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German Pages 190 Year 2015
Michael Opielka Kultur versus Religion?
Michael Opielka
Kultur versus Religion? Soziologische Analysen zu modernen Wertkonflikten
X T E X T E
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Inhalt Einleitung: Kultur versus Religion? | 9 1. Werte und Wertkonflikte in modernen Gesellschaften | 15 1.1 Viergliederung als analytisches Instrument | 19 1.2 Kulturwerte als Gemeinschaftswerte, religiöse Werte als Letztwerte | 23 1.3 Vom Werte-Konsens zum Werte-Pluralismus | 26 1.4 Culture Matters – aber wie? Zur Kritik von Kulturkonzepten | 31 1.5 Kulturtheorie | 33 1.6 Kultureller und religiöser Pluralismus | 38 2. Europas soziale Werte | 43 2.1 Religion und Politik | 44 2.2 Soziale Politik als Wertkonflikt | 49 2.3 Das europäische Projekt Wohlfahrtsstaat | 51 3. Religiöse Werte im Wohlfahrtsstaat | 57 3.1 Religion als Letztwertbegründung | 60 3.2 Religion und Wohlfahrtswerte | 70 4. Blutige Taten, heilende Werte? Der Krieg im Irak | 75 4.1 Kriegsgründe | 75 4.2 Kulturkampf? | 84 4.3 Kriegsfolgen | 93 4.4 Wie Soziologen Freiheit und Demokratie denken | 98
5. Terror und ethische Verantwortung | 105 5.1 Die Diskussion um das Buch »Nach dem Terror« | 106 5.2 Ästhetisches und ethisches Gewaltbegehren | 112 5.3 Günter Grass, Waffen-SS und öffentliche Scham | 116 6. Die Welt und Gott: Intelligentes Design in religionssoziologischer Sicht | 121 6.1 Evolutionismus vs. Kreationismus | 122 6.2 Vernunft vs. Glauben | 125 6.3 Religion vs. Kultur? | 128 7. Wertkonflikte zwischen Kultur und Religion – Versuch einer Synthese | 131 7.1 Befunde des World Values Survey | 132 7.2 Politische Kultur und symbolische Formen | 137 7.3 Der Ansatz des Neo-Institutionalismus | 143 Anmerkungen | 151 Literatur | 161
»Alles, was die Kulturentwicklung fördert, verhindert auch den Krieg.« Sigmund Freud (im Briefwechsel mit Albert Einstein: »Warum Krieg?«)
Einleitung: Kultur versus Religion? | 9
Einleitung: Kultur versus Religion?
Das Verhältnis von Kultur und Religion erscheint notorisch ungeklärt. Dabei ist der Konflikt zwischen beiden Wertsphären am Beginn des 21. Jahrhunderts schärfer denn je. Überholt geglaubte Kontroversen betraten die öffentliche Bühne. Das Wissen schien dem Glauben längst überlegen, die Religion in die Privatheit gesondert und das ästhetische, kulturelle Zeitalter angebrochen, bedroht allein noch durch die Sphären der Ökonomie und der Politik. Das säkulare Erfolgsmodell wurde nur vereinzelt irritiert, beispielsweise durch die Allianz von »Solidarnosc« und katholischer Kirche in Polen in den frühen 1980er Jahren. Beginnend mit den Migranten aus der islamischen Welt setzte in Europa eine neue Problemsicht ein, die in den 1990er Jahren, mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Bewusstwerden der Globalisierung, nach neuen Begrifflichkeiten suchte. In den Sozialwissenschaften wurden diese Begriffe vorbereitet. Von Anfang an waren sie, insbesondere die Soziologie, mit dem Konflikt zwischen »Kultur« und »Struktur« befasst. Der Mainstream der modernen empirischen Sozialforschung suchte – auch in Wettbewerb mit und Nachahmung von naturwissenschaftlichen Erfolgsmodellen – methodische Sicherheit in der »Sozialstrukturanalyse«. Vor allem quantitative Methoden versprachen Akzeptanz in der Konkurrenz mit anderen Disziplinen. Seit den 1970er Jahren erlebten jedoch sowohl qualitative Methodeninnovationen wie kulturwissenschaftliche Interpretationen einen unübersehbaren Aufschwung in den Sozialwissenschaften, für die deshalb ein cultural turn diagnostiziert wurde.
10 | Kultur versus Religion? Mit der Zuwendung zu Kultur als sozialwissenschaftlichem Forschungsgegenstand traten neue Kontroversen auf: zum einen die Kontroverse um den systematischen Umfang von Kultur, vor allem zur Frage, ob und wie Religion zu Kultur gerechnet werden muss; zum anderen, welches methodologische Verständnis von Kultur für die Analyse am hilfreichsten ist, ob Kultur als Struktur (culture as property) oder als Handlungszusammenhang (culture as praxis) zu begreifen wäre. Bei beiden Kontroversen handelt es sich um mehr als nur rhetorisch-polemische Abgrenzungen. Sie zielen in das Zentrum der modernen Soziologie und zugleich in das Zentrum des Verständnisses der modernen Gesellschaft. Während die Revitalisierung der Kulturperspektive in der Soziologie vor allem methodische Kontroversen begleiteten, ist der Status von Religion als soziologischem Gegenstand nicht nur ein methodisches, sondern – viel weitreichender – ein epistemologisches Problem. Der methodische Atheismus der Religionssoziologie paarte sich mit dem Atheismus der meisten Soziologen, die sich günstigenfalls, wie Max Weber, als »religiös unmusikalisch« erklärten und gleichwohl den Gegenstand des Religiösen für wirklich nahmen. Umso irritierender wirkte sich die Revitalisierung der Religionsperspektive in der Welt aus, der die Soziologie zögernd folgt. Der cultural turn in den Sozialwissenschaften als letzte Stufe der sozialwissenschaftlichen Säkularisierung drückt diese Irritation womöglich aus. Damit das Programm dieses Buches keine Missverständnisse begleiten: Es geht hier nicht um eine katholische oder sonstige Reverie, nicht um einen religionssoziologisch verkleideten Gottesbeweis. Vielmehr geht es um die Analyse von Konflikten. Wertkonflikte sind, wie Weber bemerkte, der Normalzustand der Moderne. Dieses Buch versammelt soziologische Analysen, die einen Beitrag zur Klärung der Konfliktlage leisten können. Sie beschäftigen sich mit der Spannung zwischen kulturellen und religiösen Werten und ihren Institutionalisierungen. Der soziologische Blick interessiert sich vor allem für Institutionen, weil sich in ihnen Handlung und Struktur kreuzen. Innerhalb der Soziologie als (institutionalisierter) Disziplin ist das Verhältnis von Kultur- und Religionssoziologie problemanzeigend, weil von erstaunlichem Wahrnehmungsausschluss gekennzeichnet. Die kultursoziologische Forschung und Literatur widmete religiösen Phänomenen kaum Aufmerksamkeit. Umge-
Einleitung: Kultur versus Religion? | 11 kehrt spielte in religionssoziologischen Diskursen das Konzept »Kultur« nur eine marginale Rolle. Die Gründe dafür sind vielfältig und werden in diesem Buch immer wieder diskutiert, um im abschließenden Kapitel in einem systematischen Vorschlag vielleicht aufgehoben zu werden. Dabei gehe ich nicht so weit wie Franz-Xaver Kaufmann: »›Kultur‹ und ›Religion‹ sind nur noch als problemanzeigende, nicht mehr als analytische Begriffe heuristisch brauchbar, in dieser Funktion allerdings schwer entbehrlich.« (Kaufmann 2005: 17) Um sie als analytische Begriffe soziologisch brauchbar zu halten, ist eine gesellschaftstheoretische Perspektive erforderlich. Sie wird im ersten Kapitel eingenommen und schließt vor allem und kritisch an die Arbeiten von Talcott Parsons an.2 Kultur in gesellschaftstheoretischer Perspektive ist zunächst ein Symbolsystem außerhalb des sozialen Systems Gesellschaft. Religion wiederum ist zugleich als Symbolsystem Bestandteil des Kultursystems und, als Handlungssystem und Institutionengefüge, Bestandteil des Legitimationssystems ausdifferenzierter, moderner Gesellschaften. Leitend auch für die folgenden Kapitel ist dabei ein weiter Religionsbegriff als Letztwertbegründung und Letztwertpraxis. Die hier vorgeschlagene analytische Begriffsverwendung insbesondere in Bezug auf das Konzept Kultur konkurriert mit anderen, teils engeren, teils weiteren, häufig allerdings wenig präzisen Verwendungen, beispielsweise in der Anthropologie und Ethnologie oder in den modernen Cultural Studies (Kap. 1). Im zweiten thematischen Block werden mit den nächsten zwei Kapiteln die religiösen und kulturellen Grundlagen des Wohlfahrtsstaats untersucht. Sie kreisen um die Frage, welche Rolle der Wohlfahrtsstaat als Regime moderner Gesellschaften für die Institutionalisierung von Werten einnimmt. Zunächst wird in Kapitel 2 diskutiert, inwieweit das Projekt des Wohlfahrtsstaates als genuin europäisches Wertmodell gelten kann. In Kapitel 3 werden die im Wohlfahrtsstaat inkorporierten religiösen Werte und Wertkonflikte in kulturvergleichender Perspektive unterschieden. Der dritte Abschnitt rekonstruiert religiöse und kulturelle Dimensionen einer Politik des Krieges und des Terrors. Kapitel 4 enthält eine religionssoziologische Rekonstruktion der »zivilreligiösen« Hintergründe des Irak-Krieges im Jahr 2003 und seiner Folgen, einem Gegenstand, dessen auch soziologische Interpretationen
12 | Kultur versus Religion? selbst zum Thema der Analyse werden müssen, um Bewertungen zu ermöglichen. Daran schließt in Kapitel 5 eine Analyse von individuellen Wertkonflikten an der Grenze von Religion und Kultur an. Untersuchungsgegenstand sind die Reflexionen öffentlicher Intellektueller. Zunächst geht es um Terrorismus-Apologien, die in der Debatte um das Traktat »Nach dem Terror« von Ted Honderich und um Beiträge von Jean Baudrillard irrlichterten. Hierhin gehört auch eine kultursoziologische Betrachtung der Diskussion um die Selbstenthüllung der Waffen-SS-Mitgliedschaft des Nobelpreisträgers Günter Grass. Sie zeigt, wie schwierig eine öffentliche Kommunikation persönlicher Entwicklungen an der Grenze zwischen Kultur und Religion insbesondere dort sein muss, wo Phänomene wie Verdrängung und Scham eine Rolle spielen. Der abschließende vierte Abschnitt beschäftigt sich mit einer Systematik und Synthese der Diskurse um Religion und Kultur. Zum Bildungskanon in einer globalisierten Welt gehören Kenntnisse der Weltreligionen als Kulturfaktoren. Der Konflikt zwischen einem ethischen, als kulturell und damit nicht-religiös codierten Bildungsdiskurs und einem religiösen Bildungsdiskurs zwischen religionswissenschaftlicher Objektivitätserwartung und religiöser Erfahrung bis Dogmatik kann nicht durch Vermeidung gelöst werden. Dies zeigt die in Kapitel 6 rekonstruierte neuere Diskussion um »Intelligent Design«, einem Konflikt zwischen Evolutionismus und Kreationismus, der als Wertkonflikt zwischen kulturellen und religiösen Werten dechiffriert werden kann. Die in den materialen Studien diskutierte Spannung von Kultur und Religion wird im resümierenden Kapitel 7 auf die im ersten Kapitel präsentierte Theorie der Unterscheidung beider Begriffe und Sphären bezogen. Hier wird auch in zeitdiagnostischer Perspektive eine Aussage über Verschiebungen im Verhältnis von Religion und Kultur versucht. Diese sind Kern der Leitidee der Säkularisierung, einem zentralen Bestandteil der modernen Soziologie als Theorie funktionaler Differenzierung. Es stellt sich nicht nur die Frage, ob einzelne Wertkonflikte der Gegenwart, von wohlfahrtsstaatlichen Gerechtigkeitskonzepten bis zum fundamentalistischen Terror, eher religiös oder kulturell codiert sind, sondern ob eine mögliche Verschiebung im Verhältnis von Religion und Kultur neue Wertkonflikte erst konstruiert. Als Leitidee des Buches dient die soziologisch-theoretische
Einleitung: Kultur versus Religion? | 13 Formulierung eines weiten Religionsbegriffes als Letztwertbegründung und Letztwertpraxis, der in eine systemische Unterscheidung von Kultur und Religion mündet. Manches, was gegenwärtig unter Kultur rubriziert, gehört zur Religion. Vieles freilich, was frei zwischen Politik und Ökonomie flottiert, ist vor allem Kulturphänomen. Die soziologische Perspektive steht dabei einerseits über den Wertsphären und verhilft zur Klärung von ansonsten sektoralen Einseitigkeiten, andererseits nimmt sie eine radikal gesellschaftliche Perspektive ein: Erst durch Institutionen wird soziales Handeln dauerhaft. Institutionen wiederum sind die sozialen Träger von Werten. Insoweit ist das Buch aufklärerisch optimistisch. Kultur und Religion werden verstehbar, ihren Konflikt könnte man lösen, zumindest aushalten. Die in diesem Buch versammelten Analysen stehen auf den Schultern vieler. Sie wurden in verschiedenen Kontexten und in ganz unterschiedlichen Stufen der Ausarbeitung zur Diskussion gestellt. Viele dieser Diskussionen hatten selbst den Charakter von Wertkonflikten. Besonders danken möchte ich Birgit PfauEffinger, Karsten Fischer, Wim van Oorschot, Clemens Stepina, Claus Offe, Robert N. Bellah, Michael Dusche und Matthias Müller. Christian Welzel danke ich für Hinweise und Materialien zu den neuen Wellen des World Values Survey. Ohne die Hilfe meiner studentischen Hilfskraft Miriam Federer wäre auch dieses Buch nicht so weit gediehen. Während meines Aufenthalts als Visiting Scholar an der University of California at Berkeley, School of Social Welfare, in den Jahren 2004 und 2005 trugen die dortige inspirierende, intellektuelle und kulturell vielfältige Atmosphäre sowie der Abstand zur deutschen Kultur zur Klärung einiger zuvor nur verwirrender Fragen bei. Dafür danke ich vor allem Neil Gilbert in Berkeley, der Hans-Böckler-Stiftung für die finanzielle Unterstützung und meinen Kolleginnen und Kollegen sowie meinen Studentinnen und Studenten an der Fachhochschule Jena und der Universität Bonn für Geduld. Jena/Königswinter, im Dezember 2006
1. Werte und Wertkonflikte in modernen Gesellschaften | 15
1. Werte und Wertkonflikte in modernen Gesellschaften
Max Weber bezog in seinem Aufsatz »Die ›Objektivität‹ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis« Kultur und Werte eng aufeinander: »Der Begriff der Kultur ist ein Wertbegriff. Die empirische Wirklichkeit ist für uns ›Kultur‹, weil und sofern wir sie mit Wertideen in Beziehung setzen, sie umfaßt diejenigen Bestandteile der Wirklichkeit, welche durch jene Beziehung für uns bedeutsam werden, und nur diese.« (Weber 1988: 175; Herv. i.O.) Das an Weber anschließende Forschungsprogramm folgte für die Deutung jener Beziehung zwischen empirischer Wirklichkeit und Wertideen allerdings wenig übersichtlich einer Ausdifferenzierung soziologischer Theorie in Handlungsund Strukturtheorie, Mikro-, Meso- und Makro-Perspektiven und so weiter (Albert u.a. 2003). In diesem Kapitel soll ein mittlerer theoretischer Weg, eine Synthese von Handlungs- und Strukturtheorie angedeutet werden. In Frankreich und unterdessen auch in Deutschland wird vor Gerichten um die Frage gestritten, ob eine muslimische Lehrerin an einer Staatsschule ein Kopftuch tragen dürfe. Handelt es sich beim Kopftuch um einen religiösen oder um einen kulturellen Ausdruck? Auf welche Wertidee bezieht sich das Kopftuchtragen? Im ersten Fall wäre der Kampf für das Kopftuch im Unterricht ein Kampf um religiöse, geistige Freiheit. Im zweiten Fall wäre dieser Kampf ein Kampf um Modefreiheit, um einen partikularen
16 | Kultur versus Religion? Ausdruck, der gegenüber möglicherweise ›höheren‹ Werten wie der geistigen Freiheit der Schüler zurückstehen sollte. Doch warum soll Religionsfreiheit ein höheres Gut als kulturelle Freiheit sein? Versteht man nicht unter Religion ein Kollektivphänomen und ist kulturelle Freiheit unter den Bedingungen der »Individualisierung« gerade die Freiheit des individuellen Handelns? Oder handelt es sich bei der ganzen Kopftuchdebatte um eine Rechtsfrage, insoweit um eine politische Frage, vor allem um eine Grenzziehung zwischen Privatem und Öffentlichem, die historisch immer umstritten war – und jetzt eben auch (Liedhegener 2005; Delmas 2006)? Als Letztes (aber gewiss Ergänzbares): Ist die Kopftuchfrage nicht eigentlich eine pädagogisch-professionelle Frage nach der optimalen geistigen Entfaltung der Schüler und weiß man hier nicht viel zu wenig über die Wirkungsbezüge »Lehrerin – Schüler«, um dazu gehaltvoll Stellung zu nehmen? Abgesehen also von den komplexen evaluativen, bewertenden Fragen nach den Wirkungszusammenhängen zwischen verschiedenen sozialen Phänomenen und Wertideen, stellt sich am Beispiel »Kopftuch bei Lehrerinnen?« auch die Frage nach dem Ort von Religion und Kultur in der Gesellschaft und damit nach deren Differenz und Einheit. Die Fragestellung unterstellt, dass »Werte« in einem Religions- bzw. Kultursystem fundiert werden. Das ist – abstrakt gesagt – sicher der Fall. Ich werde aber zeigen, dass die Wertefundierung den gesamten gesellschaftlichen Organismus durchzieht bzw. das soziale »System« Gesellschaft. Das ›Wie‹ dieses Durchziehens ist, wie uns die Soziologie vor allem seit Parsons informiert, allerdings wundersam: Mangels eines gesellschaftlichen Wertekonsenses sind es nicht mehr die Teilsysteme oder gar das Gesellschaftssystem als Ganzes, was die Wertproduktion und -weitergabe sichert, sondern ein spezifisches Element der Gesellschaft: die »formalisierten Medien« (Opielka 2006: 205ff.) bzw., wie sie Parsons bezeichnete, die »symbolisch generalisierten Interaktionsmedien«. Die Werte scheinen sozusagen aus den Institutionen in die Medien ausgewandert – und damit in die Verfügung auch der Individuen, denn die Medien dienen der Kommunikation zwischen individuellen wie kollektiven Akteuren (Wenzel 2002). Doch während über die Form der durchaus werthaltigen formalisierten Medien des Wirtschafts- und Politiksystems – nämlich Geld und Recht –
1. Werte und Wertkonflikte in modernen Gesellschaften | 17 heute sozialwissenschaftlicher Konsens existiert, steht durchaus infrage, ob es vergleichbar formalisierte Medien in den ›höheren‹ Subsystemen überhaupt gibt oder gar geben kann. Wir landen also inmitten des unübersichtlichen Geländes der Sozialtheorie. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Die Werte sind nicht ganz aus den Institutionen emigriert. Vielmehr erweitert der auch an Parsons anschließende, soziologische »Neo-Institutionalismus« den Institutionenbegriff wissenssoziologisch (Jepperson 2001; Meyer 2005; Hasse/Krücken 2005). Institutionen sind selbst Skripte, Symbolsysteme und übernehmen damit eine formative Rolle bei der Genese von symbolisch generalisierten Medien. In diesem Sinn gibt es nach wie vor Subsysteme der modernen, das heißt funktional (nach Funktionen) ausdifferenzierten Gesellschaft, die eine besondere Rolle für die Wertproduktion, -erhaltung und den Wertewandel spielen. Hinsichtlich der »letzten«, fundierenden Werte übernimmt das Subsystem »Religion« diese Funktion (hinsichtlich »kleinerer« Werte können alle anderen Subsysteme jene Rolle übernehmen). Die Überlegungen von Parsons helfen uns dabei, dass wir nicht statisch auf die Funktionssysteme blicken, sondern dynamisch auf den Entwicklungsaspekt innerhalb dieser Systeme sowie auf ihre sogenannte »Interpenetration«, ihre wechselseitige Durchdringung. »Interpenetration«, dieser von Parsons geprägte, im Kern dialektische (Opielka 2006: 297ff.) Begriff meint die Durchdringung von Funktionsprinzipien in ausdifferenzierten Handlungssystemen. Das ist stärker, weil logisch anspruchsvoller als beispielsweise der Begriff der »Einbettung« (embeddedness), wie er in der zeitgenössischen Netzwerk- und bisweilen auch der Systemtheorie Verwendung findet (Beckert 2006). Berechtigt ein solch topographischer, vielleicht sogar ontologischer Blick auf das Soziale, von »Postmaterialismus« zu sprechen, wie dies Roland Benedikter (2001) vorgeschlagen hat? Wie alle Begriffe ist auch dieser ein Differenzbegriff. Er entsteht durch Unterscheidung, hier: von »Materialismus«. In Bezug auf unsere Frage nach dem Ort und dem Wesen von gesellschaftlichen »Werten« ist die Differenz eine zumindest doppelte. Die erste Differenz bezieht sich auf die Wertentstehung. In einer materialistischen Perspektive bleibt die Entstehung von Werten letztlich dunkel. Sie erscheinen als Derivat historischer, primär politisch-ökonomischer Prozesse, bisweilen auch als biologisch-
18 | Kultur versus Religion? psychologisch abgeleitetes Phänomen wie in der Soziobiologie (Voland 2000), reduziert auf »neokortikale Funktionen« (Singer 2003). Materialismus als philosophische wie soziologische Weltdeutung bemisst Werten folglich nur sekundären Status bei. Als primär gelten materielle Prozesse und Interessen, die wiederum vornehmlich aus Materiebewegungen erklärt werden. Kultur und Religion sind »Überbau«-Phänomene, keineswegs »Basis« menschlicher wie gesellschaftlicher Dynamik. Gegen die materialistisch-marxistische wie utilitaristische Ableitungsdoktrin hat sich stets soziologischer (und philosophischer) Widerstand geregt, Emile Durkheim und Weber gelten bis heute als dessen Wortführer, die für eine Eigengesetzlichkeit der Wertentstehung plädieren (Joas 1997). Die zweite Differenz resultiert aus der Wertanalyse. In einer materialistischen Perspektive kommt Werten nur geringe Bedeutung für die Analyse der modernen Gesellschaft zu. Das ist konsequent angesichts der genannten anthropologisch-soziologischen Geringschätzung von Werten sowohl im marxistischen wie im utilitaristischen Lager (Lepenies/Nolte 1971). Wie Benedikter zurecht vermerkt, zeichnete sich freilich im Materialismus seine Relativierung ab: Spätestens mit der »Neuen« Linken (Kritische Theorie, Frankfurter Schule) wurde zumindest nach Begründungen gesucht, warum eine Überwindung des »materialistischen« Kapitalismus zunehmend durch Gruppen angestrebt wird, die weniger durch materielle als durch psychische und kulturelle Widersprüche motiviert scheinen. In einer eher kultursoziologischen Perspektive, beginnend mit komplexen Surveys der Einstellungsforschung (vor allem der von Ronald Inglehart initiierte »World Values Survey«), konnte ein »Wertewandel« hin zu »postmateriellen« Einstellungen in allen Industriegesellschaften beobachtet werden (Inglehart 2003). »Materialismus« erscheint hier weniger als analytisch-heuristisches Instrument denn als Diagnose einer komplexen Wertkonfiguration, die nun, bedingt von einem sozial-kulturellen Wandel, durch einen »Postmaterialismus« abgelöst zu werden verspricht, in dem individualistische, expressive Selbstentfaltungswerte an die Stelle von Traditionalismus, Konformität und primär materieller Bedürfnisbefriedigung treten. Beide Dimensionen des »Postmaterialismus« – die epistemische Dimension der Wertentstehung wie die evaluative Dimensi-
1. Werte und Wertkonflikte in modernen Gesellschaften | 19 on der Wertanalyse – beanspruchen aus guten Gründen Plausibilität. In diesem Kapitel werde ich einige soziologische Überlegungen anführen, die sich auf beide Dimensionen beziehen. Ich beginne mit systematischen Deutungen zur »Gliederung« der Gesellschaft, gehe in einem zweiten Schritt auf die Unterscheidung von Gemeinschafts- und Letztwerten ein, vertiefe die religiöse Wertdimension im dritten Abschnitt und schlage in den letzten beiden Abschnitten eine analytische Unterscheidung von Religion und Kultur vor.
1.1 Viergliederung als analytisches Instrument Man spricht meist dann von einer »Gliederung« der Gesellschaft, wenn ein bestimmter, eher »organischer« Gesellschaftsbegriff im Hintergrund steht. Vereinfacht gesprochen und nach mehr als einem Jahrhundert soziologischer Theoriearbeit an diesem Gedanken lassen sich zwei Gesellschaftsbegriffe unterscheiden. Der ältere versteht die Gesellschaft als Sinn-Zusammenhang, als zunächst geistiges Phänomen, früher pyramidal von oben (Gott, Pharao, Gottkaiser usf.) integriert, heute beispielsweise als »autopoietisches« System (so Niklas Luhmann); der neuere Begriff sieht in der Gesellschaft die Summe der Individuen, basierend auf deren Handeln und analysierbar durch einen »methodologischen Individualismus«. In der soziologischen Theorie ist die Polarität beider Ansätze als Kontroverse »Individuum vs. Struktur«, »Handlung vs. System« oder »Handlungstheorie vs. Systemtheorie« bekannt (Alexander u.a. 1987). Offensichtlich ist, dass ein Gesellschaftsbegriff, der die Gesellschaft als Aggregat individueller Handlungen betrachtet, zunächst nicht als »organisch« gelten kann. Andererseits sind auch die systemischen Gesellschaftskonzepte nicht unbedingt »organisch«. Zwar hat Thomas Hobbes seinen im Jahr 1660 veröffentlichten »Leviathan«, als den er die staatlich integrierte Gesellschaft sah, auf dem Buchtitel noch als gigantisches Wesen und im Text die Analogie von Gesellschaft und Organismus gezeichnet. Doch schon Hobbes nutzte den Gesellschafts-»Organismus« eher als Metapher, die den komplexen Zusammenhang von individuellem Willen und normativer Ordnung markieren sollte. Die hoch komplexe Kontroverse um einen sachgemäßen Ge-
20 | Kultur versus Religion? sellschaftsbegriff kann hier nur angedeutet werden. Die Literatur zu möglichen Synthesen, Vermittlungen und Aufhebungen ist heute unüberschaubar. Dies führt einerseits dazu, dass man sich allzu leicht auf die Geistes-Schule zurückzieht, in die man einsozialisiert wurde, und den Blick darüber hinaus entweder bleiben lässt oder vorweg mit Vorurteilen durchsetzt. Auf der anderen Seite finden wir einen teils extremen Pragmatismus, eine Theorie- und Erkenntnisfeindlichkeit als Folge der Unübersichtlichkeit. Beide Fallen sollten nicht vergessen werden, wenn ich hier einen Gesellschaftsbegriff skizziere, der gleichfalls einen synthetischen Anspruch vertritt. Er geht auf zwei Traditionslinien zurück: zum einen auf den Sozialphilosophen Johannes Heinrichs, der eine »Reflexions-Systemtheorie« der Gesellschaft entwickelte und sich dabei vor allem auf Georg Wilhelm Friedrich Hegel bezog, darüber hinaus aber auch Anleihen unter anderem bei George H. Mead und Parsons machte. Die zweite Traditionslinie knüpft unmittelbar an Parsons an, vor allem an den Schriften seiner letzten Arbeitsphase, und mit Parsons an einen Versuch, die großen Kontroversen der Soziologie einer Synthese zuzuführen (Opielka 2006). Beide Autoren, Heinrichs und Parsons, vertreten eine Art »Viergliederung« der Gesellschaft (Parsons spricht vom sogenannten »AGIL-Schema«), in der das Wertesystem jeweils einen gesonderten und – systematisch – dominierenden Platz einnimmt. Dabei unterscheiden sich weniger die Ergebnisse als die Konstruktionsprinzipien erheblich. Während Parsons’ »voluntaristische Handlungstheorie« (bzw. »Systemfunktionalismus«) von Handlungskategorien ausgeht, in die er soziales Handeln dekonstruiert, Richard Münch (1982) sprach deshalb von einem »Kantianischen Kern« der Parsons’schen Soziologie, rekonstruierte Heinrichs’ sozialphilosophischer Zugang das Handeln vom Gedanken der (Hegel’schen) »Reflexion« her (Heinrichs 1976). Das Reflexionsprinzip ist für Hegel der vernunftgemäße Nachvollzug von Lebensprozessen. Im Wesentlichen hinsichtlich dieses Grundgedankens folge ich Heinrichs (während seine späteren Schriften nicht selten dogmatisch verengt erscheinen). Hinsichtlich der soziologischen Anschlussfähigkeit wiederum folge ich Parsons und dessen (allerdings oft unklarer) Aufnahme durch den soziologischen »Neo-Institutionalismus« (ausführlicher Opielka 2007a). Die Perspektive einer »Viergliederung« des sozialen Han-
1. Werte und Wertkonflikte in modernen Gesellschaften | 21 delns und der reflexionslogischen Konstruktion sozialer Systeme durch Handeln lässt sich folgendermaßen skizzieren: Im sozialen Organismus können wir vier Handlungsmodi bzw. Weltverhältnisse (des Subjekts) unterscheiden, denen jeweils – auf der Systemebene – vier gesellschaftliche Subsysteme entsprechen: 1. Die einfache Reflexionsbeziehung eines Subjekts zu einem Objekt, die »Anpassung« an die materielle Umwelt. Im Gesellschaftssystem wird dieser Handlungsmodus im Subsystem »Wirtschaft« systembildend (Level 1). 2. Die doppelte Reflexion eines Subjekts (Hegels »Reflexion-insich-und-anderes«), Selbstreflexion, im sozialen Handeln als »Strategisches Handeln«. Im Gesellschaftssystem wird dieser Handlungsmodus im Subsystem »Politik« systembildend (Level 2). 3. Die nächste Reflexionsstufe ist die wechselseitige reflexive Beziehung zweier (zu den Levels 1 und 2 fähigen und damit) reflexionsfähiger Subjekte als »Kommunikatives Handeln« (bei Martin Buber: »dialogisches Handeln«). Im Gesellschaftssystem wird dieser Handlungsmodus im Subsystem »Gemeinschaft« organisiert (Level 3). 4. Die abschließende Reflexion bildet (in jedem System) die »Sinn«-Ebene, im sozialen Handeln kann man vom »metakommunikativen« oder »Sinn-Handeln« sprechen. Im Gesellschaftssystem wird dieser Handlungsmodus im Subsystem »Legitimation« organisiert (Level 4). In soziologischer Perspektive erscheinen soziales Handeln und soziale Systeme dabei zunächst morphologisch aufeinander bezogen, also gestaltähnlich. Man kann von einer dialektischen Stufung von Handeln und System sprechen, von einer aufsteigenden Komplexität. Die Homologieannahme von Handlung und System behauptet, dass Systeme durch Handeln konstruiert werden: Der reflexive Abschluss einer Handlung (die vierte Ebene, die Sinnebene) wirkt dabei jeweils systembildend (Homologie meint damit mehr als nur eine metaphorische Analogie). Soziale Systeme werden also durch Handeln konstruiert und erhalten – und nicht (wie dies Luhmann vorschlug) durch »Autopoiesis«, also Selbstschöpfung.2 Was freilich »System« bedeutet, nach dem großen Systemdenker Hegel (Opielka 2006, 2006a), ob die
22 | Kultur versus Religion? ontologische Dimension begrüßt oder abgelehnt wird, das ist kontrovers (Sandkaulen 2006). Das System Gesellschaft kann also in vier Subsysteme untergliedert werden: Wirtschaft, Politik, Gemeinschaft und Legitimation. Diese Gliederung folgt den skizzierten handlungssystemischen Prinzipien und zeichnet eine Art Landkarte des Systems Gesellschaft, zunächst ihrer »strukturellen« Subsysteme bzw. Funktionssysteme. Ein Verständnis dieses soziologischen Blicks auf die Gesellschaft erfordert folglich eine Abstraktionsleistung, insoweit als es hier zunächst nicht um konkrete Institutionen und Organisationen geht, sondern um funktionale Beziehungen und ihre Ordnung. Dennoch werden Kritiker mit Einwänden bei der Hand sein, selbst dann, wenn sie sich auf die hermeneutische Sichtweise des Soziologen einlassen.3 Ich bezeichne das kommunikative Subsystem der Gesellschaft als »Gemeinschaftssystem« – und folge darin Parsons –, weil der Begriff »Kultur« bzw. »Kultursystem« dafür zu schillernd ist. Während die Untergliederung des Subsystems Politik (Administrative, Exekutive, Legislative, Judikative) weitgehend den gängigen Begriffen der klassischen Gewaltenteilung folgt – das Subsystem »Administrative«, das »wirtschaftliche« Subsystem der Politik, wurde in der politikwissenschaftlichen Debatte der vergangenen Jahre als weitere Ausdifferenzierung der »Exekutive« interpretiert –, mag die Untergliederung des Subsystems »Gemeinschaft« ungewohnt erscheinen. Auch hierbei versuche ich, den logischen Prinzipien zu folgen: das Hilfesystem (hierzu gehören bspw. Solidaritätsnetze wie Freundschaft, Familie, Nachbarschaft, Sozialarbeit, Gesundheitswesen) bildet die »wirtschaftliche« Basis des Gemeinschaftssystems, im Subsystem »Bildung« reproduziert sich die Gesellschaft qua Sozialisation, das Subsystem »Öffentlichkeit« organisiert die Kommunikation der modernen Gesellschaft und schließlich leistet das Subsystem »Kunst« den abschließenden Ausdruck der gemeinschaftlichen Kultur einer Gesellschaft – es nähert sich dabei dem legitimativen System an, ohne darin schon aufzugehen: Die Kunst ist in einer modernen, ausdifferenzierten Gesellschaft – und darauf beziehen sich diese Überlegungen – frei von legitimativen Verpflichtungen, als gesellschaftliches »Kunstsystem« institutionalisiert sie ›nur‹ die höchste Stufe der Kommunikation. Ähnlich lässt sich auch die Gliederung des Subsystems »Legi-
1. Werte und Wertkonflikte in modernen Gesellschaften | 23 timation« (in Administrative, Exekutive, Legislative, Judikative) verstehen: Während das Wissenschaftssystem sozusagen die »wirtschaftliche« Seite des Legitimationssystems darstellt – hier organisiert die Gesellschaft ihre geistige Ökonomie, ihre geistige Arbeit an der Welt4 –, werden im komplexesten gesellschaftlichen Teilsystem, dem Religionssystem, die Beziehungen zur »höheren Wirklichkeit« – außerhalb der Gesellschaft – institutionalisiert. Die beiden hier als »Menschenrechte« und »Zivilreligion« (Rousseau, Bellah) bezeichneten Subsysteme wirken noch ein wenig bemüht. Man kann in ihrer fehlenden oder zumindest noch bescheidenen Institutionalisierung – das System Menschenrechte konkretisiert sich beispielsweise in Weltorganisationen wie der UNO, die mehr sind als nur zugehörig zum Politiksystem, das System Zivilreligion konkretisiert sich beispielsweise in Ethikkommissionen – aber auch einen Niederschlag sozialer Evolution erkennen: Die Ausdifferenzierung von Funktionssystemen ist der entscheidende Prozess der Moderne und vor allem der Individualisierung, und diese ist noch längst nicht am Ende.
1.2 Kulturwerte als Gemeinschaftswerte, religiöse Werte als Letztwerte Für unsere Frage nach dem Wertesystem im sozialen Organismus kann zunächst ganz allgemein gelten, dass »Werte« auf der Sinnebene in jedem Teilsystem der Gesellschaft erzeugt und erhalten werden. In der dialektischen, »reflexionslogischen« Perspektive gilt das Prinzip der Viergliederung – systemisch – auf jeder Ebene. Parsons hat dies in seinem AGIL-Modell (adaption, goal attainment, integration, latent pattern maintenance) nach dem Prinzip der russischen Puppen (Matrioschkas) zu zeigen versucht: In jedem Teil taucht die Logik des Ganzen auf. Insoweit werden in jedem – noch so kleinen – Subsystem der Gesellschaft »Werte« in Form von Sinn genutzt, um das jeweilige System ›abzuschließen‹. Das bedeutet, dass es ›kleine‹ und ›große‹ Werte gibt und dazwischen ein breites Spektrum ›mittlerer‹ Werte. Im Wirtschaftssystem der Gesellschaft (Level 1) werden Gebrauchs- wie Tauschwerte erzeugt und erhalten, formell institutionalisiert (als Geld) im Finanzsystem. Im politischen System ist vor allem das Rechtssystem dafür zuständig. Wenn wir aber im
24 | Kultur versus Religion? üblichen Sprachgebrauch den Begriff »Werte« verwenden, so beziehen wir uns gemeinhin auf Kulturwerte, also ästhetisch-moralische Werte, und auf Letztwerte, also religiös-ethische Werte. Um diese jeweils – und von den Werten des Wirtschafts- und Politiksystems – unterscheiden zu können, ist die Perspektive der Viergliederung außerordentlich nützlich. Den Systemebenen können jeweils exemplarische Medien und Institutionen zugeordnet werden (ausführlicher dazu Opielka 2006). Daneben existieren in den Subsystemen noch zahlreiche weitere, mehr oder weniger formalisierte – Parsons spricht von »symbolisch generalisierten« – Medien. Während im Subsystem »Wirtschaft« bekanntlich das »Geld« als das klassische formalisierte Medium entstand, im Subsystem »Politik« wiederum »Recht« als formalisiertes Medium gilt, scheinen für die Subsysteme Gemeinschaft und Legitimation vorderhand keine vergleichbaren Formalisierungen zu existieren. Zumal von Formalisierung bzw. »symbolischer Generalisierung« nur gesprochen werden kann, wenn diese Medien sozusagen als »Währung« des jeweiligen Subsystems allgemein – und das heißt vor allem: auch in den anderen Subsystemen – konvertibel sind. Im kommunikativen, gemeinschaftlichen Subsystem nimmt die »Sprache« diese Rolle ein, sie ist ein zudem hoch komplex formalisiertes Medium. Für das Subsystem Legitimation scheint »Ritual« ein geeigneter übergeordneter Begriff für das entsprechende formalisierte Medium zu sein, doch ist es offensichtlich, dass von allgemein konvertiblen »Ritualen« in modernen Gesellschaften nicht gesprochen werden kann. Dennoch lassen sich auch hier exemplarische Medien beobachten, beispielsweise das »Zitat« im Wissenschaftssystem (bis hin zu institutionalisierten Zitationsnachweisagenturen) oder das »Sakrament« im Bereich der christlichen Religionen. Ähnliche Überlegungen gelten für die ›konkreten‹ Institutionen. Die Plausibilität einer sozialtheoretischen Gesellschaftsanalyse muss sich daran erweisen, dass sie möglichst alle Phänomene begrifflich erfassen kann. In gewisser Weise ist auch (Sozial-)Wissenschaft eine Kunst: Sie muss (mit Goethes Ästhetik sprechend) eine Brücke schlagen zwischen der empirischen Beobachtung und der Welt der Ideen. Ein Beispiel: Für das Subsystem »Handel« – das kommunikative Subsystem des Wirtschaftssystems – kann die »Börse« als eine Institution genannt werden.
1. Werte und Wertkonflikte in modernen Gesellschaften | 25 Genauso gut könnte man hier auch einen »Wochenmarkt« oder »E-Bay«, den Internet-Marktplatz, nennen, nur werden an der Börse Firmen(anteile) gehandelt, deshalb auch das Medium Kurswert. Dass im Wirtschaftssystem keineswegs nur Geld als Währung gilt (auch wenn dies die am höchsten formalisierte, generalisierte Währung bildet), zeigt sich beispielsweise am Handel mit Emissionsrechten oder am Zeithandel an Zeittauschbörsen.5 Für unsere Fragestellung nach dem Verhältnis von Religion und Kultur sowie nach Wertkonflikten in modernen Gesellschaften stellt sich naheliegenderweise die Frage, ob nicht »Werte« als Medium des Subsystems »Legitimation« verstanden werden müssen, teils sogar als formalisierte Medien, wie beispielsweise der Dekalog (»Zehn Gebote«). In diese Richtung argumentierte Parsons, der als das allgemeine symbolische Tauschmedium der vierten Systemstufe (bei ihm »Treuhandsystem«, er spricht aber, wie es hier vorgeschlagen wird, auch vom »Legitimationssystem«) »value-commitment« (»Wertbindung«) identifiziert: »Value-Commitments sind moralische Verpflichtungen der Aktoren eines sozialen Interaktionssystems, die die Integrität einer Wertstruktur erhalten und zusammen mit anderen Faktoren zu ihrer Verwirklichung im Handeln führen.« (Parsons 1980: 183) »Value-Commitments« sind freilich eine etwas subjektivistische Konzeption und können kaum als soziale Sprache verstanden werden, was generalisierte bzw. formalisierte Medien ja sein sollen (dazu Opielka 2006: 221ff., 288ff.). In gewisser Weise sind sogar alle Medien auch »Werte« bzw. »haben« Wert, da sie die Institutionalisierung von Abschlussreflexionen darstellen. Da der Medienbegriff in der modernen Soziologie analog dem Geld entwickelt wurde, wird nicht selten ein reduktionistisch-ökonomischer Wertbegriff verwendet, der auf quantifizierbaren Warentauschbeziehungen basiert und komplexere Tauschrelationen nicht adäquat abbildet. Wir können als Ergebnis dieser Überlegungen festhalten: Werte sind Medien, die in allen Subsystemen der Gesellschaft produziert werden und zugleich zur Erhaltung der Subsysteme beitragen. Sie sind aber nur selten formalisiert. Aus den bisherigen Überlegungen wurde vielleicht schon deutlich, dass die Komplexität oder auch die Sinntiefe der in den verschiedenen Subsystemen zirkulierenden Werte recht unterschiedlich ist. Um
26 | Kultur versus Religion? diese Problematik präziser zu fassen, möchte ich mich auf die Differenz der Wertproduktion zwischen dem Gemeinschaftsund dem Legitimationssystem konzentrieren.
1.3 Vom Werte-Konsens zum Werte-Pluralismus In seinem Spätwerk stellte sich Parsons, der vielleicht bedeutendste Soziologe des 20. Jahrhunderts, die Frage, wie soziale Ordnung begründet werden kann, ohne dass Werte als (moralisch) verpflichtend von allen Gesellschaftsmitgliedern geteilt werden. An die Stelle einer strukturfunktionalistischen Deutung – einer vor allem durch Internalisierung von Werten und Normen und zugleich durch Konsensus gestützten Klammer von Kultur und Persönlichkeit – trat für ihn, auch in der Folge einer wachen Wahrnehmung der Kulturrevolution der 68er-Bewegung und des in den 1970er Jahren beobachteten »Wertewandels«, eine systemtheoretische Interpretation: als »Weg von einer askriptiv geregelten und auf moralischen Verpflichtungen basierender sozialer Ordnung zu nichtnormativer Integration durch symbolische Kommunikationsmedien« (Wenzel 2002: 437). Das »Erbe des Wertekonsensus« übernahmen für Parsons die symbolischen Kommunikationsmedien »Wertbindungen« (value commitments) und »Einfluss« (influence), die Medien der beiden komplexeren Subsysteme der Gesellschaft: des »Treuhandsystems« (entspricht hier dem Legitimationssystem) und der »gesellschaftlichen Gemeinschaft« (hier: Gemeinschaftssystem). Zum entscheidenden Gedanken wird nun als Grundvoraussetzung für diese symbolischen Kommunikationsmedien der Umstand, dass in einer Gesellschaft ein einheitliches, für alle ihre Mitglieder verpflichtendes Wertsystem nicht mehr existiert, wobei natürlich weiterhin Werte internalisiert werden. Harald Wenzel hat die Folgen so zusammengefasst: »Wertbindungen sind das Medium, um selektiv die generalisierte Bereitschaft für die Implementierung von Werten zu mobilisieren. Das dafür zuständige Treuhändersystem sorgt für die Integrität der Gesellschaft – analog zum Nutzen in der Wirtschaft. Das bedeutet nun nicht mehr die Erhaltung einer starren kulturellen Identität der Gesellschaft; Integrität ist vielmehr ein Eigenwert, um Revisionen im ›Selbstverständnis‹ der Gesellschaft bewerten zu können. Das impliziert
1. Werte und Wertkonflikte in modernen Gesellschaften | 27 die Implementierung von neuen Werten; die Werterfahrungsbasis der Gesellschaft ist keine Nullsumme. Analog zum Koordinationsstandard der Zahlungsfähigkeit im Wirtschaftssystem achtet das Treuhändersystem auf Musterkonsistenz in der kontinuierlichen Umarbeitung der gesellschaftlichen Wertebasis. […] Einfluss als symbolisches Kommunikationsmedium zielt auf die Wiederherstellung von Solidarität und damit auf den Kernbereich sozialer Ordnung. Zwar ist der Koordinationsstandard für die Verwendung von Einfluss Konsens, aber Ziel ist nun nicht mehr die Herstellung eines gesamtgesellschaftlichen Wertekonsensus, sondern ein sich dauernd fortschreibendes und erweiterndes Netz von Teilsolidaritäten. Diese Solidaritäten sind nicht mehr durch Werte charakterisiert, sondern durch Interessenkoalitionen.« (Ebd.: 437f.) Sehen wir von den einer anderen Konstruktionslogik geschuldeten Begriffen ab und auch von der Frage, ob »Einfluss« der beste Begriff für das symbolische Medium des Gemeinschaftssystems ist (bzw. »Wertbindung« für das Legitimationssystem), so verweist die Analyse von Wenzel auf einen faszinierenden Perspektivenwechsel: Der Blick fällt jetzt auf die Dynamik innerhalb der Subsysteme der Gesellschaft und – entsprechend der »Interpenetration«, der wechselseitigen Durchdringung der Subsysteme – auf die Dynamik zwischen den Subsystemen. Das entscheidende Merkmal dieser Dynamik ist Pluralismus. Pluralismus heißt nicht Beliebigkeit, zu Recht spricht Wenzel für das Legitimationssystem von einer notwendigen »Musterkonsistenz« bei der kontinuierlichen Revision der Wertebasis der Gesellschaft. In unserer Perspektive sind hierfür vor allem die Subsysteme Wissenschaft und Religion zuständig: Im wissenschaftlichen Diskurs müssen sich Werte historisch und synchron begründen, versprachlichen, vergleichen und verstehen lassen. Zugleich werden widersprüchliche Wertmuster wissenschaftlich reflektiert, permanent kontrovers diskutiert und leider auch, je nach Freiheitsgrad des wissenschaftlichen Lebens, unterdrückt. Im Subsystem Religion werden – so könnte man sagen – die ›tiefen‹ oder ›starken‹ Werte ›geschöpft‹. Ich spreche deshalb hier von der Zuständigkeit des Religionssystems für »Letztwerte«. Die Funktion des Wissenschaftssystems bei der Etablierung und Überwachung von symbolischen Kommunikationsstandards steht im Zentrum des soziologischen Neo-Institutionalismus,
28 | Kultur versus Religion? allerdings zumeist ohne Referenz auf Parsons’ Überlegungen (z.B. Meyer/Ramirez u.a. 2006). Wo man sich wiederum mit Parsons auseinandersetzt, wie beispielsweise Margaret Archer (1996: 32ff.), verbleibt die Perspektive oft auf dem früheren Strukturfunktionalismus und damit in einer vorpluralistischen Wertewelt. Im Unterschied zum Legitimationssystem werden im Gemeinschaftssystem weniger Werte kommuniziert als vielmehr Kommunikationen selbst. Bei Parsons (und Wenzel) wird das Gemeinschaftssystems meines Erachtens nach (über das Medium »Einfluss«) zu sehr auf »Solidarität« und Integration verengt.6 Vielleicht wird dieser komplexe Zusammenhang deutlicher, wenn wir (durchaus mit Parsons) zwischen Moral und Normen – als Elemente des Gemeinschaftssystems – und Ethik und Werten – als Elementen des Legitimationssystems – unterscheiden. Diese Begriffsverwendung ist in der soziologischen wie in der philosophischen Literatur durchaus umstritten, die Begriffe Moral und Ethik werden keineswegs einheitlich verwendet. So heißt es in einem Lehrbuch zur (analytischen) Ethik: »Aber ganz überwiegend wird zwischen ›Ethik‹ und ›Moral‹ so unterschieden, dass ›Ethik‹ als die philosophische Theorie der Moral gilt, ›Moral‹ dagegen als das komplexe und vielschichtige System der Regeln, Normen und Wertmaßstäbe, das den Gegenstand der Ethik ausmacht.« (Birnbacher 2003: 2) Die Perspektive Birnbachers ist nicht soziologisch, insoweit interessieren ihn die gesellschaftlichen Systemreferenzen nur am Rande. Dennoch deutet dieser ›common sense‹ durchaus in unsere Richtung, insoweit »Moral« sozusagen die »mores«, die Sitten einer Gesellschaft meint, während »Ethik« auf die – nun Hegel zitierend – »Sittlichkeit«, also die Wertkonfiguration einer Gesellschaft abhebt (– und damit mehr ist als eine »Theorie«) (Opielka 2006: 238ff.). Natürlich sind die Grenzen fließend. Im Gemeinschaftssystem, in den Familien, in Schulen, der Öffentlichkeit und in der Kunst (Literatur, Filme, Theater usf.) werden Geschlechternormen verhandelt: Sollen Frauen und Männer gleich sein oder verschieden? Was heißt »Weiblichkeit«, was »Männlichkeit« usf.? Dies äußert sich in Umgangsformen, in der Mode. Ivan Illich (1983) analysierte die Geschlechtsgebundenheit der gesamten Kultur traditioneller Gesellschaften (»Genus«), die in der Moderne durch den »Sexus«, die scheinbare
1. Werte und Wertkonflikte in modernen Gesellschaften | 29 Geschlechtergleichheit, abgelöst wurde. Nun wirkt sich die Geschlechtermoral auf alle anderen Subsysteme aus, beispielsweise auf die Arbeitsteilung in der Wirtschaft und auf die Rechtsverhältnisse im politischen System (Frauenrechte usf.) und wirkt von dort auch wieder zurück auf die Moralverhältnisse. Man kann auch beobachten, dass religiöse und wissenschaftliche Vorstellungen des ›richtigen‹ Geschlechterverhältnisses auf die gemeinschaftliche Praxis Einfluss nehmen, vor allem in solchen Gesellschaften, in denen das Gemeinschaftssystem, noch eng mit dem Legitimationssystem verwoben, undifferenziert ist. Dies ist derzeit vor allem ein Problem für islamische Gesellschaften. Zumindest für die modernen Gesellschaften des westlichen Typs lässt sich gleichwohl eine relative Autonomie gemeinschaftlich ausgehandelter Geschlechternormen beobachten (bis hinein in die Familien). Ein anderes Beispiel für gemeinschaftliche Moral und Normen sind die Forderungen nach kultureller Autonomie für Sprachgruppen. So ist der Kulturkampf der Basken in Spanien oder der Kurden in der Türkei auch ein nationaler, also politischer Kampf, vor allem aber ein Bemühen um gemeinschaftlich-kulturelle Autonomie des Ausdrucks von Besonderheit – keineswegs ein religiöser Kampf als ein Kampf um divergierende Letztwerte. Ein Beispiel für die Auseinandersetzung um Ethik und Werte ist die Kontroverse um die sogenannte »Euthanasie«: Soll die Gesellschaft durch ihre Institutionen im Gesundheitswesen das Recht haben, über »lebenswertes« Leben zu entscheiden? Hier geht es offensichtlich nicht um kommunikative Moral, sondern um ›tiefere‹, ›stärkere‹ Werte. Zu Recht fühlen sich hier Wissenschaft und vor allem Religion berufen. Das Beispiel des »Kopftuch-Streites« wiederum scheint zwischen beiden Sphären zu schillern: Während die einen im Kopftuch eine religiöse Symbolik sehen und dabei auf den Habit katholischer Nonnen verweisen, meinen andere, das Kopftuch sei im Islam allenfalls religiöses Brauchtum, gar ein Mode-Accessoire ohne religiösen Wert. Die sozialtheoretische Unterscheidung könnte helfen. Sie erlaubt die Rekonstruktion sowohl der Selbstdeutung der Verfechter und der Gegner des öffentlichen Kopftuchtragens, wie auch die Bewertung, zu der unterdessen Gerichte und Gesetzgeber genötigt werden. In medientheoretischer Perspektive mag das »Kopftuch« als religiöses Medium nämlich nur im Konfliktfall nützlich sein –
30 | Kultur versus Religion? und im Konflikt neigen Personen und Kollektive bekanntlich dazu, Elemente aus einem Subsystem zu radikalisieren. Der Vorzug einer freiheitlichen, pluralistischen Gesellschaft liegt darin, solche Radikalisierungen zu mäßigen, indem der Blick von den kollektiven Zwängen auf die Vielfalt der Individuen wechselt (Meyer 2005). Die Perspektive einer systematischen Analyse von Werten im Kontext einer Viergliederung der Gesellschaft ist insoweit genuin »postmaterialistisch«, als sie die Unreduzierbarkeit jener Subsysteme – nämlich Gemeinschaft und Legitimation – theoretisch begründet, die in einer »materialistischen« Perspektive nur als Ableitung der auf Tausch- und Interessenhandeln basierenden Subsysteme Wirtschaft und Politik vorkommen. Gleichwohl mag die hier gewählte Perspektive zunächst noch manche Fragen nicht hinreichend beantworten. Eine dieser Fragen betrifft die Wertdimension von Veränderungen im Wirtschafts- und Politiksystem selbst. Beispielhaft ist die komplexe Frage, wie künftig das Verhältnis von Arbeit und Einkommen gestaltet werden soll, ob beispielsweise eine Trennung oder zumindest Entkopplung beider Prozesse – die Verteilung gesellschaftlicher Arbeit und die Verteilung von Einkommen – durch bewusste, werthaft gesteuerte Politik erstrebenswert sei. Seit vielen Jahren wird sie mit der Forderung nach einem »garantierten Grundeinkommen« aus ganz unterschiedlichen politischen Lagern und mit zunehmend konkreteren Vorschlägen verbunden (Opielka 2004, 2006b). Im Zentrum dieser Forderungen steht die durchaus »postmaterialistische« Idee, dass das Verhältnis von Produktion, Distribution und Konsumtion künftig radikal vom Individuum und seinen sozialen Grundrechten her gedacht werden müsse und nicht mehr, wie im »materialistischen« Zeitalter, von den funktionalen Imperativen her, seien sie nun kapitalistisch oder staats-sozialistisch bestimmt. Das meint nichts anderes als eine Durchdringung der ›unteren‹, materie-näheren sozialen Prozesse durch eine ideelle, legitimative sowie gemeinschaftliche Handlungslogik. Dass es sich bei diesen Überlegungen keineswegs nur um »wishful thinking« handelt, haben viele Analysen demonstrieren können, ob unter dem Gesichtspunkt einer Veränderung der Arbeit hin zu einer Ausrichtung am Paradigma der Dienstleistung (Küpers 2001) oder unter dem Gesichtspunkt einer radikalen Kritik der Globalisierung (Negri/Hardt 2002). Letztere setzen
1. Werte und Wertkonflikte in modernen Gesellschaften | 31 ihre »revolutionäre« und zugleich »postmaterialistische« Hoffnung auf eine kulturell begründete »Multitude«, eine diffuse Erneuerung von unten, in deren Rahmen die Forderung nach einem Grundeinkommen einen wesentlichen Platz einnimmt.
1.4 Culture Matters – aber wie? Zur Kritik von Kulturkonzepten Folgten wir den grünen Politikern Jürgen Trittin und Christian Ströbele, dann ersetzt künftig der letzte Tag des Ramadan den Pfingstmontag als gesetzlichen Feiertag in Deutschland (Süddeutsche Zeitung, 16.11.2004). Auch das wäre eine Antwort auf den von vielen Beobachtern befürchteten »Kulturkampf« in Deutschland, Europa und der Welt (Huntington 1997; Harrison/Huntington 2000; Senghaas 2005). Deutschland und Frankreich haben Erfahrung mit Kulturkämpfen (Lepenies 2006). Im 19. Jahrhundert waren der Staat und die katholische Kirche die Kontrahenten. Der gegenwärtigen Runde mangelt es auf Seiten des Islam am institutionalisierten Kombattanten. Die im Herbst 2006 unter den Auspizien eines konservativen deutschen Bundesinnenministers eingerichtete »Islamkonferenz« ist ein erster und überfälliger Schritt. Dass der Islam in Österreich dank des Habsburger Integrationsmühens (zuerst 1912 in Bosnien) staatsrechtlich institutionalisiert ist, einschließlich einer Ausbildung muslimischer Religionslehrer für öffentliche Schulen, hat den Kulturkampf dort vermieden, ohne freilich den FremdenphobiePopulismus nationalliberaler Parteien verhindern zu können (so die Wahlkampfparole »Daham statt Islam« des »Bündnis Zukunft Österreich« im Jahr 2006). Institutionalisierungsmängel sind nicht der einzige Beitrag zur Unübersichtlichkeit im aktuellen Kulturdiskurs. Der deutsch-europäische Kulturkampf zwischen den Polen »Multikulti« und »Leitkultur« dient auch parteipolitisch-wahltaktischen Zielen. Neben den genannten Politikern finden sich auch Politikprofessionelle wie Nicolas Sarkozy, der sich mit einem Buch – »La République, les religions, l’espérance« (2004) – zu Wort meldete, erschienen in einem katholischen Verlag. Der Gaullist Sarkozy plädiert für eine Lockerung des Laizismus und hält selbst eine staatliche Finanzierung des Moscheen-Baus für
32 | Kultur versus Religion? erwägenswert, um die Würde der französischen Muslime zu sichern und sie, wie bereits durch die Institutionalisierung eines nationalen Islamrates, mit dem Staat der Republik zu versöhnen. Das erinnert an Bismarcks Versuch, durch den Sozialstaat die per Sozialistengesetz (1878) entwürdigte Arbeiterbewegung an Kaiser und Reich zu gewöhnen. Die USA haben andere Erfahrungen mit dem Vermeiden von Kulturkämpfen gemacht. Trotz »11.9.« werden »diversity programs« eher noch ausgebaut. Die Politik der »anti-discrimination« wurde auch unter der Bush-Administration nicht angetastet. Nicht, dass es keine Probleme gäbe (Feldman 2005). Samuel B. Huntington identifiziert neuerdings (2004) die Latinos als neues Subkultur-Problem und befürchtet einen USA-internen Kulturkampf, was nicht nur angesichts religiöser Ähnlichkeiten keine hysterischen Reaktionen auslöste. Die relative Gelassenheit der politischen und akademischen Eliten hat robuste Gründe. Den USA hilft nicht nur eine diffuse politische Patriotismusbeschreibung, wie sie in Deutschland als »Verfassungspatriotismus« von Jürgen Habermas beschworen oder von Edmund Stoiber mit einem Eid von Neubürgern auf das Grundgesetz operationalisiert wurde. Die politische Mehrheitskultur der USA kennt nämlich vier große Kulturintegratoren: den Markt, den Patriotismus einschließlich der Armee, die Gemeinschaft (»Bowling together«, Putnam 2000) und den Pluralismus der Religionen (»First Amendment«-Zusatz). Das sind die vier Ebenen gesellschaftlicher Integration und dementsprechend die vier Subsystemebenen moderner, ausdifferenzierter Gesellschaften, auf die ich im ersten Teil dieses Kapitels im Anschluss vor allem an Parsons hingewiesen habe: Wirtschaft, Politik, Gemeinschaft und Legitimation (Opielka 2006). Uns Europäern und vor allem uns Deutschen scheint diese Palette weder historisch noch gegenwärtig leicht zur Hand. Wir verweisen gern auf drei andere Kulturintegratoren: unsere Rechtskultur mit der unantastbaren Menschenwürde, auf unsere nach zwei verursachten Weltkriegen errungene Kultur friedlicher Konfliktlösung und auf unser Sozialmodell, den Sozialstaat. Die Differenz zu den USA wird deutlich, wenn wir den Zusammenhang von Rechten und Pflichten reflektieren: Während die ersten drei US-Kulturintegratoren (Markt, Patriotismus und Gemeinschaft) auf »rights and duties« basieren (trotz fehlender Wehr-
1. Werte und Wertkonflikte in modernen Gesellschaften | 33 pflicht muss die Armee zumindest bezahlt werden) und nur der Religionspluralismus als Feld purer An- bzw. Grundrechte erscheint, offeriert Europa/Deutschland vor allem Rechte: Menschenwürde, Pazifismus, Sozialstaat. Letzterer wird zwar derzeit umgebaut, »Aktivierung« und »Fordern und Fördern« lauten die Parolen, sozusagen eine Amerikanisierung und Ent-Europäisierung des hiesigen Sozialmodells, nicht zuletzt, um eine von Sozialdramatikern kritisierte »Einwanderung in die Sozialsysteme« zu beenden (siehe Kap. 2). Für eine differenzierte Deutung sprechen die Daten der letzten Welle des World Values Survey, mit denen Pippa Norris und Ronald Inglehart die Huntington-These eines »Clash of Civilizations« untersuchen. Huntington hob an erster Stelle die Religion als Hauptunterscheidungsmerkmal von Kulturen hervor (Huntington 1997: 61). Doch die Analyse von Norris und Inglehart führt zu durchaus überraschenden Ergebnissen, die Huntingtons pauschale Kulturkampf-These entkräften. Religion hat demnach zwar einen wesentlichen Einfluss auf die Wertebildung. Im Verhältnis von Islam und christlich-jüdisch geprägtem Westen finden sich allerdings hinsichtlich der politischen Werte der Demokratie erhebliche Übereinstimmungen. Die entscheidende Differenz zwischen dem Westen und dem Islam betrifft die Werte der Geschlechtergleichheit und der sexuellen Freiheit: »The cultural gulf separating Islam from the West involves Eros far more than Demos.« (Norris/Inglehart 2003: 6)
1.5 Kulturtheorie In seinem Buch »Die Transformation der Kulturtheorien« untersuchte Andreas Reckwitz den cultural turn, der die Sozialwissenschaften in den letzten Jahrzehnten erfasste, und unterschied dabei vier Kulturbegriffe: den normativen, den totalitätsorientierten, den differenzierungstheoretischen und den bedeutungs- und wissensorientierten Kulturbegriff (Reckwitz 2000: 64ff.). Für die Konzentration auf eine differenzierungstheoretische Analyse spricht, dass nur sie eine zugleich gesellschaftstheoretische Perspektive erlaubt. Die klassische differenzierungstheoretische Antwort auf die Suche nach »Kultur« formulierte Parsons in seiner AGIL-Theorie
34 | Kultur versus Religion? (Parsons 1972). Ohne auf die komplexe Theoriekonstruktion im Einzelnen einzugehen: Das Kultursystem ist innerhalb des allgemeinen Handlungssystems dasjenige der Strukturerhaltung (latent pattern maintenance) dienende L-Niveau, das sich in die vier Teilsysteme Verhaltenssystem, Persönlichkeitssystem, soziales System (= Gesellschaft) und Kultursystem ausdifferenziert (Parsons 1978). Eine Variante des Parsons’schen Systemmodells hat Richard Münch entwickelt (Münch 1986). Auffällig (und nicht unproblematisch) ist bei Parsons und mehr noch bei Münch, dass die jeweils verwendeten Kategorien vor allem für die Beschreibung des Systems Gesellschaft zwischen Institutionalisierungen und Handlungstypen oszillieren. Gleichwohl hat diese Perspektive die Sozialwissenschaften erheblich beeinflusst. Zum einen gilt dies für die »Politische Kultur«-Forschung (Berg-Schlosser 2004: 12ff.), zum anderen für die neuere, an Luhmann anschließende soziologische Kulturtheorie (Burkart/Runkel 2004). Für Luhmann ist Kultur – anders als Organismus, Persönlichkeit (genauer: psychisches System) und Gesellschaft – allerdings kein System, sondern nur ein »Themenvorrat« für Kommunikationen: »Wir nennen diesen Themenvorrat Kultur und, wenn er eigens für Kommunikationszwecke aufbewahrt wird, Semantik. […] Kultur ist kein notwendig normativer Sinngehalt, wohl aber eine Festlegung (Reduktion), die es ermöglicht, in themenbezogener Kommunikation passende und nichtpassende Beiträge oder auch korrekten bzw. inkorrekten Themengebrauch zu unterscheiden.« (Luhmann 1987: 224f.) Man kann Luhmanns Kulturbegriff zustimmen (wie Baecker 2004) oder seine Verengung bedauern (wie Hahn 2004). Der Bezug zum Parsons’schen Systembegriff ist jeweils klar. Nützlich erscheint eine Weiterentwicklung der Parsons’schen AGIL-Theorie, die versucht, die Subsysteme des Systems Gesellschaft basierend auf einer reflexionstheoretischen Konstruktionslogik kohärenter zu definieren. Obgleich alle sozialen Subsysteme kulturelle Elemente besitzen und kulturelle Funktionen erfüllen (z.B.: Wirtschafts-/Betriebskultur, Politische/Parteienkultur), werden in der soziologischen Tradition vor allem das Gemeinschafts- und das Legitimationssystem mit Kultur identifiziert. Zweierlei wird deutlich: Erstens beinhalten sowohl das Gemeinschafts- wie das Legitimationssystem im engeren Sinn »kulturelle« Funktionen. In dieser Betrachtung wird das Gemeinschafts-
1. Werte und Wertkonflikte in modernen Gesellschaften | 35 system durch kommunikative, das Legitimationssystem durch metakommunikative Operationen konstituiert. Das Kunstsystem als metakommunikative Institutionalisierung der kommunikativen Relationen wird dabei zum ›Kern‹ der Kultur im engeren Sinn. In ihm wird das Medium der Kommunikation – Sprache (Literatur), sonstige Zeichen (bildende Kunst), Laute (Musik) usf. – selbst Thema und seine Reflexion systembildend. Zum Zweiten sind Unschärfen unvermeidlich und zwar nicht nur aufgrund der in der Realität typischen »mixes« zwischen Subsystemen, mit Parsons lassen sich »Interpenetrationen«, mit Luhmann »strukturelle Kopplungen« beobachten. Die womöglich erheblichere Unschärfe resultiert daraus, dass die Beobachtung gehaltvoller Ausdifferenzierung von Subsystemen ihre Besetzung durch reale Handlungen und Institutionen erfordert.7 Was bisher nicht sichtbar wurde, ist das »Kultursystem«, wie es von Parsons gefasst wird, nämlich als gesellschaftsexternes Symbolsystem. Auf die damit verbundenen Probleme und Chancen wird noch eingegangen. In Tabelle 1 werden die aus dieser systematischen Perspektive möglichen Zuordnungen auf vier verschiedene Kulturbegriffe und ihre disziplinäre Bearbeitung bezogen. Diese Darstellung ist stark vereinfachend. Sie kann gleichwohl zur analytischen Klärung beitragen und dabei helfen, den Ausschluss von Religion aus den bisherigen Diskursen der Kulturwissenschaften, auch der neueren Cultural Studies, und der Kultursoziologie zu rekonstruieren. Tabelle 1: Kulturbegriffe Kulturbegriff
weit
eng
Bezugssystem
soziales System/ Gesellschaft
Kunst/ Gemeinschaft
extern
mittel
wissenschaftliche Disziplin
Anthropologie/ Ethnologie
Cultural Studies/ »Kultursozilogie«
Parsons
»Soziologie«
Thematisierung von Religion
als Kulturphänomen
nein
nur als Symbolsystem
bspw. als Subsystem von Legitimation
Kultursystem Legitimation/ (SymbolGemeinschaft system)
36 | Kultur versus Religion? Beginnen wir mit dem ›weiten‹ Kulturbegriff. Er ist für die Ethnologie (Kohl 2000) kennzeichnend, auch in ihrer Fassung als »Europäische Ethnologie« (Kaschuba 1999), explizit für die angelsächsische und französischsprachige Cultural Anthropology, Social Anthropology sowie Anthropologie sociale (Kuper 1999). Die leitende Differenz ist hier »Natur/Kultur«, praktisch alle Artefakte gelten einer anthropologischen Perspektive als kulturell. Clifford Geertz entwickelte in diesem Sinn die Idee der »Kultur als Text« (Geertz 1987), der durch »dichte Beschreibungen« hermeneutisch gelesen werden kann. Der weite Kulturbegriff gilt auch den Soziologen als hilfreich, die sich den aus den Literaturwissenschaften entstandenen Cultural Studies verbunden fühlen (Hörning/Winter 1999; Grossberg 2002; kritisch: Böhme u.a. 2002: 11ff.). Ein systemisch spezifischer, differenzierungstheoretischer Kulturbegriff erscheint dabei vermeidbar. Damit wird er freilich auch tendenziell beliebig. Für die Soziologie erscheint es wenig hilfreich, wenn ihr gesamter Gegenstandsbereich zur »Kultur« erklärt wird (Wimmer 2005). Religion wird bei einem ethnologischen Kulturbegriff als allgemeines Kulturphänomen de- und rekonstruiert (Hauschild 1993). Ein ›enger‹ Kulturbegriff wiederum scheint für die zeitgenössische Kultursoziologie typisch (zum Überblick: Hoffmann u.a. 2004; Srubar u.a. 2005; Moebius/Quadflieg 2006). Hans-Peter Müller sieht in der Abwendung von der älteren Kultursoziologie (Durkheim, Weber, Simmel) und deren Einbeziehung von Religion einen säkularen Modernisierungsakt. Religionssoziologie sei eben nur noch etwas für »Spezialisten« (Müller 1994: 56f.). Zwar seien »Ideen und Weltbilder« (ebd.: 63) der Gegenstand der Kultursoziologie, Religion freilich nicht. Das mag verwundern. Aber es passt zum antireligiösen Affekt der modernen Soziologie (Kaufmann 2005). So hat sich Pierre Bourdieu, wie ein von Franz Schultheis und anderen edierter Band belegt, durchaus mit dem »religiösen Feld« beschäftigt (Bourdieu 2000). Doch Religion interessiert ihn, in einer eher einseitigen Rezeption Webers, praktisch nur unter herrschaftssoziologischer Perspektive. Die Herausgeber sehen das freilich nicht kritisch, erscheint ihnen Religion vornehmlich als »Urheimat kollektiver Verkennung, der sozialen Verzauberung par excellence« (ebd.: 8). Ansonsten findet man beispielsweise in Gerhard Schulzes »Kultursoziologie der Gegenwart« (2000) nicht einmal eine Reflexion auf Religion,
1. Werte und Wertkonflikte in modernen Gesellschaften | 37 ebenso wenig in Dirk Baeckers »Wozu Kultur?«, dass sich auf »Kunst und Moral« (Baecker 2003: 188) beschränkt.8 Einen ›externen‹ Kulturbegriff wiederum formulierte Talcott Parsons. Das Kultursystem wird bei ihm zum Symbolsystem – außerhalb des sozialen Systems Gesellschaft. Parsons’ Analyse des (inner-gesellschaftlichen) »Treuhandsystems«, er selbst verwendet in seinen letzten Arbeiten auch den Begriff Legitimationssystem (Parsons 1978), soll damit nicht abgewertet werden. Doch Religion kommt bei Parsons im sozialen System selbst nicht vor, weder als Subsystem noch als Institutionalisierung. Zudem führt die Konstruktion eines gesellschaftsexternen Kultursystems zu erheblichen Theorieproblemen, auf die Michael Schmid aufmerksam machte (Schmid 1992). Er kritisierte Parsons’ Konzept eines Kultursystems als Handlungssystem. Mir erscheint als entscheidende Schwäche in Parsons’ Kulturkonzept, dass die kulturellen Subsysteme innerhalb des Gesellschaftssystems so blass sind: Religion (und im Übrigen auch Kunst) ist nicht nur Symbolsystem, sondern zunächst – und nicht wie bei Parsons erst in zweiter Linie – sozial (wie alle sozialen Handlungssysteme, nämlich institutionalisiert), natürlich mit gesellschaftsexternen Referenzen. Auch Parsons waren die damit verbundenen Theorieprobleme klar (Parsons 1972). Dennoch: Das Parsons’sche Konzept eines gesellschaftsexternen Kultursystems, dessen historische Genese in einer Art Burgfrieden zwischen Anthropologie und Soziologie lag (Kroeber/Parsons 1958), birgt analytisches Potenzial (dazu Schluchter 1980; Smelser 1992). Dieses kann beispielsweise in einem soziologischen Verständnis von Institutionen als »symbolischen Ordnungen« bestehen, wie es von Karl-Siegbert Rehberg unter Rückgriff auf die symboltheoretischen Arbeiten von Ernst Cassirer vorgeschlagen wurde (Rehberg 1994). Cassirers Kulturtheorie erweist sich als fruchtbar und sozialtheoretisch anspruchsvoll. Eine Parallelisierung seiner »Philosophie der symbolischen Formen« (Cassirer 1994, 2002a) beispielsweise mit Bourdieus Soziologie der symbolischen Formen (Magerski 2005) müsste beherzigen, was Birgit Recki als Lernerfahrung bei Cassirer anmerkte: »dass das Symbolische nur mit Geist zu haben ist und dass es keinen Grund gibt, in diesen Geist etwas Ominöses oder Numinoses hineinzuprojizieren« (Recki 2005: 133). Zusammenfassen lässt sich die Kritik an der Umfangsbe-
38 | Kultur versus Religion? stimmung der kursierenden Kulturbegriffe etwa folgendermaßen: Im ethnologisch-anthropologischen Kulturbegriff und teils in demjenigen der Cultural Studies werden sämtliche gesellschaftlichen Phänomene auf Kultur reduziert. Im kultursoziologischen Ansatz wird Kultur so eng definiert, dass Religion gar nicht mehr wie selbstverständlich thematisiert werden kann. Bei Parsons wiederum erscheint Kultur fast kulturphilosophisch lediglich als dem sozialen System externes Symbolsystem. Die kritische Sichtung der bislang gängigen Kulturbegriffe legt einen ›mittleren‹, gesellschaftlichen Kulturbegriff nahe, der sowohl das Gemeinschafts- wie das Legitimationssystem einschließt. Damit kommt auch die Religion wieder in den Blick der Kultursoziologie, durchaus im Sinne von Joachim Matthes (1993), der dies zudem als eine Voraussetzung für einen »nichtzentristischen«, nicht-westliche Religionstraditionen adäquat beobachtenden soziologischen Blick betrachtet. Methodisch verfolgt das von Jeffrey C. Alexander vorgelegte Programm einer »strukturellen Hermeneutik« (Alexander 2003: 11ff.) den hier angedeuteten mittleren Weg.
1.6 Kultureller und religiöser Pluralismus Überfällig ist eine gesellschaftstheoretische (und nicht nur alltagsweltliche) Debatte über Kultur. Was die differenzierungstheoretische Perspektive lehrt, ist die Zentralität von Pluralismus. Die rigide Variante in Bezug auf Religion finden wir im französischen Laizismus, der sich die Religion wie den Beelzebub vom Halse halten will – was unterdessen vorsichtig und trotz Kopftuchverbot an Schulen relativiert wird. Die liberale Variante finden wir in der radikalen Religionsfreiheit in den USA (Wuthnow 2005). Religion ist nicht nur für Huntington und Parsons sozusagen die logisch komplexeste Dimension der gesellschaftlichen Kultur. Doch sie ist nur eine von vielen Dimensionen. Pluralismus in allen kulturellen Dimensionen ist in einer »Weltgesellschaft« ohnehin unvermeidlich. Die spannende Frage lautet, ob er auch innerhalb der noch auf länger hin nationalstaatlich – oder in Staatenbünden – verfassten Gesellschaften möglich ist (Joas/Wiegandt 2005). Die Bedingungen für Pluralismus sind komplex. Die Idee der
1. Werte und Wertkonflikte in modernen Gesellschaften | 39 »multikulturellen« Gesellschaft, einer Addition von Kulturen, entspricht einem kulturellen Liberalismus, der die Kulturdimension zugunsten von Markt- oder politischer Freiheit eher gering schätzt (Kymlicka 1989). Die Idee einer »plurikulturellen« Gesellschaft, in der die Pluralität von Kulturen selbst zur Gestaltungsaufgabe sozialer Ordnung erklärt wird, entspricht noch keinem ganz klaren politischen Lager oder Theorem. Eine starke Begründung dafür wäre das Hegel’sche Konzept der »Anerkennung«, wie es heute beispielsweise von Axel Honneth (Fraser/ Honneth 2003; Honneth 2004) vertreten wird. Die Studie »Orientalism« von Edward Said (1978), eine Kritik fehlender Wertschätzung der westlichen Kultur gegenüber den – teils ja erheblich traditionsreicheren – »orientalischen«, östlichen Kulturen und Religionen, hatte deswegen so immense Wirkung (Turner 2004), weil die westlichen Prinzipien tatsächlich »die Welt durchdringen«, wie John W. Meyer in »Weltkultur« eindrücklich rekonstruierte (Meyer 2005). Wie schwierig Pluralismus im Konkreten ist, soll am Beispiel einer Untersuchung der Verschränkung von religiöser und beruflicher Identität illustriert werden: »Frau A. (eine Sozialpädagogin, Anm. M.O.) sucht in der Religion die Auseinandersetzung mit der eigenen Person, die Bearbeitung existenzieller Fragestellungen und letztlich wohl auch die Bearbeitung biographischer Probleme. Dieses Anliegen kann die Religion jedoch in der von ihr erwarteten Form (analog einem therapeutischen Prozess) nicht befriedigend bearbeiten, da dies nicht ihrer Handlungslogik entspricht. Religion verkündet eine auf Transzendenz und ein Absolutes ausgerichtete Botschaft und hat das Anliegen der Vergemeinschaftung der an diese Botschaft Glaubenden. Im Glauben an diese Botschaft und in der Vergemeinschaftung existiert zum einen die Hoffnung auf Erlösung und zum anderen generiert sich dadurch Sinn. Allerdings wird dieser dem Individuum über den Glauben an die verkündete Botschaft zur Verfügung gestellt und nicht in einer gemeinsamen Bearbeitung mit dem Individuum mit und für dieses generiert.« (Könemann 2002: 317) Diese Passage zeigt einige Dilemmata einer reduktionistischen, logisch unterkomplexen Konzeptualisierung des Verhältnisses Religion und Kultur. Judith Könemann bezieht sich auf Ulrich Oevermanns Religionssoziologie und insbesondere auf seine Methode der »objektiven Hermeneutik«. Die zitierte Passa-
40 | Kultur versus Religion? ge macht die Grenzen einer rein sequenzanalytischen Perspektive und der damit verbundenen Hoffnung offensichtlich, das Feld ganz für sich sprechen zu lassen. Das zeigt sich auch im Versuch des Übertrags auf nicht-christliche Religionssozialisationen. Hierzu liegen aus der neueren Forschung zur »Religionsethnographie in der eigenen Gesellschaft« unterdessen zahlreiche Beispiele vor, insbesondere von muslimischen Sozialisationen in westlichen Gesellschaften (Knoblauch 2003). Oevermanns »Strukturmodell der Religiosität« schließt auf eine für unser Thema eigentümliche Weise an Sigmund Freud und Parsons (der selbst wiederum die Psychoanalyse in seine Sozialisationstheorie integrierte) an, für ihn bedeutet Säkularisierung »nicht das Ende von Religiosität, aber in the long run das Ende von Religion« (Oevermann 2003: 340). Das gelingt ihm, indem er die Inhalte des Religiösen von einem religiösen Bedürfnis unterscheidet, das »für das universelle Problem der nicht still stellbaren Bewährungsdynamik einen verbindlichen Bewährungsmythos« (ebd.: 341) benötige. Die nur anthropologische Begründung von Religion und die darin Max Weber noch übertreibende Verkürzung von Religion auf Ethik bei Oevermann wurde zu Recht kritisiert (Wohlrab-Sahr 2003). Vielleicht noch tiefer liegt aber das kulturtheoretische Problem: Wenn man sich Kultur ohne Religion vorstellen will, dann geht das natürlich zwischen zwei Buchdeckel. Es ist die mindestens zwei Jahrhunderte alte Kontroverse zwischen »Glauben und Wissen«, zwischen einer die Religion ein- oder diese systematisch ausschließenden Konzeption von Wissenschaft. Hegel hat zugunsten der ersten Variante – vor allem gegen Kant – das Notwendige gesagt (Hegel 1999; dazu Opielka 2006a). Anders formuliert: Oevermann und mit ihm der sozialwissenschaftliche Atheismus der Gegenwart reduzieren Kultur um Religion auf ästhetische und sonstige Gefühle. Das ist zu knapp und erschwert am Ende eine Praxis, die wirklich die Leute verstehen will, die den Atheismus, aus welchen Gründen auch immer, nicht schätzen. Zwischen Atheismus, Agnostizismus und »impliziter« wie expliziter Religion liegt ohnedies eine schmale, zudem biographische Schwelle (Kallscheuer 2006). In einer eindrücklichen Studie zu den kulturellen Implikationen des religiösen Pluralismus in den USA betonte Robert Wuthnow: »American identity is an odd mixture of religious par-
1. Werte und Wertkonflikte in modernen Gesellschaften | 41 ticularism and cultural pluralism« (Wuthnow 2005: xi), die Fiktion eines auf Christen- und Judentum beschränkten Religionspluralismus (»god’s own country«) muss als empirisch überkommen gelten. Es ist die Verschränkung des Religiösen mit dem Kulturellen, die sozialwissenschaftliche Theorie und Praxis ganz neu fordert (Graf 2004; Joas 2004). Das vor allem europäisch-säkulare Bild einer sauberen Trennung von Religion und anderen Kulturphänomenen (wie Therapie) ist ein Artefakt und es empfiehlt sich dringend, ein differenziertes Bild des Kulturellen unter Einschluss des Religiösen zu gewinnen (als Beispiel: Scales u.a. 2002). Ein praktischer und notwendiger Schritt dazu hin ist die in den letzten Jahren zunehmende Erkenntnis, dass die Reflexion von Werten nicht einfach als »Ethikboom« abgetan werden, sondern eine eigenständige Handlungsdimension zeitgemäßer pädagogischer und anderer Sozialprofessionen sein muss und einschlägige Kompetenzen erfordert (Breit/Schiele 2000). Dafür ist es nützlich, wenn ein nicht-reduktionistischer Kulturbegriff Einzug in den wissenschaftlichen, akademisch-lehrenden und praktischen Diskurs hält. Vor 200 Jahren hielt Johann Gottlieb Fichte seine berühmten »Reden an die deutsche Nation«. Ein Jahr zuvor, 1806, hatte sich mit der Niederlage gegen die Franzosen bei Jena und Auerstedt der Rahmen des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation aufgelöst. Ohne nun eine vereinfachende Parallele zu europäischer Staatsbildung und Globalisierung zu ziehen (differenziert: Schmidt 1999), erscheinen einige der Fichte’schen Gedanken hilfreich für eine Klärung der Frage, warum und wie »culture matters«. »Wir wollen durch die neue Erziehung die Deutschen zu einer Gesamtheit bilden.« (Fichte 1997: 559) Für Fichte, ganz demokratischer Aufklärer (er nannte sich einen »Jakobiner«) und idealistischer Philosoph (im methodischen Sinn), stand die Erziehung zur Freiheit, zur Sittlichkeit und schließlich zu »wahrer Religion« im Zentrum (ebd.: 582). Das ist eine wichtige Pointe, verlor doch Fichte im berühmten »Atheismusstreit« 1798/99 seine Professur an der Universität Jena, weil ihm aufgrund eines Aufsatzes im von ihm mitherausgegebenen »Philosophischen Journal« der Vorwurf des Atheismus gemacht wurde (Röhr 1987). Begründet in einer symbolischen Sprachtheorie entwickelte er eine Theorie der Sprachnation (mit nur historisch, aufgrund der Besatzung Berlins durch die Franzosen, verständlichen wie
42 | Kultur versus Religion? falschen Angriffen auf die französische »Willensnation«). Fichte ist überzeugt, dass der Pluralismus der Nationen das Dasein des Göttlichen in der Geschichte bildet (Fichte 1997: 987). Gegen die negative Utopie einer »Universal-Monarchie« mit Kultureinebnung, die er bei Napoleon befürchtete, setzte er eine Humanitätsidee, wonach »das Wesen der Menschheit nur in höchst mannigfaltigen Abstufungen an Einzelnen, und an Einzelheit im Großen, und Ganzen, an Völkern, darzustellen« sei (ebd.: 755). Die Verknüpfung von Sprachphilosophie, politischer Philosophie und Sozial- oder Volkspädagogik bei Fichte erinnert daran, dass eine selbstbewusste und sich je ihres Selbst bewusste Kultur die Voraussetzung für eine gelingende Begegnung mit anderen Kulturen bleibt.
2. Europas soziale Werte | 43
2. Europas soziale Werte
Ob es spezifische »kulturelle Werte Europas« gibt, ist ein durchaus kontroverses Thema der Sozial- und Geisteswissenschaften (Joas/Wiegandt 2005; Thiede 2005). Konsens besteht in der zentralen Rolle des Religiösen bei der Wertgenese. Doch wie Religion, Kultur, Politik und andere Sphären des Sozialen zusammenhängen, wird unterschiedlich gesehen. Die Denkfigur eines »christlichen Abendlandes« operiert mit der Differenz zum vor allem islamischen »Morgenland«, das noch Ende des 17. Jahrhunderts bis nach Budapest reichte. Dessen »Untergang« (Lewis 2002) und damit die bis heute anhaltende wirtschaftliche, politisch-militärische wie kulturelle Hegemonie Europas und seines nordamerikanischen Erbes lassen sich wohl am besten über die Erfindung des modernen Staates durch die Europäer verstehen. Eine historisch-anthropologische Perspektive sieht die europäische Besonderheit in einer seit dem Mittelalter währenden Durchsetzung des äußeren und inneren Gewaltmonopols – bis hin zum totalen Staat – und in der Emanzipation des Staates von der Kirche (Reinhard 1999). Der historisch-soziologische Blick betont hingegen das komplexe Zusammenspiel von Religion und Staatsentwicklung. Dabei wird entweder die Bedeutung des zentralen Städtegürtels in Europa betont, der durch die gemeinsame Religion mit dem Agrarland verbunden war und »alle Versuche einer militärisch-administrativen Zentrumsbildung bis ins 19. Jahrhundert« scheitern ließ, wobei die Demokratisierung zur Nationenbildung genutzt wurde (Rokkan 2000: 164). Oder es wird eher von einer Entkopplung kultureller und struktureller
44 | Kultur versus Religion? Faktoren ausgegangen und das spezifisch Europäische in seinen »Großen Revolutionen« gesehen, »in den weltlichen Ordnungen, im sozialen Leben, utopische, eschatologische Visionen zu verwirklichen, die Gesellschaft durch ideengeleitetes politisches Handeln zu verändern« (Eisenstadt 2000: 15). Die Textform dieser politisch-religiösen Werte bilden die Verfassungen. Eine starke und noch immer weiter führende Begrifflichkeit verwendete Hegel: »Die Garantie einer Verfassung […] liegt in dem Geiste des gesamten Volkes […], nämlich in der Bestimmtheit, nach welcher es das Selbstbewusstsein seiner Vernunft hat, (die Religion ist dies Bewusstsein in seiner absoluten Substantialität).« (Hegel 1999a: 513, § 540, Rechtschreibung adaptiert) Verfassungen sind also keine Emanationen eines abstrakten Weltgeistes, wie Hegels Überlegungen später oft missverstanden wurden, sondern stehen in einem wechselseitigen, dialektischen Verhältnis zur gesamten Struktur und Kultur einer Nation. Im diesem Kapitel soll diskutiert werden, ob und warum soziale Verfassungswerte und ihre Institutionalisierung im Projekt des Wohlfahrtsstaates einen historisch und vergleichend kaum zu überschätzenden Beitrag Europas in der Evolution moderner Gesellschaften bilden. In einem ersten Schritt werden diese Werte in den Kontext der Spannung von Religion und Politik gestellt. Im zweiten Schritt wird gefragt, inwieweit der Wohlfahrtsstaat in historischer und vergleichender Perspektive als »Projekt Europas« gelten kann. Die Frage, was überhaupt eine »soziale« Politik als Maßgabe »sozialer« Verfassungswerte auszeichnet, wird an der Kontroverse um das »Schröder/Blair-Papier« aus dem Jahr 1999 und damit zwischen Liberalismus und Sozialstaatlichkeit verfolgt. Abschließend geht es darum, ob der Wohlfahrtsstaat als ein Element europäischer Identität gelten kann. Eine Reflexion auf das spezifisch Europäische des Wohlfahrtsstaatsprojekts auch im Vergleich zur USA kann zur Klärung beitragen.
2.1 Religion und Politik Moderne Nationalstaaten kennen politische Mythen, die fast immer religiöse Verweise enthalten. »Die Berufung auf das Christentum, die die europäische Identität begründet, begründet zugleich ihre Verschiedenheit und Uneindeutigkeit.« Etienne Fran-
2. Europas soziale Werte | 45 çois und Hagen Schulze berichten vom Eindruck, »die europäischen Nationen des ausgehenden 20. Jahrhunderts seien Töchter der Religion und der [französischen, Anm. M.O.] Revolution« (François/Schulze 2001: 24f.). Als problematisch gilt der Religionsbezug von Politik in seiner sozialwissenschaftlichen wie verfassungstheoretischen Reflexion. Was Europa seit der Aufklärung auszeichnet und mindestens ebenso singulär macht wie seine durch das Christentum beherrschte Vorgeschichte ist doch, so das Argument des sozialwissenschaftlichen Mainstreams, gerade der Kraftakt, sich aus religiösen Weltbildern zu lösen. Soziologische Theorie und Empirie ist seit ihrem Beginn, dem Ende des 19. Jahrhunderts, engstens mit der These der Säkularisierung, eines umfassenden Bedeutungsverlustes von Religion für die Wertbegründung, verbunden (– Religion verstanden als gesellschaftliches Subsystem, das in verschiedenen Religionen konkretisiert wird). Dagegen wurden in den letzten Jahren überzeugende religionssoziologische Einwände erhoben (Casanova 1994), auch aus Sicht der empirischen Wertforschung (Deth/Scarbrough 1995; Norris/Inglehart 2004). Hans Joas plädiert sogar dafür, »aus der säkularisierungstheoretisch begründeten Selbsteinschüchterung herauszukommen« (Joas 2004: 48). Ein Teil dieser Kontroverse dürfte sich lösen lassen, wenn man zeigen könnte, dass auch die säkularen, auf Transzendenz verzichtenden Weltdeutungen religionsähnlichen, protoreligiösen Charakter aufweisen (dazu Kap. 3). Gegen die These, Religion würde für politische Zwecke gewöhnlich instrumentalisiert, stellt der Hegel-Kenner Henning Ottmann die »Gegenthese, dass Politische Theologie in erster Linie der Herrschaftsdistanzierung und Herrschaftsrelativierung dient. Ihre wichtigste Aufgabe besteht demnach darin, ein Fenster zum Unverfügbaren offen zu halten. […] Politische Theologie ist im allerweitesten Sinne jede Form der Reflexion und Systematisierung des jeweiligen Verhältnisses von Religion und Politik.« (Ottmann 2004: 73; dazu auch Manemann 2002) Der Verfassungstheoretiker Ernst-Wolfgang Böckenförde hat das Begründungsproblem auf die vielzitierte Formel gebracht: »Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.« Er fährt dann fort: »Der Staat, auf die inneren Bindungskräfte nicht mehr vertrauend oder ihrer be-
46 | Kultur versus Religion? raubt, wird dann auf den Weg gedrängt, die Verwirklichung der sozialen Utopie zu seinem Programm zu erheben. […] So wäre denn noch einmal – mit Hegel – zu fragen, ob nicht auch der säkularisierte weltliche Staat letztlich aus jenen inneren Antrieben und Bindungskräften leben muss, die der religiöse Glaube seiner Bürger vermittelt.« (Böckenförde 1991: 112f.) Dass der Säkularisierungsprozess gerade dafür Chancen bietet und, »zumal als verfassungsrechtlicher Modernisierungsprozess, statt religionsverdrängend zunächst vor allem religionsbefreiend gewirkt hat«, erscheint aus funktionalistischer Perspektive und mit dem Blick auf die USA für Hermann Lübbe zweifelsfrei: »Sogar noch sektiererischer Fundamentalismus stärkte und stärkt in diesem Wirkungszusammenhang die unverbrüchliche Geltung von Menschenrechten. In Europa ist man nicht sehr prädisponiert, das zu erkennen oder gar anzuerkennen.« (Lübbe 2004: 10) Verfassungswerte sind Rechtskonstruktionen, die im Subsystem Politik einer Gesellschaft institutionell verortet werden. Zugleich beziehen sie, worauf indirekt Durkheim und direkt Böckenförde hinweisen, ihre Geltung aus vorpolitischen Quellen, soziologisch gesprochen: aus dem Subsystem Legitimation einer Gesellschaft. Damit sind zwei der großen vier Subsysteme einer Gesellschaft benannt, die sich – im lockeren Anschluss an Parsons – wie folgt gliedern lassen: Level 1: Wirtschaft/Level 2: Politik/Level 3: Gemeinschaft/Level 4: Legitimation (Opielka 2006; siehe auch Kap. 1). Das Subsystem Legitimation beinhaltet insbesondere das Wissenschafts- und das Religionssystem, in beiden finden sich Institutionen und Handlungskomplexe, die den Bezug der Gesellschaft zum Kultursystem – mit Parsons das (gesellschaftsexterne) Symbolsystem – organisieren. Legitimationsdiskurse sind für moderne Demokratien unverzichtbar. Ist ein Konsens über Grundwerte in einer Gesellschaft notwendig? Mit Verweis auf die USA wird bisweilen behauptet, auch dort sei ein extremer Wertepluralismus – Beispiele: Todesstrafe, Abtreibung – keineswegs der nationalen Identität abträglich. Entsprechend könne auch Europa mit Differenzen leben (Hörnlein 2000: 87ff.). Der Vergleich mit den USA ist insoweit nützlich, als gerade hinsichtlich der »unhintergehbaren«, letztlich religiösen Werte die Verschiedenheit zu Europa dramatisch erscheint. Während in den USA »öffentliche Religionen« die Regel sind, gilt Europa als Avantgardekontinent der Säkularisierung.
2. Europas soziale Werte | 47 Die Kontroverse über den fehlenden bzw. völlig vagen Religionsbezug im Entwurf des Europäischen Konvents für eine Europäische Verfassung ist noch in Erinnerung (Läufer 2004). Womöglich lebt sie erneut auf, wenn jener Entwurf, der im »Vertrag über eine Verfassung für Europa« vom Herbst 2004 noch einige, in ihrer Genese nicht recht nachvollziehbaren Änderungen erfuhr (Europäische Union 2005), nach den ersten nationalen Zurückweisungen in Referenden Anfang 2005 (Frankreich, Niederlande) durch einen neuen, wohl schlankeren Text ersetzt wird. Es erscheint berechtigt, den Verfassungstext auf seine Wertbezüge zu untersuchen und ihn darin als Textmaterial zur »Rekonstruktion der Religionsvorstellungen der EU« (Gerhards 2005: 57) ernst zu nehmen. Der grundlegende Wertbezug im Präambeltext des Konventsentwurfes – »Humanismus« mit »Gleichheit der Menschen, Freiheit, Geltung der Vernunft« und, ganz unbestimmt, »kulturellen, religiösen und humanistischen Überlieferungen« (Läufer 2004: 21) sowie eines »geistig-religiösen und sittlichen Erbes« in der Präambel der »Charta der Grundrechte« – wurde im Ministerratstext auf die Formulierung eines »kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas« sowie »Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit als universelle Werte« weiter ausgedünnt. Bronislaw Geremek brachte den Prozess und seine Mängel auf den Punkt: »Zunächst weigerte man sich, das religiöse Erbe Europas überhaupt zu erwähnen; dann vergaß man, dem Christentum bzw. dem jüdischchristlichen Erbe den gebührenden Platz einzuräumen und zitierte neben dem alten Griechenland und Rom nur die Tradition der Aufklärung. Die einstweilen verabschiedete Kompromisslösung ist armselig, wenn nicht obskur, und das ist schade. Gewiss, man könnte auf die Präambel verzichten, um dieses heikle Thema und die ihm entspringenden Zwistigkeiten vermeiden. Religiöse Konflikte und Schismen forderten in der Geschichte Europas einen hohen und schmerzhaften Preis. Ein Wiederaufleben solcher Streitigkeiten ist unter allen Umständen zu vermeiden. Wenn man jedoch in Betracht zieht, dass der Verfassungsvertrag die Funktionsweise der EU-Institutionen nicht nur klarer, transparenter und effizienter gestalten, sondern die Bürger auch näher an die Europäische Union heranführen soll, so wird man ohne ein Körnchen ›europäische Metaphysik‹ schwerlich auskommen können.« (Geremek 2003: 12)
48 | Kultur versus Religion? Auch die sozialen Verfassungswerte des Verfassungstextes sind wenig präzise. Zunächst werden (in Teil II, Titel III, Art. 83 bis 86) Grundrechte für Männer, Frauen, Kinder, ältere und behinderte Menschen notiert, dann werden in der Tradition der EWG, einem offenen Wirtschaftsraum, die Arbeitnehmerrechte verfasst (unter Titel IV, »Solidarität«). Erst danach wird »Soziale Sicherheit« in den klassischen Risikolagen Mutterschaft, Krankheit, Arbeitsunfall, Pflegebedürftigkeit, Alter, Arbeitslosigkeit und »soziale Unterstützung gegen Armut« (Art. II-94) sowie ein »Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge« (Art. II-95) thematisiert. Nicht nur, dass diese sozialen »Grundrechte« kaum über die entsprechenden Artikel der »Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte« von 1948 hinausgehen. Entscheidender ist wohl der durchgängige Bezug auf die »Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten«. Hier setzt auch die Kritik von Böckenförde an: »Viel wird davon abhängen, ob und inwieweit die Europäische Union als eigener Träger von Gemeinwohlverantwortung für die Menschen erfahren und erlebt werden kann. Solange diese Gemeinwohlverantwortung, wie gegenwärtig, nahezu allein dem nationalen Staat zugeschrieben und von ihm erwartet wird, ist eine europäische politische Solidarität noch nicht ausgebildet.« (Böckenförde 2003: 27) Ohne substanzielle soziale Verfassungswerte und ihre praktische Institutionalisierung, so der berechtigte Befund, wird Europa nicht zusammenwachsen. Stephan Leibfried und Paul Pierson sprechen zwar von »halbsouveränen« Wohlfahrtsstaaten in einer »Mehr-Ebenen-Politik«, die aufgrund einer Art Teilsouveränität der EU den Begriff einer eigenständigen »europäischen Sozialpolitik« berechtigt erscheinen lässt (Leibfried/Pierson 1998). Umstritten ist allerdings, ob man von einem »europäischen Sozialmodell« ausgehen kann, das auf eine Konvergenz der Pluralität nationaler Wohlfahrtsregime wirkt (Opielka 2004: 245f.). Zwar versuchte der EU-Verfassungsvertrag die bisherige Beschränkung auf erwerbsarbeitszentrierte Sozialrechte hin zu allgemeinen sozialen Grundrechten zu erweitern (Schulz-Nieswandt u.a. 2006). Auch die »offene Methode der Koordinierung« dürfte zumindest mittel-bis langfristig über sozialrechtliche Normierungen die europäische Sozialpolitik stärken (Schulte 2005; zur völkerrechtlichen Dimension: Nußberger 2005). Claus Offe spricht deshalb von einem notwendigen
2. Europas soziale Werte | 49 Prozess der »Denationalisierung«: »Europe is currently in need of, as well as in search of, policies and patterns of political decision-making that would denationalize the diverse welfare state arrangements that have evolved over many decades at the national levels and to transfer them, their regulation and mode of financing, to the European level.« (Offe 2006: 49) In der rechtspolitischen Diskussion scheinen verhaltene Optimisten Oberhand zu gewinnen, die in der Grundrechtecharta Ausdruck und Weiser eines Wandels »von der Wirtschafts- zur Wertegemeinschaft vom Homo oeconomicus zum wertgebundenen Unionsbürger« erkennen. Im Europäischen Konvent habe sich als »Mittelweg« zwischen völlig kontroversen Positionen gegenüber sozialen Grundrechten ein »Drei-Säulen-Modell« durchgesetzt: (1) die Aufnahme des Begriffs »Solidarität« als Präambelwert möglichst gleichrangig mit Freiheit, Gleichheit und Demokratie; (2) die Aufnahme der unstreitigen Wirtschafts- und Sozialrechte und (3) eine »Querschnittsregelung«, wonach »keines der in der Charta enthaltenen Rechte nationale oder internationale Standards absenken dürfe« (Bernsdorff/Borowsky 2005: 188ff.). Das sind pragmatische, inkrementalistische Perspektiven angesichts eines tiefen Dissenses in Europa, wie weit dessen hoheitliche und wohlfahrtsstaatliche Integration überhaupt gehen soll. Dass »Solidarität« schließlich in der Präambel des Verfassungstextes nur noch als wolkiges Ziel (»dass es ein Kontinent bleiben will, der […] auf Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität in der Welt hinwirken will«) und nicht mehr als einer der »universellen Werte« (Freiheit, Gleichheit, Demokratie) gefasst wurde, kann kein Zufall sein und zeigt, wie schwach die sozialen Verfassungswerte noch verankert sind. Allein die Verankerung von »Rechtsstaatlichkeit« als vierter der »universellen Werte« könnte man im Sinne jenes juristischen Optimismus als Türöffner für eine richterrechtliche Ausweitung sozialer Grundrechte und damit von »Solidarität« interpretieren.
2.2 Soziale Politik als Wertkonflikt Es scheinen folglich nicht nur die noch immer nationalstaatlichen Umverteilungsmechanismen durch Steuern und Beiträge zu sein, die den von Pierre Bourdieu postulierten »europäischen
50 | Kultur versus Religion? Wohlfahrtsstaat« (Bourdieu u.a. 1997) verhindern. Ein Konsens über die Grundwerte eines »Europäischen Sozialmodells« selbst ist kaum auszumachen (Ostner 2000). Hier lohnt die Erinnerung an einen bemerkenswerten Text in der Diskussion um ein Europäisches Sozialmodell, das sogenannte »Schröder/Blair-Papier« aus dem Jahr 1999. Einer der Schlüsselsätze jenes Textes lautete: »Moderne Sozialdemokraten wollen das Sicherheitsnetz aus Ansprüchen in ein Sprungbrett in die Eigenverantwortung umwandeln.« (Schröder/Blair 1999: 11) Die politische Kritik an jenem Papier richtete sich unmittelbar nach seinem Erscheinen – neben Einwänden, es sei zu unkonkret und nur taktisch zu verstehen – vor allem darauf, es sei zu »neoliberal«. Dagegen wandte Joas ein, man müsse es als »kommunitaristisch« deuten, die politische Kritik am Schröder/Blair-Papier spiegele geradezu die deutsche Kommunitarismus-Rezeption der 1990er Jahre »in desaströser Weise« (Joas 1999: 991). Ralf Dahrendorf hatte dem Papier vorgehalten, es habe einen »merkwürdig autoritären Anflug« (»Arbeitszwang«, »Zwangssparen«), überhaupt komme das Wort »Freiheit« nicht vor. Joas machte nun in der Auseinandersetzung mit der Kritik Dahrendorfs am Schröder/Blair-Papier auf eine eigentümliche Polarität im Liberalismus aufmerksam. Es ist jene Polarität von »negativer Freiheit« – liberalen Abwehrrechten vor allem gegen staatliche Herrschaftsanmaßung – und »positiver Freiheit«, die sich zunächst in der Demokratie äußert, aber ihre Weiterungen im sozialdemokratischen (wohlfahrtsstaatlichen) Begriff »sozialer Freiheit« findet – der wiederum methodisch eher ex negativo gewonnen wurde, aus »konkreten Erfahrungen der Unfreiheit« (Joas 2000: 13). Isaiah Berlin, in der angelsächsischen Welt der wichtigste liberale Denker des 20. Jahrhunderts, sieht in seiner Schrift »Two Concepts of Liberty« (Berlin 1969) die »positiven Freiheiten« in einer inhärenten Gefahr des Totalitarismus, eine Kritik, die – ähnlich von Friedrich A. Hayek vorgetragen und im Ordoliberalismus bis heute fundamental – genetisch nur vor dem Hintergrund der West-/Ostblock-Konfrontation verständlich ist. Während Joas eine Versöhnung von »negativer« und »positiver« Freiheit im kommunitaristischen Konzept der Bürgergesellschaft und im soziologisch-differenzierungstheoretischen Konzept einer Trennung von »Sphären« (im Anschluss an Michael Walzer) erhofft – die sozialdemokratisch-etatistische Tradition eher aus-
2. Europas soziale Werte | 51 blendend –, wäre für unsere Fragestellung noch an eine weitere Deutung zu erinnern: An Thomas H. Marshalls (von Parsons inspirierten) Dreischritt der Staatsentwicklung bzw. der damit verbundenen politischen Kämpfe um liberale Staatsbürgerrechte (im 18. Jahrhundert), um demokratische Staatsbürgerrechte (im 19. Jahrhundert) und um soziale Staatsbürgerrechte (im 20. Jahrhundert) (Marshall 1992). Anders als Berlin versuchte Marshall der Entwicklung von Freiheit, Demokratie und Wohlfahrtsstaatlichkeit eine je gleichursprüngliche, evolutionäre Deutung zu geben.
2.3 Das europäische Projekt Wohlfahrtsstaat Über die Frage, warum es in den USA keinen Sozialismus und nicht einmal eine starke sozialistische Bewegung gibt, räsonierten von Alexis de Tocqueville über Werner Sombart, Max Weber bis zu Theodor W. Adorno europäische Beobachter stets und mit unterschiedlichem analytischen Ertrag (Offe 2004). Die Idee einer Staatsverfassung mit kollektiver Glücksorientierung scheint dem amerikanischen Denken, zumindest dem Mainstream des amerikanischen Liberalismus, jedoch keineswegs fremd. Entscheidend ist wohl, dass die in der Unabhängigkeitserklärung von 1776 angelegte Anerkennung des »pursuit of happiness« innerhalb einer der Selbstbestimmung des Einzelnen dienenden, tugendfördernden Gemeinschaftsbildung (überwiegend aus der Sicht des Individuums) als Programm sozialstaatlicher Zurückhaltung interpretiert wurde (Opielka 2004: 10ff.). Die sozial- und geistesgeschichtlichen Wurzeln der politischen Differenz »Europa-USA« sind komplex. Huntington rekonstruierte, dass in den USA, aufgrund ihrer Gründungsgeschichte, im Grunde die politischen Grundideen der spätmittelalterlichen englischen Tudor-Monarchie, ihr konsensuales und zugleich duales Repräsentationssystem (König/Präsident als Gemeinwohlrepräsentant, Parlament als Repräsentant der Dezentrale, der »constituency«) bis heute überlebten: »The United States thus combine the world’s most modern society with one of the world’s most antique polities.« (Huntington 1966: 406) In Bezug auf »policies«, auf die Gestaltung von Politikfeldern, empfiehlt sich allerdings auch das Gemeinsame zu fokussieren – und
52 | Kultur versus Religion? zugleich die Differenzen innerhalb Europas. So zeigt beispielsweise die Kontroverse in den USA um eine (Teil-)Privatisierung der als Bürgerversicherung aufgestellten »Social Security«, des alle US-Bürger umfassenden Rentenversicherungssystems, sämtliche Ingredienzen der europäischen Wohlfahrtsstaatsdebatten (Hacker 2002). Die Demokraten, im Verbund mit Gewerkschaften und Altenorganisationen (NAACP), verteidigen jene Errungenschaft des »New Deal« unter Roosevelt aus dem Jahr 1935, eine späte Adaption der europäischen Sozialverfassungsdiskussion. Die Republikaner, vor allem Präsident Georg W. Bush, argumentieren liberal-konservativ für mehr Markt und private Vorsorge (Bethell 2005). Die Wertewandelforschung hat auf die binneneuropäischen Differenzen in Bezug auf sozialpolitische Werte umfassend aufmerksam gemacht, zugleich auch darauf, dass wohlfahrtsstaatliche Zustimmung und kommunitäre Orientierung kein Widerspruch sind (Arts u.a. 2003). Deutschland selbst kennt eine sozialpolitische Zweiteilung in einen post-sozialistischen – und zugleich extrem a-religiösen (Meulemann 2006) – Werteraum Ostdeutschland und einen sozial-marktwirtschaftlichen Werteraum Westdeutschland, freilich auch dort auf hohem wohlfahrtsstaatlichem Akzeptanzniveau. Die Aussage: »Der Staat muss dafür sorgen, dass man auch bei Krankheit, Not, Arbeitslosigkeit und im Alter ein hohes Auskommen hat«, wurde im Jahr 2000 in Westdeutschland zu 85 Prozent, in Ostdeutschland zu 93 Prozent bejaht (Opielka 2004: 23). Daten des Allensbach-Instituts zeigen, dass im Vergleich der Werte Freiheit vs. Gleichheit 1990 nur 25 Prozent der Westdeutschen, aber fast 45 Prozent der Ostdeutschen für die Gleichheit votierten. 2000 bleibt der Abstand etwa konstant, die Voten für Gleichheit steigen in Westdeutschland auf knapp unter 40 Prozent, in Ostdeutschland auf etwas unter 60 Prozent (Thome 2005: 423). Das sind insgesamt deutlich höhere Präferenzen für Gleichheitswerte als beispielsweise in den USA oder auch in Großbritannien. Zwar ist die Interpretation solcher aus Massenbefragungen gewonnenen Befunde schwierig. Dennoch zeigen die europäischen Daten, ob European Values Survey, Eurobarometer, ISSP oder andere Quellen, stets eine hohe Akzeptanz wohlfahrtsstaatlichen Risikoschutzes in der Bevölkerung – die seitens der Regierungen oft negiert wird (Daguerre/Taylor-Gooby 2004). Diese hohe Akzeptanz gilt
2. Europas soziale Werte | 53 sogar noch vermehrt für die neuen Beitrittsländer (seit 2004 bzw. 2007) wie die Beitrittskandidaten (Türkei) zur EU (Gerhards 2005). Es erscheint deshalb berechtigt, die wohlfahrtsstaatliche Kultur als zentralen Bestandteil der kulturellen Werteordnung Europas zu verstehen. Dass dies heute selbst in avancierten Studien und Sammelbänden über die »kulturellen Werte Europas« noch immer nicht, vage oder nur verschämt geschieht, ist eher ein Desiderat. Warum ist das so? Eine kultursoziologische Kritik samt Ausblick sei erlaubt. Die Diskussion um die »Werte Europas« beschränkt sich bislang weitgehend auf zwei analytische Zugänge: Einerseits und historisch dominiert eine geistes-/ideengeschichtliche Perspektive auf die Genese und Geltung von Wertideen; andererseits und neuerdings die Perspektive auf Werteinstellungen der Bürger, auf die sich die »politische Kultur«-Forschung konzentriert. Der dritte und vermittelnde Zugang zwischen Ideen und Einstellungen wäre die Analyse von Institutionen: Wie werden »Wertparadigmen« (Leisering 2004; Pfau-Effinger 2005) sozial verfasst und damit praktisch (dazu Kap. 3 und 7)? Diese dritte Dimension praktischer Werte, in Institutionen geronnene Werte, kommt ohne geistige Geltung und individuelles Gelten nicht aus. Gerade in ihr erweist sich ein Element europäischer Identität. Für Durkheim (und später Parsons) transformierte sich das religiöse, vor allem christliche Erbe Europas in den »Kult des Individuums«, in eine Sozial- und Bürgerreligion sozialer Grundrechte. Unterdessen haben wir gelernt, dass dies die Religion nicht ablöste, da die (in Paraphrase auf Durkheim) »vorvertraglichen Elemente des Vertrags«, hier des Gesellschaftsvertrags, nicht in einem historisch-evolutiven Ablaufprogramm verschwinden dürfen, um den Gesellschaftsvertrag gelten zu lassen. Nicht nur in den Einstellungen der Individuen weltweit müssen Religionen als politikbestimmender Faktor in Rechnung gestellt werden (Norris/Inglehart 2004). Auch die vergleichende Analyse konkreter Wohlfahrtsregime in Europa zeigt, wie sehr beispielsweise das katholische (Castles 1994) und das protestantische (Manow 2002) Erbe sozialpolitisch wirksam bleiben. Jener Hegel’sche »Geist des gesamten Volkes« konkretisiert sich auch darin. Wohlfahrtsstaatlichkeit ist hierbei sehr anspruchsvoll und die Frage der Mitgliedschaft als Bürger, die im (demokratischen) Nationalstaat eine erste Antwort fand, verschärfte sich mit der
54 | Kultur versus Religion? Entwicklung sozialer Rechte (auf Sozialleistungen) und sozialer Pflichten (Solidarität mit anderen Bürgern) (Wagner/Zimmermann 2004). Ob es jedoch ein »europäisches Volk« je geben kann, ist schwer zu beurteilen: »Europa ist nun kulturell noch viel heterogener als das bereits föderalistisch organisierte Amerika und verträgt von daher sicher nur eine höchst dezentrale politische Verfassung. Dies setzt jedoch auch der Möglichkeit, gemeinsame demokratische und wohlfahrtsstaatliche Institutionen zu entwickeln, enge Grenzen.« (Flora 2000: 118) Deshalb werden noch auf einige Zeit hin nationale Wohlfahrtskulturen eine differenzierende Rolle in Europa spielen (Oorschot u.a. 2007). Man könnte darauf vertrauen, dass die europäischen Wertprinzipien in einer »westlichen Kultur« aufgegangen sind, die unterdessen zur »Weltkultur« wurde und quasi die hier diskutierten sozialen Verfassungswerte generalisierte: »Die menschliche Gesellschaft kann und muss in der westlichen Kultur nach dem Kriterium der Gerechtigkeit beurteilt werden« (Meyer 2005: 42f.). Vermutlich müssen wir, wie dies François Julliet in einer Reflexion der europäischen Wertbegründung über den Umweg der chinesischen Moralphilosophie des Konfuzius-Schülers Menzius versuchte (Julliet 2003), neben der christlich-europäischen Sozialontologie auch andere, grundlegend differente Formen der Letztwertbegründung von Sozialverfassungen ernsthaft kennenlernen und in unsere politischen Kalküle einbeziehen. Die Institutionalisierung sozialer Verfassungswerte ist schließlich von der künftigen Verfassung Europas abhängig. Guy Verhofstadts Manifest für »Vereinigte Staaten von Europa« umgeht das Verfassungsproblem und setzt auf pragmatische sozialpolitische Schritte (Verhofstadt 2006: 57ff.). Armin von Bogdandy schlug vor, den alteuropäischen Begriff der »Republik« für das neue Europa geltend zu machen. Er argumentiert, dass sich der Begriff einer »Europäischen Republik« diskursiv in hervorragender Weise eigne, um unabhängig von den Begriffen Staat und staatlicher verfasster Nation »Natur und Zweck« des europäischen Zusammenschlusses als »politische Idee und verfassungstheoretisches Konzept« zu klären. Eine an die EU-Tradition insoweit anschließende »supranationale« europäische Republik kann wohl nur »ein liberaldemokratisches, gewiss aber kein kommunitaristisches Gemeinwesen bilden« (Bogdandy 2005: 24, 26). Das mag sich in einem längeren Zeitraum, durch Erfahrung
2. Europas soziale Werte | 55 von Vertrauen oder Katastrophen ändern. Für uns Heutige resultiert daraus freilich keine Zurückhaltung gegenüber sozialen Verfassungswerten, vielmehr die Aufforderung, uns auf die wesentlichen zu konzentrieren. Eine europäische Republik kann kein ›starker‹ Wohlfahrtsstaat sein, aber sie muss wohl ein tatsächlich liberaler und demokratischer werden, der durchgängig Minima garantiert und höhere soziale Garantien einzelner Mitgliedsstaaten nicht behindert. Begriff und Konzept eines sozialpolitischen »Garantismus« (Opielka 2004) harmonieren vielleicht besonders gut mit dieser neuen europäischen Idee, deren Zukunft freilich offen ist.
3. Religiöse Werte im Wohlfahrtsstaat | 57
3. Religiöse Werte im Wohlfahrtsstaat
Niemand weiß, so Weber in einem Ausblick auf die Zukunft der technisch-wissenschaftlichen Zivilisation, »ob am Ende dieser ungeheuren Entwicklung ganz neue Propheten oder eine mächtige Wiedergeburt alter Gedanken und Ideale stehen werden, oder aber – wenn keins von beiden – mechanisierte Versteinerung, mit einer Art von krampfhaftem Sich-Wichtig-Nehmen« (Weber 1972: 204). Bald ein Jahrhundert später fragen sich Inglehart und Michael Minkenberg in einer Auswertung des World Values Survey: »Warum verschwindet die Religion so langsam?« Zumal sie trotz Rückgang des Engagements in religiösen Institutionen für den Zeitraum 1981 bis 1997 beobachten, dass der Anteil derjenigen, die sich in acht ausgewählten Industriegesellschaften als »eine religiöse Person« bezeichnen, konstant bei 55 Prozent steht und der Anteil derjenigen, die angaben, »oft über Sinn und Zweck des Lebens nachzudenken«, von 29 auf 35 Prozent gestiegen ist (Inglehart/Minkenberg 2000: 136ff.). Diese und viele weitere Befunde haben der Religionssoziologie Auftrieb gegeben. Aus der »unsichtbaren Religion« (Luckmann 1991) wird unterdessen die immerhin sichtbare »privatisierte Religion« (Luckmann 2002) oder eine »implizite Religion« (Thomas 2001), deren Identifikation Soziologen herbeiruft. Man spricht gar von einer »Resakralisierung« (Hildebrandt u.a. 2001) der westlichen Gesellschaften und stellt gleichzeitig fest, dass die von Sozialwissenschaften und Philosophie mit der Moderne identifizierte Säkularisierung eher ein europäisches Projekt geblieben zu sein scheint (Casanova 1994; Eder 2002). In globaler Perspek-
58 | Kultur versus Religion? tive jedenfalls beobachtet man eher das Gegenteil eines Endes der Religionen: Der Anteil der Atheisten, präziser: derjenigen, die in statistischen Erhebungen als solche dingfest gemacht werden, geht in weltweiter Betrachtung sogar zurück.9 Religion ist eine für die Soziologie nach wie vor wesentliche soziale Tatsache. Eine andere soziale Tatsache ist der Wohlfahrtsstaat als gesellschaftlich organisierte Sorge für Menschen in Risikolagen. Diese Definition einer politischen Regimeform10 soll auf die in diesem Kapitel diskutierte Frage hinführen. Denn wenn der Wohlfahrtsstaat sich um seine Bürger sorgt, die bestimmten Risiken ausgesetzt sind, drückt er ihnen gegenüber Wertschätzung aus, inkorporiert Werte, wonach diese Sorge eine allgemeine, gesellschaftliche Aufgabe zu sein hat. Um den Zusammenhang dieser wohlfahrtsstaatlichen Werte mit den Werten, die durch Religionen letztlich begründet werden, soll es hier gehen – ein Gedanke, der einschließt, dass Werte sozusagen niederer Ordnung als Letztwerte existieren, beispielsweise wirtschaftliche, politische oder gemeinschaftliche Werte. Damit ist eine zweite Definition angelegt: Unter Religion verstehe ich im Folgenden Theorie und Praxis der Letztwertbegründung – insoweit ist jede Theorie der Letztwertbegründung religionsnah und, sofern mit Praxis verbunden, Religion. Ich werde diese in der jüngeren Religionssoziologie angelegte Definition noch ausführen. Zunächst aber möchte ich die Zielsetzung beschränken. Es geht im Folgenden nicht um einen Vergleich sozialpolitischer Regimetypen, sondern um einen Vergleich von sozialpolitischen Wertideen. Ihm liegt die Vermutung zugrunde, dass religiösen Weltbildern bzw. Religionen für die Entwicklung und Ausprägung von Wohlfahrtsstaaten als einem Kernelement ihrer Modernität eine zentrale Bedeutung zukommt.11 Dieser Gedanke wurde in der Geschichte der Soziologie bereits von Weber und seiner Schule verfolgt, allerdings bis auf wenige Ausnahmen (z.B. Rieger/Leibfried 2004) nicht für die vergleichende Sozialpolitikforschung nutzbar gemacht. Er verblieb auch in Webers wirtschaftsgeschichtlichen Studien nur als »Aufgabe«, die komplexen Wertbeziehungen »nun auch für den Inhalt der sozialpolitischen Ethik, also für die Art der Organisation und der Funktionen der sozialen Gemeinschaften vom Konventikel bis zum Staat aufzuzeigen« (Weber 1981: 189). Denn die bisherige Kohärenz von religiös präformierten »Kul-
3. Religiöse Werte im Wohlfahrtsstaat | 59 turkreisen« (Huntington 1997: 57ff.)12 und politischen, in der Regel national verfassten Systemen erodiert, wenngleich auf Grund der Pfadabhängigkeit sozialpolitischer wie religiöser Evolution13 langsam. Man kann in Deutschland und in Europa auf den steigenden Anteil der muslimischen Bevölkerung oder den möglichen EU-Beitritt islamischer Staaten wie der Türkei verweisen, wie auf Weltebene auf die teils erzwungene Harmonisierung von wirtschaftlichen und politischen Ordnungen. Jeder Eingriff in das immer religiös bereitgestellte Langzeitgedächtnis einer sozialen Ordnung (Hervieu-Léger 2000; Assmann 2000) führt dazu, dass gerade diejenigen Prinzipien strittig werden, die in dieser Ordnung auch die Prinzipien von Wohlfahrtsstaatlichkeit sind: die Vorstellungen von Gleichheit, von Gemeinwohl, von Solidarität oder von Subsidiarität – und schließlich die Vorstellung sozialer Grundrechte. Dieses Langzeitgedächtnis findet sich in den Institutionen manifestiert, worauf der soziologische Neo-Institutionalismus aufmerksam macht (Jepperson 2001; Meyer 2005). Die Suche nach religiösen Werten im Wohlfahrtsstaat zielt auf Grundfragen der soziologischen Analyse der Moderne. Anknüpfend an Durkheims Diagnose einer Entwicklung vom Gemein- zum Individualeigentum, von der ›Heiligkeit‹ des Kollektivs (Klan, Familie) zur ›Heiligkeit‹ der Person im »Kult des Individuums« sowie an Webers Analysen einer Institutionalisierung religiöser Werte unterschied Parsons zwei Deutungen der Säkularisierung. Die dominierende Deutung betont den Verlust religiöser Werte und Bindungen. Über Durkheim und Weber noch hinausweisend erkannte Parsons jedoch einen dialektischen Prozess der Säkularisierung: einerseits eine Differenzierung des Religiösen und des Säkularen und damit zugleich eine ›Verkleinerung‹ des religiösen Gehalts sozialer und kultureller Bestandteile; andererseits aber auch eine kontingente Reintegration jenes Gehalts in drei Schritten: »inclusion«, »adaptive upgrading« und »value-generalization« (Parsons 1978: 241f.). Parsons’ These erscheint eine ergiebige Leitlinie für die folgenden Überlegungen. Lässt sich der moderne Wohlfahrtsstaat als eine Institutionalisierung religiöser Werte lesen?
60 | Kultur versus Religion?
3.1 Religion als Letztwertbegründung In der politischen Soziologie stehen sich zwei Lager, »Strukturalisten« und »Kulturalisten«, bis heute unversöhnlich gegenüber (schon Almond/Verba 1963). Erstere machen politisch-ökonomische Bedingungen für die Bildung und Entwicklung sozialpolitischer Regime verantwortlich und nachgeordnet die subjektiven Präferenzen für entsprechende sozialpolitische Modelle. Kulturalisten verweisen unter dem Motto »culture matters« auf die Rolle gemeinsamer sozialisierter Werte und Traditionen, religiöser Doktrinen und historischer Erfahrungen, die für die Kongruenz zwischen der Struktur der Institutionen einer Gesellschaft und der je gültigen Werteordnung verantwortlich sind. Inwieweit trägt speziell Religion zur Wertbegründung bei? Zwei Positionen lassen sich unterscheiden. Die erste Position steht in der religionskritischen, materialistischen Tradition. Gertrud Nunner-Winkler geht davon aus, dass Moral und Religion heute entkoppelt sind. Moral solle eine »gute Regelung sozialer Kooperationszusammenhänge« fundieren, Religion auf die Probleme beschränkt bleiben, die dem Menschen »prinzipiell entzogen bleiben«, also Leiden und Tod (Nunner-Winkler 2001: 48). Die zweite Position ist in der Religionssoziologie wohl dominant. Sie steht in der Tradition der Klassiker, der von Weber als Kern des Religiösen betrachteten »Sinnfrage«, systematisch vor allem bei Parsons ausgeführt.14 Ich spitze die zweite Position folgendermaßen zu: Moral ist eine kommunikativ erzeugte »generalisierte Institution« (des gesellschaftlichen Subsystems »Gemeinschaft«), ihr Medium sind Normen, aber auch Sitten und Gebräuche. Das Legitimationssystem wird als gesellschaftliches Subsystem demgegenüber metakommunikativ konstruiert, also durch Sinn-Kommunikation – Parsons spricht, wenngleich in einer anderen Theoriearchitektur, von »legitimation« bzw. »latent pattern maintenance« (siehe Kap. 1). Ein wesentliches – wenn auch in der Regel nicht formalisiertes – Medium des Legitimationssystems sind Werte. Das Religionssystem ist wiederum das komplexeste, reflexiv höchste Subsystem des Legitimationssystems. Insoweit ist es für die Letztwerte zuständig (bei Parsons: »ultimate values«). Kaufmann erinnert noch an weitere funktionale Religionsbestimmungen.15 Die Religionswissenschaft belehrt uns, dass zur Begründung auch die Praxis gehört, Kulte, Rituale.16 Für unsere Zwecke
3. Religiöse Werte im Wohlfahrtsstaat | 61 soll die Funktion von Religion als Theorie und Praxis der Letztwertbegründung genügen, denn sie beinhaltet, dass Religion unhintergehbar ist, sie ist das Fenster nach außen, dort ist nichts bzw. alles. Mit der Definition von Religion als Letztwertbegründung können wir zugleich die soeben skizzierte Gesellschaftstopologie – in der das Religionssystem (nur) als ein Teilsystem des Legitimationssystems verstanden wird – konkretisieren. In Tabelle 2 wird »religiöse« Letztwertbegründung zwar innerhalb des üblicherweise als Religion gefassten Kontextes ausgemacht, jedoch wird der Bezug auf die anderen Subsysteme des Legitimationssystems sichtbar. Ulrich Oevermann rekonstruiert die Universalität des Religiösen, ohne den hier genutzten systemfunktionalen Apparat, durchaus ähnlich in folgender Sequenz: Jede Kultur zielt auf Basis des Bewusstseins der Endlichkeit des Lebens auf eine »nicht stillstellbare Bewährungsdynamik« des einzelnen Lebens (Lebensbilanz usf.), die einen »Bewährungsmythos« benötigt, der wiederum durch Vergemeinschaftung die Evidenz der Geltung und Überzeugungskraft gewährleistet (Oevermann 1995: 5f.). Es fällt ein weiter Religionsbegriff auf (Luckmann 1991; Bergmann u.a. 1993). Er greift die Forderung von Joachim Matthes auf, die »zentristische« Anlage der europäischen Religionssoziologie zu verlassen (Matthes 1993). Ich unterscheide hier vier Systeme von Religionen (vorneweg jedoch eine grundsätzliche Bemerkung zur Funktion dieser Art Idealtypenbildung: Idealtypen sind immer eine logische Konstruktion. Die Wirklichkeit geht in ihnen nicht auf. Sie dienen als eine Art Landkarte mit großem Maßstab, nicht als Foto): (1) Die wissenschaftliche (oder philosophische) Religion, d.h. die religionsähnliche Heilsphilosophie vor allem des Marxismus, die im materialistischen, erfahrungswissenschaftlichen Welterkennen selbst ihre Letztwerte rekonstruiert. Hier könnte man sofort einwenden, dass der Marxismus nur deshalb eine »Religion« (gewesen) sei, weil er eben nur vorgab, wissenschaftlich zu sein und dies zugleich mit Ikonographien (z.B. Stalinbilder und -statuen wie Heiligenbilder, Lenin-»Mausoleum«), Sakralritualen (z.B. Jugend-»weihe«) und so weiter verband. Die Frage des Vorgeblichen steht aber in einer religionssoziologischen Perspektive zunächst nicht zur Rede, entscheidend ist die phänomenologische Analyse der Form, sozusagen die Innenperspektive, wie dies Clifford Geertz mit guten Gründen für die Sozialwissenschaften
62 | Kultur versus Religion? postulierte (Geertz 1987; ebenso Berger/Luckmann 2004). In der wohl einzigen Stelle seines Mittel- und Spätwerks, in der er die christliche Religion als säkularisierte Religion des Kapitalismus und deshalb als eine zu überwindende betrachtet, schreibt Karl Marx: Den »irdischen Kern der religiösen Nebelbildungen« herauszufinden sei die Aufgabe der »materialistischen und daher wissenschaftlichen Methode« (Marx/Engels 1977: 393). Wenn an dieser Stelle von den »gesellschaftlichen Lebensverhältnisse und der ihnen entquellenden geistigen Vorstellungen« (ebd.) die Rede ist, kann dies als begründeter Hinweis auf die protoreligiöse Konzeption des Marxismus gedeutet werden, die geistigen Vorstellungen als allein irdisch, gesellschaftlich begründete. Dahinter ist nichts, sie sind die letzte Begründung. Die Deutung des Marxismus als wissenschaftliche Religion kann auch theorieimmanent rekonstruiert werden. Wenn der frühe Marx in den »ÖkonomischPhilosophischen Manuskripten« von 1844 die Hegel’sche Idee des Absoluten in eine Idee der menschlichen Gattung als »ideelle Totalität« übersetzt, lässt sich das in unserem Sinne so deuten: »Marx übersetzt die Idee der göttlichen Schöpferrolle in die Idee des schöpferischen Menschen, die für ihn synonym mit der aus der Entfremdung entlassenen Klasse der Proletarier ist, was letzthin einer Vergötterung gleich kommt.« (Stepina 2002: 1) Später findet sich bei Trotzki in der »kommunistischen Lebensweise« die Vision, der Mensch sei dort ein »höherer gesellschaftlich-biologischer Typus«, gar ein »Übermensch« (ebd.; dazu auch Ryklin 2003). Ist das nur im übertragenen Sinne zu verstehen, wonach »Schöpferkraft« dem Menschen seit der Aufklärung nur im Bereich der Kultur (im weitesten Sinne) zugesprochen werde, nicht im Sinne einer gottähnlichen Schöpfungskraft? Das wäre eine optimistische Lesart des materialistischen Programms. Dagegen spricht, dass beispielsweise stalinistische Werte explizit ohne Bezug auf die christlich-orthodoxe Tradition konstruiert wurden (D.L. Hoffmann 2003: 79ff.), wie generell das materialistische Programm keine Beschränkung auf Kulturphänomene kennt, mehr noch: Kultur gerade nicht als eigenständige Handlungs- und Geltungssphäre konzipiert, sondern als mehr oder weniger abgeleitet, als »Überbauphänomen«. Die Übergänge zu soziobiologischen Rasselehren sind im wissenschaftlichen bzw. philosophisch-religiösen Materialismus angelegt. Was Marx selbst davor bewahrt hatte, war seine Wertschätzung der bürger-
3. Religiöse Werte im Wohlfahrtsstaat | 63 lichen Bildung, seine humanistische Orientierung.17 Wissenschaftliche Religionen bezeichnen sich selbst in der Regel nicht als Religion, weisen diese sogar zurück, was aber mit Luhmann nicht irritieren soll: »Denn was sonst soll es sein wenn nicht Religion, wenn jemand das negiert, was jemand für Religion hält?« (Luhmann 2000: 14) Zu dieser Gruppe wären auch andere materialistische Weltanschauungen zu zählen, sofern sie in sich selbst Letztwerte begründen, beispielsweise Scientology und insbesondere soziobiologische Rasseideologien, vom Nationalsozialismus und seinem »deutlich ausgeprägten Transzendenzbezug« (Hockerts 2003: 67) bis zu modernen humangenetischen Ordnungsphantasien. Die Frage, ob ein naturwissenschaftlich begründeter Atheismus, wie er in kruder Form beispielsweise vom Evolutionisten Richard Dawkins in seinem Buch »The God Delusion« (Dawkins 2006) vertreten wird, selbst religionsähnlichen Charakter besitzt, wäre mit Luhmann zu bejahen. (2) Die subjektive (oder psychologische) Religion, die in der Tradition Freuds oder Friedrich Nietzsches (»Übermensch«) die letzte Quelle von Werten im Subjekt selbst sieht und nur dort (Küng 1990; Black 2006). Jakob Moreno, der Begründer des Psychodrama, sprach bildlich genau vom »Ich-Gott«, der Quelle von Kreativität als Formungs- und Gestaltungsprinzip: »I moved man back into universe.« (nach Leutz 1974: 55) Moreno wuchs als orthodoxer Jude auf und wandte sich später vom (zumindest organisierten) Judentum ab, ähnlich wie Freud. Eine ansonsten atheistische Zuspitzung utilitaristischer Philosophien würde gleichermaßen in dieser Religionsgruppe ihren Platz finden.18 Zahlreiche der unter der Signatur »implizite Religion« (Thomas 2001) behandelten »Religionen« dürften zur Gruppe der subjektiven Religion rechnen. Eine Variante der subjektiven Religion sind ästhetische Religionskonzepte, wie sie in der bereits von Hegel kritisierten »Kunstreligion« noch heute wirksam sind, insbesondere im sogenannten postmodernen Denken (Jaeschke 1999; Mattenklott 2002; Agamben 2002). Subjektive Religionen benötigen wohl die geringste Institutionalisierung. Auch bei diesem Religionstyp stellt sich die Gretchenfrage, ab wann Religion beginnt. Ernst Tugendhat respektiert beispielsweise das religiöse Bedürfnis und sieht anderseits seine »Unrealisierbarkeit«: »Das Übernatürliche ist dadurch definiert, dass es dafür keine empirische Evidenz pro oder contra gibt. Deswegen erscheint ein Glaube an
64 | Kultur versus Religion? Gott heute entweder naiv oder unredlich […], weil ich doch weiss, dass Gott nur ein Konstrukt meines Bedürfnisses ist.« (Tugendhat 2006) Dann bleibt nur philosophische Ethik als letzte Wertkonstruktion, günstigenfalls eine »Mystik« des Subjekts. Beide Gruppen, die wissenschaftliche und die subjektive Religion, entsprechen wohl dem, was Parsons unter dem Begriff des »säkularen Humanismus« zusammenfasst (Parsons 1978: 249ff.).19 Von ihnen unterscheiden sich die Religionen, die gewöhnlich als solche bezeichnet werden. Dabei beziehe ich mich auf den Vorschlag von Gerhard Wehr, insgesamt sieben »Weltreligionen« zu differenzieren (Wehr 2002).20 (3) Als drittes Religionssystem unterscheide ich die kommunitäre Religion. Hier werden das Heilige und das Heilsversprechen in Gemeinschaftsbeziehungen selbst gefunden, wie beispielsweise im Konfuzianismus. Auch viele der sogenannten »Stammesreligionen« mit ausgeprägten Ahnenkulten wären dieser Gruppe zuzurechnen. Kommunitäre Religionen sind nicht zu verwechseln mit dem Phänomen »Zivilreligion«. Darunter verstehe ich, eher an Parsons als an Bellah anschließend, ein zumindest derzeit noch wenig ausdifferenziertes Subsystem des Legitimationssystems moderner Gesellschaften, in dem politisch-moralische Kommunikationen und Institutionen mit Symbolen und Bedeutungen des Religionssystems kombiniert werden. Bellah hat sich unterdessen, zumindest für die Analyse der amerikanischen Gesellschaft, von der Verwendung des von ihm selbst popularisierten Begriffs losgesagt (Bellah 2002: 261f.). (4) Innerhalb der vierten Gruppe der klassischen, spirituellen Religionen lassen sich dieselben dialektisch-logischen Prinzipien nochmals vorfinden. Die Zuordnung der sechs Weltreligionen auf fünf Kategorien ist allerdings tentativ – sie ist deshalb in der Feingliederung (in Tab. 2) in einigen Elementen bewusst unscharf gehalten. Eine gewisse Richtung dürfte aber erkennbar sein und religionswissenschaftlicher Prüfung standhalten. So lässt sich eine Art spirituelle, mystische Steigerung vom Konfuzianismus über den Taoismus bis hin zu den teils als a-theistisch geltenden, mit Reinkarnation rechnenden Religionen des Hinduismus und Buddhismus (und auch moderner esoterischer Weltanschauungen21 wie Freimaurerei und insbesondere der Anthroposophie) beobachten. Die hier angenommene spirituelle, mystische Steigerung, die
3. Religiöse Werte im Wohlfahrtsstaat | 65 innerhalb der Weltreligionen im Hinduismus und Buddhismus ihren Höhepunkt findet, ist in der religionswissenschaftlichen Literatur umstritten. Ein wichtiger Teil der Streitpunkte erledigt sich, wenn wir die differenzielle und historische Entwicklung der Religionen einbeziehen. So beurteilt der (marxistisch orientierte) Indologe Klaus Mylius den originären Buddhismus »keineswegs« als Religion, da nicht »in einer religio, einer Bindung an etwas Außerweltliches, Übernatürliches, […] die Erlösung gesucht« wird; demgegenüber könne der spätere Mahayana-Buddhismus als »voll ausgebildete Religion« gelten, da hier der Buddha »deifiziert und schließlich selbst zum Demiurgen erhoben wird« (Mylius 1991: 34f.). In Luhmann’scher Diktion fehle zumindest dem originären Buddhismus die Codierung »Immanenz/Transzendenz«. Gegen die Sichtweise von Mylius kann man allerdings halten, dass die vom Buddhismus aus der spätvedischen und hinduistischen Tradition übernommene Karma- und Reinkarnationslehre auf eine von der sinnlichen Erfahrungswelt getrennte geistige Wirklichkeitssphäre verweisen muss und sei es eine solche Sphäre als geistiger Logik. Dies relativiert auch den naheliegenden Einwand, der Hinduismus sei nicht a-theistisch, sondern polytheistisch und insoweit dem Deismus der monotheistischen Religionen verwandt, da er offensichtlich eine Vielzahl von Göttern kennt. Auch der Buddhismus leugnet nicht die Existenz von Göttern bzw. ein durch alle Götter durchscheinendes göttliches Prinzip. Buddha scheint, vereinfach formuliert, nur der Auffassung gewesen zu sein, dass es den Göttern einfach zu gut ginge, als dass sie sich aktiv darum bemühen müssten, aus dem Kreis der Wiedergeburten auszutreten. In seinen Harvard-Vorlesungen hat der XIV. Dalai Lama unter anderem die Drei Bereiche mit den Neun Ebenen dargestellt: der erste Bereich ist der sinnliche, der zweite der körperliche (beide zusammen mit drei Ebenen); der dritte Bereich, der »körperlose Bereich«, umfasst sechs Ebenen, deren oberste beiden das »Absolute Nichts« (8) und der »Gipfel des Daseinskreislaufs« (9) sind (Dalai Lama 1993: 200ff.). Es handelt sich hier offensichtlich um eine Logik des Übersinnlichen, die durch »konzentrative Meditation« zugänglich ist und dem entspricht, was auch in der westlichen Denktradition als »spirituell« oder »transzendent« begriffen wird. An dieser Stelle ist es nicht möglich, deskriptiv und damit inhaltlich auf die Qualitäten einzugehen. Zudem existieren zahlrei-
66 | Kultur versus Religion? che weitere Religionen, die jedoch die Systematik nicht sprengen dürften. Die hier vorgestellte Typologie soll zumindest drei Aspekte des komplexen Zusammenhanges andeuten: Jede dieser Religionsgruppen repräsentiert, wie dies auch von Parsons’ AGILSchema her bekannt ist, eine unreduzierbare (emergente) Wirklichkeitsstufe und ist insofern ›wahr‹. Ob und wie die komplexeren, ›höheren‹ Stufen die niedrigeren (dialektisch) ›aufheben‹, ist nicht ausgemacht. Ohne spezifische Bemühungen dürfte es nicht der Fall sein. Beispielsweise sind die bürgerrechtlichen Werte, vor allem die Abwehrrechte gegen den Staat, die die subjektive Religion als Produkt der aufklärerisch-humanistischen Tradition betont, den klassischen Weltreligionen zumindest historisch unbekannt. Ein zweiter Aspekt betrifft die Vermischung zwischen den Religionen und ihre interne Pluralität. Zwischen den Religionstypen sind sowohl persönliche wie institutionelle Kombinationen möglich. Marxistische Katholiken in der Befreiungstheologie sind ein Beispiel. Wertkonflikte sind ohnehin, wie uns Weber belehrt, in der Moderne normal. Zudem sind alle genannten Religionen in sich teils extrem ausdifferenziert, bekämpfen sich innerhalb ihrer Gruppe erheblich, innerhalb des Christentums (vom Dreißigjährigen Krieg bis Nordirland) wie im Islam (Sunniten vs. Schiiten). Arnold Angenendt hat die Gewalt- und zugleich Toleranztradition des Christentums »zwischen Bibel und Schwert« umfassend und nüchtern analysiert (Angenendt 2007). Die Zusammenfassung von Islam und Judentum als eher altabrahamitische Religionsgruppe rechtfertigt sich allein durch deren Fokus auf religiöse Regelbefolgung usf., der in der Sache allerdings – vor allem als politische Folgerung im zeitgenössischen Islamismus – problematisch erscheint. In einem Kommentar zur umstrittenen »Regensburger Vorlesung« von Benedikt XVI. rekonstruierte der (dort zitierte) Adel Theodor Khoury die Willenskonzeption Gottes im »islamischen Voluntarismus«: »Damit wird die Selbständigkeit der menschlichen Vernunft verneint. […] So wird der Islam in seinem Wesen bestätigt. Er ist in erster Linie nicht ein Zugang zur Gotteserkenntnis, sondern ein Weg für den Menschen, ein Weg der rechten Praxen. In seiner Mitte ist der Islam doch die Religion des göttlichen Voluntarismus und der Unterwerfung des Menschen unter den unbedingten Willen Gottes.« (Khoury 2006: 89, 96) Hinzu kommt der historische Blick, der alle Typologien mit
3. Religiöse Werte im Wohlfahrtsstaat | 67 Querschnittfokus zum Gleiten bringt. Entsprechend hat jede auf ein Schlagwort fokussierte Fassung beispielsweise von Gerechtigkeits- oder Familienkonzepten nur Andeutungswert. Schließlich soll noch auf eine dritte, tiefere Bedeutung dieser Typologie aufmerksam gemacht werden, die womöglich zukunftsträchtig wirkt. Die beiden vorgenannten Aspekte stellen in gewisser Weise Spezifikationen eines Pluralismus-Modells dar, sie beziehen sich auf die Vielfalt und Ausdifferenzierung des Religionssystems und seiner Letztwertbegründungen. Nun lässt sich allerdings als weitere Ebene eine Folge der »Individualisierung« der Religion auf Grund ihres zunehmend anerkannten Erfahrungscharakters beobachten (Knoblauch 2002; Joas 2004). Peter L. Berger spricht gar von einem »häretischen Imperativ« an religiös Gläubige in der modernen Welt: »Ein Häretiker ist jemand, der aus der Tradition etwas auswählt, wobei er manches beibehält und anderes verwirft. […] Mir ist nicht ersichtlich, wieso eine als selbstverständlich erachtete Religion etwas Besseres sein soll als eine gewählte Religion.« (Berger 2006: XV) Über Bergers »liberalen Protestantismus« gehen die modernen – und zugleich uralten – »Häresien« freilich weit hinaus: In allen Weltreligionen findet sich eine mystische »Abteilung«, vom Sufismus im Islam über die Kabbala im Judentum bis zur Gnosis im Christentum. Hinzu kommen in der Gegenwart zahlreiche weitere, in der Vergangenheit teils »geheime« (»okkulte«), »esoterische« Religionen und Gemeinschaften, die gleichfalls eine Kombination von Dogmatik und spiritueller Selbsterfahrung repräsentieren und, wie beispielsweise die Freimaurer oder die Anthroposophie, ausgebaute Sozialethiken und Gesellschaftsideen beinhalten. Viele Religionswissenschaftler vertreten die These, dass gerade das bewusste Betreten der mystischen (oder spirituellen) Dimension der Religionen eine Begegnung der Religionen untereinander ermöglicht. Die Darstellung der vier Religionssysteme und ihrer Untertypen unter der Referenz Sozialpolitik bzw. Wohlfahrtsstaatlichkeit in Tabelle 2 erfolgt in soziologischer Absicht. Sie folgt Parsons’ an Durkheim und Weber anschließender These, wonach in modernen Gesellschaften das Religiöse in die sozialen und vor allem auch in die sozialpolitischen Systeme eingewandert ist (wofür der Begriff der »Zivilreligion« steht), Säkularisierung deshalb nicht einfach als Verlust, sondern eher als Transformation von Religion verstanden werden muss.
68 | Kultur versus Religion? Tabelle 2: Sozialpolitische Referenzen exemplarischer Religionstypen funktionaler Religionstyp
wissenschaftliche Religion (L1)
subjektive Religion (L2)
kommunitäre Religion (L3)
konkrete Religionen
Marxismus (Materialismus)
»Psychoanalyse« Nietzscheanismus
Konfuzianismus
säkularer Humanismus Bezugssubsystem (Legitimationssystemintern)
Wissenschaft
Menschenrechte
Zivilreligion
Gottesbild
Weltlogik
»Ich-Gott« »Übermensch«
Heiligung des Weltlichen (Tao)
Familienmodell
Reproduktionsgemeinschaft
voluntaristische Familie
hierarchische Familie
Arbeitstheorie
Produktivismus
Expressivität
Eifer
Staatsidee
Wohlfahrtsstaat
Bürgerrechtsstaat
Bürokratenstaat
Gerechtigkeit
Universalismus
Konflikt
Tugend (Te)
Solidarität
Brüderlichkeit
Kooperation
Mitmenschlichkeit (»Kindes-/ Bruderliebe«)
Gleichheit
Gleichheit
Freiheit
Harmonie
Freiheit
Freiheit
Eigeninteresse
Würde
Leistungsgerechtigkeit
Verantwortungsgerechtigkeit
sozialpolitische BedarfsgerechtigLeitidee keit sozialpolitische Ideologien
Sozialismus
Liberalismus
Familismus (»Xiao«)
Sozialstaatstypus
Kommunismus, starker Wohlfahrtsstaat
Minimalstaat
korporatistischer Staat
3. Religiöse Werte im Wohlfahrtsstaat | 69
spirituelle Religion (L4) Taoismus (L1)
Islam, Judentum (L2)
Christentum (L3)
Buddhismus, Hinduismus (L4)
Religion
Tao (Weg)
Monotheismus
Monotheismus
Nirvana (a-theos)
Sexualgemeinschaft, Clan
»Heilige Familie«/Kernfamilie
Partnerfamilie
Laborismus
rechter Lebenserwerb
Passivität Politikskepsis
religiöser Staat
subsidiärer Staat
Individualethik
Gebotsethik
Universalethik
Dharma
Almosengeben
Nächstenliebe
Mitleid (Karuna)
Gottesebenbild
Karma
Willensfreiheit
Selbsterkenntnis
spirituelle Gerechtigkeit ?
Selbsthilfe, Paternalismus
soziale Marktwirtschaft
?
?
?
Sozialversicherungsstaat
?
70 | Kultur versus Religion?
3.2 Religion und Wohlfahrtswerte Eine harmonistische Einheitsreligion liegt nicht nahe. Zudem wäre eine Nivellierung eintönig. Auch aus religiöser Sicht könnte man fragen, ob es nicht verschiedene Menschentypen mit unterschiedlichen religiösen Bedürfnissen gibt – Karl Jaspers versuchte dem in seiner »Psychologie der Weltanschauungen« nachzugehen (Jaspers 1985) – und ob die Differenz der Religionen der Wirklichkeit religiöser (Erfahrungs-)Möglichkeit entspricht. Vor einem pluralistischen Weltbild – das sich auch in der Religionssoziologie findet – erscheint der Versuch, ein einziges »Weltethos« (Küng 1997) zu finden, das sich in eine, wenn auch minimale Sozialethik übersetzen ließe, riskant. Andererseits sind internationale Organisationen, sofern sie sich zu gemeinsamen Handeln entschließen, häufig auf eine Koordinierung ihrer Letztwertbegründungen angewiesen. Sowohl die »Menschenrechte« wie die zuletzt geführte Debatte für ihre Ergänzung um »Menschenpflichten« sind engstens mit Letztwertbegründungen verknüpft und insoweit angewiesen auf interreligiöse Verständigung (Spickard 1999). Dass für den Bereich der Werte des Wohlfahrtsstaates eine derartige Verständigung noch kaum entwickelt erscheint, muss nicht verwundern. Man könnte fragen, ob die Entwicklung wohlfahrtsstaatlicher Institutionen geradezu als Projekt des »säkularen Humanismus« entziffert werden muss. Wenn sich Vertreter der Religion daran beteiligt hatten oder beteiligen, so geschieht das, folgt man dieser Vermutung, in ihrer Rolle als auch säkulare Humanisten, als Bürger konkreter Staaten, jedoch nicht aus der (spirituell-)religiösen Logik selbst. Unterdessen spekulieren soziologisch informierte Theologen, dass »die Solidaritätsmoral einer Gesellschaft auch ohne kirchliche Stützung überleben« kann, vermuten freilich noch eine »spirituelle Basis von Moral […] (eine Basis, die Moral haben kann, aber nicht haben muss)« (Schramm 2002: 19f.). Hier wäre an die bereits weiter oben zitierte, präzisere Formel von Böckenförde zu erinnern: »Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.« (Böckenförde 1991: 112) Unsere Unterscheidung zwischen normengesteuerter Moral und werte-
3. Religiöse Werte im Wohlfahrtsstaat | 71 gesteuerter Ethik sowie mit Letztwerten operierender Religion kann hier hilfreich sein. In Tabelle 2 wurde versucht, eine Reihe von sozialpolitisch relevanten Dimensionen der hier diskutierten Religionssysteme zu erfassen. Nun ist es auf Grund der historischen und differenziellen Unterschiede innerhalb der Religionssysteme wohl nur möglich, diese Dimensionen auf hohem Abstraktionsgrad und zum Teil nur als Schätzwert zu benennen. Allein innerhalb des Christentums existieren beispielsweise verschiedene Konzeptionen von Arbeit (Kahl 2005). Eine gewisse laboristische Grundhaltung scheint jedoch dem Christentum insgesamt eigen. Allerdings ist die Extrapolation von sozialethischen Leitmotiven riskant, selbst unter Einbeziehung historischer Prozesse wie etwa in Webers Analyse der protestantischen Ethik auf die Entwicklung des Kapitalismus (Weber 1981). Die Daten des World Values Survey zeigen beispielsweise zumindest auf der individuellen Ebene der Einstellungen der Bevölkerung zweierlei: Zum einen findet sich gerade in den gegenwärtigen, protestantisch dominierten Gesellschaften, entgegen den Annahmen und Beobachtungen Webers vor knapp einem Jahrhundert, eine relativ geringe Bewertung der Arbeitsethik im Sinne der Bedeutung materieller und intrinsischer Belohnungen, vor allem wenn man sie mit islamischen Gesellschaften vergleicht: »Systematic survey evidence from a broad range of societies indicates that by the late twentieth century the work ethic was no longer a distinctive aspect of Protestant societies – quite the contrary, they are the societies that emphasize theses characteristics least of any cultural region in the world.« (Norris/Inglehart 2004: 169) Bei einigen Religionstypen erscheint es schwer möglich, einen selbst ungefähren Begriff für einzelne Dimensionen zu finden. Einige Felder, auf die am Ende dieses Kapitels als Ausblick auf die globale Entwicklung des Wohlfahrtsstaates zurückzukommen ist, wurden deshalb mit einem provisorischen Platzhalter (»?«) versehen. Nun zu den Dimensionen im Einzelnen. Die oberen Spalten wurden bereits erläutert. Das »Gottesbild« stellt den Bezug der Letztbegründung dar. Danach folgen drei Dimensionen, deren Normalitätskonzeptionen in der soziologischen Diskussion zentrale Grundlagen von Wohlfahrtsstaatlichkeit markieren: Familie, Arbeit und die Staatsidee selbst (Opielka
72 | Kultur versus Religion? 2004). Im Anschluss daran werden vier Wertdimensionen markiert, die das ethische Fundament des Sozialstaats bilden (so Nida-Rümelin 2000: 337): Freiheit, Gleichheit und Solidarität – als humanistische Wertdimensionen –, Gerechtigkeit als integrierende Wertdimension. Es mag problematisch erscheinen, diese explizit westliche Wertetrias bzw. dieses Wertequartett auf alle Weltreligionen anzulegen. Mögliche Verzerrungen durch die Beobachterperspektive sind mithin zu reflektieren. Schließlich werden noch drei weitere Dimensionen angeführt: die sozialpolitische Leitidee, die weitgehend mit der Gerechtigkeitsdimension einhergeht, die sozialpolitischen Ideologien sowie, wenn vorhanden, der mit dem jeweiligen Religionstypus verbindbare Sozialstaatstypus. Man kann einer solchen Typologie – unabhängig von möglichen Fehlern bei einzelnen Kategorien und ihren Bestimmungen – eine gewisse Willkür vorwerfen, vielleicht sogar Reifikation. Dagegen lässt sich einwenden, dass soziologische Theorie dieser Gefahr nicht entgehen kann, vor allem nicht, wenn sie Realphänomene untersucht – hier die Wechselwirkung von Religion und Sozialpolitik –, die noch wenig kanonisiert sind. Die Frage war, inwieweit der Wohlfahrtsstaat auf religiösen Werten beruht. Die Antwort ist vorsichtig. Er beruht auf Werten, nicht nur auf Normen. Inwieweit diese Werte selbst Letztwerte sind und insoweit religiöse Werte, bedarf weiterer theoretischer und empirischer Forschung (dazu Opielka 2007). Insbesondere die Offenbarungs- und Buchreligionen wie das Christentum verfügen über einen ausgearbeiteten Kanon letzter (Gerechtigkeits-)Werte, wie an der Geschichte der Rezeption und Interpretation der »Bergpredigt« (Matthäus 5-7), der »Rede von der wahren Gerechtigkeit« bzw. der parallelen »Feldrede« (Lukas 6, 20-49) abzulesen ist. Martin Luthers Zwei-Reiche-Lehre akzeptierte die Bescheidenheit der Politik gegenüber solch starken Werten, Nietzsche sah darin eine Sklavenmoral, während die Politische Theologie (Dorothee Sölle, Jürgen Moltmann) auf ihre Leitfunktion setzte (Berner 1979). Tabelle 2 legt als eine Art Theorietableau hinsichtlich einer soziologischen Analyse des Zusammenhangs von Religion und Sozialpolitik einige Folgerungen nahe, die abschließend angedeutet werden sollen. In der hier gewählten tabellarischen Darstellung stehen sich die Sozialstaatskonzepte des – logisch betrachtet – niedrigsten spirituellen Niveaus (Materialismus) und
3. Religiöse Werte im Wohlfahrtsstaat | 73 des höchsten Niveaus eigentümlich komplementär gegenüber. Während der Materialismus in der Idee des Sozialismus, Kommunismus und – in seiner sozialdemokratischen (in der Regel durch andere religiöse Einflüsse erweiterten) Variante – des starken Wohlfahrtsstaates über eine ›dichte‹ Sozialstaatskonzeption verfügt, scheint zumindest bisher innerhalb des Buddhismus und Hinduismus keine eigenständige Sozialstaatskonzeption auf.22 Man kann das darauf zurückführen, dass eine ganz und gar in der naturwissenschaftlich-empirischen Sphäre verankerte Religion auch in dieser ihr himmlisches Jerusalem finden muss. Die offenen bzw. mit Fragezeichen versehenen Felder können als Platzhalter für eine künftige Entwicklung sowohl auf religiösem wie auf sozialpolitischem (bzw. sozialethischem) Gebiet gelesen werden. Die neuere Religionssoziologie geht von einer zunehmend individualisierten Ethik aus (Knoblauch 2002), auch innerhalb der kirchlich verfassten Religionen wird die Erfahrungsdimension mit der Folge pluralisierter Wertvorstellungen zunehmend respektiert (Kaufmann 1999; Joas 2004). Diese subjektive Absicherung kollektiver Werte wird gewöhnlich als ein wesentlicher Erfolg der Aufklärung gedeutet, hinter den weder zurückgefallen werden soll noch zurückgefallen werden kann. Damit stellt sich die Frage, inwieweit auch in anderen religiös fundierten Kulturkreisen vergleichbare Individualisierungsprozesse zu erwarten sind. Die vergleichende Religionswissenschaft ist hier uneins. Die neo-institutionalistische Perspektive von John W. Meyer betont, dass gerade in der Universalisierung des kognitiven Individualismus der Kern einer auf westlichen Prinzipien beruhenden »Weltkultur« liegt (Meyer 2005). Es gibt gute Gründe für eine optimistische Lesart, auf die List der Geschichte zu setzen und beispielsweise in der chinesischen Ethikdebatte der Achsenzeit einen Durchbruch zum »postkonventionellen«, individualisierenden Denken (im Sinne Lawrence Kohlbergs) zu lesen (so Roetz 1992), oder in der – entgegen den öffentlichkeitswirksamen Fundamentalismen – Tendenz zur Privatisierung des Glaubens und dem sufischen Weg der Selbsterforschung im Islam (Ruthven 2000: 192) oder eines »kulturalistischen Islam« (Ayubi 2002: 298) einen dem Westen parallelen Weg zu erkennen. Shmuel N. Eisenstadt hat dabei die Vielfalt der modernen Kulturen rekonstruiert und die wachsende Bedeutung ihrer religiösen Komponente betont (Eisenstadt 2000:
74 | Kultur versus Religion? 238ff.). Die von vielfältigen Konflikten geprägte Geschichte der Universalisierung der Menschenrechte legt nahe, darin nicht schlicht einen nun politisch-religiösen Neokolonialismus des Westens zu lesen, sondern gerade auch in der Durchsetzung sozialpolitischer Grundrechte (v.a. Art. 22 bis 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948) eine komplexe Interaktion zwischen allen hier analysierten Religionsströmungen (Kühnhardt 1987). Erst wenn in einer konkreten Gesellschaft möglichst viele der Letztwerte des säkularen Humanismus verankert sind, ist eine sozialpolitische Entwicklung überhaupt möglich. Der Wohlfahrtsstaat, als demokratischer Wohlfahrtsstaat, fördert in spirituell-religiös noch stärker geprägten Kulturkreisen eine Stärkung des säkularen Humanismus – ähnlich wie dies im christlichen Kulturkreis nötig und im Staat Israel für das Judentum der Fall war. Parsons’ dialektische Säkularisierungsthese, wonach insbesondere der Wohlfahrtsstaat als Ausdruck der Institutionalisierung religiöser Werte betrachtet werden könnte, dürfte sich belegen lassen.
4. Blutige Taten, heilende Werte? Der Krieg im Irak | 75
4. Blutige Taten, heilende Werte? Der Krieg im Irak
Der Krieg gegen den Irak im Jahr 2003 lässt sich ohne seine religiöse Dimension nicht verstehen. Sind Letztwerte in der Politik selbst ein Grund für Handeln, auch für Krieg, oder bilden sie nur ein legitimatorisches Rauschen für ›wirkliche‹ Gründe? Die Argumentation in diesem Kapitel soll in drei Schritten erfolgen. Im ersten Schritt werden ökonomische, psychologische und politische Gründe für und gegen den Krieg bewertet. Das Ergebnis ist, dass eine »zivilreligiöse« Dimension die USA antreiben muss. In einem zweiten Schritt wird diskutiert, ob in diesem Krieg bereits jener »Kampf der Kulturen« einen ersten Ausdruck fand, den Huntington für das 21. Jahrhundert prognostizierte. Hier wird eine religionssoziologische Analyse nützlich sein, die drei Fragen im Verhältnis von Islam und westlicher Welt beleuchtet: das Verhältnis von Religion und Politik, die Demokratiefähigkeit und die Sozialpolitik. Zum Abschluss diskutiere ich die möglichen Kriegsfolgen für Palästina, für die Bekämpfung des Terrorismus und für die Soziologie.
4.1 Kriegsgründe Walter Laqueur bemerkte Ende 2002, dass noch nie in der Geschichte der Menschheit ein Krieg vor seinem Ausbruch so intensiv diskutiert wurde (Laqueur 2002). Dabei neigten die Betei-
76 | Kultur versus Religion? ligten zu Einseitigkeiten. Ihre extremste Form war apokalyptisch: Es ginge jetzt um eine Entscheidung zwischen »good and evil«, zwischen Gott und Satan. Doch auch unterhalb dieser religiösen Plakatierung fanden sich Polarisierungen. Drei Typen von Kriegsgründen wurden in der Diskussion pro und contra Irak-Krieg in vielen Variationen vorgetragen: ökonomische, psychologische und politische. Der erste Kriegsgrund sei, so die Vertreter eines radikalen Ökonomismus, der Kampf um Öl. Dieses Argument wird vor allem von den Globalisierungskritikern der neueren Linken vertreten. Der Irak sei mit etwa 10 Prozent der Weltölreserven wichtig, vor allem aber komme es den US-Amerikanern auf die Kontrolle über die gesamte Golf-Region an, in der sich etwa 65 Prozent der bekannten Welterdölreserven befinden. Diese Kontrolle sei gefährdet. Die Mehrzahl der Terroristen des 11.9.2001 und ihre finanziellen Sponsoren waren saudische Staatsbürger, auf ihren Staat könnten sich die USA nicht wirklich verlassen und griffen deshalb zu den Waffen. Das Öl-Argument ist bestechend, nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass die USA ihre eigenen Erdölvorräte zu mehr als der Hälfte bereits ausgebeutet haben (Rempel 2000). Zudem war der Bush-Clan samt Beraterkreis mit dem ÖlBusiness verschwistert. Allerdings gelingt es selbst gut informierten Kritikern wie Bob Woodward nicht, Bush jr. als Öl-Ökonomisten zu identifizieren (Woodward 2003). Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler hielt das Öl-Argument im Kriegsszenario gar für irrelevant, da die USA bereits mit dem Kuwait-Krieg (1991) für eine Ölpreisbildung qua Weltmarkt eintraten (Münkler 2003a). Das Komplizierte an Politik ist freilich, dass alle Gründe miteinander verwoben sind und ihre Decodierung durch die Wissenschaft mit Kontroversen einhergehen muss. Natürlich spielten ökonomische Interessen eine erhebliche Rolle. Das zeigte sich schon daran, dass sich Frankreich und – wenn auch zurückhaltender – Russland als die beiden Hauptgegenspieler der USA entpuppten. Während Deutschland hierbei nur die Rolle eines Juniorpartners einnahm (Schöllgen 2003), dessen ökonomische Interessen als einer der drei wichtigsten Handelspartner des Irak weitgehend auf freie Marktbeziehungen beschränkt schienen, waren Frankreich und Russland vor dem zweiten Irak-Krieg polit-ökonomisch ganz anders im Irak positioniert. In den 1970er und 1980er Jahren lieferte die Sowjetunion 80 Prozent der mili-
4. Blutige Taten, heilende Werte? Der Krieg im Irak | 77 tärischen Güter des Irak, Frankreich mit 15 Prozent fast den Rest (Rühle 2003). In den 1990er Jahren teilten sich französische und russische Konsortien die irakischen Ölquellen vor allem für die Zeit nach dem Embargo auf. Damit wurde eine eigentümliche Arbeitsteilung sichtbar: Franzosen und Russen vertraten ihre ökonomischen Interessen im Irak höchst erfolgreich. Sie positionierten sich als Kriegsgegner gegen die USA und hätten vom Krieg dennoch profitiert. Öl-ökonomische Gründe konnten diesen Krieg deshalb kaum rechtfertigen noch beginnen lassen. Die zweite Begründungsachse war psychologisch. Die Ausgangslage hatte dramaturgische Potenz. Auf der einen Seite die nach 1989 einzig verbliebene Weltmacht, deren Präsident, ein ehemaliger Geheimdienstchef und Ölindustrieller, von seinem Gegenspieler, einem Massenmörder und Despoten, unterschätzt wurde. Letzterer raubte Kuwait und dessen Öl, weil er irrtümlich meinte, die Sowjetunion wäre noch ein handlungsfähiger Partner. Ersterer scheute sich, den bisherigen Partner im Kampf gegen den Iran, der als noch gefährlicher eingeschätzt wurde, vollständig aufzureiben. Sein Sohn, in der Ölindustrie ohne Fortune und ohne die Soldatenorden und CIA-Karriere des Vaters, wollte nun das väterliche Werk vollenden, damit aus dem Schatten heraustreten. Auch diese Dynamik ist unübersehbar.23 Doch genügt sie, um daraus den zentralen Kriegsgrund zu destillieren? Manche meinen das, wie Eugen Drewermann, der auch als Psychoanalytiker auftritt und bei Bush aus der Ferne »eine Verzahnung aus individueller Neurose und sozialpsychologischem Wahn: ein Überbietungssyndrom und eine Weltbeglückungskomponente« diagnostizierte (Drewermann 2003). Diese teils neuartigen Krankheitsbilder werden kaum plausibler, wenn man sie um Drewermanns politisch-soziologische Einschätzungen ergänzt: Amerika sei »keine Demokratie, sondern eine Plutokratie«, die Pressefreiheit dort sei »nur nominell« und »der Irak stellt keine wirkliche Gefahr dar«. Die Lächerlichmachung der Bush-Präsidentschaft verweist auf die durchaus persönliche Dimension einer Herrschaftsstruktur, die mit monarchistischen Elementen – wie der Palastähnlichkeit des Weißen Hauses als Wohnsitz – ihre Quellen im 18. Jahrhundert nicht verschweigt. Doch zur Überwindung eines Vatertraumas würden sich die USA kaum in einen Krieg ziehen lassen. Die differenzierten psychoanalytischen Überlegungen von Jacques Derrida über das Pro-
78 | Kultur versus Religion? blem der »Schurkenstaaten« sahen im US-Feldzug gegen den Irak eher eine dreifache »Rationalisierung« im psychoanalytischen Sinn: der Verunsicherung nach dem Verlust des vertrauten Feindbilds Sowjetunion; des Traumas des 11. September und der Drohung noch verheerenderer Terrorakte sowie drittens der Unmöglichkeit, im nationalstaatlichen Denkmuster die neuartige Bedrohungslage zu erfassen. Damit liefen die USA Gefahr, selbst zum »Schurkenstaat« zu werden, zumal jeder Macht der Missbrauch als Möglichkeit eingeschrieben sei.24 Auch die individualwie sozialpsychologische Annahme von Kriegsgründen gibt Hinweise, überzeugt jedoch nicht. So blieb als dritte Argumentation eine politische. Trotz Globalisierung lassen sich zwei Politikebenen noch immer unterscheiden: Innenpolitik und Außenpolitik. In Bezug auf den Irak heißt Innenpolitik zunächst: Diktatur oder Demokratie. György Konrad hatte dies in einem Plädoyer »Warum ich für den Irak-Krieg bin«, so formuliert: »Habe ich nicht die Absicht, mich selbst zu täuschen, dann kann ich weder an eine Unschuld der amerikanischen noch der deutschen, weder der britischen noch der französischen, weder der russischen noch der chinesischen Seite glauben. Ich nehme zur Kenntnis, dass sie alle ihre Interessen haben. Wir, ehemalige Dissidenten Mitteleuropas, sind daran interessiert, dass es weniger Diktaturen auf der Erde gibt. Deshalb ist uns die aufgefrischte antiimperialistische Propaganda, deren Wortführer wie in den Zeiten des Kalten Krieges groteskes Verständnis für todbringende Diktaturen bezeigen, nicht sympathisch. Deshalb bringen wir dem irakischen Despoten in seinem Vorgehen gegen das eigene Land und die Völker an der Peripherie keine demonstrative Toleranz entgegen.« (Konrad 2003) Solche Überlegungen gelten gern als gesinnungsethisch motiviert, was sie gegenüber einer Verantwortungsethik, die auf Folgen blickt, benachteiligt (obgleich Weber, von dem diese Unterscheidung stammt, stets auf die Notwendigkeit beider Ethiken hinwies). Aus religionssoziologischer Sicht dürfte die Demokratiefrage allerdings zentral sein. Vordergründig ist die Außenpolitik die Entscheidende. Es geht um Weltpolitik, Machtpolitik, Völkerrecht und militärische Gewalt. Auch hier sind die Kontroversen erheblich, wenngleich besonders unübersichtlich. Ein Extrem der Kriegsgegner markierten Saddam Hussein und seine west-östlichen Freunde, zu
4. Blutige Taten, heilende Werte? Der Krieg im Irak | 79 denen neben Jörg Haider und dem serbischen Nationalisten Vojislav Seselj, gegen den vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verhandelt wurde (sein kurz vor dem zweiten IrakKrieg veröffentlichtes Buch lautete: »Saddam Hussein gegen aggressive Globalisierung«), zahlreiche Despoten der arabischen und früher sowjetischen Sphäre zählten. Anders als diese Fronde von Befürwortern autoritärer Regimes argumentierten Kritiker einer langfristigen, hegemonialen Geostrategie der USA, die das Ziel eines »amerikanischen Jahrhunderts« unter anderem in Brzezinskis »Grand Chessboard«-Theorie (Brzezinski 1997) lesen und befürchteten, die Bush-Administration könne zwischen »Führung und Diktat« nicht unterscheiden (so S. Hoffmann 2003). Das andere Extrem bildeten die Invasionsbefürworter mit starken Eigeninteressen, vor allem die irakischen Kurden. Sie erhofften sich lange Zeit25 von den USA politische Befreiung und kämpften verständlicherweise gegen den Attentismus der Türkei, den der frühere Regierungschef Abdullah Gül so begründete: »Um Schiiten, Sunniten und Kurden des Iraks zusammenzuhalten, müsste das nächste Regime in Bagdad genauso autoritär wie Saddam Hussein regieren.« (Gül 2003) Die mittlere Position argumentiert im klassischen Sinn politisch – aus soziologischer Sicht kann man sagen: Hier geht es um die Organisation von Macht mit dem Ziel der Begrenzung von Herrschaft durch verständigungsorientiertes Handeln. Bezugspunkt dieses mittleren Politikwegs sind heute die Vereinten Nationen. Nach der Erfahrung zweier Weltkriege wurde der Krieg als Mittel der Politik geächtet, Eroberungs- wie Präventivkriege gelten als Völkerrechtsverstöße. Manche hofften, Außenpolitik werde bald Teil einer Welt-Innenpolitik. Das Problem der UN ist mit der Souveränität der Nationen zugleich ihre Grundlage und zwar in doppelter Hinsicht: nach innen das Prinzip der Nichteinmischung, nach außen die Grauzone zwischen Abschreckung und Bedrohung anderer souveräner Staaten. Der Mauerfall und die Auflösung des Ostblocks haben diese Grundlage der UN verflüssigt und zugleich beide Probleme politisiert: Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch innerhalb eines souveränen Staates werden zunehmend zum Gegenstand internationalen Strafrechts, während die weltpolizeiliche Intervention auch unterhalb des klassischen Angriffskrieges legitimierbar erscheint, wie das Beispiel des von den UN freigegebenen Angriffs auf Af-
80 | Kultur versus Religion? ghanistan zeigt. Beide Grundlagen wie Probleme der auf nationaler Souveränität basierenden UN traten im Fall des Irak-Krieges in aller Schärfe hervor. Nach Artikel 2 (4) der UNO-Charta ist zwar jede »Androhung und Anwendung von Gewalt« verboten – mit Ausnahme von Notwehr (Art. 51) und als Zwangsmaßnahme des Sicherheitsrates (Art. 42) –, doch scheint sich, so der Völkerrechtler Karl M. Meesen in einer allerdings umstrittenen Deutung, ein »werdendes Völkergewohnheitsrecht« herauszubilden, das die »Selbstverteidigung gegen den internationalen Terrorismus« auch deshalb erlaubt, weil kein Staat eine ständige Bedrohung durch Terroristen zu akzeptieren braucht (Meesen 2003).26 Die politische und zugleich völkerrechtliche Frage lautet daher, ob der Irak diese Bedrohung darstellte. Im September 2002 veröffentlichte das International Institute for Strategic Studies (IISS, London) ein Dossier zu den Massenvernichtungswaffen im Irak (IISS 2002). Bei ihrer Vorstellung resümierte der Direktor des Instituts, John Chipman: »Wait and the threat will grow; strike and the threat may be used.« Dieser Einschätzung hatten die nach der UN-Resolution 1441 vom 8.11.2002 wieder im Irak tätigen Waffenkontrolleure wenig Neues hinzugefügt. Es war vor allem das im Dezember 2002 veröffentlichte Buch von Kenneth M. Pollack (»The Threatening Storm. The Case for Invading Iraq«), das der Weltöffentlichkeit ein historisch rekonstruierendes Kompendium der Bedrohung durch den Irak zur Verfügung stellte (Pollack 2002). Anders als andere Staaten mit Massenvernichtungswaffen war der Irak mit zwei Angriffskriegen (Iran, Kuwait) nachweislich aggressionsbereit.27 Pollacks Kernargument war Saddam Husseins baldige (nicht die vorhandene, wie vom US-Außenminister Powell in einer manipulierten Präsentation vor dem Sicherheitsrat suggeriert) Verfügung über Atomwaffen. Hier läge die völkerrechtliche Legitimation für die kriegerische Invasion in den Irak (nicht in der Absetzung eines Despoten, so wünschenswert sie auch erscheinen mag). Gleichwohl sollte nicht vergessen werden, dass auch die Intervention der Nato-Staaten im Kosovo (1998) ohne UN-Legitimation erfolgte. Angesichts des absehbaren Vetos Russlands verzichteten auch jene Politiker auf ein Votum des Sicherheitsrates, die ein solches im Falle des Irak-Krieges für unverzichtbar hielten. Kontrovers waren freilich die politischen Folgerungen. Wäh-
4. Blutige Taten, heilende Werte? Der Krieg im Irak | 81 rend Pollack in einem baldigen Krieg eine »letzte Chance« sah, den Irak zu stoppen (K.M. Pollack 2003), setzten die Gegner des Krieges auf ein erweitertes Waffenkontrollregime. So weit sich die Diskussion überschauen lässt, schien die Argumentation der Gegner – mit Ausnahme radikalpazifistischer Positionen – neben der völkerrechtlichen Einrede dreifach gestuft: Zum einen sei die Invasion militärisch riskant, weil sie möglicherweise in einen Häuserkampf um Bagdad mit gewaltigen zivilen Opfern mündet; zum zweiten wurde eine Sympathisierung in der arabischen Welt befürchtet, die den Terrorismus begünstige, und drittens – dies galt zumeist als stärkstes Argument – sahen die Kriegsgegner keine Perspektive für einen Irak ohne Saddam Hussein. Eine Demokratisierung des Irak sei ein »Wunschbildchen«, so Christian Semler in der »tageszeitung«, die weder die Sozialstruktur noch die »Mentalität der Völker der Region« berücksichtige (Semler 2003). Ob diese Skepsis mehr als drei Jahre nach Kriegsende berechtigt erscheint, werden wir noch diskutieren. Vielleicht helfen zunächst soziologische und insbesondere religionssoziologische Überlegungen weiter. Sie könnten zweierlei erklären: die Motivation und zugleich Volatilität des Invasionswillens der US-Regierung und die Frage nach der Entwicklungsperspektive des Irak als Teil der islamischen Welt. Aus soziologischer Sicht erscheint der terroristische Angriff des 11.9.2001 als fundamentale Gefährdung der staatlichen Integration der US-Gesellschaft. Der Irak war im Übrigen der einzige Staat weltweit, der dieses Attentat nicht verurteilte. Es ist die zentrale Funktion jeder staatlichen Ordnung, ihr Territorium und die darin lebende Bevölkerung zu sichern. Bereits Mitte des 17. Jahrhunderts hatte Thomas Hobbes diesen Funktionszusammenhang von staatlicher Erwartbarkeit von Gehorsam und effektiver Garantie des Schutzes geäußert: »Pro protectione oboedientia« (Münkler 2003: 210). Eine Wiederholung des Misslingens ist solange programmiert, wie dem internationalen Terrorismus Auffangzonen zur Verfügung stehen, die sich internationalem Recht entziehen. Eine »uneingeschränkte Solidarität« (so der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder) mit dem amerikanischen Volk musste diese Integrationsgefährdung wahrnehmen. Sie wird vor dem Hintergrund einer inneramerikanischen Entwicklung noch verständlicher, die auch den Europäern droht: der Schwächung der staatlichen Integration (»melting pot«) durch
82 | Kultur versus Religion? das »Bindestrich«-Amerikanertum (Afro-, Hispano-, Asian-Americans usf.) (Huntington 2004) – seit dem 11.9.2001 vergewissern sich gerade diese Gruppen ihrer Zugehörigkeit als US-Bürger. Die polarisierende deutsche Diskussion um ein Zuwanderungsgesetz wie die europäische Kontroverse um eine Aufnahme der Türkei (und selbst des orthodoxen Osteuropa) in die EU mögen andeuten, welche komplexe Integrationsleistung staatliche Systeme erbringen müssen. Vor diesem Hintergrund war die im September 2002 präsentierte »US National Security Strategy« zu lesen. Zweierlei war neu. Zum einen wurde ausdrücklich das Ziel formuliert, dass keine andere militärische Macht die USA ein- oder gar überholen dürfe. Zweitens wurden der internationale Terrorismus und »rogue states«, »Schurkenstaaten«, als neue Bedrohung identifiziert, die präventive Kriegführung zwingend machen können. Der Vorstellung einer beliebigen Interventionskompetenz der USA widersprechen die Fülle realer wie potenzieller Konfliktregionen und damit ein an Vietnam erinnerndes Abnutzungsszenario. In einer fulminanten Rede vor dem amerikanischen Senat wies der Demokrat Robert C. Byrd die neue Lehre des »Pre-emptivkrieges« zurück, die »rücksichtslose arrogante« Bush-Regierung gefährde die internationale Ordnung und alle Bündnisse, auch gegen den Terrorismus (Byrd 2003). Experten wiesen zudem darauf hin, dass die US-Argumentation andere Staaten zu vergleichbaren Legitimationen einlädt, wie bspw. Russland in Tschetschenien.28 Was aber wäre die Alternative gewesen? Es ist unbezweifelbar, dass die Bereitschaft Saddam Husseins, die UN-Waffenkontrollen wieder zuzulassen, ausschließlich auf die militärische Drohung der USA (und Großbritanniens) zurückging. Ohne damit die weltpolitische und interessenbezogene Analyse der Kriegsgründe gering zu schätzen, eher, um deren Komplexität zu verstehen, sollte man deshalb ihre religiöse Dimension zur Kenntnis nehmen und der Frage nachgehen, ob diese Begründungsachse selbst als Kriegsgrund gelten konnte. Religionsskeptische Beobachter, wie der deutsche »SPIEGEL«, machten sich über einen »Krieg aus Nächstenliebe« lustig und standen staunend vor Sätzen, wie sie Georg W. Bush am 10.2.2003 in Nashville formulierte: »Freiheit ist nicht Amerikas Geschenk an die Welt. Freiheit ist Gottes Geschenk an jedes menschliche Wesen auf der Welt. […] Gott hat uns aufgerufen, unser Land zu ver-
4. Blutige Taten, heilende Werte? Der Krieg im Irak | 83 teidigen und die Welt zum Frieden zu führen, und wir werden beide Herausforderungen mit Mut und Selbstvertrauen angehen.«29 Als »Gottes Geschenk an die Menschheit« pries schon der französische Philosoph Alexis de Tocqueville Amerikas Demokratie. Der Theologe und Friedensforscher Hans-Eckehard Bahr identifizierte in den religiösen Motiven amerikanischer Machtpolitik zwei diametrale Religionskonzepte, eine national orientierte, fundamentalistische »Sektenmentalität« einerseits, eine universalistische, menschenrechtliche Religiosität andererseits: »Die amerikanische Machtpolitik ist nicht ohne ihre transrationalen, nationalreligiösen Antriebsmomente zu verstehen.« (Bahr 2003) Eine einfühlsame Reportage über die religiöse Kultur in Midland, Texas, dem Heimatort von George W. Bush, schließt mit den Worten: »Ja, da denkt man, sollten wir Europäer eines Tages wieder so unklug sein und einem Diktator erlauben, den Kontinent mit Krieg zu überziehen, diese Jungs würden in der Normandie landen. Sie würden nicht viel darüber reden; bevor sie aber den Strand hochstürmen, womöglich ihrem Tod entgegen, werden sie ein heißes, ernstes Gebet an ihren Schöpfer richten.« (Eisenhauer 2003) So würde man nicht über religiöse Fanatiker sprechen. Der Parsons-Schüler Robert N. Bellah hat in den 1960er Jahren den Rousseau’schen Begriff der »Zivilreligion« in die religionssoziologische Diskussion eingeführt (Bellah 1970). Sie ist keineswegs identisch mit der »modernen« Religion, die ein Subsystem der Gesellschaft darstellt (neben Wirtschaft, Politik oder Kunst). Vielmehr bildet sie eine eigenständige Dimension des gesellschaftlichen Lebens, in den Vereinigten Staaten vielleicht selbst ein gesellschaftliches Subsystem, das gekennzeichnet ist durch Überzeugungen, Symbole und Rituale. Als Inhalte der amerikanischen »Civil Religion« identifiziert Bellah folgende Elemente: 1. es gibt einen Gott; 2. dessen Wille ist durch die demokratische Verfahrensweise erkennbar; 3. somit ist das demokratische Amerika wichtigstes Werkzeug in der Geschichte und 4. die Nation ist die wichtigste Identitätsquelle des Amerikaners.30 Es ist diese Kombination aus Religion und Zivilreligion, die erst ein Verständnis für die Motivlage der USA ermöglicht (Brocker 2005). Unter allen westlichen Großgesellschaften zeichnen sich die USA durch die höchsten religiösen Werte aus (Kirchgang, Glaube an Gott usf.). Zugleich ist die Trennung von
84 | Kultur versus Religion? Staat und Religion in kaum einem anderen Staat so vollständig, mit der Folge eines religiösen Pluralismus, gar eines »Religionsmarktes« (Stark/Finke 2000). Die »Civil Religion« schlägt wiederum die Brücke zwischen Politik und Religion. Historisch und philosophisch ist dies ohne den Einfluss der Freimaurerei nicht zu begreifen. Noch immer prangen maurerische Symbole auf Dollarnoten und sind etwa zwei Millionen Amerikaner Logenmitglieder. Eine Reduzierung der religiösen oder zivilreligiösen Emphase der USA beispielweise auf die methodistische ›Erweckung‹ von George W. Bush würde jene kulturellen Implikationen verfehlen. Gleichwohl erscheint die Dimension der »Zivilreligion« nicht ohne Probleme, jedenfalls bei missionarischem Auftritt. Charles Taylor sah in der Rousseau’schen Vorstellung einer volonté générale gar »verheerende« Folgen für die Demokratie, da sie »Differenzen, Konkurrenz und Streit ihre Legitimität abspricht« (Taylor 2002: 19). Handelt es sich bei einem Krieg gegen den Irak also um einen Religionskrieg oder einen »Kampf der Kulturen«, wie dies Huntington für das 21. Jahrhundert prognostizierte? Manche Beobachter argwöhnen dies. Doch eine genauere Untersuchung zeigt, dass der Kulturkampf bereits quer durch die Kulturen stattfindet – in ihnen selbst.
4.2 Kulturkampf? Mitte der 1990er Jahre veröffentlichte Samuel P. Huntington sein einflussreiches Werk »The Clash of Civilizations« (1997), in dem er geradezu eine ›Kultur-Knall-Theorie‹ präsentierte. Seine Einteilung der Welt in sieben große zeitgenössische »Kulturkreise« bzw. »Zivilisationen« (sinisch, japanisch, hinduistisch, islamisch, westlich, lateinamerikanisch und evtl. afrikanisch) erklärt die Religion zu deren je »elementarem Merkmal« und beschreibt eine »multipolare« Weltordnung, an deren »Bruchlinien« die Konflikte drohen. Das weltpolitisch Neue sei, dass die »Ordnung der Zivilisationen« zwar um Kernstaaten organisiert sei, doch den »Bruchlinienkonflikten« mit dem »Niedergang der Staaten bzw. ihrer relativ gesunkenen Macht ein die Konflikte hegender und moderierender Akteur fehle« (Münkler 2003: 201). So notwendig eine Interpretation der kulturellen Dimensionen
4. Blutige Taten, heilende Werte? Der Krieg im Irak | 85 des weltgesellschaftlichen Wandels ist, können gleichwohl aus soziologischer Sicht erhebliche Einwände gegen die politikwissenschaftliche Perspektive Huntingtons vorgetragen werden. Die beiden Haupteinwände sind sein monolithischer Kulturbegriff und die fehlende Binnendifferenzierung der »Zivilisationen«. »Das Multikulturelle ist nicht in erster Linie, wie bei Huntington, ein interkultureller, es ist ein intrakultureller Zustand«, so Wolfgang Schluchter (2002: 9). Darüber sollten auch nicht die Szenarien zum islamistischen Fundamentalismus hinwegtäuschen, wie sie von Peter Scholl-Latour in vielen Fernsehreportagen und Publikationen skizziert wurden.31 Er sieht eine asiatisch-revolutionäre Bewegung gegen den Westen, vom Kaukasus, über den Kashmir-Konflikt bis Indonesien, die – durchaus im Stil Huntingtons – auch China mittelfristig als Gegner einschließt. Einen ähnlichen Analyse-Typ bietet der israelische Philosoph Avishai Margalit an, der die islamische Welt insgesamt in einer »revolutionären Situation« sieht, mit zwei – klassischen – Optionen, der »stalinistischen« Revolution in einem Land, wie im Iran, und der »trotzkistischen« Version des Revolutionsexportes, wie sie Bin Laden wohl will (Margalit 2003). Doch sind diese Szenarien wirklichkeitsgemäß? Um zu klären, ob der Krieg gegen den Irak die Zeichen eines »Kulturkampfes« trug – und damit, folgten wir Huntington, in eine Katastrophe münden könnte –, sollen drei Problemfelder der arabisch-islamischen Kultur näher betrachtet werden: das Verhältnis von Politik und Religion, die Frage nach der Demokratiefähigkeit und schließlich die Rolle der Sozialpolitik. Aus heutiger westlicher Sicht scheint der Islam durch eine vormoderne Einheit von politischer und religiöser Sphäre gekennzeichnet, während das Christentum von Anfang an eine Zwei-Reiche-Lehre vertrat. Doch bereits Rousseau sah in seinem »Gesellschaftsvertrag« am Beginn des Kapitels über die »bürgerliche Religion« die historischen Wurzeln differenzierter: »Mohammed hatte sehr gesunde Ansichten; er knüpfte sein politisches System fest, und solange seine Regierungsform unter seinen Nachfolgern, den Kalifen, bestand, war diese Regierung eine völlig einheitliche und darin gut. Aber die Araber, reich, gelehrt, verfeinert, schlaff und faul geworden, wurden von Barbaren unterworfen: da begann die Spaltung der zwei Mächte von neuem. Obwohl sie bei den Mohammedanern weniger offenbar ist als bei
86 | Kultur versus Religion? den Christen, gibt es sie doch […]« (Rousseau 1986: 144). Die entscheidende Frage heute lautet, ob die von Huntington problematisierte »Islamische Resurgenz«, die Tatsache, dass »1995 mit Ausnahme des Iran jedes Land der Welt mit überwiegend muslimischer Bevölkerung in kultureller, sozialer und politischer Hinsicht islamischer und islamistischer geworden ist, als es fünfzehn Jahre zuvor gewesen war« (Huntington 1997: 171), auch mit einer Entdifferenzierung beider Subsysteme einherging. Während Huntington darauf keine Antwort gibt, vertreten Islam-Kenner wie Malise Ruthven die These, dass der Islamismus zwar den politischen Diskurs in den muslimischen Ländern auf absehbare Zeit beherrscht, doch faktisch »eher einen kulturellen Rückzug in die Moschee und den privaten Raum der Familie mit sich bringen« wird. Auch in der muslimischen Welt weise alles auf wachsenden Individualismus und persönliche Wahlfreiheit hin und damit in den Beziehungen zwischen Staat und bürgerlicher Gesellschaft auf eine dem Westen bekannte Entwicklung – allerdings nicht ohne Konflikte: »Leider muss damit gerechnet werden, dass auf diesem Weg noch viel Blut fließen wird.«32 Ruthvens Säkularisierungsprognose scheint freilich eindimensional, wie wir noch sehen werden. In historischer Sicht argumentiert Dietrich Jung, dass von einem einheitlichen Verhältnis beider Sphären weder in Europa noch in der islamischen Welt gesprochen werden könne, vielmehr auch in letzterer eine »Autonomisierung politischer Herrschaft im modernen Staat« der Fall sei (Jung 2002). Noch in den 1980er Jahren war der Libanon zerrissen zwischen christlich-maronitischen und muslimischen Clans und erst in den 1990er Jahren gelang es, nach blutigen Konflikten, das von Frankreich als Mandatsmacht 1943 etablierte konfessionelle Proporzsystem einigermaßen zu stabilisieren, ohne, wie zuvor die Christen, eine der Gruppen zu privilegieren.33 Die 1941 in Damaskus gegründete »Arabische Sozialistische Baath-Partei« verfolgte demgegenüber eine nationalistische, säkulare Ideologie. In ihrer Verfassung von 1947 wird an keiner Stelle auf den Islam Bezug genommen. An die Stelle der Religion tritt ein Panarabismus als eine Art säkularer Ersatzreligion, gar ein »säkularer Staatsfundamentalismus« (Meier 2002: 63). 1963 wurde die Baath-Partei in Syrien und im Irak politisch wirksam und blieb es in Syrien bis heute. Wenn Saddam Hussein während des Krieges
4. Blutige Taten, heilende Werte? Der Krieg im Irak | 87 gegen den Iran islamische Begriffe besetzte, vom »Heiligen Krieg« sprach und seinen Soldaten zurief: »Bei Gott, ihr kämpft stellvertretend für die Geschichte« (ebd.: 96f.), so muss man dies eher »zivilreligiös« interpretieren, keineswegs als neue Einheit von Staat und Religion. Die neuere Religionssoziologie stellt das – von der Soziologie des 20. Jahrhunderts vertretene – Modell der »Säkularisierung« des Westens bzw. der Welt insgesamt in Frage. José Casanova hält es nur für eine von drei Dimensionen aufrecht: für die Differenzierung von religiösen und nicht-religiösen Subsystemen und Institutionen. Für zwei weitere Dimensionen – Säkularisierung als Niedergang religiöser Überzeugungen und Praktiken sowie Säkularisierung als Marginalisierung der Religion in die Privatheit – beobachtet er in exemplarischen Studien westlicher Gesellschaften (Spanien, Polen, Brasilien, USA) gegenläufige Entwicklungen. Sie lassen es ihm angezeigt sein, von »öffentlichen Religionen« zu sprechen und schließlich zu vermuten, »dass Religion irgendwie unbeabsichtigt helfen kann, die Moderne selbst zu retten« (Casanova 1994: 234, Übers. M.O.). Andere Beobachter sprechen davon, dass die westlichen Gesellschaften gleichzeitig von »Säkularisierung« wie von »Resakralisierung« gekennzeichnet seien (Hildebrandt u.a. 2001; Taylor 2002a; Joas 2004). Casanovas Argumentation erscheint überzeugend: »Wir müssen ernsthaft die These in Erwägung ziehen, dass die Säkularisierung in Europa zu einer Art self-fulfilling prophecy geworden ist, nachdem große Anteile der Bevölkerung in den westeuropäischen Gesellschaften, die christlichen Kirchen eingeschlossen, die grundlegenden Prämissen der Säkularisierungstheorie akzeptiert hatten: dass Säkularisierung ein zielgerichteter Prozess des modernen sozialen Wandels sei; dass eine Gesellschaft, je moderner, desto säkularisierter wird […]. Wenn diese These richtig ist, dann kann die Säkularisierung der westeuropäischen Gesellschaften besser als Triumph des säkularistischen Wissensregimes erklärt werden als in Begriffen von Strukturprozessen der sozio-ökonomischen Entwicklung – wie etwa Urbanisierung […] etc.« (Casanova 2006) Unterdessen liegen Studien über vergleichbare Entwicklungen in den muslimischen Gesellschaften vor. Mansoor Moaddel untersuchte mit Inglehart und Kollegen in Kairo, Teheran und Amman die Einstellungen zu Religion, Geschlecht und Politik in
88 | Kultur versus Religion? Ägypten, Iran und Jordanien und beobachtete Erstaunliches: die »westlichsten« Einstellungen fanden sich im Iran (Moaddel 2002; Norris/Inglehart 2004). Die Entdifferenzierung von Religion und Politik im iranischen Mullah-Regime hatte auf der Einstellungsebene der Bevölkerung gegenläufige Folgen. Das ist noch kein Beleg für eine Verwestlichung der muslimischen Welt insgesamt, gleichwohl ein Hinweis darauf, dass einlineare Säkularisierungsprognosen so wenig taugen wie Fundamentalismusbefürchtungen. Die islamischen Eliten pauschal als Träger des erstarkten islamistischen Fundamentalismus zu identifizieren, erscheint wenig begründet. Auch der überwältigende Sieg der islamistischen AKP in der Türkei im Herbst 2002 dürfte bislang eher ein Beleg für Casanovas differenzierte Sicht sein. Der Wahlsieger Recep Tayyip Erdogan gilt als Anhänger des Sufismus (Naqschbandi-Tariqa), einer nicht nur in der Türkei verbreiteten mystischen Strömung des Islam, die eher für eine ›öffentliche Religion‹ als für ein Amalgam von Staat und Religion eintritt. Vielleicht liegt hier die Chance für Verständigung und langfristigen Frieden. Zwar bezweifelt Bassam Tibi, Politologe und Streiter für einen »Euroislam«, dass der Islam bereit sei, von seiner Dominanzvorstellung abzulassen und damit institutionellen Säkularismus – als Trennung von Religion und Politik – anzunehmen (Tibi 2002). Auch Dan Diner sieht in der Allgegenwart des Sakralen den Grund für den »Stillstand in der islamischen Welt« (Diner 2005). Ohne Druck von außen wie innen, Pragmatismus und spätere Einsicht wird sich wenig ändern. Das war allerdings im Christentum nicht anders. Napoleons Zwangssäkularisierung und Kirchenenteignung waren in Frankreich erst 1903 vollendet – ohne gleichwohl den christlichen Glauben zu zerstören. Die Kontroversen um eine islamische Aufklärung finden als ein Modernediskurs innerhalb der arabischen Philosophie nicht erst heute statt (Hendrich 2004) und werden sowohl von liberalen wie konservativen Reformern geführt (Amirpur/Ammann 2006). Wie steht es nun mit der Demokratiefähigkeit des Islam und insbesondere des Irak? Der Historiker Heinrich August Winkler ist rigide: »Im arabischen Nahen Osten fehlen die Grundlagen für eine westliche Demokratie.« (Winkler 2003) Jene Grundlagen hatte der Politiksoziologe Thomas H. Marshall für Europa in einem Dreischritt rekonstruiert: vom Rechtsstaat des 18. Jahrhunderts über den demokratischen Staat des 19. zum Wohlfahrtsstaat des
4. Blutige Taten, heilende Werte? Der Krieg im Irak | 89 20. Jahrhunderts (Marshall 1992). Dass diese jahrhundertelange Entwicklung in anderen Weltregionen nicht beliebig zu beschleunigen ist, zeigt das Beispiel der Sowjetunion, deren demokratische Kultur – Menschenrechte, Zensurfreiheit, Minderheitenrechte – noch wenig befriedigt. Dennoch würde kaum ein westlicher Politiker oder Wissenschaftler eine Rückkehr zur Despotie anraten. Auch in der islamischen Welt ist Demokratie nicht ohne Kampf gegen Despoten zu erlangen und vermutlich so wenig ohne die bittere Erfahrung von Kriegen oder Systemzusammenbrüchen wie andernorts. Der türkische Theologe und Politiker Yas¸ ar Nuri Öztürk hat eindrücklich nachgezeichnet, warum bereits im Koran – und damit in der Grundschrift des Islam – die Idee der Demokratie eingeschrieben ist: »Das Recht zur Führung eines Volkes kann nicht von Gott oder per Geburt erlangt werden, sondern nur vom Volk und durch Wahlen. Dies bezeichnet der Koran als bajat. Das mittels bajat erlangte Recht zur Führung eines Volkes wird mit dem schura genannten System der Beratung und Kontrolle vollzogen. Dieses System stellt sicher, dass die Führenden die Geführten und umgekehrt die Geführten die Führenden kontrollieren. Auf der Grundlage der schura kann das Volk, das über die Regierenden wacht, ihnen auch das Recht zur Herrschaft entziehen, falls es dies für notwendig erachtet.« (Öztürk 2003) Öztürk sieht, dass der »wichtige Teil der zeitgenössischen islamischen Intellektuellen«, der dies begreift und daraus demokratische Folgen zieht, »noch keinen großen Einfluss« ausübt. Sowohl religiöse Führer wie die herrschenden islamischen Despoten »verheimlichen« insoweit den »wahren Islam« zugunsten eines konservativen, »traditionellen Islam«. Sie versuchen, ihre Macht zu bewahren und öffnen sich zugleich, wie die europäischen Herrscher des 19. Jahrhunderts, liberalem Denken. So kündigte die saudische Regierung am 13.1.2003 eine Initiative für einen neuen »arabischen Gesellschaftsvertrag« an, der drei Grundprinzipien enthalten solle: »Ablehnung von Gewaltanwendung, Selbstkritik und Ausweitung der politischen Partizipation« (Hamzawy 2003). Die entscheidende Frage lautet: Kann eine Intervention von außen, eine kriegerische Invasion, dieses Bündnis konservativer religiöser und politischer Führer aufbrechen? In der wissenschaftlichen Literatur finden sich auf diese Frage naturgemäß keine eindeutigen Antworten. Lagen der Erwartung der Bush-Re-
90 | Kultur versus Religion? gierung, im Irak eine demokratische Staatsform mit Leitbildfunktion für andere arabische Gesellschaften zu etablieren, folglich riskante, möglicherweise illusionäre Hoffnungen zu Grunde? Die bekannten Pläne der Bush-Regierung für ein mehrjähriges USMilitärgouvernement im Irak, abgesichert durch eine sechsstellige Zahl von US-Soldaten, lassen trotz gegenteiliger öffentlicher Beteuerungen annehmen, dass der Nachkriegszeit weniger Demokratie-Hoffnungen als vielmehr militärische Sicherungsinteressen galten.34 Die Lage in Afghanistan gibt zudem wenig Anlass, den USA besonderes Engagement beim »nation-building« zuzutrauen. Im Irak wäre dies folglich eher die Aufgabe der Europäer gewesen, die ohnehin – bei einer Aufnahme der Türkei in die EU – zum unmittelbaren Nachbarn würden. Und warum soll die Demokratisierung des Irak nicht gelingen, als eine späte Wiedergutmachung der kolonialen Ignoranz – die Briten richteten dort noch 1921 eine Monarchie ein –, wo dies in Staaten wie Indien durchaus möglich war, unter religiös und kulturell keineswegs weniger komplexen Bedingungen? Allerdings sollten die Europäer aus den blutigen Fehlern auf dem Balkan lernen: So wenig wie Jugoslawien wird sich voraussichtlich der Irak als staatlich integriertes System halten lassen. Die kulturell-ethnische und religiöse Dreiteilung in Kurden, Sunniten und Schiiten müsste zumindest zu einem föderalen System, vermutlich aber zur staatlichen Neugliederung führen. Hier lag die erste und – im Kontext der regionalen Machtbalancen – gewiss nicht konfliktfreie Aufgabe einer Demokratisierung: den Irakern die Chance zu eröffnen, unter der Obhut der UN über die Grundlagen ihrer Verfassung selbst zu entscheiden, wie dies im Sommer 2005 auch erfolgte – freilich unter labilen Sicherheitsbedingungen und damit nur rudimentären öffentlichen Diskursmöglichkeiten. George Packer hat in einem eindrücklichen Artikel in der »New York Times« die Diskussionsprozesse innerhalb der USAdministration und der irakischen Exil-Opposition vor dem Irak-Krieg rekonstruiert und dabei auf die Rolle von Kanan Makiya hingewiesen, dem Autor von »Republic of Fear« (1989). Makiya, ein früherer Trotzkist und heutiger Liberaler, gehört zu den Vertretern eines »Irakischen Exzeptionalismus«, der Idee, dass die Iraker aufgrund ihrer spezifischen Leidenserfahrung gegen die anti-westliche Rhetorik der übrigen arabischen Welt
4. Blutige Taten, heilende Werte? Der Krieg im Irak | 91 voraussichtlich immun seien. Makiya verfasste im Auftrag der »Future of Iraq Project’s Democratic Principles Working Group« eine Studie über eine demokratische Neuordnung nach Saddam, die er so beschreibt: »Die Studie enthält eine völlig neue Idee, die bisher in der arabisch-muslimischen Welt nicht existiert. Sie ist etwas Enormes, etwas Unglaubliches. Wir sprechen vor allem von einer Idee der Demokratie, die nicht nur die Mehrheitsregel meint – eine Idee der Demokratie, die von Minderheitenrechten handelt und vor allem von individuellen Rechten. Es ist eine Kampfschrift.« (Zit. in Packer 2003, Übers. M.O.) Die Skeptiker gegenüber dieser optimistischen Vision waren freilich nicht nur im Pentagon und in der Carnegie Foundation, sondern auch bei den ›Realpolitikern‹ des links-liberalen politischen Milieus mächtig, vor allem in Europa. So kann tatsächlich der Eindruck eines »Religionskrieges« aufkommen – freilich für eine »Religion der Demokratie«, präziser und (in Anlehnung an Durkheim): eines »Kults des Individuums«. Der Orientalist Edward W. Said mahnte die arabischen Intellektuellen vor einer holzschnittartigen Karikatur der USA, in der es eine reiche »Tradition abweichenden Denkens« gebe: »Kulturen überschneiden sich stets mit anderen Kulturen.« (Said 2003: 13) In einem Anfang 2003 veröffentlichten Band des IISS diskutierten Experten die Ausgangsbedingungen der irakischen Gesellschaft für einen Regimewechsel. Sie klärten darüber auf, dass diese keineswegs unter beschaulichen Kategorien wie Sekte, Stamm und Partei erklärt werden können. Vielmehr müsse man insbesondere die Rentierstruktur der staatlichen Ökonomie und die Existenz eines »Schattenstaates« zur Kenntnis nehmen, der öffentliche Güter nach Regimeinteressen verteilt (Dodge/Simon 2003). Wir kommen damit zum dritten Problemkreis eines vor allem inner-arabisch-islamischen »Kulturkampfes«: der Rolle und Funktion der Sozialpolitik in arabisch-islamischen Gesellschaften, insbesondere im Irak. Im Sommer 2002 stellte das UNO-Entwicklungsprogramm (UNDP) einen in seinem Auftrag von einer Gruppe unabhängiger arabischer Experten erstellten »Arab Human Development Report« vor (UNDP 2002). Der Befund war dramatisch: In den 22 Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga mit rund 280 Millionen Einwohnern wirkte die Abhängigkeit vom Erdöl seit 1980 als Wachstumsverlangsamung. Ihr kombiniertes Bruttoinlandspro-
92 | Kultur versus Religion? dukt erreichte im Jahr 1999 mit 531 Mrd. Dollar nicht einmal das Niveau Spaniens. Neben ökonomischen Fehlentwicklungen im engeren Sinn (Investitionen der Erdöleinnahmen vor allem außerhalb der arabischen Länder, sinkende Nettoproduktivität, fehlende Kooperation) sind es politische Regulierungsmängel – und nicht die Religion –, die die Rückständigkeit verursachen: eine kulturelle Abschottung (jährlich werden nur 300 Bücher ins Arabische übersetzt, allein das kleine Griechenland bringt es auf die fünffache Zahl an Fremdautoren), vor allem aber ein weitreichendes Versagen bei den gängigsten sozialpolitischen Indikatoren: Bildung, Gesundheit und sozialer Ausgleich. Im 2005 veröffentlichten Folgebericht wurde dabei die Benachteiligung von Frauen besonders betont. Unterdessen ist es Stand der international vergleichenden sozialpolitischen Forschung, dass die Entwicklung wohlfahrtsstaatlicher Institutionen nicht Folge, sondern zentrale Voraussetzung der ökonomischen Prosperität der westlichen Industriegesellschaften (und phasenweise auch der sozialistischen) darstellte. Die Beziehungen zwischen Wohlfahrtsstaatlichkeit und Demokratie wiederum waren lange Zeit nicht so eindeutig. Erst die Entfaltung der Dienstleistungsökonomie und ihr Übergang in eine Wissens- und Informationsökonomie mit den einschlägigen Anforderungen an flexible, kreative und kooperationsfähige Belegschaften zeigen im weltweiten Maßstab die Überlegenheit demokratischer Wohlfahrtsstaaten. Dagegen spricht auch nicht der Wirtschaftsboom in den zumeist undemokratischen südostasiatischen »Tigerstaaten« und vor allem der Volksrepublik China. Der Kampf um Menschenrechte und Demokratie hat auch in diesen Gesellschaften Erfolge gezeitigt. Hier liegt der strukturelle Mangel der arabisch-islamischen Welt, der durch den Ölreichtum eben nicht kompensiert werden kann. Hinzu kommt die demographische ›Bombe‹: So rechnet man Saudi Arabien mit einem Bevölkerungsanteil von mehr als 50 Prozent unter 18 Jahren zu den »heißen Gesellschaften« – ohne reale sozialökonomische Chancen bieten sie ihrem Nachwuchs nur die Option von Resignation oder Terrorismus (Heinsohn 2006). Weitsichtige Führer haben die Gefahr erkannt. Doch ohne fundamentale Sozialreformen kann sie überhaupt nicht gebannt werden. Möglicherweise erweist sich die sozialistische Matrix der irakischen Vor-Kriegs-Gesellschaft auf längere Sicht als eine letzt-
4. Blutige Taten, heilende Werte? Der Krieg im Irak | 93 lich günstige Voraussetzung für eine nachholende Modernisierung. Bis zum Iran-Krieg waren Infrastruktur und Sozialwesen im Irak so gut ausgebaut wie in keinem anderen arabischen Land. Zudem leben drei Viertel der irakischen Bevölkerung in Städten, waren Frauen zumindest formal weitgehend gleichberechtigt und bestand bereits vor dem Krieg trotz der erheblichen Analphabetenquote ein beachtliches akademisches Potenzial (acht Universitäten, eine TU und 19 technische Institute). Nach Angaben der »Internationalen Vereinigung für Soziale Sicherheit« (ISSA, Genf) verfügte der Irak über ein beachtliches System an Sozialversicherungen für Alter, Invalidität, Krankheit und Elternschaft. So übertrafen die Sicherungsleistungen für Mütter bei Weitem die entsprechenden relativen Niveaus in den USA.35 Man mag dies als »national-sozialistisches Kredo« einer anfangs vom deutschen Nationalsozialismus beeinflussten Baath-Ideologie abtun (so Jabar 2003). Dennoch: Ein ›Kulturkampf‹ um das ›westliche‹ Wohlfahrtsstaatsmodell hätte im Irak nicht mehr geführt werden müssen – zumal dessen künftige Ausgestaltung auch im Westen heftig diskutiert wird. Auch in dieser Hinsicht hätten die optimistischen Kalkulationen der US-Regierung also aufgehen können.36
4.3 Kriegsfolgen An Stelle eines »Kampfs der Kulturen« wären also mit einer Invasion in den Irak tatsächlich für die regionale wie globale Entwicklung möglicherweise positive Folgen verbunden gewesen. Münkler hielt zwar zunächst eher ein »Prosperitätsregime« als Demokratie für wahrscheinlich. Auf einen Krieg zu verzichten, konnte sich eine Weltmacht wie die USA jedoch nicht mehr leisten: »Für die ist ein Gesichtsverlust ein Verlust von Drohpotenzial, der zur Folge hat, dass man bei der nächsten Gelegenheit um so heftiger zuschlagen muss.« (Münkler 2003a) So blieben am Schluss noch zwei weitere, auch religionssoziologisch bedeutsame Fragen offen: die Folgen eines Irak-Krieges für Palästina und den internationalen Terrorismus. Der Regimewechsel im Irak bedeutete wohl das endgültige Aus für den panarabischen Nationalismus und damit, so die optimistischen Annahmen, die Voraussetzung für einen Frieden in
94 | Kultur versus Religion? Palästina. Wie Umfragen zeigen, ist die überwiegende Mehrheit der israelischen wie der palästinensischen Bevölkerung an einem pragmatischen Zusammenleben beider Völker interessiert. Was fehlt, ist eine realistische institutionelle Perspektive, die Vertrauen ermöglicht. Alle bisherigen Friedensabkommen erforderten Druck von außen – zugleich aber auf beiden Seiten Führer, die an Frieden wirklich interessiert sind. Solange die palästinensische Führung, zudem seit der Wahl der Hamas im Januar 2005, mit Druck und Unterstützung anderer arabischer Staaten auf Terrorismus setzt oder ihn zumindest billigt, wird sich die jüdische Mehrheit der Israeli um Politiker scharen, die auf parastaatlichen Terror mit dem verfügbaren staatlichen Terror antworten. Wolf Biermann geißelte in einem polemischen Essay im »SPIEGEL« den »Nationalpazifismus« der deutschen Gegner eines Irak-Krieges (Biermann 2003). Ohne die so »waffengeilen Amerikaner« hätte es weder eine Befreiung vom Hitler-Regime noch »die Entlassung der DDR aus dem sowjetischen Völkergefängnis« gegeben. Tatsächlich war der Impuls der neuen weltweiten Friedensbewegung vor und während des Irak-Krieges 2003 schillernd: einerseits ein Anknüpfen an einen »neuen« europäischen Geist der Mitte, des Ausgleichs, belehrt aus Weltkriegserfahrungen, andererseits aber auch unübersehbarer Antiamerikanismus und – wenngleich latent – Antisemitismus (Küntzel 2004). Die politischen Terroristen (wie ihre Despoten) nahm diese Bewegung kaum ins Visier. Man kann jene Mörder als »Blasphemiker« entlarven, wie Ulrich K. Preuß dies mit protestantischer Genauigkeit vorführt (Preuß 2002). Es wird nicht genügen. Den geistigen Boden für die politischen Selbstmordattentäter bildet das religiöse Schwächegefühl der Islamisten gegenüber den Versuchungen der liberal-säkularen Moderne (Juergensmeyer 2001). ›Der Westen‹ sollte auf seine eigenen, geistig-kulturellen Schwächen blicken, auf seine eigenen Versuche, diese zu transformieren – und wird dabei, in dieser letztlich immer religiösen Aktion – Religion verstanden als Rückbindung an Unhintergehbares – in der islamischen Welt (wie auch in den anderen weltreligiös geprägten Kulturen) Partner finden. Die zivilreligiöse Begründung der Bush-Regierung für eine Irak-Invasion – ganz anders noch als bei früheren imperialistischen Abenteuern wie in Vietnam – könnte sich insoweit als historischer Kairos erweisen, der eine Verständigung über eine zwei-
4. Blutige Taten, heilende Werte? Der Krieg im Irak | 95 te Moderne ermöglicht, die nicht einfach von hedonistischem Individualismus geprägt sein wird. Die geistigen Eliten gerade in der islamischen Welt müssen glaubwürdig als Partner gewonnen werden. Die westliche Reflexion auf Toleranz, Differenz und Pluralismus darf das Verhältnis von »Glauben und Wissen« nicht als Widerspruch, sondern muss es als ureigene und zugleich universale Herausforderung begreifen. Das ist natürlich »Idealismus«, jedenfalls im Sinne Hegels. Es könnte aber sein, dass nur eine solch »idealistische« Haltung ein friedliches Zusammenleben der Menschheit sichert. Die zunächst panisch-aggressiven Reaktionen in der islamischen Welt auf die »Regensburger Vorlesung« von Papst Benedikt XVI. zum Thema »Glaube und Vernunft«, in seiner früheren Rolle als Hochschullehrer im September 2006 (Benedikt XVI. 2006), machten unterdessen einer eher nüchternen (Selbst-)Reflexion Platz, beispielsweise in einer Stellungnahme von 35 muslimischen Religionsgelehrten (Abd Allah bin Mahfuz bin Bayyah u.a. 2006). Die neuere Religionssoziologie plädiert dafür, nicht nur den weltweiten Trend hin zu einer »impliziten« oder »unsichtbaren Religion« zu erkennen, sondern auch den Zusammenhang von Globalisierung und Religion so wahrzunehmen, dass hier nicht nur das Partikulare, Regionale und Heterogene, sondern Züge des Universellen sichtbar werden (Beyer 2001). Die zivilreligiöse Botschaft Amerikas – und Großbritanniens – an die arabische Welt lautete: Freiheit durch Demokratie. Der Krieg galt als unvermeidliches Übel, um diese historisch nötige Mission zu vertreten. Dagegen gibt es zwei Einwände: Der erste Einwand hält die arabisch-islamische Welt für undemokratisierbar. Selbst im US-Außenministerium wurde vor der Hoffnung auf eine »demokratische Domino-Theorie« gewarnt, weil die sozialökonomischen Probleme dieser Region endemisch seien (Miller 2003). Für die Chance zu Demokratie spricht die praktische Demokratie-Erfahrung im Libanon, das relativ hohe Bildungsniveau im Irak und die Existenz, aber eben despotische Unterdrückung demokratischer Kultur in der arabischen Welt. Der zweite Einwand eines großen Teils der Weltbevölkerung und ihrer Eliten hält die USA schlicht für unglaubwürdig. Auch dagegen lässt viel vortragen, vor allem aber zwei Tatsachen: zum einen die geänderte Weltlage nach 1989. Weder ein Sturz von Allende in Chile durch die CIA noch ein Vietnam-Krieg waren
96 | Kultur versus Religion? ohne die Blockkonfrontation denkbar. Diese fehlt nun. Die zweite Tatsache ist eine eher geisteswissenschaftliche. Auf sie hat Rudolf Steiner vor mehr als 80 Jahren aufmerksam gemacht. Wir leben im Zeitalter der, wie Steiner es nennt, »Bewusstseinsseelenentwicklung« und in der englischsprachigen Welt tritt diese »Hinneigung zur Bewusstseinsseele instinktiv« auf: »Das ist auch die Schwierigkeit des Verständnisses, die da vorliegt, wenn die Leute englische Politik oder die amerikanische Politik begreifen wollen. […] Sie wird daher diese selbstsüchtigen Impulse als das Selbstverständliche ansehen, als das Rechtliche, als das Moralische. Da ist gar nichts dagegen einzuwenden. Das ist […] als eine welthistorische, ja sogar kosmische Notwendigkeit einfach einzusehen.« (Steiner 1990: 140ff.) Einen Krieg mit seiner Grausamkeit in dieser »Notwendigkeit« der Freiheitsentwicklung zu sehen, fällt vielen schwerer als jenem Kommentator der »New York Times«, der bei Tony Blair die Vision des kabbalistischen »tikkun olam« erkannte, das heißt: »to repair the world«, die Welt zu reparieren (Friedman 2003). George W. Bush brachte die Willensbasierung der amerikanischen Zivilreligion in seiner Kriegserklärung vom 17. März 2003 auf den Punkt: »This is not a question of authority, it is a question of will.«37 Gegen den möglichen Unilateralismus der USA unterschied Timothy Garton Ash (2003) drei »broad ideas«, die um die westliche Nachfolge des Kalten Krieges konkurrieren: die »Rumsfeldian idea« des Unilateralismus, die »Chiraco-Putinesque idea«, wonach Amerika gefährlich und eine kontinentale, »eurasische« Koalition mit freilich zweifelhafter Demokratiekompetenz zu ihrer Begrenzung erforderlich wäre, und schließlich die für ihn einzige tragfähige Idee einer neuen Weltordnung, die er »Blairism« nennt. Konnte der Krieg vermieden werden? Es schien nur eine Option zu geben: Saddam Hussein respektiert das irakische Volk und öffnet den Weg für freie Wahlen, die selbst die staatliche Verfassung des Irak in Frage stellen. Auf der Konferenz der Arabischen Liga Anfang März 2003 forderten ihn die Vertreter der Vereinigten Arabischen Emirate zum Rücktritt auf und boten ihm ein Exil an – während die verbliebenen 21 Außenminister dies nicht für ratsam hielten: »Das ist eine Angelegenheit, in der die Entscheidung ausschließlich beim irakischen Volk liegt«, erklärte der stellvertretende Generalsekretär der Liga. Nur: Wer fragte das Volk? Und: Rechtfertigte Husseins Ablehnung solchen
4. Blutige Taten, heilende Werte? Der Krieg im Irak | 97 Ansinnens einen Krieg, mit all seinen schrecklichen Folgen für die Zivilbevölkerung und den Risiken neuen Terrorismus? Was wäre die – theoretische und künftige – Alternative zum Krieg gewesen? Michael Walzer sah nur einen »richtigen Weg« gegen den Krieg: einen »Internationalismus«, in dem nicht nur die USA, sondern auch andere Staaten reale – und das heißt notfalls auch: militärische – Verantwortung für die Durchsetzung internationalen Rechts übernehmen (Walzer 2003). Das wäre der Beginn der Weltinnenpolitik eines Weltstaates – doch ist die Idee einer unipolaren Welt anstelle einer multipolaren weniger »idealistisch« als die Hoffnung, dass die Religionen der Welt nicht mehr die Grundlage für Feindschaft bilden, sondern das Saatbeet für Menschenrechte, Demokratie und Wohlfahrtsstaatlichkeit? Eine soziologische Analyse laufender Vorgänge steht stets unter dem Vorbehalt des Ungewissen. Das erhöht das Risiko, Webers Postulat der »Wertfreiheit« noch mehr zu umgehen als ohnehin unvermeidlich. Wenn Ulrich Beck die Bush-Regierung für »religiös übercodiert« erklärte und sie der »absolutistischen und revolutionären Nicht-Politik« bezichtigte, mag das als, zwar polemische, Analyse gelten. Sein werthaltiges Plädoyer für »eine Politik der militärischen Bedrohung, die friedlich die Welt verändert«, für einen »militärischen Humanismus«, der hofft: »Die militärische Eroberung des Iraks kann in dem Masse verhindert werden, in dem die militärische Eroberung so sicher ist wie das Amen in der Kirche« (Beck 2003), bleibt dem Paradox ihres blutigen Scheiterns ausgeliefert. Karl Otto Hondrich hielt sich deshalb mit dem Vagen nicht auf: »Denn Ordnung und Freiheit stellen sich nicht einfach her durch Gleichverteilung, sondern durch Unterdrückung von Gewalt durch noch größere Gewalt.« Die Europäer mögen sich für besonders tolerant halten, »aber prüfen wir selbst: Wenn Gleichberechtigung der Geschlechter, Freiheit der Religion und der Rede, demokratische Kontrolle der Macht ernstlich angegriffen würden – würden wir uns nicht mit aller Gewalt zur Wehr setzen? Nur weil wir uns der eigenen Lebensform so sicher sind (und damit rechnen, dass sie sich wie von selbst durchsetzt, also in Beziehung zu andern dominant ist), können wir vergessen, dass sie auf gewaltsamer Durchsetzung beruht und des Gewaltschutzes bedarf, kurz, eine Gewaltordnung ist. Weit entfernt davon, darauf verzichten zu können, macht die westliche Kultur Durchsetzung zu einem Wert eigener Art:
98 | Kultur versus Religion? Selbstbestimmung, Selbstbehauptung, Selbstentfaltung – diese modernen Wertformeln enthalten mehr Keime der Gewalt als das lakonische ›Allahs Wille geschehe‹.« Man mag gleichwohl Hondrichs Sozialanthropologie einer »Erklärung von Krieg und Gewalt durch Gesetze, die selbst nicht von Menschen gemacht sind – also Reziprozität, Moralität, Identität, Fatalität, Tabu« (Hondrich 2003), widersprechen – und wird damit nur auf das komplexere Feld soziologischer Theorie geworfen. Hier scheint zu dämmern, dass Wertfragen, vor allem Letztwert-, also religiöse Fragen nicht mehr nur als religionssoziologische Spekulation abgetan, sondern in das Zentrum der Soziologie gehören. Das war schon Weber klar (Kippenberg 2002).
4.4 Wie Soziologen Freiheit und Demokratie denken Auch wenn der gewalttätige Eindruck medienvermittelter Bilder getöteter und verstümmelter Kriegsopfer allzu schnell verblasst, erscheint ein Nachdenken über den Sinn eines Krieges moralisch problematisch, besonders in Deutschland. Mark Lilla, Professor of Social Thought an der University of Chicago, reklamierte die USamerikanische »Umerziehung« nach dem Sieg über den Faschismus als verantwortlich für eine nachkriegsdeutsche Grundstimmung von Antirassismus, Antinationalismus und Antimilitarismus (Lilla 2003). Dabei geriet die vorangegangene militärische Grundlegung der Möglichkeit des neuen, friedlicheren Europa leicht außer Blick. Aus deutscher Innensicht wirkt Lillas Einschätzung gleichwohl zumindest widersprüchlich. So konnte der damalige grüne Bundesaußenminister Fischer realistisch und gegen die »gewaltfreie« Ursprungsintention seiner Partei feststellen: »Wir sind keine Pazifisten.«38 Militärische Interventionen sind für die überwiegende Mehrheit auch der Deutschen keineswegs außerhalb der Möglichkeit des Politischen, wie die Akzeptanz der völkerrechtlich fragwürdigen Bombardierung Serbiens und die Invasion in den Kosovo zeigten. Dennoch bezog die Mehrheit der Deutschen – wie der von jener amerikanischen »Umerziehung« nicht berührten Europäer – Position gegen den amerikanisch-britischen Krieg im Irak, auch nach seinem Ende. Diese Positionsbestimmung muss deshalb komplexere Gründe haben. Zwei soziologische Argumentationen könnten einen Hinweis
4. Blutige Taten, heilende Werte? Der Krieg im Irak | 99 auf diese kritische Haltung gegenüber dem Irak-Krieg geben. Die erste stammt vom Frankfurter Soziologen Hondrich. Er rechtfertigte in seinem teils heftig kritisierten Aufsatz die Invasion im Irak mit der Notwendigkeit, dass eine Hegemonialmacht wie die USA ihre Handlungsfähigkeit demonstrieren müsse, um langfristig eine von Gewalt gezeichnete Welt friedlicher zu machen. Hondrichs tiefere Begründung »widerstrebt« zwar »uns als modernen Menschen«: Sie liege in den »selbst nicht von Menschen gemachten« »Gesetzen« von »Reziprozität, Moralität, Identität, Fatalität« und »Tabu«, die nur eine »Weltgewaltordnung« zuließen (Hondrich 2003). Die moderne Idee von Freiheit und Demokratie enthalte »Keime der Gewalt«, sei »eine Gewaltordnung«, weil sie sich gegen andere Ordnungskonzepte durchsetzen musste und müsse. Hondrich vertritt so eine radikalisiert sozialanthropologische Soziologie, eine freilich komplexe Quasi-Naturalisierung des gesellschaftlichen Verkehrs, gegen die sich der Mainstream der Soziologen des 20. Jahrhunderts gewendet hatte (Fischer 2006). Diese suchten im Gegenteil nach den von Menschen gemachten Gesetzen, sie gingen von einer sozial konstruierten Wirklichkeit aus, einem Voluntarismus des Handelns. Ihre Wurzeln liegen in der Aufklärung, politisch vor allem in der Französischen Revolution. Jene Emanzipation der Gesellschaft von traditionellen Mächten, vor allem der Religion, führte Hegel dazu, in seiner Rechtsphilosophie vom »Atheismus der sittlichen Welt« zu sprechen – und ihn in seiner Idee des »wahren Staates« zu problematisieren (Opielka 2006a). Doch Hegels hoch differenzierte Sakralisierung des Staates und damit der Politik wurde selten verstanden und allenfalls, in seiner marxistisch-materialistischen Fehlinterpretation, zur Legitimation von staatlichem Terror missbraucht. Eine sozialanthropologische Naturalisierung der Gesellschaft wirkt vor diesem Hintergrund wie ein Unterlaufen Hegels: Nun ist zwar nicht Gott mehr die Triebkraft, sondern die menschliche Natur. Beides widerstrebt einer innerweltlichen, soziologischen Geschichtsauffassung. Hier zielt jene zweite soziologische Stellungnahme zum Irak-Krieg auf mehr Verständnis beim modernen Deutschen (und Europäer). Beck hat sie als »Legitimitätsfrage« des »Zwitterwesens eines illegal legitimen Krieges« aufgeworfen (Beck 2003a). Diese Frage scheint ganz in der Tradition des modernen soziologischen Denkens seit Weber gestellt. Beck richtet sie irri-
100 | Kultur versus Religion? tierenderweise zugleich an die »antistaatliche Anti-Atomkraftbewegung und die hegemonialstaatliche Anti-Terrorismusbewegung«: »Es gibt eine neuartige soziologische Identitätsquelle, und diese ist alarmierend nicht-legal, a-demokratisch und transnational. Sie entsteht aus dem Versprechen, die Menschheit von zivilisatorisch erzeugten Zivilisationsgefahren zu befreien.« Eine politisch eindeutige Lösung bietet Becks Deutung einer »reflexiven Moderne«, wie er sie schon früher bezeichnete, nicht: »Es gibt keine ›Objektivität‹ der Gefahren unabhängig von ihrer kulturellen Wahrnehmung und Bewertung.« Damit wird auf den ersten Blick die Bewertung des Krieges vordergründig innergesellschaftlich, nämlich kulturell verortet. Becks Ausblick ist dennoch soziologisch verstörend: »Spaltet das Für und Wider des Krieges wirklich nur Länder und Kontinente? Findet die moralische Schlacht nicht in jedem von uns statt?« Gewiss wird man seinem Verweis auf das Ethische als eigenständiger Handlungsdimension zustimmen können. Ähnlich vertrat bereits Ende des 19. Jahrhunderts Steiner einen »ethischen Individualismus« und begründete ihn, inspiriert von Nietzsche: »Frei sein heißt, die dem Handeln zugrunde liegenden Vorstellungen (Beweggründe) durch die moralische Phantasie von sich aus bestimmen können.« (Steiner 1962: 102) Seit Kant wurde die Individualisierung der Moral zu einer wesentlichen Grundlage moderner Sozialphilosophie. Ein »ewiger Friede« setzt die Anerkennung dieser Freiheit durch Recht voraus. In Becks soziologischer Perspektive lässt sich die Widersprüchlichkeit der deutschen und europäischen Stellungnahme zum Irak-Krieg verstehen: Sie entsprach einer innerindividuellen Zerrissenheit moderner, hoch individualisierter und expressiver Gesellschaften. Während Hondrichs Sozialanthropologie die Grenzen politischer Freiheit bestimmt, macht Becks Individualismustheorem die Freiheit zur Grundlage von Ungewissheit. Der Irak-Krieg könnte in einer Welt »neuer Kriege«, wie sie Münkler beschrieb (Münkler 2002), gleichwohl zur Aufforderung werden, dass die Soziologie wieder funktionalistischer und damit auch institutionalistischer argumentiert, jedenfalls dann, wenn sie nicht nur die Individuen, sondern die Zusammenhänge der Weltgesellschaft verstehen will. Denn jene von Beck postulierte »kulturelle Wahrnehmung und Bewertung« von Risiken ist immer gesellschaftlich vermittelt. Der in Harvard lehrende Michael Ignatieff hat die
4. Blutige Taten, heilende Werte? Der Krieg im Irak | 101 Herausforderung aus US-amerikanischer Sicht so formuliert: »In den Wochen und Jahren vor uns handeln die Entscheidungen nicht davon, wer wir sind oder wessen Gesellschaft wir pflegen, oder gar davon, was wir denken, dass Amerika ist oder sein sollte. Die Entscheidungen handeln davon, welche Risiken es wert sind, dass wir sie eingehen, wenn unsere Sicherheit von der Antwort abhängt. Die wirklichen Entscheidungen werden wohl viel härter sein, als die meisten von uns sich je vorstellen konnten.« (Ignatieff 2003, Übers. M.O.; ausführlich: ders. 2005) Diese dramatische Deutung eines liberalen Linken, der weder einen heiligen Krieg für Demokratie noch eine militärische US-Welthegemonie befürwortet, erscheint aus deutsch-europäischer Sicht vielleicht unverständlich, jedenfalls bisher. Sie lenkt den Blick freilich auf die Einbettung unserer Haltung zum Irak-Krieg in die Haltung zu einer neuen Weltordnung, die wirksame multilaterale Institutionen der Gewaltregulierung benötigt. Die Kriegsgegner werden sagen, dass der amerikanisch-britische Alleingang genau diese Institutionen, vor allem die UN, beschädigt habe. Drastisch kritisierte Jürgen Habermas: »[D]ie normative Autorität Amerikas liegt in Trümmern.« Die mit Bush über die »Realisten« des Typus Kissinger dominierenden »Neokonservativen« leite eine revolutionäre Vision und diese »sprengt die zivilisierenden Fesseln« der UN gegen Angriffskriege (Habermas 2003). Deren Schwäche besteht jedoch bislang auch darin, dass sie die Idee der Freiheit pragmatisch, aufgrund ihrer Konstitution als Bund souveräner Staaten, auf die Freiheit von Kollektiven beschränkte. Gewiss ist in der Idee der Menschenrechte auch die Freiheit der Individuen angelegt. Doch deren konstitutionelle, rechtliche Form ist die Demokratie, die wiederum in den UN nur eine Metademokratie von Repräsentanten noch immer überwiegend undemokratischer Regimes vorfindet. Dass die Mutterländer der Demokratie, England und die USA, die Legitimitätsfrage der Politik im Jahr 2003 militärisch beantworteten, mit dem Erfolg eines blutigen Tyrannensturzes, erscheint insoweit revolutionär. Joseph S. Nye, stellvertretender Außenminister in der Regierung Clinton, hat den USA anschließend dringend den verstärkten Gebrauch von »Soft Power« angeraten (Nye 2003). Sie ist ein kulturelles Projekt, speist sich aus politischen Ideen wie Demokratie und Menschenrechten sowie einer unarroganten Politikgestaltung. Das erinnert an jene deutsche »Umerziehung«,
102 | Kultur versus Religion? die allerdings von jahrzehntelanger, alliierter Truppenpräsenz begleitet wurde. Eine Weltordnung, die dem Irak-Krieg folgen kann, wird die Idee der Demokratie selbst zum Ziel machen müssen. Das ist der einzige Weg, um illegitime Kriege zu verhindern. Diese Weltordnung wird auf Gewalt nicht verzichten können, weil Recht als Medium der Politik funktional nicht nur in Legitimität, Effektivität und Gemeinschaft, sondern auch in Macht gründet. Zugleich wird sich jeder Einzelne im Zeitalter eines »ethischen Individualismus« zu verantworten haben, Bürger wie Präsident. Durkheims »Kult des Individuums« und Bellahs »Zivilreligion« haben die neuartige Beziehung von Individuum und Kollektiv soziologisch vorgedacht. Die Individualisierung wurde, im System der Politik, zum wirklichen Kern der Idee der Demokratie: Das Soziale ist selbst heilig geworden. Damit ist, religionssoziologisch betrachtet, weder das Heilige, das Göttliche vergessen, noch eine Theokratie gewünscht. Vielmehr scheint eine neue, gegenüber dem Spirituellen offene Moderne möglich, ohne die eine demokratische Weltordnung nicht geht. Die Alternative zu dieser notgedrungen ab und an revolutionären Haltung wäre wohl nur jener »Kampf der Kulturen«, den Huntington befürchtete, jene antidemokratische Dominanzgeste über die je andere Freiheit. Ob das den Krieg im Irak ethisch rechtfertigte? Wer Krieg ablehnt, weil er auf eine gewaltlose Weltordnung hofft, müsste diese Vision präzisieren. Habermas’ Bedenken sind beachtlich: »Es ist gerade der universalistische Kern von Demokratie und Menschenrechten, der ihre unilaterale Durchsetzung mit Feuer und Schwert verbietet.« (Habermas 2003) Doch wie Beck und Steiner zu Recht wussten: Am Ende muss der Einzelne entscheiden. Dass seine Stimme wirkt, ist das in gewisser Weise ›heilige‹ Wesen der Demokratie. In einem eindrücklichen Buch hat Noah Feldman, der im Auftrag der Coalition Provisional Authority (CPA) 2003-2004 als Berater für den Verfassungsprozess im Irak wirkte, die Diskussion um die ethische Dimension des Irak-Krieges reformuliert. Ihn interessiert weniger die Frage nach der Berechtigung jenes Krieges, die, wie wir sahen, kaum konsensual beantwortet werden kann. Viel wichtiger erscheint ihm die Ethik des »nation building«, der Verantwortung für die demokratische Re- oder überhaupt Vitalisierung besiegter oder gefallener Staaten (Feldman 2004). Dass sich die Situation im Nachkriegs-Irak
4. Blutige Taten, heilende Werte? Der Krieg im Irak | 103 fundamental von jenen im amerikanisch-britischen Gedächtnis eingeprägten Wiederaufbausituationen nach 1945 in Deutschland und Japan unterschied, weil es sich im Irak eben nicht um einen besiegten Angreifer handelte – die Chance für diese Konstellation wurde am Ende des ersten Golfkriegs 1991 verpasst –, hat sich bei den verantwortlichen US-amerikanischen Militärs und Verwaltungsbeamten viel zu spät herumgesprochen. Der Preis dafür war hoch, für alle Beteiligten. Nach einer Mortalitäts-Studie der John Hopkins University und der Al Mustansiriya University Baghdad, die in der britischen Medizin-Zeitschrift The Lancet veröffentlicht wurde, kostete der Irak-Krieg 654.000 Zivilisten das Leben (Burnham u.a. 2006). Militärisch gesehen war der Krieg im Irak wohl ein »Fiasko« (Ricks 2006).
5. Terror und ethische Verantwortung | 105
5. Terror und ethische Verantwortung
Die Befürchtung, dass in der Folge des neuen Islamismus, eines befürchteten Kampfes der Kulturen und einer Lokalisierung der Verantwortung hierfür auf Israel und damit auf die Juden insgesamt auch ein neuer Antisemitismus auftritt, hat zu neuen Sensibilitäten und Fragen geführt (Rabinovici u.a. 2004). Wo liegt beispielsweise die Grenze zwischen legitimer Kritik an israelischer Politik und Antisemitismus, gehört der Antisemitismus unterdessen in die Ideenwelt des Islamismus oder spielen beim linken Antizionismus antisemitische Elemente eine Rolle? Diese drei Fragen und insbesondere die letztgenannte standen im Zentrum einer im Sommer 2003, dem Jahr des zweiten IrakKriegs, vor allem in Deutschland heftig geführten Diskussion. Sie wirft wissenssoziologische Fragen nach der Rolle der Intellektuellen gegenüber einem religiös behaupteten Terror auf, letztlich die Frage nach der ethischen Verantwortung des Denkens eines jeden Einzelnen. Untersucht werden zwei kurze Diskurse: die Kontroverse um das Buch »Nach dem Terror« von Ted Honderich und der Zusammenhang mit intellektuellen TerrorismusApologien bei Jean Baudrillard. Zum zweiten wird Günter Grass’ Selbstenthüllung seiner Waffen-SS-Mitgliedschaft untersucht. Die Klammer zwischen beiden Diskursen ist die Spannung zwischen Religion und Kultur, die jeweils zugunsten von agnostischen, ästhetisch-religiösen Wertkategorien aufgelöst wird, womit starke, letzte Wertdilemmata zugleich verdrängt, abgewehrt werden.
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5.1 Die Diskussion um das Buch »Nach dem Terror« Die Diskussion begann mit einem offenen Brief. Micha Brumlik forderte den Suhrkamp-Verlag auf, das im Sommer 2003 in der Reihe zum 40-jährigen Verlagsjubiläum erschienene Buch »Nach dem Terror. Ein Traktat« des kanadisch-britischen Philosophen Ted Honderich vom Markt zu nehmen. Es verbreite »antisemitischen Antizionismus«, da es die Ermordung jüdischer Zivilisten durch palästinensische Selbstmordattentäter rechtfertige. Zwar meinte tags darauf Jürgen Habermas,39 einer der damaligen fünf Stiftungsräte des Suhrkamp-Hauses und verantwortlich für die Buchveröffentlichung, das harsche Urteil von Brumlik sei »ohne Augenmaß« und das Buch nicht mehr als ein »hemdsärmeliges Pamphlet« eines »alten Sozialdemokraten«. Doch er würde auf »die Gefühle« »unserer jüdischen Bevölkerung« gern mehr Rücksicht nehmen, die eben nach der »polarisierten« Stimmung wegen des Irak-Krieges den Amerikanern mehr vertrauen als den Deutschen. Habermas’ Interpretation der sachlichen Vorwürfe gegen das »Traktat« blieb freilich nicht nur »gefühlsbezogen«: Honderich vertrete eine Moralphilosophie, die Habermas »nicht teile« – nämlich eine strikt konsequentialistische – und komme zu einer »Konklusion«, die er »für falsch« hält: »Honderich unterscheidet seine politische Bewertung des palästinensischen Terrors nicht von dessen moralischer Bewertung.« Das ist ein mysteriöser Satz, auf den noch zu kommen ist. Schließlich zog der Suhrkamp-Verlag das Buch zwei Tage später nicht vom Markt, sondern begnügte sich mit dem Verzicht auf eine Neuauflage. Die Erstauflage war schon vergriffen.40 In allen Feuilletons wurde der Vorgang diskutiert, aus guten Gründen. Denn hinter ihm gähnt ein Abgrund. Vorderhand könnte man Honderichs Überlegungen damit abtun, hier sei ein politisch-moralischer Philosoph, der die Ungerechtigkeit der Welt beklagt, das Nicht-Handeln (»omissions«) der reichen Nationen angesichts von Welthunger und Kindersterben genauso gewichtet wie ihr – viel zu dürftiges – eingreifendes Handeln (»commissions«) – vielleicht aufgrund altersbedingter Verwirrung radikalisiert. Immerhin wurde er um den 11.9.2001 emeritiert, also bisheriger Wirkungsmöglichkeiten beraubt. Das war für den Herausgeber des »Oxford Companion to Philosophy« sicher bitter.41 Für die Verwirrungsthese spricht seine Forderung in einem offe-
5. Terror und ethische Verantwortung | 107 nen Brief an die Universität Frankfurt (vom 6.8.2003), Brumlik »umgehend von den akademischen Positionen, die er bekleidet, zu entbinden«. Ferner spricht dafür das für einen Geisteswissenschaftler bislang unbekannte Argument: »Darüber hinaus halte ich es für widerwärtig, mich mit Personen in Beziehung zu setzen, deren politische Ansichten ich nicht teile.« Zudem gründet sich sein Urteil in Sachen Palästina, wie er selbst mitteilt, im Grunde nur auf »Bevölkerungsstatistiken« (wonach Juden die Palästinenser verdrängen), er war nie in Israel.42 Entscheidend für die Relevanz des Vorgangs ist das aber nicht. Entscheidend ist die Wirkung dieser Denkart: Sein Buch wurde auf Lesetouren in England, Kanada und den USA rege und wohl oft zustimmend diskutiert, es erschien in renommierten Verlagen (Cambridge University Press, Suhrkamp) und – das vor allem – eine philosophische Begründung des Terrors geschah bislang nur verhalten. Das scheint sich im Abstand zum 11.9.2001 zu ändern. Am 9.8.2003 erschien, gleichfalls in der »Frankfurter Rundschau«, ein auf einen Vortrag im Pariser »Institut du monde arabe« zurückgehender Essay von Jean Baudrillard, »Das Globale und die Gewalt«. Der französische Philosoph diskutierte die Frage, was »das globale System«, das die universellen Werte (er meint wohl die Werte der westlichen Aufklärung) verzehrt, »wirksam attackieren« könne: »Das System herausfordern können keine positiven Alternativen, sondern nur Singularitäten. […] Sie gehorchen keinem Werturteil mehr […], es sind darunter auch gewaltsame – der Terrorismus ist eine davon. Es ist diejenige Singularität, die alle singulären Kulturen rächt, die mit ihrem Verschwinden für die Einrichtung dieser einzigen globalen Macht bezahlt haben.« (Baudrillard 2003) Man sollte diese im gallischen Kultursprech verfasste Terrorismusapologie nicht unterschätzen. Baudrillard und Honderich sind sich einig. Terrorismus ist für sie eine gerechte Waffe im Globalisierungskampf. Hier verbindet sich der Post-Nietzscheanismus einer Heroisierung der Tat mit dem Mainstream-Konsequentialismus der modernen Philosophie. Die Zeit des Religiösen, der Letztwerte ist angeblich vorbei. Mit vielen Worten und häufig krauser Logik wird der Subjektivismus gelobt. Gewiss könnte daraus Ethik entstehen. So trat der hoch spirituelle Steiner, an Nietzsche anknüpfend, für einen »ethischen Individualismus« ein. Doch Honderich lässt uns leider im Dunkeln, warum er für die Schwachen
108 | Kultur versus Religion? und Unterdrückten eintritt und warum andere – in den reichen Nationen – es ihm gleichtun sollen. Anstelle von Werten und Ethik spricht er von »Gütern«, von »großen Gütern«, die alle wünschen: die Existenz, Lebensqualität, Freiheit und Kontrolle, gute Beziehungen, Respekt und Kultur. Wem das mangelt, der führt ein »schlechtes Leben«. Dann beschwört er ein »Prinzip der Humanität«: »Es ist das Prinzip, dass wir vernünftige Schritte unternehmen sollten, diejenigen (mit einem schlechten Leben) über die Linie zum guten Leben führen sollten.«43 Aber warum sollte man diesem Prinzip folgen? Aus Tradition? Aus Gewissensgründen? Weil das vage bleibt und aufgrund einer problematischen Theorieanlage vage bleiben muss, kann dieses hehre »Prinzip der Humanität« je nach subjektiver Wertpräferenz ausgesetzt werden. Zum Beispiel in Sachen Terrorismus. Der philosophisch aufgeblasene Subjektivismus führt zu nicht nur »hemdsärmeligem«, sondern weder wissenschaftlich noch ethisch haltbarem Unsinn: »Die Palästinenser haben recht, wenn sie auf das faschistische Deutschland zurückblicken und sagen, sie seien die Juden der Juden.« Einem Autor, der sich rühmt, wegen des Holocaust und seiner (früheren) jüdischen Frau keinen Vortrag in Deutschland gehalten zu haben, sollte bekannt sein, dass der deutsche Faschismus Juden dem industriellen Massenmord zugeführt hat. Ein solches Vergehen dem »Staats-Terrorismus« der heutigen Juden in Israel zu unterstellen, ist monströs. Doch solch monströse Unverhältnismäßigkeit macht das Argument erst plausibel, dass das palästinensische Volk – er wiederholt dies mehrfach – »überhaupt keine anderen Mittel besitzt«, um Freiheit und »andere große Güter« zu erlangen, als den Terrorismus. Was Hamas, Hizbullah und ihre Verbündeten in der arabischen und linke wie neonazistische Extremisten in der westlichen Welt denken, denkt hier ein mit Professorentitel und akademischem Renommee geadelter Denker. Ob man in Honderichs Argumentation »Antisemitismus« entdecken kann, erscheint mir fraglich, auch wenn er sich in einem anderen Traktat heftig über die »zionistische Lobby«, deren »Druck« und »Drohungen« auslässt. Während er den Palästinensern zu Selbstmordattentaten zurät, was ziemlich gewalttätig ist, beschwert er sich fürchterlich darüber, dass die jüdischen Organisationen in England, den USA und Kanada seine Robespierriaden in Sachen Terror gegen Juden in Israel nicht
5. Terror und ethische Verantwortung | 109 kampflos hinnehmen. Sie setzten die Organisation »Oxfam« unter Druck, die von Honderich – als Ablass? – gespendeten 1 Prozent des englischsprachigen Buchumsatzes – ein echter »Judenpfennig« (altdeutsch: geringwertiger Pfennig, Falschmünze) – nicht anzunehmen, immerhin 5.000 englische Pfund. Das wird vom ihm auf 34 Seiten im Internet ausgetreten.44 Honderich argumentiert nicht rassistisch, was den Kern des Antisemitismus ausmacht. Es sind aber nicht nur die »Gefühle« der »Juden«, die von Honderichs Unangemessenheit berührt werden. Es ist das Denken selbst, es sind die von ihm beschworenen »großen Güter«, die er mit intellektueller Beliebigkeit desavouiert. Politische und moralische Bewertung kann man, wie Habermas dies suggeriert, nicht so einfach trennen – jedenfalls nicht ohne übergeordneten, also ethisch-wertbezogenen Standpunkt. Es ist ja durchaus richtig, wenn Honderich in seinem Buch am Ende »von den Amerikanern« fordert, sie sollten wegen ihrer Macht »moralische Intelligenz« beweisen. Wer sich aber »von einem Haufen Moral, der zu viele Unterscheidungen enthält« »zu verabschieden« gedenkt, der läuft Gefahr, in einen Abgrund von Unmoral abzustürzen, vor dem einen nur Unterscheidungen schützen. Diese zu finden, Ethik als wissenschaftliche Reflexion von Moral zu betreiben, das wäre die Aufgabe des Philosophen in diesem Fall gewesen. Betrifft das alles auch die Nicht-Philosophen? Merkwürdigerweise wurde eine Woche nach der Honderich-Debatte der Vorgang geschlossen. Die Feuilletons hatten ihre Pflicht getan, den sonstigen Dauerkulturzeitschriften erscheint das Ganze vermutlich als Marginalie, auch den Großen (hier: Habermas) kann ein Fehler passieren. Hinter philosophischem Segen für den Palästinenser-Terror öffnet sich ein Abgrund verhudelten Denkens. Der Abgrund ist nicht neu. Er wird täglich neu mit Leichen gefüllt. Selbstmordattentate seien eine »natürliche Reaktion« auf die Handlungsweise Israels, lässt die Hamas verlauten.45 Der Philosoph und der Soziologe könnten derlei Naturkonzept entziffern und als interessierten Mythos entlarven. Dass es Honderich und mit ihm Baudrillard oder Habermas schwerfällt, hat einen langen Blutpfad auch im linken Denken: in jener marxistischen Befreiungstheologie, die den antikolonialen Kampf nach dem Zweiten Weltkrieg intellektuell adelte. In einer geschichtsmetaphysischen Verklärungsorgie sondergleichen wurde die Nationenbildung des
110 | Kultur versus Religion? 19. Jahrhunderts zum notwendigen historischen Pfad erklärt und rechtfertigte mörderische Regimes, Kambodschas Pol Pot als Beispiel. Die nationalistische Kollektivbefreiung galt als unverzichtbar – und das in einem Jahrhundert, dem 20., das mit Nationalismus und Rassismus bitterste Erfahrungen gemacht hat. Dass auf die Palästinenser noch immer jene befreiungsnationale Heilserwartung projiziert wird, zeigt nur, dass sich auch gut bezahlte Philosophieprofessoren weigern können, aus Erfahrungen zu lernen. Wie kann man dann dem fanatisierten Studenten aus Ramallah vorhalten, dass er mit dem Schlichtdenken Ernst macht und dadurch den längst möglichen und von der Bevölkerungsmehrheit in Palästina gewollten Frieden verhindert? Zumal der historische Blick die Verwirrung von Selbstmordattentätern und Philosophieprofessoren verständlich macht: In einem eindrücklichen »Arte«-Beitrag zur Geschichte des Terrors markiert der Autor John Blair das Jahr 1946 als den Beginn des Zeitalters modernen Terrors.46 Damals sprengte die zionistische Untergrund-Kampfgruppe Irgun das britische Hauptquartier im King David Hotel in Jerusalem: 91 Tote, darunter 54 zufällig anwesende Zivilisten. Einer der Irgun-Terroristen, Menahem Begin, wurde später Ministerpräsident Israels. Für die Wandlung von Terroristen in anerkannte Staatsmänner steht Nelson Mandela – und selbst Jassir Arafat ließ bei der Verleihung des Friedensnobelpreises solche Hoffnung keimen. Mag aus solcher Geschichtserfahrung nicht doch jene Honderich-Position berechtigt erscheinen, die Terrorismus schlicht als da und dort vielleicht »gerechten« Krieg der militärisch Machtlosen klassifiziert und allein den erwartbaren Erfolg zum Urteilskriterium erhebt? Warum soll der Soldat, der mit dem eigenen Tod im Bewusstsein in den Kampf zieht, ethisch gegenüber dem Selbstmordattentäter privilegiert werden, der auch nur die Interessen seines Bezugs-Kollektivs verteidigt? Alles in uns sträubt sich gegen derlei Nivellierung. Doch ist dieses Sträuben mehr als ein Festhalten am Mythos des Kampfes »Mann gegen Mann«, das nicht erst seit der radikalen Technologisierung der modernen Kriegsführung absurd erscheint? Bleibt dem gerechten Denken damit nur der Pazifismus, die Negierung jedweder Gewalt als Ausweg, oder zumindest die radikale Beschränkung von Gewalt auf Notwehr und ihre Polizeifunktion? Der letzte Gedanke liegt den Vereinten Nationen zugrunde. Kollektive Notwehrrechte sind nur dort geltend zu ma-
5. Terror und ethische Verantwortung | 111 chen, wo weltpolizeiliche Ordnung fehlt. Tragisch ist, dass die Interventionen der Weltpolizei UN so oft so spät erfolgen, aus vielen Gründen, und gerade in Palästina. Deshalb am Ende eine Lösungsidee, weniger philosophisch als soziologisch gedacht: Anstelle sich atavistisch in die Vergangenheit zu bomben, wäre den Palästinensern nicht zum Selbstmordterror zu raten, sondern dazu, zunächst auf die Idee des Nationalstaats zu verzichten, den jüdischen Staat gleichwohl so lange zu akzeptieren, bis der Antisemitismus aus der Mode kommt und Juden keine Angst mehr haben müssen. Weil das aber lange dauern kann und sie dazu beitrugen, dass der arabisch-islamische Antisemitismus in den letzten Jahren ein historisch ungekanntes Niveau erreichte, teils überhaupt erst entstand, muss eine neue, realistische Vision geboren werden, aus einer menschheitlichen Zukunft. Ein jüdischer Festungsstaat Israel neben einem palästinensischen Flickenteppichstaat im Stil deutscher Kleinstaaten vor 1871 (doch ohne einigende Reichskrone) ist offensichtlich weder realistisch noch eine Vision. Diese könnte wohl allein darin bestehen, dass neben Zypern die beiden benachbarten Territorien Mitglied der EU werden: die Türkei und Palästina. Die ersten Stimmen dafür sind schon zu hören, noch zaghaft, wie von Leon Winter, der zumindest Israel in die EU einbinden möchte (Winter 2003). Der den Republikanern nahe stehende John C. Hulsman, Alfred-von-Oppenheim-Scholar bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, schlug ein multilateral abgesichertes Maßnahmenbündel vor, in dessen Zentrum die Aufnahme von Israel und Palästina in die EU und die Nato steht: »Bei einer solchen Vereinbarung würden auch die Palästinenser – die immer zu den gebildeteren und eher westlich orientierten Völkern der Region gehört haben – eine immense Aufwertung erfahren und reich dafür belohnt werden, dass sie für den Frieden etwas riskieren.« (Hulsman 2006) Ob Palästinenser und Israelis dies wollen? Man sollte sie fragen. Im Sommer 2006 analysierte der israelische Schriftsteller David Grossman die verfahrene und eben auch intellektuelle Präzision erfordernde Situation wie folgt: »Der jetzige Gewaltausbruch zeigt eine ausgesprochen problematische Ähnlichkeit in den Haltungen der libanesischen Regierung und der palästinensischen Autonomiebehörde gegenüber Israel. Beide haben gewissermaßen zwei Köpfe, die sich widersprüchlich verhalten:
112 | Kultur versus Religion? Der eine agiert ›staatlich‹, daß heißt auf politischen Wegen und vergleichsweise gemäßigt, der andere erklärt sich für frei, völlig nach Belieben zu handeln: Er setzt Terror gegen Zivilisten ein, bedient sich rassistischer Rhetorik und fordert offen die Vernichtung Israels. Dieses Doppelspiel ist einer der Gründe, die ein dauerhaftes Abkommen zwischen Israel und diesen Nachbarn so sehr erschweren. Es ist auch der Hauptgrund dafür, daß die große Mehrheit in Israel – darunter viele Friedensaktivisten – in den letzten Jahren jedes Vertrauen in die Absichten der gemäßigteren Kräfte in den arabischen Ländern verloren hat. Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, daß ein ähnliches Doppelspiel – wenn auch weniger extrem und ohne das Bestreben, den Gegner auszulöschen – auch im Verhalten Israels gegenüber den Palästinensern existiert.« (Grossman 2006) Am Schreibtisch sitzend, was die Aufgabe der Intellektuellen auch ist, sollte der Blick auf diese Ambivalenzen fallen.
5.2 Ästhetisches und ethisches Gewaltbegehren Hinter der Terror-Apologie bei Baudrillard wie Honderich öffnen sich nicht erst heute große Fragen, vor allem an die humanistische Linke. Es sind Fragen nach den letzten Werten, den Quellen des moralischen Handelns, den Referenzen unserer sozialen und ethischen Urteile. Die Geschichte der Menschheit, ihr »kulturelles Gedächtnis«, wie es der Ägyptologe und Kulturforscher Jan Assmann nennt (Assmann 2000), bietet für diese Referenzen die Religionen auf. Was aber sind Religionen? Die Religionswissenschaft, Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, auch als ein Versuch, gegen die Dominanz der christlichen Theologie den Pluralismus der Weltreligionen wahrzunehmen, konnte sich auf eine Definition bislang nicht einigen. Weber meinte vorsichtig, eine Religionsdefinition könne erst am Ende, keineswegs am Anfang ihrer wissenschaftlichen Erforschung stehen (dazu Kippenberg 2002). Nach mehr als einem Jahrhundert solcher Forschung kann eine Definition freilich nicht schaden. Es empfiehlt sich eine pragmatische, religionssoziologische Sicht: Religion ist Theorie und Praxis der Letztwertbegründung (siehe Kap. 3). Zur Theorie gehören Texte, Theologien, Diskurse und Erkenntnismethoden. Religiöse Praxis besteht aus Kulten, Ritualen und persön-
5. Terror und ethische Verantwortung | 113 licher Erfahrung. Am Anfang des 21. Jahrhunderts wird erkennbar, dass Religionen wirkmächtig geblieben sind. Der »Kampf der Kulturen«, den Huntington prognostiziert, stützt sich auf religiös begründete »Kulturkreise« (civilizations). Das Ereignis des 11.9.2001 war sein Menetekel. Eine radikale Analyse von Baudrillards Terror-Theorie und mit ihm einer spezifisch links-modischen Lesart dieses Ereignisstroms ist notwendig. Sie wäre zugleich die Kritik einer ästhetischen Religiosität, die für einen großen Teil der postmodernen Kulturelite typisch ist. Greifen wir einige der Baudrillard-Sätze heraus, aus den neueren Texten, die frühere Arbeiten (wie »Der symbolische Tausch und der Tod«) radikalisieren und auf die Realität des terroristischen Tötens beziehen. So heißt es in »Der Geist des Terrorismus«: »Der Terrorismus ist unmoralisch. Das Ereignis des World Trade Centers, diese symbolische Herausforderung, ist unmoralisch, und entspricht einer Globalisierung, die selbst unmoralisch ist. Seien also auch wir unmoralisch, schauen wir uns ein bisschen jenseits von Gut und Böse um.« (Baudrillard 2003a) Diese Variation auf Nietzsches Genealogie der Moral multipliziert den Begriff des Unmoralischen, indem sie eine Identität von Terror und Globalisierung andeutet. Das »System« – Baudrillard setzt diesen Begriff identisch mit Aufklärung, Westen und Amerika – habe sich »einer absoluten Todesvermeidung, also dem Prinzip null Tote, verpflichtet«. »Die Amerikaner« seien »begierig zu leben«. Die (islamischen) Terroristen seien nun eben »begierig zu sterben«. Zweierlei Begehren, aber das Begehren zähle. »Wir haben den Tod bereits abgeschrieben, für sie ist es der höchstmögliche Einsatz.« Und so weiter im philosophierenden Geraune. Woher weiß Baudrillard, dass »der Westen« den Tod »bereits abgeschrieben« habe? Nur, weil die obskure UFO-Sekte der Raelianer behauptet, ewiges irdisches Leben durch Klonen zu generieren? Ein empirischer Nachweis starker Thesen, gar ein soziologischer Blick ist seine Sache nicht. Aber auch Gedanken sind Taten, auch sie lassen sich prüfen. Es fragt sich natürlich, von welchem Standpunkt. Hier setzt Baudrillards ästhetisches Programm an. Als ihm 1995 der SiemensMedienkunstpreis verliehen wurde, verkündete er im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie: »Es gibt keinen Maßstab mehr für Wahrheit, Kausalität und Verantwortlichkeit.« Damit man aber seine Kunde ernst nimmt, liefert er eine neue
114 | Kultur versus Religion? Epistemologie gestückelter, »fraktaler Wahrheit« nach: »Jemand lanciert eine Information. Solange sie nicht dementiert wird, ist sie wahrscheinlich. […] Aber auch wenn sie dementiert werden sollte, würde sie niemals ganz falsch, da sie einmal glaubwürdig gewesen ist.« (Baudrillard 1995) Das muss ein Labsal für die anwesenden Medientheoretiker gewesen sein. Dass der »Triumph der Unbestimmbarkeit« zu einer »Kontamination der Werte« führt, mag nur der bedauern, der sich den Vorzügen der ästhetischen Religion verschließt. Denn darum geht es. Allerdings plädiert Baudrillard für eine höchst schwache Variante dieser Religion, wenn er »dieses unstete Fließen der Werte« analysiert, »das im scharfen Gegensatz zur Umwertung aller Werte bei Nietzsche steht«. Tatsächlich lässt sich Nietzsche für eine Terrorismus-Apologetik kaum vereinnahmen. Die Nietzsche-Forschung streitet sich bis heute darum, ob ihr Heroe als Zerstörer oder als Erneuerer des Christentums und der Religion gelten solle (Biser 2002). Baudrillard scheint zu ahnen, dass Letzteres wahrscheinlich sein könnte, Nietzsches (freilich für ihn selbst im Wahnsinn gescheitertes) Werte-Umwertungsprojekt in einer anderen Arena verfolgt wird. Hegel hatte einst gegen die romantische Illusion einer »Kunstreligion« argumentiert. In der Kunst ein Funktionsäquivalent für die Religion zu suchen, die Ästhetik zur Letztwertsuche aufzuwerten, sei angesichts des Verlustes der Mythologie in der Moderne unmöglich (Jaeschke 1999). Baudrillard hingegen scheint sich um diesen epochalen Bruch nicht zu scheren. Er verlängert die Erzählungen des Mythos schlicht und teils krude in eine vage Erzählung der Postmoderne. In seinem Buch »Die Intelligenz des Bösen« (Baudrillard 2006) wird die Ästhetisierung mit psychoanalytischen Fragmenten zugespitzt: Das Realitätsprinzip sei im Zuge einer Totalisierung der Welt durch die Guten im Verschwinden begriffen. An dessen Stelle tritt nun eine virtuelle Realität, eine integrale Realität, die scheinbar vollkommen, kontrollierbar und ohne Widerspruch ist. Doch bringe diese fatale Logik des Exzesses zugleich das verdrängte Andere hervor: das Übermaß an Gesundheit den Virus, das Übermaß an Sicherheit neue Bedrohungen et cetera. Hierin liegt, so Baudrillard, die Intelligenz des Bösen, die bösartige Umkehrung der Struktur gegen sich selbst. Was auf den ersten Blick Assoziationen an Freuds »Wiederkehr des Verdrängten« erlaubt, schlägt
5. Terror und ethische Verantwortung | 115 sich bei genauerer Betrachtung radikal auf eine Seite jener Spannung zwischen »Ethik oder Ästhetik«, die die neukantianische Kulturphilosophie prägte (Merz-Benz/Renz 2004). Vereinseitigungen freilich, die Ablehnung des Ethischen und weiter des Religiösen als Wirklichkeitssphäre, sind riskant. Neue Mythen sind dann angezeigt. Die Renaissance von Verschwörungstheorien in der linken wie der rechtsextremen Szene greift auf die Vagheit zurück. Andreas von Bülow, ehemaliger SPD-Bundesminister und später einer der Wortführer des Konspirationswesens, formuliert in missbräuchlicher Verletzung des wissenschaftlichen Freiheitsdiktums, man müsse alles in Frage stellen dürfen, Hypothesen zu den Hintergründen des 11.9.2001 in Form von Aussagesätzen, die bitter an den nazistischen Topos einer »jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung« anklingen (Bülow 2003). Man wird dies und das doch wohl noch vermuten dürfen. In diese Leerstelle des Denkens zielte auch Honderichs faktischer Antisemitismus. Ohne je in Israel gewesen zu sein und ohne Kenntnis des Antisemitismus in heute maßgeblichen islamistischen Strömungen wie der Hamas, hält er den Zionismus für ein Verbrechen, das jede Art von Gegenwehr legitimiere. Nun stand bereits Nietzsches Religionskritik, sein großes Infragestellen der christlich-abendländischen Wertordnung, an jener Weggabelung des 20. Jahrhunderts zwischen Gut und Böse, deren Aufhebung in einem Dritten nur innerhalb des Individuums möglich erscheint. Darauf zielte der späte Nietzsche und sein begeisterter Leser Steiner, der in der »Philosophie der Freiheit« einen »ethischen Individualismus« entwarf, allerdings integriert in eine spirituelle Welterkenntnis (Steiner 1962). Denn mit einer Aufhebung der Religion in das Individuum würde man die Frage nicht erledigen, wie Gesellschaften ihre soziale Ordnung verfassen mögen. Trotz vehementen Verfechtens individualistischer Moralethiken – von den Priestern des Kapitalismus wie Milton Friedman bis zu Philosophen des Typs Honderich – behaupteten sich auch im 20. Jahrhundert die Religionen als soziale Organisationsformen. In diesem nun vergangenen Jahrhundert gesellten sich den traditionsreichen spirituellen Weltreligionen – Taoismus, Judentum, Islam, Christentum, Buddhismus und Hinduismus – und den ebenfalls traditionellen, »kommunitären« Religionen – vor allem dem Konfuzianismus – zwei neue
116 | Kultur versus Religion? Religionstypen höchst wirksam hinzu: die, wie ich sie nenne, »wissenschaftlichen Religionen« – vor allem der Marxismus, aber auch die sich wissenschaftlich gebärdenden Letztwertideologien des Nationalsozialismus (Rassismus, Soziobiologismus) – und die »subjektiven Religionen«, die sich im Anschluss an Nietzsche und Freud in den existenzialistischen und postmodernen Weltdeutungen jedenfalls dort ausgebreitet haben, wo über letzte Werte Aussagen gemacht werden – und seien es Aussagen ästhetischer Art (siehe Kap. 3, Tab. 2). Den Terrorismus-Apologeten der Gegenwart wäre dringend ein leider schon lange vergriffenes Buch zu empfehlen, jene zuerst 1950 erschienene Textsammlung »Der Gott, der keiner war«, in dem einst glühende Verteidiger der kommunistischen Revolution – André Gide, Ignazio Silone oder Arthur Koestler – lange vor den offiziellen Enthüllungen des stalinistischen Terrors jenem marxistischen »Glauben« abschworen (Koestler u.a. 1962). Nun wird Baudrillard einwenden können, dass er nun gerade an keine Wahrheit mehr glaube, ihn der Vorwurf wissenschaftlicher Religiosität also nicht betreffe. In der Tat wechselte er die Kirche. Die neue Religion ist der Kult der Fraktalität, die subjektive und ästhetische Zusammenschau von Beliebigkeit, die sich freilich der Legitimation von Terror nicht enthält. Das ist das Problem, hier wird die linke Unschuld in neuem Gewand zur Schuld. Während die einen meinen, im Namen Gottes einen Jihad nicht als spirituellen Kampf, sondern als irdischen Krieg führen zu müssen, stehen linke Revolutionsromantiker daneben und klatschen Beifall.
5.3 Günter Grass, Waffen-SS und öffentliche Scham Drei Jahre später, im Sommer 2006, führte Israel einen Krieg gegen die von Iran und Syrien gesteuerte Hizbullah im Libanon. Kurz nach dem Ende der Kampfhandlungen und einem labilen Waffenstillstand, meldete die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass der Nobelpreisträger Günter Grass Mitglied der Waffen-SS gewesen sei. In einem zweiseitigen Sommerinterview aus Anlass seiner Autobiographie »Beim Häuten der Zwiebel« nahm diese in den Folgewochen die Feuilletons durchziehende, viele schockierende Nachricht nur wenige Zeilen ein (Grass 2006: 126f.).
5. Terror und ethische Verantwortung | 117 Aus soziologischer Sicht sind Parallelen und Differenzen zum Honderich-Diskurs aufschlussreich. Gemeinsam ist beiden Diskursen eine Kultur der Verdrängung – und zwar individuell bei den jeweiligen Autoren, aber kollektiv in ihrer Rezeption. Die Folge sind Abspaltungen und Projektionen, die allerdings auch Differenzen markieren: Honderich befürwortet Terror gegen Juden und den Staat Israel, Grass macht dies nicht. »Warum erst jetzt?«, fragte der FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, und Grass antwortete: »Das hat mich bedrückt. Mein Schweigen über all die Jahre zählt zu den Gründen, warum ich dieses Buch geschrieben habe. Das musste raus, endlich.« (Grass 2006a: 33) Mit der Schuld des Schweigens setzt er sich in seinem Buch immer wieder auseinander, sie ist eines seiner inneren Lebensthemen: »Die nachweisbare wie die verdeckte oder nur zu vermutende Schuld jedoch bleibt. Immerfort tickt sie und ist selbst auf Reisen ins Nirgendwo als Platzhalter schon da.« (Grass 2006: 36) Zu dieser Schuld und ihrem Verdrängen bekennt sich Grass in seiner Autobiographie. Diese ganz persönliche Seite, die sich einer soziologischen wie ungefragten psychoanalytischen Betrachtung entziehen können muss, wird gleichwohl dadurch zum empirischen Material, dass es sich bei Grass um eine öffentliche Person handelt, vor allem aber durch den öffentlichen Diskurs, der sich an dieses Schuldbekenntnis anschloss. Der Historiker Hans Mommsen reklamierte »das Recht des einzelnen auf eine private Bewältigung des umfassenden Wertezerfalls, der mit dem Zusammenbruch des NS-Regimes eintrat und bei denen, die sich seiner bewusst wurden, Sprachlosigkeit, ja Verdrängung auslöst« (Mommsen 2006). Hans-Ulrich Wehler, ebenfalls Historiker, war weniger auf Mitleid gestimmt: »Es ist ein politisches Versagen. Grass hat den Weg in den politischen Alltag bewusst gesucht und ist als Mahner, als eine Art Präceptor Germaniae aufgetreten. Er war sogar gegen die Wiedervereinigung – wegen Auschwitz! Da denke ich heute, Mann, Mann, Mann, wo bleibt da dein politischer Verstand.« (Wehler 2006) Den Journalisten Robert G. Goldmann verstörte, dass Grass in jenem FAZ-Gespräch davon sprach, erst in amerikanischer Gefangenschaft mit den Verbrechen der Nazis konfrontiert gewesen zu sein und ihn der Rassismus der weißen GIs gegen die schwarzen Kameraden empört habe: »War Grass als Achtzehn-
118 | Kultur versus Religion? jähriger im Falle Amerikas schneller mit der Kritik zur Hand als im Falle Nazideutschlands?« (Goldmann 2006) Schließlich sei noch der Historiker Peter Gay angeführt, der, Grass’ Nobelpreisbuch »Die Blechtrommel« (erschienen 1959) erinnernd, nüchtern feststellt: »If he had come out of the Nazi closet earlier, say, in 1959 with his triumphant novel just published, people would have understood, and his own life would have been easier. […] And if I am right, the affair will have a useful consequence: it will be a reminder, more than 60 years later, that his country had a great deal to be ashamed of.« (Gay 2006) Es ist wohl nicht überinterpretiert, wenn diese »Wiederkehr des Verdrängten«, als die Freud in »Der Mann Moses und die monotheistische Religion« die Religion selbst analysierte (Freud 1999: 240f.), auch im Fall Grass eine Rolle spielt, sowohl persönlich wie in der Kultursignatur der deutschen Nachkriegsgeschichte. Denn es handelte sich offensichtlich nicht um eine Verdrängung in das Unbewusste – Grass’ Frau wusste nach seinen Angaben immer davon –, vielmehr in die Sphäre der Ich-Organisation, die Freud als »Vorbewusstes« bezeichnete: »Wie wird etwas vorbewusst? Und die Antwort wäre: durch Verbindung mit den entsprechenden Wortvorstellungen.« (Freud 1999a: 247) Diese waren dem Schriftsteller gegeben. Grass erlebte im bereits zitierten Gespräch die deutsche Gesellschaft der Adenauer-Zeit als »grauenhaft, mit all den Lügen, mit dem ganzen katholischen Mief […] durch eine Art von Spießigkeit geprägt, die es nicht einmal bei den Nazis gegeben hatte« (Grass 2006a: 33). Wie schon in der von Goldmann erwähnten Buch-Passage entlädt sich das nur partial Verdrängte in Aggressivität gegen die von den amerikanischen Siegern etablierte Ordnung. Diese psychodynamische Deutung mag als unangemessen gelten, doch die Behauptung des hier wohl voll-bewusst interviewten reifen Mannes, die »Spießigkeit« der Nazis sei derjenigen Nachkriegsdeutschlands unterlegen, muss nachdenklich stimmen. Ein in mehreren arabischen Tageszeitungen erschienenes Communiqué, in dem 46 Schriftsteller, Dichter, Künstler und Intellektuelle aus verschiedenen arabischen Ländern Solidarität mit Grass bekundeten, kann die Gefährlichkeit einer Melange aus Vorbewusstem und Bewusstem zeigen. So heißt es dort ganz einfühlsam: »Wie können wir einen pubertierenden Jugendlichen, der unter dem Einfluss der höllischen nationalsozialisti-
5. Terror und ethische Verantwortung | 119 schen Propaganda stand, für ein Verhalten verantwortlich machen, das keine freie Wahl zuließ?« Man könnte nun erwarten, dass die Parallele zur Gehirnwäsche jugendlicher Selbstmordattentäter durch die Funktionäre von Terror-Organisationen gezogen wird. Doch der Blick verweilt im Vorbewussten. Denn im weiteren Text werden die Israeli als »Neonazis« bezeichnet: »Sie töten Palästinenser und Israeli, zerstören ihre Länder, errichten um sie Trennmauern und stecken sie in Lager.«47 Der Einwand, man könne sich seine Freunde nicht aussuchen, würde die Melange aus berechtigten, bewussten Reflexionen und aus dem Verdrängen der eigenen Schuld resultierenden Aggressivität überspielen. Es ist aber genau dieses Verdrängen, das auch im Fall Grass noch immer anhält und mehr als verstört. Gegen Ende des FAZ-Gesprächs kommt Grass darauf zu sprechen, das er in den späten 1950er Jahren vier Jahre in Paris lebte und mit Paul Celan befreundet war. Über ihn lesen wir nun: »Meistens war er ganz in die eigene Arbeit vertieft und im Übrigen von seinen realen und auch übersteigerten Ängsten gefangen.« (Grass 2006a: 35) Roman Bucheli analysierte das von Grass Verdrängte: »Keinen Gedanken scheint Grass darauf verschwenden zu wollen, das Celans ›übersteigerte Ängste‹ gerade in solchen gespenstischen Leerstellen des Schweigens, wie sie nun Grass einräumt, ihren Grund gehabt haben könnten. Nicht auszudenken, wenn Celan erfahren hätte, dass sein Freund Mitglied der Waffen-SS gewesen war. Süffisant fügt Grass seinen Erinnerungen an Celan nun hinzu: ›Wenn er seine Gedichte vortrug, hätte man Kerzen anzünden mögen‹.« (Bucheli 2006) In einer luziden psychoanalytischen Studie zur Scham heißt es: »Statt auf Wiedergutmachung drängt Scham auf Wiederverbergung, sie ist […] durch den brennenden und doch hoffnungslosen Wunsch gekennzeichnet, den Zustand der Entblößung durch magische Handlungen rückgängig und ungeschehen zu machen.« (Schüttauf u.a. 2003: 112f.) Die Parallelen zum Honderich-Diskurs sind bemerkenswert. Sie liegen nicht in der Rechtfertigung des islamistischen Terrors, nicht auf Seiten von Grass – und für seine Unterstützer ist er nicht verantwortlich. Sie sind in der Kultur der Verdrängung zu finden, die Leiden nur dort wahrnimmt und als solches kognitiv markiert, wo Ambivalenzen verzichtbar erscheinen. Die Lage der Palästinenser ist insgesamt schmählich und sie leiden unter der
120 | Kultur versus Religion? israelischen Besatzung. Doch kann nicht vergessen werden, dass ihr Schicksal die Folge mehrerer arabischer Angriffskriege auf Israel ist, dass ihre Führer noch immer mehrheitlich keinen Frieden wollen und dass dies der durch den Holocaust kollektiv traumatisierten jüdischen Mehrheitsbevölkerung Israels Angst machen muss. Ohne die gegenseitige Anerkennung von Leiden und Ängsten ist ein Frieden in Israel und Palästina unmöglich. Wer dies verdrängt und gar noch in der Legitimation von Terror diese Verdrängung in Aggression sublimiert, trägt zur Kulturentwicklung nichts bei.
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6. Die Welt und Gott: Intelligentes Design in religionssoziologischer Sicht
Die Kontroverse zwischen Darwinismus und Schöpfungslehre, zwischen einer Erklärung der Weltentwicklung aus materiellen oder spirituellen Kräften wurde mit dem Konzept des »Intelligent Design« vor allem in den USA neu entfacht. Aber auch die Debatte um die Bioethik zeigt, dass die Frage nach ontologischen oder metaphysischen Letztbegründungen aktuell ist. Die Polarität von Evolutionismus und Kreationismus ist dabei wohl nur eine Spezifikation von zwei weiteren zeitgenössischen Diskursräumen: den Spannungen zwischen Vernunft und Glauben sowie zwischen Kultur und Religion. Es geht in diesem Kapitel also nur am Rande um naturwissenschaftliche Fragestellungen, vielmehr um grundlegende Deutungsprobleme einer säkularen Moderne. Für deren Rekonstruktion kann die Soziologie einige Überlegungen beisteuern. Der Film »Die Reise der Pinguine« des französischen Biologen und Filmemachers Luc Jaquet verfolgt ein Jahr lang den Lebenszyklus der Kaiserpinguine. Er lässt den Betrachter angesichts ihrer wochenlangen Wanderungen über das Eis, ihrer anthropomorphen Balz- und Zärtlichkeitsrituale wie ihrer mühseligen Brutleistung – die hungernden Pinguinmänner balancieren das Ei drei Monate in bitterster Kälte zwischen Füßen und Hautfalte – staunend, gerührt und vielleicht ein wenig ratlos zurück. Woher wissen sie den Weg und was zu tun ist? Biologen verweisen auf die instinktive Führung durch erdmagnetische Felder, wie sie
122 | Kultur versus Religion? auch Zugvögeln oder Schmetterlingen eignet, und auf die Rationalität der Evolution, die eben diese Lebensform auslas. Und doch bleibt das nicht nur ästhetische, vielmehr letztlich religiöse Staunen im Angesicht der Natur. Der Schritt vom Staunen zu Wissenschaft und Weltanschauung gehört zu den Möglichkeiten des menschlichen Geistes. Einer der Pioniere war Charles Darwin. Als frisch graduierter Theologe machte er sich 1831, mit 22 Jahren, auf eine naturwissenschaftliche Weltreise. Besonders die Eindrücke in Südamerika und auf den Galapagos-Inseln prägten seine Sicht der Welt. Abgereist war er als überzeugter Anhänger der Schöpfungslehre, geprägt von William Paleys 1802 erschienenem Buch »Natural Theology«. Als Evolutionist kehrt er fünf Jahre später von der Reise zurück. Die Arten waren nicht konstant, sie hatten eine Abstammungsgeschichte hinter sich. Diese Auffassung bedeutete für ihn eine geistige Umstülpung: »Mir ist, als gestünde ich einen Mord ein«, schrieb er an einen Freund (zit.n. Heberer 1963: 681). Etwa 170 Jahre später scheint sich die Geschichte zu wiederholen. Paleys Kreationismus kehrt als Leitmotiv einer anti-darwinistischen Bewegung zurück, als »Intelligent Design«, vor allem in den Kreisen der evangelikalen Rechten der USA, aber auch bei islamistischen Fundamentalisten in der Türkei.
6.1 Evolutionismus vs. Kreationismus Das »Discovery Institute« in Seattle (www.discovery.org) gilt als professionellster Akteur in der neuen Propagierung eines »Intelligent Design«. Es handelt sich um eine neuere Theorie, die davon ausgeht, dass die gegenwärtigen Organismen zu komplex seien, als dass sie durch eine Akkumulation zufälliger Mutationen entstanden sind. Sie müssten also durch irgendeine intelligente Wesenheit geformt worden sein. Anders als der Kreationismus alter Prägung erwähnt die Theorie des »Intelligent Design« Gott nicht explizit. Sie akzeptiert zudem, dass die Erde mehrere Milliarden Jahre alt ist und verwendet eine Reihe differenzierter Argumente, um Mängel in der darwinistischen Theorie der Evolution zu identifizieren. Für europäische Ohren erscheint die Kontroverse zwischen Evolutionismus und Darwinismus befremdlich. In den USA ist sie ein Politikum.
6. Die Welt und Gott: Intelligentes Design | 123 In einem Urteil des Supreme Court aus dem Jahr 1987 (Edwards vs. Aguillard, 482 U.S. 578) wurde ein Gesetz des Staates Louisiana für ungültig erklärt, wonach in den dortigen öffentlichen Schulen die biologische Evolutionstheorie nur gelehrt werden dürfe, wenn zugleich die biblische Schöpfungslehre zur Sprache kommt. Ende September 2005 begann, wie die »Washington Post« am 27.9.2005 berichtete, in Harrisburg ein Prozess, weil einer der 501 lokalen Schulbezirke in Pennsylvania, in der Kleinstadt Dover, die Anordnung erlassen hatte, dass die Evolutionstheorie mit einem Hinweis eingeführt werden müsse: Sie erkläre keine Tatsachen. In ihr gebe es unerklärbare Lücken. Deshalb könne die alternative Theorie des »Intelligent Design« erläutert werden. Der kleine Schulbezirk befand sich durchaus im Einklang mit der Mehrheitsmeinung der US-Bürger. In einer repräsentativen Befragung des »Pew Research Center« vom Juli 2005 erklärten zwar 48 Prozent der US-Bürger, dass Menschen und andere Lebewesen durch Evolution entstanden seien. Immerhin 42 Prozent waren aber der Auffassung, dass sie in ihrer gegenwärtigen Form schon immer existierten. 64 Prozent meinten, die Schulen sollen die Schöpfungslehre (Kreationismus) neben der Evolutionstheorie lehren, 38 Prozent meinten gar, dies solle an deren Stelle geschehen (www.pewforum.org, »Public Divided on Origins of Life«, 30.8.2005). In diesem Kontext wird verständlich, warum der kleine Aufsatz »Finding Design in Nature« des Wiener Kardinals Christoph Schönborn in der »New York Times« vom 7. Juli 2005 erhebliche Resonanz auslöste. Sein Hauptargument: »Evolution im Sinne einer gemeinsamen Abstammung kann wahr sein, aber Evolution im neodarwinistischen Sinne – als ungeleiteter, ungeplanter Prozess zufälliger Variation und natürlicher Selektion – ist es nicht.« (Übers. M.O.) Kardinal Schönborn, der als führender Herausgeber des offiziellen Katechismus der Katholischen Kirche in seiner Neufassung von 1992 wirkte, stellte darin fest, dass Papst Benedikt XVI. keineswegs als zufriedener Evolutionist gelten kann. Vielmehr habe er kurz nach seiner Wahl erklärt, dass ein »ungeführter Evolutionsprozess außerhalb der Grenzen göttlicher Vorsehung schlicht nicht existieren könne«. Schönborns Aufsatz wurde an die Zeitung durch das »Discovery Institute« vermittelt. So konnte der Eindruck entstehen, die katholische
124 | Kultur versus Religion? Kirche unterstütze den bislang vor allem von der evangelikalen Rechten, insbesondere im Umfeld der Republikanischen Partei von Präsident George W. Bush, verfochtenen Kreationismus. So politisiert diese Diskussion ist, so relevant erscheint sie. Simon Conway Morris, der an der Universität Cambridge evolutionäre Paläobiologie lehrt, setzte sich in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« vom 16. Juli 2005 ausführlich mit Kardinal Schönborns Papier auseinander. Er konzediert, dass den Ultradarwinismus, wie er prominent vom Oxford-Professor Dawkins (u.a. Autor von »The Selfish Gene«) vertreten wird (Dawkins 2006), die »Verachtung der Religion und ein brachiales materialistisches Programm« kennzeichne: »Dabei bleibt meist unbemerkt, dass dieses Weltbild nichts weiter ist als eine philosophische Meinung.« Doch der Kreationismus sei nicht besser, vielmehr nur »Evolution für Kontrollfanatiker« und Ausdruck einer »Bunkermentalität«. Wissenschaftlich solide sei vielmehr die Einsicht in das »Phänomen der evolutionären Konvergenz«: »Unter der scheinbaren Zufälligkeit von Evolutionsprozessen verbirgt sich in Wahrheit ein hohes Maß an Ordnung.« Man müsse sich die Evolution als »eine Art Suchmaschine« vorstellen: »Der evolutionäre Prozess erhält dadurch ein unerwartetes Moment der Vorhersagbarkeit, das […] wie so manch anderer Aspekt des Kosmos der theologischen Interpretation zugänglich würde.« Auch die deutschen Biologen Axel Meyer und Hubert Markl wehren sich gegen den Kreationismus eines »Intelligent Design« (in Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 17.9.2005). Drei Missverständnisse liegen ihm, so ihre Argumentation, zugrunde: Er behaupte, dass komplexe Gestaltformen durch Evolution nicht erklärt werden können. Zweitens impliziere er, dass alle Lebewesen optimal angepasst seien, wogegen schon das Aussterben von Arten spreche. Drittens belegt der Kreationismus durch ihrer Auffassung nach irreführende statistische Berechnungen, dass die traditionellen Mechanismen der Evolution des Genoms nicht ausreichen, um dessen Komplexität zu erklären. Doch in dreieinhalb Milliarden Jahren Evolution »kann sehr viel passieren und ist sehr viel passiert«, »ungezählte Mikroben hatten […] Zeit, mit vielen Tausenden Generationen pro Jahr und in ZigmilliardenAnzahl der Populationen die Genomkomplexität zu erhöhen«. Ist es somit zutreffend, wenn es in einem neuen Lehrbuch der Anthropologie heißt: »Nach unserem heutigen Wissen ent-
6. Die Welt und Gott: Intelligentes Design | 125 steht also Leben als Folge materieller Selbstorganisation« (Wulf 2004: 20)? Das mag für das Leben als solches gelten. Aber gilt es auch für den Menschen? In einer konsequent evolutionstheoretischen Perspektive erscheinen Welt und Mensch als zwar schönes, jedoch in seiner Entstehung nur naturwissenschaftlich erfassbares Prozessresultat. Eine Erklärung der Gesetzmäßigkeiten wird dem »heutigen Wissen« nicht abverlangt und auf später verschoben. Das wirkt bescheiden und doch nicht nur für Theologen als voluntaristisches Hantieren angesichts der Frage, was den »Sinn des Lebens« ausmache.
6.2 Vernunft vs. Glauben Glauben und Wissen gelten als grundlegend verschiedene Erkenntnismodalitäten. Neuerdings wird dieser Zentraldualismus der Moderne wieder als das betrachtet, was er wohl ist: eine dialektische Relation, eingebettet in zutiefst komplexe Systembeziehungen. Besonders Habermas hat sich seitens des Modernitätsdenkens um das Gespräch mit jenen Vertretern des von ihm selbst gern als »archaisch« bezeichneten Lagers bemüht, zuletzt in einem öffentlichkeitswirksamen Dialog im Frühjahr 2004 mit Kardinal Joseph Ratzinger, vor dessen Wahl zum Papst. Zwar hat sich auch schon vor Habermas die Philosophie »zu einer Selbstreflexion auf ihre eigenen religiös-metaphysischen Ursprünge bewegen und gelegentlich in Gespräche mit einer Theologie verwickeln lassen, die ihrerseits Anschluss an philosophische Versuche einer nachhegelschen Selbstreflexion der Vernunft gesucht hat«. Einen Unterschied machen seine neueren, »nach«-nachmetaphysischen Schriften durch eine bislang nicht gekannte Demut: »Die Philosophie hat Gründe, sich gegenüber religiösen Überlieferungen lernbereit zu verhalten« – was eine Mentalität voraussetzt, »die in den säkularisierten Gesellschaften alles andere als selbstverständlich ist«, nämlich gegenüber der Religion »lernbereit und agnostisch zugleich« zu sein (Habermas 2005: 149, 145). Habermas stellte sich in seiner unmittelbar nach dem Anschlag vom 11. September 2001 gehaltenen Rede (»Glauben und Wissen«) zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels, die viele seiner agnostischen Mitstreiter erstaunte, in eine – freilich etwas brüchige – Linie mit Hegel (Habermas
126 | Kultur versus Religion? 2001). In seinem 1802 in Jena verfassten Text »Glauben und Wissen« hat Hegel die Unzugänglichkeit des theologischen Gegenstandes – »das Unendliche«, »Gott«, »höchste Idee« – für die Philosophie der Aufklärung, namentlich für Kant, Fichte und Jacobi, problematisiert. Dieser Philosophie bleibe, sofern sie die Sphäre des Glaubens nicht ohnehin als irreal verwirft, keine Möglichkeit des Erkennens, »so daß […] dieser unendliche Raum des Wissens nur mit der Subjectivität des Sehnens und Ahndens erfüllt werden kann; und was sonst für den Tod der Philosophie galt, daß die Vernunft auf ihr Seyn im Absoluten Verzicht thun sollte, sich schlechthin daraus ausschlösse und nur negativ dagegen verhielte, wurde nunmehr der höchste Punct der Philosophie«. So bliebe ein »unerkennbarer Gott, der jenseits der Grenzpfähle der Vernunft liegt« (Hegel 1999: 316, 319). Das Hegel’sche Projekt einer »neuen Religion«, einer »Vernunftreligion«, die das Unendliche auf den Begriff bringt, findet ihre erkenntnistheoretische Grundlegung in seiner »Phänomenologie des Geistes«. Die darin angelegte »Sozialisierung des Geistigen« (Opielka 2006a) nimmt ihren Ausgang am Leitbegriff der Moderne, der »Subjektivität« in ihrer für Hegel doppelten Bedeutung: als Für-Sich-Sein im Wissen, als Selbstbewusstsein, wie als Selbstbestimmung, »und zwar nicht nur im subjektiven Willen, sondern als der formale Prozeß, in den ein Einiges sich aus sich selbst heraus entfaltet und das, was es ausmacht, bis zur vollständigen Konkretion aus sich heraus setzt«, so Dieter Henrich in seiner Dankesrede zur Verleihung des Hegel-Preises 2003. Und weiter: »Indem die Kontemplation des Ewigen nunmehr die Selbstbestimmung der Subjektivität in sich einbegreift, ist das Ewige dem Zeitlichen nicht mehr entrückt und entgegengestellt.« (Henrich 2003) Der Welteinzug des Ewigen hat soziologische Relevanz, auf die – in seiner Laudatio auf Henrich – Volker Gerhardt aufmerksam macht: »Das Selbstbewusstsein ist nämlich in seinen eigenen Vollzügen auf eine Ordnung angewiesen, die es mit den Dingen, ihren wechselseitigen Relationen und dem Selbstbewusstsein der anderen teilt. Die sogenannte Innenwelt der Subjektivität befindet sich nicht nur in einer Strukturanalogie zur sogenannten äußeren Welt, sie teilt sich mit ihr vielmehr das, was ihr selber wesentlich ist, nämlich ihre ›Verkörperung‹.« (Gerhardt 2004: 55) Ist diese Ordnung letztlich ein Resultat jener »materiellen
6. Die Welt und Gott: Intelligentes Design | 127 Selbstorganisation«? Das mögen ›brachiale‹ Anhänger einer materialistischen Religion so sehen. Dass nicht nur die katholische Kirche das anders sieht, wird nicht verwundern. In der lesenswerten Enzyklika »Glaube und Vernunft« (»Fides et Ratio«) des vormaligen Papstes Johannes Paul II. wird an die Geschichte nicht nur der abendländischen Philosophie zugleich angeknüpft wie ihr Relativismus beklagt: »Wahrheit und Freiheit verbinden sich entweder miteinander oder sie gehen gemeinsam elend zugrund.« (Papst Johannes Paul II. 1998: 91) Joseph Ratzinger, damals noch Leiter der Glaubenskongregation und an der Abfassung des Dokuments sicher wesentlich beteiligt, betont in seiner Rede zur Vorstellung der Enzyklika die Notwendigkeit einer »recta ratio«, in der »die christliche Offenbarung selbst der Vergleichs- und Verknüpfungspunkt zwischen Philosophie und Glauben ist« (ebd.: 111). Hier scheint freilich der von Hegel bereits an seinem Zeitgenossen Friedrich Heinrich Jacobi kritisierte »Sprung« vom Wissen zum Glauben auf (Sandkaulen 2000), der von Natur- wie anderen Wissenschaftlern abverlangt wird. Es wundert nicht, dass die päpstliche Enzyklika wie auch Joseph Ratzingers umfassendes vorpäpstliches Schrifttum oder seine ansonsten beachtliche »Regensburger Vorlesung« im September 2006 (Benedikt XVI. 2006) auf Hegel keinen ernsthaften Bezug nimmt. Doch die tiefen ethischen Fragen der Gegenwart legen genau das nahe. Die Kontroversen zur Bioethik – von der Humangenetik über Abtreibung bis zur Euthanasie – wie die von der neueren Hirnforschung angestoßene Kontroverse zur Willensfreiheit48 können seriös nur geführt werden, wenn die Unreduzierbarkeit verschiedener Wirklichkeitsebenen konzeptualisiert wird – und zugleich ein Konzept ihres Verhältnisses gesucht wird, das über Offenbarung hinausgehen muss. Wenn der über Jahrzehnte geschasste Papst-Kritiker Hans Küng im Herbst 2005 von seinem früheren Professorenkollegen Benedikt XVI. nun empfangen wird und sich beide über das »Komplementaritätsmodell« in Küngs neues Buch »Der Anfang aller Dinge« einig scheinen (Küng 2005), lohnt ein genauer Blick. Es ist ein Modell, »in dem die Eigensphären bewahrt, alle illegitimen Übergänge vermieden und alle Verabsolutierungen abgelehnt werden, in dem man jedoch in gegenseitiger Befragung und Bereicherung der Wirklichkeit als ganzer in allen ihren Dimensionen gerecht zu werden
128 | Kultur versus Religion? versucht«. Küngs belesene Kritik der Letztbegründungsansprüche der modernen Naturwissenschaften ist ganz sicher berechtigt. Doch die pragmatische Separierung darf nicht die Suche nach »legitimen Übergängen« behindern.
6.3 Religion vs. Kultur? Eisenstadt sieht hinter den Konflikten zwischen Kultur und Religion »die wachsende Bedeutung der religiösen Komponente für die Neubestimmung der kollektiven Identität in vielen gegenwärtigen Gesellschaften«. Für ihn sind die Konfrontationen »zwischen den pluralistischen und totalistischen Programmen der Moderne« keineswegs auf den Westen beschränkt, sondern notwendiger Bestandteil der Moderne weltweit. Kern des Konflikts wäre dann »die Autonomie und Souveränität der Vernunft und des Individuums« (Eisenstadt 2000: 238, 242). Es ist die Verschränkung des Religiösen mit dem Kulturellen, die sozialwissenschaftliche Theorie und Praxis neu fordert. Die globale, religions- und kulturvergleichende Perspektive zeigt, dass die Kontroverse um ein »Intelligentes Design« nicht oberflächlich beantwortet werden darf, ein Beispiel aus dem nichtchristlichen, hinduistischen Reinkarnationsdenken: »Die ungeheure Mannigfaltigkeit der Lebewesen, von den höchsten Göttern bis zu den niedrigsten Würmern, Insekten und Pflanzen, wird von den Hindus auf die ungeheure Mannigfaltigkeit der Taten zurückgeführt, welche vergolten werden müssen.« (Glasenapp 2001: 23) Der »Nationale Ethikrat« hat sich mit eindrucksvollen Ergebnissen damit beschäftigt, wie unterschiedlich die Kulturen bzw. die Weltreligionen vorgeburtliches Leben begreifen (Nationaler Ethikrat 2003). Das vor allem europäisch-säkulare Bild einer sauberen Trennung von Religion und anderen Kulturphänomenen (wie Therapie, Bildung oder Kunst) ist ein Artefakt und es empfiehlt sich, ein differenziertes Bild des Kulturellen unter Einschluss des Religiösen zu gewinnen. Ein praktischer und notwendiger Schritt dazu hin ist die in den letzten Jahren zunehmende Erkenntnis, dass die Reflexion von Werten nicht einfach als »Ethikboom« abgetan werden, sondern eine eigenständige Handlungsdimension zeitgemäßer Professionalität sein muss und einschlägige Kompetenzen erfordert. Dafür ist es nütz-
6. Die Welt und Gott: Intelligentes Design | 129 lich, wenn ein nicht-reduktionistischer Kulturbegriff Einzug in den wissenschaftlichen, akademisch-lehrenden und praktischen Diskurs findet. Dann wird die Kontroverse um die Evolutionstheorie und den Sinn des Lebens nicht neutralisiert, sondern überhaupt erst sinnvoll geführt.
7. Wertkonflikte zwischen Kultur und Religion | 131
7. Wertkonflikte zwischen Kultur und Religion – Versuch einer Synthese
In den vorangehenden Kapiteln wurde ein breites Spektrum von Wertkonflikten analysiert, die in das Zentrum einer soziologischen Theorie der Gesellschaft führen. Die vorgelegten Untersuchungen konnten womöglich den Eindruck erwecken, sie seien einer »gleichschwebenden Aufmerksamkeit« des Analytikers zu verdanken und zugleich der freien Assoziation des Analysierten, nicht unbedingt systematisch und in kompendialer Absicht von Vollständigkeit. Tatsächlich versuchte ich subjektiven Forschungsinteressen zu folgen, gleichwohl in der Annahme, dass sich in ihnen etwas Allgemeines ausdrückt oder zumindest reflexiv erhellen lässt. Der Aufbau des Buches folgte vier Stufen. Auf der ersten Stufe (Kap. 1) wurde eine gesellschaftstheoretische Perspektive auf das Verhältnis von Kultur und Religion eingenommen und das begriffliche Instrumentarium sortiert, insbesondere in Anschluss an Parsons. Die zweite Stufe (Kap. 2 und 3) untersuchte die religiösen und kulturellen Grundlagen des Wohlfahrtsstaates, ein in der religions- und kultursoziologischen Forschung eher ungewöhnliches Vorgehen. Dies begründete ich einerseits pragmatisch – moderne Gesellschaften sind alle wohlfahrtsstaatlich verfasst und deren Werte-Begründung erheischt Erklärung –, andererseits theoretisch: Im Anschluss an Parsons und Hegel vermutete ich, dass die moderne Demokratie und insbesondere der Wohlfahrtsstaat eine Form der Sakralisierung des Sozialen bilden, eine Säkularisierung in einem sonst überse-
132 | Kultur versus Religion? henen Sinn. Auf der dritten Stufe (Kap. 4 und 5) ging es um zwei Wertkonfliktthemen, die zu den vielleicht geläufigsten der zeitgenössischen Agenda gehören. Das erste Thema war der IrakKrieg und seine soziologische Deutung, das zweite die Reflexion des Terrors. Bei beiden Themen durchmischen sich religiöse und kulturelle Ebenen mit weiteren, wie der Ökonomie oder der persönlichen Biographie, aber auch mit kulturellen Erinnerungen von Kollektiven. Das theoretische Interesse dieser Argumentationsstufe galt der Frage, ob der soziologische Blick auch bei diesen zeitdiagnostischen Problemen Erträge verspricht. Auf der vierten Stufe (Kap. 6 und 7) ist eine Synthese beabsichtigt. Zunächst wurde der Konflikt zwischen Kreationisten und Evolutionisten um ein »Intelligent Design« als einer zwischen religiösen und kulturellen Deutungen rekonstruiert, der in jener Dichotomie nicht aufgehoben werden kann. Die Synthese ist Ziel dieses abschließenden Kapitels. Haben sich am Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert Verschiebungen im Verhältnis von Religion und Kultur ergeben und führten sie zu bisher unbekannten Wertkonflikten? Diese Verschiebungen sind Kern der Leitidee der Säkularisierung, dem womöglich zentralen Element der Soziologie als Theorie einer durch funktionale Differenzierung bestimmten Moderne. Es stellt sich also nicht nur die Frage, ob einzelne Wertkonflikte der Gegenwart, von den Konflikten um eine Begründung sozialer Gerechtigkeit im Wohlfahrtsstaat bis zum fundamentalistischen Terror, eher religiös oder eher kulturell bedingt sind, sondern ob eine eventuelle Verschiebung im Verhältnis von Religion und Kultur neue Wertkonflikte erst konstruiert.
7.1 Befunde des World Values Survey Eine entsprechende Vermutung legen die Daten des World Values Survey nahe, die seit 1981 erhoben werden und mittlerweile mit fast 80 nationalen Surveys über 80 Prozent der Weltbevölkerung umfassen (Inglehart 2003: 1). Eine »Inglehart-Welzel Cultural Map of the World« – so bezeichnet sie Inglehart auf der Homepage des Surveys (www.worldvaluessurvey.org) – visualisiert die starken Korrelationen von Werten in verschiedenen Kulturen, wobei Länderergebnisse zu religiös-kulturellen Clus-
7. Wertkonflikte zwischen Kultur und Religion | 133 tern zusammengefasst werden (Abb. 1). Die Auswertung erfolgt hier entlang von zwei Dimensionen: (1) traditionelle vs. säkularrationale Werte und (2) Überlebens- vs. selbstexpressive Werte, letzteres entspricht der früher von Inglehart favorisierten Materialismus-Postmaterialismus-Achse. Abbildung 1: Religiös-Kulturelle Landkarte der Welt
Quelle: Inglehart u.a. 2003: 101
Die erste Dimension reflektiert den Kontrast zwischen Gesellschaften, in denen Religion eine große bzw. eine geringe Rolle spielt. Gesellschaften am traditionellen Pol betonen die Wichtigkeit von Eltern-Kind-Bindungen und deren Abhängigkeit von Autorität, verbunden mit absoluten Standards und traditionellen Familienwerten, und lehnen Abtreibung, Scheidung, Euthanasie und Selbstmord ab. Säkular-rationale Gesellschaften zeichnen sich durch gegenteilige Bewertungen aus (– was möglicherweise etwas überzogen wirkt). Die Polarität ist insoweit, worauf Christi-
134 | Kultur versus Religion? an Welzel aufmerksam macht, eine zwischen dem mythischen Ideal einer »heiligen Gemeinschaft« und dem Ideal einer »säkularen Gemeinschaft«, insoweit zwischen Idealen von Gemeinschaft (Welzel 2006). Sie entspricht der in der Soziologie – und insbesondere in der Religionssoziologie – geläufigen Achse der Modernisierung: »Partikularismus – Universalismus« bzw. »Gemeinschaft – Gesellschaft« (Opielka 2006). Die zweite Dimension kulturvergleichender Variationen ist verknüpft mit dem Übergang von industriellen zu post-industriellen Gesellschaften, in denen insbesondere infolge wohlfahrtsstaatlicher Sicherungssysteme das Überleben garantiert erscheint. Damit verschoben sich die Wertprioritäten von der Betonung ökonomischer und physischer Sicherheit zunehmend hin zu subjektivem Wohlbefinden, Expressivität und Lebensqualität. Welzel fasst dies als Kontroverse zwischen Idealen des Individuums, einem konformistischen Ideal eines »eingeschränkten Individuums« und dem liberalen Ideal eines »expressiven Individuums«. Die Entwicklungen auf beiden Achsen entsprechen modernisierungstheoretischen Annahmen und verweisen zugleich auf die in den früheren Kapiteln mehrfach diskutierte Beobachtung, dass Wertkonflikte innerhalb der Kulturen häufig gravierender sind als zwischen Kulturen (Eisenstadt 2000; Schluchter 2002). Das auch auf der hoch aggregierten Ebene in Abbildung 1 markanteste Beispiel sind die USA, die zugleich zu den Vorreitern expressiver, »postmaterieller« Wertorientierungen und im Vergleich mit Europa zu den eher religiös-»traditionellen« Gesellschaften gehören (Norris/Inglehart 2004: 83ff., Wuthnow 2005). Die neuesten Daten des World Values Survey (Erhebungswelle der Jahre 2005 und 2006) legen allerdings nahe, dass seit 2000 der Trend zu stärker selbst-expressiven Werten gestoppt wurde und teilweise sogar rückläufig erscheint. Gleichfalls scheint sich der Trend zu säkular-rationalen Werten in den meisten Ländern nicht mehr fortzusetzen. In Abbildung 2 werden diese Ergebnisse exemplarisch für einige Gesellschaften über die fünf Wellen des World Values Survey (1981-2006) dargestellt.
7. Wertkonflikte zwischen Kultur und Religion | 135 Abbildung 2: Wertewandel 1981-2006 für ausgewählte Gesellschaften
Quelle: Welzel 2006 (World Values Survey, 5 Wellen)
Welzel vermutet, dass dieser aktuelle Bruch der langfristigen Entwicklung menschlicher Entwicklung – entgegen den noch bis zur letzten Erhebungswelle leitenden Annahmen einer »Theorie der Humanentwicklung« (Welzel u.a. 2003) – als Indikator für zunehmende Bedrohungswahrnehmungen und Unsicherheitsgefühle gewertet werden muss, die ihre Ursache vor allem in drei Faktoren haben: dem internationalen Terrorismus, wohlfahrtsstaatlichem Rückbau in Verbindung mit volatilen Aktienmärkten sowie anhaltender Arbeitslosigkeit und der Infragestellung von Gemeinschaftsidentitäten aufgrund von Immigration besonders in den Industrieländern (Welzel 2006). Die Abbremsung des expressiven Wertewandels widerspricht der Theorie Welzels und Ingleharts jedenfalls nicht, wenn diese als analytische und nicht als teleologische Theorie verstanden wird. Dann sind jederzeit Rückbewegungen möglich, wenn die Lebensumstände drückender und bedrohlicher werden.
136 | Kultur versus Religion? Greifen wir die Ausgangsfrage dieses Kapitels auf, inwieweit eine Verschiebung zwischen den Sphären Kultur und Religion beobachtet werden kann und ob diese Verschiebung zu möglicherweise bisher unbekannten Wertkonflikten beiträgt. Die beiden von Inglehart und Welzel fokussierten Achsen – traditionell vs. säkular-rational und materiell vs. selbst-expressiv – können als Religions- und als Kulturachse interpretiert werden. Die Religionsachse beinhaltet Variablen wie Religiosität, Patriotismus, Autorität, Gehorsam und Familialismus, die überwiegend – in den in Kapitel 1 diskutierten, an Parsons angelehnten Systemkategorien – der Legitimationsdimension der Gesellschaft zugeordnet werden können. Denn zu dieser zählen neben dem Subsystem Religion (in unserer Systemarchitektur, Opielka 2006) auch das Wissenschafts-, das Menschenrechts- und das Zivilreligionssystem einer Gesellschaft und damit die in Institutionen ausdifferenzierten Handlungsbereiche, die die starken bis letzten Werte einer Gesellschaft begründen. Dabei sollte nicht irritieren, dass beispielsweise Werte wie Patriotismus auch im politischen System generiert und perpetuiert werden und Werte der Familialismus-Skala des WVS ihre Erfahrungsbasis im Gemeinschaftssystem (Familie, Bildung) besitzen. Entscheidend dürften aus wissenssoziologischer Sicht für die langfristige Wertentwicklung jedoch neben den konkreten Erfahrungen die legitimativen Diskurse in der jeweiligen Gesellschaft sein, die durch Eliten des wissenschaftlichen und religiösen Subsystems geführt werden. Dies gilt in gewisser Weise natürlich auch für die Variablen der Kulturachse, zu denen im WVS beispielsweise Freiheit, Ausdruck, Nonkonformität, Selbstentscheidung und Vertrauen in andere gerechnet werden. Diese Werte dürften überwiegend im Gemeinschaftssystem einer Gesellschaft und seinen institutionellen Ausdifferenzierungen im Familien-, Bildungs-, Öffentlichkeits- und Kunstsystem generiert und perpetuiert werden. Bei der hier skizzierten Betrachtung würde allerdings die Wertegenerierung und -perpetuierung des Wirtschafts- und des Politiksystems nicht hinreichend berücksichtigt. Vermutlich muss die systemische Betrachtung deshalb ausgeweitet werden. In Bezug auf die Kulturachse – Überlebenswerte vs. Selbst-Expressivität (bzw. Materialismus-Postmaterialismus) – liegt nahe, dass auch das Verhältnis zwischen wirtschaftlichen und gemeinschaftlichen Wertorientierungen Verschiebungen erfahren hat.
7. Wertkonflikte zwischen Kultur und Religion | 137 Dafür sprechen die weiter oben (Kap. 3) diskutierten Veränderungen der Arbeitsethik (Norris/Inglehart 2004: 159ff.). Das politische System kommt im WVS über bürgerschaftliche wie politische Freiheitswerte in die Kulturachse, zudem hängen auch Nonkonformitätswerte von der Liberalität der politischen Verfassung und Praxis ab (Welzel/Inglehart 2005). Insoweit dürfte auch das Verhältnis zwischen politischen und religiösen wie sonstigen legitimativen Werten eine Verschiebung erfahren haben. Religiöse Pluralität, beispielsweise die Toleranz gegenüber anderen, vor allem minoritären religiösen Orientierungen, betrifft zugleich die religiösen Diskurse wie eine politisch garantierte – oder eben nicht garantierte – Religionsfreiheit. Diese Problematik ist den Autoren des WVS bewusst. Sie unterscheiden deshalb drei Dimensionen von »Human Development«: die ökonomische Dimension (verfügbare Ressourcen), die kulturelle Dimension (selbst-expressive Werte) und die institutionelle Dimension (Freiheit, Rechte), wobei sie die mittlere, kulturelle Dimension als »Sphäre der Motive (politische Kultur)« bezeichnen (Welzel u.a. 2003: 346). Allein über diese können aufgrund der Befragungsdaten Aussagen gemacht werden, die ökonomische Dimension –»Sphäre der Mittel (Sozialstruktur)« – und die institutionelle Dimension – »Sphäre der Regeln (Regime-Institutionen)« – müssen anderweitig bestimmt werden. Trotz dieser Einschränkungen, die sich aus der auf zwei Dimensionen abgebildeten und damit erheblich komplexitätsreduzierten Darstellung in den Abbildungen 1 und 2 ergeben und damit die vielfältigen sonstigen Auswertungen des WVS außer Acht lassen, kann die Unterscheidung von Religions- und Kulturachse einen Erklärungswert beanspruchen. Sie macht zumindest deutlich, dass und warum der Modernisierungsprozess nicht unilinear, vielmehr widersprüchlich und selbst innerhalb von Gesellschaften ungleichzeitig verläuft.
7.2 Politische Kultur und symbolische Formen Das grundsätzlichere Problem des World Values Survey und vergleichbarer Einstellungsforschungen (ISSP, ESS, Eurobarometer usw.) ist die Analyseebene. Es handelt sich um hoch aggregierte Befragungsdaten, aus denen erneut Gesellschaften zu
138 | Kultur versus Religion? religiös-kulturellen Clustern aggregiert werden. Die damit verbundene Problematik ist den Autoren in der Regel bekannt (Norris/Inglehart 2004: 34ff.). Die Befragungsdaten werden deshalb um Strukturdaten (macro-level data) ergänzt, beispielsweise Daten zu Regierungsformen, zum Bildungssystem oder zur Wirtschaftsentwicklung. Nichtsdestotrotz besteht die Gefahr, dass die Einstellungsdaten isoliert betrachtet werden und der Clusterbildung unzureichend bestimmte theoretische Konzepte zugrunde liegen. Ein Beispiel dafür ist die Klassifikation von Gesellschaften nach historisch dominierenden Religionen. So unterschieden Norris und Inglehart fünf »größere religiöse Kulturen« entlang der historisch vorherrschenden Religion (in Klammer: die Zahl der nationalen Gesellschaften im WVS): katholisch (28), protestantisch (20), orthodox (12), islamisch (13) und östlich (6) (ebd.: 46f.). Gerade die letzte der fünf Kategorien, die die Länder Japan, Südkorea, Taiwan, China, Indien und Vietnam umfasst, erscheint aus religionssoziologischer Sicht überlastet. Die Verantwortlichen des WVS, überwiegend Politikwissenschaftler und nicht Soziologen, stehen, wie bereits angedeutet, in der Tradition der »Politische Kultur«-Forschung und damit auch deren Verengungen. Im »Handwörterbuch zur politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland« definieren die Herausgeber Martin und Sylvia Greiffenhagen: »Politische Kultur […] bezeichnet die subjektive Dimension der Politik im Sinne des Verteilungsmusters aller Orientierungen einer Bevölkerung gegenüber dem politischen System […]. Zur politischen Orientierung zählen Meinungen, Einstellungen und Werthaltungen.« (Greiffenhagen/Greiffenhagen 2002: 387) Offensichtlich muss dieser mikrosoziologische Kulturbegriff zwingend um zwei weitere Ebenen erweitert werden: die Mesoebene der Institutionen und die Makroebene der Gesellschaft. Erst ein solcherart erweiterter, komplexitätsadäquater Begriff von Politischer Kultur wird zu einem Zentralbegriff moderner Gesellschaftsanalyse. Theoretische Reflexionen des Forschungsfeldes »Politische Kultur« sind, vor allem aus soziologischer Sicht, eher rar (Johnson 2003). Bislang dominierten entsprechend der bereits monierten subjektivistischen Verengung zwei Reflexionslinien: die Wahlforschung und die Wertewandelforschung. Die Wahlforschung schließt in der Politikwissenschaft naturgemäß an die Demokratie- und vor allem die Parteienforschung an. Schon vor
7. Wertkonflikte zwischen Kultur und Religion | 139 zwei Jahrzehnten kritisierte Birgitta Nedelmann eine »gewisse Biederkeit« der Politischen-Kultur-Forschung, ja sogar eine »deplacierte Respekthaltung vor allem, was im Politikbereich produziert wird« (Nedelmann 1986: 411). Der Grund liegt in der subjektivistischen bottom-up-Perspektive auf die Einstellungen der Bürger, die die politischen Akteure, vor allem die Eliten, die Produzenten der Artefakte, der Werke Politischer Kultur methodisch ausblendet. Trotz der enormen Elaborierung, die unterdessen den Status einer »Theorie menschlicher Entwicklung« beansprucht (Welzel u.a. 2003), bleibt das Grundproblem des Subjektivismus. Das wird auch von den Greiffenhagens gesehen, die ihn zwar, wie eingangs zitiert, methodisch zum Ausgangspunkt erklären, aber immerhin die Grenzen der Umfrageforschung am Beispiel der Transformationsforschung zur deutschen Einheit konzedieren: historisch-phänomenologische, ethnologische und situationstheoretische Perspektiven müssten hinzukommen (Greiffenhagen/ Greiffenhagen 2002: 398f.). Die Frage nach einer adäquaten Theorie Politischer Kultur hat längst den kleinräumigen Horizont innenpolitischer Verwerfungen verlassen. Huntingtons Studie zum »Kampf der Kulturen« (1997) machte deutlich, dass das 1960 von Daniel Bell verkündete »The End of Ideology« wie das von Francis Fukuyama 1989 verkündete »Ende der Geschichte« durch Tiefenkulturkonflikte im 21. Jahrhundert unterbrochen wurde. Huntingtons Analyse musste sich zu Recht für ihre religionssoziologische Dürftigkeit – seine Behauptung, Religionen liegen den »Kulturkreisen«, den »Civilizations« zugrunde, ist völlig vage – und für die fehlende Reflexion intrakultureller Konflikte kritisieren lassen – in der Tat, es wurde in diesem Buch bereits angesprochen, wurde mehrfach, auch empirisch nachgewiesen, dass interethnische und interreligiöse Konflikte seit 1989 überwiegend innerhalb und nicht zwischen den Kulturkreisen auftraten (Henderson 2005). Immerhin übersteigt Huntingtons Kulturanalyse den Subjektivismus der Einstellungsforschung. Generell wirkt jeder kulturwissenschaftliche Input in die Politische-Kultur-Forschung belebend, wie Diskussionen über die »kulturellen Werte Europas« zeigen (Joas/Wiegandt 2005; siehe auch Kap. 2). Ernst Cassirer hat in seiner »Philosophie der symbolischen Formen« eine wegweisende Kulturtheorie vorgelegt (Cassirer 1994), die unterdes-
140 | Kultur versus Religion? sen auch in der Soziologie rezipiert wird (Rehberg 1994; Willke 2005). »Kultur« ist für Cassirer die Gesamtheit des sich in symbolischen Formen manifestierenden geistigen Schaffens der Menschen. Cassirers Kerngedanke ist, dass alle Weisen menschlicher Weltwahrnehmung – was nicht allein anthropologisch zu verstehen ist: von der dumpfen Sinnesempfindung bis zur höchsten intellektuellen Abstraktion – Akte symbolischer Sinngebung und auf verschiedenen Ebenen miteinander verwoben seien. Christine Magerski verglich Cassirers Philosophie der symbolischen Formen mit Bourdieus Soziologie der symbolischen Formen (Magerski 2005). Der über Cassirer hinausgehende, soziologische Beitrag Bourdieus zur Analyse des Symbolischen kann in drei verbundenen Aspekten gesehen werden: »Während Cassirer im Rahmen der Positionierungen verharrt, geht Bourdieu weiter und setzt diesen mit dem Raum der produzierenden und rezipierenden Gruppen in Beziehung.« (Ebd.: 119) Bourdieu »unterscheidet« eben »grundsätzlich zwei Formen […]: kulturelle und soziale« (ebd.), zugleich als »Verzahnung von symbolischer und sozialer Form« (ebd.: 124). Neben dieser konstruktionslogischen Dialektik von Symbol- bzw. Kultur- und Sozialformen geht es Bourdieu zum Zweiten um eine »Bewegung von der Universalisierung zur Historisierung der symbolischen Formen […], doch geht […] Bourdieu entscheidend über Cassirer hinaus, indem er Tun als soziales Handeln im Sinne einer Logik der Praxis definiert, die das kulturelle Sein nicht nur erfassbar macht, sondern es konstituiert« (ebd., Herv. M.O.). Hier klingt jene »Basis-Überbau«-Heuristik an, mit der Marx Hegel vom Kopf auf die Füße stellen wollte. Soziologisch betrachtet kulminiert der Vergleich von Bourdieu, Cassirer und auch Simmel in medientheoretischen oder besser: formtheoretischen Überlegungen. Für Simmel gilt »Geld« als die symbolische Form der Moderne par excellence, »eine leere Form im Sinn Cassirers, doch unbestreitbar von Wert« (ebd.: 126). Eine vergleichbare Form nehmen bei Bourdieu die Kapital-Sorten an, die durch Macht-Relationen und durch symbolische Kämpfe die »symbolische Ordnung« der Gesellschaft konstitutieren. Insoweit geht Bourdieu tatsächlich nicht über Simmel »hinaus«. Er ersetzt nur das Medium des Geldes durch dasjenige der Macht. Zwar weisen beide, Bourdieu und – vorab Simmel – über Cassirer hinaus, indem sie (für Soziologen
7. Wertkonflikte zwischen Kultur und Religion | 141 naheliegend) soziale Relationen und Interaktionen fokussieren. Andererseits fällt Bourdieu freilich – je nach epistemologischer Perspektive – durch seinen Materialismus weit hinter Cassirer zurück. Birgit Recki, Herausgeberin der Cassirer-Werkausgabe und Philosophin, hat gegenüber dem »Praxis«-Mahlstrom der gegenwärtigen Kulturwissenschaften mit ihrem »Generalnenner des generellen Kulturrelativismus« (Recki 2005: 132) eingewandt: »Es ist zu befürchten, dass man sich in einer Formation, in der kulturelle Gegenstände […] zwar ›als (materielle und symbolische) Praktiken‹ begriffen werden sollen, der Geist aber als gegenstandslos verabschiedet wird, aufgrund eines reduktionistischen Missverständnisses auf Cassirer berufen möchte.« (Ebd.) Cassirer formulierte »das Funktionsprinzip der Repräsentation als Verkörperung von Sinn in einem sinnlichen Medium« (ebd.: 137), also das Goethe’sche Problem des Verhältnisses von Sinn und Sinnlichkeit wie folgt: »Unter einer ›symbolischen Form‹ soll jede Energie des Geistes verstanden werden, durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkret sinnliches Zeichen geknüpft und diesem Zeichen innerlich zugeeignet wird.« (Cassirer 2003: 79) Der Begriff »Energie des Geistes« entstammt Humboldts Bestimmung der Sprache als »energeia« wie der Aristotelischen Unterscheidung von »energeia« und »ergon«. Für Cassirer lässt sich sagen: »Geist ist das bildende Prinzip in jenem Subjekt, in dem der Kulturprozess seinen Ursprung hat, und das heißt im Prinzip in jedem Subjekt.« (Recki 2005: 138) Das ist zwar keine materialistische Definition von »Geist«, aber doch eine weitaus eingeschränktere, als sie mit Hegel vorgelegt wurde. Recki versucht sich in einer ontologieskeptischen Ontologisierung: »Wenn wir auf diese Weise sagen müssen, es ist auch hier der Geist, der die Natur hervorbringt, so meinen wir doch nicht, wie Hegel, den göttlichen Geist und ein Hervorbringen im ontologischen Sinn, sondern wir meinen den menschlichen Geist und ein Hervorbringen im Sinne erkennender Gegenstandsbildung.« (Ebd.: 139) Recki gibt Cassirers Religionsskepsis durchaus zutreffend wieder, wenn er, der säkulare Jude, ähnlich wie Freud, die Dekonstruktion des Religiösen und des Ontologischen betrieb, indem er stets Mythos und Religion in eins setzend diskutiert (z.B. Cassirer 1996: 116ff.). Gleichwohl zeigt gerade Cassirers Reflexion auf Cusanus wie auch zuvor schon auf die Hochscho-
142 | Kultur versus Religion? lastik (Thomas von Aquin), dass er dem Religiösen als Denken Anerkennung zollt – um mit Hegel zu sprechen: als »Wissen«, aber nicht als »Glauben«, was Hegel nun gerade, gegen Kant, an dem sich Cassirer orientiert, kritisierte (Opielka 2005). Nun ist die Hegel’sche Geistkonzeption von objektivem, subjektivem und absolutem Geist – nur auf Letztere mag die Cassirer/Bourdieu/ Recki-Religionskritik überhaupt treffen – hoch komplex und ihre Pointe liegt in der Dialektik von Konstruktion und Rekonstruktion der Stufen des Geistes. Eine Implikation für unsere Frage nach der Theoriearchitektur im Verhältnis von Kultur und Gesellschaft, von Symbolisieren und Sozialem usf. ist vielleicht deutlich geworden: Cassirer und mit ihm Recki – aber nicht die soziologischen Rezipienten wie Magerski und die postmodernen Vertreter – sehen eine geistige Wirklichkeit, die zwar im Subjekt ihren Ausgangsort hat – insoweit ist Cassirer Kantianischer Konstruktivist –, aber als eine Wirklichkeit sui generis, als symbolische Form. Cassirer unterschied im Anschluss an die Scholastik (natura naturans/natura naturata) »zwischen der ›forma formans‹ und der ›forma formata‹« (Recki 2005: 135). Das Werden des Geistes geschieht in unablässigem Durchgang durch beide. Politische Kultur umfasst – folgen wir Cassirer (Cassirer 2002) und in dieser Hinsicht auch Parsons’ gesellschaftsexternem, symbolischen Kulturbegriff (Parsons 1949, 1972; siehe Kap. 1) – damit nicht nur die Einstellungen der Bürger, sondern sämtliche Symbolprodukte und -produktionen, soweit sie politisch relevant erscheinen. Harry Eckstein (1996) erinnerte an das ansonsten eher vergessene Parsons’sche Theorieprogramm in der Politischen-Kultur-Forschung, das für die Pionierarbeiten von Almond und Verba (1963) noch leitend war. Die Analyse der Symbolisierungen ragt daher aus der »Begriffsgeschichte«, die ihren Aufstieg nach 1950 erlebte und deren »plötzliches Abebben« in den 1990er Jahre viele erstaunte (Gumbrecht 2006: 10), in die konkreten Institutionalisierungen, wie auch in den Geisteswissenschaften zunehmend thematisiert wird (Raphael/Tenorth 2006), teils ausdrücklich mit Bezug auf Cassirer (Melville 2001). Das analytische Problem griffen in der Soziologie Berger und Luckmann bereits in den 1960er Jahren auf. Sie versuchten Webers hermeneutische und Durkheims strukturtheoretische Problemstellung zu kombinieren, um die »Grundfrage der sozio-
7. Wertkonflikte zwischen Kultur und Religion | 143 logischen Theorie« zu beantworten: »Wie ist es möglich, dass subjektiv gemeinter Sinn zu objektiver Faktizität wird?« (Berger/ Luckmann 2004: 20) Dass es ihnen nicht nur um eine Einbahnstraße vom Subjekt zur Gesellschaft, sondern zumindest um »einen Schuss Dialektik« (ebd.: 199) geht, also um die Wechselbeziehung von Mikro-, Meso- und Makroebene, die eben durch Institutionalisierungen wie durch »Subsinnwelten« (ebd.: 90) aufgefächert und vermittelt werden, macht ihren Ansatz nach wie vor aktuell. Hans Kelsen fasste dieses Problem 1922 in einer Diskussion des Beitrags von Freuds Massenpsychologie für die Staatstheorie noch in eine etwas krude Metapher: »Da Seelisches nur im Individuum, d.h. in den Seelen der Einzelmenschen möglich ist, muß alles Überindividuelle, jenseits der Einzelseele Gelegene metapsychologischen Charakter haben.« (Kelsen 1922: 125) Soziologie als »Metapsychologie« verschiebt natürlich nur das Problem, deutet aber das Problem der »Emergenz« an, auf das Parsons und sämtliche Systemtheorie eine Antwort zu geben beanspruchen. Wie aber kann diese Dialektik im Verhältnis von Religion und Kultur soziologisch operationalisiert werden?
7.3 Der Ansatz des Neo-Institutionalismus In der neueren sozialwissenschaftlichen Literatur bietet sich als eine synthetische Perspektive das als »Neo-Institutionalismus« bezeichnete Programm an (Jepperson 2001; Hasse/Krücken 2005; Senge/Hellmann 2006). Es hatte seine Ursprünge in der Organisationsforschung, zunächst in der Erforschung von Bildungseinrichtungen, bald auch in der Forschung zu religiösen Organisationen (Demerath III u.a. 1998). Während die klassische Organisationsforschung ihren Anfang bei ökonomischen und bürokratischen Organisationen (Betriebe, Verwaltungen) nahm und damit die Mesoebene in ihrer zweistelligen Relation zu den Individuen, ihren Mitgliedern konzipiert, machten Bildungs- und mehr noch religiöse Organisationen auf die Beziehungen zur Makroebene aufmerksam. Das Ebenenproblem kannte auch die klassische Institutionentheorie, die wiederum nicht selten die Mesoebene zugunsten eines unmittelbaren Bezugs von Institution, beispielsweise Kirche, und Individuen übersprang. Die Problemstellung des Neo-Institutionalismus liegt in der Gleichzei-
144 | Kultur versus Religion? tigkeit von Mikro-, Meso- und Makrophänomenen, was mit der Begrifflichkeit von Institution und Legitimation zu tun hat, wie sie hier Verwendung findet. »Denn Organisationen, wie sie der Neo-Institutionalismus sieht, leben gerade, was ihre formalen Strukturen und deren ›Effizienz‹ angeht, von Voraussetzungen, die sie selbst weder herstellen noch garantieren können. Was auf dem Felde ihrer Strukturierung ›richtig‹ ist oder ›falsch‹, das wissen sie nicht aus sich, sondern lernen es von ihrer Umwelt. Aber mehr noch: Nicht Effizienzerfordernisse treiben sie an, sondern Legitimitätsbedürfnisse, die darauf zielen, den institutionellen und kulturellen Geltungsvorhaben der Umwelt zu sprechen. Das aber führt sie in die Nähe der Religion […]« (Tyrell 2005: 39). John W. Meyer, der führende Vertreter dieses Ansatzes, brachte es auf diesen Punkt: »Kultur ist hier ein Grundbegriff.« (Meyer 2005a: 12) Meyer bezeichnet die kulturanalytische Ausgangssituation des Neo-Institutionalismus folgendermaßen: »Die westliche Gesellschaft ist im Wesentlichen ein kulturelles Projekt zur Organisation menschlichen Handelns, durch das die richtigen Verknüpfungen zwischen der moralischen und der natürlichen Welt hergestellt werden sollen.« (Meyer 2005: 17) Dabei nehmen Institutionen eine Schlüsselrolle ein: »Kultur, wie wir sie verstehen, schließt die institutionellen Modelle der Gesellschaft mit ein. Diese kulturellen Modelle bestimmen den gesellschaftlichen Rahmen, die als legitim geltenden Akteure und die Handlungsmuster, die zur Verfolgung kollektiver Ziele zur Verfügung stehen, und beziehen diese Elemente aufeinander.« (Ebd.: 29) Und weiter: »Bei Kultur geht es also nicht nur um allgemeine Werte und Wissen, die Vorlieben und Entscheidungen beeinflussen, sondern vielmehr definiert die Kultur den ontologischen Wert von Akteuren und Handlungen.« (Ebd.: 30) Letztlich sind damit »Theorien das Herz des sozialen Systems« (ebd.: 29). Diese Perspektive, die natürlich selbst eine Theorie ist, wendet die in Bergers und Luckmanns sozialphänomenologischem Klassiker analysierte »gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit« (Berger/Luckmann 2004) auf die Weltgesellschaft und ihre »Weltkultur«, so der Titel von Meyers Buch, an: »Eine konsequent institutionalistische Analyse zeigt daher die starke Verankerung der kognitiven und moralischen Rahmung von Handeln auf allen Ebenen in übergreifenden institutionellen Definitionen
7. Wertkonflikte zwischen Kultur und Religion | 145 (auf Gesellschafts- und auf Weltebene) auf, die in der modernen world polity ebenso wie in einem Großteil der westlichen Geschichte bestanden hat. Akteure und Handlungen werden durch die Brille universalistischer Regeln wahrgenommen.« (Meyer 2005: 33) Selbst Akteure sind nicht einfach gegeben, vielmehr »ist die verbreitete Vorstellung, dass der Akteur die Handlung ausführe, nur die halbe Wahrheit – auf institutioneller Ebene bringt ebenso die Handlung den Akteur hervor« (ebd.: 32). Nicht immer ist in der von Meyer und anderen Neo-Institutionalisten gewählten Perspektive ganz klar, wo die analytischen Anschlüsse zu den verschiedenen Aggregatebenen zu finden sind. Es geht nicht nur um die umfangslogischen Aggregate – Mikro, Meso, Makro –, vielmehr werden mit ihnen auch unterschiedliche Handlungsmodalitäten angedeutet, die durch einen etwas breiter angelegten Theorievergleich möglicherweise zu klären sind. Dabei ist die Systematisierung des »Theoretical core of the new institutionalism« durch Ellen M. Immergut (1998) hilfreich. Immergut unterscheidet drei separate Forschungszugänge zum »new institutionalism«: Rational Choice, Organisationstheorie und historischen Institutionalismus. Sie summiert unter dem Label »new institutionalism« neuere institutionenorientierte Ansätze in mehreren sozialwissenschaftlichen Gebieten, in denen die Soziologie teils eine etwas marginale Rolle einnimmt. Rational-Choice-Ansätze entstammen der ökonomischen Modellierung sozialer Prozesse (Social Choice usf.), die Organisationstheorie der (politikwissenschaftlichen) Verwaltungs-, aber auch Partei- und Bewegungsforschung und der historische Institutionalismus findet sich vor allem in der Sozialgeschichtsforschung. Als vierten Zugang möchte ich die neuere Kulturtheorie als Institutionentheorie hinzufügen und damit den Ansatz des soziologischen Neo-Institutionalismus. In einer vereinfachten Typologie werden diese vier Typen mit ihrem umfangslogischen Fokus, ihrer methodischen Begründung und ihrer sozialwissenschaftlichen (Haupt-)Anwendung skizziert (Tab. 3). Die Bezeichnungen L1-L4 beziehen sich auf die in Kapitel 1.1 erklärten handlungs-systemischen Stufen. Der soziologische Neo-Institutionalismus stellt damit nur eine von mehreren neueren Strömungen dar, die Institutionen (wieder) in das Zentrum sozialwissenschaftlicher Forschung holten. Indem er die kulturelle, symbolische Dimension – im Sinne
146 | Kultur versus Religion? von Parsons und auch von Cassirer – fokussiert, wird sozusagen die Metaebene sozialer Handlungen und von Strukturbildungen auf allen Aggregatstufen (Mikro, Meso, Makro) thematisch. Tabelle 3: Vier Typen des »New Institutionalism« Typus des »New Institutionalism«
Umfangslogischer Fokus
methodische Begründung
sozialwissenschaftliche Anwendung
Rational Choice (L1)
Mikro
Psychologie
Survey-Daten, Modellierung
Organisationstheorie (L2)
Meso
bounded rationality
Partei- und Bewegungsforschung
Historischer Institutionalismus (L 3)
Makro
Pfadabhängigkeit
Strukturvergleich
Kultureller Institutionalismus (L 4) »Neo-Institutionalismus«
Meta
Funktionalismus
Politische Kultur, Wohlfahrtsregimeanalyse
Mit der vierten Ebene des Kulturellen Institutionalismus bzw. Neo-Institutionalismus kann darüber hinaus eine psychoanalytische Perspektive verknüpft werden. Alexander hat dies auf die Formel einer Kultursoziologie als »a kind of social psychoanalysis« gebracht, die sich mit dem Unbewussten der Gesellschaft und ihren sozialen Traumata befasse bzw. befassen solle (Alexander 2003: 4). In seiner Presidential Address als Vorsitzender der American Sociological Association »The Rational and the Ambivalent in the Social Sciences« brachte Neil Smelser (in den 1950er Jahren Parsons’ Assistent) die psychoanalytische Perspektive gegen die Rational-Choice-Theorie in Stellung. Neben eher rhetorischen Kritiken am Rational-Choice-Ansatz – »everything becomes rational if you push hard enough«, »neither reason nor choice is necessary for what passes as rational-choice analysis« (Smelser 1998: 172, 173) – zielt Smelsers Überlegung auf eine methodische Einschränkung erster Ordnung: »Rational-choice analysis leaves little place for affect and emotional attachments […]. In one sense this omission is odd, because the chief principle of utilitarianism is seeking pleasure and avoiding pain, both affective states. In fact,
7. Wertkonflikte zwischen Kultur und Religion | 147 however, anxiety, rage, love (especially blind love), neurotic conflict, and psychosis do not figure in rational-choice analysis.« (Ebd.: 173) Diese Kritik erinnert an seinen Lehrer Parsons, in dessen voluntaristischer Handlungstheorie bereits der strukturfunktionalen Phase die Dialektik von instrumenteller und expressiver Rationalität und – explizit psychoanalytisch begründet (und insoweit Weber subjekttheoretisch fundierend) – affektives, »kathektisches« Handeln eine zentrale Rolle spielt (Parsons 1981; Opielka 2006: 193ff.). Auf einer reflexiven Ebene, als methodische Einschränkung zweiter Ordnung, erkennt Smelser aber nicht nur den Verzicht des Rational-Choice-Paradigmas auf eine Konzeption des Affektiven (was er mit der feministischen Soziologie teilt): »With respect to actors’ motivation, rational-choice theory relies almost exclusively on univalent orientations. […] Rational-choice theory does not deal with the possibility that we actively love and hate the same object simultaneously.« (Smelser 1998: 174) Gegenüber Rational Choice fokussiert das Konzept Ambivalenz zum einen auf widersprüchliche affektive Orientierungen gegenüber denselben Personen, Objekten oder Symbolen, zum anderen auf deren Instabilität. Smelser destilliert mit Freud vier Charakteristika von Ambivalenz: den Ursprung in der intimen Eltern-Kind- und Geschwister-Beziehung, »from which the child cannot escape« (ebd.: 176), »the law of ambivalence«, nämlich: »the stronger the positive side of ambivalence, the stronger the negative« (ebd.: 177, 176), ihre unablösbare Etablierung in der Seele und die Generalisierung auf andere reale und symbolische Situationen. Gerade weil Ambivalenz so tief, eben unbewusst, verankert ist sind die Abwehrmechanismen so ausdifferenziert, von Projektion über Idealisierung bis Spaltung. Daraus resultierendes Verhalten als »rational« oder »choice« zu bezeichnen, erscheint Smelser analytisch nicht hilfreich. Die Survey-Forschung dient ihm als Beleg für die Dominanz univalenter Methodik: »[W]e must regard attitude surveys not as revealed preferences but as distorted structure of reality that minimizes and – in the process – delegitimizes both ambiguity and ambivalence.« (Ebd.: 186f.) Smelsers Überlegungen lassen sich dahin zusammenfassen, dass der methodische Reiz des Rational Choice Paradigmas in der Parametrisierung sozialer Situationen liegt, in einem kulturellen Credo gegenüber quantitativen Erhebungsverfahren und damit in der Abwehr von Unsicherheiten, die mit Ambivalenzen einhergehen.
148 | Kultur versus Religion? Immerhin konzediert Smelser, dass Rational Choice Ansätze in Situationen anwendbar sind, in denen Wahlhandlungen institutionalisiert sind (ebd.: 190), womit, auf differenzierterer Stufe, die Frage aufgeworfen wird, ab wann von Institutionalisierung gesprochen werden kann. Die neo-institutionalistische Kritik an Rational Choice Ansätzen betont, wie bereits weiter oben angesprochen, dass Akteure selbst durch institutionelle Vorgaben konstituiert werden (Hasse/Krücken 2005: 71ff.), und damit durch kulturelle Muster, Skripte und so weiter. Zieht man nun noch die Überlegungen von Smelser hinzu, dann wird auch deutlich, dass die Befunde der Wertewandelsforschung nicht zufällig widersprüchlich ausfallen – und dass diese Widersprüchlichkeit dennoch aufgrund der hohen Aggregierung übersehen zu werden droht. Die Analyse von Kultur- und Religionswerten legt zum einen zumindest gleichgewichtig qualitative Forschungsmethoden nahe, die die affektive Dimension adäquat abbilden können. Zumindest aber erscheint es unerlässlich, dass die Auswertung von Massendaten systematisch auf Ambivalenzen überprüft und mit kulturanalytischen Methoden (Diskursanalyse usf.) hermeneutisch kontrolliert wird. Zum anderen erscheint es sinnvoll, soziologische Analysen von Kultur und Religion um eine soziologisch-anthropologische Perspektive zu erweitern, worauf Wolf Lepenies und Helmut Nolte schon vor einiger Zeit aufmerksam gemacht haben (Lepenies 1971; Lepenies/Nolte 1971). Nolte hat dies später dahin präzisiert, dass die Sozialpsychologie als Fach von der Sozialpsychologie als »transdisziplinärer Problemstellung« (Nolte 2003: 27) unterschieden werden sollte, Letztere könne als »psycho-soziale Perspektive das Soziale als intentionales und transintentionales Resultat aus den psychischen Operationen und der inter-psychischen Interdependenz der Akteure« ableiten (ebd.: 29). Zu dieser Problemstellung hat die Psychoanalyse seit ihrer intersubjektiven Wende vor allem deshalb einiges beizutragen (Altmeyer/Thomä 2006), weil sie neben dem Blick auf das Unbewusste, Verdrängte und verzerrt Wiederkehrende nun neben der Mikroebene und der – als Kulturanalyse – Makroebene auch die Mesoebene des Sozialen fokussieren kann. Kultur und Religion erscheinen im Durchgang durch die Angebote der Wertewandelsforschung, ihrer Erweiterung als Erforschung der Politischen Kultur um die Kategorie der Symbo-
7. Wertkonflikte zwischen Kultur und Religion | 149 lischen Formen und ihrer Synthese in einem psychoanalytisch informierten Neo-Institutionalismus methodisch zugänglicher. Die neo-institutionalistische Perspektive operiert dabei mit einem vordergründig gespaltenen Kulturbegriff: Einerseits steht das in Kapitel 1 skizzierte ›mittlere‹ Verständnis im Zentrum, das gemeinschaftliche und legitimative Handlungsformen und Systembildungen einschließt, andererseits wird Kultur auch in einem gesellschafts-›externen‹ Verständnis als Symbolsystem verwendet. Diese zweite Bedeutung wird aber stets auf Institutionen bezogen, als Korrelat für Sinn und Regelhaftigkeit also ausschließlich auf soziale Phänomene gerichtet. In beiden Bedeutungen wird jedoch erkennbar, dass Religion nur ein Aspekt des Kulturellen ist, umgekehrt aber Gegenstand von Kulturanalyse sein muss. In gewisser Weise ist Religion, verstanden als Letztwertbegründung und Letztwertpraxis (Kap. 3), der präzisere, weil umgrenztere Begriff unseres konflikthaften Begriffspaares. Die Spannung zwischen Religion und Kultur, die am Anfang des 20. Jahrhunderts auf globaler Ebene auftritt, ist insoweit eine Spannung innerhalb der kulturellen Sphäre. Das ist nicht als Entwarnung gedacht oder als Verleugnung. In seiner Schrift »Das Unbehagen in der Kultur« hat Freud, durchaus in unserem Sinn, für Realismus plädiert: »Wenn wir gegen unseren jetzigen Kulturzustand mit Recht einwenden, wie unzureichend er unsere Forderungen an eine beglückende Lebensordnung erfüllt, […] üben wir gewiß unser gutes Recht und zeigen uns nicht als Kulturfeinde. Wir dürfen erwarten, allmählich solche Abänderungen unserer Kultur durchzusetzen, die unsere Bedürfnisse besser befriedigen, und jener Kritik zu entgehen. Aber vielleicht machen wir uns auch mit der Idee vertraut, dass es Schwierigkeiten gibt, die dem Wesen der Kultur anhaften und die keinem Reformversuch weichen werden.« (Freud 1999b: 475) Zu den Schwierigkeiten, die Freud wohl nicht kommen sah, gehört die Tatsache, dass Religion heute viel weiter verstanden werden muss und auch scheinbar rein säkular-rationalen Weltanschauungen Religionscharakter zukommen kann, wenn sie je letzte Werte reklamieren und praktizieren. Vielleicht aber folgt dann immer wieder eine Entlastung, wenn wir »unsere Bedürfnisse besser befriedigen« können und Wege entdecken, in denen starke religiöse Werte und expressive Selbstverwirklichung nicht als Widerspruch, sondern als Synthese eines guten Lebens anerkannt werden können.
Anmerkungen | 151
Anmerkungen
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Dabei gingen, in teils erheblich überarbeiteter Form, frühere Veröffentlichungen ein (Opielka 2006c in Kapitel 1, ders. 2006d in Kapitel 2, ders. 2003a in Kapitel 3, ders. 2003b und 2003c in Kapitel 4, ders. 2003d und 2003e in Kapitel 5, ders. 2005a in Kapitel 6). 2 Die Hegel’sche Perspektive von Heinrichs unterscheidet sich insoweit deutlich von der Konstruktionslogik bei Parsons, der die Rekonstruktion eines Systems im Anschluss an Alfred N. Whitehead durch »unit acts« als »eternal objects« eher pragmatisch-philosophisch vornimmt (so die Deutung von Wenzel 2002; kritisch: Opielka 2006: 288ff.). 3 So argwöhnte Uta Gerhardt in einer Besprechung der ersten Auflage meines Buches »Gemeinschaft in Gesellschaft«, dessen »Erkenntnisprogramm, das unterstellt, die Wirklichkeit sei durch die Wissenschaft in ihrer Wahrheit erkennbar«, sei »nicht unähnlich der weltanschaulich affirmativen und dabei geschichtlich ultimativen Wirklichkeitswissenschaft der Zeit zwischen 1930 und 1945« (Gerhardt 2006). Das kann man allerdings auch ganz anders sehen. 4 Hier bin ich näher bei Parsons, der auf das »university bundle« aufmerksam macht, die Kombination von Ausbildung, Grundlagen- und angewandter Forschung, wie sie das moderne Universitätssystem (v.a. in den USA) kennzeichnet, und deshalb den wissenschaftlichen, also Forschungsaspekt der Universitäten dem, wie er es nennt, »Rationalitätssystem« – der ersten, »A«-Stufe des Legitimationssystems (bei
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ihm: »Treuhandsystem«) – zurechnet, wie ich dies ebenfalls vorschlage (Parsons 1978: 91ff., 1990: 557). Man könnte auch einwenden, dass »Ware« kein Medium des Subsystems »Produktion« des Wirtschaftssystems sei, da ein Produkt erst durch den Handel zur Ware wird. Dagegen lässt sich mit einem weiteren Aspekt der hier vertretenen systemischen Perspektive argumentieren, auf die vor allem Parsons aufmerksam gemacht hat: auf die »Interpenetration«, die wechselseitige Durchdringung aller Subsysteme und zwar über ihre Medien. In einer ausdifferenzierten Gesellschaft (zumindest in einer mehr oder weniger kapitalistischen Marktwirtschaft) existieren keine Produkte als solche, sie nehmen zunächst (so Karl Marx) stets die Warenform ein. Richard Münch (1995) kritisierte die Parsons’sche Vorstellung, nur bzw. vor allem das Gemeinschaftssystem erfülle die gesellschaftliche Funktion »Integration« (bei Parsons das »I« im »AGIL-Schema«), und betonte zu Recht die »multiple Integration« der Gesellschaft durch alle Teilsysteme (dazu ausführlicher Opielka 2006). Dass diese beispielsweise bei dem als »Zivilreligion« bezeichneten »gemeinschaftlichen« Subsystem des Legitimationssystems – noch – kaum möglich erscheint, könnte nahelegen, dieses Subsystem des Legitimationssystems statt als »Zivilreligion« auch als (nicht-religiöse) »Ethik« zu fassen (so der Vorschlag bei Schluchter 1980: 134). Auf dem letzten Soziologentag, der sich dem Thema »Kultur« widmete, kam das Thema Religion gleichfalls nicht vor (Haller u.a. 1989). Die Ausgrenzung von Religion aus dem kultursoziologischen Diskurs kritisierte Hans Joas (1997) gründlich. Folgen wir dem (katholischen) »International Bulletin of Missionary Research« (http://www.fides.org/deu/statistiche /2000_8.html; Stand 2002), so halten die Weltreligionen bei einer Weltbevölkerung von 6,203 Mrd. Menschen folgende Anteile: (1.) Christentum: 2,050 Mrd. (= 33,05 Prozent), davon röm. Katholizismus: 1,08 Mrd. (17,46 Prozent), Protestantismus: 0,35 Mrd. (5,66 Prozent), orthodoxes Christentum: 0,22 Mrd. (3,50 Prozent), anglikanisches Christentum:
Anmerkungen | 153 0,081 Mrd., sonstige Christen (vermutlich v.a. pfingstlichcharismatische Bewegungen): 0,316 Mrd. (5,09 Prozent); (2) Islam: 1,239 Mrd. (19,97 Prozent); (3) Hinduismus: 0,836 Mrd. (13,48 Prozent); (4) Buddhismus (incl. Buddhismus Japans und Chinas): 0,367 Mrd. (5,92 Prozent); (5) Judentum: 0,014 Mrd. (0,23 Prozent); (6) sonstige Religionen: Sikh 0,024 Mrd. (0,38 Prozent), »Neue Religionen« 0,104 Mrd. (1,6 Prozent), Stammesreligionen 0,234 Mrd. (3,7 Prozent); (7) Religionslose: 0,78 Mrd. (12,58 Prozent), Atheisten: 0,15 Mrd. (2,43 Prozent). Taoismus und Konfuzianismus werden nicht weiter ausgewiesen und vermutlich unter Buddhismus oder »religionslos« subsummiert. Die Schätzungen für das Jahr 2025 machen innerhalb dieser Gruppen ein selektives Wachstum aus, bedingt durch das regional differenzierte Bevölkerungswachstum und die aktive Missionstätigkeit v.a. der pfingstlich-charismatischen Bewegungen der Christen, wie des Islam, der überproportional auf 1,78 Mrd. Gläubige zunimmt, wenn die Extrapolationen zutreffen. Der Anteil der Atheisten nimmt proportional ab (1900: 0,01 Prozent, 1970: 4,47 Prozent, 2002: 2,58 Prozent, 2025: 2,03 Prozent). 10 »Wohlfahrtsregime« ist ein vor allem durch Gøsta EspingAndersen bekannt gemachter Begriff der vergleichenden Sozialpolitikforschung (Lessenich/Ostner 1998; Opielka 2004). 11 Erste und teils brillante Analysen zum Zusammenhang von Religion und Wohlfahrtsstaat wurden vorgelegt von Kaufmann 1989; van Kersbergen 1995; Manow 2002; Kahl 2005; Adloff 2003, 2006. Die weitaus ältere und immer wieder neu belebte Diskussion um die ethischen Grundlagen des Wohlfahrtsstaates beschränkt sich fast durchgängig auf die politische Philosophie (z.B. Sachße/Engelhardt 1990; Kersting 2000; Nida-Rümelin 2000), allenfalls wird noch aus Sicht der (kirchlichen) »christlichen Gesellschaftslehre« eine soziologisch selten überzeugende Deutung ergänzt (z.B. Spieker 2000). 12 Ich folge allerdings nicht Huntingtons Einteilung in sieben große zeitgenössische Kulturkreise (sinisch, japanisch, hinduistisch, islamisch, westlich, lateinamerikanisch, afrikanisch). Obgleich er die Religion zu deren »elementaren Merkmal« (Huntington 1997: 61) erklärt, argumentiert er letztlich
154 | Kultur versus Religion? weltpolitisch, nicht soziologisch, sein Kulturkreistheorem bleibt unklar. 13 Zur Pfadabhängigkeit sozialpolitischer Evolution Lessenich/ Ostner 1998 und kritisch Beyer 2005; zur Entwicklung regionaler Religionskulturen Inglehart/Minkenberg (2000: 138). 14 Allerdings wird die Parsons’sche Religionssoziologie bisweilen von seinen systemtheoretischen Annahmen abgelöst, so zuletzt bei Joas, der dessen Verständnis von Normen als Spezifikation von Werten nur als »idealistic fallacy of a reduction of the social to the cultural« (Joas 2001: 138, auch 131) deutet (dagegen Opielka 2006: 263ff. und sehr präzise Wenzel 2002). 15 Er unterscheidet sechs Funktionskreise: auf der Individualebene die Funktion der »Identitätsgewinnung und -erhaltung«; im Verhältnis von Individuum und seiner Erfahrungswelt die Funktion der »Handlungsführung im Außeralltäglichen«; im Verhältnis von Individuum und Kultur die »Verarbeitung von Kontingenzerfahrungen«; unmittelbar auf Vergesellschaftungsprozesse bezogen die »Legitimation von Gemeinschaftsbildung«, auf Kultur bezogen die »Kosmisierung der Welt« und schließlich noch die Funktion der »Weltdistanzierung« (Kaufmann 1999: 80f.). 16 Als »Akte der Erzeugung von Gewissheit und Sinn« (Kippenberg/von Stuckrad 2003: 14). Hinsichtlich der Definition von »Religion« sind sich ansonsten die einschlägigen Disziplinen völlig uneins, vgl. zur Übersicht Platvoet/Molendijk 1999; aus soziologischer Sicht Pollack 2003. Letzterer schlägt am Ende eine Typologie entlang von zwei Achsen vor: transzendent/immanent und kontingent/konsistent, womit allerdings eine Typologie existierender Religionsformen, wie sie hier versucht wird, nicht erreicht werden kann. 17 Dass der Marxismus und seine Rezeption im hier diskutierten Problemfeld – ihrer materialistischen Ontologie – die Achillesferse trägt, könnte man auch mit psychoanalytischen Kategorien erfassen, beispielsweise in Marx’ obsessiver Verwendung des Fetischismusbegriffs, den er im »Kapital« nicht mehr nur auf die Warenwelt bezieht, sondern auf die christliche Religion selbst überträgt, das den »Kultus
Anmerkungen | 155 des abstrakten Menschen« betreibe (Marx/Engels 1977: 93): Hier fragt sich, ob der Fetischisierungsvorwurf an Kapitalismus und Christentum nicht selbst Fetischcharakter erlangte, Marx so den in Kapitalismus und Christentum ausgemachten »transgressiven Begriff des Begehrens« (Zizek 2001: 17) wie ein »Geizhals« umwertet: nämlich die Mäßigung = Revolution selbst als Begehren besetzt. Die von Michael Krätke nicht nur ironisch gestellte Frage, ob die ökonomische Theorie der »Neoklassik als Weltreligion« gelten könne (Krätke 1999), gehört hier durchaus erörtert (Baecker 2003a). In radikalisierter Form bietet das Weltbild des Rational Choice bzw. Utilitarismus Letztwertoperationen, die systematisch im Grenzbereich von wissenschaftlicher und subjektiver Religion verortet werden können. Sinngemäß insoweit, als Parsons unter dem »new religiosecular ecumenism« (Parsons 1978: 249) ausdrücklich Marx und Freud erwähnt, allerdings auch noch Durkheim und Weber (Letzterer durchaus nietzscheanisch inspiriert), aber beide begründeten keine religionsähnliche Gruppe. Anders als Parsons (1978: 308ff. und ihm folgend auch Schluchter 1991: 516) ordne ich die von Bellah untersuchten Phänomene der »Zivilreligion« (Bellah 1970) nicht dem »säkularen Humanismus« zu, sondern zwischen diesem und »klassischer« Religion (wie Bellah dies auch selbst andeutet). Das mag vorderhand theoretisch konstruiert wirken; am Beispiel des Konfuzianismus zeigt sich die Plausibilität dieser Überlegung, da dieser nur bei Unkenntnis seiner Geschichte den säkularen Theorien zugeordnet werden kann. Strittig ist an dieser Unterscheidung vielerlei. Manche Religionssoziologen sprechen beispielsweise dem Judentum ab, eine Weltreligion zu sein, weil man angeblich dorthin nicht konvertieren könne (was für das Reformjudentum nicht gilt); andere subsumieren den Taoismus unter den Konfuzianismus (was historisch nicht zutrifft) (Malek 1993). Die systematisch auf entsprechenden vor- und frühmodernen Traditionen aufbauen (Neugebauer-Wölk 2003). Eine Studie von Charles B. Jones über die Wechselwirkung von Buddhismus und Marxismus in Taiwan in der Zeit vor ^ ^
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156 | Kultur versus Religion? dem Zweiten Weltkrieg, also während der japanischen Herrschaft, erinnert mit den Vorstellungen eines »religiösen Sozialismus« an die wechselseitige Beeinflussung von Christentum und Marxismus vor allem in Europa und in Lateinamerika (Jones 2000). Allerdings scheint ein sozialpolitischer Buddhismus bislang die Ausnahme (Heine/ Prebish 2003). Institutionalisiert und mit eigenen gesamtgesellschaftlichen und insoweit auch staatlichen Ordnungsvorstellungen haben sich solche Strömungen bislang nicht. Dies dürfte damit zu tun haben, dass im Buddhismus – wie im Übrigen auch in Hinduismus und Taoismus – eine dezidierte politische Philosophie noch kaum entwickelt wurde (Pye 1989; Malek 1993). Eine Ausnahme – allerdings ohne spezifizierte Sozialethik – ist das Arthashastra des Kautilya und des Vishnugupta, ein Staatsrechtslehrbuch des Alten Indien. Es gilt als das bedeutendste Werk der altindischen Staatstheorie, als eine Art indischer Machiavelli (Scharfe 1993). 23 Nach der Exekution von Saddam Hussein am 30.12.2006 rekonstruierte die Washington Post (»Conflicts Shaped Two Presidencies«, 31.12.2006) die in die 1980er zurückreichende, zunehmend atavistische Beziehung zwischen den beiden US-Präsidenten und dem Diktator, der wohl bei einem Besuch von Bush Sr. in Kuwait (April 1993) versuchte, ihn, seine Frau und die Frau von George W. Bush durch ein Attentat zu töten: »Still, in his White House study, the president keeps a mememto – the pistol taken from Hussein when he was captured. If there ever was a duel, it is now over.« Die würdelose Inszenierung der Hinrichtung als Racheakt der Schiiten, teils gegen amerikanische Interventionen und Argumente, verblieb insoweit in jenem Atavismus der Gewalt. 24 Derrida 2003. Zu einer »psychohistorischen« Rekonstruktion des Kuwait- bzw. ersten Irak-Krieges als traumatischneurotischer Bewältigungsstrategie: deMause 2000. 25 Bereits am 25.2.2003 verabschiedete das Parlament der nordirakischen Kurden allerdings eine Deklaration, die eine gravierende Spannung zwischen den USA, den Kurden und der Türkei ankündigte, da sich die USA von den ursprünglichen Plänen einer relativen Autonomie der Kurden im
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Nordirak verabschiedet hatten, um die Türkei als Aufmarschplatz zu gewinnen (Neue Zürcher Zeitung, 26.2.2003). Auch Völkerrechtler, die vor der Invasion eine militärische Aktion für »unzulässig« hielten, weil sie die »Idee des Rule of Law« verletzt sahen, die »Adäquanz der Mittel« nicht gewährleistet sei und die »Güterabwägung« dagegen spräche, gaben zu bedenken, dass die Fixierung auf die Frage, ob das Völkerrecht durch den Irak-Krieg verletzt wurde, »unergiebig« sei: Die erwartbaren »asymmetrischen« Konflikte erforderten neue Formen der Konfliktregelung, auch im Sicherheitsrat (Thürer 2003). Der Irak verfügte 1990 mit 1,4 Mio. Soldaten unter Waffen über die viertgrößte Armee der Welt, Ende 2002 noch immer über ca. 430.000 Soldaten; bezogen auf die Bevölkerung würde das bedeuten, dass Deutschland (heute) mehr als 5 bzw. 2 Mio. Soldaten vorhält. Da nach der Invasion Mitte 2003 die irakischen Sicherheitskräfte vollständig aufgelöst wurden, entstand ein enormes Reservoir vagabundierenden Militärs, eine wesentliche Ressource des Bürgerkriegs zwischen Schiiten und Sunniten. Vgl. IISS 2002. Es sind die »Neuen Kriege«, jene terroristischen Discount-Angriffe, die Verteidigung erschweren, Geheimdienste aufwerten und den Krieg verallgemeinern, vgl. grundlegend Münkler 2002. In: Der Spiegel, 8/2003: 96. Bellah beobachtete auch in anderen Gesellschaften vergleichbare Phänomene (Bellah/Hammond 1980); zum Forschungsstand Haase 2001; Knoblauch (1999: 102ff.). So in einer suggestiven Dokumentationsreihe »Krieg gegen den Terrorismus – Krieg gegen den Islam?« (3sat, Februar 2003) Ruthven (2000: 188ff.). Der Großmufti von Marseille, Soheib Bencheikh, hat in diesem »privatisierten«, entstaatlichten Islam eine Chance gesehen, auch für seine theologische Weiterentwicklung: »Der Islam steht vor der Herausforderung, wieder zu einer religiösen Botschaft zu werden und nicht länger zu einem Befehl, einer Kultur oder einer Identität.« (Bencheikh 2001) Die prekäre Stabilität des libanesischen politisch-religiösen Arrangements dokumentiert die Resolution 1559 des UN-
158 | Kultur versus Religion? Sicherheitsrats vom 2.9.2004, in der »die Auflösung und Entwaffnung aller libanesischen und nicht-libanesischen Milizen« gefordert wurde. Die Nicht-Durchsetzung dieser Resolution durch die libanesische Regierung, in der seit dem Abzug der Syrer im Mai 2005 auch Mitglieder der radikal-islamischen Hizbullah vertreten sind, trug wesentlich zu den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hizbullah im Sommer 2006 bei. 34 Letztlich schienen sich in der Bush-Administration die Neo-Wilsonianer gegen die Interventionisten um den damaligen Verteidigungsminister Rumsfeld durchgesetzt zu haben, die eine aktive Rolle der USA (und des Westens) beim Aufbau demokratischer Strukturen im Irak befürworteten. Dass innerhalb der US-Eliten um zahlreiche Fragen heftig gestritten wurde, zeigte sich an der Kontroverse um die öffentliche Behauptung des früher in Bosnien eingesetzten Generals Shinseki, es seien »mehrere hunderttausend Soldaten« zur Friedenssicherung nötig (Schmitt 2003). Die Kontroverse wurde im Bericht der Baker-Hamilton-Kommission (»Iraq Study Group«) Ende 2006 nochmals aufgegriffen (Baker u.a. 2006). 35 Mutterschaftsgeld für 10 Wochen bis maximal 9 Monate bei 100 Prozent Lohnersatz und ein Erziehungsgeld für bis zu 6 Monate innerhalb der ersten 4 Jahre des Kindes bei 50 Prozent Lohnersatz; nach: ISSA, Datenbank »Soziale Sicherheit weltweit«, Stand: 10.2.2003 (Daten aus 1999). Aus den Daten ist allerdings nicht ersichtlich, ob es sich nur um Sozialversicherungslösungen innerhalb der unteren und mittleren Einkommensklassen handelt, und ob insbesondere die regimenahen Eliten einbezogen waren. Der (bescheidene) Forschungsstand zur sozialpolitischen Entwicklung in den arabisch-islamischen Gesellschaften würde darauf hindeuten, dazu Loewe 1998; Heyneman 2004. 36 Leider trübte die neokonservative und sozialpolitikskeptische Orientierung der Bush-Administration einen realpolitischen Blick auf diesen Zusammenhang. Erst Ende 2006 wurden Anzeichen sichtbar, dass US-Investitionen in die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik im Irak erfolgen und damit die Legitimität der neuen demokratischen Regierung erhöhen sollen.
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Zit. nach San Francisco Chronicle, 18.3.2003; die Übersetzung der Agentur AP pointiert die Aussage: »Dies ist nicht eine Frage der Legitimation, es ist eine Frage des Willens.« (Neue Zürcher Zeitung, 19.3.2003) Joschka Fischer, Interview, in: »Le Monde«, 4.4.2003. Ebenfalls in der »Frankfurter Rundschau«, in der am 5.8. 2003 der offene Brief Brumliks veröffentlicht wurde. Unterdessen liegt eine Neuauflage im Melzer Verlag vor (Honderich 2003). Honderich selbst reflektiert die Konflikte um sein Buch in einem auf seiner Homepage nachlesbaren Beitrag (ders. 2005). So Honderich 1999 (hierin heißt es, er sei schon in 1998 emeritiert worden); ders. 1995. Das erfahren wir im eindrücklichen Besuchsbericht eines Reporters der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« vom 10.8.2003. Ich folge hier seinem die Thesen des Buches fortschreibenden Text »After the Terror: A Book and Further Thoughts« (Honderich 2003a). »Oxfam GB, £5000, Zionism, After the Terror, and Medical Aid for Palestinians« (www.ucl.ac.uk/~uctytho). So nach einem Selbstmordattentat auf einen Bus in Jerusalem mit 20 Toten am 19.8.2003 (Generalanzeiger Bonn, 20.8.2003). Neue Zürcher Zeitung, 6.9.2003 Neue Zürcher Zeitung, 14.9.2006 Zum Überblick Geyer 2004 sowie das »Manifest« von Hirnforschern: http://www.gehirnundgeist.de/blatt/det_ gg_mani fest.
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