mettre en place une histoire des politiques d’évacuation et de protection face aux pillages, spoliations et translocations, tout en soulevant les enjeux nationaux et transnationaux des politiques patrimoniales contemporaines.

1. 1870 : précipitation et évacuation Qu’en est-il de notre connaissance des politiques de protection des musées français lors des différents conflits internationaux traversés par les pays européens depuis la mi-XIXe siècle ? Le premier des conflits concernés, celui de la guerre de 1870, était jusqu’à récemment totalement oublié. La question de l’évacuation n’avait été abordée que par quelques contemporains,6 sans qu’ils aient pris conscience de l’événement. En effet, le lundi 29 août 1870, alors que le désastre de Sedan se profile, le comte de Nieuwerkerke, surintendant des musées impériaux, est convoqué aux Tuileries.7 Lors de cette entrevue, l’impératrice décide d’évacuer les collections du Louvre. Le lendemain, le maréchal Vaillant informe Nieuwerkerke dans une lettre absolument confidentiel[le] qu’on retirerait des musées impériaux, pour les mettre en lieu sûr, les tableaux les plus précieux.8 Une décision exceptionnelle, la mise à l’abri des collections les plus précieuses d’une nation dans le cadre d’un conflit armé, vient d’être prise dans les derniers jours du Second Empire. Seule institution concernée par cette décision, le Louvre décide d’abriter en priorité les collections des tableaux et des dessins. Le lieu de dépôt des œuvres retenu est l’Arsenal militaire de Brest. Ce choix, stratégique, permet de profiter de la protection de la Marine tout en offrant la possibilité d’évacuer les collections par la mer si les Prussiens assiégeaient la ville. Le préfet pense que ce qu’il y a de mieux à faire c’est de n’agir trop en cachette. […] on débarquera les wagons de suite dans un chaland, ils seront hébergés sur l’Hermione. Cela ne passera pas par les magasins. Il faudrait que les caisses portassent en grosses lettres : Envoi au Gabon.9 Nieuwerkerke choisit Pierre-Paul Both de Tauzia, attaché au département des peintures, pour accompagner le premier convoi et garder les tableaux « tant que durerait la guerre ».10 6 Cf. Alfred Darcel, « Les musées, les arts et les artistes pendant le siège de Paris », dans : Gazette des Beaux-Arts, Paris, 2e période, t. 4, 1870 – 1871, p. 285 – 306, p. 414 – 429 ; Maxime Du Camp, Les convulsions de Paris, t.3, Les sauvetages pendant la Commune, Paris 1878 – 1880 ; Edmond About, « La Vénus de Milo », dans : L’Artiste, Paris, juillet 1870 – novembre 1871, p. 331 – 334. 7 Cf. Archives nationales (Arch. Nat.) 20144790 ex Archives des Musées Nationaux (AMN ) P12 Mutations entre musées nationaux et autres lieux de résidences, 29 août 1870, lettre du comte de [?] à Nieuwerkerke. 8 Arch. nat. 20144790 ex AMN P12 Mutations entre musées nationaux et autres lieux de résidences, 30 août 1870, lettre de Vaillant à Nieuwerkerke. 9 Arch. nat. 20144790 ex AMN P12 Mutations entre musées nationaux et autres lieux de résidences, 2 septembre 1870, Lettre du préfet maritime au ministre de la Marine. 10 Philippe de Chennevières, Souvenirs d’un directeur des beaux-arts, Paris 1979, t. 5, p. 53.

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Le premier convoi part le 31 août 1870, treize caisses quittent le Louvre. De Brest, Tauzia annonce être arrivé sans encombre.11 Les wagons contenant les tableaux sont directement emmenés dans l’Arsenal qui dispose de son propre réseau ferré. Tauzia choisit le hangar qui offre le plus de garanties contre l’ennemi et contre l’humidité. Tous les aménagements demandés sont aussitôt effectués par les troupes de Marine mises au service de la protection des œuvres. Les envois se succèdent jusqu’au 4 septembre lorsque, à Paris, le conservateur des peintures Frédéric Reiset décide de stopper le processus à la suite de la chute de l’Empire. 75 caisses contenant 293 tableaux ont été évacuées à Brest, la moitié des tableaux les plus précieux du Louvre. La liste de ces œuvres existe en deux exemplaires, accompagnée de 130 fiches rédigées au moment de la mise en caisse.12 Les œuvres du Grand Salon sont les premières à avoir été descendues des cimaises et placées en caisses.13 Dans la caisse Une du Grand Salon est placée la pièce la plus importante pour les conservateurs de l’époque : La Belle Jardinière de Raphaël, accompagnée de La Femme hydropique de Gérard Dou. Il s’agit d’un triste et humiliant spectacle […] Reiset pleurant à chaudes larmes devant La Belle Jardinière au fond de sa caisse, ainsi que devant un mort chéri au moment où l’on va le clouer dans le cercueil.14 Dans ces caisses, qui quittent le Louvre lors du premier convoi, sont également entreposés Le Couronnement de la Vierge de Fra Angelico, La Vierge à l’Enfant avec sainte Anne de ­Léonard de Vinci, La Vierge de la Victoire de Mantegna, La Conception de la Vierge de Murillo.15 La Joconde, placée dans la caisse Onze avec le Paysage du Lorrain et la Salomé de Bernardo Luini et Diogène, premier Poussin évacué, ne part que le lendemain.16 Les Noces de Cana qui se croyaient attachés aux murs du Louvre pour l’éternité et qui ne sont plus qu’un colis, protégés contre les aventures du déplacement et du voyage par le mot fragile 17 quittent Paris le 1er septembre, à la plus grande surprise de Tauzia. Il faut noter la rapidité avec laquelle cette évacuation est menée, sans réel dommage pour les œuvres. Si la suite de l’évacuation s’était déroulée à la même cadence, en une semaine le Louvre aurait mis à l’abri ses tableaux les plus importants. 11 Cf. Arch. nat. 20144790 ex AMN P12 Mutations entre musées nationaux et autres lieux de résidences, 31 août 1870, Télégramme de Both de Tauzia à Nieuwerkerke. 12 Cf. Arch. nat. 20150044 ex AMN Z2 Administration 1792 – 1964, tous départements, 1870 – 1871 Évacuation des tableaux du Louvre à l’Arsenal de Brest, 130 fiches contenues dans un petit carton rouge. 13 Cf. Arch. nat. 20150044 ex AMN Z2 Administration 1792 – 1964, tous départements, 1870 – 1871 Évacuation des tableaux du Louvre à l’Arsenal de Brest, fiches d’évacuation. Trois noms d’emballeurs apparaissent en haut à droite de ces fiches : Chenue, Espirat et Billiard. 14 Edmond et Jules de Goncourt, Journal, t. 2, 2 septembre 1870, Paris 1989, p. 273. 15 Cf. Arch. nat. 20144790 ex AMN P12 Mutations entre musées nationaux et autres lieux de résidences, 7 septembre 1871, Inventaire des œuvres envoyées à l’Arsenal de Brest et des tableaux et dessins encaissés et restés au Louvre. 16 Cf. Arch. nat. 20144790 ex AMN P12 Mutations entre musées nationaux et autres lieux de résidences, 1 septembre 1870, Minute du bordereau d’envoi destiné aux chemins de fer de l’Ouest. 17 Arch. nat. 20150157 ex AMN *1BB10 Procès-verbaux du conservatoire des musées, 5 avril 1851.

Pour une histoire des politiques d’évacuations et de protection face aux pillages  I  39

Abb. 1  Charles Marville (?), Die Venus von Milo in ihrer Transportkiste, 1870/71.

Le processus d’évacuation est définitivement arrêté par le nouveau régime. Toutefois, on ne fait pas revenir les œuvres de Brest, et Jules Simon, ministre de l’Instruction publique, responsable des musées à partir du 6 septembre, engage Reiset, qui lui confie la liste des tableaux évacués,18 à continuer la mise en caisse des collections et leur déplacement dans les sous-sols du Louvre.19 Une longue attente débute alors pour Both de Tauzia. Il va rester, seul avec les tableaux du Louvre, cachés dans l’Arsenal de Brest, en attendant que la situation militaire et politique française se stabilise. Le projet de faire revenir les œuvres est discuté pour la première fois par le conservatoire en mars 1871,20 lorsque la Commune éclate. L’autorisation de retour 18 Cf. Arch. nat. 20144790 ex AMN P12 Mutations entre musées nationaux et autres lieux de résidences, 7 septembre 1870, note de Reiset. 19 Cf. Arch. nat. 20150157 ex AMN *1BB 19 Procès-verbaux du conservatoire des musées, 23 septembre 1870. 20 Cf. Arch. nat. 20150157 ex AMN *1BB20 Procès-verbaux du conservatoire des musées, 8 mars 1871.

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des œuvres est finalement donnée par Charles Blanc le 31 août 1871,21 et le 7 septembre 1871, plus d’un an après leur départ, les soixante-dix-sept caisses contenant les tableaux évacués reviennent intactes au Louvre.22 Cette arrivée se fait dans la plus grande discrétion et les œuvres rentrent dans un Louvre fermé au public. Comment expliquer cette chape de plomb qui a entouré cette première évacuation des collections publiques françaises ? Si Edmond de Goncourt aborde l’évacuation dans son Journal en date du 2 septembre 1870 après avoir croisé Philippe de Chennevières devant le Louvre,23 la presse observe la plus grande discrétion sur l’évacuation. Le Journal amusant présente en 1871 quelques-unes des caisses ayant servi à la préservation des collections de façon purement anecdotique.24 Edmond About en parlant de l’évacuation de la Vénus de Milo et du fait qu’elle a été cachée dans les sous-sols de la Préfecture de Paris affirme que « l’intention du cacheur fut puérile et le choix de la cachette insensé ».25 Mais quelles sont les motivations de cette évacuation, la première à l’échelle nationale d’un pays ? La peur de spoliations prussiennes, en réponse aux translocations révolutionnaires et napoléoniennes, est à l’origine à cette évacuation.26 Cette peur, jamais publiquement énoncée par les responsables, a mené à cette décision, de même que le bombardement et la disparition des collections du musée de Strasbourg, le 24 août, sont un autre élément déclencheur.27 Dans les années qui précèdent la guerre franco-prussienne de 1870, de nombreux érudits allemands s’intéressent aux œuvres et manuscrits encore conservés dans les collections françaises.28 À la suite des premières victoires prussiennes, une commission est chargée de dresser une liste des objets spoliés par les armées révolutionnaires et impériales, jamais rendus après 1815.29 La connaissance de l’existence de cette cellule de recherche et la volonté de résister à d’éventuelles translocations 30 expliquent cette évacuation des collections, comme le décrit Goncourt dans son Journal où Chennevières lui confie qu’on a enlevés des cadres, qu’on a roulés et qu’on envoie [à Brest] pour les sauver des Prussiens les tableaux du Louvre.31 21 Cf. Arch. nat. 20144790 ex AMN P12 Mutations entre musées nationaux et autres lieux de résidences, 31 août 1871, lettre de Blanc à Reiset. 22 Cf. Arch. nat. 20144790 ex AMN P12 Mutations entre musées nationaux et autres lieux de résidences, 7 septembre 1871, train extraordinaire de Brest à Paris Montparnasse. 23 Cf. Goncourt, Journal (voir n. 14), p. 273. 24 Le Journal amusant, 28 octobre 1871, p. 3. 25 About, « La Vénus de Milo » (voir n. 6), p. 331. 26 Cf. Bénédicte Savoy, Patrimoine annexé. Les biens culturels saisis par la France en Allemagne autour de 1800, Paris 2003. 27 Marius Vachon, L’art pendant la guerre de 1870 – 1871, Strasbourg. Les musées, les bibliothèques et la cathédrale, inventaire des œuvres d’art détruites, Paris 1882. 28 Savoy, Patrimoine annexé (voir n. 26), p. 280. 29 Ibid., p. 282. 30 Chennevières, Souvenirs d’un directeur (voir n. 10), p. 53. 31 Goncourt, Journal (voir n. 14), p. 273.

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Le péché originel des musées français lors des périodes révolutionnaire et napoléonienne est au fondement de cette évacuation et de celles effectuées dans certains musées de province comme à Montpellier où la commission du musée Fabre dresse des listes d’évacuation de peur des Uhlans,32 ou à Lyon dont le conservateur Martin-Daussigny, effrayé a posteriori par une visite de scientifiques allemands avant la guerre, cache les œuvres dans les souterrains du musée,33 à la suite de l’envoi d’une circulaire prônant la mise à l’abri de l’ensemble des collections françaises des musées et bibliothèques.34 Pour autant, c’est plus un certain défaitisme qu’une réelle résistance à d’éventuelles translocations qui régnait dans la société de 1871, car selon Alfred Darcel « si les Prussiens vainqueurs avaient songé à insérer dans le traité de paix à intervenir après la guerre une clause prescrivant la remise de quelques œuvres d’art, comme Napoléon le fit dans le traité de Tolentino, en quelque lieu qu’eussent été cachées ces œuvres, on aurait bien été contraint de les livrer un jour. »35 C’était toutefois sans compter sur les consignes données, puisque, si les Prussiens étaient arrivés jusqu’à Brest, ordre était donné de charger les caisses sur le navire école de la Marine impériale, l’Hermione, qui devait alors traverser l’Atlantique.

2. De nouveaux préparatifs dans l’urgence Dès le début de la Grande Guerre, la modernisation des armes de destruction et la systématisation des bombardements entraînent d’importantes pertes humaines et patrimoniales. Les belligérants invoquent alors la culture dans l’effort de guerre, mobilisant historiens d’art, artistes et conservateurs contre la culture de l’ennemi et pour démontrer son aptitude à mettre en danger le patrimoine.36 Les Allemands sont accusés de détruire ou piller le patrimoine tandis que les Français se voient reprocher de ne pas savoir le protéger et ce, depuis les destructions de la Révolution,37 voire même de s’abriter lâchement derrière ces monuments et de se servir du « contenu du Louvre comme pare-balles ».38 Dès les premiers jours du conflit, 32 Cf. Archives municipales de Montpellier 2R3 – 12 Musée Fabre, Administration, installation des collections, prêts, photos, 14 octobre 1870, procès-verbal de la commission du musée sur l’organisation de l’évacuation des collections. 33 Cf. Archives municipales de Lyon 78WP 2, Palais Saint-Pierre, musée des Beaux-Arts, Administration générale, acquisitions, 1804 – 1899, 8 et 30 octobre 1870, lettres de Martin-Daussigny au maire de Lyon. 34 Cf. Archives municipales de Bordeaux 1434R8 Musées de Bordeaux, correspondance 1870 – 1875, janvier 1871, circulaire d’Arsène Houssaye aux conservateurs des musées de France. 35 Darcel, « Les musées, les arts » (voir n. 6), p. 286. 36 On citera pour exemple cet article de Ernst Steinmann, « Die Zerstörung der Königsdenkmäler in Paris », dans: Monatshefte für Kunstwissenschaft 10 (1917), p. 337 – 379. 37 Ibid., p. 337 – 379. 38 Certaines légendes de caricatures de la presse allemande sont particulièrement explicites : « Malin comme la cathédrale de Reims leur a servi de couverture, ces rusés de Français vont bientôt utiliser

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et alors que le précédent de 1870 singulièrement éloquent à cet égard 39 est présent dans l’esprit des conservateurs du Louvre, ceux-ci mettent en place les premières mesures de sécurité contre les bombardements.40 Le 23 août, la percée allemande déborde les troupes françaises et ne sera finalement stoppée que lors de la bataille de la Marne. Devant cette situation, le conservatoire du Louvre est interrogé le 24 août par le gouvernement sur une évacuation des collections. Les conservateurs n’en voient pas l’intérêt, ils pensent que les trésors du Louvre seront pris en otage en cas de défaite par leur propre gouvernement.41 Le conservatoire apparaît donc plus inquiet d’éventuelles translocations,42 tandis que l’appareil politique est effrayé par le potentiel de destruction des nouvelles armes. Le 25, la ville de Louvain est en partie incendiée et la bibliothèque universitaire disparaît dans les flammes.43 Albert Dalimier, sous-secrétaire d’état aux Beaux-Arts, ordonne alors le 28 août à Henri Marcel, directeur des musées nationaux, le déplacement des œuvres majeures du Louvre.44 Une nouvelle fois l’opération se déroule dans la plus grande urgence. Des photographies inédites, attribuées à André de Ridder, conservateur-adjoint des Antiques,45 permettent de visualiser l’évacuation.46 La Vénus de Milo est placée seule dans une des remorques de déménagement,47 tandis que la Victoire de Samothrace est protégée in situ.48 Une sélection de 770 œuvres 49 est envoyée vers le sud de la France dans le plus grand secret, sans destination fixée à l’avance, l’État hésitant entre Pau et Toulouse.50 le contenu du Louvre comme pare-balles » , dans : Kladderadatsch, 4 octobre 1914. 39 Arch. nat. 20150044 ex AMN Z2 Administration 1792 – 1964, tous départements, 1914 – 1918, Protection des œuvres d’art, dossier VI, 9 septembre 1914, lettre de Le Prieur à Paul Jamot. 40 Cf. Ibid., dossier VI, 30 novembre 1917, rapport au ministre de l’Instruction publique et des beauxarts et croquis de renforcement des voûtes des salles du Louvre. 41 Arch. nat. 20150157 ex AMN *1BB38 Procès-verbaux du conservatoire des musées, 24 août 1914. 42 Cf. Savoy, Patrimoine annexé (voir n. 26), p. 305 – 307. 43 Sur l’impact de la destruction de Louvain et la prise de conscience qui s’ensuit, cf. Christina Kott, Préserver l’art de l’ennemi ? Le patrimoine artistique en Belgique et France occupées, Bruxelles 2006, p. 42 – 43. 44 Cf. Arch. nat. 20150044 ex AMN Z2 Administration 1792 – 1964, tous départements, 1914 – 1918, Protection des œuvres d’art, dossier VI, 28 août 1914, lettre de Dalimier à Marcel. 45 Cf. Ibid., dossier VI, septembre 1914, épreuve collée sur papier représentant l’évacuation des salles attribuée à Ridder. 46 Cf. La série, retirée par le photographe Louis Vavasseur, est composée de 28 photographies montrant l’évolution de l’évacuation, Arch. nat. 20150044 ex AMN Z2 Administration 1792 – 1964, tous départements, 1914 – 1918, Protection des œuvres d’art, dossier I. 47 Cf. Ibid., dossier I, liste des œuvres évacuées. 48 Cf. Ibid., dossier I, photographie de la Victoire de Samothrace dans son berceau protecteur par André de Ridder. 49 Cf. Ibid., dossier I, liste des œuvres évacuées. 50 Cf. Ibid., dossier VI , 31 août 1914, minute de la lettre de Marcel à Dalimier confiant le convoi d’évacuation à Jamot.

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Abb. 2  Anonymer Fotograf, Sammlungen unter dem Schutz der Armee, Toulouse, ca. 1916.

Après un voyage difficile, le convoi arrive à Toulouse le 3 septembre.51 Le conservateur des antiquités orientales Paul Jamot choisit l’église des Jacobins comme lieu de repli.52 Après quelques travaux d’aménagement,53 les remorques y sont entreposées.54 Paul Jamot peint également quelques tableaux,55 représentant l’intérieur de l’église, les caisses et les remorques. Durant tout l’exil toulousain, une compagnie de soldats est chargée de garder les collections.56 Un système draconien de surveillance est mis en place, à base de mots de passe changeant chaque jour.57 L’importance de cette sauvegarde patrimoniale prend une telle ampleur que

51 Cf. Ibid., dossier VI, 3 septembre 1914, télégramme de Jamot à Marcel. 52 Cf. Ibid. 53 Cf. Arch. nat. 20150044 ex AMN Z2 Administration 1792 – 1964, tous départements, 1914 – 1918, Protection des œuvres d’art, dossier VI, 4 septembre 1914, lettre de Jamot à Marcel. 54 Cf. Ibid., dossier I. 55 Cf. Les tableaux sont conservés au musée d’Orsay et au Louvre sous les numéros d’inventaire RF1977 – 198, RF1941 – 13, RF1941 – 14, RF1941 – 15, RF1941 – 16 et INV20444. 56 Cf. Arch. nat. 20150044 ex AMN Z2 Administration 1792 – 1964, tous départements, 1914 – 1918, Protection des œuvres d’art, dossier I, septembre 1915, consignes pour l’église des Jacobins. 57 Cf. Ibid., dossier VI, enveloppe contenant la série de mots de passe de septembre 1915.

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le ministre de l’Instruction publique vient lui-même inspecter l’église des Jacobins le 21 juin 1915, l’inspection permettant d’obtenir des moyens supplémentaires.58 L’entreposage des œuvres dans les remorques est alors repensé dans un fascinant exercice de réflexion autour de l’histoire du goût, de la question de la préservation des collections et des priorités à donner dans cette protection.59 Le classement des tableaux dans les caisses mais également l’emplacement de celles-ci dans chaque remorque est revu si jamais il était nécessaire de les évacuer en urgence. Les brouillons de ces travaux de reclassement témoignent de la volonté des conservateurs de résister à d’éventuelles translocations : toutes les œuvres disposent de numéros codés qui ne correspondent pas à leurs numéros d’inventaire classiques et le mélange des tableaux présente un incroyable résumé de la création artistique européenne de la fin du Moyen Âge au XIXe siècle.60 Si une réouverture partielle du Louvre a lieu à deux reprises, de mars 1916 à février 1917 et de mai 1917 à janvier 1918, la multiplication des destructions tout au long de la guerre et le traité de paix séparé entre la Russie et l’Allemagne ont finalement entraîné une évacuation quasi complète des musées français. En 1916, Toulouse devient ainsi le refuge des collections de musées de l’Est et du Nord de la France même si certains musées n’ont pu être évacués et certaines collections ont été touchées par les destructions ou déplacées par le Kunstschutz. Les obus lancés sur Paris en 1918 entraînent la protection des collections qui restaient encore à évacuer, toute perte patrimoniale supplémentaire devenant inacceptable. Ces dernières évacuations seront suivies peu de temps après par le retour définitif des œuvres vers leurs institutions d’origine. Après plus de quatre années, Paul Jamot quitte définitivement Toulouse le 22 décembre 1918, à la tête du convoi ramenant les remorques des musées nationaux à Paris.61 Les civilisations se « sont éprouvées comme concrètement mortelles »,62 et comme s’en rendent compte les contemporains à l’image de Paul Valéry : « Élam, Ninive, Babylone étaient de beaux noms vagues, et la ruine totale de ces mondes avait aussi peu de signification pour nous que leur existence même. Mais France, Angleterre, Russie… ce seraient aussi de beaux noms ».63 Le patrimoine, avec ce premier conflit mondial, est devenu un enjeu majeur des oppositions armées contemporaines et plus que sa résistance aux translocations, c’est désormais sa survie qui est en jeu. 58 Cf. Ibid., dossier VI, 21 juin 1915 – 2 juillet 1915, sous-dossier concernant la visite du ministre et contenant une série de lettres de Jamot à Leprieur. 59 Cf. Ibid., dossier I, État des voitures et des caisses, chapelle des Jacobins 1915 – 1918, nouveau classement par voitures des tableaux et œuvres d’arts expédiés à Toulouse (après travaux effectués en août-septembre 1915). 60 Cf. Ibid., dossier I, État des voitures et des caisses, chapelle des Jacobins 1915 – 1918, brouillons du nouveau classement par voitures des tableaux et œuvres d’arts expédiés à Toulouse (après travaux effectués en août-septembre 1915). 61 Cf. Ibid., dossier III, 22 décembre 1918, télégramme de Jamot annonçant le départ du convoi de retour. 62 Dominique Poulot, Patrimoine et musées. L’institution de la culture, Paris 2007, p. 141. 63 Paul Valéry, La crise de l’esprit, Paris 1919.

Pour une histoire des politiques d’évacuations et de protection face aux pillages  I  45

3. La première évacuation planifiée et préparée de l’histoire des musées de France Durant l’entre-deux guerres, la présidence du Conseil s’inquiète de la préservation du patrimoine français en cas de nouveau conflit à la suite des destructions massives de la Première Guerre mondiale. L’organisation d’une nouvelle évacuation est évoquée dans un rapport secret daté de février 1930, faisant de l’évacuation de 1939 la seule préparée et pensée largement en amont et non dans l’urgence.64 Ce premier projet n’énonce que des principes de bon sens pour la sauvegarde des œuvres et du personnel et ne concerne que la région parisienne et les régions frontalières. En octobre 1932, peut-être à la suite du retrait de l’Allemagne de la conférence de Genève sur le désarmement, Henri Verne demande à ses conservateurs de commencer dans une éventualité qu’il faut prévoir tout en souhaitant qu’elle ne se produise pas, [à] étudier de très près la liste des objets de votre département qu’il serait nécessaire d’évacuer, établie par ordre d’urgence, ainsi que les modalités que vous proposez d’adopter pour leur évacuation.65 Si le « Traité de Washington ou Pacte Roerich » sur la protection des monuments et des œuvres d’art en cas de guerre est signé le 15 avril 1935, il ne rencontre que peu de succès auprès des pays européens, aucun ne le ratifiant. Cette action était pourtant soutenue par l’Office international des Musées. La question de la protection des collections domine alors les débats de l’organisation, l’évacuation du Prado, lors de la guerre civile espagnole, initiant des mesures qui vont se dérouler dans toute l’Europe. Pour la première fois dans l’histoire mondiale, la mise en sûreté du patrimoine artistique de l’ensemble du territoire de plusieurs nations est projetée.66 La revue de l’Institut international de la coopération intellectuelle, Mouseion, sert de vecteur de diffusion des différentes mesures de protection nécessaires à la sauvegarde des collections, un numéro spécial se veut un véritable « manuel consacré à la protection des œuvres d’art en temps de guerre ».67 Les nationalités des différents intervenants – anglais, grecs, italiens, espagnols, autrichiens, français, hollandais – témoignent des échanges transnationaux qui traversent la revue, tandis que l’étude des textes démontre l’emprise qu’elle a pu avoir sur la préparation des évacuations.68

64 Arch. nat. 20144792 ex AMN R1 Organisation : plans d’évacuation, premiers projets, dossier 10, 4 février 1930, Plan de protection et d’évacuation, plan de mobilisation des Beaux-arts (secret). 65 Arch. nat. 20144792 ex AMN R1 Organisation : plans d’évacuation, premiers projets, dossier 1, 4 octobre 1932, circulaire d’Henri Verne à tous les départements. 66 Cf. Eugenia Afinoguénova, « Arte de élites, política de masas. Los « milicianos de la Humanidad » y la defensa de la cultura en el relato sobre el rescate del Museo del Prado », dans : Rocío Navarro Comás/Eduardo González Calleja (éd.), La España del Frente Popular. Política, sociedad, cultura y conflicto en la España de 1936, Madrid 2012, p 301 – 315. 67 Euripide Foundoukidis, « Introduction. La protection des monuments et œuvres d’art en temps de guerre », in: Museion 47/48 (1939), p. 9. 68 Le volume 39 – 40 de 1937 de Mouseion est particulièrement représentatif de ces échanges.

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À Paris, la direction générale des Beaux-Arts demande dès août 1935 tous les renseignements nécessaires à un plan d’évacuation. Henri Verne mobilise les conservateurs des musées nationaux autour d’une planification réaliste de la protection des collections.69 Le plan des musées nationaux prévoit, dans un premier temps, d’abriter une majorité d’œuvres dans leurs institutions,70 tandis que Joseph Billiet, inspecteur des musées de province, est chargé d’établir par ordre d’urgence les listes des œuvres d’art à évacuer ou à protéger sur place en cas de conflit international 71 pour les musées des régions du nord et de l’est de la France. La tâche de planification est immense car il est finalement décidé de trouver des lieux de repli pour tous les musées de France.72 Le château de Chambord est ainsi désigné le 19 mai 1938 comme dépôt principal des musées nationaux.73 Une véritable répétition générale a lieu lors du Sommet de Munich. Un premier convoi part du Louvre le 27 septembre 1938, deux jours avant la réunion, et l’exercice souligne les défaillances du système soumis à « une improvisation continue et angoissante ».74 L’accord négocié entre les puissances européennes permet aux œuvres du Louvre de retrouver leurs cimaises dans une atmosphère surréaliste, les caisses prévues pour l’évacuation restant dans les salles. « Chambord, poste trop visible, trop repéré déjà par le public, ne peut être conservé sans engager lourdement la responsabilité de l’administration des Beaux-Arts »75 d’autant que la presse a découvert l’évacuation 76 et que les précautions françaises font l’objet d’articles dans la presse allemande.77 Chambord devient finalement le centre de triage du nouveau plan d’évacuation,78 servant de point de rendez-vous aux convois de camions avant de se rendre dans les nouveaux lieux de repli : 71 châteaux et abbayes sont réquisitionnés. Après les ratés de 1938, il est décidé que le Louvre sera entièrement évacué. Un parcours d’évacuation par salles prenant en compte les dimensions des œuvres et des différents ascenseurs du Louvre est

69 Cf. Arch. nat. 20144792 ex AMN R1 Organisation : plans d’évacuation, premiers projets, dossier 1, 17 mars 1936, lettre de Verne au directeur général des Beaux-Arts. 70 Cf. Ibid., dossier 1, 10 décembre 1936, lettre de Verne au directeur général des Beaux-Arts. 71 Ibid., dossier 4, 20 janvier 1936, circulaire de Joseph Billiet à destination des conservateurs des musées de province. 72 Ibid., dossier 4, [s. d.] liste des lieux de repli pour chaque département. 73 Cf. Une lettre de février 1934 du sous-secrétaire d’État aux Beaux-Arts désigne pour la première fois Chambord comme lieu de repli, Ibid., dossier 1, 5 février 1934, lettre sous-secrétaire d’État aux Beaux-Arts à Verne. 74 Pierre Schommer, Il faut sauver la Joconde. Carnets (1937 – 1945), Paris 2014, p. 48. 75 Ibid. 76 Cf. Arch. nat. 20144792 ex AMN R40 Coupures de presse 1939 – 1942, 11 octobre 1938, rapport de Verne à George Huisman à la suite de la publication d’un article sur l’évacuation du Louvre dans Le Jour L’écho de Paris du 10 octobre 1938. 77 Cf. Ibid., 24 août 1939, article de la Rheinisch-Westfälische Zeitung. 78 Cf. Arch. nat. 20144792 ex AMN R1 Organisation : plans d’évacuation, premiers projets, dossier 1, 16 novembre 1938, lettre de Verne à Huisman.

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mis en place.79 Si les caisses sont siglées « musées nationaux » et la destination de Chambord publique, les listes sont codées pour que les seuls conservateurs en connaissent le contenu.80 Le Louvre disperse ses différentes écoles de peinture entre des centaines de caisses pour éviter d’en perdre une d’un seul coup. La Joconde est l’unique œuvre du Louvre à disposer de sa caisse personnelle marquée de trois points rouges. Le 24 août 1939, le pacte de non-agression germano-soviétique devient public, et le 27 août 1939, sept jours avant l’entrée en guerre de la France, ordre est donné aux conservateurs de France d’évacuer leurs collections.81 Les dépôts reçoivent les œuvres principales de 200 musées de province. Un tiers des collections publiques françaises est évacué en quelques jours,82 les collections du nord et de l’est de la France étant évacuées en priorité. 51 convois quittent le Louvre entre le 27 août et le 28 décembre :83 « [L]e cérémonial du départ était déjà fixé. Il avait pris une allure de conscription révolutionnaire. C’était un spectacle réglé comme un ballet. Dans la Cour Carrée fermée au public, on avait installé des tables et des chaises. Jacques Jaujard y présidait, entouré de quelques fonctionnaires et du chef des transporteurs. Les camions défilaient devant eux. On dressait leur liste, la liste des caisses dans chaque camion. On pointait les noms des chauffeurs et des convoyeurs, on vérifiait les amarres, les bâches et les camions se mettaient en file, entourés de motards. Puis, quand la colonne était en ordre, les voitures convoyeuses en tête et en queue du cortège, on donnait le signal du départ ».84 Les camions s’éloignent de Paris avec à leurs bords La Vénus de Milo, les bas-reliefs des Panathénées, Les Esclaves de Michel-Ange et La Victoire de Samothrace 85 ou encore Les Noces de Cana, Le couronnement de la Vierge ou Le Radeau de la Méduse. Souci majeur, les châteaux ont été choisis avec la certitude de l’inviolabilité de la Ligne Maginot. Devant l’avancée allemande, il est nécessaire d’évacuer à nouveau les œuvres en mai-juin 1940.86 Trois châteaux situés au nord de la Loire ne sont pas évacués, ils se retrouvent

79 Cf. Arch. nat. 20144792 ex AMN R5.1 Évacuation des collections : Musées nationaux et départementaux, dossier 1, évacuation des peintures classées en 9 secteurs, plan du 1er secteur. 80 Cf. Arch. nat. 20144792 ex AMN R1 Organisation : plans d’évacuation, premiers projets, dossier 1, 5 août 1939, rapport au ministre de l’Éducation nationale sur les mesures prises dans les musées nationaux en vue de la sauvegarde des collections nationales en temps de guerre. 81 Cf. Arch. nat. 20144792 ex AMN R1 Organisation : plans d’évacuation, premiers projets, dossier 4, 15 octobre 1939, rapport de Billiet au directeur général des beaux-arts. 82 Cf. Arch. nat. 20144792 ex AMN R2A Rapports d’inspection, 29 janvier 1940, rapport de Jacques Jaujard sur l’évacuation des collections. 83 Cf. Arch. nat. 20144792 ex AMN R1 Organisation : plans d’évacuation, premiers projets, dossier 11, registre des évacuations effectuées de Paris vers les dépôts en 1939. 84 Schommer, Il faut sauver la Joconde (voir n. 74), p. 24. Étonnament, Schommer parle de la cour Lefuel et non de la Cour carrée page 146 du même ouvrage. 85 Cf. Arch. nat. 20144792 ex AMN R1 Organisation : plans d’évacuation, premiers projets, dossier 11, registre des évacuations effectuées de Paris vers les dépôts en 1939. 86 Cf. Arch. nat. 20144792 ex AMN R20.4 Archives de guerre Bouchot-Saupique, dossier 1, [décembre 1942], rapport sur la protection des musées depuis 1939.

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Abb. 3  Anonymer Fotograf, Abbau des Isenheimer Altars im Museum Unterlinden in Colmar, Archiv des Museums Unterlinden, August 1939.

alors en zone occupée. Au sud de la Loire une nouvelle évacuation est effectuée vers l’abbaye de Loc-Dieu dans l’Aveyron. Le personnel du département des peintures et 3 120 tableaux arrivent à l’abbaye, mais les conditions de conservation ne sont pas satisfaisantes et l’exode des tableaux continue vers le musée Ingres de Montauban.87 La peur de bombardements, le musée surplombant un des ponts de Montauban, déplace une dernière fois, en 1943, la caravane des peintures du Louvre vers le château de Montal et d’autres châteaux du Massif Central.88 Les évacuations de 1939 et 1940 se déroulent étonnament bien dans cette France à la dérive de la Drôle de Guerre mais la longue préparation, couplée à l’expérience des évacuations de 1870 et 1914, a permis cette issue favorable. Sous la direction de Jacques Jaujard, qui a pensé et piloté l’évacuation et devient directeur des musées de France en janvier 1940, la vie des dépôts s’organise.89 Inventaires et récolements ont lieu dans les différents dépôts 87 Cf. Arch. nat. 20144792 ex AMN R2A Rapports d’inspection, 15 juin 1940, rapport de Goulinat sur des réquisitions possibles. 88 Cf. Lucie Mazauric décrit avec minutie ces événements, cf. Lucie Mazauric, Le Louvre en voyage 1939 – 1945 ou Ma vie de châteaux avec André Chamson, Paris 1967. 89 Cf. Arch. nat. 20150497 ex AMN O30 dossier 460, 25 décembre 1939, arrêté de nomination de Jacques Jaujard au poste de directeur des musées nationaux et de l’école du Louvre.

Pour une histoire des politiques d’évacuations et de protection face aux pillages  I  49

ainsi qu’une mise en place sélective des œuvres pour permettre une évacuation d’urgence, comme en 1915. Jaujard gérera ensuite les relations avec l’occupant allemand, qu’il s’agisse de l’ERR ou du Kunstschutz, puis la libération du territoire par les alliés.90 Lors des conflits mentionnés ci-dessus, les musées français ont évacué leurs collections pour les protéger ; toutefois si dans le cadre des deux premiers la résistance à d’éventuelles translocations apparaît comme évidente, ce n’est plus l’enjeu majeur lors de la Seconde Guerre mondiale. Lors de l’évacuation de 1939, c’est une nouvelle logique qui prévaut : tout évacué, tout protégé, plus aucune destruction patrimoniale ne peut être acceptée, la question des translocations apparaît alors comme étrangement absente, assurément à tort lorsque l’on sait ce qui était prévu en cas de signature d’un traité de paix. Cette recherche, toujours en cours, a permis de déconstruire un certain nombre d’idées reçues sur ces politiques d’évacuation, mais aussi de découvrir que cette politique de préservation a perduré à travers le service de protection des œuvres d’art confié à Rose Valland après la Seconde Guerre mondiale. Pour préparer les musées à un éventuel conflit atomique, Rose Valland prévoyait notamment d’utiliser les anciens blockhaus de commandement de la « Wehrmacht et de la Kriegsmarine » situés à Saint-Germain-en-Laye et au château de Pignerolle.91 Ce plan aurait été officiellement abandonné à la fin de la Guerre froide mais trouve à n’en point douter un héritier dans le cadre des plans d’évacuation en cas de nouvelle crue centennale comme on a pu le constater en 2016. Ce champ d’études reste donc encore largement à défricher, notamment pour les nombreuses institutions situées en région, mais il est certain que la prise en compte de l’évolution des réflexions au cours de cette période, longue et cruciale pour la politique patrimoniale et la question des translocations permettra d’offrir de nouveaux éléments pour une histoire politique du patrimoine et une histoire idéologique des translocations, tout en soulevant des pistes supplémentaires pour une connaissance globale des enjeux nationaux et transnationaux des politiques patrimoniales contemporaines.92

90 Cf. Arch. nat. 20144792 ex AMN R1 Organisation : plans d’évacuation, premiers projets, dossier 10, 6 avril 1944, lettre de Jaujard au secrétaire général des Beaux-arts. 91 Archives des Affaires étrangères, MAE/ARD/RA/Carton 877, cité par Corinne Bouchoux, « Si les tableaux pouvaient parler… » Le traitement politique et médiatique des retours d’œuvres d’art pillées et spoliées par les nazis (France 1945 – 2008), thèse de doctorat sous la direction du professeur Yves Denéchère, Université d’Angers 2011, p. 68. 92 Arch. Nat. 19890535/11 Centre de protection des œuvres d’art de Saint-Germain-en-Laye.

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Von der „Stunde Null“ zur Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut im bewaffneten Konflikt und ihren Protokollen Fortschritte in der Entwicklung des völkerrechtlichen Kulturgutschutzes Sabine von Schorlemer

1. Einführung „Stunde Null“ umschreibt gemeinhin die unmittelbar auf die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 7./8. Mai 1945 folgende Phase in Deutschland – eine Phase, die durch den Kollaps des NS -Unrechtsstaates und die damit verbundene emotionale Unsicherheit in der Bevölkerung, aber auch das faktische Chaos der Stunde charakterisiert wird. Angesichts von Millionen von Toten, Vertreibung, Traumata, Versehrtheit, aber auch der großflächigen Verwüstung europäischer Städte mitsamt der massiven Zerstörung von Infrastruktur im ganzen Land schien die Zukunft Deutschlands ungewiss. Festzustellen ist ein Gebrauch des Begriffs der „Stunde Null“ unter anderem in der Nachkriegsliteratur, zum Teil als „Trümmer-Literatur“ bezeichnet, etwa in dem Werk „Draußen vor der Tür“ des 1947, im Alter von nur 26 Jahren verstorbenen Wolfgang Borchert. In ­diesem Rahmen wurde „Stunde Null“ wiederholt assoziiert mit Verlust, Katastrophe und auch zerstörter Hoffnung. Doch regte sich in späteren Jahren auf intellektueller Ebene zum Teil Widerspruch gegen die Verwendung des Begriffs: Der Historiker Heinrich August Winkler etwa bezweifelte die Sinnhaftigkeit des Terminus „Stunde Null“, gestand aber zu, dass ebendieser das „Empfinden der Zeitgenossen“ wiedergegeben habe, da sie sich angesichts der Umstände um ihre Zukunftsperspektiven sorgten.1 Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat seinerseits in der Rede zum 8. Mai 1985, dem 40. Jahrestag des Kriegsendes in Europa, ausgeführt,

1 Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte II. Vom „Dritten Reich“ bis zur Wiedervereinigung, München 2002, S. 121.

es habe „keine ‚Stunde Null‘“ gegeben und sprach stattdessen von der „Chance zu einem Neubeginn.“ 2 Im Jahr 2001 schrieb von Weizsäcker sodann: „Immer wieder ist von einer Stunde Null die Rede, weil sie von uns Menschen im Leben und Zusammenleben so empfunden wird. Es kann so tiefe Abstürze oder einen so radikal neuen Anfang geben, dass wir keine Orientierung vorfinden oder dass wir sie neu schaffen müssen und wollen. Dennoch hat jede Geschichte ihre Vorgeschichte. (…) Alle Gegenwart folgt aus einer Vergangenheit.“ 3

Folgt man von Weizsäcker, so ist mit der Verwendung des Begriffs „Neubeginn“ – statt „Stunde Null“ – die Annahme impliziert, dass es nicht um eine radikal und absolut zu denkende Umkehr in einer durch eine Katastrophe definierten „dunklen Stunde Null“ geht, sondern dass ein Neustart in einer schwierigen Situation erforderlich ist: also das Bemühen, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und – basierend auf einem zeitlich vorgelagerten (schon stattgefundenen) „Beginn“ – jetzt in dieser besonderen Stunde einen „Neu“-Beginn zu wagen. Übertragen auf das vorliegende Thema soll im Folgenden untersucht werden, inwieweit der Kulturgutschutz der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere die als „Meilenstein“ betitelte,4 im Rahmen der UNESCO 1954 angenommene Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut im bewaffneten Konflikt (HK) und ihr Erstes Protokoll,5 tatsächlich etwas radikal Neues, zuvor noch nicht Gedachtes abbildet, oder ob es Vorläufer gegeben hat, die ihrerseits das normative Nachkriegsregelwerk beeinflusst und insofern einen konstruktiven „Neu-Beginn“ nach Kriegsende ermöglicht haben. Diese Analyse soll einen Beitrag dazu leisten, das Vertragswerk mitsamt seinen Stärken und Schwächen einordnen zu können und daran anschließend Defizite, aber auch Reformperspektiven des universellen Kulturgutschutzes aufzeigen.

2 Tagesschau.de, „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung“, Weizsäcker-Rede zum Kriegsende im Wortlaut, verfügbar unter: https://www.tagesschau.de/inland/rede-vonweizsaecker-wortlaut-101. html (Stand: 26. 07. 2020). 3 Richard von Weizsäcker, Drei Mal Stunde Null? 1949, 1969, 1989. Deutschlands europäische Zukunft, Berlin 2001, S. 8. 4 Kerstin Odendahl, Kulturgüterschutz. Entwicklung, Struktur und Dogmatik eines ebenenübergreifenden Normensystems, Tübingen 2005, S. 118 m. w. N. 5 Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut im bewaffneten Konflikt und ihr Erstes Protokoll, BGBl. 1967 II, S. 1235.

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2. Historische Wegmarken für den völkerrechtlichen Kulturgutschutz in Europa Die Entstehung völkerrechtlicher Regelungen zum Schutz von Kulturgut vor Raub und Zerstörung seit dem frühen 19. Jahrhundert ist eng mit den leidvollen Kriegserfahrungen in Europa verbunden.

2.1 Wurzeln des Kulturgutschutzes im 19. Jahrhundert Nachdem das Recht auf Kriegsbeute traditionell als ein legitimes Recht der Kriegsparteien angesehen wurde, „begann sich mit dem Wiener Kongress 1815 eine veränderte Haltung gegenüber Kulturgütern des Kriegsgegners herauszubilden.“ 6 Daran anknüpfend entstand im 19. Jahrhundert eine breite Bewegung unter Beteiligung von Vertretern der Streitkräfte, Diplomaten und Völkerrechtsgelehrten, die sich für die Ausarbeitung von kulturgüterrechtlichen Schutznormen einsetzte.7 Dies geschah in mehreren Etappen und in unterschiedlichen Foren. Zu nennen sind zunächst die als völkerrechtliche Dienstvorschrift für die Unionstruppen im US -amerikanischen Bürgerkrieg (1861 – 1865) ausgearbeiteten „Instructions for the Government of Armies of the United States in the Field“, ­welche von Francis Lieber vorbereitet wurden und daher auch als sogenannter Lieber Code bekannt wurden.8 Sie gelten als ein frühes Normierungsbeispiel: „an example for the codification, at the international level, of the law concerning cultural property.“ 9 Die auf Initiative von Henry Dunant und mit russischer Unterstützung ausgearbeitete sogenannte Brüsseler Erklärung von 1874 stellt die erste umfassende Regelung zu den Rechten und Gebräuchen des Krieges dar.10 Das vom Institut de Droit international wenig ­später entwickelte Handbuch mit dem Titel „The Laws and Customs of War on Land“/„Manuel 6 Odendahl, Kulturgüterschutz (wie Anm. 4), S. 107. 7 Siehe bereits den Überblick m. w. N. in: Sabine von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz. Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, Berlin 1992, S. 2; Dies., Cultural Heritage Law. Recent Developments in the Laws of War and Occupation, in: James A. R. Nafziger/ Ann M. Nicgorski (Hg.), Cultural Heritage Issues. The Legacy of Conquest, Colonization, and Commerce, Leiden 2009, S. 137 – 158, hier S. 137 f. 8 „Instructions for the Government of Armies of the United States in the Field, prepared by Francis Lieber and promulgated as General Order No. 100 by President Lincoln on 24 April 1863“; siehe Dietrich Schindler/Jiří Toman (Hg.), The Laws of Armed Conflict. A Collection of Conventions, Resolutions and Other Documents, 3. Aufl. Dordrecht 1988, S. 8. 9 Jiří Toman, The Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, Aldershot, Vermont 1996, S. 7. 10 M. w. N. ebd., S. 9; siehe auch Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz (wie Anm. 7), S. 262.

Von der „Stunde Null“ zur Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut  I  53

des lois de la guerre sur terre“ (sogenanntes Oxford Manual, 1880) ist inhaltlich eng an die Regelungen der Brüsseler Erklärung angelehnt.11 Gemeinsam ist diesen verschiedenen Regelungen, dass sie allesamt damals keine rechtliche Bindungskraft auf der zwischenstaatlichen Ebene zu entfalten vermochten. Es sollte sich allerdings zeigen, dass einige der Dokumente, vor allem die Brüsseler Erklärung und das Oxford Manual, von großem Einfluss auf die wenig ­später stattfindenden, der allgemeinen Kodifikation des Kriegsvölkerrechts gewidmeten sogenannten Haager Konferenzen waren.

2.2 Die Haager Konferenzen (1899/1907) Die Einberufung der Friedenskonferenzen in Den Haag 12 geschah auf russische Initiative hin und mit maßgeblicher inhaltlicher Unterstützung des Völkerrechtsgelehrten Friedrich Fromhold Martens (1845 – 1909), dem Delegierten des russischen Zaren Nikolaus II . Sie erwiesen sich als ein wichtiger Schritt hin zu einem universellen völkerrechtlichen Schutzsystem im bewaffneten Konflikt.13 Zu nennen ist als das erste völkerrechtlich bindende Regelwerk des Kulturgutschutzes die sogenannte Haager Landkriegsordnung (HLKO) als Anlage des IV. Haager Abkommens.14 Art. 23 lit. g HLKO verbietet „die Zerstörung oder Wegnahme feindlichen Eigentums außer in den Fällen, wo diese Zerstörung oder Wegnahme durch die Erfordernisse des Krieges dringend erheischt wird“, während Art. 56 HLKO „[j]ede Beschlagnahme, jede absichtliche Zerstörung oder Beschädigung von derartigen Anlagen, von geschichtlichen Denkmälern oder von Werken der Kunst und Wissenschaft“ untersagt und die Ahndung bei Zuwiderhandlung fordert. Der Schutz von Kulturgütern im Seekrieg erfolgte zeitgleich 15 und gab im Wesentlichen die inhaltlichen Regelungen der HLKO wieder.16 11 Manuel des lois de la guerre sur terre, abrufbar bei International Committee of the Red Cross, Manuel des lois de la guerre sur terre. Oxford, 9 septembre 1880: https://ihl-databases.icrc.org/applic/ihl/ dih.nsf/Treaty.xsp?documentId=385327CC858DD0CBC12563140043A18E&action=openDocument (Stand: 26. 07. 2020); näher Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz (wie Anm. 7), S. 263. 12 Konferenzort war Den Haag, Palast „Huis ten Bosch“, Sommerresidenz der damals jungen ­Wilhelmina (1880 – 1962), Königin der Niederlande (1890 – 1948); die Niederlande übernahmen auch die Depositarfunktion, sodass es fortan üblich wurde, von „Haager Recht“ zu sprechen. 13 Christopher Greenwood, Geschichtliche Entwicklung und Rechtsgrundlagen, in: Dieter Fleck (Hg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, München 1994, S. 18. 14 Abkommen, betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs (IV. Haager Abkommen), vom 18. 10. 1907 (RGBl. 1910, S. 107). 15 Siehe das IX. Haager Abkommen, betreffend die Beschießung durch Seestreitkräfte in Kriegszeiten (IX. Haager Abkommen), vom 18. 10. 1907 (RGBl. 1910, S. 256). 16 Detailliert dazu Odendahl, Kulturgüterschutz (wie Anm. 4), S. 110 f.

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Obwohl einige dieser Regelungen erst durch spätere Vertragswerke konkretisiert wurden,17 ist die Haager Landkriegsordnung nicht veraltet, im Gegenteil: Sie gilt völkergewohnheitsrechtlich als alle Staaten bindendes Recht und ergänzt auch heute noch in sinnvoller Weise den Kulturgutschutz im bewaffneten Konflikt. Wie Wolff Heintschel von Heinegg treffend ausführt: „Angesichts ihrer gewohnheitsrechtlichen Geltung ist zudem gewährleistet, daß die Gesamtheit der Staaten, unabhängig von den jeweiligen Vertragsbindungen, jedenfalls an die in der HLKO niedergelegten Regeln und Grundsätze gebunden ist, die als Minimalforderung der Menschlichkeit und Zivilisation das Äußerste dessen aufzeigen, was nach Maßgabe des Völkerrechts selbst in dem Fall gelten soll, daß die Staaten nicht willens oder nicht fähig sind, sich in ihren Beziehungen der Anwendung militärischer Gewalt zu enthalten.“ 18

Positiv zu würdigen ist zudem, dass an einigen Stellen die Haager Landkriegsordnung von 1907 weiter reicht als die ein halbes Jahrhundert ­später, unter der Ägide der UNESCO am selben Ort verabschiedete Konvention zum Schutz von Kulturgut im Falle eines bewaffneten Konflikts.19 Das betrifft unter anderem auch die Ebene der Schutzgüter: Während die Haager Landkriegsordnung von 1907 alle dem Gottesdienst, der Kunst, der Wissenschaft und der Wohltätigkeit gewidmeten Gebäude in vollem Umfang schützt, so schränkt die Konvention von 1954 ein, dass diese von „künstlerischem, historischem oder archäologischem Interesse“ (Art. 1 lit. a HK) sein müssen. Allerdings erwies sich in der Praxis, dass die frühen Haager Regelungen nicht für die Anwendungsfälle moderner Kriegstechnik im ­Ersten Weltkrieg zugeschnitten waren. Der Umstand, dass es aufgrund technologischer Neuerungen möglich geworden war, ganze Städte und Dörfer im Luftkrieg, oft Hunderte von Kilometern hinter den feindlichen Linien, zu bombardieren, stellte eine völlig neue Bedrohung nicht nur für die dort lebenden Menschen, sondern auch für die städtebaulichen Ensembles und Architektur in Europa dar. Wie Kerstin Odendahl es formulierte: „Räumlich begrenzte Kampfgebiete, die es etwa erlaubten, z­ wischen verteidigten und unverteidigten Plätzen gemäß Art. 23 HLKO zu unterscheiden, gab es im E ­ rsten Weltkrieg nicht mehr. Zusammenhängende Fronten verbunden mit der größeren Reichweite moderner A ­ rtillerie

17 Siehe Art. 53, 85 Abs. 4 lit. d Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. 08. 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte, Genf, 08. 06. 1977, 1125 UNTS 3 (in Kraft getreten am 07. 12. 1978) [ZP I]; Art. 16 Zusatzprotoll zu den Genfer Abkommen vom 12. 08. 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte, Genf, 08. 06. 1977, 1125 UNTS 609 (in Kraft getreten am 07. 12. 1978) [ZP II ]. 18 Wolff Heintschel von Heinegg, Entstehung und Folgen der Haager Landkriegsordnung, in: Oberbürgermeister der Stadt Osnabrück und Präsident der Universität Osnabrück (Hg.), Osnabrücker Jahrbuch. Frieden und Wissenschaft V/1998, Osnabrück 1998, S. 132 – 145, hier S. 144 f. 19 Näher siehe unten 3.3.

Von der „Stunde Null“ zur Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut  I  55

und dem Einsatz der Luftwaffe ließen weiträumige Kampfgebiete und großflächige Zerstörungen entstehen. Für diese andersartigen Gefahren bot die HLKO keine zeitgemäßen Lösungen mehr.“ 20

Folglich wurde von Expertenseite einmütig eingeschätzt, dass die im E ­ rsten Weltkrieg anwendbaren Rechtsregeln zu dürftig waren – „too succinct to afford effective protection“ 21 –, sie also angesichts der Breite moderner Kriegsszenarien nicht die gebotene Schutzkraft entfalten konnten. Dem suchten führende Denkmalschützer Europas bereits während des ­Ersten ­Weltkrieges entgegenzuwirken. So fand bereits 1915 unter Mitwirkung von Denkmalschützern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz eine Kriegstagung für Denkmalpflege in Brüssel statt, die mit dem sogenannten Zitelmann-Entwurf neue Vorschläge zu einem verbesserten Kulturgutschutz in Kriegszeiten erarbeitete.22 Vor allem aber kam es zu neuen Initiativen und Impulsen für die kulturgüterrechtliche Entwicklung in der sich anschließenden Epoche des Völkerbundes.

2.3 Kulturgüterrechtliche Regelungen der Völkerbundära (1918 bis 1939) Nachdem unmittelbar nach Kriegsende zunächst eine Völkerrechtskommission der Niederlande im Auftrag der Niederländischen Archäologischen Gesellschaft Erläuterungen für die als notwendig erachteten Verbesserungen des Kulturgutschutzes im Krieg erarbeitet hatte,23 wandte sich die 1922 in Den Haag tagende Juristenkommission der Erarbeitung neuer im Luftkrieg anwendbarer Rechtsbestimmungen zu: Die sogenannten Haager Luftkriegsregeln 1922/23 („Hague Rules Concerning the Control of Radio in Time of War and Air Warfare“, 1922) unterschieden zum ersten Mal in der Historie des Kulturgüterrechts ­zwischen einem „allgemeinen Schutz“ („general protection“) und einem „besonderen Schutz“ („special protection“)24 und trugen außerdem zur Entwicklung einer neuen Konzeption eines „militärischen Ziels“ bei. Unter ­Völkerrechtler*innen

20 Odendahl, Kulturgüterschutz (wie Anm. 4), S. 112. 21 Toman, The Protection of Cultural Property (wie Anm. 9), S. 14. 22 Siehe den Entwurf eines Abkommens zum Schutz von Kulturgut im Krieg von Ernst Zitelmann, abgedruckt in: Ders., Der Krieg und die Denkmalpflege, in: Zeitschrift für Völkerrecht 10 (1917), S. 18 f. 23 Siehe den Abdruck in: Revue Générale de Droit International Public 26 (1919), La protection des monuments et objets historiques et artistiques contre les destructions de la guerre. Proposition de la Société néerlandaise d’archéologie, S. 329 ff. 24 Siehe Abdruck von Artikel 25 und 26 in: Toman, The Protection of Cultural Property (wie Anm. 9), S. 15 f.

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besteht Einigkeit,25 dass – wären diese Regeln von den Staaten als ein verbindliches Vertragswerk akzeptiert worden – einige der s­ päter erfolgten, verheerenden Flächenbombardements des Zweiten Weltkrieges hätten verhindert werden können. So war etwa geplant, besonders wertvolle Kulturgüter zu kennzeichnen und mit einem Schutzradius von 500 Metern zu versehen.26 Ein weiteres Dokument der Zwischenkriegsära war der von der Panamerikanischen Union 1935 abgeschlossene Vertrag über den Schutz von Kunst- und Wissenschaftsinstitutionen und geschichtlichen Monumenten, der sogenannte Roerich-Pakt.27 Inspiriert von Nicholas Roerich,28 insgesamt von 11 Staaten angenommen, ist dieser Vertrag bis heute in Kraft und hat nach vertretener Ansicht die „weitere Entwicklung auf d ­ iesem Gebiet 29 erheblich beeinflusst.“  Für Karl Josef Partsch lud der „Gedanke, für diese Materie ein besonderes Abkommen zu schließen (…), zur Nachahmung ein.“ 30 Andere Autor*innen zeigten sich etwas skeptischer.31 Das 1926 vom Völkerbund gegründete Internationale Museumsbüro (International Museums Office, IMO ), dessen Sekretariat bei dem Internationalen Institut für geistige Zusammenarbeit (Institut international de coopération intellectuelle, IICI) in Paris angesiedelt war,32 hatte 1938 einen neuen Entwurf für ein internationales Abkommen ausgearbeitet. Das 13 Artikel umfassende „Avant-projet de convention internationale pour la protection des monuments et œuvres d’art au cours des conflits armés“/„Preliminary Draft International Convention for the Protection of Historic Buildings and Works of Art in Time of 25 Siehe bereits Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz (wie Anm. 7), S. 269 m. w. N. 26 Dazu Odendahl, Kulturgüterschutz (wie Anm. 4), S. 113. 27 Treaty on the Protection of Artistic and Scientific Institutions and Historic Monuments (Roerich Pact). Washington, 15. 04. 1935, League of Nations, Treaty Series, Vol. CLXVII, 1936, No. 3874, S. 290 – 249; näher Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz (wie Anm. 7), S. 269 f. 28 Nicholas Roerich (ursprünglich russisch Nikolai Konstantinowitsch Rerich), geb. am 09. 10. 1874 in Sankt Petersburg, gest. 13. 12. 1947 in Kullu, Indien, war russischer Maler, Schriftsteller, Archäologe, Wissenschaftler, Reisender und Philosoph. Er wurde mehrfach für den Nobelpreis nominiert und entwarf die charakteristische Fahne, das „Banner des Friedens“ (roter Kreis mit drei Punkten in der Mitte auf weißem Grund), mit welchem die vom sogenannten Roerich-Pakt geschützten Institutionen, Sammlungen und Missionen gekennzeichnet werden sollten, siehe Deutsche Roerich-Gesellschaft e. V.: http://roerich-deutschland.de/nikolaj-roerich/ (Stand: 26. 07. 2020). 29 Karl Josef Partsch, Schutz von Kulturgut, in: Dieter Fleck (Hg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, München 1994, S. 306 – 326, hier S. 306. 30 Ebd. 31 Siehe Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz (wie Anm. 7), S. 270: „einige brauchbare Ansätze“; kritisch Odendahl, Kulturgüterschutz (wie Anm. 4), S. 116, die den fehlenden Schutz beweglicher Kulturgüter und das Fehlen eines effektiven Überwachungsmechanismus bemängelte. 32 UNESCO Archives AtoM Catalogue: https://atom.archives.unesco.org/international-museumsoffice-imo (Stand: 25. 07. 2020).

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War“ 33 trug die Handschrift von Charles de Visscher, ab 1946 Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag, dem höchsten Gericht der Vereinten Nationen. Geplant waren nicht nur „refuges“, also sichere Häfen für Kulturgut (Art. 4 und 6), sondern auch detaillierte Regelungen für die Überwachung der Umsetzung des Vertrages, etwa die Gründung eines Büros der Vertragsstaatenkonferenz. Dieser Entwurf wurde im September 1938 dem Völkerbund zur Annahme vorgelegt, doch machte der nahende Ausbruch des Zweiten Weltkrieges sämtliche K ­ odifikationsbemühungen 34 zunichte. Auch einer 1939 vom Internationalen Museumsbüro erstellten verkürzten Vertragsversion, der „Declaration on the Protection of Cultural Property in the Course of Armed Conflict“ (1939),35 blieb der Erfolg versagt.

3. Ein neuer Anlauf im Kulturgutschutz nach 1945 Angesichts des weitgehenden Scheiterns des Kulturgutschutzes im Zweiten Weltkrieg war man gewillt, nach 1945 einen neuen Anlauf zu unternehmen. Dies schrieb sich in die generelle Linie einer angestrebten „Humanisierung“ der internationalen Ordnung ein, wie sie auch in den Vereinten Nationen mit der Annahme der Charta der Vereinten Nationen (1945), der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) und der Völkermordkonvention (1948) Ausdruck fand. Die Entschlossenheit der internationalen Gemeinschaft, Gräueltaten wie die im Zweiten Weltkrieg künftig abzuwenden, prägte ganz offensichtlich die frühe Nachkriegszeit. Ein wichtiges Signal ging insofern von den in Nürnberg durchgeführten Prozessen gegen die Hauptkriegsverbrecher aus.

3.1 Die Prozesse des Internationalen Militärgerichtshofs Nürnberg Art. 6 lit. b des Statuts des Internationalen Militärgerichtshofes (IMG ) zählte zu den Kriegsverbrechen („war crimes“) ausdrücklich auch Verbrechen gegen Kulturgut. Genannt wurden „plunder of public or private property, wanton destruction of cities, towns or villages, or

33 Abgedruckt in: League of Nations, Official Journal 19 (1938), Sub-Appendix, S. 937 – 941. 34 Partsch, Schutz von Kulturgut (wie Anm. 29), S. 307; siehe auch Odendahl, Kulturgüterschutz (wie Anm. 4), S. 114 f.; Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz (wie Anm. 7), S. 271 f. 35 Abgedruckt in: Karl-Heinrich Buhse, Der Schutz von Kulturgut im Krieg, unter besonderer Berücksichtigung der Konvention zum Schutz des Kulturgutes im Falle eines bewaffneten Konflikts vom 14. Mai 1954, Hamburg 1959, Anlage I Entwurf des Internationalen Museumsbüros von 1933, S. 102 ff.; Anlage II Entwurf des Internationalen Museumsbüros von 1938 (1. Entwurf ), S. 104 ff.; Anlage III Fassung des Entwurfs von 1938, die den Kriegführenden nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zur Annahme vorgeschlagen werden sollte (2. Entwurf ), S. 113 ff.

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devastation not justified by military necessity; (…)“.36 Selbst wenn keine Urteile existieren, die sich ausschließlich auf Kulturgutverbrechen beziehen, so spielte der Kulturgutschutz in Nürnberg dennoch eine Rolle: Mehrere Urteile betrafen Kriegsverbrechen gegen Zivilisten und ihr Eigentum und schlossen Verbrechen gegen kulturelle Objekte ein. Zu nennen sind beispielsweise Verfahren, die Plünderungen in den baltischen Staaten behandelten.37 In dem Prozess gegen Alfred Rosenberg hatte die Anklage in „Anklagepunkt Drei“ die Verbrechen an öffentlichem und privatem Eigentum in den östlichen Ländern detailliert beschrieben und dabei den unfassbaren Umstand genannt, dass die Deutschen 427 Museen, 1670 griechisch-orthodoxe ­Kirchen, 237 römisch-katholische K ­ irchen und 532 Synagogen zerstört hatten.38 Rosenberg wurde in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen, zum Tode verurteilt und noch in Nürnberg 1946 hingerichtet.39

3.2 Die Gründung der UNESCO als Kulturorganisation im UN-System Der Ausbau des internationalen Kulturgutschutzes, wie er bereits unter den Auspizien des Völkerbundes begonnen hatte,40 wurde mit der Gründung der UNESCO fortgesetzt. Nachdem am 16. November 1945 37 Staatenvertreter in London die Verfassung der UNESCO unterzeichnet hatten, fand am 20. November 1946 die feierliche Eröffnung der ­Ersten UNESCO -Generalkonferenz in der Sorbonne im 5. Arrondissement von Paris statt. Die Gründungsdokumente der UNESCO zeugen von den Erfahrungen des Krieges und des Totalitarismus. Die Staaten verliehen ihrer Entschlossenheit Ausdruck, aufgrund der Kriegserfahrungen „Bollwerke des Friedens im Geiste der Menschen“ errichten zu wollen.41

36 Siehe Charter of the International Military Tribunal, Agreement by the Government of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, the Government of the United States of America, the provisional Government of the French Republic and the Government of the Union of Soviet Socialist Republic for the Prosecution and Punishment of the Major War Criminals of the European Axis, London, 08. 08. 1945, 82 UNTS 279, S. 284. 37 Trial of the Major War Criminals before the International Military Tribunal, Nuremberg 14 November 1945 – 1 October 1946, Vol. 1, (E) Plunder of Public and Private Property, S. 55 – 60. 38 Ebd., S. 59 f. 39 Trial of the Major War Criminals before the International Military Tribunal, Nuremberg 14 November 1945 – 1 October 1946, Proceedings 17 December 1945 – 8 January 1946, Vol. I, S. 293 ff. und S. 365 f. 40 Siehe oben 2.3. 41 Satzung, Präambel, Abs. 1: „The Governments of the States Parties to this Constitution on behalf of their peoples declare: That since wars begin in the minds of men, it is in the minds of men that the defences of peace must be constructed; (…).“ Deutsche Übersetzung: „Die Regierungen der Vertragsstaaten dieser Satzung erklären im Namen ihrer Völker, daß, da Kriege im Geist der M ­ enschen

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Um ­dieses seitdem oft zitierte Ziel zu verwirklichen, erhielt die UNESCO von der Staatengemeinschaft gemäß Art. I Abs. 2 der Verfassung das Mandat, „Kenntnisse zu bewahren, zu vertiefen und zu verbreiten, und zwar durch internationale Abkommen zur Erhaltung und zum Schutz des Erbes der Welt an Büchern, Kunstwerken und Denkmälern der Geschichte und Wissenschaft, durch die Förderung der internationalen Zusammenarbeit in allen Bereichen des geistigen Lebens (…)“.

Wie Klaus Hüfner betonte, war es diese „ideelle Leitidee“, die die Hoffnung auf die „Erziehung und Bildung zum idealen Menschen als grundlegende Voraussetzung zur Sicherung des Weltfriedens zum Ausdruck bringt.“ 42 Auf Initiative der Niederlande hat die 4. UNESCO -Generalkonferenz in Paris im Februar 1949 die Resolution 6.42 angenommen, in der die Notwendigkeit betont wurde, „all objects of cultural value, particularly those kept in museums, libraries and archives“ 43 gegen die absehbaren Folgen eines bewaffneten Konflikts zu s­ chützen. Im Nachgang zu dieser Resolution und in enger Konsultation mit dem International Council of Museums (ICOM ) veranlasste das UNESCO -Sekretariat eine Studie,44 die das Bemühen erkennen ließ, neben unmittelbaren Schutzvorschriften für Kulturgut auch Präventionsmaßnahmen und strafrechtliche Ahndungspflichten zu etablieren. 45 Einzelheiten wurden auf der 5. UNESCO -Generalkonferenz in Florenz 1950 behandelt. Dort wurde bereits ein Entwurf für eine internationale Konvention präsentiert, der im Wesentlichen an die Vorschläge des International Museum Office aus dem Jahre 1938 anknüpfte. 46 Nunmehr schien die Zeit reif, den UNESCO -Generaldirektor zu ermächtigen, einen Vertragsentwurf vorzulegen und den Mitgliedstaaten zu unterbreiten.47 Im Rahmen der im April 1954

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46 47

entstehen, auch die Bollwerke des Friedens im Geist der Menschen errichtet werden müssen; (…).“ BGBl 1971 II, S. 471 – 487. Klaus Hüfner, UNESCO im Überblick. Entstehungsgeschichte, in: Ders./Wolfgang Reuther (Hg.), UNESCO-Handbuch, Bonn 2005, S. 15 – 44, hier S. 15. Resolution 6.42, Records of the General Conference of the United Nations Educational Scientific and Cultural Organization, Fourth Session, Resolutions, Paris 1949, S. 28. UNESCO, „Measures for Ensuring the Co-operation of Interested States in the Protection, Preservation and Restoration of Antiquities, Monuments and Historic Sites; and Possibility of Establishing an International Fund to Subsidize Such Preservation and Restoration“, UNESCO Doc. 5C/PRG/6, 27. 03. 1950. Näher Historical Note, concerning the Draft Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict (1), Document CL/717, Annex, Intergovernmental Conference on the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, The Hague 1954, 21 April–12 May, S. 5, Ziff. 12. Siehe dazu Toman, The Protection of Cultural Property (wie Anm. 9), S. 22. Siehe den an die Mitgliedstaaten versandten Entwurf, UNESCO Doc. CL/484, März 1951.

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erneut in Den Haag einberufenen Internationalen Konferenz 48 fanden im Kreise von insgesamt 56 Parteien unter niederländischem Vorsitz intensive Vertragsverhandlungen auf Staatenebene statt.49 Nachdem es gelungen war, zahlreiche umstrittene Fragen in zwei unterschiedlichen Gremien, einer Arbeitsgruppe und einem Rechtsausschuss, zu klären, konnte am 14. Mai 1954 die neue Kulturgutkonvention mitsamt den Ausführungsbestimmungen 50 und dem ­Ersten Protokoll  51 von 37 Staaten verabschiedet werden. Die Bundesrepublik Deutschland hat die Haager Konvention 13 Jahre nach ihrer Verabschiedung am 11. August 1967 ratifiziert.52 Heute gehören dem Vertrag 133 Staaten an.53 Hinzuweisen ist auf den erfreulichen Umstand, dass die Beitrittswelle bis zum heutigen Tag ungebrochen anhält.54 Die Haager Konvention umfasst mehrere innovative Einzelregelungen, wie der folgende Überblick zeigt.

48 Siehe die Intergovernmental Conference on the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, Records of the Conference convened by the United Nations Educational Scientific and Cultural Organization, held at the Hague from 21 April to 14 May 1954. 49 Siehe Helmut Strebel, Die Haager Konvention zum Schutz der Kulturgüter im Fall eines bewaffneten Konfliktes vom 14. Mai 1954, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 16 (1955/56), S. 35 – 75, hier S. 44 ff.; siehe auch Toman, The Protection of Cultural Property (wie Anm. 9), S. 23 ff. 50 Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict with Regulations for the Execution of the Convention, 14. 05. 1954, 249 UNTS 215. 51 Protocol to the Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, 14. 05. 1954, 249 UNTS 358, mit 110 Vertragsstaaten (Stand: Okt. 2019), siehe UNESCO, Protocol to the Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict. The Hague, 14. 05. 1954, States Parties: http://www.unesco.org/eri/la/convention.asp?KO =15391&language=E (Stand: 26. 07. 2020). 52 Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten vom 14. 05. 1954, BGBl. 1967 II , S. 1233. 53 Stand: Oktober 2019, siehe UNESCO, Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict with Regulations for the Execution of the Convention 1954, States Parties: http://www.unesco.org/eri/la/convention.asp?KO=13637&language=E (Stand: 26. 07. 2020). 54 Zuletzt beigetreten sind Turkmenistan (22. 01. 2018), Djibouti (09. 04. 2018), Irland (17. 05. 2018), Togo (24. 01. 2017), UK (12. 09. 2017), Afghanistan (26. 10. 2017). Unter anderem fehlen Staaten wie Algerien, Bhutan, Burundi, Demokratische Republik Kongo, Gambia, Guinea-Bissau, Haiti, Island, Kenia, Kongo, Liberia, Malta, Mosambik, Namibia, Nepal, Philippinen, Sierra Leone, Somalia, Südkorea, Südsudan, Tansania, Uganda, Vereinigte Arabische Emirate, Vietnam, Sambia und die Zentralafrikanische Republik, sodass ihre Ratifikation dringlich erscheint.

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3.3 Neuerungen der Haager Konvention und des Ersten Protokolls (1954) Als neu konnte zum damaligen Zeitpunkt (1) die detaillierte Erfassung der Schutzobjekte gelten. Art. 1 lit. a HK enthält eine nicht abschließende Aufzählung, eingeschlossen Bau-, Kunst- oder geschichtliche Denkmale kirchlicher oder weltlicher Natur, Kunstwerke und Kultstätten sowie archäologische Stätten und Sammlungen. Damit sind bewegliche oder unbewegliche Güter ohne Rücksicht auf Herkunft und Eigentumsverhältnisse erfasst, voraus­ gesetzt, sie sind für das kulturelle und geistige Erbe aller Völker – also nicht nur regional oder national – von großer Bedeutung. Daneben sind sogenannte mittelbare Objekte 55 geschützt, die Kulturgüter enthalten, etwa Museen, Bibliotheken, Archive, Bergungsorte und Denkmalsorte. Diese werden in der Regel in Listen, die bei den Kommandobehörden verfügbar sind, geführt. Ebenfalls als neu galt (2) die erstmalige verbindliche Differenzierung z­ wischen zwei verschiedenen Schutzregimen: einem allgemeinen Schutz für Objekte, die „für das kulturelle Erbe aller Völker von großer Bedeutung“ sind (Art. 1 – 7 HK), und einem davon abgesetzten, lediglich für einen engeren Kreis von Objekten geltenden „Sonderschutz“ (Art. 8 – 11 HK). Unter Sonderschutz können lediglich Bergungsorte (Art. 1 lit. b HK), Denkmalsorte (Art. 1 lit. c HK) sowie unbewegliche Kulturgüter von sehr „hoher Bedeutung“ (Art. 8 HK) gestellt werden. In den Ausführungsbestimmungen, die einen integralen Bestandteil des Vertragswerkes bilden, ist zudem vorgesehen, dass auch nach Ausbruch eines bewaffneten Konflikts „improvisierte Bergungsorte“ eingerichtet werden können,56 was den Vertragsstaaten hinreichend Flexibilität bietet. Im Wege der Eintragung in das bei der UNESCO geführte Internationale Register kann normativ eine Unverletzlichkeit der Kulturgüter unter Sonderschutz begründet werden (Art. 8 Abs. 6 HK). Für die Gewährleistung des Sonderschutzes muss auf die ausreichende Entfernung des Schutzobjektes von wichtigen militärischen Zielen (wie einer Rüstungsfabrik, Bahnhof, Flugplatz) geachtet werden 57 sowie darauf, dass es nicht zu militärischen Zwecken genutzt wird (Art. 8 Abs. 1 lit. b HK). Eine Nutzung zu militärischen Zwecken ist grundsätzlich untersagt, auch bereits in Friedenszeiten.58 Eine Freistellung von Schutzpflichten ist anders als beim allgemeinen Schutz nicht bereits bei einer „zwingenden“ Notwendigkeit möglich, sondern lediglich in den Ausnahmefällen einer „unausweichlichen“ militärischen Notwendigkeit.

55 Partsch spricht von mittelbaren Kulturgütern, siehe Partsch, Schutz von Kulturgut (wie Anm. 29), S. 311. 56 Art. 11 „Improvised Refuges“, Regulations for the Execution of the Convention, 14. 05. 1954, 249 UNTS 270. 57 Siehe aber die im Zweiten Protokoll vom 26. 03. 1999 zur Haager Konvention vom 14. 05. 1954 zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten (BGBl. 2009 II, S. 716) vorgenommenen Änderungen an den Kriterien für den nunmehrigen „verstärkten Schutz“, ebd. Art. 10 und 11. 58 Partsch, Schutz von Kulturgut (wie Anm. 29), S. 309.

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Zudem wurden (3) neue Kennzeichnungsregelungen für Kulturgut unter allgemeinem Schutz (Art. 6, 16, 17 Abs. 2 lit. c HK , und Art. 21 Abs. 1, Ausführungsbestimmungen) sowie für Kulturgüter und Transporte unter Sonderschutz (Art. 12, 13 HK) angenommen. Daneben profitieren auch improvisierte Bergungsorte (Art. 11 Ausführungsbestimmungen) und Denkmalsorte unter Sonderschutz samt Umkreis (Art. 20 Abs. 2 lit. a) Ausführungsbestimmungen) von den Bestimmungen zur Kennzeichnung. Eine verbindliche Pflicht zur Kennzeichnung betrifft lediglich Objekte unter Sonderschutz; gemäß Art. 6 HK ist die Kennzeichnung von Kulturgut ansonsten grundsätzlich optional: „As distinctive marking of property is not compulsory, it is not a condition for the respect of cultural property.“ 59 Zusätzlich wurde (4) Transportgut gegen Beschlagnahme geschützt (Art. 14 HK).60 Dabei ist allerdings festzustellen, dass die Transportregelungen aufgrund der Art der Normierung in der Praxis wenig Aussicht auf Erfolg besaßen: Art. 12 HK betraf lediglich die Verlagerung von Kulturgut unter Sonderschutz, wobei s­ olche Transporte durch den vom UNESCO-Generaldirektor ernannten (vgl. Art. 2 – 10 Ausführungsbestimmungen) Generalkommissar für Kulturgut zu genehmigen wären; dieser wiederum muss im Benehmen mit den Delegierten der Schutzmächte handeln – ein System, das heute weitgehend als überholt gilt.61 Darüber hinaus ist anzumerken, dass soweit in dringenden Fällen besonders wertvolles Kulturgut ohne Sonderschutzstatus geschützt werden soll, eine Verpflichtung zur Schonung greift (Art. 13 HK). Realitätsfern erscheint allerdings, dass der Gegner vorab zu unterrichten ist. Angesichts der zu beobachtenden Härte des modernen Kriegsgeschehens erscheint es wenig aussichtsreich, auf diese Weise eine Schonung von Transporten erreichen zu wollen. Daneben finden sich (5) einige Spezialregelungen für den Fall der Besetzung, denn die Gefahr feindseliger Handlungen gegen Kulturgut ist in diesen Fällen besonders groß. Gemäß Art. 5 Abs. 3 HK wird nunmehr erstmals die Fallkonstellation eines nicht internationalen bewaffneten Konflikts 62 in dem internationalen Regelwerk berücksichtigt, sofern die Regierung einer Vertragspartei von den Angehörigen einer Widerstandsbewegung als ihre legitime Regierung angesehen wird. Dann hat diese Regierung die Angehörigen auf ihre Verpflichtung hinzuweisen, Kulturgut zu respektieren.63 Gemäß Art.  4 Abs.  3 der Haager Konvention sind Diebstahl, Plünderung und andere widerrechtliche Inbesitznahme sowie Beschlagnahme von Kulturgut verboten. 59 Toman, The Protection of Cultural Property (wie Anm. 9), S. 90. 60 Als beispielgebend für die Regelungen zum Transport von Kulturgut in Art. 12 – 14 der Haager Konvention gelten die Bestimmungen in den Genfer Abkommen von 1949, die Sanitätstransporte betreffen, explizit Partsch, Schutz von Kulturgut (wie Anm. 29), S. 321. 61 Siehe Sabine von Schorlemer, Kulturgutzerstörung. Die Auslöschung von Kulturerbe in Krisenländern als Herausforderung für die Vereinten Nationen, Baden-Baden 2016, S. 795 ff. 62 Näher zu der Problematik interner Konflikte siehe unten 4.2. 63 „Wenn eine Widerstandsbewegung einen Teil des Hoheitsgebietes der Vertragspartei, in dem sie selbst lebt, kontrolliert, ist dies nicht als ‚Besetzung‘ im Sinne des Art. 5 der Konvention in Betracht gezogen“, Partsch, Schutz von Kulturgut (wie Anm. 29), S. 320.

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­ erletzungshandlungen sind gemäß Art. 28 straf- oder disziplinarrechtlich zu ahnden.64 V Roger O’Keefe betont, dass Artikel 4 Abs. 3 sowohl auf „belligerent occupation“ als auch auf „active hostilities“ anwendbar ist.65 Eine Besatzungsmacht hat in jedem Fall die Pflicht, die Behörden des besetzten Landes so weit wie möglich zu unterstützen (Art. 5 Abs. 1 HK), und falls diese zur Erhaltung von beschädigten Objekten nicht in der Lage sind, gegebenenfalls selbst das Notwendige zu veranlassen. Bedeutsam sind für Fälle der Besetzung daneben die im E ­ rsten Protokoll von 1954 vorgenommenen Ergänzungen zu den Konventionsvorschriften. Man hatte sich offenbar gezwungen gesehen, zusätzlich ein eigenständiges, ratifikationsbedürftiges Protokoll zu verabschieden.66 Ursächlich dürften Bedenken im Zusammenhang mit den unterschiedlichen Gutglaubensregelungen der nationalen Rechtsordnungen gewesen sein.67 In einem Rundschreiben hatte der UNESCO-Generaldirektor in der Schlussphase der Verabschiedung der Konvention darauf hingewiesen, dass bestimmte Transfers lediglich unter nationales Recht fallen und so den nationalen Regularien der Vertragsstaaten unterworfen sind: „Le cas de changement de maître sur le territoire national, sans exportation, relève exclusivement des législations nationales.“ 68 Ein individuell zu ratifizierendes, von der Konvention abgetrenntes Protokoll erschien den Verhandlungsführern insofern besser geeignet als eine Verankerung der komplexen, auch nationale Rechtsfragen betreffenden Restitutionspflichten in der Konvention selbst, da man deren zügige Annahme nicht gefährden wollte. Die Protokollregeln sehen nunmehr vor, dass die Ausfuhr von Kulturgut aus einem besetzten Gebiet von der Besatzungsmacht zu verhindern ist (Ziff. I (1)). Falls Kulturgut dennoch in einen Drittstaat gelangt, ist dieser verpflichtet, es seinerseits unter Schutz zu stellen (Ziff. I (2)). In jedem Fall ist rechtswidrig ausgeführtes Kulturgut nach Ende der Feindseligkeiten 64 Ebd., S. 314. 65 Roger O’Keefe, Protection of Cultural Property, in: Dieter Fleck/Michael Bothe (Hg.), The Handbook of International Humanitarian Law, 3. überarb. Aufl., New York 2013, S. 425 – 462, hier S. 453, Ziff. 923 (3). 66 Näher Stanislaw E. Nahlik, On Some Deficiencies of the Hague Convention on the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, in: Annuaire d’Association des auditeurs et anciens auditeurs de l’Académie de droit international de La Haye 44 (1974), S. 100 – 108, hier S. 106 f. 67 Die Auslagerung von Restitution in das separate Erste Protokoll wurde im Wesentlichen durch die Anmerkungen des „International Institute for the Unification of Private Law on the Restitution of Cultural Property“ angeregt. Für eine Zusammenfassung der Genese siehe UNESCO, Historical Note concerning the Draft Convention for the Protection of the Cultural Property in the Event of Armed Conflict, CBC/7, Paris, 01. 03. 1954, S. 1; UNESCO, Remarks of the International Institute for the Unification of Private Law on the Restitution of Cultural Property Which Has Changed Hands during a Military Occupation, CBC/6, Paris, 05. 03. 1954. 68 UNESCO, Objet: Projet de Convention pour la protection des biens culturels en cas de conflit armé, Generaldirektor Taylor John W., CL/717 Annex, Paris, 05. 02. 1954, S. 49.

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an die Behörden des früher besetzten Gebietes zurückzugeben (Ziff. I (3)) und gutgläubige Erwerber sind von der ehemaligen Besatzungsmacht zu entschädigen (Ziff. I (4)).69 Ein Beispiel hierfür ist die Verfahrensweise nach dem Zweiten Golf-Krieg. So wurden während dieser Zeit zahlreiche Objekte aus dem Kuwait National Museum entwendet und in den Irak verbracht. Unter der Mithilfe von UNESCO kam es zur Vermittlung z­ wischen den beiden Parteien Kuwait und Irak, um eine Rückgabe der Objekte zu erzielen.70 Auch gab der Irak an, dass Tausende von Objekten während der Intervention und in der Folgezeit aus kleineren Museen entwendet wurden. Die irakischen Behörden hatten daraufhin einen vierbändigen Katalog erstellt und diesen bei der UNESCO hinterlegt. Sobald ein Objekt aus ­diesem Katalog bei einem der Vertragsstaaten des ­Ersten Protokolls identifiziert wird, greifen die Vertragsverpflichtungen des Protokolls zur Rückgabe solcher Objekte.71

3.4 Zwischenergebnis: Fokus „Kulturerbe der Menschheit“ Festzustellen ist, dass mit der unter der Ägide der UNESCO verabschiedeten Konvention zum Schutz von Kulturgut im bewaffneten Konflikt von 1954 in Bezug auf die künftigen kulturgüterrechtlichen Verantwortlichkeiten weitgehend Neuland betreten wurde. Traditionell kannte das Völkerrecht keine internationale Pflicht, Kulturgüter im Interesse der 69 Siehe dazu Talia Einhorn, Restitution of Archaeological Artifacts. The Arab-Israeli Aspect, in: International Journal of Cultural Property 5 (1996), S. 133 – 153. Zum Spannungsverhältnis durch die Aufnahme Palästinas siehe David Kaene/Valentina Azarov, UNESCO, Palestine and Archaeology in Conflict, in: Denver Journal of International Law & Policy 41 (2013), S. 323 – 326. 70 UNESCO, Fighting the Illicit Trafficking of Cultural Property. A Toolkit for European Judiciary and Law Enforcement, Paris 2018, S. 22 f.: „During the First Gulf War, the National Museum of Kuwait was invaded and several artefacts were taken to Iraq. The Kuwaiti authorities notified UNESCO of the removal from their territory of a vast number of cultural objects and requested UNESCO to assist in their recovery. On 2 March 1991, the UNSC adopted Resolution 686 (1991), which demanded that Iraq ‚immediately begin to return all Kuwaiti property seized by Iraq; the return to be completed in the shortest possible period‘. Cultural objects from Kuwait National Museum and Dar-Al-Athar-Islammiyya were returned to Kuwait by the Iraqi authorities between 14 September and 20 October 1991. It is worth noting that during the war both Iraq and Kuwait were High Contracting Parties to the 1954 Hague Convention as well as to its First Protocol. In 1998, Iraq was obliged by the UNSC to pay nearly US$19 million to a Kuwaiti collector for the pillaging of his collection by occupying Iraqi forces“. Siehe hierzu auch United Nations Security Council, Resolution 686, 02. 03. 1991 und United Nations Secretary-General, Thirty-fourth report of the Secretary-General pursuant to paragraph 14 of resolution 1284 (1999), UN Dok. S/2012/931, 14. 12. 2012. 71 Lyndel V. Prott, The Protocol to the Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict (The Hague Convention) 1954, in: Humanitäres Völkerrecht Informations­ schriften 6 (1993), S. 191 – 194, hier S. 193.

Von der „Stunde Null“ zur Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut  I  65

„Menschheit“ zu ­schützen. Nicht bindende Vorgängerregelungen, etwa auch die vom Internationalen Museumsbüro 1938/39 entwickelten Entwürfe für eine internationale Konvention zum Schutz von Kulturgut, hatten indes bereits den Ansatz verfolgt, dass Kulturgüter zu ­schützen die Aufgabe der „internationalen Gemeinschaft“ sei.72 Nunmehr jedoch wurde weitergehend die Überzeugung formuliert, dass „jede Schädigung von Kulturgut, gleichgültig welchem Volke es gehört, eine Schädigung des kulturellen Erbes der ganzen Menschheit bedeutet.“ 73 Die „Erhaltung des kulturellen Erbes für alle Völker der Welt“ sei von großer Bedeutung, sodass es „wesentlich“ sei, „dieses Erbe unter internationalen Schutz zu stellen.“ 74 Wie Kerstin Odendahl hervorhob, „brach“ die Haager Konvention insofern mit allen ihren Vorläufern, als sie nunmehr auch der internationalen Gemeinschaft eine eigene Verantwortung zuwies. Dies war früher anders geregelt: „In allen Vorgängerkonventionen wurde Kulturgut als ein rein nationales Gut angesehen, für dessen Schutz allein der jeweilige Belegenheitsstaat verantwortlich war. Dieser entschied nicht nur, welches Kulturgut zu s­ chützen war, sondern auch, ob er durch eine (erlaubte) militärische Nutzung kulturell wertvoller Gebäude oder durch eine Verteidigung historischer Ortschaften diese der Zerstörung preisgab.“ 75

James A. R. Nafziger zufolge suchten die Urheber der Haager Konvention auf diese Weise einen breiteren, die Erlebnisse des E ­ rsten und Zweiten Weltkrieges berücksichtigenden Ansatz zu verfolgen.76 Um eine Wiederholung der Gräuel der vorangegangenen Weltkriege auf dem Feld der Kulturgüter in Zukunft zu vermeiden, schien es den Verfassern der Haager Konvention angeraten zu sein, das künftige Schutzregime auf eine breitere, die internationale Gemeinschaft einbeziehende Grundlage zu stellen. Ähnlich formulierte es Jiří Toman: „The concern for such protection thus transcends the borders of a single state and becomes a matter of international importance.“ 77

72 Siehe Art. 5, 6, 7 und 12 des 1938 ausgearbeiteten „Avant-projet de convention internationale pour la protection des monuments et œuvres d’art au cours des conflits armés“, abgedruckt bei Buhse, Der Schutz von Kulturgut (wie Anm. 35). 73 Präambel Abs. 2 HK. 74 Präambel Abs. 3 HK. 75 Odendahl, Kulturgüterschutz (wie Anm. 4), S. 118; siehe auch Schorlemer, Kulturgutzerstörung (wie Anm. 61), S. 214. 76 James A. R. Nafziger, The Present State of Research Carried Out by the English-Speaking Section of the Centre for Studies and Research, in: Académie de Droit International de La Haye 2005; Ders., Le patrimoine culturel de l’humanité/The Cultural Heritage of Mankind, Leiden/Boston 2008, S. 229. 77 Toman, The Protection of Cultural Property (wie Anm. 9), S. 24.

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Das zu schützende Kulturgut wurde nicht länger alleine der Territorialgewalt des Belegen­ heitsstaates anheimgestellt,78 sondern parallel dazu der „Menschheit“ – und damit dem Schutz der internationalen Gemeinschaft – überantwortet. Im Ergebnis konnte mit dem Konzept des Kulturerbes der Menschheit die legitimatorische Basis für Schutzmaßnahmen zugunsten von Kulturgütern als zivile Objekte verbreitert werden.79 Diesen Ansatz generell im internationalen Kulturgüterrecht, nicht nur hier, sondern auch in den nachfolgenden Kulturkonventionen 80 verankert zu haben, ist ein wesentliches Verdienst der UNESCO.81

4. „It’s a long way“: Universeller Kulturgutschutz und Reformansätze Die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut im Falle eines bewaffneten Konflikts (1954) stellt zweifelsohne einen Durchbruch für das im bewaffneten Konflikt anwendbare internationale Kulturgüterrecht dar: Zum ersten Mal gelang es der Staatengemeinschaft, ein bindendes, ausschließlich Kulturgut betreffendes Abkommen zu schließen, und zwar sowohl für wertvolle bewegliche als auch unbewegliche Objekte. Unter anderem wurde der Umstand, Kulturgut auch weiterhin unter Berufung auf „militärische Notwendigkeit“ angreifen zu können, als eine deutliche Schwäche des g­ esamten 78 Näher siehe Strebel, Die Haager Konvention zum Schutz der Kulturgüter (wie Anm. 49), S. 50; Michael Kilian, Kriegsvölkerrecht und Kulturgut. Die Bemühungen um den Schutz der Kulturgüter bei bewaffneten Auseinandersetzungen, in: Neue Zeitschrift für Wehrrecht 25 (1983), S. 41 – 57, hier S. 52; Walter Rudolf, Über den internationalen Schutz von Kulturgütern, in: Kay Hailbronner/ Georg Ress/Torsten Stein (Hg.), Staat und Völkerrechtsordnung. Festschrift für Karl Doehring, Berlin/Heidelberg 1989, S. 853 – 872, hier S. 861; Matthias Herdegen, Der Kulturgüterschutz im Kriegsvölkerrecht, in: Rudolf Dolzer/Erik Jayme/Reinhard Mußgnug (Hg.), Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. 06. 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, Heidelberg 1994, S. 161 – 173, hier S. 166. 79 Schorlemer, Cultural Heritage Law (wie Anm. 7), S. 139. 80 Siehe Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt von 1972 (Convention concerning the Protection of the World Cultural and Natural Heritage), 1037 UNTS 151; BGBl. 1977 II, S. 213 (in Kraft getreten am 17. 12. 1975, nach Artikel 33) [193 Ratifikationen, Stand: 30. September 2019]; Konvention zum Schutz des Kulturerbes unter Wasser von 2001 (Convention on the Protection of Underwater Cultural Heritage), ILM 41 (2002), (in Kraft getreten am 02. 01. 2009, nach Artikel 27) [61 Ratifikationen, Stand: 30. 09. 2019], Deutschland hat das Übereinkommen noch nicht ratifiziert; Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes von 2003 (Convention for the Safeguarding of the Intangible Cultural Heritage), 2368 UNTS 3, BGBl. 2013 II, S. 1009 (in Kraft getreten am 20. 04. 2006, nach Artikel 34) [178 Ratifikationen, Stand: 30. 09. 2019]. 81 Explizit Francesco Francioni, A Dynamic Evolution of Concept and Scope. From Cultural Property to Cultural Heritage, in: Abdulqawi A. Yusuf (Hg.), Standard-Setting at UNESCO, Bd. 1. Normative Action in Education, Science and Culture, Paris/Leiden 2007, S. 221 – 236, hier S. 222; siehe auch Schorlemer, Kulturgutzerstörung (wie Anm. 61), S. 213.

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Vertragswerkes gesehen. Die Möglichkeit, im Rahmen einer für den Kulturgutschutz designierten Konvention nach den Vorschriften der Konvention und den Kriterien für die militärische Notwendigkeit Kulturgut zu zerstören, schien nicht vereinbar mit dem Sinn und Zweck der Konvention.82

4.1 Entstehungskontext des Zweiten Protokolls (1999) Die zahlreichen in den 1990er Jahren auf dem Territorium der ehemaligen Republik Jugosla­ wien begangenen Verbrechen an kulturellen Objekten und Gebäuden nährten die Skepsis an der Validität der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut im bewaffneten Konflikt (1954). So entschloss man sich seitens der UNESCO, zunächst eine Evaluierung durchzuführen, in deren Rahmen mehrere Empfehlungen ausgearbeitet wurden („Boylan Report“).83 Die Einschätzung war, dass nicht etwa der corpus iuris, also der geltende Normbestand im Kulturgüterrecht defizitär sei, sondern dass wesentliche Probleme der Anwendung des Vertrages und der compliance auf Staatenebene bestünden. In einer Passage des Berichts drängte Patrick Boylan zudem darauf, dass ein verändertes Bewusstsein geschaffen werden müsse, gerade auch was das Kulturerbe von Minderheiten angehe: „Consequently, it is most important that all parties take urgent action to increase understanding of, and respect for, the culture, symbols and values of all peoples, especially of minority peoples.“ 84

Diese Forderung ist angesichts fortgesetzter Kulturverbrechen an Minderheiten und indigenen Völkern, bis hin zu „kulturellem Genozid,“ 85 zweifelsohne bis zum heutigen Tag hochaktuell. 82 Nahlik, On Some Deficiencies (wie Anm. 66), S. 103 ff.; auch dazu Maja Seršić, Protection of Cultural Property in Time of Armed Conflict, in: Netherlands Yearbook of International Law 27 (1996), S. 3 – 38. Näher siehe unten 4.5. 83 Patrick J. Boylan, Review of the Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict (The Hague Convention 1954), UNESCO Doc. CLT-93/WS/12 (1993): http:// unesdoc.unesco.org/images/0010/001001/100159eo.pdf (Stand: 26. 07. 2020). 84 Boylan Report, ebd. S. 8. In dem die UNESCO betreffenden Empfehlungsteil wurde folglich auf die Bedeutung der umfassenden Ratifikation seitens der Staaten hingewiesen und angemahnt, die Inhalte der Haager Konvention bekannter zu machen und deren Einhaltung, etwa durch die Einsetzung von Special Representatives des UNESCO-Generaldirektors, die Zusammenarbeit mit relevanten Nichtregierungsorganisationen und mediale Präsenz zu stärken, siehe ebd., S. 9 ff. 85 Thomas G. Weiss, Cultural Cleansing and Mass Atrocities. Protecting Cultural Heritage in Armed Conflict Zones, in: J. Paul Getty Trust Occasional Papers in Cultural Heritage Policy 1 (2017); Edward C. Luck, Cultural Genocide and the Protection of Cultural Heritage, in: J. Paul Getty Trust Occasional Papers in Cultural Heritage Policy 2 (2018).

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Des Weiteren erörterte der Evaluationsbericht der UNESCO die Möglichkeit, ein Zusatzprotokoll zur Haager Konvention auszuarbeiten,86 ein Ansatz, der mit der Verabschiedung des sogenannten Lauswolt Dokuments 87 weiter gefestigt wurde. Das „Zweite Protokoll zur Haager Konvention vom 14. Mai 1954 zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten“ (Second Protocol, SP) wurde schließlich am 26. März 1999 verabschiedet und trat fünf Jahre ­später, am 9. März 2004, in Kraft.88 Ihm gehören zum heutigen Tag 82 Staaten an.89 Durch die Verabschiedung des Zweiten Protokolls sollten „Maßnahmen verstärkt und deren Durchführung ergänzt werden und zugleich der Grundsatz bekräftigt werden, dass die Sätze des Völkergewohnheitsrechts weiterhin für Fragen gelten, die in ­diesem Protokoll nicht geregelt sind“.90 Die wichtigsten Reformbereiche ­seien im Folgenden skizziert.

4.2 Die Ausweitung des Geltungsbereichs kulturgutschützender Regeln auf interne Konflikte Einen entscheidenden Teilfortschritt für die weitere Entwicklung des völkerrechtlichen Kulturgutschutzes stellt seine Anwendung nicht nur auf internationale bewaffnete Konflikte – also Kriege z­ wischen Staaten –, sondern auch auf interne Konflikte, wie Bürgerkriegs­ situationen, dar. Hatte das Haager Abkommen von 1954 in internen Konflikten im Wesentlichen lediglich eine Respektierungspflicht für Kulturgut unter allgemeinem Schutz vorgesehen (Art. 19 und Art. 4 HK), so setzten in den folgenden Jahren Bemühungen ein, das völkerrechtliche

86 Patrick. J. Boylan, Review of the Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict (The Hague Convention 1954), UNESCO Doc. CLT-93/WS/12 (1993), S. 143 ff. 87 „The Second Expert Meeting on the 1954 Hague Convention for the Protection of Cultural ­Property in the Event of Armed Conflict“, Lauswolt, The Netherlands, 9 – 11 February 1994. Revised Document: „Draft Provisions for the Revision of the 1954 Hague Convention and Commentary from the UNESCO Secretariat“, Doc. CLT-97/CONF.208/2, Paris, October 1997. 88 Second Protocol to the Hague Convention of 1954 for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, vom 26. 03. 1999, 2253 UNTS 172; BGBl. 2012 II, S. 54. Näher Jean-Marie Henckaerts, New Rules for the Protection of Cultural Property in Armed Conflict. The Significance of the Second Protocol to the 1954 Hague Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, in: International Review of the Red Cross 81 (835) (1999), S. 593 – 620; Christophe N. Eick, Verstärkter Schutz von Kulturgut in bewaffneten Konflikten. Das Zweite Protokoll zur Haager Konvention von 1954, in: Humanitäres Völkerrecht 3 (1999), S. 143 – 147; ErnstRainer Hönes, Schutz von Kulturgut als internationales Problem. 100 Jahre Haager Konventionen, in: Neue Zeitschrift für Wehrrecht 44 (2002), S. 19 – 33, hier S. 33 f. 89 Official List of States Parties to the 2nd Protocol: http://www.unesco.org/eri/la/convention. asp?KO=15207&language=E (Stand: 26. 07. 2020). 90 Hönes, Schutz von Kulturgut (wie Anm. 88), S. 34.

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Schutzregime generell für nicht internationale Konflikte auszubauen. So fanden Regelungen zum Kulturgutschutz im nicht internationalen Konflikt beispielsweise Eingang in das Zweite Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (8. Juni 1977),91 also einem wesentlichen Abkommen des humanitären Völkerrechts. Dessen Art. 16 sieht vor: „Unbeschadet der Bestimmungen der Haager Konvention vom 14. Mai 1954 zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten ist es verboten, feindselige Handlungen gegen geschichtliche Denkmäler oder Kultstätten zu begehen, die zum kulturellen oder geistigen Erbe der Völker gehören, und sie zur Unterstützung des militärischen Einsatzes zu verwenden.“

Noch einen Schritt weiter ging, über zwei Jahrzehnte s­ päter, das von der UNESCO auf den Weg gebrachte kulturgutschützende Zweite Protokoll zur Haager Konvention (1999). Dieses ist nunmehr zur Gänze auf interne Konflikte anwendbar. Art. 22 Abs. 1 SP sieht vor: „Dieses Protokoll findet im Fall eines bewaffneten Konflikts, der keinen internationalen Charakter hat und im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei stattfindet, Anwendung.“ Das bedeutet, wie Toman in seinem Kommentar unmissverständlich klarstellte, einen Fortschritt: „The Protocol applies in toto, that is, with all its provisions, to situations of non-international armed conflict.“ 92 Diese den Anwendungsbereich der Haager Konvention erweiternde Regelung erweist sich in der Folge gerade auch für Bürgerkriegssituationen und interne bewaffnete Konflikte mit Aufständischen und Rebellen überaus bedeutsam, zumal das Zweite Protokoll etliche Vorschriften der Haager Konvention schärft und klare Vorgaben für die bei einem Angriff zu treffenden Vorsichtsmaßnahmen der Konfliktparteien macht (Art. 7 SP ).93 Nunmehr haben alle Konfliktparteien – „soweit dies praktisch irgend möglich ist“ – das bewegliche Kulturgut aus der Umgebung militärischer Ziele zu entfernen oder für angemessenen Schutz an Ort und Stelle zu sorgen (Art. 8 lit. a SP). Zugleich ist zu vermeiden, „militärische Ziele in der Nähe von Kulturgut anzulegen“ (Art. 8 lit. b SP). Dies sind zweifelsohne wesentliche Pflichten auch für nicht staatliche Akteure in jüngeren bewaffneten Konflikten, wie in Syrien oder im Irak.94

91 BGBl. 1990 II, S. 1637. 92 Jiří Toman, Cultural Property in War. Improvement in Protection. Commentary on the 1999 Second Protocol to the Hague Convention of 1954 for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, Paris 2009, S. 413. 93 Näher Ebd., S. 121; Henckaerts, New Rules for the Protection of Cultural Property (wie Anm. 88), S. 613. 94 Zur Herausforderung der Bindung nicht staatlicher Konfliktparteien an kulturgutschützende Regelungen und der Thematik „terroristischer“ Kämpfer von ISIS/Daesh siehe ausführlich Schorlemer, Kulturgutzerstörung (wie Anm. 61), S. 502 ff.

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4.3 Verbesserung der Durchsetzung: Straf- und Disziplinarmaßnahmen Der Umstand, dass die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut im bewaffneten Konflikt von 1954 darauf verzichtet hatte, Handlungen zu umschreiben, die als „schwere Verletzungen“ gelten und daher strafrechtlich zu verfolgen sind, wurde als eine „wesentliche Lücke“ bezeichnet.95 Art. 28 HK sieht lediglich vor, dass die Vertragsparteien sich verpflichten, „im Rahmen ihrer Strafgerichtsbarkeit alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um Personen jeder Staatsangehörigkeit, die sich einer Verletzung dieser Konvention schuldig machen oder den Befehl zu einer solchen geben, zu verfolgen und strafrechtlich oder disziplinarisch zu bestrafen“. Hier werden also – anders als in dem s­ päter angenommenen E ­ rsten Zusatzprotokoll zum Genfer Abkommen zum Schutz der Opfer in internationalen Konflikten (1977)96 – keine konkreten strafwürdigen Tatbestände, wie z. B. die Zerstörung von Kulturgut verursachende Angriffe, genannt. Zudem wird den Staaten ein großer Ermessensspielraum eingeräumt, denn was „erforderlich“ für eine Strafverfolgung ist, obliegt ihrer Einschätzung. Des Weiteren fehlen jegliche Kooperationspflichten bei der Strafverfolgung; so existiert in der Haager Konvention (1954) beispielsweise keine Pflicht zur Rechtshilfe bzw. Auslieferung von Personen, die sich mutmaßlich eines Verbrechens gegen Kulturgut schuldig gemacht haben. Insofern brachte das Zweite, im Jahr 1999 im Rahmen der UNESCO verabschiedete Protokoll wiederum einige wesentlichen Neuerungen: Es wurde nach intensiven Vorbereitungsarbeiten 97 ein eigenes Kapitel 4 mit dem Titel „Strafrechtliche Verantwortlichkeit und Gerichtsbarkeit“ eingeführt, in dessen Rahmen Pflichten zur Ahndung und zur Strafverfolgung bei schweren Verstößen gegen das Protokoll (Art. 15 – 17 SP), Pflichten zur Auslieferung (Art. 18 SP) sowie zur Rechtshilfe (Art. 19 SP) aufgenommen wurden. Auch Disziplinarmaßnahmen, die für Angehörige von Streitkräften eine empfindliche Wirkung haben können, wurden eingeführt, um Handlungen, wie z. B. die vorsätzliche Entfernung von Kulturgut aus besetztem Gebiet zu unterbinden (Art. 21 SP). Auf diese Weise ist nunmehr die Umsetzung der Konvention mitsamt ihrem Protokoll auf nationaler Ebene 98 ein wesentlicher Baustein des modernen völkerrechtlichen Kulturgutschutzes. Folgerichtig haben die Vertragsstaaten nicht nur die Verbreitung der Vorschriften in der Bevölkerung sicherzustellen (Art. 30 Abs. 1 und 2 SP), sondern auch dafür zu sorgen, dass Richtlinien und Anweisungen zum Schutz von Kulturgut in ihre Militärvorschriften aufgenommen werden, um sicherzustellen, dass die „militärischen oder zivilen Dienststellen“ 95 96 97 98

Partsch, Schutz von Kulturgut (wie Anm. 29), S. 326. Art. 85 Abs. 4 lit. d SP I. Toman, Cultural Property in War (wie Anm. 92), S. 283 ff. Näher Roger O’Keefe, National Implementation of the Penal Provisions of Chapter 4 of the Second Protocol of 26 March 1999 to the Hague Convention of 1954 for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, UNESCO Doc. CLT/CIH/MCO/2002/PI/H/1, 29. 03. 2002.

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mit dem Wortlaut des Protokolls „voll und ganz vertraut“ sind (Art. 30 Abs. 3 SP). Das bedeutet, dass der Kulturgutschutz nunmehr ein umfassender Bestandteil der Ausbildung für künftige Einsätze ist.

4.4 Internationale Rechenschaftspflichtigkeit der Vertragsparteien Als ein inhaltlicher Hauptkritikpunkt an der Haager Konvention (1954) galten mangelnde „Vorkehrungen zu ihrer praktischen Umsetzung“.99 Für die Implementierung international bindender Verträge spielen grundsätzlich Berichtspflichten der Vertragsstaaten eine große Rolle. Dabei sind in der Regel eigens geschaffene Vertragsorgane, wie Ausschüsse, für die Entgegennahme und Prüfung von Berichten verantwortlich. Ein solcher auf der Grundlage von Vertragsvorschriften etablierter Ausschuss existierte zunächst nicht für den Kulturgutschutz im bewaffneten Konflikt: Im Falle der Haager Konvention (1954) war lediglich vorgesehen, dass die Vertragsparteien dem UNESCO-Generaldirektor mindestens alle vier Jahre einen „Bericht mit den ihnen geeignet erscheinenden Angaben über die von ihren Behörden zur Durchführung dieser Konvention und ihrer Ausführungsbestimmungen getroffenen, vorbereiteten oder in Aussicht genommenen Maßnahmen“ übersenden (Art. 26 Abs. 2 HK). Eine Prüfung durch Sachverständige war also nicht vorgesehen.100 Das Fehlen eines Expertengremiums, das zur Überprüfung der Fortschritte bei der Umsetzung der Konvention befugt ist, wurde folglich als eine „Lücke“ kritisiert.101 In der Tat war auf diese Weise die internationale Rechenschaftspflichtigkeit der Vertragsstaaten in Bezug auf die nationalen Umsetzungspflichten nicht vollumfänglich gewährleistet. Die Schaffung eines sich neu konstituierenden Ausschusses mit weitreichenden Kompetenzen durch das Zweite Protokoll (1999) wurde folglich als wichtigste „institutionelle Neuerung“ bezeichnet.102 Tatsächlich wurde hiermit eine alte Idee aufgegriffen und nunmehr umgesetzt. Wie Odendahl zutreffend unterstrich, war bereits „in fast allen Entwürfen seit 1915“ die Vorstellung eines „Büros“ enthalten, welches für die Implementierung der Rechtsregeln zuständig sein sollte.103 99 Odendahl, Kulturgüterschutz (wie Anm. 4), S. 123. 100 Siehe aber die Möglichkeit, gemäß Art. 27 HK auf gemeinsamen Tagungen der Vertragsparteien diese Berichte zu erörtern. 101 Partsch, Schutz von Kulturgut (wie Anm. 29), S. 326. 102 Odendahl, Kulturgüterschutz (wie Anm. 4), S. 123; näher zur Ausschussarbeit siehe Roger O’Keefe, The Protection of Cultural Property in Armed Conflict. Cambridge, New York 2006, S. 268 – 274; Nout van Woudenberg/Liesbeth Lijnzaad, Protecting Cultural Property in Armed Conflict. An Insight into the 1999 Second Protocol to the Hague Convention of 1954 for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, Leiden/Boston 2010, S. 54 f. 103 Odendahl, Kulturgüterschutz (wie Anm. 4), S. 123 unter Verweis u. a. auf den Entwurf von Ernst Zitelmann (1915) und die Entwürfe des Internationalen Museumsbüros (1938/39); siehe oben 2.3.

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Dem „Ausschuss für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten“ 104 gehören zwölf von der Tagung der Vertragsparteien gewählte sachverständige Personen an, wobei deren Wahl einer ausgewogenen Verteilung nach Regionen und Kulturen zu entsprechen hat. Der Ausschuss ist nunmehr für die Umsetzung der Haager Konvention mitsamt ihren Protokollen verantwortlich (Art. 27 SP ).105 Unter anderem entscheidet er über das Vorliegen der Voraussetzungen für die von ihm vorzunehmende Verleihung des Sonderschutzes, außerdem prüft er Bitten um die Gewährung internationaler Unterstützung.106 Daneben ist der Ausschuss, wie bereits erwähnt, für die Entgegennahme und Kommentierung der alle vier Jahre von den Vertragsparteien einzureichenden Berichte zuständig. Das Zweite Protokoll sieht die Möglichkeit vor, dass der Ausschuss in der Kommentierung der Staatenberichte einen eigenen Bericht erstellt (Art. 27 Abs. 1. lit. d.) und diesen der Tagung der Vertragsparteien vorlegt. Allerdings ist nicht zu beobachten, dass es in der Praxis bislang zu einer kritischen Berichtsprüfung käme, die inhaltlich dazu dienen würde, das Verhalten der staatlichen Organe (Militär eingeschlossen) im Umgang mit Kulturgut nennenswert zu beeinflussen. Das Verfahren wird in der vereinfachten Form eines Questionnaire 107 durchgeführt, wobei die Berichte zur Umsetzung des Protokolls zusammen mit denjenigen zur Umsetzung 104 Näher zur Entstehungsgeschichte siehe Jan Hladík, Meeting of the High Contracting Parties to the Hague Convention for the Protections of Cultural Property in the Event of Armed Conflict of 1954, in: International Journal of Cultural Property 5 (1996), S. 339 – 341; Ders., The Third Meeting of the High Contracting Parties to the Hague Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict of 1954 (Paris, November 13, 1988), in: International Journal of Cultural Property 7 (1988), S. 268 – 271. 105 Näher zu den Aufgaben des Ausschusses Kevin Chamberlain, War and Cultural Heritage. An A ­ nalysis of the 1954 Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict and Its Two Protocols, Leicester 2004, S. 221 f.; Thomas Desch, The Second Protocol to the 1954 Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, in: Yearbook of International Humanitarian Law 2 (1999), S. 63 – 90, hier S. 84 f. 106 Der Fonds zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten ist ein Instrument zur Unterstützung von Schutzmaßnahmen in Friedens- und in Kriegszeiten (Art. 29 SP ), hat jedoch aufgrund seiner notorisch schlechten Ausstattung nicht die erhoffte Wirkung, siehe den Budgetplan 2018/19 UNESCO Doc. 39 C/5 Approved Programme and Budget 2018/19. Das Sekretariat berichtete für das Jahr 2018 über die beantragten Mittel von 15.000 USD an Mali und 45.000 USD an Afghanistan, siehe UNESCO , Committee for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, Thirteenth Meeting, UNESCO Headquarters, 6 – 7 December 2018, Report of the Secretariat on its activities, 17 October 2018, Doc. C54/18/13.COM /5, Paris, Ziff. 16. 107 Siehe UNESCO, Periodic Reporting, National Implementation of the 1954 Hague Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict and Its Two (1954 and 1999) Protocols Format for Reporting: http://www.unesco.org/new/fileadmin/MULTIMEDIA/HQ/CLT/ pdf/hague_nat_reporting_format_en_20130305.pdf (Stand: 26. 07. 2020).

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der Konvention eingereicht werden sollen.108 Durch die Einführung des elektronischen Verfahrens,109 welches für eine statistische Analyse ausgelegt ist, nimmt die Auswertung mittlerweile die Form einer recht allgemeinen und quantitativ geprägten Bewertung an.110 Die Empfehlungen des Ausschusses beziehen sich im Ergebnis tendenziell auf Verfahrensverbesserungen und Aufforderungen, die Berichte pünktlich einzureichen.111 Dass die Rechenschaftspflichtigkeit der Staaten wenig ausgeprägt ist, mag auch damit zusammenhängen, dass – anders als im Menschenrechtsschutz – hier nicht unabhängige Experten die Staatenberichtsprüfung zu verantworten haben, sondern Staatenvertreter, die immer wieder zu diplomatischen Rücksichtnahmen auf andere Staaten neigen.112

4.5 „Militärische Notwendigkeit“ Ein weiterer inhaltlicher Kritikpunkt hinsichtlich der Haager Konvention von 1954, an den die Reformarbeiten anknüpften, bezog sich auf die „militärische Notwendigkeit“. Dieser Terminus ist im Abkommen nicht definiert, was dem Militär daher grundsätzlich einen erheblichen Beurteilungsspielraum ermöglicht. Im Rahmen der Entwurfsarbeiten zum Zweiten Protokoll war man folglich bemüht, den Begriff der „militärischen Notwendigkeit“ zu konkretisieren und so eine restriktive Handhabung zu erreichen.113 Hoffnungen wurden zudem genährt, man könne im Reformweg die Ausweichklausel der „militärischen Notwendigkeit“ gänzlich eliminieren.114 108 Siehe Ziff. 101, Guidelines for the Implementation of the 1999 Second Protocol to the Hague Convention of 1954 for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, CLT-09/ CONF/219/3 REV. 4, Paris, 22. 03. 2012. 109 UNESCO, Committee for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, Adopted Decisions, Tenth Meeting 10 – 11 December 2015, CLT-15/10.COM/CONF.203/Decisions/ REV, Decision 10.COM 7, Paris, 21. 04. 2016. 110 Siehe UNESCO, Committee for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, Examination of National Reports on the Implementation of the 1999 Second Protocol, Twelfth Meeting 29 – 30 November 2017, C54/17/12.COM/5, Paris, 02. 11. 2017. 111 UNESCO, Committee for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, Adopted Decisions, Twelfth Meeting 29/30 November 2017, C54/17/12.COM/Decisions, Decision 12.COM 5, Paris, 30. 11. 2017. 112 Zur Kritik an UNESCO-Berichtsprüfungsverfahren siehe auch Schorlemer, Kulturgutzerstörung (wie Anm. 61), S. 472 – 475. 113 Näher siehe Patty Gerstenblith, From Bamiyan to Baghdad. Warfare and the Preservation of Cultural Heritage at the Beginning of the 21st Century, in: Georgetown Journal of International Law 37 (2006), S. 245 – 352, hier S. 337 ff. 114 Der Boylan-Bericht hatte empfohlen, den auf der militärischen Notwendigkeit basierenden „waiver“ aus der Konvention zu streichen, siehe Patrick J. Boylan, Review of the Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict (The Hague Convention 1954), UNESCO

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Zwar gelang es auch den Verfasser*innen des Zweiten Protokolls nicht, die Klauseln zur Schutzreduktion („waiver“) im Falle einer „militärischen Notwendigkeit“ abzuschaffen, was zum Gegenstand von Kritik wurde.115 Auch wurde keine Definition der „militärischen Notwendigkeit“ erreicht.116 Jedoch konnten Kriterien etabliert werden (Art. 6 und 13 SP), die nunmehr Klarheit darüber schaffen, unter ­welchen Voraussetzungen eine Berufung auf die militärische Notwendigkeit und damit ein Angriff zulässig ist, z. B. auch bei Zweckentfremdung von Kulturgut als Waffenlager oder Kommandozentrale.117 Relevant ist in normativer Hinsicht außerdem die im Zweiten Protokoll neben den allgemeinen Schutz tretende neue Kategorie des „verstärkten Schutzes“ („enhanced protection“, Art. 10 SP ). Diese Kategorie erfasst nach dem Vorbild der UNESCO -Welterbekonvention von 1972 Kulturgüter „von außergewöhnlicher“ Bedeutung,118 vorausgesetzt sie werden nachweislich nicht militärisch genutzt und von den Vertragsstaaten auch auf nationaler Ebene geschützt. Der Unterschied zu den in der Haager Konvention verankerten Kategorien des allgemeinen und des Sonderschutzes besteht nunmehr für alle Staaten, die das Zweite Protokoll ratifiziert haben, darin, dass sie mit der Eintragung auf die UNESCO -Liste für Kulturgüter unter „verstärktem Schutz“ deren Schutzstatus dauerhaft erhöhen: Deren militärische Nutzung ist vom Belegenheitsstaat strikt zu untersagen, um zu vermeiden, dass sie zu einem „militärischen Objekt“ werden, welches in der Folge angegriffen werden darf. Mit anderen Worten: Der grundlegende Unterschied besteht im Vergleich zu den früheren Regelungen darin, „dass der Verteidiger Kulturgüter unter allgemeinem und Sonderschutz im Notfall doch militärisch ­nutzen und so in nicht geschützte Objekte umwandeln darf, während er dies bei Kulturgütern unter verstärktem Schutz unter keinen Umständen darf.“ 119

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Doc. CLT-93/WS/12 (1993), S. 57, Ziffer 4.16: „Bearing in mind the precedents of the 1949 Geneva Conventions the inclusion of the ‚military necessity‘ exemption was already inappropriate by the time of the 1954 Intergovernmental Conference. It is strongly recommended that in any revision of the 1954 Convention or in any new Additional Protocol to it, High Contracting Parties should renounce the provisions of Article 3 (2) allowing the waiving of the provisions of the Convention in the case of military necessity. Indeed, this should be seen as one of the highest priorities of the review process.“; für eine ausführliche Argumentation siehe Chapter 4, S. 53 – 57, Ziff. 4.16: https:// unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000100159 (Stand: 26. 07. 2020). Kritisch Gerstenblith, From Bamiyan to Baghdad (wie Anm. 113), S. 338; m. w. N. Sabine von Schorlemer, Legal Changes in the Regime of the Protection of Cultural Property in Armed Conflict, Art Antiquity and Law, in: Journal of the Institute of Art and Law 9 (2004), S. 43 – 77, hier S. 49 f. und S. 58 f. Kritisch m. w. N. ebd., S. 58 f. Näher Schorlemer, Kulturgutzerstörung (wie Anm. 61), S. 421 – 429. Toman, Cultural Property in War (wie Anm. 92), S. 188: „The drafting of articles on enhanced protection (…) was inspired by the 1972 World Heritage Convention.“ Damit war die Hoffnung verbunden, dass Staaten die Gelegenheit ­nutzen würden, für ihre Welterbestätten auch Gebrauch von der Eintragung auf die Liste zum verstärkten Schutz des Zweiten Protokolls zu machen. Diese Hoffnung erfüllte sich nur zum Teil, siehe Schorlemer, Kulturgutzerstörung (wie Anm. 61), S. 622 ff. Odendahl, Kulturgüterschutz (wie Anm. 4), S. 123.

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5. Schlussbemerkung Im Ergebnis ist festzuhalten, dass es trotz der massiven Kriegszerstörungen im Zweiten Weltkrieg zu einem neuen erfolgreichen Aufbruch kam: Weniger als ein Jahrzehnt nach Kriegsende erfolgte die Verabschiedung einer alle Vertragsstaaten bindenden Konvention, die erstmals in der Geschichte des Kulturgüterrechts ausschließlich dem Erhalt von Kulturgut gewidmet ist und globale Schutzerfordernisse betont. An ­diesem „Neubeginn“ in einer schwierigen Situation im Sinne von Weizsäckers hatten, so wurde deutlich, die Gründung der UNESCO und ihr Einfluss in den Folgejahren einen maßgeblichen Anteil. Man sah es nach dem Scheitern des Völkerbundes als erforderlich an, rasch ein neues institutionelles „Dach“ für den Kulturgutschutz auf universeller Ebene zu schaffen, also eine mit Fachwissen ausgestattete Internationale Organisation, die – anders als der Völkerbund – nunmehr ein spezielles Mandat für Kulturgüter besitzen sollte. So ist die UNESCO bis heute „the most influential international organization in the field of cultural heritage law,“ 120 auch wenn sie durch den Rückzug eines ihrer Hauptbeitragszahler (USA) empfindlich geschwächt wurde.121 Des Weiteren ist festzustellen, dass die in der Nachkriegszeit angenommenen Haager Regelungen (1954/99) den Vorkriegsregelungen nicht unähnlich sind. Die für das System des Kulturgutschutzes heute maßgeblichen Normen stammen im Wesentlichen aus vier verschiedenen Epochen, wobei die leidvollen Kriegserfahrungen wiederholt den Weg zu einer weiteren Normierungsetappe gewiesen haben: Den Ausgangspunkt stellen die inzwischen gewohnheitsrechtlich – und somit für die gesamte Staatengemeinschaft – geltenden Regelungen der Haager Landkriegsordnung (1907) dar, gefolgt von der nach dem Zweiten Weltkrieg angenommenen Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten mitsamt ihrem E ­ rsten Protokoll für besetzte Gebiete (1954). Zu nennen sind des Weiteren die beiden Zusatzprotokolle zu den Genfer Abkommen zum Schutz der Opfer im bewaffneten Konflikt aus dem Jahre 1977, die endgültig dafür sorgten, dass der Kulturgutschutz, aus dem „Nischendasein“ einer Spezialmaterie befreit, Eingang in das universelle humanitäre Völkerrecht fand,122 und schließlich die 120 Schorlemer, Cultural Heritage Law (wie Anm. 7), S. 153. 121 Näher Klaus Hüfner, What Can Save UNESCO?, Berlin 2016, S. 61 ff.; Klaus Hüfner, In Love-Hate with the United Nations? The United States and the UN System, Berlin 2019, S. 41 ff. 122 Die 1949 angenommenen vier Genfer Abkommen für das Recht der bewaffneten Konflikte, vor allem das „IV . Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten“ (75 UNTS 287; in Kraft getreten am 21. Okt. 1959; BGB l. II S. 917), sind in ­diesem Zusammenhang zu nennen. Auch wenn sich hier keine spezifisch kulturgutschützende Regelung findet, unterstreicht die letztgenannte Konvention doch die Schutzbedürftigkeit zivilen Eigentums. Art. 53 GA IV lautet: „Es ist der Besatzungsmacht untersagt, bewegliches oder unbewegliches Vermögen zu zerstören, das individuell oder kollektiv Privatpersonen oder dem Staat oder öffentlichen Körperschaften, sozialen oder genossenschaftlichen Privatpersonen gehört, außer in Fällen, in

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als Gesamtreform der Haager Konvention 1954 angelegte Vertiefung des Kulturgutschutzes im Zweiten Zusatzprotokoll von 1999. Die hier skizzierte Abfolge belegt, dass das System des Kulturgutschutzes sich seit dem 19. Jahrhundert bis zum heutigen Tage im Wesentlichen als ein ineinandergreifendes S­ ystem stetig weiter präzisierter Normen darstellt. Wesentlich ist, auch in Zukunft nicht in den Anstrengungen um einen universell verbindlichen Kulturgutschutz nachzulassen und insbesondere auf eine umfassende Ratifikation der genannten Vertragswerke sowie deren gewissen­ hafte Umsetzung zu drängen.

denen die Kampfhandlungen ­solche Zerstörungen unbedingt erforderlich machen“. Bereits 1977 hatte die Rotkreuzbewegung zudem einige für den Kulturgutschutz wesentliche Vorschriften in die beiden Genfer Zusatzprotokolle zum Schutz der Opfer in internationalen und nicht internationalen Konflikten (1977) erarbeitet. Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. 08. 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte, Genf, 8. Juni 1977, 1125 UNTS 3 (in Kraft getreten am 07. 12. 1978) [ZP I; 174 Ratifikationen, Stand: 03. 07. 2019]; Zusatzprotoll zu den Genfer Abkommen vom 12. 08. 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte, Genf, 08. 06. 1977, 1125 UNTS 609 (in Kraft getreten am 07. 12. 1978) [ZP II ; 168 Ratifikationen, Stand: 03. 07. 2019].

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Franziskus Graf Wolff Metternich (1893 – 1978) Biografie als Kontextforschung Esther Rahel Heyer

1. Einführung: Der Akteur Wolff Metternich – Überlegungen zu Methoden und Quellen Franziskus Graf Wolff Metternich ist als Akteur der Kulturszene des 20. Jahrhunderts mit Kontinuität über vier politische Systeme hinweg eine spannende Persönlichkeit. In seiner Funktion als leitender Denkmalpfleger im Rheinland sowie als Kunstschutzbeauftragter für die besetzten Gebiete während des Zweiten Weltkrieges erlangte er internationale Berühmtheit. Diese prominenten Positionen und die vielfältigen persönlichen und beruflichen Kontakte, die er in ­diesem Rahmen und darüber hinaus pflegte, machen ihn zu einem spannenden Forschungsobjekt. Mit dieser Rolle stand er im Mittelpunkt der Tagung „Kulturgutschutz in Europa und im Rheinland. Franziskus Graf Wolff Metternich und der Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg“, auf der dieser Tagungsband basiert.1 Die Person Wolff Metternich und sein beruflicher Werdegang bieten einen idealen Ausgangspunkt, um mit dem Ansatz einer „Akteursbiografie“ dessen Netzwerk des Kunstschutzes und der Denkmalpflege vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg zu analysieren und Wolff Metternichs Agieren in ­diesem Netzwerk zu eruieren. Grundlage bildet das Quellenforschungsprojekt mit dem archivischen Sachinventar zum militärischen Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg, das einen dichten Einblick in die deutschlandweite und internationale Überlieferungsgeschichte zur Thematik ermöglicht.2 1 Kernfrage des einführenden Vortrages der Autorin war, warum Franziskus Graf Wolff Metternich und seine beruflichen Haupttätigkeitfelder der Denkmalpflege und des militärischen Kunstschutzes in Frankreich im Zentrum der Tagung und eines Quellenforschungsprojektes standen. Dort wurden zudem die Person Wolff Metternich vorgestellt und eine Einführung zu Ablauf und Zielen der Veranstaltung gegeben. Für diesen Beitrag wurden Struktur und Inhalt leicht verändert: Informationen zum Ablauf und den Zielen der Tagung fanden an anderer Stelle Niederschlag, die Biografie wurde hingegen ausgebaut. 2 Siehe hierzu das archivische Sachinventar zum militärischen Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg mit dem Schwerpunkt Frankreich und Franziskus Graf Wolff Metternich. Dieses ist in Form einer Datenbank www.kunstschutz-wolff-metternich.de (Stand: 26. 07. 2020) und der Printpublikation Esther

Wie gestaltete Wolff Metternich seine Karriere aktiv, und w ­ elche Handlungsspielräume nutzte er dabei in einem bewusst gebildeten Netzwerk? Welche privaten Einflüsse aus der Adelsfamilie und kirchlichen Beziehungen kamen ihm dabei zugute? Welche wissenschaftlichen Kreise der Denkmalpflege, des universitären Umfelds und anderer Institutionen, aber auch Bezüge zur NS-Ideologie und Partei gestalteten seinen Werdegang mit? Wie beschreibt er selbst seine Tätigkeiten und ­welche Verhältnisse prägten ­dieses Selbstbild und die Fremdinszenierung? Auf diese Fragen zu Wolff Metternich als Akteur mit Selbst- oder Fremdbestimmung seines Handlungsspielraumes soll im Folgenden auf Grundlage der Archivquellen eingegangen werden. Nach seinem Studium der Kunstgeschichte bei Paul Clemen (1866 – 1947) in Bonn, das aufgrund seines fast fünfjährigen Kriegsdiensts im ­Ersten Weltkrieg unterbrochenen werden musste, begann er 1926 seine berufliche Laufbahn innerhalb der rheinischen Denkmalpflege als Assistent des Provinzialkonservators Edmund Renard (1871 – 1932) und übernahm 1928 selbst das Amt des leitenden Denkmalpflegers in der Rheinprovinz. Dieses Amt hatte er durchgehend bis ins Jahr 1950 inne. Seit 1933 hatte er zudem einen Lehrauftrag für Denkmalpflege und rheinische Baugeschichte an der Universität Bonn, ab 1940 sogar eine Honorarprofessur inne. Von 1950 bis 1952 war er Leiter der Kulturabteilung beim Auswärtigen Amt, 1953 wurde er erster Direktor der wiedereröffneten Bibliotheca Hertziana in Rom, Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte. 1963 trat er in den Ruhestand ein und kehrte 1968 ins Rheinland zurück, wo er 1978 verstarb. Eine herausragende Periode in Wolff Metternichs Karriere und der Anlass für diese Tagung war seine Beteiligung im Kunstschutz während des Zweiten Weltkrieges sowohl im Rheinland als auch in den besetzten Gebieten. Mit Kriegsausbruch 1939 wurde die Sicherung von Kulturgut notwendig, eine Aufgabe, die im Rheinland dem Amt für Denkmalpflege übergeben wurde, die aber auch in den vom NS-Regime besetzten Gebieten etabliert werden sollte. Wolff Metternich wurde im Frühjahr 1940 vom Staatskonservator Robert Hiecke (1876 – 1952) beim Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM) zum Beauftragten für den Kunstschutz in den besetzten Gebieten ernannt. Mit dem Westfeldzug reiste Wolff Metternich über Belgien nach Frankreich, organisierte und koordinierte als Beauftragter für den Kunstschutz beim Oberkommando des Heeres (OKH) von Paris aus den Kunstschutz der Militärverwaltungsabteilungen in den jeweiligen besetzten Ländern – mit Schwerpunkt in Frankreich. Der Kunstschutz in Frankreich erfuhr nach dem Zweiten Weltkrieg infolge des erfolgreichen Schutzes der staatlichen französischen Sammlungen in deren Bergungsorten und der Schutzmaßnahmen an einer Vielzahl von historisch wertvollen Bauten in Zusammenarbeit mit den französischen Behörden eine weitgehend positive Rezeption. Jedoch scheinen einige kritische Bemerkungen zum Kunstschutz selbst angebracht, bevor der methodische Ansatz näher erklärt wird. Rahel Heyer/Florence de Peyronnet-Dryden/Hans-Werner Langbrandtner (Hg.), „Als künstlerisch wertvoll unter militärischem Schutz!“ Ein archivisches Sachinventar zum militärischen Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg, Köln/Wien/Weimar (im Erscheinen) erschienen.

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Abb. 1  Splitterschutzverbauung vor dem Nordportal der Kathedrale Notre-Dame von Chartres, ca. 1939/40.

Der militärische Kunstschutz war die Wieder-Etablierung einer Institution aus dem Ersten Weltkrieg: eine propagandistische Maßnahme aufgrund der massiven Zerstörungen von Kulturgut im Kriegsgeschehen. Der Begriff Kunstschutz ist also im Kontext des Krieges und der feindlichen Übernahme von Kulturgut bzw. dessen „Sicherstellung“, insbesondere beweglichen Kulturgutes, sehr fragwürdig. So verwischten beispielsweise die Grenzen ­zwischen Kunstraub und Kunstschutz auf der Akteursebene, etwa bei der Zusammenarbeit mit den kompetitiven NS-Raubinstitutionen, bei Konflikten des Kunstschutzes mit der deutschen Botschaft in Paris, dem Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR), Hermann Göring (1893 – 1946) sowie dem SS-Ahnenerbe oder auch durch Verbindungen des Kunstschutzes zum Kunsthandel mit geraubten Kunstwerken. Wenngleich Wolff Metternich und einige der ehemaligen Kunstschutzmitarbeiter diesen Verbindungen bereits während der Tätigkeiten im besetzten Frankreich kritisch und sogar ablehnend gegenüberstanden und die eigene Tätigkeit gegenüber dieser Raubtätigkeit im Nachhinein idealisiert wurde, ist die kritische Hinterfragung des Schutzes unbedingt notwendig, um historisch differenzieren zu können.3 3 Zu Kunstraub, Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg, Ahnenerbe etc. siehe beispielsweise Anja Heuß, Kunst und Kulturgutraub. Eine vergleichende Studie zur Besatzungspolitik der Nationalsozialisten in Frankreich und der Sowjetunion, Heidelberg 2000. Siehe auch den Erfahrungsbericht in

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Um eine s­ olche differenzierte Einschätzung des Kunstschutzes leisten zu können, ist die Forschung zur Person Wolff Metternich als Akteursbiografie angelegt. Konkret heißt dies, anhand einer Biografie die Tätigkeiten des Akteurs im Einzelnen zu betrachten, um dessen Beziehungen und Tätigkeiten zu verstehen, diese auf größere Komplexe übertragen und vom Einzelfall auf eine historische Kontextualisierung und institutionelle Abläufe schließen zu können.4 Das Netzwerk Wolff Metternichs ist für das Verständnis der Tätigkeiten des Kunstschutzes und die über Jahrzehnte laufenden kollegialen Verbindungen ausschlaggebend. Dabei ist „Netzwerk“ als bildliches Konstrukt, faktisch als die Verbindungen ­zwischen Einzelpersonen, zu sehen. Im genaueren Verständnis handelt es sich um Kollektivbiografien einer Gruppe von Kunsthistorikern, deren Karrieren für die Analyse Wolff Metternichs und dessen Tätigkeit für den Kunstschutz und die Denkmalpflege grundlegend wichtig sind.5 Der Kunstschutz ist einerseits als denkmalpflegerische und kunsthistorische Tätigkeit zu betrachten, andererseits als beim Militär angesiedeltes Verwaltungsorgan. Anhand des Netzwerkes und Tätigkeiten Wolff Metternichs lassen sich allerdings vor allem Rückschlüsse auf den Kunstschutz in Frankreich und dessen Rezeption ziehen, während andere besetzte NL FGWM , Nr. 2, Bericht über die Wegnahme französischer Kunstschätze durch die Deutsche

Botschaft und den Einsatzstab Rosenberg in Frankreich. (Als geheime Denkschrift im Winter 1944 verfasst von Militärverwaltungsrat Walter Bargatzky, früherem Mitglied der Rechtsabteilung des Militärbefehlshabers in Frankreich). Dieser wurde publiziert von Wilhelm Treue, Zum nationalsozialistischen Kunstraub in Frankreich, der „Bargatzky-Bericht“, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 13 (1965), S. 285 – 337. Siehe außerdem Tätigkeitsberichte des Kunstschutzes mit Schilderung der eigenen Aufgaben in Abgrenzung zum ERR , beispielsweise NL FGWM , Nr. 3, Abschliessender Bericht über die Arbeit des Kunstschutzbeauftragten in der Zeit von Mai 1940 – September 1944. 4 Die Verfasserin des Beitrags arbeitet in ihrer laufenden Dissertation an einer Akteursbiografie zu Wolff Metternich und dessen (Selbst- wie auch Fremd-)Inszenierung als menschliche Projektionsfläche für nationale und kulturpolitische Interessen. Darin wird dieser methodische Ansatz weiter ausgearbeitet. Zur Biografieforschung siehe beispielsweise Beate Böckem/Olaf Peters/Barbara S­ chellewald (Hg.), Die Biographie – Mode oder Universalie? Zu Geschichte und Konzept einer Gattung in der Kunstgeschichte, Berlin/Boston 2016 und Roman B. Kremer, Autobiographie als Apologie. Rhetorik der Rechtfertigung bei Baldur von Schirach, Albert Speer, Karl Dönitz und Erich Raeder, Göttingen 2017 und Thomas Etzemüller, Biographien. Lesen – erzählen – erforschen, Frankfurt a. M./New York 2012. 5 In d ­ iesem Kontext wurde der deskriptive Ansatz der historischen Netzwerkforschung gewählt, bei dem die Mitarbeiter des Kunstschutzes und Kollegen mit ­kurzen biografischen Angaben erfasst werden und deren Interaktion und Vernetzung beschrieben werden. Siehe hierzu Kurzbiographien und Beschreibungen von Institutionen in: Heyer/de Peyronnet-Dryden/Langbrandtner (Hg.), „Als künstlerisch wertvoll“ (wie Anm. 2). Siehe auch Morten Reitmayer/Christian Marx, Netzwerkansätze in der Geschichtswissenschaft, in: Christian Stegbauer/Roger Häußling (Hg.), Handbuch Netzwerkforschung, Bd. 4, Wiesbaden 2010, S. 869 – 880.

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Gebiete hier nicht berücksichtigt werden können. Christina Kott erarbeitet momentan eine Synthese der verschiedenen Kunstschutzgebiete – dadurch kann bald eine lange bestehende Forschungslücke geschlossen werden. Wolff Metternich ist aber nicht nur als Akteur in d ­ iesem Rahmen von Interesse, sondern auch hinsichtlich seiner späteren Karriere über die NS -Zeit hinaus in der jungen Bundes­republik mit repräsentativen Funktionen beim Auswärtigen Amt und als Leiter eines Auslandsinstituts. Darüber hinaus ist seine Rolle für die deutsch-französischen und auch deutsch-italienischen Beziehungen interessant sowie seine Position als Mitglied einer Adelsfamilie, um die Bedeutung des Adels seit dem E ­ rsten Weltkrieg in d ­ iesem Zusammenhang zu analysieren. Für die biografische Forschung, aber auch jene zum Kunstschutz im Allgemeinen, ist der private Nachlass Franziskus Graf Wolff Metternichs (NL FGWM ), der vor wenigen Jahren der Öffentlichkeit und Forschung zugänglich gemacht wurde und umfangreiche und bedeutende Quellen zum Kunstschutz enthält, von großer Bedeutung. Dieses Aktenkonvolut zum Kunstschutz ist in seinem Umfang und der Konstitution unvergleichbar mit der Überlieferung in anderen Archiven in Deutschland und internationalen Archiven. Die im NL FGWM für den Kunstschutz relevanten überlieferten Dokumente entstammen der Abteilung Kunstschutz beim Oberkommando des Heeres bzw. dem Referat für Kunstschutz bei der Militärverwaltung Frankreich und den jeweiligen Bezirken. Ergänzt werden diese Akten durch berufliche wie auch private Korrespondenz Wolff Metternichs mit den Kollegenkreisen. Auch private Zeugnisse, wie Taschenkalender und Tagebücher, sind wertvolle Quellen für die Analyse des Netzwerkes und die Entwicklung der Kunstschutztätigkeiten sowie für die damit korrelierenden beruflichen Zusammenhänge. So lassen sich aus diesen privaten Dokumenten einerseits Daten zu biografischen Stationen, Kontakten und chronologischen Abläufen entnehmen, in der Gegenüberstellung der Kalender verschiedener Kollegen auch auf größere Netzwerke, Überschneidungen und Widersprüche schließen. Der private Nachlass ist aufgrund der selektiven Überlieferung von subjektiv relevanten Dokumenten, aber auch aufgrund der gezielten Vernichtung von Akten in Paris und Übersendung ausgewählter Kunstschutzakten nach Bonn, wodurch vielleicht sogar eine gewisse Rezeption beabsichtigt wurde, kritisch zu lesen und unbedingt mit der Gegenüberlieferung abzugleichen.6 Darüber hinaus kann das aus der Erschließung eines Privatnachlasses entstandene Quellenforschungsprojekt einen Beitrag zur Bereitstellung von Archivquellen zum Kunstschutz für die Provenienzforschung im Sinne der Washingtoner Prinzipien (1998) und der Gemeinsamen Erklärung von Bund und Ländern (1999) beisteuern.7 In der Bereitstellung 6 NL FGWM, Nr. 251, Taschenkalender Bernhard von Tieschowitz, 10. 08. 1944 Geheimakten vernichtet, 12. 08. 1944 Akten vernichtet und verpackt. 7 In den Grundsätzen der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden (Washington Principles 1998), wird als zweiter Punkt gefordert,

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und Aufbereitung von Quellen liegt ein für die Provenienzforschung wichtiger Aspekt der Grundlagen- bzw. Kontextforschung, denn oft kann in der objektbezogenen Einzelfallprüfung erst der historische Kontext die notwendigen Rückschlüsse auf den Erwerb oder Eigentumswechsel ermöglichen. Somit liegt im Ansatz des Quellenforschungsprojektes, wie auch der daraus entstandenen Tagung, zur Überlieferungsgeschichte, Institutionsgeschichte des Kunstschutzes, Biografie Wolff Metternichs und dessen Netzwerkanalyse der Wunsch, durch Kontextforschung relevante Ergebnisse zur objekt- und sammlungsbezogenen Provenienzforschung beitragen zu können. Inwiefern Wolff Metternich als Akteur in ­diesem Kontext bewertet werden kann und er seinen Handlungsspielraum bestimmen konnte, soll Kernfrage ­dieses Beitrags sein. Als erste These lässt sich Folgendes formulieren: Wolff Metternich war in seinem Handeln ein sehr vorausschauender und kalkulierender Stratege, der aus verschiedenen Perspektiven als Netzwerker und Strippenzieher ersichtlich wird. Jedoch kann er nicht als die omnipräsente Hauptfigur bezeichnet werden, als die er in seiner Selbstdarstellung und der Rezeption oftmals präsentiert wurde. Die Fragen, wie sich Wolff Metternich in seinen Selbstzeugnissen inszenierte, wie ihn sein Umfeld wahrnahm und wie er vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg agierte, werden im Folgenden biografisch-chronologisch nachvollzogen. Viele Thesen und Fragen können in d ­ iesem Rahmen lediglich aufgeworfen, thematische Schwerpunkte der Analyse Wolff Metternichs im Bezugsfeld um Kunstschutz, Denkmalpflege und Kunstgeschichte angedeutet werden. Zu einigen dieser Aspekte wurden auf der Tagung Vorträge gehalten und sind in den Beiträgen des Tagungsbandes detaillierter aufgefächert und aufbereitet.8

dass einschlägige Unterlagen und Archive der Forschung gemäß den Richtlinien des International Council on Archives zugänglich gemacht werden sollen. Siehe https://www.state.gov/ washington-conference-principles-on-nazi-confiscated-art/ (Stand: 26. 07. 2020), außerdem die gemeinsame Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS -verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz (Gemeinsame Erklärung 1999) und die Handreichung zur Umsetzung der „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS -verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ vom Dezember 1999, Neufassung 2019, https://www.kulturgutverluste.de/ Content/08_­Downloads/DE /Grundlagen/Handreichung/Handreichung.pdf?__blob=publication​ File&v=5 (Stand: 26. 07. 2020). 8 Der große historische und historiografische Wert privater Nachlässe soll an dieser Stelle noch einmal betont werden. Viele der Referent*innen der Tagung haben den Nachlass Franziskus Graf Wolff Metternich bereits für Recherchen genutzt, was in gegenseitigem Austausch ein fruchtbarer Prozess für die laufende Forschung ist. Einige weitere konsultierten die Akten im NL FGWM für Ergänzungen ihrer Beiträge in ­diesem Band oder nutzten die Sachinventar-Datenbank für weitere Verweise. Weitere Aspekte zu Wolff Metternich als Akteur sind insbesondere in den Beiträgen von Christina Kott, Jan Schleusener und Christoph Zuschlag zu finden.

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2. Familiäre Herkunft und berufliche Orientierung Franziskus Graf Wolff Metternich wurde am 31. Dezember 1893 im westfälischen Haus Beck (bei Bottrop) geboren. Er war zehntes Kind und jüngster Sohn von Reichsgraf Ferdinand Wolff Metternich (1845 – 1938) und Flaminia Prinzessin zu Salm-Salm (1853 – 1913).9 Die Familie der Grafen Wolff Metternich zur Gracht ist ein katholisches, rheinisch-westfälisches Adelsgeschlecht, das sich auf den bis in das 13. Jahrhundert zurückreichenden hessischen Stamm Wolff von Gudenberg zurückführt. Mitte des 15. Jahrhunderts fielen durch Heirat Teile der Herrschaft Metternich bei Weilerswist (Kreis Euskichen) an den Familienzweig, der sich Wolff genannt (von) Metternich nannte. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts gelangten Burg und Herrschaft Gracht als kurkölnisches Lehen in den erblichen Familienbesitz, der Familienname Wolff Metternich wurde in der Folgezeit um den Zusatz „zur Gracht“ ergänzt. Die Familie teilte sich in drei Linien: 1. Linie (Gracht), 2. Linie (Satzvey), 3. Linie (Vinsebeck).10 Das im 19.  Jahrhundert zu einem repräsentativen Schloss ausgebaute Gracht (bei Liblar, Erftstadt/Rhein-Erft-Kreis) war über vier Jahrhunderte bis 1957 der rheinische 9 Zur Biografie Wolff Metternichs siehe Josef Ruland (Hg.), Festschrift für Franz Graf Wolff Metternich (Jahrbuch des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz 1974), Neuss 1973, S. 11 – 14, Lebenslauf Prof. Dr. Dr.-Ing. e. h. Franz Graf Wolff Metternich, Junkersdorf; Henrike Bolte, Der rheinische Provinzialkonservator Franziskus Graf Wolff Metternich und der deutsche Kunstschutz 1940 – 1943. Erste Ergebnisse aus der archivischen Erschließung des Nachlasses, in: Annalen des historischen Vereins des Niederrheins 211 (2018), S. 205 – 231; Esther Heyer, Der Provinzialkonservator Franziskus Graf Wolff Metternich. Denkmalpflege und Kunstschutz im Rheinland und in Frankreich, in: Kulturpolitik der Rheinischen Provinzialverwaltung 1920 bis 1945. Tagung am 18. und 19. Juni 2018 im LVR -LandesMuseum Bonn (Beihefte der Bonner Jahrbücher 59), Darmstadt 2019, S. 73 – 84. 10 Zur Genealogie der Familie Wolff Metternich siehe u. a. Stiftung Deutsches Adelsarchiv (Hg.), Genealogisches Handbuch des Adels, Bd. 146 der Gesamtreihe, Gräfliche Häuser Bd. XIX, Limburg/Lahn 2009, Wolff Metternich S. 571 – 585, Bd. 105 der Gesamtreihe, Gräfliche Häuser Bd. XIV, Limburg/ Lahn 1993, Wolff Metternich S. 501 – 512. Siehe auch Genealogisches Handbuch des Adels, Genealogisches Handbuch der gräflichen Häuser, Bd. 18 der Gesamtreihe, Gräfliche Häuser A Bd. III, Glücksburg/Ostsee 1958, Wolff Metternich S. 512 – 521 und Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Gräflichen Häuser, Teil A 115. Jahrgang 1942, Gotha 1942, Wolff Metternich S. 643 – 647. Die Familienstiftung – die Wulffen-Stiftung – publizierte im Eigenverlag zur Familiengeschichte: Michael Graf Wolff Metternich, Auf den Spuren der Wölffe. Familiengeschichte derer Wolff ­Metternich zur Gracht, [Köln] 2011, S. 164 – 168 zu Franziskus Graf Wolff Metternich, S. 193 – 205 zur Baugeschichte des Schlosses Gracht bis zum Jahr 1939 von Franz Graf Wolff Metternich. Interessanterweise ist die Auflistung der Geschwister Franziskus’ in keinem der konsultierten Adelslexika (zwischen 1942 und 2009 erschienen) vollständig, vermutlich da einige bereits verstorben waren, als ledige Frauen keine weiterführende Linie prägten oder aber wie Ferdinand (1881 – 1918) nicht nur in Familienzwist standen, sondern auch zum Ende des ­Ersten Weltkriegs gefallen waren.

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­ amilienstammsitz. Nach mehreren Besitzerwechseln beheimatete das Wasserschloss im F Kölner Raum zuletzt u. a. die European School of Management and Technology (ESMT Berlin) und ist seit Dezember 2018 Teil der Dr. Karsten Wolf AG.11 Übersicht zu Eltern und Geschwistern von Franziskus Graf Wolff Metternich:12 Ferdinand Reichsgraf Wolff Metternich zur Gracht (Gracht 02. 07. 1845 – 25. 05. 1938 Gracht), Erboberjägermeister im Herzogtum Jülich, königlich preußischer Kammerherr, Mitglied des preußischen Herrenhauses, K. u. K. Oberleutnant, geborenes Mitglied der Gemeindeverordneten von Liblar 1872 verheiratet mit Flaminia Prinzessin zu Salm-Salm (Anholt 16. 12. 1853 – 14. 03. 1913 Gracht), Wild- und Rheingräfin Kinder: 1. Alfred (Beck 24. 10. 1872 – 29. 01. 1932 Strauweiler), königlich preußischer Rittermeister d. Reserve, Attaché der kaiserlichen Botschaft in Tokio, Ehrenbürgermeister von Odenthal 1906 verheiratet mit Maria Gräfin von und zu Hoensbroech als 1. Ehefrau (Haag 11. 03. 1879 – 31. 12. 1911 Hohenhonnef ) 1913 verheiratet mit Hedwig Freiin von Loe zu Heerlen als 2. Ehefrau (Heerlen 09. 12. 1888 – 09. 03. 1979 Bonn). 2. Paul (Anholt 16. 09. 1873 – 06. 11. 1953 Gracht). 3. Fritz (Beck 04. 09. 1874 – 26. 03. 1913 Gracht) 1901 verheiratet mit Clara Schreck (Frankfurt/Oder 16. 07. 1869 – 14. 04. 1938 Berlin). 4. Marie Josephine (Beck 15. 03. 1976 – 28. 11. 1946 Trier), Ordensfrau der St. Josephschwestern in Trier. 5. Levin (Beck 12. 10. 1877 – 27. 01. 1944 Frauenthal) 1913 verheiratet mit Lidwina Freiin Geyr von Schweppenburg (Müddersheim 02. 04. 1881 – 01. 10. 1959 Bonn). 6. Josephine (Bonn 10. 04. 1879 – 17. 02. 1941 Bonn), tätig im Sozialdienst. 7. Ferdinand (Beck 30. 05. 1881 – 29. 09. 1918 gefallen bei Bellicourt), königlich preußischer Gerichtsassessor, Oberleutant d. R. 8. Joseph (Beck 28. 04. 1884 – 24. 04. 1943 Heppingen) 1915 verheiratet mit Maria del Consuelo Freiin Zorn von Bulach (Osthausen 04. 07. 1891 – 19. 03. 1968 Offenburg). 9. Eleonore (Beck 29. 07. 1888 – 07. 02. 1929 Müddersheim) 1912 verheiratet mit Friedrich Karl Freiherr Geyr von Schweppenburg (Müddersheim 30. 06. 1877 – 16. 02. 1967 Düren) Major d. R. 10. Franziskus (Beck 31. 12. 1893 – 25. 05. 1978 Fronhof/Köln) 1925 verheiratet mit Alix Freiin von Fürstenberg (Dahlhausen 13. 03. 1900 – 16. 01. 1991 Fronhof/Köln). 11 Eine private Akutklinik für psychodynamische Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik: https://www.karstenwolf.com/schloss-gracht (Stand: 26. 07. 2020). 12 Michael Graf Wolff Metternich, Auf den Spuren der Wölffe (wie Anm. 9), S. 138.

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Ein weiterer interessanter und wahrscheinlich prägender Familienbezug war Paul Graf Wolff Metternich (1853 – 1934), ein Bruder von Franziskus’ Vater, der unter K ­ aiser Wilhelm II . deutscher Diplomat in London gewesen war, jedoch aufgrund seiner Kritik an der deutschen Flottenpolitik 1912 zurücktreten musste. 1915 wurde er zum Botschafter im Osmanischen Reich berufen, dort wegen seiner Kritik an der türkischen Armenienpolitik schon im Oktober 1916 wieder abberufen.13 Der Kontakt zu d ­ iesem Onkel, der nach dem Ausscheiden aus dem diplomatischen Dienst auf Schloss Gracht lebte, kann für Franziskus Graf Wolff Metternich durchaus als prägend und vorbildlich für diplomatische Einflussnahme und Bestrebungen um eine starke berufliche Position mit Handlungsspielräumen verstanden werden. Mit starker katholischer Prägung wuchs Franziskus auf Schloss Gracht und in der Universitätsstadt Bonn auf. Die Korrespondenz mit der Familie, insbesondere der Briefwechsel mit der M ­ utter, zeigen eine frühe Förderung der französischen Sprache und legten bereits einen Grundstein für seine Frankophilie.14 Ein erstes Inventarbuch über seine persönlichen Besitztümer von 1909 zeigt vielleicht sogar schon eine frühe Leidenschaft für die kunsthistorische Inventarisierung. Von 1904 bis zum Abitur 1913 besuchte er das humanistische Gymnasium in Brühl, worüber er ebenfalls ausführlich Buch führte.15 Wie es für viele Söhne des katholischen rheinischen Adels Usus war, beantragte Ferdinand Graf Wolff Metternich am 14. Juni 1914 die Aufnahme seines Sohnes in die Genossenschaft der rheinisch-westfä­ lischen Malteserritter. Nach dem notwendigen Nachweis der Adeligkeit seiner Vorfahren bis in die Generation der Ururgroßeltern wurde er am 10. November 1915 als Ehrenritter in den Malteserorden aufgenommen.16 Kurz vor Kriegsbeginn begann Wolff Metternich ein Studium der Kunstgeschichte und Denkmalpflege an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität 13 Nachlass Paul Graf Wolff Metternich im Bundesarchiv Berlin, Bestand BArch N 2337. Im Familien­ archiv der Grafen Wolff Metternich, Akte 700 sind Privatbriefe an seinen Bruder Ferdinand 1912 – 1916 erhalten. 14 NL FGWM, Nr. 24: Briefe und Reisepostkarten von Flaminia Prinzessin zu Salm-Salm an ihren Sohn Franziskus (1901 – 1917) mit verschiedener Familienkorrespondenz; Nr. 22: Briefe und Feldpostbriefe der Constance Prinzessin zu Salm-Salm an ihren Neffen Franziskus (1913 – 1919); Nr. 253: Briefe an Franziskus Graf Wolff Metternich von seinem Vater (1905 – 1936); Nr. 267, Briefe verschiedener Verwandter an Franziskus Graf Wolff Metternich (1902 – 1934). 15 Ebd., Nr. 176: Oktavheft Inventar meiner Sachen in Gracht 1909. Die Dokumentation zur Schulzeit befindet sich u. a. in Nr. 178: Wolff Metternichs Schulzeugnisse vom Gymnasium zu Brühl, 1906 – 1913. 16 Ehreshoven, Archiv der deutschen Assoziation des Malteserordens, Bestand Genossenschaft der Rheinisch-westfälischen Malteserritter (künftig: Ehreshoven, Archiv des Malteserordens), Akte Nr. 1450 (Personalakte Franziskus Graf Wolff Metternich): Schreiben an Wolff Metternich über die Aufnahme vom 19. 11. 1915. Die Genossenschaft der Rheinisch-Westfälischen Malteserritter wurde Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet. Die Ordensgeschichte reicht bis in das 11. Jahrhundert zurück, ab dem 16. Jahrhundert auf Malta ansässig und seit 1834 mit Ordenssitz in Rom. Auch aktuell wirkt der Souveräne Malteserorden in verschiedenen politischen und karitativen Bereichen, wurde 2017 als eigenständiges Völkerrechtssubjekt von der BRD anerkannt und nahm offizielle

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Bonn und wurde Schüler von Paul Clemen. Daraus entstand eine Schüler-Lehrer-Beziehung, die in den folgenden Jahrzehnten an Bedeutung zunahm. Die Kontinuität dieser Verbindung zeigt sich auch in der späteren Dozententätigkeit am Bonner Kunsthistorischem Institut, in der Berufsnachfolge als Provinzialkonservator und in der Parallele der Kunstschutztätigkeiten Clemens im ­Ersten und Wolff Metternichs im Zweiten Weltkrieg. Der Kulturgutschutz als übergeordnetes Ziel des Erhalts von menschlichem Kulturerbe wird dabei bei beiden als selbstauferlegtes und vielbetontes Arbeitsethos hervorgehoben.17 Nach Ausbruch des ­Ersten Weltkrieges wurde Wolff Metternich zum 1. Rheinischen Husarenregiment (Bonner Husaren), einem vom Adel geprägten Kavallerieverband der preußischen Armee, als Fahnenjunker eingezogen. In seinen Feldpostbriefen, die ab 6. November 1914 im Familienarchiv erhalten sind, berichtete er, dass er am 19. Mai 1915 zum Leutnant befördert wurde, eine weitere Beförderung ist nicht erwähnt. Ab Mai 1915 war er Ordonnanz­ offizier beim Infanterieregiment 68, ab 1916 in der gleichen Position bei der 31. Infanterie­ brigade. Durch einen Granatsplitter wurde er im Mai 1916 am Hals stark verwundet, beendete aber seinen Heeresdienst nicht am Kriegsende, sondern erst im Oktober 1919 mit der Auflösung seines Regiments im Zuge der militärischen Abrüstung nach den Vorgaben des Versailler Vertrags. Zu seinem Abschied vom Militär und der politischen Situation wird Wolff Metternich in einem Brief an seinen Vater vom 19. Februar 1919 dabei sehr deutlich: diplomatische Beziehungen auf. Siehe die Homepage des Ordens: https://www.malteserorden.de (Stand: 26. 07. 2020). 17 Paul Clemen war deutscher Kunsthistoriker und Denkmalpfleger. Er studierte Kunstgeschichte und Deutsche Philologie an den Universitäten Leipzig, Bonn und Straßburg, wurde 1889 promoviert und arbeitet ab 1890 für die Inventarisierung der Kunstdenkmäler der Rheinprovinz bei der Kommission für die Denkmälerstatistik. 1893 wurde er zum ersten Provinzialkonservator der Rheinprovinz ernannt. An der Universität Bonn lehrte er von 1894 als außerordentlicher Professor, ab 1901 als Lehrstuhlinhaber für Kunstgeschichte bis zu seiner Emeritierung 1936 und war Mitglied und Initiator diverser Institutionen und Vereine zur Denkmalpflege und Heimatschutz. Clemen wurde während des ­Ersten Weltkrieges als Beauftragter für den Kunstschutz im Krieg berufen. Siehe Udo Mainzer (Hg.), Paul Clemen. Zur 125. Wiederkehr seines Geburtstages (Jahrbuch der Rheinischen Denkmalpflege 35), Köln 1991; Paul Clemen (Hg. in Verbindung mit Gerhard Bersu u. a.), Kunstschutz im Kriege. Bericht über den Zustand der Kunstdenkmäler auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen und über die deutschen und österreichischen Maßnahmen zu ihrer Erhaltung, Rettung, Erforschung. Bd. 1: Die Westfront und Bd. 2: Die Kriegsschauplätze in Italien, im Osten und Südosten, Leipzig 1919. Clemen und ­später auch Wolff Metternich stützten sich für die Kunstschutzmaßnahmen im E ­ rsten bzw. Zweiten Weltkriegs auf die Haager Landkriegsordnung (HLKO) von 1907, die die Zerstörung und Wegnahme feindlichen Eigentums untersagte, wenn auch militärische Ziele davon nicht gestört sein durften und der Kunstschutz folglich der Kriegsführung untergeordnet wurde. Beide betonen den Schutz der Kulturgüter als übergeordnetes Ziel im Sinne des Kulturerbes der Menschheit stark. Siehe zur Haager Landkriegsordnung von 1907 (online ist der volle Wortlaut beispielsweise einsehbar unter): https://archive.org/stream/HaagerLandkriegsordnungHLKOUnbekannt/Haager%20 Landkriegsordnung%20 %28HLKO%29 %20-%20Unbekannt_djvu.txt (Stand: 26. 07. 2020).

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Ich denke nun wirklich ernstlich daran, meinen Abschied zu nehmen. Ich möchte nur solange warten, bis mein Kommandeur weggeht, was vielleicht bald der Fall sein kann, da das Regiment vermutlich einem älteren Stabsoffizier gegeben wird, oder, was auch gar nicht ausgeschlossen ist, aufgelöst wird. Dies kann sich natürlich noch eine gewisse Zeit hinziehen, wird aber auf jeden Fall nicht mehr sehr lange dauern. Unter den jetzigen Verhältnissen weiterzudienen, wird nicht mehr erfreulich sein, obschon ich die Hoffnung, dass die Nationalversammlung doch die Armee aufrichten wird, nicht aufgegeben habe. Zweifelsohne war die Armee ganz langsam auf dem Wege, wieder in etwas bessere Formen zu kommen. Von der Nationalversammlung und der vorläufigen Regierung kann ich mir sonst mit dem besten Willen nicht viel gutes versprechen.18

Kann aus dieser Zeit bereits eine Bestärkung in der Berufswahl, dem Interesse für Denkmalpflege oder sogar für den militärischen Kunstschutz abgeleitet werden? In einer Rede am 1. Februar 1960 im Denkmalamt in Bonn zum Anlass des ihm in ­diesem Jahr gewidmeten Jahrbuchs der Denkmalpflege beschreibt Franziskus Graf Wolff Metternich rückblickend seine Tätigkeiten und die Relevanz der Denkmalpflege für sein persönliches Handeln. Dabei benannte er die Eindrücke auf dem Gymnasium in Brühl bereits als wegweisend für sein Interesse an Kunstgeschichte und Denkmalpflege. Außerdem habe sein Vater als Mitglied des Provinziallandtages die Publikation Kunstdenkmäler der Rheinprovinz abonniert, wodurch er zu geschichtlichem und heimatkundlichem Denken inspiriert worden sei. Zudem s­ eien die Kirchenbesichtigungen, insbesondere im Kölner Dom und in Kathedralen Europas, für ihn prägend gewesen. Seine Eindrücke der Kriegszerstörungen in Städten und an Baudenkmälern im ­Ersten Weltkrieg schienen ihn in seiner Berufswahl bestärkt zu haben: Während des Krieges, hin- und hergeschoben z­ wischen Lothringen und der flandrischen Küste, hatte ich Gelegenheit genug, trotz der Erschütterungen des Kriegsgeschehens, viele grosse Kunstwerke, Kathedralen, ­Kirchen, Burgen, Schlösser zu bewundern und die grosse Not zu beklagen, in die sie der Menschen Wahn gebracht hatte. So wurde es mir dann nach Kriegsschluss zur Gewissheit, mich der Kunst, ihrer Geschichte und der Pflege ihrer Denkmale weiter zu verpflichten.19

Retrospektiv mag ­dieses Narrativ einer bereits in den Erfahrungen des ­Ersten Weltkriegs beginnenden, identitätsstiftenden Tätigkeit des Schutzes von Kultur vor kriegerischer Zerstörung, die zudem als selbstlos und moralisch verpflichtende Aufgabe verstanden wurde, durchaus einleuchten. Der Abgleich mit den eigenen Feldpostbriefen aus dieser Zeit zeigt jedoch ein anderes Bild. 18 Ehreshoven, Archiv der Grafen Wolff Metternich zur Gracht, Akte Nr. 704: Feldpostbriefe an seinen Vater Ferdinand, Nov. 1914 – 1919, Zitat aus Brief Nr. 104; Ruland (Hg.), Festschrift für Franz Graf Wolff Metternich (wie Anm. 8). Für die Auskunft zu Wolff Metternichs militärischer Karriere ist Verena Lemke-Schmehl (Mainz/Bonn) herzlich zu danken. 19 Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland, Pulheim-Brauweiler (ALVR), 35142, Rede, gehalten von Prof. Franz Graf Wolff Metternich am 1. Februar 1960 im Denkmalamt zu Bonn (1960).

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Abb. 2  Franziskus Graf Wolff Metternich als Soldat im ­Ersten Weltkrieg, ca. 1914/15.

In den Feldpostbriefen an seinen Vater schilderte Franziskus seine Eindrücke über die Zeit im Schützengraben, wie die feindlichen Franzosen kämpften, beschrieb den Umgang mit den Pferden im Husarenregiment und berichtete über bereiste Städte und ihre Kunstdenkmäler. Dabei ist jedoch kein besonderes Interesse für den Denkmalschutz ersichtlich, sondern vielmehr ein sich mit anderen katholischen adeligen Söhnen gleichendes Vorgehen der Berichterstattung an die Familie zu erkennen. Das Augenmerk auf Kathedralen und Städtebau scheint hier vielmehr aus dieser familiären und christlichen Prägung zu stammen und ist in vergleichender Analyse mit Schilderungen in Feldpostbriefen anderer adeliger Offiziere im E ­ rsten Weltkrieg nicht besonders herausragend.20 Sehr interessant sind hingegen zwei Briefe aus dem Februar und Juli 1919 an den Vater, in denen er die eigene Unsicherheit der Berufswahl schilderte. Dabei äußerte er Bedenken über die nach dem Kriege zu erwartende schwierige Lage am Arbeitsmarkt und stellte sich und dem Vater die Frage, was in dieser Situation wohl das Beste sein könnte, ohne dabei jedoch auf das vor dem Krieg begonnene Studium einzugehen: Eine weitere Sache, die mir noch Bedenken gibt, ist die drohende Beschäftigungslosigkeit, die mir unter Umständen nach meiner Verabschiedung bevorsteht, denn ich bin mir noch nicht im Klaren über meine zukünftige Betätigung bzw. meinen Beruf. Und ich wäre dir nun sehr dankbar, wenn Du mir möglichst bald schreiben würdest, wie Du hierüber denkst und was Du mir zu tun ratest. Lange 20 Für die Hinweise hierzu herzlichen Dank an Verena Lemke-Schmehl (Mainz/Bonn), die derzeit eine Dissertation zum Thema „Adelige Offiziere im ­Ersten Weltkrieg“ ausarbeitet.

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untätig zu sein ist mir ganz unmöglich und halte das ich auch nicht für richtig. Was meine Pläne für die unmittelbare Zukunft angeht, so möchte ich bald einen langen Urlaub nehmen (d. h. wenn mein Kommandeur weggeht oder man durch die Verhältnisse gezwungen wird, den Abschied einzureichen) und dann vielleicht im Anschluss daran weggehen.

Als seine Rückkehr näherkam, erwähnte er sogar einen möglichen neuen Beruf: Auf meine Rückkehr nach Hause freue ich mich natürlich sehr, wenn ich auch nicht leugnen kann, dass mir der Gedanke an meine Zukunft bisweilen grosse Sorge macht, denn über kurz oder lang muss ich doch wieder in einem neuen Beruf gänzlich von Anfang an beginnen, und das wird unter den heutigen Verhältnissen nicht ganz leicht sein.21

Das stringente Bestreben für den Kulturschutz oder gar eine Berufung in ­diesem Sinne sind an dieser Stelle aus den historischen Quellen nicht zu erkennen. In der Reflexion über seinen Werdegang 50 Jahre s­ päter erschien Wolff Metternich diese Phase aber bereits als ein Teil seiner Denkmalpflege-Laufbahn. Dennoch nahm Wolff Metternich sein Studium der Kunstgeschichte in Bonn direkt nach seiner Rückkehr vom Kriegsdienst wieder auf, was doch für ein Anhalten, wenn nicht sogar Vertiefen seines Interesses für Denkmäler und deren Schutz spricht. Zudem unternahm er einige teilweise mehrmonatige Forschungsreisen durch Europa, recherchierte zu kunsthistorischen ­Themen und fertigte Skizzen von Baudenkmälern an. 1923 schloss er sein Studium mit einer Dissertation über „Die spätgotische Loggia zu Binsfeld, eine stilkritische Studie zur niederrheinischen Profanarchitektur im letzten Viertel des 15. und im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts“ ab. Danach verbrachte er im Frühjahr 1924 mehrere Monate in Rom.22 1925 heiratete er Alix Freiin von Fürstenberg, aus der Ehe gingen vier Kinder hervor: Johann Adolf (1926 – 1995), Winfried (1928 – 2017), Theresia (geb. 1930) und Antonius (geb. 1933). Die Briefe z­ wischen den Eheleuten und Tagebücher wie auch Kalender sprechen für ein harmonisches Verhältnis. Auch die Karten der Kinder und Briefe der Kinderbetreuerin illustrieren ein liebevolles Familienverhältnis.23 21 Ehreshoven, Archiv der Grafen Wolff Metternich zur Gracht, Akte 704, Brief Nr. 104 vom 19. 02. 1919 an seinen Vater und Brief Nr. 113 vom 20. 07. 1919 an seinen Vater (wie Anm. 18). 22 Die Korrespondenz zu den Forschungsreisen ist unter anderem belegt in NL FGWM, Nr. 2, Briefe von Alix Gräfin Wolff Metternich an ihren Mann (1921 – 1932), Nr. 253 und Archiv Schloss Gracht, Akte 708, Korrespondenz mit dem Vater; NL FGWM, Nr. 221, Unterlagen zu Wolff Metternichs Studium der Kunstgeschichte: Notiz- und Skizzenbücher von Reisen v. a. durch Deutschland und Italien sowie Kolleghefte mit Mitschriften, Notizen und Skizzen zu Vorlesungen (1913/14, 1920 – 1924), Nr. 190, Promotionszeugnis, Nr. 149, Manuskript (1923) und Druckfassung (1928) der Dissertation, Nr. 150 u. 151, Notizen und Recherchen zur Dissertation. 23 Stiftung Deutsches Adelsarchiv (Hg.), Genealogisches Handbuch des Adels, Bd. 146 der Gesamtreihe, Gräfliche Häuser Bd. XIX, Limburg/Lahn 2009, Wolff Metternich S. 571 – 585, hier S. 85 f:

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Neben den Dokumenten aus eigener Feder zu diesen Lebensstationen illustrieren Dokumente von Familienmitgliedern, Unterlagen der Gutsverwaltung, Korrespondenz und Fotoalben im persönlichen Nachlass die Situation des prägenden familiären Umfeldes und Erwachsenwerdens Wolff Metternichs. Diese werden ergänzt durch Nachlässe anderer Familienmitglieder oder Verwaltungsunterlagen in anderen Archiven.24 Die Dokumente sprechen dafür, dass die Verwandtschaftsbezüge der Adelsfamilie, katholische Verbindungen und ein Talent für vorausschauendes Handeln sowie taktisches Knüpfen von Beziehungen für Wolff Metternichs Entwicklung und die späteren Tätigkeiten als Denkmalpfleger und Kunstschützer von Vorteil waren. Die familiäre Situation als zehntes Kind einer rheinischen Adelsfamilie brachte zwar einen gewissen gesellschaftlichen Status mit sich, aber keine finanzielle Ungebundenheit. Erst Wolff Metternichs ambitioniert verfolgte Karriere und beruflichen Kontakte ermöglichten letztendlich seine kulturpolitisch bedeutenden Positionen. Der familiäre Hintergrund und das Wissen um das bedeutende Familienarchiv, das in der ersten Hälfte der 1920er Jahre intensiv erschlossen worden war, haben sicher auch den Sinn für den die Entstehung und Erhalt eines eigenen Nachlasses mit familienhistorisch relevanten Quellen gefördert. Ergänzt durch die akribische Aktenführung des Beamten Wolff Metternich bietet der NL FGWM einen hohen Quellenwert sowohl für Forschung zur Person als auch zum Kunstschutz.

„Franziskus (Franz Florentin Maria Hubertus Ignatius Sylvester (*Beck 31. 12. 1893, †Junkersdorf bei Köln 25. 05. 1978), Dr. phil., Dr. Ing. E. h., HonProf., Rittermeister, Dir. Erem. der Bibliotheca Hertziana in Rom, Päpstl. Geheimkämmerer, Ehrenbailli u. Großkreuzträger d. souv. Malteser-Ritter­ orden, Heirat in Herdringen 05. 11. 1925 mit Alix Freiin v. Fürstenberg (*Dahlhausen 17. 03. 1900, †Junkersdorf 16. 01. 1991), Dame d. souv. MaltRrO., Tochter d. Erbtruchsessen im Hzgt. Westfalen u. Kgl. Preuß. Kammerherrn Engelbert Gf v. F-Herdringen, Fideikommisshrn auf Herdringen u. d. Maria-Pia Gfin Prschma, Freiin v. Bilkau. Kinder: 1) Franziskus Johann Adolf (Hanno) Engelbert Ferdinand Hubertus Maria, (*Bonn 15. 8. 1926, †ebd. 01. 08. 1995). 2) Winfried Maria Paul Constantin Franziskus Ferdinand Engelbert Hubert Hadrian (*Bonn 08. 09. 1928, †ebd. 22. 11. 2017), 28. 5. 1960 Heirat in Rom mit Ina Wirz. 3) Theresia Maria Franziska Flaminia Emmanuela Elisabeth (*Bonn 24. 12. 1930), 8. 9. 1953 Heirat in Altenberg mit Clemens Graf. v. u. zu Hoensbroech (1926 – 1970). 4) Antonius Franziskus Sebastianus Maria (*Bonn 13. 06. 1933), 30. 06. 1981 Heirat in Köln mit Ulrike Schirmer.“ Korrespondenz Wolff Metternich mit seiner Familie unter anderem in NL FGWM , Nr. 17, 18, 19, 20, 21, 23, 86, 256. 24 Siehe die umfangreiche Überlieferung zur Familiengeschichte und Verwaltung im NL FGWM , außerdem das Familienarchiv der Grafen Wolff Metternich zur Gracht mit Unterlagen zur Familiengeschichte seit 1496, zu dem auch der NL FGWM gehört, oder beispielsweise auch im Bundesarchiv Berlin, BArch R 3001/30802 und 30803 zum Fideikommiss Graf Wolff Metternich bezüglich der Schutzforste Strauweiler und Lindenberg.

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3. Wolff Metternich als Provinzial- und Landeskonservator Seit Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in Berlin einen Staatskonservator für die Pflege der Bau- und Kunstdenkmäler in Preußen. Im Jahr 1891 wurde die „Provinzialkommission für die Denkmalpflege in der Rheinprovinz“ geschaffen und 1893 wurde Paul Clemen von der Kommission zum Provinzialkonservator der Rheinprovinz gewählt. Paul Clemen hatte ­dieses Amt, ebenso wie diverse andere Aufgaben in Personalunion, bis 1911 inne. Edmund Renard wurde Clemens Nachfolger und leitete die rheinische Denkmalpflege bis 1928.25 Zwischen Paul Clemen und Franziskus Graf Wolff Metternich entwickelte sich eine interessante SchülerLehrer-Filiation, in der Clemen für Wolff Metternich die Position eines wissenschaftlichen und beruflichen Ziehvaters, Förderers und Beraters einnahm. Die Anfänge sind vermutlich in der Zeit seit der Wiederaufnahme des Studiums 1919/1920 zu suchen und die Verbindung hielt bis zu Clemens Tod 1947 an. Dies schlug sich nicht zuletzt in der Berufsnachfolge im Amt des Provinzialkonservators nieder und zeigte sich insbesondere in der Fachkorrespondenz zu Denkmalpflege, Kunstschutz und Universitätsangelegenheiten z­ wischen den beiden. Neben einer Vielzahl an rheinischen Kollegen widmete auch Wolff Metternich Clemen posthum biografische Porträtskizzen, die diese enge Bindung und Verehrung verdeutlichen.26 Nach Promotion und Studienreisen war Wolff Metternich 1924/1925 Mitarbeiter der Stadt Köln bei der Vorbereitung der „Jahrtausendausstellung der Rheinlande“, 1926 trat er in den Dienst der Rheinischen Provinzialverwaltung als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter beim Provinzialkonservator Edmund Renard, zu dessen Nachfolger er am 1. Oktober 1928 gewählt wurde. Ein Licht auf die Vorgänge seiner Ernennung im Hintergrund wirft ein im NL FGWM erhaltenes Schreiben vom 30. Juli 1928, in dem sich der Abt von Maria Laach, Ildefons ­Herwegen (1874 – 1946), einer der exponiertesten deutschen Vertreter des Rechtskatholizismus, ausdrücklich beim Oberpräsidenten der Rheinprovinz für Wolff Metternich ausspricht: (…) möchte ich nicht verfehlen, darauf hinzuweisen, dass der bisherige Stellvertreter von Herrn Professor Renard, Herr Dr. Graf Wolff Metternich, sich großer Sympathie beim rheinischen Klerus erfreut. Dieser Umstand ist umso beachtenswerter, als der Conservator im Rheinland vorwiegend mit der Geistlichkeit in Beziehung treten muss. Dabei sind aber auch reiche Sachkenntnisse und Pflichtbewusstsein des Grafen Metternich vorbildlich. Ich glaube daher sagen zu dürfen, dass die rheinische Denkmalpflege in seiner Heimatliebe und seiner beruflichen Pflichttreue aufs beste aufgehoben wäre (…).

25 Für einen Überblick siehe insbesondere den Beitrag von Jan Schleusener in d­ iesem Band, außerdem die darin zitierte Literatur zur Denkmalpflege. 26 Korrespondenz Clemen und Wolff Metternich im NL FGWM, Nrn. 240, 37 und 52. Archiv der Universität Bonn, Slg. Bib. 2552, Franz Graf Wolff Metternich, Paul Clemen. Skizze eines Lebensbildes, 1966; Franz Graf Wolff Metternich, Paul Clemen und die Idee der Denkmalpflege, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 1952, S. 226 – 233; Ders., Paul Clemen. Skizze eines Lebensbildes. Zur 100. Wiederkehr seines Geburtstages am 31. 10. 1966, in: Rheinische Heimatpflege 4 (1967), S. 6 – 12.

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In seinem Dankschreiben auf einen (nicht erhaltenen) Brief des Oberpräsidenten hielt Abt Herwegen fest, (…) aus Ihren geschätzten Zeilen die Übereinstimmung unserer Auffassung (…) feststellen zu dürfen (…).27 Wolff Metternich hatte das Amt des Provinzial- und ­später Landeskonservators bis 1950 inne – eine Kontinuität über mehrere politische Systeme und strukturelle Umbrüche hinweg (Weimarer Republik, NS-Regime, britische Besatzung in der Nachkriegszeit und die neu gegründete Bundesrepublik). In der Nachfolge der ersten beiden langjährigen und für das Amt prägenden Provinzialkonservatoren gestaltete auch Wolff Metternich, der zu d ­ iesem Zeitpunkt keine langjährige Berufserfahrung hatte und erst 35 Jahre alt war, seine Führungsposition autoritär und verfolgte diese Karriere selbstbewusst. So scheute er beispielsweise auch nicht die Konfrontationen mit Clemen über Zuständigkeiten bei der Denkmälerinven­ tarisation, wie den Quellen zu entnehmen ist.28

4. Mitgliedschaft im Malteserorden und Mitgliedschaft in der NSDAP: ein Widerspruch? Die 1930er Jahre und der Aufstieg der Nationalsozialisten brachten neue Herausforderungen für den katholischen Adeligen Graf Wolff Metternich mit sich. Auf der einen Seite brachte der Aufstieg der sogenannten Westforschung – ein völkischer Ansatz der Kunstgeschichte, der die Dominanz deutscher Kunststile für die Stilentwicklung des gesamten westlichen Raumes zu beweisen suchte – sowie eine Fokussierung der NS-Ideologie auf Heimat und damit auch Heimatpflege eine neue Bedeutung der Denkmalpflege hervor. Dadurch erweiterten sich sowohl die finanziellen Rahmenbedingungen als auch der Aktionsradius des Rheinischen Provinzialkonservators.29 Auf der anderen Seiten sah sich Wolff Metternich damit konfrontiert, wie er sich der NSDAP gegenüber verhalten sollte, die der katholischen

27 NL FGWN, Nr. 350; Marcel Albert, Ildefons Herwegen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/ildefons-herwegen/ DE-2086/lido/57c82e8ea97441.95455986 (Stand: 26. 07. 2020). 28 Siehe Rudolf Kahlfeld, Findbuch zum ALVR-Bestand Rheinisches Amt für Denkmalpflege, Generalakten 1887 – 2006, Pulheim 2009: https://afz.lvr.de/media/de/archive_im_rheinland/archiv_des_lvr/ findbuch_rheinisches_amt_fuer_denkmalpflege_generalakten_1887_2006.pdf (Stand: 26. 07. 2020). 29 Siehe in ­diesem Band den Beitrag von Jan Schleusener sowie dessen laufendes Projekt „Geschichte der Ämter für Denkmalpflege in Bayern, Thüringen und im Rheinland 1920 – 1960“, angesiedelt an der Universität Erfurt. Siehe außerdem die Schilderungen Wolff Metternichs zu seinen Tätigkeiten in der NS-Zeit in NL FGWM, Nrn. 9 und 11. Zu Westforschung siehe Burkhard Dietz/Helmut Gabel/Ulrich Tiedau (Hg.), Griff nach dem Westen. Die „Westforschung“ der völkisch-nationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum (1919 – 1960), 2 Bde. (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 6), Münster 2003.

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­ irche und auch dem Malteserorden, dem Wolff Metternich angehörte, ablehnend und K sogar feindlich gegenüberstand. Eine Untersuchung über den rheinischen Adel in der NS-Zeit ist bislang nicht erfolgt, sodass es auch keine Zahlen zu überzeugten NS-Anhängern und Mitgliedern der NSDAP innerhalb des katholischen Adels vorliegen. Beispielhaft sei auf den fest im katholischen Milieu verwurzelten Franz-Joseph Fürst und Altgraf zu Salm-Reifferscheidt-Krautheim und Dyck (1899 – 1958) – in Briefen mit Wolff Metternich „Franzi“ genannt – verwiesen. Er war Vizepräsident des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande, Administrator der Deutschen Statthalterei des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem und Hochmeister der „Erzbruderschaften des heiligen Sebastianus“ in der Deutschen Schützenbruderschaft. 1932 sprach er sich als Hochmeister gegen den Versailler Friedensvertrag aus. Nachdem auf der Fuldaer Bischofskonferenz im März 1933 zur Treue gegenüber der rechtmäßigen Obrigkeit aufgerufen wurde, setzte er sich bei den Schützenvereinen mit Betonung des „von je her bestehenden Kampfes der Schützen für die Einheit der deutschen Volksgemeinschaft“ ebenfalls für eine Mitarbeit im neuen Staat ein. Fürst Salm-Reifferscheidt war NSDAP-Mitglied und wurde am 4. Mai 1933 zum Vizepräsidenten der Maltesergenossenschaft, am 23. September 1936 zu deren Präsidenten gewählt. Noch im Jahr 1933 begannen jedoch seitens des NS -Staates Bestrebungen, die Vereinigungen im Deutschen Schützenbund zu paramilitärischen ­Zwecken gleichzuschalten – anderenfalls sollten sich diese zu rein kirchlichen Vereinen ohne Schießsport umstrukturieren. Der überkonfessionellen Umgestaltung der Erzbruderschaft widersetzte sich Fürst Salm-Reifferscheidt vehement, was dazu führte, dass diese aufgrund oppositionellen Verhaltens gegen Staat und Partei am 3. März 1936 aufgelöst und der Hochmeister spätestens im Herbst 1936 aus der NSDAP ausgeschlossen wurde.30 Daraufhin entschied er sich im Fokus staatlicher Repressionen stehend am 23. Juli 1937 auf der Generalversammlung der Maltesergenossenschaft vom Amt des Präsidenten zurückzutreten, um politischen Schaden vom Orden abzuwenden. Das Spannungsverhältnis wird im Protokoll umschrieben: Die Grundhaltung des Hohen Ordens werde durch die innere Bindung an die katholische ­Kirche bestimmt. Diese Tatsache führe notwendig dazu, sich zu den einmal aufgeworfenen weltanschaulichen Zeitfragen zu äußern. Wie leicht aber hieraus Differenzen, die aus der Verschiedenheit grundsätzlicher Auffassungen resultieren, entständen, sei in seiner eigenen Angelegenheit greifbar zutage getreten, da er als Führer der St. Sebastianus-Erzbruderschaft, einer Vereinigung von 150.000 katholischen Männern schon früher zu den erwähnten Zeitfragen Stellung zu nehmen sich veranlaßt sah und dadurch Spannungsmomenten unterworfen war, deren letzte Konsequenzen bekannt s­eien.

30 Dominik Potthast, „Zur Heiligung unserer nationalen Volksgemeinschaft“. Abt Ildefons Herwegen, die Abtei Maria Laach und die Erzbruderschaft St. Sebastianus, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 69 (2017), S. 367 – 391, hier S. 382 – 386.

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Fürst Salm-Reifferscheidt wird folgend im Protokoll wörtlich zitiert: Ich habe mich daher entschlossen, meine Präsidentschaft unter der Bedingung zur Verfügung zu stellen, daß der Rat einstimmig einen Präsidenten zur Wahl präsentiert, der nach menschlichem Ermessen die Bindungen der Genossenschaft an Orden und ­Kirche unter allem Umständen garantiert.

Die Vollversammlung wählte daraufhin einstimmig den Vizepräsidenten Rudolf Freiherr von Twickel zum Präsidenten der Genossenschaft. Dieser hatte zuvor noch betont: Sie haben daraus gesehen, daß die Gründe, w ­ elche den Fürsten Salm zu d­ iesem Schritt bewogen haben, nicht eigentlich innerhalb der Genossenschaft liegen, sondern durch eine unglückliche bzw. unerfreuliche Verkettung von Umständen hervorgerufen waren. Wir müssen feststellen: Fürst zu Salm hat in großzügiger und großherziger Weise die Interessen der Genossenschaft persönlichen Erwägungen vorangestellt.31

Am 9. Juli 1931 war Wolff Metternich in den Vorstand der Rheinisch-westfälischen Genossenschaft der Malteserritter gewählt worden und von ­diesem Zeitpunkt an durchgehend bis in die 1960er Jahre Vorstandsmitglied. Die frühen 1930er Jahre stellten für den Ritterorden, dessen Oberhaupt in Rom residierte und dem als Großmeister die Rechte eines souveränen Staates zukam, ein schwieriges Spannungsfeld dar: einerseits die Herausforderung des aktiven katholischen Ordenslebens und seiner religiösen und karitativen Aufgaben, andererseits das Misstrauen des NS -Staates gegenüber dem kirchlichen Orden und die zunehmend forcierten staatlichen Einbindungsversuche in NS -Strukturen.32 In diese Zeit und in diesen Kontext scheint auch die Entscheidung Wolff Metternichs für einen Parteieintritt in die NSDAP einzuordnen zu sein. Diesem Schritt gingen intensive Beratungen mit Vertrauten der Ordensgemeinschaft und kirchlichen Vertretern voraus, wie beispielsweise dem Prälaten und Erzbischöflichen Generalvikar Dr. Albert Emil Lenné (1878 – 1958) und dem Erzbischof von Köln, Kardinal Karl Joseph Schulte (1871 – 1941). Außerdem suchte er am 20. März 1933 im direkten Gespräch mit Hermann Göring die Gelegenheit, für kirchliche Belange vorzusprechen und Vermittlungsversuche ­zwischen kirchlichen Institutionen und dem NS -Staat anzustoßen.

31 Ehreshoven, Archiv des Malteserordens (wie Anm. 16), Akte 215: Protokolle der Generalversammlungen 1892 – 1938, Protokoll der Generalversammlung von 1937, Erklärung zum Rücktritt im Protokoll S. 11 – 13. Für diese Hinweise ist Dr. Hans-Werner Langbrandtner herzlich zu danken. 32 Ehreshoven, Archiv des Malteserordens (wie Anm. 16), Akte 222 u. 215: Vorstandsprotokolle 1898 – 1937 u. 1937 – 1951, Mitgliederverzeichnis der Genossenschaft von 1925 mit handschriftlichen ­Nachträgen bis zum 01. 03. 1937 (auch betr. Änderungen im Vorstand); NL FGWM, Nr. 59, Handakten Wolff Metternichs mit Tagesordnungen und Anlagen zu Vorstandssitzungen des Malteser-Ordens, 1936 – 1965.

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Am 1. Mai 1933 trat Wolff Metternich der NSDAP bei und erhielt die Mitgliedsnummer 3.144.386. Ausschlaggebend hierfür war laut Wolff Metternich selbst, neben dem Vermittlungsversuch ­zwischen Partei und K ­ irche, unter anderem die Sorge, seines Postens als Provinzialkonservators enthoben zu werden, wenn er nicht der NSDAP beitreten würde. Er befürchtete, dass ohne seine Politisierung seine leitende Position in der Denkmalpflege durch ein Parteimitglied besetzt werden würde, dadurch seine Mitarbeiter in Bedrängnis geraten und die kirchlichen Kulturgüter in der Denkmalpflege den weltlichen nachrangig gestellt werden könnten.33 Diese persönliche Argumentation und entlastenden Stellungnahmen aus der Nachkriegszeit (im Zuge der Entnazifizierung) sind mit Vorsicht zu betrachten, da die Motivation die eigene Entlastung war, ein möglicher Opportunismus relativiert wurde und die Erinnerung auch Lücken aufweisen konnte. Sein kirchliches Engagement und seine christliche Überzeugung sowie die Bemühung um den Erhalt und Schutz von Kirchengut sind jedoch vielseitig in der Kontinuität seiner Tätigkeit nachzuweisen. Welche privaten und beruflichen Beweggründe, wie der Schutz der eigenen Familie oder Angst vor Verfolgung, darüber hinaus noch ausschlaggebend für den Parteieintritt waren, kann an dieser Stelle nur vermutet werden. Eine nationalsozialistische Überzeugung kann aus den Quellen, sowohl aus dem privaten Nachlass als auch in der Gegenüberlieferung, nicht attestiert werden. Auch ist zu bemerken, dass in den Akten des Rheinischen Amts für Denkmalpflege bei den Personalangelegenheiten mit den gesammelten Treuegelöbnisse der Mitarbeiter gegenüber dem „Führer“ für Wolff Metternich eine Leerstelle zu verzeichnen ist, während die Dokumente beispielsweise von Carlheinz Pfitzner (1908 – 1944) und Bernhard von Tieschowitz (1902 – 1968), die ebenfalls im Kunstschutz tätig waren, dort abgelegt sind.34

5. Lehrauftrag und Honorarprofessur an der Universität Bonn Wolff Metternich erhielt zum Wintersemester 1933 einen Lehrauftrag für Denkmalpflege an der Universität Bonn, und ab 1936 hatte er einen Lehrauftrag für rheinische Kunstgeschichte. Der Lehrstuhlinhaber Clemen wurde 1935 emeritiert, ein Jahr s­ päter stand zur Diskussion, ob Wolff Metternich für diese frei gewordene Position zur Lehre der Denkmalpflege zum 33 Zum Parteieintritt siehe unter anderem Ehreshoven, Archiv des Malteserordens (wie Anm. 16), Akte Nr. 1450 (Personalakte FGWM), NL FGWM, Nrn. 9, 10, 11 und 38 zur Entnazifizierung Wolff Metternichs (1945 – 1948). Dabei von besonderem Interesse in NL FGWM, Nr. 38 eine undatierte Schrift Wolff Metternichs Why I joined the Nazi-Party, außerdem eine Bescheinigung von Prälat Dr. Lenné vom 22. 10. 1945 über den Parteieintritt von Wolff Metternich; NL FGWM, Nr. 9 eine Schrift Wolff Metternichs vom 20. 02. 1947 Über meine Amtsführung und meine politische Haltung von 1928 – 1945. Zudem in BArch Berlin R 9361-IX KARTEI /3200/O 0071, NSDAP -Gaukartei, Metternich, Franz, geb. 31. 12. 1893. Siehe auch den Beitrag von Jan Schleusener in d ­ iesem Band, der aus diesen Quellen ausführlicher zitiert. 34 ALVR 35206, Allgemeine Personalangelegenheiten (1928 – 1946).

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Honorarprofessor ernannt werden sollte. Dem Antrag der philosophischen Fakultät wurde beim REM vorerst nicht nachgegangen, mit der Begründung, dass Wolff Metternich erst seit kurzem eine Lehrtätigkeit ausübe und der Antrag nach zwei Jahren wiederholt werden könne. Im Januar 1939 wurde d ­ ieses Anliegen wieder aufgegriffen, angestoßen durch Clemens Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Kunstgeschichte, Alfred Stange (1894 – 1968), mit Befürwortung durch den NSD-Dozentenbund und der Betonung, dass fachlich und politisch nichts gegen Wolff Metternich einzuwenden sei. Nach einer Verzögerung durch den Verlust der Unterlagen beim REM und erneuter Antragstellung, wurde Wolff Metternich im Januar 1940 zum Honorarprofessor ernannt. Ein kausaler Zusammenhang z­ wischen Parteimitgliedschaft und Beginn der Lehrtätigkeit an der Universität sowie Ernennung zum Honorarprofessor kann hier anhand der Quellen nicht aufgezeigt werden, jedoch ist nicht abzustreiten, dass für die Wiederaufnahme des Antrages auf die Honorarprofessur die Parteianwärterschaft betont Erwähnung fand.35 Aufgrund des Kriegsgeschehens und seiner Tätigkeiten beim Kunstschutz im besetzten Frankreich wurde Wolff Metternich von der Vorlesungspflicht befreit, erst für 1943 bis Ende 1944 sind wieder Lehrveranstaltungen nachweisbar. In der Nachkriegszeit konnte er seine Lehrtätigkeit nach der Entlastung im Entnazifizierungsprozess 1948 wiederaufnehmen. Die Wiederaufnahme der Lehrtätigkeit war sogar ausschlaggebend für das Entnazifizierungsverfahren Wolff M ­ etternichs, obwohl er seine Tätigkeit als Konservator ohne Unterbrechung ausüben konnte. Die Th ­ emen seiner Vorlesungen ­zwischen 1934 und 1950 waren insbesondere Bau- und Kunstdenkmale – oft mit rheinischem Bezug, zu praktischer Denkmalpflege, Kunstgewerbe und Architekturgeschichte in den Epochen Mittelalter, Romanik, Gotik, Renaissance und Barock.36

6. Kunstschutz als Aufgabe der rheinischen Denkmalpflege während des Krieges Mit einem „Geheim“-Schreiben des Oberpräsidenten der Rheinprovinz vom 7. Juli 1939 wurde Wolff Metternich dazu beauftragt, die Baudenkmale und Kunstwerke der Rheinprovinz im Kriegsfall zu s­chützen – genauer: Ihr Auftrag erstreckt sich auf den Schutz der

35 Archiv der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 11857, Personalakte Wolff Metternich. Außerdem NL FGWM, Nr. 190 Wolff Metternich Personalia (1893 – 1977), darin die Ernennungsurkunde zum Lehrbeauftragten an der Universität Bonn; Nr. 30 mit Glückwunschbriefen für Wolff Metternich zur ordentlichen Professur an der Universität Bonn (Februar 1940). 36 NL FGWM , Nr. 127, Vorlesungsschriften Wolff Metternichs zu Denkmalpflege und Baukunst (1933 – 1950). Exemplarisch: Denkmalpflege, ­Theorie und Praxis unter besonderer Berücksichtigung der Wandmalereien, Wintersemester 1934/1935; Die Pflege der Bau- und Kunstdenkmale, Wintersemester 1933/1934 und 1937/1938; Ausgewählte Kapitel aus der Denkmalpflege, Sommersemester 1943; Die romanische Kunst in den Rheinlanden, Sommersemester 1944.

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Kunstwerke, sowie auf die Sicherung der Baudenkmale. Die Staatsarchive sind ausgenommen.37 Daraufhin sollte Wolff Metternich bis zum Oktober 1939 einen Plan entwickeln. So wurde damit begonnen nach geeigneten Bergungsorten zu suchen, die den konservatorischen Ansprüchen der Denkmalpflege genügten, um dort die bedeutendsten Kulturgüter sicher lagern zu können. Nach Kriegsbeginn begann die Provinzialverwaltung mit den Auslagerungsmaßnahmen, und diese setzten sich während des gesamten Krieges fort, wurden mit Zunahme des Luftkrieges sogar noch einmal zugespitzt. Die rheinischen Bergungsorte wurden systematisch in Listen erfasst, andere Listen wiederum verzeichneten die dort geborgenen Sammlungen, und weitere Auflistungen dokumentierten schließlich das aus den Sammlungen in den Kisten gelagerte Inventar. Hierin werden neben einer großen organisatorischen Verwaltungsaufgabe auch die Anforderung an Bündelung von Kapazitäten und Mitteln verschiedener Stellen ersichtlich, ermöglicht durch Vernetzung und Koordination. Wolff Metternich konnte bei seinen Tätigkeiten für den Kunstschutz im Rheinland und in Frankreich von den Erfahrungen aus dem jeweils anderen Bereich profitieren. Beispielsweise bei der Praxis der Auslagerung von Kulturgut im Rheinland und in Frankreich setzte er einen Schwerpunkt auf die Koordination und Anleitung, wichtiger Aspekt war insbesondere die Besichtigung der Bergungsdepots. Die Notwendigkeit der Mobilität war für Wolff Metternich dabei von großer Relevanz, was sich durch die häufige eigene Reisetätigkeit im Rheinland zeigte, die er auch in Frankreich so weiterführen konnte, da er den Fahrer Joseph Bauch (Lebensdaten unbekannt) ebenfalls zu seinem Stab in Frankreich mitnahm. In seiner regen Vortragstätigkeit, Publikationen über französische Denkmalpflege und Kunst, ebenso in der Verteilung seiner Kunstschutztätigkeitsberichte an zahlreiche Museen und Kultureinrichtungen wird Wolff Metternichs Bestreben für den Kunstschutz im Rheinland wie in Frankreich – aber auch für die eigene Profilierung und im Sinne seiner Vernetzung – deutlich. Dabei zeigt sich die enge Verbindung Wolff Metternichs z­ wischen Kunstschutz und Denkmalpflege, außerdem erneut die beruflichen Rückbezüge auf die Arbeit Clemens und die Praxis der Kriegsdenkmalpflege sowie die Propagierung derselben.38

37 Rheinisches Archiv für Künstlernachlässe, Nachlass Carlheinz Pfitzner – RAK 116, Schreiben des Oberpräsidenten an den Provinzialkonservator vom 07. 07. 1939. Zum rheinischen Archivschutz siehe den Beitrag von Hans-Werner Langbrandtner in d ­ iesem Band, außerdem den Beitrag von Annika Flamm zu rheinischen Bergungsorten im Zweiten Weltkrieg in: Heyer/de Peyronnet-Dryden/ Langbrandtner (Hg.), „Als künstlerisch wertvoll“ (wie Anm. 2). 38 Die Publikationen liegen in einigen Bibliotheken und Archiven vor, siehe Franziskus Graf Wolff Metternich, Die Denkmalpflege in Frankreich, Berlin 1944. Forschungsmanuskripte und Vortragsschriften sind auch im NL FGWM, Nr. 199 zu finden: „Die staatliche Pflege der Bildenden Künste in Frankreich, von Professor Dr. Franz Graf Wolff Metternich“ und undatierter Entwurf (1943). Vorträge finden sich u. a. in NL FGWM, Nr. 60, beispielsweise Vortrag Wolff Metternich „Der Kunstschutz in Frankreich während des Weltkrieges und im gegenwärtigen Kriege“, gehalten im

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Die Verdienste um Kriegsdenkmalpflege und Kunstschutz im Rheinland sind nicht nur auf die strategischen Geschicke, Konzeption oder Anleitung Wolff Metternichs zurückzuführen, sondern sind auch in der engen fachlichen Zusammenarbeit des rheinischen Denkmalamtes und der Archivberatungsstelle begründet. Das persönliche Engagement der an den Sicherungsmaßnahmen beteiligten Bezirkskonservatoren und Archivare in der Koordination und Organisation war hierfür ausschlaggebend, und die Umsetzung wurde nicht zuletzt durch die zahlreichen engagierten Mitarbeiter in den K ­ irchen, Museen, Archiven, Bibliotheken und anderen Institutionen ermöglicht, speziell durch das vielseitig geschulte Fachpersonal an Kunsthistorikern, Architekten, Technikern, Fotografen und Restauratoren.39 Einige wichtige Bergungsorte rheinischer Kulturgutsammlungen lagen auch in Westfalen, weil das Rheinland sowohl militärisches Aufmarschgebiet in Vorbereitung des Frankreichfeldzuges war als auch im Falle eines alliierten Angriffes als Erstes betroffen gewesen wäre. Ein weiterer bedeutender Auslagerungsort für Kunstgut wurde der Stollen in Siegen, an dessen Auswahl und Ausbau als Schutzraum Wolff Metternich beteiligt war. Ein Arbeitskommando von 15 Personen isolierte und vermauerte im Auftrag der Stadtverwaltung Siegen innerhalb von vier Wochen den Stollen, was durch Wolff Metternich beaufsichtigt wurde. Es wurden auch Fußböden, Heizung und Trennwände eingebaut. Ab 1944 lagerten dort bedeutende rheinische Kunstsammlungen, so der Aachener Domschatz, Kirchenschätze diverser rheinischer Städte und Museumssammlungen beispielsweise aus Köln, Essen, Bonn, außerdem auch Privatsammlungen. Für eine dauerhafte Betreuung vor Ort sollte Provinzialbaurat Theodor Wildemann (1885 – 1962) mit Antrag beim REM vom Februar 1945 bestellt werden.40 Das Kunstdepot im Stollen Siegen wurde im April 1945 von US-Truppen entdeckt, folgend durch amerikanische MFA&A-Kunstschutzoffiziere verwaltet. Es war auch in der Nachkriegszeit Deutschen Institut Paris am 09. 07. 1941 oder Vortrag Wolff Metternich „Luftschutz der Kunstwerke in den besetzten Gebieten. Beobachtungen und Erfahrungen.“, gehalten im RLM, 1942. 39 Zum rheinischen Kunstschutz siehe im ALVR die Archivbestände Kulturabteilung der Rheinischen Provinzialverwaltung (1871 – 1949) und Rheinisches Amt für Denkmalpflege (Landeskonservator Rheinland und Denkmälerinventarisation der Rheinlande), Generalakten (1887 – 2006) sowie Brw. – Archivberatung 1 im ALVR, außerdem NL FGWM, Nr. 79. Für Maßnahmen einzelner Museen oder Bibliotheken sind die Institutionsarchive zu konsultieren. Beispielhaft siehe im vorliegenden Band die Beiträge von Hans Werner Langbrandtner zur rheinischen Archivberatungsstelle, Michael Herkenhoff zum Bibliotheksschutz am Beispiel der Universität Bonn und Gudrun Sievers-Flägel zum Bergungsort Schloss Homburg. 40 Siehe Flamm, Bergungsorte der Rheinprovinz (wie Anm. 36). Zu Wolff Metternichs Involvierung ALVR 11234, Niederschrift Metternichs über die Besichtigung des Bergungsstollens für Kunstwerke in Siegen am 30. September 1944. Zur Betreuung des Bergungsortes Siegen Brw Archivberatung 1, Nr. 382, Bericht über die Besichtigung des Bergungsortes Niesen vom 24.02.45. Zu rheinischen Kunstsammlungen in Siegen ALVR 11234, Abschrift eines Briefs Metternichs vom 02.10.44 Betr. Die Bergung von Kunstschätzen in Köln.

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ein Bergungsort von Bedeutung, und Wolff Metternich war wiederum in die Rückführungen der Sammlungen involviert und pflegte Kontakte zu den MFA&A-Offizieren. Der Krieg brachte in der Denkmalpflege und Kulturabteilung neue bzw. aus dem E ­ rsten Weltkrieg wieder aufgegriffene Rand- und Sonderbereiche hervor. Diese Sonderbereiche spiegeln sich in der Aktenüberlieferung zur Denkmalpflege im Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland wider und sprechen bereits in den Titeln der Aktengruppen für sich: „Kunstschutz“ und „Luft- bzw. Gebäudeschutz“, „Bergungen“ und „Bergungsorte“, „Rückforderung von Kulturgut aus den westlichen Ländern“, „Kirchenglocken“ (Glockenaktion/ Metallverwertung). Im Bestand des Landesmuseums Bonn finden sich zudem die Titel „Kunstrückführung“, „Kriegserwerbungen“ bzw. „Beutekunst“. Im Bestand der Dienstregistratur der Archivberatungsstelle des Provinzialverbandes der Rheinprovinz sind es insbesondere die Rubriken „Archivschutz“, aber auch „Bibliotheksschutz“ und „Kunstschutz“, die diese kriegsbedingten Sonderaufgaben verdeutlichen. Die Aufgaben der Nachkriegszeit werden in der Dokumentation über die Rückabwicklung der Auslagerungen deutlich anhand von Aktengruppen-Titeln wie: „Rückführung von geborgenem Kulturgut“ bzw. „Rückführung von Kunstgut aus Bergungsdepots“, „Rückführung aus Sammellagern (Glocken)“. Diese Aktengruppen und ihre Bezeichnungen verdeutlichen die Aufgabenschwerpunkte des Kulturgutschutzes der verschiedenen Fachbereiche auf regionaler Ebene, von der Erfassung wertvollen Kulturgutes, der Auswahl und Betreuung von Bergungsorten während des Krieges hin zur Rückabwicklung dieser Maßnahmen und dem Wiederaufbau.41 Während die Organisation dieser Kulturgutschutzmaßnahmen seitens der Provinzialverwaltung dokumentiert ist, wie beispielhaft an der Aktenüberlieferung der Denkmalpflege und Archivberatung skizziert wurde, und weitere konkrete Vorgehensweisen auch in den jeweiligen Institutionsarchiven überliefert sind, ist interessant, dass diese jahrelange und infolge der alliierten Luftangriffe zunehmend gefährliche Arbeit der Sicherungsmaßnahmen nur in wenigen Fotografien dokumentiert ist.

7. Berufung zum Beauftragten für Kunstschutz und Aufgabenfelder des Kunstschutzes Im Mai 1940 wurde Wolff Metternich zum Beauftragten für Kunstschutz in den besetzten Gebieten beim OKH ernannt. Die Berufung erfolgte über das REM und den preußischen Staatskonservator Robert Hiecke, mit dem bereits im Frühjahr 1940 entsprechende Planungen besprochen worden waren. Am 10. Mai 1940 – zusammen mit der Nachricht über den Einmarsch deutscher Truppen in den Niederlanden und Belgien – erhielt Wolff Metternich 41 ALVR, Archivbestände Rheinisches Amt für Denkmalpflege, Generalakten (1887 – 2006), Rheinisches Landesmuseum Bonn I (1820–ca. 1954) und Bestand Brw. – Archivberatung 1 (1927 – 1950, 1965).

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die Einberufung zum OKH , an ­diesem Tag begann er ein Tagebuch. Interessant ist die Selbstreflektion und Absicht hinter dem Tagebuch: Er [der Bericht im Tagebuch] ist auch nur als aide memoire für mich selbst gedacht, in dem meine persönlichen Eindrücke und Erlebnisse festgehalten sind. Vielleicht finde ich ­später Zeit und Musse zu eingehender Schilderung, vielleicht werden meine Nachkommen, wenn sie diese Zeilen finden, den Erzählungen ihres Vorfahren Interesse abgewinnen. Ich bin den Ereignissen sehr fern, und meine Aufgabe liegt eigentlich weit ab von den grossen Begebenheiten, die in atemberaubender Hast sich jagen und die ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen: Denkmalpflege trotz Bomben, Sprengungen und Granaten. Erst zerstören, dann ­schützen – welch merkwürdiger Gegensatz! Aber das ist der Krieg! (und eigentlich das ganze menschliche Leben, das in solchen Augenblicken an Härte und Intensität zunimmt).42

Nachdem Wolff Metternich das Tagebuch in den ersten Wochen der Kunstschutzarbeit noch relativ regelmäßig nutzte und auch Reflexionen über den Krieg dort festhielt, enden die Eintragungen am 25. Mai 1940 zunächst ohne Erklärung. Erst am 17. Juli 1941 nahm Wolff Metternich seinen Bericht wieder auf: Ich hatte es im Drang der Geschäfte vernachlässigt und mir gedacht, dass meine Briefe an Alix [seine Frau] einen Ersatz bieten würden. Das ist auch weitgehend der Fall.43 Aus den Schilderungen im Tagebuch wird sein kontrolliertes Vorgehen der Dokumentation ersichtlich, nicht nur für sich selbst als Erinnerungshilfe, sondern insbesondere auch mit dem Wunsch, das Erlebte für nachkommende Generationen zu bewahren. Wenn dies auch nicht konsequent in Form des Tagebuches durchgehalten wurde, so doch im Bewusstsein um den ergänzenden Erzählstrang der Feldpostbriefe an seine Ehefrau. Die Tagebücher scheinen auch ergänzt worden zu sein, wie dem Schriftbild zu entnehmen ist. Das Paradox seiner Aufgabe der Schadensbegrenzung nach Kriegszerstörung, welches er als merkwürdigen Gegensatz beschreibt (erst zerstören, dann s­chützen), schien ihm von Anfang an bewusst, jedoch erklärte er sich dies im selben Satz aus der Situation des Krieges und eine andere Handlungsmöglichkeit für präventive Maßnahmen kamen hier nicht zur Erwähnung. Da sein Einrücken bereits vorbereitet war, wurde er am 12. Mai in Marburg vorstellig bei Oberst Eduard Wagner (1894 – 1944), Chef des Stabes des Generalquartiermeisters, Justus Danckwerts (1897 – 1969), Ministerialdirigent beim Reichsministerium des Inneren, und Generalquartiermeister General Eugen Müller (1891 – 1951), die Grundlagen seiner künftigen Tätigkeit wurden besprochen. Laut der Eintragungen in seinem Tagebuch reiste er am 17. Mai über das niederrheinische Emmerich in die Niederlande, besichtigte Arnheim, reiste über Utrecht nach Den Haag, wo er sich bereits einen Tag s­päter mit dem niederländischen Kunsthistoriker und Denkmalpfleger Jan Kalf (1873 – 1954) über Kunstschutz 42 NL FGWM, Nr. 200, Tagebuch Wolff Metternich 1940 – 1942. 43 Ebd. Als erwähnte Gegenüberlieferung siehe die Feldpostbriefe Wolff Metternichs an seine Frau Alix (1941) in NL FGWM, Nr. 19.

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austauschen konnte, und schildert seine Eindrücke über das Voranschreiten der deutschen Truppen und die Zerstörungen in diesen Städten. Nach erneutem Aufenthalt in Düsseldorf und Bonn erfolgte am 20. Mai der Aufbruch über Aachen nach Belgien. Sein letzter Eintrag im Tagebuch für das Jahr 1940 datiert vom 25. Mai mit Schilderungen seiner Fahrt durch die belgische Städte Hasselt, Druiden, Tienen und Löwen. Ab Sommer 1940 war Wolff Metternich in Paris tätig. Als Beauftragter für den Kunstschutz waren er und sein Stellvertreter Bernhard von Tieschowitz beim OKH angesiedelt, die Mitarbeiter der Abteilung Kunstschutz hingegen bei der jeweiligen Militärverwaltung. Der Dienstsitz der Abteilung Kunstschutz in Frankreich befand sich im Hôtel Majestic in der Avenue Kléber in Paris, dort war auch der Militärbefehlshaber in Frankreich mit seinem Verwaltungs- und Kommandostab angesiedelt. Die Dienststelle des Beauftragten für Kunstschutz beim OKH befand sich nach Umstrukturierung der Verwaltung ab 1942 nachweislich auch an dieser Adresse, als das OKH dort ansässig wurde.44 Die Korrespondenz mit Hiecke belegt, dass Wolff Metternich seine Mitarbeiter für den Kunstschutz auswählen konnte und er diese Freiheiten auch nutze, um ihm nahestehende Personen nach Paris zu berufen. So setzte er vornehmlich rheinische Kunsthistoriker, Denkmalpfleger und Archäologen ein, die ihm aus der Bonner Studienzeit und seinem Berufsumfeld vertraut waren, darunter auch Kunstschützer aus dem ­Ersten Weltkrieg bzw. deren Schüler.45 Dass die Tätigkeiten Wolff Metternichs für den Kunstschutz in Frankreich durch seine Netzwerke und Arbeiten im Rheinland ermöglicht wurden, geht wiederum auf die Schüler-Lehrer-Filiation mit Paul Clemen zurück und spricht für die Loyalität und Dankbarkeit seiner Mitarbeiter, die durch die Arbeit für den Kunstschutz dem Dienst an der Front entgehen konnten; zu benennen sind beispielsweise Bernhard von Tieschowitz, Carlheinz Pfitzner, Joseph Busley (1888 – 1969), Felix Kuetgens (1890 – 1976) und Hermann Bunjes (1911 – 1945).46 In Frankreich waren große Teile der staatlichen Kunstsammlungen bereits vor dem Krieg ausgelagert worden, diese Sicherungsmaßnahmen galt es künftig in Zusammenarbeit der deutschen und französischen Stellen fortzuführen. 44 Zu den militärischen Umständen im besetzten Frankreich siehe den Beitrag von Stefan Martens in ­diesem Band. Zu den Adressen siehe http://www.adresses-france-occupee.fr/de (Stand: 26. 07. 2020), Projektseite des DHI Paris „Frankreich unter deutscher Besatzung 1940 – 1945. Die deutschen und französischen Dienststellen.“ 45 NL FGWM, Nr. 240, Dokumente zur Einrichtung des Kunstschutzes, unter anderem Korrespondenz ­zwischen Robert Hiecke und Franziskus Graf Wolff Metternich. 46 Zu den Tätigkeiten, Personen und einem Gesamtkonstrukt Kunstschutz siehe im vorliegenden Band die Beiträge von Christina Kott, Susanne Dörler, Christian Hoffmann, Julia Schmidt und Sabine Scherzinger. Siehe außerdem das Kapitel Netzwerke mit Kurzbiografien und Institutionsbeschreibungen in der Printpublikation des archivischen Sachinventars zum Kunstschutz, Heyer/ de Peyronnet-Dryden/Langbrandtner (Hg.), „Als künstlerisch wertvoll“ (wie Anm. 2).

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Abb. 3  Franziskus Graf Wolff Metternich zusammen mit den beiden Schreibkräften der Kunstschutzzentrale Gisela Günther (genannt Gigü) und Margarethe Schmidt (genannt Schmidt’chen) auf dem oberen Balkon des Hôtel Majestic in Paris, ca. 1941.

Die von Wolff Metternich definierten Aufgaben des Kunstschutzes spiegeln sich in der anfänglichen Planung im Juni 1940 noch in den ungenauen handschriftlichen Notizen zur Konzeption und möglichen Umsetzung des Kunstschutzes für Belgien und Nordfrankreich wider. In diesen Notizen wurden unter Punkt II Aufgaben aufgezählt: Aufräumungs- und Schutzmaßnahmen, bewegliche Denkmale, Bestandsaufnahme (Inventarisierung, Fotokam­ pagnen, Bildarchiv), wissenschaftliche Erforschung, Belehrung der Truppen über schützenswerte Denkmale und Propaganda (Berichte, Publikationen, wissenschaftliche Forschung mit Rückbezug auf Deutschland).47 Kontroversen um die Zuständigkeit für die „Sicherstellung“ – also die Beschlagnahmungen privater, insbesondere jüdischer Kunstsammlungen – prägten die ersten Monate in Paris. Diese „Sicherstellungen“ wurden zuerst durch den deutschen Botschafter Otto Abetz (1903 – 1958) in Paris und ­später durch den ERR durchgeführt, dem dieser Bereich ab November 1940 auf Anweisung Görings zugesprochen wurde und der in der ­Folgezeit 47 NL FGWM, Nr. 240.

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systematischen Kunstraub betrieb.48 Bereits im November 1940 wurde nach diesen Zuständigkeitsstreitigkeiten das Aufgabengebiet des Kunstschutzes, in Abgrenzung zu den Tätigkeiten des ERR und Devisenschutzkommandos, sehr verknappt und auf die Sicherung ortsfester und beweglicher Kunstdenkmale sowie auf wissenschaftliche Aufgaben (u. a. Foto­kampagnen) eingeschränkt. Nach den Zuweisungen, Ausarbeitung und Etablierung der Tätigkeiten, werden die daraus hervorgegangenen Arbeitsgebiete beispielsweise in einer Aufstellung der Gruppe Kunstschutz bei der Militärverwaltung Frankreich im Januar 1942 ersichtlich: 1. Wiederaufbau der zerstörten Baudenkmale und Städte, 2. Kunstschutzmassnahmen in Schlössern und kulturgeschichtlich wertvollen Wohnbauten, 3. Schutz von Museen und Privatsammlungen, 4. Überwachung der Bergungsdepots der französischen Museen und Sammlungen, 5. Ausländischer Kunstbesitz [Überwachung und Rückführung], 6. Passierscheinfragen, 7. Vorbereitung der Rückerstattung des aus Deutschland geraubten Kunstgutes (listenmässige Erfassung), 8. Kontrolle und Steuerung des deutschen Kunsthandels in Paris und im besetzten Gebiet Frankreichs, 9. Propagandistische Auswertung der Kunstschutzarbeit, 10. Wechselnde Aufgaben [beispielsweise Glockenabgabe], 11. Vorgeschichte und Archäologie.49 Während über den Kunstschutz und die Aufgaben der Kriegsdenkmalpflege während des Krieges bereits einige Studien und Publikationen vorliegen, ist die genaue Aufgabenzuständigkeit nach wie vor ein Desiderat. Wolff Metternich verstand sich als reiner Sachverwalter der staatlichen Kunstsammlungen im Sinne des Kulturerbes der Menschheit. Eine unkontrollierte Beschlagnahme von privaten und staatlichen Kunstsammlungen hielt er – vorausschauend auf einen Friedensvertrag mit Frankreich – für nicht sinnvoll. Die Ansprüche von Museen und Institutionen auf ehemals unter Napoleon geraubtes deutsches Kulturgut wurden jedoch auch beim Kunstschutz gesammelt und schienen mit dem Verständnis des Kunstschutzes durchaus vereinbar gewesen zu sein. Das propagierte Selbstverständnis Wolff Metternichs und vieler Kollegen, gerade in der Rechtfertigung der Nachkriegszeit und im Hinblick auf 48 Zu ERR und Kunstraub in Frankreich siehe beispielsweise Heuß, Kunst und Kulturgutraub (wie Anm. 3), S. 102 ff. und S. 273 ff. Siehe außerdem die umfangreiche Forschung von Christina Kott zum Kunstschutz und ihren Beitrag in ­diesem Band. 49 NL FGWM, Nr. 56, Bericht vom 18. 11. 1940 Organisation und bisherige Tätigkeit des Kunstschutzes im besetzten Gebiete Frankreichs, außerdem Bericht vom 19. 01. 1942 betreffend Das Personal der Abteilung des Verwaltungsstabes und NL FGWM, Nr. 240.

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die weitere Karriereentwicklung, ist mit den tatsächlichen Tätigkeiten des Kunstschutzes beim OKH wie auch der einzelnen Militärverwaltungsabteilungen zu erfassen und miteinander in Abgleich zu setzen. Daraus wird ersichtlich, dass die Schutzmaßnahmen an Baudenkmälern und die Bergung staatlicher Kunstsammlungen betont wurden, während die Beziehung zum Kunstmarkt, die Überschneidung bzw. Kooperation mit Organisationen des NS-Kunstraubes und das Verhältnis zu Propaganda weitgehend verschwiegen wurden. Während die Aufgaben der Kriegsdenkmalpflege in Form von Schutzmaßnahmen an historisch wertvollen Gebäuden und Inspektionen der Bergungsdepots von ausgelagerten Sammlungen vornehmlich der französischen Museen abseits ideologischer Gründe notwendig waren und eher als politisch unbelastet eingeschätzt werden können, bleiben Fragen zum Aktionsrahmen des Kunstschutzes in Frankreich (aber auch in anderen besetzten Ländern) offen: so zum Beispiel die Fragen, wie der Kunstschutz in den Kunstraub involviert war, außerdem, wo in der Gesamtbetrachtung z­ wischen der Institution Kunstschutz per se und persönlichen Ermessensspielräumen überhaupt differenziert werden kann. Dahingehend ist die Forschung zum Kunstschutz und dessen Netzwerken für die heutige Provenienzforschung und die Grundlagenforschung im aktuellen internationalen Diskurs um Raubkunst und ideologische Besitzergreifung sowie Schutz und Sicherheit von großer Relevanz. In der Analyse Wolff Metternichs stellt sich für den Aspekt der Selbstinszenierung und der kulturpolitischen Instrumentalisierung – nicht nur in der NS-Zeit, sondern auch im Nachkriegsdeutschland – zudem die Frage, inwiefern er wirklich Handlungsspielraum hatte und/oder aufgrund seiner Position und Wirkung im Nachhinein zu einer positiv gelesenen Projektionsfläche für Kulturgutschutz wurde und dies teilweise bis heute noch ist. Ein wichtiger Moment für diese positive Deutung scheint sein unfreiwilliger Weggang aus Paris gewesen zu sein.

8. Entlassung aus dem Militärdienst und Wiederaufnahme der Tätigkeit im Rheinland Im Sommer 1942 wurde Wolff Metternich beurlaubt und im Oktober 1943 aus dem Militär­ dienst entlassen. Wolff Metternichs frankophile Haltung, möglicherweise auch seine familiären Beziehungen und seine wissenschaftlichen und beruflichen Erfahrungen sowie die Bemühungen um den Erhalt der staatlichen Kulturgüter Frankreichs hatten ihm den fachlichen Kontakt zur französischen Museumsverwaltung erleichtert. Wolff Metternich sprach fließend Französisch, hielt kunsthistorische Führungen auf Französisch und interessierte sich stark für das florierende Kunstleben in Frankreich – dies wurde unter anderem in einem Schreiben des Sicherheitsdienstes und der Sicherheitspolizei von 1943 negativ gegen ihn verwendet.50 Bei einem Zusammentreffen mit Göring am 5. Februar 1941 vor dem Museum 50 NL FGWM, Nr. 153, Bericht der Sicherheitspolizei und des SD über Wolff Metternich, 20. 04. 1943.

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Jeu de Paume in Paris, in dem vom ERR geraubte jüdische Kunstsammlungen gelagert und präsentiert wurden, sprach Wolff Metternich sich zudem gegen die Plünderungen privaten Kulturgutes aus und wurde von Göring abgewiesen. Später betonte Wolff Metternich, er sei auf Betreiben Görings auf direkten Befehl Hitlers entlassen worden.51 Es kamen allerdings auch noch andere Faktoren hinzu, die die Rückkehr ins Rheinland begünstigt haben könnten. Aufgrund der zunehmenden Zerstörung der historischen Innenstädte durch den Luftkrieg war seine Anwesenheit im Rheinland 1942 seitens der NS-Führung der Rheinprovinz nachdrücklich gefordert worden: Wolff Metternich sollte als leitender Konservator wieder zurückkehren, da die Herausforderungen der Kriegsdenkmalpflege seine Anwesenheit und leitende Fachkompetenz dringend erforderten. Zurück in Deutschland nahm er die Aufgaben der Denkmalpflege, Luftschutz und Bergungsarbeiten wieder auf – er war für seinen Auftrag in Frankreich lediglich freigestellt worden und wurde im Rheinland von Provinzialbaurat Theodor Wildemann vertreten. Wolff Metternich war auch innerhalb des Reiches wegen seiner Fachkompetenz für Bergungsarbeiten und Luftschutz ein wichtiger Ratgeber.52 Er übernahm die bereits vor dem Ausbruch des Krieges begonnen Aufgaben, bereiste bis Ende 1944 zahlreiche Auslagerungsdepots und versuchte Sicherungsmaßnahmen weiterhin zu koordinieren. Noch am 20. Dezember 1944 leitete er selbst einen Transport von Kunstschätzen aus dem Kölner Dom zu Abteikirche Marienmünster bei Paderborn.53 Ende 1944 verließ Wolff Metternich seinen Dienst- und Wohnort Bonn. Bombenangriffe hatten das Denkmalamt schwer getroffen, die Mitarbeiter waren an viele Orte evakuiert, auch sein Privathaus war beschädigt. Bis März 1945 hielt er sich mit seiner Familie auf Schloss Fürstenberg auf, das der verwandten Familie der Grafen von Westfalen im Kreis Paderborn gehörte. Hier zeigte sich das adlige Netzwerk als sehr hilfreich, die beiden jüngsten Kinder verbrachten die Kriegszeit zumeist dort. Amerikanische Offiziere verhafteten ihn am 4. April 1945 auf Schloss Fürstenberg. Er wurde dann im Gefängnis in Rheinbach bei Bonn interniert, am 12. April bereits wieder entlassen.54 Sofort stellte sich Kontakt zu den amerikanischen Kunstschutzoffizieren ein, den sogenannten 51 Siehe Archives Nationales AJ 40/1673, außerdem NL FGWM, Nr. 94, darin eine Aktennotiz Wolff Metternichs über den Besuch des Herrn Reichsmarschalls im „Jeu de Paume“ in Paris zur Besichtigung der dort untergebrachten Kunstwerke aus ehemaligem jüdischem Besitz am 5.2.41 vom 05. 02. 1941 sowie zur Entlassung Metternichs NL FGWM, Nr. 34. 52 ALVR 11013. Siehe auch den Beitrag von Jan Schleusener in ­diesem Band. NL FGWM, Nr. 60, Vorträge Wolff Metternichs über Kunstschutz im Krieg und wissenschaftliche Tätigkeiten, darin Vortrag Metternich Luftschutz der Kunstwerke in den besetzten Gebieten. Beobachtungen und Erfahrungen, Vortrag gehalten im RLM, 1942. Siehe auch Akte Nr. 79, Kunstschutz im Rheinland und in Deutschland: Korrespondenzen und Publikationen zum Luftschutz, 1939 – 1942. 53 NL FGWM, Nr. 438, Taschenkalender Wolff Metternichs, 1944 (Nr. 35). Siehe zur Auslagerung der Kirchenschätze: Niklas Möring, Der Kölner Dom im Zweiten Weltkrieg, Köln 2011, S. 81 – 83: Auslagerung des Altars der Stadtpatrone und des Dreikönigenschreins. 54 NL FGWM, Nr. 438. Taschenkalender FGWM 1945 (Nr. 36).

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Monuments Men – Mitgliedern der „Monuments, Fine Arts and A ­ rchives Section“. Wolff Metternich hatte zu d ­ iesem Zeitpunkt bereits seinen abschließenden Tätigkeitsbericht über den Kunstschutz gemeinsam mit von Tieschowitz ausgearbeitet und konnte diesen als Beleg und Rechtfertigungsschrift für die eigenen Tätigkeiten während der Kriegszeit vorlegen.55 Um seine Tätigkeit als Provinzialkonservator und die Maßnahmen zur Sicherung und zum Wiederaufbau der zerstörten rheinischen Baudenkmale wieder aufnehmen zu können, musste Wolff Metternich von der britischen Militärverwaltung in seinem Amt bestätigt werden – das nördliche Rheinland war Teil der britischen Besatzungszone, das südliche Rheinland Teil der französischen Besatzungszone. Bereits am 2. August 1945 erfolgte die Genehmigung zur vorläufigen Anstellung Wolff Metternichs. Im Winter 1945/46 ausgestellte französische Entlastungsschreiben waren wichtige Unterstützung für die Wiederanstellung und am 14. Februar 1946 wurde Wolff Metternich schließlich seitens der britischen Kontrollkommission bestätigt und konnte seine Arbeit als Leiter der Denkmalpflege offiziell fortführen. Das Entnazifizierungsverfahren der britischen Besatzungszone wurde erst mit seinem Antrag, die Tätigkeit als Honorarprofessor an der Universität Bonn wieder aufzunehmen, angestoßen. Seine NSDAP -Parteimitgliedschaft war ausschlaggebend für eine Einstufung als Mitläufer (Kategorie  IV), gegen die er aber Berufung einlegte. Interessant ist in d ­ iesem Zusammenhang, dass eine zuvor erteilte Einstufung als entlastet (Kategorie V) nochmals zurückgezogen wurde, da Zweifel über die Lauterkeit seiner Person und der Tätigkeiten bestanden. Erst die Argumente zur Entlassung aus dem Militärdienst 1943, die auf dem Schreiben des Sicherheitsdienstes beruhten, in dem ihm eine zu frankophile Haltung und nicht mit den Sichtweisen des NS-Staates übereinstimmendes Handeln vorgeworfen worden war, sowie der „Widerstand“ gegen den deutschen Kunstraub und die Vielzahl an kollegialen Leumundszeugnissen und „Persilscheinen“, die ihm eine rein wissenschaftliche Arbeit attestierten und seitens kirchlicher Vertreter seine katholische Haltung und christlichen Beweggründe betonten, scheinen ausschlaggebende Rechtfertigung für die Einstufung in Kategorie V „unbelastet“ gewesen zu sein. Tatsächlich ausgestellt wurde das Entlastungszeugnis erst am 21. April 1948. Die Errungenschaften im Kunstschutz schienen in der ersten Entscheidung des Entnazifierungsausschusses Wolff Metternichs Mitgliedschaft in der NSDAP nicht aufwiegen zu können. Die zahlreichen Leumundszeugnisse zeigen jedoch an, dass er nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland gut vernetzt und angesehen war und die positiven Verbindungen zu internationalen Kollegen ihm in d ­ iesem Prozess zugute kamen. Die Arbeit im Kunstschutz gemeinsam mit dem leitenden Amt in der Denkmalpflege bildeten damit den Ausgangspunkt für seine folgende internationale diplomatische und wissenschaftliche Karriere.56 55 NL FGWM, Nr. 3, Abschliessender Bericht über die Arbeit des Kunstschutzbeauftragten in der Zeit von Mai 1940 – September 1944. Und die dazugehörigen Anlagen in NL FGWM, Nr. 8, außerdem Nr. 53. 56 Zur Entnazifizierung, Entlastungsschreiben und Wiederanstellung siehe v. a. NL FGWM, Nrn. 9, 10, 38. Außerdem Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland, RW 1049 Nr. 53439, E ­ ntnazifizierungsakte

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9. Karriere in der Nachkriegszeit Die personellen Kontinuitäten im Kulturbetrieb der Nachkriegszeit sind vielzählig. Ein illustratives Beispiel sind die Fotografien Hartwig Beselers (1920 – 2005) – Beseler war als Student schon bei Fotokampagnen in Frankreich eingesetzt worden und fotografierte beispielsweise auch die Gruppe Kunstschutz – vom ersten Kunsthistorikertag der Nachkriegszeit 1948 in Brühl, die viele der Personen zeigen, die auch schon vor und während des Krieges in der Kunstgeschichte und Denkmalpflege aktiv und nicht selten auch beim Kunstschutz in Belgien oder Frankreich tätig waren. Im Verlauf des Kunsthistorikertages wurden unter anderem die zerstörten Kölner K ­ irchen besichtigt, neben Wolff Metternich war dort eine Vielzahl an Kollegen versammelt, die mit dem Kunstschutz in Verbindung standen.57 Der Wiederaufbau zerstörter Städte und Denkmäler sowie die Rückführung von ausgelagertem Kulturgut gehörten zu den großen Aufgaben der Denkmalpflege in der Nachkriegszeit. Diese Phase führte durchaus auch zu neuen Kontroversen um Hierarchien und Karrieresprünge, nicht zuletzt auch zur Frage einer Neuausrichtung und Abstecken des Definitionsspielraums für die kunstwissenschaftliche Disziplin und ihrem Beziehungsgeflecht, die es in der Nachkriegszeit neu zu definieren galt. Wolff Metternich nutzte dabei viele Möglichkeiten, um über den „Wiederaufbau der Denkmalpflege“ zu referieren, und suchte den Fachaustausch mit Kollegen in ganz Deutschland, versuchte sogar die Denkmalpflege in der gesamten britischen Besatzungszone neu auszurichten und selbst anzuleiten – was zum Disput mit dem langjährigen Kollegen Joseph Busley führte, der in seiner neuen Funktion beim Kultusministerium dabei nicht mit einbezogen worden war und sich übergangen fühlte.58 Verschiedentliche Versuche der beruflichen Weiterentwicklung führten Wolff Metternich und auch von Tieschowitz ins Auswärtige Amt in Bonn, wo Wolff Metternich 1950 bis 1952 Leiter der Kulturabteilung war und von Tieschowitz Leiter der Treuhandverwaltung von Kulturgut. Dadurch waren beide in die Prozesse um Restitution und Aufarbeitung des Kunstraubes involviert. Wolff Metternichs eigene Berufsnachfolge als Landeskonservator im Rheinland gestaltete sich in den frühen 1950er Jahren als sehr komplex. Aufgrund seiner Wolff Metternich und im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes P 14/59907, Personalakte Wolff Metternich. Siehe Esther Heyer, Vorteil oder Nachteil für die Entnazifizierung? Die Tätigkeit von Franziskus Graf Wolff Metternich im deutschen militärischen Kunstschutz in Frankreich während des Zweiten Weltkriegs, in: Sébastien Chauffour u. a. (Hg.), La France et la dénazification de l’Allemagne après 1945, Brüssel 2019, S. 191 – 206. 57 Siehe dazu Fotografien im Bildarchiv Foto Marburg (www.bildindex.de, Stand: 26. 07. 2020) von Hartwig Beseler und Martha Kranz, August 1948. Siehe auch Nikola Doll, Der erste deutsche Kunsthistorikertag 1948, in: Dies./Christian Fuhrmeister/Michael H. Sprenger (Hg.), Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte einer Wissenschaft ­zwischen 1930 und 1950, Weimar 2005, S. 325 – 337. 58 NL FGWM, Nrn. 52, 64 und 91, außerdem Nr. 38 und PA AA P14/59907.

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Besorgnis um die unklare Nachfolge und die Weiterführung des Amtes in seinem Sinne bemühte Wolff Metternich sich, seinen langjährigen Direktorialassistenten von Tieschowitz für das Amt des Landeskonservators zu empfehlen, ersuchte dafür auch Bestätigung von Fachkollegen, blieb jedoch erfolglos. Für die Zeit Wolff Metternichs beim Auswärtigen Amt und bis zu seiner Berufung nach Rom übernahm 1950 bis 1953 Walter Bader (1901 – 1986) das Amt kommissarisch. Bader promovierte ebenfalls bei Clemen, war Denkmalpfleger und Archäologe, zuvor am Landesmuseum Bonn tätig und hatte ab 1947 eine Honorarprofessur an der Universität Bonn. Auch der Kunsthistoriker und Denkmalpfleger Albert Verbeek (1909 – 1984), ebenfalls bei Clemen promoviert, hatte daraufhin 1953 bis 1955 die Stellung nur kommissarisch inne, folgend übernahm Bader erneut 1955/56 das Amt. Schließlich wurde Rudolf Wesenberg (1910 – 1974), Kunsthistoriker und Denkmalpfleger, vom neugegründeten Landschaftsverband Rheinland zum Landeskonservator ernannt und leitete das Amt von 1956 bis 1970, gleichzeitig hatte er eine Honorarprofessur an der Universität Bonn inne.59 Nach erneuten institutionellen und kollegialen Kontroversen um eine mögliche Tätigkeit an der deutschen Botschaft in Rom, wurde Wolff Metternich 1952 zum Direktor der Bibliotheca Hertziana, Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte, in Rom ernannt. Seine Eignung als Kunsthistoriker in dieser Funktion war bei den Fachkollegen umstritten und wurde im Berufungsverfahren ambivalent diskutiert. Wolff Metternichs wissenschaftlicher Status und seine Forschung zur klassischen italienischen Kunstgeschichte wurden als nicht ausreichend für eine solch herausragende Position angesehen, doch für das Berufungs­ komitee war gerade sein Ansehen aufgrund vorhergegangener Verdienste in Denkmalpflege und Kunstschutz sowie sein berufliches Netzwerk für diese Position auschlaggebend. Somit wurde Wolff Metternich erster Direktor nach Wiedereröffnung der Bibliotheca Hertziana und blieb es bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1962. Durch seinen Forschungsschwerpunkt zur Architektur und Baugeschichte prägte er das traditionsreiche kulturhistorische Institut und verfolgte seine eigenen Forschungen zum Petersdom.60 Internationale Korrespondenz zu Denkmalpflege, Kunstschutz und kulturpolitischen Fragen im privaten Nachlass ­verdeutlicht 59 NL FGWM, Nr. 146: Empfehlung Wolff Metternichs für von Tieschowitz als seinen Nachfolger im rheinischen Denkmalpflegeamt Nov. 1950 bis Jan. 1951. Außerdem zu Bader siehe Stefan Kraus, Denkmalpflege in schwerer Zeit (Xantener Domblätter 9), Bielefeld 2001. Siehe auch Udo Mainzer (Hg.), Jahrbuch der rheinischen Denkmalpflege. Band 36. Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Rheinischen Amtes für Denkmalpflege, Köln 1993. 60 Siehe Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Bestand II. Abt (Akten der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften), Rep 35 Bibliotheca Hertziana (MPI), außerdem II. Abt., Rep 67 Generalverwaltung: Personal, darin Personalakte Wolff Metternichs. Siehe auch Christof Thoenes, Kontinuität. Die Bibliotheca Hertziana unter Franz Graf Wolff Metternich (1953 – 1963), in: Sibylle Ebert-Schifferer unter Mitarbeit von Marieke von Bernstorff (Hg.), 100 Jahre Bibliotheca ­Hertziana – Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte. Die Geschichte des Instituts 1913 – 2013, München 2013, S. 144 – 153.

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Abb. 4  Franziskus Graf Wolff Metternich als Kunstschutzoffizier: Ölgemälde, ca. 1940/41 (Repro).

auch in dieser Zeit den regen Austausch seines persönlichen Beziehungsgeflechtes und den andauernden Einflussbereich im rheinischen Kulturleben, insbesondere der Denkmalpflege. 1964 erhielt Wolff Metternich in Anerkennung seiner Verdienste im Kunstschutz den Orden der französischen Ehrenlegion – eine von vielen Ehrungen für seine beruflichen Verdienste und sein vielseitiges Engagement in Vereinen und Fachkreisen. 1968 kehrte die Familie nach Deutschland und ins Rheinland zurück. Hier verstarb Wolff Metternich am 25. Mai 1978 im Alter von 84 Jahren.

10. Fazit Die eindeutige Einordnung oder gar (Be-)Wertung von Wolff Metternichs beruflich-wissen­ schaftlicher Motivation und Disposition ist zum aktuellen Stand der Forschung und innerhalb einer reinen Schwarz-Weiß-Inszenierung nicht möglich. Der private Nachlass muss aufgrund der selektiven Überlieferung von subjektiv relevanten Dokumenten kritisch gelesen und unbedingt mit der Gegenüberlieferung abgeglichen werden. Diese gesteuerte Quellenüberlieferung und die daraus entstandene Wissenssteuerung werden beispielsweise in der ablehnenden Haltung der ehemaligen Kunstschutzkollegen gegenüber Margot GüntherHornig und ihrer Studie über den Kunstschutz in den besetzten Gebieten aus den 1950er Jahren deutlich. Ihr wurde der Zugang zu den Kunstschutzakten verwehrt, der Austausch

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durch Zeitverzögerung oder Fokussierung auf die eigenen aktuellen Tätigkeiten auf ein Minimum gehalten und ihre Arbeit und Erkenntnisse kritisiert. Auch der Versuch einer gelenkten Rezeption in der Nachkriegszeit in Form eines geplanten Weißbuches über den Kunstschutz, das nicht nur ­zwischen den ehemaligen Kunstschutzkollegen geplant wurde, sondern dessen Planung auch in der Überlieferung beim Auswärtigen Amt dokumentiert ist, erfordert kritische Reflektion und Analyse.61 Wolff Metternich ist eine bis heute sehr positiv gewertete Persönlichkeit, insbesondere aufgrund der engen Verbindung seiner Person mit dem Kunstschutz in Frankreich während des Zweiten Weltkrieges und seiner Verdienste für den Schutz der staatlichen Kulturgüter Frankreichs. Auch die Kollegen aus dem Kunstschutz (aber auch Bibliotheksschutz und Archivschutz) konnten zumeist ungehindert ihre Berufe wiederaufnehmen – mehr sogar, sie machten in Museen, Universitäten oder Kulturpolitik Karriere. Die Person Hermann Bunjes, der sich nach Kriegsende das Leben nahm, als Antagonisten stilisieren zu können, kam der Argumentation der Kollegen sogar gelegen, und die Verbindung zum Kunstraub, dem ERR und Göring wurde weitgehend auf ihn reduziert. Heroen des Kulturgutschutzes scheinen zudem auch heute in ihrer vielseitigen Rezeption sehr reizvoll und aktuell zu sein, dies zeigen nicht nur Inszenierungen wie jene der französischen Nationalheldin Rose Valland (1898 – 1980) in Kinderbüchern und Comics oder die seit George Clooneys Blockbuster Monuments Men einem breiten Publikum bekannten „allied heroes“ der historischen Monuments, Fine Arts and Archives Section. 2015 erschien zudem ein Film in dessen Fokus der Kunstschutz in Frankreich steht, der im Louvre in Paris spielt und die Personen Jacques Jaujard (1895 – 1967), den Leiter der französischen Nationalmuseen, und Franziskus Graf Wolff Metternich, den Leiter des Kunstschutzes, ins Zentrum des Geschehens stellt: Francofonia des russischen Regisseurs Alexander Sokurow.62 Auch diese Inszenierungen von Heldengeschichten müssen im Bewusstsein um nationale Perspektiven und Intentionen sowie im besten Fall in einer histoire croisée durch Kooperationen und internationalen Studien analysiert werden. Zudem ist das genuin 61 Siehe Margot Günther-Hornig, Kunstschutz in den von Deutschland besetzten Gebieten 1939 – 1945, Tübingen 1958. Akten dazu im Bundesarchiv, Bestand B 120 Institut für Besatzungsfragen, außerdem Korrespondenz im NL FGWM, Nr. 188. Zum Weißbuch siehe NL FGWM, Nr. 143 und PA AA B95/973. 62 Zu Rose Valland siehe Emmanuelle Polack Catel/Claire Bouilhac, Rose Valland. Capitaine Beaux Arts, Paris 2009 und Emmanuelle Polack/Emmanuel Cerisier, Rose Valland, l’espionne du musée au Jeu de Paume, Saint-Herblain 2009. Monuments Men von George Clooney und Grant Heslov, USA und Deutschland 2014, 118 Min., Bundesstart: 20. 02. 2014. Der Film basiert auf: Robert Edsel/ Bret Witter, The Monuments Men. Allied Heroes, Nazi Thieves and the Greatest Treasure Hunt in History, London/New York 2009. Francofonia von Alexander Sokurow, Frankreich, Deutschland, Niederlande 2015, 87 Min., Bundesstart: 25. 02. 2016. Koproduzent von Francofonia war Thomas Kufus (zero one film GmbH), der auf der Tagung anwesend war und dort über den Zugang zum Familienarchiv Wolff Metternich im Zuge dieser Filmproduktion berichtete.

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männliche Bild des Kunstschutzes aufzubrechen und die Rolle der Kolleginnen beim Kunstschutz und Frauen in Kulturverwaltung und Denkmalpflege zu beleuchten. Hier sind neben der bereits erwähnten Rose Valland, französische Kunstschutzoffizierin und mit Kriegsende und in der Nachkriegszeit für die Récupération artistique tätig, beispielhaft für „Monuments-women“ auch Edith Standen (1905 – 1998) als amerikanische MFA &A-Offizierin zu benennen, die am Collecting Point Wiesbaden tätig gewesen war, außerdem die zahlreichen Schreibkräfte wie Gisela Günther (genannt Gigü, Lebensdaten unbekannt) und Margarethe Schmidt (genannt Schmidt’chen, Lebensdaten unbekannt) in Paris oder die Mitarbeiterinnen an der Universität Marburg, beispielsweise Dr. Frieda Dettweiler (1900 – 1996), Dr. Johanna Müller (1900–?) und Dr. Marline von Stockhausen (1909–?), die im Kunsthistorischen Institut Marburg auch für die Fotokampagnen in den besetzten Gebieten zuständig waren.63 Die Biografie Wolff Metternichs und die Überlieferungsgeschichte des Kunstschutzes in seiner breiten Interpretation eines Arbeitsfeldes im 20. Jahrhundert verdeutlichen, dass Wolff Metternich und die Frage nach seinem Handlungsspielraum als Akteur des Kunstschutzes und dessen Selbst-/Fremdinszenierung als Projektionsfläche ein interessanter Analyse­ ansatz sind. Insbesondere die diversen Karrieresprünge, taktischen Verbindungen und das Paradigma einer vermeintlichen Konsistenz persönlicher Integrität und wissenschaftlicher Ambition ohne Brüche über politische Systeme hinweg sind dabei in den Fokus zu stellen. Dieses Narrativ und die Fremd- bzw. Selbstinszenierung erfordern eine Analyse durch Dekonstruktion und Rekonstruktion, um weitere Antworten auf die noch offenen Fragen finden zu können.64

63 Für die Lebensdaten Dettweiler, Müller und von Stockhausen ist Frederick Zucchi beim Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte, Bildarchiv Foto Marburg zu danken. 64 Siehe Anm. 4 zur laufenden Dissertation der Verfasserin zu dieser Thematik.

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Militärischer Kunstschutz im Ersten und Zweiten Weltkrieg Institutionen, Akteure, Diskurse, Handlungsfelder 1 Christina Kott

„(…) Es ist soweit, der brandneue Kunstschutz, eine Schöpfung des Heeres, hat sich nun auch häuslich eingerichtet. Offiziell soll er die Kunstwerke s­ chützen.“ 2 Diese Sätze stammen aus „Un collectionneur allemand“ (Ein deutscher Sammler) von Manuel Benguigui, einem französischsprachigen Roman, der 2017 immerhin für den Prix Goncourt in der Kategorie Bestes Erstlingswerk nominiert wurde. Weiter heißt es dort, die Hauptaufgabe des Kunstschutzes sei es, sich dem deutschen Botschafter, der mithilfe der Gestapo jüdische Sammlungen plündere, in den Weg zu stellen.3 Und schließlich, der Kunstschutz wolle zwar den Raub jüdischer Privatsammlungen verhindern, bekomme aber keine eindeutigen Befehle. Seine Aktionen ­seien allerdings nicht durch den Willen motiviert, die jüdischen Sammler zu ­schützen, sondern allein, um den guten Ruf der Wehrmacht zu bewahren.4 Der Held d ­ ieses Romans ist ein im Zweiten Weltkrieg im besetzten Paris stationierter, deutscher Offizier namens Ludwig, der nur in und durch Kunstwerke lebt. Weil er beim Kunstschutz keine Werke zu Gesicht bekommt, zieht er es vor, sich beim Einsatzstab Reichsleiter ­Rosenberg (ERR) und ­später auch bei Hermann Göring anzudienen, um seinen Hunger nach unbegrenztem Kunstgenuss zu stillen. Bis es dazu kommt, muss der tragische Held allerdings „beim Kunstschutz versauern“.5 Woher stammt das Bild, das hier vom sogenannten militärischen Kunstschutz der deutschen Besatzer in Paris gezeichnet wird? Und entspricht es einer historischen Wahrheit? Das Bild dieser ehrlichen, aber gegenüber den kunstraubenden Abetz’, Görings und H ­ itlers 1 Der mündliche Stil des am 19. September 2019 gehaltenen Abendvortrags wurde im Großen und Ganzen beibehalten. Es handelt sich hier um einen Überblick mit notwendigen Verkürzungen. Detaillierte Darstellungen und umfassendere Fußnoten müssen einer späteren Publikation vorbehalten bleiben. 2 „(…) ça y est, le tout nouveau Kunstschutz, émanation de l’armée de terre, est lui aussi dans ses murs. Il est officiellement chargé de protéger les œuvres d’art.“ Manuel Benguigui, Un collectionneur allemand, Paris 2017, S. 21. Die Übersetzungen der französischen Textpassagen stammen von der Autorin. 3 Ebd., S. 22. 4 Ebd., S. 24. 5 „En attendant, Ludwig moisit au Kunstschutz“, ebd., S. 25.

ohnmächtigen Gruppe, geht, so meine Vermutung, auf Jean Cassous kurz nach dem Zweiten Weltkrieg herausgegebene Dokumentation über den Raub jüdischer Sammlungen und Bibliotheken in Frankreich zurück.6 Darin beschreibt Jean Cassou 7, der Chefkustode des Pariser Musée d’Art moderne, Franziskus Graf Wolff Metternich (1893 – 1978),8 der im Mai 1940 vom Oberkommando des Heeres (OKH ) zum Leiter einer Kunstschutzabteilung ernannt worden war, als ein „Gespenst aus einer vergangenen Welt“ und „als eine Art Don Quichotte, der in das Wespennest der Hitlerschen Räuberbande geraten war“.9 In seiner Autobiografie von 1981 schildert Cassou eine kurze Begegnung mit Wolff Metternich im Sommer 1940, der aber aufgrund der Résistancetätigkeit Cassous und seiner Flucht nach Toulouse vermutlich keine weiteren Treffen, und somit auch keine engeren persönlichen Kontakte, folgten.10 Jedenfalls verfügte Cassou 1947 über den Rechenschaftsbericht Wolff Metternichs vom Frühjahr 1945, den er erstmals, allerdings in französischer Fassung und mit einigen Übersetzungsfehlern, in voller Länge veröffentlichte. Mehr noch, auf Wolff Metternichs Aussagen stützt sich auch seine Darstellung des Kulturgutraubs, wenngleich er ihm auch ein gewisses Misstrauen entgegenbringt und den Leser, berechtigterweise, vor der Oratio pro domo warnt.11 Während wir heute über zahlreiche neue Erkenntnisse zum NS -Kunstraub und seiner Akteure verfügen, so hat sich das oben beschriebene Bild des deutschen Kunstschutzes in der französischsprachigen Fachliteratur bis heute gehalten.12 Werden seine Bemühungen um den 6 Jean Cassou (Hg.), Le Pillage par les Allemands des œuvres d’art et des bibliothèques appartenant à des juifs en France (Centre de documentation juive contemporaine), Paris 1947. 7 Jean Cassou (1897 – 1986), französischer Schriftsteller, Kunstkritiker und Museumskonservator, war am 1. August 1940 zum Chefkustoden des kurz vor der Eröffnung stehenden Musée national d’art moderne in Paris ernannt worden, dann aber am 27. September 1940 aufgrund seiner Sympathien für linke Positionen und seiner jüdischen Herkunft vom Vichy-Régime seines Postens enthoben worden. Als Mitglied der Résistance wurde er von Dezember 1942 bis Juni 1943 in einem französischen Lager interniert, bei der Befreiung schwer verletzt und im August 1946 wieder als Chefkustode des Musée national d’art moderne eingesetzt, welches er bis 1965 leitete. 8 Esther Heyer, Der Provinzialkonservator Franziskus Graf Wolff Metternich. Denkmalpflege und Kunstschutz im Rheinland und in Frankreich, in: Kulturpolitik der Rheinischen Provinzialverwaltung 1920 bis 1945. Tagung am 18. und 19. Juni 2018 im LVR-LandesMuseum Bonn (Beihefte der Bonner Jahrbücher 59), Darmstadt 2019, S. 73 – 84. Siehe auch den Beitrag von Esther Heyer in ­diesem Band. 9 „(…) ce revenant d’un monde disparu comme une sorte de Don Quichotte égaré dans le guêpier du gang hitlérien.“ Cassous, Le Pillage (wie Anm. 6), Note introductive, S. 61. 10 Jean Cassou, Une vie pour la liberté, Paris 1981, S. 125 – 137. 11 Ebd., S. 60 f. 12 Aufgrund der Fülle an Literatur sei hier nur hingewiesen auf jüngste Publikationen, wie z. B. Emanuelle Pollak/Philippe Dagen, Les carnets de Rose Valland. Le pillage des collections privées d’œuvres d’art en France durant la Seconde Guerre mondiale, Paris, 2019, S. 21 f. Die Sprachbarriere kann hier nicht als Grund vorgeschoben werden, denn 2013 war bereits mein Aufsatz über

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Erhalt der staatlichen Kunstsammlungen in den westeuropäischen Ländern weitestgehend anerkannt, stellen ihn insbesondere Zeithistoriker oftmals in eine Reihe mit miteinander konkurrierenden NS -Organisationen, die alle am Kunstraub privater Sammlungen beteiligt waren – unter ihnen habe der Kunstschutz nur eben den Kürzeren gezogen. Auch die amerikanischen und italienischen Historiografien assoziieren „Kunstschutz“ mit dem NS Kunstraub: Schnell werden Angehörige der Kunstschutzabteilungen dort zu Mitgliedern der SS , obwohl diese – im Gegensatz zu anderen – keine waren: wie z. B. Wolff ­Metternich, bei Jonathan Petropoulos,13 oder auch, bis in jüngste Zeit, Hans Gerhard Evers.14 Das mag zum einen an Verwechslungen und Fehlern liegen, ­welche die Jahrzehnte überdauert haben. Nicht selten sind diese auf die noch während des Krieges unternommenen Nachforschungen des Office of Strategic Services (OSS ), des amerikanischen Geheimdienstes, über die am NS -Kunstraub beteiligten Personen – darunter mutmaßlich auch zahlreiche „Kunstschützer“ – zurückzuführen.15 Zum anderen beruhen sie auf Darstellungen von Personen wie Rodolfo Siviero, der in der Nachkriegszeit das italienische Narrativ über den deutschen Kunstschutz und Kunstraub entscheidend prägte.16 In Frankreich stützte sich die Forschung in Ermangelung anderer Quellen lange Zeit auf die Akten der deutschen Besatzungsbehörden (die Serie AJ 40), die im französischen Staatsarchiv in Paris liegen; im dazugehörigen Findbuch tritt aber in der Hauptsache Hermann Bunjes – dessen ambivalente Position z­ wischen Kunstschutz und Kunstraub bekannt ist 17 – als Leiter einer Pariser

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den Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg in französischer Sprache erschienen, siehe dazu Christina Kott, Le ‚Kunstschutz‘ en 1939 – 1945. Une pierre dans la façade de l’Allemagne national-socialiste?, in: Philippe Nivet (Hg.), Guerre et patrimoine artistique à l’époque contemporaine, Amiens 2013, S. 328 – 342. Jonathan Petropoulos, Art as Politics in the Third Reich, London, 1996, S. 129. In Benedetta Gentile/Francesco Bianchini, I misteri dell’Abbazia. Le verità sul tesoro di Montecassino, Florenz 2014, S. 64 ist zu lesen, Hans Gerhard Evers sei „(…) maggiore delle SS“ gewesen. Die Autoren zitieren dabei Simona Rinaldi, L’attività delle Direzione Generale delle Arti nella città aperta di Roma, in: Rivista dell’Istituto Nazionale di Archeologia e Storia dell’Arte 60 (2005) (ersch. 2010), S. 95 – 126. Art Looting Investigation Unit, Final Report, Washington DC, 1 May 1946, V. Biographical Index of Individuals involved in Art Looting (ALIU Red flag list), S. 20 – 175, https://www.fold3.com/ image/115/232005202 (Stand: 26. 07. 2020), siehe auch https://www.lootedart.com/MVI3RM469661 (Stand: 26. 07. 2020). Christian Fuhrmeister, Die Abteilung „Kunstschutz“ in Italien. Kunstgeschichte, Politik und Propa­ ganda 1936 – 1963 (Brüche und Kontinuitäten. Forschungen zu Kunst und Kunstgeschichte im Nationalsozialismus 1), Wien/Köln/Weimar 2019, S. 22 f. Zu Hermann Bunjes (1911 – 1945) siehe Nikola Doll, Politisierung des Geistes. Der Kunsthistoriker Alfred Stange und die Bonner Kunstgeschichte im Kontext nationalsozialistischer Expansionspolitik, in: Burkhard Dietz/Helmut Gabel/Ulrich Tiedau (Hg.), Der Griff nach dem Westen. Die „Westforschung“ der völkisch-nationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum (1919 – 1960), 2 Bde. (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 6), Teilband 1, Münster

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Kunstschutzabteilung in Erscheinung,18 während die Angaben zu Graf Wolff Metternich als Verantwortlichen der Kunstschutzgruppe des OKH eher spärlich sind.19 Überspitzt ausgedrückt, wird der Begriff „Kunstschutz“ heute fast ausschließlich mit dem Zweiten Weltkrieg und dem NS -Raub an privatem Kulturgut in den besetzten Gebieten Westeuropas in Verbindung gebracht. Sowohl was dessen Abwehr als auch was seine mutmaßliche Beteiligung daran betrifft, wird er als Akteur wegen seiner vermeintlichen Ohnmacht als eher unbedeutend eingestuft. Zudem ist das Wissen über „den Kunstschutz“ nach wie vor durch Darstellungen bzw. Selbstdarstellungen aus der Nachkriegszeit geprägt und bleibt daher sowohl einseitig als auch unscharf.20 Wurde der sogenannte militärische Kunstschutz also verdrängt oder ignoriert, unterschätzt oder diabolisiert? Und wenn ja, warum? Waren seine Mitglieder Helfershelfer der Kunsträuber oder Nazigegner, vielleicht sogar Widerständler? Jegliche Schwarz-Weiß-Malerei scheint der Materie nicht angemessen, die traditionelle Trennlinie z­ wischen Wissenschaft und Politik hinfällig.21 Das Adjektiv „unterschätzt“, welches jüngst auch in der deutschsprachigen Fachliteratur in Bezug auf deutschen Kunstschutz in Russland 22 verwendet wurde, erscheint zumindest teilweise zutreffend. Man könnte jedoch noch hinzufügen: „nicht angemessen eingeschätzt“. Welche Bedeutung hatte also „der Kunstschutz“, und was verstehen wir eigentlich unter dem Begriff?

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2003, S. 979 – 1015. N. Doll bereitet im Rahmen eines Forschungsprojekts eine Studie über die von Bunjes geleitete Kunsthistorische Forschungsstätte in Paris vor, siehe dazu https://dfk-paris. org/de/research-project/zwischen-kunst-wissenschaft-und-besatzungspolitik-1207.html (Stand: 26. 07. 2020). Stefan Martens/Andreas Nielen, Introduction I. L’occupation allemande de la Belgique et de la France à travers les archives de la sous-série AJ 40, in: Archives Nationales (Hg.), La France et la Belgique sous l’occupation allemande 1940 – 1944. Les fonds allemands conservés au Centre historique des Archives nationales. Inventaire de la sous-série AJ40, Paris 2002, S. 27. Ebd., S. 176. Das gilt auch für die einzige länderübergreifende Untersuchung, die zum Teil auf Selbstaussagen der Akteure beruht, siehe Margot-Günther Hornig, Kunstschutz in den von Deutschland besetzten Gebieten, 1939 – 1945, Tübingen 1958. Christian Fuhrmeister, Reine Wissenschaft. German Art History and the Notions of Objective Scholarship and Pure Science, 1920 – 1950, in: Mitchell B. Frank/Daniel Adler (Hg.), German Art History and Scientific Thought. Beyond Formalism, Aldershot 2017, S. 161 – 177. Corinna Kuhr-Korolev/Ulrike Schmiegelt-Rietig/Elena Zubkova in Zusammenarbeit mit Wolfgang Eichwede, Raub und Rettung. Russische Museen im Zweiten Weltkrieg (Studien zu kriegsbedingt verlagerten Kulturgütern 1), Wien/Köln/Weimar 2019, S. 74 (Kapitel 4: Ein unterschätzter Akteur, der militärische Kunstschutz).

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1. Die Erfindung des militärischen Kunstschutzes im Ersten Weltkrieg „Die Worte ‚Kunstschutz im Kriege‘ und ‚Kriegsdenkmalpflege‘ sind sprachlich neue Prägungen, die nicht über das Jahr 1914 zurückdatieren, und auch die Begriffe sind in dieser Fassung und dieser Ausdeutung etwas Neues.“ 23 Was der rheinische Provinzialkonservator Paul Clemen (1866 – 1947) 1933 etwas verklausuliert ausdrückt, bedeutet schlicht, dass der Begriff und damit auch die Idee mit dem Ausbruch des E ­ rsten Weltkriegs entstanden. Doch was verbirgt sich hinter diesen Bezeichnungen, und worin unterscheiden sie sich vom heute gebräuchlichen Terminus „Kulturgüterschutz bei bewaffneten Konflikten“? Wie Forschungen der letzten Jahrzehnte zeigen, bezeichnet „Kriegsdenkmalpflege“, dieser Begriff, den Clemen selbst geprägt hat, nicht ausschließlich die Durchführung von konkreten denkmalpflegerischen Maßnahmen in Kriegs- und Besatzungssituationen, sondern ist als eine Art Mobilmachung der Denkmalpflege für nationale Belange im Krieg zu betrachten.24 Auch „Kunstschutz im Kriege“ geht weit über das Schützen bzw. das Unterschutzstellen von Kulturerbe zur Abwehr von Beschädigungen, Zerstörungen oder Raub hinaus. Spricht man heute von „dem Kunstschutz“ oder „le“ bzw. „il“ „Kunstschutz“, dann meint man eine militärische Einheit, die – zumindest nach außen hin – mit den Aufgaben des Kunstschutzes bzw. der Kriegsdenkmalpflege zumeist auf feindlichem Gebiet betraut war. Der Begriff birgt also an sich schon eine semantische Polyvalenz. Doch kommen wir zunächst wieder zum E ­ rsten Weltkrieg zurück. Nicht etwa, um Akteure, Aktivitäten und Maßnahmen faktenreich und im Einzelnen zu präsentieren (hierzu sei auf die einschlägigen Publikationen verwiesen 25). Sondern weil mit der Idee

23 Paul Clemen, Kriegsdenkmalpflege, in: Ders., Die Deutsche Kunst und die Denkmalpflege. Ein Bekenntnis von Paul Clemen, Berlin 1933, S. 91. 24 Ingrid Scheurmann, Denkmalpflege und Kunstschutz 1914 bis 1933. Programme, Profile, Projekte und ihre disziplingeschichtlichen Folgen, in: Dies./Hans-Rudolf Meier/Wolfgang Sonne (Hg.), Werte. Begründungen der Denkmalpflege in Geschichte und Gegenwart, Berlin 2013, S. 200 – 217, hier S. 206 – 207. 25 Zu Frankreich und Belgien siehe Christina Kott, Préserver l’art de l’ennemi? Le patrimoine artistique en France et en Belgique occupées, 1914 – 1918, Brüssel 2006; Dies./Heino Neumayer/Gaëlle Pichon Meunier (Hg.), Sauve qui veut. Des archéologues et des musées mobilisés, 1914 – 1918 (Ausstellungskatalog, Musée de la Chartreuse, Ville de Douai/Forum Antique), Bavay 2014. Auf Deutsch zuletzt Christina Kott, Der deutsche „Kunstschutz“ und die Museen im besetzten Belgien und Frankreich, in: Petra Winter/Jörn Grabowski (Hg.), Zum Kriegsdienst einberufen. Die Königlichen Museen zu Berlin und der Erste Weltkrieg (Schriften zur Geschichte der Berliner Museen 3), Wien/Köln/ Weimar 2014, S. 51 – 72. Forschungen zum Kunstschutz in anderen besetzten Gebieten siehe Robert Born/Beate Störtkuhl (Hg.), Apologeten der Vernichtung oder Kunstschützer? Kunsthistoriker der Mittelmächte im E ­ rsten Weltkrieg (Visuelle Geschichtskultur 16), Wien/Köln/Weimar 2017 und Laurence Baudoux-Rousseau/Michel-Pierre Chélini/Charles Giry-Deloison (Hg.), Le patrimoine, un enjeu de la Grande guerre. Art et archéologie dans les territoires occupés 1914 – 1921/Der

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und dem Begriff Grundstrukturen und Denkmuster geschaffen wurden, die man ­später im Zweiten Weltkrieg wiederfindet, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Die Zerstörung von Kulturdenkmälern durch kaiserliche Truppen im Herbst 1914 in Belgien und Nordfrankreich hatte bekannterweise weltweit Proteste und den Vorwurf des „Barbarentums“ hervorgerufen, wofür hier die Stichworte Brand der Universitätsbibliothek von Löwen und Bombardierung der Kathedrale von Reims genügen müssen.26 Ein kollektives Stigma, das deutschen Intellektuellen und Gelehrten noch lange anhaftete, hatten sie doch in ihrer Mehrheit den Angriffskrieg durch Wort und Tat unterstützt. Andererseits setzten einige von ihnen alles daran, um sich von d ­ iesem Stigma zu befreien, nicht zuletzt, weil sie um die Zukunft ihres auf internationale Netzwerke angewiesenen Faches bangten. Zu ­diesem Zweck wurden 1914 bis 1915 Experten für Kulturerbe mit dem Schutz der beweglichen und unbeweglichen Kulturdenkmäler, zunächst an der Westfront, beauftragt.27 1916 bis 1917 erfolgte dann die Angliederung von zahlreichen Kunstschutzbeauftragten – im zivilen Leben zumeist Kunsthistoriker, Denkmalpfleger und Archäologen – an die verschiedenen Armeeoberkommandos.28 Auf völkerrechtlicher Ebene beinhaltete die IV. Haager Landkriegsordnung (HLKO) von 1907 zwar erstmals mehrere Artikel (Artikel 27, 46, 56), ­welche die absichtliche Zerstörung und die Beschlagnahme von feindlichen Kulturgütern verboten und deren Schonung durch den Angreifer vorsahen. Kein Artikel verpflichtete die Angreifer oder Besatzer jedoch zur Einrichtung von speziellen militärischen Kunstschutzeinheiten – noch dazu auf fremdem Territorium – zum Zweck eines präventiven Kulturgüterschutzes. Allerhöchstens konnte hierzu Art. 43 der HLKO zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung herangezogen werden. Hierin liegt, meines Erachtens, einerseits der innovative Charakter, wird hier doch eine Praxis vorweggenommen, die erst sehr viel s­ päter – nämlich in der Haager Konvention von 1954 – bindend wurde. Andererseits tritt aber auch der problematische, ambivalente Charakter zu Tage, denn die Initiative ging nicht von politischer oder militärischer Seite aus, sondern es waren einflussreiche Museumsdirektoren, Kunsthistoriker und Denkmalpfleger, ­ ulturerbeschutz als Herausforderung im ­Ersten Weltkrieg. Kunst und Archäologie in den besetzten K Gebieten 1914 – 1921, Arras 2018. 26 Zu Reims siehe zuletzt Thomas W. Gaehtgens, Die brennende Kathedrale, München 2018. Zu Löwen nach wie vor Wolfgang Schivelbusch, Die Bibliothek von Löwen. Eine Episode aus der Zeit der Weltkriege, München/Wien 1988 und zuletzt Winfried Dolderer, „Furore Teutonico …“ Die Löwener Universitätsbibliothek als belgisch-deutscher Erinnerungsort, in: Sebastian Bischoff u. a. (Hg.), ‚Belgium is a beautiful city‘? Resultate und Perspektiven der Historischen Belgienforschung, Münster 2018, S. 107 – 116. 27 Kott, Préserver l’art de l’ennemi (wie Anm. 25), S. 57 – 85. 28 Heribert Reiners (1884 – 1960), Ludwig Burchard (1886 – 1960), Wilhelm Pinder (1878 – 1947), Georg Weise (1888 – 1978), Detlev von Hadeln (1878 – 1935), Theodor Demmler (1879 – 1944), Hermann Burg (1878 – 1946 oder 1947), Richard Goetz (1874 – 1954), Hans Stöcklein (1874 – 1936), Peter Goessler (1872 – 1956), Johann Baptist Keune (1858 – 1937), ebd. S. 230 – 364.

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die sich an höchster Stelle dafür einsetzten.29 Ein erstes Grundmuster des militärischen Kunstschutzes ist nämlich – paradoxerweise – die individuelle oder kollektive, aus der Zivilgesellschaft kommende Initiative, die zwar nicht selten im Widerspruch zu militärischen und politischen Anforderungen stand, von Militär und Politik aber ebenfalls instrumentalisiert wurde. Eine zweite Konstante ist die Prägung wichtiger Akteure des Kunstschutzes – allen voran Paul Clemen – durch das Rheinland, das von jeher bestimmt war durch seine geopolitische Situation als Grenzland nach Westen sowie durch sein katholisches Milieu. Die erhöhte Akzeptanz solcher Initiativen war drittens dem gesteigerten Bewusstsein für den Wert des Kulturerbes, vor allem des nationalen, geschuldet. Hier sei nur kurz an die Gründung von Denkmälerkommissionen in mehreren europäischen Ländern im 19. Jahrhundert, an die Erarbeitung erster nationaler und regionaler Gesetzgebungen für den Schutz des Kulturerbes um 1900 und an die allerorts aufkeimenden Heimatschutzvereine oder -gesellschaften erinnert.30 Kein kriegführender Staat war jedoch auf die verheerenden Zerstörungen vorbereitet, die der industrialisierte Krieg – insbesondere der Luftkrieg – verursachte. So erstaunt es nicht, dass die Kriegsmächte auf ihren eigenen Territorien erst nach und nach präventive Schutzmaßnahmen durchführten und ab Ende 1916 bzw. Anfang 1917 dafür teilweise auch eigene militärische Kunstschutzeinheiten einsetzten.31 Die Oberste Heeresleitung (OHL ) war hingegen nur wenig geneigt, den Kunstschutzbeauftragten der Armeeoberkommandos Arbeitskräfte, Material und Fahrzeuge zur Verfügung zu stellen und ihnen Zugang zu Kriegszonen zu gewähren. Der Erfolg ihrer eigentlichen denkmalpflegerischen Präventions- und Schutzmaßnahmen blieb daher weit hinter den Ankündigungen zurück. Wenn nicht gar manche Aktionen – beispielsweise die Evakuierungen von Museumsgut aus besetzten Gebieten – als Kunstraub interpretiert oder mit Plünderungen gleichgesetzt wurden wie in Nordfrankreich.32 (Abb. 1) Beschränkt man also den Begriff „Kunstschutz“ auf rein denkmalpflegerische und kulturerhaltende Maßnahmen, bleibt eine ganze Reihe 29 Nicht nur Wilhelm von Bode (1845 – 1929) und Paul Clemen, sondern auch Ludwig Borchardt (1863 – 1938) und Julius Meier-Graefe (1867 – 1935), ebd., S. 57 – 68. 30 Winfried Speitkamp, Die Verwaltung der Geschichte. Denkmalpflege und Staat in Deutschland, 1871 – 1933 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 114), Göttingen 1996; Astrid Swenson, The Rise of Heritage. Preserving the Past in France, Germany and England, 1789 – 1914, Cambridge 2013. 31 Zu Frankreich siehe Gaëlle Pichon-Meunier, Le service de protection et d’évacuation des œuvres d’art pendant la première guerre mondiale. L’apport des archives de la Médiathèque de l’architecture et du patrimoine, in: Philippe Nivet (Hg.), Guerre et patrimoine artistique (wie Anm. 12), S. 280 – 304; Gaëlle Pichon-Meunier, Déplacer, protéger, inventorier. Le service français de protection et d’évacuation des monuments et œuvres d’art de la zone des armées, 1917 – 1919, in: Ders./Christina Kott/Heino Neumayer (Hg.), Sauve qui veut (wie Anm. 25), S. 149 – 167. 32 Ebd., S. 109 – 125 (mit zahlreichen Abbildungen); Kott, Préserver l’art de l’ennemi (wie Anm. 25), S. 312 – 392; Michèle Clarebout-Adamczyck/François Robichon, La grande misère du musée de Lille. Émile Théodore, un conservateur exemplaire pendant la Grande Guerre, in: Revue du Nord

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von Aktivitäten der Kunstschutzbeauftragten unerwähnt, wie fotografische Dokumentationen bis hin zu Inventarisierungen, Ausstellungen, Forschungsprojekte, Publikationen, Ausgrabungen. Diese beruhten einerseits auf individuellen Initiativen der Fachleute, die, für eigene Zwecke oder die ihrer Heimatinstitution, die günstige Gelegenheit des Zugangs zu Quellen nutzten. Andererseits wurden sie darin von den Behörden unterstützt, denn jeder Ausdruck „friedlicher Kulturarbeit“ ließ sich für die offizielle Kulturpropaganda verwenden.33 Als ein viertes Grundmuster muss hier die politische Instrumentalisierung des Kunstschutzes genannt werden. Dabei wirkten selbstredend nationalistische Traditionen und nationale Traumata nach. So war der Schutz des Kulturerbes oftmals mit dessen symbolischer Aneignung gekoppelt, um auf diese Weise den Anspruch auf ein besetztes Territorium zu untermauern.34 Hauptinteresse vieler Forschungen war daher auch die Suche nach Spuren germanischen oder deutschen Einflusses, was die Grundsteine der „Westforschung“ 35 und der „Ostforschung“ 36 legte. Das Vorhaben, Kunstwerke durch Beschlagnahme als politische Druckmittel zu verwenden, um in vorherigen Kriegen vom Gegner verschlepptes Kulturgut zurückzuverlangen, existierte ebenfalls, kam aber kaum zur Anwendung.37

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96/1 – 6 (2015). Themenheft: La première guerre mondiale dans le nord de la France et en Belgique, S. 241 – 270. Thomas Goege, Kunstschutz und Propaganda im E ­ rsten Weltkrieg. Paul Clemen als Kunstschutzbeauftragter an der Westfront, in: Jahrbuch der Rheinischen Denkmalpflege 35 (1991). Themenheft: Paul Clemen. Zur 125. Wiederkehr seines Geburtstags, S. 149 – 168; Kott, Préserver l’art de l’ennemi (wie Anm. 25), S. 76 – 85. Zuletzt besonders Evonne Levy, The German Art Historians in the Great War. Kulturpropaganda and the Stillbirth of Propaganda Analysis, in: Robert Born/Beate Störtkuhl (Hg.), Apologeten der Vernichtung (wie Anm. 25), S. 43 – 60. Hier vor allem die Inventarisation der belgischen Kunstdenkmäler, siehe dazu Christina Kott/MarieChristine Claes (Hg.), Le patrimoine de la Belgique vu par l’occupant. Un héritage photographique de la Grande Guerre, Brüssel 2018. Doll, Politisierung (wie Anm. 17), Kott, Préserver l’art de l’ennemi (wie Anm. 25), S. 143 – 156, 192 – 194. Robert Born/Beate Störtkuhl, Apologeten der Vernichtung oder Kunstschützer? Kunsthistoriker der Mittelmächte im ­Ersten Weltkrieg, in: Dies. (Hg.), Apologeten der Vernichtung (wie Anm. 25), S. 9 – 28, hier S. 27, weiterführende Literatur siehe Fußnote 82. Christina Kott, Kunstwerke als Faustpfänder im ­Ersten Weltkrieg, in: Matthias Frehner (Hg.), Das Geschäft mit der Raubkunst. Thesen, Fakten, Hintergründe, Zürich 1998, S. 43 – 50 (Erstabdruck in: Neue Zürcher Zeitung, 25. 03. 1997); Anja Heuß, Kunst- und Kulturgutraub. Eine vergleichende Studie zur Besatzungspolitik der Nationalsozialisten in Frankreich und der Sowjetunion, Heidelberg 2000, S. 251 – 259; Bénédicte Savoy, Patrimoine annexé. Les biens culturels saisis par la France en Allemagne autour de 1800, Bd. 1, Paris 2003, S. 293 – 307, 476 – 484; Christoph Roolf, Die Forschungen des Kunsthistorikers Ernst Steinmann zum Napoleonischen Kunstraub ­zwischen Kulturgeschichtsschreibung, Auslandspropaganda und Kulturgutraub im ­Ersten Weltkrieg, in: Yvonne Dohna (Hg.), Ernst Steinmann. Der Kunstraub Napoleons (Bibliotheca Hertziana – Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte), Rom 2007.

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Abb. 1  Schützer, Vermittler oder Räuber? Der Kunstschutzbeauftragte des 5. Armeeoberkommandos Heribert Reiners ­zwischen einer alten Dorfbewohnerin und einer polychromen Marienstatue (12. Jh.) aus der Krypta der ­Kirche Notre-Dame-de-l’Assomption in Mont-devant-Sassey (Frankreich, Département Meuse), bei Stenay. Die Marienstatue befindet sich heute im Musée de la Princerie in Verdun und wurde vor Ort durch eine Gipskopie ersetzt, o. D. (1915 – 1918).

2. „Kunstschutz“ im Interbellum? Angesichts der verheerenden Zerstörungen von Bauwerken sowie der Dislokationen von kulturellen Artefakten blieb auch in der unmittelbaren Nachkriegszeit der Kulturgutschutz ein Thema. Die meisten der vormaligen deutschen und österreichischen Kunstschutzbeauftragten kehrten wieder in ihre Berufe als Hochschulprofessoren oder Museumskonservatoren zurück. Einige von ihnen blieben jedoch an den Restitutionsvorgängen beteiligt – ein Phänomen, das sich übrigens auch nach 1945 beobachten lässt.38 Die Mehrheit unter ihnen, allen voran Paul Clemen, war über das völlige Unverständnis der ehemaligen Kriegsgegner 38 Sowohl Wolff Metternich als auch Bernhard von Tieschowitz übten in der Nachkriegszeit offizielle Funktionen im Rahmen der Kulturgutrestitutionen aus, siehe dazu Marie-Bénédicte Vincent, Une administration ouest-allemande en charge des œuvres d’art à restituer après le nazisme. La Treuhandverwaltung für Kulturgut (1952 – 1962), in: Revue de l’IFHA 6 (2014), S. 1 – 29: http://journals. openedition.org/ifha/8072 (Stand: 08. 03. 2020).

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und aktuellen Kriegsgewinner gegenüber den Bemühungen des deutschen Kunstschutzes zutiefst enttäuscht. Die zweibändige Publikation „Kunstschutz im Kriege“ 39 geriet daher 1919 zur kollektiven Rechtfertigungsschrift, insbesondere im Hinblick auf die Friedensverhandlungen in Versailles. Entgegen deutscher Befürchtungen sahen die Friedensverträge allerdings nur in seltenen Fällen – wie im Falle der Tafeln des Genter Altars – die Abgabe von Kunstwerken zum Zwecke der Wiedergutmachung für Kriegszerstörungen vor.40 Von der internationalen wissenschaftlichen und kulturellen Kooperation, wie sie vor dem Weltkrieg bestanden hatte, blieben Repräsentanten der Weimarer Republik zunächst ausgeschlossen. So fand 1921 der erste nach dem Krieg organisierte internationale Kunsthistorikerkongress in Paris, bei dem auch der Kulturgutschutz im Krieg eine Rolle spielte, ohne deutsche Beteiligung statt.41 Die Restitutions- und Reparationsvorgänge in Ausführung der Friedensverträge von Versailles und Trianon dienten aber auch der Wiederanbahnung von Kontakten zu Fachkollegen im Ausland.42 Ab Mitte der 1920er Jahre waren deutsche Fachleute wieder in internationale Netzwerke integriert, ab 1926/27 arbeiteten einige von ihnen aktiv am Internationalen Museumsamt (Office international des Musées, OIM ) des Völkerbundes mit – bis zum Ausstieg Deutschlands aus dem Völkerbund nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler im Januar 1933 und der im darauffolgenden November stattfindenden Volksabstimmung.43 Auf der Internationalen Ausstellung 1937 in Paris inszenierte der NS -Staat aufwändig die vermeintlichen Errungenschaften seines Museumswesens und seiner Denkmalpflege.44 Zeitgleich fand die Münchner Ausstellung 39 Paul Clemen in Verbindung mit Gerhard Bersu u. a., Kunstschutz im Kriege. Berichte über den Zustand der Kunstdenkmäler auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen und über die deutschen und österreichischen Massnahmen zu ihrer Erhaltung, Rettung, Erforschung, 2 Bde., Leipzig 1919, Bd. 2, S. 1 – 10: https://archive.org/details/kunstschutzimkri01clem/page/n6 (Bd. 1), https://archive. org/details/kunstschutzimkri02clem/page/n6 (Bd. 2) (Stand: 25. 07. 2020). 40 Zuletzt Lukas Cladders, Alte Meister – Neue Ordnung. Kunsthistorische Museen in Berlin, Brüssel, Paris und Wien und die Gründung des Office International des Musées (1918 – 1930), Köln/Weimar/ Wien, 2017, S. 72 – 74, 111 – 115. 41 Gustav Glück (1871 – 1952), Direktor der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums Wien, nahm als einziger Vertreter der ehemaligen Mittelmächte am Pariser Kongress teil, ebd., S. 246 – 248. 42 Dabei spielte der Archäologe Gerhard Bersu, auch ein ehemaliger Kunstschützer, eine wichtige Rolle, siehe dazu Heino Neumayer/Christina Kott, Vom Kunstschützer zum Kulturdiplomaten. Gerhard Bersu in den Jahren 1914 bis 1927, in: Jahresbuch der Römisch-Germanischen Kommission, Frankfurt (erscheint 2020). 43 Christina Kott, The German Museum Curators and the International Museums Office, 1926 – 1937, in: Bénédicte Savoy/Andrea Meyer (Hg.), The Museum Is Open. Towards a Transnational History of Museums 1750 – 1940 (Contact zones 1), Berlin 2014, S. 205 – 217. 44 Christina Kott, Museums on Display. Die Selbstinszenierung der deutschen Museen auf der Pariser Weltausstellung 1937, in: Tanja Baensch/Kristina Kratz-Kessemeier/Dorothee Wimmer (Hg.), Museen im Nationalsozialismus. Akteure – Orte – Politik (Veröffentlichungen der Richard-SchöneGesellschaft für Museumsgeschichte e. V.), Wien/Köln/Weimar, 2016, S. 61 – 81.

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„Entartete Kunst“ statt, Museen wurden gesäubert und zahlreiche Museumskustoden sowie Hochschullehrer ihrer Posten enthoben und ins Exil getrieben. Abschottung, Isolierung, staatliche Kontrolle und Devisenbeschaffung erschwerten von nun an Auslandskontakte und -reisen. Obwohl sich die Regeln für den Kulturgutschutz der Haager Landkriegsordnung im Weltkrieg als nicht anwendbar erwiesen hatten, war in vielen Staaten der Glaube an eine völkerrechtliche Lösung ungebrochen. Die Verbesserung der internationalen Bestimmungen für den Kulturgutschutz in Kriegen stand daher während der gesamten Zwischenkriegszeit auf der Agenda. Mehrere europäische Länder – wie die Niederlande und Frankreich – ­stellten um 1930 jedoch vorausschauend die Weichen für die Miteinbeziehung des Kulturerbeschutzes in nationale Luftschutzprogramme.45 Außer dem sogenannten Roerich-Pakt von April 1935 – auch Washingtoner Vertrag genannt –, dem aber kein europäischer Staat beitrat, gelang es vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nicht, ein reformiertes Abkommen zur Unterzeichnung zu bringen, obgleich ein Entwurf des Internationalen Museumsamts 46 vorlag und der spanische Bürgerkrieg die verheerenden Folgen von Luftangriffen auf zivile Ziele vor Augen geführt hatte.

3. Kunstschutz im „Totalen Krieg“? 1933 hatte Paul Clemen noch den Wunsch geäußert, „schon bei dem ersten Vorrücken der Armeen sachverständige Berater bei den großen Stäben mit einer dienstlichen Funktion [auszustatten], die im Voraus, vor den Angriffen, vor der Besetzung, vor den Operationen auf die Bedeutung der ganz großen Baudenkmäler und Kunstschätze, auf die Notwendigkeit, wenigstens nach Mitteln zu suchen, sie sofort zu s­ chützen, hinweisen“.47 Als der Nestor der deutschen Denkmalpflege diese Sätze schrieb, konnte er nicht ahnen, dass sein Wunsch nach Entsendung von Kunstexperten in Erfüllung gehen würde, allerdings zunächst in einem 45 Für die Niederlande: Marieke C. Kuipers, Art Protection and Architectural Preservation in the Netherlands (1938 – 1945), in: Magdalena Bushart/Agnieszka Gąsior/Alena Janatková (Hg.), Kunstgeschichte in den besetzten Gebieten, 1939 – 1945 (Brüche und Kontinuitäten. Forschungen zu Kunst und Kunstgeschichte im Nationalsozialismus 2), Köln/Wien/Weimar 2013, S. 141 – 162, hier S. 144 – 146. Für Frankreich: Philippe Tanchoux, La protection monumentale en 1939 – 1945. L’action du service des monuments historiques en temps de guerre, in: Philippe Nivet (Hg.), Guerre et patrimoine artistique (wie Anm. 12), S. 343 – 365 sowie den Beitrag von Arnaud Bertinet in ­diesem Band. 46 Entwurf für eine Internationale Konvention für den Schutz von Historischen Gebäuden und Kunstwerken in Kriegszeiten, in: Mouseion. Zeitschrift des Internationalen Museumsamts 47/48 (1939), S. 181 – 183. Siehe auch Pierre Leveau, L’institution de la conservation du patrimoine culturel dans l’entre-deux-guerres, Dijon 2017, S. 270 – 302. 47 Clemen, Kriegsdenkmalpflege (wie Anm. 23), S. 91.

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völlig anderen Sinne als er dies geplant hatte. Kurz nachdem die Wehrmacht am 1. September 1939 in Polen einmarschierte, wurden nämlich nicht Experten für Denkmalpflege, sondern in erster Linie Prähistoriker aus dem Kreise des SS-Ahnenerbe durch Robert Hiecke, Ministerialdirigent und Leiter der Abteilung für Denkmalpflege im Reichsministerium für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung (REM), für „Schutzmaßnahmen“ in Polen eingesetzt.48 Darunter befand sich auch der Kunsthistoriker Dagobert Frey (1882 – 1963), der schon 1918 als Student der Kunstgeschichte an Kunstschutzaktivitäten in Norditalien beteiligt war.49 Unter den eingesetzten Sachverständigen war er aber wohl einer der wenigen, der – neben Beihilfe zu Kunstraub und -zerstörung – auch Denkmalschutz betrieb, etwa indem er Listen von zu schützenden Bauwerken in Warschau erstellte.50 Was bewegte nun Hiecke dazu, im Vorfeld des Westfeldzugs nicht auf das Ahnenerbe wie in Polen, sondern auf die rheinische Denkmalpflege – in der Person von Franziskus Graf Wolff Metternich – zurückzugreifen und das OKH zu involvieren? Lag es an der besonderen Wertschätzung des Kulturerbes in den westlichen Nachbarländern gegenüber einer geringen der polnischen Kultur und ihrer Vertreter? Oder an der besonderen Gefährdung des Rheinlands aufgrund der Kriegserklärung Frankreichs? Oder ging die Initiative diesmal erneut – wie schon im vorherigen Krieg – von Kunsthistorikern und Denkmalpflegern aus, die um die Zukunft ihres Faches fürchteten? Der Frage kann in d­ iesem Rahmen nicht weiter nachgegangen werden. Tatsache ist aber, dass Hiecke Ende 1939 und Anfang 1940 nach mehreren Treffen mit Graf Wolff Metternich entsprechende Anträge an den Generalquartiermeister der Wehrmacht, General Eduard Wagner, richtete.51 Dabei spielte das Vorbild des Kunstschutzes im E ­ rsten Weltkrieg als Erfahrungshorizont eine wichtige Rolle. Denn 48 Aktenvermerk von Sievers, 23. 03. 1939, BA, BDC, DS G 0130 PA Petersen, Ernst, Pos. 0192 K. Zit. nach: Gerd Simon unter Mitwirkung von Dagny Guhr, George Leaman und Ulrich Schermaul, Chronologie Petersen, Ernst, 2011, S. 9. PDF-Dokument mit einer listenmäßigen Zusammenstellung von Quellenmaterial zum Prähistoriker Ernst Petersen unter http://homepages.uni-tuebingen.de/ gerd.simon/ChrPetersenErnst.pdf (Stand: 26. 07. 2020). Als Quelle bei Sabine Arend, Studien zur deutschen kunsthistorischen „Ostforschung“ im Nationalsozialismus. Die Kunsthistorischen Institute an den (Reichs-)Universitäten Breslau und Posen und ihre Protagonisten im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik, Diss. HU Berlin 2009, S. 421, Fußnote 3099: https://edoc.hu-berlin.de/ handle/18452/16871 (Stand: 26. 07. 2020). Zum Verhältnis SS-Ahnenerbe – Kunstschutz, siehe den Beitrag von Raik Stolzenberg in ­diesem Band. 49 Ebd., S. 421; Born/Störtkuhl, Apologeten (wie Anm. 25), S. 27. 50 Frey schreibt 1947, er habe schon im September 1939 dem REM einen Plan mit den schützenswerten Bauten Warschaus übergeben, siehe dazu Arend, „Ostforschung“ (wie Anm. 48), S. 575, Fußnote 3100. Lynn H. Nicholas’ Annahme, dass die Einrichtung eines angeblich von Frey vorgeschlagenen Kunstschutzes an der schwachen Rolle der Wehrmacht im Machtgefüge des NS-Staates scheiterte, muss stark in Zweifel gezogen, kann aber hier nicht detailliert diskutiert werden, siehe Lynn H. Nicholas, Der Raub der Europa. Das Schicksal europäischer Kunstwerke im Dritten Reich, München 1994, S. 103. 51 Robert Hiecke an Wolff Metternich, 12. 03. 1940 und 2. (3.?) 04.1940, NL FGWM, Nr. 31.

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Abb. 2  Bernhard von Tieschowitz und Franz Graf Wolff Metternich im Burgund, auf einer Mauer sitzend, Sommer 1941.

um die Probleme von dezentralen Kunstschutzeinheiten oder -beauftragten von 1914 bis 1918 zu vermeiden, wurde zu Beginn des Westfeldzugs im Mai 1940 eine zentrale Leitung beim OKH eingerichtet und Wolff Metternich mit dieser betraut. Analog zu 1914/18 wurde der Kunstschutzbeauftragte dem Generalquartiermeister unterstellt.52 Da es auf behördlicher Ebene anscheinend keine genauen Vorstellungen über Umfang, Ausmaß und Aufbau des Kunstschutzes gab, waren es Wolff Metternich und sein Stellvertreter Bernhard von Tieschowitz (1902 – 1968) (Abb. 2), die im Zuge der deutschen Expansionspolitik die Einrichtung von Kunstschutzabteilungen bei den jeweiligen Militärverwaltungen anregten und die infrage kommenden Mitarbeiter vorschlugen. Diese hatten – mit wenigen Ausnahmen – einen einheitlichen Status als Mitglieder der Militärverwaltungen,53 was ebenfalls eine Verbesserung gegenüber dem E ­ rsten Weltkrieg darstellte, wo die K ­ unstschutzbeauftragten 52 Generalquartiermeister Wagner an Wolff Metternich, 13. 05. 1940 (Abschrift), NL FGWM, Nr. 31. 53 Kriegsverwaltungsrat (KVR), Oberkriegsverwaltungsrat (OKVR), Kriegsverwaltungsabteilungsleiter (KVAbtL). Nach 1943 werden die Bezeichnungen Militärverwaltungsrat (MVR) etc. verwendet.

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ihre in der Regel niedrigen militärischen Ränge behielten und daher nur über geringe Durchsetzungskraft verfügten. Wolff Metternich erarbeitete auch die Richtlinien des OKH für die Arbeit der Kunstschutzabteilungen sowie ein Arbeitsprogramm.54 Die Richtlinien waren zunächst in den westlichen Besatzungsgebieten gültig und wurden dann in jedem Land an die jeweilige Situation angepasst. Militärische Kunstschutzabteilungen existierten jedoch nur in denjenigen besetzten Ländern, die unter der Verwaltung des OKH standen, nämlich in Frankreich, Belgien (zu dem Nordfrankreich bzw. die Departements Nord und Pas-de-Calais gehörten), Griechenland, Serbien und Italien. In Ländern und Okkupationsgebieten mit Zivilverwaltungen oder Reichskommissariaten gab es zwar teilweise ähnliche Einrichtungen, die jedoch unter der Leitung von hohen NSDAP-Funktionären oder der SS standen und deren wesentliche Aufgabe die fachliche Unterstützung der umfangreichen Kunst- und Kulturgutplünderungen waren.55

4. Entstehung und Aufbau der Kunstschutzabteilungen Die Einrichtung und der Aufbau der ersten vier Kunstschutzabteilungen von Sommer 1940 bis Sommer 1941 bestätigt zunächst den Eindruck, dass die Pariser Gruppe um Wolff Metternich die Funktion einer Art Schalt- und Entscheidungszentrale für den gesamten Kunstschutz der Wehrmacht hatte. Nach seiner Einberufung zum OKH am 10. Mai 1940 und seiner Ernennung zum Sachbearbeiter für Kunstschutz am 13. Mai reiste Wolff M ­ etternich über Holland nach Belgien, wo er von Ende Mai bis Juli 1940 der Militärverwaltung für Belgien und Nordfrankreich zugeteilt und eine seiner Aufgaben dort der Aufbau einer Kunstschutzabteilung war. Ab dem 1. August 1940 und bis September 1944 leitete der Architekturhistoriker und Denkmalpfleger Heinz-Rudolf Rosemann (1900 – 1977) diese, unterstützt durch Henry 54 (…) 1) Aufgaben des Kunstschutzes: a) Ortsfeste Kunstdenkmale (…), b) Bewegliche Denkmale (…), c) Luftschutzmassnahmen (…), 2) Berichterstattung (wissenschaftl. Forschung) (…), 3) Presse und Propaganda (…), Richtlinien für die Durchführung des Kunstschutzes in den besetzten westlichen Gebieten, OKH, Generalstab des Heeres, Generalquartiermeister (gez.Wagner), an den MBF in Belgien und Nordfrankreich – Militärverwaltungschef –, Brüssel, und den Chef der Militärverwaltung in Frankreich – Verwaltungsstab – Paris, Hôtel Majestic, 03. 09. 1940 (masch. geschr., Abschrift), AN AJ /40/1672. Handschriftl. Entwurf Wolff Metternichs zu einem „Arbeitsprogramm“, o. D. (Juni 1940), NL FGWM, Nr. 240. 55 Nur einige von ihnen führten auch denkmalpflegerische Maßnahmen durch, z. B. Karl Heinz Esser (1912 – 1999), Kunstexperte des ERR im Baltikum und Nordwestrussland, siehe dazu KuhrKorolev u. a., Raub und Rettung (wie Anm. 22), S. 79 – 115, darin auch Erwähnung weiterer Experten. Zu Esser siehe auch Jens Hoppe, Dr. Karl Heinz Esser. Selbstverständnis und Tätigkeit eines im Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg tätigen Kunsthistorikers im besetzten Baltikum, in: Magdalena Bushart u. a. (Hg.), Kunstgeschichte in den besetzten Gebieten (wie Anm. 45), S. 255 – 274.

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Koehn (1892 – 1963) und mehreren Kunsthistorikern, die zeitweise zu der Gruppe abkommandiert wurden.56 Nachdem er bereits mehrere Male Frankreich bereist hatte, wurde Wolff Metternich ab August 1940 der Militärverwaltung im besetzten Frankreich zugeteilt, ohne ihr jedoch direkt unterstellt zu sein.57 Dort baute er die Kunstschutzabteilung beim Militärbefehlshaber (MBF) Frankreich auf: mit Felix Kuetgens (1890 – 1976) als Leiter, C ­ arlheinz Pfitzner (1908 – 1944) und Wend Graf von Kalnein (1914 – 2007) sowie einem Kunstschutzbeauftragten in jedem Bezirk im besetzten Teil Frankreichs als Mitarbeiter.58 (Abb. 3) Im Dezember 1940 bzw. Januar 1941 wurde das Referat „Frühgeschichte und Archäologie“ unter der Leitung von Eduard Neuffer (1900 – 1954) gegründet; auch in Belgien wurde zeitweise der Archäologe Joachim Werner (1909 – 1994) eingesetzt.59 Nach dem Einfall in Griechenland im Frühjahr 1941 übertrug man die Leitung einer Kunstschutzabteilung, die besonders vom Deutschen Archäologischen Institut gefordert und gefördert wurde, am 1. Mai an Hans Ulrich von Schoenebeck (1904 – 1944); mehrere Archäologen und Althistoriker wie Wilhelm Kraiker (1899 – 1987) und Ernst Kirsten (1911 – 1987) waren ebenfalls in Griechenland tätig.60 Auch in den von Italien besetzten Gebieten Griechenlands war ein Kunstschutzbeauftragter, der Archäologe Luciano Laurenzi (1902 – 1966), eingesetzt. Auf einer Reise in den eroberten Balkan schlug von Tieschowitz die Einrichtung eines „Referats für Kunst- und Denkmalschutz beim Kommandierenden General und Befehlshaber Serbien“ vor, und am 24. Juni 1941 trat der Historiker und Balkan-Experte Johann Albrecht von ­Reiswitz (1899 – 1962) diese Stelle an.61 Die zur gleichen Zeit entworfenen Pläne für den Aufbau einer 56 Zu Belgien siehe Kott, Le ‚Kunstschutz‘ (wie Anm. 12), S. 331 f.; Dies., Die Denkmalpflege im belgischen Wiederaufbaukommissariat unter deutscher Besatzung, 1940 – 1944, in: Magdalena B ­ ushart u. a. (Hg.), Kunstgeschichte in den besetzten Gebieten (wie Anm. 45), S. 163 – 184; Dies., Das belgische Kulturerbe unter deutscher Besatzung – 1914 bis 1918 und 1940 bis 1944. Eine Skizze, in: Sebastian Bischoff u. a. (Hg.), Belgica – terra incognita? Resultate und Perspektiven der Historischen Belgienforschung (Historische Belgienforschung 1), Münster 2016, S. 155 – 165. 57 Zum Kunstschutz in Frankreich Christina Kott, „Den Schaden in Grenzen halten …“. Deutsche Kunsthistoriker und Denkmalpfleger als Kunstverwalter im besetzten Frankreich, 1940 – 1944, in: Ruth Heftrig/Olaf Peters/Barbara Schellewald (Hg.), Kunstgeschichte im „Dritten Reich“. Theorien, Methoden, Praktiken, Berlin 2008, S. 362 – 392, hier S. 369 – 372. 58 Hermann Bunjes (1911 – 1945), Bezirk Groß-Paris, Hans Hörmann (1894 – 1985), Bezirk A (SaintGermain), Joseph Busley (1888 – 1969), Bezirk B (Angers) und Walther Zimmermann (1902 – 1961), Bezirk C (Dijon). 59 Hubert Fehr, Germanen und Romanen im Merowingerreich. Frühgeschichtliche Archäologie ­zwischen Wissenschaft und Zeitgeschehen, Berlin 2010, S. 417 – 419; Marnix Beyen, Hoffnungen, Leistungen und Enttäuschungen. Deutsche Archäologen in Belgien während des Zweiten Weltkrieges, 1940 – 1944, in: Jürgen Kunow (Hg.), Archäologie und Bodendenkmalpflege in der Rheinprovinz 1920 – 1945 (Materialien zur Bodendenkmalpflege im Rheinland 24), Bonn 2013, S. 423 – 433. 60 Siehe die Beiträge von Alexandra Kankeleit und Raik Stolzenberg in ­diesem Band. 61 Zu Serbien siehe Christian Fuhrmeister, Kunstschutz Serbien, Juli 1941 bis Juli 1944, in: Burkhard Olschowsky/Ingo Loose (Hg.), Nationalsozialismus und Regionalbewusstsein im östlichen Europa

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Abb. 3a und b  Die Gliederung der Kunstschutzorganisation in den besetzten Westgebieten. Handschriftliche Notizen von Wolff Metternich, 28. 07. 1940 und Anlage 4 des Abschlussberichts des Kunstschutzes des OKH.

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Kunstschutzabteilung in England im Falle einer Besetzung der Britischen Inseln – zu der es nie kam – sind insofern interessant, als hier zum ersten Mal im Vorfeld ein genauer Dienststellen- und Personalplan aufgestellt wurde und damit der Kunstschutz im besetzten (oder zu besetzenden) Europa als hegemoniales Projekt zusehends an Systematik gewann.62 Doch diese anfängliche Dynamik kam wenig s­ päter zum Erliegen: Als die Wehrmacht die Sowjet­ union überfiel, plante Wolff Metternich zwar den Einsatz einer Kunstschutzgruppe und beauftragte zu dessen Vorbereitung den Kunstwissenschaftler Reinhold Strenger (geb. 1903)63 mit einer Bestandsaufnahme.64 Bald wurde aber klar, dass in den besetzten Gebieten der Sowjetunion sowie im Baltikum keine Militärverwaltungen, sondern Zivilverwaltungen gebildet werden sollten; lediglich bei der Heeresgruppe Nord (in Nordwestrussland), wo die Kämpfe andauerten, übernahm ab September 1941 der Kunsthistoriker Ernstotto Graf von Solms-Laubach (1890 – 1977) die Leitung einer Kunstschutzgruppe.65 Noch während des Afrikafeldzugs unter General Rommel und dem deutsch-italienischen Vorstoß Richtung El Alamein in Ägypten im Juli 1942 sollten deutsche Ägyptologen zum Kunstschutz eingesetzt werden;66 doch schon im Januar 1943 scheint das Vorhaben aufgrund der signifikanten militärischen Verluste in Nordafrika zu den Akten gelegt worden zu sein. Das Jahr 1942 stellte in der Tat eine empfindliche Zäsur dar. Die militärischen Rückschläge führten zu einem Abzug von Kunstschutzbeauftragten, vor allem in Frankreich: Nur in den sensiblen Gebieten wie der Bretagne, der Normandie, der Loire und der Aquitaine blieben sie im Amt. In Paris wurde Bernhard von Tieschowitz als Nachfolger von

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(Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 59), München 2016, S. 331 – 343; Christina Kott, „Kunstschutz im Z ­ eichen des totalen Krieges“. Johann Albrecht von Reiswitz und Wilhelm Unverzagt in Serbien, 1941 – 1944, in: Acta Praehistorica et Archaelogica 49 (2017), S. 245 – 269. Zur Beziehung z­ wischen dem serbischen Archäologen Miodrag Grbić und Albrecht von Reiswitz, cf. Aleksandar D. Bandović, Miodrag Grbić i nastanak kultur­­­no-istorijske arheologije u Srbiji [Miodrag Grbić and the Origins of Culture-Historical Archaeology in Serbia], Dissertation, Universität Belgrad, Philosophische Fakultät, 2019 und zu Reiswitz seit Frühjahr 2020 die Monographie von Andreas Roth, Johann Albrecht von Reiswitz (1899 – 1962). Vom unbequemen Südosteuropaexperten zum Kunstschützer, Graz 2020. (Wolff ) Metternich an das OKH , Gen St d H/ GenQu, Abt. K. Verw. (V), O. U. (Geheim), 28. 06. 1941, AN AJ/40/573,3, Betrifft: Aufbau des Kunstschutzes im Falle der Besetzung der englischen Insel. Personallisten „Für England von Jantzen vorgeschlagen“, handschriftliche Notiz, o. D. (Ende Juni 1941), AN AJ/40/573, 3. Trotz eingehender Recherchen konnte bisher das Sterbedatum von Reinhold Strenger nicht ermittelt werden. Kuhr-Korolev u. a., Raub und Rettung (wie Anm. 22), S. 77 f. Ebd., S. 79 – 115. Hanns Christian Löhr reiht von Solms-Laubach dagegen in die Reihe der Mitarbeiter des ERR ein, siehe dazu Hanns Christian Löhr, Kunst als Waffe. Der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg. Ideologie und Kunstraub im „Dritten Reich“, Berlin 2018, S. 175. Siehe Briefverkehr bez. der Ernennung von Kunstschutzbeauftragten in Ägypten, Juli 1942, NL FGWM, Nr. 165.

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Wolff Metternich ernannt, der erst erkrankte, dann im Juli 1942 aus heute nicht eindeutig geklärten Gründen beurlaubt wurde, wieder ins Rheinland zurückkehrte und schließlich im Oktober 1943 von seiner Funktion als Kunstschutzbeauftragter des OKH entbunden wurde. Im November 1943, nach dem Einmarsch deutscher Truppen und der Einrichtung einer deutschen Besatzungsverwaltung in Italien, traf von Tieschowitz in Rom sowohl deutsche als auch italienische Verantwortliche zwecks Vorbereitungen für den Aufbau einer Kunstschutzabteilung.67 Der Kunsthistoriker Hans Gerhard Evers (1900 – 1993) wurde zunächst zu ihrem Leiter ernannt, bevor er bereits im Februar 1944 vom Archäologen und SS -Sturmbannführer Alexander Langsdorff (1898 – 1946) abgelöst wurde. Evers blieb weiterhin Mitglied des Kunstschutzes, an dem auch nebenamtlich zahlreiche andere Kunsthistoriker beteiligt waren, die zumeist an die deutschen kunsthistorischen Forschungsinstitute angegliedert waren. Im Jahr 1944 war das Personal der Dienststellen, wie ein Besetzungsplan zeigt,68 auf nur wenige Mitarbeiter geschrumpft, obwohl – wie es von Tieschowitz in einem Brief an seinen Kollegen Busley Anfang Juli 1944 ausdrückte – der Kunstschutz nun am dringendsten sei.69

5. Kollaboration mit Fachkollegen der besetzten Länder Wenn diese Kunstschutzabteilungen trotz mangelnden Personals dennoch agieren konnten, dann weil im Unterschied zum E ­ rsten Weltkrieg ihre Tätigkeit in erheblichem Maße auf der Kooperation mit den zuständigen nationalen, regionalen und lokalen Denkmalschutzbehörden, Kunstverwaltungen und Kultur- oder Erziehungsministerien beruhte. Diesen war gemeinsam, dass sie in weiten Teilen personelle Kontinuitäten seit den 1930er Jahren aufwiesen. Das führte dazu, dass deren Beamte mit deutschen Kunstschutzbeauftragten zu tun hatten, die sie bereits kannten und mit denen sie in manchen Fällen sogar gemeinsame Projekte durchgeführt hatten. Die Aufstellung von Arbeitsprogrammen und die Anregung bzw. Durchsetzung von Maßnahmen wurde durch die Anknüpfung an diese Kontaktpersonen sowie die Orts-, Sprach-, und Landeskenntnisse der deutschen Experten erheblich beschleunigt. Im „Etat français“ unter Philippe Pétain war der Hauptansprechpartner des Kunstschutzes der Direktor der Nationalen Museen Jacques Jaujard (1895 – 1967).70 Enge

67 Dazu Fuhrmeister, Kunstschutz Italien (wie Anm. 16), S. 206 – 208. 68 Die Stellenbesetzung der Kunstschutzorganisation. Stand von August 1944, Anlage z. Abschlussbericht von Wolff Metternich, September 1944 bis Februar 1945, NL FGWM, Nr. 53. 69 Joseph Busley an Tischo (Bernhard von Tieschowitz), Angers, 05. 07. 1944, AN AJ/40/573, 14. 70 Kott, Den Schaden (wie Anm. 57), S. 390 – 392. Der Essay-Film „Francofonia. Der Louvre unter deutscher Besatzung“ von Alexander Sokurow (2015) inszeniert die Beziehung z­ wischen Wolff Metternich und Jaujard durchaus realistisch, unterschlägt aber nahezu komplett den NS-Kunstraub an jüdischen Privatsammlungen.

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Verbindungen bestanden außerdem zu den wichtigsten Vertretern der französischen Kulturund Denkmalpflegebehörden sowie zahlreichen Persönlichkeiten des Vichy-Regimes und der Pariser Kulturszene der „Kollaboration“. In Belgien wurde auf Druck der deutschen Militärverwaltung das „Generalkommissariat für den nationalen Wiederaufbau“ geschaffen, das auch eine Denkmalschutzabteilung unter der Leitung des flämischen Architekturhistorikers und Architekten Stan Leurs (1893 – 1973) besaß.71 Andere Verbindungen bestanden zu Paul Coremans (1908 – 1965), dem späteren Leiter der staatlichen Denkmalpflegebehörde,72 und Jacques Breuer (1892 – 1971), der zum Leiter einer nationalen Ausgrabungsorganisation (Service national des fouilles) ernannt wurde.73 In Serbien wurde von der deutschen Besatzungsverwaltung eine „Regierung der nationalen Rettung“ unter General Milan Nedić (1878 – 1946) eingesetzt; eine Denkmalschutzbehörde wurde hier erst während der deutschen Besatzung und unter dem Einfluss des deutschen Kunstschutzbeauftragten von Reiswitz gegründet und vom Archäologen Miodrag Grbić (1901 – 1969) geleitet.74 In Griechenland wurde ebenfalls eine Marionettenregierung unter Ministerpräsident Georgios Tsolakoglou, ab 1942 unter Konstantinos Logothetopoulos, eingesetzt. Die staatliche Denkmalpflegebehörde blieb aber bestehen, ihre Mitarbeiter zumeist im Amt. Der deutschfreundliche Archäologe Antonios Keramopoulos (1870 – 1960), Direktor der Griechischen Archäologischen Gesellschaft, war einer der Hauptansprechpartner für die Mitglieder der Kunstschutzabteilung.75 Im Italien der Repubblica sociale italiana z­ wischen 1943 und 1945 arbeiteten die deutschen Kunstschutzbeauftragten mit den größtenteils im Amt gebliebenen regionalen Verantwortlichen für Museen und Kunstdenkmäler, darunter Giovanni Poggi (1880 – 1961), Soprintendente der Florentiner Museen, zusammen. Über die Motivationen dieser Fachleute, mit den deutschen Kunstschutzbeauftragten zu kooperieren, kann hier nur spekuliert werden: Sorge um das Kulturerbe, Karrierestrategie, Glaube an eine „objektive Wissenschaft“ und – in wenigen Fällen – ausdrücklicher Wille zur Kollaboration mit den Besatzern.

71 Kott, Denkmalpflege Belgien (wie Anm. 56). 72 Christina Kott/Paul Coremans, L’inventaire photographique du patrimoine artistique belge et ses relations avec l’occupant, 1940 – 1945, in: Dominique Deneffe/Dominique Vanwijnsberghe (Hg.), A Man of Vision. Paul Coremans and the Preservation of Cultural Heritage Worldwide. Proceedings of the International Symposium Paul Coremans held in Brussels, 15 – 17 June 2015, Royal Institute for Cultural Heritage (Scientia Artis 15), Brüssel 2018, S. 81 – 97. 73 Fehr, Germanen (wie Anm. 59), S. 489 f.; Beyen, Hoffnungen (wie Anm. 59), S. 426 f. 74 Kott, Serbien 1941 – 1944 (wie Anm. 61). Siehe auch Aleksandar Bandović, Muzejski kurs i arheologija tokom II svetskog rata u Beogradu [Museum Course and Archaeology in Belgrade during the World War II], in: Issues in Ethnology and Anthropology 9 (2014) H. 3, S. 625 – 646. 75 Alexandra Kankeleit, Griechenland während der NS-Zeit. Das Schicksal der griechischen Kulturschätze während der deutschen Besatzungszeit im 2. Weltkrieg. Auszüge aus dem Buch von Vasileios Petrakos, Generalsekretär der Archäologischen Gesellschaft Athen: http://www.kankeleit.de/katochi. php (Stand: 26. 07. 2020).

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6. Vielfältige Handlungsfelder des Kunstschutzes Die Handlungsfelder, in deren Rahmen die Kunstschützer agierten, waren einerseits durch die für das OKH von Wolff Metternich aufgestellten Richtlinien und Arbeitsprogramme vorgegeben, wichen andererseits aber voneinander ab – je nach Besatzungssituation, der Dauer der Besatzung, der Beziehungen ­zwischen Besatzern und Besetzten, der Besonderheiten des jeweiligen Kulturerbes, des deutschen Interesses an ­diesem Kulturerbe und dem Grad seiner kriegsbedingten Beschädigungen. Grundsätzlich sahen die Richtlinien vor, die örtlichen Behörden zwar zu unterstützen, sich aber nicht an ihre Stelle zu setzen. Das im Vergleich zu anderen NS-Organisationen eher diskrete Auftreten der Kunstschutzbeauftragten gehörte also zum Programm, die „Soft Power“ zum Handlungsprinzip. Nichtsdestotrotz griffen sie in vielen Bereichen und in unterschiedlichem Maße in die Verwaltung des Kulturerbes ein, dies mit Hinblick auf eine längerfristige deutsche Besatzung oder zumindest Einflussnahme und mit dem Anspruch auf Hegemonie und fachliche Superiorität. Im Folgenden sollen die wichtigsten Handlungsfelder länderübergreifend skizziert werden. Zum Schutz des unbeweglichen Kulturerbes gehörte die Bestandsaufnahme und Kontrolle von Bauwerken sowie die Dokumentation von Schäden, die Durchführung bzw. Unterstützung von Notmaßnahmen sowie die Kontrolle derselben, die Genehmigung und Beschaffung von Baumaterial, Transportmitteln und Arbeitskräften, der Schutz von Baudenkmälern – besonders Schlössern – vor militärischer Belegung bzw. Nutzung. Auch die Inventarisierung von Baudenkmälern und Ausgrabungsstätten sowie ggf. die Veranlassung von Schutzmaßnahmen gehörten dazu. Als Vermittler ­zwischen den lokalen oder nationalen Behörden und der Militärverwaltung spielte der Kunstschutz auf d ­ iesem Gebiet 76 eine wichtige Rolle. Wie jüngere Forschungen zeigen, ist die relative Unversehrtheit des Versailler Schlosses auch auf die Maßnahmen des Kunstschutzes zurückzuführen.77 Allerdings verminderte sich sein Einfluss maßgeblich, sobald militärische Planungen und Bedürfnisse im Vordergrund standen. Die Aktionen bezüglich des beweglichen Kulturerbes bezogen sich auf die Inspektion und Kontrolle von sowohl nicht evakuierten als auch von den lokalen oder nationalen Institutionen geborgenen Museums- und Privatsammlungen. Nur in Russland und in Italien scheinen die Kunstschutzbeauftragten Bergungen bzw. Rückführungen von Sammlungen aus eigener Initiative und selbstständig organisiert zu haben. In Frankreich und Belgien leisteten sie fachliche und logistische Unterstützung bei den Beschlagnahmungen von Privat­sammlungen im Besitz jüdischer oder regimekritischer Personen. Gleichzeitig lehnten 76 Beispiele in Kott, Le ‚Kunstschutz‘ (wie Anm. 12); Dies., Den Schaden (wie Anm. 57); Dies., Denkmalpflege Belgien (wie Anm. 56), S. 167 – 170. 77 Claire Bonnotte, Le soleil éclipsé. Le château de Versailles sous l’Occupation, Paris 2018, S. 104 – 106; darin die in Frankreich immer noch verbreitete Ansicht, Wolff Metternich sei kein Mitglied der NSDAP gewesen.

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sie in der Mehrheit das Prinzip des Kunstraubs ab und unternahmen Versuche der Abwehr, die allerdings keinen systematischen Charakter hatten.78 Auch die Vermittlung z­ wischen Kunsthandel und deutschen Käufern gehörte zu ihren Aufgaben ebenso wie die Ausstellung von Passierscheinen für Personen sowie Exportgenehmigungen für Werke oder Objekte ins Deutsche Reich.79 Wolff Metternich und die Mitarbeiter der Kunstschutzabteilung beim MBF Frankreich waren außerdem in die Aufstellung der sogenannten Kümmel-Liste involviert.80 Die Frage nach einer Beihilfe zum Kunstraub oder aber dem aktiven Widerstand gegen diese Praktiken stellt sich daher in viel differenzierterer Weise als eingangs zitiert. Obwohl die Kunstschutzbeauftragten im Zweiten Weltkrieg – im Gegensatz zu ihren Vorgängern des ­Ersten Weltkriegs – im Rahmen ihrer militärischen Funktion selten eigenständige Forschungen durchführten, fanden ihre Aktionen zur Wissenschaftsförderung und -organisation vor dem Hintergrund ihrer eigenen Forschungsinteressen oder der ihrer Heimatinstitution oder als Vorbereitungen für zukünftige individuelle oder kollektive Projekte im Sinne der NS-Wissenschaftspolitik statt. Dazu gehörte die Koordination von ­Fotokampagnen, wie sie vom sogenannten Kunstwissenschaftlichen Arbeitsstab für das Bildarchiv des Preußischen Forschungsinstituts für Kunstgeschichte Marburg in Frankreich, Belgien und im Baltikum durchgeführt wurden,81 und Ausgrabungen des SS-Ahnenerbes in 78 Anja Heuß hat als erste auf diese Vorgänge hingewiesen, siehe dazu Heuß, Kunst- und Kulturgutraub (wie Anm. 37), S. 115, 277 – 279; siehe Kott, Den Schaden (wie Anm. 57), S. 381 – 386. Die Auswertung des Nachlasses von FGWM (insbesondere die Nummern 94 und 187) sowie weiterer unveröffentlichter Quellen wird trotz des Fehlens der relevanten Kunstschutzakten hoffentlich zu einem nuancierteren Bild führen. 79 Siehe Kott, Den Schaden (wie Anm. 57), S. 379 f. Zuletzt belegt in: Meike Hoffmann/Nicola Kuhn, Hitlers Kunsthändler: Hildebrand Gurlitt 1895 – 1956. Die Biographie, München 2016, S. 211. Keine Erwähnung der Kunstschutzbeauftragten in Bezug auf Exportgenehmigungen hingegen bei ­Emanuelle Polack, Le marché de l’art sous l’occupation, 1940 – 1944, Paris 2019, S. 138 – 140. 80 Die sogenannte Kümmel-Liste war ein unter der Leitung des Generaldirektors der Berliner Museen Otto Kümmel (1874 – 1952) im Auftrag des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda erarbeitetes Inventar von Kulturgütern, die aus deutschem Besitz seit 1500 ins Ausland geraten waren und ins Deutsche Reich rückgeführt werden sollten. Zur Beteiligung des Kunstschutzes, siehe Aktennotiz einer Besprechung mit Generaldirektor Dr. Kümmel am 10. 08. 1940, gez. Metternich, NL FGWM , Nr. 162 sowie weitere Dokumente aus derselben Akte. Nach eigenen Angaben war der Archäologe Hans Möbius (1895 – 1977) dazu am 15. Juli 1941 abgeordnet worden. Möbius blieb bis zum Ende der Besatzung bei der Kunstschutzabteilung Frankreich. Zur Kümmel-Liste, siehe auch Timo Saalmann, Kunstpolitik der Berliner Museen 1919 – 1959, Berlin 2014, S. 218 – 220; Wolfgang Hans Stein, L’idéologie des saisies. Les revendications allemandes des archives, bibliothèques et collections de musées publiques françaises, in: Alexandre Sumpf/ Vincent Laniol (Hg.), Saisies, spoliations et restitutions. Archives et bibliothèques au XX e siècle, Rennes 2012, S. 67 – 82. 81 Auf Initiative von Wolff Metternich wurde in Zusammenarbeit mit Alfred Stange, Ordinarius für Kunstgeschichte an der Universität Bonn, und Richard Hamann, Ordinarius in Marburg und

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Frankreich und Belgien,82 Serbien 83 und Griechenland.84 Zur Erweiterung ihrer Material­ sammlungen erstellten sie Inventare und Kartotheken von Kunstdenkmälern, archäologischen Fundstätten sowie Sammlungen in Frankreich und Serbien 85. Auch fertigten sie in Zusammenarbeit mit der Luftwaffe archäologische Luftbildaufnahmen in Belgien, Nordfrankreich und vor allem Griechenland, „bedienten“ sich aber auch bei Ministerien oder privaten Luftbildkompagnien.86 Die Kunstschutzbeauftragten standen nicht nur mit den verantwortlichen Beamten in den besetzten Ländern in Kontakt, sondern vor allem mit alteingesessenen wissenschaftlichen Einrichtungen im Reich oder im Ausland (Deutsches Archäologisches Insti­ tut in Athen, Deutsche Kunsthistorische Institute in Italien). Sie waren aber ebenfalls an der Gründung von neuen Instituten (Kunsthistorische Forschungsstätte in Paris) beteiligt oder arbeiteten den vom NS -Staat bei Kriegsbeginn im Ausland etablierten Deutschen Wissenschaftlichen Instituten zu. Die Kunstschutzabteilungen waren zudem als Außenposten des deutschen Wissenschaftsbetriebs die wichtigsten Anlaufstellen für Kollegen aus dem Reich, wenn es um die Organisation von Studienfahrten,87 privaten Besuchen und die günstige Besorgung von ausländischer Forschungsliteratur und von Bildmaterial ging. Wie aus den Richtlinien hervorgeht, waren Propaganda und Berichterstattung über die eigene Tätigkeit von Anfang an dem Projekt inhärente Missionen. Ziel der Berichterstattung war eine rechtfertigende Publikation nach dem Krieg über den „Kunstschutz der Wehrmacht“ – zumindest in ­diesem Punkt beruht das eingangs zitierte Bild des Kunstschutzes auf historischen Fakten. Aber auch schon während des Kriegs wurden zahlreiche Artikel, Broschüren und Bücher veröffentlicht. Zudem arbeiteten Kunstschutzabteilungen auch mit

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­ ründer des Bildarchivs Foto Marburg, ein „Kunstwissenschaftlicher Arbeitsstab“, bestehend G aus jungen Kunsthistorikern aus dem Umkreis der Hamann-Schüler, mit der Aufnahme der ­Kunstdenkmäler Frankreichs beauftragt, siehe dazu Judith Tralles, Die Fotokampagnen des Preußischen Forschungsinstituts für Kunstgeschichte Marburg während des Zweiten Weltkriegs, in: Nikola Doll/Christian Fuhrmeister/Michael H. Sprenger (Hg.), Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte einer Wissenschaft ­zwischen 1930 und 1950, Weimar 2005, S. 263 – 282. Ähnliche Kampagnen fanden in Belgien, im Baltikum und in Osteuropa statt, ebd. Fehr, Germanen (wie Anm. 59), S. 411 – 413. Kott, Serbien 1941 – 1944 (wie Anm. 61), S. 258 – 260. Siehe die Beiträge zu Griechenland in d ­ iesem Band. Kott, Serbien 1941 – 1944 (wie Anm. 61), S. 256, Fußnoten 53 und 54. Zu Frankreich, siehe Fehr, Germanen (wie Anm. 59), S. 432 – 434. Siehe dazu den Aufsatz von Raik Stolzenberg in d ­ iesem Band. Johannes Hallinger, Exkurs. Konservatorenfahrt durch die besetzten Gebiete Frankreichs und Belgiens vom 12. bis 22. Oktober 1940, in: Egon Johannes Greipl/Hans-Michael Körner (Hg.), 100 Jahre Bayrisches Landesamt für Denkmalpflege 1908 – 2008, Bd. 1. Bilanz, München 2008, S. 218 – 222; Kott, Den Schaden (wie Anm. 57), S. 378.

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den Propagandastaffeln und sogar dem Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg zusammen, z. B. bei der Organisation von Propagandaausstellungen.88 Ein weiteres, wichtiges Handlungsfeld war die Kontrolle der Denkmalpflege, der Kunstverwaltung und des Wiederaufbaus in den besetzten Ländern. Umfang und Grad der Kontrolle variierten je nach administrativer und politischer Situation vor Ort: vom Aufbau einer Denkmalpflegeverwaltung in Serbien,89 über die Einmischung in die Antikenverwaltung in Griechenland bis zur Einflussnahme auf die Besetzung von Posten sowie auf die Konzeption von Denkmalpflege- und Wiederaufbaumaßnahmen in Belgien und Frankreich.90 In den letztgenannten Ländern sowie in Serbien mussten die Kunstschutzbeauftragten ihre Zustimmung zu Dekreten und Gesetzen erteilen, w ­ elche die Kunstverwaltung des besetzten Landes regelten. Daneben organisierten sie auch die Betreuung der Truppen zu Bildungs- und Erholungszwecken – durch Führungen, Vorträge und populärwissenschaftliche Schriften 91 – sowie die Metallabgabe, insbesondere Glocken in Belgien 92 und Bronzedenkmäler in Frankreich,93 und die Entfernung sogenannter Hassdenkmäler, also Denkmäler, die den deutschen Einmarsch 1914 und die Gräuel der Besatzung denunzierten.

7. Ein Projekt für Europa? Trotz der zum Teil erheblichen Unterschiede z­ wischen den Profilen der einzelnen Kunstschutzabteilungen, die es noch stärker herauszuarbeiten gilt, scheint es doch wichtig, den sogenannten militärischen Kunstschutz der Wehrmacht zugleich als ein Gesamtgebilde, 88 So kooperierte Heinz Rudolf Rosemann mit der Hauptarbeitsgruppe Belgien und Nordfrankreich (HAG Belgien und Nordfrankreich) bei der Vorbereitung der Wanderausstellung „Deutsche Grösse“ in Brüssel. 89 Diese wurde zum Teil sogar vom SS-Ahnenerbe finanziert, siehe dazu Kott, Serbien 1941 – 1944 (wie Anm. 61), S. 255 – 257. 90 Kott, Denkmalpflege Belgien (wie Anm. 56), S. 171 – 174. 91 Z. B. die bekannten „Merkblätter für den deutschen Soldaten an den geschichtlichen Stätten Griechenlands“, Publiktion des Kunstschutz Griechenland (1943), wiederveröffentlicht in Buchform: Ernst Kirsten/Wilhelm Kraiker, Griechenlandkunde (mehrere Auflagen ­zwischen 1955 und 1967). Siehe die Beiträge von A. Kankeleit und R. Stolzenberg in ­diesem Band. 92 Thibaut Boudart, Guerres de cloches en Belgique. Sensibilités campanaires de la Révolution Française à la Seconde Guerre mondiale. Magisterarbeit im Fach Geschichte, Université Libre de Bruxelles, Faculté de Philosophie et Lettres, 1999/2000; Christina Kott, D’une guerre mondiale à l’autre: le patrimoine artistique belge entre destruction et conservation, in: Bulletin de la CRMSF 25 (2013), S. 75 – 97; Monique Merland, La sauvegarde du patrimoine campanaire durant la Deuxième Guerre mondiale, in: Trésor de Liège 53 (2017), S. 15 – 19. 93 Christel Sniter, La fonte des Grands hommes. Destruction et recyclage des statues parisiennes sous l’Occupation (archives), in: Terrains & travaux 13 (2007) H. 2, S. 99 – 118; Kirrily Freeman, Bronzes to Bullets. Vichy and the Destruction of French Public Statuary, 1941 – 1944, Stanford 2009.

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als übergeordnete Struktur mit gemeinsamem Sockel zu begreifen und zu untersuchen, um zu einer neuen und angemesseneren Deutung zu kommen. Auffällig sind die ausgeprägte Gruppenidentität und das enge Kommunikationsnetz der Kunstschutzbeauftragten ­untereinander, das durch unzählige Telefonate, die Sendung von Briefen und Lage- und Tätigkeitsberichten sowie Treffen – als Gruppe oder einzeln – gekennzeichnet ist. Im Zen­ trum dieser eingeschworenen Gruppe stand Wolff Metternich, zunächst in Paris und dann in Bonn, während von Tieschowitz von Paris aus die Gruppe weiter koordinierte, was zu einer Art Doppelleitung führte. Die Quellenpräsenz der genuinen Kunstschutzakten, sowohl in den Archives nationales in Paris als auch im Familienarchiv der Grafen Wolff Metternich, kann auch als ein Abbild davon gewertet werden. Was hier gezeigt werden sollte, war einmal die Linie, die den Kunstschutz nach Clemenschem Muster im E ­ rsten Weltkrieg mit dem Kunstschutz seines Schülers Wolff ­Metternich im Zweiten Weltkrieg verbindet. Denn der innere Zusammenhalt beruhte auch auf gemeinsamen Überzeugungen und Haltungen, die zum Teil auf den E ­ rsten Weltkrieg zurückgehen und bis in die Nachkriegszeit weiterwirkten: Man verstand sich als eine kulturelle und wissenschaftliche, politisch eher nationalkonservative Elite, die für sich beanspruchte – auch in extremen Umständen wie den beiden von Deutschland geführten Angriffskriegen –, eine ethisch korrekte Position gegenüber dem fremden Kulturerbe und seinen Verantwortlichen einzunehmen, in der Hoffnung, die für die Fachdisziplinen notwendigen Kontakte zum Ausland nach Kriegsende wieder aufnehmen zu können. Einschätzungen als naive Romantiker von Akteuren wie Wolff Metternich, aber auch von Reiswitz, beruhen vermutlich auf dieser nach außen getragenen Haltung, die aber zugleich auch als bewusst geschaffenes Selbstbild betrachtet werden kann. Denn einerseits waren politische Instrumentalisierung und die Verteidigung fachwissenschaftlicher Interessen Teil des Programms. Andererseits waren die Gruppe und ihre Mitglieder keineswegs isoliert, sondern interagierten mit zahlreichen militärischen und zivilen NS -Institutionen im Reich und in den besetzten Ländern. Als ein Teil der auswärtigen NS -Kulturpolitik – und als ­solche kann man sie durchaus sehen – unterstützten die Vertreter des militärischen Kunstschutzes die hegemoniale Wissenschaftspolitik und den Kulturgutraub des NS -Regimes, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Die ambivalente Haltung, die sie dabei einnahmen, kann ebenfalls als Konstante seit 1914/18 interpretiert werden: z­ wischen dem Glauben, durch ihre Aktivitäten während der Besatzung die Beziehungen zu den Fachkollegen der Nachbarstaaten aufrecht erhalten zu können, und der Hoffnung auf eine längerfristige Vormachtstellung der deutschen kunsthistorischen und archäologischen Forschung im Sinne einer „militanten Wissenschaft“. Wenn auch das „Netzwerk Kunstschutz“ nicht als ein von Beginn an bewusst geschaffenes Projekt für Europa gelten kann – jedenfalls fehlen dafür Belege in Form von konkreten Plänen –, so waren seine Akteure doch motiviert durch die Schaffung einer Grundlage für die Fortsetzung einer „epistemic community“, also einem Netzwerk wissensbasierter Experten, nach dem Krieg, und im besten Falle unter deutscher Führung.

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8. Vom Kunstschutz zum Kulturgüterschutz? Zum Schluss noch ein paar Bemerkungen zur weiteren Entwicklung des Konzeptes „militärischer Kunstschutz“. Dieses wurde ja überhaupt erst durch die Popularisierung der alliierten „Monuments Men“ in Büchern von Robert M. Edsel und dem gleichnamigen Film von George Clooney bekannt.94 Im August 1943 war die „Commission for the protection and the salvage of artistic and historic monuments in war areas“ – bekannt als Roberts Commission – ins Leben gerufen worden, gefolgt vom britischen Macmillan Committee im Mai 1944, die beide wiederum mit den Offizieren des MFA & A (Monuments, Fine Arts and Archives) zusammenarbeiteten. Hatten deren Verantwortliche schon im Vorfeld dieser Gründungen Kenntnis über den deutschen Kunstschutz, so wie dieser spätestens ab März 1944 über ihre Existenz Bescheid wusste?95 Gab es gar einen Wissenstransfer? Die Frage muss hier offenbleiben. Tatsache ist aber, dass erst aufgrund der Praktiken und der daraus resultierenden Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs Paragrafen in die Neufassung der Haager Konvention von 1954 (Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten) Einzug fanden, die einen aktiven Kulturgüterschutz seitens einer Besatzungsmacht von den Vertragsparteien fordern. In Artikel 5 (Besetzung) wird festgelegt, dass die Behörden des besetzten Landes bei der Sicherung von Kulturgut zu unterstützen sind; Artikel 7 (Militärische Maßnahmen) verpflichtet die Vertragsparteien zur Sensibilisierung der Streitkräfte für den Wert von Kulturgut sowie zur Einrichtung von Dienststellen oder zur Einstellung von Fachpersonal für die Überwachung des Kulturgutschutzes, beides übrigens schon zu Friedenszeiten.96 Interessant ist in ­diesem Zusammenhang, dass an der Ausarbeitung des Textes ein ehemaliger deutscher Kunstschutzbeauftragter beteiligt war. Nicht Wolff Metternich, sondern Bernhard von Tieschowitz nahm als sachverständiger Vertreter der Bundesregierung im Sommer 1952 – noch bevor er als Referent der Kulturabteilung der Deutschen Botschaft in Paris eingegliedert wurde – an mehreren vorbereitenden Sitzungen teil.97 Im Februar 94 Robert M. Edsel, mit Bret Witter, Monuments Men. Es war der größte Kunstraub der Geschichte, München 2013 (engl. Originalausgabe: Dies., The Monuments Men. Allied Heroes, Nazi Thieves and the Greatest Treasure Hunt in History, New York 2009); Monuments Men – Ungewöhnliche Helden (Originaltitel: The Monuments Men), 2014, deutsch-amerikanischer Film von George Clooney. 95 Kott, Le ‚Kunstschutz‘ (wie Anm. 12), S. 341, Fußnote 47. 96 Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten vom 14. 05. 1954 (­Haager Konvention): https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK /DE /Publikationen/ Sonstiges/Schutz_von_Kulturgut_bei_bewaffneten_Konflikten.pdf?__blob=publicationFile (Stand: 26. 07. 2020), S. 35. 97 Bericht von Tieschowitz vom 13. Oktober 1953, zitiert in einem Schreiben des Auswärtigen Amtes (Dr. Wolf ) an das Bundesjustizministerium (Oberregierungsrat Wohlfahrt) vom 18. 01. 1954 (Durchschlag), Pol A AA, B 91/407 – 08C.

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1954 wurde er von Bundeskanzler Konrad Adenauer als Mitglied der deutschen Delegation für die im April in Den Haag stattfindende Konferenz berufen. Die Wahl fiel nicht nur aufgrund seiner Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg auf ihn, sondern auch, weil er einige wichtige und in den Debatten einflussreiche Teilnehmer persönlich kannte und diese den anderen deutschen Delegierten vorstellen konnte. Damit rechtfertigte sich im Nachhinein die Tätigkeit der „militärischen Kunstschützer“ und ihr Wunsch nach Fortführung der „epistemic community“. Wenn auch nicht unter deutscher Leitung, so doch wenigstens mit bundesrepublikanischer Beteiligung.

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Perspektive der Quellenforschung

Präsentation des archivischen Sachinventars zum deutschen militärischen Kunstschutz Die Entstehung des Projektes Hans-Werner Langbrandtner

Dieser Beitrag hat die Bereitstellung von archivischen Quellen aus der NS-Zeit und insbesondere der Zeit des Zweiten Weltkriegs für die Provenienzforschung zum Thema. In der Washingtoner Erklärung von 1998 und der Erklärung der Bundesregierung und Länder von 1999 verpflichten sich alle Museen und Kulturinstitute dazu, zum einen Kunstwerke zu identifizieren, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und in der Folgezeit nicht zurückerstattet wurden, und zum anderen die Erforschung und Aufarbeitung von Kulturgutraub und Restitution zu ermöglichen und ihre Ergebnisse zu veröffentlichen, um so die Vorkriegseigentümer oder ihre Erben ausfindig zu machen. Aber auch die – öffentlichen – Archive verpflichten sich, ihre thematische Überlieferung zur Ermittlung von Kulturgutraub zu erschließen und einer rechtlichen Sichtung sowie der wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung zu stellen. Eine der Grundlagen der Provenienzforschung sind archivische Quellen, die Auskunft über Ankäufe, Verkäufe, Beschlagnahmungen oder Ankäufe auf Auktionen und im Kunsthandel gerade in den während des Zweiten Weltkriegs besetzten Ländern geben können. Aber auch Restitutions- und Wiedergutmachungsakten enthalten wertvolle thematische Hinweise. Ein vorbildliches Beispiel für die gezielte Erschließung der staatlichen Archivbestände im Hinblick auf diese Quellen sind die Projekte im Landesarchiv Baden-Württemberg. Seit 2015 führt es in seinen Abteilungen in Freiburg, Karlsruhe, Ludwigsburg, Sigmaringen und Wertheim gezielte Erschließungsprojekte mit Förderung seitens des Deutschen Zentrums Kulturverluste in Magde­burg (DZK) durch, um Kulturinstitutionen, aber auch Privatpersonen und Provenienzforscher*innen bei ihren jeweiligen Recherchen zu unterstützen, den Zugang zu den Quellen zu NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut zu erleichtern und eine systematische Durchsicht der Überlieferung ohne Mehrfacharbeit seitens der Forschung zu ermöglichen. Hierzu werden Sachinventare und Rechercheführer erarbeitet und online gestellt. Langfristig sollen mit einer vereinheitlichten Begrifflichkeit diejenigen Akten gekennzeichnet werden, in denen bereits thematische Informationen ermittelt worden sind – auch unter Mitarbeit der Provenienzforscher*innen.1 1 Siehe den Beitrag von Katrin Hammerstein, (Ein-)Blick in die Akten. Themenorientierte Erschließung von Quellen zur Provenienzforschung im Landesarchiv Baden-Württemberg in der ­vorliegenden

Das von den Vereinigten Adelsarchiven im Rheinland e. V. (VAR )2 als Projektträger verantwortete und vom DZK und vom Landschaftsverband Rheinland (LVR ) finanziell geförderte Projekt „Archivisches Sachinventar zum Kunstschutz und Kunstraub im Zweiten Weltkrieg als Quellengrundlage für die Provenienzforschung“ verfolgt ein ähnliches Ziel: ein zentrales Recherchetool zu entwickeln, mit dem die Provenienzforscher*innen die wesentliche Überlieferung des militärischen Kunstschutzes in Frankreich und in den besetzten Ländern, in denen der Kunstschutz aktiv war, online recherchieren können. Die Sichtung der thematisch relevanten und inhaltlich beschriebenen Akten in deutschen, französischen, belgischen und englischsprachigen Archiven kann so die jeweilige Archivarbeit vorbereiten. Kernstück dieser Datenbank ist der Nachlass Franziskus Graf Wolff Metternich (1893 – 1978), der die – bislang unbekannte und nicht zugängliche – wichtigste zentrale Überlieferung zum Kunstschutz enthält und 2013 von dem LVR -Archivberatungsund Fortbildungszentrum (LVR -AFZ ) im Rahmen der Adelsarchivpflege übernommen und inhaltlich erschlossen wurde. Die Besonderheit d­ ieses Projektes liegt darin, dass zum einen der Projektträger ein privater Verein ist – zum Zeitpunkt der Antragsstellung Anfang 2016 war dies in den Richtlinien des DZK noch nicht ausdrücklich formuliert – und zum anderen, dass das Familienarchiv der Grafen Wolff Metternich zur Gracht, wohin der Nachlass von den Nachlassgebern eingebracht wurde, ein Privatarchiv ist. Jedoch ist seine Nutzung über das LVR-AFZ gewährleistet, da das Familienarchiv ein Mitgliedsarchiv der VAR ist, die mit der Dienststelle im Rahmen der Adelsarchivpflege rechtlich und fachlich zusammenarbeiten. Außerdem sicherten die Nachlassgeber, die Söhne Winfried und Antonius Grafen Wolff Metternich, vertraglich die Forschungsfreiheit für den Nachlass zu.

1. Ein Rückblick auf den Mythos Franziskus Graf Wolff Metternich Die Illustrierte „Das neuen Blatt“ veröffentlichte 1975 – also 30 Jahre nach Kriegsende – eine „Homestory“ über den damals 82-jährigen Grafen Wolff Metternich, der auf seinem Altersitz, dem Fronhof in Köln-Junkersdorf, wohnte. Schon der Titel „Der Graf, der die Mona Lisa nicht stehlen wollte“ zeigt, dass sein Mythos als Schützer der staatlichen Kunstsammlungen Frankreichs im Zweiten Weltkrieg, insbesondere des Louvre und hier dessen derzeit wohl bekanntesten Bildes, immer noch präsent war: Publikation; Clemens Rehm, Provenienzforschung auf neuen Wegen. Digitale Zugänge im Landes­ archiv Baden-Württemberg, in: Deutsches Zentrum Kulturgutverluste (Hg.), Provenienz & Forschung (2020), H. 1, S. 12 – 19. 2 Dank gilt hier dem Vorstand und dem Beirat der VAR, die als kleiner Verein das Wagnis eines solchen Wissenschaftsprojekts mit einer Zuschusssumme im mittleren sechsstelligen Bereich eingegangen sind und über die Projektzeit mitgetragen haben.

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„(…) 1942 schließlich wurde es ernst: Graf Metternich sollte heimlich die Mona Lisa, das berühmteste Gemälde Leonardo da Vincis, und viele andere berühmte Meisterwerke aus dem französischen Kunstbesitz den braunen Herren in Berlin in die Hände spielen. (…) Aber der Graf blieb eisern. Er rief Ehrenmänner auf, die es Gott sei Dank noch gab, und setzte es – mit Billigung der militärischen Befehlshaber – durch, dass die wertvollsten Stücke nach Südfrankreich ausgelagert wurden (…).“

Soweit Herbert Scharkowski, der Autor des farbig bebilderten Artikels und ehemaliger Redakteur der „Bild“. Auf diesen Mythos rekurriert auch der 2015 entstandene und im Louvre gedrehte Film Frankofonia, der die Rettung des Louvre im Zweiten Weltkrieg im Zusammenspiel ­zwischen Jacques Jaujard, dem Direktor der staatlichen Museen Frankreichs, und Graf Wolff ­Metternich zum Thema hat. Obwohl jeweils auf der anderen Seite stehend, arbeiten beide eng zusammen, um die u. a. auf Schloss Chambord, einem der Hauptauslagerungsorte südwestlich von Paris, in Sicherheit gebrachten Kunstwerke vor dem Zugriff der NS -Kunsträubern zu retten: „Vor dem Hintergrund der Geschichte des Louvre und seiner Kunstwerke setzt [der russische Regisseur Alexander] Sokurow mit dem meisterhaften Einsatz unterschiedlichster filmischer und erzählerischer Mittel seine einzigartige, vielschichtige, eigensinnige Vision in Szene: Der Louvre wird zum lebendigen Beispiel dafür, was die Kunst – inmitten des zerstörerischsten Krieges, den die Welt erlebt hat – uns über uns selbst erzählt.“ 3

Nur erzählt sich die Geschichte mit der „Mona Lisa“ in Wirklichkeit aber etwas anders. Ende Juni 1940 fanden die Deutschen einen fast leeren Louvre vor, und zu gerne hätten die neuen Machthaber bei der erzwungenen Teileröffnung des Louvre die Mona Lisa und weitere Schätze präsentiert. Diese waren jedoch bereits vor Kriegsbeginn von den Franzosen ausgelagert und in Sicherheit gebracht worden. Es wurde über die Rückführung der Kunstwerke aus den Depots in die staatlichen Museen verhandelt, und Wolff Metternichs erste öffentliche Aufgabe als Beauftragter des Kunstschutzes sollte die Wiedereröffnung des Louvre sein. Aber er erreichte, dass die evakuierten Gemälde des Louvre nicht aus ihren geschützten Depots zurückgeholt und damit der Gefahr des Kunstraubes ausgesetzt wurden. Jedoch die „Mona Lisa“ befand sich bereits im Depot in Montauban im unbesetzten Frankreich – also außerhalb des direkten Zugriffs der Besatzer. Erst am 29. Juli 1941 sah Wolff Metternich während einer Inspektionsreise der Depots das berühmte Gemälde mit eigenen Augen und notierte in seinem Tagebuch: Vorm[ittags] erneuter Besuch im Depot. Man zeigt

3 http://www.francofonia.de/zum-film.php (Stand: 26. 07. 2020). Produzent ist Thomas Kufus von der Berliner Filmfirma zero one.

Präsentation des archivischen Sachinventars zum deutschen militärischen Kunstschutz  I  145

mir die Monalisa, die ich aus unmittelbarer Nähe betrachten kann. Ich bin nicht so beeindruckt als ich es wohl sein müsste.4

2. Ein Rückblick auf die Übernahme und Bearbeitung des Nachlasses Franziskus Graf Wolff Metternich Die Kenntnis von der Existenz und dem Aufbewahrungsort des Nachlasses – nämlich auf dem Dachboden des Gutes Fronhof in Köln-Junkersdorf – erhielt das LVR-AFZ im Frühjahr 1997, als das umfangreiche Familienarchiv der Grafen Wolff Metternich in das Archivdepot der VAR nach Schloss Ehreshoven im Bergischen Land übernommen wurde.5 Die Nachkommen des Grafen lehnten damals eine Übergabe des Nachlasses an das Familienarchiv noch ab. Einige Jahre s­ päter nahm Winfried Graf Wolff Metternich (1928 – 2017), der älteste überlebende Sohn (Abb. 1), mit der Dienststelle wieder Kontakt auf, um eine Überführung des Nachlasses – nachdem er die Akten in seiner Bonner Wohnung durchgesehen habe – nach Ehreshoven in Aussicht zu stellen. Aber erst im Zuge der inhaltlichen Recherchen zum Film „Frankophonia“ gelang es Ann Caroline Renninger, einer Mitarbeiterin der Berliner Produktionsfirma Zero one, Anfang 2013 den Zugang zum Nachlass zu erhalten und damit auch der Dienststelle eine Sichtung zu ermöglichen. Eine wichtige Mittlerrolle bei der Übernahme des Nachlasses hatte Richard Lipp, heute in Xanten wohnend, aufgrund seiner Vertrauensposition zu Winfried Graf Wolff Metternich. So konnte im August 2013 und im März 2014 der Nachlass in zwei Tranchen übernommen und von Dr. Henrike Bolte im Rahmen ihres wissenschaftlichen Volontariats verzeichnet werden. Sie stellte im April 2016 in einem Vortrag im LVR-Kulturzentrum Abtei Brauweiler den Grafen, „der die Mona Lisa nicht stehlen wollte“, einem großen (Fach-)Publikum vor. Das Foto (Abb. 2) zeigt sie nach dem Vortrag zusammen mit den beiden noch lebenden jüngsten Kindern von Franziskus Graf Wolff Metternich, Theresia (geb. 1930) und Antonius (geb. 1933), auf dem Tisch liegen seine beiden ledernen Reisekoffer. Das Projekt des archivischen Sachinventars zum militärischen Kunstschutz hätte nach der Bewilligung des DZK nicht sofort im September 2016 beginnen und innerhalb von

4 Henrike Bolte, Der rheinische Provinzialkonservator Franziskus Graf Wolff Metternich und der deutsche Kunstschutz 1940 – 1943. Erste Ergebnisse aus der archivischen Erschließung des ­Nachlasses, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 221 (2018), S. 205 – 232, hier S. 211 f.; Zitat: Ehreshoven, Familienarchiv der Grafen Wolff Metternich zur Gracht, Nachlass Franziskus Graf Wolff Metternich, Nr. 200. 5 Homepage der VAR: www.adelsarchive-rheinland.de mit den Bestandsbeschreibungen der 55 nutzbaren Mitgliedsarchive und einer Projektbeschreibung mit Tagungsbericht und Link zur RechercheDatenbank (Stand: 26. 07. 2020).

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Abb. 1  Winfried Graf Wolff Metternich und Richard Lipp (im Hintergrund) in Bonn am 11. April 2014. Abb. 2  Dr. Henrike Bolte mit Theresia, verh. Gräfin von Hoensbroech und Antonius Graf Wolff Metternich im LVR -Kulturzentrum Abtei Brauweiler am 27. April 2016.

Präsentation des archivischen Sachinventars zum deutschen militärischen Kunstschutz  I  147

drei Jahren durchgeführt werden können, wären nicht schon die beiden wissenschaftlichen Projektmitarbeiterinnen „Gewehr bei Fuß“ bereitgestanden. Die deutsch-französische Histo­ rikerin und Archivarin Florence de Peyronnet-Dryden hatte aus diversen Archivprojekten u. a. mit dem Deutschen Historischen Institut Paris fundierte Kenntnisse des französischen Archivwesens. Esther R. Heyer hatte sich bereits in ihrer Masterarbeit „Rose Valland und die Rückführung von Kunst- und Kulturgut aus Deutschland“ (Ludwig-Maximilians-Universität in München) mit dem Thema Kunstschutz und Restituierung beschäftigt. Ihrem Einsatz ist es zu verdanken, dass ­dieses Projekt nun der Öffentlichkeit präsentiert werden kann.

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Die Online-Datenbank des Sachinventars www.kunstschutz-wolff-metternich.de Florence de Peyronnet-Dryden

Das im September 2016 begonnene Projekt ging von dieser Frage aus: Was bringt der Nachlass Graf Wolff Metternich an Mehrwert für die wissenschaftliche Forschung, und verändert er die bisherige Quellenlage zum deutschen militärischen Kunstschutz? Die Vorarbeiten am Projekt hatten bereits verdeutlicht, dass die archivische Gegenüberlieferung 1 zum Nachlass für ein umfassendes Verständnis unerlässlich war, und dass eine Lösung gefunden werden sollte, um die Ergebnisse zusammenzubringen und miteinander zu verknüpfen. Eine wissenschaftliche historische Untersuchung des Kontextes war außerdem wegen der Komplexität der Thematik und der Implikationen u. a. bezüglich der Frage des Kunstraubes wichtig. Der Nachlass umfasste zudem Kunstgutlisten zu französischen Depots und zu jüdischen Sammlungen, und so erschien es dem Projektteam wichtig, sie für die Provenienzforschung sichtbar zu machen. Wegen der Aktualität der Frage der Provenienzforschung und der Restitutionen sowie der zahlreichen Projekte, die durch das DZK gefördert wurden, war die Vernetzung ­dieses Projekts ebenfalls wichtig – auch wegen der eigenen Forschungsansätze und der geplanten Tagung. Daher wurde das Projekt mit folgenden Zielsetzungen konzipiert: zunächst die Erstellung eines archivischen Sachinventars zur wesentlichen Überlieferung des militärischen Kunstschutzes im besetzten Frankreich aus deutschen, französischen, belgischen, niederländischen, englischen und amerikanischen Quellen sowie aus dem Nachlass Franziskus Graf Wolff Metternich als neue zentrale Überlieferung; ­dieses Inventar war als Publikationsvorlage für die analoge und digitale Veröffentlichung nach Projektende vorgesehen. In einer dreisprachigen Einleitung für die Wissenschaft (deutsch, englisch, französisch sowohl auf der Homepage als auch im Begleitband) sollte das Umfeld des deutschen militärischen Kunstschutzes und der Kunstschutzforschung kontextualisiert werden. Ferner sollten durch die Erforschung der Netzwerke des französischen Kunstschutzes im Zweiten Weltkrieg mit Schwerpunkt auf 1 Ergänzende Bestände zum Nachlass Wolff Metternich: entweder ursprünglich inhaltlich zusammen­ gehörende, aber heute getrennt aufbewahrte Akten oder Akten bzw. Bestände, die aus einer anderen Provenienz stammen (Absender- oder Empfängerprovenienz, Korrespondenz mit deutschen und französischen (Militär)-Dienststellen), oder in einem weiteren Sinne ergänzende Quellen und Bestände in anderen öffentlichen und privaten Archiven zur Thematik.

das Netzwerk um Franziskus Graf Wolff Metternich, insbesondere über Kurzbiografien der Akteure und Beschreibungen der involvierten Institutionen, die vielfachen Verknüpfungen sichtbar werden. Es erschien zudem wichtig, die Kunstgutlisten von französischen Kunstschutzdepots im Nachlass Wolff Metternich und in den Archives des Musées nationaux (jetzt in den Archives nationales, Paris) sowie jüdischer Sammler in Paris aus der „Geheimakte Dr. Bunjes“ im Nachlass Wolff Metternich 2 und der inhaltlich angrenzenden Überlieferung für die Provenienzforschung offenzulegen. Auch war der wissenschaftliche Austausch mit anderen Institutionen, die über die Thematik Kunstraub und Kunstschutz arbeiten, ein wichtiges Anliegen des Forschungsvorhabens.3 Diese Ziele wurden in das Hauptziel des Projekts – d. h. die Erstellung des Sachinventars – integriert. Beide Teile, die analoge und die digitale Version, haben unterschiedliche Funktionen und ergänzen sich. Während die Online-Plattform eine schnelle Durchsicht der Bestände – und dies bis in die einzelne Aktenebene – ermöglicht, bietet der Begleitband eine vertiefende und erweiternde wissenschaftliche Perspektive. Zusätzlich sollte angemerkt werden, dass die Auswahl der Akten der Gegenüberlieferung nicht immer eindeutig zu definieren war: Als Priorität widmete sich das Projekt dem deutschen militärischen Kunstschutz in Frankreich. Aber die Zusammenstellung der Bestände sah sich mit folgenden Fragen konfrontiert: – Wo liegt eben die Grenze z­ wischen Kunstschutz und Kunstraub, vor allem wenn gewisse Akteure, wie zum Beispiel Hermann Bunjes, in beide Aspekte direkt involviert waren? – Wo liegt die Grenze ­zwischen französischem Kunstschutz und deutschem militärischen Kunstschutz, wenn die Akteure und die Objekte die gleichen waren? – Kann man den französischen Kunstschutz vom Kunstschutz in anderen Ländern isolieren, wenn die Akten von anderen Staaten berichten und die Akteure auch mit anderen Regionen der deutschen militärischen Präsenz in Verbindung standen? – Kann Kunstschutz – der primär als Denkmalschutz und Schutz von Kunstwerken verstanden wird – von anderen Bereichen des Kulturgutschutzes getrennt werden, vor allem da es gleichzeitig konkrete Schritte und Organisationsabläufe zum Archiv- und Bibliotheksschutz gab? Dies erklärt, warum manche Akte der Datenbank noch hinzugefügt wurde, wenn die angrenzende Thematik etwa der „grauen Zone“ der Auswahl angehörte; es bedeutet auch, dass nach offiziellem Abschluss des Projektes weiterhin noch einige Materialien in die 2 Siehe u. a. NL FGWM, Nr. 187, zudem Nr. 97. 3 Z. B. dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München und dem Deutschen Forum für Kunstgeschichte in Paris (DFK) sowie dem Kunsthistorischen Institut der Universität Mainz wegen der thematischen Verbindungen zu den Projekten „Kunsthistorische Forschungsstätte Paris (1942 – 1944) unter der Leitung von Hermann Bunjes“ bzw. „Der Mainzer Bibliotheksbestand der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris.“

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elektronische Datenbank einfließen können. Vor allem die ­Themen des Archivschutzes und des Bibliotheksschutzes wurden wegen der engen Verknüpfung zum Kunstschutz oft aufgenommen.4 Es erschien wichtig, diese Akten der „grauen Zone“ den Recherchen angrenzender Projekte zugute kommen zu lassen. Es wurde jedoch darauf geachtet, wirklich relevante Akten zu nehmen – nur ausnahmsweise, wenn die Thematik „Kunstschutz“ eine flüchtige Erwähnung fand. Die Ergebnisse der digitalen Version des Projekts befinden sich auf der Homepage (www. kunstschutz-wolff-metternich.de). Die Inhalte sind in zwei Bereiche unterteilt: – erstens ein informativer Teil, der in verschiedene Seiten unterteilt ist: Startseite, Abschnitten zur Projektpräsentation, zur Recherche,5 und zur Tagung; – zweitens die eigentliche Datenbank (bzw. das eigentliche Sachinventar), die unter dem Button Recherche sowie durch einen Extra-Button auf der Startseite zu erreichen ist. Folgende Anmerkung: Um den Umfang dieser Datenbank auf ein vernünftiges Maß zu begrenzen sowie den Zeitraum und das Budget des Projektes zu berücksichtigen, enthält diese keine Feinverzeichnung und in der Regel auch keine Digitalisate, obwohl die technischen Möglichkeiten dafür in einem weiteren Schritt gegeben sind. Ausnahmen stellen die Listen jüdischer Kunstsammlungen 6 und ausgewählte Tätigkeitsberichte zum Kunstschutz in Frankreich und anderen besetzten Ländern dar, die im Nachlass Franziskus Graf Wolff Metternich überliefert sind. Diese Datenbank wurde mithilfe des an der Universität Trier konzipierten „Forschungsnetzwerks und Datenbanksystems“ (FuD) erstellt. Diese integrierte Arbeits-, Publikations- und Informationsplattform unterstützt Teilprojekte, Arbeitskreise und Synthesevorhaben bei der Erfassung der Primärdaten, ihrer Erschließung und Analyse bis hin zur Publikation der Forschungsergebnisse sowie der Datenarchivierung und -weiternutzung nach Projektabschluss.7 Das System eignet sich besonders zur Verarbeitung größerer Datenmengen im geisteswissenschaftlichen Bereich und ermöglicht eine kollaborative sowie zeit- und ortsunabhängigen Forschung und Einarbeitung der Ergebnisse, was bei der Konstellation des Projektes, das gleichzeitige Archivbesuche in verschiedenen Ländern sowie parallele 4 Archivschutz und Bibliotheksschutz gehörten wie der militärische Kunstschutz zu den Aufgaben des MbF – Verwaltungsstab/Verwaltungsabteilung/Gruppe V 4 Schule und Kultur. Die Tätigkeiten dieser drei Bereiche enthalten deswegen viele Überschneidungspunkte. 5 Hier gibt es außer dem Zugriff auf die Datenbank-Seiten mit einer Beständeübersicht, einer Auflistung der wichtigsten Personen und Institutionen des Kunstschutzes mit Kurzbiografien, einer Chronologie, einer Bibliografie sowie ergänzende Links. Diese Konstellation kann selbstverständlich verändert und erweitert werden. 6 NL FGWM, Nr. 187. 7 Definition laut Homepage der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG ): https://gepris.dfg. de/gepris/projekt/114667364 (Stand: 26. 07. 2020). Von 2009 bis 2012 wurde die Entwicklung des Systems von der DFG gefördert.

Die Online-Datenbank des Sachinventars   I  151

Abb. 1  Blick in die Erfassungsdatenbank FuD (Stand: 15. 08. 2020).

Einspeisung von Daten bedeutete, eine optimale Lösung bot. Das System wird jetzt vom Servicezentrum eSciences der Universität Trier getragen.8 In der Erfassungsdatenbank wurden systematisch folgende Informationen aufgenommen: Name des zuständigen Archivs mit Kontaktdaten und Beschreibung der Institution mit ihrem Bezug zur Forschungsthematik im Falle einer Archivaufnahme. Im Falle von Daten über einen Bestand, Unterbestand oder einer Akte wurden folgende Elemente vermerkt: zuständiges Archiv, Archivhierarchie bis N+1, Signatur (ggf. alte Signatur 9), Titel, Laufzeit, inhaltliche Beschreibung mit Bezug auf die Thematik,10 Angabe der Sprache(n) des Dokuments oder Hauptsprache(n) des Bestandes, Angabe von Listen (Listen von Kunstwerksammlungen entweder aus Bergungsorten und/oder aus jüdischem Besitz zwecks Identifikation für die Provenienz­forschung). Eine andere Maske ermöglicht den Eintrag von Indices (Personen-, Orts-, Sachindex), eine weitere Verknüpfung ­zwischen Dokumenten und auch Anhang von Dateien. 8 Davor war das Entwicklungsteam des Systems im Sonderforschungsbereichs (SFB) 600 „Fremdheit und Armut“ der Universität Trier integriert. Mehr zu den aktuellen Entwicklungen und Projekten von FuD, siehe https://fud.uni-trier.de/ (Stand: 26. 07. 2020). 9 Der Bestand 20144792 der Musées nationaux in den französischen Archives nationales war z. B. bereits vor seiner Übergabe an die Archives nationales von der Forschung öfters verwertet worden. Die Angabe der alten Signatur ermöglicht die Identifikation der Akten. 10 Diese erfolgt auf verschiedenen Ebenen: für Bestände und Unterbestände bzw. Akten das Feld „Beschreibung.“ Bei Akten findet man das Feld „enthält“ mit Elementen, die direkt für das Forschungsthema von Interesse sind, und das Feld „enthält auch“ für angrenzende, interessante ­Themen. Ein Feld „Bemerkung“ ermöglicht zusätzliche Kommentare.

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Abb. 2  Beispiel Ergebnisliste (Stand: 15. 08. 2020).

Diese Informationen werden in die Onlinedatenbank eingespeist. Zur Nutzung der Datenbank (Online-Version): 1. Such- und Auswahlkriterien ʶ Eine Start- bzw. Suchseite ermöglicht einerseits eine Navigation durch den Archivbaum bis in die Bestandsebene (linke Spalte) und andererseits eine Suchkombination aus Volltextsuche (im oberen Bereich) und anklickbaren Elementen (Auswahlkriterien) auf der linken Seite.11 ʶ Zur besseren Übersicht können die Auswahlkriterien sortiert werden, entweder nach Anzahl (Trefferquote) oder alphabetisch; dafür gibt es einen Button. ʶ Unter „Dokumenttyp“ kann man einerseits Daten über die Archive und deren Inhalte auswählen (Dokumenttyp „Archiv“ für die Beschreibung der Archive und Dokumenttyp „Archivdokument“ für die Beschreibung von Beständen, Unterbeständen bzw. Aktengruppen und Akten) und andererseits Personendokumente (Informationen über Personen des Kunstschutzes und dessen Netzwerkes). ʶ Durch „reset“ wird die Suchauswahl zurückgesetzt.

11 Z. B. Auswahl des Archives, Auswahl des Dokumententyps, Auswahl der Verzeichnisstufe (Bestand, Unterbestand, Akte), Indices, Eintrag des Datums bzw. Zeitspanne, Liste von Kunstobjekten.

Die Online-Datenbank des Sachinventars   I  153

Abb. 3  Beispiel einer Akte aus den Archives nationales (20144792/43; Stand: 15. 08. 2020).

2. Ergebnisliste ʶ Die Ergebnisliste kann ebenfalls nach unterschiedlichen Kriterien sortiert werden. Datensätze können in einer Merkliste gespeichert werden. ʶ Durch Anklicken der einzelnen Positionen gelangt man in die Detailansicht. 3. Detailansicht ʶ Im Mittelbereich der Detailansicht werden die in der Datenbank eingetragenen Daten hierarchisch angezeigt.12 ʶ Die ggf. unmittelbar über dem Element liegende Ebene (Unterbestand/Aktengruppe, Bestand oder Archiv) wird angezeigt und kann angeklickt werden. Ebenfalls steht im unteren Bereich ggfs. die unmittelbar darunter stehende Ebene (Bestände, Unterbestände, Akten) und kann ebenfalls angeklickt werden. Somit kann man durch die Archiv -und Bestandsstruktur navigieren. ʶ In der rechten Spalte wird die Archivstruktur des relevanten Bestandszweiges in Form eines Teilarchivbaums angezeigt: Sie zeigt, in welchem Archiv und in welchem Bestand sich das ausgewählte Element befindet, und ist anklickbar.

12 Diese sind (nicht für alle Elemente relevant): Titel, Signatur, Laufzeit, zuständiges Archiv, ggfs. zuständiger Bestand oder Unterbestand/Aktengruppe, Dokumenttyp (Akte, Bestand, Unterbestand), Sprache der Unterlagen, Inhaltsbeschreibung, Indices, Angaben von Listen (die in der Datenbank vermerkten Kunstwerklisten), Verweis auf andere vergleichbare Akten.

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ʶ Personen aus dem Index, die zum Kreis des Kunstschutzes und dessen Netzwerkes gehören, sind in blauer Schrift markiert und können angeklickt werden; es erscheint dann eine Kurzbiografie dieser Personen, ebenfalls ausgewählte Institutionen. Falls Digitalisate hinzugefügt wurden, sind sie am Ende der Daten anklickbar und entsprechend ansehbar. Die Homepage und die elektronische Datenbank finden ihre analoge Ergänzung im Begleitband „‚Als künstlerisch wertvoll unter militärischem Schutz!‘ Ein archivisches Sachinventar zum militärischen Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg“, der die relevanten Archive und Archivbestände aus der Datenbank nochmals als Handbuch zusammenstellt und beschreibt, aber auch zusätzlich vertiefende Informationen und Beiträge zum Thema Kunstschutz bzw. Archiv- und Bibliotheksschutz und zum Personennetzwerk um Franziskus Graf Wolff Metternich bietet.

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„Als künstlerisch wertvoll unter militärischem Schutz!“ Ein archivisches Sachinventar zum militärischen Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg Esther Rahel Heyer

Wie in der vorausgehenden Vorstellung des Projektes und der Datenbank bereits betont, wird das archivische Sachinventar in zwei Medienebenen publiziert: digital in Form der OnlineDatenbank und analog in Form eines gedruckten Begleitbandes. Während die Datenbank als Recherchetool zur Archivrecherche fungiert und weitere Informationen zum Projekt aufbereitet, stellt die Begleitpublikation ein Handbuch zu den Archiven und Beständen des Sachinventars dar, bietet darüber hinaus aber auch vertiefende Inhalte und Forschungsansätze. Dieser Begleitband mit dem Titel „‚Als künstlerisch wertvoll unter militärischem Schutz!‘ Ein archivisches Sachinventar zum militärischen Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg“ wird im Folgenden vorgestellt.1 Das Zitat leitet sich aus einem der Belegungsverbotsschilder des militärischen Kunstschutzes in Frankreich im Zweiten Weltkrieg ab, das sich im Nachlass Franziskus Graf Wolff Metternich (NL FGWM) befindet.2 Die unterschiedlichen Plakate der Belegungsverbote für denkmalgeschützte Bauten oder der eingeschränkten Nutzung durch Truppen, bzw. wie in dem genannten Fall die Abriegelung besonderer Räume und des wertvollen Inventars darin, zeigen die verschiedenen Stufen der Belegungsverbote. Allen gemein ist die Formulierung, dass der Zielort aufgrund der geschichtlichen und künstlerischen Wertigkeit unter militärischen Schutz gestellt und entsprechende Rücksichtnahme gefordert wurde. Die Publikation umfasst vier Hauptkapitel. In einem ersten einführenden Teil wird der Kontext des Begleitbandes erläutert. Neben einer Einführung zum Projekt und Forschungsgegenstand enthält dieser eine Erläuterung zur Nutzung des Sachinventars digital und analog. 1 Esther Rahel Heyer/Florence de Peyronnet-Dryden/Hans-Werner Langbrandtner (Hg.), „Als künstlerisch wertvoll unter militärischem Schutz!“ Ein archivisches Sachinventar zum militärischen Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg, Köln/Wien/Weimar (im Erscheinen). 2 NL FGWM, Nr. 74, Plakat Belegungsverbot, o. D. [1940 – 44]. Verfügung. Dieser Raum mit seiner gesamten Ausstattung steht als künstlerisch wertvoll unter militärischem Schutz! Eintritt und Belegung verboten Zuständige Feldkommandantur Nr. ____ in _______. Der Militärbefehlshaber in Frankreich gez. von Stülpnagel General d. Inf[anterie].

Ein weiterer Bestandteil ist eine Einleitung zur Kontextualisierung der Thematik Kunstschutz und der Überlieferungsgeschichte. Im zweiten Teil werden analog zur Datenbank die für den Kunstschutz relevanten Archive und Bestände in verkürzter Form beschrieben. Dort werden die wichtigsten Informationen zum Inhalt und Zugang dieser Archive und Bestände genannt und somit ein Nachschlagewerk zu den Quellen zur Verfügung gestellt. Der dritte Teil des Begleitbandes beinhaltet vertiefende Forschungsperspektiven. Konkret sind dies wissenschaftliche Beiträge und skizzierte Ansätze zu einzelnen, mit Fragen zum Kunstschutz zusammenhängenden Aspekten, die aus der vielseitigen Quellenlage und der Projektarbeit erwachsen sind. Auch weitere für die Kontextualisierung interessante und an die Thematik des Kunstschutzes anknüpfende Forschungsthemen werden in d­ iesem Teil versammelt. Dafür konnten wir einige Kolleg*innen aus Kooperationsprojekten und Projektvernetzung für externe Beiträge gewinnen, die weitere Facetten der Thematik beleuchten und Ansätze für vergleichende Studien bieten. Ein letzter vierter Teil der Begleitpublikation widmet sich der Aufbereitung von besonders spannenden Quellen für die Kontextforschung und bietet, beispielsweise durch eine thematische Auswahlbibliografie, ebenfalls Ansätze zur weiterführenden Forschung. Daraus ergeben sich vier Gliederungspunkte, die im Folgenden noch näher beschrieben werden: Teil I Einführung und Überlieferungsgeschichte Teil II Handbuch und Nachschlagewerk Teil III Forschungsansätze Teil IV ergänzende Quellen und Materialien

1. Zu Teil I – Einführung und Überlieferungsgeschichte Die Einleitung zum Forschungskontext widmet sich dem im Rahmen des Sachinventars behandelten Gesamtkonvolut der Akten zum Kunstschutz mit Schwerpunkt Frankreich und Franziskus Graf Wolff Metternich (1893 – 1978). Dieser Beitrag soll eine Art Findbuch-­Einleitung zu ­diesem „fiktiven Gesamt-Bestand“ darstellen und anhand einer Klassifikation und Charakterisierung der Überlieferung die Tätigkeitsfelder und Beziehungen rekonstruieren. In dieser Einleitung werden die aktuelle Forschungslage und der bisherige Quellenstand skizziert und auf laufende Forschungsprojekte verwiesen. Im Fokus stehen der Akteur Wolff Metternich sowie die historische Kontextualisierung des Kunstschutzes, um davon ausgehend die Konstitution der Überlieferung zu analysieren. Der Hauptquellenbestand des Kunstschutzes im NL FGWM wird im Abgleich mit der thematischen Gegenüberlieferung in anderen Archiven im In- und Ausland beschrieben und charakterisiert. Aus dieser Beschreibung der Kunstschutzakten im NL FGWM, zusammen mit der damit korrespondierenden Überlieferung in anderen Archiven, ergeben sich eine Kategorisierung der Dokumente nach Aktenbildnern und thematischen Schwerpunkten sowie eine Klassifikation nach Dokumententypen.

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Zu differenzieren ist dadurch beispielsweise ­zwischen den Akten, die direkt aus den Tätigkeiten des militärischen Kunstschutzes in Frankreich entstanden sind, und der zugehörigen zeitgenössischen Gegenüberlieferung, die beispielsweise aus der Zusammenarbeit mit französischen Stellen resultierte, im Unterschied zu den zeitlich s­päter entstandenen Aktenbeständen aus der Nachkriegszeit über die Aufarbeitung und Rezeption der Tätigkeiten im besetzten Frankreich. Durch ihre Laufzeit und die dokumentierte Thematik können einige Bestände in mehreren dieser Kategorien einen Rechercheweg bieten. Ein Abgleich mit überlieferten Aktenplänen des Kunstschutzes ermöglicht zudem Rückschlüsse zur Überlieferung der Akten, offensichtlichen Fehlstellen und Tätigkeitsbereichen. Hier können eine Vielzahl inhaltlicher Aspekte nur angedeutet werden, einige davon werden jedoch innerhalb der Forschungsansätze weiter ausgeführt oder sind Gegenstand von Tagungsbeiträgen und finden daher im Tagungsband Niederschlag. Die Beschreibung der Charakteristika und Klassifizierung der verschiedenen Dokumenten-Arten ermöglicht dann einen Rückschluss auf einen „fiktiven Gesamt-Bestand“. Indem die Zusammensetzung des NL FGWM und der Quellenüberlieferung mit Dokumenten des Beauftragten für Kunstschutz beim Oberkommando des Heeres (OKH) beschrieben wird, ist eine Basis für den Abgleich mit ergänzenden Dokumenten in anderen Archiven geschaffen. Diese Aktencharakteristika verweisen auf die Tätigkeitsfelder des Kunstschutzes. Grob sind die Akten in folgende Bereiche zu gliedern: A) Unterlagen, die beim OKH für und von Wolff Metternich beziehungsweise von Tieschowitz verfasst wurden, insbesondere Berichte aus den Militärverwaltungsbezirken (MV) an den Beauftragten für Kunstschutz beim OKH oder Unterlagen zu Strukturierung und Organisation, B) Unterlagen aus der Abteilung Kunst/Kultur, die bei der Militärverwaltung in Paris lagen, größtenteils interne Verwaltungsakten, C) Unterlagen aus den Militärverwaltungsbezirken A/B/C durch die Mitarbeiter, insbesondere Berichte zur Besichtigung von Denkmälern, Städten, Schlössern, Depots hinsichtlich Zustand, Sicherheitsvorkehrungen etc., D) abgehende Korrespondenz Kunstschutz mit französischen Stellen etc., E) persönliche Notizen, Tagebücher, Kalender von Kunstschutzmitarbeitern, F) in der deutschen Gegenüberlieferung Korrespondenz anderer NS-Institutionen mit dem Kunstschutz, G) in der französischen Gegenüberlieferung Korrespondenz französischer Stellen, insbesondere der Musées nationaux, mit dem Kunstschutz, H) Dokumente der Nachkriegszeit zu Restitutionen mit Bezug zum Kunstschutz, I) Dokumente der Nachkriegszeit zur Entnazifizierung von Kunstschutzmitarbeitern. In dieser Analyse erfolgt letztendlich eine thematische Zusammenfassung der wichtigsten Bestände der Gegenüberlieferung im Abgleich mit dem Hauptbestand im NL FGWM . Daraus lassen sich diese Kategorien ableiten:

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– Direkte Kunstschutzakten: am OKH oder in den Kunstschutzabteilungen der MV insbesondere in Frankreich, – Akten der deutschen Militärverwaltung in Frankreich: Verwaltungsangliederung und Verbindung der Dienststellen, – Aktenüberlieferung französischer Dienststellen: Zusammenarbeit der örtlichen Stellen in Frankreich mit dem Kunstschutz, – Überlieferung verwandter Institutionen: Verbindung beispielsweise Archivschutz, Bibliotheksschutz oder Kunsthistorische Forschungsstätte in Paris, – Aktenüberlieferung von NS-Organen und -Institutionen: Abgrenzung der Zuständigkeit, Überschneidungen in Zusammenarbeit oder personenbezogenen Kooperationen, beispielsweise Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg, deutsche Botschaft in Paris oder Sonderkommando Künsberg, – Überlieferung der rheinischen Denkmalpflege und des regionalen Kunstschutzes: Verwaltung der rheinischen Denkmalpflege und Archivberatung zu Bergungsmaßnahmen, außerdem Personalunterlagen der Mitarbeiter, – Institutionsarchive im Kulturbereich: Verbindung des Kunstschutzes und seiner Mitarbeiter mit Museen oder Universitäten, beispielsweise zur Information über Luftschutz und Kunstschutz oder Kooperationen zur Forschung in den besetzten Gebieten, aber auch Ankäufe im besetzten Frankreich und Exportgenehmigungen, – Private Nachlässe von Mitarbeitern des Kunstschutzes und Kollegen: subjektive Erfahrungsberichte, aber auch Handakten und institutionelle Überlieferung, – Ermittlungsarbeiten zu Kunstraub und Restitution: internationale Archivbestände der jeweiligen Kommissionen und Verwaltungsstellen, insbesondere der Commission de Récupération Artistique und der Monuments, Fine Arts and Archives Section sowie der Treuhandverwaltung von Kulturgut, – Unterlagen zur Person Franziskus Graf Wolff Metternich: neben dem NL FGWM und Familienarchiv der Grafen Wolff Metternich auch die Bestände zu seinen beruflichen Stationen bei der rheinischen Denkmalpflege, der Universität Bonn, beim Auswärtigen Amt und in der Bibliotheca Hertziana Rom, insbesondere Personalakten, – Unterlagen zu den Entnazifizierungsprozessen der ehemaligen Kunstschutzmitarbeiter und weiteren Kollegen in Archiven, außerdem den Personalakten in den jeweiligen Institutionen, aus denen insbesondere in Rechtfertigungsschriften und gegenseitiger Entlastung beziehungsweise Belastung subjektive Hinweise auf die Tätigkeiten entnommen werden können, – Rezeption der Kunstschutztätigkeit: Korrespondenz z­ wischen den ehemaligen Kunstschutzmitarbeitern, geplantes Weißbuch zum Kunstschutz, Erfahrungsberichte internationaler Kunstschutzoffiziere, Literatur und Film. Diese Kategorien sind beliebig weiter aufzufächern und je nach Forschungsansatz weiter oder enger gefasst zu fokussieren. Sie sollen hier lediglich Schwerpunkte der Überlieferung

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darstellen; vertiefend sind die Bestände und Archive im Kapitel der Bestandsbeschreibungen sowie in der Datenbank erläutert. Neben dieser Einordnung der Art und Provenienz der tatsächlichen Dokumente lässt sich auch auf der Ebene der Leerstellen der Überlieferung ein Versuch der Rekonstruktion tätigen: In den Archives nationales in Paris ist in einer Akte im Bestand AJ 40 – dieser beinhaltet Unterlagen der deutschen Militärverwaltung in Frankreich – ein Aktenplan zum Sachgebiet Kunstschutz bei der Militärverwaltung und ein Aktenplan OKH Kunstschutz überliefert.3 Basierend auf diesen undatierten Aktenplänen kann ein Abgleich mit den tatsächlich überlieferten Aktenbeständen vorgenommen werden: Welche Bereiche sind in der Aktenlage überliefert, w ­ elche Fehlstellen sind offen? Welche dieser Fehlstellen erscheinen systematisch und lassen auf ein bewusst konstruiertes Narrativ zurückschließen, da ausgewählte Akten nach Deutschland verschickt und andere, nach Aussage der Notizkalender von Bernhard von Tieschowitz (1902 – 1968), gezielt vernichtet worden sind? Der Aktenplan des OKH ist wie folgt strukturiert: 1) Allgemeines 2) Befehle, Verordnungen 3) Personales 4) Bewegliche Kunstwerke 5) Berichte Belgien 6) Belgien Allgemeines 7a) Berichte Frankreich A 7b) Berichte Frankreich A 7c) Berichte Frankreich B 7d) Berichte Frankreich C 7 f ) Berichte Frankreich (Allg. Lage- u. Sonderberichte) 8) Frankreich Allgemeines 9) Holland 10) Heimat 11) Zusammenfassende Berichte an OKH Gen/Qu 12) Archäologie 13) PKW (auch Fotocampagne) 14) Südfrankreich 15) Italien 16) Zeitungsausschnitte 17) Wissenschaftscampagne 19) Kunsthistorisches Institut [wohl Kunsthistorische Forschungsstelle] 3 AN AJ 40/573, dossier 1, Kunstschutz (Groupe de protection des œuvres d’art) auprès de l’OKH. Plan de classement des documents du service. Außerdem NL FGWM, Nr. 141, darin u. a. Aktenplan, Kommandant des Heeresgebietes Südfrankreich Qu/Kult, August 1943.

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20) Südosten (Griechenland) 20) Südosten (Ägypten, Serbien) 21) Osten (Russland) Sonderakte Gruppe 7 (abgeschlossen) Der Aktenplan zum Sachgebiet V 1/2 Kunstschutz bei der Militärverwaltung Frankreich ist deutlich umfangreicher und entsprechend der Tätigkeiten im besetzten Frankreich gegliedert. Dass die Akten im Nachlass Franziskus Graf Wolff Metternich überwiegend aus der Überlieferung beim OKH stammen, ist nicht nur den Kürzeln auf den Akten selbst zu entnehmen, sondern auch der von Bernhard von Tieschowitz erstellten Liste der am 29.7.43 von Paris nach Bonn verbrachten Aktenbündel mit Akten des Beauftragten für Kunstschutz beim OKH und der Übersicht über die Kunstschutzakten in Bonn (o. D.), die in der Struktur dem Aktenplan der Kunstschutzakten OKH in den Archives nationales ähneln.4

2. Zu Teil II – Handbuch und Nachschlagewerk In ­diesem zweiten Teil des Begleitbandes wird eine Übersicht der Archive und den darin enthaltenen, für die Forschung zum Kunstschutz relevanten Bestände gegeben. Die Aufstellung der Archive erfolgt gegliedert nach Ländern, in zweiter Ebene nach Art des Archivs (beispielsweise Staatsarchiv, Universitätsarchiv oder Privatarchiv), teilweise gruppiert nach den zusammenhängenden inhaltlichen Schwerpunkten. Die Archive werden kurz beschrieben und die Kontaktinformationen gegeben. Unter den jeweiligen Archiven werden die Bestände gelistet, die für Aspekte des Kunstschutzes von Interesse sind oder spannende Ergänzungen zur Thematik bieten können. Ein kurzer Vermerk gibt den inhaltlichen Schwerpunkt in Bezug zur Kunstschutzforschung an. Anhand dieser Übersicht der Bestände lässt sich abermals auf die Kategorisierung der Quellenlage (siehe Teil I) rückschließen.

3. Zu Teil III – Forschungsansätze Die Forschungsansätze, die in d ­ iesem Teil vorgestellt werden, gliedern sich in verschiedene thematische Schwerpunkte. Sie umfassen Beiträge zu Netzwerken, Akteuren, Institutionen und Quellenschwerpunkten. Die Themenbereiche sind: – das Netzwerk des Verwaltungsorgans militärischer Kunstschutz, dessen Mitarbeiter und Kollegenkreis sowie in Verbindung stehende Institutionen,

4 NL FGWM, Nr. 34.

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– strukturelle Verbindungen in Verwaltung und personelle Kontinuitäten innerhalb der Tätigkeitsbereiche Kunstschutz/Archivschutz/Bibliothekschutz sowie Parallelen ­zwischen dem Rheinland und Frankreich, – Eigenheiten der jeweiligen Tätigkeitsbereiche der Abteilung Kunstschutz, beispielsweise durch den Fokus auf die Verbindung zu Kunstmarkt und Kunstraub in Frankreich oder die Beziehungen ­zwischen Kunstschutz und Adel (beispielsweise Schlossbesitzern) im Rheinland, ebenso in Frankreich, – Rezeption und Kontinuitäten in Bezug auf Restitution und Nachkriegszeit oder Betrachtung einzelner Akteure und deren Handlungsspielräume und Nachwirken. Das Netzwerk wird in Form von Kurzbiografien der Mitarbeiter und Kollegen sowie Beschreibungen von involvierten Institutionen ersichtlich. Ergänzend wird d ­ ieses Netzwerk auf Grundlage der Tätigkeiten kurz beschrieben und das Organigramm des Kunstschutzes aus den Quellen abgebildet. Facetten des Tätigkeitsbereiches Kunstschutz werden seitens der Autorin in einer Kontextualisierung der Aufgaben in Verbindung und Abgrenzung zu Kunsthandel und Kunstraub thematisiert. Dies wird ergänzt durch einen aus der Projektarbeit erwachsenen Beitrag von Kateryna Kostiuchenko zur „Geheimakte Bunjes“ im NL FGWM und die darin gesammelten Listen, datiert Ende 1940, zu Beschlagnahmeaktionen von Kunstsammlungen.5 Julia Schmidt beschreibt in ihrem Beitrag, der aus der eigenen Projektarbeit zum Buchbestand der ehemaligen Kunsthistorischen Forschungstätte Paris in der Universitätsbibliothek Mainz entstammt und als Poster auf der Tagung vorgestellt wurde, das Pariser Netzwerk Hermann Bunjes‘ (1911 – 1945). Die Kunsthistorische Forschungsstätte wurde u. a. in Verbindung mit Alfred Stange (1894 – 1968), Kunsthistoriker und Professor an der Universität Bonn, und Wolff Metternich beim Kunstschutz gegründet, und von Hermann Bunjes, ehemals Mitarbeiter des Kunstschutzes 1940 – 1942 für den Großraum Paris, geleitet. Nereida Gyllensvärd geht der Frage nach „Sicherstellung oder Kunstschutz?“ in ihrem Beitrag zu den Sammeloffizieren der Heeresmuseen nach. Heidrun Gansohr-Meinel erläutert im Zuge der Kooperation mit dem Projekt „Kulturpolitik der rheinischen Provinzialverwaltung 1920 bis 1945“ in ihrem Bericht die Kunstankäufe des Rheinischen Landesmuseums Bonn auf dem Pariser Kunstmarkt und skizziert das Verhältnis der Mitarbeiter des Museums zu den Militärverwaltungsbeamten in Frankreich. Florence de Peyronnet-Dryden untersucht das Verhältnis von Adel und Schlossbesitzern in Frankreich zum militärischen Kunstschutz. Personenbezogene Ansätze und institutionelle Verbindungen werden in den Beiträgen von Susanne Haendschke zu Eduard Neuffer (1900 – 1954) und dem Referat „Vorgeschichte und Archäologie“ des militärischen Kunstschutzes in Frankreich sowie von Iris Grötecke zu wissenschaftlichen Auslandsbeziehungen am Beispiel Alfred Stanges weiter ausgeführt.

5 NL FGWM, Nr. 186.

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Aspekte des Kunstschutzes im Rheinland und den daran beteiligten Stellen werden im Beitrag von Annika Flamm zu den Bergungsorten der Rheinprovinz thematisiert. HansWerner Langbrandtner widmet sich einem dieser Bergungsorte in seinem Beitrag genauer und beschreibt unter Verwendung des Tagebuchs einer Archivarin das Kunstschutzdepot auf der Festung Ehrenbreitstein, das nicht nur während des Krieges als Auslagerungsort, sondern auch in der Nachkriegszeit als solches diente. Katharina Schmude erläutert anhand der Glockenbeschlagnahme im Rheinland während der Weltkriege eine Schnittstelle ­zwischen Kulturgutschutz und Kulturgutverlust. Die Bezüge zum alliierten Kulturgutschutz, Kulturgutsammelstellen nach Kriegsende in Deutschland und Restitution werden in weiteren Beiträgen thematisiert. Laura N ­ icolaiciuc beschreibt die Verbindung von Rettung und Restitution anhand der zivilen US-amerikanischen Kunstschutzkomitees. Marco Rasch erläutert den Kunstschutz durch die amerikanischen „Monuments Men“ (alliierte Kunstschutzoffiziere der Monuments, Fine Arts and Archives Section) im besetzten Deutschland mit Fokus auf die Kulturgutsammelstellen, insbesondere den Marburger Central Collecting Point, und geht damit auf sein auf der Tagung vorgestelltes Poster ein. Ein Fallbeispiel einer französischen Restitutionsforderung – die Bilder der Fotokampagnen des Kunstschutzes im besetzten Frankreich – schildert Emily Löffler in ihrem Beitrag. Diese vertiefenden Forschungsansätze führen das facettenreiche Spektrum um Fragen des Kulturgutschutzes im und nach dem Zweiten Weltkrieg weiter aus.

4. Zu Teil IV – Weitere Quellen und Materialien Im letzten Teil der Begleitpublikation werden Quellen des Kunstschutzes aufbereitet, die weitere Analysen zum Netzwerk des Kunstschutzes ermöglichen sollen. Dort findet sich beispielsweise eine Chronik zur Einrichtung des Kunstschutzes und seiner Tätigkeit beziehungsweise seiner Aktionen. Außerdem werden die Taschenkalender und Tagebücher von Franziskus Graf Wolff Metternich, Bernhard von Tieschowitz und Hermann Bunjes mit ihren täglichen Einträgen einander gegenübergestellt; ein Auszug hieraus wird in der Publi­kation erläutert, die gesamte Gegenüberstellung mit einer Recherchefunktion wird in der OnlineVersion des Sachinventars zur Verfügung gestellt. Diese Synopse der Kalender ermöglicht einen Vergleich der Tätigkeiten, liefert aber darüber hinaus auch Informationen zu den Treffen und Abläufen ­zwischen Abteilungen und Kollegen. Als weitere Überlieferungsform werden Transkriptionen von Interviewausschnitten präsentiert, die so die archivische Überlieferung um „Oral History“-Einblicke in die Perspektive der Nachfahren von Kunstschutzmitarbeitern erweitern. Dabei handelt es sich um Gespräche, die von den Projektmitarbeiter*innen mit den Familien von Franziskus Graf Wolff ­Metternich, Wend Graf von Kalnein (1914 – 2007), Carlheinz Pfitzner (1908 – 1944) und Hans Gerhard Evers (1900 – 1993) geführt wurden. Als eine zentrale Quelle des ­Sachinventars und

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der Forschung zum Kunstschutz wird der Text des Abschlussberichts Wolff Metternichs über die Tätigkeiten des militärischen Kunstschutzes 1940 – 1944 neben weiteren interessanten Berichten in der Datenbank zum Sachinventar online zur Verfügung gestellt. Eine thematische Auswahlbibliografie, gegliedert nach den Schwerpunkten des Sachinventars, bietet zudem weitere Ansatzpunkte für eine vertiefende Recherche.

5. Fazit Mit der analogen und digitalen Publikation zur archivischen Überlieferung zum Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg hoffen die Projektmitarbeit*innen einen Beitrag zur vereinfachten Recherche geleistet zu haben, der in der historischen Forschung und insbesondere in der Provenienzforschung zu einer intensiven Nutzung beider Recherchehilfsmittel führt.

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(Ein-)Blick in die Akten: themenorientierte Erschließung von Quellen zur Provenienzforschung im Landesarchiv Baden-Württemberg Katrin Hammerstein

„Rückgabe von NS-Raubkunst. Generallandesarchiv übergibt jüdischer Gemeinde Porträt von Moritz Ellstätter“ 1 – diese Schlagzeile war am 27. Februar 2014 in der „Jüdischen Allgemeinen“ zu lesen. Was war der Hintergrund? 2009 hatte das Generallandesarchiv Karlsruhe, das zum Landesarchiv Baden-Württemberg gehört, ein Gemälde aus seinen Beständen in der Ausstellung „Gleiches Recht für alle? 200 Jahre jüdische Religionsgemeinschaft in Baden“ gezeigt und 2012 dem Badischen Landesmuseum für die Landesausstellung „Baden! 900 Jahre. Geschichten eines Landes“ zur Verfügung gestellt: ein Porträt des von 1868 bis 1893 amtierenden badischen Finanzministers Moritz Ellstätter (1827 – 1905), das ihn als jungen Mann zeigt, gemalt von Ludwig Kachel dem Jüngeren (1830 – 1858) im Jahr 1854. Von dem aus Karlsruhe stammenden Maler ließ sich auch der badische Großherzog Friedrich I. (1826 – 1907) porträtieren; der Auftrag Ellstätters an Kachel spiegelt demnach auch sein Selbstverständnis als Teil der Karlsruher Stadtgesellschaft wider. Mit Antritt seines Ministeramts sollte Ellstätter das erste jüdische Mitglied der Regierung eines deutschen Staates werden.2 Im Zusammenhang mit den Ausstellungen kam auch die Frage nach der Provenienz des Bildes auf, und es stellte sich heraus, dass es ein Restitutionsfall war. Bei der Autopsie des Gemäldes wurde auf der Rückseite eine handschriftliche Notiz entdeckt, in der vermerkt war, dass das Bild von Luise Gutmann-Ellstätter (1869 – 1942), der Tochter von Moritz ­Ellstätter, der Jüdischen Gemeinde Karlsruhe vermacht worden war. Das genaue Datum dieser Schenkung ist unbekannt; da Luise Gutmann-Ellstätter allerdings 1942 deportiert und im Holocaust ermordet wurde, muss die Schenkung vor ­diesem Zeitpunkt erfolgt sein. Wann und durch wen der Jüdischen Gemeinde das Bild wiederum entzogen wurde, ist ebenfalls 1 Matthias Dreisigacker, Rückgabe von NS-Raubkunst, in: Jüdische Allgemeine, 27. 02. 2014: https:// www.juedische-allgemeine.de/unsere-woche/rueckgabe-von-ns-raubkunst/ (Stand: 26. 07. 2020). 2 Siehe Homepage des Landesarchivs Baden-Württemberg (künftig: LA -BW ), NS -Raubkunst in Karlsruhe. Generallandesarchiv übergibt Porträt des badischen Finanzministers Moritz Ellstätter (1827 – 1905) der Jüdischen Kultusgemeinde Karlsruhe, unter: https://www.landesarchiv-bw.de/ web/56250 (Stand: 26. 07. 2020).

unklar. Ins Landesarchiv Baden-Württemberg gelangte es im Jahr 1953, als es ­diesem von Regierungsinspektor Robert Scholz (1896–?) aus Bissingen an der Enz übergeben wurde.3 Ausweislich der vorhandenen Akten lebte dieser erst seit 1946 in Südwestdeutschland, sodass es unwahrscheinlich ist, dass er direkt in den Entziehungsvorgang involviert war.4 Ihm sei das Gemälde vielmehr zur Verfügung gestellt 5 worden, gab er selbst an. In ihrer Vagheit verweist diese Aussage zugleich auf einen möglichen Unrechtskontext, zumal Robert Scholz keine Angaben dazu machte, von wem ihm das Bild überlassen worden war. Auch wenn sich die Besitz- und Entzugsgeschichte folglich nicht in allen Details nachvollziehen lässt, handelte es sich bei dem Ellstätter-Porträt zweifellos um ein zu restituierendes Gemälde. 2014 hat es das Generallandesarchiv daher an die Jüdische Gemeinde Karlsruhe zurückgegeben. Dieser Fall, der die eigenen Archivbestände betraf, war einer der Auslöser für das Landesarchiv Baden-Württemberg, die ­Themen Kulturgutentzug in der Zeit des Nationalsozialismus und Provenienzforschung auf die Agenda zu setzen, zumal immer mehr Anfragen von Museen und anderen Kulturgut verwahrenden Institutionen zur Herkunft von Objekten, ihren Eigentümern sowie zu Entzugsvorgängen im Landesarchiv eingingen und nach wie vor eingehen. Seit 2015 werden daher an den verschiedenen Standorten des Landesarchivs Projekte zur Provenienzforschung durchgeführt, die vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste (DZK) sowie vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg (MWK) gefördert werden und Grundlagenforschung für diesen Bereich leisten. Während das Pilotprojekt, das im Generallandesarchiv Karlsruhe gestartet wurde, 2017 beendet wurde und das nachfolgende Projekt im Staatsarchiv Ludwigsburg Ende 2019 abgeschlossen wurde, laufen die Forschungsarbeiten des Staatsarchivs Freiburg und des Staatsarchivs Sigmaringen derzeit noch. Ein entsprechendes Vorhaben im Hauptstaatsarchiv Stuttgart ist in Vorbereitung.6 Der vorliegende Beitrag gibt einen Einblick in diese Projekte, die die Erstellung eines standortübergreifenden Inventars zur Provenienzforschung zum Ziel haben. Mit ­diesem sollen die im Landesarchiv verwahrten Quellen, die Relevanz für Forschungen zu NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kunstgegenständen und Kulturgut haben (können), leichter identifizierbar und besser zugänglich gemacht werden. Weiterhin wird anhand von Fallbeispielen erläutert, ­welche Art von Quellen sich in den Akten für die Provenienzforschung findet und ­welchen Aussagegehalt diese haben.

3 Ebd. 4 Ebd; eine Personalakte von Robert Scholz liegt im Staatsarchiv Ludwigsburg (künftig StAL) vor: LA-BW StAL EL 600/2 Bü 2757. 5 Zit. nach NS-Raubkunst in Karlsruhe (wie Anm. 2). 6 Siehe Homepage des LA -BW , Provenienzforschung im Landesarchiv, unter: https://www. landesarchiv-bw.de/web/61576 (Stand: 26. 07. 2020). Ich danke den Kolleg*innen Sabine Hennig (Staatsarchiv Sigmaringen/StAS), Carl-Jochen Müller (Staatsarchiv Ludwigsburg/StAL) und Martin Stingl (Generallandesarchiv Karlsruhe/GLAK) für die Informationen, die sie mir für diesen Beitrag zur Verfügung gestellt haben.

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1. Ziel und Vorgehen der Erschließungsprojekte Bei den Projekten, die unter dem Titel „Themenorientierte Erschließung von Quellen zur Provenienzforschung“ stehen und sich räumlich auf Baden und das Elsass (Generallandesarchiv Karlsruhe), Südbaden (Staatsarchiv Freiburg), Nordwürttemberg (Staatsarchiv Ludwigsburg) sowie Südwürttemberg und Hohenzollern (Staatsarchiv Sigmaringen) beziehen, kommen zwei Dimensionen zum Tragen: die Überprüfung der eigenen Bestände auf in der Zeit des Nationalsozialismus entzogenes Kulturgut einerseits und die themenorientierte Erschließung von Quellen zur Provenienzforschung andererseits. Zum einen wird also untersucht, ob die Archivbestände und auch die Dienstbibliotheken NS-verfolgungsbedingt entzogene Objekte wie Urkunden, Akten, einzelne Schriftstücke oder Bücher enthalten. Denn auch beschlagnahmtes jüdisches Schriftgut wurde beispielsweise von den Archiven übernommen, wie Korrespondenzen der Archivleitung im Generallandesarchiv Karlsruhe belegen. Aus diesen geht hervor, dass unter dem Stichwort „Sicherstellung“ diese Übernahme auch aktiv betrieben wurde. So sandte das Generallandesarchiv am 27. Januar 1942 folgendes Schreiben mit dem Betreff Jüdisches Schriftgut an die Landräte, die Polizeipräsidenten und Polizeidirektoren: Wir gestatten uns darauf hinzuweisen, dass es im allgemeinen Interesse liegt, wenn das jüdische Schriftgut, das sich bei der Beschlagnahmung der jüdischen Wohnungen etwa vorgefunden hat, insbesondere Archivalien der jüdischen Gemeinden, Standesregister u. dergleichen, aber auch private und geschäftliche Korrespondenzen von einiger Bedeutung, der zuständigen staatlichen Stelle zur weiteren Aufbewahrung überwiesen wird. Derartige Schriften würden eine willkommene Ergänzung der bereits im Generallandesarchiv verwahrten staatlichen Akten über die Juden bilden. Wir bitten daher vorkommenden Falles, uns von dem Vorhandensein solcher Bestände unterrichten oder sie kurzer Hand hierher überweisen zu wollen.7

Dabei stand das Generallandesarchiv auch in Konkurrenz zum Gauarchiv der NSDAP, dem laut Anweisung des Generalbevollmächtigten für das jüdische Vermögen in Baden Schriftgut aus jüdischem Eigentum – nach Aussonderung von vermögensrechtlich und staatspolizeilich relevanten Papieren – zur Sichtung und Auswertung übergeben werden sollte.8 Bei 7 LA-BW GLAK 450 Nr. 1783, Schreiben des Badischen Landesarchivs an die Landräte in Bruchsal, Buchen, Emmendingen, Kehl, Konstanz, Lahr, Lörrach, Mosbach, Müllheim, Offenburg, Rastatt, Sinsheim, Tauberbischofsheim u. Villingen, die Polizeipräsidenten in Freiburg, Karlsruhe, Mannheim, die Polizeidirektoren in Baden-Baden, Heidelberg, Pforzheim vom 27. 01. 1942. 8 Ebd., Schreiben des Generalbevollmächtigten für das jüdische Vermögen in Baden vom 10. 03. 1941. Das Amt des Generalbevollmächtigten für das jüdische Vermögen in Baden war kurz nach der Deportation der badischen Juden nach Gurs am 22. Oktober 1940 eingerichtet und mit Carl Dornes (1906 – 1980) besetzt worden, um die zurückgebliebene Habe der Deportierten zu verwalten und zu verwerten, wie es im NS-Jargon hieß. Zu Dornes und seiner Rolle bei der nationalsozialistischen Judenverfolgung siehe auch Robert Neisen, Das badische Innenministerium, in: Frank Engehausen/

(Ein-)Blick in die Akten: themenorientierte Erschließung von Quellen  I  169

den Provenienzrecherchen des Generallandesarchivs wurden zum Beispiel eine Urkunde, drei Akten und fünf Bücher als unrechtmäßig erworben und noch im Archiv befindlich identifiziert. Teilweise konnten auch die Eigentümer*innen und ihre Nachfahr*innen für eine Rückgabe ermittelt werden.9 Zum anderen zielen die Provenienzforschungsprojekte darauf, die Archivquellen, die im Landesarchiv Baden-Württemberg verwahrt werden und in denen sich Hinweise auf NSverfolgungsbedingt entzogene Kunstgegenstände und Kulturgut finden, für die Forschung leichter zugänglich zu machen. Dafür wurden im Rahmen des Karlsruher Teilprojekts unter anderem der Rechercheführer „Provenienzforschung im Generallandesarchiv Karlsruhe“ und das sachthematische Inventar „Kunstraub und ‚Arisierung‘ 1933 – 1945“ entwickelt. Diese Hilfsmittel, die beide online zur Verfügung stehen,10 informieren insbesondere darüber, wie man bei der Suche nach Objekten und ihren Eigentümer*innen vorgehen kann, und in w ­ elchen Archivbeständen, also in der Überlieferung welcher Verwaltungsbehörden, man für die Provenienzforschung nützliche Informationen finden kann. Das sachthematische Inventar folgt dabei in seiner Gliederung der Tektonik der Bestände des Generallandesarchivs Karlsruhe und erläutert jeweils drei Aspekte für die einzelnen Bestände: 1. den verwaltungsgeschichtlichen Hintergrund des Bestands, der zugleich beschreibt, wie die verschiedenen Dienststellen in den Entzug von Kunstgegenständen und Kulturgut involviert waren, 2. den Inhalt des Bestandes, d. h. ­welche Art von Akten und w ­ elche Dokumente, die für die Provenienzforschung von Bedeutung sein können, er enthält, und 3. die sogenannte Charakterisierung. Unter d ­ iesem Punkt wird der Aussagegehalt beschrieben, inwiefern also die Akten relevante Informationen für die Provenienzforschung enthalten. Für die „Arisierungsakten“ des badischen Finanz- und Wirtschaftsministeriums findet sich hier etwa der Hinweis, dass auch Kunst und Kulturgut in Ausnahmefällen Gegenstand solcher „Arisierungsverfahren“ waren, und es werden zwei Aktensignaturen als Beispiele angegeben.11 In der „Charakterisierung“ des Bestandes des Badischen Landesmuseums wird wiederum ein Sylvia Paletschek/Wolfram Pyta (Hg.), Die badischen und württembergischen Landesministerien in der Zeit des Nationalsozialismus, Teilband 1, Stuttgart 2019, S. 77 – 193, hier S. 158 – 161; Katrin Hammerstein, „Wenig zu reden, aber viel zu handeln“. Die Landesministerien von Baden und Württemberg und die nationalsozialistische Judenpolitik, in: Christiane Kuller/Joachim Scholtyseck/ Edgar Wolfrum (Hg.), Machtverhältnisse und Verwaltungskultur der badischen und württembergischen Landesministerien in der Zeit des Nationalsozialismus (im Erscheinen). 9 Siehe dazu auch Ulrike Vogl/Lutz Bannert, NS-Raubgut und Behördenschriftgut. Provenienzforschung im Generallandesarchiv Karlsruhe, in: Provenienz & Forschung (2016), H. 1, S. 38 – 45. 10 Siehe Homepage des LA-BW, Rechercheführer Provenienzforschung im Generallandesarchiv Karlsruhe, unter: https://www.landesarchiv-bw.de/web/61285 (Stand: 26. 07. 2020); Sachthematisches Inventar: Kunstraub und „Arisierung“ 1933 – 1945, unter: https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/ inventar/startbild.php?inventar=arisierung (Stand: 26. 07. 2020). 11 Ebd., Nähere Angaben zum Gliederungspunkt/Bestand Finanzministerium: „Arisierungsakten“, LA-BW GLAK 237 Zugang 1967 – 19.

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Abb. 1  Möglicher Aufbau des Inventars zur Provenienzforschung für die Objektgattung Malerei.

Verzeichnis von Gemälden aus Paris und Amsterdam erwähnt, die im Juli 1945 in Karlsruhe aufgefunden wurden.12 Das Inventar verdeutlicht auch, dass nahezu alle Zweige der öffentlichen Verwaltung während der NS-Zeit in die Entziehung von Kulturgütern eingebunden waren. Konkretere Anhaltspunkte für die Provenienzforschung ergibt jedoch die Tiefenerschließung von Archivbeständen auf Ebene der Einzelakten, bei der die Quellen, die für die Provenienzforschung relevant sind respektive sein können, in der Titelaufnahme der Akten detailliert verzeichnet werden; hierbei werden die jeweiligen Informationen in den Enthält-Vermerk aufgenommen. In einem zweiten Schritt wird auf dieser Grundlage ein spezielles Findmittel erarbeitet, das alle Teilprojekte des Landesarchivs zusammenschließen und als ein standortübergreifendes Online-Inventar der Forschung und Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden soll. Dieses Inventar zur Provenienzforschung befindet sich derzeit noch in der Konzeptionsphase, weshalb der Aufbau an dieser Stelle noch nicht in seiner endgültigen Form dargestellt werden kann. Sowohl über die Gliederung des Inventars als auch über eine Volltextsuche werden darin aber NS-verfolgungsbedingt entzogene Gegenstände und Objektgattungen abrufbar sein. Das Schaubild zeigt beispielhaft eine mögliche Aufgliederung für den Bereich Malerei. 12 Ebd., Nähere Angaben zum Gliederungspunkt/Bestand Badisches Landesmuseum Karlsruhe: Generalia, Erwerbungsakten, LA-BW GLAK 440 Zugang 1984 – 88.

(Ein-)Blick in die Akten: themenorientierte Erschließung von Quellen  I  171

Wenn bekannt, sind hier Künstler*innen und Titel oder Beschreibungen der Objekte erfasst. Auch soll nach geschädigten Personen mit ihren (damaligen) Wohnorten und Kunsthändler*innen, die in den Entzugsvorgang involviert waren, gesucht werden können. Da die Hinweise im Enthält-Vermerk der Titelaufnahme verzeichnet werden, können diese Informationen auch unabhängig vom Inventar über die Volltextsuche des Online-Findmittels des Landesarchivs Baden-Württemberg abgefragt werden. Über das Stichwort „Enthält (Provenienzforschung)“ können für das Staatsarchiv Freiburg schon jetzt die bereits verzeichneten Angaben und Fundstellen der für das Internet freigeschalteten Bestände abgerufen und nach Künstler*innennamen oder Objekten gesucht werden. Bei der Verzeichnung werden vor allem Kunstgegenstände erfasst, wie zum Beispiel Ölgemälde, Aquarelle, Stiche, Skulpturen, Bronzefiguren, Marmorbüsten oder Porzellanobjekte, aber auch anderes Kulturgut, wie diverse Sammlungen, was von Münz- und Briefmarkensammlungen bis hin zu Mineralien-, Steingut- oder Spitzensammlungen reichen kann, Bücher und Bibliotheken, antike Möbel, Kultgegenstände oder Musikinstrumente. Da die Angaben häufig nur sehr spärlich sind, ist die Abgrenzung, ­welche Gegenstände aufzunehmen sind und ­welche nicht, ­welchen ein kulturhistorischer oder Kunstwert zuzuschreiben ist und ­welche „nur“ Gebrauchsgegenstände sind, nicht immer einfach. Unzweifelhaft dagegen ist, dass das Eigentum der verschiedenen vom Nationalsozialismus verfolgten Gruppen zu berücksichtigen ist, also jüdisches Eigentum, aber zum Beispiel auch das Eigentum von politisch oder religiös Verfolgten, von Sinti und Roma oder auch von durch die nationalsozialistische Regierung verbotenen Organisationen und Vereinen. Im Freiburger Teilprojekt wird weiterhin vermerkt, ob der Akte Angaben zum Entzugsvorgang und zum (weiteren) Verbleib der Objekte zu entnehmen sind. Aufgrund unterschiedlicher Überlieferungssituationen sind die Beständegruppen, die im Rahmen der Provenienzforschungsprojekte in den Blick genommen werden, nicht an jedem Standort des Landesarchivs die gleichen. So liegen im Staatsarchiv Freiburg beispielsweise keine „Arisierungsakten“ vor, da die Südbaden betreffenden Akten zu d ­ iesem Komplex im Generallandesarchiv in Karlsruhe überliefert sind. Ebenso werden die Vermögenskontrollakten von Nordbaden, die man in Karlsruhe erwarten könnte, aufgrund damaliger Zuständigkeiten im Staatsarchiv Ludwigsburg verwahrt. An allen bislang beteiligten Standorten sind jedoch Akten zur Restitution und Entschädigung nach 1945 vorhanden, die für die Einzelverzeichnung auch einen deutlichen Schwerpunkt bilden. Hier wären vor allem die Akten der Restitutionskammern der Landgerichte und der Oberfinanzdirektionen und die Akten der Landesämter für Wiedergutmachung sowie der Schlichter für Wiedergutmachung zu nennen; letztere gab es wiederum nur im amerikanisch besetzten Teil des späteren BadenWürttemberg, also in Nordbaden und Nordwürttemberg. Häufig ist in diese Rückerstattungsund „Wiedergutmachungsakten“ auch Behördenschriftgut aus der NS-Zeit, zum Beispiel von den Finanzämtern, eingebunden, sodass sie hinsichtlich der Einzelfälle zum Teil mehr Informationen enthalten als die während der Zeit des Nationalsozialismus selbst entstandenen Akten – insofern diese überhaupt noch vorhanden sind bzw. als eigener Bestand vorliegen.

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Hinzuweisen ist hier jedoch zum Beispiel auf die Aktenüberlieferung der Reichskammer der bildenden Künste (Landesleitung Stuttgart) im Staatsarchiv Ludwigsburg oder auf Unterlagen des bereits erwähnten Generalbevollmächtigten für das jüdische Vermögen in Baden, der beim badischen Innenministerium angesiedelt war, und der bei den Landratsämtern in ­diesem Zusammenhang eingerichteten „Abteilungen für das jüdische Vermögen“ im Generallandesarchiv Karlsruhe.13 Weiterhin werden Vermögenskontrollakten, die Unterlagen der Länderministerien, von Landrats- und Bezirksämtern sowie der landeseigenen Museen und staatlichen Kunsthäuser in die Projektrecherchen einbezogen. Für jedes Projekt sind insgesamt z­ wischen 30.000 und 80.000 Verzeichnungseinheiten zu sichten und gegebenenfalls zu erschließen. Ein (kleinerer) Teil kann dabei durch die Findmittel als nicht projektrelevant ausgeschlossen werden. Die übrigen Akten werden syste­ matisch einzeln gesichtet und, wenn sich Hinweise auf NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut finden, tiefenerschlossen.14

2. Zum Inhalt der Akten Das häufigste Schriftstück, auf das man in den Akten im Zusammenhang der Provenienzforschungsprojekte stößt, ist die Liste. Immer wieder und in verschiedenen Varianten tauchen dort Verzeichnisse und Aufstellungen auf, zum Beispiel Verzeichnisse von Wohnungseinrichtungen, die bei der Deportation oder der Emigration zurückgelassen werden mussten, Verzeichnisse von Lifts, also von Umzugsgut, das bei der Auswanderung oftmals beschlagnahmt wurde oder nie am Bestimmungsort ankam, Verzeichnisse von Gold- und Silbergegenständen sowie Schmuck, die bei den Pfandleihanstalten abgeliefert werden mussten, und nicht zuletzt Versteigerungsprotokolle – oftmals handgeschrieben und nur schwer zu entziffern – von Gerichtsvollziehern, Finanzbeamten oder auch Kunst- und Auktionshäusern, die die Versteigerungen des zurückgelassenen und beschlagnahmten jüdischen Eigentums vornahmen. Diese Listen sind nicht immer allzu ergiebig, häufig werden nur „Bilder“ oder „Gemälde“ als Stichworte angegeben, ohne dass diese näher beschrieben oder benannt werden. Da auch dies aber ein Anknüpfungspunkt für die Provenienzforschung sein kann, werden ­solche Angaben im Projekt des Staatsarchivs Freiburg dennoch in die Verzeichnung aufgenommen. Teilweise wird in den Akten zumindest das Motiv der Kunstgegenstände grob benannt, beispielsweise mit Stichworten wie „Landschaft“, „französische Straßenszene“, „Frauenporträt“, „Jagdszene“, „Pferde“ oder „Stillleben“. Derartige Angaben lassen sich auch den Formularen 13 Siehe z. B. entsprechende Dokumente in LA-BW StAL K 746; LA-BW GLAK 357. 14 Im Staatsarchiv Freiburg (künftig StAF) konnten von den (ohne die Ministerialakten) rund 50.000 zu bearbeitenden Verzeichnungseinheiten über die Findmittel des Archivs zum Beispiel ungefähr 10.000 Verzeichnungseinheiten als nicht projektrelevant identifiziert werden.

(Ein-)Blick in die Akten: themenorientierte Erschließung von Quellen  I  173

„Liste entzogener Vermögen im Sinne der Verordnung 120“ entnehmen, mit denen der Anspruch auf Rückerstattung von unrechtmäßig entzogenen Vermögensobjekten beim Badischen Landesamt für kontrollierte Vermögen bzw. seinen nachgeordneten Behörden erfasst wurde. Denn die Verordnung 120, die 1947 in der französischen Besatzungszone erlassen wurde, besagte, dass geraubte Vermögensobjekte zurückzuerstatten ­seien,15 und neben Grundstücken, Häusern, Firmen und Geschäftsbetrieben wurden hier zum Teil auch Kunstwerke gemeldet. Dabei konnte es sich zum Beispiel um ein Ölbild mit dem Motiv „Holländischer Hafen“ handeln, das im Juni 1941 bei einer Kunstversteigerung durch W. Albrecht im Zentralhotel in Baden-Baden erworben worden war,16 oder um die Holzplastik „Singender Engel“ und ein nicht näher bezeichnetes Gemälde von Nicolaes Maes, die aus dem Eigentum von der nach Haifa ausgewanderten Anna Löwengart (1877 – 1955) stammten und 1948 im Neuen Schloss Baden-Baden, das in der Nachkriegszeit als Central Collecting Point fungierte, unter Kontrolle genommen worden waren.17 Deutlich informativer als diese knappen und allgemeinen Angaben sind explizite Verzeichnisse von Kunstgegenständen und Kunstsammlungen, die sich auch in den Akten finden. In diesen Fällen werden Objekt, Titel und Künstler*in, bisweilen auch Größe und Format der Kunstwerke aufgeführt. Solche Listen wurden insbesondere für Rückerstattungsverfahren von Kunstsammler*innen und Kunsthändler*innen erstellt, wie etwa von dem Kunsthändler Robert Weiss (1903 – 1985), der 1937 aus Baden-Baden emigrierte und die ihm gehörenden Gemälde, Stiche, Radierungen, Miniaturen und Orientteppiche seiner Tante Sophie Hirsch (1880 – 1955), die ebenfalls in Baden-Baden lebte, hinterließ. Diese wurde allerdings im Oktober 1940 deportiert, und über den Verbleib der Kunstgegenstände ist nichts weiter bekannt. 1958 strengte Robert Weiss daher ein Entschädigungsverfahren an, dessen Akten im Staatsarchiv Freiburg liegen und Aufschluss über die vormals in seinem Eigentum befindlichen Gemälde, Bilder und sonstigen Kunstwerke geben.18 Nennen lässt sich in d ­ iesem Zusammenhang auch ein Verzeichnis der Gemäldesammlung der Chiron-Werke in Tuttlingen, deren Eigentümer Otto Staebler (1890 – 1955) war.19 In dieser Sammlung, die nach Kriegsende unter Kontrolle genommen wurde, befanden sich auch verfolgungsbedingt entzogene 15 Der Wortlaut der Verordnung findet sich in: Hans Eberhard Rotberg, Die Rückerstattung entzogener Vermögensgegenstände nach der Verordnung 120 der französischen Militärregierung vom 10. November 1947, Tübingen 1949, S. 1 – 12. In der amerikanischen Zone gab es äquivalent dazu das Militärregierungsgesetz Nr. 59 vom 10. November 1947. 16 LA-BW StAF F 202/32 Nr. 4843. Der frühere Eigentümer des Ölbilds ist in ­diesem Fall unbekannt. 17 LA-BW StAF F 200/7 Nr. 12; LA-BW StAF F 168/2 Nr. 205, Nr. 560. 1949 kam es zu einer gütlichen Vereinbarung hinsichtlich der Rückerstattung der beiden Objekte. Die Verzeichnung von Fällen, bei denen es zu einer Rückerstattung oder einem Vergleich kam, ist für das Inventar zur Provenienzforschung dennoch von Bedeutung, da sich auch hieraus Folgerungen über die Belastung und vor allem Entlastung von Kunstgegenständen ableiten lassen. 18 LA-BW StAF F 166/3 Nr. 2912; LA-BW StAF F 196/1 Nr. 4814; LA-BW StAF P 303/4 Nr. 687. 19 LA-BW StaS Wü 120 T 3 Nr. 2052, Gemälde-Verzeichnis der Chiron-Werke, Stand vom 14.02.45.

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Kunstwerke, unter anderem aus der Sammlung des sozialistischen Kulturwissenschaftlers und Schriftstellers Eduard Fuchs (1870 – 1940).20 Manche davon sind ­später wiederum in die Staatsgalerie Stuttgart gelangt und Gegenstand der dortigen Provenienzforschung.21 Bisweilen finden sich in den Akten auch vollständige Inventarlisten von Bibliotheken und Museen. Der Borromäus-Verein Baden-Baden beispielsweise legte seinem Entschädigungsantrag für die Borromäus-Bibliothek der Stiftskirche ein über 90 Seiten umfassendes und nach Sparten gegliedertes Verzeichnis bei, in dem markiert ist, ­welche Bücher in der NS-Zeit beschlagnahmt wurden.22 Hermann Rudy (1900–?), der Gründer und Leiter des Rheinmuseums Istein, übersandte der Restitutionskammer beim Landgericht Freiburg ein Gesamtverzeichnis der Sammlungen des Museums, in dem ur- und frühgeschichtliche Objekte ebenso aufgeführt sind wie Gemälde (insbesondere Rheinmotive), Skulpturen, Münzen, landwirtschaftliche Geräte, Fischereigegenstände und anderes mehr.23 Das Museum, das vom Verein der „Naturfreunde“ getragen worden war, war nach dem Verbot dieser Organisation durch die Nationalsozialisten 1933 geschlossen worden. Die Objekte und Bestände des Museums wurden anschließend verteilt. Bis in die Gegenwart wird nach Gegenständen des Isteiner Museumsinventars, unter anderem einem bronzezeitlichen Schwert aus Egringen, gesucht.24 Aufschlussreich ist des Weiteren die Überlieferung der Landesmuseen, die zum Beispiel auch spezifische Akten zu Erwerbungsvorgängen umfasst. Bei der Tiefenerschließung des Bestands der Karlsruher Kunsthalle, die im Rahmen des Teilprojekts des Generallandesarchivs Karlsruhe in Einzelverzeichnung der Akten erfolgte, erwiesen sich unter anderem die Aktengruppen zu „Kulturgut aus beschlagnahmtem jüdischem Vermögen und aus besetzten Gebieten“ sowie zum „Kunstschutz im Kriege“ als ertragreich, ebenso die Korrespondenzakten des Direktors Kurt Martin (1899 – 1975). Hier werden nicht nur zahlreiche Gemälde und Skulpturen, zum Teil auch mit Titel und Künstler*in und sogar Erwerbsdatum und Verkäufer*in bzw. (Vor-)Eigentümer*in, genannt, sondern es gibt auch Verzeichnisse von 20 Aufgrund der Unterkontrollnahme gelangte die Liste, die bereits im Februar 1945 erstellt worden war, in die Bestände des Finanzministeriums von Württemberg-Hohenzollern (Vermögenskontrollakten), die im Staatsarchiv Sigmaringen verwahrt werden. Hintergrund für die Erstellung der Liste waren Ermittlungen der Stuttgarter Oberstaatsanwaltschaft wegen Verstoß gegen die Preisbildungsvorschriften gewesen; siehe dazu Marius Golgath, Die Kunstsammlung Otto Staebler (Tuttlingen). Provenienzforschung im Staatsarchiv Sigmaringen, in: Archivnachrichten 59 (2019), S. 40. 21 Siehe dazu Anja Heuß, Der Sammler und seine Arbeitsgrundlage, unter: https://www.staatsgalerie. de/fileadmin/Webdata/Staatsgalerie/sammlung/Forschung/InternetFuchs_mit_logo.pdf (Stand: 25. 07. 2020). 22 LA-BW StAF F 196/1 Nr. 2625. 23 LA-BW StAF P 303/4 Nr. 2310, Sammlungen 1921 – 1934 des Rheinmuseums Istein. 24 Jutta Schütz, Goldmünzen und ein Bronzeschwert sind bis heute unauffindbar, in: Badische Zeitung, 02. 03. 2017: https://www.badische-zeitung.de/goldmuenzen-und-ein-bronzeschwert-sind-bis-heuteunauffindbar--134112239.html (Stand: 25. 07. 2020).

(Ein-)Blick in die Akten: themenorientierte Erschließung von Quellen  I  175

Kunstwerken, die an Bergungsorte verbracht wurden, an prominente Persönlichkeiten des NS -Staats wie Hermann Göring (1893 – 1946) oder Joachim von Ribbentrop (1893 – 1946) veräußert oder abgegeben wurden und für den sogenannten Sonderauftrag Linz als Teil des dort geplanten „Führermuseums“ vorgesehen waren.25 Insbesondere bei Entschädigungs- bzw. Restitutionsverfahren, in denen es um das Eigentum von Kunstsammler*innen oder Kunsthändler*innen geht, sind zum Teil auch Sammlungsnummern und Daten aus Kunstbüchern oder Versteigerungskatalogen angegeben. So beantragte beispielsweise der jüdische Kunsthändler Leopold Blumka (1897 – 1973), der 1939 aus Wien in die Schweiz hatte auswandern müssen und sich schließlich in New York als Galerist etablierte, Entschädigung für mehrere an der Grenze zur Schweiz beschlagnahmte Kunstgegenstände, darunter [e]in gold- und silbermontierter Kokosnusspokal von der Sammlung Spitzer Nr. 1734, [e]ine JaspisSchuessel, gold- und silbermontiert mit Emaillearbeiten und einer Anzahl Smaragden aus der Sammlung de Rothschild, Frankfurt am Main, Nr. 100 und [e]in silberner Tischaufsatz mit Fuss, 16. Jahrhundert, vom Stift St. Peter in Salzburg, abgebildet in der oesterreichischen Topographie.26

Mit derartigen Informationen lassen sich die entzogenen Kunstgegenstände eindeutig identifizieren. Dies gilt auch, wenn die geschädigten Personen den Behörden Abbildungen oder Fotografien der Kunstwerke zugesandt haben und diese sich heute noch in den Akten befinden. Leopold Blumka zum Beispiel übermittelte den Behörden zwei Seiten in Kopie der von ihm genannten österreichischen Kunsttopografie, die die Abbildung des Tischaufsatzes (hier als Schale bezeichnet) und dessen Beschreibung enthielten.27 Bei den in den Entschädigungs- und Rückerstattungsverfahren übergebenen Fotografien kann es sich um Aufnahmen von einzelnen Gemälden und dreidimensionalen Objekten handeln, die auf der Rückseite manchmal auch Angaben zu Künstler*in, Motiv und sogar Entstehungsjahr enthalten, aber auch um Fotografien des Interieurs oder Erinnerungsfotos und Schnappschüsse, auf denen eben auch Kunstgegenstände, Schmuck und anderes entzogenes Kulturgut zu erkennen sind. Der bereits erwähnte Kunsthändler Robert Weiss schickte beispielsweise eine Fotografie an die Restitutionskammer des Landgerichts Freiburg, die 1936 in seiner Kunsthandlung in Baden-Baden aufgenommen worden war und seine ­Mutter, Betty Weiss geb. Hirsch

25 LA-BW GLAK 441 – 3 Nr. 639, Nr. 922, Nr. 964. 26 LA-BW StAF F 166/3 Nr. 3770, Eidesstattliche Versicherung Leopold Blumkas vom 20. 03. 1958. Bei dem genannten Band der österreichischen Topografie handelt es sich um Hans Tietze (Bearb.), Österreichische Kunsttopographie, Bd. 12. Die Denkmale des Benediktinerstiftes St. Peter in Salzburg, Wien 1913. 27 LA-BW StAF F 166/3 Nr. 3770, Anlage (drei Kopien der österreichischen Topografie) zum Schreiben des Rechtsanwalts Karl-Ferdinand Reuss an die Restitutionskammer des Landgerichts Freiburg vom 02. 05. 1962.

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Abb. 2  Betty Weiss in der Kunsthandlung ihres Sohnes Robert Weiss in Baden-Baden, 1936.

(1881 – 1943), umgeben von verschiedenen Gemälden zeigt. Der für das Verfahren bestellte Kunstsachverständige hatte weitere Informationen erbeten, um die Gemälde bewerten zu können, die Robert Weiss bei seiner Emigration zurückgelassen hatte. Mithilfe der Fotografie konnte der Gutachter ein Gemälde als „Brustbild eines Dirndls mit Hut“ von Franz von Defregger (1835 – 1921) identifizieren, das laut der Angaben von Weiss um 1906 gemalt und 1932 zu einem Einkaufspreis von 3250 Reichsmark erworben worden war. Der Kunstsachverständige bewertete es mit 3000 DM, die dann auch in die Entschädigungssumme eingerechnet wurden.28 Obwohl Robert Weiss die Fotografie als Erinnerung an seine M ­ utter nach Gebrauch unbedingt zurück 29 erbat, findet sie sich noch heute in der Akte, womit sie aber eine wertvolle Quelle für die Provenienzforschung sein kann. So gibt ­dieses „Bild vom Bild“ nicht nur Aufschluss über das genaue Aussehen eines während des Nationalsozialismus verfolgungsbedingt entzogenen Gemäldes, sondern belegt auch, dass ­dieses mindestens bis 28 LA-BW StAF F 166/3 Nr. 2912. 29 Ebd., Schreiben der Rechtsanwälte Reinhard Anders, Eduard Kersten, Alice Haidinger und Walter Hamm an die Restitutionskammer des Landgerichts Freiburg vom 28. 01. 1963.

(Ein-)Blick in die Akten: themenorientierte Erschließung von Quellen  I  177

zum Jahr 1936 Eigentum von Robert Weiss war, wie auch die weiteren leider nur schlecht und in Ausschnitten erkennbaren Gemälde auf der Fotografie.30 Mit den ihr noch verbliebenen sechs Fotografien bemühte sich die Witwe des 1945 im Konzentrationslager Theresienstadt umgekommenen Landgerichtsdirektors Siegfried Bodenheimer (1868 – 1945), Johanna Bodin (1881 – 1975, vormals Bodenheimer), ihre frühere gemeinsame Mannheimer Wohnungseinrichtung zu dokumentieren. Die für das Entschädigungsverfahren erstellten Unterlagen geben auch aufschlussreiche Informationen für die Provenienzforschung: Auf zwei mit den Fotos beklebten DIN A4-Seiten werden Mobiliar und einzelne Kunstgegenstände nämlich auch benannt und beschrieben, so zum Beispiel Gemälde und Aquarelle des Mannheimer Malers Xaver Fuhr (1898 – 1973), ein Gemälde von Scheffels, ein Porträt, das Johanna Bodin zeigt und von einem Künstler namens Lutz gemalt worden war, Perserteppiche, Fayencen, silberne Kandelaber und Pokale oder auch zwei Bechstein-Flügel.31 Nachdem Siegfried Bodenheimer zum August 1933 in den Ruhestand versetzt worden war, war das Ehepaar zunächst von Mannheim nach Baden-Baden gezogen und wanderte 1939 dann nach Holland aus; 1942 wurden sie von dort nach Theresienstadt deportiert. Die Wohnungseinrichtung ging, wie Johanna Bodin den Behörden mitteilte, fast vollständig verloren, wobei ein Teil unter Druck verschleudert werden musste, ein Teil gestohlen wurde und ein Teil nach dem Krieg unauffindbar geworden war.32 Durch die Fotos und Beschreibungen sind die entzogenen Gegenstände identifizierbar. In einer anderen im Staatsarchiv Freiburg verwahrten Wiedergutmachungsakte fanden sich bei den Recherchen für das Provenienzforschungsprojekt 24 Fotografien eines Hauses in Berlin, darunter 17 Aufnahmen, die die Inneneinrichtung zeigen.33 Auf diesen sind auch verschiedene Kunstgegenstände zu erkennen, nicht nur Gemälde und Bilder, sondern unter anderem auch Bronzefiguren, Skulpturen, Porzellangegenstände, asiatische Objekte und verschiedene Aufstellgegenstände. Das Haus gehörte Lili Aschaffenburg (1895 – 1991), die, um der Deportation zu entgehen, 1943 untergetaucht war, Berlin verließ und sich bei Kriegsende im Landkreis Konstanz aufhielt. Dieser Fall macht zugleich deutlich, dass im Landesarchiv Baden-Württemberg auch Akten verwahrt werden, die Aufschluss über Entzugsvorgänge geben, die sich außerhalb des heutigen Baden-Württemberg abgespielt haben. Auf einem der Fotos der Wohnungseinrichtung von Lili Aschaffenburg ist das Pastell „Die Brücke von Meudon“ von Auguste Renoir (1841 – 1919), auf der Rückseite des Fotos als „Paysage“ bezeichnet, zu sehen, zu dem es auch eine Suchmeldung in der Lost Art-Datenbank gibt.34 30 Für eines dieser Gemälde wird auf der Rückseite K. Heffner als Maler angegeben; ebd., Anlage (Foto). 31 LA-BW StAF F 196/1 Nr. 3493, Einige Ansichten der letzten Wohnung des † Landgerichtsdirektors Dr. BODENHEIMER in Mannheim – Hildstraße 17. 32 Ebd., Anlage zum Entschädigungsantrag betr. Schaden an Eigentum und Vermögen vom 29. 07. 1954. 33 LA-BW StAF F 196/1 Nr. 3401. 34 Siehe Homepage der Lost Art-Datenbank, Lost Art-ID 315628, unter: http://www.lostart.de/DE/ Verlust/315628 (Stand: 26. 07. 2020).

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Abb. 3  Aufnahme der Inneneinrichtung des Hauses von Lili Aschaffenburg in Berlin mit dem RenoirPastell „Die Brücke von Meudon“ und Rückseite der Fotografie.

Ob das dort eingestellte Foto des Gemäldes aus den Akten des Staatsarchivs Freiburg stammt, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Dass es im Archiv allerdings keinen Vorgang hierzu gibt, lässt eher vermuten, dass die Rechtsanwaltskanzlei, die die Meldung erstellt hat, das Foto von anderer Stelle erhalten hat.

3. Konkrete Ergebnisse und Zusammenarbeit mit der Provenienzforschung Insgesamt zeigt sich, dass das Landesarchiv Baden-Württemberg mit seinen Beständen nicht nur wichtige und nachgefragte Quellen für die Provenienzforschung verwahrt, sondern die Grundlagenforschung, die in den Provenienzforschungsprojekten geleistet wird, auch neue Anhaltspunkte hervorbringt. So wurde im Rahmen des Karlsruher Projekts zum Beispiel ein Verzeichnis der beschlagnahmten Kunstsammlung von Ernst Gallinek (1865 – 1940) aus BadenBaden entdeckt, nach dem das Badische Landesmuseum schon seit mehreren Jahren gesucht hatte. Das Verzeichnis befand sich in einer Oberschulamtsakte und damit in einem archivalischen Zusammenhang, in dem man es zunächst nicht vermutet hätte.35 Zu zwei Gemälden, die in der Lost Art-Datenbank als Such- bzw. Fundmeldung gelistet sind, haben sich wiederum in den Aktenbeständen der Staatsarchive Freiburg und Ludwigsburg nähere Informationen gefunden, die Aufschluss über den Entzugsvorgang und die Besitzgeschichte geben: 35 LA-BW GLAK 467 Zugang 1988 – 2 Nr. 11.

(Ein-)Blick in die Akten: themenorientierte Erschließung von Quellen  I  179

Das Ölgemälde „Leda mit dem Schwan“ von Auguste Galimard (1813 – 1880) wurde im Mai 2011 von den Oberösterreichischen Landesmuseen in der Lost Art-Datenbank als Fund gemeldet;36 es war Bestandteil des „Sonderauftrags Linz“ für das geplante „Führermuseum“ gewesen und befand sich im Linzer Schlossmuseum. In dem der Meldung beigefügten Dossier heißt es: „Es bleibt unklar, wie es [das Gemälde] in den Besitz von NS-Stellen (…) gelangte. Ein Raubkunst-Verdacht kann (…) nicht ausgeschlossen werden, wenngleich keinerlei Indizien vorliegen.“ 37 Bekannt war bis dahin nur, dass das Bild als Geschenk Napoleons III. (1808 – 1873) zur Sammlung König Wilhelms I. von Württemberg (1781 – 1864) gehört hatte und möglicherweise 1920 bei der Auktion der Rosenstein-Galerie versteigert worden war. Wie aus einer Akte des Schlichters für Wiedergutmachung Stuttgart im Staatsarchiv Ludwigsburg hervorgeht, hatte das jüdische Ehepaar Adolf und Selma Wolf (genaue Lebensdaten unbekannt) aus Stuttgart das Gemälde bei der damaligen Versteigerung erworben. Adolf Wolf verstarb 1928, das Bild blieb im Besitz seiner Frau. Kurz vor deren Auswanderung ließ im Juli 1938 ein Beauftragter der Reichskulturkammer das Gemälde, nachdem er es schon mehrfach begutachtet hatte, abholen.38 Das Provenienzforschungsprojekt des Staatsarchivs Ludwigsburg lieferte mit der Erschließung dieser Akte 2017 den „missing link“, um die Lücken in der Besitzgeschichte zu schließen und den Verdacht auf einen unrechtmäßigen Entziehungsvorgang während der NS-Zeit zu bestätigen.39 Mithilfe von im Staatsarchiv Freiburg verwahrten Unterlagen der Restitutionskammer beim Landgericht Offenburg bzw. Baden-Baden kann für das Aquarell „Kapuzinermönch in brauner Kutte“ von Henri de Toulouse-Lautrec (1864 – 1901), das dem Berliner Bankier Jakob Goldschmidt (1882 – 1955) gehört hatte, zumindest der weitere Verbleib nach der Versteigerung des Bildes durch das Auktionshaus Hans W. Lange in Berlin im September 1941 festgestellt werden: Wie inzwischen auch in der Lost Art-Suchmeldung vermerkt,40 hatte es der Berliner Kaufmann Paul Weber (Lebensdaten unbekannt) ersteigert. Folgt man seiner Aussage im Restitutionsverfahren, so hatte er das Bild Ende 1943, nachdem sein Haus in Berlin bei einem Luftangriff getroffen worden war, gemeinsam mit anderen Gemälden 36 Siehe Homepage der Lost Art-Datenbank, Lost Art-ID 436524, unter: http://www.lostart.de/DE/ Fund/436524 (Stand: 26. 07. 2020). 37 Siehe ebd., Dossier, Oberösterreichische Landesmuseen Linz, Inventar-Nr. G 1635, 25. 05. 2011, unter: http://www.lostart.de/Content/04_Datenbank/_Zusatzinformationen/eobj_436524.html (Stand: 26. 07. 2020). 38 LA-BW StAL FL 300/33 I Bü 2898, Empfangsbescheinigung vom 01. 08. 1938 und Aktennotiz vom 22. 04. 1961. Siehe dazu auch Birgit Kirchmayr/Gregor Derntl, Leda mit dem Schwan oder: Provenienzforschung und Restitutionspolitik seit 1945. Ein Beispiel aus Oberösterreich, in: Eva Blimlinger/ Heinz Schödl (Hg.), … (k)ein Ende in Sicht. 20 Jahre Kunstrückgabegesetz in Österreich, Wien/ Köln/Weimar 2018, S. 163 – 170, hier besonders S. 167 – 169. 39 Ebd., S. 167. 40 Siehe Homepage der Lost Art-Datenbank, Lost Art-ID 409535, unter: http://www.lostart.de/DE/ Verlust/409535 (Stand: 26. 07. 2020).

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ausgelagert und auf das Schloss Landsberg in Thüringen gebracht. Bei den Kämpfen um das nahegelegene Meiningen sei das Schloss erst von amerikanischen, dann von russischen Truppen besetzt worden. Von der sowjetischen Besatzungsmacht sei es schließlich samt Inventar enteignet und in ein Altersheim umgewandelt worden. Seine Gemäldesammlung habe er restlos verloren,41 der größte und wertvollste Teil des Mobiliars, Geschirr und Silber, der Einrichtungs- und Kunstgegenstände sei von den Besatzungstruppen entnommen 42 worden, ebenso seine Gemäldesammlung. Aufgrund dieser Aussage zog Jakob Goldschmidt seine Klage im Juli 1950 zurück.43 Das Bild ist bis heute nicht gefunden worden. Nicht zuletzt können auch Anfragen, die von Provenienzforscher*innen an das Landesarchiv Baden-Württemberg gerichtet werden, auf Basis der bisherigen Erschließungsarbeiten schneller und zielführender beantwortet werden. Beispielsweise konnte das Museum Ulm bei seinen Forschungen mit einer Akte des Staatsarchivs Freiburg unterstützt werden, aus der hervorging, dass das Museum während der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmte bzw. „dem Reich verfallene“ Kunstwerke aus jüdischem Eigentum vom Finanzamt Konstanz erworben hatte.44 Der Klassik-Stiftung Weimar wiederum konnte bei den Recherchen für ein Silhouetten-Alphabet geholfen werden, das Adele Schopenhauer (1797 – 1849) angefertigt hatte und dem Goethe-Nationalmuseum 1936 von dem Kunsthistoriker Ernst Polaczek (1870 – 1939) verkauft worden war.45 Polaczek hatte in den 1930er Jahren bis zu seinem Tod mit seiner Frau Friederike Polaczek geb. Löbl (1884 – 1942) in Freiburg gelebt. Sie wurde im Oktober 1940 nach Gurs deportiert. In den im Staatsarchiv Freiburg vorhandenen Entschädigungs- und Restitutionsakten haben sich zum einen Anhaltspunkte dafür finden lassen, dass ihnen während des „Dritten Reichs“ sowohl Kulturgut entzogen wurde, als auch, dass sie Teile ihrer Habe verfolgungsbedingt veräußerten. Zum anderen enthielten die Akten Informationen zu den Erben des Ehepaares, mit denen die Klassik Stiftung Weimar nun wegen einer möglichen Rückgabe des Alphabets in Verbindung steht.46 Wie deutlich wird, haben die Projekte des Landesarchivs Baden-Württemberg im Bereich Provenienzforschung demnach wesentliche Effekte und führen – noch bevor das sachthematische Inventar zur Provenienzforschung ganz fertiggestellt ist – auch zu konkreten Forschungsresultaten. Nicht zu unterschätzen ist dabei der Austausch des Landesarchivs 41 LA-BW StAF F 165/1 Nr. 206, Schreiben P. Webers an Jakob Goldschmidt (Abschrift) vom 17. 09. 1948. 42 Ebd., Schreiben P. Webers an die Restitutionskammer des Landgerichts Offenburg vom 06. 05. 1950. 43 Ebd., Schreiben Jakob Goldschmidts an die Restitutionskammer des Landgerichts Offenburg vom 12. 07. 1950. 44 LA-BW StAF F 202/32 Nr. 2522. 45 Siehe dazu Romy Langeheine, Der Fall Prof. Dr. Ernst Polaczek. Blogbeitrag vom 24. 08. 2017, unter: https://blog.klassik-stiftung.de/der-fall-ernst-polaczek/ (Stand: 26. 07. 2020) 46 LA-BW StAF F 166/3 Nr. 1516; LA-BW StAF F 165/1 Nr. 76; LA-BW StAF F 200/7 Nr. 95, Nr. 340; LA-BW StAF P 303/4 Nr. 1973. Auf der Homepage der Klassik-Stiftung Weimar heißt es in dem entsprechenden Blogbeitrag vom August 2017 noch: „Gegenwärtig sucht die Klassik Stiftung Weimar nach Erben des Ehepaares Ernst und Friederike Polaczek“; Langeheine, Polaczek (wie Anm. 45).

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mit den an Museen, Bibliotheken und anderen Kulturgut verwahrenden Institutionen tätigen Provenienzforscher*innen, wie er beispielsweise im Arbeitskreis Provenienzforschung Baden-Württemberg regelmäßig stattfindet. Diese Vernetzung sorgt nicht nur für kurze Kommunikationswege bei offenen Fragen und Rechercheproblemen, sondern ermöglicht es darüber hinaus, bei der Erschließung der Quellen und der Weiterentwicklung des Inventars die Bedürfnisse der Provenienzforschung direkt zu berücksichtigen. So ergibt sich eine WinWin-Situation, von der die Provenienzforschung insgesamt profitiert.

4. Zusammenfassung In den Beständen des Landesarchivs Baden-Württemberg befinden sich zahlreiche Unterlagen, die Hinweise auf während der Zeit des Nationalsozialismus entzogenes Kulturgut enthalten und daher wichtige Quellen für die Provenienzforschung sind. Neben Dokumenten aus der NS-Zeit selbst, wie etwa den „Arisierungsakten“, sind hier insbesondere die nach 1945 entstandenen Restitutions- und „Wiedergutmachungsakten“ zu nennen. Seit 2015 führt das Landesarchiv an seinen verschiedenen Standorten Erschließungsprojekte durch, um Kultur­institutionen wie Museen und Bibliotheken bei ihren jeweiligen Provenienzrecherchen zu unterstützen und den Zugang zu den Quellen zu erleichtern. Das Generallandesarchiv Karlsruhe hat in d ­ iesem Zusammenhang das Inventar „Kunstraub und ‚Arisierung‘ 1933 – 1945“ und einen Rechercheführer „Provenienzforschung im Generallandesarchiv Karlsruhe“ erstellt. Die Teilprojekte im Staatsarchiv Ludwigsburg, im Staatsarchiv Freiburg und im Staatsarchiv Sigmaringen, bei denen die Tiefenerschließung einzelner Akten im Mittelpunkt steht, wurden im Jahr 2017 bzw. 2018 begonnen; an den übrigen Archivstandorten sind entsprechende Projekte in Vorbereitung. Der Beitrag gibt einen Einblick in die Provenienzforschungsprojekte des Landesarchivs Baden-Württemberg, die die Erstellung eines standortübergreifenden sachthematischen Inventars zum Ziel haben. Als Online-Findmittel soll d ­ ieses der Provenienzforschung und der Öffentlichkeit für Nachforschungen zur Verfügung stehen, sowohl für Recherchen zu den geschädigten Personen als auch zu in der NS-Zeit geraubten, beschlagnahmten oder zwangsveräußerten Objekten und – soweit bekannt – den jeweiligen Künstler*innen. Dargestellt wird auch, ­welche Art von Quellen sich in den Akten für die Provenienzforschung findet und ­welchen Aussagegehalt sie diesbezüglich haben. Konkret werden einige Fundstücke vorgestellt und einzelne Fälle aus dem Bereich der Entschädigungs- und Rückerstattungsakten herausgegriffen, über die sich neue Erkenntnisse und „missing links“ für die Besitzgeschichte oder andere Angaben ergeben, die für die Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter wichtig sind.

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Kunstschutz in Frankreich: Teilbereiche und Partnerinstitutionen

Deutsche Militärverwaltung und Besatzung in Frankreich Stefan Martens

Im Unterschied zu vielen anderen Ländern, die im Zweiten Weltkrieg von deutschen Truppen besetzt wurden, unterstand Frankreich vom ersten Tage an bis zur Befreiung des Landes einem Militärbefehlshaber, der seinen Sitz in Hôtel Majestic in Paris hatte. Grundlage dafür war das Reichsverteidigungsgesetz, das in seiner zweiten Fassung vom 4. September 1938 im Falle eines Krieges die vollziehende Gewalt in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten auf den Oberbefehlshaber des Heeres übertrug. Dieser hatte die Einzelheiten im Einvernehmen mit dem Beauftragten für den Vierjahresplan Hermann Göring, dem Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung, Reichsinnenminister Wilhelm Frick und dem Generalbeauftragten für die Wirtschaft, Walther Funk, zu treffen.1 Für die Koordinierung der zivilen Belange sollten dem Militärbefehlshaber vom Reichsinnenminister Chefs der Zivilverwaltung zur Seite gestellt werden. Da sich diese Regelung beim Krieg in Polen jedoch nicht bewährt hatte, wurde im Oktober 1939 beschlossen, dem Militärbefehlshaber für den bevorstehenden Krieg im Westen eine eigene Verwaltung zur Seite zu stellen. Der Heeresgruppe B, die am 10. Mai in die Niederlande und Belgien einmarschierte, und der Heeresgruppe A, die durch Luxemburg und die Ardennen in Richtung Sedan vorrückte, wurde daraufhin – zusätzlich zum General- bzw. Kommandostab – je ein Militärverwaltungsstab zugeordnet. Bei dessen Angehörigen handelte es sich in der Regel um zivile Beamte. Sie wurden für den Einsatz in den besetzten Gebieten zu Kriegsverwaltungsräten ernannt, trugen Uniform und galten als Wehrmachtsangehörige. Chef des Verwaltungsstabes der Heeresgruppe A wurde Ministerialdirektor Harald Turner, Eggert Reeder war sein Pendant bei der Heeresgruppe B. Trotz aller Vorbereitungen war das Oberkommando des Heeres (OKH) auf die Ereignisse im Westen nur unzureichend vorbereitet und geriet – nicht zuletzt durch den unerwartet schnellen Vormarsch im Mai 1940 – erneut ins Hintertreffen. Als die Niederlande am 14. Mai kapitulierten, ernannte Hitler mit Arthur Seyss-Inquart einen Zivilisten zum Reichskommissar und entzog damit die Niederlande der Zuständigkeit des OKH, obwohl die deutschen Truppen überall noch im Land standen. Erst in Belgien, das zwei Wochen s­ päter, am 28. Mai 1940 kapitulierte, kam das OKH zum Zuge. General Alexander von Falkenhausen wurde zum Militärbefehlshaber mit Sitz in Brüssel ernannt und Eggert Reeder zum Chef der Militärverwaltung bestellt. Ihr Zuständigkeitsbereich erstreckte sich jedoch nicht nur 1 Hierzu sowie im Folgenden Hans Umbreit, Der Militärbefehlshaber in Frankreich 1940 – 1944, Boppard 1968, S. 1 – 7.

auf Belgien, sondern umfasste auch die beiden nordfranzösischen Departements, die zu ­diesem Zeitpunkt bereits von der Wehrmacht besetzt waren. Als die deutschen Panzerverbände nach dem Ende der Schlacht um Dünkirchen auf ihrem Vorstoß nach Süden am 9. Juni 1940 bei Rouen die Seine erreichten, ernannte das OKH den Befehlshaber der 9. Armee, Generaloberst von Blaskowitz, zum Militärbefehlshaber Nordfrankreichs und befahl ihm am 13. Juni, mit dem Aufbau einer Verwaltung für das besetzte Frankreich ohne die Departements Nord und Pas-de-Calais zu beginnen. Blaskowitz nahm seinen Sitz im Château des Sablons in Compiègne. Jonathan Schmid, ehemaliger stellvertretender Ministerpräsident von Württemberg, wurde Chef der Militärverwaltung. Zum Stadtkommandanten von Paris, das einen Tag s­ päter, am 14. Juni, von deutschen Truppen besetzt wurde, wurde General Alfred von Vollard-Bockelberg ernannt. Er entschied sich für das Hôtel Crillon an der Place de la Concorde als Amtssitz, und auch ihm wurde mit Ministerialdirektor Turner ein eigener Verwaltungschef zur Seite gestellt. Nach dem Waffenstillstand am 22. Juni wurde von Blaskowitz abgelöst, und General von Brauchitsch, der Oberbefehlshaber des Heeres, übernahm in Personalunion nun selbst das Amt des Militärbefehlshabers Frankreich. Er ernannte General Alfred Streccius zu seinem Stellvertreter. Jonathan Schmid blieb Chef des Verwaltungsstabes, der in eine Verwaltungsabteilung unter Werner Best und eine Wirtschaftsabteilung unter Elmar Michel aufgeteilt wurde. Chef des Kommandostabes wurde Oberst Hans Speidel. Während sich von Brauchitsch für das Schloss in Fonteinebleau als Hauptquartier des OKH entschied,2 bestimmte er für Streccius, Speidel und Schmid in Paris das Hôtel Majestic in der Avenue Kléber als Sitz des Militärbefehlshabers Frankreich. Der Grund, warum Generalfeldmarschall von Brauchitsch das Amt des Militärbefehlshabers zunächst selbst übernahm, dürfte darin gelegen haben, dass der Krieg im Westen mit der Niederlage Frankreichs noch nicht abgeschlossen war. Nach der britischen Absage an Hitlers Friedensangebot vom 19. Juli 1940 begann das OKH mit den Vorbereitungen für eine Landung in Großbritannien. Nach dem Rückzug auf die Demarkationslinie, die Frankreich, die den besetzten vom unbesetzten Teil Frankreichs im Süden trennte, wurde das Gros der deutschen Truppen zur Vorbereitung einer Invasion an der Kanalküste konzentriert. Im Herbst kam es erneut zu einem Wechsel. Nach dem Scheitern der Luftschlacht um England wurde das Hauptquartier des OKH wieder zurück nach Zossen in die Nähe von Berlin verlegt. Neuer Militärbefehlshaber wurde am 25. Oktober 1940 nicht etwa der bisherige Stellvertreter, Streccius, sondern General Otto von Stülpnagel, denn Streccius hatte sich als wenig durchsetzungsfähig erwiesen. Speidel und Schmid blieben Chef des Kommando- bzw. des Verwaltungsstabes. Das g­ leiche galt für Werner Best und Elmar Michel, die beiden Abteilungsleiter von Verwaltung und Wirtschaft. 2 Siehe dazu Le Journal de l’Occupation (1940 – 1944) d’Albert Bray, architecte en chef conservateur du Palais de Fontainebleau, publié par les Amis du Château sous la dir. de Bertrand Jestaz, Fontainebleau 2015.

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Abb. 1  Französische Besatzungszonen nach dem Waffenstillstand vom 21. Juni 1940.

1. Organisation und Zuständigkeit Die Organisation und Zuständigkeit blieb unter Otto von Stülpnagel unverändert. Nach dem Waffenstillstand vom 22. Juni 1940 war der von den Deutschen besetzte Teil Frankreichs in fünf verschiedene Militärverwaltungsbezirke aufgeteilt worden (Nordost-, Nordwest- und Südwestfrankreich, Bordeaux, Paris). Die beiden Departements Nord und Pas-de-Calais blieben weiterhin dem Militärbefehlshaber General Alexander von Falkenhausen in Brüssel unterstellt. Für das Elsass und Lothringen wurden mit den Gauleitern Bürckel und Wagner eigene Chefs der Zivilverwaltung ernannt, die somit ebenfalls der Weisungsbefugnis des Militärbefehlshabers Frankreich entzogen wurden. In dem von den Deutschen besetzten Teil des Landes war jeder Präfektur eine Feldkommandantur und jeder Unterpräfektur eine Kreiskommandantur zugeordnet. In größeren Städten befand sich zusätzlich noch eine Ortskommandantur. Dies summierte sich 1941

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Abb. 2  Übersicht über die deutschen Feldkommandanturen 1941.

in 79 Feld- und 152 Kreiskommandanturen. Der Personalumfang ist schwer zu schätzen. Ohne die als Sicherung dem Militärbefehlshaber von Frankreich (MBF ) unterstellten Landesschützeneinheiten dürfte es sich jedoch um nicht mehr als ca. 10.000 – 15.000 Mann gehandelt haben. Mit dem Balkanfeldzug im März 1941 und insbesondere nach dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 wurde ­dieses engmaschige Netz allmählich gelockert. Einige der Feld- und vor allem zahlreiche Kreiskommandanturen wurden entweder ganz abgezogen, auf Außenstellen reduziert, oder aber, nach dem Einmarsch der Wehrmacht im November 1942, in die unbesetzte Zone bzw. nach der Kapitulation Italiens im September 1943 als Hauptverbindungsstäbe bzw. Verbindungsstäbe nach Südfrankreich verlegt.3 Dort unterstanden sie jedoch nicht mehr dem MBF in Paris, sondern dem Kommandanten im Heeresgebiet Südfrankreich, Generalleutnant Heinrich Niehoff, der seinen Sitz in Lyon hatte. Im Unterschied zu seinem Vorgänger, Generalfeldmarschall von Brauchitsch, hatte Otto von Stülpnagel keine Befehlsgewalt über die in Frankreich stationierten deutschen Truppen. Das Gros der Verbände wurde nach der Niederlage in der Luftschlacht um England zur Jahreswende 1940/41 bis auf die Armeeoberkommandos – das Armeeoberkommando (AOK) 7 in Le Mans und das AOK 16 bzw. ­später das AOK 15 in Tourcoing und Roubaix – aus Frankreich abgezogen. Sie unterstanden jedoch nicht dem Militärbefehlshaber, sondern als Heeresgruppe D dem Oberbefehlshaber West, Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt, 3 Unmittelbar vor dem Einmarsch in den unbesetzten Teil bestanden 1942 im Norden noch 50 Feldund 110 Kreiskommandanturen. Zwischen November 1942 und August 1944 kamen dann im Süden insgesamt sechs Haupt- und 28 Verbindungsstäbe zum Einsatz.

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der seinen Sitz in Saint-Germain-en-Laye hatte. Der Militärbefehlshaber verfügte lediglich über einige Landesschützenbataillone als Sicherungstruppen und den Zollgrenzschutz, der anstelle der Wehrmacht ab Ende 1940 neben der Überwachung der Küsten nun auch die Sicherung der Demarkationslinie zum unbesetzten Teil Frankreichs und der Grenzen zur Schweiz sowie Spanien übernahm. Mit Beginn des Balkanfeldzuges und dann vor allem nach Beginn des Ostfeldzuges verlagerte sich der Schwerpunkt der deutschen militärischen Präsenz in Frankreich von Heer und Luftwaffe zunehmend auf die Kriegsmarine. Parallel dazu übernahm die Organisation Todt nach dem Ausbau der Feldflughäfen an den Küsten nun den Bau der U-Boot-Stützpunkte in Brest, Lorient, La Rochelle, Saint-Nazaire und Bordeaux. Erst Ende 1942 rückte Frankreich als Folge der britischen Kommandounternehmungen gegen Bruneval (Operation Biting) im Februar, Saint-Nazaire (Operation Chariot) im März und dem Landungsversuch in Dieppe (Operation Jubilee) im August 1942 als Kriegsschauplatz wieder stärker in den Vordergrund. Nach Hitlers Befehl zum Bau des Atlantikwalls wurden in Erwartung einer alliierten Landung deutsche Truppenkontingente wieder dauerhaft nach Frankreich verlegt. 1944 belief sich ihre Zahl auf knapp 1 Million Mann.

2. Macht und Ohnmacht der Militärverwaltung am Beispiel des Kunstraubs Dieser knappe Überblick über die Entwicklung der deutschen militärischen Präsenz in Frankreich lässt bereits ahnen, wie eng in der Praxis der Handlungsspielraum bemessen war, in dem sich die deutsche Militärverwaltung von Anfang bewegte. Das Hauptaugenmerk lag in den ersten Wochen als Folge der Flucht von über 8 Millionen Menschen vor den vorrückenden deutschen Truppen auf der Wiederherstellung geordneter Verhältnisse. Es verlagerte sich dann aber schon bald auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gegen den aufkeimenden Widerstand und parallel dazu der wirtschaftlichen Ausbeutung des Landes zugunsten der deutschen Kriegsanstrengungen. Gemäß Artikel 3 des Waffenstillstandes vom 22. Juni 1940 übte die deutsche Militärverwaltung „in den besetzten Teilen Frankreichs (…) alle Rechte der besetzenden Macht aus. Die französische Regierung verpflichtet sich, die in Ausübung dieser Rechte ergehenden Anordnungen mit allen Mitteln zu unterstützen und mithilfe der französischen Verwaltung durchzuführen.“ 4 Ähnlich klare Vorgaben oder gar eine Handhabe, um auch gegenüber deutschen Dienststellen ihren Anspruch auf alleinige Ausübung der vollziehenden Gewalt im besetzten Gebiet durchzusetzen, gab es für die Militärverwaltung jedoch nicht.

4 Hermann Böhme, Entstehung und Grundlagen des Waffenstillstandes von 1940, Stuttgart 1966, S. 364.

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Der Aufbau einer funktionierenden Verwaltung geschah nur langsam. Im OKH unterschätzte man in den ersten Wochen offenkundig die Begehrlichkeiten, die der Triumph über Frankreich und der Einzug in Paris, das von einem Großteil seiner Bewohner fluchtartig verlassen worden war, ausgelöst hatte. Als die deutschen Truppen am 14. Juni 1940 in die Stadt einmarschierten, folgten ihnen praktisch auf dem Fuß bereits die ersten Vertreter einer ganzen Reihe von Reichsministerien und Parteidienststellen.5 Die Kriegsmarine beschlagnahmte das Marineministerium an der Place de la Concorde, die Luftwaffe das Senatsgebäude und das Außenministerium am Quai d’Orsay.6 Schon am nächsten Morgen, dem 15. Juni, traf Otto Abetz, der spätere deutsche Botschafter im Auftrag von Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop mit seinem Stab in Paris ein. Dass die Wahl ausgerechnet auf ihn gefallen war, als es darum ging, einen Vertreter des Außenministeriums bei der deutschen Militärverwaltung zu benennen, war kein Zufall. Abetz war zwar kein geschulter Diplomat, galt dafür aber als ausgewiesener Kenner Frankreichs. Vor allem aber stand er im Ruf, dass „auf Direktiven zu warten (…) seine Art nicht“ war.7 Als Abetz mit seinen Mitarbeitern Carltheo Zeitschel, Ernst Achenbach, Karl Epting und Friedrich Grimm in der deutschen Botschaft in der Rue de Lille eintraf, fanden sie das Gebäude bereits besetzt vor: Kurz zuvor hatte sich dort Eberhard Freiherr von Künsberg mit seinem Stab häuslich eingerichtet und – ebenfalls im Auftrag von Ribbentrops – mit der Suche nach französischen Archiven begonnen.8 Künsberg, der wenig s­päter in das Gebäude der polnischen Botschaft auswich, schilderte Abetz, dass er nicht nur die Amtsräume, sondern auch eine Reihe von Privatwohnungen führender Politiker durchsucht und dabei zahlreiche Kunstgegenstände und Möbel vorgefunden habe. Abetz, der „von der Kriegsschuld der Juden (…) in jedem Fall überzeugt [war], was sie in seinen Augen harter Strafe preisgab“ 9, leitete daraus die Forderung ab, leerstehende Wohnungen, insbesondere diejenigen, die von jüdischen Besitzern meist fluchtartig verlassen worden waren, einer systematischen Überprüfung zu unterziehen und die darin befindlichen Kunstgegenstände „sicherzustellen“. Das Kommando Künsberg war dafür jedoch personell nicht stark genug besetzt, um diesen Gedanken in die Tat umzusetzen. Abetz wandte sich darum hilfesuchend an die Militärverwaltung. Im Unterschied zu Helmut Knochen, den Heinrich Himmler 5 Der Passierschein für Georg Ebert, den späteren Stabsführer des Sonderstabs Musik des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg, datiert vom 14. 06. 1940, siehe Willem de Vries, Sonderstab Musik. Organisierte Plünderungen in Westeuropa 1940 – 1945, Köln 1998, S. 35. Er blieb anschließend mit einem Sonderausweis vom 21. bis zum 28. 06. 1940 in Paris, siehe S. 119 – 121. 6 Siehe dazu Frankreich unter deutscher Besatzung 1940 – 1945. Die deutschen und französischen Dienststellen, http://www.adresses-france-occupee.fr/de (Stand: 26. 07. 2020). 7 Roland Ray, Annäherung an Frankreich im Dienst Hitlers? Otto Abetz und die deutsche Frankreichpolitik 1940 – 1942, München 2000, hier S. 355. 8 Barbara Lambauer, Otto Abetz et les Français ou l’envers de la Collaboration, Paris 2001, S. 148 – 151. 9 So Ray, Annäherung an Frankreich (wie Anm. 7), S. 355.

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am 20. Juni zum „Beauftragten der Sicherheitspolizei und des SD “ (BdS) in Frankreich ernannt und dem MBF unterstellt hatte,10 war seine Aufgabe und Rolle als Vertreter des Reichaußenministers in Paris nicht eindeutig geregelt.11 Abetz war entschlossen, sich dies zunutze zu machen. Der Historiker Wilhelm Treue beschrieb die Verhältnisse in Frankreich bezüglich des Kunstschutzes folgendermaßen: „Der deutsch-französische Waffenstillstandsvertrag enthielt über Kunstbesitz in Frankreich kein Wort.“ 12 Nach der Haager Landkriegsordnung von 1907 war die Einziehung von Privateigentum ohne vorherigen Friedensschluss untersagt. Den Bedenken des Beauftragten für den Kunstschutz in den besetzten Gebieten, Franziskus Graf Wolff Metternich, hielt Abetz entgegen, dass diese Fragen nicht mehr in seine, sondern in die Zuständigkeit des Reichsleiters Rosenberg fallen würden. Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW ), General Wilhelm Keitel (1882 – 1946), habe am 5. Juli den Oberbefehlshaber des Heeres darauf hingewiesen, dass der „Führer“ einem entsprechenden Wunsch des Reichsleiters Rosenberg entsprochen habe. Rosenberg und die Mitarbeiter seines Amtes hätten das Recht, in allen besetzten Ländern „Staatsbibliotheken und Archive nach für Deutschland wertvollen Schriften“ ebenso zu durchsuchen wie „Kanzleien der höheren Kirchenbehörden und Logen nach gegen uns gerichteten politischen Vorgängen“. Der Chef der Sicherheitspolizei, Reinhard Heydrich, werde „mit den zuständigen Militärbefehlshabern zwecks Ausführung des Auftrages in Verbindung treten“.13 Der Militärbefehlshaber erließ daraufhin am 15. Juli 1940 eine „Verordnung über die Erhaltung von Kunstschätzen im besetzten Frankreich“,14 ­welche die Beschlagnahme, das Entfernen oder auch nur das Verändern beweglicher Kunstschätze ohne schriftliche Genehmigung der deutschen Militärverwaltung unter Strafe stellte. Die Verordnung erstreckte sich auch auf Rechtsgeschäfte ohne entsprechende Genehmigung. Doch Abetz ließ sich dadurch nicht beirren. Als er Anfang August von Hitler zum Vortrag über die künftige Rolle Frankreichs auf dem Obersalzberg empfangen wurde, nutzte er die Gelegenheit und begründete sein eigenmächtiges Vorgehen mit der Schuld, w ­ elche die Juden als intellektuelle Kriegshetzer auf sich geladen hätten.15 Nach seiner Rückkehr nach Paris bestand er gegenüber Wolff Metternich darauf, dass er mit der

10 Ulrich Herbert, Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, 1903 – 1989, Bonn 1996, S. 253 f. 11 Bei seinem Eintreffen war zunächst nicht klar, ob Abetz dem Stadtkommandanten von Paris oder dem Militärbefehlshaber in Frankreich unterstellt war, siehe Lambauer, Otto Abetz et les Français (wie Anm. 8), S. 136. 12 So Wilhelm Treue, Zum nationalsozialistischen Kunstraub in Frankreich. Der „Bargatzky-Bericht“, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 13 (1965), S. 285 – 337, hier S. 294. 13 Zum Text des Schreibens siehe Willem de Vries, Sonderstab Musik (wie Anm. 5), S. 88. 14 Verordnungsblatt des Militärbefehlshabers in Frankreich (VOBIF) Nr. 3, vom 15. 07. 1940, S. 49. 15 Siehe Ray, Annäherung an Frankreich (wie Anm. 7), S. 356 – 358.

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Sicherstellung des öffentlichen und privaten, vor allem jüdischen Kunstbesitzes in Frankreich“ beauftragt worden sei. Bei den Gegenständen, die er abtransportiert und in einem Nebengebäude der Botschaft eingelagert hatte, handele es sich um „Kunstwerke, die nicht Gegenstand des Friedensvertrages werden sollen, sondern als Vorschußleistungen auf Reparation etwa sofort in Reichsbesitz überzuführen sind.16

Wenig ­später verlangte er für sich und Epting auch Zugriff auf die in den Schlössern an der Loire ausgelagerten Kunstwerke der Pariser Museen. Mit Unterstützung von Werner Best, dem Leiter der Abteilung Verwaltung, gelang es Wolff Metternich zwar, dass Abetz, der inzwischen von Hitler zum deutschen Botschafter in Paris ernannt worden war, am 28. September 1940 schließlich einlenkte. Doch dessen ausdrückliche Zusage, „dass Beschlagnahmen von Kunstgut nunmehr grundsätzlich aufhören und nur noch durch die Militärverwaltung oder auf schriftlichen Führerbefehl vorgenommen werden sollen“ 17, bedeutete keineswegs das Ende der Auseinandersetzung. Denn zum einen hatte die Militärverwaltung damit genau genommen ihren bisherigen entschiedenen Widerstand gegen den Kulturgutraub aufgegeben.18 Zum anderen stand dem Beauftragten für den Kunstschutz in den besetzten Gebieten inzwischen mit dem Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) ein neuer, mächtiger Gegenspieler gegenüber.19 Am 5. September 1940 ließ Rosenberg den Leiter der Verwaltungsabteilung, Werner Best, wissen, seine Mitarbeiter hätten in Frankreich bei ihrer Suche in Bibliotheken und Archiven nach Schriftgut an verschiedenen Stellen wertvolles Kulturgut festgestellt. Es handelt sich bei diesen Gegenständen ausschließlich um z. Zt. herrenlosen jüdischen Besitz. Um diese wertvollen Kulturgüter vor Diebstahl, Vernichtung oder Beschädigung zu s­chützen, werde ich diese Gegenstände nach Deutschland transportieren und dort sicherstellen lassen.20

Noch ehe die Militärverwaltung auf die bestehende Rechtlage hinweisen konnte, erklärte OKW -Chef Keitel im Namen Hitlers, dass Rosenberg „hinsichtlich des Zugriffsrechtes eindeutige Weisungen vom Führer persönlich“ erhalte habe und er ermächtigt sei, die ihm

16 So Abetz in einem Schreiben an von Brauchitsch am 16. 08. 1940, zit. nach Treue, Der „BargatzkyBericht“ (wie Anm. 12), S. 290 f. 17 Zu den Einzelheiten der Auseinandersetzung siehe Ebd., S. 295 – 300, Zitat S. 299 sowie Lambauer, Otto Abetz et les Français (wie Anm. 8), S. 151 – 165. 18 So Anja Heuß, Kunst- und Kulturgutraub. Eine vergleichende Studie zur Besatzungspolitik der Nationalsozialisten in Frankreich und der Sowjetunion, Heidelberg 2000, hier vor allem S. 115 – 118. 19 Zur Gründung des ERR am 17. Juli 1940 sowie dessen Aufbau und Organisation siehe Willem de Vries, Sonderstab Musik (wie Anm. 5), S. 85 – 115 sowie Heuß, Kunst- und Kulturgutraub, S. 95 – 134. 20 Schreiben von Rosenberg an Best vom 05. 09. 1940, zit. nach: Treue, Der „Bargatzky-Bericht“ (wie Anm. 12), S. 305.

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wertvoll erscheinenden Kulturgüter nach Deutschland abzutransportieren und hier sicherzustellen. Über ihre Verwendung hat der Führer sich die Entscheidung vorbehalten.21 Die Taktik der Militärverwaltung, sich dem Begehren der deutschen Dienststellen nicht mehr offen und entschieden zu widersetzen, sondern auf dem Verhandlungsweg nach Lösungen zu suchen, erwies sich zunächst als erfolgreich: Die von Abetz in der Botschaft eingelagerten Kunstwerke wurden Anfang Oktober in die Obhut des Einsatzstabes übergeben und im Museum Jeu de Paume eingelagert.22 Da der ERR nicht über die notwendigen Transportkapazitäten verfügte und die Militärverwaltung diese nicht bereitstellte, schien damit die Gefahr eines Abtransportes nach Deutschland zunächst gebannt. Doch nun trat mit Hermann Göring ein weiterer Gegenspieler auf den Plan. Bereits im Vorfeld des Westfeldzuges hatte Göring als Beauftragter für den Vierjahresplan verlangt, dass man im Falle eines Sieges über Frankreich Beute zu machen bzw. das Land regelrecht „auszuräumen“ 23 habe. Diese Forderung betraf in erster Linie Rohstoffe, Rüstungsgüter und Industrieanlagen, aber auch Gold, Edelmetalle und Devisen. In seinem Auftrag folgten den vorrückenden deutschen Truppen sogenannte Devisenschutzkommandos auf dem Fuß. Sie hatten den Auftrag, in den besetzen Gebieten systematisch Bankschließfächer und Wertdepots zu öffnen und den Inhalt im Zweifel im Namen des Reiches zu beschlagnahmen. Dabei fielen den Kommandos neben Geld und Wertpapieren auch immer wieder wertvolle Kunstgegenstände, in erster Linie Gemälde, in die Hände.24 Da das Devisenschutzkommando dem Weisungsrecht des Militärbefehlshabers unterstand, wurden diese anschließend dem Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg zur Verwahrung übergeben.25 Die Suche des Einsatzstabes nach Kunstgegenständen beschränkte sich keineswegs nur auf den Großraum Paris. Als Mitarbeiter des ERR im Pays d’Auge in der Normandie das Château de Reux durchsuchen wollten, das sich im Besitz des Barons Édouard Alphonse 21 Schreiben Keitel an Best vom 17. 09. 1940, zit. nach: Ebd., S. 306. 22 Zur Einigung z­ wischen dem ERR und Ministerialdirektor Turner vom 08. 10. 1940 siehe Hanns Christian Löhr, Kunst als Waffe. Der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg. Ideologie und Kunstraub im „Dritten Reich“, Berlin 2018, S. 38. 23 Hans Umbreit, Die Verlockung der französischen Ressourcen. Pläne und Methoden zur Ausbeutung Frankreichs für die kriegsbedingten Bedürfnisse und langfristigen Ziele des Reiches, in: Claude Carlier/Stefan Martens (Hg.), La France et l’Allemagne en guerre. Septembre 1939 – Novembre 1942, Paris 1990, S. 435 – 452. 24 Siehe dazu die Reproduktion der „Erfolgsübersicht der Devisenschutzkommandos Belgien, Niederlande und Frankreich in der Zeit von Einmarsch (Mai 1940 bis 1. September 1943)“, in: KathrinIsabel Krähling, Das Devisenschutzkommando Belgien 1940 – 1944, Magisterarbeit Universität Konstanz 2005, S. 109 – 110 sowie Ralf Banken, „Hiergegen kann nur mit freier Fahndung eingeschritten werden“. Die Arbeit der deutschen Devisenschutzkommandos 1938 bis 1944, in: Hartmut Berghoff/Jürgen Kocka/Dieter Ziegler (Hg.), Wirtschaft im Zeitalter der Extreme, München 2010, S. 377 – 393. 25 Siehe Treue, Der „Bargatzky-Bericht“ (wie Anm. 12), S. 300.

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James de Rothschild befand, mussten sie feststellen, dass der Landsitz – wie im übrigen viele andere Schlösser im besetzten Frankreich 26 – von der Luftwaffe beschlagnahmt worden war. Als die Männer des ERR die Herausgabe der Kunstgegenstände verlangten, „hatte dies einen ungeahnten Nebeneffekt“ 27, denn durch diese Aktion erfuhr offenbar Hermann Göring erstmals von der Tätigkeit des Einsatzstabes. Mit sicherem Gespür dafür, ­welche Chance sich ihm hier eröffnete, meldete sich der „zweite Mann des Dritten Reiches“ 28 bei Rosenbergs Vertreter in Paris, Kurt von Behr, für den 3. November 1940 zu einem Besuch des Museums Jeu de Paume an. Zwei Tage ­später ordnete Göring eigenmächtig die künftige Verteilung der Kunstwerke an.29 Nachdem sich Rosenberg vorsichtshalber bei Hitler noch einmal rückversichert hatte, kam es ­zwischen ihm und Göring zu einer regelrechten Arbeitsteilung. Während der Einsatzstab in Frankreich die von Abetz und dem Devisenschutzkommando beschlagnahmten Kulturgüter in Verwahrung nahm und weiter systematisch nach jüdischem Kunstbesitz suchte, übernahm Göring deren Verteilung und organisierte den Abtransport nach Deutschland. Bis zu seiner faktischen Abberufung als Beauftragter für den Kunstschutz in den besetzten Gebieten im Jahr 1942 musste Wolff Metternich, ohne eingreifen zu können, mit anschauen, wie Hermann Göring regelmäßig nach Paris kam, um mit seinem Berater Hermann Bunjes – dem ehemaligen Mitarbeiter Wolff Metternichs im Kunstschutz – im Museum Jeu de Paume die vom Einsatzstab beschlagnahmten Kulturgüter zu sichten. Ein Teil davon wurde anschließend nach Süddeutschland transportiert und dort für das geplante „Führermuseum“ in Linz eingelagert,30 der andere Teil wurde in Görings Sonderzug verpackt und der Sammlung des Reichsmarschalls in seinem Landsitz Carinhall bei Berlin einverleibt.31

26 1941 waren in Frankreich rund 400 Schlösser (Château) und Herrensitze (Domaine) von Einheiten der Wehrmacht und anderen deutschen Dienststellen beschlagnahmt worden, siehe dazu das Ergebnis einer entsprechenden Suche für Château: http://www.adresses-france-occupee.fr/de (Stand: 26. 07. 2021). 27 Löhr, Kunst als Waffe (wie Anm. 22), S. 38, dort unter Verweis auf den anschließenden Bericht des Reichshauptstellenleiters Gerhard Utikal an Rosenberg vom November 1940, siehe Bundesarchiv (BA) B 323/259, Bl. 160 – 163, in: Ebd., Anmerkung 44. Zur Besetzung des Château de Reux siehe auch Jean Bergeret, Manoirs, châteaux et soldats allemands, in: Le pays d’Auge 6 (2017), S. 28 f. 28 Siehe Stefan Martens, Hermann Göring. „Erster Paladin des Führers“ und „Zweiter Mann im Reich“, Paderborn 1985. 29 Zum Text des Befehls und dem Zusatz: „Ich werde diesen Vorschlag dem Führer vorlegen, bis zu seiner Entscheidung gilt diese Regelung, gez. Göring“, siehe Treue, Der „Bargatzky-Bericht“ (wie Anm. 12), S. 312 f. 30 Birgit Schwarz, Auf Befehl des Führers. Hitler und der NS-Kunstraub, Stuttgart/Darmstadt 2014. 31 Volker Knopf/Stefan Martens, Görings Reich. Selbstinszenierungen in Carinhall, Berlin 82019; Ilse von zur Mühlen, Die Kunstsammlung Hermann Görings. Ein Provenienzbericht der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, München 2004 und Les Archives Diplomatiques, Jean-Marc Dreyfus, Le Catalogue Goering, préface de Laurent Fabius, Paris 2015.

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3. Fazit Mit dem Rücktritt von Otto von Stülpnagel als Militärbefehlshaber am 15. Februar und der Einsetzung von Carl-Albrecht Oberg als höherer SS- und Polizeiführer übernahm die SS im Mai 1942 von der Militärverwaltung die Kontrolle über Polizei und Justiz in Frankreich. Zuvor war im März Hans Speidel, Chef des Kommandostabes, an die Ostfront versetzt worden. Im Juli 1942 wechselte der Leiter der Verwaltungsabteilung, Werner Best, selbst ein hochrangiger SS -Offizier, von Paris über Berlin nach Dänemark.32 Kurz darauf, im August 1942 wurde Franziskus Graff Wolff Metternich beurlaubt, weil er „eine eindeutige francophile und mit den Interessen des Reiches nicht vereinbare Haltung gezeigt“ habe.33 Das Scheitern Wolff Metternichs als Beauftragter für den Kunstschutz in den besetzten Gebieten illustriert, wie gering von Anfang an die Chancen für das OKH standen, den eigenen Anspruch auf alleinige Ausübung der vollziehenden Gewalt und Kontrolle der besetzten Gebiete durchzusetzen. Gegenspieler des OKH Heer waren in Frankreich nicht nur die Kriegsmarine und die Luftwaffe, sondern auch verschiedene Ministerien und Ämter – vom Außen- und dem Propagandaministerium über den Vierjahresplan bis hin zum Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg. Dazu kamen noch diverse Parteidienststellen und zivile Einrichtungen, aber auch Banken, Firmen und Interessenverbände der Wirtschaft. Vor d ­ iesem Hintergrund wäre wohl tatsächlich anstelle des „Militärbefehlshabers“ als Titel eher der des „Militärgouverneurs“ angemessen gewesen. Die Generalität des Heeres und insbesondere dessen Oberbefehlshaber genossen bei Hitler wenig Rückhalt. Dies wurde bereits wenige Tage nach Beginn des Westfeldzuges sichtbar, als er mit der Ernennung von Seyss-Inquart die Niederlande der Zuständigkeit des OKH entzog. Die Tatsache, dass von Brauchitsch nach dem Triumph über Frankreich von Hitler zum Generalfeldmarschall befördert wurde, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das persönliche Verhältnis z­ wischen den beiden Männern durch die Ereignisse in Dünkirchen erneut belastet worden war.34 Entsprechend wenig Gewicht hatten in Berlin Eingaben und Bedenken des Militärbefehlshabers – im Unterschied zu dem von Otto Abetz oder Alfred Rosenberg, von Hermann Göring ganz zu schweigen. Die Entscheidung von Brauchitschs, nach dem Waffenstillstand neben dem Oberbefehl über das Heer zunächst in Personalunion auch das Amt des Militärbefehlshabers in

32 Herbert, Best (wie Anm. 10), S. 320 – 323. 33 Zit. nach Esther Rahel Heyer, Vorteil oder Nachteil für die Entnazifizierung? Die Tätigkeit von Franziskus Graf Wolff Metternich im deutschen militärischen Kunstschutz in Frankreich während des Zweiten Weltkrieges, in: Sébatien Chauffour u. a. (Hg.), La France et la dénazification de ­l’Allemagne après 1945, Brüssel/Bern/Berlin 2019, S. 191 – 206, hier S. 196. 34 Zur Führungskrise ­zwischen Hitler und der Generalität des Heeres, die zum sogenannten HaltBefehl führte, siehe Karl-Heinz Frieser, Blitzkrieg-Legende. Der Westfeldzug 1940, München 1995, S. 363 – 394.

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Frankreich zu übernehmen, schadete dem Amt mehr, als es ihm genutzt hätte. Zum einen war er in Fontainebleau zu weit weg vom Geschehen in Berlin. Zum anderen hatte Alfred Streccius, sein Stellvertreter in Paris, weder die Statur noch den nötigen Einfluss, um in der Aufbauphase den Mitarbeitern der Militärverwaltung gegen die Bestrebungen der anderen Ministerien den nötigen Rückhalt zu geben. Als Otto von Stülpnagel am 25. Oktober 1940 zum Militärbefehlshaber in Frankreich ernannt wurde, hatten sich die Verhältnisse bereits größtenteils zu seinen Ungunsten verschoben. Durch die Entscheidung, die in Frankreich stationierten Truppen dem Oberbefehlshaber West zu unterstellen, verfügte er über keinerlei Kommandogewalt. Um im Zweifel direkt bei Hitler vorstellig zu werden, stand ihm im Unterschied zu seinen Gegenspielern nur der Weg über seinen unmittelbaren Vorgesetzten, von Brauchitsch oder Wilhelm Keitel, den Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, offen. Als Hitler auf dem Höhepunkt der Krise vor Moskau dann im Dezember 1941 von Brauchitsch entließ und selbst den Oberbefehl über das Heer übernahm, wurde ihm auch diese Möglichkeit genommen. Folgerichtig zog Otto von Stülpnagel die Konsequenz und bat Hitler um seinen Abschied, den dieser umgehend genehmigte. Elmar Michel stieg unter dem neuen Militärbefehlshaber, Carl-Heinrich von Stülpnagel, als Nachfolger von Jonathan Schmid zum Chef der Militärverwaltung auf. Im Hôtel Majestic konzentrierte man sich von d ­ iesem Zeitpunkt an mehr und mehr auf die wirtschaftliche Ausbeutung des Landes, während Sicherheitspolizei und SD im Zusammenspiel mit dem französischen Polizeiminister René Bousquet auf den wachsenden Widerstand im Land mit immer schärferen Repressionsmaßnahmen reagierten. Mit der Ernennung von Julius Ritter als Beauftragten des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz gab die Militärverwaltung ein Jahr s­ päter zwar auch in d ­ iesem Bereich formal die Verantwortung ab, trug zugleich aber auch für die Organisation der Transporte der französischen Arbeitskräfte nach Deutschland ebenso Sorge wie für die der Deportationszüge; eine Arbeitsteilung, die bis in die letzten Tage der deutschen Besatzung reibungslos funktionierte.

196 I Stefan Martens

La protection des biens culturels en France pendant l’Occupation Isabelle le Masne de Chermont

A l’été 1945, nombre de visiteurs se pressaient à l’exposition « Chefs-d’œuvre de la peinture », où La Joconde côtoyait La Liberté guidant le Peuple pour célébrer le retour au Louvre de ses œuvres majeures. Le circuit de visite comprenait aussi une présentation de panneaux documentaires illustrés de photographies, intitulée « L’activité des musées pendant la guerre », qui mettait en exergue l’organisation et la détermination de la direction des musées qui avait pu préserver les collections nationales de tout dommage grâce au dévouement de tous. Le périple de La Joconde, qui avait voyagé de Chambord à Louvigny, Loc-Dieu, Montauban, puis Montal avant son retour au Louvre en juin 1945 illustrait l’ampleur des évacuations mises en œuvre tout au long de ces années. C’est ce même récit héroïque qui se reflète dans les mémoires des contemporains publiés au cours des années Soixante. Rose Valland y consacre les premiers chapitres de son ouvrage publié en 1961 et bien d’autres témoins de l’époque eurent à cœur d’exprimer l’indéniable fierté d’avoir été associés à une telle aventure, d’avoir été de ceux « qui luttèrent pendant la dernière guerre pour sauver un peu de la beauté du Monde », pour reprendre la dédicace qui ouvre Le front de l’art.1 Ces perspectives se sont élargies de façon significative, à la suite de la parution en 1994 de l’ouvrage fondamental de Lynn Nicholas, avec la publication en 2007 de l’ouvrage de Michel Rayssac, qui a accordé une large place à la mise à l’abri des collections des musées de province, et celui de Sophie Cœuré consacré aux archives tandis que l’année suivante, en 2008, Martine Poulain, dans son étude des bibliothèques françaises sous l’Occupation, apportait une précieuse contribution à la connaissance de la protection des livres. Au cours des dix dernières années, ces questions de protections ont bénéficié de la publication d’excellents inventaires d’archives, du développement de l’histoire de l’administration des biens culturels et de l’intérêt croissant, parfois nourri par une actualité tragique, pour le sort des monuments et des œuvres d’art en temps de conflits armés. Des travaux universitaires de qualité permettent en outre aujourd’hui de mieux appréhender la diversité des situations locales. Ces études mettent en évidence l’application tout au long de la période de principes de protection communs, issus de réflexions également partagées dans d’autres pays, et qui constituent une base solide de bonnes pratiques en matière de protection contre les 1 Rose Valland, Le Front de l’art, 1939 – 1945, Paris 1961.

bombardements, l’incendie et l’insécurité propres aux temps de guerre. Ces principes connurent des modalités de mise en œuvre adaptées, en fonction des moyens disponibles et de l’évolution de la situation militaire, par ceux qui avaient à les appliquer aux différents biens dont ils avaient la responsabilité, qu’il s’agisse de monuments historiques, d’archives, de musées ou de bibliothèques. Elles montrent également que la période de l’Occupation offre des exemples fort utiles aujourd’hui encore de l’importance des dispositifs juridiques internationaux de protection des biens culturels, tout en mettant en lumière leurs limites et en témoignant des interprétations différentes qui peuvent en être faites.

1. Des principes de protection partagés Les dispositions prises par la France reposèrent, comme dans les pays voisins, sur les réflexions d’une génération d’hommes marqués par les dommages subis en 1914 par la cathédrale de Reims et la Bibliothèque de Louvain. Ces désastres étaient présents encore dans toutes les mémoires, de part et d’autre du Rhin, alors que les célébrations solennelles qui marquèrent en juillet 1938 la fin des travaux de restauration érigeaient la cathédrale meurtrie en symbole de l’union de tous les Français pour réparer les dommages infligés par la barbarie.2 Il était désormais acquis que le patrimoine était vulnérable, qu’il l’était plus encore tandis que les progrès de l’armement militaire donnaient à l’aviation un rayon d’action et une puissance de destruction sans précédent, que la capacité à le défendre serait un enjeu de l’inéluctable conflit à venir. Ce sujet avait été évoqué à plusieurs reprises lors de rencontres professionnelles internationales organisées au cours des années 1930. La synthèse de ces réflexions, élaborée par l’Office international des musées, permit la publication à la fin de l’année 1939 et sous l’égide de son secrétaire général, Euripide Foundoukidis, d’un manuel de référence intitulé Les monuments et œuvres d’art en temps de guerre,3 destiné à présenter de façon détaillée les bonnes pratiques à adopter, en les accompagnant d’illustrations récentes et pleines d’enseignement sur des dispositions prises dans différents pays à la fin de l’été et à l’automne 1939. La deuxième partie de cet ouvrage était consacré aux dispositions juridiques relatives à la protection des œuvres d’art, dont l’élément clef était la convention de La Haye de 1907. La base de cette conception de la protection consistait à combiner des mesures de renforcement des bâtiments eux-mêmes, la mise à l’abri des collections sur place ou à proximité 2 Sur l’analyse de l’importance de l’incendie de la cathédrale de Reims dans la mémoire collective, cf. Thomas W. Gaehtgens, La cathédrale incendiée. Reims, Septembre 1914, Paris 2018. 3 Euripide Foundoukidis (introduction), La protection des monuments etc., Paris 1939 (Mouseion 47/48).

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et, enfin, l’éloignement des zones considérées comme menacées : ce sont ces principes qui ont constitué l’armature des dispositions mises en œuvre en France avant la guerre et tout au long de la période de l’Occupation. La première chose à faire était de protéger les bâtiments eux-mêmes en reprenant des méthodes qui avaient fait largement leurs preuves dès de la Première Guerre mondiale. Tandis que les baies étaient étayées par des armatures temporaires, des sacs de sables s’entassaient en grande quantité autour des zones vulnérables. Les campagnes photographiques menées tout au long de la guerre par Richard Hamann et dont les tirages sont conservés à la photothèque de Marburg montrent que, dans bien des cas, ces dispositifs sont restés en place tout au long de l’Occupation, en particulier pour les monuments historiques. Une vigilance de chaque instant devait limiter les risques inhérents aux incendies causés par les bombardements dans les édifices administratifs comme dans les églises et les plus hautes cathédrales ; à cet effet, les combles furent intégralement vidés et régulièrement balayés tandis que du sable était répandu sur les planchers ; les employés, formés à l’utilisation des extincteurs et des pompes à eau, avaient à en tester le bon fonctionnement par des exercices réguliers. Les bâtiments devaient en outre faire l’objet d’une surveillance humaine renforcée, pour détecter d’éventuels départs de feu mais également pour lutter contre des tentatives de vol qui pourraient survenir dans un contexte de désordre. Il convenait de prévoir de pouvoir les loger sur place et d’être en mesure en cas de besoin de maintenir une présence permanente, de jour et de nuit, toute la semaine comme le dimanche. La mise en sécurité des lieux de conservation s’accompagnait de dispositions relatives aux œuvres elles-mêmes, dont on pouvait prévoir leur déplacement. Les sous-sols apparaissaient, à juste titre, comme moins vulnérables et, dans certains établissements, une partie des collections furent conservées dans les caves pendant une bonne partie de l’Occupation. Certaines des statues antiques du département des Antiquités grecques et romaines furent ainsi regroupées dans les anciennes écuries impériales du palais du Louvre, au sous-sol de la galerie Daru.4 A Bayeux, l’architecte municipal Hallier avait fait réaliser un abri blindé dans les caves de l’hôtel du Doyen pour accueillir la monumentale « Tapisserie de la reine Mathilde » qui y fut ainsi mise à l’abri dès le 1er septembre 1939.5 Dans certains cas le meilleur parti à adopter était de transférer une partie des collections dans des bâtiments situés à proximité et susceptibles d’offrir un abri sûr. La Bibliothèque nationale de Paris choisit de transférer temporairement une partie de ses collections 4 Sur ce reportage au Louvre de la photographe Laure Albin-Guillot en septembre 1939, cf. Guillaume Fonkenell (éd.), Le Louvre pendant la guerre. Regards photographiques, 1938 – 1947 (exposition, Paris, Musée du Louvre, 7 mai 31 – août 2009), Paris 2009. 5 Sur la protection de la Tapisserie de Bayeux et l’enjeu qu’elle a représenté pendant l’Occupation, cf. Iñigo Salto Santamaria, L’exposition de la Tapisserie de Bayeux au musée du Louvre. Deux moments capitaux 1803 – 1944 pour la naissance muséographique d’un chef-d’œuvre médiéval (mémoire d’étude de 2ème cycle de muséologie, Ecole du Louvre), mai 2018.

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dans les coffres de la Banque de France tandis que les plus insignes manuscrits d’Angers furent abrités dans les armoires fortes du Crédit de l’Ouest.6 Les locaux de banques par leur conception même et la surveillance dont ils faisaient l’objet offraient effectivement une protection rassurante. Beaucoup d’institutions firent le nécessaire pour abriter leurs collections dans des châteaux situés dans un voisinage plus ou moins proche, afin de disposer de vastes espaces situés en dehors des agglomérations dont on craignait toujours qu’elles ne puissent devenir des objectifs stratégiques. Pour les propriétaires de ces belles demeures, l’ordre de réquisition reçu en pareil cas du préfet pouvait être bien accueilli : il était préférable à tout prendre d’abriter des œuvres d’art ou des documents d’archives plutôt que des corps de troupes. La question se posait dans des termes spécifiques pour les zones frontalières de l’est, qui, comme lors de la Première Guerre mondiale, apparaissaient comme les plus menacés par de possibles combats terrestres. Le plan retenu par l’Etat-Major français prévoyait là un repli massif de la population et des services publics, chaque département évacué se voyant désigner à l’avance des départements dits « d’accueil » situés hors des zones de combats potentiels. La destination des départements alsaciens était le centre et le sud de la France : le Lot-et-Garonne, le Gers et les Basses-Pyrénées pour le Haut-Rhin et, pour le Bas-Rhin, l’Indre, la Haute-Vienne et la Dordogne. La Moselle devait gagner la Vienne et la Charente tandis que les départements du Nord et du Pas-de-Calais se répartissaient entre les différents départements bretons.7 Archives, bibliothèques et musées devaient s’inscrire autant que faire se pouvait dans ce plan général, à charge pour les préfets de trouver des lieux susceptibles d’abriter leurs collections. On constate que ces dispositions de protections étaient lourdes à mettre en œuvre et pouvaient considérablement modifier, temporairement ou pour une période plus longue, l’organisation du travail des personnels comme l’accueil des visiteurs. Nombre de ­chefs-d’œuvre majeurs n’ont pu être visibles durant l’Occupation. Ainsi, la « Vénus de Milo », qu’admiraient les groupes de soldats de la « Wehrmacht » dans les galeries du Louvre, n’était qu’une copie tandis que l’original avait élu domicile au château de Valençay avec bien d’autres statues des départements antiques. Mise à l’abri sur place puis, en août 1941, au château de Sourches avant de gagner Paris à la fin du mois de juin 1944, la Tapisserie de Bayeux ne fut pas offerte au regard des visiteurs pendant toute cette période. Le déplacement des œuvres imposait à ceux qui en avaient la garde de dresser et vérifier des listes de sélection, de concevoir et de réaliser des conditionnements capables de garantir une bonne protection des œuvres, de procéder à des manipulations souvent 6 Cf. lettre de Jeanne Varangot à l’adjoint au Maire, 20 juillet 1944 (Archives municipales d’Angers, 2R61 « Evacuation des collections et protection des collections en cas de guerre » (cité dans Aliénor Lemarié, Les bibliothèques françaises sous l’Occupation, Université d’Angers, master 1, 2014)). 7 Sur ce plan d’évacuation des populations civiles, cf. Michel Daeffler et alii, La France pendant la Seconde Guerre mondiale. Atlas historique, Paris 2010.

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de grande ampleur, d’être, dans ces circonstances exceptionnelles, plus attentifs encore aux conditions de conservation et de sécurité des collections. Ces mesures s’intégraient dans le très large plan de défense passive élaboré au niveau national et bénéficièrent d’un ensemble de bonnes pratiques largement diffusées par des publications, par l’enseignement et lors de rencontres professionnelles organisées en France comme à l’étranger. Il incombait à chacun de les adapter à la situation locale et à la nature des collections sur lesquelles il devait veiller.

2. Des choix différents suivant la nature des collections Dans bien des cas l’ampleur des collections publiques imposait de faire des choix et d’établir des priorités parmi l’ensemble des biens conservés. La manière dont se firent ces choix au fil de conflits successifs suscite aujourd’hui un intérêt accru des chercheurs, qui s’interrogent sur ce qu’ils peuvent nous apprendre de l’évolution du regard porté sur les collections, sur la façon d’en considérer l’importance patrimoniale à un moment donné.8 Un élément de réponse consiste à observer que ces choix se font de façons différentes suivant la nature des collections et les pratiques professionnelles de ceux qui conservent monuments, objets mobiliers, collections de musées, séries d’archives ou fonds de bibliothèques. Il convient en premier lieu de souligner l’ampleur de la campagne de préparation de dépose des vitraux, élaborée fort à l’avance par l’administration de Monuments historiques, qui y consacra des budgets spécifiques en 1938 et en 1939. René Planchenault, 9 archiviste-paléographe et ancien élève de l’Ecole du Louvre, avait été chargé dès 1932 de prévoir l’organisation qu’il serait nécessaire d’adopter en temps de guerre. Il mit en évidence la nécessité d’agir vite et de réduire les temps de dépose. Il fallait pour cela à la fois modifier les modes de fixation des vitraux sur les baies mais aussi être en mesure de réunir le jour J les spécialistes nécessaires, ce qui supposait d’avoir fait le nécessaire pour leur obtenir un statut d’affectés spéciaux permettant d’obtenir un ordre de transport et évitant leur mobilisation ; il était impératif également de disposer de tout le matériel nécessaire (échafaudages, matériel de manutention, matériel d’emballage et caisses). L’efficacité de ces dispositions fut brillamment démontrée au moment de l’entrée en guerre. Alors que la dépose des vitraux de la cathédrale de Chartres avait demandé cinq mois en 1918, le travail fut exécuté en huit jours en septembre 1939. On constate que les architectes en chef des monuments historiques privilégièrent alors les vitraux médiévaux, et en priorité

8 Cf. Arnaud Bertinet, « Evacuer le musée, entre sauvegarde du patrimoine et histoire du goût, 1870 – 1940 », dans : Cahiers du CAP 2 (2015), p. 9 – 40. 9 Cf. André Lapeyre, « René Planchenault (1897 – 1976) », dans : Bibliothèque de l’École des chartes 135 (1977), p. 415 – 421.

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les ensembles insignes de Chartres, Reims, Strasbourg et de la Sainte-Chapelle à Paris,10 les vitraux du XIX ème et du XX ème siècle n’étant pas en revanche considérés comme une priorité. Pour les archives, le volume et le côté sériel des collections ne permettaient pas d’envisager de tout mettre à l’abri. La direction générale des Archives, qui avait autorité sur les dépôts d’archives créés dans chaque département à la Révolution et dont les fonds appartenaient à l’Etat, avait souligné dans une circulaire de janvier 1935 l’importance de protéger les actes historiques les plus précieux mais aussi les dossiers administratifs modernes les plus consultés (Etat-Civil, Justice, archives préfectorales).11 A la fin du mois d’août 1939, tous les archivistes départementaux reçurent une note ministérielle 12 qui récapitulait un certain nombre de dispositions qu’il convenait de prendre aussi bien pour la protection sur place que pour d’éventuelles évacuations, dont on rappelait qu’elles étaient soumises à l’autorisation du préfet. Cette note insistait cette fois sur l’importance de la mise en sécurité des séries anciennes, ce qui dans le cadre de classement national, strictement observé dans tous les dépôts, correspondait aux séries A à H tandis que les lettres suivantes étaient dévolues aux archives postérieures à la Révolution. Les Archives de la Manche choisirent ainsi de transférer dans les caves du dépôt des documents des séries B (cours et juridictions), E (féodalité, communes, bourgeoisies, familles), F (archives civiles) ainsi qu’une partie de la série H (clergé régulier) et la série L (administration et tribunaux de la période révolutionnaire) ; d’autres documents des séries A (actes du pouvoir souverain), B, E, G (clergé séculier), H au château de La Riquerie.13

10 Jeanne Laurent, archiviste-paléographe, a présenté le rapport qu’elle avait rédigé sur la mise en œuvre des opérations de défense passive lors la séance de la commission des Monuments historiques du 23 février 1940. 18 000 m2 de vitraux déposés avaient été déposés. Les vitraux de Chartres avaient été démontés en huit jours, ceux de Reims, Bourges et de la Sainte-Chapelle en quatre jours pour chaque édifice. 263 édifices avaient été protégés, deux millions de sacs de sable utilisés, les objets de 214 monuments avaient été placés dans 7000 caisses préparées à l’avance. Le budget consacré à ces opérations s’élevait depuis 1938 : à 31 MF (15 MF pour les vitraux eux-mêmes et 16 MF pour le reste, c’est-à-dire le blindage et les frais de transport). Cf. Procès-verbaux de la Commission des Monuments historiques de 1848 à 1950, conservés à la Médiathèque de l’architecture et du patrimoine, édition par Jean-Daniel Pariset (elec.enc.sorbonne.fr/monumentshistoriques, consulté le 25 janvier 2020). 11 Sur les dispositions relatives à la protection des archives, cf. Archives nationales (éd.), Une expérience du chaos. Destructions, spoliations et sauvetages d’archives, 1789 – 1945 (Catalogue de l’exposition des Archives nationales, Paris, hôtel de Soubise, 17 mai–18 septembre 2017), Rennes 2017. 12 Ministère de l’Education nationale, note du 23 août 1939 : « Instructions de la direction des Archives de France pour protéger les archives contre les dangers résultants de l’état de guerre ». 13 Sur les mesures de défense passive mises en œuvres aux Archives départementales de la Manche, cf. Gilles Désiré dit Gosset, Les Archives de la Manche au péril de la guerre. De la catastrophe archivistique à la reconstitution des collections, dans : Ethnologies 39 (2017), p 85 – 101.

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Les Archives nationales, qui ont opéré des transferts de grande ampleur vers des châteaux proches de Paris ou plus éloignés, ont également privilégié les séries anciennes, au premier rang desquelles le Trésor des chartes, qui réunit les archives de la Couronne, ainsi que les registres et les minutes du Parlement de Paris, cour souveraine dont les compétences ont excédé largement tout au long de l’Ancien Régime le cadre de la seule justice. Si les archives départementales relevaient de la seule autorité de l’Etat, recevaient leurs instructions et leurs budgets de la puissante direction des Archives et observaient un cadre de classement identique dans tous les dépôts, il en allait tout autrement pour les bibliothèques. Les bibliothèques municipales étaient soumises à l’autorité des maires, il n’existait pas de direction nationale des bibliothèques et seule une partie minoritaire des fonds appartenaient à l’Etat parce que provenant des confiscations révolutionnaires. Les choix à y faire découlèrent donc d’une histoire des fonds, de pratiques professionnelles et d’organisation bien différentes. Les dispositifs de protection des bibliothèques 14 firent l’objet d’une circulaire intitulée « Instruction sur la protection des collections des bibliothèques municipales », diffusée en 1939 à 183 établissements.15 Les bibliothécaires devaient veiller en priorité aux « pièces irremplaçables », souvent propriété de l’Etat, et de mettre à l’abri les manuscrits, les incunables, les livres rares, les reliures précieuses, les estampes, les fonds locaux, sans oublier les inventaires. Il leur était demandé de s’appuyer sur une enquête nationale lancée en 1928 dans les bibliothèques rassemblant plus de 10 000 volumes et dont les résultats avaient été publiés en 1932 dans un ouvrage paru sous le titre Richesses des bibliothèques provinciales de France, conçu sous la direction de deux inspecteurs généraux, Pol Neveu et Emile Dacier.16 Les collections y sont décrites suivant un mode de classement qui correspond à l’organisation pratique des bibliothèques, distinguant les livres de ce que l’on désigne aujourd’hui sous le terme de « collections spécialisées » : manuscrits, fonds musicaux, dessins et gravures, monnaies et médailles, en faisant une place spécifique aux reliures et aux fonds locaux. L’ancienneté apparaît comme un critère de choix essentiel, amenant à privilégier pour les manuscrits ceux 14 En 1939, on comptait trois bibliothèques nationales (Paris, Strasbourg et Alger), trente-sept bibliothèques municipales classées et vingt et une bibliothèques universitaires. Circulaire adressée par l’inspection des bibliothèques et des archives à toutes les bibliothèques en septembre 1938 sur les dispositions à prendre (source : rapport Bernard Faÿ). Voir le rapport de Bernard Faÿ : Bibliothèque nationale. Le fonctionnement et la réorganisation de la Réunion des Bibliothèques nationales de Paris, 15 juin 1940 – 31 décembre 1942, rapport présenté à M. le Maréchal de France, chef de l’État. 15 Cette circulaire, signée de Julien Cain et envoyée à 183 bibliothèques municipales, est mentionnée dans le rapport de Bernard Faÿ et judicieusement reproduite dans le mémoire d’Aliénor Lemarié, Les bibliothèques françaises (voir n. 6). 16 Bibliothèques nationales de France (éd.), Richesse des bibliothèques provinciales de France : historique des dépôts, œuvres d’art, manuscrits, miniatures, livres reliures, musiques, dessins et gravures, monnaies et médailles, fonds locaux, spécialités, Paris 1932.

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des périodes mérovingiennes et carolingiennes, et bien sûr les incunables, c’est-à-dire les imprimés du XVe siècle. Les manuscrits enluminés et les reliures précieuses y font l’objet d’une attention toute particulière. Cette sélection constitue ainsi une excellente illustration de la hiérarchie des valeurs de l’époque. A la lecture de ces instructions il était par exemple tout naturel pour le bibliothécaire d’Avranches de privilégier les manuscrits de l’abbaye du Mont-Saint-Michel. La Bibliothèque nationale observa ces mêmes priorités dans les choix lorsqu’elle mit ses collections à l’abri au château d’Ussé. S’appuyant sur des listes de 1914, revues en 1919 et mises à jour en juin 1938, elle fit une sélection plus large que lors du conflit précédent et déplaça massivement les manuscrits, les livres imprimés anciens, rares et précieux de la Réserve ainsi qu’une large sélection d’estampes anciennes. Bien des bibliothécaires municipaux se heurtèrent en 1939 à des difficultés pour réunir les crédits nécessaires à la mise en œuvre des mesures de protection. En l’absence d’une direction nationale des bibliothèques, leurs crédits de fonctionnement provenaient quasiment intégralement du seul budget municipal et les maires avaient alors à faire face à bien d’autres urgences. Ainsi, faute de crédits disponibles, Jeanne Varangot ne put faire fabriquer les caisses dont elle a besoin à Angers, tandis que Georges Collon, à Tours, ne parvenait pas à achever les travaux de renforcement de ses locaux en sous-sol.17 Si on les compare aux dispositions prises pour les archives et les bibliothèques, les mesures de protection prises pour les musées présentent aussi des caractéristiques particulières, qui témoignent de l’importance même de la notion de chefs-d’œuvre, mais qui sont aussi inhérentes à leur organisation, à la matérialité des objets et à l’histoire des collections. L’ampleur des déplacements d’œuvres majeures est impressionnante. Pour le Louvre, la quasi-totalité des tableaux est évacuée, la Vénus de Milo et la Victoire de Samothrace passent la période de l’Occupation au château de Valençay, le Scribe accroupi à Courtalain… La situation est analogue dans les autres grands musées et l’un des exemples les plus parlants est probablement le Retable d’Issenheim, du musée « Unter den Linden » de Colmar, évacué en Dordogne. Ces mesures avaient été prévues de longue date pour les musées dont l’intégralité des collections appartenait à l’Etat et qui étaient placés sous l’autorité de la direction des Musées nationaux. Les instructions diffusées en avril 1936 enjoignent aux conservateurs de dresser des listes d’œuvres en les répartissant en trois catégories : particulièrement importantes et devant être immédiatement mises à l’abri (liste A), dont la protection présente un caractère de nécessité moins immédiate mais qui pourraient néanmoins faire l’objet d’une évacuation ultérieure (liste B), dont le déplacement serait difficilement réalisable mais dont la protection pourrait être assurée sur place (liste C).18 On voit 17 Cf. Georges Collon, lettre au Ministre, 2 octobre 1940 (Archives municipales de Tours, 2R/155, cité dans : Daniel Schweitz, « L’incendie de la Bibliothèque de Tours (juin 1940) », dans : Mémoires de l’Académie des sciences, arts et belles-lettres de Touraine 22 (2009), p 183 – 201). 18 Note d’Henri Verne en date du 20 avril 1936 (Arch. Nat, 20144792/1).

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bien ici affirmée la nécessité de prendre en compte la matérialité des œuvres : la valeur artistique doit être décisive pour que l’on décide de transporter des œuvres très encombrantes, comme des tableaux de très grands formats ou des lourdes sculptures, pour que l’on décide de prendre le temps nécessaire à l’emballage de pièces très fragiles, comme des objets de verre ou de porcelaine. C’est ainsi par exemple qu’il n’y eut pas d’évacuation des collections du musée de la Céramique de Sèvres.19 En analysant les réponses apportées à cette note, Arnaud Bertinet remarque à juste titre l’attention, nouvelle par rapport aux conflits précédents, qui y est apportée à la protection de l’art contemporain et dont témoigne la liste dressée par le conservateur Pierre Ladoué et transmise par Louis Hautecœur, alors conservateur du musée du Luxembourg, qui joua dans les années suivantes un rôle important dans la création du musée national d’Art moderne au palais de Tokyo.20

3. Une responsabilité partagée avec les autorités d’Occupation Toutes les mesures de protection préparées à la fin des années 1930 et mises en œuvre au début de la guerre l’avaient été sous la seule responsabilité de l’administration française. La situation changea du tout au tout après une guerre éclair de quelques semaines, qui conduisit à la signature de l’armistice, le 22 juin 1940. Tant qu’un traité de paix n’était pas signé la situation de guerre était simplement suspendue. Dès lors, la moitié nord de la France était placée sous un régime d’occupation militaire, qui s’étendit à l’ensemble du pays à partir du 11 novembre 1942. Une grande partie de la vie du pays était désormais soumise à l’autorité du Commandement militaire allemand. Durant les quatre années de l’Occupation la guerre perdura en Europe et certaines parties du territoire français furent frappés par des bombardements alliés avant d’être le théâtre d’opérations terrestres à la suite du débarquement de juin 1944. Durant cette période, des Français et des Allemands ont ainsi pu mettre à l’épreuve leurs conceptions de la protection du patrimoine et constater au quotidien la proximité de leurs pratiques professionnelles. Ils ont eu également à se confronter à des questions qui se posent fréquemment en temps de guerre : le statut des trophées de guerre, l’appropriation de biens privés ou encore le transfert des collections publiques en territoire ennemi. Au sein du Haut-Commandement de l’Armée de terre trois services étaient les principaux interlocuteurs 19 Le musée de Sèvres, alors placé sous la responsabilité de Hans Haug, subit des dommages importants lors du bombardement du 3 mars 1942 opéré par la Royal Air Force et qui visait l’usine Renault de Boulogne-Billancourt, située à proximité et utilisée par les Allemands pour produire de l’armement ; un inventaire des destructions constatées a été immédiatement dressé (Archives nationales 20144792 ex AMN R5.6, dossier 1 et Archives du musée de Sèvres, 4W80). 20 Liste d’avril 1936 (Arch. Nat. 20144792 ex AMN R1, dossier 1), cf. Bertinet, « Evacuer le musée » (voir n. 8).

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des musées, des bibliothèques et des archives : le « Kunstschutz », chargé des monuments historiques et des œuvres d’art, l’« Archivschutz » et le « Bibliotheksschutz ». L’Occupation soumettait la France politiquement, diplomatiquement et économiquement. Elle imposait également un système de contrôle de surveillance qui intervenait jusque dans les pratiques ordinaires de l’administration et la vie quotidienne de la population. Cette situation créait une dépendance au quotidien, qui transparaît à chaque page des « carnets » de Jacques Jaujard, ces petits classeurs noirs à spirale, conservés aux Archives nationales, dans lesquels le directeur des musées nationaux a conservé les doubles de ses courriers adressés de janvier 1942 à mars 1944 au « Kunstschutz ».21 La direction générale des Beaux-Arts avait en effet à appliquer l’ordonnance du 15 juillet 1940, qui soumettait tout déplacement d’œuvre d’art à l’autorisation des autorités allemandes. Il fallait également obtenir des autorisations de circulation tout particulièrement pour le franchissement de la ligne de démarcation. Après la signature de l’armistice les autorités françaises comme les forces d’occupation allemande avait besoin de voir rétablir l’ordre, ce qui supposait notamment la réouverture des services publics et le retour à un fonctionnement quotidien normal. La réouverture au public des archives, des bibliothèques et des musées était alors dans bien des cas une volonté partagée. La remise en place des collections se fit donc pour partie d’un commun accord, pour des raisons de sécurité des collections, de conditions de conservation et d’organisation du travail. Elle suscita cependant des divergences de vues pour les collections alsaciennes et mosellanes et celles des grandes institutions parisiennes. Les profondes perturbations apportées à l’ordre des collections, leur déplacement vers des locaux considérés comme moins menacés, qui pouvaient se trouver dans un bâtiment extérieur, parfois en dehors de la ville ou même dans une autre région, présentaient bien des inconvénients, tout particulièrement pour la sûreté des collections. Dans bien des cas, les dépôts de repli n’apparaissaient pas aussi sûrs que les bâtiments d’origine, ils ne permettaient pas de loger sur place les personnels nécessaires dans des conditions convenables et l’emballage en caisse compliquait singulièrement la vérification régulière de l’état de conservation. Or, nombreux étaient ceux qui souhaitaient pouvoir reprendre l’étude des collections dont ils avaient la responsabilité, pour laquelle ils avaient été formés et à laquelle ils tenaient, ainsi qu’on peut l’entendre dans la plainte mélancolique du bibliothécaire de Carpentras, Robert Caillet, qui écrivit plus tard : « Je n’aurai à mon actif, durant ces lamentables années de guerre, que mon perfectionnement dans l’art de l’emballage ; du point de vue professionnel, c’est insuffisant ».22 21 Cf. Archives nationales, 20144792/23 à 20144792/29. 22 Caillet, bibliothécaire de Carpentras, cité dans : Violaine Challéat-Fonck, Les archives départementales dans la guerre. L’exemple des Archives du Vaucluse, 1938 – 1940, dans : Bertrand Fonck/ Amable Sablon du Corail (éd.), 1940, l’empreinte de la défaite. Témoignages et archives, Rennes 2014, p 127 – 143.

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Le retour dans les bâtiments d’origine s’effectua donc progressivement, comme ce fut le cas par exemple pour Angers.23 En septembre 1939, les manuscrits les plus précieux avaient été mis à l’abri dans deux coffres-forts du Crédit de l’Ouest tandis que le reste des manuscrits et les archives municipales antérieures à la Révolution étaient transférés au château du Plessis-Macé, à une dizaine de kilomètres d’Angers, et placés dans la chapelle. Durant l’été 1940, la bibliothécaire, Jeanne Varangot constatait l’humidité qui régnait dans la chapelle du château du Plessis-Macé où une grande partie de ses manuscrits et les archives municipales antérieures à la Révolution avait trouvé refuge et, s’inquiétant d’un possible cantonnement de troupes, prit ainsi le parti de faire revenir les collections à Angers même.24

4. Des interprétations différentes des principes internationaux de protection La deuxième partie du manuel publié par l’Office international des musées en 1939 était consacrée aux principes internationaux de protection et mettait à disposition les textes en vigueur, au premier rang desquels la « Convention concernant les Lois et Coutumes de la Guerre sur Terre » adoptée à La Haye en 1907. Au fil des quatre années d’Occupation surgirent bien des cas où ces principes ont été interprétés de façon différente par les autorités françaises et les forces d’occupation allemande, notamment à propos des collections alsaciennes et mosellanes, des biens privés ou encore des collections de militaria. Peu après l’armistice du 22 juin 1940, l’Allemagne avait rattaché de fait l’Alsace au Gau Baden pour constituer le Gau Baden-Elsass tandis que la Moselle rejoignait le Gau Westmark ;25 la protection du patrimoine y releva dès lors de la responsabilité des « Gauleiter » de ces deux territoires. Les autorités allemandes, qui avaient demandé le retour en Alsace des populations évacuées, exigèrent également de voir revenir les collections transférées en Dordogne au début du conflit. Dès le 4 octobre 1940, un train formé de dix-huit wagons transféra une grande partie des œuvres des musées des anciens départements du Haut-Rhin (musée Unter den Linden de Colmar) et du Bas-Rhin (musées de Strasbourg) ; les œuvres qui appartenaient à l’Etat et dont Strasbourg n’était que dépositaire ne reprirent cependant pas la route de l’Alsace.26 Les collections des bibliothèques de Strasbourg, de Colmar, la

23 Sur Angers, cf. Lemarié, Les bibliothèques françaises (voir n. 6). 24 Cf. Rapport de Jeanne Varangot au Ministre, 20 septembre 1940, Archives de la Bibliothèque municipale d’Angers, Correspondance, cité dans : Lemarié, Les bibliothèques françaises (voir n. 6). 25 Sur la situation du patrimoine en Alsace, cf. Nicolas Lefort, Patrimoine régional, administration nationale. La conservation des monuments historiques en Alsace de 1914 à 1964, thèse, Université de Strasbourg, 2013, 2 vol. 26 Sur le retour des œuvres des musées alsaciens, cf. Tessa Friederike Rosebrock, Kurt Martin et le musée des Beaux-Arts de Strasbourg. Politique des musées et des expositions sous le IIIè Reich et

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Bibliothèque humaniste de Sélestat, le fonds d’Alsatica de Metz revinrent dans leurs villes d’origine un peu plus tard, entre mars et novembre 1941.27 Il s’agit là d’un cas de retour dans un territoire dont l’annexion n’est pas reconnue pas des accords internationaux. L’archevêque de Strasbourg pour sa part s’opposa durant de longs mois au retour des trésors des églises et de la cathédrale de Strasbourg. Il s’appuyait à ce titre sur l’article 56 de la convention de La Haye, qui assure l’immunité aux établissements de culte et interdit à l’ennemi toute saisie à leur détriment.28 Pour les Allemands, la convention n’était pas applicable sur ces territoires puisque l’Alsace faisait pleinement partie du Reich. Les Allemands se saisirent des trésors par la force à Bourdeilles et au château de Hautefort en mai 1943. La France formula des objections spécifiques, étayées par le droit international, quant au devenir des archives. A la suite des travaux de la commission Kraft, chargée de distinguer entre les archives nécessaires à la vie administrative ordinaire de l’Alsace, qui devaient y revenir, et les dossiers destinés à rester côté français tant qu’aucun traité de paix n’aura été signé, une grande partie des archives revinrent en Alsace et furent abritées au fort Desaix, à Mundolsheim.29 La section III de la convention de 1907 traite de l’autorité militaire sur le territoire ennemi et son article 46 stipule que « la propriété privée ne peut être confisquée ». Ce principe été largement bafoué lors des saisies systématiques opérées par certains services allemands chargés de s’emparer des biens de familles considérées comme juives. Dans quelques cas très particuliers, comme pour certains membres de la famille Rothschild, le gouvernement français s’est élevé contre ces saisies, non en invoquant le droit de la guerre, mais en excipant du fait que ces biens étaient placés sous séquestre par l’administration française à la suite du décret du 6 septembre 1940, pris en application de la loi du 23 juillet précédent, qui prononçait la déchéance de nationalité d’un certain nombre de Français ayant quitté le territoire entre le 10 mai et le 30 juin 1940. Un autre sujet encore offre des exemples qui peuvent nous intéresser aujourd’hui encore, celui des militaria. En juin 1940, le contre-amiral Hermann Lorey, directeur du « Zeughaus », le musée de l’Armée de Berlin, avait été chargé par l’« Oberkommando des Heeres » de faire revenir en Allemagne les prises de guerre d’origine allemande se trouvant en France. C’est à ce titre qu’il s’était fait remettre des drapeaux qui ornaient la nef des Invalides et près de 2000 objets conservés au musée des Invalides, dont la somptueuse armure de François 1er, transportée du château autrichien d’Ambras à Paris sur l’ordre de Napoléon et qui avait figurée à l’exposition des objets d’art conquis organisée en 1807 dans l’immédiat après-guerre, Paris 2019, p 71 – 73. 27 Le retour de ces fonds est suivi par le « Bibliotheksschutz », cf. Archives nationales, AJ 40/569. 28 Sur la mise à l’abri et le retour en Alsace des trésors des églises et de la cathédrale de Strasbourg, cf. Michel Rayssac, L’exode des musées. Histoire des collections françaises sous l’Occupation, Paris 2007, p 166 – 168, 308, 320, 344, 396 – 398, 403, 414, 424 – 425. 29 Sur la commission Kraft, cf. Archives départementales du Bas-Rhin, 178 AL 5.

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au Louvre.30 Transférée en Autriche, elle fut offerte à l’admiration des visiteurs de l’exposition « Rüstungen und Waffen : Ruckführung aus dem Musée de l’Armée in Paris » qui s’ouvrit le 7 avril 1941 au « Kunsthistorisches Museum » de Vienne.31 De facto, la notion de « trophée de guerre » prévalait sur le statut d’œuvre de collections publiques protégée par la convention de La Haye. L’expérience tirée de chaque guerre permet d’améliorer les dispositifs prévus par les bibliothèques, les musées et les archives pour faire face aux situations de crise, qu’il s’agisse d’incendie, d’inondation, de séisme ou de conflit armé. Ces plans d’urgence s’appuient sur des pratiques professionnelles confirmées et font l’objet d’échanges fréquents au niveau international, leur importance est soulignée dans nombre d’enseignements. Les textes internationaux visant à la protection du patrimoine en temps de conflit ont beaucoup évolués par rapport au milieu du siècle dernier et depuis la convention de La Haye de 1954, qui, à la différence de celles de 1907, est entièrement consacrée aux œuvres d’art en temps de guerre. Pourtant la question de l’interprétation et du respect même de ces textes demeure bien toujours une question d’actualité.

30 Sur les prélèvements opérés dans les collections militaires parisiennes, cf. Hermann Lorey, Liste der 1940 aus Frankreich zurückgeführten militärischen Gegenstände, Berlin 1941. 31 Sur les nombreux déplacements de l’armure de François 1er, cf. Juliette Alix, « L’armure de François 1er. Histoire d’un présent diplomatique », dans : Les cahiers de l’Ecole du Louvre 6 (2015), s. p., : http:// journals.openeditoin.org/cel/311 (consulté le 26 janvier 2020).

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Fotokampagnen des Bildarchivs Foto Marburg für den Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg Geschichte und Quellenlage Susanne Dörler

Im Frühjahr 1944 erinnerte sich der ehemalige Kunstschutzbeauftragte Franz Graf Wolff Metternich in einem Brief an Richard Hamann (1879 – 1961), Ordinarius für Kunstgeschichte an der Universität in Marburg und Leiter des Bildarchivs Foto Marburg, wehmütig an seine zu d ­ iesem Zeitpunkt schon beendete Tätigkeit im besetzten Frankreich und insbesondere an die Fotocampagne [bei der] ein so schönes Resultat erzielt werden konnte.1 Auch wenn Wolff Metternich seine eigene Rolle für ­dieses Unternehmen im Rückblick als gering einschätzte,2 gehört die mit großem Personal- und Finanzaufwand realisierte fotografische Inventarisation der Kunstdenkmäler im besetzten Frankreich zu den ertragreichsten und bis heute nachhaltigen Unternehmungen seines Wirkens beim Kunstschutz in Frankeich. Die zu ­diesem Projekt und seiner Geschichte im Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg (DDK) aufbewahrten Quellen sind damit ein wichtiger Teil der vielfältigen Überlieferung zum Kunstschutz, die im Rahmen des dreijährigen Forschungsprojektes zur Quellenlage des Kunstschutzes sowie zum Personennetzwerk um Wolff Metternich untersucht und für das „Sachinventar zum militärischen Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg“ 3 zusammengetragen wurde. Aufgrund ihres mit rund 24.000 Aufnahmen ungewöhnlich üppigen Ertrags und der besonderen Entstehungsumstände zählte diese Fotokampagne im Bildarchiv Foto Marburg von jeher zu den wichtigen und prominenten Projekten des Hauses. In den Blick der 1 Deutsches Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg (DDK ), Archiv, Archivalien der Fotokampagne im besetzten Frankreich des Zweiten Weltkriegs (FF WK2), Fotokampagne Teil 1, Brief Wolff Metternich an Hamann, Bonn 17. 02. 1944. 2 Ebd.: Weiter schreibt Wolff Metternich: Ich denke dabei an die Fotocampagne, bei der mein persönlicher Teil, abgesehen von der ersten Anregung die Gelegenheit auszunutzen und Ihr Werk fortzusetzen, nur sehr gering gewesen ist. Wenn so ein schönes Resultat erzielt werden konnte, so war es das Verdienst meines unermüdlichen Mitarbeiters Dr. v. Tieschowitz (…) vor allem aber das Ihrige, der Sie das ganze Unternehmen mit Ihrer belebenden Begeisterung erfüllt haben. 3 https://kunstschutz-wolff-metternich.de (Stand: 26. 07. 2020); siehe auch den Beitrag Esther Heyer zur Biografie Wolff Metternichs im vorliegenden Band.

­ orschung geriet sie jedoch erst anlässlich erster Untersuchungen zur Geschichte der MarF burger Universität im Nationalsozialismus.4 Ungeachtet dieser 2005 veröffentlichten Überblicksdarstellungen, deren Ergebnisse insbesondere im Rahmen der in jüngerer Zeit verstärkt einsetzenden Forschungen zum Kunstschutz vertieft und in einen größeren Kontext gestellt wurden, steht eine grundlegende und erschöpfende Darstellung noch aus und kann auch im Rahmen ­dieses Beitrags nicht geleistet werden.5 Gleichwohl soll der in Marburg überlieferte Quellenbestand zur Kampagne nicht nur vorgestellt und sein aktueller Bearbeitungsstand skizziert werden. Es sollen vielmehr seine Potenziale aufgezeigt, mögliche Forschungsfragen formuliert und die fruchtbare Sonderstellung des Bildarchivs Foto Marburg im Kreis der für den Kunstschutz relevanten Archive verdeutlicht werden.

1. Das Bildarchiv Foto Marburg Das Bildarchiv Foto Marburg, heute Teil des Deutschen Dokumentationszentrums für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg (DDK) und damit eine zentrale Einrichtung der Philipps-Universität Marburg, wurde 1913 von Richard Hamann, dem ersten Ordinarius für Kunstgeschichte der Universität Marburg, als fotografische Abteilung des k­ unsthistorischen 4 Zuerst Anne Christine Nagel (Hg.), Die Philipps-Universität Marburg im Nationalsozialismus. Dokumente zu ihrer Geschichte (Academia Marburgensis 7), Stuttgart 2000. 5 Zu nennen sind vor allem die ersten Überblicksdarstellungen von Judith Tralles und Michael Sprenger von 2005, die mittlerweile durch die Forschungen von Angela Matyssek vertieft und insbesondere von Christina Kott in den größeren Kontext der Forschung zum militärischen Kunstschutz gestellt wurden: Nagel, Die Philipps-Universität Marburg im Nationalsozialismus (wie Anm. 4), S. 70; Judith Tralles, Die Fotokampagnen des Preußischen Forschungsinstituts für Kunstgeschichte während des Zweiten Weltkrieges, in: Nikola Doll/Christian Fuhrmeister/Michael H. Sprenger (Hg.), Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte einer Wissenschaft ­zwischen 1930 und 1950, Weimar 2005, S. 263 – 282; Michael H. Sprenger, „Hamanns Schule ist eine der schwersten, aber sie übt“. Marburger Kunstgeschichte im Spiegel einer Festschrift von 1944, in: Ebd., S. 243 – 261; Christina Kott, Der deutsche „Kunstschutz“ im ­Ersten und Zweiten Weltkrieg. Ein Vergleich, in: Ulrich Pfeil (Hg.), Deutsch-französische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im 20. Jahrhundert. Ein institutionengeschichtlicher Ansatz (Fünfzig Jahre Deutsches Historisches Institut Paris), München 2007, S. 137 – 153; Dies., „Den Schaden in Grenzen halten…“. Deutsche Kunsthistoriker und Denkmalpfleger als Kunstverwalter im besetzten Frankreich, 1940 – 1944, in: Ruth Heftrig/Olaf Peters/Barbara Schellewald (Hg.), Kunstgeschichte im „Dritten Reich“. Theorien, Methoden, Praktiken, Berlin 2008, S. 362 – 392; Angela Matyssek, Kunstgeschichte als fotografische Praxis. Richard Hamann und Foto Marburg, Berlin 2009; Ruth Heftrig, Fanatiker der Sachlichkeit. Richard Hamann und die Rezeption der Moderne in der universitären deutschen Kunstgeschichte 1930 – 1960 (Schriften zur modernen Kunsthistoriographie 5), Berlin 2014; Fritz Laupichler, Das Bildarchiv Foto Marburg. Von der „Photographischen Gesellschaft“ zum Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte, Marburg 2015.

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Instituts begründet 6 und widmete sich von Beginn an der Sammlung, Bewahrung und Bereitstellung wissenschaftlich relevanter Fotografien zu Kunst und Architektur. In den vergangenen über 100 Jahren wurden rund 2,8 Millionen Fotografien zusammengetragen – durch Übernahmen bestehender Negativsammlungen,7 vor allem aber durch eine stetige und lebhafte eigene Aufnahmetätigkeit im In- und Ausland.8 Hamann, überzeugt vom Nutzen der Fotografie für Forschung und Lehre in der Kunstgeschichte, fotografierte nicht nur persönlich seit dem ­Ersten Weltkrieg jahrzehntelang und mit großem Engagement,9 sondern sorgte auch dafür, dass die fotografische Praxis ein wichtiger Bestandteil des Studiums am Kunsthistorischen Institut in Marburg wurde. 1926 wurde ein Lektorat für Photographie eingerichtet,10 und viele seiner Schüler und Assistenten fotografierten im Rahmen von Exkursionen oder selbständigen Studienreisen für das Institut.11 Noch heute dokumentiert die Fotowerkstatt des DDK mit ausgebildeten Fotografen und Fotografinnen forschungsrelevante Kunst- und Bauwerke, die in der Online-Verbunddatenbank „Bildindex der Kunst und Architektur“ 12 bereitgestellt werden. Im Rahmen der genannten Dokumentationstätigkeiten im europäischen Ausland fotografierte Foto Marburg während der beiden Weltkriege wiederholt auch im Auftrag der jeweiligen Militärregierungen in den von Deutschland besetzten Gebieten. In enger ­Zusammenarbeit mit den Kunstschutzabteilungen wurden – wie im Falle der Fotokampagne im besetzten Frankreich – umfassende fotografische Inventarisationen der dortigen Kunst- und Baudenkmäler geschaffen. 6 Aus einer privaten Negativsammlung Richard Hamanns erwachsen und zunächst als Photografische Abteilung dem Kunsthistorischen Institut in Marburg angegliedert, entwickelte sich das Bildarchiv Foto Marburg schon bald zu einer der führenden Bildsammlungen auf dem Gebiet der Kunst und agierte in enger Abstimmung mit dem 1930 ebenfalls in Marburg begründeten Preußischen Forschungsinstitut für Kunstgeschichte als Bildproduzent, Bildagentur und Forschungsinstitution. Zur institutionellen und administrativen Genese siehe ausführlich Matyssek, Kunstgeschichte als fotografische Praxis (wie Anm. 5) und Laupichler, Das Bildarchiv Foto Marburg (wie Anm. 5). Im Folgenden wird die historische Institution, d. h. Apparat und Akteure der 1940er Jahre, ungeachtet der im Verlauf ihrer Geschichte wechselnden Funktionen, Verantwortlichen und Benennungen, der Übersichtlichkeit halber als Foto Marburg geführt. So auch vielfach in den Quellen der Zeit, siehe auch Matyssek, Kunstgeschichte als fotografische Praxis (wie Anm. 5). 7 Zu den Übernahmen in der Ära Hamann siehe ebd., S. 45. Die Entwicklungen bis in die Gegenwart siehe Laupichler, Das Bildarchiv Foto Marburg (wie Anm. 5). 8 Siehe Matyssek, Kunstgeschichte als fotografische Praxis (wie Anm. 5), S. 41 ff. und mit Schwerpunkt auf der Zeit des Nationalsozialismus Tralles, Die Fotokampagnen (wie Anm. 5). 9 Auch im Zuge der Fotokampagne des Kunstschutzes in Frankreich fotografierte Richard Hamann wiederholt persönlich in Pariser Sammlungen und unterstützte die Fotografenteams bei ihren Exkursionen in der Provinz. Siehe hierzu DDK-Archiv, Festschrift Richard Hamann 1944, Typoskript; DDK Archiv FF WK2, Unterlagen Restitutionsforderung Frankreich, Stellungnahme Hamann 1947. 10 Zur Entwicklung der Photografischen Abteilung siehe Matyssek, Kunstgeschichte als fotografische Praxis (wie Anm. 5), S. 36. 11 Sprenger, Marburger Kunstgeschichte (wie Anm. 5). 12 www.bildindex.de (Stand: 26. 07. 2020).

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2. Die Fotokampagne im besetzten Frankreich im Zweiten Weltkrieg 1940 – 1944 Neben seinen administrativen sowie den konkret sichernden und schützenden Aufgabenfeldern widmete sich der militärische Kunstschutz in Frankreich auch der Förderung und Unterstützung der wissenschaftlichen, zu Teilen tendenziösen Forschungstätigkeit im Deutschen Reich. Der zu ­diesem Zwecke eingerichtete kunstwissenschaftliche Arbeitsstab hatte die Aufgabe, nicht nur eine Reihe von individuellen Sonderforschungen zum Verhältnis von deutscher und französischer Kunst zu betreuen und zu unterstützen, sondern vor allem durch die Bereitstellung von fotografischem Bildmaterial die Grundlage für weiterführende kunsthistorische Forschung im Reich zu schaffen. Zu ­diesem Zwecke sollten zum einen bestehende französische Bildarchive gesichtet und geeignetes Material reproduziert, zum anderen aber in großem Umfang Neuaufnahmen der für die deutsche Forschung relevanten Kunst- und Bauwerke angefertigt werden.13 Im Sommer 1940 begannen daher auf Veranlassung der Kunstschutzabteilung der deutschen Militärverwaltung in Frankreich die Vorbereitungen zu einer umfassenden fotografischen Inventarisation in den besetzten Gebieten. Finanziert wurde das Projekt weitgehend vom Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung sowie aus Mitteln der Reichskanzlei. Im Verlauf der Unternehmung übernahmen die Kunsthistorische Forschungsstätte in Paris und Foto Marburg eine Teilfinanzierung.14 Ziel war die „photographische Aufnahme der Kunst- und Baudenkmäler im besetzten Gebiet Frankreichs in Ergänzung [!] zu im photographischen Archiv des kunstgeschichtlichen Seminars der Universität Marburg [d. h. Foto Marburg] bereits vorhandenen Bildmaterial“ 15 unter Berücksichtigung einer Reihe von Forschungsthemen, die von den Verantwortlichen, Franz Graf Wolff Metternich sowie den Professoren Alfred Stange aus Bonn und Richard Hamann aus Marburg, für den kunstwissenschaftlichen Arbeitsstab festgelegt worden waren.16 Der reiche, durch die geplanten Neuaufnahmen zu ergänzende Sockelbestand des Marburger Bildarchivs, seine etablierten Infrastrukturen sowie seine langjährige fotografische Praxiserfahrung waren ausschlaggebend dafür, dass Foto Marburg mit der inhaltlichen 13 Siehe Franz Graf Wolff Metternich, Der Kriegskunstschutz in den besetzten Gebieten Frankreichs und Belgiens. Organisation und Aufgaben, in: Deutsche Kunst und Denkmalpflege (1942/1943), S. 26 – 35, hier S. 33; Kott, Deutsche Kunsthistoriker und Denkmalpfleger (wie Anm. 5), S. 374. 14 Zur Finanzierung kurz Matyssek, Kunstgeschichte als fotografische Praxis (wie Anm. 5), S. 198 f. Inwieweit die in den überlieferten Tätigkeitsberichten und Vertragsentwürfen notierten Finanzierungsabsprachen im Verlauf des Projekts und der kriegsbedingt veränderten Verfügbarkeiten vollständig umgesetzt wurden, lässt sich möglicherweise anhand der im DDK Archiv überlieferten Rechnungsdokumente überprüfen. 15 Wolff Metternich, Der Kriegskunstschutz (wie Anm. 13), S. 33. 16 Kott, Deutsche Kunsthistoriker und Denkmalpfleger (wie Anm. 5), S. 378; Matyssek, Kunstgeschichte als fotografische Praxis (wie Anm. 5), S. 198.

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Vorbereitung, Organisation und Durchführung der Fotokampagne sowie der Bearbeitung und Bereitstellung des neuen Bildmaterials betraut wurde.17 Während Fotografenteams monatelang durch die französische Provinz reisten und gemäß der im Marburger Institut vorbereiteten Arbeitsprogramme fotografierten,18 wurden in einer den Büros des Kunstschutzes benachbarten „Kampagnenzentrale“ in Paris, einer Art Außenstelle von Foto Marburg, sämtliche Touren koordiniert, die gelieferten Negative gesammelt und in einem eigens eingerichteten Labor entwickelt sowie Abzüge hergestellt und eine erste Katalogisierung vorgenommen.19 Anschließend wurde das Fotomaterial sukzessive nach Marburg geschickt, um dort in die schon bestehende Dokumentation zur französischen Kunst und Architektur integriert zu werden.20 Die Fotokampagne startete im Oktober 1940 mit einer ersten intensiven Phase, bei der 16 dem Oberkommando des Heeres unterstellte Fotografen in vier Teams innerhalb eines Jahres rund 20.000 Aufnahmen in allen Regionen des besetzten Landes anfertigten. In den Wintermonaten fotografierte man vorwiegend in den Museen und Bibliotheken der Hauptstadt. Nach dem Abschluss der offiziellen Fotokampagne im September 1941 wurde ab 1942 die Aufnahmetätigkeit von Foto Marburg in Zusammenarbeit mit der Kunsthistorischen Forschungsstätte 21 mit deutlich weniger und weitgehend zivilem, zu Teilen sogar französischem Personal fortgeführt.22 Letzte Kampagnen gingen im September 1943 in Gebiete 17 Siehe hierzu den Nachlass Franziskus Graf Wolff Metternich im Familienarchiv Graf Wolff M ­ etternich im Archiv der Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e. V. in Ehreshoven (künftig: NL FGWM), Nr. 240, Schreiben des Reichserziehungsministeriums 15. 07. 1940. 18 Wochenlang wurden die Guide bleus excerpiert (wir ver-guide-blödeten bereits) und der Aufnahmeplan tabellarisch festgelegt (…) aus: o. A., Frankreichkampagne von der Abeille gesehen, in: Festschrift Richard Hamann 1944 (wie Anm. 9); außerdem in: NL FGWM, Nr. 197 Franziskus Graf Wolff Metternich, Bericht über den Einsatz des kunstwissenschaftlichen Arbeitsstabes in Frankreich, Paris 9. 12. 1940, Typoskript, S. 4. Der Bericht liegt auch als Kopie im Archiv des DDK vor und wurde in Auszügen von Anne Nagel publiziert, Nagel, Die Philipps-Universität Marburg im Nationalsozialismus (wie Anm. 4). 19 Die Büroräume und Fotolabors der Zentrale befanden sich im fünften Stock in der Avenue Kléber 24, einem ehemaligen Verwaltungsgebäude der Assurance L’Abeille und damit in unmittelbarer Nachbarschaft des Hôtel Majestic, wo die Büros der Kunstschutzabteilung untergebracht waren. Offenbar in Anspielung auf seine Bedeutung wurde der Name der Versicherung „Abeille“ (deutsch: Bienenstock) als interne Bezeichnung der umtriebigen und von allen Beteiligten immer wieder aufgesuchten Zentrale übernommen. Siehe „Frankreichkampagne von der Abeille gesehen“ (o. A.), in: Festschrift Richard Hamann 1944 (wie Anm. 9). Es handelt sich nicht, wie in der Literatur angenommen, um ein Pariser Stadtviertel, z. B. Tralles, Die Fotokampagnen (wie Anm. 5), S. 271. 20 Das Kunsthistorische Institut in Bonn sollte von allen Aufnahmen einen Belegabzug erhalten. NL FGWM, Nr. 240, Auszug aus dem Schreiben des Reichserziehungsministeriums 15. 07. 1940; DDK Archiv FF WK2, Fotokampagne Teil 2, Vereinbarung Fotokampagne 01. 06. 1941. 21 Kott, Deutsche Kunsthistoriker und Denkmalpfleger (wie Anm. 5), S. 366. 22 Z. B. die eigentlich in Marburg ausgebildeten und dort als Fotografinnen angestellten Christine Joost und Hanna Prinz oder die bis 1943 in Paris beschäftigten französischen Fotografen Roger Berger

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jenseits der mittlerweile aufgehobenen Demarkationslinie.23 Auch wenn der größte Teil der Ausrüstung im Mai 1943 nach Marburg zurückgeschickt wurde,24 waren die Labors und die Kampagnenzentrale in Paris nachweislich noch bis März 1944 aktiv.25 Das zweite, bereits erwähnte, aber im Folgenden nicht weiter untersuchte fotografische Teilprojekt des kunstwissenschaftlichen Arbeitsstabs betraf die Auswertung des bestehenden fotografischen Bildmaterials, vorrangig der etwa 200.000 Negativplatten der „commission des monuments historiques“. Das Bildmaterial wurde auf Anweisung des Kunstschutzes in das Palais Chaillot umgelagert, dort von zwei deutschen Wissenschaftlern gesichtet und eine ausschließlich am Bedarf der deutschen Forschung orientierte Auswahl von rund 5000 Aufnahmen in einem Labor vor Ort reproduziert, wovon jeweils ein Fotoabzug an die kunsthistorischen Institute in Bonn, Marburg, Berlin und Straßburg geliefert wurde.26 Die aufgrund von Krieg und Okkupation in vielerlei Hinsicht außergewöhnlichen Rahmenbedingungen des Projekts ließen einen einzigartigen, aber im Rückblick nicht unproblematischen Bildbestand entstehen, der nicht nur in der Nachkriegszeit Gegenstand französischer Restitutionsforderungen wurde,27 sondern die Fotokampagne im besetzten Frankreich in der späteren Forschung wiederholt als „kunstgeschichtlichen Feldzug“ 28 und effizientes Werkzeug der Westforschung erscheinen ließ.29 Angesichts der unstrittig heiklen und Jean Portalier. Siehe DDK Archiv FF WK2, Ausgabenbuch der Fotokampagne Frankreich. 23 Die Fotografinnen Joost und Prinz arbeiteten beispielsweise im August 1943 in Saint-Aignan. Siehe DDK Archiv FF WK2, Ausgabenbuch der Fotokampagne Frankreich. 24 Tralles, Die Fotokampagnen (wie Anm. 5), S. 276. 25 Siehe DDK Archiv FF WK2, Ausgabenbuch der Fotokampagne Frankreich. 26 Siehe NL FGWM, Nr. 197, Franziskus Graf Wolff Metternich, Abschließender Bericht über die Tätigkeit des kunstwissenschaftlichen Arbeitsstabes in Frankreich in der Zeit vom 01. 10. 1940 bis 30.09.(bzw. 31.12.)1941, Paris 30. 04. 1942, Typoskript, S. 15. Der Bericht liegt auch als Kopie im Archiv des DDK vor und wurde in Auszügen von Anne Nagel publiziert, Nagel, Die PhilippsUniversität Marburg im Nationalsozialismus (wie Anm. 4); NL FGWM, Nr. 158, Aktennotiz von Bunjes, 03. 09. 1940. In Marburg hat sich offenbar ein Teil dieser ausschließlich in der Lehrsammlung genutzten Abzüge in der fotografischen Sammlung erhalten. In der Literatur werden die Ergebnisse der beiden fotografischen Teilprojekte, d. h. die direkt vor dem Objekt gefertigten Neuaufnahmen einerseits und die Reproduktion von fotografischen Vorlagen in den französischen Bildarchiven andererseits, häufig nicht sauber unterschieden. Z. B. Matyssek, Kunstgeschichte als fotografische Praxis (wie Anm. 5), S. 199; Heftrig, Fanatiker der Sachlichkeit (wie Anm. 5), 208. 27 Hierzu vor allem Emily Löffler, Kunstschutz im besetzten Deutschland. Restitution und Kulturpolitik in der französischen und amerikanischen Besatzungszone (1944 – 1953) (Brüche und Kontinuitäten. Forschungen zu Kunst und Kunstgeschichte im Nationalsozialismus 3), Köln/Wien/Weimar 2019, S. 123 – 131. 28 Z. B. Tralles, Die Fotokampagnen (wie Anm. 5), S. 27 und Nagel, Die Philipps-Universität Marburg im Nationalsozialismus (wie Anm. 4), S. 71. 29 Zur Westforschung und ihrem Einfluss auf den Kunstschutz siehe Nikola Doll, Politisierung des Geistes. Der Kunsthistoriker Alfred Stange und die Bonner Kunstgeschichte im Kontext

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Entstehungsumstände und des lebhaften, zuweilen vorschnell wertenden Forschungsdiskurses erscheint es umso lohnender, sämtliches verfügbares Quellenmaterial zu berücksichtigen und die in Marburg überlieferten relevanten Quellenbestände genauer in den Blick zu nehmen.

3. Quellenlage: das Schriftgutarchiv im DDK – Archivalien zur Fotokampagne im besetzten Frankreich Da die Arbeitsgruppen in Paris zwar dem Kunstschutz unterstellt waren, gleichwohl aber vielfach wie eine Außenstelle des Marburger Instituts agierten, bestand – bedingt durch die räumliche Trennung von Marburg –, ein hoher Abstimmungs- und Dokumentationsbedarf, der sich in einem verhältnismäßig umfangreichen und vielfältigen Aktenbestand widerspiegelt. Vermutlich wegen des kriegsbedingt abrupten Projektabschlusses und der Wirren der letzten Kriegs- und der Nachkriegszeit wurde der Bestand 1944 nicht systematisch im Hausarchiv des Bildarchivs Foto Marburg abgelegt und ist bis heute nur grob geordnet und fragmentarisch erschlossen.30 Die Forschung verfügt hier somit über eine ungewöhnlich vollständige und reiche Überlieferung, bei der wegen unterbliebener Kassation auch vermeintlich belanglose Dokumente erhalten blieben.31 Gleichzeitig erschwert der heterogene, derzeit in weiten Teilen noch unstrukturierte Bestand einen uneingeschränkten, systematischen Zugang zu den Quellen.32 Das Gros der überlieferten Dokumente stellt die interne Korrespondenz dar, d. h. der Schriftwechsel z­ wischen den aus Marburg in die Kampagnenzentrale entsandten wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und ihren am Marburger Institut verbliebenen Kollegen, dem stetig ­zwischen Marburg und Paris pendelnden Richard Hamann und nicht zuletzt dem Stellvertreter bzw. Nachfolger des Kunstschutzbeauftragten Wolff M ­ etternich, B ­ ernhard von Tieschowitz, einem Schüler und langjährigen Mitarbeiter Richard Hamanns.33 Dieser ­ ationalsozialistischer Expansionspolitik, Münster 2003, S. 1003 f. Zum Diskurs siehe auch Kott, n Der deutsche „Kunstschutz“ (wie Anm. 5), S. 151. 30 Im Zuge der Erstellung des Sachinventars zum militärischen Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg wurde 2016 von Esther Heyer eine vollständige Sichtung und erste archivalische Verzeichnung vorgenommen. Siehe Anm. 3. 31 Z. B. Notizbücher der Fotografen, Spesenrechnungen etc. 32 Das DDK bereitet die über das erwähnte Sachinventar hinaus weiterführende archivalische Erschließung und Nutzbarmachung für die Forschungsöffentlichkeit mit beratender Unterstützung durch das LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrum und in Abstimmung mit dem Universitätsarchiv Marburg vor. 33 Bernard von Tieschowitz studierte ab 1925 in Marburg Kunstgeschichte und Archäologie. Nach seiner Promotion 1929 wurde er 1931 Assistent am Marburger Institut und übernahm 1931 dort das „Lektorat für Photographie“ bzw. die Leitung der Photografischen Abteilung. Schon während

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Schriftwechsel bildet zahlreiche Details der internen Arbeitsprozesse ab. Und auch wenn in der Korrespondenz ­zwischen langjährigen Kollegen bzw. Kommilitonen naturgemäß vieles nur angedeutet bleibt und nicht selten zu entschlüsselnde Kürzel oder Spitznamen 34 verwendet werden, so erlaubt gerade der vertraute Umgangston immer wieder unerwartet direkte und unverstellte Einblicke in die Beweggründe und Einschätzungen der Beteiligten. Von gänzlich anderem Charakter ist dagegen die offizielle Korrespondenz, die im Konvolut überraschend spärlich vertreten ist. Dies betrifft vor allem den Schriftwechsel mit den deutschen Projektpartnern in Paris und Bonn, also insbesondere den Behörden der Militärverwaltung, den übrigen Verantwortlichen des wissenschaftlichen Arbeitsstabes sowie – ab 1942 – der Kunsthistorischen Forschungsstätte in Paris.35 Des Weiteren haben sich vielfältige Dokumente aus unterschiedlichen Funktions- und Arbeitsbereichen der Verwaltung, der Fotowerkstatt, der Katalogisierung und der Fotografen erhalten. Der Großteil der Dokumente stammt dabei aus administrativen Zusammenhängen: Ausgabenbücher, Rechnungen für Labor- und Fotomaterialen und Reparaturen, Belege für Personal- und Reisekosten und Zahlungen an die französischen Dienstleister und Lieferanten. Daneben sind aus der Anfangsphase vereinzelt Arbeits- und Personalpläne sowie vorbereitende Projektskizzen und nicht zuletzt eine Reihe von offiziellen bzw. internen Tätigkeitsberichten vorhanden.36 Vorbereitung und Durchführung der Kampagnen bilden sich in Objektlisten, Tourenplänen sowie markierten und kommentierten Straßenkarten sowie den Notizbüchern der Fotografen ab, die vielfach eine detaillierte Rekonstruktion der Arbeitsweise ermöglichen. seines Studiums begleitete er Hamann bzw. dessen Sohn Hamann-Mac Lean wiederholt und manchmal monatelang auf Fotokampagnen nach Frankreich, s­ päter auch nach Spanien, Italien oder Polen. Siehe Christian Fuhrmeister, Die Abteilung „Kunstschutz“ in Italien. Kunstgeschichte, Politik und Propaganda 1936 – 1963 (Brüche und Kontinuitäten. Forschungen zu Kunst und Kunstgeschichte im Nationalsozialismus 1), Köln/Wien/Weimar 2019, S. 127 und vor allem Laupichler, Das Bildarchiv Foto Marburg (wie Anm. 5), S. 42. Von Tieschowitz verfügte somit nicht nur über viel Erfahrung mit den wissenschaftlichen und operativen Belangen derartiger Unternehmungen, sondern war auch mit den spezifischen Marburger Dokumentationsstrategien vertraut. Siehe hierzu insbesondere seine Publikation: Bernhard von Tieschowitz, Die Photographie im Dienste der kunstgeschichtlichen Forschung, in: Festschrift Richard Hamann zum sechzigsten Geburtstag 29. Mai 1939, Burg 1939 und Wolff Metternich, Der Kriegskunstschutz (wie Anm. 13), S. 33; siehe z. B. auch Abb. 5. 34 Siehe z. B. die Benennung der Kampagnenzentrale als Abeille. Siehe Anm. 19. 35 Zu nennen sind insbesondere Prof. Alfred Stange und Hermann Bunjes. Wolff Metternich dagegen tritt in den Dokumenten – obwohl zumindest bis 1942 auch für die Fotokampagne ­verantwortlich – nur selten in Erscheinung. 36 Neben mehreren, kopierten Exemplaren der offiziellen Abschlussberichte Wolff Metternichs finden sich beispielsweise die vorbereitenden Teilberichte der Teamleiter Adalbert von Stockhausen und Gustav André, die weitestgehend in den Abschlussbericht Wolff Metternichs integriert wurden. Siehe Wolff Metternich, Abschließender Bericht über die Tätigkeit (wie Anm. 26).

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Abb. 1  Bei Foto Marburg war es üblich, dass die Eigentümer der fotografierten Objekte Belegabzüge der gefertigten Aufnahmen erhielten. Dies wurde auch während der Kampagne im besetzten Frankreich so praktiziert. Hier die Lieferung der Kampagne in Schloss Villandry von 1942.

Auch die Aktivitäten der Fotowerkstätten lassen sich mittels Verbrauchsprotokollen, Bestellungen und Lieferscheinen nachvollziehen, während die Katalogisierungsarbeiten anhand von Beschriftungslisten und Zugangsbüchern dokumentiert sind. Die Listen der gelieferten Belegabzüge wiederum dokumentieren die unmittelbare Distribution und Verwendung der Aufnahmen. Sie gingen nicht nur an Projektpartner, wie z. B. die Deutsche Forschungsstätte für Kunstgeschichte oder deutsche bzw. französische Wissenschaftler, sondern insbesondere an die Rechteeigentümer der fotografierten Bauwerke und Sammlungen, also Pfarrer, Schlossverwaltungen oder Museumsdirektoren.37 (Abb. 1) Der überaus reichhaltige Bestand lässt sich somit für vielfältige Forschungsfragen ­nutzen. Er gibt Aufschluss über beteiligte Protagonisten und ihre Netzwerke sowie die Chronologie der Ereignisse. Stellenweise erlaubt er sogar tagesgenaue Datierungen der Aufnahmen und damit auch wichtige Rückschlüsse auf die gerade in Kriegszeiten bewegte Geschichte 37 DDK Archiv FF WK2, Unterlagen Restitutionsforderung Frankreich, Stellungnahme Hamann 1947; erhalten auch zahlreiche Dankschreiben: DDK Archiv FF WK2, Korrespondenz „Belegexemplare und Auslieferungen“.

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der Bau- und Kunstwerke. Gleichzeitig ermöglicht der Bestand präzisere Aussagen über die verwendeten fotografischen Verfahren und Techniken und gewährt Einblicke in die Rahmenbedingungen, die Chancen und Hindernisse einer Fotokampagne in Kriegszeiten. Nicht zuletzt finden sich auch vereinzelte Hinweise auf die Rezeption der Kampagne in der deutschen sowie der französischen Forschungsgemeinde 38 oder die Wahrnehmung des Unternehmens in der französischen Bevölkerung. Im DDK liegt somit ein bedeutender, bislang nur zu Teilen ausgewerteter Archivbestand zum Kunstschutz, der sich zudem in vielfältiger Weise durch andere Teilbestände des Hausarchivs des DDK 39 oder Archivalien des lange administrativ mit Foto Marburg verbundenen kunsthistorischen Instituts ergänzen lässt.40 Zuletzt s­ eien an dieser Stelle einige noch aktuell in der täglichen Praxis des Bildarchivs genutzte, historische Dokumentationswerkzeuge erwähnt: Etwa die Zugangsbücher oder die analogen Bestandskataloge des Bildarchivs können in d ­ iesem Forschungszusammenhang ebenfalls ausgewertet und berücksichtigt werden.41

4. Quellenlage: das Bildarchiv im DDK – Fotokonvolut der Fotokampagne im besetzten Frankreich Gleichermaßen unverzichtbar für eine solide, kritische Beschreibung und Beurteilung der Fotokampagne ist das Fotokonvolut der Kampagne im besetzten Frankreich, also jene rund 24.000 Fotografien, die im Rahmen des Kunstschutzes – ursprünglich zum Zwecke der Dokumentation sowie der Erforschung der französischen Kunst und ihrer vielfachen besonders

38 Ebd. 39 Beispielsweise die Gehaltsbücher der Jahre 1940 – 1944 oder die Personalakten der in Marburg regulär angestellten, aber für die Fotokampagne eingesetzten Fotografen Eugen Fink oder C ­ hristine Joost. Relevant sind auch die Akten, die die französischen Restitutionsforderungen der im Rahmen der Kampagne gefertigten Negative nach dem Kriege betreffen. Sie dokumentieren nicht nur die juristische Auseinandersetzung als ­solche, sondern liefern auch Berichte, Einschätzungen und Rechtfertigungen der argumentierenden Streitparteien. DDK Archiv FF WK 2, Unterlagen Restitutionsforderung Frankreich. Siehe hierzu die Untersuchungen von Emily Löffler, die sich allerdings ausschließlich auf das französische Aktenmaterial stützt. Löffler, Kunstschutz im besetzten Deutschland (wie Anm. 27), S. 223 – 231. 40 Hier z. B. ein Schriftwechsel ­zwischen Richard Hamann und der Fotografin Ursula Uhland, die im Juli 1940 im Auftrag des Deutschen Ahnenerbes den Teppich von Bayeux fotografierte. Siehe hierzu Anm. 55. 41 Beispielsweise überliefern die frühen Bildkataloge in ihren historischen, unveränderten Katalogbeschriftungen immer wieder seltene Kontextinformationen (z. B. Ausstellungen), die mitunter an keiner anderen Stelle dokumentiert sind, z. B. Dokumentation der Ausstellung Berthe Morisots im Musée de l’Orangerie 1941 in Paris. DDK Bildarchiv, Aufnahme-Nrn. 180.960 – 180.982.

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im Mittelalter sehr engen Beziehungen zur deutschen Kunst 42 – angefertigt und bislang von der Forschung zum Kunstschutz nur wenig berücksichtigt wurden.43 Primär dienen die Aufnahmen – von ihrem historischen Kontext weitgehend entkoppelt und in Online-Katalogen bereitgestellt – nach wie vor der kunsthistorischen Forschung und Lehre als Anschauungs- und Studienmaterial. Darüber hinaus eignen sie sich aber in vielerlei Hinsicht als selbstständige, einschlägige Quelle – nicht zuletzt für die Forschung zum Kunstschutz. Sei es, indem sie eigenständig Details und Fakten überliefern, sei es, indem sie die überlieferten, forschungsrelevanten Schriftquellen, beispielsweise die vielfach zitierten Tätigkeitsberichte Wolff Metternichs, erläutern, bestätigen und mitunter relativieren können. Sie verdienen daher eine genauere Beschreibung. Der Erhaltungs- und Aufarbeitungszustand des nahezu vollständig im Bildarchiv Foto Marburg überlieferten Bestandes ist weitgehend gut. Da die Negative schon während der laufenden Kampagne in Paris katalogisiert worden waren, konnten die Aufnahmen schon unmittelbar nach dem Krieg im Bildarchiv in Marburg zugänglich gemacht werden.44 Seit 1980 auf Mikrofiche publiziert,45 sind sie heute nahezu vollständig digitalisiert, datenbankgestützt erschlossen und auf der Online-Plattform „Bildindex der Kunst und Architektur“ 46 auch als Konvolut im Kontext des Kunstschutzes recherchierbar. Der Bestand ist auf diese Weise bequem auszuwerten und erlaubt, die Bestandsbeschreibungen der zeitgenössischen Tätigkeitsberichte nachzuvollziehen bzw. zu präzisieren. So zeigen die datenbankgestützten Analysen, dass in den etwa 24.000 Fotografien rund 10.000 Werke sämtlicher Kunstgattungen dokumentiert wurden. Der Schwerpunkt der Aufnahmetätigkeit lag auf der Architektur und Bauskulptur des Mittelalters, vornehmlich dem Kathedralbau sowie dem Schlossbau des 16. bis 18. Jahrhunderts. Insbesondere während der Wintermonate wurde in Museen und Bibliotheken in Paris und der Provinz 47 mobiles Kunstgut – sofern es nicht schon bei Kriegsausbruch von den

42 Wolff Metternich, Bericht über den Einsatz (wie Anm. 18), S. 1. 43 Bislang nutzt die Forschung zum Kunstschutz bzw. zur nationalsozialistischen Kulturpolitik das Konvolut lediglich als Vorrat für attraktive Illustrationen ihrer einschlägigen Publikationen. 44 Siehe DDK Archiv FF WK2, Unterlagen Restitutionsforderung Frankreich, Stellungnahme Hamann 1947. 45 Index photographique de l’art en France, Microfiche edition. München 1979 – 1981. 46 www.bildindex.de (Stand: 26. 07. 2020). 47 Z. B. Paris: Musée du Louvre, Musée Rodin, Bibliothèque nationale de France etc., Ausstellungen und Kunsthandel bilden die Ausnahme. Interessant wäre sicherlich, zu untersuchen, w ­ elche Auswahl der in den Sammlungen verbliebenen Werke dokumentiert wurde. Bemerkenswert ist beispielsweise, dass – auch wenn Wolff Metternich im Abschlussbericht betonte, dass im Museum in Bayonne insbesondere die deutschen Meister fotografiert wurden – lediglich 24 der insgesamt über 400 Aufnahmen Werke deutscher Künstler dokumentieren. Wolff Metternich, Abschließender Bericht über die Tätigkeit (wie Anm. 26), S. 12.

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französischen Behörden ausgelagert worden war 48 – ausführlich und teilweise sogar in Farbe dokumentiert.49 Zum Einsatz kamen dabei vorrangig Glasplattennegative im Format 13 × 18 cm, ein kleinerer Anteil wurde im Format 18 × 24 cm bzw. 9 × 12 cm fotografiert. Zusätzlich wurde mit dem verhältnismäßig frisch etablierten Dokumentationsmedium des Kleinbildrollfilms gearbeitet, wobei insbesondere die Verwendung von Farbdiapositivfilmen noch technisches Neuland war.50

4.1 Kunsthistorische Dokumentationsfotografie Prägend für die Ausrichtung und das Potenzial des Bestandes war natürlich zunächst das primäre Projektziel: die kunsthistorische Dokumentation der Kunst- und Baudenkmäler in den besetzten Gebieten. Die Vorbereitung und Ausführung durch erfahrene, spezialisierte Fotografen – die Mehrheit der eingesetzten Fotografen waren studierte Kunsthistoriker und Schüler Hamanns und praktizierten schon seit Jahren die in Marburg gelehrten Methoden kunsthistorischer Fotodokumentation 51 – gewährleistete eine den Anforderungen der kunsthistorischen Fachdisziplin angepasste fotografische Erfassung der Werke: Achsensymmetrisch, verzerrungsfrei, optimal ausgeleuchtet und unter Berücksichtigung aller relevanten Details wurden die Bau- und Kunstwerke vollumfänglich dokumentiert.52 Eine Dokumentation des Erhaltungszustandes der Objekte im Sinne der Denkmalpflege erfolgte dagegen zumeist nur beiläufig. Von wesentlicher Bedeutung für den besonderen Charakter des Bestands sind jedoch sicherlich die Umstände seiner Entstehung: Die Ausnahmesituation des Zweiten Weltkriegs und der deutschen Okkupation macht die Fotokampagne unbestreitbar zu einer heiklen 48 Ebd., S. 9. 49 Mit Farbfilm wurden vor allem Buch- und Glasmalerei sowie Bildteppiche des Mittelalters dokumentiert (z. B. Angers, Bayeux). 50 So wurden nur ausgewählte, erfahrene Fotografen mit der Farbfotografie betraut. Tralles, Die Fotokampagnen (wie Anm. 5), S. 274. Siehe auch DDK Archiv FF WK2, Fotokampagne Frankreich 2, Brief Hamann an Tieschowitz 08. 11. 0940. 51 Einzelne, wie z. B. Josef Boymann (1894 – 1966), Carl Albiker (1905 – 1996) und Bernhard von ­Tieschowitz unterrichteten am „Lektorat für Photographie“ des Marburger kunsthistorischen Insti­ tuts. Zu den Schülern Hamanns ausführlicher Sprenger, Marburger Kunstgeschichte (wie Anm. 5), S. 243 – 257; Laupichler, Das Bildarchiv Foto Marburg (wie Anm. 5), S. 219; Gustav André, „Marburger Reisen“, in: Festschrift Richard Hamann 1944 (wie Anm. 9). 52 Hierzu Bernhard von Tieschowitz, Die Photographie im Dienste der kunstgeschichtlichen Forschung, in: Festschrift Richard Hamann 1939 (wie Anm. 33) und Josef Boymann, Bericht der photographischen Abteilung, Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 1 (1924), S. 273 – 275, hier S. 273; siehe zur Praxis und Charakteristik der fotografischen Dokumentation in Marburg auch Matyssek, Kunstgeschichte als fotografische Praxis (wie Anm. 5), S. 209 ff.

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Unternehmung, bot aber gleichzeitig, wie auch Wolff Metternich in seinem Abschlussbericht 1942 betonte, in vielerlei Hinsicht eine einmalig gegebene günstige Gelegenheit.53 So erlaubte der Besatzungsstatus den Fotografenteams wiederholt Zugang zu Kunstwerken, der in Friedenszeiten für deutsche Fotografen nicht oder nur mit großem Aufwand möglich gewesen wäre. Zu nennen sind hier beispielsweise die in den abschließenden Tätigkeitsberichten des Arbeitsstabes stolz erwähnte und heute in der Forschung problematisierte 54 umfassende Dokumentation des schon vor Kriegsbeginn aus den Vitrinen in ein Depot ausgelagerten Teppichs von Bayeux 55 oder die Aufnahmen des berühmten Labyrinths von Chartres im – durch zwangsrekrutierte Kriegsgefangene vom Gestühl geräumten – Langhaus der Kathedrale.56

53 Wolff Metternich, Abschließender Bericht über die Tätigkeit (wie Anm. 26), S. 24. Siehe auch die Argumente der Restitutionsforderungen Frankreichs, siehe Löffler, Kunstschutz im besetzten Deutschland (wie Anm. 27), S. 125 ff. 54 Z. B. Matyssek, Kunstgeschichte als fotografische Praxis (wie Anm. 5), S. 200 ff. 55 Der Teppich von Bayeux wurde nicht – wie in der Literatur stellenweise behauptet – mithilfe von Gefangenen und auch nicht auf Veranlassung von Hermann Bunjes bzw. des Deutschen Ahnenerbes fotografiert. Hier ungenau Heftrig, Fanatiker der Sachlichkeit (wie Anm. 5), S. 208 oder Tralles, Die Fotokampagnen (wie Anm. 5), S. 273. Die Auswertung aller verfügbaren Quellen, insbesondere der Fotografien, belegt vielmehr, dass innerhalb eines halben Jahres zwei offenbar weitgehend unabhängig voneinander durchgeführte Fotodokumentationen des Teppichs realisiert wurden. Das Fotografenteam des Kunstschutzes fotografierte das Kunstwerk bereits am 24. und 25. Oktober 1940 in seinem Auslagerungsort im Musée Doyen in Schwarzweiß-Glasplattennegativen und Farbdiapositivfilmen (!) – und damit Monate, bevor der Teppich auf Veranlassung des Deutschen Ahnenerbes zu Studienzwecken in das Kloster Saint-Martin à Monday verlegt und dort im Juli 1941 ein weiteres Mal von eigens engagiertem Personal umfassend fotografisch dokumentiert wurde. Siehe Hartwig Beseler, Fotokampagne im besetzten Frankreich. (im Selbstverlag durch Michael Beseler herausgegeben, Obertshausen, 2008) S. 54; ausführlich zur Geschichte des Teppichs und seiner Rezeption Shirley Ann Brown, The Bayeux Tapestry. A Sourcebook (Publications of the Journal of Medieval Latin 9), Turnhout 2013. Bemerkenswert ist dabei, dass der verantwortliche Wissenschaftler des Deutschen Ahnenerbes, Herbert Jankuhn, die Neuaufnahmen des Kunstschutzes offenbar kannte und sich von Hamann für die erneute Dokumentation die in Marburg ausgebildete Fotografin Ursula Uhland vermitteln ließ. Warum in so kurzer Zeit zwei derart umfassende Dokumentationen realisiert wurden, und in welchem Verhältnis sie zu einander stehen, ist noch zu klären. DDK Archiv FF WK2, Korrespondenzen Material Fotokampagne, Aktennotiz 06. 06. 1941 – 06. 09. 1941 Abzüge des Teppichs von Bayeux an Jankuhn. Brief von Uhland zitiert bei: Michael H. Sprenger, Richard Hamann und die Marburger Kunstgeschichte ­zwischen 1933 und 1945, in: Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft 5 (2003), S. 61 – 92, hier S. 80. 56 Im Verlaufe der wochenlangen Fotoarbeiten in der Kathedrale von Chartres wurden am 23. Juni 1941 fünfunddreißig Kriegsgefangene einen Tag lang für das Umräumen des Langhauses eingesetzt und ermöglichten so die zweistündigen Fotoaufnahmen des in den Boden eingelassenen Labyrinths sowie des freigeräumten, auf die Architektur konzentrierten Innenraumes. Beseler, Fotokampagne

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Abb. 2  Westfassade der Kathedrale von Laon mit Splitterschutzverbauung. Aufnahme im Herbst 1940.

Doch ungeachtet der Einflussmöglichkeiten, die der Besatzerstatus mit sich brachte, schuf die Ausnahmesituation des Krieges auch ganz generell außergewöhnliche Rahmenbedingungen, die d ­ iesem Bestand in mehrfacher Hinsicht eine Sonderstellung verschafften. So dokumentieren die Aufnahmen in vielfältiger Weise die Folgen des Krieges für Kunst- und Bauwerke, etwa Beschädigungen oder Zerstörungen durch Kampfhandlungen, Umnutzungen von Gebäuden oder Evakuierungen von Sammlungen. Wiederholt finden sich auch wertvolle Fotografien von zum Zeitpunkt der Aufnahme noch intakten, im späteren Verlauf des Kriegs zerstörten Gebäuden.57 Interessanterweise stand die laut den offiziellen Berichten im besetzten Frankreich (wie Anm. 55) S. 122; Wolff Metternich, Abschließender Bericht über die Tätigkeit (wie Anm. 26), S. 8. 57 Siehe z. B. 30 Aufnahmen der im Juli 1944 zerstörten K ­ irche Saint-Pierre in Caen. DDK Bildarchiv Foto Marburg, Aufnahme-Nrn. 170.215 – 170.231 sowie Aufnahme- Nr. 183.05 – 183.061. Hierzu auch Hamann in seiner Verteidigung im Rahmen der Restitutionsforderungen DDK Archiv FF WK2, Unterlagen Restitutionsforderung Frankreich, Brief Hamann an Heinrich 23. 11. 1946.

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Abb. 3  Die Kathedrale von Rouen von Süden, im Vordergrund das geräumte Trümmerfeld der zerstörten Altstadt. Aufnahme im Sommer 1941.

intendierte umfassende Dokumentation der Kriegsschäden, die laut Wolff Metternich der Rechtfertigung gegenüber der Feindpropaganda 58 dienen sollte, in der Praxis letztlich nicht allzu sehr im Fokus der Dokumentationstätigkeiten. Ferner lassen sich anhand der Fotografien die französischen und deutschen Kunstschutzmaßnahmen an gefährdeten Gebäuden, die Splitterschutzverbauungen sowie auch Bergungen mobilen Kunstguts, vielfach nachvollziehen. Jedoch werden diese Maßnahmen eher beiläufig im Zuge der kunsthistorischen Erfassung der Bauwerke sichtbar und weniger im Sinne eines Rechenschaftsberichts der mit den Schutzmaßnahmen betrauten Kunstschutzabteilung dokumentiert.59 (Abb. 2) Die im Zuge der Schutzmaßnahmen errichteten Gerüste 60 oder die für den Ausbau der Glasmalereien genutzten Hebebühnen ermöglichten den Fotografen Zugang zu ­ansonsten 58 Wolff Metternich, Abschließender Bericht über die Tätigkeit (wie Anm. 26), S. 9. 59 Bezeichnenderweise finden sich in den fraglichen Kunstschutzakten im Nachlass Wolff Metternichs nur wenige Kampagnenaufnahmen. Zu nennen ist hier vor allem ein Konvolut von Aufnahmen Pariser Sehenswürdigkeiten, die vermutlich als Vorlage für Diavorträge genutzt wurden, siehe NL FGWM, Nr. 288 und Nr. 301. 60 In Einzelfällen, wie beispielsweise bei der Dokumentation der Kathedrale von Reims, wurden vom Arbeitsstab allerdings auch eigens zum Zwecke der fotografischen Dokumentation errichtete Gerüste

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schwer erreichbarer, nicht dokumentierbarer Bauskulptur. Nicht selten machten aber wiederum gerade jene Verbauungen und die zahlreichen Auslagerungen eine vollständige Dokumentation insbesondere der Bauskulptur unmöglich.61 Einen erschütternden, wenngleich auch eindrucksvollen Anblick bieten die Aufnahmen der solitär, inmitten der völlig zerstörten Stadtviertel aufragenden Kathedralen, beispielsweise in Rouen oder Beauvais. Ihres städtebaulichen Kontextes beraubt, wird ihr architektonisches Konzept nunmehr vollständig erfassbar, und die Fotografen n ­ utzen diese Ausnahmesituation, um die Bauwerke lehrbuchhaft, wie Aufrisszeichnungen, zu inszenieren, und profitieren so in bestürzender Weise von den Verwüstungen des Krieges.62 (Abb. 3)

4.2 Ereignis- und Personenfotografien – Making-of Neben der klassischen Objektdokumentation, die den Löwenanteil des Bestandes ausmacht, existiert auch ein kleiner, aber interessanter Teilbestand an Personen- und Ereignisfotografie. Besonders aufschlussreich ist dabei ein Konvolut von Making-of-Aufnahmen, von denen die meisten die Fotografen in Aktion zeigen und so Aussagen über Arbeitsprozesse, verwendete Technik und Ausrüstung sowie Rahmenbedingungen der Fotokampagne ermöglichen.63 (Abb. 4) Mitunter belegen sie die Anwesenheit und Mitwirkung von Personen, deren Beteiligung nicht oder nicht in dieser Form in den Schriftquellen überliefert ist.64 Ein Teil dieser Aufnahmen scheint schon mit Blick auf eine spätere Publikation entstanden zu sein und sollte offensichtlich, wenn auch nicht zu Propagandazwecken beauftragt, so doch zumindest

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finanziert. Wolff Metternich, Abschließender Bericht über die Tätigkeit (wie Anm. 26), S. 13. So auch in der zeitgenössischen Presse beworben z. B. Hubert Doerrschuck, Auf Kulturwacht für das Abendland, in: Pariser Zeitung 04. 04. 1943. Wolff Metternich, Abschließender Bericht über die Tätigkeit (wie Anm. 26), S. 9. Der für den Arbeitsstab tätige Fotograf und Kunsthistoriker Hartwig Beseler berichtete im Sommer 1941 dazu aus Rouen wir steigen auf die Berge (ehemals erste Stockwerke) und n­ utzen die Gelegenheit, einmal die Kathedral-Südfront frei von Häusern fotografieren zu können. Siehe Beseler, Fotokampagne im besetzten Frankreich (wie Anm. 55), S. 133. So bezeugen beispielsweise drei Aufnahmen von Hartwig Beseler, dass der Teppich von Bayeux 1940 im Rahmen des Kunstschutzes nicht nur mit Kunstlicht, sondern zusätzlich in einer als Tageslichtatelier genutzten Galerie des Hôtel du Doyen mit Kleinbildkameras fotografiert wurde. DDK Bildarchiv Foto Marburg Aufnahme-Nrn. 432.693, 433.065, 432.694. Siehe auch Anm. 55 und Abb. 4. Beispielweise zeigen zwei Fotografien den Münchner Kunsthistoriker und 1941 vorübergehend für den Kunstschutz im russischen Petershof tätigen Harald Keller gemeinsam mit Hans-Adalbert von Stockhausen bei Fotoarbeiten in Le Mans. DDK Bildarchiv Foto Marburg, Aufnahme-Nr. 432.748 und 432.749. Zu Harald Keller siehe Corinna Kuhr-Korolev/Ulrike Schmiegelt-Rietig/Elena Zubkova in Zusammenarbeit mit Wolfgang Eichwede, Raub und Rettung. Russische Museen im Zweiten Weltkrieg (Studien zu kriegsbedingt verlagerten Kulturgütern 1), Köln/Wien/Weimar 2019, S. 90, 178.

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Abb. 4  Carl Albiker fotografiert den Teppich von Bayeux mit Farbfilm in der Galerie des Hôtel du Doyen in Bayeux am 25. Oktober 1940.

im Sinne heutiger PR-Imagebilder genutzt werden.65 Daneben blieb aber vereinzelt auch Zeit für private Schnappschüsse, Selbstporträts, stimmungsvolle Landschaftsaufnahmen oder Versuche in der Stilllebenfotografie.66 Es ist also festzuhalten, dass die überlieferten Fotografien – sowohl die Personenfotografien als auch jene der Kunstdokumentation – unabhängig von ihrer ursprünglichen Intention zusätzlich eine Quellenfunktion für die Forschung übernehmen können. Ähnlich wie das Schriftgut liefern sie Hinweise auf Beteiligte und geben – wenn auch manchmal nur implizit – 65 Auch wenn bislang keine zeitgenössische, der Öffentlichkeitsarbeit dienende Veröffentlichung nachgewiesen werden konnte, so demonstriert die regelmäßige Verwendung in heutigen Publikationen zum Kunstschutz in Frankreich ihre diesbezügliche Eignung. Für einen inszenierten Charakter der Aufnahmen spricht auch die rückseitige Beschriftung auf einem im Nachlass von Wolff Metternich befindlichen Abzug dieser Aufnahmen. Hier notiert vermutlich Tieschowitz zur Erläuterung der Szene: Bei der „Auszahlung“ [sic!] mit einem meiner Männer: NL FGWM, Nr. 6, zeitgenössischer Abzug nach DDK Bildarchiv Foto Marburg Aufnahme-Nr. 432.710. 66 Insbesondere Hartwig Beseler hatte offenbar diesbezügliche Ambitionen und bedauerte 1940 in einem Brief an seine Familie, es sei schwer neben der dienstlichen noch die private zu betreiben, besonders die Gebiete abzugrenzen, vgl. Fußnoten 65 und 62. Beseler, Fotokampagne im besetzten Frankreich (wie Anm. 55) S. 48.

Fotokampagnen des Bildarchivs Foto Marburg für den Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg  I  227

Auskünfte über verwendete Verfahren oder allgemeine Entstehungsbedingungen. Mitunter erlauben sie auf diese Weise Rückschlüsse auf Beweggründe und Interessensschwerpunkte der Fotokampagne und können vielfach die vorhandenen Schriftquellen kommentieren, präzisieren und vereinzelt relativieren.

5. Kontinuität und Kontext Zusätzlich zu den vorgestellten relevanten Quellengruppen, Schriftgut und Fotografie, die sich natürlich häufig gegenseitig erläutern und ergänzen, soll abschließend noch auf einen weiteren Aspekt des Quellenbestandes im DDK verwiesen werden, der für die Untersuchung der Fotokampagne im besetzten Frankreich sowie generelle Forschungen zum militärischen Kunstschutz weitere Perspektiven aufzeigt. Aufgrund seiner von Beginn an lebhaften Kampagnentätigkeit im In- und Ausland 67 und einer Vielzahl von übernommenen Fotokonvoluten – auch aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs – verfügt das Bildarchiv Foto Marburg über einen reichen Bestand aus vergleichbaren fotodokumentarischen Projekten, die unter ähnlichen politischen bzw. kulturpolitischen Vorzeichen und Bedingungen realisiert wurden oder ähnlichen fachwissenschaftlichen Zielsetzungen folgten. Nicht selten bestanden darüber hinaus personelle Kontinuitäten,68 die Ansatzpunkte für eine vergleichende Betrachtung der diversen Projekte und ihrer ­Fotobestände bieten.69 Die 67 Hierzu Matyssek, Kunstgeschichte als fotografische Praxis (wie Anm. 5), S. 41 – 44. Seit Anfang der zwanziger Jahre wurden nahezu jährlich kleinere und größere Kampagnen in das europäische Ausland unternommen. Im Fokus standen dabei – gemäß dem Forschungsschwerpunkt Richard Hamanns bzw. des 1929 in Marburg gegründeten „Preußischen Forschungsinstituts für Kunstgeschichte“ – die Kunstlandschaften Frankreichs. Aber auch Österreich, Holland, Böhmen, Polen, Russland, Spanien, England, Griechenland und sogar Ägypten wurden von Hamann und seinen Schülern – über die Jahre, teilweise mehrfach – mit der Kamera bereist. Ungeachtet der Tatsache, dass sich die fotografischen Aktivitäten Foto Marburgs – wie in der Literatur wiederholt betont – während des Zweiten Weltkrieges auf die annektierten Gebiete konzentrierten, um die dort günstigen Umstände zu ­nutzen, verdeutlicht diese rege Aufnahmetätigkeit, dass bei Foto Marburg eine intensive fotografische Dokumentation der Kunst im Ausland von Beginn an gewünscht war und – unabhängig von der politischen Großwetterlage oder Eroberungsfeldzügen – erfolgreich praktiziert wurde. Zu den Kampagnen bislang am vollständigsten Laupichler, Das Bildarchiv Foto Marburg (wie Anm. 5). 68 Zu den Kontinuitäten im militärischen Kunstschutz des ­Ersten und Zweiten Weltkriegs in Belgien siehe Kott, Der deutsche „Kunstschutz“ (wie Anm. 5), S.143; siehe auch Dies./Marie-Christine Claes (Hg.), Le patrimoine de la Belgique vu par l’occupant, un héritage photographique de la Grande Guerre, Brüssel 2018, S. 48 und S. 198 – 200. 69 Diverse im DDK Bildarchiv Foto Marburg bewahrte Nachlässe von Fotografen und Fotografinnen, die u. a. für den Kunstschutz tätig waren oder privat während des Krieges im besetzten Ausland fotografierten, könnten weitere Facetten liefern. Zu nennen sind hier insbesondere Paula Deetjen (1879 – 1949), die während des E ­ rsten Weltkriegs für den Kunstschutz in Belgien fotografierte,

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Marburger Sammlung erschließt somit auf verschiedenen Ebenen Möglichkeiten einer Kontextualisierung der Fotokampagne im besetzten Frankreich und vermag so eine differenziertere Einschätzung und Bewertung d ­ ieses sensiblen Projekts zu fördern.

5.1 Fotokampagnen in Frankreich bis 1940 Im Sinne der genannten Kontextualisierung lohnt die Gegenüberstellung der Frankreichkampagne des Zweiten Weltkriegs mit jenem älteren Bildmaterial, das bei Kampagnenstart 1940 bereits in Marburg vorlag und – wie mehrfach von den Beteiligten betont wurde 70 – aufgrund seiner Relevanz im Zuge des geplanten Kunstschutzprojekts berücksichtigt und ergänzt werden sollte. Dank der bereits vor dem E ­ rsten Weltkrieg einsetzenden und seit den zwanziger Jahren nahezu jährlich realisierten Kampagnen Hamanns existierte im Bildarchiv Foto Marburg schon in den dreißiger Jahren eine hochwertige, umfassende Sammlung von weit über 20.000 Aufnahmen zur französischen Architektur und Bauplastik.71 Allein während eines freigestellten Studienjahres hatte Hamann von April 1926 bis April 1927 mit zwei Assistenten, seinem Sohn Richard Hamann-Mac Lean (1908 – 2000) und dem damals noch in Marburg studierenden Bernhard von Tieschowitz (1902 – 1968), innerhalb eines Jahres in Frankreich 10.000 Aufnahmen angefertigt.72 (Abb. 5) Foto Marburg bot dem kunstwissenschaftlichen Arbeitsstab des Kunstschutzes mit dem bestehenden Material somit nicht nur einen soliden Sockelbestand für die ab 1940 geplanten Neuaufnahmen, sondern konnte mit Hamann und seinen Mitarbeitern auch Personal mit

oder Helga Schmidt-Glassner (1911 – 1998), die einige Zeit für Hermann Bunjes und die Deutsche Forschungsstätte für Kunstgeschichte tätig war. Zu Deetjen siehe Kott/Claes, Le patrimoine de la Belgique (wie Anm. 68), S. 94. Zu Schmidt-Glassner DDK Archiv FF WK2, Korrespondenz Paris/ Marburg Verwaltung Brief an Dettweiler vom 13.1.43. 70 Wolff Metternich, Der Kriegskunstschutz (wie Anm. 13), S. 34. Interessanterweise war die thematische Einheit der vor bzw. während des Krieges geschaffenen Aufnahmen zur französischen Kunst auch ein wichtiges Argument der amerikanischen Gutachter, die nach 1946 im Zuge der Restitutionsforderungen Frankreichs für einen Verbleib der umstrittenen Aufnahmen in Marburg plädierten. Löffler, Kunstschutz im besetzten Deutschland (wie Anm. 27), S. 126 bzw. S. 130. 71 So betont z. B. Wolff Metternich in seinem Bericht von 1940, Foto Marburg habe durch unermüdliche eigene fotografische Tätigkeit ein weltbekanntes Archiv von Aufnahmen deutscher und französischer Kunst geschaffen, Wolff Metternich, Bericht über den Einsatz (wie Anm. 18), S. 4. Siehe vor allem den von Richard Hamann-Mac Lean bearbeiteten und 1931 erschienenen Bestandskatalog der Photografischen Abteilung „Frankreich. Architektur, Plastik und Kunstgewerbe“. Laupichler, Das Bildarchiv Foto Marburg (wie Anm. 5), S. 41. 72 Siehe Matyssek, Kunstgeschichte als fotografische Praxis (wie Anm. 5), S. 41 – 44. Zur Kampagne von 1926/27 siehe Universitätsbibliothek Marburg, Nachlass Richard Hamann 1026 U 800, Bericht an das Ministerium für Kunst und Wissenschaft, Berlin o. J. [1926/27].

Fotokampagnen des Bildarchivs Foto Marburg für den Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg  I  229

Abb. 5  Bernhard von Tieschowitz (links) und Richard Hamann-Mac Lean bei Fotoarbeiten mit der sogenannten Marburger Kanone im Langhaus der Abteikirche von Vézelay, 1927.

umfassender technischer und logistischer Erfahrung, einschlägigen Sprachkenntnissen sowie hilfreichen Orts- bzw. Werkkenntnissen zur Verfügung stellen.73 Inwieweit sich die Aufnahmen der Fotokampagne des Zweiten Weltkriegs nahtlos in die bestehenden Bestände integrierten, oder ob sie sich – da unter anderen Vorzeichen entstanden – von den in Friedenszeiten entstandenen früheren Dokumentationen unterscheiden, wäre zu prüfen und könnte weitere Rückschlüsse auf Beweggründe und Motivation der Protagonisten zulassen.74 73 Siehe UB Marburg, 1026 Nachlass Richard Hamann, Akte U 800: Bericht Hamanns an das Ministerium für Kunst und Wissenschaft, Berlin o. J. [1926/27]; DDK Archiv FF WK 2, Unterlagen Restitutionsforderung Frankreich, Stellungnahme Hamann 1947; NL FGWM, Nr. 240, Auszug aus dem Schreiben des Reichserziehungsministeriums, 15. 07. 1940. 74 Mitunter können die persönlichen Beweggründe der Beteiligten von den offiziell oder taktisch kommunizierten Strategien abweichen. So auch beispielsweise bei der Fotokampagne des Kunstschutzes in Belgien während des E ­ rsten Weltkriegs zu beobachten. Siehe hierzu Susanne Dörler,

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5.2 Fotokampagnen während des Zweiten Weltkriegs Ähnlich aussagekräftig dürfte ein Vergleich mit durch den Kunstschutz realisierten Fotokampagnen in anderen besetzten Gebieten sein, deren Akten und fotografischen Konvolute ebenfalls im Bildarchiv Foto Marburg überliefert sind. Naheliegend ist zunächst der Blick auf die nahezu zeitgleich von der „Kunstschutzabteilung der Militärverwaltung in Belgien und Nordfrankreich“ unternommene Fotokampagne im besetzten Belgien, die gleichfalls von Foto Marburg ausgerüstet und organisiert wurde und in deren Verlauf der in Marburg geschulte Fotograf Carl Ludwig ­zwischen 1940 und 1944 rund 2000 Neuaufnahmen anfertigte. Sie sollten einen Bestand ergänzen, der bereits im E ­ rsten Weltkrieg im Rahmen der damaligen Kunstschutztätigkeiten entstanden war. Es handelt sich um die, von Wolff Metternich immer wieder als vorbildlich erwähnte und unter dem Provinzialkonservator der Rheinprovinz Paul Clemen realisierte, fotografische Inventarisation der Bau- und Kunstdenkmäler in Belgien in den Jahren 1917/18.75 Als Vorbild für ähnlich gelagerte nachfolgende Projekte, weist sie nicht nur eine Reihe von interessanten, personellen Kontinuitäten auf,76 sondern bestimmte auch konkret das Arbeitsprogramm der Kunstschutzabteilung des Zweiten Weltkriegs: So beauftragte der „Kunstschutz in Belgien und Nordfrankreich“ 1941 – 1943 die Anfertigung einer Auswahl von etwa 5000 Duplikatnegativen, jener rund 10.000 Negative, die bereits im ­Ersten Weltkrieg produziert und 1927 an Belgien verkauft worden waren. Diese Duplikate bildeten neben den ergänzenden Neuaufnahmen das wichtigste Arbeitspaket der fotogra­ fischen Kunstschutzmaßnahmen in Belgien.77 Ergiebig wäre sicher auch eine Gegenüberstellung mit anderen fotografischen Projekten, die während des Krieges, alternativ zu denen des militärischen Kunstschutzes realisiert wurden, beispielsweise vom Deutschen Ahnenerbe.78 Auf dessen Initiative wurden 1940 von

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Der Kunstschutz im ­Ersten Weltkrieg in Belgien und Nordfrankreich und seine fotografische Dokumentation im Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg (DDK), in: Laurence Baudoux-Rousseau/Michel-Pierre Chélini/Charles Giry-Deloison (Hg.), Le patri­moine, un enjeu de la Grande guerre, Arras 2018, S. 143 – 166, hier S. 150. Z. B. Wolff Metternich, Der Kriegskunstschutz (wie Anm. 13), S. 26. Hamann war während des ­Ersten Weltkriegs in Belgien einer der erfahrensten und wichtigsten Fotografen und fotografierte entgegen der Anweisungen des für den Kunstschutz verantwortlichen Paul Clemen auch in Gebieten im besetzten Nordfrankreich. Hierzu Dörler, Der Kunstschutz im E ­ rsten Weltkrieg (wie Anm. 74), S. 146 ff. Interessant in ­diesem Zusammenhang auch die von Paul Clemen an seinen Schüler und Nachfolger Wolff Metternich gerichtete Stellungnahme zu den ersten Kunstschutzplänen von 1940, NL FGWM, Nr. 240 Brief von Paul Clemen an Wolff Metternich vom 15. 07. 1940. Hierzu ausführlich Kott/Claes, Le patrimoine de la Belgique (wie Anm. 68), S. 173 ff. und S. 198; Kott, Der deutsche „Kunstschutz“ (wie Anm. 5), S. 145; Dörler, Der Kunstschutz im E ­ rsten Weltkrieg (wie Anm. 74), S. 145. Neben der genannten Unternehmung im Baltikum gab es eine Reihe von Kampagnen des Deutschen Ahnenerbes, die weitgehend unabhängig von Marburg realisiert wurden. Dies gilt beispielsweise für

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den Marburger Kunsthistorikern Otto Kletzl (1897 – 1945) und Richard Hamann-Mac Lean Kunst- und Bauwerke im Baltikum fotografiert und diese Aufnahmen anschließend in das Bildarchiv Foto Marburg integriert.79 Daneben realisierte Foto Marburg während des Zweiten Weltkriegs aber auch weitgehend selbstständig und mit eigenen Mitteln Fotokampagnen in zuvor von Deutschland annektierten Gebieten. Zu nennen sind hier vorrangig Böhmen und das sogenannte Gau Oberdonau.80 Inwieweit aber in diesen Fällen erst die deutsche Annexion und die damit vermeintlich günstigen Arbeitsbedingungen ausschlaggebend für diese Unternehmungen waren oder ob es sich beispielsweise bei der Kampagne in Böhmen um eine schlichte Fortsetzung der bereits 1935 von Kletzl begonnenen wissenschaftlichen Dokumentation zur Parlerschule handelte, wäre zu untersuchen.81

5.3 Fotokampagnen im Deutschland der ersten Nachkriegsjahre Nicht zuletzt sei auch die 1946 unmittelbar nach Kriegsende im zerstörten Deutschland von der amerikanischen Militärregierung veranlasste Fotokampagne zur Dokumentation zerstörter Kunst- und Bauwerke in Süddeutschland erwähnt, mit deren Durchführung Foto Marburg aufgrund seiner einschlägigen Erfahrung von den zuständigen Militärbehörden die umfangreichen Studien und Dokumentationen zum Teppich von Bayeux unter Herbert J­ ankuhn. Hier beschränkt sich die Marburger Teilnahme offenbar auf die Vermittlung der in Marburg ausgebildeten Fotografin Ursula Uhland. Siehe Anm. 55; erwähnenswert in d ­ iesem Zusammenhang auch das Farbdiaarchiv des Führerauftrags „Monumentale Wandmalerei“, das zu großen Teilen im Bildarchiv Foto Marburg liegt. Hierzu Christian Fuhrmeister (Hg.), „Führerauftrag Monumentalmalerei“ – eine Fotokampagne 1943 – 1945, Köln/Wien/Weimar 2006. 79 Unmittelbar im Anschluss an diese Kampagne wechselte Hamann-Mac Lean zum Kunstschutz in Frankreich und übernahm mit einem Monat Verspätung die Leitung eines der Fotografenteams. Zur Kampagne im Baltikum siehe Bundesarchiv, R 153 – 1736, Richard Hamann-Mac Lean, „Abschließender Bericht über die fotografische Inventarisation der baltendeutschen Kunstdenkmäler“, 1941, Typoskript; knapper Laupichler, Das Bildarchiv Foto Marburg (wie Anm. 5), S. 62; Matyssek, Kunstgeschichte als fotografische Praxis S. 205 sowie Tralles, Die Fotokampagnen (wie Anm. 5), S. 266. 80 Matyssek, Kunstgeschichte als fotografische Praxis (wie Anm. 5) S. 205, Laupichler, Das Bildarchiv Foto Marburg (wie Anm. 5), S. 66. Zu den Kampagnen in das Gau Oberdonau siehe vor allem Sprenger, Marburger Kunstgeschichte (wie Anm. 5), S. 252 – 256. 81 Laupichler, Das Bildarchiv Foto Marburg (wie Anm. 5), S. 50. Die 1939 realisierte Kampagne in das Protektorat Böhmen und Mähren erscheint mit lediglich knapp 500 Aufnahmen wie ein Nachtrag der bereits 1935, also noch in Friedenszeiten unternommenen und mit 1500 Aufnahmen deutlich üppigeren Fotodokumentation Kletzls. Hier und an anderer Stelle zeigt sich, dass die in der Literatur wiederholte Deutung, erst die nationalsozialistischen Eroberungsfeldzüge hätten Foto Marburg neue, bis dato nicht praktizierte Betätigungsfelder erschlossen, relativiert werden sollte. So z. B. Heftrig, Fanatiker der Sachlichkeit (wie Anm. 5), S. 208 oder Tralles, Die Fotokampagnen (wie Anm. 5), S. 264.

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betraut wurde.82 Ziel dieser sogenannten Trümmerkampagne war es, die zerstörten Bauwerke vom gleichen Standpunkt wie die [im Bildarchiv Foto Marburg bereits vorhandenen] Aufnahmen des unbeschädigten Zustands aufzunehmen sowie auch jene unbeschädigten Baudenkmäler zu fotografieren, w ­ elche durch die Zerstörung der umgebenden Gebäude eine merklich bessere Sicht gewonnen hatten.83 Hier übernahm Foto Marburg – wie auch im Falle der fotografischen Inventarisation für den ab Mai 1945 in Marburg von den amerikanischen Militärbehörden eingerichteten Central Collecting Point 84 – erneut eine zentrale Rolle in der Dokumentation kulturellen Erbes – nun allerdings unter veränderten Vorzeichen: im Auftrag der alliierten Behörden und – eines der wichtigen Aufgabenfelder der Vorkriegszeit aufnehmend – wieder stärker mit Blick auf das deutsche Kulturerbe.

6. Fazit Das DDK beherbergt zahlreiche Bildbestände und Archivmaterialien, die aufgrund ihrer Vielfalt und ihres Reichtums an inhaltlichen Bezügen einen vergleichenden, kritischen Blick auf die Spezifika kunsthistorischer Fotodokumentation in Kriegszeiten erlauben. Sie gewähren zusätzlich Einblick in die unterschiedlichen Interessenlagen der Auftraggeber und Ausführenden – sei es im besetzten Frankreich oder im Nachkriegsdeutschland. Nicht zuletzt ermöglichen sie Rückschlüsse auf inhaltliche und personelle Kontinuitäten und geben Einsichten in generelle Charakteristika derartiger kulturpolitischer Unternehmungen. Die vielfältig korrespondieren Materialien des DDK bieten auch zukünftig ein lohnendes Potenzial für diesbezügliche Forschungsfragen und ermöglichen darüber hinaus die kritische Einordnung bisheriger Ergebnisse.

82 Die vom Office of Military Government for Bavaria, Monument and Fine Arts Department getroffene Objektauswahl wurde von Foto Marburg noch ergänzt. Die Aufnahmen wurden abschließend in die Sammlung des Bildarchivs Foto Marburg integriert. Zwölf der siebzehn eingesetzten Fotografen rekrutierten sich aus der Marburger Schule, allein fünf waren nur wenige Jahre zuvor während des Zweiten Weltkrieges für den Kunstschutz in Frankreich oder Belgien tätig gewesen. Laupichler, Das Bildarchiv Foto Marburg (wie Anm. 5), S. 71; DDK Archiv Trümmerkampagne Schriftwechsel. 83 Ebd., Anweisung von Edwin C. Rai (MFAAS), 28. 09. 1946. 84 Diese Projekte zeugen von der fachlichen Eignung und pragmatischen Bereitschaft der Institution Foto Marburg für derartige Dokumentationsprojekte, mit beliebigen Auftraggebern und Partnern, zur Verfügung zu stehen. Zum Central Collecting Point in Marburg bzw. seine Fortsetzung in Wiesbaden siehe Marco Rasch, Kunstsammelstelle Staatsarchiv. Der Marburger Central Collecting Point, in: Archivnachrichten aus Hessen 17 (2017), S. 60 – 62; Ders., Die „Monuments Men“ in Marburg, in: Jahrbuch des Landkreises Marburg-Biedenkopf 10 (2015), S. 251 – 254; Ders., Fortsetzung folgt? Die amerikanischen „Monuments Men“ und der „Kunstschutz“ nach dem „Kunstschutz“ in: Esther Heyer/Florence de Peyronnet-Dryden/Hans-Werner Langbrandtner (Hg.), „Als künstlerisch wertvoll unter militärischem Schutz!“ Ein archivisches Sachinventar zum militärischen Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg, Köln/Wien/Weimar (im Erscheinen).

Fotokampagnen des Bildarchivs Foto Marburg für den Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg  I  233

Die Bücher der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris in der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Der französischsprachige Bestand: geschenkt – gekauft – gewollt Julia Schmidt

1. Die Anfänge der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris Die deutschen Bestrebungen, auch im besetzten Paris ein kunsthistorisches Auslandsinstitut zu errichten, standen bereits früh fest. Im Kreis der 16 Auslandsinstitute, die z­ wischen 1940 und 1944 in diversen Hauptstädten eröffnet wurden,1 nahm das Pariser Institut allerdings eine Sonderstellung ein. Dieses sollte eine „eigenständige kunsthistorische Abteilung“ 2 erhalten. Bereits 1941 nahm diese kunsthistorische Einrichtung erste Formen an, die maßgeblich auf die Bemühungen des Bonner Professors Dr. Alfred Stange (1894 – 1968) zurückzuführen sind. Stange, der Leiter des kunsthistorischen Seminars der Universität Bonn, setzte sich auch für die Besetzung der Institutsleitung in Paris mit seinem Assistenten Dr. Hermann Bunjes (1911 – 1945) ein.3 Zunächst zeigte sich das Deutsche Institut wenig erfreut über die Errichtung eines eigenständigen kunsthistorischen Institutes, konnte aber gegen die Bestrebungen des Reichsministeriums für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung (REM) wenig ausrichten.4 Das Deutsche Institut und das Auswärtige Amt in Paris stimmten schließlich der Gründung des Institutes zu, nachdem festgelegt worden war, dass die zukünftige Einrichtung zur Kunstgeschichte dem Deutschen Institut unterstellt werden und den Richtlinien des Auswärtigen

1 Siehe Frank-Rutger Hausmann, Auch im Krieg schwiegen die Musen nicht. Die Deutschen Wissenschaftlichen Institute im Zweiten Weltkrieg, Göttingen 2002. 2 Frank-Rutger Hausmann, Wozu Fachgeschichte der Geisteswissenschaften im „Dritten Reich“?, in: Ruth Heftrig/Olaf Peters/Barbara Schellewald (Hg.), Kunstgeschichte im „Dritten Reich“. Theorien, Methoden, Praktiken, Berlin 2008, S. 3 – 24, hier S. 15. 3 Siehe Eckard Michels, Das Deutsche Institut in Paris 1940 – 1944. Ein Beitrag zu den deutschfranzösischen Kulturbeziehungen und zur auswärtigen Politik des Dritten Reiches (Studien zur Modernen Geschichte 46), Stuttgart 1993, S. 92. 4 Siehe ebd.

Amtes verpflichtet sein sollte.5 Dass die Kunsthistorische Forschungsstätte Paris auch durch ihren Leiter Dr. Hermann Bunjes und dessen Aktivitäten abseits der Forschung im Kunsthandel von Paris beeinflusst wurde, soll im folgenden Aufsatz aufgezeigt werden. Der Artikel verfolgt außerdem das Anliegen anhand von Bunjes’ Tätigkeiten nachzuvollziehen, wie die für die Kunsthistorische Forschungsstätte angeschafften französischsprachigen Bücher während und nach dem Zweiten Weltkrieg schlussendlich in die Bibliothek der Mainzer Universität gelangten. Nachdem die Hürde zur Institutsgründung genommen war, erfolgten ab 1941 die notwendigen Schritte zur Umsetzung, wie die Taschenkalendereinträge Hermann Bunjes’ und seine Tätigkeitsberichte nachweisen.6 So besichtigte er Gebäude in Paris, um ein geeignetes Domizil zu finden, wie beispielsweise am 5. Februar ein Palais in der Rue de Varennes.7 In einer Aktennotiz vom 6. Februar zu einem Treffen mit Hermann Göring am Vortag beschrieb Bunjes auch eine Unterhaltung mit General Friedrich-Carl Hanesse (1892 – 1975), bei der er im Rahmen der Freimachung der von der Luftwaffe belegten historischen Schlösser nach einem geeigneten Gebäude für die Unterbringung der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris fragte, die sich wie folgt liest: Ich fragte den General Hanesse sodann, ob unter den von ihm beschlagnahmten Palais aus jüdischem Besitz in Paris eines sei, auf das er seinen Anspruch erhöbe und das vielleicht geeignet sei, das im Entstehen begriffenen Deutsche Kunsthistorische Institut in Pais aufzunehmen.8

Zum Jahresende 1941 war die Entscheidung zur Übernahme des ehemaligen Sitzes der tschechoslowakischen Botschaft in Paris in der Rue Bonaparte 18 gefallen. Das offizielle Eröffnungsdatum 1. Januar 1942, das häufig in der Literatur zitiert wird,9 bestimmte lediglich die rechtliche Einrichtung der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris (KHF ) und die Berufung von Hermann Bunjes – nicht zuletzt durch die Unterstützung von Hermann Göring – als dessen Leiter. Der Betrieb konnte aber erst am 1. Februar aufgenommen werden, nachdem vier Räume provisorisch möbliert worden waren, wie der

5 Siehe ebd. 6 Die Akten und Taschenkalender befinden sich in den Archives Nationales Paris (AN) in Saint-Denis im Bestand AJ 40. 7 Siehe AN PARIS AJ 40/1674, Taschenkalender von Hermann Bunjes 1941, o. S. 8 Ehreshoven, Familienarchiv der Grafen Wolff Metternich, Nachlass Franziskus Graf Wolff M ­ etternich (NL FGWM), Nr. 187, Aktennotiz von Hermann Bunjes vom 06. 02. 1941, o. S. [S. 2]. 9 So zum Beispiel bei Michels, Das Deutsche Institut in Paris (wie Anm. 3), S. 93 oder auch ­Hausmann, Wozu Fachgeschichte? (wie Anm. 2), S. 15 und Christina Kott, „Den Schaden in Grenzen halten …“. Deutsche Kunsthistoriker und Denkmalpfleger als Kunstverwalter im besetzten Frankreich, 1940 – 1944, in: Heftrig/Peters/Schellewald (Hg.), Kunstgeschichte im „Dritten Reich“ (wie Anm. 2), S. 362 – 392, hier S. 379.

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erste Allgemeine Arbeitsbericht von Bunjes über das Geschäftsjahr 1941 vom 16. Mai 1942 zeigt.10 Hier berichtete Bunjes auch über den Aufbau der Institutsbibliothek: I. Schaffung einer deutschen Bibliothek. II. Erstellung einer französischen Bibliothek für die in Paris bzw. Frankreich tätigen deutschen Forscher. III . Für die französische Abteilung der Bibliothek sind bisher ungefähr 950 Bände vorhanden, die Anschaffungen werden laufend fortgesetzt.11 Doch wie lassen sich diese angekündigten Anschaffungen für die Bibliothek der KHF nachvollziehen? Im Rahmen des vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste Magdeburg geförderten Projekts zum Buchbestand der ehemaligen Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris, der sich heute im Bibliotheksbestand des Kunsthistorischen Instituts der Johannes Gutenberg-Universität Mainz befindet,12 gelang es, drei Wege für die Herkunft der französischsprachigen Büchern nachzuweisen. Der Titel d ­ ieses Beitrags „Geschenk – gekauft – gewollt“ nimmt diese drei Wege der Bücher in die Bibliothek der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris auf, sie werden im Folgenden beschrieben.

2. Die französischsprachigen Publikationen im Mainzer Buchbestand der KHF Paris Zu Beginn ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die folgenden Untersuchungen anhand der in Mainz aufgefundenen Teilbestände der ehemaligen KHF Paris erfolgen. Mit 3080 Büchern konnte man etwa die Hälfte des ursprünglichen Gesamtbestandes der deutschen und französischen Bibliothek verifizieren. Diese Einschätzung kann anhand einer Zeitungsquelle aus dem Jahr 1943 untermauert werden. In der „Pariser Zeitung“ vom 18. April 1943 erschien ein umfangreicher Artikel über den Arbeitsbetrieb der Kunsthistorischen Forschungsstätte

10 AN PARIS AJ 40/1671, Kunsthistorische Forschungsstätte Paris, Tätigkeitsbericht und Abrechnung über den Haushalt 1941, Archiv, S. 2: Am 1. [Februar] 1942 konnten zunächst vier Räume bezogen werden. Ein Teil der Möbel wurde zunächst aus vorgefundenen Beständen in Benutzung genommen. Die übrige Ausstattung wurde entsprechend den wachsenden Bedürfnissen laufend beschafft. 11 Ebd., S. 2. 12 Das DZK förderte vom 1. Januar 2017 bis 31. Dezember 2018 und in einer Verlängerung zum französischsprachigen Bestand vom 1. Januar 2019 bis 30. Juni 2019 das Forschungsprojekt „Die Provenienz des Mainzer Buchbestandes aus der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris (1942 – 44)“. Die Projektleitung lag bei Frau Univ.-Prof. Dr. Oy-Marra und Herrn Dr. Brandtner bzw. Herrn Dr. Hansen, die Ausführungen zum deutschsprachigen Teilbestand bei Frau Scherzinger M. A. und zum französischsprachigen Teilbestand bei der Autorin.

Die Bücher der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris in der Johannes Gutenberg-Universität  I  237

Paris, der auch auf den Bücherbestand einging.13 Wiederum etwa die Hälfte der in Mainz befindlichen Bücher machen französischsprachige Publikationen aus. Dieser aktuelle französische Bestand setzt sich aus drei Gruppen zusammen: 1. Eigenständige Publikationen, wie Museumsführer oder Monografien, umfassen lediglich 9 % des Bestandes. 2. Zeitschriftenreihen, bei denen ein deutlicher Fokus auf mittelalterliche Kunst auszumachen ist, umfassen 19 % und sind von der Anschaffung her auf die Aufgabe des KHF in der sogenannten Westforschung ausgerichtet, wie sie auch im oben erwähnten Zeitungsartikel über die Kunsthistorische Forschungsstätte Paris von 1943 herausgestellt wird.14 3. Französischsprachige Auktionskataloge umfassen hingegen 73 % des Bestandes. Zu Punkt 2: Die sogenannte Westforschung wurzelte bereits in Gedanken, die noch mitten im E ­ rsten Weltkrieg aufkamen und die spätestens ab den 1920er Jahren als Kunstdebatte zu fassen sind. Sie zielte darauf ab, einen Nachweis der überlegenen Bedeutung der deutschen Kunst für die gesamte europäische Kunstentwicklung zu erbringen.15 Dabei galt es, Argumentationsketten zu schaffen, die eine untrennbare Bindung der westlichen Grenzländer, vornehmlich Frankreichs und Belgiens, an Deutschland und das „Deutschtum“ belegten 16 und damit revisionistisch eine Deutungshoheit über diese Gebiete zu erlangen, die jedoch nicht durch den Versailler Vertrag abgesichert waren. Besonders das Bonner Kunsthistorische Institut, das 1920 unter dem Namen „Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande“ gegründet wurde, stand hierfür Pate. Paul Clemen als Vorgänger Stanges definierte 1935 die Aufgaben des Bonner Institutes wie folgt: Das Institut ist vor allem auf der Kunst Deutschlands und seiner Nachbarländer aufgebaut und hat für das Mittelalter eine tunliche Vollständigkeit gesucht. Es wird durch das in Bonn befindliche Denkmalarchiv der Rheinprovinz in erwünschter Weise ergänzt. Die Verbindung mit den Aufgaben des westdeutschen Raumes und der westdeutschen Grenzforschung, dazu die Verbindung mit der rheinischen 13 Die Anzahl der Bücher des Mainzer Bestandes definiert sich durch die Packlisten, die im Mainzer Universitätsarchiv hinterlegt sind und im Abgleich mit der Summe von 6000 Büchern, die die Kunsthistorische Forschungsstätte Paris z. B. im Zeitungsartikel von 1943 benannte: AN PARIS AJ 40/573, Artikel zur Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris, „Deutsche Forschung in Frankreich“, Pariser Zeitung, 18. 04. 1943, Nr. 108, o. S. [S. 8] 14 AN PARIS AJ 40/573 (wie Anm. 13), o. S. 15 Nikola Doll, Politisierung des Geistes. Der Kunsthistoriker Alfred Stange und die Bonner Kunstgeschichte im Kontext nationalsozialistischer Expansionspolitik, in: Burkhard Dietz/Helmut Gabel/ Ulrich Tiedau (Hg.), Der Griff nach dem Westen. Die „Westforschung“ der völkisch-nationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum (1919 – 1950), 2 Bde. (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 6), 2. Teilband, Münster/New York 2003, S. 979 – 1026, hier S. 982. 16 Ebd., S. 996.

238 I Julia Schmidt

Abb. 1  Grafische Darstellung der prozentualen Verteilung der einzelnen Sparten des französischsprachigen Teilbestandes der Bücher der ehemaligen Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris in der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Denkmalpflege hat für die Entwicklung der kunstgeschichtlichen Lehre in Bonn über die allgemeinen Aufgaben hinaus eine gewisse Tradition geschaffen.17

Da die KHF Paris maßgeblich von Alfred Stange und seinem Assistenten Hermann Bunjes aufgebaut wurde, war es folglich nur logisch, dass genau jene Westforschung eine wichtige Säule der Arbeit des neuen Institutes darstellte, wie der oben genannte Zeitungsartikel von 1943 medienwirksam propagierte: Im Jahre 1937 bildete sich in Bonn unter Leitung von Professor Alfred Stange eine Gemeinschaft von Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen, die sich zur Aufgabe stellte, die Wechselbeziehungen ­zwischen Deutschland und Frankreich auf dem Gebiet der Kunst eingehend zu untersuchen.(…) Zur weiteren Durchführung all dieser Arbeiten [Fotokampagne] hat das Kunsthistorischen Institut seine eigenen geschulten Fotografen, die das französische Gebiet systematisch bereisen, um die Aufnahmen zu machen; im Institut selbst stehen ein modernstes Fotolaboratorium, ein Zeichensaal zur Anfertigung von Karten und Plänen und ein Vortragssaal für 30 bis 40 Personen mit Bildwerfereinrichtung zur Verfügung.18

Zu Punkt 3: Im Mainzer Teilbestand lassen sich aber überwiegend französischsprachige Auktionskataloge verifizieren (Abb. 1). Dieses Genre wirft Fragen auf, stellte sich die KHF Paris nach außen hin doch, wie aufgezeigt, als Institut für Westforschung und Recherchen in eigenen und externen Publikationen dar. Die große Anzahl an Auktionskatalogen hingegen, scheint ein Indiz für ein ausgeprägtes Interesse am Pariser Kunstmarkt zu sein. 17 Vorschlagsliste vom 11. 1. 1935 UAB PA P. Clemen, zitiert in: Ebd., S. 98. 18 AN PARIS AJ 40/573 (wie Anm. 13).

Die Bücher der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris in der Johannes Gutenberg-Universität  I  239

3. Geschenkt Es lässt sich feststellen, dass die meisten Auktionskataloge aus einer Großschenkung (rund 1150 Bände) des Pariser Kunsthändlers Étienne Bignou (1891 – 1950) stammten. Die Bände tragen unverkennbare Stempel und Kürzel. Somit ist vordergründig eine eindeutige Provenienz erkennbar, die zugleich unproblematisch erscheint, da eine freiwillige Schenkung anzunehmen ist. Étienne Bignou, der auch eine Galerie in New York betrieb, schien bereits früh Beziehungen mit Hermann Bunjes zu pflegen. Ab Februar 1942 sind Treffen mit Bignou in den Taschenkalendern von Hermann Bunjes nachweisbar,19 sie fielen also zeitlich in den Arbeitsbeginn der KHF Paris. Der Bestand Bignous umfasst einen bemerkenswert weiten zeitlichen Rahmen: von einem Auktionskatalog von 1846 (Abb. 2) bis hin zu Katalogen aus dem Jahr 1942. Die Vorprovenienz, gerade der Kataloge aus dem 19. Jahrhundert, bleibt jedoch fraglich. In bzw. auf einigen Katalogen lassen sich – besonders für den Zeitraum um 1880 bis 1920 – Namenskürzel finden, die andere Vorbesitzer ausweisen bzw. auf eine Privatsammlung hindeuten.20 Neben den Vorbesitzermerkmalen konnten zudem in rund einem Viertel der Kataloge Annotationen nachgewiesen werden. Diese variieren von schlichten Anstreichungen oder Kreuzen bis hin zu Preisen, Vergleichspreisen, sogar Käufernamen sind erkennbar. Besonders interessant ist hierbei, dass eines der nicht identifizierten Namenskürzel auch jeweils bei einem Kauf auftaucht. Dies ist in einem Katalog das Kürzel M. H. Schon hieran wird deutlich, ­welchen Wert die Kataloge in sich bergen, da für einen Zeitraum von nahezu einhundert Jahren Informationen zum Pariser Kunstmarkt abgeleitet werden können. Der Prozentanteil von eindeutigen preisorientierten Informationen oder Käufer preisgebenden Annotationen im Bestand ist leider recht gering. Somit sind an dieser Stelle auch keine eindeutigen Belege für Aktivitäten auf dem Pariser Kunstmarkt seitens der KHF, ihres Leiters Hermann Bunjes oder der Angestellten belegbar. Neben Annotationen finden sich auch unzählige Einleger mit Auktionsinformationen in den Katalogen, die aus unterschiedlichen Zeitungen stammen. Hierunter ist die „Gazette de l’Hôtel Drouot“ am häufigsten vertreten. Die Einleger variieren deutlich in ihrer Größe und somit in ihrer Inhaltsdichte. Allen gemein sind allerdings dezidierte Informationen aus der jeweiligen Auktion. Die Ausschnitte sind den Katalogen zum Teil lose beigelegt, manche wurden aber auch sorgfältig mit Stecknadeln an die erste Vorsatzseite geheftet. Die aber wohl bedeutendste nachträgliche Bearbeitung der Kataloge befindet sich auf zahlreichen Buchdeckeln. Dort wurden viele der Namenskürzel, die die Provenienz der Auktionsmasse verschlüsselte, entschlüsselt und als vollständige Namen auf dem Einband vermerkt. 19 AN PARIS AJ 40/1764, Taschenkalender Hermann Bunjes von 1942, o. S. 20 Die Entschlüsselung der Namenskürzel oder die Identifikation des Eigners der Privatsammlung konnte in der Projektlaufzeit leider nicht erfolgen.

240 I Julia Schmidt

Abb. 2  Verzeichnis von Auktionsverkäufen im L’Hôtel Drouot von September 1942 bis Juli 1943 im Bestand der Johannes GutenbergUniversität Mainz.

Die Auktionskataloge bieten also facettenreich Auskünfte über Verkäufer, Käufer und Preise. Hierbei wurde ein deutlicher Fokus auf Gemälde gelegt. Kataloge oder Katalogabschnitte zu Themenbereichen wie Möbel, Tapisserien oder gar Schmuck wurden nicht kommentiert. Bereits durch diese unterschiedlichen Übermittlungswege von dezidierten Informationen zu Preisen, Verkäufern, Käufen und Künstlern wird deutlich, dass die Auktionskataloge nicht nur Zeugen des Vorgangs des Kunsthandels in Paris sind. Vielmehr sind sie Träger sensibler Informationen, lassen Preisentwicklungen nachvollziehen und können ebenso benutzt werden, um zu Besitzernamen zu gelangen. Die Entschlüsselung der Namen der teilweise anonym in den Handel gebrachten Sammlungen, die mühsame Bestückung der Bände mit Zeitungsartikeln zu den Auktionen und die Tatsache, dass die Annotationen – so vorhanden – nahezu ausnahmslos auf den Bereich der Malerei bezogen sind, deutet auf eine bewusste Ausrichtung im Umgang und auf eine konkrete Nutzung der Kataloge hin, deren Ziel eine Marktanalyse, Käuferanalyse und etwaige Auffindungsorte von Kunstwerken preisgeben konnte.

Die Bücher der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris in der Johannes Gutenberg-Universität  I  241

Neben diesen rund 1150 nachweisbaren Bänden aus dem Besitz von Étienne Bignou 21 gelangten auch vereinzelte Exemplare von Monografien oder Fachliteratur als Schenkung an die Bibliotheken des KHF, wie der Eintrag Geschenk des Verfassers anzeigt.

4. Gekauft 22 Der bereits genannte Zeitungsartikel von 1943 zum KHF Paris berichtet auch über die Verortung des Institutes in Paris: „Das Deutsche Kunsthistorische Institut in Paris, das seit über einem Jahr besteht, ist das dritte Auslandsinstitut der deutschen Kunstwissenschaft neben den seit vielen Jahren bestehenden Instituten in Florenz und Rom. Sein Sitz ist ein kleines Hotel des 17. Jahrhunderts in der Rue Bonaparte, mitten im Buch- und Kunsthändlerviertel von Paris, in der Nähe des Louvre, des Institut de France, der Ecole des Beaux-Arts.“ 23

Wenn man berücksichtigt, dass Hermann Bunjes 1941 unterschiedliche Gebäude für den Aufbau der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris inspizierte, wird wohl auch die örtliche Lage ein entscheidender Grund gewesen sein, die Rue Bonaparte 18 zu wählen. Die enge Bindung an Galerien, aber eben auch Librairien war besonders für den Aufbau der Bibliotheken ein großer Vorteil, da die k­ urzen Wege regelmäßige Besuche der Läden erleichterten. Bunjes notierte in seinem Taschenkalender am 17. November 1941: 17.00: Stange bei Streng, Beauftragung mit Paris, am 3. Dezember: 16h, Reichsmarschall, Befehl: Bin in Paris zu belassen, und im Eintrag am 30. Dezember ist die Rue Bonaparte genannt.24

21 Die bisher aufgefundene Anzahl an Katalogen mit dem Stempel, der auf Étienne Bignou hinweist, ist mit 1136 Katalogen zu beziffern. Momentanbefindet sich noch eine geringe Anzahl weiterer Kataloge mit ­diesem Nachweis in der Signaturvergabe. Aufgrund der chronologischen Nummerierung als Beischriften der Schenkung Bignou ist allerdings von einer Gesamtzahl von mindestens 1273 Katalogen auszugehen. 22 Eine genaue Anzahl der gekauften Bücher konnte im Laufe der Projektlaufzeit nicht ermittelt werden, lag der Fokus der Untersuchungen doch auf dem in Mainz befindlichen Teilbestand. Nachweislich sind in den Archives Nationales in Paris allerdings 96 Kaufbelege im Ordner „Deutsches Kunsthistorisches Institut Paris, Ausgaben 1943–Belege“, die Käufe ab Dezember 1942 dokumentieren, nachzuvollziehen. Diese werden noch ergänzt durch 27 Rechnungen aus einem Aktenkonvolut, das Privates von Hermann Bunjes versammelt. Teilweise sind die Rechnungen aus Librairien allerdings auch hier auf das Kunsthistorische Institut ausgestellt. AN Paris AJ 40/ 1671 und AJ 40/1674. 23 AN PARIS AJ 40/573 (wie Anm. 13), o. S. 24 AN PARIS AJ 40/1674 (wie Anm. 7).

242 I Julia Schmidt

Anhand der zahlreichen Rechnungen,25 die im Bestand AJ 40 in den Archives nationales zu finden sind, konnten diverse Bezugsadressen in Paris sowohl für Ankäufe von Bunjes als auch seiner Assistenten Karl vom Rath und Heinrich Gerhard Franz, nachgewiesen werden. Vier Librairien lagen dabei in unmittelbarer Nähe der KHF. Diese Librairien waren nicht nur die Hauptquellen für die Anschaffungen der Bücher der KHF in Paris, sie waren auch die Pariser Kaufadressen von Dr. Eduard Neuffer (1900 – 1954) für die Bibliothek des rheinischen Provinzialmuseums in Bonn.26 Anhand dieser Übereinstimmungen ist davon auszugehen, dass diese vier Librairien Bücher führten, die für kunsthistorische oder archäologische Belange besonders interessant waren. Durch den Vergleich der Rechnungen in Bezug auf Anzahl und Häufigkeit der Käufe, die Angestellte der KHF tätigten, lassen sich drei Hauptquellen definieren: 1. André Richert, 30 Rue Mazarine, im 6. Arrondissement wurde sehr regelmäßig besucht. Richerts Rechnungen waren selbst für das für Deutsche ohnehin schon positive Preisgefälle von 1:20 sehr günstig. Aus w ­ elchen Quellen die Librairie Richert die Bücher bezog oder ob sie für Deutsche besondere Preise auslobte, ist leider im Rahmen der Projektarbeit nicht zu ermitteln gewesen. 2. Spitzenreiter laut der Gesamtzahl der Rechnungen ist die Librairie Rive Gauche. Sie war 1941 als äußerlich französische Buchhandlung im Quartier Latinge gegründet worden und wurde als französische Aktiengesellschaft geführt. Deren Anteile lagen aber in ihrer Mehrheit in deutschen Händen.27 Die Mehrheitseigner waren Karl Epting (1905 – 1979), Leiter des Deutschen Institutes in Paris, mit 300 von 1000 Anteilen und Karl Frank (1898 – 1946) von der Deutschen Botschaft mit 295 Anteilen.28 Die Librairie Rive Gauche besaß die Monopolstellung für den Handel mit deutschen Büchern in Frankreich und war außerdem mit der Ausfuhr französischsprachiger Publikationen nach Deutschland beauftragt.29 3. Die dritte Hauptkaufquelle war die bereits aus dem 19. Jahrhundert bekannte Librairie Flammarion, die auf den Rechnungen an die KHF Paris in den Archives nationales vier Ladengeschäfte in Paris nachvollziehbar macht.

25 Bei den Rechnungen gilt es zu berücksichtigen, dass sowohl deutschsprachige als auch französischsprachige Erwerbungen im Pariser Buchhandel erfolgten. 26 Im Rahmen eines Arbeitstreffens mit Susanne Haendschke, M. A., Leiterin der Bibliothek des LVR-LandesMuseums Bonn, konnten diese Übereinstimmungen von Anlaufstellen für deutsche Kunstschutzmitarbeiter mit leitenden Funktionen im kunsthistorischen bzw. archäologischen Kontext definiert werden. An dieser Stelle gilt mein herzlicher Dank Frau Haendschke. 27 Siehe Michels, Das Deutsche Institut in Paris (wie Anm. 3), S. 77. 28 Siehe ebd. 29 Siehe ebd.

Die Bücher der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris in der Johannes Gutenberg-Universität  I  243

244 I Julia Schmidt

1

01.04. 1943

1

01.05. 1943

1

01.06. 1943

1

01.07. 1943

1

01.08. 1943

1 5

Beaux-Arts

Borde–nave

Flamma–rion

1

01.10. 1943

6

4

3

1

1

4

1

5

3

5

1

1

3

1

3

Tabelle 1: Häufigkeit der Ankäufe seitens der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris in Pariser Librairien.

5

1

Richert

Rive gauche

1 3

Lorrillon

Ferche

Hachette

Meslier

Soudier

Rapilly

Private Käufe

Gisler 2

1

01.09. 1943

1

01.11. 1943

1

01.12. 1943

01.01. 1944

5

1

2

4

2

2

1

1

1

3

01.03. 1943

1

01.02. 1943

Picard

01.01. 1943

Édition d’Art

Barbier

01.12. 1942

2

1

01.02. 1944

1

01.03. 1944

Die Bücherkäufe der KHF Paris umfassten nicht nur französischsprachige, sondern auch deutschsprachige Werke. Generell zeugen französischsprachige Bucherwerbungen aber auch von der bereits erwähnten Fokussierung auf mittelalterliche Kunst. Daneben lässt sich aber auch ein Interesse an zeitgenössischer Kunst nachweisen, auf das der Ankauf von Registern mit gesammelten Auktionsinformationen verweist.30

5. Gewollt Ein weiterer Teilbestand der französischen Publikationen im Mainzer Bibliotheksbestand entfällt erneut auf Auktionskataloge. Von der Großschenkung Bignou sind sie leicht zu trennen, da sie keinerlei Stempel aufweisen. Ihre Zuschreibung zum Bestand der KHF Paris konnte zunächst also nur als wahrscheinlich aufgrund des gemeinsamen Auffindungskontextes angegeben werden.31 Eine genauere Untersuchung ergab, dass es sich meist um Kataloge aus dem Hôtel Drouot handelt, die hauptsächlich den Jahren 1942 bis 1944 zuzuschreiben sind. Eine Zuordnung der 311 gefundenen Kataloge ohne Stempel zum Mainzer Buchbestand könnte durch die wenig detailreiche Angabe der in Mainz vorliegenden Packliste 24 mit Hotel Drouot, 345 Kataloge erfolgt sein. Doch wie könnte der Weg der Kataloge aus den Jahren der Besatzung in die Kunsthistorische Forschungsstätte Paris gewesen sein, sind sie doch keine Geschenke oder Käufe? Es scheint sich um eine forcierte Abgabe von Katalogen aus dem Pariser Auktionshandel zu handeln. Der Betrieb der Auktionshäuser war Mitte Juli 1940 eingestellt worden, um zu verhindern, dass Kunstschätze aus den besetzten Gebieten ausgeführt wurden bzw. durch Besitzerwechsel für die deutsche Besatzungsmacht nicht mehr zur Verfügung stünden. Im Verlauf des Lageberichtes Nummer V, erstellt über die Zeitspanne vom 20. November 1940 bis 12. Januar 1941 durch Hermann Bunjes, heißt es dazu: Um den völlig lahmgelegten Kunsthandel wieder in Gang zu bringen, wurden die Versteigerungen genehmigt unter der Bedingung, dass jede Versteigerung dem Beauftragten für Kunstschutz bei der Militärverwaltung Paris unter Beifügung des Katalogs angemeldet wird. Falls Werte von über 100.000 frcs. darin verzeichnet sind, sind sie besonders gekennzeichnet. Erfolgt ihr Verkauf, so werden der erzielte Preis und die Anschrift des neuen Besitzers angezeigt.32

30 Siehe AN PARIS AJ 40/1671, Rechnungen der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris von Rive ­Gauche, S. 92, die übereinstimmt mit dem Katalog KAT IV DRO 1942/43 im Mainzer Bestand (Abb. 9). 31 Im Rahmen des Forschungsprojektes konnte im Februar 2017 ein bis zu ­diesem Zeitpunkt nicht in das Signatursystem der Johannes Gutenberg-Universität Mainz eingegliederter Katalogbestand von 636 Exemplaren aufgefunden werden, der heute erfasst und auch im OPAC Mainz eingegliedert ist. Unter den Katalogen ließen sich 311 Kataloge ohne Nachweise der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris finden. 32 AN PARIS AJ 40/1671, Lagebericht V, S. 2 f., S. 13 f.

Die Bücher der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris in der Johannes Gutenberg-Universität  I  245

Dass weder mit Titel noch durch eine namentliche Nennung Hermann Bunjes erwähnt ist, macht eine Verknüpfung zunächst unmöglich. Er kommt allerdings als Referent im Tätigkeitsbericht des militärischen Kunstschutzes vom Februar 1941 ins Spiel. Er wird hierbei dezidiert als Kunstkenner und Mittelsmann der Deutschen für Kunstgeschäfte in Paris benannt: (…) Der Pariser Kunsthandel, der bedeutendste Markt auf der Welt, lag nach dem Waffenstillstand völlig danieder. Er wurde wieder in Gang gebracht (…) durch strenge Anweisungen bis Anfang ­Februar 1941 jegliche Preissteigerungen vermieden. Es war d­ ieses umso notwendiger, als die englischen und amerikanischen Käufer naturgemäss vom Markt ausgeschlossen waren und an ihre Stelle der unbegrenzt aufnahmefähige deutsche Kunstmarkt getreten ist. Die inzwischen nach Deutschland geleiteten Werke sind kaum zahlenmässig zu benennen, dürften aber viele Millionen übersteigen. Führer, Reichsmarschall, Reichsminister, Reichsleiter und Gauleiter und deutsche Museen und Städte wurden durch den Referenten Dr. Bunjes laufend mit Angeboten aus dem Kunsthandel versehen.33

Fasst man nun zusammen, dass bereits die Käufe von Auktionsregistern und im Besonderen die Annahme der Großschenkung Bignous ein großes Interesse von Hermann Bunjes an Auktionen belegen, ergeben die ungestempelten Auktionskataloge in der Bibliothek des KHF weitere Verdachtsmomente für ein aktives Interesse und Agieren am und im Pariser Kunstmarkt. 1944 war die KHF Paris mit über 1600 französischsprachigen Auktionskatalogen aus der Zeit von 1846 bis 1944 ausgestattet, die einen Überblick über fast ein Jahrhundert Marktgeschehen des Kunsthandels ermöglichten. Die bisher fehlende Bindung an Hermann Bunjes scheint ein Dokument zu belegen, das heute in den National Archives in Washington D. C. liegt und das Lynn H. Nicholas in ihrem Buch „The Rape of Europa“ nennt.34 Das Dokument NA, RG 239/6 aus der Akte „The Bunjes Papers: German Administration of Fine Arts in the Paris Area, Control Council for Germany, British Element, February 16th, 1945, S. 45“ beweist, dass es Hermann Bunjes war, der die Zusicherung für die Wiederaufnahme der Auktionstätigkeit des Hôtel Drouot unter folgenden Konditionen ermöglichte: Abgabe der Kataloge, Meldung über Verkäufe, die 100.000 Francs überschritten, und Nennung der Käufernamen.

33 AN PARIS AJ 40/1671, Bericht über die Tätigkeit im Referat ‚Kunstschutz‘ seit 19. 08. 1940, verfasst auf Veranlassung des Ministerialdirigenten Dr. Medicus am 15. 02. 1941. S. 6 f., S. 52/53. 34 Lynn H. Nicholas, The Rape of Europa. The Fate of Europe’s Treasures in the Third Reich and the Second World War, New York 1994, S. 153: „Officials of the Hôtel Drouot, the famous Parisian auction house, asked permission to resume sales on September 26, 1940. This was granted by Dr. Bunjes on condition that all catalogues be sent to him, that all works valued at more than FFr 100.000 be indicated, and that the name and address of the purchasers of such items be reported.“ Nicholas’ Zusammenfassung beruht auf dem oben genannten Dokument in Washington D. C., S. 453.

246 I Julia Schmidt

6. Fazit Unter Berücksichtigung, dass der Mainzer Bestand lediglich die Hälfte der ehemaligen Pariser Bibliothek ausmacht und dass viele der Ankäufe der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris auf die Westforschung mit Fokus mittelalterliche Kunst hindeuten, stehen über 1600 vorliegende Auktionskataloge im unübersehbaren Widerspruch dazu. Sie sind als ein Beleg für das große Interesse seitens Hermann Bunjes am Geschehen auf dem Pariser Auktionsmarkt anzusehen. Seine Aktivität bei der Wiederaufnahme des Auktionsmarktes und seine auf unterschiedlichen Wegen zusammengetragenen Auktionskataloge deuten auf die gezielte Informationsbündelung zum französischen Auktionsmarkt in der KHF Paris hin. Die Auktionskataloge werden somit zu Zeugen der dort ausgeübten Aktivitäten weit ab von rein kunsthistorisch-wissenschaftlicher Forschung. Hermann Bunjes als Kontaktperson ­zwischen den einzelnen Bereichen von Kunst und Kultur in Paris, von französischer und deutscher Seite, scheint die Aufgabenverteilung der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris deutlich zu bestimmen und über die propagierte Westforschung hinaus zu belegen. War es doch bei den Gründungs- und Ausrichtungsaufgaben des Institutes angedacht, dass – wie es der Leiter des Kunstschutzes in Paris, Franziskus Graf Wolff Metternich, ansprach – keine Vermischung von Forschung und propagandistischen Zwecken erfolgen sollte. So benannte Wolff Metternich die Aufgaben des Institutes: Das Institut ist als ein Stützpunkt der deutschen Wissenschaft in Frankreich gedacht. Demgemäss beschränkt sich seine Tätigkeit ausschliesslich auf wissenschaftliche Forschung unter besonderer Berücksichtigung des noch bei weitem nicht erschöpfend behandelten deutschen Elements in der französischen Kunst (…) Abgrenzung gegen andere Kulturinstitute: Aus dem Gesagten geht hervor, dass sich die Aufgaben ausschliesslich auf die Wissenschaft beschränken. Eine Überschneidung mit anderen deutschen kulturellen Einrichtungen, die propagandistische und politische Ziele verfolgen, wie Studentenaustauch, Vortragsfolgen, Bearbeitung von Druckschriften, volkstümliche Veranstaltungen, Film und ­Theater, zeitgenössische Kunst und Künstleraustausch und dergl. mehr kommen nicht infrage; Die von dem kunstwissenschaftlichen Stützpunkt zu lösenden Aufgaben können nicht von anderen Kulturinstitutionen übernommen werden, da sie ausschliesslich in die Domäne der Wissenschaft gehören.35

Wolff Metternich bezog sich dabei auf die Weiterführung der Foto- und Abzugskampagnen. Die Auktionskataloge sprechen aber dafür, dass die KHF Paris unter der Leitung von ­Hermann Bunjes auch zu einem Zentrum für Marktanalyse ausgebaut worden war.

35 AN PARIS AJ 40/1671, Wolff Metternich zur Errichtung der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris vom 11. Januar 1941, S. 18 – 20.

Die Bücher der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris in der Johannes Gutenberg-Universität  I  247

Bonn – Paris – Bürresheim – Mainz Die Translokation der Bibliothek der ehemaligen Kunsthistorischen Forschungsstätte in Paris in den besetzten Gebieten vor und nach 1945 Sabine Scherzinger

Ich beehre mich, Ihnen mitzuteilen, dass die fragliche Bibliothek normalerweise nach Paris zurückgeschickt werden müsste, weil sie während des Krieges ordnungswidrig zusammengestellt wurde. Um die Universität nicht dieser wichtigen Bibliothek zu berauben sind, aufgrund einer Entscheidung des Général Commandant en Chef keinerlei Massnahmen zu Ihrer Rückführung getroffen worden. Die Universität kann also diese Bücher als ihr Eigentum ansehen (…).1

Mit diesen Worten klärte Raymond Schmittlein (1904 – 1974), zu d ­ iesem Zeitpunkt Directeur Général des Affaires Culturelles, im Januar 1951 auf eine Anfrage des damaligen Kurators der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz, Prof. Dr. Fritz Eichholz (1902 – 1994), die Eigentumsverhältnisse eines Buchbestandes aus der Bibliothek der ehemaligen Kunsthistorischen Forschungsstätte in Paris und beendete damit einen langjährigen Disput um den rechtmäßigen Besitz der Bücher.2 Das Konvolut aus etwa 3080 Büchern, deutsch- und französischsprachigen Fachpublikationen, davon etwa 1500 Auktionskataloge, war unmittelbar nach der Gründung der Universität auf Initiative der französischen Militärregierung im Jahre 1946 in zwei Sendungen nach Mainz gelangt.3 Hier wurden die Publikationen dem Institut für Kunstgeschichte unter der Leitung von Prof. Dr. Friedrich Gerke (1900 – 1966) zeitnah überantwortet und bilden seitdem den Grundstock der Institutsbibliothek.

1 Universitätsarchiv Mainz (künftig UA Mainz), Best. 1, Nr. 101, Brief von Schmittlein an Eichholz, 23. 01. 1951. 2 Kunsthistorische Forschungsstätte, nachfolgend abgekürzt als KHF. 3 Zwischen Januar 2017 und Juni 2019 untersuchte ein vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg gefördertes Projekt die Provenienz des Mainzer Buchbestandes und dessen Translokation während und nach dem Krieg sowie die Funktion der Bibliothek der KHF im Kontext des NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kunst- und Kulturraubes. Zum Projekt siehe Sabine Scherzinger, Der Mainzer Bibliotheksbestand aus der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris. Klärung der Provenienz und Funktion des organisierten und verfolgungsbedingten Kunstraubes, in: Provenienz & Forschung (2017) H. 2, S. 14 – 19.

Abb. 1  Bibliotheksstempel der Kunsthistorischen Forschungsstätte in Paris und des Kunsthistorischen Instituts in Mainz.

Der nachfolgende Beitrag möchte exemplarisch anhand der Rekonstruktion der Translokation des Mainzer Buchbestandes aus der ehemaligen KHF in Paris während und nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die mit der Verlagerung einhergehenden Implikationen aufzeigen.4 Denn es sind die Informationen der Biografie der beteiligten Objekte, die wichtige Hinweise auf die Interaktionen und Intentionen der an der Verlagerung implizit und explizit beteiligten Protagonisten liefern können. Diese lassen sich gerade aus der im Zuge des Kunstschutzes von Kunst- und Kulturgütern im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung oder Kampfhandlung erfolgten Translokation von Objekten gewinnen. Dahingehend sind ebenso die damit verbundene temporäre, mitunter aber auch permanente Herauslösung sowie nachfolgende Wieder- und/oder Neueingliederung der Objekte in gewachsene respektive neu entstehende Strukturen zu berücksichtigen.

4 Zum Forschungsdesiderat Translokation und Dislokation von Kulturgütern siehe Christian ­Fuhrmeister, Verlagerungs- und Bergungsaktionen in Italien im Zweiten Weltkrieg im Überblick. Wissensstand und Problemfelder, in: Pia Schölnberger/Sabine Loitfellner (Hg.), Bergung von Kulturgut im Nationalsozialismus. Mythen – Hintergründe – Auswirkungen (Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 6), Köln/Wien/Weimar 2016, S. 85 – 101.

250 I Sabine Scherzinger

1. (…) in Bonn inzwischen an die 2000 Bücher schon zusammengebracht (…):5 Bonner Erwerbungen für ein neu gegründetes deutsches Forschungsinstitut in Paris Im Mai 1942, wenige Monate nach der offiziellen Eröffnung der KHF in Paris am 1. Januar 1942, zeigt sich deren Direktor Dr. Hermann Bunjes (1911 – 1945) in einem Brief an Prof. Dr. Alfred Stange (1894 – 1968), Ordinarius für Kunstgeschichte der Rheinischen Friedrich-­ Wilhelms-Universität in Bonn, erstaunt darüber, dass dieser innerhalb weniger Monate bereits etwa 2000 Bücher zusammengetragen hatte.6 Die betreffenden Publikationen waren für die im Aufbau befindliche Bibliothek der neugegründeten Forschungsinstitution in Paris bestimmt, ­welche auf maßgebliches Betreiben von Stange hin, in Kooperation mit Vertretern des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM), unter Ausnutzung der kriegsbedingt günstigen Bedingungen im besetzten Frankreich initiiert worden war.7 Stange, seit 1935 als Nachfolger von Prof. Dr. Paul Clemen (1866 – 1947) auf den renommierten Bonner Lehrstuhl berufen,8 verfügte über eine Schlüsselrolle im nationalsozialistischen Wissenschaftsbetrieb.9 Infolge seiner zahlreichen beruflichen und privaten Kontakte und Verbindungen zu Vertretern diverser Ministerien, Parteiorganisationen und Institutionen gelang es ihm, seine bereits 1940 skizzierten Pläne für eine kunsthistorische Forschungsinstitution in Paris,10 trotz diverser Widerstände,11 nach

5 Paris, Archives nationales (künftig AN Paris), AJ 40, 1673, Mappe Schriftwechsel Stange – Bonn, Brief von Hermann Bunjes an Alfred Stange, 02. 05. 1942, S. 2, Z. 30 f. 6 Ebd. 7 Zur KHF siehe Nikola Doll, Die „Rhineland-Gang“. Ein Netzwerk kunsthistorischer Forschung im Kontext des Kunst- und Kulturgutraubes in Westeuropa, in: Andreas Blühm (Hg.), Museen im Zwielicht. Ankaufspolitik 1933 – 1945. Kolloquium vom 11. und 12. Dezember 2001 in Köln (Veröffentlichungen der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste 2), Magdeburg ²2007, S. 63 – 88, hier S. 75 und Dies., Politisierung des Geistes. Der Kunsthistoriker Alfred Stange und die Bonner Kunstgeschichte im Kontext nationalsozialistischer Expansionspolitik, in: Burkhard Dietz/Helmut Gabel/ Ulrich Tiedau (Hg.), Der Griff nach dem Westen. Die „Westforschung“ der völkisch-­nationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum (1919 – 1960), 2 Bde. (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 6), 2. Teilband, Münster 2003, S. 979 – 1015, hier S. 1005 f. 8 Zu Stange siehe Iris Grötecke, Alfred Stange – Politik und Wissenschaft. Ordinarius des Bonner Kunsthistorischen Instituts von 1935 bis 1945, in: Roland Kanz (Hg.), Das Kunsthistorische Institut in Bonn. Geschichte und Gelehrte, Bonn 2018, S. 147 – 175 und Doll, Politisierung (wie Anm. 7); zu Stanges Netzwerken siehe auch Doll, „Rhineland-Gang“ (wie Anm. 7). 9 Ebd., S. 70. 10 UA Bonn, PA 9390, Alfred Stange, Teil 3, Brief von Stange an den Rektor der Universität Bonn, 26. 11. 1940. 11 Zu den Differenzen mit Vertretern der Deutschen Botschaft siehe Eckard Michels, Das Deutsche Institut in Paris 1940 – 1944. Ein Beitrag zu den deutsch-französischen Kulturbeziehungen und zur

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einer längeren Planungsphase umzusetzen.12 Stange, der überdies seit 1941 mit der Gesamtleitung der kunstwissenschaftlichen Arbeit in den besetzten westlichen Gebieten betraut war,13 sicherte sich durch die wissenschaftliche Anbindung der Pariser KHF an das Bonner Institut als Pateninstitut 14 in seiner Funktion als deren Direktor den Vorsitz im Verwaltungsrat, damit die wesentliche Kontrolle insbesondere auch hinsichtlich wissenschaftlicher Projekte.15 Die KHF zielte vordergründig darauf, der deutschen Kunstgeschichte und ihren Vertretern in Frankreich zu größerem Ansehen zu verhelfen und für französische und deutsche Wissen­ schaftler sowie Museen und Institutionen bei ihren Recherchen als Ansprechpartnerin zu fungieren.16 Zugleich rekurrierte das Forschungsprogramm der KHF jedoch im Sinne der nationalsozialistischen Kulturpropaganda auf die Vorstellung einer Überlegenheit der deutschen Kultur generell sowie der spezifischen Annahme, dass die französische Kunst von der deutschen abhängig sei.17 Die thematischen Parallelen zu jenen von Stange begründeten Initiativen, beispielsweise die „Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung des germanischen Erbes“, und die Präsenz von Bonner Studenten sind dabei evident.18 Die Bibliothek der auf Vorschlag der deutschen Botschaft in der ehemaligen tschechischen Botschaft in der Rue Bonaparte 18 eingerichteten KHF sollte dabei zusätzlich zu französischen und deutschen kunsthistorischen Fachpublikationen explizit auch deutsche Zeitschriftenreihen umfassen, die in einer deutschen und französischen Abteilung aufgestellt wurden.19 Zusätzlich gelangte Anfang 1942 ein umfangreicher Bestand an Auktionskatalogen durch eine Schenkung des Pariser Kunsthändlers Étienne Bignou (1891 – 1950) in die KHF, diese wurden gesondert aufgestellt.20 Der größte Teil des im Jahre 1944 schon etwa

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auswärtigen Kulturpolitik des Dritten Reiches (Studien zur modernen Geschichte 46), Stuttgart 1993, S. 92 f. und Doll, Politisierung (wie Anm. 7), S. 1009. AN Paris AJ 40, 1671, Dossier Kunsthistorische Forschungsstätte (Vorverhandlungen), maschinelles Typoskript von Stange Vorschläge für die Errichtung eines Kunsthistorischen Instituts in Paris, 25. 11. 1940, Bl. 197 – 199. Doll, Politisierung (wie Anm. 7), S. 1005. Doll, „Rhineland-Gang“ (wie Anm. 7), S. 76. AN Paris AJ 40, 1671, Dossier Kunsthistorische Forschungsstätte (Vorverhandlungen), Brief von Stange an Frey, 30. 03. 1941, Bl. 21 – 24. Doll, Politisierung (wie Anm. 7), S. 1005. Doll, „Rhineland-Gang“ (wie Anm. 7), S. 77; Grötecke, Alfred Stange (wie Anm. 8), S. 160 f. Doll, „Rhineland-Gang“ (wie Anm. 7), S. 77; Grötecke, Alfred Stange (wie Anm. 8), S. 157. AN Paris AJ 40, 1671, Aktenvermerk Betreff einer Besprechung z­ wischen Dr. Krüger, Legationsrat der Deutschen Botschaft, Dr. Feegers, Deutsches Institut, Dr. Bunjes und Dr. vom Rath, Kunsthistorische Forschungsstätte, 28. 08. 1942, Bl. 202. Zu Étienne Bignou, seiner Tätigkeit als Kunsthändler in der Zeit der Okkupation von Paris und seinen Verbindungen zu Vertretern deutscher Museen in dieser Zeit sowie der Intention der Schenkung der Auktionskataloge an die KHF, siehe Sabine Scherzinger: „Interesse daran weiteres Bildermaterial bei ihm zu sehen.“ Die Verkäufe des Pariser Kunsthändlers Étienne Bignou (1891 – 1945) an die Museen im Rheinland während der Okkupation, in: Julia Drost/Hélène Ivanoff/Denise

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6000 Bände umfassenden Buchbestandes wurde von Bunjes auf dem Pariser Buchmarkt angekauft, wohingegen die Erwerbung der deutschsprachigen Publikationen von Beginn an im Wesentlichen der Verantwortung von Stange in Bonn oblag. Dieser organisierte z­ wischen Januar 1942 und April 1944 den größten Teil der 3507 Bände umfassenden deutschsprachigen Abteilung in Bonn. Die Bücher wurden dann in mehreren Transporten nach Paris überführt.21 Ein Teil der Publikationen akquirierte Stange durch diverse Schenkungen und Spenden, so ersuchte er etwa den Rheinischen Provinzialverband und verschiedene Fachverlage sowie Museen um Bücherschenkungen als Unterstützung für das neu gegründete Forschungsinstitut in Paris. 22 Zudem gelangten auch größere Konvolute, insbesondere Zeitschriftenreihen, die aus der Studentenbücherei der Universität Bonn ausgemustert worden waren,23 sowie der Nachlass des verstorbenen ehemaligen wissenschaftlichen Assistenten von Stange, Dr. Helmut Reinecke (1910 – 1942),24 in die Bibliothek der KHF . Zusätzlich zu diesen Schenkungen und Spenden wurden zahlreiche weitere Fachpublikationen im Auftrag von Stange durch Dr. Günther Bandmann (1917 – 1975)25 und zeitweise auch Dr. Ruth Tamm (1910 – 2009)26 vom Kunsthistorischen Institut in Bonn erworben; beide korrespondierten diesbezüglich mit ihren jeweiligen Kollegen in Paris. Die hierfür benötigten Mittel wurden einmal über den Haushaltsetat der KHF bereitgestellt und ein Betrag von 3000 RM in d ­ iesem 27 Zusammenhang an das Kunsthistorische Institut in Bonn überwiesen. Zusätzliche

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Vernerey‐Laplace (Hg.), Arts et pouvoir. Réseaux et acteurs du marché de l’art (1930 – 1950), Paris/ Heidelberg (erscheint im Herbst 2020). Ebd., 1673, Mappe Schriftwechsel Stange – Bonn, Brief von Bandmann an Bunjes, 13. 03. 1944. Ebd., 1671, Kunsthistorische Forschungsstätte Paris. Tätigkeitsbericht und Abrechnung über das Haushaltsjahr 1941/42, 13. 11. 1942, S. 3 und 1673, Mappe Schriftwechsel Stange – Bonn, Brief Bunjes an Stange, 27. 04. 1942. Zur Studentenbücherei siehe Günther Schulz/David Lanzerath, Besatzungszeit und demokratische Öffnung (1918 – 1933), in: Dominik Geppert (Hg.), Forschung und Lehre im Westen Deutschlands 1918 – 2018. Geschichte der Universität Bonn Bd. 2, Göttingen 2018, S. 7 – 114, S. 43 f.; Karl Lelbach, 35 Jahre Bonner Studentenbücherei, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 2 (1954), S. 102 – 110. Zu Helmut Reinecke siehe Ruth Heftrig, Facetten der Bonner Kunstgeschichte im Nationalsozialismus, in: Thomas Becker (Hg.), Zwischen Diktatur und Neubeginn. Die Universität Bonn im „Dritten Reich“ und in der Nachkriegszeit, Bonn 2008, S. 141 – 158, hier S. 148. Zur Schenkung siehe AN Paris AJ 40, 1673, Mappe Schriftwechsel Stange – Bonn, Brief von Stange an Bunjes, 27. 03. 1942; Archiv des Kunsthistorischen Instituts der Univ. Bonn (Archiv KHI Bonn), Ordner Helmut Reinecke und Mappe Prof. W. Reinecke (Lüneburg). Zu Bandmann siehe Eric Hartmann, Günter Bandmann. Das Kunstwerk als Quelle, in: Kanz (Hg.), Das Kunsthistorische Institut (wie Anm. 8), S. 220 – 232, hier S. 221 f. Grötecke, Alfred Stange (wie Anm. 8), S. 155. AN Paris AJ 40, 1671, Kunsthistorische Forschungsstätte Paris. Tätigkeitsbericht und Abrechnung über das Haushaltsjahr 1941/42, 13. 11. 1942, S. 7, und Aktennotiz zu einem Gespräch ­zwischen

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Mittel für Büchererwerbungen kamen zudem aus einer Spende von 50.000 RM , die Heinz Haake (1892 – 1945), Landeshauptmann der rheinischen Provinzialverwaltung, bereitgestellt hatte.28 Nach Kriegsende wies der in Bonn hierfür auf verschiedenen Konten der KHF bei der Dresdner Bank hinterlegte Geldbetrag noch eine Höhe von 19.600 RM auf.29 Bemerkenswerterweise lassen sich entgegen der zahlreichen Verweise zu den diversen Schenkungen und Spenden im Schriftwechsel ­zwischen Stange und Bunjes zu den Ankäufen in Bonn keine näheren Details bezüglich Umfang, Buchhandlungen, Preisangaben etc. finden. Stanges Erwerbungspraxis für die eigene Institutsbibliothek in Bonn,30 etwa Ankäufe in den besetzten Niederlanden und in Paris zur Schließung von Lücken in den eigenen Beständen,31 seine Bitte beim REM um Bücher über „Entartete Kunst“ aus Beschlagnahmungen 32 und auch die Übernahme von 557 Fachpublikationen aus der beschlagnahmten Bibliothek von Fritz Thyssen, 33 lassen für jene Bände, die unter der Ägide Stanges für die Bibliothek der KHF in Bonn zusammengetragen und die nicht eindeutig auf eine Schenkung oder Spende zurückzuführen sind, hinsichtlich der Provenienz auf eine nicht unbelastete Herkunft schließen.

Bunjes und Stange am 14. 03. 1942, 16. 03. 1942, S. 3, Bl. 214. 28 Siehe den umfangreichen Schriftwechsel im Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland in Pulheim-­ Brauweiler (künftig ALVR), 11252, Kunsthistorische Forschungsstätte. 29 Archiv KHI Bonn, Mappe A-15 Betr. Deutsche Kunsthist. Forschungsstätte in Paris, Mitteilung an Professor Konen, 12. 07. 1945. 30 Allgemein zur Bibliothek siehe Gisela Mühlens-Matthes, Die Bibliothek des Kunsthistorischen Instituts in Bonn, in: Anne-Marie Bonnet/Roland Kanz (Hg.), Le Maraviglie dell’Arte. Kunsthisto­ rische Miszellen für Anne Liese Gielen-Leyendecker zum 90. Geburtstag, Köln/Wien/Weimar 2004, S. 157 – 172. 31 ALVR, 11189, Jahresbericht des Kunsthistorischen Instituts 1942/43 von Stange, 20. 12. 1943 sowie Brief von Stange an den Oberpräsidenten der Rheinprovinz, z. Hd. des Landeshauptmanns, 27. 06. 1944. 32 UA Bonn, PF 196, Nr. 58, Brief Stange an den Minister des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 09. 05. 1938. 33 Die Bücher sind im Eingangsbuch der Bibliothek des Kunsthistorischen Instituts in Bonn deutlich als aus der Bibliothek Thyssen stammend aufgeführt. Im Jahre 1950 von den Anwälten der Familie Thyssen bezüglich der damaligen Vorgänge befragt, gibt Stange bereitwillig Auskunft und versichert, er habe seinerzeit lediglich zur Bewahrung der Sammlung und der Bibliothek beitragen wollen: Deutsches Kunstarchiv Nürnberg (künftig DKA Nürnberg), NL Alfred Stange, Mappe I, B-8. Stange selbst äußert sich hinsichtlich der Bücher und der ca. 400 Auktionskataloge in einem Brief an den Universitätskurator, siehe UA Bonn, PF 196, Nr. 58, Brief von Stange an den Kurator der Universität Bonn, 01. 03. 1940. Allgemein zur Beteiligung von Stange bei der Aufteilung der Sammlung Thyssen siehe Johannes Gramlich, Die Thyssens als Kunstsammler. Investition und symbolisches Kapital (1900 – 1970), Paderborn 2015, bes. S. 347 – 354 und Grötecke, Alfred Stange (wie Anm. 8), S. 159. Ich danke den Mitarbeiter*innen des Kunsthistorischen Instituts in Bonn für die freundliche Unterstützung meiner Recherchen und die gewährte Einsicht in die betreffenden Unterlagen.

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2. Der Aufbau der Bibliothek macht sehr gute Fortschritte (…): 34 ein Stützpunkt deutscher Wissenschaft in Paris In Paris war Hermann Bunjes, Direktor der KHF, bereits im Vorfeld der offiziellen Gründung maßgeblich an den Vorverhandlungen beteiligt und mit dem anschließenden Aufbau vor Ort betraut.35 In d ­ iesem Kontext war er in die verschiedenen Vorgänge involviert, nahm aktiv an den diversen Entscheidungsprozessen teil und korrespondierte diesbezüglich mit Vertretern des Auswärtigen Amtes, der Deutschen Botschaft, des Deutschen Instituts, des REM sowie der Rheinischen Provinzialverwaltung. Darüber hinaus hatten, ebenso wie Stanges, auch Bunjes vorherige beziehungsweise parallele Aktivitäten und sein komplexes Netzwerk an Verbindungen und Kontakten maßgeblichen Einfluss auf die Gestaltung, Zielsetzung und Aufgaben der KHF . Bunjes, vormals als Kriegsverwaltungsrat Mitarbeiter des Kunstschutzes bei der deutschen Militärverwaltung,36 wurde im Januar 1942 parallel zu seinem Dienstantritt als Direktor der KHF auf Intervention von Hermann Göring zum Regierungsrat der Luftwaffe ernannt. Infolge seiner diversen Aktivitäten und Tätigkeiten, etwa der Wiedereröffnung französischer Museen, seiner Beteiligung an Beschlagnahmungen jüdischer Sammlungen,37 seiner Betreuung von konfiszierten Kunstwerken im Jeu de Paume in Paris, seiner Tätigkeit für Hermann Göring, für den er unter anderem Kunstobjekte aus französischem Staatsbesitz einzutauschen versuchte,38 sowie seiner Vermittlerrolle auf dem Pariser Kunstmarkt, insbesondere auch für Vertreter der Museen im Rheinland,39 verfügte 34 AN Paris AJ 40 1671, Dossier Kunsthistorische Forschungsstätte (Vorverhandlungen), Brief von Bunjes an Stange, 18. 02. 1942. 35 Zu Bunjes Biografie, Tätigkeiten und Aktivitäten siehe Doll, „Rhineland-Gang“ (wie Anm. 7), S. 78 f.; Dies., Politisierung (wie Anm. 7), S. 1006 ff.; UA Bonn, PA 1076, Personalakte Bunjes; Archiv des KHI Bonn, u. a. Ordner B-4: Korrespondenz aus den Jahren 1940 – 1944 und Ordner Kriegs-Zeiten ab 1939/40, Dossier Hermann Bunjes; AN Paris AJ 40, 1671 – 1683; AN Paris, Archives diplomatiques, früher Archives du Ministère des Affaires étrangères (MAE Paris), 209SUP (Bestand: Récupération artistique) 398 (alte Sign. P36), Document Bunjes; sowie die diesbezüglichen Aktenbestände im ALVR , dem Bundesarchiv Berlin (BAB ) und dem National Archives, Kew, Series CP . 36 Zu Bunjes Tätigkeiten im Kunstschutz siehe die Lageberichte in Paris, AN Paris AJ 40, 1671, Mappe 1. 37 Ebd. und 1672, Verzeichnis diverser Sammlungen u. a. von Leonore Wassermann sowie Briefwechsel bezüglich der Kunstgegenstände im Schloss von Rotschild sichergestellten Kunstgegenstände, April 1941. 38 So etwa das Basler Antependium. Ebd., 1673, Mappe Basler Antependium und 1683, Dossier Andreas Hofer zu Basler Antependium. 39 Im Rahmen der Erteilung der Wiederaufnahme von Versteigerungen im Hôtel Drouot durch Bunjes mussten in der Folgezeit sämtliche Versteigerungskataloge an diesen abgegeben werden. Zusätzlich waren in den Katalogen Werke, die einen Wert von 100.000 ffrs überstiegen, gesondert zu kennzeichnen und die erzielten Preise sowie die Namen der Käufer anzuführen. Bunjes, der somit einen detaillierten Einblick in die Vorgänge und Transaktionen auf dem Kunstmarkt erhielt, informierte

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Bunjes über eine Vielzahl an Kontakten zu verschiedenen französischen und deutschen Akteuren in den unterschiedlichen Ministerien, Organisationen, Institutionen, Verbänden und dem Kunsthandel. In seiner Funktion als Direktor der KHF war Bunjes wesentlich in den Aufbau der Fotoabteilung und der bereits in der Planungsphase beabsichtigten Übernahme der zuvor beim Kunstschutz der deutschen Militärverwaltung verorteten Foto- und Abzugskampagnen im besetzten Frankreich sowie der diesbezüglichen Vertragsverhandlungen mit Richard Hamann von Foto Marburg 40 und überdies selbstverständlich in den Auf- und Ausbau der Bibliothek eingebunden.41 Im Zuge dessen überwachte er akribisch und penibel die Renovierung und Ausstattung der Räumlichkeiten sowie die Organisation der Bibliothek. Bunjes wurde bei den Bibliotheksaufgaben, der Systematisierung und Strukturierung der Buchbestände sowie der Katalogisierung und Inventarisierung der Bücher in den ersten sechs Monaten personell durch Dr. Elisabeth von Schürenberg (1903 – 1952) unterstützt.42 Die Freiburger Kunsthistorikerin sollte neben der Vorbereitung und Beaufsichtigung der Abzugskampagnen den Aufbau der Bibliothek betreuen und im Zuge dessen speziell mit den Arbeiten am Bestandskatalog beginnen. Da ihr Beschäftigungsverhältnis von Beginn an nur temporär vorgesehen war, kehrte sie im Juni 1942 nach Freiburg im Breisgau zurück.43 Nur kurze Zeit s­ päter traf mit Dr. Karl vom Rath (1915 – 1986) der schon erwartete 1. Assistent in Paris ein. Er übernahm in den folgenden knapp dreizehn Monaten die verschiedenen Aufgaben im Institut.44 Über die

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parallel verschiedene deutsche Akteure und Museumskonservatoren über die zu erwartenden Auktionen in Paris. Siehe AN Paris AJ 40, 1671, Mappe 1, Lagebericht für die Zeit vom 20. Nov. bis 20. Dez. 1940 und ALVR, 11412, Brief von Bunjes an Apffelstaedt, 23. 09. 1940. Siehe hierzu auch Beitrag von Julia Schmidt im vorliegenden Band. Zu den Fotokampagnen in Frankreich siehe u. a. Judith Tralles, Die Fotokampagnen des Preußischen Forschungsinstituts für Kunstgeschichte Marburg während des Zweiten Weltkrieges, in: Nikola Doll/Christian Fuhrmeister (Hg.), Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte einer Wissenschaft z­ wischen 1930 und 1950, Weimar 2005, S. 263 – 282 und Angela Matyssek, Kunstgeschichte als fotografische Praxis. Richard Hamann und Foto Marburg, Berlin 2008, hier Kap. IV. Zur Übernahme der Fotokampagnen durch die KHF 1942 siehe die jeweiligen Tätigkeitsberichte und Abrechnungen aus den Jahren 1941, 1942 und 1943, AN Paris AJ 40, 1671. Ebd., Brief von Bunjes an Stange, 18. 02. 1942, Bl. 227. Elisabeth von Schürenberg, eine Schülerin von Hans Jantzen, promovierte 1926 in Freiburg i. Br. und habilitierte sich zehn Jahre ­später ebendort über die kirchliche Baukunst in Frankreich ­zwischen 1280 und 1370. Zwischenzeitlich war sie in Paris, 1942, und in Freiburg tätig. Hier hatte sie seit WS 1946/47 einen Lehrauftrag inne, erhielt 1949 die Venia legendi und im November des gleichen Jahres die Dozentur. Siehe Cordula Bischoff, Professorinnen der Kunstwissenschaft. Geschichte, Gegenwart, Zukunft, in: Frauen, Kunst, Wissenschaft: Halbjahreszeitschrift 5/6 (1989), S. 9 – 19, S. 11; AN Paris AJ 40, 1671, Dossier du personnel, Personalakte. Ebd., Tätigkeitsbericht und Abrechnung über das Haushaltsjahr 1942/43, 16. 06. 1943. Der Kunsthistoriker Karl vom Rath promovierte 1938 bei Stange über den Kölner Meister des Bartholomäusaltars. Nach seiner Entlassung aus dem Heeresdienst im Februar 1941 aufgrund einer

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Ankäufe der Bücher in Pariser Buchhandlungen und den von ihm initiierten Dublettentausch mit dem Kunsthistorischen Institut in Florenz war vom Rath parallel mit der Ankunft der Büchertransporte aus Bonn betraut.45 Die ersten vierzehn Kisten trafen nach einigen Monaten Verzögerung schließlich im Herbst 1942 in Paris ein. Trotz der vakanten 2. Assistenzstelle – der Anwärter Dr. Gottfried Schlag wurde als in Stalingrad vermisst gemeldet – gelang es mit Unterstützung von Bandmann und Tamm, die im Zuge der Katalogisierungs- und Inventarisierungsarbeiten 46 zeitweise mehrere Monate in Paris verbrachten, beziehungsweise den krankheitsbedingt abwesenden vom Rath vertraten, die Bibliothek 1943 externen Nutzern vollständig zugänglich zu machen. Das Angebot würden, so vermeldete Bunjes in seinem Tätigkeitsbericht von 1943, ca. 1800 Besucher, darunter viele bekannte Wissenschaftler, die längere Zeit am Institut arbeiteten, wahrnehmen und darüber hinaus hätten bereits etwa 2000 wissenschaftliche Anfragen und Beschaffungswünsche von französischer und deutscher Seite bearbeitet werden können.47 Schon vor dem offiziellen Ausscheiden vom Raths als 1. Assistenten 48 war im Oktober des gleichen Jahres die 2. Assistenzstelle Dr. Heinrich Gerhard Franz (1916 – 2006)49 übertragen worden. Dieser war in der Folgezeit maßgeblich für die Translokation der Buchbestände in die Bergungsorte und anschließend nach Mainz verantwortlich. Kriegsverletzung und eines Stipendiums am Kunsthistorischen Institut in Florenz erfolgte ab dem 15. August 1942 die Anstellung als 1. Assistent an der KHF in Paris. Vordergründig aufgrund einer Verschlimmerung seiner Kriegsverletzung im Juni 1943 krankheitsbedingt beurlaubt, ersuchte er am 20. September 1943 um seine Entlassung. Darauf folgte auf Vermittlung von Franziskus Graf Wolff Metternich eine Tätigkeit auf Schloss Dyck, das nach Kriegsende als Sammelstelle für durch die alliierten Kunstschutzoffiziere beschlagnahmte Kunstobjekte fungierte. In der Folgezeit wurde vom Rath Stadtrat und Kulturdezernent in Frankfurt am Main. Siehe AN Paris AJ 40, 1671, Dossier du personnel, Personalakte Karl vom Rath; Tätigkeitsbericht und Abrechnung über das Haushaltsjahr 1942/43, 16. 06. 1943; Tätigkeitsbericht und Abrechnung über das Haushaltsjahr 1943, 01. 04. 1944. 45 Ebd., 1673, Mappe 9 Inventaire du Mobilier, Brief von vom Rath an Siebenhühner, 26. 03. 1943. 46 Zur Aufstellung und Systematik der Bibliothek siehe ebd., 1671, Mappe 9, Classement de la Bibliotheque, Stand: Oktober 1943. 47 Siehe AN Paris AJ 40, 1671, Tätigkeitsbericht und Abrechnung über das Haushaltsjahr 1943, 01. 04. 1944, S. 2 f. 48 Zu den Beweggründen für das Entlassungsgesuch von vom Rath, ebd., Dossier du personnel, Personalakte Karl vom Rath, Brief von vom Rath an Bunjes, 22. 11. 1943. 49 Franz promovierte 1939 bei Wilhelm Pinder. In der Folgezeit lehrte er an der TH und der Staatlichen Kunsthochschule in Dresden und verbrachte längere Zeit am Kunsthistorischen Institut in Prag. Im Zuge des von Karl Maria Swoboda betreuten Publikationsprojekts zum sogenannten Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften erschien 1943 sein Band „Deutsche Barockbaukunst Mährens“, im gleichen Jahr habilitierte sich Franz bei Dagobert Frey in Breslau mit einer Arbeit über den Dresdner Architekten Zacharias Longuelune. Nach Kriegsende war er seit Mai 1946 als Privatdozent am Kunsthistorischen Institut in Mainz, 1950 wurde er hier zum außerordentlichen Professor ernannt. Im Jahre 1962 wurde Franz schließlich an die Universität nach Graz ­berufen. Zu Franz siehe Sabine Arend, Studien zur deutschen kunsthistorischen „Ostforschung“ im N ­ ationalsozialismus.

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3. (…) der Waggon mit dem unersetzlichen Material des Pariser Instituts nach Koblenz auf den Weg gegangen (…): 50 die Evakuierung nach Bürresheim Entgegen seiner gegenüber von Stange anlässlich der hastigen Abreise von Foto Marburg im September 1943 getätigten Aussage,51 eine Evakuierung der KHF sei seiner Ansicht nach völlig unnötig und würde lediglich zu Irritationen führen, leitete Bunjes zeitgleich konkrete Maßnahmen ein, um im Falle einer ungünstigen politischen und militärischen Entwicklung oder einer Niederlage im Westen, sowohl das Institut als auch die Mitarbeiter in seinem Bestand zu erhalten. Somit nahmen die Pläne zur Auslagerung eines Teils des Instituts Anfang Januar 1944 konkrete Formen an. In d ­ iesem Zusammenhang mussten zuzüglich zu dem Transport, der vorrangig durch Bunjes organisiert wurde, insbesondere auch sichere Räumlichkeiten zur Unterbringung der zu d­ iesem Zeitpunkt veranschlagten 20 bis 25 Kisten gefunden werden – ein schwieriges Unterfangen angesichts der schon größtenteils belegten Bergungsorte. Bunjes, der nachdrücklich für Schloss Bürresheim bei Mayen plädiert hatte, argumentierte mit dessen gleichermaßen abgelegener wie verkehrsgünstigen Lage, die über die Strecke Metz–Trier und durch Göring bereitgestellte Transportmöglichkeiten leicht erreicht werden konnte.52 Ein weiterer Vorteil läge zudem in der, zusätzlich zu der benötigten Lagerfläche vorhandenen, Wohnmöglichkeit für den Assistenten der KHF , da (…) die Arbeiten unter allen Umständen – auch auf Wunsch des Herrn Reichsmarschalls – weitergeführt werden (…)53 müssten. Die Entscheidung fiel aufgrund mangelnder Alternativen, ungeachtet der Einwände von Stange, tatsächlich zugunsten von Schloss Bürresheim.54 Die Vorbereitungen, in deren Verlauf auch eine Bestandsliste der Bücherkisten erstellt wurde, resultierten planungsgemäß am 14. Februar 1943 im Abtransport eines Teils der Bibliothek und mehrerer Kisten der Fotosammlung.55 Am darauffolgenden Tag trafen die Kisten in Begleitung von Franz in Koblenz ein, und mit der Unterstützung von Bandmann wurde der mittlerweile etwa 70 Kisten umfassende Transport nach Bürresheim verbracht.56 Darüber hinaus wurden weitere Kisten aus Paris auch im Kloster Himmerod bei Wittlich und in

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Die Kunsthistorischen Institute an den (Reichs-)Universitäten Breslau und Posen und ihre Prota­ gonisten im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik, Diss. HU Berlin 2009, https://edoc. hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/16871/arend.pdf?sequence=1&isAllowed=y, S. 80 – 86 (Stand: 26. 07. 2020). AN Paris AJ 40, 1673, Schriftwechsel Stange – Bonn, Brief von Bunjes an Stange, 16. 02. 1944, Z. 1 f. Ebd., Schriftwechsel Stange – Bonn, Brief von Bunjes an Stange, 21. 09. 1943. Ebd., Schriftwechsel Stange – Bonn, Brief von Bunjes an Stange, 26. 01. 1944. Ebd., Schriftwechsel Stange – Bonn, Brief von Bunjes an Stange, 27. 01. 1944. Ebd., Schriftwechsel Stange – Bonn, Brief von Stange an Bunjes, 19. 01. 1944. Ebd., Schriftwechsel Stange – Bonn, Brief von Bunjes an Stange, 16. 02. 1944. UA Bonn, PF 196, Nr. 58, maschinengeschriebenes Typoskript Bericht über die Bibliothek der Deutschen Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris von Günther Bandmann, o. D., S. 3.

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v­ erschiedenen Privathäusern im Kreis Bitburg sowie in Fell im Landkreis Trier untergebracht.57 Zur Sicherung der Bestände vor Plünderungen und zwecks Fortsetzung der wissenschaftlichen Arbeiten sollte Franz, auf Anordnung von Bunjes und in Absprache mit Stange, am Bergungsort verbleiben. Ab Juni 1944 wurde er dabei zeitweilig von Dr. Heinrich M. Schwarz (1911 – 1957)58 unterstützt.59 In Paris verblieb ein etwa 1200 bis 1500 Bände umfassender Bücherbestand. Die A ­ rbeiten an der Fertigstellung des Katalogs wurden ebenso wie die Abzugskampagne durch die verbleibenden Mitarbeiter fortgeführt.60 Eine endgültige Übertragung der Geschäftsstelle der KHF und eine Abberufung von Bunjes nach Berlin erfolgten auf Anordnung des REM und Görings erst im Herbst 1944.61 Nach Kriegsende oblag Franz die Aufsicht über die in Schloss Bürresheim eingelagerten Buchbestände aus der KHF . Franz war, trotz seiner mehrmonatigen Abwesenheit vom Bergungsort und der darauf erfolgten, wahrscheinlich nur mündlich ergangenen, Kündigung durch Bunjes im Oktober 1944,62 nach Kriegsende vor Ort. In den darauffolgenden Monaten wusste er die Konfusion zu ­nutzen, die infolge der weitgehenden Zerstörung der Universität Bonn und des kunsthistorischen Instituts sowie der Suspendierung von Stange und den damit einhergehenden personellen Umstrukturierungen wie auch dem 57 In der Folgezeit kam es aufgrund des von Bunjes in den Bergungsorten eingelagerten Privateigentums und der damit verbundenen Frage nach der Übernahme der zusätzlichen Kosten zu einem Disput ­zwischen ihm und Stange: UA Bonn, PF 196, Nr. 58, maschinengeschriebenes Typoskript Bericht über die Bibliothek der Deutschen Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris von Bandmann, o. D., S. 3, und ALVR , Brw. Archivberatung 1, Nr. 357, Brief von Wilkes an Stange (Abschrift), 16. 05. 1944. 58 Schwarz promovierte 1936 bei Paul Clemen und erhielt im gleichen Jahr ein Stipendium der ­Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Er übersiedelte nach Rom und war dort z­ wischen 1938 und 1943 als wissenschaftlicher Assistent an der Bibliotheca Hertziana tätig. Nach deren kriegsbedingter Schließung wurde er auf Empfehlung von Stange im Juni 1944 1. Assistent an der KHF in Paris. Seine Rückkehr nach Italien erfolgte 1951/52, mit dem Ziel, dort seine Forschungen zur normannischen Kunst fortzusetzen. Sein schriftlicher und fotografischer Nachlass befindet sich in der Bibliotheca Hertziana in Rom. Zum fotografischen Nachlass siehe Homepage der Bibliotheca Hertziana in Rom: https://www.biblhertz.it/de/heinrich-mathias-schwarz (Stand: 26. 07. 2019). 59 Schwarz dürfte sich zumindest kurzzeitig ebenfalls in der Nähe der Bergungsorte aufgehalten haben: Archiv KHI Bonn, Archiv, Mappe Dr. Heinrich Schwarz, Kunsthistorische Forschungsstätte Paris, Brief von Schwarz an Bandmann, 16. 08. 1944. 60 Nach der Abreise von Franz war ­zwischen dem 12. Februar und dem 31. März 1944 zusätzlich Dr. phil. W. Müller temporär mit den Arbeiten in der Bibliothek in der KHF betraut: AN Paris AJ 40, 1671, Kunsthistorische Forschungsstätte Paris, Tätigkeitsbericht und Abrechnung über das Haushaltsjahr 1943, 01. 04. 1944, S. 4. 61 Doll, Politisierung (wie Anm. 7), S. 1007 f. 62 Archiv KHI Bonn, Archiv, Mappe Alfred Stange, Korrespondenz aus den Jahren 1940 – 1944, Brief von Bunjes an Stange, 20. 01. 1945.

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Ableben von Bunjes am 25. Juli 1945 entstanden war. Es gelang ihm, mit Einbeziehung der Buchbestände zu seinem persönlichen Vorteil zu agieren.63 In d ­ iesem Sinne kontaktierte Franz im Juli eigenmächtig den Oberbürgermeister von Köln, Konrad Adenauer, hinsichtlich einer Übernahme der KHF durch die Universität von Köln und sprach am 22. Juli 1945, wobei er sich als deren Leiter ausgab, persönlich bei d ­ iesem vor.64 Adenauer, der dem Vorhaben durchaus aufgeschlossen gegenüberstand, beriet sich diesbezüglich mit Dr. Josef Busley (1888 – 1969), zum damaligen Zeitpunkt Oberrat im Amt für Kunstschutz und Denkmalpflege der Stadt Köln, welcher wiederum den Rektor der Universität Bonn, Prof. Dr. Heinrich Konen (1874 – 1948), und Dr. Heinrich Lützeler (1902 – 1988) vom Kunsthistorischen Institut über die Vorgänge unterrichtete.65 Zeitgleich wandte sich Franz auch direkt an das Kunsthistorische Institut und forderte für die Monate ab November 1944 eine Gehaltsnachzahlung, die das Institut jedoch mit Verweis auf Beendigung des Dienstverhältnisses aufgrund höherer Gewalt abwies.66 Der daraufhin einsetzende Schriftwechsel ­zwischen der Universitätsleitung und dem Institut betraf über die Person Franz und dessen Ansprüche sowie seine weitere Beschäftigung als Depotwächter in Bürresheim zwecks Sicherung der Bestände vor äußeren Zugriffen hinaus insbesondere auch die ursprünglichen Erwerbungsumstände der Bücher. Bezugnehmend auf Aussagen von Bandmann versicherte Lützeler dem Rektor die Rechtmäßigkeit der Erwerbungen, speziell jener Publikationen, die seinerzeit in Bonn zusammengestellt worden waren.67 Bandmann wiederum äußert sich zu der Frage der Provenienz der in Paris erworbenen Bücher in seinem nach dem Krieg erschienenen Bericht und betont, dass diese (…) rechtmäßig käuflich erworben oder aus freien Stücken geschenkt wurden.68 Im Rahmen der Erörterung der Zukunft der KHF und dem Verbleib der Bibliothek plädierte das Kunsthistorische Institut in Bonn mit Verweis auf die unter Verwendung maßgeblichen finanziellen Mittel der Rheinischen Provinzialverwaltung und eigener personeller 63 Zur Geschichte der Bonner Universität in der Nachkriegszeit siehe Christian George, Neubeginn in Trümmern. Die Universität Bonn von ihrer Zerstörung bis zur Absetzung des ersten Nachkriegsrektors Heinrich M. Konen, in: Becker, Zwischen Diktatur und Neubeginn (wie Anm. 24), S. 223 – 244. 64 Archiv KHI Bonn, Mappe A-15 Deutsche Kunsthistorische Forschungsstätte in Paris, Brief von Busley an Lützeler, 23. 07. 1945. 65 Zu Lützeler siehe Heijo Klein, Heinrich Lützeler (1902 – 1988), in: Kanz (Hg.), Das Kunsthistorische Institut in Bonn (wie Anm. 8), S. 176 – 191. Zum problematischen Verhältnis z­ wischen Stange und Lützeler siehe zudem Grötecke, Alfred Stange (wie Anm. 8), S. 155. 66 Archiv KHI Bonn, Archiv, Mappe A-15 Deutsche Kunsthistorische Forschungsstätte in Paris, Brief an Rektor der Universität Bonn, 31. 07. 1945 und Brief von Lützeler an Busley, 01. 08. 1945. 67 Ebd., Mappe A-15 Deutsche Kunsthistorische Forschungsstätte in Paris, Brief von Lützeler (?) an Rektor Konen, 30. 07. 1945. 68 UA Bonn, PF 196, Nr. 58, maschinengeschriebenes Typoskript Bericht über die Bibliothek der Deutschen Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris von Bandmann, o. D.

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Ressourcen für eine Übernahme der Bücher nach Bonn.69 Letztlich scheiterten jedoch Franz’ Bemühungen, die Bücher nach Köln zu vermitteln, ebenso wie die Versuche von Vertretern des Kunsthistorischen Instituts in Bonn und der Stadt Köln, die Bestände zu übernehmen, wahrscheinlich aufgrund der unterschiedlichen Besatzungszonen. Zudem hatte Franz zeitgleich einen befreundeten französischen Kunstschutzoffizier auf den in Schloss Bürresheim eingelagerten Buchbestand aufmerksam gemacht.70 In der Folgezeit reklamierte die französische Militärregierung dann die Bücher für die neugegründete Universität in Mainz. Angesichts der im Zuge der darauffolgenden Translokation der Bücher erfolgten Ernennung von Franz zum Privatdozenten für Kunstgeschichte an der neugegründeten Universität echauffierte sich Busley: Dieser habe (…) persönliche Wünsche und Pläne mitverkoppelt (…),71 um seine beruflichen Ambitionen zu erreichen.

4. (…) wechselvolle, sehr bewegte Entstehungszeit (…): 72 die Translokation der Bücher nach Mainz Mit der feierlichen Widereröffnung der Johannes Gutenberg-Universität am 22. Mai 1946 forcierten deren Initiatoren, die französische Militärregierung, im Rahmen der angestrebten Re-éducation neben der Entnazifizierung auch die Demokratisierung der Bevölkerung in der französischen Zone sowie die Entmilitarisierung der Region.73 Dahingehend förderte und unterstützte insbesondere die Kulturabteilung (Direction de l’Education publique), unter der Leitung von General Raymond Schmittlein (1904 – 1974), den Aufbau der Universität

69 Archiv KHI Bonn, Archiv, Mappe A-15 Deutsche Kunsthistorische Forschungsstätte in Paris, Brief an den Rektor der Universität Bonn, 31. 07. 1945. 70 Franz im Interview mit Christian Fuhrmeister am 09. 01. 2006. Ich danke Christian Fuhrmeister für die mir freundlicherweise zur Verfügung gestellte Aufnahme. In einem Bericht vom August 1945 über die Inspektion von Schloss Bürresheim wird, verweisend auf eine Aussage von Franz, von einem Besuch der französischen Gendarmerie berichtet, ­welche ein kleines Paket mit Büchern mitgenommen hätte. Möglicherweise ist die Kenntnisnahme des Buchbestandes durch die Franzosen bereits in diese Zeit zu datieren: ALVR, Brw. Archivberatung 1, Nr. 357, Bericht: Die Inspektion des Kunstdepots in Schloss Bürresheim, Kreis Mayen, 13. 08. 1945. 71 ALVR, 11253, Bl. 33, Z. 5 – 11. 72 Friedrich Gerke, Das Kunstgeschichtliche Institut der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz 1946 – 1955, in: Jahrbuch der Vereinigung „Freunde der Universität Mainz“ (1955), S. 58 – 71, S. 58, Z. 9. 73 Zur Geschichte der Universität Mainz siehe u. a. Helmut Mathy, Die erste Landesuniversität von Rheinland-Pfalz. Studien und Essays zu ihrer Entstehungsphase (Schriften der Johannes GutenbergUniversität Mainz 8), Mainz 1997; Corine Defrance, La politique culturelle de la France sur la rive gauche du Rhin 1945 – 1955, Strasbourg 1994; Dies., Die Franzosen und die Wiedereröffnung der Mainzer Universität, 1945 – 1949, in: Gabriele Clemens (Hg.), Kulturpolitik im besetzten Deutschland 1945 – 1949, Stuttgart 1994, S. 117 – 130.

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nachdrücklich und stellte hierfür die angesichts der schwierigen Gegebenheiten dringend benötigten finanziellen Mittel, personellen Ressourcen und Materialien zur Verfügung.74 In ­diesem Sinne erfolgten auch zahlreiche Zuwendungen von Buch- und Zeitschriftenbeständen an die Universitätsbibliothek unter der Leitung von Walter Menn (1890 – 1967).75 Im Zuge dieser Zuweisungen gelangten zahlreiche Konvolute unterschiedlichster Provenienz an die Universitätsbibliothek, exemplarisch sei auf die Bücher aus der Bibliothek des Reichsleiters Martin Bormann und auf jene der Familie Sabatini aus Italien verwiesen.76 Die ungeklärten Eigentumsverhältnisse waren sowohl der französischen Militärverwaltung als auch der Universitätsleitung bekannt, fanden allerdings angesichts des primären Ziels, nämlich des Aufbaus der Universität, und der baulichen, strukturellen und personellen Herausforderungen besonders in der Anfangszeit nur bedingt Beachtung.77 Zudem waren reguläre Erwerbungen auf dem zusammengebrochenen Büchermarkt nur eingeschränkt möglich.78 Die in ­diesem Rahmen fortwährend zugeführten Buchbestände, besonders jene in der Anfangszeit, konnten die universitären wissenschaftlichen Anforderungen überwiegend nicht erfüllen.79 Vielmehr waren sie meist zufällig infolge von Beschlagnahmungen, durchgeführt

74 Zu Schmittlein und seiner persönlichen Verbindung zu Mainz siehe u. a. Corine Defrance, Raymond Schmittlein (1904 – 1974). Leben und Werk eines französischen Gründungsvaters der Universität Mainz, in: Michael Kißener (Hg.), Ut omnes unum sint. 1. Gründungspersönlichkeiten der Johannes Gutenberg-Universität, Stuttgart 2005, S. 11 – 30. 75 Zur Geschichte der Universitätsbibliothek siehe Walther König, Mit einem Bücherhaufen fing es an … Geschichte der Universitätsbibliothek Mainz 1946 – 2011, Göttingen 2018, hier S. 38 – 80. Zu den Nachkriegszugängen siehe u. a. Christian George, Bücher als „Danaergeschenk“. Nachkriegszugänge der UB Mainz durch die französische Militärregierung, in: Olivia K ­ aiser/Christina Köstner-Pemsel/Markus Stumpf (Hg.), Treuhänderische Übernahme und Verwahrung. International und interdisziplinär betrachtet (Bibliothek im Kontext 3), Göttingen 2018, S. 129 – 143. 76 Zu dem Buchbestand von Martin Bormann siehe Charlet Flauaus, Der NS-Funktionär und seine private Bibliothek. Die Bücher des Reichsleiters Martin Bormann in der Universitätsbibliothek Mainz, in: Bibliotheksdienst 52 (2018), S. 455 – 480. Die Bücher und Autografen der Familie Sabatini waren 1942/43 von der deutschen Wehrmacht in Italien geraubt, nach Kriegsende von den französischen Militärbehörden beschlagnahmt und nach Mainz überwiesen worden. Bereits kurze Zeit darauf erfolgte aufgrund einer Privatinitiative eines Mitarbeiters die Restitution von vier Bänden an die Familie, die restlichen 1.253 Bücher wurden erst 1991 restituiert. Siehe George, Bücher als „Danaergeschenk“ (wie Anm. 75), S. 137 f. 77 Angesichts der ungeklärten Rechtsgrundlage der Zuweisung vieler Konvolute – sie wurden mitunter als Spende oder als Schenkung etc. deklariert – war Menn sich frühzeitig der Problematik um zukünftige Rückforderungen bewusst und bemühte sich, durch eine teilweise Separierung der betreffenden Bestände und Durchsicht der Bücher zwecks Klärung der Herkunft dem entgegenzuwirken. Siehe König, Mit einem Bücherhaufen fing es an (wie Anm. 75), S. 46 ff. 78 UA Mainz, Best. 86/11, Bericht über das erste Vierteljahr der Universitätsbibliothek Mainz Juni bis August 1946. 79 König, Mit einem Bücherhaufen fing es an (wie Anm. 75), S. 42 f.

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auf Grundlage des durch die Bestimmungen des von der französischen Militärregierung im Sommer 1945 erlassenen Gesetzes Nr. 52 über die Kontrolle von Vermögen, oder aber als vermeintlich herrenloser Besitz in die Obhut der französischen Militärverwaltung gelangt.80 In diesen Kontext ist auch die Beschlagnahmung des Buchbestandes aus der Bibliothek der ehemaligen KHF durch die französische Militärregierung auf Initiative von Franz zu verorten. Allerdings erfolgte die Genehmigung für die Überführung des ersten Teils der Bibliothek erst nach längeren Verhandlungen im September 1946, weshalb die zwischenzeitlich von Schloss Bürresheim nach Schloss Gondorf bei Cochem nahe Koblenz transferierten Bücherkisten mit etwa 2060 Bänden zeitnah nach Mainz überführt wurden.81 In der Folgezeit übergab die Universitätsbibliothek die deutsch- und französischsprachigen Fachpublikationen an das neugegründete Kunstgeschichtliche Institut, das seit Neueinrichtung der Universität von Prof. Dr. Friedrich Gerke geleitet wurde, wo sie seitdem den Grundstock der Institutsbibliothek bilden.82 Zeitgleich wurde auch das Kunsthistorische Institut in Bonn über die Zuweisung der Bestände nach Mainz informiert. Die Übergabe der ursprünglich nach Kloster Himmerod in der Eifel verbrachten Bücher gestaltete sich aufgrund der Intervention verschiedener französischer Stellen hingegen als wesentlich komplexer und langwieriger. Erst 1948 konnte die Überführung der 936 Bände nach intensiven Bemühungen seitens der Universitätsleitung und Gerkes, obschon eines zwischenzeitlich negativen Bescheids, aufgrund der persönlichen Fürsprache des französischen Bezirksdelegierten in Trier zufriedenstellend abgeschlossen werden.83 Im Zuge der Translokation der Publikationen wurde die Mainzer Universitätsleitung von den mit dem Vorgang betrauten Stellen, unter anderem dem Amt für kontrollierte Vermögen, nachdrücklich darauf hingewiesen, es handle sich bei der Zuweisung des Buchbestandes keineswegs um eine Besitzübertragung. Die Bücher aus Paris s­eien vielmehr, ebenso wie die zuvor von der französischen Militärverwaltung an die Johannes Gutenberg-Universität zugewiesenen Konvolute, als treuhänderisch zur Verfügung gestellt zu betrachten.84 In der Folgezeit sorgte dieser Umstand hinsichtlich der Inventarisierung, Katalogisierung und Aufstellung bei den beteiligten Institutionen für 80 JO 2 (1946/47), Nr. 59, S. 586 – 588. 81 UA Mainz, Best. 1, Nr. 101, Brief von Rektor Schmid an Gerke, 04. 09. 1946. Im Zuge der Überführung entstand die zweite, heute im Universitätsarchiv befindliche Titelliste der Bücher, die ursprünglich in Schloss Bürresheim eingelagert waren. Ebd., Best. 45, Nr. 210. 82 Zur Frühgeschichte des Instituts siehe u. a. Gerke, Das Kunstgeschichtliche Institut der Johannes Gutenberg-Universität (wie Anm. 72). 83 Aufgrund des Widerstandes von verschiedenen französischen Stellen, so eine Mitteilung des Stadtkommandanten Oberst Delobel, würde die zweite Hälfte der Bibliothek vermutlich nicht nach Mainz gelangen: UA Mainz, Best. 102, Nr. 1, Aktenvermerk vom 03. 11. 1947. Bezüglich der Vorgänge insgesamt siehe ebd., Best. 1, Nr. 101, Akte Bibliothek ehemalige deutsche Kunsthistorische Forschungsstätte Paris. 84 Ebd., Best. 1, Nr. 101, Amt für Kontrolliertes Vermögen, Stadtkreis Mainz an Johannes GutenbergUniversität, 12. 11. 1948.

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diverse Irritationen. Als Konsequenz fanden die Publikationen infolge der Unklarheiten weder Eingang in das Zugangsbuch der Universitätsbibliothek noch in jenes der Bibliothek des Kunstgeschichtlichen Instituts.85 Die Eigentumsverhältnisse wurden auf Nachfrage der Mainzer Universitätsleitung erst 1951 durch den eingangs zitierten Brief von Schmittlein an den damaligen Kanzler der Universität, Dr. Fritz Eichholz (1902 – 1994), eindeutig geklärt.86 Allerdings schließt der Brief mit der Verpflichtung: Es ist selbstverständlich, dass jeder Anspruch der Erben des ehemaligen Besitzers oder irgendeiner anderen Instanz nur die Auslieferung der fraglichen Bibliothek an die französische Regierung zur Folge haben könnte.87 Denn trotz der bereits angeführten Versicherung von Lützeler gegenüber dem Rektor der Bonner Universität im Juli 1945 hinsichtlich der rechtmäßigen Erwerbung der Bücher wurde die Herkunft des Pariser Buchbestandes von den involvierten Stellen anscheinend als nicht zweifelsfrei geklärt bewertet beziehungsweise erfolgte die Zuwendung nach Mainz nicht ohne Widerstände.88 Bereits im Dezember 1945 lag den britischen Kunstschutzoffizieren eine Anfrage der Division „Réparations et Restitutions“ vor. In dieser forderte Georges Glasser die Resitution von 1082 Bänden, die während der Okkupation von französischen Privatsammlern, unter anderem Claude Roger Marx, in die Bibliothek der KHF inkorporiert worden ­seien.89 Infolgedessen wurde im Februar 1946 die im Zuge der Evakuierung erstellte Titelliste der nach Schloss Bürresheim verbrachten Bücher englischen Kunstschutzoffizieren übergeben.90 Andere, wie etwa Marcel Bouteron (1877 – 1962), damaliger Direktor der Bibliothèque de France,91 befanden, dass aufgrund der Umstände und des Ursprungs der Bibliothek diese als (…) à titre de prise de guerre (…)92 für Frankreich zurückgefordert werden sollten. Trotz dieser Forderungen und der konkreten Hinweise auf einen kriegsbedingten Entzug,93 entschied die 85 Ebd., Nachricht von Rosenbaum an Eichholtz wegen Aufstellung der Bücher, 12. 01. 1949. 86 Ebd., Brief von General Schmittlein an Kanzler Eichholz, 23. 01. 1951. 87 Ebd., Brief von Schmittlein an Eichholz, 23. 01. 1951, Z. 9 – 13. 88 Archiv KHI Bonn, Mappe A-15, Deutsche Kunsthistorische Forschungsstätte in Paris, Brief von Lützeler (?) an Rektor Konen, 30. 07. 1945. 89 Hinsichtlich der Vorgänge siehe MAE Paris, (wie Anm. 35), 209SUP, RV247, B62, Mappe BIA 1089 (2), Claims adressés aux But, livres de l’Institut d’Art, Bonn (1945 – 1952), hier: Brief von G. Glasser, Chef de la Division „Réparations et Restitutions“ an Monuments, Fine Arts and Archives Branch, International Affaires and Communications Division, Central Commission for Germany (British Element), 18. 12. 1945. 90 UA Mainz, Best. 102, Nr. 1, Bandmann an Rosenbaum, 27. 04. 1949. 91 Zu Marcel Bouteron und der Bibliothèque de France während der Okkupation siehe Martine ­Poulain, Livres pillés, lectures surveillées. Les bibliothèques françaises sous l’Occupation, Paris 2008, hier S. 241 – 244. 92 MAE Paris (wie Anm. 35), 209SUP RV247, B62, Mappe BIA 1089 (2) Claims adressés aux But, livres de l’Institut d’Art, Bonn (1945 – 1952), Brief von Bouteron an den Président de la Commission de Récupérations Artistique, 12. Februar 1946. 93 Im Rahmen der im Zuge des Projekts durchgeführten Autopsie der Mainzer Bücher hat sich zudem bei vier weiteren Büchern aus dem ehemaligen Besitz des jüdischen Wiener Großindustriellen Alfred

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französische Militärverwaltung letztlich, vermutlich auch auf Intervention von Schmittlein,94 zugunsten der neugegründeten Universität und des Kunsthistorischen Instituts in Mainz auf eine Restitution zu verzichten.

5. Zusammenfassung Innerhalb weniger Jahre gelangten die heute in Mainz befindlichen deutsch- und französischsprachigen Fachpublikationen und Auktionskataloge vom Kunsthistorischen Institut in Bonn an die Bibliothek der neu gegründeten KHF in Paris, um nur wenige Monate ­später im Rahmen von deren Evakuierung in die verschiedenen Bergungsorte im Rheinland verbracht und anschließend an die wiedereröffnete Universität in Mainz überwiesen zu werden. Die verschiedenen, in die mit dem Aufbau und der Translokation der Bücher involvierten Akteure funktionalisierten und instrumentalisierten diese in unterschiedlicher Weise jeweils zu ihrem eigenen Vorteil. Für Stange und Bunjes war die Nutzung der Bibliothek der KHF für die im Sinne der nationalsozialistischen Kunst- und Kulturpolitik ausgerichtete kunstwissenschaftliche Forschung insbesondere durch deutsche Wissenschaftler und Nachwuchswissenschaftler von primärem Interesse. Die benötigten Fachpublikationen wurden hierfür in Bonn und Paris aus Schenkungen, Spenden oder Erwerbungen unter teilweise nicht zweifelsfrei geklärter Provenienz und unter Ausnutzung kriegsbedingt günstiger Bedingungen für die deutschen Besatzer akquiriert. Die im Zuge der Evakuierung Anfang 1944 in Schloss Bürresheim und Kloster Himmerod eingelagerten Buchbestände der KHF nutzte Franz wiederum nach Kriegsende, um seine beruflichen Perspektiven zu sichern, indem er für deren Vermittlung als dringend benötigtes Lehr- und Forschungsmaterial an die wiedereröffnete Johannes Gutenberg-Universität in Mainz sorgte. Die französische Militärregierung entschied als deren Initiator schließlich, die Publikationen, trotz konkreter Restitutionsgesuche von diversen französischen Stellen, nicht nach Frankreich zurückzuführen, sondern im Rahmen der angestrebten Re-éducation in Mainz zu belassen.

Quittner (1878–?), der im Zuge des sogenannten Anschlusses Österreichs 1938 nach Paris geflohen war, der Verdacht auf NS-verfolgungsbedingten Entzug ergeben. Zu Quittner, seiner Sammlung und Bibliothek siehe Sophie Lillie, Was einmal war. Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens, Wien 2003, S. 914 – 917. 94 Zur Auseinandersetzung z­ wischen Schmittlein und Rose Valland hinsichtlich der Zuständigkeit der Kulturrestitutionen siehe Emily Löffler, Kunstschutz im besetzten Deutschland. Restitution und Kulturpolitik in der französischen und amerikanischen Besatzungszone (1944 – 1953) (Brüche und Kontinuitäten. Forschungen zu Kunst und Kunstgeschichte im Nationalsozialismus 3), Köln/ Wien/Weimar 2019, S. 146 f.

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„(…) auch deutsche Interessen wahrgenommen (…)“ Der Hannoversche Staatsarchivdirektor Georg Schnath und die Gruppe „Archivschutz“ im besetzten Frankreich 1940 bis 1944 Christian Hoffmann

„Unser Landeshistoriker“ – mit diesen Worten wurde Georg Schnath im Dezember 1984 vom niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht dem Bundespräsidenten Richard von Weizäcker bei dessen Antrittsbesuch in Hannover vorgestellt. Albrecht beschrieb damit den Archivar und Historiker, der schon seit Ende der 1920er Jahre in programmatischen Schriften aus der Geschichte gewonnene Argumente für den Zusammenschluss der preußischen Provinz Hannover und der nordwestdeutschen Kleinstaaten zu einem Land zusammengetragen hatte und so durchaus als einer der geistigen Väter des heutigen Landes Niedersachsen gelten kann.1 Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit einer ­kurzen „außer-niedersächsischen“ Episode einer außergewöhlich langen Archivarsbiografie, nämlich Schnaths Tätigkeit als Leiter der Gruppe „Archivschutz“ beim Militärbefehlshaber in Frankreich (1940 – 1944). Betrachtet werden dabei Konflikte mit anderen deutschen Dienststellen, der Umgang mit dem Provenienzprinzip, das Verhältnis der Besatzer zu französischen Archivaren und Historikern sowie der Umgang mit dieser Vergangenheit nach 1945.

1 Thomas Vogtherr, Landesgeschichte und Politik. Georg Schnath und die Begründung des Landes Niedersachsen, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 83 (2011), S. 1 – 14; Waldemar R. Röhrbein/Ernst Schubert, Georg Schnath zum Gedenken. Zum 100. Geburtstag von Georg Schnath (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, Sonder­ band), Hannover 2001, hier S. 66 auch das Zitat. Siehe Georg Schnath, Die Gebietsentwicklung Niedersachsens (Veröffentlichungen der Wirtschaftswissenschaftlichen Gesellschaft zum Studium Niedersachsens, A 19), Oldenburg 1929; Ders., Die geschichtlichen Grundlagen des Landes Niedersachsen. Festvortrag beim Staatsakt des Niedersächsischen Landtages und der Landesregierung aus Anlaß des zehnjährigen Bestehens des Landes Niedersachsen am 23. November 1956 im Opernhaus zu Hannover, in: Ders., Ausgewählte Beiträge zur Landesgeschichte Niedersachsens (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen 3), Hildesheim 1968, S. 349 – 360.

1. Zur Biografie Georg Schnaths Georg Schnath wurde am 6. November 1898 als Sohn eines im Handwerk wurzelnden Kleinunternehmers in Hannover geboren. Nach dem Notabitur am heimischen Ratsgymnasium meldete er sich Ende 1916 freiwillig zum Militärdienst, aus dem er – nach einem längeren Lazarettaufenthalt, aber ohne Fronteinsatz – bereits im Sommer 1917 wieder entlassen wurde. Als Student trat er im März 1919 in das Hessisch-ThüringischWaldeckische Freikorps ein, welches er – ebenfalls ohne Kampfeinsatz – im Oktober des Jahres wieder verließ.2 Nach dem Studium in Göttingen und Marburg sowie der Promotion über drei mittelalterliche Herrschaften des Weserberglands im Jahr 1922 trat Schnath in den preußischen Archivdienst ein. Nach Stationen im Geheimen Staatsarchiv in Berlin-Dahlem und im Brandenburg-Preußischen Hausarchiv in Charlottenburg, wo besonders der bedeutende Archivtheoretiker Heinrich Otto Meisner (1890 – 1976) prägend für den jüngeren Kollegen wurde, wurde Schnath zum 1. Januar 1928 an das Staatsarchiv Hannover versetzt. Am 1. Oktober 1938 – noch nicht einmal 40-jährig – wurde er zum Leiter ­dieses Archivs ernannt. Nach Einsatz in Frankreich seit 1940, Internierung und Kriegsgefangenschaft konnte er am 28. Dezember 1948 die Leitung des nunmehrigen niedersächsischen Staatsarchivs Hannover wieder übernehmen.3 Seit 1942 war Schnath Honorarprofessor an der Universität Göttingen. Aus ­diesem Lehrauftrag erwuchs die landesgeschichtliche Professur, die er von 1959 bis zu seiner Emeritierung 1967 innehatte.4 Der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen – dem 1910 gegründeten Dachverband der Fachhistoriker in Nordwestdeutschland – stand

2 Niedersächsisches Landesarchiv, Abteilung Hannover (künftig NLA HA) Hann. 1/3 Nr. 709: Personalakte Schnaths 1927 – 1974. Ebd. Nds. 171 Hannover Nr. 14024: Entnazifizierungsakte Schnaths 1948; Heinrich Schmidt, Georg Schnath 1898 – 1989, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 62 (1990), S. 485 – 490; Dieter Brosius, Georg Schnath. Nachruf, in: Der Archivar 43 (1990), Sp. 187 – 192; Röhrbein, Schubert (wie Anm. 1). Eine umfassende Biografie Schnaths wird derzeit von dem Osnabrücker Historiker Thomas Vogtherr vorbereitet. 3 Thomas Vogtherr, Beobachtungen zur Biografie von Georg Schnath (1898 – 1989), in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 81 (2009), S. 405 – 424. Siehe Georg Schnath, Eines alten Archivars Erinnerungen an das Staatsarchiv Hannover aus den Jahren 1920 bis 1938, in: Dieter Brosius/Martin Last (Hg.), Beiträge zur niedersächsischen Landesgeschichte. Zum 65. Geburtstag von Hans Patze (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen. Sonderband), Hildesheim 1984, S. 454 – 474; hier S. 462. Zu Meisner siehe Wolfgang Leesch, Die deutschen Archivare 1500 – 1945, Bd. 2. Biographisches Lexikon, München u. a. 1992, S. 396 f. 4 Matthias Martens, Erfundene Traditionen? Die Gründung des Instituts für Historische Landesforschung an der Universität Göttingen (Göttinger Forschungen zur Landesgeschichte 15), Bielefeld 2008, S. 65 und S. 69 – 74.

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Schnath von 1938 bis 1971 vor, den Historischen Verein für Niedersachsen leitete er von 1949 bis 1965. Am 27. Oktober 1989 starb Schnath – im 91. Lebensjahr stehend – in seiner Vaterstadt Hannover.5

2. Die Quellen Angesichts des jahrzehntelangen Wirkens als Archivar in Hannover und als Professor in Göttingen erscheinen Schnaths Pariser Jahre von 1940 bis 1944 nur als eine kurze Episode. Als Quellen für die folgende Betrachtung dieser Zeit dienen zunächst Schnaths Tagebücher, die mit dem überwiegenden Teil seines Nachlasses in der Abteilung Hannover des Niedersächsischen Landesarchivs verwahrt werden. Die Tagebuchaufzeichnungen Schnaths setzen am 12. April 1906 ein – der Autor ist sieben Jahre alt. Bis zum Jahr 1987 füllte Schnath 132 Hefte; allein die Jahre in Frankreich machen dabei zehn Hefte aus. Einen Teil dieser Tagebücher hat bereits Wolfgang Hans Stein für seinen Beitrag zum Stuttgarter Archivtag von 2005 ausgewertet.6 Hinzu kommen die bislang völlig unbeachtet gebliebenen Feldpostbriefe, die der nach Frankreich Abkommandierte an seine heimische Dienststelle gerichtet hat, die während seiner Abwesenheit vertretungsweise zunächst von dem reaktivierten Otto Grotefend, dann ab 1942 von Rudolf Grieser, 1944/45 von Aloys Schmidt und dann von 1945 bis 1948 wieder von Grieser geleitet wurde.7

5 Röhrbein, Schubert (wie Anm. 1), S. 58. Dietmar von Reeken, „… gebildet zur Pflege der landesgeschichtlichen Forschung“. 100 Jahre Historische Kommission für Niedersachsen und Bremen 1910 – 2010. Mit Verzeichnissen zur Geschichte der Historischen Kommission von Uwe Ohainski (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 255), Hannover 2010, S. 155; Manfred Hamann, Aus der hundertfünfzigjährigen Geschichte des Historischen Vereins für Niedersachsen, in: Hannoversche Geschichtsblätter NF 39 (1985), S. 1 – 64, hier S. 28 f. 6 NLA HA V. V. P. 51 Nr. 330 – 339. Siehe Wolfgang Hans Stein, Georg Schnath und die französischen Archive unter deutscher Besatzungsverwaltung, in: Robert Kretzschmar (Red.), Das deutsche Archivwesen und der Nationalsozialismus. 75. Deutscher Archivtag 2005 in Stuttgart (Tagungsdokumentationen zum Deutschen Archivtag 10), Essen 2007, S. 175 – 194. 7 NLA HA Hann. 1/3 Nr. 606 fol. 61 – 99 und fol. 191 – 197. Zu Grotefend (1873 – 1945), Schmidt (1892 – 1980) und Grieser (1899 – 1985) siehe u. a. Leesch, Die deutschen Archivare (wie Anm. 3), S. 202, 535; Theodor Ulrich, Otto Grotefend, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 20 (1947), S. 218 – 220; Ders., Otto Grotefend, in: Der Archivar. Mitteilungsblatt für das deutsche Archivwesen 15 (1962), Sp 367 f.; Otto Graf von Looz-Corswarem, Aloys Schmidt †, in: Der Archivar. Mitteilungsblatt für das deutsche Archivwesen 34 (1981), Sp 451 f.; Otto Merker, Rudolf Grieser 1899 – 1985, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 58 (1986), S. 489 – 492; Carl Haase, Rudolf Grieser †, in: Der Archivar. Mitteilungsblatt für das deutsche Archivwesen 38 (1985), Sp. 483 – 486.

„(…) auch deutsche Interessen wahrgenommen (…)“  I  269

Eine dritte Quellengattung stellen die einschlägigen Publikationen Schnaths dar. Bereits 1943 hatte er in der Zeitschrift „Deutschland – Frankreich. Vierteljahrsschrift des Deutschen Instituts Paris“ einen ­kurzen Beitrag mit dem Titel „Drei Jahre deutscher Archivschutz in Frankreich“ veröffentlicht. Ganz beiläufig ließ Schnath hier einfließen, es verstehe sich von selbst, dass die in Frankreich tätigen Archivare selbstverständlich „auch deutsche Interessen wahrgenommen“ hätten; vorrangig aber sei die Bergung, Sicherung und Rückführung der ausgelagerten Bestände in Sinn der Sache erfolgt. Im Jahr 1968 wurde dieser Beitrag in einer Aufsatzsammlung Schnaths wieder abgedruckt, nun allerdings ergänzt um die Einstellungsverfügung des Pariser Kriegsgerichts vom 27. Dezember 1947, welches ihn vom Vorwurf des Kriegsverbrechens freisprach.8 Diese Kombination erwies sich als geschickt, zeigte sie doch offenbar, dass der Militärverwaltungsoberrat sich während der Tätigkeit im besetzten Frankreich stets korrekt und fachlich einwandfrei verhalten hatte. Im Jahr 1986 steuerte Schnath „Persönliche Bemerkungen und Erinnerungen“ zu der von Stein besorgten Publikation des „Inventars von Quellen zur deutschen Geschichte in Pariser Archiven und Bibliotheken“ bei und verstärkte dadurch den Eindruck, dass die Tätigkeit in den französischen Archiven auf Grundlage der Haager Landkriegsordnung von 1907 und im kollegialen Zusammenwirken deutscher und französischer Archivare durchgeführt worden sei. Das vorrangige Ziel sei es gewesen, den in den französischen Forschungseinrichtungen schlummenden Quellenschatz für die internationale Forschung zu erschließen.9 Schülern und jüngeren Weggefährten boten diese Publikationen Anlass, aufkommende gegenteilige Vorwürfe abzuweisen: „Ihn heute“ – so schreibt Heinrich Schmidt in seinem Nachruf aus dem Jahr 1990 – „dennoch und ohne konkreten Beleg – trotz jenes eindeutigen Pariser Urteils – in den Zusammenhang deutscher, nationalsozialistischer ‚Archivalieneroberung‘ zu interpretieren, wäre ein böser Anklang an unsachliche, Differenzierungen scheuende, ideologisch durchfärbte, totalitäre Urteilsweisen.“ 10

8 Georg Schnath, Drei Jahre deutscher Archivschutz in Frankreich, in: Deutschland – Frankreich. Vierteljahrsschrift des Deutschen Historischen Instituts Paris 2 (1943), S. 114 – 116. ND in Ders., Ausgewählte Beiträge (wie Anm. 1), S. 341 – 344. Das Urteil des Pariser Militärgerichts fügte Schnath im Jahr 1948 auch seinem Entnazifizierungsantrag bei, siehe NLA HA Nds. 171 Hannover Nr. 14024. 9 Georg Schnath, Zur Entstehungsgeschichte des Pariser Inventars. Persönliche Bemerkungen und Erinnerungen, in: Wolfgang Hans Stein (Hg.), Inventar von Quellen zur deutschen Geschichte in Pariser Archiven und Bibliotheken, bearb. v. einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Georg Schnath (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz 39), Koblenz 1986, S. XIX – XXV. 10 Schmidt, Georg Schnath (wie Anm. 2), S. 489; hier auch das Zitat.

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3. Die Gruppe „Archivschutz“ beim Militärbefehlshaber in Frankreich Der Einsatz Schnaths in Frankreich ergab sich aus dem überraschend schnellen militärischen Vorrücken der deutschen Wehrmacht im Westen im Frühling 1940. Deutsche Truppen besetzten ab dem 10. Mai 1940 die Benelux-Staaten und drangen dann ab dem 13. Mai unter Umgehung der französischen Verteidigungsanlagen, der sogenannten Maginot-Linie, durch die Ardennen weiter vor. Mit der Besetzung der Hauptstadt Paris am 14. Juni 1940 war der Feldzug entschieden. Der am 22. Juni 1940 unterzeichnete Waffenstillstand teilte Frankreich in eine unter deutscher Militärverwaltung stehende Nord- und Westzone sowie eine unbesetzte Südzone, die von dem nach dessen Regierungssitz benannten Vichy-Regime unter Marschall Petain verwaltet wurde. Lothringen und das Elsass wurden dem Deutschen Reich wieder eingegliedert; einen Gebietsstreifen um Grenoble und Nizza sicherte sich Italien als Kriegsbeute. Im besetzten Teil Frankreichs wurde ein unmittelbar dem Oberkommando des Heeres (OKH) unterstellter Militärbefehlshaber installiert, dessen Apparat die Verwaltung ­dieses Gebiets wahrnahm.11 Nach der französischen Kapitulation vom 22. Juni 1940 setzte der oberste Archivar des Dritten Reiches, Ernst Zipfel (1891 – 1966), eine hochkarätig besetzte Gruppe „Archivschutz“ als Teil der Administration des Militärbefehlshabers in Frankreich ein.12 Zipfel haftete unter den standesbewussten preußischen Staatsarchivaren der Makel an, dass er eigentlich Berufsoffizier und erst nach dem verlorenen E ­ rsten Weltkrieg als Quereinsteiger 1920 in den Dienst des neu eingerichteten Reichsarchivs in Potsdam gelangt war. Als „alter Kämpfer“ (Parteieintritt 1932) machte Zipfel im „Dritten Reich“ an manchem altgedientem Archivar vorbei Karriere, wurde 1936 Direktor des Reichsarchivs, 1938 Generaldirektor der Preußischen Staatsarchive (kommissarisch schon seit 1936) und 1940 Kommissar für den Archivschutz sowohl im Reich als auch im besetzten Europa.13 11 Hans Umbreit, Der Militärbefehlshaber in Frankreich 1940 – 1944 (Wehrwissenschaftliche Forschungen, Abt. Militärgeschichtliche Studien 7), Boppard a. R. 1968; Ludger Tewes, Frankreich in der Besatzungszeit 1940 – 1943. Die Sicht deutscher Augenzeugen, Bonn 1998; Claudia Bade, Deutsche Militärjuristen in Frankreich. Das Gericht des Kommandanten von Groß-Paris, in: Dies. u. a. (Hg.), NS-Militärjustiz im Zweiten Weltkrieg. Disziplinierungs- und Repressionsinstrument in europäischer Dimension (Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung, Berichte und Studien 68), Göttingen 2015, S. 213 – 228. 12 Siehe grundsätzlich Torsten Musial, Staatsarchive im Dritten Reich. Zur Geschichte des staatlichen Archivwesens in Deutschland 1933 – 1945 (Potsdamer Studien 2), Potsdam 1996, S. 142 – 150; Tobias Winter, Die deutsche Archivwissenschaft und das „Dritte Reich“. Disziplingeschichtliche Betrachtungen von den 1920ern bis in die 1950er Jahre (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz. Forschungen 17), Berlin 2018, S. 280 – 330. 13 Leesch, Die deutschen Archivare (wie Anm. 3), S. 695; Johanna Weiser, Geschichte der preußischen Archivverwaltung und ihrer Leiter. Von den Anfängen unter Staatskanzler von Hardenberg bis zur Auflösung im Jahre 1945 (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz.

„(…) auch deutsche Interessen wahrgenommen (…)“  I  271

Abb. 1  Georg Schnath (Mitte) mit (von links) Aloys Schmidt und Robert Lacroix sowie Georg Winter und Hans Burkard am 20. April 1941 im Parc de Bagatelle im Bois de Boulogne.

Vom 1. August 1940 bis zum 30. April 1944 war Schnath als Leiter dieser Gruppe „Archivschutz“ in Paris tätig. Im Rahmen der Organisation der deutschen Besatzungsverwaltung sollte diese Gruppe das staatliche Archivgut im besetzten Frankreich sichern und aus den Auslagerungsorten zurückführen, ein Inventar der hier vorhandenen Unterlagen mit Bezug zur deutschen Geschichte erstellen und Listen desjenigen Schriftguts anlegen, dessen Übergabe an Deutschland im Rahmen eines mit Frankreich abzuschließenden Friedensvertrags verlangt werden sollte. Personell war die Gruppe mit zunächst 13 Facharchivaren Beiheft 7), Köln 2000, S. 144 – 212; Wilhelm Rohr, Ernst Zipfel †, in: Der Archivar. Mitteilungsblatt für das deutsche Archivwesen 20 (1967), Sp. 206 – 210; Sven Kriese, Albert Brackmann und Ernst Zipfel. Die Generaldirektoren im Vergleich, in: Ders. (Hg.), Archivarbeit im und für den Nationalsozialismus. Die preußischen Staatsarchive vor und nach dem Machtwechsel von 1933 (Veröffentlichungen aus den Archiven Preussischer Kulturbesitz. Forschungen 12), Berlin 2015, S. 17 – 94.

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qualitativ und quantitativ sehr gut besetzt; hinzu kam weiteres Personal für die Schreibarbeiten usw., darunter u. a. für ein Jahr Zipfels Tochter Annemarie.14 Bereits ab Mitte 1941 wurde das Personal jedoch rasch und drastisch reduziert. Anlässlich des Abschieds von den beiden letzten Fachkollegen Hans Burkard (1888 – 1969) und Walter Grube (1907 – 1992) notierte Schnath am 31. März 1942: Es war mir doch recht wehmütig zu Mute, als diese beiden Männer in die regendunkle Nacht hinaus­ rollten – die Gruppe Archivwesen ist mit ihrem Abgang zu Ende, mag sie auch formell vor der Umwandlung in ein Referat noch eine Weile fortbestehen.15

Die räumliche Zuständigkeit der Gruppe erstreckte sich über die von den Deutschen besetzte Nord- und Westzone mit Ausnahme der Departements Nord und Pas-de-Calais, die der Militärverwaltung in Brüssel unterstellt waren. Zu betreuen waren neben den Zentralarchiven in der Hauptstadt vor allem 46 Departementalarchive. Außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Gruppe blieb – auch nach ihrer Besetzung im November 1942 – die Südzone.16 Schnath war für die Aufgabe in Paris prädestiniert, hatte er doch im Jahr 1935 für seine „Geschichte Hannovers im Zeitalter der neunten Kur“ einschlägige Quellenbestände im Archiv des französischen Außenministeriums und in der Bibliotheque Nationale bearbeitet. Auch darf nicht verkannt werden, dass der Eintritt in die NSDAP im März 1933 seiner Karriere sicher nicht zum Nachteil gereicht hat. Immerhin aber war im Jahr 1938 ein besonders begabter und fleißiger Archivar als noch nicht einmal 40-Jähriger mit der Leitung des nach

14 NLA HA Hann. 1/3 Nr. 606 fol. 62 – 63: Schreiben Schnaths an Grotefend vom 10. 07. 1941; Musial, Staatsarchive im Dritten Reich (wie Anm. 12), S. 143 – 145; Karl Heinz Roth, Eine höhere Form des Plünderns. Der Abschlussbericht der ‚Gruppe Archivwesen‘ der deutschen Militärverwaltung in Frankreich 1940 – 1944, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 4 (1989), S. 79 – 112; hier S. 108. Zu Annemarie Zipfel, geb. 1918, vom 6. August 1940 bis 1. Oktober 1941 beim „Archivschutz“ in Paris eingesetzt; verheiratet 1939/40 mit Hansjürgen Rabe (gef. 1940 in Frankreich), wieder verheiratet 1943 mit einem Freiherrn von Werthern (gef. 1945 in Kurland), siehe NLA HA Nds. 50 Acc. 11/99 Nr. 8 fol. 28. Ebd. V. V. P. 51 Nr. 482. Ebd. Nds. 171 Hannover Nr. 43956. 15 NLA HA V. V. P. 51 Nr. 332 S. 146; hier auch das Zitat. Zu Burkard siehe Leesch, Die deutschen Archivare (wie Anm. 3), S. 95 f. Zu Grube Wilfried Schöntag, Walter Grube †, in: Der Archivar. Mitteilungsblatt für das deutsche Archivwesen 47 (1994), Sp 383 – 387; Musial, Staatsarchive im Dritten Reich (wie Anm. 12), S. 143 und S. 194. 16 NLA HA Hann. 1/3 Nr. 606 fol. 62 – 63: Schreiben Schnaths an Grotefend vom 10. 07. 1941. Schnath, Zur Entstehungsgeschichte (wie Anm. 9), S. XX . Musial, Staatsarchive im Dritten Reich (wie Anm. 12), S. 119 und S. 150. Nach Winter, Die deutsche Archivwissenschaft (wie Anm. 12), S. 328 unterblieb die Ausdehnung der räumlichen Zuständigkeit nach November 1942 lediglich wegen der Reduzierung der Archivgruppe auf die Person Schnaths.

„(…) auch deutsche Interessen wahrgenommen (…)“  I  273

Abb. 2  Tagung der „Archiv-Einsatzgruppe“ in Marburg am 2. Oktober 1941; hintere Reihe (von links): Manfred Krebs (Straßburg), Johannes Frederichs (Berlin), Ernst Hoffmann (Kiel), Bernhard Vollmer (Den Haag), Aloys Schmidt (Luxemburg), Wilhelm Rohr (Berlin); vordere Reihe (von links): Rudolf Vaupel (Marburg), Aloys Ruppel (Metz), Georg Schnath (Paris), Generaldirektor Ernst Zipfel (Berlin), Erich Randt (Krakau), Georg Sante (Brüssel).

dem Geheimen Staatsarchiv in Berlin und neben dem Staatsarchiv Marburg größten und bedeutendsten der preußischen Staatsarchive betraut worden.17 Wider besseren Wissens sollte Georg Winter in seiner eidesstattlichen Erklärung für Schnath vom 7. März 1948 behaupten, die Beförderung sei gemäß der Anciennität erfolgt. Schnath selber räumte s­ päter ein, dass erst der Kollege Wilhelm Smidt (1885 – 1968) von Hannover nach Osnabrück versetzt werden musste, damit der Weg für ihn frei war. Ferner ist nicht zu verkennen, dass Schnath in der besonderen Gunst des Generaldirektors Zipfel stand (so nutzte dieser noch 1961 die familiäre Anrede Mein lieber Schnath), auch wenn er dies nach 1945 beharrlich leugnete. Auf Gruppenfotos, die sowohl Schnath als auch Zipfel zeigen, pflegte der stets – obwohl dies nicht vorgeschrieben war – u ­ niformierte 17 Georg Schnath, Geschichte Hannovers im Zeitalter der neunten Kur und der englischen Sukzession 1674 – 1714. Im Anschluß an Adolf Köchers unvollendete „Geschichte von Hannover und Braunschweig 1648 – 1714“ (Publicationen aus den Preußischen Staatsarchiven Bd. 20 und 63), Bd. 1. 1674 – 1692 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hannover, Oldenburg, Braunschweig, Schaumburg-Lippe und Bremen XVIII 1), Hildesheim/Leipzig 1938.

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Archivdirektor bzw. Militärverwaltungsoberrat in der Regel unmittelbar neben dem Generaldirektor zu stehen.18

4. Zugriff auf französisches Archivgut durch andere deutsche Dienststellen Bei ihrer Tätigkeit trat die Gruppe Archivschutz in Konkurrenz zu anderen deutschen Dienststellen, indem sowohl das Auswärtige Amt als auch das Heeresarchiv eigene Einsatzgruppen für die besetzten Gebiete einrichteten. Bei Schnaths Ankunft in Paris am 1. August 1940 hatten die Vertreter beider Dienststellen bereits ihre Tätigkeit aufgenommen. Konfliktstoff ergab sich hier für Schnaths Truppe jedoch kaum, da sowohl das Auswärtige Amt als auch die Heeresarchivare nicht die historischen Altbestände, sondern die jüngeren Akten in den Blick nahmen.19 Formal agierten die genannten drei Dienststellen im Rahmen der Haager Landkriegsordnung von 1907, nach der zu unterscheiden ist ­zwischen der zulässigen Beschlagnahme von militärischen und politischen Akten, die für die weitere Kriegsführung genutzt werden dürfen, und der verbotenen Erbeutung von allenfalls historisch interessantem Archivgut. Ganz anders war das Vorgehen des Anfang Juli 1940 eingerichteten berüchtigten Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg (ERR), dessen Tätigkeit darauf ausgerichtet war, im besetzten Europa in umfassendem Maß Kulturgut jeglicher Art zu beschlagnahmen. Mochte der General­ direktor Zipfel in Vorträgen vor seinen Beamten zwar – wie Schnath über einen Besuch seines Vorgesetzten in Paris am 18. September 1940 berichtet – alle ‚wilden‘ Erfassungsaktionen und die zeitweise schamlose (…) Jagd auf Kulturgut mit scharfen Worten kritisieren; faktisch hatte er die Beschränkung der von ihm aufgestellten Archivschutz-Gruppe auf die staatlichen Institutionen hinnehmen müssen, wodurch der ERR einen Freibrief zur Plünderung privater und kirchlicher Archive erhielt.20

18 NLA HA Nds. 171 Hannover Nr. 14024. Ebd. V. V. P. 51 Nr. 482: Schreiben Zipfels an Schnath vom 29. 03. 1961; hier auch das Zitat. Schnath, Eines alten Archivars Erinnerungen (wie Anm. 3), S. 468 und S. 471; Martens, Erfundene Traditionen? (wie Anm. 4), S. 65. Zu Smidt siehe Leesch, Die deutschen Archivare (wie Anm. 3), S. 576. 19 Stein, Georg Schnath (wie Anm. 6), S. 184 – 187. 20 NLA HA V. V. P. 51 Nr. 330 S. 114; hier auch die beiden Zitate. Abdruck bei Stein, Georg Schnath (wie Anm. 6), S. 183. Zum ERR siehe ebd., S. 182 – 184. Roth, Eine höhere Form des Plünderns (wie Anm. 14), S. 81 – 83; Winter, Die deutsche Archivwissenschaft (wie Anm. 12), S. 295 – 301; Hanns Christian Löhr, Kunst als Waffe – Der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg. Ideologie und Kunstraub im Dritten Reich, Berlin 2018.

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5. Archivschutz oder Kulturgutraub? Der Archivschutz unter Schnaths Leitung hat – wie Stein feststellt – kein französisches Archivgut beschlagnahmt. Das war allerdings lediglich dem Umstand geschuldet, dass die Rückforderungen erst bei den Verhandlungen um einen Friedensvertrag ­zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich geltend gemacht werden sollten. Dass es dazu nicht mehr kam, ist nicht von den Archivaren zu verantworten. Somit war es aber nach dem Krieg einfach, für sich den Archivschutzaspekt geltend zu machen, während die Verantwortung für Plünderungen dem ERR zugewiesen wurde. Den Auftakt hierzu setzte wohl Zipfels Gutachten vom 20. September 1946 über die Tätigkeit Schnaths im besetzten Frankreich, in welchem der ehemalige Generaldirektor die Tätigkeit der deutschen „Archivschutz“-Gruppe als eine selbstlose Tätigkeit zum Nutzen der fremden Länderarchive darstellte. Auch die Ergebnisse dieser Arbeiten sollten – so Zipfel – nicht nur rein deutschen Interessen dienen, sondern der gesamteuropäischen Geschichts- und Archivwissenschaft zugute kommen und eine Annäherung der einzelnen Staaten auf archivalischem Fachgebiet fördern.21 Bereits 1991 hat Karl Heinz Roth jedoch in seinem Beitrag „Klios rabiate Hilfstruppen“ den im besetzten Ausland tätigen deutschen Archivaren pauschal vorgeworfen, zumindest indirekt am Kulturgutraub beteiligt gewesen zu sein, denn ohne die Expertise der Facharchivare hätten Archivgutplünderungen, die ja deutsche Rechtsansprüche stützen sollten, gar nicht effektiv sein können; ein Aspekt, den jüngst auch Tobias Winter wieder betont hat.22 Insbesondere gilt es, hier die von der Gruppe aufgestellten Rückforderungslisten näher zu betrachten. Aufgrund der Darstellung Schnaths von 1986 wäre zu vermuten, dass die schließlich am 20. April 1943 an Propagandaminister Goebbels übergebene Rückforderungsliste mit ihren rund 21.000 Archivalieneinheiten wirklich nur provenienzmäßig deutsches Schriftgut umfasst hätte, welches entweder während der Ära Ludwigs XIV. oder im Zeitalter der Französischen Revolution aus deutschen Archiven entfremdet worden sei. Verräterisch ist allerdings ein Tagebucheintrag Schnaths vom 1. April 1941: Schlußarbeit an den Rückforderungslisten, deren Begleitschreiben ich heute dem Ministerialdirektor Dr. Best zur Zeichnung vorlegte. Die Liste für die Nationalbibliothek umfasst 92, die für die

21 HStA Hannover Hann. 1/3 Nr. 709, fol. 93; hier auch die beiden Zitate. Siehe noch Wolfgang Hans Stein, Die Inventarisierung von Quellen zur deutschen Geschichte. Eine Aufgabe der deutschen Archivverwaltung in den besetzten westeuropäischen Ländern im zweiten Weltkrieg, in: Ders. (Hg.), Inventar von Quellen zur deutschen Geschichte (wie Anm. 9), S. XXVII – LXVII; hier S. XXXVIII und S. XLVI f. 22 Karl Heinz Roth, Klios rabiate Hilfstruppen. Archivare und Archivpolitik im deutschen Faschismus, in: Archivmitteilungen. Zeitschrift für Archivwesen, archivalische Quellenkunde und historische Hilfswissenschaften 41 (1991), S. 1 – 10; hier S. 7; Winter, Die deutsche Archivwissenschaft (wie Anm. 12), S. 314 f.

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Archive 26 Seiten. Mit unanfechtbarem Rechtsanspruch werden für Deutschland weit über 1000 Originalurkunden, 5488 Akteneinheiten, 728 Handschriften und 66 Stadtschlüssel angefordert, dazu kommen noch über 6000 Akteneinheiten mit anfechtbarem Rechtsanspruch und die vielen tausend Pläne im Kriegsministerium.23

Ein Tauschverfahren, wie es für Belgien und die Niederlande angestrebt war, hierüber gab sich Schnath keinerlei Illusionen hin, würde mit Frankreich nicht erfolgen können, weil – wie er Grotefend am 10. Juli 1941 anvertraute – es an ausreichenden Gegengaben fehlt.24 Auf der vom 8. bis 10. April 1941 in Berlin abgehaltenen Konferenz über die Rückforderungsliste konnte Schnath die Einhaltung des Provenienzprinzips – jener seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert geltenden ehernen Grundlage der Tätigkeit preußischer Staatsarchivare – zumindest einigermaßen durchsetzen. Zwar gab Zipfel auf dieser Konferenz auf Drängen mehrerer Archivleiter die Devise aus: Bei Regelungen mit Staaten außerhalb des Reiches aber, vor allem mit Feindstaaten, muß oberstes Gesetz nicht die Th ­ eorie unseres engen Fachs, sondern ausschließlich der Vorteil des Reichs sein. Praktische und politische Gesichtspunkte geben da den Ausschlag.25 Schnath konnte jedoch erreichen, dass das Pertinenzprinzip – also die Orientierung nicht an der Herkunft, sondern am Inhalt des Archivguts – lediglich bei Unterlagen betreffend Fragen der Grenzregulierung angewandt werden sollte. Er tat dies allerdings vor dem Hintergrund, dass er sich von der Anwendung des Provenienzprinzips eine größere Ausbeute für 23 NLA HA V. V. P. 51 Nr. 331 S. 29. Abdruck bei Stein, Georg Schnath (wie Anm. 6), S. 193. Zu Werner Best (1903 – 1989), Stellvertreter des SD-Leiters Reinhard Heydrich, von 1940 bis 1942 Leiter der Abteilung Verwaltung im Verwaltungsstab des Militärbefehlshabers in Frankreich und von 1942 bis 1945 Statthalter im gleichfalls besetzten Dänemark, siehe u. a. Wolfgang Benz, Typologie der Herrschaftsformen in den Gebieten unter deutschem Einfluß, in: Ders. u. a. (Hg.), Die Bürokratie der Okkupation. Strukturen der Herrschaft und Verwaltung im besetzten Europa (Nationalsozialistische Besatzungspolitik in Europa 1939 – 1945, 4), Berlin 1998, S. 11 – 25; Ahlrich Meyer, Die deutsche Besatzung in Frankreich 1940 – 1944. Widerstand und Judenverfolgung, Darmstadt 2000, S. 13 – 33. 24 NLA HA Hann. 1/3 Nr. 606 fol. 62 – 63; hier auch das Zitat. Siehe Musial, Staatsarchive im Dritten Reich (wie Anm. 12), S. 148; Els Herrebout, Georg Sante und der deutsche Archivschutz in Belgien während des Zweiten Weltkrieges, in: Kretzschmar (Red.), Deutsches Archivwesen (wie Anm. 6), S. 208 – 216, hier S. 213 f.; Gerhard Menk/Sierk F. M. Plantinga, „Die Ehre der deutschen Staatsarchivare und Historiker zu wahren“. Bernhard Vollmer und seine Tätigkeit in den Niederlanden, in: Kretzschmar (Red.), Deutsches Archivwesen (wie Anm. 6), S. 217 – 271, hier S. 237 f., 244 – 253, 255. Der vollzogene Archivalienaustausch mit Belgien ist allerdings unvollständig geblieben; so befinden sich die acht Urkunden des Zisterzienserklosters Gottesthal (Val-Dieu, 4 km westlich von Aubel gelegen) in der Diözese Lüttich, die laut Notiz auf der alten Aufbewahrungskapsel im Frühjahr 1941 für den Austausch aus der Sammlung des Diplomatischen Apparats der Universität Bonn ausgesondert wurden, noch heute im Bestand der UB. Freundlicher Hinweis von Birgit Schaper, Universitäts- und Landesbibliothek Bonn, vom 24. 09. 2019. 25 Musial, Staatsarchive im Dritten Reich (wie Anm. 12), S. 147; hier auch das Zitat.

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Deutschland versprach. Das Provenienzprinzip sollte freilich – wie Schnath am 20. Februar 1941 Zipfels Mitarbeiter Wilhelm Rohr mitteilte – elastisch gehandhabt werden. Es war dies die sogenannte Pariser Formel – von Schnath selbst „Schnath’sche Formel“ genannt –, wonach grundsätzlich das Provenienzprinzip Anwendung finden sollte, in Zweifelsfällen allerdings prinzipiell zugunsten Deutschlands zu entscheiden war. Dieses Vorgehen musste Schnath allerdings gegen den Widerstand verschiedener Kollegen – darunter u. a. sein Stellvertreter Georg Winter sowie Aloys Schmidt (1892 – 1980), seit 1940 Kommissar für Archivwesen in Luxemburg – durchsetzen, die das Pertinenzprinzip präferierten.26 Entsprechend der Weisung Zipfels wies Schnath dann – ein gehorsamer Beamter – am 3. Mai 1941 den in Nancy tätigen Archivar Heinrich Büttner (1908 – 1970), der sich erneut für die konsequente Anwendung des Provenienzprinzips ausgesprochen hatte, an, die neuen Prinzipien zu befolgen.27 Die umfangreichen pertinenzmäßigen Forderungen, die Zipfel am 26. Juni 1941 bei einem Besuch in Paris vortrug, konnte Schnath dagegen – mit Unterstützung einiger Gleichgesinnter, aber gegen den Widerstand der „Pertinenz-Fraktion“ um seinen Stellvertreter Georg Winter und einige im annektierten Elsass eingesetzte Kollegen – abwenden. Im Konfliktfeld von Macht und Prinzip weist die Haltung der preußischen Archivare in fachlichen Frage dieser Art ein höchst ambivalentes Gesamtbild auf.28

6. Die Bereitschaft Schnaths zur Abweichung vom Provenienzprinzip In besonderen Situationen konnte allerdings auch Schnath – ansonsten ein vehementer Verfechter des Provenienzprinzips – d ­ ieses hintanstellen. Wenn es um Quellenmaterial zu

26 NLA HA V. V. P. 51 Nr. 331 fol. 36. Abdruck bei Stein, Georg Schnath (wie Anm. 6), S. 193. Winter, Die deutsche Archivwissenschaft (wie Anm. 12), S. 292, S. 310 – hier auch das Zitat – und S. 313 – 316. 27 Anja Heuß, Die Gruppe „Archivwesen“ im Spannungsfeld von Archivschutz und Archivraub, in: Ulrich Pfeil (Hg.), Deutsch-französische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im 20. Jahrhundert (Pariser Historische Studien 81), München 2007, S. 155 – 166; hier S. 165. Zu Büttner siehe Leesch, Die deutschen Archivare (wie Anm. 3), S. 92; Wolfgang Freund, Heinrich Büttner. Zwischen Nischenstrategie und Hochschulkarriere, in: Ulrich Pfeil (Hg.), Das Deutsche Historische Institut in Paris und seine Gründerväter (Pariser Historische Studien 86), München 2007, S. 274 – 292. 28 Zu Winter siehe Leesch, Die deutschen Archivare (wie Anm. 3), S. 672 f.: Hans Booms, Georg Winters Weg zum Gründungsdirektor des Bundesarchivs. Hoffnungen und Enttäuschungen des früheren preußischen Staatsarchivdirektors, in: Klaus Oldenhage u. a. (Hg.), Archiv und Geschichte. Festschrift für Friedrich P. Kahlenberg (Schriften des Bundesarchivs 57), Düsseldorf 2000, S. 240 – 263. Hinweise zu Schmidt siehe oben Anm. 7. Winter hatte noch in den frühen 1930er Jahren das Provenienzprinzip energisch gegen den Stockholmer Archivar Carl Gustav Weibull verteidigt, siehe Philip Haas, „Organisiertes Wachstum“ und Provenienzprinzip. Grundlage oder Altlast der Archivwissenschaft?, in: Archivalische Zeitschrift 97 (2020) [im Druck].

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Abb. 3  Der beim Brand am 8./9. Oktober 1943 zerstörte Westflügel des Staatsarchivs Hannover, Aufnahme vom März 1946.

Schnaths ureigenstem Forschungsgebiet, der hannoverschen Geschichte der Zeit z­ wischen 1674 und 1714, ging, war der Archivar durchaus bereit, andere Kriterien gelten zu lassen. So sprach er in einem Schreiben an Joseph Ehrenfried Hofmann (1900 – 1973), den Herausgeber der Leibniz-Edition, vom 29. August 1941 ganz unumwunden davon, man solle sich Korres­ pondenzen des besonders für Hannover wichtigen Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz ruhig einheimsen. Ging es um Leibniz, dann konnte der Historiker Schnath offenbar durchaus schwach werden.29 Ferner hatte auch die Zerstörung eines Teils des Staatsarchivs Hannover im September/ Oktober 1943 Auswirkungen auf Schnaths Haltung zur Frage betreffend Archivalienrückforderungen. Nachdem der Westflügel des Archivs in der hannoverschen Calenberger Neustadt in der Nacht zum 23. September 1943 durch Sprengbomben erheblich beschädigt worden war, wurde dieser Teil des Archivgebäudes rund zwei Wochen s­päter, am 29 Jens Thiel, In der Grauzone des Kulturgutraubs – Die Leibniz-Edition und die Akquise von Leibnitiana im Zweiten Weltkrieg, in: Wenchao Li (Hg.), Komma und Kathedrale. Tradition, Bedeutung und Herausforderung der Leibniz-Edition, Berlin 2012, S. 37 – 57, hier S. 44 f. Zu Hofmann siehe Menso Folkerts, Joseph Ehrenfried Hofmann †, in: Sudhoffs Archiv. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte 57 (1973), S. 227 – 230.

„(…) auch deutsche Interessen wahrgenommen (…)“  I  279

8./9. Oktober 1943, von Brandbomben getroffen. Bei dem dadurch ausgelösten Brand büßte Schnaths heimatliche Dienststelle rund 20 Prozent ihrer Bestände ein.30 Nach dieser Katastrophe schien es Schnath nicht mehr beanstandenswert, wenn die Kartensammlung seines Archivs – wie er Grieser am 12. Dezember 1943 mitteilte – ungefähr 1200 Blatt Zuwachs aus der frz. ‚Beute‘ erhalten sollte.31 Hierbei handelte es sich um die 25.120 Karten des französischen Kriegsministeriums, die die Heeresarchivverwaltung – „eindeutig völkerrechtswidrig“, wie Stein festgestellt hat – in das Heeresarchiv nach Potsdam hatte schaffen lassen; nicht einmal ein Viertel davon, nämlich nur 6618 Karten, waren deutscher Provenienz.32 Die Erfassung der Quellen zur deutschen Geschichte in den Pariser Archiven und Biblio­ theken war zu Jahresbeginn 1944 abgeschlossen. Die Dienststelle „Archivschutz“, die seit Mai 1942 nur noch ein kleines Referat innerhalb der Besatzungsverwaltung gewesen war und seitdem ohnehin nur noch aus Schnath und einem Fotografen bestanden hatte, wurde formal am 30. April 1944 aufgelöst. Schnath wurde zur allgemeinen Militärverwaltung nach Marseille abkommandiert und erlebte so die Landung amerikanischer und britischer Truppen in der Normandie am 6. Juni 1944 und die Kapitulation der deutschen Besatzung von Paris am 25. August 1944 nur aus der Ferne mit. Nachdem am 15. August 1944 auch die alliierte Landung in der Provence erfolgt war, kam Schnath wie durch ein Wunder nach einer wahren Odyssee – mit Stationen in Avignon, Valence und Besançon – aus dem Hexenkessel Südfrankreich heraus und hatte Anfang September 1944 das oberelsässische Colmar erreicht, noch bevor mit der Kapitulation der deutschen Nachhut am 16. September 1944 in Beaugency der größte Teil Frankreichs befreit war.33

30 Hans Goetting, Vor vierzig Jahren. Das Hauptstaatsarchiv Hannover und die Hochwasserkatastrophe vom 9. – 11. Februar 1946, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 58 (1986), S. 253 – 278; Manfred Hamann, Geschichte des Niedersächsischen Hauptstaatsarchivs in Hannover, 2 Teile, in: Hannoversche Geschichtsblätter NF 41 (1987), S. 39 – 87 und NF 42 (1988), S. 35 – 119, hier 2, S. 78 – 83 und S. 118 f. 31 NLA HA Hann. 1/3 Nr. 606 fol. 94 – 97, hier auch das Zitat. 32 Stein, Inventarisierung (wie Anm. 21), S. XXXVIII f., hier auch das Zitat: Musial, Staatsarchive im Dritten Reich (wie Anm. 12), S. 149; Winter, Die deutsche Archivwissenschaft (wie Anm. 12), S. 310 – 312. Während Georg Winter – wie aus dessen Schreiben an Zipfel vom 20. Juni 1947 in NLA HA Hann. 1/3 Nr. 709 fol. 183 – 184 hervorgeht – zu ­diesem Zeitpunkt keine Kenntnis über den Verbleib der 1942 über eine Beutesammelstelle in Berlin-Wannsee nach Potsdam überführten Karten hatte, weiß Schnath als Augenzeuge zu berichten, dass die schon für die Verteilung auf die deutschen Archive vorbereitete Sammlung beim Luftangriff auf Potsdam in der Nacht zum 15. April 1945 vernichtet worden ist. Siehe Georg Schnath, Die kurhannoversche Landesaufnahme des 18. Jahrhunderts und ihre Kartenwerke, in: Ders., Ausgewählte Beiträge (wie Anm. 1), S. 258 – 279, hier S. 272 – 274. 33 NLA HA Hann. 1/3 Nr. 606 fol. 191 – 192 und fol. 194 – 196: Schreiben Schnaths an das Staatsarchiv Hannover vom 04. 09. 1944 und vom 06. 10. 1944; die Zitate ebd. fol. 191 – 192.

280 I Christian Hoffmann

7. Das Verhältnis der Besatzer zu den französischen Archivaren Aus der Retrospektive betonten die im besetzten Frankreich tätigen deutschen Archivare vor allem das gute Verhältnis zu den französischen Kollegen. Schnath untermauerte dies 1986 mit der Aussage: Ich entsinne mich noch sehr deutlich der spürbaren Erleichterung, die der Generaldirektor der französischen Archive, Mr. Pierre Caron, empfand, als er bei unserem Antrittsbesuch im Nationalarchiv am 6. August 1940 darüber aufgeklärt wurde, dass die etwa 15 bei ihm eingetretenen Offiziere und militärisch uniformierten Militärverwaltungsbeamten samt und sonders Archivfachleute waren.34

Damit schildert Schnath lediglich die Situation des ersten Aufeinandertreffens; repräsentativ dagegen ist wohl eher seine Tagebuchaufzeichnung vom 17. Februar 1941: Caron ging uns im Ehrenhof mit beleidigender Deutlichkeit aus dem Wege, wie er ja auch sonst jede Begegnung mit uns vermeidet.35 Darüber hinaus scheint auch keinerlei Kontakt zur französischen Geschichtsforschung gepflegt worden zu sein; jedenfalls bemerkte Schnath am 24. Februar 1944 gegenüber Zipfel, eine Fühlungnahme mit französischen Historikern habe sich bisher nicht ergeben, und sie sei auch nicht erwünscht, solange ich hauptamtlich Vertreter der militärischen Besatzungsmacht bin.36 Noch lange nach Kriegsende waren sich überhaupt Schnath und Georg Winter in ihrem herablassenden Urteil über das französische Archivwesen im Allgemeinen einig: Ein vom Marburger Archivar Johannes Papritz verfasster Bericht über einen „Stage internationale“ in Paris erschien Schnath – wie er am 16. Juni 1953 dem mittlerweile zum Präsidenten des Bundesarchivs aufgestiegenen Winter schrieb – ein wenig gar zu lobhudlerisch für die guten Franzosen, denen wir bösen Kriegsarchivare ja wesentlich stärker hinter die Kulissen geschaut haben als Herr Papritz und seine Kursusgefährten. Was ihnen wie Gold glänzt, ist vielfach doch kümmerlicher Talmi. Winter sprach am 26. Oktober desselben Jahres für beide mit der Feststellung: Wir waren bei Ausbruch des Krieges auf archivalischem Gebiet den Franzosen unzweifelhaft überlegen.37 34 Schnath, Zur Entstehungsgeschichte des Pariser Inventars (wie Anm. 9), S. XIX; hier auch das Zitat. Zu Pierre Caron (1875 – 1952) siehe Charles Samaran, Nécrologique Pierre Caron, in: Bibliothèque de l’École des chartes 111 (1953), S. 321 – 329. 35 NLA HA V. V. P. 51, Nr. 330, S. 302, hier auch das Zitat. Nicht ganz exakter Abdruck bei Stein, Georg Schnath (wie Anm. 6), S. 190. 36 Winter, Die deutsche Archivwissenschaft (wie Anm. 12), S. 326, hier auch das Zitat. 37 NLA HA V. V. P. 51 Nr. 482: Schreiben Schnaths an Winter vom 16. 06. 1953 – hier das erste Zitat – und Schreiben Winters an Schnath vom 26. 10. 1953 – hier das zweite Zitat. Siehe Johannes Papritz, Der erste Stage international technique d’archives in Paris 1951 – 1952, in: Der Archivar. Mitteilungsblatt für das deutsche Archivwesen 6 (1953), Sp. 31 – 41. „Talmi“: von französisch „Tallois-demi-or“ = Falschgold, billiger Modeschmuck, benannt nach dem Pariser Fabrikanten Tallois.

„(…) auch deutsche Interessen wahrgenommen (…)“  I  281

8. Internierung, Kriegsverbrecherverfahren und Entnazifizierung Im Juli 1945 wurde Schnath im oberbayerischen Bad Wiessee aus dem Heeresdienst entlassen, auf der Heimreise in Bad Hersfeld aber von den Amerikanern festgesetzt, anscheinend aufgrund der „Automatic Arrest Order“ General Eisenhowers. Erst im März 1946 wurde ihm eröffnet, dass eine Untersuchung seiner Tätigkeit in Frankreich stattfinden solle. Schnath wurde mit dem ERR in Verbindung gebracht, dessen Entführung von Kunstschätzen gemäß der französischen Verordnung vom 28. August 1944 als Kriegsverbrechen galt.38 In Hannover war man sich zunächst völlig im Unklaren darüber, wo Schnath gerade war. Am 24. September 1945 musste Grieser aus Bockenem – dorthin war nach der Brandkatastrophe der Sitz des Staatsarchivs verlegt worden – dem ehemaligen Generaldirektor Zipfel mitteilen, dass von Schnath seit dem 2. August, als er sich noch in Hersfeld befand, keine weiteren Nachrichten vorlagen. Er wurde im August von Hersfeld nach dem Westen abtransportiert, Ort unbekannt.39 Dann hatte man keine Kenntnis, was genau gegen ihn vorgebracht wurde. Alle bislang unternommenen Schritte – so schrieb Grieser am 7. November 1946 an den Düsseldorfer Archivdirektor Bernhard Vollmer – gingen von der Voraussetzung aus, daß Schnath wegen seiner archivarischen Tätigkeit angeschuldigt wurde. Jetzt erfuhr ich – so Grieser weiter – durch Herrn Winter, daß anscheinend Beschuldigungen gegen Schnath erhoben werden, wegen Maßnahmen in Marseille, an denen er als Verwaltungsbeamter beteiligt gewesen sein soll.40 Schnath selber berichtete allerdings am 17. Dezember 1946 seiner Frau: Ich bin im Mai ­dieses Jahres weiter festgesetzt und in das Kriegsverbrecher-Verdächtigenlager überführt, weil ich von französischer Seite in einer Suchliste (…) gesetzt bin, und zwar mit der grotesken Beschuldigung, französische Archive ‚geplündert‘ zu haben! Schnath beteuerte: Wir haben die französischen Archive und ihre Beamten weder beraubt noch gedrückt, sondern gerettet, geschützt und gefördert, wo und wie immer wir konnten – auch noch, als unsere eigenen Archive in der Heimat im Bombenkriege unermessbare Verluste erlitten.41

Erst im März 1947 wurde Schnath in die Untersuchungshaft nach Paris überführt. Wieder verging fast ein Jahr, bis am 27. Januar 1948 festgestellt wurde, dass Schnath keineswegs dem

38 NLA HA Hann. 1/3 Nr. 709 fol. 76: Schreiben Griesers an Dr. Hiltermann, Reichsamt für Bodenforschung in Hannover vom 19. 07. 1946 auf dessen Anfrage vom 15. 07. 1946 und ebd. fol. 216: Schreiben des Advokaten J. Baumann aus Paris an Grieser vom 19. 01. 1948; hier auch das Zitat. 39 NLA HA Nds. 50 Acc. 11/99 Nr. 8 fol. 3, hier auch die beiden Zitate. 40 NLA HA Hann 1/3 Nr. 709 fol. 115 – 116, hier auch die Zitate. Siehe auch ebd. fol. 101 – 105: Immediatgesuch Griesers an den niedersächsischen Ministerpräsidenten Hinrich Wilhelm Kopf vom 10. 10. 1946 mit der Bitte um Unterstützung. 41 NLA HA Hann 1/3 Nr. 709 fol. 135 – 136, hier auch die Zitate.

282 I Christian Hoffmann

ERR angehört, sondern sich vielmehr als Leiter der „Gruppe Archivschutz“ völlig korrekt

und im Interesse der französischen Archive verhalten habe. Für das Entnazifizierungsverfahren Schnaths allerdings, welches er Anfang Mai 1948 mit der Einreichung des Fragebogens eröffnete und welches bereits am 14. September desselben Jahres mit der Einstufung in Kategorie IV (Unterstützer des Nationalsozialismus, aber ohne Sanktionen) endete, sollte sich das Pariser Urteil als wertvoll erweisen, stellte es doch offenbar ein glaubhaftes Entlastungszeugnis für den Antragsteller dar. Dennoch sollte noch ein Vierteljahr verstreichen, bis Schnath am 28. Dezember 1948 die Leitung des nunmehrigen Niedersächsischen Staatsarchivs Hannover wieder übernehmen konnte.42

9. Zusammenfassung Das Bild der korrekten, bei ihrer Tätigkeit im besetzten Ausland den Grundsätzen der internationalen Forschungsgemeinschaft verpflichteten deutschen Archivare ist u. a. von Schnath selbst über vier Jahrzehnte hinweg nachhaltig gepflegt worden. Die jüngere Forschung hingegen hat schwere Vorwürfe gegen Schnath und seine Kollegen erhoben. Karl Heinz Roth fasst die Tätigkeit der deutschen Archivare im besetzten Europa u. a. unter der Überschrift „Klios rabiate Hilfstruppen“ zusammen und bezichtigt die Archivare zumindest der Beihilfe zum Kulturgutraub.43 In die g­ leiche Kerbe schlägt Anja Heuß, die pauschal und polemisch von „archivarischem Frevel“ und „archivarischer Todsünde“ spricht, w ­ elche die deutschen Fachvertreter kollektiv begangen hätten.44 Es ist hier jedoch ein differenzierteres Urteil zu fällen. Gerade hinsichtlich der Person Georg Schnaths gilt es, einige Punkte zu bedenken. Es ist zunächst unbestritten, dass es sich bei dem „rückzuforderndem“ Archivgut zum Teil um französische Kriegsbeute früherer Epochen handelte. Sodann war Schnath als Archivar ein Verfechter des Provenienzprinzips. Die Forderung der Anwendung ­dieses archivischen Prinzips vertrat er auch in kontroversen Debatten gegenüber einflussreichen Kollegen, die dies anders sahen. Er war aber dennoch bereit, Zugeständnisse zu machen. Außerdem war Schnath preußischer Beamter. Den Anordnungen Zipfels war – wenngleich Schnath sie zum Teil für falsch hielt – Folge zu leisten. Ging es allerdings um Leibnitiana, so bestand wohl von Anfang an die Bereitschaft, sich diese „einzuheimsen“. Dabei wiederum handelte es sich eher um Einzelstücke. Schließlich ließ offenbar die durch den 42 NLA HA Nds, 171 Hannover Nr. 14024. Ebd. Hann. 1/3 Nr. 709, fol. 221 – 222. 43 Roth, Eine höhere Form des Plünderns (wie Anm. 14), S. 85 – 87; Ders., Klios rabiate Hilfstruppen (wie Anm. 22), S. 6 f. Siehe auch Winter, Die deutsche Archivwissenschaft (wie Anm. 12), S. 307. 44 Anja Heuß, Kunst- und Kulturgutraub. Eine vergleichende Studie zur Besatzungspolitik der Nationalsozialisten in Frankreich und der Sowjetunion, Heidelberg 2000; Dies., Gruppe „Archivwesen“ (wie Anm. 27) S. 163, hier auch die beiden Zitate.

„(…) auch deutsche Interessen wahrgenommen (…)“  I  283

britischen Luftangriff vom 8./9. Oktober 1943 hervorgerufene verheerende Zerstörung von Archivgut im eigenen Haus Schnaths Hemmschwelle, diese Verluste durch Beutestücke auszugleichen, sinken. Blendet man den nicht mehr zum Tragen gekommenen Aspekt der „Rückforderungen“ aus, so ist abschließend festzuhalten, dass die deutschen Archivare in Frankreich durch die Bergung, Sicherung und Erschließung des Archivguts dann doch auch französische Interessen wahrgenommen haben. Es dürfte dieser Aspekt gewesen sein, der die Entlastungszeugnisse der französischen Archivare für Schnath bewirkt hat. Nachdem das Pariser Militärgericht am 27. Dezember 1947 befunden hatte, daß Schnath keinerlei antifranzösische Tätigkeit entfaltet und seine Aufgabe auf die Durchforschung und den Schutz der Archive sowie ihre Auswertung beschränkt hat, erschien der deutsche Archivar auch ihnen als wahrer Protektor der französischen Archive.45

45 NLA HA Nds. 171 Hannover Nr. 14024: Urteil des Ständigen Militärgerichts von Paris vom 17. 12. 1947 – hier auch das erste Zitat – und eidesstattliche Erklärung Helmut Bojungas vom 08. 03. 1948 – hier auch das zweite Zitat –, einen allerdings namentlich nicht genannten französischen Archivar zitierend.

284 I Christian Hoffmann

Kunstschutz in besetzten Gebieten Europas

Kunstschutz Italien 1943 – 1945: Wieso wir differenzieren müssen Christian Fuhrmeister

Der Kunstschutz in Italien ist in den letzten Jahren ausführlich erforscht worden – an dieser Stelle bedarf es somit keiner ausführlich Rekapitulation oder gar Paraphrasierung der Ergebnisse.1 Das knapp eingeführte Beispiel Italiens soll vielmehr dazu dienen, um grundlegende und strukturell übergeordnete Überlegungen zum Themengebiet Kunstschutz anzustellen – ein Plädoyer für eine differenzierte, nicht teleologische Auseinandersetzung mit dessen vielen Facetten. Die Kernfakten, die Hauptakteure und die primären Arbeitsfelder des deutschen militärischen Kunstschutzes in Italien ­seien daher lediglich einleitend zusammengefasst: Das faschistische Italien und das nationalsozialistische Deutsche Reich waren langjährige Allianzpartner. Zwei Wochen nach der erfolgreichen Landung der Alliierten in Sizilien am 10. Juli 1943 (Operation Husky) setzte der Große Faschistische Rat den Duce ab. Der König Viktor Emanuel III. verhandelte mit den Alliierten einen Waffenstillstand, der am 8. September 1943 verkündet wurde, woraufhin Deutschland den vormaligen Verbündeten besetzte (Bruch der Achse Berlin–Rom). Wie auch in anderen besetzten Ländern 1 Genannt ­seien der – immer noch – wichtige Aufsatz von Lutz Klinkhammer, Die Abteilung „Kunstschutz“ der Deutschen Militärverwaltung in Italien 1943 – 1945, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken (QFIAB ) 72 (1992), S. 483 – 549: https://perspectivia. net/receive/ploneimport4_mods_00003385 bzw. https://prae.perspectivia.net/publikationen/ qfiab/72 – 1992/0483 – 0549 (Stand: 03. 08. 2020), die nur wenig rezipierte Monografie von Ernst Kubin, Raub oder Schutz? Der deutsche militärische Kunstschutz in Italien, Graz 1994, sowie ein Tagungsband von 2012: Christian Fuhrmeister/Johannes Griebel/Stephan Klingen (Hg.), Kunsthistoriker im Krieg. Deutscher Militärischer Kunstschutz in Italien 1943 – 1945, Köln/Weimar/Wien 2012. Schließlich zwei Aufsätze von Christian Fuhrmeister: Deutsche Kunstgeschichte, Kulturpolitik und Kulturpropaganda in Italien vor und nach 1943. Eine Problemskizze, in: Agnieszka Gąsior/ Magdalena Bushart/Alena Janatková (Hg.), Kunstgeschichte in den besetzten Gebieten 1939 – 1945 (Brüche und Kontinuitäten. Forschungen zu Kunst und Kunstgeschichte im Nationalsozialismus 2), Köln/Weimar/Wien 2016, S. 15 – 25; Ders., Verlagerungs- und Bergungsaktionen in Italien im Zweiten Weltkrieg im Überblick. Wissenstand und Problemfelder, in: Pia Schölnberger/Sabine Loitfellner (Hg.), Bergung von Kulturgut im Nationalsozialismus. Mythen – Hintergründe – Auswirkungen, Wien 2016, S. 85 – 101 und zuletzt die 2019 erschienene Habilitationsschrift: Ders., Die Abteilung „Kunstschutz“ in Italien. Kunstgeschichte, Politik und Propaganda 1936 – 1963 (Brüche und Kontinuitäten. Forschungen zu Kunst und Kunstgeschichte im Nationalsozialismus 1), Köln/ Weimar/Wien 2019.

Europas wurde in Italien eine Militärverwaltung errichtet, die sich mit dem faschistischen Marionettenstaat in Norditalien (Republik von Salo) abstimmte. Eine Reise des Kunsthistorikers und ehemaligen Stellvertreters des Kunstschutzbeauftragten Bernhard von Tieschowitz (1902 – 1968) Ende Oktober 1943 nach Rom bereitete die Etablierung des Kunstschutzes in Italien vor. Ab November 1943 arbeiteten die Kunsthistoriker Hans Gerhard Evers (1900 – 1993) in Rom sowie Ludwig Heydenreich (1903 – 1978) und Herbert Siebenhüner (1908 – 1996) in Florenz für den Kunstschutz, im Februar 1944 traf der Archäologe und SS-Standartenführer Alexander Langsdorff (1898 – 1946) als Leiter des Kunstschutzes in Florenz ein, im Juni 1944 stießen Leo Bruhns (1884 – 1957) und Leopold Reidemeister (1900 – 1987) hinzu. Gemäß Langsdorffs Dienstanweisung für die Abteilung Kunst-, Archiv- und Bibliotheksschutz vom Juli 1944 waren ihre Hauptarbeitsfelder: 1. Belegungsverbote und Sicherstellung von Villen, Schlössern, Burgen, Museen und Kunstdepots. 2. Rückführung bzw. Überführung gefährdeter Kunstwerke in zur Sicherung vorgesehene Bergungsdepots. 3. Ueberprüfung von Schutzbauten, bzw. Vorschläge zu ihrer Neuerrichtung von durch den Luftterror besonders gefährdeten Monumenten. 4. Aufnahme zerstörter Denkmäler. 5. Abwehr der feindlichen Hetzpropaganda.2 Dieses Spektrum ähnelt zwar den vergleichbaren Aufgabenbeschreibungen des Kunstschutzes in Frankreich, doch anders als dort ist in Italien nicht von Sicherstellung und Ueberwachung des auslaendischen Kunstbesitzes. (…) Vermittlung der Erwerbung von Kunstwerken im Werte von rund 100 Millionen RM fuer deutsche Museen, Staats- und Parteistellen. (…) Steuerung des in starkem Aufschwung begriffenen Kunsthandels und bei der Ausfuhr von angekauften Kunstwerken nach Deutschland

die Rede; diese und andere Punkte hatte von Tieschowitz am 15. Juni 1943 in Paris festgehalten.3 Zwischen Italien und Frankreich zu differenzieren ist schon wegen der so unterschiedlichen Rahmenbedingungen geboten: Im Fall von Frankreich können wir langfristige Entwicklungsperspektiven – über mehr als 48 Monate, von Mai/Juni 1940 bis Juli/August 1944 – konstatieren, im Fall von Italien erfolgt die Einrichtung des Kunstschutzes erst ein halbes Jahr, nachdem die Alliierten bereits Teile des Territoriums erobert hatten. Dieser fundamentale Unterschied hinsichtlich der elementaren Voraussetzungen ließe sich plakativ 2 Archiv des Kunsthistorischen Instituts Florenz – Max-Planck-Institut, Ordner „Langsdorff, Soggetti Speciali“, Mappe „Dienstanweisungen“. Ein weiteres Exemplar der Anweisung ebd., Ordner Varia II, Praktischer Kunstschutz; siehe Fuhrmeister, Kunstschutz in Italien (wie Anm. 1), S. 237 f. 3 Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, R 61087a.

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Abb. 1  Auslagerung der Kunstschätze des Klosters Monte Cassino unter der Leitung von Oberstleutnant Julius Schlegel seit dem 17. 10. 1943: Notiz auf der Rückseite des Fotos: 3. [Bild:] Die Aktion ist angelaufen. Noch gibt es Kisten und Verschläge für die wertvollen Handschriften u. Urkunden mit alten Siegeln, s­ päter als die Kistenproduktion nicht mehr nachkam, wurden die Güter nun mehr in Wehrmachtsdecken od. Teppiche gelegt. (…) Bildserie ist eine Reproduktion von Feldfotos (…) von Mitte Sept. bis Nov. 1943.

dahingehend zuspitzen, dass man den Kunstschutz in Frankreich als bewusst „proaktiv“, den in Italien als „reaktiv“ charakterisieren könnte. Doch die Differenzierung muss weitergehen, muss weitere Aspekte und Gesichtspunkte erfassen und berücksichtigen, muss Variationen und Nuancen ausloten, muss sich um ein umfassendes Gesamtbild historischer Kontingenzen, Sachzwänge, Binnenlogiken, Entwicklungsdynamiken und zugleich um die qualifizierte Beschreibung von individuellen Handlungs- und Gestaltungsfeldern der Akteure auf allen Seiten und ihrer jeweiligen persönlichen Deutungs- und Entscheidungshoheit bemühen. Dies gilt zudem auf allen Ebenen, auf der Makro-, Meso- und Mikroebene von Systemen, Institutionen und Personen; so ist zugleich auch die Vorstellung eines monolithischen und kohärenten Nationalsozialismus kritisch zu befragen.4 4 Siehe exemplarisch Wilhelm Büttemeyer, Ernesto Grassi. Humanismus ­zwischen Faschismus und Nationalsozialismus, Freiburg/München 2010, S. 391: „Es wäre aber falsch, einfach von dem National­ sozialismus zu sprechen und ihn als geschlossenes politisches System aufzufassen.“

Kunstschutz Italien 1943 – 1945: Wieso wir differenzieren müssen  I  289

Abb. 2  Rom, vor der Engelsburg: Feierlicher Abschluss des ersten Teils der Auslagerung am 8. 12. 1943: 28. [Bild:] Oberstltn. Julius Schlegel meldet dem Abtprimas Fidelis von Stotzingen [Abtprimas der Benediktinischen Konföderation] von der Abtei San Anselmo/Rom vor der Engelsburg den erfolgreichen Abschluss der Rettungsaktion auf dem Montecassino (…). Hans Gerhard Evers (dritter Offizier von links im Militärmantel), seit 12. 11. 1943 zum Kunstschutzes in Italien abgeordnet, hielt eine kurze Ansprache, die auch für den Rundfunk aufgezeichnet wurde: (…) Freilich ist eine Truppe, auch wenn sie den Kulturbesitz des Landes kennt und ehrt, nicht frei in ihren Massnahmen. Vielmehr ist ihre eigentliche Aufgabe der Kampf und die Verteidigung des Landes. Desto stolzer muss es anerkannt werden, dass es die Kaempfende Truppe gewesen ist, die diese Kulturschaetze geschuetzt und bewahrt hat. (…). Aber er wusste bereits, dass 15 der 187 Kisten in die Hände deutscher Kunsträuber gelangt waren.

Anders gesagt: Wer polykratische Strukturen in totalitären Diktaturen identifiziert und wer den kategorialen Gegensatz normativer Regelwerke und divergenter Lebenspraxen erkennt, der kann auch z­ wischen fachwissenschaftlichen Prämissen, opportunistischen Charakterzügen, Pragmatik, Ehrgeiz und Profitgier unterscheiden. Es ist – ein Dreivierteljahrhundert nach Kriegsende – Zeit, jenseits von Dichotomien, bipolarer Konstruktionen und simpler binärer Modelle das Gesamttableau in seiner spannungsgeladenen Heterogenität ins Auge zu fassen. Diese Meta-Ebene der Analyse ist schon deshalb so naheliegend, weil Simplifizierung und das Herauspräparieren klarer Gegensätze der Propagandaarbeit strukturell inhärent ist, und, da der Kunstschutz als integraler Bestandteil staatlicher Propaganda begriffen wurde,5 stellt sich ­dieses Problem in besonderer Schärfe. 5 Verwiesen sei auf die Klassifizierung der zweibändigen Publikation von Paul Clemen, Kunstschutz im Kriege. Berichte über den Zustand der Kunstdenkmaler auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen und über die deutschen und österreichischen Maßnahmen zu ihrer Erhaltung, Rettung,

290 I Christian Fuhrmeister

Hermeneutisch, im Hinblick auf unsere Vorgehensweisen im 21. Jahrhundert, bedeutet dies, sowohl die in den Quellen gespeicherten Spuren ernst zu nehmen als auch die den historischen Kontext insgesamt prägenden Faktoren in die Untersuchung zu integrieren. Die Auseinandersetzung im Modus investigativer Exploration muss sich dabei auch mit der – in aller Regel interessengeleiteten – Rezeptions- und Deutungsgeschichte befassen. Erst die methodische Reflexion gestattet uns dabei, latente und manifeste Widersprüche sowie inconclusive evidence – auch und oft gerade in den Selbstdeutungen der Akteure 6 – zu beobachten, zu hinterfragen und in die Analyse aufzunehmen. Idealiter entsteht auf diese Weise der Nukleus einer ergebnisoffenen transnationalen (europäischen) Vergewisserung über die Geschichte des Schutzes von Kulturgut. Dezidiert komparatistische Studien, wie sie etwa Bianca Gaudenzi im Rahmen ihres Forschungsprojekts „Restitution z­ wischen Erstattungsalltag und Gemeinschaftsbildung. Die Rückgabe geraubter Kulturgüter in der Bundesrepublik, Italien und Österreich, 1945 – 1998“ unternimmt,7 oder die geplante transnationale Arbeit von Christina Kott (zum militärischen Kunstschutz im ­Ersten und Zweiten Weltkrieg insgesamt), ziehen en passant die Summe aus der Addition monografischer Studien und fokussieren die übergreifende Ebene der histoire croisée. Soweit ersichtlich, ist die Forschung der 2000er und 2010er Jahre (viel stärker als in allen Jahrzehnten zuvor) in der Lage, Voraussetzungen, Bedingungen und Konsequenzen einer differenzierten übernationalen Historiografie auch zum Thema Kulturgutschutz auszuloten: Welche Konzeptualisierungen, ­welche geisteswissenschaftlichen Zugriffsweisen und Erforschung, 2 Bde., Leipzig 1919 als „ouvrage de propagande“ durch Christina Kott, Histoire de l’art et propagande pendant la Première Guerre mondiale. L’exemple des historiens d’art allemands en France et en Belgique, in: Revue germanique internationale 13 (2000), S. 201 – 221, hier S. 202: http:// journals.openedition.org/rgi/783 (Stand: 25. 07. 2020), und auf Fuhrmeister, Kunstschutz in Italien (wie Anm. 1), S. 301 – 314: Abschnitt „Kunstschutz und Propaganda – Kunstschutz als Propaganda“. 6 Dies gilt in gleicher Weise für die Narrative von Partnern, Kindern und akademischen Schülern sowie, in ähnlicher Form, für das Genre der Fest- und Gedenkschriften, siehe exemplarisch einerseits Esther Abel, Kunstraub – Ostforschung – Hochschulkarriere. Der Osteuropahistoriker Peter Scheibert, Paderborn 2016, und andererseits Eberhard Roters (Hg. im Auftrag der Karl und Emy Schmidt-Rottluff-Stiftung als Organ des Brücke-Museums im Einvernehmen mit dem Senator für Kulturelle Angelegenheiten), Leopold Reidemeister zum Gedenken, Berlin 1988 (Brücke-Archiv 15/16) und Magdalena M. Moeller (Hg.), Leopold Reidemeister. Ein deutscher Museumsmann, München 2017: Während Abel sich intensiv mit der Eigendeutung des Protagonisten und der innerfamiliären Sicht auseinandersetzt, gibt es im Fall von Reidemeister keine kritische Untersuchungsperspektive, die nach Lücken, Brüchen, Überlagerungen, Auslassungen, Verdrängungen und Tabuisierungen fragt. 7 Bianca Gaudenzi, Restitution ­zwischen Erstattungsalltag und Gemeinschaftsbildung. Die Rückgabe geraubter Kulturgüter in der Bundesrepublik, Italien und Österreich, 1945 – 1998: http://dhiroma.it/index.php?id=projekte-aktuell&L=0&tx_ttnews%5Byear%5D=2019&t​ x_ttnews%5​ Bmonth​ %5D=01&tx_ttnews%5Bday%5D=29&tx_ttnews%5Btt_news%5D=3549​&cHash​=383839a0a83d​ 108914c7a9130446f44d (Stand: 26. 04. 2020).

Kunstschutz Italien 1943 – 1945: Wieso wir differenzieren müssen  I  291

­ ethoden erscheinen erfolgversprechend? Welche Schichten von Dokumenten, Erzählungen M und Narrativen – auch: von Mythen und Legenden – müssen wir abtragen, um an den Kern oder die Ursprungskonflikte heranzukommen? Was ist nur nachvollziehbar, was darüber hinaus auch anschlussfähig im Sinne einer Übertragbarkeit, im Sinne von Transfer und multilateraler Autopsie und Analyse?8 Die keineswegs nur rhetorische Frage im Untertitel „Wieso wir differenzieren müssen“ ist ­diesem Zusammenhang auch deshalb geboten, weil – dies sei hier erneut betont – schon die historische Konstellation auf vermeintlich einfache Feindbilder setzte, auf bipolare Vorstellungen von Schützern einerseits und Zerstörern andererseits, von Gut und Böse, ja von Gott und Teufel. Diese propagandistischen „Zurichtungen“ haben tatsächlich in hohem Maße den Kenntnisstand sowohl in der Fachwissenschaft wie in den Populär- und Massenmedien zu prägen vermocht. In Reaktion auf den Einwand, Differenzierung kennzeichne Wissenschaft generell, sei daher gewissermaßen die prinzipielle Herausforderung jedweder professionellen Bezugnahme auf einen Untersuchungsgegenstand, sei abschließend die spezifische Konstellation für das Phänomen ‚Kunstschutz‘ in konziser Form in zwei Punkten zusammengefasst: Wir müssen erstens differenzieren, um historischer Komplexität gerecht werden zu können. Wir setzen dabei die etablierten geisteswissenschaftlichen hermeneutischen Instrumente, Werkzeuge und Methoden ein, die für die Analyse visueller und sprachlicher Zeichensysteme entwickelt worden sind – wie etwa die Quellenkritik oder die kritische Kontextualisierung von Aussagen, Ereignissen und Prozessen. Wir müssen dabei zugleich der Versuchung widerstehen, aus unserer Ex-post-Perspektive nachträglich eine Folgerichtigkeit (oder gar Teleologie) zu konstruieren, denn tatsächlich ist eine relative Offenheit historischer Konstellationen zu konstatieren. Unser Wissen als Nachgeborene verstellt oft den Blick auf diese prekäre historische Gemengelage von Binnenlogiken, Kontingenz und Koinzidenz. Differenzierung heißt hier, diese im Kern transgenerationelle Herausforderung auch anzunehmen, sich also darauf einzulassen und die jeweilige einzigartige historische Konfiguration (seien es Akteure, s­ eien es Aktivitäten oder Dynamiken) so präzise und adäquat wie nur eben möglich zu beschreiben, vergleichend einzuordnen und zu bewerten.

8 Bezogen auf die mit „Alpe Adria“ bezeichnete Region mit Triest im Zentrum, die sich über Italien, Österreich, Slowenien und Kroatien erstreckt, hat sich das EU-Projekt „Transfer of Cultural Objects in the Alpe Adria Region in the 20th Century“ (TransCultAA) in den Jahren 2016 bis 2019 mit vielen dieser Fragen nach „Uses of the Past“ beschäftigt. Das transnationale Verbundprojekt in der Förderschiene HERA (Grant Agreement No 649307 im EU-Programm Horizon 2020) hat zum Thema Kulturgutschutz und Kulturgutverlagerung bisher zwei Online-Ausstellungen und mehrere Posterausstellungen erarbeitet (siehe www.transcultaa.eu) und im September 2019 ein Themenheft der Online-Zeitschrift Studi di Memofonte, https://www.memofonte.it/studi-di-memofonte/ numero-22-2019/ (Stand: 03. 08. 2020) freigeschaltet. 2020 werden eine Quellenedition (online) sowie ein Tagungsband (print) weitere Projektergebnisse präsentieren.

292 I Christian Fuhrmeister

Neben der Erfüllung der hier skizzierten Grundvoraussetzung müssen wir freilich zweitens auch deshalb differenzieren, um heute ein Antidot zu liefern angesichts unterkomplexer, simplifizierender und bewusst populistischer Erklärungsmodelle („die Juden“, „die Russen“, „die Deutschen“, „die Italiener“, „die Frauen“, „die Migranten“). Nur Differenzierung kann hier der Verantwortung jedweder Geschichtsschreibung gerecht werden, nur Differenzierung gestattet die transnationale Verständigung über historische wie aktuelle Gewalterfahrungen und gestattet jene Präzision, die Lernen erst ermöglicht. Diese beiden Beweggründe für eine stärkere Differenzierung sind zugleich eine Reaktion auf die Verweigerung eines offenen, gar umfassenden Blickes – ja der mitunter radikalen Tabuisierung und kollektiven Amnesie – in den ersten Nachkriegsjahrzehnten. Für die Verdrängung traumatischer Erfahrungen hatten und haben sowohl Täter als auch Opfer gute Gründe, sowohl Besatzer als auch Besetzte. Unsere Thematisierung und Bearbeitung im 21. Jahrhundert muss diese Vielschichtigkeit des historischen Phänomens „Kunstschutz“ wie seine Deutungsgeschichte adressieren und reflektieren. Differenzierung ist daher eine conditio sine qua non der genuin europäischen Dimension unseres Themas.

Kunstschutz Italien 1943 – 1945: Wieso wir differenzieren müssen  I  293

Kunstschutz an der Ostfront Ernstotto Graf zu Solms-Laubach und der militärische Kunstschutz der Heeresgruppe Nord 1 Ulrike Schmiegelt-Rietig

Die Art der Kriegsführung und die Besatzungspolitik des Deutschen Reiches wiesen, je nach Kriegsschauplatz, erhebliche Unterschiede auf. Der Krieg gegen die Sowjetunion war ein Vernichtungskrieg, der sich ebenso stark gegen die Zivilbevölkerung richtete wie gegen die Kombattanten.2 Die maximale Ausbeutung des Landes, der Tod von Millionen Zivilisten, die menschenverachtende Behandlung der Kriegsgefangenen, die Zerstörung und der Raub der Kulturgüter waren keine Kollateralschäden, sondern ideologische Vorgabe ­dieses Krieges, dessen Ziel die physische und die kulturelle Auslöschung des Gegners war. Dies ist der Hintergrund, vor dem die Ausführungen zum militärischen Kunstschutz in ­diesem Krieg gesehen werden müssen.

1. Die Akteure des Kulturgutraubes Was die Aneignung von Kulturgütern in der Sowjetunion angeht, so haben wir es mit denselben Institutionen zu tun, wie in den anderen besetzten Gebieten Europas auch: mit Adolf Hitler selbst, dessen sogenannter Führervorbehalt ausdrücklich auch in der Sowjetunion

1 Der Text basiert auf Materialien, die ich im Rahmen des Forschungsprojekts „Russische Museen im Zweiten Weltkrieg“ erarbeitet habe. Um die Kulturgutverluste in der Sowjetunion, die Menge ebenso wie die je nach Quelle stark divergierenden Zahlen besser zu verstehen, haben meine Kolleginnen und ich exemplarisch den an Kulturstätten reichen Nordwesten Russlands untersucht, der während des Krieges von der Heeresgruppe Nord besetzt war. Die Ergebnisse des Projekts sind mittlerweile publiziert: Corinna Kuhr-Korolev/Ulrike Schmiegelt-Rietig/ Elena Zubkova in Zusammenarbeit mit Wolfgang Eichwede, Raub und Rettung. Russische Museen im Zweiten Weltkrieg (Studien zu kriegsbedingt verlagerten Kulturgütern 1), Wien/ Köln/Weimar 2019. 2 Der Begriff des Vernichtungskriegs für die Kriegführung und Besatzungspolitik der deutschen Wehrmacht ist seit Langem in der Geschichtswissenschaft etabliert, früh beispielsweise durch ­Christian Streit, Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen, 1941 – 1945 (Studien zur Zeitgeschichte 13), Stuttgart 1978.

Gültigkeit haben sollte,3 dem „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“ (ERR),4 dem Auswärtigen Amt mit dem „Sonderkommando Künsberg“ 5, einer knapp 100 Mann starken, gut ausgestatteten Einheit, deren eigentliche Aufgabe es seit 1939 war, in den besetzten Gebieten Europas Akten aus den Außenministerien sowie Botschaften feindlicher und neutraler Länder beschlagnahmen, und der SS mit der „Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe“. Letztere spielte jedoch im Bereich der Heeresgruppe Nord praktisch keine Rolle. Forschungen zur Vorgeschichte und der Aneignung entsprechender Objekte aus den Sammlungen und aus eigenen Ausgrabungen wurden in Nordwestrussland durch Mitarbeiter des ERR durchgeführt. Auch innerhalb der Wehrmacht sammelten verschiedene Dienststellen Material am Kriegsschauplatz: unter anderem der militärische Nachrichtendienst (Amt Abwehr), die Dienststellen „Chef der Heeresbüchereien“ und „Chef der Heeresmuseen“ forderten militärisch relevante Bibliotheken und Kriegsbeute, das heißt Waffen, Uniformteile usw.6 Alle Akteure legten ihre jeweiligen institutionellen Aufträge so weit aus, dass jeder – gegenüber allen anderen – einen eigenen, vorrangigen Anspruch auf die Kulturgüter des Gebietes geltend machte. Darin gleicht der Umgang mit den Kulturgütern in der besetzten Sowjetunion der Situation im Westen, wo die einzelnen Akteure ebenfalls heftig miteinander um den Zugriff auf Kulturgüter stritten. 3 Von „Führervorbehalt“ wurde erstmals 1938 in Wien gesprochen, als SS und Polizei Sammlungen beschlagnahmten; Hanns Christian Löhr, Das Braune Haus der Kunst. Hitler und der „Sonderauftrag Linz“. Visionen, Verbrechen, Verluste, Berlin 2005, S. 22 f. Zum sogenannten Führermuseum siehe ferner Birgit Schwarz, Hitlers Museum. Die Fotoalben „Gemäldegalerie Linz“. Dokumente zum „Führermuseum“, Wien 2004; Dies., Auf Befehl des Führers. Hitler und der NS-Kunstraub, Darmstadt 2014, hier vor allem S. 39 – 55 und S. 211; Kathrin Iselt, „Sonderbeauftragter des Führers“. Der Kunsthistoriker und Museumsmann Hermann Voss (1884 – 1969), Köln 2010; Anja-Daniela Gudell, Kunsterwerb im Dritten Reich. Dr. Hans Posse und der Sonderauftrag Linz, Weimar 2014. Siehe auch Anja Heuß, Kunst- und Kulturgutraub. Eine vergleichende Studie zur Besatzungspolitik der Nationalsozialisten in Frankreich und der Sowjetunion, Heidelberg 2000, S. 65. 4 Hierzu siehe den ­kurzen Überblick von Patricia Kennedy Grimsted, Reconstructing the Record of Nazi Cultural Plunder. A Survey of the Dispersed Archives of the Einsatzstab Reichsleiter ­Rosenberg (ERR), insbesondere Chapter 1 – Introduction, S. 21 f.: http://www.errproject.org/survey.php (Stand: 26. 07. 2020); dort wird auch ein Überblick über die einschlägige ältere Literatur zu Rosenberg gegeben. 5 Ulrike Hartung, Raubzüge in der Sowjetunion. Das Sonderkommando Künsberg 1941 – 1943, Bremen 1997, S. 13; zum Sonderkommando Künsberg außerdem Gabriele Freitag/Andreas Grenzer, Der nationalsozialistische Kunstraub in der Sowjetunion, in: Wolfgang Eichwede/Ulrike Hartung (Hg.), „Betr. Sicherstellung“. NS -Kunstraub in der Sowjetunion, Bremen 1998, S. 20 – 66, hier S. 24 – 28; Anja Heuß, Die „Beuteorganisation“ des Auswärtigen Amtes. Das Sonderkommando Künsberg und der Kulturgutraub in der Sowjetunion, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 4 (1997), S. 535 – 556. 6 Chef der Heeresmuseen, RH 62, (1840 – 1914) 1923, 1930 – 1945, 1958 – 1962, bearbeitet von Martina Baumann/Sven Schulz, Koblenz 2008: https://invenio.bundesarchiv.de/basys2-invenio/main.xhtml (Stand: 26. 07. 2020).

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2. Militärischer Kunstschutz im Osten Mit dem militärischen Kunstschutz kommt, was den Krieg in der Sowjetunion anbelangt, ein bisher weitgehend unbeachteter Akteur in den Blick. In der Forschungsliteratur wurde bis in die jüngste Zeit die These vertreten, es habe im Krieg gegen die Sowjetunion keinen mit der Institution beim deutschen Militärbefehlshaber in Frankreich vergleichbaren militärischen Kunstschutz gegeben. Tatsächlich gibt es kaum Hinweise darauf, dass der militärische Kunstschutz, der in den besetzten Gebieten Frankreichs, Belgiens und der Niederlande etabliert wurde, in gleicher Weise auch für die besetzten Gebiete der Sowjetunion geplant worden war. Lediglich Franziskus Graf Wolff Metternich (1893 – 1978), seit Mai 1940 Beauftragter für Kunstschutz beim Oberkommando des Heeres (OKH), lieferte ein Indiz. Einerseits heißt es im abschließenden Bericht seiner Tätigkeit von 1944, in den ersten Monaten der Besetzung russischer Gebiete bis zur Errichtung des Ostministeriums sei ein Beauftragter entsandt worden, der den Aufbau einer Kunstschutzorganisation habe vorbereiten sollen.7 Andererseits hatte Wolff Metternich im Juli 1941 einem Bewerber um eine Mitarbeit beim Kunstschutz im Osten, dem Restaurator Otto Klein (1904 – 1995), der als Volksdeutscher aus Russland in Dresden ausgebildet worden war,8 mitgeteilt, dass in Russland kein militärischer Kunstschutz eingerichtet werde.9 Aus den Angaben in seinem abschließenden Bericht kann daher nicht auf ein ernsthaftes Vorhaben des OKH geschlossen werden. Tatsächlich hatte das OKH anfänglich nicht einmal vorgesehen, Militärverwaltungen einzurichten. Auf die Eroberung sollte unmittelbar der Aufbau ziviler Verwaltungen unter der Leitung des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete (Alfred Rosenberg) folgen. Dies geht aus einem Schreiben des OKH an Erziehungsminister Bernhard Rust vom 3. Juli 1941 hervor, in dem ­diesem auf eine Anfrage hin mitgeteilt wird, dass in den besetzten sowjetrussischen Gebieten (…) eine ständige Militärverwaltung nicht eingerichtet werde. Weiter heißt es, sobald die Militäroperationen weit genug fortgeschritten ­seien, sollten Reichskommissariate unter Führung von Reichsleiter Rosenberg entstehen. Bis dahin würden die militärischen Verhältnisse vertiefende Massnahmen zur Sicherung der Museen und Kunstdenkmäler nicht zulassen. Natürlich s­eien die Truppen aber angewiesen, wertvolle Kunstdenkmäler nach Möglichkeit zu schonen. Auch bestehe die Möglichkeit, für besonders wertvolle Objekte detailliertere Schutzmaßnahmen anordnen zu lassen.10 Die betroffenen

7 Bundesarchiv – Militärarchiv, RH 3/154, Metternich, Abschließender Bericht über die Arbeit des Kunstschutzbeauftragten in der Zeit von Mai 1940–September 1944, Bl. 17/18. 8 Ivan Bentchev, Gerettete und verschollene Kirchenschätze. Otto Klein und der deutsche „Kunstschutz“ in Kiev 1941 – 1943, in: Hermeneia. Zeitschrift für ostkirchliche Kunst 13 (1997), S. 27 – 40, hier S. 27 und S. 31. 9 Ebd., S. 27. 10 Ehreshoven, Familienarchiv Grafen Wolff Metternich, Nachlass Franz Graf Wolff Metternich (künftig NL FGWM), Nr. 68.

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Abteilungen und Mitarbeiter im OKH, darunter auch Wolff Metternich, wurden Anfang Juli 1941 darüber informiert.11 Die Wirklichkeit nahm jedoch eine andere Entwicklung. Sobald die militärische Lage es erlaubte, entsandte das OKH einen jungen Berliner Kunsthistoriker, Kriegsverwaltungsassessor Reinhold Strenger (geb. 1903), in das Gebiet.12 Er war der von Wolff Metternich erwähnte Beobachter, der sich in den eroberten Orten ein Bild machen und nötigenfalls den Kommandanturen Maßnahmen zum Schutz gefährdeter Objekte empfehlen sollte. Strenger berichtete im August 1941 aus Minsk, im September aus Nowgorod und Smolensk, im Oktober aus Kiew, Černigow und Dnepropetrowsk. Seine Berichte enthielten Listen der örtlichen Baudenkmäler, K ­ irchen und Museen, er beschrieb dabei ihren Zustand und ihre Nutzung und formulierte differenziert Wünsche und Empfehlungen. Wer die Entsendung Strengers veranlasst hatte, lässt sich anhand der vorliegenden Quellen nicht klären. Sehr wahrscheinlich war Wolff Metternich persönlich in den Vorgang involviert, jedenfalls wurden ihm die Berichte vorgelegt. Sie befinden sich in seinem Nachlass.13 Einzelne Abschriften sind außerdem in den Akten des ERR überliefert,14 was auf einen zumindest grundsätzlichen Austausch der Behörden untereinander hindeutet. Andererseits legt die Entsendung Strengers nahe, dass Wolff Metternich – und vielleicht auch das OKH – dem ERR und den anderen Konkurrenten den exklusiven Zugriff auf die Kulturgüter im Osten nicht kampflos überlassen wollte. Zumindest auf eine eigene Dokumentation des Zustands zu Beginn der Besatzung wollte man offenbar nicht verzichten, selbst wenn anschließend andere Behörden das Verfügungsrecht bekommen sollten. Für die Vermutung, dass Wolff Metternich an dem Vorhaben, auch im Osten einen militärischen Kunstschutz einzurichten, festhielt, sprechen einige Dokumente aus seinem Nachlass. Aus dem dort überlieferten Schriftwechsel Wolff Metternichs, seines Stellvertreters Bernhard von Tieschowitz (1902 – 1968), dem Direktor des Archäologischen Instituts des Deutschen Reiches, Martin Schede (1883 – 1947), sowie der Archäologen Erich Diehl (1880 – 1952) und Wilhelm Ritter von Jenny (1896 – 1960) geht hervor, dass Wolff Metternich noch im November 1941 konkrete Projekte zumindest in Südrussland und auf der Krim verfolgte. Das endgültige Aus für diese Pläne kam Ende November 1941 mit dem Beschluss des Generalquartiermeisters im OKH, den militärischen Kunstschutz in der Sowjetunion einzustellen und alle entsprechenden Aktivitäten dem ERR zu überlassen.15 Ein vergleichbares Engagement Wolff Metternichs für den Kunstschutz in anderen Gebieten der Sowjetunion zumal im russischen Nordwesten oder auf anderen 11 Ebd. 12 Bundesarchiv – Militärarchiv, RH 3/154, Bl. 5 – 39, Wolff Metternich, Abschließender Bericht (wie Anm. 7), Bl. 17/18. 13 NL FGWM, Nr. 68. 14 Centraľnyj deržavnyj archiv viščich organiv vladi ta upravlinnja Ukrajiny (künftig CDAVO), F. 3676, Op. 1, D. 138, Bl. 550 f. 15 NL FGWM, Nr. 68.

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Themenfeldern als der Archäologie/Vorgeschichte lässt sich nicht nachweisen. Hier scheinen die Berichte Reinhold Strengers keine weiteren Aktivitäten des Beauftragten für den Kunstschutz mehr nach sich gezogen zu haben. Noch ein weiterer Vorgang zeigt, dass Wolff Metternich sich auch im Osten auf dem Gebiet des Kunstschutzes gegen andere NS-Behörden zumal gegen den ERR behaupten wollte. Im besetzten Serbien gelang es ihm, ein Referat für Kunst- und Denkmalschutz bei der deutschen Militärverwaltung zu installieren. Im Mai wurde die Entsendung eines Sachverständigen nach Serbien beschlossen, der zunächst den Zustand der Kulturgüter und -denkmäler feststellen sollte. Ausgewählt wurde hierfür der Münchner Südosteuropa-Experte Johann Albrecht von Reiswitz (1899 – 1962), der die Gegebenheiten vor Ort aufgrund von gemeinsamen deutsch-serbischen Ausgrabungen während der Zwischenkriegszeit gut kannte.16 Seine Berichte lieferten eine hinreichende Begründung dafür, ein eigenes Referat bei der deutschen Militärverwaltung in Serbien einzurichten. Von Reiswitz betrachtete seinen Einsatz als Karrierechance. Bald nach seiner Ernennung zum Referatsleiter begann er, für eine geografische Erweiterung seines Arbeitsgebietes oder zumindest des Berichtsgebietes und auch für seine Beförderung zum Gruppenleiter zu argumentieren. Beides wurde von Wolff Metternich befürwortet, ebenso wie seine Beförderung zum Oberkriegsverwaltungsrat. Wolff Metternichs Nachfolger Bernhard von Tieschowitz setzte sich ­später für den Erhalt des militärischen Kunstschutzes in Serbien ein, damit von Reiswitz auf seinem Posten bleiben konnte.17

3. Kunstschutz im Gebiet der Heeresgruppe Nord In Nordwestrussland nahm der Krieg einen unerwarteten Verlauf, der auch für den militärischen Kunstschutz folgenreich war: Anfang September 1941 fiel die Entscheidung, das bereits von deutschen und finnischen Verbänden eingeschlossene Leningrad nicht zu erobern, sondern auszuhungern. Dies führte zu einem Stellungskrieg und machte die dauerhafte Einrichtung einer Militärverwaltung durch die Heeresgruppe Nord in dem Gebiet notwendig. Damit blieb Nordwestrussland trotz vielfachen Wechsels der einzelnen Armeen und Divisionen während der gesamten Besatzungszeit unter demselben Oberkommando. In dieser Situation entstand entgegen allen anderslautenden Plänen eine Kunstschutzeinheit, die unmittelbar dem OKH zugeordnet war. Diese Arbeitsgruppe wurde in der Forschung bisher übersehen. Der Grund hierfür ist die außerordentlich schlechte Überlieferung: Eigene Akten der Einheit sind bisher nicht auffindbar. In den Akten der Heeresgruppe Nord finden sich nur minimale Hinweise; ansonsten existieren nur wenig Parallelüberlieferung sowie einige persönliche Zeugnisse. 16 Zur Person von Reiswitz siehe Christina Kott, „Kunstschutz im ­Zeichen des totalen Krieges“. Johann Albrecht von Reiswitz’ und Wilhelm Unverzagt in Serbien, 1941 – 1944, in: Acta Praehistorica et Archaeologica 49 (2017), S. 245 – 269, hier S. 250 – 253. 17 NL FGWM, Nr. 164.

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Der Protagonist des militärischen Kunstschutzes in Nordwestrussland war Rittmeister Ernstotto Graf zu Solms-Laubach (1890 – 1977). Offiziell erhielt er Ende September 1941 den Auftrag, die Kunstschätze im Gebiet der Heeresgruppe Nord zu sichern. Wie es dazu kam, lässt sich aufgrund der Aktenlage nicht mehr nachvollziehen. Solms selbst äußerte im April 1942, er sei auf seine eigene Initiative hin mit der Aufgabe des Konservators betraut und im Dezember 1941 durch das OKH formell auf diese Stelle versetzt worden.18 Ganz anders stellte er seinen Einsatz nach Kriegsende in der Rückschau dar: Als Zeuge im Nürnberger Prozess gegen Angehörige des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) sowie Armee- und Heeresgruppen-Oberbefehlshaber, kurz OKW-Prozess, gab er an, er sei vom Oberbefehlshaber der 18. Armee, Generaloberst Georg von Küchler (1881 – 1968), beauftragt worden. Küchler habe die russischen Kulturgüter vor der Zerstörung durch Kriegseinwirkungen, aber auch vor den Begehrlichkeiten anderer Behörden ­schützen wollen.19 Dieses Argument wurde von den deutschen militärischen Kunstschützern mehrfach verwendet, unter anderem auch von Albrecht von Reiswitz.20 Eine direkte Einflussnahme Wolff Metternichs lässt sich im Falle der Einsetzung Solms nicht nachweisen. Auch in Wolff Metternichs persönlichem Nachlass findet sich hierzu keine Spur. Dennoch ist es schwer vorstellbar, dass sie ohne sein Wissen stattgefunden haben sollte, wie die Mitarbeiter des ERR zeitweise mutmaßten.21 Solms übernahm mit dem Kunstschutz eine Aufgabe, die auf ihn zugeschnitten schien: Im zivilen Leben war er seit 1938 Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums Frankfurt gewesen. Am 1. März 1941 war er zur Wehrmacht einberufen worden.22 Im Mai wurde er zu einer in seinem hessischen Wehrkreis neu aufgestellten Feldkommandantur versetzt, die Ende Juni 1941 nach Osten verlegt und bald nach der Eroberung in Pskow stationiert wurde, wo auch die Heeresgruppe Nord ihr Hauptquartier bezogen hatte. Solms war also regulär mit seinem Truppenteil in das Gebiet gelangt. Von Pskow aus entfaltete Solms seine Initiativen als sogenannter Konservator und Leiter der Gruppe Sammeloffizier, zu dem er im weiteren Verlauf ernannt wurde.23 Als erste Maßnahme ließ er das städtische Museum wiedereröffnen: In einem Artikel im „Frankfurter Generalanzeiger“ vom 15. September 1941 heißt es, Solms habe im Pogankinhaus in Pskow, innerhalb weniger Wochen eine Ausstellung arrangiert: „(…) einerseits einen Ort 18 Solms in einem Brief an den Verbindungsoffizier des Auswärtigen Amts, Reinhold von UngernSternberg. PA – AA, R 60769. 19 Eidesstattliche Erklärung von Solms für v. Küchler im Nürnberger Prozess gegen das Oberkommando der Wehrmacht. Staatsarchiv Nürnberg, Rep 501, IV, KV-Prozesse, Fall 12, F 3, Dok. Nr. 62. 20 NL FGWM, Nr. 164. 21 CDAVO, F. 3676, Op. 1, D. 138, Bl. 609. 22 Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Personalakten, Dr. Graf zu Solms-Laubach, Bl. 2, Bl. 95a und Bl 122. 23 CDAVO, F. 3676, Op. 1, D. 138, Bl. 453. Die Gruppe wurde im Oktober 1941 beim Stab der Heeresgruppe Nord geschaffen, um die Position von Solms zu institutionalisieren.

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Abb. 1  Die Ansicht der Stadt Pskow mit dem Kreml und der Dreifaltigkeitskirche. Die Aufnahme stammt von Eugen Fink, einem Fotografen der deutschen Propagandakompanie.

des ­stillen Beschauens und der geistigen Erholung für die deutschen Soldaten und andererseits eine würdige und sachverständige Aufbewahrung alter europäischer Kunstwerke (…).“ 24 Bemerkenswert daran ist, dass Solms sich der Kulturgüter offensichtlich deutlich früher angenommen hatte, als er offiziell damit beauftragt worden war. Im Herbst 1941 war Solms damit beschäftigt, in den Zarenresidenzen rund um Leningrad Kunstwerke „sicherzustellen“. Ungewollte Berühmtheit erlangte er, weil er im Oktober 1941 den Abbau und Abtransport des berühmten Bernsteinzimmers aus dem Katharinenpalast in Puškin (Zarskoje Selo) organisierte.25 Im Spätherbst wurde Solms bei einem Autounfall schwer verletzt, sodass er bis zum März 1942 ausfiel.26 In Pskow kam es während seiner Abwesenheit zu einem schwunghaften Handel mit russischen Kulturgütern durch Mitarbeiter der Militärverwaltung. Dies hätte beinahe 24 Frankfurter Generalanzeiger, 15. 09. 1941. 25 Die Dokumente, die dies belegten, recherchierte und veröffentlichte in Westdeutschland als erstes der „Bernsteinzimmerforscher“ Georg Stein. Die knappen Hinweise finden sich in den Akten des Quartiermeisters im AOK der 18. Armee (BA – MA, RH 20 – 18/1203, Bl. 205 verso) sowie in einem Hinweis des 50. Armeekorps (BA – MA, RH 24 – 50/163, Bl. 8). 26 Bericht Georg von Krusenstjerns, CDAVO, F. 3676, Op. 1, D. 122, Bl. 125 – 157, hier Bl. 125; siehe außerdem Brief Harald Keller an seine Ehefrau.

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das Ende des militärischen Kunstschutzes bedeutet, da Mitarbeiter des ERR , die auf ihrer eigenen Zuständigkeit für die Kulturgüter des Gebiets beharrten, den Vorgang als Hebel zu ­nutzen suchten, um ihre Ansprüche gegenüber der Militärverwaltung durchzusetzen. Nur durch Solms’ Rückkehr im März 1942 wurde dies knapp, aber zugleich endgültig verhindert.27

4. Die Mitarbeiter*innen Erst nach seiner Rückkehr begann Solms mit dem systematischen Aufbau einer Arbeitsgruppe für den Kunstschutz. Vermutlich als einen der ersten Mitarbeiter holte er den aus dem Baltikum stammenden Maler und Restaurator Axel Sponholz (1894 – 1976) zu sich. Dieser war Dolmetscher beim Oberkommando der 18. Armee. Für Solms arbeitete er als Restaurator und Dolmetscher. Von einer Propagandakompanie wurde Eugen Fink (geb. 1914) abgestellt. Möglicherweise kannte Solms, der in Marburg studiert hatte, ihn von früher, denn Fink war im Zivilberuf Fotograf am Preußischen Forschungsinstitut für Kunstgeschichte in Marburg gewesen. Eugen Fink fotografierte die „sichergestellten“ Objekte. Rund 300 seiner Aufnahmen blieben erhalten; sie befinden sich heute im Bildarchiv Foto Marburg.28 Wie sie dorthin gelangten, lässt sich aus den Akten des Bildarchivs nicht nachvollziehen. Am wahrscheinlichsten ist die Annahme, dass Fink selbst sein Material mitbrachte, als er nach dem Krieg nach Marburg zurückkehrt und erneut am Institut Fuß zu fassen suchte. Außerdem waren eine Reihe von Kunsthistorikern bei der Arbeitsgruppe: Der Freiburger Helmut Perseke (1908 – 1944/45), der als Zivilist zuletzt im Kieler Thaulow-Museum angestellt gewesen war, soll schon beim Abbau und Abtransport des Bernsteinzimmers mitgewirkt haben. Denkbar ist dies, da er zu dieser Zeit im Verband der 18. Armee eingesetzt wurde, in deren Operationsgebiet sich die Stadt Puschkin befand. Nachweislich arbeitete er vom Frühjahr 1942 bis Anfang Mai 1943 in Pskow für Solms. Ihm folgte vom März 1943 bis März 1944 Christian Gündel (geb. 1903) nach, der im zivilen Leben Mitarbeiter des Breslauer Schlossmuseums war. Im Juli und August 1942 arbeitete Werner Körte (1905 – 1945) gut fünf Wochen lang in der Arbeitsgruppe mit. Der überzeugte Anhänger des Nationalsozialismus hatte sich in Freiburg habilitiert und lehrte Kunstgeschichte an der Universität Innsbruck. Gegen seinen Willen war er von seiner Artillerieeinheit in Peterhof nach Pskow abkommandiert worden. Solms hatte einen anderen Wunschkandidaten gehabt, nämlich Körtes Freund, den Münchener Kunsthistoriker Harald Keller (1903 – 1989), den Solms wiederum aus Frankfurt kannte. Keller, der ebenfalls in Peterhof stationiert war, hatte sich der Abordnung erfolgreich widersetzt. Der Grund für seinen Widerstand war die negative Erfahrung, die er bereits in der Praxis des militärischen Kunstschutzes gemacht hatte, nachdem ihn sein Divisionskommandeur mit dem Schutz der Kulturgüter in Peterhof beauftragt hatte. 27 CDAVO, F. 3676, Op. 1, D. 122, Bl. 93 und CDAVO, F. 3676, Op. 1, D. 127, Bl. 97. 28 Bildarchiv Foto Marburg, Fotokampagne Russland Eugen Fink 1943.

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Er warnte auch Werner Körte ausdrücklich, es sei ein „grässlicher Posten“, weil man den deutschen Offizieren Ikonen und Möbel abzunehmen habe.29 Auch russische Fachleute waren in der Arbeitsgruppe beschäftigt, so der Nowgoroder Archäologe und Ikonenspezialist Vasilij Ponomarev (1907 – 1978), die Künstlerinnen Nataľja (1880 – 1963) und Taťjana Gippius (1877 – 1957) und andere, deren Namen nicht überliefert sind. Insgesamt bestätigt der Überblick über das Personal die Vermutung, dass der militärische Kunstschutz der Heeresgruppe Nord ohne vorherige Planung durch das OKH und aufgrund der Gegebenheiten vor Ort entstand. Er war aus Fachleuten zusammengesetzt, die als Soldaten oder Offiziere mit ihren Einheiten im Gebiet stationiert waren. Solms, der seine Vorstellungen aufgrund seiner gesellschaftlichen Stellung, seines Alters, der fachlichen Kompetenz und der guten Beziehungen zu General von Küchler durchsetzen konnte, war dabei offenbar der Motor.

5. Die Aktivitäten In Pskow ließ Solms die „sichergestellten“ Objekte inventarisieren, fotografieren und bei Bedarf restaurieren. Die Restaurierungen ließ er teilweise fotografisch dokumentieren, im Sinne eines Vorher/Nachher. Einen Schwerpunkt setzte er mit der Neueinrichtung der Ausstellung im Pogankinhaus. Im Herbst 1942 dokumentierten mehrere Fotografen der Propagandakompanien die Arbeiten. Viele Fotografien zeigen die Ausstellungsräume, sodass eine gute Vorstellung von der Architektur, der Struktur der Ausstellung und den Objekten überliefert wurde. Insgesamt sieht es so aus, als hätte Solms in Pskow einen quasi friedensmäßigen Museumsbetrieb nach seinen gewohnten Standards und ohne nennenswerte Einmischungen durch Vorgesetzte organisiert. Eine letzte große Sicherungsaktion führte Solms nach einem schweren Artillerieangriff der sowjetischen Armee auf Nowgorod Anfang Juni 1942 durch. Innerhalb weniger Tage ließ er alle beweglichen Kunstwerke nach Pskow bringen. Die Fresken, Sarkophage und Grabsteine in der Sophienkathedrale wurden mit Backsteinmauern und Sandschüttung gesichert.30 Die bedeutendsten Nowgoroder Objekte integrierte er in die Pskower Ausstellung. Nowgorod aber wurde der Zerstörung preisgegeben.

29 Brief von Harald Keller an Werner Körte, 14. 06. 1942, Privatarchiv Arnold Körte. 30 Einen knappen Bericht über die Zerstörung und die anschließende Bergungsaktion verfasste Vasilij Ponomarev. CDAVO, F. 3676, Op. 1, D. 149, Bl. 539. Ausführlicher hielt Ponomarev beides in seinen privaten Notizen fest. Vasilij S. Ponomarev, Gibeľ Novgoroda, handschriftliches Manuskript, nicht foliiert. Archiv der Universitätsbibliothek Marburg. Das Manuskript liegt in publizierter Form vor: Nikolaj N. Grinev/V. S. Ponomarev, Sud’by monumentaľnych pamjatnikov Velikogo Novgoroda, in: Ežegodnik Novgorodskogo gosudarstvennogo ob’edinennogo muzeja-zapovednika 62 (2005), S. 228 – 253.

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Abb. 2  Das Kunstmuseum der Stadt Pskow im Pogankinhaus wurde kurz nach der deutschen Besetzung von Ernstotto Graf zu Solms-Laubach 1942 wiedereröffnet. Hier der Blick in die Ikonenausstellung.

Bis zur Bergung der Nowgoroder Kulturgüter hatte Solms’ Tätigkeit, abgesehen von der Wiedereröffnung des Pogankinhauses, im Wesentlichen darin bestanden, die aus deutscher Sicht bedeutsamsten Kulturgüter aus den Residenzen um Leningrad zu bergen und für den Abtransport nach Deutschland vorzubereiten. Erst im Sommer 1942 begann er sich systematisch mit den in Pskow zusammengetragenen Objekten zu befassen. Spätestens von d ­ iesem Zeitpunkt an fand im Pogankinhaus offenbar eine geregelte Museumsarbeit statt, die den Standards größerer Museen in Friedenszeiten entsprach: Die Objekte wurden inventarisiert, beschrieben, fotografisch dokumentiert, bei Bedarf restauriert und nach Möglichkeit ausgestellt. Die wichtigste Arbeit leistete aufgrund seiner profunden Kenntnisse der altrussischen Kunst Vasilij Ponomarev. Er legte eine Kartei der Nowgoroder und Pskower Ikonen an, in der er jeweils die K ­ irche vermerkte, aus der sie stammten, und sie selbst mit entsprechenden Kennzeichnungen versah. Zusammen mit der systematischen Fotodokumentation durch Eugen Fink ergibt sich das Bild einer ausgesprochen sorgfältigen und fortschrittlichen Museumsarbeit, wie sie auch zu Friedenszeiten kaum besser hätte sein können. Offenbar hatte Solms für seine Aufgabe große Gestaltungsspielräume. Die meisten der Objekte, die in Pskow zusammengetragen wurden, dürften dadurch vor dem Untergang bewahrt worden sein. Indem Solms sich mit seiner Arbeitsgruppe auf die Sicherung von Kunstwerken konzentrierte, überließ er zugleich andere Kulturgüter, vor allem Bibliotheken,

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aber auch Archive und wissenschaftliche Einrichtungen ihrem Schicksal beziehungsweise der Aneignung durch andere NS-Behörden.

6. Die Grenzen des Kunstschutzes Nach den Regeln der Haager Landkriegsordnung zum Schutz von Kulturgütern im Krieg sollten die Aufgaben eines militärischen Kunstschutzes nicht auf den Schutz und die Sicherung mobiler Kulturgüter begrenzt sein. Auch der Schutz und die Sicherung von künstlerisch oder kulturhistorisch wertvoller Architektur und von Kulturdenkmälern sollte durch die entsprechenden Einheiten einer Besatzungsmacht wahrgenommen werden. Dieser Verpflichtung kam die Arbeitsgruppe um Solms jedoch nur in den wenigsten Fällen nach. Vielfach bestand dazu – aufgrund der militärischen Lage – keine Möglichkeit, doch blieben nicht selten auch die bestehenden Möglichkeiten ungenutzt. Am Beispiel der sukzessiven Zerstörung Nowgorods wird dies besonders deutlich. Die Quellenlage ist in ­diesem Fall günstig, da mit Vasilij Ponomarev während der ganzen Zeit von der Einnahme der Stadt durch deutsche Truppen bis zur Evakuierung der Kultur­güter nach Pskow ein Fachmann vor Ort war, der die Kulturdenkmäler der Stadt und der Umgebung gut kannte und den Verlauf der Zerstörung eigeninitiativ dokumentierte. Nach seinem Bericht waren die Architekturdenkmäler im Wesentlichen noch intakt, als die Deutschen die Stadt einnahmen. Wirklich fatal sollte sich aus Ponomarevs Sicht erst der folgende lange Stellungskrieg auswirken. Die Front kam hier im Winter 1941/42 praktisch zum Stillstand, für die nächsten zwei Jahre lagen sich deutsche und sowjetische Einheiten am Wolchow gegenüber. Nowgorod wurde nun von der Roten Armee beschossen. Obwohl dieser Beschuss nicht einmal besonders intensiv war, führte die Nähe zur Front zur Zerstörung oder schwersten Beschädigung zahlreicher Baudenkmäler.31 Das erste Opfer war die Johanneskirche, deren Kuppel Anfang September von einem oder mehreren Geschossen durchschlagen wurde. In dem davon verursachten Feuer verbrannte ein großer Teil der zurückgebliebenen Sammlungen. Ponomarev berichtete von zehntausenden Objekten, darunter rund 3000 Ikonen sowie die gesamte Sammlung seines Großvaters Vasilij ­Peredolskij, die in den 1930er Jahren von den sowjetischen Behörden beschlagnahmt und in die Nowgoroder Sammlungen mit der Begründung eingefügt worden war, dort ­seien die musealen Objekte besser geschützt.32 Auch die Kathedrale der Erscheinung der Gottesmutter geriet durch einen Artillerietreffer in Brand. Das Feuer zerstörte ihre Ikonostasis aus dem 18. Jahrhundert. Ihre Wandmalereien blieben, abgesehen von der zerstörten Kuppel und den Apsiden, glücklicherweise zunächst weitgehend unversehrt. So oder ähnlich erging es vielen ­Kirchen im Stadtkern zu Beginn der Besatzung. Soweit er sie in Augenschein ­nehmen 31 Ebd., S. 240. 32 Ebd.

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Abb. 3  Nowgorod, die ­Kirche der Gottesmutter des Zeichens mit Kriegszerstörungen im Jahr 1942.

konnte, beschrieb Ponomarev alle Schäden.33 Die am stärksten betroffenen K ­ irchen östlich der alten Stadt waren allerdings für ihn unerreichbar. Die K ­ irchen in den Dörfern östlich des Flusses wurden auch in der Folge weiter beschädigt, in einigen Fällen, wie bei der ­Kirche des Erlösers von Neredica oder der Mariä-Entschlafenskirche in Volotovo, blieben schließlich buchstäblich nur Trümmer übrig. Die Erlöserkirche wurde bereits im Oktober 1941 zerstört, die Mariä-Entschlafenskirche fiel im Verlauf des zweieinhalbjährigen Kampfes nach und nach in Trümmer. Die Beschreibungen Ponomarevs decken sich im Wesentlichen mit den Schilderungen der deutschen Beobachter, die im Herbst und Winter 1941/42 in die Stadt kamen, um den Zustand der Architekturdenkmäler und vor allem den Bestand an beweglichen Kulturgütern zu begutachten; teilweise beruhten ihre Berichte vermutlich auf seinen Informationen. Im Frühjahr 1942 verfasste ein Mitarbeiter des ERR , der Kunsthistoriker Dietrich ­Roskamp (1907 – 1967), einen Bericht über den Zustand Nowgorods, der ein Bild davon vermittelt, wie die Kulturgüter und Architekturdenkmäler den Winter überstanden hatten. Es stellte sich heraus, dass kein einziges Gebäude unbeschädigt war. Eine große Bedrohung stellten die vielen Schäden am Mauerwerk und den Kirchendächern sowie die offenen Fenster dar. In allen ­Kirchen lag Schnee, sodass die Kunstwerke bei Beginn der ­Schneeschmelze durch 33 Ebd., S. 241.

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die Feuchtigkeit extrem gefährdet waren. Roskamp gab an, die größten Schäden ­seien von den spanischen Soldaten angerichtet worden, die selbst verschlossene ­Kirchen aufgebrochen und geplündert, Ikonen und Kruzifixe gestohlen, aus Altartüchern und Messgewändern die Stickereien herausgeschnitten, Porzellan zerschlagen, Gräber aufgebrochen und durchwühlt hätten. Zum Teil hätte sie Ikonen gar als Heizmaterial genutzt. Der Bericht basiert einmal mehr auf den Mitteilungen Ponomarevs, andere Informanten gab es in Nowgorod zu ­diesem Zeitpunkt nicht mehr.34 Roskamp erneuerte offenbar im Rahmen seiner Inspektion Ponomarevs Auftrag, Maßnahmen zum Schutz der Kulturgüter einzuleiten. Ponomarev bekam sechs Kriegsgefangene als Hilfskräfte gestellt und begann am 11. März mit der Arbeit:35 Vor allem wurden die beschädigten Dächer, Wände und Fenster aller zugänglichen ­Kirchen und Klöster mit Brettern und Dachpappe verschlossen und die Kirchenräume von Schnee und Schutt befreit sowie Verbotsschilder auf Deutsch und Spanisch aufgestellt. Weitere Schutz- und Restaurierungsmaßnahmen konnte er aber offenbar aus Mangel an Baumaterial und Unterstützung nicht umsetzen.36 Mit dem Abtransport der beweglichen Kulturgüter sowie der Evakuierung der letzten russischen Fachleute aus Nowgorod war von Juni 1942 an keine Durchführung weiterer Rettungsmaßnahmen mehr möglich.

7. Transporte nach Westen Im Spätherbst 1943 ließ Solms die in Pskow versammelten Kunstschätze nach Westen bringen. Zunächst ging es nach Riga. Dort übergab Solms den größeren Teil der Ikonen aus dem Bestand an Mitarbeiter des ERR, die sie nach Ansbach in Franken transportierten und dort auf der Burg Colmberg deponierten. Nach Kriegsende fanden amerikanische Truppen die Objekte, brachten sie in den Central Collecting Point nach München und gaben sie ­zwischen 1946 und 1947 an die Sowjetunion zurück. Die wertvollsten Ikonen und zahlreiche Objekte aus den Zarenschlössern behielt Solms in Riga. Dort stellte er sie im Frühsommer 1944 im Gebäude der Lettischen Nationalgalerie nochmals aus. Ein weiterer Teil der Objekte gelangte schließlich nach Breslau, wo sie im Rahmen der Ausstellung „Pflug und Schwert in Russlands Norden“ gezeigt wurden. Die meisten dieser Objekte sind ebenfalls in die Sowjetunion zurückgekehrt, ohne dass wir ihren Weg genau verfolgen könnten.

34 Das bezeugen bei deutschen Kriegsgefangenen gefundene Museumsgegenstände sowie Objekte, die nach dem Krieg aus Deutschland zurückgegeben wurden. 35 Bericht Ponomarevs über Maßnahmen, die zum Schutz der Kunst- und Altertumsdenkmäler in Nowgorod getroffen wurden. CDAVO, F. 3676, Op. 1, D. 149, L. 539. 36 CDAVO, f. 3676, Op. 1, B. 149, L. 538 – 541.

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Solms verließ Riga für die Ausstellungsvorbereitungen in Breslau. Im letzten Kriegsjahr sorgte er im Auftrag des „Chefs der Heeresmuseen“ dafür, dass (deutsche) Kulturgüter aus dem Baltikum, aus Ostpreußen und aus Schlesien evakuiert wurden. Die Akten der Arbeitsgruppe wurden nach Werro in Estland gebracht, wo das Oberkommando der Heeresgruppe Standort bezogen hatte. Werner Körte nahm die Akten dort entgegen und verfasste einen – beschönigenden – Abschlussbericht. Leider hat er nicht dafür gesorgt, dass die Akten erhalten blieben.

8. Die Bilanz Am Ende sind die Pskower Objekte größtenteils wieder in die Sowjetunion zurückgekehrt. Nur bei einzelnen verlor sich die Spur, und wir wissen teilweise nur durch die Fotografien der Arbeitsgruppe von ihrer Existenz. Man könnte also eine positive Bilanz der Tätigkeit des militärischen Kunstschutzes der Heeresgruppe Nord ziehen. Den Blick allein auf die Rückkehr der abtransportierten Objekte zu richten würde jedoch wesentliche Aspekte außer Acht lassen: Die Kunstwerke wurden nicht gesichert, um sie für die Sowjetunion zu bewahren. Man behielt sie vor Ort, solange das Kriegsglück auf deutscher Seite war. Ebenso konsequent erfolgte aber am Ende der Abtransport. Schwerer noch wiegt die Zerstörung der immobilen Kulturgüter des Gebiets, die hier nur am Beispiel Nowgorods geschildert wurde, aber im gesamten Bereich der Hbeeresgruppe Nord vergleichbar schwerwiegend war. Für ihren Schutz hätte der militärische Kunstschutz ebenfalls Sorge tragen müssen. Kein einziges Kulturdenkmal im Gebiet der Heeresgruppe Nord blieb unbeschädigt, viele wurden zerstört, von einigen blieben buchstäblich nur Trümmer. Es hätte wohl kaum in der Macht der Kunstschützer gestanden, dies zu verhindern. Zu viele Kulturdenkmäler befanden sich zeitweise so ­zwischen den Fronten, dass die Kriegsgegner ihnen von beiden Seiten Schäden zufügten. Das Beispiel Nowgorod zeigt jedoch, dass Solms, sei es aus der pragmatischen Einsicht in die Ohnmacht des militärischen Kunstschutzes, sei es aus schlichtem Desinteresse, dies nicht einmal als seine vorrangige Aufgabe ansah. Letztlich wird in dieser Bilanz ein grundsätzliches Versagen beim Schutz von Kulturgütern im Krieg sichtbar. Die Bilder der Zerstörung führen die Rücksichtslosigkeit des Vernichtungskrieges und die tiefe Verachtung für den Gegner einmal mehr vor Augen.

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Kunstschutz und SS-Ahnenerbe: eine Beziehung von Relevanz? Raik Stolzenberg

Dieser Artikel untersucht, wie sich das Verhältnis z­ wischen dem SS-Ahnenerbe, dem Deutschen Archäologischen Institut (DAI) sowie dem Kunstschutz während des Zweiten Weltkrieges darstellte und veränderte. Das Ausgrabungswesen der SS, hier sehr verkürzt als SSAhnenerbe bezeichnet, entstand seit 1934 aus der Abteilung Ausgrabungen des Rasse- und Siedlungshauptamtes.1 Der Text ist auch eine Weiterführung einer längst bestehenden Forschungsdiskussion zur Kooperation und Konkurrenz von SS-Archäologie und DAI auf der Basis neuerer Biografieforschung und eigener Quellenfunde, die zu führen sich als notwendiger Zwischenschritt erwies, um die Aktivitäten des Kunstschutzes in Griechenland überhaupt sinnvoll einordnen zu können, wie es in meiner Dissertation geschehen soll.2 Denn zunächst muss gezeigt werden, wie sich insgesamt die Beziehungen z­ wischen DAI und SS-Ahnenerbe seit Mitte der dreißiger Jahre entwickelten, und w ­ elche Indizien speziell in Griechenland bis zum deutschen Kriegsbeginn vorliegen. Eine erste These dieser Arbeit ist, dass das DAI die Ausgrabungsorganisation des SS -Ahnenerbes im Deutschen Reich mit ermöglichte und in Griechenland bis 1939 kein wesentliches DAI-Projekt mehr vom SS -Ahnenerbe unberührt blieb. Durch diese Verknüpfung war es allerdings nicht länger gewiss, dass das DAI stets die Führungskompetenz bei der Forschungsarbeit behielt. Daher wird hier ebenfalls nach den Konstellationen z­ wischen SS-Ahnenerbe und DAI während des deutschen Eroberungskrieges, speziell im archäologischen „Referat Kunstschutz“ in Griechenland, gefragt. Kurz nach Beginn der Kriegshandlungen an der Westfront wurde der Kunsthistoriker Franziskus Graf Wolff Metternich (1893 – 1978) zum Leiter des Kunstschutzes durch die 1 Siehe zur Frühgeschichte des SS -Ausgrabungswesen: Achim Leube, Deutsche Prähistoriker im besetzten Westeuropa 1940 – 1945. Das „Ahnenerbe“ der SS in Westeuropa, in: Jean-Pierre Legendre u. a. (Hg.), L’archéologie nationale-socialiste dans les pays occupés à l’Ouest du Reich. Actes de la Table Ronde Internationale „Blut und Boden“ dans le cadre du Xe congrès de la European Association of Archaeologists (EAA), les 8 et 9 septembre 2004, Paris 2007, S. 93 – 119, bes. S. 93 – 100, hier S. 96; Dirk Mahsarski, Die Förderung der Prähistorischen Archäologie durch die SS von 1933 bis 1945, in: Susanne Grunwald u. a. (Hg.), Die Spur des Geldes in der prähistorischen Archäologie. Mäzene – Förderer – Förderstrukturen, Bielefeld 2016, S. 87 – 119. 2 Die Dissertation „Zum Kunstschutz der deutschen Wehrmacht im besetzten Griechenland (1941 – 1944)“ soll 2020 an der Universität Trier im Fachbereich Neuere Geschichte (Prof. Dr. C ­ hristian Jansen) eingereicht werden.

Wehrmacht berufen mit der Aufgabe, die Bergung und Sicherung kulturell wertvoller Güter in den besetzten Gebieten zu organisieren. Auch in Griechenland wurde z­ wischen Frühjahr 1941 und Herbst 1944 ein archäologischer Kunstschutz tätig. Seine maximal fünf Mitglieder waren in den dreißiger Jahren als Mitarbeiter des DAI bereits in Griechenland gewesen. Nun kehrten sie in der Uniform der Besatzer zurück. Das dominante Thema des Kunstschutzes war nicht der Schutz der griechischen Ruinenplätze oder beweglichen Antiken, diesen hatten die Griechen zum großen Teil selbst besorgt. Es war jedoch auch nicht etwa deren illegale Verbringung in das Deutsche Reich, wie dies teilweise die Einsatzstäbe Reichsleiter Rosenberg (ERR ) vollzogen.3 Die umfangreichste Unternehmung des Kunstschutzes in Griechenland, dessen inhaltlichen Aufgaben ab Herbst 1941 wesentlich das DAI definierte, aber Wolff Metternich mittrug, wurde die Erstellung von eigenen geheimen Luftbildern Griechenlands. Die Unternehmung begann und endete mit der Beschlagnahme von Luftbildern des griechischen Verkehrsministeriums.4 Diese Luft- oder genauer Flugbildaufnahmen sollten wesentliche Grundlage für topografische Forschungen und künftige Ausgrabungstätigkeit werden, sind aber auch schon während des Krieges in der Kopaisebene (Böotien) für den ERR „Griechische Altertumskunde“ (Juli 1941) und auf Kreta für das DAI (Sommer 1942) genutzt worden. Martin Schede (1883 – 1947), der z­ wischen 1937 und 1947 Präsident des DAI war, erwähnte das generelle Ziel der deutschen Archäologie nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Griechenland am 6. April 1941 gegenüber dem Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM) Anfang Mai 1941 in einem Nebensatz: (…) nach Lage der Dinge wird 3 So auch für das griechische Kulturministerium Eleni Pipelia, The Looted Antiquities During World War II . Case Studies of Return and Restitutions, Athen 2014, S. 1 – 8, hier S. 3. Dennoch war der Kunstschutz selbstverständlich in den deutschen Besatzungszonen Griechenlands für den illegalen Kunsthandel, Beraubungen griechischer Sammlungen und wilde Grabungen indirekt mitverantwortlich und kontrollierte den legalen Kunsthandel. Auf die Verwicklung des Kunstschutzes und des DAI in einige konkrete Fälle wird meine Dissertation eingehen. Als wichtige Arbeiten zum Gesamtthema, leider nur auf Griechisch vorliegend, s­eien zumindest erwähnt: Vasileos Petrakos, Τα αρχαια της Ελλαδος κατο τον πολεμο 1940 – 1944, Athen 1994; Ders.: Πρόχειρον Ἀρχαιολογικόν 1828 – 2012. Μέρος Ι, Χρονογρα w ικό (Βιβλιοθήκη τῆς ἐν Ἀθήναις Ἀρχαιολογικῆς Ἑταιρείας 283), Athen 2013. 4 Deutsches Archäologisches Institut Athen (künftig DAI Athen), Ordner 44, Aktenvermerk des Leiters des Referates Kunstschutz, Hans von Schönebeck, 12. 06. 1941, Schreiben von Wilhelm Kraiker an Luftgaukommando Südost, 05.01. 1942, Betr. Luftbildmaterial beim Griech. Verkehrsministerium in Athen mit einer Liste zu erstellender Duplikat-Negative, Wilhelm Kraiker 06. 04. 1943: Für eine Nachlese in der griechischen Luftbildstelle wird Feldwebel zwecks Aufnahme der Zusammenarbeit gesendet. Die griechischen Bilder wurden ins Deutsche Reich versandt. So zum Beispiel am 19. Dezember 1943 dem Deutschen Archäologischen Institut in Wien (…) eine Dubletten-Serie griechischer Luftbildaufnahmen Kraiker an Zweigstelle Wien, 30. Dezember 1943, Luftbild Kunstschutz Wien, Teilnachlass Praschniker im Nachlass Otto Walter, Archiv des Österreichischen Archäologischen Institutes, Mappe 326/43.

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es nach dem Kriege, wenn er so endet, wie wir hoffen, in Griechenland (…) nur eine deutsche Archäologie von Bedeutung geben.5 Mit der Flugbildaktion ging es um nicht weniger als die komplette archäologische Inbesitznahme des Landes. Schede dachte dabei natürlich an die Führerschaft des DAI. Das Flugbildunternehmen des Kunstschutzes in Griechenland leitete jedoch ab Oktober 1941 der Altertumswissenschaftler und historische Geograf Ernst Kirsten – der spätestens seit 1939 auch für das SS -Ahnenerbe tätig war.6 Die personelle Vermischung der beiden Institutionen war also schon zu Kriegsbeginn gegeben. Die Darstellung der Situation des DAI zum Beginn des Nationalsozialismus, aus der die Kooperation mit dem Ahnenerbe erwuchs, ist nicht von der Bedeutung des Flugbildes für die Archäologie zu trennen. Daher soll – im Bewusstsein um die komplizierte Materie und die vielen Details – in einem ersten Schritt dargelegt werden, wie sich das DAI zu Beginn der NS-Zeit aufstellte. In einem zweiten Schritt widmet sich der Artikel der Bedeutung der Luftbildaufnahmen für die Archäologie und der weiteren Ausbreitung des Ahnenerbes in den DAI Abteilungen. Anschließend wird der Fokus auf die Beziehungen ­zwischen DAI und Ahnenerbe, vor allem in Griechenland, vor Beginn des Krieges gelegt. Der vierte Punkt „Archäologischer Kunstschutz z­ wischen DAI und SS-Ahnenerbe“ zeichnet die Kompetenzstreitigkeiten, Kooperationen und Annäherungen der beiden Akteure nach. Abschließend wirft der Artikel ein Schlaglicht auf das Ende des Kunstschutzes in Italien und die heutige Nutzung der Luftbilder.

1. DAI-Präsident Theodor Wiegand (1854 – 1936), das Flugbild und die Gründung des SS-Ahnenerbes Wenn man versucht, Kunstschutz und Ahnenerbe im Zweiten Weltkrieg zusammen zu denken, erschließt sich das Thema nur durch die Vorgeschichte. Beide Institutionen, archäologischer Kunstschutz und Ausgrabungsabteilung des Ahnenerbes, hatten einen gemeinsamen Ausgangspunkt: das Archäologische Institut des Deutschen Reiches und den archäologischen Kunstschutz im E ­ rsten Weltkrieg mit Theodor Wiegands Luftbildern aus dem Osmanischen Reich,7 die überzeitlich in Krieg und Frieden als beispielhaft gelten sollten. Erst 1948 (!) 5 Schede an REM, 09. 05. 1941, BA R 4901/14065, Ausgrabungen in Olympia, Bl. 24 f. Es ging Schede in ­diesem Kontext eigentlich um die Abwehr potenzieller Ansprüche der italienischen Besatzungsmacht. Die Griechen waren ihm keine Erwähnung wert. 6 Carl Weickert an Friedrich Matz, 29. 08. 1947, Ordner 18 – 41 – 3, DAI Berlin, Archiv der Zentrale (AdZ). Weickert (1885 – 1975), während des Krieges Direktor der Antikenabteilung der Berliner Museen, wurde der kommissarische Präsident des DAI nach dem Krieg. Friedrich Matz (1890 – 1974) hatte die nicht von den griechischen Behörden genehmigten Kreta-Ausgrabungen offiziell für das DAI geleitet. 7 Theodor Wiegand, Sinai. Wissenschaftliche Veröffentlichungen des Deutsch-Türkischen Denkmalschutzkommandos, Berlin/Leipzig 1920 – 1924, Bd. 1, 1920. Hier sind lediglich acht Tafeln mit 16 Luftbildern beigegeben.

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erschien eine Rezension, die bereits 1942 verfasst worden war, auf eine 1944 veröffentlichte Wiegand-Biografie, in der es hieß: „Eines der interessantesten Kapitel ist Wiegands archäologische Tätigkeit in der Türkei während des ersten Weltkrieges (…). Welche Ausnutzung jeder Möglichkeit zu neuen Entdeckungen und zum Schutz der Denkmäler! Wiegand hat hier zum ersten Male Luftaufnahmen in den Dienst der archäologischen Forschung gestellt.“ 8

Der Archäologe und Museumsmann Theodor Wiegand wurde 1932 mit der Aussicht in das Amt des Präsidenten des DAI gewählt,9 dass die Nationalsozialisten an der nächsten Regierung zumindest beteiligt werden. Die zumeist deutschnational orientierten, arrivierten Mitglieder der Zentraldirektion des DAI in Berlin (ZD) hatten zunächst kaum Zugänge zu den nationalsozialistischen Aufsteigern; im Sommer 1932 wollte man Kontakt zum „Nationalsozialistischen Kulturreferenten“ aufnehmen, allerdings ohne einen solchen benennen zu können.10 Dies zu ändern oblag vor allem Theodor Wiegand, da er als voll orientierter Mann von der DAI-ZD eingeschätzt wurde.11 Zunächst ging es 1932 aber vor allem um die Abwehr von Angriffen des Prähistorikers Hans Reinerth (1900 – 1990), der ein alter Konkurrent des Institutes war und mittels des Kampfbundes für Deutsche Kultur (dessen Präsident der NS-Ideologe Alfred Rosenberg war) nun gegen das DAI agitierte,12 um dessen zentrale 8 Die Rezension des ehemaligen DAI-Präsidenten Ernst Rodenwaldt (1886 – 1945) galt der Biografie seines Nachfolgers Wiegand im Amt: Carl Watzinger, Theodor Wiegand. Ein deutscher Archäologe 1864 – 1936. Berlin 1944. Die Rezension hatte er bereits 1942 verfasst, in: Deutsche Literaturzeitung 69 (1948), S. 340 f. Zu ­diesem Zeitpunkt diente sie kaum der Verkaufsförderung des Buches als vielmehr der Selbstbestätigung der Kunstschützer im Zweiten Weltkrieg. Generell zur internationalen Entwicklung der Luftbildarchäologie siehe den Überblicksartikel Stefan Altekamp, Luftbildarchäologie, in: Hubert Cancik/Helmuth Schneider/Manfred Landfester (Hg.), Der Neue Pauly, Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte Bd. 15/1, Stuttgart 2001, S. 231 – 234. 9 Wiegands Wahl stand bereits im Sommer 1932 fest. Ernannt wurde er aber erst mit Wirkung vom 29. Oktober rückwirkend zum 1. Oktober 1932 als kommissarischer Präsident. Zentrale an Institut Athen, 07. 11. 1932, Ordner 36, DAI Athen. Zu Wiegand als Ausgräber siehe Stefan Altekamp, Theodor Wiegand und die Grabungsarchäologie, in: Gunnar Brands/Martin Maischberger (Hg.), Lebensbilder. Klassische Archäologen und der Nationalsozialismus. Bd. 2, Rahden 2016, S. 29 – 37. 10 Deutsches Archäologisches Institut Berlin, Archiv der Zentrale (künftig: DAI Berlin, AdZ), Protokoll der Ordentlichen Sitzung vom 08. und 09. 07. 1932, S. 14, Ordner 11 – 03 (Sitzungen, Protokolle ZD 1926 – 1941). 11 Ebd., Protokoll der Außerordentliche Gesamtsitzung 27. 08. 1932, Abschrift. 12 Gunter Schöbel, Die Einflussnahme des „Amtes Rosenberg“ auf die Rheinprovinz, in: Jürgen Kunow/ Thomas Otten/Jan Bemmann (Hg.), Archäologie und Bodendenkmalpflege in der Rheinprovinz 1920 – 1945. Tagung Forum Vogelsang, Schleiden, 14. – 16. Mai 2012, Treis-Karden 2013, S. 47 – 66, hier S. 45 u. Anm. 60, S. 64. Der Aufsatz spiegelt auch die Auseinandersetzungen z­ wischen Wiegand und Reinerth generell.

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Machtposition in der deutschen Archäologie zu erschüttern und Ressourcen in seinem Sinne umzulenken. Nach der NS-Machtübernahme 1933 galt es zudem die Übernahme des Institutes durch Goebbels’ Propagandaministerium zu verhindern, was man auch in der NS-Zeit als Verdienst sehen konnte,13 obwohl die DAI-Leitung z. B. gerade im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen mit Goebbels und dessen Ministerium sofort eng kooperieren sollte. Einerseits gehörte das DAI traditionell zum Auswärtigen Amt, das die NS-Regierung nun sofort schwächen wollte. Andererseits berührte die Frage, welchem Ministerium das DAI zugeschlagen werden sollte, aber auch traditionell preußische Belange der Museumsund Finanzpolitik und wurde so Teil eines größeren Machtkampfes. Die Karenzzeit des unklaren Ministerienwechsels nutzte Wiegand unter anderem im September 1933, um sich zum preußischen Staatsrat in Herrmann Görings preußischem Pseudokabinett ernennen zu lassen.14 Das DAI wurde am 1. April 1934 zunächst zum Innenministerium und mit der Gründung des Reichserziehungsministeriums am 1. Mai 1934 ­diesem überstellt.15 Göring war am 11. März 1933 Ministerpräsident Preußens geworden. Praktisch bedeutsam war für den Staatsrat Wiegand vor allem der Einblick in die unterschiedlichsten Ressorts und damit in die Entscheidungen und Perspektiven, ­welche auch die Machtverschiebungen im NS-Regime anzeigen konnten. Aus nächster Nähe verfolgte er so sein altes Feld der Preußischen Museumspolitik, in dem sich staatliche und preußische Kulturpolitik, Innen- und Außenpolitik sowie Finanzpolitik stark vermischten. Hierbei arbeiteten die traditionellen Eliten und Partner des DAI, wie der Chef der Notgemeinschaft Friedrich Schmidt-Ott (1860 – 1956) und der preußische Finanzminister Johannes Popitz (1884 – 1945), intensiv mit den neuen Machthabern bzw. deren jungen nationalsozialistischen Ministerialbeamten, wie dem Ministerialdirektor im Erziehungs-, s­päter im Innenministerium, Wilhelm Stuckart (1902 – 1953), zusammen. Es war ein gemeinsames Ziel dieser Beteiligten, generell die Übertragung der preußischen Bildungs- und Wissenschaftsetats an das Propagandaministerium zu verhindern.16 13 Siehe den Brief von Rodenwaldt an Watzinger, 03. 05. 1942, in: Klaus Junker, Das Archäologische Institut des Deutschen Reiches ­zwischen Forschung und Politik. Die Jahre 1929 bis 1945, Mainz 1997, S. 92 ff., hier S. 93. 14 Die Institution des Staatsrates war eine Idee des preußischen Finanzministers Popitz. Göring wollte anstelle des aufgelösten preußischen Parlaments ein beratenes Oberhaus aus Gauleitern der NSDAP, Kultur-Prominenten, Vertretern der Wirtschaft und Arbeiterschaft aufbauen, die ihn quasi in die Rolle eines preußischen Monarchen beraten sollten. Sie tagten im Berliner Schloss. Siehe Dirk Blasius, Carl Schmitt. Preußischer Staatsrat in Hitlers Reich, Göttingen 2001, S. 86 – 88. 15 Marie Vigener, „Ein wichtiger kulturpolitischer Faktor“. Das Deutsche Archäologische Institut ­zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit, 1918 – 1954 (Menschen – Kulturen – Traditionen. Studien aus den Forschungsclustern des Deutschen Archäologischen Instituts. ForschungsCluster 5.7), Rahden 2012, S. 66. 16 Nach Nagel versuchte J. Popitz dies „mit allen Mitteln“. Siehe Anne C. Nagel, Hitlers Bildungs­ reformer. Das Reichserziehungsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 1934 – 1945, Frankfurt a. M. 2012, S. 100.

Kunstschutz und SS-Ahnenerbe: eine Beziehung von Relevanz?   I  313

In dieser Situation kam es Wiegand gelegen, dass der Archäologe Alexander Langsdorff (1892 – 1946)17 im Herbst 1933 nach Berlin zurückkehrte. Langsdorff hatte im Februar 1933 die Planung der systematischen Befliegung des Ausgrabungsgebietes im iranischen Persepolis miterlebt, eine Erfahrung, die auch für das DAI von großem Interesse war.18 Dort schienen ursprünglich auch für Langsdorffs prähistorische Arbeit die technischen Voraussetzungen gegeben, die nach den Beschränkungen für die deutsche militärische und zivile Luftfahrt infolge des Versailler Vertrages in Deutschland kaum möglich waren. Die Perspektive sollte sich mit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten ändern: Der preußische Ministerpräsident Göring war am 30. Januar 1933 auch Hitlers Reichskommissar für den Luftverkehr geworden. Die unmittelbaren Prioritäten für die Zusammenarbeit mit Langsdorff beschrieb ­Wiegand seinem Kunstschutzkollegen im ­Ersten Weltkrieg, Nachfolger als Direktor der DAI -Dependance in Istanbul und Nachfolger als Institutspräsident in spe, Martin Schede, nach längerer Vorlaufzeit erst am 28. Dezember 1933 – allerdings noch ohne Erwähnung der Luftfahrt:

17 Alexander Langsdorff, Klassischer Archäologe. Wissenschaftliche Karriere: Studium 1922/23 u. 1925/26 in Marburg bei Paul Jacobsthal, 1923 – 1925 in München bei Paul Reinecke, nach dem Studium wiss. Hilfsarbeiter in den Berliner Museen, April 1927–März 1928 Tätigkeit Museum Kassel für die vorgeschichtliche Sammlung, 1928 Ausgrabungen in Rumänien, Juni 1929 Dissertation bei Jacobsthal, anschließend DAI-Stipendium, 1929 – 1933 Reisen und Ausgrabungstätigkeit in Frankreich, Italien, Griechenland, Türkei, Ägypten und Iran. Januar 1934 Kustos am Museum für Vor- und Frühgeschichte, ab Sommer 1934 Leiter des Außenamtes der Staatlichen Museen Berlin, Verbeamtung seitens Reichserziehungsministerium; NSDAP -Karriere: 08./09. November 1923 Teilnahme am Hitler-Ludendorff-Putschversuch, Juni 1933 NSDAP, Oktober 1933 2. Sturm SS-Reiterstandarte 7 Berlin, 30. Juni 1934 mit der Reiterstandarte beteiligt an Niederschlagung des sogenannten RöhmPutsches, Sommer 1934 Kulturreferent Himmlers im Rasse- und Siedlungshauptamt, seit Juni 1935 Leiter der Abteilung Ausgrabung des SS-Ahnenerbes, 1. September 1936 bis 31. August 1938 für Dienststelle Ribbentrop tätig als Südostbeauftragter, parallel tätig für Himmler in Italien, Frühjahr 1938 Übergabe des Leitung der Ausgrabungsabteilung des Ahnenerbes an Hans Schleif, September 1938 bis November 1943 Übernahme als Persönlicher Assistent des Reichsinnenministers Wilhelm Frick (diverse Unterbrechungen für Kriegsdienst in Norwegen, Frankreich, Finnland), Februar 1944 bis April 1945 Leiter des Kunstschutzes in Italien. Zu Langsdorff siehe auch: Jean-Pierre Legendre, Alexander Langsdorff (1898 – 1946). De l’étude des œnochoés étrusques aux plus hautes sphères du Troisième Reich, in: Marie-Laurence Haack/Miller Martin (Hg.), Les Etrusques au temps du fascisme et du nazisme (Scripta Receptoria 7), Pessac 2016, S. 117 – 142. Für die Nutzung des Tagebuchs von Alexander Langsdorff (ab Herbst 1937) danke ich seiner Tochter Mareile Langsdorff und Dr. Dietrich Raue, Kustos des Ägyptischen Museums der Universität Leipzig, in dem sich die Abschriften befinden. 18 Langsdorff berichtete dem Leipziger Professor Georg Steindorff am 01. Februar 1933 aus Persepolis, dass Photografen und Piloten erwartet werden, siehe Langsdorff an Steindorff, 01. 02. 1933.: http:// arachne.uni-koeln.de/books/archive/Langsdorff19330201 (Stand: 26. 07. 2020).

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Vertraulich! Persönlich! Langsdorff, der mit einem großen Zerwürfnis mit Herzfeld 19 nach Berlin zurückgekommen ist, tritt am 1. Januar als Kustos bei der von Unverzagt geleiteten vor = & frühgeschichtlichen Abteilung unserer Museen ein.20 Ich habe ihn gefördert wo immer ich nur konnte und ich glaube, dass er mir dafür dankbar ist. Dies hat er mir auch schon bewiesen, indem er wiederholt Entstellungen und Verdrehungen, wie Sie in die Partei gekommen waren, in unserem Sinne richtig gestellt hat. Langsdorff hat s. Z. zu den Mitkämpfern an der Münchner Feldherrenhalle gehört und hat eine sehr geachtete Stellung bei der Partei: Ich halte ihn für vornehm denkend und wir arbeiten gut zusammen gegen gemeinsame Gegner. (…).21

Mit der Positionierung Langsdorffs in den Berliner Museen 1934, zunächst als Kustos für Frühgeschichte und bald als Pressereferent der Berliner Museen, baute Wiegand seinen eigenen „nationalsozialistischen Referenten“ auf. Langsdorffs sofortige Nähe zu Wilhelm Stuckart 22 19 Ernst Emil Herzfeld (1879 – 1948), Berliner Professor für Historische Geografie. Die Grabung im Südwesten Irans ging auf Herzfeldes ersten Besuch 1905 und seine Expedition in Persien, Irak und Afghanistan vom Februar 1923 bis Oktober 1925 zurück, die wie auch 1928 anteilig von der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft und dem Großindustriellen Stinnes finanziert wurde. Die eigentlichen Ausgrabungen wurden ab März 1931 vom Oriental-Institute der Universität Chicago finanziert. Herzfeld beendete damit „das seit 1895 bestehende französische Monopol“ in Persien. Zit. nach: Stefan R. Hauser, Deutsche Forschungen im Alten Orient und ihre Beziehungen zu politischen und ökonomischen Interessen vom Kaiserreich bis zum Zweiten Weltkrieg, in: Wolfgang G. Schwanitz (Hg.), Deutschland und der Mittlere Osten, Leipzig 2004, S. 46 – 65, hier S. 53. Die Grabung wurde vom DAI noch 1932 als „rein deutsch“ bewertet, da nur deutsche Mitarbeiter hier tätig wurden. 1935 wurde Herzfeld als „Nichtarier“ von der Berliner Universität entfernt. Zur Biografie von Herzfeld siehe Utz Maas, Verfolgung und Auswanderung deutschsprachiger Sprachforscher 1933 – 1945. Der Beitrag zu Ernst Herzfeld ist auf der Internetseite von Maas abrufbar: http://zflprojekte.de/­sprachforscherim-exil/index.php/catalog/h/252-herzfeld-ernst-emil/ (Stand: 26. 07. 2020). 20 Wilhelm Unverzagt (1892 – 1971) promovierte bei dem Wiegand-Biografen Watzinger, während des ­Ersten Weltkrieges 1917 Hilfsreferent für Bodendenkmalpflege beim Verwaltungschef Flandern in Brüssel, 1917 unternahm er in Nordfrankreich Ausgrabungen. 1919 – 1924 im diplomatischen Dienst, 1925 wissenschaftlicher Mitarbeiter von Carl Schuchhardt, dem Direktor der Vorgeschichtlichen Sammlungen, den er 1931 im Amt beerbte. 1927 ordentliches Mitglied AIDR, 1928 Lehrauftrag Universität Berlin. Unverzagt hatte sich laut eigener Aussage 1938 „in den Schutz des Ahnenerbes begeben.“ Hierzu Timo Saalmann, Die Kunstpolitik der Berliner Museen 1919 – 1959 (Schriften zur modernen Kunsthistoriographie 6), Berlin 2014, S. 226. Schirmherr der Museums-Ausgrabungen in Lebus wurde Himmler bereits 1937, NSDAP-Mitglied wurde Unverzagt angeblich auf Anraten von Langsdorff, ebd., S. 226. Ders., Wilhelm Unverzagt und das Staatliche Museum für Vor- und Frühgeschichte Berlin in der NS-Zeit, in: Das Altertum 55 (2010), S. 89 – 104. 21 NL Schede, B13, Dienstliches 1933, DAI Berlin, AdZ. 22 Zu Stuckart gibt es in Langsdorffs Tagebuch mehrere Nennungen. Dass Langsdorff mit ihm schon ­zwischen Anfang 1934 (Beginn seiner Tätigkeit in den Museen) und vor August 1934 zu tun hatte,

Kunstschutz und SS-Ahnenerbe: eine Beziehung von Relevanz?   I  315

und Reichserziehungsminister Bernhard Rust (1883 – 1945)23 wird mit entscheidend gewesen sein für den glücklichen Ministeriumsübergang des DAI zum Reichserziehungsministerium. Parallel zu seiner Positionierung in den Berliner Museen sollte Langsdorff aber noch eine ganz andere Funktion erlangen: Er wurde zum Kulturreferenten im Persönlichen Stab des Reichsführers SS, Heinrich Himmler.24 Nach dem Bruch von Langsdorff mit Herzfeld im Herbst 1933 lehnte es der Nachwuchsprähistoriker Joachim Werner (1909 – 1994) ebenfalls ab, während seines Reisestipendiums des DAI , nach Persepolis zu reisen. Werners Begründung gegenüber seinem Lehrer Gero von Merhart (1886 – 1959) lautete im Dezember 1933, er begebe sich nicht nach Persepolis, da es für einen Deutschen z.Zt. völlig unerträglich ist, zu Herzfeld zu gehen.25 Werner zog in den gleichen Kampf wie Langsdorff: gegen Reinerth. Während Langsdorff aber auf der Ebene der Entscheider Einfluss gewann, hatte Werner sich im Oktober 1933 entschlossen, den Kampf als Protagonist einer Sammlungsbewegung auf der Basis ehemaliger DAI Stipen­diaten gegen Reinerth zu führen. Werner schrieb im Oktober 1933 an Werner Buttler (1907 – 1940): Falls die Tübinger Untersuchung [gegen Reinerth] wider Erwarten keine Entscheidung bringt, (…) werden und müssen wir Jungen etwas unternehmen. (…) Wir wollen uns den sauberen Wind des dritten Reiches nicht durch die, nach den letzten 14 Jahren stinkenden Machenschaften von Konjunkturhäschern verderben lassen.26

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zeigt die Bemerkung, dass er sich von Stuckart am 3. November 1938 dessen Rauswurf aus dem Erziehungsministerium schildern ließ, der im August 1934 erfolgte: Spät fuhren wir im Salonwagen zurück. Ich saß noch eine Stunde mit Staatssekretär Stuckart auf, der mir seine damalige Amtsenthebung durch Rust aufgrund der intrigierenden Clique Haupt-Sunkel nochmals schilderte. Hätte Frick damals in seinem Gerechtigkeitssinn nicht eingegriffen, wäre Stuckart wohl endgültig gestürzt worden und eine wertvolle Arbeitskraft dem Staat entzogen für immer. Langsdorff, Tagebuch, 03. 11. 1938, Fahrt von Bremen nach Berlin. Stuckarts Tätigkeit im Innenministerium kennzeichnete u. a. seine entscheidende Mitarbeit an den Nürnberger Gesetzen (zusammen mit Hans Globke) und die folgenden Verordnungen zur Diskriminierung der deutschen und europäischen Juden. Stuckart war Teilnehmer der Wannsee-Konferenz im Januar 1942. Rust wird von Langsdorff anlässlich der nach dem deutschen Anschluss im März 1938 in Wien gemeinsam gesehenen Aufführung von „Rheingold“ als alter Kollege bezeichnet: Langsdorff, Tagebuch, zusammenfassender Eintrag für die Zeit ­zwischen 16.03. und 20. 03. 1938 in Wien. Julian Klein, Hans Schleif – Stationen einer Biographie eines Bauforschers im Nationalsozialismus. Ergebnisse der Recherche zur Theaterproduktion „Hans Schleif“ am Deutschen ­Theater, in: Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 131 (2016), S. 273 – 418, hier S. 279. Werner an Merhart, 03. 12. 1933, zit. nach Hubert Fehr, Hans Zeiss, Joachim Werner und die archäologischen Forschungen zur Merowingerzeit, in: Heiko Steuer (Hg.), „Eine hervorragend nationale Wissenschaft“. Deutsche Prähistoriker ­zwischen 1900 und 1995, Berlin 2001, S. 311 – 415, hier S. 337. Wolfgang Pape, Zur Entwicklung des Faches Ur- und Frühgeschichte, in: Achim Leube/Morten Hegewisch (Hg.), Prähistorie und Nationalsozialismus. Die mittel- und osteuropäische Ur- und

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Herbert Jankuhn (1905 – 1990),27 Leiter der Ausgrabung der Wikingersiedlung in Haithabu, zählte er zu den Leuten, die er dazu bekommen würde, gegen Reinerth mitzutun.28 Zu dieser Zeit spielten bereits neue Planungen zur Nutzung von Luftbildern für die Archäologie eine Rolle. Am 11. November 1933 stellte im Preußischen Wissenschaftsministerium ein Mann namens Jaeger den Antrag beim Reichsminister für Luftfahrt, Hermann Göring, für die Erstellung von Flugbildern, wie aus den Akten des DAI hervorgeht. Dies geschah möglicherweise schon auf Veranlassung Langsdorffs.29 Am selben Tag, einen Tag vor der Volksabstimmung zum Völkerbundaustritt Deutschlands, betonte Jaeger wortreich die hohe nationale Bedeutung, der offenbar bereits besprochenen Unterstützung Görings für systematische Anfertigung von Schräg- und Senkrechtaufnahmen der vor- und frühgeschichtlicher Bodendenkmäler Deutschlands. Denn bereits vor der Einrichtung des im Werden befindlichen Reichsinstitutes für Vor- und Frühgeschichte – dem zentralen Streitpunkt z­ wischen Wiegand und Reinerth – sei die zunächst dringend notwendig gewordene Aufnahme des Danewerks im Verantwortungsbereich des Kieler Professor Gustav Schwantes (1881 – 1960), als Bodendenkmalpfleger in Schleswig Holsteins, für den Jankuhn tätig war, schon jetzt durchzuführen.30 Man musste nicht mehr nach Persepolis, der „saubere Wind des dritten Reiches“ machte es möglich, auf den offenen Bruch des Versailler Vertrags und Militärflieger für die deutsche Archäologie zu hoffen. Zunächst blieb dies allerdings wahrscheinlich ein unerfüllter Wunsch.31 Es scheint selbstverständlich, dass der Luftbildpionier

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Frühgeschichtsforschung in den Jahren 1933 – 1945, Heidelberg 2002, S. 163 – 226. Zum Verfahren gegen Reinerth siehe u. a. Gunter Schöbel, H. Reinerth 1900 – 1990. Karriere und Irrwege eines Siebenbürger Sachsen in der Wissenschaft, während der Weimarer Zeit und (während) des Totalitarismus in Mittel- und Osteuropa, in: Acta Siculica (2008), S. 145 – 188, hier S. 158. Ulrich Müller, Die „Kieler Schule“. Ur- und Frühgeschichtliche Forschung ­zwischen 1927 und 1945, in: Das Altertum 55 (2010), S. 105 – 126, S. 115 f. Generell zu Jankuhn siehe Dirk Mahsarski, Herbert Jankuhn (1905 – 1990). Ein deutscher Prähistoriker ­zwischen nationalsozialistischer Ideologie und wissenschaftlicher Objektivität, Rahden 2011. Werner an Buttler, 06. 10. 1933, zit. nach Wolfgang Pape, Zehn Prähistoriker aus Deutschland, in: Steuer, „Nationale Wissenschaft“ (wie Anm. 25), S. 55 – 88, hier S. 78. Wahrscheinlich handelt es sich um August Jäger (1887 – 1949), der von der Machtübergabe 1933 bis April 1934 die Abteilung für Kirchenangelegenheiten leitete, um die Gleichschaltung der K ­ irchen zu erreichen. Danach war er Senatspräsident am Berliner Kammergericht, ab Herbst 1939 Stellvertreter des Reichsstatthalters von Posen, wo das Ahnenerbe die Beraubung organisierte. Dazu s­ päter im Text. Nach dem Krieg wurde er als „Henker von Posen“ in Polen verurteilt und hingerichtet. Zu den biografischen Angaben siehe Ernst Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war wer vor und nach 1945, Frankfurt a. M. 2003, S. 280. Abschrift, urschriftlich mit drei Anlagen an den Herrn Reichsminister der Luftfahrt, Ordner 30 – 02 (Ausgrabungsgesetze und Denkmalschutz bis 1945, 1950 – 56/ Rubrik Deutschland), DAI Berlin, AdZ. Ob es zu dem Einsatz damals schon kam, geht aus den Akten nicht hervor. Bis zur Ernennung Görings als Reichsluftfahrtminister am 1. März 1935 wäre dies nur getarnt als Zivilflugverein m ­ öglich gewesen.

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der deutschen Archäologie, Wiegand, deshalb den Vorgang zu den DAI-Akten nahm, weil er ihn mit initiiert hatte. Auch wenn der Beweis fehlt, dass Jankuhn, Werner und Langsdorff darum wussten, machen es die folgenden Vorgänge zusätzlich wahrscheinlich. Bereits 1934 standen die Ausgrabungen der Kieler Universität in Haithabu unter Protektion Himmlers, um Reinerths Einfluss zu begrenzen.32 Am 3. Januar 1935 übersandte Theodor Wiegand eine Vorschlagsliste an Himmler zur Installation des Reichsinstitutes für Vor- und Frühgeschichte, die sich gegen die entsprechenden Ambitionen des DAI -Gegners Hans Reinerth richteten. In dieser schlug er unter der Gesamtleitung von Alexander Langsdorff und mit Beteiligung des Bauforschers Hans Schleif (1902 – 1945)33 eine Verschmelzung des Kieler Personals (Jankuhn, Schwantes) mit der Römisch Germanischen Kommission (Assistent Joachim Werner)34 unter Einbeziehung der Universität Breslau vor.35 Eine Woche ­später, am 10. Januar 1935, erhielt der Reichsführer SS Heinrich Himmler (seit 1929 in ­diesem Amt) ein eigenes Ausgrabungsrecht.36 Als erste SS -Grabung gilt die Grabung ab 10. März 1935 mit Buttler als Archäologen und Schleif als Bauforscher in Bensberg (Erdenburg) unter Ägide von Langsdorff.37 Die geplante Gründung des Vor- und Frühgeschichtlichen Instituts unter dem Dach des DAI , welcher der Erziehungsminister Rust am 7. März 1935 zunächst zustimmte, wurde allerdings nach erneuter Intervention von Alfred Rosenberg, der Reinerth förderte, am 21. Juni wieder 32 Laut Jankuhn, siehe Uta Halle, Ur- und Frühgeschichte, in: Jürgen Elvert/Jürgen Nielsen-Sikora (Hg.), Kulturwissenschaften und Nationalsozialismus, Stuttgart 2008, S. 109 – 166, hier S. 143. 33 Langsdorff und Schleif kannten sich seit 1930 von Ausgrabungen in Ägypten. Nach Julian Klein nannten sie sich in ihrer privaten Korrespondenz, die bis August 1944 erhalten ist, „Baum“ und „Borke“: Klein, Schleif (wie Anm. 24), S. 279 u. Anm. 16. Zur ihrer Ausgrabung siehe Dietrich Raue, Georg Steindorf und seine Ausgrabungen, in: Susanne Voss/Dietrich Raue (Hg.), Georg Steindorff und die deutsche Ägyptologie im 20. Jahrhundert. Wissenshintergründe und Forschungstransfers (Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde. Beihefte 5), Berlin/ Boston 2016, S. 401 – 486, hier besonders S. 453. Die Grabung fand vom 11. November 1930 bis 8. März 1931 statt, ebd. S. 455. Schleif war hier tätig z­ wischen dem 5. Dezember und dem 5. März, siehe Klein, Schleif (wie Anm. 24), S. 362. 34 Fehr weist darauf hin, dass Werner erst 1938 verbeamtet wurde, Fehr, Hans Zeiss, Joachim Werner (wie Anm. 25), S. 333. 35 Schöbel, Die Einflussnahme (wie Anm. 12), S. 47 – 66, hier S. 45 u. Anm. 60, S. 64. 36 Dana Schlegelmilch, Zwischen staatlicher Denkmalpflege, SS -Wehrgeologie und Kulturraub. ­Heinrich Himmler und sein Wewelsburger SS-Archäologe Wilhelm Jordan (1903 – 1983), in: ­Grunwald u. a. (Hg.), Die Spur des Geldes (wie Anm.1), S. 121 – 172, hier, S. 122, Anm. 2. 37 Generell zur Entwicklung siehe Michael Kater, Das „Ahnenerbe“ der SS 1935 – 1945. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des Dritten Reiches München (Studien zur Zeitgeschichte 6), München 1974, S. 23 und S. 365; Uta Halle, „Die Externsteine sind bis auf weiteres germanisch!“ Prähistorische Archäologie im Dritten Reich, Bielefeld 2002, S. 352; Leube, Deutsche Prähistoriker im besetzten Westeuropa (wie Anm.1); Mahsarski, Die Förderung (wie Anm. 1). Zur Grabung Erdenburg zuletzt Klein, Hans Schleif (wie Anm. 24), S. 362.

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gekippt.38 Einen Tag nachdem am 1. Juli 1935 das SS -Ahnenerbe offiziell gegründet wurde, warb Langsdorff die ehemaligen DAI -Stipendiaten Hans Schleif und Werner Buttler für die SS .39 Ab September 1936 leitete Buttler bereits im Reichserziehungsministerium die für die Archäologie zuständige Bodendenkmalpflege. Wiegands Politik der Kooperation mit der SS gegen Hans Reinerth und Gefolgschaft war gescheitert und verwandelte sich stattdessen zu einer Grundlage für die weitere Aufbauarbeit der Ausgrabungsabteilung der SS unter Langsdorff. Das Ahnenerbe hatte zunächst eine organisatorische Doppelstruktur als SS -Dienststelle mit SS -Gerichtsbarkeit und als spendenbasierter Verein.40 Seit seiner offiziellen Gründung am 1. Juli 1935 war es mit dem Schutz und der Aufwertung des vergangenen germanischen, indogermanischen oder arischen Lebens beschäftigt, während die als minderwertig definierten Kulturen aus der Geschichtsschreibung weitgehend getilgt werden sollten. Dieses Handeln fand ­später dann seine Entsprechung in der deutschen Kriegsführung im Zweiten Weltkrieg.41 Im Frühjahr 1942 wurde das Ahnenerbe eine NSDAP -Organisation.42

2. Das Luftbild und die Ausbreitung des Ahnenerbes in DAI-Institutionen Mit dem Aufbau der Luftwaffe fanden ab 1935 erste Prospektionsflüge statt.43 Aber erst am 11. Februar 1937 verordnete Erziehungsminister Rust einen Runderlaß an die ­Vertrauensmänner 38 Reinhard Bollmus, Das Amt Rosenberg und seine Gegner, Stuttgart 1970, S. 167, 169. 39 Ebd., S. 280. Schleif trat am 19. November 1935 in die SS ein: ebd. S. 363. Es war der Tag der Eintragung des Ahnenerbes e. V. ins Vereinsregister, 19. 11. 1935. Angabe zum Vereinsregistereintrag in: Records Concerning the Central Collecting Points („Ardelia Hall Collection“): Munich Central Collecting Point, 1945 – 1951, NARA M1946, Roll 0117, Image 3725274. 40 Mahsarski, Die Förderung (wie Anm. 1). 41 Siehe Martijn Eickhoff, Zeugen einer großgermanischen Vergangenheit? Das SS-Ahnenerbe und die archäologischen Forschungsstätten Unterwisternitz und Solone, in: Zeitschrift für Ostmittel­ europa-Forschung 62 (2013), S. 581 – 620. Es handelt sich um eine Variation seines Hinweises auf die „narrative Verbindung ­zwischen der Vorgeschichtsforschung des SS-Ahnenerbes und der mörderischen Bevölkerungspolitik der SS“: „Die Wissenschaftler stellten eine Art ‚Avantgarde‘ dar und versuchten in dieser Funktion eine neue kämpferische Wissenschaft zu entwickeln. Dadurch verfolgten die beteiligten Prähistoriker, deren Fachgebiet schon immer mit Heldentum und Abenteuer in Verbindung gebracht worden war, letztendlich dasselbe Ziel wie die Soldaten der Wehrmacht oder der SS: den ‚Schutz‘ des vergangenen und zukünftigen als ‚germanisch‘, ‚arisch‘ bzw. ‚nordisch‘ eingestuften Lebens.“ Ebd., S. 619. 42 Mahsarski, Die Förderung (wie Anm. 1). 43 Otto Braasch, Bemerkungen zur Archäologischen Flugprospektion in Ost und West, in: Judith Oexle (Hg.), Aus der Luft – Bilder unserer Vorgeschichte. Ausstellungskatalog, Dresden 1997, S. 27 – 37. Zum Thema ziviles Luftbild und die Verankerung mit der Luftwaffe erscheint demnächst

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für die kulturgeschichtlichen Bodenaltertümer in Preußen betreffend Luftaufnahme und Erforschung vor- und frühgeschichtlicher Bodendenkmale. Mit dem Erlass ist angeregt worden, das Luftbild in den Dienst der Bodendenkmalpflege zu stellen. Diese ­seien durch Verbände der Luftwaffe aufgrundbesonderer Anweisung im Rahmen von Übungsflügen und im Nachgang zu den militärischen Aufgaben durchgeführt worden (..). Die bisherigen Erfahrungen, die in Deutschland und besonders auch in England (…) gemacht worden sind, sind in einem Heft ‚Luftbild und Vorgeschichte‘ zusammengefaßt (…).44

Das SS-Ahnenerbe-Mitglied Werner Buttler war bei d ­ iesem Projekt im REM initiativ und einer der Autoren der Publikation „Luftbild und Vorgeschichte“ im Jahr 1938.45 Sein alter Bekannter Joachim Werner, Assistent der DAI-Tochter Römisch-Germanische Kommission (RGK), trieb die Flugbild-Kooperation auf andere Weise voran. Er hatte beim SA-­Fliegersturm 47 am 1. März 1936 eine Flugausbildung begonnen.46 Dass er von Anbeginn die Zielstellung hatte, Flugwesen und Prähistorie in seiner Person zu verbinden, ist naheliegend, er wurde zum Initiator der Luftbildfotografie vonseiten der RGK. In der „Denkschrift über die Zusammenarbeit von Luftwaffe und Vorgeschichtsforschung“ bewarb er die Prähistorie als eine der bedeutendsten geistigen Disziplinen des Dritten Reiches. Den 1938 erreichten Zustand der Kooperation mit der Luftwaffe nannte Werner allerdings kläglich, was erklärt, warum er nicht mit in „Luftbild und Vorgeschichte“ veröffentlichte. Werner forderte entweder die Ausbildung von Prähistorikern als Reserveoffiziere oder aber, dass die Aufnahmen von der Luftwaffe selbst gemacht würden: zentralisiert in zwei Gruppen, von denen eine für den Süden und Westen und eine für den Norden und Osten zuständig werden sollte. Mit

die Dissertation von Marco Rasch, „Das zivile Luftbild in Deutschland bis 1945. Geschichte und Rezeption“ an der Universität Marburg. 44 Vertragsentwurf: Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Chef des Ausbildungswesens Abt. Luftbild [Erich Ewald] vom 29. 03. 1939, S. 1. Den Entwurf verfertigte der Chef des Ausbildungswesens, General der Flieger Bernard Kühl (1886 – 1946), für die Richtig­keit zeichnete im REM der Leiter des Amtes Wissenschaft Heinrich Harmjanz (1904 – 1994). Diese im Folgenden zitierten Unterlagen wurden Schede als Basis für seine Beantragung des Luftbildunternehmens in Griechenland zugestellt: Ewald an Schede 16. 05. 1941, Ordner 18 – 41 – 1, DAI Berlin, AdZ. 45 Hansa Luftbild (Hg.), Luftbild und Vorgeschichte. Luftbild und Luftbildvermessung 16, Berlin 1938 mit Beiträgen von: Werner Buttler, Bodenaltertümer, E. Ewald, Einsatz des Luftbildes für die vorgeschichtliche Forschung in Deutschland; Ders., Ergebnis der Veranstaltung über Luftbild und vorgeschichtliche Forschung am 21. und 22. März [1938]; O. G. S. Crawford, Luftbildaufnahmen von archäologischen Bodendenkmälern in England – Luftbild und Vorgeschichte, in: Luftbild und Luftbildvermessung 16, Berlin 1938. 46 Siehe Fehr, Hans Zeiss, Joachim Werner (wie Anm. 25), S. 337. Werner wurde nach Aufhebung der Eintrittssperre am 01. Mai 1937 NSDAP-Mitglied; BA R 4901/W 233.

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­ ufnahmen von Wall- und Wehranlagen sollte nach Werner wegen ihrer kriegsgeschichtA lichen Bedeutung begonnen werden.47 Zeitlich parallel zum Luftbilderlass konstituierte sich im März 1937 das SS-Ahnenerbe neu und reformulierte seine Satzung. Schon im ersten Punkt wurde nun das Ziel ausgegeben, Raum, Zeit und Taten des nordischen Indogermanentums zu erforschen.48 Nachdem das Ahnenerbe im Spätherbst 1937 erstmals umfangreiche Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft erhielt,49 wollte Himmler im Dezember 1937 eine eigene Ahnenerbe-Abteilung etablieren, die die Aufgabe hat, Italien und Griechenland nach seinen [sic] indogermanisch-arischen Zusammenhängen zu studieren.50 Noch im selben Jahr definierte das REM die Erfassung aller Lebenszeugnisse des Germanentums in Italien 51 als Forschungsziel. Schon 1938 entstanden erste Kooperationsverträge z­ wischen Ahnenerbe und dem DAI in Italien,52 von denen sich das DAI erstmalige Grabungserlaubnis in Italien versprach.53 Auch mit der DAI-Tochter Römisch-Germanische Kommission hatten sie einen Vertrag geschlossen.54 Das Ahnenerbe verwuchs zunehmend mit den DAI-Instituten, agierte nun Grenzen übergreifend. 1938 hatte Werner Buttler auch die Bodendenkmalpflege in Österreich unter Kontrolle des Ahnenerbes gebracht.55

47 Katharina Becker/Siegmar von Schnurbein, Dokumente zur Geschichte der Römisch-Germanischen Kommission (Berichte der RGK 82), Mainz 2001, S. 472 f., Zitat S. 473; erwähnt bei Hubert Fehr, Germanen und Romanen im Merowingerreich. Frühgeschichtliche Archäologie ­zwischen Wissenschaft und Zeitgeschehen, Berlin 2010, S. 492. 48 Gerd Simon, Vorgeschichtler-Dossier [1939], S. 76; BA R 58 9002, Bl. 304, einzusehen unter: SD-Vorgeschichtler-Dossiers. (PDF), https://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/ (Stand: 14. 08. 2020). 49 Zuletzt Mahsarski, Die Förderung (wie Anm. 1), S. 95 f. 50 Brief an Walther Wüst vom 10. 12. 1937, zit. bei Volker Loosemann, Nationalsozialismus und Antike. Studien zur Entwicklung des Faches Alte Geschichte 1933 – 1945, Hamburg 1977, S. 118 f.; für ergänzende Teile des Schreibens siehe Johann Chapoutot, Der Nationalsozialismus und die Antike, Darmstadt 2014, S. 91 f. 51 Junker, Das archäologische Institut (wie Anm. 13), S. 76; Fehr, Hans Zeiss, Joachim Werner (wie Anm. 25), S. 338. 52 Wesentlicher Initiator wurde Siegfried Fuchs, der als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter des Fotoarchivs im DAI Rom begann, bereits 1936 dort zum Referenten aufgestiegen war und 1938 Zweiter Direktor wurde. Siehe Marie Vigener, Siegfried Fuchs (1903 – 1978), in: Gunnar Brands/Martin Maischberger (Hg.), Lebensbilder. Klassische Archäologen und der Nationalsozialismus. Bd. 1, Rahden 2012, S. 223 – 236, zu seiner Rolle im Ahnenerbe besonders S. 232 – 235. Das Abkommen datiert auf den 19. Januar 1939: ebd., S. 232, Anm. 102, Ordner 43 – 01, DAI Berlin, AdZ. 53 Thomas Fröhlich, Armin von Gerkan (1884 – 1969), in: Brands/Maischberger (Hg.), Lebensbilder Bd. 1 (wie Anm. 52), S. 91 – 106, hier S. 98 und Anm. 76: Fröhlich führt hier ein Schreiben Gerkans an Schede vom 25. 10. 1938 an. 54 Junker, Das archäologische Institut (wie Anm. 13), S. 76 u. 78; Fehr, Hans Zeiss, Joachim Werner (wie Anm. 25), S. 338. 55 Zu Buttler und seiner als Rolle als Bodendenkmalpfleger siehe Martina Schäfer, Die Geschichte des Institutes für Ur- und Frühgeschichte an der Universität zu Köln (MA-Arbeit 2002), hier S. 98 – 106,

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Für die Erforschung „germanischer“ Ursprünge der Zivilisationen war das Luftbild eine wesentliche Ressource, im Ausland konnte sie aber nur durch Eroberungen des deutschen Militärs gewonnen werden. Zunächst konnte man sich nur auf das eigene Staatsgebiet konzentrieren. Nachdem generell geklärt war, dass die Bilder gemacht werden sollten, ging es nun um die Auftragsverwaltungs- und Verwertungsstrukturen der Flugbilder. Am 29. März 1939 wurde in einem Vertragsentwurf ­zwischen RGK/DAI, Reichserziehungsministerium und RLM festgelegt, dass die Anträge für die Herstellung von Luftaufnahmen in Preußen durch das REM und in Süd- und Westdeutschland durch die RGK gesammelt und an das RLM weitergeleitet werden. Dennoch war der Vertragsentwurf auch für die Prähistoriker nicht optimal, denn die Luftbildstelle wollte neben dem Zeitpunkt der Befliegungen auch die Verwertung der Bilder weiter kontrollieren und sie im RLM sammeln.56 Auf dem Ahnenerbe-Kongress vom 30. Mai bis zum 4. Juni 1939 war Werner anwesend; er sprach dort jedoch nicht über die Luftbilder, sondern wählte ein anderes Vortragsthema.57 Stattdessen sprach hier sein Mentor, der Kieler Professor Schwantes, der an den Ausgrabungen in Haithabu beteiligt war, als gestandene Autorität über die „Methoden der Luftbildarchäologie und der Landesaufnahme.“ 58 Den Vertragsentwurf mit dem RLM in der Tasche, ging es vermutlich um Unterstützung der SS für den erwünschten Aufbau eines vom RLM unabhängigen Luftbildarchivs für die deutsche Archäologie. Der Wunsch sollte unerfüllt bleiben. Der Überfall der Wehrmacht auf Polen im September 1939 brachte zunächst eine andere Prioritätensetzung des Ahnenerbes in der Zusammenarbeit mit Göring mit sich. Heinrich Harmjanz (1904 – 1994), ein Angehöriger der Luftwaffe, der im REM als Sachbearbeiter im Amt Wissenschaft seit 1937 verantwortlich für die Vertragsgestaltung

zu Buttlers „Merkheft zum Schutz der Bodendenkmäler“ von 1937. Hier plädiert Buttler auch für die Bergung von Knochenfunden, „weil unsere Rassenforschung auf vor- und frühgeschichtliches Schädelmaterial angewiesen ist“, S. 105. In Österreich wurde der Landespfleger Kurt ­Willvonseder (1903 – 1945) nach Aufnahme in die SS am 1. November 1938 zum idealen Funktionsträger, am 30. Januar 1939 wurde er Mitglied des Ahnenerbes. Zu Willvonseder siehe Marianne Pollak, Archäologische Denkmalpflege zur NS-Zeit in Österreich. Kommentierte Regesten für die „Ostmark“, Wien 2015, bes. S. 65 – 69. 56 Negative und drei Abzüge sollten in der Abteilung Luftbildwesen vorgelegt werden. Eine unmittelbare Abgabe der Luftbilder an die Bodendenkmalpfleger seitens der [Flieger-]Verbände und [Flug-]Schulen ist nicht statthaft. S. 5. Die Sammlung sollte bei der Abteilung Luftbildwesen des RLM zur Einsicht zur Verfügung stehen. Vertragsentwurf: Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Chef des Ausbildungswesens Abt. Luftbild [Erich Ewald] vom 29. 03. 1939, S. 6. 57 Hier präsentierte er seine Habilitationsschrift, Die Zierscheiben des Thorsberg Moorfundes. Einfluss römischen Kulturgutes auf Kunsthandwerk der Nordmark. Siehe Kater, Ahnenerbe (wie Anm. 37), S. 115. Der Untertitel der Habilitationsschrift bei Hans Zeiss enthielt im Sinne des Nationalsozialismus keinen Hinweis auf römischen Import, sondern war „Ein Beitrag zur frühgermanischen Kunst- und Religionsgeschichte“. Siehe Fehr, Hans Zeiss, Joachim Werner (wie Anm. 25), S. 338. 58 Müller, Die „Kieler Schule“ (wie Anm. 27), S.116.

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der Luftbildunternehmen z­ wischen RLM und DAI /RGK zeichnete, leitete nun für das Ahnenerbe die Treuhandstelle Posen zur Ausplünderung der polnischen Bevölkerung für den Beauftragten für den Vierjahresplan, Hermann Göring.59 Als Leiter der Abteilung Volksforschung und Volkskunde des Ahnenerbes folgte Harmjanz Himmlers ideologischen Vorgaben als Reichskommissar zur Festigung des deutschen Volkstums, was in Polen Raub und Massenmord im Namen der „Germanisierung“ bedeutete.60 Dass die deutschen Luftbilder Polens zur archäologischen Verwertung nun exklusiv dem Ahnenerbe zur Verfügung standen, ist naheliegend.

3. Zur Entwicklung der Beziehung zwischen DAI und Ahnenerbe in Griechenland 1937 bis 1940 Für Griechenland ist im Unterschied zu Italien kein expliziter Vertrag ­zwischen DAI und Ahnenerbe nachweisbar, daher muss vieles aus indirekten Quellen abgeleitet und kombiniert werden. Die Beurteilung kann daher auch hier nur eine vorläufige sein. Meine These ist, dass ab 1939 kein wesentliches Projekt in Griechenland ohne Beteiligung des Ahnenerbes durchgeführt werden konnte; dies soll kurz demonstriert werden. Den Ausgangspunkt für die Verflechtung von Ahnenerbe und DAI bildet gewissermaßen die älteste deutsche Ausgrabung in Griechenland, die Samos-Grabung, mit der Bauforscher und Ahnenerbe-Protagonist Hans Schleif seit Anfang der dreißiger Jahre verbunden war. Nach Gründung des Ahnenerbes war er dort 1936 zuletzt tätig. Sein neuer Ahnenerbe-­ Kollege Werner Buttler schrieb 1936 zur Vorgeschichte von Samos in der DAI-Zeitschrift, um dessen Bedeutung für die Völkerwanderungszeit zu betonen.61 Nach Kriegsende hieß es, dass Schleif Grabungsunterlagen von Samos in das Ahnenerbe-Archiv verbracht habe.62 Der auf Samos seit den zwanziger Jahren zuständige Grabungsleiter, der Münchner Professor 59 Die Treuhandstelle Posen unterstand der Haupttreuhandstelle Ost unter Göring. Die Einnahmen sollten aus der Verwertung polnischen Staatsbesitzes, von Juden, der Intelligenz und Widerstandskämpfern kommen, die u. a. von Bests Einsatzgruppen vertrieben, enteignet und ermordet wurden. Siehe Mahsarski, Die Förderung (wie Anm. 1), S. 106; Jeanne Dingell, Zur Tätigkeit der Haupttreuhandstelle Ost, Treuhandstelle Posen 1939 bis 1945, Frankfurt a. M. 2003. 60 Als Langsdorff im offenen Ministerwagen Innenminister Wilhelm Fricks Ende Oktober/Anfang November 1939 Polen inspizierte, stellte er fest: Hart ist der Kampf ­zwischen Germanen und Slawen, die Erschießungen finden teils öffentlich statt, man liquidiert Führerschaft und Intelligenz. Langsdorff, Tagebuch, Eintrag zum 01. 11. 1939. 61 Werner Buttler, Vorgeschichtliches in der Stadt Samos, Nachträge, in: Mitteilungen des Archäologisches Institut, Athenische Abteilung 60/61 (1935/36), S. 184 – 200. 62 Fuhrmann an Buschor, 17. 05. 1946, Ordner 34 – 02, DAI Berlin, AdZ. Fuhrmanns Informationen basierten auf Nachricht des ehemaligen Ahnenerbe-Mitarbeiters und Zweiten Direktors des DAIRom, Siegfried Fuchs. Zahlreiche Materialien wurden von Schleif für das Werk zur antiken Baukunst

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Ernst Buschor, hatte wahrscheinlich den Appetit in der Münchner Ahnenerbe-Connection auf weitere Grabungen in Griechenland, u. a. im englischen Ausgrabungsgebiet auf Kreta, schon 1937 geweckt, sie wurden aber zurückgestellt.63 Auch die Olympia-Grabung, seit April 1937 aus den Mitteln von Hitlers Dispositionsfonds als „Führergrabung“ wiedereröffnet, war eine DAI -Grabung, aber der Einfluss des Ahnenerbes sollte sich hier deutlich zeigen. Unmittelbar vor Eröffnung der Grabung im April 1937 verstärkte das REM den Druck auf das DAI , Beiträge zur rassenbiologischen Geschichtsschreibung Griechenlands zu liefern.64 Im April 1937 waren der neue Ahnenerbe-Vize-Kurator Hermann Reischle und der Reichsbauernführer Walther Darré in Athen, sie wurden vom DAI betreut.65 Walter Wrede (1893 – 1990) wurde am 7. April 1937 zum ­Ersten Direktor der Abteilung Athen ernannt, zu ­diesem Zeitpunkt war er bereits zwei Jahre NSDAP -Gauleiter in Griechenland. Am 29. April konnte er verkünden: Neue Anfänge sind aber bereits gemacht (Kerameikos), und eine Vernachlässigung in dieser Richtung kommt für unser Institut nicht mehr infrage.66 Anfang der dreißiger Jahre ausgegrabene Skelette der Kerameikos-Grabung wurden 1937/38 unter Wrede Forschungsgrundlage, um einer rassenbiologischen Bevölkerungsgeschichte Griechenlands mit Unterstützung der SS -Verbindungen eine Basis zu verschaffen. Mindestens ein Athener DAI -Mitarbeiter arbeitete ­diesem Projekt ständig zu.67

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gesammelt und sind heute Teil seines Nachlasses, darunter ein Tempelgrundriss von Samos. Siehe Klein, Hans Schleif (wie Anm. 24), S. 371. Wahrscheinlich gab es schon 1937 auch das Ziel des Ahnenerbes, auf Delos zu graben. Nachgewiesen ist, dass der für die griechische philologische Abteilung im Ahnenerbe zuständige Münchner Professor Franz Dirlmeier (1904 – 1977) eine Untersuchung des Tholos-Grabes von Kephala bei Knossos mit Adolf von Greifenhagen (1905 – 1989) anregte. Siehe zu beiden Informationen Mathias René Hofter, Ernst Buschor (1886 – 1961), in: Brands/Maischberger (Hg.), Lebensbilder Bd. 1 (wie Anm. 52), S. 129 – 140, S. 133, Anm. 55 und 58. Delos wurde 1941 auch Ziel besonderen Interesses im Luftbildprojekt. Schleifs Ausarbeitung zur antiken Baukunst sollte 1943 ein eigenes Kapitel zu Delos erhalten. Klein, Hans Schleif (wie Anm. 24), S. 343 u. Anm. 327. Am 1. Februar 1937 übersandte REM-Ministerialdirektor Frey an Schede Leitsätze für eine rassenbiologische Bevölkerungsgeschichte Griechenlands, zu denen das Institut Stellung beziehen sollte. Schede lehnte die meisten, aber nicht alle Leitsätze für das Institut rundweg ab, so akzeptierter die Punkte 5d) Beziehung zum Balkan: Entstehung der griechischen Nation mithilfe des arch. Materials und 5g) Untersuchung alles vorhanden Bildmaterials (physignomischen rassischen Typus). Schede an REM (Frey), 04. 02. 1937. Die Führung übernahm der Institutsmitarbeiter Kimon Grundmann, siehe II. Vierteljahresbericht 1937 der Abteilung Athen, DAI Athen. Zu seiner Biografie und den Umständen seiner Ernennung: Michael Krumme, Walther Wrede (1893 – 1990), in: Brands/Maischberger (Hg.), Lebensbilder Bd. 1 (wie Anm. 52), S. 159 – 176. Schreiben Wrede aus Olympia an Schede und REM, 29. 04. 1937, S. 3. Emil Breitinger, Die Skelette aus den submykenischen Gräbern, in: Karl Kübler/Wilhelm Kraiker, Die Nekropolen des 12. bis 10. Jahrhunderts, Kerameikos 1, Berlin 1939, S. 223 – 255. Rasseforscher

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Hans Schleif kam mit Unterstützung des DAI und der SS ins Amt des ausführenden Grabungsleiters, allerdings nicht ohne Komplikationen. Im REM hatte sich erst Ende 1937/Anfang 1938 die Pro-SS -Ahnenerbe-Fraktion gegen das Amt Rosenberg schrittweise durchgesetzt. Da Schleif aber für Verzögerungen seiner Ernennung fälschlich auch das Institut verantwortlich machte, kündigte er dem DAI sogar die Gefolgschaft. Nur noch Himmlers Anweisungen ­seien für ihn bindend.68 Als seine Ernennung für Olympia dann jedoch unter seinen Bedingungen vollzogen war, wozu Professuren für sich, die er am 27. April 1938 erhielt, und den leitenden Archäologen Emil Kunze (1901 – 1994) gehörten, wurde Schleif sofort zum zentralen Leiter des gesamten SS -Ausgrabungswesens ernannt. Langsdorff übergab ihm diese Aufgabe am 28. April 1938.69 Ohne Schleifs Zustimmung konnte in Olympia ab 1938 wohl kein Mitarbeiter eingesetzt werden; über seinem Schreibtisch hing das Bild Himmlers.70 Für das alte DAI-Projekt zur Erforschung der griechischen Topografie wurden in Athen sicher zwei, wahrscheinlich drei und eventuell mehr Mitarbeiter des DAI ab 1938/39 vom Ahnenerbe finanziert.71 Diese Forschungen verfolgten das Ziel, die indogermanischen Wanderungen als nordische Einwanderung nachzuweisen. Den sichtbarsten Auftakt dieser Arbeiten während der NS-Zeit stellte wohl die Dissertation des nun beim italienischen DAI stationierten Ahnenerbe-Funktionärs Siegfried Fuchs zur Indogermanisierung Griechenlands

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Breitinger dankte in der Publikation dem Grabungsleiter und Athener DAI -Vizedirektor Karl Kübler (1897 – 1990), der das Unternehmen nach Breitinger in „erster Linie“ vermittelt habe und Institutsmitarbeiter Grundmann „für seine sorgsamen brieflichen Mitteilungen über die Datierung der neolithischen Skelettfunde“, S. 245. Schreiben Schleifs an Wrede, 21. 09. 1937, zit. bei Klein, Hans Schleif (wie Anm. 24), S. 310. Zum Komplex insgesamt S. 310 – 313. Am 1. April wurden Schleif und am 4. Mai 1938 Kunze kommissarisch wissenschaftliche Beamte der Olympia-Grabung, 16. Juni 1938 erfolgte die Verbeamtung als Assistent beim DAI, ab 8. November 1938 Ordentliches Mitglied DAI. Schleif blieb Leiter des SS-Ausgrabungswesens bis Sommer 1942. Zum Datum siehe Klein, Hans Schleif (wie Anm. 24), S. 282. Alle Daten auch in der Chronik: Ebd. S. 363. DAI Athen: Ulf Jantzen, Manuskript „Zur Geschichte des DAI -Athen“, erstellt ­zwischen 1974 und 1984, S. 94 f. Jantzen hatte die Gesamtverantwortung für das Manuskript als Athener Institutsdirektor (1967 – 1974) und schrieb selbst das Kapitel zur NS -Zeit. Seine Amtszeit begann und endete mit der Militärdiktatur in Griechenland. Das Buch erschien erst 1986. Im Manuskript wurde vom DAI -Lektorat angemerkt SS und Ahnenerbe raus!, die entsprechenden Passagen entfielen. Kurt Gebauer (1909 – 1942), wahrscheinlich Kimon Grundmann (1891 – 1968) und Ernst Kirsten. Die Details und Hintergründe hierzu und weiteren eventuellen Beteiligungen müssen meiner Dissertation vorbehalten bleiben. Eine Gemeinsamkeit war zum Beginn ihrer Tätigkeit ihre eher prekäre finanzielle Situation mit Werkverträgen. Papes Feststellung, dass materielle Gründe bei der Entscheidung für das Ahnenerbe gegen das Amt Rosenberg wesentlich waren, bestätigt sich auch hier: Pape, Zur Entwicklung (wie Anm. 26), S. 179 – 183.

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dar, die im DAI durchaus Anerkennung fand.72 Der erwünschte Nachweis der Wanderungsbewegungen war nur staatsgrenzen- und fächerübergreifend möglich; die starke Position des Ahnenerbes in Italien durch Fuchs wirkte sich teilweise auch auf den regen Besucherverkehr des Ahnenerbes in Griechenland aus.73 Die Ahnenerbe-Ambitionen gingen durch Vermittlung Görings auch schon bis in den Iran und Irak, um die Ostgrenzen des römischen Reiches und die „Rassenkämpfe“ der damaligen Zeit zu erkunden.74 Damit agierte das Ahnenerbe in weiteren Regionen in Konkurrenz zum DAI. Als wesentliche Aufgabe der deutschen Archäologie postulierte der spätere Kunstschützer Ernst Kirsten (1911 – 1987) in seiner Zusammenfassung des Internationalen Kongresses für Archäologie in Berlin Ende August 1939 ganz im Sinne des Ahnenerbes: „(…) es geht um die Erkenntnis der Erbanlagen der antiken Völker als Ausdruck ihrer gemeinsamen nordischen Herkunft und andererseits die Erfassung ihres Beitrags zur Bildung der neuen Welt des Mittel­ alters mit den Kräften der Tradition, die von der Spätantike zu Christen- und Germanentums überleiten.“ 75 Hierfür lobte er besonders die „Hinneigung zur S­ iedlungsarchäologie“, die er

72 Siegfried Fuchs, Die griechischen Fundgruppen der frühen Bronzezeit und ihre auswärtigen Beziehungen. Ein Beitrag zur Frage der Indogermanisierung Griechenlands, Berlin 1937. Zu den positiven Reaktionen der DAI -Mitarbeiter siehe Fröhlich, Armin von Gerkan (wie Anm. 53), S. 98, Anm. 69. 73 So kam beispielsweise Rudolf Till (1911 – 1979), der nun für die lateinische Abteilung des Ahnenerbes zuständig war, neben Breitinger, der die Skelettforschung auf dem Kerameikos betrieb, von der Universität München im Herbst 1938. Siehe Bericht für das vierte Quartal 1938 der Abteilung Athen. Martin Rudolph (1908 – 1992), Leiter der Abteilung für Germanische Bauwesen aus Hamburg und der Prähistoriker und Ahnenerbe-Informant Bolko von Richthofen (1899 – 1983) kamen Anfang 1939, siehe Bericht für das erste Quartal 1939 der Abteilung des DAI . Der Althistoriker Franz Altheim (1898 – 1976), zuständig für Abteilung Alte Geschichte beim Ahnenerbe kam mit Erika Trautmann (1897 – 1968) im Frühjahr 1938: Ordner B8, Vierteljahresberichte der Abteilung Athen 1930 – 1944, DAI Athen. Auch Langsdorff besuchte im Frühjahr 1938 Athen, er sprach u. a. vor der von Wrede geleiteten Ortsgruppe der NSDAP . Siehe Langsdorff, Tagebuch, Eintrag vom 30. 04. bis 05. 05. 1938. 74 Franz Altheims Ziel, zu den ehemaligen römischen Außengrenzen in Südosteuropa und dem Mittleren Osten vorzudringen, wurde 1938 wahr: Göring zahlte 4000 RM und das Ahnenerbe den gleichen Betrag. Möglich wurde dies auch, weil Altheim die Kämpfe ­zwischen den Indogermanen des Nordens und den Semiten des Orients zu untersuchen versprach, um ein Beispiel zu geben, wie Rasse Geschichte schreibt. Die Reise führte mit Zwischenstopp im DAI Athen auch nach Bagdad, wo sie der Botschafter Fritz Grobba, der hier unter anderem Hitlers „Mein Kampf“ publizieren ließ, betreute. Dazu gehörte auch, sie Julius Jordan vorzustellen, der versuchte, hier die Abteilung Bagdad des DAI aufzubauen und zugleich Gründer der NSDAP /AO in Bagdad war. Siehe Heather Pringle, The Master Plan. Himmler’s Scholars and the Holocaust, New York 2006, S. 77 – 80. 75 Ernst Kirsten, Der internationale Archäologenkongreß in Berlin 1939, in: Neue Jahrbücher für Antike und deutsche Bildung. In Gemeinschaft mit Helmut Berve herausgegeben von Detlev

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auch bei den Arbeiten in der Argolis und auf dem Kerameikosfriedhof feststellte.76 So sehr Kirsten, der im Sommer 1939 zugleich Teilzeitmitarbeiter des DAI und des Ahnenerbes war, die neue Ausrichtung zur rassistischen Völkerwanderungsarchäologie begrüßte, war gerade ihm die noch lokale Begrenztheit bewusst; seine Forschungen zu den „nordischen Einwanderern“ in Griechenland bedurften der großflächigen topografischen Forschung. Luftbilder versprachen diese Thesen zu stützen, griechische Luftbilder standen Ausländern aber schon aus militärischen Gründen nicht zur Verfügung. Diese für Griechenland 1939 typische Konstellation, dass DAI -Projekte und deren Mitarbeiter durch das Ahnenerbe mitfinanziert wurden, trieb die Projekte, nun oft unter eindeutig ideologisierten Fragestellungen, voran. Da Schleif als Ausgrabungsleiter des Ko-Finanziers SS -Ahnenerbe mit der Olympia-Grabung das bestfinanzierte Prestigeprojekt des DAI dominierte und sich zugleich im Machtkampf mit dem Archäologischen Institut wähnte, drohte mit jeder Ahnenerbe-Beteiligung die Aushöhlung der Institution DAI .

4. Archäologischer Kunstschutz zwischen RGK/DAI und SS-Ahnenerbe 4.1 Voraussetzungen des archäologischen Kunstschutzes und Einsatz in Frankreich Martin Schede, der nach dem Tod Wiegands 1937 DAI -Präsident geworden war, lehnte im November 1939 aufgrund seiner eigenen Erfahrungen im E ­ rsten Weltkrieg die Verantwortung für die Bodendenkmalpflege bzw. archäologischen Denkmalschutz in besetzten Gebieten generell ab: Der Denkmalschutz mutiert im Weltkriege zu einem groben Unfug und zu Drückebergerei aus.77 Vielmehr gab er die Verantwortung an den REM -Bevollmächtigten für Bodendenkmalpflege Werner Buttler weiter, der bekanntlich zugleich Ahnenerbe-Aktivist war. Schede segnete damit nachträglich auch den Fakt ab, dass die ostdeutsche Vorgeschichtsforschung des DAI nun in der Hand des Ahnenerbes war. Schede selbst war mit dem deutschen Kriegsbeginn in Görings Geheimdienst „Forschungsamt“ eingezogen worden, und wahrscheinlich war es ihm auch deshalb ganz recht, dass Hans Schleif nun zeitweilig u. a. bei der Treuhandstelle Posen und SS -Ausgrabung Biskupin (Urstätt) und nicht in Griechenland seinen Einfluss ausübte.78 An Buttler schrieb Schleif Bohne, Leipzig und Berlin 1940, S. 113 – 120, hier S. 118; Kurt Gebauer, Neue Ausgrabungen in der Epidauria, in: Neue Jahrbücher für Antike und deutsche Bildung (1940), S. 180 – 188. 76 Ebd. 77 Ordner 30 – 2, DAI Berlin, AdZ. 78 Klein, Hans Schleif (wie Anm. 24), S. 317 – 334. Auf den 14-tägigen „Sonderauftrag Warschau“ zum Raubzug im Archäologischen Staatsmuseum ab dem 25. Oktober 1939 folgte vom 14. Dezember 1939 bis 19. September 1940 Schleifs Bestellung als Treuhänder in Posen. In Biskupin leitete er die

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schon Anfang 1940, die Zukunft Deutschlands liegt noch weiter östlich und die Sendung dieser ersten Etappe ist daher jetzt wichtigstes Gebot.79 Wahrscheinlich meinte Schleif das Gebiet der Sowjetunion. Langsdorff und Schede versicherten sich hingegen Ende März 1940 ihres Interesses an der Ausbreitung des Krieges in den „Orient“. Langsdorff, der zunächst noch an der norwegischen Front gegen England kämpfte, schrieb hoffnungsvoll: Wer weiß, ob wir nicht doch einmal an die Stätten alter archäologischer Wirksamkeit verschlagen werden. In außenpolitischer Hinsicht ist ja alles möglich. 80 Darauf teilte ihm Schede mit, dass er Görings Geheimdienst, das Forschungsamt, nur einstweilig verlassen habe: Sollte es im Orient doch noch losgehen, dann würde ich allerdings wünschen, wieder mit dabei zu sein.81 Erst deutlich nach dem deutschen Einmarsch in Frankreich und der Installation der Kolla­ borationsregierung wollte Schede nun doch einen archäologischen Kunstschutz erreichen. Hans-Ulrich von Schoenebeck (1904 – 1944), der s­ päter erster Kunstschutzleiter in Griechenland werden sollte, unternahm die entscheidende Initiative im Herbst 1940 in Frankreich.82 Unmittelbar nach von Schoenebecks Bemühungen erarbeitete Joachim Werner mit Schede den Antrag für einen archäologischen Kunstschutz in Frankreich, der tätig werden sollte, ohne auf die Gefälligkeit französischer Stellen angewiesen zu sein.83 Schedes plötzliches Interesse am Kunstschutz wird für das Ahnenerbe überraschend gewesen sein, auch das REM informierte er zunächst nicht.84 Bis zum Eintreffen Alexander Langsdorffs im Januar 1941, der in der deutschen Militärverwaltung Frankreichs unter dem Kriegsverwaltungschef Werner Best (1903 – 1989) tätig wurde, gab es durchaus auch Konkurrenz ­zwischen DAI und Ahnenerbe um die Leitung der Unternehmungen.85 Im Schlussbericht der Archäologie-Abteilung heißt es: Der Leiter der Abteilung Verwaltung KV Chef Best brachte der Frühgeschichte besonderes Interesse entgegen,

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Ausgrabung ­zwischen Juni 1940 und August 1942. Dazwischen war er immer wieder in Olympia tätig: ebd., S. 325 f. und S. 332. Schleif an Buttler, 19. 02. 1940: Unterstreichung im Original, zit. nach: Klein, Hans Schleif (wie Anm. 24), S. 325 und Anm. 226. Langdorff an Schede, 26. März 1940, Langsdorff war damals Bataillonsführer in Norwegen, Ordner 16 – 01 (Allg. Korrespondenzen 1940 – 42 K-Z), DAI Berlin, AdZ. Ebd.: Schede an Langsdorff, 30. 03. 1940. Schede schrieb, nach vier Monaten habe er sich reklamieren lassen, weil die Arbeit wenig sinnvoll war. Erst mit von Schoenebecks Besuch bei Schede stellte dieser am 4. Oktober 1940 einen Antrag zur Errichtung eines Archäologischen Dienstes in den besetzten Gebieten von Belgien und Frankreich. Von Schoenebeck kannte Wolff Metternich spätestens seit 1937 und hatte ihn, bereits in Funktion, 1940 in Frankreich besucht. Martin Schede an Ernst Sprockhoff, 19. 10. 1940, Ordner 18 – 11, DAI Berlin, AdZ; hier zit. nach: Fehr, Hans Zeiss, Joachim Werner (wie Anm. 25), S. 341. Ebd., S. 423. Fehr, Germanen (wie Anm. 47), S. 411 – 416 und S. 422.

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sein Vertreter KVA Chef Dr. Langsdorff war sogar Archäologe vom Fach.86 Langsdorff selbst beschrieb sich in einer rückblickenden Tagebuchaufzeichnung von Ende März 1941: Ich leite mit Erfolg in der Vertretung die Gruppe Schule und Kultur, habe vor der Presse, der Pariser wie auch der Auslandspresse, Märchen und Anschuldigungen wegen geraubten Kunstbesitzes zurück­ zuweisen. (…) Jetzt bin ich ständiger Vertreter der inzwischen verselbständigten Gruppe Kunstschutz und Archäologie, die Graf Metternich leitet, geworden. Und persönlicher Referent beim württembergschen Staatsminister Dr. Schmid, dem Chef des Verwaltungsstabes.87

Es klingt, als leite nun Langsdorff die Archäologie. Falls diese Entscheidung tatsächlich getroffen worden war, dann war sie nur kurz wirksam und wurde immer verschwiegen. In Langsdorffs Zeit kamen am 11.1. 41 Dr. Werner, 15.1. 41 KVR Dr. Kimmig, 3.2. 41 KVAss. Schoenebeck, 8.2. 41 OKVR Schleiermacher hinzu.88 Da von Schoenebeck als Opfer einer Nazi-Denunziation in Athen aus dem Jahre 1935 gehandicapt war, waren wahrscheinlich auch SS-Ahnenerbe-Kontakte entscheidend für seine teilweise Rehabilitation,89 denn der frühere Denunziant war mittlerweile im Führungsstab RFSS angekommen.90 Von Schoenebeck konnte sich nun endlich habilitieren und wurde dann zum Kunstschutz in Frankreich einberufen. Wichtiger Teil des archäologischen Kunstschutzes in den westlichen Gebieten war dann ebenfalls die Durchführung von Luftbildaufnahmen. Eine wesentliche Parallele des DAI/ RGK-Luftbildprojektes an der Westfront zu dem in Griechenland war die stetige teilweise Finanzierung durch das DAI,91 aus der sich Besitzansprüche ableiten ließen. Eine weitere

86 Hans Möbius, Schlußbericht über die Tätigkeit 1940 – 1944, streng vertraulich: Nachlass Franziskus Graf Wolff Metternich (künftig NL FGWM), Nr. 170. 87 Langsdorff datiert seinen Pariser Aufenthalt auf die Zeit vom 15. Januar bis 24. Juni 1941, der aber ab März 1941 mehrfach unterbrochen wurde: Langsdorff, Tagebuch, 29. 03. 1941. Jonathan Schmid (1888 – 1945), 1913 Promotion als Jurist, 1914 – 18 Kriegsteilnahme, Druckereibesitzer, 1923 NSDAPMitglied, 1932 Landtagsabgeordneter in Württemberg, seit Mai 1933 verschiedene Ministerämter in Württemberg, Juni 1940 bis Ende Juli 1942 Chef des Verwaltungsstabes beim Militärbefehlshaber Frankreich, bis Ende September 1940 auch für Paris. Ihm war Werner Best als Leiter der Verwaltung ­zwischen August 1940 und Juni 1942 direkt unterstellt. 88 Möbius, Schlußbericht (wie Anm. 86). 89 Carl Weickert teilte von Schoenebeck am 23. Oktober 1940 mit, dass er sich in Rom bei Siegfried Fuchs, der für das Ahnenerbe agierte, für ihn einsetzen wolle. NL Weickert, Kasten 4, Korrespondenz mit Archäologen, DAI Berlin, AdZ. 90 Johann W. Crome (1906 – 1961), Zu den Parteiangaben und Führungsstab RFSS siehe Martin Maischberger, Martin Schede (1883 – 1947), in: Ders./Brands (Hg.), Lebensbilder Bd. 2 (wie Anm. 9), S. 195, Anm. 177. 1939 – 1943 war Crome Dozent an der Universität Göttingen, dann wechselte er an die „Grenzkampfuniversität“ Posen. 91 Fehr, Germanen (wie Anm. 47), S. 496.

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Parallele war die dauerhafte Beziehung von Kunstschützern zum Ahnenerbe: in Frankreich von Eduard Neuffer (1900 – 1954)92 und Joachim Werner.93 Die Selbstbedienungsmentalität als Besatzer bei den Luftbildern und die Verbindung zum Ahnenerbe zeigten sich bei Werner auch im Detail, wenn er zum Beispiel auf dem Briefkopf der Französischen Luftwaffe für Vermittlungstätigkeit zum Ahnenerbe-Einsatz dankt.94 Nach Abschluss seines Dienstes beim Kunstschutz im Dezember 1941 (nun in Belgien) konnte Werner direkt seine Professur für Prähistorie an der Reichsuniversität Straßburg antreten, was offenbar auch dem Ahnenerbe entgegenkam.95 Die im März 1941 geplante große Kooperation z­ wischen SS-Ahnenerbe und Kunstschutz in Frankreich scheiterte wahrscheinlich aufgrund der veränderten Kriegslage; der deutsche Balkanfeldzug und der geplante Angriff auf die UdSSR verschoben die Prioritäten. ­Langsdorff wurde abgezogen und wirkte bis 1944 vor allem im Reichsinnenministerium, das auch die 92 Neuffer kam als erster Archäologe zum archäologischen Kunstschutzreferat in Frankreich und leitete es ab 27. November 1940. Er war ein ehemaliger Kommilitone Langsdorffs in Marburg. Im besetzten Frankreich erstellte Neuffer u.a den „Atlas der vorgeschichtlichen Befestigungsanlagen“ z­ wischen 1941 und 1943. Zu Neuffers Berichten 31. 02. 1941 bis zum 31. 08. 1943 siehe Becker/Schnurbein, Dokumente (wie Anm. 47), S. 494 – 503. Zur Biografie und Bucherwerbungen Neuffers siehe Susanne Haendschke, „Herkunft: Dr. Neuffer, Paris“. Anmerkungen zu ausgewählten Erwerbungen der Bibliothek des Rheinischen Landesmuseums Bonn 1940 bis 1944, in: Kulturpolitik der Rheinischen Provinzialverwaltung 1920 bis 1945. Tagung am 18. und 19. Juni 2018 im LVR-LandesMuseum Bonn (Beihefte der Bonner Jahrbücher 59), Darmstadt 2019, S. 139 – 149, hier S. 143. Susanne Haendschke verdanke ich den mündlichen Hinweis, dass Neuffer sich noch 1945 über Langsdorff um militärische Versetzung bemühte. Siehe ihren Beitrag im vorliegenden Tagungsband. 93 Fehr, Germanen (wie Anm. 47), S. 485 f. und S. 502 – 511. 94 Werner an Frau Budde (Sachbearbeiterin DAI), 30. 08. 1941: Dank an Frau Budde und Fräulein Bruns bei der Zentrale des AIDR für die Hilfestellung bei der Spaniensache, womit die Vermittlung der Ausgrabungen beim Ahnenerbe-Freund J. Martinéz Ollala gemeint sein wird. Ordner 16 – 01, DAI Berlin, AdZ. Im September 1941 führte Werner eine von Langsdorff (Ahnenerbe) und J. Martinéz Ollala (Falange) veranlasste Grabung auf einem westgotischen Gräberfeld in der Provinz Segovia durch. Siehe Christian Jansen, The German Archaeological Institute between Transnational Scholarship and Foreign Policy, in: Fragmenta 2 (2008), S. 151 – 181, hier S. 167. Olalla war eng verbunden über die Westgotenforschung mit Zeiss und Werner, ebd., S. 171. Dies war aber nur die erste von einer geplanten Ausgrabungsserie. Hierzu und zu Ollala: Francisco Gracia Alonso, Relations between Spanish Archaeologists and Nazi Germany (1939 – 1945). A preliminary examination of the influence of Das Ahnenerbe in Spain, in: Bulletin of the History of Archaeology 18 (2008), S. 4 – 24. Als Startpunkt wird die Zusammenarbeit 1934 – 1936 mit dem Frobenius-Institut in Spanien gesehen. Ebd., S. 4. Langsdorffs Planungen vom Januar 1941 betrafen auch Kunstschützer Wolfgang Kimmig (1910 – 2001), ebd., S. 9. 95 Fehr, Germanen (wie Anm. 47), S. 494. Zum Gutachten von Sievers siehe Ders., Hans Zeiss, Joachim Werner (wie Anm. 25), S. 348. Es stellt vielleicht auch keine zufällige Parallele zu dem OlympiaArchäologen Emil Kunze dar, der unter der Protektion Schleifs stehend ab 1942 den Lehrstuhl für klassische Archäologie erhielt.

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Militärverwaltungen in den besetzten Gebieten mit Beamten versah, und als Offizier in der finnischen Etappe der deutsch-sowjetischen Front. Er pflegte hierbei aber auch seine Kontakte zu Himmler weiter und kam im Februar 1944 als Leiter des italienischen Kunstschutzes zurück.

4.2 Kunstschutz und Ahnenerbe: Konkurrenz und Kooperationen April 1941 bis Sommer 1942 Mit dem Überfall der Wehrmacht am 6. April 1941 auf Griechenland wurde das dortige Kunstschutzreferat zunächst provisorisch nur mit von Schoenebeck besetzt. Auch Schleif erhoffte sich für das Ahnenerbe als dessen Ausgrabungsleiter die Zusage dieser Aufgabe, was DAI-Präsident Schede wusste.96 Himmler konnte Schleif diese Zusage jedoch nicht geben. Es war aber das Einsatzkommando des Sicherheitsdienstes (SD), dem Schleif nun angehörte, das nun die prestigereiche Olympia-Grabung versorgte – nicht der Kunstschutz.97 Am 5. Mai 1941 trafen der Leiter des militärischen Kunstschutzes, Wolff Metternich, und sein Stellvertreter Bernhard von Tieschowitz (1902 – 1968) in Athen ein.98 Allerdings war damit die Lage keineswegs entschieden.99 Bis Oktober blieb von Schoenebeck als Kunstschützer allein in Athen; er wäre politisch der denkbar schwächste Vertreter in einer eventuellen Konstellation gegen das Ahnenerbe gewesen. Schede versuchte mit von Schoenebeck zunächst die Luftbildaufnahmen voranzutreiben. In seinem Antrag für das Luftbildprojekt in Griechenland vom Juni 1941 – in Konsequenz 96 Schede an Wrede, 05. 05. 1941: Ordner 38, DAI Athen. 97 Schleif wurde selbst zum SD-Einsatzkommando Athen abkommandiert und gehörte ihm bis 1943 an. Stephan Lehmann, Hans Schleif (1902 – 1945), in: Brands/Maischberger (Hg.), Lebensbilder Bd. 2 (wie Anm. 52), S. 207 – 222, hier S. 213 f. Hierzu genauer: Klein, Hans Schleif (wie Anm. 24), S. 335 – 338. Unklar bleibt weiterhin Schleifs genaue Tätigkeit für den SD in Griechenland. In Griechenland wurden nach dem Einmarsch 1941 Verhaftungen von Zivilisten durch den SD vorgenommen, Ermordungen, wie durch die Einsatzkommandos in Polen, sind nicht nachweisbar. Schleif schrieb zumindest Himmler einen „Bericht über die Lage in Griechenland“, der im Titel anzeigt, dass es um mehr als nur die Olympia-Grabung ging. Leider ist der Bericht nicht erhalten: ebd., S. 338 und Anm. 189 – 291. Ab Ende 1942 kam Schleif nicht mehr nach Griechenland, da keine extensiven Ausgrabungen in Olympia aus finanziellen Gründen und wegen der unsicheren Lage im nunmehrigen Partisanengebiet möglich waren. 98 Die Abreise erfolgte am 18. Mai 1941, Notizkalender Bernhard von Tieschowitz (Juli 1940–Oktober 1944), NL FGWM, Nr. 251. 99 Noch am 25. Juli 1941 wurde ein „Verwaltungsrat Athen“ unter Harald Turner (1891 – 1947) geplant. Siehe Byron Tesapsides, Die deutsche Wehrmacht in Griechenland im Zweiten Weltkrieg, Bd. 1, Saloniki 2005, S. 60. Turner, im Persönlichen Stab RFSS seit 1934, 1940 Chef der Militärverwaltung in Paris, wurde auch zunächst nur provisorisch nach Serbien versetzt. Erst im September 1941 wurde er Chef der deutschen Militärverwaltung in Serbien. Zu den Details mehr in meiner Dissertation.

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eines Beschlusses der Zentraldirektion des DAI –,100 gibt er als ein Ziel die Verdeutlichung der topographischen Verhältnisse griechischer Landschaften (explizit auch von Sparta) an.101 Dass Schede sich die Rückgewinnung der Kontrolle über das Topografieprojekt erhoffte, ist wahrscheinlich. Er wollte aber auch die Erfassung nicht bodensichtbarer Altertümer, z. B. im Boden verborgener Mauerzüge (…), versunkener altgriechischer Hafenanlagen und untergegangener antiker Schiffe erreichen.102 Die antiken Schiffe zu finden, schloss die Ambition, eventuelle Antiken zu heben, mit ein. Es sollte der Minister und Freund der antiken Kunst Johannes Popitz sein, der das Flugbildprojekt bei Göring für das DAI durchsetzte. Von Schoenebeck konzipierte von Anbeginn die Bildwünsche des Luftbildprojektes auch nach den begonnenen topografischen Forschungen bzw. zum Nachweis von Wanderungsbewegungen in Griechenland im Sinne der DAI-Ahnenerbe-Kooperationen. Die ersten Profiteure des Luftbildunternehmens wurden jedoch Siegfried Lauffer (1911 – 1986) und Richard Harder (1896 – 1957) vom ERR „Griechische Altertumskunde“, die deutsche Aufnahmen schon Anfang Juli 1941 für ihre Grabungen in der Kopais-Ebene erhielten.103 Die Planungen für Luftbildaufnahmen machten nicht an den Grenzen Griechenlands halt. Am 6. Oktober teilte von Schoenebeck Schede mit, er habe nun in Belgrad mit F ­ riedrich Holste (1908 – 1942) über die Frage des für die archaischen und dorischen Wanderungen wichtigen Boden Serbiens gesprochen; sie wollten die Flüge möglichst dorthin ausweiten.104 Damit war auch das zentrale Ahnenerbe-Thema und ein wichtiger Ahnenerbe-Mitarbeiter seitens von Schoenebeck erwünscht und einbezogen.105 Himmler beantragte für das Ahnenerbe am 10. Oktober 1941 eine Grabungserlaubnis für Sparta, die vom griechischen Kultusministerium am 30. Oktober erteilt wurde.106 100 Protokoll der ZD-Sitzung vom 02./03. 05. 1941: Luftbilder für Griechenland. Siehe Julia Hiller von Gaertingen, Deutsche archäologische Unternehmungen im besetzten Griechenland 1941 – 1944, in: Athenische Mitteilungen des DAI 110 (1995), S. 461 – 490, hier S. 471 f. Bei Gaertingen, S. 470 erscheint dies als persönliche Entscheidung Schedes, da sie das Protokoll nicht kannte. 101 Ordner 18 – 41 – 1, DAI Berlin, AdZ, Schede an RLM, 19. 05. 1941. 102 Ebd. 103 Ebd.: Vermerk H. v. Schoenebeck, 10. 07. 1941. 104 Ordner 18 – 41, DAI Berlin, AdZ: Schoenebeck an Schede, 06. 10. 1941. Nach Fehr, Germanen (wie Anm. 47), S. 413 war es Holste, der bereits in Frankreich am 15. September 1940 dem Ahnenerbe die überhaupt ersten Vorschläge für dessen Einsatz unterbreitete. 105 Ordner 43, DAI Athen: Friedrich Holste war seit 1939 Assistent von Hans Zeiss in München und sollte der Nachfolger von Gero von Merhart (1886 – 1959) in Marburg werden. Siehe Uta Halle, „Frey […] hat mal wieder völlig versagt“. Herman-Walther Frey im Netzwerk der Vorgeschichtsforscher, in: Michael Custodis (Hg.), Herman-Walter Frey. Ministerialrat, Wissenschaftler, Netzwerker. NS-Hochschulpolitik und die Folgen, (Münsteraner Schriften zur zeitgenössischen Musik 2), Münster u. a. 2014, S. 43 – 66, hier S. 64. 106 Die Grabung sollte unter Aufsicht Schleifs stehen, der zu gegebener Zeit die notwendigen Mitarbeiter namhaft machen wird: Himmler an Schede, 10. 10. 1941, Ordner 18 – 41 – 0, DAI Berlin, AdZ. Die Genehmigung für Schleif im Ordner 43, DAI Athen. Zu dieser Grabung kam es allerdings nicht.

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Im Oktober trafen zwei neue Kunstschützer ein: Sie kamen zum Kunstschutz, weil sie für das Luftbildprojekt in Griechenland beim REM angefordert wurden.107 Der Archäologe Wilhelm Kraiker (1899 – 1987) wurde von der Geheimen Feldpolizei (GFP) in Griechenland überstellt, schon davor war er in Frankreich in der GFP tätig gewesen, in Griechenland war er mit ihr über Jugoslawien einmarschiert.108 Er hatte in dieser Funktion die Beschlagnahmungen der griechischen Luftbilder im Juni 1941 durchgeführt.109 Zudem kam der Sparta- und Kreta-Forscher Ernst Kirsten als Nachrichten-Spezialist der Luftwaffe zum Kunstschutz. Er übernahm die praktische Planung des Flugbildprojektes. Diese Unternehmung wurde in Griechenland das am längsten anhaltende Projekt des Kunstschutzes. Nach von Schoenebeck sollte es das wissenschaftliche Machtmittel sein, mit dem die wissenschaftliche Vormachtstellung für ein Jahrhundert gesichert werden kann.110 Mitte 1942 umfasste der Ertrag des Unternehmens mindestens 5000 Bilder, davon 1000 beschlagnahmte griechische Aufnahmen.111 Eine exklusive Nutzung durch das DAI war nie beantragt, für Schede aber selbstverständlich. Der Loyalität Kirstens zum Institut, der wie schon erwähnt, auch dem Ahnenerbe diente, war sich Schede von Anbeginn nicht sicher.112 Offenbar folgten die Flüge und Geländebegehungen weiterhin topografischen Fragestellungen, die stets auch vom Ahnenerbe inspiriert waren. Schede erhielt am 14. Januar 1942 seinen Bereitstellungsschein um als Militär-Dolmetscher eingezogen zu werden. Metternich hatte spätestens seit Dezember 1941 keine weiteren Bestellungen zum Kunstschutz in Griechenland durchsetzen wollen und dessen Leiter von Schoenebeck hatte sich freiwillig zum Militär gemeldet. Kraiker war nun der Leiter in spe und Kirsten für das Flugbild-Projekt praktisch eigenverantwortlich tätig. Der DAI-Kunstschutz wurde schwächer und das Ahnenerbe beständig stärker. Im Februar 1942 reiste der Kunstschutzmitarbeiter Kirsten zum DAI in Rom und organisierte ausgerechnet mit dem dortigen Ahnenerbe-Funktionär Siegfried Fuchs, der zugleich 107 108 109 110 111

Schede an Reichserziehungsminister Rust, 14. 08. 1941. Im Oktober erfolgte der Dienstantritt. MA Freiburg, Pers 6 21851 Wilhelm Kraiker, Akte des Militärbefehlshabers Südost, Militärverwaltung. Aktenvermerk Schoenebecks vom 12. 06. 1941, Ordner 44, DAI Athen.

Ebd., Schoenebeck an Schede, 29. 07. 1941. Ordner 18 – 41 – 1 DAI Berlin, AdZ: Schoenebeck, Protokoll der Sitzung im Reichserziehungs­ ministerium, 12. August 1942. Bereits am 9. Juni 1942 dankte Schede Göring für die Zusendung von ungefähr 11 000 Luftbildern von Griechenland. Schede behauptet: Die Bearbeitung des Materials ist hier sofort in Angriff genommen worden: Ordner 43, DAI Athen. Die Differenz erklärt sich wahrscheinlich aus der Verwendbarkeit. Für die Auswahl der ca. 1000 griechischen Bilder wurden ca. 35.000 Aufnahmen durchgesehen. 112 Ordner 38, DAI Athen, Schede schreibt an Wrede, 18. 11. 1941, dass er keine Verquickungen der Aufträge zu den topografischen Forschungen Kirstens in Akarnanien mit den Aufträgen zum Luftbild wünsche. Allerdings hatte Kirsten dennoch auch von Akarnanien mindestens ein Luftbild seit 1941 gefertigt (üblicherweise waren es stets mehrere). Siehe Ernst Kirsten, Die griechische Polis als historisch-­geographisches Problem des Mittelmeerraumes, Bonn 1956, Abb. 5. Limnaia (Akarnanien), mit Besitzervermerk: Luftbild (1941) im Archiv E. Kirsten.

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zweiter Direktor des römischen DAI-Institutes war,113 den weiteren Erwerb von Luftbildern bei der Luftwaffe für Süditalien und Nordafrika.114 Dies entsprach der Frontentwicklung, zugleich bestand zu ­diesem Zeitpunkt für Schede wohl die größte Gefahr des totalen Kontrollverlustes über das Bild-Projekt respektive die topografischen Forschungen. So sicher ist, dass Kirsten den Zugriff auf die Bilder kontrollieren wollte, so unwahrscheinlich ist, dass er mit Fuchs nicht auch Nebenabsprachen zugunsten des Ahnenerbes traf, dass sich nun auch auf dem Balkan ausdehnte. Ende Februar 1942 hatte in Serbien der einzige Kunstschutzvertreter Johann Albrecht von Reiswitz (1899 – 1962) auch einen Vertrag mit dem Ahnenerbe geschlossen,115 das seine Mitarbeiter zu dortigen Ausgrabungen entsandte.116 Reiswitz konnte so am 17. Februar 1942 an der Münchner Universität als Dozent zur Geschichte des Balkans antreten, mit demselben Datum erhielt das SS-Ahnenerbe die Grabungskonzessionen für Serbien von der Kollaborationsregierung.117 Der zentrale Kurator des SS -Ahnenerbes ­Walther Wüst (1901 – 1993) war seit April 1941 auch Rektor der Münchner Universität. Seine

113 Marie Vigener, „Der gegebene Ortsgruppenleiter“? Ein Archäologe in der Auslandsorganisation der NSDAP in Rom, in: Das Altertum 55 (2010), S. 127 – 142, hier S. 134; Dies., Siegfried Fuchs (wie Anm. 52), zu seiner Rolle im Ahnenerbe besonders S. 232 – 235. 114 Konkretisiert wurden die Vorschläge von Schoenebeck erstmals am 12. August 1941 auf der Sitzung im REM . Kirsten berichtete Kraiker am 19. Februar 1942 über seine Absprachen mit Fuchs in Rom. Hiernach ginge es um Befliegungen Nordafrikas, Zyperns, aber auch heimliche Aufnahmen Süditaliens, die auch das Ahnenerbe in Italien betrafen. Kirsten erhielt die Zusage, dass das Institut in Rom die Bilder nicht selbst veröffentlicht und alle Verhandlungen mit militärischen Stellen nur über unsere Dienststelle als die einzige mit archäolog. Luftbildern betraute gehen können: Ordner 44, DAI Athen. 115 Johann Albrecht von Reiswitz (1899 – 1962) war von Juli 1941 bis September 1944 als Kriegsverwaltungsrat Mitglied des Militärischen Kunstschutzes und Beauftragter für Serbien. Reiswitz schrieb an seine Frau (o. D.), er habe am vorhergehenden Wochenende von Schoenebeck getroffen, und am 18.02.[1942] reise MV-Chef Turner nach Berlin für einige zehn Tage. Bis dahin wollte Reiswitz den Ahnenerbe-Vertrag, der mir ganz besonders am Herzen liegt, offensichtlich über SS-Stabsmitglied Turner abgeschlossen haben: Reiswitz, Privatnachlass, Brief 131. Vielen Dank an Andreas Roth, Belgrad, der mir diesen Brief zusandte. 116 Kunstschützer Reiswitz schrieb aus Serbien, er erwarte Ahnenerbe-Mitarbeiter noch in den letzten drei Wochen vor dem Urlaub (12. – 30. 10. 1942, Ödhof Chiemgau): Prof. Unverzagt für die Festung Belgrad, Dr. Rust für die Altsteinzeit und Dr. Willvonseder und Dr. Dehn, um sie zu gleichen Teilen am Erbe Dr. Holstes zu beteiligen. Reiswitz an Ti[e]schowitz, 17. 09. 1942: NL FGWM , Nr. 164. Ursprünglich sollte als Nachfolger von Friedrich Holste Gero von Merhart im Auftrag des Ahnenerbes tätig werden. Siehe Dana Schlegelmilch, Gero von Merharts Rolle in den Entnazifizierungsverfahren „belasteter“ Archäologen, in: Regina Smolnik (Hg.), Umbruch 1945? Die prähistorische Archäologie in ihrem politischen und wissenschaftlichen Kontext, Dresden 2012, S. 12 – 19, hier S. 15. 117 Christina Kott, Kunstschutz im ­Zeichen des totalen Krieges. Johann Albrecht von Reiswitz und ­Wilhelm Unverzagt in Serbien, 1941 – 1944, in: Acta Praehistorica et Archaeologica 49 (2017), S. 245 – 269, hier S. 246 Anm. 4 u. S. 259.

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­ ntrittsrede am 5. Juli 1941 nannte er „Indogermanisches Bekenntnis“, in ihr fand Kreta A auch seine ausdrückliche Erwähnung.118 In einer konzertierten Aktion von REM und Auswärtigem Amt wurde Schedes Unabkömmlichkeitsantrag vom 13. Februar 1942 nachdem seine Arbeit im Archäologischen Insti­tut zur Zeit staatswichtig sei, unterstützt, ihm jedoch erst zum 2. April 1942 entsprochen. REM und AA übernahmen Schedes inhaltliche Argumentation, dass seine Tätigkeit für das Institut ‚in Griechenland, im Vorderen Orient, in Ägypten nicht ersetzbar‘ sei. Schede selbst war weitergegangen: Es läuft zur Zeit eine Reihe wichtiger Unternehmungen in Italien, Spanien, Frankreich, Griechenland, Bulgarien und Türkei, und es muß zudem die Möglichkeit späteren Einsatzes in Syrien Ägypten, Irak, Iran, Ukraine, Kaukasus im Auge behalten werden. So bin ich soeben in maßgebender Funktion am Kriegseinsatz der deutschen Orientalistik beteiligt worden.119

Letzteres verweist auf die „Aktion Ritterbusch“ unter dem Kieler Universitätsrektor Paul Ritterbusch (1900 – 1945), die Sektion Orientalistik kam 1942 hinzu. Der Krieg nahm die Richtung, die Schede schon 1940 bevorzugt hatte. Die Abteilung Orientalistik wurde von dem Münchner Indologen und Ahnenerbe-Chef Walther Wüst geleitet,120 Schede und Wüst waren nun Konkurrenten und Kollegen.

4.3 Kooperation DAI, SS-Ahnenerbe und Kunstschutz in Griechenland (Sommer 1942 bis Herbst 1943) Hans Schleif legte seine Position der zentralen Ausgrabungsleitung beim Ahnenerbe im Sommer 1942 nieder. Das DAI hatte ihm zuvor im Frühjahr 1942 einen Zehnjahresvertrag für die 118 Walther Wüst, Indogermanisches Bekenntnis, Rede vom 05. 07. 1941 anlässlich der Übernahme des Rektorats der LMU München. Der Originalabdruck der Rede nachdem hier zitiert wird, findet sich auf der Seite des Universitätsarchivs der LMU und umfasst hier S. 3 – 32: https://www.­universitaetsarchiv. uni-muenchen.de/digitalesarchiv/rektoratsunduniversitatsreden/pdf/116.pdf (Stand: 26. 07. 2020), hier S. 5. Für ihn waren die unvergleichlichen Heeresbewegungen der Wehrmacht seit Kriegsbeginn ein Bekenntnis zur Tat, wie es angeblich Deutsche und Germanen einst gewollt hatten und „Kampf und Kultur“ der zwillingshafte Ausdruck einer tiefen Gemeinschaft, die von Kreta bis Mittenwald ihre dörflichen Feste feiert. Ebd. S. 9: Mittenwald war und ist der Stationierungsort der Gebirgsjäger, die bei dem für Wehrmacht verlustreichsten Einsatz in Griechenland – der Kreta-Landung – eingesetzt wurden. 119 Beide Schreiben in REM-Personalakte, Martin Schede, BA R4901 20974. 120 In der „Aktion Ritterbusch“ wurden 730 Geisteswissenschaftler aus 18 Disziplinen eingesetzt. Hierzu Frank Rutger Hausmann, „Deutsche Geisteswissenschaft“ im Zweiten Weltkrieg. Die „Aktion Ritterbusch“ (1940 – 1945), 3. erw. Aufl. Heidelberg 2007, siehe zur Orientalisten-Tagung 1942 bes. S. 211 – 217.

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Verfassung einer antiken Baugeschichte gegeben, der ab Sommer des Jahres begann, er war also zusätzlich neben seiner Aufgabe bei der Olympia-Grabung finanziell und institutionell abgesichert.121 Günstige Zukunftsaussichten für die eigene Rolle nach dem erhofften Endsieg konnte gerade Schleif mit jedem Recht haben. Dem Ahnenerbe teilte Schleif mit, dass er nach Fertigstellung der Baugeschichte s­ päter umso besser der Organisation dienen könne.122 Im Sommer 1942 kam es dann auch endlich zu einem Vertragsabschluss z­ wischen DAI und Ahnenerbe. Schede schloss diesen direkt mit den Ahnenerbe-Chefs Wolfram Sievers (1905 – 1948) und Walther Wüst ab. Es ging um eine „Aufgabenteilung in Griechenland, Syrien und Iran“ 123 und für Schede auch darum, die künftigen Claims in den erobernden Gebieten „gegen gemeinsame Gegner“ – in erster Linie erneut und immer noch Reinerth – abzustecken.124 Der Vertragstext ist nicht bekannt, sondern nur Titel, wenige Begleitschreiben und die wahrscheinliche Konsequenz der Kooperationen in der UdSSR 125 und in Serbien, die zur weiteren personellen Verquickung von DAI und Ahnenerbe beitrugen. Eine Erwähnung von Luftbildern findet sich nicht. Wenn Schede glaubte, so die Handlungskontrolle wiederzuerlangen, ging er ein hohes Risiko ein. Es überwog wohl seine Hoffnung, auf diese Weise selbstverständlicher Partner im Eroberungskrieg zu bleiben, denn Illusionen über 121 Schleif stellte am 16. März 1942 den Antrag zur Finanzierung der „Systematik und Geschichte der griechischen Baukunst“. Am 1. Juni 1942 begann das Projekt. Am 1. März 1943 wurde Schleifs Bibliothek durch Bombentreffer vernichtet. In der Folge war seine Biografie durch seine leitende Tätigkeit beim SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt (WVHA) geprägt: Biografische Angaben nach: Klein, Hans Schleif (wie Anm. 24), S. 364. 122 BA NS 21/411, Bl. 25, Aktennotiz Sievers, 19. 08. 1942, zit. nach: Klein, Hans Schleif (wie Anm. 24), S. 334. Klein überinterpretiert die Niederlegung des Amtes m. E. in seiner Chronik als „Austritt“ aus dem Ahnenerbe. Tatsächlich war aber mit Architekt Arnold Tschira (1910 – 1969), SS-Mitglied seit 1933 und Beteiligter an Ahnenerbe-Projekten in Italien und Griechenland, hier bereits ein Platzhalter auch für die Akropolis-Arbeiten vorhanden. Seinem Olympia-Mitarbeiter Hans Weber teilte Schleif noch am 1. Januar 1945 mit, dass er zum Olympia-Stamm auch in dem nun zum zweiten Mal zu befreienden Griechenland sicher sei. Wenn das DAI nicht richtig spurt, solle er sich sofort melden: Teil-NL Hans Weber, DAI Athen. 123 Laut Maischberger, Martin Schede (wie Anm. 90), S. 185. 124 Ebd., S. 185 f., hier Anm. 136. Wüst war in München Professor für Arische Kultur- und Sprachwissen­ schaft. In seiner Antrittsrede als Rektor der Münchner Universität vom 5. Juli 1941 hatte er u. a. die Philosophie des Späthellenismus in seiner bekannten Verjudung mit Kampf und Kultur kontrastiert mit dem zwillingshafte(n) Ausdruck einer tiefen Gemeinschaft, die von Kreta bis Mittenwald ihre dörflichen Feste feiert. Siehe Wüst, Indogermanisches Bekenntnis (wie Anm. 118), S. 6 u. 9. 125 Zum Beispiel der Einsatz von Ernst Buschors Assistenten Joseph Wiesner (1913 – 1975) zum Einsatzkommando Jankuhn im Rahmen des SD-Einsatzkommandos zur archäologischen Bearbeitung der griechischen Kolonialstädte auf der Krim. Gesprächsnotiz des Ahnenerbe-Geschäftsführers Wolfram Sievers, 29. 04. 1943, zit. in: Heiko Steuer, Herbert Jankuhn. SS-Karriere und Ur- und Frühgeschichte, in: Hartmut Lehmann/Otto Gerhard Oexle (Hg.), Nationalsozialismus in den Kulturwissenschaften, Bd. 1. Fächer – Milieus – Karrieren, Göttingen 2004, S. 474 – 530, hier S. 493 f.

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die Übernahmemöglichkeiten des DAI mithilfe des militärischen Kunstschutzes konnte er nicht mehr haben. Zu der Erfahrung, dass keine neuen Mitarbeiter seitens des OKH gestellt wurden, kam im Sommer 1942 noch Wolff Metternichs Beurlaubung durch das OKH hinzu, dem im Herbst 1943 die Entlassung folgte.126 Ein Beispiel dafür, dass die Kunstschützer sich kaum auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrierten waren, die Ausgrabungsprojekte des DAI auf Kreta. Mit Ernst Kirstens Flugbild-Arbeit ab Oktober 1941 begann auch die gezielte Suche nach Ausgrabungsplätzen auf Kreta.127 Die Begehungen und Grabungen fanden schließlich wegen der Kriegslage jedoch erst von Mai bis Dezember 1942 statt. Drei von vier verbliebenen Kunstschützern waren in die expansive Unternehmung eingebunden,128 was ein weiteres klares Z ­ eichen für die weitgehende Preisgabe der Kunstschutzaufgaben ist. Der Althistoriker Fritz Schachermeyr (1895 – 1987), einer der profiliertesten NS -Karrieristen,129 der dem Ahnenerbe nahestand, wurde nach Vorkontakten mit Kirsten im Mai 1942 auch zu den Kreta-Grabungen eingeladen.130 Zwei Kunstschützer hatte er habilitiert,131 und einer wollte sich bei ihm habilitieren,132 drei von vier Kunstschützern standen ihm also nahe. Die Opposition zu dem DAI -Kreta-Beauftragten Friedrich Matz (1890 – 1974) war für Schachermeyr wie Kirsten selbstverständlich, sie erhofften sich nach seiner Abreise freie Bahn.133 Diesen Wünschen setzten vielleicht der 126 Esther Heyer, Der Provinzialkonservator Franziskus Graf Wolff Metternich. Denkmalpflege und Kunstschutz im Rheinland und in Frankreich, in: Kulturpolitik der Rheinischen Provinzialverwaltung (wie Anm. 92), S. 73 – 83, hier S. 79. 127 Ernst Kirsten teilte unmittelbar vor Beginn der Inselbegehungen für spätere Grabungen mit, dass von den griechischen Luftbildern Kreta-Abzüge bereits für die Arbeit auf der Insel verwendet werden können: Ordner 44, DAI Athen, Ernst Kirsten, Kunstschutztätigkeitsbericht 01.04. bis 10. 05. 1942: Die Inselbegehungen begannen im Mai, Grabungen ab Juli 1942. 128 Es waren dies die Kunstschutzmitarbeiter Ulf Jantzen, August Schörgendorfer und Ernst Kirsten. 129 Martina Pesditschek, Fritz Schachermeyr (1895 – 1987), in: Brands/Maischberger (Hg.), Lebensbilder Bd. 2 (wie Anm. 9), S. 295 – 308. 130 Kirsten schrieb nach seiner Ankunft auf Kreta am 15. Mai 1942 an Schachermeyr, wie aus einer undatierten Antwort Schachermeyrs hervorgeht. Parallel hatte er bereits über den Kunstschützer Schörgendorfer den Zugang zur Insel betrieben. Schachermeyr an Kirsten, o. D., NL Kirsten, Kasten 3, DAI Berlin, AdZ. 131 Wilhelm Kraiker 1936 und Ernst Kirsten 1939/40 an der Universität Heidelberg, wo Schachermeyr bis Anfang 1941 lehrte. 132 August Schörgendorfer an der Universität Graz, wohin Schachermeyr 1941 gewechselt war. 133 Der als Gesamtleiter für die Grabungen durch das DAI bestimmte Friedrich Matz figuriert in Schachermeyrs Schreiben an Kirsten (siehe Anm. 113) als der graswachsenhörende Krampfanalysen machende Schreibtischarchäologe, der glücklicherweise verduftete. Matz reiste im September erneut an, Schachermeyr kam hingegen wegen der Kriegslage auf Kreta nicht mehr zum Einsatz. Es ist eine von ihm gestrickte Legende, dass er es ablehnte, während des Krieges auf Kreta tätig zu werden. Vielmehr kam er erst nicht mehr wie gewünscht nach Kreta, dann weigerte er sich, sich vom Militär zum Kunstschutz Kreta einziehen zu lassen. Zur Legende siehe Pesditschek, Fritz Schachmeyr (wie

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Ahnenerbe-Vertrag vom Sommer 1942 und sicher die Kriegsentwicklung bald Grenzen. Ende November 1942 war General Erwin Rommel (1891 – 1944) an der Afrika-Front militärisch gescheitert; die Kreta-Grabungen wurden am 15. Dezember gestoppt. Es ist kennzeichnend, dass es bei der Verwertung der Ergebnisse in Griechenland – sowohl der Grabungen auf Kreta als auch der Luftbilder – zum Konflikt ­zwischen Schede und den Kunstschützern Kirsten und Kraiker kam. Sie sahen sich eben gerade nicht als „verlängerter militärischer Arm des DAI“,134 worauf sie Schede gern festgelegt hätte. Ihnen ging es vor allem um die Verwertung der Ergebnisse unter ihrem Namen, die tragende Institution war für sie sekundär. Die vermeintliche Großtat des Kunstschutzes in Griechenland, die Vertreibung des Einsatzstabes Rosenberg unter Reinerth, wäre ohne die SS, die das Parteiverfahren gegen Reinerth im Januar 1943 durchsetzte, nicht gelungen.135 Erst am 16. Januar 1943 bestand auch das REM darauf, dass Reinerth nur noch mit Zustimmung des DAI und im Rahmen der Zweigstelle des Archäologischen Instituts in Athen agieren dürfe.136 Die SS hatte den Konkurrenten aus dem archäologischen Feld geschlagen, nachdem es REM und DAI kontrollierte. Mit dem nächsten Schritt übernahm sie die Kontrolle über die Kulturpolitik des Auswärtigen Amtes, was sich auch in Griechenland auswirkte. Den von Langsdorff bereits 1938 angestrebten Posten als Kulturbeauftragter des Auswärtigen Amtes 137 sollte im März 1943 mit Franz Six (1909 – 1975) ein SS-Karrierist erhalten. Dieser war seit Juli 1935 u. a. als Leiter des Amtes für Presse und Schrifttum innerhalb des SD-Hauptamtes eingesetzt gewesen.138 Die Auslandspropaganda bekam nun eine andere Stoßrichtung, die sich

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Anm. 129), S. 302 und Anm. 98. Zwischen 25. Mai 1943 und 11. Juli 1943 war er für das Ahnenerbe in Serbien, ebd., S. 302 f. Sowohl von Kreta als auch vom Balkan fand sich archäologisches Material in seiner Privatsammlung, ebd. S. 304. Gaertingen, Deutsche archäologische Unternehmungen (wie Anm. 100), S. 465. Das Verfahren wurde im Januar 1943 eröffnet, am 27. Februar 1945 wurde Reinerth aus der NSDAP ausgeschlossen: Halle, Externsteine (wie Anm. 37), S. 489. DAI Berlin, AdZ, Ordner 18 – 41 – 1, REM an Schede, 16. 01. 1943. Das REM versteckte sich hierbei hinter den Formulierungen der Kulturabteilung des AA vom 19. November 1942, die offenbar erst zwei Monate s­ päter, mit dem Parteiverfahren gegen Reinerth, durchsetzbar schienen. Schede leitete diese Entscheidung an das DAI und Kunstschutzleiter Kraiker direkt weiter. Zu Reinerths Rolle in Griechenland siehe Gunter Schöbel, Hans Reinerth. Seine Forschungen und Grabungen zum Neolithikum in Thessalien, in: Eva Alram-Stern/Angelika Dousougli-Zachos (Hg.), Die Deutschen Ausgrabungen 1941 auf der Visviki-Magula/Velestino. Die Neolithischen Befunde und Funde (Beiträge zur ur- und frühgeschichtlichen Archäologie des Mittelmeer-Kulturraumes 36), Bonn 2015, S. 17 – 49. Am 4. April 1938 sprach Langsdorff hierzu mit dem damaligen Ministerialrat des AA, Curt Prüfer, der versprach Ribbentrop anzufragen. Ribbentrop wollte Langsdorff, nach dessen Tagebuch, angeblich wegen dessen Nähe zur Frick und Himmler nicht in das AA übernehmen: Langsdorff, Tagebuch, 04. 04. 1938 und 01. 07. 1938. Werner Augustin/Martin Moll, Alfred Six, in: Ingo Haar/Michael Fahlbusch (Hg.), Handbuch der Völkischen Wissenschaften. Personen – Institutionen – Forschungsprogramme – Stiftungen, Bd. 2. Biographien, München 2017, S. 774 – 778.

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zuerst in Himmlers Rede vor SS-Führern in Charkow (Ukraine) am 24. März 1943 ausdrückte. Die Auseinandersetzung mit Asien und dem Judentum, gemeint waren bekanntlich der fortgesetzte und forcierte Massenmord aus Judenhass und Antibolschewismus mithilfe von Freiwilligeneinheiten der besetzten Länder, beschrieb er als Auftakt dafür, dass sich der europäische Kontinent zusammenschließt.139 Diese Ziele wurden auch sofort in Griechenland umgesetzt, die Deportation der ca. 50.000 Juden aus Saloniki nach Auschwitz begann am 15. März 1943, die Partisanenbekämpfung wurde intensiviert. Der Kulturattaché der deutschen Gesandtschaft, das DAI-Mitglied Erich Boehringer (1897 – 1971), war seit 1940 im Amt, im Frühjahr 1943 trat er wieder seine Archäologie-Professur in Greifswald an. Der damalige Kunstschützer Ulf Jantzen (1909 – 2000), reiste Anfang Mai 1943 vom Athener Institut gen Saloniki,140 erst am 4. September 1943 zog Jantzen wieder in das DAI Athen ein.141 Kraiker teilte Schede am 16. Juni 1943 mit, dass Jantzen neben seinen anderen Aufgaben auch die Aufgaben des Kunstschutzes für den nordgriechischen Raum und die Inseln der nördlichen Ägäis versieht.142 Jantzen war auch engagiert für den Kunstschutz auf Kreta aktiv gewesen. Für seine Tätigkeiten im Zeitraum Frühjahr bis Herbst 1943 finden sich aber bisher keine weiteren Belege. Später wurde dieser Fakt getilgt.143 Der verbliebene Kunstschutz – Kraiker und Kirsten – war bis Herbst vor allem mit dem Erwerb neuer Luftbilder und deren sicherer Verbringung ins Reich beschäftigt. Teilweise seit Januar 1943 und endgültig ab Herbst 1943 waren die Kunstschützer und die anderen in Griechenland verbliebenen Archäologen selbstverständlicher Teil einer Wehrmacht, die durch stetig zunehmende Brutalisierung den Status quo der Besatzungsmacht gegenüber einer griechischen Bevölkerung, die sich massenhaft im Widerstand organisierte, zu wahren suchte. Gerade die deutschen Archäologen mit ihren Sprach- und Kulturkenntnissen waren nun als Dolmetscher und Lageberichter in den Abwehrabteilungen der Wehrmacht und des SD gefragt, um Partisanenbekämpfung und Kollaboration zu organisieren. Die Frage der Zugehörigkeit zum Kunstschutz, DAI oder Ahnenerbe war auf ­diesem Kriegsschauplatz irrelevant geworden. Spätestens nach dem Waffenstillstand der Italiener mit den Alliierten am 3. September 1943 stellte sich jedem deutschen Archäologen die Frage, wie er den Krieg überleben und unter ­welchen Bedingungen es überhaupt wieder eine deutsche Archäologie in Griechenland oder Italien geben könne. 139 Diese Rede findet sich auf der Seite der Harvard-Universität: http://nuremberg.law.harvard.edu/ documents/3791-speeches-concerning-the-ss?q=evidence:“22PS-1919“22#p.17 (Stand: 26. 07. 2020), hier S. 16. Von Six selbst hierzu: Alfred Six, Europa. Tradition und Zukunft, Hamburg 1944, S. 115 f. zu den Freiwilligeneinheiten. 140 DAI Athen, Vierteljahresbericht 1. April bis 30. Juni 1943, Gästeverkehr, Ordner B7 (Allgemeine Tätigkeitsberichte des ADIR 1923 – 1944); zu Jantzen siehe Anm. 51. 141 Ebd., Vierteljahresbericht der Abteilung Athen, 01.07. – 30. 09. 1943. 142 DAI Berlin, AdZ, Ordner 18 – 41 – 3. 143 Gaertingen, Deutsche archäologische Unternehmungen (wie Anm. 100), S. 466: Hier wird fälschlich behauptet, Jantzen sei bis Herbst 1943 auf Kreta gewesen; er wurde für den Aufsatz interviewt, siehe ebd. S. 476, Anm. 71.

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5. Das Ende in Italien und die Luftbilder des DAI Die Dynamik der Beziehung ­zwischen Ahnenerbe, Kunstschutz und DAI sollte nun dort eine Fortsetzung finden, wo die westlichen Alliierten letztlich den Angriff wagten: in Italien. Himmler plante, nachdem er Ende August 1943 auch deutscher Innenminister geworden war, für Anfang November Langsdorffs Versetzung aus dem Innenministerium und seinen Einsatz in Italien. Er freue sich, dass er mich wieder habe, notierte Langsdorff nach dem Treffen am 1. Oktober 1943.144 Johannes Popitz, der preußische Finanz- und Reichsminister, ein Verbindungsmann zu den Berliner Museen, war gerade mit dem Plan gescheitert, Hitler durch Himmler zu ersetzten.145 Dem Italien-Spezialisten und Kunstagenten Prinz Philipp von Hessen (1896 – 1980) war von Hitler und Göring endgültig das Vertrauen entzogen worden, weil er nicht den Waffenstillstand z­ wischen Italien und den Alliierten vorhergesagt hatte.146 Prinz Philipps und Popitz’ Isolierung seit September 1943 und ihre folgenden Verhaftungen bedeuteten auch eine Schwächung der Einflussmöglichkeiten des DAI auf die Archäologie in den besetzten Gebieten. Wie wurde Langsdorff in ­diesem Konfliktfeld positioniert? Sollte er entsandt werden, um die Verbindung zu Mussolini in dessen norditalienischer Republik von Salo zu halten, als Mann der Berliner Museen oder des Ahnenerbes? Wahrscheinlich war es alles zusammen?147 Zu seinem geplanten Einsatz in Italien kam es jedoch zunächst nicht. Welche Institution bei erfolgreichem Kriegsverlauf für das „Dritte Reich“ das Sagen gehabt hätte, illustriert das Beispiel der DAI -Bibliothek in Rom jedoch deutlich. Sie wurde auf Befehl Himmlers, 144 Bei dem Treffen mit Himmler am 1. Oktober 1943 im Innenministerium erfuhr Langsdorff, dass er zum 1. November als Präfektenberater nach Oberitalien eingesetzt werden sollte, siehe Langsdorff, Tagebuch, rückblickend o. D., wahrscheinlich Anfang/Mitte November 1943. 145 Popitz war im August 1943 maßgeblich an dem seit Frühjahr 1943 laufenden Plan beteiligt. Ziel war es, so Friedensverhandlungen mit den Westmächten zu ermöglichen. Zu dem gescheiterten Versuch siehe Claus Langbehn, Das Spiel des Verteidigers. Der Jurist Carl Langbehn im Widerstand gegen den Nationalsozialismus (Schriften der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Reihe A: Analysen und Darstellungen 8), Berlin 2014, S. 121 – 133 und S. 142 f. Durchaus kritisch zur Popitz’ Rolle: Wolfgang Benz, Im Widerstand. Größe und Scheitern der Opposition gegen Hitler, München 2019, S. 374 ff. 146 Zu Philipp von Hessens Festsetzung im Führerhauptquartier und späterer Verhaftung siehe Wolfgang Schieder, Mythos Mussolini. Deutsche in Audienz beim Duce, München 2013, S. 77 – 85. 147 Langsdorff hatte 1937 als Himmlers Mann bei Ribbentrop daran mitgearbeitet, Italiens Teilnahme am Anti-Kominternpakt zu erwirken, war also hier durchaus erfahren: Langsdorff, Tagebuch, zusammenfassender Eintrag zum 16. bis 31. Oktober 1937; Christian Fuhrmeister, Die Abteilung „Kunstschutz“ in Italien. Kunstgeschichte, Politik und Propaganda 1936 – 1963 (Brüche und Kontinuitäten. Forschungen zu Kunst und Kunstgeschichte im Nationalsozialismus 1), Köln/Wien/ Weimar 2019, S. 242 – 264. Die hier vorgestellte wichtige Quellenauswertung zu Langsdorff war mir beim Verfassen des vorliegenden Beitrags leider unbekannt, eine diesbezügliche Anfrage in 2017 blieb unbeantwortet.

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veranlasst durch den römischen Vizedirektor und Ahnenerbe-Mitarbeiter Siegfried Fuchs, gegen den Willen Schedes im Winter 1943/44 abtransportiert.148 Langsdorffs persönliche Haltung hierzu kennen wir nicht. Vielleicht wegen des schweren Bombenschadens an seinem Haus im November 1943 dauerte es noch bis zum 7. Februar 1944, bis Langsdorff zum Kunstschutz überstellt wurde, den er schließlich bis zum Kriegsende in Italien leiten sollte. Als er sich in seine Dienstuniform einkleiden ließ, meinte er in Bezug auf seinen bevorstehenden Dienst in Italien: Es ist schön, sich dankbar zu zeigen.149 Es können hier nicht die Verdienste Langsdorffs bei der Rettung von Kunstschätzen oder seine Fehler bei Verbringungen abgewogen werden; die geschieht an anderer Stelle.150 Eine dominante Frage für Wehrmachtsbefehlshaber, deutsche Botschaftsangehörige und Militärverwaltungen war seit der Casablanca-Konferenz der Alliierten Anfang 1943, wie sie die geforderte bedingungslose Kapitulation und zugleich ihre eigene Bestrafung vermeiden könnten.151 Die Tatsache, dass Langsdorff so dem ehemaligen Leiter des SS -Personalamtes und nun höchsten SS - und Polizeiführer Karl Wolff 152 in der Militärverwaltung Italiens unterstellt war, als dessen Stellvertreter in Italien Walther Rauff zeitweilig agierte, der für die Konstruktion der Gaswagen zur Ermordung zehntausender Menschen verantwortlich war,153 schließt nicht deren Liebe zur Kunst aus.154 Den dortigen SS -Vertretern aber nachzusagen, dass sie ausgerechnet die Kunstschätze für ihre Ziele nicht instrumentalisierten, wäre wirklichkeitsfremd. Von der nun sicheren Perspektivlosigkeit des SS-Ahnenerbes als Wissenschaftsorganisation sollte das DAI profitieren. Nach dem Abzugsbefehl für die größten Teile der Wehrmacht aus Griechenland Mitte Oktober 1944 (Kreta und Rhodos bleiben bis zur Gesamtkapitulation

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Vigener, Siegfried Fuchs (wie Anm. 52), S. 235 f. Langsdorff, Tagebuch, 07. 02. 1944. Eben bei Fuhrmeister, Die Abteilung „Kunstschutz“ (wie Anm. 147). Der Wortlaut dieser nur ersten Ankündigung, hier durch den amerikanische Präsidenten F. D. Roosevelt, vom 12. Februar 1943 findet sich in der elektronischen Bibliothek ibiblio: http://www. ibiblio.org/pha/policy/1943/430212a.html (Stand: 26. 07. 2020). 152 Siehe Kerstin von Lingen, SS und Secret Service. „Verschwörung des Schweigens“: Die Akte Karl Wolff, Paderborn 2010. 153 Martin Cüppers, Walther Rauff – in deutschen Diensten. Vom Naziverbrecher zum BND-Spion, Darmstadt 2013. Nach Rauffs Vermerk vom 5. Juni 1942 wurden seit Dezember 1941 beispielsweise mit 3 eingesetzten Wagen 97.000 verarbeitet. Siehe http://www.ns-archiv.de/einsatzgruppen/gaswagen/­97000. php (Stand: 26. 07. 2020). 154 Kerstin von Lingen als Spezialistin für diese sogenannte Operation Sunrise fasste es kürzlich prägnant zusammen: „Selbst für beinharte Nazis lässt sich ja, bei aller Mordlust gegenüber Juden und Andersdenkenden, ein fast schon pathologisches Interesse beobachten, Kunstobjekte zu ­schützen und eben nicht zu zerstören, wohingegen sie bei Menschenleben überhaupt keine Skrupel hatten.“ Martin Hanni, Urlaub in Eppan, in: Salto. Bozen (16. 09. 2019), https://www.salto.bz/de/article/15092019/ urlaub-eppan (Stand: 26. 07. 2020).

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am 8. Mai 1945 besetzt) erhielt Schede am 23. Oktober 1944 die Anfrage aus dem Luftfahrt­ ministerium, ob noch weiteres Interesse am Material aus Griechenland besteht.155 Schede erklärte: Das Archäologische Institut verspricht sich für s­ päter von einer systematischen Durcharbeitung aller Luftaufnahmen, die in archäologisch wichtigen Gegenden, gleichviel w ­ elchen Landes, während des Krieges gemacht worden sind, ganz außerordentliche wissenschaftliche Erkenntnisse und möchte schon jetzt die Bitte aussprechen […, dass] ihm ­später das gesamte einschlägige Material zugänglich gemacht wird.156

Bereits im September 1944 bat Wilhelm Kraiker Wolff Metternich direkt darum, ihn für eine womöglich turbulente Übergangszeit unter Ihre Fittiche zu nehmen. Und indirekt auch darum, das heimliche Flugbildprojekt in Griechenland, so wie er selbst es in seinem Bericht getan habe, nicht in dem zentralen Abschlussbericht des Kunstschutzes zu erwähnen.157 ­Metternich fand den Bericht Kraikers mustergültig,158 und es kam ihm nur entgegen, denn ihm war stets klar, dass die offizielle Aufgabe des Kunstschutzes nicht wissenschaftliche Projekte zu sein hatten. Dies war aber in Griechenland eindeutig der Fall, weshalb das Flugbildprojekt verheimlicht wurde. Hinzu kam wohl s­ päter auch, dass Metternichs eigene Nachkriegsentlastungsstrategie darauf beruhte, dass seine Ablösung als Beauftragter für Kunstschutz beim OKH gerade Göring betrieben habe, weil er sich gegen die Verschleppung französischer Kunstschätze engagiert hatte. Letzteres entspricht dem bisherigen Forschungsstand. Die Gegner­schaft des Kunsträubers Görings und Kunstschützers Metternich passte aber auch schon 1945 nicht zur parallelen Kooperation des Kunstschutzes in Griechenland und Frankreich bei Luftbildprojekten mit Görings Reichsluftfahrtministerium. Wolff Metternich ist hierbei jedoch nicht initiativ geworden, vielmehr verdeutlicht d ­ ieses Projekt, dass der archäologische Kunstschutz Wolff Metternichs Kontrolle weitgehend entzogen war. Wie groß der Gesamtbestand an Luftbildern des DAI ist und ­welche Bilder einer archäologischen Auswertung unterzogen wurden, weiß vermutlich selbst das DAI nicht genau abzuschätzen. Die ca. 11.000 deutschen Luftaufnahmen Griechenlands, die im DAI Athen gelagert sind, stehen aber seit einigen Jahren auch internationalen Besuchern zur Einsichtnahme für wissenschaftliche Projekte zur Verfügung. Die hier teilweise auch vorhandenen Abzüge griechischer Luftbilder scheinen aber nicht als problematischer Bestand wahrgenommen 155 DAI Berlin AdZ, Ordner 18 – 41, Oberkommando Luft II C, General der Aufklärungsflieger Luftbild an Schede, 23. 10. 1944. 156 DAI Berlin, AdZ, Ordner 18 – 41, Schede an Oberkommando Luft II C, General der Aufklärungsflieger, 31. 10. 1944. 157 Dem Brief hatte Kraiker den eigenen Abschlussbericht beigelegt, er schrieb: Entsprechend dem Zweck des Berichtes (Auswertung für propagandistische Zwecke) ist das Luftbildunternehmen darin nicht aufgeführt. Kraiker an Metternich, 06. 09. 1944, NL FGWM, Nr. 102. Diese Fassung ist nicht auffindbar, wahrscheinlich aber mit dem Bericht vom 13. 02. 1945 weitgehend identisch. Abschlussbericht der Militärverwaltung Griechenland [1945], BA Freiburg RW 40/116a, Bl. 90 – 101. 158 Metternich an Kraiker, 16. 09. 1944, NL FGWM, Nr. 102.

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zu werden. Vielleicht liegt dies daran, dass sie hier aufbewahrt und gescannt eine jederzeit teilbare Wissensressource darstellen.159 Auf seine Weise kann ihr Vorhandensein das DAI zudem daran erinnern, dass seine Geschichte als Institution im Zweiten Weltkrieg mit seinen Kunstschützern eben nicht in erster Linie dem Bewahren der Griechischen Kunstschätze galt, sondern der Teilhabe am nationalsozialistischen Eroberungskrieg.

6. Fazit Es gab während des gesamten Krieges keine einheitlich organsierte Kunstschutzorganisation in den besetzten Gebieten. Dies war nach dem Frankreichfeldzug von Wolff Metternich zunächst dennoch angestrebt worden, und auch in den Berichten des Kunstschutzes zum Kriegsende hin – die deutsche Niederlage war schon gewiss – und nach dem Krieg sollte ein gegenteiliger Eindruck erweckt werden. Hierbei ging es zunächst um die Entlastung der am Kunstschutz Beteiligten, aber auch der deutschen Wehrmacht, in deren Auftrag Wolff Metternich die Grundstrukturen der Kunstschutzorganisation auch für Griechenland schuf. Unter dem Alibi des vorgeblichen archäologischen Kunstschutzes und durch Nutzung der Strukturen der Kunstschutzorganisation wurde neben planmäßigen Ausgrabungen in Griechenland auch das illegale Luftbildprogramm betrieben, der eigentliche Auftraggeber war hierbei das DAI. Praktisch hatten die Kunstschützer also zumindest zwei Unterstellungsverhältnisse, die Kunstschutzorganisation und das DAI. Das Flugbildunternehmen als wichtigstes Projekt des archäologischen Kunstschutzes während des Zweiten Weltkrieges in Griechenland ist in der Traditionslinie seit dem E ­ rsten Weltkrieg zu sehen. Die längst als wesentlich erkannte technische Innovation für archäologische Betätigung, sollte 1933 unter den Bedingungen des „Dritten Reiches“ sofort genutzt werden. Der damalige DAI /RGK -Nachwuchs agierte nach ersten Wegleitungen durch DAI-Präsidenten Wiegand häufig im Verbund mit dem SS-Ahnenerbe, das dadurch selbst eine wesentliche Stärkung erfuhr. Überlegungen, das DAI als Institution gegenüber dem Einfluss der SS zu ­schützen, lassen sich bei dem Wiegand nachfolgenden DAI-Präsidenten Schede 1937 eher erahnen als rekonstruieren. Dem entgegen wuchs die faktische Bedeutung des Ahnenerbes in den DAI-Institutionen im In- und Ausland, sodass z. B. in Griechenland kein DAI-Projekt unberührt blieb. Auf die DAI-Zentrale in Berlin ist hingegen kein 159 Nachtrag: Seit 2015 sprach der Autor wiederholt mit dem DAI -Archivleiter in Athen über diesen problematischen Bestand. Nach Fertigstellung des Artikels wurde ihm über den Umweg seines Doktorvaters mitgeteilt, dass das DAI 2019 zwei Drittmittelanträge für die systematische Auswertung der eigenen Flugbilder aus Griechenland gestellt habe und auch mit dem griechischen Militär wegen automatisierter Erkennungsverfahren zur Zuordnung dieser Bilder in Kontakt stehe. Die beschlagnahmten griechischen Luftbilder wurden in der Antwort der DAI -Direktorin (Athen) nicht erwähnt.

Kunstschutz und SS-Ahnenerbe: eine Beziehung von Relevanz?   I  343

direkter Ahnenerbe-Einfluss bis 1942 nachweisbar, allerdings war gerade durch die starke Stellung des Ahnenerbes im Reichserziehungsministerium ab 1938 der Einfluss mittelbar stets gegeben. Um ein Luftbildarchiv für die deutsche Archäologie aufzubauen, kooperierten DAI /RGK -Vertreter mit dem Ahnenerbe schon im Sommer 1939. Dass die Kooperation zwischenzeitlich zum Erliegen kam, erklärt sich aus dem Kriegsbeginn. Obwohl sich das Ahnenerbe entsprechend seines SS-Auftrages zunächst auf den zu erobernden „Ostraum“ zu konzentrieren hatte, waren dessen wichtigste Protagonisten in der Leitung (Kurator Wüst und drei Abteilungsleitungen) sowie der Archäologie (Langsdorff, Schleif, Jankuhn, Fuchs) wie auch das DAI ohnehin auf den Mittelmeerraum und die Weiterungen gen „Orient“ fokussiert. Ob dies auch ein Motiv bei der Einsetzung des archäologischen Kunstschutzes in Frankreich war, kann hier nur eine Vermutung bleiben. Wesentlicher ist, dass der archäologische Kunstschutz in Griechenland aus dem entsprechenden französischen Kunstschutzreferat entstand, dort über die Militärverwaltungsstrukturen auf das Ahnenerbe angewiesen war und die in Frankreich vorhandene Kooperation und Konkurrenz auch in Griechenland und Serbien weitergeführt wurde. In Griechenland lief das DAI spätestens im Februar 1942 Gefahr, die Kontrolle über das Luftbildprojekt an das Ahnenerbe zu verlieren. Der Vertrag ­zwischen der zentralen Leitung des DAI und dem Ahnenerbe vom Sommer 1942 sollte dem DAI die weitere Teilhaberschaft im Eroberungskrieg sichern. Ob hierfür generell weiter die Kunstschutzstrukturen genutzt werden sollten, ist ungewiss. Ebenso bleibt unklar, ob die Luftbilder Vertragsgegenstand waren. Klar ist hingegen, dass für das DAI nur die deutsche Kriegsniederlage die Gewähr war, nicht von einer SS-Organisation geschluckt zu werden. So hatte das Ahnenerbe in Italien zunächst die Kontrolle über die bedeutendste DAI-Bibliothek übernommen, bevor es den deutschen Kunstschutz in Italien dominierte. Für die griechische Seite hat die Frage, ob nun das SS-Ahnenerbe oder das DAI sich bei anderem Kriegsverlauf durchgesetzt hätte, keine Relevanz, denn die Gesamtkontrolle über die griechische Archäologie mit ihren Ausgrabungsstätten und Museen hat auch das DAI mittels des Kunstschutzes angestrebt, um der deutschen Archäologie in Griechenland für die Nachkriegszeit ein Monopol zu verschaffen. Die Luftbildaktion steht für d ­ ieses quasi neokoloniale Projekt emblematisch.

344 I Raik Stolzenberg

Der Wagenlenker von Delphi in den Fängen des Zweiten Weltkrieges * Alexandra Kankeleit

Der Wagenlenker von Delphi ist eine der besterhaltenen und bedeutendsten Bronzestatuen der griechischen Antike.1 Seit seiner Auffindung im Jahr 1896 gehört er zu den Hauptattraktionen des Archäologischen Museums in Delphi.2 Als Symbol der antiken Hochkultur und der wechselvollen Geschichte Griechenlands ist er bis heute ein häufig wiederkehrendes Motiv in der zeitgenössischen bildenden und darstellenden Kunst.3 Während des Zweiten Weltkrieges sah sich der Wagenlenker von Delphi großen Gefahren ausgesetzt. Das Kunstwerk durchlebte mehrere äußerst kritische Phasen, die dank deutscher und griechischer Überlieferungen nun genauer rekonstruiert werden können.4 Wichtigste * Dieser Artikel ist im Rahmen eines mehrjährigen Projekts zur „Geschichte des Deutschen Archäologischen Instituts in Athen während der NS-Zeit“ entstanden. Mein Dank gilt vor allem der Direktorin des DAI Athen, Katja Sporn, des weiteren folgenden Personen und Institutionen: Vasileios Petrakos (Archäologische Gesellschaft in Athen), Athina Chatzidimitriou und Archontoula Papoulakou (Griechisches Kultusministerium, Historisches Archiv), Tatiana Poulou (Griechisches Kultusministerium, Antikendienst Athen), Maria Chidiroglou und Georgianna Moraitou (Archäologisches Nationalmuseum Athen), Vasileios Kosmopoulos (Athen) und Anastasia Pesmatzoglou (Bank von Griechenland, Athen), Katharina Brandt, Dimitris Grigoropoulos und Joachim Heiden (DAI Athen), Christof Boehringer (Göttingen), Ersi Xanthopulos (Heidelberg), Gabriel Meyer (Universitätsarchiv Heidelberg), Hans-Werner Langbrandtner (LVR-Archivberatung, Pulheim-Brauweiler). 1 Der Wagenlenker war Bestandteil eines prächtigen Weihgeschenks, das in den siebziger Jahren des 5. Jahrhunderts vor Christus von dem sizilianischen Herrscher Polyzalos von Gela dem Heiligtum von Delphi gestiftet wurde. Vermutlich wurde das Ensemble in späthellenistischer Zeit zerstört und befand sich bis zu seiner Auffindung über 2000 Jahre lang unter der Erde. Der Wagenlenker war bei seiner Entdeckung in mindestens drei Teile zerbrochen: Oberkörper samt Kopf, rechter Arm und Unterkörper. Von dem Gespann, einem Rennwagen mit vier Pferden, konnten nur wenige Fragmente geborgen werden. 2 Rosina Colonia, The Archaeological Museum of Delphi, Athen 2006, S. 19, 254 – 267. 3 Zum Beispiel in dem Film „Ο Ηνίοχος“ von Alexis Damianos aus dem Jahr 1995: https://el.wikipedia. org/wiki/Ηνίοχος_(ταινία) (Stand: 25. 08. 2020); Ausstellung des Künstlers Stephan Hann „Der Müll, der Luxus und die Kunst. Modewelten von Stephan Hann“ 2019 in Berlin: https://www.geschkult. fu-berlin.de/e/klassarch/news/2019/hann.html (Stand: 26. 07. 2020). 4 Zum Schicksal des Wagenlenkers während der Besatzungszeit: Robert Demangel, Aspect de guerre du musée de Delphes, in: Bulletin de correspondance hellénique 68/69 (1944/1945), S. 1 – 4, hier S. 2 f. mit Abb. 1; Roland Hampe, Griechischer und englischer Kunstschutzbericht, in: Gnomon

Abb. 1  Der Wagenlenker von Delphi, Aufnahme von Walter Hege, vermutlich in den 1920er Jahren.

Akteure der folgenden Untersuchung sind die Mitarbeiter des griechischen Antikendienstes und die Vertreter des militärischen Kunstschutzes der deutschen Wehrmacht in Griechenland. Notizen und amtliche Schreiben geben über den chronologischen Ablauf der Geschehnisse Auskunft und vermitteln einen Eindruck von der Motivation und der Haltung der einzelnen Protagonisten.

1. Der Zweite Weltkrieg in Griechenland Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und der sich schon seit 1939 abzeichnende, eskalierende Konflikt mit der italienischen Regierung führten im Juni 1940 dazu, dass in ganz 22 (1950), S. 1 – 17, hier S. 16; Vasileios Petrakos, Tα αρχαία της Eλλάδος κατά τον πόλεμο 1940 – 1944, in: Mentor 7 (1994), S. 69 – 185, hier S. 83, 93 f., 117; Ders., (Hg.), Σέμνης Καρούζου, Ἀρχαιολογικὰ Θέματα ΙΙ, Athen 2011, S. XIII; Ders., Πρόχειρον Αρχαιολογικών 1828 – 2012, Athen 2013, S. 305, 328 f.

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Griechenland ein Grabungsstopp verhängt wurde.5 Der Griechisch-Italienische Krieg brach schließlich am 28. Oktober 1940 aus und endete am 23. April 1941 mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht und der anschließenden Kapitulation Griechenlands. Bereits im Oktober 1940 war sich die griechische Regierung bewusst, dass der Krieg mit Italien zwangsläufig auch zu einer Konfrontation mit Deutschland führen würde.6 Unmittelbar nach dem berühmten „ΟΧΙ“ (Nein) von Metaxas 7 wurden deshalb aufwändige Sicherheitsvorkehrungen in Gang gesetzt und in mindestens 18 Museen Maßnahmen zum Schutz der Antiken gegen Bombardierungen und Plünderungen getroffen.8 In einigen Fällen wurden die Schutzmaßnahmen durch Protokolle und Fotografien gut dokumentiert. Besonders im Zentrum von Athen wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das Inventar der Museen in Sicherheit zu bringen. Dabei konzentrierte man sich auf 5 Petrakos, Tα αρχαία της Eλλάδος κατά τον πόλεμο (wie Anm. 4), S. 73, S. 81 – 102. Schon seit 1939 hatten die politischen Spannungen mit Italien zu einer Reihe von Maßnahmen in Griechenland geführt. Bisher unbekannte Protokolle weisen darauf hin, dass einige Museen bereits vor dem offiziellen Ausbruch des Krieges mit Italien die Sicherung ihrer Schätze in Angriff nahmen (freundlicher Hinweis von Konstantinos Nikolentzos, Archäologisches Nationalmuseum Athen). Aufschlussreich könnte in d ­ iesem Zusammenhang ein Vortrag sein, den Spyridon Marinatos am 22. August 1939 in Berlin hielt. Der damalige „Direktor des archäologischen Dienstes im Königlich Griechischen Kultusministerium Athen“ sprach über „Denkmalschutz im Kriege“, siehe Archäologisches Institut des Deutschen Reiches (Hg.), VI. Internationalen Kongress für Archäologie. Berlin 21. – 26. August 1939, Berlin 1939, Programm S. 17. Sein Vortragstext ist leider nicht überliefert. 6 Petrakos, Tα αρχαία της Eλλάδος κατά τον πόλεμο (wie Anm. 4), S. 81 gibt den Auszug einer Rede von Ioannis Metaxas wieder, die dieser am 28. Oktober 1940 gehalten hatte: „Δεν πρέπει να αυταπατώμεθα ότι θα πολεμήσωμεν μόνον τους Ιταλούς. Τα συμφέροντα του Άξονος είναι αναπόσπαστα και αργά η γρήγορα θα πολεμήσωμεν και τούς Γερμανούς“, frei übersetzt: „Wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass wir nur gegen die Italiener kämpfen werden. Die Interessen der Achse lassen sich nicht auseinanderdividieren, und früher oder ­später werden wir auch gegen die Deutschen kämpfen.“ 7 Im Jahr 1940 hatte Italien mehrfach durch verbale Provokationen und punktuelle Angriffe seine territorialen Ansprüche gegenüber Griechenland zum Ausdruck gebracht. Am 28. Oktober forderte Mussolini schließlich freien Durchmarsch sowie militärische Stützpunkte für seine Truppen in Griechenland. Diktator Metaxas reagierte daraufhin mit seinem berühmten „ΟΧΙ“ (Nein). Es folgte der Krieg z­ wischen den italienischen und griechischen Streitkräften. Die Kämpfe fanden im Winter unter schlimmsten Bedingungen in den Bergen von Epirus statt. Die Italiener waren schlecht vorbereitet, trafen falsche Entscheidungen und konnten vom griechischen Militär vernichtend geschlagen werden. Im April 1941 wurden sie komplett auf ihre albanische Ausgangsbasis zurückgedrängt. 8 Petrakos, Tα αρχαία της Eλλάδος κατά τον πόλεμο (wie Anm. 4), S. 81 – 102; hier auch ein direkter Hinweis auf den Beginn der Aktion, S. 73: „(…) η πρώτη σχετική ενέργεια χρονολογείται δύο ημέρες μετά την κήρυξη του πολέμου. Με υπουργική απόφαση συστήθηκε επιτροπή, της οποίας έργο ήταν η προστασία του περιεχομένου του Νομισματικού Μουσείου“, frei übersetzt: „(…) die erste entsprechende Handlung datiert zwei Tage nach der Kriegserklärung. Mit Beschluss des Ministeriums wurde ein Gremium bestimmt, das die Objekte im Numismatischen Museum s­ chützen sollte.“ Siehe auch: Ders., Πρόχειρον Αρχαιολογικών (wie Anm. 4), S. 304 – 307.

Der Wagenlenker von Delphi in den Fängen des Zweiten Weltkrieges   I  347

das Archäologische Nationalmuseum, das Akropolismuseum, das Numismatische Museum, das Byzantinische Museum und das Kerameikosmuseum.9 Betroffen waren weiterhin die archäologischen Museen in Piräus, in Chalkis, Delphi, Kefalonia, Korfu, Korinth, Olympia, Rethymnon, Sparta, Tegea, Theben, Thessaloniki und Volos.10 Zu den Vorkehrungen, die in den übrigen Museen Griechenlands getroffen wurden, beispielsweise in Chania, Eleusis, Iraklion 11, Patras oder Samos, fehlen bislang entsprechende Informationen.12 Vermutlich fand in mehreren Fällen, vor allem auf den Ägäischen Inseln, eine eher provisorische Verbarrikadierung der Museen statt. Dies muss im Einzelfall noch untersucht werden.13 Die sichere Verwahrung der antiken Kunstwerke stand bei allen Aktivitäten im Fokus.14 In den Ausstellungssälen des Athener Nationalmuseums legten die Museumsangehörigen tiefe 9 Als der militärische Kunstschutz im April 1941 in Griechenland eintraf, stellte er eine hohe Professionalität bei der Durchführung der Sicherheitsmaßnahmen fest: Universitätsarchiv Köln (künftig UAK), Nachlass Andreas Rumpf, Signatur Zugang 364 Nr. 052, Hans von Schoenebeck an Andreas Rumpf, 27. 04. 1941: Zum Schluss nun die erfreuliche Mitteilung, dass ich bisher weder an Sammlungen noch an Ruinenstätten Schaden festgestellt habe. Die meisten Museumsobjekte sind sorgfältig verpackt, die μάρμαρα sogar vergraben. Ähnlich äußerte sich auch Wilhelm Kraiker: Umfangreiche Bergungsmassnahmen waren bereits bei Ausbruch des italienisch-griechischen Krieges von der griechischen Regierung zum Schutz gegen Bombenschäden vorgenommen worden. Sie waren in den grösseren Museen sachgemäss durchgeführt, wie die durch den Kunstschutz angeordneten Stichproben ergaben: Bundesarchiv (künftig BA rch) RW 40 – 116a, Abschlussbericht von Wilhelm Kraiker, Der Kunstschutz in Griechenland, 13. 02. 1945. 10 Petrakos, Tα αρχαία της Eλλάδος κατά τον πόλεμο (wie Anm.  4), S.  82 – 86; Ders., Πρόχειρον Αρχαιολογικών (wie Anm. 4), S. 304 – 307. 11 Kraiker erwähnt, dass die Bergungsmaßnahmen im Museum von Iraklion von den deutschen Militär­ behörden ausdrücklich aufrecht erhalten und zum Teil verstärkt wurden: Nachlass Franziskus Graf Wolff Metternich (künftig: NL FGWM), Nr. 102, Bericht über den militärischen Kunstschutz in Griechenland von Militärverwaltungsrat Kraiker, 20. 07. 1944. Seine Aussage bleibt im Ungefähren und lässt sich nur schwer überprüfen, da eine detaillierte Beschreibung zur Situation in Iraklion vor und nach 1941 bislang fehlt. 12 Petrakos, Tα αρχαία της Eλλάδος κατά τον πόλεμο (wie Anm. 4), S. 85; Ders., Πρόχειρον Αρχαιολογικών (wie Anm. 4), S. 305, 333 f., 350. Auch in neueren Untersuchungen gilt das Hauptaugenmerk den Museen in Athen; siehe beispielsweise in dem Dokumentarfilm von Vasileios Kosmopoulos über Jannis Miliadis: „Γιάννης Μηλιάδης. Η απόκρυψη των αρχαιοτήτων“ (freundlicher Hinweis von Tatiana Poulou). 13 Aktuell sind einige Untersuchungen zur Situation in der Ostägäis während der Besatzungszeit in Vorbereitung (freundlicher Hinweis von Nikolaos Nikoloudis und Vasileios Kosmopoulos). 14 Zur Überführung von Bronzen aus französischen Grabungen in Delphi an das Athener Nationalmuseum: Ministerium für Kultur und Sport (Υπουργείο Πολιτισμού και Αθλητισμού), Historisches Archiv für Antiken und Anastylosen (Ιστορικό Αρχείο Αρχαιοτήτων και Αναστηλώσεων) (künftig Kultusministerium Griechenland), Akte 568Γ, Paul Lemerle an das Ministerium für Religion und nationale Bildung, 17. 09. 1940; zur Verwahrung der archäologischen Funde von der amerikanischen Agora-Grabung im Athener Nationalmuseum: Kultusministerium Griechenland, Akte 568A, Carl

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Abb. 2  Tiefe Gräben wurden in den Ausstellungssälen des Athener Nationalmuseums seit Herbst 1940 angelegt, in denen die Marmorskulpturen aufgestellt und anschließend mit Sand bedeckt wurden.

Gräben an, in denen die Marmorskulpturen in Reih und Glied aufgestellt und anschließend mit Sand zugedeckt wurden.15 Vitrinen und Ausstellungssäle wurden komplett leergeräumt.16 Empfindliche Objekte aus Keramik oder Bronze wurden stoßsicher verpackt und anschließend versteckt.17 Die Münzsammlungen wurden in Banktresoren verschlossen. Zusätzlich sicherten hohe Schutzwälle aus Sandsäcken die Museen sowie sonstige historische Gebäude vor den erwarteten Bombenangriffen.18 Der große Zeitdruck und die Furcht vor der nahenden Katastrophe machten erfinderisch. So wurden an einigen Orten auch Brunnen, Gräber, Höhlen oder Felsspalten als Verstecke für die antiken Kunstwerke genutzt.19

15 16 17 18 19

W. Blegen an das Ministerium für Religion und nationale Bildung, 05. 01. 1949; Emil Kunze zu Museumsobjekten in Olympia, die bis zum Ende des Krieges unzugänglich waren: Emil Kunze, V. Bericht über die Ausgrabungen in Olympia. Winter 1941/1942 und Herbst 1952; mit Beiträgen von H.-V. Herrmann und H. Weber, Berlin 1956, S. 103. Petrakos, Tα αρχαία της Eλλάδος κατά τον πόλεμο (wie Anm. 4), S. 89. Zur Zweckentfremdung und anderweitigen Nutzung des Athener Nationalmuseums während der Besatzungszeit: Ebd., 139 – 140; Ders. Πρόχειρον Αρχαιολογικών (wie Anm. 4), S. 356. Petrakos, Tα αρχαία της Eλλάδος κατά τον πόλεμο (wie Anm. 4), S. 81 – 102. Ebd., 86 Abb. Ebd., 102 Abb.

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2. Nach Kriegsausbruch: erste Schutzmaßnahmen für den Wagenlenker von Delphi Ein Dokument im Historischen Archiv des griechischen Kultusministeriums vom 7. November 1940 gibt Auskunft über die Schutzmaßnahmen, die bezüglich des Wagenlenkers in Delphi getroffen wurden. Es stammt von dem Museumsmitarbeiter Alexandros E. ­Kondoleon 20 und ist an das griechische Kultusministerium (Ministerium für Religion und Nationale Erziehung) in Athen gerichtet. Er berichtet von den Sicherungsmaßnahmen vor Ort: Ich habe die Ehre, Ihnen mitzuteilen, dass Frankiskos D. Pamphilou, Vorarbeiter des Erziehungs­ ministeriums, den Wagenlenker [von Delphi] mit großer Sorgfalt und Vorsicht in das Epigraphische Museum überführt hat. Die berühmte und einzigartige Bronzestatue wurde gut und sicher in der Westecke des Museums aufgestellt. Zum zusätzlichen Schutz und zur Sicherheit d ­ ieses Meisterwerkes wurden mehrere Gipsplatten davor angebracht, die es komplett verdecken. Diese Arbeit war sehr heikel und mühsam und wurde mit großer Sorgfalt durchgeführt, sodass d­ iesem einzigartigen Kunstwerk kein Schaden und keine Verletzung zugefügt wurden.21 Dieses Dokument zeigt, dass man auch in Delphi bereits in der ersten Kriegswoche mit den Schutzmaßnahmen begonnen hatte. Allerdings stellt sich die nicht unbedeutende Frage, welches „Epigrafische Museum“ gemeint sein könnte. In ganz Griechenland gibt es bekanntlich nur ein Epigrafisches Museum, und das befindet sich in Athen.22 Sollte der 20 Zu Alexandros E. Kondoleon siehe Robert Demangel, A. E. Contoléon, in: Bulletin de correspondance hellénique 66/67 (1942/1943), S. 160; Ders., Aspect de guerre du (wie Anm. 4); Olivier Picard u. a., La redécouverte de Delphes, Paris 1992, S. 219 – 221; Ders./Marie-Christine Hellmann/Vasileios Petrakos, Δελφοί. Αναζητώντας το χαμένο ιερό, Athen 1992, S. 219 – 222, hier S. 219 – 221 (Nachruf von P. de La Coste-Messelière im Februar 1944); Petrakos, Πρόχειρον Αρχαιολογικών (wie Anm. 4), S. 259, 266, 303, 311; http://delphi-times.blogspot.com/2018/10/1859 – 1943.html mit einem Foto von Kondoleon vor dem Wagenlenker von Delphi (Stand: 26. 07. 2020). Bei Kriegsausbruch war Kondoleon (1859 – 1943) bereits pensioniert und arbeitete als „außerordentlicher wissenschaftlicher Mitarbeiter“ (Έκτακτος Επιμελητής) im Museum von Delphi. Er pflegte ein enges Verhältnis zur École Française d’Athènes und war Korrespondierendes Mitglied des Deutschen Archäologischen Instituts: Archäologischer Anzeiger 1933, S. XXXIV (Jahresbericht für das Haushaltsjahr 1932 – 1933). 21 Kultusministerium Griechenland, Akte 586A, Προστασία έργων τέχνης υπό Παλαιάς Γερμαν. Υπηρεσίας 1941 – 44, Εξασφάλισις Αρχαίων Μουσείου Δελφών (Schutz der Kunstwerke unter der früheren deutschen Behörde, 1941 – 44, Sicherung der Antiken im Museum von Delphi): Λαμβάνω την τιμήν να αναφέρω υμίν, ότι ο Φραγκίσκος Δ. Παμφίλου εργοδηγός υπουργ. Παιδείας μετέφερε τόν Ηνίοχον μετά μεγάλης επιμελείας και προσοχής εις το επιγραφικόν Μουσείον. Κατόπιν τό περίφημον καί μοναδικόν χάλκινον άγαλμα ετοποθετήθει καλώς καί ασφαλώς εις την δυτικήν γωνίαν τούτου καί πρός πληρεστέραν διαφύλαξιν και ασφάλειαν του αριστουργήματος τούτου ετέθησαν έμπροσθεν τούτου πολλαί γύψιναι πλάκες αίτινες εκάλυψαν τούτο καθ΄ολοκληρίαν. Η άνω εργασία ήτο πάρα πολύ λεπτή καί επίπονος εν τούτοις εγένετο μετά μεγάλης προσοχής καί δεν επήλθεν ουδεμία ζημιά και βλάβη επί του μοναδικού τούτου αριστουργήματος. 22 Das Epigrafische Museum Athen befindet sich im Südflügel des Archäologischen Museums.

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Wagenlenker tatsächlich im November 1940 in das Epigrafische Museum von Athen überführt worden sein? Dies wäre eine einmalige und angesichts der Größe und Fragilität des Wagenlenkers vielleicht auch sehr kritische Aktion gewesen. Zum Glück konnte Vasileios Petrakos, Generalsekretär der Archäologischen Gesellschaft in Athen, Licht ins Dunkel bringen und die Situation aufklären: Der Wagenlenker wurde von Alexandros Kondoleon in einem Magazin in Delphi, das sich unterhalb des Saales mit der Naxier-Sphinx befand, wo die Inschriften aufbewahrt wurden, untergebracht. Dieses bezeichnete man seit alters her als das „Epigraphische Museum“.23

3. Professionalisierung der Schutzmaßnahmen für den Wagenlenker von Delphi Nur wenige Tage nach der Verwahrung des Wagenlenkers im Magazin unter dem Saal der Naxier-Sphinx mussten alle bisherigen Maßnahmen revidiert werden. Am 11. November 1940 erhielten die Mitarbeiter des griechischen Antikendienstes ein Rundschreiben vom Kultusministerium, in dem die Richtlinien zur Sicherung von Bronzeskulpturen und anderen empfindlichen Objekten klar definiert waren.24 Demnach sollten Bronzen in Wachspapier (λαδόχαρτο oder κερόχαρτο) oder Teerpappe (πισσόχαρτο) eingewickelt und anschließend in Holzkisten stoßsicher und wasserdicht versteckt werden. Der Wagenlenker wurde daraufhin in seine Einzelteile zerlegt,25 auf zwei Kisten verteilt und in einer Grotte im heiligen Bezirk 23 Vasileios Petrakos in einer E-Mail vom 03. 09. 2019: Ο Αλέξανδρος Κοντολέων χαρακτηρίζει ως επιγραφικό μία από τις αποθήκες του τότε Μουσείου Δελφών, επέκτασης του αρχικού του Συγγρού, κάτω από την αίθουσα της Σφίγγας των Ναξίων, όπου φυλάγονταν οι επιγραφές. Την πρόλαβα αναλλοίωτη το 1959; frei übersetzt: Alexandros Kondoleon bezeichnet als Epigraphisches Museum eins von den Magazinen des damaligen Museums von Delphi, eines Anbaus des ursprünglichen Gebäudes von [Andreas] Syngros, Das Magazin befand sich unterhalb des Saales mit der Naxier-Sphinx, wo die Inschriften aufbewahrt wurden. 1959 sah ich es noch gänzlich unverändert. 24 Petrakos, Πρόχειρον Αρχαιολογικών (wie Anm. 4), S. 305 zu dem εγκύκλιο (Rundschreiben) mit dem Titel „Γενικαί τεχνικαί οδηγίαι διά την προστασίαν των αρχαίων των διαφόρων μουσείων από τους εναερίους κινδύνους“ (Allgemeine technische Richtlinien zum Schutz der Antiken in den verschiedenen Museen vor Gefahren aus der Luft); Kosta Paschalidis, Τα θαμμένα αγάλματα του πολέμου: https://www.lifo.gr/mag/features/3704 (Stand: 26. 07. 2020); Giota Sykka, Στιγμές από ένα τιτάνιο έργο σε καιρό πολέμου: https://www.kathimerini.gr/880845/article/epikairothta/ellada/stigmes-apoena-titanio-ergo-se-kairo-polemoy (Stand: 26. 07. 2020). 25 Demangel, Aspect de guerre du musée (wie Anm. 4), S. 1 – 4 mit Abb. 1: „Le buste de L’Aurige quitte le Musée.“ Bei der Zerlegung der Statue orientierten sich die Verantwortlichen an den Schnitten und Brüchen, die die Statue bei ihrer Auffindung im 19. Jahrhundert gehabt hatte (freundlicher Hinweis von Georgianna Moraitou); siehe auch Kurt Kluge, Die Gestaltung des Erzes in der archaisch-griechischen Kunst, in: Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 44 (1929), S. 16 – 20. Zu dem Inhalt der beiden Kisten s. u. Anm. 71.

Der Wagenlenker von Delphi in den Fängen des Zweiten Weltkrieges   I  351

von Delphi untergebracht.26 In ganz Griechenland liefen die Schutzmaßnahmen im Winter 1940/41 auf Hochtouren, waren aber bis zum Einmarsch der Wehrmacht im Frühjahr 1941 noch nicht endgültig abgeschlossen.27

4. Situation in Griechenland seit April 1941 Während der Besatzungszeit (23. April 1941 – 12. Oktober 1944) wurde Griechenland von den Achsenmächten in drei Zonen aufgeteilt: In deutscher Hand befanden sich die beiden größten Städte, Athen und Thessaloniki, mehrere Ägäische Inseln und über die Hälfte Kretas. Bulgarien beherrschte den Nordosten Griechenlands, das östliche Makedonien und das nördliche Thrakien. Italien war bis September 1943 für Zentralgriechenland, die Peloponnes, die Ionischen Inseln und große Teile der Ägäis verantwortlich.28 Delphi befand sich demnach in der italienischen Besatzungszone. Zwar beherrschte Italien fl­ ächenmäßig den größten Teil Griechenlands, doch waren der Einfluss und die Vormachtstellung der deutschen Wehrmacht im ganzen Land deutlich spürbar.29 So war Delphi während der 26 Petrakos, Tα αρχαία της Eλλάδος κατά τον πόλεμο (wie Anm. 4), S. 93 – 94 mit Abb.; Vasileios Petrakos in einer E-Mail vom 04. 09. 2019: Τα πρωτόκολλα απόκρυψης των αρχαίων του Μουσείου έχουν ημερομηνίες 18, 19, 22, 23 Νοεμβρίου 1940, 6 Δεκεμβρίου 1940 και 4 Απριλίου 1941. Ο Ηνίοχος κρύφτηκε σε σπηλαιώδη τάφο παρά το Μουσείο, μαζί με άλλα χάλκινα έως τον Δεκέμβριο, γιατί στις 4 Απριλίου μεταφέρθηκαν μόνο τα χρυσά και τα ελεφάντινα (ανασκαφή Amandry) στην Τράπεζα της Ελλάδος (Der Wagenlenker wurde in einem höhlenartigen Grab in der Nähe des Museums versteckt, zusammen mit anderen Bronzen bis zum Dezember [1940], da am 4. April [1941] nur die Objekte aus Gold und Elfenbein (von der Ausgrabung Amandry) in die Bank von Griechenland [in Athen] überführt wurden; zur Unterbringung der Marmorskulpturen aus dem Museum von Delphi im Heroon: G. Blum: Athanasia Psalti, Ελένη Σπηλιωτιπούλου und Στυλιανή Ροπακά, Η ανάδειξη μνημείων των ρωμαϊκών χρόνων στο αρχαιολογικό χώρο των Δελφών. η περίπτωση του Ηρώου G. Blum και της αγοράς, in: Valentina di Napoli u. a. (Hg.), What’s New in Roman Greece? Recent Work on the Greek Mainland and the Islands in the Roman Period, Athen 2018, S. 571 – 578, hier S. 571 f. 27 Petrakos, Tα αρχαία της Eλλάδος κατά τον πόλεμο (wie Anm. 4), S. 97 – 102; Ders., Πρόχειρον Αρχαιολογικών (wie Anm. 4), S. 304 f.; Archäologischer Anzeiger 1941, VIII; Archäologischer Anzeiger 1942, Sp. 99 f. 28 Am 8. September 1943 löste sich Italien im „Waffenstillstand von Cassibile“ aus dem Bündnis mit dem Deutschen Reich. Die italienische Besatzungszone wurde anschließend in großen Teilen von der Wehrmacht besetzt; hierzu Hagen Fleischer, Im Kreuzschatten der Mächte. Griechenland 1941 – 44. Okkupation, Resistance, Kollaboration, Frankfurt a. M. 1986, S. 59, 62 – 66, 178 – 179, 295 – 304; Mark Mazower, Inside Hitler’s Greece. The Experience of Occupation, 1941 – 44, New Haven 1993, S. 20 – 22; Heinz Richter, Griechenland ­zwischen Revolution und Konterrevolution (1936 – 1946), Frankfurt a. M. 1973, S. 117 – 120, 193 – 199, 230 – 247, 384 – 391, 467 – 494. 29 Hierzu Fleischer, Im Kreuzschatten (wie Anm. 27), S. 178; Mazower, Inside Hitler’s Greece (wie Anm. 27), S. 46; Richter, Griechenland ­zwischen Revolution und Konterrevolution (wie Anm. 27), S. 194 f.

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Besatzungszeit ein beliebtes Ausflugsziel von deutschen Soldaten, was durch private Fotoaufnahmen 30 und die sogenannten Merkblätter 31 des Kunstschutzes in Griechenland gut dokumentiert ist.32 Im Bereich der Archäologie waren während der Besatzungszeit mehrere Institutionen aktiv. Strukturen und Tätigkeitsfelder wurden in dieser Phase zunehmend unübersichtlich, sodass die eigentlich Verantwortlichen heute häufig schwer zu benennen sind. Die Abstimmungsprozesse wurden zum großen Teil vom Deutschen Archäologischen Institut (DAI) koordiniert. So gab

30 Bei den meisten bisher gefundenen Fotos scheint es sich um Auszüge aus privaten Fotoalben zu handeln. Schnappschüsse zeigen deutsche Soldaten im Apollon-Tempel von Delphi, in der Orakel­ stätte der Pythia und vor dem Schatzhaus der Athener; siehe https://www.fr.de/kultur/­literatur/ ausbeutung-aushungern-11687604.html, https://www.gettyimages.at/detail/nachrichtenfoto/­ german-campaign-in-greece-german-soldiers-on-a-visit-nachrichtenfoto/542931899 und https:// www.gettyimages.fi/detail/news-photo/three-german-soldiers-leaving-the-sacred-site-of-the-citynews-photo/104416949 (Stand: 26. 07. 2020). Vergleichbare Bilder von italienischen Soldaten in Delphi sind bisher nicht bekannt. 31 Die Merkblätter zu Delphi erschienen in zwei Auflagen. Die Texte wurden zu großen Teilen von Hans von Schoenebeck verfasst bzw. redigiert. Im Stil eines Reiseführers informieren sie kurz und prägnant über Geografie, Geschichte und Kultur der antiken Stätten. Zusätzlich beinhalten sie Verhaltensrichtlinien für die deutschen Soldaten, wodurch Diebstahl und Vandalismus möglichst verhindert werden sollten, bei den Merkblättern zu Delphi beispielsweise: Jedes Schreiben oder Einritzen von Namen auf den Steinen verdirbt nur wertvolles Gut. In der ersten Auflage von 1941 findet sich eine kurze Erwähnung des Wagenlenkers: Oestlich davon wurde im Schutt die berühmte Statue des delphischen Wagenlenkers gefunden. In der zweiten Auflage wurde ergänzt: jetzt im Museum, z.Zt. geborgen. Durch diese offizielle Erklärung zur Abwesenheit des Wagenlenkers in Delphi sollten vermutlich weitere Nachfragen und -forschungen durch Wehrmachtsangehörige vermieden werden. Die „Merkblätter für den deutschen Soldaten an den geschichtlichen Stätten Griechenlands“ wurden in einer Gesamtauflage von ca. 500.000 Stück gedruckt und können heute u. a. in den Archiv des DAI und im NL FGWM eingesehen werden; zu den „Merkblättern“ siehe Petrakos, Tα αρχαία της Eλλάδος κατά τον πόλεμο (wie Anm. 4), S. 143 – 146 mit Abb.; Julia Freifrau Hiller von Gaertringen, Deutsche archäologische Unternehmungen im besetzten Griechenland 1941 – 1944, in: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts. Athenische Abteilung 110 (1995), S. 461 – 490, hier S. 466. Franziskus Wolff Metternich brachte die Funktion der „Merkblätter“ in seinem Bericht über den Kunstschutz in Griechenland vom 01. 06. 1941 auf den Punkt: Von der Militärverwaltung war in erster Linie die Fürsorge für die Ruinenstäten in Angriff genommen worden; dabei schien es zweckmäßig, Schutzmassnahmen mit einer Allgemeinbelehrung der Truppe zu verbinden, damit diese an den grossen Kulturgütern, die das antike Hellas der deutschen Bildung seit Jahrhunderten vermittelt hat, Anteil nehmen konnte. (…) In den Merkblättern wird gleichzeitig auf die notwendigen Grundsätze zur Erhaltung und Schonung der Ruinenstätten hingewiesen, die ja zum grossen Teil, dank der Initiative der deutschen Wissenschaft, ausgegraben worden sind: NL FGWM, Nr. 102. 32 Der stellvertretende Leiter des Kunstschutzes, Bernhard von Tieschowitz, reiste bereits am 12. 05. 1941 in Begleitung von Hans von Schoenebeck nach Delphi: NL FGWN, Nr. 200, Eintrag im Taschenkalender 1941 von Bernhard von Tieschowitz.

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Abb. 3  Deutsche Archäologen in Griechenland während der Besatzungszeit: Schaubild der Strukturen.

es eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit dem Kunstschutz,33 der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes und einer Reihe von selbstständigen bzw. aus Berlin entsandten Archäologen. Der Sonderstab „Vorgeschichte“ des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg 34 mit seinem Leiter

33 Zum militärischen Kunstschutz in Griechenland: Volker Losemann, Nationalsozialismus und Antike. Studien zur Entwicklung des Faches Alte Geschichte 1933 – 1945, Hamburg 1977, S. 155; Petrakos, Tα αρχαία της Eλλάδος κατά τον πόλεμο (wie Anm. 4), S. 117 – 128; Ders., Πρόχειρον Αρχαιολογικών (wie Anm. 4), S. 323 f.; Hiller, Deutsche archäologische Unternehmungen (wie Anm. 30), S. 465; Georgia Flouda, Archaeology in the War Zone. August Schörgendorfer and the Kunstschutz on Crete during World War II, in: Annual of the British School in Athens 112 (2017), S. 1 – 37; Christian Fuhrmeister, Die Abteilung „Kunstschutz“ in Italien. Kunstgeschichte, Politik und Propaganda 1936 – 1963 (Brüche und Kontinuitäten. Forschungen zu Kunst und Kunstgeschichte im Nationalsozialismus 1), Köln/Wien/Weimar 2019, S. 146 – 151. An der Rekrutierung von Mitarbeitern für den Kunstschutz in Griechenland war DAI-Präsident Martin Schede maßgeblich beteiligt. Er sorgte dafür, dass es sich um Archäologen handelte, die Griechenland und dem DAI Athen sehr nahestanden; DAI, Archiv der Zentrale (AdZ), Altregistratur Ordner 10 – 40, Martin Schede an Walter Wrede, 05. 05. 1941: Herr Reichsminister Rust hat sich an das Oberkommando der Wehrmacht gewandt und dabei eine Liste von geeigneten Persönlichkeiten, die ich abgefasst hatte, übersandt. (…) Zu diesen Leuten gehört z. B. Schönebeck, der vermutlich schon in Athen eingetroffen ist. 34 Der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR ) hatte die Aufgabe, im besetzten Europa Kulturgut zu beschlagnahmen, und verfügte in Griechenland über fünf Sonderstäbe: R ­ eligionswissenschaften,

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Hans Reinerth wurde hingegen vom DAI als Bedrohung und ernsthafte Konkurrenz angesehen. Illegale Ausgrabungen und partielle Plünderungen durch einzelne Vertreter der Wehrmacht brachten zusätzlich den Ruf der deutschen Archäologie in Griechenland ernsthaft in Gefahr.35

Athos, Griechische Altertumskunde, Vorgeschichte und Bibliotheksforschung; BA rch NS 30 75, Abschlußbericht über die Tätigkeit des Sonderkommandos Rosenberg in Griechenland, 15. 11. 1941; zum ERR in Griechenland: Reinhard Bollmus, Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Studien zum Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, Heidelberg 1968; Losemann, Nationalsozialismus und Antike (wie Anm. 32), S. 153, 249; Petrakos, Tα αρχαία της Eλλάδος κατά τον πόλεμο (wie Anm. 4), S. 132; Hiller, Deutsche archäologische Unternehmungen (wie Anm. 30), S. 481; Martin Miller, Otto Wilhelm von Vacano (1910 – 1997), in: Gunnar Brands/ Martin Maischberger (Hg.), Lebensbilder. Klassische Archäologen und der Nationalsozialismus I, Rahden 2012, S. 237 – 252, hier S. 244; Agathe Reingruber, Rez. zu: Eva Alram-Stern, Die deutschen Ausgrabungen 1941 auf der Visviki-Magula/Velestino. Die neolithischen Befunde und Funde, in: Praehistorische Zeitschrift 92 (2017), S. 444 – 453. Auf ­welche Weise beim ERR das Personal rekrutiert wurde, ist bislang nicht überliefert. Der Sonderstab Altertumskunde setzte sich aus Archäologen zusammen, die dem DAI zum Teil sehr nahestanden, darunter Siegfried Lauffer und Wilhelm von Vacano. 35 Zu illegalen Ausgrabungen und Kunstraub in Griechenland: Ministerium für Religionen und nationale Bildung (Hg.), Ζημίαι των αρχαιοτήτων εκ του πολέμου και των στρατών κατοχής, Athen 1946; The British Committee on the Preservation and Restitution of Works of Art, Archives and other Material in Enemy Hands (Hg.), Works of Art in Greece, the Greek Islands and the Dodecanese. Losses and Survivals in the War, London 1946; Hampe, Griechischer und englischer Kunstschutzbericht (wie Anm. 4); Losemann, Nationalsozialismus und Antike (wie Anm. 32), S. 162; Petrakos, Tα αρχαία της Eλλάδος κατά τον πόλεμο (wie Anm. 4), S. 137 – 142, 153 – 168; Ders., Πρόχειρον Αρχαιολογικών (wie Anm. 4), S. 350, 403 – 408; Michalis Tiberios, ΜΝΗΣΘΗΤΕ ΤΩΝ ΕΝ ΤΟΙΣ ΠΟΛΕΜΟΙΣ ΠΑΡΑΛΟΓΩΝ. Οι αρχαιότητες στην κατοχή, in: PraktAkAth 88 (2013), S. 159 – 202; Eleni Pipelia, The looted antiquities in Greece during World War II . Case studies of return and restitutions, Athen 2014; Maria Christides/Gabriele Koiner/Peter Scherrer, Kulturgüterraub und der schwierige Weg zur Restitution. Kretische Keramik in der Archäologischen Sammlung der Universität Graz, in: Markus Helmut Lenhart/Birgit Scholz (Hg.), Was bleibt? Bibliothekarische NS-Provenienzforschung und der Umgang mit ihren Ergebnissen, Graz 2018, S. 33 – 41; Alexandra Kankeleit, The German Archaeological Institute at Athens in the Nazi Era: http://anemi.lib.uoc.gr/metadata/4/2/9/ metadata-1333521439-162633-20737.tkl (Stand: 26. 07. 2020); Monuments, Fine Arts and Archives Sub-Commission of the C. M. F./British Committee on the Preservation and Restitution of Works of Art, Archives, and other Material in Enemy Hands, Works of art in Greece,the Greek Islands and the Dodecanese. Losses and survivals in the war: http://trove.nla.gov.au/work/27457454?q&version​ Id=33099824 (Stand: 26. 07. 2020); Mapianna Kakaoynakh/Enri Canaj, Στα ίχνη των κλεμμένων της Κατοχής, in: Kathimerini (13. 07. 2014): https://www.kathimerini.gr/776077/gallery/epikairothta/ ereynes/sta-ixnh-twn-klemmenwn-ths-katoxhs (Stand: 26. 07. 2020); Maria Thermou, Οι Γερμανοί «αρχαιολάτρες» που έκλεψαν αρχαία στον πόλεμο, in: inside story (26. 10. 2019): https://insidestory. gr/article/germanoi-arhaiolatres-klemmena-katestrammena-arhaia-polemoy?token=2WHY3IC09Q (Stand: 26. 07. 2020).

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Das Deutsche Archäologische Institut Athen (DAI Athen) und der Kunstschutz arbeiteten bis September 1944 eng zusammen.36 Teilweise erhielten die Vertreter des Kunstschutzes ihre Anweisungen direkt von der Zentrale des DAI aus Berlin. Mitarbeiter des DAI Athen unterstützten wiederum den Kunstschutz beim Schreiben der Merkblätter und anderer populärwissenschaftlicher Texte,37 bei Vorträgen und Führungen für Wehrmachtsangehörige 38 sowie bei der Betreuung von Besuchern in der Bibliothek des DAI Athen.39 Mitarbeiter des Kunstschutzes waren während des Krieges mehrere Monate in den Gästeräumen des DAI Athen untergebracht.40 36 Zur Zusammenarbeit von DAI und Kunstschutz: Deutsches Archäologisches Institut, Abteilung Athen (künftig DAI , AdZ), Altregistratur Ordner 10 – 40, Walther Wrede an Martin Schede, 05. 05. 1941; BA rch RW 40 – 116a, Abschlussbericht von Wilhelm Kraiker, Der Kunstschutz in Griechen­land, 13. 02. 1945: Engste Zusammenarbeit, die durch langjährige persönliche und wissenschaftliche Beziehungen wesentlich erleichtert war, bestand mit der Zweigstelle Athen des Archäologischen Instituts des Deutschen Reiches, das in einigen Fällen Fachkräfte seines Personals für die Durchführung dringender Kunstschutzaufgaben bereitstellte. An der Vorbereitung des [sic] Luftbildaufnahmen war das Institut grundsätzlich mitbeteiligt. (…) Zu diesen Notgrabungen [bei militärischen Bauarbeiten] und der Verarbeitung ihres Fundmaterials wurden in einigen Fällen Sachverständige vom archäologischen Reichsinstitut in Athen zur Verfügung gestellt. Zur Auflösung des Kunstschutzes in Griechenland: Petrakos, Πρόχειρον Αρχαιολογικών (wie Anm. 4), S. 324; NL FGWM, Nr. 102, Wilhelm Kraiker an Franziskus Wolff Metternich, 06. 09. 1944: Einen Befehlshaber Griechenland gibt es praktisch nicht mehr (…) möchte Sie schon heute bitten, mich als eines Ihrer Kücken [sic] mit meinen Anliegen (es handelt sich dabei nur um Kunstschutzanliegen) für eine womöglich turbulente Übergangszeit unter Ihre Fittiche zu nehmen wie in den alten guten Zeiten! Zur Versetzung von Kraiker nach Deutschland: Ebd., Nr. 171: Kommentar von Wilhelm Kraiker zum „Memorandum: Ancient works of art looted by the Germans from Greece“, 15. 09. 1948: Im August 1942 übernahm der Unterzeichnete die Leitung [des Kunstschutzes in Griechenland] bis zu seiner Versetzung nach Deutschland am 13. 9. 1944. 37 DAI, AdZ Altregistratur Ordner 10 – 40, Karl Kübler an Martin Schede, 26. 05. 1941; Schoenebeck an Kraiker 1943; Petrakos, Tα αρχαία της Eλλάδος κατά τον πόλεμο (wie Anm. 4), S. 123 – 124; Ulf Jantzen, Einhundert Jahre Athener Institut, 1874 – 1974. Das Deutsche Archäologische Institut (Geschichte und Dokumente 10), Mainz 1986, S. 55. Ein geplantes „Luftbildalbum“ für hochrangige Politiker, darunter Hitler und Göring, konnte anscheinend nicht fertiggestellt werden: DAI Athen, Archiv, Ordner „Vorbereitung der Luftbildaufnahmen“ Nr. 1/09, Schreiben zu den „Luftbildaufnahmen von Olympia“ vom 29. 10. 1942. 38 Nach Kraiker wurden rund 120.000 deutsche Wehrmachtangehörige aller Dienstgrade von Mai bis Dezember 1941 auf der Akropolis geführt: BArch RW40 – 116a, Abschlussbericht von Wilhelm Kraiker, Der Kunstschutz in Griechenland, 13. 02. 1945: Nachlass von Kurt Gebauer (1909 – 1942) im Besitz von Gregor Gebauer (künftig NL Gebauer) mit Fotos und Briefen zu Führungen und sonstigen Aktivitäten, die er als Assistent des DAI Athen im Auftrag der Wehrmacht durchgeführt hatte. 39 DAI Athen, Archiv Gästebuch der Bibliothek von 1941 – 1944, D-DAI-ATH-Archiv IG-00476DS 00040, D-DAI-ATH-Archiv IG-00476DS 00041, D-DAI-ATH-Archiv IG-00476DS 00042. 40 DAI Athen, Archiv Kasten B7 (früher Kasten 39), Bericht über Personal und Tätigkeit der Zweigstelle Athen im Vierteljahr 1. April – 30. Juni 1941, Bericht über Personal und Tätigkeit der Zweigstelle Athen

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Seit Oktober 1941 wurden die Kunstschutzaufgaben von zwei Mil. Verw.-Beamten des höheren Dienstes versehen, die Landeskenner und von Beruf Archäologen waren. Diese Auskunft gab Wilhelm Kraiker (1899 – 1987) in seinem Abschlussbericht von 1945.41 Allerdings hielt sich der andere Kunstschutzbeauftragte, Hans von Schoenebeck (1904 – 1944), schon seit Mai 1941 in Griechenland auf.42 Beide hatten vor dem Krieg mehrere Jahre für das DAI in Athen gearbeitet.43 Unterstützung erhielten sie zusätzlich von ihrem ehemaligen Kollegen Roland Hampe (1908 – 1981),44 der zwar nicht dem Kunstschutz angehörte,45 als „Wachtmeister“ und „Sonderführer Z“ der Wehrmacht vor allem auf der Insel Kreta Unterstützung anbieten konnte.46

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45

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im Vierteljahr 1. Oktober – 31. Dezember 1941, Bericht über Personal und Tätigkeit der Zweigstelle Athen im Vierteljahr 1. Januar – 31. März 1942, von Karl Kübler. BA rch RW 40 – 116a, Abschlussbericht von Wilhelm Kraiker, Der Kunstschutz in Griechenland, 13. 02. 1945. NL FGWM , Nr.  102, Bericht über den Kunstschutz in Griechenland von Franziskus Wolff ­Metternich, 01. 06. 1941. Archäologischer Anzeiger 1929, II, IX (Jahresbericht 1928/29); Archäologischer Anzeiger 1930, V, XI (Jahresbericht 1929/30); Archäologischer Anzeiger 1931, IV, XI (Jahresbericht 1930/31), 308; Archäologischer Anzeiger 1934, V (Jahresbericht 1933/34); Archäologischer Anzeiger 1935, VII (Jahresbericht 1934/35); Jantzen, Einhundert Jahre Athener Institut (wie Anm. 36), S. 108. Archäologischer Anzeiger 1935, VIII (Jahresbericht 1934/35); Archäologischer Anzeiger 1936, VII (Jahresbericht 1935/36); Jantzen, Einhundert Jahre Athener Institut (wie Anm. 36), S. 50 – 56, 109; Rebecca Mann, 1956 – 1966. Antike Technik und moderne Versuche, in: Nicolas Zensen (Hg.), Objekte erzählen Geschichte(n). 150 Jahre Institut für Klassische Archäologie (Eine Ausstellung im Universitätsmuseum Heidelberg 26. Oktober 2016 bis 18. April 2017), Heidelberg 2017, S. 231 – 251. 1940 wurde Roland Hampe (1908 – 1981) im Alter von 32 Jahren an der Universität Würzburg habilitiert: Seine Habilitationsschrift ist eine geistreiche Deutung der Gruppe des berühmten ‚Delphischen Wagenlenkers‘ (1941), eine Publikation, die viel Beachtung auch in weiteren Kreisen der gebildeten Welt gefunden hat: Universitätsarchivs Heidelberg, PA 7934, Personalakte Roland Hampe, Schreiben der Philosophischen Fakultät vom 04. 07. 1956; Roland Hampe, Der Wagenlenker von Delphi, München 1941. Ebd. Irreführend ist folgende Information in Hampes Personalakte: 1939 wurde Prof. Hampe Assistent am Archäologischen Institut Würzburg, habilitierte sich dort 1940, war während des Krieges mehrere Jahre beim Denkmalschutz in Griechenland und wurde 1946 Ordinarius seines Faches in Kiel. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Hampe direkt für den Kunstschutz in Griechenland tätig war; im September 1943 gab es zeitweise Überlegungen, Hampe offiziell mit Kunstschutzaufgaben zu betrauen, was aber wegen seiner anderen militärischen Verpflichtungen schnell wieder verworfen wurde: ­Petrakos, Πρόχειρον Αρχαιολογικών (wie Anm. 4), S. 351; DAI Athen, Archiv, Ordner „Vorbereitung der Luftbildaufnahmen“ Nr. 1/09, Wilhelm Kraiker an Martin Schede, 22. 09. 1943: Die Notregelung der Betreuung [der Kunstschutzaufgaben in Kreta] durch Dr. Hampe hat sich als undurchführbar herausgestellt, da Dr. Hampe von seinen derzeitigen dienstlichen Aufgaben voll in Anspruch genommen ist. Auskunft von der Deutschen Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht (künftig WASt) über Roland Hampe: lt. Meldung

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5. Kritik an den Sicherheitsmaßnahmen des griechischen Antikendienstes Trotz der anfänglich sehr positiven Beurteilung der Sicherheitsmaßnahmen in den griechischen Museen 47 begann Hans von Schoenebeck bereits im Juli 1941 grundlegende Kritik an diesen zu üben: Eine der wichtigsten Aufgaben ist natürlich die Feststellung der Schäden. Einiges ist natürlich vorgekommen, aber Gott sei Dank sind wirkliche Werte nicht zerstört. Sehr viel ernsthafter sind die Schäden durch eine totale Bergung, die mit derselben Gewissenhaftigkeit und umfassenden Vollständigkeit durchgeführt worden ist, wie ein totaler Krieg wenigstens in der ­Theorie. Selbst die belanglosesten provinzialrömischen Reliefs sind bis zu 7 m unter der Erde vergraben worden. Dabei ist natürlich die Panne eingetreten, dass zum Schluss das Geld nicht mehr reichte und beispielsweise der Gott aus dem Meer zuguterletzt unter einem kümmerlichen Sandhaufen verscharrt wurde. (…) Wie der griechische Staat die z. T. katastrophalen Schäden dieser totalen Bergung jemals ausgleichen will, ist unklar. Woher die Mittel kommen sollen, die in Millionen von Reichsmark gehen, ist nebelhaft. Wahrscheinlich hat der Grieche seinen Sieg vorausgesetzt und im schlimmsten Fall an die milden Gaben von Amerikanern u. a. gedacht.48

Die ­gleiche Auffassung vertrat auch Wilhelm Kraiker: Da die Bergungen laut Anordnung des damaligen griechischen Kultusministers in sehr kurzer Zeit durchgeführt werden mußten und oft das sachverständige Personal fehlte, sind sie teilweise unsachgemäß vorgenommen worden (Kerameikos in Athen, Olympia, Saloniki), sodaß z. T. erhebliche, in Einzelfällen nicht wieder gut zu machende Beschädigungen verursacht wurden. Diese Schäden durch unsachgemäße Bergungen sind jedenfalls größer als die Schäden durch Kampfhandlungen.49

vom 19. 09. 1942: Ortskommandantur II/981, Chania/Kreta; lt. Meldung vom 08. 09. 1943: Kommandant Festung Kreta; lt. Meldung vom 20. 12. 1943: Ortskommandantur I/981, Kreta; 20. 12. 1943 versetzt zu Abwehrtrupp 376. Weitere Quellen: DAI, AdZ, Altregistratur Ordner 10 – 40, Roland Hampe an Martin Schede, 30. 12. 1944; Roland Hampe, Die Rettung Athens im Oktober 1944, Wiesbaden 1955; Ders., Η διάσωση της Αθήνας τον Οκτώβριο του 1944. Herausgegeben und kommentiert von T. Kalpaxis, Athen 1994; Ders., Die Rettung Athens im Oktober 1944. Herausgegeben und kommentiert von R. Stupperich und H. A. Richter (Thetis 18), Ruhpolding 2011; Petrakos, Πρόχειρον Αρχαιολογικών (wie Anm. 4), S. 351. 47 Siehe Anm. 9. 48 UAK, Nachlass Andreas Rumpf, Signatur Zugang 364 Nr. 052, Hans von Schoenebeck an Andreas Rumpf, 04. 07. 1941. 49 NL FGWM, Nr. 102, Bericht über den militärischen Kunstschutz in Griechenland von Militärverwaltungsrat Kraiker, 20. 07. 1944.

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Hans von Schoenebeck sollte in der Folgezeit massiven Druck auf den griechischen Antikendienst ausüben – sowohl in verbaler als auch in schriftlicher Form. Dabei konzentrierte er sich hauptsächlich auf Athen und verlangte von seinen griechischen Kollegen, alle Antiken aus ihren Verstecken zu holen und die Museen wieder in Betrieb zu nehmen.50 Vasileios Petrakos hat den Schlagabtausch ­zwischen den griechischen Behörden und dem deutschen Kunstschutz in seiner jüngsten Publikation eindrucksvoll dokumentiert.51 In den von ihm zitierten Unterlagen 52 spielen auf deutscher Seite vor allem Hans von Schoenebeck und Erich Boehringer 53 eine maßgebliche Rolle. Für die Abläufe auf griechischer Seite zeichnen der Kultusminister Konstantinos Logothetopoulos 54 und der Generalkonservator Antonios Keramopoulos 55 verantwortlich. Folgt man den Ausführungen von Vasileios Petrakos und 50 Es ist nicht überliefert, ob er dabei eigenmächtig vorging oder ob er seine Direktiven von übergeordneten Stellen erhielt. Mit folgenden Institutionen musste er sich auf jeden Fall abstimmen: mit der Leitung des Kunstschutzes in Paris (Franziskus Graf Wolff Metternich und Bernhard von Tieschowitz), mit der Zentrale des DAI in Berlin (Martin Schede) und mit der Deutschen Gesandtschaft in Athen (Günther Altenburg und Erich Boehringer). 51 Petrakos, Tα αρχαία της Eλλάδος κατά τον πόλεμο (wie Anm.  4), S.  125 – 128; Ders., Πρόχειρον Αρχαιολογικών (wie Anm. 4), S. 344 – 360. 52 Es handelt sich um Briefe, amtliche Anordnungen, Notizen und Gedächtnisprotokolle. 53 Erich Boehringer (1897 – 1971) war von März 1940 bis März 1943 als Kulturattaché an der Deutschen Gesandtschaft in Athen tätig: Marie Vigener, Erich Boehringer (1897 – 1971), in: Brands/­Maischenberg (Hg.) Lebensbilder (wie Anm. 33), S. 309 – 325; Nachlass Boehringer im Besitz seines Sohnes Christof Boehringer; Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Personalakte Erich Boehringer, zu Pers. B 2795/43, 08. 03. 1944. 54 Konstantinos Logothetopoulos (1878 – 1961) wurde während der Besatzungszeit zum Kultusminister der griechischen Kollaborationsregierung ernannt. Zeitweise bekleidete er sogar das Amt des Minister­ präsidenten (02. 12. 1942 – 07. 04. 1943), was ihn sichtlich überforderte, weswegen er nach wenigen Monaten abgesetzt wurde. Er hatte vor dem E ­ rsten Weltkrieg in München Medizin studiert und war mit einer Deutschen verheiratet. Seit 1922 lehrte er als Professor der Gynäkologie an der Universität Athen und pflegte in der Zwischenkriegszeit ein enges Verhältnis zu namhaften Repräsentanten der deutschen Archäologie. Die Ehepaare Karo, Gebauer und Hampe waren gut mit ihm befreundet und besuchten ihn häufig in seinem Haus in Kalamaki. Seine Frau Elisabeth wurde 1936 zum Korrespondierenden Mitglied des DAI gewählt: Archäologischer Anzeiger 1936, XXIX. Während der Besatzungszeit war er als Dienstherr von Antonios Keramopoulos für alle archäologischen Vorhaben in Griechenland verantwortlich. Nach dem Krieg wurde Logothetopoulos als Kollaborateur zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt und war seitdem in (deutschen) Archäologenkreisen nicht mehr gefragt; zu Logothetopoulos: Fleischer, Im Kreuzschatten (wie Anm. 27), S. 189; Mazower, Inside Hitler’s Greece (wie Anm. 27), S. 19, 71, 120; Richter, Griechenland ­zwischen Revolution und Konterrevolution (wie Anm. 27), S. 197 – 199; Ders., Griechenland 1942 – 43. Erinnerungen von Elisabeth und Konstantinos Logothetopoulos, Ruhpolding 2015. 55 Der Archäologe Antonios Keramopoulos (1870 – 1960) bekleidete seit Juli 1942 das Amt des „Ministerialdirektors“ bzw. „Generalkonservators“ (διευθυντής αρχαιοτήτων και ιστορικών μνημείων). Alle Ausgrabungen und sonstigen archäologischen Vorhaben mussten direkt mit ihm abgestimmt werden.

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ergänzt diese noch durch weitere Quellen, können folgende einschneidende Ereignisse festgehalten werden: Am 22. Juli 1941 lehnte Wirtschaftsminister Sotirios Gotzamanis einen Antrag von Logothetopoulos ab, 1.000.000 Drachmen für die Wiederinbetriebnahme der Museen bereitzustellen. Er hielt es für sicherer, wenn die Antiken in ihren Verstecken bleiben würden.56 Am 5. August 1941 forderte ein leitender Beamter der deutschen Militärverwaltung in Griechenland, Franz Alfred Medicus (1890 – 1967), den griechischen Antikendienst auf, eine Liste mit allen versteckten Antiken zusammenzustellen. Die Athener Museen sollten ihm zugänglich gemacht und der Kunstschutz, vertreten durch von Schoenebeck, stärker unterstützt werden.57 Am 27. August 1941 erhielt Medicus eine Antwort, in der ihm ohne Umschweife die dramatische Lage des Landes geschildert wurde. Der Verfasser, vermutlich Keramopoulos, machte deutlich, dass die griechische Bevölkerung mit den Folgen des Krieges, der Hungersnot und anderen existenziellen Problemen zu kämpfen habe. Für die Bergung der antiken Kunstschätze würden schlichtweg die Ressourcen fehlen. Die Museumsstücke ­seien ohnehin nicht in Gefahr. Der milde Winter und die idealen klimatischen Bedingungen Griechenlands hätten dazu beigetragen, dass diese schon vorher Jahrtausende unter der Erde überlebt hätten.58 Der Kunstschutz ließ allerdings nicht locker: Am 29. September 1941 kündigte Logothetopoulos von Schoenebecks Kontrollbesuch in den bedeutendsten Athener Museen an, aber dies konnte Diebstähle wertvoller Funde nicht verhindern.59 Am 9. November 1941 wurde aus dem wieder eröffneten Kerameikosmuseum eine archaische Tontafel gestohlen.60 Nur wenige Wochen ­später fanden auf Kreta illegale Ausgrabungen

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Er sprach fließend deutsch und verfügte vor dem Krieg über gute Kontakte zu den Mitarbeitern des DAI Athen. Die meisten Genehmigungen für Ausgrabungen und sonstige archäologische Unternehmungen wurden von ihm unterzeichnet. Auch nach 1944 war Keramopoulos im Bildungsministerium tätig, doch kühlte sein Verhältnis zu den Mitarbeitern des DAI Athen in der Folgezeit deutlich ab; zu Keramopoulos: Picard u. a., La redécouverte de Delphes (wie Anm. 19), S. 206 f.; Petrakos, Tα αρχαία της Eλλάδος κατά τον πόλεμο (wie Anm. 4), S. 129 f.; Ders., Πρόχειρον Αρχαιολογικών (wie Anm. 4), S. I 309, II 33 – 34; Klaus Fittschen, Gedenkfeier für Emil Kunze und Semni Karusu am 10. März 1995, in: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts. Athenische Abteilung [AM] 11 (1995), S. 1 – 11, hier S. 10 (ohne explizite Nennung des Namens). Petrakos, Πρόχειρον Αρχαιολογικών (wie Anm. 4), S. 333. Ebd., 334. Ebd., 334 – 336. Kultusministerium Griechenland, Akte 586A, 29. 09. 1941: Πρός τούς κ. κ. Διευθυντάς τού Εθνικού Αρχαιολογικού Μουσείου καί Μουσείου Ακροπόλεως. Κατά τάς πρώτας ημέρας του προσεχούς μηνός Οκτωβρίου πρόκειται νά επισκεφθή υμάς ο κ. von Chönebeck [sic] ίνα συζητήσητε περί τού κρυψώνος των αρχαιοτήτων τόν οποίον θ΄ανοίξητε από κοινού πρός βεβαίωσιν αν βλάπτωνται αί αρχαιότητες υπό της υγρασίας ή δι΄άλλον λόγον. Ο Υπουργός, Κ. Λογοθετόπουλος. Hierzu schrieb Kraiker an Wolff Metternich: Die bemalte Tontafel, die an der Wand in einem Raum des Museums im Kerameikos angebracht war, wurde während einer Führung von Dr. Gebauer, damals Assistent am deutschen archäologischen Institut in Athen, für deutsche Offiziere und Soldaten e­ ntwendet.

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statt, an denen Mitarbeiter des Kunstschutzes beteiligt waren.61 Diese Ereignisse trugen nicht dazu bei, dass bei den griechischen Archäologen das Vertrauen in den deutschen Kunstschutz gestärkt wurde. Dennoch wurde der Druck auf den griechischen Antikendienst im Jahr 1942 zusätzlich erhöht. Ein besonderes Interesse hatte von Schoenebeck an der Freilegung der Antiken im Museum von Thessaloniki – ein teilweise persönlich motiviertes Vorhaben, das er im März 1942 endgültig aufgeben musste.62 Im April 1942 erhielt Logothetopoulos ein offizielles Schreiben vom Oberbefehlshaber der Wehrmacht in Südgriechenland mit dem Hinweis, dass das griechische Volk die Verantwortung für alle möglichen Schäden an den antiken Kunstdenkmälern zu tragen habe.63 Logothetopoulos lehnte weiterhin deren Freilegung ab.64 Unterdessen fanden stichprobenartige Untersuchungen durch griechische Archäologen statt, wobei das Hauptaugenmerk den empfindlichen Bronzeobjekten galt.65 Im Juli 1942 verließ von Schoenebeck Griechenland.66 Die Dienstgeschäfte des Kunstschutzreferates in Griechenland wurden in der Folgezeit nur noch von einem höheren Mil.

Als Täter kommt ohne Frage einer der Teilnehmer in Betracht, doch ist der Diebstahl erst nach der Führung entdeckt worden, so daß sich der Täter nicht mehr ermitteln ließ, da die Namen und die Formation der Teilnehmer nicht bekannt waren. Der Diebstahl ist dem griechischen Ministerium vom Referat Kunstschutz sofort angezeigt worden: NL FGWM , Nr. 171, Kommentar von Wilhelm ­Kraiker zum „Memorandum: Ancient works of art looted by the Germans from Greece“, 15. 09. 1948. Über das Ereignis informierte der Assistent des DAI Athen, Kurt Gebauer, am 15. 11. 1941 seine M ­ utter: NL Gebauer. 61 Kultusministerium Griechenland, Akte 568 A, Antikendienst Heraklion (Εφορεία Αρχαιοτήτων „Ηρακλείου“) an das Kultusministerium (Υπουργείον Εθνικής Παιδείας Διεύθυνσις, Αρχαιολογίας), 29. 11. 1941; Petrakos Πρόχειρον Αρχαιολογικών (wie Anm. 4), S. 350. 62 Petrakos, Πρόχειρον Αρχαιολογικών (wie Anm. 4), S. 344. 63 Ebd., 346. 64 Ebd. 65 Kultusministerium Griechenland, Akte 586A, Christos Karouzos an das Kultusministerium, 10. 08. 1942. Mehrere antike Bronzen sollten zum Trocknen auf Regalen im Nationalmuseum ausgelegt werden. Da der dafür bestimmte Raum zu dunkel und feucht war, wurden für den Winter ein Ofen und Heizmaterial angefordert. 66 Recht wenig wissen wir über die Hintergründe bezüglich seiner „Versetzung zur Truppe“ sowie über seinen anschließenden Werdegang. 1943/44 war er zeitweise als Dozent an der Friedrich-­WilhelmsUniversität in Bonn tätig. 1944 wurde er als Soldat in der Normandie eingesetzt, wo er zu Tode kam. Die WASt (wie Anm. 46) gibt dazu folgende Auskunft: Truppenteil: lt. Meldung vom 08. 10. 1942: Marschkompanie/Panzer-Ersatzabteilung 10; lt. Meldung vom 17. 08. 1943 und vom 15. 04. 1944: Stabskompanie II/Panzerregiment 3; lt. Meldung vom 17. 08. 1944: Stab/Panzerregiment 3; Dienstgrad: lt. Meldung vom 22. 12. 1940: Gefreiter; lt. Meldung vom 17. 08. 1944: Oberleutnant. Verbleib: 17. 08. 1944: Hauptverbandsplatz bei Bourgtheroulde/Normandie, infolge Verwundung gestorben. Grablage: Kriegsgräberstätte Champigny-Saint-André, Block 7, Reihe 5, Grabnr. 468.

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­Verw.-Beamten wahrgenommen.67 Dies war Kraiker, der vorher eng mit von Schoenebeck zusammengearbeitet hatte und dessen Kurs fortsetzte.

6. Transport des Wagenlenkers nach Athen Am 31. August 1942 forderte der griechische Kulturminister Logothetopoulos den Generalkonservator und Direktor der archäologischen und historischen Denkmäler Antonis Keramopoulos auf, sich umgehend nach Delphi zu begeben, um die „Exhumierung“ des Wagenlenkers sowie seine Übergabe und den Transport nach Athen zu überwachen, damit dort die notwendigen Restaurierungsmaßnahmen durchgeführt werden könnten.68 Im September 1942 wurden schließlich die beiden Holzkisten mit den Teilen des Wagenlenkers nach Athen überführt. Über den Transport berichtete Kraiker in seinem Abschlussbericht von 1945: Da der gleichermassen berühmte Wagenlenker von Delphi aus Bronze durch die Bergung in einer feuchten Grotte als gefährdet angesehen werden musste, wurde seine Überführung in das Nationalmuseum in Athen angeordnet und durch Bereitstellung eines LKW bewerkstelligt.69

Der Transport des Wagenlenkers nach Athen wurde von Protesten der einheimischen Bevölkerung begleitet.70 67 BA rch RW 40 – 116a, Abschlussbericht von Wilhelm Kraiker, Der Kunstschutz in Griechenland, 13. 02. 1945. 68 Kultusministerium Griechenland, Akte 568Δ, Schreiben vom 31. 08. 1942: Πρός τόν κ. Αντών. Κεραμόπουλον, Διευθυντήν Αρχαιοτήτων καί Ιστορικών Μνημείων. Παρακαλούμεν όπως το ταχύτερον μεταβήτε εις Δελφούς, ίνα εποπτεύοητε την εκταφήν του Ηνιόχου, παραλαβήν του και μεταφοράν εις Αθήνας προς λήψιν των αναγκαίων μέτρων συντηρήσεώς του. Ο Υπουργός. 69 BArch RW40 – 116a, Abschlussbericht von Wilhelm Kraiker, Der Kunstschutz in Griechenland, 13. 02. 1945. Das besondere Interesse des Kunstschutzes am Wagenlenker von Delphi könnte mit Hampes Habilitationsschrift zusammenhängen; siehe Anm. 1 und 44; Vasileios Petrakos in einer E-Mail vom 04. 09. 2019: Υπάρχει και η πιθανότητα η μεταφορά να έγινε για χάρη του R. Hampe ο οποίος θα ήθελε να συνεχίσει τη μελέτη του; Το 1941 είχε δημοσιεύσει (…) σημαντική μελέτη για τον Ηνίοχο, η οποία πολεμήθηκε αρκετά. Γι’ αυτήν θα ιδήτε στον τόμο L’ Aurige(…) του Fr. Chamoux (Möglicherweise fand der Transport für R. Hampe statt, der seine Studien fortsetzen wollte. 1941 hatte er eine bedeutende Studie über den Wagenlenker veröffentlicht (…), die stark bekämpft worden ist. Weitere Informationen zu ­diesem Thema finden Sie in dem Band L’Aurige (…) von Fr. Chamoux); zu den genannten Publikationen: Hampe, Der Wagenlenker (wie Anm. 43); François Chamoux, L’Aurige. Fouilles de Delphes. Tome IV, Monuments figurés: Sculpture – 5, Paris 1955, S. 59 f. Gegen diese Annahme würde jedoch sprechen, dass der Wagenlenker erst nach dem Krieg restauriert und wieder aufgestellt werden konnte. Während der Besatzungszeit war eine Autopsie des Kunstwerkes vermutlich nur unter erschwerten Bedingungen möglich; siehe Anm. 64, 75. 70 Freundlicher Hinweis von Vasileios Kosmopoulos, der Zeitungen und Augenzeugenberichte aus der Region von Delphi ausgewertet hat. Die „Entführung“ der Statue trug anscheinend mit zum

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Am 06. 09. 1942 forderte Logothetopoulos vier Spezialisten in Athen auf, die Kisten mit Teilen des Wagenlenkers und anderen Bronzen aus Delphi zu öffnen und zu überprüfen.71 Danach sollten die Reinigung und die Restaurierung der Objekte erfolgen. Die vom Ministerium bestimmten Gutachter sichteten schließlich am 21. 09. 1942 den Inhalt der Kisten, Vertreter des militärischen Kunstschutzes waren nicht anwesend, wie aus dem entsprechenden Protokoll hervorgeht. Der Zustand der Antiken wurde ausführlich dokumentiert: Protokoll des eingesetzten Ausschusses zur Entgegennahme der beiden Kisten mit den antiken Bronzen aus dem Museum von Delphi. Am heutigen Montag, den 21. September 1942 hat sich in Athen im Archäologischen Nationalmuseum das Gremium getroffen, das entsprechend dem Schreiben des Kultusministeriums Nr. 46338) 1564) vom 06. 09. 1942 aus Herrn A. Sophianopoulos, Professor der Technischen Universität, als Vorsitzender, Ch. Karouzos, Direktor des Nationalmuseums, Irini Varoucha-Christodoulopoulou, Direktorin des Antikendienstes, und Ph. Stavropoulos, Direktor des Antikendienstes, besteht. Es wurden die beiden hölzernen Kisten mit den Nummern 1 und 2 geöffnet, die von dem Ministerialdirektor des Antikendienstes [Antonios Keramopoulos] aus Delphi überführt worden waren und die antiken Bronzen aus dem Museum von Delphi beinhalten. Die Siegel waren ungebrochen und die umgebenden Drähte fast vollkommen intakt. Die Kiste Nr. 1 war allerdings am Boden und den beiden Langseiten von Feuchtigkeit betroffen. Der Inhalt der Kisten wurde überprüft, wobei das Protokoll Nr. 3 vom 19. November 1940, das vom Komitee zur Sicherung der Antiken im Museum von Delphi (bestehend aus A. Sochos, A. Kondoleon, K. Kolomvotsos, B. Raftopoulos und I. Antonoloukas) stammte, als Grundlage diente. Der Inhalt der Kisten stimmte in allen Punkten mit dem Protokoll überein: In der Kiste Nr. 1 befanden sich die folgenden Antiken 1. Der Wagenlenker (aus Bronze) von der Taille bis zu den Füßen, v­ orzeitigen Tod des Archäologen Alexandros E. Kondoleon bei; s. o. Anm. 19 und http://delphi-times. blogspot.com/2018/10/1859-1943.html: Ο ηλικιωμένος αυτός και κουρασμένος άνθρωπος, εξαντλημένος σωματικά και ψυχικά, πέθανε από στερήσεις, δυστυχία και λύπη. Είδε να εισβάλλουν και να καταλαμβάνουν για στρατοπεδεύσεις αυτά τα Ιερά, όπου δεν επέτρεπε την είσοδο χωρίς σεβασμό. Και άδειο το Μουσείο, του οποίου, τουλάχιστον, τα μάρμαρα, κείτονταν και πάλι προστατευμένα μέσα στη γή των Δελφών, που τα προστάτευε αλλά και τα έβλαπτε. Αλλά τον Ηνίοχό του, τον πήραν μια μέρα στην Αθήνα χωρίς να το μάθει! (Dieser alte und müde Mensch, körperlich und psychisch erschöpft, starb voller Entbehrungen, in Armut und Kummer. Er sah, wie sie einmarschierten und für ihre militärischen Lager die Heiligtümer besetzten. Orte, die man ohne Respekt nicht betreten durfte. Und das Museum war leer. Wenigstens seine Marmorschätze lagen wieder sicher in der Erde von Delphi. Diese Erde, die schützte, zugleich aber auch Schäden verursachte. Aber seinen Wagenlenker, den haben sie eines Tages mit nach Athen genommen, ohne dass er davon erfuhr!). 71 Kultusministerium Griechenland, Akte 568Δ. Das Schreiben richtete sich an 1) Athanasios ­Sophianopoulos, Ordentlicher Professor der Technischen Universität, 2) Christos Karouzos, Direktor des Archäologischen Nationalmuseums, 3) Irini Varoucha-Christodoulopoulou, Direktorin des Antikendienstes (Έφορος των Αρχαιοτήτων), 4) Phoibos Stavropoulos, Direktor des Antikendienstes.

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Der rechte Arm des Wagenlenkers,72 Drei (3) bronzene Bänder, die Zügel des Wagenlenkers, Schweiffragment von einem der Bronzepferde (Teil der Statuengruppe des Wagenlenkers), Fragment Nr. 3618 der Wagenlenkergruppe, Fragment von der Lenkvorrichtung der Wagenlenkergruppe, Anderes Teil der Lenkvorrichtung, das mit Bronzestreifen umwickelt war, Die linke Bronzehand (…), die die Enden der Zügel hielt,73 Acht (8) Bronzestücke, die zum Rennwagen der Komposition gehörten, Zwei (2) Bündel der Bronzezügel, die ebenfalls zur Wagenlenkergruppe gehörten, Drei (3) Beine eines Bronzepferdes, von denen zwei (2) von der Mitte des Oberschenkels bis zum Huf erhalten sind, das dritte von der Wadenmitte bis zum Huf.74 In der Kiste Nr. 2 befanden sich folgende Antiken: 1. Die Büste des Wagenlenkers [mit Kopf], 2. Die Apollonstatuette (Kouros) Nr. 1663 (…).75 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

72 Zum rechten Arm des Wagenlenkers: Hampe, Der Wagenlenker (wie Anm. 44), S. 19; Chamoux, L’Aurige (wie Anm. 69), Taf. 4, 13; Colonia, The Archaeological Museum (wie Anm. 2), S. 267. 73 Zum linken Arm eines Kindes: Hampe, Der Wagenlenker (wie Anm. 44), S. 33 – 37; Chamoux, L’Aurige (wie Anm. 69), S. 47 – 49, Taf. 6. 74 Hierzu s. o. Abb. 1; Hampe, Der Wagenlenker (wie Anm. 44), S. 12 – 14. 75 Kultusministerium Griechenland, Akte 568Δ: Πρωτόκολλον τής επιτροπής τής συσταθείσης πρός παραλαβήν τών δύο κιβωτίων χαλκών αρχαίων του Μουσείου Δελφών. Εν Αθήναις σήμερον την 21ην Σεπτεμβρίου 1942 ημέραν Δευτέραν καί εν τώ Εθνικώ Αρχαιολογικώ Μουσείω συνήλθεν η επιτροπή η συσταμείσα διά του υπ αρ. 46338) 1564) 6.9.42 εγγράφου του Υπουργείου Θρησκευμάτων και Εθνικής Παιδείας αποτελουμένη εκ τών κ. κ. Α. Σοφιανοπούλου, καθηγητή του Πολυτεχνείου, ως πρόεδρου, Χ. Καρούζου, Δ) τού τού Εθν. Μουσείου, Ειρήνης Βαρούχα-Χριστοδουλοπούλου, εφόρου αρχαιοτήτων καί Φ. Σταυροπούλου, εφόρου αρχαιοτήτων ως μελών και ήνοιξε τά δύο ξύλινα κιβώτια τά μετακομισθέντα έκ Δελφών υπό του Δ) του τών Αρχαιοτήτων καί Ιστορικών Μνημείων και περιέχοντα χαλκά αρχαία του Μουσείου Δελφών, φέροντα δέ τους αριθμούς 1 καί 2. Αί σφραγίδες τούτων ήσαν αλύμαντοι καί τα περιβάλλοντα σύρματα σχεδόν ακέραια. Του υπ. αρ. 1 κιβωτίου όμως η βάσις και αι δύο μακραί πλευραί είχον προσβληθή υπό τής υγρασίας. Το περιεχόμενο τών κιβωτιών τούτων ήλεγξεν επί τη βάσει του πρωτοκόλλου υπ. αρ. 3 19 Ν) βρίου 1940 της επιτροπής εξασφαλίσεως των αρχαιοτήτων του Δελφικού Μουσείου (αποτελεουμένης εκ τών κ. κ. Α. Σώχου, Α. Κοντολέωντος, Κ. Κολομβότσου, Β. Ραφτοπούλου καί Ι. Αντωνολουκά) και εύρε τούτο απολύτως σύμφωνον πρός τό εν τώ πρωτοκόλλω τούτο αναγραφόμενον, ήτοι: Εν το κιβωτίω υπ αριθ. 1 περιείχοντα τα εξής αρχαία. 1ον Ο ηνίοχος (χάλκινος) από τής οσφύος μέχρι και των ποδών. 2ον Ο δεξιός βραχίων του ηνιόχου. 3ον Τρείς (3) τανίαι χάλκιναι, τα ηνία του ηνιόχου. 4ον Τεμάχιον ουράς αλόγου χάλκινον (τμήμα τής συνθέσεως του ηνιόχου). 5ον Το υπ αριθ. 3618 τεμάχ. της συνθέσεως του ηνιόχου. 6ον Τεμάχιον τιμονίου της συνθέσεως του ηνιόχου. 7ον Έτερον τεμάχιον τιμονίου περιεσφυγμένον διά λωρίδος χαλκίνης. 8ον Αριστερά χείρ χαλκίνη κορασίδος εκ της συνθέσεως του ηνιόχου, η χείρ αυτή κρατεί τα άκρα ηνίων. 9ον Οκτώ (8) τεμάχια χάλκινα ανήκοντα εις τό συγκρότημα του άρματος του ηνιόχου. 10ον Δύο (2) δεσμίδες ηνίων χαλκίνων ανήκουσαι επίσης εις την σύνθεσιν τού ηνιόχου. 11ον Τρείς (3) πόδες χάλκινοι ίππου εξ ων οι δύο (2) είναι από του μέσου περίπου του μηρού μέχρι και της οπλής, το δε τρίτον από του μέσου της κνήμης μέχρι και τής οπλής.

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Es folgt eine Auflistung von zehn weiteren Bronzeobjekten, die keinen Bezug zum Wagenlenker haben. Diesem zitierten Protokoll zufolge waren im September 1942 zwölf Einzelteile der Wagenlenkergruppe unversehrt nach Athen gebracht worden. Während des Krieges konnte die Statue aber weder zusammengesetzt noch ausgestellt werden. Die Archäologen hatten zunächst nur ein Ziel vor Augen: die sichere Verwahrung des antiken Erbes ihres Landes.76

7. Restaurierung und Rücktransport des Wagenlenkers von Delphi Während des Krieges hatte der Kunstschutz in den Merkblättern zu Delphi 77 sowie in einer aufwändig konzipierten „Erinnerungsschrift“ auf die Existenz und Bedeutung des Wagenlenkers hingewiesen.78

Εν τώ κιβωτίω υπ αριθ. 2 περιείχοντο τά εξής αρχαία: 1ον Η προτομή του ηνιόχου. 2ον Αγαλμάτιον Απόλλωνος (Κούρου) υπ. αριθ. 1663. 3ον Τα υπ αριθ. 2527?? 4ον 2846, αμφότερα ταύτα αγαλμάτια αρχαϊκά. 5ον Αγαλμάτιον γρυπός υψ. 0,22 μ. 6ον Αγαλμάτιον γρυπός υψ. 0,17 τού μ. 7ον Αγαλμάτιον γρυπός υψ. 0,19 τού μ. 8ον Τό υπ. αριθ. 2885 αγαλμάτιον γρυπός. 9ον Υπ. αριθ. 2975 κράνος. 10ον Υπ. αριθ. 3200 κράνος. 11ον Υπ. αριθ. 1842 κράνος, και 12ον Υπ. αριθ. 2975 κράνος. Σημειούται ότι εκ τών ως άνω κρανών τά δύο είναι ταυτάριθμα ήτοι τά υπ αρ. 2975. 76 Zur Unterbringung der Bronzen im Archäologischen Nationalmuseum siehe Anm. 65. Leider gibt es keine Berichte oder Fotografien aus den Kriegsjahren 1943 bis 1944. Nur wenige Jahre nach der Befreiung Griechenlands besuchte der britisch-amerikanische Archäologe Kevin Andrews das Athener Nationalmuseum. In einem berührenden Bericht beschreibt er die trostlose Situation im Museum, die leeren Ausstellungsräume und die separierten Körperteile des Wagenlenkers von Delphi, die zum Trocknen im Büro des Museumsdirektors ausgelegt wurden: Kevin Andrews, The Flight of Ikaros. A Journey into Greece, London 1959, S. 24; Ders., Η πτίση του Ικάρου. Ταξιδεύοντας στην Ελλάδα του Εμφυλίου, Athen 2018, S. 56. Vermutlich handelte es sich in ­diesem Fall nicht um den Wagenlenker, sondern um eine andere berühmte griechische Bronzestatue, den sogenannten Gott aus dem Meer (hier Abb. 4 und 9). Das Bild des ohnmächtigen, vom Krieg versehrten antiken Denkmals war jedenfalls der Auslöser für die hier vorgelegte Studie. 77 Siehe Anm. 30. 78 Die Erinnerungsschrift „Hellas: Bilder zur Kultur des Griechentums“ wurde während des Krieges vom deutschen Kunstschutz herausgegeben und war ursprünglich als Geschenk für die Führungskräfte des Naziregimes gedacht: Schoenebeck an Kraiker, 1943. In einigen, wohl nach dem Krieg überarbeiteten Ausgaben fehlt ein großer Teil der Texte und Abbildungen. In der Bibliothek des DAI in Berlin befindet sich das Original mit einem Vorwort des Direktors des DAI Athen, ­Walther Wrede, und einem längeren Beitrag zur „Führergrabung“ in Olympia von Hans Weber. In der ursprünglichen Ausgabe findet sich auch eine großformatige Abbildung des Wagenlenkers von Delphi, obwohl kein eindeutiger Bezug zu den Inhalten des Buches besteht. Die Fotografie stammte von Hermann Wagner, der in den 1930er und 1940er Jahren eng mit dem DAI Athen zusammengearbeitet hatte. Sie hatte vorher schon in der Publikation von Hampe, Der Wagenlenker (wie Anm. 43) Verwendung gefunden.

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Abb. 4  Die Erinnerungsschrift „Hellas: Bilder zur Kultur des Griechentums“, 1943 vom deutschen Kunstschutz herausgegeben, zeigt die symbolische Bedeutung des Wagenlenkers von Delphi.

Die Mitarbeiter des Kunstschutzes sowie einige eingeweihte Archäologen wussten, wo der Wagenlenker seit 1942 verborgen wurde. Anders erging es jedoch der griechischen Bevölkerung und vor allem den Bewohnern Delphis. Unmittelbar nach Kriegsende wurde deshalb die Frage nach dem Verbleib und dem Zustand der Bronzestatue laut. Mangelnde Kommunikation und eine große Unsicherheit hatten nach dem Ende der Besatzungszeit dazu geführt, dass in der Bevölkerung zahlreiche Gerüchte aufgekommen waren. In der kommunistischen Zeitung „Aπελευθερωτής“ (Befreier) wurde sogar Generalkonservator Antonios Keramopoulos für den Verlust der Statue verantwortlich gemacht: Wo befindet sich der Wagenlenker von Delphi? Der Raub eines Meisterwerkes. Ganz Griechenland und die ganze gebildete Welt möchten erfahren: Wo befindet sich das antike Kunstwerk, der berühmte Wagenlenker von Delphi? Keramopoulos hatte ihn mit dem Vorwand aus dem Museum entfernt, dass er gereinigt werden müsse. Inzwischen sind zwei Jahre vergangen, seitdem der Wagenlenker von seinem Ort entführt worden ist und keiner weiß, was aus ihm geschehen ist. Der Raub fand während der italienischen Besatzung statt.79 79 Kultusministerium Griechenland, Akte 568, 09. 11. 1944: Που βρίσκεται ο Ηνίοχος των Δελφών; Η αρπαγή ενος αριστουργήματος Όλη η Ελλαδα και ολόκληρoς ο πολιτισμένος κόσμος μαζί θέλου να μάθουν: Που βρίσκεται το αρχαίο αριστούργημα της τέχνης, ο περίφημος Ηνίοχος των Δελφών, που πήρε απ΄ το

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Abb. 5  Der „Gott aus dem Meer“, Restaurierungsarbeiten im Archäologischen Nationalmuseum während der Nachkriegszeit.

Es ist nicht überliefert, wie man diesen Gerüchten und Anschuldigungen entgegentrat. Im Jahr 1945 konnte das Archäologische Nationalmuseum jedenfalls mit der Restaurierung seiner Bronzestatuen beginnen. Mehrere Aufnahmen zeugen von den Arbeiten an den berühmten Bronzewerken.80 Schon 1946 wurde der Wagenlenker in einer provisorischen Ausstellung des Archäologischen Nationalmuseums präsentiert. Auch aus dieser Zeit liegen keine Fotos vor, umso wichtiger ist der Augenzeugenbericht eines damals 14-jährigen Museumsbesuchers: Der Wagenlenker wurde während der Besatzungszeit zu seinem eigenen Schutz nach Athen transportiert. Nach dem Krieg sah ich ihn, ich glaube im Jahr 1946, in einer vorläufigen Ausstellung des

Μουσείο Δελφών ο κ. Κεραμόπουλος, με πρόσχημα να τον φέρη εδώ να τον καθαρίσει; Πάνε τώρα δυό και πλέον χρ΄νια που ο Ηνίοχος πάρθηκε απ΄τον τόπο του και κανένας δεν ξέρει τί έγυνε. Η αρπαγή του έγινε στον καιρό της Ιταλικής κατοχής: http://62.103.28.111/paranomos/rec.asp?id=92899&nofoto=0 (Stand: 26. 07. 2020). 80 Georgianna Moraitou, Η συμβολή της χημείας στη ανάδειξη του ωραίου. Πως συντηρήθηκαν ο Έφηβος του Μάραθώνα και ο Ποσειδώνας του Αρτεμισίου στο Εθνικό Αρχαιολογικό Μουσείο την περίοδο 1925/1934, in: Maria Lagogianni-Georgakarakou (Hg.), Οι αμέτρητες όψεις του ωραίου στην αρχαία τέχνη. The Countless Aspects of Beauty in Ancient Art, Athen 2018, S. 433 – 443, hier S. 436 Abb. 6.

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­ ationalmuseums, [damals] mit Eingang von der Straße Tositsa. Er wurde erst spät nach Delphi N zurückgebracht, weil die Region wegen des Bürgerkrieges nicht sicher war. Er wurde vorläufig bis zur Fertigstellung des [neuen] Museums, 1959/60, ausgestellt. (…) Er blieb noch eine Weile nach der Befreiung in Athen. Ich sah ihn 1946 im Nationalmuseum zusammen mit dem Aristodikos in der ersten provisorischen Ausstellung im neuen Museumsflügel.81

Trotz des Bürgerkrieges und der Unruhen im ganzen Land wurde die Wiedereröffnung des Archäologischen Nationalmuseums 82 in der Athener Bevölkerung als Triumph und als ­Zeichen einer allmählichen Rückkehr zur Normalität empfunden. Als Symbol des antiken Erbes und der politischen Unabhängigkeit von Griechenland wurde der Wagenlenker sogar 1947 auf den 10.000-Drachmen-Scheinen der Bank von Griechenland abgebildet.83 Nach dem Ende des Bürgerkrieges und nach dem Abschluss aller Restaurierungsmaßnahmen sollte die berühmte Statue im Jahr 1951 wieder nach Delphi zurückkehren.84 Dort ist sie seitdem ein wichtiger Anziehungspunkt für Forscher*innen und Tourist*innen aus aller Welt.

81 E-Mails von Vasileios Petrakos vom 30. 10. 2018: Ο Ηνίοχος μεταφέρθηκε κατά την Κατοχή στην Αθήνα για ασφάλεια. Μετά τον πόλεμο τον είδα, νομίζω το 1946, στην προσωρινή έκθεση του Εθνικού Μουσείου, με είσοδο από την οδό Τοσίτσα. Μεταφέρθηκε στους Δελφούς αργά γιατί η περιοχή λόγω του εμφυλίου δεν ήταν ασφαλής και εκτέθηκε προσωρινώς μέχρι της ανακατασκευής του Μουσείου που έγινε το 1959 – 1960, und vom 04. 09. 2019: Έμεινε στην Αθήνα έως αργά μετά την απελευθέρωση. Τον είχα δει στο Εθνικό Μουσείο, μαζί με τον Αριστόδικο στην πρώτη πρόχειρη έκθεση στη νέα πτέρυγα του Εθνικού το 1946; Petrakos, Σέμνης Καρούζου, Ἀρχαιολογικὰ Θέματα ΙΙ (wie Anm. 4), S. XIII mit einem Hinweis, dass diese Ausstellung erst 1948 realisiert wurde. 82 Leider gibt es kaum Aufnahmen von dieser ersten provisorischen Ausstellung im Athener Nationalmuseum: Ebd., S. XII f. mit Anm. 7; zur Situation in Delphi während der Besatzungszeit und während des Bürgerkrieges: Jean François Bommelaer/Evangelos Pentazos/Olivier Picard, Οι Δελφοί κατά τη διάρκεια του πολέμου, in: Dies. (Hg.), Δελφοί. Αναζητώντας το χαμένο ιερό, Athen 1992, S. 244 – 251. 83 Gerasimos Notaras, Το Ελληνικό Χαρτονόμισμα μια διαδρομή 1822 – 2002. Greek Banknotes – A Journey 1822 – 2002. Εθνική Τράπεζα Ελλάδος. Κοινωφεές Ιδρυμα Κοινωνικού Εργου. Ιστορικό Αρχείο Εθνικής Τραπεζας της Ελλαδος, Athen 2005, S. 327 – 346. 84 Kultusministerium Griechenland, Akte 568Δ. Im Sommer 1951 fand in Delphi ein großes Festival statt, und es war der ausdrückliche Wunsch der Organisatoren, dass der Wagenlenker zu ­diesem Ereignis wieder an seine Fundstätte zurückkehren sollte.

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Kulturgutschutz im Rheinland

Denkmalpflege unter dem Hakenkreuz Franziskus Graf Wolff Metternich, das „Rheinische Amt für Denkmalpflege“ und der Nationalsozialismus Jan Schleusener

1. Vorbemerkung Die Erforschung der Geschichte des 1893 gegründeten Rheinischen Amtes für Denkmalpflege ist überwiegend ein Desiderat.1 In ­diesem Beitrag sollen Aspekte aus der Geschichte des Amtes, das für die Bau- und Kunstdenkmalpflege zuständig war, im „Dritten Reich“ beleuchtet werden. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage nach der Bedeutung der nationalsozialistischen Herrschaft für die Tätigkeit des Amtes und die Reaktionen seiner Mitarbeiter auf den totalitären Herrschaftsanspruch der Nationalsozialisten. Fragen des Kunstschutzes im Rheinland und in Europa werden auch thematisiert, aber nicht ausführlich erörtert, da sie in anderen Beiträgen d ­ ieses Sammelbandes ausführlich behandelt werden.2 Der Beitrag basiert auf Forschungen im Rahmen des Projekts „Geschichte der Ämter für Denkmalpflege in Bayern, Thüringen und im Rheinland 1920 – 1960“, das an der Universität Erfurt angesiedelt ist und von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert wird. Die Quellenüberlieferung zur Geschichte des Rheinischen Amtes für Denkmalpflege ist – im Vergleich mit Aktenbeständen, die für die Erforschung anderer Denkmalpflegeämter zur Verfügung stehen – weniger reichhaltig, was besonders ins Auge fällt angesichts der Relevanz des „Amtes des Provinzialkonservators“, wie das in Bonn ansässige Amt zunächst auch genannt wurde.3 Der neuerdings der Forschung zur Verfügung stehende umfangreiche Nachlass von Provinzialkonservator Prof. Dr. Franziskus Graf Wolff Metternich füllt aber

1 Siehe die in Anm. 7 bis 9 genannte Literatur. 2 Siehe die Beiträge von Christina Kott, Florence de Peyronnet-Dryden, Isabelle le Masne de Chermont und Christian Fuhrmeister im vorliegenden Band. 3 Die wichtigsten Bestände mit Akten zum Rheinischen Amt für Denkmalpflege und zur Kulturabteilung der Rheinischen Provinzialverwaltung werden im Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland (ALVR), Pulheim-Brauweiler, verwahrt. Wichtige Ergänzungen liefern die Akten in den Beständen des Kultusministeriums Nordrhein-Westfalen und der Nachlass Josef Busley im Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland, Duisburg.

wichtige Lücken in der Überlieferung, sodass nunmehr versucht werden kann, Schlaglichter auf die Geschichte des Amtes und seiner maßgeblichen Akteure zu werfen.4 Nach einem Überblick über Anfänge und Etablierung des Amtes in den ersten Jahrzehnten seines Bestehens wird gezeigt, wie die Hauptprotagonisten der rheinischen Denkmalpflege auf den Umbruch von 1933 sowie den totalitären Machtanspruch der Nationalsozialisten reagierten. Wie Wolff Metternich sein Amt im NS positionierte, zeigt die Analyse eines Vierjahresberichtes, den er 1937 verfasste. Anschließend beleuchtet der Beitrag die Rolle, die Wolff Metternich und seine rheinischen Mitstreiter im Kunstschutz der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg einnahmen. Abschließend wird nach den Metamorphosen der Amtstätigkeit in der Umbruchphase von 1942 bis 1948 gefragt, als der Denkmalpflege im ­Zeichen von Kriegseinwirkung, Kapitulation und Besatzung völlig neue Aufgaben zuwuchsen.

2. Gründung und Etablierung des Amtes Das Rheinische Amt für Denkmalpflege war eine Einrichtung des preußischen Provinzialverbandes als Körperschaft der kommunalen Selbstverwaltung in den preußischen Provinzen. Bereits seit 1843 gab es in Preußen einen Staatskonservator, dem die Sorge um die Bau- und Kunstdenkmäler oblag.5 Damals „emanzipierte sich die Denkmalpflege zur autonomen Aufgabe innerhalb der preußischen Kulturpolitik.“ 6 Mit dem Dotationsgesetz von 1875 hatte Preußen die Voraussetzung dafür geschaffen, dass auf die kommunale Selbstverwaltung, die im Zuge der preußischen Reformen eingeführt worden war, entsprechende Mittelzuweisungen folgten, die diese Selbstverwaltung ermöglichten.7 1891 wurde im (seit 1815 Preußen eingegliederten) Rheinland in Umsetzung eines Erlasses des Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten vom 31. Oktober 1891 eine Provinzialkommission für 4 Der Nachlass (künftig NL FGWM) ist Teil des Familienarchivs der Grafen Wolff Metternich in den Vereinigten Adelsarchiven im Rheinland e. V. und über das LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrum in Pulheim-Brauweiler einsehbar. 5 Siehe Thomas Scheck, Denkmalpflege und Diktatur im Deutschen Reich zur Zeit des Nationalsozialismus, Berlin 1995, S. 14 – 16. 6 Sabina Gierschner, Auf der Suche nach der Institution. Skizzen zur Denkmalpflege vor Paul C ­ lemen, in: Udo Mainzer (Hg.), Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des Rheinischen Amtes für Denkmalpflege (Jahrbuch der rheinischen Denkmalpflege 36), Köln 1993, S. 1 – 13, hier S. 1. 7 Zur Gründung der Provinzialverbände und der zu Grunde liegenden Motivation siehe Karl Ditt, Der Auftrag als Erbe. Die Kulturpolitik der preußischen Provinzialverbände und ihrer Nachfolger, in: Kulturpolitik der Rheinischen Provinzialverwaltung 1920 bis 1945. Tagung am 18. und 19. Juni 2018 im LVR-LandesMuseum Bonn (Beihefte der Bonner Jahrbücher 59), Darmstadt 2019, S. 1 – 11, hier S. 1 sowie Wolfgang Franz Werner, Die kulturellen Aktivitäten des rheinischen Provinzialverbandes, in: Ebd., S. 13 – 24, hier S. 13.

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Abb. 1  Paul Clemen, erster (ehrenamtlicher) Provinzialkonservator der Rheinprovinz von 1893 bis 1911. Aufnahme 1926 von Hoffotograf Alard Stüting, Bonn.

die Denkmalpflege in der Rheinprovinz geschaffen.8 Auf ihrer konstituierenden Sitzung am 30. Mai 1893 wählte die Kommission den Kunsthistoriker Paul Clemen (1866 – 1947) für fünf Jahre zum ersten Provinzialkonservator der Rheinprovinz.9 Dieser hatte nach seinem Studium der Kunstgeschichte, deutschen Philologie und Geschichte sowie seiner Promotion über „Die Portraitdarstellungen Karls des Großen“ von der „Kommission der Denkmälerstatistik der Rheinprovinz“ den Auftrag erhalten, als festangestellter Mitarbeiter die Inventarisation der Kunstdenkmäler der Rheinprovinz zu übernehmen. Eine Vergütung erhielt er als Provinzialkonservator nicht.10 Für das Amt hatte sich Clemen Ende des Jahres 1892 mit „einem 8 Hierzu und zum Folgenden siehe Udo Mainzer, Vom Ehrenamt zur Professionalität. Einhundert Jahre Rheinisches Amt für Denkmalpflege, in: Mainzer, Festschrift (wie Anm. 6), S. 15 – 88. 9 Siehe Udo Mainzer (Hg.), Paul Clemen. Zur 125. Wiederkehr seines Geburtstags (Jahrbuch der rheinischen Denkmalpflege 35), Köln 1991; Paul Clemen, Der Rhein ist mein Schicksal geworden. Fragment einer Lebensbeschreibung (Arbeitsheft der rheinischen Denkmalpflege 66), Worms 2006; Udo Mainzer (Hg.), Bewahren für die Zukunft. 100 Jahre Rheinisches Amt für Denkmalpflege (zur Ausstellung 30.9. – 10. 11. 1993 in der Abtei Brauweiler), Köln 1993; Heinrich Lützeler, Artikel „Clemen, Paul“, in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957), S. 281. 10 Udo Mainzer, Paul Clemen. Provinzialkonservator der Rheinprovinz (1866 – 1947), in: Internetportal Rheinische Geschichte: http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/paul-clemen/ DE -2086/lido/57c68cb2960da0.62165405 (Stand: 26. 07. 2020).

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höflichen, aber durchaus selbstbewussten Bewerbungsschreiben“ 11 (Udo Mainzer) selbst ins Spiel gebracht. Clemen hatte in dem neuen Amt eine doppelte Funktion inne: Er fungierte sowohl als staatlicher wie auch provinzialer Denkmalpfleger. Die Übertragung staatlicher Aufgaben bezog sich auf die Person des Provinzial- bzw. s­ päter Landeskonservators (stellte also keine Delegierung staatlicher Aufgaben an die Provinzialverwaltung dar) und endete erst 1980, als in Nordrhein-Westfalen ein Denkmalschutzgesetz in Kraft trat. Kurz nachdem Clemen im März 1898 für weitere fünf Jahre im Amt bestätigt worden war, ernannte ihn der zuständige Minister auch zum außerordentlichen Professor an der Universität Bonn, an der er sich fünf Jahre zuvor habilitiert hatte.12 1899 wurde er an die Königliche Kunstakademie in Düsseldorf berufen und richtete dort sein Büro des Provinzialkonservators ein. Bis 1906, als ihm ein technischer Hilfsarbeiter bewilligt wurde, war er als Provinzialkonservator, der Anträge an die Provinzialkommission zur Gewährung von Beihilfen für die Restaurierung und Erhaltung von Bau- und Kunstdenkmälern prüfte und gutachterlich Stellung nahm, auf sich allein gestellt.13 Da Arbeitsbelastung und denkmalpflegerische Tätigkeit im oben beschriebenen Sinne immer weiter anwuchsen, beschloss der Provinziallandtag 1907, ein eigenes Dienstgebäude für die bislang in privaten Räumlichkeiten untergebrachte Denkmalpflege zu errichten. Auch personell war der Bereich inzwischen expandiert. Das neue Gebäude beherbergte den Provinzialkonservator, dessen Vertreter, den Direktor des Denkmälerarchivs, zwei kunsthistorische Hilfsarbeiter, technische Hilfsarbeiter für die Denkmalpflege, eine kunsthistorische Hilfsarbeiterin, zwei Architekten samt Sekretärin und Assistenten am Denkmalarchiv, zwei auswärtige Assistenten für die Denkmälerstatistik, Schreiber samt Sekretärin und schließlich einen Buchbinder, der zugleich als Bürodiener fungierte. Das Denkmalamt war zu einer voll institutionalisierten Behörde herangewachsen.14 Die Pflege und der Schutz der Bodendenkmäler oblag dem Amt aber nach wie vor nicht – sie fand in anderen Strukturen statt.15 Nach 18 Jahren im Amt trat Clemen 1911 als Provinzialkonservator zurück, um sich verstärkt Forschung und Lehre widmen zu können, blieb aber Leiter der Kommission für die Denkmälerstatistik und übernahm zusätzlich den Vorsitz des neu gegründeten Denkmalrates der Rheinprovinz. Dadurch erhielt sich Clemen, der „als erster Provinzialkonservator

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Mainzer, Vom Ehrenamt zur Professionalität (wie Anm. 8), S. 19. Ebd., S. 21. Ebd., S. 20. Ebd., S. 28. Siehe zur Bodendenkmalpflege eingehend: Stefan Kraus, Die Entstehung und Entwicklung der Bodendenkmalpflege in den preußischen Provinzen Rheinland und Westfalen (Schriften zur Bodendenkmalpflege in Nordrhein-Westfalen 10), Aichwald 2012 sowie Jürgen Kunow/Thomas Otten/Jan Bemmann (Hg.), Archäologie und Bodendenkmalpflege in der Rheinprovinz 1920 – 1945 (Materialien zur Bodendenkmalpflege im Rheinland 24), Treis-Karden 2013.

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der Rheinprovinz ein prominenter Mitbegründer der modernen Denkmalpflege in Europa“ war,16 eine zentrale Rolle in der rheinischen Denkmalpflege.17 Sein langjähriger Mitarbeiter, der Kunsthistoriker Edmund Renard (1871 – 1932), folgte Clemen 1911 nach dessen Demission als Provinzialkonservator nach. Mit dieser Wahl war ein weiterer Institutionalisierungsschub verbunden, denn Renard fungierte nun hauptamtlich als Provinzialkonservator. Seine Amtszeit war zunächst durch den 1914 ausbrechenden ­Ersten Weltkrieg bestimmt, als Kriegsaufgaben wie Metallbeschlagnahme und Glockenerfassung den Dienstalltag beherrschten. Clemen war unterdessen im Krieg als Kunstschutzoffizier mit der Erfassung und Pflege der Kulturgüter in Belgien, Frankreich und auf dem Balkan befasst.18 Die Bestimmungen der 1919 verabschiedeten Weimarer Reichsverfassung und neue Gesetze des demokratisierten Reichstags veränderten die Grundlage der rheinischen Denkmalpflege, die auch durch Erscheinungen der Moderne (Verkehr, neue Formen der Mobilität) vor neue, auch städtebauliche Herausforderungen gestellt wurde. Dennoch blieb Renard als „Konservator in Notzeiten“ im Schatten seines großen Vorgängers und Mitstreiters.19 1928 schied Renard nach siebzehnjähriger Amtszeit aus gesundheitlichen Gründen aus dem Amt, und der Provinzialausschuss wählte Franziskus Graf Wolff Metternich (1893 – 1978) zu seinem Nachfolger.20 Wolff Metternich hatte nach Studium und Promotion bei Paul Clemen zunächst als Mitarbeiter der Stadt Köln für die dortige „Jahrtausendausstellung der Rheinlande“, die von Mai bis August 1925 in den Kölner Messehallen gezeigt wurde, gearbeitet.21 1926 war Metternich als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter in die Dienste des Denkmalpflegeamtes getreten.22 Im März 1932 verstarb sein Vorgänger Renard, und Wolff Metternich würdigte seine Verdienste als „Pionier“ und „Nestor der Denkmalpflege“.23 16 Mainzer, Clemen (wie Anm. 10). 17 Mainzer, Vom Ehrenamt zur Professionalität (wie Anm. 8), S. 29. 18 Zum Kunstschutz im ­Ersten Weltkrieg siehe Robert Born/Beate Störtkuhl (Hg.), Apologeten der Vernichtung oder „Kunstschützer“? Kunsthistoriker der Mittelmächte im E ­ rsten Weltkrieg (Visuelle Geschichtskultur 16), Köln/Weimar/Wien 2017. 19 Mainzer, Vom Ehrenamt zur Professionalität (wie Anm. 8), S. 29 (Zitat) und S. 35. 20 Zu Wolff Metternich siehe Josef Ruland (Hg.), Festschrift für Franz Graf Wolff Metternich (Jahrbuch des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz 1974), Neuss 1973; Esther Heyer, Der Provinzialkonservator Franziskus Graf Wolff Metternich. Denkmalpflege und Kunstschutz im Rheinland und in Frankreich, in: Kulturpolitik der Rheinischen Provinzialverwaltung 1920 bis 1945 (wie Anm. 7), S. 73 – 84. 21 Zu den Jahrtausendausstellungen siehe Werner, Die kulturellen Aktivitäten (wie Anm. 7), S. 14 f. sowie Rüdiger Haude, Die „Jahrtausendausstellungen“ in Köln und Aachen 1925, in: Internetportal Rheinische Geschichte: http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/ die-jahrtausendausstellungen-in-koeln-und-aachen-1925/DE -2086/lido/57d1357ad31239.21169195 (Stand: 26. 07. 2020). 22 NL FGWM, Nr. 9, Lebenslauf, S. 2. 23 ALVR 35209, Ansprache bei der Trauerfeier für den am 2. März 1932 verstorbenen Prof. Edmund Renard, gehalten von Provinzialkonservator Dr. Graf Wolff Metternich.

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Abb. 2  Franziskus Graf Wolff Metternich, Provinzialkonservator der Rheinprovinz von 1928 bis 1950. Aufnahme 1930er Jahre.

Sein Amt als Provinzialkonservator übte Wolff Metternich seit fünf Jahren aus, als mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 die erste große politische Bewährungsprobe anstand. Organisatorisch gingen mit der nationalsozialistischen Machtübernahme Veränderungen für das Rheinische Amt für Denkmalpflege einher. Mit dem „Gesetz über die Erweiterung der Befugnisse der Oberpräsidenten“ vom 15. Dezember 1933 gingen die Zuständigkeiten der Provinziallandtage, der Provinzialkommissionen und der Provinzialausschüsse auf die Oberpräsidenten über; der Provinzialverband wurde unter der Aufsicht des Oberpräsidenten Hermann von Lüninck (1893 – 1975), der in d ­ iesem Amt im Zuge der „Nazifizierung“ den seit 1922 amtierenden (und 1945 wieder ins Amt eingesetzten) Zentrumspolitiker Johannes Fuchs (1874 – 1956) abgelöst hatte, nach dem „Führerprinzip“ organisiert. Die Provinzialverwaltung hörte damit nicht auf zu existieren, wurde aber deutlich stärker an den Staat angebunden.24 Nach dem plötzlichen Tod von Landeshauptmann Johannes Horion – er war im Februar 1933 im Alter von 57 Jahren gestorben – wurde der überzeugte Nationalsozialist Heinz Haake (1892 – 1945) am 11. April 1933 mit den Stimmen von NSDAP und Zentrum bei Enthaltung 24 Fabian Scheffczyk, Der Provinzialverband der preußischen Provinz Brandenburg 1933 – 1945. Regionale Leistungs- und Lenkungsverwaltung im Nationalsozialismus (Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 58), Tübingen 2008, S. 76.

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der SPD zum Landeshauptmann der Rheinprovinz gewählt.25 Haake, „unzweifelhaft ein ‚Alter Kämpfer‘“,26 war der erste Gauleiter im Rheinland gewesen, hatte diesen Posten aber inzwischen an Robert Ley (1890 – 1945) verloren. Seine Führungsposition im Provinzialverband nutzte er, „um Linientreue zu beweisen und sich von niemandem bei der Propagierung der NS -Ideologie übertreffen zu lassen“.27 Obwohl er anfangs mit Kulturpolitik wenig anfangen konnte und sich von ihr offenbar kaum Prestige versprach, verdreifachten sich die Ausgaben für Kulturpflege von 1933 bis 1939.28 Haake übernahm 1934 den Vorsitz des einst auf Initiative von Paul Clemen entstandenen, 1933 gleichgeschalteten und unter NS -Führung gestellten Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Heimatschutz. Im Rahmen seiner Aktivitäten auf Reichsebene besuchte er regelmäßig die Tage für Denkmalpflege und Heimatschutz.29 Die „teilweise recht kleinen“ 23 Abteilungen der Provinzialverwaltung wurden in elf große Abteilungen zusammengefasst; für die Denkmalpflege war die neugegründete Kulturabteilung zuständig.30 Hier übernahm Hanns-Joachim Apffelstaedt (1902 – 1944) das Kommando, ein promovierter Kunsthistoriker mit ehrgeizigen kunst- und wissenschaftspolitischen Zielen, der 1927 der NSDAP und der SA beigetreten war. Er war Haake als Parteiredner positiv aufgefallen.31 Seit 1933 gehörte er als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter der Kulturabteilung der Provinzialabteilung an, 1934 wurde er zu deren Leiter ernannt. Sein Vorgänger Josef Busley (1888 – 1969) war 1933 in die Denkmälerinventarisation versetzt worden.32 1935 machte Haake Apffelstaedt, der ihm ergeben und absolut linientreu im Sinne der NS-Ideologie war, durch die Beförderung zum Landesrat zum Spitzenbeamten und wertete damit gleichzeitig die Kulturabteilung auf.33

25 Werner, Die kulturellen Aktivitäten (wie Anm. 7), S. 17. 26 Ebd. 27 Ebd., S. 18. 28 Ebd. 29 Zum Rheinischen Verein siehe Karl Peter Wiemer, Ein Verein im Wandel der Zeit. Der Rheinische Verein für Denkmalpflege und Heimatschutz von 1906 bis 1970, Köln 2000. Siehe Thomas Otten, Der Rheinische Verein für Denkmalpflege und Heimatschutz. Eine bürgerschaftliche Institution ­zwischen 1920 und 1945, in: Kulturpolitik der Rheinischen Provinzialverwaltung 1920 bis 1945 (wie Anm. 7), S. 69 – 72. Siehe ferner Werner, Die kulturellen Aktivitäten (wie Anm. 7), S. 21. 30 Horst Romeyk, Verwaltungs- und Behördengeschichte der Rheinprovinz 1914 – 1945 (Publikationen der Gesellschaft für rheinische Landeskunde LXIII), Düsseldorf 1985, S. 291. 31 Werner, Die kulturellen Aktivitäten (wie Anm. 7), S. 18. Siehe auch Jürgen Merten, Der Große Trier-Plan der rheinischen Kulturverwaltung. Die Via Triumphalis Archaelogica und das Großmuseum im Kurfürstlichen Palast, in: Kulturpolitik der Rheinischen Provinzialverwaltung 1920 bis 1945 (wie Anm. 7), S. 85 – 109, hier S. 90. 32 Werner, Die kulturellen Aktivitäten (wie Anm. 7), S. 18. 33 Ebd., S. 18 f.

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Wie Karl Ditt betonte, gab es ­zwischen dem nationalsozialistischen und dem damaligen provinzialen Kulturverständnis große Schnittmengen. Zudem habe die „Landschaftsideologie und die offizielle Weltanschauung des Nationalsozialismus in der Zivilisationskritik und der Wendung gegen die moderne Massenkultur“ gut zusammengepasst. Er führte aus: „Die Kulturpolitik der Provinzialverbände genoss im Dritten Reich in der traditionellen Form der heterogenen, positivistischen Einzelförderung und in dem modernen System einer ganzheitlich orientierten landschaftlichen Kulturpflege weitgehende Freiheit und Förderung. (…) Beide Seiten arbeiteten in den preußischen Provinzen bei öffentlichen Veranstaltungen und in der Heimatbewegung eng zusammen, sodass ihre Vorstellungen von den Aufgaben der Kulturpolitik und dem sogenannten nationalen Wiederaufbau, obwohl durchaus eigenständig, für Außenstehende kaum noch unterscheidbar waren.“ 34

3. Reaktionen führender Protagonisten der rheinischen Denkmalpflege auf die Machtübernahme der Nationalsozialisten Durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten und die Konstituierung der „Führerherrschaft“ änderten sich also Verfassung und Tätigkeit des Provinzialverbandes elementar. Dies galt auch für das Rheinische Amt für Denkmalpflege, das vor allem durch das Wirken des Bonner Kunsthistorikers Prof. Dr. Paul Clemen als Provinzialkonservator weit über die Grenzen der Rheinprovinz bekannt war. Mit der Nazifizierung der Provinzialverwaltung und deren Eingliederung in den nationalsozialistischen „Führerstaat“ stellte sich für die rheinischen Denkmalpfleger die Frage, wie sie sich zu den politischen Umwälzungen positionierten. So „unpolitisch“ sie ihre fachliche Aufgabe, für den Schutz und die Pflege der ihnen anvertrauten Kulturgüter einzutreten, auch ansahen: Der totalitäre Herrschaftsanspruch der Nationalsozialisten führte schon dadurch zu einer Politisierung, dass er eine Positionierung erzwang. Ordnete man sich – aus Überzeugung oder Opportunismus – in die immer größer werdende Zahl von Hitlers Anhängern ein, ging man auf Distanz, gar Opposition, oder verhielt man sich vermeintlich „neutral“? Das Amt musste sich seinen neuen Dienstherren gegenüber verhalten, und dies würde Konsequenzen nach sich ziehen. Wolff Metternich reflektierte nach 1945 ausführlich über – wie er es nannte – Meine Einstellung zur nationalsozialistischen Partei von 1933 – 1945.35 Sein derart überschriebener Essay in eigener Sache mag apologetische Spuren enthalten, wird höchstwahrscheinlich geschönt sein, und an manchen Stellen mag ihn die Erinnerung im Stich gelassen haben. Wichtig ist auch die Motivation der Abfassung. Er schrieb ihn zur Vorlage im Entnazifizierungsverfahren – der Bericht sollte ihn also entlasten. Dennoch lohnt sich ein Blick auf seine 34 Ditt, Der Auftrag als Erbe (wie Anm. 7), S. 6. 35 NL FGWM, Nr. 11, Meine Einstellung zur nationalsozialistischen Partei von 1933 – 1945.

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Einlassungen, denn so konkret und ausführlich wie Wolff Metternich hat sich kaum ein Mitarbeiter aus der Denkmalpflege über politische Fragen und das hieraus resultierende eigene Handeln geäußert. Wolff Metternich gab in dem Essay an, der nationalsozialistischen Bewegung als Anhänger des Zentrums zunächst ablehnend gegenübergestanden zu haben. Rückblickend stellte sich für Wolff Metternich die Situation nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wie folgt dar: Der Zusammensetzung der rheinischen Kultur entsprechend waren rd. 80 % der zu betreuenden Kunstdenkmale kirchlich. Es stand zu befürchten, dass ein aus der alten Kämpfergruppe der Partei stammender Leiter des Amtes in kurzer Zeit schwere Konflikte mit der K ­ irche herbeiführen, dass die Fürsorge für die kirchlichen Baudenkmale darunter bedenklich leiden und dass überhaupt die altbewährte Tradition der rheinischen Denkmalpflege abbrechen würde. Das Beispiel anderer Provinzen und die Erfahrungen der folgenden Jahre haben gezeigt, wie berechtigt diese Befürchtung war. Ausserdem war mir zu Ohren gekommen, dass die Partei die Kulturpolitik der Rheinischen Provinzialverwaltung mit besonderem Argwohn betrachtete. Bei meinem Amte befand sich niemand, der irgendwelche Beziehungen zur Partei hatte und daher als Verbindungsmann hätte fungieren können. (…) Wie die Dinge aber lagen, war zu erwarten, dass entweder ein nationalsozialistischer Exponent in meinen Mitarbeiterstab geschoben, oder aber dass ich abgesetzt und durch einen Nationalsozialisten ersetzt werden würde. Im ersteren Falle wäre ein ebenso unwürdiger und für mich unerträglicher Zustand geschaffen worden, wie er mir bei einigen anderen Dienststellen vor Augen stand, wo die nicht der Partei angehörenden Leiter von nationalsozialistischen Exponenten umgeben nicht mehr Herr im Hause waren. So stand ich vor der Alternative, entweder zurückzutreten oder mich der Partei anzuschliessen und damit einem Vorwand für meine Entlassung oder dem Einschieben eines Parteiorgans den Boden zu entziehen.36

Auch aus persönlichen Gründen hielt Wolff Metternich zunächst eine wie auch immer geartete Zugehörigkeit zur NS-Bewegung für nicht vereinbar mit seinem katholischen Glauben bzw. der Zugehörigkeit zur katholischen K ­ irche. Nach eigener Aussage teilte er dies dem preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring am Vortag des „Tags von Potsdam“ im März 1933 mit. Wolff Metternich erinnerte sich: Als ich kurz vor dem sogenannten Tag von Potsdam (21.3.33) in Berlin war, hatte ich Gelegenheit, mit Göring zu sprechen. Ich entschloss mich, sie meinerseits zu einem Vermittlungsversuch zu benutzen. Vorher hatte ich mit führenden kirchlichen Kreisen Fühlung genommen (…). Über die kirchlichen Forderungen war ich also vollkommen im Klaren. (…) In ­kurzen Worten schilderte ich die Schwierigkeit der Lage, die durch den Streit ­zwischen Partei und ­Kirche für die Mehrzahl der Katholiken, namentlich die katholischen Beamten, unerträglich geworden sei. Die Erfahrungen aus den Tagen des Kampfes der Partei um die Macht hätten bei allen Katholiken ernstliche Zweifel an dem von der Partei verkündeten 36 Ebd., S. 1 f.

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Grundsatz freier Religionsausübung und positiv christlicher Einstellung erweckt und die bekannten Warnungen der Bischöfe ausgelöst, wodurch viele Katholiken in schwere Gewissenskonflikte geraten ­seien. Solange keine grundsätzliche und praktische Kursänderung bei der Partei wahrnehmbar sei, könne man nicht erwarten, dass die Bischöfe ihre ablehnende Haltung aufgeben würden. Als Mindestforderung wurden eine mit den katholischen Grundsätzen vereinbare und zugleich authentische Erklärung über die das Verhältnis zum Christentum behandelnden Punkte des Parteiprogramms sowie beruhigende und bindende Zusagen über die schwebenden praktischen Fragen erwartet. Im Laufe der Unterhaltung fragte mich Göring, weshalb ich selber nicht in den Reihen der Partei sei, worauf ich wörtlich erwiderte: ‚Solange die Bischöfe ihre Warnung aufrecht erhalten, ist es mir als katholischem Christen nicht gestattet, in die Partei einzutreten. In der gleichen Lage befinden sich alle meine Glaubensgenossen, die es mit ihren Pflichten ernst nehmen.‘ (…) Er schien meine Ausführungen zu begreifen, mit einem Anschein von Grossmut verlangte er von der ­Kirche nur, dass die sogen. ‚Hetze‘ gegen die Partei von den Kanzeln verschwinde und dass der Klerus eine ‚nationalere Haltung‘ einnehmen solle. Wenn das zugesagt werde, wolle er sich für die Abgabe einer den Bischöfen annehmbaren und beruhigenden Erklärung einsetzen, deren Grundgedanke er mir in grossen Zügen entwickelte.37 (…) Nachdem die Verlautbarung der Bischöfe erfolgt war, wurde die Frage des Parteieintritts auch für mich akut. Der Entschluss fiel mir ungeheuer schwer und es war mir klar, dass ich mich auf einen Weg begeben würde, an dessen Rande Demütigungen, Enttäuschungen und Gefahren lauern würden. Als ich im Mai oder Juni 1933 meinen Beitritt zur Partei erklärte, schrieb ich dem Landeshauptmann der Rheinprovinz Haake, dass ich nach Beilegung des Streites mit der ­Kirche nunmehr den Anschluss an die Partei vollziehen wolle in der Hoffnung, durch das Ansehen meiner Person und meines Amtes mithilfe meiner Beziehungen zum Klerus zur Befriedung beitragen zu können.38

Gemäß dieser Darstellung trat also Wolff Metternich im Interesse der rheinischen Denkmalpflege, des von ihm geführten Amtes und der ihm anvertrauten Kulturgüter, zumal jener der ­Kirche, im Frühjahr 1933 der NSDAP bei (Mitgliedsnummer: 3.144.386), nachdem er zuvor vor allem aufgrund seines katholischen Glaubens diesen Schritt noch nicht vollzogen hatte. Er nahm für sich in Anspruch, nicht aus Eigennutz – etwa im Sinne beruflichen Fortkommens – gehandelt zu haben. Als profilierter, noch relativ junger Kunsthistoriker hätte er zudem mit großer Wahrscheinlichkeit schnell eine neue Betätigung gefunden, wie er selbst anmerkte. Die Sorgen Wolff Metternichs um eine radikale Umprägung des von ihm geführten Amtes im Sinne der neuen Machthaber scheinen aus heutiger Sicht übertrieben, wenn man zum Vergleich beispielsweise nach Bayern zum dortigen Landesamt für Denkmalpflege schaut. Dort zeigt sich folgendes Bild: Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege, das in München seinen Sitz hatte, wo radikale Antisemiten, wie der Gauleiter und Staatsminister Adolf Wagner (1890 – 1944) und der Oberbürgermeister Karl Fiehler (1895 – 1969), das Sagen 37 Ebd., S. 4 f. 38 Ebd., S. 10.

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Abb. 3  Georg Lill, Direktor des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege von 1929 bis 1950. Aufnahme um 1930.

hatten und der Einfluss Hitlers noch deutlich größer war als etwa in Berlin oder am Rhein,39 wurde vom Kunsthistoriker Prof. Dr. Georg Lill (1883 – 1951) geführt, der zur gleichen Zeit wie Wolff Metternich amtierte – von 1929 bis 1950. Lill blieb der NSDAP fern, woraus er seinen Vorgesetzten gegenüber keinen Hehl machte. Im Entnazifizierungsverfahren von Ministerialdirektor Karl August Fischer (1885 – 1975), der von 1933 bis 1939 der für ihn zuständige Referent im Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus war, berichtete Lill: Gleich bei seinem Antrittsbesuche bei mir hatte ich eine parteipolitisch wichtige Besprechung mit ihm. Ich trug ihm vor, dass ich nicht Parteigenosse sei, es auch nicht werden wolle und dass ich deshalb meine Stellung als Direktor als gefährdet ansehe. Er gab mir die Versicherung, dass ich von seiner Seite nichts

39 Siehe hierzu Jan Schleusener, Raub von Kulturgut. Der Zugriff des NS-Staats auf jüdischen Kunstbesitz in München und seine Nachgeschichte (Bayerische Studien zur Museumsgeschichte 3), Berlin/ München 2016, S. 32 – 34. Siehe zu München als NS -Hochburg ferner Hans Günter Hockerts, Warum München? Wie Bayerns Metropole die „Hauptstadt der Bewegung“ wurde, in: Winfried Nerdinger (Hg.), München und der Nationalsozialismus. Katalog des NS-Dokumentationszentrums München, München 2015, S. 387 – 397 und Peter Longerich, Hitler, München und die Frühgeschichte der NSDAP, in: ebd., S. 398 – 407.

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zu befürchten habe, ich solle nur ruhig und sachlich mein Amt weiterführen.40 Fischer habe ihn und seine als schwarzes Amt bezeichnete Behörde die schweren Jahre hindurch (…) in jeder Weise gedeckt. Erst nach dem Zusammenbruch der Parteiwirtschaft habe er konkrete Einzelheiten über gewisse Vorkommnisse erfahren. Obwohl es konkrete Pläne gegeben habe, ihn abzusetzen, habe Fischer ihn stets im Amt gehalten.41

Neben Lill lehnte auch sein enger Mitarbeiter und späterer Nachfolger, Hauptkonservator Joseph Maria Ritz (1892 – 1960), einen Parteibeitritt ab. Aufgrund von Denunziationen setzte das Ministerium jahrelang seine Beförderung aus. Er nehme dem nationalsozialistischen Staat gegenüber eine ablehnende, wenn nicht feindliche Haltung ein und falle immer durch spöttisches Verhalten auf (…), wenn es sich um Angelegenheiten der Partei handelt.42 Angesichts dieser dezidiert politischen Vorwürfe, die im „Dritten Reich“ leicht zu schwereren Repressalien bis hin zur Verhängung von Schutzhaft führen konnten, mutet die durch das Ministerium vorgenommene Sanktionierung relativ zurückhaltend an. Offenbar verhinderte auch hier Ministerialdirektor Fischer Schlimmeres. Neben Lill und Ritz verzichtete auch Prof. Dr. Rudolf Esterer (1879 – 1965), der als Ministerialrat im von Ministerpräsident Ludwig Siebert (1874 – 1942) geführten Landesfinanzministerium für die Denkmalpflege im Bereich der Bayerischen Schlösser, Gärten und Seen zuständig war, auf einen Parteibeitritt und lehnte sogar den ihm angebotenen Spitzenposten in der Staatlichen Verwaltung der Bayerischen Schlösser, Gärten und Seen aus politischen Gründen ab.43 Diese Beispiele zeigen: Auch ohne Parteibeitritt war es möglich, seine Stellung zu behaupten – selbst als Staatsbediensteter in einem von Gauleiter Wagner oder Ministerpräsident Siebert geführten Ministerium in der nationalsozialistisch geprägten „Hauptstadt der Bewegung“. Dies mag aber für Wolff Metternich in der politisch explosiven Stimmung in der Phase der Machtübernahme der NSDAP nicht absehbar gewesen sein.44 Wolff Metternich, der im Rahmen der nazifizierten rheinischen Provinzialverwaltung agierte, musste mutmaßlich auch vorsichtiger vorgehen als sein Münchner Kollege, der vom für ihn zuständigen Ministerium gedeckt wurde.

40 Staatsarchiv München, SPKA K421 Fischer, Karl August, Zeugnis Lills, 03. 04. 1946. 41 Ebd.; siehe auch: Johannes Hallinger, 100 Jahre Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege. Personen und Strukturen, in: 100 Jahre Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Bd. I. Bilanz, Regensburg 2008, S. 128 – 176, hier S. 143 – 145. 42 Bayerisches Hauptstaatsarchiv (künftig BayHStA), LA Denkmalpflege 1004, Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus an Konservator Dr. Josef Ritz, 23. 12. 1936. 43 BayHStA, NL Rudolf Esterer 4. 44 Zu den Phasen der Etablierung der nationalsozialistischen Diktatur (Formierung – Konsolidierung – Radikalisierung) siehe Norbert Frei, Der Führerstaat. Nationalsozialistische Herrschaft 1933 bis 1945, 6. erw. und aktual. Aufl., München 2001.

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Zur Parteimitgliedsfrage abschließend ein Blick auf die Reichsebene: Robert Hiecke (1876 – 1952), Ministerialdirigent im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM) sowie preußischer Staatskonservator, der Einfluss auf die Auswahl der preußischen Provinzialkonservatoren nahm, konnte ebenfalls auf einen NSDAP-Beitritt verzichten, ohne Sanktionen hinnehmen zu müssen.45 Dies stand jedoch in seinem Fall nicht von vornherein fest. Die Frage seines ausgebliebenen Parteibeitritts wurde eingehend erörtert, als seine Beförderung vom Ministerialrat zum Ministerialdirigenten anstand. Hierzu äußerte sich Ministerialdirektor Siegmund Kunisch (1900 – 1978), der bereits 1925 in die NSDAP und 1926 in die SA eintrat und als Amtschef im Reichserziehungsministerium u. a. für Personalangelegenheiten zuständig war.46 Er warb beim Stellvertreter des „Führers“ für Hiecke und beantragte gleichzeitig, für ihn eine Ausnahme von der Regel zu machen, die bei der Beförderung in höhere Gehaltsgruppen die Parteimitgliedschaft zwingend vorschrieb. Zur Begründung führte er an: Hiecke hat eine einwandfreie nationale Vergangenheit und dürfte 1933 wohl deswegen nicht in die Partei eingetreten sein, weil er nicht als Konjunkturreiter (sic!) erscheinen wollte. Ganz sicher hat er aber von einem Beitritt zur Partei nicht deswegen Abstand genommen, weil er uninteressiert oder gar ablehnend der Partei gegenüberstand. (…) Hiecke hat sich nicht nur früher langjährige Verdienste um die Denkmalspflege und die Kulturdenkmale unseres Volkes erworben, sondern er ist auch nach der Machtübernahme, wo ja nun viel mehr Interesse für diese Dinge bestand und er infolgedessen freiere Hand und etwas mehr Mittel bekam, eifrig tätig gewesen und hat sich Verdienste erworben. (…) Dem verdienten Beamten, den ich für politisch unbedingt zuverlässig halte, wäre die jetzt in Aussicht genommene Beförderung durchaus zu wünschen.47

Die Fürsprache durch Kunisch hatte Erfolg: Nachdem der Stellvertreter des „Führers“ der Ernennung Hieckes trotz der fehlenden Parteizugehörigkeit zugestimmt hatte, wurde er in die freie Ministerialdirigentenstelle eingewiesen.48 Der Fall zeigt eine erstaunliche Flexibilität bezüglich der Parteimitgliedschaft, wenn es um die Beförderung innerhalb der Berliner Ministerialbürokratie ging. Fachliche Expertise wurde für wichtiger angesehen als die formale Zugehörigkeit zur NSDAP . Dass hochspezialisierte Experten wie Hiecke oder auch Wolff Metternich nicht einfach auszutauschen waren, unterstreicht Kunischs folgende, sicherlich auch taktisch zu bewertende, aber nicht substanzlose Bemerkung: Der jüngere Nachwuchs ist noch nicht so weit, daß er ihn ersetzen

45 Zu Robert Hiecke siehe auch Scheck, Denkmalpflege und Diktatur (wie Anm. 5), S. 15. 46 Siehe zu Kunisch: https://ns-reichsministerien.de/2019/08/09/siegmund-kunisch/ (Stand: 25. 07. 2020). Hier auch weitere Angaben zu Quellen und Literatur. 47 Bundesarchiv, R 4901/24791, Bl. 64 f. 48 Ebd., Bl. 71, 77.

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kann.49 Dies deutet darauf hin, dass die Spitzenvertreter der Denkmalpflege (wie auch Experten anderer fachlicher Ausrichtung) sicherere Stellungen hatten, als sie vielleicht selbst annahmen. Ihr Spezialistenwissen schützte sie vor willkürlicher Entfernung aus dem Dienst aufgrund der Nichterfüllung formaler Kriterien. Voraussetzung hierfür war allerdings die anderweitig unter Beweis gestellte unbedingte Loyalität zum NS -Regime. Doch selbst wenn hier – unter Umständen sogar berechtigte – Zweifel bestanden, gab es personalpolitischen Spielraum, wie der oben beschriebene Fall des bayrischen Hauptkonservators Ritz zeigt. Zu dem seit Januar deutlich verändertem politischen Umfeld verhalten musste sich auch der Ahnherr der rheinischen Denkmalpflege, der Bonner Ordinarius Paul Clemen, der als Vorsitzender mehrerer Kommissionen zur Denkmalpflege nach wie vor eine wichtige Funktion in der Rheinprovinz einnahm und mit seinem Nach-Nachfolger Wolff Metternich in engem Austausch stand. Im Juni 1933 zeigte er sich etwas besorgt, was das Schicksal unserer Kommissionen anging.50 Er hatte, wie er berichtete, mit dem Grafen Metternich eine längere Besprechung über unsere ganze Organisation und freute mich aufrichtig an seiner klugen und klaren Haltung. Er sprach mit seinem Nachfolger als oberstem Denkmalpfleger der Rheinprovinz auch über den Denkmalrat, dem er seit 1911 vorstand und der gleichermaßen von der Provinzialverwaltung und der Staatsregierung gebildet wurde, während die Provinzialkommission für Denkmalpflege, der er ebenfalls vorstand, eine rein provinziale Einrichtung war. Clemen sah diesen Unterschied als wichtig an und zeigte sich in unterschiedlicher Weise offen für Veränderungen: Der Provinzialausschuss wird natürlich der Provinzialkommission den neuen Verhältnissen entsprechend umgestalten, und wir können es nur dankbar begrüssen, wenn hier starke und einflussreiche Persönlichkeiten aus dem neuen Lager eintreten. An den Denkmalrat sollte man vielleicht noch nicht rühren, bis nicht durch das zu erwartende Denkmalschutzgesetz eine neue Veranlassung gegeben wäre.

Clemen machte sich allerdings bezüglich der aktuellen Vertreter des Denkmalrates Sorgen aufgrund kirchlicher Überrepräsentation. Er schlug als neue Mitglieder einen Aachener Professor vor, der auch den national-sozialistischen Kreisen – wenn er auch nicht zur Partei gehört, doch genehm sein würde, und aus Köln einen neuen Referenten – damit entgehen wir auch allen sonstigen Kölner Ansprüchen und haben zugleich einen ausgesprochenen Parteigenossen. Offenbar meinte Clemen, mit den angesprochenen Neuberufungen den Ansprüchen des NS-Regimes Genüge zu tun. Denn er äußerte die Erwartung, dass eine radikale Umgestaltung des Gremiums nicht notwendig scheine, da es sich um rein sachlich-unpolitische Bildungen, bei der nur nach der Eignung der betr. Persönlichkeit gefragt wird handle. Der Charakter des Regimes, das nach totalitärer Durchdringung der Gesellschaft bzw. „Volksgemeinschaft“ 49 Ebd., Bl. 65. 50 ALVR 28330, Clemen an Busley, 14. 06. 1933. Hieraus auch die folgenden Zitate.

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strebte und dem eigenen Anspruch nach keine „unpolitischen“ Räume duldete, war Clemen offenbar noch nicht klar. Er erklärte sich im Juli 1933 dem neuen Landeshauptmann Haake gegenüber zur weiteren Mitarbeit bereit und positionierte sich zu den Veränderungen seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten ein halbes Jahr zuvor. Wörtlich schrieb er: Ich brauche nicht besonders zum Ausdruck zu bringen, dass ich persönlich mit allen meinen Kräften und meinen Erfahrungen mich zur Verfügung stelle, solange meine Mitarbeit gewünscht wird. Die Bestrebungen der Denkmalpflege und des Heimatschutzes, wie wir sie von je hier aufgefasst haben, decken sich so unmittelbar mit den letzten Zielen der nationalen Regierung, dass wir nur mit der grössten Freude und Hingabe uns hier in die Reihe der Kämpfer für die nationale Kultur stellen möchten.51

Clemen lud Haake außerdem u. a. zu einem ganz ­kurzen Besuch in dem Provinzialmuseum wie in dem benachbarten Bürogebäude der Denkmalpflege ein. Dass Haake das Denkmalpflegeamt besuchte, von den Einrichtungen Kenntnis nimmt, war auch Wolff Metternich ein wichtiges Anliegen.52 Mit dem Kotau vor dem NS-Landeshauptmann versuchte Clemen weniger sich selbst als sein Erbe zu retten: das Gefüge der Kommissionen und Räte, die im Dienst der rheinischen Denkmalpflege wirkten. Als ihn im März 1934 die Nachricht von der Auflösung der Provinzialkommission für die Denkmalpflege erreichte, sah er aber offenbar keinen Platz mehr für sich und den von ihm geleiteten Denkmalrat im neuen Staate. Er teilte dem Oberpräsidenten Hermann von Lüninck mit: Dass der bisherige Denkmalrat auch bei der grundsätzlichen Anerkennung seiner Existenzberechtigung im neuen Staate eine zweckmäßige Neubildung verlangt, erscheint mir durchaus verständlich. Der Titel eines Vorsitzenden des Denkmalrates war vor zweiundzwanzig Jahren die mir ausdrücklich zugewiesene Bezeichnung, die meine Verbundenheit mit den Gesamtinteressen der Denkmalpflege zum Ausdruck bringen sollte. Um die Neubildung in jeder Weise zu erleichtern, stelle ich meinen Posten als Vorsitzender ausdrücklich zur Verfügung.53

Paul Clemen konnte sich – unbeschadet der Diskussion um die Abwicklung der von ihm geleiteten Kommissionen – am Institut für Kunstgeschichte der Universität Bonn als Ordinarius halten. 1935 wurde er emeritiert und siedelte im folgenden Jahr nach Endorf (Oberbayern) über.

51 Ebd., Clemen an Haake, 07. 07. 1933. 52 Ebd., Clemen an Busley, 19. 07. 1933. 53 Ebd., Clemen an den Oberpräsidenten der Rheinprovinz, 31. 03. 1934.

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4. „Gewaltiger Aufschwung“: die rheinische Denkmalpflege in den ersten Jahren der NS-Herrschaft Formal hatte sich Franziskus Graf Wolff Metternich mit dem Beitritt zur NSDAP im Mai 1933 in die NS-Formation eingereiht. 1947 behauptete er: Rückschauend darf ich konstatieren, dass es gelungen ist, es [das Denkmalpflegeamt] von nationalsozialistischem Geiste rein zu halten.54 Bereits im Juni 1945 hatte er sich dem Oberpräsidenten der Rheinprovinz gegenüber ähnlich geäußert.55 Diese etwas zu stark in den Vordergrund gerückte Selbstentlastung suggeriert, dass sein eigener Parteibeitritt lediglich formalen Charakter gehabt und die Amtstätigkeit nicht tangiert habe. Allerdings gehörte es als Amtsleiter zu Wolff Metternichs Aufgaben, das Amt nach außen – und das hieß von 1933 bis 1945 in der vom Nationalsozialismus formierten und kontrollierten „Volksgemeinschaft“ ebenso wie international – zu repräsentieren.56 Es stellt sich die Frage, ob er in Ausübung dieser Tätigkeit auf politische Ergebenheitsadressen verzichten konnte und wie er der Forderung des NS-Regimes nach unbedingter, auch nach außen demonstrierter Loyalität zum System entsprach. Zugleich ist zu fragen, wie Wolff Metternich die Entwicklung „seines“ Amtes in den ersten Jahren der NS-Diktatur darstellte. Antworten auf beide Fragen gibt ein von Wolff Metternich verfasster und in seinem Nachlass überlieferter Bericht über 4 Jahre Denkmalpflege in der Rheinprovinz aus dem Jahr 1937.57 Wolff Metternich schrieb ihn offenbar für eine Veröffentlichung in der NSDAP-Parteizeitung „Völkischer Beobachter“. Er soll hier ausführlich vorgestellt werden, da er durch die Zusammenfassung der Amtstätigkeit mehrerer Jahre einen besseren Überblick als die jährlichen, sehr detaillierten Verwaltungsberichte des Provinzialkonservators bietet und gleichzeitig dokumentiert, wie Wolff Metternich das Amt im ideologisch ausgesprochen belasteten NS-Kontext präsentiert sehen wollte. Bereits in seinem ersten Verwaltungsbericht nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, publiziert im „Jahrbuch der Rheinischen Denkmalpflege“ von 1934, hatte er festgestellt, dass alsbald eine Erstarkung des allgemeinen Interesses an Denkmalpflege und Heimatschutz habe wahrgenommen werden können. Die Denkmalpflege profitierte nach Wolff Metternichs Darstellung von Maßnahmen der Reichsregierung zur Arbeitsbeschaffung, zur Gewährung von Zinsvergütungsscheinen und von Darlehen der Gesellschaft für öffentliche Arbeiten AG (Öffa), die umfangreiche Maßnahmen zur Sicherung rheinischer Baudenkmäler ermöglichte.58

54 NL FGWM, Nr. 11: Meine Einstellung zur nationalsozialistischen Partei von 1933 – 1945, S. 11. 55 NL FGWM, Nr. 57, Brief Wolff Metternichs an den Oberpräsidenten, 22. 06. 1945. 56 Siehe Dietmar Süß, „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“. Die deutsche Gesellschaft im Dritten Reich, München 2017, hier S. 7 – 13 und Michael Wildt, Die Ambivalenz des Volkes. Der Nationalsozialismus als Gesellschaftsgeschichte, Berlin 2019, S. 23 – 46. 57 NL FGWM, Nr. 147, Aufsatz betr. Bericht über 4 Jahre Denkmalpflege in der Rheinprovinz. Vgl. den Abschnitt zur Denkmalpflege im „Bericht der Rheinischen Provinzialverwaltung über ihre Tätigkeit in den Jahren 1933 – 1936“, in: Die Rheinprovinz 13 (1937), S. 432 – 438. 58 Jahrbuch der Rheinischen Denkmalpflege 10/11 (1934), S. 91 und 12 (1935), S. 315 – 318.

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Welche Akzente setzte also Wolff Metternich in seinem Vierjahresbericht? Bereits der erste Satz deutete klar die Stoßrichtung des Beitrags an: Die nationale Wiedergeburt im Jahre 1933 gab der Denkmalpflege einen neuen kraftvollen Antrieb, der sich erst im Laufe der nächstfolgenden Jahre in vollem Umfang auswirken sollte. Was den kraftvollen Antrieb, den er für die Zeit nach 1933 konstatierte, ausmachte, führte er im Folgenden aus: Die Rückkehr der Nation zu den alten Quellen ihrer kulturellen Kräfte liess das allgemeine Interesse an den Aufgaben der Denkmalpflege stark anwachsen; auch die gewaltigen Anstrengungen des Reiches zur Behebung der wirtschaftlichen Not und das zunehmende Vertrauen der Oeffentlichkeit sollten der Denkmalpflege zugute kommen (…).

Wolff Metternichs Aussagen verweisen auf die Schnittmenge z­ wischen nationalsozialistischer Kultur- und Geschichtspolitik und den Interessen der Denkmalpfleger. Es wird deutlich, dass die vom Regime avisierte, vom Germanenkult getriebene Orientierung auf deutsche Kultur und Geschichte den Denkmalpflegern in die Hände spielte. Nach Jahren des Rechtfertigungszwanges und der Delegitimierung denkmalpflegerischer Gedanken spürten die Denkmalpfleger Auftrieb. Die „grundlegenden Übereinstimmungen ­zwischen NS-Kunstverständnis und ästhetischen Vorstellungen innerhalb der Denkmalpflege“ werden hier deutlich.59 Als Gradmesser für den Erhaltungszustand der Bau- und Kunstdenkmale sowie für den zu ihrer Rettung erforderlichen Geldbedarf, also quasi als Indikator der positiven Entwicklung, stellte Wolff Metternich die Anträge auf Gewährung von Beihilfen des Staates und der Provinz vor. Die Zahl dieser Anträge sei von rund 350 im Jahr 1933 auf rund 600 im Jahr 1936 gestiegen – dies entsprach also beinahe einer Verdopplung. Nur durch eine umfassende ausserordentliche Aktion sei es möglich gewesen, der schlimmsten Not Herr zu werden. Hiermit spielte er auf den großen Handlungsbedarf in Bezug auf denkmalpflegerische Maßnahmen (wie Instandsetzung und Restaurierung) nach Jahren der Unterfinanzierung an. Im ­Februar 1931 hatte Wolff Metternich vor der Provinzialkommission eindringlich dargestellt, wie schlecht es um die Denkmalpflege seinerzeit bestellt war. Ohne ein Klagelied über die schlechte Lage der Denkmalpflege anstimmen zu wollen, hatte er damals auf die erhebliche Erschwerung seiner Arbeit und den Ernst der Lage verwiesen, da die von der Denkmalpflege vorzunehmenden Erhaltungsmassnahmen immer um ein beträchtliches hinter dem Fortschritt des Verfalls zurück blieben.60 Zur Behebung der Not habe das „Gesetz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit“ vom 1. Juni 1933 beigetragen, wie der Bericht 1937 hervorhob. Im Zuge des Reinhardt-Programms der Reichsregierung, benannt nach dem ersten nationalsozialistischen Staatssekretär im 59 Susanne Fleischner, Kultur und Ideologie. „Schöpferische Denkmalpflege“ der NS-Zeit, in: 100 Jahre Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege 1908 – 2008, Bd. III, Regensburg 2008, S. 153 f. 60 ALVR 11012, Bericht Wolff Metternichs „Zur Lage der Denkmalpflege am Schluss des Rechnungsjahres 1930/31“.

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Reichsfinanzministerium Fritz Reinhardt (1895 – 1969), das insgesamt eine Milliarde RM umfasste und für ländliche Siedlungsprojekte sowie die Förderung des Straßen- und Wohnungsbaus vorgesehen war,61 wurden durch die Öffa allein im Zuständigkeitsbereich der rheinischen Provinzialverwaltung zinslose Darlehen in Höhe von 800.000 RM ausgegeben, die als Sonderkontingent lediglich zur Instandsetzung rheinischer Baudenkmale vorgesehen waren.62 Die Provinzialverwaltung bewilligte weitere flankierende Beihilfen. Zu den hervorragendsten Denkmalen, die aufgrund des Arbeitsbeschaffungsprogramms gesichert werden konnten, zählte Wolff Metternich u. a. die ehemalige Abteikirche in Brauweiler, die Liebfrauenkirche in Koblenz, den Xantener Dom und die Schlosskirche in Meisenheim.63 Die NS-„Arbeitsschlacht“, für die Machthaber von großer propagandistischer Bedeutung, entfaltete auch im Rheinland ihre Wirkung – auch zugunsten der Denkmalpflege. Als hilfreich für die Denkmalpflege erwies sich nach Wolff Metternichs Darstellung auch die Ausweitung der Maßnahmen auf Gebäude in Privatbesitz, die instandgesetzt werden mussten, durch das „Zweite Gesetz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit“: Dass die Auswirkung d­ ieses zweiten Gesetzes sowohl wiederum einigen alten ­Kirchen und grösseren Profanbauten als auch jetzt vor allem einer sehr stattlichen Zahl wertvoller alter Wohnhäuser allenthalben in der Provinz zugute kam, bedeutete für die Denkmalpflege einen weiteren grossen Schritt vorwärts in der Erfüllung ihrer Aufgaben.64

Als neue Aufgabe der Denkmalpflege stellte Wolff Metternich die Betreuung der ‚technischen Kulturdenkmale‘ vor. Trotz grösster Verluste, die auf eine sich fast überstürzende technische Entwicklung zurückzuführen ­seien, sei der Bestand noch so groß, dass er nur schrittweise gerettet werden könne. Wolff Metternich führte das Beispiel der Windmühlen an, deren Rettung durch eine grosszügige Aktion eingeleitet worden sei.65 Das von Metternich festgestellte zunehmende Interesse an der Denkmalpflege habe sich auch in der internen Arbeit des Amtes positiv ausgewirkt. Der Provinzialkonservator teilte mit, dass die Bestände des Denkmälerarchivs in den letzten vier Jahren in erheblichem Umfang vermehrt worden ­seien. Als weiteren Gradmesser für die günstige Entwicklung der denkmalpflegerischen Tätigkeit wertete Metternich das Anwachsen der Reisetätigkeit des Provinzialkonservators und seiner Mitarbeiter. Die Anzahl der Besichtigungen von Arbeiten und Denkmalen habe sich

61 Siehe Adam Tooze, Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, München 2007, S. 61 – 72. 62 NL FGWM, Nr. 147, Aufsatz betr. Bericht über 4 Jahre Denkmalpflege in der Rheinprovinz, S. 2. Zur Teilnahme der Denkmalpflege am sogenannten Reinhardtprogramm siehe die ausführliche Akte: ALVR 11175. 63 NL FGWM, Nr. 147, Aufsatz betr. Bericht über 4 Jahre Denkmalpflege in der Rheinprovinz, S. 8. 64 Ebd., S. 4. 65 Ebd., S. 8.

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seit 1933 um ein Drittel vermehrt und gegenüber 1927 etwa verdreifacht. Die Ausdehnung des gesamten Dienstbetriebes infolge des Aufschwungs nach der NS-Machtübernahme habe eine bescheidene Vermehrung des Personals erforderlich gemacht.66 Als denkmalpflegerische Maßnahmen von größerer Bedeutung nannte Wolff Metternich u. a. das Trierprogramm, das als „Leuchtturmprojekt der nationalsozialistischen Profilierung der rheinischen Kulturpolitik“ mit „enormem organisatorischen, finanziellen und nicht zuletzt propagandistischem Aufwand“ schon bald nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Angriff genommen worden war.67 Hinter dem „Großen Trier-Plan“, der einen Ausbau des kulturhistorischen Erbes der spätantiken Kaiserresidenz vorsah, stand vor allem Kulturdezernent und SA-Standartenführer Apffelstaedt. Zudem würdigte Wolff Metternich die Rettung altkölner Bürgerhäuser im Anschluss an die Sanierung der Kölner Altstadt, die schwierigen und kostspieligen Arbeiten an den Domen zu Köln, Aachen und Xanten sowie die Sicherung der in ihrem Bestand bedrohten K ­ irche St. Maria im Kapitol zu Köln – sie gehöre zu den größten Aufgaben der deutschen Denkmalpflege überhaupt und habe die Aufmerksamkeit aller Fachkreise und der breitesten Öffentlichkeit auf sich gelenkt.68 Als Ziel der von ihm gesteuerten rheinischen Denkmalpflege gab Wolff Metternich schließlich aus, die Pläne der Denkmalpflege möglichst durch systematische Zusammenfassung einzelner Aufgabengruppen zu bewältigen. Der kraftvolle Antrieb, den Metternich durch die nationale Wiedergeburt bewirkt sah, wurde schließlich auch im Gebäude des Denkmalamtes sichtbar: Als Bekrönung der Neuorganisation des Denkmalamtes wurde in den Jahren 1934/35 das in den ­Jahren 1908/09 errichtete Amtsgebäude in Bonn durch Aufstockung erweitert. (…) In Bezug auf seine neuzeitliche Ausrüstung steht das rheinische Denkmalamt an der Spitze aller Institute dieser Art in Preussen (…).69

Zusammengefasst lautete die Botschaft des Provinzialkonservators, dass sich die rheinische Denkmalpflege nach den Jahren von Krisenerfahrung und existenzieller Not seit 1933 dank der Politik des NS-Regimes im Aufschwung befinde. Die Unsicherheiten der Krisenjahre um 1930 s­ eien überwunden, dank der vom Regime bewirkten Rückbesinnung auf die Nation und eigene Geschichte gebe es in Politik und „Öffentlichkeit“ Rückhalt für die Anliegen der Denkmalpflege. Der oberste rheinische Denkmalpfleger sah sich durch die Politik des Regimes aber nicht nur inhaltlich-ideologisch unterstützt, er stattete mit d ­ iesem Vierjahresbericht auch Dank ab für erheblich gesteigerte öffentliche Mittel, die für Maßnahmen der ­Denkmalpflege 66 67 68 69

Ebd., S. 6 f. Merten, Trier-Plan (wie Anm. 31), hier bes. S. 85, 107. NL FGWM, Nr. 147, Aufsatz betr. Bericht über 4 Jahre Denkmalpflege in der Rheinprovinz, S. 10. Ebd., S. 7.

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zur Verfügung gestellt worden waren. Dadurch habe der Provinzialkonservator auch mehr reisen können, womit er auf den dadurch möglich gewordenen größeren Radius seiner Tätigkeit anspielte. Vom kraftvollen Antrieb für die rheinische Denkmalpflege in den zurückliegenden Jahren kündete nach Darstellung Wolff Metternichs auch der Ausbau der Gebäude als sichtbares ­Zeichen verbesserter Ausstattung. Nicht ohne Stolz konnte er abschließend seine Ansicht kundtun, das von ihm geleitete Amt stehe an der Spitze aller Institute dieser Art in Preussen. Wolff Metternich erhob damit für das von ihm geleitete Amt den Anspruch, unter den Denkmalämtern in Preußen und darüber hinaus eine führende Position einzunehmen.

5. Mitarbeiter des „Rheinischen Amtes für Denkmalpflege“ im Kunstschutz Der Oberpräsident der Rheinprovinz beauftragte Franziskus Graf Wolff Metternich am 7. Juli 1939 mit der Durchführung der zum Schutz der Denkmäler erforderlichen Maßnahmen in der Rheinprovinz.70 Bereits Ende 1938 hatte Wolff Metternich Schutzvorkehrungen für den Kriegsfall treffen wollen, war jedoch von den zuständigen Behörden gestoppt worden, um kein Aufsehen zu erregen.71 Bei den ab Sommer 1939 offiziell vorgesehenen Schutzmaßnahmen ging es zunächst um die Planung und Durchführung von Präventivmaßnahmen. Auch wenn sich das außenpolitische Klima im Sommer 1939 zusehends verschlechterte, herrschte nach wie vor Frieden. Da die Rheinprovinz bis Frühjahr 1940 kein Schauplatz von Kriegshandlungen war, gelang es Wolff Metternich und seinen Mitarbeitern nach Beginn des Zweiten Weltkriegs, rasch Baudenkmale zu sichern und mobile Kulturgüter zu bergen.72 Durch die frühzeitigen Vorbereitungen für den Kriegsfall nahm die Rheinprovinz eine „Sonderstellung im Reichsvergleich“ ein.73 Im Mai 1940 berief das Oberkommando des Heeres (OKH) den rheinischen Provinzialkonservator zum Militärdienst ein und betraute ihn mit der Leitung des Kunstschutzes in den besetzten Ländern mit Militärverwaltung – Wolff Metternich folgte hier seinem Lehrer und Amtsvorgänger Paul Clemen, der im ­Ersten Weltkrieg als erster deutscher Kunstschutzoffizier fungiert hatte.74

70 Mainzer, Vom Ehrenamt zur Professionalität (wie Anm. 8), S. 43. 71 Christoph Machat, Denkmalpflege und Wiederaufbau, in: Mainzer, Festschrift zum hundertjährigen Bestehen (wie Anm. 6), S. 237 – 245, hier S. 238. 72 Mainzer, Vom Ehrenamt zur Professionalität (wie Anm. 8), S. 43. 73 Sandra Schlicht, Krieg und Denkmalpflege. Deutschland und Frankreich im II. Weltkrieg, Schwerin 2007, S. 147. 74 Zum Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg: Christian Fuhrmeister u. a. (Hg.), Kunsthistoriker im Krieg. Deutscher Militärischer Kunstschutz in Italien 1943 – 1945, Köln 2012.

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Bernhard von Tieschowitz (1902 – 1968), Wolff Metternichs Stellvertreter im heimischen Denkmalamt, wurde ebenfalls vom OKH für den Kunstschutz engagiert. Direktorialassis­ tent Carlheinz Pfitzner (1908 – 1944) ging Wolff Metternich wie am Rhein auch an der Seine zur Hand, und der Dezernent der rheinischen Denkmälerinventarisation, Walther Zimmermann (1886 – 1971), gehörte ebenfalls zum rheinischen Kunstschutzteam, das in Paris Quartier nahm und von hier die Kunstschutzmaßnahmen für die Länder mit deutscher Militärverwaltung koordinierte. Die Führung des Denkmalamtes in Bonn musste aufgrund des rheinischen Großeinsatzes in Frankreich Provinzialbaurat Theodor Wildeman (1885 – 1962) übernehmen.75 Wolff Metternich verstand sich als oberster Kunstschützer in der Tradition Clemens „als reiner Sachwalter der staatlichen Kunstsammlungen im Sinne des Kulturerbes der Menschheit“.76 Er richtete in Frankreich zusammen mit dem Bonner Kunsthistoriker Alfred Stange (1894 – 1968) einen kunstwissenschaftlichen Arbeitsstab ein, der wissenschaftliche Forschungsprojekte durchführte.77 Er sah sich in der Verantwortung, für die Bewahrung und Sorge der Baudenkmäler und Kulturgüter einzutreten – als Zeugnisse europäischer Kunst und Kultur. Er lehnte es ab, den Krieg auf den Kunst- und Denkmalbereich auszuweiten, wie es NS-Größen wie Alfred Rosenberg (mit seinem Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg, dem sich Wolff Metternich klar in den Weg stellte) oder Hermann Göring für richtig hielten. Mit Rosenberg war Wolff Metternich übrigens bereits im Rheinland wegen der von jenem vertretenen kirchenfeindlichen Haltung und daraus resultierenden Plänen in Konflikt geraten.78 Dieser opponierte gegen das auch von dem Kulturdezernenten der rheinischen Provinzialverwaltung vorangetriebene Projekt der Rückführung geraubten, nämlich aus dem Rheinland nach Frankreich „entfremdeten“ Kunstgutes, mit dem Hitler Reichspropagandaminister Joseph Goebbels beauftragt hatte.79 Das Ziel Apffelstaedts war es, alle rheinischen Kunstwerke aufzuführen, die seit 1794 aus dem Rheinland entwendet bzw. „entfremdet“ worden waren. Die so erstellte Liste sollte in kommende Friedensverhandlungen eingebracht werden. Sein Ansinnen lief aber ins Leere, auch weil es Wolff Metternich gelang, die „Rückführung“ bis nach Kriegsende zu verschieben.80 Für ihn standen die Durchsetzung des Völkerrechts 75 Mainzer, Vom Ehrenamt zur Professionalität (wie Anm. 8), S. 43. 76 Heyer, Der Provinzialkonservator Franziskus Graf Wolff Metternich (wie Anm. 20), S. 78. 77 Christina Kott, „Den Schaden in Grenzen halten …“. Deutsche Kunsthistoriker und Denkmalpfleger als Kunstverwalter im besetzten Frankreich, 1940 – 1944, in: Ruth Heftrig/Olaf Peters/ Barbara Schellewald (Hg.), Kunstgeschichte im „Dritten Reich“. Theorien, Methoden, Praktiken (Schriften zur modernen Kunsthistoriographie 1), Berlin 2008, S. 362 – 392. Siehe NL FGWM , Nr. 197, Bericht über den Einsatz des kunstwissenschaftlichen Arbeitsstabes in Frankreich, 09. 12. 1940. 78 Alois Becker, Über Denkmalpflege und Naturschutz in der Rheinprovinz, in: Ruland (Hg.), Festschrift für Franz Graf Wolff Metternich (wie Anm. 20), S. 52. 79 Werner, Die kulturellen Aktivitäten (wie Anm. 7), S. 22 f. Hieraus auch das folgende Zitat. 80 Ebd., S. 23.

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und der Schutz der Kunst an erster Stelle. Mit dieser Haltung geriet er fast unweigerlich in Konflikt mit jenen, die sich durch den Krieg freie Hand bei der Aneignung von Kunstbesitz im Ausland erhofften. Wolff Metternich gelang es, die französischen Kunstsammlungen vor Ausplünderung zu s­ chützen – die in großem Stil erfolgte Aneignung jüdischen Kunstbesitzes konnte er aber nicht verhindern.81 Auf Vorschlag Hermann Görings, der in Wolff ­Metternich immer mehr einen persönlichen Gegner erblickte, wurde dieser von Reichskanzler und Führer Adolf Hitler von seinen Aufgaben im Kunstschutz entbunden, im Juni 1942 beurlaubt und 1943 entlassen. Nach 1945 wies Wolff Metternich häufig auf die Beurlaubung und Entlassung als Z ­ eichen seiner Gegnerschaft zum Nationalsozialismus und führenden Vertretern des Regimes hin. Seine Abberufung könnte aber auch andere Motive gehabt haben. Denn der Landeshauptmann der Rheinprovinz Haake hatte sich in mehreren Schreiben an die Heeresleitung zunächst 1941, dann nochmals sehr energisch im Juni 1942, über den Einsatz der rheinischen Denkmalpfleger im Kunstschutz abseits der Heimat beschwert. Bereits im August 1941 hatte er den Oberbefehlshaber des Heeres, Generalfeldmarschall Walther von Brauchitsch (1881 – 1948), angesichts der schweren Bombenangriffe auf rheinische Kunststätten in Köln und Aachen (…) auf die Unmöglichkeit der Tatsache hingewiesen, dass ausgerechnet die Herren des rheinischen Denkmalamtes bis auf eine einzige Fachkraft zur Kunstschutzarbeit in den besetzten Gebieten eingezogen s­eien.82

Von Brauchitsch hatte ihm in Aussicht gestellt, dass Pfitzner und Zimmermann von der Wehrmacht „uk“, also vom Wehrdienst freigestellt, würden und ins Rheinland zurückkehren könnten. Dies traf jedoch nur für Pfitzner zu. Landeshauptmann Haake forderte daher energisch, diesmal von Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, nunmehr endlich den Kriegsverwaltungsabteilungschef, Provinzialkonservator der Rheinprovinz Prof. Dr. Graf Wolff Metternich, für die Dauer des Krieges unter UK-Stellung auf seine rheinische Dienststelle zurückzubeordern. Er führte aus: Hatte ich in meinem Schreiben an Generalfeldmarschall von Brauchitsch s. Zt. schon angeführt, dass das rheinische Volk, das gerade in seinen breitesten Schichten wie wohl nur wenige andere deutsche Stämme an seinem Kunstbesitz hängt, nunmehr wenig Verständnis dafür finde, dass die verantwortlichen Fachkräfte ausgerechnet der rheinischen Denkmalpflege ‚Kunstschutz‘ in fremden Ländern besorgen, so muss ich jetzt in aller Freimütigkeit, die für mich als alten Nationalsozialisten eine Selbstverständlichkeit ist, erklären, dass die Beibehaltung ­dieses Zustandes hier im Rheinland nachgerade als Groteske empfunden wird.

81 Siehe Heyer, Der Provinzialkonservator Franziskus Graf Wolff Metternich (wie Anm. 20), S. 78. 82 ALVR 11013, Landeshauptmann der Rheinprovinz an den Chef des Oberkommandos des Heeres, 19. 06. 1942.

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Daher könne er auf die beschleunigte, dauernde Rückkehr meines Provinzialkonservators pflichtgemäß nicht verzichten. Zur Bekräftigung konnte Haake auf die Unterstützung dieser Forderung durch die vier rheinischen Gauleiter und ihrer Amtsstellen verweisen.83 Welche Motive den Ausschlag für die Abberufung Wolff Metternichs vom Kunstschutz gaben – einen harten Bruch vollzog das NS-Regime nicht. Denn Wolff Metternichs Aufgaben im Kunstschutz des OKH übernahm sein Bonner Direktorialassistent Bernhard von Tieschowitz, über den auch Wolff Metternich weiterhin mit Fragen des Kunstschutzes befasst blieb.84 Ob in erster Linie aufgrund des Rückkehr-Appells des Landeshauptmanns oder infolge des Zerwürfnisses mit NS-Oberen – Wolff Metternich kehrte 1942 ins Rheinland zurück und übernahm dort wieder in vollem Umfang die Aufgaben des Provinzialkonservators als Leiter des Rheinischen Amts für Denkmalpflege. Obwohl Parteimitglied, stand er NS-intern unter Beobachtung. Der Sicherheitspolizei lagen Informationen vor, dass er Ambitionen habe, Nachfolger des preußischen Staatskonservators, des Ministerialdirigenten Hiecke, zu werden. Im April 1943 wurde ihm von einem Bekannten aus dem Reichserziehungsministerium ein Bericht des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD zugespielt, der sich mit seiner Person befasste.85 Er richtete sich an das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. Zweck des Schreibens, das auf Metternichs Tätigkeit als „Leiter der Gruppe Kunstschutz und Archäologie“ Bezug nahm, war offenbar, das Ministerium vor Wolff ­Metternich zu warnen. Wörtlich hieß es in dem Schreiben: Nach übereinstimmenden Aussagen zuverlässiger deutscher Persönlichkeiten hat M. im Verlauf dieser Tätigkeit, die Anfang August 1942 ihren Abschluss fand, eine eindeutig frankophile und mit den Interessen des Reiches nicht in Einklang stehende Haltung gezeigt. Wie inzwischen bekannt geworden ist, bemüht sich Graf W. M. nunmehr, als Nachfolger von Ministerialdirigent Hiecke Reichskonservator zu werden und damit die Leitung der gesamten deutschen Denkmalpflege in seine Hand zu bekommen. Falls eine ­solche Ernennung tatsächlich beabsichtigt sein sollte, müssten von hier aus aufgrund der bedenklichen politischen Haltung von Prof. W. M. die schärfsten Bedenken erhoben werden. Staatssekretär Klopfer, der eine Durchschrift des Berichtes erhalten hat, ist bereits bei früherer Gelegenheit auf die fragwürdige politische Haltung von Prof. W. M. hingewiesen worden.

83 Ebd., Landeshauptmann Haake an den Chef des OKH , Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, 19. 06. 1942. 84 Christian Fuhrmeister, Die Abteilung „Kunstschutz“ in Italien. Kunstgeschichte, Politik und Propaganda 1936 – 1963 (Brüche und Kontinuitäten. Forschungen zu Kunst und Kunstgeschichte im Nationalsozialismus 1), Wien/Köln/Weimar 2019, S. 153 f., der konstatiert, dass es „einen klaren Schnitt nicht gegeben“ habe und Wolff Metternich „trotz seiner Entlassung im Juni 1942 weiterhin als maßgebliche Autorität“ angesehen worden sei. 85 NL FGWM, Nr. 11, Meine Einstellung zur nationalsozialistischen Partei von 1933 – 1945, S. 12. Wolff Metternich äußerte hier, der Bericht habe den Zweck gehabt, meiner etwa geplanten Ernennung zum Nachfolger des Reichskonservators der Kunstdenkmäler (…) vorzubeugen.

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Weiter hieß es, von deutscher Seite sei häufig betont worden, dass von Metternich in Paris eine Arbeit geleistet worden sei, die ausschließlich im französischen Interesse gelegen habe.86 Obwohl in Frankreich eine sehr gut arbeitende, weit ausgebaute Organisation der Denkmalpflege bestanden habe, habe Metternich seine Aufgabe darin gesehen, nach dem gleichen Muster wie in der Rheinprovinz einen gross angelegten Denkmalschutz durchzuführen. Bezüglich der „Rückführung des geraubten deutschen Kulturgutes“ habe Metternich trotz der bestehenden Führerbefehle über die Beschlagnahmung und Sicherstellung der französischen Kunstschätze (…) nichts getan, um eine im deutschen Sinne liegende Regelung herbeizuführen. Schlimmer noch: Er habe vielmehr nicht nur im Gespräch mit deutschen Persönlichkeiten, sondern auch gegenüber Franzosen keinen Hehl aus seiner inneren Einstellung gemacht, dass er ein Gegner der Rückführung des geraubten deutschen Kulturgutes sei und z. B. die Rückführungstätigkeit des Einsatzstabes Rosenberg als Raub und Plünderung ansehe. Die zahlreichen weltanschaulichen, politischen und persönlichen Bindungen Metternichs ließen ihn als Vertreter des Reiches in einer kulturpolitischen Aufgabe als völlig ungeeignet erscheinen. Der Bericht verwies auch auf bis heute sehr starke kirchliche Bindungen Metternichs. Im ganzen Rheinland werde er seit vielen Jahren als einer der maßgeblichen Exponenten der katholischen Reaktion angesehen. Während seiner bisherigen Tätigkeit als Provinzialkonservator sind seine katholischen und frankophilen Tendenzen offen zutage getreten und haben zu vielen Beanstandungen und Angriffen gegen ihn geführt. Suspekt erschienen dem Sicherheitsdienst schließlich nicht nur Metternichs vielfältige Kontakte in Frankreich, sondern vor allem auch seine Beziehungen zu den Vertretern des französischen Hochadels. Der Bericht vom 20. April 1943 zeigt einerseits, dass Wolff Metternich nach seiner Entlassung aus dem Kunstschutz Gefahr lief, von den NS -Behörden als politischer Gegner eingeschätzt und entsprechend verfolgt zu werden. Andererseits dokumentiert er, dass Wolff Metternich für eine wichtige Figur gehalten wurde, dass man ihm zutraute, wichtige Fürsprecher zu haben und dass man ihn für einen Mann mit Anspruch und Ehrgeiz hielt, dem sein Aktionsspielraum in der Rheinprovinz zu klein zu werden drohte.

6. Wolff Metternich und die rheinische Denkmalpflege im Zeichen von Krieg und Besatzung Wolff Metternichs Rückkehr ins Rheinland bedeutete nicht, dass die rheinische Denkmalpflege an die Zeit vor 1939 anknüpfen konnte. Denn an denkmalpflegerische Maßnahmen wie zu Friedenszeiten war nicht zu denken. Die eigentliche Amtstätigkeit kam im Zuge der immer zerstörerischeren kriegerischen Auseinandersetzungen vollständig zum Erliegen – 86 NL FGWM, Nr. 11, Schreiben des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD an das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 20. 04. 1943 (Unterstreichung im Org.). Hieraus auch das Folgende.

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der Dienstbetrieb war bereits 1939 auf die durch den Krieg gestellten Aufgaben umgestellt worden.87 Wolff Metternich und seine Mitarbeiter, die nicht eingezogen, bereits gefallen oder zum Kunstschutz abkommandiert waren, versuchten, die Baudenkmäler gemäß dem Erlass des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Bernhard Rust (1883 – 1945) vom 12. Mai 1942 zur Durchführung des Luftschutzes vor Bombardierungen zu ­schützen.88 Die Denkmalpfleger waren etwa in die Feuerschutzmittel­behandlung involviert. Nach Luftangriffen wurden zudem Notmaßnahmen ergriffen, die wichtige Baudenkmale vor dem endgültigen Einsturz sichern sollten. Contre cœur waren die Denkmalpfleger auch in Maßnahmen einbezogen, die statt des Schutzes oder die Pflege die Beeinträchtigung von Denkmälern bewirkte, etwa die Metallerfassung oder die Glockensammlung.89 Im Frühjahr 1945, noch vor Ende des Krieges, richteten die Amerikaner in der Rheinprovinz eine Provinzialregierung mit Sitz in Bonn ein. Sie setzten den im Zuge der Nazifizierung entlassenen, früheren Oberpräsidenten Johannes Fuchs als deren Leiter ein. Wolff Metternich wandte sich bereits im Juni 1945 brieflich an den Oberpräsidenten und äußerte sich zu seiner Rolle in der NS-Zeit, die ihn besonders dazu legitimieren sollte, die „Neuordnung“ der rheinischen Denkmalpflege zu konzipieren. Er teilte dem Oberpräsidenten mit, dass es ihm gelungen sei, das Denkmalamt durch die schweren und gefahrvollen Zeiten der nationalsozialistischen Herrschaft unberührt vom Geiste des Nationalsozialismus hindurchzuführen. Ich habe in diesen Jahren das Erbe meiner hervorragenden Vorgänger Renard und Clemen nicht nur gehütet, sondern erheblich vermehrt. Ohne mich rühmen zu wollen, darf ich feststellen, dass ich die rheinische Denkmalpflege trotz aller Schwierigkeiten und trotz der mir nicht nur seit 1933, sondern schon früher in den Weg gelegten Hindernisse zu einem (…) in Europa und Amerika anerkannten Musterinstitut gemacht habe. Die rheinische Denkmalpflege gilt allenthalben als führend.90

Im Zuge der z­ wischen den Siegermächten vereinbarten Aufteilung Deutschlands in vier Besatzungszonen kam der nördliche Teil der Rheinprovinz zunächst als Nordrheinprovinz in die Zuständigkeit der Briten, während die südlichen Regierungsbezirke Teil der französischen Besatzungszone wurden. Die Briten verlegten das Präsidium der Provinz Nordrhein nach Düsseldorf und setzten den früheren Oberbürgermeister Robert Lehr (1883 – 1956) als Oberpräsidenten ein. Im August 1946 wurden die Provinzen des Landes Preußen aufgelöst, und das Land Nordrhein-Westfalen wurde gegründet. Wolff Metternich hatte Bonn Ende 1944 verlassen und war bei Verwandten nahe Paderborn untergekommen. Dort wurde er im April 1945 von amerikanischen Offizieren verhaftet 87 88 89 90

Mainzer, Vom Ehrenamt zur Professionalität (wie Anm. 8), S. 42. Schlicht, Krieg und Denkmalpflege (wie Anm. 73), S. 149 – 153, das Folgende S. 155 – 162. Siehe hierzu die einschlägigen Akten im ALVR. NL FGWM, Nr. 57, Schreiben Wolff Metternichs an den Oberpräsidenten, 22. 06. 1945.

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und interniert, wenige Tage ­später aber bereits entlassen.91 Schnell kam Wolff Metternich mit amerikanischen und britischen Kunstschutzoffizieren zusammen. Als NSDAP-Mitglied galt er zwar als formal belastet, hatte sich aber durch seine Arbeit im Kunstschutz international ein hohes Ansehen erworben. Die Regierung in London sah den von Wolff Metternich geleiteten Kunstschutz zunächst noch kritisch und weigerte sich, ihn von Verantwortung für Kunstraub-Aktivitäten freizusprechen,92 doch die Fürsprache aus Frankreich entlastete ihn. Vorteilhaft für seine Nachkriegskarriere wirkte sich auch die Entlassung durch Göring und Hitler aus. Zudem konnte Wolff Metternich auf den kritischen SD-Bericht verweisen. Die innere Distanz zum NS-Regime ließ sich damit gut belegen. Für das offizielle Entnazifizierungsverfahren konnte Wolff Metternich eine Vielzahl von „Persilscheinen“ beibringen, viele davon aus kirchlichen Kreisen.93 Dennoch barg das Entnazifizierungsverfahren für Wolff Metternich unangenehme Überraschungen. Zwar wurde er im Oktober 1947 von der zuständigen Spruchkammer in Bonn zunächst für vom „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ (März 1946) nicht betroffen erklärt (Kategorie V). Der „Entnazisierungsausschuss“, ein örtliches Gremium, das über die Entnazifizierungen entschied, hob diese Entscheidung aber auf, ordnete Wolff Metternich im November 1947 aufgrund seiner Mitgliedschaft zur NSDAP in Kategorie  IV , also als „Mitläufer“, ein. Wolff Metternich legte gegen diese Entscheidung beim „Überprüfungsausschuss für die Entnazisierung der Stadt Bonn“ Berufung ein, was er ausführlich mit seiner antinazistischen Haltung begründete, die er vor allem in seiner Zeit beim Kunstschutz bewiesen habe. Unterstützung erhielt er von Briten und Amerikanern. L. G. Perry, Officer in der Abteilung „Monuments, Fine Arts, & Archives“, bestätigte, dass es in einem Bericht der Art Looting Investigation Unit des U. S. War Department, Strategic Services Unit, einer Einheit zur Erforschung des NS Kunstraubes, am 1. Mai 1946 hieß: Es wird allgemein anerkannt, dass er zu allen Zeiten mit vollkommener Lauterkeit gehandelt und grösstes Verantwortungsgefühl für die Erhaltung der Kunstwerke bewiesen hat. Er hat sich nachdrücklich allen deutschen Bemühungen, Kunstwerke in den besetzten Gebieten zu konfiszieren, widersetzt.94

Wolff Metternichs Antrag hatte Erfolg: Wie er dem nordrhein-westfälischen Kultusminister im März 1948 mitteilte, beschloss der „Entnazisierungs“-Berufungsausschuss der Stadt Bonn am 26. Januar 1948 einstimmig, ihn in die Gruppe V als „entlastet“ einzustufen.95 Die Entnazifizierung endete für ihn also erfreulich, und aufgrund der weißen Weste, die er 91 92 93 94 95

Heyer, Der Provinzialkonservator Franziskus Graf Wolff Metternich (wie Anm. 20), S. 81. The National Archives, FO 371/45769, „Looting“ (Februar 1945). Zur Entnazifizierung siehe NL FGWM, Nrn. 9 – 11. NL FGWM, Nr. 9, Schreiben L. G. Perry, 13. 01. 1947. ALVR 35142, Schreiben Wolff Metternichs an den Kultusminister des Landes NRW, 17. 03. 1948.

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bezüglich möglicher Verstrickungen in die NS-Politik hatte, war er auch ein gefragter Entlastungszeuge in den Spruchkammerverfahren von Freunden und Kollegen.96 Schon 1945 hatte der Oberpräsident der Rheinprovinz Wolff Metternich im Einvernehmen mit der britischen Militärregierung beauftragt, vorläufig die Geschäfte des Provinzialkonservators wahrzunehmen. Die Control Commission bestätigte ihn im Februar 1946 endgültig in seinem Amt – aufgrund der, wie er in seinem Lebenslauf schrieb, amtlichen Anerkennung meiner Verdienste um die Rettung der staatlichen Kunstschätze Frankreichs.97 Der Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen ernannte Wolff Metternich 1949 schließlich zum Landeskonservator für den Landesteil Rheinland. Im Frühjahr 1946 war er auch zum Vorsitzenden des „Denkmal- und Museumsrats Nordwestdeutschland“ gewählt worden – eines Fachausschusses, der auf Veranlassung der britischen Militärregierung gebildet worden war. Die Berufung zum Vorsitzenden des Rates zeigt das hohe Ansehen, das Wolff Metternich bei der britischen Militärregierung genoss. Seit 1945 verfasste Wolff Metternich mehrere Denkschriften über die Neuaufstellung der Denkmalpflege in der Rhein- bzw. Nordrheinprovinz sowie darüber hinaus in der britischen Zone bzw. Nachkriegs-Deutschland. Er sah dringenden Handlungsbedarf: Die durch den Zusammenbruch des nationalsozialistischen Staates, das Aufhören einer zentralen Staatsgewalt und die Übernahme derselben durch den Oberpräsidenten, ferner die Einrichtung einer Militärregierung und schliesslich die Zerstörung eines grossen Teiles der Bau- und Kunstdenkmale geschaffene Lage macht die Neuordnung der Denkmalpflege in personeller, administrativer und technischer Beziehung notwendig.98

Wolff Metternichs Konzept sah eine starke Stellung des Provinzialkonservators vor, dem sowohl das Denkmalamt als auch die Kunstdenkmäler-Inventarisation unterstellt sein sollte. Er solle alle auf dem Gebiete der Denkmalpflege erforderlichen Verhandlungen mit den Besatzungsbehörden führen und sei die einzige von den Besatzungsbehörden in Angelegenheiten des geborgenen Kunstgutes als verhandlungsberechtigt anerkannte deutsche Dienststelle.99 Die Denkschriften, die Wolff Metternich breit streute,100 wurden auch von anderen Denkmalpflegeämtern mit größtem Interesse verfolgt und überwiegend zustimmend bewertet.101 Im 96 Siehe hierzu auch Heyer, Der Provinzialkonservator Franziskus Graf Wolff Metternich (wie Anm. 20), S. 82. 97 NL FGWM, Nr. 9, Lebenslauf, S. 7. 98 NL FGWM, Nr. 57, Vorläufige Ordnung der Denkmalpflege in der Provinz Nordrheinland (Entwurf ), S. 1. 99 Ebd., S. 1 – 8. 100 Auch der frühere Kölner Oberbürgermeister, spätere Bundeskanzler und CDU-Vorsitzende Konrad Adenauer erhielt ein Exemplar: NL FGWM, Nr. 57. 101 So auch im Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege durch Direktor Georg Lill: NL FGWM, Nr. 57, Schreiben Lills an Wolff Metternich, 11. 12. 1945.

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Zuge der Neukonzeptionierung geriet er aber in einen schweren Konflikt mit Josef Busley, dem für die Denkmalpflege zuständigen Referenten im nordrhein-westfälischen Kultusministerium. Busley hatte nach seiner Tätigkeit bei der rheinischen Provinzialverwaltung sowie in der Denkmäler-Inventarisation während des Zweiten Weltkriegs im von Metternich geleiteten Kunstschutz gearbeitet und fühlte sich nun von ­diesem übergangen.102 1950 ließ sich Wolff Metternich als Landeskonservator beurlauben und wechselte ins Auswärtige Amt, wo er für zwei Jahre (bis 1952) die Leitung des Referates Wissenschaft der Kulturabteilung übernahm.103 Damit beschloss er nach 22 Jahren seine Ära als Provinzial- bzw. Landeskonservator am Rhein. Mehr noch: Mit dem Abgang Wolff Metternichs „endete 1950 zunächst die traditionsreiche Reihe der rheinischen Provinzialkonservatoren“.104 Da mit dem Ausscheiden Wolff Metternichs weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ruhestand traten oder aus anderen Gründen ausschieden, stand „nicht nur die Arbeitsfähigkeit des Amtes, sondern auch die Kontinuität der rheinischen Denkmalpflege selbst“ auf dem Spiel. Der für Denkmalpflege und Wiederaufbau zuständige Referent im Düsseldorfer Kultusministerium, Prof. Dr. Walter Bader (1901 – 1986), wurde zusätzlich mit der Wahrnehmung der Dienstgeschäfte des Landeskonservators betraut.105 Er übte ­dieses Amt kommissarisch aus, zunächst bis 1953, dann nach einem Intermezzo von zwei Jahren, als der Kunsthistoriker Albert Verbeek (1909 – 1984) als ebenfalls kommissarischer Landeskonservator amtierte, nochmal 1955/56. Für die rheinische Denkmalpflege waren die frühen 1950er Jahre eine von organisatorischer Unsicherheit geprägte „Übergangszeit“. Nach seiner Neugründung wählte der Landschaftsverband Rheinland den Kunsthistoriker Rudolf Wesenberg (1910 – 1974) zum ersten eigenen Landeskonservator.106 Damit endete die Ära Wolff Metternich endgültig.

102 Siehe hierzu die Korrespondenz ­zwischen Metternich und Clemen im Nachlass Wolff Metternichs; siehe Heyer, Der Provinzialkonservator Franziskus Graf Wolff Metternich (wie Anm. 20), S. 81 f. 103 Anschließend amtierte er von 1953 bis zu seiner Pensionierung 1962 als Direktor der Bibliotheca Hertziana in Rom. Hierzu und zu den weiteren Lebensstationen Wolff Metternichs siehe den Überblick bei: Heyer, Der Provinzialkonservator Franziskus Graf Wolff Metternich (wie Anm. 20), S. 82. 104 Dies und das Folgende bei: Mainzer, Vom Ehrenamt zur Professionalität (wie Anm. 8), S. 47 – 50. 105 Zu Bader siehe Stefan Kraus, Denkmalpflege in schwerer Zeit (Xantener Domblätter 9), ­Bielefeld 2001; Ders., Walter Bader. Denkmalpfleger (1901 – 1986), in: Internetportal Rheinische Geschichte: http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/walter-bader/DE -2086/ lido/57c571b307d6a9.54127879 (Stand: 26. 07. 2020). 106 Mainzer, Vom Ehrenamt zur Professionalität (wie Anm. 8), S. 50.

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Die Gründung der Archivberatungsstelle der Rheinischen Provinzialverwaltung im Kontext der landschaftlichen Kulturpflege und die Archivschutzmaßnahmen während des Zweiten Weltkriegs Hans-Werner Langbrandtner

Der Beitrag skizziert die landschaftliche Kulturpflege der Rheinprovinz von den 1880er Jahren bis in die 1930er Jahre. In den 1920er Jahren prägte vor allem die Besetzung des Rheinlandes als Folge des E ­ rsten Weltkriegs die Kulturpflege, um zum einen die Bindung des Rheinlandes zu Preußen und dem Reich und zum anderen das „Deutschtum“ in den westlich angrenzenden Regionen von Frankreich, Luxemburg und Belgien zu betonen. Eine aktive Kulturpolitik am Ende der 1920er Jahre ließ die fachliche Betreuung von Museen, Vereinen und Archiven entstehen, in deren Kontext die Gründung der Archivberatungsstelle 1929 stand. Ihr kam in den Zeiten des Zweiten Weltkriegs eine wichtige Rolle im rheinischen Kulturgutschutz zu.

1. Die landschaftliche Kulturpflege der preußischen Provinzialverbände vom späten 19. Jahrhundert bis in die 1930er Jahre Der preußische Staat gründete in den 1870er und 1880er Jahren in seinen zwölf Provinzen eigene Provinzialverbände als höhere Kommunalverbände mit eigener Finanzausstattung, um gerade die westlichen – katholischen – Provinzen stärker in den Gesamtstaat zu inte­ grieren, aber auch um mit der Abschaffung des Ständewahlsystems eine „Entfeudalisierung der provinziellen Selbstverwaltung“ zu erreichen und eine eigene Identität der Provinzen vor allem in der Kulturpflege zu fördern.1 Während die Kulturpolitik des Reiches sich im In- und 1 Auch für das Folgende siehe Karl Ditt, Die Kulturpolitik des Provinzialverbandes Westfalen 1886 bis 1945, in: Karl Teppe (Hg.), Selbstverwaltung und Herrschaftsordnung. Bilanz und Perspektive

Ausland vornehmlich auf die Repräsentation von Reich und Monarchie im Hinblick auf eine deutsche nationale Kultur beschränkte, förderten die Provinzen und Kommunen die kulturelle Infrastruktur in der Region und vor Ort. Für die Pflege und Stärkung der regionalen Kulturen erschienen die Provinzialverbände besonders geeignet. Eine Ausrichtung auf eine Volksbildung im Sinne der demokratischen Teilhabe aller Bevölkerungsschichten an Bildung und Kultur stand meist nicht im Mittelpunkt, sondern vielmehr eine von großbürgerlichen Vorstellungen bestimmte Hinwendung zur Archäologie (und hier vor allem der germanischen Zeit) sowie zur Bau- und Kunstdenkmalpflege zur Bewahrung vergangener Hochkulturen, die der Förderung des Heimatgedankens, einer regionalen Stammes- und Volkstumskultur und damit einer regionalen Identitätsbildung dienten. Die Kultur der Vergangenheit sollte zum Leitbild und Erziehungsideal für die Gegenwart und die Zukunft werden. In erster Linie wurde daher die Inventarisation der Baudenkmäler und deren Restaurierung gefördert. So gehörte zu den ältesten kulturellen Betätigungsfeldern des rheinischen Provinzialverbandes die Denkmalpflege. 1890 wurde dem Kunsthistoriker Paul Clemen (1866 – 1947) die Inventarisation der gesamten Kunstdenkmäler der Rheinprovinz in fester Anstellung übertragen. Unter seiner Verantwortung und weitgehend persönlichen Mitarbeit entstanden innerhalb eines halben Jahrhunderts 56 Inventarbände. 1893 berief man Clemen zum Provinzialkonservator in ehrenamtlicher Ausübung, erst 1911 gelang unter seinem Nachfolger eine etatmäßige Anstellung in d ­ iesem Amt. Wesentlich zur Popularisierung der Denkmalpflege trug der 1906 gegründete Verein für Denkmalpflege und Heimatschutz bei, dessen Geschäftsführung in den Händen der Provinzialverwaltung lag. In den 1920er Jahren stellte der Verein seine Aktivitäten zunehmend in den Dienst prodeutscher und antifranzösischer Aktivitäten, die Vereinsziele verschoben sich aus Sicht der professionellen Denkmalpflege zunehmend zum laienhaften und nur lokal wirksamen Heimatschutz. Daher wurde in den 1920er Jahren unter den Provinzialkonservatoren Edmund Renard (bis 1928) und Franziskus Graf Wolff Metternich (ab 1928) die amtliche Denkmalpflege deutlich vom Heimatschutz und der Laienarbeit abgegrenzt.2 Ein zweiter Schwerpunkt der kulturellen Aktivitäten der Provinzen waren die Gründungen von Provinzialmuseen, so die der rheinischen Provinzialmuseen in Bonn 1876 und in Trier 1877: In solchen Museen wurden die meist ehrenamtlich in Vereinen und ­Heimatmuseen

landschaftlicher Selbstverwaltung in Westfalen, Münster 1987, S. 253 – 271, hier S. 255 f.; Ders., Der Auftrag als Erbe. Die Kulturpolitik der preußischen Provinzialverbände und ihrer Nachfolger, in: Kulturpolitik der Rheinischen Provinzialverwaltung 1920 bis 1945. Tagung am 18. und 19. Juni 2018 im LVR-LandesMuseum Bonn (Beihefte der Bonner Jahrbücher 59), Darmstadt 2019, S. 1 – 11, hier S.2 f. 2 Wolfgang Franz Werner, Der Provinzialverband der Rheinprovinz, seine Kulturarbeit und die „Westforschung“, in: Burkhard Dietz/Helmut Gabel/Ulrich Tiedau (Hg.), Der Griff nach dem Westen. Die „Westforschung“ der völkisch-nationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum (1919 – 1960), 2 Bde. (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 6), Teilband 2, Münster 2003, S. 741 – 761, hier S. 755 f.

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zusammengetragenen historisch-naturkundlichen Werke, archäologischen Funde und Bildkunstwerke zentralisiert, professionell präsentiert und wissenschaftlich erforscht. Ein System der landschaftlichen Kulturpflege mit finanzieller Einzelförderung von landeskundlichen, volkskundlichen und heimatgeschichtlichen Initiativen, aber auch dem Aufbau von Instituten für professionelle Landes- und Volkskunde, für fachliche Betreuung von Heimatmuseen und nichtstaatlichen Archiven entstand in den preußischen Provinzen Westfalen und Rheinland 1923 bzw. 1927 mit der Einrichtung von Kulturdezernaten der Provinzialverwaltungen, in der Provinz Brandenburg richtete man hingegen erst 1936 ein Kulturdezernat ein.3 In den 1930er Jahren zeigte es sich, dass das provinziale und das nationalsozialistische Kulturverständnis weitgehend kongruent waren. Dies unterstreicht beispielsweise die Rede des ­Ersten Landesrats der Provinz Niederschlesien, Kunemund von Stutterheim, im Jahr 1936: „Mehr und mehr wird es klar, daß (…) im Mittelpunkt der Arbeit [der Kulturpolitik der Provinzialverbände] die Erziehung des Menschen zum Bewußtsein landschaftlicher Eigenart und zu lebendiger Mitarbeit an der Pflege heimischer Kulturguter als Bestandteil der großen deutschen Volkstumsarbeit im Sinne nationalsozialistischer Weltanschauung zu stellen ist.“ 4

2. Zur landschaftlichen Kulturpolitik der Rheinprovinz unter den Landeshauptmännern Johannes Horion (1922 – 1933) und Heinrich Haake (1933 – 1945) und zur Gründung der Archivberatungsstelle 1929 Vor dem politischen Hintergrund der Rheinlandfrage, also der Besetzung des gesamten linksrheinischen Gebiets der Rheinprovinz (mit einigen rechtsrheinischen Brückenköpfen) durch alliierte Truppen ab Januar 1919 bis 1929 bzw. des Saargebiets bis 1935, verstärkte die rheinische Provinzialverwaltung unter dem Landeshauptmann und Zentrumspolitiker Johannes Horion (1876 – 1933) in den 1920er Jahren ihre kulturpolitischen Aktivitäten gegenüber der – s­ päter alleinigen – Besatzungsmacht Frankreich, um die Zugehörigkeit des Rheinlandes zu Preußen und zum Deutschen Reich zu unterstreichen: „(…) Der kulturelle Bereich bot hierbei die einzige politische Handlungsmöglichkeit nach Einschränkung aller militärischen und politischen Optionen“, so die Begründung des Provinziallandtags 3 Arie Nabrings, Kultur als kommunale Aufgabe. Entstehung und Ausbau von Kultureinrichtungen im Rheinland im 19. und 20. Jahrhundert, in: Gerhard Rehm (Hg.), Adel, Reformation und Stadt am Niederrhein. Festschrift für Leo Peters, Bielefeld 2009, S. 299 – 330, hier S. 309 f. 4 Kunemund von Stutterheim, Die Kulturpflege der Provinzialverbände, in: Der Gemeindetag 30 (1936), S. 311 – 317, hier S. 312, zit. nach: Ditt, Der Auftrag als Erbe (wie Anm. 1), S. 5, Anm. 24; siehe hierzu: Werner, Der Provinzialverband der Rheinprovinz (wie Anm. 2).

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1924 in seinem Votum für die Durchführung der Rheinlandfeiern im Jahr 1925, die die 1000-jährige Zugehörigkeit des Rheinlandes zum Deutschen Reich mit Ausstellungen und Festwochen in Düsseldorf, Krefeld, Köln, Aachen, Trier und Koblenz unterstreichen sollten.5 Schon 1920 war auf Anregung des Historikers Hermann Aubin (1885 – 1969) und mit Unterstützung des Provinzialverbandes das Institut für geschichtliche Landeskunde an der Universität Bonn mit dem Ziel entstanden, durch enge Zusammenarbeit historischer und sprachgeschichtlicher Forschung eine umfassende wissenschaftliche Erforschung des Rheinlandes und seiner Bevölkerung zu ermöglichen. 1925 gründeten Aubin und Horion mit politischer Unterstützung des Kölner Oberbürgermeisters Konrad Adenauer (1876 – 1967) und des Reichsinnenministers und Duisburger Oberbürgermeisters Karl Jarres (1874 – 1951) den Verein für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande, der eine stärkere Außenwirksamkeit des Bonner Instituts ermöglichen sollte. Den Vereinsvorsitz hatte Horion inne, der Verein erhielt über Jahre hinweg finanzielle Zuwendungen und personelle Unterstützung seitens des Provinzialverbandes, um möglichst breite Bevölkerungsschichten anzusprechen. Bereits 1922 hatte Hermann Aubin eine zweibändige Geschichte des Rheinlandes von der ältesten Zeit bis zur Gegenwart herausgegeben, die er zusammen mit bedeutenden Historikern der Universitäten Bonn, Köln und Frankfurt, Archivaren und Kunsthistorikern binnen dreier Jahre erstellte,6 sozusagen als „Bibel des Deutschseins der Rheinprovinz“.7 Der niedrige Verkaufspreis machte das Werk für den Bürger, aber gerade auch für Journalisten und Lehrer als Multiplikatoren ohne weiteres erschwinglich, denn „wichtige Einzelfragen der rheinischen Vergangenheit, die für die Gegenwart und Zukunft von Bedeutung sind“, s­ eien „während der letzten Jahre auch sonst in der Öffentlichkeit, insbesondere der rheinischen Presse, des öfteren in einer Weise erörtert worden, die eine ausreichende und zuverlässige Kenntnis dieser Vergangenheit vermissen“ ließ.8 Die Betonung volksdeutscher Zusammenhänge über deutsche Grenzen hinaus förderte gerade im nationalen Denken der Zeit revisionistische oder expansive Gedankengänge.9 1928 baute das Institut für geschichtliche Landeskunde der Universität Bonn eine neue Abteilung auf, die sich mit der westdeutschen Grenzlandforschung beschäftigte: „Um alles Aufsehen zu vermeiden, sollte dies allerdings nach außen nicht in Erscheinung treten, sondern der bestehenden historischen Abteilung eingegliedert werden.“ 10 Der Provinzialverband, Preußen und das Reich intensivierten in der Folgezeit ihre finanziellen Aufwendungen für eine

5 Ders., Die kulturellen Aktivitäten des rheinischen Provinzialverbandes, in: Kulturpolitik der Rheinischen Provinzialverwaltung 1920 bis 1945 (wie Anm. 1), S. 13 – 23, hier S. 13 – 16. 6 Hermann Aubin (Hg.), Geschichte des Rheinlandes von der ältesten Zeit bis zur Gegenwart, 2 Bde., Essen 1922. 7 Werner, Die kulturellen Aktivitäten des rheinischen Provinzialverbandes (wie Anm. 5), S. 14. 8 Aubin, Geschichte des Rheinlandes (wie Anm. 6), S. VII f. 9 Werner, Der Provinzialverband der Rheinprovinz (wie Anm. 2), S. 751. 10 Zitat: ebd., S. 750.

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­grenzüberschreitende Kulturraumforschung, die „das Deutschtum der westlichen Grenzregionen und der an Frankreich und Belgien verlorenen Gebiete so überzeugend wie möglich aus den Quellen heraus belegen sollte“ und um darüber hinaus den deutschen Kultureinfluss in Frankreich, Luxemburg und Belgien durch systematische Forschungen der deutschen Wissenschaft zu verstärken.11 In d ­ iesem Kontext wurde in der NS-Zeit unter dem 1935 an die Bonner Universität auf den Clemen-Lehrstuhl berufenen Kunsthistoriker Alfred Stange (1894 – 1968) die Kunstgeografie als eine neue zentrale Forschungsaufgabe des Kunsthistorischen Instituts definiert.12 1927 forderte Landeshauptmann Horion nach dem Vorbild der westfälischen Provinzialverwaltung 13 eine stärkere systematische Förderung und erhöhte Fachlichkeit der landschaftlichen Kulturarbeit im Rheinland. Hierfür gewann er den Bonner Kunsthistoriker Dr. Josef Busley (1888 – 1969), einen Schüler Paul Clemens und Assistenten am Kunsthistorischen Institut der Universität Bonn, der sich während der Jahrtausendfeier bereits fachlich profiliert hatte.14 Er wurde von Horion zum Abteilungsleiter für die Bereiche Kunst, Museen, Denkmal- und Heimatpflege berufen und galt bis zur NS-Machtergreifung als einer der prägenden rheinischen Kulturpolitiker. In ­diesem Kontext wurde im November 1927 der Verband rheinischer Museen, der künftig die Beratung der 44 Heimatmuseen und zentrale Förderung ihrer Aktivitäten übernahm und fachlich fundierte, und schließlich im Frühjahr 1929 – mit politischer Unterstützung von Karl Jarres – die Archivberatungsstelle für die nichtstaatlichen Archive im Rheinland gegründet.15 In der inhaltlichen Begründung für den 75. Rheinischen Provinziallandtag vom 5. bis 9. März 1929 heißt es hierzu: „Es unterliegt keinem Zweifel, daß bei dem außerordentlich reichen historischen Erleben der rheinischen Lande zu allen Zeiten (…) sich ein starker Niederschlag der geschichtlichen Vorgänge in Urkunden und Akten vorfindet, (…) in allen Orten befinden sich Archive mit einem ganz besonderen Wert für die Lokal- und Verwaltungsgeschichte und Heimatkunde. Darüber hinaus bedeuten sie einen integrativen Bestandteil der rheinischen Landes- und Heimatkunde. Es wird hierbei, um ein Beispiel anzuführen, auf die Wichtigkeit aller Akten auch aus der Zeit des Ruhrkampfes hingewiesen: Bei der Bearbeitung und Sichtung d ­ ieses Materials durch eine hierfür berufene Kommission ergab sich, daß sich schon jetzt allenthalben empfindsame Lücken im Aktenmaterial zeigen“.16 11 Zitat: ebd., S. 750 f. 12 Siehe hierzu Iris Grötecke, Alfred Stange – Politik und Wissenschaft. Ordinarius des Bonner Kunsthistorischen Instituts von 1935 bis 1945, in: Roland Kanz (Hg.), Das Kunsthistorische Institut in Bonn. Geschichte und Gelehrte, Berlin/München 2018, S. 147 – 175, hier S. 157 f. 13 Ditt, Der Auftrag als Erbe (wie Anm. 1), S. 3 – 6. 14 Werner, Der Provinzialverband der Rheinprovinz (wie Anm. 2), S. 747 und hier FN 20. 15 Nabrings, Kultur als kommunale Aufgabe (wie Anm. 3), S. 309 – 312. 16 Zit. nach: Werner, Der Provinzialverband der Rheinprovinz (Anm. 2), S. 748 f. Zur Archivüberlieferung der französischen Besatzung siehe Florence de Peyronnet-Dryden, Die Überlieferung der französischen Rheinlandbesetzung nach dem 1. Weltkrieg im Nationalarchiv Paris, in: Els Herrebout

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Abb. 1  Wilhelm Kisky, Leiter der Archivberatungsstelle der Rheinprovinz von 1929 bis 1950, Aufnahme ca. 1930.

Auch der Generaldirektor der preußischen Staatsarchive, Alfred Brackmann (1871 – 1952), unterstützte die Gründung: „Gerade hier, wo in letzter Zeit noch durch militärische Besetzung manche kommunale Archive in ihrem Bestand gefährdet worden sind, erscheint es doppelt notwendig, einer weiteren Vernichtung wertvoller Dokumente systematisch vorzubeugen.“ 17 Der in Köln geborene Historiker und ausgewiesene Kenner rheinischer Geschichtsquellen, Dr. Wilhelm Kisky (1881 – 1953),18 der von 1920 bis 1924 Reichsarchivar in Potsdam (Red.), Besatzungszeit (Internationales Archivsymposium in Koblenz 2017 – Annalen), Brüssel 2018, S. 109 – 122. 17 Nachrichtenblatt für rheinische Heimatpflege 1 (1929/1930), H. 9/10, S. 3. 18 Klaus Wisotzky, Der Vollmer-Kisky-Streit. Nicht nur ein Kapitel rheinischer Archivgeschichte, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 210 (2007), S. 181 – 222, hier S. 184 f. (biografische Angaben zu Wilhelm Kisky) und S. 190 f. zum Bewerbungsverfahren 1928/29; Matthias Herrmann, Das Reichsarchiv (1919 – 1945). Eine archivische Institution im Spannungsfeld der deutschen Politik, Diss. Berlin 1994, S. 77 f., S. 93, S. 95: Kisky war 1920 auf die Stelle eines Archivoberrates am neugeschaffenen Reichsarchiv in Potsdam berufen worden, das die Urkunden und Akten zum Norddeutschen Bund ab 1867 und zum Deutschen Reich ab 1871 zu archivieren hatte. Kiskys Aufgabe war die Grundlagenforschung zu Kriegsgesellschaften. Im Zuge von Personaleinsparungen unter dem neuen Reichsinnenminister und Duisburger Oberbürgermeister Karl Jarres (DVP) wurde Kisky Anfang des Jahres 1924 entlassen und kehrte ins Rheinland zurück.

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Abb. 2  Heinrich Haake, NS-Landeshauptmann der Rheinprovinz.

gewesen war, übernahm die Leitung am 1. April 1929 und hatte diese Position letztendlich bis 1950 inne. Obwohl nach der Machtergreifung der NSDAP der neue Landeshauptmann Heinrich Haake (1892 – 1945)19 die Archivberatungsstelle als entbehrliche Kulturaufgabe zunächst auflösen wollte,20 gelang es Kisky – zunächst noch mit Unterstützung der Direktoren der beiden rheinischen Staatsarchive in Düsseldorf und Koblenz – ihr Weiterbestehen zu sichern. Kisky warb damit, dass die Archivberatungsstelle die Ziele der neuen Regierung zum Schutz der Schriftdenkmäler unterstütze, da die Archivquellen „Zeugnis vom Werden und Schicksal des deutschen Volkes“ ablegen und gerade im Hinblick auf die Kirchenbücher und Standesamtsunterlagen von besonderem „bevölkerungs- und rassepolitischen Interesse“ ­seien.21 Seit Herbst 1934 erlangte die landschaftliche Kulturpolitik – der langjährige Kulturamtsleiter Joseph Busley war bereits im Frühjahr 1933 entmachtet worden – unter dem vom Landeshauptmann Haake als Kulturabteilungsleiter und kurz darauf zum Landesrat

19 Horst Romeyk, Heinrich Haake 1882 – 1945, in: Franz-Josef Heyen (Hg.), Rheinische Lebensbilder 17, Köln 1997, S. 187 – 222, hier S. 211. 20 Werner, Der Provinzialverband der Rheinprovinz (wie Anm. 2), S. 754. 21 Wisotzky, Der Vollmer-Kisky-Streit (wie Anm. 18), S. 194 – 199, Zitate auf S. 196.

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Abb. 3  Hanns Joachim Apffelstaedt, NS-Kulturabteilungsleiter und Landesrat der Rheinprovinz.

berufenen Marburger Kunsthistorikers Hanns Joachim Apffelstaedt (1902 – 1944)22 – beide waren alte Parteikämpfer – eine neue Dynamik: „Es sind die letzten irgendwie verfügbaren Mittel zur Durchführung einer aktiven Kulturpolitik einzusetzen, geboren aus der Erkenntnis, dass in einer Grenzlandprovinz wie im Rheinland aktive Kulturpolitik eine politische Staatsnotwendigkeit schlechthin bedeutet“. So wurde beispielsweise die Dauerausstellung des nunmehrigen Rheinischen Landesmuseums in Bonn von einer Gelehrtensammlung zu einem Museum für das Volk umgestaltet und der Schwerpunkt von den römischen Funden auf die germanisch-fränkische Zeit und die Ur- und Frühgeschichte verschoben.23 Eine Sonderausstellung mit dem Titel „Kampf um den Rhein“ stellte die Kämpfe ­zwischen Römern und Germanen in frühen nachchristlichen Jahrhunderten im Sinne der NS-Ideologie dar und bezeichnete die Zeit der hiesigen römischen Herrschaft als Besatzungszeit. Auch in der Ausgrabungstätigkeit wurde die provinzialrömische Zeit vernachlässigt und junge Prähistoriker zusätzlich eingestellt, „die – durchgängig alte Parteigenossen, SA- und 22 Hanns Joachim Apffelstaedt war 1925 vom Gründer des Marburger Bildarchivs, Richard Hamann, promoviert worden. Zu Apffelstaedts Werdegang: Romeyk, Heinrich Haake (wie Anm. 22), S. 200 f.; Werner, Die kulturellen Aktivitäten des rheinischen Provinzialverbandes (wie Anm. 5), S. 18 f. 23 Bettina Bouresh, Die Neuordnung des Rheinischen Landesmuseums Bonn 1930 – 1939, Köln 1996, S. 106.

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Abb. 4  Bernhard Vollmer, Direktor des preußischen Staatsarchivs Düsseldorf 1929 bis 1952 und Leiter des Archivschutzes in den Niederlanden 1940 bis 1944, Porträt von 1943.

SS-Männer (Rasse- und Siedlungsamt) – weltanschaulich die Gewähr für eine richtige Auswertung der Funde boten“.24 Die Ausgaben für die landschaftliche Kulturpflege in der Rheinprovinz hatten sich bis 1939 verdreifacht, davon konnte auch die Archivberatungsstelle personell profitieren: Es gelang Wilhelm Kisky, ­zwischen 1935 und 1939 drei wissenschaftliche Stellen zu schaffen und einen festen Kreis von ehrenamtlichen und fachlich geschulten Mitarbeitern in allen Regionen der Rheinprovinz aufzubauen. Sein Bericht zum zehnjährigen Bestehen der Archivberatungsstelle im Jahre 1938 weist eine beeindruckende Bilanz von gesicherten und erschlossenen Archivbeständen und neu eingerichteten kommunalen, kirchlichen und privaten Archiven auf: „Seit dem Amtsantritt des Landeshauptmanns Haake im Frühjahr 1933 hat die Rheinische Provinzialverwaltung den Aufgaben der Archivberatungsstelle ein bedeutend erhöhtes Verständnis entgegengebracht und sie in den Stand gesetzt, manche Pläne zu verwirklichen, deren Verwirklichung vorher unmöglich war.“ 25 Aber im ­Gegensatz 24 Die Rheinprovinz 14, 1938, S. 38, zit. nach: Werner, Die kulturellen Aktivitäten des rheinischen Provinzialverbandes (wie Anm. 5), S. 20. 25 Wilhelm Kisky, Zehn Jahre Archivberatungsstelle der Rheinprovinz. Mit einem Gesamtverzeichnis der bisher besuchten und bearbeiteten Archive, in: Landeshauptmann der Rheinprovinz (Hg.), Zehn Jahre Archivberatungsstelle der Rheinprovinz, in: Rheinische Heimatpflege 10

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zum musealen und archäologischen Fachgebiet konnte Kisky eine gewisse Distanz zu Partei und Regime halten – er und wohl auch seine wissenschaftlichen Mitarbeiter waren keine Parteimitglieder. Dass ihm seine Selbstständigkeit und Entscheidungshoheit wichtig waren, zeigt auch der Konflikt um die staatliche Aufsicht über die Archivberatungsstelle: Der Düsseldorfer Staatsarchivdirektor Bernhard Vollmer (1886 – 1958) sah bereits 1928/29 deren Neugründung wegen der fehlenden staatlichen Aufsicht kritisch,26 trug aber 1933 dennoch wesentlich dazu bei, dass Landeshauptmann Haake von einer Schließung der Archivberatungsstelle absah. Aber die Forderung nach einer staatlicher Aufsicht über die landschaftliche Archivpflege, die schließlich im Runderlass des preußischen Innenministeriums vom 4. August 1937 rechtlich fundiert wurde – die Leitung der landschaftlichen Archivberatung in Preußen musste dem zuständigen Staatsarchiv unterstellt werden – mündete schließlich in einen langjährigen fachlichen und persönlichen Konflikt ­zwischen Vollmer und Kisky,27 den dieser geschickt auf die kulturpolitische Ebene hob und die Rückendeckung der politischen Spitze der rheinischen Provinzialverwaltung für den Erhalt seiner selbständigen Leitungsposition zumindest bis 1942 erreichte; auch dann wurde die Archivberatungsstelle nicht Vollmer, sondern Bruno Hirschfeld (1877 – 1965), dem Direktor des Staatsarchivs Koblenz, unterstellt.28 Dessen Leitungsfunktion war aber eher nominell, faktisch blieb die Archivberatung in der Archivpflege bis Kriegsende selbstständig.29

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(1938) (9. Archivnummer), S. 300 – 416, Zitat auf S. 302; S. 301 f: „Die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit auf dem Gebiet der Archivberatung und Archivpflege ist die Gewinnung des Vertrauens der Archivbesitzer und Archivverwalter. (…) Daß es uns gelungen ist, d ­ ieses Vertrauen in hohem Maße zu erwerben, beweist die lange Liste der Kommunal-, ­Kirchen- und Privatarchive, die uns vorbehaltlos geöffnet und zugänglich gemacht wurden, und die wir bearbeitet und geordnet haben. Es kam der Archivberatung dabei zugute, daß sie ein Organ der Provinzialverwaltung ist.“ S. 305 – 308: Namensliste aller ehrenamtlichen und fachlich geschulten Mitarbeiter*innen. Wisotzky, Der Vollmer-Kisky-Streit (wie Anm. 18), S. 188 f. und S. 182 – 184 (biografische Angaben zu Bernhard Vollmer). Siehe hierzu ausführlich: Ebd., S. 194 – 212; Norbert Reimann, Archivgesetzgebung im Nationalsozialismus. Ein gescheiterter Versuch, in: Robert Kretschmar (Red.), Das deutsche Archivwesen und der Nationalsozialismus. 75. Deutscher Archivtag 2005 in Stuttgart (Tagungsdokumentation zum Deutschen Archivtag 10), Essen 2007, S. 45 – 56, hier S. 48 – 51. Grundlage der endgültigen Neuordnung der Zuständigkeiten war der Erlass des Reichsinnenministeriums vom 23. Juli 1942, der die archivischen Luftschutzmaßnahmen im gesamten Reichsgebiet der staatlichen Aufsicht unterstellte; Wisotzky, Der Vollmer-Kisky-Streit (wie Anm. 18), S. 218 f. Kurt Schmitz, 50 Jahre Archivberatungsstelle Rheinland, in: Horst Schmitz (Red.), 50 Jahre Archivberatungsstelle Rheinland 1929 – 1979 (Archivhefte 13), Köln 1979, S. 9 – 28, hier S. 23.

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3. Die Archivberatungsstelle der Rheinprovinz im Zweiten Weltkrieg Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges veränderten sich die Aufgaben der Archivberatungsstelle grundlegend. Sie wurde nun vorrangig dazu eingesetzt, das Kulturgut der Rheinprovinz vor den kriegsbedingt zu erwartenden Zerstörungen zu s­chützen. Hier kam der Archiv­beratung und ihren Akteuren ihre zuvor geleistete Archivpflege, aber auch ihre gute fachliche Vernetzung innerhalb und außerhalb der Rheinprovinz zugute. Im Folgenden sollen einige dieser Maßnahmen – Erfolge und Komplikationen – kurz vorgestellt werden.

3.1 Die nichtstaatlichen Archivschutzmaßnahmen Die archivischen Quellen zu den Archivschutzmaßnahmen der Archivberatungsstelle im Zweiten Weltkrieg stammen in erster Linie aus ihrer eigenen Altregistratur.30 Sie enthalten hierzu detaillierte Berichte über die einzelnen Bergungsaktionen, Listen der Schutzdepots, Verzeichnisse der hier untergebrachten Schrift- und Kulturgüter sowie Kontrollberichte zu den Sicherungsmaßnahmen und Klimabedingungen in den Depots während und nach der Kriegszeit.31 Aber auch ein interessanter 16-seitiger Bericht Kiskys,32 der 1949 publiziert wurde, bietet rückblickend als Zeitzeugenbericht 33 eine Zusammenfassung dieser G ­ eschehnisse: 30 Die ca. 500 Akten von 1928 bis 1950 umfassende Altregistratur wurde im Rahmen des Kunstschutzprojekts detailliert erschlossen und befindet sich im Archiv des LVR : Bestand Brw. 1 – Dienstregistratur Archivberatung 1928 – 1950; ergänzend hierzu ist der Bestand des Rheinischen Amtes für Denkmalpflege im Archiv des LVR hinzuzuziehen, siehe den Beitrag von Wolfgang Schaffer, Archivische Überlieferung zum Kunstschutz im Rheinland am Beispiel des Archivs des LVR in vorliegender Publikation. 31 Archiv des LVR : Bestand Brw. 1 – Dienstregistratur Archivberatung 1928 – 1950 (künftig ALVR , Bestand Brw. 1), Nrn. 69, 376, 471: Tätigkeitsberichte 1939 – 1948; zu den Archivschutzmaßnahmen siehe auch: Wolfgang Schaffer, Die Archivberatungsstelle der Rheinprovinz 1929 bis 1945, in: Kulturpolitik der Rheinischen Provinzialverwaltung 1920 bis 1945. (wie Anm. 1), S. 35 – 48, hier S. 44 – 47 in eher kursorischer Darstellung. Ergänzend hierzu siehe den Beitrag von Annika Flamm, „Betrifft: Kunstschutz im Kriege“. Bergungsorte der Rheinprovinz, in: Esther R. Heyer/Florence de PeyronnetDryden/Hans-Werner Langbrandtner (Hg.), „Als künstlerisch wertvoll unter militärischem Schutz!“ Ein archivisches Sachinventar zum militärischen Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg, Köln/Wien/ Weimar (im Erscheinen). 32 Wilhelm Kisky, Die Archivberatungsstelle der Rheinprovinz und ihre Tätigkeit für die Sicherung von Archivalien und anderen Kulturgütern während des Krieges, Düsseldorf 1949. 33 Der Bericht kann durchaus auch als Rechtfertigung gegenüber der nach seiner Meinung nicht genügenden Würdigung der Archivschutztätigkeit der Archivberatungsstelle in Kriegs- und Nachkriegszeiten betrachtet werden: Siehe in ­diesem Sinne: ALVR, Bestand Brw.2 (1946 – 1963), Akte 93: Carl Wilkes, Bericht zur Tätigkeit der Archivberatungsstelle in den Jahren 1945 – 1950 nach dem Ausscheiden Kiskys an den neuen Leiter der Landesarchivverwaltung NRW, Dr. Bernhard Vollmer,

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Bereits im Sommer 1939 begann – so Kisky – die Archivberatungsstelle „unaufgefordert mit den ersten Vorbereitungen für einen systematischen Schutz der nichtstaatlichen Archive in der Rheinprovinz.“ 34 Demnach wurden z­ wischen dem 30. August und 9. September 1939 wertvolle Einzelstücke (wie beispielsweise aus dem Stadtarchiv Kleve das Autograf der Chronik der Grafen und Herzöge von Kleve, die ca. 1478/1490 von Gerd van der Schüren in niederdeutscher Sprache verfasst hatte, aus dem Stadtarchiv Kalkar das Chronikon Campense von 1482 aus Kloster Kamp, aus dem Stiftsarchiv Xanten die Handschrift des Sachsenspiegels vom Ende des 14. Jahrhundert, die wichtigsten Urkunden und Handschriften sowie die wertvollsten beweglichen rheinischen Kunstgüter) in einen provisorischen Bergungsort nach Westfalen verbracht.35 Aber bereits Ende 1938 hatte der Provinzialkonservator Franziskus Graf Wolff Metternich vorausschauend – die intensive Bautätigkeit am Westwall seit 1938 führte die Kriegswirklichkeit vor Augen 36 – Schutzvorkehrungen für den Kriegsfall treffen wollen, dies wurde jedoch von den zuständigen Behörden zunächst gestoppt. Erst ein halbes Jahr s­päter, am 7. Juli 1939, erlangte er einen Erlass seitens des Oberpräsidenten der Rheinprovinz, Josef Terboven (1898 – 1945), einen Präventivplan zum Schutz der Kunstwerke und zur Sicherung der Baudenkmale bis spätestens zum 1. Oktober 1939 zu erarbeiten. Das Bergungskonzept sah zum einen eine Kategorisierung der beweglichen Kulturgüter in ­solche mit reichsweiter Bedeutung (A-Liste), s­ olche mit besonderer überregionaler Bedeutung (B-Liste) und überragender örtlicher Bedeutung (C-Liste) vor, zum anderen wurde das Rheinland in neun Bezirke aufgeteilt, in denen jeweils ein Bergungskommissar (Fachleute aus Landesmuseen, Denkmalpflege und -inventarisation, Universitätsbibliotheken und Archivberatungsstelle, so Carl Wilkes für den niederrheinischen Bezirk Xanten mit den Kreisen Rees, Kleve, Geldern, Moers) für die Kulturgutsicherung zuständig war.37

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19. 01. 1951. Sicherlich ist Kiskys Bemühen mit dieser kleinen Publikation 1949 dahingehend zu verstehen, die Verdienste Wolff Metternichs im rheinischen und europäischen Kunstschutz auch für den Archivschutz und sich selbst zu Nutze zu machen. Kisky, Die Archivberatungsstelle der Rheinprovinz (wie Anm. 32), S. 1. Ebd., S. 3. Christoph Machat, Denkmalpflege und Wiederaufbau, in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Rheinischen Amtes für Denkmalpflege, Köln 1993, S. 237 – 245, hier S. 238; Sandra Schlicht, Krieg und Denkmalpflege. Deutschland und Frankreich im II. Weltkrieg, Bamberg 2004, S. 147. Ehreshoven, Familienarchiv der Grafen Wolff Metternich zur Gracht, Nachlass Franziskus Graf Wolff Metternich, Nr. 79: Liste der Bergungsbezirke und -kommissare; Theodor Wildeman, Die Bergung beweglicher Kunstschätze im Rheinland und ihre laufende Betreuung, Vortrag auf der Tagung der Museumsleiter und Denkmalpfleger in der Reichsanstalt der Luftwaffe für Luftschutz, 8. – 10. Juni 1942: (…) Es darf heute nicht vergessen werden, dass vor Ausbruch des Krieges und auch noch in den ersten Monaten nach Kriegsbeginn jegliche unnötige Beunruhigung der Bevölkerung durch s­ olche Schutz- und Bergungsmaßnahmen vermieden werden sollte (…), dass diese Herren [Bergungskommissare] in vielen mühseligen Fahrten zum Teil bis tief in die finsteren Nächte des regenreichen Herbstes 1939 hinein, bei

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Ausdrücklich ausgenommen von d ­ iesem Erlass waren die rheinischen Staatsarchive in Düsseldorf und Koblenz,38 da für deren Sicherung der Generaldirektor der Preußischen Staatsarchive Dr. Ernst Zipfel (1891 – 1966) als Kommissar für den Archivschutz zuständig war. Dieser stimmte aber erst 1942 unter dem Eindruck der zunehmenden Luftangriffe der Alliierten überhaupt einer Auslagerung staatlicher Archivbestände zu.39 Kisky hingegen packte die Sicherung der wertvollsten Überlieferung in den nichtstaatlichen Archiven sofort an: In einem als „geheim“ deklarierten Schreiben vom 19. September 1939 an rheinische Archivleiter wird ein detailliertes Vorgehen bei der Flüchtung „an einen sicheren Ort im Inneren Deutschlands“ beschrieben.40 So konnte er rückschauend 1949 feststellen: „Als zu gleicher Zeit der Provinzial-Konservator Prof. Dr. Graf Wolff Metternich in Bonn den allgemeinen Schutz der Kunstdenkmäler zu organisieren begann, schloß sie [die Archivberatungsstelle] sich dieser Aktion an und stellte ihre Hilfskräfte, die wegen ihrer eingehenden Kenntnis von Land und Leuten in der Rheinprovinz dafür besonders geeignet waren, auch dem Kunstschutz zur Verfügung, insbesondere Archivar Dr. Wilkes und seit 1942 auch Archivar Dr. Brandts. So kam es, daß sehr viele Bergungen von Kunstgut gemeinsam mit Schriftgut durchgeführt wurden, wie auch Bergungen von Bibliotheken durch die Archivberatungsstelle (…). Dieses Zusammenarbeiten für die Sicherung des alten Kulturguts hat sich als vorteilshaft erwiesen und nirgends zu Schwierigkeiten und Störungen geführt [anders als bei der Zusammenarbeit mit den Staatsarchiven]. Bei den regelmäßig stattfindenden Besprechungen aller am Kunstschutz beteiligten Stellen unter Vorsitz des Provinzialkonservators [von Juni 1940 bis März 1943 war es sein Stellvertreter Theodor Wildeman (1885 – 1962)], an denen die Archivberatungsstelle stets teilnahm, wurden alle Fragen der Klassifizierung der Kulturgüter, ihrer örtlichen Sicherung, der auswärtigen Bergung, der sachgemäßen Verpackung, der Beschaffung des Packmaterials und der Transportmittel sowie der Auswahl der Bergungsorte und deren sachgemäße Einrichtung und Überwachung besprochen und bereits gemachte Erfahrungen ausgetauscht. Da das Oberkommando der Wehrmacht jeweils den Provinzialkonservator auf die gerade zu erwartende besondere Gefährdung des einen oder anderen Grenzbezirks aufmerksam machte, wurde es möglich, jedesmal geeignete Vorkehrungen zu treffen, verschlammten und verstopften Straßen und abgeblendeten Lichter die Kunstgüter z. T. aus entlegenen Orten zunächst zu Zwischensammelstellen zusammenholten, um sie von dort aus zu den geschlossenen Transporten – meist in Möbelwagen mit Traktorzug – den Bergungsorten zuzuführen. Die grösseren Städte nahmen die Bergung ihrer Museumsgüter in orientierender Verbindung mit dem Provinzialkonservator selbständig vor (…). Siehe auch ALVR , Bestand Brw. 1 (wie Anm. 31), Nrn. 67, 68, 369, 370, 372, 382, 392: Berichte des Provinzialkonservators, der Kunstschutzbeauftragten und Bergungskommissare 1942 – 1945. 38 Deutsches Künstlerarchiv Bonn, Nachlass Carlheinz Pfitzner: Erlass des Oberpräsidenten der Rheinprovinz Josef Terboven vom 07. 07. 1939 an Wolff Metternich. 39 Wilhelm Rohr, Die zentrale Lenkung deutscher Archivschutzmaßnahmen im Zweiten Weltkrieg, in: Der Archivar 3 (1950), Sp. 105 – 122, hier Sp. 107 f. 40 Archiv des LVR, Bestand Brw. 1 (wie Anm. 31), Nr. 373, Schreiben Kiskys vom 19. 09. 1939.

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so z. B. vor dem Westfeldzug rechtzeitig für die Verlagerung der Kulturgüter aus dem Gebiet des Westwalls und der ,roten Zone‘ am linken Niederrhein zu sorgen (…). Dank der Beziehungen der Archivberatungsstelle zu den adeligen Archivbesitzern im Rheinland und Westfalen wurde erreicht, daß in mehreren abgelegenen Schlössern geeignete Räume zur Verfügung gestellt wurden, die sich durchweg gut bewährt haben, zumal sich die Besitzer in anerkennenswerter Weise auch die Betreuung des Bergungsgutes angelegen sein ließen.“ 41

Es waren dies insbesondere die Schlösser Alme im Sauerland und Niesen in Ostwestfalen, die mithilfe ihrer Eigentümer zu Großdepots ausgebaut werden konnten. In Niesen war beispielsweise auch das bekannte spätmittelalterliche Gemälde „Madonna mit dem Veilchen“ von Stephan Lochner aus dem Kölner Diözesanmuseum gelagert. „Es wurde zwar nicht aus dem Bombenhagel, aber aus den Händen des ,Reichsmarschalls‘ und der Gestapo gerettet.“ 42 Weitere Bergungsorte waren die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalten Warstein und Niedermarsberg in Westfalen, aber auch die Burgen Schmidtheim/Eifel und Adendorf bei Bonn sowie das Schloss Bürresheim bei Mayen, das sich im Besitz der Rheinischen Provinzialverwaltung befand.43 Von Kriegsbeginn bis Februar 1945 sind 16 große Sicherungsaktionen im Rahmen des Archivschutzes 44 neben zahlreichen kleinen Sicherungstransporten bekannt. Es gab zwei zeitliche Schwerpunkte:45 – einen ersten vom Sommer bis Ende Dezember 1939 (in Vorbereitung des geplanten Angriffs auf Frankreich, Belgien und die Niederlande) mit sechs großen Sammeltransporten, mit denen die Archive der Grenzorte zu den Niederlanden am Niederrhein evakuiert wurden;46

41 Kisky, Die Archivberatungsstelle der Rheinprovinz (wie Anm. 32), S. 1 f. 42 Ebd., S. 2; siehe hierzu ausführlicher Flamm, „Betrifft: Kunstschutz im Kriege“ (wie Anm. 31); als zeitgenössischer Rückblick: Wilhelm Neuss, Die Rettung des Kölner Diözesanmuseums. Ein abgewehrter Göring-Anschlag, in: Ders. (Hg.), Krieg und Kunst im Erzbistum Köln und Bistum Aachen, Mönchengladbach 1948, S. 15 – 22. 43 Kisky, Die Archivberatungsstelle der Rheinprovinz (wie Anm. 32), S. 2. 44 Im Vergleich hierzu die Zahl der Kunstschutztransporte: ALVR 11234, Bericht des Provinzialkonservators Metternichs vom 31. Oktober 1944, nach dem bis dahin 3700 Kunstwerke mit 185 Transporten in Sicherheit gebracht worden sind. Siehe hierzu: Flamm, „Betrifft: Kunstschutz im Kriege“ (wie Anm. 31). 45 Kisky, Die Archivberatungsstelle der Rheinprovinz (wie Anm. 32), S. 3 – 11. 46 Zeitlicher Ablauf der ersten Phase: 30.08. bis 09. 09. 1939: Verlagerung wertvoller Einzelstücke nach Westfalen; 28./29. 09. 1939: Verlagerung der wichtigsten Archivalien und Kirchenbücher in privaten, kirchlichen und kommunalen Archiven in der „Roten Zone“ am Niederrhein zusammen mit den Archiven der Grenzorte Kranenburg und Straelen; 05. bis 07. 10. 1939: Verlagerung der Adelsarchive Krickenbeck (Grafen von Schaesberg), Wissen (Grafen von Loë) und Caen (Freiherren Geyr von Schweppenburg), sowie des Nachlasses des Historikers Karl Lamprecht auf Haus

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– einen zweiten mit acht großen Sammeltransporten ­zwischen Oktober 1941 und Februar 1945, der Zeit der schweren Luftangriffe der Alliierten und schließlich des alliierten Bodenkriegs um die Rheingrenze seit Februar 1945.47

3.2 Ein gut dokumentiertes Beispiel des Kulturgutschutzes: die Auslagerung des Aachener Domschatzes und der wertvollsten Kunstwerke des Suermondt-Museums Fotos von den beschriebenen Sicherungsmaßnahmen der rheinischen Kulturgüter sind trotz intensiver Recherchen bislang leider nicht aufgefunden worden, lediglich im Archiv des Walbeck; 16. 10. 1939 Verlagerung der Archive der K ­ irchen und Städte in den Grenzlandkreisen von Aachen bis Wegberg in die Keller des Landeshauses in Düsseldorf; 18. bis 20. 10. 1939 Verlagerung der Adelsarchive Elsum, Hall, Leerodt, Breil und Heltorf in das westfälische Schloss Alme. Gerade die Verlagerung der Adelsarchive war der Einquartierung von Wehrmachtstruppen auf Schlössern im Vorfeld des Frankreich-Feldzugs geschuldet; Dezember 1939 bis Februar 1940: Verlagerung des Stiftsarchivs und der evangelischen Gemeinde Xanten und des Stadtarchivs Kalkar nach Warstein; Februar 1940: auf Anordnung des Reichssippenamtes wurden die Kirchenbücher zusammengezogen und in die Obhut des Landessippenamtes auf der Festung Ehrenbreitstein bei Koblenz gegeben. 47 Zeitlicher Ablauf der zweiten Phase: im Oktober 1941 Auslagerung der wertvollsten rheinischen Kunstschätze, so der der größte Teil des Aachener Kirchenschatzes, und besondere wichtige Archivalien in die Albrechtsburg nach Meißen, aber 23. bis 28. 06. 1944 wieder nach Niesen zurückgeholt und ­später im Siegener Stollen gelagert; 1942 Auslagerung der wertvollsten Archivalien des Stadtarchivs Essen nach Alme; 1943 Herrichtung neuer Bergungsräume in den Burgen Schmidtheim und Dalbenden in der Eifel, im Jülicher Brückenkopf, in den Burgen Adendorf bei Bonn, Merten im Bergischen Land und in den Kellern der Abtei St. Michael in Siegburg, in den Burgen Rheinfels bei St. Goar und Stolzenfels bei Koblenz, in den Kellern der Likörfabrik von Müller-Tenhoff in Köln-Mülheim; April 1944: Zerstörung der Diensträume der Archivberatungsstelle in Düsseldorf: Auslagerung der zur Verzeichnung hier lagernden Adelsarchive Bubingen (Kreis Saarburg), Münchweiler (Kreis Wadern), Diersfordt (bei Wesel) und Paffendorf (bei Bergheim) und Teile des Stadtarchivs Mönchengladbach nach Schloss Bürresheim; März bis Mai 1944: Auslagerung von Museum und Archiv der Stadt Neuss nach Niesen; Herbst 1944 bis Februar 1945: Auslagerung der Bibliotheksbestände der Kunstakademie, der Stadt- und Universitätsbibliothek Düsseldorf sowie der Universitätsbibliothek Münster, des Museums und Archivs der Stadt Mönchengladbach nach Alme; Dezember 1944: Auslagerung von Bibliothek und Museumsgut des niederrheinischen Heimathauses in Krefeld, des Stadtarchivs Uerdingen, der Bestände der Textilschule Krefeld und der römischen Sammlungen des Landesmuseums in Trier nach Niesen; 1944 bis Februar 1945: Auslagerung der Xantener Kirchenschätze, weitere Bestände des Stiftsarchivs und der Stiftsbibliothek Xanten nach Niesen; Februar 1945: Auslagerung des Stadtarchivs Goch, der Schlossbibliothek Kalbeck und des Archivs Kalbeck misslang wegen fehlender LKWs und fehlendem Benzin, Vernichtung der genannten Kulturgüter, ausgenommen des umfangreichen Aktenbestandes Kalbeck, der in den teilzerstörten Schlossbauten mit schweren Schädigungen in der Nachkriegszeit gesichert werden konnte.

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heutigen Suermondt-Ludwig-Museums in Aachen ist eine Bilddokumentation über einen Bergungstransport von Kulturgut vorhanden.48 Sie bezieht sich auf die Bergungsaktion vom Februar 1941, als die wertvollsten Aachener Kunstschätze, so der größte Teil des als „reichswichtig“ betrachteten Aachener Domschatzes und Teile der Gemäldesammlung des Museums vom ersten Auslagerungsort im Schloss Bückeburg in die Albrechtsburg nach Meißen verlegt wurden. Bereits am 9./10. September 1939 waren diese Kunstschätze in „40 zum Teil sehr schwere große Kisten mit Gemälden und Skulpturen der [Klassifikation]-Gruppe A, 14 ebenfalls äußerst schwere und große Spezialkisten mit den Kostbarkeiten des Domschatzes, sowie noch etliche Kisten mit besonders wertvollen Objekten aus Aachener Pfarrkirchen und hiesigem Privatbesitz auf drei Lastwagen mit Anhängern“ 49 unter Beaufsichtigung des Museumsdirektors Felix Kuetgens (der bis April 1940 zur Bewachung vor Ort blieb), von Vertretern des Domkapitels und begleitet von Polizei- und Feuerwehrbeamten von Aachen nach Bückeburg gebracht worden. Von d ­ iesem Bergungsraum gibt es eine Zeichnung des Aachener Dombaumeisters Joseph Buchkremer. Nachdem der stellvertretende Provinzialkonservator Theodor Wildeman das Schloss Bückeburg wegen der zunehmenden Bedrohung durch Luftangriffe – bereits im August 1940 hatte hier ein Bombenangriff stattgefunden – als zu unsicher eingeschätzt hatte, aber auch neue Bergungsorte wie die Festung Hohensalzberg bei Salzburg wegen der Entfernung verworfen wurden, transportierte man die Aachener Kunstschätze am 20. Februar 1941 schließlich in die Albrechtsburg bei Meißen, wo bereits seit Herbst 1939 das wertvollste sächsische Museumsgut gesichert war. Für diesen Transport wurde Felix Kuetgens, der im Sommer 1940 zum militärischen Kunstschutz nach Paris versetzt worden war, extra beurlaubt. Von dieser Einlagerung der Aachener Kunstgüter, von den gefüllten unterirdischen Lagerräumen, den Holzstellagen, in die man die Gemälde einstellte, bis hin zur Schließanlage existieren im Museumsarchiv Fotos sowie Buchkremers Grundrissskizzen dieser Bergungsräume.50 Gut zu erkennen sind auf einigen Fotos auch die Transport- und Lagerungskisten, von denen für Auslagerungszwecke 6000 Stück in den Provinzialanstalten hergestellt wurden; ­später verwendete man in ebenso großer Zahl der Einfachheit halber Munitionskisten der Wehrmacht. Mitte Oktober 1942 verbrachte man hunderte weitere Museumsobjekte aus Aachener Museen der Klassifikation-Gruppen 2 und 3 [B und C] in die Albrechtsburg. Vor

48 Archiv des Suermondt-Ludwig-Museum Aachen (künftig SLM ), Fotosammlung; Dirk Tölke, Kunstgut auf langen Reisen. Die Auslagerung der Aachener Museumsbestände im Zweiten Weltkrieg und ihre Folgen, in: Peter van den Brink (Hg.), Schattengalerie. Die verlorenen Werke der Gemäldesammlung (Suermondt-Ludwig-Museum Aachen – Bestandskatalog der Gemäldegalerie), Aachen/München 2008, S. 22 – 63, hier S. 31 – 35. 49 Felix Kuetgens, Kunstschutz in Aachen, in: Aachen im Jahr 1951, Düsseldorf 1951, S. 81 – 89, hier S. 81, zit. nach: Tölke, Kunstgut auf langen Reisen (Anm. 48), S. 27. 50 Ebd., S. 30 – 32.

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Abb. 5a und b  Die Bergungsaktion der wertvollsten Aachener Kunstschätze in der Albrechtsburg bei Meißen im Februar 1941.

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Ort war immer ein Museumsmitarbeiter anwesend, der die Sicherungsräume überwachte und die Klimawerte kontrollierte.51 Als die militärische Ostfront im Kriegsverlauf zunehmend näher rückte, wurden die wertvollsten Aachener Kunstgüter und der Aachener Domschatz in der Zeit vom 11. bis 13. September 1944 von der Albrechtsburg wieder zurück in den Westen – zunächst in das ostwestfälische Depot Schloss Niesen 52 – und schließlich am 14. Oktober in den neu für Kunstdepots hergerichteten Siegener Stollen (Hainer Stollen) verbracht. Von ­diesem Transport gibt es jedoch keine Fotos. Ein Versuch der SS, am 26. März 1945 die Aachener Kroninsignien (die aber Nachbildungen waren) und den Domschatz zu einem unbekannten Ort auszulagern, konnte von Theodor Wildeman verhindert werden.53 Bereits während der vorübergehenden Besetzung Aachens ab dem 21. Oktober 1944 durch alliierte Truppen erlangten amerikanische Kunstschutzoffiziere Kenntnis von dem Auslagerungsort im Siegener Stollen. Am 6. April 1945 wurde der Siegener Stollen mit dem dort eingelagerten Kulturgut von amerikanischen Truppen beschlagnahmt und vorübergehend zu einer „Kunstausstellung“ (Golden Arrow Art Museum – Siegen Copper Mine) umfunktioniert, die 400 Soldaten besucht haben sollen. Einige Soldaten setzten sich die vermeintlich echte Reichskrone auf den Kopf, wie Foto- und Filmaufnahmen beweisen. Bereits am 7. und 8. April fuhren die amerikanischen Kunstschutzoffiziere Walker Hancock und George Stout zusammen mit dem Domvikar Erich Stephany von Aachen nach Siegen, um sich ein Bild über den Zustand der Aachener Kunstschätze zu machen. Da die Lüftungsanlagen schon seit Winter 1944/45 wegen Strommangels ausgefallen waren, waren die meisten eingelagerten Kunstwerke von Schimmel überzogen. Stephany beschreibt den Besuch in Siegen, den er allerdings auf Ostermontag, den 2. April datiert, und seinen Eindruck im Stollen: „(…) ein unvergeßlicher Augenblick, als wir den Stollen betraten und im Schein einer Karbidlampe in dem Dunst, der seit Dezember den Stollen erfüllte, die Türen von Maria im Kapitol in Köln 51 Archiv des SLM, rückblickender Bericht von Felix Kuetgens vom 25. 09. 1962; ALVR, Bestand Brw. 1 (wie Anm. 31), Nr. 389: Bergungsort Meissen, enthält auch als „geheim“ deklarierte Niederschrift über die Besichtigung des Depots am 28. Juli 1942, an der auch Wildeman und Wilkes teilnahmen: Die Luftfeuchtigkeit lag ­zwischen 80 und 100 %, im Gegensatz zu den auch hier gelagerten Kunstgütern des Xantener und Essener Münsterschatz wiesen die Aachener Kunstgüter Schäden auf: (…) Von den städtischen Kunstschätzen konnten nur die sichtbar lose und unverpackt auf Regale aufgestellten Bilder und Plastiken angesehen werden. Hierbei wurde festgestellt, dass eine ganze Anzahl älterer Bilder und Plastiken starken Schimmelansatz zeigen, z. B. Bild van Dyk zugeschrieben infolge von völligen und dichten Schimmelüberzug nicht mehr zu erkennen (…). 52 Kisky, Die Archivberatungsstelle der Rheinprovinz (wie Anm. 32), S. 5; hier wird als Datum 23. bis 28. Juni 1944 genannt. 53 Archiv des SLM, Bericht des stellv. Provinzialkonservators Theodor Wildeman vom 07. 08. 1945.

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erkannten, Rembrandts Altersbild aus dem Wallraf-Richartz-Museum [„Selbstbildnis als Zeuxis“ aus dem Jahre 1662] erblickten und am Ende des Stollens, hinter den unwahrscheinlichsten Schönheiten, die Kisten aus Aachen fanden – die Siegel [des Bischofs Dr. Sträter] unverletzt. Nichts war an ihnen zu sehen – und dennoch bargen sie Aachens größten Glanz, Stolz und Ruhm: die Gebeine Karls des Großen, die großen Schreine und das Lotharkreuz (…).“ 54

Ein Versuch des amerikanischen Stadtkommandanten von Aachen, Major Bradford, sie vier Wochen ­später zurückzuholen, scheiterte. Stephany weiter: „(…) Am Tage des Waffenstillstandes waren wir zwar wieder in Siegen, aber es war nicht möglich, den Schatz aufzuladen und heimzuführen – die amerikanischen Autos kehrten mit uns unverrichteter Dinge nach Aachen zurück. ‚All this trouble for those damm’d old bones’ – meinte schon auf der beschwerlichen Hinfahrt der amerikanische Fahrer.“

Schließlich führte Hancock – gegen das ausdrückliche Verbot der amerikanischen Armee, aufgefundene Kunstschätze zu verlagern oder gar in deutsche Hände zurückzugeben – den Rücktransport des Aachener Domschatzes selbst durch. Die feierliche Übergabe von Domschatz und Reichskleinodien fand am 13. Juni im karolingischen Oktogon des Aachener Münsters statt.55 Da sich das Siegener Kunstgutdepot in der künftigen britischen Besatzungszone befand, verlagerte der amerikanische Kunstschutz alle Kunstgüter – inkl. der Aachener Museumsschätze – in die amerikanische Besatzungszone zum „Central Collecting Point“ in Marburg. Die Kunstgüter aus dem Suermondt-Museum kamen erst kurz vor Schließung ­dieses Depots am 15. Juni 1947 nach Aachen zurück.56

3.3 Landschaftliche Archivpflege und Archivschutz im besetzten Großherzogtum Luxemburg 1940 – 1944 Nach der deutschen Besetzung des Großherzogtums Luxemburg im Sommer 1940 hatte die Generaldirektion der preußischen Staatsarchive den Koblenzer Staatsarchivar Dr. Aloys Schmidt (1892 – 1980) zum Staatsarchiv Luxemburg abgeordnet und zum Kommissar für 54 Erich Stephany, Die Schicksale des Aachener Domschatzes während des Krieges 1939 – 1945, in: Neuss (Hg.), Krieg und Kunst (wie Anm. 42), S. 62 – 69, Zitate S. 67. 55 Tölke, Kunstgut auf langen Reisen (Anm. 48), S. 37 – 39. 56 Marco Rasch, Fortsetzung folgt? Die amerikanischen „Monuments Men“ und der „Kunstschutz“ nach dem „Kunstschutz“ in: Heyer/de Peyronnet-Dryden/Langbrandtner (Hg.), „Als künstlerisch wertvoll unter militärischem Schutz!“ (wie Anm. 20); Ders., Kunstsammelstelle Staatsarchiv. Der Marburger Central Collecting Point, in: Archivnachrichten aus Hessen 17 (2017), S. 60 – 62.

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das Archivwesen beim Chef der Zivilverwaltung in Luxemburg ernannt. Chef der Zivilverwaltung wurde der Koblenzer Gauleiter Gustav Simon (1900 – 1945), der eine rigorose Politik der „Germanisierung“ und Judenverfolgung in Luxemburg verantwortete.57 Sein politischer Konkurrent Heinrich Haake wurde mit dem Aufbau der regionalen Selbstverwaltung in Luxemburg beauftragt,58 in deren Rahmen die Archivberatungsstelle entgegen den Bestrebungen des Archivkommissars Schmidt die nichtstaatliche Archivberatung und den nichtstaatlichen Archivschutz übernahm. Im Mittelpunkt der fachlichen Aufgabe Kiskys, der bis 1944 jeden Monat mehrere Tage persönlich vor Ort war, stand die Archivaliensammlung der Historischen Sektion des Großherzoglichen Instituts in der Stadt Luxemburg. Sie war 1845 mit dem Zwecke gegründet worden, „die Quellen der Vergangenheit des Vaterlandes zu erforschen und die Ueberreste der Altertümer zu sammeln“. So wurde der private Verein zum Sammelbecken für ganze Archive von K ­ irchen, Kommunen, Familien wie auch von Sammlungen und Nachlässen, aber auch wertvollen Einzelstücken und nicht das Staatsarchiv Luxemburg. Kisky und seinen Helfern gelang es, den riesigen Bestand systematisch in 23 Abteilungen zu gliedern und zu verzeichnen. 1944 widersetzte sich Kisky erfolgreich dem politischen Druck, die Sammlung dem Staatsarchiv Luxemburg einzugliedern. Sie überstand den Krieg in einem Felsenkeller in der Stadt Luxemburg unbeschadet.59

3.4 Sicherung historischer Bibliotheken der von der Gestapo 1942 aufgehobenen Klöster und kirchlichen Stiftungen im Rheinland Im Erzbistum Köln wurden von April bis Juli 1941 zahlreiche Ordenshäuser, das Erzbischöfliche Priesterseminar in Bensberg und das Exerzitienheim in Altenberg von der Gestapo wegen angeblicher „volks- und staatsfeindlicher“ Betätigung der Ordensleute aufgelöst und diese vertrieben. Betroffen waren insbesondere große, bekannte Klöster wie das Benediktinerkloster auf dem Siegburger Michaelsberg, das Kloster der Steyler Patres in Sankt Augustin, die Dominikanerklöster in Köln und Walberberg bei Bornheim, die Redemptoristenklöster in Hennef und Bonn, aber auch die Benediktinerinnen von Bonn-Endenich ebenso wie die Karmeliterinnen von Pützchen in Bonn. 60 Viele dieser Klöster besaßen wertvolle historische Bibliotheken, die vom Einsatzstab Reichsleiter 57 Siehe hierzu auch Gilles Regener, Besatzungszeiten in Luxemburg (20. Jh.). Versuch einer archivischen Bestandsaufnahme, in: Herrebout, Besatzungszeit (wie Anm. 16), S. 53 – 67, hier S. 62 – 66. 58 Romeyk, Heinrich Haake (wie Anm. 22), S. 205. 59 Kisky, Die Archivberatungsstelle der Rheinprovinz (wie Anm. 32), S. 13 – 15; ALVR, Brw. 1 (wie Anm. 31), Nrn. 310, 383 – 385: Archiv- und Kunstschutz in Luxemburg 1942 – 1944. 60 Annette Mertens, Klostersturm im Rheinland 1940 – 1942, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abrufbar unter: http://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/klostersturm-

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Rosenberg (ERR) und etlichen Parteiorganen beschlagnahmt und im Antiquariatshandel veräußert werden sollten. Durch persönlichen Einsatz von Landeshauptmann Haake beim Reichsführer SS Heinrich Himmler (1900 – 1945) wurde die Archivberatungsstelle mit der „treuhänderischen Verwaltung der beschlagnahmten Bibliotheken“ in der Rheinprovinz beauftragt. Es waren über 40 Bibliotheken, von denen u. a. die Bibliothek der Benediktiner in Siegburg vom ERR bereits in das Kölner Gauhaus oder die Bibliothek der katholischen Schulorganisation in Düsseldorf bereits nach Berlin abtransportiert worden waren. Etliche Bibliotheken konnten gesichert werden, so die Bibliothek des Missionshauses Knechtsteden, die nach Linz/Donau kommen sollte, der Steyler Missionare in St. Augustin, der Düsseldorfer Jesuiten, der Abtei St. Matthias und des Priesterseminars in Trier. Die Bibliotheken der Aachener Klöster wurden auf Burg Schmidtheim in der Eifel in Sicherheit gebracht.61

3.5 Der Archivschutz der staatlichen Archivverwaltung in der Rheinprovinz am Beispiel des Staatsarchivs Düsseldorf Wilhelm Kisky berichtet über den Transportfahrten zur Sicherung von Kulturgut in seinem Bericht von 1949 rückblickend: „Hunderte von Transporten in die Bergungsorte und von einem Bergungsort in den anderen sind von der Archivberatungsstelle durchgeführt und wohlweislich stets von einem ihrer Archivare begleitet worden. Sie sind ausschließlich mit Lastkraftwagen erfolgt, Bahn- und Schiffstransporte lehnten wir aus guten Gründen ab und waren infolgedessen zwar sehr beweglich, aber keineswegs angenehm, seit der der Zunahme der Luftangriffe im gleichen Maße beschwerlich wie gefährlich. Seit dem Sommer 1944 konnten Transporte fast nur noch bei Nacht nach dem Einflug oder Abflug der feindlichen Bomber durchgeführt werden (…).“ 62

Kiskys Hinweis, dass man seitens der Archivberatungsstelle Bahn- und Schiffstransporte abgelehnt habe, war eine eindeutige Spitze gegen den preußischen Kommissar für Archivschutz und archivische Luftschutzmaßnahmen im Reichsgebiet, Dr. Ernst Zipfel, der erst 1942 eine Räumung der Staatsarchivbestände in sichere Depots in Betracht zog, und insbesondere gegen seinen ‚Intimfeind‘ und Direktor des Staatsarchivs Düsseldorf, Bernhard Vollmer, der im-rheinland-1940 %25E2 %2580 %25931942/DE -2086/lido/57d1363aa733c3.96098249 (Stand: 25. 07. 2020). 61 Kisky, Die Archivberatungsstelle der Rheinprovinz (wie Anm. 32), S. 11 – 13; ALVR , Brw.1 (wie Anm. 31), Nr. 74 – 94 zu den Bibliotheken der 1942 beschlagnahmten Klöster und kirchlichen Einrichtungen. 62 Ebd., S. 7.

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große Verluste bei der Auslagerung von Archivgut auf Schiffen, die auf Binnenkanälen leicht von Fliegern entdeckt und versenkt werden konnten, verantworten musste.63 Das Staatsarchiv Düsseldorf begann erst im Herbst 1941 mit der Auslagerung mittelalterlicher Handschriften, sämtlicher Urkunden vor 1100 sowie der ­Kaiser- und Papsturkunden bis 1200 in einen Schutzraum auf der Festung Ehrenbreitstein bei Koblenz. Bis Jahresende 1942 waren erst 25 % der Archivalien in unterschiedliche Ausweichquartiere untergebracht. Die Sicherungsquote steigerte sich Anfang Februar 1944 auf rund 62 %, Ende 1944 auf rund 85 %.64 Federführend bei diesen Maßnahmen war zunächst Dr. Wilhelm Classen (1903 – 1965), nach seiner Einberufung zum Kriegsdienst übernahm am 13. März 1943 der vom Staatsarchiv Magdeburg abgeordnete Staatsarchivrat und SA-Sturmführer Dr. Otto Korn (1898 – 1955) diese Aufgabe – nach eigenem Bekunden mit der ausdrücklichen Weisung, „die Abtransporte des wertvollsten Materials voranzutreiben“.65 Das Salzbergwerk Grasleben bei Helmstedt wurde ab Herbst 1944, als Vollmer nach vier Jahren als Kommissar für das Archivwesen in den Niederlanden in das Staatsarchiv zurückkehrte, zum Hauptauslagerungsziel: Das dortige Archivdepot stand zum einen unter der Aufsicht des Staatsarchivs Magdeburg, und zum anderen war es bis zum nahen Haldenslebens auf Binnenkanälen erreichbar. Zwischen Ende Oktober 1944 und Mitte Februar 1945 gingen zwei Eisenbahntransporte und zwei Schiffstransporte von Düsseldorf aus nach dort ab: Das Binnenschiff MS Main 68 mit ca. 650 Regalmetern Archivalien sank nach einem Luftangriff am 14. März 1945 im Hafen Hannover-Linden. In der zweiten Märzhälfte 1945 plante Vollmer sogar, die Geschäftsstelle des Staatsarchivs dorthin zu verlegen.66

63 Das Binnenschiff MS Main 68 wurde am 14. März 1945 auf der Fahrt zum Bergungsdepot Halders­ leben nahe Magdeburg bei einem Luftangriff im Hafen Hannover-Linden versenkt: Auf dem Schiff befanden sich Archivbestände im Umfang von 20.000 Akteneinheiten aus dem Spätmittelalter bis ins 19. Jahrhundert: u. a. zentrale Dokumente zur Geschichte niederrheinischer Klöster und Stifte, die Korrespondenz des herzoglichen Hauses Kleve mit den Niederlanden und England aus der frühen Neuzeit, weiterhin Akten aus Landratsämtern, der Regierungspräsidien Aachen, Düsseldorf, Kleve und Köln, Unterlagen des Bergamtes Essen-Werden und große Teile des für die bergische Geschichte bedeutenden Adelsarchivs der Grafen von Nesselrode-Ehreshoven. Siehe hierzu: Johannes Kistenich, Gesunkene Schätze. Die Kahnakten. Schadensgeschichte und Restaurierungsgeschichte (Veröffentlichungen des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen 36), Düsseldorf 2010, S. 25 f. 64 Ebd., S. 10 – 14, auf S. 13 eine Karte mit den wesentlichen Auslagerungsorten des Staatsarchivs Düsseldorf. 65 Jahresbericht des Staatsarchivs Düsseldorf für das Jahr 1943, zit. nach: Kistenich, Gesunkene Schätze (wie Anm. 48), S. 14; ebd., S. 16 f.: Exkurs: Dr. Otto Korn – Sein Werdegang bis zur Abordnung an das Staatsarchiv Düsseldorf. 66 Ebd., S. 14.

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4. Fazit Der Archivberatungsstelle, die im Zuge der kulturellen und fachlichen Fördermaßnahmen der rheinischen Provinzialverwaltung 1929 gegründet worden war, kam eine wesentliche Rolle in der nichtstaatlichen Archivpflege zu. Sie sicherte und erschloss historisch wertvolle Archivbestände des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit in kommunalen, kirchlichen und privaten Archiven, vor allem in den zahlreichen Archiven des rheinischen Adels. Im Rahmen des Kulturgutschutzes vor und während des Zweiten Weltkriegs im Rheinland (die Nachkriegszeit ist in ­diesem Beitrag ausgeklammert) war die Archivberatung im Zusammenspiel mit dem Provinzialkonservator Franziskus Graf Wolff Metternich bzw. seinem Stellvertreter Theodor Wildeman aktiv und sehr effizient bei der Auslagerung und Sicherung des Archivguts tätig. Die Archivpflege und der Archivschutz wurden in der Hauptsache von vier Protagonisten – im Mit- und Gegeneinander – geprägt: auf der Seite der NS-Verwaltung der Rheinprovinz von Landeshauptmann Heinrich Haake und Kulturlandesrat Hanns Joachim Apffelstaedt, auf der fachlichen Seite vom Düsseldorfer Staatsarchivdirektor Bernhard Vollmer und dem Leiter der Archivberatungsstelle Wilhelm Kisky. Kisky war ein herausragender Historiker und Organisator, er konnte taktisch geschickt die nichtstaatliche Archivberatung als wichtige landschaftliche Aufgabe gerade in der NS-Zeit kulturpolitisch verankern. Aber bereits seine Einstellung als Gründungsleiter der Archivberatungsstelle 1929 war umstritten, sogar sein Doktorvater Aloys Schulte (1857 – 1941) charakterisierte ihn als herausragenden Wissenschaftler, aber als schwierige Persönlichkeit.

Die Gründung der Archivberatungsstelle der Rheinischen Provinzialverwaltung  I  421

Kulturgutschutz rheinischer Bibliotheken im Zweiten Weltkrieg Das Beispiel der Universitätsbibliothek Bonn Michael Herkenhoff

Als 1947 der Tübinger Bibliotheksdirektor Georg Leyh sein Buch über „Die deutschen wissenschaftlichen Bibliotheken nach dem Krieg“ 1 veröffentlichte, zeichnete er ein Bild des Grauens: zerstörte Gebäude, vernichtete Kataloge, verbrannte Bestände, gestorbene bzw. gefallene Bibliothekarinnen und Bibliothekare. „Es ist nicht die eine oder andere Bibliothek zerstört worden, sondern das hochgesteigerte deutsche Bibliothekswesen als Ganzes ist zusammengebrochen und muss aus den Ruinen wiederaufgebaut werden“,2 so formulierte es Leyh etwas pathetisch in seinem Vorwort. Bei genauerer Lektüre ergibt sich allerdings ein differenziertes Bild. Während viele Bibliotheken starke Verluste zu beklagen hatten, hielten sich die Schäden in anderen Einrichtungen in Grenzen oder waren nicht bedeutend. Dies zeigt schon ein Vergleich der Hochschulbibliotheken der Rheinprovinz. So hatte z. B. die Universitäts- und Stadtbibliothek Köln lediglich Verluste in einem Umfang von nur ca. 3000 Bänden zu verzeichnen. Das Gebäude erlitt keine nennenswerten Schäden, die Kataloge blieben unzerstört.3 Schwerer, aber noch moderat waren die Verluste der Stadtund Landesbibliothek Düsseldorf, deren Gebäude durch mehrere Bombenangriffe schwer 1 Georg Leyh, Die deutschen wissenschaftlichen Bibliotheken nach dem Krieg, Tübingen 1947. Die nachfolgenden Ausführungen beruhen in weiten Teilen auf einem Aufsatz, den ich bereits 2008 veröffentlicht habe: Michael Herkenhoff, Auslagerung und Rückführung der Bestände der Universitätsbibliothek Bonn (1942 – 1947), in: Thomas Stäcker/Andrea Opitz (Red.), Festschrift für Gerhard Brinkus [Gerd Brinkhus] (Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte 33), Wiesbaden 2008, S. 77 – 93. Gegenüber dem damaligen Beitrag liegt der Fokus jetzt mehr auf dem Konnex ­zwischen allgemeinem Kunstschutz und Bibliotheksschutz in der Rheinprovinz. Darüber hinaus wurden zusätzliche Bestände aus dem Archiv des LVR (ALVR), dem Stadtarchiv Düsseldorf (künftig StA Düsseldorf ), dem Universitätsarchiv Köln (künftig UA Köln) und dem Universitätsarchiv Bonn (künftig UA Bonn) sowie digitalisierte amerikanische Akten, vor allem aus den National Archives (NARA), eingesehen, die über das Portal „fold3“: www.fold3.com (Stand: 26. 07. 2020) online zugänglich sind. 2 Leyh, Bibliotheken nach dem Krieg (wie Anm. 1), S. 5. 3 Hermann Corsten, Die Universitäts- und Stadtbibliothek Köln im 2. Weltkriege. Die Sicherstellung ihrer Bücherbestände im Kriege und ihre Rückführung nach dem Kriege, [1954], S. 3 und S. 17. UA Köln, Zug 553. Dass Leyh, Bibliotheken nach dem Krieg (wie Anm. 1), S. 137, für die USB Köln überhaupt keine Verluste aufführt, ist somit nicht richtig. Siehe zuletzt auch Christiane Hoffrath,

getroffen wurde. Sie verlor ca. 24.000 Bände, zahlreiche weitere Bücher wurden beschädigt. Der komplette historische Altbestand blieb unversehrt.4 Mehr Bände verlor die Bibliothek der Technischen Hochschule Aachen mit gut 32.000 Verlusten, die bei der Zerstörung von Auslagerungsdepots durch amerikanische Truppen in drei Westwallbunkern in Eilendorf entstanden. Damit waren ca. 30 % des Bestandes vernichtet worden.5 Am schwersten traf es jedoch die Bibliothek der Bonner Rheinischen-Friedrich-Wilhelms-Universität. Der Biblio­thekstrakt im Universitätshauptgebäude, dem ehemaligen kurfürstlichen Schloss, wurde völlig vernichtet, wertvolle Kataloge zerstört, ca. 180.000 Bände, darunter auch wichtige Teile des historischen Altbestandes, verbrannten. Wie war es zu dieser fürchterlichen Katastrophe gekommen? Der Bestand der Bonner Universitätsbibliothek umfasste 1942 ca. 680.000 Bände und mindestens 100.000 Dissertationen.6 Sie war die zweitgrößte Bibliothek der preußischen Rheinprovinz und zugleich deren Pflichtbibliothek. Untergebracht war sie im Ostflügel des ehemaligen kurfürstlichen Schlosses. Aufgrund der Konstruktion ihrer oberirdischen Magazine war die Bibliothek gegen Luftangriffe sehr anfällig. Der rostartige Aufbau des 1890/91 errichteten Neuen Magazins musste kaminartig wirken und die Ausbreitung eines möglichen Brandes wesentlich beschleunigen. Noch gefährdeter war das Alte Magazin, dessen drei Säle fast bis zur Decke mit Holzregalen ausgestattet waren. Direktor der Bibliothek war bis Ende Mai 1942 Professor Dr. Erich von Rath. Nach seinem vorzeitigen Gang in den Ruhestand übernahm der bisherige Stellvertreter, Dr. Paul Otto, kommissarisch die Leitung des Hauses. Verantwortlich für die Sicherung der Bestände war der erste Bibliotheksrat Dr. Karl Lelbach, der 1946 aufgrund seiner Verdienste um die Auslagerung und den Wiederaufbau der Bibliothek zum Direktor ernannt wurde.7

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Bibliotheksdirektor im Nationalsozialismus. Hermann Corsten und die Universitäts- und Stadtbibliothek Köln (Kleine Schriften der Universitäts- und Stadtbibliothek 36), Köln 2012, S. 144 – 150. Berichte Hermann Reuters vom 19.07. und 01. 10. 1945 in StA Düsseldorf, IV 1884, Bl. 100 und Bl. 103; siehe auch Leyh, Bibliotheken nach dem Krieg (wie Anm. 1), S. 75 – 77; siehe auch Julia Hiller von Gaertringen, Stadt und Bibliothek. Die Landes- und Stadtbibliothek Düsseldorf in den Jahren 1904 bis 1970 (Schriften der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf 28), Düsseldorf 1997, S. 131 – 139. Leyh, Bibliotheken nach dem Krieg (wie Anm. 1), S. 86 f.; Gerhart Lohse, Die Bibliothek der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen in der Zeit des Nationalsozialismus und in den ersten Jahren des Wiederaufbaus (1933 – 1950), Aachen 1993, S. 13 – 19. Siehe Charlotte Schürfeld, Die Universitätsbibliothek Bonn 1921 – 1968. Erlebte Bibliotheks­geschichte (Bonner Beiträge zur Bibliotheks- und Bücherkunde 25), Bonn 1968; Renate Vogt, Aus der Geschichte der Universitätsbibliothek Bonn. Hartwig Lohse zum Abschied (Bonner Beiträge zur Bibliotheksund Bücherkunde 31), Bonn 1993; Frank Krosta, Die Bonner Universitätsbibliothek in der Zeit des Nationalsozialismus. Personal, Erwerbung, Benutzung, München 2008. Schürfeld, Universitätsbibliothek Bonn (wie Anm. 6), S. 71 – 73 sowie der Nachruf von Max ­Weisweiler, Karl Lelbach †, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 10 (1963), S. 192 – 194. ­Wichtiges

424 I Michael Herkenhoff

Abb. 1  Der Bibliothekstrakt im Universitätshauptgebäude, dem ehemaligen kurfürstlichen Schloss, 1942.

Signifikante Bergungsmaßnahmen der Bonner Universitätsbibliothek lassen sich bis zum Sommer 1942 nicht erkennen, sofern die miserable Quellenlage – die laufenden Akten sind bei der Zerstörung der Bibliothek 1944 vernichtet worden – diese Aussage zulässt. Es ist allerdings anzunehmen, dass man, wie in anderen wissenschaftlichen Bibliotheken auch, zumindest die wertvollsten Bestände – mittelalterliche Handschriften, Inkunabeln, Autografen etc. – besonders gesichert hatte, wahrscheinlich in den Kellerräumen der Bibliothek.8 Die Bergung und Sicherung der Bibliotheksbestände vollzog sich in zwei Abschnitten. Die erste Phase setzte im Spätsommer 1942 ein. Nachdem sich der Luftkrieg im Laufe des Jahres erheblich verschärft und mit der Landesbibliothek in Kassel (9. September 1941) und

Material zu Karl Lelbach bieten die Personalakten in UB Bonn, Akten I d, Fasz. 14 und UA Bonn, PA 5447. 8 Aktennotiz von Karl Lelbach vom 07. 03. 1947, S. 1 in UAB, Kl. Slg. 40: Ernsthaft und im größeren Umfang wurde das Problem der Bergungen erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1942 in Angriff genommen, nachdem man sich bis dahin mit vorbeugenden Maßnahmen begnügt hatte, die die Sicherung der wertvollsten Bestände betraf. Die Kölner Universitätsbibliothek hatte bereits im Frühjahr 1941 alle wertvollen Bücher in den Kellermagazinen der Bibliothek sichergestellt. Bericht Hermann Corstens an das Kuratorium der Kölner Universität vom 9. April 1941 in UA Köln Zug 553/2.

Kulturgutschutz rheinischer Bibliotheken im Zweiten Weltkrieg  I  425

der Universitätsbibliothek Kiel (29. April 1942) bereits zwei wissenschaftliche Bibliotheken erhebliche Verluste erlitten hatten,9 gaben die am 28. August 1942 verfügten „Richtlinien zur Durchführung des Luftschutzes in Bibliotheken“ 10 des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung erstmals konkrete Vorgaben für die Sicherung und Bergung der Bestände. Als Grundsatz wurde dabei festgelegt, dass die Erhaltung unersetzlichen und besonders wichtigen Bibliotheksguts jedem anderen Bestreben vorzugehen habe. Sicherung ging also vor Benutzung. Den größeren Bibliotheken wurde eine differenzierte Vorgehensweise empfohlen. Drei Bestandsgruppen werden in dem Erlass unterschieden: – Einmalige und schlechthin unersetzliche Stücke aus allen Teilen der Bibliothek: Handschriften jeder Art, unikale Drucke, Stücke mit einzigartigem Einband oder s­olche mit besonderer Herkunft oder Geschichte. – Bibliothekarische Seltenheiten oder Besonderheiten der Bibliotheken. – Masse der Inkunabeln und Frühdrucke, Raritäten, Sondersammlungen, Orts- und Regionalsammlungen. – Alle übrigen Bestände der Bibliothek nach Wegnahme der unter A und B bezeichneten Stücke. Während die Gruppe C aufgrund ihrer Masse nur im Bibliotheksgebäude selbst durch besondere Maßnahmen geschützt werden konnte, sollten die Bestände der Gruppen A und B aus der luftschutzgefährdeten Heimatbibliothek entfernt, auf mehrere geeignete Bergungsorte – genannt werden abseits gelegene Schlösser, Klöster, aufgelassene Staats- und Gemeindebauten etc. – verteilt und dort in Kisten unter geeigneten konservatorischen Bedingungen gelagert und bewacht aufbewahrt werden. Außerdem war mindestens ein den Gesamtbestand verzeichnender Katalog fotografisch aufzunehmen und die Filme an einem anderen Ort gesichert aufzubewahren. Die Umsetzung der Richtlinien in der Rheinprovinz war Gegenstand einer Besprechung, die am 21. Januar 1943 unter dem Vorsitz von Oberregierungsrat Alois Becker beim Provinzialkonservator in Bonn stattfand.11 Anwesend waren Prof. Dr. Graf Franz Wolff Metternich, 9 Leyh, Bibliotheken nach dem Krieg (wie Anm. 1), S. 129 f., 132 f. 10 In den Akten der Bonner Universitätsbibliothek hat sich der Erlass nicht erhalten. Abschrift u. a. in der Dienstregistratur der Archivberatung in Brauweiler (Brw.-Archivberatung 1), 97, Bl. 10 ff. Siehe Erich Hampe, Der Zivile Luftschutz im Zweiten Weltkrieg. Dokumentation und Erfahrungsberichte über Aufbau und Einsatz, Frankfurt a. M. 1963, S. 306 – 313. 11 Ein Protokoll der Besprechung ist nicht überliefert. Überliefert sind mehrere Notizen. Hs. Vermerk Kiskys in Brw.-Archivberatung 1, 97, Bl. 24; hs. Vermerk wohl auch von der Hand Kiskys in ALVR 28220; Notizen zum 21. 01. 1943 und hs. Bericht Provinzial-Luftschutz-Fürsorge für Bibliotheken und wissenschaftliche Sammlungen, jeweils wohl von der Hand Hermann Reuters in StA Düsseldorf 0 – 1 – 7 – 1912.000. Zu Alois Becker siehe auch dessen Erinnerungen: Der Dritte Weg. Erinnerungen eines Rheinländers aus fünf politischen Systemen, Heusenstamm 1998. Zum Kunst- und Kulturschutz, darunter auch Archiv- und Bibliotheksschutz, siehe ebd. S. 174 – 182.

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Dr. Bruno Hirschfeld, der Direktor des Staatsarchivs Koblenz, die Direktoren der Stadtbibliothek Aachen und der Stadt- und Landesbibliothek Düsseldorf, Dr. Albert Huyskens und Dr. Hermann Reuter, Dr. Karl Lelbach von der Universitätsbibliothek Bonn, der Leiter der Archivberatungsstelle der Rheinprovinz, Dr. Wilhelm Kisky sowie Dr. Walther ­Zimmermann vom Denkmalamt. Auf der Besprechung wurden folgende organisatorische und inhaltliche Festlegungen getroffen: Dr. Hirschfeld, der bereits am 17. Dezember 1942 durch einen Erlass des Reichsinnenministeriums zum Luftschutzbeauftragten für die Archive der Rheinprovinz ernannt worden war,12 erhielt zusätzlich die Verantwortung für die Bibliotheken und wissenschaftlichen Sammlungen der Provinz. Ein Erlass des Oberpräsidenten vier Tage ­später bestätigte diese Entscheidung.13 Die Bibliotheksvertreter wurden zu Luftschutzbeauftragten in ihren jeweiligen Regierungsbezirken ernannt: für den Regierungsbezirk Aachen Dr. Huyskens, für den Regierungsbezirk Düsseldorf Dr. Reuter, für den Regierungsbezirk Köln Dr. Lelbach für die Stadt Bonn und die Kreise Bonn und Sieg sowie Dr. Hermann Corsten, Universitäts- und Stadtbibliothek Köln, für die übrigen Kreise, für den Regierungsbezirk Koblenz der Direktor der Stadtbibliothek Koblenz, Dr. Franz Grosse sowie für den Regierungsbezirk Trier Dr. Alexander Röder, der Direktor der Trierer Stadtbibliothek. Die Luftschutzbeauftragten waren nicht nur für die Bestände ihrer eigenen Einrichtungen, sondern auch für die Bücher wertvoller privater, kirchlicher und öffentlicher Sammlungen zuständig. Inhaltlich wurde festgelegt, dass die Bestände möglichst vor Ort geborgen werden sollten, weil die Beschaffung von Transportmitteln unmöglich erschien. Für die Sicherung von Büchern sollten Kisten mit normierten Maßen (70 × 45 × 40 cm) bereitgestellt werden. Ein Verzeichnis aller geborgenen Bestände sollte beim Provinzialkonservator geführt werden. Die getroffene Vereinbarung fasste Hirschfeld in einem Merkblatt („Schutz der wertvollen Bibliotheken im Kriege“) zusammen, das er im gleichen Monat an die Bibliotheken der Rheinprovinz verschickte.14 In der Folgezeit entwickelte sich eine klare Aufgabenverteilung. Hirschfeld unternahm 1943 mehrere Besichtigungsreisen, um die jeweils getroffenen Maßnahmen zu überprüfen. Die Archivberatungsstelle ließ Kisten herstellen und erkundete mögliche Bergungsräume.15 Die Beauftragten in den Regierungsbezirken organisierten den Schutz der ­Buchbestände 12 Brw.-Archivberatung 1, 97, Bl. 2. Ein Protest des Reichsbeirats für Bibliotheksangelegenheiten vom 14. Januar 1943 gegen die Berufung eines Archivars für den Luftschutz von Bibliotheken in der Rheinprovinz blieb anscheinend folgenlos. Staatsbibliothek Berlin, Akten des Reichsbeirats XII1, Bd. 2, Bl. 109. Zu Hirschfeld siehe auch Petra Weiss, Die Bergung von Kulturgütern auf der Festung Ehrenbreitstein, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 26 (2000), S. 421 – 452. 13 Brw.-Archivberatung 1, 97, Bl. 10. Der Erlass datiert vom 25. 01. 1943. 14 Mehrere Exemplare überliefert in: Brw.-Archivberatung 1, 97. 15 Siehe Wilhelm Kisky, Die Archivberatungsstelle der Rheinprovinz und ihre Tätigkeit für die Sicherung von Archivalien und anderen Kulturgütern während des Krieges, Düsseldorf 1949; neuere Darstellung von Wolfgang Schaffer, Die Archivberatungsstelle der Rheinprovinz 1929 bis 1945, in: Kulturpolitik der Rheinischen Provinzialverwaltung 1920 bis 1945. Tagung am 18. und 19. Juni 2018

Kulturgutschutz rheinischer Bibliotheken im Zweiten Weltkrieg  I  427

in ihrem Zuständigkeitsbereich und erstatteten auf mindestens zwei weiteren Sitzungen, beim Provinzialkonservator in Bonn am 4. Mai 194316 und im Oberpräsidium in Koblenz am 8. Februar 194417, über ihre Tätigkeiten Bericht. Ein wesentlicher Punkt bei beiden Besprechungen scheint jeweils der Bergungsraum bzw. die Ausdehnung des Bergungsraums gewesen zu sein, wobei es sich aufgrund der großen Transportschwierigkeiten zunehmend als notwendig erwies, weitere Bergungsräume in der Rheinprovinz ausfindig zu machen.18 Die Universitätsbibliothek Bonn selbst traf, gemäß den Bestimmungen der Richtlinien, ab dem Herbst 1942 konkrete Maßnahmen zur Sicherung und Bergung ihrer Bestände: – In einem ersten Schritt wurden im Oktober 1942 die überfüllten Speicher- und Mansar­ denräume geräumt. Die dort befindlichen Zeitungen und Dubletten wurden in das Gut Melb auf dem Bonner Venusberg gebracht. – Weitere große Bestände schaffte man in die Keller der Universität. Dort barg man die weniger wertvollen Handschriften und Frühdrucke, besonders wichtige und viel gebrauchte Sammel- und Serienwerke, Großformate bzw. Karten, Bilder- und Tafelwerke, ältere und wichtige neue Akten sowie die Akzessionsjournale. Die Bücher wurden so aufgestellt, dass sie dem lokalen und regionalen Leihverkehr zur Verfügung standen. Der Benutzungsgedanke spielte also noch immer eine wesentliche Rolle. – Die wertvollsten Bestände brachte man im Dezember 1942 und im Februar 1943 an drei abgelegenen Orten im Wildenburger Land und im Westerwald in Sicherheit: das Pfarrhaus zu Friesenhagen, das unweit entfernte Schloss Crottorf und das Kloster Marienthal bei Hamm an der Sieg. Diese Zimelien waren in insgesamt 195 verschraubte Holzkisten verpackt, die laufend nummeriert und als Eigentum der Universitätsbibliothek gekennzeichnet waren. im LVR-LandesMuseum Bonn (Beihefte der Bonner Jahrbücher 59), Darmstadt 2019, S. 35 – 47, hier S. 44 – 47. 16 Ein Sitzungsprotokoll konnte ich nicht ermitteln. Die Tagesordnung der Sitzung findet sich in ALVR, Brw.-Archivberatung 1, 97, Bl. 83a, UA Köln, Zug 553/2 und StA Düsseldorf 0 – 1 – 7 – 1912.000. Eine Aktennotiz Hirschfelds vom 09. 05. 1943 zu der Besprechung in LHA Koblenz, Bestand 417, Nr. 216, S. 86 f. Laut Hirschfeld waren Teilnehmer der Sitzung Oberregierungsrat Becker, Baurat Wildemann, Dr. Reuter (StLB Düsseldorf ), Dr. Huyskens (StB Aachen), Dr. Wilkes, Oberarchivrat Kisky, Dr. Röder (StB Trier), Bibliotheksrat Veltmann (UB Köln) und Dr. Lelbach (UB Bonn). Hirschfeld erwähnt ferner für die UB Bonn noch einen Dr. Schmidt-Goborg (?). Ein Bibliothekar ­dieses Namens war aber an der UB Bonn nie tätig. 17 Ein Sitzungsprotokoll konnte ich nicht ermitteln. Die Tagesordnung der Sitzung findet sich in ALVR 11233; UA Köln Zug 553/2; Besprechungsnotiz von Carl Wilkes vom 15. 02. 1944 in ALVR 11233. Karl Lelbach hat an der Besprechung teilgenommen. Reisekostenabrechnung Karl Lelbachs zum 8. Februar 1944 in UA Bonn, PA 5447 (Karl Lelbach). 18 So Carl Wilkes, in ALVR 11233 (wie Anm. 17).

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Die Auswahl der drei Depots verdeutlicht, dass die Bergung der Bibliothekszimelien im Winter 1942/43 in enger Abstimmung mit den Kunstschutzmaßnahmen der Provinzialverwaltung erfolgte, handelt es sich doch um Orte, an denen auch weitere Kunst- und Kulturgüter untergebracht waren.19 Das Schloss Crottorf gehörte zu den offiziellen Bergungsdepots der Rheinprovinz, in dem zahlreiche Bestände aus Privat- und Kirchenbesitz, vor allem aus Köln und Bonn untergebracht waren.20 Im benachbarten Pfarrhaus von Friesenhagen waren schon seit Kriegsbeginn Kunstgegenstände aus Kölner Museen und ­Kirchen untergebracht.21 Im Kloster Marienthal schließlich waren außer den Bonner Büchern auch Kunstwerke des Kölner Doms untergebracht.22 Die Aufsicht über diese Depots oblag dem Provinzialkonservator und dessen Mitarbeitern. Das Schloss Crottorf wurde beispielsweise noch am 2. März 1945 durch Graf Wolff Metternich kontrolliert.23 Die Bibliothek selbst scheint keine umfangreichen Kontrollen vorgenommen und sich stattdessen auf die Provinzialverwaltung verlassen zu haben. Für Lelbach selbst ist nur eine Kontrollfahrt zu den drei Depots im Frühjahr 1944 bekannt.24 Mietverträge mit den Eigentümern der drei Örtlichkeiten sind anscheinend nicht abgeschlossen worden. Da sich die in den Bergungskisten befindlichen Inventarlisten nicht erhalten haben, ist die genaue Zahl der im Winter 1942/43 geborgenen Bestände nicht bekannt. Laut Paul Otto wurden rechtsrheinisch (…) der kostbarste Teil unseres Handschriften- und Inkunabel­bestandes (der weniger wertvolle Teil ist in hiesigen Kellern untergebracht), unsere große Autographensammlung und ca. 10000 bis 12000 Bände unseres wertvollsten Materials aus allen Fächern ausgelagert.25 Geht man von dieser Bemerkung aus, so dürften die mittelalterlichen Handschriften, die wertvollsten neuzeitlichen Handschriften, der Großteil der Inkunabeln, die 19 Auflistungen der von der Provinzialverwaltung betreuten Bergungsorte in Brw.-Archivberatung 1, 366 und 367 und ALVR 11234 u. 35261. 20 Auflistungen des Bergungsgutes im Schloss Crottorf finden sich in ALVR 49267. 21 Hermann-Josef Schuh, Friesenhagen. Die 1930er und 1940er Jahren in unserer Gemeinde, Morsbach 2012, S. 143 und S. 160. Siehe auch den Aktenvermerk von Wilhelm Kisky vom 02. 05. 1947 zur Belegung des Pfarrhauses von Friesenhagen mit Kölner Kunstschätzen noch in der Nachkriegszeit in ALVR 49367. 22 Amerikanisches Verzeichnis der „Depots of fine arts“, wohl vom Frühjahr 1945 in ALVR 35261. 23 Bericht Wolff Metternichs an den Oberpräsidenten der Rheinprovinz vom 06. 03. 1945 in Brw.Archivberatung 1, 382: Alle in Crottorf geborgenen Kunstgegenstände waren in bester Ordnung. Pflege und klimatische Verhältnisse waren vorzüglich. 24 Reisekostenabrechnung Karl Lelbachs für eine Fahrt nach Crottorf, Friesenhagen und Marienthal am 30. 03. 1944 in UA Bonn PA 5447 (Karl Lelbach). 25 Brief Paul Ottos an Ministerialrat Kummer vom 2. Dezember 1944 in Akten der UB Bonn A/1. In einer Publikation über das Kloster Marienthal – dorthin sind 90 Kisten gebracht worden – wird erwähnt, dass dort insgesamt 7000 Bände geborgen worden sind. Siehe Gabriel Busch, Chronik von Marienthal, in: Gabriel Busch (Hg.), Hilgenroth/Marienthal zwei Wallfahrtsorte. Beiträge zum 800jährigen Jubiläum des hl. Franz von Assisi (Rhenania Franciscana antiqua 2), Siegburg 1982, S. 314.

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Autografensammlung inklusive der Briefkonvolute aus bedeutenden Nachlässen 26 sowie die wertvollsten Drucke in die drei rechtsrheinischen Depots ausgelagert worden sein. Da die Bonner Universitätsbibliothek zum damaligen Zeitpunkt keine Rara-Sammlung besaß, dürfte insbesondere die Auswahl der wertvollen alten Drucke sehr zeitaufwändig gewesen sein.27 Dies könnte dafür sprechen, dass man zuerst die geschlossen aufgestellten Bestandsgruppen auslagerte und erst am Ende die alten Druckwerke. Neben der Bergung der eigenen Bestände kümmerte sich die Bonner UB auch um die Sicherung von Instituts- und Seminarbibliotheken der Bonner Universität sowie um die Sicherung von Privatbibliotheken Bonner Wissenschaftler, die für ihre Buchbestände Kisten von der Archivberatungsstelle zur Verfügung gestellt bekamen. Allerdings ist auch über diese Sicherungsmaßnahmen aufgrund der desolaten Aktenüberlieferung nur wenig bekannt.28 Im Sommer 1943 hielt die Bonner Universitätsbibliothek die Bergungsmaßnahmen anscheinend für abgeschlossen. Ende Juli erstattete Lelbach Bruno Hirschfeld Bericht: Die Universitätsbibliothek habe die Bergungsaktion zu Ende geführt, die Verfilmung des Realkataloges ungefähr zur Hälfte durchgeführt, für die Bergung weiterer Privat- und Gymnasialbibliotheken gesorgt und dafür Kisten beantragt.29 Die Stellungnahme Lelbachs verwundert insofern, da einerseits die Luftkriegslage sich im Laufe des Jahres 1943 stetig verschärfte und andererseits die benachbarte UB Köln sich zwischenzeitlich zu deutlich weitergehenden Maßnahmen entschlossen hatte. Dort war bereits im Herbst 1942 die komplette Verlagerung der Bibliothek beschlossen worden. Seit Anfang 1943 fuhr nahezu wöchentlich ein Lastwagen die Bücherbestände ab.30 Doch auch die Haltung der Bonner Universitätsbibliothek sollte sich bald ändern. Im Herbst 1943 setzte in der UB Bonn, wie auch in anderen deutschen wissenschaftlichen Bibliotheken, eine zweite, weit massivere Auslagerungswelle ein.31 Anlass war in Bonn wahrscheinlich eine mündliche Weisung des Reichserziehungsministeriums, die im August oder September 1943 einging. Diese ministerielle Anordnung ergänzte im 26 Auffälligerweise sind in einigen Nachlässen der Vorkriegszeit fast nur noch die Briefe erhalten, die Manuskripte sind in weiten Teilen in Verlust geraten. Dies betrifft die Nachlässe von Jakob Bernays, Friedrich Bluhme, Eduard Böcking, Sulpiz Boisserée, Carl Justi, Paul Krüger, Ferdinand August Naeke, Hermann Usener, Friedrich Gottlieb Welcker. Zur Wertigkeit der Briefnachlässe siehe auch Paul Otto, Die Autografen- und Porträtsammlung der Universitäts-Bibliothek zu Bonn, in: Bonner Mitteilungen 12 (1933), S. 34 – 45. 27 Lelbach spricht s­päter von Beständen, die in mehrfacher Durchsicht und Überprüfung aus allen Sammelgebieten herausgezogen worden waren. Karl Lelbach, Bergung-Rückführung und Wiederaufstellung der U-B Bonn, S. 2, in UA Bonn Kleine Slg. Nr. 40 (Karl Lelbach). 28 Hinweise zu diesen Maßnahmen finden sich in verschiedenen Überlieferungen. Schreiben Lelbachs an Hirschfeld vom 30. April 1943 mit Anforderung von 163 Kisten in LHA Koblenz, Best. 417, Nr. 215, Fasz. Universitätsbibliothek Bonn. 29 Ebd., Bericht Lelbachs an Hirschfeld vom 24. 07. 1943. 30 Hoffrath, Bibliotheksdirektor im Nationalsozialismus (wie Anm. 3), S. 145 – 147. 31 Hampe, Der Zivile Luftschutz (wie Anm. 10), S. 522.

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Oktober ein schriftlicher Geheimerlass des Kölner Regierungspräsidenten, der die Bonner Universität anwies, nunmehr umgehend und mit allem Nachdruck die Universitätsbibliothek in einem weniger luftgefährdeten Gebiet unterzubringen; dabei dürfe auf deren Ausfall für Studienzwecke keine Rücksichten genommen werden.32 Diesmal reagierte die Bibliothek sofort und bemühte sich um neue Auslagerungsorte. Charakteristischerweise erfolgten die ersten Bemühungen über den Luftschutzbeauftragten der Rheinprovinz bzw. über die Archivberatungsstelle. Am 14. Oktober rief Lelbach im Staatsarchiv Koblenz an und bat um Angabe geeigneter Bergungsräume für die Universitätsbibliothek Bonn. Deren Räumung solle beschleunigt erfolgen.33 Die schriftliche Antwort Hirschfelds wenige Tage s­ päter war wenig ermutigend: Zur Zeit könnten noch keine Bergungsräume genannt werden. Er wolle sich aber darum bemühen und Lelbach demnächst Nachricht zukommen lassen. Es ließe sich aber schon jetzt mit größter Wahrscheinlichkeit sagen, dass der verfügbare Bergungsraum in keinem Verhältnis zu den großen fortzuschaffenden Beständen stehe.34 Ein weiterer Vorstoß Lelbachs zwei Wochen s­ päter, von der Archivberatungsstelle die Burg Wachendorf bei Satzvey als Bergungsort zugeteilt zu bekommen, blieb gleichfalls erfolglos.35 Die Bibliothek drohte im Wettbewerb um den immer knapper werdenden Bergungsraum zu kurz zu kommen. Erst im November und Dezember konnten fünf ausschließlich linksrheinische Lokalitäten – das Sporthotel Tribüne am Nürburgring, die Häuser Enzen, Dürffenthal und Busch bei Zülpich/Euskirchen und das Haus Holzem bei Wachtberg/Berkum – als Bergungsorte für die Bibliotheksbestände gewonnen werden. Diese neuen Lagerstätten unterschieden sich deutlich von den Auslagerungsdepots der ersten Bergungsphase. Sie lagen in einer vergleichsweise offenen Gegend und waren nicht so abgelegen und so weit von Bonn entfernt wie die drei rechtsrheinischen Auslagerungsstätten. Damit waren sie geeigneter für Massenauslagerungen, zumal sich durch die größere Nähe zu Bonn auch der Treibstoffverbrauch reduzierte. Die jeweiligen Gebäude wurden ausschließlich für Bestände der Bonner Universitätsbibliothek genutzt. Sie gehörten nicht zu den offiziellen Auslagerungsdepots der Rheinprovinz. Im entsprechenden Verzeichnis des Provinzialkonservators sind sie nicht enthalten,36 wohl aber in den späteren Inventaren der amerikanischen Besatzungsmacht.37 32 Brief des Bonner Universitätskurators Kiekebusch an das Reichserziehungsminsterium vom 30. 11. 1943 in GSTA Berlin Rep 76, Nr. 1215, Bl. 16. 33 LHA Koblenz Best. 417, Nr. 215, Fasz. Universitätsbibliothek Bonn: Aktenvermerk vom 14. 10. 1943 über einen Anruf Lelbachs vom gleichen Tag. Lelbach bezieht sich auf einen Erlass des Reichsinnenministeriums vom 20. 08. 1943, der die erheblich weitergehende Bergung wissenschaftlicher Bibliotheken und deren Unterbringung in dafür zu schaffende Baracken anordnet. 34 Ebd., Brief Bruno Hirschfelds an Karl Lelbach vom 19. 10. 1943. 35 Brw-Archivberatung 1, 97, Bl. 335. In der Akte findet sich dazu ein hs. Vermerk: Erled. durch Telefon 30.10. 36 Siehe Anm. 19. 37 Monthly Report: Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force April 1945, S. 39 u. ö. NARA, Record Group 260, M1947: https://www.fold3.com/image/114/231965927 (Stand: 26. 07. 2020).

Kulturgutschutz rheinischer Bibliotheken im Zweiten Weltkrieg  I  431

Dementsprechend unterstanden sie auch nicht der Aufsicht der Provinzialverwaltung. Stattdessen schloss die Bibliothek mit den Eigentümern der Häuser Mietverträge ab,38 die die Verantwortung für das Bergungsgut den Vermietern übertrug. Diese verpflichteten sich, alle Vorkehrungen zu treffen, die zur Sicherung des Bergungsgutes erforderlich waren, es unter dauerndem Verschluss zu halten, regelmäßig zu beobachten und der Universitätsbibliothek von eventuell entstandenen oder entstehenden Schäden unverzüglich Kenntnis zu geben.39 Zu einer Gesamtauslagerung konnten sich aber weder Universitäts- noch Bibliotheks­ leitung durchringen. Die Bibliothek sollte arbeitsfähig bleiben.40 Darüber hinaus unterschätzte man die Gefahr. Ende 1943 kam Bruno Hirschfeld nach Bonn und ließ sich in der Bibliothek über die geplanten Auslagerungsmaßnahmen unterrichten. In seinem Bericht vermerkte er: Der größere Teil insbesondere an neueren Büchern soll jedoch in Bonn bleiben, um die Bedürfnisse der Lehrer und Studenten nach Büchern befriedigen zu können. Dabei besteht die Hoffnung, daß die Lage des Bibliotheksgebäudes am Hofgarten und seine geringe Breite Bombenangriffen ein nur geringes Ziel bietet.41

Die ambivalente Haltung der Bonner Bibliotheksleitung – Bergung bei Aufrechterhaltung der Benutzung – entsprach den Vorgaben übergeordneter Stellen. Der Reichserziehungsminister, Dr. Rust, hatte sich am 29. Oktober darüber beklagt, dass durch Totalräumungen Forschung und Lehre beeinträchtigt ­seien und verlangte, künftig Bücherverlagerungen von seiner vorherigen Kenntnis und Zustimmung abhängig zu machen.42 Auch der Reichsbeirat für Bibliotheksangelegenheiten sprach sich auf seiner Sitzung am 24. November 1943 dafür aus, dass die wissenschaftliche Arbeit in kriegswichtigem Umfang durch die Bibliotheken ermöglicht werden müsse.43 Die zweite Auslagerungsphase der Bibliothek begann mit dem ersten Transport nach Haus Enzen am 22. Dezember 1943. Ablauf und Durchführung der Bergung waren durch den Zeitdruck gekennzeichnet, den die Bibliothek jetzt offenkundig empfand. Weder wurden die Bücher in Kisten verpackt noch Listen für das jeweilige Transportgut angelegt. 38 Der Abschluss von Mietverträgen war bereits im April 1943 bei einer Sitzung der Kunstschutzbeauftragten der Rheinprovinz am 2. April 1943 in Bonn empfohlen worden. Protokoll der Besprechung in Brw-Archivberatung 1, 372. 39 Mietverträge und entsprechender Schriftverkehr in GSTA Berlin Rep. 76, Nr. 1215, Bl. 19 – 24. In den Akten der Bibliothek haben sich die Verträge nicht erhalten. Sie sind am 18. 10. 1944 verbrannt. 40 Auch die Stadt- und Landesbibliothek Düsseldorf hielt im September 1943 eine vollständige Schließung und komplette Verlagerung der Bibliothek für unmöglich. Die Stellungnahme der Bibliothek auf ein entsprechendes Ansinnen der Stadtverwaltung findet sich in STA Düsseldorf, 1912. 41 LHA Koblenz, Best. 417, Nr. 216, Bl. 182. 42 Olaf Groehler, Bombenkrieg gegen Deutschland, Berlin 1990, S. 310. 43 Manfred Komorowski, Die Tagungsprotokolle des Reichsbeirats für Bibliotheksangelegenheiten (1937 – 1943), in: Bibliothek. Forschung und Praxis 16 (1992), S. 66 – 98, hier S. 98.

432 I Michael Herkenhoff

Die Bücher wurden auf Möbelwagen verladen und an den Auslagerungsorten bis zu einer Höhe von 1,50 m gestapelt. Für die Transportarbeiten standen Bibliotheksmitarbeiter, Soldaten, s­päter auch Kriegsgefangene zur Verfügung.44 Maßgebliche Hilfestellung bei der ­Auswahl und dem Ausbau der Bergungsstätten leistete das Staatshochbauamt Bonn. Dessen damaliger Leiter Bernhard Gelderblom berichtete in seinen Erinnerungen über zahlreiche, von Jagdbombern gefährdete Erkundungsfahrten links und rechts des Rheins, die er mit ­Lelbach zusammen durchgeführt hatte.45 Die Universitätsbibliothek plante offenkundig im Laufe des Jahres 1944 die Auslagerung weiterer Bestandsgruppen und suchte dafür neue Unterbringungsmöglichkeiten. Die Bergungsaktion verlief aus Mangel an Transportmitteln, Treibstoff und Arbeitskräften und bei eifersüchtig gewahrter Schonung des Reifenmaterials durch das Fahrpersonal – so kommentierte es Lelbach einige Jahre s­ päter sarkastisch 46 – schleppend und unregelmäßig, kulminierte jedoch in der zweiten Augusthälfte. Nahezu täglich ging nun ein Transport zum Nürburgring ab. Es gelang, in d ­ iesem Monat die komplette rechtswissenschaftliche Abteilung (I) und gut 10.000 Bände staatswissenschaftlicher Literatur (K) fortzuschaffen. Am 31. August 1944 fand die letzte Bergungsfahrt statt. Dann musste die Aktion abgebrochen werden, da sich die Alliierten nach dem Zusammenbruch der Westfront der Reichsgrenze näherten. Bis dahin waren ca. 260.000 Bände außerhalb Bonns gesichert worden, davon knapp die Hälfte am Nürburgring. Auslagerung

Fahrten

Bestände

Umfang ca. 12.000 Bde.

20. – 22. 12. 1943

2

Ga, Gb, Gc

6. – 22. 1. 1944

4

Gc-Gk, Gl, Gm (2°)

ca. 35.000 Bde.

Haus Busch

26.1. –  4. 2. 1944

3

Gm, Fa-Fb

ca. 30.000 Bde.

Haus Holzem

22.2. – 25. 3. 1944

8

Fc–Fe, PGB, N, O, Qa

ca. 55.000 Bde.

Nürburgring

29.3. – 31. 8. 1944

39

Qb, Ra-Rf, H, Ia-Ir, Ka

126.682 Bde.

Haus Enzen Haus Dürffenthal

47

Tabelle 1: Außerhalb Bonns geborgene Bestände 

Es waren also nur Sicherungs- und Bergungsmaßnahmen in der Bibliothek selbst möglich. Große Teile der Bestandsgruppen, deren Abtransport nicht mehr möglich war, brachte man

44 So Karl Lelbach, Bergung-Rückführung und Wiederaufstellung der U-B Bonn, S. 3 in UA Bonn Kleine Slg. Nr. 40 (Karl Lelbach) 45 Bernhard Gelderblom, Baumeister der Rhein. Friedr. Wilh. Universität Bonn 1921 – 1957, o. O. o. D., S. 14. Das Typoskript befindet sich im UA Bonn. 46 Typoskript Bergung – Rückführung und Wiederaufstellung der U-B Bonn, S. 2 in UA Bonn Kleine Slg. Nr. 40. 47 Akten der UB N/1. Dort Auflistung der Bergungsfahrten. Überblick über die alte Systematik der Bonner UB bei Renate Vogt, Der Systematische Katalog, in: Vogt (Hg.), Aus der Geschichte (wie Anm. 6), S. 68 – 76, hier S. 68 – 70.

Kulturgutschutz rheinischer Bibliotheken im Zweiten Weltkrieg  I  433

in den Kellern der Universitätsbibliothek in Sicherheit. Den Alphabetischen Katalog im Erdgeschoss schützte man durch eine Steinmauer. Die im Magazin verbliebenen Bände – ca. 180.000 – 200.000 – schaffte man unter den Steinboden des Mittelgeschosses und glaubte, sie dadurch ausreichend gesichert zu haben. Am späten Vormittag des 18. Oktober 1944 brach mit dem britischen Bombenangriff die Katastrophe herein. Das Universitätshauptgebäude wurde schwer getroffen, die darin befindliche Bibliothek vollkommen zerstört. Von den im Magazin verbliebenen Bänden konnten nur 20.000 geborgen werden. Neben den Büchern verbrannten wichtige Kataloge, für unentbehrlich gehaltene und daher nicht ausgelagerte Handbibliotheken sowie die sich noch im Geschäftszimmer befindlichen Akten und Akzessionsjournale. Die in den Kellern der Bibliothek und der Universität lagernden Bücherbestände erlitten durch geplatzte Kellerrohre erhebliche Wasserschäden. Weitere Schäden entstanden durch schwere Luftangriffe z­ wischen Weihnachten und Silvester 1944. Anfang Januar 1945 wurde die Bibliothek geschlossen, die Bibliotheksangehörigen durften Bonn verlassen. Am 8./9. März 1945 eroberten amerikanische Streitkräfte Bonn. Nur wenig ­später kam Captain Walker Hancock, der Kunstschutzoffizier der 1. US-Armee, in die Stadt.48 Mit seiner Ankunft begann eine enge, sehr konstruktive Zusammenarbeit z­ wischen den alliierten Kunstschutzoffizieren und den Kunstschutzbeauftragten der Provinzialverwaltung, von der auch die Bonner Universitätsbibliothek profitieren sollte.49 Hancock war in Bonn auf der Suche nach Graf Wolff Metternich, um von d ­ iesem Auskünfte über Bergungsdepots zu 50 51 erhalten. Den Grafen traf er nicht an, wohl aber dessen Assistenten Willy Weyres. Von ­diesem erhielt er detaillierte Informationen über mehr als 100 Auslagerungsdepots in der Rheinprovinz.52 Hancock machte sich darüber hinaus ein Bild vom Zustand der Bonner Kulturgüter und Kultureinrichtungen, unter anderem auch der Universitätsbibliothek, in der Karl Lelbach anwesend war. Auffällig ist, dass von den acht Auslagerungsdepots nur 48 Zum alliierten Kunstschutz siehe Robert M. Edsel/Bret Witter, Monuments Men. Die Jagd nach Hitlers Raubkunst, St. Pölten u. a. 2013, und zuletzt Emily Löffler, Kunstschutz im besetzten Deutschland. Restitution und Kulturpolitik in der französischen und amerikanischen Besatzungszone (Brüche und Kontinuitäten. Forschungen zu Kunst und Kulturgeschichte im Nationalsozialismus 3), Wien u. a. 2019. 49 Siehe dazu auch Esther Heyer, Der Provinzialkonservator Franziskus Graf Wolff Metternich. Denkmalpflege und Kunstschutz im Rheinland und in Frankreich, in: Kulturpolitik der Rheinischen Provinzialverwaltung 1920 bis 1945 (wie Anm. 15), S. 73 – 83, hier S. 81. 50 Reports on MFA &A for February, March 1945, S. 9. NARA, Record Group 260, M1947: https:// www.fold3.com/image/114/231964611 (Stand: 26. 07. 2020). 51 Die amerikanischen Kunstschutzoffiziere konnten Wolff Metternich erst am 11. Mai ausfindig machen und am 12. Mai 1945 befragen. Monthly MFAA Report May and June 1945, S. 33 f. NARA, Record Group 260, M1946 https://www.fold3.com/image/114/270006359 (Stand: 26. 07. 2020). 52 Walker Hancock, Experiences of a Monuments Officer in Germany, in: College Art Journal 5 (1946), S. 271 – 311, hier S. 287 f. Siehe auch Edsel/Witter, Monuments Men (wie Anm. 48), S. 312 f.

434 I Michael Herkenhoff

dasjenige am Nürburgring genannt wurde, in dem sich 300.000 Bände befinden sollten.53 Ein weiterer Gesprächspartner Hancocks war Lelbachs Kollege, Dr. Gustav Reich, wissenschaftlicher Bibliothekar der UB. Wohl auf dessen Bitte hin informierte Hancock die 3. US -Armee über das Depot am Nürburgring und bat, das Hotel durch Militärposten zu ­schützen.54 Tatsächlich zogen dann neun Soldaten als Wache vor dem Gebäude auf.55 Walker Hancock 56 und andere amerikanische Kunstschutzoffiziere 57 kontrollierten in der Folgezeit mehrmals die links- und rechtsrheinischen Auslagerungsorte der Bibliothek. Mitte April konnte auch Karl Lelbach in Begleitung eines amerikanischen Majors die fünf linksrheinischen Depots besichtigen und sich über den Zustand der Bestände informieren. Dabei ergab sich folgendes Bild: 1. Die Bestände am Nürburgring waren in einem guten Zustand. Vor dem Hotel war tatsächlich ein Militärposten aufgezogen. Der amerikanische Major empfahl aber den Rücktransport der Bücher nach Bonn. 2. In Haus Holzem waren seit dem Beginn der Besetzung Truppen einquartiert. Dadurch war es in zwei der drei angemieteten Räume zu Beschädigungen und Verlusten gekommen, die Lelbach auf 20 bzw. 15 – 20 % taxierte. 3. Haus Enzen war mit Polen belegt gewesen, die in dem Bücherzimmer übernachtet hatten. Die Bücher waren an die Wand gedrängt, teilweise auch beschädigt und vernichtet worden. Die Verluste schätzte Lelbach auf ca. 20 %. 4. Haus Dürffenthal war mit Truppen belegt, die Bestände schon am 18. März nach Aachen ins Suermondt-Museum fortgeschafft worden. Lelbach blieb nichts übrig, als sich nach den Kennzeichen der Einheit zu erkundigen, die die Bestände fortgeschafft hatte. 5. Die Bestände in Haus Busch waren in einem tadellosen Zustand. Das Haus war genauso wie Haus Enzen durch Safeguards geschützt.58 53 Reports on MFA &A für February, March 1945, S. 12. NARA, Record Group 260, M1947: https:// www.fold3.com/image/114/231964635 (Stand: 26. 07. 2020). Die Besichtigung der Bibliothek fand demnach am 20. März 1945 statt. 54 Hancock, Experiences (wie Anm. 52), S. 288. Die entsprechenden Fernschreiben vom 18., 21. und 22. 03. 1945 finden sich in Adm: TWX File (Adm 7). NARA, Record Group 260, M1946: https:// www.fold3.com/image/231985212, https://www.fold3.com/image/231985220, https://www.fold3.com/ image/231985229 (Stand: 26. 07. 2020). Reich berichtet Lelbach am 5. April 1945 über ein Gespräch, das er am Vortrag bei Weyres mit Captain „Henkock“ geführt habe: Akten der UB Bonn, Akten N/1. 55 Monthly Report: Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force, April 1945, S. 12: https://www. fold3.com/image/231965734 (Stand: 26. 07. 2020). 56 Hancock war am 28. März 1945 am Nürburgring. 57 Leutnant Glass berichtet am 18. Juni 1945 über Kontrollbesuche am Nürburgring am 24. April und 10. Juni: Akten der UB Bonn N/1. Bericht Wildemanns vom 02. 05. 1945 über einen Kontrollbesuch in Crottorf am 29. April zusammen mit Captain Bennett, in ALVR 35261. 58 Bericht Lelbachs vom 24. 04. 1945 in Akten der UB Bonn N/1.

Kulturgutschutz rheinischer Bibliotheken im Zweiten Weltkrieg  I  435

Die drei rechtsrheinischen Auslagerungsorte konnte Lelbach Mitte April 1945 nicht aufsuchen – der Krieg sollte ja noch gut drei Wochen andauern – aber er erhielt im nächsten Monat Nachricht, dass die Bestände jeweils in guter Ordnung und trocken untergebracht waren.59 Einen Monat ­später legte Lelbach der noch amtierenden amerikanischen Militärregierung von Bonn einen detaillierten Plan zur „Rückführung, Sicherung und Aufstellung der Bestände der Universitätsbibliothek Bonn“ vor.60 Die links- und rechtsrheinisch ausgelagerten Bestände sollten nach und nach zurückgeholt und in den sogenannten Gronau-Bunker in der Bonner Rheinaue verbracht werden. Dieser war der Universitätsbibliothek als Zwischenlager von der Militärregierung zur Verfügung gestellt worden. Begonnen werden sollte mit den Beständen in Haus Holzem und im Sporthotel am Nürburgring. Alle anderen aus Bonn verlagerten Bestände – auch die inzwischen in Aachen befindlichen – sollten vorerst an ihren jetzigen Orten verbleiben. Die Rückführung und Neuaufstellung der Bestände zog sich deutlich länger hin als ursprünglich angenommen. Mangel an Arbeitskräften, Treibstoff und Fahrzeugen wie auch die komplizierten Verhältnisse im vielfach geteilten Deutschland – immerhin lagen vier Depots nunmehr in der französischen Besatzungszone – erschwerten den Rücktransport immens.61 Es sollte mehr als zwei Jahre dauern, bis sich mit den letzten Transporten aus Haus Busch und Haus Enzen im Oktober 1947 alle Bestände im Gronau-Bunker bzw. im Universitätshauptgebäude befanden. Ort

Beginn

Ende

Haus Holzem

19. 06. 1945

September 1945 (?)

Aachen

10. 12. 1945

Vor 11. 03. 1946

Nürburgring

25. 02. 1946

??

Crottorf

24. 08. 1946

09. 09. 1946

Friesenhagen

24. 08. 1946

09. 09. 1946

Marienthal

04. 09. 1946

09. 09. 1946

Haus Enzen

14. 10. 1947

21. 10. 1947

Haus Busch

21. 10. 1947

21. 10. 1947

Tabelle 2: Rückführung der Bestände

59 Bericht der Universitätsbibliothek an die Militärregierung vom 22. 05. 1945 in Akten der UB Bonn N/1. 60 Ebd. S. 1. Zum Folgenden siehe Michael Herkenhoff, Der Wiederaufbau der Universitätsbibliothek, in: Thomas Becker (Hg.), Zwischen Diktatur und Neubeginn. Die Universität Bonn im Dritten Reich und in der Nachkriegszeit, Göttingen 2008, S. 321 – 334. 61 Ebd., S. 327. Ders., Auslagerung und Rückführung (wie Anm. 1), S. 91 – 93. Siehe zur französischen Kulturpolitik sowie speziell zur Problematik des Interzonentransfers von Kulturgütern in den Besatzungszonen auch Löffler, Kunstschutz (wie Anm. 48), S. 177 – 229.

436 I Michael Herkenhoff

Abb. 2  Der ausgebrannte Bibliothekstrakt im Universitätshauptgebäude, dem ehemaligen kurfürstlichen Schloss, 1948.

Gut fünf Jahre waren seit dem Beginn der ersten Auslagerungsmaßnahmen vergangen. Die Bibliothek hatte in dieser Zeit schwere Verluste erlitten, vor allem bei der Zerstörung der Universität am 18. Oktober 1944, in geringerem Umfang auch in den Auslagerungsorten. Diese massiven Verluste wären vermeidbar gewesen, wenn die Bibliothek früher, energischer und vollständiger ausgelagert worden wäre. Stattdessen reagierte die Bibliothek nur auf Aufforderungen und Erlasse von außen. Eigene Initiativen zur Auslagerung der Bestände sind nicht erkennbar. Wäre Bonn bereits früher Ziel eines massiven Luftangriffes geworden, wären wahrscheinlich weit mehr Bände vernichtet worden, als es im Oktober 1944 der Fall war. Abschließend möchte ich auf aktuelle Geschehnisse eingehen, die auf die Auslagerung und Rückführung unserer Bücher ein neues Licht werfen.62 Als man Anfang der 1950er Jahre die wertvollsten Bestände revidierte, stellte man fest, dass auch bei diesen Verluste 62 Michael Herkenhoff, Zurück nach 70 Jahren. Veröffentlicht am 10. Juli 2019: https://mittelalter. hypotheses.org/22194 (Stand: 26. 07. 2020); Ders., Wiedererlangte Schätze. Die Restitution von Handschriften und Drucken an die ULB Bonn. Mit einer Auflistung der Werke zur Rheinischen Landesgeschichte. Veröffentlicht am 7. August 2019: http://histrhen.landesgeschichte.eu/2019/08/­ wiedererlangte-schaetze (Stand: 26. 07. 2020). Künftig ausführlich: Birgit Schaper/Michael H ­ erkenhoff, Ein kapitaler Bücherdiebstahl, in: Jahrbuch für Buch‐ und Bibliotheksgeschichte (im Druck).

Kulturgutschutz rheinischer Bibliotheken im Zweiten Weltkrieg  I  437

eingetreten waren: Es fehlten u. a. 33 mittelalterliche Handschriften und 61 Inkunabeln. Die Ursache dieser Verluste blieb lange Zeit rätselhaft, waren doch die Zimelien in die drei rechtsrheinischen Depots verlagert worden, die den Krieg unversehrt überstanden hatten. Ende September 2017 informierte das Auktionshaus Sotheby’s die ULB Bonn, dass für eine Londoner Auktion Handschriften und Inkunabeln eingeliefert worden s­ eien, die mutmaßlich aus der Bonner Universitätsbibliothek stammten. Diese Mitteilung stellte den Auftakt zu zahlreichen Recherchen, Dienstreisen, Gesprächen und Verhandlungen dar, an deren Ende die ULB Bonn im vergangenen Jahr von der Tochter eines ehemaligen belgischen Besatzungssoldaten 645 Bände zurückerhielt, darunter elf mittelalterliche und zwei neuzeitliche Handschriftenbände, 35 Inkunabeln (plus vier Fragmente ehemaliger Bonner Inkunabeln) sowie zahlreiche Bände des 16. bis 20. Jahrhunderts, u. a. eine besonders wertvolle Sammlung an ornithologischen Text- und Tafelbänden. Vermutlich sind die Bücher ­zwischen Frühjahr 1946 und Herbst 1949 aus dem Gronau-Bunker entwendet worden. Die Rückgabe der Bücher ist am 11. April 2019 in einem großen Festakt gewürdigt worden und hat auch in der nationalen und internationalen Presse starke Beachtung gefunden.63 Die Bibliothek vermisst allerdings noch immer 22 mittelalterliche Handschriften und 22 Inkunabeln, die wahrscheinlich im gleichen Kontext abhanden gekommen sind. Von daher ist für die Universitäts- und Landesbibliothek Bonn das Kapitel Auslagerung und Rückführung ihrer Bestände noch lange nicht abgeschlossen.

63 Verloren geglaubte Bücher sind zurück in Bonn. Rückgabe von über 600 Bänden, die seit dem Zweiten Weltkrieg vermisst wurden: https://www.ulb.uni-bonn.de/de/aktuelles-ulb/rueckfuehrung-­ verlorener-buecher (Stand: 26. 07. 2020).

438 I Michael Herkenhoff

„Beethoven. Evakuiert!“ – ein Ausstellungsbericht zum Kulturgutschutz im Bergungsort Schloss Homburg 1939 bis 1945 1 Gudrun Sievers-Flägel

1. Museum als Kontextforschung Im August 2016 feierte das Museum auf Schloss Homburg in Nümbrecht (45 km östlich von Köln) seinen 90. Geburtstag. Das Haus, das 1926 als Oberbergisches Heimatmuseum gegründet wurde, präsentiert sich heute mit einem zeitgenössischen Erweiterungsbau, der 2014 eröffnet wurde, als moderner kulturhistorischer Ausstellungsort im Bergischen Land. Neben zahlreichen Jubiläumsaktivitäten stand insbesondere auch eine Sonderausstellung zur eigenen Museumsgeschichte im Fokus: „Beethoven. Evakuiert! Kulturschutz im Bergungsort Schloss Homburg 1939 bis 1945“. Diese Sonderausstellung im White Cube, die ich als Museumsdirektorin auch selbst kuratiert habe, beleuchtete eine besondere Phase der Museumsgeschichte im Zweiten Weltkrieg. Mit Kriegsbeginn am 1. September 1939 wurde das Museum geschlossen und Schloss Homburg zum Bergungsort für rheinische Kunst- und Kulturgüter erklärt; es bot Schutz vor Bombenangriffen für vielfältige Sammlungen. In dieser Zeit wurden Originalhandschriften, Archiv- und Bibliotheksbestände sowie Exponate des Beethoven-Hauses Bonn, darunter der berühmte Graf-Flügel (Beethovens letzter Flügel), in der oberbergischen Höhenburg geborgen. Auch Gemälde des Rheinischen Provinzialmuseums Bonn sowie zahlreiche Privatsammlungen und Kirchengüter des Rheinlandes waren in Nümbrecht ausgelagert. Eine Ausstellungskooperation mit dem Beethoven-Haus in Bonn – mit großzügiger Unterstützung des LVR-LandesMuseums Bonn sowie dem Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) – gab nun Einblick in diesen bisher unbekannten Teil der Geschichte des heutigen „Museum und Forum Schloss Homburg“ – ein Beispiel für Museumshistorie als Kontextforschung (im großen Rahmen der Provenienzforschung) und zugleich die erste 1 Bei dem Beitrag handelt es sich nicht vorrangig um einen wissenschaftlichen Aufsatz, sondern um einen Ausstellungsbericht. Daher ist auch die einfachere Sprache der Ausstellungstafeln ohne detaillierte Quellen- und Literaturangaben übernommen. Die Quellen-und Literaturangaben befinden sich summarisch am Ende des Beitrags.

Abb. 1  Ausstellungsplakat unter Verwendung eines Fotos: Verladung von Tafelklavieren und Mobiliar aus dem BeethovenHaus vor dem Bergungsort Schloss Homburg, Mai 1945.

Ausstellung dieser Art über Kulturgutschutz in Nordrhein-Westfalen, wenn nicht gar im gesamten deutschen Raum. Ich nehme Sie nun mit auf einen Rundgang durch die verschiedenen Ausstellungsabschnitte.

2. Museumsgründung 1926 Es bedurfte großer Vorstellungskraft ambitionierter Heimatforscher, großzügiger Spenden und Leihgaben einer begeisterten Bürgerschaft sowie des starken Willens des Bergischen Geschichtsvereins, damit das „Oberbergische Heimatmuseum“ am 20. August 1926 seine Pforten auf dem äußerst baufälligen Schloss Homburg öffnen konnte. „Aus der Heimat, für die Heimat“ – so die Richtlinien der Sammlungstätigkeit für die Ausstellungsexponate in der Aufbauphase d ­ ieses Hauses, das als typischer Vertreter der Heimatmuseumsbewegung jener Zeit zu charakterisieren ist. Somit bestimmten kulturhistorische Ausstellungsexponate wie Möbel, Handwerkszeuge und Waffen den Raumeindruck; wenig s­ päter kam eine

440 I Gudrun Sievers-Flägel

­naturkundliche Abteilung hinzu. Ein schneller Ausbau der Sammlungen führte zu räumlichen Erweiterungen. Das junge Museum erlebte sofort einen rasanten Aufstieg mit steigenden Besucherzahlen und wirtschaftlichem Erfolg, nicht zuletzt auch durch den aufblühenden Fremdenverkehr im Bergischen Land der 1920er und 1930er Jahre. Ab 1936 übernahm der Oberbergische Kreis die Trägerschaft – bis heute. Er trieb die kulturhistorische Ausrichtung des Museums voran und erweiterte 1937 die Ausstellungsfläche im neuen „Museum des Oberbergischen Landes“ auf insgesamt 17 Räume.

3. Kulturgutschutz im Rheinland Am 7. Juli 1939 beauftragte der Oberpräsident der Rheinprovinz, Josef Terboven, seinen Provinzialkonservator, Franziskus Graf Wolff Metternich, per Erlass mit dem Schutz der hiesigen Baudenkmale und Kunstwerke im Kriegsfall. Um Schutz- und Bergungsmaßnahmen für die vielen beweglichen rheinischen Kulturschätze zu erörtern, hatten sich bereits in den Monaten zuvor Regierungsvertreter, die Dombaumeister von Aachen, Köln und Xanten, ferner die Leiter der großen Landesmuseen sowie Vertreter der zuständigen Wehrmachtsstellen ausgetauscht. Für eine staatliche Bergungsaktion kamen nur national bedeutende Kunstschätze in Betracht, die auf einer A-Liste (für unersetzliche Kunstwerke) verzeichnet wurden. Der Abtransport dieser Kunstschätze war bis Ende 1939 abgeschlossen. Danach wurde umgehend eine Inventarliste B (für Kunstwerke überragender regionaler Bedeutung) erstellt. Diese Werke wurden im regnerischen Herbst/Winter 1939 meist getarnt in Möbelwagen mit Traktorzug transportiert. Um die Bergungsmaßnahmen logistisch zu meistern, wurde die Rheinprovinz in neun Bezirke aufgeteilt, für die jeweils ein versierter „Bergungskommissar“ verantwortlich zeichnete.2 Zunehmend wurden auch private K ­ unstsammlungen, wichtige Archivalien, Kirchenbücher, Standesamtsregister und Katasterauszüge in die Bergung einbezogen.

4. Die Standortfrage Als Lagerstätten eigneten sich vor allem abseits gelegene Burgen und Schlösser mit kräftigen Außenmauern. Bevorzugt wurden Höhen- und Wasserburgen mit bomben- und feuersicheren Räumen, die – wie Schloss Homburg auch – zudem die klimatisch-konservatorischen Bedingungen für die Kulturgüter erfüllen konnten. Mancher Bergungsort musste durch Aus- und Umbauten für seine neue Aufgabe speziell hergerichtet werden. Die Berichte des 2 Archiv Beethoven-Haus Bonn, Theodor Wildeman, Die Bergung beweglicher Kunstschätze im Rheinland und ihre laufende Bedeutung (unveröffentlichtes Vortragsmanuskript zur Tagung von Museumsleitern), Juni 1942.

Ausstellung zum Kulturgutschutz im Bergungsort Schloss Homburg  I  441

Abb. 2  Postkarte Schloss Homburg, Nümbrecht (Oberberg), abgestempelt am 25. August 1942.

Provinzialkonservators zeugen vom außerordentlichen Bemühen, die konservatorischen Belange für jeden Exponat-Werkstoff zu berücksichtigen. Mit fortschreitender Dauer des Krieges wurden die Suche nach geeigneten Räumen sowie deren turnusmäßige Kontrollen immer schwieriger. Durch die Zunahme der Luftangriffe kam es zu einer Konzentrierung der Einlagerungen an noch zugänglichen Bergungsorten. Dadurch drohten im Ernstfall große Verluste. Dezentralisierungsmaßnahmen sollten diese Gefahr eindämmen.

5. Beauftragte des Kunstschutzes Neben Graf Wolff Metternich, dessen Wirken an anderer Stelle d ­ ieses Tagungsbandes ausführlich dargestellt wird, ist sein Stellvertreter im Amt des Provinzialkonservators Theodor Wildeman als handelnde Person näher vorzustellen: Theodor Wildeman (1885 – 1962) studierte von 1906 bis 1910 Architektur an der Technischen Hochschule Darmstadt und wurde 1914 vom damaligen Bonner Provinzialkonservator Paul Clemen in die ­Denkmalpflege der ­Rheinprovinz

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berufen. Nach seinem Dienst im E ­ rsten Weltkrieg kehrte er in die Denkmalpflege zurück. Im Jahr 1921 wurde er Landesbaumeister und stellvertretender Provinzialkonservator, 1929 Provinzialbaurat. Während der Jahre des Zweiten Weltkrieges, als der Provinzialkonservator Franziskus Graf Wolff Metternich seinen militärischen Kunstschutzkriegsdienst in Frankreich leistete, organisierte Wildeman den Schutz der rheinischen Kulturdenkmäler und die sichere Einlagerung der beweglichen Kulturgüter. Schloss Homburg als Bergungsort fiel also in seine Zuständigkeit. Im Dezember 1931 war Wildeman bereits in den Vorstand des Vereins Beethoven-Haus gewählt worden. Dort kümmerte er sich als Bausachverständiger insbesondere um den Gebäudebestand und den Schutz der reichhaltigen Sammlungen des Beethoven-Hauses. Beim Rücktransport der aus dem Beethoven-Haus Bonn nach Schloss Homburg ausgelagerten Kulturgüter im Mai 1945 war er persönlich vor Ort. 1950 wurde Wildeman zum Landesoberbaurat ernannt und ein Jahr s­ päter in den Ruhestand versetzt. Er verstarb 1962 in Bonn, dem Ort seines lebenslangen Wirkens.

6. Bergungsort Schloss Homburg Sofort nach Kriegsausbruch 1939 wurde das Museum von der Provinzverwaltung als „Fluchtund Sicherungsraum“ rheinischer Kultur- und Kunstschätze beschlagnahmt und für jeglichen Besucherverkehr gesperrt. Das Untergeschoss wurde geräumt, Fenster und Scharten mit Sandsäcken splitterdicht verpackt und Feuerlöscher und Löschsand eingebracht. Die Provinzialverwaltung hatte ein aktives Interesse an der baulichen Instandhaltung des Schlosses und trug die Kosten für entsprechende Maßnahmen. Auch die Ausgaben für Versicherung, Telefon und Konservierungsmaßnahmen trug in dieser Zeit der Staat. Die Bergung rheinischer Kunstgüter auf Schloss Homburg umfasste zunächst 200 Bilder und Gemälde – in Kisten verpackt – aus dem Provinzialmuseum Bonn (heute: LVR-LandesMuseum Bonn) sowie Kunstschätze, Schriften und Möbel aus rheinischen Privatsammlungen, so auch aus dem Schloss Gymnich (Erftstadt, Rhein-Erft-Kreis), wie die Inventarliste für den Bergungsort Schloss Homburg vom 1. Oktober 1944 vermerkt. Auch Kirchengüter vom Kölner Generalvikariat und aus ­Kirchen in Röttgen, Zülpich, Walberberg wurden hier eingelagert. Später folgten Bestände aus dem Beethoven-Haus Bonn: zunächst Handschriften, ab Juni 1942 auch Möbel, Instrumente wie u. a. Beethovens letzter Flügel aus der Werkstatt des Wiener Klavierbauers Conrad Graf, ab August 1943 die gesamte Bibliothek inklusive aller wissenschaftlichen Materialen des Archivs. Bewacht wurden die Kulturgüter rund um die Uhr von zwei bewaffneten Beamten der Sicherheitspolizei, die eigens hergerichtete Wohn- bzw. Schlafräume im Obergeschoss des Schlossgebäudes bezogen. Nach den Luftangriffen auf Bonn vom 18. Oktober 1944 zog der Kastellan des Beethoven-­ Hauses Heinrich Hasselbach mit seiner Frau und dem letzten verbliebenen Mobiliar nach Schloss Homburg. In Huppichteroth unweit des Schlosses fand er kurz darauf eine

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v­ orübergehende Bleibe. Als Mitte März 1945 die ersten Bomben auf Nümbrecht fielen, entschied Hasselbach, die Streichinstrumente Beethovens mithilfe des Museumsleiters Hermann Conrad auf vertrauenswürdige Haushalte zu verteilen, um das Risiko eines Totalverlustes der Instrumente zu minimieren. In unmittelbarer Nähe des Schlosses sind im Übrigen während des Krieges keine Bomben gefallen.

7. Rücktransporte Am 10. April 1945 wurde Schloss Homburg kurzfristig von amerikanischen Truppen besetzt. Ein US -Kampfbataillon quartierte sich für eine Nacht z­ wischen dem Ausstellungsgut des Museums und dem Bergungsgut ein. Beim Abzug heftete der Kommandant an alle Türen ein Plakat, das sowohl Militär als auch Zivilisten den Zugang verbot: „off limits“.

8. Kunst verbindet Am 7. April 1945 hatten amerikanische Truppen bereits den Siegener Stollen erreicht, in dem ebenfalls wertvolles Kunstgut gelagert wurde, wie der Aachener Domschatz einschließlich des Karlsschreins mit den Gebeinen Karls des Großen sowie Rubens-Gemälde, ferner Sammlungsbestände des Kölner Wallraf-Richartz-Museums. Dies sprach sich unter den Alliierten schnell herum, und so kam der stellvertretende Provinzialkonservator Theodor Wildeman in Kontakt mit dem britischen Kunstschutzoffizier Captain Douglas Barrett, der vor dem Krieg Leiter der Ägyptischen Sammlung des British Museums war. Der Captain entpuppte sich als großer Verehrer von Beethovens Musik. Seine Bitte um Einsicht in die Originalmanuskripte musste zwar abgelehnt werden, aber Wildeman stellte Barrett am 29. April 1945 die Besichtigung der Streichinstrumente Beethovens auf Schloss Homburg in Aussicht. Die kulturelle Verbundenheit der beiden Männer war hilfreich, denn als Offizier konnte Captain Barrett die notwendigen Papiere ausstellen, damit u. a. Kastellan Hasselbach wieder Zutritt zu dem von Soldaten besetzten Schloss erhielt. Im Beisein von Wildeman, Barrett und Hasselbach wurden bereits am 11. Mai 1945 – also lediglich drei Tage nach der deutschen Kapitulation – Beethovens Flügel, zwei Tafelklaviere, die Quartettinstrumente sowie Mobiliar, Handschriften und Bilder wieder nach Bonn gebracht. Bis Ende Mai 1945 erfolgten drei weitere Rücktransporte – auch aus dem Siegener Stollen – mit Sammlungsstücken des Beethoven-Hauses und des Beethoven-Archivs. Selbst Filmaufnahmen wurden von der Rückführung aus den Bergungsdepots zu Propaganda­ zwecken für die amerikanische und englische Wochenschau angefertigt.

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Abb. 3  Theodor Wildeman (re.) und Captain Douglas Barrett im Mai 1945 vor dem Schlossgebäude.

9. Rückführung Ein Verzeichnis des Bergungsgutes auf Schloss Homburg vom 1. Oktober 1944 half den alliierten Kunstschutzoffizieren („Monuments Men“), den Abtransport der übrigen rheinischen Kunstschätze zu organisieren. Sieben Transporte gingen nach Marburg, wo die Besatzungsmächte eine Zentralstelle für Bergungsgut, den Marburg Central Collecting Point, eingerichtet hatten. Von dort wurden die Kunstgüter bis Anfang 1946 ihren ursprünglichen Besitzern wieder zugeführt. Der Restbestand der auf Schloss Homburg gelagerten Kunst wurde im Sommer/Herbst 1945 von den Engländern nach Schloss Dyck, das von ihnen als niederrheinisches Sammeldepot für Kunstgüter eingerichtet worden war, zur weiteren Rückführung gebracht. Zu Ostern 1946 – nach etlichen Instandsetzungsarbeiten – wurde das Museum des Oberbergischen Landes auf Schloss Homburg wieder für Besucher geöffnet.

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10. Die Ausstellung Soweit zu den Ergebnissen der Forschungsrecherchen zum Bergungsort Schloss Homburg. Das Projekt „Beethoven. Evakuiert!“ war dabei nicht als wissenschaftliche Publikation gedacht, sondern als Sonderausstellung, w ­ elche möglichst viele Besuchergruppen für die Thematik Kulturgutschutz interessieren sollte. Dieses Vorhaben wurde realisiert durch beispielhafte Elemente in der Präsentation: – Textile Informationstafel zum Kontext der jeweiligen Abteilung. – Originalexponate als Leihgaben: Tafelklavier Gessner, Mobiliar, Hörrohre des Komponisten, Abguss der Totenmaske aus dem Beethoven-Haus Bonn. – Ölgemälde „Tanzendes Paar auf der Dorfstrasse“ von Jan Miense Molenaer, um 1630/35 aus dem LVR-LandesMuseum Bonn. – Blätterbücher zum Quellenstudium der zahlreichen Archivalien, wo auf Pulten zusätzliches Lesematerial (Kopien der Original-Handschriften und Akten) zu den diversen ­Themen ungefiltert von den Besuchern aufgenommen werden konnte. – Hörstation mit dem Bericht des Kastellans Heinrich Hasselbach über seinen Einsatz zur Rettung des Beethoven-Hauses, indem er unter Lebensgefahr am 18. Oktober 1944 eine Brandbombe vom Dachboden des Hauses entfernte. Dieses Relikt der Brandbombe war ausgestellt. – Touch Table mit Darstellung der rheinischen Bergungsorte auf einer amerikanischen Militärkarte von 1945. – Veranstaltet wurden zahlreiche Kuratorenführungen, w ­ elche bestens angenommen wurden (meist im Format „Kulturhappen“ am Sonntagmittag mit anschließendem Prosecco/Fingerfood/Gesprächsaustausch). Das Interesse des Publikums richtete sich nicht nur auf regionalhistorische Ereignisse, sondern vielmehr auf den Gesamtzusammen­ hang von Kulturgutschutz im Zweiten Weltkrieg und darüber hinaus bis heute sowie auf die Provenienzforschung im Allgemeinen. – Das Veranstaltungsspektrum wurde auch durch regelmäßige Filmvorführungen des deutsch-amerikanischen Spielfilms „Monuments Men – Ungewöhnliche Helden“ erweitert. Dieser Blockbuster, der 2014 – also nur zwei Jahre vor der Ausstellung – Premiere feierte, erzählt unter der Regie von George Clooney mit Beteiligung weltbekannter Schauspieler die Geschichte der „Monuments, Fine Arts and Archives Section (MFAA)“, der militärischen Abteilung zum Schutz von Kunstgütern während des Zweiten Weltkrieges. – Und auch für die automobilen Technikfans gab es ein Angebot zu dieser Thematik anlässlich des Museumsjubiläums: Der Lastwagen, abgebildet im Schlosshof beim Verladen der Beethoven-Exponate zur Rückführung nach Bonn und ebenso in den Wochenschauberichten, stand modellgleich als US-Army Truck GMC 2.5 6 × 6 „Jimmy“ (Baujahr 1944, 4,4 l Hubraum, 6 Zylinder, 90 PS , Doppel-Antriebsachse hinten, zuschaltbarer Vorderantrieb) als Eyecatcher am Schlossaufgang.

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Abb. 4  Präsentation der Sonderausstellung im White Cube.

Diese Sonderausstellung „Beethoven. Evakuiert! Kulturschutz im Bergungsort Schloss Homburg 1939 bis 1945“ wurde aus Anlass des 90-jährigen Museumsjubiläums konzipiert und von August bis Anfang November 2016 präsentiert. Sie beleuchtet exemplarisch ein rheinisches Kunstschutzdepot und ist zugleich ein gelungenes Beispiel dafür, wie kulturgeschichtliche Museen bei ihrer Ausstellungsarbeit Forschung betreiben und regionale Th ­ emen in globale Zusammenhänge gestellt werden können.3 3 Literatur: Patrick Bormann, Das Bonner Beethoven-Haus 1933 – 1945 (Veröffentlichungen des Beethoven-­Hauses Bonn, Reihe IV : Schriften zur Beethoven-Forschung 27), Bonn 2016; Hans Werner Mehlau, Wie das Museum auf Schloss Homburg entstand, in: Kreisblatt. Mitteilungsblatt für den Oberbergischen Kreis 31, Nr. 6 (05. 06. 1976), S. 3; Oberbergischer Kreis (Hg.), Beethoven. Evakuiert!, Kulturschutz im Bergungsort Schloss Homburg 1939 bis 1945. Broschüre zur gleichnamigen Sonderausstellung, Nümbrecht 2016; Oberbergischer Kreis (Hg.), Im Fokus, Museum und Forum Schloss Homburg, Nümbrecht 2016; Gudrun Sievers-Flägel, Museum Schloss Homburg, Gründung 1926, in: Oberbergischer Kreis (Hg.), Licht und Schatten. Die Weimarer Republik im Oberbergischen, Bielefeld 2015, S. 30 – 39; Theodor Wildeman, Die Bergung beweglicher Kunstschätze im Rheinland und ihre laufende Bedeutung. Unveröffentlichtes Vortragsmanuskript (Tagung Museumsleiter), Juni 1942, Archiv Beethoven-Haus Bonn. Internet: Internetausstellung 125 Jahre Beethoven-Haus, Bewegte und bewegende Geschichte: Das Beethoven-Haus übersteht den 2. Weltkrieg: https://da.beethoven.de/sixcms/list.php?page=museum_ internetausstellung_seiten_de&sv%5binternetausstellung.id%5d=87907&skip=4 (Stand: 26. 07. 2020).

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Die letzten Kriegsjahre und die Rückkehr der Sammlung: https://da.beethoven.de/sixcms/list. php?page=museum_internetausstellung_seiten_de&sv%5binternetausstellung.id%5d=87907&skip=5 (Stand: 26. 07. 2020). Film: Filmische Dokumentation chronoshistory, Bonn ’45 – Bundeshauptstadt errichtet auf Trümmern: https://www.youtube.com/watch?v=JTb8JsrupjY. Archivquellen: Archiv Beethoven-Haus Bonn, VBH 404, VBH 406/5, VBH 406/6, VBH 248, VBH 249; Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland, Akten zum Kunstschutz, ALVR 49267, 49258, 49260, 49255, 49257, 35263, 35225, 35218, 35354, 35350, 35220, 35261, 35339, 35355, 22830, Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn, Fotografische Sammlung, Stadtarchiv Gummersbach, Gummersbacher Zeitung, 21. August 1926.

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Provenienzforschung in NRW: Bedarfe – Strukturen – Perspektiven Ein Projektbericht der Museumsberatungsstellen der beiden Landschaftsverbände 1 Ruth Türnich/Ute Christina Koch

1. Einführung Die Erforschung der Herkunft von Kulturgütern – die Provenienzforschung – ist wichtiger Bestandteil der Museumsarbeit. Als Kernaufgabe ist sie im „Code of the Ethics“ 2 des International Council for Museums (ICOM) und den „Standards für Museen“ 3 des Deutschen Museumsbundes (DMB) fest verankert. Mit der „Gemeinsamen Erklärung“ im Jahr 1999 folgten die Bundesregierung, Länder und kommunalen Spitzenverbände den ein Jahr zuvor verabschiedeten „Washingtoner Prinzipien“. Öffentliche Sammlungen und Institutionen sind demnach aufgefordert, zur Auffindung und Restitution NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter, insbesondere aus jüdischem Besitz, aktiv beizutragen. Die Provenienzforschung ist dabei stets zentraler Bestandteil einer aktiven Erinnerungsarbeit und der Aufarbeitung der Geschichte.

2. Ausgangslage In vielen Bundesländern wird Provenienzforschung bereits koordiniert betrieben, zumeist von den Ministerien und Ländern. In NRW fehlt bisher jedoch eine effiziente und nachhaltige Forschungskoordination. Einzelne Städte und Museen haben das Thema durch die Schaffung von Personalstellen verstetigt (z. B. die Landeshauptstadt Düsseldorf sowie die Stadt 1 Der Text basiert auf einer Erstveröffentlichung im Rahmen des Projektberichtes „Provenienzforschung in NRW“, in: Landschaftsverband Rheinland, LVR-Fachbereich Regionale Kulturarbeit, Museumsberatung (Hg.), Provenienzforschung in NRW . Informationen für eine systematische, flächendeckende und nachhaltige Provenienzforschung, Köln 2019. 2 https://icom-deutschland.de/index.php/de/component/abook/book/2-icom-publikationen/6ethische-richtlinien-fuer-museen-von-icom?Itemid=114 (Stand: 04. 08. 2020). 3 https://www.museumsbund.de/museumsstandards-2/ (Stand: 04. 08. 2020).

Köln), eine Vernetzung und Bündelung des Wissens findet jedoch meist auf ehrenamtlicher Initiative der Forschenden statt. Andererseits stellt die Provenienzforschung vor allem für die kleinen und mittleren Häuser auch 20 Jahre nach der „Gemeinsamen Erklärung“ eine große Herausforderung dar. Die beiden Landschaftsverbände agieren als Kommunalverbände auf gesetzlicher Grundlage und nehmen – neben sozialen Aufgaben – auch ­solche im Bereich der Kultur wahr. Als Träger von Archiven, Bibliotheken und Museen sowie weiteren Fachämtern und Dienststellen sind der Landschaftsverband Rheinland und der Landschaftsverband Westfalen-Lippe wesentliche Akteure der regionalen Kultur. Die Pflege, der Erhalt und die Erforschung des kulturellen Erbes ist Ziel der zahlreichen Aktivitäten. In den Landesmuseen in Bonn (LVR-LandesMuseum) und Münster (LWL-Museum für Kunst und Kultur) wird bereits teils dauerhaft, teils projektbezogen Provenienzforschung durchgeführt. Daneben sind aber auch die beiden Museumsberatungsstellen, die LVR Museumsberatung und das LWL-Museumsamt für Westfalen, Ansprechpartner für die rund 1.100 Museen in Nordrhein-Westfalen zu ­diesem Thema. Im Rheinland war von 2009 bis 2020 eine Wissenschaftliche Referentin für das Thema Fachberaterin, in Westfalen seit 2016. Neben (Informations-)Veranstaltungen und Fachtagungen nahmen bisher auch Publikationen (rheinform 2/2014 und 2/2019) Provenienzforschung als Thema für die Museen auf. Durch den engen Kontakt in Museen aller Sparten, Größen und Trägerschaftsformen konnten die Museumsberatungsstellen des LVR und LWL Hypothesen und Fehlannahmen ermitteln, die es in der Museumslandschaft erschweren, Provenienzforschung zu betreiben. Im Folgenden wird eine Auswahl vorgestellt: – Provenienzforschung ist (ausschließlich) ein Thema für Kunstmuseen: Dies ist eine Fehlannahme, da die Erforschung der Herkunft in Bezug auf NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter für alle Objekte notwendig ist, die vor 1946 entstanden sind und nach 1933 Eingang in die Sammlungen fanden. – Provenienzforschung hat ausschließlich Objekte mit jüdischen Vorbesitzenden im Fokus: Zwar konzentriert sich die Forschung auf NS-Raubgut, die Provenienzforschung umfasst jedoch ebenfalls Kulturgut anderer ethnisch, religiös, politisch oder aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verfolgter Personen. – Provenienzforschung ist kein Thema für Museen, die erst nach 1945 gegründet wurden: Diese Annahme ist ebenfalls unzutreffend. Gerade in der Nachkriegszeit waren Museen bemüht, Verluste aufzuarbeiten und Sammlungslücken zu schließen. Insbesondere Museen, die erst nach 1945 gegründet wurden, bedienten sich dabei im Kunsthandel, der – wie die Museen selbst – von Personal- und Verfahrenskontinuitäten geprägt war. – Provenienzforschung ist kein Thema in Bezug auf DDR-Unrecht in westdeutschen Museen: Diese Annahme geht ebenfalls fehl. Das DDR-Regime veräußerte Kunstwerke und Kulturgüter im Ausland, um Devisen zu erhalten. – Provenienzforschung betrifft nicht die Objekte aus kolonialer bzw. postkolonialer Zeit: Die Annahme trifft nicht zu. Provenienzforschung betrifft Objekte aller Gattungen

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sowie Entstehungsorte und -zeiten. In Bezug auf ethnologische Bestände rücken koloniale Entzugskontexte vermehrt in das Forschungsinteresse.4 Es besteht die Sorge vor Verlust oder Entzug der Objekte: Die Annahme ist weit verbreitet, dass Objekte, die als „verdächtig“ eingestuft werden, zwangsläufig restituiert werden und die Sammlungen verlassen. Diese Folgerung ist unbegründet: Es sind mehrere Verfahren und Lösungswege möglich, „gerechte und faire Lösungen“ umzusetzen. Es ist mit komplexen juristischen Verfahren zu rechnen: Im Rahmen eines Auskunftsgesuchs und der diesbezüglichen Recherchen sind tatsächlich besondere juristische Kompetenzen erforderlich. Diese liegen in (kleinen) Museen und deren Trägerstrukturen oft nur eingeschränkt vor. Personelle und finanzielle Ressourcen sind knapp: Im Zusammenspiel der Vielzahl an die Museen herangetragenen Herausforderungen und Erwartungen (Stichworte: Inklusion, Barrierefreiheit, Migration, Demografischer Wandel, Digitalisierung u. v. m.) spielt die Kernaufgabe „Forschung“ im Arbeitsalltag oftmals eine untergeordnete Rolle. Die finanziellen Mittel sind stark begrenzt. Der Zugang zu (Objekt-)Informationen ist nicht gewährleistet: Voraussetzung für erfolgreiche Provenienzrecherchen ist der Zugang zu Objektinformationen. Üblicher Weise erfolgt ein erster Zugang über die Objektdokumentation sowie die Objektuntersuchung selbst. Sind Kulturgüter nicht inventarisiert, Aufenthaltsorte von Archivbeständen etc. unbekannt, wird die Erforschung massiv erschwert. Daten und sensible Informationen müssen besonders geschützt werden: Provenienzforschung arbeitet häufig mit persönlichen Daten und sensiblen Informationen, die geschützt werden müssen. Entsprechende Kenntnisse liegen in (kleinen) Museen und deren Trägerstrukturen oft nur eingeschränkt vor. Sorge vor einer negativen Öffentlichkeit: Verständlicherweise bevorzugen Institutionen positive Meldungen und Nachrichten. Diese sollen verständlich und von Interesse für die Leserschaft sein. Die Darstellung komplexer Forschungssachstände – oftmals ohne eindeutigen Abschluss – im Rahmen von Mitteilungen und Presseartikeln bergen die Gefahr einer Reduktion, einer eindimensionalen Darstellung und gegebenenfalls Verzerrung der Inhalte.

3. Projekt der Museumsberatungsstellen Die Museen bei der Bewältigung der Herausforderung der Provenienzforschung zu stärken, zählt u. a. zu den Aufgaben der Museumsberatungsstellen der Landschaftsverbände. Auf Basis der skizzierten Ausgangslage, entstand das durch die LVR-Museumsberatung ­initiierte 4 Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in Deutschland. https://www. kulturstiftung.de/kontaktstelle-sammlungsgut-koloniale-kontexte-startet/ (Stand: 04. 08. 2020).

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Abb. 1  Schaubild der vier Projektelemente: Informieren, Sensibilisieren, Motivieren und Koordinieren.

Kooperationsprojekt „Provenienzforschung in NRW “.5 Das Projekt, welches in der Zeit von 2017 bis 2019 durchgeführt wurde, sollte die Grundlage für eine Optimierung des Forschungsfelds liefern und die Museen für die Daueraufgabe Herkunftsforschung sensibilisieren. Es gliederte sich daher in folgende vier Projektelemente: Informieren, Sensibilisieren, Motivieren und Koordinieren.

3.1 Veranstaltungen: Informieren und Sensibilisieren Im Rahmen des Projekts wurden mehrere Veranstaltungen zu unterschiedlichen Aspekten der Provenienzforschung konzipiert und durchgeführt. Sie dienten der Erprobung von Veranstaltungsformaten und der Ermittlung weiterer Bedürfnisse der Museumskolleg*innen. Zum Auftakt des Projekts luden die Landschaftsverbände in Kooperation mit dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen (MKW) zur Tagung „Provenienzforschung in NRW – Bedarfe – Strukturen – Perspektiven“ ein. Rahmenkonstan­ ten des Projekts konnten festgelegt werden. Die Vorstellung bundesweiter Aktivitäten, Akteure und Einrichtungen sowie Strategien und Konzepte anderer Bundesländer gaben Einblicke in Grenzen und Möglichkeiten der Herkunftsforschung.

5 https://www.lvr.de/de/nav_main/kultur/berdasdezernat_1/frderungen/museumsberatung/provenienz​ forschung/provenienzforschung.jsp (Stand: 04. 08. 2020).

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Abb. 2  „Dokumentationskoffer“ im Sinne eines Erste-Hilfe-Sets für die Museen.

Im bestehenden Format „Montags geöffnet“ der LVR-Museumsberatung wurde die Ausstellung „Ein-Blick in die Provenienzforschung“ im LVR-LandesMuseum Bonn besucht und Methoden der Vermittlung des Forschungsfeldes aufgezeigt. In einer gemeinsamen Veranstaltung mit dem Archiv des LVR in Pulheim-Brauweiler konnten den Mitarbeiter*innen der rheinischen Museen erste wichtige Fragen zum Thema „Provenienzforschung und Archive“ beantwortet werden: Welche Akten sind für die Erschließung von Provenienzen relevant? Was befindet sich im Archiv des LVR? Wo sind beispielsweise Wiedergutmachungs- und Gestapoakten in NRW zu finden. Auch am „1. Tag der Provenienzforschung“, welcher vom Arbeitskreis Provenienzforschung e. V.6 erstmalig initiiert wurde, beteiligte sich das Team der Museumsberatung mit einer Projektvorstellung.

3.2 Bedarfsanalyse „Provenienzforschung und Dokumentation“ Der Umfang der Untersuchungsgegenstände der Provenienzforschung ist sowohl für NRW als auch für ganz Deutschland unbekannt: Aus ­diesem Grund sollte im Projekt eine zahlenmäßige Annäherung erfolgen. Eine Umfrage unter allen den Beratungsstellen bekannten Museen hatte zum Ziel, den Stand der Provenienzforschung und Dokumentation sowie die mögliche Anzahl der Untersuchungsgegenstände genauer benennen zu können. ­Erstmals 6 https://www.arbeitskreis-provenienzforschung.org/ (Stand: 26. 07. 2020).

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wurden Daten zu den Sachständen der Provenienzforschung in Verbindung mit der Dokumentation als Grundlage für eine erfolgreiche Forschung erhoben. Von den 1.015 zu erreichenden Museen meldeten 254 (25 %) in einem Online-Verfahren 7 ihre Antworten.8 Es wurden allein von diesen 254 Institutionen 727.785 Objekte benannt, die vor 1946 entstanden sind und nach 1933 in die Sammlungen gelangten.9 Hierbei handelt es sich um den potenziellen Untersuchungsgegenstand für die Erforschung NS-verfolgungsbedingter Entziehungen in NRW. Hinzu kommen 1350 Objekte, bei denen eine Kulturgutentziehung in der SBZ oder der DDR nicht ausgeschlossen werden kann. In 28 Museen befinden sich des Weiteren 81.576 Objekte aus ehemaligen Kolonien. Unter der Vielzahl der Objekte finden sich vor allem schwer zu identifizierende und seriell gefertigte Kulturgüter, wie Bücher und Alltagsgegenstände, deren Erforschung eine Daueraufgabe darstellt, die im Arbeitsalltag der Mitarbeitenden nicht geleistet werden kann. Zwar gaben 55 Institutionen an, Provenienzforschung zu betreiben, lediglich 22 können jedoch auf Mitarbeitende in d ­ iesem Feld zurückgreifen. Es ist davon auszugehen, dass die Provenienzforschung ohne direkte Verankerung in der Tätigkeitsbeschreibung erfolgt oder die Aufgabe zeitlich befristet über Projekte abgewickelt wurde. Hindernisse für die Provenienzforschung sind, wie bereits zu Projektbeginn vermutet, fehlendes Personal, fehlende Zeit sowie Geldmittel. 27 % (68 Institutionen) gaben an, dass in ihrem Museum keine Provenienzforschung notwendig sei. Unter ihnen befinden sich jedoch 36 Museen, die im Besitz von Objekten sind, die vor 1946 entstanden und nach 1933 in die Sammlung gelangt sind sowie 28 Sammlungen mit nicht inventarisierten Beständen. Festzuhalten ist, dass der Stand der Dokumentation in den Museen in NRW häufig nicht flächendeckend zufriedenstellend ist und somit die Forschung erschwert. Erst eine vollständige Erfassung eines Objektes macht es möglich, das Kulturgut sachgerecht aufzubewahren, zu identifizieren und wissenschaftlich zu erforschen. Mehr als die Hälfte der antwortenden Museen hat nicht inventarisierte Bestände, deren Erforschung somit weiter erschwert wird. Von einer allansichtigen Objektfotografie, dem Vorhandensein einer Sammlungsdatenbank und somit auch der Möglichkeit einer Online-Stellung von Datensätzen sind vor allem die kleinen Museen, die fast die Hälfte der rückmeldenden Museen bilden, noch weit entfernt. Die (weltweite) Recherchierbarkeit von Sammlungs- und Objektinformationen stellt jedoch eine wesentliche Forderung der internationalen Forschergemeinschaft sowie der Betroffenen und deren Nachfahren dar.

7 Die Auswertung wurde mit dem Umfragetool EvaSys (www.evasys.de, Stand: 26. 07. 2020) erstellt. 8 Insgesamt konnten von den rund 1100 Museen in NRW 1015 Institutionen erreicht werden, 254 Institutionen (25 %) gaben Rückmeldung: 137 Museen aus dem Rheinland, 117 aus Westfalen und Lippe. 9 Ein Ausreißer von 20.000.000 archäologischen Objekten, die (regionale) Bodenfunde umfassen, wurde in der statistischen Erhebung herausgenommen.

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3.3 Methodenprüfung: Erstcheck Um vor allem kleinere Museen auf dem Feld der Provenienzforschung aktiv zu unterstützen, wurde vom Museumsverband Brandenburg das sogenannte Erstcheck-Modell entwickelt.10 Es soll einen Überblick des Sammlungsbestands ermöglichen und die Grundlagen für Tiefen­recherchen schaffen. Im LVR -Projekt sollte herausgefunden werden, ob die Methodik auf die NRW -Museen übertragbar ist. Einen geeigneten Kandidaten für den Erstcheck zu finden, stellte sich bereits als schwierig heraus. Dokumentationslücken durch verlorene Inventarverzeichnisse und nur teilweise inventarisierte Bestände machten das Auffinden von Verdachtsmomenten anhand der Objektdokumentation nahezu unmöglich. Als weitere praktische Erkenntnis kann festgehalten werden, dass Ansprechpartner*innen vor Ort in den Museen besonders wichtig sind. Systematiken, Kürzel und mündliche Überlieferungen sind meist nur durch die Mitarbeiter*innen selbst zu erklären und zu deuten. Das Vorhandensein eines Museumsmanagementsystems vereinfacht die Erstrecherchen vor Ort, für ­welche in der Regel lediglich zwei Wochen Zeit eingeplant werden. Wie in anderen Bundesländern konnte durch zwei Erstchecks in Nordrhein-Westfalen belegt werden, dass kaum ein Museum ohne Verdacht bleibt und die Empfehlung einer vertiefenden Forschung oftmals die Folge ist.

3.4 Motivieren Der Umgang mit Objekten im Museum sowie die fachgerechte Handhabung von unterschiedlichsten Materialgruppen stellt für viele Museen eine große Herausforderung dar. Die LVR-Museumsberatung entwickelte daher einen „Dokumentationskoffer“ im Sinne eines Erste-Hilfe-Sets für die Museen. Er beinhaltet alle nötigen Handwerkzeuge, wie zum Beispiel Handschuhe, eine Lupe und Beschriftungsmaterialen, die für die Erfassung der Kunst- und Kulturgüter benötigt werden. Das Museumsheft Nr. 3 des LVR „Zum Umgang mit Museumsobjekten“,11 welches dem Koffer beiliegt und zum Download zur Verfügung steht, dient als Arbeitshilfe und Gebrauchsanweisung. Der Koffer soll Museumsmitarbeitende motivieren, die Objektdokumentation systematisch anzugehen, weil diese als Grundlage des Bewahrens, Ausstellens und Forschens essenziell ist.12

10 http://www.museumsverband-brandenburg.de/fileadmin/bilder/Museumsblaetter/Heft_23/Artikel_ Iris_Berndt.pdf (Stand: 04. 08. 2020). 11 https://www.lvr.de/de/nav_main/kultur/berdasdezernat_1/publizieren_und_informieren/lvr_ museumshefte/lvr_. museumshefte_1.jsp (Stand: 26. 07. 2020). 12 https://www.lvr.de/de/nav_main/kultur/berdasdezernat_1/frderungen/museumsberatung/provenienz­​ forschung/dokumentationskoffer/inhaltsseite_186.jsp (Stand: 26. 07. 2020).

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3.5 Projekterkenntnisse Als Ergebnisse des Kooperationsprojektes „Provenienzforschung in NRW“ können folgende Punkte (Auswahl) festgehalten werden: 1. Der tatsächliche Untersuchungsgegenstand der Provenienzforschung bleibt vom Umfang und der Art her unbekannt. 2. Provenienzforschung erfolgt größtenteils in Projekten. Die meisten Projekte finden in Kunstmuseen statt. Von den 39 durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste geförderten Projekten in NRW wurden und werden 25 in Kunstmuseen durchgeführt.13 Die Projekte sind in der Regel auf ausgewählte Bestandsgruppen oder Einzelfallrecherchen bezogen und sehen keine systematische und vollständige Bestandsprüfung vor. 3. Provenienzforschung basiert auf zugänglichem, vernetztem und transparentem Wissen. Die Ergebnisse der Provenienzforschung sind allerdings in der Regel nicht öffentlich zugänglich. Das fehlende Wissensmanagement führt zu Doppelrecherchen. 4. Es ist eine punktuelle Verstetigung der Forschung zu erkennen. Einige Museen haben Ansprechpartner*innen für das Thema benannt. In einzelnen Fällen ist es zu Stellen­ besetzungen gekommen. Der koordinierte Austausch und Wissenstransfer bleibt jedoch ein Desiderat. 5. Restitutionen erfolgen ohne konkrete Handlungsorientierung und ohne gesetzliche Grundlage. Für die Erarbeitung von „gerechten und fairen Lösungen“ im Sinne der „Washingtoner Prinzipien“ und der „Gemeinsamen Erklärung“ fehlen ausreichende Vergleichsmöglichkeiten bzw. Normen oder Handlungsorientierungen. Das Ziel muss sein, Gleiches gleich zu bewerten. Aus diesen Erkenntnissen ergibt sich als konkrete Empfehlung die Etablierung einer zentralen Stelle, w ­ elche als Ansprechpartner*in für alle Museen, Archive, Bibliotheken, Anspruchsteller*innen, Verbände sowie die Presse und Öffentlichkeit fungiert. Eine Vielzahl von Aufgaben soll hier gebündelt werden, die derzeit nicht durch andere Institutionen geleistet werden können: Wissensmanagement, Projektkoordination, aktive Recherchen (Erstchecks), Schaffung von Transparenz etc. Erst über ein aktives Wissensmanagement ist eine strukturierte und koordinierte Forschung möglich. Inhaltlich muss sich die Vernetzung und Koordination auf alle Entzugskontexte (NS-verfolgungsbedingte Entzüge, DDR/SBZ und koloniale Entzugskontexte) beziehen.

13 https://www.kulturgutverluste.de/Webs/DE/Forschungsfoerderung/Projektfinder/Projektfinder_­ Formular.html?cl2Addresses_Adresse_Country=xa-de-nw&sortOrder=teaserText_text_sort+asc#​ 103278 (Stand: 04. 08. 2020).

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4. Empfehlung: Koordinationsstelle für Provenienzforschung Ein zentrales Projektziel lag darin, eine fundierte Grundlage zu schaffen, auf der sich die verantwortlichen Akteure auf dem Feld der Provenienzforschung in NRW miteinander über eine systematische, flächendeckende und nachhaltige Provenienzforschung verständigen können. Bereits während der Projektlaufzeit wurden der Austausch und die gegenseitige Beratung mit unterschiedlichen Akteuren gepflegt. Die Notwendigkeit einer systematischen und alle Kulturerbe bewahrenden Institutionen berücksichtigenden Provenienzforschung ist den handelnden Akteuren bewusst. Gemeinsamens Ziel ist die Verstetigung und Ausweitung von Forschungen sowie deren nachhaltige, dauerhafte Institutionalisierung. Denkbar ist ein Zusammenschluss des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW, des Landschaftsverbands Rheinland, des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe und z. B. der „Forschungsstelle Provenienzforschung, Kunst- und Kulturgutschutzrecht“ an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Die Koordinationsstelle für Provenienzforschung in Nordrhein-Westfalen könnte die Akteure, deren jeweilige Kompetenzen und Angebote zum Thema bündeln. Die Ergebnisse der Onlinebefragung bilden unabhängig davon eine wichtige Grundlage für das weitere Engagement auf dem Feld der Provenienzforschung, um konkrete Maßnahmen entwickeln zu können, z. B. um den Dokumentationsgrad der Sammlungen zu verbessern. Nur mit der Erfassung der Objekte und deren digitaler Dokumentation sind die Voraussetzungen für eine effektive, vernetzte und damit erfolgreiche Provenienzforschung gegeben.

5. Ergebnisse 5.1 Ausblick I Als praktisches Nachschlagewerk wurde im Oktober 2019 die Publikation „Provenienzforschung in NRW. Informationen und Empfehlungen für eine systematische, flächendeckende und nachhaltige Provenienzforschung – Projektbericht“ veröffentlicht.14 Mittels einzelner Themenkapitel und praktischer Arbeitshilfen zu unterschiedlichsten Th ­ emen und Akteuren im Feld der Herkunftsforschung soll das Buch für Museumsmitarbeitende ebenso wie für Kulturpolitiker*innen etc. als Hilfestellung dienen. Neben den Projektergebnissen wurde am 9. Oktober 2019 im Goethe-Museum Düsseldorf – Anton-und-Katharina-KippenbergStiftung das schriftliche Konzept vorgestellt, welches eine ausführliche Auswertung der

14 Landschaftsverband Rheinland, LVR-Fachbereich Regionale Kulturarbeit, Museumsberatung (Hg.), Provenienzforschung in NRW (wie Anm. 1).

Provenienzforschung in NRW: Bedarfe – Strukturen – Perspektiven  I  457

Bedarfsanalyse enthält und konkrete Organisationsvarianten für das Land NRW empfiehlt.15 Eine Überarbeitung und Aktualisierung, insbesondere der Arbeitshilfen, Faktenblätter und Kontaktdaten sowie Kopiervorlagen ist vorgesehen. Museumsmitarbeitende und Provenienzforschende sind herzlich eingeladen und aufgefordert, Rückmeldungen zu ihren Erfahrungen im Umgang mit den Hilfestellungen zu geben, sodass eine kontinuierliche Anpassung an den Bedarf in den Einrichtungen erfolgen kann.

5.2 Ausblick II „Geschichte der Dinge – Provenienzforschung in Nordrhein‑Westfalen“ – zur Konzeption einer Wanderausstellung Die Wanderausstellung unter Federführung des LWL -Museumsamtes für Westfalen mit dem Titel „Die Geschichte der Dinge – Zur Herkunft der Objekte in nordrhein-westfä­ lischen Sammlungen“ richtet sich an ein breites Publikum. In acht verschiedenen Museen in Westfalen-Lippe und dem Rheinland sollen nicht nur Möglichkeiten und Perspektiven von Provenienzforschung, sondern Grundlagen und bereits Geleistetes niedrigschwellig vorgestellt werden.16 Obwohl das LWL-Museumsamt seit seinem Bestehen, also seit 40 Jahren, über hundert Ausstellungen zu den unterschiedlichsten kunst- und kulturhistorischen Th ­ emen erarbeitet hat,17 stellt diese Aufgabe eine besondere Herausforderung dar: Anders als sonst üblich, soll bei jeder Station das gastgebende Haus inhaltlich involviert werden. Als Erweiterung der eigentlichen Wanderausstellung ist so die Möglichkeit gegeben, den Stand der Provenienzforschung am eigenen Haus zu präsentieren. Die Objekte der Wanderausstellung kommen zum Teil aus diesen Museen, zum Teil aber auch aus anderen Sammlungen. Genau hier steckt die Schwierigkeit, aber auch das große Potenzial der Ausstellung: Oftmals gehen die zahlreichen Ausstellungen zu Provenienzforschung, die in der letzten Zeit zu sehen waren bzw. noch zu sehen sind, von der eigenen Sammlung aus. Sie leisten damit einen wertvollen 15 https://www.lvr.de/de/nav_main/kultur/berdasdezernat_1/frderungen/museumsberatung/provenienz​ forschung/veranstaltungen_8/abschlussveranstaltung_provenienzforschungsprojekt_1/veranstal​tung_­ 09102019.jsp (Stand: 26. 7. 2020). 16 Die Ausstellung ist ab Ende September 2020 im Kreismuseum Wewelsburg in Büren, im Jüdischen Museum Westfalen in Dorsten, im Mindener Museum in Minden, im Museum Wilhelm Morgner in Soest, im Museum und Forum Schloss Homburg in Nümbrecht, im Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig – Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere in Bonn, im Deutschen Textilmuseum Krefeld und im Stadtmuseum Düsseldorf zu sehen. 17 Zu den Ausstellungen des LWL-Museumsamtes siehe auch Verena Burhenne, Dienstleister und Partner: Die Wanderausstellungen des LWL-Museumsamtes, in: LWL-Museumsamt für Westfalen (Hg.), Beraten, fördern, ausstellen. 40 Jahre LWL-Museumsamt für Westfalen, Bönen 2018, S. 65 – 78.

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Beitrag zu dieser Problematik, sind jedoch naturgemäß auf einen bestimmten Themenkomplex beziehungsweise eine konkrete Sammlung konzentriert.18 Das Anliegen des LWL/LVR-Ausstellungsprojekts ist es, nicht nur unterschiedliche Entzugskontexte von Kulturgut, sondern auch unterschiedliche Objektgruppen und Sammlungsarten vom Kunst- oder Stadtmuseum über Universitätssammlung oder Bibliothek bis hin zur Privatsammlung zu berücksichtigen und somit den Blickwinkel zu erweitern. Natürlich – und hier liegt eine der Schwierigkeiten – müssen diese Objekte erst ausfindig gemacht und von den jeweiligen Institutionen für die Dauer der Ausstellung von anderthalb Jahren ausgeliehen werden. Jedoch kann nur so die Bandbreite von Provenienzforschung jenseits der großen Museen aufgezeigt und dem Publikum eine der Kernaussagen nahegebracht werden: Provenienzforschung geht alle an! Das Vorgehen hinsichtlich der Leihgaben ist vielfältig. In Westfalen hat sich das gezielte Anschreiben und Nachfragen nach bestimmten Objekten über die Jahre bewährt und ist den Museen daher auch bekannt. Im Rheinland kann auf die Ergebnisse des Projekts des LVR zurückgegriffen werden, welches auch die verschiedenen Projekte im Bereich der Provenienzforschung einzelner Institutionen zusammengetragen hat. So soll eine Ausstellung entstehen, die gleichberechtigt beide Landesteile berücksichtigt und den jeweiligen regionalen Spezifika – beispielsweise große Kunstmuseen von nationaler Bedeutung im rheinländischen Teil, kleinere kommunale und vereinsgetragene Museen in großer Anzahl im westfälischen Teil – Rechnung trägt. Entsprechend werden auch bedeutende Kunstwerke vorgestellt, die unter Raubkunstverdacht standen oder bei denen sich ein entsprechender Verdacht erhärtete.19 Allerdings stehen auch weniger kostbare Objekte im Fokus, zum Beispiel kleine Büsten aus Biskuitporzellan des Hagener Stadtmuseums. Mit diesen sogar schadhaften Objekten kann die Geschichte der Objekterwerbung und der vorherigen Eigentümer*innen exemplarisch dargestellt werden.20 Besondere Aspekte, wie beispielsweise die rheinischen und westfälischen Bergungsorte von Kulturgut im Zweiten Weltkrieg, werden zudem in einer Medienstation aufbereitet. Ein weiteres Augenmerk soll der Bildung und Vermittlung von Provenienzforschung gelten: Nicht nur im Rahmen von Veranstaltungen oder durch den Begleitkatalog, sondern auch in der Ausstellung selbst soll durch konkrete Beispiele die Arbeit von Provenienzforscher*innen und die Notwendigkeit dieser Tätigkeit den Besucher*innen nahegebracht werden.

18 U. a. im Jahr 2018: Stadtmuseum Göttingen: „Unter Verdacht. NS-Provenienzforschung im Städtischen Museum Göttingen“ vom 8. September bis 8. Dezember 2019; Bomann-Museum, Celle: „Suche nach Herkunft, NS-Raubkunst im Bomann-Museum?!“ vom 5. Juli 2019 bis 29. März 2020; Museumsberg Flensburg: „Wem gehört die Kunst?“ vom 8. März 2019 bis 2. Juni 2019. 19 So bestätigte sich u. a. bei dem Gemälde „Frauen im Blumengarten“ von Emil Nolde der Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum, Duisburg ein entsprechender Verdacht, sodass das Werk 2017 den rechtmäßigen Erben zurückgegeben wurde. 20 Zum Objekt siehe https://nat.museum-digital.de/index.php?t=objekt&oges=219228&caches​Loaded=​ true (Stand: 26. 07. 2020).

Provenienzforschung in NRW: Bedarfe – Strukturen – Perspektiven  I  459

Archivische Überlieferung zum Kunstschutz im Rheinland am Beispiel des Archivs des LVR Wolfgang Schaffer

Wissenschaftliche Recherchearbeit, zumal im Hinblick auf ein Thema wie „Kunstschutz“, basiert nicht nur auf den Ergebnissen gedruckter Quellen, sondern ganz wesentlich auf jenen Überlieferungen, die in den einschlägigen Archiven zu finden sind. Als kulturelles Gedächtnis obliegt den Archiven u. a. die zentrale Aufgabe bzw. Verpflichtung, historisch wertvolle Unterlagen nicht nur durch konservatorische Maßnahmen dauerhaft zu erhalten, sondern sie auch für die Forschung bereitzustellen, natürlich unter Berücksichtigung archiv- wie datenschutzrechtlicher Vorgaben. Archive sind dem sogenannten Provenienzprinzip verpflichtet, d. h. sie haben die Aufgabe, dauerhaft zu erhaltendes Informationsgut jener Einrichtung/Person/Firma usw. der Nachwelt zu überliefern, deren Bestandteil sie sind. Diese Informationen, ob analog oder digital, ob schriftlich oder als AV-Medium, gilt es in strukturierter Form verfügbar zu machen.

1. Das Provenienzprinzip als Recherchemittel Die wissenschaftliche Forschung wird sich im Hinblick auf die Frage, in ­welchen rheinischen Archiven z. B. Überlieferung zum Themenkomplex „Kunstschutz“ zu finden sein könnte, im Vorfeld darüber Klarheit verschaffen müssen, ­welche Institutionen, handelnden Personen und Einrichtungen – s­ eien sie nun staatlicher, kommunaler, kirchlicher oder privater Natur – für das konkrete Thema eine Rolle gespielt haben. So wird man über das die rheinischen Archive umfassende Portal www.archive.nrw.de einen ersten Überblick auch über deren jeweilige Bestände erhalten können. Eines der Archive, welches in d ­ iesem Kontext in den Fokus geraten wird, ist das Archiv des LVR in Pulheim-Brauweiler. Der Landschaftsverband Rheinland wurde zwar erst 1953 als Kommunalverband gegründet, er hatte aber mit dem Rheinischen Provinzialverband und seinem politischen Gremium, dem Rheinischen Provinziallandtag, einen Vorgänger, sodass die Überlieferung im Archiv des LVR bis an den Anfang des 19. Jahrhunderts zurückreicht.1 1 Siehe Wolfgang Schaffer, Vom Archiv der Provinzialstände der Rheinprovinz zum Archiv des LVR, in: Landschaftsverband Rheinland. 80 Jahre Archivberatung im Rheinland (Archivhefte 38), Bonn 2009, S. 49 – 61. Eine Auswahl von Beständen des ALVR, ­welche online recherchierbar sind, findet sich unter https://afz.lvr.de//de/archiv_des_lvr/aufgaben/aufgaben_1.html (Stand: 26. 07. 2020).

Bei der Entscheidung, w ­ elche Unterlagen in das Archiv übernommen werden, spielt u. a. der Gesichtspunkt eine wesentliche Rolle, dass nach Ablauf der sogenannten Schutzfristen, d. h. zumeist nach 30 Jahren, das Wirken der jeweiligen Organisationseinheiten und die Aufgabenerledigung rekonstruierbar sein sollen. Der Fokus differenziert sich also bis auf die Ebene von Dezernaten, Dienststellen, Abteilungen und geht in der Hierarchie der Behörde(n) teilweise sogar noch tiefer bzw. bis in Außendienststellen, wenn es um Sonderaufgaben geht.

2. Warum liegen aber überhaupt Archivalien zum Kunstschutz im Archiv des LVR? Der Hintergrund ist die simple Tatsache, dass die spezifischen Aufgaben, die in ­diesem Zusammenhang wahrgenommen wurden, auf der Ebene der Rheinischen Provinzialverwaltung, speziell deren Kulturabteilung, für das gesamte Rheinland professionell wahrgenommen wurden. Immer wieder wurde dabei auch die Expertise von deren Außendienststellen einbezogen. Die Federführung der Wahrnehmung von Maßnahmen des Kunstschutzes lag seit Juli 1939 beim Provinzialkonservator Franziskus Graf Wolff Metternich. Auch die 1929 gegründete Archivberatungsstelle Rheinland erfuhr im Kontext des Kunstschutzes während des Krieges eine Aufgabenerweiterung deutlich über die Bewahrung allein schriftlicher Kulturgüter hinaus, insofern auch sie bei diesen Maßnahmen unmittelbar mitwirkte. Diese Aktivitäten können in der Rückschau sogar durchaus als für den Bestand der kleinen Dienststelle existenzsichernd angesehen werden.2 Das erklärt aber letztendlich auch, warum in der Überlieferung der Archivberatungsstelle (heute Teil des LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrums), w ­ elche einen umfangreichen Bestand des Archivs des LVR ausmacht, Unterlagen zum Kunstschutz ‒ speziell zum Archiv- und Bibliotheksschutz 3 ‒ gefunden werden können. Der damalige Leiter der Archivberatungsstelle Dr. Wilhelm Kisky (1929 – 1950) war mit seinen wissenschaftlichen Mitarbeitern Dr. Carl Wilkes (seit 1935) und Dr. Rudolf Brandts (seit 1942) persönlich in die Sicherungsmaßnahmen eingebunden. Die weitreichenden Aktivitäten werden in den Akten der Altregistratur der Archivberatung wie auch in einem rückblickenden Bericht zum Archiv- und Kulturgutschutz im Zweiten Weltkrieg dokumentiert.4

2 Siehe Wolfgang Schaffer, Die Archivberatungsstelle der Rheinprovinz 1929 bis 1945, in: Kulturpolitik der Rheinischen Provinzialverwaltung 1920 bis 1945. Tagung am 18. und 19. Juni 2018 im LVR-Landes­ Museum Bonn (Beihefte der Bonner Jahrbücher 59), Darmstadt 2019, S. 35 – 48, hier S. 44. 3 Siehe hierzu z. B. ALVR 28220 (Bibliotheksschutz 1943), 32517 (Bergung und Sicherung von Archiven 1939 – 1940). 4 Die beiden Altregistraturschichten der Archivberatungsstelle wurden im Rahmen des Kunstschutzprojektes findbuchmäßig erschlossen (Bestand Brw. 1 – Dienstregistratur Archivberatung 1 – Laufzeit 1928 – 1950 und Bestand Brw. 2 – Dienstregistratur Archivberatung 2 – Laufzeit 1946 – 1963);

462 I Wolfgang Schaffer

Hinzu kommen weitere Provenienzen, die heute den einschlägigen Beständen des Archivs zugeordnet sind: Hier ist zu nennen vor allem die Überlieferung des Provinzial- und Landeskonservators, dessen Zuständigkeit für Kunstschutzmaßnahmen eine Vielzahl von Betreffen ausweist. Einige der hier aufscheinenden Th ­ emen s­eien kurz benannt. Die Palette reicht von der Kunstdenkmälerinventarisation, die damals (bis 1961) eine selbständige Dienststelle darstellte, bis hin zur fachlichen Betreuung von denkmalpflegerischen Objekten. 5 Hier finden sich Tätigkeitsberichte des Provinzialkonservators Franziskus Graf Wolff Metternich zur Denkmalpflege, aber auch ein sogenanntes Kriegstagebuch,6 darin z. B. Äußerungen Wolff Metternichs über rheinische Kunstschutzmaßnahmen, aber auch der Abschlussbericht des kunstwissenschaftlichen Arbeitsstabes beim Oberkommando des Heeres vom 30. April 19427 sowie Tätigkeitsberichte seines Mitarbeiters im Denkmalsamt und im französischen Kunstschutz Walther Zimmermann.8 Hinzuweisen ist darüber hinaus auf Unterlagen zum Betrieb zahlreicher rheinischer Sammeldepots von Kunstwerken vornehmlich in Schlössern und Burgen des Adels, aber auch in ­Kirchen, Pfarrhäusern bis hin zur Kegelbahn des Pfarrhauses in Crottorf oder in Tiefkellern von Festungen und Fabrikhallen oder Schächten von Bergwerken. Umfangreich sind auch die Unterlagen zu den konkret durchgeführten zahlreichen Bergungen von Kulturgut, also den Verbringungen von Kunstobjekten, von Museumsgut und von Archiv- und Bibliotheksgut aus den kriegsgefährdeten grenznahen Regionen des Rheinlandes. Der Blick fällt auf Bergungsorte wie auf Bergungslisten,9 und teilweise lassen sich über derartige Inventare auch die Zielsetzungen der Provenienzforschung unmittelbar bedienen. Die Überlieferung endet aber nicht mit dem Kriegsende, sondern auch die konkreten Rückführungen der Nachkriegsjahre bieten interessante Anknüpfungspunke, so u. a. die Rückführungen von rheinischem Kunstgut aus dem amerikanischen „Central Collecting Point“ in Marburg. Kunstwerke, die zunächst nicht in die zerstörten rheinischen Museen zurückkehren konnten, wurden in das von den Briten eingerichtete Kunstdepot auf Schloss Dyck nördlich von Köln verbracht.10 Wilhelm Kisky, Die Archivberatungsstelle der Rheinprovinz und ihre Tätigkeit für die Sicherung von Archivalien und anderen Kulturgütern während des Krieges, Düsseldorf 1949, hier S. 1 – 3 und S. 16. 5 Siehe das Findbuch zum Bestand des Rheinischen Amtes für Denkmalpflege im Archiv des LVR unter https://afz.lvr.de//media/de/archive_im_rheinland/archiv_des_lvr/findbuch_rheinisches_ amt_fuer_denkmalpflege_generalakten_1887_2006.pdf (Stand: 26. 07. 2020). 6 ALVR 35141. 7 ALVR 28228. 8 Beispielhaft sei an dieser Stelle verwiesen auf die Archivalien ALVR 20060 (u. a. mit Angaben Wolff Metternichs zu seiner Tätigkeit als Kunstschutzbeauftragter 1940 – 1942), ALVR 28229, 28230, 28231 (Besichtigungsberichte zum Kunstschutz in Nordostfrankreich). 9 Siehe z. B. die Bergungslisten bzw. Bergungen (alphabetisch nach Städten/Gemeinden) z­ wischen 1943 und 1950, ALVR 35340 – 35346, 35350 – 35351, 42267, 49268. 10 Zu den Rückführungen siehe z. B. ALVR 28718 (Rückführungen aus dem Depot Marburg 1946, 1959), 49232, 49233 (Rückführungen aus Bergungsdepots von 1945 bis 1952); zum Betrieb des S­ ammeldepots

Archivische Überlieferung zum Kunstschutz im Rheinland am Beispiel des Archivs des LVR   I  463

Bergung steht dabei immer in engem Zusammenhang mit Sicherung von Kulturgut, was sich auch in der Überlieferung niederschlägt. Einzelne Akten dokumentieren hingegen schwerpunktmäßig nur den Gesichtspunkt der Sicherung vor Ort. Hier geht es dann um konkrete Sicherungsmaßnahmen z. B. von Archiven und Museen, aber auch Bau- und Kunstdenkmälern, sei es in technischer Hinsicht, sei es durch Bildung spezieller Schutztrupps, deren Sachverständige die örtlichen Luftschutz- und Polizeistellen fachlich unterstützten und Bergungs- und Absicherungsmaßnahmen begleiteten.11 Abschließend soll noch auf eine weitere Provenienz hingewiesen werden, nämlich jene des Rheinischen Landesmuseums in Bonn. Unter dem Stichwort „Kriegserwerbungen“ lassen sich einige interessante Informationen ermitteln. Hierzu zählen etwa die Kriegserwerbungen des Museums aus den Niederlanden ab 1941 oder eine Bergungsliste mit Kunstwerken des Rheinischen Landesmuseums.12

3. Fazit Das Archiv des LVR ist ein eindrückliches Beispiel dafür, warum es wichtig ist, bei Forschungen und Recherchen zum Thema „Kunstschutz“ von vornherein eine gewisse Bandbreite an möglichen Akteuren und somit Archiven in den Blick zu nehmen. Das Archiv des LVR ist kein Kommunalarchiv im klassischen, eben ortsbezogenen Sinne, wo man vielleicht zuerst suchen würde. Es ist kein Staatsarchiv, wo man Unterlagen der Ministerien oder Regierungspräsidien suchen würde, und es ist natürlich auch kein kirchliches oder ein Adelsarchiv, wo man durchaus Überlieferung zum Thema aus der Sicht unmittelbar Betroffener finden wird. Recherchiert man dagegen aufgabenbezogen und schaut auf die handelnden Personen und Dienststellen, wird man schnell auf die Rheinische Provinzialverwaltung stoßen und damit auch auf das Archiv des LVR als deren „Gedächtnis“.

für Kunstgegenstände auf Schloss Dyck ­zwischen 1945 und 1952 siehe ALVR 35192, 35251, 35354, 49271, 73882, 73883; zu den monatlichen Tätigkeitsberichten für den Bereich Monuments, Fine Arts and Archives der Besatzungsbehörde 1945 – 1947 siehe ALVR 35221. 11 Hierzu siehe z. B. ALVR 27765 u. 28218. 12 Siehe das Findbuch zum Bestand Rheinisches Landesmuseum im Archiv des LVR unter https:// afz.lvr.de//media/de/archive_im_rheinland/archiv_des_lvr/findbuch_rheinisches_landesmuseum_ bonn_1954_2006.pdf (Stand: 26. 07. 2020). Zu den Kriegserwerbungen des Museums aus den Niederlanden ab 1941 siehe die Akte ALVR 28713 und zu den Bergungen der Kunstwerke (Listen) des Rheinischen Landesmuseums 1945/46 in ALVR 35341.

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Kulturgutschutz heute

Kulturgutschutz in Frankreich: staatliche und private Akteure Florence de Peyronnet-Dryden

Kulturgutschutz beinhaltet viele Th ­ emen: Archive, Bibliotheken, Baudenkmäler, Ausgrabungsstätten, Kunstobjekte, immaterielles Kulturerbe etc. Dieser kurze Abriss wird sich auf den Aspekt „Denkmalschutz“ konzentrieren, da dieser auch die Hauptthematik des Kunstschutzprojektes des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste in Magdeburg und des Projektträgers Vereinigte Adelsarchive im Rheinland e. V. ist, und eine Darstellung, selbst eine Reflexion über das gesamte Spektrum „Kulturgut“, den knappen Umfang des Beitrages sprengen würde. Eine Vorstellung der heutigen Situation des Denkmalschutzes in Frankreich erscheint daher interessant. Die weiteren Facetten von Kulturgutschutz werden aber, soweit sie in Verbindung mit der Hauptthematik auftreten, selbstverständlich angedeutet. Nach einer Einführung über die historische Entwicklung werden die heutigen Strukturen und Prinzipien des Denkmalschutzes in Frankreich mit den staatlichen, aber auch den wichtigen weiteren öffentlichen und privaten Akteuren vorgestellt, gefolgt von einem ­kurzen Ausblick auf den praktischen Kulturgutschutz heute.1

1. Historische Entwicklung Wie in vielen anderen Bereichen bringt die Französische Revolution den ersten tiefgreifenden Impuls in Richtung einer Konzeption von Denkmalschutz und Kulturgutschutz überhaupt, obwohl auch im Ancien Régime ­dieses Bewusstsein bereits vorhanden war: König Franz I. (Regierungszeit 1515 – 1547) ließ zum Beispiel in den 1530er Jahren bereits römische antike Denkmäler aus der Provence auflisten.2 Die Initiativen im Ancien Régime hatten jedoch meistens einen privaten und familiären Charakter, nicht das Bewusstsein eines öffentlichen Interesses. Im Bereich „Büchersammlung“ wurde der Grundbestand der Bibliothèque nationale ebenfalls zur Zeit der Renaissance und des Humanismus – in Form einer königlichen 1 Zum Denkmalschutz und Denkmalschutzpolitik allgemein in Frankreich kann man auf folgende Werke zurückgreifen: Jean-Pierre Bady, Les monuments historiques en France, Paris 1985; Gérard Denizeau, Histoire visuelle des Monuments de France, Paris 2008 sowie Marie-Anne Sire, La France du patrimoine. Les choix de la mémoire, Paris 2008. 2 Bady, Monuments (wie Anm. 1), S. 6.

Bibliothek – beträchtlich weiterentwickelt und aufgebaut.3 Die Französische Revolution benannte diese Sammlung in „Bibliothèque nationale“ um und ließ sie durch neu erworbene Bestände erweitern.4 Die Archives nationales in Paris (französisches Nationalarchiv) wurden erst 1790 ins Leben gerufen. Darin wurden ältere Bestände der Zentralverwaltung aber auch konfiszierte bzw. nationalisierte Besitze aufgenommen und ihre Struktur in den folgenden Jahrzehnten sowie in den französischen Departements weiter entwickelt.5 Nicht zuletzt wurden auch die großen Kunstsammlungen ab Ende des 17. Jahrhunderts und vor allem in den Jahren vor der Revolution allmählich für das Publikum geöffnet, darunter nicht zuletzt das zukünftige Louvre-Museum.6 Die Entstehung des modernen Denkmalschutzes hängt in unmittelbarer Verbindung mit der Problematik der „Emigration“ und der „Nationalgüter“ („biens nationaux“) zusammen, also der von Klerus, emigriertem Adel und aus königlichem Besitz stammenden Güter: Schlösser, Abteien und ­Kirchen, oft samt deren Inventar, und deren Ländereien. Einige wurden vom Staat übernommen und deren Funktion und Nutzung verändert,7 andere gerieten durch staatliche Verkäufe in private Hände,8 oft waren sie von willkürlichen Zerstörungen betroffen. Insgesamt findet man hier im Hinblick auf kirchliche Gebäude vergleichbare Schicksale wie in Deutschland während der Säkularisation, von den willkürlichen Zerstörungen abgesehen. Der Begriff „monument historique“ (historisches Denkmal) wurde 1790 zum ersten Mal von Aubin-Louis Millin 9 erwähnt in Verbindung mit dem Abriss der 3 1368 hatte bereits der französische König Karl V. (Regierungszeit von 1364 bis 1380) seine eigene Bibliothek im Louvre-Palast untergebracht. Diese wurde zu einem beträchtlichen Teil während des Hundertjährigen Krieges Anfang des 15. Jahrhundert zerstreut. Erst ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts konnte diese Bibliothek wiederaufgebaut werden. Unter König Franz I. spielt hier der Gelehrte Guillaume Budé eine besonders wichtige Rolle. Nach mehreren Umzügen wurde sie Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts in der Rue Vivienne und Rue de Richelieu in Paris untergebracht, wo immer noch ein Teil der heutigen Bibliothèque nationale aufbewahrt wird. 4 Siehe Simone Balayé, La Bibliothèque nationale des origines à 1800, Genf 1988. 5 Lucie Favier/René Rémond (Vorw.), La Mémoire de l'État: Histoire des Archives nationales, Paris 2004. 6 1775/76 hatte Graf d’Angivillier schon den Louvre-Palast als Ausstellungsort der königlichen Kunstschätze für die Öffentlichkeit vorgeschlagen, die seit dem 14. Jahrhundert und insbesondere ab der Renaissance angesammelt wurden. Diese Idee wurde zum ersten Mal 1793 in der Form eines „Muséum central des arts de la République“ verwirklicht und erhielt seine erste feste Struktur unter ­Kaiser Napoleon. 7 Dies gilt vor allem für die „Nationalgüter“ aus ehemaligem Kirchenbesitz. Die Abtei Mont SaintMichel oder die Abtei Clairvaux wurden zum Beispiel in Gefängnisse umgewandelt. 8 Viele davon wurden in Manufakturen umgewandelt: So wurde etwa im Departement Oise die Abtei Royaumont zur Baumwollfabrik; ein ähnliches Schicksal erfuhren im Departement Vosges die Abteien Saint-Hydulphe in Moyenmoutier oder Saint-Pierre in Senones. 9 Aubin-Louis Millin de Grandmaison (1759 – 1818) war ein französischer Naturwissenschaftler und Bibliothekar und außerdem Spezialist für Antike und Kunstgeschichte. Am 9. Dezember 1790 stellte

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Bastille als Synonym der alten Zeit vor der Revolution, des Ancien Regime: für manche verachtend ausgesprochen, für Romantiker bald nostalgisch verklärend. Eine Kommission („Commission des Arts“) wurde zur Planung und Steuerung der zukünftigen Nutzung und Unterhalt der bedrohten Denkmäler ins Leben gerufen. Gegen den „Vandalismus“ (einen von Abbé Grégoire 10 erfundenen Neologismus) entstand nun das Bewusstsein, dass der Staat eine starke Verantwortung für den Erhalt wichtiger historischer Gebäude hat, die zur Nationalgeschichte gehören, was auch eine genaue Kenntnis über den Stand dieser Bauten, d. h. deren Inventarisierung bedeutete. Eine herausragende Rolle in dieser Entwicklung spielte Alexandre Lenoir,11 der unter anderem das Musée des Antiquités et des Monuments français im Jahr 1795 gründete. Diese Ideen konnten jedoch nicht zu einem richtigen Abschluss gebracht werden; erst die Julimonarchie sollte eine systematisierende Vorgehensweise ermöglichen. Schon Ende 1830, also wenige Monate nach der Julirevolution, wurde für Ludovic Vitet 12 der Posten eines „Inspecteur des Monuments historiques“ geschaffen, den dann ab 1834 der Schriftsteller Prosper Mérimée 13 bis 1860 innehatte. Diese lange personelle Kontinuität führte

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er einen Bericht über französische Denkmäler vor der Assemblée constituante vor, in dem er zum ersten Mal den Begriff „monument historique“ verwendete. Henri Jean-Baptiste Grégoire, auch Abbé Grégoire genannt (1750 – 1831), war ein katholischer Priester, konstitutionstreuer Bischof der Französischen Revolution und Politiker. Er ist vor allem wegen seiner Forderung nach Abschaffung der Sklaverei bekannt. Alexandre Lenoir (1761 – 1839) ließ sich zunächst als Maler ausbilden und widmete sich s­ päter der Kunst und Architektur des Mittelalters. Nachdem er 1793 Zeuge der Zerstörung der königlichen Grabmäler in der Basilika Saint-Denis geworden war, engagierte er sich für die Rettung historischer Denkmäler, vor allem des Mittelalters: In ­diesem Zuge gründete er das Musée des Monuments français, das in erster Linie vor Zerstörungen bedrohte architektonische Bauteile des Mittelalters aufnahm. Dieses Museum wurde 1815 aufgelöst, dessen Sammlungen an die ursprünglichen Eigentümer zurückgegeben oder weiteren Museen anvertraut. Das Museum wurde 1879 in einer neuen Form neu gegründet. Ludovic Vitet (1802 – 1873), war ein französischer Publizist, Politiker und Schriftsteller. Als Liberaler konnte er nach der Julirevolution 1830 seine guten Kontakte zu Minister Guizot n ­ utzen, der für ihn die Stelle des Inspecteur général des monuments historiques schuf. Nach Übergabe dieser Stelle an Prosper Mérimée im Jahr 1834, blieb er bis 1848 Vorsitzender der Commission des Monuments historiques, die für die Finanzierung der Restaurierung der historischen Denkmäler zuständig war. Unter dem Zweiten Kaiserreich zog er sich aus der politischen Szene zurück. Prosper Mérimée (1803 – 1870) ist vor allem für seine berühmte, s­päter durch Georges Bizet als Oper umgesetzte Novelle „Carmen“ berühmt. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit war er auch Historiker und Archäologe. Nach Übernahme der Stelle von Vitet als Inspecteur général des Monuments historiques, unternahm er zahlreiche Inspektionsreisen durch Frankreich und beauftragte insbesondere den Architekten Eugène Viollet-le-Duc (1814 – 1879) mit der Restaurierung von vielen namhaften Bauten, ferner arbeitete er mit Archäologen wie Jules Quicherat (1814 – 1882) zusammen. 1860 gab er seine Stelle auf, blieb aber als Mitglied der Commission des monuments

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zu grundlegenden Ergebnissen: Zur Unterstützung dieser Arbeit wurde eine Commission des monuments historiques geschaffen, Archäologen und Architekten wurden speziell für diese Arbeit herangezogen und ausgebildet14 sowie konkrete Listen von schutzwürdigen Gebäuden erstellt. 1840 zählte die erste Liste 1082 Gebäude zunächst ausschließlich aus der Antike und dem Mittelalter und ausschließlich in staatlicher Hand 15 sowie Mobiliar bzw. bewegliche Objekte, zum Beispiel den Teppich von Bayeux. Diese Gebäude und Objekte standen nun offiziell unter staatlichem Schutz; deren Konservierung – das heißt vor allem Erhalt und Restaurierung – oblag nun dem Staat, der eine Verwaltungsstruktur zur Förderung dieser konservatorischen Maßnahmen aufbaute. Den gesetzlichen Rahmen gestaltete erst einige Jahrzehnte s­ päter das Gesetz vom 30. März 1887. Es definierte erstmalig die Kriterien des französischen Denkmalschutzes (u. a. mit der Definition der Begriffe „von nationaler Bedeutung“ und „von historischem oder kunsthisto­ rischem Interesse“), den Umfang des Schutzes sowie die Organisation der Architekten, von denen die rechtliche Prozedur begleitet wurde 16 und die mit dem Erhalt der Gebäude beauftragt waren. Das Gesetz zur Trennung von Staat und ­Kirche von 1905, nach dem Kathedralen an den Staat und K ­ irchen an die Kommunen übergeben wurden und somit die Verantwortung der öffentlichen Hand für diese Gebäude und ihren Umfang erweiterte, gab einen neuen Impuls zur Definition von Denkmalschutzprozessen: Mit dem grundlegenden Gesetz vom 31. Dezember 1913 nahm der Denkmalschutz eine entscheidende Wendung, auf welcher der heutige französischer Denkmalschutz immer noch basiert. Anstatt von „nationaler Bedeutung“ spricht man seitdem von „öffentlichem Interesse“. Dies ermöglicht, dass auch Denkmäler mit regionaler Bedeutung und, einige Jahre s­päter, auch Gebäude in privater Hand aufgenommen werden konnten. Hierauf folgte 1924 die Gründung des Vereins von Eigentümern privater historischen Bauten, „La Demeure historique“. historiques für den Denkmalschutz tätig. 1844 war er zudem zum Mitglied der Académie française gewählt worden. Die aktuelle Datenbank für denkmalgeschützte Gebäude des Kulturministeriums trägt ihm zur Ehre den Namen „base Mérimée“. Über seine Rolle, siehe Jannie Mayer, Mérimée et le Monuments historiques, in: Mérimée (Littératures 51) 2004, S. 145 – 156. 14 Viollet-le-Duc wurde zum Beispiel mit der Restaurierung der Basilika Vézelay in Burgund, NotreDame in Paris oder der Altstadt (vor allem Stadtmauer) von Carcassonne im Departement Aude beauftragt. Zur Zusammenarbeit mit Quicherat, siehe dessen Reiseberichte in den Archives nationales, Archives de l’Ecole des chartes, 93/AJ/316. 15 Die komplette Liste findet man online unter folgendem Link: https://fr.wikipedia.org/wiki/Liste_ des_monuments_historiques_protégés_en_1840 (Stand: 26. 07. 2020). 16 Artikel 1 des Gesetzes: „Les immeubles par nature ou par destination dont la conservation peut avoir, au point de vue de l’histoire ou de l’art, un intérêt national, seront classés en totalité ou en partie par les soins du ministre de l’instruction publique et des beaux-arts.“ Nach dem neuen Gesetz muss jeder Eingriff vom Ministerium genehmigt werden. Diese Bestimmung betrifft ebenfalls geschützte bewegliche Objekte.

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Die Liste geschützter Gebäude wurde aktualisiert und zeitlich und organisatorisch erweitert: – mit erstrangigen Objekten unter „classement“, – mit einer Zusatzliste, genannt „Inventaire supplémentaire“ für Objekte mit eher regionaler Bedeutung, – die Aufnahmeprozedur per Antrag generalisiert, – eine Öffnung hin auf neue Epochen: in den 1920er Jahren die Aufnahme von Gebäuden aus der Renaissance bis zum 18. Jahrhundert;17 heutzutage können auch zeitgenössische Denkmäler geschützt werden.18 Parallel dazu dachte man in Frankreich auch über Naturschutzgebiete und Umwelt nach, diese wurden 1930 durch das Gesetz „Loi sur les monuments naturels et les sites“ ebenfalls unter Schutz gestellt. Dieses Bewusstsein für den Schutz der Umwelt dehnte sich bald auf ganze Stadtteile aus: Mit dem Begriff des „Secteur sauvegardé“, 1964 durch Kulturminister André Malraux (das Kulturministerium wurde 1959 neu geschaffen)19 ins Leben gerufen, schützte man wichtige Baugebiete, allerdings mit anderen Auflagen als bei den Monuments historiques. Im gleichen Jahr wird das Service de l’Inventaire gegründet, das mit der Inventarisierung von interessanten Gebäuden und wertvollem Mobiliar, ob geschützt oder nicht, beauftragt wird.

2. Heutige Organisation von staatlicher Seite und Maßnahmen Um auf die Monuments historiques zurückzukommen: Aus der Geschichte heraus entsteht die heutige französische Definition des Denkmalschutzes: Dieser betrifft Gebäude oder Objekte (Mobiliar), deren Wert (sei es aus historischer, künstlerischer, architektonischer oder technischer bzw. wissenschaftlicher Hinsicht) als Teil des nationalen Kulturerbes von der Nation anerkannt wird. Deren Erhalt für die zukünftigen Generationen obliegt der 17 Zum Beispiel Schloss Villandry (16. – 18. Jh.), unter Denkmalschutz seit 1927, damals Eigentum von Joachim Carvalho, Vorsitzender des Vereins Demeure historique. Oder Schloss Vaux-Le-Vicomte, gebaut 1656 – 1661, Eigentum der Familie von Voguë, unter Denkmalschutz seit 1929. 18 Als Beispiel kann man die Kapelle Notre-Dame-du-Haut in Ronchamps erwähnen, vom Architekten Le Corbusier 1950 – 1955 gebaut, unter Denkmalschutz bereits seit 1965. 19 André Malraux (1901 – 1976) war ein französischer Intellektueller, Schriftsteller, Kunstpublizist und Gaullistischer Politiker. 1959 wurde für ihn das Kulturministerium gegründet (vorher waren dessen Aufgaben innerhalb des Kultusministeriums angelegt), er blieb dessen Minister bis zum Tod De Gaulles 1969 und prägte den modernen Begriff von „Kultur“ entscheidend, indem er unter anderem zeitgenössische Ästhetik und eine gesellschaftspolitische Komponente integrierte und sich für eine Demokratisierung der Kultur und die Rolle des Staates bei deren Gestaltung einsetzte. Siehe Augustin Girard, Les politiques culturelles d’André Malraux à Jack Lang. Ruptures et continuités, histoire d’une modernisation, in: Hermès. La Revue 20 (1996), S. 27 – 41.

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nationalen Gemeinschaft und dem Eigentümer zugleich. Der Rahmen und die Bedingungen des französischen Denkmalschutzes sind im Code du Patrimoine, Abteilung VI definiert.20 Heute ist die „Sous-direction de la Conservation des Monuments historiques“, ein Teilbereich des Ministère de la Culture. Sie unterliegt der „Direction générale des Patrimoines“, ­welche weitere Teilbereiche beinhaltet (Museen, Archive, Architektur).21 Ihre Organisation ist auf Ebene der Regionen innerhalb der „Directions régionales des Affaires culturelles“ (DRAC)22 dezentralisiert („service déconcentré de l’Etat“), wo sie jeweils in jeder Region die „Conservation régionale des Monuments historiques“ (CRMH) bildet. Zwei Schutzkategorien von Gebäuden gibt es heutzutage: „Monuments classés“ (mit nationaler Bedeutung) und „Monuments inscrits“ (mit regionaler Bedeutung).23 Nach einer ähnlichen Unterscheidung werden auch bewegliche Objekte bzw. Mobiliar („Objets inscrits au titre des monuments historiques“) geschützt. Rund 44.000 Gebäude stehen derzeit unter Denkmalschutz (ca. 14.000 „classés“, und 30.000 „inscrits“) sowie 300.000 bewegliche Objekte und mehr als 1400 Orgeln. Von der Gesamtzahl aus gesehen zählt man darunter 30 % kirchliche oder ähnliche Gebäude, und die Hälfte steht in Privatbesitz. Denkmalgeschützte Gebäude werden auf Wunsch mit einem Schild gekennzeichnet. Das Logo ist eine stilisierte Widergabe des 1779 zerstörten Labyrinths in der Kathedrale von Reims. Die Gebäude werden heutzutage nicht mehr nach einem Listensystem in den Denkmalschutz integriert, sondern einzeln nach einem Antrag an die CRMH, entweder vom Eigentümer gestellt oder einer dritten Person, die auch der Staat sein kann. Die Entscheidung über eine Aufnahme hängt vom Urteil einer regionalen 24 bzw. nationaler Kommission (je nach Schutzkategorie) und dann von der Ratifizierung und offiziellen Verordnung durch den Regionspräfekten bzw. den Kulturminister für Güter mit nationaler Bedeutung ab; es folgt der Eintrag in das Grundbuch. Kriterien für den Schutz sind die Beispielhaftigkeit, 20 Der „Code du patrimoine“ ist eine Sammlung von gesetzlichen Bestimmungen über Kulturgut in Frankreich, betrifft also auch andere Bereiche: neben Denkmälern Archive, Bibliotheken, Museen, Archäologie, die jeweils nach Abteilungen („Livres“) unterteilt sind. 21 Die Organisation und Entwicklung dieser Bereiche während des Zweiten Weltkrieges wurde im Rahmen der Tagung von Isabelle Le Masne de Chermont vorgestellt, die in d ­ iesem Band ebenfalls einen Aufsatz darüber publiziert hat. 22 Ihren Ursprung haben sie bereits 1963 unter Minister Malraux, werden aber 1977 unter dem Namen DRAC systematisiert. Sie sollen die Nationalpolitik in Sachen Kultur auf lokaler Ebene koordinieren und zwar in folgenden Bereichen: Archäologie, Denkmalschutz, Musik und ­Theater, Kunstschaffen, Archiv, Kunstunterricht, etc. Es gibt eine DRAC in jeder Region (eine Region wird aus mehreren Departements gebildet, zum Beispiel Region Bretagne, Normandie, etc.). 23 Sie entsprechen den Kriterien für die ehemaligen Denkmäler „sur la liste supplémentaire“ (Ergänzungsliste), wie sie 1913 genannt wurde, um die Aufnahme von Denkmälern mit regionaler Bedeutung zu ermöglichen, dann 1927 bis 2005 in „Inventaire supplémentaire des monuments historiques“ umgetauft. 24 Seit einem neuen Gesetz LCAP (Loi relative à la Création, l’Architecture et le Patrimoine) 2016, heißt sie nun Commission régionale pour le patrimoine et l’architecture (CRPA).

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Abb. 1  Das Logo „Monument historique“ ist eine stilisierte Wiedergabe des Labyrinths in der Kathedrale von Reims.

die Originalität, die Qualität der Erhaltung, die künstlerische und architektonische Qualität des Gebäudes selbst. In manchen kritischen Fällen, vor allem bei Gütern mit nationaler Bedeutung, kann Zwangsschutz („classement d’office“) vom Ministerium angeordnet werden, was jedoch außerordentlich selten passiert. Ebenfalls kann ein Gebäude in schwerwiegenden Fällen deklassifiziert werden. Eine Aufnahme als denkmalgeschütztes Gebäude bringt folgende Vorteile mit sich: – Schutz und Erhaltung: Begleitung und Beratung bei der Restaurierung; Veränderungen werden von der CRMH und den Architectes des bâtiments de France 25 kontrolliert, – Finanzielle Vorteile: Möglichkeit von Zuschüssen und steuerliche Vorteile (z. B. Absetzung von Betriebskosten), – Schutz des Umfeldes: Geschütztes Gebiet/Umkreis um das Gebäude mit dem Begriff der „Co-visibilité“ (Sicht auf das Objekt und vom Objekt aus). Für die Denkmalpflege stehen als direkte Ansprechpartner für die Eigentümer die Konservatoren und Bauingenieure der regionalen CRMH zur Verfügung sowie der Departementale Architecte des Bâtiments de France, der für eine gesunde Baustruktur und respektvolle Baumaßnahmen, vor allem im direkten Umkreis, sorgt. Es sind auch die gleichen Abteilungen und Ansprechpartner, die für die Begleitung der Instandsetzung und der Finanzierung zur Seite stehen. 25 Diese sind der DRAC angegliedert, arbeiten aber innerhalb einer departementalen Struktur, den Unités départementales de l’architecture et du patrimoine (UDAP).

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Ähnliche Systeme gibt es für bewegliche Objekte sowie für Archive (deren Schutz vom Service interministériel des Archives verwaltet wird, ebenfalls ein Teilbereich des Kulturministeriums, innerhalb der Direction générale des Patrimoines).

3. Weitere Maßnahmen und Akteure Der Schutz von Gebäuden ist bei weitem nicht das einzige juristische Mittel, das in Frankreich existiert. Weitere Schutzmaßnahmen sind – für ganze Baugebiete bzw. Stadtteile – der schon erwähnte „Secteur sauvegardé“, seit 2016 „Site patrimonial remarquable“(SPR )26 genannt, und für Naturschutzgebiete die schon erwähnte Schutzmaßnahme „site inscrit/ classé“ (seit 1930).27 Diese sind starke Werkzeuge mit juristischer Verankerung, bei denen sich der Staat für den Schutz von Kulturgut gesetzlich und vertraglich engagiert. Neben dieser Möglichkeit vergibt der Staat auch Labels: Sie stellen eine Anerkennung mit unterschiedlichen Unterstützungsmöglichkeiten dar, um die Aufmerksamkeit und das Bewusstsein des Wertes des ausgezeichneten Kulturgutes zu wecken, sind jedoch kein „Schutz“ im eigentlichen Sinn. Die wichtigsten Kategorien werden für zeitgenös­ sische Architektur (Label „Architecture du XX e siècle“, bzw. „Architecture contemporaine remarquable“),28 Gärten („Jardin remarquable“), Häuser von bekannten Persönlichkeiten („Maison des illustres“), Städte und Stadtgebiete („Ville et Pays d’Art et d’Histoire“), Museen („Musée de France“), besondere bemerkenswerte Landschaften („Grands Sites de France“)29 sowie Kunstgut und Orte mit europäischer Bedeutung (Label „Patrimoine Européen“) vergeben.30 Ferner runden weitere Akteure die Palette der Auszeichnungen von Kulturgut als Teil des Kulturgutschutzes ab. Hier ­seien einige Beispiele genannt: – UNESCO (Weltkulturerbe). 26 Zuständig dafür sind das Kulturministerium und seine Vertreter vor Ort. Siehe dazu https:// fr.wikipedia.org/wiki/Secteur_sauvegard%C3 %A9 (Stand: 26. 07. 2020). Es gibt über 800 SPR in Frankreich. Beispiele sind die Altstadt von Chartres, Versailles, Straßburg etc. 27 Zuständig dafür ist das Umweltministerium und dessen Vertreter vor Ort. Siehe dazu online https:// fr.wikipedia.org/wiki/Site_class%C3 %A9_ou_inscrit_en_France (Stand: 26. 07. 2020). Es gibt knapp 2700 „sites“ in Frankreich. 28 Das Gebäude kann unter Umstände auch ein „Monument historique“ sein oder werden. 29 Diese Vergabe des Labels wird innerhalb des Umweltministeriums verwaltet, in Anlehnung an die Kompetenz ­dieses Ministeriums für die „sites classés“ oder „inscrits“. 30 Das Label wurde 2007 in Berlin durch die Europäische Union auf Anregung der Europäischen Kommission und des französischen Kulturministeriums ins Leben gerufen. In Frankreich zählen drei Orte – die Abtei Cluny, das Haus des Staatsmannes und Mitbegründers Europas Robert Schuman in Scy-Chazelles und das Europäische Viertel in Straßburg (mit den europäischen Institutionen) – dazu.

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– Öffentliche Träger bzw. öffentliche Hand wie Departements und Kommunen, mit unterschiedlichen Finanzierungsprogrammen, manchmal auch eigene Labellisierung.31 – Stiftungen: Hier sei die „Fondation du Patrimoine“ 32 erwähnt, die Fundraising und Zuschüsse auch für Gebäude organisiert, die nicht unter offiziellem Denkmalschutz stehen. Seit 2017 begleitet diese Stiftung ein großangelegtes Programm, die „Mission Bern“.33 Der Journalist Stéphane Bern wurde vom französischen Staatsoberhaupt beauftragt, ein Programm zur Rettung des französischen Kulturgutes aufzustellen und mehr Sichtbarkeit dafür zu schaffen. Unter anderem wurde eine Lotterie dafür organisiert. – Vereine: Hier ist als wichtiger Verein „La Demeure historique“ zu erwähnen, gegründet 1924 von Joachim Carvalho, Eigentümer von Schloss Villandry. Dieser Verein ist auf regionaler und nationaler Ebene im Bereich Denkmalschutz sehr präsent und einflussreich.34 Im Zweiten Weltkrieg war die „Demeure historique“ ein wichtiger Ansprechpartner für private Schlossbesitzer gegenüber der deutschen Besatzung und dem deutschen militärischen Kunstschutz. Daraus hervorgegangen ist als nunmehr eigenständiger Konkurrent „Vieilles Maisons françaises“, gegründet 1958, ein Verein, der ursprünglich für historisch und kunsthistorisch weniger wichtige Gebäude ins Leben gerufen wurde.35

4. Ausblick auf konkrete Schutzvorkehrungen Im Rahmen der Tagung wurde auch über den präventiven Kulturgutschutz gesprochen. Diese Maßnahmen gibt es natürlich auch in Frankreich: sogenannte „Plans de sauvegarde“ sowohl für Gebäude als auch für bewegliche Objekte im Falle eines Krieges, im Fall von Naturkatastrophen, aber auch im Fall von „alltäglichen“ Ereignissen wie Rohrbruch, Brand, 31 Das Departement Isère vergibt zum Beispiel das Label „Patrimoine en Isère“. 32 Siehe die Homepage der Stiftung unter folgendem Link: https://www.fondation-patrimoine.org/ (Stand: 26. 07. 2020). 33 Mehr dazu: https://www.missionbern.fr/ (Stand: 26. 07. 2020). 34 Ursprünglich nahm der Verein im Zuge der Öffnung des Denkmalschutzes für private Objekte nur Besitzer von exklusiven Immobilien auf, meistens „monuments historiques classés“. Inzwischen öffnet sich der Kreis allmählich auf kleinere Burgen, größere Landhäuser und Ähnliches. Jährlich werden mehrere Kulturpreise durch den Verein verliehen, in Kooperation mit verschiedenen Partnern (etwa French Heritage Society, aber auch Programm zum Schutz von Privatarchiven und Privatbibliotheken). Eine Zeitschrift, initiiert von Odon Marquis de Quinsonas-Oudinot, wird ebenfalls von ­diesem Verein veröffentlicht. Siehe die Homepage des Vereins Demeure historique: https://www. demeure-historique.org/ (Stand: 26. 07. 2020). 35 Inzwischen betreut dieser Verein auch „große“ Häuser. Sein Aufbau enthält viele Ähnlichkeiten mit der Demeure historique. Zur Homepage der Vieilles maisons françaises: https://www.vmfpatrimoine. org/ (Stand: 26. 07. 2020).

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auch gegen Diebstahl oder ganz einfach Schädlinge stehen bereit. Seit mehreren Jahren gibt es zum Beispiel konkrete Rettungspläne in Paris angesichts der wachsenden Gefahr von Überschwemmungen der Seine – im Januar 2018 war dies zum Beispiel wieder ein akutes Problem.36 Aus der jüngsten Vergangenheit bleibt der Brand der Kathedrale Notre-Dame in Paris in schmerzlicher Erinnerung. Hier kristallisierten sich alle Aspekte des Denkmalschutzes: Prävention, Aktion und Maßnahmen danach … inklusive der unvermeidlichen politischen Diskussion um den Wiederaufbau und die Restaurierung, die oft viele fragwürdige Ideen und Behauptungen entstehen ließ. Die positive Lehre daraus: Die „Plans de prévention“ und die Sicherheitsvorkehrungen für alle Kathedralen Frankreichs wurden innerhalb weniger Monaten aktualisiert. Dabei zeigte es sich, dass jeder Fall wegen der Einzigartigkeit des jeweiligen Gebäudes andere Lösungen und Methoden erfordert und deswegen kaum pauschale Pläne angelegt werden konnten. Der Brand von Notre-Dame offenbarte aber etwas Wichtiges: Ein historisches Denkmal kann zum nationalen Einigungssymbol werden. Der Begriff „Monument historique“ ist entstanden aus dem Bewusstsein, dass man eine gemeinsame Geschichte, ein gemeinsames Kulturgut an die nächsten Generationen übertragen sollte und dass sich eine Bevölkerung damit identifizieren kann und soll. Bei Notre-Dame, obwohl ein sakrales Gebäude, vereinten sich alle Gemüter, ob religiös oder nicht; jeder konnte sich damit identifizieren – hoch symbolisch ist der gerettete Hahn aus der Turmspitze: Darin waren katholische Reliquien aufbewahrt, aber der Hahn ist auch Symbol für Frankreich.

36 Es ist anzumerken, dass, obwohl Blue Shield International in Frankreich ebenfalls vertreten ist (unter dem Namen „Bouclier bleu“), ­dieses ­Zeichen anders als in Deutschland nicht auf Gebäuden sichtbar gemacht wird.

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Militärischer Kulturgüterschutz im 21. Jahrhundert Anna ­Kaiser

Kulturgüterschutz und die Rolle, die das Militär in d ­ iesem Bereich spielen kann und sollte, sind spätestens seit den gewollten und medial hochwirksam inszenierten Zerstörungen der Tempelanlagen in Palmyra 2015, wenn nicht sogar schon seit der Zerstörung der Mausoleen in Timbuktu 2012 und der Sprengung der Buddha-Statuen von Bamiyan 2001 in der breiten Öffentlichkeit angekommen. Auch die Plünderung des Museums in Bagdad 2003 sowie die Beschädigungen der archäologischen Stätte von Babylon 2004 durch US-amerikanische Truppen haben dazu beigetragen, die Rolle des militärischen Kulturgüterschutzes im 21. Jahrhundert zu betrachten. Für militärisches Kulturgüterschutzpersonal ist es nicht immer einfach, den Kommandanten oder die Kommandantin von der Notwendigkeit des Kulturgüterschutzes zu überzeugen; allzu oft wird Kulturgüterschutz als lästiges Übel und Einschränkung der eigenen Handlungsfreiheit betrachtet. Dass militärischer Kulturgüterschutz weit mehr ist als eine rechtliche Verpflichtung und eine Reihe von Vorteilen mit sich bringt, hat sich in den bewaffneten Konflikten des 21. Jahrhunderts eindrucksvoll gezeigt. In der gebotenen Kürze werden im Folgenden die wichtigsten Vorteile als Argumente für militärischen Kulturgüterschutz dargelegt.

1. Die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut 1954 Die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut in bewaffneten Konflikten aus dem Jahr 1954 mit ihren beiden Zusatzprotokollen (1954 und 1999) verpflichtet jene 133 Staaten, ­welche das Abkommen ratifiziert haben (110 haben zudem das 1. Protokoll und 82 das 2. Protokoll ratifiziert), bereits in Friedenszeiten Fachpersonal für Kulturgüterschutz in den jeweiligen Streitkräften einzurichten, die Soldatinnen und Soldaten zu sensibilisieren und im Falle eines bewaffneten Konflikts Kulturgüter nicht militärisch zu ­nutzen und auch nicht zu zerstören.1 Verbunden mit der Bestimmung Kulturgüter nicht militärisch zu n ­ utzen, ist der Grundsatz des Kriegsvölkerrechts oder Humanitären Völkerrechts, dass Zivilisten und zivile Einrichtungen nicht zu bekämpfen sind, sondern die Kampfhandlungen sich auf Kombattanten und militärische Einrichtungen zu beschränken haben. Der Grundgedanke 1 UNESCO: http://www.unesco.org/new/en/culture/themes/armed-conflict-and-heritage/conventionand-protocols/states-parties/ (Stand: 26. 07. 2020); Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut in bewaffneten Konflikten 1954, Art. 4, 7.

der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut in bewaffneten Konflikten lässt sich damit vereinfacht zusammenfassen: Kulturgüter sind nicht militärisch zu n ­ utzen, und damit gibt es keinen legitimen Grund, sie in einem bewaffneten Konflikt zu zerstören. Werden Kulturgüter hingegen militärisch genutzt, verlieren sie ihren Schutz. Einzig die viel diskutierte militärische Notwendigkeit erlaubt eine Aufhebung des Schutzes; die Schutzkategorie (Kulturgüterschutz, Sonderschutz, verstärkter Schutz) bedingt hierbei die militärische Ebene, auf welcher die Entscheidung zur Aufhebung des Schutzes getroffen werden kann.2 Generell ist festzuhalten, dass Kulturgüterschutz nicht die primäre Aufgabe des Militärs ist und, dass das Militär auch nicht alleine für den Schutz von Kulturgütern verantwortlich ist. Die Streitkräfte sind lediglich dazu verpflichtet, Fachpersonal einzusetzen, zu sensibilisieren und Kulturgüter in den Kampfhandlungen nicht zu zerstören. Parallel dazu liegt es in der Verantwortung der relevanten zivilen Stellen (etwa Ministerien oder Denkmalämtern) ihrerseits bewegliches und unbewegliches Kulturgut (in Zusammenarbeit mit dem Militär) bestmöglich zu ­schützen, wie auch die Festlegung des Schutzstatus‘ nicht dem Militär obliegt, sondern den zivilen Stellen des jeweiligen Landes. Die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut in bewaffneten Konflikten basiert in erster Linie auf den Erfahrungen des E ­ rsten und besonders des Zweiten Weltkrieges. Vorstöße zum Schutz von Kulturgut während Kriegshandlungen gab es bereits vor dem E ­ rsten Weltkrieg, doch auch in der Zwischenkriegszeit konnten die Bestrebungen, diese Vorstöße rechtlich verbindlich zu gestalten, nicht umgesetzt werden.3 Auf die unterschiedlichen Beweggründe zur Zerstörung von Kulturgut oder auch der Bewahrung sowie der Umsetzung selbiger im Zweiten Weltkrieg braucht an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Dass die Haager Konvention 1954 auf einem Konflikt ­zwischen (annähernd) gleichstarken gegnerischen Kräften basiert, ist jedoch ein Grundstein für das Verständnis der Möglichkeiten der Umsetzung in den Jahrzehnten seit ihrem Bestehen. Volle Gültigkeit hat die Haager Konvention aus dem Jahr 1954 als Bestandteil des Internationalen Humanitären Völkerrechts nur im internationalen bewaffneten Konflikt und der Besetzung. Die ethnisch motivierten, nicht internationalen bewaffneten Konflikte besonders in den 1980er Jahren am Balkan, führten die Grenzen der Haager Konvention besonders deutlich vor Augen. Die Zerstörung von Kulturgut als Vorbereitung auf ethnische Säuberungen bzw. in deren Rahmen 2 Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut in bewaffneten Konflikten 1954, Art. 4 § 2; Art. 11; Zweites Protokoll zur Haager Konvention 1954, Art. 6; 12; Roger O’Keefe, The Protection of Cultural Property in Armed Conflict, Cambridge 2006, S. 22 – 26, 121 – 123, 125 – 131, 251 – 253; Joris Kila, Cultural Property Crimes in the Context of Contemporary Armed Conflicts, in: Journal of Eastern Mediterranean Archaeology and Heritage Studies 1 (2013), S. 319 – 342, hier S. 336 f. 3 Karl Edlinger, Die völkerrechtliche Klassifizierung bewaffneter Konflikte. Konflikttypen, Abgrenzungen sowie Rechtsfolgen und deren Auswirkungen auf die Planung und Durchführung militärischer Operationen, Frankfurt am Main 2016, S. 83 – 89; O’Keefe, Protection (wie Anm. 2), S. 5 – 91; Anna ­Kaiser/Julia Walleczek-Fritz, Vom Krieg zum Schutz. Österreich-Ungarns Kulturgüterschutz im ­Ersten Weltkrieg und die Erhaltung seiner baulichen Überreste, in: Mitteilungen der Anthropolo­ gischen Gesellschaft in Wien 148 (2018), S. 203 – 218, hier S. 204 – 207.

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machte Kulturgut nun zum direkten Ziel der bewaffneten Auseinandersetzungen. Dem wurde versucht mit dem Zweiten Protokoll aus dem Jahr 1999 gegenzusteuern.4 Ein weiterer Schritt in der Entwicklung der Zerstörung von Kulturgütern begann im 21. Jahrhundert. Medial wirksam wurden dabei die eingangs angeführten Fälle von Kulturgutzerstörungen in Afghanistan, Mali und Syrien, als besonders prominentes Beispiel ist hier die Sprengung der Tempelanlagen in Palmyra 2015 zu nennen, zerstört. Es sind dies nur wenige Beispiele, doch zeigen sie die neue Dynamik in der willkürlichen Zerstörung von Kulturgut besonders eindrucksvoll. Die medienwirksame Zerstörung, gleichsam Vermarktung, machte die Notwendigkeit von Kulturgüterschutz (in bewaffneten Konflikten und ganz allgemein) zu einem Thema, mit dem sich nun die breite Öffentlichkeit identifizierte. Kulturgüter wurden quasi in Geiselhaft genommen, Menschen auf der ganzen Welt waren durch ihre Zerstörung zutiefst betroffen, und das Vorgehen der verschiedenen Streitkräfte in ebenjenen Regionen wurde vermehrt nach dem Kriterium des Kulturgüterschutzes beurteilt.5 In Fachkreisen wurde zudem vermehrt die Frage aufgeworfen, ­welche Gültigkeit und w ­ elchen Nutzen die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut in bewaffneten Konflikten aus dem Jahr 1954 im 21. Jahrhundert noch hat.6 Aus militärischer Perspektive ist sicherlich festzuhalten, dass es nicht möglich ist, alles zu ­schützen. Eine der markanten militärischen Redewendungen lautet nicht umsonst: „Wer alles schützt, schützt nichts.“ Genauso ist die Schwergewichtsbildung einer der militärischen Führungsgrundsätze. Dass das Militär dennoch weiterhin eine große Rolle im Kulturgüterschutz spielen kann und auch spielt, hat sich im 21. Jahrhundert eindrucksvoll gezeigt. Zudem haben sich durch die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre einige Punkte herauskristallisiert, die die Gültigkeit und Anwendbarkeit der Haager Konvention 1954 unterstreichen, aber auch aufzeigen, dass die in der Haager Konvention nur pauschal genannten Regelungen sehr breit ausgelegt werden sollten, um Kulturgüterschutz wirklich erfolgreich zu machen. Damit wird Kulturgüterschutz zu mehr als nur einer rechtlichen Verpflichtung.7 4 Siehe dazu auch Friederike Pabst, Kulturgüterschutz in nicht internationalen bewaffneten Konflikten, Berlin 2008; Laurie Rush, Working with the Military to Protect Archaeological Sites and Other Forms of Cultural Property, in: World Archaeology 44 (2012), S. 359 – 377, hier S. 367; Kristin Hausler, Cultural Heritage and the Security Council. Why Resolution 2347 Matters, in: Zoom-in 48 (2018), S. 5 – 19, hier S. 15; allgemein: Robert Bevan, The Destruction of Memory. Architecture at War, London 2006. 5 Frederik Rosén, NATO and Cultural Property. Embracing New Challenges in the Era of Identity Wars. Report on the NATO Science for Peace and Security Project: Best Practices for Cultural Property Protection in NATO-led Military Operations, Kopenhagen 2017, S. 10 – 15, online: https://­theblueshield. org/wp-content/uploads/2018/10/NATO-SPS-CPP-OutcomeReport.pdf (Stand: 26. 07. 2020). 6 Paul Fox/Emma Cunliffe (Hg.), Refuges and in situ Protection in the 1954 Hague Convention. A Contemporary Re-evaluation, im Druck. 7 Yvette Foliant, Cultural Property Protection Makes Sense. A Way to Improve Your Mission, Den Haag 2015; Laurie Rush (Hg.), Cultural Property Protection as a Force Multiplier. Implementation for All

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2. Die Bedeutung von Kulturgut Um zu verstehen, warum Kulturgüterschutz mehr ist als nur eine kriegsvölkerrechtliche Verpflichtung, ist es notwendig, die verschiedenen Bedeutungen, die Kulturgütern beigemessen werden, näher zu betrachten. Die Haager Konvention 1954 regelt nicht nur die Kennzeichnung von Kulturgut in bewaffneten Konflikten mit „einem nach unten hin spitzen Schild in Ultramarinblau und Weiß“ 8, sondern definiert auch, was unter der Bezeichnung „Kulturgüter“ verstanden wird. Eine sozusagen zivile und detailliertere Definition von Kultur­gut findet sich im Jahr 1970 im Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut der UNESCO.9 Neben materiellem Kulturgut und kulturellem Erbe ist auch auf die besondere Bedeutung des immateriellen Erbes hinzuweisen, besonders wenn es um Vertreibung von Volksgruppen oder ethnische Säuberungen geht. Die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut aus dem Jahr 1954 spricht hingegen das immaterielle Erbe nicht explizit an.10 Eine erste Säule, die ganz wesentlich zur Bedeutung von beweglichem, unbeweglichem, aber auch immateriellem Kulturgut beiträgt, ist jene der Identität. Kulturgüter bilden und tragen die Identität der zugehörigen Bevölkerung sowohl in der Gegenwart als auch in der Vergangenheit. Sie sind und transportieren Erinnerung, Geschichte, Stolz und Würde einer Bevölkerung und tragen immens zum Nationalbewusstsein bei. Als rezentes Beispiel dafür ist der Brand von Notre-Dame in Paris anzuführen, der nicht nur Frankreich, sondern die ganze Welt betroffen gemacht hat. Hunderttausende Menschen haben weltweit vor Bildschirmen um die Pariser Kathedrale gezittert. Die Spendenflut für den Wiederaufbau sowie der Streit um die Art des Wiederaufbaus führen die Bedeutung von Kulturgut eindrucksvoll vor Augen.11 Eng mit dieser ersten Säule ist die zweite Säule verbunden: jene der Manipulation. Unterschiedliche Wahrnehmung und Deutung von Kulturgut ist eine mächtige Waffe im Phases of a Military Operation (The NATO Science for Peace and Security Programme), o. O. 2017: https://theblueshield.org/download/military-cpp-reports-and-documents/ (Stand: 14. 08. 2020). 8 Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut in bewaffneten Konflikten 1954, Art. 16 § 1. 9 UNESCO, Convention on the Means of Prohibiting and Preventing the Illicit Import, Export and Transfer of Ownership of Cultural Property 1970, Paris, 14. November 1970, Art. 1: http://portal. unesco.org/en/ev.php-URL _ID =13039&URL _DO =DO _TOPIC &URL _SECTION =201.html (Stand: 26. 07. 2020). 10 Siehe dazu Michelle L. Stefano/Peter Davis/Gerard Corsane (Hg.), Safeguarding Intangible Cultural Heritage, Woodbridge 2012. 11 Siehe etwa Stefan Kuzmany, Dafür ist Geld da, in: Der Spiegel (23. 04. 2019): https://www.spiegel. de/politik/ausland/notre-dame-und-die-spenden-der-reichen-dafuer-ist-geld-da-a-1263958.html (Stand: 26. 07. 2020); o. A., Wiederaufbau von Notre-Dame erhitzt die Gemüter, in: Salzburger Nachrichten (14. November 2019): https://www.sn.at/panorama/international/wiederaufbau-vonnotre-dame-erhitzt-die-gemueter-79199971 (Stand: 26. 07. 2020).

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Arsenal kriegsführender Mächte. Ohne an dieser Stelle ins Detail gehen zu können, sei an die ethnischen Konflikte auf dem Balkan erinnert, an die russische Annexion der Krim und Teilen der Ukraine sowie an ethnische Säuberungen, bei denen Kulturgüter entweder komplett zerstört werden, um jede Erinnerung an die ausgelöschte Bevölkerungsgruppe zu verhindern, oder aber umgedeutet und mit neuen Geschichten und Besitzverhältnissen aufgeladen werden.12 Als dritte Säule ist der Tourismus und damit verbunden eine florierende Wirtschaft anzuführen. Rom ohne Pantheon, Kolosseum und K ­ irchen wäre nicht das Rom, das heute von Heerscharen von Touristen besucht wird, die nächtigen, Souvenirs kaufen und einen wichtigen Wirtschaftszweig bedienen. Der Arabische Frühling mit der einhergehenden unsicheren Lage brachte Ägypten enorme Einbußen in der Tourismusbranche; so waren im Jahr 2015 von den vorrevolutionären 280 Nilkreuzfahrtschiffen nur mehr 19 im Betrieb.13 Zerstörte Kulturgüter führen dazu, dass auch nach der Beilegung von bewaffneten Konflikten ein großer Teil der Touristenströme ausbleibt und Ländern die wirtschaftliche Stabilisierung und der Wiederaufbau nach dem Krieg erschwert werden.14 Die vierte und letzte Säule ist der monetäre Wert von Kulturgütern. Illegaler Handel und Schmuggel von Kulturgut ist nicht erst seit den gezielten Zerstörungen von Kulturgut in Syrien und im Irak durch den IS eine gewinnbringende Praxis. Absolute Werte zu beziffern ist nicht möglich, doch wird der illegale Handel mit Kulturgütern zusammen mit dem Handel von Drogen, Waffen und Menschen an der Spitze der weltweiten Umsätze gelistet. Plünderungen und Diebstahl von Kulturgütern sind allerdings nicht nur mit von Kriegen erschütterten Gebieten zu verbinden, sondern auch im vermeintlich sicheren Zentraleuropa ist bei Naturkatastrophen sofort auf die Sicherung von wertvollen Kulturgütern zu achten.15 12 Bevan, Destruction (wie Anm. 4); Rush, Cultural Property (wie Anm. 7), S. 11. 13 Alan Posener, Einzug nach Ägypten – die Touristen sind wieder da, in: WELT (24. 04. 2019): https:// www.welt.de/reise/Fern/article192154831/Aegyptens-Comeback-als-Urlaubsziel-Die-Touristen-sindwieder-da.html (Stand: 26. 07. 2020); siehe auch Salima Ikram, Cultural Heritage in Times of Crisis. The View from Egypt, in: Journal of Eastern Mediterranean Archaeology and Heritage Studies 1 (2013), S. 366 – 371. 14 Nicholas Stanley-Price (Hg.), Cultural Heritage in Postwar Recovery. Papers from the ICCROM FORUM held on October 4 – 6, 2005, Rom 2007. 15 UNESCO, Fighting the Illicit Trafficking of Cultural Property. A Toolkit for European Judiciary and Law Enforcement, Paris 2018, S. 68 – 83; McGuire Gibson, The Acquisition of Antiquities in Iraq, 19th century to 2003, Legal and Illegal, in: Peter G. Stone/Joanne Farchakh Bajjaly (Hg.), The Destruction of Cultural Heritage in Iraq, Woodbridge 2008, S. 31 – 40; Neil Brodie, The Market Background to the April 2003 Plunder of the Iraq National Museum, in: Ebd., S. 41 – 54; Anna ­Kaiser/Hannes Schramm, The Concept of Cultural Heritage Rescue Teams and its potential for the military, in: Georg Ebner/Julia Lechner (Hg.), Tagungsband Blue Helmet Forum Austria September 2019 (im Druck).

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3. Die rechtliche Verpflichtung zum Schutz von Kulturgut Die militärischen Einsätze westlicher Streitkräfte im 21. Jahrhundert haben zu einer großen Anzahl von „lessons identified“ geführt, die aufzeigen, warum militärischer Kulturgüterschutz wichtiger ist als jemals zuvor und warum sich das Militär auch über die Verpflichtungen der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut hinaus dem Kulturgüterschutz verpflichtet fühlen sollte. Kulturgüterschutz ist in den meisten Fällen nicht die eigentliche Aufgabe des Militärs. Der Auftrag verlangt zumeist etwas ganz anderes als den Schutz von Kulturgut. Kulturgüterschutz wird von den planenden und ausführenden Stellen daher oftmals als „showstopper“ gesehen, als rechtliche Verpflichtung, die zwar eingehalten werden muss, die aber die militärische Planung und besonders die Durchführung unnötig erschwert, das Erfüllen des Auftrages beeinträchtigt und im schlimmsten Fall auch das Leben eigener Soldatinnen und Soldaten kostet. Die Argumentation mit der rechtlichen Verpflichtung ist zudem nur bedingt zielführend, da es in den Jahren seit Bestehen der Haager Konvention 1954 zu wenige Verurteilungen gegeben hat, um Kommandanten mit einem drohenden Kriegsverbrecherprozess wegen Verstößen gegen Kulturgüterschutz abzuschrecken. Von besonderer Bedeutung für den militärischen Kulturgüterschutz ist die Verurteilung von Pavle Strugar vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY ) im Jahr 2005. 1991 führte die „Second Operational Group“ der Jugoslawischen Volksarmee unter dem Kommando von Strugar einen militärischen Einsatz im Bereich von Dubrovnik durch. Am 6. Dezember 1991 wurde dabei die Altstadt von Dubrovnik beschossen. Bei dem Angriff kamen Zivilisten ums Leben, und eine Reihe von geschützten Gebäuden wurde zerstört. Aus militärischer Sicht ist der Fall insofern besonders interessant, als Strugar nicht selbst die Beschießung der Altstadt von Dubrovnik angeordnet hatte, sondern einer seiner Untergebenen, Strugar aber als Kommandant für die Aktionen seiner Untergebenen verantwortlich war, besonders da er genügend Hinweise auf das Geschehen hatte und eingreifen hätte müssen. Neben der Kommandantenverantwortung ist der Fall deshalb noch so bedeutend, weil Strugar das Vorgehen mit militärischer Notwendigkeit („military necessity“) begründete, und militärische Notwendigkeit erlaubt die Außerkraftsetzung des Schutzes von Kulturgut.16 In einem ersten Schritt wurde Strugar am 31. Januar 2005 zu acht Jahren Haft verurteilt, wegen „attacks on civilians and destruction or willful damage done to institutions dedicated to religion, charity and education, the arts and sciences, historic monuments and works of art and science“.17 Am 17. Juli 2008 wurde er zusätzlich wegen zwei weiterer Vergehen verurteilt: „(…) the crime of devastation not justified by military necessity and the crime of unlawful attacks on civilian objects.“ 18 Aufgrund seines ­schlechten 16 Siehe Anm. 2. 17 The Hague Justice Portal, Strugar, Pavle: http://www.haguejusticeportal.net/index.php?id=6044 (Stand: 26. 07. 2020). 18 Ebd.

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Gesundheitszustandes wurde die Strafe jedoch auf siebeneinhalb Jahre verringert. Im Februar 2009 wurde Strugar schließlich aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig entlassen.19 Kommandantenverantwortung und Verurteilung trotz vorgeblicher militärischer Notwendigkeit sind die maßgeblichen militärischen Stichworte aus ­diesem Fall.20 Anders gelagert ist der Fall Al Mahdi aus dem Jahr 2016. Al Mahdi wurde als Erster für die willkürliche Zerstörung von Kulturgütern – darunter neun Mausoleen und eine Moschee in Timbuktu – in einem Kriegsverbrecherprozess verurteilt: „for intentionally directing attacks against historic monuments and/or buildings dedicated to religion (…).“ 21 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die rechtlichen Instrumentarien zur Verurteilung von Kriegsverbrechen gegen Kulturgüter voll ausgeprägt sind, die Umsetzung jedoch aus verschiedenen Gründen zu wünschen übrig läßt. Nicht zuletzt dieser Umstand führte dazu, dass die Aktualität und der Nutzen der Haager Konvention von 1954 in den letzten Jahren immer wieder infrage gestellt wird.22 Zudem zielt gelungener Kulturgüterschutz nicht darauf ab, Täter nach der unwiederbringlichen Zerstörung von Kulturgütern zu bestrafen, sondern es gar nicht zu einer Beschädigung oder Zerstörung kommen zu lassen. Die rechtlichen Maßnahmen haben sich bislang als zu wenig abschreckend erwiesen, um diese Funktion erfüllen zu können. Umso wichtiger sind die Vorteile, die sich durch militärischen Kulturgüterschutz erringen lassen und die im 21. Jahrhundert immer deutlicher geworden sind, nicht zuletzt durch eine Reihe von Negativbeispielen mit weltweiten Auswirkungen für die einsatzführenden Kräfte, die zu einer neuen Beschäftigung mit der Thematik geführt haben.23

4. Strategic Communication Die prominentesten Beispiele für misslungenen Kulturgüterschutz im militärischen Bereich im 21. Jahrhundert fallen unter das Stichwort „strategic communication“. Das NATO affiliierte STRATCOM Centre of Excellence führt „public diplomacy, public affairs, military public affairs, information operations“ und „psychological operations“ 19 Ebd. 20 Guido Acquaviva, Strugar, in: Antonio Cassese (Hg.), The Oxford Companion to International Criminal Justice, Oxford 2009, S. 938 – 940. 21 Rosén, NATO and Cultural Property (wie Anm. 5), S. 12; The Hague Justice Portal, Al Mahdi Case. The Prosecutor v. Ahmed Al Faqi Al Mahdi, ICC-01/12 – 01/15: https://www.icc-cpi.int/mali/ al-mahdi?ln=en (Stand: 26. 07. 2020). 22 Siehe dazu Fox/Cunliffe, Refuges (wie Anm. 6). 23 Laurie Rush, Cultural Property Protection as a Force Multiplier in Stability Operations. World War II Monuments Officers Lessons Learned, in: Military Review March-April (2012), S. 36 – 43; siehe auch Mark V. Vlasic/Helga Turku, War Crimes & Cultural Heritage. Syria and Beyond, in: NATO Legal Gazette 38 (2017), S. 50 – 60.

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als Aktivitäten und Kompetenzen als Teil von „strategic communication“ an.24 „Strategic communication“ ist damit weit mehr als nur militärische Öffentlichkeitsarbeit und nimmt in der militärischen Einsatzführung einen immer wichtigeren Stellenwert ein. Auch die medial inszenierten Zerstörungen von Kulturgütern, wie sie beispielsweise vom IS in Syrien durchgeführt wurden, um die Gegner zu treffen, ihre kulturellen Wurzeln zu zerstören und die Aktivitäten über Social Media international zu verbreiten, sind „strategic communication.“ 25 Mit „strategic communication“ befinden wir uns in jenem Bereich, der sich ganz wesentlich auf die eigene Einsatzführung und den Rückhalt in der eigenen Bevölkerung auswirkt. Von wesentlicher Bedeutung ist dabei auch die Auswirkung von Berichterstattung auf die internationale Staatengemeinschaft, aber natürlich auch das Land, in dem der militärische Einsatz geführt wird; letzteres ist aus Sicht der Post-Konflikt-Stabilisierung besonders wichtig. Ausgehend von der Bedeutung, die Erfolge, oder noch mehr Misserfolge, auf „strategic communication“, das Ansehen und am Ende die Legitimität eines Einsatzes in den Augen der Weltöffentlichkeit haben, ­seien anhand ausgewählter Beispiele einige Vorteile, die Kulturgüterschutz im 21. Jahrhundert den einsatzführenden Staaten bringen kann, aufgeschlüsselt.

4.1 Irak Mit dem US-amerikanischen Einmarsch im Irak 2003 wird gemeinhin kein Erfolg in Sachen Kulturgüterschutz verbunden.26 Die Plünderung des Museums in Bagdad oder die Zerstörungen der archäologischen Stätte von Babylon gingen wie ein Lauffeuer durch die internationalen Medien; beides Debakel, die zum einen den Rückhalt des Militäreinsatzes in den USA selbst stark schwächten und viel Kritik in den internationalen Medien und den einschlägigen Fachkreisen hervorriefen, zum anderen aber auch eine Trendwende einleiteten, mit der der militärische Kulturgüterschutz wieder an Bedeutung gewann. Die „underreported success story“, dass bei den eigentlichen Kampfhandlungen die Zerstörung und Beschädigung von Kulturgütern gering gehalten werden konnten, ist wenig präsent und wurde medial äußerst gering rezipiert.27 Sowohl die Plünderung des Museums in Bagdad, bei der 2003 mehr als

24 NATO Strategic Communication Centre of Excellence Riga, Latvia: https://www.stratcomcoe.org/ about-strategic-communications (Stand: 26. 07. 2020). 25 Rosén, NATO and Cultural Property (wie Anm. 5), S. 10. 26 Thomas E. Ricks, Fiasco. The American Military Adventure in Iraq, New York 2006; Joanne Farchakh Bajjaly, Will Mesopotamia Survive the War? The Continuous Destruction of Iraq’s Archaeological Sites, in: Dies./Stone (Hg.), The Destruction of Cultural Heritage (wie Anm. 15), S. 135 – 142. 27 Rush, Working with the Military (wie Anm. 4), S. 362.

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15.000 Objekte gestohlen wurden,28 als auch die Zerstörungen in Babylon passierten in der Phase der Post-Konflikt-Stabilisierung.29 Babylon ist neben Bagdad jener Fall, der militärischen Kulturgüterschutz im 21. Jahrhundert international wieder an Bedeutung gewinnen ließ. Babylon ist zudem ein besonders tragischer Fall, da die Zerstörungen leicht hätten verhindert werden können. Hier zeigt sich überdeutlich, wie wichtig schon vor militärischen Anlassfällen die Zusammenarbeit militärischer und ziviler Stellen im Kulturgüterschutz ist. Auch wenn beide Seiten eine gemeinsame Sprache (etwa Englisch) sprechen, ist das gegenseitige korrekte Verständnis damit noch lange nicht gegeben. Im Jahr 2003 wurden US -Marines mit dem Schutz der antiken Stätte Babylon beauftragt. Schutz ist eine militärische Einsatzart, die im robustesten Fall sowohl Angriff als auch Verteidigung und Verzögerung beinhalten kann. Entsprechende Vorkehrungen sind in feindlichem Umfeld zu treffen. Die Marines errichteten ihr Camp Alpha zum vermeintlichen Schutz Babylons direkt auf der archäologischen Stätte, inklusive Alarmstellungen für die Verteidigung und einem Hubschrauberlandeplatz. Diese Maßnahmen zogen jene Zerstörungen nach sich, die sich 2004 wie ein Lauffeuer in den internationalen Medien verbreiteten.30 Wie auch akademische Fachdisziplinen unterschiedliche Fachsprachen haben, ist die Sprache und auch das aus ihr resultierende Verständnis des Militärs eine ganz eigene. Gegenseitiges Kennenlernen, Üben und Zusammenarbeiten bereits vor dem Bedarfsfall kann nicht nur die sprachlichen Barrieren abbauen, sondern auch das notwendige Verständnis für die gegenseitigen Bedürfnisse und Kompetenzen ausbilden. Diese zivil-militärische Vernetzung ist eine der größten Herausforderungen im Kulturgüterschutz.31 Zudem hätte das babylonische Debakel durch Planung, Bewusstseinsbildung und Vorgaben der höchsten militärischen Ebenen verhindert werden können. Mit dieser Erkenntnis wurde im US -amerikanischen Militär von „cultural resources“-Managern ein „In-Theater Heritage Training Program for Deploying Personnel“ ins Leben gerufen. Dabei sollten über drei Initiativen, nämlich „education and awareness raising, mapping and planning, and establishing stronger military regulations and guidelines for cutural property protection“, die entsprechenden Grundlagen für militärischen Kulturgüterschutz im 21. Jahrhundert

28 Lamia al-Gailani Werr, The Story of the Iraq Museum, in: Stone/Farchakh Bajjaly (Hg.), The Destruction of Cultural Heritage (wie Anm. 15), S. 25 – 30; Donny George, The Looting of the Iraq National Museum, in: Ebd., S. 97 – 108; Matthew Bogdanos, Thieves of Baghdad, in ebd., S. 109 – 134. 29 Rush, Working with the Military (wie Anm. 4); Rosén, NATO and Cultural Property (wie Anm. 5), S. 26 f. 30 Rush, Working with the Military (wie Anm. 4), S. 363; Zainab Bahrani, The Battle for Babylon, in: Stone/Farchakh Bajjaly (Hg.), The Destruction of Cultural Heritage (wie Anm. 15), S. 165 – 172; Ugo Zottin, Italian Carabineers and the Protection of Iraqi Cultural Heritage, in: Stone/Farchakh Bajjaly (Hg.), The Destruction of Cultural Heritage (wie Anm. 15), S. 235 – 240. 31 Kaiser/Schramm, The Concept (wie Anm. 15).

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geschaffen werden.32 Angesetzt wurde dabei bei den Soldatinnen und Soldaten in der Einsatzvorbereitung, aber auch direkt im Einsatzraum. Eines der bekanntesten Ausbildungsmittel sind Pokerkarten mit den wichtigsten Kulturgütern im Einsatzraum sowie Verhaltensmaßregeln für den Umgang mit Kulturgütern und generellen Beiträgen zur Bewusstseinsbildung, wie etwa einem Foto der Freiheitsstatue mit dem begleitenden Text „How would we feel if someone destroyed her torch?“ 33 Seit 2006 wurden mehr als 150.000 Spiele an Soldatinnen und Soldaten im jeweiligen Einsatzraum verteilt. Die ursprüngliche Version war auf Afghanistan und Irak zugeschnitten. Ihr folgte eine ägyptische Version für die Bright Star War Games im Jahr 2009 und auf expliziten Wunsch der Soldatinnen und Soldaten eine rein afghanische Version. Neben den Pokerkarten wurden Poster, Taschenkarten, aber auch Unterrichte und ein interaktives, computerbasiertes Trainingsprogramm entwickelt. Diese Maßnahmen erwiesen sich als ausgesprochen erfolgreich und wurden mehrfach kopiert.34 Inzwischen wurden die drei Initiativen durch eine vierte, nämlich „research designed to gain a more sophisticated understanding of the strategic and tactical costs of failure and benefits of accomplishment of cultural property protection during global operations“, ergänzt.35 Im Detail sollen die Forschungsansätze fünf Ergebnisse liefern: 1. Ein verbessertes Verständnis des Umstandes und des gesamten Prozesses, die dazu geführt haben, dass die USA sämtliche Kulturgüterschutzkapazitäten, die im Zweiten Weltkrieg aus- und abgebildet wurden, verloren haben. 2. Internationale Beispiele, die als Grundlage für Weiterentwicklungen im militärischen Kulturgüterschutz dienen können. 3. Besseres Verständnis für die Möglichkeiten der Bildauswertung (Luftbilder, Sattelitenbilder) für den Kulturgüterschutz gewinnen. 4. Analyse der Vorgänge, die zu Beschädigung und Zerstörung von Kulturgut während US-amerikanischen Militäroperationen geführt haben. 5. Verifizierung oder Falsifizierung der Hypothese, dass die Nichtbeachtung von Kultur­ güterschutz auf lokaler Ebene zu gewalttätigen Vergeltungsmaßnahmen der einheimischen Bevölkerung führen kann.36

32 Rush, Working with the Military (wie Anm. 4), S. 363. 33 US DoD, Afghanistan-Version der Kulturgüterschutz-Pokerkarten, Karo Bube. 34 Rush, Working with the Military (wie Anm. 4), S. 364; James Zeidler/Laurie Rush, In-Theatre Soldier Training through Cultural Heritage Playing Cards – A US Department of Defence Example, in: Laurie Rush (Hg.), Archaeology, Cultural Property, and the Military, Woodbrigde 2010, S. 73 – 85; Laurie Rush, The Importance of Training Cultural Property Protection – An Example from the U. S. Army, in: NATO Legal Gazette 38 (2017), S. 80 – 91. 35 Rush, Working with the Military (wie Anm. 4), S. 363. 36 Ebd., S. 369, 371.

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4.2 Libyen Ein Beispiel für gelungenen Kulturgüterschutz im 21. Jahrhundert sind die Maßnahmen, die für die Luftangriffe von US - und alliierten Truppen auf Libyen, w ­ elche im Rahmen der Operation Unified Protector geflogen wurden, getroffen wurden. Die Miteinbeziehung von Archäologinnen und Archäologen und Fachleuten aus anderen Wissenschaftsdisziplinen sowie die Übermittlung von Daten durch die UNESCO selbst erlaubte die Erstellung einer „no-strike-list“ mit den Koordinaten von archäologischen Stätten und Kulturgütern von internationaler Bedeutung, die von Luftangriffen ausgenommen werden sollten. Die einzige Beeinträchtigung von Kulturgütern, die bei über 17.000 geflogenen Angriffen verzeichnet wurde, war die Beschädigung einer Fassade. Hingegen konnten sogar vom Gaddafi-Regime gezielt in und um ein römisches Kastell in der Nähe von Leptis Magna platzierte Radarwägen so präzise bekämpft werden, dass die römischen Strukturen keinen Schaden nahmen. Dieses gelungene Beispiel für militärischen Kulturgüterschutz wurde jedoch medial wenig rezipiert.37 Die Auswertung der Luftangriffe in Libyen und das durchwegs positive Echo aus akademischen Kreisen haben dazu geführt, dass die NATO Kulturgüterschutz mit dem NATO Joint Analysis and Lessons Learned Center (JALLC) Report 2012 mit dem Titel „Cultural Property Protection in the Operations Planning Process“ als positiven Aspekt zur Kenntnis nahm.38

4.3 NATO SPS Projekt 2014 – 2016 Darauf aufbauend wurde im Jahr 2014 ein von Dr. Frederik Rosén (Nordic Centre for Cultural Heritage and Armed Conflict) eingereichtes NATO Science for Peace and Security (SPS)Projekt zum Thema „Best Practices for Cultural Property Protection in NATO-led Military Operations“ genehmigt. Von 2014 bis 2016 fanden sogenannte Advanced Research Workshops in Brüssel, Sarajevo, Mons, Turin, Krems, New York und Sanremo zu den Th ­ emen „Best Practices for Cultural Property Protection in NATO-led Missions“, „Education and Training“ und „Geospatial Imaging“ statt. Die „lessons identified“ des Projektes stammen zum einen aus den von der NATO geführten militärischen Operationen im Kosovo, in Afghanistan (ISAF/International Security Assistance Force) und Libyen sowie zum anderen von den nicht unter NATO-Kommando geführten Operationen im Irak und gegen den IS in Syrien.39 37 Ebd., S. 368; Rosén, NATO and Cultural Property (wie Anm. 5), S. 24 f. 38 NATO Joint Analysis and Lessons Learned Centre, Cultural Property Protection in the Operations Planning Process (Bericht vom 20. 12. 2012): http://www.jallc.nato.int/products/docs/factsheet_cpp. pdf (Stand: 26. 07. 2020). 39 Siehe dazu etwa Rosén, NATO and Cultural Property (wie Anm. 5); ders., NATO-led Military Operations and Cultural Property Protection, in: NATO Legal Gazette 38 (2017), S. 19 – 27.

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Im Rahmen des Projekts wurde ein großer Teil der im folgenden genannten Vorteile, die militärischer Kulturgüterschutz mit sich bringt, zusammengetragen und auf NATO-Ebene kam es zu einer Reihe von Aktivitäten im Bereich Kulturgüterschutz, wobei an dieser Stelle explizit anzumerken ist, dass einzelne Länder teilweise bereits seit Jahrzehnten militärischen Kulturgüterschutz betreiben, ihre Soldatinnen und Soldaten in der Materie ausbilden und Fachpersonal in den Streitkräften eingerichtet haben.40 Seit 2016 gibt es einen CPP (Cultural Property Protection) Annex zum NATO AJEPP-2 (STANAG 2582) „Environmental Protection Best Practices and Standards for Military Camps in NATO Operations“, und ebenfalls seit 2016 werden in den großen NATO-Übungen Kulturgüterschutz-Szenarien eingespielt.41 Seit 2019 gibt es zudem eine NATO-Direktive zum Kulturgüterschutz.42

5. Kulturgüterschutz als Bestandteil des Auftrags Der Dreh- und Angelpunkt einer jeden militärischen Operation, egal auf welcher Ebene, ist der Auftrag, der erfüllt werden muss. „Was verlangt der Auftrag, um erfüllt zu werden?“, ist die maßgebliche Frage in jeder militärischen Beurteilung. Dass Kulturgüterschutz zur Erfüllung des Auftrages beitragen kann, ist jene Information, die u. a. mit dem oben genannten NATO SPS Projekt und den internationalen Initiativen zum militärischen Kulturgüterschutz kommuniziert wird. Beinhaltet der Auftrag Kulturgüterschutz explizit, steigt der Stellenwert und die Beachtung, die Maßnahmen zum Kulturgüterschutz erfahren, exponenziell. Kultur­ güterschutz wird automatisch zum Dreh- und Angelpunkt der militärischen Planungen und des militärischen Vorgehens. Kulturgüterschutz ist jedoch nur in den seltensten Fällen direkter Bestandteil des Auftrages oder der den Einsätzen zu grunde liegenden Resolutionen. Beim Einmarsch der westlichen Truppen im Kosovo im Juni 1999 war Kulturgüterschutz nicht auf der offiziellen militärischen Agenda, obwohl der Einsatz auf den Schutz der Zivilbevölkerung ausgelegt war. Trotz der großflächigen Zerstörung von religiösen und kulturellen Bauten und Denkmälern in Bosnien-Herzegowina von 1992 bis 1995 wurde erst auf Antrag der serbisch-orthodoxen K ­ irche Kulturgüterschutz als wichtiger Bestandteil der Mission erkannt. Im Oktober 2002 wurden die italienischen Carabinieri für Kultgüterschutz, die Carabinieri

40 Rosén, NATO and Cultural Property (wie Anm. 5), S. 19; Rush, Working with the Military (wie Anm. 4); Foliant, Cultural Property (wie Anm. 7); Hubert Speckner, Kulturgüterschutz im österreichischen Bundesheer, in: Alke Dohrmann/Almut Siegel/Katrin Schöne (Hg.), Kultur!Gut!Schützen! Sicherheit und Katastrophenschutz für Museen, Archive und Bibliotheken (Tagungsband), Halle 2015, S. 29 – 34; Laurie Rush/Luisa Benedettini Millington, The Carabinieri Command for the Protection of Cultural Property. Saving the World’s Heritage, Woodbridge 2015. 41 Rosén, NATO and Cultural Property (wie Anm. 5), S. 20 f. 42 NATO Bi-Strategic Command Directive 086 – 005, Implementing Cultural Property Protection in NATO Operations and Missions, 01. 04. 2019.

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Tutela Patrimonio Culturale (TPC), zum Schutz der K ­ irchen und zur Dokumentation der Schäden und Zerstörungen entsandt. 2004 kam es im Zuge regionaler Unruhen wieder zu verstärkten Angriffen auf Kulturgüter, sodass die eingesetzten KFOR-Truppen bis 2013 Kulturgut mit speziellem Status (großteils ­Kirchen und Klöster) schützten. Seit 2017 wird nur mehr das Decani-Kloster durch militärische Kräfte geschützt, doch ist die KFOR nur noch die dritte Eingreifkraft für den Fall der Fälle.43 Das UN-Mandat der United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali, kurz MINUSMA, beinhaltete zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinten Nationen Kulturgüterschutz, der mit allen angemessenen und zur Verfügung stehenden Mitteln umzusetzen ist: “16. Decides that the mandate of MINUSMA shall be the following: (f ) Support for cultural preservation To assist the transitional authorities of Mali, as necessary and feasible, in protecting from attack the cultural and historical sites in Mali, in collaboration with UNESCO; 17. Authorizes MINUSMA to use all necessary means, within the limits of its capacities and areas of deployment, to carry out its mandate as set out in paragraphs (…) 16 (f ) (…) and requests MINUSMA’s civilian and military components to coordinate their work with the aim of supporting the tasks outlined in paragraph 16 above; (…)”.44

6. Kampf gegen illegalen Handel Auch wenn der Kampf gegen illegalen Handel mit Kulturgütern nicht primär eine militärische Aufgabe ist und im Bereich des Militärs spezialisierten Kräften wie den Stability Policing-Kräften oder der Carabinieri-Sondereinheit für Kulturgüterschutz (TPC) zufällt, ist das Vorgehen gegen illegalen Handel mit Kulturgütern als einer der Bereiche zu nennen, aus dem den Streitkräften ein maßgeblicher Vorteil aus der Beschäftigung mit der Thematik erwächst.45 Gut für den illegalen Handel mit Kulturgütern stammt in erster Linie aus drei Bereichen: Plünderung und Diebstahl, gezielten Zerstörungen und Raubgrabungen. Zum Stichwort Plünderung ist der Verweis auf die verschiedenen Museen im Irak, prominent darunter sicherlich das Nationalmuseum in Bagdad, ausreichend. Auch wenn viele 43 Rush, Working with the Military (wie Anm. 4), S. 367; Rosén, NATO and Cultural Property (wie Anm. 5), S. 22; Bevan, Destruction (wie Anm. 4). 44 UN Security Council Resolution 2100 (2013), adopted by the Security Council at its 6952nd meeting, am 25. April 2013, §§ 16 und 17 (Hervorhebungen im Original), online: https://minusma.unmissions. org/sites/default/files/mali_2100_e_.pdf (Stand: 26. 07. 2020). 45 Siehe dazu UNESCO, Fighting (wie Anm. 15); Rush/Benedettini Millington, Carabinieri (wie Anm. 40); Rush, Working with the Military (wie Anm. 4), S. 370.

Militärischer Kulturgüterschutz im 21. Jahrhundert   I  489

der dort gestohlenen Objekte Repliken waren, weil die Museumsverantwortlichen die wertvollen Originale lange vor der Plünderung in Sicherheit gebracht hatten, wird damit das Thema Plünderung und Diebstahl eindrucksvoll untermauert.46 Neben Diebstahl und Plünderung ist der illegale Handel mit Kulturgütern auch stark mit der gezielten Zerstörung verbunden. Vom IS medial hochwirksam zerstörte Statuen werden oftmals kopflos wieder aufgefunden; passend dazu tauchen im illegalen Antikenhandel besonders viele Köpfe von Statuen auf. Köpfe lassen sich leichter transportieren als großformatige Statuen und wahrscheinlich auch besser verkaufen. Die Vermutung liegt demnach nahe, dass die Köpfe der absichtlich zerstörten Statuen ihrerseits in den illegalen Handel gelangen, um die jeweilige terroristische Gruppierung weiter zu finanzieren.47 Besonders schwierig ist schließlich die Identifizierung und Sicherstellung von illegalen Objekten aus Raubgrabungen. Dass nicht bekannt ist, wonach gesucht wird, erschwert die Sache enorm. Raubgrabungen und auch etwa vom IS ausgestellte „Grabungslizenzen“ mit genauen Anweisungen, wonach zu suchen ist – Seiten mit Abbildungen aus wissenschaftlichen Publikationen wurden in Kommandoposten des IS in Syrien gefunden –, sind inzwischen hinlänglich bekannt. Satellitenbilder zeigen bekannte archäologische Stätten im Nahen Osten in einem pockennarbigen Zustand mit Raubgrabungslöchern der unterschiedlichsten Größenordnung übersät.48 Unabhängig von der Herkunft der Objekte und der Art, wie sie in den illegalen Handel kommen, erzielen ­solche Stücke auf dem Schwarzmarkt, aber auch in renommierten Auktionshäusern weltweit hohe Preise. Seit den großen Zerstörungen, Raubgrabungen und Plünderungen im Nahen Osten im letzten Jahrzehnt haben viele Auktionshäuser reagiert und ihre Richtlinien bezüglich der Herkunft/Provenienz drastisch verstärkt. Dennoch finden sich immer wieder illegale Antiken im legalen Handel.49 Der Großteil der illegalen Kulturgüter, so wird vermutet, wird 46 Katharyn Hanson, Ancient Artefacts and Modern Conflict. A Case Study of Looting and Instability in Iraq, in: Peter G. Stone (Hg.) Cultural Heritage, Ethics, and the Military, Woodbridge 2011, S. 113 – 128; siehe dazu auch weiterführend Emma Cunliffe, No Longer Lost in the Wilderness. Cultural Property Crimes in Conflict, in: Journal of Eastern Mediterranean Archaeology and Heritage Studies 1 (2013), S. 343 – 347, hier S. 345. 47 Stefano Bergonzini, Vortrag Donau-Universität Krems, 09. 07. 2019. 48 Siehe dazu etwa University of Oxford, Heritage: Oxford, Heritage & Conflict: http://www.ox.ac.uk/ oxford-heritage-projects/oxford-heritage-conflict# (Stand: 26. 07. 2020); Rosén, NATO and Cultural Property (wie Anm. 5), S. 24, 27 f.; Andrew Keller, Documenting ISIL’s Antiquities Trafficking. The Looting and Destruction of Iraqi and Syrian Cultural Heritage: What We Know and What Can Be Done, New York, 29 September 2015: https://2009 – 2017.state.gov/e/eb/rls/rm/2015/247610.htm (Stand: 14. 08. 2020); Monica Hanna, What Has Happened to Egyptian Heritage after the 2011 Unfinished Revolution?, in: Journal of Eastern Mediterranean Archaeology and Heritage Studies 1 (2013), S. 371 – 375. 49 Gibson, Acquisition (wie Anm. 15); Brodie, Market Background (wie Anm. 15); siehe dazu die Homepage von Interpol, etwa: https://www.interpol.int/es/Noticias-y-acontecimientos/Noticias/2018/ Protecting-cultural-heritage-by-disrupting-the-illicit-trade (Stand: 26. 07. 2020).

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jedoch erst in dreißig bis vierzig Jahren auf dem Markt auftauchen; zu einem Zeitpunkt, zu dem die Welt vermutlich lange nicht mehr nach Syrien und auf die dort geraubten Antiken blickt. Der illegale Handel mit Kulturgütern finanziert unter anderem jene Terroristen und Gruppierungen, die die Objekte in den Handel gebracht, also zerstört, ausgegraben oder gestohlen haben. Mit dem Kampf gegen den illegalen Handel mit Kulturgütern wird das Austrocknen der Geldquellen für diese Organisationen erreicht und damit die Möglichkeit zur weiteren Aufrüstung und weiteren Anschlägen auf eigene Truppen verringert.50

7. Post-Konflikt-Stabilisierung Die friedensschaffenden und friedenserhaltenden militärischen Missionen auf Basis eines UN -Mandats zielen auf Einstellung der Kampfhandlungen und den Neuaufbau einer staatlichen Ordnung ab. Kulturgüter scheinen in der meist langen Phase der Post-Konflikt-Stabilisierung besonders gefährdet zu sein, wie die Plünderung des Museums in Bagdad oder die Zerstörungen in Babylon zeigen.51 Ein wichtiger Faktor für die Post-Konflikt-Stabilisierung ist die lokale Bevölkerung, die es zu überzeugen und zu gewinnen gilt; „winning hearts and minds“ ist ein häufig zitiertes Credo. Neben der bereits angesprochenen wirtschaftlichen Bedeutung von Kulturgütern, die nach der Beendigung des Konflikts zu einem erneuten Erstarken des Tourismus und damit der Wirtschaft und des Wohlstandes allgemein führen kann, ist hier noch die vereinende und versöhnende Kraft des gemeinsamen kulturellen Erbes anzuführen. Kulturgüterschutz trägt hier wesentlich zur Erfüllung des militärischen Auftrags bei, der Hinterlassung eines stabilen, friedlichen Landes. Das italienische „Herat Heritage Project“ setzte sich zum Ziel, die Erhaltung von Kulturgütern im afghanischen Herat zusammen mit der einheimischen Bevölkerung zu erreichen und besonders die reichen Kulturschätze zu ­nutzen, um mittels einer gemeinsamen Geschichte den Zusammenhalt der Bevölkerung zu stärken. Das Projekt bezog die Bürgerinnen und Bürger Herats mit ein und dokumentierte die Identifikation mit dem eigenen Kulturgut, den Stolz auf die gemeinsame Vergangenheit und die Gräben, die damit überwunden werden können. Die Bevölkerung war besonders stolz auf die Zitadelle, die in ihren Grundzügen auf Alexander den Großen zurückgeht, aber auch auf die Große Moschee, die Altstadt generell, die Minarette und die Geschäfte und Läden der lokalen Handwerker. In einer Publikation auf Dari und Englisch wurde das gemeinsame Erbe des „Florenz des Ostens“ gefeiert.52 50 Rosén, NATO and Cultural Property (wie Anm. 5), S. 12; 16; siehe auch Council of Europe, „Convention on Offences relating to Cultural Property“, 127th Session of the Committee of Ministers, Nicosia 19 May 2017; Helga Turku, ISIS’ Use of Cultural Property as a Tool for Terrorism and a Means to Finance It, in: NATO Legal Gazette 38 (2017), S. 61 – 69. 51 Siehe Anm. 28 und 30. 52 Rush, Cultural Property (wie Anm. 7), S. 20 f.

Militärischer Kulturgüterschutz im 21. Jahrhundert   I  491

8. Sicherheit der eigenen Soldaten Eine der großen Herausforderungen des militärischen Kulturgüterschutzes ist es, die eigenen Kommandantinnen und Kommandanten auf den unterschiedlichsten Ebenen von der Wichtigkeit des Themas zu überzeugen. Die rechtliche Verpflichtung alleine reicht dazu nicht aus und viel zu oft wird Kulturgüterschutz noch als „showstopper“, der die Einsatzführung behindert, gesehen. Neben den bisher angeführten Vorteilen, die aus der Beachtung des Kulturgüterschutzes entstehen, ist der wichtigste und für jede Soldatin und für jeden Soldaten nachvollziehbare Grund die „Force Protection“, der Schutz der Eigenen, die Sicherheit der eigenen Truppe. Sowohl aus dem Nahen Osten als auch aus Mali gibt es Fallbeispiele, die zeigen, was passiert, wenn Kulturgut vor Ort respektiert, geachtet und geschützt oder aber missachtet und beschädigt oder gar zerstört wird. Das am besten bekannte Beispiel ist jenes der US 10th Mountain Division in Afghanistan. Eine Einheit der Division hatte den Auftrag, in Dörfern einer Gegend, in der die Taliban an Einfluss gewonnen hatten, für Ruhe und Sicherheit zu sorgen. Für die Errichtung des eigenen Camps bot sich ein von einer hohen Mauer umgebener Hof im Dorf Walaken an. Ein Teil der Mauer war blau bemalt, und aus der Einsatzvorbereitung und der kulturellen Sensibilisierung war den Soldaten bekannt, dass blau in Afghanistan eine besondere Bedeutung hat. Aus der Rücksprache mit den Dorfältesten erfuhr der Kommandant, dass es sich bei der ummauerten Struktur um das wichtigste Heiligtum der Gegend handelte und der Schrein unter anderem den Dolch eines Weggefährten des Propheten Mohammed beinhaltete. Der Kommandant vereinbarte mit den Dorfältesten, dass keiner der Soldaten das Heiligtum betreten werde und sie es zudem unter ihren besonderen Schutz stellen würden. Das Lager wurde direkt neben dem Heiligtum aufgeschlagen. Solange sich die Soldaten der Einheit im Einflussbereich der Dorfältesten aufhielten, gab es keine Anschläge auf sie. Die Grenze des Einflussgebietes war deutlich auszumachen; war sie überschritten, gab es Anschläge, Minen und Roadside Bombs. Der Respekt von Kulturgut auf lokaler Ebene verschaffte den US-amerikanischen Soldaten nicht nur die Akzeptanz der einheimischen Bevölkerung, sondern auch einen sicheren Bereich, in dem sie nicht angegriffen wurden.53 Walaken ist kein Einzelfall. Eine Auswertung der Daten aus Afghanistan und dem Irak zeigt, dass überall dort, wo die US-Truppen Kulturgut auf lokaler Ebene achteten, um bis zu 33 % weniger Angriffe passierten.54 Spinnt man das Argument weiter, heißen 33 % weniger Angriffe 33 % weniger verletzte und 33 % weniger tote eigene Soldatinnen und Soldaten. Die Sicherheit und das Leben der eigenen Soldatinnen und Soldaten: ein Argument für den Kulturgüterschutz, dem sich kein Kommandant und keine Kommandantin verschließen können. Die französische Armee weiß ähnliche Szenarien von ihrem Einsatz in Mali zu berichten, und 53 Rush, Cultural Property (wie Anm. 7), S. 24. 54 Jacob Aronson, Identifying the Impact of Heritage Site Damage in Afghanistan, University of Maryland, unveröffentlichtes Manuskript.

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auch in der Ukraine und der Krim wird lokalen Kulturgütern und der mit ihnen verbundenen Identität eine hohe Bedeutung beigemessen.55 Dass im militärischen Kulturgüterschutz mehr als ein striktes Vorgehen nach der Haager Konvention notwendig ist, um sämtliche Vorteile zu erreichen, zeigt ein weiteres Beispiel aus Afghanistan: das der Rosengärten des Flughafens von Kandahar. Als die NATO-Truppen die Verantwortung für den Flughafen von Kandahar übernahmen, sollte eine Reihe von Rosengärten der Ausweitung eines Parkplatzes weichen. Die lokale Bevölkerung stellte sich vehement gegen die Zerstörung ihrer Rosengärten und vermittelte den NATO -Truppen eindrücklich die lokale Bedeutung dieser Gärten. Als Ergebnis wurden die Rosengärten erhalten und gemeinsam von NATO-Truppen und der einheimischen Bevölkerung betreut. In den fünfzehn Jahren, in denen sich Soldaten und lokale Zivilisten gemeinsam um die Rosengärten kümmerten, wurde den NATO-Truppen klar, wie wichtig die afghanischen Rosengärten auf lokaler Ebene sind und dass die Zerstörung nicht nur verhärtete Fronten geschaffen, sondern möglicherweise die Soldatinnen und Soldaten auch direkt in Gefahr gebracht hätte.56 Laurie Rush hat die Bedeutung von Kulturgüterschutz für die Sicherheit der eigenen Soldatinnen und Soldaten eindrucksvoll dargestellt. Auf einer Pyramide befinden sich ganz unten als breite Basis Kulturgüter, Gärten, Werte, die nur auf lokaler Ebene von Bedeutung sind und nicht unter Schutz stehen. Auf der nächsten Stufe befinden sich Objekte unter Denkmalschutz nach den jeweiligen nationalen Gesetzgebungen. Erst darauf folgen jene Objekte, die unter Schutz der Haager Konvention aus dem Jahr 1954 stehen, und quasi an der Spitze der Pyramide die bekanntesten Stätten und Objekte, jene, die als UNESCOWelterbe gelistet sind – obwohl damit nicht automatisch rechtlicher Schutz nach der Haager Konvention von 1954 verbunden ist. International sorgt die Beschädigung von Objekten an der Spitze der Pyramide für den größten Aufschrei, aber es sind die lokalen Kulturgüter der untersten Ebene, deren Beschädigung oder Zerstörung für die eigenen Soldatinnen und Soldaten am gefährlichsten sind.57 Auch das ist ein weltweites Phänomen, und es braucht keinen bewaffneten Konflikt, um den Verlust des eigenen Kulturgutes und damit seine Bedeutung schmerzlich erfahrbar zu machen, wie die rezenten Erdbeben in Italien, die ganze Dörfer dem Erdboden gleich gemacht haben, zeigten.58

55 Capt. Tim Le Berre, Französische Armee, Vortrag „Cultural Property Protection on Operations“, 11. Oktober 2019, Kulturgüterschutzkurs der Britischen Armee, Southwick Park; Rush, Cultural Property (wie Anm. 7), S. 11. 56 Rush, Cultural Property (wie Anm. 7), S. 21. 57 Laurie Rush, Vortrag „Protection of cultural property in the event of armed conflict: implementation of cultural property protection during all phases of military operations“, 25. 09. 2019, UNESCOWorkshop, Tblisi. 58 Cristina Collettini, Ministero per i beni e le attivitá culturali e per il turismo, Vortrag 27. 02. 2019, Accumoli.

Militärischer Kulturgüterschutz im 21. Jahrhundert   I  493

9. Conclusio Die militärischen Konflikte im 21. Jahrhundert mit westlicher Beteiligung oder Federführung haben gezeigt, dass militärischer Kulturgüterschutz mehr ist als eine Behinderung, eine leidige rechtliche Verpflichtung, ein „showstopper“. Die große Herausforderung ist die Kommunikation der Vorteile, die mit militärischem Kulturgüterschutz verbunden sind und die Zusammenarbeit der unterschiedlichen zivilen und militärischen Bereiche, die es für die gelungene Umsetzung von Kulturgüterschutzmaßnahmen braucht. Die zu erringenden Vorteile zeigen aber auch ganz deutlich, dass Kulturgüterschutz im 21. Jahrhundert mehr ist als das strikte Befolgen der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut in bewaffneten Konflikten aus dem Jahr 1954 und ihrer beiden Zusatzprotokolle. Kulturgüterschutz kann zudem nicht funktionieren, wenn er nur als militärische Aufgabe gesehen und dem Militär alleine überlassen wird. Kulturgüterschutz funktioniert nur mit einer effektiven zivil-militärischen Zusammenarbeit, für die es ein gegenseitiges Grundverständnis der Bedürfnisse, aber auch der Mittel des jeweiligen Gegenübers braucht. Im militärischen Bereich betrifft Kulturgüterschutz alle Waffengattungen, liegt in der Verantwortung der Kommandantinnen und Kommandanten jeder Ebene und muss von Beginn an Teil des militärischen Planungsprozesses sein.59 Als Teil des gesamtheitlichen Zugangs, des „comprehensive approach“, ist militärischer Kulturgüterschutz im 21. Jahrhundert ein wichtiger Faktor zur Erfüllung des Auftrages, zur Überzeugung der einheimischen Bevölkerung und zur Verstärkung der eigenen Kräfte. All diese Aspekte gelten auch in Konflikten, in denen sich (nahezu) gleich starke Kräfte gegenüberstehen, nur dass in ­diesem Fall die Vorgaben der Haager Konvention aus dem Jahr 1954 verstärkte Gültigkeit haben, da die Haager Konvention 1954 auf genau diesen Fall ausgerichtet ist.

59 Rosén, NATO and Cultural Property (wie Anm. 5), S. 35; Rush, Cultural Property (wie Anm. 7); Anna ­Kaiser, Das Potenzial zivil-militärischer Zusammenarbeit im Kulturgüterschutz am Beispiel der Verbindungsoffiziere militärischer Kulturgüterschutz des Österreichischen Bundesheeres, in: Alke Dohrmann/Almut Siegel/Katrin Schöne (Hg.), Kultur!Gut!Schützen! Tagungsband 2018, Halle (Saale) 2018, S. 33 – 38.

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Zukunftsperspektiven: Diskussion und Vernetzung

Der deutsche militärische Kunstschutz – Statement Christoph Zuschlag

Vor etwas über einhundert Jahren, im April 1919, erschien das von Paul Clemen herausge­ gebene großformatige zweibändige Werk „Kunstschutz im Kriege“.1 Der Kunsthistoriker Paul Clemen (1866 – 1947) war von 1893 bis 1911 der erste Provinzialkonservator der preußischen Rheinprovinz und begründete damit die amtliche Denkmalpflege im Rheinland. Zudem lehrte er – ab 1902 als ordentlicher Professor – bis zu seiner Emeritierung 1935 am Kunsthisto­ rischen Institut der Universität Bonn. Von Oktober 1914 bis Kriegsende war Clemen von der Obersten Heeresleitung damit beauftragt, an der West- und Ostfront „die Baudenkmäler in den besetzten Gebieten zu erfassen, als Grundlage für praktische Schutzmaßnahmen eine Bestandsaufnahme der Kriegsschäden vorzunehmen und gefährdete Objekte sicherzustellen“ 2. Damit war das Konzept eines militärischen Kunstschutzes in einem fremden Kriegsterritorium bzw. einem besetzten Land begründet, Vergleichbares hatte es in früheren bewaffneten Konflikten nicht gegeben. Völkerrechtliche Grundlage war die Haager Landkriegsordnung von 1907, die den Schutz der Kulturgüter im Kriegsfall festschrieb und die ihrerseits nicht zuletzt Resultat der pazifistische Bewegung war. Ich erinnere an Bertha von Suttners Roman „Die Waffen nieder!“, der 1889 erschien und binnen kürzester Zeit durch zahlreiche Auflagen und Übersetzungen größte Verbreitung erfuhr. Es war ebenjener Paul Clemen, der sich „als übergeordnete Figur des deutschen Kunstschutzes“ 3 im ­Ersten Weltkrieg profilierte – und der durch das 1919 erschienene, vom deutschen Auswärtigen Amt mitfinanzierte, auch in englischer und in französischer Sprache auf den Markt gebrachte Werk das „weitgehend positive, unkritische Bild vom Umgang der

1 Paul Clemen (Hg.), Kunstschutz im Kriege. Berichte über den Zustand der Kunstdenkmäler auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen und über die deutschen und österreichischen Maßnahmen zu ihrer Erhaltung, Rettung, Erforschung, Bd. 1: Die Westfront, Bd. 2: Die Kriegsschauplätze in Italien, im Osten und Südosten, Leipzig 1919. 2 Anne-Marie Bonnet, Paul Clemen (1866 – 1947). Namensgeber des Museums im Kunsthistorischen Institut der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, in: Roland Kanz (Hg.), Das Kunsthistorische Institut in Bonn. Geschichte und Gelehrte, Berlin/München 2018, S. 131 – 145, hier S. 143. 3 Robert Born/Beate Störtkuhl, Apologeten der Vernichtung oder „Kunstschützer“? Kunsthistoriker der Mittelmächte im E ­ rsten Weltkrieg, in: Dies. (Hg.), Apologeten der Vernichtung oder „Kunstschützer“? Kunsthistoriker der Mittelmächte im ­Ersten Weltkrieg (Visuelle Geschichtskultur 16), Köln/Weimar/Wien 2017, S. 9 – 28, hier S. 11.

deutschen Besatzungsmacht mit dem feindlichen Kulturgut“ prägte.4 Dieses einseitige Bild hielt sich bis in die 1990er Jahre. Seither hat die Forschung gezeigt, dass der militärische Kunstschutz viele Seiten hatte und entsprechend differenziert betrachtet werden muss, dass es dabei eben auch um unterschiedlichste Formen der materiellen wie ideellen kulturellen Aneignung sowie um die Demonstration von Macht und Überlegenheit ging und dass in den Wirren des Krieges die Grenzen z­ wischen Schutz und Raub, Evakuierung und Beschlagnahme, Rettung und Plünderung bisweilen fließend sind. Diese Feststellung und die damit verbundene schwierige Frage nach der Bewertung der Aktivitäten des Kunstschutzes bzw. der Kunstschützer (die sich während der Tagung in Brauweiler auch darin zeigte, dass einige der Referentinnen und Referenten den Begriff „Kunstschutz“ nur in Anführungszeichen verwenden wollten) gelten prinzipiell auch für den militärischen Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg. Erneut war hier eine Bonner Persönlichkeit an vorderster Front tätig: Franziskus Graf Wolff Metternich (1893 – 1978), ein Schüler Paul Clemens, mit dem er zeitlebens eine enge Verbindung pflegte, trat in mehrfacher Hinsicht in die Fußstapfen seines Lehrers. Er war von 1928 bis 1950 Provinzial- und späterer Landeskonservator der Rheinprovinz und ab Beginn des Westfeldzugs im Mai 1940 „Beauftragter für Kunstschutz beim Oberkommando des Heeres“. Auf seine Initiative hin wurden bei den Militärverwaltungen der von der Wehrmacht eroberten und besetzten Länder Frankreich, Belgien, Niederlande, Griechenland, Serbien und Italien sukzessive Kunstschutzabteilungen aufgebaut. Zudem lehrte er am Kunsthistorischen Institut der Universität Bonn, zwar nicht, wie Paul Clemen, als Lehrstuhlinhaber, aber als Lehrbeauftragter (ab 1933) und außerordentlicher Professor (ab 1940).5 Doch Clemen und Wolff Metternich sind nicht die einzigen Bonner Protagonisten des Kunstschutzes. Zu nennen ist auch Hermann Bunjes (1911 – 1945), der sich 1939 bei Clemens Nachfolger in Bonn, Alfred Stange (1894 – 1968), habilitierte und danach als Lehrbeauftragter und außerordentlicher Professor am Kunsthistorischen Institut lehrte. Bunjes war ab 1940 Leiter der Kulturabteilung der Deutschen Militärverwaltung in Paris und für den Kunstschutz tätig, zugleich persönlich in den NS -Kunstraub involviert und Leiter der auf Bestreben von Alfred Stange eingerichteten Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris (1942 – 1944).6 Muss man also mit Christina Kott fragen: „Ist der Kunstschutz eine

4 Christina Kott, Kunstwerke als Faustpfänder im ­Ersten Weltkrieg, in: Matthias Frehner (Hg.), Das Geschäft mit der Raubkunst. Fakten, Thesen, Hintergünde, Zürich 1998, S. 43 – 50, hier S. 44. 5 Zu Franziskus Graf Wolff Metternich zuletzt und ausführlich Esther Heyer, Der Provinzialkonservator Franziskus Graf Wolff Metternich. Denkmalpflege und Kunstschutz im Rheinland und in Frankreich, in: Kulturpolitik der Rheinischen Provinzialverwaltung 1920 bis 1945. Tagung am 18. und 19. Juni 2018 im LVR-LandesMuseum Bonn (Beihefte der Bonner Jahrbücher 59), Darmstadt 2019, S. 73 – 84. 6 Siehe http://www.lostart.de/Content/051_ProvenienzRaubkunst/DE/Beteiligte/B/Bunjes,%20Dr.%20​ Hermann.html (Stand: 26. 07. 2020).

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Bonner Institution?“ 7 Nun, zweifellos ist der Kunstschutz in beiden Weltkriegen fester Bestandteil der Bonner Institutshistorie, aber er ist beileibe kein ausschließlich Bonner Phänomen, weil viele Akteure aus anderen Städten wie Berlin, München, Stuttgart oder Tübingen kamen. Neben dem Bezug zur Bonner Institutsgeschichte interessiert mich am militärischen Kunstschutz insbesondere seine Bedeutung für die Provenienzforschung. Das B ­ rauweiler Projekt des online zu publizierenden archivischen Sachinventars zum militärischen Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg belegt diese herausragende Bedeutung für eine sowohl objektals auch sammlungsbezogene Provenienzforschung, nicht nur, aber auch im Bezug auf NS-Raubgut, geradezu exemplarisch, weil es „die ergänzenden Archivquellen in deutschen, französischen, belgischen und englischsprachigen Archiven um den zentralen Nachlass Wolff Metternich“ und „darüber hinaus Rückschlüsse auf Netzwerke und Strukturen des Kunstschutzes im Zweiten Weltkrieg“ 8

aufzeigen wird. Wo steht die Forschung zum Kunstschutz heute? Wenig Fortschritte sehe ich in der eingangs angesprochenen Frage der Bewertung. „Zwischen Kunstraub, Kunstschutz, Propaganda und Wissenschaft“ – so lautet der Untertitel eines Aufsatzes von Christina Kott von 1997 über die deutsche Kunst- und Museumspolitik im besetzten Nordfrankreich im ­Ersten Weltkrieg.9 Ein Resümee der Brauweiler Tagung 22 Jahre ­später – könnte es das Spannungsfeld, in dem sich die Beurteilung des Kunstschutzes in der Forschung abspielt, nicht auch heute noch mit ebendiesen Begriffen charakterisieren? Wo also wäre dann der Fortschritt? 7 Christina Kott, Der deutsche „Kunstschutz“ im E ­ rsten und Zweiten Weltkrieg. Ein Vergleich, in: Ulrich Pfeil (Hg.), Deutsch-französische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im 20. Jahrhundert. Ein institutionengeschichtlicher Ansatz (Pariser Historische Studien 81), München 2007, S. 137 – 153, hier S. 144. 8 https://www.kulturgutverluste.de/Content/03_Forschungsfoerderung/Projekt/Vereinigte-­ Adelsarchive-im-Rheinland-eV-Pulheim/Projekt1.html (Stand: 26. 07. 2020). Siehe Hans-Werner ­Langbrandtner/­Esther Heyer/Florence de Peyronnet-Dryden, Der Nachlass von Franziskus Graf Wolff Metternich. Aufarbeitung des für den Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg zentralen Archivbestands, in: Provenienz & Forschung (2017), H. 2, S. 6 – 13. 9 Christina Kott, Die deutsche Kunst- und Museumspolitik im besetzten Nordfrankreich im ­Ersten Weltkrieg. Zwischen Kunstraub, Kunstschutz, Propaganda und Wissenschaft, in: kritische berichte 25 (1997), S. 5 – 24; https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/kb/article/view/10580/4432 (Stand: 26. 07. 2020). Siehe zum aktuellen Forschungsstand bezüglich des Kunstschutzes im E ­ rsten Weltkrieg: Dies., „Kunstschutz“ an der Westfront, ein transnationales Forschungsfeld? Methoden, Quellen, Perspektiven, in: Born/Störtkuhl, Apologeten der Vernichtung (wie Anm. 3), S. 29 – 42, hier S. 31 – 33.

Der deutsche militärische Kunstschutz – Statement  I  499

Natürlich gibt es ihn, das haben die Vorträge in Brauweiler ebenso deutlich gezeigt wie grundlegende Neuerscheinungen zum Thema in jüngster Zeit.10 Vielversprechend erscheint mir sowohl der von Esther Heyer vorgestellte methodische Ansatz, die Biografie Wolff ­Metternichs als Kontextforschung zu begreifen (wie ich auch Provenienzforschung immer als Kontextforschung verstehe) als auch die Forderung, Kunstschutzforschung im Sinne einer „histoire croisée“ als Verflechtungsgeschichte, also im Sinne einer multiperspektivischen und transnationalen Geschichtsschreibung, zu betreiben. Die Erforschung der individuellen Netzwerke der Protagonisten muss dabei notwendiger Bestandteil der Kontextforschung sein. Es ist eben kein Zufall, wenn in persönlichen Notizkalendern von Bernhard von Tieschowitz (1902 – 1968), dem Stellvertreter Wolff Metternichs und ab 1942 dessen Nachfolger, Kunsthistorikernamen wie Wilhelm Pinder (1887 – 1947) und Alfred Stange stehen.11 Forschungsdesiderate sehe ich vor allem in der weiteren Untersuchung der Frage nach den Kontinuitäten und Unterschieden des Kunstschutzes in beiden Weltkriegen. Eine Kontinuität findet sich zum Beispiel in der Person des Marburger Kunsthistorikers und Leiters des Bildarchivs Foto Marburg, Richard Hamann (1879 – 1961), der an Fotokampagnen in beiden Kriegen beteiligt war.12 Eine weitere, wohl weitaus wirkungsvollere Kontinuität lässt sich in wissenschaftsgeschichtlicher und forschungspolitischer Hinsicht feststellen und verbindet sich mit Begriffen wie „Bonner Schule der Kunstgeographie“, „Grenzraumforschung“ und „Westforschung“. Letztere verfolgte das Ziel, „das ‚Deutschtum‘ der westlichen Grenzregionen und der an Frankreich und Belgien verlorenen Gebiete so überzeugend wie möglich aus den Quellen heraus“ 13 zu belegen – und damit letzlich Argumente für die militärische 10 Siehe z. B. Elena Franchi, „Keine Zeit für Inventare“. Der Erste Weltkrieg und der Museumsschutz in Norditalien, in: Christina Kott/Bénédicte Savoy (Hg.), Mars & Museum. Europäische Museen im E ­ rsten Weltkrieg, Köln/Weimar/Wien 2016, S.177 – 190; Born/Störtkuhl, Apologeten der Vernichtung (wie Anm. 3); Christian Fuhrmeister, Die Abteilung „Kunstschutz“ in Italien. Kunstgeschichte, Politik und Propaganda 1936 – 1963 (Brüche und Kontinuitäten. Forschungen zu Kunst und Kunstgeschichte im Nationalsozialismus 1), Köln/Weimar/Wien 2019; Corinna Kuhr-Korolev/ Ulrike Schmiegelt-Rietig/Elena Zubkova in Zusammenarbeit mit Wolfgang Eichwede, Raub und Rettung. Russische Museen im Zweiten Weltkrieg (Studien zu kriegsbedingt verlagerten Kulturgütern 1), Wien/Köln/Weimar 2019, hier S. 74 – 94. 11 Siehe den Beitrag von Esther Heyer zur Biografie Wolff Metternichs im vorliegenden Band; Dies. u. a., Franziskus Graf Wolff Metternich (wie Anm. 5), S. 81. 12 Judith Tralles, Die Fotokampagnen des Preußischen Forschungsinstituts für Kunstgeschichte Marburg während des Zweiten Weltkrieges, in: Nikola Doll/Christian Fuhrmeister/Michael H. Sprenger (Hg.), Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte einer Wissenschaft z­ wischen 1930 und 1950, Weimar 2005, S. 263 – 282; Kott, „Kunstschutz“ (wie Anm. 7), S. 143. 13 Peter Schöttler, Die historische „Westforschung“ z­ wischen „Abwehrkampf“ und territorialer Offensive, in: Ders. (Hg.), Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918 – 1945, Frankfurt a. M. 1997, S. 204 – 261, hier S. 205. Siehe zum Thema auch: Burkhard Dietz/Helmut Gabel/Ulrich Tiedau (Hg.), Der Griff nach dem Westen. Die „Westforschung“ der völkisch-nationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum (1919 – 1960), 2 Bde. (Studien zur Geschichte und Kultur

500 I Christoph Zuschlag

Expansion zu liefern. Ein grundlegender Unterschied z­ wischen dem Kunstschutz im E ­ rsten und jenem im Zweiten Weltkrieg liegt hingegen in der Verstrickung mit dem systematischen Kulturgutraub des NS-Regimes, ein Thema, dass sich im Zusammenhang mit dem ­Ersten Weltkrieg nicht stellt, weil es in d ­ iesem keinen staatlich angeordneten Kunstraub gab. Hier bedarf es dringend weiterer Untersuchungen.14 Ohne eine intensive Kontext- und Provenienz­forschung wird dies nicht möglich sein.

Nordwesteuropas 6), Münster 2003. Siehe zu den ­Themen Kunstgeografie, „Grenzraumforschung“ und „Westforschung“ ferner: Nikola Doll, „… das beste Kunsthistorische Institut Grossdeutschlands“. Das Kunsthistorische Institut der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im Nationalsozialismus, in: Dies./Fuhrmeister/Sprenger, Kunstgeschichte im Nationalsozialismus (wie Anm. 12), S. 49 – 60, hier S. 49; Kott, „Kunstschutz“ (wie Anm. 7), S. 145; Bonnet, Clemen (wie Anm. 2), S. 143; Iris Grötecke, Alfred Stange – Politik und Wissenschaft. Ordinarius des Bonner Kunsthistorischen Instituts von 1935 bis 1945, in: Kanz, Kunsthistorisches Institut (wie Anm. 2), S. 147 – 175, hier S. 157. 14 „Und trotz der Verdienste um die praktischen und – abseits ideologischer Gründe – notwendigen Aufgaben der Sicherung stellt sich nach wie vor die Frage, wie der Kunstschutz in den Kunstraub involviert war“: Heyer u. a., Franziskus Graf Wolff Metternich (wie Anm. 5), S. 79.

Der deutsche militärische Kunstschutz – Statement  I  501

Zivil-militärische Zusammenarbeit für erfolgreichen Kulturgüterschutz Anna K ­ aiser

1. Ausbildung von Schnittstellen im Kulturgüterschutz Um in Sachen des Kulturgüterschutzes erfolgreich zu sein, braucht es Zusammenarbeit; von unterschiedlichen akademischen Disziplinen, von Wissenschaft und NGO ’s, von ziviler und militärischer Seite. Kulturgüterschutz ist derart breit gefächert und verlangt eine derartige Anzahl von Kompetenzen und Fähigkeiten, dass eine einzelne Organisation diese unmöglich beibringen kann. War Kulturgüterschutz in den Streitkräften bis vor wenigen Jahren in erster Linie im Bereich CIMIC (Civil-military Cooperation) oder ZMZ (Zivil-militärische Zusammenarbeit) angesiedelt, so zeigte sich in den letzten Jahren, dass Kulturgüterschutz ein Thema ist, das jede Waffengattung auf jeder Kommandoebene betrifft.1 Von der Zusammenarbeit über vermeintliche Grenzen hinweg – Fächergrenzen, Disziplinengrenzen, Grenzen ­zwischen zivilen Einrichtungen und Einsatzorganisationen sowie ­zwischen zivilen Organisationen und dem Militär im Besonderen – profitieren alle Beteiligten, es gibt keine Verlierer. Dennoch gilt es, einige Punkte zu beachten, um Erfolg zu haben. Dies betrifft in erster Linie die zivile Seite des Kulturgüterschutzes. Das militärische Führungsverfahren und die Arbeit in einem militärischen Stab (sowie auch die Arbeit in einem zivilen Krisenstab) laufen nach einem jahrhundertelang entwickelten und erprobten Schema ab, das darauf ausgerichtet ist, auch unter größtem Zeitdruck bestehen zu können. Streitkräfte werden ihre erprobte Arbeitsweise nicht ändern; es liegt an der zivilen Seite, ein g­ ewisses Verständnis des Führungsverfahrens und der Stabsarbeit aufzubauen, um im Fall des Falles mit dem Militär zusammenarbeiten zu können. Kulturgüterschutzausbildung auf der zivilen Seite muss unbedingt die Fähigkeit schaffen, sich in militärische Stäbe und generell in Krisenstäbe richtig und kompetent mit dem jeweiligen Fachwissen einbringen zu können. Diesem Aspekt der Ausbildung hat sich das Zentrum für Kulturgüterschutz an der Donau-Universität in Krems verschrieben. Zwei komplette Module des postgradualen, berufsbegleitenden Universitätslehrgangs „Kulturgüterschutz, MS c“ widmen sich dem Führungsverfahren und der Arbeit in Krisenstäben. Der Schwerpunkt liegt auf der Integration ziviler Expertinnen und 1 Frederik Rosén, NATO and Cultural Property. Embracing New Challenges in the Era of Identity Wars. Report on the NATO Science for Peace and Security Project: Best Practices for Cultural Property Protection in NATO-led Military Operations, CHAC 2017.

Abb. 1  Ausbildung von zivilen Expert*innen für die Zusammenarbeit mit Krisenstäben.

Experten in Krisenstäbe. Die Arbeit in solchen Stäben ist durch einen genau festgelegten Ablauf an Arbeitsschritten, Besprechungen, durch eine vordefinierte Zuständigkeitsverteilung und zumeist einen hohen Zeitdruck gekennzeichnet. Hier ist es nun wichtig zu wissen, an welcher Stelle ­welche Information auf ­welche Weise einzubringen ist, um Erfolg zu erzielen.2 Auch von der EU geförderte Projekte, wie etwa das Interreg CENTRAL EUROPE-Projekt „ProteCHt2save – Risk Assessment and Sustainable Protection of Cultural Heritage in Changing Environment“, entwickeln Ausbildungs- und Trainingsprogramme zum Schutz von beweglichem und unbeweglichem Kulturgut, allerdings nicht bei bewaffneten Konflikten, sondern bei Naturkatastrophen.3 Doch sind viele der Vorbereitungsmaßnahmen zum Schutz von beweglichem und unbeweglichem Kulturgut vor Naturgefahren ähnlich, wenn nicht sogar identisch mit jenen, die für die Vorbereitung auf den schlimmstmöglichen 2 Zentrum für Kulturgüterschutz Donau-Universität Krems: https://www.donau-uni.ac.at/en/studies/ cultural-property-protection.html (Stand 14. 08. 2020); Anna ­Kaiser, Das Potenzial zivil-militärischer Zusammenarbeit im Kulturgüterschutz am Beispiel der Verbindungsoffiziere militärischer Kulturgüterschutz des Österreichischen Bundesheeres, in: Alke Dohrmann/Almut Siegel/Katrin Schöne (Hg.), Kultur!Gut!Schützen! Tagungsband 2018, Halle (Saale) 2018, S. 33 – 38. 3 Interreg Central Europe: https://www.interreg-central.eu/Content.Node/ProteCH t2save.html (Stand: 26. 07. 2020).

504 I Anna ­Kaiser

Abb. 2  Gemeinsame Übungen für Militär und zivile Expert*innen sind ein Gewinn für beide Seiten (Übung TRITOLIA18).

Fall, einen bewaffneten Konflikt, notwendig sind. Besonders in West- und Zentraleuropa fällt es nach der langen Friedensperiode seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges schwer, Museen, Archive, Bibliotheken und andere Kultureinrichtungen zu überzeugen, sich auf einen bewaffneten Konflikt vorzubereiten, der in unendlicher Ferne scheint. Die Notwendigkeit, Kulturgüter auf eine Naturkatastrophe vorzubereiten, überzeugt eher.4 Gemeinsame Übungen ermöglichen das gegenseitige Kennenlernen sowohl der Expertise, die erwartet werden kann, als auch der Arbeitsweise und eingefahrener Abläufe sowie die Verfeinerung von Techniken zum Schutz von Kulturgütern besonders bei Naturkatastrophen, die jedoch auch bei bewaffneten Konflikten in ähnlicher Weise zum Einsatz gebracht werden können. Gemeinsame Ausbildungen und Übungen sensibilisieren zudem die beteiligten Soldatinnen und Soldaten für die Thematik und tragen damit zur in der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut in bewaffneten Konflikten aus dem Jahr 1954 geforderten Bewusstseinsbildung in den Streitkräften bei.5

4 Alessandra Bonazza u. a., Safeguarding Cultural Heritage from Natural and Man-Made Disasters. A Comparative Analysis of Risk Management in the EU, Brüssel 2018. 5 Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut in bewaffneten Konflikten 1954, Art. 7 § 2.

Zivil-militärische Zusammenarbeit für erfolgreichen Kulturgüterschutz  I  505

2. Unterstützungsleistung durch das Militär In allen Fällen, bei denen Kulturgut nicht durch einen bewaffneten Konflikt bedroht ist, bietet die Einbindung des Militärs, sofern die gesetzlichen Rahmenbedingungen dies zulassen, eine Reihe von Vorteilen: Bergung, Verbringung und sichere Verwahrung sind hier die drei Schlagworte. Naturkatastrophen, wie etwa die rezenten Erdbeben in Mittel­ italien, erfordern z. T. schweres Gerät, um bewegliches Kulturgut zu bergen. Auch die entsprechende WoManpower bei Bergungsarbeiten, die rasch oder auch technisch spezia­ lisiert vor sich gehen müssen, kann über die militärischen Kräfte abgedeckt werden. Bei der Verbringung der geborgenen Kulturgüter kann das Militär durch Transportraum unterstützen und auch, wiederum abhängig von der gesetzlichen Lage, für die Sicherheit des Transportes selbst sorgen, in Abstimmung und gegebenenfalls in enger Zusammenarbeit mit der Exekutive. Der Sicherheitsaspekt ist im gesamten Kulturgüterschutz, egal ob in einem bewaffneten Konflikt oder bei einer Naturkatastrophe, von hervorragender Bedeutung; Plünderungen sind in solchen Situationen an der Tagesordnung.6 Auch die sichere Verwahrung kann in militärischen Liegenschaften prinzipiell über Jahre hinweg gewährleistet werden. In der Situation, ­welche die Verbringung von Kulturgütern erfordert, sind Kasernen mit großen Garagen und Lagerhallen als eine mögliche Anlaufstelle für die Verwahrung der geborgenen Güter prädestiniert, wird doch ihre Sicherheit durch das militärische Wachpersonal vor Ort standardmäßig garantiert. Garagen für militärisches Spezialgerät sind zudem in der Lage, mit ihren technischen Einrichtungen über lange Zeit hinweg klimatisch stabile Lagerbedingungen zu schaffen. Dennoch wird dem Militär daran gelegen sein, die geborgenen und vorübergehend sicher verwahrten Kulturgüter möglichst bald wieder den zivilen Zuständigen zu übergeben. Besonders in Situationen, die sich an der Schwelle zu einem bewaffneten Konflikt befinden, ist es unumgänglich, so schnell als möglich zivile Lagermöglichkeiten aufzubauen und zu befüllen, da im Falle des Umschlagens der Situation in einen bewaffneten Konflikt Objekte unter Kulturgüterschutz, und das können durchaus auch Lagerhallen zur Aufbewahrung der verbrachten Güter als Bergungsorte sein, nicht militärisch genutzt werden dürfen.7

6 Anna ­Kaiser/Hannes Schramm, The Concept of Cultural Heritage Rescue Teams and its potential for the military, in: Georg Ebner/Julia Lechner (Hg.), Tagungsband: Blue Helmet Forum Austria September 2019, im Druck. 7 Anna K ­ aiser, The Paradox of Military Refuges for Cultural Property Protection, in: Paul Fox/Emma Cunliffe (Hg.), Refuges and in situ Protection in the 1954 Hague Convention. A Contemporary Re-evaluation, im Druck; Kaiser, Potenzial (wie Anm. 2).

506 I Anna ­Kaiser

3. Fazit Gemeinsame Ausbildungen, gemeinsames Üben, gegenseitige Unterstützung und gegenseitiges Verstehen von Bedürfnissen, Kompetenzen und Möglichkeiten machen Kulturgüterschutz als gemeinsame Aufgabe ziviler und militärischer Stellen erst möglich – in bewaffneten Konflikten unterschiedlicher Intensität sowie bei Naturkatastrophen.

Zivil-militärische Zusammenarbeit für erfolgreichen Kulturgüterschutz  I  507

Das Repertorium der Akteure auf dem französischen Kunstmarkt während der deutschen Besatzung 1940 – 1945 Von der Notwendigkeit aktiver Vernetzung Elisabeth Furtwängler

Im Anschluss an das Programm der Tagung „Kulturgutschutz in Europa und im Rheinland – Franziskus Graf Wolff Metternich und der Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg“ fand ein Vernetzungstreffen statt, das unabhängigen oder in Projekte eingebundenen Forschenden eine Plattform bot, anhand von Postern über den Stand ihrer Recherchen rund um den Kunstschutz und verwandten ­Themen zu berichten. Es wurden personelle, institutionelle und strukturelle Verbindungen herausgestellt, die über die Grenzen der offiziellen geografischen Einsatzgebiete und Zuständigkeitsbereiche der Kunstschützer hinaus- und über historische Zäsuren hinwegreichten. Auf diese Weise ließen sich Überschneidungen mit anderen Frage­ stellungen und Anknüpfungspunkte an angrenzende Forschungsprojekte erkennen. So konnte man miteinander in Austausch treten, Kenntnisse teilen, weitere Recherchemöglichkeiten eruieren und im besten Falle sogar konkretere gemeinsame Vorhaben ins Auge fassen. Eines der vorgestellten Projekte war das „Répertoire des acteurs du marché de l’art en France sous l’Occupation“ (RAMA), eine deutsch-französische Forschungskooperation der Technischen Universität Berlin mit dem „Institut national d’histoire de l’art“ (INHA) in Paris, das vom Deutschen Forum für Kunstgeschichte (DK) wissenschaftlich begleitet wird. Es geht darum, in einer Datenbank ­solche Personen zu erfassen, die während der deutschen Besatzung Frankreichs auf dem französischen Kunstmarkt aktiv waren, auf dem in dieser Zeit Hochkonjunktur herrschte und zahlreiche beschlagnahmte Werke aus jüdischem Besitz in den Handel gelangten. Die Netzwerke dieser Akteure sollen nachgezeichnet, auf relevante Archivbestände hingewiesen und so der Provenienzforschung ein digitales Nachschlagewerk geboten werden. Dem Projekt wurde ein zentraler Platz beim Treffen eingeräumt, da es in besonderer Weise von möglichst breiter Vernetzung abhängig ist, um – trotz seiner spärlichen personellen Ausstattung – durch Aktivierung und Nutzung von kollektiver Intelligenz in der auf deutscher Seite vom DK geförderten, dreijährigen Laufzeit zu nachhaltigen Ergebnissen gelangen zu können. Im Folgenden soll die Bedeutung des RAMA-Projektes für die Kulturschutzforschung in Deutschland und Frankreich kurz vorgestellt werden. Dabei liegt der

Fokus auf möglichst effizienten Wegen der Kooperation, die Synergieeffekte zur Schaffung einer erfolgreichen Datenbank generieren soll.

1. Kunstschutz und Kunstmarkt Eingangs stellt sich die Frage, was das Repertoriumsprojekt mit dem Themenfeld Kunstschutz zu tun hat. Anhand einiger Beispiele lassen sich jedoch schnell die Verbindungen offenlegen: Der Direktor der Aachener Museen, Felix Kuetgens (1890 – 1976), war im August 1940 als Oberkriegsverwaltungsrat zur Militärverwaltung nach Paris berufen worden, wo ihm innerhalb des von Franziskus Graf Wolff Metternich geleiteten Sachgebiets Kultur und Kunstschutz die „Sektion Frankreich“ unterstellt wurde.1 Ein zentraler Aufgabenpunkt dieser Sektion war die Kontrolle des Kunstmarktes, um die Ausfuhr von national bedeutsamen Kunstwerken zu verhindern.2 So mussten vom Kunstschutz Einreiseanträge befürwortet und für erworbene Objekte gegebenenfalls Ausfuhrgenehmigungen ausgestellt werden, weshalb in jeden offiziell getätigten Kunsttransfer nach Deutschland per se mindestens einer der Kunstschutzmitarbeiter eingebunden war, die demzufolge mit zahlreichen Kunsthändlern und -agenten sowie Vertretern öffentlicher Sammlungen regelmäßig in Kontakt kamen. Diese Kontakte gingen in manchen Fällen jedoch über die rein formale Abfertigung von Einreise- und Ausfuhranträgen hinaus, wie es eine Notiz des Kulturdezernenten der Rheinprovinz Hanns-Joachim Apffelstaedt (1902 – 1944) an den Landeshauptmann Heinz Haacke erahnen lässt: Im Laufe der wiederholten Besuche in Paris haben die Herren von der Kunstschutzabteilung des Militär­ befehlshabers Frankreich mir und Herrn Dr. Rademacher stets jede nur mögliche Unterstützung bei allen unseren Wünschen gewährleistet (…). Ich erachte es geradezu als eine Verpflichtung, daß sich die Provinzialverwaltung den Herren gegenüber in ansprechender Weise erkenntlich zeigt (…). Ich darf dabei anmerken, dass die Vertreter der Stadt Köln und Krefeld, (…), das Gleiche (…) bereits in recht großzügiger Weise getan haben.3

1 Siehe die beglaubigte Teilabschrift aus Kuetgens’ Personalakte, Stadtarchiv Aachen. Für die Hinweise auf die hier angeführten Quellen aus dem Stadtarchiv Aachen möchte ich an dieser Stelle Heinrich Becker vom Suermondt-Ludwig-Museum in Aachen danken. 2 Eine ausführlichere Darstellung der Aufgaben seiner Sektion gibt Kuetgens in seinem Text „Kunstschutz in Frankreich“ wider, den er am 5. August 1945 verfasste. Dieser Text findet sich ebenfalls in Kuetgens’ Personalakte im Stadtarchiv Aachen. Die ausführliche Passage zum Kunstmarkt wird zitiert in: Heinrich Becker, Kunstankäufe im besetzten Frankreich 1940 – 1943. Ein Beitrag zur Sammlungsgeschichte der Aachener Museen, (erscheint in den nächsten Aachener Kunstblättern). 3 Notiz, dem Herrn Landeshauptmann vorzulegen, Schreiben Hans-Joachim Apffelstaedts vom 16. 07. 1942, ALVR 11412, ungez. Bll.

510 I Elisabeth Furtwängler

Seit November 1940 reiste Apffelstaedt zusammen mit dem Gemäldekustos des Rheinischen Landesmuseums in Bonn Franz Rademacher (1899 – 1987) und dem Kunsthändler und Kenner französischer Privatsammlungen Hans Bammann (1901–ca. 1944) regelmäßig nach Frankreich und Belgien. Er hatte eine „Rheinlandkommission“ zur „Rückführung aus dem Rheinland geraubter Kulturgüter“ gegründet und beabsichtigte die Sammlungen, vor allem die Gemäldesammlung des ihm unterstellten Landesmuseums zu erweitern.4 Zu ­diesem Zweck sondierte er den französischen Kunstmarkt, der wegen des vorteilhaften Wechselkurses besonders günstige Bedingungen bot, und tätigte Ankäufe in erstaunlichem Umfang. Museumsleiter aus Städten der Rheinprovinz – und damit des Zuständigkeitsbereichs seines Dezernats –, mit denen er in engem Austausch stand, taten es ihm gleich.5 Von den Mitarbeitern des Kunstschutzes, von denen einige in ihren zivilen Berufen für das Rheinische Denkmalamt arbeiteten, wurden sie dabei offenbar so intensiv unterstützt, dass sie sich bei ihnen erkenntlich zeigten, wie aus obigem Zitat hervorgeht. Es war vor allem Felix Kuetgens, der Vertrauensmann und Ansprechpartner für seine rheinischen Kollegen in Paris war und ihnen bei der Erlangung der erforderlichen Dokumente tatkräftig zur Seite stand.6 Zudem

4 Ausführlich zu den Erwerbungsaktivitäten Apffelstaedts für das Rheinische Landesmusem Bonn siehe Bettina Bouresh, Sammeln sie also kräftig! „Kunstrückführung“ ins Reich im Auftrag der Rheinischen Provinzialverwaltung, in: Bazon Brock/Achim Preiß (Hg.), Kunst auf Befehl? Dreiunddreißig bis fünfundvierzig, München 1990, S. 59 – 75. Zur Verortung der „Rheinlandkommission“ in einem größeren kulturpolitischen Netzwerk mit zentraler Rolle des Bonner Ordinarius für Kunstgeschichte Alfred Stange siehe Nikola Doll, Die „Rhineland-Gang“. Ein Netzwerk kunsthistorischer Forschung im Kontext des Kunst- und Kulturgutraubes in Westeuropa, in: Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste (Hg.), Museen im Zwielicht. Ankaufspolitik 1933 – 1945 (Kolloquium vom 11. und 12. 12. 2001 in Köln), Magdeburg 2002, S. 53 – 78. Siehe auch den Beitrag von Heidrun Gansohr-­ Meinel zu den Ankäufen des Bonner Museums in Esther Rahel Heyer/Florence de ­Peyronnet-Dryden/ Hans-Werner Langbrandtner (Hg.), „Als künstlerisch wertvoll unter militärischem Schutz!“ Ein archivisches Sachinventar zum militärischen Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg, Köln/Wien/Weimar (im Erscheinen). 5 Der Umfang der Erwerbungen geht aus den Listen hervor, die nach Kriegsende von den in der britischen Besatzungszone gelegenen rheinischen Museen erstellt wurden und auf Basis derer die französische „Commission de récupération artistique“ (CRA) Restitutionsforderungen stellte. Die Listen sowie die begleitenden Korrespondenzen ­zwischen der britischen „McMillan Commission“ und der CRA befinden sich in den „Archives diplomatiques des Ministère des Affaires étrangères MAE“, 209 SUP 118 sowie 209 SUP 430. 6 Dies geht unter anderem aus Korrespondenzen mit den Museumsleitern in Krefeld, Düsseldorf und Bonn hervor. So berichtet Kuetgens etwa seinem Duzfreund Hans-Wilhelm Hupp, dem Direktor der Düsseldorfer Museen, dass augenblicklich Förster, Fremersdorf und May [vom Kölner WallrafRichartz-Museum, Anm. d. V.] hier [sind], deren Einschleusung mir größte Mühe verursacht hat. StArch Düsseldorf 0 – 1 – 4 – 3873, „Direktor“, o. S. Siehe auch Korrespondenzen mit Kuetgens in StArch Krefeld, Standort K ­ aiser-Wilhelm-Museum: 4 – 4053 Ankäufe in Paris Bd. 2 G–M und Bonn ALVR 11412 (u. a.).

Das Repertorium der Akteure auf dem französischen Kunstmarkt   I  511

nutzte er seine Stellung vor Ort, um selbst Objekte für die Aachener Museen anzukaufen bzw. anfertigen zu lassen.7 Ähnlich verhielt es sich mit seinem Kunstschutzkollegen Hans Möbius (1895 – 1977), der spätestens ab Januar 1942 dem Referat Frühgeschichte und Archäologie beim Militärbefehlshaber in Frankreich angehörte und d ­ ieses ­später auch leitete.8 Seit 1928 war Möbius Kustos bei den staatlichen Kunstsammlungen Kassel und wurde 1943 zum Ordinarius in Würzburg berufen.9 Für Kassel wie für Würzburg kaufte Möbius Objekte auf dem Pariser Markt an und vermittelte vereinzelt z­ wischen bestimmten Händlern antiker Kunst und deutschen Interessenten.10 Auch andere Kunstschutzmitarbeiter traten in die Mittlerrolle ­zwischen französischen Verkäufern und deutschen Käufern. Dabei handelte es sich teilweise um Zwangsverkäufe.11 So wird deutlich, dass einzelne Vertreter des Kunstschutzes über die offizielle Kontrolle der Ausfuhren hinaus auf unterschiedliche Art in den Erwerb und den Transfer von Kunstwerken involviert und so Teil der Handelsnetzwerkes im besetzten Frankreich waren. Damit sind sie eindeutig als Akteure auf dem französischen Kunstmarkt während der deutschen Besatzung zu bewerten, die im entstehenden Repertorium erfasst werden.

2. Zur Zielsetzung des Repertoriums der Akteure auf dem französischen Kunstmarkt In dem Projekt wurde der Akteursbegriff bewusst breit gefasst und bezieht neben – zum Teil rassistisch verfolgten – Händlern und Mittelsmännern, Ver- und Ankäufern auch politische oder militärische Akteure mit ein, die den Handel durch ihre Tätigkeit beförderten und mitunter daran beteiligt waren, Raubkunst in Umlauf zu bringen. Es geht jedoch explizit 7 Kuetgens hat seine Erwerbungen nach Kriegsende aus dem Gedächtnis aufgelistet. Siehe Peter van den Brink (Hg.), Schattengalerie. Die verlorenen Werke der Gemäldesammlung, Sammlungskatalog Aachen, Suermondt-Ludwig-Museum, München 2008, S. 386 f. Ausführlich zu Kuetgens’ Ankäufen siehe Heinrich Becker, Kunstankäufe im besetzten Frankreich 1940 – 1943 (wie Anm. 2). 8 Christina Kott, „Den Schaden in Grenzen halten…“. Deutsche Kunsthistoriker und Denkmalpfleger als Kunstverwalter im besetzten Frankreich, 1940 – 1944, in: Ruth Heftrig u. a. (Hg.), Kunstgeschichte im „Dritten Reich“. Theorien, Methoden Praktiken, Berlin 2008, S. 362 – 392, hier S. 383. 9 Siehe die Biografie Hans Möbius’ auf der Homepage Deutsche Biographie: https://www.deutschebiographie.de/sfz63820.html#ndbcontent (Stand: 26. 07. 2020) 10 Stadtarchiv Düsseldorf, 2 – 3 – 7 – 13000, ungez. Bll., Schreiben von Hans Möbius an den Direktor der Kunstsammlungen Düsseldorf, Hans-Wilhelm Hupp. 29. 05. 1942, in dem er ihm dafür dankt, dass Sie auch meine Kisten für Würzburg und Kassel unter Ihre Fittiche genommen haben; hoffentlich kommen die Sachen auch noch gut an ihren Bestimmungsorten an. 11 Christina Kott, Le ‚Kunstschutz‘ en 1939 – 1945. Une pierre dans la façade de l’Allemagne nationalsocialiste?, in: Philippe Nivet (Hg.), Guerre et patrimoine artistique à l’époque contemporaine, Amiens 2013, S. 327 – 342, hier S. 336.

512 I Elisabeth Furtwängler

nicht um das Herausfiltern derjenigen, die nachweislich mit Raubkunst in Kontakt waren. Durch intensive Archivrecherchen werden vielmehr deutsche und französische Akteure identifiziert, Informationen zu ihren Aktivitäten auf dem französischen Kunstmarkt und ihren Kontakten gesammelt, auf diese Weise transnationale Netzwerkstrukturen nachgezeichnet und die Informationen aus deutschen und französischen Archiven sowie aus der internatio­ nalen Forschung in der zentralen Datenbank AGORHA des INHA zusammengeführt. Neben der Funktion eines Personennachschlagewerks mit weiterführenden Archivverweisen soll das Repertorium ermöglichen, Akteursnetzwerke zu rekonstruieren sowie Dynamiken und Mechanismen des französischen Kunstmarktes während des Krieges offenzulegen. Mit der Bereitstellung dieser Grundlagenforschung möchte das Projekt die wissenschaftliche Untersuchung des Themenfelds Kunstmarkt fördern und einen Beitrag zum Ausbau digitaler Infrastruktur für die Provenienzforschung leisten, die dringend notwendig ist, um die objektbezogene Provenienzrecherche zu unterstützen.

3. Vernetzung/Möglichkeiten in Deutschland Der Anspruch des Projekts, deutsche und französische Archivquellen und Forschungsergebnisse zusammenzuführen, macht eine größtmögliche Vernetzung auf allen Ebenen und Entwicklungsstufen, sowohl hinsichtlich des Austauschs zur Teilung und Verbreitung von Forschungsergebnissen als auch auf digitaler und technischer Ebene erforderlich. Zur Verortung eines Akteurs in seinem Handlungsumfeld kann zwar teilweise auf vorhandene Forschungsergebnisse zurückgegriffen werden, allerdings wurde bei den verschiedenen, in den letzten Jahren ausführlicher untersuchten Akteuren des NS-Kunstmarktes, die auch im besetzten Frankreich tätig waren, dieser Aspekt meist nicht oder nur am Rande in den Blick genommen. Zu wichtigen Akteuren auf deutscher Seite – Vertretern der Militärregierung wie Graf Wolff Metternich oder Zugehörigen der NS-Führungsriege und ihrer Entourage, etwa dem Fotografen und Verleger Heinrich Hoffmann (1885 – 1957) oder der Kunsthändlerin Maria Almas-Dietrich (1892 – 1971) – entstehen derzeit Dissertationen. Der direkte Austausch mit den Nachwuchswissenschaftler*innen ist sehr gewinnbringend, da man einerseits oftmals hilfreiche Hinweise auf Archivalien erhält, andererseits die Forschenden für die Frage der Involvierung der von ihnen untersuchten Person in den französischen Kunsthandel sensibilisiert. Es besteht große Bereitschaft der Nachwuchsforscher*innen, ihre Kenntnisse in das Repertorium einfließen zu lassen und einen Beitrag in Form eines Personenartikels zu schreiben, der in der Datenbank auch in englischer und französischer Übersetzung abrufbar sein wird. So können sie als Expert*innen zum jeweiligen Kunstmarktakteur vor einem internationalen Publikum in Erscheinung treten. Es muss weiterhin bei jungen Forscher*innen dafür geworben werden, dass sie in ihren Untersuchungen zu Personen im Nationalsozialismus, die in den Kunsthandel involviert waren, auch deren Verbindungen nach Frankreich mitberücksichtigen.

Das Repertorium der Akteure auf dem französischen Kunstmarkt   I  513

Die Archivsituation in Deutschland unterscheidet sich vor allem aufgrund der föderalen Strukturen von der im zentralistisch regierten Frankreich, in dessen Hauptstadt sich die wichtigsten Archive mit verschiedenen, bedeutenden Beständen befinden. Dort gilt es, für RAMA unter anderem etwa die in den „Archives nationales“ und in den „Archives de Paris“ lagernden Akten der Kollaborationsprozesse gegen Kunsthändler auszuwerten, die teilweise erst seit Kurzem einsehbar sind und konzentriertes Material zu einzelnen Personen beinhalten.12 Währenddessen müssen in Deutschland in den verschiedenen Regionen und Bundesländern Bestände ausfindig gemacht werden, in denen aussagekräftige Materialien über Akteure und ihre Aktivitäten speziell auf dem französischen Kunstmarkt während der Besatzung enthalten sind.13 Der Netzwerkzusammenschluss deutscher Provenienzforscher*innen im Arbeitskreis Provenienzforschung,14 der sich nach und nach auch durch internationale Mitglieder erweitert, ist das wichtigste Forum, um Informationen für das Repertorium im Austausch mit den Mitgliedern zusammentragen zu können. Hier sammelt sich das geballte Wissen, das bislang im Rahmen von Bestandsprüfungsprojekten an Museen sowie an zentralen städtischen oder landesgeführten Stellen für Provenienzforschung zu französischen Erwerbungen und darin involviertem Personal generiert wurde. So sind Museumsmitarbeiter, die während des Krieges in Frankreich Objekte für ihre Sammlungen angekauft haben, selbstverständlich Akteure und müssen im Repertorium erfasst werden, ebenso wie deutsche Zwischenhändler, die beauftragt wurden, Ankäufe für die Museumssammlungen zu tätigen. Umso mehr, als 12 Bei dem Bestand in den „Archives nationales“ handelt es sich um die Personalakten der französischen Bürger, die sich durch Kollaboration strafbar gemacht hatten und dafür in der Nachkriegszeit von der „Commission nationale interprofessionnelle d’épuration“ verurteilt wurden, siehe dazu: https:// francearchives.fr/fr/article/91524892 (Stand: 26. 07. 2020). In den „Archives de Paris“ befinden sich die Bestände profits illicites, also die Unterlagen zu den Personen, die sich während der Besatzungszeit wirtschaftlich bereichert haben. 13 Neben dem unterdessen größtenteils online gestellten, zentralen Bestand B 323 im Bundesarchiv Koblenz, mit den Aktensammlungen der Aufarbeitungs- und Restitutionsbemühungen der „Central Collecting Points“ aus den Nachkriegsjahren, befinden sich im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin, wichtige Akten, aus denen das Agieren von Mitarbeitern der Deutschen Botschaft in Paris hervorgeht. Die Botschaft wirkte unter dem Botschafter Otto Abetz (1903 – 1958) an den Beschlagnahmungen mit. Zudem unterstütze sie u. a. Kunsthändler bei Einreise- und Ausfuhrforma­ litäten. Außerdem von Interesse sind Nachlässe von Kunsthändlern sowie im Besonderen die Ankaufsdokumente und -korrespondenzen der Museen in deren Haus- oder in Stadtarchiven. 14 Der Arbeitskreis Provenienzforschung wurde 2000 von vier Provenienzforscherinnen zum Zweck des fachlichen Austauschs gegründet. Unterdessen hat der 2014 als Verein eingetragene Zusammenschluss 320 Mitglieder (Stand: November 2019) aus Deutschland, Großbritannien, den N ­ iederlanden, Österreich, der Schweiz, den USA und seit Kurzem auch aus Frankreich. Es werden laufend weitere Mitglieder aufgenommen. Auf dem Vernetzungstreffen war der Arbeitskreis mit einem P ­ oster vertreten. Siehe Homepage des Arbeitskreis Provenienzforschung: https://www.arbeitskreis-provenienzforschung. org/ (Stand: 26. 07. 2020).

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deutsche Händler mit offiziellem Auftrag vonseiten einer staatlichen Institution wesentlich leichter einreisen und so auch ihre eigenen Geschäfte verfolgen konnten, als es ihnen als Privatpersonen möglich gewesen wäre. Daher ist die Fühlungnahme im Arbeitskreis Provenienzforschung mit den Forscher*innen, die für die Aufarbeitung von Sammlungsbeständen in Museen zuständig sind – und die wie das Repertorium häufig vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste finanziert werden – grundlegend. Denn durch die im Kontext ihrer Untersuchungen erlangten, oft scheinbar peripheren Kenntnisse, wird die Liste der in RAMA erfassten Akteure ergänzt, und es ergibt sich versatzstückartig ein größeres Gesamtbild der deutschen Käuferschaft, ihrer Vorgehensweisen und daraus entstehender Dynamiken. Die Fragen jedoch, die sich während der Recherche zur Herkunft eines Objektes, das in Frankreich erworben wurde, ergeben, betreffen vorrangig französische Akteure, zumeist die französischen Händler: Wie und wo findet man Informationen über diese Personen? Gibt es Nachlässe? Mit wem standen sie in Verbindung, und woher haben sie ihre Ware bezogen?

4. Vernetzung/Möglichkeiten in Frankreich Antworten auf diese Fragen oder weiterführende Informationen zu erhalten, lässt sich nur durch Recherchen in französischen Archiven sowie den Austausch und die Kooperation mit dort arbeitenden Forschenden bewerkstelligen. Doch ist dies den meisten Mitarbeiter*innen in – zeitlich limitierten – Projekten nicht möglich. In Frankreich ist zudem die Provenienzforschung wesentlich weniger etabliert als in Deutschland und Österreich, weshalb es bislang noch keine Netzwerkstrukturen gibt, die bei Recherchen transnational unterstützend wirken könnten. Bisher beschränkte sich die in Frankreich geförderte Provenienzforschung weitgehend auf die landesweit über die Nationalmuseen verteilten Werke des Bestandes „Musées Nationaux Récupération“ (MNR),15 deren Herkünfte von Museumsmitarbeiter*innen und Archivar*innen so gut wie möglich neben ihren eigentlichen Aufgaben untersucht wurden und werden. Einzig bei den „Service des Musées de France“ waren drei Forschende ausschließlich für Provenienzrecherche zu MNR-Objekten zuständig. Die „Commission pour l’Indemnisation des Victimes de Spoliations“ (CIVS), die seit 1999 bestehende, französische 15 Alle in den besetzten westlichen Gebieten getätigten Erwerbungen wurden von den Alliierten 1943 für ungültig erklärt, sodass nach Kriegsende ca. 60.000 Objekte an Frankreich zurückgegeben wurden. Aus den 13.000 Objekten, deren rechtmäßige Eigentümer nicht ausfindig gemacht werden konnten, überantwortete man ca. 2000 besonders qualitätsvolle Werke treuhänderisch den französischen Nationalmuseen. Zu Informationen über die MNR sowie zur Objektdatenbank Site Rose Valland siehe http://www2.culture.gouv.fr/documentation/mnr/MnR-pres.htm (Stand: 26. 07. 2020). Siehe dazu auch Isabelle le Masne de Chermont (Hg.), À qui appartenaient ces tableaux?/Looking for owners, la politique française de garde, de recherche de provenance et de restitution des œuvres d’art pillées durant la Seconde Guerre mondiale. (Ausstellungs-Katalog Jerusalem/Paris, Musée d’Israël/ Musée d’Art et d’Histoire du Judaïsme 2008), Paris 2008.

Das Repertorium der Akteure auf dem französischen Kunstmarkt   I  515

Anlaufstelle für Opfer von Enteignung und deren Nachkommen,16 beschäftigte zudem zwei Provenienzforscher*innen, die zu „beweglichen Kulturgütern“ (BKG), genauer zu „Gegenständen von höherer künstlerischer Bedeutung im Vergleich zu täglichen Gebrauchsgegenständen“ recherchierten.17 Im Februar 2018 wurde der französischen Kulturministerin ein umfänglicher Bericht über den Umgang mit Raubkunst in Frankreich vorgelegt und darin die Gründung einer neuen Kommission gefordert.18 Diese sollte verantwortlich für die Koordinierung und Förderung von Provenienzforschung zu Kunstwerken, nicht nur aus dem MNR-Bestand, sondern auch zu Sammlungseingängen nach 1945 sein. Zudem sollte sie die proaktive Suche nach Anspruchsberechtigten vorantreiben sowie in Restitutionsfällen beraten und Empfehlungen aussprechen. Daraufhin wurde im April 2019 die „Mission de Recherche et de Restitution des Biens culturels spolié“ (MRRC) unter der Leitung des Verfassers des Berichts David Zivie gegründet, die sich nun mit der CIVS diese Zuständigkeiten teilt. Die MRRC kümmert sich verstärkt um objektspezifische Provenienzrecherche sowie um die wissenschaftliche Forschung zum NS-Kunstraub und bemüht sich um eine breitere öffentliche Wahrnehmung dieser Thematik sowie der Frage der Wiedergutmachung begangenen Unrechts. Währenddessen ist es Aufgabe der CIVS, neben ihrer angestammten Funktion als Anlaufstelle für Opfer von NS-verfolgungsbedingtem Entzug und ihren Erben, dem Premierminister in Restitutionsfällen die Rückgabe oder Entschädigung zu empfehlen.19 Die Provenienzforscher*innen, die ehemals für den „Service des Musées de France“ und für die CIVS arbeiteten, sind nun der MRRC zugeteilt. Mit ihnen bestand schon vor den institutionellen Neuerungen Kontakt. Sie stellten RAMA-Daten zu Kunstmarktakteuren aus den Recherchen zu den MNR zur Verfügung. Die CIVS hat entschieden, ihre Datenbank für Außenstehende weitgehend öffentlich zugänglich zu machen. Mit der MRRC wurde die Zusammenarbeit intensiviert. Sie vergibt nun einzelne kurzzeitige Projektaufträge an freischaffende Forschende, von denen sich die meisten an der innerhalb des Arbeitskreis Provenienzforschung gegründeten „AG Frankreich“ beteiligen, deren Ziel es ist, deutsche 16 Einen zusammengefassten Überblick über die Gründungsgeschichte und Aufgaben der CIVS bietet der Newsletter des Network of European Restitution Committees, Nr.1, März 2019, S. 6 – 11: http:// www.civs.gouv.fr/images/pdf/Newsletter_Network_2019-03(v2).pdf (Stand: 26. 07. 2020). 17 Die BKG machen ca. 10 % der an die CIVS gerichteten Entschädigungsanträge aus. Siehe die Statistiken seit Gründung der CIVS 1999 unter: http://www.civs.gouv.fr/de/texte-und-materialien/ die-civs/ (Stand: 26. 07. 2020). Die aktuellen Kennzahlen unter: http://www.civs.gouv.fr/images/ pdf/diecivs/Chiffres-cles_OCTOBRE_2019_DE.pdf (Stand: 26. 07. 2020). 18 Siehe David Zivie, Rapport à Madame Françoise Nyssen, Ministre de la Culture, „Des traces subsistent dans des registres …“ Bien culturels spoliés pendant la Second Guerre Mondial. Un ambition pour rechercher, retrouver, restituer et expliquer, Februar 2018: https://www.vie-publique.fr/sites/ default/files/rapport/pdf/184000530.pdf (Stand: 26. 07. 2020). 19 Zur Neustrukturierung und Kompetenzteilung von ­zwischen CIVS und MRRC siehe http://www. civs.gouv.fr/images/pdf/documents_utiles/autres_documents/DE-FLYER-2019-01-PageApage.pdf (Stand: 26. 07. 2020).

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und französische Provenienzforscher*innen in Kontakt zu bringen und ein transnationales Forum zur Besprechung von Recherchefragen zu etablieren.20 In Frankreich erfährt das Thema des NS-Kunstraubs und in d ­ iesem Zusammenhang der Kunstmarkt während der Okkupation seit einiger Zeit wachsende Aufmerksamkeit, nicht zuletzt bedingt durch den Fall des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt (1895 – 1956), der während des Krieges u. a. für das von Hitler geplante „Führermuseum“ Kunst in Frankreich ankaufte und dessen Kunstsammlung 2013 in der Münchner Wohnung seines hochbetagten Sohnes entdeckt wurde. Zur Überprüfung, ob es sich bei den aufgefundenen Werken um Raubkunst handelte, wurde die „Taskforce Schwabinger Kunstfund“ gegründet, deren Mitarbeiter – darunter auch französische Wissenschaftler*innen – verstärkt in den französischen Archiven recherchierten. Neben punktuellen Schulungsformaten zur Thematik, gibt es seit Januar 2019 eine Seminarreihe des „Institut national d’histoire de l’art“ in Kooperation mit dem „Institut national du patrimoine“ (INP), die von Ines Rotermund-Reynard, der französischen Projektleiterin von RAMA, organisiert wird und in der renommierte internationale Provenienzforscher*innen zu ihren Forschungsthemen sprechen.21 Auch dank dieser Entwicklungen auf institutioneller Ebene und in der wissenschaftlichen Ausbildung, zieht das Thema mehr junge Forschende an, mit denen der Austausch gesucht wird, um sie gegebenenfalls dafür gewinnen zu können, die in ihren Recherchen erlangten Kenntnisse zu Kunstmarktakteuren über RAMA einem größeren, interessierten Publikum zur Verfügung zu stellen. Am INHA gab es zudem verschiedene Initiativen zur Untersuchung von Kunstraub und Kunsthandel während der Okkupation, beispielsweise die Aufarbeitung der im Institutsbesitz befind­ lichen Nachlässe von Auktionatoren und Kunsthändlern, wie etwa von Pierre Loeb.22 Die so gewonnenen Informationen fließen ebenfalls in die in der Metadatenbank AGORHA des Instituts entstehende Datensammlung von RAMA ein.

5. Vernetzung digital Wenn die Datenbank als funktionales und effektives Hilfsmittel für die internationale Provenienzforschung nutzbar sein soll, ist die Verwendung von standardisierten Formaten der Informationserfassung und -angabe (Erstellung von Thesauri, genormte Quellenangaben, Fragen der Sprachübersetzung u. ä.) erforderlich. Darüber hinaus ist es wichtig, auf bereits 20 https://www.arbeitskreis-provenienzforschung.org/index.php?id=ag-frankreich&lang=de (Stand: 26. 07. 2020). 21 Zum Seminarprogramm 2019/20 siehe https://www.inha.fr/fr/recherche/programmation-scientifique/ en-2019-2020/patrimoine-spolie.html (Stand: 26. 07. 2020). 22 Siehe die Homepage des „Institut national d’histoire de l’art“, Tessa Rosebrock: https://www.inha. fr/fr/recherche/chercheurs-invites/en-2019/rosebrock-tessa.html (Stand: 26. 07. 2020).

Das Repertorium der Akteure auf dem französischen Kunstmarkt   I  517

bestehende digitale Angebote zu verweisen. Daher ist der Austausch mit den Verantwortlichen vorhandener oder in Entwicklung befindlicher Datenbanken, die der Provenienzforschung dienen, hilfreich, um Existierendes n ­ utzen und verlinken zu können und so u. a. zu vermeiden, dass bereits getane Recherchearbeit wiederholt wird.23 Auf diese Weise wird einem nicht mehr überschaubaren Wildwuchs einzelner Datenbanken mit untereinander schwer kompatiblen Individuallösungen entgegengewirkt. Da viele Akteure des französischen Kunstmarkts international aktiv waren, etwa im besetzten Belgien und den Niederlanden oder auch in der Schweiz, wären weitere, landesspezifische Personenrepertorien hilfreich, die mit RAMA verknüpft werden könnten. So können die Profile einzelner Akteure ergänzt werden, an Schärfe gewinnen. Am Rande von Provenienzrecherchen ergibt sich häufig für das Rechercheziel und in der Recherchedokumentation nicht unmittelbar verwertbares Wissen, das daher nicht festgehalten wird. Solches Wissen zu erhalten und für andere zugänglich zu machen, ist eine im Kreise von Provenienzforscher*innen immer wieder geäußerte Idealvorstellung. Auch für die Akteursdatenbank wäre für die stetige Erweiterung des Kenntnisstandes zu einer Person die Nutzung kollektiver Intelligenz wünschenswert, etwa durch die Möglichkeit als registrierte Nutzer*in in einem Kommentarfeld ergänzende Informationen einzufügen. Der effektive Nutzwert eines Datenbankprojektes, das – wenn auch nicht ausschließlich – der Provenienzforschung dienen soll, ist nur dann langfristig und nachhaltig gewährleistet, wenn der Datenpool nicht nur von wenigen Forschenden während einer begrenzten Projektlaufzeit, sondern von vielen Mitwirkenden kontinuierlich ergänzt wird. Da auf der Metadatenbank AGORHA nahezu alle am INHA generierten Forschungsdaten, die öffentlich zugänglich sein sollen, liegen, wird für ihre langfristige Datensicherung gesorgt. Die technische Betreuung von RAMA ist also gesichert. Eine partizipativ geführte Datenbank müsste aber darüber hinaus von sowohl mit der Forschungsthematik als auch mit den Funktionen der Datenbank vertrautem wissenschaftlichem Personal betreut werden. Dies zu finanzieren ist leider nicht vorgesehen. Unabhängig von einer für die Zukunft wünschenswerten Beteiligung der Fachcommunity an der stetigen Erweiterung der Datenbank zu Kunstmarktakteuren und -netzwerken der Vergangenheit, ist aber vor allem die Netzwerkbildung von Forschenden in der

23 Neben den für die Provenienzforschung grundlegenden Datenbanken zum Sonderauftrag Linz und zur Sammlung Göring des Deutschen Historischen Museums, der Datenbank des ERR-Projekts sowie der erwähnten Site Rose Valland der MNR-Objekte (siehe Anm. 12) sind hier z. B. das Lexikon der österreichischen Provenienzforschung: https://www.lexikon-provenienzforschung.org/ (Stand: 26. 07. 2020), das Digitalisierungsprojekt der Reisetagebücher Hans Posses: https://editionhansposse. gnm.de/ (Stand: 07. 02. 2020), die Forschungsdatenbank des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste: https://www.proveana.de/ (Stand: 26. 07. 2020) oder das Sachinventar zum Militärischen Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg: https://kunstschutz-wolff-metternich.de/ (Stand: 26. 07. 2020) zu nennen.

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Gegenwart entscheidend. Damit zurück zum Treffen in Pulheim-Brauweiler: Für RAMA brachte es u. a. konkrete Ergebnisse durch die Intensivierung des Austauschs mit den Mitarbeiterinnen des Projektes zur Herkunftsprüfung von Buchbeständen, die aus der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris nach dem Krieg in die Mainzer Universitätsbibliothek gelangt waren.24 Leiter der 1942 gegründeten Kunsthistorischen Forschungsstätte (KHF ) war der Bonner Kunsthistoriker und Kunstschutzoffizier Hermann Bunjes (1911 – 1945), der zudem Beauftragter Hermann Görings für Kunstfragen war. In dieser Funktion beobachtete er den französischen Kunstmarkt und unterhielt zu zahlreichen Händlern Verbindungen, etwa zu Étienne Bignou (1891 – 1950), der der KHF eine umfangreiche Sammlung von Auktionskatalogen vermachte, die Teil des Mainzer Buchbestandes ist. Nicht zuletzt dank der Kontextuntersuchung zu dieser Schenkung konnten Bignous Handelsverbindungen zu den Vertretern mehrerer rheinischer Museen herausgestellt werden, wodurch sich wiederum deren Vorgehen als Käufer in Frankreich wie auch ihre Kooperationen untereinander klarer umreißen lassen.25 Dank des Vernetzungstreffens können diese Erkenntnisse in verschiedene Personendatensätze einfließen und so für RAMA nutzbar gemacht werden. Ein Vernetzungstreffen, wie es am Rande der genannten Kunstschutztagung stattgefunden hat, ist eine gute Möglichkeit, im informellen Rahmen mit Fachleuten in Kontakt zu treten und ihre Fragestellungen ausführlicher zu besprechen. Daher wäre es erstrebenswert, ­dieses Format häufiger in Konferenzprogramme einzubauen. Denn es ermöglicht, über den unersetzlichen, persönlichen Austausch während der Pausen hinaus, den Radius zu erweitern und wissenschaftlich ergiebige kollegiale Kontakte zu knüpfen.

24 Siehe das DZK -Projekt „Die Provenienz des Mainzer Buchbestandes aus der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris (1942 – 44) unter: https://www.kunstgeschichte.uni-mainz.de/dzk-projekt-dieprovenienz-des-mainzer-buchbestandes-aus-der-kunsthistorischen-forschungsstaette-paris-1942 – 44/ (Stand: 26. 07. 2020). Siehe dazu auch Sabine Scherzinger, Der Mainzer Bibliotheksbestand aus der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris. Klärung der Provenienz und Funktion des organisierten und verfolgungsbedingten Kunstraubes, in: Provenienz & Forschung (2017), H. 2, S. 14 – 19. 25 Ein Artikel Sabine Scherzingers über die Verkäufe Étienne Bignous an Museen im Rheinland während der Okkupation erscheint im Herbst 2020.

Das Repertorium der Akteure auf dem französischen Kunstmarkt   I  519

Forschungsperspektiven Christian Fuhrmeister

Zwei Aspekte charakterisierten das Vernetzungstreffen „Akteure und ihre Netzwerke“ im Anschluss an die Fachtagung, am Nachmittag des 21. September 2019: Zuerst fiel auf, dass vor allem Nachwuchskräfte anwesend waren. Zweitens stand die Notwendigkeit transnationaler Perspektivierung von Forschungen zum Kunstschutz im ­Ersten und Zweiten Weltkrieg sehr plastisch als Desiderat im Raum. Es erscheint mir in mehrfacher Hinsicht bezeichnend, dass weder Lehrstuhlinhaber*innen noch sonstige Professor*innen, ja überhaupt keine unbefristet Beschäftigten an d ­ iesem Treffen, das die Tagung bilanzieren und die Impulse aufnehmen, evaluieren, verknüpfen und zumindest mittelfristige Forschungsagenden sondieren wollte und sollte, teilgenommen haben. Zugespitzt formuliert, wurde dem partizipativen Grundgedanken einer solchen Verständigung und Abstimmung über virulente Fragen und Probleme der Forschung zum Kulturgutschutz (in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft) damit in gewisser Weise von der etablierten Wissenschaft eine Absage erteilt – als bräuchte die derzeitige Generation der frisch Graduierten oder gerade Promovierenden keinen Resonanzraum, als gäbe es genügend Orientierungspunkte und Realisierungsmöglichkeiten für innovative, auch grenzüberschreitende Forschungsvorhaben zur Rolle von Kulturgut(schutz) im Rahmen von Prozessen der Ausbildung überindividueller, kollektiver, nationaler und supranationaler Identitätsvorstellungen. Dem ist bekanntlich nicht so, und deshalb geriet das zweistündige Treffen der 25- bis 35-Jährigen je länger, desto mehr in eine prekäre Spannung von aktivistisch grundiertem Aufbruch und resignativem Eingeständnis, dass die vielen fruchtbaren Ansätze angesichts unflexibler Strukturen der Wissenschaft(sförderung) und der Ausrichtung einschlägiger Institutionen oder auch Studiengänge kaum Aussicht auf Umsetzung besitzen. Es ist d ­ ieses partikulare, aber prinzipielle strukturelle Problem der Ressourcenallokation, das diesen ­kurzen Beitrag zunächst beschäftigt, bevor weitere Reflexionen zum Status quo folgen sollen. Wenn Organisationen der Forschungsförderung an Landesgrenzen haltmachen, ist es schwer, transnationale Kooperationen zu realisieren. Sicherlich gibt es zahlreiche bi-, tri- oder multilaterale Förderschienen und -programme, doch diese sind in aller Regel auf bestimmte Themenfelder begrenzt, folgen spezifischen, aber eher willkürlichen Forschungsparametern (wie z. B. Jahresthemen) oder limitieren die Kostenarten bzw. abrechenbaren Leistungen. In dem Moment, wo supranationale Großereignisse wie der Erste und der Zweite Weltkrieg oder die von den Achsenmächten Deutschland und Italien auf zwei Kontinenten besetzten Gebiete untersucht werden sollen, der Holocaust oder gar ein tendenziell globales Phänomen wie Exklusion, Migration, Flucht, Vertreibung und Exil, dann wird es schwierig. Forschungsgelder sind beispielsweise an eine Verausgabung in Deutschland gebunden oder Quellen, die

sich heute im europäischen Ausland befinden, dürfen nicht mit deutschen Steuergeldern digitalisiert werden, oder für die Beschäftigung von Hilfskräften muss außerhalb der EU inländische Umsatzsteuer abgeführt werden, die aber weder beantragt noch bewilligt wurde. Diese Aufzählung ließe sich fortsetzen. Entscheidend ist, dass derzeit oftmals weder die historischen Ereignisse, die – im Rahmen der histoire croisée gemeinsam mit verschiedenen Partnern – dokumentiert, erforscht, analysiert, diskutiert und interpretiert werden sollen, noch die heutigen Akteure und Initiator*innen virulenter Forschungsfragen – die ja auch aus der Perspektive von Norwegen, Lettland, Serbien oder Monaco aufgeworfen werden könnten – in adäquater Weise einen Platz in Förderprogrammen oder Ausschreibungen besitzen. Die Forschungsförderstrukturen und die Forschungsherausforderungen (oder wohl besser: die Forschungswirklichkeit), gerade im transnationalen Bereich, sind nicht nur nicht konform, sondern viel zu oft gar nicht kompatibel. Soweit erkennbar, hat jedenfalls die geisteswissenschaftliche und kulturhistorische Arbeit zu Gewalterfahrungen und Kriegsfolgen im Rahmen der Europäischen Union definitiv keine Priorität gegenüber den MINT-Fächern oder angesichts der Förderung von Wirtschaft und Industrie. Diese elementaren, ja existenziellen Forschungsvoraussetzungen sind zu berücksichtigen, wenn es um Vorstellungen, Pläne, Wünsche und Forderungen geht, ein so komplexes Phänomen wie den Militärischen Kunstschutz zeitgemäß – also inter- oder transdisziplinär, methodisch reflektiert und avanciert, kritisch gegenüber asymmetrischen Machtverhältnissen, transnational und präzise in der Bestimmung des dynamischen Verhältnisses von Wissenschaft, Völkerrecht, Politik, Propaganda und Militär – zu untersuchen. Gegenüber den herkömmlichen Narrativen, die in aller Regel auf eine Art Binnenlogik der Akteure und ihrer jeweiligen nationalen und gesellschaftlichen Verortung abgehoben haben,1 wäre ungeachtet der derzeit unzureichenden Rahmenbedingungen eine Art Paradigmenwechsel zu fordern. Wie umfassend diese Änderung in der Perspektivierung der Forschungsfragen ausfallen müsste, sei an einem Beispiel verdeutlicht. „The history of the world is the biography of great men.“ Diese Sentenz ist Teil des Dekorationsprogramms der Library of Congress in Washington D. C.; sie befindet sich neben zahlreichen weiteren Sprüchen, Mottos und Zitaten antiker und neuzeitlicher Autoren im 2. Stock der Great Hall genannten Eingangshalle im nördlichen Bereich des westlichen Flurs 1 Ich meine damit insbesondere die Rezeptionsgeschichte im 3. Quartal des 20. Jahrhunderts, angefangen bei Wilhelm Treue, Kunstraub. Über die Schicksale von Kunstwerken in Krieg, Revolution und Frieden, Düsseldorf 1957 und Margot Günther-Hornig, Kunstschutz in den von Deutschland besetzten Gebieten, 1939 – 1945, Tübingen 1958 über Rose Valland, Le front de l’art. Défense des collections françaises 1939 – 1945, Paris 1961 und erneut Wilhelm Treue, Zum nationalsozialistischen Kunstraub in Frankreich. Der „Bargatzky-Bericht“, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 13 (1965), S. 285 – 337 (online: https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1965_3_4_treue.pdf) bis zu Alois Thomas, Kunstschutz und Kunstentfremdung im Krieg 1939 bis 1945 in Frankreich, in: Josef Ruland (Hg.), Festschrift für Franz Graf Wolff Metternich (Jahrbuch des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz 1974), Neuss 1973, S. 17 – 44.

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bzw. Umgangs. Das Zitat ist einer Vorlesung des schottischen Philosophen Thomas Carlyle (1795 – 1881) vom 5. Mai 1840 entnommen, der sich in einem sechsteiligen Zyklus mit Helden, Heldenverehrung und dem Heldischen oder Heroischen in der Geschichte beschäftigte.2 Dort deklamierte er bereits im vierten Satz der ersten Vorlesung: „For, as I take it, Universal History, the history of what man has accomplished in this world, is at bottom the History of the Great Men who have worked here.“3 Carlyles Einschätzung spitzte eine Sichtweise prägnant zu, die auch über ein halbes Jahrhundert ­später – das „Thomas Jefferson Building“ wurde 1897 eingeweiht – offenbar als konsensfähig erachtet wurde, als der sechste Leiter der Bibliothek, Ainsworth Rand Spofford (1825 – 1908), und Charles W. Eliot (1834 – 1926), Präsident der Harvard University, populäre Zitate auswählten. Zumindest in den westlichen Demokratien des 21. Jahrhunderts lässt sich hingegen feststellen, dass die Überzeugung, Weltgeschichte sei identisch mit dem Leben großer Männer, nicht mehr zeitgemäß ist und schon gar nicht mehr den gesellschaftlichen Diskurs zu prägen vermag. Statt unterkomplexer monokausaler Erklärungsmodelle wird – nicht nur im engeren Bereich der transnationalen Geschichte oder der Globalgeschichte – überwiegend von einer Vielfalt von Faktoren ausgegangen, von vielschichtigen, verflochtenen und interdependenten Entwicklungstendenzen. In gewisser Hinsicht vergleichbar hat sich auch die Vorstellung vom Militärischen Kunstschutz mittlerweile erweitert und zunehmend ausdifferenziert. So kann Artikel 56 der Anlage zur Haager Landkriegsordnung von 1907 („Das Eigentum der Gemeinden und der dem Gottesdienste, der Wohltätigkeit, dem Unterrichte, der Kunst und der Wissenschaft gewidmeten Anstalten, auch wenn diese dem Staate gehören, ist als Privateigentum zu behandeln. Jede Beschlagnahme, jede absichtliche Zerstörung oder Beschädigung von derartigen Anlagen, von geschichtlichen Denkmälern oder von Werken der Kunst und Wissenschaft ist untersagt und soll geahndet werden.“) kaum noch als einfaches Gebot verstanden werden, das dem Wortlaut entsprechend umgesetzt worden sei. Vielmehr ist im Gegenteil in letzter Zeit in der Forschung, was die konkrete Praxis des Kunstschutzes im E ­ rsten wie im Zweiten Weltkrieg betrifft, von einer geradezu osmotischen Beziehung zur Kriegspropaganda – und damit nationaler Sinnstiftung auf abstrakter wie konkreter Ebene – ausgegangen worden. Dieser begonnene Prozess der Komplexitätssteigerung unserer Sichtweisen wird sich, soweit ich sehe, fortsetzen – er muss sich fortsetzen. Denn die Binnenlogiken der Akteure, die im Nachhinein nicht nur – wie Paul Clemen schon 1919 – „Tatsachenberichte“ lieferten, sondern eben auch Rechtfertigungen ihrer eigenen Tätigkeiten wie des staatlichen und in gewisser Weise auch gesellschaftlichen Auftrags, sind ihrerseits Gegenstand der Analyse geworden. Wie auch in anderen Bereichen historischer Forschung sind Untersuchungen 2 Thomas Carlyle, On Heros, Hero-Worship, & the Heroic in History. Six Lectures, London 1841. 3 Ebd., S. 1; s­päter, auf S. 21, wiederholt und konzentriert er seine Diagnose: „The History of the World, I said already, was the Biography of Great Men“. Die Großschreibung ist aus dem Original übernommen.

Forschungsperspektiven  I  523

von Narrativen und Deutungsgeschichten vielfach neben die Darstellungen geschichtlicher Ereignisse und Prozesse getreten.4 In ­diesem Zusammenhang, und angesichts vielfältiger vergangenheitspolitischer Instrumentalisierungsversuche oder schlicht „Uses of the past“ 5, sind mehrere Aspekte zu unterscheiden, die auch für die zukünftige, vermehrt inter- oder transdisziplinäre Forschung zum Kunstschutz relevant sind: – die Einbettung in bzw. Positionierung zur jeweiligen Fachgeschichtsschreibung, – die gezielte Befragung von Präsentations-, Inszenierungs- und Argumentationsstrategien,6 – die Kontextualisierung sowohl der theoretischen Grundlagen wie auch der konkreten praktischen Maßnahmen im zeithistorischen Kontext vor, während und nach den kriegerischen oder sonstigen gewaltsamen Auseinandersetzungen, wobei insbesondere die Frage der Machtverhältnisse eine zentrale Rolle einnehmen sollte, – sowie schließlich die Erweiterung der akteurszentrierten Perspektive zu einer stärker systemischen Betrachtungsweise, die das Interagieren von Kräften, Vorstellungen und Ressourcen in Bezug setzt zu individuellen und kollektiven Gestaltungs- und Entscheidungsspielräumen. Zugleich sind diese Impulse – was eine weitere große, aber unvermeidbare Anstrengung erfordert – in besonderer Weise über- oder transnational zu konzeptualisieren. Gerade in einem so kleinen geografischen Raum wie Europa ist diese Herausforderung besonders drängend. Forschung zum Kunstschutz ist dann relativ leicht und homogen, wenn sie sich auf die Handlungsperspektive einer einzelnen Nation oder auf die partikulare Sichtweise eines Staates oder einer Gesellschaft beschränkt. Forschung zum Kunstschutz wird sofort schwierig, heterogen, vielstimmig und zuweilen sogar unüberschaubar, wenn sie die historische Totalität zulässt, also stärker einer systemischen Betrachtung folgt. Es ist diese holistische, ganzheitliche und letztlich umfassende Untersuchungsperspektive, die für die zukünftige Forschung bestimmend werden dürfte. Umfassend heißt dabei nicht nur, dass alle überlieferten und erreichbaren – schriftlichen, visuellen und dreidimensionalen – Quellen Eingang finden, sondern auch die bislang in aller Regel getrennten Deutungsgeschichten; umfassend heißt ferner, auch die tatsächlichen an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten sowie die nur theoretisch für möglich gehaltenen Handlungsspielräume aller Beteiligten in die Analyse einzubeziehen, also beispielsweise auch die „metahistorischen Kategorien“ des

4 Siehe beispielsweise Studien wie Ingrid Scheurmann, Konturen und Konjunkturen der Denkmalpflege. Zum Umgang mit baulichen Relikten der Vergangenheit, Köln/Weimar/Wien 2018. 5 Siehe HERA , Uses of the Past, http://heranet.info/projects/hera-2016-uses-of-the-past/ (Stand: 26. 07. 2020). 6 Verwiesen sei hier auf Roman B. Kremer, Autobiographie als Apologie. Rhetorik der Rechtfertigung bei Baldur von Schirach, Albert Speer, Karl Dönitz und Erich Raeder, Göttingen 2017; siehe die Besprechung von John Zimmermann in: H-Soz-Kult (03. 09. 2018): https://www.hsozkult.de/ publicationreview/id/reb-27109 (Stand: 26. 07. 2020).

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„Erfahrungsraums“ und des „Erwartungshorizonts“ 7 zu inkludieren. Es gilt also, neben der nach wie vor unverzichtbaren empirischen oder positivistischen Rekonstruktion, die Forschungen zum Kunst- und Kulturschutz auch gegenüber stärker theoriegeleiteten Diskussionen zu öffnen. Im Zuge einer solchen – mehrschichtigen, multifokalen oder eben totalen – Analyse käme dem politischen Rahmen (über die völkerrechtliche und militärische Dimension oder die Modalitäten der Besatzungsherrschaft hinausgehend) zweifellos eine zentrale Stellung zu: Wie machen wir aus der – ja durchaus selbst auch von asymmetrischen Machtverhältnissen gekennzeichneten – Perspektive des 21. Jahrhunderts jene strukturelle Gewalt sichtbar, die in den Quellen des 20. Jahrhunderts enthalten ist? Wie auf der Tagung zum Kulturgutschutz in Europa und im Rheinland im LVR-Kulturzentrum Abtei Brauweiler deutlich wurde, besitzt diese selbstreflexive Kunstschutzforschung nicht nur eine essenzielle Bedeutung für den Umgang mit Kulturgut in Europa, sie ist vielmehr conditio sine qua non jeder Verständigung über Lücken, Verluste, Zerstörungen und Abwesenheiten.

7 Im Anschluss an Reinhart Koselleck, „Erfahrungsraum“ und „Erwartungshorizont“. Zwei historische Kategorien [1976], in: Ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 1979, S. 349 – 375; siehe Christian Geulen, Plädoyer für eine Geschichte der Grundbegriffe des 20. Jahrhunderts, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 7 (2010), S. 79 – 97. – Für das umsichtige Lektorat und viele wichtige Hinweise, Nachfragen und Impulse danke ich Verena Limper.

Forschungsperspektiven  I  525

Netzwerkforschung im Kollektiv Esther Rahel Heyer

In den Taschenkalendern Bernhard von Tieschowitz’, Mitarbeiter der rheinischen Denkmalpflege und Wolff Metternichs Stellvertreter sowie Nachfolger als Beauftragter für Kunstschutz in den besetzten Gebieten im Zweiten Weltkrieg, werden immer wieder Treffen im „inneren Kreis“ in Paris genannt.1 Freundschaftliche und kollegiale Verbindungen bestimmten das damalige Forschungsfeld und Netzwerk – und auch heute noch gilt ­dieses Prinzip. Gerade für die Forschung zum Netzwerk Kunstschutz – beispielsweise in Form von Biografien über die Akteure und Monografien zu Institutionen – bedarf es Forschung im Kollektiv, um den vielseitigen Facetten ­dieses schillernden Begriffes gerecht zu werden.2 Die Tagung zeigte in eindrücklicher Weise, dass vernetzte Forschung für eine Gesamtanalyse des „Kunstschutzes“ als historisches, militärisches und kulturelles Verwaltungsorgans sowie kunsthistorische und denkmalpflegerische Methode, aber auch für das Aufdecken personeller und politischer Verstrickungen sowie ambivalenter Verbindungen zu Kunstraub und Zerstörung von Kulturgut absolut notwendig ist. An dieser Stelle sollen die inhaltlichen Schwerpunkte der Tagung knapp resümiert werden. Anhand einiger übergreifender Fragen und Erkenntnisse sollen danach Positionen und Schlussfolgerungen aus der Podiumsdiskussion und dem Plenum kurz vorgestellt und diskutiert werden – als mögliche Impulse für die weitere Forschung.

1. Resümee Ziele der Tagung waren insbesondere, die verschiedenen Aspekte des Kulturgutschutzes zu thematisieren, die bisherige Forschung zu diskutieren sowie die aktuellen Auswirkungen und Desiderate aufzuzeigen. Anhand von Forschungsprojekten rund um den militärischen Kunstschutz wurden sowohl seine historische Entwicklung vor und seit dem E ­ rsten Weltkrieg, seine regionalen Besonderheiten in den besetzten Gebieten Europas während des Zweiten Weltkrieges, eine Bandbreite an Tätigkeitsfeldern und Maßnahmen im Rheinland als auch aktuelle Herausforderungen des Kulturgutschutzes in bewaffneten Konflikten und 1 Nachlass Franziskus Graf Wolff Metternich, Nr. 251, Taschenkalender Bernhard von Tieschowitz 1940 – 1944. 2 Der Begriff Netzwerk und Netzwerkforschung ist in ­diesem Zusammenhang an den Kollegenkreis der Kunstschutzmitarbeiter, die damit verbundenen Organisationsstrukturen sowie den durch die praktische Arbeit damit verbundenen örtlichen Stellen in den besetzten Gebieten und deren Mitarbeiter, verknüpft.

­ aturkatastrophen präsentiert. Dabei wurden historische, rechtliche und militärische Aspekte N analysiert und eine Bandbreite von internationalen Konventionen über einen methodischtechnischen Werkzeugkoffer bis hin zur aktuellen Provenienzforschung und Bestandserhaltung von Kulturgut vorgestellt. Neben historischen Analysen zu Institutionen und Personen standen übergeordnete Strukturen und Fragen nach passender Forschungsmethodik und der Definition des Forschungsgegenstandes bzw. von Forschungsperspektiven im Fokus.

2. Bereitstellung von Quellen für die Provenienzforschung und Kontextforschung Das Quellenforschungsprojekt, das der Tagung zugrunde liegt, soll durch das archivische Sachinventar zum militärischen Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg einen Beitrag zur Grundlagenforschung leisten. Der fruchtbare Austausch im Rahmen der Tagung ergänzte diese Ebene um vielseitige weitere Aspekte. Erfreulich für die Nutzung und den Quellenwert des Nachlasses Franziskus Graf Wolff Metternichs war zudem, dass einige der Referent*innen bereits die Quellen zum Kunstschutz konsultiert hatten und die Ergebnisse daraus in ihre Beiträge einflossen; andere recherchierten darin im Nachgang zur Tagung und ergänzten ihre Aufsätze um die daraus gewonnenen Erkenntnisse. Des Weiteren zielt das Projekt darauf ab, Quellen für die Provenienzforschung und die damit verbundene Kontextforschung aufzubereiten und Recherchemöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Dieses Anliegen schließt an die Grundsätze der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden (Washington Principles 1998) an. Dort wird als zweiter Punkt gefordert, dass einschlägige Unterlagen und Archive der Forschung gemäß den Richtlinien des International Council on Archives zugänglich gemacht werden sollen. Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände haben in einer gemeinsamen Erklärung ein Jahr ­später auf diese Aufforderung reagiert und diese Prinzipien bestärkt.3 Ein Impuls aus der Diskussion den Quellenzugang betreffend war, dass die objektbezogene Provenienzrecherche auch immer Kontextforschung verlangt, ohne die Besitzerwechsel oder Eigentumsverhältnisse oft nicht ersichtlich werden. Gerade in der Einzelfallprüfung

3 Siehe https://www.state.gov/washington-conference-principles-on-nazi-confiscated-art/ (Stand: 26. 07. 2020), siehe außerdem die gemeinsame Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS -verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz (Gemeinsame Erklärung 1999) und die Handreichung zur Umsetzung der „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ vom Dezember 1999, Neufassung 2019, https:// www.kulturgutverluste.de/Webs/DE /Stiftung/Grundlagen/Gemeinsame-Erklaerung/Index.html (Stand: 26. 07. 2020).

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von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut ermöglicht oftmals erst der historische Kontext die notwendigen Rückschlüsse auf diese Vorgänge. Außerdem wird bei jeder Recherche zu einem Objekt auch Wissen zum Kontext generiert und auch ­dieses sollte, neben der angestrebten Klärung eines Falles, ausgearbeitet und zugänglich gemacht werden. Die Verbindung von Objekt und individueller Biografie wurde dabei in aller Deutlichkeit betont. Für das Vorankommen der Provenienz- und Kontextforschung stellt es sich jedoch weiterhin als problematisch dar, dass sich Projekte aufgrund der disparaten Quellenlage, teilweise schwergängiger institutioneller Abläufe sowie fehlender finanzieller Mittel, Infrastruktur oder Zeit für die Forschung verzögern. Für eine Verbesserung dieser Situation sind die weitere Öffnungen von Archiven und eine fortschreitende Vernetzung, aber auch eine stabilere finanzielle Ausstattung unerlässlich. Diesbezüglich ist jedoch eine kollektive Resignation der Forschenden zu beobachten. Es drängt sich geradezu der Eindruck auf, dass erst der Skandal ein Handeln in Forschungsinstitutionen und -management auslöst. So wird seitens dieser Akteure oft nur auf Druck von außen reagiert und selten initiativ und forschungsorientiert weitsichtig agiert. Aus dieser Diskussion entstand die Feststellung, nicht nur in Bezug auf NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut, sondern auch auf die damit zusammenhängenden Kontexte: Weitere Forschung ist unabdingbar!

3. Methodik und historiografische Fragen An die im Laufe der Tagung aufgeworfene Frage nach der Methodik in der „Kunstschutz“Forschung schlossen sich weitere Fragen an: Welche Geschichte des Kunstschutzes schreiben wir? Jene einer Institution oder Verwaltungsstruktur, eines Zeitraumes, die eines Landes und abgegrenzten geografischen Gebietes, die Geschichte eines Akteurs, oder einer übergeordneten Konzeption oder moralischen und rechtlichen Verpflichtung? Vielleicht leisten wir sogar eine Historisierung der Rechtfertigung und Rezeption des Kunstschutzes bis heute? Wohin weist die Zukunftsperspektive, wo kumulieren Positionen, und was braucht eine vernetzte Forschung zum Kulturgutschutz? Die Tagung zeigte diesbezüglich verschiedene, sich einerseits entgegenstehende und andererseits inhaltlich ergänzende, sich sogar bereichernde Positionen. Christina Kotts Vorhaben, ein Überblickswerk über das Gesamtkonstrukt Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg zu schaffen, wurde folglich in der zweiten Sektion zu „Kunstschutz in den besetzten Gebieten“ diskutiert und mit nationalen und regionalen Spezifika in Italien, Russland und Griechenland verglichen. Für analytisch weitgreifende Fragen sind die Einzelfallstudien – unter Berücksichtigung sowohl der Perspektiven der Besatzer als auch der okkupierten Bevölkerung, sowohl Ermächtigung als auch Unterdrückung – notwendig, um eine komparative Forschung betreiben zu können. Ähnlich der Relation von Gesamtkonstrukt und Landesfallstudien ergänzen sich auch institutionsgeschichtliche und biografische Ansätze, da sie Makro- und Mikroebene miteinander verschränken und dadurch vertiefende A ­ nalysen

Netzwerkforschung im Kollektiv  I  529

beider Ebenen liefern können. Anschließend an die Aktionsräume von Franziskus Graf Wolff Metternich, der im Zentrum der Tagung stand, wurden Frankreich und dem Rheinland besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Um den Kontext der Ereignisse nachvollziehen sowie Handlungsspielräume besser eruieren zu können, wurden Einblicke in die Militärgeschichte, Kulturpolitik und Denkmalpflege Frankreichs und des Rheinlands gegeben. Außerdem wurden in d ­ iesem Tagungsteil z­ wischen privatem und militärischem Kunstschutz, Archivund Bibliotheksschutz differenziert, wobei einerseits die jeweiligen Besonderheiten deutlich wurden, jedoch auch viele Schnittmengen der Aktionsräume und agierender Institutionen und Personen aufgezeigt werden konnten. Konkrete Maßnahmen einiger Institutionen während des Zweiten Weltkrieges sowie das Netzwerk an Bergungs- und Auslagerungsorten wurden vertiefend thematisiert und diskutiert. In der historischen Entwicklung und länderübergreifenden Diskussion stellte sich unter anderem die Frage, ob überhaupt und wenn ja, w ­ elche Lehren aus den Kunstschutztätigkeiten im E ­ rsten Weltkrieg für jene im Zweiten Weltkrieg gezogen wurden. Kontinuität und Weiterentwicklung, auch in die Nachkriegszeit hinein, wurden im an mehreren Stellen aufgezeigt und diskutiert; nur hypothetisch greifbar bleibt jedoch die Frage, was besser und weitgreifender hätte umgesetzt werden können. Für die historische Analyse von Kulturgutauslagerung und Kunstschutz in Kriegszeiten war die juristische Perspektive auf Entwicklung und Gesetzgebung des völkerrechtlichen Kulturgutschutzes sehr bereichernd. Die Präsentation aktueller Anwendungsbereiche des Kulturgutschutzes in Konflikt- und Katastrophensituationen sowie militärischer, internationaler, staatlicher und privater Akteure verdeutlichte sehr anschaulich, dass die Thematik auch von Relevanz für die heutige Gesellschaft ist. In d ­ iesem Kontext wäre ein interessanter Ansatz, inwiefern die Maßnahmen zum Kulturgutschutz auf globale militärische Konflikte Einfluss nahmen und auf heute übertragbar sind, überarbeitet oder abgelegt wurden. Gerade in der Podiumsdiskussion und der Formulierung von Schlussfolgerungen und Zukunftsperspektiven wurde besonders deutlich, dass sich die Forschung zum Kunstschutz zwar seit einiger Zeit im Aufwind befindet, aber noch viel Potenzial für Forschung, kritisches Hinterfragen und Aufdecken von Leerstellen besteht. Dafür ist die Verbindung und Vertiefung der hier präsentierten, vielseitigen Ansätze notwendig, um d ­ ieses dynamische Forschungsfeld mit anhaltender Brisanz interdisziplinär und international auffächern zu können. Unter w ­ elchen Parametern ein Forschungsgesamtkonstrukt „Kulturgutschutz“ zu benennen ist, konnte innerhalb der Tagung nicht geklärt werden, sollte aber Ziel weiterer kooperativer Projekte sein, denn nur so können die vielschichtigen Aspekte aus methodisch diversen Perspektiven zusammengeführt werden. Für die weitere Umsetzung lässt sich folglich ein Appell aussprechen: Die Analyse zum Gesamtkonstrukt Kunstschutz bedarf der internationalen Kooperation, über zeitliche und geografische Grenzen hinweg: Europäische oder sogar globale Projekte und Verbünde – also Forschung im Kollektiv – sind hierfür dringend erforderlich.

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4. Ausblick: Moral und Brisanz Über diese methodischen und historiografischen Fragen hinaus, stellen sich für den Kunstschutz aber auch moralische Fragen: Welche Lehre kann aus dem Bisherigen, konkreter der Provenienz- und Kontextforschung der letzten rund 20 Jahre bzw. der Forschung zur Diskrepanz z­ wischen Schutz und Raub von Kulturgut in den letzten ca. 150 Jahren gezogen werden? Hier besteht auch eine moralische Verpflichtung, um die Mechanismen des Kunstraubes, in dessen Aktionsraum auch der Kunstschutz zu Kriegszeiten gesehen werden muss, aufzuarbeiten. Zudem ist der Kulturgutschutz eine auch völkerrechtlich und ethisch verpflichtende Aufgabe und sollte im Sinne des Erhalts des Kulturerbes der Menschheit auch für die breite Gesellschaft aufbereitet und verständlich zugänglich gemacht werden. Welche Bedeutung und Anwendung findet der Kulturgutschutz heute in Deutschland, Europa und der Welt? Neben bestandserhaltenden Maßnahmen in Archiven, Museen und Bibliotheken umfasst der Kulturgutschutz heutzutage etwa auch die Einlagerung von Mikro­filmen wertvollen Archivguts oder Strategien zur Sicherung von Kulturgut bei Natur­ katastrophen. Weltweite Organisationen wie Blue Shield und das neu gegründete Blue Shield Deutschland sowie der internationale Museumsbund ICOM erarbeiten Richtlinien und organisieren Maßnahmen zum Kulturgutschutz. Eine aktuelle Entwicklung zum Schutz von Kulturgut in bewaffneten Konflikten stellt die sogenannte Strategic Communication dar, die Soldat*innen für ­dieses Thema sensibilisieren und Vorfällen, wie der Beschädigung der Babylon-Ruinen durch US-amerikanische Soldat*innen, vorzubeugen. Inwiefern d­ ieses Vorgehen, ähnlich den Entwicklungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, neben offensichtlicher Notwendigkeit des Schutzes von Kulturgut auch im Bereich der Propaganda zu verorten ist, konnte innerhalb der Tagung nicht geklärt werden. Auch dieser Punkt sollte Anlass für weitere, historisch vergleichende Forschung und kritisches Hinterfragen sein. Die Tagung zielte auf eine Vernetzung der internationalen Forschung ab, was in Teilen gelungen ist. Es ist jedoch einzuräumen, dass, obwohl viele der präsentierten Th ­ emen länderübergreifend angelegt sind und Forscher*innen international agieren – ob in Forschungskooperationen oder an Institutionen außerhalb Deutschlands –, nur wenige Positionen aus dem Ausland vertreten waren. Für eine tatsächlich komparative und transnationale Perspektive war der Rahmen der Tagung zu klein. Dennoch ist das Ziel erreicht worden, verschiedene bereits vertretene Forschungsprojekte und -perspektiven zusammenzubringen, Präsentationsplattform eines Quellenforschungsprojektes zu bieten und im besten Fall Ausgangspunkt für mehr zu sein. Für die Podiumsdiskussion war somit eine zentrale Frage, wie eine weitere Vorgehensweise in d ­ iesem Forschungsbereich für die Zukunft aussehen könnte: Wo liegen Bedarf, Wünsche, Kapazitäten und Verpflichtung? Dabei wurde insbesondere für Forschungsverbünde ­zwischen Institutionen und Forscher*innen plädiert, jedoch vor allem z­ wischen Archiven, Museen und Universitäten, um so die Kapazitäten und Ressourcen zu bündeln und effiziente Forschungsabläufe und Ergebnisse zu schaffen.

Netzwerkforschung im Kollektiv  I  531

Verzeichnisse

Abbildungsverzeichnis Arnaud Bertinet Abb. 1: Charles Marville (?), Die Venus von Milo in ihrer Transportkiste, 1870/71, Foto: RMN Bildreferenz 16 – 516572. Abb. 2: Anonymer Fotograf, Sammlungen unter dem Schutz der Armee, Toulouse, ca. 1916. Foto: AN 20150044 ehem. AMN Z2A. Abb. 3: Anonymer Fotograf, Abbau des Isenheimer Altars im Museum Unterlinden in Colmar, Archiv des Museums Unterlinden, August 1939. © Musée Unterlinden.

Esther Rahel Heyer Abb. 1: Splitterschutzverbauung vor dem Nordportal der Kathedrale Notre-Dame von Chartres, ca. 1939/40. Foto: NL FGWM, Nr. 48. Abb. 2: Franziskus Graf Wolff Metternich als Soldat im ­Ersten Weltkrieg, ca. 1914/15. Foto: NL FGWM, Nr. 6. Abb. 3: Franziskus Graf Wolff Metternich zusammen mit den beiden Schreibkräften der Kunstschutzzentrale Gisela Günther (genannt Gigü) und Margarethe Schmidt (genannt Schmidt’chen) auf dem oberen Balkon des Hotels Majestic in Paris, ca. 1941. Foto: NL FGWM, Nr. 6. Abb. 4: Franziskus Graf Wolff Metternich als Kunstschutzoffizier: Ölgemälde, ca. 1940/41 (Repro). Bild: Privatbesitz der Familie Grafen Wolff Metternich.

Christina Kott Abb. 1: Schützer, Vermittler oder Räuber? Der Kunstschutzbeauftragte des 5. Armeeoberkommandos Heribert Reiners z­ wischen einer alten Dorfbewohnerin und einer polychromen Marienstatue (12. Jh.) aus der Krypta der K ­ irche Notre-Dame-de-l’Assomption in Mont-devant-Sassey (Frankreich, Departement Meuse), bei Stenay. Die Marienstatue befindet sich heute im Musée de la Princerie in Verdun und wurde vor Ort durch eine Gipskopie ersetzt, o. D. (1915 – 1918). Foto: Bestand Reiners, Amt für Kulturgüter Freiburg, Schweiz. Abb. 2: Bernhard von Tieschowitz und Franz Graf Wolff Metternich im Burgund, auf einer Mauer sitzend, Sommer 1941. Foto: NL FGWM, Nr. 6. Abb. 3: Die Gliederung der Kunstschutzorganisation in den besetzten Westgebieten. Handschriftliche Notizen von Wolff Metternich, 28. Juli 1940 und Anlage 4 des Abschluss­ berichts des Kunstschutzes des OKH . Foto: NL FGWM , Nr. 48 (li.) und Nr. 8 u. 53 (re.).

Hans-Werner Langbrandtner Abb. 1: Winfried Graf Wolff Metternich und Richard Lipp (im Hintergrund) in Bonn am 11. April 2014. Foto: LVR-AFZ. Abb. 2: Dr. Henrike Bolte mit Theresia, verh. Gräfin von Hoensbroech, und Antonius Graf Wolff Metternich im LVR -Kulturzentrum Abtei Brauweiler am 27. April 2016. Foto: LVR-AFZ.

Florence de Peyronnet-Dryden Abb. 1: Blick in die Erfassungsdatenbank FuD (Stand: 15. 08. 2020). Bild: Florence de ­Peyronnet-Dryden, © FUD. Abb. 2: Beispiel Ergebnisliste (Stand: 15. 08. 2020). Bild: Florence de Peyronnet-Dryden, © FUD. Abb. 3: Beispiel einer Akte aus den Archives nationales (20144792/43), Stand: 15. 08. 2020. Florence de Peyronnet-Dryden, © FUD.

Katrin Hammerstein Abb. 1: Möglicher Aufbau des Inventars zur Provenienzforschung für die Objektgattung Malerei. Schaubild: Katrin Hammerstein. Abb. 2: Betty Weiss in der Kunsthandlung ihres Sohnes Robert Weiss in Baden-Baden, 1936. Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Freiburg, Bestand F 166/3: Landgericht Freiburg, LA-BW StAF F 166/3 Nr. 2912. Repro: LA BW. Foto: unbekannt. Abb. 3: Aufnahme der Inneneinrichtung des Hauses von Lili Aschaffenburg in Berlin mit dem Renoir-Pastell „Die Brücke von Meudon“; Rückseite der Fotografie. Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Freiburg, Bestand F 196/1: Landesamt für die Wieder­ gutmachung: Außenstelle Freiburg, LA -BW StAF F 196/1 Nr. 3401. Repro: LA BW . Foto: unbekannt.

Stefan Martens Abb. 1: Französische Besatzungszonen nach dem Waffenstillstand vom 21. Juni 1940. Foto: http://www.mont-valerien.fr/ressources-historiques/le-mont-valerien-pendant-la-secondeguerre-mondiale/la-guerre-et-loccupation-allemande/ © DMPA. Abb. 2: Übersicht über die deutschen Feldkommandanturen 1941. Foto: http://www.­adressesfrance-occupee.fr/de.

536 I Abbildungsverzeichnis

Susanne Dörler Abb. 1: Bei Foto Marburg war es üblich, dass die Eigentümer der fotografierten Objekte Belegabzüge der gefertigten Aufnahmen erhielten. Dies wurde auch während der Kampagne im besetzten Frankreich so praktiziert. Hier die Lieferung der Kampagne in Schloss Villandry von 1942. DDK Archiv FF WK2, Korrespondenzen „Belegexemplare u. Auslieferungen“. © Bildarchiv Foto Marburg, Fotografin: Franziska Klose. fmdv2016. Abb. 2: Westfassade der Kathedrale von Laon mit Splitterschutzverbauung. Aufnahme im Herbst 1940 © Bildarchiv Foto Marburg. fm182188. Abb. 3: Die Kathedrale von Rouen von Süden, im Vordergrund das geräumte Trümmerfeld der zerstörten Altstadt. Aufnahme im Sommer 1941. © Bildarchiv Foto Marburg. fm182982. Abb. 4: Carl Albiker fotografiert den Teppich von Bayeux mit Farbfilm in der Galerie des Hôtel du Doyen in Bayeux am 25. Oktober 1940. © Bildarchiv Foto Marburg, Fotograf: Hartwig Beseler. fm432693. Abb. 5: Bernhard von Tieschowitz (links) und Richard Hamann-Mac Lean bei Fotoarbeiten mit der sogenannten Marburger Kanone im Langhaus der Abteikirche von Vézelay, 1927. © Bildarchiv Foto Marburg. fmv194.

Julia Schmidt Abb. 1: Grafische Darstellung der prozentualen Verteilung der einzelnen Sparten des französischsprachigen Teilbestandes der Bücher der ehemaligen Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris in der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Grafik: Julia Schmidt. Abb. 2: Verzeichnis von Auktionsverkäufen im L’Hôtel Drouot von September 1942 bis Juli 1943 im Bestand der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Foto: JG/U © Julia Schmidt.

Sabine Scherzinger Abb. 1 Bibliotheksstempel der Kunsthistorischen Forschungsstätte in Paris und des Kunsthistorischen Instituts in Mainz. Foto: Sabine Scherzinger, Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Christian Hoffmann Abb. 1: Georg Schnath (Mitte) mit (von links) Aloys Schmidt und Robert Lacroix sowie Georg Winter und Hans Burkard am 20. April 1941 im Parc de Bagatelle im Bois de Boulogne, Fotograf: Gampe. © NLA HA V. V. P. 51 Nr. 331 Anlage zu S. 47. Abb. 2: Tagung der „Archiv-Einsatzgruppe“ in Marburg am 2. Oktober 1941. © NLA HA V. V. P. 51 Nr. 332 Anlage zu S. 21. Abb. 3: Der beim Brand am 8./9. Oktober 1943 zerstörte Westflügel des Staatsarchivs Hannover, Aufnahme vom März 1946, Fotograf: Franz Engel. © NLA HA BigS Nr. 7488/12.

Abbildungsverzeichnis  I  537

Christian Fuhrmeister Abb. 1: Auslagerung der Kunstschätze des Klosters Monte Cassino unter der Leitung von Oberstleutnant Julius Schlegel seit dem 17. Oktober 1943. Foto: NL FGWM, Nr. 70. Abb. 2: Rom, vor der Engelsburg: Feierlicher Abschluss des ersten Teils der Auslagerung am 8. Dezember 1943. Foto: NL FGWM, Nr. 70.

Ulrike Schmiegelt-Rietig Abb. 1: Die Ansicht der Stadt Pskow mit dem Kreml und der Dreifaltigkeitskirche. Die Aufnahme stammt von Eugen Fink, einem Fotografen der deutschen Propagandakompanie. © Bildarchiv Foto Marburg, Fotokampagne Russland Eugen Fink 1943. Abb. 2: Das Kunstmuseum der Stadt Pskow im Pogankinhaus wurde kurz nach der deutschen Besetzung von Ernstotto Graf zu Solms-Laubach 1942 wiedereröffnet. Hier der Blick in die Ikonenausstellung. © Bildarchiv Foto Marburg, Fotokampagne Russland Eugen Fink 1943. Abb. 3: Nowgorod, die ­Kirche der Gottesmutter des Zeichens mit Kriegszerstörungen im Jahr 1942. © Bildarchiv Foto Marburg, Fotokampagne Russland Eugen Fink 1943.

Alexandra Kankeleit Abb. 1: Der Wagenlenker von Delphi, vermutlich in den 1920er Jahre, Aufnahme von Walter Hege. Foto: DAI Athen, Fotothek D-DAI-ATH-Hege-2142. Abb. 2: Tiefe Gräben wurden in den Ausstellungssälen des Athener Nationalmuseums seit Herbst 1940 angelegt, in denen die Marmorskulpturen aufgestellt und anschließend mit Sand bedeckt wurden. Foto: Athen, Archäologisches Nationalmuseum, Fotoarchiv. Abb. 3: Deutsche Archäologen in Griechenland während der Besatzungszeit: Schaubild der Strukturen. Grafik: Alexandra Kankeleit. Abb. 4: Die Erinnerungsschrift „Hellas: Bilder zur Kultur des Griechentums“, 1943 vom deutschen Kunstschutz herausgegeben, zeigt die symbolische Bedeutung des Wagenlenkers von Delphi. Fotos: NL FGWM Nr. 102 (li.) und Bibliothek des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin, Aufnahme von Hermann Wagner. Abb. 5: Der „Gott aus dem Meer“, Restaurierungsarbeiten im Archäologischen Nationalmuseum während der Nachkriegszeit. Foto: Athen, Archäologisches Nationalmuseum, Fotoarchiv.

Jan Schleusener Abb. 1: Paul Clemen, erster (ehrenamtlicher) Provinzialkonservator der Rheinprovinz von 1893 bis 1911. Aufnahme 1926 von Hoffotograf Alard Stüting, Bonn. Foto: LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland, Nachlass Paul Clemen, Inventarnr. 206.

538 I Abbildungsverzeichnis

Abb. 2. Franziskus Graf Wolff Metternich, Provinzialkonservator der Rheinprovinz von 1928 bis 1950. Aufnahme 1930er Jahre. Foto: NL FGWM Nr. 6. Abb. 3: Georg Lill, Direktor des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege von 1929 bis 1950. Aufnahme um 1930. Foto: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Dokumentationsarchiv.

Hans-Werner Langbrandtner Abb. 1: Wilhelm Kisky, Leiter der Archivberatungsstelle der Rheinprovinz von 1929 bis 1950, Aufnahme ca. 1930. Foto: LA NRW, Duisburg, RWB 3984. Abb. 2: Heinrich Haake, NS-Landeshauptmann der Rheinprovinz. Foto: Archiv des LVR. Abb. 3: Hanns Joachim Apffelstaedt als NS-Kulturamtsleiter und Landesrat. Foto: Archiv des LVR. Abb. 4: Bernhard Vollmer, Direktor des preußischen Staatsarchivs Düsseldorf 1929 – 1952 und Leiter des Archivschutzes in den Niederlanden 1940 – 1944, Porträt von 1943. Foto: LA NRW, Duisburg, RWB 3789/51. Abb. 5: Bergungsaktion der wertvollsten Aachener Kunstschätze in die Albrechtsburg bei Meißen im Februar 1941. Foto: Archiv des Suermondt-Ludwig-Museums Aachen, Fotosammlung.

Michael Herkenhoff Abb. 1: Der Bibliothekstrakt im Universitätshauptgebäude, dem ehemaligen kurfürstlichen Schloss, 1942. Foto: Universitäts- und Landesbibliothek Bonn, Fotosammlung. Abb. 2: Der ausgebrannte Bibliothekstrakt im Universitätshauptgebäude, dem ehemaligen kurfürstlichen Schloss, 1948. Foto: Universitäts- und Landesbibliothek Bonn, Fotosammlung.

Gudrun Sievers-Flägel Abb. 1: Ausstellungsplakat unter Verwendung eines Fotos: Verladung von Tafelklavieren und Mobiliar aus dem Beethoven-Haus vor dem Bergungsort Schloss Homburg, Mai 1945. Foto: Beethoven-Haus Bonn, © Conny Koeppl. Abb. 2: Postkarte Schloss Homburg, Nümbrecht (Oberberg), abgestempelt am 25. August 1942. Foto: Oliver Kolken, Museum Schloss Homburg, Inv. Nr. 2015/37. Abb. 3: Theodor Wildeman (re.) und Captain Douglas Barrett im Mai 1945 vor dem Schlossgebäude. Foto: Beethoven-Haus Bonn. Abb. 4: Präsentation der Sonderausstellung im White Cube. Foto: Rainer Hackenberg.

Abbildungsverzeichnis  I  539

Ruth Türnich/Ute Christina Koch Abb. 1: Schaubild der vier Projektelemente: Informieren, Sensibilisieren, Motivieren und Koordinieren. Schaubild: Ruth Türnich und Ute Christina Koch. © LVR-Museumsberatung Abb. 2: „Dokumentationskoffer“ im Sinne eines Erste-Hilfe-Sets für die Museen. Foto: © LVRMuseumsberatung, Foto: LVR-ZMB, Annette Hiller.

Florence de Peyronnet-Dryden Abb. 1: Das Logo Monument historique ist eine stilisierte Widergabe des Labyrinths in der Kathedrale von Reims. © Ministère de la Cultur de France.

Anna Kaiser Abb. 1: Ausbildung von zivilen Expert*innen für die Zusammenarbeit mit Krisenstäben. Foto: Anna ­Kaiser, Donau-Universität Krems 2018. Abb. 2: Gemeinsame Übungen für Militär und zivile Expert*innen sind ein Gewinn für beide Seiten (Übung TRITOLIA18). Foto: Hannes Schramm, 2018.

540 I Abbildungsverzeichnis

Autoren*innenverzeichnis Dr. Arnaud Bertinet Susanne Dörler M. A.

Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne Deutsches Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg PD Dr. Christian Fuhrmeister Zentralinstitut für Kunstgeschichte München Dr. Elisabeth Furtwängler Technische Universität Berlin, Fachgebiet Kunstgeschichte der Moderne Dr. Katrin Hammerstein Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staats­ archiv Freiburg, jetzt: Fachbereichsleiterin Gedenkstättenarbeit bei der Landeszentrale für politische Bildung in Stuttgart Dr. Uwe Hartmann Deutsches Zentrum Kulturgutverluste, Magdeburg, Leitung Fachbereich Provenienzforschung Anne Henk-Hollstein Vorsitzende der Landschaftsversammlung Rheinland Dr. Michael Herkenhoff Universitäts- und Landesbibliothek Bonn Esther Rahel Heyer M. A. München/Provenienzforschung Kunstmuseum Bern Dr. Christian Hoffmann Niedersächsisches Landesarchiv Hannover Mag. Dr. Anna ­Kaiser Donau-Universität Krems Dr. Alexandra Kankeleit Deutsches Archäologisches Institut Athen Dr. Ute Christina Koch LWL-Museumsamt für Westfalen Dr. Christina Kott Université Panthéon-Assas Paris 2 Dr. Hans-Werner Langbrandtner LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrum Raphael Frhr. v. Loë Vorsitzender der Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e. V. Dr. Stefan Martens Deutsches Historisches Institut, Paris Dr. Isabelle le Masne de Chermont Bibliothèque Nationale de France, Paris Florence de Peyronnet-Dryden M. A. Denkmalschutzbeauftragte bei der Conservation régionale des monuments historiques (CRMH), Lyon Dr. Andrea Pufke Landeskonservatorin, Leitung des LVR-Amts für Denkmalpflege im Rheinland Dr. Wolfgang Schaffer LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrum, Leitung Archiv des LVR

Dr. Jan Schleusener

Universität Erfurt, Projekt „Geschichte der Ämter für Denkmalpflege in Bayern, Thüringen und im Rheinland 1920 – 1960“ Sabine Scherzinger M. A. Johannes Gutenberg-Universität Mainz Julia Schmidt M. A. Johannes Gutenberg-Universität Mainz Dr. Ulrike Schmiegelt-Rietig Provenienzforschung – Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Potsdam Prof. Dr. Dr. Sabine Frfr. v. Schorlemer Technische Universität Dresden, Lehrstuhl für Völkerrecht, Recht der EU und Internationale Beziehungen/UNESCO-Lehrstuhl für Inter­ nationale Beziehungen Dr. Gudrun Sievers-Flägel Gummersbach, früher: Museumsdirektorin und Kulturamtsleiterin des Oberbergischen Kreises Dr. Mark Steinert Leitung des LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrums Raik Stolzenberg Athen/Universität Trier Ruth Türnich M. A. LVR-Museumsberatung, LVR-Fachbereich Regionale Kulturarbeit, jetzt: Referat 423 Visuelle Künste, Provenienz, Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen Dr. Peter K. Weber LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrum, Abteilungsleitung Archivwesen Prof. Dr. Christoph Zuschlag Universität Bonn, Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Professur für Kunstgeschichte der Moderne und der Gegenwart (19. – 21. Jh.) mit Schwerpunkt Provenienzforschung/Geschichte des Sammelns.

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