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German Pages 380 [382] Year 2017
Kultur- und Freundschaftsbeziehungen zwischen der DDR und der Belorussischen Sozialistischen Sowjetrepublik (1958–1980)
Geschichte
Michelle Klöckner
Franz Steiner Verlag Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa Herausgegeben vom Verband der Osteuropahistorikerinnen und -historiker e.V.
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Michelle Klöckner Kultur- und Freundschaftsbeziehungen zwischen der DDR und der Belorussischen Sozialistischen Sowjetrepublik (1958–1980)
quellen und studien zur geschichte des östlichen europa Begründet von Manfred Hellmann, weitergeführt von Erwin Oberländer, Helmut Altrichter, Dittmar Dahlmann, Ludwig Steindorff und Jan Kusber, in Verbindung mit dem Vorstand des Verbandes der Osteuropahistorikerinnen und -historiker e.V. herausgegeben von Julia Obertreis
Band 87
Michelle Klöckner
Kultur- und Freundschaftsbeziehungen zwischen der DDR und der Belorussischen Sozialistischen Sowjetrepublik (1958–1980)
Franz Steiner Verlag
Umschlagabbildung: Freundschaftsveranstaltung zum 15jährigen Bestehen der DDR am 6.10.1964 in Minsk, vermutl. im Kulturpalast der Gewerkschaften / Unbekannt, SAPMO-BArch DY 32/574 © Bundesarchiv Berlin Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2017 Druck: AZ Druck und Datentechnik, Kempten Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11876-7 (Print) ISBN 978-3-515-11886-6 (E-Book)
Für meine Großmutter, Hannelore Klöckner.
INHALTSVERZEICHNIS ANMERKUNGEN ZU ORTS- UND PERSONENNAMEN, ZUR ÜBERSETZUNG UND ZUR TRANSLITERATION .............................. 10 VORWORT .................................................................................................... 11 1 EINLEITUNG ............................................................................................ 13 1.1 Untersuchungsgegenstand und Fragestellungen ................................ 15 1.2 Begriffe und theoretische Überlegungen ........................................... 18 Freundschaftsbegriff .................................................. 18 Kulturbegriff .............................................................. 20 Auswärtige Kulturpolitik ........................................... 22 1.3 Forschungsstand ................................................................................. 24 1.4 Quellenlage ........................................................................................ 30 2 DEUTSCHLAND UND BELARUS: EINE AMBIVALENTE BEZIEHUNG ..................................................... 35 3 FREUNDSCHAFTSVERWALTUNG: ORGANISATIONEN IN MINSK UND BERLIN......................................................................... 45 3.1 Anfänge der Freundschaft: VOKS und DSF...................................... 45 3.1.1 VOKS und sowjetische Kulturdiplomatie ............................... 45 3.1.2 Die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft: Aufbau einer Massenorganisation ........................................... 48 3.2 Entstalinisierung und Détente ............................................................ 53 3.2.1 Ein neuer Kurs in der auswärtigen Kulturpolitik .................... 53 3.2.2 Gründung der SSOD ............................................................... 59 3.2.2.1 Aufbau, Struktur, gesellschaftliche Funktion ............ 59 3.2.2.2 Ein deutsch-sowjetischer Neuanfang? Die Gesellschaft für Sowjetisch-Deutsche Freundschaft ........... 63 3.2.2.3 Die Belorussische Freundschaftsgesellschaft ............ 66 3.2.2.4 Austausch nach Plan: Inhalte der Zusammenarbeit... 73 3.2.3 Zwischenbilanz........................................................................ 79 3.3 Freundschaftsgesellschaften und sozialistische Außenpolitik ........... 81 3.3.1 Freundschaft veranstalten: Zwischen Kultur und Politik ........ 82 3.3.1.1 Freundschaftswochen: Feiern an der Seite der Sieger .................................... 85 3.3.1.2 Tage der Kultur.......................................................... 94 Kontext: Sowjetische Nationalitätenpolitik ............... 94
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Inhaltsverzeichnis
DDR-Kulturtage ........................................................ 99 Belorussische Kulturtage in der DDR ..................... 108 3.3.1.3 Zusammenfassung ................................................... 119 3.3.2 Auswärtige Kulturpolitik und Auslandsinformation: Bilder und Botschaften .......................................................... 122 3.3.2.1 Sozialistischer Aufbau in nationalem Kontext ........ 123 3.3.2.2 Alles nur „Fakelore“? Kulturschaffen in nationalem Gewand ................................................. 144 3.3.2.3 Die weißrussische Sprache in der auswärtigen Kulturpolitik ............................................................ 156 3.3.2.4 Zusammenfassung ................................................... 163 3.3.3 „Sozialistischer Erfahrungsaustausch“: Freundschaftsgesellschaften als Vermittler? ......................... 165 3.3.3.1 Direktkontakte zwischen Betrieben ......................... 166 3.3.3.2 Anfragen einzelner ‚Freunde‘.................................. 177 3.3.3.3 „Internationalistische Erziehung“: Pionierund Schulkontakte ................................................... 181 3.3.3.4 Zusammenfassung ................................................... 188 4 DIPLOMATIE IN DER SOWJETISCHEN PROVINZ? DAS GENERALKONSULAT DER DDR .............................................. 189 4.1 „Mit heisser Nadel genäht“: Planung und Eröffnung ...................... 195 4.2 „An allen Instanzen vorbei“? Diplomatischer Alltag....................... 199 Auslandsinformation ............................................... 199 Polnische Konkurrenz ............................................. 201 Sozialistischer Erfahrungsaustausch ....................... 203 Kulturelle Freiräume? .............................................. 205 Freundschaftsbande ................................................. 209 DDR-Interessenvertretung ....................................... 210 4.3 Ausblick: Freundschaft in den 1980er Jahren .................................. 211 4.4 Zusammenfassung ............................................................................ 215 5 BEGEGNUNGEN ................................................................................... 218 5.1 Im festen Bündnis mit der Schwesterpartei: Gebiets- und Städtepartnerschaften ....................................................................... 220 5.1.1 Etablierung von Partnerbezirken ........................................... 222 5.1.2 Gegen ein Osteuropa von unten? Beispiel Gomel’–Zittau.... 224 5.1.3 Arrangiert und inszeniert? Direktverbindungen in der Öffentlichkeit .................................................................. 229 Sozialistische Kultur ................................................ 230 Jugendkontakte ........................................................ 232 Freundschaftsgesellschaften .................................... 233 Darstellung in Presse und anderen Medien ............. 234 Freizeitgestaltung .................................................... 236
Inhaltsverzeichnis
Wirtschaftlicher Erfahrungsaustausch ..................... 238 5.1.4 Die Begegnung bester Freunde? Beispiel Freundschaftszug .. 238 5.1.4.1 „[D]em Vorhaben der beiden Parteien […] unterzuordnen.“: Reisevorbereitungen .................... 241 5.1.4.2 Streng nach Protokoll: Unterwegs mit dem Freundschaftszug ..................................................... 245 5.1.4.3 Alles nur Propaganda? Der Freundschaftszug in Berichten.................................................................. 254 5.1.5 Zusammenfassung ................................................................. 259 5.2 Tourismus im Dienste der Freundschaft .......................................... 261 5.2.1 Kollektive Auslandspropaganda: Organisation und Ziele des Auslandstourismus................................................. 264 5.2.2 „Reiseland DDR“, belorussisches „Land der blauen Flüsse und Seen“: Tourismus und Reiserouten ..................... 273 5.2.3 Gelenkte Emotionen: Reisen zu den ‚Freunden‘................... 284 5.2.3.1 „[Z]wei Gesichter Deutschlands“: Belorussische Touristen in der DDR .............................................. 287 5.2.3.2 Antifaschistische Pilger, Touristen zweiter Klasse: DDR-Bürger in der Sowjetunion ............................. 302 5.2.4 Zusammenfassung ................................................................. 319 5.3 Geteilte Mythen, gemeinsame Erinnerung? Antifaschisten und Partisanen .......................................................... 322 5.3.1 Gemeinsamer Topos: Antifaschismus ................................... 325 Konstruierte ostdeutsche Vergangenheit ................. 325 Kriegsgedenken in Sowjetunion und BSSR ............ 328 Befreiung, Antifaschismus, Freundschaft ............... 330 Gedächtnisorte und Gedenktage .............................. 332 5.3.2 Antifaschistische Helden und die „Partisanenrepublik“ ....... 341 6 FAZIT ...................................................................................................... 354 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ................................................................. 362 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS........................................ 363 Unveröffentlichte Quellen ........................................................................ 363 Verwendete Periodika .............................................................................. 364 Gespräche mit Zeitzeugen ........................................................................ 364 Veröffentlichte Quellen ............................................................................ 365 Darstellungen ........................................................................................... 367 Internetseiten ............................................................................................ 379
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ANMERKUNGEN ZU ORTS- UND PERSONENNAMEN, ZUR ÜBERSETZUNG UND ZUR TRANSLITERATION Aus pragmatischen Gründen werden in dieser Arbeit, soweit vorhanden, deutsche Namen geographischer Orte verwendet (Moskau statt Moskva) bzw. im Deutschen eingeführte Ortsnamen (Kiew statt Kiev). Weniger einschlägig bekannte Orte folgen der wissenschaftlichen Transliteration. Diese wurde auch weitgehend für russische bzw. weißrussische Namen verwendet, mit Ausnahme im deutschen Sprachgebrauch geläufiger Schreibweisen, wie Chruschtschow, Breschnew u.a.; dabei ergeben sich in wörtlichen Quellenzitaten bisweilen Abweichungen, die der üblichen Schreibweise der DDR geschuldet sind und innerhalb der Zitate selbstverständlich beibehalten wurden. Für weißrussische Namen und Orte wurde, der nahezu ausschließlich russischsprachigen Quellenlage entsprechend, die russische Schreibweise zugrundegelegt und dementsprechend wissenschaftlich transliteriert. Ausnahmen bilden lediglich Fälle, in denen die Quellen ausdrücklich weißrussische Namen oder Ortsbezeichnungen enthalten bzw. die Quellen selbst auf Weißrussisch verfasst sind. Dabei ergibt sich für die heutige Republik Belarus/Weißrussland bzw. die BSSR des Untersuchungszeitraums die zusätzliche Schwierigkeit einer einheitlichen und angemessenen Bezeichnung – auch hierin orientiert sich die Arbeit an der nahezu vollständig russischsprachigen Quellengrundlage und der sowjetischen Staatlichkeit des Untersuchungszeitraumes. Insofern wird überwiegend von der Belorussischen Sozialistischen Sowjetrepublik (BSSR) sowie belorussisch (statt belarussisch) oder neutraler weißrussisch die Rede sein, wohingegen sich die Bezeichnung Belorussland, Bielorussland oder Bjelorussland bzw. entsprechende adjektivische Ableitungen überwiegend in den Quellen auf Seiten der DDR finden. Sämtliche Übersetzungen aus dem Russischen im Fließtext und in den Fußnoten stammen, sofern nicht anders ausgewiesen, ausschließlich von der Verfasserin.
VORWORT Meine erste gedankliche ‚Begegnung‘ mit dem Thema deutsch-sowjetische Kulturbeziehungen ergab sich im wahrsten Sinne in der Praxis, als ich nämlich selbst als Sprachlehrerin für Deutsch in der Russischen Föderation tätig war: Abgesehen von meinen Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmern bzw. Kolleginnen und Kollegen traf ich auf der Straße, in Bus und Bahn, in Warteschlangen auf dem Postamt oder an anderen Orten immer wieder auf Menschen gerade der älteren Generation, die mir ganz spontan begeistert davon erzählten, dass sie schon früher, meist während ihrer Schulzeit, mit der Jugendorganisation oder auch in anderem Kontext in Deutschland gewesen waren, viel vom Land und über deutsche Kultur erfahren hatten. Mit ‚Deutschland‘ meinten sie dabei selbstverständlich die DDR. Die Neugier und Sympathie, mit der ich gerade als Deutsche betrachtet wurde, erstaunten mich umso mehr, als ich in der Nähe von Wolgograd unterrichtete und damit nicht nur durch den berühmten Mamaev-Hügel, eine typisch sowjetische, monumentale Gedenkstätte, nahezu tagtäglich an den Zweiten Weltkrieg und seine Implikationen erinnert wurde. Auch in Gesprächen mit Zeitzeugen zeigte sich immer wieder eine grundsätzliche Sympathie für Deutschland und die Deutschen, die sich, ursprünglich auf die DDR bezogen, zu meinem Glück offenbar auch auf Westdeutsche ausgedehnt und über die Jahrzehnte erhalten hatte. Der Zusammenhang zwischen Kulturkontakten und einem positiven Deutschlandbild weckten mein Interesse als Historikerin. Gleichzeitig erhielt das Thema eine geographische Schwerpunktsetzung dadurch, dass ich, nun als Mitarbeiterin des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte der Universität des Saarlandes, indirekt und organisatorisch ein deutschbelarussisches Forschungsprojekt begleiten durfte, das mein Doktorvater Prof. Dr. Dr. hc Rainer Hudemann und mein Kollege Dr. Alexander Friedman zusammen mit belarussischen Nachwuchswissenschaftlern ins Leben gerufen hatten. So entstand die Idee, die Fragestellung einzugrenzen auf eine jener Sowjetrepubliken, die im Zweiten Weltkrieg den stärksten ‚Kontakt‘ mit den Deutschen hatten und mithin unter der deutschen Besatzung mit am Stärksten gelitten hatten. Wie konnten sich Kultur- und Freundschaftsbeziehungen vor dem Hintergrund dieser gemeinsamen Geschichte entwickeln? Das vorliegende Buch versucht, Antworten auf diese Fragestellung zu geben. Es entspricht, nur leicht abgewandelt und aktualisiert, meiner Dissertation, mit der ich im Wintersemester 2015/2016 an der Philosophischen Fakultät der Universität des Saarlandes promoviert wurde. Ganz herzlich danken möchte ich in diesem Zusammenhang vor allem meinem Betreuer und Doktorvater Prof. Dr. Rainer Hudemann, der es mir ermöglicht hat, mich so frei diesem eher ungewöhnlichen und komplizierten Thema zu widmen und der mich während dieser gesamten Zeit mit zahlreichen Anregungen und Vorschlägen stets ermutigt und unterstützt hat. Ein herzliches Dankeschön gilt
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Vorwort
auch meinem Zweitbetreuter Prof. Dr. Clemens Zimmermann, der sich bereit erklärt hat, meine Arbeit zu begutachten und mir wertvolle Hinweise für die vorliegende Publikation gegeben hat. Für die Eingrenzung des Themas, zahllose Gespräche und sein unschätzbares Wissen über die sowjet-weißrussische Geschichte danke ich meinem Freund und Kollegen Alexander Friedman, der mir auch mit seiner Kenntnis der weißrussischen Archivlandschaft sehr weitergeholfen hat. In diesem Zusammenhang möchte ich auch meinen weißrussischen Freunden und Kollegen danken, allen voran Anna Semyonova und Andrei Zamoiski, aber auch Vasili Matokh, Alexander Pesetsky und Viktoria Latysheva, die mir nicht nur bei der Archivarbeit in Weißrussland, sondern auch bei ganz praktischen Dingen wie Unterkunft und Leben in Minsk mit Rat und Tat zur Seite standen und dafür gesorgt haben, dass meine Archivaufenthalte in Weißrussland nicht nur produktiv, sondern auch unvergesslich angenehm verlaufen sind. Weiterhin möchte ich auch meinen deutschen Freunden und Kollegen danken, so Johannes und vor allem Sonja Großmann für nächtliche Telefonate über deutsch-sowjetische Kulturbeziehungen und Ina Metzner sowie Eva Kübler für Gespräche über den Schreibprozess im Allgemeinen und für das Korrekturlesen des fertigen ‚Produkts‘ im Besonderen. Für die Aufnahme des Buches in die Reihe Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa bin ich Frau Prof. Dr. Julia Obertreis sehr verbunden, vor allem auch für ihre wertvollen Anmerkungen und Hinweise für die bevorstehende Publikation. Beim Franz Steiner Verlag danke ich Katharina Stüdemann und Stefanie Ernst ganz herzlich für ihre fachkundige und schnelle Hilfe bei der Publikation des Buches. Der größte Dank gilt jedoch meinem Lebensgefährten Timothy Fell, der über lange Zeit nicht nur mit mir, sondern auch mit dieser Arbeit zusammenlebte. Ohne seine Unterstützung, liebevolle Geduld und die stete Bereitschaft zuzuhören oder neue Teile des Textes zu diskutieren, wäre diese Arbeit vielleicht nie beendet worden wäre. Danke!
1 EINLEITUNG Aleksej Zarickij: Die beste Sprache (1957) In jungen Jahren las ich traumverloren / Ein Buch / Heinrich Heines. Und, als ob er wirklich sei, erhob sich vor mir / Der Felsen der Loreley am Rhein. Und das Lied des Mädchens, gleichsam wie im Traum, / Tönte über den weiten Hang. Damals erschien mir die deutsche Sprache / Wunderschön und wie eine Melodie. Doch wo ist er, der zerlesene Band des Dichters, / Wo sind die Zeilen über das Herz der Geliebten? Ich bin verwundet, / Liege still unter einem Strauch, / Und vorbei fahren die Panzer. Und dahinter gehen Soldaten langsam über das Feld, / Bis zur Schulter verborgen im Roggen. Und ich höre, höre / Wie im Fieber, / Fetzen deutscher Sprache. Diese Sprache erscheint mir heiser und böse, / Nicht menschlich, Ich möchte mein Ohr fest verschließen mit der Hand, / Doch meine Hände bewegen sich nicht. Das alles ist noch nicht lange her. / Noch jetzt träume ich davon in den Nächten… Ich öffne das Fenster – ein weit geöffnetes Fenster – / Und das Meer rauscht unter uns. Am Meer liegt ein deutsches Städtchen. / In der Sonne glühen die Dachziegel. In der Ferne steigt der Rauch eines Dampfers auf. / Und die Möwe zieht ihre Kreise. Wir sind gern gesehene Gäste in diesem Land. / Wirtin, möchtest du uns etwas singen? Wir hören es gern, dein Lied. / Doch ich bitte dich sehr: Ein deutsches Lied, Fischerin, zu Beginn / ein altes Volkslied, / über die Loreley. Vielleicht entsinne ich mich längst vergangener Tage, / Und stimme ein, so gut ich kann. … Und von Neuem höre ich mit ganzer Seele all / Die goldenen Worte. Und mir wird klar: Die Sprache von Freunden – / Ist die beste Sprache der Welt.1
Der belorussische Dichter und Übersetzer Aleksej Zarickij2 machte in seinen „Gedichten über Deutschland“, erschienen 1957 in der Zeitschrift Sovetskaja Otčizna (Sowjetische Heimat), dem Organ des belorussischen Schriftstellerverbandes, auf ein Dilemma aufmerksam, das bei weitem nicht nur Intellektuelle, Schriftsteller und Künstler betroffen haben dürfte: Wie Zarickij hier am Beispiel der deutschen Sprache aufzeigt, war das Verhältnis zu Deutschland für viele (gebildete) Sowjetbürger, und insbesondere Belorussen, nach dem Zweiten Weltkrieg ein zwiegespaltenes: Noch in der Zwischenkriegszeit waren deutsche Kultur und Kulturgüter, hier vor allem das so genannte ‚wahre‘ deutsche Kulturerbe wie 1
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Zarickij, Aleksej: „Samyj lučšij jazyk (Stichi o Germanii)“, Sovetskaja otčizna, Juli–August 1957, S. 106–107. Das Gedicht wurde ursprünglich auf Weißrussisch verfasst und für die Veröffentlichung in der Sovetskaja otčizna ins Russische übersetzt. Die deutsche Übersetzung stammt von der Verfasserin. Aleksej Zarickij, weißrussisch Aljaksej Zarycki (1911–1987) war ein sowjetisch-belorussischer Dichter und Übersetzer, der Gedichte und Prosa aus zahlreichen Sprachen (Russisch, Ukrainisch, Litauisch, Tschechisch, Polnisch, Deutsch) ins Weißrussische übersetzte. Vgl. dazu bellitmuseum: „Сэрца майстра ўсім адкрыта...“, 03.2011, http://bellitmuseum.live journal.com/5205.html (zugegriffen am 28.4.2017).
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1 Einleitung
selbstverständlich Marx und Engels, aber auch Goethe und Schiller, Beethoven und Heine sowie zeitgenössische ‚progressive‘ linke Schriftsteller wie Willi Bredel, Johannes R. Becher oder Lion Feuchtwanger, häufig rezipiert worden, gerade auch an weißrussischen Schulen, an denen Deutsch im Übrigen die wichtigste Fremdsprache darstellte.3 Dies änderte sich mit den furchtbaren Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs drastisch: Deutsch wurde zur Sprache der grausamen deutschen Besatzer; eine Unterscheidung in ‚gute‘ und ‚schlechte‘ Deutsche wurde vor diesem Hintergrund zunehmend irrelevant und war auch von der sowjetischen Kriegspropaganda gar nicht (mehr) beabsichtigt. Umso dringlicher stellte sich diese Frage nach dem Ende des Krieges: Wie sollte man, sollte die sowjetische Führung, sollte die sowjetische (belorussische) Bevölkerung mit den ehemaligen Kriegsgegnern umgehen? Immerhin ging es hier nicht nur um eine Frage der Befindlichkeiten, vielmehr berührte dieses Thema auch machtpolitische Erwägungen: Wie band man die neu gewonnene sowjetische Besatzungszone des besiegten Deutschland langfristig erfolgreich an die Sowjetunion, wenn nicht über eine politische ‚Freundschaft‘, die vom gemeinsamen sozialistischen Staats- und Regierungssystem bis hin zum ‚proletarischen Internationalismus‘, einer besonderen Art der sozialistischen Völkerfreundschaft, unter den Werktätigen reichte? Die Deutschen der DDR sollten (wieder) zu Freunden werden. Bereits 1945 wurde die Unterscheidung zwischen guten Deutschen und schlechten deutschen Faschisten durch Stalin persönlich ausgerufen – ein Verdikt, das die sowjetische Propaganda sogleich übernahm. Gleichzeitig mussten auch die besiegten Deutschen davon überzeugt werden, dass die ‚Russen‘, ehemals minderwertige ‚Untermenschen‘ und Schreckgestalten des nationalsozialistischen Propagandaapparates, plötzlich zu Befreiern und Freunden geworden waren. Aus diesem Grund entstand bereits kurz nach Kriegsende eine so genannte Freundschaftsgesellschaft, die sich, zusammen mit ihrem sowjetischen, später auch belorussischen, Pendant, die ‚Befreundung‘ der ehemaligen Kriegsgegner zur Aufgabe gemacht hatte. Für den oben genannten Dichter und Übersetzer Zarickij schien die Sache bereits 12 Jahre nach Kriegsende klar: Sein lyrisches Ich, Bewunderer der deutschen Sprache und Kultur, hatte nur widerwillig die geliebte Sprache als die der barbarischen Besatzer akzeptiert; dagegen fühlt es sich nach Kriegsende, in einem höchstwahrscheinlich ost-„deutschen Städtchen“, bereits wieder freundlich aufgenommen. Die deutsche Sprache, jetzt (wieder) die Sprache von Freunden, wird für das lyrische Ich und den Verfasser, so impliziert das Gedicht, erneut zur besten der Welt.
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Zum Deutschen als Fremdsprache an weißrussischen Schulen der Zwischenkriegszeit sowie zur Rezeption deutscher Kultur und Künstler in der sowjetischen Propaganda vgl. Friedman, Alexander: Deutschlandbilder in der weißrussischen sowjetischen Gesellschaft 1919–1941. Propaganda und Erfahrungen, Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa 78, Stuttgart 2011, S. 327–360.
1.1 Untersuchungsgegenstand und Fragestellungen
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1.1 UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND UND FRAGESTELLUNGEN Die vorliegende Publikation beschäftigt sich mit jenen Freundschafts- und Kulturbeziehungen zwischen DDR-Bürgern und Sowjetbelorussen, wie sie durch die pseudo-gesellschaftlichen, tatsächlich aber durch Partei- und Staat initiierten und kontrollierten, Freundschaftsgesellschaften der Nachkriegszeit vermittelt wurden. Die Bürger des „ersten antifaschistischen Staates auf deutschem Boden“ wurden dabei als Klassenbrüder und ‚gute‘ Deutsche dargestellt, die das traditionelle und progressive deutsche Kulturerbe weiterführten und fest an der Seite der Sowjetunion standen. Die Belorussische SSR, in der sich ab 1958 eine eigene Freundschaftsgesellschaft mit der DDR etablierte, stellt den geographischen Untersuchungsraum auf sowjetischer Seite dar, mindestens soweit eine derartige Begrenzung möglich ist: Im Laufe der Untersuchung wird deutlich werden, dass die Entwicklung in der belorussischen Sowjetrepublik auch auf diesem Gebiet nicht losgelöst von der gesamtsowjetischen Geschichte betrachtet werden kann. Dabei erweist sich die BSSR als besonders ambivalentes, und damit interessantes, Untersuchungsgebiet für die oben skizzierte Fragestellung und den Umgang mit den deutschen ‚Freunden‘ nach dem Zweiten Weltkrieg: So war sie, neben der Ukrainischen SSR, nicht nur mit am Meisten von der Katastrophe der nationalsozialistischen Besatzung betroffen, sondern gründete sogar die eigene Nationswerdung ganz wesentlich auf den erfolgreichen Abwehrkampf der Partisanen gegen die deutschen faschistischen ‚Eindringlinge‘. Während auch in der DDR selbst die Verantwortlichen der so genannten ‚Auslandsinformation‘, getreu dem antifaschistischen Selbstverständnis des ostdeutschen Staates, in vorgenannten Gründen gewichtige Argumente für besonders enge Beziehungen zur belorussischen Bevölkerung sahen, sprachen freilich auch viel praktischere Gründe für eine gute Zusammenarbeit: Die westliche Lage der Sowjetrepublik sowie ihre beispielhafte wirtschaftlich-industrielle wie sozialistische Entwicklung machten sie zum attraktiven Handels- und Kooperationspartner für das Industrieland DDR im Rahmen der sozialistischen Wirtschaftsintegration, insbesondere seit Mitte/Ende der 1960er Jahre. Nicht zufällig eröffnete 1972 das vierte und letzte, bislang in der Forschung noch gänzlich unbeachtete, Generalkonsulat der DDR in Minsk seine Pforten. Auch seiner Tätigkeit und jeweiligen Handlungsspielräumen zwischen Berlin, Minsk und Moskau wird im Rahmen dieser Arbeit ein Kapitel gewidmet sein. Während die größere Frage nach dem Umgang mit dem Zweiten Weltkrieg schon zwangsläufig – und auch das könnte ein Ergebnis der vorliegenden Arbeit sein – im Laufe der Untersuchung stets mitgedacht werden muss, soll es ebenso und unabhängig davon um Struktur und Arbeit der erwähnten Freundschaftsgesellschaften gehen: Diese begriffen sich selbst (auch) als Organe einer auswärtigen Kulturpolitik und vertraten damit ganz direkt außen-, aber durchaus auch innenpolitische, Interessen der Partei- und Staatsführungen. Neben Aufbau und Funktionsweise dieser Gesellschaften, die insbesondere für die sowjetische Seite bislang kaum in der Forschung berücksichtigt wurden, stellt sich also auch die Frage nach Inhalten und Zielen der „Auslandsinformation“, so die offizielle Be-
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1 Einleitung
zeichnung der jeweils zuständigen Kommissionen. Welche Themen wurden in welchen Veranstaltungsformaten vermittelt und welche Bilder zeichnete man von sich selbst bzw. vom Partner? Damit einher geht auch die Frage nach der Rolle der Kultur als solcher: Nicht zufällig gingen beide Freundschaftsgesellschaften aus strukturell ähnlichen Organisationen (Allunionsgesellschaft für kulturelle Beziehungen mit dem Ausland (VOKS), Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion) hervor, die sich, mindestens dem Namen nach, ursprünglich der kulturellen Zusammenarbeit verpflichtet hatten. Dabei operierten die Freundschaftsgesellschaften jedoch mit einem sozialistischen, und damit sehr breiten, Kulturbegriff4, der stets auch politische Implikationen enthielt. Diente Kultur also lediglich als „Vehikel“5 zum Erreichen politischer Ziele? Daraus ergibt sich zugleich die Frage, was ‚Kultur‘ in diesem Zusammenhang überhaupt bedeutete und – weitergedacht – wessen Kultur da vermittelt werden sollte. Während sich die DDR, auch in vorgeblicher Konkurrenz zur Bundesrepublik, vor allem auf ein humanistisches klassisches deutsches Kulturerbe berief, stellte sich die Situation in der BSSR gänzlich anders dar. Obwohl sich die Leninsche Nationalitätenpolitik, auf die sich die sowjetische Führung seit den 1960er Jahren wieder verstärkt berief, formell die Förderung der Nationalkulturen auf die Fahnen geschrieben hatte, stellt sich fernab der Propaganda die Frage, wie viel Eigenständigkeit man in Moskau einer belorussischen auswärtigen Kulturpolitik tatsächlich zugestehen wollte und ob, über eine sowjet-belorussische hinaus, überhaupt eine spezifisch belorussische Kultur nach außen getragen wurde. Schließlich möchte sich diese Untersuchung nicht nur mit den Bildern und Eindrücken auseinandersetzen, die die Freundschaftsgesellschaften zur Propagierung des eigenen sowie des Partnerlandes entwarfen, sondern sie fragt ebenfalls nach, realen und imaginären, Begegnungsorten zwischen Ostdeutschen und Belorussen. Anhand ausgewählter Beispiele (Gebietspartnerschaften, Tourismus, der Zweite Weltkrieg als möglicher gemeinsamer Erinnerungsort) soll untersucht werden, unter welchen Bedingungen derartige Begegnungen, bei deren Organisation die Freundschaftsgesellschaften nicht selten federführend beteiligt waren, ermöglich wurden und welche gegenseitigen Eindrücke sich dabei ergaben. Damit stellt sich zuletzt auch die Frage, ob diese durch die Freundschaftsgesellschaften „erfundene Freundschaft“6, wie der Historiker Jan C. Behrends pointiert feststellt, tatsächlich so wenig erfolgreich war, wie in der DDR-Forschung im Allgemeinen angenommen.7
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Siehe zum sozialistischen Kulturbegriff das folgende Kapitel 1.2. So der Titel einer der Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft gewidmeten, an der Universität Heidelberg entstandenen Magisterarbeit: Klingenberg, Matthias: „Kultur als Vehikel. Zur Geschichte der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (1947–1953)“, 18.10.2001, http://www.ub.uni-heidelberg.de/archiv/1794 (zugegriffen am 28.4.2017). Vgl. dazu: Behrends, Jan C.: Die erfundene Freundschaft. Propaganda für die Sowjetunion in Polen und in der DDR, Zeithistorische Studien 32, Köln u.a. 2006. Zu den grundsätzlichen Schwierigkeiten einer Rezeptionsforschung unter den Bedingungen der sozialistischen Diktatur vgl. die einleitenden Bemerkungen zu Kapitel 5 dieser Arbeit.
1.1 Untersuchungsgegenstand und Fragestellungen
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Der Untersuchungszeitraum orientiert sich dabei zum einen an der Genese der sowjetischen Freundschaftsgesellschaft: Zwar existierte die Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft in der DDR bereits seit 1949, die sowjetische Freundschaftsgesellschaft VOKS sogar bereits seit den 1920er Jahren, aber erst mit deren grundlegendem Umbau im Jahr 1958 bzw. mit dem ihr zugrunde liegenden innen- wie außenpolitischen Wandel der Sowjetunion begann eine wirkliche Ausweitung der (kulturellen) Zusammenarbeit zwischen der DDR und der BSSR. Die 1960er Jahre können demnach als Etablierungsphase der Zusammenarbeit auf Grundlage der Freundschaftsgesellschaften gelten. Die 1970er Jahre dagegen, innenpolitisch durch den Begriff des „entwickelten Sozialismus“ geprägt, sahen eine bereits überwiegend routinierte Zusammenarbeit beider Gesellschaften, die in ihrer Entwicklung überwiegend stagnierte. Allerdings, und darum erscheint dieses Jahrzehnt für die vorliegende Arbeit durchaus von Interesse, erweiterten sich in den 1970er Jahren deutlich die Möglichkeiten für jene realen Begegnungen, wie sie beispielsweise Gebietspartnerschaften und der sich rasant entwickelnde Tourismus boten. Nicht zuletzt entstand auch das DDRGeneralkonsulat Anfang der 1970er Jahre. Das darauffolgende Jahrzehnt hingegen, die 1980er Jahre, boten aus Sicht der auswärtigen Kulturbeziehungen zunächst wenig Neues, bis dann mit den Reformen unter Gorbatschow eine Zäsur in der gegenseitigen Zusammenarbeit sichtbar wurde, die wiederum selbst Gegenstand einer eigenen Untersuchung sein könnte. Die daraus resultierende wachsende Irritation auf Seiten der DDR-Organe und Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit sollen in den entsprechenden Kapiteln nur punktuell angedeutet werden, sofern sie zum Verständnis der eigentlichen Fragestellung beitragen. Gleichzeitig muss die vorliegende Untersuchung aus pragmatischen Gründen Beispiele der Zusammenarbeit ausklammern, die durchaus der Fragestellung dienen könnten. Darunter fallen etwa die ebenfalls unter den Kulturaustausch subsumierten Bereiche der sportlichen Kontakte sowie die Zusammenarbeit der Jugendverbände, die beide organisatorisch nicht unter die Ägide der Freundschaftsgesellschaften fielen. Aufgrund der ohnehin dürftigen bisherigen Forschung auf diesen Gebieten hätte eine zusätzliche Aufarbeitung dieser organisatorischen Zusammenhänge den Rahmen dieser Arbeit gesprengt. Gleiches gilt auch für wissenschaftliche und studentische Kontakte: So verband die Belorussische Staatliche Lenin-Universität in Minsk (Belorusskij Gosudarstvennyj Universitet imeni V. I. Lenina, BGU) seit 1967 eine Partnerschaft mit der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, in deren Rahmen nicht nur Wissenschaftlicher, vor allem Doktoranden, als Gäste ins Partnerland reisten, sondern regelmäßig auch Studenten für ganze Semester oder Praktika ausgetauscht wurden. Die Durchsicht entsprechender Quellen auf Seiten der BGU ergab zwar einerseits spannende Einblicke, andererseits aber auch, dass die fehlende Grundlagenforschung zum komplexen System des Austauschs und der Kontrolle in der universitären Zusammenarbeit an
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1 Einleitung
sich schon genügend Material für eine eigenständige Arbeit liefern würde.8 Insofern wurde auch dieses Thema hier weitgehend ausgespart.
1.2 BEGRIFFE UND THEORETISCHE ÜBERLEGUNGEN Wie auch andere Untersuchungen, welche sich mit der Sowjetunion und den übrigen sozialistischen Staaten Europas beschäftigen, muss sich die vorliegende Publikation den Herausforderung begrifflicher Doppeldeutigkeit stellen, die in der marxistisch-leninistischen Ideologie selbst ihren Ursprung nimmt: Teils bewusst verschleiernd, teils von anderen Voraussetzungen ausgehend, bergen viele in diesem Text verwendete und den Quellen entnommene Begrifflichkeiten eine zeitund gesellschaftssystem-abhängige Bedeutung, die sich aus heutiger Sicht nicht unmittelbar erschließt und daher vorwegnehmend erläutert werden soll. Dabei sollen die Begriffe möglichst in ihrer zeitgenössischen Bedeutung erfasst, im Zuge der Analyse jedoch mit der aktuellen Forschung abgeglichen und kritisch hinterfragt werden.
Freundschaftsbegriff Schon die so genannten Freundschaftsgesellschaften (Gesellschaft für deutschsowjetische Freundschaft, Sowjetische Gesellschaft für Freundschaft mit der DDR) werfen angelegentlich ihrer Namenswahl und der damit zusammenhängenden Intention Fragen auf. In der einschlägigen Literatur über die Beziehungen zwischen sowjetischen und DDR-Bürgern ist mehrfach bemerkt worden, es habe sich überwiegend um eine „erfundene Freundschaft“ (Jan C. Behrends)9 gehandelt, die nach dem Ende der DDR keinerlei positive Nachwirkungen unter der ostdeutschen Bevölkerung hinterlassen habe. Der Grund dafür habe überwiegend darin gelegen, dass es sich um eine „Freundschaft ohne Intimität“ – Intimität im Sinne der Annäherung zwischen Individuen – gehandelt habe, und die deutschsowjetische Freundschaft daher letztlich gescheitert sei.10 Diese Einschätzung mag insofern ihre Richtigkeit haben, als sich, wie Lothar Dralle festgestellt hat, die Freundschaftskonzeptionen oder Erwartungen der Bevölkerung eben nicht mit
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Vgl. dazu den Bestand der BGU: 205 im Nationalarchiv der Republik Belarus sowie zu ausländischen, auch Minsker Studierenden in Jena: Einax, Rayk: „‚Junge Sendboten der Freundschaft‘. Ausländische Studierende an der Friedrich-Schiller-Universität Jena“, in: Hoßfeld, Uwe, Tobias Kaiser und Heinz Mestrup (Hrsg.): Hochschule im Sozialismus. Studien zur Geschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena (1945–1990), Bd. 1, 2007, S. 930–954. 9 Vgl. dazu die gleichnamige Untersuchung von Behrends: Erfundene Freundschaft. 10 So vor allem Silke Satjukow, die sich mit den Beziehungen der ostdeutschen Bevölkerung zu sowjetischen Soldaten in der DDR beschäftigt hat: Satjukow, Silke: Befreiung? Die Ostdeutschen und 1945, Leipzig 2009, S. 211–220 insbesondere.
1.2 Begriffe und theoretische Überlegungen
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denen der zuständigen Funktionäre deckten.11 In Übereinstimmung mit der marxistisch-leninistischen Ideologie ging es Letzteren nämlich vielmehr um die Etablierung so genannter internationalistischer „Beziehungen neuen Typs“12 zwischen den Werktätigen beider Staaten, und weniger um die Herstellung privater, interpersoneller, affektiver und gleichberechtigt-freiwilliger Kontakte – ein Freundschaftsbild wie es sich, ausgehend von der aristotelischen „Tugendfreundschaft“, vornehmlich im Laufe des 18./19. Jahrhunderts entwickelt hatte.13 Sozialistischer Internationalismus und die damit verbundenen neuen Beziehungen wurden zugleich als Ausdruck und gesetzmäßiges Ergebnis einer sich entwickelnden sozialistischen Gesellschaft per se begriffen14, ebenso wie die Entstehung der Freundschaftsgesellschaften, die bezeichnenderweise gerne als Entwicklung ‚von unten‘ ausgegeben wurde. Das gemeinsame Bemühen um ein starkes sozialistisches Weltsystem, nicht zuletzt über die Herstellung politischer, ökonomischer und kultureller Kontakte und Zusammenarbeit zwischen den Völkern der sozialistischen Staaten, galt als eigentlicher Beweggrund der ‚Freundschaft‘. Damit hatte die Freundschaft im Sinne der Freundschaftsgesellschaften, auch abgesehen von ihrer unmittelbaren Instrumentalisierung zu Machterhalt und -ausbau der deutschen wie der sowjetischen Führung, immer eine politische Konnotation und war zweckgebunden im Sinne einer (politischen) Nutzenfreundschaft, die jedoch, so die offizielle Darstellung, zum Wohle aller Bürger der sozialistischen Gemeinschaft beitragen sollte.15 Die Frage, warum die kommunistischen Initiatoren der ursprünglich kulturellen ‚Kontaktgesellschaften‘ ausgerechnet den in der Folgezeit geradezu inflationär gebrauchten Begriff der Freundschaft zur Neubezeichnung dieser Organisationen aufgriffen, wurde in der Forschung meist damit begründet, dass dieser ein breiteres Publikum angesprochen habe als eine wie auch immer geartete kulturelle Zusammenarbeit.16 Allerdings spricht vieles dafür, dass gerade der deu-
11 Dralle, Lothar: Von der Sowjetunion lernen,... Zur Geschichte der Gesellschaft für DeutschSowjetische Freundschaft, Berlin 1993, S. 401–402. 12 Zimmermann, Volker: Eine sozialistische Freundschaft im Wandel. Die Beziehungen zwischen der SBZ/DDR und der Tschechoslowakei (1945–1969), Essen 2010, S. 9–11. 13 Zur kulturgeschichtlichen Genese des Freundschaftsbegriffes sowie aristotelischem Freundschaftsbegriff vgl. Gurr, Judith: Freundschaft und politische Macht. Freunde, Gönner, Getreue Margaret Thatchers und Tony Blairs, Freunde – Gönner – Getreue 4, Göttingen 2011, S. 25–34. 14 Sozialistischer Internationalismus galt als Weiterentwicklung des proletarischen Internationalismus und als „Grundlage der zwischenstaatlicher Beziehungen“ der sozialistischen Staaten „[…] auf der Gemeinsamkeit der sozialökonomischen und politischen Ordnung sowie auf der Übereinstimmung der grundlegenden Interessen und Ziele der Völker der sozialistischen Länder.“ Vgl. dazu das Stichwort Proletarischer Internationalismus in: Kleines politisches Wörterbuch, 2. Aufl., Berlin (Ost) 1973, S. 685–689. 15 Vgl. zum aristotelischen Begriff der Nutzenfreundschaft Gurr: Freundschaft und politische Macht, S. 33–34. 16 Kuhn, Katja: „Wer mit der Sowjetunion verbunden ist, gehört zu den Siegern der Geschichte...“ Die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft im Spannungsfeld von Moskau und Ostberlin, Mannheim: Univ. Diss 2002, S. 86, http://bibserv7.bib.uni-mannheim.de/ madoc/volltexte/2003/64/pdf/DSF.PDF (zugegriffen am 28.4.2017).
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tungsoffene und positiv konnotierte Begriff der Freundschaft besonders geeignet schien, die politische Zweckgebundenheit und Asymmetrie dieser Beziehung zu verschleiern. Es ist dennoch bemerkenswert, dass es unter den Betroffenen nicht selten zu Irritationen über diese Diskrepanz kam – was umgekehrt bedeuten mag, dass der Freundschaftsdiskurs und damit die Instrumentalisierung traditioneller Freundschaftserwartungen eben doch gewisse Erfolge zeigten. Die Tätigkeit der Freundschaftsgesellschaften selbst hatte damit auch performativen Charakter und soll auch im Hinblick darauf untersucht werden: Immer wiederkehrende sprachliche Formulierungen und Handlungsrituale schufen eine besondere Form der ‚Freundschaft‘, die im Rahmen dieser Arbeit zu untersuchen sein wird.
Kulturbegriff Die im Zentrum dieser Studie stehenden Freundschaftsgesellschaften verstanden sich (auch) als Vermittler einer spezifisch sozialistischen Nationalkultur. Dabei operierte die marxistisch-leninistische Ideologie mit einer theoretischen Ambivalenz des Kulturbegriffs, die sich auch in der Praxis zeigte: So galt Kultur einerseits als Produkt der ökonomischen Basis, die die Grundlage für alles kulturelle Wirken schaffe, gleichzeitig auch als Werk des geistigen Überbaus; mit anderen Worten, sowohl ‚einfache‘ Werktätige als auch Intellektuelle und Künstler sollten an der Entstehung von Kultur beteiligt sein.17 Daraus abgeleitet ergab sich ein breiter, nahezu totalitätsorientierter Kulturbegriff18, der nicht nur „kulturelles Schaffen“ der gesamten Bevölkerung einschloss – und sich damit eben nicht auf eine ‚Hochkultur‘ im Sinne des engen Kulturbegriffs beschränkte –, sondern ebenso „die Lebensweise des Volkes, seine Sitten und Gewohnheiten, das soziale Verhalten der Klassen und Schichten als Ausdruck ihrer materiellen Lebensbedingungen und ihrer Ideologie und Moral […]“ beinhaltete.19 Trotz dieses breiten Ansatzes handelte es sich letztlich aber um eine normative Verengung des Kulturbegriffs; normativ nicht im Kant’schen Sinne mit einer Konzentration auf rein geistige Produktion und Hochkultur, sondern vielmehr im Hinblick auf den gesellschaftlich-politischen Rahmen:20 Nur in einer sozialistischen Gesellschaft sei eine Entfaltung der „Kultur in allen Lebensbereichen“ durch die „schöpferische Aktivität“ der Werktätigen möglich, die „Förderung von Wissenschaft und Bil-
17 White, Anne: De-Stalinization and the House of Culture. Declining state control over leisure in the USSR, Poland and Hungary, 1953–1989, London u.a. 1990, S. 17. 18 Zur Kultur als „soziales Totalphänomen“, das geistige und materielle Produktion sowie alle Wissensbestände und Lebensbereiche einschließt sowie zur Kritik an dieser Theorie vgl. Moebius, Stephan und Dirk Quadflieg: „Kulturtheorien der Gegenwart – Heterotopien der Theorie“, in: Moebius, Stephan und Dirk Quadflieg (Hrsg.): Kultur. Theorien der Gegenwart, 2. erw. u. aktualisierte Aufl., Wiesbaden 2011, S. 11–18, hier S. 12. 19 Vgl. dazu das Stichwort Kultur in: Kleines politisches Wörterbuch, S. 472–474. 20 Zum normativen Kulturbegriff vgl. Moebius/Quadflieg: „Kulturtheorien“, S. 11.
1.2 Begriffe und theoretische Überlegungen
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dung“ und die „Pflege des humanistischen Kulturerbes und seine Aneignung“ durch die gesamte Bevölkerung.21 Aus dieser Betonung der Rolle der Werktätigen am kulturellen Produktionsprozess, der zugleich als Voraussetzung für die Entwicklung einer sozialistischen Persönlichkeit und damit des Fortschreitens der sozialistischen Gesellschaft überhaupt begriffen wurde, leitete die Kulturpolitik der sozialistischen Staaten, in der Sowjetunion insbesondere unter der Herrschaft Stalins, in der DDR in den 1950er Jahren, ihren Erziehungsauftrag ab: Dieses „Cultural Enlightenment“ war damit wichtiger Bestandteil der Sozialisation der Bürger; Kultur wie „Kulturschaffende“, so der offizielle Terminus, erhielten dadurch einen dezidiert politischen Auftrag. Zwar schwächte sich der politische Erziehungsanspruch in den 1960er und 1970er Jahren deutlich ab, doch die Tradition des „Cultural Enlightenment“ blieb dem sozialistischen Kulturbegriff immanent und nicht zuletzt auch spürbar in den auswärtigen Kulturbeziehungen der Freundschaftsgesellschaften.22 Hier wirkte gleich ein doppelter Erziehungsauftrag: Einerseits die kulturelle Bildung sozialistischer Bürger sowie deren kulturelles Wirken auch in internationalem Maßstab (beispielsweise im Laienkunstschaffen23), die dazu beitrugen, die sozialistische Gesellschaft als Ganzes voranzubringen, andererseits die Erziehung zum Internationalismus, der ebenfalls als unverzichtbarer Bestandteil eines sozialistischen Weltsystems begriffen wurde. Häufig ist im Kontext auswärtiger Kulturbeziehungen, insbesondere in den Eigendefinitionen der sozialistischen Staaten, die Rede von einer sozialistischen Nationalkultur. Diese ist einerseits im Zusammenhang der sowjetischen Nationalitätenpolitik, andererseits des sozialistischen Kulturbegriffs einzuordnen. So visierte die sowjetische Nationalitätenpolitik langfristig eine politische, ökonomische und kulturelle Verschmelzung der einzelnen Völker der Union an, ein Prozess, der mit der Herausbildung sozialistischer Nationen, was zugleich als Modernisierungsprozess begriffen wurde, gleichsam gesetzmäßig ablaufe.24 Auf dem Weg dorthin und als Übergangslösung sollten nationale Kulturen aber durchaus noch Bestandteil der sozialistischen Nationen bleiben, da sie, „national nach ihrer Form, sozialistisch nach ihrem Inhalt“, die Aufgabe hätten, die Bevölkerung im Geiste des Internationalismus zu erziehen.25 In den 1970er Jahren dominierte in der offiziellen sowjetischen Terminologie dann zunehmend die sozialistische 21 White: De-Stalinization and the House of Culture, S. 17. 22 Ebd., S. 17–18, 26, 151. 23 Zur Bedeutung des Laienkunstschaffens im Kontext auswärtiger Kulturbeziehungen sozialistischer Staaten vgl. Kap. 3.3.2.2 dieser Arbeit. 24 Vgl. zur sowjetischen Nationalitätenpolitik ausführlicher Kap. 3.3.1.2 dieser Arbeit; zum Nationsbegriff das Stichwort Nation in Kleines politisches Wörterbuch, S. 567–569. 25 Tatsächlich prägte Stalin 1930 die Maßgabe „National in der Form, sozialistisch im Inhalt“, mit der er den scheinbaren Widerspruch der Leninschen Nationalitätenpolitik, nämlich das Fernziel einer Verschmelzung bei gleichzeitiger Förderung der Nationalitäten der Sowjetunion in den 1920er Jahren, schlüssig aufzulösen suchte. Vgl. dazu: Mehrmann, Christian: „National in der Form, sozialistisch im Inhalt“. Volks- und Nationsbegriffe in der SBZ und in Polen 1944–1949, Berlin 2012, S. 9.
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Nation: die UdSSR als Staat aller sowjetischen Völker; deren sozialistische Nationalkulturen andererseits enthielten, gleichsam in einer dialektischen Wechselwirkung, zunehmend internationale (im Sinne sowjetischer) Elemente – dies ein Hinweis auf eine immer stärkere Annäherung hin zu einer sozialistischen Kultur.26
Auswärtige Kulturpolitik Der Begriff Auswärtige Kulturpolitik oder auch Außenkulturpolitik entzieht sich schon deshalb einer eindeutigen Definition, weil sich die entsprechende politikwissenschaftliche Forschung eng an national-staatlichen bzw. sprachlichen Grenzen orientiert und daher keine, dem Forschungsgebiet eigentlich angemessene, international gültige Begriffsbestimmung geprägt hat.27 Für die vorliegende Arbeit bietet sich die für den deutschen Raum gängige Bestimmung der auswärtigen Kulturpolitik als dritte Säule der Außenpolitik an, als Kulturarbeit und, im Falle der sozialistischen Staaten, Freundschaftsarbeit, die nationalstaatliche außenpolitische Ziele mit einem staatlich geförderten Instrumentarium unterstützt.28 Allerdings ist zu bemerken, dass diese Festlegung nicht ohne Einschränkungen auf den Untersuchungsraum zu übertragen ist, handelte es sich doch im Falle der BSSR nicht um einen souveränen (National-)Staat, sondern um eine von gesamtsowjetischen Entscheidungen abhängige Teilrepublik. Dies soll im Verlauf der Untersuchung Berücksichtigung finden. Gleichzeitig sprach die DDR-Terminologie selbst nicht von auswärtiger Kulturpolitik, sondern verwendete den, mindestens sprachlich, neutraleren Begriff der kulturellen Auslandsbeziehungen als „Gesamtheit der Beziehungen eines Staates auf dem Gebiet der Kunst und Literatur, der Wissenschaft (mit Ausnahme der technisch-wissenschaftlichen Zusammenarbeit), der Bildung, des Gesundheitswesens und des Sports zu anderen Staaten.“ Auch hier sollte es jedoch um die Unterstützung der „außenpolitischen Aufgaben“ des Staates gehen, als ausführende Organe dienten zum einen staatliche Stellen – in der Praxis das Außenministerium als Koordinator – sowie (pseudo)gesellschaftliche Organisationen, darunter die Freundschaftsgesellschaften. Dazu kamen außerdem ergänzend die bedeutungsidentischen Termini Auslandspropaganda, im Sinne eines positiv konnotierten Propagandabegriffs, sowie, seit Beginn der 1960er Jah-
26 Lindner, Rainer: Historiker und Herrschaft. Nationsbildung und Geschichtspolitik in Weißrußland im 19. und 20. Jahrhundert, München 1999, S. 370–375. 27 Schreiner, Patrick: Außenkulturpolitik: Internationale Beziehungen und kultureller Austausch, Berlin 2011, S. 14–15. 28 Vgl. dazu Maaß, Kurt-Jürgen: „Überblick. Ziele und Instrumente der Auswärtigen Kulturpolitik“, in: Maaß, Kurt Jürgen (Hrsg.): Kultur und Außenpolitik. Handbuch für Studium und Praxis, Baden-Baden: Nomos 2005, S. 23–30, hier S. 23–24; sowie Praxenthaler, Martin: Die Sprachverbreitungspolitik der DDR. Die deutsche Sprache als Mittel sozialistischer auswärtiger Kulturpolitik, Frankfurt am Main u.a.: Lang 2002, S. 2–4.
1.2 Begriffe und theoretische Überlegungen
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re, Auslandsinformation, welche durchaus mit Informationspolitik oder Öffentlichkeitsarbeit gleichgesetzt werden können.29 Neben diesen überwiegend wertneutralen (Eigen-)Bezeichnungen hat die historische Forschung noch weitere Begrifflichkeiten für die auswärtigen Kulturbeziehungen sozialistischer Staaten geprägt. So hat sich für die Arbeit der sowjetischen Freundschaftsgesellschaften gegenüber dem Westen und insbesondere für die sowjetisch-amerikanischen Kulturbeziehungen während des Kalten Krieges in der englischsprachigen Forschung der Begriff der Cultural Diplomacy durchgesetzt, der, zum Teil in Anlehnung an und in Wechselwirkung mit der amerikanischen Kulturoffensive im Kalten Krieg, die Indienstnahme von Kultur und Künstlern für propagandistische Zwecke (hier: im Sinne eines negativen Propagandabegriffs) untersucht. Dieser Ansatz erscheint insbesondere daher fruchtbringend, weil er nicht nur den staatlich vermittelten Austausch miteinbezieht, sondern auch gesellschaftliche Akteure und Netzwerke sowie wirtschaftliche Kontakte. Allerdings stößt man für die sozialistischen Staaten hier insofern an Grenzen, als es kaum Kontakte außerhalb staatlicher oder Parteikontrolle gab.30 Gleichzeitig hat die Forschung auch eine spezifisch deutsche Kulturdiplomatie aufgegriffen und diese, im Kontext der Nachkriegsentwicklung beider deutscher Staaten, insbesondere unter zwei Aspekten betrachtet: So habe sie einerseits nach dem Krieg „Vertrauen stärken, Verständnis wecken und eigene Interessen fördern […]“ wollen, andererseits und auf die eigene Entwicklung rückwirkend das jeweils eigene Selbstverständnis gefördert.31 Einen letzten wichtigen Ansatz schließlich bietet das aus der angloamerikanischen Politikwissenschaft stammende Konzept der Public Diplomacy, das vor allem auf die psychologisch wirkende Komponente außenpolitischer Handlungen abzielt.32 Der Vorteil für die Analyse liegt hier vor allem im Primat der Wirkung über die spezifischen Formen; anders gesagt, ver29 Stichwort Kulturelle Auslandsbeziehungen in Kleines politisches Wörterbuch, S. 475–476. Vgl. dazu ausführlicher insbesondere im Hinblick auf beteiligte Institutionen: Praxenthaler: Sprachverbreitungspolitik, S. 34–37. 30 Vgl. dazu etwa den Sammelband Gienow-Hecht, Jessica C. E.: Searching for a cultural diplomacy, Explorations in culture and international history 6, New York u.a. 2010; sowie David-Fox, Michael: Showcasing the great experiment. Cultural diplomacy and western visitors to the Soviet Union, 1921–1941, Oxford u.a. 2012; und Gould-Davies, Nigel: „The Logic of Soviet Cultural Diplomacy“, Diplomatic History 27/2 (2003), S. 193–214. Einen Überblick über die Forschung zur US-amerikanischen Cultural Diplomacy vor allem auch gegenüber West-Europa bietet Paulmann, Johannes: „Auswärtige Repräsentationen nach 1945. Zur Geschichte der deutschen Selbstdarstellung im Ausland“, in: Paulmann, Johannes (Hrsg.): Auswärtige Repräsentationen. Deutsche Kulturdiplomatie nach 1945, Köln 2005, S. 1–34, hier S. 8–11. 31 Vgl. dazu Paulmann: „Geschichte der deutschen Selbstdarstellung“, S. 1–2; sowie auch den gesamten Band mit Beiträgen zu ganz unterschiedlichen Aspekten der deutschen Kulturdiplomatie Paulmann, Johannes (Hrsg.): Auswärtige Repräsentationen. Deutsche Kulturdiplomatie nach 1945, Köln 2005. 32 Zum Konzept der Public Diplomacy und seiner Anwendung auf die auswärtige Kulturpolitik der DDR vgl. Abraham, Nils: Die politische Auslandsarbeit der DDR in Schweden. Zur Public Diplomacy der DDR gegenüber Schweden nach der diplomatischen Anerkennung (1972– 1989), Berlin 2007, S. 25–27.
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engt die Public Diplomacy den Blick nicht auf ‚nur‘ kulturelle auswärtige Politik, sondern erfasst die positive Selbstdarstellung eines Staates und das Werben für ‚Sympathie‘ in seinen verschiedenen Facetten; hierbei könnte etwa auch der nicht explizit mit kulturellen Inhalten befasste Teil der Arbeit der Freundschaftsgesellschaften besser subsumiert werden. Allerdings bedarf es auch hier wiederum einiger Einschränkungen: Public Diplomacy eines Staates richtet sich, entsprechend ihrem Namen, an eine breite Öffentlichkeit des Ziellandes; während dies auf die auswärtige Kulturpolitik der sozialistischen Länder gegenüber westlichen Staaten durchaus anwendbar erscheint, stellt sich für inner-sozialistische Beziehungen die Frage nach der Öffentlichkeit, an die sich eine solche ‚öffentliche Diplomatie‘ überhaupt richten kann. Denn auch das Public Diplomacy Konzept arbeitet mit dem Ideal einer bürgerlichen Öffentlichkeit im Sinne Jürgen Habermas, das auf Gesellschaften sowjetischen Typs nicht übertragbar ist: Öffentlicher Raum – und umso mehr der Raum, in dem die Freundschaftsgesellschaften agierten – bedeutete vor allem durch Staat und Partei kontrollierter und ‚durchherrschter‘ Raum; Öffentlichkeit in der staatssozialistischen Gesellschaft war eben auch ‚inszenierte‘ Öffentlichkeit und die Freundschaftsgesellschaften, mithin die kulturellen Auslandsbeziehungen, trugen zu dieser Inszenierung maßgeblich bei. Andererseits schuf diese Inszenierung von Macht und Herrschaft, die nicht zuletzt dem systemimmanenten Legitimationsdefizit geschuldet war, gleichzeitig auch den Zwang zur Erschaffung einer partizipierenden Öffentlichkeit im Sinne einer Gesellschaft mündiger sozialistischer Bürger – so das visionäre ‚Erziehungsziel‘, die den Erfolg des Systems ‚entwickelter Sozialismus‘ belegten.33 Damit richtete sich eine innersozialistische Public Diplomacy zwar an eine staatlich generierte und reglementierte Öffentlichkeit, warb aber in einer Art Doppelfunktion nicht zuletzt für das eigene am Beispiel des Fremden.
1.3 FORSCHUNGSSTAND Die System der Freundschaftsgesellschaften und ihr Einsatz in der auswärtigen (Kultur-)Politik der sozialistischen Staaten war bislang nur bedingt Gegenstand der historischen Forschung: Zwar sind für die DDR bislang eine ganze Reihe von Arbeiten erschienen, die sich mit der Geschichte der Gesellschaft für DeutschSowjetische Freundschaft beschäftigen, jedoch beziehen diese sich überwiegend auf das Wirken der Gesellschaft im Inland und zudem schwerpunktmäßig auf ihre Rolle in der Aufbauphase des ostdeutschen Staates. Hier ist in erster Linie Jan C. Behrends im Jahr 2006 veröffentlichte, transnationale Studie zur „erfundenen
33 Rittersporn, Gábor Tamás, Malte Rolf und Jan C. Behrends: „Von Schichten, Räumen und Sphären. Gibt es eine sowjetische Ordnung von Öffentlichkeiten? Einige Überlegungen in komparativer Perspektive“, in: Rittersporn, Gábor Tamás, Malte Rolf und Jan C. Behrends (Hrsg.): Sphären von Öffentlichkeit in Gesellschaften sowjetischen Typs. Zwischen parteistaatlicher Selbstinszenierung und kirchlichen Gegenwelten, Frankfurt am Main 2003, S. 389–422, hier S. 390–399.
1.3 Forschungsstand
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Freundschaft“ und Sowjetunionpropaganda in der DDR und Polen zu nennen, mit deren Hilfe die beiden (deutsche wie polnische) Freundschaftsgesellschaften aktiv an der Mobilisierung der Bevölkerung und der Übertragung des stalinistischen sowjetischen Systems auf beide Ostblockstaaten mitwirkten.34 Mit ähnlicher Fragestellung thematisieren auch Anneli Hartmann und Wolfram Eggeling die Rolle der DSF in der „Sowjetische(n) Präsenz im kulturellen Leben der SBZ und frühen DDR 1945–1953“.35 Keine der vorliegenden Arbeiten hat sich bisher mit der Tätigkeit der DSF in der Sowjetunion beschäftigt, was zu einem Teil auch der zeitlichen Konzentration auf die Aufbaujahre, und somit auf die Zeit vor dem Umbau des sowjetischen Systems der Freundschaftsgesellschaften, geschuldet sein dürfte. Eine Reihe anderer Studien untersucht, zum Teil unter Einbeziehung der entsprechenden Freundschaftsgesellschaft bzw. der Liga für Völkerfreundschaft, die auswärtigen Beziehungen der DDR zu den übrigen Ostblockstaaten, teils mit politischem, teils mit kulturellem Fokus, so etwa auch Volker Zimmermanns umfassende Studie zu den Beziehungen zwischen der SBZ/DDR und der Tschechoslowakei, die auch die Themen Kulturkontakte sowie Tourismus mit einbezieht.36 Der Schwerpunkt in der Erforschung der auswärtigen Kulturbeziehungen der DDR liegt jedoch eindeutig in Richtung westliche Staaten, wo die Bemühungen des ostdeutschen Staates um diplomatische Anerkennung und Unterminierung der Hallstein-Doktrin zu einer Konkurrenzsituation zur Bundesrepublik und einer Art ‚Ersatz-Diplomatie‘ über Kulturkontakte führten, so etwa in Olivia Grieses 2006 erschienener Studie zu den Beziehungen der DDR zu Finnland sowie Nils Abrahams Untersuchung mit dem Fokus auf der Public Diplomacy der DDR gegenüber Schweden.37 Andere Arbeiten zur ostdeutschen auswärtigen Kulturpolitik 34 Behrends: Erfundene Freundschaft. 35 Hartmann, Anneli und Wolfram Eggeling: Sowjetische Präsenz im kulturellen Leben der SBZ und frühen DDR 1945–1953, Berlin 1998. Vgl. zur Institutionengeschichte der DSF ebenfalls: Hartmann, Anneli und Wolfram Eggeling: Die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft. Zum Aufbau einer Institution in der SBZ/DDR zwischen deutschen Politzwängen und sowjetischer Steuerung. Analysen, Berlin 1993; sowie Dralle: Von der Sowjetunion lernen; Kuhn: Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft. 36 Zimmermann: Eine sozialistische Freundschaft im Wandel; sowie ebenfalls zur ČSSR Schwarz, Wolfgang: „Brüderlich entzweit!“ Die Beziehungen zwischen der DDR und der ČSSR 1961–1968, München 2004. Zu den spannungsreicheren Beziehungen zu Polen vgl. etwa Anderson, Sheldon: A Cold war in the Soviet Bloc. Polish-East German relations, 1945– 1962, Boulder, Colo. 2001; sowie Kerski, Basil, Andrzej Kotula und Wóycicki Kazimierz (Hrsg.): Zwangsverordnete Freundschaft? Die Beziehungen zwischen der DDR und Polen 1949–1990, Osnabrück 2003; und Olschowsky, Burkhard: Einvernehmen und Konflikt: das Verhältnis zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen 1980–1989, Osnabrück 2005. Im Kontext der deutsch-deutschen Konkurrenz auch in den sozialistischen Staaten: Weiß, Peter Ulrich: Kulturarbeit als diplomatischer Zankapfel. Die kulturellen Auslandsbeziehungen im Dreiecksverhältnis der beiden deutschen Staaten und Rumäniens von 1950 bis 1972, München 2010. Einen guten Überblick über die auswärtige Kulturpolitik aller Ostblockstaaten inklusive der DDR, aber ohne die Sowjetunion bietet der Sammelband von Marès, Antoine (Hrsg.): Culture et politique étrangère des démocraties populaires, Paris 2007. 37 Griese, Olivia: Auswärtige Kulturpolitik und Kalter Krieg. Die Konkurrenz von Bundesrepublik und DDR in Finnland 1949–1973, Wiesbaden 2006; Abraham: Auslandsarbeit der
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verfolgen dagegen thematische Schwerpunkte, etwa den Bereich der Kunst, oder konzentrieren sich auf bestimmte Kanäle der Auslandsinformation.38 Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang Martin Praxenthalers schon etwas ältere Studie zur „Sprachverbreitungspolitik der DDR“, die nicht nur einen guten Überblick über Prinzipien und Formen auswärtiger Kulturpolitik der DDR bietet, sondern am Beispiel der Sprachpolitik und der damit häufig in Verbindung stehenden (in der Sowjetunion jedoch nicht vorhandenen) Kultur- und Informationszentren eine detaillierte Bestandsaufnahme der ostdeutschen Aktivitäten in sozialistischen, westlichen sowie Entwicklungsländern bereitstellt.39 Für die sowjetische Seite konzentrieren sich bisherige, überwiegend englischsprachige, Untersuchungen über die Tätigkeit der Freundschaftsgesellschaft vornehmlich auf die Zwischenkriegszeit bzw. auf die Zeit vor der Entstalinisierung und dem Umgestaltung der VOKS.40 So hat etwa der US-amerikanische HistoriDDR in Schweden. Daneben existiert außerdem eine ganze Reihe bilateraler Studien, die sich mit den (Kultur-)Beziehungen der DDR zu europäischen Staaten sowie Entwicklungsländern beschäftigen. Besonders gut erforscht sind etwa die deutsch-französischen Beziehungen: Kwaschik, Anne (Hrsg.): Die DDR in den deutsch-französischen Beziehungen, Bruxelles 2013; Pfeil, Ulrich: Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen. Die DDR und Frankreich 1949–1990, Zeithistorische Studien 26, Köln 2004; sowie jüngst Wenkel, Christian: Auf der Suche nach einem „anderen Deutschland“. Das Verhältnis Frankreichs zur DDR im Spannungsfeld von Perzeption und Diplomatie, Studien zur Zeitgeschichte 86, München 2014. Darüber hinaus sind etwa zu nennen: Bauerkämper, Arnd: „Ein asymmetrisches Verhältnis. Gesellschaftliche und kulturelle Kontakte zwischen Großbritannien und der DDR von den Sechziger- zu den Achtzigerjahren“, Archiv für Sozialgeschichte 45 (2005), S. 43–58; Hoff, Henning: Großbritannien und die DDR 1955– 1973. Diplomatie auf Umwegen, München 2003; Lill, Johannes: Völkerfreundschaft im Kalten Krieg? Die politischen, kulturellen und ökonomischen Beziehungen der DDR zu Italien 1949–1973, Frankfurt am Main 2001; Bischof, Erwin: Honeckers Handschlag. Beziehungen Schweiz – DDR, 1960–1990. Demokratie oder Diktatur, Bern 2010; Steffen Gerber, Therese: Das Kreuz mit Hammer, Zirkel, Ährenkranz. Die Beziehungen zwischen der Schweiz und der DDR in den Jahren 1949–1972, Berlin 2002; Heideck, Christian: Zwischen Ost-West-Handel und Opposition. Die Japanpolitik der DDR 1952–1973, München 2014; Döring, Hans-Joachim (Hrsg.): Freundschaftsbande und Beziehungskisten. Die Afrikapolitik der DDR und der BRD gegenüber Mosambik, Frankfurt am Main 2005; Emmerling, Inga: Die DDR und Chile (1960–1989). Außenpolitik, Außenhandel und Solidarität, Berlin 2013; sowie der ältere, aber noch immer als Überblicksdarstellung heranzuziehende Sammelband von Pfeil, Ulrich (Hrsg.): Die DDR und der Westen. Transnationale Beziehungen 1949–1989, Berlin 2001. 38 Vgl. etwa Saehrendt, Christian: Kunst als Botschafter einer künstlichen Nation. Studien zur Rolle der bildenden Kunst in der Auswärtigen Kulturpolitik der DDR, Stuttgart 2009; Mertin, Evelyn: Sowjetisch-deutsche Sportbeziehungen im „Kalten Krieg“, Sankt Augustin 2009. Für diese Arbeit im Kontext der Städtepartnerschaften wichtig: Schütze, Gabriele: Die internationalen Beziehungen des Magistrats von Berlin 1961–1990. Moskau, Paris, Neu-Delhi, Helsinki, Studien zur Zeitgeschichte 81, Hamburg 2011. 39 Praxenthaler: Sprachverbreitungspolitik. Der Autor bietet auch einen Überblick über die wichtigste zeitgenössische DDR-Forschung zum Thema kulturelle Auslandsbeziehungen von den 1950er bis in die 1980er Jahre: Ebd., S. 34–36. 40 Als eine der ganz wenigen Arbeiten zur Nachkriegszeit und der VOKS direkt, auch mit Bezugnahme auf die Gründe für den Umbau der Freundschaftsgesellschaft vgl. Yegorova, Natalia: „The All-Union Society for Cultural Relations with Foreign Countries (VOKS) and the
1.3 Forschungsstand
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ker Michael David-Fox die Reisen westlicher Intellektueller in die Sowjetunion untersucht und in diesem Rahmen auch die Tätigkeit der sowjetischen Freundschaftsgesellschaft und ihrer Cultural Diplomacy näher beleuchtet.41 Diese Form der Kulturdiplomatie – die Beeinflussung westlicher Besucher bzw. der westlichen Öffentlichkeit durch Kultur im weiten Sinne zugunsten der Sowjetunion – bildet im Allgemeinen den Grundtenor der meisten Forschungen zum sowjetischwestlichen Kulturaustausch, auch und gerade während der Zeit des Kalten Krieges.42 Neuere Forschungen richten das Augenmerk dagegen stärker auf den Aspekt des Kulturtransfers unter dem Schlagwort eines „Nylon curtain“43 und die Tatsache, dass der vermeintlich Eiserne Vorhang eben doch in vielen Bereichen, wie etwa Musik und Sport, aber auch Mode und Lebensstil viel durchlässiger war, als lange angenommen.44 Ganz aktuell ist zudem an der Universität Tübingen mit der Dissertation von Sonja Großmann zum Wirken der „Sowjetische[n] Freundschaftsgesellschaften in Westeuropa“ eine Untersuchung entstanden, die nicht nur die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Blick nimmt, sondern erstmals auch
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Early détente, 1953‒1955“, in: Fleury, Antoine und Lubor Jílek (Hrsg.): Und Europe malgé tout, 1945‒1990. Contacts et réseaux culturels, intellectuels et scientifiques entre Européens dans la guerre froide, L’Europe et les Europes (19e et 20e siècles) 9, Bruxelles 2009, S. 89– 102. David-Fox: Showcasing the great experiment; David-Fox, Michael: „From Illusory ‚Society‘ to Intellectual ‚Public‘. VOKS, International Travel and Party-Intelligentsia Relations in the Interwar Period“, Contemporary European History 11/1 (2002), S. 7–32. Vgl. z. B. mit einem Fokus auf der Instrumentalisierung kultureller Kontakte durch die UdSSR im Rahmen des Kalten Krieges: Gould-Davies: „Logic of Soviet Cultural Diplomacy“. Zu den westdeutsch-sowjetischen Kontakten vgl. Donig, Natalia: „Kulturaustausch oder Propaganda? Westdeutsche Reaktionen auf die sowjetische auswärtige Kulturpolitik in den fünfziger Jahren“, in: Krüger, Verena (Hrsg.): Dem Raum eine Grenze geben: Migrationen, Menschen und Ideen unterwegs im Europa der Moderne, Bochum 2006, S. 180– 207; Donig, Natalia: „Reisen ins ‚Arbeiterparadies‘“, in: Pietrow-Ennker, Bianka (Hrsg.): Russlands imperiale Macht. Integrationsstrategien und ihre Reichweite in transnationaler Perspektive, Wien 2012, S. 325–355; Weth, Burkard: Deutsch-sowjetische Kulturbeziehungen 1955–1975. Kulturpolitik im Kalten Krieg, Aachen 2014. Zudem zu den sowjetischamerikanischen Beziehungen: Richmond, Yale: Cultural exchange & the Cold War. Raising the iron curtain, University Park, Pa. 2003; Rosenberg, Victor: Soviet-American relations, 1953–1960. Diplomacy and cultural exchange during the Eisenhower presidency, Jefferson, N.C 2005. So der gleichnamige Sammelband von Péteri, György (Hrsg.): Nylon curtain. Transnational and transsystemic tendencies in the cultural life of state-socialist Russia and East-Central Europe, Trondheim 2006. Der Fokus der Beiträge liegt hierbei jedoch nicht (nur) auf der Sowjetunion, sondern vor allem auch auf den übrigen Ostblockstaaten und deren kultureller Verflechtung mit dem Westen. In dieser Hinsicht sind in den letzten Jahren gerade zum Thema Tanz und Musik einige Studien entstanden, so McDaniel, Cadra Peterson: American-Soviet cultural diplomacy. The Bolshoi Ballet’s American premiere, Lanham 2015; Mikkonen, Simo: „Winning Hearts and Minds? Soviet music in the Cold War struggle against the West“, in: Fairclough, Pauline (Hrsg.): Twentieth-century music and politics. Essays in memory of Neil Edmunds, Burlington, VT 2013, S. 135–154; David-Fox, Michael: Cold War Crossings. International Travel and Exchange Across the Soviet Bloc, 1940s–1960s, 2014.
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die Umwandlung der sowjetischen Freundschaftsgesellschaften sowie ihre Aktivitäten seit den 1960er Jahren thematisiert. In transnationaler vergleichender Perspektive widmet sich Großmann dabei den Kontakten mit Partnerorganisationen in verschiedenen westeuropäischen Staaten.45 Damit zeigt sich in der Sowjetunion-Forschung eine deutliche Konzentration auf Westkontakte und den (Kultur-)Austausch im Zeichen des Ost-WestKonflikts. Demgegenüber bleiben noch immer Studien spärlich, die die Beziehungen innerhalb des Ostblocks, und besonders zwischen der Sowjetunion und ihren ‚Satellitenstaaten‘ untersuchen, vor allem wenn es sich um die Frage gegenseitigen Austauschs handelt: Gerade im Falle der DDR sind Kultur- und Freundschaftsbeziehungen zur Sowjetunion bisher nahezu ausschließlich als propagandistische Einbahnstraße untersucht worden. Eine Ausnahme stellt die an der University of Chicago entstandene Dissertation von Rachel Applebaum „Friendship of the Peoples“ dar, die sich anhand der Themen Kultur, Tourismus und verschiedener ‚Freundschaftsaktivitäten‘ den gegenseitigen Beziehungen zwischen der Tschechoslowakei und der Sowjetunion widmet. 46 Applebaum argumentiert, dass die weichen Faktoren Kultur, Freundschaftsbemühungen und daraus entstandene soziale Kontakte genauso, ja sogar besser zur Erhaltung der sowjetischen Einflusssphäre beigetragen hätten, als die harten Faktoren der politischen und militärischen Hegemonie – ablesbar etwa an der Überdauerung ersterer auch nach der Zäsur durch den Prager Frühling. Gleichzeitig betont sie, dass das staatlich initiierte Freundschaftsprojekt trotz aller Regularien und Beschränkungen zu der Ausbildung eines explizit internationalen sozialistischen Systems der 1960er und 1970er Jahre beigetragen habe, wenn auch hinter dem Eisernen Vorhang und liefert damit neue kultur- und gesellschaftsgeschichtliche Einsichten auf einem Forschungsgebiet, das sich bislang überwiegend auf die funktionale ‚Anwendung‘ von Kultur- und Freundschaftsbeziehungen zur Stalinisierung der osteuropäischen Gesellschaften in den 1940er und 1950er Jahren konzentriert hat. 47 Ist bislang überwiegend von Sowjetunion-Forschung statt Belarus-Forschung die Rede gewesen, so liegt das zum einen daran, dass Außenbeziehungen einzelner Sowjetrepubliken bislang praktisch nicht erforscht sind, zum anderen aber auch daran, dass die Geschichte der heutigen Republik Belarus lange als „weißer Fleck“48 der historischen Forschung galt. Gerade aus deutscher Perspektive wurde 45 Vgl. dazu die noch unveröffentlichte Dissertation von Großmann, Sonja: Sowjetische Freundschaftsgesellschaften in Westeuropa. Instrumente und Akteure der Cultural Diplomacy im Kalten Krieg (1945–1991), Dissertation Universität Tübingen 2017. 46 Applebaum, Rachel Leah: Friendship of the peoples: Soviet-Czechoslovak cultural and social contacts from the battle for Prague to the Prague Spring, 1945–1969, Ann Arbor: UMI 2012; vgl. auch: Applebaum, Rachel Leah: „The Friendship Project: Socialist Internationalism in the Soviet Union and Czechoslovakia in the 1950s and 1960s“, Slavic Review 74/03 (2015), S. 484–507. 47 Applebaum: Friendship of the peoples, S. 284–285, 289–291. 48 So der gleichnamige Sammelband von Bohn, Thomas M. und Victor Shadurski (Hrsg.): Ein weißer Fleck in Europa... Die Imagination der Belarus als einer Kontaktzone zwischen Ost und West, Bielefeld 2011.
1.3 Forschungsstand
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und wird die Republik insbesondere unter dem Blickwinkel der NS-Forschung betrachtet, die sich mit der deutschen Besatzung in den Gebieten der Sowjetunion beschäftigt.49 Daneben hat sich in den letzten Jahren an der Justus-Liebig Universität Gießen ein Schwerpunkt der deutschen Belarus-Forschung entwickelt, darunter die von Thomas M. Bohn herausgegebene, inzwischen fünfbändige Reihe Historische Belarus-Studien, die sich mit verschiedenen kultur- und gesellschaftsgeschichtlichen Aspekten der Weißrussischen Sowjetrepublik beschäftigt.50 In diesem Zusammenhang ist besonders die von Rayk Einax verfasste und 2014 erschienene Dissertation zur „Entstalinisierung auf Weißrussisch“ hervorzuheben, die mit ihrem facettenreichen Überblick über die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung der BSSR in den 1950er und 1960er Jahren eine lange bestehende Forschungslücke schließt.51 Als Standardwerk und Überblick über die Geschichte Weißrusslands vom Mittelalter bis heute dient außerdem noch immer das von Dietrich Beyrau und Rainer Lindner herausgegebene „Handbuch der Geschichte Weißrusslands“, das anhand einzelner Beiträge die politische, kulturelle 49 Vgl. dazu die schon etwas ältere, aber noch immer wegweisende Studie von Chiari, Bernhard: Alltag hinter der Front. Besatzung, Kollaboration und Widerstand in Weißrußland 1941– 1944, Schriften des Bundesarchivs 53, Düsseldorf 1998. Außerdem neuere Besatzungsstudien Quinkert, Babette: Propaganda und Terror in Weißrußland 1941–1944. Die deutsche „geistige“ Kriegführung gegen Zivilbevölkerung und Partisanen, Paderborn 2009; Brakel, Alexander: Unter Rotem Stern und Hakenkreuz. Baranowicze 1939 bis 1944, Paderborn 2009. Zur Erinnerung an Weltkrieg und Besatzung etwa: Kurilo, Ol’ga V. (Hrsg.): Täter, Opfer, Helden. Der Zweite Weltkrieg in der weißrussischen und deutschen Erinnerung, Berlin 2008. Vgl. außerdem zu einem bislang weniger untersuchten Aspekt der deutschen Besatzung den unlängst erschienenen Sammelband von Friedman, Alexander und Rainer Hudemann (Hrsg.): Diskriminiert – vernichtet – vergessen. Behinderte in der Sowjetunion, unter nationalsozialistischer Besatzung und im Ostblock 1917–1991, Stuttgart 2016. 50 Vgl. dazu Bohn, Thomas M.: Minsk – Musterstadt des Sozialismus. Stadtplanung und Urbanisierung in der Sowjetunion nach 1945, Köln u. Weimar 2008; Bohn/Shadurski (Hrsg.): Ein weißer Fleck in Europa... Zur Reihe Historische Belarus-Studien vgl. den Sammelband von Bohn, Thomas M., Rayk Einax und Julian Mühlbauer (Hrsg.): Bunte Flecken in Weißrussland. Erinnerungsorte zwischen polnisch-litauischer Union und russisch-sowjetischem Imperium, Historische Belarus-Studien 1, Wiesbaden 2013; sowie die Dissertationen von Einax, Rayk: Entstalinisierung auf Weißrussisch. Krisenbewältigung, sozioökonomische Dynamik und öffentliche Mobilisierung in der Belorussischen Sowjetrepublik 1953–1965, Historische Belarus-Studien 2, Wiesbaden 2014; Mühlbauer, Julian: Kommunizieren und Partizipieren im „entwickelten Sozialismus“. Die Wohnungsfrage im Eingabewesen der Belorussischen Sowjetrepublik, Historische Belarus-Studien 3, Wiesbaden 2015; Dalhouski, Aliaksandr: Tschernobyl in Belarus. Ökologische Krise und sozialer Kompromiss (1986–1996), Historische Belarus-Studien 4, Wiesbaden 2015; Kashtalian, Iryna: The repressive factors of the USSR’s internal policy and everyday life of the Belarusian society (1944–1953), Historische BelarusStudien 5, Wiesbaden 2016. Als bekannter Weißrussland-Spezialist gilt außerdem der kanadische Historiker David R. Marples, der sich mit der Geschichte der BSSR sowie der heutigen Entwicklung der Republik Belarus, und insbesondere auch den Folgen von Tschernobyl beschäftigt hat, vgl. dazu z. B. Marples, David R.: Belarus. From Soviet rule to nuclear catastrophe, Basingstoke 1996; Marples, David R.: „Our glorious past“. Lukashenka’s Belarus and the Great Patriotic War, Stuttgart 2014. 51 Einax: Entstalinisierung auf Weißrussisch.
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1 Einleitung
und gesellschaftliche Entwicklung der weißrussischen Gebiete im Spannungsfeld wechselnder Herrschaftsgefüge darstellt.52 Die auswärtigen (Kultur-)Beziehungen der weißrussischen Sowjetrepublik sind bislang überwiegend in der weißrussischen Forschung thematisiert worden, so vor allem in Viktor Šadurskijs Studie über die Kulturbeziehungen der BSSR sowie der Republik Belarus mit dem Westen.53 Der Autor bietet auch einen guten Überblick über die diesbezügliche, recht umfangreiche sowjetweißrussische Literatur, die jedoch, da überwiegend deskriptiv und positivistisch, nur bedingt und teilweise eher als Quelle für die vorliegende Untersuchung herangezogen werden soll.54 Speziell zu den weißrussischdeutschen Beziehungen existieren ebenfalls einige Studien, die sich jedoch in erster Linie auf die Zwischenkriegszeit bzw. auf die Zeit der Weimarer Republik beziehen. In diesem Zusammenhang ist vor allem Alexander Friedmans an der Universität des Saarlandes entstandene Dissertation zu nennen, die sich mit Deutschlandbildern in der weißrussischen Sowjetrepublik der Zwischenkriegszeit beschäftigt und die, trotz oder gerade wegen der deutschen Besatzung während des Ersten Weltkriegs, teilweise zu erstaunlich positiven Ergebnissen gelangt ist.55 Daneben beschäftigen sich die weißrussischen Historiker Kosmač und Romanovskij mit den Kultur- und Handelsbeziehungen zwischen der Weimarer Republik und der BSSR, ebenso wie das unlängst von Dimitri Romanowski auf Deutsch erschienene Buch zur wirtschaftlichen, wissenschaftlich-technischen und kulturellen Zusammenarbeit in den 1920er Jahren.56 Zudem hat Uladzimir Sakaloŭski bereits im Jahr 2000 eine Bibliographie zu den weißrussisch-deutschen Geistesund Kulturbeziehungen vorgelegt, der jedoch, anders als offenbar geplant, bislang leider kein darstellender Band gefolgt ist.57
1.4 QUELLENLAGE Den wichtigsten Quellenbestand für die vorliegende Publikation bilden die Überlieferungen beider Freundschaftsgesellschaften: So finden sich in der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Berlin 52 Beyrau, Dietrich und Rainer Lindner (Hrsg.): Handbuch der Geschichte Weißrusslands, Göttingen 2001; zum Nationsbildungsprozess in Belarus’ vgl. ebenfalls Lindner: Historiker und Herrschaft. 53 Šadurskij, Viktor: Kul’turnye svjazi Belarusi so stranami Central’noj i Zapadnoj Evropy (1945–1990-e gody), Minsk 2000. 54 Ebd., S. 5–9. 55 Friedman: Deutschlandbilder. 56 V.A. Kosmač und D.V. Romanovskij: Sovetskaja Belarus’ i Germanija v 1917–1932 gg. Kampanii solidarnosti, torgovlja, kul’turnyj obmen (Uroki istorii dlja sovremennosti), Vitebsk 2001; Romanowski, Dimitri: Belarus und Weimar-Deutschland. Wirtschaftliche, wissenschaftlich-technische und kulturelle Beziehungen, Hamburg 2015. 57 Sakaloŭski, Uladzimir: Weißrussland und Deutschland. Geistes- und Kulturbeziehungen zwischen 1914 und 1941, Bd. 1: Bibliographie, Köln 2000. Das Werk war zunächst mehrbändig angelegt, ein darstellender Band sollte die Bibliographie ergänzen; leider wurde dieses Vorhaben offenbar inzwischen eingestellt.
1.4 Quellenlage
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(SAPMO-BArch) die Bestände der deutschen DSF; im Nationalarchiv der Republik Belarus (Nacional’nyj archiv Respubliki Belarus’) in Minsk befindet sich der umfangreiche Aktenbestand58 der Belorussischen Gesellschaft für Freundschaft und kulturelle Verbindung mit dem Ausland (Belorusskoe obščestvo družby i kul’turnoj svjazi s zarubežnymi stranami, BELOD). Während die überlieferten Akten des Berliner Zentralvorstands (ZV) der DSF – Akten der Bezirks- oder Kreisvorstände befinden sich, sofern überhaupt erhalten, in den jeweiligen Landesarchiven – sehr gut erschlossen sind und die Findbücher online und nach Schlagwörtern durchsucht werden können, gilt dies leider nicht für die Bestände der BELOD. Sie sind nach Jahren und reinem Provenienzprinzip abgelegt bzw. in den Findbüchern verzeichnet und damit ungleich schwerer zu erschließen. Auch konnten aufgrund der großen Aktenmenge nicht systematisch alle Jahrgänge eingesehen werden, sondern es wurde stichprobenartig ausgewertet und, zum Teil gleichmäßig über den Untersuchungszeitraum verteilt, zum Teil anlässlich besonderer Ereignisse (z. B. Kulturtage) die DDR bzw. Schriftwechsel mit der Moskauer Zentrale betreffende Aktenbände eingesehen. Die Bestände der Freundschaftsgesellschaften, für die DDR vor allem jene der Abteilung Internationale Verbindungen beim ZV der DSF, beinhalten Schriftwechsel mit der Partnergesellschaft über Materialaustausch, Delegationsreisen sowie die Ankunft von Freundschaftszügen, verschiedene Anfragen, aber auch Arbeitsberichte, Glückwunschtelegramme zu Feiertagen und anderes mehr und ermöglichen es so, Inhalte und Form der Tätigkeit der Gesellschaften nachzuvollziehen. Darüber hinaus bieten die Korrespondenzen des Sekretariats des Zentralvorstandes bzw. des Präsidiums der BELOD mit zuständigen Stellen in Partei oder Ministerien weitere Einsichten in Ziele und Absichten der auswärtigen Kulturpolitik sowie in Entscheidungs- und Kontrollabläufe. Auf belorussischer Seite sind vor allem die verschickten „Anweisungen“ der SSOD-Zentrale in Moskau aufschlussreich für die gesamtsowjetische, und damit auch für die BSSR bindende, Ausrichtung der auswärtigen Kulturbeziehungen.59 Parallel und ergänzend dazu wurden, nach entsprechenden Hinweisen aus den Schriftwechseln der Freundschaftsgesellschaften, außerdem 58 Insgesamt umfasst der Bestand 904 Akten (Dela). Siehe dazu die hilfreichen Führer zu Archiven in Belarus’: Danilova, Galina S. und Vjačeslav Dmitrievič Selemenev: Fondy byvšich archivov Kommunističeskoj partii Belorussii, Minsk 1997; Michalʹčanka, Aljaksandr M.: Gosudarstvennye archivy Respubliki Belarusʹ (1944–1997). Kratkij spravočnik, Minsk 2000. 59 Leider war es im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, auch die noch wesentlich umfangreicheren Bestände der SSOD im Staatsarchiv der Russischen Föderation (Gosudarstvennyj Archiv Rossijskoj Federacii, GARF) in Moskau einzusehen; diese weitgehend noch unbearbeiteten Bestände böten weitere interessante Forschungsperspektiven nicht nur für die gesamtsowjetische auswärtige Kulturpolitik, sondern etwa auch für einen Vergleich der Entwicklung der verschiedenen Freundschaftsgesellschaften in den einzelnen Republiken und ihre Kontakte untereinander bzw. mit den ihnen zugeteilten Ländern im sozialistischen wie westlichen Ausland. Die wenigen mir aus dem Staatsarchiv der Russischen Föderation vorliegenden Akten aus den Beständen der gesamtsowjetischen Freundschaftsgesellschaft SSOD verdanke ich Sonja Großmann, die sie im Rahmen ihrer eigenen Recherchen zur ihrer an der Universität Tübingen entstandenen Dissertation entdeckt und mir netterweise zur Verfügung gestellt hat. Vgl. dazu Großmann: Sowjetische Freundschaftsgesellschaften.
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1 Einleitung
die jeweiligen Parteibestände (ZK der KPB bzw. SED) im Nationalarchiv der Republik Belarus bzw. im SAPMO/Bundesarchiv eingesehen sowie etwa auch Bestände der beiden Ministerien für Kultur. Ebenfalls als sehr aufschlussreich für die Arbeit der Freundschaftsgesellschaften, insbesondere der BELOD sowie für die auslandsinformatorischen Absichten der DDR-Freundschaftsgesellschaft, erwiesen sich die Briefwechsel beider Institutionen mit der Moskauer DDR-Botschaft. Diese sind teilweise in den Beständen des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der DDR erhalten, die sich im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes befinden. Ebenfalls über die Bestände des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten gelingt auch der Zugang zu der, nur noch recht bruchstückhaft erhaltenen, Korrespondenz mit dem 1972 gegründeten Generalkonsulat der DDR in Minsk. Insgesamt gilt gerade für die Recherche im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes, dass die Suche nach die BSSR betreffenden Archivalien sich insofern als schwierig erweist, weil das Pertinenzprinzip des Archivs vor allem einen territorialen Zugang erlaubt – hier aber lediglich die Suche nach dem Schlagwort Sowjetunion möglich ist, einzelne Sowjetrepubliken aber nicht erfasst sind. Dieses Problem gilt im Übrigen auch für die anderen konsultierten Archive: eine gezielte Suche nach der BSSR ist schon deshalb erschwert, weil auch die DDR-Behörden und Einrichtungen selbst eine solche Unterscheidung kaum vorgenommen haben – eine Tatsache, die letztlich auch für sich spricht, was die Bedeutung einzelner Teilrepubliken anbelangt.60 Zusätzlich zu den genannten zentralen Archiven wurden, etwa für die Recherche zu den Bezirkspartnerschaften, auch belarussische und deutsche Gebietsarchive konsultiert. Da es sich in diesem Fall um Parteibeziehungen handelte, erwiesen sich hier insbesondere die Bestände der Bezirksparteileitungen bzw. der Parteigebietskomitees von Interesse. Diese lokalen Parteiorganisationen koordinierten die gegenseitigen Kontakte und kommunizierten diesbezüglich nicht nur mit den Parteizentralen in Minsk bzw. Berlin, sondern erhielten auch detaillierte Berichte von Massenorganisationen, Verwaltungen und Einrichtungen im Bezirk, die mit der Herstellung (kultureller) Kontakte betraut worden waren. Einschränkend ist hierbei allerdings zu bemerken, dass sich die Sichtung und Auswertung entsprechender Bestände der Gebietsparteikomitees (Obkoms) in Minsk und Vitebsk als deutlich schwieriger erwies, weil einerseits die enorm großen Parteibestände nicht sachsystematisch erschlossen sind (Zugang über entsprechende Jahre und Provenienz), andererseits konkrete Maßnahmen auch in die Zuständigkeit niedriger angesiedelter Parteikomitees ((Stadt-)Bezirkskomitees/Raykoms) fiel, die im Rahmen dieser Arbeit nicht ausgewertet werden konnten. Allerdings erwiesen sich, gerade in belarussischen Gebietsarchiven, andere Bestände als besonders wertvoll für diese Arbeit, insbesondere was den stetig an60 Eine Ausnahme bildet in dieser Hinsicht lediglich die Freundschaftsgesellschaft DSF, die in ihrem Ablagesystem ansatzweise Akten zu einzelnen Partnergesellschaften in den Sowjetrepubliken gesammelt hat. Diese Unterscheidung wurde aber offenbar nie konsequent durchgeführt und wird von sachsystematischen Kriterien (Freundschaftszüge, Tourismus, Kulturtage etc.) überlagert.
1.4 Quellenlage
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wachsenden gegenseitigen Tourismus betrifft: So berichteten die Gebietsgewerkschaftsräte gegenüber den zuständigen Parteistellen sehr genau über ihre Tätigkeit in Bezug auf Auslandstourismus, sowohl was einreisende, als auch was ausreisende Touristen anbelangt. Diese Quellen veranschaulichen einerseits das in den 1960er Jahren zunehmende Interesse der sowjetischen Führung am Tourismus, bieten andererseits aber auch detaillierte Einblicke in Ziele und Aufgaben sowjetischer Tourismuskonzepte einschließlich ihnen inhärenter auslandsinformatorischer Absichten. Außerdem stellen die Reiseleiterberichte sowjetischer Reisegruppen in die DDR an den zuständigen Gewerkschaftsrat – bei aller notwendigen, besonders kritischen Herangehensweise unter den Bedingungen von Zensur und Selbstzensur61 – eine besonders ergiebige, bislang überwiegend von osteuropäischen Historikern genutzte, Quellengattung dar, die einen einzigartigen Einblick in die Erlebnisse der Touristen im ‚Freundesland‘ bietet. Dagegen ist die Quellenlage bezüglich des staatlichen und mit Auslandstourismus befassten Reisebüros Inturist und seiner Republikfilialen in der BSSR leider weniger gut; tatsächlich konnte nur durch einzelne Hinweise in anderen Beständen auf Gebietsfilialen des Reisebüros geschlossen werden, Berichte von Inturist-Reiseführern zu betreuten Touristengruppen finden sich jedoch nicht.62 Für die deutsche Seite dagegen ergibt sich die Quellenlage genau umgekehrt: Hier konnten insbesondere Berichte deutscher Reiseführer des Reisebüros der DDR für den aufnehmenden Auslandstourismus herangezogen werden sowie interne Schriftwechsel des Reisebüros mit anderen Organisationen und Einrichtungen, unter anderem auch den Freundschaftsgesellschaften.63 Diese wiederum forderten von ‚ihren‘ Reiseleitern für Sowjetunionreisen ebenfalls Berichte über den Reiseverlauf, so dass diese Lücke im Quellenbestand des Reisebüros ausgeglichen werden konnte, auch wenn eine Fokussierung auf die BSSR aufgrund der bereits erwähnten fehlenden Unterscheidung der Sowjetrepubliken durch DDR-Behörden und Einrichtungen nur in Ansätzen möglich war.64 Neben diesen unveröffentlichten Archivquellen wurde außerdem eine ganze Reihe zeitgenössischer Drucksachen und Broschüren, wie etwa Eigenveröffentli61 Zur quellenkritischen Herangehensweise in Bezug auf Reiseleiterberichte im Kontext des sowjetischen bzw. DDR-Tourismuskonzepts vgl. die ausführlichen Erläuterungen hierzu in Kapitel 5.2.3 dieser Arbeit. 62 Die Hauptbestände des Reisebüros selbst befinden sich im Staatsarchiv der Russischen Föderation in Moskau. Vgl. dazu Bagdasarjan, Vardan Ė: Sovetskoe zazerkalʹe. Inostrannyj turizm v SSSR v 1930–1980-e gody, Moskva 2007, S. 7–9. 63 Leider ist der hochinteressante Bestand des Reisebüros der DDR (DM 102) im Bundesarchiv gegenwärtig noch weitgehend unbearbeitet, so dass er bislang auch kaum zu Forschungszwecken herangezogen wurde. Es existieren lediglich Abgabelisten über erhaltende Schriftstücke; darunter jedoch leider nur wenige Berichte von Reisegruppenleitern zu ins Ausland reisenden DDR-Gruppen. Diese existieren in großem Maßstab nur (noch) für die 1980er Jahre, so dass es scheint, dass sie vom Reisebüro selbst nicht zur Archivierung vorgesehen waren und (vermutlich nach Fünfjahresfrist) vernichtet wurden. 64 Obwohl auch der FDGB Auslandsreisen für DDR-Bürger organisierte, haben die Recherchen im Bundesarchiv sowie im Brandenburgischen Landeshauptarchiv für die ehemaligen Bezirke Frankfurt/Oder und Potsdam keine den sowjetischen ähnliche Reiseberichte ergeben.
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chungen der Freundschaftsgesellschaften zur eigenen Geschichte oder zur Verbreitung im Ausland herangezogen, außerdem Erinnerungsbände, Reise- und Gedenkstättenführer, Parteiveröffentlichungen im Rahmen der Bezirkspartnerschaften sowie zeitgenössische wissenschaftliche Veröffentlichungen zu den Beziehungen zwischen der BSSR und der DDR. Dazu kommt außerdem eine Reihe von Zeitschriften und Tageszeitungen auf deutscher wie sowjetischer Seite, die nicht nur einer qualitativen Analyse der Berichterstattung zu bestimmten Themen (z. B. zum Mythos um den deutschen Partisanen Fritz Schmenkel) dienten, sondern auch halfen, bestimmte Fragen und Sachverhalte zu klären, die aus den teils lückenhaften Quellenbeständen nicht erschlossen werden konnten, so etwa die Programme der Freundschaftswochen, oder die Termine und Häufigkeit der Durchführung von Kulturtagen im Untersuchungszeitraum. Zuletzt machten einige Zeitzeugengespräche den Ablauf sowjetischer Auslandsreisen greifbarer bzw. halfen, wie das Gespräch mit dem ehemaligen Generalkonsul der DDR, Herrn Leopold Wohlert, beim Zusammenfügen interessanter Hintergrundinformationen zur bislang nicht erforschten Geschichte des DDR-Generalkonsulates in Minsk.
2 DEUTSCHLAND UND BELARUS: EINE AMBIVALENTE BEZIEHUNG Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit den belarussisch-deutschen Beziehungen in den 1960er und 1970er Jahren des 20. Jahrhunderts, genauer: den Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik, somit dem ostdeutschen Staat, wie er nach dem Zweiten Weltkrieg aus der sowjetisch besetzten Zone hervorgegangen ist, und der Belorussischen Sozialistischen Sowjetrepublik in ihren seit 1939 bestehenden Grenzen. Jedoch kommt auch diese Betrachtung nicht ohne kurze Vorbetrachtung aus, die es erlaubt, die Geschichte beider Staaten und ihrer Beziehungen in einen historischen Zusammenhang zu setzen. Dabei steht im Fokus bisheriger Untersuchungen deutsch-weißrussischer ‚Beziehungen‘ zu Recht vor allem die Aufarbeitung jener Zeit, die als deren schwierigstes Kapitel betrachtet werden muss, nämlich die deutsche Besatzung während des Zweiten Weltkriegs und die damit einhergehende Katastrophe für die weißrussische Bevölkerung. Weit weniger Beachtung finden dagegen die erste deutsche Besatzung während des Ersten Weltkriegs sowie die Zeit der Weimarer Republik, ebenso die Entwicklung nach 1945, die es durchaus erlauben, auch von positiveren Aspekten deutsch-weißrussischer Kontakte zu sprechen. Im Folgenden soll diese ambivalente Beziehungsgeschichte in einem größeren zeitlichen Rahmen kurz skizziert und ihre Bedeutung für die Nachkriegsentwicklung aufgezeigt werden. Die Geschichte der Republik Belarus oder Weißrusslands, das durch verschiedene Herrschaftswechsel einen mehrfach unterbrochenen und bis heute noch nicht abgeschlossenen Nationsbildungsprozess65 durchlebte, kann dabei kaum unabhängig vom größeren Herrschaftsgefüge in der Region betrachtet werden. So gehörten die weißrussischen Gebiete seit dem 13. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts zunächst zum Großfürstentum Litauen, dominierten dieses von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer reichende Staatsgebiet allerdings sprachlich wie kulturell. Mit der Integration in die polnisch-litauische Adelsrepublik (Rzeczpospolita) 1569 endete dieses so genannte ‚Goldene Zeitalter‘ Weißrusslands, da die weißrussischen Gebiete verstärkt polnischem wirtschaftlichen, kulturellen und religiösen Einfluss ausgesetzt waren.66 Nach dem Ende der Adelsrepublik 1795 und der 65 Zum weißrussischen Nationsbildungsprozess vgl. Lindner: Historiker und Herrschaft; sowie noch immer Vakar, Nicholas P: Belorussia. The making of a nation. A case study, Russian Research Center studies, Cambridge, Mass. 1956; speziell für den Anfang des 20. Jahrhunderts bis zur beginnenden Stalinisierung vgl. Rudling, Per Anders: The rise and fall of Belarusian nationalism. 1906–1931, Pitt series in Russian and East European studies, Pittsburgh, Pa. 2015; und für die Entwicklung nach 1990 z. B. Temper, Elena: Belarus verbildlichen. Staatssymbolik und Nationsbildung seit 1990, Köln u.a. 2012. 66 Zur weißrussischen Geschichte vgl. allgemein Beyrau/Lindner (Hrsg.): Handbuch; sowie speziell Lojka, Pawel: „Die weißrussischen Territorien als Teil des Großfürstentums Litauen (13.–16. Jahrhundert)“, in: Beyrau, Dietrich und Rainer Lindner (Hrsg.): Handbuch der Ge-
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dritten polnischen Teilung fielen die weißrussischen Gebiete schließlich dem Zarenreich unter Katharina II. zu, wo verstärkt seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine vor allem gegen die polnischen Einflüsse gerichtete Russifizierung vorangetrieben wurde. Fortan eröffnete nur die russische Sprache Wege zu höherer Bildung und Staatsdienst, das Polnische versprach Künstlern, Intellektuellen und Akademikern den Anschluss an die westeuropäische Kultur, wohingegen Weißrussisch überwiegend als Sprache des einfachen Volkes erhalten blieb. Erst in den 1880er Jahren entwickelte sich in den durch landwirtschaftlichen Großgrundbesitz geprägten so genannten Nordwestgebieten eine erste weißrussische Bewegung, die, in Anlehnung an die russischen Volkstümler (Narodniki), zugleich auch sozialistische Ideen vertrat und erstmals von einer eigenen weißrussischen Nation sprach. Die Russische Revolution von 1905 gab dieser nationalen Bewegung Auftrieb, in deren Folge es unter anderem zur Gründung der ersten legalen weißrussischen Zeitung Naša Dol’ja (Unser Schicksal) bzw. Naša Niva (Unsere Flur) kam, die den nationalen Gedanken auch nach Abflauen der revolutionären Bewegung wachhielt. Auch die bekanntesten weißrussischsprachigen Schriftsteller und späteren ‚Nationaldichter‘ Janka Kupala und Jakub Kolas publizierten in diesem ersten weißrussischen Presseorgan. Seit dem Beginn des Jahrhunderts hatte in den weißrussischen Gebieten eine wirtschaftliche Konsolidierung eingesetzt, die mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs jedoch jäh unterbrochen wurde; im Jahr 1915 wurden die weißrussischen Territorien zum großen Teil von Truppen des deutschen Kaiserreichs besetzt. Diese erste deutsche Okkupation hatte für die besetzten Gebiete ambivalente Folgen: Während die Bevölkerung einerseits unter Zwangsarbeit und Kriegssteuern litt, entwickelten sich andererseits im so genannten Verwaltungsgebiet OberOst günstigere Bedingungen für eine weißrussische Nationalbewegung als im russischen Einflussgebiet. So forcierten die deutschen Besatzer, freilich unter Verfolgung eigener Interessen, gezielt die Zurückdrängung des russischen Einflusses: Sie förderten Schulunterricht in weißrussischer Sprache, die Herausgabe weißrussischsprachiger Zeitungen sowie allgemein weißrussische kulturelle Aktivitäten.67 Diese Entwicklung kulminierte schließlich in der Ausrufung der unabhängigen Weißrussischen Volksrepublik (BNR) am 25. März 1918 unter dem Protektorat, jedoch ohne aktive Unterstützung, der Deutschen.68 Dennoch sah ein Teil der Weißrussischen Sozialistischen Hramada, der treibenden politischen Kraft hinter der Staatsgründung, die Zukunft eines unabhängigen Weißrussland mit den deutschichte Weißrusslands, Göttingen 2001, S. 80–92; Sahanowitsch, Henads: „Der Eintritt des Großfürstentum Litauens in die polnische Adelsrepublik. Weißrussland im 16. und 17. Jahrhundert“, in: Beyrau, Dietrich und Rainer Lindner (Hrsg.): Handbuch der Geschichte Weißrusslands, Göttingen 2001, S. 93–105. 67 Schybeka, Sachar: „Die Nordwestprovinzen im Russischen Reich (1795–1917)“, in: Beyrau, Dietrich und Rainer Lindner (Hrsg.): Handbuch der Geschichte Weißrusslands, Göttingen 2001, S. 119–134, hier S. 122–124, 130–133. 68 Zur aktuellen Diskussion der BNR und ihrer Bedeutung für den weißrussischen Nationsbildungsprozess sowie die Rolle der deutschen Besatzer in der weißrussischen historischen Forschung vgl. Romanowski: Belarus und Weimar-Deutschland, S. 50–51.
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schen Besatzern verbunden, eine Tatsache, die schließlich zur Spaltung der nationalen Bewegung und zu wachsender Unterstützung für die Bolschewiki führte. Mit dem deutschen Rückzug und dem Vertrag von Brest-Litowsk endete die kurze Existenz eines unabhängigen weißrussischen Staates; am 1. Januar 1919 wurde schließlich die Belorussische Sowjetische Sozialistische Republik (BSSR) ausgerufen, deren endgültige territoriale Konsolidierung erst 1926 abgeschlossen war, wobei die westweißrussischen Landesteile an den polnischen Staat verloren gingen.69 In der Folgezeit durchlief die BSSR die gleichen politischen, sozialen und ökonomischen Umformungen wie die übrigen sowjetischen Gebiete und Republiken: die Etablierung der Sowjet- bzw. Parteiherrschaft, Enteignungen und Kampf gegen Großgrundbesitzer und Großunternehmer, die Phase der Neuen Ökonomischen Politik seit 1922 bis 1928 und schließlich die Kollektivierung der Landwirtschaft und forcierte Industrialisierung in den 1930er Jahren. Für die kulturelle Entwicklung erwies sich die sowjetische Nationalitätenpolitik der 1920er Jahre als bedeutsam: So kam es in dieser Anfangszeit zu einer gezielten Weißrussifizierung in Literatur, Sprach- und Bildungspolitik sowie der so genannten Korenizacija (wörtl. Einwurzelung), eine gezielte Einbindung nationaler Eliten und Minderheiten in den neuen Staat, die durchaus den Grundstein für eine nationale Entwicklung im Rahmen des sowjetischen Systems hätten legen können. Stalins großer Umschwung (Velikij perelom) beendete 1929 jedoch radikal alle nationalen Ambitionen innerhalb der Sowjetunion; auch die BSSR wurde von Repressionswellen erfasst und immer wieder kam es in den 1930er Jahren zu Säuberungen und zur faktischen Auslöschung eines Großteils der weißrussischen Eliten.70 In ihren Außenbeziehungen war die belorussische Sowjetrepublik Teil einer gesamtsowjetischen Außenpolitik, deren Ziel es zunächst sein musste, die internationale Isolation des bolschewistischen Staates zu durchbrechen. Unter den Siegermächten des Ersten Weltkriegs zeigte sich allein Großbritannien bereit, im Jahr 1921 ein Handelsabkommen mit der RSFSR zu schließen, dessen politisch positive Folgen für Russland bzw. später die Sowjetunion jedoch marginal blieben. Stattdessen richteten sich die Bemühungen zunehmend auf die deutsche Weimarer Republik, die infolge der Kriegsschuldfrage Anfang der 1920er Jahre ebenfalls noch weitgehend isoliert war. Den Höhepunkt der Annäherungen bildete schließlich der Vertrag von Rapallo 1922, der den gegenseitigen Verzicht auf Entschädigungen und Reparationen sowie die Aufnahme diplomatischer Beziehungen festschrieb.71 Der Vertrag von Rapallo brachte auch der Belorussischen Sowjetrepublik, ab Dezember 1922 Mitglied der Sowjetunion, eine erhebliche Ausweitung der Kontakte mit der Weimarer Republik. Dies betraf die Bereiche Wirtschaft und 69 Marples, David R.: „Die Sozialistische Sowjetrepublik Weißrußland (1917–1945)“, in: Beyrau, Dietrich und Rainer Lindner (Hrsg.): Handbuch der Geschichte Weißrusslands, Göttingen 2001, S. 135–152, hier S. 136–140. 70 Marples: „Die Sozialistische Sowjetrepublik Weißrußland (1917–1945)“; Gerlach, Christian: Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrußland 1941 bis 1944, 2. Aufl., Hamburg 1999, S. 38–39; Chiari: Alltag hinter der Front, S. 30–31. 71 Hildermeier, Manfred: Die Sowjetunion 1917–1991, Oldenbourg Grundriss der Geschichte 31, 2. Aufl., München 2007, S. 30–31.
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Handel, den wissenschaftlich-technischen Austausch sowie auch zunehmend den kulturellen Bereich.72 An dieser Stelle sind beispielsweise Kontakte zwischen belorussischen und linken deutschen Schriftstellern, wie etwa Johannes R. Becher, hervorzuheben. Darüber hinaus zeigte etwa die staatliche Verwaltung für Filmangelegenheiten (Belgoskino) nicht nur zahlreiche deutsche Filme in belorussischen Kinos, sondern exportierte selbst einige Filme in die Weimarer Republik. Nicht zuletzt bemühte sich die gesamtsowjetische Allunionsgesellschaft für kulturelle Beziehungen mit dem Ausland (Vsesojuznoe obščestvo kul’turnoj svjazi s zagranicej, VOKS) um eine Darstellung der sowjetischen Nationalitäten und vor allem Nationalitätenpolitik im Ausland – und damit auch einer belorussischen Nationalkultur.73 Gleichzeitig entstanden in der Weimarer Republik, gespeist aus kommunistischen sowie intellektuellen Kreisen, Gesellschaften zur Kontakt- und Freundschaftspflege mit der Sowjetunion, die jedoch in ihrer gesamtgesellschaftlichen Wirkung marginal blieben.74 Dies lag nicht zuletzt daran, dass die kulturelle Zusammenarbeit insbesondere seit Ende der 1920er Jahre, ausgehend von der Sowjetunion, immer stärker unter politisch-ideologischem Vorbehalt im Sinne einer Fokussierung auf die so genannte ‚proletarische Massenarbeit‘ stand und damit in erster Linie immer mehr der Sowjetunionpropaganda im Ausland diente. Das besondere Interesse der sowjetischen Führung an Deutschland erklärte sich auch aus den revolutionären Hoffnungen, die auf Deutschland als Ursprungsland der internationalen sozialistischen Bewegung ruhten: Lange erhoffte sich die Parteispitze Unterstützung durch die ‚Weltrevolution‘, die von Deutschland ausgehen sollte. Entsprechend lancierte die sowjetische Propaganda, auch in der BSSR, Solidaritätskampagnen und Appelle zur Unterstützung der deutschen Arbeiterbewegung bzw. einer vermeintlich bevorstehenden proletarischen deutschen Revolution und vermittelte so das Bild einer befreundeten deutschen Arbeiterschaft. 75 Mit der Machtübertragung an die Nationalsozialisten änderten sich die Beziehungen sowie das propagandistische Deutschlandbild in der Sowjetunion schlagartig: Wirtschaftliche und kulturelle Kontakte wurden weitgehend eingefroren, die staatliche Propaganda richtete sich vehement gegen den deutschen Faschismus, 72 Vgl. insbesondere für den Bereich des Handels Romanowski: Belarus und WeimarDeutschland, S. 96–152. 73 Zur Verbreitung deutscher Literatur in der BSSR der Zwischenkriegszeit vgl. Friedman: Deutschlandbilder, S. 347–360; sowie allgemeiner zu Kulturkontakten V.A. Kosmač/Romanovskij: Sovetskaja Belarus’ i Germanija, S. 110–119. Zudem hat unlängst Dimitrij Romanowski eine Studie zu den Beziehungen zwischen der BSSR und WeimarDeutschland vorgelegt, darunter auch zu den Kulturkontakten, die die „belarussische Nationalfrage“ begünstigt hätten. Vgl. dazu: Romanowski: Belarus und Weimar-Deutschland, S. 164–194. 74 Zur Geschichte der Freundschaftsgesellschaft und entsprechenden Gesellschaften auf deutscher Seite vgl. Kap. 3.1 dieser Arbeit. Zum Russlandbild in der Weimarer Republik bzw. den dort entstandenen Gesellschaften: Dralle: Von der Sowjetunion lernen, S. 55–60. 75 Vgl. zu den wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen Weißrussland und Deutschland infolge des Vertrages von Rapallo: V.A. Kosmač/ Romanovskij: Sovetskaja Belarus’ i Germanija, S. 10–32, 110–119; Hildermeier: Die Sowjetunion, S. 32.
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der als schlimmste Form des Kapitalismus und damit Hauptgegner der sozialistischen Sowjetunion begriffen wurde. Gleichzeitig erschienen allerdings auch Berichte über die im Faschismus geknechtete deutsche Arbeiterschaft; für die Freilassung Ernst Thälmanns wurde beispielsweise eine breite Kampagne lanciert.76 Ende der 1930er Jahre und mit dem Abschluss des Nichtangriffspakts im August 1939 passten sich die sowjetischen Propagandabilder erneut politischen Bedürfnissen an: So plädierten Presseartikel nun für ein friedliches Nebeneinander, ja sogar für Freundschaft des sowjetischen und des deutschen Volkes, trotz ideologischer und politischer Unterschiede. Gerade im grenznahen Weißrussland wurden auch nach Beginn des Zweiten Weltkriegs die große Bedeutung und der Erfolg der Stalinschen Außenpolitik hervorgehoben, die eine Normalisierung der deutsch-sowjetischen Beziehungen erzielt und eine Kriegsbeteiligung der Sowjetunion vermieden habe. Zudem hatte der Nichtangriffspakt gerade für die BSSR auch unmittelbare Gebietszuwächse zur Folge: Gemäß dem geheimen Zusatzprotokoll des so genannten Hitler-Stalin-Pakts besetzte die Sowjetunion nach dem deutschen Angriff auf Polen die zum Teil ehemals westweißrussischen Gebiete Ostpolens; im November 1939 wurden diese offiziell der BSSR angegliedert und diese Tatsache als ‚Befreiung Westweißrusslands‘ propagandistisch gefeiert.77 Als schließlich schlagartig die durchgängig verheerende Fehleinschätzung des Nationalsozialismus und seiner Ziele und Absichten durch die stalinistische Führung deutlich wurde78, war es die weißrussische Bevölkerung, die, neben der ukrainischen, die schlimmsten Konsequenzen zu tragen hatte. Der Einmarsch deutscher Truppen in die BSSR begann am 22. Juni 1941; bereits sechs Tage später war die belorussische Hauptstadt eingenommen, nur einige wenige Städte leisteten anhaltenden Widerstand, so dass bis Ende des Jahres 1941 die weißrussischen Territorien vollständig von deutschen Truppen besetzt waren. Der schnelle Vormarsch der Deutschen war durch eine ausgesprochen zögerliche sowjetische Reaktion der Führung unter Stalin begünstigt worden, die bis zuletzt offenbar nicht an einen deutschen Einmarsch geglaubt hatte. Darüber hinaus hatten viele Einwohner der BSSR, beispielsweise unter der Zwangskollektivierung leidende Bauern, die deutschen Soldaten als Befreier und Garanten einer besseren Zukunft begrüßt, nicht zuletzt gerade in den westweißrussischen und erst seit 1939 zwangssowjetisierten Gebieten. Dabei mögen die relativ positiven Erinnerungen an die erste deutsche Okkupation 1918 genauso eine Rolle gespielt haben wie verbreitete 76 Tschewtajkina, Natalja: „Wissenschaftler, Genossen und Faschisten. Das russische Deutschenbild im 20. Jahrhundert“, in: Berlin-Karlshorst, Deutsch-Russisches Museum (Hrsg.): Unsere Russen, unsere Deutschen. Bilder vom Anderen 1800 bis 2000, Berlin 2007, S. 64– 78, hier S. 70–73; zum Deutschlandbild nach 1933 in der weißrussischen Presse vgl. Friedman: Deutschlandbilder, S. 85–106. 77 Friedman: Deutschlandbilder, S. 136–149, 291–300; Tschewtajkina: „Wissenschaftler, Genossen und Faschisten“, S. 71–73. 78 Zur anhaltenden Fehleinschätzung des Nationalsozialismus durch Stalin und die sowjetische Führung vgl. Luks, Leonid: „Hitler und das nationalsozialistische Regime aus der Sicht Stalins und der Stalinisten“, Forum für osteuropäische Ideen und Zeitgeschichte 12/2 (2008), S. 11–40.
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Vorstellungen von den Deutschen als ‚Kulturvolk‘ und die in diesem Zusammenhang als nicht glaubwürdig empfundene, negative sowjetische Propaganda, die beispielsweise bei vielen Intellektuellen der BSSR zu einer Fehleinschätzung der deutschen Besatzer führte.79 Ähnlich optimistische Annahmen fanden sich auch unter den Vertretern des weißrussischen Exils im westlichen Ausland, die sich von der deutschen Invasion in der BSSR analog zu 1918 Chancen auf einen weißrussischen, möglicherweise unabhängigen Staat ausrechneten. Die deutsche Zivilverwaltung des so genannten Generalkommissariats Weißruthenien in Minsk schien diese Hoffnungen zunächst zu bestätigen: So ergaben sich unter deutscher Besatzung durchaus Möglichkeiten für ein Wiedererstarken weißrussischer Kultur und Sprache; untere Verwaltungsebenen wurden bewusst ‚weißrussifiziert‘ und von den Deutschen initiierte soziale Einrichtungen wie das Weißruthenische Selbsthilfewerk oder das Weißruthenische Jugendwerk versuchten teils erfolgreich, die Kollaboration der lokalen Bevölkerung zu fördern. Schließlich kam es unter deutscher Protektion sogar zur Gründung einer Weißrussischen Nationalen Rada (Parlament), die noch bis kurz vor Rückeroberung der weißrussischen Gebiete durch die Rote Armee von einem unabhängigen weißrussischen Staat träumte und sogar plante, eine weißrussische militärische Einheit zur Unterstützung der Deutschen zusammenzustellen.80 Allerdings hatten sich die deutschen Besatzer schon lange vor ihrem Rückzug 1944 durch ihre grausame Besatzungspolitik selbst diskreditiert: Bereits in den ersten Kriegswochen waren kommunistische Funktionäre, die nicht Richtung Osten geflohen waren, Mitglieder der jüdischen Intelligenz und als potentielle Unruhestifter eingeschätzte Personen den deutschen Einsatztruppen zum Opfer gefallen. Die jüdische Bevölkerung der weißrussischen Gebiete wurde, für die übrige Bevölkerung sichtbar, unter schrecklichen Lebensumständen zunächst in städtischen Ghettos zusammenpfercht; mit deren Auflösung begann ab 1942 die Ermordung des größten Teils der weißrussischen Juden, etwa 650 000 von 820 000 Menschen. In den westweißrussischen Gebieten wurde nahezu die gesamte jüdische Bevölkerung durch die Deutschen ermordet. Dazu kamen riesige Opferzahlen unter der nichtjüdischen Bevölkerung, die zum Teil ebenfalls gezielten Mordaktionen zum Opfer fielen, so zum Beispiel. Sinti und Roma oder physisch und psychisch Kranke. Andere wurden Opfer der brutalen Ausbeutungs- und Hungerpolitik der deutschen Besatzer, wie etwa nach Deutschland verschleppte Zwangsarbeiter oder durch Unterversorgung mehr oder minder bewusst ermordete Kriegsgefangene auf weißrussischem Gebiet.81 Gleichzeitig gerieten viele Men79 Vakar: Belorussia, S. 171–173; Marples: „Die Sozialistische Sowjetrepublik Weißrußland (1917–1945)“, S. 149; Friedman: Deutschlandbilder, S. 290, 325–326, 360. 80 Marples: „Die Sozialistische Sowjetrepublik Weißrußland (1917–1945)“, S. 151; Chiari, Bernhard: „Die Kriegsgesellschaft. Weißrussland im Zweiten Weltkrieg (1939–1944)“, in: Beyrau, Dietrich und Rainer Lindner (Hrsg.): Handbuch der Geschichte Weißrusslands, Göttingen 2001, S. 408–425, hier S. 416–418. 81 Chiari: „Die Kriegsgesellschaft“, S. 415–416; Iwanou, Mikola: „Terror, Deportation, Genozid. Demographische Veränderungen in Weißrußland im 20. Jahrhundert“, in: Beyrau, Dietrich und Rainer Lindner (Hrsg.): Handbuch der Geschichte Weißrusslands, Göttingen 2001,
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schen zwischen die Fronten des Partisanenkrieges: Mit Straf- und Vernichtungsaktionen sowie der Auslöschung ganzer Städte und Dörfer, insgesamt etwa 209 Städte und 9200 Dörfer, reagierten die deutschen Besatzer auf Partisanenaktionen und nahmen Rache an der Zivilbevölkerung, die die Partisanen angeblich unterstützte. Diese wurde allerdings nicht selten von zwei Seiten zur Abgabe ihrer Lebensgrundlage gezwungen: Nicht nur die deutschen Besatzer, sondern gelegentlich auch die Partisanen selbst zwangsrequirierten Vieh und Lebensmittel. Insgesamt führte die deutsche Besatzung in den weißrussischen Gebieten zu einer demographischen Katastrophe: Etwa 1,4 Millionen Zivilisten kamen dabei ums Leben, zusammen mit den jüdischen Ermordeten verlor jeder vierte Einwohner Weißrusslands sein Leben.82 Für das weißrussische Selbstverständnis nach dem Krieg spielten aber nicht nur die außerordentlich hohen Opferzahlen und das unvorstellbare Ausmaß der Zerstörungen eine zentrale Rolle; als noch wichtiger erwies sich der Topos der Selbstbefreiung der Republik durch die Partisanenbewegung, die, so wollte es die sowjetische Nachkriegspropaganda, mit Hilfe der gesamten Bevölkerung gegen die Besatzer gekämpft und sie aus dem Land vertrieben hatte.83 Tatsächlich hatte bereits im Jahr 1941 die Formierung einer Partisanenbewegung im Untergrund begonnen, allerdings zunächst aus Geheimdienstverbänden des NKVD bzw. NKGB sowie Partei- oder anderen sowjetischen Aktivisten. Von einer Beteiligung des ‚einfachen Volkes‘ war zunächst wenig zu spüren, im Gegenteil unterstützte die Bevölkerung die Partisanenbekämpfung durch die Deutschen anfangs zum Teil erheblich. Erst das Jahr 1942 brachte den Partisaneneinheiten massenhaften Zulauf, als Tausende geflohener Kriegsgefangener oder Andere, einem Einsatz als Zwangsarbeiter Entkommene, ebenfalls in die Wälder flüchteten. Seit Frühjahr 1942 bildete sich dann eine mehr oder weniger einheitliche Struktur und Strategie der Partisaneneinheiten unter einem sowjetisch kontrollierten Zentralstab heraus, deren tatsächliche militärische Bedeutung jedoch bis zum Schluss relativ gering blieb. Die eigentlichen Erfolge der Partisaneneinheiten lagen im Kampf gegen die lokale, überwiegend weißrussische Zivilverwaltung unter der Besatzungsmacht sowie gegen die weißrussische Kollaboration. Zwar fügte sie den Besatzern auch S. 426–436, hier S. 434–435; zur deutschen Vernichtungspolitik in den weißrussischen Gebieten vgl. allgemein: Gerlach: Kalkulierte Morde; sowie Friedman/Hudemann (Hrsg.): Diskriminiert – vernichtet – vergessen. 82 Chiari: „Die Kriegsgesellschaft“, S. 418–419; Iwanou: „Terror, Deportation, Genozid“, S. 434–435; Marples: „Die Sozialistische Sowjetrepublik Weißrußland (1917–1945)“, S. 150. 83 Vgl. zum Mythos ,Partisanenrepublik‘ Chiari, Bernhard und Robert Maier: „Volkskrieg und Heldenstädte. Zum Mythos des Großen Vaterländischen Krieges in Weißrussland“, in: Flacke, Monika (Hrsg.): Mythen der Nationen: 1945 – Arena der Erinnerungen, Bd. 2, Mainz 2004, S. 737–751; Keding, Ekaterina: „‚Neues aus den Partisanenwäldern‘ – alte und neue Konstruktionsversuche belarussischer Identität“, in: Bohn, Thomas M., Rayk Einax und Julian Mühlbauer (Hrsg.): Bunte Flecken in Weißrussland. Erinnerungsorte zwischen polnischlitauischer Union und russisch-sowjetischem Imperium, Historische Belarus-Studien 1, Wiesbaden 2013, S. 81–93; Lindner: Historiker und Herrschaft, S. 350–356. Zur Heranziehung des Partisanenmythos im Kontext der Freundschaftsbeziehungen zur DDR seit den 1960er Jahren vgl. Kap. 5.3.2 dieser Arbeit.
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dadurch erheblichen Schaden zu, kämpfte so aber hauptsächlich gegen die eigenen Landsleute – eine Tatsache, die in der weißrussischen Nachkriegserzählung gänzlich ausgeklammert wurde.84 Krieg und Besatzung hinterließen in Weißrussland nicht nur entsetzliche Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung sowie ein verwüstetes Land, sondern auch eine zutiefst zerrissene, zwischen Widerstand und Kollaboration gespaltene und durch den Terror der Besatzungszeit geprägte Gesellschaft. Die weißrussische Nachkriegserzählung von Partisanenkampf und Volkskrieg, der das gesamte Volk im Abwehrkampf gegen die deutschen Eindringlinge vereint habe, diente ganz wesentlich der Integration der traumatisierten Bevölkerung und ihrer Mobilisierung zum (sozialistischen) Wiederaufbau.85 Auf deutscher Seite brachte insbesondere das letzte Kriegsjahr die Begegnung der Zivilbevölkerung mit Soldaten der vorrückenden Roten Armee, und damit jenen gefürchteten ‚Russen‘, deren rassisch geprägtes NS-Propagandabild von ‚slawischen Untermenschen‘ und brutalen, unzivilisierten Horden die nationalsozialistische Propaganda verstärkt noch einmal gegen Kriegsende und zur Mobilisierung der letzten Abwehrkräfte heraufbeschworen hatte. Tatsächlich bestätigten sich für viele Einwohner Mitteldeutschlands bzw. für die Flüchtlinge aus den Ostgebieten die vermittelten Schreckensbilder: Zusätzlich zu den letzten, sehr intensiven Kampfhandlungen – Bombenangriffe, Boden- und Straßenkämpfe – erlebten viele Vertreibung aus der Heimat und Flucht vor der Roten Armee sowie Raub, Plünderungen, gewalttätige Übergriffe und Vergewaltigungen von über einer Million deutscher Frauen durch die sowjetischen Soldaten, vor allem in den ersten Wochen nach Kriegsende. Erst danach setzte die Einführung geregelter Besatzungsorgane der Gewalt durch die siegreichen Soldaten ein Ende. Gleichzeitig wurden diese Geschehnisse in der SBZ und späteren DDR im Interesse der ‚Etablierung‘ einer deutsch-sowjetischen Freundschaft tabuisiert und aus der offiziellen Kriegserinnerung, die die Rote Armee als Befreierin feierte, getilgt. Dennoch prägten die traumatischen Erfahrungen vom Ende des Krieges das Familiengedächtnis der Kriegs- und Nachkriegsgenerationen dauerhaft. 86 Der Zweite Weltkrieg hinterließ in Europa nicht nur Tod und Zerstörung, Hunger, Flucht und Verzweiflung, sondern auch schwere erinnerungsgeschichtliche Hypotheken: Mindestens zwei Generationen waren unmittelbar und nachhaltig durch die Kriegserfahrung geprägt, sowohl im besiegten Deutschland als auch in der Sowjetunion und insbesondere in Weißrussland, das in unvorstellbarer Weise unter der deutschen Besatzung gelitten hatte. Während des Krieges hatte die sowjetische Propaganda Gefühle von Hass, Wut und den Wunsch nach Rache gegenüber den ‚faschistischen Barbaren‘ angefeuert; der bekannt gewordene Auf84 Zur weißrussischen Partisanenbewegung vgl. ausführlich Bogdan, Musial: Sowjetische Partisanen 1941–1944. Mythos und Wirklichkeit, Paderborn 2009, S. 337–340 insbesondere. 85 Insbesondere zu den gesellschaftlichen Auswirkungen von Krieg und Besatzung vgl. Chiari: „Die Kriegsgesellschaft“. 86 Wierling, Dorothee: „Krieg im Nachkrieg. Zur öffentlichen und privaten Präsenz des Krieges in der SBZ und frühen DDR“, in: Echternkamp, Jörg und Stefan Martens (Hrsg.): Der Zweite Weltkrieg in Europa: Erfahrung und Erinnerung, Paderborn 2007, S. 237–252, hier S. 238– 239; Behrends: Erfundene Freundschaft, S. 118–120.
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ruf Ilja Ehrenburgs in der sowjetischen Presse 1942 „Wenn Du nicht an einem Tag wenigstens einen Deutschen getötet hast, ist Dein Tag verloren. […] Töte den Deutschen!“87 war dabei zwar symptomatisch, aber mitnichten ein Einzelfall. Auf der anderen Seite hatte der nationalsozialistische Staat Verachtung und Überlegenheitsgefühle unter der deutschen Bevölkerung geschürt, gleichzeitig jedoch auch Angst und Schrecken vor der Brutalität der vermeintlichen ‚slawischen Untermenschen‘ aus dem Osten verbreitet. Beide Bilder, zusammen mit dem Wissen über die unvorstellbaren deutschen Verbrechen auf dem Gebiet der Sowjetunion sowie die Gewalterfahrungen der Deutschen beim Einmarsch der Roten Armee, waren nun, nach dem Ende des Krieges, nicht ohne weiteres abzulegen. Weder fühlte sich das Gros der Deutschen von der Roten Armee befreit, noch lag den meisten sowjetischen Soldaten an einer ‚Befreiung‘ der Deutschen vom Faschismus im Sinne einer Freundschaftsbezeugung. Während von den Deutschen Dankbarkeit gegenüber den sowjetischen Befreiern eingefordert wurde, verhinderten die angeordneten Vergebungsgesten auf Seiten der sowjetischen Soldaten, etwa anlässlich der Einweihung von Ehrenmalen und Soldatenfriedhöfen, langfristig eine offene Auseinandersetzung mit den Folgen des Krieges.88 Die These von den zwei Seiten Deutschlands, von Faschisten und unschuldigen Deutschen, die sich zunehmend zur politischen Leitlinie der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) entwickelte, war den sowjetischen Besatzungssoldaten nach Jahren der Kriegspropaganda und der deutschen Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung ebenso schwer zu vermitteln, wie den Deutschen freundschaftliche Gefühle gegenüber ihren Besatzern.89 Die machtpolitischen Erwägungen der sowjetischen Führung nach dem Ende des Krieges und vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden Ost-WestGegensatzes verlangten jedoch nach einer raschen Lösung dieses Problems: So ging es darum, die sowjetische Einflusssphäre wirtschaftlich wie gesellschaftlich zu konsolidieren; ein schneller wirtschaftlicher Wiederaufbau und eine sozialistische Umformung der Gesellschaftsordnung(en) erhielt dabei den Vorrang vor einer Aufarbeitung der Vergangenheit – ein Phänomen, das sich zwar nicht auf die osteuropäischen Staaten beschränkte, dort aber bis zum Ende des Staatssozialismus perpetuiert wurde. Vordergründig schien dieses Vorhaben auch aufzugehen: Sowohl die DDR als auch die BSSR schafften im Kontext des östlichen Bündnissystems einen beispielhaften Wiederaufbau und, im Falle der Sowjetrepublik, die Entwicklung vom Agrar- zum Industriestaat. Während die DDRWirtschaft im Vergleich mit den übrigen RGW-Staaten eine der führenden Positi87 Zitiert nach: Satjukow, Silke: Besatzer. Die „Russen“ in Deutschland 1945–1994, Göttingen 2008, S. 37. 88 Zur Etablierung des Befreiungsnarrativs vgl. Satjukow: Befreiung?, insbesondere S. 14-32. 89 In den Nachkriegsjahren bemühte sich die sowjetische Propaganda zunehmend, dieses Bild von den zwei Deutschland nach außen zu tragen, insbesondere auch gegenüber der Bevölkerung in der SBZ. So wurden etwa im Berliner Stadtgebiet Schrifttafeln mit Stalins bekanntem Ausspruch aufgestellt: „Die Erfahrungen der Geschichte besagen, daß die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk, der deutsche Staat bleibt.“, zitiert nach: Ebd., S. 26–27; vlg. dazu auch: Hartmann/Eggeling: Sowjetische Präsenz, S. 104.
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onen einnahm, konnte die BSSR eine solche Stellung innerhalb der Sowjetunion erlangen; beide Länder produzierten im RGW hoch geschätzte Industriegüter für den Export.90 Und während die materiellen Kriegszerstörungen als Ausgangspunkt dieses sozialistisch-märchenhaften Aufbaus durchaus in der Außendarstellung beider Staaten präsent waren, wurde über die gesellschaftlichen Auswirkungen des Krieges doch überwiegend geschwiegen bzw. sie wurden durch jenes Befreiungsnarrativ ersetzt, das auch die Ostdeutschen an den Tisch der antifaschistischen Sieger und der internationalistischen Freundschaft der Werktätigen holte.91 Auch zu diesem Zweck entstanden in der sowjetisch besetzten Zone, später in der neu gegründeten DDR, sowie in der Sowjetunion bzw. BSSR ab 1958 Freundschaftsgesellschaften, die, ganz im Sinne der sozialistischen Überzeugung von einer möglichen Umerziehung des menschlichen Glaubens92, eine Freundschaft vermitteln sollten, die unter so denkbar schlechten Vorzeichen begonnen hatte.
90 Vgl. zur Nachkriegsentwicklung der BSSR grundlegend sowie zum wirtschaftlichen Aufschwung insbesondere seit den 1960er Jahren Einax: Entstalinisierung auf Weißrussisch, S. 146–163. Zur Entwicklung der DDR-Wirtschaft vgl. Weber, Hermann: Geschichte der DDR, Erftstadt 2004, S. 388–390; sowie Steiner, André: Von Plan zu Plan. Eine Wirtschaftsgeschichte der DDR, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung 625, Bonn 2007. 91 Behrends: Erfundene Freundschaft, S. 117; Satjukow: Befreiung?, S. 14–32. 92 Behrends: Erfundene Freundschaft, S. 11–12.
3 FREUNDSCHAFTSVERWALTUNG: ORGANISATIONEN IN MINSK UND BERLIN „Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen.“ – unter diesem Motto bewarb die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF), eine der größten Massenorganisationen der DDR, ihre jahrzehntelange Tätigkeit. Damit wurde den Werktätigen der DDR über eine internationalistische Völkerfreundschaft hinaus auch der Nutzen einer Freundschaft zur Besatzungsmacht nahegelegt: Die Freundschaft zur Sowjetunion sollte ganz unmittelbar den Aufbau des Sozialismus beschleunigen helfen und eine strahlende Zukunft garantieren. In ihrer Tradition konnte sich die Gesellschaft dabei auf gesellschaftliche Organisationen der Weimarer Republik stützen, die sich als Freunde des neuen sowjetischen Staates im Osten zusammengefunden und, nicht selten über die Komintern, Beziehungen geknüpft hatten. Obwohl es also durchaus Vorläufer in Deutschland gegeben hatte, orientierte sich die neue Gesellschaft organisatorisch und strukturell nicht an diesen lockeren gesellschaftlichen Zusammenschlüssen: Als Vorbild diente vielmehr eine sowjetische Institution, die, zwar in der Forschung allgemein als Freundschaftsgesellschaft bezeichnet, zunächst streng genommen jedoch als Gesellschaft zur Herstellung kultureller Beziehungen mit dem Ausland gegründet worden war.
3.1 ANFÄNGE DER FREUNDSCHAFT: VOKS UND DSF 3.1.1 VOKS und sowjetische Kulturdiplomatie Bereits in den 1920er Jahren war in der Sowjetunion eine Allunionsgesellschaft für kulturelle Beziehungen mit dem Ausland (VOKS) gegründet worden, die, so in einer Jubiläumsschrift aus dem Jahre 1985, „ einen wichtigen Kanal zur objektiven Information der Weltöffentlichkeit über den sozialistischen Aufbau, die Ideologie, Moral und Ästhetik der sowjetischen Gesellschaft“ dargestellt habe. 93 Der Zusatz ‚objektiv‘ erweist sich in diesem Fall freilich als irreführend: So verstand sich die neue Gesellschaft vornehmlich als Sprachrohr einer positiven Sowjetuniondarstellung mit dem Ziel, negative Wahrnehmungen des bolschewistischen Staates in der Weltöffentlichkeit abzubauen sowie fehlende diplomatische Beziehungen durch auswärtige Kulturbeziehungen – eine so genannte Kulturdiplomatie – auszugleichen. Diese Art der Cultural Diplomacy wurde in der Forschung, sowohl für die Tätigkeit der VOKS in der Zwischenkriegszeit als auch für ihre Fortführung nach 93 SSOD (Hrsg.): Materialy k 60-letiju Sojuza Sovetskich Obščestv Družby i Kul’turnoj Svjazi s Zarubežnymi Stranami, Moskva 1985, S. 11.
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dem Zweiten Weltkrieg und im Zuge des Kalten Krieges, meist als kulturelle Propagandaarbeit verstanden, die darauf abzielte, durch einen streng kontrollierten kulturellen Austausch politische Interessen und Einflussnahme zu verfolgen. Insbesondere in den 1960er Jahren dominierte unter den Vorzeichen des Kalten Krieges, etwa in den Arbeiten des amerikanischen Politikwissenschaftlers Frederick Barghoorn, eine ausschließlich negative Einschätzung der Cultural Diplomacy als Instrumentalisierung kultureller Güter und Werte sowie Manipulation von Vertretern aus Kultur und Wissenschaft zu Propagandazwecken. Als besonders durch Infiltration gefährdet galten Barghoorn die westlichen Demokratien aufgrund der Tatsache, dass gerade kulturelle Aktivitäten hier in der Regel keinerlei Kontrollen unterlägen, wohingegen in sozialistischen Staaten wie der Sowjetunion Kultur und kulturelle Kontakte einer strengen staatlichen Steuerung ausgesetzt seien.94 Tatsächlich war die 1925 gegründete VOKS nur dem Namen nach eine gesellschaftliche und vom Staat unabhängige Organisation: Bereits anlässlich der Hungerkatastrophe 1921 in der Folge des Bürgerkrieges und der damit verbundenen internationalen Hilfe war führenden Bolschewiki klar geworden, dass gute Kontakte mit dem westlichen Ausland für den neuen, diplomatisch isolierten Staat nicht nur nützlich, sondern geradezu lebenswichtig waren. Gleichzeitig setzte sich, beeinflusst vom Misstrauen gegenüber den kapitalistischen Kräften, die Überzeugung durch, Kontakte Richtung Westen kontrollieren und kanalisieren zu müssen – und zwar auch mit dem Ziel, das Bild des Westens über den sowjetischen Staat positiv beeinflussen zu können. In diesem Kontext entstand eine Reihe von Komitees, die zunächst der Partei, dann den Sowjetorganen unterstellt waren, und die 1925 durch die VOKS als Dachorganisation ersetzt wurden. Dabei fungierte die Gesellschaft als eine Art dritte Dimension der sowjetischen Außenpolitik: Neben der klassischen staatlichen Außenpolitik sowie der sowjetisch dominierten Kommunistischen Internationale agierte nun auch die VOKS als außenpolitisches Instrument, das sich an Vertreter aus Kunst und Kultur, Intellektuelle und vor allem nicht kommunistische breitere Bevölkerungskreise im Ausland wandte. Diese sollten nicht nur mit künstlerisch-kulturellen Mitteln beeinflusst, sondern, im Sinne eines positiv konnotierten Propagandabegriffs, von der Überlegenheit einer sowjetischen fortschrittlichen Zivilisation überzeugt werden.95 Eine wichtige Konsequenz der Fokussierung auf eine breitere Öffentlichkeit war dabei die besondere organisatorische Form der VOKS, nämlich jene einer ‚Gesellschaft‘, die sich als weltweit einzigartig erweisen sollte; während in den meisten Staaten auswärtige Kulturpolitik auch formell den Außenministerien unterstellt 94 Zum Begriff der Cultural Diplomacy und entsprechenden Forschungsansätzen vgl. GienowHecht, Jessica C. E. und Mark C. Donfried: „The model of cultural diplomacy. Power, distance, and the promise of civil society“, in: Gienow-Hecht, Jessica C. E. und Mark C. Donfried (Hrsg.): Searching for a cultural diplomacy, New York 2010, S. 13–29, hier S. 13–16; Barghoorn, Frederick C.: The Soviet cultural offensive. The role of cultural diplomacy in Soviet foreign policy, Westport, Conn. 1976, S. 10–12. 95 Zum breiten sozialistischen Kulturbegriff sowie zum positiv besetzten Propagandabegriff vgl. die Einleitung dieser Arbeit, Kap. 1.2.
3.1 Anfänge der Freundschaft: VOKS und DSF
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war, suggerierte die pseudogesellschaftliche Form der Organisation Unabhängigkeit und Objektivität und empfahl sich somit als Partner für entsprechende nichtstaatliche Organisationen und Gesellschaften im Ausland, insbesondere dann, wenn die betroffenen Länder eben keine diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion unterhielten. Tatsächlich jedoch hatte die VOKS wenig mit jener neutralen Institution gemein, als die sie sich gerne im Ausland präsentierte. Letztlich entsprach sie den Wünschen von Partei, Staat und Geheimpolizei nach einer möglichst umfassenden Kontrolle kultureller Kontakte mit dem Ausland: Zu ihrer streng reglementierten Propagandaarbeit gehörte einerseits der Versand von Informationsmaterialien, Ausstellungen und anderen Kulturerzeugnissen, gleichzeitig aber auch die Delegation namhafter ‚Kulturschaffender‘ und Intellektueller ins Ausland sowie die Aufnahme und Betreuung interessierter Besucher in der Sowjetunion. Nicht zuletzt durch den Einsatz und die Vereinnahmung glaubwürdiger und namhafter sowjetischer Persönlichkeiten aus Kultur, Kunst und Wissenschaft gelang es der Gesellschaft, ein Netz sympathisierender Kontakte im Ausland aufzubauen und ihre zunehmend propagandistischen Absichten zu verschleiern.96 Mit Stalins Revolution von oben, dem Großen Umschwung (velikij perelom), 1928/29 veränderte sich auch die Arbeit der VOKS bzw. die sowjetische Kulturdiplomatie. Forcierte Industrialisierung und Kollektivierung sowie die stalinsche ‚Kulturrevolution‘ banden die VOKS einerseits in Propaganda-Kampagnen ein, die das Ende einer eher subtilen Kulturdiplomatie der 1920er markierten, andererseits machte sie ihre Zusammenarbeit mit der einheimischen Intelligenz sowie ausländischen Intellektuellen verdächtig. In der Spionagehysterie der großen Säuberungen 1937/1938 wurden wiederholt Mitarbeiter der VOKS verhaftet, so dass die Arbeit der Gesellschaft bis zum Ende der 1930er Jahre nahezu zum Erliegen kam.97 Erst im Verlauf des Zweiten Weltkriegs spielte die Gesellschaft wieder eine nennenswerte Rolle und diente wiederum der Politik angepassten Zielen: Einerseits suchte sie das Verhältnis zu den nun verbündeten westlichen Staaten über wiederbelebte kulturelle Kanäle zu verbessern, andererseits fungierte sie als Empfängerorganisation für westliche Hilfsgüter, die, etwa durch amerikanische Hilfsgesellschaften, in die Sowjetunion verschickt wurden.98 Nach Kriegsende allerdings führte der sich abzeichnende Kalte Krieg zu einer erneuten Abschottung. Die kulturpolitische Periode der Ždanovščina, benannt nach dem Leiter der außenpolitischen Abteilung des ZK der KPdSU Andrej Ždanov, führte dazu, dass die vorübergehende Liberalisierung der Kriegsjahre zurückgenommen, ja die Verfolgung alles als westlich Erachteten („Formalismus“, „ideologische Leere“) in Kunst und Kultur, etwa in der Kampagne wider den ‚Kosmopolitismus‘, zur lei-
96 David-Fox: Showcasing the great experiment, S. 30–46; Fayet, Jean-François: „VOKS. The third dimension of Soviet foreign policy“, in: Gienow-Hecht, Jessica C.E. und Mark C. Donfried (Hrsg.): Searching for a cultural diplomacy, New York u.a. 2010, S. 33–49, hier S. 33– 41. 97 David-Fox: „From Illusory ‚Society‘ to Intellectual ‚Public‘“, S. 30–32. 98 Barghoorn: The Soviet cultural offensive, S. 48–49.
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3 Freundschaftsverwaltung: Organisationen in Minsk und Berlin
tenden politischen Linie wurde.99 Nicht zufällig war auch die VOKS in den späten vierziger Jahren unter die Kontrolle Ždanovs und der Abteilung für Außenpolitik beim ZK der KPdSU geraten. Zeitgleich ergab sich mit dem wachsenden ideologischen Ost-West-Gegensatz und der dadurch abnehmenden Attraktivität der Sowjetunion für die westliche Öffentlichkeit eine neue Aufgabe für die VOKS: Sie sollte nun eine ganz wesentliche Rolle bei der Sowjetisierung der neu gewonnenen Einflusssphäre unter den Ländern Osteuropas spielen.100 Zu diesem Zweck entstanden in den osteuropäischen Ländern nach ihrer ‚Befreiung‘ durch die Rote Armee ganz ähnlich strukturierte Gesellschaften, die sich die Freundschaft zur Sowjetunion sogar in den Namen schrieben, so zum Beispiel in Polen die bereits 1944 gegründete Gesellschaft für polnisch-sowjetische Freundschaft. Dabei sollte jeweils der Eindruck einer spontanen Volksinitiative vermittelt werden; wahrscheinlich jedoch nahm die Sowjetunion über die lokalen zukünftigen kommunistischen Führungskreise Einfluss auf die Bildung solcher Gesellschaften. Diese sollten zunächst vor allem der Sowjetunionpropaganda unter der Bevölkerung dienen, die die neue Hegemonialmacht nur selten mit offenen Armen begrüßt hatte. Insbesondere galt dies für die sowjetisch besetzte Zone im besiegten Deutschland, wo es nicht nur nationalsozialistische Propagandabilder zu überwinden, sondern auch die Erfahrungen der Bevölkerung mit der einrückenden Roten Armee im Frühjahr 1945 zu kompensieren galt.101
3.1.2 Die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft: Aufbau einer Massenorganisation Schon unmittelbar nach Kriegsende entstanden in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) erste deutsch-sowjetische Gruppen bzw. Sektionen zum Studium der Sowjetkultur im Rahmen des im Sommer 1945 gegründeten Kulturbundes102. Ganz bewusst wollten diese meist nicht an die in der Weimarer Republik bestehenden, durch die KPD bzw. Kommunistische Internationale beeinflussten, Freundschaftsgesellschaften anknüpfen, sondern strebten „bündnispolitische Viel-
99 Suny, Ronald Grigor (Hrsg.): The Cambridge History of Russia. Bd. 3: The twentieth century, Cambridge u.a. 2006, S. 605–610. 100 David-Fox: Showcasing the great experiment, S. 322–323. 101 Vgl. zur Freundschaftspropaganda in Polen und der SBZ/DDR und zur Arbeit der dortigen Freundschaftsgesellschaften: Behrends: Erfundene Freundschaft, S. 101–107, 149–166. 102 Der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands verstand sich als eine antifaschistische Vereinigung mit dem Ziel der ‚demokratischen‘ Umerziehung der (ost)deutschen Intelligenz; gegründet hatten ihn überwiegend aus dem Exil zurückgekehrte kommunistische Intellektuelle, erster Präsident wurde Johannes R. Becher. Der Kulturbund entwickelte sich schließlich zu einer Massenorganisation der DDR, dem zahlreiche kulturelle Vereine und Sektionen untergeordnet wurden. Als Massenorganisation entsandte der Kulturbund auch Abgeordnete in die Volkskammer. Vgl. zum Kulturbund: Dietrich, Gerd: „Kulturbund“, in: Stephan, Gerd-Rüdiger u. a. (Hrsg.): Die Parteien und Organisationen der DDR. Ein Handbuch, Berlin 2002, S. 530–559.
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falt“103 an, um so eine breite Öffentlichkeit anzusprechen. Um spontane ‚Volksinitiativen‘ hatte es sich auch hier nicht gehandelt: Beim Kulturbund auf der einen Seite handelte es sich um einen Zusammenschluss vornehmlich linker/ kommunistischer Intellektueller, städtische Klubs und Zirkel auf der anderen Seite entstanden meist unter Forcierung durch die sowjetische Besatzungsmacht oder deutsche kommunistische Parteikreise.104 Schließlich entstand am 25. Juli 1947 eine zentrale Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion, bei der wiederum der Eindruck einer deutschen Initiative von unten erweckt werden sollte. Tatsächlich handelte es sich aber wohl erneut um eine sowjetische Entscheidung. Gleiches galt vermutlich auch für die Ernennung Jürgen Kuczynskis zum ersten Präsidenten der neuen Gesellschaft. Kuczynski, ein Wirtschaftshistoriker und seit 1930 Mitglied der kommunistischen Partei, war nicht im Moskauer Exil gewesen und vermittelte somit nicht unmittelbar den Eindruck der ‚Moskauhörigkeit‘.105 Dabei ging es der sowjetischen Seite mit der neuen Organisation nicht nur darum, ein positives Sowjetunionbild zu vermitteln, sondern auch möglichst breite Kreise der Bevölkerung anzusprechen, so Oberst Sergej Tjul’panov, Leiter der Abteilung für Propaganda und Information der Sowjetischen Militäradministration (SMAD)106, bei einer Rede anlässlich der Gründungsversammlung der Gesellschaft. Dass die sowjetische Seite ein recht breites Verständnis von Kultur hatte, wurde dabei ebenfalls deutlich: So ginge es eben nicht nur um die „große und führende Rolle“ der russischen (sic!) Kultur in der Sowjetunion, vielmehr bedeute Kultur auch „verstehen, wie der Staat gebildet wurde, also die Lehre des Staates von Marx und Lenin.“107 In diesen Formulierungen war implizit bereits angelegt, was die Arbeit der Gesellschaft auch später ausmachen sollte: Die Vermittlung der ‚Sowjetkultur‘ beinhaltete eben nicht nur klassische kulturell-künstlerische Bereiche, sondern erstreckte sich vielmehr auf den gesamten sozialistischen Aufbau, damit auch auf ökonomische und nicht zuletzt auch politisch-ideologische Fragen.108 Kuczynski dagegen hielt in seiner eigenen Rede (noch) an einem engen Kulturbegriff fest. So solle das Studium der sowjetischen Kultur in Form von Romanen, Gedichten, wissenschaftlichen Publikationen, Theaterstücken usw. dazu beitragen, die jahrzehntelang entstandene ablehnende Haltung der Deutschen gegenüber der Sowjetunion abzubauen – und somit nicht zuletzt für einen kulturellen und moralischen Neuanfang sorgen.109
103 Hartmann/Eggeling: Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, S. 24. 104 Kuhn: Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, S. 43–53; Dralle: Von der Sowjetunion lernen, S. 55–60, 90–96. 105 Hartmann/Eggeling: Sowjetische Präsenz, S. 238f. 106 Vgl. zu Tjul’panov etwa: Naimark, Norman M.: The Russians in Germany. A history of the Soviet Zone of occupation, 1945–1949, Cambridge, Mass. 1995, Kap. 6. 107 Zitiert nach: Kuhn: Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, S. 58. 108 Hartmann/Eggeling: Sowjetische Präsenz, S. 256–258. 109 Kuhn: Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, S. 57ff.
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Hinter diesen zunächst unterschiedlichen Kulturbegriffen lässt sich durchaus eine Strategie vermuten.110 Während Kuczynskis Rede nämlich in der Tagespresse veröffentlicht und somit unmittelbar der deutschen Bevölkerung zugänglich gemacht wurde, konnten Tjul’panovs Ausführungen erstmals in einer Dissertation zur Geschichte der Freundschaftsgesellschaft aus dem Jahre 1973 nachgelesen werden.111 Wahrscheinlich handelte es sich hier um eine (vorübergehende) Anpassung an gesellschaftliche Realitäten: So war der Bevölkerung schwerlich zu vermitteln, dass die „Russen“ plötzlich zu Freunden, ausgerechnet die Sowjetunion zum großen Vorbild in allen Lebensbereichen werden sollte. Eine Beschäftigung mit der scheinbar unverfänglichen sowjetischen Kultur erschien demgegenüber wesentlich leichter durchsetzbar. Neben allgemeinen Bemühungen zur Verbesserung des Sowjetunionbildes gab es zu diesem Zeitpunkt noch einen weiteren Grund für die Initiierung einer zentralen Freundschaftsgesellschaft: Mit der zunehmenden Konfrontation zwischen den Siegermächten und dem beginnenden Kalten Krieg wurde eine positive Beeinflussung der ostdeutschen Bevölkerung zugunsten eines sozialistischen Staatswesens unter Anlehnung an die UdSSR noch deutlich wichtiger, sowohl für das Auftreten der Sowjets innerhalb der eigenen Besatzungszone als auch für die Außendarstellung. Insbesondere Richtung Westen sendete die Gründung einer deutsch-sowjetischen Freundschaftsgesellschaft auf vordergründig deutsche Initiative hin deutliche Signale.112 Dass jedoch auch die Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion zunächst wenig Einfluss auf die antisowjetischen Stimmung unter der Bevölkerung ausüben konnte, zeigt beispielsweise die bereits im Folgejahr lancierte Kampagne „Über ‚die Russen‘ und über uns“.113 Anlass dieser Propagandaoffensive war ein deutlicher Anstieg der antisowjetischen Stimmung infolge der Berlin Blockade im Herbst 1948 gewesen; die Kampagne sollte dazu beitragen, den diesbezüglichen Unmut der Bevölkerung aufzufangen. Was zunächst noch den Anschein einer offenen Diskussion gehabt hatte – zum Beispiel innerhalb öffentlicher Diskussionsabende, zur denen unter anderen auch die Studiengesellschaft eingeladen hatte – entwickelte sich jedoch schnell zu einer Art ‚Unterweisung‘ im richtigen Verhalten gegenüber den sowjetischen Freunden 110 Zu dieser These vgl. Dralle: Von der Sowjetunion lernen, S. 126f; auch: Kuhn: Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, S. 60–62. 111 Petersdorf, Jutta: Die Rolle der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft bei der Entwicklung und Festigung der Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen DDR und UdSSR (1947–1955), Berlin (Ost): Humboldt-Universität Diss. 1973; siehe dazu Kuhn: Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, S. 61. 112 Kuhn: Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, S. 61–62; Hartmann/Eggeling: Sowjetische Präsenz, S. 238–239. 113 Den Beginn der Kampagne markierte ein gleichnamiger Artikel von Rudolf Herrnstadt, Chefredakteur des Neuen Deutschland, den dieser am 19. November 1948 in ebendiesem Blatt veröffentlicht hatte. Darin griff er zwar tatsächliche Probleme im schwierigen Verhältnis Besatzer – Besetzte auf, führte diese jedoch auf eine „unzulängliche“ Haltung gegenüber der Sowjetunion zurück und verwies auf die Bringschuld der deutschen Arbeiterschaft nach ihrer Passivität in den Jahren des Nationalsozialismus. Vgl. dazu: Hartmann/Eggeling: Sowjetische Präsenz, S. 108–109.
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und Befreiern. Zwar wurden vergangene und bestehende Missstände zum Teil angesprochen – Vergewaltigungen und Plünderungen, das nach wie vor nicht gelöste Kriegsgefangenenproblem, die ungerechte Zuteilung von Lebensmitteln zugunsten von Funktionären etc. –, letzten Endes wurden Fragen aber nur ausweichend oder mit dem Hinweis auf die ‚Bringschuld‘ der deutschen Arbeiterschaft gegenüber den sowjetischen Befreiern beantwortet. Obwohl die mehrmonatige Debatte als psychologischer ‚Blitzableiter‘ für den Ärger innerhalb der Bevölkerung wirkte und der Gesellschaft sogar wachsende Mitgliederzahlen bescherte, verhinderte sie allerdings eine offene Auseinandersetzung mit Verfehlungen auf beiden Seiten.114 Mit dem Umbau des gesellschaftlichen und politischen Systems der SBZ nach sowjetischem Vorbild ging schließlich ab 1949 der Ausbau der Studiengesellschaft zur Massenorganisation einher, wie ihn die SED auf ihrer 1. Parteikonferenz im Januar desselben Jahres gefordert hatte. Da der bisherige Name, Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion, eher Vertreter aus Kunst, Kultur und Wissenschaft und kaum breite Bevölkerungskreise angesprochen hatte, erhielt die Gesellschaft schließlich einen neuen Namen. Damit verschob sich der Akzent vom Kulturstudium hin zur breitenwirksameren Freundschaftsgesellschaft. Die nun Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) genannte Organisation erfuhr in den Folgejahren, bedingt auch durch verschiedene Werbemaßnahmen in Zusammenarbeit115 mit anderen Massenorganisationen, enormen Zulauf, so dass bereits Anfang 1950 die Marke von einer Million Mitgliedern erreicht wurde.116 Auch wenn die Parteigeschichtsschreibung den Grund für den sprunghaften Anstieg der Freundschaft zur Sowjetunion zumindest rhetorisch in den Beschlüssen der 1. Parteikonferenz sah117, sagen diese Zahlen und auch die Erfolgsmeldungen späterer Jahre nur bedingt etwas über das tatsächliche Verhältnis zur Sowjetunion aus. Die Gründe für eine Mitgliedschaft in der DSF waren für viele DDR-Bürger in erster Linie pragmatische: So wirkte sich die Mitgliedschaft positiv auf die Kaderakte aus und galt für viele als ‚kleinstes Übel‘ in Bezug auf gesellschaftliches Engagement. Bis Anfang der 1980er Jahre konnte so immerhin jeder zweite DDR-Bürger über 14 Jahre für die DSF gewonnen werden.118 Dies gelang unter anderem auch durch eine allgegenwärtige organisatorische Struktur: Zahllose Betriebs-, Orts- und Studiengruppen erfassten nahezu flächendeckend 114 Ebd., S. 108–111. 115 Tatsächlich wurden, gemäß dem politischen Willen der SED, andere Massenorganisationen auch gegen den Willen der leitenden Funktionäre eingespannt. Verlief etwa die Zusammenarbeit mit der FDJ recht gut und bescherte in kurzer Zeit zahlreiche junge Neumitglieder, so war ausgerechnet der FDGB zunächst kaum bereit, der DSF den wichtigen Weg in die Betriebe zu öffnen; vgl. dazu: Ebd., S. 245–247. 116 Kuhn: Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, S. 86–89; Hartmann/Eggeling: Sowjetische Präsenz, S. 243–247. 117 „Im Ergebnis der Beschlüsse der 1. Parteikonferenz entwickelte sich in der Bevölkerung der damaligen sowjetischen Besatzungszone der Gedanke der deutsch-sowjetischen Freundschaft immer stärker.“, zitiert nach: Hartmann/Eggeling: Sowjetische Präsenz, S. 248. 118 Kuhn: Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, S. 88–92 u. 122.
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das gesamte Land; Landesvorstände bzw. später Bezirksvorstände vermittelten zwischen diesen Grundorganisationen und dem Zentralvorstand in Berlin. Letzterer verfügte über unterschiedliche thematische Sektionen und Abteilungen, darunter auch eine Abteilung für internationale Verbindungen; das Präsidium mit dem Präsidenten schließlich übernahm die Leitungsfunktion. Bis zur ihrer Auflösung wurde die Struktur der Gesellschaft, insbesondere des Zentralvorstandes, mehrfach umgestellt und an die Anforderungen der Arbeit angepasst.119 Seit ihrer Gründung 1947 hatte zunächst die Studiengesellschaft, später dann die DSF versucht, die Beziehungen zur VOKS aus Zeiten der Weimarer Republik wieder herzustellen. War die erste Kontaktaufnahme zunächst durchaus positiv verlaufen, so zeigten sich in der weiteren Zusammenarbeit jedoch zahlreiche, vor allem organisatorische Probleme: Zum einen kam es anfangs kaum zu unmittelbaren Kontakten zwischen beiden Gesellschaften; alle Briefe, Material- und Informationssendungen liefen zunächst über die zuständigen SMAD-Stellen, die jede Anfrage einzeln beurteilen mussten und so erhebliche Zeitverzögerungen verursachten. Zum anderen beklagte die deutsche Seite wiederholt die Einseitigkeit des Austauschs: Während man von deutscher Seite versuchte, ein konkretes Bild des Lebens in der SBZ/DDR zu vermitteln, enthielt das sowjetische Material häufig nicht viel mehr als allgemeine Artikel, die wenig über das Leben der sowjetischen Bevölkerung aussagten. Erst Anfang der 1950er Jahre besserte sich diese Situation, als einerseits mehr direkte Beziehungen der VOKS zu den Landesgesellschaften der DSF geschaffen wurden, andererseits die Auslandsabteilung der DSF für eine bessere Arbeit umstrukturiert worden war. Trotzdem blieb die Zusammenarbeit in erster Linie schwerfällig und bürokratisch und hatte wenig mit jenem offenen, gegenseitigen Freundschaftsverhältnis gemein, wie es die DSF in ihrer Tätigkeit propagierte.120 Neben der allgemeinen sowjetischen Abschottung im Zuge der kulturpolitischen Phase der Ždanovščina sowie unter den Bedingungen des Spätstalinismus mochte dies auch mit dem Aufbau und den zahlreichen Aufgaben der VOKS zusammenhängen. So war die deutsche Freundschaftsgesellschaft aus Sicht der sowjetischen Verantwortlichen nur ein Partner unter vielen – noch dazu einer, auf den man (noch) nicht unbedingt zählen konnte, wie Tjul’panov ebenfalls anlässlich der Gründungsversammlung im Sommer 1947 deutlich gemacht hatte. So sei die Gründung einer korrespondierenden Gesellschaft auf sowjetischer Seite nicht beabsichtigt, denn: „Wir sind noch nicht soweit, um eine solche Gesellschaft zu gründen. Wir wissen noch gar nicht, wie die gesamte Entwicklung weitergeht und ob es wirklich ein echt demokratisches Volk wird […]“.121 Ging es hier also um eine Art ‚Bewährungsprobe‘, die man den Deutschen auferlegte oder um ein Ver-
119 Zur Struktur der Gesellschaft vgl. insbesondere Prieß, Lutz: „Die Gesellschaft für DeutschSowjetische Freundschaft (GfDSF)“, in: Stephan, Gerd-Rüdiger u. a. (Hrsg.): Die Parteien und Organisationen der DDR. Ein Handbuch, Berlin 2002, S. 617–636; Kuhn: Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, S. 63–85. 120 Hartmann/Eggeling: Sowjetische Präsenz, S. 259–262. 121 Zitiert nach: Dralle: Von der Sowjetunion lernen, S. 118.
3.2 Entstalinisierung und Détente
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sprechen für eine bessere Zukunft? Oder schien es aus sowjetischer Sicht zu gewagt, den eigenen Bürgern so kurz nach Kriegsende eine Freundschaftsgesellschaft mit dem ehemaligen Kriegsgegner zuzumuten? Relativ sicher scheint zumindest, dass es zu diesem Zeitpunkt tatsächlich keine Pläne für einen Umbau der Alluniongesellschaft VOKS gab, und dass eine eigene Freundschaftsgesellschaft für die Beziehungen zu den Deutschen keinesfalls in Planung war. Erst Ende der 1950er Jahre vollzogen sich tiefgreifende Veränderungen in der Arbeit der Freundschaftsgesellschaften, deren Ursachen in erster Linie im innen- wie außenpolitischen Wandel der Sowjetunion und im einsetzenden Tauwetter nach dem Tod Stalins zu suchen sind.
3.2 ENTSTALINISIERUNG UND DÉTENTE 3.2.1 Ein neuer Kurs in der auswärtigen Kulturpolitik Im März 1953 starb mit Josef Stalin der Mann, der die Geschichte der Sowjetunion mehr als zwei Jahrzehnte geprägt hatte und der dieser berüchtigten Zeit des Stalinismus seinen Namen gegeben hatte. Mit seinem unerwarteten Tod und dem dadurch entstandenen Machtvakuum vollzog sich in der Sowjetunion und im gesamten Ostblock ein Wandel, von dem sowohl die außenpolitischen Beziehungen zu westlichen Ländern als auch zu den Ostblockstaaten betroffen waren. Dabei setzten diese Veränderungen mitnichten erst mit dem für die Entstalinisierung nahezu synonym gewordenen XX. Parteitag der KPdSU 1956 ein, sondern begannen schon ganz unmittelbar nach dem Tod des Diktators.122 So leitete bereits die sich anschließende kollektive Führung unter Georgij Malenkov, Lavrentij Berija, Kliment Vorošilov und später Nikita Chruschtschow nicht nur das bekannte innenpolitische Tauwetter ein, sondern auch erste Schritte zu einer außenpolitischen Entspannung im Kalten Krieg. Dieser neue Kurs, der zunächst noch eher einer Kurskorrektur der (Außen-)Politik Stalins entsprach, entwickelte nach und nach eine eigene Dynamik, die ihren Höhepunkt in der Verkündung der Friedlichen Koexistenz durch den neuen Ersten Sekretär des ZK der KPdSU Nikita Chruschtschow im Jahre 1956 fand. Damit, so der russisch-amerikanische Historiker Vladislav Zubok, änderten sich zwar die Mittel und Strategien der sowjetischen Außenpolitik, nicht jedoch deren grundlegende Ziele. Oberstes Ziel aller sowjetischen Machthaber nach dem Zweiten Weltkrieg sei nach wie vor die Sicherung und Vergrößerung des sowjetischen Imperiums geblieben, das, in Form einer kollektiven sowjetischen Identität über alle Nationalitäten der Union hinweg, als rechtmäßige Errungenschaft nach dem historischen und opferreichen Sieg über das nationalsozialistische Deutschland verstanden wurde. Hatten Stalins isolatorische Außenpolitik und der sich 122 Plaggenborg, Stefan (Hrsg.): Handbuch der Geschichte Russlands. 1945–1991: Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion, Bd. 5, I, Stuttgart 2002, S. 278.
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zuspitzende Kalte Krieg im Westen vor allem Angst und damit Gegenreaktionen, wie etwa die Gründung der NATO, provoziert, so sollte ein neuer Kurs im Zeichen der Friedlichen Koexistenz das sowjetische Sicherheitsbedürfnis mit Hilfe mehrerer Schritte befriedigen: Zum einen sicherte 1955 die Gründung des Warschauer Paktes die Anbindung der so genannten Volksdemokratien in Mittelosteuropa, nicht zuletzt durch die damit erfolgte Legitimation der dort stationierten sowjetischen Truppen. Zweitens entstand mit der Neutralitätspolitik gegenüber Österreich, Schweden und Finnland sowie einer Verbesserung des Verhältnisses zu Jugoslawien ein weiterer Sicherheitsgürtel für den sowjetischen Einflussbereich. Ein dritter Schritt bezog sich ganz unmittelbar auf eine gesellschaftliche Öffnung gegenüber dem Westen und damit auf das Tätigkeitsfeld der Kulturdiplomatie; nicht zufällig besann sich die sowjetische Führung hier auf die Politik der 1920er Jahre. Hoffte man einerseits im wirtschaftlichen Bereich vom Austausch mit dem Westen zu profitieren – Import und Export von Waren, Import von technischem Know-How – bot sich vor allem der kulturelle Bereich zur Förderung einer (politischen) Annäherung an: Reisen sowjetischer Künstler, Wissenschaftler und Journalisten, nicht zuletzt involviert in Chruschtschows besondere Form der Reisediplomatie, markierten ebenso eine Öffnung Richtung Westen wie etwa die Durchführung der Weltjugendfestspiele in Moskau 1957.123 Daher erscheint es durchaus plausibel, von den Jahren 1953–1955 als einer Early Détente124 zu sprechen, einer Vorstufe zur späteren Entspannungspolitik unter Breschnew also, in der gerade die VOKS als Hauptakteurin im kulturellen Austausch eine wichtige Rolle spielte. Natalia Yegorova kommt dabei sogar zu dem Schluss, die VOKS sei einerseits wichtige Wegbereiterin für die Öffnung Richtung Westen, andererseits in ihrer Weiterentwicklung selbst bester Indikator für eben jene frühe Phase der Entspannung gewesen, die sich innen- und vor allem kulturpolitisch in der so genannten Tauwetterphase bemerkbar machte.125 Zwar blieb die VOKS nach wie vor politischen Zielsetzungen verpflichtet, gleichzeitig vollzog sich eine Öffnung der Freundschaftsgesellschaft in mehrerer Hinsicht: Hatten sich die Kulturkontakte in den Jahren zuvor im Wesentlichen auf die Darstellung sowjetischer Kultur und Politik im Ausland – auch in den Ostblockstaaten – konzentriert, so zeichnete sich jetzt ein Ende der kulturellen Einbahnstraße hin zu einem, freilich noch immer streng reglementierten, Austausch ab. Zudem änderte sich der Fokus der kulturellen Beziehungen Richtung Westen: Nicht nur die USA als größter machtpolitischer Konkurrent standen im Mittelpunkt des Interesses, vielmehr rückten nun auch die westeuropäischen Länder in den Fokus auswärtiger Kulturpolitik, nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus. Die wichtigste programmatische Änderung betraf die Zielgruppe der VOKS: Hatten sich bisher doch überwiegend linksorientierte Organisationen oder Persönlichkeiten des Westens als Kooperationspartner der VOKS etabliert, so erkannte man 123 Zubok, Vladislav M.: A failed empire. The Soviet Union in the Cold War from Stalin to Gorbachev, Chapel Hill 2007, S. 102–104; 336. 124 Vgl. dazu insbesondere Yegorova: „The All-Union Society“. 125 Ebd., S. 101.
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in der Parteiführung nun den unmittelbaren Nutzen von Kontakten zu breiteren gesellschaftlichen Schichten, somit auch bürgerlichen oder sogar staatlichen Organisationen.126 Als Instrument einer auswärtigen Kulturpolitik im Zeichen der Friedlichen Koexistenz schien die VOKS allerdings den Ansprüchen der politischen Führung nicht mehr zu genügen, nicht zuletzt wohl auch wegen ihres negativen Images als sowjetisches Propagandaorgan. Am 5. September 1957 wurde die Gesellschaft aufgelöst und im Februar des Folgejahres durch die Union der Sowjetischen Gesellschaften für Freundschaft und kulturelle Verbindungen mit dem Ausland (Sojuz sovetskich obščestv družby i kul’turnoj svjazi s zarubežnymi stranami, SSOD) ersetzt.127 Tatsächlich sind hinter dieser Entscheidung unterschiedliche Gründe zu vermuten, die mit der neuen außenpolitischen Doktrin der Friedlichen Koexistenz in engem Zusammenhang standen. Diese sollte, so die offizielle Definition, ein friedliches Zusammenleben „zwischen Staaten mit unterschiedlichem gesellschaftlichem Aufbau“ ermöglichen und eine „Absage an den Krieg als Mittel der Lösung strittiger Fragen zwischen Staaten“128 bedeuten. Wiewohl die Sowjetführung Vorwürfe zurückwies, es handele es sich dabei um ein bloßes „konjunkturbedingtes politisches Manöver“129, so stellte der sowjetische Außenminister Dmitrij Šepilov in einer Rede vor dem Obersten Sowjet im Februar 1957 dennoch klar: „Friedliche Koexistenz – das ist kein idyllisches Leben. […] Friedliche Koexistenz ist ein Ringen (bor’ba) ein politisches Ringen, ein wirtschaftliches Ringen, ein ideologisches Ringen.“130
Insbesondere mit diesem letzten ideologischen Punkt, nämlich einer „Verbesserung der sowjetischen Propaganda ins Ausland“, beschäftigte sich eine Präsidiumssitzung des ZK der KPdSU nur wenige Wochen später.131 Chruschtschow selbst machte dabei deutlich, dass gerade dieses Gebiet nicht unterschätzt werden dürfe, ja die Sowjetunion in dieser Hinsicht mindestens genau so viel leisten müsse wie die USA.132 126 Ebd., S. 93–98. 127 Gould-Davies: „Logic of Soviet Cultural Diplomacy“, S. 205–206; Yegorova: „The AllUnion Society“, S. 102. 128 A.E. Bobin: „Mirnoe sosuščestvovanie“, in: Prochorov, A.M.: Bol’šaja Sovetskaja Ėnciklopedija, 3. Aufl., Moskau 1969–1978, Bd. 16, S. 114–116. 129 Rede D.T. Šepilovs auf der VI. Sitzung des Obersten Sowjets der UdSSR „Fragen der internationalen Lage und der Außenpolitik der Sowjetunion“, in: Fursenko, Aleksandr Aleksandrovič (Hrsg.): Prezidium CK KPSS 1954–1964: černovye protokol’nye zapisi zasedanij, stenogrammy, postanovlenija, Bd. 2: Postanovlenija: 1954–1958, Archivy Kremlja, Moskva 2006, S. 543. 130 Ebd., S. 549. 131 Sitzungsprotokoll Nr. 78 des Präsidiums des ZK der KPdSU vom 21.2.1957 (Dok. 103), in: Fursenko, Aleksandr Aleksandrovič (Hrsg.): Prezidium CK KPSS 1954–1964: černovye protokol’nye zapisi zasedanij, stenogrammy, postanovlenija, Bd. 1: Černovye protokolʹnye zapisi zasedanij, stenogrammy, Archivy Kremlja, 2. Aufl., Moskva 2004, S. 230. 132 Ebd.
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Organisatorische Konsequenz dieser Erkenntnis war, neben der Umgestaltung der Freundschaftsgesellschaft, die Gründung eines Staatlichen Komitees für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland beim Ministerrat der UdSSR am 21.2.1957, das zwar den Anstrich eines rein staatlichen Organs erhielt, personell und bezüglich der Befehlsstrukturen jedoch unmittelbar dem ZK der KPdSU unterstand. 133 Damit war zwar die organisatorische Neugestaltung der auswärtigen Kulturbeziehungen vorbereitet, gleichzeitig wurde jedoch noch vor Gründung der SSOD die entscheidende und unmittelbare Einflussnahme durch die Partei gesichert.134 Im Rahmen oben genannter Sitzung vom 21. Februar hatte das Präsidium des ZK auch eine mehrseitige Vorlage erhalten, die sich mit „schweren Mängeln“135 in der außenpolitischen Propaganda und der Durchführung kultureller und wissenschaftlicher Kontakte einerseits, mit nötigen Maßnahmen zu deren Beseitigung andererseits beschäftigte. Kritisiert wurde insbesondere die schlecht koordinierte und wenig zielorientierte Arbeit derjenigen sowjetischen Ministerien und Organisationen, die sich mit Auslandspropaganda beschäftigten sowie deren überwiegend passiver, mehr reagierender als initiativer Charakter. Als Beispiel wurde die schwerfällige Reaktion auf die Ungarn-Krise 1956 angeführt, in deren Verlauf „reaktionäre Kreise der kapitalistischen Länder diese Ereignisse zur Abspulung wütender antisowjetischer und antikommunistischer Kampagnen benutzten“, während die eigene Auslandsinformation „nicht auf der Höhe“ gewesen sei.136 Fehler wurden jedoch nicht nur bei der Zusammenarbeit mit westlichen Ländern identifiziert. Auch die viel beschworene Partnerschaft mit den volksdemokratischen Ländern existierte oftmals nur auf dem Papier. So heißt es in der Vorlage, sowjetische Verwaltungen und Einrichtungen lehnten Anfragen zur kulturellen Zusammenarbeit aus diesen Ländern häufig nicht nur ohne Angabe von Gründen ab, sondern erteilten oft überhaupt keine Antwort. Zur Überwindung dieser Missstände und zur Etablierung einer kämpferischen, gleichzeitig aber flexiblen und entschlossen agierenden Propaganda setzte das Präsidium auf die Gründung des oben genann133 Vgl. dazu die Anmerkungen zu Dokument 103 in: Ebd., S. 993; Gould-Davies: „Logic of Soviet Cultural Diplomacy“, S. 206; sowie: Rosenberg: Soviet-American relations, 1953– 1960, S. 131. Die genauen Angaben zur Gründung des Komitees gehen dabei auseinander; während Fursenko die Gründung im Februar 1957 sieht, spricht Rosenberg vom Mai 1957. 134 Die Führungsspitze des Komitees setzte sich überwiegend aus Mitgliedern des Zentralkomitees zusammen, gleichzeitig sollten jeweils ein Stellvertreter des Außenministers und des Ministers für Kultur im Komitee sitzen. Während seines Bestehens geriet das Komitee dennoch häufig in Kompetenzschwierigkeiten mit dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, bis es schließlich 1967 aufgelöst und durch eine neue Abteilung für kulturelle Verbindungen innerhalb des Außenministeriums ersetzt wurde. Vgl. dazu: Vorlage zur Sitzung Nr. 78 des Präsidiums des ZK der KPdSU vom 21.2.1957: Anordnung des ZK der KPdSU „Über Maßnahmen zur Verbesserung der sowjetischen Propaganda ins Ausland“ (Dok. 103.1.1), in: Fursenko (Hrsg.): Postanovlenija, S. 578–579; Gould-Davies: „Logic of Soviet Cultural Diplomacy“, S. 206. 135 Vorlage zur Sitzung Nr. 78 des Präsidiums des ZK der KPdSU vom 21.2.1957: Anordnung des ZK der KPdSU „Über Maßnahmen zur Verbesserung der sowjetischen Propaganda ins Ausland“ (Dok. 103.1.1), in: Fursenko (Hrsg.): Postanovlenija, S. 576. 136 Ebd.
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ten Staatlichen Komitees, das die entsprechenden Kanäle koordinieren und gleichzeitig die beteiligten Institutionen zur „ernsthaften Einflussnahme […] auf die öffentliche Meinung und Stimmung verschiedenster Bevölkerungsschichten des Auslandes unter Beachtung der dortigen Besonderheiten und Bedürfnisse“ anleiten sollte.137 Anders gesagt wurde eine zielgruppenorientierte Auslandsinformation mittels kultureller Kontakte etabliert, die sich auf die besonderen Bedürfnisse und Interessen der Adressaten(-Länder) einstellen sollte. Somit unterlagen die frühe Entspannungspolitik der 1950er Jahre und der Wandel in den auswärtigen kulturellen Beziehungen, inklusive deren organisatorische Umgestaltung, offenbar vor allem dem Bestreben der Sowjetführung nach Erhalt und Erweiterung des sowjetischen Imperiums. Diese Interpretation passt auch zu den eher pessimistischen Annahmen der zeitgenössischen Cultural Diplomacy-Forschung, die in der Etablierung von Kulturkontakten seitens der UdSSR insbesondere Propagandazwecke und Beeinflussungsversuche gegenüber dem Westen vermutete.138 Dies deckt sich auf den ersten Blick auch mit den oben dargestellten Zielen der Auslandspropaganda, wie sie die Präsidiumsvorlage des ZK deutlich werden lassen. Gleichzeitig enthielt die neue außenpolitische Zielsetzung jedoch auch eine (durchaus friedliche) Wettbewerbskomponente: Nikita Chruschtschows bekannte Losung vom „Einholen und Überholen“ des Westens kann mitnichten nur als reine Propagandaphrase abgetan werden. Vielmehr gilt der Parteiführer in der Forschung als überzeugter Kommunist139, der daher nicht zufällig in seiner Zeit als Erster Sekretär neue, im wahrsten Sinne utopische Zeitpläne zum Aufbau des Kommunismus vorstellte und der Bevölkerung einen baldigen Übergang zu einem besseren Leben versprach. Gerade unter Intellektuellen führte dies, zusammen mit dem kulturpolitischen Tauwetter, zu einer umfassenden gesellschaftlichen Aufbruchsstimmung.140 Entsprechend schlug sich die neue Selbstwahrnehmung in den kulturellen Beziehungen nieder. Wirtschaftliche Erfolge und nicht zuletzt die Vorreiterrolle in der Raumfahrt hatten ein neues Selbstbewusstsein nicht nur bei der sowjetischen Führung geschaffen; es entstand das Gefühl, die Sowjetunion müsse sich mitnichten hinter dem Westen verstecken und könne somit auch direkte Kontakte riskieren, ja sogar gefahrlos vom Zugang zu westlichen Gesellschaften profitieren.141 Anders gesagt, der Glaube an die letztendliche Überlegenheit des eigenen Gesellschaftssystems führte zu einer freieren Auseinandersetzung mit dem ideologischen Gegner. Dass jedoch die These von einer Friedlichen Koexistenz langfristig nicht zu einem Ende der Konfrontation führte, ja dass das sowjetische Selbstbewusstsein sogar Konflikte mit dem Westen verstärkte, kann etwa an dem Verlauf der Kubakrise abgelesen werden, 137 Ebd., S. 577–578. 138 Barghoorn: The Soviet cultural offensive, S. 10–12. 139 Zur Person Chruschtschows bzw. seinem außenpolitischen Handeln vgl. Taubman, William: Khrushchev. The man and his era, New York u.a. 2003, insbesondere Kap. 13. 140 Vgl. dazu beispielsweise Pavlenko, Ol’ga: „Die Transformation des sowjetischen Mythos vom Kommunismus in der Epoche Nikita Chruščëvs (1953–1964)“, Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung (2012), S. 63–82. 141 Gould-Davies: „Logic of Soviet Cultural Diplomacy“, S. 200–204.
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die nach der relativen Entspannung Mitte der 1950er Jahre eine neue Phase des Kalten Krieges markierte.142 Ganz ähnlich gilt dies auch für die Beziehungen zu den Ostblockstaaten, wo sogar früher, und insbesondere in Ungarn 1956, die Grenzen der Entstalinisierung deutlich wurden. Zwar garantierte der 1955 als Reaktion auf die Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO gegründete Warschauer Pakt die „Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten“ seiner Mitgliedstaaten, spätestens mit der Ungarn-Krise zeigte sich aber, dass der Erhalt der sowjetischen Einflusssphäre nicht verhandelbar war. Gleichwohl zielte der Pakt auch auf „Freundschaft und […] Zusammenarbeit für die Weiterentwicklung und Festigung der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen untereinander“143, eine Formel, die angesichts der Geschehnisse in Ungarn durch eine sowjetische Regierungserklärung über „[…] die Prinzipien der Entwicklung und weiteren Stärkung von Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen der Sowjetunion und anderen sozialistischen Staaten“ vom 30. Oktober 1956 noch einmal bekräftigt wurde: So fände die Politik der Friedlichen Koexistenz „its deepest and most consistent expression in the mutual relations among the socialist countries.“144 Gleichzeitig versicherte die sowjetische Regierung, diese Beziehungen seien nur auf den Prinzipien von Gleichheit, Akzeptanz, territorialer Integrität und staatlicher Unabhängigkeit sowie Souveränität und gegenseitiger Nichteinmischung zu verwirklichen. Bezeichnenderweise galt jedoch als Vorbedingung dieser ‚gleichberechtigten‘ Partnerschaft: „Not only does this not exclude close fraternal cooperation and mutual aid among the countries of the socialist commonwealth in the economic, political and cultural spheres; on the contrary, it presupposes these things.“145
Wie die Sowjetführung indes auf die Ablehnung dieser brüderlichen wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Zusammenarbeit reagierte, ließ sich im ungarischen Fall am Einmarsch sowjetischer Truppen im November ablesen.146 Dennoch mag die Krise in Ungarn, zusammen mit anderen ‚Unruheherden‘ im sowjetischen Machtbereich, wie der Posener Aufstand vom Juni 1956 oder die Ereignisse des 17. Juni 1953 in der DDR und deren Folgen, zu einem Umdenken bezüglich der Beziehungen zu den Ostblockstaaten geführt haben. Hatten bis zum Tode Stalins freundschaftliche bzw. kulturelle Kontakte vor allem Gleichförmigkeit und detailgetreue Übernahme des sowjetischen Systems impliziert, so änderte 142 Altrichter, Helmut: Kleine Geschichte der Sowjetunion. 1917–1991, Beck’sche Reihe 1015, 3. Aufl., München 2007, S. 146–150. 143 Vgl. Art. 8 des Warschauer Vertrages: „Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand, 11.–14. Mai 1955“, http://www.1000dokumente.de/index.html?c=do kument_ru&dokument=0013_war&object=translation&st=&l=de (zugegriffen am 1.5.2017). 144 „Declaration by the Government of the USSR on the Principles of Development and Further Strengthening of Friendship and Cooperation Between the Soviet Union and Other Socialist States“, October 30, 1956 (Doc. No. 50), in: Békés, Csaba (Hrsg.): The 1956 Hungarian revolution. A history in documents, Budapest u.a. 2002, S. 300–302, hier S. 300. 145 Ebd. 146 Mastny, Vojtech (Hrsg.): A cardboard castle? An inside history of the Warsaw Pact, 1955– 1991, Budapest u.a. 2005, S. 8–9.
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sich dies zum Teil signifikant mit dem Tauwetter der 1950er Jahre. Nach wie vor blieb die Sowjetunion zwar die Leitfigur der sozialistischen Welt, gleichzeitig entstand aber ein gewisser Raum für Abweichungen, als deren äußeres Zeichen nicht zuletzt die Auflösung des Kominform im April 1956 gewertet werden kann. Und obwohl die militärische Lösung in Ungarn deutlich die Grenzen möglicher ‚Sonderwege‘ aufzeigte, blieb, auch nach dem Machtwechsel von Chruschtschow zu Breschnew, durchaus ein gewisser Spielraum erhalten.147 Dabei hatte sich gerade Chruschtschow gerne als Verfechter einer sozialistischen Völkerfreundschaft präsentiert: „Die Freundschaft und der Zusammenschluß der Völker gehören zu den großartigsten Erscheinungen, die der Sozialismus hervorgebracht hat. Gerade unter den Verhältnissen des Sozialismus erreicht die Völkerfreundschaft eine neue Stufe, erhält sie einen neuen Inhalt. […] Die Völkerfreundschaft wird aber nicht von selbst erstarken. Mißtrauen und Hader, die der Kapitalismus hervorgebracht hat, werden nicht verschwinden, falls unsere Parteien, falls alle bewußten Werktätigen keinen Kampf gegen sie führen. […] Die Beziehungen zwischen den sozialistischen Ländern […] gründen auf der völligen Gleichheit, der gegenseitigen Achtung, der brüderlichen Hilfe und Unterstützung. In unserer sozialistischen Familie sind alle gleich, jeder ist selbständig und hat das gleiche Stimmrecht.“148
Während also einerseits die gleichberechtigte Völkerfreundschaft als oberstes Ziel des Sozialismus beschworen wurde, erinnerte der erste Sekretär die „sozialistische Familie“ daran, dass an dieser Freundschaft stets gearbeitet werden müsse und somit nichts dem Zufall überlassen bleiben durfte. Von sowjetischer Seite hatte man mit der Gründung der SSOD und der Ausweitung des Netzes der Freundschaftsgesellschaften bereits einen ersten Schritt in diese Richtung getan.
3.2.2 Gründung der SSOD 3.2.2.1 Aufbau, Struktur, gesellschaftliche Funktion Im Jahr 1985 erschien anlässlich des 60jährigen Bestehens der sowjetischen Freundschaftsgesellschaft eine fast 300seitige Jubiläumsschrift, die sich mit der Geschichte der VOKS bzw. ihrer Nachfolgeorganisation, der Union der Sowjetischen Gesellschaften für Freundschaft und kulturelle Verbindungen mit dem Ausland (SSOD) beschäftigte. Die „Materialien zu 60 Jahren Union der sowjetischen Gesellschaften für Freundschaft und kulturelle Beziehungen mit dem Ausland“149 stellten in positivistischer Weise und überwiegend selbstreferentiell Erfolge und Leistungen der Organisation seit ihrer Gründung im Jahre 1925 dar. Obwohl durchaus Kontinuitäten in der Arbeit der Gesellschaft(en) seit dieser Anfangszeit betont wurden, vermerkte die Überblicksdarstellung doch eine deutliche Zäsur mit 147 Suny (Hrsg.): Cambridge History of Russia 3, S. 669, 673–682. 148 Rede auf dem Empfang in der sowjetischen Botschaft Bulgariens, 18.5.1962, in: Chruschtschow, N.S.: Über die wichtigsten Probleme der Gegenwart. Reden – Aufsätze von 1956–1963, Moskau 1963, S. 82–83. 149 SSOD (Hrsg.): Materialy k 60-letiju.
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der Gründung der SSOD im Jahre 1958. Interessanterweise bezog sie sich dabei weniger auf einen außenpolitischen neuen Kurs, sondern richtete den Blick nach innen auf die sowjetische Gesellschaft. So läge insbesondere im „Massencharakter“ der SSOD und der Beteiligung der sowjetischen Bevölkerung an ihrer Tätigkeit ein wichtiges Unterscheidungs- und Verbesserungsmerkmal gegenüber der Vorgängerorganisation. Ideologisch deterministisch begründeten dies die Verfasser in der stetigen Weiterentwicklung des Sozialismus, der ‚charakteristisch‘ zu einer immer stärkeren Ausbildung des leninschen Prinzips des Internationalismus führe, einer neuen Form der internationalen Beziehungen unter den Völkern/Werktätigen selbst. Praktisch musste dies die Einbeziehung der Bevölkerung in die internationalen (Kultur-)Kontakte bedeuten – eine These, die durch die Zunahme so genannter Aktive der Gesellschaft belegt werden sollte. Tatsächlich handelte es sich bei diesen Aktiven um Kollektivmitglieder der Freundschaftsgesellschaft(en), wie Betriebe, Kolchosen oder andere sowjetische Einrichtungen. Gesellschaftliches Engagement fand also nicht mehr auf individueller Basis statt, sondern über kollektive Mitgliedschaft etwa im Rahmen der Arbeitsstätte. Über diesen organisatorischen ‚Trick‘ entwickelten sich die Freundschaftsgesellschaften praktisch über Nacht zu Massenorganisationen.150 Dabei ist auch diese Entwicklung nicht losgelöst von anderen gesellschaftlichen Prozessen der Ära Chruschtschow zu sehen. So galt eine Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Bevölkerung und sowjetischer Führung, die Erziehung der Menschen zu mehr Partizipation im sowjetischen Staat nicht nur als Ausdruck der sozialistischen Demokratie, sondern auch als unabdingbarer Schritt zum Übergang zum Kommunismus, den der Parteiführer bereits für die 1980er Jahre anvisierte. Praktisch zeigte sich dies etwa in einer erneuten Stärkung der Rechte der Sowjets sowie in erweitertem Mitspracherecht der Arbeiter und Angestellten in der Produktion. Da jedoch gleichzeitig auch die Arbeit der Partei intensiviert wurde, unter anderem durch eine erhebliche Vergrößerung der Mitgliederzahlen, und diese die so genannten Aktive der Bevölkerung anleiten und steuern sollte, bot diese Entwicklung nicht nur die Chance, die Identifikation der Bevölkerung mit dem sowjetischen Parteistaat zu stärken, sondern eröffnete vielmehr der Parteipropaganda neue Kommunikationskanäle und Einflussmöglichkeiten151 – im Falle der Freundschaftsgesellschaften vornehmlich zur Vermittlung außenpolitischer Positionen und Interessen. Dass die starke Zunahme der Kollektivmitglieder/Aktive der Gesellschaften dabei mitnichten nur Ausdruck eines „Anwachsen(s) des politischen Bewusstseins des sowjetischen Volkes“ 152 war, wie es in den „Materialien“ dargestellt wurde, wird in späteren Kapiteln noch zu zeigen sein.
150 Ebd., S. 40. 151 Zu gesellschaftlichen Veränderungen in der Ära Chruschtschow vgl. Schröder, HansHenning: „‚Lebendige Verbindung mit den Massen.‘ Sowjetische Gesellschaftspolitik in der Ära Chruschtschow“, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 34/4 (1986), S. 523–560. 152 SSOD (Hrsg.): Materialy k 60-letiju, S. 39.
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Die Gründung der SSOD erfolgte, zumindest nach Darstellung des o.g. Werkes, auf Initiative und Beschluss verschiedener Freundschaftsgesellschaften. Dabei handelte es sich einerseits um neu gegründete Gesellschaften, die sich auf Kontakte zu einzelnen Ländern spezialisiert hatten, andererseits um Organisationen auf der Ebene einzelner Sowjetrepubliken. So sei eine erweiterte Vorstandssitzung der VOKS zu dem Entschluss gekommen, eine veränderte Form der Gesellschaft sei notwendig, um die neuen vielfältigen Aufgaben – Koordinierung von Organisationen mit Auslandskontakten, Umsetzung der außenpolitischen Ziele der KPdSU, internationalistische Erziehung der Werktätigen – bewältigen zu können. Am 17./18. Februar 1958 nahmen auf einer Allunionskonferenz der Freundschaftsgesellschaften mehr als 500 Delegierte das Statut der neuen Dachgesellschaft SSOD an und wählten deren leitende Organe: ein Schattentheater, das für die sowjetische Öffentlichkeit und ausländische Beobachter die Tatsache vertuschen sollte, dass das ZK der KPdSU bereits am 5. September 1957 den Beschluss über die Auflösung der VOKS und die Gründung der SSOD getroffen hatte.153 Abschließend heißt es dazu in den „Materialien“, die eine spontane Massenbewegung von unten zu suggerieren suchten: „Die edle Initiative der sowjetischen Öffentlichkeit fand volle Unterstützung und hohe Bewertung durch das ZK der KPdSU.“154 Auch die Struktur der neuen Dachgesellschaft ließ wenig Zweifel am entscheidenden Einfluss der Partei. Die Leitung der SSOD umfasste als oberstes Organ eine Unionskonferenz, die wiederum einen Rat als leitendes Gremium wählte. Ausführendes Organ zwischen den Sitzungen von Konferenz und Rat stellte ein Präsidium dar, das durch den Rat per Wahl bestimmt worden war.155 Erste Vorsitzende des Präsidiums wurde Nina V. Popova, Parteimitglied seit 1932 und später Mitglied des ZK der KPdSU, die im Jahr zuvor bereits den Vorsitz der VOKS übernommen hatte.156 Ebenfalls Mitglied des Präsidiums wurde der Schriftsteller Georgij/Jurij Aleksandrovič Žukov, der gleichzeitig Vorsitzender des Staatlichen Komitees für kulturelle Verbindungen beim Ministerrat war157 und somit dessen direkte Einflussnahme sicherstellte.158 153 Mikkonen: „Winning Hearts and Minds“, S. 141; Gould-Davies: „Logic of Soviet Cultural Diplomacy“, S. 205–206. 154 SSOD (Hrsg.): Materialy k 60-letiju, S. 40–42. 155 Statut des Verbandes Sowjetischer Gesellschaften für Freundschaft und kulturelle Verbindungen mit dem Ausland, Moskau 1958, SAPMO-BArch DY 32/10237, fol. 1576–1585, hier 1582–1584. 156 „Nina Vasil’evna Popova“, in: Prochorov: Bol’šaja Sovetskaja Ėnciklopedija, Bd. 20, S. 362. 157 Schreiben der SSOD an den ZV der DSF vom 27.3.1958, SAPMO-BArch DY 32/10953, fol. 375–387, hier 377. 158 Wie die Botschaft der DDR im September 1957 berichtete, diente das Staatliche Komitee insbesondere zur politischen Lenkung der verschiedenen Institutionen, die für kulturelle Kontakte mit dem Ausland zuständig waren. Unter anderen war auch die VOKS gegenüber dem Komitee zur Rechenschaft verpflichtet, so dass die Vermutung nahe liegt, dass dies auch für die SSOD beibehalten wurde. Somit sicherte das Komitee den direkten Einfluss der Partei auf die auswärtigen Kulturbeziehungen. Vgl. dazu: „Information über die Aufgabenstellung und Organisation des Staatlichen Komitees für kulturelle Verbindungen beim Ministerrat der
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Strukturell unterschied sich die neue Gesellschaft nur unwesentlich von der Vorgängerorganisation VOKS, umso mehr, als deren administrativer Apparat offenbar übernommen wurde.159 Wie auch die VOKS bestand die SSOD selbst aus unterschiedlichen Sektionen „verschiedenster Zweige der Wissenschaft und Kultur“. Dabei unterschieden sich die 16 Sektionen zum Teil erheblich in ihrer Mitgliederzahl sowie der Anzahl ihrer (überwiegend ehrenamtlichen) Mitarbeiter.160 Als Dachverband vereinte die SSOD ganz unterschiedliche Organisationen, die kulturelle Kontakte mit dem Ausland pflegten. Hier sind in erster Linie die Freundschaftsgesellschaften zu nennen, die teilweise schon vor Entstehung der SSOD gegründet worden waren: Waren einzelne Gesellschaften auf Ebene der Sowjetrepubliken bereits in den 1920er Jahren entstanden161, erfolgte die Gründung von einzelnen Ländergesellschaften vornehmlich in den Jahren 1957–1960. Im Jahr 1985 schließlich bestand die SSOD nach eigenen Angaben aus 77 Einzelgesellschaften (sowohl Republik- als auch Ländergesellschaften), mehr als 1300 Abteilungen in Gebieten, Regionen und Städten der UdSSR, rund 31 000 Grundorganisationen in Unternehmen, Verwaltungen, Einrichtungen und Kolchosen/Sowchosen (Kollektivmitglieder) sowie 13 beruflichen bzw. kulturellen Assoziationen (so zum Beispiel die Assoziation sowjetischer Juristen, die Assoziation Theaterschaffender u. a.). Als Individualmitglieder kamen herausragende Persönlichkeiten aus Kunst, Kultur und Wissenschaft in Frage.162 Seit ihrer Neugründung 1958 kann die Freundschaftsgesellschaft mit ihren verschiedenen Ablegern als Massenorganisation im leninschen Sinn bezeichnet werden. Als solche erfüllte sie mehrere Zwecke: Zum einen die klassische Funktion als ‚Transmissionsriemen‘ zwischen Partei/Avantgarde und Masse der Werktätigen, unter denen auf diesem Wege vor allem die neue außenpolitische Zielsetzung der Partei- und Staatsführung verbreitet werden sollte. Zum anderen entsprach es dem neuen Selbstbewusstsein der politischen Führung und der Doktrin der Friedlichen Koexistenz, Vergleiche mit dem Westen durchaus zuzulassen und den friedlichen Wettbewerb auch und gerade auf dem Gebiet der Kultur vor den Augen der Bevölkerung zu fördern. Gerade im Ausland sollte umgekehrt die Massenmitgliedschaft der sowjetischen Bevölkerung in den verschiedenen Freund-
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UdSSR“ für das ZK der SED, Büro Alfred Kurella vom 6.9.1957, SAPMO-BArch DY 30/IV 2/2.026/16, unpag. Aktenvermerk der DDR-Botschaft in Moskau über eine Aussprache in der VOKS, 14.1.1958, SAPMO-BArch DY 32/148, pag. 214–218, hier 215. Größte Sektion war, mit 193 Mitgliedern und 66 Mitarbeitern des Büros, die Landwirtschaft. Daneben gab es noch folgende Sektionen, deren Subsumierung unter „Kulturkontakte“ wiederum den breiten Kulturbegriff der auswärtigen Kulturpolitik verdeutlicht: Architektur, Bildende Kunst, Theater, Kinematographie, Musik, Medizin, Pädagogik, Wissenschaftlichtechnische Sektion, Gesellschaftswissenschaften, Ostkunde, Naturkunde, Recht, Ökonomische-, Philosophische und Rechtswissenschaften, Literatur und Kunst für Kinder, Fotosektion. Vgl. dazu: Information über die Sektionen der SSOD, ohne Datum, SAPMO-BArch DY 32/10237, fol. 1630–1634. So existierten in den 1920er Jahren bereits eine ukrainische, belorussische und transkaukasische Gesellschaft. Vgl. dazu: SSOD (Hrsg.): Materialy k 60-letiju, S. 13–14. Ebd., S. 45.
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schaftsgesellschaften nicht nur eine Öffnung, sondern auch eine demokratische Beteiligung der Sowjetbürger demonstrieren. Insbesondere für die Beziehungen zu den Staaten der Dritten Welt – die seit der Ära Chruschtschow für die geostrategischen Überlegungen der Sowjetführung zunehmend wichtiger wurden – dürfte diese Außenwirkung nicht zu unterschätzen sein.163 Nicht zuletzt sendete die massenhafte Mitgliedschaft der sowjetischen Bevölkerung in Freundschaftsgesellschaften auch Signale in Richtung der sozialistischen Verbündeten: Ganz im Sinne des sozialistischen Internationalismus suggerierte die Entstehung einzelner Ländergesellschaften, und damit exklusiver Partnerorganisationen für die jeweiligen Freundschaftsgesellschaften in den Ostblockstaaten, eine neue Form der Partnerschaft auf Augenhöhe, die sich auch in der Benennung der neuen sowjetischen Organisationen niederschlug, die nun ebenfalls die Freundschaft explizit im Namen trugen.
3.2.2.2 Ein deutsch-sowjetischer Neuanfang? Die Gesellschaft für SowjetischDeutsche Freundschaft Hatte Sergej Tjul’panov, Leiter der Abteilung für Information und Propaganda der SMAD, noch 1947 anlässlich der Gründung der Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion verkündet, eine entsprechende Länderorganisation auf sowjetischer Seite sei nicht vorgesehen, so eröffneten sich der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft ab 1958 unverhoffte Perspektiven für eine kulturelle Zusammenarbeit mit der Sowjetunion. War die DSF bis zu diesem Zeitpunkt nur eine von vielen Partnern der VOKS gewesen, so erhielten im Zuge der Umgestaltung auch die Deutschen einen eigenen Partner: Bereits am 8. Januar, also noch vor Entstehen der SSOD, verkündete die gesamtsowjetische Parteizeitung Pravda die Gründung einer eigenen sowjetisch-deutschen Freundschaftsgesellschaft, der Gesellschaft für Sowjetische-Deutsche Freundschaft und kulturelle Verbindungen (Obščestvo sovetsko-germanskoj družby i kul’turnoj svjazi, SDF), die auf einer Gründungsversammlung am Vorabend in Moskau stattgefunden habe. Auch hier habe es sich, so die Zeitung, wieder um den Vorschlag einer Initiativgruppe gehandelt, der „in der sowjetischen Öffentlichkeit einen breiten Widerhall“ gefunden habe.164 Bereits eine Woche später informierten sich Mitarbeiter der Botschaft der DDR in Moskau in einem vertraulichen Gespräch in der VOKS über Struktur und Aufgaben der neuen Gesellschaft. Der Schwerpunkt der Arbeit, so der Leiter der Deutschlandabteilung der VOKS, läge in der „Aufklärung“ der breiten Masse der Werktätigen über Deutschland respektive die Sowjetunion. Be-
163 Zu den Beziehungen der Sowjetunion zu den Staaten der so genannten Dritten Welt vgl. beispielsweise: Hilger, Andreas (Hrsg.): Die Sowjetunion und die Dritte Welt. UdSSR, Staatssozialismus und Antikolonialismus im Kalten Krieg, 1945–1991, Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 99, München 2009. 164 Pravda-Artikel vom 8.1.1958, abgedruckt in Freundschaft in Aktion, Heft 2, 1958, S. 8–9, SAPMO-BArch DY 32/2020, unpag.
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sonderes Augenmerk richtete der Botschaftsbericht auf die implizierte deutsche Frage: So bezog sich die neue Gesellschaft eben nicht nur auf die DDR, sondern war auch für den westlichen Teil Deutschlands zuständig. Gerade über diese Tatsache, so der VOKS-Mitarbeiter weiter, habe es längere Debatten gegeben, und die Gründung zweier Gesellschaften, UdSSR-DDR einerseits, UdSSR-BRD andererseits, sei ebenfalls im Gespräch gewesen. Schließlich habe man sich für die Bildung einer einzigen Organisation entschieden, denn es ginge dabei vor allem um die „[…] Vertiefung der Freundschaft zwischen dem sowjetischen und dem deutschen Volk […] und eine Teilung des deutschen Volkes [sei] in diesem Falle nicht gerechtfertigt […]. Es gäbe nach wie vor ein deutsches Volk, das nach der Vereinigung der beiden bestehenden deutschen Staaten strebe.“165
Kulturkontakte sollten also auch hier (noch) nicht realisierbaren politischen Konzepten vorweggreifen, ging doch das sowjetische deutschlandpolitische Konzept zu diesem Zeitpunkt zumindest offiziell noch von der Wiedervereinigung als zukünftiger Ideallösung aus.166 Dies änderte sich zwar mit dem Berlin-Ultimatum, das die Drei-Staaten-Lösung (DDR, BRD, ein neutrales und eigenständiges Westberlin) vorsah, hatte zunächst aber keinerlei Auswirkungen auf die Form der Gesellschaft. Diese wurde erstaunlicherweise erst 1965 und damit ganze vier Jahre nach dem Mauerbau organisatorisch umgestaltet und den politischen Realitäten angepasst. Auf dem II. Allunionskongress, der vom 24.–25. Februar 1965 in Moskau stattfand, erfolgte „gemäß der politischen Lage“ die Umbenennung in Sowjetische Gesellschaft für Freundschaft mit der DDR (Sovetskoe obščestvo družby s
165 Vertraulicher Aktenvermerk über eine Aussprache in der VOKS am 14.1.1958, SAPMOBArch DY 32/148, fol. 214–218, hier 217. 166 Möglicherweise gab es aber auch andere Ursachen für die Gründung einer gesamtdeutschen Gesellschaft. So beklagte eine Vertreterin der SSOD gegenüber einer DDR-Delegation im August 1965 die äußerst schleppende Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik, die durch die westdeutschen Behörden behindert würde. Ferner äußerte sie die Bitte, die DSF möge ihre Möglichkeiten überprüfen, bei der propagandistischen Arbeit der UdSSR Richtung Westdeutschland behilflich zu sein. Vgl. dazu Bericht der Arbeitsgruppe Heckel, Fischmann, Stein und Wolf über den Besuch der „Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft der UdSSR“ vom 5.8.1959, SAPMO-BArch DY 32/4570, fol. 1405–1411. Diese These deckt sich auch mit der Tatsache, dass schon seit den 1950er Jahren die DSF die ‚Westarbeit‘ der VOKS in der Bundesrepublik wesentlich unterstützte, da dort die Tätigkeit deutsch-sowjetischer Freundschaftsgesellschaften de facto verboten war. Allerdings führte diese Zusammenarbeit mit der DDR gleichzeitig auch dazu, das Misstrauen westdeutscher Behörden zu erhöhen, die, gemäß dem bundesdeutschen Alleinvertretungsanspruch, auf ‚kulturelle Infiltration‘ durch die DDR noch empfindlicher reagierten. Insofern dürfte die Abwägung zwischen einer gemeinsamen oder zwei getrennten deutschen Gesellschaften den sowjetischen Verantwortlichen nicht leicht gefallen sein. Zur kulturellen Zusammenarbeit der Sowjetunion mit der Bundesrepublik in den 1950er Jahren vgl. Donig: „Kulturaustausch oder Propaganda? Westdeutsche Reaktionen auf die sowjetische auswärtige Kulturpolitik in den fünfziger Jahren“; Donig: „Reisen ins ‚Arbeiterparadies‘“.
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GDR, SGDDR).167 Dies dürfte in jedem Fall im Interesse der DDR-Führung gewesen sein, die, insbesondere nach dem Bau der Mauer, für eine strikte Abgrenzung von der Bundesrepublik eintrat. Ein Mitspracherecht der DDR in dieser Sache kann allerdings wohl ausgeschlossen werden, zumal es das Sekretariat der DSF war, das die Abteilung für Internationale Verbindungen beim ZK der SED Anfang Februar 1965 über eine geplante Umbenennung informierte und eben nicht umgekehrt.168 Strukturell sollte die Sowjetisch-Deutsche Freundschaftsgesellschaft stark der VOKS bzw. SSOD ähneln und wie diese in verschiedene thematische Sektionen aufgeteilt werden. Auch administrativ blieb sie eng an die Dachgesellschaft angegliedert. Ein gewählter Vorstand unter Leitung des Schriftstellers und Vorsitzenden des Schriftstellerverbandes der UdSSR (ab 1959) Konstantin A. Fedin169 bildete das Sekretariat, für das jedoch nur ein bis zwei hauptamtliche Mitarbeiter vorgesehen waren. Die übrigen Mitglieder waren ehrenamtlich tätig; administrative Aufgaben wurden weiterhin durch die VOKS/SSOD übernommen.170 Dass die Gesellschaft jedoch anfangs mit der Erledigung ihrer vielfältigen Aufgaben überfordert war, zeigt ein politischer Brief des DDR-Botschafters, der die Entwicklung der neu gegründeten Gesellschaft verfolgte. Demnach seien die Mitarbeiter der Gesellschaft kaum in der Lage, die Arbeit der Kollektivmitglieder zu koordinieren; umgekehrt seien auch die Kollektivmitglieder selbst noch ohne Leitungsgremien. Offenbar genervt von diesen Schwierigkeiten und der Tatsache, dass die Botschaft selbst dadurch zu stark in die organisatorische Arbeit der Gesellschaft eingebunden würde, schlug er deshalb vor, die sowjetischen Kollegen stärker mit der Arbeit der Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft in der DDR vertraut zu machen. Deren Tätigkeit könne hier durchaus als Vorbild dienen. Ob diese Idee den sowjetischen Verantwortlichen derart unverblümt angetragen wurde, darf indes bezweifelt werden… Insgesamt blieb der deutsche Einfluss auf die sowjetische Seite vor allem in dieser Anfangszeit begrenzt. Drängte der Botschafter gegenüber der sowjetischen Gesellschaft etwa auf die Einrichtung fester jährlicher Arbeitspläne und damit auf ein besser organisiertes Vorgehen, zeigten sich 167 Vgl. dazu die Artikel „Kulturelle Zusammenarbeit“, Neues Deutschland, 26.2.1965 sowie „Eine Freundschaft von Mensch zu Mensch. 10 Jahre UdSSR-Freundschaftsgesellschaft mit der DDR“, Berliner Zeitung, 7.1.1968, beide SAPMO-BArch DY 32/2020, unpag. 168 Schreiben des Sekretariats der DSF, Franz Fischer, an Peter Florin, Abt. Internat. Verb. beim ZK der SED vom 12.2.1965, SAPMO-BArch DY 30/IV A 2/20/153, unpag. 169 Konstantin Fedin, (1892–1977) russischer Schriftsteller, lebte während des Ersten Weltkriegs wegen einer Zwangsinternierung mehrere Jahre in Deutschland und verarbeitete diese Erlebnisse auch in seinem literarischen Werk. Fedin war nicht nur Vorsitzender der Gesellschaft für Sowjetisch-Deutsche Freundschaft, sondern seit 1959 auch Vorsitzender des Schriftstellerverbandes der UdSSR sowie Deputierter des Obersten Sowjets der UdSSR. Vgl. dazu „Konstantin Aleksandrovich Fedin (Soviet writer)“, Encyclopædia Britannica Online, http:// www.britannica.com/biography/Konstantin-Aleksandrovich-Fedin (zugegriffen am 1.5.2017); B.Ja. Brajnina: „Konstantin Aleksandrovič Fedin“, in: Prochorov: Bol’šaja Sovetskaja Ėnciklopedija, Bd. 27, S. 255–256. 170 Vertraulicher Aktenvermerk über eine Aussprache in der VOKS am 14.1.1958, SAPMOBArch DY 32/148, fol. 214–218, hier 215.
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die sowjetischen Kollegen ablehnend. Zwar durfte man von deutscher Seite durchaus berechtigt auf eine Verbesserung der gegenseitigen Kulturbeziehungen hoffen, Geschwindigkeit und Fortgang der Entwicklung bestimmte jedoch zweifelsfrei die sowjetische Seite.171 Die letzte Entscheidungsbefugnis über die Arbeit der sowjetisch-deutschen Gesellschaft dürfte auch hier vom Staatlichen Komitee für kulturelle Verbindungen und damit von den höchsten Parteigremien ausgegangen sein. Die VOKS bzw. SSOD fungierte dabei als Vermittler und vorgeschaltetes Kontrollorgan. Auch eine gezielte Besetzung der Leitungsgremien diente der Anbindung an die Parteipolitik. So gehörten der Leitung der SDF zwar durchaus Persönlichkeiten aus dem kulturellen und wissenschaftlichen Bereich an (Mitglieder des Komponisten- und Schriftstellerverbandes der UdSSR, Volkskünstler, Musiker, Mitglieder der Akademie der Wissenschaften u. a.), gleichzeitig aber auch Parteifunktionäre, Kader aus staatlichen Organen und Ministerien (Oberster Sowjet, Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Ministerium für Kultur usw.) sowie leitende Vertreter der sowjetischen Wirtschaft. Die Aufnahme einfacher Werktätiger aus Industrie und Landwirtschaft vervollständigten dagegen das Bild einer breiten Vertretung der sowjetischen Gesellschaft nach außen.172 Insgesamt handelte es sich um einen klar zentralistischen Aufbau; die Lenkung ging vom ZK der KPdSU aus. Die komplizierte Struktur mit dem Staatlichen Komitee für kulturelle Verbindungen im Hintergrund und der besonderen Form der Freundschaftsgesellschaften als pseudo-gesellschaftliche Organisationen diente auch hier, wie schon zu Anfängen der VOKS in den 1920er Jahren, zur Verschleierung der wahren Befehlsstruktur insbesondere in Richtung des westlichen Auslandes. Insofern ergaben sich, neben den erwähnten organisatorischen und inhaltlichen Veränderungen in der Arbeit der Freundschaftsgesellschaft, durchaus auch Kontinuitäten zur Kulturdiplomatie aus den Anfängen der Sowjetunion.
3.2.2.3 Die Belorussische Freundschaftsgesellschaft Im Jahr 1959 ging beim Vorsitzenden des Ministerrates der BSSR ein Schreiben der Belorussischen Gesellschaft für Freundschaft und kulturelle Verbindung mit dem Ausland (Belorusskoe obščestvo družby i kul’turnoj svjazi s zarubežnymi stranami, BELOD) ein, das auf den noch immer unbefriedigenden Zustand der kulturellen Auslandsbeziehungen der Sowjetrepublik hinwies. Der Vorsitzende des Präsidiums I.K. Kozlov berief sich dabei auf eine Anweisung des ZK der
171 Politischer Brief Nr. 6/1958 (vermutlich Juni) der DDR-Botschaft/Moskau, „Über die Tätigkeit der Gesellschaft für sowjetisch-deutsche Freundschaft“, SAPMO-BArch DY 32/11140, fol. 1651–1660. 172 Für eine ausführliche und namentliche Auflistung des Vorstandes und der Leitungsmitglieder vgl. „Verzeichnis der Vorstandsmitglieder der Gesellschaft für Sowjetisch-Deutsche Freundschaft (Stand per 15. Dezember 1959)“, SAPMO-BArch DY 32/2020, unpag.
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KPdSU vom 31. Juli 1958 zum Umbau der Freundschafts-Organisation: Die bisherige Gesellschaft habe den neuen Anforderungen „weder dem Namen nach, noch in den Formen und Methoden der Arbeit“ entsprochen und sei daher am 17. Dezember des Jahres 1958 neu gegründet worden, arbeite allerdings noch immer mit nur mäßigem Erfolg. Die sei insbesondere der mangelhaften personellen Ausstattung geschuldet; auf zu wenige und schlecht bezahlte Mitarbeiter käme im Rahmen sich ausweitender Kontakte immer mehr Arbeit zu. Geschickt appellierte der Vorsitzende dabei an ein belorussisch-nationales Ehrgefühl der Verantwortlichen im Ministerrat: Im Vergleich mit anderen Republikgesellschaften, so der ukrainischen und den baltischen, ja sogar mit den tadschikischen und turkmenischen Gesellschaften, sei die belorussische Organisation technisch schlecht ausgestattet, ihr Personal unterbezahlt. Verbesserungen seien dringend nötig, damit die Gesellschaft, immerhin Vertreter eines UN-Mitgliedslandes, ihre Arbeit gegenüber der eigenen wie der ausländischen Öffentlichkeit „nicht in Schande“ leisten müsse.173 Dabei sah die tatsächliche Arbeit der Gesellschaft nicht ganz so düster aus, wie der um Zuteilung finanzieller Mittel bemühte Präsidiumsvorsitzende glauben machen wollte. Bereits seit 1926 hatte in der BSSR eine eigene Freundschaftsgesellschaft ihre Arbeit aufgenommen – vermutlich eine Folge der Weißrussifizierungspolitik der 1920er Jahre. Ihre Tätigkeit dürfte im Wesentlichen mit der der VOKS koordiniert gewesen sein und diente mithin unter anderem der Darstellung der leninschen Nationalitätenpolitik im Ausland. Analog zu deren Entwicklung verebbte jedoch auch die Arbeit der belorussischen Freundschaftsgesellschaft in den 1930er Jahren und kam, bedingt durch die Kriegshandlungen, im Laufe des Zweiten Weltkrieges gänzlich zum Erliegen. Interessanterweise gab es innerhalb belorussischer Parteikreise aber bereits 1946 erste Versuche, die Arbeit der Freundschaftsgesellschaft wiederaufleben zu lassen; eine Initiative, die jedoch am Widerspruch des ZK der KPB (sic!) und des Ministerrates der UdSSR scheiterte. Dies passt, im gesamtsowjetischen Kontext, zur Verschärfung der internationalen Beziehungen im Zuge des Kalten Krieges einerseits, zur kulturpolitischen Eiszeit der so genannten Ždanovščina andererseits. Gleichzeitig zeigt die Initiative von 1946 aber auch ein gewisses internationales Selbstbewusstsein der Führungseliten der belorussischen „Partisanenrepublik“, das sich unter anderem auf die Tatsache stützte, dass diese 1945 Gründungsmitglied der UNO geworden war. Zu einer Wiederaufnahme der Arbeit der Belorussischen Gesellschaft für kulturelle Verbindung mit dem Ausland (Belorusskoe obščestvo kul’turnoj svjazi s zagranicej, BELOKS) kam es in der Folge bereits 1952 nach einem Beschluss des Politbüros der KPB vom 8.9.1951.174 Damit lag diese Entscheidung noch deutlich vor dem Tod Stalins und der darauf folgenden Entspannung im Rahmen der frühen Détente. Den Grund für diese Neugründung sieht der weißrussische Historiker Viktor Šadurskij in der zunehmenden propagandistischen Arbeit der VOKS 173 Schreiben Kozlovs an den Vorsitzenden des Ministerrates der BSSR, ohne Datum (1959), NARB f.[ond] (Bestand) 914, op.([is] (Findbuch) 3, d.[elo] (Akte) 5, l.[ist] Seite 105–113. 174 Šadurskij: Kul’turnye svjazi, S. 35–36.
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im Zeichen des Kalten Krieges.175 Dass gerade die BSSR die Arbeit einer Freundschaftsgesellschaft benötigte, mag jedoch auch daran gelegen haben, dass sie – wie die Ukraine – als UNO-Mitglied viel stärker international präsent war als die übrigen Sowjetrepubliken.176 Die Wiederbelebung ihrer Arbeit 1952 nahm die Gesellschaft zunächst mit einem Stab von 21 hauptamtlichen Mitarbeitern auf, die aus staatlichem Budget bezahlt und zum Teil aus dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der BSSR, das ebenfalls eine Besonderheit im Vergleich zu anderen Sowjetrepubliken darstellte, zur Tätigkeit in der Freundschaftsgesellschaft abgezogen worden waren. Die Arbeit in der Gesellschaft war lukrativ: Insbesondere diejenigen Mitarbeiter, die mit ausländischen Gästen in Kontakt kamen, erhielten ein deutlich höheres Gehalt als das republikweite Durchschnittseinkommen, etwa um sich Kleidung anzuschaffen, die westlichen Standards angemessen schien.177 Gleiches galt offenbar auch für die Versorgung mit Wohnraum. Noch 1965 etwa wandte sich die Gesellschaft an den Vorsitzenden des Ministerrates der BSSR mit der Bitte um Zuteilung einer größeren Wohnung für einen Mitarbeiter der Gesellschaft. In der Begründung hieß es, besagter Mitarbeiter käme häufig in Kontakt mit ausländischen Gästen, die wiederum Fragen über den Lebensstandard in der Republik stellten.178 Eine angemessene Wohnung sei daher unerlässlich. Mit der Umgestaltung bzw. Auflösung der VOKS im Jahre 1958 und dem neuen außenpolitischen Kurs kam es auch in der BSSR zu Veränderungen der Freundschaftsgesellschaft, aus denen die Gründung der oben angesprochenen BELOD im Dezember 1958 resultierte. Neben dem neuen Namen erhielt sie eine veränderte Struktur, die neben dem Präsidium nun auch je eine Abteilung für sozialistische und kapitalistische Länder sowie eine nach Sektionen umgestaltete Abteilung für Kultur beinhaltete. Zur Herstellung von Informationsmaterialien für das Ausland dienten außerdem eine Abteilung für Presse/Information sowie ein eigenes Fotolabor, dazu kam eine Verwaltungs- bzw. Haushaltsabteilung.179 Die Gesellschaft führte somit nun immerhin 30 Mitarbeiter, davon 18 Sachbearbeiter in den einzelnen Abteilungen sowie 12 technische Angestellte.180 Das 1958 angenommene Statut der Gesellschaft trägt deutlich die Handschrift der SSOD und entspricht deren Zielen und Tätigkeitsfeld.181 Dabei sollte die BELOD, selbst Kollektivmitglied der SSOD, auf Republikebene das leisten, was 175 176 177 178
Siehe dazu: Yegorova: „The All-Union Society“, S. 92–93. Beyrau/Lindner (Hrsg.): Handbuch, S. 167. Šadurskij: Kul’turnye svjazi, S. 36–37. Schreiben Smirnovs, Vorsitzender des Präsidiums der BELOD, an Kiselëv, Vorsitzender des Ministerrates der BSSR, vom 25.5.1965, NARB f. 914, op. 4, d. 136. 179 Vgl. dazu Vorwort des Findbuches Nr. 4 zum Bestand der BELOD, NARB f. 914, op. 4; sowie „Struktur der BELOD“, Anlage Nr. 1 zur Anordnung des Ministerrates der BSSR vom 24.8.1959, NARB f. 913, op. 3, d. 1, l. 128; außerdem Schreiben Kozlovs an den Vorsitzenden des Ministerrates der BSSR, ohne Datum (1959), NARB f. 914, op. 3, d. 5, l. 105–113. 180 „Stellenplan der BELOD“, Vorlage Nr. 2 zur Anordnung des Ministerrates der BSSR vom 24.8.1959, NARB f. 914, op. 3, d. 1, l. 129. 181 Statut der SSOD, SAPMO-BArch DY 32/10237, fol. 1576–1584.
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der Dachverband für die gesamte Sowjetunion übernahm: Die Koordinierung (und Kontrolle) sämtlicher Organisationen innerhalb der BSSR, die kulturelle Verbindungen mit dem Ausland unterhielten. Somit reichten die zentralistische Struktur der BELOD, und damit indirekt auch der SSOD, bis hin zum kleinsten Kollektivmitglied der Gesellschaft auf Bezirks- oder Betriebsebene. Ein interessantes Detail betrifft dabei Punkt IV des Gesellschaftsstatus: „Rechte und Mittel der Gesellschaft“. Trotz der offensichtlich staatlichen Finanzierung der hauptamtlichen Mitarbeiter sowie der materiellen Ausstattung182 erweckt die Formulierung den Anschein einer öffentlichen Gesellschaft, die sich allein durch Beiträge der Mitglieder, Einkünfte aus Publikationen und Veranstaltungen oder Spenden finanzierte.183 Erst in der überarbeiteten Version des Statuts von 1981 wurde die Unterstützung von staatlicher Seite offengelegt.184 Wiewohl das Statut der Gesellschaft den Eindruck vermittelte, die belorussische Freundschaftsgesellschaft sei eigenverantwortlich für die Ermittlung ihrer Ziele und Aufgaben zuständig, zeigt der umfangreiche Schriftwechsel mit dem Dachverband SSOD doch deutlich, dass die Strategie der auswärtigen Kulturbeziehungen für sämtliche Republiken in Moskau entwickelt wurde. Besonders bedeutsam für die weitere Arbeit der BELOD erscheint in diesem Zusammenhang die aus Moskau erhaltene Länderzuteilung: Im Interesse einer effektiveren und zielgerichteten Arbeit war man in Minsk dazu angehalten, sich auf bestimmte Länder zu konzentrieren, mit denen einen „territoriale Nähe, Gemeinsamkeiten in Sprache und Kultur, Gemeinsamkeiten im historischen Schicksal, Traditionen kultureller Verbindungen“ verbanden. 185 Dabei mag die gemeinsame deutsch-belorussische Geschichte auf den ersten Blick nicht unbedingt als Grundlage für eine gute Zusammenarbeit erscheinen; es soll jedoch noch gezeigt werden, dass es ausgerechnet die Folgen der deutschen Besatzung während des Zweiten Weltkrieges waren, über die durchaus Gemeinsamkeiten konstruiert wurden. Im Fokus der Pläne kultureller Auslandsbeziehungen der SSOD für 1959– 1960 standen eindeutig die Länder des kapitalistischen Lagers sowie Länder in Asien, Afrika, im Fernen und Mittleren Osten – also die Staaten der ‚Dritten Welt‘, denen ein positives Sowjetunionbild vermittelt werden sollte. In den sozialistischen Staaten dagegen ging es um eine weitere Stärkung der „brüderlichen
182 Siehe dazu „Stellenplan der BELOD“, Vorlage Nr. 2 zur Anordnung des Ministerrates der BSSR vom 24.8.1959, NARB f. 914, op. 3, d. 1, l. 129; beispielhaft auch verschiedene Schreiben der Gesellschaft an den Ministerrat der BSSR mit der Bitte um Zuteilung von Finanzmitteln bzw. Anweisungen des Ministerrates zur Zuteilung von Finanzmitteln: NARB f. 914, op. 3, d. 1, l. 68–72, 35; NARB f. 914, op. 3, d. 5, l. 28–29; NARB f. 914, op. 4, d. 227, l. 46. 183 An die DSF übersandtes Exemplar des Statuts der BELOD (deutsche Übersetzung durch DSF angefertigt), 1959, SAPMO-BArch DY 32/11140, fol. 1667–1676, hier 1671. 184 BELOD (Hrsg.): Statut Belaruskaga tavarystva družby i kul’turnaj suvjazi z zarubežnymi krainami / Ustav Belorusskogo obščestva družby i kul’turnoj svjazi s zarubežnymi stranami, Minsk 1982, S. 26. 185 Perspektivplan für die Arbeit der SSOD 1959–1960, NARB f. 914, op. 3, d. 3, l. 44–71, hier 46.
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Zusammenarbeit“ und um eine Propagierung der Leistungen der Sowjetunion im kommunistischen Aufbau und damit klar um die Vorbildrolle der UdSSR. Umgekehrt sollte aber auch die sowjetische Bevölkerung mit den Leistungen der sozialistischen Bruderstaaten bekannt gemacht werden; letztlich handelte es sich hierbei ja um Erfolge der sowjetischen ‚Befreiungstat‘ von Faschismus und Kapitalismus. Als Schwerpunktländer hob die SSOD Polen, Ungarn und die DDR hervor; vermutlich sollten Polen und Ungarn als jüngste Unruheherde im Ostblock sowie die DDR als sozialistisches ‚Schaufenster‘ und westlichster Staat des Ostblocks besonders stark an die Sowjetunion gebunden werden. Damit korrespondiert auch die Anweisung, ganz gezielt die Intelligenz dieser drei Länder anzusprechen und somit auf politisch einheitliche Linie zu bringen.186 Tatsächlich hatte die belorussische Sowjetrepublik lange vor der Umgestaltung der Kulturbeziehungen Ende der 1950er Jahre Kontakte ins Ausland, insbesondere zu Polen, aufgenommen. Dies lag zum einen an der geographischen Nähe, zum anderen aber auch an den besonderen Beziehungen beider Länder durch die Bevölkerungs- und Gebietsverschiebungen im Laufe der Weltkriege. So hatten sich erste Kontakte schon unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelt; in den Folgejahren nahm der Austausch mit dem Nachbarland stets einen wichtigen, wenn nicht sogar den wichtigsten Platz in den weißrussischen Kulturbeziehungen ein. Seit Ende der 1950er Jahre rückten unter den sozialistischen Staaten auch Rumänien, die DDR, die ÇSSR und, in geringerem Umfang, Ungarn und Jugoslawien, in den Tätigkeitsbereich der Freundschaftsgesellschaft.187 Dazu bildeten sich, auch auf Republikebene, Freundschaftsgesellschaften für einzelne Länder heraus. So entstand für die Zusammenarbeit mit der DDR in der belorussischen Sowjetrepublik eine ‚Abteilung‘ der SDF. Während zu Beginn noch unklare Befehls- und Organisationsstrukturen vorherrschten188, etablierte sich mit der Zeit für die sowjetisch-deutsche Gesellschaft auf belorussischer Ebene eine Art doppeltes Kontrollsystem. So war die SDF nicht nur im Haus der belorussischen Freundschaftsgesellschaft untergebracht189 und gehörte administrativ zur Abteilung Sozialistische Länder, sondern nahm auch Weisungen der BELOD entgegen, die diese wiederum aus der Moskauer Zentrale der SSOD erhielt.190 Gleichzeitig übermittelte aber auch die Unionszentrale der SDF in Moskau Anweisungen an die einzelnen Mitglieder in Republiken und Betrieben, etwa wenn es um die Or-
186 Ebd., insbesondere l. 52–56. 187 Šadurskij: Kul’turnye svjazi, S. 44–46, 92–93. 188 Vgl. dazu: Vertraulicher Aktenvermerk über eine Aussprache in der VOKS am 14.1.1958, SAPMO-BArch DY 32/148, fol. 214–218, insbesondere 215–216. 189 Das Haus der BELOD lag in der Sacharova-Straße 28, das auch die belorussische Abteilung der SDF als Adresse im Briefkopf führt; NARB f. 914, op. 3, d. 15, l. 124. 190 Vgl. dazu beispielhaft: „Über die Veranstaltungen im Zusammenhang mit der Woche der deutsch-sowjetischen Freundschaft in der DDR“, Anweisung des Büros des Präsidiums der SSOD vom 6.5.1959, NARB f. 914, op. 3, d. 3, l. 20.
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ganisation konkreter Veranstaltungen ging.191 Insgesamt verblieben Kontrolle und oberstes Weisungsrecht jedoch beim Präsidium der SSOD, gegenüber dem alle anderen Freundschaftsgesellschaften Rechenschaft schuldig waren. So musste auch die SDF/SGDDR offenbar regelmäßige Arbeitsberichte vorlegen, die das Präsidium dann beurteilte und gegebenenfalls weitere ‚Arbeitsempfehlungen‘ in Form von Anordnungen gab.192 Gegründet hatte sich der belorussische Zweig der SDF am 19. November 1958. Das belorussische Volk hege, so ein Telegramm des neu gewählten Präsidiums an die deutsche Schwestergesellschaft, „[…] Gefühle der aufrichtigen Freundschaft zum talentvollen deutschen Volk und verfolgt mit Sympathie und Verständnis die Erfolge […] der Deutschen Demokratischen Republik […] und den Kampf um die Vereinigung des deutschen Volkes zu einem einheitlichen, friedliebenden demokratischen Staat.“193
Auf einer Vorstandssitzung im März 1959, bei der übrigens auch drei Vertreter der BELOD anwesend waren, wählte die belorussische SDF schließlich einen verantwortlichen Sekretär – offenbar der einzige hauptamtliche Mitarbeiter – und bestimmte die Bildung verschiedener Kommissionen, namentlich einer Kommission für Auslandsverbindungen und die Arbeit mit Delegationen, einer weiteren für den Erfahrungsaustausch in Wissenschaft und Produktion, für Propaganda und Ausstellungen sowie eine vierte für Kunst und Literatur. Diese Kommissionen besaßen jeweils zwischen elf und 14 ehrenamtliche Mitarbeiter, alle Funktionäre aus den entsprechenden Bereichen in Partei, staatlicher Verwaltung oder kulturellen bzw. wissenschaftlichen Einrichtungen. Über diesen Einsatz von Partei- und Staatsfunktionären als ehrenamtliche Mitarbeiter konnte die Gesellschaft auf direktem Wege die Erfüllung ihrer Arbeitspläne vorantreiben: So fungierte beispielsweise der Philosoph, Mitglied der Akademie der Wissenschaften der BSSR und Minister für Bildung der BSSR Ivan Il’juschin als erster Vorsitzender des Präsidiums der SDF. Gleichzeitig bot die Arbeit in der Freundschaftsgesellschaft auch nicht zu unterschätzende Vorteile für die ‚Ehrenamtlichen‘ selbst: Insbesondere die Möglichkeit zu Auslandsreisen und der Kontakt mit ausländischen Delegationen dürften starke Anreize für eine Betätigung in einer der Freundschaftsgesellschaften geboten haben.194 Bis ins kleinste Detail geplant war auch die Gründung so genannter Kollektivmitglieder bzw. Grundorganisationen der Gesellschaft: Sie war bereits im ers-
191 Vgl. z. B. ein Schreiben K. Fedins, Vorsitzender des Präsidiums der SDF, vom 25.9.1962 an alle Abteilungen der SDF, in dem er sehr dezidierte Anweisungen zu Veranstaltungen anlässlich des 13. Jahrestages der DDR gibt. NARB f. 914, op. 4, d. 15, l. 258. 192 Vgl. dazu etwa „Anordnung Nr. 29, 5. April 1962, des Präsidiums der Union der Gesellschaften für Freundschaft und kulturelle Verbindung mit dem Ausland“, die einerseits die Erfolge der SDF hervorhebt, andererseits aber auch Unzulänglichkeiten feststellt und Anweisungen zu deren Verbesserung gibt; NARB f. 914, op. 4, d. 1, l. 18–28. 193 Telegramm des Präsidiums der Gründungsversammlung der belorussischen Abt. der SDF an die DSF, 19.11.1958, SAPMO-BArch DY 32/5140, fol. 1494. 194 Šadurskij: Kul’turnye svjazi, S. 68.
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ten Arbeitsplan für 1959 vorgesehen.195 Bei dieser Einrichtung von Abteilungen der SDF in Kolchosen, Kombinaten, wissenschaftlichen Einrichtungen oder einzelnen Städten, worüber vor allem im Jahr 1960 zahlreiche Mitteilungen bei der BELOD bzw. SDF eingingen, handelte es sich daher mitnichten um spontane Beteuerungen der sowjetisch-deutschen Freundschaft. Vielmehr setzten lokale Mitarbeiter lediglich das um, was das Präsidium der BELOD bzw. SDF bereits im Vorfeld beschlossen hatte.196 Immerhin hatten die Republikorgane der Freundschaftsgesellschaften zumindest in diesem Punkt relativ freie Hand: Gemäß einer Verordnung der KPdSU vom 31.7.1958 sollte politische „Zweckmäßigkeit“ für die Bildung solcher Kollektivmitglieder und Grundorganisationen ausschlaggebend sein; die BELOD selbst holte sich dazu nicht selten die Zustimmung des Ersten Sekretärs der KPB, Kirill Mazurov persönlich ein und ‚bewarb‘ die Ausweitung des Netzes der Freundschaftsgesellschaften. Diese führten zu einer Entlastung der lokalen Parteikomitees bei der technischen Abwicklung kultureller Verbindungen, einer besseren Kontrolle der vielfachen Verbindungen und einer gleichmäßigen Entwicklung innerhalb der Republik sowie besserer Informationskontrolle nach außen wie nach innen bei der internationalistischen Erziehung der Massen.197 Für alle der SSOD unterstellten Freundschaftsgesellschaften und andere Organisationen mit Auslandskontakten auf Republikebene198 zeigte sich damit eine klare vertikale Entscheidungskette, die vom Staatlichen Komitee für kulturelle Beziehungen und damit direkt vom ZK der KPdSU ausging. Gleichzeitig unterstand die BELOD auch der belorussischen Parteiführung. So musste der Vorstand der Gesellschaft durch das belorussische ZK bestätigt werden – auf lokaler Ebene geschah dies durch örtliche Parteikomitees. Auch Detail- oder Ausführungsfragen fielen in belorussische Zuständigkeiten. Zwar galt auch hier ein Einspruchsrecht der Parteizentrale in Moskau, dennoch verfügte die Minsker Parteiführung über
195 Protokoll Nr. 1 der Vorstandssitzung der Belorussischen Abteilung der Gesellschaft für sowjetisch-deutsche Freundschaft und kulturelle Verbindung, 17.3.1959, NARB f. 914, op. 3, d. 15, l. 54–62. 196 Vgl. zahlreiche Mitteilungen über Gründungen von Grundorganisationen, beispielsweise im Kunstfaserwerk Mogilëv, in der Kolchose Komintern im Rayon Mogilëv, im Kulturpalast der Eisenbahner in Gomel’, im Minsker Kammgarnkombinat, im Biologischen Institut der Akademie der Wissenschaften der BSSR, im Bautrust MS BSSR in Minsk, im Staatlichen Pädagogischen Institut für Fremdsprachen in Minsk, im Minsker Radiowerk sowie der Stadtabteilung Gomel’; NARB f. 914, op. 3, d. 63. 197 Schreiben Kozlovs, stellvertr. Vorsitzender des Präsidiums der BELOD, an Mazurov, 1. Sekr. des ZK der KPB „Über die Bildung von Abt. der Freundschaftsgesellschaft in der BSSR“, 22.6.1959, NARB f. 914, op. 3, d. 5, l. 54–58. 198 Šadurskij nennt hier etwa das Komitee der Jugendorganisationen der BSSR (Komitet molodežnych organizacij BSSR), sowie das Komitee „Für die Rückkehr in die Heimat und Entwicklung kultureller Beziehungen mit den Landsleuten“ (Za vosvraščenie na Rodinu i razvitie kul’turnych svjazej s sootečestvennikami), das sich an Landsleute im Ausland richtete; Šadurskij: Kul’turnye svjazi, S. 88.
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ein gewisses Maß an Freiheit, was Detailfragen, nicht jedoch allgemeine Strategien der auswärtigen Kulturkontakte anbelangte.199 Mindestens dem Anspruch nach erfassten die Freundschaftsgesellschaften mit ihrem dichten Netz von Kollektivmitgliedern in Betrieben, kulturellen und wissenschaftlichen Einrichtungen oder auch städtischen Abteilungen einen nicht unerheblichen Teil der sowjetischen Bevölkerung. Sie waren damit zu Massenorganisationen einer sowjetischen auswärtigen Kulturpolitik geworden. Inwieweit sie die Bevölkerung auch in der Praxis erreichten, wird noch zu untersuchen sein.
3.2.2.4 Austausch nach Plan: Inhalte der Zusammenarbeit Entsprechend ihrer zentralistischen Struktur und analog zum planwirtschaftlichen System wurde auch die Tätigkeit der Freundschaftsgesellschaften durch zentral entwickelte Pläne oft über mehrere Jahre festgelegt. Dies hatte mehrere Gründe: Zum einen unterlagen, wie bereits gezeigt wurde, die auswärtigen Kulturbeziehungen deutlich einer politischen Zielsetzung. Sie sollten dabei helfen, die außenpolitischen Interessen von Staat und Partei zu vertreten und nach Möglichkeit zu unterstützen. Die sowjetische Führung griff in diesem Zusammenhang auf bewährte, längerfristige Lenkungsstrategien zurück, die zugleich eine starke Kontrolle durch die Zentrale erlaubten und nur geringen Handlungsspielraum für die einzelnen Akteure ermöglichte. Zum anderen verfolgte gerade der Austausch mit den sozialistischen Staaten, wie im Perspektivplan der sowjetischen Freundschaftsgesellschaften von 1959/1960 formuliert ist, ganz klar auch ökonomische Ziele: Der sozialistische Aufbau, nicht zuletzt definiert durch wirtschaftliches Wachstum, stellte unter dem Schlagwort des „sozialistischen Erfahrungsaustauschs“ ein zentrales Ziel der Wirtschaftsintegration des Ostblocks dar und verlangte ebenfalls nach längerfristigen Planungen. Nicht zuletzt hatte die Planbarkeit kultureller Kontakte auch ganz praktische Gründe. Unter den Bedingungen der sozialistischen Planwirtschaft sowie der recht komplizierten Reisemodalitäten auch unter den Ostblockstaaten, stellten ‚Spontanbesuche‘ von Delegationen, Künstlern oder Touristen eher die Ausnahme als die Regel dar. Somit scheint die ‚Planhaftigkeit‘ an sich nicht nur logische Folge des sowjetischen Systems, sondern eben auch unbedingte Voraussetzung für die Erfüllung der (politischen) Ziele der Freundschaftsbeziehungen zwischen den sozialistischen Staaten. Bereits im Frühjahr 1958 nahmen die beiden Freundschaftsgesellschaften DSF sowie die Moskauer Zentrale der SDF in diesem Sinne Verhandlungen über die künftige Zusammenarbeit auf. Zunächst ging es dabei um die ‚Abwicklung‘ des Kulturarbeitsplans für 1958, der im November des vorangegangenen Jahres noch mit der VOKS geschlossen worden war. Gleichzeitig hatten die deutschen Genossen auch eine Erweiterung der bisher geplanten Maßnahmen im Sinn. So sollte insbesondere der Bereich Touristik nun ebenfalls in den Fokus der Freundschaftsgesellschaften rücken, ebenso wie feste Vereinbarungen zu ständigen Ver199 Ebd., S. 39.
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bindungen zwischen beiden Gesellschaften, sowohl auf Leitungsebene als auch zwischen Vorständen von Kreis- und Grundorganisationen: „Wir sind interessiert an einer persönlichen, direkten Verbindung in wichtigen Fragen, da dadurch langwieriger Briefwechsel vermieden werden kann […]“200 Dieser Wunsch darf wohl als direkte Reaktion auf die bislang wenig positiven Erfahrungen mit dem bürokratischen Apparat der VOKS gedeutet werden, welcher den Kontakt bis zu diesem Zeitpunkt häufig mehr verhindert als gefördert hatte.201 In welch engem Rahmen sich der vermeintlich direkte Kontakt gerade zwischen den Grundorganisationen bewegen sollte, wird jedoch bereits im nächsten Abschnitt deutlich: So sei es wichtig, sich gegenseitig – und auf zentraler Ebene – darüber zu informieren, welche Betriebe und Institutionen für einen direkten Erfahrungsaustausch überhaupt geeignet seien und zu überprüfen „welche Kontrolle erforderlich und möglich ist.“202 Wiewohl sich die deutsche Seite im Klaren zu sein schien, dass insbesondere diese neuen Aspekte nicht unbedingt abschließend würden geklärt werden können, da die „sowjetischen Freunde auf diese Fragen nicht vorbereitet sind“, spricht aus dem Verhandlungsprogramm doch ein neues Selbstbewusstsein der DSF, die offenbar in der neuen sowjetischen Gesellschaft ihre Chance sah, eigene Wünsche und Vorstellungen durchzusetzen und die Zusammenarbeit somit erheblich zu verbessern.203 Dass die sowjetische Seite allerdings kaum bereit war, sich Vorgaben durch die deutschen Genossen machen zu lassen, zeigte sich während des abschließenden Gesprächs mit der sowjetischen Delegation unter Leitung des SDFVorsitzenden Konstantin Fedin in Berlin. Neben herber Kritik an der mangelnden und zu wenig herzlichen Betreuung der Delegation im Allgemeinen („Freund Kasper in Dresden sei formal an die Organisierung des Besuches der sowjetischen Freunde herangegangen.“), bremsten die sowjetischen Genossen auch die deutschen Forderungen nach neuerem Informationsmaterial: Man solle bereits vorhandenes Material nutzen und auswerten, das sicherlich bereits im Besitz der Gesellschaft sei. Auch die Frage des Tourismus bewertete ein SDF-Vertreter ab200 „Entwurf eines Verhandlungsprogramms für die Verhandlungen mit der Delegation für sowjetisch-deutsche Freundschaft und kulturelle Verbindungen“, vermutlich 7.4.1958, SAPMOBArch DY 32/6370, fol. 890–894. 201 Zu den Schwierigkeiten in der Arbeit mit der VOKS vgl. Hartmann/Eggeling: Sowjetische Präsenz, S. 259–262. 202 Vgl. Aktennotiz des ZV der DSF über ein Treffen mit Vertretern der SDF, 19.4.1958, SAPMO-BArch DY 32/6370 fol. 932–937. 203 Dies korreliert mit dem zunehmenden Selbstbewusstsein der DDR, die ihre Position innerhalb des Ostblocks sukzessive verbessern konnte, angefangen mit dem „Vertrag über die Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken“ vom 20.9.1955 (sog. Souveränitätsvertrag), über die Berlin-Krise und die Schaufenster-These Chruschtschows, bis hin schließlich zum Mauerbau. Vgl. dazu Wentker, Hermann: Außenpolitik in engen Grenzen. Die DDR im internationalen System 1949–1989, Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 72, München 2007, S. 82–87, 128–137; zur in der Forschung nicht unumstrittenen Rolle der DDR als „superally“ im Vorfeld des Mauerbaus vgl. insbesondere Harrison, Hope M.: Driving the soviets up the wall. Soviet-east German relations, 1953–1961, Princeton 2003.
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schätzig und stellte fest, es handele sich dabei meist um den Besuch von Denkmälern und historischen Stätten, aber selten um Begegnungen mit den Werktätigen des Landes. Umgekehrt dürfte das sowjetische Interesse an Kontakten zu Westdeutschland nicht ins Konzept der DDR gepasst haben. Auf Nachfrage eröffnete ein SDF-Mitarbeiter der deutschen Seite, dass man darüber nachdenke, im Rahmen der SDF eine eigene Sektion für Westdeutschland zu bilden, „um eine größere Konkretheit in der Arbeit zu erreichen“; die Arbeit zur DDR, so versicherte er, werde darunter allerdings nicht leiden.204 Am 6. Oktober 1958 kam es schließlich im Gebäude des Verbandes der Freundschaftsgesellschaften in Moskau zur Unterzeichnung einer grundlegenden Vereinbarung über die weitere Zusammenarbeit der beiden Freundschaftsgesellschaften.205 Als zentrale Aufgaben sah die Vereinbarung vor: – die Herstellung von Verbindungen zwischen Kollektivmitgliedern der Gesellschaften sowie Institutionen und staatlichen Behörden beider Länder, – den Austausch von Lektoren, Künstlergruppen und Delegationen, – die Betreuung reisender Spezialisten, Wissenschaftler und Funktionäre und deren ‚Indienstnahme‘ für Vorträge und Freundschaftstreffen mit der Bevölkerung sowie – den gegenseitigen Austausch von Informationsmaterialien. Zur Finanzierung aller Maßnahmen wurde das Prinzip der Gegenseitigkeit (jeweils Finanzierung durch den Gastgeber) vereinbart, das auch für die spätere Zusammenarbeit beibehalten wurde. Nicht zuletzt wurde festgelegt, „jährliche gemeinsame Arbeitspläne durch bevollmächtigte Vertreter beider Vorstände“ ausarbeiten zu lassen, die die leitenden Organe bestätigen mussten. Interessanterweise blieb die Frage des Tourismus in dieser Vereinbarung (zunächst noch) unberührt, entweder auf Grund der negativen Einschätzung durch die sowjetische Seite, oder aber, um nicht mit den Zuständigkeiten von Inturist oder anderen mit Tourismus befassten Institutionen in Konflikt zu geraten.206 Bis zum Ende ihres Bestehens arbeiteten beide Gesellschaften auf Grundlage jährlicher, später mehrjähriger Pläne. Dabei entwickelten sich diese schnell, was Umfang und Detailfestlegungen anbelangte und spiegeln somit das rapide Anwachsen der Zusammenarbeit einerseits, die Übernahme weiterer Aufgaben der Gesellschaften andererseits wider. So umfasste der Plan der Zusammenarbeit für 1960 lediglich neun Seiten und enthielt zunächst noch wenig konkrete Vereinbarungen zu folgenden fünf Hauptbereichen: Austausch von Delegationen, gemeinsame Maßnahmen (Treffen und Beratungen zum Erfahrungsaustausch), politische 204 Aktennotiz über die Zusammenkunft zwischen der Delegation der Gesellschaft für Sowjetisch-Deutsche Freundschaft und Kulturverbindungen und dem Sekretariat der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, 19.4.1958, SAPMO-BArch DY 32/6370, fol. 932ff. 205 Aktenvermerk des Büros des Sekretariats der DSF, 9.10.1958, SAPMO-BArch DY 32/10962, unpag. 206 „Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft und der Gesellschaft für Sowjetisch-Deutsche Freundschaft und kulturelle Verbindung zur weiteren Festigung der Freundschaft zwischen dem deutschen Volk und den Völkern der Sowjetunion.“, 6.10.1958, SAPMO-BArch DY 32/11140, fol. 1735–1737.
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und kulturelle Veranstaltungen (vor allem Jubiläumsfeiern), dem Austausch von Materialien sowie der Herstellung von Freundschaftsverbindungen (insbesondere zwischen Betrieben). Eingeschlossen waren explizit auch die örtlichen bzw. Republikabteilungen der Gesellschaft, wie etwa in Leningrad, Kiew und Minsk. Unterzeichner von sowjetischer Seite war, neben der Leitung der SDF, auch das Präsidium der SSOD, deren direkte Einflussnahme auf die Inhalte somit als sicher gelten kann.207 Demgegenüber umfasste die Übereinkunft für das Jahr 1965, die ganz unter dem Zeichen der Veranstaltungen anlässlich des „20. Jahrestages der Befreiung des deutschen Volkes vom Faschismus“ stand, bereits 28 Seiten. Detailliert wurden einzelne Maßnahmen, Konferenzen, Kulturveranstaltungen und die Entsendung von Delegationen festgelegt. Neu erschien dabei die stärkere Betonung einzelner Sowjetrepubliken und ihrer Teilnahme am zentralen Plan der Zusammenarbeit sowie der sprunghafte Anstieg des Austauschs von Delegationen, die in Anzahl der Personen, Bestimmungsort, Zweck des Besuches und Reisedaten fest vorgegeben waren. Gleichzeitig entwickelte sich auch ein reger Austausch von Informationsmaterialien, unter anderem auch von mehr als 30 Zeitungen und Zeitschriften, die jeweils an die Schwestergesellschaft versendet wurden.208 Gleichzeitig wurden die Freundschaftsgesellschaften nun auch aktiv in die Erfüllung der ein- bis zweijährlichen Kulturarbeitspläne209 eingebunden, die zwischen den Ministerien für Kultur der DDR und der UdSSR sowie den Ministerien für Auswärtige Angelegenheiten ausgehandelt wurden.210 Dies dürfte nicht zuletzt im Sinne der DSF gewesen sein, die sich noch 1959 anlässlich des Abschlusses des Kulturabkommens übergangen gefühlt hatte. Nur ein kleiner Teil der von ihr, nach Aufforderung durch das MfAA211, vorgeschlagenen Maßnahmen sei in den Plan aufgenommen worden, so der Zentralvorstand gegenüber dem Minister für Kultur, Alexander Abusch. Interessant ist, dass die Gesellschaft daraufhin ankündigte, sich mit der Bitte um Unterstützung ausgerechnet an die sowjetische Gesellschaft zu wenden – ein deutlicher Hinweis auf die Hierarchien in der kulturellen Zusammenarbeit.212 207 „Plan der Maßnahmen für die Zusammenarbeit der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft mit dem Verband der sowjetischen Gesellschaften für Freundschaft und kulturelle Verbindung mit dem Ausland und der Gesellschaft für Sowjetisch-Deutsche Freundschaft und kulturelle Verbindung im Jahre 1960.“, SAPMO-BArch DY 32/149, fol. 290–298. 208 „Plan der Zusammenarbeit… für das Jahr 1965“, SAPMO-BArch DY 32/149, fol. 438–466. 209 Die jährlichen Kulturarbeitspläne finden sich auch in: Deutsches Institut für Zeitgeschichte: Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin (Ost) 1949ff. (ab 1965 unter dem Titel: Dokumente zur Außenpolitik der Deutschen Demokratischen Republik). 210 Vgl. dazu etwa Aktennotiz des Sekretariats des ZV der DSF über eine Besprechung mit dem MfK, 18.6.1960, SAPMO-BArch DY 32/4953, fol. 109–110; Schreiben der Abt. Kultur des MfAA an das Sekr. des ZV der DSF, 4.10.1965, SAPMO-BArch DY 32/779, unpag. 211 Interne Mitteilung der Abt. IV der DSF an das Sekretariat, 22.7.1958, SAPMO-BArch DY 32/11141, fol. 1874. 212 Aktennotiz des Sekr. des ZV der DSF über eine Besprechung mit Abusch zum Kulturabkommen für 1959, 26.2.1959, SAPMO-BArch DY 32/4571, fol. 1490–1491.
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Die zunächst jährlichen, ab 1972 für größere Zeiträume und zunehmend auf multilateraler Ebene im Sinne einer engeren Zusammenarbeit der Ostblockstaaten ausgehandelten, Kulturarbeitspläne („Plan der kulturellen und wissenschaftlichen Zusammenarbeit“) bildeten den größeren Rahmen des Kulturaustauschs.213 Sie dienten, so etwa der Vertrag von 1964/65, dazu „die engen kulturellen und wissenschaftlichen, dem Aufbau des Sozialismus und Kommunismus dienenden Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR und die deutsch-sowjetische Freundschaft zu vertiefen und weiterzuentwickeln“ und bezogen mit diesem Anspruch auch die Freundschaftsgesellschaften mit ein, die häufig in die Betreuung von Delegationen, Künstlergruppen oder auch Wissenschaftlern und Studenten eingebunden waren. Dabei deckten die Kulturabkommen nicht nur den klassischen Kulturbereich – Kunst, Literatur, Musik – ab, sondern regelten darüber hinaus auch wissenschaftliche Kontakte, legten Partnerbeziehungen zwischen Hochschulen fest und bezogen, ganz im Sinne des sozialistischen Kulturbegriffs, auch Bereiche wie Medizin, Architektur oder Volksbildung in diese Pläne mit ein. 214 Auf sowjetischer Seite wurden Entscheidungen für einzelne Republiken, wie auch bei der Zusammenarbeit der Freundschaftsgesellschaften, auf zentraler Ebene getroffen. Anders gesagt: Während die BELOD in der täglichen Arbeit direkt mit der deutschen Schwestergesellschaft in Kontakt stand, hatte sie wesentlich weniger Spielraum als diese, eigene Wünsche durchzusetzen. Vielmehr erhielt sie über die SSOD bzw. Moskauer SDF die zunächst jährlichen Pläne, im Rahmen derer sie an einer Zusammenarbeit teilnahm.215 Frei entscheiden konnten die belorussischen Funktionäre lediglich über die Art und Weise, wie vorgegebene Veranstaltungen durchgeführt wurden, etwa Kulturtage, Freundschaftsabende oder Jubiläumsveranstaltungen. Auch die Gründung von lokalen Abteilungen lag, wie bereits gezeigt wurde, im Verantwortungsbereich der zuständigen Stellen vor Ort und musste (lediglich) mit den entsprechenden Parteiorganisation abgesprochen werden. Dies bedeutete allerdings kaum weniger Kontrolle durch die sowjetische Dachgesellschaft. Vielmehr erwartete diese detailreiche Arbeitsberichte der Republikgesellschaft über die Erfüllung der angeordneten Maßnahmen, während letztere ihrerseits Pläne und Rechenschaftsberichte der belorussischen SDF bzw. lokaler Abteilungen und Kollektivmitglieder zur Erstellung der eigenen Gesamtberichte anforderte.216 Dass diese Berichte in Moskau nicht immer positiv aufge213 Vgl. dazu Jacobsen, Hans-Adolf (Hrsg.): Drei Jahrzehnte Außenpolitik der DDR. Bestimmungsfaktoren, Instrumente, Aktionsfelder, München u.a. 1979, S. 241–242. 214 „Plan der kulturellen und wissenschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der DDR und der UdSSR für die Jahre 1964/65. Vom 17. Januar 1964“, in: Dokumente zur Außenpolitik der Deutschen Demokratischen Republik, Bd. 12: 1965, Berlin (Ost) 1966, S. 923–953. 215 Vgl. dazu beispielsweise: Stellvertr. Leiter der Abt. Sozialistische Länder der SSOD, Zotikov, an den Vorsitzenden des Präsidiums der BELOD, Smirnov, 2.2.1962, NARB f. 914, op. 4, d. 15, l. 44–45; Plan für 1966, NARB f. 914, op. 4, d. 193, l. 1–16; Plan für 1967, NARB f. 914, op. 4, d. 234, l. 1–16. 216 Arbeitsberichte der BELOD finden sich zahlreich in den Akten der Freundschaftsgesellschaft. Nicht bei allen ist unmittelbar ersichtlich, dass die verschiedenen „Informationen“, „Auskünfte“ und Veranstaltungsüberblicke direkt an die SSOD gingen, da die zugehörigen Anschrei-
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3 Freundschaftsverwaltung: Organisationen in Minsk und Berlin
nommen wurden, zeigen Reaktionen der SSOD, wie etwa eine Anordnung aus dem Jahre 1962. Darin wurden zunächst die bisherigen Leistungen der Gesellschaft hervorgehoben, um danach einige „Unzulänglichkeiten“ der Arbeit anzusprechen. Konkret handelte es sich dabei um die schlechte Zusammenarbeit mit den Kollektivmitgliedern, die nicht aktiv genug angeworben würden, bzw. bestehende Mitglieder, die nicht genug zur Mitarbeit ‚ermuntert‘ würden.217 Grundlagen solch kritischer Bestandsaufnahmen waren zum einen Tätigkeitsberichte der BELOD selbst218, zum anderen aber auch und im vorliegenden Fall eine Überprüfung durch eine SSOD-Delegation, die sich vor Ort ein Bild über die Arbeit der belorussischen Kollegen gemacht und dem Moskauer Präsidium ihre Ergebnisse mitgeteilt hatte.219 Nicht zuletzt erstattete die BELOD auch dem ZK der KPB bzw. dem Ministerrat der BSSR Bericht über ihre Arbeit oder holte sich vorab die Zustimmung zu ihren Arbeitsplänen.220 Damit existierte ein perfektes System von zentraler Planung und Kontrolle, das nicht nur Zielvorgaben und konkrete ‚Zahlen‘ formulierte, sondern auch die ‚Leistungen‘ der Freundschaftsgesellschaften stetig überprüfte. Dies führte allerdings, wie an der o.g. Kritik an ‚inaktiven Aktiven‘ zu sehen, nicht selten dazu, dass Nachweise über Kulturkontakte und Direktbeziehungen mehr über Quantität als über Qualität geführt wurden und dass damit die hohen Steigerungsraten, etwa in der Mitgliederentwicklung, nicht unbedingt auf eine aktive Teilnahme der Bevölkerung schließen lassen.
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ben fehlen. Aus den erhaltenen Beispielen und den Reaktionen der SSOD ist dies jedoch zu vermuten; vgl. z. B. Berichte von 1959, NARB f. 914, op. 3, d. 6, l. 72–74; von 1962, NARB f. 914, op. 4, d. 15, l. 115–117; von 1974, NARB f. 914, op. 5, d. 519, l. 78–82. Umgekehrt forderte die BELOD von lokalen Abteilungen immer wieder nachdrücklich Arbeitsberichte oder Übersichtspläne über ihre Arbeit, z. B. 1960 mehrere Schreiben der BELOD an verschiedene Kollektivmitglieder und Abteilungen mit Einforderung der Berichte sowie ‚Vorschlägen‘ über die Aufnahme bestimmter Maßnahmen in deren Arbeitspläne, NARB f. 914, op. 3, d. 63, l. 58–80. Anordnung Nr. 32 des Präsidiums der SSOD, 30.8.1962, NARB f. 914, op. 4, d. 1, l. 94–99. „Arbeit der Belorussischen Freundschaftsgesellschaft mit ihren Mitgliedern“, ohne Datum, ebd., l. 106–114. „Auskunft über die Ergebnisse der Begutachtung der Arbeit der BELOD mit ihren Mitgliedern“, ohne Datum, ebd. l. 100–105. Diese Art der Überprüfung war offenbar nichts Ungewöhnliches; so wurde diese im gleichen Jahr mindestens auch bei der armenischen Freundschaftsgesellschaft durchgeführt, vgl. ebd. Vgl. z. B. Bericht der BELOD an den Vorsitzenden des Ministerrates der BSSR, 27.3.1959, NARB f. 914, op. 3, d. 5, l. 26–27; Informationen der BELOD zu Veranstaltungen anlässlich des 50jährigen Jubiläums der Oktoberrevolution an das ZK der KPB, 16.8.1967, NARB f. 914, op. 4, d. 227, l. 66.
3.2 Entstalinisierung und Détente
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3.2.3 Zwischenbilanz In der Sowjetunion hatte sich schon Mitte der 1920er Jahre mit der VOKS eine nur dem Anschein nach gesellschaftliche Organisation etabliert, die, von staatlicher bzw. Parteiseite, dazu geschaffen worden war, das Bild des jungen sowjetischen Staates im Ausland positiv zu beeinflussen. In Anbetracht der außenpolitischen Isolation sollte die Allunionsgesellschaft für kulturelle Beziehungen mit dem Ausland über die Herstellung kultureller Beziehungen eine Art Ersatzdiplomatie darstellen, die, in der Forschung als Cultural Diplomacy bezeichnet, nicht nur die 1920er Jahre, sondern auch die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und insbesondere die Periode des Kalten Krieges charakterisierte. Dabei ergab sich unmittelbar nach dem Ende des Krieges eine neue Aufgabe für die Allunionsgesellschaft: Die Vermittlung eines möglichst positiven Sowjetunionbildes in den neuen mittel- und osteuropäischen ‚Volksdemokratien‘ sollte dabei helfen, den sowjetischen Einfluss zu stärken und die Bevölkerungen von der Überlegenheit des sozialistischen Systems zu überzeugen. Zu diesem Zweck wurden in nahezu allen späteren Ostblockstaaten der VOKS ähnelnde Organisationen gegründet, die sich, gemäß ihres politischen Auftrags, jedoch in erster Linie als ‚Freundschaftsgesellschaften‘ verstanden, die sowjetisch-sozialistische Kultur unter der einheimischen Bevölkerung verbreiteten. Auch in der sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR entstand auf sowjetische Einflussnahme hin, jedoch ‚getarnt‘ als Volksinitiative, zunächst eine Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion, die sich später als Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft zu einer der größten Massenorganisationen der DDR entwickelte. Obwohl die Hauptaufgaben der neuen Gesellschaft in der Überwindung antisowjetischer Ressentiments und der Vermittlung eines positiven Sowjetunionbildes unter anderem mit den Mitteln der Kultur lagen, erwies sich der tatsächliche ‚Draht‘ nach Moskau als wenig hilfreich und belastbar: Die Zusammenarbeit mit der sowjetischen VOKS blieb vornehmlich bürokratisch und einseitig; die alte Struktur der Kultur- und Freundschaftsgesellschaft war den Anforderungen der Nachkriegszeit offenbar nicht gewachsen. Diese neuen Anforderungen ergaben sich verstärkt nach dem Tode Stalins und dem nun einsetzenden innen- wie außenpolitischen Tauwetter im Zeichen der Early Détente; die neue Doktrin der Friedlichen Koexistenz erforderte eine Konkurrenz mit dem Westen mit friedlichen, etwa ideologisch-propagandistischen Mitteln, deren ideales ‚Ausführungsorgan‘ die Freundschaftsgesellschaft zu sein schien. In Richtung der eigenen Einflusssphäre ging es, insbesondere nach den Entstalinisierungskrisen und deren militärischer Niederschlagung in verschiedenen mittelosteuropäischen Staaten, vor allem um eine mindestens dem Anschein nach gleichberechtigte Partnerschaft, die sich auch und gerade in der Kultur- und Freundschaftsarbeit manifestieren sollte. Die Auflösung der VOKS und die Gründung der SSOD als neue Dachorganisation verschiedener Freundschaftsgesellschaften im Februar 1958 sollten nach Westen wie Osten den Weg für eine neue auswärtige Kulturpolitik bereiten.
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Die SSOD, die über gut verschleierte Umwege dem mittelbaren Einfluss des ZK der KPdSU unterstand, fungierte dabei als Steuerungs- und Kontrollorgan für verschiedene, neu entstandene Freundschaftsgesellschaften, die sich entweder auf die Beziehungen zu einem Land konzentrierten, wie etwa die sowjetisch-deutsche SDF/SGDDR, oder auf der Ebene einzelner Sowjetrepubliken agierten, wie die belorussische BELOD. Durch eine organisatorische Besonderheit – die Kollektivmitgliedschaft von Betrieben und (Bildungs-)Einrichtungen – avancierte auch die SSOD praktisch über Nacht zur Massenorganisation; sie kam damit auch innenpolitischen Zielen der Chruschtschow-Ära nach größerer politischer Beteiligung der Bevölkerung und somit größerer ideologischer Einflussnahme durch die Partei nach. Mit der SDF/SGDDR erhielt die deutsche Freundschaftsgesellschaft 1958 im Zuge der Umgestaltung der sowjetischen Organisation erstmals einen ‚eigenen‘ Partner für die kulturelle Zusammen- sowie Freundschaftsarbeit. Allerdings musste sie sich die sowjetische Schwestergesellschaft bis zum Jahre 1965, wohl aus politisch-taktischen Überlegungen der sowjetischen Seite heraus, mit der Bundesrepublik ‚teilen‘; erst vier Jahre nach dem Mauerbau schuf man mit der Sowjetischen Gesellschaft für Freundschaft mit der DDR (SGDDR) eine den politischen Realitäten angepasste Organisation. In der BSSR war es bereits 1952 zur Neugründung einer eigenen Freundschaftsgesellschaft gekommen, nachdem erste Bemühungen unmittelbar nach Kriegsende durch moskauaffine Parteikreise verhindert worden waren. Grund für das frühe außenpolitische Engagement der Sowjetrepublik war wohl ihre UNOMitgliedschaft und damit die Notwendigkeit internationaler Repräsentation. Mit der Umbildung der VOKS kam es auch in der BSSR im Jahre 1958 zum Umbau der Freundschaftsgesellschaft, die als Kontroll- und Koordinationsorgan der auswärtigen Kulturbeziehungen der Republik jedoch eindeutig Direktiven der Dachorganisation aus Moskau befolgte. Für die Beziehungen zu Deutschland bzw. der DDR, eines der ‚Zielländer‘ belorussischer auswärtiger Kulturpolitik, entstand im gleichen Jahr eine belorussische Abteilung der SDF, die organisatorisch in die BELOD eingegliedert und gegenüber dieser ebenso weisungsgebunden war, wie gegenüber der Moskauer SDF sowie SSOD. Obwohl – oder gerade weil – das Gros ihrer Mitarbeiter ehrenamtlich tätig war, konnte die SDF über diese geschickte Personalpolitik Einfluss auf zentrale Stellen zur Durchsetzung ihrer Interessen nehmen: Mehr oder weniger hochrangige Funktionäre aus Partei, Staat und Wirtschaft, kultureller oder wissenschaftlicher Einrichtungen, saßen in den verschiedenen Kommissionen der SDF und konnten so dafür sorgen, dass Entscheidungen, beispielsweise über Direktkontakte von Betrieben und Einrichtungen zur DDR, unmittelbar umgesetzt wurden. Die Zusammenarbeit zwischen deutscher und belorussischer Gesellschaft gestaltete sich auf der Grundlage ein- bis mehrjähriger, in ihrem Umfang stetig zunehmender und durch die zentralen Organe der Freundschaftsgesellschaften in Moskau bzw. Berlin ausgehandelter Pläne. Auf die Inhalte der Zusammenarbeit hatte die belorussische Freundschaftsgesellschaft nur marginalen Einfluss. Gleichzeitig wurden die Freundschaftsgesellschaften auch in den bi- später multi-
3.3 Freundschaftsgesellschaften und sozialistische Aussenpolitik
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lateralen Kulturarbeitsplänen der Außen- und Ministerien für Kultur berücksichtigt – ein Zeichen, dass sie als durchaus wichtige Akteure in der auswärtigen Kulturpolitik angesehen wurden.
3.3 FREUNDSCHAFTSGESELLSCHAFTEN UND SOZIALISTISCHE AUSSENPOLITIK Unter dem Stichwort „kulturelle Auslandsbeziehungen“ verzeichnet das „Kleine Politische Wörterbuch der DDR“, Auflage 1973, die „Gesamtheit der Beziehungen eines Staates auf dem Gebiet der Kunst und Literatur, der Wissenschaft (mit Ausnahme der technisch-wissenschaftlichen Zusammenarbeit), der Bildung, des Gesundheitswesens und des Sports zu anderen Staaten.“ Beteiligt an dieser Art der Auslandsbeziehungen, so der weitere Eintrag, sind nicht nur „zentrale und regionale staatliche Organe“, sondern eben auch „gesellschaftliche Organisationen“.221 Damit wurde Kultur zum einen nicht mehr festgelegt auf einen engen Kulturbegriff (Kunst, Literatur, Musik) sondern auf verschiedene andere Lebensbereiche der sozialistischen Gesellschaft erweitert. Kultur und kulturelle Leistungen dienten außerdem nicht (mehr) einem Selbstzweck, sondern übernahmen in der sozialistischen Gesellschaft unmittelbar erzieherische Aufgaben: Sie dienten der Herausbildung einer sozialistischen und politisch verantwortungsbewussten Persönlichkeit und besaßen so „gesellschaftliche Wirksamkeit“.222 Kulturbeziehungen mit dem Ausland, insbesondere mit den sozialistischen Bruderländern, verfolgten diese Erziehung der ‚Werktätigen‘ in größerem Rahmen. Die Herausbildung eines neuen Typus internationaler Beziehungen zwischen den Werktätigen der sozialistischen Gemeinschaft, die zwar unterschiedlichen, aber sozialistischen Nationen („National in der Form, sozialistisch im Inhalt“) angehörten, war erklärtes Ziel der auswärtigen Kulturpolitik. Dabei ging das marxistisch-leninistische Modell, ganz im Sinne der Reduktion gesellschaftlicher Prozesse auf den historischen Materialismus, davon aus, dass mit dem Erreichen einer ähnlichen gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen Entwicklungsstufe im Aufbau des Sozialismus auch das bürgerliche Konzept der Nation an Bedeutung verlieren würde und die damit verbundenen, auf rein ökonomische Interessen zurückgeführten Konflikte und (Klassen-)Gegensätze im Rahmen dieser neuen Beziehungen überwunden würden.223 Folgerichtig ergibt sich als zweiter wichtiger Aspekt der oben angeführten Definition die obligatorische Einbindung der sozialistischen Gesellschaften, also der Werktätigen selbst, die ihre Rolle in den kulturellen Auslandsbeziehungen zu 221 Vgl. Kulturelle Auslandsbeziehungen in: Kleines politisches Wörterbuch, S. 475–477, hier 475. 222 Vgl. Kultur in: Ebd., S. 472–475, hier 472. 223 Vgl. die Stichworte Kulturelle Auslandsbeziehungen und Nation in: Ebd., S. 475–476, 567– 569.
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spielen hatten. So heißt es dazu in einem Werk zur sozialistischen Diplomatie aus den 1970er Jahren: „Ein Charakterzug der kulturellen Verbindungen zwischen den Ländern der sozialistischen Gemeinschaft besteht darin, daß an diesen Verbindungen viele Millionen Menschen umfassend teilnehmen.“ 224
Nicht nur staatliche, sondern auch, zumindest auf dem Papier, gesellschaftliche Organisationen sollten an der Gestaltung internationaler Beziehungen mitwirken – ein Gedanke, der nicht zuletzt unter der Führung Chruschtschows mit der allseitigen stärkeren gesellschaftlichen Mobilisierung (wieder) verstärkt aufgegriffen wurde. Die Arbeit der Freundschaftsgesellschaften bildete somit eine Schnittstelle zwischen Kulturvermittlung und der Herstellung der internationalen Beziehungen neuen Typs. Sie arbeiteten im eigenen Selbstverständnis aktiv an der Herstellung einer ‚sozialistischen Weltgemeinschaft‘. Dabei war im Sinne der Marxschen Dialektik ein Scheitern dieser neuen Form der internationalen Beziehungen nicht vorgesehen: Ihr Gelingen ergab sich gesetzmäßig aus dem teleologischen Heilsversprechen der kommunistischen Lehre. Freundschaft zwischen sozialistischen Völkern, wie sie die Freundschaftsgesellschaften propagierten, erhielt damit per se eine politische Bedeutung bzw. war Ausdruck einer politischen Entwicklung, als deren Grundlage die „Übereinstimmung in den Grundfragen der Ideologie, Politik und Ökonomie“ galt.225 Diese politische Freundschaft oder die „Beziehungen neuen Typs“ unter anderem mit den Mitteln der Kultur zu fördern, war das tägliche Brot der Freundschaftsgesellschaften.
3.3.1 Freundschaft veranstalten: Zwischen Kultur und Politik Ihrem Selbstverständnis nach sah sich die sowjetische Freundschaftsgesellschaft SSOD in erster Linie als Kulturmittlerin, deren Hauptaufgabe im „Bekanntmachen des sowjetischen Volkes mit der Geschichte, Kultur und dem Leben der Völker im Ausland“, und umgekehrt in der Information über Geschichte, Kultur und Leben des sowjetischen Volkes im Ausland lag.226 Der diesem Verständnis zugrundeliegende breite Kulturbegriff rechtfertigte dabei eine Ausweitung ihrer Tätigkeit auf verschiedenste Bereiche, die – theoretisch – die gesamte sozialistische Gesellschaft als materielle Grundlage einer sozialistischen Kultur umfassen konnte. Die Beteiligung der Werktätigen am „geistig-kulturellen Leben“, produktiv wie rezeptiv, im Rahmen der sozialistischen Kultur wurde durch die Arbeit der Freundschaftsgesellschaft auf international(istisch)er Ebene fortgeführt und sollte zur „Entwicklung neuer Beziehungen zwischen den Menschen der Länder der sozialistischen Gemeinschaft“ beitragen.227 224 225 226 227
Belezki, Viktor N.: Sozialistische Diplomatie, Berlin 1974, S. 74. Kulturelle Auslandsbeziehungen in: Kleines politisches Wörterbuch, S. 475–476, hier 475. SSOD (Hrsg.): Materialy k 60-letiju, S. 47. Vgl. die Stichworte Kultur sowie Kulturelle Auslandsbeziehungen in: Kleines politisches Wörterbuch, S. 472–474, 475–477.
3.3 Freundschaftsgesellschaften und sozialistische Aussenpolitik
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Kulturbeziehungen via Freundschaftsgesellschaften verfolgten damit also weniger einen Selbstzweck im Sinne einer (Weiter-)Entwicklung kultureller Werke, des Kulturtransfers oder eines kulturellen ‚Austauschs‘ im wörtlichen Sinne, als vielmehr eine konkrete gesellschaftlich-politische Aufgabe, indem sie mit den Mitteln der Kultur zur Weiterentwicklung der sozialistischen Gesellschaften beitragen sollten. Diente Kultur, verkürzt gesagt, somit nur als Mittel zum Zweck zur Anreicherung einer mehr oder weniger versteckten politischen Botschaft? Eine derartige Reduzierung auf rein politische Komponenten verstellt allerdings den Blick für die tatsächlichen Möglichkeiten, die die Tätigkeit der Gesellschaften bot. Ein Blick auf die praktische Arbeit zeigt nämlich, dass im Falle vieler Veranstaltungen das „Vehikel“228 Kultur durchaus im Vordergrund stand, die politische Botschaft (nur) implizit und eher selbstverständlich im Hintergrund mitschwang oder umgekehrt, auch in erster Linie politische Kampagnen, wie etwa die Wochen der deutsch-sowjetischen Freundschaft, zahlreiche kulturelle Veranstaltungen beinhalteten. So bestand zum Beispiel ein ganz wesentlicher Teil der Tätigkeit der Freundschaftsgesellschaften in der Planung, Organisation und Durchführung von Veranstaltungen, die sich im Sinne eines engen Kulturbegriffs mit dem ‚klassischen‘ kulturellen Kanon des Partnerlandes beschäftigten. Veranstaltungen und Kulturabende fanden dabei oft aus Anlass bestimmter Jubiläen statt, etwa zu Geburtstagen berühmter Schriftsteller oder Komponisten, aber auch zu Ehren bekannter Wissenschaftler wie etwa Robert Koch.229 Bereits 1959 etwa legte die BELOD dem ZK der KPB einen ersten Plan über die Durchführung solcher Jubiläumsveranstaltungen oder nationaler Feiertage verschiedener Länder vor. Für die DDR handelte es sich dabei zum Beispiel um einen Musikabend zum 200. Todestag Georg Friedrich Händels, eine Feier zum 10jährigen Bestehen der DDR sowie einen Abend zum 200. Geburtstag Friedrich Schillers, der in Minsk, Grodno und Vitebsk geplant war. Federführend bzw. koordinierend wirkte zwar die Gesellschaft, gleichzeitig arbeitete sie aber mit verschiedenen Partnern zusammen, wie der Gewerkschaft, örtlichen Parteikomitees, dem belorussischen Schriftstellerverband sowie dem Ministerium für Bildung der BSSR.230 Eigene Veranstaltungen führten auch lokale oder Betriebsabteilungen der belorussischen Freundschaftsgesellschaft durch, darunter auch Informationsabende politischen Charakters über die DDR, meist jedoch in Verbindung mit Kulturaufführungen, Ausstellungen über das (sozialistische) Leben, Aufführungen deutscher Filme sowie nicht näher bestimmte deutsch-sowjetische Freundschaftsabende. Im oben vorgestellten Sinne 228 Vgl. dazu Klingenberg: „Kultur als Vehikel“. 229 Vgl. Einladungskarte zum Robert-Koch-Abend im Konferenzsaal der BELOD, 26.3.1060, NARB f. 914, op. 3, d. 62, l. 133. 230 „Plan über die Durchführung von Veranstaltungen im Zusammenhang mit Jubiläumsdaten, kulturellen Jahrestagen und nationalen Feiertagen des Auslandes in der BSSR für das Jahr 1959“, NARB f. 914, op. 3, d. 4. Neben der DDR handelte es sich dabei noch um folgende Länder: China, Korea, die Mongolei, Polen, die Tschechoslowakei, Bulgarien, Rumänien, Albanien, Ungarn, England, Frankreich, Italien, Österreich, Indien, Vietnam, Vereinigte Arabische Emirate, Afghanistan, Japan, Indonesien, USA.
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wurden dabei kulturelle Veranstaltungen und Darbietungen mit Informationsveranstaltungen politischen Charakters verknüpft – Kultur erwies sich offenbar als publikumswirksamer als bloße politische Vorträge.231 Der deutschen Freundschaftsgesellschaft stand, spätestens seit ihrer endgültigen Umgestaltung zur Massenorganisation Anfang der 1950er Jahre, eine noch wesentlich dichtere Infrastruktur für die Durchführung diverser Veranstaltungen zur Verfügung. Insbesondere die Kulturhäuser bzw. Häuser der DSF, die nach und nach in jeder größeren Stadt entstanden, spielten dabei eine wichtige Rolle. Neben Vortrags- und Diskussionsabenden fanden hier eben auch Abende sowjetischer Literatur oder Konzerte statt. Gleichzeitig boten die Häuser der DSF Raum für permanente Bibliotheken sowie Räumlichkeiten für die Arbeit der Studiengruppen zu verschiedensten Bereichen der sowjetischen Kultur und Gesellschaft: Theater, Film, Musik, Literatur, russischer Sprachunterricht, aber auch Naturwissenschaft, Philosophie, Technik, Geographie, Medizin und Wirtschaftsfragen gehörten unter anderen zu den Themengebieten.232 Beiden Gesellschaften gemeinsam, und in der Struktur der sowjetischen „Mobilisierungsdiktatur“233 angelegt, war der Jubiläums- oder Kampagnencharakter vieler Veranstaltungen. Dazu zählten sowohl „singuläre Festkampagnen“ zu bestimmten einmaligen Ereignissen – wie etwa die oben genannten Geburtstage berühmter Komponisten, Schriftsteller usw. – als auch „ritualisierte Kampagnen“, zu denen der Historiker Jan C. Behrends bis Mitte der 1950er Jahre vor allem die so genannten „Monate der Freundschaft“ (zur Sowjetunion) zählt, die sowohl in der DDR als auch in Polen begangen wurden.234 Dabei stammte diese spezifische Form der sowjetischen Festkultur, wie sie die Volksdemokratien des Ostblocks im Zuge der Stalinisierung von Staat und Gesellschaft in der Nachkriegszeit übernommen hatten, zum größten Teil noch aus den 1920er Jahren der jungen Sowjetunion. Sowjetische Massenfeste dienten in ihrer Doppelfunktion einerseits der Popularisierung bestimmter politischer Ziele, wurden aber gleichzeitig eines der sichtbarsten Beweismedien für die Erfüllung dieser Ziele.235 Anders gesagt, dienten die von den Freundschaftsgesellschaften durchgeführten Feierlichkeiten nicht nur einer Propagierung (außen)politischer Ziele, sondern galten gleichzeitig auch selbst bereits als sichtbarer Ausdruck internationalistischer (Kultur-)Beziehungen neuen Typs. Als besondere Höhepunkte des internationalistischen Festkalenders wählten die Gesellschaften dabei Fixpunkte nicht nur des eigenen, sondern auch des jeweils anderen Feierkalenders oder verbanden beides miteinander. In den Freundschafts- und Kulturbeziehungen zwischen der Sowjetunion und der DDR entwickelten sich in den 1960er Jahren insbesondere zwei Feste zu Höhepunkten 231 Vgl. etwa den Arbeitsplan der Stadtabteilung Gomel’ der belorussischen Abt. der SDF für das Jahr 1962, NARB, f. 914, op. 4, d. 15, l. 25–27 sowie Arbeitsplan der SDF-Abt. des Bautrusts Nr. 1 in Minsk für das Jahr 1963, ebd. l. 296. 232 Zur Arbeit der Kulturhäuser und Studiengruppen allerdings vornehmlich zu Beginn der 1950er Jahre vgl. Klingenberg: „Kultur als Vehikel“, S. 84–88. 233 Behrends: Erfundene Freundschaft, S. 282. 234 Ebd. 235 Vgl. dazu: Rolf, Malte: Das sowjetische Massenfest, Hamburg 2006, S. 7–19.
3.3 Freundschaftsgesellschaften und sozialistische Aussenpolitik
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der deutsch-sowjetischen Zusammenarbeit: Einmal die Woche der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft, die anlässlich der Befreiung des deutschen Volkes vom Faschismus bzw. des Sieges über den Nationalsozialismus rund um den 8./9. Mai begangen wurde und eine offensichtlich politische Botschaft mit kulturellen Veranstaltungen verband sowie, insbesondere in den 1960er Jahren, gegenseitige Kulturwochen um den 7. Oktober (Jahrestag der Gründung der DDR). Beide Kampagnen verbanden in je unterschiedlichem Umfang Kultur- und Festprogramme mit politischen Aussagen, die – neben ideologischen Konstanten der deutschsowjetischen Freundschaft – auch tagesaktuelle politische Botschaften umfassten; zugleich erwiesen sich beide Großveranstaltungen als in hohem Maße abhängig von innen- wie außenpolitischen Entwicklungen.
3.3.1.1 Freundschaftswochen: Feiern an der Seite der Sieger Erstmals im Jahr 1949 bereitete sich die deutsche Freundschaftsgesellschaft auf einen der jährlichen Höhepunkte ihrer Tätigkeit vor: Der Monat der deutschsowjetischen Freundschaft sollte, beginnend mit dem Jahrestag der Oktoberrevolution am 7. November, mit Hilfe zahlreicher Veranstaltungen im ganzen Land die Herzen und Köpfe der Bevölkerung für die Freundschaft zur Sowjetunion gewinnen. Dabei lehnten sich die Freundschaftsmonate bis einschließlich 1955 noch sehr eng an sowjetisch-stalinistische Festkampagnen an; nicht nur der Jahrestag der Oktoberrevolution, sondern auch andere, rein sowjetische und in Deutschland kaum bekannte Feste wurden dabei gefeiert. Diese herbstliche „Sowjetisierungssaison“ (Behrends) hatte vornehmlich erzieherische Absichten: So sollten Informationsabende und Vorträge, wieder in Verbindung mit kulturellen Veranstaltungen, den offiziellen Sowjetuniondiskurs ins Bewusstsein der Bevölkerung rücken und gleichzeitig selbst augenscheinliches Symbol einer homogenen Ausrichtung der stalinisierten Ostblockgesellschaften auf die Sowjetunion sein.236 Im Zusammenhang mit der einsetzenden Entstalinisierung und dem nachlassenden Konformitätszwang erhielt der Freundschaftsmonat seit dem Jahr 1957 jedoch eine andere Akzentsetzung. Schon im Herbst 1956 zu einer bloßen Woche der Freundschaft verkürzt237, wurde mit Beschluss des Politbüros der SED sowie auf Vorschlag des Zentralvorstandes der DSF der Freundschaftsmonat vom Herbst ins Frühjahr, auf den Mai und Juni verlegt. Die Eröffnung sollte alljährlich am 7. Mai, „am Vorabend des Tages der Befreiung“, stattfinden.238 Dabei korrelierte diese Verlegung mit der zunehmenden Kanonisierung der Feierlichkeiten zum 8. Mai und seiner Indienstnahme als legitimierendes Moment der SEDDiktatur. Deckte sich die Wahrnehmung des 8. Mai als „Tag der Befreiung“ je236 Behrends: Erfundene Freundschaft, S. 226–233. 237 Vgl. z. B. „Jede Seite ein Treffer. Woche der deutsch-sowjetischen Freundschaft vom 31. Oktober bis 7. November“, Neues Deutschland, 10.10.1956, S. 6. 238 ZV der DSF, Persönliche Verschlußsache – Beschlüsse – ZK 01 Tgb.-Nr. 35/36, Gen. Mießner, 10.7.1956, SAPMO-BArch DY 32/10237, fol. 1576.
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doch kaum mit den lebensgeschichtlichen Erfahrungen des überwiegenden Teils der DDR-Bevölkerung, nahm die Vermittlung der offiziellen Befreiungserzählung im Rahmen der Freundschaftsfeierlichkeiten eine umso zentralere Rolle ein. Zugleich begründete der 8. Mai mit seinem Befreiungsmythos auch die enge Anbindung der DDR an die Sowjetunion.239 Besonders nach der Gründung des Warschauer Paktes im Jahr 1956 dürfte die Verlegung des Freundschaftsmonats auf den Mai auch ein deutliches Signal der Ostintegration an die eigene Bevölkerung gewesen sein. Nach dem Tod Stalins hatte sich auch in der Sowjetunion die Feier des 9. Mai, des Tags des Sieges, bzw. das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg allgemein in seiner Bedeutung gewandelt. Während im Spätstalinismus vor allem die militärischen Fähigkeiten des Diktators als ausschlaggebend für den Sieg im Großen Vaterländischen Krieg hervorgehoben worden waren, änderte sich diese Deutung mit der Rede Nikita Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 grundlegend. Mit der Kritik an Stalin und dessen (militärischen) Fehlentscheidungen, wurde der Verdienst am Sieg nun vielmehr der Partei als Ganzem zugeschrieben, der Sowjetischen Armee sowie den Millionen von Menschen, die unter der Führung der Partei gekämpft hätten. Damit war inhaltlich der Weg bereitet für die spätere große Inszenierung von Siegesfeiern, wie sie seit 1965 unter Leonid Breschnew insbesondere zur Legitimation der Parteiherrschaft das offizielle sowjetische Geschichtsbild prägten. Einerseits diente der Sieg als Beweis für die Überlegenheit des sozialistischen Systems über Faschismus und Kapitalismus und bot damit auch verstärkt Integrationsmöglichkeiten für die übrigen Ostblockstaaten, die sich im sozialistischen Lager auf der Seite der Sieger wähnen konnten. Andererseits überlagerte er mit seinem Anspruch, möglichst viele Einzelschicksale erschöpfend darzustellen („niemand ist vergessen, nichts ist vergessen“), das kommunikative Gedächtnis und forcierte so eine einheitliche Meistererzählung, die exemplarisch für alle Einzelerfahrungen, die sich nicht immer mit diesem offiziellen Kriegsnarrativ deckten, stehen sollte.240 In Anbetracht der deutsch-sowjetischen Vergangenheit und der Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg war es politisch ein sowohl geschickter als auch gewagter Schachzug, die Woche der Deutsch-Sowjetischen bzw. Sowjetisch-Deutschen Freundschaft ausgerechnet auf dieses Datum zu legen. Allerdings entsprach dies einerseits den antifaschistischen Selbstzuschreibungen des SED-Regimes, ande-
239 Hurrelbrink, Peter: „Befreiung als Prozess. Die kollektiv-offizielle Erinnerung an den 8. Mai 1945 in der Bundesrepublik, der DDR und im vereinten Deutschland“, in: Schwan, Gesine u. a. (Hrsg.): Demokratische politische Identität. Deutschland, Polen und Frankreich im Vergleich, Wiesbaden 2006, S. 71–119, hier S. 77, 109–110; Rolf: Das sowjetische Massenfest, S. 334. 240 Karl, Lars: „Der ‚Tag des Sieges‘ in der Sowjetunion. Inszenierung eines politischen Mythos (Reprint)“, Zeitgeschichte-online Mai (2005), S. 20–24, http://www.zeitgeschichte-online.de /themen/der-tag-des-sieges-der-sowjetunion (zugegriffen am 2.6.2017). Vgl. zum Gedenken an den Zweiten Weltkrieg in der Sowjetunion auch Kap. 5.3.1 dieser Arbeit.
3.3 Freundschaftsgesellschaften und sozialistische Aussenpolitik
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rerseits auch den sowjetischen Bemühungen um die DDR insbesondere unter Nikita Chruschtschow.241 Wie sehr man sich in der DDR der Bedeutung des Gedenkens an den Zweiten Weltkrieg für die sowjetisch-deutsche Freundschaft bewusst war, zeigen unter anderem die akribischen Berichte der DDR-Botschaft in Moskau über die Durchführung entsprechender Veranstaltungen in der UdSSR, darunter auch in der BSSR. Schon im Mai 1958 etwa lieferte die diplomatische Vertretung als Ergänzung zu einem allgemeinen Bericht über die Freundschaftswoche in der Sowjetunion auch einen kurzen Nachtrag zu deren Durchführung in der belorussischen SSR, insbesondere in den Städten Minsk und Gomel’. So hätten dort Kundgebungen und Diskussionen stattgefunden, Festabende und Vorträge sowie Sendungen über die DDR im Rundfunk. Interessanterweise fand dies schon vor der Umgestaltung der belorussischen Freundschaftsgesellschaft sowie der formellen Gründung der belorussischen sowjetisch-deutschen Gesellschaft statt.242 Ein aufschlussreiches Bild über den Ablauf der Veranstaltungen vermittelt ein Bericht deutscher Botschaftsmitarbeiter, die anlässlich der Woche der Freundschaft 1963 in die belorussische Oblast’-Hauptstadt Gomel’ gereist waren. Die an der südöstlichen Landesgrenze zur Ukraine gelegene Stadt Gomel’ besaß eine der ersten und – im gesamten Untersuchungszeitraum – aktivsten lokalen Abteilungen der sowjetisch-deutschen Freundschaftsgesellschaft. So stand etwa die langjährige Vorsitzende der Gomel’er Abteilung, Evgenija Orlenko243, Leiterin des Laboratoriums für Genetik des Belorussischen Wissenschaftlichen Forschungsinstituts für Forstwirtschaft, in regem Briefkontakt mit der Botschaft in Moskau und erreichte auf diesem Wege, dass mehrfach Botschaftsmitarbeiter, 1964 sogar der Botschafter selbst, anlässlich der Freundschaftswoche die Stadt besuchten. Tatsächlich hatte Gomel’, das laut Eigenauskunft der dortigen Gesellschaft seit der Oktober-
241 Insbesondere Hope M. Harrison vertritt die These, dass in der Phase vor dem Mauerbau starkes Entgegenkommen von Seiten Chruschtschows gegenüber dem ostdeutschen ‚Schaufenster des Sozialismus‘ die Politik bestimmt habe. Vgl. dazu: Harrison: Driving the soviets up the wall. 242 Schreiben der Botschaft der DDR in Moskau an das MfAA, HA I/1, 28.5.1958, PA AA, MFAA, A 891, pag. 595. 243 Evgenija G. Orlenko, Leiterin des Laboratoriums für Genetik des Belorussischen Wissenschaftlichen Forschungsinstituts für Forstwirtschaft (1973), war seit deren Gründung 1960 bis mindestens 1980 Vorsitzende der Stadtabteilung Gomel’ der Gesellschaft für SowjetischDeutsche Freundschaft und im Moskauer Zentralvorstand der Gesellschaft für SowjetischDeutsche Freundschaft aktiv (1973). Sie wurde später offenbar auch mit der Verdienstmedaille der DDR ausgezeichnet. Vgl. dazu: Botschaft Moskau: „Reise anläßlich der Freundschaftswoche vom 12.05.–18.05.1963“, PA AA, MFAA, A 892, pag. 199–208; Schreiben des GK Minsk (Bernatek) an den ZV der DSF (Thieme), 29.1.1980, SAPMO-BArch DY 32/1104, unpag.; Abt. AgitProp der DSF, Liste der Republik-, Gebiets- und Stadtabteilungen der SGDDR, ohne Datum, SAPMO-BArch DY 32/2438, unpag.
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revolution kein ausländischer Diplomat besucht hatte244, bis 1965 damit sogar mehr Besuch der deutschen Vertretung als die Hauptstadt Minsk.245 Während ihres dortigen Aufenthaltes im Jahr 1963 absolvierten die beiden deutschen Gäste ein umfangreiches Besichtigungs-, Fest- und Kulturprogramm. Neben einer feierlichen Eröffnungsveranstaltung im Kulturpalast der Eisenbahnergewerkschaft gehörte dazu etwa auch ein musikalischer Abend zum 130. Geburtstag Johannes Brahms, zu denen, so der Bericht, je ca. 850 bzw. 600 Teilnehmer gezählt wurden. Über die (soziale) Zusammensetzung und Motivation der Besucher sagt dies freilich nichts aus.246 Dass die Botschaft im Zweifelsfall aber auch kritisch über fingierte Besucherzahlen berichtete, zeigte sich anlässlich der Moskauer Freundschaftswoche 1962: Die dortige Gesellschaft versuchte offenbar regelmäßig, Publikumsplätze entsprechender Festveranstaltungen mit Touristen aus der DDR zu füllen, wie die Botschaft kritisch bemerkte.247 Dies war in Gomel’, schon allein aus Mangel an Touristen, wohl kaum der Fall. Insgesamt hoben die Botschaftsarbeiter immer wieder positiv die außerordentlich engagierte Arbeit der Gesellschaft vor Ort und das große Interesse, das die Bevölkerung der Entwicklung der DDR entgegenbringe, hervor: So hätten die „[…] Sowjetmenschen der Stadt Gomel und Umgebung […] eine sehr hohe Meinung von dem fleißigen deutschen Volk und waren besonders dankbar dafür, daß wir ihnen versicherten, alles zu tun, um den Frieden zu erhalten […]“248
Diese wichtige Friedensbotschaft übermittelten die deutschen Gäste aus Moskau nicht nur beim Besuch zahlreicher Betriebe, Kolchosen oder Kultureinrichtungen, sondern sogar bei einem 20minütigen Fernsehauftritt, der, nach Schätzungen des Berichts, etwa 200 000 Zuschauer erreichte. Die dazu vorbereitete Rede, mit der die „Herzen der Bevölkerung gewonnen“ werden sollte, sei ohne Änderungen angenommen, mithin nicht zensiert worden. Die Funktionäre konnten frei über die Ziele der DDR-Außenpolitik sprechen: von einer Abgrenzung der DDR-Friedenspolitik gegenüber der „Adenauerschen Revanchepolitik“ sowie, dies möglicherweise auch an die Adresse der Sowjetführung, über die Wichtigkeit eines Friedensvertrages und die Regelung der Westberlinfrage249 für die DDR. Ulbrichts 7244 Schreiben Krolikowskis, Leiter der 1. Europ. Abt. des MfAA an Handke, Präsident der DSF, 22.5.1962, SAPMO-BArch DY 32/10968, pag. 9–20. 245 Vgl. dazu etwa Schreiben zur Einladung des Botschafters nach Gomel’ durch Orlenko, 16.2.1964, bzw. die zugehörige Antwort der Botschaft der DDR in Moskau, 6.4.1964, PA AA, MFAA, A 892, pag. 181, 178. 246 Ebd., pag. 199–200, 203. 247 Schreiben Krolikowskis, Leiter der 1. Europ. Abt. des MfAA an Handke, Präsident der DSF, 22.5.1962, SAPMO-BArch DY 32/10968, pag. 9–20. 248 Bericht zur „Reise anläßlich der Freundschaftswoche vom 12.05.–18.05.1963“, 20.5.1963, PA AA, MFAA, A 892, pag. 199–209, hier 202–203. 249 Im Sommer zeichnete sich endgültig ab, dass die DDR mit ihren Forderungen eines separaten Friedensvertrages und einer Umwandlung Westberlins zur Freien Stadt kein Gehör mehr bei der Sowjetführung finden würde, die zu diesem Zeitpunkt auf Entspannungspolitik und Bewahrung des Status Quo in Europa setzte. Bei Beratungsgesprächen im Juli 1963 in Moskau wurde der ostdeutschen Delegation denn auch unmissverständlich klar gemacht, dass ihre au-
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Punkte-Programm, das so genannte „Abkommen der Vernunft und des guten Willens“, zur Deutschlandpolitik250 wurde dabei besonders hervorgehoben und beworben. Eine andere, heiklere Frage, spricht der Bericht dagegen nur implizit an, nämlich den Umgang mit dem Zweiten Weltkriegs und der Erinnerung an die deutsche Besatzung. Beim Besuch einer Freundschaftsveranstaltung in einer Glasfabrik, an der 600‒700 Besucher, „überwiegend ältere Arbeiter“, teilnahmen, fühlten sich die beiden deutschen Besucher genötigt, noch einmal besonders stark auf die Friedenspolitik der DDR und den „friedliebenden“ Charakter der Nationalen Volksarmee einzugehen, wodurch sofort ein „herzlicher Kontakt“ hergestellt worden sei.251 Ob damit tatsächlich alle anti-deutschen Ressentiments zerstreut werden konnten, mag allerdings dahingestellt bleiben. Die DDR-Botschaft in Moskau bemühte sich sichtlich um eine gute Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Sowjetisch-Deutsche Freundschaft im Rahmen dieser und anderer Veranstaltungen. Der Besuch in Gomel’ zeigt, dass nicht nur zentrale Städte wie Moskau, Leningrad oder die Republikhauptstädte für eine Zusammenarbeit in Frage kamen, sondern auch die Öffentlichkeitsarbeit zugunsten der DDR in der sowjetischen ‚Provinz‘ als wichtig erachtet wurde. Die Botschaftsmitarbeiter nutzten dabei die Gelegenheit der protokollarischen Besuche, die außenpolitische Linie der DDR, insbesondere ihr Verhältnis zur Bundesrepublik, unter der sowjetischen Bevölkerung bekannt zu machen. Nicht zuletzt ging es im Bemühen um die Freundschaftsgesellschaft nämlich auch um die Konkurrenz zur Bundesrepublik und die Schaffung eines „beachtlichen Gegengewicht(s) gegen die DDR-feindliche und antisowjetische Konzeption der Bonner Botschaft in Moskau“, so ein internes Botschaftspapier aus dem Jahre 1958.252 Regelmäßig informierte die BELOD in der Folgezeit sowohl die Botschaft in Moskau als auch die DSF über die Durchführung der Freundschaftswochen, die eines der jährlichen Großereignisse in ihrer Tätigkeit darstellte. Wie bereits am Beispiel von Gomel’ aufgezeigt wurde, handelte es sich bei den Veranstaltungen zur Woche der Sowjetischen-Deutschen Freundschaft meist um eine Mischung aus Festveranstaltungen, Kulturprogrammen, politischen Informationsveranstaltungen, Ausstellungen sowie Veröffentlichungen und Sendungen in Presse und Rundfunk. Eingeleitet wurden die Freundschaftstage häufig durch den Empfang eines so genannten Freundschaftszuges253: DDR-Touristen, die auf dem Weg nach Moskau für einen Tag in der belorussischen Hauptstadt Station machten. Auch für den kurzen Zwischenstopp wurden solche Züge am flaggengeschmückten Bahn-
250
251 252 253
ßenpolitischen Forderungen diesbezüglich nicht mehr erwünscht waren, vgl. dazu Wentker: Außenpolitik in engen Grenzen, S. 214–215. Zu Kontext und Inhalt dieses Programms vgl. etwa Engelmann, Roger und Paul Erker: Annäherung und Abgrenzung. Aspekte deutsch-deutscher Beziehungen 1956–1969, Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 66, München 1993, S. 149. Bericht zur „Reise anläßlich der Freundschaftswoche vom 12.05.–18.05.1963“, 20.5.1963, PA AA, MFAA, A 892, pag. 199–209, hier 202–203. Informationspapier zur Gesellschaft für Sowjetisch-Deutsche Freundschaft und kulturelle Verbindung, 1958, PA AA, MFAA, A 891, pag. 286–289, hier 289. Zu Freundschaftszügen vgl. Kapitel 5.1.4 dieser Arbeit.
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hof zeremoniell mit einem so genannten „Meeting“ (miting) empfangen: Musik spielte, Funktionäre hielten Begrüßungsreden und Blumen und Geschenke wurden ausgetauscht. Zudem erfolgte oft eine Übertragung per Radio und Fernsehen: Eine ‚Werbemaßnahme‘ gegenüber der eigenen Bevölkerung, die nicht nur den Besuch der ‚Freunde‘ aus der DDR dokumentierte, sondern auch der sowjetischen Bevölkerung Internationalität und Offenheit suggerierte.254 Ebenfalls fester Bestandteil der Freundschaftswoche war der feierliche Eröffnungsabend, der meist in einem der größeren Kulturpaläste stattfand. Besonders im Jubiläumsjahr 1965 wurde er in großem Stil begangen, so dass nicht wenige Staats- und Parteigrößen auf der Gästeliste standen: Mitglieder des ZK der KPB und des Ministerrates der BSSR, Außen- und Bildungsminister der Republik sowie andere führende Mitglieder gesellschaftlicher Organisationen, kurz „Vertreter der Öffentlichkeit der Stadt“ und mithin wohl ausschließlich geladene Gäste, nahmen an der feierlichen Veranstaltung teil. Aus der DDR war in diesem Jahr freilich nur der Handelsvertreter der Moskauer Botschaft erschienen; hatte der Botschafter selbst Minsk im vorangegangenen Jahr besucht, weilte er 1965 anlässlich des symbolträchtigen Jubiläums wohl an prominenterer Stelle. Der Abend selbst bestand aus verschiedenen Vorträgen zur Entwicklung der DDR und endete mit einem „großen Konzert“.255 Für die breitere Öffentlichkeit fanden in den anschließenden Tagen ebenfalls derartige Abendveranstaltungen statt, dann meist in Betrieben und anderen Einrichtungen, die über eine Grundeinheit der sowjetisch-deutschen Freundschaftsgesellschaft verfügten. Darüber hinaus zeigte man an unterschiedlichen Orten Fotoausstellungen zum Leben und Arbeiten in der DDR sowie DDR-Filmreihen, organisierte Verkaufsausstellungen mit DDR-Waren und Literatur „progressiver“ deutscher Schriftsteller. In Gomel’, wo sogar eine Kinderabteilung der SDF aktiv war, fand im Mai 1965 ein so genanntes „Friedensforum“ der Pioniere statt, in dessen Rahmen mit Schulen aus der DDR Aufsätze zum Thema „Wie meine Familie und Verwandten für den Frieden kämpfen“ sowie Kinderzeichnungen zur Friedensthematik ausgetauscht wurden.256 Das Jubiläumsjahr 1965 und seine „Würdigung“ in der UdSSR waren wiederum für das MfAA von größtem Interesse. In einem zwölfseitigen Bericht informierte die Politische Abteilung der DDR-Vertretung über die Ereignisse und gab
254 Vgl. dazu beispielhaft die Schilderung der Freundschaftswoche durch den Vorsitzenden der BELOD, Smirnov, an den ZV der DSF, 20.5.1964, deutsche Übersetzung, SAPMO-BArch DY 32/574, unpag. 255 „Über die Veranstaltungen in der BSSR im Zusammenhang mit dem 20. Jahrestag der Befreiung des deutschen Volkes vom Faschismus und der Woche der deutsch-sowjetischen Freundschaft“, Smirnov, Vorsitzender des Präsidiums der BELOD, an Dölling, Botschafter der DDR in Moskau, 20.5.1965, PA AA, MFAA, A 892, pag. 123–127, hier 125. 256 Vgl. beispielsweise die entsprechenden Berichte der BELOD für 1964 und 1965 an die Botschaft der DDR in Moskau, PA AA, MFAA, A 892, pag. 123–127, 173–175; sowie Berichte der Stadtabteilung Gomel’ für die Jahre 1963 und 1965, PA AA, MFAA, A892, pag. 182– 189, 147–152.
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Empfehlungen für die weitere Zusammenarbeit zum Wohle der DDR.257 Demnach kam jedoch die starke Bedeutung, die dem Tag des Sieges seit dem sowjetischen Führungswechsel zufiel258, der DDR nicht uneingeschränkt zugute. So hätten die umfangreichen, monatelangen Vorbereitungen für den 20. Jahrestag des Sieges in der Sowjetunion, der noch dazu mit dem 20jährigen Jubiläum des Nationalfeiertags der ÇSSR zusammenfiel, „das Hauptaugenmerk der sowjetischen Öffentlichkeit“ beansprucht und somit wenig Raum gelassen für eine Propagierung der Freundschaftswoche. Mit der Behandlung des Themas von offizieller sowjetischer Seite war man jedoch zufrieden: So hätten sowjetische Redner immer wieder die Wichtigkeit der DDR und „ihrer nationalen Mission“ hervorgehoben sowie die unverbrüchliche sowjetisch-deutsche Freundschaft. Zudem habe der Leitgedanke „Der 20. Jahrestag des Sieges der Sowjetunion und der 20. Jahrestag der Befreiung des deutschen Volkes vom Faschismus sind ein gemeinsamer Feiertag unserer Völker“ alle Veranstaltungen durchzogen. Während dieser schöne Schein vom Feiern an der Seite der Sieger sehr im Sinne der Funktionäre sowohl des MfAA als auch der DSF gewesen sein dürfte, zeigten sich in der Realität gewisse Schattenseiten. Es sei offensichtlich geworden, so der Bericht weiter, dass es „[…] hier und da Sowjetbürger gab, die zwischen Deutschen und Deutschen nicht differenzierten.“ Durch die umfangreiche und langfristige „propagandistische Vorbereitung“ des Tags des Sieges sei der Hass vieler Sowjetbürger auf den Faschismus neu belebt worden, und dies „[…] führte in Einzelfällen leider auch zu einer gewissen Zurückhaltung und zu unüberlegten Äußerungen gegenüber DDR-Bürgern.“ So hätten beispielsweise Lehrkörper und Parteivertreter der Leningrader Universität den dortigen Austauschstudenten aus der DDR geraten, sich am Tag des Sieges möglichst unauffällig zu benehmen. Und in Minsk waren Offiziere der NVA in einem Restaurant offen als Faschisten beschimpft worden. Zwanzig Jahre nach Kriegsende waren damit die von staatlicher Seite teils unterdrückten Erinnerungen an die deutsche Besatzung noch immer unter der Bevölkerung präsent; mit dem verstärkten Wiederaufgreifen des 9. Mai durch die sowjetische Propaganda unter Leonid Breschnew kamen Gefühle und Ressentimens ans Tageslicht, die eben nicht zwischen West- und Ostdeutschen unterschieden. Dagegen sei während der Feierlichkeiten selbst, wie die Botschaft erfreut hervorhob und möglicherweise auch als Reaktion auf antideutsche Stimmungen unter der Bevölkerung, zum ersten Mal in der Sowjetunion „in breitem Umfang de[r] Kampf der deutschen Antifaschisten“ gewürdigt worden – also eine Thematik259, der die DDR selbst seit ihrer Gründung einen zentralen Stellenwert in ihrer Auslandsinformation beigemessen hatte. Besonders stark sei dies in Wolgograd (!) geschehen, wobei man die Fronteinsätze Ulbrichts und Erich Weinerts besonders hervorgehoben habe. In 257 Vgl. auch für die folgenden Zitate: Polit. Abt. der Botschaft Moskau an ZV der DSF, MfAA 1. EA, ZK Abt. Int. Verb., Botschaft (Verteiler), „Bericht über die Würdigung des 20. Jahrestages der Befreiung des deutschen Volkes vom Faschismus und die Durchführung der Freundschaftswoche in der UdSSR“, SAPMO-BArch DY 32/149, fol. 547–558. 258 Siehe zum Bedeutungswandel des 9. Mai unter Breschnew: Tumarkin, Nina: The living and the dead. The rise and fall of the cult of World War II in Russia, New York 1994, S. 133–138. 259 Vgl. dazu auch insbesondere Kap. 5.3.1 dieser Arbeit.
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Minsk lud die BELOD Sohn und Witwe des „Patrioten und Antifaschisten“ Fritz Schmenkel260 zu den Feierlichkeiten ein und kam damit vermutlich Moskauer Vorgaben entgegen. Erna und Hans Schmenkel wurden in der belorussischen Hauptstadt als Ehrengäste der Freundschaftswoche empfangen und erhielten ein eigens für sie ausgearbeitetes Besuchsprogramm, zu dem unter anderem auch ein Treffen mit belorussischen Kriegsveteranen gehörte.261 In der DDR dagegen hatte man sich zur Freundschaftswoche 1965 zunächst eine ganz andere Thematik vorgestellt: Bereits Anfang des Jahres hatte das ZK der SED entschieden, die Woche der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft 1965 mit der „Kampfwoche der europäischen Völker gegen die atomare Bewaffnung der Bundesrepublik“262 zu verbinden. Der DDR-Führung ging es in diesem Jahr also weniger um einen dankbaren Blick zurück, als um eine politische Indienstnahme der deutsch-sowjetischen Freundschaft für das Hier und Jetzt und eine Agitation gegen den westdeutschen Staat. Diese Absicht wurde jedoch nicht weiterverfolgt, wahrscheinlich aus Rücksicht auf sowjetische Befindlichkeiten und die eher abwartende sowjetische Haltung in der Deutschlandfrage nach dem Machtwechsel im Politbüro vom Oktober 1964.263 Betont wurde stattdessen, ganz im Einklang mit dem 20. Jahrestag der Befreiung, die Dankbarkeit gegenüber der Sowjetarmee, die die „Hauptlast bei der Zerschlagung des Hitlerfaschismus“ habe tragen müssen. Eröffnet wurde die Freundschaftswoche in der Berliner Kongresshalle entsprechend mit einem Konzert unter dem Motto: „Dank euch, ihr Sowietsoldaten (sic!)“.264 260 Fritz Schmenkel, geb. 1916, diente während des Zweiten Weltkrieges als Kanonier der Reichswehr an der Ostfront. Im November 1941 desertierte er, flüchtete in die Wälder bei Smolensk und kam in Kontakt mit belorussischen Partisanen, für die er ab Februar 1942 als Aufklärer tätig war. Im Frühjahr 1943 erhielt Schmenkel vom Präsidium des Obersten Sowjet der UdSSR den Rotbannerorden für seine Tätigkeit als Partisan. Ende Dezember 1943 geriet er als Kundschafter hinter die deutsche Frontlinie, wurde festgenommen und im Februar 1944 durch ein deutsches Kriegsgericht zum Tode verurteilt und erschossen. In der DDR wurden zahlreiche Straßen, Betriebe und Bildungseinrichtungen nach Fritz Schmenkel benannt. Zum Bedeutungswandel des Tages des Sieges unter Breschnew und dabei auch der Betonung der Mitwirkung deutscher Antifaschisten passt auch, dass Fritz Schmenkel, dessen Mitwirkung in der Partisanenbewegung freilich erst 1960 wieder entdeckt und danach intensiver erforscht wurde, 1964 zum Held der Sowjetunion ernannt wurde. Vgl. dazu das 1968 erstmals veröffentlichte Buch von Neuhaus, Wolfgang: Kampf gegen „Sternlauf“. Der Weg des deutschen Partisanen Fritz Schmenkel, 4. Aufl., Berlin (Ost) 1980. 261 „Über die Veranstaltungen in der BSSR im Zusammenhang mit dem 20. Jahrestag der Befreiung des deutschen Volkes vom Faschismus und der Woche der deutsch-sowjetischen Freundschaft“, Smirnov, Vorsitzender des Präsidiums der BELOD, an Dölling, Botschafter der DDR in Moskau, 20.5.1965, PA AA, MFAA, A 892, pag. 123–127. Vgl. zur Stilisierung Fritz Schmenkels als deutsch-sowjetisch-belorussischen Helden Kap. 5.3.2 dieser Arbeit. 262 Mitteilung von Peter Florin, Abt. für Internat. Verbindungen beim ZK der SED an den ZV der DSF, SAPMO-BArch DY 30/IV A 2/20/153, unpag. 263 Wentker: Außenpolitik in engen Grenzen, S. 225–227. 264 Vgl. dazu „Festliche Maitage. Veranstaltungsprogramm zum 20. Jahrestag der Befreiung.“, Neue Zeit, 21.4.1965, S. 1; sowie „Prof. Dieckmann eröffnete Freundschaftswoche. Festveranstaltung mit sowjetischen Gästen in der Kongreßhalle.“, Neues Deutschland, 3.5.1965, S. 1.
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Als Großveranstaltung sollte die Freundschaftswoche in der DDR die gesamte Bevölkerung für die deutsch-sowjetische Freundschaft mobilisieren: So wurden die vielfältigen Veranstaltungen breit in der Presse beworben. Allein für das Jahr 1965 hätten die Grundorganisationen dem Zentralvorstand der DSF 18 000 Veranstaltungspläne unterbreitet, so die Neue Zeit.265 Die Veranstaltungen selbst umfassten ein umfangreiches Kulturprogramm, wie Auftritte sowjetischer Tanz- und Gesangsgruppen oder Solisten, Konzerte, Film- und Diavorträge, literarische Abende, gleichzeitig aber auch politische Foren (in diesem Falle gegen die Verjährung von Nazi- und Kriegsverbrechen), Tagungen der Nationalen Front und christlicher Arbeitskreise sowie Eröffnungsfeierlichkeiten in den einzelnen Bezirken. Durch die Verknüpfung mit den Feierlichkeiten zum 1. und 8. Mai entstand in Kombination mit Kultur- und Musikveranstaltungen eine festivalartige Stimmung, die Politisches geschickt mit Freizeitvergnügen verband.266 In der praktischen Vorbereitung der Freundschaftswochen arbeitete die DSF eng mit der sowjetischen und belorussischen Freundschaftsgesellschaft zusammen. Allerdings hatte sich mit der Neugründung der SSOD im Gegensatz zur VOKS nicht alles schlagartig zum Besseren gewandelt: Noch immer verursachten die große Zahl beteiligter Akteure und vor allem teilweise unklare Hierarchien auf beiden Seiten erhebliche Zeitverzögerungen. Immer wieder wies die DDRBotschaft in diesem Zusammenhang auf Organisationsschwierigkeiten der überlasteten sowjetischen Gesellschaft hin. So habe man erst nach „tagelangem Mahnen seitens der Botschaft“ endlich einen Veranstaltungsplan über die Freundschaftswoche 1965 erhalten, der, so stellte sich später heraus, „sehr unter Zeitdruck entstanden“ war. In ihrer Not hatten die sowjetischen Mitarbeiter der Gesellschaft offenbar simple Betriebsveranstaltungen zum Tag des Sieges zu großen Freundschaftsveranstaltungen deklariert, was die Botschaftsmitarbeiter, die dann unerwartet zu diesen Veranstaltungen auftauchten, „z.T. in eine peinliche Situation“ brachte. Aber auch auf Seiten der DDR-Behörden lief mitnichten alles reibungslos; auch hier hemmte etwa die komplizierte Einladepraxis für sowjetische Gäste, die über das MfAA abgewickelt werden musste, die Vorbereitungen. Möglicherweise im Zusammenhang mit der hohen Arbeitsbelastung beider Gesellschaften schlug die Botschaft daher vor, die Freundschaftswochen wieder in den Herbst zu verlegen. Ohnehin neige die sowjetische Gesellschaft dazu, dem Nationalfeiertag der DDR mehr Beachtung zu schenken, so dass die Freundschaftswoche de facto sogar zweimal begangen wurde.267 Indes verhallte der praktische und arbeitssparende Vorschlag der Botschaft ungehört: Auf deutscher Seite hielt man 265 „Festliche Maitage. Veranstaltungsprogramm zum 20. Jahrestag der Befreiung.“, Neue Zeit, 21.4.1965, S. 1. 266 Vgl. ebd. sowie „Musik – Tanz – Feuerwerk. Bunte Festwoche in Treptow/Viele Künstler wirken mit.“, Neue Zeit, 22.4.1965, S. 8. Zu den Parkfestspielen Friedrichshain anlässlich der Freundschaftswoche vgl. „Wettstreit.“, Neues Deutschland, 16.2.1965, S. 8. 267 Politische Abt. der Botschaft Moskau an ZV der DSF, MfAA 1. EA, ZK Abt. Int. Verb., Botschaft (Verteiler), „Bericht über die Würdigung des 20. Jahrestages der Befreiung des deutschen Volkes vom Faschismus und die Durchführung der Freundschaftswoche in der UdSSR“, SAPMO-BArch DY 32/149, fol. 547–558, hier 555–558.
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weiterhin am Mai als Freundschaftsmonat fest; zu eng war die politische Botschaft der Befreiung mit der Sowjetunion verknüpft, als dass die Freundschaftsgesellschaft auf diesen Anlass hätte verzichten wollen. Auf sowjetischer Seite dagegen wurde die „Woche der Freundschaft mit der DDR“ wieder in den Oktober verlegt, möglicherweise aus Rücksichtnahme auf die immer größeren Siegesfeiern am 9. Mai, die nicht nur organisatorische Kräfte, sondern auch die Aufmerksamkeit der Bevölkerung banden.268
3.3.1.2 Tage der Kultur Zur hohen Arbeitsbelastung der belorussischen wie der deutschen Freundschaftsgesellschaft trug im Jahr 1965, neben den ohnehin bereits im Vorjahr vereinbarten Veranstaltungen zu verschiedensten Jubiläen und Feiertagen269, auch eine außergewöhnliche Neuerung in der sowjetischen auswärtigen Kulturpolitik bei: Erstmals 1964 wurden in der DDR, beruhend auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit, im Herbst spezielle Tage der Kultur durchgeführt, die sich ganz der Kultur einer einzigen Sowjetrepublik widmeten. Dabei war die dadurch eingeleitete Repräsentation einzelner Nationalitäten der Sowjetunion im Ausland von Anfang an nicht unumstritten. Sie kann nur im Kontext der gesamtsowjetischen Politik, insbesondere des Wechsels an der Moskauer Führungsspitze und der daraus folgenden unterschiedlichen Akzentsetzung in der sowjetischen Nationalitätenpolitik, erklärt werden.
Kontext: Sowjetische Nationalitätenpolitik Anfang des Jahres 1965 übermittelte die Kulturabteilung der Botschaft Moskau dem MfAA in Berlin Informationen zur Durchführung besagter ‚Kulturtage‘, die nicht ganz frei von Widersprüchen waren: Bei einem Cocktailempfang der Botschaft habe sich ein Mitarbeiter der Internationalen Abteilung des ZK der KPdSU verwundert darüber geäußert, dass die deutsche Konzeption des Kulturarbeitspla268 Vgl. dazu den „Plan der Zusammenarbeit der SSOD und SGDDR mit der DSF für die Jahre 1974–1975“, NARB f. 914, op. 4, d. 518, l. 100–118. 269 Im Einzelnen waren dies auf sowjetischer Seite: 10. Jahrestag des Abkommens über die Beziehungen zwischen der UdSSR und der DDR am 20.9.1955, 16. Jahrestag der Gründung der DDR, 280. Geburtstag von Johann Sebastian Bach, 20. Todestag von Käthe Kollwitz, 90. Geburtstag von Thomas Mann, 145. Geburtstag von Friedrich Engels, 150. Geburtstag des Malers Adolf Menzel, vgl. dazu: Plan über die Zusammenarbeit der Gesellschaften für das Jahr 1965, SAPMO BArch DY 32/149, fol. 438–466, hier 445; sowie auf deutscher Seite: Tag der Sowjetarmee und der Kriegsflotte (23.2.), Tag der Kosmonauten (12.4.), 200jähriger Todestag M.W. Lomonossovs, Gedenktag an V.I. Lenin (22.4.), 60jähriger Geburtstag des sowjetischen Schriftstellers M.A. Šolochov, 25. Jahrestag der Errichtung der Sowjetmacht in den Baltischen Ostseerepubliken, 100jähriger Geburtstag des lettischen Dichters und Dramaturgen J. Rainis, 35jähriger Todestag des russischen Malers I. Repin, 48. Jahrestag der Oktoberrevolution, vgl. ebd., 444.
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nes für 1965 offensichtlich keine Kulturtage mehr enthalte. Im Anschluss habe er ausgeführt, warum die sowjetische Seite „an der Durchführung spezialisierter Tage der Kultur einzelner Sowjetrepubliken […] interessiert“ sei. So habe die sowjetische „Entsendungspolitik“ (bezüglich Künstlern und Ensembles) dazu geführt, dass im Ausland die sowjetische Kultur mit der russischen gleichgesetzt würde. Insbesondere in den europäischen Ländern solle aber „eine umfassende Vorstellung vom ganzen Reichtum der sowjetischen Kultur“ vermittelt werden – mit anderen Worten: der Eindruck einer ‚Russifizierung‘ der übrigen Sowjetrepubliken sollte vermieden oder revidiert werden. Weiter habe der ZK-Vertreter versichert, dass dies keinesfalls zu einer Störung der sowjetischen Nationalitätenpolitik führen werde, ja, im Gegenteil, „die Bemühungen der Partei bei der Erziehung zum Internationalismus“ sogar gefördert würden. Die Kulturabteilung der Botschaft zog daraus pflichtschuldig den Schluss, dass sich die DDR bemühen müsse, die angemahnten Kulturtage im kommenden Herbst durchzuführen und zu diesem Anlass die Errungenschaften der ukrainischen Sowjetkultur besonders hervorzuheben.270 Tatsächlich hatten im Jahr 1964 in der Ukraine auch erste Kulturtage der DDR stattgefunden, denen, aufgrund von Planungs- und Abstimmungsschwierigkeiten bzw. den komplizierten Einladungsmodalitäten für DDR-Delegationen, offenbar nur mäßiger Erfolg beschieden gewesen war.271 Entsprechend besser vorbereitet wollte man für das Jahr 1965 sein. Geplant waren dabei nicht nur Tage der Kultur der DDR in der BSSR, sondern umgekehrt in der DDR auch „Tage der sowjetischen Kultur der Bjelorussischen SSR“, „Tage der sowjetischen Ostseerepubliken“ sowie eben auch „Tage der Ukrainischen Kultur“272. Allerdings schien man sich auf sowjetischer Seite selbst uneins darüber zu sein, inwieweit Kulturtage einzelner Sowjetrepubliken tatsächlich im Einklang mit der sowjetischen Nationalitätenpolitik standen. Während mindestens Teile des ZK der KPdSU offensichtlich für eine stärkere Repräsentation einzelner Nationalitäten plädierten – und sei es der Wirkung im Ausland wegen – hatte es zuvor auch andere Stimmen gegeben. Diese hatten wahrscheinlich überhaupt erst bewirkt, dass die Deutschen die Kulturtage 1965 schleunigst aus dem Programm gestrichen hatten – nur um sie dann nach der ‚Zurechtweisung‘ ebenso schnell wieder in den Kulturarbeitsplan aufzunehmen. Noch im September 1964 nämlich war der besagte Botschaftsmitarbeiter durch das Staatliche Komitee für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland informiert worden, dass es prinzipiell fragwürdig sei, die schon „traditionellen Kulturwochen“ (gemeint waren hier die Feiern des 8. Mai und des 7. November) auf die Darstellung einer einzigen Sowjetrepublik zu beschränken. Zumindest, so gab der sowjetische Mitarbeiter weiterhin zu bedenken, solle es, wenn überhaupt, bei den Tagen der Ukrainischen Kultur bleiben, da 270 „Aktenvermerk über ein Gespräch des Genossen Schlemm mit dem Genossen Karetnikow, Mitarbeiter der Internationalen Abteilung des ZK der KPdSU am 13. Jan. 1965“, SAPMOBArch DY 30 IV A2/20/160, pag. 5–6. 271 Vgl. Schriftwechsel der Deutschen Akademie der Wissenschaften mit dem MfAA im Dezember 1964, PA AA, MFAA, A 16825, pag. 211–218a. 272 Plan über die Zusammenarbeit der Gesellschaften für das Jahr 1965, SAPMO-BArch DY 32/149, fol. 438–466.
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zusätzliche Veranstaltungen für die DDR „zu belastend“ seien. Die Botschaft schlussfolgerte daraus, dass die Genossen in Moskau mit der bisherigen Regelung, gemeint sind ebenjene Festlegungen im Kulturarbeitsplan 1964/65, nicht zufrieden seien. Da man offenbar auch eine Streichung der eigenen Kulturtage in der UdSSR befürchtete, riet die Botschaft zum schnellen Handeln in der Konkretisierung der Maßnahmen.273 Auch nachdem dann doch grünes Licht aus Moskau gekommen war, hielt der Zickzackkurs im Kreml über diese scheinbar unwichtige Frage weiter an. So erhielt das MfK der DDR im September 1965, nachdem die Tage der sowjetischen Ostseerepubliken in einzelnen Bezirken der DDR so gut wie angelaufen waren, aus dem Außenministerium die Mitteilung, von sowjetischer Seite wünsche man nun doch keine Kulturtage einzelner Republiken; man solle sich vielmehr auf die gesamte sowjetische Kultur beziehen – eine Anweisung, die nun freilich zu spät kam.274 An die DSF ging, ebenfalls reichlich verspätet, die Vorschrift sämtliche Drucksachen und Plakate für die Kulturtage abzuändern: Statt „Tage der ukrainischen Kultur“ sollten sie nun als „Tage der sowjetischen Kultur der ukrainischen Sowjetrepublik“ bezeichnet werden – was, wenn auch auf den ersten Blick Haarspalterei, für eine Art Kompromisslösung spricht, die, so das Schreiben, „auch völlig den Wünschen der sowjetischen staatlichen Stellen“ entsprach.275 Handelte es sich hier also womöglich um eine Auseinandersetzung an der Parteispitze zwischen Zentralisten und Dezentralisten, zwischen Befürwortern der Chruščёvschen Reformen und Unterstützern der neuen Politik unter Breschnew? Zumindest lässt der dargestellte Konflikt auf Unsicherheit schließen, wie die Nationalitätenpolitik nach dem Machtwechsel weiter zu handhaben sei. Tatsächlich handelte es sich in dieser Frage wohl weniger um einen radikalen Umbruch, als um eine Akzentverschiebung, wie sie im Lauf der sowjetischen Geschichte mehrmals erfolgte. So vertrat die sowjetische Nationalitätenpolitik spätestens seit 1928 die These eines Dreischritts in der Entwicklung der Nationalitäten: Das Aufblühen, die Annäherung und das Verschmelzen – Rascvet, Sbliženie, Slijanie – der Nationalkulturen wurden als gesetzmäßige Abfolge in der Entwicklung hin zu einer sozialistischen bzw. kommunistischen Gesellschaft interpretiert. Dabei hatte auch die ursprüngliche pluralistische Nationalitätenpolitik der 1920er Jahre, die noch vornehmlich unter dem Schlagwort des Rascvet, des Aufblühens, gestanden hatte, keinen Selbstzweck verfolgt; vielmehr erhoffte man sich mithilfe der Nationsbildungen innerhalb des sowjetischen „Empire of Nations“ (Francine Hirsch) Modernisierungsschübe, die ihrerseits die Entwicklung der Sowjetmacht beschleunigen und somit eine Annäherung und letztlich Auflösung und Verschmelzung der Nationalitäten befördern sollte. Zur gesellschaftlichen Aufbruchs273 Botschaft Moskau an die Kulturabteilung des MFAA, „Aktenvermerk über ein Gespräch des Genossen Schlemm mit dem Genossen Fedossejew vom Komitee für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland am 7. September 1964“, PA AA, MFAA, A 16825, unpag. 274 Vermerk der Abt. Kulturelle Beziehungen im MfK, „Betr. ‚Tage der sowjetischen Kultur‘ in der DDR“, 15.9.1965, BArch DR1 8708, unpag. 275 Körbel, Sekretär des ZV der DSF an Ambach, 1. Sekretär des Bezirkssekretariats der DSF Leipzig, 10.11.1965, SAPMO-BArch DY 32/779, unpag.
3.3 Freundschaftsgesellschaften und sozialistische Aussenpolitik
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stimmung und zum kulturellen Tauwetter unter Nikita Chruschtschow gehörten auch, dass wieder verstärkt die Entwicklung der einzelnen Nationalitäten hervorgehoben wurde, nicht zuletzt auch erkennbar an einer wirtschaftlichen Dezentralisierung, die den Großteil der Industriebetriebe den Unionsrepubliken direkt unterstellt hatte. 276 Der Parteiführer selbst glaubte an einen baldigen Übergang zum Kommunismus – und damit auch daran, dass sich das Nationalitätenproblem in absehbarer Zeit von selbst lösen würde.277 Konkrete Bemühungen um eine Annäherung erschienen damit unnötig; durch die Entwicklung der sowjetischen Gesellschaft würden nationale Grenzen zunehmend unwichtig, so Nikita Chruschtschow noch auf dem XXII. Parteitag der KPdSU 1961. 278 Grundsätzliche ideologische Änderungen ergaben sich auch nicht mit dem Machtantritt Leonid Breschnews im Oktober 1964, wohl aber eine andere Schwerpunktsetzung. Der neue Parteiführer setzte vor allem auf die Stabilisierung des Status Quo, den man nicht zuletzt durch eine erneute Festigung der Zentralgewalt zu erreichen hoffte. Die Dezentralisierung insbesondere in der Wirtschaftsverwaltung wurde konsequent zurückgenommen. Andererseits räumte die Parteiführung unter Breschnew den lokalen Parteieliten größere Autonomie ein: Durch die Politik des „Vertrauens in die Kader“ blieben Funktionäre auch auf Republikebene jahrelang unhinterfragt im Amt und konnten somit größere Macht und Unabhängigkeit für ihre jeweiligen Einflussgebiete erlangen. Die Forschung spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer zweiten Welle der Korenizacija und damit einer Förderung der Titularnationen bestimmter Gebiete, die gar eine schleichende Dekolonisierung des sowjetischen Imperiums bewirkt habe. In der offiziellen Ideologie rückte ab 1971 jedoch der Begriff des einheitlichen „Sowjetvolkes“ in den Mittelpunkt, der mit der These vom „entwickelten Sozialismus“ korrelierte und auch in der auswärtigen Kulturpolitik spürbar wurde. Waren diese Überlegungen eher interner Art, also eine Frage der ideologischen Einordnung der Nationalitätenpolitik innerhalb des sowjetischen Machtbereichs, sprachen seit den 1960er Jahren auch vermehrt außenpolitische Erwägungen für eine sichtbare Pluralität in der Nationalitätenfrage. Während es allgemein um eine möglichst positive Darstellung der sowjetischen Politik Richtung Westen ging, kam mit dem zunehmenden Engagement der Sowjetunion in den Ländern der Dritten Welt noch ein anderer Aspekt hinzu: Wie konnte man glaubwürdig für das dortige Selbstbestimmungsrecht der Völker eintreten und antikoloniale Befreiungsbewegungen unterstützen, wenn man ausgerechnet den innersowjetischen Nationen dieses Recht absprach? Die sowjetische Nationalitätenpolitik übernahm
276 Halbach, Uwe: „Nationalitätenfrage und Nationalitätenpolitik“, in: Plaggenborg, Stefan (Hrsg.): Handbuch der Geschichte Russlands. Bd. 5,2, 1945–1991: Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion, Stuttgart 2003, S. 659–785, hier S. 661; Hirsch, Francine: „Toward an Empire of Nations. Border-making and the Formation of Soviet National Identities“, Russian Review 59/2 (2000), S. 201–226, hier S. 203–204, 209, 225. 277 Vgl. dazu etwa Pavlenko: „Transformation“. 278 Halbach: „Nationalitätenfrage“, S. 665–668.
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nicht zuletzt also auch eine Vorzeigefunktion für die erhofften zukünftigen Einflusssphären und Partner in Afrika und Asien.279 Entsprechend dieser Vorgaben wurden auch die Freundschaftsgesellschaften in die Pflicht genommen. So trug die Dachgesellschaft SSOD bis zum Frühjahr 1968 die Ergebnisse der Durchführung von Wochen oder Dekaden einzelner Sowjetrepubliken im Ausland zusammen, gab Arbeitsempfehlungen für weitere Veranstaltungen in den kommenden beiden Jahren und lobte insbesondere die erfolgreiche Demonstration und den Triumph der Leninschen Nationalitätenpolitik, wie sie KPdSU und sowjetische Regierung praktizierten.280 Die Planung der Neuerungen war bezeichnenderweise ausschließlich zwischen der Moskauer Zentrale der Freundschaftsgesellschaften und dem Zentralvorstand der DSF verhandelt worden und keineswegs von der Zustimmung der Republikabteilungen abhängig. So wandten sich im März 1965 der Vorsitzende der BELOD, Vitalij Smirnov281, und der Minister für Kultur der BSSR an Parteichef Mazurov. Ihnen sei mitgeteilt worden, dass im Herbst 1965 bzw. 1966 belorussische Kulturtage mit und in der DDR stattfänden; konkrete Planungen allerdings werde man erst nach prinzipieller Zustimmung durch das ZK der KPB vorlegen.282 In der DDR dagegen war man offenbar noch immer der Meinung, Kulturtage der BSSR seien für November 1965 geplant; entsprechend stellte die DSF noch im Juli 1965 eine dringende Anfrage an das Ministerium für Kultur der DDR, was für die Kulturtage im Herbst bezüglich der BSSR vorgesehen war.283 Die Verwirrung um die Planung dieser kulturellen Großveranstaltung verdeutlicht mehrere Aspekte: Zum einen ging die Initiative fraglos allein von zentraler Ebene aus: Die beiden Ministerien für Kultur (UdSSR und DDR) bzw. die Zentralvorstände beider Gesellschaften vereinbarten Maßnahmenpläne zur Zusammenarbeit, die an die unteren Ebenen (Republikabteilungen und Bezirksvorstände der DSF) lediglich weitergereicht wurden. Gleichzeitig gingen die Maßgaben zur auswärtigen Kulturpolitik üblicherweise vom Staatlichen Komitee für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland aus – das wiederum dem ZK der KPdSU direkt unterstellt war. Die Kurswechsel bezüglich der Vertretung einzelner Sowjetrepubliken im Ausland lassen daher Uneinigkeit in der Parteispitze über eine zukünftige Akzentsetzung in der Nationalitätenpolitik vermuten. Die DDR spielte dabei, mindestens in der Planung, die Rolle des aufmerksamen Schülers, der jede Re279 Ebd., S. 665–668; Troebst, Stefan: „Kommunistische Nationskonstruktionen. Indigenisierung, Zwangsassimilierung, Zwangsumsiedlung, separatistisches Nation-Building und supranationale Konzeptionen“, in: Zimmermann, Tanja (Hrsg.): Brüderlichkeit und Bruderzwist. Mediale Inszenierungen des Aufbaus und des Niedergangs politischer Gemeinschaften in Ost- und Südosteuropa, Göttingen 2014, S. 49–60, hier S. 55. 280 Anordnung Nr. 37/IX des Büros des Präsidiums der SSOD vom 23.4.1968, NARB f. 914, op. 4, d. 269, l. 25–28. 281 Siehe zu Vitalij Stepanovič Smirnov: Anmerkung 640. 282 Schreiben der BELOD und des MfK der BSSR an ZK der KPB, 22.3.1965, NARB f. 974, op. 2, d. 329, l. 38. 283 Schreiben des Sekretariats der DSF, Franz Fischer, an den stellvertretenden Minister für Kultur, Robert Lehmann, 20.7.1965, SAPMO-BArch DY 32/779, unpag.
3.3 Freundschaftsgesellschaften und sozialistische Aussenpolitik
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gung aus Moskau genau beobachtete und versuchte, sich sowjetischen Wünschen anzupassen. Beide Seiten verfolgten dabei unterschiedliche Ziele: Während es der sowjetischen Führung wohl nicht in erster Linie um eine Vertretung der Kulturen der einzelnen Völker der großen ‚Sowjetfamilie‘ ging, sondern vielmehr um eine Demonstration ihrer vorbildlichen Nationalitätenpolitik, wollten die Verantwortlichen auf deutscher Seite die Chance ergreifen, ein möglichst positives Bild ihrer „sozialistischen Nationalkultur“ zu vermitteln – gegenüber der kulturellen ‚Einbahnstraße‘, die bis Mitte/Ende der 1950er Jahre die Beziehungen beherrscht hatte, eine bemerkenswerte Weiterentwicklung.
DDR-Kulturtage Einen Hinweis auf den hohen Stellenwert, den die DDR der Ausrichtung deutscher Kulturtage in der UdSSR beimaß, gibt die Tatsache, dass das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten selbst die Koordination sämtlicher diesbezüglicher Planungen übernahm. Verschiedene staatliche und gesellschaftliche Institutionen und Organisationen, namentlich der Journalistenverband, die Akademie der Wissenschaften, das Ministerium für Volksbildung, die Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse (Urania), der Deutsche Turn- und Sportbund, Funk und Fernsehen sowie das Ministerium für Kultur, das Ministerium für Gesundheitswesen und die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, waren aufgefordert worden, entsprechende Vorschläge für das Programm in Minsk zu unterbreiten. Im MfAA wurde im Anschluss über die wichtigsten Grundsätze, Leitlinien und Maßnahmen für die Kulturtage verhandelt.284 Im Laufe dieser Beratungen wurden die Teilnehmer auch auf die große außenpolitische Bedeutung der BSSR für den ostdeutschen Staat aufmerksam gemacht: Erstens betonte das MfAA die Teilnahme (sic!) der BSSR am antifaschistischen Widerstand; dies zielte einerseits auf die Partisanenbewegung, zeigte aber andererseits die fast schon absurde Selbsteinschätzung der DDR-Funktionäre als ein Volk antifaschistischer Widerstandskämpfer. Dazu kam, dass der in der DDR zum kommunistischen, antifaschistischen Helden stilisierte Fritz Schmenkel auf belorussischem Gebiet hingerichtet worden war.285 Zweitens interessiere sich die DDR, so die MfAA-Funktionäre weiter, auch für eine stärkere ökonomische Zusammenarbeit. Insbesondere auf den Gebieten Maschinen- und Traktorenbau bestünden bereits Kontakte. Drittens herrsche in der BSSR, wie das MfAA konstatierte, „größte Aufgeschlossenheit f.[ür] int.[ernationale] Verb.[indungen]“. In diesem Zusammenhang wies man auch auf die Bedeutung und den Nutzen einflussreicher Netzwerke hin: So war Vasilij Šauro, ehemaliger Sekretär des ZK der KPB, zusammen mit dem früheren belorussischen Parteiführer Kirill Mazurov in die Moskauer 284 „Vermerk über die Beratung im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten am 23.7.1965“, Abt. Int. Verb. der DSF, SAPMO-BArch 779, unpag. 285 Zur Stilisierung Fritz Schmenkels zum deutsch-belorussischen Helden vgl. Kap. 5.3.2 dieser Arbeit.
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Machtzentrale gewechselt und hatte dort seit 1965 die Leitung der Abteilung für Kultur des ZK der KPdSU inne.286 Auch vor diesem Hintergrund schien eine Zusammenarbeit mit der BSSR opportun. Dennoch musste die Beratung gegen Ende feststellen, dass es nicht möglich sei, einen Vertreter für weitere Gespräche nach Minsk zu senden, bevor nicht grundsätzlich grünes Licht aus Moskau gekommen sei.287 Dies wiederum, so stellte die DSF wenig später fest, sei jedoch erst zu erwarten, wenn sämtliche DDRStellen ihre Vorschläge unterbreitet und das MfAA ein einheitliches Programm zur Vorlage in Moskau ausgearbeitet hätte – ein zentralistisch-bürokratisches Vorgehen, das die Planungen nicht gerade erleichterte.288 Dazu kamen außerdem wieder komplizierte Reisebestimmungen: So benötigte jede in die UdSSR reisende Delegation eine offizielle Einladung. Die leidgeprüfte Kulturabteilung der Botschaft in Moskau riet den Genossen im MfAA, nachdem noch im September 1965 keine einzige Einladung ausgestellt worden war, keinesfalls mit den Vorbereitungen abzuwarten. Üblicherweise genüge dann meist doch eine kurze Mitteilung an die zuständigen Stellen auf dem kleinen Dienstweg, um eine Einreise zu ermöglichen.289 Für die betroffenen Delegationen hatte das MfAA inzwischen Handlungsanleitungen erstellt, die für ein geschlossenes ideologisches Auftreten sorgen sollten. Im Mittelpunkt stand dabei das feste Bekenntnis zur Sowjetunion, die als Garant der weiteren Entwicklung der DDR und der Erfüllung ihrer „Nationalen Mission […] als wichtigste Lehre aus der deutschen Geschichte“ galt. Es müsse überzeugend zum Ausdruck gebracht werden, dass die Freundschaft zur Sowjetunion für DDR-Bürger zu „einer echten Herzenssache“ geworden sei. In der DDR habe sich inzwischen „ein neuer Mensch“ entwickelt, „[…] der die faschistische Vergangenheit nicht nur ‚bewältigt‘, sondern ein neues Lebensgefühl und Bewußtsein gewonnen hat, das ihn zu einem zuverlässigen und wertvollen Mitglied der sozialistischen Völkergemeinschaft werden […] lässt.“290
286 Kirill Trofimovič Mazurov, ehemaliger Partisanenführer und seit 1956 Parteiführer der KPB, wurde im Zuge seiner Beteiligung an der Koalition gegen Chruschtschow 1964 im Folgejahr zum Vollmitglied des Politbüros der KPdSU ernannt sowie stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates der UdSSR (1965–1978). Einige seiner politischen Vertrauten nahm er mit nach Moskau, darunter Vasilij Filimonovič Šauro, ebenfalls ehemaliger Partisan, der von 1965 bis 1986 Leiter der Abt. Kultur beim ZK der KPdSU wurde. Vgl. dazu: Urban, Michael E.: An Algebra of Soviet Power. Elite Circulation in the Belorussian Republic 1966–1986, Cambridge 1989, S. 116–117. 287 Schreiben der Abt. Kultur des MfAA an die 1. Europäische Abt., in der Anlage handschriftliche Konzeption der Kulturtage, 15.7.1965, PA AA, MFAA, A 413, pag. 219–224. 288 „Vermerk über die Beratung im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten am 23.7.1965“, Abt. Int. Verb. der DSF, SAPMO-BArch 779, unpag. 289 Aktenvermerk der Kulturabt. der Botschaft Moskau über Gespräche im Staatlichen Komitee für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland, 13. u. 14.9.1965, BArch DR1 8708, unpag. 290 „Direktive für die Teilnehmer an den Tagen der Kultur der DDR in der BSSR“ sowie „Hauptmaßnahmen zur Woche der DDR-Kultur in der Bjelorussischen SSR“, ohne Datum, BArch DR1 8708, unpag.
3.3 Freundschaftsgesellschaften und sozialistische Aussenpolitik
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Nach ihrer Rückkehr aus der Sowjetunion sollten die Botschafter eines antifaschistischen Deutschland wiederum als Aktivisten für die deutsch-sowjetische Freundschaft wirken: Auf Freundschaftsveranstaltungen und durch die Veröffentlichung von Artikeln und Reiseberichten sollten sie von ihren (positiven) Erfahrungen in der Sowjetunion berichten. Im Anhang der MfAA-Direktive findet sich auch eine Übersicht der Veranstaltungen, die im Rahmen der Kulturtage in der belorussischen Hauptstadt geplant waren. Das Programm für die Zeit vom 15.‒22. Oktober 1965 beinhaltete Festveranstaltungen, Konzerte, Buch- und Kunstausstellungen, aber auch eine Ausstellung „Neuerer der Bühnentechnik“ sowie eine weitere zum Gesundheitswesen der DDR, was das breite Spektrum des sozialistischen Kulturbegriffs verdeutlicht. Dafür, dass die Veranstaltungen auch in Rundfunk und Presse beworben wurden, sorgten eine Pressekonferenz und die Durchführung einer „Radio-Viktorina“, eines Preisrätsels mit Fragen zur DDR, bei dem die Hörer attraktive Preise gewinnen konnten.291 Hauptpreis war beispielsweise eine 12tägige Reise in die DDR, gefolgt von „typische[n] DDR-Erzeugnisse[n]“, hauptsächlich technischen Kleingeräten, die die „Massenwirksamkeit“ der Kulturtage steigern sollten. 292 Neben Veranstaltungen in Minsk fanden auch in einigen anderen Städten Kulturtage der DDR statt, namentlich in Brest, Gomel’ und Grodno.293 Dabei tat sich die Gomel‘er Abteilung wieder durch ein besonders umfangreiches Programm hervor: Ähnlich wie in Minsk fanden auch hier zahlreiche Ausstellungen, vor allem landeskundliche Fotoausstellungen, statt, die Leben, Arbeiten und Kultur der DDR zeigten; darunter befand sich mit dem Titel „Wache halten an der Staatsgrenze der DDR in Berlin“ aber auch eine Ausstellung mit offen politischem Charakter. Alle Veranstaltungen in der gesamten Republik standen dabei unter Kontrolle der BELOD, die die Pläne für alle Veranstaltungsorte erstellt und die jeweils Verantwortlichen festgelegt hatte. Für die Hauptstadt Minsk gibt die folgende Tabelle einen Überblick über Veranstaltungsorte und -formen sowie die zahlreichen beteiligten Institutionen. Ähnliche Aufstellungen finden sich in den Akten der BELOD auch für die Gebiete Gomel’, Brest und Grodno. Übersicht über die Planungen der BELOD für die Durchführung der Tage der Kultur der DDR in der BSSR/Minsk, Oktober 1965:294 Nr. 1
Datum der Durchführung 15.10. Freitag
Veranstaltung Feierlicher Abend anlässl. der Eröffnung der Kulturtage der DDR in der BSSR / den Abend eröffnet der Sekr. des Minsker GorKom Gen. Metlickij, einen Vortrag hält der
Ort der Durchführung Konzertsaal der Belgosfilarmonij
Verantwortliche Minsker ObKom u. GorKom, MfK der BSSR, BELOD
291 Ebd. 292 Vgl. die Liste der Preise von Platz 1 bis 10, MfAA an die Botschaft Moskau, 13.10.1965, PA AA, MFAA, C 132/74, pag. 22 sowie ebd., 8.10.1965, pag. 24. 293 ADN-Meldung vom 14.10.1965, PA AA, MFAA, A 16825, pag. 232. 294 Original auf Russisch, NARB f. 914, op. 4, d. 146, l. 45–47.
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3 Freundschaftsverwaltung: Organisationen in Minsk und Berlin stellv. Vorsitzende des Ministerrates der BSSR Gen. Klimov; Auftritte von Vertretern der Öffentlichkeit, Gästen aus der DDR u. der Botschaft der DDR in der UdSSR. Beim Konzert treten Künstler der Beloruss. staatl. Philharmonie (Belgosfilarmonij), von Minsker Theatern u. Künstler aus der DDR auf. Presse-Konferenz anlässl. der Eröffnung der Tage der Kultur der DDR in der BSSR
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Festsaal der BELOD
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16.10. Samstag
Abend sowj.-dt. Freundschaft im Kulturpalast des Minsker Kammgarnkombinats/Auftritte von Vertretern der Öffentlichkeit des Kombinats, Gäste aus der DDR, Konzert
Kulturpalast des Kammgarnkombinats
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Kinotheater Mir
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17.10. Sonntag
Eröffnung eines Kinofestivals mit Filmen der DDR / Teilnahme einer Delegation Filmschaffender der DDR Eröffnung einer Ausstellung von Büchern der DDR/Teilnahme von Gästen aus der DDR Eröffnung einer Ausstellung „Neuerer der Bühnentechnik der DDR“
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18.10. Montag
Belorussisches staatliches Konservatorium Klub des Werkes
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Musikabend dt. Komponisten. Anwesenheit von Gästen aus der DDR Abend sowj.-dt. Freundschaft im Minsker Radiowerk/Auftritt von Vertretern des Werkes und Gästen aus der DDR, Konzert Eröffnung der Ausstellung „Gesundheitswesen in der DDR“
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Kinderfest zur sowj.-dt. Freundschaft im Minsker Palast der Pioniere / feierlicher Appell, Konzert von Kinderlaienkünstlern, Spiele, Tänze. Teilnahme von Gästen aus der DDR
Palast der Pioniere
Staatliches Museum der BSSR
Foyer des Theaters für Oper und Ballet
Minsker Medizinisches Institut
MfK der BSSR, BELOD, Union der Journalisten der BSSR Oktjabr’skij RayKom, Beloruss. Abt. der SOD s GDR im Kombinat, PartKom u. Direktion des Kombinates Staatl. Komitee des Ministerrates der BSSR für Kinematographie Staatl. Komitee des Ministerrates der BSSR für Druck MfK, Belorussische Theatergesellschaft (Bel. Teatral’noe obščestvo) MfK, Leninskij RayKom Sovetskij RayKom, Abt. der SOD s GDR im Werk, PartKom Leninskij RayKom Ministerium für Gesundheitswesen der BSSR GorKom LKSMB
3.3 Freundschaftsgesellschaften und sozialistische Aussenpolitik 11
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Sowj.-dt. Freundschaftsabend im Haus der Kultur des Bautrusts Nr. 1 Sowj.-dt. Freundschaftsversammlung im Institut für experimentelle Botanik u. Mikrobiologie in der Akademie der Wissenschaften der BSSR/ Vortrag von Wissenschaftlern des Instituts u. Gästen aus der DDR über brüderliche Beziehungen zw. Wissenschaftlern der UdSSR u. der DDR Literaturabend / Vortrag, Auftritte beloruss. SchriftstellerÜbersetzer u. Gäste aus der DDR, Konzert oder Film Eröffnung einer Ausstellung von Graphiken und Aquarellen der Künstlerin Fischer
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19.10. Dienstag
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20.10. Mittwoch
Präsentation der Ergebnisse des Radiogewinnspiels „Kennen Sie die DDR?“
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20.10. Mittwoch
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21.10. Donnerstag
Studentischer Abend, gewidmet der Freundschaft mit Jugendlichen der DDR. (Im Progr. Auftritte von Jugendlichen aus der DDR u. Konzert einer studentischen Laiengruppe) Abend sowj.-dt. Freundschaft am Minsker Passagierbahnhof (Vortrag, Auftritt von Genossen, die die DDR besucht haben, Gäste aus der DDR, Konzert) Empfang aus Anlass der Tage der Kultur der DDR
Kulturhaus des Bautrusts Nr. 1
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Akademie der Wissenschaften der BSSR
Sovetskij RayKom, Abt. der SOD s GDR Sovetskij RayKom, Abt. der SOD s GDR im Institut, PartKom der Akademie der Wissenschaften der BSSR
Saal der Vereinigung der Schriftsteller der BSSR
Vereinigung der Schriftsteller der BSSR
Ausstellungsraum – Geschäft am Leninskij Prospekt Saal der BELOD
Vereinigung der Künstler
Schauspiel-Saal des Pädagogischen Instituts für Fremdsprachen
Staatl. Komitee beim Ministerrat der BSSR für Radio- u. Fernsehübertragung Beloruss. Abt. der SOD s GDR, Abt. der SOD s GDR im Institut, Parteibüro des Instituts
Haus der Technik der Eisenbahner
Oktjabr’skij RayKom, Abt. der SOD s GDR am Bahnhof, PartKom
Bankettsaal r-na Minsk
MfK, BELOD
Das vorgesehene Programm bot mit den Komponenten Musik, Literatur, Film und Ausstellungen ein breites kulturelles Angebot; politische Botschaften vermittelten die durchgeführten Freundschaftsabende, die den Internationalismus der sozialistischen Staatengemeinschaft in Szene setzten. Während das Minsker Programm sich vor allem an ein kulturell interessiertes Publikum richtete, zielte die Freundschaftsgesellschaft durch weitere Maßnahmen und Veranstaltungen – nicht zuletzt in Betrieben – auf eine breite Erfassung der Bevölkerung, unabhängig von Bildung, sozialer Stellung, Alter oder Wohnort. Dabei kam auch deutlich ein gewisser Bildungsanspruch zum Tragen: Die möglichen Hörer, Leser und Zuschauer
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3 Freundschaftsverwaltung: Organisationen in Minsk und Berlin
waren aufgerufen, auch über wirtschaftliche und politische Gegebenheiten der DDR zu lernen. Geplant waren in diesem Zusammenhang: ‒ „die Organisation von Lesungen, Vorträgen und Gesprächen über die Erfolge der DDR im Aufbau des Sozialismus in Betrieben, Verwaltungen, wissenschaftlichen Einrichtungen, Kolchosen und Sovchosen durch die Gesellschaft ‚Znanie‘ (Wissen). − Radio- und Fernsehsendungen über die Entwicklung der Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur der DDR, Konzerte deutscher Musik, Literatursendungen; Vorführung künstlerischer und dokumentarischer Filme der DDR im Fernsehen; Auftritte deutscher Gäste in Radio und Fernsehen; organisiert durch das Staatliche Komitee für Radioübertragung und Fernsehen beim Ministerrat der BSSR. − Durchführung feierlicher Appelle und Kinderfeste zur sowjetisch-deutschen Freundschaft in Schulen und Pionierpalästen, organisiert durch das ZK des LKSMB und das Bildungsministerium der BSSR. − Fotoausstellungen zur DDR in Städten und Dörfern der Republik: in Kulturhäusern, Betrieben, Verwaltungen und wissenschaftlichen Einrichtungen, organisiert durch die BELOD, die Gebietsparteikomitees (ObKom) und Kulturverwaltungen der Gebiete. − Veröffentlichung von Aufsätzen, Artikeln, Berichten, Reportagen sowie anderer Informationen über Arbeit und Leben des deutschen Volkes, verfasst von Persönlichkeiten aus Partei und Staat der DDR; in Gebiets- und republikweiten Zeitungen. − Veröffentlichung von Übersetzungen von Werken von DDR-Schriftstellern sowie Artikel über die Entwicklung von Literatur, Musik und Kunst der DDR in den Zeitschriften Polymja, Neman, Belarus, Maladosc, Bjarozka und Litaratura i masctva, organisiert durch die Vereinigung der Schriftsteller und Redaktionen der Zeitschriften und Zeitungen. − Organisation von Buchausstellungen in Bibliotheken der Gebiete, Städte und Dörfer durch das MfK der BSSR. − Verkaufsausstellungen für DDR-Bücher in den Buchläden in Minsk und den Gebietszentren, organisiert durch das Staatliche Komitee für Druck beim Ministerrat der BSSR. − Lesungen, Konzerte in Klubs und Kulturpalästen der Gebietszentren, gewidmet der Musik der DDR, organisiert durch das MfK und die Vereinigung der Komponisten der BSSR. − Durchführung von Laienkünstlerkonzerten in Kulturpalästen und Klubs, im Programm Werke deutscher Schriftsteller und Komponisten sowie Volkslieder und Tänze; organisiert durch das MfK und den Belorussischen Gewerkschaftsrat.“295
Bei vielen Veranstaltungen waren aus der DDR angereiste Vertreter aus Kunst und Kultur präsent.296 Während ein Teil der Delegationsmitglieder in die Gebiets295 Ebd., l. 48–49. 296 Insgesamt waren aus der DDR 30 Personen angereist, darunter sog. Kulturschaffende, eine Delegation von Vertretern der DSF, eine Delegation Gesundheitswesen, eine Delegation Kinematographie, eine wissenschaftliche Delegation, einige Schriftsteller, Lektoren, technisches Personal zur Betreuung der diversen Ausstellungen und Pressevertreter. Dazu kam das Zentralensemble des FDGB mit 50 Mitgliedern sowie das Tanzorchester Fips Fleischer mit 25 Personen, außerdem zwei Solokünstler: der Geiger Gustav Schmal und die Pianistin Katharina Fuchs. Zusätzlich entsendete auch die Botschaft in Moskau Vertreter zu den Kulturtagen. Vgl. dazu: Bericht des Ministers für Kultur der BSSR, Minkovič an das MfK der UdSSR
3.3 Freundschaftsgesellschaften und sozialistische Aussenpolitik
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zentren Gomel’, Brest und Grodno weiterreiste, um dort ihre Republik zu vertreten 297, blieb die Hauptdelegation unter der Leitung des stellvertretenden Ministers für Kultur der DDR, Kurt Bork, in Minsk und wohnte dort den prestigeträchtigsten Veranstaltungen bei, so etwa der Eröffnung einer großen Buchausstellung im Belorussischen Staatlichen Museum in Minsk. Die Ausstellung selbst sollte etwa zwei Wochen gezeigt werden und bestand aus ca. 2400 (!) Buchtiteln, die den Besuchern demonstrierten, wie sich die „Republik auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens entwickelt“ hatte. Dazu gehörten sowohl Bücher, die die sozialistische Kulturpolitik der DDR „insbesondere ihre Weltoffenheit und die Ergebnisse des Bitterfelder Weges“ veranschaulichen sollten, also insbesondere sozialistische deutsche Gegenwartsliteratur, aber auch deutsches und internationales „kulturelles Erbe“. Dazu kamen zahlreiche wissenschaftliche Titel und Fachliteratur: neben den obligatorischen marxistischen Klassikern waren dies vor allem Werke der „technisch-wissenschaftlichen Revolution“. Ein Katalog sowie Plakate zur Ausstellung sollten in der BSSR gedruckt werden, interessanterweise in belorussischer Sprache.298 Auch in der DDR selbst wurde ausführlich über die Kulturtage berichtet: So dokumentierte das Neue Deutschland die „Feststimmung in Minsk“ mit „ausverkauften Veranstaltungen“. Vor der Philharmonie in Minsk hätten sich am Eröffnungsabend zahlreiche Menschen gedrängt um doch noch Einlass in das Konzert mit dem FDGB-Ensemble zu erhalten. Darüber hinaus wurde das Interesse auf belorussischer Partei- und Regierungsebene hervorgehoben: Der neue Parteiführer Pëtr Mašerov persönlich sowie der Vorsitzende des Präsidiums des Obersten Sowjets der BSSR hätten an den Eröffnungsfeierlichkeiten teilgenommen.299 Andere Berichte legten den Fokus dagegen auf die Freundschaft zwischen beiden Völkern. Unter dem Titel „Bei Freunden in Belorussland“ berichtete das Neue Deutschland über den wissenschaftlichen Austausch am Rande der Kulturtage in der Akademie der Wissenschaften der BSSR, an der Minsker Medizinischen Hochschule und am Pädagogischen Institut für Fremdsprachen, wo die deutsche Delegation, so die Zeitung mit wenig Feingefühl für ethnische Unterschiede, mit „russischer Herzlichkeit (sic!) und in deutscher Sprache“ empfangen worden sei. Die „farbenprächtigen belorussischen Kostüme“, in denen die Studierenden zur Begrüßung antraten, spielten im Neuen Deutschland lediglich eine folkloristische Rolle.300 Einen anderen, eher nachdenklichen Schwerpunkt setzte ein Bericht des
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über die Durchführung der Tage der Kultur der DDR in der BSSR, 10.12.1965, NARB f. 974, op. 2, d. 329, l. 107–132. Bericht der Stadtabteilung Gomel’ der SDF über die Tage der Kultur der DDR, 8.11.1965, PA AA, MFAA, A 892, pag. 154–157. Bericht des MfK an die Kulturabteilung der Botschaft in Moskau, 26.3.1965, PA AA, MFAA, C132/74, pag. 170–172. „Feststimmung in Minsk. ‚Tage der Kultur der DDR‘ mit ausverkauften Veranstaltungen.“, Neues Deutschland, 16.10.1965, S. 1. „Bei Freunden in Belorussland“, Neues Deutschland, 22.10.1965, S. 7.
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Journalisten und Moskau Korrespondenten Werner Goldstein301: Er zeigte sich anlässlich einer Veranstaltung in Gomel’ tief bewegt, als bei einer russischsprachigen Rede des Kulturrats der DDR-Botschaft Bitten aus dem Publikum laut wurden, die Rede auf Deutsch fortzusetzen – ausgerechnet in der Sprache der Besatzer, die die Stadt vor 20 Jahren dem Erdboden gleichgemacht hätten. Nicht nur philologisches Interesse, so Goldstein, könne hier der Grund sein, sondern Freundschaft und Verständnis zwischen den Völkern beider Staaten, nicht zuletzt auch daran erkennbar, dass an Gomel’er Schulen wieder die Musik Beethovens unterrichtet würde.302 Einen ähnlichen Tenor hatte auch eine ADN-Meldung, die über den großen Besucherandrang auf eine Kunstausstellung in Minsk berichtete: „ein greiser belorussischer maler drueckte die empfindungen aller seiner kollegen aus, als er zu der kuenstlerin aus der ddr sagte: ich habe in meinem leben vor allem zwei sorten von deutschen kennengelernt, die kaiserlichen soldaten und die armeen des ‚fuehrers‘. Beide brachten nur unglueck ueber meine heimat, namentlich ueber belorussland, und deshalb ist es fuer mich eine grosse freude, jetzt solchen deutschen zu begegnen, die aufrichte (sic!) freunde der sowjetunion sind und fuer die gleichen ideen leben und kaempfen wie wir.“303
Der zweifache Kriegsteilnehmer erkannte in den deutschen Klassenbrüdern nun also ‚gute‘ Deutsche, die mit Kunst und Kultur statt Waffen in seine belorussische Heimat gekommen waren. Bemerkenswert ist im Übrigen auch der offensichtlich doppelte Heimatbegriff des Veteranen, der sich einerseits in Belorussland beheimatet, gleichzeitig aber auch der Sowjetunion zugehörig fühlte. Insgesamt, so urteilte die Kulturabteilung der Botschaft nach Abschluss der Veranstaltungen, waren die Kulturtage „ein außerordentlicher Erfolg“ mit „wesentlich größere[r] Massenwirkung“ als im Jahr zuvor in der Ukraine. Insbesondere die Viktorina – das Radiopreisrätsel – sei sehr gut aufgenommen worden und die Preise hätten „großes Aufsehen“ erregt; sicher nicht umsonst hatte man im Vorfeld, neben der DDR-Reise als Hauptgewinn, hochwertige Konsumgüter als Preise ausgewählt.304 Die Veranstaltungen der belorussischen Seite sowie die ei301 Werner Goldstein, verstorben 2006, war Journalist der ersten Stunde beim Neuen Deutschland, später als Korrespondent in Moskau. Während der Zeit des Nationalsozialismus hatte er als Emigrant in Großbritannien gelebt und war dann als Soldat der britischen Armee nach Deutschland zurückgekehrt. Vgl. dazu: Kirschey, Peter: „Unter jedem Grabstein eine Weltgeschichte. Dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee wurde ein literarisches Denkmal gesetzt“, Neues Deutschland. Sozialistische Tageszeitung, 02.10.2010, http://www.neuesdeutschland.de/artikel/180913.unter-jedem-grabstein-eine-weltgeschichte.html (zugegriffen am 4.5.2017); Schwarz, Herbert: „Der ‚Fall Oberländer‘. Fragwürdige Zeugen gegen den Bundesvertriebenenminister ‒ Dokumente sprechen für ihn.“, Die Zeit, 09.10.1959, http:// www.zeit.de/1959/41/der-fall-oberlaender (zugegriffen am 4.5.2017). 302 Goldstein, Werner: „‚Sprechen Sie doch bitte Deutsch…‘ Bewegende Kulturtage der DDR in der Belorussischen Sowjetrepublik“, Neues Deutschland, 25.10.1965, S. 4. 303 ADN-Meldung (Kleinschreibung im Original), 20.10.1965, BArch DR1 8708, unpag. 304 Dies waren, bis zum 10. Platz absteigend, ein Fotoapparat, ein Fernglas, ein Theaterglas, ein Besteckkasten für 12 Personen, eine Herren-Armbanduhr, ein Unimix „Junior“, ein elektrischer Teppichklopfer, ein Kaffee-Tee-Service für 12 Personen und eine Kordeluhr; vgl.: PA AA, MFAA, C 132/74, pag. 22. Dass großen Wert auf ein gutes Bild der DDR in der Sowjetunion gelegt wurde, zeigt auch folgendes Nachspiel der Gewinnaktion: So musste der Gewin-
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genen „auslandspropagandistischen Maßnahmen“ hätten somit nahezu die gesamte Bevölkerung der Unionsrepublik erreicht, stellte die Kulturabteilung fest. Daneben gab es aber auch handfeste Kritik, allerdings an Verhalten und ungenügender (inhaltlicher) Vorbereitung der Delegationsmitglieder, die „die Bedeutung der Tage der Kultur als eine der wirksamsten Formen der Einflussnahme auf die sowjetische Öffentlichkeit offensichtlich unterschätzt“ hatten. Dass zudem politische Zielsetzungen weitaus wichtiger gewertet wurden, als das persönliche Interesse der Delegationsmitglieder, zeigt ein Vorfall um den Verband Bildender Künstler: Da die zur Teilnahme vorgesehenen Mitglieder, darunter auch die Künstlerin Lea Grundig, im Vorfeld zu spät informiert worden waren, hatten sie sich wegen anderer, bereits geplanter privater Sowjetunion-Reisen vehement geweigert, an den Kulturtagen in der BSSR teilzunehmen. So blieb den Organisatoren nichts anderes übrig, als die Bildende Kunst der DDR durch eine wenig bekannte Künstlerin vertreten zu lassen. Die Botschaft wertete dies als „krasses Beispiel“ für die Missachtung gesellschaftlicher Interessen und empfahl, den Vorfall der Kulturabteilung des ZK zu melden und „parteimäßig“ zu klären. Ob die Beschwerde weiter verfolgt wurde, ist zwar nicht bekannt, aber eher unwahrscheinlich: War doch die Professorin Lea Grundig nicht nur Vorsitzende des Verbandes Bildender Künstler, sondern gleichzeitig auch Mitglied des ZK der SED.305 Auch an anderer Stelle gab es Probleme mit ‚störrischen‘ Künstlern, die sich nicht für eine auswärtige Kulturpolitik im Sinne von Staat und Partei einspannen lassen wollten: So entschied sich die bereits erwähnte Graphikerin und Malerin Liesel Fischer, die als Ersatz für Grundig und andere nach Minsk gekommen war, nach der sehr herzlichen Aufnahme ihrer Ausstellung (die überwiegend „sowjetische Menschen“ thematisierte)306, ihre Werke an die belorussischen Gastgeber zu verschenken: „Und ich bitte Sie, glauben Sie mir, daß mein Geschenk an Sie kein Verzicht ist, sondern mir Gewinn und Erhaltung des warmen, innigen Echos, das meine Ausstellung bei Ihnen findet.“
Ihr Entschluss, die Bilder zu verschenken, stieß bei der DSF, die sie in die BSSR delegiert hatte, offenbar auf wenig Gegenliebe: ner des Teppichklopfers feststellen, dass dieser ohne den dazugehörigen Staubsauger völlig unbrauchbar war – eine Tatsache, die auf DDR-Seite offenbar niemand im Vorfeld bedacht hatte. Daraufhin wandte sich der enttäuschte Bürger an die BELOD und bat um Hilfe in dieser Sache. Die BELOD wiederum schickte die Anfrage an die Botschaft der DDR in Moskau weiter, ermahnte den Teppichklopfer-Besitzer jedoch, die Sache nicht weiterzuverfolgen, falls die Anfrage ergebnislos bliebe. Doch der Gewinner hatte schon wieder Glück: Zwar musste er sich fast ein halbes Jahr gedulden, doch schließlich erhielt er tatsächlich den dazugehörigen Staubsauger durch die Botschaft der DDR. Vgl. dazu: Schreiben des Gewinners des Radiopreisausschreibens an die BELOD, 4.10.1965, NARB f. 914, op. 4, d. 146, l. 145, 148–198 und Schreiben der Botschaft der DDR in Moskau an die BELOD, 16.4.1966, NARB f. 914, op. 4, d. 193, l. 79. 305 Vgl. dazu: Vorläufige Einschätzung der Kulturtage durch die Kulturabteilung der Botschaft, 4.11.1965, PA AA, MFAA, A 16825, pag. 233–235; sowie Kurzeinschätzung der Tage der DDR-Kultur, 18.11.1965, ebd., pag. 236–239. 306 Ebd., pag. 234.
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3 Freundschaftsverwaltung: Organisationen in Minsk und Berlin „Unserem Zentralvorstand der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, Berlin, bin ich nun genötigt, eine Erklärung meines Geschenkes und Handelns zu geben. Sie lautet: Meine Arbeiten waren und sind nicht Propaganda, sondern eine Liebeserklärung – und diese gehört dem, den sie angeht – es stimmt doch so!“307
Auch diese Künstlerin verwahrte sich gegen ihren Einsatz als Auslandspropagandistin. Zugleich zeigten sich hier aber die Grenzen der Freundschaft: Fischer, die ihren Briefen nach eine wirkliche Bewunderin der Sowjetunion und ausgesprochen unglücklich über ihr Leben in der DDR war, bat die BELOD wiederholt um eine erneute Einladung nach Minsk und erwähnte gar, dass sie gerne in die Sowjetunion übersiedeln würde. Soviel Eigenmächtigkeit war freilich nicht erwünscht, und so erhielt die Sowjetunionfreundin bald keine Antwort mehr auf ihre wiederholten, zunehmend enttäuschten Schreiben.308
Belorussische Kulturtage in der DDR Im Spätherbst 1965, nach dem erfolgreichen Abschluss sowohl der Kulturtage in der BSSR als auch der sowjetischen (ukrainischen) Kulturtage in der DDR, erteilte das MfK der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft weitreichende Kompetenzen für die zukünftige Planung: Allein die Freundschaftsgesellschaft sollte in Zukunft nicht nur für die Koordinierung und Planung der Kulturtage zuständig sein, sondern auch für die Herstellung von Direktkontakten zwischen künstlerischen und kulturellen Institutionen der DDR und der Sowjetunion.309 Entsprechend hatte die DSF bereits einige Tage zuvor „erste Gedanken für die weitere kulturpolitische Arbeit unserer Gesellschaft“ übersandt. Dazu gehörte, neben dem Kampf gegen westliche Einflüsse in Kunst und Kultur als eine der wichtigsten inhaltlichen Einzelaufgaben, die „Vermittlung der nationalen Kulturen einzelner Sowjetrepubliken im untrennbaren Zusammenhang mit der grundlegenden Entwicklung der sowjetischen Kultur überhaupt“ – eine Kompromissformulierung, die ganz offensichtlich sowjetischen Wünschen entgegenkommen sollte. Ganz explizit machte es sich die DSF in diesem Zusammenhang zur Aufgabe, Fotoserien und andere Materialien über „typische kulturelle Leistungen“ der einzelnen Republiken zu erstellen.310 Auf Bedenken bezüglich dieser Planungen stieß die DSF jedoch ausgerechnet beim MfAA: So fand Mitte Dezember 1965 eine Tagung der Kulturkommission beim Außenministerium statt, in deren Folge es über dieser Frage zu Kompetenzgerangel zwischen der Freundschaftsgesellschaft und dem Ministerium kam. Nachdem der Zentralvorstand der DSF seine kulturpo307 Schreiben Liesel Fischers an Smirnov/BELOD, 30.10.1965, NARB f. 914, op. 4, d. 146, l. 166–168. 308 Vgl. dazu mehrere Schreiben Liesel Fischers an die BELOD 23.12.1965, 20.5.1966, 17.7.1966, NARB f. 916, op. 4, d. 139, l. 48, 114–116, 138. 309 Internes Schreiben im MfK, 13.11.1965, BArch DR1 15789, unpag. 310 Ebd., Schreiben des Sekretariats des ZV der DSF an Lehmann, stellvertretender Minister für Kultur, 9.11.1965, mit Anlage „Zur weiteren Entwicklung unserer kulturpolitischen Arbeit“, 30.10.1965, unpag.
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litischen Vorstellungen unterbreitet hatte, zeigte sich der stellvertretende Außenminister Werner Krolikowski über so viel Eigeninitiative allem Anschein nach wenig erfreut. Zum einen habe es noch keine Beratungen mit sowjetischen Regierungsstellen über die weitere Gestaltung der Kulturtage gegeben – im Klartext: eine Planung ohne die sowjetische Seite war kaum möglich. Außerdem, so Krolikowski weiter, bedürfe es „großer Kraftanstrengungen“ seitens der DSF, um jährlich Kulturtage durchzuführen; daher schlug er vor, und vermutlich lag hier das eigentliche Ziel des Ministers, künftig auf Kulturtage einzelner Republiken zu verzichten und stattdessen thematische Tage (Tage der sowjetischen Literatur, des sowjetischen Films etc.) durchzuführen. Der Vertreter der DSF jedoch beharrte erneut auf der eigenen Konzeption, die, dem Plan der beiden Freundschaftsgesellschaften entsprechend, die Durchführung von Tagen der sowjetischen Kultur „unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung der Bjelorussischen SSR“ in Berlin sowie den Bezirken Neubrandenburg, Frankfurt/Oder und Cottbus vorsah. Krolikowski änderte daraufhin seine Taktik: „Die Durchführung von Tagen der sowjetischen Kultur einzelner Unionsrepubliken oder einzelner Gebiete der RSFSR in zwei bis drei Bezirken unserer Republiken entspräche nicht dem hohen Gewicht solcher Unionsrepubliken, die räumlich zum Teil das Vielfache unserer Republik ausmachen. Es könnte auch von sowjetischer Seite aus als Unterschätzung der Bedeutung solcher Unionsrepubliken aufgefaßt werden.“
Er schloss mit Zweifeln darüber, ob, insbesondere im Hinblick auf den im Frühsommer stattfindenden VIII. Kongress der DSF, eine angemessene Vorbereitung der Kulturtage überhaupt möglich sei, um dann zum letzten argumentativen Schlag auszuholen: „Eine wenig gründliche Vorbereitung könne aber nur der deutsch-sowjetischen Freundschaft schaden.“311
Woher diese erneute Uneinigkeit über die Ausführung der Kulturtage kam, ist nicht unmittelbar nachvollziehbar; zu vermuten wäre aber eine weitere Intervention von sowjetischer Seite. Wie bereits zu Anfang gezeigt wurde, hatten die deutsche Botschaft und das MfAA bereits im Vorfeld der Veranstaltungen 1965 unterschiedliche Signale verschiedener sowjetischer Stellen bekommen – neben der Abteilung für Internationale Verbindungen beim ZK der KPdSU und dem Staatlichen Komitee für kulturelle Verbindungen beim Ministerrat der UdSSR dürfte auch das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR in dieser Frage involviert gewesen sein. Möglicherweise sind die Querelen in der Frage der kulturellen Vertretung einzelner Sowjetrepubliken auch ein Zeichen für die Auseinandersetzung des Komitees mit dem sowjetischen Außenministerium, die schließlich
311 Vgl. dazu: Aktennotiz der Abt. Kultur beim ZV der DSF, 16.12.1965 sowie Pressemitteilung der DSF: „Konzeption und Maßnahmenplan für die ‚Tage der sowjetischen Kultur‘ in der Deutschen Demokratischen Republik vom 5. bis 13. November 1966“, 22.8.1966, SAPMOBArch DY 32/779, unpag.
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zur Auflösung des ersteren im Jahr 1967 und der Gründung einer entsprechenden Abteilung im sowjetischen MfAA selbst führten.312 Die Freundschaftsgesellschaften jedoch setzten ganz auf die neue Linie in der Nationalitätenpolitik. Die SSOD informierte noch im April 1968 die einzelnen Republikgesellschaften über den „Triumph der Leninschen Nationalitätenpolitik“ im Zuge der „Ergebnisse der Durchführung von Tagen, Wochen, Dekaden der einzelnen Sowjetrepubliken im Ausland im Jahr 1967“. Demnach waren im Ausland Veranstaltungen zu elf verschiedenen Sowjetrepubliken durchgeführt worden, darunter zur Belorussischen SSR in Bulgarien, Ungarn, der Mongolei, Kambodscha, Polen, Rumänien, England, Frankreich und der DDR.313 Die belorussischen Kulturtage in der DDR fanden vom 5. bis 13. November 1966 in vier Bezirken der Republik statt; als Kompromisslösung hatte jedoch mindestens die Bezeichnung verändert werden müssen. So kündigte das Neue Deutschland an: „Die ‚Tage der sowjetischen Kultur‘ werden mit hervorragenden kulturellen Leistungen, aber auch mit Politik, Wissenschaft und Ökonomie der Sowjetunion bekannt machen und zugleich die freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern dokumentieren. Sie sind in diesem Jahr vor allem der Belorussischen SSR gewidmet, einer Unionsrepublik, die während des faschistischen Überfalls […] besonders gelitten hat, sich aber in den letzten 21 Jahren in Wirtschaft und Kultur großartig entwickeln konnte.“314
Bereits im Frühjahr und Sommer 1966 waren die Vorbereitungen auf Hochtouren gelaufen, so dass der Zentralvorstand mit Beschluss vom 20. Juli 1966 die endgültige Konzeption bestätigt hatte. Ziel der Kulturtage sei es, so hieß es darin, der Bevölkerung der DDR ein Bild vom kommunistischen Aufbau und der kulturellen Entwicklung in der Sowjetunion (!) zu vermitteln, und gleichzeitig deren Einfluss und Vorbildcharakter für den Aufbau einer „sozialistischen Nationalkultur“ in der DDR zu verdeutlichen. Zugleich wurde sie als probates Mittel für „die Auseinandersetzung mit reaktionären und revisionistischen Kulturanschauungen“ dargestellt. Symptomatisch für die Zielsetzung der Kulturbeziehungen erschien der 312 Vgl. dazu Kap. 3.2.1 der vorliegenden Arbeit, sowie: Gould-Davies: „Logic of Soviet Cultural Diplomacy“, S. 206. So hatte sich das Komitee beispielsweise im April 1965 mit einem Plan der kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen der UdSSR mit dem Ausland für die Jahre 1966/67 an das ZK der KPB gewandt. Darin war ganz explizit die Rede von Maßnahmen, die – offenbar im Unterschied zu vorherigen Jahren – von Ministerien und Einrichtungen der einzelnen Republiken durchgeführt (und finanziert) werden sollten, ohne ‚Koordinierung‘ durch sowjetische Stellen. Dazu zählten auch, und dies erschien aus Sicht des Außenministeriums vermutlich besonders brisant, Städteverbindungen mit Partnern in kapitalistischen Staaten und Entwicklungsländern. Es ist leicht vorstellbar, dass diese Dezentralisierung dem sowjetischen Außenministerium deutlich zu weit ging. Vgl. dazu: Schreiben des Staatlichen Komitees für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland beim Ministerrat der UdSSR an den Sekretär des ZK der KPB F.A. Surganov, 6.4.1965, NARB f. 4p, op. 62, d. 672, l. 170. 313 Anordnung Nr. 37/IX des Büros des Präsidiums der SSOD, 23.4.1968, NARB f. 914, op. 4, d. 269, l. 25–28. 314 „Festtage der Freundschaft. ‚Tage der sowjetischen Kultur‘ begannen. Im Mittelpunkt: Die Belorussische SSR.“, Neues Deutschland, 6.11.1966, S. 10.
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Hinweis auf deren Nutzen im Rahmen der politischen und ökonomischen Zusammenarbeit, der unter allen Umständen betont werden müsse: „Damit ist von vornherein jeder Einengung auf nur-kulturelle Gesichtspunkte zu begegnen.“315 Das Konzeptpapier verdeutlicht noch einmal die zum Teil verwirrenden Zuständigkeiten im Hinblick auf die Organisation: Träger waren, im Gegensatz zu vorherigen Planungen, mit jeweils gleicher Verantwortung das MfK, der Nationalrat der Nationalen Front sowie die DSF. Dem MfAA blieb die Koordinierungsfunktion mit sowjetischen staatlichen Stellen, während der Zentralvorstand der DSF in Kontakt mit dem Präsidium der SDF/SGDDR bzw. mit der Belorussischen Freundschaftsgesellschaft stand. Gleichzeitig wurden Bezirks- und Kreisvorstände der DSF (insbesondere der Bezirke Berlin, Neubrandenburg, Frankfurt/Oder und Cottbus) beauftragt, ihrerseits gemeinsam mit den Räten der Bezirke und den Bezirksausschüssen der Nationalen Front Veranstaltungspläne für die Durchführung der Kulturtage im eigenen Bezirk zu erarbeiten. Die Kontrolle lag beim Zentralvorstand der DSF in Berlin. Geplant waren dabei Maßnahmen und Veranstaltungen, die denen in der BSSR ähnelten: Empfänge sowjetischer (belorussischer) Delegationen und Laienkunstgruppen, Festveranstaltungen (in Verbindung mit den Feierlichkeiten zum 49. Jahrestag der Oktoberrevolution), Ausstellungen, Filmreihen, Freundschaftstreffen mit sowjetischen Touristen, Auftritte sowjetischer und deutscher Künstler mit sowjetischer bzw. belorussischer Kunst sowie Werbung und Information in Presse, Rundfunk und Fernsehen.316 Insbesondere diese Öffentlichkeitsarbeit war schon einige Zeit vor Beginn der Kulturtage mit teils beachtlichem Umfang und Inhalt angelaufen. Die DSF sorgte dafür, dass in der Zeitschrift Presse der Sowjetunion bereits im September 1966 eine Sonderbeilage unter dem Titel „Die BSSR in Vergangenheit und Gegenwart“ erschien; eine weitere Ausgabe vom Oktober war sogar ganz der belorussischen Sowjetrepublik gewidmet.317 In der Freien Welt, der gesellschaftseigenen illustrierten Wochenschrift, erschien in drei Ausgaben ein Preisrätsel mit Fragen zur BSSR sowie Porträts der beiden Schriftsteller Maksim Tank318 und Ivan Melež319. 315 Beschluss Nr. 3/1 des Sekretariats des ZV der DSF und Konzeption und Maßnahmenplan für die „Tage der sowjetischen Kultur“, 20.7.1966, SAPMO-BArch DY 32/6667, fol. 657–667. 316 Ebd. 317 Vgl. dazu: Dr. P. Kirchner: Uns gehören die Äcker und Wälder… Die Belorussische SSR in Vergangenheit und Gegenwart, Presse der Sowjetunion, 26.9.1966; sowie: Sondernummer zu den „Tagen der sowjetischen Kultur“ über die Belorussische SSR, Presse der Sowjetunion, 31.10.1966. 318 Maksim Tank, eigentlich Evgenij Ivanovič Skurko oder Jaŭen Skurko, 1912–1995, war ein weißrussischer Lyriker. Geboren im polnischen West-Weißrussland, unterstützte er schon früh die Kommunisten, wurde unter anderem wegen illegaler kommunistischer Publizistik inhaftiert. Seit 1939 war er als Literatur-Redakteur verschiedener belorussischer Zeitschriften tätig, von 1948–1966 Chefredakteur der Literaturzeitschrift Polymja. Seit 1966 übte er leitende Funktionen beim Belorussischen Schriftstellerverband aus, war Vorsitzender des Obersten Sowjet der BSSR sowie Abgeordneter des Obersten Sowjet der UdSSR, Mitglied des Zentralkomitees der KPB, sowie Mitglied der Belorussischen Akademie der Wissenschaften. Tank, der auch als Übersetzer ins Weißrussische arbeitete und selbst auf Weißrussisch schrieb, erhielt zahlreiche belorussische und sowjetische Staatspreise.Vgl. dazu: Neureiter,
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Letzterer war auch Thema eines Artikels im Sonntag, einer kulturpolitischen Wochenzeitung, die eine gesamte Ausgabe ebenfalls der belorussischen sozialistischen Literatur widmete.320 In der Oktoberausgabe der Zeitschrift Kunst und Literatur erschien gar eine „Bibliographie der schönen Literatur der Belorussischen Sozialistischen Sowjetrepublik in deutscher Übersetzung seit 1945“ – eine Liste, die unter den Kategorien: Sammlungen, einzelne Autoren, Märchen sowie Literaturwissenschaft immerhin rund 80 (in der DDR erschienene) Titel enthielt.321 Während einerseits die belorussische Literatur im Fokus stand, informierten andere Artikel, wie etwa die erwähnte Sonderausgabe der Presse der Sowjetunion oder eine Reportage im Neuen Deutschland noch im Anschluss an die Kulturtage über die „unverbrüchliche Freundschaft“ zwischen beiden Völkern sowie über wirtschaftliche Leistungen und sozialistischen Aufbau im „[a]ufblühende[n] Land zwischen Dwina und Pripjat“.322 Den Auftakt zu den Kulturtagen machte die zentrale Eröffnungsveranstaltung im Friedrich-Stadt-Palast am 6. November in Berlin, die gleichzeitig auch die Festveranstaltung zum 49. Jubiläum der Oktoberrevolution darstellte. Entsprechend groß war die Präsenz an Partei- und Staatsvertretern unter den insgesamt etwa 3000 Gästen. Dazu kamen ausländische Besucher, vor allem der diplomatischen Vertretungen, sowie die für die Kulturtage angereiste sowjetische und eine belorussische Delegation. Die Eröffnungsrede hielt der Berliner Oberbürgermeister Friedrich Ebert; er pries die Vorreiterrolle der Sowjetunion auf dem Weg des Fortschritts und des Sozialismus und hob die Bedeutung der deutsch-sowjetischen Freundschaft für die „Unantastbarkeit“ der DDR hervor.323 Künstlerisch wurde die Festveranstaltung durch das Staatliche Belorussische Tanzensemble (Gosudarstvennyj ansambl’ tanca BSSR) gestaltet. Das 70köpfige Ensemble wurde als eine der Hauptattraktionen in der Presse beworben324 und absolvierte im Rahmen
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Ferdinand: Weißrussische Anthologie. Ein Lesebuch zur weißrussischen Literatur, München 1983, S. 168. Ivan Melež, 1921–1976, war ein belorussischer Schriftsteller, Dozent für belorussische Literatur an der Minsker Universität und Mitarbeiter der Zeitschrift Polymja. Ab 1966 war er Sekretär, von 1970–1976 stellvertretender Vorsitzender der Belorussischen Schriftstellerverbandes, sowie Abgeordneter des Obersten Sowjets der BSSR und Vorsitzender der Belorussischen Abteilung der Freundschaftsgesellschaft UdSSR-Frankreich. Sein bekanntestes Werk ist die Trilogie „Polesische Chronik“, die das Leben der Landbevölkerung während der Sowjetisierung beschreibt. Melež erhielt mehrere belorussische und sowjetische Staatspreise. Vgl. dazu: Ebd., S. 187. Peter Kirchner, „Intellektualität und künstlerische Wahrheit groß geschrieben. Zu bemerkenswerten Tendenzen des Romans in der zeitgenössischen ukrainischen und belorussischen Literatur“, Sonntag. Die kulturpolitische Wochenzeitung, 6.11.1966, S. 13. „Bibliographie der schönen Literatur der BSSR in deutscher Übersetzung seit 1945“, Kunst und Literatur, 10/1966, S. 1082–1086. Vgl. dazu: Anmerkung 317 sowie: Peter Lorf und Werner Goldstein: „Der Große Oktober im Jahre 50. ND-Reportage aus Belorußland“, 5 Teile, Neues Deutschland, 21.–25.12.1966. „Roter Oktober hat die Welt von Grund auf verändert“, Neues Deutschland, 7.11.1966, S. 1, 2. Vgl. Berichterstattung im Neuen Deutschland vom 3. bis 8. November 1966.
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der Kulturtage insgesamt acht Auftritte in verschiedenen Städten der DDR. Dabei war es eindeutig nicht nur an den Künstlern, bei diesen Veranstaltungen eine gute Figur zu machen; so zumindest sah es die DSF: Sie sorgte für eine „Sicherung des Besuches der Veranstaltungen mit dem Staatlichen Tanzensemble der BSSR“ – mithin dafür, dass die Auftritte ausverkauft waren und nicht etwa der Eindruck entstand, die deutsche Bevölkerung interessiere sich nicht für Darbietungen aus der Sowjetunion. Am Beispiel der beiden Auftritte des Ensembles in Berlin wird exemplarisch deutlich, wie diese „Sicherung“ vonstatten ging: Ein großer Teil der Karten wurde an Hochschulen, Gewerkschaften und andere gesellschaftliche Organisationen oder auch militärische Einrichtungen verteilt (1340 von 3000 Karten zur Einführungsveranstaltung). Zudem erhielt jede DSF-Kreisorganisation in Berlin ebenfalls je 150 Karten (1200 gesamt), deren „sinnvolle und gesicherte Verteilung“ geprüft werde. Dazu kamen weitere 150 Protokollkarten, 50 Karten für die Presse und 300 Karten zur Verteilung in der Ballettschule Berlin sowie in erweiterten Oberschulen. Damit schlug der Zentralvorstand der DSF gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Nicht nur war sichergestellt, dass die Einführungsveranstaltung, zu der auch beide sowjetischen Delegationen anwesend waren, gut besucht wurde, sondern auch, dass vor allem ausgewählte Bürger der Veranstaltung beiwohnten. Für den zweiten Auftritt des Ensembles, der an der Berliner Volksbühne stattfinden sollte, standen insgesamt 1024 Karten zur Verfügung, von denen die DSF wiederum 410 über ihre Bezirksorgane vertreiben ließ. Nur 60% der Karten gelangten überhaupt in den freien Vorverkauf, wobei das DSF-Bezirkssekretariat beauftragt wurde, den Stand täglich zu überprüfen, um gegebenenfalls noch übrig gebliebene Plätze zum ‚Vertrieb‘ in der DSF zu übernehmen. Hatte man zuvor solche Veranstaltungen offenbar massiv subventioniert und die Karten zu Schleuderpreisen verkauft, um so den Ausverkauf sicherzustellen, war man davon allerdings abgekommen: „Nach Meinung des Bezirkssekretariats […] sind die angesetzten Kartenpreise (3, 5, 8 MDN) für ein qualifiziertes Ensemble nicht zu hoch, da nach den bisherigen Erfahrungen Karten für 1.- kaum gekauft wurden.“325
Großzügig unterstützt wurden die Veranstaltungen trotzdem, im Falle des Staatlichen Ensembles durch das MfK. Die Bezirksvorstände selbst mussten nur noch einen, wie der Zentralvorstand befand, geringen Pflichtbeitrag von 4000 Mark zahlen. Dass dieser Betrag für manchen Kreisvorstand nicht ganz so gering war326, zeigt das Beispiel Eisenhüttenstadt: Der lokale Vorstand der DSF hatte sich wegen einer „gewissen Überbetonung des Faktors Finanzen“, so der übergeordnete Bezirksvorstand Frankfurt/Oder, zunächst (erfolgreich) geweigert, das Ensemble auftreten zu lassen. Erst nachdem der Auftritt der belorussischen Tanzgruppe an einem anderen Ort kurzfristig hatte abgesagt werden müssen, nahmen die Genossen der Bezirksleitung Frankfurt/Oder die Sache selbst in die Hand, 325 Mitteilung der Abt. Kultur des ZV der DSF an die Mitglieder des Sekretariats, 27.10.1966, SAPMO-BArch DY 32/779a, unpag. 326 Zum Vergleich: Der Auftritt des ebenfalls angereisten Laienensembles aus der BSSR ‚kostete‘ die DSF Vorstände jeweils nur 1600 Mark; vgl. dazu: ebd.
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reisten nach Eisenhüttenstadt und „bewiesen an Ort und Stelle, wie man finanzielle Quellen erschließen muß, um den Auftritt zu sichern.“327 Es darf angenommen werden, dass die genannten „finanziellen Quellen“ nicht zuletzt andere Massenorganisationen waren, die genötigt wurden, Kartenkontingente abzunehmen. Neben dem Staatlichen Ensemble traten auch andere belorussische Künstler anlässlich der Kulturtage in der DDR auf, so das Volkskunstensemble Radost’ aus Brest328, das Laienkunstensemble Oginski sowie eine Gruppe belorussischer Solisten (Musiker, Sänger, Balletttänzer), die ein überwiegend klassisches Programm mit russischer (!) und deutscher Musik boten. Die Neue Berliner Galerie zeigte eine Ausstellung „Grafik und Glas aus der Belorussischen SSR“ und setzte damit in der Kunst ebenfalls einen belorussischen Schwerpunkt. Gleichzeitig ging es bei vielen Veranstaltungen auch um SowjetunionPropaganda und politische Bildung: Vorträge wie „50 Jahre Große Sozialistische Oktoberrevolution – 50 Jahre Sowjetmacht – Sowjetunion – führendes Land der Welt.“ sollten dem Publikum „einen Einblick in den Kampf der Völker der Sowjetunion um den Frieden und eine kommunistische Zukunft vermitteln“. Dabei griff man nicht nur auf den Einsatz sowjetischer Delegationen zurück, sondern lud auch Angehörige der in der DDR stationierten sowjetischen Streitkräfte ein, beispielsweise um am Russischunterricht in Schulen teilzunehmen. Wie die belorussischen Partner versuchte die DSF, die Veranstaltungen möglichst breit, „massenwirksam“ im offiziellen Sprachgebrauch, unter der Bevölkerung publik zu machen. Dazu band man einerseits neben den DSF-Grundorganisationen selbst möglichst viele Massenorganisationen und andere Vereinigungen und Verbände (FDJ, Demokratischer Frauenbund Deutschlands, Kulturbund, Nationale Front etc.) ein, die wiederum ihre Mitglieder mobilisierten. Bildungs- und Kultureinrichtungen (Bibliotheken, Theater, Lichtspielhäuser, Hochschulen) boten ebenfalls ein spezielles Programm zu den Tagen der belorussischen Kultur. Andererseits bemühten sich die Verantwortlichen der DSF um eine ‚zielgruppengerechte‘ Aufarbeitung der Informations- und Kulturveranstaltungen: So gab es Vortragsabende und Kulturveranstaltungen für verschiedene Altersgruppen, Veranstaltungen auf dem Land, die dann verstärkt literarische Werke oder Filme mit sozialistisch-landwirtschaftlichen Themen (z. B. Šolochovs „Neuland unterm Pflug“) vorstellten, Aussprachen in Arbeitsbrigaden zur Umsetzung sowjetischer Neuerermethoden sowie entsprechende Foren und Diskussionsabende in den „Klubs der Intelligenz“ des Kulturbundes, wo etwa die „Gefährlichkeit und Praxis des Antikommunismus und Antisowjetismus, besonders in Westdeutschland“ zur Sprache kommen sollten. Etwas Besonderes hatte man sich für die Zielgruppe ‚Frau‘ ausgedacht: So sollte der Demokratische Frauenbund Deutschlands in allen Kreisen des Bezirks Frankfurt/Oder Themennachmittage unter dem Motto: „Deutsche und sowjetische Frauen kochen gemeinsam mit ihren Männern sowjetische Gerichte“ 327 Gesamteinschätzung der Kulturtage durch den Bezirksvorstand Frankfurt/Oder, 21.11.1966, SAPMO-BArch DY 32/779a, unpag. 328 Überblick über die Tournee des Ensembles Radost’ der Abt. Kultur beim ZV der DSF, SAPMO-BArch DY 32/2240, unpag.
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organisieren. Wie viele Frauen, und vor allem Männer, bei diesem ambitionierten Vorhaben schließlich anwesend waren, ist leider nicht bekannt.329 Obwohl sich viele Informations- und Kulturveranstaltungen auf die UdSSR insgesamt bezogen, war der Anteil an BSSR-spezifischen Themen doch recht hoch. Wie bei der Literatur, so bemühte man sich auch im Bereich der Musik belorussische Komponisten und (Volks-)Lieder zu berücksichtigen: Im Vorfeld versandte der Berliner Zentralvorstand an die Bezirks- und Kreisvorstände der DSF eine „Übersicht über Musikwerke belorussischer Komponisten und Hinweise auf geeignete Kompositionen deutscher Autoren“ sowie „Tonbänder mit Kompositionen aus der BSSR: Volkslieder, Konzerte für Geige und Orchester, Konzerte für Cymbal (typisch beloruss. Volksinstrument), Kantate für Konstantin Saslonow (beloruss. Partisan)“; das Zentrale Haus der DSF in Berlin organisierte ein Belorussisches Konzert sowie einen Belorussischen Liederabend, Gespräche mit belorussischen Kunst- und Kulturschaffenden sowie Diavorträge über die BSSR, ja sogar Kinderbücher und -erzählungen aus der belorussischen Sowjetrepublik wurden vorgestellt. Die Belorussische Freundschaftsgesellschaft hatte zudem Fotoausstellungen zur Verfügung gestellt, die in den Klubhäusern der DSF über die wirtschaftliche, landwirtschaftliche und kulturelle Entwicklung der Sowjetrepublik informierten, ebenso wie Gesprächszirkel zum Thema „Die Bjelorussische SSR – ihre Geschichte und Gegenwart – ihre sich ständig weiter vertiefenden allseitigen Beziehungen zur DDR“.330 Ein interessierter Besucher konnte also durchaus einiges über die belorussische SSR erfahren, was sich von der allgegenwärtigen Sowjetunion-Darstellung abhob. Im Anschluss an die Kulturtage zeigte sich die DSF überwiegend zufrieden mit ihren Veranstaltungen, insbesondere deren politischer Wirkung: Sowohl mit rationalen wie emotionalen Mitteln hätten die Kulturtage zur Festigung der deutsch-sowjetischen Freundschaft beigetragen und „differenzierte Kenntnisse und Urteile über die Sowjetunion“ vermittelt. Gleichzeitig sei auch die politischideologische Bildung nicht zu kurz gekommen: Der „schmutzige[…] Krieg der USA in Vietnam“, die Politik des neuen Feindes Mao-Tse Tung in China sowie die Situation in Westdeutschland hatten ebenfalls auf der Tagesordnung gestanden. Auch im Hinblick auf die Besucherzahlen wertete man die Kulturtage als
329 Maßnahmenplan für die Tage der Kultur des Bezirksvorstands der DSF Frankfurt/Oder, 22.8.1966, SAPMO-BArch DY/32 779a, unpag.; „Festtage der Freundschaft. ‚Tage der sowjetischen Kultur‘ begannen. Im Mittelpunkt: Die Belorussische SSR.“, Neues Deutschland, 6.11.1966, S. 10. 330 Materialplan zur Vorbereitung und Durchführung der Tage der Kultur der Abt. Kultur beim ZV der DSF, 10.10.1966; Übersicht über Veranstaltungen des Zentralen Hauses der DSF zu den Tagen der sowjetischen Kultur, 14.9.1966; Maßnahmenplan für die Durchführung der Tage der sowjetischen Kultur im Bezirk Frankfurt/Oder, 22.8.1966, alle SAPMO-BArch DY 32/779a, unpag.
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3 Freundschaftsverwaltung: Organisationen in Minsk und Berlin
Erfolg.331 Folgende Tabelle zeigt die Anzahl der Besucher bzw. der Veranstaltungen in den einzelnen Bezirken:332 Bezirk
Anzahl der Veranstaltungen
Besucher
Bezirk Cottbus
2107
234.336
Bezirk Neubrandenburg
822
95.788
Bezirk Frankfurt/Oder
615
57.482
Berlin
1516
188.488
Übrige Bezirke der DDR
615
81.515
Gesamt:
5675
657.609
Im Vergleich zum Vorjahr ergab sich nach Zahlen der DSF damit eine erhebliche Steigerung: Noch 1965 hatte es in vier Bezirken der DDR insgesamt 3173 Veranstaltungen gegeben, die von 340.085 Menschen besucht worden waren. 333 Leider ist aus der Statistik jedoch nicht ersichtlich, was genau die Verantwortlichen zu den Veranstaltungen zählten.334 Sehr wahrscheinlich ist, dass bereits kleinere Aktionen großzügig mitgerechnet wurden, um die Erfolgsstatistik noch eindringlicher zu machen, so beispielsweise auch die 40 Wandzeitungen zum Thema BSSR, die im VEB Gaskombinat Schwarze Pumpe im Bezirk Cottbus gestaltet worden waren. Weniger zufrieden war der Zentralvorstand der DSF dagegen mit der Zusammenarbeit mit anderen beteiligten Organisationen. Insbesondere der Nationalrat der Deutschen Front bzw. lokale Organe hätten wenig Engagement gezeigt, und auch die staatlichen Stellen seien nicht immer engagiert gewesen. Dagegen hob die Gesellschaft die eigene Arbeit als gelungen hervor; besonders was die konkrete Planung der Kulturtage anbelangte, sah sie sich als Hauptantriebskraft und beanspruchte damit für die Zukunft eine zentrale Rolle in der auswärtigen Kulturpolitik.335 Im folgenden Jahr kam es noch einmal zu großen Feierlichkeiten. Diese bezogen sich allerdings explizit auf die gesamtsowjetische Kultur, vermutlich deshalb, weil sie mit der 50. Jubiläumsfeier der Oktoberrevolution zusammen fielen. Die
331 Abt. Kultur des ZV der DSF: Auswertung der Ergebnisse der Tage der sowjetischen Kultur, 3.2.1967, SAPMO-BArch DY 32/779a, unpag. 332 Abt. Kultur des ZV der DSF: Statistische Übersicht über die Tage der Kultur 1966, 17.1.1967, SAPMO-BArch DY 32/779a, unpag. 333 Ebd. 334 Die hier angegebene Menge an Veranstaltungen erscheint ausgesprochen hoch für den kurzen Zeitraum von 14 Tagen. Legt man beispielsweise den Bezirk Cottbus zu Grunde, dann müsste jeder der 15 Kreise des Bezirks knapp 140 Veranstaltungen in diesen zwei Wochen durchgeführt haben. Bei einer Bevölkerung von ca. 850 000 Menschen bedeutete dies, dass etwa jeder fünfte Bewohner des Bezirkes Cottbus an der einen oder anderen Veranstaltung teilgenommen hätte. 335 Abt. Kultur des ZV der DSF: Auswertung der Ergebnisse der Tage der sowjetischen Kultur, 3.2.1967, SAPMO-BArch DY 32/779a, unpag.
3.3 Freundschaftsgesellschaften und sozialistische Aussenpolitik
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Fokussierung auf eine einzelne Sowjetrepublik schien dabei nicht angebracht.336 DDR-Kulturtage fanden dagegen in der Georgischen SSR statt und, da das Gegenseitigkeitsprinzip galt, 1969 Tage der Georgischen SSR in der DDR. Im Jahr zuvor, 1968, hatte die DDR Kulturtage der Estnischen SSR ausgerichtet (nach den dortigen DDR-Kulturtagen 1966), wohingegen sich die DDR in Usbekistan präsentieren konnte. Diese, und die Tage der Kultur der DDR 1969 in der RSFSR, fanden jedoch keine Entsprechung mehr: Mit dem Jahr 1970 wurde die Ausrichtung von Kulturtagen einzelner Sowjetrepubliken bzw. in einzelnen Sowjetrepubliken eingestellt, wie auch die Ausrichtung von Kulturtagen überhaupt erheblich eingeschränkt wurde.337 Vorstellbar sind dabei mehrere Ursachen: Wohl in erster Linie zu nennen sind die eingangs vorgestellten Unstimmigkeiten um die Frage der Präsentation einzelner ‚Nationalkulturen‘ in Form spezieller Kulturtage. So dürften sich auf sowjetischer Seite die Gegner dieser Politik durchgesetzt haben, möglicherweise eine Konsequenz aus der Auflösung des Staatlichen Komitees für kulturelle Verbindungen beim Ministerrat der UdSSR und der Unterstellung der Freundschaftsgesellschaft unter das Außenministerium. Zum anderen könnten durchaus auch praktische Überlegungen eine Rolle gespielt haben: So bedeutete die Organisation der zahllosen Veranstaltungen alljährlich einen erheblichen Aufwand, der die Freundschaftsgesellschaften, zusammen mit der Ausrichtung anderer Jubiläen, Festveranstaltungen und Feierlichkeiten stark strapazierte. Zudem dürfte mindestens in der DDR nicht allzu viel ‚Interessenkapazität‘ für weitere Veranstaltungen zur Sowjetunion vorhanden gewesen sein: Tagtäglich wurde die Bevölkerung über die Medien, in den Betrieben sowie in ihrer Freizeit (Massenorganisationen wie Kulturbund und FDJ) mit Sowjetunionpropaganda und der allgegenwärtigen Freundschaftsrhetorik konfrontiert. Auch Gastspiele sowjetischer Künstler und Kulturgruppen waren weniger die Ausnahme als die Regel, so dass die Wirkung zusätzlicher Kulturtage nicht unbedingt den Aufwand gerechtfertigt haben mag. In der BSSR wiederum pflegte die BELOD Beziehungen zu anderen Partnerorganisationen in zahlreichen Ländern; auch sie dürfte mit ihren knapp 30 Mitarbeitern an die Grenze ihrer Kapazitäten gestoßen sein. Allerdings lag die grundsätzliche Entscheidung über die Durchführung von Kulturtagen ohnehin auf sowjetischer Seite und damit in Moskau. Dort zeigte man allerdings noch anderweitiges kulturpolitisches Interesse, so etwa in den Ländern der Dritten Welt in Afrika und Asien, die im Rahmen des Ost-West-Gegensatzes als noch ‚unsichere‘ Kandidaten im sozialistische Lager verstärkte Aufmerksamkeit verlangten. Gleiches gilt für den Kulturaustausch Richtung Westen, der zunehmende Bedeutung erlangte. Bereits nach dem Tod Stalins hatte die erste Entspannungsphase Mitte der 1950er Jahre eine Ausweitung des kulturellen Austauschs und mehrere Kulturabkommen ermöglicht, so entsprechende Verträge mit Norwegen (1955), Schweden, Großbritanni336 Vgl. dazu z. B. „Tage der sowjetischen Kultur in der DDR“, Neues Deutschland, 4.11.1967, S.8. 337 Vgl. dazu exemplarisch die Berichterstattung in Neues Deutschland, Neue Zeit und Berliner Zeitung im Oktober, November der entsprechenden Jahre.
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3 Freundschaftsverwaltung: Organisationen in Minsk und Berlin
en, Frankreich, Dänemark, Norwegen und Belgien (1956) sowie das Lacy-Zarubin Abkommen (Abkommen über Austausch in den Bereichen Kultur, Technik und Bildung) zwischen der UdSSR und den USA. Schließlich hatte auch das Abkommen mit der Bundesrepublik über kulturellen, wissenschaftlichen und technischen Austausch im Jahr 1959 neue Betätigungsfelder für die sowjetische Kulturdiplomatie eröffnet.338 Auch im Westen führte die SSOD Tage der sowjetischen Kultur bzw. der einzelnen Sowjetrepubliken durch, tauschte Ensembles, Literatur und Delegationen aus. Mit der Entspannung unter Leonid Breschnew in den 1970er Jahren dürften einerseits diese Westkontakte zunehmend wichtig geworden sein, andererseits hatte sich der Ostblock nach der Niederschlagung des Prager Frühlings als stabil erwiesen. Auch die DDR schien schließlich durch den Mauerbau konsolidiert und bedurfte geringerer Aufmerksamkeit. In der DDR selbst rückten, neben dem Engagement im Westen, nun auch Kulturbeziehungen zu den übrigen sozialistischen Nachbarn stärker ins Blickfeld. So ist seit etwa 1970 im Neuen Deutschland eine stetig zunehmende Berichterstattung über Tage der Ungarischen, Polnischen, Bulgarischen Kultur etc. zu verzeichnen, und zwar in gleichem Maße, wie die Häufigkeit sowjetischer Kulturtage abnahm.339 Daneben spielten die neu aufkommenden Gebiets- oder Städtepartnerschaften eine Rolle; hier wurden, im Gegensatz zu den früheren zentralen Veranstaltungen, meist gegenseitig kleinere, lokale Kulturtage veranstaltet.340 Die dargestellten Großveranstaltungen dagegen fanden nur noch zu ganz bestimmten Ereignissen oder Jubiläen statt, so etwa Kulturtage der DDR in der UdSSR anlässlich des 35jährigen Bestehens der DDR sowie im Jahr 1975 Tage der sowjetischen Kultur in der DDR zum 30. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus.341 Obwohl also die Häufigkeit gegenseitiger Kulturtage zurückging, änderte sich an den grundlegenden Zielen wenig: Eine Anordnung des Ministeriums für Kultur der UdSSR legte für die Kulturtage mit Polen, Ungarn, der DDR, der ČSSR und Bulgarien im Jahr 1975 erneut die Propagierung einen positiven Sowjetunionbildes als wichtigste Leitlinie fest: Die Erfolge der leninschen Kulturpolitik und der multinationalen sowjetischen Kultur sowie kommunistischer Aufbau und sowjetischer Lebensstandard sollten die Völker in den Ostblockstaaten in bewährter Art und Weise beeindrucken.342
338 Vgl. dazu: VanOudenaren, John: Détente in Europe: the Soviet Union and the West since 1953, Durham u.a. 1991, S. 286, 289; Gould-Davies: „Logic of Soviet Cultural Diplomacy“, S. 206–207. 339 Vgl. dazu die Berichterstattung im Neuen Deutschland, aber auch in der Berliner Zeitung sowie der Neuen Zeit in den 1970er Jahren. 340 In der Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen der SSOD, der SGDDR und der DSF für das Jahr 1972 wurden genaue Festlegungen getroffen für die Durchführung von Kulturtagen zwischen sowjetischen Gebieten/Städten und Bezirken/Städten der DDR, NARB f. 914, op. 4, d. 439, l. 122–124; siehe dazu auch Kap. 5.1.3 dieser Arbeit. 341 Vgl. dazu z. B. „Tage der Kultur der DDR in 90 Städten der UdSSR“, Neue Zeit, 29.9.1974, S.2; „Künstlerische Vielfalt für den 30. Jahrestag“, Berliner Zeitung, 20.11.1974, S. 2. 342 Anordnung Nr. 90 des MfK der UdSSR, 30.12.1974, NARB f. 974, op. 2, d. 1229, l. 149– 151.
3.3 Freundschaftsgesellschaften und sozialistische Aussenpolitik
119
Indes war von Kulturtagen einzelner Sowjetrepubliken für viele Jahre überhaupt keine Rede mehr. Dies änderte sich bezeichnenderweise erst mit der Perestrojka in den 1980er Jahren, was wiederum ein guter Indikator dafür ist, dass diesbezügliche Entscheidungen von Anfang an allein bei der Sowjetführung gelegen hatten. Erst im Jahr 1989 konnte sich die BSSR wieder als Sowjetrepublik in der DDR präsentieren; nun allerdings zu einem Zeitpunkt, als die ‚Freunde‘ aus der Sowjetunion schon nicht mehr bei allen DSF-Funktionären gern gesehen waren. Dort sah man sich nämlich plötzlich mit einem Partner konfrontiert, der offen Kritik am bisherigen System äußerte und für die in der DDR tabuisierten Reformen Perestrojka und Glasnost’ warb.343 So wurden die Veranstaltungen im Rahmen der Kulturtage 1989 eher vor der Bevölkerung verheimlicht als sie öffentlich zugänglich zu machen oder gar zu bewerben. Noch nicht einmal „einfache DSFMitglieder aus Grundeinheiten“ habe man auf Geheiß der SED-Bezirksleitungen einladen dürfen, so stellte die Abteilung Internationale Verbindungen der DSF Ende November 1989 fest. Erst nach dem Fall der Mauer vertraute man wieder auf den sowjetischen Partner, freilich in ganz anderer Hinsicht: So erhoffte man von den belorussischen Freunden nun „eine große moralische Hilfe, als Ermutigung für entschlossenes Handeln im Sinne der eingeleiteten Wende.“344
3.3.1.3 Zusammenfassung Auch nach dem Ende der regelmäßigen, großangelegten Kulturtage organisierten die Freundschaftsgesellschaften weiterhin kulturelle Veranstaltungen, wie Dekaden des Buches, des Films oder der Musik oder auch Veranstaltungen zu bestimmten Jubiläumsdaten und hielten damit an ihrem Auftrag in der auswärtigen Kulturpolitik fest. Die 1970er Jahre bildeten aber trotzdem einen Umschwung in der auswärtigen Kulturpolitik, insofern als – wie schon in der Zeit vor dem Tauwetter unter Chruščёv – weniger die einzelnen Republiken im Zentrum standen,
343 Vgl. dazu: Vermerk eines DSF-Mitarbeiters über ein Gespräch in der BELOD und im GK Minsk zu den bevorstehenden Kulturtagen, 8.6.1988, SAPMO-BArch DY 32/4461, fol. 1990–1992: „Ein besonderes Augenmerk der sowjetischen Seite galt dem Einsatz ihrer Lektoren, wobei offenkundig wurde, daß in nicht geringem Umfang beabsichtigt ist, Themen der Umgestaltung anzubieten (‚Gewissensfreiheit in der UdSSR‘ u. a.). In besonderem Maße möchte man sich der Schul- und studentischen Jugend zuwenden.“ Auch eine durch die BELOD gelieferte Informationsbroschüre „Belorußland – ein kurzer Überblick“ geht in die gleiche Richtung. Hier werden zwar die Errungenschaften des Sozialismus, insbesondere auch beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg, hervorgehoben, gleichzeitig seien aber nicht alle Möglichkeiten des Sozialismus realisiert worden. Es habe objektive Schwierigkeiten, aber auch schwerwiegende Fehler und Entstellungen gegeben. Nur die neue Reform eröffne Perspektiven für die Entwicklung der Gesellschaft, bei der Belorussland eine Vorreiterrolle einnehme: Als erste Sowjetrepublik sei hier die gesamte Industrie auf neue „Wirtschaftsgleise“ umgeleitet worden. Vgl. ebd., fol. 1885–1887. 344 Abt. Internat. Verbindungen beim ZV der DSF, Information über die Tage der BSSR, 23.11.1989, SAPMO-BArch DY 32/4461, fol. 0209–0212.
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3 Freundschaftsverwaltung: Organisationen in Minsk und Berlin
als vielmehr die ‚sowjetische Nation‘ und ihre kulturellen Leistungen als Ganzes in den Mittelpunkt gerückt wurden. Hintergrund dieser Entwicklung waren Auseinandersetzungen innerhalb der sowjetischen Führungsspitze, die im Kontext des Führungswechsels von Chruščёv zu Breschnew einzuordnen sind. Hatte das Tauwetter unter Nikita Chruschtschow eine gewisse Dezentralisierung und damit mehr Autonomie und kulturelle Eigenständigkeit der Republiken gefördert, folgte die Arbeit der Freundschaftsgesellschaften gegenüber den sozialistischen Staaten auch in kultureller Hinsicht der erneuten Zentralisierungspolitik unter Breschnew. Obwohl nach wie vor die Leninsche Nationalitätenpolitik und ihre beispielhafte Umsetzung im Ausland hervorgehoben wurden – nicht zuletzt als Argument zur Empfehlung der Sowjetunion als Unterstützerin der jungen Nationalstaaten der Dritten Welt in ihrem Streben nach nationaler Souveränität – dienten die einzelnen Republiken der Sowjetunion nur noch als farbenfrohe Hüllen, an deren Beispiel die Entwicklung der Sowjetkultur aufgezeigt werden sollte.345 Die Kulturtage der BSSR in der DDR im Jahr 1966 stellten damit in dieser Form ein einmaliges Ereignis dar, das bezeichnenderweise erst 1989, nach den sowjetischen Reformen, wiederholt wurde. Im Mittelpunkt der Kulturtage, auch zur DDR-Kultur in der BSSR, standen dabei kulturelle Veranstaltungen zu Literatur, Musik und Kunst, die durchaus ein klassisch-kulturell interessiertes Publikum ansprachen. Ein typisches Merkmal jedoch, das die Arbeit der Freundschaftsgesellschaften als Massenorganisation auszeichnete, war auch in diesem Fall der Versuch einer breiten Erfassung der Bevölkerung über Betriebsveranstaltungen, Hörfunk oder die Einbindung anderer gesellschaftlicher (Massen-)Organisationen. In diesem Zusammenhang erhoben die Gesellschaften auch ihr Bildungspostulat: Neben Kultur sollte die breite Masse der Bevölkerung auch Politik, Gesellschaft und Wirtschaft, kurz den sozialistischen/kommunistischen Aufbau, des Partnerlandes kennenlernen. Von Anfang an mit einem stärker politischen Hintergrund, vor allem von deutscher Seite, wurden die kulturellen Veranstaltungen anlässlich der deutschsowjetischen Freundschaftswoche verknüpft. Hier wurde die Sowjetunion als großes Vorbild inszeniert; insbesondere der 8. Mai forderte als Tag der Befreiung vom Faschismus besondere Dankbarkeit der deutschen Bevölkerung gegenüber den sowjetischen Freunden und Befreiern. Die Koppelung des 8. Mai mit der Freundschaftswoche hatte dabei durchaus ambivalente Wirkungen: Einerseits schufen Fest- und Kulturveranstaltungen im Rahmen der Freundschaftswoche eine volksfestartige, ausgelassene Stimmung, die eher zu einer Teilnahme mobilisieren konnte, als entsprechende politische Veranstaltungen. Andererseits ging gerade dadurch die intendierte dankbar-besinnliche Stimmung zum Teil verloren, wie sie ein Gedenken des Kriegsendes eigentlich erfordert hätte. Auch in der Sowjetunion bzw. der BSSR gehörten die Freundschaftswochen zu den zentralen Veranstaltungen der Freundschaftsgesellschaften. Wie die Beispiele des Jahres 1965 zeigen, war hier die Zusammenlegung des Tags des Sieges mit der Freund345 Vgl. dazu auch Kap. 3.3.2 dieser Arbeit.
3.3 Freundschaftsgesellschaften und sozialistische Aussenpolitik
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schaftswoche zu den ehemaligen Kriegsgegnern nicht ganz unproblematisch: Zwar betonte die offizielle Seite die Freundschaft zur DDR und ihren Beitrag zum Aufbau einer friedlichen sozialistischen Staatengemeinschaft als wichtigste Botschaft der Freundschaftsfeierlichkeiten, unter der Bevölkerung brachen sich aber anlässlich des Jubiläumsjahres auch ablehnende Gefühle gegenüber den ehemaligen Besatzern Bahn. Möglichweise lag, neben der zunehmenden Bindung aller gesellschaftlichen Kräfte für die großangelegten Siegesfeiern, auch darin ein Grund für die spätere Verlegung der Freundschaftswochen auf den Oktober, rund um den Jahrestag der Gründung der DDR. Die Freundschaftsgesellschaften boten als Organe der auswärtigen Kulturpolitik mitnichten nur Politpropaganda. Obwohl es in erster Linie darum ging, auch mit Kultur Werbung für die eigene Sache zu machen, die Bevölkerung des Partnerlandes mit Kultur „emotional“ zur gegenseitigen Freundschaft346, zumindest jedoch gegenseitigem Wohlwollen, zu überzeugen, bot sich dem interessierten Publikum gleichzeitig ein breites Angebot vielfältiger und zum Teil hochkarätiger Kulturveranstaltungen, die auch ohne explizite politische Beeinflussung auskamen. Dabei ist die Reaktion der ‚Empfängerseite‘, veranschaulicht durch die (freiwillige und nicht delegierte) Anzahl der Besucher, leider am Schwierigsten zu dokumentieren. Es scheint aber durchaus legitim, den internen Berichten der DDR-Botschaft an das MfAA Glauben zu schenken, die von einer überaus positiven Aufnahme deutscher Veranstaltungen in der BSSR berichteten, zumal an anderer Stelle durchaus auch Kritik an fingierten Besucherzahlen geäußert wurde. Umgekehrt sind auch Erfolgsmeldungen der DSF – wenn auch von einer positivistischen Auslegung der Besucherzahlen geprägt – nicht grundsätzlich in Frage zu stellen. So hat Jan C. Behrends in seiner Studie zur „Erfundenen Freundschaft“ bemerkt, dass gerade Kulturveranstaltungen, etwa Konzerte und Auftritte sowjetischer Tanzensembles, größtes Interesse unter der Bevölkerung hervorriefen.347 Problematischer erscheint in dieser Hinsicht eher, dass die Inhalte dieser auswärtigen Kulturpolitik eben nicht nach dem Interesse des Publikums ausgehandelt werden konnten, sondern der Zuschauer/Zuhörer nehmen musste, was ihm von zentraler Stelle vorgesetzt wurde. Diese Entscheidungen wiederum unterlagen sehr wohl politischen Interessen: Nur staats- und parteikonforme kulturelle Werke und Darbietungen, die den Anforderungen an eine sozialistische Kultur entsprachen, konnten überhaupt gezeigt werden; auch die Präsentation der sowjetischen national-kulturellen Vielfalt folgte nicht den Wünschen des Publikums, ja nicht einmal denen belorussischer (oder anderer nationaler) Künstler und Schriftsteller, sondern der der Parteizentrale nach öffentlichkeitswirksamer Darbietung der erfolgreichen Leninschen Nationalitätenpolitik, Synonym für die vermeintliche nationale Selbstbestimmung der Sowjetvölker.
346 Vgl. zur emotionalen Beeinflussung: Abt. Kultur des ZV der DSF: Auswertung der Ergebnisse der Tage der sowjetischen Kultur, 3.2.1967, SAPMO-BArch DY 32/779a, unpag. 347 Behrends: Erfundene Freundschaft, S. 233–237.
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3.3.2 Auswärtige Kulturpolitik und Auslandsinformation: Bilder und Botschaften Im Winter 1966/1967 wurde auf Betreiben der Abteilung Internationale Verbindungen der DSF eine Kommission für Auslandsinformation beim Zentralvorstand der Gesellschaft eingerichtet. Sie sollte das Sekretariat und die Abteilung Internationale Verbindungen bei der Festlegung von Grundlinien und Themen der „Auslandspropaganda“ in die Sowjetunion unterstützen. Vorgesehen war auch eine enge Zusammenarbeit mit der Kommission für Auslandsinformation bei der DDR-Botschaft in Moskau, unter anderem um von dort Rückmeldungen über die Wirksamkeit der versendeten Informationsmaterialien (Broschüren, Zeitschriften, Bücher, Ausstellungen etc.) zu erhalten. Die Begriffe Auslandsinformation und Auslandspropaganda wurden dabei synonym und in durchweg positiver Konnotation verwendet: Nicht Propaganda im Sinne von Meinungsmanipulation, sondern die „systematische Verbreitung und gründliche Erläuterung“ von Informationen über die DDR gehörten zu den Aufgaben kultureller Auslandsbeziehungen, die stets „auslandsinformatorische Wirksamkeit“ haben sollten.348 Beim Stichwort Auslandspropaganda dachten die DSF-Funktionäre jedoch beileibe nicht nur an Informationsmaterialien; auch der ‚Faktor Mensch‘ spielte in ihren Überlegungen eine Rolle: Bei der Entsendung von Lektoren und Delegationen, der Einladung und Betreuung sowjetischer Pressevertreter und der ‚Arbeit‘ mit sowjetischen Touristen wollte die Kommission verschiedenen Dienststellen beratend und koordinierend zur Seite stehen.349 Die ursprünglich acht Kommissionsmitglieder gehörten größtenteils zum Zentralvorstand der DSF, aber auch das Außenministerium war mit einem Mitarbeiter vertreten.350 Die Bildung der Kommission verdeutlicht noch einmal, dass sich die Freundschaftsgesellschaft auch zunehmend als Organ der Auslandsinformation betrachtete; kulturelle Auslandsbeziehungen funktionierten seit der Entstalinisierung des Ostblocks eben nicht mehr nur als einseitiger Import sowjetischer (Kultur-)Propaganda, sondern diente (für die westlichen Staaten hat die Forschung das bereits gezeigt351) zur Darstellung eines fortschrittlich-sozialistischen, antifaschistischen DDR-Bildes gegenüber der Sowjetunion. Auch auf belorussischer Seite bemühte man sich um eine Auslandspropaganda, die Aspekte eines belorussischen „quasinationalen“352 Selbstverständnisses aufgriff. Gleichzeitig blieb sie jedoch eng mit der Darstellung der gesamtsowjeti348 Vgl. dazu die Stichworte Kulturelle Auslandsbeziehungen sowie Propaganda in Kleines politisches Wörterbuch, S. 475–476, 689–691. Vgl. auch die Bemerkungen zur Auslandspropaganda in der Einleitung dieser Arbeit, Kap. 1.2. 349 Dies galt seit den 1960er Jahren ganz besonders für die Betreuung sowjetischer Touristen, in die die DSF federführend eingebunden war. Vgl. dazu Kap. 5.2.2. 350 Vgl. dazu: Vorschlag der Abt. IV beim ZV der DSF zur Gründung einer „Arbeitsgruppe für Auslandspropaganda“, 2.9.1966; Konzeption für die Arbeit der Kommission Auslandsinformation des ZV der GDSF, ohne Datum; Protokoll der 1. Sitzung der Kommission Auslandsinformation, 15.2.1967, SAPMO-BArch DY 32/661, unpag. 351 Vgl. dazu den Forschungsstand in der Einleitung dieser Arbeit, Kap. 1.3. 352 Lindner: Historiker und Herrschaft, S. 304.
3.3 Freundschaftsgesellschaften und sozialistische Aussenpolitik
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schen Entwicklung verbunden, hatte die sowjetische auswärtige Kulturpolitik den einzelnen Republiken doch nur geringe Entscheidungsbefugnis und überwiegend Alibifunktionen zum Beweis der erfolgreichen Leninschen Nationalitätenpolitik zugeteilt.
3.3.2.1 Sozialistischer Aufbau in nationalem Kontext Im Vorfeld der Jubiläumsfeierlichkeiten zu 50 Jahren Oktoberrevolution veröffentlichte das Neue Deutschland eine umfangreiche Reportagereihe, die sich mit der Entwicklung in den einzelnen Sowjetrepubliken und Gebieten der Sowjetunion beschäftigte.353 Den Auftakt machte im November 1966 eine Reportage über die Ukraine, im Dezember desselben Jahres folgte dann im Zusammenhang mit den gerade beendeten Kulturtagen eine fünfteilige Serie über die Belorussische SSR. Sie konzentrierte sich jedoch überwiegend auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes.354 Dabei fasst der Titel „Dornröschen wird wachgeküsst“, Teil drei der Serie, gut den Grundtenor aller Artikel zusammen: Im Mittelpunkt stand die Evolution der Sowjetrepublik aus einer vermeintlichen Steinzeit (Zarenreich) hin zu einem erfolgreichen Wirtschaftsstandort der chemischen Industrie, des Maschinenbaus und einer hochtechnisierten Landwirtschaft. Schauplätze der Reportagen sind dabei klassische Orte der sozialistischen ‚Heilserzählung‘: Bezwingung der Natur in den trockengelegten und nun landwirtschaftlich genutzten Sumpfgebieten im Süden des Landes (Polessje-Gebiet), Industrialisierung am Beispiel des Minsker Traktorenwerks, die sozialistische, neu gegründete Kali-Stadt Soligorsk südlich von Minsk sowie die Stadt Gomel’ mit der dort entlang laufenden DružbaErdölleitung als Zeichen für eine wachsende internationalistische Zusammenarbeit der Ostblockstaaten. Allein die Oktoberrevolution und der folgende sozialistische Umbau des Landes habe die rasante industrielle und landwirtschaftliche Entwicklung sowie die immense Verbesserung im Lebensstandard der Bevölkerung in nur zwei Generationen ermöglicht. Damit folgten die Artikel des Neuen Deutschland der offiziellen sowjet-belorussischen Historiographie, die stets die weißrussischen Gouvernements des Zarenreiches als ökonomisch und kulturell zurückgebliebene und unterdrückte Randregionen zeichnete, die die kapitalistischen Kräfte ganz bewusst auf einem niedrigen Entwicklungsniveau gehalten hätten. Tatsächlich aber hatte bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert eine Industria353 Vgl. dazu den ersten Teil der Reportage: Lorf, Peter und Werner Goldstein: „Im raschen Pulsschlag des Krestschatik“, Neues Deutschland, 6.11.1966, S. 7, der sich der Ukraine widmete. Gleichzeitig wurden weitere Berichte für das Jahr 1967 angekündigt, etwa aus den baltischen Sowjetrepubliken, Sowjet-Mittelasien, Kasachstan, Sibirien u. a. Vgl. dazu auch die Berichterstattung des Neuen Deutschland bis zum Oktober 1967, beispielsweise am 17.1.1967, 20.6.1967, 22.8.1967. 354 Vgl. für die folgenden Ausführungen die fünfteilige „ND-Reportage aus Belorußland“: Lorf, Peter und Werner Goldstein: „Optimismus steht auf festen Füßen (I)“, „Die Väter und die Söhne (II)“, „Dornröschen wird wachgeküsst (III)“, „Glück auf, Soligorsk! (IV)“, „Die Freundschaft hat viele Gesichter (V)“, 21.12.–25.12.1966, jeweils S. 7, 5, 4, 4, 7.
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lisierung der Region eingesetzt, die nach Erstem Weltkrieg sowie Bürgerkrieg und mit Beginn der Sowjetmacht zunächst jedoch wieder stark zurückgegangen war. In der gesamten Zwischenkriegszeit war die BSSR sogar hinter den Entwicklungszahlen in anderen Gebieten der UdSSR zurückgeblieben. Erst mit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg und einer Umstrukturierung der Wirtschaft hin zu Maschinenbau, Metallverarbeitung und chemischer Industrie setzte seit den 1960er Jahren tatsächlich ein rasantes wirtschaftliches Wachstum ein. Dies sei, so hob das Neue Deutschland hervor, umso bemerkenswerter nach den Zerstörungen durch die faschistischen Besatzer während des Zweiten Weltkriegs.355 Damit ist bereits eine der wesentlichen Grundlinien aufgezeigt, die auch die Selbstpräsentation durch die belorussische Freundschaftsgesellschaft kennzeichnete. So hatte etwa die zu diesem Zweck neu geschaffene Abteilung Presse und Information, die für die Auslandsinformation zuständige Abteilung der BELOD, bereits im Jahr 1959 eine ganze Artikelserie für den Auslandsversand zusammengestellt: Die Neugründung oder der Wiederaufbau von Städten, unter anderem auch darüber, wie man sich die sozialistische Musterstadt Minsk356 im Jahre 1965 vorzustellen habe, das wirtschaftliche Wachstum oder der Neubeginn in Kunst und Kultur (Theater, Literatur, Künstlerisches Volksschaffen) waren wichtige Themen der belorussischen Auslandsinformation.357 Fotoausstellungen, die im selben Jahr zum 50jährigen Bestehen der BSSR verschickt wurden, zeigten Industriebetriebe, aber auch das kulturelle Leben: Künstler, Theater und Kulturpaläste, die die Einbeziehung der Arbeiter in ein sozialistisches Kulturleben deutlich machen sollten.358 Ähnliche Artikel der BELOD erschienen in der Sonderausgabe der DDR-Zeitschrift Presse der Sowjetunion im Oktober 1966 im Vorfeld der belorussischen Kulturtage. Die Hauptaussage hatte sich auch hier kaum verändert: Unter der vielsagenden Überschrift „Belorußland – würdiges Mitglied der sowjetischen Völkerfamilie“ warb man mit einer langatmigen Aufzählung wirtschaftlicher Erfolge in Industrie und Landwirtschaft sowie der Erhöhung des Lebensstandards der Bevölkerung. Allerdings blieb die Aufzählung erstaunlicher Steigerungsraten weitgehend unaussagekräftig, wurde der Leser doch über zu Grunde gelegte Ausgangswerte im Dunkeln gelassen. Ähnlich quantitativ wurde auch die Freundschaft zur DDR bemessen: Unter dem Titel „Ein Wort über unsere Freundschaft“ schilderte der Verantwortliche Sekretär der belorussischen Abteilung der 355 Kischtymau, Andrej: „Rückständigkeit und Industrialisierung im 20. Jahrhundert“, in: Beyrau, Dietrich und Rainer Lindner (Hrsg.): Handbuch der Geschichte Weißrusslands, Göttingen 2001, S. 258–275, hier S. 259–270. 356 So die These von Bohn: Minsk – Musterstadt des Sozialismus. 357 Vgl. diverse Schreiben der Abt. Presse und Information der BELOD an die Glavlit (Glavnoje upravlenije po delam literatury i izdatel’stv / Hauptverwaltung für Angelegenheiten der Literatur und des Verlagswesens), die Zensurbehörde der BSSR, im Frühjahr 1959, in denen um die Erlaubnis für die Publikation und Versendung verschiedener Artikel gebeten wurde; NARB f. 914, op. 3, d. 33. 358 Schreiben der Abt. Presse und Information an Freundschaftsgesellschaften verschiedener sozialistischer Länder, 31.1.1959, NARB f. 914, op. 3, d. 32, l. 24–27.
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SGDDR die zahlreichen Beweise für die deutsch-belorussische Freundschaft. Auch er konzentrierte sich vornehmlich auf die Aufzählung von Daten und Fakten, so die Anzahl der Direktkontakte zwischen Einrichtungen/Unternehmen beider Länder, in der BSSR begangene Jubiläumsdaten der DDR, Schriftsteller, deren Werke im Partnerland übersetzt und vertrieben wurden. Der Erfolg der Freundschaft drückte sich demnach überwiegend in Zahlen aus. In der Sonderausgabe folgten Informationstexte und Fotos zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen: „Land der Chemie, des Präzisionsmaschinen- und Fahrzeugbaus“, „Nowopolozk – Stadt des Erdöls“, „Die Landschule ‚Kusma Tschornag‘“; außerdem zur „Akademie der Wissenschaften“ sowie ein Artikel, „1 888 000 Sportler“, in dem die Entwicklung von „Körperkultur und Sport“ zur Prophylaxe in der sozialistischen Gesellschaft gepriesen wurde. Dies alles, so der Tenor, habe die Republik trotz der Verwüstungen durch den Zweiten Weltkrieg und nicht zuletzt durch die „uneigennützige […] Unterstützung des gesamten Sowjetvolkes“ erreicht. Damit wurde verdeutlicht: Zwar war die Sonderausgabe der belorussischen SSR gewidmet, diese gehörte jedoch untrennbar zur „sowjetischen Völkerfamilie“.359 Neben Artikeln, Ausstellungen und Lektorenvorträgen nutzte die belorussische Freundschaftsgesellschaft auch die Zeitschrift des Dachverbandes SSOD Kul’tura i Žisn’360 (dt. Ausgabe unter dem Titel: Kultur und Leben. Illustrierte Monatsschrift des Verbandes der Sowjetischen Gesellschaften für Freundschaft und Kulturelle Verbindungen mit dem Ausland (SSOD)), als Portal für die Darstellung der Republik insbesondere im westlichen Ausland und in den Entwicklungsländern.361 Im Gegensatz zu den in der DDR erschienenen nüchternen Erfolgsmeldungen stand hier, etwa bei einer Artikelserie aus dem Jahr 1962, vor allem 359 Vgl. dazu: Die Presse der Sowjetunion. Sondernummer zu den „Tagen der sowjetischen Kultur“ über die Belorussische SSR, 31.10.1966, 24 S. 360 Kul’tura i žisn’ erschien seit 1957 als monatliche Zeitschrift des Dachverbandes SSOD (zuvor Biulleten’ VOKS) in den Sprachen Russisch, Spanisch, Französisch, Englisch und Deutsch. Sie richtete sich an ein ausländisches Publikum; im Gegensatz zum früheren Bulletin der VOKS enthielt sie weniger klar propagandistische Artikel, sondern versuchte, durch ein ansprechendes Äußeres, z.B. viele Fotos und leserfreundliche und interessante Texte, die Weltöffentlichkeit und, in den 1950er und 1960er Jahren, insbesondere die Gesellschaften in Entwicklungsländern für die Sowjetunion zu begeistern. Vgl. dazu: Hamm, Kristen Elizabeth: „The Friendship of Peoples“. Soviet Ballet, Nationalities Policy, and the Artistic Media, 1953–1968, Urbana: University of Illinois, unveröffentl. Masterarbeit 2009, S. 6–7, https://www.ideals.illinois.edu/bitstream/handle/2142/14632/Hamm_Kristen.pdf?sequence=2 (zugegriffen am 5.5.2017). 361 Dabei schien, insbesondere in den 1960er Jahren, nicht selten die Auslandsinformation in die westlichen Staaten bzw. die Entwicklungsländer deutlichen Vorrang zu haben: So plante die BELOD anlässlich des 50jährigen Bestehens der BSSR vornehmlich im Westen bzw. in den Staaten der so genannten Dritten Welt spezielle Veranstaltungen, die anlässlich des Jubiläums über Kultur und Wirtschaft der Republik informieren sollten. Unter den sozialistischen Staaten nahm lediglich Polen eine Sonderrolle ein, wobei hier jedoch die Darstellung der belorussischen Wirtschaftsleistung im Mittelpunkt stand; vgl. dazu: „Plan der Grundveranstaltungen der Belorussischen Gesellschaft für Freundschaft und kulturelle Verbindungen mit dem Ausland im Zusammenhang mit dem 50jährigen Bestehen der Belorussischen Sozialistischen Sowjetrepublik“, ohne Datum, NARB f. 4p, op. 62, d. 717, l. 195–197.
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die emotional bewegende ‚Völkerfreundschaft‘ im Vordergrund: Bereits bestehende Verbindungen zu Gesellschaften im Ausland wurden ebenso hervorgehoben wie die Tatsache, dass diese Kontakte überwiegend durch das „Aktiv, eine grosse Kraft unserer Gesellschaft“, also durch ehrenamtlich tätige ‚normale‘ Bürger getragen würden. Statt wirtschaftlicher Erfolge wurden hier sozialistische Menschen präsentiert, die sich in der einen oder anderen Form in der Freundschaftsgesellschaft engagierten. Zwischenmenschlicher Kontakt – mindestens über das Vermittlungsmedium der Zeitschrift – statt Polit- und Wirtschaftspropaganda schien hier die Erfolgsformel zu sein.362 Auch in den Folgejahren berichtete Kul’tura i Žisn’ wiederholt über die BSSR und veröffentlichte Artikel der belorussischen Freundschaftsgesellschaft, so unter der Rubrik „In der einträchtigen Familie der Sowjetvölker“ ein Interview mit dem Vorsitzenden des Ministerrates und späteren ersten Sekretär der KPB Tichon Kiselëv363. Auf die Frage nach Besonderheiten des belorussischen Volkes betonte er durchaus selbstbewusst die Nationswerdung der BSSR im Zuge der Oktoberrevolution und die Entwicklung von einer rückständigen Rand- in eine moderne Industrieregion; auch im unionsweiten Vergleich nehme die BSSR heute Spitzenpositionen ein. Eigentlicher Fixund Ausgangspunkt der belorussischen Geschichte war für Kiselëv aber der Große Vaterländische Krieg, der zugleich ihre unlösbare Verbindung mit der sowjetischen Geschichte erklärte. Sowohl die Erfolge der Partisanenbewegung gegen die faschistischen Besatzer als auch der Wiederaufbau nach dem Krieg wäre ohne die Unterstützung der „sowjetischen Brudervölker“ nicht möglich gewesen, so Kiselёv ganz im Einklang mit der offiziellen Parteilinie.364 Im „entwickelten Sozialismus“ der 1970er Jahre versuchte man auch in der DDR zunehmend, Reportagen aus der Sowjetunion ein menschliches Gesicht zu geben. Hatte die ND-Serie über die BSSR 1967 noch hauptsächlich den wirtschaftlichen Aufbau und Produktionsraten angepriesen, so zeigte eine Reportagereihe der National-Zeitung, Zentralorgan der NDPD, deutlich andere Züge.365 In nahezu literarischem Stil stellte der Korrespondent der National-Zeitung ganz verschiedene Menschen und ihr tägliches Leben in der BSSR vor. Die Schauplätze dieser Berichte lagen freilich immer noch in der Industrie; die neuen Helden und Heldinnen waren vor allem (Best-)Arbeiter, aber auch ein Lehrer in der neu gegründeten „Kristall-Stadt“ Soligorsk schilderte sein Leben. Nach wie vor handelte es sich um eine utopische Darstellung der Sowjetunion, in der scheinbar paradiesische Zustände herrschten. Der Unterschied bestand jedoch darin, wie sich das Paradies manifestierte: Nicht märchenhafte Steigerungsraten in der Industrieproduktion zeigten den Vorbildcharakter der Sowjetunion, sondern die Lebensund Arbeitsbedingungen der Bevölkerung. Sicher nicht zufällig wählte die Repor362 Vgl. dazu und für die folgenden Ausführungen die Artikelserie: „Belorußland berichtet über seine Erfahrungen.“, Kultur und Leben, 11/1962, S. 14–23. 363 Vgl. zu Kiselёv Anm. 653. 364 „Damit die Menschen besser leben. Gespräch mit dem Vorsitzenden des Ministerrats der Belorussischen SSR, T. Kisseljow.“, Kultur und Leben, 4/1968, S. 9–11. 365 Vgl. dazu die Reportagereihe von Eismann, Hans: „Streiflichter einer Reise durch die Belorussische Sozialistische Sowjetrepublik“, National-Zeitung, 8., 11. u. 14.8.1973, jeweils S. 3.
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tage mit dem Minsker Kammgarnkombinat einen Betrieb der Textil/Konsumgüterindustrie aus: Sie folgte darin den neuen Zielsetzungen der DDRFührung unter Erich Honecker, der mit der Verkündung der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik auf dem VIII. Parteitag der SED im Juni 1971 auf die „weitere Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes“366 gezielt hatte – eine Formulierung übrigens, die sich eins zu eins auch im besagten Artikel über das Minsker Kammgarnkombinat findet. Freizeit und Erholung der Arbeiterinnen fanden nun ebenso Beachtung wie die Schönheit der dort hergestellten Stoffmuster. Der beispielhaft charakterisierte sowjetische Betriebsleiter kümmere sich, so die National-Zeitung, in gleichem Maße um die technische Seite der Produktion wie auch um medizinische, kulturelle und kulinarische Versorgung der Mitarbeiterinnen, die nach selbst gewählten Schichtzeiten in ihrem „Zeitplan des Wohlbefindens“ arbeiteten. Tatsächlich passte dies auch zum Bild des „entwickelten Sozialismus“ der Breschnew-Ära, der Anfang der 1970er Jahre einherging mit einer nie da gewesenen guten Versorgungslage der Bevölkerung während des so genannten ‚goldenen Zeitalters‘. Während sich diese modernen Märchen vom glücklichen Leben im entwickelten Sozialismus nur unwesentlich von Berichten über andere Regionen der Sowjetunion unterschieden haben dürfte, widmete sich ein Teil der Reihe explizit auch der Stadt Minsk und ihrer Geschichte. Dabei bediente sich der Autor des Sujets des „Phönix aus der Asche“ für die belorussische Hauptstadt, die nach zwei deutschen Invasionen mit Hilfe der übrigen Brüdervölker der Sowjetunion wieder aufgebaut worden sei. Umso wichtiger erschien dem Autor, dass sich auch hier in der Tätigkeit der Freundschaftsgesellschaft die Freundschaft zur DDR zeige. War ‚Freundschaft‘ in der Presse der Sowjetunion von 1967 noch in Zahlen bemessen worden, bemühte sich der Autor nun um Nähe zur Lebenswelt der Leser: Ein führender Mitarbeiter der belorussischen Gesellschaft schilderte positive Eindrücke einer Berlin-Reise; die Mitarbeiterinnen des Kammgarnkombinats zeigten lebhaftes Interesse am Alltagsleben ihrer Kolleginnen in der DDR: „Die Kammgarnspinnerin aus Minsk möchte genau wissen, wie lebt und arbeitet ihre Kollegin in Glauchau oder Leipzig, wie verbringt sie ihre Freizeit, wohin fährt sie in Urlaub, wie steht es mit der Weiterbildung und was ist schließlich abends oder am Wochenende los?“367
Neu war dabei auch die Thematisierung der Geschlechterfrage und die Möglichkeiten, die der kombinatseigene „Mädchenklub“ den jungen Frauen bot: Dort werde „über Gleichberechtigung im Haushaltsalltag diskutiert, über Mode, Kosmetik und Mutterfreuden interessant informiert.“ 368 Auch damit traf der Artikel den Geist der Zeit: Hatte in den 1950er Jahren, im Zuge des Bedarfs an Arbeitskräften, noch die Berufstätigkeit das Frauenbild der DDR bestimmt, so rückte in den 1960er und 1970er Jahren bedingt durch den Rückgang der Geburtenraten 366 So Erich Honecker in seiner Rede auf dem VIII. Parteitag der SED, zitiert nach: Weber: Geschichte der DDR, S. 373. 367 Eismann, Hans: „Streiflichter einer Reise durch die Belorussische Sozialistische Sowjetrepublik. Ratschläge aus dem Nachbarhaus.“, National-Zeitung, 14.8.1973, S. 3. 368 Ebd.
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zunehmend auch die Mutterrolle in den Fokus von Partei und Staat. Bestimmendes Frauenbild wurde damit die gut ausgebildete, selbstbewusste und berufstätige Frau und Mutter, die sich gleichzeitig gesellschaftlich engagierte369 – im o.g. Artikel repräsentiert durch eine im Stadtsowjet aktive Bestarbeiterin, eine „sympathische hübsche Weberin“ des Kammgarnkombinats. Die Berichterstattung über die BSSR, oder allgemeiner, die Sowjetunion, diente damit zwar nach wie vor der Propagierung sowjetischer Leistungen und Lebensweise, gleichzeitig wurden die Inhalte jedoch dem eigenen wirtschaftlichen und politischen Kurs angepasst, der sich anhand des großen Vorbilds bewerben ließ. Zudem verdeutlichte dies dem Leser und der Leserin, die die eigene Lebenswelt in der ‚Fremde‘ bestätigt sahen, die Teilhabe an der sozialistischen Völkerfamilie. Wesentlich abstrakter und eher an ein akademisches Publikum gerichtet war dagegen ein Band zur Geschichte der deutsch-belorussischen Beziehungen, der nicht im Kontext der Freundschaftsgesellschaften entstanden war, sondern Anfang der 1980er Jahre an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, die seit 1967 ein Freundschaftsvertrag mit der Staatlichen Belorussischen Lenin-Universität Minsk verband,370 herausgegeben worden war. 371 Neben anderen Themen befasste sich ein Beitrag des Sammelbandes mit dem Verhältnis der belorussischen zur sowjetischen Nation, ein Konzept, das zunehmend die Parteilinie der 1970er Jahre unter Leonid Breschnew bestimmte. Die Leninsche Nationalitätenpolitik, so die belorussische Autorin, habe nicht nur zur Entstehung der belorussischen Nation geführt, sondern für die Herausbildung „des Sowjetvolkes als neue historische Menschengemeinschaft“ gesorgt. Dabei gewähre die sowjetische nationale Staatlichkeit den „Werktätigen aller Nationen und Nationalitäten“ ein Leben nach ihren Vorstellungen und führe so zu Zusammenschluss statt Abgrenzung unter den Völkern. Der „Prozeß der nationalen Selbstbestimmung des belorussischen Volkes“, der mit der Oktoberrevolution begonnen habe, habe seinen Höhepunkt und Abschluss gefunden in der Wiedervereinigung mit den westbelorussischen Gebieten, die durch die Rote Armee vor einer faschistischen Okkupation 1939 gerettet (!) worden seien.372 Als Weiterentwicklung der Nation im herkömmlichen Sinne 369 Dölling, Irene: „Gespaltenes Bewußtsein. Frauen- und Männerbilder in der DDR“, in: Helwig, Gisela und Hildegard Maria Nickel (Hrsg.): Frauen in Deutschland 1945–1992, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung 318, Bonn 1993, S. 23–52, hier S. 28–30. 370 Richter, Heidi: „Hauptergebnisse der zwölfjährigen Zusammenarbeit zwischen der Staatlichen Belorussischen V. I. Lenin-Universität Minsk und der Friedrich-Schiller-Universität Jena“, in: Remer, Claus (Hrsg.): Zur Geschichte der BSSR und der deutsch-belorussischen Beziehungen. Kolloquium der Sektion Geschichte, 30. und 31. Oktober 1979, Jena: FriedrichSchiller-Univ. 1981, S. 128–133, hier S. 129. 371 Remer, Claus (Hrsg.): Zur Geschichte der BSSR und der deutsch-belorussischen Beziehungen. Kolloquium der Sektion Geschichte, 30. und 31. Oktober 1979, Jena: Friedrich-SchillerUniv. 1981. 372 Baranova, M. P.: „Die Verwirklichung der Leninschen Nationalitätenpolitik beim Staatsaufbau der BSSR (Oktober 1917–1939)“, in: Remer, Claus (Hrsg.): Zur Geschichte der BSSR und der deutsch-belorussischen Beziehungen. Kolloquium der Sektion Geschichte, 30. und 31. Oktober 1979, Jena: Friedrich-Schiller-Univ. 1981, S. 13–21.
3.3 Freundschaftsgesellschaften und sozialistische Aussenpolitik
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wurde schließlich der Terminus der „sozialistischen Nation“ als „Nation höheren Typs“ eingeführt; dieser lenke das Nationalgefühl der Menschen auf die Sowjetunion als höhere Ordnung. Dieser Sowjetpatriotismus auf der einen Seite werde ergänzt durch einen proletarischen Internationalismus auf der anderen Seite, der bisherige nationale Grenzen sprenge.373 Die auswärtige Kulturpolitik der Freundschaftsgesellschaft spiegelte inhaltlich diese Konzepte einer sowjetischen Nationalitätenpolitik wider und lieferte gleichzeitig durch ihre eigene Existenz den Nachweis für den Internationalismus der sowjetischen Gesellschaft. Waren in den 1960er Jahren noch die einzelnen Unionsrepubliken und ihre (kulturellen) Eigenheiten und Leistungen stärker hervorgehoben worden, so konzentrierte man sich in den 1970er Jahren, mindestens gegenüber den sozialistischen Staaten, verstärkt auf eine Vereinheitlichung unter dem Begriff der sowjetischen Kultur. Rainer Lindner spricht in diesem Zusammenhang sogar davon, dass seit Beginn der 1970er Jahre in den Unionsrepubliken kein Nationsverständnis mehr vorhanden gewesen sei, das, kulturell, über ein sprachlich-folkloristisches hinausgegangen sei.374 Insbesondere auf diese ‚folkloristische‘ Komponente soll im nächsten Kapitel noch eingegangen werden. Die Belorussische SSR stellte nach diesen Kriterien eine sozialistische Musterrepublik dar: So wurde nicht nur ihre Entstehung als quasi-Nationalstaat unmittelbar auf die Oktoberrevolution zurückgeführt, auch der beispiellose (Wieder-) Aufbau insbesondere nach dem Krieg schien die These vom Sozialismus als überlegenes wirtschaftliches und politisches System zu bestätigen. Dabei wurden die Befreiung der Partisanenrepublik im Zweiten Weltkrieg375 sowie das wirtschaftliche Wachstum zwar als quasinationale, belorussische Phänomene dargestellt, gleichzeitig jedoch die enge Einbindung in die Sowjetunion und die Unterstützung durch die übrigen Sowjetvölker als unerlässliche Voraussetzung des Erfolges betont.376 In den 1970er Jahren konzentrierte sich die Auslandsinformation, bedingt durch das Konzept der sowjetischen Nation, noch stärker auf ein einiges Sowjetvolk; nationale Eigenheiten traten demgegenüber noch mehr zurück. Dies dokumentiert beispielsweise eine Selbstauskunft über „Hauptaufgaben der Belorussischen Abteilung für Freundschaft mit der DDR“, die die Gesellschaft dem Generalkonsulat der DDR377 in Minsk für das Jahr 1975 zukommen ließ. Darin erschien die BSSR lediglich als erfolgreiches Beispiel für die Erfüllung der Beschlüsse des jüngsten (XXIV.) Parteitages der KPdSU. In einer Informationsschrift des Generalkonsulats über die Arbeit der Belorussischen Freundschaftsgesellschaft heißt es dann auch bezeichnend:
373 374 375 376
Lindner: Historiker und Herrschaft, S. 370–376. Ebd., S. 374. Vgl. ausführlich zu diesem Aspekt Kap. 5.3.2. Zum Gedanken der BSSR als „sowjetisches Lehrstück“ vgl. auch Einax: Entstalinisierung auf Weißrussisch, S. 158–165. Zu dieser These außerdem auch folgenden Aufsatz desselben Autors: Einax, Rayk: „Belarus. Erfolgsmodell und Idealzustand sowjetischer Staatlichkeit nach 1945?“, in: Osterkamp, Jana (Hrsg.): Sozialistische Staatlichkeit, München 2012, S. 115–132. 377 Zu Entstehung und Arbeit des Generalkonsulats der DDR in Minsk vgl. Kap. 4.
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3 Freundschaftsverwaltung: Organisationen in Minsk und Berlin „Im Mittelpunkt steht die Informierung der Öffentlichkeit anderer Länder mit Hilfe der ausländischen Partnerorganisationen über die Parteitagsbeschlüsse zur Innen- und Außenpolitik und deren Erfüllung, über die großen Leistungen auf ökonomischem, wissenschaftlichem und kulturellem Gebiet am Beispiel der BSSR [Hervorhebung M.K.], über die Realisierung der Leninschen Nationalitätenpolitik u. a.“378
In der DDR hatte bis Mitte der 1950er Jahre eine einseitige Verbreitung sowjetischer Kultur, die Werbung für die sowjetische Wirtschafts- und Lebensweise, kurz die Propagierung des Vorbildcharakters der Sowjetunion in jeder Hinsicht die Tätigkeit der Freundschaftsgesellschaft bestimmt. Im Jahr 1956 stellte jedoch eine Delegation der DSF, die auf Einladung der VOKS zum Studium der „kulturellen Massenarbeit“ in der UdSSR weilte, fest: „Die bisherige Arbeit der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft konzentrierte sich hauptsächlich auf die Popularisierung der politischen, ökonomischen und kulturellen Entwicklung der Sowjetunion in der DDR. Im Ergebnis der Studienreise hat sich gezeigt, daß wir eine wesentliche Seite der Wirksamkeit der deutsch-sowjetischen Freundschaft völlig unterschätzt haben, nämlich die Popularisierung der DDR in der Sowjetunion.“379
Die Delegation, die neben Moskau und Leningrad insbesondere die BSSR besucht hatte, habe gerade durch diesen Besuch festgestellt, welch lebhaftes Interesse in den Republiken an der DDR herrsche. Als geeignete Mittel für eine bessere DDRAuslandsarbeit sah der Verfasser einerseits die quantitative und qualitative Verbesserung der versendeten Informationsmaterialien, andererseits aber auch eine vermehrte Vortragstätigkeit durch Delegationsreisende und, nicht zuletzt und ganz im Sinne der ‚Nutzung‘ des Faktors Mensch in der auswärtigen Kulturpolitik, durch in der Sowjetunion weilende deutsche Studenten.380 An der Aushandlung der Grundlinien dieses Neubeginns in der ‚DDR-Propaganda‘ wirkten verschiedene Stellen mit. Insbesondere bei Absprachen mit sowjetischen Stellen waren zunächst die Moskauer Botschaft und damit das MfAA involviert, möglicherweise auch deshalb, weil noch keine direkten Arbeitskontakte zwischen den Freundschaftsgesellschaften existierten. So übermittelte die Botschaft dem Zentralvorstand der DSF im Herbst 1959 nach Gesprächen mit sowjetischen Verantwortlichen Vorschläge und Aufgaben „auf dem Gebiet der deutschsowjetischen Freundschaftsarbeit“. So wünschte sich demnach die belorussische Freundschaftsgesellschaft mehr direkten Kontakt zu den deutschen Kollegen und einen unmittelbaren Materialversand Berlin – Minsk, statt, wie bisher, über Moskau.381 Schon die Möglichkeit einer derartigen Bitte zeigt, dass mit der Umgestaltung der sowjetischen VOKS zur SSOD eine stärkere Eigenständigkeit der Republikgesellschaften, somit eine Dezentralisierung in der auswärtigen Kulturpolitik, 378 Vgl. dazu: Plan der Hauptaufgaben der Belorussischen Abteilung der SDF für 1975, ohne Datum sowie „Information über die Arbeit der Freundschaftsgesellschaften der BSSR“, 21.3.1975, PA AA, MFAA, C 879/78, pag. 15–19, 22–27. 379 Bericht einer DSF-Delegation nach einer Reise durch die UdSSR, 12.9.1956, SAPMO-BArch DY 32/6369, fol. 810–847. 380 Ebd. 381 Abschrift eines Schreibens der Botschaft der DDR in der UdSSR an die 1. Europäische Abt. des MfAA, 22.10.1959, SAPMO-BArch DY 32/4953, fol. 6–13.
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einhergegangen und eine direktere und unbürokratischere Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern vorgesehen war. Im folgenden Jahr erhielt die DSF, die bei der Propagierung der kulturellen und wissenschaftlichen Entwicklung der DDR „einen großen Beitrag“ leisten sollte, diesbezüglich vertrauliche Hinweise aus dem Ministerium für Kultur. Im Fokus stand dabei insbesondere der Versand von entsprechenden Informationsmaterialien, wie (Wander-)Ausstellungen, Filmen, Foto- und publizistischen Materialien. Die DSF solle ihre Kontakte zur sowjetischen Partnerorganisation nutzen, um ganz gezielt die Unionsrepubliken stärker anzusprechen, da die „Zentrale in Moskau“ bereits gut abgedeckt sei. Dabei hatte sich in der vorliegenden Konzeption der Schwerpunkt zumindest verbal bereits vom kulturellen und wissenschaftlichen „Austausch“ zur „Zusammenarbeit“ verlagert; nicht zuletzt erhofften sich die DDR-Verantwortlichen dadurch messbare Erfolge auf wissenschaftlichen Gebieten, in denen die Sowjetunion führend war (Landwirtschaft, Chemie, Maschinenbau, Elektrotechnik und Medizin). Gleichzeitig hob das Konzeptpapier die besondere Verantwortung der DDR als das am westlichsten gelegene sozialistische Land hervor, die Überlegenheit des Sozialismus nicht nur auf wirtschaftlichem, sondern auch auf kulturellem Gebiet zu beweisen. Gerade dafür sei die enge Zusammenarbeit mit der UdSSR wichtig – so das ‚Schaufensterargument‘, das die Parteiführung bis zum Ende der DDR immer wieder gegenüber der Sowjetunion, aber auch gegenüber der eigenen Bevölkerung einsetzen sollte.382 Einen weiteren, sensiblen wie zentralen Bereich der Auslandsinformation bildete der Umgang mit der belasteten deutsch-sowjetischen Vergangenheit. So befasste sich eine Beratung im Außenministerium unter Beteiligung der Freundschaftsgesellschaft im November 1960 mit der Darstellung des Zweiten Weltkriegs in sowjetischen Museen: Insbesondere der Beitrag deutscher Antifaschisten zum Sieg über den Nationalsozialismus und der antifaschistische Charakter des ostdeutschen Staates würden dort kaum thematisiert. Eine Lösung dieses ‚ImageProblems‘ sah das MfAA unter anderem in der Arbeit der Freundschaftsgesellschaft, da „[…] in dieser Teilfrage der Auslandspropaganda auf Parteiebene nichts unternommen wird und zweckmäßigerweise diese Frage auch nicht allein auf staatlicher, sondern vor allem auf gesellschaftlicher Ebene entschieden werden soll.“ 383
Der Ball lag somit auch im Feld der DSF, der damit eine wichtige (volks-)diplomatische Funktion zukam: Wer konnte glaubwürdiger die antifaschistische Einstellung der DDR-Bevölkerung vermitteln, als jene Organisation, die sich selbst als Initiative des Volkes inszenierte? Umgekehrt sprach sie auch auf der Gegenseite mit der sowjetischen Bevölkerung unmittelbar die passende Zielgruppe an. Mit der Propagierung der antifaschistischen Vergangenheit und sozialistischen Zukunft des ostdeutschen Staates traf die DDR aber auch die Interessen der Sow382 In den Akten des ZV der DSF erhaltene Abschrift der „Hinweise…“, ohne Datum, SAPMOBArch DY 32/4953, fol. 112–120. 383 Protokoll der Besprechung vom 4.11.1960, SAPMO-BArch DY 32/4953, fol. 153–160. Vgl. ausführlicher zu dieser Beratung bzw. zur antifaschistischen Problematik Kap. 5.3.1.
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jetführung. Auffallend ist beispielsweise, dass in der BSSR in den 1950er Jahren eine Reihe literarischer Beiträge erschien, die sich mit genau diesem Thema auseinandersetzten. Im Dezember 1960 schickte die BELOD den Berliner Kollegen eine entsprechende Übersicht belorussischer Schriftsteller, die ihre Reise in die DDR in Reportagen, Artikeln und sogar Gedichten, „gewidmet den Erfolgen der Werktätigen der Deutschen Demokratischen Republik beim Aufbau des Sozialismus“, literarisch verarbeitet hatten. Die überwiegend russischsprachigen oder aus dem Weißrussischen ins Russische übersetzten Beiträge mit aussagekräftigen Titeln wie „Gedichte über Deutschland: Gespräch mit dem Herzen/Der Weg zur Wahrheit/Die beste aller Sprachen384 (Stichi o Germanii: Razgovor s serdcem/Put’ k pravde/Samyj lučšij jazyk)“, „Den deutschen Freunden (Nemeckim druz’jam)“, „Gedichte über das neue Deutschland (Stichi o novoj Germanii)“, „An der Demarkationslinie (Na demarkacionnoj linii)“, „Morgen über der Elbe (Ranak nad Ėl’baj – weißruss.)“ u. a. erschienen in den belorussischen Zeitschriften Polymja, Sovetskaja Otčizna, Literatura i Mastactva (Organe des belorussischen Schriftstellerverbandes) sowie Čyrvonaja Zmena (Organ des belorussischen Komsomol), Zvjazda (Organ der KPB) und in der Zeitschrift Belarus.385 Themen waren die faschistische deutsche Vergangenheit, der Zweite Weltkrieg und der antifaschistische Widerstand einerseits, die Läuterung und Wandlung der Deutschen (der DDR) zu Freunden und Verbündeten andererseits.386 Für die DSF selbst bzw. das federführende ZK der SED war diese Thematik in den 1960er Jahren jedoch scheinbar nicht mehr das Hauptanliegen. Seit 1963 als Arbeitsgruppe bzw. seit 1967 als eigene Abteilung beim ZK der SED tätig, konzentrierte sich die Auslandsinformation, neben der propagandistischen Arbeit Richtung Westen, auch auf die Darstellung der DDR in den sozialistischen Staaten und erarbeitete für einzelne Länder oder Ländergruppen besondere Zielvorgaben. Gegenüber der Sowjetunion setzte man in erster Linie auf die Entwicklung der wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Beziehungen, neben allgemeinen Grundsätzen, die die Zuverlässigkeit der DDR als Bündnispartner betonten: Stilisierung der DDR als „Bastion des Friedens“ und Garant der europäischen Sicherheit im Rahmen des Ost-West-Konfliktes im Gegensatz zur „Revanchepolitik“ der Bonner Regierung sowie die Darstellung des erfolgreichen Aufbaus des Sozialismus und des Beitrags der DDR zur ökonomischen Integration der RGWStaaten. Die Beschlüsse des ZK-Beirates galten verbindlich für alle auf dem Gebiet der Auslandsinformation tätigen Organisationen, damit auch für die 1966/67 eingerichtete Kommission für Auslandsinformation beim Zentralvorstand der DSF.387 Dabei befasste sich die erste Sitzung dieses Gremiums allerdings weniger mit inhaltlichen Fragen, sondern eher mit der praktischen Umsetzung der Aus384 Siehe zum Text dieses Gedichts die Einleitung dieses Buches. 385 Schreiben des Vorsitzenden des Präsidiums der BELOD Kozlov an das Sekretariat des ZV der DSF, Fritz Beyling, 7.12.1960, SAPMO-BArch DY 32/5020, unpag. 386 Vgl. dazu z.B. Karpjuk, Aljaksej: „Ha Vinkel’štrase“, Polymja 33/6 (1955), S. 94–96; Zarickij, Aleksej: „Stichi o Germanii: Put’ k pravde“, Sovetskaja otčizna 4 (1957), S. 105–106. 387 „Vorlage für den Beirat für Auslandsinformation beim ZK der SED“, 21.11.1966, SAPMOBArch DY 30/IV A2/21/9, unpag.
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landsinformation: Materialaustausch, Arbeit mit Delegationen, Presse und Rundfunk sowie die ständige Beurteilung und Weiterentwicklung dieser Maßnahmen durch die Kommission galten als Kernpunkte und verdeutlichen, dass man verstärkt auf Qualität statt Quantität setzen wollte. Dafür sprachen nicht zuletzt ganz profane Gründe: Auch die Auslandsinformation litt offensichtlich unter den Bedingungen der Planwirtschaft und damit stetem Materialmangel. Entsprechend galt es, knappe Ressourcen einzusparen.388 Schließlich wurde in der Abschlussberatung doch noch einmal deutlich, dass auch ‚Vergangenheitsbewältigung‘ weiterhin ein Thema blieb: „Eine andere Frage taucht immer wieder bei den sowjetischen Bürgern auf, die mit dem Faschismus direkt konfrontiert wurden: die neue sozialistische Menschengemeinschaft in unserer DDR. Diese Gemeinschaft gegenüber Westdeutschland darstellen als eine Errungenschaft der DDR, das erscheint mir wichtig.“389
Aus Anlass der Jubiläumsvorbereitungen zu 20 Jahren DDR im Jahr 1969 formulierte die Kommission der DSF aber überwiegend ideologische Ziele, die mit der (tages-)politischen Linie der SED übereinstimmten, wie die „Festigung des unverbrüchlichen Bündnisses und der Zusammenarbeit mit der Sowjetunion.“ Hinter diesen oft gebrauchten Worthülsen verbarg sich, kurz gesagt, die Darstellung einer absoluten Bündnistreue und Zuverlässigkeit der DDR gegenüber der Sowjetunion, die sich unter anderem zeige im „konsequenten Kampf […] der DDR“ als „Vorposten des Sozialismus […] gegen die aggressive Politik des westdeutschen Imperialismus.“ Dabei stellte die Auseinandersetzung mit der Bundesrepublik ein außenpolitisches Anliegen der SED-Führung dar, bei dem nicht immer Übereinstimmung mit Moskau herrschte. Diesbezügliche Alleingänge Walter Ulbrichts schlugen sich sogar in der Auslandsinformation nieder. So sah sich der Zentralvorstand der DSF anlässlich der Jubiläumsfeierlichkeiten damit konfrontiert, ge388 Finanzielle Probleme und ungenügende Kapazitäten für Papier und Druck waren bei der Herstellung von Broschüren und Informationsmaterialien für die Auslandsinformation an der Tagesordnung, besonders dann, wenn die DDR-Auslandsinformation mit so genannten „Schnellschüssen“, die sich meist gegen Westdeutschland richteten, auf Themen der Tagespolitik reagieren musste und dann mehr Mittel aufbrauchte, als der Plan ursprünglich vorgesehen hatte. Vgl. dazu: Vorlage für den Beirat für Auslandsinformation beim ZK der SED durch den Verlag Zeit im Bild, 22.6.1966, SAPMO-BArch DY 30/IV A2/21/9, unpag. Dieser Mangel herrschte allerdings nicht nur auf deutscher Seite: Auch die BELOD hatte wiederholt mit Problemen zu kämpfen, wenn es um die Herstellung von Informationsmaterialien ging. Dies wurde besonders kritisch, wenn es die Realisierung von Ausstellungen oder Materialien für die kapitalistischen Staaten betraf und eine entsprechend hohe Qualität nötig war. Um nicht hinter westliche Standards zurückzufallen, ging man in den 1970er Jahren ironischerweise sogar dazu über, qualitativ hochwertiges Papier aus dem Westen zu importieren oder entsprechende Materialien gleich dort drucken zu lassen. Vgl. dazu z. B. Briefwechsel der BELOD mit verschiedenen Institutionen, unter anderem dem Ministerrat und dem ZK der KPB, über den Mangel an Fotopapier im Frühjahr 1967, NARB f. 914, op. 4, d. 227; sowie Stenogramme des Plenums der BELOD am 25.9.1975, NARB f. 914, op. 4, d. 545, l. 1–42. 389 Konzeption für die Arbeit der Kommission Auslandsinformation des ZV der DSF, ohne Datum, SAPMO-BArch DY 32/661, unpag. sowie: Protokoll der 1. Sitzung der Kommission Auslandsinformation, 15.2.1967, ebd.
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zielt gegen die bundesrepublikanische SPD, die „rechte[…] SP-Führung als […] Erfüllungsgehilfen“ des ‚US-amerikanischen Imperialismus‘, ins propagandistische Feld ziehen zu müssen.390 Hintergrund dieser Polemik waren die durch die gesamten 1960er Jahre schwelenden Konflikte und Uneinigkeiten zwischen der UdSSR und ihrem zunehmend selbstbewusst agierenden Bündnispartner um Fragen der Deutschlandpolitik. Nachdem sich mit der Absetzung Chruschtschows 1964 die sowjetisch-bundesrepublikanische Annäherung zunächst ganz im Sinne der SED-Führung verlangsamt hatte, war es 1967 über die Frage des Umgangs mit der im Dezember gebildeten großen Bonner Koalition, genauer der Rolle der SPD, zu erneuten Unstimmigkeiten gekommen. Die sowjetische Führung, die sich deutschlandpolitische Optionen offen halten wollte, teilte die rigorose Abgrenzungs- und Diffamierungspolitik Ulbrichts nicht, die dieser insbesondere nach dem gescheiterten „Redneraustausch“391 – und damit einer möglichen Zusammenarbeit mit der SPD – initiiert hatte. Im Gegenteil zeigte Moskau mit dem Empfang führender sozialdemokratischer und liberaler bundesdeutscher Politiker sogar, dass man diese Parteien unterstützte und für mögliche Gesprächspartner hielt.392 Bemerkenswert ist, dass gerade die Auslandsinformation gegenüber der Sowjetunion, die sich „vorwiegend in die Ukrainische SSR, die Belorussische SSR, die westlichen Gebiete der RSFSR und die Baltischen Sowjetrepubliken sowie die
390 „Maßnahmen des Zentralvorstandes der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft auf dem Gebiet der Auslandsinformation anläßlich des 20. Jahrestages der DDR“, ohne Datum, SAPMO-BArch DY 32/661, unpag. 391 Bereits im Februar 1966 hatte die SED-Führung einen ‚Offenen Brief‘ an die Delegierten des bevorstehenden SPD-Parteitages gerichtet mit dem Vorschlag, gemeinsame Gespräche über eine friedliche Zusammenarbeit in der Deutschlandfrage zu führen – eine wiederholte Initiative, die von Seiten der SPD bislang immer unbeantwortet geblieben war. Diesmal jedoch reagierte die SPD, sehr zur Überraschung der Ostberliner Führung, in einer ‚Offenen Antwort‘, in der sie sich grundsätzlich gesprächsbereit zeigte, jedoch in sieben Fragen an die SED auf Demokratie und Menschenrechte als Grundlage pochte und auf die bestehenden Missstände in der DDR hinwies. Nach mehrmonatigen Verhandlungen über Art und Ort der vereinbarten Aussprache nahm die SED-Führung das im Juni durch den Bundestag verabschiedete „Gesetz über befristete Freistellung von der deutschen Gerichtsbarkeit“ (das auch Funktionären, denen in der Bundesrepublik etwa wegen der Mauertoten eine strafrechtliche Verfolgung drohte, freies Geleit garantierte) zum Anlass, die Gespräche abzusagen. Grund hierfür war wahrscheinlich das unvermutete Echo, auch innerhalb der eigenen Bevölkerung, das die geplanten Gespräche zur Deutschlandfrage hervorgerufen hatten. Spätestens mit der Bildung der Großen Koalition gab es in der ostdeutschen Polemik gegen die SPD dann kaum ein Halten mehr, auch als Reaktion auf die beginnende flexiblere Ostpolitik, die, so die Vermutung der SED, auf eine Isolierung der DDR zielte. Die Kampagne gegen die SPD gipfelte dann beispielsweise in einer im Neuen Deutschland vom Januar 1967 erstmals eingeführten neuen Sprachregelung, in der der SPD das ‚Deutschland‘ aus dem Namen gestrichen wurde – und entsprechend nur noch von der SP die Rede war. Vgl. dazu: Weber: Geschichte der DDR, S. 338–340; Roth, Margit: Innerdeutsche Bestandsaufnahme der Bundesrepublik 1969–1989. Neue Deutung, Wiesbaden 2014, S. 38. 392 Wentker: Außenpolitik in engen Grenzen, S. 230–231.
3.3 Freundschaftsgesellschaften und sozialistische Aussenpolitik
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Heldenstädte des Großen Vaterländischen Krieges“393 richten sollte, offenbar weiterhin auf diesem unversöhnlichen Standpunkt beharrte. Erst mit der Absetzung Walter Ulbrichts zwei Jahre später endete dieser Konflikt zwischen deutscher und sowjetischer Führung und ebnete damit den Weg für eine harmonische Auslandsinformation, die überwiegend für die Zusammenarbeit der Ostblockstaaten und das gegenseitige Einverständnis warb. Auslandsinformatorische Themen der 1970er Jahre und das in der BSSR vermittelte DDR-Bild zeigt beispielsweise ein mit großem Aufwand vorbereitetes Preisrätsel, das die DSF in Zusammenarbeit mit der Belorussischen Gesellschaft und dem im Jahr zuvor neu gegründeten Generalkonsulat der DDR in Minsk durchführte. Dabei stellte diese Art der Auslandspropaganda selbst zwar kein neues, aber ein immer wieder erfolgreiches und beliebtes Konzept dar: Bereits in den 1960er Jahren hatten DDR-Fernseh- (!) und Radiopreisrätsel aus Anlass besonderer Jubiläen oder der DDR-Kulturtage 1965 zu großer Resonanz unter der Bevölkerung geführt.394 Das Preisrätsel aus dem Jahr 1973 erschien in der größten russischsprachigen Tageszeitung der BSSR, der Sovetskaja Belorussija in fünf Folgen mit je einmonatigem Abstand. Es sollte „[…] den sowjetischen Leser mit der Entwicklung und den Erfolgen der DDR auf den verschiedenen Gebieten des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens weiter bekannt […] machen“
und, ganz im Sinne der Harmonie der 1970er Jahre, zeigen, „[…] wie die Werktätigen der DDR unter Führung der SED die sozialistische Gesellschaftsordnung errichten, wie die DDR im unzerstörbaren Bündnis mit dem Sowjetvolk fest in der sozialistischen Staatengemeinschaft verankert ist.“395
Eigens für diesen Anlass verfasste, bis zu sechsseitige Artikel führender deutscher Funktionäre halfen dem interessierten belorussischen Leser dabei, die dreizehn nicht ganz einfachen Quizfragen unter dem Motto „Kennen Sie die DDR?“ zu lösen.396
393 „Maßnahmen des Zentralvorstandes der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft auf dem Gebiet der Auslandsinformation anläßlich des 20. Jahrestages der DDR“, ohne Datum, SAPMO-BArch DY 32/661, unpag., hier: S. 3. 394 Vgl. dazu: Vertrauliche Dienstsache der Presseabteilung, Sektion Auslandsinformation beim ZK der SED, 9.12.1963, SAPMO-BArch DY 30/IV A2/21/14, unpag.; ADN-Meldung zu den Kulturtagen der DDR in der BSSR, 21.10.1965, BArch DR 1/8708, unpag. 395 „Plan für die Durchführung des gemeinsamen Preisausschreibens unserer Parteiorganisationen mit einer belorussischen Zeitschrift“, 13.3.1973, SAPMO-BArch DY 32/485, unpag. 396 Insgesamt handelte es sich dabei um fünf Artikel: Zur deutsch-sowjetischen Freundschaft: Thieme, Kurt: „Viel Erfolg, Freunde! (Uspechow vam, druz’ja!)“, Sovetskaja Belorussia, 3.6.1973, S. 3; zur außenpolitischen Linie der DDR insbesondere in der Deutschlandpolitik: Wohlert, Leopold: „Festes Fundament für den Erfolg. (Pročnyj fundament uspechov.)“, ebd., 15.7.1973, S. 3; zur Eröffnung der 10. Internationalen Jugendfestspiele in Berlin: Jahn, Günther: „Wichtiger Markstein im Kampf der Jugend. (Vašnaja vecha v bor’be molodeži.)“, ebd., 28.7.1973, S. 3; zu den Erfolgen der DDR in Industrie und Wirtschaft: Jentsch, Karlheinz: „Große Schaffenskraft. (Velikaja sila sozidanija.)“, ebd., 19.8.1973, S. 3; zur Rolle der SED
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3 Freundschaftsverwaltung: Organisationen in Minsk und Berlin „1) Wann wurde die Deutsche Demokratische Republik ausgerufen und wer war der erste Präsident der DDR? Beschreiben Sie den Staatsaufbau der DDR. 2) Wann wurde die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands gegründet? Wer ist zurzeit Erster Sekretär (Generalsekretär) des ZK der SED? 3) Nennen Sie wichtige Dokumente, die das beiderseitige Verhältnis von Zusammenarbeit und brüderlicher Freundschaft zwischen der DDR und der UdSSR bestimmen. 4) Die Anerkennung der DDR durch die meisten Staaten der Welt ist ein großer Erfolg der einheitlichen Politik der Bruderstaaten. Welches internationale Abkommen, das in der letzten Zeit geschlossen wurde, hat dazu beigetragen? 5) Nennen Sie die Stadt der DDR, in der sich ein chemischer Großbetrieb befindet, der sowjetisches Erdöl verarbeitet, das über die Pipeline ‚Drushba‘ geliefert wird. 6) In welcher Stadt der DDR finden traditionelle internationale Messen statt und in welcher Jahreszeit werden sie organisiert? Welches revolutionshistorische Museum befindet sich in dieser Stadt? 7) Welches internationale Forum findet im Sommer 1973 in Berlin statt? 8) Wann wurde die DSF gegründet und wie viele Mitglieder hat sie zurzeit? 9) Nennen Sie eine Hochschule in der DDR, mit der eine belorussische Hochschule enge Beziehungen unterhält. 10) Wer ist der Schöpfer der Skulpturengruppe des Denkmals für die Opfer des Faschismus in Buchenwald? 11) Nennen Sie einige Denkmäler und Sehenswürdigkeiten in der Hauptstadt der DDR, Berlin. 12) Nennen Sie den berühmten Dichter und Dramaturgen der DDR, der in diesem Jahr seinen 75. Geburtstag begeht. Welche seiner Stücke sind in Theatern der UdSSR aufgeführt worden? 13) Nennen Sie die Namen zweier Sportler der DDR, die Weltmeister wurden. In welcher Sportart sind sie berühmt geworden?“397
In sämtlichen Artikeln präsentierte sich die DDR unter ihrem neuen Ersten Sekretär Erich Honecker zu Beginn der 1970er Jahre deutlich selbstbewusst. Auch die Sowjetunion, so befand man in der Auslandsinformation, könne nun, insbesondere in der (Land-)Wirtschaft, etwas von der DDR lernen.398 Gleichzeitig präsentierte man sich offen, weltläufig und international erfolgreich in jeder Hinsicht: Nicht nur in Kunst, Kultur und Sport spielte die DDR in einer internationalen Liga, auch in der Außenpolitik konnte sie gewaltige Erfolge verbuchen: Insbesondere durch den Grundlagenvertrag und die damit einhergehende Aufgabe der HallsteinDoktrin durch die Bundesrepublik war der Weg frei für die völkerrechtliche Anerkennung des ostdeutschen Staates durch 123 Länder bis zum Jahr 1978.399 Daim Aufbau der DDR: Mückenberger, Erich: „Eine kräftige Quelle der revolutionären Bewegung. (Mogučij istočnik revoljucionnogo dejstvija.)“, ebd., 26.8.1973, S. 3. 397 Quizfragen unter dem Titel bzw. der Einleitung: „Unser Freund – die DDR. Die belorussische Abteilung der Sowjetischen Gesellschaft für Freundschaft mit der DDR und die Redaktion der Zeitung ‚Sovetskaja Belorussija‘ organisieren zusammen mit der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft und dem Generalkonsulat der DDR in Minsk die Durchführung einer Viktorina mit dem Titel ‚Kennen Sie die DDR?‘“, Sovetskaja Belorussija, 3.6.1973, S. 3. 398 So der frühere Botschafter der DDR in Moskau, Rudolf Dölling, auf einer Besprechung beim ZV der DSF zur Konzeption der Auslandsinformation, 15.2.1967, SAPMO-BArch DY 32/661, unpag., hier: S. 6. 399 Mählert, Ulrich: Kleine Geschichte der DDR, Beck’sche Reihe 1275, 4., überarb. Aufl., München 2004, S. 124–126.
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bei legte man jedoch nach wie vor größten Wert auf die politisch korrekte Darstellung des deutsch-deutschen Verhältnisses. Beim Grundlagenvertrag handele es sich um ein „Abkommen zwischen zwei unabhängigen, selbständigen und souveränen Staaten mit unterschiedlichem gesellschaftlichem Aufbau“, keinesfalls könne die Rede sein von besonderen Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten. Eine offene deutsche Frage werde demnach lediglich von einigen westdeutschen Politikern konstruiert.400 Damit betonte die DDR noch stärker als bisher ihre Eigenstaatlichkeit in Abgrenzung von der Bundesrepublik – wohl gerade auch deshalb, um den ungeliebten Kompromiss des Grundlagenvertrags zu kompensieren, der eben gerade keine völkerrechtliche Anerkennung durch die Bundesrepublik vorsah. Gleichzeitig, und ergänzend dazu, hoben die Fragen Nr. 3 und 8 des DSF-Preisrätsels die enge traditionelle Bindung der DDR an die Sowjetunion hervor, eine Bindung, die 1974 sogar im Artikel 6 der neuen Verfassung festgeschrieben wurde und für die DDR das politische Überleben sichern sollte. In diesem Zusammenhang ist wohl auch der Abschluss eines neuen Vertrages über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand vom 7. Oktober 1975 zu sehen, der dem ostdeutschen Staat gegenüber der Bundesrepublik den Rücken stärkte.401 Damit hatte die DDR ihre Selbstdarstellung in mehrerer Hinsicht verändert: Nicht mehr ihre Rolle als Vorposten des Sozialismus und Gegenspieler der ‚faschistischen‘ Bundesrepublik standen im Mittelpunkt der Darstellung, sondern vielmehr die Attraktivität der DDR als international anerkannter wirtschaftlicher und politischer Partner wurde in den Vordergrund gerückt und sollte die überlebenswichtige sowjetische Unterstützung sichern. In ihrer Bilanz für den Zentralvorstand der DSF und das ZK der SED aus dem Jahre 1973 zeigte sich die Abteilung Auslandsinformation allgemein zufrieden über die Zusammenarbeit mit der sowjetischen Schwestergesellschaft. Besonders positiv hervorgehoben wurde dabei das mit der Sovetskaja Belorussija bzw. der BELOD realisierte Preisrätsel, das sich „bedingt durch den großen Leserkreis dieser Tageszeitung, eines großen Zuspruchs“ erfreut habe402, vielleicht nicht zuletzt auch dank der attraktiven Preise: knappe Konsumgüter, für die die Gesellschaft im Vorfeld recht mühsam und in Einzelverfahren Freigaben hatte erreichen müssen. Den Hauptpreis bildete schließlich, wie schon beim Radiogewinnspiel 1965, eine zehntägige DDR-Gruppenreise, bei der die 16 Teilnehmer auf festgelegter Reiseroute die Städte Berlin, Dresden, Karl-Marx-Stadt, Weimar und Leipzig besuchten.403 Dabei wurde auch die Reise propagandistisch genutzt: So begleitete ein DDR-Fernsehteam die Gewinner zunächst in Minsk und dann bei ihrem DDR400 Vgl. dazu besonders den Artikel von Wohlert, Leopold: „Festes Fundament für den Erfolg.“, Sovetskaja Belorussija, 15.7.1973, S. 3. 401 Wentker: Außenpolitik in engen Grenzen, S. 394–396. 402 Information zur Tätigkeit der Auslandsinformation, 21.8.1973, SAPMO-BArch DY 32/1011, unpag. 403 Dabei erscheint es typisch für die sowjetische Form des Auslandstourismus, dass nicht etwa zwei Personen als Gewinner die Reise antraten, sondern dass es sich vielmehr um eine Gruppe, ein Kollektiv, handelte, das politisch leichter zu beeinflussen war. Siehe dazu auch Kap. 5.2.1.
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Besuch, um auch den deutschen Fernsehzuschauer an der ‚Integration‘ beider Völker teilhaben zu lassen.404 Berichterstattung in der DDR-Presse über die Erfolge der sowjetischen Freundschaftsgesellschaft diente außerdem dazu, das große Interesse der sowjetischen/belorussischen Bevölkerung an der DDR zu demonstrieren. Unter dem Titel „Mit großer Liebe die DDR studiert“ berichtete zum Beispiel die National-Zeitung über begeisterte Belorussen, die mit viel Engagement – unter anderem durch zahlreiche Nachfragen bei der belorussischen Freundschaftsgesellschaft – das o.g. Preisrätsel gelöst und zum Teil ganze Fotoalben und Dokumentationen über die DDR eingeschickt hatten. Auch ausgewählte, ursprünglich an die Sovetskaja Belorussija gerichtete, Leserbriefe sollten verdeutlichen, dass die belorussische Bevölkerung ohne Ressentiments und vorbehaltlos an das sozialistische, antifaschistische Deutschland glaubte. Über die Repräsentativität von Zuschriften, wie die eines Bewohners von Soligorsk, lässt sich freilich leider wenig sagen. Sie vermittelt den Eindruck, dass die DDR durchaus in positiver Weise in die Erinnerung an den Großen Vaterländischen Krieg mit einbezogen wurde: „Uns, die ehemaligen Frontsoldaten, bewegte sehr lange die Frage, wie sich das Schicksal des deutschen Volkes gestalten wird, und mit jedem Tag konnte ich mich davon überzeugen, daß das vergossene Blut, die Millionen Opfer des Sowjetvolkes und der Kampf der Antifaschisten nicht umsonst waren. Das Bündnis zwischen der UdSSR und der DDR wird sich weiter entwickeln.“405
Diese Sichtweise, in diesem Fall authentisch oder nicht, bot sowjetischen Bürgern immerhin eine Art der Sinnstiftung für ihre ungeheuren Opfer während des Krieges. Auch in der BSSR zeichnete die Presse in den 1970er Jahren das Bild der DDR als eines wirtschaftlich erfolgreichen, aufstrebenden sozialistischen Staates. So berichtete ein Sonderkorrespondent der Sovetskaja Belorussija begeistert über eine DDR-Reise, bei der er sich mit eigenen Augen von den Erfolgen der DDR habe überzeugen können. Nähe zur DDR-Bevölkerung sollten auch hier Interviews mit deutschen Arbeitern suggerieren, wobei besagte Arbeiter, politisch korrekt, aber nur mäßig glaubwürdig, begeistert den VIII. Parteitag der SED als wichtigste Grundlage ihres Erfolgs bezeichneten. Auch in der Landwirtschaft, so der Artikel weiter, sei die DDR äußerst produktiv, nicht zuletzt dank belorussischer Traktoren – dies, so die Botschaft an die belorussischen Leser, ein Zeichen der geglückten sozialistischen Wirtschaftsintegration. Auch das deutsch-deutsche Thema wurde, diesmal in sehr ‚phantasievoller‘ Weise, angesprochen. So nahm der Autor den Leser literarisch mit auf den neu erbauten Ost-Berliner Fernseh404 Hausmitteilung der Abt. Auslandsinformation beim ZV der DSF, 26.11.1973, SAPMOBArch DY 32/485, unpag.; sowie „Aufenthaltskonzeption für die sowjetischen Preisträger des Preisrätsels“, 7.12.1973, ebd. 405 „Mit großer Liebe die DDR studiert. Minsk: Reger Zuspruch zu einem Leserwettbewerb über unsere Republik / Einsender schickten ganze Alben, Fotos, Zeichnungen und Grafiken / Gemeinschaftsaktion mit der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft.“, NationalZeitung, 7.10.1973, S. 5.
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turm, um von dort die geteilte Stadt zu beschreiben. Jüngste Veränderungen habe es dabei vor allem in der Hauptstadt der DDR gegeben – zahlreiche neue Wohngebäude, Hochhäuser, der Baubeginn des Palasts der Republik, kurz: ein blühendes sozialistisches Zentrum. Demgegenüber zeige West-Berlin, so der Autor weiter, noch immer die Spuren des Zweiten Weltkriegs mit halbverfallenen Häusern und Ruinen; allenfalls Bürogebäude habe man hier neu errichtet. Ein Spaziergang durch die Stadt zeige außerdem: Zahlreiche Länder hätten inzwischen diplomatische Vertretungen in der DDR errichtet – ein Zeichen des gestiegenen Ansehens der DDR auch im internationalen Kontext.406 Überhaupt erfreute sich die DDR, abgesehen von den Informationsmaterialien und -Veranstaltungen der Freundschaftsgesellschaft, in der BSSR einer sehr positiven Darstellung, so auch in verschiedenen (wissenschaftlichen) Büchern und Abhandlungen. Insbesondere seit den 1960er Jahren erschienen nicht wenige Titel, die sich mit den Beziehungen zwischen der BSSR und der DDR beschäftigten, oder die die Beziehungen zur DDR im Kontext der Kontakte zu den sozialistischen Bruderstaaten und damit des proletarischen Internationalismus behandelten.407 Dabei trug die publizistische Dokumentation dieser Zusammenarbeit genauso zum Prestige der BSSR bei, die zunehmend ihre international wichtige Rolle im Rahmen der UN betonte und auch diese Kanäle zur Außendarstellung nutzte.408 Ein Werk, das sich vermutlich an ein breiteres Publikum wandte, war die
406 „Die DDR: Sicherer Schritt des Sozialismus (GDR: Uverennaja postup’ socializma)“, Sovetskaja Belorussija, 23.8.1973, S. 3. 407 Vgl. beispielsweise: Serdjukov, A.M. und S.B. Kubaev: GDR stroit socializm, Serija obščestvenno-političeskaja/Obščestvo po rasprostraneniju političeskich i naučnich znanij Belorusskoj SSR 20, Minsk 1960; Vojtovič, Sergej D.: BSSR v borbe za mir i sotrudničestvo meždu narodami (1945–1965 gg.), Minsk 1968; Vojtovič, Sergej D., Nikolaj S. Vorobej und Vasilij S. Tolstoj: Sotrudničestvo Belorusskoj SSR s socialističeskimi stranami, Minsk 1970; Miročickij, L. P.: Germankskaja Demokratičeskaja Respublika. Gosudarstvo rabočich i krest’jan (K 20-letiju GDR. Material v pomošč’ lektoru), Minsk: Pravlenie o-va „Znanie“ BSSR, nauč.-metod. sovet po propagande ist. znanij 1969; Žukov, V. P.: Internacionalizm v dejstvii (Učastie BSSR v bratskom sotrudničestve SSSR s GDR 1956–1972), Minsk 1974; Žukov, V. P.: Učastie Belorusskoj SSR v razvitii bratskogo sotrudničestva meždy Sovetskim Sojuzom i Germanskoj Demokratičeskoj Respublikoj 1956–1969 gg. Avtoreferat dissertacii na coiskanie učenoj stepeni kandidata istoričeskich nauk, Minsk 1970; Goranskij, Michail N.: SSSR–GDR: Družbe krepnut’!, Minsk 1979; Lejkin, Ėrnst A.: Družba, sotrudničestvo, bratstvo. Učastie Belorus. SSR vo vsestoronnem razvitii svjazej Sov. Sojuza so stranami socializma, Minsk 1983; Lejkin, Ėrnst A.: Internacionalnye svjazi molodeži Belorussii (Komsomol Belorussii, aktivny učastnik sotrudničestva VLKSM s sojuzami molodeži stran socialističeskogo sodružestva, 1960–1975 gg.), Minsk 1977. 408 Vlg. dazu die Schriften des ersten belorussischen Außenministers und späteren langjährigen UN-Gesandten Kiselev: Kiselev, Kuz’ma V.: Belorusskaja SSR na meždunarodnoj arene, Moskva 1964; Kiselev, Kuz’ma V.: Zapiski sovetskogo diplomata, Moskva 1974; Vojtovič: BSSR v borbe za mir i sotrudničestvo meždu narodami; sowie die Selbstdarstellung der BSSR im Rahmen der UNESCO-Reihe zu Kulturpolitik: Institute of Art Criticism, Ethnography and Folklore of the Academy of Sciences of the Byelorussian SSR (Hrsg.): Cultural policy in the Byelorussian Soviet Socialist Republic, Studies and documents on cultural policies, hg. von UNESCO, Paris 1979; einen Überblick über die weißrussische Forschung
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1960 erschienene, knapp 40 Seiten umfassende Broschüre „Die DDR baut den Sozialismus (GDR stroit socializm)“. Sie diente unter anderem Lektoren der Gesellschaft zur Verbreitung politischen und wissenschaftlichen Wissens der BSSR (Obščestvo po rasprostraneniju političeskich i naučnich znanij Belorusskoj SSR) und wurde damit in der Volksbildung eingesetzt. Wie der Titel nahelegt, lobte die Schrift die bisherigen Erfolge des ostdeutschen Staates im Aufbau des Sozialismus, und versäumte es dabei auch nicht, an die schwierigen Ausgangsbedingungen zu erinnern: Die mitfühlende Beschreibung von Niederlage, Zerstörung und den Folgen des Zweiten Weltkriegs rückte die deutsche Bevölkerung dabei regelrecht in eine Opferrolle. Blieb die Frage nach den Ursachen des Nationalsozialismus gänzlich ausgeblendet, lag der Fokus auf der großen Aufgabe des deutschen Volkes nach der Befreiung: nicht nur der materielle Wiederaufbau, sondern die Schaffung eines ganz neuen Deutschland.409 Die im Folgenden dargestellte wirtschaftliche Prosperität der DDR angesichts der schwierigen Ausgangsbedingungen (übermäßige Kriegszerstörungen durch ‚barbarische‘ amerikanische Luftangriffe, Abtrennung von westdeutschen Rohstoffen‚ westdeutsche ‚faschistische‘ Störmanöver) wurde damit auch zum direkten Erfolg der sowjetischen Politik stilisiert und damit auch zu einem Stück positiver Selbstdarstellung unter der eigenen Bevölkerung. Dazu gehörte auch, dass die Verstaatlichung der ostdeutschen Wirtschaft als weitgehend freiwilliger Prozess dargestellt wurde: Viele Privatunternehmer hätten um diese „staatliche Hilfe“ gebeten.410 Auch die kulturelle Entwicklung des sozialistischen ‚Versuchsobjektes‘ wurde hervorgehoben. So verschaffe die Bildungspolitik der DDR-Regierung, im Gegensatz zur westdeutschen, allen Schichten der Bevölkerung Zugang zu Bildung; die Kulturpolitik stelle auch der Landbevölkerung eigene kulturelle Einrichtungen zur Verfügung. In den Bereichen Literatur und Musik wurde zuallererst das klassische deutsche Kulturerbe hervorgehoben, zu dessen Bewahrer sich die DDR stilisierte; erst danach fand auch die neue sozialistische Literatur (Becher, Seghers, Brecht, Arnold Zweig, Feuchtwanger, Heinrich und Thomas Mann) und Musik (Max Butting, Ottmar Gerster, Viktor Bruhns, Gerhard Wohlgemuth, Hanns Eisler) Erwähnung.411 Die internationale Rolle der DDR wurde in den Kontext des Ost-West-Gegensatzes gestellt: Als vollwertiges Mitglied des sozialistischen Lagers trage die DDR zu dessen Stabilisierung bei: einerseits durch die wirtschaftliche Verflechtung mit den sozialistischen Bruderstaaten, denen sie, wie im Falle Chinas oder Bulgariens sogar durch technisches Know-How aushelfe, andererseits durch ihren unermüdlichen Kampf für den Frieden in Europa. Die friedliebende deutschlandpolitische Linie der DDR wie der Sowjetunion stünde in dieser Hinsicht in krassem Gegensatz zur revanchistischen und faschistisch-militaristischen Linie der politischen
bzw. zeitgenössische Broschüren zum Thema bietet etwa: Šadurskij: Kul’turnye svjazi, S. 8– 10. 409 Serdjukov/Kubaev: GDR stroit socializm, S. 3–4. 410 Ebd., S. 7–9, 14. 411 Ebd., S. 25–28.
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Clique um Adenauer.412 Die vorliegende Broschüre diente genauso der Information über die DDR wie der Darstellung der eigenen außenpolitischen Linie. Einerseits führte sie der belorussischen, sowjetischen Bevölkerung vor Augen, dass das deutsche Volk freiwillig und mit großer Dankbarkeit den erfolgversprechenden Weg des Sozialismus gewählt hatte und sich daher zu den Freunden der Sowjetunion zählen durfte. Dabei mag der erfolgreiche wirtschaftliche Wiederaufbau der DDR gerade in der BSSR durch die Parallelen zur eigenen Geschichte besonderes Interesse gefunden haben. Andererseits fehlte es nicht an demonstrativen Aufzählungen sowjetischer Großzügigkeit gegenüber dem ehemaligen Feind und Kriegsverlierer: Wirtschaftshilfe, außenpolitischer Beistand sowie Schutz vor einem Einmarsch der ‚westdeutschen Militaristen‘ durch die Rote Armee versinnbildlichten nicht nur moralische, sondern auch materielle Hilfe für den ‚kleinen‘ Bruder. Die Ausführungen schlossen mit einer Feststellung, die sich ebenso an die eigene, wie die west- und ostdeutsche Bevölkerung gerichtet haben dürfte: „Das Beispiel der DDR zeigt, dass das deutsche Volk nur über den Weg der Absage an Militarismus, Revanchepolitik und Infragestellung der Grenzen einen würdigen Platz in der Familie der Völker beanspruchen kann.“413
Eine ganz ähnliche Handreichung für Lektoren aus dem Jahre 1969 legte ebenfalls einen Schwerpunkt auf die friedenssichernde Außenpolitik und die zunehmende internationale Anerkennung des ostdeutschen Staates. Polemik gegen die Bundesrepublik trat, entsprechend der außenpolitischen Zielsetzung der UdSSR, im Vergleich zu 1960 jedoch stärker in den Hintergrund. Neu war auch, dass sich ein kleiner Abschnitt explizit mit den Kontakten BSSR-DDR beschäftigte und die Broschüre damit stärker auf die Zielgruppe zugeschnitten war: Die Aufzählung der zahlreichen ökonomischen und kulturellen Kontakte sollte dabei die enge freundschaftliche Zusammenarbeit beider Republiken und ihrer Völker verdeutlichen.414 Seit den 1960er Jahren hatte das Thema auswärtige Kulturbeziehungen in der BSSR verstärkt auch wissenschaftliche Beachtung erfahren; im Jahr 1969 entstand am Historischen Institut der Akademie der Wissenschaften der BSSR sogar eine eigene Sektion zur Geschichte der europäischen sozialistischen Staaten, woraus sich wiederum ein eigener Forschungszweig zu auswärtigen Kulturbeziehungen entwickelte. In diesem Zusammenhang erschienen eine Reihe von Dissertationen und anderer Beiträge, bei denen es sich allerdings um in erster Linie deskriptive Arbeiten handelte, die kaum die Mechanismen und Ziele der auswärtigen Kulturpolitik untersuchten. Dabei galt auch hier der Primat ideologischer Bedürfnisse: Allein die Existenz einer größeren Anzahl solcher Arbeiten sollte ein hohes Maß an kultureller Zusammenarbeit mit dem Ausland aufzeigen und damit den
412 Ebd., S. 29–33. 413 Ebd., S. 36. 414 Miročickij: Germankskaja Demokratičeskaja Respublika, S. 14–20.
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Erfolg des Sozialismus auf internationaler Ebene beweisen.415 In diesem Zusammenhang spielte auch die Freundschaftsgesellschaft eine Rolle: Zwar war sie üblicherweise nicht unmittelbar an der Herstellung wissenschaftlicher Kontakte oder gar wissenschaftlicher Publikationen beteiligt, aber sie diente häufig als Forschungs- und Referenzobjekt: Ihre Tätigkeit wurde gelegentlich zu den kulturellen, andernorts zu den politisch-gesellschaftlichen Kontakten gezählt und lieferte damit wiederum den Beleg für eine umfangreiche und erfolgreiche Kooperation im Geiste des sozialistischen Internationalismus.416 Die Zusammenarbeit mit dem Ausland wurde dabei überwiegend, mindestens in Titel und Einleitung der entsprechenden Werke, in den Kontext der Beziehungen UdSSR-DDR gestellt, um keine zu starke Eigenständigkeit der belorussischen Republik zu suggerieren.417 Die DDR erschien dabei als souveräner, wirtschaftlich starker Partner, der durch die Hilfe der UdSSR, und damit auch der BSSR, zu ihrer jetzigen Stärke gefunden habe. Wenn dabei, wie in einer Arbeit aus dem Jahr 1974, das starke Engagement der belorussischen SSR im Rahmen der UN für die internationale Anerkennung der DDR herausgestellt wurde, dann ist dies sicher als Ausdruck des außenpolitischen Selbstbewusstseins der Sowjetrepublik im Zusammenhang mit ihrer UNMitgliedschaft zu werten.418 Die Darstellung des sozialistischen bzw. kommunistischen Aufbaus stellte sowohl für die DDR als auch für die BSSR einen zentralen Aspekt ihrer Auslandsinformation dar. Beide Länder hatten nach dem Zweiten Weltkrieg in dieser Hinsicht eine außerordentliche Erfolgsgeschichte aufzuweisen und verstanden sich spätestens seit den 1970er Jahren als exportorientierte Industrieländer und sozialistische Musterrepubliken im Gefüge der Sowjetunion bzw. des Warschauer Pakts. In der BSSR trug die UN-Mitgliedschaft außerdem zu einem gestärkten Selbstbewusstsein bei, die DDR erreichte in den 1970er Jahren die de facto völkerrechtliche Anerkennung. Als gemeinsamer Ausgangspunkt diente dabei beiden Partner der Zweite Weltkrieg: Für die BSSR bedeuteten der Sieg über den Fa415 Šadurskij: Kul’turnye svjazi, S. 5–7. Der Autor bietet an gleicher Stelle auch eine Übersicht über die wichtigsten Autoren, differenziert nach Partnerländern, mit denen diese sich beschäftigen. Vgl. dazu auch Lindner: Historiker und Herrschaft, S. 381. 416 Ausschließlich mit den Kulturbeziehungen im Rahmen gesellschaftlicher Organisationen von 1950–1980 beschäftigt hat sich in seiner Dissertation beispielsweise Reznik, Anatolij N.: Dejatel’nost’ obščestvennych organizacij Belorusskoj SSR po ukrepleniju sotrudničestva meždu SSSR i GDR. (1950–1980 gg.) Avtoreferat dissertacii na soiskanie učenoj stepeni kandidata istoričeskich nauk, Minsk 1987. Dabei enthält die Arbeit, bereits unter dem Einfluss der Perestrojka, interessanterweise moderate Kritik am sowjetischen System der Kulturbeziehungen und stellt, ebenfalls ein Novum, auch die Frage nach den Zielen der kulturellen Beziehungen zu den sozialistischen Staaten. 417 So etwa bei Žukov, der in der Einleitung seiner Arbeit bewusst betont, die Konzentration auf die BSSR diene keinem Selbstzweck, sondern ermögliche eine genauere Darstellung der Zusammenarbeit zwischen der UdSSR und der DDR; vgl. Žukov: Internacionalizm v dejstvii, S. 6; vgl. dazu auch: Goranskij: SSSR-GDR; Sergeeva, Galina Gavrilovna: Belorusskaja SSR v naučnom sotrudničestve Sovetskogo Sojuza i socialističeskich stran: (1945–1985 gg.), Minsk 1986; Žukov: Učastie Belorusskoj SSR. 418 Vgl. dazu Žukov: Internacionalizm v dejstvii, insbesondere Kap. I, 1 und II.
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schismus, der Wiederaufbau nach den verheerenden Zerstörungen durch die deutschen Besatzer und die sich anschließende wirtschaftliche Prosperität die eigentliche Besonderheit der eigenen Geschichte und damit die zentrale Erzählung der Auslandsinformation. Dadurch entstand jedoch kein Gegensatz zur sowjetischen Zentrale; ganz im Gegenteil verortete diese Darstellung die Erfolgsgeschichte ganz im Kontext der gesamten Union – war es doch, so die Begründung, vor allem die Hilfe der übrigen Sowjetvölker gewesen, die diese überhaupt erst möglich gemacht hatte. Die DDR legte den Schwerpunkt ihrer Auslandsinformation zunächst auf den erfolgreichen antifaschistischen Umbau, auch und gerade im Gegensatz zur Bundesrepublik, die als zu bekämpfender Gegenpol ebenfalls die Auslandspropaganda bestimmte. Mit zunehmender wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Konsolidierung sollten vor allem die Integration innerhalb des sozialistischen Lagers sowie die Zuverlässigkeit der DDR als Bündnispartner der Sowjetunion besonders hervorgehoben werden. Damit schufen Kriegsverlierer einerseits, Sieger des Weltkriegs andererseits eine recht paradoxe Erfolgsgeschichte gegenseitiger Beziehungen, die unter den Bedingungen der Unbedingtheit des sozialistischen Internationalismus als Ausdruck einer entwickelten sozialistischen Gesellschaft stand: ‚Vergangenheitsbewältigung‘ wurde schon allein dadurch obsolet, dass die sozialistische Zukunft scheinbar gesetzmäßig Beziehungen neuen Typs zwischen den Menschen bereithielt. Gleichzeitig bewiesen die Erfolge des anderen zwangsläufig auch die eigenen. Scheiterte einer der Bündnispartner, so stellte dies gleichzeitig das sozialistische Weltsystem in Frage – eine Tatsache, die die DDR, wie in der Forschung mehrfach festgestellt wurde, zeitweilig geschickt gegen die UdSSR ausspielte.419 Entsprechend widmete man sich in der BSSR der Darstellung der Erfolge des deutschen Partners, gleichsam als Beweis für die Überlegenheit und Richtigkeit des eigenen Weges auch gegenüber der eigenen Bevölkerung. In der DDR wurden die Erfolge der westlichsten Sowjetrepublik, wie sie gerade in wirtschaftlicher Hinsicht besonders augenfällig waren, zumeist im Kontext einer allgemeinen sowjetischen Erfolgsgeschichte vermittelt. Als Besonderheit der BSSR erkannte man dabei in erster Linie ihre Rolle während des Zweiten Weltkriegs, die den rasanten Wiederaubau umso bemerkenswerter machte. Damit hatte die Auslandspropaganda von Anfang an eine doppelte Stoßrichtung: Nicht nur den Verbündeten im Osten bzw. Westen des sozialistischen Bündnissystems sollte die eigene Entwicklung vermittelt werden, sondern auch der eigenen Bevölkerung wurden so die Erfolge des sozialistischen Internationalismus, der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und damit des sozialistischen Systems als Ganzem vor Augen geführt.
419 Eine These, die insbesondere Harrison für den Kontext des Mauerbaus geprägt hat: Harrison: Driving the soviets up the wall; und vgl. kritisch dazu: Wentker: Außenpolitik in engen Grenzen, S. 6–7.
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3.3.2.2 Alles nur „Fakelore“? Kulturschaffen in nationalem Gewand „Es begann mit einer russischen Suite in fünf Tanzepisoden […]. Der bjelo-russische (sic!) Volkstanz ‚Janka‘ entfaltete die Farbigkeit in Kostüm und Bewegung weiter. Im Kontrast dazu stand der Torgutische Tanz aus Kirgisistan mit geschwinden, vibrierenden und doch gezügelten Bewegungen […]. Ein stürmischer Krakowiak führte in die polnische Volkskunst hinüber. Eine Trommel, mit der bloßen Hand geschlagen, war die ganze, doch in Klang und Rhythmus sehr differenzierte Musik zu dem Adscharischen Tanz ‚Cho-rumi‘, getanzt von fünf Männern […]. Ein humorvolles Spiel der Eifersucht war der russische ‚Wettanz‘, bei dem zwei kleinere ihren großen Nebenbuhler außer Konkurrenz setzen. Heitere Eleganz zeichnete den ‚Slowakischen Tanz‘ aus. Feierliche Würde […] und ausbrechende Leidenschaftlichkeit gaben dem nordossetinischen Tanz ‚Simd‘ seine Spannung. Der bielo-russische (sic!) Tanz ‚Bulba‘, d. h, ‚Kartoffel‘, von einer großen Gruppe leuchtend bunt gekleideter Tänzerinnen vorgeführt, […] ist von wahrhaft ansteckender Fröhlichkeit; das Publikum gab keine Ruhe, bis er wiederholt wurde.“420
Im Mai 1950 konnten kulturell interessierte Leser der Berliner Zeitung obiges über einen Auftritt des Staatlichen Akademischen Volkstanzensembles, der umgangssprachlich „Moissejew-Ensemble“421 genannten, wohl berühmtesten sowjetischen Volkstanzgruppe nachlesen. Das Ensemble, im Jahr 1936 durch den früheren Balletttänzer und Choreographen des Bolschoi Theaters Igor’ A. Moiseev gegründet, erlangte durch seine Auftritte auch außerhalb der Sowjetunion weltweite Berühmtheit. Bis zu 100 professionelle Tänzer führten unter Einflüssen des klassischen Balletts sorgfältig choreographierte ‚Volkstänze‘ der verschiedenen Völker der Sowjetunion auf. Bezeichnend für die ‚Authentizität‘ dieser Tänze ist dabei, dass der in der Berliner Zeitung angesprochene angebliche belorussische Volkstanz Bulba erst in der BSSR bekannt wurde, nachdem er durch das Ensemble in der ganzen Sowjetunion Verbreitung gefunden hatte.422 Das Moissejew-Ensemble stellt das bekannteste Beispiel einer spezifisch sowjetischen Form von Folklore dar. Sie habe, so ihr bekanntester Unterstützer Maxim Gorki auf dem 1. Schriftstellerkongress der UdSSR 1934, als Ausdruck des künstlerischen Schaffens der breiten Volksmassen immer auch eine klassenkämpferische Tendenz und verkörpere damit nicht nur das Echo der Vergangenheit, sondern auch die Stimme der Gegenwart. Diese Auffassung trieb insbesondere in den 1930er und 1940er Jahren ganz eigene Stilblüten: So entwickelten sich aus alten Formen traditioneller Volkslieder neue Darbietungen zwar in der traditionellen Form, die jedoch den sozialistischen Aufbau, etwa die Erfolge der Kollektivierung der Landwirtschaft, zum Thema hatten. Die früheren Helden der Volksdich420 „Herrliches Moissejew-Ensemble. Kollektive aus der Sowjetunion und den Volksdemokratien Bulgarien, Polen, Ungarn“, Berliner Zeitung, 31.5.1950, S. 3 421 Die Schreibweise weicht, je nach Bezugssprache, stark ab; während die wissenschaftliche Transliteration „Moiseev“ kaum verwendet wurde, überwiegt im deutschsprachigen Raum die Schreibweise, wie sie auch in der DDR verwendet wurde: „Moissejew“. Diese soll der Einfachheit halber auch für die weitere Bezeichnung des Ensembles verwendet werden. 422 Doi, Mary Masayo: Gesture, Gender, Nation. Dance and Social Change in Uzbekistan, Westport, Conn. 2002, S. 107; „Igor Moiseyev (Russian choreographer)“, Encyclopædia Britannica Online, https://www.britannica.com/biography/Igor-Moiseyev (zugegriffen am 3.6.2017).
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tung wurden ersetzt durch Stalin und Lenin als Helden einer neuen, sozialistischen Gesellschaft. Wenn auch diese ‚falsche‘ Folklore wie viele andere Auswüchse des stalinistischen Personenkultes nach dem Tod des Diktators heftig kritisiert wurde, so blieb aus dieser Phase doch eines erhalten: die ‚Anreicherung‘ nationaler Formen mit politischen Inhalten – und ihr Einsatz nicht zuletzt für auslandpropagandistische Zwecke.423 So tourte etwa das Moissejew-Ensemble nicht nur durch die sozialistischen Staaten, sondern war auch im westlichen Ausland häufig zu Gast, gab etwa 1955 in Großbritannien und 1958 in den USA sein Debüt und wurde dort zu einer der beliebtesten sowjetischen Künstlergruppen.424 Dabei schuf das Ensemble das politisch erwünschte Bild der Sowjetunion als freiwilliger Zusammenschluss verschiedener Nationalitäten, deren Nationalkulturen und Traditionen sich frei entfalten konnten und auch weiterhin sorgsam gepflegt wurden. Während die Forschung einerseits abwertend von „Fakelore“ spricht425, geht etwa Matthias Vogt in seiner Studie zum sorbischen Volkstanzensemble der DDR von einer Art „Hybrid-Volkskultur“ aus, bei der durchaus Elemente spontan vorgetragener Volkskultur in ein „quasi hochkulturelles Korsett“ gesteckt und für die große Bühne arrangiert wurden426 – ein Format, das sich dank seiner Perfektion etwa im Ausland wesentlich besser vermarkten ließ. Zu den äußerlichen Veränderungen, die gerade im Tanz besonders augenscheinlich waren, kamen entsprechende inhaltliche Anpassungen: Volkskunst sollte ein optimistisches, fröhliches Menschenbild verbreiten und die Erfolge im Aufbau des Sozialismus zeigen – tragische oder gar kritische Themen waren verpönt. Die Umsetzung der kulturpolitischen Forderung: „National in der Form, sozialistisch im Inhalt“ lässt sich am Beispiel der Folklore besonders gut ablesen. Die Berliner Zeitung bilanzierte den Auftritt des Moissejew-Ensembles: „Das Ensemble baut seine Arbeit auf die Volkstanzkunst auf. […] Das Moissejew-Ensemble zeigt, wie auf der Basis echter nationaler Kulturtradition eine Kunst wächst die über den nationalen Rahmen hinaus gültig ist und auch von den einfachen Menschen in aller Welt verstanden wird. Die Tänze des Moissejew-Ensembles verbinden hohe Kunst mit echter Volkstümlichkeit. Sie bieten uns damit eine Probe sozialistischer Kultur, wie sie in der Atmosphäre des 423 Miller, Frank J.: Folklore for Stalin. Russian Folklore and Pseudofolklore of the Stalin Era, Armonk, NY 1990, S. 7–11, 95–106; das gleiche Phänomen konstatiert auch Vakar in seiner 1956 erschienenen Studie zu Belarus. Auch hier wurden alte überlieferte Volksliedformen zum Teil mit neuem sozialistischem Inhalt gefüllt. Vgl. Vakar: Belorussia, S. 26–27. 424 Clarke, Mary: „Igor Moiseyev“, The Guardian, 07.11.2007, http://www.theguardian.com/ news/2007/nov/07/guardianobituaries.artsobituaries/print (zugegriffen am 8.5.2017); Richmond: Cultural exchange & the Cold War, S. 124. 425 Vlg. dazu etwa: Olson, Laura J.: Performing Russia. Folk revival and Russian identity, New York, NY 2004, S. 9; Miller: Folklore for Stalin, S. 3–4; Herzog, Philipp: Sozialistische Völkerfreundschaft, nationaler Widerstand oder harmloser Zeitvertreib? Zur politischen Funktion der Volkskunst im sowjetischen Estland, Stuttgart 2012, S. 46–47; oder auch schon bei Oinas, Felix J.: „Folklore and Politics in the Soviet Union“, Slavic Review 32/1 (1973), S. 45–58, hier S. 46–50. 426 Vogt, Matthias Theodor: Serbski Ludowy ansambl. Eine kulturpolitikwissenschaftliche Analyse, Frankfurt am Main 2008, S. 89–90.
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3 Freundschaftsverwaltung: Organisationen in Minsk und Berlin sowjetischen Lebens gedeiht. Ein Beweis für die Volkstümlichkeit war die Begeisterung, die das Ensemble bei den großen Massenveranstaltungen am Sonntag und Montag auslöste.“427
Echte Volkstümlichkeit machten damit nicht mehr Überlieferung und Herkunft aus, sondern der Staat beanspruchte für sich, sozialistische Volkskunst für die breite Masse der Werktätigen zu schaffen. Das Moissejew-Ensemble war in vielerlei Hinsicht ein Exportschlager der sozialistischen Kultur à la Sowjetunion. So entstanden nach dem Vorbild dieses Ensembles insbesondere in den beiden Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg in nahezu jeder Sowjetrepublik ähnliche, professionelle Folklore-Tanzgruppen.428 In der belorussischen Sowjetrepublik wurden 1959 das prestigeträchtige Staatliche Tanzensemble der BSSR sowie 1974 das Ensemble Choroški gegründet, die beide regelmäßig Auftritte im sozialistischen wie im westlichen Ausland absolvierten.429 Gleichzeitig blieb die sowjetische Folklore-Welle auch in den übrigen Ostblockstaaten nicht ohne Folgen: Auch hier kam es zur Gründung staatlicher Ensembles, die eine ‚echte‘ sozialistische Nationalkultur zur Schau stellen sollten. In der DDR wurden nach dem Vorbild der Sowjetunion Tanz- und Musikfolkloregruppen gebildet, so ab 1952 das Staatliche Volkskunst-Ensemble der DDR (ab 1962: Staatliches Tanzensemble der DDR) oder 1954 das Staatliche Dorfensemble (1972: Staatliches Folkloreensemble der DDR). Daneben entstanden aber unter staatlicher Schirmherrschaft auch eine Tanzgruppe der sorbischen Minderheit (Staatliches Ensemble für sorbische Volkskunst, 1952), das Erich-WeinertEnsemble der NVA (1950) sowie das Volkskunstensemble des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (1952).430 Gerade diese staatlichen Ensembles wurden anlässlich hochrangiger Veranstaltungen in den sozialistischen Bruderländern eingesetzt oder führten Auslandstourneen im herkömmlichen Sinne durch. So reiste etwa das Staatliche Tanzensemble der BSSR zu den sowjetischen/belorussischen 427 „Herrliches Moissejew-Ensemble. Kollektive aus der Sowjetunion und den Volksdemokratien Bulgarien, Polen, Ungarn“, Berliner Zeitung, 31.5.1950, S. 3 428 Herzog: Sozialistische Völkerfreundschaft, S. 83; zur Gründung von ähnlichen Ensembles in der ukrainischen bzw. usbekischen SSR vgl. Nahachewsky, Andriy: Ukrainian Dance. A Cross-Cultural Approach, Jefferson, N.C 2011, S. 202–203; Doi: Gesture, Gender, Nation, S. 106–108. 429 Beide Ensembles bestehen bis heute erfolgreich und werden weiterhin auch in der kulturellen Zusammenarbeit ‚eingesetzt‘, vgl. dazu: „Khoroshki: The Belorussian State Dance Company – About us“, http://www.khoroshki.com/en/about-us.html (zugegriffen am 3.6.2017); „Cultural cooperation – Embassy of the Republic of Belarus to the Republic of Turkey“, http:// turkey.mfa.gov.by/en/bilateral_relations/cultural/ (zugegriffen am 8.5.2017); sowie: Šadurskij: Kul’turnye svjazi, S. 138–139. 430 Für den Volkstanz in Bulgarien vgl. etwa: Buchanan, Donna A.: Performing Democracy. Bulgarian Music and Musicians in Transition, Chicago 2006; zur Rolle des Volkstanzes in Jugoslawien vgl. Maners, Lynn D.: „Utopia, Eutopia, and E.U.-topia. Performance and Memory in Former Yugoslavia“, in: Buckland, Theresa Jill (Hrsg.): Dancing from Past to Present. Nation, Culture, Identities, S. 75–96; zur Entwicklung in der DDR: Walsdorf, Hanna: Bewegte Propaganda. Politische Instrumentalisierung von Volkstanz in den deutschen Diktaturen, Würzburg 2010, S. 157–161; speziell zum Ensemble für Sorbische Volkskunst vgl. Vogt: Serbski Ludowy ansambl.
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Kulturtagen 1966 in die DDR und trat dort unter anderem bei der zentralen Eröffnungsveranstaltung im Berliner Friedrich-Stadt-Palast auf. 431 Auch im November 1974 waren die Künstler wieder auf DDR-Tournee und bereicherten mit ihrem „Wirbelnde[n] Reigen der Freundschaft“, so das Neue Deutschland, die zentrale SED-Festveranstaltung zum Jubiläum der Oktoberrevolution. Hier sei immer wieder deutlich geworden, wie „die meisterliche sowjetische Ballettkunst und der Fundus der multinationalen Kultur der Sowjetunion auch zur Bereicherung nationaler Eigenarten führen.“432 Auch staatliche Volkskunst-Ensembles der DDR waren im Rahmen von UdSSR-Tourneen wiederholt zu Gast in Städten der BSSR, beispielsweise in Minsk oder Vitebsk.433 Allen staatlichen Ensembles war gemeinsam, dass sie nicht nur zur Repräsentation einer sozialistischen Nationalkultur nach außen eingesetzt wurden, sondern auch Vorbild- und Mobilisierungsfunktionen für ein ‚Kulturschaffen‘ der Bevölkerung übernahmen. Dabei nämlich traf sich die Forderung nach einem so genannten „künstlerischen Volksschaffen“ ideologisch ausgesprochen günstig mit den Vorstellungen von Volkskunst. Das kleine politische Wörterbuch der DDR verzeichnet unter dem Begriff: „Künstlerisches Volksschaffen: künstlerisches Schaffen und künstlerische Betätigung von Werktätigen verschiedener Berufe […] in organisierten und nichtorganisierten Formen. […] Die sozialistische Gesellschaft schafft die Grundlagen für die allseitige Entwicklung des k.V., das an die progressiven Traditionen der Volkskunst der Vergangenheit […] anknüpft und sie in neuer Qualität weiterführt. […] Die neue Volkskunst pflegt das ideell und künstlerisch wertvolle Erbe der deutschen Volkskunst und der Folklore der sozialistischen Bruderländer.“434
Künstlerisches Volksschaffen hatte im sozialistischen Kulturverständnis also „Klassencharakter“ und meinte das Laienkunstschaffen der werktätigen Bevölkerung; die „neue Volkskunst“, orientiert an traditionellen Formen, aber gefüllt mit neuem sozialistischem Inhalt, erschien dabei als perfekte Verquickung beider Elemente.435 Staatlich gefördert entwickelte sich so, zunächst in der Sowjetunion, ein institutionalisiertes Laienkunstschaffen, das sein ‚goldenes Zeitalter‘ in den 1960er/ 1970er Jahren, mithin im Untersuchungszeitraum dieser Studie, erlebte. Organisatorisch erfasst waren Laienkunstgruppen über das betriebliche Klubsystem bzw. die staatlichen oder gewerkschaftlichen Kulturhäuser, die in der gesamten UdSSR ein flächendeckendes Netz bildeten und kostenlose Möglichkeiten der Freizeitbeschäftigung boten. Dies galt nicht nur für Tanz- und Musikgruppen, sondern auch 431 Vgl. dazu Kap. 3.3.1.2. 432 „Wirbelnder Reigen der Freundschaft. Großer Beifall für das Belorussische Staatliche Tanzensemble bei der Festveranstaltung in der Staatsoper.“, Neues Deutschland, 7.11.1974, S. 5. 433 Vgl. dazu beispielsweise: „Von UdSSR-Tournee zurück.“, Neues Deutschland, 28.5.1960, S. 4; sowie: Protokoll der Sitzung des Präsidiums der BELOD (Nr. 4), Information über die Veranstaltungen in der BSSR anlässlich des 25jährigen Bestehens der DDR, 23.10.1974, NARB f. 914, op. 4, d. 511, l. 59ff., hier: l. 79. 434 Künstlerisches Volksschaffen in: Kleines politisches Wörterbuch, S. 482–484, hier 482-483. 435 Ebd.
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für Theater, Bildende Kunst, Schreibzirkel oder eher ausgefallene Betätigungen wie Töpferei, Bildhauerei u. a. Umgekehrt, und gerade dieser Aspekt ist in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzen, boten sie aus staatlicher Sicht die Möglichkeit einer politisch ‚harmlosen‘ Freizeitbeschäftigung. Daneben dienten die Kulturhäuser und Klubs auch ganz gezielt der politischen Bildung ihrer Mitglieder beispielsweise über Diskussionsgruppen und Vorträge. Dabei war das Repertoire der Tanz- und Musikgruppen nicht unmittelbar reglementiert, sondern eine Beeinflussung erfolgte vielmehr über die zentral zur Verfügung gestellten Choreographien und Notenmaterialien sowie nicht zuletzt auch über staatlich ausgerichtete Wettbewerbe: Gewinnaussichten hatte hier nur, wer das staatlich sanktionierte Repertoire zum Besten gab. Dabei machte den überwiegenden Teil der Musik- und Tanzdarbietungen im Bereich des künstlerischen Volksschaffens die spezifisch sowjetische Art der Folklore aus.436 Ein ganz ähnliches System entwickelte sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit auch in der DDR – nicht zuletzt inspiriert durch die zahlreichen Gastspiele sowjetischer Gesangs- und Tanzgruppen. Auch hier entstand, über mehrere Vorläuferorganisationen, 1952 mit dem Zentralhaus für Laienkunst in Leipzig eine zentrale Organisation für die ‚Betreuung’ (und damit auch Überwachung und politische Anleitung) der Laienkunstkollektive.437 Angegliedert wurden die Laienkunstgruppen dabei direkt an Betriebe oder sonstige Einrichtungen, womit sie unter dem Schlagwort der Kulturellen Massenarbeit organisatorisch zur Kulturarbeit des FDGB (bzw. der FDJ) gehörten, der zu diesem Zweck Kulturhäuser nach sowjetischem Vorbild einrichtete.438 Dabei wurde gerade der bereits vorgestellte Igor Moisseev in den 1950er Jahren zur Ikone einer deutschen Laien-Volkstanzbewegung, die sich an seinem „nationalen Stil“ orientieren wollte. Bühnenvolkstanz in sowjetischem Stil, Schautanzprogramme, Wettbewerbe und Leistungsschauen bereiteten den Weg für eine gewisse Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit, aber auch Monotonie im künstlerischen Volksschaffen der Ostblockstaaten bis spätestens Anfang der 1960er Jahre.439 Neben Tourneen bekannter Künstler und Ensembles aus Musik und Theater waren es vor allem diese Folkloreensembles, teils professionelle, noch häufiger aber Laienkunstgruppen, die im Rahmen der auswärtigen Kulturpolitik zwischen den sozialistischen Bruderstaaten als Botschafter ihrer ‚Nationalkultur‘ auftraten. Für Auslandsreisen infrage kamen dabei gerade jene Laien-Ensembles, die sich auf Wettbewerben besonders hervorgetan hatten – und damit die erwünschten künstlerischen und vor allem politischen Vorgaben erfüllten. Die sich dadurch bietende Möglichkeit einer Auslandsreise, unter Umständen gar ins westliche Ausland, bot einen weiteren Anreiz für 436 Herzog: Sozialistische Völkerfreundschaft, S. 21–22, 68–88, 100, 140. 437 Klotzsche, Volker und Sigrid Römer: Tanz in Sachsen. Betrachtung zum Amateur- und Volkstanz im 20. Jahrhundert, Norderstedt: BoD – Books on Demand 2006, S. 62–63; Walsdorf: Bewegte Propaganda, S. 152–154. 438 Vgl. dazu Schuhmann, Annette: Kulturarbeit im sozialistischen Betrieb. Gewerkschaftliche Erziehungspraxis in der SBZDDR 1946 bis 1970, Zeithistorische Studien 36, Köln 2006, hier insbesondere die Kapitel I u. III. 439 Walsdorf: Bewegte Propaganda, S. 213–214.
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die engagierte Mitarbeit in einer Laienkunstgruppe. Dabei galt: Nur wer sich während einer solchen Reise politisch konform verhielt, konnte damit rechnen, für weitere Reisen ausgewählt zu werden.440 Beim Austausch von Laienkunst- und Folklore-Kollektiven waren die Freundschaftsgesellschaften entweder selbst organisatorisch und konzeptionell verantwortlich, oder sie unterstützten andere Organisatoren, so beispielsweise den Austausch im Rahmen der Gebietspartnerschaften zwischen Gebieten der BSSR und DDR. Der Arbeitsplan der Gesellschaften (SSOD – SOD s GDR – DSF) legte für das Jahr 1972 einen Austausch von Laienkünstlerkollektiven über einen devisenfreien Austausch fest – ein devisensparendes und daher beliebtes Verfahren, bei dem jeweils der Gastgeber sämtliche Kosten im Inland übernahm. 441 Die Ensemble, die sich oft nach ihrem Betrieb oder Kulturhaus benannten, umfassten meist 20‒40 Sänger, Tänzer und Musiker, Männer und Frauen, die oft ganz unterschiedliche soziale und berufliche Hintergründe hatten. So bestand etwa das preisgekrönte Tanzensemble Radost aus Brest442, das sowohl 1966 als auch 1972 mehrere Gastspiele in der DDR gab, im Jahr 1960 aus 35 Personen: Schüler, Studenten und Lehrer, Arbeiter und Ingenieure sowie einer Krankenschwester.443 Das Folklore-Programm der Gruppen sollte nationale Volkstraditionen vermitteln. So finden sich im Programm belorussischer Gruppen etwa zu einem Viertel dezidiert belorussische (Volks-)Tänze und (Volks-)Lieder, von denen allerdings einige Neuschöpfungen gewesen sein dürften, wie etwa der von Moisseev geschaffene vermeintlich belorussische Volkstanz Bulba. Daneben gehörten zum Programm stets auch Lieder und Tänze der übrigen sowjetischen Völker, (Russland, Ukraine, Moldavien u. a.) ebenso wie Volkstänze und Lieder anderer Nationen, etwa der sozialistischen Bruderländer, aber auch aus Westeuropa. Seit Mitte der 1960er Jahre kamen vermehrt auf die Weltpolitik bezogene „Lieder und Tänze aus den um Freiheit und Unabhängigkeit ringenden Ländern Afrikas und Amerikas“ oder aus Vietnam zur Aufführung.444 Diese Praxis, durch die zentrale Vergabe von Noten und Choreographien zweifellos politisch beabsichtigt und gefördert, demonstrierte nach außen wiederum die internationale Offenheit der Sowjetunion, bediente gleichzeitig aber auch den internationalistischen ‚Bildungsanspruch‘ des sozialistischen Staates in Bezug auf die eigene Bevölkerung. Über diese rein politischen Motivationen hinaus mag die Beschäftigung mit der Volkskunst anderer 440 Herzog: Sozialistische Völkerfreundschaft, S. 108–110. 441 Vereinbarung über die Zusammenarbeit für das Jahr 1972, NARB f. 914, op. 4, d. 439, l. 72– 74. 442 Zum Ensemble Radost’, sowie einigen anderen, international tätigen Laienkunst- bzw. Volkstanzensembles vgl. Šadurskij: Kul’turnye svjazi, S. 139–140. 443 „Tanzensemble ‚Radost’ mit Gesangsgruppe und Instrumentalisten der Eisenbahnergewerkschaft aus Brest, Belorussische SSR“, ohne Datum, SAPMO-BArch DY 32/2240, unpag. 444 So enthielt das Jubiläumsprogramm anlässlich 50 Jahren Oktoberrevolution des Zentralen Tanzensembles der DDR neben Liedern und Tänzen aus sozialistischen Staaten auch Beiträge aus Afrika, Amerika und Vietnam und widmete sich zum Abschluss auch den Errungenschaften der DDR im Aufbau des Sozialismus: „Tausend Takte Tanz. Neues Programm des Zentralen Ensembles der DDR hat Premiere.“, in: Neue Zeit, 1.3.1967, S. 2.
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Völker auch den Interessen der Laienkünstler entsprochen haben, die oft genug kaum die Möglichkeit hatten, auf Auslandsreisen ‚echte‘ Erfahrungen mit fremden Kulturen zu sammeln. Inhaltlich hielten sich traditionelle Themen des täglichen (dörflichen) Lebens, humoristische Geschichten und spezifisch sozialistische Inhalte die Waage, wobei die Übergänge fließend gewesen sein dürften: Neu entstandene, aber traditionelle Lieder nachahmende Texte lobten das sozialistische Leben auf dem Lande in LPG oder Kolchos/Sowchos („Auf der Geflügelfarm. – Das Tanzbild spiegelt humorvoll den Alltag einer Geflügelzüchterin in unserem Jahrzehnt wieder.“445) und propagierten damit eine lichte Zukunft: „Die junge Sowjet-Generation, die mit Stolz und fröhlicher Selbstbewusstheit erfolgreich den Kommunismus aufbaut, versteht es beispielhaft, alte, schöne Traditionen heimatlicher Volkskunst mit der Lebensfreude und dem Lebensatem ihrer Zeit, des anbrechenden Zeitalters des Kommunismus zu verbinden.“446,
so ein vermutlich für die Presse geschriebener DSF-Bericht zu den Auftritten des Ensembles Radost. Ähnliches findet sich auch in Programmen deutscher Ensembles: Vor allem rund um 1960 entstandene Choreographien sollten „Mit der Gestaltung neuer Tänze dem sozialistischen Aufbau unserer Republik dienen!“. 447 So warb beispielsweise das recht bekannt gewordene Lehrstück „Die Einzelkuh“ für den Eintritt der Bauern in die LPGs.448 Daneben wurde auch revolutionäres bzw. Partisanen-Liedgut zum Besten gegeben und die allgegenwärtige Friedensthematik aufgegriffen („Meinst Du, die Russen wollen Krieg!“, „Die Waffen sollen für immer ruhn.“) – auch dies ein Zeichen für den Einfluss aktueller politischer Themen in der (auswärtigen) Kulturpolitik. Jedoch kamen nicht ausschließlich sozialistische Inhalte zum Tragen: So wurden mit „Kein schöner Land“ oder „Im Krug zum grünen Kranze“ durchaus auch traditionelle deutsche Volksweisen angestimmt, das besagte Ensemble Geschichten aus dem Havelland beendete sein Programm in Minsk bezeichnenderweise aber mit einem gemeinsamen „Drushba/Freundschaft“-Singen.449
445 Aus dem Programm des Staatlichen Tanzensembles der BSSR zu den Kulturtagen in der DDR 1966, SAPMO-BArch DY 32/2237, unpag. 446 „‚Radost’ (‚Freude‘) bringt Freude (Radost’): Gastspiel eines Volkskunstensembles aus Brest, BSSR, zu den ‚Tagen der sowjetischen Kultur in der DDR, 1966‘“, ohne Datum, SAPMOBArch DY 32/2240, unpag. 447 Bekanntmachung, in: der tanz 4 (1958), S. 18, zitiert nach: Walsdorf: Bewegte Propaganda, S. 162. 448 Ebd., S. 162–167. 449 Zu Zusammensetzung und Inhalt der Programme vgl. die Programme verschiedener Volkstanz-Ensembles: Programmfolge des Ensembles Radost (1966), Programm der Konzertgruppe des Volksensembles des Liedes und Tanzes der Stadt Molodetschno (1967), Programm des Gastspiels der künstlerischen Laiengruppe der Stadt Minsk (1967), alle SAPMO-BArch DY 32/2240 unpag.; Spielfolge des Staatlichen Tanzensembles der BSSR (1967), SAPMO-BArch DY 32/2237, unpag.; Programm eines Laienkunstensembles aus Witebsk (1976), BLHA Rep. 730, Nr. 4780, unpag.; Vorlage für das Sekretariat der SED-BL Potsdam: Ablaufplan des Kulturprogramms in Minsk, 20.9.1979, SAPMO-BArch DY 30/IV B 2/5/1367, unpag.
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Trotz der recht offenkundigen politischen Indienstnahme der Ensembles erfreute sich diese Form des Kulturaustausches offenbar großer Beliebtheit – sowohl bei den Teilnehmern der Ensembles als auch bei den Zuschauern vor Ort. Was sowjetische Ensembles in der DDR bzw. SBZ anbelangt, ist mindestens für die unmittelbare Nachkriegszeit dokumentiert, mit welch großer Begeisterung folkloristische Tanz- und Musikdarbietungen durch das deutsche Publikum aufgenommen wurden.450 Für den Untersuchungszeitraum zeigen die Quellen ein ähnliches Bild. So standen auf der einen Seite die zu erwartenden Erfolgsmeldungen der DSF bzw. der zuständigen Gewerkschaftsfunktionäre: Sie beobachteten große Begeisterung auf Seiten der Zuschauer, berichteten von Blumengrüßen und Geschenken aus dem Publikum für die Künstlerinnen und Künstler und hoben als immer wieder verwendete Schlussformel den positiven Einfluss der Auftritte für die deutsch-sowjetische Freundschaft hervor.451 Für die Glaubwürdigkeit solcher Aussagen spricht, dass auch Laienkunstkollektive selbst oft von einer äußerst positiven Resonanz auf ihre Auftritte berichteten, so zum Beispiel der Leiter des 1967 in der DDR gastierenden Ensembles aus Molodečno: „Als das Konzert begann, begrüßten uns die Zuschauer warmherzig. Fast jedes Stück des Programms mussten wir zweimal wiederholen. Nach Äußerungen der Zuschauer […] hatte die meisterhafte Aufführung unserer traditionellen Tänze und Lieder buchstäblich ihre Herzen erobert.“452
Nachdem das Ensemble zum Abschluss seines Konzertes die FDJ-Hymne vorgetragen hatte, skandierte der ganze Saal, so der Bericht weiter, für zehn Minuten den Slogan: „Freundschaft! Družba!“, ein häufiger überliefertes Ritual, das in seiner affirmativen Wirkung nicht zu unterschätzen ist. Die Auftritte des Brester Ensemble Radost zu den belorussischen Kulturtagen 1966 war, trotz organisatorischer Schwierigkeiten im Vorfeld, offenbar sogar so erfolgreich, dass der DSFVorstand gegenüber dem SSOD-Vertreter der sowjetischen Botschaft in Berlin eine erneute Einladung bereits für das kommende Jahr aussprach.453 Mehr Skepsis ist dagegen in Bezug auf die immer wieder angeführten, ausgesprochen hohen
450 Behrends: Erfundene Freundschaft, S. 233–237. 451 Vgl. dazu exemplarisch folgende Berichte: „Information über den Besuch des Volkskunstensembles ‚Jugend‘ aus Witebsk im Bezirk Frankfurt/Oder vom 1.10.–10.10.1970“ für die SED-BL, 14.10.1970, BLHA Rep. 730, Nr. 3589, unpag.; DSF Bezirksvorstand Gera an ZV der DSF zum Auftritt eines Laienensembles aus Minsk, 17.1.1968, SAPMO-BArch DY 32/2240, unpag.; Bericht über Betreuung und Einsatz des Vitebsker Ensembles durch Bezirksvorstand der Gewerkschaft Kunst, Frankfurt/Oder an die SED BL, 9.10.1974, BLHA Rep. 730, Nr. 4779, unpag. 452 „Auskunft über die geleistete Arbeit der Konzertgruppe des Ensembles für Volkslied und Tanz Molodečno in der DDR“, Direktor des örtlichen Hauses für künstlerisches Volksschaffen an die BELOD 1967, ohne Datum, NARB f. 914, op. 4, d. 226, l. 157–160. 453 Ebd; vgl. dazu auch den ebenfalls positiven Bericht einer Gruppe von Laienkünstlern aus Vitebsk, 1974, GAVO f. 1p, op. 137, d. 73, l. 85–86; sowie „Information ‚Über die Tage der sowjetischen Kultur in der DDR‘ 5.–13. November 1966“, Botschaftsattaché der UdSSR in der DDR u. Vertreter der SSOD in der DDR, 30.11.1966, GARF f. R-9576, op. 4, d. 260, l. 46–51.
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Besucherzahlen angebracht. Durchschnittlich verzeichnen die Berichte über die belorussischen Laienkunstensembles etwa 500–600 Zuschauer pro Konzert, bei einer Tournee die jeweils um die acht Auftritte umfasste. 454 Das Staatliche Tanzensemble der BSSR hatte sogar noch deutlich mehr Zuschauer und Auftritte. Allerdings spricht die ‚Verteilungspraxis‘ der Eintrittskarten für sich: Ein Großteil der Eintrittskarten für das Staatliche Tanzensemble wurden über Massenorganisationen oder (betriebliche) Einrichtungen verteilt, um möglichst hohe Besucherzahlen sicherzustellen – ungeachtet der Frage, ob ein Ausverkauf der Konzerte möglicherweise nicht auch ohne diese ‚Vorsichtsmaßnahme‘ erfolgt wäre.455 Auch in Bezug auf die Laienkunstensembles überließen die DSF und die zuständigen Parteifunktionäre wenig dem Zufall: Eine „volle Auslastung der Platzkapazitäten“ wurde durch „organisierten Besuch […] gesichert“ und zwar, so ein Bericht an die SED-BL Frankfurt/Oder, wesentlich besser, als das über die Künstleragenturen geschehe. Man habe dadurch auch zahlreiche Arbeiter und Genossenschaftsbauern für die Veranstaltungen gewinnen können und damit „wesentliche Grundsätze kultureller Auslandsbeziehungen mit sozialistischen Ländern realisiert“.456 Dass diese Art der ‚Organisation‘ auch ihre Tücken hatte, zeigt allerdings ein Bericht aus dem Jahre 1974. Auch hier hatte man den Besuch eines „Freundschaftsmeetings“, bei dem ein Laienkunstensemble aus Novopolock auftrat, entsprechend ‚abgesichert‘. Der zuständige Gewerkschaftsvertreter vermerkte in seinem Bericht indigniert, die Veranstaltung sei, insbesondere während der Ansprachen, „durch das Weinen von Säuglingen und Kleinkindern“ gestört worden – entweder ein Hinweis auf fehlende Kinderbetreuung für die Mitarbeiter des Werkes in Eisenhüttenstadt oder ein bewusster Protest gegen die Abordnung zum Besuch der Veranstaltung.457 Für den Besuch deutscher Laienkunstensembles ergeben die ausgewerteten Quellen ein weniger klares Bild. Während die Berichte der BELOD meist nur stichwortartig die Auftritte entsprechender Ensembles anführten, wie etwa die Auftritte des Staatlichen Ensembles für Sorbische Volkskunst bzw. des Laienkunstensembles des Hauses der DSF in Leipzig im Jahre 1974, finden sich kaum detaillierte Schilderungen der Konzertreisen deutscher Gruppen. Lediglich im Rahmen der Bezirkspartnerschaft Frankfurt/Oder – Vitebsk ist ein solcher Bericht überliefert, der eine ausschließlich positive Bilanz der Auftritte zieht: Vor fast „5000 Sowjetbürgern“ sei das Ensemble erfolgreich während seiner sieben Gast-
454 Vgl. zu den Besucherzahlen die bereits aufgeführten Berichte in den Anmerkungen 446, 449, 451, 452. 455 Vgl. S. 106–108 dieser Arbeit zu Auftritten und Vergabepraxis der Karten anlässlich des Gastspiels des Staatlichen Tanzensembles der BSSR zu den Tagen der sowjetischen Kultur 1966. 456 Bericht der Abt. Wissenschaft/Volksbildung/Kultur der SED-BL Frankfurt/Oder an das ZK der SED über die Kulturbeziehungen zu den Partnergebieten, 23.4.1975, BLHA Rep. 730, Nr. 4759, unpag. 457 „Bericht über den Besuch der Delegation aus Witebsk“, Gruppe II, Redmann, ohne Datum, BLHA Rep. 730, Nr. 4779, unpag.
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spiele aufgetreten; außerdem habe man das Programm im belorussischen Fernsehen übertragen, was offenbar unmittelbare Reaktionen hervorrief: „So wie der Vorsitzende des Komitees für Fernsehen des Gebietes Witebsk mitteilte, ist aus 10 Orten des Gebietes die Bitte eingegangen, bei einem nächsten Eintreffen eines DDREnsembles unbedingt ihre Orte zu berücksichtigen.“458
Besondere Begeisterung rief wohl hervor, dass das Ensemble auch in kleineren Orten der Oblast’ auftrat, die nur selten in den Genuss ausländischer Kulturgruppen kamen. Waren in der BSSR häufig internationale Künstler zu Gast – Šadurskij gibt an, dass im Jahr 1973 zehn Prozent aller internationalen Gastspiele der UdSSR in der BSSR stattgefunden hätten – so konzentrierte sich der Großteil dieses kulturellen Angebotes jedoch auf die Hauptstadt Minsk oder, schon deutlich weniger, auf Gebiets-(Oblast’) oder Kreis-(Rayon)Zentren.459 Insgesamt dürfte Jan Behrends’ für die DDR getroffene Einschätzung bezüglich der Rezeption sowjetischer Folklore auch auf die BSSR übertragbar sein: Trotz der staatlichen Versuche einer Politisierung dieser, wenn auch adaptierten, Volkstraditionen, überwog in vielen Fällen wohl der Unterhaltungswert musikalischer Darbietungen, wie sie etwa Vorträge und organisierte Freundschaftstreffen nie entfalten konnten. Für das deutsche Publikum bot die spezifische sowjetische Folklore, insbesondere in der unmittelbaren Nachkriegszeit, außerdem eine Anknüpfung an vorrevolutionäre Traditionen und damit bekannte Muster: Sowjetische Folklore wurde in erster Linie als russische Volkskunst wahrgenommen, für die der deutsche Zuschauer ein festes Schema im Kopf hatte: Melancholie und Leidenschaft, Kosaken und russische Seele – dies alles vermittelte zunächst Vertrautheit in der unbekannten Sowjetwelt.460 Diese Einschätzung mag zum Teil auch noch für die 1960er und 1970er Jahre Bestand gehabt haben. Hinzu kam außerdem eine auch in der DDR entfachte Begeisterung für das künstlerische Volksschaffen, insbesondere Volkskunst im Sinne von Folklore, so dass sich die Auftritte sowjetischer Ensembles zunehmend mit der Interessen- und Erfahrungswelt deutscher Laienkünstler, aber auch der Bevölkerung allgemein deckten.461 Ähnliches dürfte sich auch für die Wahrnehmung deutscher Volkskunstgruppen in der BSSR konstatieren lassen. Die fremde (deutsche) Kulturdarbietung mischte sich mit aus der Alltagswelt Bekanntem; die deutschen ‚Freunde‘ bewiesen auch durch ihre Art der Freizeitbeschäftigung, dass sie in der sozialistischen Völkergemeinschaft angekommen waren. Damit verwischten aber bis zu einem gewissen Grad, und durch die Machthaber der sozialistischen Staaten gewollt, gerade die Grenzen des Nationalen, das in Volkstanz und Lied vermeintlich gepflegt werden sollte. Dies umso mehr bei den sowjetischen Gruppen, die häufig als russische Ensembles wahrgenommen wur458 Kurzer Bericht über den Auftritt des Frankfurter Laienkunstensembles in Vitebsk an die SED-BL Frankfurt/Oder, 13.10.1970, BLHA Rep. 730, Nr. 3589. 459 Šadurskij: Kul’turnye svjazi, S. 141–142. 460 Behrends: Erfundene Freundschaft, S. 233–234. 461 Für die Entstehung der Folklore-Welle in der DDR vgl. Klotzsche/Römer: Tanz in Sachsen, insbesondere Kap. 6.
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den und daher vermeintlich „typisch russische Folklore in Gesang und Tanz“ zeigten, auch wenn sie, wie hier im Fall des Ensembles Raduga, aus Minsk stammten.462 Allein in der Zeit von 1965‒1972 besuchten im Rahmen des zentralen Plans der kulturellen Zusammenarbeit 54 Volkskunstensemble die DDR – darunter 19 aus der RSFSR und, an zweiter Stelle mit je sechs Gruppen, der Belorussischen sowie der Georgischen SSR.463 Bedenkt man jedoch diese hohe Zahl und die Ähnlichkeiten in Programm und Aussehen – auch die in der Presse meist nur als „farbenfroh“ beschriebenen Kostüme der Gruppen entsprachen oft eher (einheitlichen) choreographischen Bedürfnissen als tatsächlichen historischen Vorbildern – darf bezweifelt werden, dass ein durchschnittlicher deutscher Zuschauer große Unterschiede zwischen Vertretern einzelner Sowjetnationen festmachen konnte. Für die Planer und Organisatoren der auswärtigen Kulturpolitik war dies aber ohnehin weniger wichtig als die damit verbundene politische Wirkung. Auch in der DDR diente Volkstanz vor allem der Bindung an den sozialistischen Staat: „Die pädagogische Bedeutung der Folkloreaneignung […] für die Festigung der politischideologischen Haltung sozialistischer Persönlichkeiten erreicht eine qualitativ neue Stufe. Wir brauchen sie, um den patriotischen Stolz auf die sozialistische Heimat zu festigen […]. Besonders unsere Kinder und Jugendlichen müssen wissen, welchen Traditionen wir verpflichtet sind […].“464
Dabei hatte sich der Kreis dieser „verpflichtenden Traditionen“ seit der ErbeDiskussion der 1970er Jahre vergrößert; neben das so genannte progressive, humanistische, klassische Kulturerbe465 trat nun, im Sinne einer „kritischen Aneignung“, die in einer herangereiften sozialistischen Gesellschaft möglich sei, auch bislang verpöntes Kulturgut, wie zum Beispiel Werke der Romantik. Im Bemühen, die Existenz einer spezifisch sozialistischen, humanistischen deutschen Kultur in Abgrenzung von der kapitalistisch-bürgerlichen Kultur der Bundesrepublik zu beweisen, entspann sich in der DDR eine Debatte über Erbe, Tradition und Nation, die es Geisteswissenschaftlern ermöglichte, sich mit zuvor als bürgerlich eingestuften Aspekten der deutschen (Kultur-)Geschichte zu befassen – darunter
462 „Abschlußbericht über den Aufenthalt des 7. Freundschaftszuges Minsk – Potsdam beim Bezirksvorstand des FDGB Potsdam vom 5.–10. November 1980“, 6.1.1981, BLHA Rep. 530, Nr. 6513, unpag. 463 „Ensemble – zumeist Volkskunst – im Rahmen des Planes der Zusammenarbeit“, ohne Datum, SAPMO-BArch DY 32/2244, unpag. 464 Oeser, Horst: „Erbe – Auftrag und Verpflichtung. Ein Beitrag zur Beantwortung theoretischer und praktischer Fragen der Folkloreaneignung“, Vortrag auf dem I. Kolloquium des Staatlichen Folklore-Ensembles der DDR und dem Zentralhaus für Kulturarbeit der DDR, September 1974, zitiert nach: Klotzsche/Römer: Tanz in Sachsen, S. 102. 465 Dieses humanistische deutsche Kulturerbe umfasste insbesondere die deutsche Klassik sowie den Realismus des 19. Jahrhunderts, wohingegen Stilrichtungen des frühen 20. Jahrhunderts in den kulturpolitischen Debatten der frühen 1950er Jahre als Formalismus verunglimpft und zugunsten eines Sozialistischen Realismus in Kunst und Literatur unterdrückt wurden. Vgl. dazu: Jäger, Manfred: Kultur und Politik in der DDR. 1945–1990, 2. erw. Aufl., Köln 1994, S. 19–22, 34–39.
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sogar mit dem preußischen Erbe.466 Diese Veränderungen betrafen auch die Folklore-Szene, die sich Mitte/Ende der 1970er Jahre von Bühnendarbietungen im sowjetischen Stil weiterentwickelte und nun versuchte, die den Volkstraditionen enthaltenen lokalen und regionalen Gemeinschaftsbeziehungen wiederaufleben zu lassen, wie der folgende Boom an Folklore- und Volksfesten deutlich machte. Volkstanz wurde mehr und mehr zu einer Mitmachbewegung und schuf Nischen des Nonkonformismus im staatlich kontrollierten (Jugend-)Kulturbetrieb.467 Im Baltikum, insbesondere in Estland, entwickelte sich aus der staatlich geförderten sowjetischen Form der Folklore gar eine Folklore-Protestbewegung, die in die Singende Revolution Ende der 1980er Jahre mündete.468 All dies hatte allerdings wenig gemeinsam mit dem, was im Rahmen der staatlich organisierten Freundschaftsbeziehungen zwischen der DDR und der belorussischen SSR vermittelt wurde; zu Auslandsreisen vorgeschlagene Ensembles mussten nach wie vor staatlichen Auswahlkriterien genügen.469 Es leuchtet ein, wenn Herzog für Estland konstatiert: „Trotz aller Propaganda und ideologischer Indoktrinierung war die sowjetisierte Form der Volkskunst geeignet, nationale Identität zu transportieren.“470 – dies bedeutete aber nicht unbedingt und in allen Sowjetrepubliken, dass sich diese Identität im Gegensatz zu einer sowjetischen sah. Vielmehr vermittelte gerade das Laienkunstschaffen im Bereich der Volkskunst systemkonforme Freizeitbeschäftigungen, die einerseits national-kulturelle Eigenständigkeit suggerierten, andererseits durch die Angleichung der Formen des Volkskunst- bzw. Laienkunstschaffens Erkennungswerte über nationale Grenzen hinaus lieferte und damit die internationalistische Propaganda einer sozialistischen Völkerfamilie erfahrbar machte. Zwar hatten sich auch in Belarus zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Folge der aufkommenden nationalen Bewegung Folkloregruppen gegründet, die sich mit einer spezifisch weißrussischen Volkskunst beschäftigten, jedoch gab es dazu offenbar keinerlei Anknüpfungspunkte zu Zeiten der Perestrojka Ende der 1980er 466 Horn, Anette: Kontroverses Erbe und Innovation. Die Novelle „Die Reisebegegnung“ von Anna Seghers im literaturpolitischen Kontext der DDR der siebziger Jahre, Frankfurt am Main 2005, S. 42–44; Maffeis, Stefania: Zwischen Wissenschaft und Politik. Transformationen der DDR-Philosophie 1945–1993, Frankfurt 2007, S. 169–170. 467 Zu diesen neuen Impulsen in der DDR-Folkloreszene vlg. Klotzsche/Römer: Tanz in Sachsen, insbesondere Kap. 8; sowie Walsdorf: Bewegte Propaganda, S. 185–189. 468 Vgl. dazu Herzog: Sozialistische Völkerfreundschaft; Berndsen, Silke: „Die Lieder der ‚Singenden Revolution‘“, in: Hoffmann, Frank (Hrsg.): „Die Erfahrung der Freiheit.“ Beiträge zu einer Kulturgeschichte der Europäischen Revolution 1989/91, Münster, S. 71–94. 469 Ein gutes Beispiel für die in der DDR erfolgte Rückbesinnung auf ‚authentische‘ Volkskunst und die gleichzeitige Entstehung einer politischen Folkszene ist ein im Rahmen der Gebietspartnerschaft Potsdam–Minsk in die BSSR entsendetes Folkloreprogramm aus dem Jahr 1979. Das Programm selbst war zweigeteilt: Während die FDJ-Singegruppe Cantare Revolutions- und Kampflieder sowie internationale (politische) Folklore zum Besten gab, beschränkte sich das Ensemble Geschichten aus dem Havelland auf ein rein volksmusikalisches Programm mit sehr traditionellen Inhalten ohne sozialistische Anklänge. SED-Bezirksleitung Potsdam, Protokoll der Sitzung des Sekretariats der Bezirksleitung am 27.9.1979, SAPMOBArch DY 30/ IV B 2/5/1367, unpag. 470 Herzog: Sozialistische Völkerfreundschaft, S. 183.
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Jahre. Die neue nationale Bewegung fand Kristallisationspunkte in anderen Bereichen, darunter etwa der Frage nach einer Reaktivierung der weißrussischen Sprache.471 Heutige belarussische Folklore scheint dagegen in sowjetischen Formen erstarrt zu sein und auch weiterhin vor allem staatliche Ansprüche zu erfüllen.472 3.3.2.3 Die weißrussische Sprache in der auswärtigen Kulturpolitik473 Im April 1989, als die Veränderungen mit Glasnost’ und Perestrojka unter Michail Gorbatschow längst auch die belorussische SSR erreicht hatten, berichtete das DDR-Generalkonsulat den Genossen im ZK der SED über ein bemerkenswertes Gespräch mit dem ersten Sekretär des Minsker Gebietsparteikomitees: Der belorussische Funktionär zeichnete dabei ein recht ernüchterndes Bild der ‚Erfolge‘ der sowjetischen Nationalitätenpolitik und äußerte sich ausgesprochen desillusioniert und kritisch insbesondere über die Rolle der weißrussischen Sprache in der belorussischen, sowjetischen Gesellschaft: Sie spiele, bedingt durch eine falsche sowjetische Politik der letzten Jahrzehnte, kaum noch eine Rolle, sie sei vernachlässigt, als „niedere Kultur“ gering geschätzt und sogar verachtet worden. Nur noch Schriftsteller und Philologen bedienten sich heutzutage einer „sauberen“ belorussischen Sprache, denn selbst auf dem Land fände man starke Einflüsse des Russischen. Gleichzeitig habe diese Entwicklung auch Rückwirkungen auf die belorussische Kultur und Geschichte gezeigt und dazu geführt, dass die belorussische Nation (!) in der Welt weniger bekannt sei als beispielsweise die ukrainische.474 Damit stellte der KPB-Funktionär – was fünf Jahr zuvor noch undenkbar gewesen wäre – der sowjetischen Sprach- und Nationalitätenpolitik ein vernichtendes Zeugnis aus. Entgegen aller Behauptungen, gerade auch gegenüber ausländischen Partnern, von einer kulturellen Förderung der verschiedenen Völker der Sowjetunion hatte sich die Situation der weißrussischen Sprache im Laufe der 471 Schybeka: „Die Nordwestprovinzen im Russischen Reich (1795–1917)“, S. 131–132. In der BSSR führten vor allem das Reaktorunglück von Tschernobyl 1986 sowie die Entdeckung eines Massengrabes der Opfer stalinistischer Säuberungen im Gebiet von Kurapaty zur Entstehung einer demokratischen, später nationalen Bewegung. Vgl. dazu Marples: „Die Sozialistische Sowjetrepublik Weißrußland (1917–1945)“, S. 173–175. 472 Vgl. dazu Shved, Inna: „Die Folklorefestival-Bewegung in Belarus“, in: Näumann, Klaus (Hrsg.): Festivals popularer Musik: Tagungsbericht Köln 2010 der Kommission zur Erforschung musikalischer Volkskulturen in der deutschen Gesellschaft für Volkskunde e.V., München 2012, S. 184–190. 473 Auf die Verwendung des Deutschen in der auswärtigen Kulturpolitik der DDR soll hier nicht näher eingegangen werden, weil sich in diesem Zusammenhang ja eben keine Diskrepanz zwischen Sprache und vermittelter Nationalkultur ergab. Zur Sprachverbreitungspolitik der DDR auch in den sozialistischen Staaten hat Martin Praxenthaler eine umfangreiche Studie vorgelegt, vgl. dazu: Praxenthaler: Sprachverbreitungspolitik. 474 „Vermerk über ein Gespräch mit dem Sekretär des Minsker Gebietskomitees der KPB, Atroschtschenko, Wladimir Danilowitsch, am 6.4.1989“, 10.4.1989, SAPMO-BArch DY 30/12403, 144–151.
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Sowjetzeit zunehmend verschlechtert. War es zunächst im Laufe der 1920er Jahre zu einem Aufblühen und zu einer dezidierten Förderung weißrussischer Kultur und Sprache durch die Zentrale in Moskau gekommen, so änderte sich dies signifikant mit dem Beginn der 1930er Jahre. Unter Stalin wurde die frühere Nationalbewegung verfolgt, weite Teile der belorussischen Intelligenz fielen den stalinistischen Repressionen und Säuberungen zum Opfer. Das Tauwetter unter Chruschtschow führte Ende der 1950er Jahre zwar zunächst durch die Rückbesinnung auf die Leninsche Nationalitätenpolitik der 1920er Jahre zu einer Liberalisierung in vielen Bereichen und ermöglichte, wie das am Beispiel der Kulturtage gezeigt wurde, zumindest zeitweise eine stärkere Betonung der Titularnationalitäten475 der einzelnen Sowjetrepubliken. Paradoxerweise fiel gerade in diese Zeit aber auch eine der einschneidensten Entscheidungen der sowjetischen Sprachenpolitik, nämlich eine Schulreform in den Jahren 1958/59, die die bisherige obligatorische Zweisprachigkeit des Schulunterrichts beendete: Eltern konnten nun wählen, in welcher Sprache ihre Kinder unterrichtet werden sollten, ob in Russisch oder der jeweiligen Nationalsprache, was gerade in der BSSR zu einer starken Förderung des Russischen führte, da es für Berufsaussichten und zukünftige Karrierechancen innerhalb der Sowjetunion eine wichtigere Rolle spielte. Obwohl das Tauwetter der Chruschtschow-Jahre in der belorussischen Literatur teilweise zu einer Rückbesinnung auf die Nationalsprache führte, hatte dies also kaum Bedeutung für den überwiegenden Teil der Bevölkerung und die Verwendung der weißrussischen Sprache im täglichen Leben.476 Diese Situation spiegelte sich weitgehend in der Arbeit der Freundschaftsgesellschaft wider. Russisch, als Amts- und Verwaltungssprache, bestimmte die interne Kommunikation der Gesellschaft ebenso wie den schriftlichen Austausch mit ausländischen Partnern. Als, wie es scheint, eher ornamentales Beiwerk führte sie auf ihrem offiziellen Briefkopf neben bzw. noch vor der russischen auch die weißrussischsprachige Bezeichnung (Belaruskae tavarystva družby i kul’turnaj suvjazi z zarubežnymi krainami) der Gesellschaft, jedoch ohne jegliche Konsequenzen in Bezug auf die Sprachverwendung.477 Dies mag in erster Linie prakti475 Grundlegend anders wirkte sich die sowjetische Nationalitätenpolitik auf Völker ohne eigenes Staatsgebiet im Sinne einer Republik aus; sie lebten in so genannten Autonomen Republiken (20), Autonomen Gebieten (8) und Nationalen Kreisen (10) innerhalb der 15 Sowjetrepubliken – vornehmlich der RSFSR – und besaßen durch diese Hierarchisierung der Ethnien wesentlich weniger Rechte, etwa auf politische Mitbestimmung als die Titularnationen der Sowjetrepubliken. Vgl. dazu Zisserman-Brodsky, Dina: Constructing ethnopolitics in the Soviet Union. Samizdat, deprivation and the rise of ethnic nationalism, New York u.a. 2003, S. 24; sowie Arnold, Jürgen: „Zur staatsrechtlichen Stellung der nationalen Gebietseinheiten der Sowjetunion“, in: Schroeder, Friedrich-Christian, Ludwig Bauer und Boris Meissner (Hrsg.): Bundesstaat und Nationalitätenrecht in der Sowjetunion, Berlin 1974, S. 69–96. 476 Bieder, Hermann: „Die erste und zweite Wiedergeburt der weißrussischen Sprache und Kultur. Weißrussisch, Russisch und Polnisch in Weißrussland unter dem Aspekt der Sprachpolitik und Sprachsoziologie“, in: Bieber, Ursula (Hrsg.): Georg Mayer zum 60. Geburtstag, München 1991, S. 405–451, hier S. 408–415. 477 Vgl. z. B. den Briefkopf eines russischsprachigen Schreibens an den ZV der DSF vom 20.5.1965 zur Durchführung von Kulturveranstaltungen. Der offizielle Briefkopf der BELOD
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sche Gründe gehabt haben: Nicht nur bei der Kommunikation mit anderen Sowjetrepubliken bzw. der Moskauer Zentrale hatte sich das Russische als Lingua Franca durchgesetzt, sondern auch innerhalb des Ostblocks und der sozialistischen Bruderstaaten.478 Auch außerhalb dieses Kreises und in den westlichen Partnergesellschaften dürfte die Verwendung des Russischen (dortige Fremdsprachenkenntnisse, mögliche Übersetzer in den Partnerländern etc.) die Kommunikation erheblich erleichtert haben.479 Entsprechend entstanden auch Informationsmaterialien über die BSSR überwiegend in russischer Sprache, sogar das Informationsperiodikum der belorussischen Freundschaftsgesellschaft selbst wurde nie auf Weißrussisch herausgegeben.480 Auch in der DDR war man nicht an Materialien in weißrussischer Sprache interessiert, was zu Beginn der Zusammenarbeit, bezeichnenderweise während der sowjetischen Tauwetterperiode, zu einigen Irritationen auf belorussischer Seite führte. So hatte sich nämlich der Leiter der Abteilung Internationale Verbindungen der DSF an die BELOD gewandt, um die weitere Zusendung belorussischer Presseerzeugnisse in weißrussischer und russischer Sprache zu stoppen. Diese könnten einerseits nicht übersetzt werden, weil die DSF nicht über entsprechende Übersetzer verfüge, andererseits ziehe die Gesellschaft es vor, sich in sowjetischen Zentralorganen über die Entwicklung der einzelnen Republiken zu informieren. Lediglich für Materialien, die dem „Austausch von Arbeitserfahrungen“, also etwa dem Erfolg von „Brigaden der kommunistischen Arbeit“ in Industrie und Landwirtschaft zweckdienlich seien, interessiere man sich. Damit hatte die DSF der belorussischen Sprache und Kultur zunächst eine klare Absage erteilt – offenbar ein klarer Affront für die Gegenseite. In einem an Georg Handke, den Präsidenten der DSF, gerichteten Schreiben äußerte Kozlov, Vorsitzender des Präsidiums der BELOD, sein Unverständnis über dieses Desinteresse und forderte eine Bestätigung dieser Haltung von oberster Stelle. Die Antwort, diesmal vom Leiter des Sekretariats des Zentralvorstandes Fritz Beyling, fiel zwar apologetisch, aber dennoch eindeutig aus: Nicht nur an die BELOD sei ein derartiges ist dabei zweigeteilt: links, und damit an erster Stelle, finden sich Bezeichnung und Kontaktdaten der Gesellschaft auf Weißrussisch, auf der rechten Seite das gleiche in russischer Sprache. SAPMO-BArch DY 32/576, unpag. 478 Wingender, Monika: „Die slavischen Sprachen in Europa“, in: Hinrichs, Uwe (Hrsg.): Handbuch der Eurolinguistik, Wiesbaden 2010, S. 189–208, hier S. 193. 479 So schickte die BELOD auch an die ständige Vertretung der BSSR bei der UNO Informations- und Propagandamaterialien nur auf Russisch oder Englisch; offensichtlich bestand nicht das Bedürfnis, die weißrussische Sprache im Rahmen dieser Institution zu vertreten. Vgl. Briefwechsel Smirnov (Vorsitzender des Präsidiums der BELOD) mit Astapenko (ständiger Vertreter der BSSR bei der UNO/New York), Februar/März 1962, NARB f. 914, op. 4, d. 10, l. 9, 25–26. 480 Vgl. dazu entsprechende Listen mit Informationsmaterialien in ausschließlich russischer Sprache in z. B. folgenden Dokumenten: Verschiedene Texte zur Entwicklung der BSSR im Jahre 1961, SAPMO-BArch DY 32/5020, unpag.; Plenum der BELOD: Über die Aufgaben zur Vorbereitung des 100. Geburtstages V. I. Lenins, 19.5.1969, NARB f. 914, op. 4, d. 309, l. 1–51. Zum Periodikum Sovetskaja Belorussija Segodnja vgl. Informationsbrief Nr. 6 des methodischen Kabinetts der SSOD, NARB f. 914, op. 4, d. 86, l. 136–143, hier 137.
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Schreiben gegangen, sondern aus arbeitsmäßigen und sprachlichen Gründen auch an andere Republikgesellschaften. An einem Erfahrungsaustausch sei man jedoch weiterhin interessiert. Weiterer Schriftwechsel zu dieser Frage ist nicht überliefert; es ist jedoch zu anzunehmen, dass sich die Berliner Seite durchaus in Übereinstimmung mit der Moskauer SSOD-Zentrale wusste. Möglicherweise zog auch die Leitung der BELOD diesbezügliche Erkundigungen ein, denn erst drei Monate später wurde das Schreiben mit dem handschriftlichen Vermerk „Zur Kenntnisnahme“ an die Abteilung für sozialistische Länder übergeben. 481 Damit hatte sich bereits unmittelbar nach Neugründung der BELOD erwiesen, dass die deutschen Genossen keinerlei Kapazitäten für die Bearbeitung weißrussischsprachiger Materialien aufbringen würden. Allerdings schien es auch in punkto Russischkenntnissen durchaus einigen Nachholbedarf zu geben: Im Oktober 1960 wandte sich Kozlov erneut an Beyling mit dem Hinweis, bei zukünftig versandten Fotoserien möglichst auf aufgedruckte Bildunterschriften zu verzichten. Die russischsprachigen Bildunterschriften zur Serie (100 Exemplare!) „Wie lebt der Arbeiter in der DDR?“ seien so fehlerhaft gewesen, dass die Mitarbeiter der BELOD erst in mühevoller Kleinarbeit neue Unterschriften hätten aufkleben müssen.482 Welche weitere Absicht dahintersteckte, dass Kozlov im Dezember 1960 einen zwölfseitigen Artikel zum 100jährigen Geburtstag E.F. Karskijs, „Begründer der belorussischen Sprachwissenschaft und belorussischer Philologe“, an „Genossen Beyling“ schickte, muss Vermutungen überlassen bleiben.483 Für die Folgezeit gehen jedoch keine weiteren Probleme in dieser Richtung aus den Quellen hervor – schließlich dürfte sich die Zusammenarbeit beider Gesellschaften auch stärker eingespielt haben und entlang vorgegebener Bahnen vonstattengegangen sein. Wenn schon nicht die deutsche Freundschaftsgesellschaft, so zeigte mindestens die DDR-Wissenschaft ein gewisses Interesse an der belorussischen Sprache, wenn auch nicht aus rein wissenschaftlichen Gründen. So berichtete ein Professor der Slavistik der Belorussischen Staatlichen Lenin-Universität (Belorusskij gosudarstvennyj universitet imeni V.I. Lenina, BGU) von einer Dienstreise im Jahr 1972 nach Jena, Leipzig und Berlin, die deutschen Kollegen hätten sich sehr für die Entwicklung der belorussischen Sprache interessiert: „Es muss betont werden, dass dieses Interesse mit dem Aufkommen einiger Arbeiten zur Belorussistik in der BRD in den letzten Jahren zusammenhängt; die Slavisten der DDR meinen, dass sie in dieser Beziehung nicht hinter den westdeutschen Linguisten zurückbleiben dürfen. Gleichzeitig muss berücksichtigt werden, dass, wenn man in der BRD bisweilen Personen zur Lehre oder Forschung über die belorussische Sprache heranzieht, und zwar wenig in Verbindung mit Wissenschaft, sondern vielmehr mit der antisowjetischen Emigration zusammenhängend, dann die DDR die Möglichkeit hat, sich bei ihren Arbeiten zur Belorussistik auf die Beratung und Hilfe sowjetischer Spezialisten zu stützen. Ich kann mir vor-
481 Vgl. den Briefwechsel zwischen DSF und BELOD vom 10.12.1959 bis 5.1.1960, SAPMOBArch DY 32/10726 unpag. sowie NARB f. 914, op. 3, d. 62, l. 10–12. 482 Schreiben Kozlov an Beyling, 14.10.1960, SAPMO-BArch DY 32/10726, unpag. 483 Schreiben Koslov an Beyling, 27.12.1960, SAPMO-BArch DY 32/5020, unpag.; zu E.F. Karskij vgl. Berëzkina, Natal’ja: Biblioteki i rasprostranenije naučnych znanij v Belarusi (XVI–XX vv.), 2. Aufl., Minsk 2013, S. 269–271.
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3 Freundschaftsverwaltung: Organisationen in Minsk und Berlin stellen, dass die richtige Interpretation der Fakten der Entwicklung der belorussischen Sprache in den Jahren der Sowjetmacht, hinweisend auf den Triumph der leninschen Nationalitätenpolitik der KPdSU, nützlich wäre, und deshalb sollte den Vorschlägen der Kollegen aus der DDR über die Zusammenarbeit in diesem Bereich Beachtung geschenkt werden.“484
Inwieweit der Wissenschaftler, der im Übrigen während seiner Reise auch mehrere Vorträge über die Erfolge des multinationalen und mehrsprachigen Schulsystems der UdSSR hielt, hier geschickt die Gelegenheit beim Schopfe packte, für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit der belorussischen Sprache einzutreten oder tatsächlich aus rein ideologischen Gründen handelte, mag dahingestellt bleiben. Es ist jedoch leider bezeichnend, wenn sich selbst deutsche Sprachwissenschaftler vornehmlich im Zeichen der Konkurrenz zur Bundesrepublik für die weißrussische Sprache zu interessieren begannen.485 In der belorussischen Freundschaftsgesellschaft selbst diente ausschließlich die russische Sprache als Verwaltungssprache. In den eingesehenen Quellen finden sich keinerlei Hinweise auf eine diesbezügliche Verwendung des Weißrussischen. Anders gestaltete sich das jedoch bei öffentlichen Aktivitäten der Gesellschaft. Hier wurde häufiger Weißrussisch eingesetzt, etwa wenn es um Einladungskarten, Plakate oder Programme zu feierlichen Veranstaltungen, Ausstellungen, Konzert- oder Literaturabenden ging. 486 Nicht selten finden sich dabei auch Slogans und Transparente auf Weißrussisch, wie beispielsweise anlässlich der Feier zum 15jährigen Bestehen der DDR in Minsk 1964. Über dem Podium angebracht war dazu die Parole zur „unverbrüchlichen Freundschaft“ zwischen dem sowjetischen (!) und dem deutschen Volk auf Weißrussisch und Deutsch.487 Damit entsprach dieser Gebrauch der weißrussischen Sprache in nur selektiven Bereichen ihrer Verwendung oder besser zunehmenden Nicht-Verwendung im öffentlichen Leben. Obwohl in den 1960er Jahren ein erneutes Interesse an Weißrussisch in der Sprachwissenschaft und im literarischen Leben aufgekommen war, hatte dies kaum Auswirkungen auf eine tägliche lebensweltliche Funktion. Der in den 1930er Jahren begonnene Prozess der Verdrängung der Nationalsprache durch das Russische führte bis zur Mitte der 1980er Jahre zu einem starken Übergewicht des letzteren in nahezu allen Lebensbereichen. Das seit 1961 in der gesamten 484 Bericht über eine Auslandsdienstreise, 26.12.1972, NARB f. 205, op. 8, d. 1255, l. 39–50. 485 Ebd. 486 Beispiele für Eintrittskarten finden sich zahlreich zu deutschen Kulturabenden zu verschiedenen Anlässen z. B. 1960: NARB f. 914, op. 3, d. 62, l. 133, 155; 1974: NARB f. 914, op. 4, d. 519, l. 92, 99–100; anlässlich der DDR-Kulturtage in der BSSR im Oktober 1965: PA AA, MFAA, C 132/74, im gesamten Dokument; aber auch Werbeplakate und Programme auf Belorussisch zu einer deutschen Ausstellung bzw. dem Auftritt einer Laientanzgruppe 1979: Sitzungsprotokoll der SED-BL Potsdam, 13.9.1979, SAPMO-BArch DY 30/IV B 2/5/1367, unpag. 487 Aufnahme vermutlich einer Festveranstaltung im Minsker Palast der Gewerkschaften anlässlich des 15jährigen Bestehens der DDR am 12.10.1964, SAPMO-BArch DY 32/574 unpag.; vgl. auch weißrussisch-deutsche Losungen anlässlich des 25jährigen Bestehens der DDR in Minsk 1974, zu denen sich in den Akten der BELOD auch russische Übersetzungen finden, NARB f. 914, op. 4, d. 519, l. 65.
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Sowjetunion propagierte Konzept der zweiten Muttersprache (Nationalsprache plus Russisch) führte in der BSSR de facto dazu, dass die belorussische Sprache keine exklusive öffentliche Funktion mehr innehatte: In Bereichen in denen Weißrussisch benutzt wurde, konnte und wurde zunehmend auch und überwiegend Russisch verwendet, etwa im gesamten politischen Leben, vor Gericht sowie im Unterricht an Schulen und Hochschulen; im Gegensatz dazu gab es ganze Bereiche des öffentlichen Lebens, die schon ausschließlich russisch geprägt waren, so etwa die Kommunikation in der Armee, jedwede Art politischer Propaganda sowie – und für die vorliegende Untersuchung wichtig – der Bereich der internationalen Beziehungen.488 Die Ankündigung kultureller Veranstaltungen durch die BELOD bzw. SDF/SGDDR in weißrussischer Sprache gibt dagegen Rückschlüsse auf die Zielgruppe dieser Veranstaltungen: So entstammte ein Großteil der ehrenamtlichen Mitarbeiter den Bereichen Kultur und Wissenschaft489, die in Teilen eine gewisse Affinität zum Weißrussischen bewahrt hatten; es kann daher angenommen werden, dass auch viele Besucher entsprechender Veranstaltungen aus diesem Milieu stammten. Umgekehrt demonstrierte die Verwendung des Weißrussischen – etwa auf Plakaten, Transparenten, Einladungskarten zu zentralen Veranstaltungen bei denen meist hochrangige Funktionäre aus Politik und Verwaltung geladen waren – medienwirksam und gleichsam als sprachliches Kolorit die ‚erfolgreiche‘ Umsetzung der Leninschen Nationalitätenpolitik im Bereich der Sprachenförderung.490 Um dieses Bild einer heilen Welt der Nationalitäten nach außen aufrechtzuerhalten, wurden die Mitarbeiter der Gesellschaft auch als Experten zu Rate gezogen. So wurden sie im Sommer 1960 gebeten, Filme über die Republik zu beurteilen, die über das Komitee für die Rückkehr in die Heimat und die Herstellung kultureller Kontakte mit den Landsleuten (Komitet za vosvraščenie na rodiny i razvitie kul’turnych svjazej s sootečestvennikami)491, eine Gesellschaft, die sich vornehmlich an Sowjetbürger im Exil richtete, ins Ausland verschickt werden sollten. Wichtigste Auswahlkriterien schienen jedoch nicht Qualität, Wahrheitstreue oder Inhalt der Filme zu sein, sondern vielmehr die Frage, inwieweit darin 488 Bieder: „Wiedergeburt“, S. 413–414; Dingley, James: „The Byelorussian Language. Creation and Reform“, in: Fodor, István und Claude Hagège (Hrsg.): Sprachreform: Geschichte und Zukunft, Bd. 4, Hamburg 1989, S. 143–161, hier S. 157–158; Bieder, Hermann: „Der Kampf um die Sprachen im 20. Jahrhundert“, in: Beyrau, Dietrich und Rainer Lindner (Hrsg.): Handbuch der Geschichte Weißrusslands, Göttingen 2001, S. 451–471, hier S. 461–465. 489 Zur Mitgliederstruktur der belorussischen Freundschaftsgesellschaft vgl. Kap. 3.2.2.3 dieser Arbeit. 490 Bieder: „Wiedergeburt“, S. 415. 491 Ursprünglich im Jahre 1955 durch ehemalige sowjetische KZ-Häftlinge in Berlin gegründet, entwickelte sich Rodina in der Sowjetunion zu einer Gesellschaft, die, auch in Zusammenarbeit mit den Freundschaftsgesellschaften, den Kontakt zu (ehemaligen) Sowjetbürgern im Exil pflegte bzw. durch Propaganda versuchte, das antisowjetische Exil im Westen zu beeinflussen. Vgl. dazu Ruud, Charles A.: The Constant Diplomat: Robert Ford in Moscow, Montreal 2009, S. 177–179; sowie die Anmerkungen in den Online Findbüchern des Staatlichen Archivs der Russischen Föderation: „ГА РФ online“, http://opisi.garf.su/default.asp?base= garf&menu=2&v=3&node=152&fond=1006&opis= (zugegriffen am 8.5.2017).
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belorussische Kultur und Sprache (!) gezeigt würden, um, so die Mitarbeiter, in „nationalistischen Kreisen“ (des Exils) nicht den Eindruck einer Vernichtung der belorussischen Kultur und der Russifizierung entstehen zu lassen. Die beiden Inspektoren der Freundschaftsgesellschaft entschieden sich schließlich für den Film „Pesnja ot serdca“ („Lied von Herzen“), einen Farbfilm, der das glückliche Leben belorussischer Kolchosbauern auf dem Lande zeigte. In „traditionellen Kostümen und vor schöner Dekoration“ führte die Landbevölkerung Tänze auf und sang Lieder, in denen sie die sowjetische Regierung und die kommunistische Partei lobte, die ihnen dieses gute und kulturvolle Dasein ermöglichten. Besonders positiv hoben die BELOD-Mitarbeiter hervor, dass sämtliche Texte und sogar Plakate mit propagandistischen Losungen im Film in belorussischer Sprache gehalten seien, ein Aspekt, der besonders guten Eindruck auf das weißrussische Exil machen sollte. Allerdings vereitelte schließlich eine Kommunikationspanne die guten auslandsinformatorischen Absichten: Ohne das Urteil der Experten abzuwarten, hatte das ZK der KPB bereits zwei Wochen zuvor die Entscheidung getroffen, zwei andere Filme zu versenden, unter anderem den durch die Freundschaftsgesellschaft bemängelten „Škola prekrasnogo“ („Eine wunderschöne Schule“), der die Arbeit der Universität für Kultur in Gomel’ porträtierte – und dabei mit keinem Wort auch nur einen belorussischen Künstler erwähnte, die Bibliothek mit ausschließlich russischen oder ausländischen Werken sowie sämtliche Aushänge, Texte etc. auf Russisch zeigte. Offenbar bestand also für die Verantwortlichen im ZK kein Widerspruch zwischen einer belorussischen Hochschule für Kultur und einem ausschließlich russischsprachig geprägten Lehrplan.492 Ähnlich wie das Beispiel aus der DDR gezeigt hat, sorgte man sich um das Ansehen der weißrussischen Sprache erst dann, wenn Kritik aus dem westlichen Ausland zu erwarten war, wie etwa im Falle der weißrussischen antisowjetischen Emigration. Sonst spielte die Sprache im Großen und Ganzen keinerlei Rolle und wurde, wie der zitierte Film „Pesnja ot serdce“ zeigt, als schmückendes Beiwerk einer folkloristisch geprägten ‚Volkskultur‘ gesehen. Sprache der sowjetischen auswärtigen Kulturpolitik war von Anfang an ausschließlich das Russische, auch und sogar überwiegend in den Liedern und Darbietungen der im vorigen Kapitel vorgestellten Volkstanzgruppen. Bezeichnenderweise zeigten sich gerade in Forderungen nach einer Wiederbelebung der aussterbenden weißrussischen Sprache aus Intellektuellenkreisen in den Jahren der Perestrojka erste Ansätze einer weißrussischen Nationalbewegung – Bemühungen freilich, die, folgt man der praktischen Sprachverwendung in der heutigen Republik Belarus, wo in allen Lebensbereichen überwiegend die gesetzlich gleichgestellte russische Sprache verwendet wird, weitgehend gescheitert sind.493 492 Bericht der BELOD an das ZK der KPB, 27.6.1960, NARB f. 4p, op. 53, d. 61, l. 49–51. 493 Wingender: „Die slavischen Sprachen“, S. 194; Bieder: „Kampf um die Sprache“, S. 468– 471; vgl. dazu auch den allerdings etwas optimistischen Überblick zur Sprachsituation in Belarus von Popko, Olga: „Das Sprachproblem in den kulturellen Prozessen von Belarus“, in: Hartmann, Anne und Frank Hoffmann (Hrsg.): Kultur, Macht, Gesellschaft: Beiträge des Promotionskollegs Ost – West, Münster 2003, S. 63–74. Zur Entwicklung der Republik Belarus’ und der Rolle der Sprache in der Nationalbewegung vgl. Sahm, Astrid: „Von der BSSR
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3.3.2.4 Zusammenfassung Die Freundschaftsgesellschaften wirkten als zunehmend wichtige Protagonisten im Bereich der Auslandsinformation oder Auslandspropaganda – und zwar eben nicht nur gegenüber den kapitalistischen, sondern auch gegenüber den sozialistischen Staaten. Auch im Bereich der kulturellen Kontakte schwangen dabei stets politische Botschaften mit, die für ein sozialistisches, internationalistisches Weltsystem werben sollten. Das zentrale Anliegen der Auslandsinformation lag jedoch zunächst in der Darstellung des jeweils eigenen Erfolges im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufbau. Sowohl die DDR als auch die BSSR konnten in der Nachkriegszeit beachtliche Leistungen in dieser Hinsicht vorweisen und verstanden sich zunehmend als beispielhafte sozialistische Musterrepubliken, die auch auf internationaler Ebene erfolgreich agierten. Die Tätigkeit der Freundschaftsgesellschaften selbst wurde dabei nicht selten – etwa im Rahmen wissenschaftlicher Veröffentlichungen – als Beweis dieser internationalen Vernetzung herangezogen. Mit dem Zweiten Weltkrieg hatten ausgerechnet die DDR und die BSSR zudem einen gemeinsamen Ausgangspunkt ihrer Erfolgsgeschichte gefunden, die die Entstehung internationalistischer Beziehungen neuen Typs zwischen beiden Völkern als quasi-gesetzmäßige Folgen des erfolgreichen sozialistischen Aufbaus interpretierte. Ein Scheitern der besonderen, freundschaftlichen Beziehungen war schon aus diesem Grund nicht vorgesehen; anders gesagt schien die erfolgreiche Etablierung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung in der DDR eine Aufarbeitung der gemeinsamen Vergangenheit obsolet zu machen. Das Werben für die Erfolge des Partners beleuchtete innerhalb des sozialistischen Bündnissystems gleichzeitig auch immer die Vorzüge des eigenen gesellschaftlichen Aufbaus. Hatte dabei lange die Propagierung des sowjetischen Vorbildes im Mittelpunkt der ‚Freundschaftsarbeit‘ gestanden, so erkannte man in der DDR Ende der 1950er Jahre die Wichtigkeit einer eigenen Auslandsinformation in der Sowjetunion. Spätestens seit der endgültigen Konsolidierung des ostdeutschen Staates Ende der 1960er bzw. in den 1970er Jahren agierte auch die DDR-Auslandsinformation selbstbewusst und nicht mehr im Sinne einer sowjetisch-deutschen Einbahnstraße. Während sich die durch die Gesellschaften organisierten Kulturveranstaltungen (z. B. die Kulturtage) häufig an einem klassischen Kulturbegriff – Literatur, Musik, Kunst – orientierten, passte eine andere Form des Kulturaustauschs sehr viel besser in das politische Konzept sozialistischer kultureller Auslandsbeziehungen. So vermittelte der Austausch von Laienkunstgruppen den Eindruck einer ‚echten‘ Volkskultur im wörtlichen Sinne und der Herausbildung einer sozialistischen Nationalkultur. Beliebtestes Genre dieser Gruppen war dabei die sowjetische Form der Folklore, die die kulturpolitische Forderung: „National in der Form, sozialistisch im Inhalt“ besonders augenscheinlich machte: In scheinbar traditionellen Kostümen, die in Wirklichkeit häufig für die ‚große‘ Bühne adapzur Republik Weißrußland – Belarus (1988–2001)“, in: Beyrau, Dietrich und Rainer Lindner (Hrsg.): Handbuch der Geschichte Weißrusslands, Göttingen 2001, S. 178–198.
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tiert und damit zunehmend vereinheitlicht wurden, sowie in traditionellen Liedformen wurden sozialistische Inhalte und Botschaften transportiert. Vorbilder fand dieses „künstlerische Volksschaffen“ in den nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen, professionellen Volkskunstensembles, wie sie in nahezu jeder Sowjetrepublik und bald nahezu jedem Ostblockstaat existierten. Als gern gebuchte Ensembles für Auslandstourneen vermittelten sie in West und Ost das Bild einer kulturell vielfältigen Völkergemeinschaft, in der Traditionen der Volkskunst souveräner Völker gepflegt und weitergegeben wurden. Als scheinbar unpolitische Kulturveranstaltung erfreuten sich die Auftritte dieser Ensembles meist großer Beliebtheit unter den Zuschauern. Unter der deutschen Bevölkerung bediente die sowjetische Folklore zudem traditionelle, teils romantische Bilder einer ‚russischen Volkskunst‘, die gleichzeitig den Blick für die ethnische Vielfalt der sowjetischen Künstlergruppen versperrten – ein Umstand, der durch das ‚internationalistische‘ Programm der meisten Ensembles noch befördert wurde. Aufführungen von Laientanzgruppen deckten sich häufig mit Erfahrungen aus der eigenen sozialistischen Lebenswelt der Zuschauer: So mag etwa der Auftritt deutscher Gruppen in der BSSR die Behauptung vom Aufbau einer neuen, antifaschistischen und sozialistischen deutschen Gesellschaft mit eigenen Augen erfahrbar gemacht haben. Die Verwendung der weißrussischen Sprache in der auswärtigen Kulturpolitik durch die Freundschaftsgesellschaften wird im Rahmen dieser Arbeit nur exkursorisch untersucht – eine Tatsache, die nicht zuletzt ihrer nur marginalen Bedeutung in den untersuchten Bereichen geschuldet ist. Während als Verwaltungs- und Arbeitssprache der Freundschaftsgesellschaft ausschließlich die russische Sprache, auch in ihrer Funktion als Lingua Franca des östlichen Bündnissystems, verwendet wurde, diente das Weißrussische entweder der folkloristischen Ausschmückung – so etwa im offiziellen Briefkopf der BELOD – oder wurde im Rahmen bestimmter kultureller Veranstaltungen für Plakate und Einladungsschreiben genutzt, um eine entsprechende intellektuelle Zielgruppe anzusprechen. Für die Auslandskontakte spielte sie jedoch so gut wie keine Rolle. Lediglich wenn es darum ging, westlicher Kritik an einer Russifizierung der nichtrussischen Sowjetrepubliken zuvorzukommen, sollte eine gezielte Verwendung der weißrussischen Sprache die Erfolge der Nationalitätenpolitik veranschaulichen. Auch in der DDR zeigten weder die Freundschaftsgesellschaft noch die wissenschaftliche Forschung in dieser Hinsicht besonderes Interesse. Es ist auch hier bezeichnend, dass sich ostdeutsche Slavisten erst in Konkurrenz zu ihren bundesrepublikanischen Kollegen für die weißrussische Sprache zu interessieren begannen.
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3.3.3 „Sozialistischer Erfahrungsaustausch“: Freundschaftsgesellschaften als Vermittler? Von Anfang an sollte sich die Arbeit der Freundschaftsgesellschaften nicht nur auf die Weitergabe von Informationen über die sozialistischen Bruderländer oder die ‚progressiven‘ Teile der Bevölkerung der kapitalistischen Staaten und die Organisation von Freundschafts- und Kulturveranstaltungen beschränken. Vielmehr ging es auch um so genannte ‚Beziehungen neuen Typs‘ unter den Werktätigen der sozialistischen Staaten – ein Schlagwort, das, nicht näher definiert, die Fortschrittlichkeit der sozialistischen Außenpolitik aufzeigen sollte. Darunter fielen in der Praxis auch Kontakte unter dem Vorzeichen des „sozialistischen Erfahrungsaustauschs“, von denen sich die Verantwortlichen handfesten ökonomischen Nutzen erhofften. So erwarteten die Funktionäre der Freundschaftsgesellschaften von den Werktätigen wie der Intelligenzija, sich aktiv am Aufbau des Sozialismus/Kommunismus zu beteiligen und dabei Erfahrungen der sozialistischen Klassenbrüder der übrigen Ostblockstaaten ‚auszuwerten‘ und umzusetzen. Dieser Erfahrungsaustausch vollzog sich, analog zur kulturellen Entwicklung, zunächst vor allem im Sinne einer Einbahnstraße: Es galt, von den reichen Erfahrungen der Sowjetunion zu lernen oder, nach dem Slogan der DSF: „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen!“. Dies bezog sich im Falle der DSF ganz konkret auf die volkseigene Wirtschaft; Lothar Dralle spricht in seiner Studie über die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft in diesem Zusammenhang (auch) von einer „Produktionspropagandaorganisation“: Bereits seit den frühen 1950er Jahren setzte man mithilfe der Freundschaftsgesellschaft auf eine Steigerung der Arbeitsproduktivität, indem man Arbeiter in Industrie und Landwirtschaft mit sowjetischen Arbeits- und Neuerer-Methoden bekannt machte und sie mit Hilfe der Gewerkschaften zu deren Anwendung nötigte. Dazu organisierte die Gesellschaft Vorträge und Aussprachen in Betriebsgruppen sowie Konferenzen zu sowjetischen Arbeitsmethoden oder sie forcierte, zusammen mit Parteiorganisationen und dem FDGB, die Gründung so genannter Mitschurin-Zirkel, die sowjetische Anbaumethoden in der Landwirtschaft umsetzen sollten.494 Derartige Aktivitäten gehörten allerdings nicht zur Arbeit der Abteilung für Internationale Verbindungen, sondern lagen überwiegend in der Verantwortung der Bezirksvorstände und Ortsgruppen. Die Abteilung bemühte sich dagegen in ganz anderer Hinsicht, den „sozialistischen Erfahrungsaustausch“ voranzubringen: Die Initiierung so genannter Direktverbindungen zwischen Grundorganisationen der Freundschaftsgesellschaften in Betrieben, staatlichen Einrichtungen, aber auch Schulen, war bereits in den ersten Arbeitsplänen mit der SDF bzw.
494 Dralle: Von der Sowjetunion lernen, S. 379; zur Zwangseinführung sowjetischer Methoden auf dem Land vgl. Bauerkämper, Arnd: Ländliche Gesellschaft in der kommunistischen Diktatur. Zwangsmodernisierung und Tradition in Brandenburg 1945–1963, Köln 2002, S. 150– 152; zur Propagierung der Stachanov-Bewegung in Betrieben in der DDR und deren Wirkung vgl. etwa Behrends, Jan C: „Besuch aus der Zukunft. Sowjetische Stachanov-Arbeiter in der DDR“, Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 50 (2002), S. 195–204.
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SSOD vorgesehen.495 Grundsätzlich hätte dieses Vorhaben den Beteiligten die durchaus positive Möglichkeit geboten, sich auf der Grundlage des gemeinsamen Berufs über Interessen und Kenntnisse auszutauschen und so eventuell Anknüpfungspunkte für weitere Kontakte zu schaffen – mit anderen Worten, ein echtes gegenseitiges Kennenlernen zu fördern. Dem standen jedoch nicht zuletzt die ambitionierten Pläne der Freundschaftsstrategen entgegen, deren Ziel es war, verwert- und messbare Erfahrungen im gesellschaftlichen Aufbau und der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion auszutauschen.
3.3.3.1 Direktkontakte zwischen Betrieben Am 17. März 1959 begann die belorussische Abteilung der Gesellschaft für Sowjetisch-Deutsche Freundschaft (SDF) unter Aufsicht der BELOD ihre Arbeit mit einer ersten Vorstandssitzung, wo unter anderen die Gründung einer Kommission „zum Austausch von Erfahrung in Wissenschaft und Produktion“ beschlossen wurde. Ziele und Aufgaben bestanden in der Unterstützung von Kontakten zwischen staatlichen Industrie- oder Landwirtschaftsbetrieben (Kolchosen, Sovchosen), wissenschaftlichen Einrichtungen beider Länder sowie Briefwechseln zwischen einzelnen Arbeitskollektiven; außerdem im Austausch wissenschaftlicher und technischer Literatur. Dass es dabei vornehmlich um naturwissenschaftlichtechnischen Austausch ging, zeigt die Zusammensetzung der Kommission, deren Mitglieder entweder führende Naturwissenschaftler (Physik, Biologie, Chemie, Landwirtschaft) oder aber in leitenden Positionen von Kombinaten oder Betrieben tätig waren.496 Dabei galt es nicht nur, den Juniorpartner DDR mit möglichst viel wissenschaftlich-technischem Know-How im Aufbau des Sozialismus zu unterstützen, obwohl dies der sowjetischen Selbstwahrnehmung als Vorreiter auf dem Weg zum Kommunismus durchaus entsprochen hätte. Eigennützigere Gründe lagen nämlich auch in erhofften positiven Effekten für die sowjetische Volkswirtschaft. Eine Prüfung durch die Dachgesellschaft SSOD im Frühjahr desselben Jahres hob hervor, dass die Gesellschaft in der Verbreitung sowjetischer Spitzenleistungen und Neuerer-Methoden in Industrie und Landwirtschaft der DDR ganze Arbeit geleistet habe. Gleichzeitig empfahl sie jedoch eine Intensivierung dieser Kontakte, insbesondere auch zwischen Brigaden der kommunistischen/sozialistischen Arbeit beider Länder sowie eine vertiefte Verbreitung von „Spitzenarbeitsmethoden“ der DDR in Industrie und Landwirtschaft unter der sowjetischen Öffentlichkeit. Außerdem solle mehr darauf geachtet werden, dass in die DDR entsendete Delegationen oder spezialisierte Touristengruppen497 „alles 495 Vgl. dazu Kap. 3.2.2.4 dieser Arbeit. 496 Protokoll Nr. 1 der Vorstandssitzung der belorussischen Abteilung der SDF, 17.3.1959, NARB f. 914, op. 3, d. 15, l. 54–67. 497 Dabei handelte es sich meist um verdiente Arbeiter und/oder Parteimitglieder, die für die entsprechende Auslandsreise durch den Betrieb vorgeschlagen wurden. Spezialisiert waren diese Gruppen insofern, als ihre Mitglieder meist aus bestimmten einheitlichen Tätigkeitsfeldern stammten und dann entsprechende Betriebe im Partnerland besuchen konnten.
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Nützliche und Wertvolle, das die Republik in verschiedenen Bereichen der Industrie und Landwirtschaft, in Wissenschaft und Technik besitze“ gründlich studierten.498 Damit handelte es sich eindeutig auch um die Nutzbarmachung, und damit implizite Anerkennung, technischen Wissens des kleinen Bruders im Westen. Dies war freilich de facto kein Novum: Bereits unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war ein Teil der Wiedergutmachungen und Reparationen in Form von technisch-naturwissenschaftlichem und industriellem Know-How geleistet worden: durch direkte Demontagen von Industriebetrieben und Anlagen einerseits, andererseits durch die unentgeltliche Nutzung deutscher Patente sowie der Arbeitskraft ca. 300 000 in die UdSSR verbrachter Zivilisten und etwa 3000 deutscher Spezialisten.499 Trotzdem spricht es für die Anerkennung eines neuen, stärker gleichberechtigten Verhältnisses zum deutschen Wirtschaftspartner, wenn mehr oder weniger offen für die Aneignung deutscher vorbildlicher Produktionsmethoden geworben wurde. Auch dass die o.g. Anordnung von den lokalen Freundschaftsgesellschaften explizit forderte, die außenpolitische Linie der DDR gegenüber westlichen Partnern darzustellen, zeigt womöglich die wichtige Rolle, die die DDR in den politischen Erwägungen der Sowjetunion spielte.500 In ihren Zusammenarbeitsplänen hatten die Vorstände beider Freundschaftsgesellschaften eine ‚freiwillige‘ Verbindungsaufnahme zwischen Betrieben und Einrichtungen ‚geplant‘ – ein Widerspruch, dessen sich die Verantwortlichen wohl bewusst waren. In einer persönlichen Besprechung führender deutscher und sowjetischer Funktionäre unmittelbar nach Gründung der SSOD und SDF einigte man sich im April 1958 in Berlin deshalb darauf, Betriebskontakte zunächst über die Zentralen der Freundschaftsgesellschaften auf den Weg zu bringen und erst danach eine direkte Zusammenarbeit zu befürworten: eine Maßgabe, die sowohl Hilfestellung als auch Kontrolle beinhalten konnte.501 In der BSSR ging die Initiative zur Gründung von Kollektivmitgliedern in Betrieben oder Einrichtungen klar von Parteientscheidungen aus. So legte das ZK der KPB im Herbst 1959 fest, in welchen Städten (Minsk, Gomel’, Vitebsk, Molodečno) Abteilungen der SDF (aber auch der sowjetisch-polnischen oder der sow498 Anordnung Nr. 29 des Präsidiums der SSOD, 5.4.1962, NARB f. 914, op. 4, d. 1, l. 18–28. 499 Vgl. dazu etwa Foitzik, Jan (Hrsg.): Sowjetische Interessenpolitik in Deutschland 1944–1954. Dokumente, München 2012, S. 131–138, 141–144. Interessanterweise wertete die DDRGeschichtsschreibung der 1980er Jahre ausgerechnet die Verbringung deutscher Arbeitskräfte und Spezialisten 1945 in die Sowjetunion als den eigentlichen Beginn der sowjetischdeutschen Produktionsbeziehungen. So sei die Arbeitsleistung der Deportierten zwar nicht freiwillig erfolgt (!), gleichwohl seien hier die „Keimformen einer neuen Einstellung zur Arbeit, einer neuen Haltung zur Sowjetunion“ zu suchen. Ob dies, wie die Autorin weiter ausführt, auch für die unfreiwillige Zusammenarbeit in den Betrieben der Sowjetischen Aktiengesellschaften (SAG) galt, mag dahingestellt bleiben; vgl. dazu: Funkner, Jutta: „Zur Geschichte der Produktionsbeziehungen zwischen der Arbeiterklasse der DDR und der UdSSR seit 1945“, Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 31/3 (1989), S. 320–331, hier S. 321–322. 500 Vgl. Anm. 498. 501 Aktennotiz des ZV der DSF über ein Treffen mit Vertretern der SDF, 19.4.1958, SAPMOBArch DY 32/6370 fol. 932–937.
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jetisch-chinesischen Gesellschaft) gegründet werden sollten und in welchen Unternehmen, Landwirtschaftsbetrieben oder anderen Einrichtungen entsprechende Abteilungen entstehen sollten (insgesamt zwölf).502 Die Umsetzung ließ nicht lange auf sich warten: Bereits im Frühjahr 1960 meldeten die ausgewählten Betriebe und Einrichtungen sowie einige weitere die Gründung lokaler Abteilungen der sowjetisch-deutschen Freundschaft nach Minsk. Nicht jeder Betriebsleiter war sich jedoch im Klaren darüber, was nun weiter von ihm und seinen Mitarbeitern erwartet werde. Ein Pravda-Artikel („Tri zavoda – tri brata/Drei Werke – drei Brüder“, 7.7.1960) den die BELOD daraufhin verschickte, sollte den ratlosen Mitstreitern Hilfestellung über mögliche Aktivitäten geben. Dennoch schien das Ergebnis nicht zufriedenzustellen: Im Dezember 1960 forderte das Präsidium der BELOD die Abteilungen auf, Arbeitsberichte sowie einen Perspektivplan für das kommende Jahr vorzulegen. Sicherheitshalber übermittelte die BELOD dabei im Vorfeld ihre eigenen Vorstellungen dazu: „1. Organisation von Beziehungen zu einem deutschen Betrieb, einer Einrichtung, Kolchose. 2. Organisation von Abenden der deutsch-sowjetischen Freundschaft, Jubiläen deutscher Kultur, Abende deutscher Musik und Literatur. 3. Organisation von Ausstellungen (Fotos, Bücher etc.); Aufstellen einer Fotovitrine der Abteilung. 4. Organisation von Räumen oder Ecken der sowjetisch-deutschen Freundschaft. 5. Vorträge, Gespräche, Radio oder Fernsehvorträge über das Leben in Deutschland, Beiträge von Mitgliedern der Abteilung in der örtlichen Presse. 6. Organisation von Zirkeln zum Erlernen der deutschen Sprache. 7. Arbeit mit Kindern: Organisation von Briefwechseln von Schulkindern, Herstellung von Souvenirs, Organisation von Kinderzirkeln. 8. Beteiligung beim Aufenthalt von Delegationen und Touristen aus Deutschland. 9. Beteiligung an der Auswahl von Delegationen und Touristen für Züge nach Deutschland.“
Die entsprechenden Vorschläge der Betriebsabteilungen würden dann, so das Schreiben weiter, mit den jeweiligen Parteiorganisationen abgestimmt und anschließend in der Vorstandssitzung der Gesellschaft bestätigt.503 Ein beredtes Beispiel für die zweifelhaften Erfolge des verordneten Erfahrungsaustauschs zeigt der Fall des Minsker Radiowerks, der im Juli 1962 auf einer Vorstandssitzung der BELOD behandelt wurde. In der üblichen Art und Weise zählte die dabei entstandene „Anweisung“ zunächst die, recht mageren, Erfolge der Abteilung auf, der es offenbar an einer Massenbasis fehlte: So hatte man seit ihrem Bestehen im Wesentlichen „Aussprachen“ („Beseda“) über die DDR (Aufbau des Sozialismus, Siebenjahres-Plan) organisiert, die den Eindruck eines eher kleineren Teilnehmer-Kreises vermitteln. Zwar hatte das Radiowerk inzwischen einen Partnerbetrieb in der DDR, den VEB Stern-Radio Sonneberg, und immerhin 502 Vgl. entsprechende Anordnungen des ZK der KPB vom September 1959, NARB f. 914, op. 3, d. 5, l. 137–138, 141–143. 503 Vgl. dazu Mitteilungen über Abteilungsgründungen verschiedener Betriebe im Frühjahr 1960, NARB f. 914, op. 3, d. 63, l. 2–39; mehrere Schreiben Kozlovs an besagte Abteilungen mit Pravda-Artikel bzw. Anforderung von Arbeitsberichten und weiteren Anweisungen, 26.8.1960 bzw. 1.12.1960, ebd. l. 42–46, 58–80.
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bereits einen Wettbewerb zwischen Sportmannschaften beider Betriebe in Minsk ausgetragen, die Initiative dazu war jedoch ausschließlich von der BELODZentrale ausgegangen. Entsprechend war die Liste der „ernsthaften Unzulänglichkeiten“ in der Arbeit der Abteilung lang: So gab es bislang keine Ecke oder Zimmer der Freundschaft, kein Interesse an Delegationsreisen in den Partnerbetrieb504 oder dem Erlernen der deutschen Sprache. Auch fand sich offensichtlich niemand bereit, in der betriebseigenen Zeitung und im Betriebs-Radio Werbung für die Sache der sowjetisch-deutschen Freundschaft zu machen. Überhaupt habe es kaum Massenveranstaltungen gegeben, für das laufende Jahr 1962 sogar noch keine einzige. Die Lösung des Problems sah das Präsidium der BELOD in noch stärkerer Kontrolle und Arbeitsanleitung. Unverzüglich sei ein Plan für das verbleibende Halbjahr 1962 vorzulegen und die Arbeit zu intensivieren. Der Vorsitzende der Radiowerks-Abteilung, ein leitender Ingenieur des Betriebs der anlässlich der Präsidiumssitzung übrigens hatte persönlich vorsprechen müssen, wurde in die Pflicht genommen, die Arbeit der Abteilung zu verbessern: Das örtliche Parteibüro sollte den überforderten Mitarbeiter von allen übrigen gesellschaftlichen Verpflichtungen entbinden und es ihm so ermöglichen, seine gesamte Tatkraft für die sowjetisch-deutsche Freundschaft einzusetzen.505 Dabei war das mitunter deutlich leichter angeordnet als getan. So mussten einige Betriebe sich nicht nur um eine Freundschaft kümmern, sondern betreuten gleich mehrere – eine Aufgabe, die gerade von großen Betrieben häufiger gemeistert werden musste, dienten sie doch nicht selten als Vorzeigeobjekte für touristische Besuchsgruppen. Beispielsweise plante der Bautrust Nr. 1 in Minsk für das Jahr 1963 elf Freundschafts- und Informationsabende, Vorträge oder Festivals, die den Ländern Ungarn, Bulgarien, Polen, Rumänien, Mongolei, Vietnam und Kuba gewidmet waren.506 Auch der o.g. 9-Punkte Plan der BELOD erschien vor diesem Hintergrund noch unrealistischer in der Umsetzung, besonders dann, wenn eine entsprechende Initiative von unten fehlte. Dies machte sich auch bei Punkt 1, Herstellung von Kontakten zu einem Partnerbetrieb in der DDR, bemerkbar: Selbst nach der Vermittlung von Beziehungen mussten die Freundschaftsgesellschaften immer wieder ‚korrigierend‘ in derartige Kontakte eingreifen. So wandte sich der neue Präsidiumsvorsitzende der BELOD, Vitalij Smirnov, 1962 mit einer Liste belorussischer Betriebe an die DSF, um mögliche Partner zu finden. Bereits einen Monat später hatte der Sektor Internationale Verbindungen entsprechende Betriebe der DDR ausfindig gemacht, Betriebsleiter und gesellschaftliche Organisationen sowie insbesondere Betriebsgruppen der DSF informiert und die Adressen an die Kollegen in Minsk weitergeschickt. Erste Briefe an die zukünftigen Partner, so 504 Es wäre jedoch falsch anzunehmen, dass es sich dabei um eine einfache Frage der Reiseorganisation gehandelt hätte. So unterlagen Delegationsreisen, wie auch touristische Reisen, einem strengen und komplizierten Auswahlverfahren, bei dem ‚normale‘ Werktätige oft wenig Chancen auf Teilnahme hatten. Siehe dazu auch Kap. 5.2.1. 505 Protokoll Nr. 5, Präsidiumssitzung der BELOD, Tagesordnungspunkt 3, 16.7.1962, NARB f. 914, op. 3, d. 3, l. 85–86, 88–89. 506 „Arbeitsplan des Vorstandes der Abteilung für kulturelle Beziehungen mit dem Ausland im Strojtrest Nr. 1 für 1963“, ohne Datum, NARB f. 914, op. 4, d. 15, l. 296.
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das Schreiben, seien jedoch über die DSF zu senden, „damit wir auf eine schnelle Herstellung der Kontakte einwirken können.“507 Oft genug waren solche ersten Schreiben, aus denen sich eigentlich ein reger Briefwechsel entwickeln sollte, ohne Antwort geblieben oder es erfolgte, sogar nach persönlichem Kontakt im Rahmen von Delegationen, kein weiteres Engagement, meist von belorussischer Seite. In den Akten der Abteilung für sozialistische Länder der BELOD sind eine ganze Anzahl solcher Anfragen der DSF erhalten, die um eine entsprechende Vermittlung bat.508 Vielleicht hatte nicht jeder belorussische Werktätige seine plötzliche Freundschaft zu den früheren Besatzern entdeckt oder vielleicht lag es auch an der weniger starken gesellschaftlichen Präsenz der sowjetisch-deutschen Freundschaft als in der DDR. Als ein besonders ‚unwilliges‘ Beispiel der Kontaktaufnahme erwiesen sich die SDF-Mitglieder und Mitarbeiter des Minsker Bahnhofs: Nachdem sich die deutschen Eisenbahner-Kollegen, deren Schreiben unbeantwortet geblieben war, Rat suchend direkt an die belorussische Freundschaftsgesellschaft gewandt hatten, machte deren Vorsitzender gegenüber den Minsker Eisenbahnern seinem Ärger Luft: „Die BELOD hält es für unzulässig, dass ihre Abteilung der SDF nicht auf den ersten Brief der Genossen des Bahnhofs Aue geantwortet hat. Wir teilen die Unzufriedenheit der deutschen Freunde, die sie im Zusammenhang mit dieser Tatsache in einem Brief ausgedrückt haben. Wir fordern Sie auf, sich in Zukunft gegenüber Briefen aus Deutschland aufmerksam zu verhalten und zeitnah auf Fragen, die den Erfahrungsaustausch betreffen, zu antworten. Auf der anderen Seite schlagen wir vor, dass sich auch unser Bahnhof für die gute Arbeit der deutschen Freunde im Bahnhof Aue interessieren könnte.“509
Die derart zurechtgewiesenen Minsker Eisenbahner schrieben daraufhin einen ersten Brief an ihre deutschen Kollegen, den sie, wohl auch aus Nachweiszwecken, über die BELOD verschickten. Der recht kurz gehaltene Brief enthielt vor allem Rechtfertigungen für die späte Antwort: Einerseits sei aus dem Brief kaum ersichtlich gewesen, wie die Arbeit der Deutschen organisiert sei, und was sie demzufolge interessiere. Andererseits habe sich zunächst auch kein Übersetzer für den auf Deutsch verfassten Brief gefunden. Der Bericht der Eisenbahner über ihre eigene Arbeit beschränkte sich auf vier magere Sätze, in denen sie ihre Mitarbeit beim Empfang von Freundschaftszügen aus der DDR und damit ihr Engagement für die sowjetisch-deutsche Freundschaft darstellten.510
507 Böhnke, Leiter des Sektors IV beim ZV der DSF, an Smirnov, 31.7.1962, DY 32/574, unpag. 508 Vgl. beispielhaft Schreiben der BELOD an Beyling, Vorsitzender des Sekretariats des ZV der DSF, 27.6.1962, SAPMO-BArch DY 32/574 unpag.; Schreiben der SSOD, Pronin, an die BELOD, Kozlov, über eine Beschwerde der DSF bzw. der Botschaft der DDR in Moskau, 13.1.1959, NARB f. 914, op. 3, d. 15, l. 13–14; Schreiben der DSF, Fischmann, an die BELOD betreffs Kontaktwünschen der LPG Roter Stern im Kreis Bitterfeld, 3.2.1961, NARB f. 914, op. 3, d. 102, l. 147–150, 154. 509 Schreiben Smirnovs an die Abteilung der SDF im Minsker Bahnhof, 15.6.1967. 510 Brief der Minsker Eisenbahner an ihre Kollegen in Aue, 30.6.1967, NARB f. 914, op. 4, d. 235, l. 51–52.
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Der Brief, der sicherlich zum großen Teil für die Ohren der Freundschaftsgesellschaft derart apologetisch abgefasst war, zeigt jedoch grundlegende Probleme des organisierten Erfahrungsaustauschs zwischen Betrieben und Betriebsbrigaden: Auf der einen Seite mögen sich die, nicht freiwillig, sondern über die Kollektivmitgliedschaft des Betriebes in die SDF ‚geratenen‘, SDF-Mitglieder überrumpelt und überfordert gefühlt haben. Die Sprachbarriere war dabei, abhängig von sozialer Herkunft und Bildung der Betroffenen, sicher nicht zu unterschätzen. Es erscheint plausibel, dass sich unter den Minsker Eisenbahnern spontan niemand mit ausreichenden Deutschkenntnissen fand, um die Briefe der Partner zu übersetzen. Ein anderes Problem betraf die geographische wie kulturelle Entfernung beider Parteien und die Künstlichkeit der hergestellten Kontakte: Realer Erfahrungsaustausch hätte ein bestimmtes Wissen über Lebens- und Arbeitsweisen des jeweils anderen vorausgesetzt, das, aller Freundschaftspropaganda zum Trotz, wohl vielfach nicht vorhanden war. Dies zeigt der etwas hilflos anmutende Rechtfertigungsversuch der Minsker Eisenbahner ebenso wie die 1963 entstandene „Anordnung über die Arbeit der Kollektivmitglieder“ der SSOD, die ebenfalls die Blutleere der initiierten Briefwechsel kritisierte: Man teile darin überhaupt keine Erfahrungen, erzähle wenig über die eigene Arbeit und die des Kollektivs, sondern beschränke sich hauptsächlich auf die Aufzählung dieses oder jenes Ereignisses im Jubiläums- und Festkalender der sowjetisch-deutschen Freundschaft. (Und erbrachte damit im Übrigen genau jene unverbindlichen Freundschaftsbeweise, wie sie die Freundschaftsgesellschaft zum Teil selbst vormachte.) Beim Briefwechsel aber, so die Anordnung weiter, sei außerdem mehr darauf zu achten, die Standpunkte der sowjetischen Außenpolitik zu propagieren sowie die Errungenschaften des sowjetischen Alltags. Das Präsidium schlug zur Verbesserung der bestehenden Situation sogar vor, guten Kollektivmitgliedern oder Aktivisten der Gesellschaft „mehr Dankbarkeit“ zu erweisen, was im Kontext der Freundschaftsgesellschaften etwa die Zuteilung von Plätzen zu Delegationsreisen bedeuten mochte.511 Den Betriebsbrigaden kam also nicht nur die Aufgabe zu, durch fruchtbaren Erfahrungsaustausch die Volkswirtschaft zu fördern, gleichzeitig sollten sie auch als Botschafter ihres Landes im Ausland für dessen Erfolge werben – was in Kombination sicher nicht ganz spannungsfrei zu bewerkstelligen war. Wirkliche Verbesserungsimpulse hätten eine offene Anerkennung von Fehlentwicklungen vorausgesetzt, um zum Beispiel auch aus Fehlern des Partners lernen zu können; eine Offenheit, die jedoch das erfolgsabhängige sowjetische System ebenso wie das deutsche Gegenstück nicht zulassen konnte. Dabei war der eigentliche Anstoß für die Ausweitung der Briefwechsel von deutscher Seite genau von dieser Prämisse ausgegangen: Die bisherigen Erfahrungen hätten nämlich gezeigt, dass „[…] auch der schriftliche Kontakt durchaus dazu geeignet ist Erfahrungen auf dem Gebiet der Produktion, des politischen und kulturellen Lebens, auszutauschen und in der eigenen Ar-
511 Anordnung Nr. 41 des Präsidiums der SSOD, für den Dienstgebrauch, 30.10.1963, NARB f. 914, op. 4, d. 86, l. 24–29.
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3 Freundschaftsverwaltung: Organisationen in Minsk und Berlin beit anwenden zu lernen. Nicht selten sind […] beachtliche ökonomische Erfolge einzelner Brigaden [sic!] aber auch ganzer Betriebe erzielt worden.“
Im gleichen Schreiben bat der DSF-Zentralvorstand daher um Adressen möglicher Betriebe und Einrichtungen der BSSR, „[…] damit wir aus der grossen Zahl der täglich bei uns eingehenden Anträge unserer Betriebsgruppen […] die geeigneten Partner auswählen […] können.“512 Es ist an dieser Stelle zwar nicht unmittelbar nachprüfbar, was es mit der großen Zahl an Bewerbern tatsächlich auf sich hatte, allerdings herrschte an DSF-Betriebsgruppen in der Tat kein Mangel. Nahezu jeder Betrieb, jede landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft und jede wissenschaftliche oder kulturelle Einrichtung hatte seine/ihre Gruppe für deutschsowjetische Freundschaft; bis 1982 waren das in diesem Bereich rund 25 000 so genannter Grundeinheiten.513 Die Anreize zum „sozialistischen Erfahrungsaustausch“ mit einem sowjetischen Betrieb dürften ganz ähnliche gewesen sein wie in der UdSSR, ergaben sich doch durch die Partnerschaft zum Beispiel größere Chancen auf eine Delegationsreise ins ‚Mutterland des Kommunismus‘. Daneben spielten wohl auch der so genannte sozialistische Wettbewerb – eine aus der Sowjetunion übernommene Kampagne, die Anreiz zur (Über-)Erfüllung der Pläne bieten sollte – und die damit einhergehende Brigadebewegung eine nicht unerhebliche Rolle: Seit den 1960er Jahren kämpften Arbeitsbrigaden und Kollektive in Betrieben und Einrichtungen unter dem Motto „Sozialistisch arbeiten, lernen und leben!“ um den Titel „Brigade/Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ und die damit verbundenen, nicht unerheblichen Prämienzahlungen. Auch diese Kampagne hatte wiederum ihr Vorbild in der Sowjetunion, wo 1959 die „Brigaden der kommunistischen Arbeit“ entstanden waren. Gerade dadurch ergaben sich für die DSF Anknüpfungspunkte an der ursprünglich gewerkschaftlichen Aktion, waren doch ein ‚wahrhaft sozialistisches Leben und Lernen‘ nur im Erfahrungsaustausch mit dem Vorbild Sowjetunion erreichbar. Seit den 1970er Jahren konnten Betriebsgruppen außerdem auch um den Titel „Brigade/Kollektiv der deutsch-sowjetischen Freundschaft“ in Wettbewerb treten. Obwohl im Bewertungskatalog Partnerbetriebe in der Sowjetunion keine Erwähnung fanden, dürfte eine solche Verbindung trotzdem Pluspunkte im Wettbewerb und womöglich Prestigegewinn für den Betrieb insgesamt eingebracht haben.514 In diesem Zusammenhang steht wohl auch die Anfrage des Leiters einer Dachdeckerbrigade aus Riesa, der sich im Jahr 1960, offenbar an der örtlichen DSF-Gruppe vorbei, zunächst an den Rundfunk Moskau, dann an die SSOD auf der Suche nach einer Partnerbrigade in der UdSSR gewandt hatte. Letztere leitete die Anfrage an die BELOD weiter, wo man dem Brigadeleiter aus der DDR bedauernd und möglichst diplomatisch mitteilte, eine gleichartige Brigade gäbe es zwar nicht, man versuche aber Anderweitiges zu 512 Schreiben des ZV der DSF an die BELOD, 7.7.1960, NARB f. 914, op. 3, d. 62, l. 161–163. 513 Eine genaue Aufschlüsselung nach Bereichen findet sich bei Kuhn: Gesellschaft für DeutschSowjetische Freundschaft, S. 123–124. 514 Zur Brigadebewegung in DDR-Betrieben und ihrer gesamtgesellschaftlich großen Bedeutung vgl. Reichel, Thomas: „Sozialistisch arbeiten, lernen und leben“. Die Brigadebewegung in der DDR (1959–1989), Köln u.a. 2011, S. 29–37, 53, 67–70, 205, 275–277 insbesondere.
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vermitteln.515 Der derart vertröstete Brigadier gab damit aber keinesfalls auf, wie man das vielleicht erwartet hatte: Im Januar 1961 schrieb er erneut, dieses Mal direkt an die BELOD, und dann ein zweites Mal im März, nachdem er auf sein Schreiben noch immer keine Antwort erhalten hatte. Die Absage der BELOD kam einen Monat später: Man habe keine geeignete ähnliche Dachdeckerbrigade in der Republik und könne daher keinen Erfahrungsaustausch vermitteln. Die findige und eigenständige Initiative des Brigadeleiters, vermutlich zur Verbesserung der Chancen seiner Brigade im Wettbewerb, lief also letztlich ins Leere, womöglich gerade weil sie den Pfad der sorgfältig vermittelten und geplanten Erfahrungsaustausche zu verlassen drohte, die üblicherweise zunächst durch die Freundschaftsgesellschaften oder Gewerkschaften vorgeschlagen und dann durch zuständige Parteikomitees bestätigt werden mussten.516 Als Vorzeigebeispiel für sozialistischen Erfahrungsaustausch im Sinne der Freundschaftsgesellschaften entpuppten sich dagegen die Direktkontakte zwischen dem VEB Textilwerk Einheit in Glauchau und dem Kammgarnkombinat in Minsk. Nachdem es anfänglich Schwierigkeiten in der Vermittlung der Kontakte gegeben hatte, weil sich die Kolleginnen aus Glauchau über ein dreiviertel Jahr Zeit für ihr erstes Antwortschreiben gelassen hatten und die BELOD intervenieren musste, stand im Jahr 1965 offenbar alles zum Besten bei den Beziehungen zwischen Minsk und Glauchau: Beide Betriebe waren durch einen Freundschaftsvertrag miteinander verbunden und sogar der sozialistische Wettbewerb hatte eine internationale Dimension angenommen: So standen drei Brigaden des deutschen Textilwerks Einheit im Wettbewerb mit Textilarbeiterinnen im Minsker Kammgarnkombinat, Vorzeigebetrieb der sowjetisch-deutschen Freundschaft.517 Hinweise auf Briefwechsel zwischen einzelnen Brigaden finden sich wiederholt in Quellen; es ist durchaus anzunehmen, dass es in diesem Rahmen tatsächlich zu einem echten Erfahrungsaustausch, möglicherweise zu positiven Einflüssen auf die Volkswirtschaft, und vielleicht auch auf die 515 Brief eines Brigadeleiters aus Riesa an die SSOD, 24.10.1960 sowie Antwortschreiben der BELOD an den DDR-Bürger, 8.12.1960, NARB f. 914, op. 3, d. 62, l. 310, 311. 516 Vgl. dazu verschiedene Bspe. in den Akten der KPB: NARB f. 4p, op. 56, d. 1, l. 113; ebd. d. 2, l. 89–92, ebd. d. 3, l. 68–71. 517 Vgl. dazu ADN-Pressemeldung von den Tagen der Kultur der DDR in der BSSR, 20.10.1965, BArch DR1/8708, unpag.; Schreiben Smirnovs, BELOD, an Beyling, Sekretariat des ZV der DSF zu Schwierigkeiten in der Kontaktvermittlung, 27.6.1962, SAPMO-BArch DY32/574, unpag.; Schreiben Böhnke, DSF, an die BELOD mit beiliegendem Brief der Textilarbeiter aus Glauchau, NARB f. 914, op. 4, d. 15, l. 241, 243; ein noch besser entwickeltes Bsp. geben Quellen aus dem Bezirk Potsdam für das Jahr 1977 wieder: Hier hatten die Gärtnerische Produktionsgenossenschaft Immergrün in Teltow und der Sowchos Minsker Gemüsebetrieb sogar einen detaillierten Vertrag über den sozialistischen Wettbewerb zwischen beiden Betrieben abgeschlossen. Demnach standen Kollektive der beiden Partner im direkten Wettbewerb miteinander; ein bis zweimal jährlich wurden Delegationen ausgetauscht, einerseits zur Abrechnung des Wettbewerbs und zum Austausch neuer Produktions- und Arbeitsmethoden, andererseits aber auch anlässlich von Festen und Jubiläen. Die gegenseitigen Erfahrungsaustausche vor Ort waren offenbar so etabliert, dass sich im Vertrag sogar Festlegungen über die Entlohnung kurzzeitig anwesender Mitarbeiter aus Minsk finden, BLHA Rep. 530, Nr. 6510, unpag.
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zwischenmenschlichen Beziehungen kam. Diese Dimension der sowjetischdeutschen Zusammenarbeit, die, mehr oder weniger intensiv, hunderte von Betrieben betroffen haben dürfte, harrt bislang noch einer genaueren Erforschung. Daneben gab es aber durchaus auch von der Sowjetunion überzeugte DDRBürger, die sich auf diesem Wege Hilfestellung für ihren Betrieb (und sich selbst) erhofften. So übermittelte die SSOD der BELOD im Juli 1965 den Brief eines Genossenschaftsbauern aus dem Kreis Rostock, dessen LPG zwar bereits im Erfahrungsaustausch mit einer belorussischen Kolchose stand, der von den Ergebnissen aber offenbar enttäusch war. In seinem Schreiben an den „Gen. Breschnew“ schilderte der Mann die unglückliche Lage seiner deutlich unter Plan produzierenden LPG und der vor sich hin dümpelnden DSF-Grundorganisation, der es von allen Seiten an Unterstützung fehle. Die Beschreibung seiner eigenen Haltung lässt auch Rückschlüsse auf die Einstellung seiner Kollegen zur Sowjetunion zu: „Die Freundschaft zu Ihrem Volk liegt mir sehr am Herzen und meiner Meinung nach darf man als ehrenamtlicher Funktionär der Gesellschaft für D-S.F nichts unversucht lassen um diesen Gedanken in die Tat umzusetzen. Man darf die Deutsch-Sowjetische Freundschaft nicht als notwendiges Übel betrachten sondern mit ganzem Herzen dabei sein (sic!).“518
Dazu erhoffte sich der Mann Hilfe aus der Sowjetunion: Nicht nur bat er um einen Erfahrungsaustausch mit einer weiteren Kolchose – ob das daran lag, dass die bisherigen Aktivitäten in dieser Richtung wenig gebracht hatten, bleibt offen –, sondern auch um Übersendung von Materialien. Insbesondere schlug er durchaus praktisch orientier vor, ihm einen „Filmapparat“ zu übersenden; dann könne die LPG ihre Arbeit filmen und der Partnerkolchose zur Auswertung zur Verfügung stellen. Damit gelänge es sicher auch, neue Mitglieder für die DSF zu werben, denn, und hier zeigte sich, wie gut der Genossenschaftsbauer die Rhetorik der deutsch-sowjetischen Freundschaft verinnerlicht hatte: „Man darf die deutsch-sowjetische Freundschaft nicht dem Selbstlauf überlassen denn die internationale politische Lage sieht doch nicht gut aus und nur die Freundschaft mit dem Sowjetvolk garantiert den Frieden in der Welt.“519
Zuletzt äußerte der Mann noch eine persönliche Bitte: In sowjetischer Kriegsgefangenschaft sei er „schlauer“ geworden und nun begeistert von den Errungenschaften der Sowjetunion. Sein größter Wunsch sei daher eine Reise in „das Heimatland des Kommunismus“, was aber mit seiner geringen Rente keinesfalls zu bewerkstelligen wäre. Ob der „Gen. Breschnew“ ihm seine „Wünsche erfüllen könne“? Erwartungsgemäß war es nicht „Gen. Breschnew“, der dem deutschen Freund antwortete, sondern der Vorsitzende des Präsidiums der BELOD, der ihm unverbindlich für seinen Brief dankte und, ohne auf weitere Fragen und Ideen
518 Schreiben der SSOD an die BELOD mit Schilderung des Sachverhaltes und beiliegendem Brief eines LPG-Bauern aus dem Kreis Rostock, 31.7.1965 sowie Antwortschreiben der BELOD an den Bauern A. D., 5.8.1965, NARB f. 914, op. 4, d. 146, l. 14–19. 519 Ebd.
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einzugehen, knapp mitteilte, dass er sich bezüglich einer Sowjetunion-Reise an deutsche Stellen wenden müsse.520 Die Beispiele zeigen gleich mehrere Aspekte auf: Zum einen machen sie deutlich, dass vielfach Nützlichkeitserwägungen bei der Kontaktsuche mit sowjetischen Unternehmen eine entscheidende Rolle spielten. So konnte es einen deutlichen Vorteil im sozialistischen Wettbewerb bieten, wenn eine Partnerbrigade in der Sowjetunion bestand – wobei die Anreize dann vor allem finanzieller Natur gewesen wären. Gleiches mag, leider anhand der ausgewerteten Quellen nicht eindeutig nachweisbar, auch für „Brigaden der kommunistischen Arbeit“ auf sowjetischer bzw. belorussischer Seite gegolten haben. Außerdem winkten, insbesondere wenn es zum Abschluss eines Freundschaftsvertrages zwischen beiden Betrieben kam, Delegationsreisen ins Ausland, vornehmlich für leitende Führungskräfte, aber auch für besonders positiv aufgefallene ‚einfache‘ Arbeiter. Die Freundschaftsgesellschaften wiederum, und damit die verantwortlichen Stellen in Partei und Staat, erhofften sich positive Effekte auf die Volkswirtschaft und, im Fall der sowjetischen Auslandsinformation, eine Darstellung der fortschrittlichen Arbeits- und Lebensweise des sowjetischen Volkes in den sozialistischen Bruderländern. Damit wurden die korrespondierenden Arbeiter gleichzeitig zu (oft unfreiwilligen) Botschaftern ihres Landes. Dass diese doppelte Aufgabenstellung und die zusätzliche Belastung in einer SDF bzw. DSF-Betriebsgruppe viele überforderte, zeigt das häufige Eingreifen der Freundschaftsgesellschaften zur Initiierung und Beschleunigung von Briefwechseln. In anderer Hinsicht zeigt gerade das Beispiel des Rostocker Landarbeiters aber auch, dass die Sowjetunion-Propaganda in der DDR durchaus Wirkung zeigte, auch und gerade wenn die Erfahrungen mit der DSF selbst keine besonders guten waren. Der oben genannte LPGler aus dem Kreis Rostock wandte sich unmittelbar an sowjetische Stellen, genauer an Leonid Breschnew, von dem er täglich in der Zeitung lesen konnte, und erhoffte sich von dieser Seite Hilfe für die Probleme seines Betriebs. Dass er mit den Ritualen der deutsch-sowjetischen Freundschaft gut vertraut war, zeigt seine Bezugnahme auf den aktuellen Diskurs: Nur die Freundschaft zur Sowjetunion garantiere den Frieden auf der Welt. Diese Art der Formelhaftigkeit findet sich auch in anderen Briefen, die die Freundschaftsgesellschaften von Betrieb zu Betrieb vermittelten. Oft wurde das hervorgehoben, was man als Freundschafts-‚Beweis‘ erachtete: die Durchführung von Freundschaftsabenden oder ähnlichen Veranstaltungen, die Produktion nach sowjetischem Vorbild (Neuererbewegung, Brigadebewegung), die Auswertung der letzten Sitzung der KPdSU und ähnliches.521 Weniger fremd wurde der Partnerbetrieb dabei vermutlich nur jenen, die das Glück und Privileg hatten, zu einer Delegationsreise aufbrechen zu dürfen – nicht um-
520 Ebd. 521 Vgl. z. B. Brief einer Trikotagefabrik in Apolda an einen belorussischen Betrieb, Februar 1962, NARB f. 914, op. 4, d. 15, l. 28–29.
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sonst entstanden auch gerade aus solchen persönlichen Treffen und Begegnungen Eigeninitiativen zur Aufnahme von Kontakten.522 Eigeninitiativen jedoch hatten es mitunter nicht leicht oder wurden sogar abgeblockt, wenn es nicht wichtige Fürsprecher und Unterstützer, beispielsweise auf Parteiebene, gab. Zwar änderte sich dies vor allem seit den 1970er Jahren, weil nun auch vermehrt andere Institutionen in die bilateralen Beziehungen eingriffen523 und Kontaktaufnahmen beschleunigen konnten. Dennoch zeigt ein Beispiel aus dem Kreis Potsdam von 1977, dass es geradewegs zu einer Odyssee werden konnte, derartige Kontakte in Eigenregie, also ohne Anweisung ‚von oben‘ zu initiieren: Nachdem sich die Gärtnerische Produktionsgenossenschaft (GPG) Immergrün drei Jahre lang auf dem üblichen Weg (Anfragen an Parteistellen, Freundschaftsgesellschaft) um einen Partnerbetrieb in der Sowjetunion bemüht hatte, nahm einer der Mitarbeiter – SED-Mitglied und damit mit Kontakten zur SED-Bezirksleitung ausgestattet – die Sache selbst in die Hand. Bei einem Treffen mit Minsker Touristen versicherte er sich der Hilfe der Delegationsleiterin, verschickte Post über diese bzw. den sowjetischen Postdienst, reiste schließlich selbst als Reiseleiter einer Touristenreise in die BSSR und schaffte es schließlich, durch persönliche Vorsprachen und Abmachungen den Abschluss eines Freundschaftsvertrages mit dem Sowchos Minsker Gemüsebetrieb und die stetige Kooperation beider Betriebe zu erreichen. Nach fast sechs Jahren Bemühungen war sich der Genosse schließlich sicher: „[…] diese Freundschaftsbrücke ist geschlagen und stabil!“.524 Dank des Einsatzes dieses besonders engagierten Mitarbeiters hatte sich im Fall des Gärtnereibetriebes ein freundschaftlicher und beidseitig nutzbringender Erfahrungsaustausch entwickelt. Dieses Beispiel kann jedoch kaum verallgemeinert werden; im Gegenteil beschränkte sich der Austausch in vielen Fällen auf einen mehr oder minder formalisierten Briefwechsel, der auch nach ein, zwei Schreiben wieder ‚einschlafen‘ konnte – was dann wiederum die Freundschaftsgesellschaften auf den Plan rief. Obwohl also diese Initiative unmittelbar dort ansetzte, wo sich ein Großteil des sozialen Lebens abspielte, nämlich im Betrieb, dürfte die Einbindung in die Tätigkeit der Freundschaftsgesellschaften paradoxerweise mehr gehemmt als geholfen haben: Auch der Briefwechsel über den Be522 So entstand bspw. 1967 zwischen den Erdöl verarbeitenden Betrieben in Polock/Novopolock und Schwedt eine solche Betriebspartnerschaft nach dem Besuch einer belorussischen Delegation in Schwedt. Anlässlich des Besuches war offenbar die Idee dieser Partnerschaft aufgekommen und es wurde daraufhin ein Antrag an die Freundschaftsgesellschaften gestellt, der auch gewährt wurde. Letzten Endes entstand daraus sogar eine Abteilung der SDF in Novopolock. Vgl. dazu Schreiben der Betriebsgruppe VEB Erdölverarbeitungswerk Schwedt an die belorussische Abt. der SDF, 23.1.1967 sowie Antwortschreiben an den Betrieb, 4.4.1967, NARB f. 914, op. 4, d. 234, l. 64–66; zur Abteilung der SDF in Novopolock: Übersicht über geplante Veranstaltungen der Abt. für 1974, ebd., d. 519, l. 39–41. 523 Dies waren vor allem das Generalkonsulat der DDR in Minsk seit 1972 bzw. die engeren Kontakte zwischen den Partnerbezirken Potsdam – Minsk, Frankfurt/Oder – Vitebsk. Siehe dazu Kapitel 5.1 dieser Arbeit. 524 Schreiben Alexander S.’ an Christa N., SED-BL Potsdam, 9.10.1977, BLHA Rep. 530, Nr. 6510.
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trieb geriet damit nämlich in die Liste der ‚von oben‘ erwarteten Freundschaftsbekundungen, die in festgelegten Ritualen abzulaufen hatten, oder gar, wie etwa die Treffen mit sowjetischen Touristen in der DDR oder andere Freundschaftsveranstaltungen, regelrecht ‚gebucht‘ werden konnten, um die eigene erfolgreiche Arbeit zu demonstrieren.525 Obwohl also die Zahl der Grundorganisationen und Betriebskontakte bis in die 1980er Jahre eine beeindruckend hohe Anzahl erreichte – eine Auflistung für das Jahr 1986 erfasste etwa 100 Grundorganisationen oder Kollektivmitglieder der SDF in der BSSR sowie 21 bzw. 19 Partnerschaftsbeziehungen zwischen Betrieben allein in den Partnerbezirken Potsdam–Minsk und Frankfurt/Oder–Vitebsk – beschreibt auch dies die angestrebte „enge und freundschaftliche Verbindung“ vor allem quantitativ. Zu persönlichem Kontakt und Freundschaften kam es wahrscheinlich eher dort, wo eine ganz unmittelbare Zusammenarbeit stattfand, wie etwa bei den seit den 1970er Jahren im Rahmen des RGW realisierten so genannten Integrationsprojekten. In der BSSR wäre hier vor allem der Aufbau des Chemiewerkes Polymir 50 in Novopolock, Oblast’ Vitebsk, zu nennen, das von sowjetischen und deutschen Wissenschaftlern und Arbeitern Anfang der 1970er Jahre errichtet wurde. Die gleiche Polymer-Fabrikationsanlage wurde im Anschluss unter dem Namen Polymir 60 in der DDR, in Leuna, verwirklicht.526 Wie der Erfahrungsaustausch im Rahmen der Betriebskontakte ist auch leider der gesamte Komplex der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit, oder auch der Zusammenarbeit im Zentralen Jugendobjekt der FDJ, der Erdöltrasse „Drushba“527 , bislang relativ wenig erforscht. Gerade diese Beispiele könnten aber interessante Einblicke liefern in Mikrokosmen der deutschsowjetischen Zusammenarbeit über die Freundschaftsgesellschaften hinaus.528
3.3.3.2 Anfragen einzelner ‚Freunde‘ Die Freundschaftsgesellschaften waren, das hat diese Untersuchung bislang gezeigt, nur auf dem Papier öffentliche und offene Gesellschaften. Zwar stand eine 525 Vgl. zur Arbeit der DSF-Grundorganisationen, insbesondere zur ‚Bestellung‛ von Freundschaftsveranstaltungen Satjukow: Befreiung?, S. 199–203. 526 Schmidt, Harald und Dieter Schnurpfeil: „Zeitzeugen vorgestellt. Einer der Väter des ‚Polymir‘ – Professor Dr. Manfred Rätzsch“, Merseburger Beiträge zur Geschichte der chemischen Industrie Mitteldeutschlands 16 (2012), http://web.hs-merseburg.de/~amk/files/ Zeitzeugen_vorgestellt_Manfred_Raetzsch.pdf (zugegriffen am 3.6.2017); „Staatspreis der UdSSR für ‚Polymir 50‘ (‚Prawda‘ vom 17. August 1976)“, Presse der Sowjetunion (40), 01.10.1976, S. 14. 527 Vgl. dazu Obuchoff, Hajo, Lutz Wabnitz und Frank Michael Wagner: Die Trasse. Ein Jahrhundertbau in Bildern und Geschichten, Berlin 2012; sowie zum heutigen Diskurs Prochnow, Jeanette: „‚West Germans don’t even know about it‘. An Analysis of Narrations by East German COMECON Pipeline Workers after the Fall of the Wall.“, Australian and New Zealand Journal of European Studies 2/1 (2010), S. 16–34. 528 Eine interessanten Einblick in eine andere Art der sowjetisch-deutschen „Produktionsbeziehungen“, nämlich die (verbotene) Arbeit der Frauen sowjetischer Militärangehöriger in ostdeutschen Betrieben bietet Satjukow: Befreiung?, S. 205–210.
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Mitgliedschaft im Prinzip jedem offen, eine Nicht-Mitgliedschaft aber konnte umgekehrt Nachteile im beruflichen Fortkommen verursachen. Zudem ließ die sowjetische Form der Kollektivmitgliedschaft von ganzen Betrieben oder Einrichtungen den Mitgliedern nicht immer eine Wahl. Trotzdem versuchten die Gesellschaften gegenüber den ausländischen Partnern, aber auch gegenüber der eigenen Bevölkerung, den Eindruck einer offenen Massenbewegung ‚von unten‘ zu erwecken, nicht zuletzt in den gesellschaftseigenen Informations- oder den Massenmedien. Dies führte dazu, dass gerade Menschen, die sich aus verschiedenen Gründen für Gesellschaft und Kultur des Partnerlandes interessierten und aus eigenem Antrieb handelten, die Gesellschaften als Kontaktvermittler oder Informationsquellen in die Pflicht zu nehmen versuchten. So sind in den Archivbeständen der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft des Bundesarchivs zahlreiche Aktenbände erhalten, die Anfragen sowjetischer bzw. deutscher Bürger nach entsprechenden Kontakten wie etwa Briefwechseln enthalten oder auch Wünsche nach Informationsmaterialien über die DDR bzw. die Sowjetunion.529 Reichliche Hinweise auf Anfragen und Schreiben einzelner Bürger finden sich auch in den Beständen der Dachgesellschaft SSOD, die sich im Staatlichen Archiv der Russischen Föderation in Moskau befinden.530 Dagegen blieb die Zahl der Anfragen, die unmittelbar an die BELOD gerichtet wurden, relativ gering. Dies mag zum einen am geringeren Bekanntheitsgrad liegen, zum anderen wohl auch daran, dass deutlich weniger DDR-Bürger auf die Idee gekommen sein dürften, eine solche Anfrage nach Minsk zu senden – wo sich doch stets Moskau als das Zentrum der Sowjetunion präsentierte. Auch bei den im vorigen Abschnitt vorgestellten Anfragen zu Betriebskontakten bat man um Kontakte zu einem sowjetischen Betrieb; die Weiterleitung nach Minsk erfolgte dann in der Regel durch die Moskauer Dachorganisation. Wer sich dagegen an die BELOD wandte, hatte meist ein sehr spezifisches Anliegen (also kaum Wünsche nach Informationsmaterial) und war nicht selten schon in der BSSR gewesen, auch wenn es sich dabei nicht um Freundschaftsbesuche gehandelt hatte… So wandte sich zu Beginn des Jahres 1958 ein Kriegsveteran aus der DDR zunächst an das ZK der KPB bzw. an den Minsker Stadtsowjet, nachdem er nach eigenen Angaben in der Zeitung über die Gründung der SDF gelesen hatte. Wortreich schilderte er, jetzt Mitglied der SED und DSF, seine Vergangenheit in der BSSR: 529 Vgl. dazu das Online-Findbuch der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (Bestand DY 32) im SAPMO Bundesarchiv Berlin, Punkt 7.6 Beziehungen zwischen Einrichtungen der DDR und der UdSSR, online unter: http://www.argus.bstu.bundesarchiv.de/dy32/ index.htm (zugegriffen am 15.5.2017). Eine detaillierte Auswertung einer großen Zahl von Eingaben von DDR-Bürgern aus dem Jahr 1956 an die DSF bietet Dralle: Von der Sowjetunion lernen, S. 384–402. 530 Vgl. auch hier das Online-Findbuch der SSOD (Союз Советских Обществ Дружбы и Культурной Связи с Зарубежными Странами (ССОД)) im Staatlichen Archiv der Russischen Föderation (Bestand/Fond P 9576), besonders Findbuch Nr. 4: Abteilung für die sozialistischen Länder Europas, online unter: http://statearchive.ru/383 (zugegriffen am 15.5.2017); leider konnte der Bestand der SSOD im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht ausgewertet werden.
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So sei er während des Krieges vor dem Abzug der „Hitler-Banditen“ als Maschinist der Eisenbahn in Minsk tätig gewesen, hätte Freunde in der weißrussischen Hauptstadt gefunden, diese geschützt und außerdem den Partisanen geholfen. Nun sei er auf der Suche nach seinen ehemaligen Minsker Freunden, auch damit diese seine Geschichte bestätigen könnten. Der Mann, der keine Beweise für seine antifaschistische Vergangenheit hatte, litt offensichtlich unter der Nicht-Anerkennung und hätte seine Geschichte auch gerne „dem Kino übergeben“. Das Schreiben landete schließlich im Frühjahr des Jahres 1961 in den Unterlagen der BELOD; ein Antwortschreiben an den Kriegsveteranen ist nicht erhalten.531 Vermutlich konnte seine Geschichte einerseits nicht nachgeprüft und verifiziert werden, andererseits sollte es bis zur ‚Entdeckung‘ Fritz Schmenkels und der Popularisierung der gemeinsamen deutsch-belorussischen ‚Partisanenvergangenheit‘ noch einige weitere Jahre dauern.532 Auch eine Frau, die während des Krieges in Minsk gearbeitet hatte, wandte sich im September 1960 an die Minsker Stadtverwaltung. Nachdem die Suche nach ihren belorussischen Freunden erfolglos verlaufen war, übergab man die Sache der Freundschaftsgesellschaft, die der DDR-Bürgerin die bedauerliche Nachricht übermittelte.533 Erstaunlich erscheint es trotzdem, dass man auf belorussischer Seite bereits 15 Jahre nach Kriegsende bereit war, einer Deutschen, die offensichtlich für die Besatzungsmacht gearbeitet hatte, bei der Kontaktherstellung zu früheren Freunden behilflich zu sein. Umgekehrt mag es sein, dass die Gründung der Sowjetisch-Deutschen Freundschaftsgesellschaft, nachdem es bis 1958 kein Pendant zur DSF gegeben hatte, durch betroffene DDRBürger tatsächlich als ein Zeichen der Versöhnung gewertet wurde – und damit den Auslöser zur Versendung ihrer Anfragen darstellte. Für die Suche in umgekehrter Richtung wandten sich auch belorussische Bürger an die Freundschaftsorganisation, so etwa eine Frau auf der Suche nach ihrem zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich deportierten Sohn. Die DSF, der das Schreiben durch die BELOD übermittelt wurde, leitete die Anfrage an den Suchdienst des Roten Kreuzes weiter, der Ausgang ist leider unbekannt.534 Und selbst 30 Jahre nach Kriegsende war der Zweite Weltkrieg noch bedrückend präsent, wenn ein Minsker Bürger 1975 mit einem Einwohner aus Karl-Marx-Stadt und der lokalen DSF-Gruppe korrespondierte mit der Bitte, das dortige Grab einer als Ostarbeite-
531 Mehrseitiges Schreiben Gustav L.s an das ZK der KPB und den Minsker Stadtsowjet, 12.2.1958, NARB f. 914, op. 3, d. 102, l. 55–65. 532 Zur ‚Entdeckung‘ Fritz Schmenkels anlässlich des 20. Jahrestages der Befreiung des deutschen Volkes vom Faschismus 1965 vgl. auch Kap. 5.3.2. 533 Schreiben des MID der BSSR an die BELOD über den Fall Lieselotte F., 22.10.1960 sowie Schreiben der DDR-Bürgerin, 3.9.1960, und Kopie des Antwortschreibens der BELOD, 9.11.1960, NARB f. 914, op. 3, d. 62, l. 285–287. 534 Schriftwechsel bezüglich der Sowjetbürgerin Anna Š. aus Vitebsk, deren Sohn 1942 verschleppt worden war, in den Akten der BELOD: Die Frau hatte sich offenbar zuvor bereits an das Komitee zur Rückkehr in die Heimat in Ostberlin gewandt, wo man ihr jedoch nicht hatte weiterhelfen können, 4.1.1962–11.4.1962, NARB f. 914, op. 4, d. 15, l. 48–54.
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rin verschleppten Weißrussin besuchen zu können.535 Dabei schien das Nebeneinander der belasteten Vergangenheit und der propagierter Freundschaft zwischen Besatzern und Besetzten des Zweiten Weltkriegs im Alltag der Freundschaftsgesellschaften keine Probleme zu bereiten: Derartige Anfragen wurden sehr sachlich und kaum anders behandelt als andere gemeinsame Angelegenheiten – ein Verhalten, das zum gemeinsamen sowjetisch-deutschen Nachkriegsnarrativ passt.536 Einen weiteren Widerspruch in der organisierten Freundschaftsarbeit zeigen Anfragen nach Reisemöglichkeiten in das Freundesland; diese wurden fast immer abschlägig beurteilt. So wandte sich im Januar 1967 ein naturinteressierter DDRBürger an die BELOD, der in der Sonderausgabe der Presse der Sowjetunion vom Oktober 1966, anlässlich der sowjetischen Kulturtage, über die BSSR gelesen hatte. Speziell bezog er sich dabei auf einen Artikel („Ein Wort über unsere Freundschaft“)537, der die besonders enge, freundschaftliche Verbundenheit zwischen der DDR und der BSSR und die rege Tätigkeit der Freundschaftsgesellschaft thematisierte. Der Mann, der nach eigenen Angaben bereits zwei organisierte Gruppenreisen in die Sowjetunion unternommen hatte, wünschte sich nun eine individuelle Reise „zum Studium von Flora und Fauna in den Naturschutzpark“ Belavežskaja Pušča. Die in der Presse vermittelte Offenheit blieb jedoch auch hier Illusion: Zwar schickte die BELOD dem Reiseinteressierten einen Bildband über den Naturpark, verwies ihn ansonsten aber an das Reisebüro der DDR – was dem deutschen Naturfreund jedoch wenig weitergeholfen haben dürfte.538 Zwar waren seit 1964 für DDR-Bürger prinzipiell auch Privat-Reisen in die Sowjetunion möglich, dazu war jedoch durch die komplizierten Einreisebestimmungen eine Einladung nötig.539 Umgekehrt erwies es sich auch für sowjetische Bürger als schwierig, an eine der begehrten (organisierten) DDR-Reisen zu kommen, so dass auch hier vergebliche Reiseanfragen bei der Gesellschaft eingingen.540 Daneben erhielten die Gesellschaften eine ganze Reihe Anfragen von Menschen, die Kontakte und Brieffreundschaften suchten, darunter etwa auch Bürger 535 Schreiben des BV der DSF Karl-Marx-Stadt an die BELOD: die deutsche Seite holte zunächst die Erlaubnis ein, den Minsker einladen zu dürfen; die BELOD arrangierte daraufhin für ihn einen Platz in einer spezialisierten Touristenreise, 26.2.1975, NARB f. 914, op. 4, d. 552 , l. 59, 61, 75. 536 Zur Konstruktion dieser gemeinsamen Erinnerung vgl. insbesondere Kap. 5.3 dieser Arbeit. 537 Mirotschizki, Lew: „Ein Wort über unsere Freundschaft“, Die Presse der Sowjetunion, 31.10.1966, S. 6–7. 538 Schreiben Fritz L.s an die BELOD, 2.1.1967 sowie Antwortschreiben, 22.2.1967, NARB f. 914, op. 4, d. 234, l. 37–39. 539 Vgl. dazu Reinhart, Kai: „‚Unerkannt durch Freundesland‘. DDR-Alpinismus und Transitreisen jenseits staatlicher Strukturen“, Deutschland Archiv 7 (2011), http://www.bpb.de/ geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/53586/unerkannt-durch-freundesland?p=all (zugegriffen am 18.5.2017). Zwar war, ebenfalls ab 1964, auch die Ausstellung eines Transitvisums ohne Einladung möglich, dieses Schlupfloch wurde aber erst gegen Ende der 1960er Jahre einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. 540 Vgl. z. B. Reiseanfrage einer Deutschlehrerin und Antwortschreiben der BELOD: Verweis an den Oblast’-Gewerkschaftsrat für Reisen ins Ausland, 28.10.1971 bzw. 14.11.1971, NARB f. 914, op. 4, d. 397, l. 122, 124.
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aus der Bundesrepublik. Deren Bitten wurden, wohl aus propagandistischen Gründen, überwiegend gewährt – wobei die Auswahl ‚geeigneter‘ Briefpartner natürlich sorgfältig durch die Gesellschaft erfolgte.541 Insgesamt enthalten die Akten der belorussischen Freundschaftsgesellschaft aber recht wenige individuelle Anfragen, was entweder darauf schließen lässt, dass sich ‚unbedarfte‘ Sowjetunion-Freunde wie bereits vermutet, eher an die SSOD bzw. die Zentrale der SDF/SGDDR in Moskau wandten oder aber unmittelbar an die im öffentlichen Leben der DDR stets präsente deutsche Freundschaftsgesellschaft. Die geringe Bereitschaft und häufig knappe Art und Weise, mit der solche individuellen Anfragen bearbeitet wurden, zeigt, dass die Gesellschaften eine derartige Kontaktaufnahme auch gar nicht unbedingt wünschten. Sie verstanden sich viel mehr als Institutionen, die im Rahmen festgelegter Planungen mit anderen Institutionen zusammenarbeiteten. Individuelle Kontaktwünsche von Bürgern entzogen sich dieser Planbarkeit und mithin auch der Kontrolle und waren daher im Konzept nicht vorgesehen.
3.3.3.3 „Internationalistische Erziehung“: Pionier- und Schulkontakte Dem Selbstverständnis des sozialistischen Staates entsprach es, dass sich Erziehung, vor allem internationalistische Erziehung, keinesfalls auf Kinder und Jugendliche beschränken durfte; im Gegenteil betraf dieses Thema die gesamte Bevölkerung jeden Alters. Entsprechend widmete der Arbeitsbericht der belorussischen Abteilung der SGDDR für das Jahr 1971 der „Internationalistischen Erziehung“ der Bevölkerung einen eigenen, ausführlichen Abschnitt.542 Für Studenten und Jugendliche hingegen waren in erster Linie die Jugendorganisationen Freie Deutsche Jugend (FDJ) und Kommunistischer Jugendverband (Komsomol, offiziell: Gesamtsowjetischer Leninscher Kommunistischer Jugendverband, VLKSM) zuständig, auch was die internationale Zusammenarbeit betraf. Insbesondere der gesamte Bereich des Reiseverkehrs und Delegationsaustauschs, auch der Freundschaftszüge, oblag der FDJ bzw. dem Reisebüro der Jugendorganisation. 543 Die 541 Vgl. dazu z. B. Anfrage des DDR-Bürgers Heinz F., 17.7.1959, NARB f. 914, op. 3, d. 6, l. 110–113; Anfrage Edith G., 22.10.1961, ebd. op. 3, d. 103, l. 162–164; Schreiben der SSOD zur Vermittlung von Briefkontakten für zwei westdeutsche Bürger, 11.4.1959, ebd. op. 3, d. 15, l. 75–76 u.a. 542 „Information über die Arbeit der Belorussischen Abteilung der Sowjetischen Gesellschaft für Freundschaft mit der DDR“, vermutlich 1972, NARB f. 914, op. 4, d. 439, l. 79–96. 543 So verfügte auch das Sekretariat der FDJ über eine Abteilung Internationale Verbindungen, die bis in die 1960er Jahre insbesondere Verbindungen zu anderen Ostblockstaaten – auch dem sowjetischen Komsomol – suchte. Für Reisen und Tourismus besaß die FDJ seit 1975 mit Jugendtourist sogar ein eigenes Reisebüro. Wie der Komsomol war die FDJ seit 1948 Mitglied des Weltbundes der Demokratischen Jugend und richtete als prestigeträchtige internationale Veranstaltungen die Weltfestspiele der Jugend 1951 und 1973 in Berlin aus. Vgl. dazu: Herms, Michael: „Freie Deutsche Jugend (FDJ)“, in: Stephan, Gerd-Rüdiger u. a. (Hrsg.): Die Parteien und Organisationen der DDR. Ein Handbuch, Berlin 2002, S. 483–499; Bundesarchiv: „Online Findbuch: Freie Deutsche Jugend. Einleitung“, http://www.argus.bstu.
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Freundschaftsgesellschaften waren daher auf diesem Gebiet nur in wenigen Bereichen aktiv oder dienten der Unterstützung der Jugend- und insbesondere der Pionierorganisationen544. Lediglich ein kleiner Teil der Kinder- und Jugendarbeit gehörte dagegen unmittelbar zum Aufgabenbereich der Freundschaftsgesellschaften, wie es im o.g. Arbeitsbericht heißt: „Die belorussische Abteilung der SGDDR erweist den Klubs der internationalen Freundschaft im Minsker Palast der Pioniere und Schüler und den Schulen der Republik beständige Hilfe bei der internationalistischen Erziehung des Nachwuchses.“545
Diese Hilfe bestand in der Versorgung mit Informationsmaterialien sowie dem Besuch entsprechender Kinder- und Jugendeinrichtungen durch Aktivisten der Gesellschaft, wo sie Vorträge hielten oder den Kindern bei der Anfertigung von Plakaten oder Ausstellungswänden, die sich mit dem Leben und Arbeiten in der DDR beschäftigten, halfen.546 Internationalistische Erziehung im Pionierklub547
544
545 546 547
bundesarchiv.de/dy24/index.htm (zugegriffen am 18.5.2017). Die internationalen Verbindungen der FDJ, insbesondere zur Sowjetunion, sind bislang kaum erforscht; hauptsächlich existieren dazu in der DDR entstandene bzw. sowjetische Werke. Zu den internationalen Beziehungen des belorussischen Komsomol vgl. z. B. Lejkin: Internacionalnye svjazi molodeži Belorussii. Die Pionierorganisationen, die Pionierorganisation Vladimir Il’ič Lenin in der Sowjetunion sowie die Pionierorganisation Ernst Thälmann, waren die für 10–14jährige Kinder zuständigen Jugendverbände, vor dem Eintritt der Jugendlichen in den Komsomol oder die FDJ. Vgl. dazu: Goehrke, Carsten: Russischer Alltag. Eine Geschichte in neun Zeitbildern vom Frühmittelalter bis zur Gegenwart, Bd. 3: Sowjetische Moderne und Umbruch, Zürich 2005, S. 349; Ansorg, Leonore: „Die Pionierorganisation ‚Ernst Thälmann‘“, in: Stephan, GerdRüdiger u. a. (Hrsg.): Die Parteien und Organisationen der DDR. Ein Handbuch, Berlin 2002, S. 658–677. Information über die Arbeit der Belorussischen Abteilung der Sowjetischen Gesellschaft für Freundschaft mit der DDR, 1971, NARB f. 914, op. 4, d. 439, l. 79–96, hier: 93–94. Ebd. Pionierklubs, -Häuser oder sogar -Paläste waren bereits in den 1920er Jahren in größeren Städten, in Betrieben oder auch einzelnen Dörfern entstanden. Seit den 1960er Jahren vermehrte sich ihre Zahl rasant. Ihre Räumlichkeiten dienten den Mitgliedern der Pionierorganisation Vladimir Il’ič Lenin, Kindern im Alter von 10–14 Jahren, zur gemeinsamen Freizeitgestaltung. Vor allem seit den 1960er Jahren handelte es sich dabei insbesondere um Hobbygruppen, die sich beispielsweise zu Tanz, Theater, Basteln, Musik, Spiel und Sport und vielen anderen Freizeitbeschäftigungen trafen. Damit blieb jedoch stets auch ein Erziehungsauftrag verbunden – Kinder sollten einerseits einer sinn- und ‚kulturvollen‘ Freizeitbeschäftigung nachgehen, andererseits auch im geeigneten politischen Sinne als Aktivisten, gerade für die Friedensbewegung oder die internationale Solidarität, erzogen werden. Ein ganz ähnliches System entwickelte sich in der DDR nach sowjetischem Vorbild. Auch die DDR verstand sich als ‚(Um)Erziehungsstaat‘, insbesondere in der Nachkriegszeit und vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Sozialisation eines Großteils der Bevölkerung. Die Organisation der Jungen Pioniere, ebenfalls für 10–14jährige Kinder, war, wie auch die Lenin-Pioniere, eng an die Schule angebunden, bot ebenfalls zahlreiche Freizeitaktivitäten und zielte damit auf eine umfassende Beeinflussung der Kinder. Vgl. dazu: Kelly, Catriona: Children’s World. Growing Up in Russia, 1890–1991, New Haven 2007, vor allem S. 547-560; Ansorg, Leonore: Kinder im Klassenkampf. Die Geschichte der Pionierorganisation von 1948 bis Ende der fünfziger Jahre, Zeithistorische Studien 8, Berlin 1997, S. 15–17, 67–77, 99–102.
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bot beispielsweise die Gomel’er Abteilung der SGDDR, wo eine eigene Kindergruppe der sowjetisch-deutschen Freundschaft eingerichtet worden war. Anlässlich des 20. Jahrestages der Befreiung im Jahre 1965 war es beispielsweise diese Gruppe, die in Zusammenarbeit mit deutschen Schulen ein so genanntes „Friedensforum“ veranstaltete: 20 Schulen aus der DDR schickten Schüleraufsätze zum Thema: „Wie meine Eltern und Verwandten für den Frieden kämpfen“ an den belorussischen Pionierklub, ausgewählte Exemplare wurden sogar in der Pionierzeitung Pionerskaja Zor’ka (Morgenröte des Pioniers) veröffentlicht. Aus Zittauer Schulen erhielten die Leninpioniere über 100 Zeichnungen ihrer deutschen Altersgenossen zum Thema: „Wir brauchen Frieden“ – Grundlage für eine Ausstellung im Klub der internationalen Freundschaft des Pionierpalastes. Schließlich wurden im Rahmen des Forums Gomel’er Schulen für ihr Engagement mit einer Ehrenurkunde der DSF ausgezeichnet.548 Damit wurden nicht nur bereits die 10‒14jährigen zukünftigen Sowjet- bzw. DDR-Bürger in die internationalistische Friedens- und Freundschaftsarbeit eingebunden, sondern auch die Eltern dürften angesichts der Auszeichnung ihrer Sprösslinge die sowjetischdeutsche Zusammenarbeit zumindest mit größerem Wohlwollen und Aufgeschlossenheit betrachtet haben. Dabei reihte sich die „internationalistische Erziehung“ durch die Pionierorganisationen ein in die umfassende Vermittlung eines entsprechenden Weltbildes von Kleinkindesbeinen an: Bereits in Lehrplänen für Kindergärten der DDR finden sich als Lernziele die „Entwicklung von Gefühlen der Freundschaft zur Sowjetunion“; Kinderbücher und -Zeitschriften sowie die folgende schulische Bildung setzten diese Freundschaftsthematik nahtlos fort.549 Besonders in schulischer Hinsicht engagierten sich auch die Freundschaftsgesellschaften, die regelmäßig Briefwechsel zwischen deutschen und belorussischen Schulen vermittelten. Obwohl die Ähnlichkeiten zu den, oft verordneten, Briefwechseln zwischen Betrieben und Arbeitsbrigaden nicht von der Hand zu weisen sind, schienen hier aus naheliegenden Gründen Interesse und Eigeninitiative der Beteiligten doch ungleich größer zu sein: So fungierte Russisch seit den 1950er Jahren in allen Schulformen der DDR als erste und wichtigste Fremdsprache; sie wurde als Voraussetzung gesehen für die Ausbildung von Bürgern der sozialistischen Staatengemeinschaft, nicht nur in ideologischer Hinsicht, sondern auch im Hinblick auf die sozialistische Wirtschaftsintegration innerhalb des Ostblocks.550 Gleichzeitig war die deutsche Sprache, anknüpfend an Traditionen des Zarenreichs, an Schulen der Sowjetunion ebenfalls weit verbreitet: So entfielen von 11,6 Millionen weltweiten Deutschschülern Anfang der 1970er Jahre 75% (8,7 Mio.) auf die europäischen sozialistischen Staaten, davon alleine 8 Millionen auf die Sowjetunion. 1982/83 waren das sogar bereits 9,2 Millionen und damit
548 Bericht der Gomel’er Abteilung der SDF für das Jahr 1965, PA AA, MFAA, A 892, fol. 147– 152, hier: 148. 549 Vgl. dazu, hier besonders zur Thematik der Sowjets als Befreier und mit zahlreichen Beispielen, auch zu Pionieraktionen: Satjukow: Befreiung?, S. 65–96. 550 Ebd., S. 99–101.
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61% aller weltweiten Deutschschüler.551 Mindestens in der DDR krankte der Russischunterricht jedoch an der Lebensfremdheit der vermittelten, meist politischideologischen, Themen sowie dem fehlenden Kontakt zu muttersprachlichen Sprechern, was umgekehrt auch für sowjetische Schulen gegolten haben dürfte. Als eine Art ‚Ersatzkontakt‘ etablierten sich hier vielfach Briefwechsel zwischen Schulen, wobei die Initiative durchaus von motivierten Lehrerinnen und Lehrern ausgegangen sein mag, die versuchten, ihren Sprachunterricht durch echte Kontakte zu verbessern und lebendiger zu gestalten.552 Entsprechend finden sich in den Korrespondenzen der Freundschaftsgesellschaften zahlreiche Anfragen und Bitten von Lehrerinnen und Lehrern um Kontaktvermittlung zu Schulen des Partnerlandes, von deutscher ebenso wie von belorussischer Seite.553 Dabei sollte sich der Briefwechsel, ähnlich wie im Falle der Betriebskontakte, nach Vorstellungen der Gesellschaften wohl in kollektiver Form gestalten – also als ein Briefwechsel, den die Schüler im Klassenverband, nicht aber individuell führten. Alternativ wurden in einigen Schulen Klubs der Internationalen Freundschaft gegründet, die dann ebenso mit ihren Altersgenossen im Partnerland kommunizierten.554 Gleichzeitig war in dieser Hinsicht auch die Pionierorganisation an den Schulen aktiv: So erbaten etwa Pioniere einer 7. Klasse im Frühjahr 1967 bei der BELOD Materialien für eine Ausstellung über die Sowjetrepublik anlässlich des 50. Jahrestags der Oktoberrevolution – möglicherweise sogar eine Folge der der BSSR gewidmeten Kulturtage des vorangegangenen Jahres.555 Für einen flüssigen Ablauf des Briefaustauschs dürften im Wesentlichen die Russisch- bzw. Deutschlehrer gesorgt haben, die, im Gegensatz zu den zum Teil zwangsweise ‚verbundenen‘ Arbeitern und Angestellten, die entsprechende Fremdsprache beherrschten und damit auch ein persönliches Interesse an den deutschen bzw. sowjetischen Partnern mitbrachten. Zumindest sind in diesem Zusammenhang keine Ermahnungsschreiben der Freundschaftsgesellschaften erhalten. Im Gegenteil scheint es, dass belorussische Schüler sogar großes Interesse für ihre Altersgenossen im Ausland zeigten und die Gesellschaft, die sich als Vermittler präsentierte, beim Wort nehmen wollten. In einem Schreiben an den Bil551 Diese Dominanz des Deutschen als Fremdsprache setzte sich auch in der Hochschulbildung bzw. bei erwachsenen Sprachenlernern fort: Mitte der 1970er Jahre lernte etwa die Hälfte aller sowjetischen Fremdsprachenschüler Deutsch. Leider finden sich dabei keine Angaben zur Sprachverbreitung in einzelnen Sowjetrepubliken. Vgl. dazu Praxenthaler: Sprachverbreitungspolitik, S. 42–44. 552 Satjukow: Befreiung?, S. 105–110. 553 Insbesondere die für das Jahr 1960 ausgewerteten Dokumente der Gesellschaften zeigen zahlreiche Adressübermittlungen, etwa deutsche Adressen an die BELOD, 14.12.1960, SAPMOBArch DY 32/10726, unpag.; Anfragen belorussischer Schulen nach Adressen aus der DDR an die BELOD, 1960, NARB f. 914, op. 3, d. 62, l. 86ff.; aber auch später kam es immer wieder zu Anfragen über die Freundschaftsgesellschaften, z. B.: Anfrage einer Lehrerin einer Gomel’er Mittelschule, 22.10.1974, NARB f. 914, op. 4, d. 518, l. 95. 554 Lejkin: Internacionalnye svjazi molodeži Belorussii, S. 115–116. 555 Schreiben der Pioniere der Kl. 7b des OSK Pretzschendorf an die BELOD, 20.3.1967, NARB f. 914, op. 4, d. 234, l. 90 sowie Antwortschreiben mit Übersendung von Materialien durch die BELOD, 27.4.1967, ebd., l. 91.
3.3 Freundschaftsgesellschaften und sozialistische Aussenpolitik
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dungsminister der BSSR aus dem Jahr 1967 zeigte sich der Vorsitzende der BELOD besorgt über die große Zahl von Schüleranfragen, die um Adressen von Schülern im Ausland baten, um mit ihnen einen individuellen Briefwechsel zu beginnen. Viele dieser Briefe seien voller Fehler und recht schlampig geschrieben, weshalb eine solche Form des Briefwechsels „wenig zweckmäßig“ erscheine. In der Freundschaftsgesellschaft stellte man sich einen (politisch) sinnvollen Briefwechsel deutlich anders vor: Vorzuziehen sei ein von „erfahrenen Pädagogen“ überwachter Austausch zwischen den Schülern, oder besser noch, der Austausch zwischen ganzen Schulen oder Klassen; dieser sei erfahrungsgemäß nicht nur zielgerichteter, sondern auch von längerer Dauer. Er bat den Minister, diese „Sache durchzusehen“ und gegebenenfalls die notwendigen Anweisungen an die lokalen Organe der Volksbildung zu geben.556 Somit spielten in der Logik der sowjetischen auswärtigen Kulturpolitik auch Briefwechsel zwischen Schulen eine Rolle in der Auslandspropaganda: Sie dienten in erster Linie dem Ansehen der UdSSR/BSSR bzw. des sowjetischen Schulwesens im Ausland; Sprachvermittlung und -Kontakt traten demgegenüber an zweite Stelle. Die Überwachung und Koordinierung der Briefe durch Lehrerinnen und Lehrer oder gar die Verfassung von Briefen im Klassenkollektiv sollten sicherstellen, dass nur solche Inhalte (in fehlerfreier Form) vermittelt wurden, die politisch erwünscht oder zumindest unbedenklich waren, damit aber kaum der ‚echten‘ Lebenswelt und den Interessen von Kindern und Jugendlichen entsprachen. Es passt zur erwünschten „Massenwirksamkeit“ der deutsch-sowjetischen Freundschaftspraxis, dass solche Pionier- oder Schulkontakte auch in der Presse ausgiebig dargestellt wurden. Häufig wurde dabei das Bild eines individuellen und persönlichen Kontakts zwischen zwei Briefpartnern vermittelt („Evelyn hat einen Brief von Natascha bekommen“)557; ein Versuch, der eher abstrakten, politischen Freundschaft ein menschliches Gesicht zu geben. Daneben veröffentlichten die Parteiorgane gerne auch Artikel, die nicht nur die freundschaftlichen Kontakte zwischen deutscher und sowjetischer Jugend aufzeigten, sondern gleichzeitig die gemeinsame antifaschistische Vergangenheit beschworen. So ‚entdeckten‘ Pioniergruppen oder Schulklassen plötzlich Verbindungen zwischen Arbeitergruppen ihrer Stadt mit sowjetischen Arbeitern aus der Zeit der Weimarer Republik oder erforschten die Tätigkeit ehemaliger Widerstandskämpfer, die zusammen mit den belorussischen Partisanen gekämpft hatten.558 Der Leserbrief einer Lehrerin im Neuen Deutschland aus dem Jahre 1974 charakterisiert allerdings deutlich die politisch geprägte Choreographie dieser Brief- und Pionierfreundschaften: So hätten sich Schülerinnen und Schüler vorgenommen 556 Schreiben Smirnovs an den Minister für Bildung der BSSR, 10.1.1967, NARB f. 914, op. 4, d. 227, l. 1. 557 Russ. Übersetzung eines Zeitungsartikels in Freie Welt. Organ der SED-Bezirksleitung KarlMarx-Stadt, März 1967, NARB f. 914, op. 4, d. 234, l. 69–70. 558 Vgl. dazu z. B.: Dagmar Bischof: „Einem Leserbrief auf der Spur: Forschungsergebnis Freundschaft“, Neues Deutschland, 20.1.1974, S. 5; „Auf Spuren der Geschichte“, Neues Deutschland, 22.9.1974, S. 5. Zur gemeinsamen ‚Partisanenvergangenheit‘ vgl. auch Kap. 5.3.2.
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3 Freundschaftsverwaltung: Organisationen in Minsk und Berlin „[…] zum 25. Jahrestag unserer Republik mit guten Taten und Ergebnissen aufzuwarten und den 30. Jahrestag der Befreiung würdig zu begehen.“
Dazu gehörte auch der Briefwechsel mit Altersgenossen der sozialistischen Bruderländer: „Darin schrieben sie, wie sie sich gemeinsam mit ihnen auf den 30. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus vorbereiten wollen.“
Jeder Pionier habe sich zu diesem denkwürdigen Datum verpflichtet, einen Briefwechsel zu beginnen: „Daraus legt sich jeder Thälmannpionier bis zum 30. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus eine Mappe an, in der er seine Freundschaft zur Sowjetunion und zu den anderen, sozialistischen Nachbarstaaten darlegt.“
Schließlich wurde diese ‚Sammelmappe‘ eines pseudo-privaten, letztlich aber für die Öffentlichkeit bestimmten, Briefwechsels dann in einer Ausstellung präsentiert, die damit die Freundschaft zur Sowjetunion von Kindesbeinen an im Stil eines abhakbaren Leistungskatalogs dokumentierte.559 Zur Werbung für die deutsch-sowjetische Freundschaft in der Presse bot sich zudem mit der Durchführung von Preisrätseln ein weiteres, bereits unter Erwachsenen erprobtes und bewährtes Mittel, das gleichzeitig mit einem Erfahrungsaustausch in Form eines Briefwechsels verbunden werden konnte. So lancierte etwa die DSF im Jahr 1977 zusammen mit der Redaktion der Neuen Berliner Illustrierten sowie der BELOD eine große Presseaktion unter dem Titel „Post nach Minsk“. Die Fortsetzungsserie richtete sich vornehmlich an Kinder unter 14 Jahren: „Im Mittelpunkt […] soll der Zentralpalast der Jungen Pioniere in Minsk stehen. Bildberichte über das Haus, seine Geschichte, über Arbeitsgemeinschaften und Aktivitäten ihrer Mitglieder sollen ein umfassendes Bild des Zentrums des gesellschaftlichen Lebens der Kinder in Minsk geben.“560
Zur Vorbereitung schickte die Redaktion der Neuen Berliner Illustrierten eine Journalistin in die belorussische Hauptstadt, die vor Ort in Zusammenarbeit mit dem DDR-Generalkonsulat die Aktion koordinieren sollte. Im Ergebnis entstand daraus eine umfangreiche Zusammenarbeit zwischen der Neuen Berliner Illustrierten, beiden Freundschaftsgesellschaften, dem Generalkonsulat sowie dem Minsker Pionierpalast, der Komsomolorganisation und der Pionierzeitschrift Zor’ka, die wohl insbesondere dem Engagement und der guten Vernetzung des Generalkonsulates zu verdanken war.561 Die Beiträge selbst, die regelmäßig in der 559 „Leserbrief: Auf den Spuren der Partisanen“, Neues Deutschland, 29.11.1974, S. 5; zum ‚Sammeln‘ von Freundschaft vgl. auch die Praxis der Freundschaftsberichte bzw. Brigadetagebücher, mit denen zukünftige Brigaden der deutsch-sowjetischen Freundschaft ihre Freundschaftsmaßnahmen dokumentierten bei Satjukow: Befreiung?, S. 186–205. 560 Hans Große, Leiter der Abt. Internat. Verb. der DSF an die Belorussische Abt. der SDF, 3.2.1977, SAPMO-BArch DY 32/439, unpag. 561 Vgl. den Bericht über die Reise nach Minsk vom 9.–12.3.1977 der NBI-Journalistin, ohne Datum, ebd.; zum Generalkonsulat der DDR in Minsk vgl. Kap. 4 dieser Arbeit.
3.3 Freundschaftsgesellschaften und sozialistische Aussenpolitik
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Zeit von April bis Oktober 1977 auf der Kinderseite der Zeitschrift Neue Berliner Illustrierte erschienen, berichteten über die Arbeit des Minsker Pionierhauses oder anderer Einrichtungen für Kinder und Jugendliche (Kindersportpalast, Musikschule etc.) sowie über die Stadt Minsk in Text und Bild. Dreh- und Angelpunkt der Aktion war jedoch ein ‚Erfahrungsaustausch‘– eine Art öffentlich gemachter Briefwechsel – mit Gewinnmöglichkeiten: Jungen und Mädchen aus Minsk und der DDR sollten berichten, wie und „mit welchen Veranstaltungen und Aktionen“ sie sich auf den bevorstehenden 60. Jahrestag der Oktoberrevolution vorbereiteten. Alle Teilnehmer nahmen an einer Verlosungsaktion von Originalzeichnungen aus Minsk, Plaketten oder anderen kleinen Geschenken teil. Als Hauptpreis winkte gar eine viertägige Reise nach Minsk zum Jolka-Fest – der sowjetischen Variante des Weihnachtsfestes, welches am Silvesterabend gefeiert wurde.562 Damit inszenierten die Träger der Aktion einen öffentlichkeitswirksam geführten Briefwechsel, der, eingebunden in die Kampagne zum Jahrestag der Oktoberrevolution, damit auch die grenzüberschreitende sozialistische Gemeinschaft beschwor und internationalistische Erziehungsarbeit leistete. Nach Abschluss der PresseFreundschaftsaktion zeigten sich die Organisatoren zufrieden. In einem Dankesschreiben an die beteiligten Stellen in der BSSR, darunter jene Familien, die die beiden Reise-Gewinner beherbergt hatten, stellte das Sekretariat des Zentralvorstandes der DSF fest, dass sich „ca. 10 000 Mädchen und Jungen“ von deutscher Seite mit Einsendungen beteiligt hätten.563 Ob damit das ursprüngliche Ziel, die Herstellung von Kontakten zwischen deutschen und sowjetischen Pionieren, erreicht wurde, bezog die Gesellschaft nicht in ihre Erfolgsbilanz ein. Interessant erscheint aber eine weitere Begründung für die Durchführung der Aktion: So habe man ausgerechnet die Stadt Minsk zur Zusammenarbeit gewählt, „weil sie bisher vom Touristenstrom weniger berührt wurde und für uns mit ihrem Pionierhaus und anderen Sehenswürdigkeiten ein interessanter Partner ist.“564 Die belorussische Hauptstadt hatte einerseits, etwa im Gegensatz zu Moskau oder Leningrad, einen gewissen ‚Neuigkeitsbonus‘ und versprach damit, interessanter für die jungen DDR-Bürger und deren Eltern zu sein. Andererseits gab es in den 1970er Jahren von Seiten der Reisebüros und der indirekt am Tourismus beteiligten Freundschaftsgesellschaften Bemühungen, Minsk als attraktives Reiseziel (für Erwachsene) zu propagieren. Insofern handelte es sich hier also (auch) um eine indirekte Werbemaßnahme.565
562 Vgl. dazu: Erläuterungen zur NUK-Aktion „Ein Pionierhaus stellt sich vor“, ohne Datum, ebd.; Sektor Presse, Konzeption für eine Aktion der NBI – Kinderredaktion – zur Vorbereitung des 60. Jahrestages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, 28.1.1977, ebd.; „NUK Sonderausgabe. Post nach Minsk. Aktion der Freundschaft“, Neue Berliner Illustrierte, 19/1977, ebd. 563 Kurt Thieme an verschiedene Familien, Personen und Organisationen in Minsk, 6.6.1978, ebd. 564 Erläuterungen zur NUK-Aktion „Ein Pionierhaus stellt sich vor“, ohne Datum, ebd. 565 Siehe zum Tourismus in der BSSR auch Kap. 5.2.2.
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3 Freundschaftsverwaltung: Organisationen in Minsk und Berlin
3.3.3.4 Zusammenfassung Die Vermittlung von Direktkontakten zwischen Schulen und Pioniereinrichtungen orientierte sich an ähnlichen Prinzipien, wie die bereits dargestellten Beziehungen zwischen Unternehmen oder Arbeitsbrigaden. Auch im Fall der jungen Sowjetbzw. DDR-Bürger erschwerte der Primat der politischen ‚Nützlichkeit‘ die Chance auf einen Austausch nach persönlichen und lebensweltlichen Interessen. Äußere Kontrollmechanismen – Betriebspartei- oder DSF-Gruppen bzw. Lehrpersonen oder Pionierleiter – sollten sicherstellen, dass vorwiegend über das kommuniziert wurde, was den Anforderungen an Beziehungen neuen Typs gerecht wurde: Sozialistische Persönlichkeiten interessierten sich diesem Verständnis nach weniger für Fragen des täglichen Lebens als vielmehr dafür, wie man die Ergebnisse des gerade aktuellen Parteitages auswerten und erfolgsversprechend umsetzen könne oder gemeinsame sozialistische Feste beging. Damit wurde eine Nähe suggeriert, die allein auf dem gemeinsamen gesellschaftlichen sozialistischen System fußte; kulturelle Unterschiede wurden schlichtweg kaum oder gar nicht thematisiert. Erst Schüler- oder Pionieraustausche bzw. der Austausch von Betriebsdelegationen boten mitunter die Chance für eine Begegnung mit den sowjetischen und deutschen ‚Freunden‘ jenseits der geplanten Freundschaft. Damit wirkten die Freundschaftsgesellschaften nur in sehr beschränktem Maße als Kontaktmedien: Im Vordergrund standen organisierte, teils sogar unfreiwillige Beziehungen, die an einer möglichst guten und erfolgreichen Außendarstellung sowie politischer und ökonomischer Nützlichkeit orientiert waren. Allerdings suggerierte die Selbstinszenierung der Freundschaftgesellschaften und ihrer Tätigkeit in Massenmedien und eigenen Organen etwas anderes: Wie die Anfragen einzelner Bürger zeigen, entstand dort durchaus der Eindruck einer der Öffentlichkeit zugänglichen Organisation, an die man sich mit Fragen und Bitten, zum Beispiel nach Urlaubsvermittlung, wenden konnte. Indes wurden solche Anfragen in der Regel mit dem Hinweis auf die üblichen Verfahrenswege und mehr oder minder tröstlichen Worten abgelehnt, einerseits weil die Gesellschaften selbst kaum außerhalb der Vorschriften agieren konnten, andererseits, weil individuelle Kontakte im Rahmen ihrer Freundschaftsarbeit weder vorgesehen noch erwünscht waren.
4 DIPLOMATIE IN DER SOWJETISCHEN PROVINZ? DAS GENERALKONSULAT DER DDR Das folgende Kapitel widmet sich einer Institution, die neben den Freundschaftsgesellschaften im Rahmen der kulturellen Auslandsbeziehungen zwischen der DDR und der belorussischen Sowjetrepublik aktiv war: dem erst 1972 eröffneten Generalkonsulat der DDR in Minsk. Dabei ergänzt ein Blick auf seine Entstehungsgeschichte und Tätigkeit nicht nur die bisherigen Ergebnisse, sondern bietet darüber hinaus Einblicke in einen größeren politischen Rahmen sowie die Möglichkeiten und Grenzen eigenständiger deutsch-belorussischer Zusammenarbeit auf Regierungs- und Verwaltungsebene. Die Tätigkeit der diplomatischen Vertretungen der DDR in der Sowjetunion ist bislang nur marginal erforscht. Lediglich die 1953 in den Status einer Botschaft erhobene Vertretung der DDR in Moskau wird in den einschlägigen Werken zur Außenpolitik der DDR kursorisch erwähnt.566 So schätzt etwa Hermann Wentker den Botschafterposten in Moskau als zwar prestigeträchtig, aber weitgehend einflusslos ein – abzulesen unter anderem daran, dass eher altgediente Genossen denn außenpolitisches Fachpersonal auf die Stelle berufen wurden. Während die Botschaft der UdSSR in Berlin eine wichtige Rolle bei der Informationsübermittlung Moskau‒Berlin und umgekehrt spielte, habe sich das DDR-Pendant in Moskau allenfalls im Rahmen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit profilieren können.567 Die vorliegende Studie hat bislang gezeigt, dass die Botschaft auch Mittlerfunktionen in kulturellen Belangen übernommen und, gerade in der Anfangszeit der SSOD, die Kommunikation zwischen beiden Partnern erleichtert hatte. Ferner sorgten Botschaftsmitarbeiter für die nötige repräsentative Präsenz auf Veranstaltungen der Freundschaftsgesellschaften oder unterstützten diese mit Informationsmaterialien über die DDR, so etwa noch in den 1960er Jahren anlässlich deutscher Kulturtage oder zu den feierlich begangenen DDR-Jahrestagen. In diesem Zusammenhang honorierte die Botschaft auch besonderes Engagement für die sowjetisch-deutsche Freundschaft: So konnte die im Vergleich zu Minsk eher 566 Vgl. z. B. allgemein zu den diplomatischen Vertretungen der DDR mit einigen Bemerkungen zur Botschaft der DDR in Moskau: Wentker: Außenpolitik in engen Grenzen, S. 47–49, 201– 204.; zur ständig wechselnden Organisationsstruktur des MfAA in Berlin mit entsprechenden Anmerkungen zu Zuständigkeiten für die Auslandsvertretungen, aber keinerlei Aussagen über deren Arbeitsweise: Muth, Ingrid: Die DDR-Außenpolitik 1949–1972. Inhalte, Strukturen, Mechanismen, 2. Aufl., Berlin 2001, S. 132–145. In anderen Werken fehlen Hinweise auf die Auslandsvertretungen gänzlich, so z. B. bei Scholtyseck, Joachim: Die Außenpolitik der DDR, Enzyklopädie deutscher Geschichte, München 2003., oder es werden Erinnerungen der ehemaligen Botschafter zur Analyse der außenpolitischen Grundlinien herangezogen, z. B. bei Siebs, Benno-Eide: Die Außenpolitik der DDR 1976–1989. Strategien und Grenzen, Paderborn u.a. 1999. 567 Wentker: Außenpolitik in engen Grenzen, S. 203, 368, 381.
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zweitrangige Gebietsstadt Gomel’ im Süden der belorussischen Republik durch ihre sehr aktive Freundschaftsarbeit nicht nur überdurchschnittlich oft den Besuch von Botschaftsvertretern für sich verbuchen, sondern wurde im Jahr 1964 sogar durch Botschafter Rudolf Dölling persönlich besucht.568 Mit der Errichtung eines Generalkonsulates in Minsk betrat die DDR strenggenommen kein Neuland: Bereits im Jahr 1966 waren Generalkonsulate in Leningrad und Kiew eröffnet worden. Bis dahin war die Botschaft in Moskau für die gesamte UdSSR zuständig gewesen, nach 1966 gehörte die BSSR dann, zusammen mit der moldauischen SSR, in den Arbeitsbereich der Kiewer Vertretung. Dass diese jedoch aktiv mit den Freundschaftsgesellschaften zusammengearbeitet hätte, ist anhand der Quellen nicht nachvollziehbar. Vermutlich galt die Kiewer Zuständigkeit überwiegend für konsularische Angelegenheiten; für die kulturelle Zusammenarbeit blieb nach wie vor die Botschaft in Moskau federführend. Dies änderte sich mit der Eröffnung einer Vertretung in Minsk grundlegend. Ab 1972 fungierte das Generalkonsulat als wichtiger Ansprechpartner vor Ort in der Zusammenarbeit mit der Freundschaftsgesellschaft; gleichzeitig starteten die deutschen Diplomaten auch eigene kulturelle Initiativen in beschränktem Ausmaß. Das Generalkonsulat der DDR öffnete am 11. Mai 1972 in Minsk seine Pforten, nur wenige Wochen nach einer Vertretung der polnischen Nachbarn. Der feierliche Eröffnungsempfang der Deutschen unter Schirmherrschaft des Moskauer DDR-Botschafters Horst Bittner konnte ein beachtliches Niveau an Spitzenfunktionären der Sowjetrepublik vorweisen. Geladen waren „ca. 110 sowjetische Gäste mit dem II. Sekretär des ZK der KP Bjelorußlands, Genossen A.N. Aksjonow, und dem Vorsitzenden des Ministerrates der BSSR, Genossen Kisseljow, an der Spitze […]“, außerdem weitere Partei- und Staatsvertreter sowie wichtige Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft.569 Für die Eröffnung einer eigenen Vertretung sprachen zu Beginn der 1970er Jahre vielfältige Gründe. Bereits im Jahr 1968 hatte die Botschaft in Moskau festgestellt, dass das Konsulat in Kiew eine ständige und umfassende Betreuung der BSSR aufgrund seiner geringen personellen Ausstattung nicht gewährleisten könne. Wichtigster Grund nach Einschätzung der Politischen Abteilung der Botschaft570 war jedoch die zentrale Bedeutung der Sowjetrepublik in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der UdSSR und ihrem westlichsten RGW-Partner: „Die Bjelorussische SSR ist 568 Vgl. dazu Schreiben Botschafter Döllings an Orlenko, Vorsitzende der Gomel’er Abteilung für SDF, 6.4.1964, PA AA, MFAA, A892, pag. 178–179; außerdem auch das sehr herzlich gehaltene Schreiben Orlenkos an Emmi und Rudolf Dölling anlässlich dessen Abschied als Botschafter, das auch auf ein persönlich gutes Verhältnis schließen lässt: Orlenko bedankt sich für die ausgesprochen gute langjährige Zusammenarbeit, wünscht alles Gute und bittet Dölling, die gemeinsame Freundschaft auch bei Verlassen der UdSSR in Erinnerung zu behalten, 28.8.1965, ebd. pag. 159. 569 „Vermerk über die Eröffnung des Generalkonsulates der DDR in Minsk“, 12.5.1972, PA AA, MFAA, C 1505/76, pag. 5–6. 570 Vgl. auch für die folgenden Zitate: Politische Abt. der Botschaft Moskau: „Hinweise für die Begründung zur Eröffnung eines Generalkonsulates der DDR in Minsk“, 29.10.1968, PA AA, MFAA, C 1505/76, pag. 60–62.
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eine der für die DDR wichtigsten Unionsrepubliken, sowohl hinsichtlich ihrer territorialen Lage wie ihrer ökonomischen Potenzen.“ Dabei ging es einerseits um gerade entdeckte Erdöl- und Steinkohlevorkommen, die für die vom Rohstoffimport abhängige DDR von besonderem Interesse sein mussten sowie die Maschinenbauindustrie, den Bau von „Datenverarbeitungsmaschinen“ (und damit die kommende Mikroelektronik-Branche) sowie die Landtechnik. Andererseits war die BSSR aufgrund ihrer geographischen Lage Transitgebiet für 80% des Außenhandels zwischen der DDR und der übrigen Sowjetunion, mit der Grenzstadt Brest als einem der Hauptumschlagplätze. Gleiches gelte, so das Schreiben weiter, für den Reiseverkehr. Nicht zuletzt sei auch die BSSR selbst ein attraktives, wenn auch bislang wenig wahrgenommenes Reiseziel – eine Tatsache, die sich mit der Eröffnung eines Generalkonsulats ändern ließe, so die Botschaft. Zudem sprächen auch historische Gründe für die Einrichtung eines Generalkonsulats auf belorussischem Boden. Dort sei es besonders wichtig, die Bevölkerung „auslandsinformatorisch“ zu erreichen und die antifaschistische Darstellung der DDR zu stärken: „Die Bjelorussische SSR gehörte […] zu den Gebieten der UdSSR, die durch die faschistische Okkupation am meisten gelitten haben. Auch daher wäre es politisch notwendig und gerechtfertigt, gerade in dieser Unionsrepublik eine Vertretung des friedliebenden, sozialistischen deutschen Staates zu errichten.“
Gleichzeitig sollte die diplomatische Vertretung auch spürbare Vorteile auf internationaler Ebene mit sich bringen. Gerade die UNO-Mitgliedschaft der BSSR machte eine dortige Präsenz für die DDR erstrebenswert, wenn auch der Abschluss des Grundlagenvertrags 1972 die Anerkennungsbemühungen der DDR obsolet machen sollten. Bei der Begründung für die vier Jahre später tatsächlich erfolgte Einrichtung eines Generalkonsulats wurden diese Gründe zum großen Teil wieder aufgegriffen. Ein besonderer Fokus lag dabei erneut auf Außenhandelsfragen sowie – und noch weit stärker als 1968 – auf der Intensivierung des Auslandstourismus. So gäbe es „von sowjetischer Seite Bestrebungen, Teile der westlichen Republiken der UdSSR mehr als bisher dem Touristenverkehr zu erschließen.“571 Für den zu erwartenden Personenverkehr sowie die zunehmende Anzahl deutscher Studenten und Aspiranten an belorussischen Hochschulen werde ein Generalkonsulat ganz besonders auch für konsularische Aufgaben benötigt.572 Damit reagierte die DDR durch die Errichtung einer weiteren Vertretung in der Sowjetunion auch auf gesellschaftliche Tendenzen im ‚entwickelten Sozialismus‘ der 1970er Jahre, die, im Übrigen analog zu westlichen Gesellschaften, zu mehr Freizeit, erhöhter Mobilität
571 Begründung für die Eröffnung eines Generalkonsulates in der BSSR, Beilage zum Arbeitsprotokoll Nr. 11 des Sekretariats des ZK der SED, 1.2.1972, SAPMO-BArch DY 30/J IV 2/3 A 2127, pag. 47–49. 572 Vgl. dazu: Ebd.; Beschlussvorlage für den Ministerrat der DDR über die Eröffnung eines Generalkonsulates in Minsk, ohne Datum, SAPMO-BArch DY 30/J IV 2/3 A 2127, pag. 43– 46; Vorlage des MfAA für das ZK der SED zur Eröffnung eines Generalkonsulates der DDR in der BSSR, 28.10.1971, SAPMO-BArch DY 30/ J IV 2/3 A 2098, pag. 55–57.
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und einem rasanten Anwachsen der Touristenzahlen innerhalb der sozialistischen Staaten führte.573 Warum die Eröffnung eines Generalkonsulats erst zu diesem Zeitpunkt erfolgte, zumal die Frage ja schon früher im Raum gestanden hatte, ist aus den vorliegenden Quellen nicht unmittelbar ersichtlich. Auch die BSSR zeigte nämlich ein reges Interesse daran, die Kontakte zur DDR mittels einer konsularischen Vertretung zu intensivieren und setzte sich schon früher dafür in Moskau ein. Wie aus einer Vorlage des MfAA hervorgeht, hatten„[f]ührende Genossen der Belorussischen SSR bereits im Zusammenhang mit der Errichtung des Generalkonsulates in Kiew 1966 die Bitte, auch in Minsk eine Vertretung zu eröffnen“ geäußert. Sogar der Parteichef der KPB, Pëtr Mašerov persönlich, habe mehrfach um eine deutsche Vertretung in der BSSR gebeten.574 Wahrscheinlich hatte schließlich die belorussische Führungsriege ihren Einfluss in Moskau geltend gemacht, begünstigt durch personelle Verflechtungen: So war der ehemalige belorussische Parteiführer Kirill T. Mazurov nach seiner Parteinahme für Breschnew im Jahr 1965 zum Vollmitglied des Politbüros der KPdSU und stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrates der UdSSR aufgestiegen und hatte somit der belorussischen Partisanen-Führungselite575, zu der auch der neue Parteichef Pëtr Mašerov gehörte, vermehrte Macht und Einflussnahme in Moskau gesichert.576 Nachdem sich in der Frage der Gründung des Generalkonsulats seit 1968 dennoch wenig bewegt hatte, erfolgte durch den sowjetischen Außenminister Andrej Gromyko – im Übrigen ebenfalls Weißrusse und aus der Nähe von Gomel’ stammend – im März 1971 plötzlich die Zustimmung zur Einrichtung der Vertretung. War diese grundsätzliche Einwilligung erst einmal erfolgt, drängte man „von zentraler sowjetischer Seite“ auf ein möglichst schnelles Vorgehen, unter anderem im Zusammenhang damit, dass noch im Jahr 1971 auch die „VR Polen“ ein Generalkonsulat in der BSSR eröffnen wollte. Welches Interesse hatte wiederum Moskau an der Einrichtung eines DDR-Konsulates in Minsk? Nach der rückblickenden Einschätzung des 573 Zur Entwicklung des Tourismus vgl. Kap. 5.2.2 dieser Arbeit. 574 Vorlage des MfAA für das ZK der SED zur Eröffnung eines Generalkonsulates der DDR in der BSSR, 28.10.1971, SAPMO-BArch DY 30/ J IV 2/3 A 2098, pag. 55–57. 575 Diese Führungselite bestand im Wesentlichen aus Partisanenführern des Zweiten Weltkriegs, die das sowjetische System während der deutschen Besatzung verteidigt hatten. Sie gingen aus der Kriegszeit mit höchstem Ansehen unter der Bevölkerung hervor, umso mehr, als der Partisanenkampf und der Widerstand im Großen Vaterländischen Krieg alsbald zu einem sowjet-belorussischen nationalen Mythos wurde, der gleichzeitig eine Legitimationsquelle für den (sowjetischen) Staat darstellte. Aufgrund der bewiesenen Loyalität gegenüber dem sowjetischen Staat gingen diese Partisanenführer auch unbeschadet aus den Repressionen und Parteisäuberungen der unmittelbaren Nachkriegszeit hervor und stiegen seit Mitte der 1950er Jahre zum bestimmenden Faktor der weißrussischen Parteipolitik auf. Charakteristisch ist, dass sie bei gleichzeitiger Loyalität gegenüber der Sowjetmacht stets versuchten, die belorussischen Interessen bestmöglich im Rahmen der sowjetischen Strukturen zu verfolgen. Vgl. dazu: Marples, David R.: „Die Sozialistische Sowjetrepublik Weißrußland (1945–1991)“, in: Beyrau, Dietrich und Rainer Lindner (Hrsg.): Handbuch der Geschichte Weißrusslands, Göttingen 2001, S. 166–177, hier S. 166–169. 576 Urban: An Algebra of Soviet Power, S. 13–15, 116–117.
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ehemaligen Generalkonsuls der DDR in Minsk, Leopold Wohlert, mochte es sich hier auch um ein bewusstes Zeichen verstärkter Wertschätzung der BSSR und ihrer Leistungen von Seiten der Moskauer Zentrale gehandelt haben577, wenngleich sich die Beziehungen zwischen der belorussischen Führung und Breschnew bereits zu Beginn der 1970er Jahre verschlechterten.578 Andererseits ist – deutschlandpolitisch betrachtet – auch vorstellbar, dass es sich um ein Entgegenkommen bzw. Signal Moskaus in Richtung DDR-Führung gehandelt hatte. Diese hatte immer wieder die eigenen Forderungen nach völkerrechtlicher Anerkennung als Voraussetzung deutsch-deutscher Verhandlungen im Zuge der neuen Ostpolitik der Bundesregierung zugunsten sowjetischer Interessen zurückstellen müssen. Eine weitere DDR-Vertretung in einem UN-Mitgliedsstaat aber konnte das internationale Ansehen der DDR stärken, zumal eines der Gesprächsziele der Ostberliner Seite von Anfang an in einer UNO-Mitgliedschaft der DDR gelegen hatte. 579 Umso interessanter dürfte es dem MfAA erschienen sein, dass sich auch die USA und Frankreich, allerdings erfolglos, um die Eröffnung eines Generalkonsulates in der belorussischen SSR bemüht hatten, wie der Generalkonsul im Juli 1972 an seine Vorgesetzten in Berlin schrieb.580 Dazu kam möglicherweise noch eine besondere belorussisch-deutsche Freundschaft auf Führungsebene: Im April 1988 erhielt Staats- und Parteichef Erich Honecker über die sowjetische Botschaft eine Interviewanfrage des belorussischen Filmstudios Belarusfilm, das einen Dokumentarfilm über den 1980 verstorbenen KPB-Führer Pëtr M. Mašerov581 zu drehen beabsichtigte. Darin sollte Honecker, so das Botschaftsschreiben, aufgrund seiner „freundschaftlichen Beziehungen“ zu dem früheren Parteichef Fragen des Filmteams zu gemeinsamen Treffen sowie Charaktereigenschaften und besonderen Verdiensten des Verstorbenen beantworten.582 Wie das Neue Deutschland im Januar 1989 berichtete, hatten die 577 Gespräch mit Herrn Generalkonsul a.D. Leopold Wohlert (Generalkonsul 1972–1976) am 9.3.2012 in Berlin. 578 Die Forschung hat gezeigt, dass Mašerov und Breschnew – aufgrund des spezifisch ‚Weißrussland-betonten‘ Führungsstils des Parteichefs aus Minsk – wohl bereits seit Beginn der 1970er Jahre ein persönlich schlechtes Verhältnis hatten. Insofern wäre das Zugeständnis eines Generalkonsulates wohl eher ein Erfolg trotz dieser Differenzen. Vgl. dazu: Marples: „Die Sozialistische Sowjetrepublik Weißrußland (1945–1991)“, S. 172–173. 579 Zum Ablauf der deutsch-deutschen Verhandlungen unter dem Primat sowjetischer Interessen und im Kontext des Machtwechsels in Ostberlin vgl. Wentker: Außenpolitik in engen Grenzen, S. 320–333. 580 Schreiben Wohlerts an das MfAA, Abt. Sowjetunion, 4.7.1972, PA AA, MFAA, C 1075/74, pag. 36. 581 Der in seiner Heimat sehr populäre Mašerov starb am 4. Oktober 1980 in Minsk unter ungeklärten Umständen an den Folgen eines Autounfalls. Da sein Tod verdächtig schnell auf den Sturz seines politisches Protegés Kirill T. Mazurov folgte, der 1978 von seinen Ämtern im Politbüro der KPdSU bzw. als stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates der UdSSR hatte zurücktreten müssen und damit den Machtverlust der belorussischen Partisanenfraktion einleitete, gibt es in diesem Zusammenhang Spekulationen über einen politischen Mord. Vgl. dazu: Urban: An Algebra of Soviet Power, S. 116–118. 582 Schreiben der Botschaft Moskau im ZK der SED, 26.4.1988, SAPMO-BArch DY 30/14021, pag. 95.
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„belorussischen Filmschöpfer, Autor Viktor Daschuk und Regisseur Michail Shdanowski“, den Staats- und Parteichef der DDR während eines Interviews am 9.1.1989 für besagten Dokumentarfilm gebeten, sich „[…] zu seinen Erinnerungen an den langjährigen Ersten Sekretär des ZK der KP Belorußlands, Kandidat des Politbüros des ZK der KPdSU und Mitglied des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR, zu äußern“ – im Übrigen in einer Reihe mit Fidel Castro und Todor Živkov, dem bulgarischen Partei- und Staatsführer, die „[…] Pjotr Mascherow ebenfalls sehr gut gekannt hatten“.583 Zudem teilten Honecker und Mašerov mit ihrer Leidenschaft für die Jagd offenbar eine gemeinsame Freizeitbeschäftigung und trafen sich zu diesem Zwecke mehrmals. So kamen die Parteichefs im Januar 1977 im Jagdhaus Wildfang im „Staatsjagdgebiet“584, der brandenburgischen Schorfheide, zusammen, während der Rest der Delegation des Obersten Sowjets der UdSSR im Bezirk Frankfurt/Oder unterwegs war.585 Auch im September 1979 waren dann gleich mehrere belorussische Genossen Jagdgäste Honeckers: Neben Mašerov selbst verzeichnete die Protokollabteilung des ZK der SED als Gäste noch Aleksandr N. Aksënev, Mitglied des ZK der KPdSU und Vorsitzender des Ministerrates der BSSR sowie Ivan E. Poljakov, Mitglied des ZK der KPdSU, stellvertretender Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR und des Obersten Sowjets der BSSR. Dazu kamen von deutscher Seite neben Erich Honecker noch Günter Mittag und Erich Mielke – alles in allem also eine recht hochkarätiges Jagdgesellschaft, bei der es auch gesellig zuging.586 Inoffizielle Gegenbesuche Erich Honeckers in der BSSR dokumentieren die Protokolle des ZK für die Zeit vom 28.5.‒30.5.1966, am 24.1.1978 sowie am 5.2.1980. Es ist also durchaus denkbar, dass auch das gute persönliche Verhältnis zwischen den Parteichefs die Eröffnung des Generalkonsulats positiv beeinflusst hatte. Auffallend ist jedenfalls, dass die Entscheidung dazu ganz unmittelbar vor der Machtübernahme durch Honecker bzw. zu einem Zeitpunkt, als diese intern im Prinzip schon feststand, fiel. Vom Prestigegewinn jedenfalls dürften beide Länder profitiert haben – sowohl im Verbund der Sowjetunion, als auch auf der internationalen Bühne, und hier besonders im Kontext der Vereinten Nationen.
583 „Interview Erich Honeckers für ‚Belarusfilm‘ – Produktion über Pjotr Mascherow“, Neues Deutschland, 10.1.1989, S. 1. 584 Zur Jagdleidenschaft Erich Honeckers vgl. etwa Zimmermann, Monika: Honecker bläst zur Hasenjagd, Stuttgart 2009; „MDR: Erich Honecker ‒ der Jäger“, 04.01.2010, http://www. mdr.de/damals/archiv/artikel92502.html (zugegriffen am 18.5.2017). 585 Vgl. dazu: Protokollabteilung des ZK an „Genossen Erich Honecker mit der Bitte um Bescheid Betr. Einladung an Pjotr Masherow für Mittwoch, 26.1.1977, 13.30 in Wildfang“, 24.1.1977, SAPMO-BArch DY 30/9505, pag. 4; sowie: „Herzliches Willkommen für Pjotr Mascherow in Berlin. Delegation des Obersten Sowjets zu Gast / Treffen in der Volkskammer“, Neues Deutschland, 25.1.1977, S. 1–2. 586 Das zweitätige Programm beinhaltete unter anderem ein opulentes „Jagdliches Essen“ mit deutschen Spezialitäten und eigens hergestellten Bierseideln, die die eingravierten Namenszüge der Teilnehmer trugen. Vgl. dazu: Protokollabteilung des ZK der SED: „Programm Hubertusstock am 21. und 22.9.1979“, SAPMO-BArch DY 30/9505, pag. 297–300, 310, 312.
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4.1 „MIT HEISSER NADEL GENÄHT“: PLANUNG UND ERÖFFNUNG Verfolgt man die Chronologie der Planungen zu einer DDR-Vertretung in Minsk, wie sie sich in den Quellen darstellt, wird deutlich, dass es entweder bereits Ende 1970/Anfang 1971 konkrete Absprachen gegeben hatte oder aber das MfAA nach der Einwilligung aus Moskau im März 1971 sehr rasch reagierte: Bereits im Mai 1971 begann der designierte Generalkonsul Leopold Wohlert sich auf seinen Einsatz in Minsk vorzubereiten, also noch deutlich vor dem Einreichen einer entsprechenden Vorlage des Ministeriums beim Zentralkomitee (Oktober 1971) bzw. der entsprechenden Beschlussfassung im Sekretariat des ZK im November 1971. Der offizielle, de facto lediglich bestätigende, Beschluss durch den Ministerrat erfolgte sogar erst am 17. Februar 1972, inklusive der Bestätigung der Person des Generalkonsuls sowie des beiliegenden Stellenplans.587 Dabei mag die Auswahl des zukünftigen Generalkonsuls, dessen Amt der Kadernomenklatur durch das ZK der SED unterlag588, auf den ersten Blick erstaunen – oder, anders gesagt, ebenfalls als Ausdruck eines recht schnellen, überstürzten Vorgehens gedeutet werden. Zwar war Wohlert589 durchaus seit zehn Jahren im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten tätig gewesen, zunächst jedoch als Hauptreferent in der Abteilung Afrika, danach für vier Jahre in der Abteilung Prognose, Analyse und Planung. Auslandserfahrung hatte er bis dato nicht sammeln können; beim Punkt Fremdsprachenkenntnisse gab der im Ministerrat der DDR vorgelegte Beurteilungsbogen Französisch an.590 Es handelte sich hier also mitnichten um einen ausgewiesenen Sowjetunion-Experten mit klassischer Diplomatenlaufbahn. Dies mag einerseits in der Kurzfristigkeit der Entscheidung begründet, andererseits aber auch der häufigen Personalknappheit im MfAA geschuldet gewesen sein. Dazu mag die Tatsache kommen, dass sich das Außenmi587 Vgl. dazu: Vorlage des MfAA für das ZK der SED zur Eröffnung eines Generalkonsulates der DDR in der BSSR, 28.10.1971, SAPMO-BArch DY 30/ J IV 2/3 A 2098, pag. 55–57; Umlauf-Protokoll Nr. 53/71: Errichtung eines Generalkonsulates in der Belorussischen SSR (Minsk), „[b]estaetigt durch die Genossen Honecker, Gruenberg, Hager, Jarowinsky, Lamberz, Mittag, Norden, Verner, Dohlus, Naumann, Hermann“, 12.11.1971; ebd., pag. 1–5; Beschluss des Ministerrates der DDR zur Errichtung eines Generalkonsulates in der BSSR, 17.2.1972, BArch DC 20-I/4/2598, unpag. 588 Vgl. dazu: Umlauf-Protokoll Nr. 53/71: Errichtung eines Generalkonsulates in der Belorussischen SSR (Minsk), 12.11.1971; SAPMO-BArch DY 30/ J IV 2/3 A 2098., pag. 1–5. 589 Leopold Wohlert, geb. 1933, Eltern: Arbeiter; Studium: Diplom-Ökonom; zunächst Tätigkeit beim Rat des Bezirkes Neubrandenburg, dann Wechsel ins MfAA 1961; Mitglied der DSF seit 1949, 1956 SED-Mitglied. Damit entsprach der Werdegang Wohlerts den zunehmend strengeren Auswahlkriterien des MfAA seit Mitte der 1960er Jahre; so warb man vermehrt Kader mit Hochschulbildung, bevorzugt aus der Arbeiterklasse, zur Ausbildung im MfAA an, womit die fachliche Ausbildung im Vergleich zu früher zunehmend wichtiger wurde. Vgl. dazu: Wentker: Außenpolitik in engen Grenzen, S. 201–202. Zur Person Wohlerts vgl.: Abt. Internat. Verbindungen beim ZK der SED: Kurzbiographie Wohlert, Leopold, 19.1.1972, DY 30/J IV 2/3 A 2127, pag. 51–52; Ministerratsvorlage: „Beurteilung des Genossen Leopold Wohlert“, 14.7.1971, ebd., pag. 53; sowie eigene Angaben Herrn Wohlerts. 590 Ebd.
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nisterium seit Mitte der 1960er Jahre in Sachen diplomatisches Personal zur Neubesetzung von Vertretungen vor allem auf westliche bzw. Entwicklungsländer konzentrierte, analog zur Hoffnung auf eine möglichst baldige völkerrechtliche Anerkennung der DDR oder aber – besonders in der möglichen Umbruchsituation 1971 – auslandserfahrenes Personal eher für diese ‚kritischeren‘ Vertretungen vorhalten wollte.591 Während der zukünftige Leiter der Minsker Vertretung mit Sprachkursen, Auslandspraktika in den Vertretungen in Moskau und Kiew sowie einem „sechswöchigen Qualifizierungslehrgang für Führungskader des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten“ auf seine neue Tätigkeit vorbereitet wurde592, liefen mit Moskau bzw. Minsk die Verhandlungen um das zukünftige Gebäude des Generalkonsulates. Dabei sah die von Seiten der DDR bevorzugte Lösung vor, ein entsprechendes Gebäude in Minsk anzumieten, insbesondere da sich herausgestellt hatte, dass in Minsk kein Gebäude zur Verfügung stand, das den Raum- und Platzvorstellungen der Deutschen entsprach und das man hätte erwerben wollen. Damit hätte ein Neubau angestanden, der jedoch das Haushaltsbudget des MfAA für 1971 und 1972 gesprengt hätte. Und obwohl sich die belorussischen Genossen in der Folge sehr entgegenkommend zum Bau eines Gebäudes bereit erklärt hatten, rückte man letzten Endes doch von jeglichen Bauplänen ab, nicht zuletzt wahrscheinlich deshalb, um eine Eröffnung im Frühjahr 1972 überhaupt noch zu ermöglichen.593 So einigte man sich auf ein deutlich kleineres Gebäude in der Uliza Sacharowa 26, eine Villa mit Garten, die auch heute einen Teil der bundesdeutschen Botschaft beherbergt und die geographisch gut platziert war: So fanden sich in der unmittelbaren Nachbarschaft einerseits die Freundschaftsgesellschaft BELOD, andererseits das polnische Generalkonsulat.594 Neben den eigentlichen 591 Wentker: Außenpolitik in engen Grenzen, S. 201–202. 592 Begründung für die Eröffnung eines Generalkonsulates in der BSSR, Beilage zum Arbeitsprotokoll Nr. 11 des Sekretariats des ZK der SED, 1.2.1972, SAPMO-BArch DY 30/J IV 2/3 A 2127, pag. 47–49. 593 Vgl. dazu: Verschiedene Gesprächsnotizen der Botschaft Moskau, Schreiben des MfAA an die Botschaft Moskau mit Plänen zu den Räumlichkeiten des Generalkonsulates, Pläne mit belorussischem Neubauprojekt für das Generalkonsulat im Zeitraum September bis November 1971, PA AA, MFAA, C 1505/76, pag. 39–49. Die belorussischen Genossen arbeiteten nach eigenen Angaben noch im November 1971 „an der Projektierung des Gebäudes für das Generalkonsulat nach dem übermittelten Plan…“. Eine rechtzeitige Fertigstellung bis Frühjahr 1972 wäre damit, auch in Anbetracht der Jahreszeit, unmöglich gewesen, vgl. „Vermerk über ein Telefonat mit Gen. Babenko am 16. Nov. 1971“, Botschaft Moskau, 17.11.1971, ebd., pag. 39. 594 Vgl. mehrere Bilder des zukünftigen Gebäudes in den entsprechenden Dokumenten des MfAA, PA AA, MFAA, C 1505/76, pag. 50–56. Diese Art der Nachbarschaft, insbesondere die Nähe zur Freundschaftsgesellschaft, erwies sich für die Arbeit des Generalkonsulats als deutlicher Vorteil, vgl. Gespräch mit Leopold Wohlert. Seit 1991 beherbergt das Gebäude die bundesdeutsche Botschaft in Belarus, vgl. dazu die Website der Botschaft: http://www.minsk. diplo.de/Vertretung/minsk/de/02/Kanzlei.html (zugegriffen am 15.5.2017) sowie: „Große Bereicherung“, Der Spiegel 5 (1991), S. 173–178. Allerdings waren die Neubaupläne auch nach Bezug des Gebäudes nicht ganz vom Tisch: So fand im Juli 1972 ein Gespräch im MID der BSSR statt, bei dem es unter anderem auch um den Neubau eines Gebäudes für das GK ging
4.1 „Mit heisser Nadel genäht“: Planung und Eröffnung
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Diensträumen der Vertretung ging es zudem auch um Wohnungen für die zukünftigen Mitarbeiter. Diese wurden schließlich in einem normalen städtischen Mehrfamilienhaus zur Verfügung gestellt, wo neben dem deutschen Konsulatspersonal auch das polnische wohnte sowie einige sowjetische Familien.595 Der Stellenplan des Generalkonsulats umfasste: den Generalkonsul als Hauptverantwortlichen, einen Konsul als Stellvertreter (zuständig für Fragen der Auslandsinformation, Presse und Kultur) sowie einen Vizekonsul (Außenhandels- und verkehrspolitische Aufgaben). Für die täglich anfallenden Büroarbeiten waren vorgesehen: ein Dolmetscher, eine Leiterin des Sekretariats sowie ein Verwaltungsleiter. Zudem sollte dem Konsulat ein Cheffahrer mit Hausmeisterfunktion zur Verfügung stehen. Insgesamt handelte es sicht damit um sieben Stellen für deutsches Personal. Für weitere Alltagsarbeiten rund um den Betrieb des Generalkonsulats beabsichtigte man vier Planstellen mit sowjetischen Bürgern zu besetzen: einen Koch, einen Angestellten für Einlass- und Telefondienst, einen Hofarbeiter sowie eine Haushaltshilfe. Dieser Stellenplan blieb, trotz ursprünglicher Bedenken im ZK, das auf größere Sparsamkeit gepocht hatte, bis 1988 weitgehend unverändert, lediglich die Zahl der Ortskräfte hatte sich bis dahin auf fünf erhöht.596 Als nach einer sehr hektischen und kurzen Vorlaufzeit das Generalkonsulat schließlich am 11. Mai 1972 eröffnet wurde, war das der DDR-Presse nicht mehr als ein paar Zeilen wert, vielleicht auch wegen des die Schlagzeilen beherrschenden Abschlusses eines Freundschaftsvertrages mit Rumänien. Die belorussische Presse, namentlich die Sovetskaja Belorussija, berichtete dagegen auf Seite eins und in aller Ausführlichkeit über den Aufenthalt des Botschafters der DDR in Minsk und die Einführung des neuen Generalkonsuls in sein Amt. Protokollarischer Ablauf und die Treffen mit wichtigen Persönlichkeiten aus Partei und Staat
– den nun allerdings offenbar die DDR finanzieren sollte. Wohlert musste abwiegeln, da noch nicht klar sei, ob das MfAA im neuen Fünfjahresplan ausreichend Mittel für ein solches Vorhaben erhalten würde. Dass der Neubau nie realisiert wurde, zeigt die eingeschränkte Wichtigkeit der Vertretung in Minsk, im Gegensatz etwa zur Botschaft in Moskau, die 1982 trotz offensichtlicher Engpässe und Schwierigkeiten in der Ausstattung ein neues Dienstgebäude erhielt, vgl. dazu: Gespräch Wohlerts im MID, 14.7.1972, NARB f. 4p,op. 56, d. 1, l. 39; verschiedene Schreiben den Neubau der Botschaft Moskau betreffend, Botschaft Moskau an den Ministerrat der DDR und Antwortschreiben, Sommer 1982, SAPMO-BArch DY 30/12415, pag. 1–11. 595 Vgl. Gespräch mit Leopold Wohlert; sowie Korrespondenz Botschaft Moskau–MfAA diesbezüglich im Herbst 1971, MfAA, PA AA, MFAA, C 1505/76, pag. 39–49. 596 „Entwurf einer Vorlage für das Präsidium des Ministerrates“, Anlage 1: „Aufschlüsselung der Planstellen…“, ohne Datum, PA AA, MFAA, C 1505/76, pag. 31–38, hier: 34–35; UmlaufProtokoll Nr. 53/71: Errichtung eines Generalkonsulates in der Belorussischen SSR (Minsk), 12.11.1971; SAPMO-BArch DY 30/ J IV 2/3 A 2098., pag. 1–5; Finanzrevision im GK Minsk durch das Ministerium für Finanzen, 27.4.1988, SAPMO-BArch DY 30 /12415, unpag. Leider fehlen aufgrund der schlechten Forschungslage die Vergleichswerte, etwa zum Generalkonsulat in Kiew. Dennoch zeigt der Stellenplan, dass es sich auch in Minsk trotz der offensichtlichen Sparbemühungen durchaus um eine voll ausgestattete Vertretung handelte.
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der BSSR erinnerten dabei nahezu an einen Staatsbesuch:597 Zusammen mit dem aus Moskau angereisten Botschafter Bittner, den ein Komitee des MID und der Abteilung für Internationale Verbindungen des ZK der KPB am Bahnhof empfangen hatte, absolvierte der frischgebackene Generalkonsul zahlreiche förmliche Antrittsbesuche, wovon der erste dem wichtigsten Mann im Land, Pjëtr M. Mašerov, galt. Bei dem, laut Bericht des Botschafters, „herzlichen, freundschaftlichen Gespräch“ ging es in erster Linie um die zukünftige wissenschaftlich-technische Kooperation, deren Schwerpunkte Mašerov offenbar in der Landwirtschaft sah. Es folgten programmgemäß noch weitere Besuche: beim Vorsitzenden des Ministerrates der BSSR, beim Vorsitzenden des Obersten Sowjets der Republik sowie ein erstes Arbeitstreffen beim Minister für Auswärtige Angelegenheiten.598 Dem neu eingesetzten Generalkonsul ist vor allem die enge zeitliche Planung in Erinnerung geblieben, man habe buchstäblich „mit heißer Nadel genäht“. So hätten beim ersten Empfang des Generalkonsulats die Frauen der Diplomaten im hinteren Bereich noch die Fenster geputzt, während im Festsaal bereits die Tische gedeckt wurden.599 Den Quellen ist zu entnehmen, dass es vor allem die sowjetische Seite war, die zur zügigen Eröffnung drängte, und zwar überwiegend aus praktischen Gründen: So zielte das MID in Moskau darauf ab, die Eröffnung des polnischen und des deutschen Generalkonsulats in der BSSR möglichst zusammenzulegen, um den Arbeitsaufwand der Behörden in Moskau zu begrenzen. Dass die deutsche Vertretung dennoch erst einige Wochen nach der polnischen die Arbeit aufnahm, sei eine bewusste politische Entscheidung und Zurückhaltung der DDR-Diplomaten gegenüber den polnischen Nachbarn gewesen, wie sich Wohlert erinnert.600 Entsprechend der Eile, mit der das Generalkonsulat die Arbeit hatte aufnehmen müssen, dauerte es nach dem Mai 1971 noch eine ganze Weile, bis die Vertretung wirklich voll einsatzfähig war: Ende Mai fehlten noch immer Möbel und Einrichtungsgegenstände, die für Dienst- und Wohnräume aus der DDR gebracht werden sollten; im Juni und Juli 1971 war das Generalkonsulat nur mit dem Generalkonsul selbst sowie zwei Praktikanten besetzt.601 Die Plötzlichkeit der Entscheidung sowie die fast schon überstürzt wirkende Eröffnung der Vertretung bestärken den Eindruck, dass es sich um eine spontane, durch persönliche Netzwerke beeinflusste Entscheidung aus Moskau handelte. Es ist durchaus vorstellbar, dass sich hier die belorussische Interessenvertretung stark gemacht und dafür gesorgt hatte, dass die BSSR als UN-Mitglied, wie die Ukraine sechs
597 Zur Presseberichterstattung: in der DDR vgl. die entsprechenden Ausgaben des Neuen Deutschland, der Berliner Zeitung sowie der Neuen Zeit vom 13.5.1972; in der BSSR: „Prebyvanie v Minske posla GDR“, Sovetskaja Belorussija, 12.5.2014, S. 1. 598 Aktenvermerk des GK Minsk „[…] über die Vorstellung des Generalkonsuls der DDR in Minsk…“, 18.5.1972, PA AA, MFAA, C 1505/76, pag. 2–4; Vermerk der Botschaft Moskau zur Eröffnung des GK Minsk, 12.5.1972, ebd., pag. 5–6. 599 Vgl. Gespräch mit Leopold Wohlert. 600 Ebd. 601 Schreiben Wohlerts an das MfAA zur Eröffnung und bisherigen Arbeit des GK, Abt. SU, 29.5.1972, PA AA, MFAA, C 1075/74, pag. 59–61.
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Jahre zuvor, diplomatische Vertretungen der beiden wichtigsten Handelspartner erhielt.
4.2 „AN ALLEN INSTANZEN VORBEI“? DIPLOMATISCHER ALLTAG Einer der großen Vorzüge seiner Arbeit in Minsk, urteilte rückblickend der ehemalige Generalkonsul Leopold Wohlert, sei es gewesen, dass er, mindestens in einigen Bereichen, recht frei habe agieren können – viel freier, als das etwa in den wichtigeren Vertretungen in Moskau, Leningrad, aber auch Kiew, möglich gewesen wäre. So sei es ihm gelungen, durch persönliche Kontakte und Absprachen vor Ort viele Dinge ins Rollen zu bringen, die in den zentral vereinbarten Kulturarbeitsplänen nicht enthalten gewesen waren.602 Dabei hatte die Arbeitsbeschreibung für das neu entstandene Generalkonsulat eine wie auch immer geartete kulturelle Tätigkeit ursprünglich gar nicht vorgesehen. Die Aufgaben der DDRDiplomaten bestanden offiziell in Folgendem: − „Einschätzung der innenpolitischen, ökonomischen und kulturellen Entwicklung des Konsularbezirkes; − kontinuierliche Propagierung der Entwicklung der Deutschen Demokratischen Republik, ihrer Innen- und Außenpolitik; − Erfüllung von Außenwirtschaftsaufgaben und aller Fragen, die sich aus dem Transitverkehr durch die Belorussische Sozialistische Sowjetrepublik ergeben; − Wahrnehmung aller konsularischen Funktionen auf der Grundlage der gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen […], insbesondere […] bei der Klärung von Problemen, die im Zusammenhang mit dem Touristenverkehr auftreten; − Unterhaltung von Kontakten zu den Partei-, Staats- und Wirtschaftsorganen des Konsularbezirkes; − Nutzung der Organe des Konsularbezirks für die Vertretung der Interessen der Deutschen Demokratischen Republik in der UNO und internationalen Organisationen.“603
Auslandsinformation Nach obiger Aufstellung schien kulturelles Engagement des Generalkonsulats, damit auch die Zusammenarbeit mit den Freundschaftsgesellschaften oder kulturellen Einrichtungen, noch am ehesten in den Bereich der Auslandsinformation zu fallen. Dabei deckte sich dieser Fokus auf die Auslandsinformation mit dem, was auch die Freundschaftsgesellschaft seit Ende der 1960er Jahre verstärkt als eine ihrer Hauptaufgaben ansah. Analog zur dortigen Kommission für Auslandinformation wurde auch im Generalkonsulat Ende November 1972 eine Arbeitsgruppe 602 Vgl. Gespräch mit Leopold Wohlert. 603 Beschlussvorlage für das Präsidium des Ministerrates der DDR zur Errichtung eines GK in Minsk, ohne Datum, SAPMO-BArch DY 30/ J IV 2/3 A 2127, pag. 43–46.
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Auslandsinformation gegründet, der interessanterweise nicht nur Mitarbeiter der Vertretung selbst angehörten, sondern auch ein Vertreter der in Minsk stationierten so genannten „Militärhörer“ (NVA-Mitglieder, die sich zu einer (meist mehrjährigen) Ausbildung an einer Militärakademie in der belorussischen SSR befanden) sowie ein Vertreter der deutschen Austauschstudenten in der belorussischen Hauptstadt. Damit strebte das Generalkonsulat auch in die Rolle eines Koordinators der Auslandsinformation sowie eines Vermittlers zwischen den einzelnen Gruppen. Weitere Sitzungen der Gruppe sind, obgleich geplant, nicht in den Quellen überliefert. Mindestens die Zusammenarbeit mit deutschen Studierenden an Minsker Hochschulen ist jedoch auch weiterhin belegt. Zur Auslandsinformation gehörten, so ist dem Papier zu entnehmen, zunächst vor allem die Planung und Durchführung von Veranstaltungen und Maßnahmen anlässlich bestimmter Daten oder Jubiläen, wie das aus der Arbeit der Freundschaftsgesellschaften bereits bekannt ist: so etwa anlässlich des Tages der NVA am 1. März, des 50. Jahrestages der Gründung der UdSSR, des Tages der Befreiung oder auch der Vorbereitung der X. Weltfestspiele der Jugend und anderer aktueller Ereignisse. Dabei oblagen dem Generalkonsulat und seinen Mitarbeitern vor allem repräsentative Aufgaben, wie regelmäßige Redebeiträge bei Veranstaltungen und Ausstellungseröffnungen oder auch der öffentlichkeitswirksame Besuch von Gedenkstätten für die Opfer der deutschen Besatzung, etwa zum Tag des Sieges/der Befreiung. Dazu kamen außerdem Pressekonferenzen und Cocktail-Empfänge, die für gewöhnlich im Generalkonsulat ausgerichtet wurden.604 Gleichzeitig beobachteten die deutschen Diplomaten sehr genau, welche Veranstaltungen von belorussischer Seite durchgeführt wurden und versuchten in Berichten nach Berlin, deren Erfolg, gemessen an der Vermittlung eines möglichst positiven DDR-Bildes, einzuschätzen. So berichtete der Generalkonsul anlässlich des 23. Jahrestages der DDR ausführlich an seine Vorgesetzen, wobei eine Kopie des Schreibens bezeichnenderweise auch an den Zentralvorstand der DSF ging. Neben der Auflistung einzelner Veranstaltungen (Buchausstellungen, Freundschaftsabende, Empfang des Generalkonsulates etc.) hob er dabei ganz besonders die gute Zusammenarbeit mit belorussischen Stellen hervor. Sie hätten schnelle und unbürokratische Hilfe geleistet, um auch Maßnahmen zu verwirklichen, die im Kulturarbeitsplan für 1972, der noch kein Generalkonsulat der DDR vorgesehen hatte (!), nicht enthalten gewesen waren. Zusätzlich zu der Feststellung, dass insbesondere Ausstellungen und deutsche Bucherzeugnisse unter der Bevölkerung sehr gefragt seien – „Das Buchangebot reicht trotz verstärkter Bereitstellung nicht aus.“ – vermerkte der Bericht akribisch, welche Vertreter aus Partei und Staat der BSSR an diversen Veranstaltungen teilnahmen und zog daraus Rückschlüsse auf deren „politische Effektivität“. Besonders dürfte dem Zentralvorstand der DSF gefallen haben, dass die eigenen Materialien „große Resonanz“ fänden und „als politisch wirksam und […] anspre-
604 Vgl. exemplarisch Teilnahme der Diplomaten des Generalkonsulats an den Feierlichkeiten zum 25. Jahrestag der DDR in Minsk im Oktober 1974: Information der BELOD über Veranstaltungen zu diesem Anlass, ohne Datum, NARB f. 914, op. 4, d. 519, l. 78–82.
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chend“ eingestuft worden seien.605 Ähnlich gut schätzten die Mitarbeiter des Generalkonsulats auch die Darstellung der DDR in der belorussischen Presse ein, besonders die Gebiete Gomel’ und Witebsk und die dortigen Presseerzeugnisse seien hier positiv hervorzuheben. Allerdings blieb in diesem Zusammenhang doch ein Wermutstropfen:
Polnische Konkurrenz Anlässlich des Jahrestages der ‚Wiedergeburt Polens‘ (22. Juli)606 hatten die Kollegen aus dem polnischen Generalkonsulat eine Reihe von Veranstaltungen organisiert, die, so die Berichte der deutschen Diplomaten, den DDR-Jahrestag in vielerlei Hinsicht übertroffen hätten. So habe die belorussische Presse wesentlich ausführlicher über die Maßnahmen anlässlich des polnischen Nationalfeiertages berichtet, sei die künstlerische Qualität der Veranstaltungen deutlich höher gewesen und habe die polnische Seite wesentlich hochkarätigere Gäste in die BSSR delegiert, als das von Seiten der DDR geschehen war. Darum sei in Zukunft eine bessere und langfristigere Planung vorzunehmen sowie „[g]rößere Aufmerksamkeit seitens der zentralen Organe und Dienststellen in Berlin“ zu erreichen. Insbesondere aufgrund der schweren Leiden der BSSR unter der „faschistischen Okkupation“ sei dies nicht nur moralisch gerechtfertigt sondern geradezu Notwendigkeit und Verpflichtung.607 Der gute Anklang, den die Veranstaltungen der polnischen Genossen gefunden hatten, hatte den Generalkonsul schon im Sommer „nachdenklich“ gestimmt. Es werde wohl schwer, ähnlich Gutes zustande zu bringen, so seine Einschätzung; trotzdem solle man versuchen, nicht allzu sehr hinter die polnischen Leistungen zurückzufallen.608 Inwieweit im Berliner Ministerium die polnische Präsenz in der BSSR bzw. UdSSR tatsächlich als Konkurrenz empfunden wurde, ist unmittelbar anhand der Quellen nicht zu beurteilen. Allerdings dürfte die starke Zusammenarbeit der BSSR mit Polen durchaus ein Maßstab für den eigenen Erfolg gewesen sein: Sowohl aus geographischen wie aus historischen Gründen, namentlich der ehemals polnischen Westgebiete der BSSR – so viel hatte man auch im MfAA erkannt609, nahm die polnische Volksrepublik seit Ende des Zweiten Weltkriegs die wichtigs605 Bericht Wohlerts an das MfAA, 13.10.1972, PA AA, MFAA, C 1075/74, pag. 11–17. 606 Zur Inszenierung des 22. Juli als kommunistischen Feiertag in Polen vgl. Dmitróv, Edmund: „Begriffe und Daten des Zweiten Weltkriegs in Polen – 8./9. Mai. Die offizielle Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkriegs in Polen. Konstitution der kollektiven demokratischen Identität auf der Makro-Ebene. Rolle der pluralistischen Institutionen und der Generationsabfolge“, in: Schwan, Gesine u. a. (Hrsg.): Demokratische politische Identität. Deutschland, Polen und Frankreich im Vergleich, Wiesbaden 2006, S. 183–214, hier S. 188–190. 607 „Zum Presseecho in der BSSR zum 23. Jahrestag der DDR“, 1.11.1972, PA AA, MFAA, C 1075/74, pag. 4–7. 608 Schreiben Wohlerts an die Abt. SU im MfAA: Vermerk über die Festveranstaltung anlässlich des poln. Nationalfeiertages, 21.7.1972, PA AA, MFAA, C 1075/74, pag. 20–21. 609 Vgl. handschriftliche Randbemerkungen aus dem MfAA im Presseecho, s. Anm. 608.
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te Stellung in den Außenbeziehungen der BSSR ein, sowohl im kulturellen, als auch im Bereich des so genannten sozialistischen Erfahrungsaustauschs. So war Polen der erste Staat, der bereits im Jahre 1945 eine offizielle Regierungsdelegation in die BSSR entsandt und sich schon in den 1940er Jahren um die Eröffnung eines Generalkonsulats in Minsk bemüht hatte, dabei allerdings am Einspruch aus Moskau gescheitert war.610 Umso bemerkenswerter erscheint es, dass eine polnische Vertretung, ebenso wie diejenige der DDR, erst in den 1970er Jahren hatte eröffnet werden können. Analog zur Berichterstattung über kulturelle Veranstaltungen des östlichen Nachbarn beobachtete das Generalkonsulat auch das wirtschaftliche Auftreten der polnischen Kollegen sehr genau. Möglicherweise lag hier auch eher ein Grund für Konkurrenzdenken: Zwar gestalteten sich die politischen Beziehungen zwischen beiden Ländern seit dem Machtwechsel zu Honecker bzw. Gierek 1971, zumindest an der Oberfläche, historisch gut, jedoch blieb das wirtschaftliche Verhältnis nach wie vor angespannt: Einerseits warfen sich beide Länder die Nichteinhaltung der gegenseitigen Exportverpflichtungen vor, anderseits die engen wirtschaftlichen Beziehungen zur Bundesrepublik, die beide unterhielten. Aufgrund eines steigenden polnischen Selbstbewusstseins durch das rasche Wirtschaftswachstum und eine zunehmende internationale Anerkennung zeigte die polnische Führung Anfang der 1970er Jahre sogar Absichten, der DDR ihre Rolle als wichtigster Bündnispartner der Sowjetunion streitig zu machen – eine Tatsache, die die DDRFührung schon aus existentiellen Gründen misstrauisch machen musste.611 In dieses Bild würde es passen, dass der für Außenhandel zuständige Vizekonsul Lewandowski im Juni 1973 ausführlich über eine in Minsk durchgeführte Exportwarenausstellung Polens berichtete, bei der zum größten Teil Maschinen für Landwirtschaft, Industrie oder Bauwesen, aber auch chemische Erzeugnisse und technische Geräte vorgestellt wurden. Damit machte die Volksrepublik, umso mehr, als Lewandowski auch über den großen Besucherandrang und sogar unmittelbare Vertragsabschlüsse infolge der Ausstellung berichten musste, der DDR Konkurrenz auf ihren ‚angestammten‘ Exportgebieten.612 Dies war auch insofern kritisch, als die DDR Anfang der 1970er Jahre eine negative Handelsbilanz gegenüber der Sowjetunion vorzuweisen hatte, also in puncto Exporten zurücklag, gleichzeitig aber auf eine Erfüllung ihrer Exportverpflichtungen dringend angewiesen war, um die eigene Rohstoffversorgung aus der Sowjetunion sicherzustellen. Letztlich ging es für alle RGW-Länder beim Handel mit der Sowjetunion seit den 1970er Jahren, 610 Šadurskij: Kul’turnye svjazi, S. 20; zu den auswärtigen kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen der BSSR zu den sozialistischen Staaten, insbesondere im Rahmen von Gebietspartnerschaften vgl. Vorobej, Nikolaj S. und Igor’ A. Zacharčenko: Mosty družby, Minsk 1989. Die Volksrepublik Polen erscheint dabei mit großem Abstand als wichtigster Partner. 611 Wentker: Außenpolitik in engen Grenzen, S. 428–434; Jacobsen (Hrsg.): Drei Jahrzehnte Außenpolitik der DDR, S. 608–610; vgl. zum Verhältnis DDR-Polen allgemein den Sammelband: Kerski/Kotula/Kazimierz (Hrsg.): Zwangsverordnete Freundschaft? 612 Vizekonsul Lewandowski, GK Minsk, an das MfAA, das Minsterium für Außenwirtschaft, die Botschaft Moskau: Bericht über Exportgüterausstellung Polens vom 11.–27.5.1973 in Minsk, 27.6.1973, PA AA, MFAA, C 1205/75, pag. 76–83.
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und noch verschärft durch die Ölpreissteigerungen 1973, um eine möglichst bezahlbare Rohstoffversorgung, um so die geplanten Wachstumsraten für die eigenen Volkswirtschaften einhalten zu können. Dabei litt die DDR in den 1970er Jahren zusätzlich unter dem drohenden Verlust bisheriger Marktpositionen: Insbesondere der Exportanteil von Maschinen und Ausrüstungen innerhalb des RGW war von 34,2 (1960) auf 23,8 Prozent (1973) gesunken, was größtenteils auf Aufholprozesse der bislang weniger industrialisierten Volkswirtschaften, auch Polens, zurückzuführen war.613 Vor diesem Hintergrund wird nachvollziehbar, dass die DDR-Vertretung in Minsk nicht nur dokumentierte, wie erfolgreich die ‚Konkurrenz‘ ihre Exportwaren präsentierte, sondern auch darauf angewiesen war, selbst gute wirtschaftliche Kontakte herzustellen oder zumindest ein gutes Klima für die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu schaffen. Dies musste umso mehr gelten in einer der drei für Außenhandel wichtigsten Sowjetrepubliken, wie es in einer Vorlage für das Zentralkomitee 1971 geheißen hatte: „Die Belorussische Sozialistische Sowjetrepublik nimmt bei der Realisierung unserer Außenwirtschaftsverpflichtungen außer der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik und der Ukraine (sic!) einen bedeutenden Platz ein.“614
Sozialistischer Erfahrungsaustausch Wie sich Leopold Wohlert erinnert, war der unmittelbare Einfluss des Generalkonsulates auf die Wirtschaftskontakte aber eher gering, wahrscheinlich nicht zuletzt deshalb, weil zentrale Entscheidungen nach wie vor in Moskau und Berlin getroffen wurden.615 Wichtiger erschien wohl die konsularische Tätigkeit der Vertretung, vor allem im Hinblick darauf, dass, wie der belorussische Parteichef Mašerov bemerkt hatte, zahlreiche deutsche Spezialisten „auf dem Gebiet der Landwirtschaft, des Landmaschinenbaus und der Elektronik“ in der BSSR tätig waren. Hinzufügen könnte man außerdem die enge Zusammenarbeit und den Mitarbeiteraustausch auf dem Gebiet der chemischen Industrie, wie das etwa in Novopolock der Fall war. Insgesamt interessierte sich die belorussische Parteiführung, mindestens zu diesem Zeitpunkt, aber offensichtlich überwiegend für einen Erfahrungsaustausch auf dem Gebiet der Landwirtschaft, wie im ersten Antrittsgespräch des Generalkonsuls mit Mašerov deutlich geworden war. Dabei ging der 613 Ahrens, Ralf: Gegenseitige Wirtschaftshilfe? Die DDR im RGW – Strukturen und handelspolitische Strategien 1963–1976, Köln u.a. 2000, S. 272–285; zur Frage der „Energiekrise“ im RGW in den 1970er Jahren allgemeiner vgl. Hanson, Philip: The rise and fall of the Soviet economy. An economic history of the USSR from 1945, London 2003, S. 156–158; zum grundsätzlichen Außenhandelsproblem der DDR bzw. zur Abhängigkeit von der Sowjetunion vgl. Buchheim, Christoph: „Die Achillesferse der DDR – der Außenhandel“, in: Steiner, André (Hrsg.): Überholen ohne einzuholen. Die DDR-Wirtschaft als Fußnote der deutschen Geschichte?, Berlin 2006, S. 91–104, hier S. 97–100. 614 Begründung für die Eröffnung eines GK in der BSSR, ohne Datum, SAPMO-BArch DY 30/J IV 2/3 A 2127, pag. 47–49. 615 Vgl. Gespräch mit Leopold Wohlert.
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Parteichef sogar auf Details in der Arbeitsorganisation, der Futtermittelproduktion oder Düngemethoden ein, in deren Kontext Erfahrungen aus der DDR studiert werden sollten.616 Ganz ähnliche und sehr konkrete Interessen zeigte auch der erste Sekretär des KPB-Gebietskomitees Minsk, der sich insbesondere einen vertieften Erfahrungsaustausch zwischen „der Eierfabrik in Minsk und KIM [Kombinat Industrielle Mast]/Königswusterhausen und Falkensee“ wünschte, insbesondere „[…] auf breiter Basis die Belegschaft dieser Betriebe zum Erfahrungsaustausch zu delegieren, da die leitenden Funktionäre bereits gute Kontakte hätten.“ Gleichzeitig informierte er den Generalkonsul über Erfolge und neue Methoden des Gebiets Minsk in Industrie und Landwirtschaft, aber mit erstaunlicher Offenheit auch über Schwierigkeiten, wie mangelnde Qualität von Lebensmitteln, Kostenexplosionen bei landwirtschaftlichen Versuchsobjekten oder Alkoholmissbrauch. Mindestens in dieser Hinsicht erhoffte man sich von belorussischer Seite offenbar eine echte Kooperation.617 Dabei mochte die starke Beschäftigung mit Fragen der Landwirtschaft wiederum mit einem gesamtsowjetischen, zunehmend dringlicher werdenden Problem zusammenhängen: Hatte die Sowjetregierung seit der Missernte im Jahr 1963 erstmals im großen Stil auf Getreideimporte aus dem Westen setzen müssen, war dieses Problem seitdem an der Tagesordnung, ja hatte sogar bedenkliche Ausmaße angenommen. In den 1970er Jahren bestimmten zunehmend stärkere Versorgungsschwierigkeiten, auch mit Fleischprodukten, den sowjetischen Alltag. Nicht zuletzt die Angst vor Unruhen oder gar Aufständen unter der Bevölkerung ließ die Führung unter Breschnew darum ein besonderes Augenmerk auf Produktionssteigerungen in der Landwirtschaft richten. Anscheinend hoffte man dabei nicht nur auf Lebensmittelimporte, sondern auch auf wichtige Impulse aus der relativ hoch entwickelten Landwirtschaft der DDR.618 Zum besseren Erfahrungsaustausch empfahlen die Genossen des Parteigebietskomitees bzw. des Gebietsexekutivkomitees dem Generalkonsul, auch selbst Betriebe zu besichtigen – wobei es keine Hinweise darauf gibt, dass diese Besuche von sowjetischer Seite gelenkt worden wären. Allerdings konnten sich die Generalkonsulatsmitarbeiter mitnichten frei im Land bewegen: Es galt die gesamtsowjetische „Bewegungsordnung“ für Personal diplomatischer Vertretungen zur, wie das MID der BSSR anmerkte, „Vermeidung von Fällen unkontrollierter Ausfahrten der Angestellten der Generalkonsulate der DDR und Polens außerhalb der 40 km-Zone um Minsk […]“. Konkret bedeutete dies, dass alle Fahrten, die über diese Zone hinausgingen, 48 Stunden zuvor beim MID unter Angabe der beteiligten Personen, der Reisezeit und -route angemeldet und registriert werden 616 Aktenvermerk des GK der DDR/Minsk über die Vorstellung des Generalkonsuls, 18.5.1972, PA AA, MFAA, C 1075/74, pag. 65–67; vgl. dazu auch: GK Minsk, Vermerk über den Antrittsbesuch bei Genossen Kusmin, Sekretär des ZK der KPB für Propaganda, ebd., pag. 25– 28; zur Zusammenarbeit der DDR und der UdSSR in Novopolock zum Bau der Polymir 50 Anlage vgl. S. 176–177 dieser Arbeit. Insgesamt ist diese Art der Kontakte jedoch bislang so gut wie nicht erforscht. 617 GK Minsk, Vermerk über die Antrittsvisite Wohlerts bei I. J. Poljakov am 12.6.1972, PA AA, MFAA, C 1075/74, pag. 42–45. 618 Hanson: The rise and fall of the Soviet economy, S. 85–86, 149–154.
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mussten, wobei die Erlaubnis auch verweigert werden konnte. Zusammen mit diesem Antrag konnten auch Zusammenkünfte und Gespräche mit führenden Angestellten der Stadt- oder Gebietsverwaltungen sowie der Besuch bestimmter Einrichtungen oder Objekte ‚gebucht‘ werden. Entsprechend war das belorussische Außenministerium – das sich diese Regelung, die auch eine Liste mit möglichen Erholungsorten für das diplomatische Personal enthielt, durch das ZK der KPB hatte bestätigen lassen – bereits im Vorfeld gut über die Reisen der deutschen Genossen informiert.619 Zusätzlich berichteten auch die besuchten Einrichtungen und Verwaltungen an das ZK der KPB über die Visite der deutschen (und polnischen) Diplomaten: In allen Einzelheiten wurde, wie im Fall eines Besuches in Grodno 1974, dokumentiert, welche Kolchose und Gebietsverwaltungseinrichtungen Generalkonsul und Konsul besucht hatten, welche Gesprächsinhalte dabei vorgekommen waren und wie sich die Deutschen über die deutsch-sowjetische Freundschaft, den sozialistischen Aufbau in der DDR und die ‚Konkurrenz‘ aus Westdeutschland sowie die belorussischen Verhältnisse in Wirtschaft und Gesellschaft geäußert hatten.620 Diese Regelung, zusammen mit einer sorgfältigen ‚Auswahl‘ der sowjetischen Ortskräfte des Generalkonsulats (Chauffeur, Übersetzer, Rezeptionist, Koch) durch das MID, dürfte sichergestellt haben, dass die sowjetische Seite sehr genau über die Aktivitäten der deutschen Freunde Bescheid wusste.621
Kulturelle Freiräume? Daneben förderten belorussischer Staat und Partei die Arbeit des Generalkonsulats jedoch ausgesprochen wohlwollend, so die Erinnerungen des ersten Generalkonsuls Leopold Wohlert.622 Nicht nur Direktkontakte zwischen Betrieben konnten mit Zustimmung von ‚ganz oben‘, also durch Mašerov persönlich, am bestehenden Plan der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit vorbei oder zusätzlich organisiert werden.623 Gerade auch im kulturellen und damit politisch unverfänglichen Bereich hatte das Generalkonsulat die Möglichkeit, deutlich freier außerplanmäßige Veranstaltungen oder Kontakte zu initiieren.
619 Vgl. Schreiben des MID der BSSR an das ZK der KPB: in der Anlage die „Bewegungsordnung“ sowie eine Liste mit Sehenswürdigkeiten und Erholungszentren für die Mitarbeiter des GK, 20.6.1972, NARB f. 4p, op. 62, d. 789, l. 154–157. 620 Gorispolkom Grodno an das ZK der KPB über den Besuch des Generalkonsuls im Gebiet vom 22.–24.4.1974, 14.5.1974, NARB f. 4p, op. 56, d. 3, l. 35–38; ähnlich auch: Bericht über den Besuch Wohlerts im Minsker Automobilwerk durch den Direktor an das ZK der KPB u. das MID, 14.5.1973, NARB f. 4p, op. 56, d.2, l. 40–41. 621 Vgl. dazu ein Sondierungsgespräch Wohlerts im MID der BSSR noch vor der offiziellen Eröffnung des GK, 5.5.1972, NARB f. 4p, op. 62, d. 789, l. 62–64. 622 Vgl. Gespräch mit Leopold Wohlert. 623 Abt. IV des ZK der KPB an Mašerov über eine Anfrage des GK zur Etablierung von Direktverbindungen zwischen ausgewählten landwirtschaftlichen Betrieben der DDR und der BSSR, 13.7.1976, NARB f. 4p, op. 56, d. 5, l. 117.
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So hatte der Generalkonsul persönlich noch ganz zu Beginn seiner Tätigkeit den Besuch eines befreundeten Journalisten und stellvertretenden Chefredakteurs des Horizont – Sozialistische Wochenzeitung für internationale Politik und Wirtschaft arrangiert und diesem sehr kurzfristig zahlreiche Besichtigungsmöglichkeiten und Interviews in der BSSR vermitteln können – dies alles ohne vorherige Planung und damit auch ohne Absprache mit Berlin, was ein sehr unübliches Vorgehen darstellte. Nachdem jedoch die zuständigen ZK-Abteilungen der KPB das Vorhaben mit Mašerov abgestimmt hatten, wurden dem Generalkonsulat und damit dem deutschen Journalisten jedwede Hilfe zugesagt. Obwohl das MID im Vorfeld sehr genau ‚abklopfte‘, für welche Aspekte des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens sich der Pressevertreter aus der DDR interessieren würde, welche Fragen er stellen und in welcher Art er berichten würde, hatte man offenbar kaum Bedenken, ein umfangreiches Besuchs- und Interviewprogramm zu ermöglichen, unter anderem mit dem Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets der BSSR.624 Der Redakteur des Horizont interessierte sich nach eigenen Angaben besonders für die ideologische Arbeit der Partei, die Tätigkeit des Komsomol und bat außerdem um den Besuch mehrerer Industrie- und Landwirtschaftsbetriebe. Ergänzend wurde ihm von belorussischer Seite nahegelegt, die Gedenkstätten Chatyn’, den Kurgan Slavy (Hügel des Ruhms),625 die Museen des Großen Vaterländischen Krieges sowie des ersten Parteitages der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und die Museen für die beiden belorussischen Nationaldichter Janka Kupala und Jakub Kolas zu besuchen – eine Mischung aus Gedenk- und Erinnerungsorten, die zwar einerseits an eine belorussische Kultur anknüpften (Janka Kupala, Jakub Kolas), andererseits aber vor allem die enge Verbindung des belorussischen ‚Partisanen-Volkes‘ mit den übrigen Brudervölkern der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg betonten. Insbesondere der letzte Aspekt schien der belorussischen Führung besonders wichtig zu sein: eine zu einseitige Darstellung der BSSR und ihrer wirtschaftlichen Leistungen im Ausland galt es strikt zu vermeiden. Die Absicht des Horizont-Redakteurs, auch einen Artikel über die sowjetische Nationalitätenpolitik zu schreiben und so das Zusammenleben der einzelnen „Völker der Sowjetunion“ darzustellen, dürfte zu624 Vgl. dazu: Gespräch mit Leopold Wohlert; GK Minsk: Vermerk über den Antrittsbesuch Wohlerts bei Aksënev, II. Sekretär des ZK der KPB, 30.5.1972, PA AA, MFAA, C 1075/74, pag. 62–64; Vorlage der Abt. AgitProp und Internat. Verbindungen an Mašerov: Gespräch mit dem Generalkonsul der DDR, 30.5.1972, NARB f. 4p, op. 56, d. 1, l. 12–13. 625 Bei Chatyn’ bzw. dem Kurgan Slavy handelte es sich um die beiden zentralen Gedenkstätten der BSSR, die beide 1969, anlässlich des 25. Jahrestages der Befreiung Weißrusslands, eingeweiht wurden. Während der Kurgan Slavy, Hügel des Ruhms, an den Befreiungskampf der Truppen der Roten Armee erinnerte, und sich an der typischen sowjetischen Gedenkstättenarchitektur orientierte, ging man mit Chatyn’ architektonisch eigene Wege, die stärker an westeuropäische Vorbilder erinnerten. Die Gedenkstätte Chatyn’ übernimmt eigentlich eine doppelte Funktion: Sie erinnert einerseits ganz unmittelbar an das gleichnamige, durch die nationalsozialistischen Besatzer niedergebrannte Dorf (einschließlich seiner Bewohner), steht aber sinnbildlich für alle vernichteten Orte in Weißrussland. Vgl. dazu: Sahm, Astrid: „Im Banne des Krieges. Gedenkstätten und Erinnerungskultur in Belarus“, Osteuropa 58/6 (2008), S. 229–245, hier S. 230–233.
4.2 „An allen Instanzen vorbei“? Diplomatischer Alltag
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mindest ambivalent aufgenommen worden sein, entsprach er doch nicht der Betonung der ‚sowjetischen Nation‘, die in den 1970er Jahren unter Breschnew vorangetrieben wurde.626 Obwohl der für Propaganda zuständige ZK-Sekretär dem DDR-Pressevertreter „volle Unterstützung seitens des ZK der KPB“ zusicherte, unter anderem würde ihn ein „Genosse der KPB ständig begleiten“ (!), bat er den Generalkonsul im gleichen Gespräch „[…] dieses Jahr keinen weiteren DDR-Journalisten in die BSSR zu entsenden, da die Propaganda und Agitation auf die historische Einheit ihrer Völker konzentriert sei, weniger auf die großen Erfolge und den Anteil einzelner Unionsrepubliken.“
Dagegen vereinbarten beide Seiten in Zukunft einen regen Informationsaustausch, um in den „Massenmedien abgestimmt zu argumentieren und unsere Politik zu propagieren.“627 Gleichzeitig engagierte sich das Generalkonsulat auch im klassischen Kulturbereich: Man initiierte Kunst- und Buchausstellungen sowie Filmveranstaltungen, wie beispielsweise eine Filmretrospektive mit dem international bekannten Regisseur Konrad Wolf.628 Dass vieles auch über die Arbeitspläne hinaus möglich war, beweist eine Ausstellung des Kunstverlags Dresden, die im Jahre 1974 in Minsk gezeigt wurde. Da diese Ausstellung ursprünglich nicht geplant war, hatte sich der Generalkonsul bereits im Herbst 1973 an den Zentralvorstand der DSF gewandt und, auf Nachfragen und Initiative belorussischer Stellen, um Unterstützung für das Vorhaben gebeten. Dort hatte man jedoch nach eigenen Angaben nicht die Möglichkeit, außerplanmäßige Veranstaltungen in diesem Maßstab zu initiieren und informierte das Generalkonsulat, dass die Anfrage an das Ministerium für Kultur weitergeleitet worden sei.629 Von dort kam dann offenbar auch grünes Licht, oder aber, eingedenk der Kürze der Zeit, der Generalkonsul handelte weitgehend auf eigene Faust: Bereits Mitte Februar wandte er sich an die Abteilung Internationale Verbindungen des ZK der KPB mit einer Übersicht zur geplanten Ausstellung des Dresdner Kunstverlags.630 Ein knappes dreiviertel Jahr später konnte die Ausstellung, bei der hochwertige Kunstbücher und mehr als 300 Kunstreproduktionen gezeigt wurden, schließlich in einem der größten Säle der Stadt, im Palast der Kunst, gezeigt werden und war nach Angaben Wohlerts ein 626 Vorlage der Abt. AgitProp u. Internat. Verbindungen an Mašerov: Unterstützung des DDRJournalisten und Inhalte, 10.7.1972, NARB f. 4p, op. 56, d. 1, l. 27–28; Gesprächsprotokoll Horizont-Journalist K. und GK Wohlert im MID der BSSR, 11.7.1972, ebd., l. 30–34. 627 Vermerk über den Antrittsbesuch Wohlerts bei Kuz’min, Sekretär des ZK der KPB für Propaganda am 6.6.1972, 1.8.1982, PA AA, MFAA, C 1075/74, pag.25–28, hier: 26–27. 628 Nach Angaben Leopold Wohlerts fand die Filmretrospektive recht spontan nach persönlicher Absprache mit und unter Beteiligung von Konrad Wolf statt, vermutlich im Jahre 1974 oder 1975, und war zuvor nicht in den Kulturarbeitsplänen enthalten gewesen. Leider finden sich in den vorliegenden Quellen keinerlei Hinweise auf diese Veranstaltung. Vgl. dazu Gespräch mit Leopold Wohlert. 629 Schreiben des GK Minsk an den ZV der DSF, 28.11.1973, SAPMO-BArch DY 32/1104, unpag.; sowie Antwortschreiben der DSF, 29.1.1974, ebd. 630 Schreiben Wohlerts an Bronikov, Leiter der Abt. für Internat. Verb. beim ZK der KPB, 15.2.1974, NARB f. 4p, op. 56, d. 3, l. 39–42.
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voller Erfolg.631 Zudem schien sich daraus auch eine längerfristige Zusammenarbeit zu entwickeln: So plante der Dresdner Kunstverlag die Herausgabe von Broschüren und Kunstdrucken belorussischer Künstler sowie eine Ausstellung belorussischer Graphiker im Bezirk Leipzig, wie das Ministerium für Kultur der BSSR dem Zentralkomitee berichtete.632 Grundsätzlich zeichnen die Quellen das Bild einer guten Zusammenarbeit zwischen Generalkonsulat und den staatlichen und Partei-Stellen vor Ort. Tatsächlich gelang es dabei wohl auch, und zwar in erster Linie durch persönliche Kontakte, mehr oder minder spontane, jedenfalls nicht in den Arbeitsplänen zuvor festgelegte, Kontakte zwischen belorussischen und deutschen Partnern zu fördern oder Veranstaltungen durchzuführen. Allerdings gab es dafür stets ein klar strukturiertes Vorgehen: Erste Anlaufstelle des Generalkonsulats war dabei immer, so erinnert sich Leopold Wohlert, das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der BSSR, erst danach wandte man sich gegebenenfalls an die jeweiligen Fachministerien.633 In diesem Kontext muss auch ein ‚Neujahrsbesuch‘ des Generalkonsuls im MID im Januar 1975 gesehen werden. Bei dem Treffen handelte es sich offenbar um eine Art Voranmeldung der Aktivitäten, die das Generalkonsulat für das Jahr 1975 geplant hatte. Dabei ging es dem Generalkonsul unter anderem darum herauszufinden, welche Stelle für etwaige Absprachen der richtige Ansprechpartner sei. Die Antworten fielen teils ernüchternd aus: So gab es nicht wenige Bereiche, bei denen eine Einflussnahme der diplomatischen Vertretung weder erwünscht noch möglich war. Dies galt besonders für den gesamten Bereich der Parteibeziehungen, unter die auch die Gebietspartnerschaften zwischen Potsdam und Minsk bzw. Vitebsk und Frankfurt/Oder fielen; mindestens in diesem Bereich herrschte eine strikte Trennung von staatlichen Angelegenheiten und jenen, die auf „Parteilinie“ liefen, so auch die Erinnerung Leopold Wohlerts. Gleichzeitig wird deutlich, wie eingeschränkt auch die staatlichen Organe der BSSR in ihren Entscheidungsmöglichkeiten waren. So waren Kooperationsmaßnahmen im Bereich der Wirtschaft (eine Exportwarenausstellung der DDR), des wissenschaftlichen Austauschs oder sogar gegenseitige Gastspiele von Solokünstlern und Ensembles nur in bilateralen Verhandlungen zwischen den zentralen Stellen in Moskau und Berlin zu verwirklichen. Auch dieser Aspekt trug indirekt zur Beschränkung des Handlungsspielraums der DDR-Vertretung in Minsk bei.
631 Vgl. Gespräch mit Leopold Wohlert; sowie „DDR-Woche in Minsk“, Berliner Zeitung, 6.9.1974, S. 6. 632 MfK der BSSR an das ZK der KPB, Abt. für internat. Verb., 26.11.1974, NARB f. 4p, op. 56, d. 3, l. 83–84 sowie Antwort und Zustimmung der Abt. für internat. Verb. beim ZK der KPB, 14.1.1975, ebd. l. 85. 633 Vgl. Gespräch mit Leopold Wohlert.
4.2 „An allen Instanzen vorbei“? Diplomatischer Alltag
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Freundschaftsbande Mit der belorussischen Freundschaftsgesellschaft, deren Gebäude sich in der unmittelbaren Nachbarschaft befand, kooperierte das Generalkonsulat vornehmlich im Rahmen der festgelegten Arbeitspläne. Bereits anlässlich des 25jährigen Bestehens der DSF am 25. Juli 1972 hatte man eine enge Zusammenarbeit und gemeinsame Veranstaltungen, wie etwa eine Filmaufführung im „Haus der Freundschaft“, wie das Generalkonsulat die Räumlichkeiten der BELOD bezeichnete, vereinbart. Der Vorsitzende des Präsidiums der BELOD, Černuščenko634, versicherte dem Generalkonsul außerdem, dass die deutschen Genossen auch in Zukunft mit Hilfe des Hauses der Freundschaft „propagandistisch wirksam“ werden könnten.635 Für die deutsche Freundschaftsgesellschaft dagegen wirkte das Generalkonsulat vor allem als Informations- und Vermittlungsorgan und repräsentativer Stellvertreter vor Ort. So zeichnete der Generalkonsul anlässlich des 25. Jahrestages der DSF ‚verdiente Genossen‘ der belorussischen Freundschaftsgesellschaft mit der Freundschaftsnadel der DSF in Silber oder Gold aus – eine beliebte Anerkennung besonderer Verdienste sowjetischer Bürger um die deutschsowjetische Freundschaft. Auch in dieser Hinsicht funktionierte die Verwaltung der Freundschaft jedoch bis ins kleinste Detail: So wählte nicht etwa die deutsche Seite aus, wer sich durch besonders gute Zusammenarbeit für eine Auszeichnung empfohlen hatte. Vielmehr wurde die Anzahl der zur Verfügung stehenden Abzeichen an die BELOD übermittelt, woraufhin diese dann eine entsprechende Liste mit auszeichnungswürdigen Mitgliedern erstellte.636 Im Laufe der 1970er Jahre entwickelte sich die Zusammenarbeit zwischen der belorussischen Freundschaftsgesellschaft und dem Generalkonsulat offenbar so gut, dass sich Generalkonsul Bernatek637 persönlich für eine besondere Auszeichnung der BELOD anlässlich des 30. Jahrestages der DDR einsetzte. Die Freundschaftsgesellschaft habe, so Bernatek, alle Wünsche und Bitten des Generalkonsulats stets erfüllt, die Kontakte seien eng und freundschaftlich. Im Übrigen leiste die belorussische Gesellschaft auch im Unionsvergleich hervorragende Arbeit, 634 Geradot Gavrilovič Černuščenko, Vorsitzender des Präsidiums der BELOD 1969–1974, danach ständiger Vertreter der BSSR bei der UNO, vgl. dazu: Sitzungsprotokoll des Präsidiums der BELOD, Nr. 6, 15.6.1969, NARB f. 914, op. 4, d. 310, l. 186; sowie Sitzungsprotokoll des Präsidiums der BELOD, Nr. 3, 8.7.1974, NARB f. 914, op. 4, d. 511, l. 45ff. 635 Vermerk über ein Gespräch Wohlerts mit Černuščenko, 13.6.1972, PA AA, MFAA, C 1075/74, pag. 40–41; sowie Vermerk über Besuch Wohlerts und Korns in der BELOD, ebd., pag. 50–52. 636 Schreiben des MfAA, Abt. SU an die DSF, 29.6.1972, ebd. pag. 32–33. 637 Sylvester Bernatek, geboren 1923, löste 1977 turnusgemäß Leopold Wohlert als Generalkonsul in Minsk ab. Im Gegensatz zu letzterem war Bernatek zum Zeitpunkt seiner Ernennung bereits 26 Jahre im MfAA tätig, hatte diverse Auslandserfahrungen in diplomatischen Vertretungen gemacht und auch die entsprechenden Sprachkenntnisse. Vor seiner Tätigkeit als GK war er zuletzt Abteilungsleiter der Hauptabteilung Information und Dokumentation im MfAA. Vgl. dazu: Arbeitsprotokoll Nr. 98 des ZK der SED, 1.9.1977, DY 30/J IV 2/3A 3029, pag.1–9; „Beurteilung des Genossen Sylvester Bernatek“, 29.6.1977, ebd., pag. 47–48; „Kurzbiographie“, 9.5.1977, ebd., pag.49–50.
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was sowohl die Parteiführung als auch die Zentrale der Gesellschaft in Moskau so einschätzten. Eine staatliche Auszeichnung, Orden oder Medaillen, zu organisieren, lag zwar für den Zentralvorstand der DSF nicht im Bereich des Machbaren, man willigte aber ein, den belorussischen Partner anlässlich des 30. Jahrestages mit dem Ehrenbanner des Zentralvorstands der DSF auszuzeichnen.638 Dass der Generalkonsul sehr eindringlich an den 50. Geburtstag des Präsidiumsvorsitzenden der BELOD „Vitali Stephanowitsch“ (Smirnov)639 erinnerte und im Zentralvorstand der DSF anregte, für eine Auszeichnung mit dem Verdienstorden der DDR zu sorgen, spricht ebenfalls für ein enges und freundschaftliches Verhältnis mit dem ‚verdienstvollen Genossen‘: „Wenn heute die Beloks [BELOD, M.K.] und die SGDDR als die beste oder eine der ersten Republiksabteilung (sic!) der Sowjetunion gewertet wird, so ist das nicht zuletzt auch sein besonderes Verdienst […].“640
DDR-Interessenvertretung Dass Smirnov zudem ein erfahrener Diplomat war, der in seiner Pause als Präsidiumsvorsitzender der BELOD 1969‒1974 für die BSSR bei der UNO in New York tätig gewesen war, dürfte für die DDR-Vertreter ein zusätzlicher Pluspunkt gewesen sein.641 Im Übrigen mag die UNO-Mitgliedschaft der BSSR – eine Tatsache, die 1971 in den Augen der DDR-Führung noch als eines der Hauptargumente für die Eröffnung einer Vertretung in Minsk gesprochen hatte – mit dem gelungenen Beitritt der DDR 1973 bzw. ihrer de facto völkerrechtlichen Anerkennung in Folge des Grundlagenvertrags mit der Bundesrepublik jedoch an Wichtigkeit verloren haben. So ist auch in den vorliegenden Quellen wenig bis kein Engagement der DDR-Vertretung in dieser Hinsicht überliefert; lediglich durch regelmäßige Pressekonferenzen informierte man über aktuelle innen- und außenpolitische Fragen der DDR und verdeutlichte so den Standpunkt der SED-Führung, im Sommer
638 GK Minsk (Bernatek) an den ZV der DSF (Thieme), 19.1.1979, SAPMO-BArch DY 32/1104, unpag. 639 Vitalij Stepanovič Smirnov, 1930–2007, 1959–1969 Vorsitzender des Präsidiums der BELOD, 1969–1974 ständiger Vertreter der BSSR bei der UNO, erneut Vorsitzender des Präsidiums der BELOD 1974–1980, 1980–1985 Botschafter der UdSSR in Pakistan, ab 1988 Botschafter der UdSSR bzw. Generalkonsul der Republik Belarus’ in Bangladesch; vgl. dazu: Sitzungsprotokoll Nr. 6 der BELOD, 15.7.1969, NARB f. 914, op. 4, d. 310, l. 186; sowie: Smirnov, Vitalij Stepanovič: „Belarus’ v Sovbeze OON. Vospominanija belorusskogo posla“, Belaruskaja dumka 1 (2011), S. 64–71. 640 GK Minsk (Bernatek) an den ZV der DSF (Thieme), 19.1.1979, SAPMO-BArch DY 32/1104, unpag. 641 Schreiben des GK Minsk an den ZV der DSF, 29.1.1980, SAPMO-BArch DY 32/1104, unpag.
4.3 Ausblick: Freundschaft in den 1980er Jahren
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1972 etwa auch in Bezug auf die gegenwärtige Lage der Verhandlungen mit der Bundesrepublik.642 Was die Informationstätigkeit des Generalkonsulats über den Konsulatsbezirk anbelangt, sind entweder kaum Berichte erhalten geblieben oder aber diese Informationstätigkeit war tatsächlich sehr dürftig und eher unspektakulär. Ein für das Jahr 1974 im MfAA überlieferter Aktenband über die „Entwicklung der BSSR“ vermittelte überwiegend Beschreibungen und Bestandsaufnahmen in erster Linie zur Wirtschaft der Sowjetrepublik, in geringerem Maße auch zu Wissenschaft und Gesellschaft oder Inhalte von Sitzungen der KPB. Dabei handelte es sich aber keineswegs um ‚brisante‘ Informationen und Einschätzungen, sondern eher solche, die die belorussischen Stellen an ihre ostdeutschen Bündnispartner weitergaben bzw. die ohnehin in der Presse vor Ort veröffentlicht worden waren.643 Insgesamt entsteht der Eindruck eines durchaus harmonischen Verhältnisses der belorussischen Stellen zu den ‚deutschen Genossen‘. Man kannte und schätzte sich, unterstützte sich gegenseitig und pflegte persönliche Beziehungen. Dazu gehörte beispielsweise auch, dass sich der Generalkonsul schon einmal persönlich dafür einsetzte, dass ein „verdienter Genosse“ aus dem Ministerium für Kultur, nachdem der diesen Wunsch geäußert hatte, zu einer Urlaubsreise in die DDR eingeladen wurde. Oder aber er vermittelte zwischen den Vorständen der Freundschaftsgesellschaften, die ebenfalls gegenseitig solche Erholungsurlaube ‚organisierten‘.644 Gleichzeitig blieb das Generalkonsulat, analog zur Botschaft der DDR in Moskau, auf der politischen Ebene weitgehend ohne Einfluss und konnte sich noch am ehesten im kulturellen Bereich profilieren.
4.3 AUSBLICK: FREUNDSCHAFT IN DEN 1980ER JAHREN In den 1980er Jahren, insbesondere seit der Mitte des Jahrzehnts, begann sich das harmonische Bild zunehmend zu trüben. So hatten es einige Berichte der Diplomaten aus der politisch eigentlich unbedeutenden Vertretung in Minsk aus dieser Zeit sogar bis zur Abteilung für Internationale Verbindungen des ZK der SED geschafft, wo man sich nun offenbar stärker für die Lage außerhalb Moskaus interessierte. Dabei schien zu Beginn der 1980er Jahre durchaus noch alles beim Alten zu sein, zumindest was das sowjetisch-deutsche Verhältnis anbelangt: So verdeutlicht ein Bericht des Generalkonsuls Bernatek vom Oktober 1981 die, angesichts der Solidarnoćś-Bewegung, Polen-kritische und DDR-freundliche Haltung der 642 Vermerk über ein Treffen mit Pressevertretern im GK Minsk, 27.6.1972, PA AA, MFAA, C 1075/74, pag. 38–39. 643 Vgl. den Aktenband des MfAA: „Abt. SU, Sektor IP: Information des GK Minsk über die Entwicklung der BSSR 1974“, PA AA, MFAA, C 1391/76. 644 Vgl. dazu beispielsweise Schreiben GK Wohlert, an den ZV der DSF, betreffend Einladung für Genossen Serbin, 29.6.1972, PA AA, MFAA, C 1075/74, pag. 37; Schreiben Wohlerts an Thieme, ZV der DSF, betreffend Urlaube in der BSSR bzw. DDR durch Thieme und Smirnov, 16.3.1977, SAPMO-BArch DY 32/1104, unpag.
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4 Diplomatie in der sowjetischen Provinz? Das Generalkonsulat der DDR
BSSR-Führungsriege. Er zeigt gleichzeitig auch, auf welche Weise man üblicherweise an informelle Meinungen und Einschätzungen der sowjetischen Partner herankam: So erfuhr Bernatek während eines Empfangs der Vertretung anlässlich des 32. Jahrestages der DDR in Gesprächen in ‚gelöster Atmosphäre‘ nicht nur, dass der Einsatz der DDR „als zuverlässige Bastion an der westlichen Grenze der sozialistischen Staatengemeinschaft“ hoch geschätzt wurde – wiederholt hätten die belorussischen Gäste festgestellt: „‚Ihr seid unsere besten Kampfgefährten und Freunde.‘ ‚Auf Euch war und ist immer Verlaß.‘ ‚Ihr seid Molodzy.‘“ –, sondern auch, dass man das polnische ‚Problem‘ ganz ähnlich wie in der DDR-Führungsspitze beurteilte: Notfalls sei auch ein militärisches Eingreifen nötig, wenn es darum ginge, die „Macht des Sozialismus“ in Polen zu erhalten. Ganz anders als Polen sei dagegen die DDR, ja von ihr könne man sogar lernen: „‚Wir sollten noch mehr Eure Erfahrungen in der politisch-ideologischen Massenarbeit, der Intensivierung der Volkswirtschaft, dem Sport, Wohnungsbau, Gesundheitswesen u. a. studieren und bei uns schneller anwenden.‘“645
Möglich, dass hier einige Aussagen und Übertreibungen der guten Atmosphäre und einem gewissen Überschwang geschuldet waren, dennoch zeigt sich eine deutlich positive Haltung der belorussischen Führungskader gegenüber dem sozialistischen deutschen Staat. Die Deutschen wurden nicht nur als gute Verbündete, sondern die DDR sogar als sozialistischer Musterstaat in jedweder Hinsicht gesehen und für ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bewundert.646 Als sich die sowjetisch-ostdeutschen Beziehungen im Laufe der 1980er Jahre zunehmend verschlechterten, wurde dies allerdings auch in den Berichten des Generalkonsulats aus Minsk deutlich. Ausschlaggebend waren dafür im Wesentlichen zwei Gründe, die zeitlich versetzt auftraten und es deshalb erlauben, die bilateralen Beziehungen der 1980er Jahre in zwei Zeiträume einzuteilen. So waren es in der ersten Hälfte des Jahrzehnts überwiegend wirtschaftliche Differenzen, die das gute Verhältnis trübten: Hatten schon in den 1970er Jahren die deutlich teurer gewordenen Rohöllieferungen der Sowjetunion zu wirtschaftlichen Problemen der DDR geführt, so verschärfte sich die Situation seit 1982, weil die sowjetische Führung die Öllieferungen empfindlich eingeschränkt hatte. Auch Honeckers wiederholte Hinweise, dass dadurch die Existenz der DDR auf dem Spiel stehe, konnten die sowjetische Führung dieses Mal nicht überzeugen. Umgekehrt kritisierte die sowjetische Seite den Rohölweiterverkauf „an Kapitalisten“: Die DDR hatte einen nicht unerheblichen Teil des billig erhaltenen Rohstoffs zu Weltmarktpreisen an den Westen, vor allem die Bundesrepublik verkauft, womit sich guter Gewinn erwirtschaften ließ. Desweiteren bemängelte man die Lieferung von minderwertigen, im Westen nicht absetzbaren, Gütern in die UdSSR und forderte stattdessen eine Ausweitung der Lebensmittellieferungen in die von Missernten
645 Schreiben Bernateks, Generalkonsul in Minsk, an das ZK der SED, 13.10.1981, SAPMOBArch DY 30/12403, pag. 1–2. 646 Ebd.
4.3 Ausblick: Freundschaft in den 1980er Jahren
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und Ernteausfällen geplagte Sowjetunion.647 Wie die Berichte des Generalkonsulats zeigen, hatte diese wirtschaftliche Auseinandersetzung in der BSSR zunächst nur wenige Auswirkungen: Nach wie vor, so ein Bericht vom Oktober 1985, sei man von der Wirtschaftsleistung der DDR beeindruckt und bezeichnete sie als vorbildhaft, sogar für die Sowjetunion.648 Im gleichen Jahr konstatierte das Generalkonsulat in einem Bericht an das ZK der SED, dass die ökonomische und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit nach wie vor die meisten Kontakte zur BSSR mit sich brächten, besonders in den Bereichen chemische Industrie, Mikroelektronik, Transportmaschinen und Landwirtschaft. Zudem sei es der DDR im vorigen Jahr gelungen, noch stärker auf den belorussischen Markt vorzudringen. Gleichzeitig hatte es jedoch auch Unstimmigkeiten und Probleme gegeben, die vermutlich mit den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen DDR‒UdSSR zusammenhingen: So war es einerseits zu Lieferausfällen mit chemischen Spezialstoffen aus der DDR gekommen, die in der belorussischen Industrie zeitweise die Produktion lahmgelegt hatten, andererseits kam es zu Differenzen über den Bahn-Transport von Eisenerz für DDR-Unternehmen aus dem Binnenhafen Brest – eine Situation, die sogar dazu führte, dass Staats- und Parteikräfte aus der Verwaltung der Binnenschifffahrt den Empfang des Generalkonsulats zum 36. Jahrestag der DDR boykottierten.649 Dabei machte sich auf dem besagten Empfang im Oktober 1985 auch ein anderes Problem bemerkbar und kennzeichnete damit die zweite Phase der Distanzierung zwischen der Sowjetunion und ihrem westlichsten Bündnispartner. Mittelbarer Auslöser dafür war der Amtsantritt Michail Gorbatschows, der im März 1985 das Amt des Generalsekretärs der KPdSU übernommen hatte und der mit seinen nun folgenden Reformen die SED-Führung zunehmend befremden sollte. Eine der ersten Reformen im wirtschaftlichen Bereich, die unter Gorbatschow im Mai 1985 durchgeführt worden waren, stellte die Initiierung eines massiven AntiAlkoholprogramms dar, das den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen des Alkoholmissbrauchs in der UdSSR begegnen sollte.650 Infolgedessen hatte auch das Generalkonsulat „[a]us Rücksicht auf die Maßnahmen in der UdSSR zur Bekämpfung des Alkoholismus […] auf dem Empfang nur Wein und Bier eingesetzt.“ Das Ergebnis war für den Generalkonsul ähnlich fatal wie für die Initiatoren der staatlichen Kampagne, die sich als herber Fehlschlag erwies: Die meisten 647 Zu den Differenzen dieser Jahre gehörten außerdem auch die zunehmende Hinwendung der DDR zur Bundesrepublik, vor allem aus wirtschaftlichen Gründen sowie die ‚Friedensinitiativen‘ Honeckers, die sich, zum Teil zusammen mit der Bundesrepublik, gegen eine erneute Aufrüstung in Europa infolge des NATO-Doppelbeschlusses und damit indirekt gegen die sowjetische Aufrüstungspolitik richteten, vgl. Wentker: Außenpolitik in engen Grenzen, S. 479, 481–484. 648 „Abschlußbericht über die Würdigung des 36. Jahrestages der DDR […] in der Belorussischen Sozialistischen Sowjetrepublik“ durch das GK Minsk, 17.10.1985, SAPMO-BArch DY 30/12403, pag. 21–28. 649 „Hauptfragen der Zusammenarbeit zwischen der DDR und der BSSR“, GK Minsk, 6.2.1986, SAPMO-BArch DY 30/12403, pag. 6–13. 650 Suny (Hrsg.): Cambridge History of Russia 3, S. 331–332.
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unzufriedenen Spitzengäste hielt es nicht lange auf der Festlichkeit des Generalkonsulats; bereits nach knapp über einer Stunde war der Empfang beendet und den Konsulatsmitarbeitern blieb, so der Bericht, wenig Gelegenheit zu informellen Gesprächen in leutseliger Runde, die, so lässt sich schlussfolgern, bislang eine wichtige Informationsquelle dargestellt hatten.651 Gleichzeitig bietet sich auch eine weitere Erklärung für das distanziertere Verhältnis der belorussischen Partei- und Staatselite zu den deutschen Genossen. Wie der Generalkonsul selbst in seinem Bericht vom Februar 1986 festgestellt hatte, war es in der BSSR nach dem Tod des ersten Sekretärs des ZK der KPB T. Ja. Kiselëv652 zu einem massiven Kaderwechsel in Staat und Partei gekommen, wobei die nachrückenden jüngeren Kräfte bislang wenig persönliche Verbindungen zur DDR hätten aufbauen können. Der Austausch der ‚Partisanenfraktion‘ unter den Führungskadern der Republik führte außerdem dazu, dass ein weiteres Bindeglied zu den deutschen Genossen verloren ging: So habe im Mai 1985, organisiert durch Intourist, eine Touristengruppe auf den Spuren des deutschen Partisanen Fritz Schmenkel653 Minsk und Smolensk besucht, darunter auch dessen Sohn und Tochter. Lediglich die Freundschaftsgesellschaft, bei der mit dem Weggang des langjährigen Vorsitzenden Smirnov 1981 ebenfalls ein Führungswechsel stattgefunden hatte, habe gezwungenermaßen und eher halbherzig Kontakt zu der Gruppe gesucht. Von dem ehrenvollen Empfang der Hinterbliebenen Schmenkels, wie er anlässlich der Kulturtage 1965 in Szene gesetzt worden war, hatte man sich damit meilenweit entfernt.654 In den noch folgenden, spärlich erhaltenen Berichten des Generalkonsulats an das ZK der SED nimmt die Entwicklung der sowjetischen Reformen unter Gor651 „Abschlußbericht über die Würdigung des 36. Jahrestages der DDR […] in der Belorussischen Sozialistischen Sowjetrepublik“ durch das GK Minsk, 17.10.1985, SAPMO-BArch DY 30/12403, pag. 21–28. 652 Tichon Jakovlevič Kiselëv, 1959–1978 Vorsitzender des Ministerrates der BSSR, 1978–1980 stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates der UdSSR, 1980–1983 erster Sekretär des ZK der KPB, war kein Vertreter der ‚Partisanenfraktion‘ der BSSR, sondern profitierte von Mazurovs Ausscheiden im Ministerrat der UdSSR bzw. im Politbüro der KPdSU. 1980 wurde er Nachfolger des unter ungeklärten Umständen verunglückten Mašerov. Obwohl Kiselëv zusammen mit anderen Breschnew/Andropov-Unterstützern gegen die Partisanenfraktion in Moskau und Minsk opponiert hatte, kam es nach seinem Amtsantritt zu kaum nennenswerten Wechseln unter den Führungskadern der Republik; diese setzten erst mit seinem Tod massiv ein – worauf das GK in seinem Bericht abzielte. Kiselëv selbst war mehrmals in der DDR gewesen, unter anderem als Ehrengast eines Staatsbesuches anlässlich der Leipziger Herbstmesse 1977 oder bereits 1966 im Rahmen einer privaten – durch das ZK der SED organisierten – Urlaubsreise. Vgl. dazu: Schriftwechsel über vierwöchigen Urlaub Kiselëvs mit Gattin in Berlin und in Ferienheimen der DDR, August 1966, SAPMO-BArch DY 30/ IV A 2/20/154; „Besuch der sowjetischen Regierungsdelegation anlässlich der Leipziger Herbstmesse 1977, 3.9.–8.9.1977“, BArch DC 20/21612, gesamte Akte; sowie zum gesamten Nachfolgestreit in der BSSR nach dem Ableben Mašerovs bzw. Kiselëvs: Urban: An Algebra of Soviet Power, S. 117–126. 653 Zu Fritz Schmenkel vgl. Kap. 5.3.2. 654 „Hauptfragen der Zusammenarbeit zwischen der DDR und der BSSR“, GK Minsk, 6.2.1986, SAPMO-BArch DY 30/12403, pag. 6–13.
4.4 Zusammenfassung
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batschow eine zentrale Stellung ein. Die Minsker Vertretung berichtete dabei weitgehend unkommentiert über ZK-Vollversammlungen der KPB, bei denen die Perestrojka (Umgestaltung) und Uskorenie (Beschleunigung) in Angriff genommen werden sollte, heftige Kritik an Missständen und Schlendrian in Partei, Wirtschaft und Gesellschaft geübt und über die Anwendung neuer Methoden diskutiert wurde – dies alles, wohlgemerkt, weitgehend öffentlich und in der Republikpresse, aus der das Generalkonsulat den Großteil seiner Informationen bezog. Die Berichte dürften auf Unverständnis bei der SED-Führung gestoßen sein und diese in ihrer ablehnenden Haltung gegen Perestrojka und Glasnost’ bestätigt haben.655 Einer der letzten Berichte des Generalkonsulats vom September 1989 klingt wie der Abgesang auf ein untergehendes Land, oder wie es der erste Sekretär einer Rayon-Parteiorganisation formulierte: „Laßt uns bei der Einschätzung der vor sich gehenden Prozesse offen sein. Die Wirtschaft bricht zusammen. Die Finanzwirtschaft wird zerstört. Ein Zerfall des Staates zeichnet sich ab. Es gibt Verwirrung in den Streitkräften. Chauvinismus und Nationalismus erheben sich.“656
Dass nur wenige Monate später auch in der DDR der Anfang vom Ende bevorstand, und damit auch das Ende der Auslandsvertretung, ahnte zu diesem Zeitpunkt wohl keiner der Diplomaten in der UdSSR. Spätestens mit der Schließung der DDR-Botschaft in Moskau 1990 dürfte jedoch auch in der GeneralkonsulatsVilla in der Uliza Sacharova das Licht ausgegangen sein.
4.4 ZUSAMMENFASSUNG Nach Überlegungen, die ursprünglich bereits aus dem Jahr 1968 stammten, war das Generalkonsulat der DDR in Minsk schließlich im Mai 1972 eröffnet worden. Vorausgegangen war eine sehr kurze und übereilte Planungszeit im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, die darauf hindeutet, dass die Zustimmung aus Moskau zur Errichtung einer deutschen Vertretung in der BSSR im Frühjahr 1971 relativ unvermittelt kam. Warum es indes vier Jahre von der ersten Konzeption bis zur Realisierung dauerte – insbesondere, da die DDR bereits 1966 Generalkonsulate in Kiew und Leningrad eingerichtet hatte – bleibt unklar. Es ist jedoch zu vermuten, dass die Führungsspitze der belorussischen SSR, die mit dem Netzwerk der ‚Partisanenfraktion‘ über einigen Einfluss in Moskau verfügte, sich für die Eröffnung diplomatischer Vertretungen der wichtigsten Handelspartner, Polens und der DDR, in ihrer Hauptstadt stark gemacht hatte. Zudem mag auch die gute Beziehung zwischen dem belorussischen Parteiführer Pëtr Mašerov und Erich 655 Vgl. z. B. „Information über das IV. Plenum des ZK der KP Belorußlands“, 3.12.1985, SAPMO-BArch DY 30/12403, pag. 32–45; „Zur innenpolitischen Entwicklung in der BSSR nach dem XXVIII. Parteitag der KPdSU“, 24.11.1987, ebd. pag. 94–99; sowie weitere Berichte in diesem Aktenband. 656 „Zu einigen Aspekten der gegenwärtigen Situation in der BSSR“, SAPMO-BArch DY 30/12403, pag. 185-191, hier: pag. 186.
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4 Diplomatie in der sowjetischen Provinz? Das Generalkonsulat der DDR
Honecker bzw. der Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker als solcher eine Rolle gespielt haben. Für die BSSR jedenfalls brachte die Anwesenheit ‚eigener‘ Diplomaten in ihrer Hauptstadt einen Prestigegewinn, der sie, entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, auch in dieser Beziehung auf die Liste der drei wichtigsten Unionsrepubliken erhob.657 Auch der DDR brachte die Eröffnung einer weiteren diplomatischen Vertretung Vorteile. Zum einen galt die wirtschaftlich hoch entwickelte BSSR, neben der RSFSR und der Ukrainischen SSR, als einer der wichtigsten wirtschaftlichen Partner innerhalb der Sowjetunion. Außerdem war sie wichtigstes Transitgebiet der meisten für die Sowjetunion bestimmten Exportgüter. Dies, und die wachsende Zahl von Austauschstudenten und deutschen Fachkräften, die in der belorussischen SSR tätig waren, machte eine konsularische Vertretung sinnvoll. Gleiches galt auch für den zunehmenden Touristenverkehr, insbesondere da die sowjetische Seite nach eigenen Aussagen plante, bislang eher unbekannte Gebiete wie das belorussische für den Tourismus zu erschließen. Nicht zuletzt bestand ein wichtiger Grund für die diplomatische Präsenz der DDR in der UNO-Mitgliedschaft der belorussischen Unionsrepublik, insbesondere weil in der Phase der Planungen für das Generalkonsulat 1971 noch nicht unbedingt absehbar gewesen war, dass auch die DDR nur zwei Jahre später selbst Mitglied der Vereinten Nationen werden und damit de facto die lange erkämpfte internationale Anerkennung erhalten würde. Ein letztes Argument, das MfAA-intern für die Errichtung eines Generalkonsulats ins Feld geführt wurde, lag in der Geschichte der belorussischen SSR und den großen Opfern, die das belorussische Volk im Zweiten Weltkrieg zu beklagen hatte, begründet. Auch wenn der Antifaschismus der DDR in breiten Teilen der Bevölkerung weit weniger verankert gewesen sein dürfte als in der propagandistischen Selbstdarstellung der DDR, gab es unter führenden Kräften in Partei, Staat und Gesellschaft doch viele überzeugte Antifaschisten, die ein Zeichen der Wertschätzung und Freundschaft gegenüber dem belorussischen Volk setzen wollten. Außenpolitisch grenzte man sich damit außerdem vom vermeintlichen Revisionismus der Bundesrepublik ab und profilierte sich selbst als den wahrhaft demokratischen deutschen Staat. Obwohl das Generalkonsulat auf dem Papier in allererster Linie Außenhandelsaufgaben zu erfüllen hatte, musste das diplomatische Personal in dieser Hinsicht gezwungenermaßen einflusslos bleiben: Wirtschaftliche Entscheidungen wurden weiterhin auf zentraler Ebene zwischen Moskau und Berlin bzw. im Rahmen des RGW getroffen; vor Ort blieb damit nur die Möglichkeit eines Zuarbeitens zu ohnehin bestehenden Plänen oder die Schaffung möglichst guter Voraussetzungen für die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit, in welche beide Seiten große Hoffnungen setzten. Dazu gehörte auch die Verbreitung oder Pflege eines positiven DDR-Bildes in der belorussischen Öffentlichkeit. Analog zu anderen, an Außenpolitik beteiligten Einrichtungen und Institutionen (MfAA, 657 In diesen Kontext passt auch, dass führende Persönlichkeiten der Unionsrepublik den Generalkonsul nicht selten mit ‚Tovarišč Posol‘ (Genosse Botschafter) ansprachen, wie sich Leopold Wohlert erinnert. Vgl. dazu Gespräch mit Leopold Wohlert.
4.4 Zusammenfassung
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ZK der SED, DSF, Botschaft Moskau u. a.), gründete man auch im Generalkonsulat eine Arbeitsgruppe für Auslandsinformation, die entsprechende ‚propagandistische‘ Tätigkeiten anleiten und koordinieren sollte. Zu den jährlichen Festlichkeiten, wie etwa dem Tag der Republik, dienten dazu auch Kulturveranstaltungen wie Ausstellungen oder Filmfestivals. Gerade im kulturellen Bereich hatte die diplomatische Vertretung größere Möglichkeiten, über die bestehenden Verträge hinaus Kontakte und Veranstaltungen zu initiieren und durchzuführen – sicher nicht zuletzt auch dadurch, dass das Gebiet der Kulturbeziehungen zu den sozialistischen Bruderstaaten als ein politisch harmloses angesehen wurde und bei weitem nicht so brisant schien wie die auswärtige Kulturpolitik in Richtung Westen. Politisch blieb das Generalkonsulat der DDR in Minsk weitgehend bedeutungslos, zumindest wenn man unmittelbare Einflussnahme zum Maßstab macht. Einerseits, weil wichtige Entscheidungen auf zentraler Ebene und nicht in den Unionsrepubliken getroffen wurden. Bis zu einem gewissen Grad war dies somit auch eine Frage der außenpolitischen (Nicht-)Souveränität der Unionsrepubliken, auch wenn sie, wie im Falle der BSSR, ein eigenes Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten besaßen. Andererseits galt die politische Einflusslosigkeit ja nicht nur für das Generalkonsulat, sondern weiter gefasst auch für die Botschaft in Moskau, noch schärfer formuliert sogar für den gesamten staatlichen außenpolitischen Apparat, da außenpolitische Entscheidungen fast ausschließlich in den (zentralen) Parteispitzen getroffen wurden und mindestens Grundsatzentscheidungen dann nicht selten durch direkte Treffen der entsprechenden Parteifunktionäre besprochen wurden.658 Im Großen und Ganzen betrachtet lag die Wirkung des Generalkonsulats also eher auf dem Gebiet der ‚Beziehungspflege‘. Die Präsenz eines diplomatischen Vertreters erleichterte die Kontaktpflege zu ‚führenden Genossen‘ aus Partei, Staat und (Freundschafts-)Gesellschaft erheblich und sorgte dafür, das gute ‚Image‘ des sozialistischen deutschen Staates in der BSSR auszubauen. Erst Mitte der 1980er Jahre führten wirtschaftliche Probleme, der Führungswechsel innerhalb der BSSR sowie die durch die DDR nicht mitgetragenen Reformen unter Michail Gorbatschow dazu, dass sich das zuvor ausgesprochen gute Verhältnis deutlich abkühlte.
658 Zum außenpolitischen Entscheidungsprozess vgl. Siebs: Außenpolitik der DDR insbesondere Kap. 3.1 u. 3.2.4.
5 BEGEGNUNGEN Beschäftigten sich die vorangegangenen Kapitel dieser Arbeit in erster Linie mit den Institutionen der ‚Freundschaftsarbeit‘ sowie der Kulturbeziehungen, ihrer Organisation, Tätigkeit, Zielen und Aufgaben, so soll es im nächsten Teil um Begegnungen gehen; Begegnungen zwischen Deutschen und Belorussen, wie sie, freilich im engen Korsett des staatlich sanktionierten Austauschs, ermöglicht wurden. Damit möchte die Studie versuchen, die Eindrücke und Reaktionen der Adressaten dieser organisierten Freundschaftsbeziehungen näher zu beleuchten: der deutschen wie belorussischen ‚Werktätigen‘, die, freiwillig oder unfreiwillig, in den Austausch involviert waren und zum Beispiel als Touristen und letztlich ‚fremde Freunde‘ in das je andere Land reisten. Dabei kann jedoch keineswegs der Anspruch einer Rezeptionsgeschichte der gegenseitigen Freundschaftspropaganda erfüllt werden: Unter den Bedingungen der sozialistischen Diktatur, die neben der staatlich sanktionierten, etwa in Massenmedien oder eben auch im Rahmen der Freundschaftspropaganda produzierten, öffentlichen Meinung kaum weitere (öffentliche) Meinungsäußerungen zuließ, ist ein solches Unterfangen nur in Ansätzen und Teilaspekten und auch dies nur über Umwege zu erreichen.659 Diese ‚Umwege‘ bieten sich jedoch gerade mit jenen systemimmanenten Dokumenten, mit deren Hilfe Staat und Partei versuchten, die Reaktionen der Bevölkerung zu erfassen, um dann gegebenenfalls erziehend oder korrigierend eingreifen zu können.660 In dieser Arbeit wurde bisher versucht, etwa aus Berichten zu Veranstaltungen der Freundschaftsgesellschaften, auf Reaktionen und Einstellungen der Bevölkerung zu schließen; in einem weiteren Schritt soll nun, z.B. anhand von Reiseberichten, untersucht werden, welche Erfahrungen die nach Plan befreundeten Menschen im direkten Kontakt miteinander machten. Anhand dokumentierter Reaktionen in besagten Berichten unterschiedlicher Herkunft lässt sich indirekt auf Erfolge und Misserfolge in der Arbeit der staatlichen Freundschaftsmakler schließen. Als die belorussische Freundschaftsgesellschaft im Spätherbst 1958 (neu)gegründet wurde, dürften wenige Weißrussen ein konkretes Bild der DDR im Kopf gehabt haben, das über die in der Presse verbreitete Propaganda hinausging. Vielfach werden zudem die Kriegserfahrungen das Denken bestimmt haben, umso 659 Vgl. dazu auch die Ausführungen von Behrends: Erfundene Freundschaft. 660 Zu den bekanntesten Dokumenten dieser Art gehören sicherlich die so genannten Eingaben, die Bürger an Staats- oder Parteistellen sowie Massenorganisationen richten konnten, wenn sie auf Missstände hinweisen wollten oder versuchten, einen ohnehin nicht gesicherten Rechtsweg zu umgehen. Vgl. für die Freundschaftsgesellschaft DSF etwa die Analyse von Eingaben durch Dralle: Von der Sowjetunion lernen, S. 384–402. Ganz gezielt hat sich etwa auch Julian Mühlbauer in seiner jüngst erschienenen Dissertation mit dem Eingabewesen der BSSR beschäftigt: Mühlbauer: Kommunizieren und Partizipieren im „entwickelten Sozialismus“.
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mehr, als sich gerade in den weißrussischen Gebieten nicht nur die Angehörigen der Roten Armee, sondern auch die meisten Zivilisten ein verheerendes Bild von den deutschen „Faschisti“ hatten machen müssen. Demgegenüber hatten sich bislang nur sehr wenige persönlich davon überzeugen können, dass in der sowjetisch besetzten Zone ein Staat entstanden war, der nicht nur dem eigenen Gesellschaftsmodell folgte sondern den Antifaschismus zur Staatsdoktrin erhoben hatte. Noch dazu stammten diese Wenigen überwiegend aus der Führungsschicht der Funktionäre aus Partei und Staat, Wirtschaft und Wissenschaft, die über ihre jeweilige Tätigkeit noch am ehesten die Möglichkeit hatten, im Rahmen einer Delegationsreise die DDR zu besuchen. Darunter waren, wie in den Redebeiträgen während der Gründungsfeierlichkeiten deutlich wurde, auch viele der ehrenamtlichen Mitarbeiter des neuen, sowjetisch-deutschen Zweiges der Freundschaftsgesellschaft. Nur vereinzelt hatten auch Delegationen „von Betriebsarbeitern aus Minsk“ das sozialistische Deutschland besucht, „Bauerndelegationen“ hatte es bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch nicht gegeben. Mit anderen Worten: Die breite Masse der Bevölkerung dürfte meilenweit entfernt gewesen sein von dem, was sich die Freundschaftsgesellschaften auf die Fahnen geschrieben hatten.661 Dort war man sich dieses Umstands durchaus bewusst, wie der deutsche Botschaftsrat berichtete, der anlässlich der Gründung der belorussischen Abteilung der SDF im November 1958 aus Moskau nach Minsk gekommen war. Demnach interessierte sich die Gesellschaft besonders, wie der Präsidiumsvorsitzende I. K. Kozlov662 dem deutschen Gast mitteilte, für Materialien „über die deutsche Widerstandsbewegung gegen den Faschismus“, um sie in Presse und Rundfunk verwenden zu können und damit das Bild vom faschistischen Deutschen zu revidieren. Aber auch umgekehrt hielt man Aufklärungsarbeit für angebracht, die den Deutschen die hohe Entwicklungsstufe der sozialistischen weißrussischen Gesellschaft vor Augen führen sollte: Viele deutsche Männer hätten „während des Krieges als Soldaten Belorußland kennengelernt“ (!) und brächten nun, „bewußt oder unbewußt“ die damaligen Eindrücke mit der heutigen Sowjetrepublik in Verbindung, so beide Männer in ihrem Gespräch.663 Was sich hier liest wie die harmlosen Pläne zweier Reiseveranstalter, die sich um möglichst gute Werbung für ihr jeweiliges ‚Reiseobjekt‘ bemühen, verschleierte und verschwieg natürlich den Kern und damit das Problem der Sache: Nämlich die Frage, wie es gelingen könnte, zwei Völker (politisch) zu befreunden, die sich noch keine 15 Jahre zuvor unter den Prämissen von Krieg, Besatzung und deutscher Vernichtungspolitik ‚kennengelernt‘ hatten. Die Freundschaftsgesellschaften selbst wirkten dabei in erster Linie als Informations-, Darstellungs- und Inszenierungsmedium: Sie informierten über Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft des Partnerlandes, stellten das Leben des
661 Vgl. dazu: „Bericht über den Aufenthalt von Botschaftsrat Thun in Minsk anläßlich der Gründung der Zweiggesellschaft für sowjetisch-deutsche Freundschaft und kulturelle Verbindungen in der bjelorussischen SSR“, 24.11.1958, PA AA, MFAA, A 891, pag. 296–306. 662 Wie aus verschiedenen Quellen hervorgeht, fungierte I. K. Kozlov von 1959 bis 1961 als Vorsitzender des Präsidiums der BELOD und wurde dann von Smirnov abgelöst. 663 Ebd. pag. 301.
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‚Brudervolkes‘ dar mit Hilfe von Veranstaltungen, Vorträgen und Ausstellungen und inszenierten eine Freundschaft, die politisch gewollt und notwendig, aber (noch) nicht unbedingt in der persönlichen Erfahrungswelt eines Großteils der Bevölkerung verankert war. Dabei organisierten die Freundschaftsgesellschaften selbst, abgesehen von Funktionärsdelegationen, nur relativ wenige unmittelbare Treffen zwischen Deutschen und (belorussischen) Sowjetbürgern. Dafür waren meist andere Träger bzw. Organisatoren zuständig, mit denen die Gesellschaften jedoch oft eng zusammen- bzw. parallel arbeiteten. Im folgenden Kapitel wird es um solche Möglichkeiten des Kontakts gehen sowie um die verschiedenen Kanäle, die solche Zusammentreffen steuerten. Eine solche Darstellung erscheint auch deshalb sinnvoll, weil auch auf diesem Gebiet bislang wenig Forschung existiert bzw. entsprechende Darstellungen aus sowjetischer oder DDR-Feder stammen und sich wiederum nahtlos in den alternativlosen Freundschaftsdiskurs einfügen. Im Folgenden soll anhand verschiedener Bereiche untersucht werden, welche Begegnungsräume es – im Rahmen der offiziellen Kontakte – tatsächlich gab und inwieweit beiden ‚Reiseveranstaltern‘ gelingen konnte, was sie sich vorgenommen hatten: Nämlich nichts Geringeres als die Veränderung der gegenseitigen Stereotypen und der Verankerung der deutsch-sowjetischen Freundschaft in den Köpfen der Bevölkerung.
5.1 IM FESTEN BÜNDNIS MIT DER SCHWESTERPARTEI: GEBIETS- UND STÄDTEPARTNERSCHAFTEN Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelte sich im westlichen Europa, nicht selten aus zivilgesellschaftlicher Initiative heraus, eine Bewegung, die zum Inbegriff der Versöhnung und Völkerverständigung wurde: Die Gemeinde- bzw. Städtepartnerschaftsbewegung, die besonders im bundesrepublikanisch-französischen Kontext große Verbreitung und gesellschaftliche sowie politische Förderung und Beachtung erfuhr. Gleichzeitig gelten diese Gesellschaftsbeziehungen auch als eine Art „Europa von unten“, und können damit durchaus als eine der Keimzellen der europäischen Bewegung angesehen werden. Andererseits dienten Städte- und Gemeindeverbindungen der jungen Bundesrepublik im Zuge des Kalten Krieges auch zur Abgrenzung von der deutschen Konkurrenz im Osten und damit gleichzeitig zu einer stärkeren Integration in das westliche System. Eine ganz ähnliche Bewegung entwickelte sich auch im so genannten Ostblock, wenn auch unter völlig anderen Vorzeichen: Ging es dabei, zumindest offiziell, ebenfalls um die Förderung von Freundschaft und Frieden zwischen den Völkern, so verfolgten die sozialistischen Staaten, mindestens Richtung Westen, ähnliche Absichten wie mit ihrer Auswärtigen Kulturpolitik im engeren Sinne: Insbesondere für die DDR ging es um eine Umgehung der Hallstein-Doktrin und des bundesrepublikanischen Alleinvertretungsanspruch; für die Sowjetunion bedeutete diese gesellschaftliche Ebene, wie auch bei den Freundschaftsgesellschaf-
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ten, nicht zuletzt eine Art Diplomatie durch die Hintertür.664 Zwischen den sozialistischen Staaten selbst jedoch entwickelte sich ein ganz anderes System von Partnerschaften, die, ebenfalls regional verankert, wenig mit den gesellschaftlichen Initiativen westlicher Beispiele gemeinsam hatten: In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre, so die DDR-Geschichtsschreibung, habe sich in den Parteileitungen beider Länder (der DDR und der UdSSR) das Bestreben durchgesetzt, Erfahrungen in der Parteiarbeit auf Bezirks- bzw. Gebietsebene auszutauschen sowie „die Verbindungen zwischen der Arbeiterklasse und den gesellschaftlichen Organisationen der Werktätigen“ zu erweitern.665 Vorrangiges Ziel war dabei jedoch höchstens nominell die Völkerverständigung. Tatsächlich hatte die Initiative einen ganz praktischen Hintergrund, ging es doch um den so genannten sozialistischen Erfahrungsaustausch und somit auch um handfeste wirtschaftliche Vorteile, wie die Intensivierung der wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit auf lokaler Ebene. Dabei entsprach es der Denkweise von der Partei als Avantgarde der Arbeiterklasse, dass nur die Anleitung durch die Partei eine fruchtbringende Zusammenarbeit gewährleisten konnte. Dementsprechend entstand ein für die RGW-Länder typisches System der Gebietspartnerschaften (die bisweilen auch ganze Unions- oder autonome Republiken umfassen konnten), die zwar auch Direktverbindungen zwischen staatlichen Stellen (im Sinne von Städtepartnerschaften), Betrieben und gesellschaftlichen Organisationen sowie kulturelle Verbindungen beinhalteten, die sich allerdings stets unter Anleitung, und damit Kontrolle, der jeweiligen Gebietsparteiorganisationen entwickelten. In der DDR der 1970er Jahre entstanden zur internationalen Zusammenarbeit mit den sozialistischen Nachbarstaaten und der UdSSR eigene wissenschaftliche Forschungen, ab 1979 unter der Leitung des Historikers Karl-Heinz Gräfe sogar ein eigener Forschungszweig zu internationalen Beziehungen auf regionaler Ebene, wie sie die Bezirkspartnerschaften darstellten.666 Die Initiativen für solche Verbindungen kamen dabei bezeichnenderweise ‚von oben‘ – und hatten demnach recht wenig gemein mit dem westlichen Modell der Städtepartnerschaften. So hatten die Sekretariate der Zentralkomitees beider Parteien Ende 1959/Anfang 1960 beschlossen, derartige Direktverbindungen zwi664 Vgl. zu den Anfängen eines ‚Europa von unten‘: Bock, Hans Manfred: „Europa von unten. Zu den Ursprüngen und Anfängen der deutsch-französischen Gemeindepartnerschaften“, in: Jünemann, Annette, Emanuel Richter und Hartmut Ullrich (Hrsg.): Gemeindepartnerschaften im Umbruch Europas, Frankfurt am Main u.a. 1994, S. 13–36. Zur Gegenüberstellung beider Arten deutsch-französischer Städteverbindungen vgl. Pfeil: Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 381–387. Einen Überblick über die unterschiedlichen kommunalen Beziehungen Ostberlins Richtung West und Ost gibt Schütze: Die internationalen Beziehungen des Magistrats von Berlin. 665 Gräfe, Karl-Heinz: „Die Genesis von Direktverbindungen der Bezirke der DDR zu Gebieten bzw. Republiken der UdSSR in den 60er Jahren“, BZG 29 (1987), S. 621–627, hier S. 622. 666 Vgl. dazu Jokubeit, Werner: „Zu einigen Arbeitsergebnissen der Forschungsgemeinschaft ‚Geschichte der internationalen Beziehungen‘ (Eröffnungsrede auf dem VII. Forschungskolloquium)“, in: Helbig, Klaus und Manfred Jahn (Hrsg.): Direktbeziehungen von Bezirken, Kreisen und Städten der DDR zu analogen Partnern in sozialistischen, kapitalistischen und nationalbefreiten Ländern, Dresden 1989, S. 7–9, hier S. 7.
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schen Moskau–Berlin, den Bezirken bzw. Gebieten Dresden–Leningrad, Leipzig– Kiew, Magdeburg–Donezk sowie Rostock‒Lettische SSR zu initiieren. Auf der Grundlage von Jahresplänen sollten die Parteiorganisationen dieser Gebiete zum „planmäßigen Erfahrungs- und Delegationsaustausch“ übergehen und ihre Bezirke in der Herstellung von Verbindungen anleiten. In der Folge dieser ersten Partnerschaften entwickelten sich im Laufe der 1960er Jahre noch weitere solcher Verbindungen zwischen Erfurt–Litauische SSR (1963), Halle–Baschkirische ASSR (1965), Karl-Marx-Stadt–Irkutsk (1965), Potsdam–Minsk (1968), Frankfurt/Oder–Vitebsk, Gera–Pskow, Suhl–Kaluga, Neubrandenburg–Karelische ASSR und Schwerin–Estnische SSR (alle 1969) sowie Cottbus–Lipezk. Damit hatten bis zum Beginn der 1970er Jahre alle Bezirke der DDR mindestens einen Partner in der Sowjetunion, viele darüber hinaus auch in der ČSSR sowie der Volksrepublik Polen. Immerhin zwei dieser Partnerbezirke lagen dabei in der Belorussischen SSR.667
5.1.1 Etablierung von Partnerbezirken Bereits im August 1967 hatte die Abteilung für Agitation und Propaganda der SED-Bezirksleitung Frankfurt/Oder besorgt vermerkt, dass der Bezirk, im Gegensatz zu den meisten anderen, noch immer kein Partnergebiet in der Sowjetunion habe. In einem Schreiben an „Genosse[n] [Erich] Mückenberger“, Mitglied des Politbüros und Erster Sekretär der BL,668 erläuterte man nach vorherigen Beratungen dieses Problem mit dem ZK der SED und machte sogleich einen Vorschlag zur Abhilfe: Dem Schreiben nach hatte man sich Minsk als zukünftiges Partnergebiet auserwählt, weil die dort ansässigen Wirtschaftszweige Erdölverarbeitung, Maschinenbau und Landwirtschaft gut zur Wirtschaftsstruktur des Bezirkes Frankfurt passten.669 Diese Vorüberlegungen der SED-Bezirksleitung in Frankfurt/Oder machen zweierlei Dinge deutlich: Erstens waren es vor allem wirtschaftliche Prämissen, die den Ausschlag für die Wahl eines bestimmten Partnergebietes gaben. Und zweitens hatten die Organe vor Ort, selbst die Parteileitungen, nur 667 Gräfe: „Die Genesis von Direktverbindungen der Bezirke der DDR zu Gebieten bzw. Republiken der UdSSR in den 60er Jahren“, S. 623; Gräfe, Karl-Heinz: Zur Geschichte der Freundschaftsbeziehungen der Bezirksparteiorganisation Dresden der SED mit dem Gebietskomitee Leningrad der KPdSU in Geschichte und Gegenwart, Dresden 1987, S. 9–10. Einen Überblick zur DDR-Forschung über die Direktbeziehungen, auch mit den übrigen sozialistischen Staaten und im Kontext der DDR-Außenpolitik, bietet der Autor für das Jahr 1989, freilich unter marxistisch-leninistischen Prämissen: Gräfe, Karl-Heinz: „Regionale Direktbeziehungen in der Außenpolitik der DDR. Eine Forschungsbilanz“, in: Helbig, Klaus und Manfred Jahn (Hrsg.): Direktbeziehungen von Bezirken, Kreisen und Städten der DDR zu analogen Partnern in sozialistischen, kapitalistischen und nationalbefreiten Ländern, Dresdner Reihe zur Forschung 17, Dresden 1989, S. 9–29. 668 „Mückenberger, Erich“, https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/wer-war-wer-in-der-ddr -%2363%3B-1424.html?ID=2382 (zugegriffen am 18.5.2017). 669 Aktennotiz der Abt. AgitProp der SED BL Frankfurt/Oder für Erich Mückenberger, 9.8.1967, BLHA Rep. 730, Nr. 2376, unpag.
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wenig Mitspracherecht in dieser Frage. Im darauffolgenden Jahr nämlich wurde das Gebiet um die belorussische Hauptstadt dem Bezirk Potsdam ‚zugeteilt‘, noch einmal ein Jahr später dann wurde Frankfurt/Oder, obwohl zwischenzeitlich Verbindungen nach Brest entstanden waren, mit dem weniger bedeutenden Bezirk Vitebsk verbunden.670 Dass Potsdam und nicht Frankfurt/Oder als Minsker Partnerbezirk ausgewählt wurde, ging dabei offenbar auf eine persönliche Intervention des langjährigen sowjetischen Botschafters in der DDR Pëtr Abrasimov671 zurück, der bereits 1967 Kontakte zwischen beiden Gebieten vermittelt hatte.672 Abrasimov, selbst Weißrusse und während des Zweiten Weltkriegs in der weißrussischen Partisanenbewegung aktiv, hatte möglicherweise das kulturell und touristisch bedeutsamere Potsdam, das noch dazu sehr nahe an der Hauptstadt Berlin lag, als prestigeträchtigeren Partnerbezirk für die Hauptstadt seiner Heimatrepublik ausgemacht und dahingehend seinen Einfluss genutzt.673 Den Bezirksparteileitungen der DDR bzw. Gebietsparteikomitees in der BSSR blieb letztlich nur, die Entschlüsse der Zentralkomitees der KPdSU und SED zur Kenntnis zu nehmen und eine erste Kontaktaufnahme mit den zukünftigen Partnern in die Wege zu leiten. Warum Direktverbindungen zwischen der Belorussischen SSR und Gebieten in der DDR erst so spät zustande kamen, ist den vorliegenden Quellen hingegen nicht zu entnehmen. Bezieht man aber die schon früher etablierten Gebietspartnerschaften in diese Überlegungen mit ein, so ist zu vermuten, dass neben der wirtschaftlichen auch deren politische Bedeutung bzw. ihr Bekanntheitsgrad eine Rolle spielten. Zwar hatte die BSSR in der Nachkriegszeit ein rasantes Wirtschaftswachstum aufzuweisen, bot aber offenbar zu Beginn der 1960er Jahre noch keine ausreichend großen Partnerbetriebe in der Schwer- oder Grundstoffindustrie, wie beispielsweise Donezk oder die Baschkirische SSR, und war gleichzeitig weniger bekannt als etwa die Hauptstadt der Ukrainischen SSR Kiew.
670 Vgl. dazu: Obkom der KPB Vitebsk an das ZK der KPB, Schreiben über die Aufnahme von freundschaftlichen Beziehungen mit dem Bezirk Frankfurt/Oder „in Übereinstimmung mit den Beschlüssen des ZK der KPdSU und des ZK der KPB“, 16.6.1969, NARB f. 4p, op. 62, d. 730, l. 17; Schreiben des Obkom Minsk an das ZK der KPB über internationale Verbindungen der Oblast’, 4.7.1968, NARB f. 4p, op. 62, d. 717, l. 261–263; SED-BL Potsdam an das Obkom der KPB Minsk, Schreiben zur Kontaktaufnahme entsprechend den Beschlüssen des ZK der KPdSU und des ZK der SED, 13.3.1968, BLHA Rep. 530, Nr. 4371, unpag. 671 Abrasimov war von 1962–1971, und danach nochmals von 1975–1983 als Botschafter der UdSSR in Berlin tätig. Aufgrund seiner wiederholten, teils rigiden Einmischungen in die Innenpolitik der DDR war er innerhalb der SED-Führungsspitze nicht sonderlich beliebt und erhielt den Beinamen „Regierender Botschafter“. Vgl. dazu „Abrassimow, Pjotr Andrejewitsch“, http://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/wer-war-wer-in-der-ddr-%2363%3b-142 4.html (zugegriffen am 18.5.2017). 672 Die Involvierung Abrasimovs in dieser Frage war offenbar nicht unüblich. Auch bei der Frage nach einem Partnergebiet für Frankfurt/Oder spielte der Botschafter eine Rolle. Vgl. dazu: Schreiben Erich Mückenbergers an Erich Honecker, 18.10.1968, BLHA Rep. 730, Nr. 3598, unpag. 673 Telefonnotiz im ZK der SED, Abt. Parteiorgane, „Einschätzung des Delegations- und Erfahrungsaustauschs mit der KPdSU – Gebiet Minsk der KP Belorußlands…“, 15.9.1975, BLHA Rep. 530, Nr. 5388, pag. 36–40, hier: 36.
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Auf die ersten schriftlichen Kontaktaufnahmen der zukünftigen Partner folgten schnell gegenseitige Besuche, die sich anfangs noch überwiegend auf Parteidelegationen konzentrierten. Bereits für das laufende Jahr jedoch entwickelten die nun derart befreundeten Bezirksparteileitungen weitreichende Jahrespläne der „freundschaftlichen Verbindungen“, die verschiedene andere Organe und Institutionen mit einbezogen. So sahen Vitebsk und Frankfurt/Oder neben Parteidelegationen, unter anderem zur 20-Jahrfeier der Gründung der DDR, außerdem vor: den Austausch von politischen Lektoren sowie Redakteuren der Gebiets(partei)zeitungen Neuer Tag und Vicebski Raboči, die auch in der wechselseitigen Berichterstattung zusammenarbeiten sollten, die Versendung von Delegationen der FDJ bzw. des Komsomol und die Einladung von je 30 Pionieren mit Betreuern zum gegenseitigen Aufenthalt in Ferienlagern. Darüber hinaus erwartete man die Herstellung von Direktkontakten zwischen kommunalen Einrichtungen der Städte Vitebsk–Frankfurt, Novopolock–Schwedt, Orša–Eberswalde sowie zwischen fünf Schulen der Partnergebiete. Der Plan wurde den zuständigen zentralen ZK-Abteilungen zur Kontrolle vorgelegt. Ob die eingeplanten Akteure überhaupt nach ihrer Zustimmung gefragt wurden, wird aus den ZK-Sitzungen nicht ersichtlich674, wahrscheinlicher ist aber, dass sie über ihre künftige Kooperation mit den deutschen bzw. belorussischen Partnern informiert und dann aufgefordert wurden, einen entsprechenden Plan vorzulegen – ein Verfahren, das sich schon im Kontext der Freundschaftsgesellschaften (mehr oder weniger) bewährt hatte. Offenbar setzten die zuständigen Funktionäre selbst wenig Hoffnung in die Entstehung spontaner Freundschaftsinitiativen ‚von unten‘; sicherer, und auch kontrollierbarer, erschien da die bewährte Freundschaftsplanung am Reißbrett.
5.1.2 Gegen ein Osteuropa von unten? Beispiel Gomel’–Zittau Dass es auch anders hätte kommen können, zeigen dabei ausgerechnet jene Partnerschaften, die (offiziell) nie zustande kamen, vermutlich weil sie den zuständigen Planern der ZK-Abteilungen als nicht (wirtschaftlich) zweckmäßig erschienen. So hatten sich etwa in Minsk schon vor Neugründung der Freundschaftsgesellschaft 1958 Kontakte zu Magdeburg herausgebildet: Dabei pflegte das polytechnische Institut in Minsk Arbeitsverbindungen zur Hochschule für Maschinenbau in Magdeburg, ebenso die lokalen Gewerkschaftsräte sowie die Jugendorganisationen FDJ bzw. Komsomol untereinander. Die Botschaft in Moskau und auch das MfAA der DDR sahen darin eine gute Gelegenheit für die Herstellung von Partnerbeziehungen und unterbreiteten diesen Vorschlag dem Zentralvorstand der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, unter anderem
674 Sitzungsprotokoll Nr. 36 des Obkom Vitebsk der KPB, 11.6.1969, GAVO f. 1p, op. 119, d. 19, l. 106–123; Obkom Vitebsk an das ZK der KPB, 16.6.1969, NARB f. 4p, op. 62, d. 730, l. 17–22.
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mit dem Hinweis auf die ähnliche Wirtschaftsstruktur beider Bezirke.675 Allein den zuständigen Parteistellen leuchtete dies offenbar nicht ein. Ende 1959 wurde beschlossen, dass nicht Minsk, sondern das ukrainische Kohlerevier Donezk mit Magdeburg ‚befreundet‘ werden sollte. Ganz ähnlich war es auch Frankfurt/Oder zehn Jahre später mit dem Gebiet Brest ergangen. Insbesondere die Eisenbahner beider Bezirke hatten bereits selbsttätig feste Verbindungen aufgenommen, wie Mückenberger in einem Schreiben an Erich Honecker bemerkte. Honecker selbst hatte wohl einige Zeit zuvor darauf aufmerksam gemacht, dass „[…] es angebracht wäre, wenn nunmehr auch durch die Bezirksleitung Frankfurt (Oder) unmittelbar enge und freundschaftliche Beziehungen mit einer Gebietsleitung der KPdSU aufgenommen würden […]“ und Mückenberger diesbezüglich ein Gespräch mit Botschafter Abrasimov vorgeschlagen. Dieser wiederum hatte sich für Brest als Partnerbezirk ausgesprochen, ebenso wie die Abteilung für Internationale Verbindungen im ZK der KPdSU, die wohl durch die sowjetische Botschaft informiert worden war. Jedoch buchstäblich in letzter Sekunde scheint eine Meinungsänderung aus Moskau dies verhindert zu haben. Mückenberger, immerhin Mitglied des Politbüros des ZK der SED, hatte nämlich im Dezember 1968 bereits eine Delegation aus Brest zur Besprechung des weiteren Vorgehens eingeladen.676 Nur kurze Zeit danach, spätestens im Frühjahr 1969, beschlossen beide Zentralkomitees, zweifellos auf Intervention Moskaus, die Herstellung von Verbindungen zwischen Frankfurt/Oder und dem ostbelorussischen Bezirk Vitebsk.677 Dass eine Initiative der kommunalen Vertreter selbst nicht erwünscht war, zeigt ein weiterer Vorfall aus dem Jahr 1960, bei dem sich die Stadt Görlitz sowie der Rat des Kreises Geithain im Bezirk Leipzig auf der Suche nach einer Städtepartnerschaft mit der BSSR – nach dem guten Beispiel von Gomel’ und Zittau (siehe dazu die weiteren Ausführungen dieses Kapitels) – an die DSF gewandt hatten. Die deutsche Freundschaftsgesellschaft wiederum gab die Anfrage an die BELOD weiter, die sich wenig später ratsuchend an das ZK der KPB, genauer an den Ersten Sekretär Mazurov persönlich, wandte. Dort erteilte man der Idee eine harsche Absage und befand, die Deutschen bräuchten Nachhilfe im „üblichen Verfahren“. Es blieb der BELOD überlassen, an den sowjetischen Botschafter in Berlin zu schreiben, er möge die „deutschen Freunde“ doch bitte daran erinnern, den üblichen Verfahrensweg einzuhalten: Eine Absprache
675 Interne Mitteilung der Auslandsabteilung der DSF, 11.12.1958, SAPMO-BArch DY 32/6145, fol. 1699; „Bericht über den Aufenthalt von Botschaftsrat Thun in Minsk anläßlich der Gründung der Zweiggesellschaft für sowjetisch-deutsche Freundschaft und kulturelle Verbindungen in der bjelorussischen SSR“, 24.11.1958, PA AA, MFAA, A 891, pag. 296–306, hier: 298, 300–301. 676 Vgl. dazu Schreiben Erich Mückenbergers an Erich Honecker, 18.10.1968 sowie Schreiben Mückenbergers an den 1. Sekretär des Obkom Brest der KPB, 20.12.1968, BLHA Rep. 730, Nr. 3598, unpag. 677 Obkom Vitebsk an das ZK der KPB, 16.6.1969, NARB f. 4p, op. 62, d. 730, l. 17–22.
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von partnerschaftlichen Verbindungen liefe ausschließlich über das ZK der SED.678 Dabei war die Zuständigkeit für Direktbeziehungen zu Anfang offenbar noch nicht derart festgelegt. Zumindest im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten hatte darüber noch Anfang 1962 so viel Unklarheit geherrscht, dass man die Botschaft beauftragte, bei den zuständigen Organen in Moskau nachzufragen. Zwar war gerade entschieden worden, die Städteverbindungen von den jährlichen Kulturarbeitsplänen abzukoppeln und damit den entsprechenden Ministerien zu entziehen, entschieden war aber noch nicht, wer von nun an diese Verbindungen koordinieren sollte. Wie die Botschaft von einem Mitarbeiter des Staatlichen Komitees für kulturelle Verbindungen erfahren konnte, waren just zu diesem Zeitpunkt jedoch Parteiverhandlungen zur Neuregelung im Gange – eine Tatsache, die der Botschaft in Moskau bezeichnenderweise völlig unbekannt war.679 Im Ergebnis jedoch wurde die Zuständigkeit ohnehin der Botschaft bzw. dem MfAA aus der Hand genommen: Seit Frühjahr 1962 waren ausschließlich die jeweiligen Bezirks- bzw. Gebietsparteileitungen zuständig und überwachten entsprechend den Abschluss von Freundschaftsverträgen.680 Ein Jahr später war man im ZK der SED jedoch ganz und gar nicht zufrieden mit dem Verlauf der „kommunalen Beziehungen mit dem sozialistischen Ausland“. Eine ganze Reihe von Verbindungen ginge über „Freundschaftskundgebungen“ und „allgemeinen Erfahrungsaustausch“ nicht hinaus. Die Funktionäre vermissten eine Ausstrahlung auf andere Städte der DDR; insgesamt bleibe der „praktische Nutzen“ gering. Die Gründe sah man aber mitnichten in einer zu starken ‚Verplanung‘ der Direktbeziehungen und damit mangelnder Eigeninitiative, sondern im Gegenteil schien den Genossen die logische Konsequenz in einer noch stärkeren Zentralisierung zu liegen: Delegationen sowie Themen und Auswertung der gegenseitigen Erfahrungsaustausche sollten von nun an straffer geplant, ‚nutzlose‘ Verbindungen sogar wieder abgeschafft werden. (Dies betraf freilich keine Partnerbezirke in der Sowjetunion.) Ein wirtschaftlich bzw. politisch zweckfreies Interesse der Menschen an einem gegenseitigen Kennenlernen gehörte ganz offensichtlich nicht zum Konzept der Parteiplaner.681 Am Deutlichsten wird dies am Beispiel der Städte Gomel’ und Zittau, die bereits 1957 selbstständig erste Verbindungen aufgenommen hatten. Im Rahmen 678 Schreiben der BELOD an den 1. Sekretär des ZK der KPB Mazurov, 10.5.1960; Schreiben der DSF an die BELOD bezüglich Städtepartnerschaften, 19.3.1960; sowie Schreiben der BELOD an den Botschafter der UdSSR in Berlin, 20.5.1960, alle NARB f. 914, op. 3, d. 62, l. 99–106. 679 Schreiben der 1. Europ. Abt. im MfAA an die Botschaft Moskau betr. Städteverbindungen, 13.1.1962; sowie Aktenvermerk der Botschaft Moskau „über eine Besprechung beim Staatlichen Komitee für kulturelle Beziehungen mit dem Ausland beim Ministerrat der UdSSR“, 16.3.1962, PA AA, MFAA, A 289, pag. 2–3 u. 29–30. 680 Schreiben der 1. Europ. Abt. im MfAA an den Rat der Stadt Leipzig betr. Städteverbindungen Leipzig–Kiew, 15.6.1962, ebd. pag. 52. 681 5. Europ. Abt., Sektion IV im MfAA: „Vermerk über eine Beratung im ZK der SED am 23. Juli 1953“, PA AA, MFAA, A 289, pag. 73–75.
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einer Delegation hatte der damals amtierende Bürgermeister der Stadt in der Oberlausitz, Fritz Donath, die belorussische Hauptstadt besucht und auf eigenen Wunsch und mit Hilfe der belorussischen Freundschaftsgesellschaft Verbindungen zum Stadtsowjet in Gomel’ geknüpft.682 In der Folge entwickelte sich ein reger Kontakt mit gegenseitigem Delegationsaustausch, bei dem auch Vertreter aus Schulen und Betrieben mit von der Partie sein konnten. Dabei lässt der Ton, etwa in gegenseitigen Neujahrsschreiben, die über die sonst üblichen, rituell praktizierten, Glückwunschschreiben weit hinaus gingen, auf persönliche und freundschaftliche Beziehungen zwischen den führenden Funktionären schließen, denen die Aufrechterhaltung der Verbindungen ein persönliches Anliegen zu sein schien.683 Gleichzeitig lag aber genau darin ein Grundproblem: Dadurch, dass die Verbindung beider Städte nie offiziellen Status erlangte, war die Weiterführung der Partnerschaft stark von einzelnen Persönlichkeiten abhängig. Mit dem Wechsel des Bürgermeisters 1960 kam es daher zunächst zu einem Stillstand im gegenseitigen Austausch – eine Tatsache, die offenbar sogar der SDF-Zentrale in Moskau zu Ohren gekommen war. Auf einem Empfang der DDR-Botschaft nutzten Mitarbeiter der Sowjetisch-Deutschen Freundschaftsgesellschaft die Gelegenheit, das Problem zur Sprache zu bringen und lösten damit eine Kettenreaktion aus: Die Moskauer Botschaft informierte die zuständigen Stellen im MfAA, diese wiederum wandten sich an die SED-Bezirksleitung Dresden mit der Aufforderung, für eine Antwort der SED-Kreisleitung Zittau an die Stadt Gomel’ zu sorgen: Zwar sei die Städtepartnerschaft im entsprechenden ZK-Beschluss nicht vorgesehen, vielleicht sei es aber möglich, die Verbindungen über die Freundschaftsgesellschaften weiterhin zu pflegen. Die daraufhin unter Druck gesetzte Kreisleitung Zittau meldete sich erst drei Monate später beim MfAA: Offenbar waren die in der Botschaft Moskau eingegangenen Informationen zu diesem Zeitpunkt nicht mehr ganz aktuell gewesen. Bereits zu Beginn des Jahres 1962 habe man in Zittau, nach etwas längerer Pause, die Initiative ergriffen und wieder Kontakte zu Gomel’ hergestellt. Darüber hinaus wusste man offenbar recht gut einzuschätzen, was die Genossen im Außenministerium hören wollten: Das Schreiben enthielt einen Sechs-Punkte-Plan, der die weitere Entwicklung der Zusammenarbeit mit der belorussischen Stadt charakterisierte.684 Dafür, dass der Kontakt nicht wieder abriss, sorgte dabei vor allem die belorussische Seite, genauer die lokale Abteilung für Sowjetisch-Deutsche Freund682 Brief des Bezirksbürgermeisters Bezirk Dresden Mitte (früher Bürgermeister in Zittau), Fritz Donath, an die BELOD, 13.7.1964, NARB f. 914, op. 4, d. 101, l. 100–100ob. 683 Vgl. dazu z. B. Schreiben Donaths an die BELOD betreffend Besuch in Gomel’, 27.5.1959, NARB f. 914, op. 3, d. 15, l. 108; Plan der BELOD über den Aufenthalt einer Delegation aus Zittau, 19.–20. Juni, 9 Teilnehmer, ebd., l. 126–127; Neujahrsgrüße der SED-Kreisleitung Zittau an das Gorkom Gomel’, 29.12.1959, NARB f. 914, op. 3, d. 62, l. 43–44; Glückwunschschreiben des Gorkom Gomel’ und der lokalen Abt. der SDF an Kreisleitung der SED und Stadtrat Zittau zum 11. Jahrestag der DDR, mit beiliegendem Bildband sowie Genehmigungsschreiben der Zensurbehörde Glavlit zur Versendung ins Ausland, September 1960, ebd., l. 213–214. 684 Schreiben der 1. Europ. Abt. im MfAA
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schaft. Deren großes Engagement wurde auch durch die deutsche Botschaft in Moskau mehrfach hervorgehoben: So war, anlässlich von Besuchen von Botschaftsangehörigen in Gomel’, die Rede von einer „herzliche[n], brüderliche[n] und offene[n] Atmosphäre“; als Empfehlung an das MfAA wurde übermittelt „[…] [d]arauf hinzuwirken, daß die Städteverbindungen Zittau – Gomel auch weiterhin aufrecht erhalten werden, da sie, wie wir uns überzeugen konnten, auf fruchtbaren Boden fallen.“685
Tatsächlich gelang es beiden Städten, die Kontakte zu halten, auch mit aktiver Unterstützung der Freundschaftsgesellschaften. Allerdings stellte die Tatsache, dass die Städteverbindungen nie einen offiziellen Status im Sinne von Parteibeziehungen erhielten, ein erhebliches Hindernis dar. Immer wieder musste man sich um Ausnahmegenehmigungen für Delegationen oder auch Schüleraustausche bemühen, weil diese durch das ZK der KPB bewusst nicht im zentralen Kulturarbeitsplan aufgenommen worden waren.686 Gründe für diese Absage wurden nicht genannt. Offenbar genügte es als Erklärung, dass die zentralen ZK-Beratungen zu Beginn der 1960er Jahre eine Partnerschaft zwischen Gomel’ und Zittau nicht vorgesehen hatten, vermutlich weil diese als wenig zweckmäßig erschienen war. Trotzdem – und wie um diese Annahme zu widerlegen – hatten sich zwischen beiden Bezirken auch Betriebskontakte angebahnt, die dem sozialistischen (wirtschaftlichen) Erfahrungsaustausch dienten. So hatten 1967 immerhin jeweils drei Betriebe Direktbeziehungen, außerdem bestanden ständige Kontakte zwischen den lokalen Pionierpalästen.687 Die Einwohner beider Städte konnten sich anlässlich der diversen Veranstaltungen der Freundschaftsgesellschaften (Tage der Kultur, Jubiläen etc.) anhand von Ausstellungen, Vorträgen oder Auftritten von Laienkunstensembles ein Bild über die Partnerstadt machen.688 Zwar handelte es sich auch hier um Kontakte, die in erster Linie durch leitende Funktionäre und deren persönliche Bekanntschaft getragen wurden, allerdings agierten diese aber überwiegend aus eigenem Antrieb und mit Engagement für die Sache. Umso frustrierender dürfte die Situation für die Leiterin der Gomel’er Stadtabteilung der 685 Konsularabt. der Botschaft Moskau: „Bericht anläßlich der Feierlichkeiten zum 15. Jahrestag der Deutschen Demokratischen Republik in Minsk und Gomel“, 16.10.1964, PA AA, MFAA, A 892, pag. 142–145, hier: 143–144; Botschaft Moskau: „Reise anläßlich der Freundschaftswoche vom 12.05.–18.05.1963“, ebd. pag. 199–208, hier: 208. 686 Vgl. dazu z. B. Korrespondenz zwischen Zittau, der BELOD und der DSF im Juli 1964, NARB f. 914, op. 4., d. 101, l. 153, 159–160, 212; Anordnung des Präsidiums der BELOD, 29.3.1967, NARB f. 914, op. 4, d. 226, l. 74–75; Ispolkom Gomel’ an die BELOD betreffs Schüleraustausch mit Zittau, 9.10.1968, NARB f. 914, op. 4, d. 281. Für die Entscheidung des ZK der KPB gegen Austausche Zittau–Gomel’ vgl.: Schreiben Mašerovs (l. 176) „Über die Vorschläge der BSSR zur Einbeziehung in den staatlichen Plan kultureller und wissenschaftlicher Beziehungen der UdSSR mit dem Ausland für 1966–1967“, 20.5.1965; sowie entsprechende Vorschläge der BELOD, 6.5.1956, beide NARB f. 4p, op. 62, d. 672, l. 176–192. 687 Schreiben des DSF-Kreisvorstandes Zittau an Orlenko, Vorsitzende der SDF Gomel’, 23.1.1967, NARB f. 914, op. 4, d. 234, l. 58–59. 688 Vgl. dazu z. B. den resümierenden Arbeitsbericht der Abt. Gomel’ 1960–1968, NARB f. 914, op. 4, d. 282.
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SDF, Evgenija G. Orlenko689, gewesen sein, die für ihren unermüdlichen Einsatz bereits 1963 mit der Goldenen Ehrennadel des Zentralvorstandes der DSF ausgezeichnet worden war. In einem Plenum des Vorstands der belorussischen Abteilung der SDF im Jahr 1973 beklagte sie die schwierige Situation für die Städte Gomel’ und Zittau durch den nichtoffiziellen Status der Partnerschaft: So gäbe es dadurch viele Komplikationen bei der Durchführung verschiedener Veranstaltungen, dem Austausch von Delegationen u. a.; daher wünsche sie sich nach den Vorbildern der Städte Minsk und Vitebsk einen Partner in der DDR. Dass sich in dieser Hinsicht nichts änderte, im Gegenteil die Zusammenarbeit noch schwieriger wurde, verdeutlichte ihr Redebeitrag im Jahr 1976: Zunächst zog sie anlässlich des 15jährigen Bestehens der Gomel’er Abteilung eine durchaus positive Arbeitsbilanz der Gesellschaft. Allerdings habe man nun mit neuen Problemen zu kämpfen: Auch das Gebiet Gomel’ sei jetzt über Parteibeziehungen verbunden – mit einem Bezirk in der ČSSR. Die Gebietsleitung gebe diesen von Seiten der Partei geknüpften Verbindungen den Vorzug, was die Arbeit der SowjetischDeutschen Gesellschaft spürbar erschwere.690 Schon 1974, anlässlich des 25jährigen Bestehens der DDR, hatte die Gomel’er Abteilung einen Veranstaltungsplan nach Minsk geschickt, der die abnehmende Bedeutung der Partner in Zittau zeigte. Hatte man in den 1960er Jahren noch regelmäßig Informationsmaterialien, Ausstellungen, Delegationen u. a. ausgetauscht und in derartigen Berichten regelmäßig auf die Partnerbeziehungen Bezug genommen, so beschränkte sich dieser Bericht auf eine Erwähnung am Rande. Während in Vitebsk und Minsk per Parteibeschluss Verbindungen forciert wurden, die es zunächst nur in den Köpfen der Parteiplaner gegeben hatte, verloren die ‚real existierenden‘ Kontakte zwischen Gomel’ und Zittau immer mehr an Bedeutung. Bezeichnenderweise änderte sich dies auch im Verständnis der DSF: Führte man in den 1960er Jahren unter dem Stichwort Direktbeziehungen auch selbstverständlich noch Zittau und Gomel’ an, ja lobte sogar deren vorbildhafte Zusammenarbeit, so war davon ein Jahrzehnt später kaum noch die Rede: Frei nach dem Motto: „Die Partei hat immer recht“ existierten, auch in den Akten der Freundschaftsgesellschaft, 1976 nur noch jene offiziellen Bezirksverbindungen, die auf Parteiinitiative entstanden waren.691
5.1.3 Arrangiert und inszeniert? Direktverbindungen in der Öffentlichkeit Während die offiziell arrangierten Bezirkspartnerschaften zwischen Minsk und Potsdam auf der einen, Vitebsk und Frankfurt/Oder auf der anderen Seite, alle Vorteile einer Unterstützung durch die Partei genossen, konnten sie allerdings 689 Vgl. zu Orlenko Anm. 243. 690 Plenum des Vorstandes der Belorussischen Abt. der SDF, 3.3.1972, NARB f. 914, op. 4, d. 439, l. 76–77; Plenum des Vorstandes …, 5.2.1975, ebd., d. 552, l. 35–38, hier: 36. 691 Vgl. dazu die Übersichten zu Partnerbeziehungen zwischen Einrichtungen der DDR und der UdSSR, 1975–1976, DY 32/4462.
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nicht auf bereits bestehende Kontakte zurückgreifen; die Initiative hatte zunächst vollständig von den Parteileitungen der Bezirke auszugehen. In bewährter Weise versuchte man diese Aufgabe durch Jahrespläne zu lösen, die einerseits Kontakte herstellen, andererseits die Partnerverbindungen möglichst sichtbar machen und als Zeichen der deutsch-sowjetischen Freundschaft im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankern sollten. Wie der eingangs dieses Kapitels zitierte Jahresplan 1969 der SED-Bezirksleitung Frankfurt/Oder deutlich macht, gestaltete sich die Etablierung von Kontakten überwiegend zentralistisch von oben nach unten: Die SED-Bezirksleitung plante, die betroffenen gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen hatten auszuführen und im Anschluss zu berichten. Dabei betrafen die Kontakte, mit zunehmender Ausweitung der Bezirkspartnerschaften im Laufe der 1970er Jahre, alle erdenklichen Bereiche: Kultur im engeren Sinne, Jugend, Sport, Bildung, betriebliche Kontakte bis hin zur Freizeitgestaltung der Bürger.692
Sozialistische Kultur Im Bereich der Kultur handelte es sich dabei beispielsweise, ganz im Sinne eines Kulturschaffens der Werktätigen, um den regelmäßigen Austausch so genannter Laienkunstensembles, die in verschiedenen Orten bzw. Betrieben des Partnergebiets, aber durchaus auch im Rahmen etablierter Kulturveranstaltungen, wie etwa der Frankfurter Oderfestspiele, auftraten. 693 Im Laufe dieser Tourneen kam es, so vermerkt ein Bericht, „[…] beiderseits [zu] zahlreichen Gesprächen mit Arbeitskollektiven und Bürgern […], sodass der Form des ‚Tourismus‘ entgegengewirkt wurde.“ – so zumindest in der Theorie. In der Praxis dürfte die Möglichkeit einer Auslandsreise im Rahmen ihrer Laienkunstgruppe für viele Teilnehmer doch eine außergewöhnliche Chance dargestellt haben und entsprechend genutzt worden sein. Offenbar sollte die Reiseleitung durch politische Funktionäre einem allzu ausschließlichen Vergnügen entgegen wirken und dafür sorgen, dass der „Kulturaustausch gleichzeitig zum Studium der Massenarbeit der Partei und staatlichen Organe“ genutzt wurde.694 692 Einen guten Überblick über die vielfältigen Austauschbeziehungen in verschiedensten Bereichen gibt, anhand des Beispiels Ostberlin–Moskau, Schütze: Die internationalen Beziehungen des Magistrats von Berlin, insbesondere Kap. 4.2. 693 Deutlich wird die Betonung dieses Aspekts der sozialistischen Kultur gerade auch in der zeitgenössischen Forschung zu den Bezirkspartnerschaften: So gehen beispielsweise Vorobej und Zacharčenko im entsprechenden Kapitel „Austausch im Bereich der Kunst“ in Bezug auf die DDR nahezu ausschließlich auf diese Art des Laienkunstschaffens ein. Vgl. dazu: Vorobej/Zacharčenko: Mosty družby, S. 98–100. 694 Siehe dazu etwa das Beispiel des Ensembleaustauschs im Jahr 1970 zwischen Vitebsk und Frankfurt/Oder: Vorlagen, Informationen, Briefwechsel, Berichte der Abt. Wissenschaft, Volksbildung, Kultur der SED-BL Vitebsk, 30.7.1970, 17.9.1970, 13.10.1970, 14.10.1970, BLHA Rep. 730, Nr. 3589, unpag. sowie Überblick über die kulturellen Auslandsbeziehungen des Bezirkes Frankfurt/Oder durch die Abt. Wissenschaft, Volksbildung, Kultur („Arbeitsmaterial für Gen. Gaede, ZK“), 23.4.1975, ebd., Nr. 4759, unpag.
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Unterstützt wurden die DDR-Bezirksleitungen seit 1972 durch das Generalkonsulat der DDR in Minsk, insbesondere bei der logistischen Umsetzung von Konzertreisen deutscher Künstler, aber auch bei der Verschickung und Präsentation von Ausstellungen oder den Kontakten zwischen Theatern wie jenen in Minsk und Potsdam (Hans-Otto-Theater) wie anlässlich der DDR-Kulturtage 1972 in der belorussischen Hauptstadt.695 Insbesondere die spezielle Ausgestaltung der Kulturtage im Rahmen der Bezirkspartnerschaften, die zwar unter dem allgemeinen Titel „Tage der Kultur der UdSSR bzw. DDR“ meist unter Mitwirkung des jeweiligen deutschen bzw. sowjetischen Partners stattfanden, lieferten implizit auch noch in den 1970er Jahren die Möglichkeit zur Darstellung spezifisch belorussischer Kultur: So waren für die sowjetischen Kulturtage im Mai 1975 im Bezirk Potsdam Besuche zahlreicher Minsker Künstler und Kulturschaffender vorgesehen: Neben den obligatorischen Laienkunstensembles besuchten auch Bildende Künstler und Schauspieler die Partnerstadt; ebenso wurden eine Ausstellung belorussischer Graphik sowie belorussische Literatur und Filme präsentiert.696 Allerdings ließen sich offenbar nicht alle Künstler planmäßig delegieren. So hatten im Jahr 1973 der Stellvertretende Vorsitzende des Künstlerverbandes der BSSR Gutijev sowie ein Minsker Kunstwissenschaftler Potsdamer Kollegen besucht. Dabei vereinbarten die Gäste für das Jahr 1974 unter anderem einen Studienaufenthalt belorussischer Künstler in der brandenburgischen Bezirkshauptstadt – der jedoch daran scheiterte, dass die Delegierten schlichtweg nicht anreisten. Dem Präsidium des belorussischen Künstlerverbandes blieb kaum mehr, als für das folgende Jahr Besserung zu versprechen.697 Kulturelle Kontakte entwickelten sich auch auf der Freizeit- und Hobbyebene. So unterhielt der Kulturbund, unter dessen Dach sich unterschiedlichste Interessen- und Arbeitsgemeinschaften formierten, ebenfalls Kontakte zu den Partnerbezirken nicht nur in der UdSSR, sondern auch in den übrigen sozialistischen Staaten: Fotoklubs und Briefmarkensammler tauschten Sammelobjekte oder Ausstellungen aus, der Esperanto-Klub und die Bücherfreunde unterhielten briefliche Verbindungen oder konnten bisweilen sogar einige ihrer Mitglieder zu Veranstaltungen ins Freundesland entsenden.698 Obwohl nicht ersichtlich ist, ob von Partei695 Vgl. dazu die umfangreiche Korrespondenz zwischen dem Generalkonsulat in Minsk und der SED-BL Frankfurt/Oder in: BLHA, Rep. 730, Nr. 4759; sowie Schreiben des GK Minsk an die SED-BL Potsdam, 15.9.1972, BLHA, Rep. 530, Nr. 5408, unpag. 696 Sekr. für Bildung, Wissenschaft, Kultur der SED-BL Potsdam: „Vorschlag für ein Veranstaltungsprogramm zur Gestaltung der ‚Tage der Kultur der UdSSR‘ unter Mitwirkung des Partnerbezirkes Minsk“, 10.12.1974, ebd.; für den umgekehrten Fall – Tage der Kultur der DDR in Minsk – vgl. Obkom Minsk der KPB: „Plan für die Durchführung der Freundschaftstage mit dem Bezirk Potsdam der DDR in der Stadt Minsk und in der Minsker Oblast’ vom 10. bis 17. Oktober 1979.“, GAMN f. 1, op. 75, d. 88, l. 20–33. 697 Rat des Bezirkes Potsdam, Abt. Kultur an die SED-BL Potsdam: „Jahresbericht 1974 über kommunale Auslandsbeziehungen“, 29.11.1974, BLHA Rep. 530, Nr. 5388, pag. 31–35. 698 Vgl. dazu ebd., pag. 35; Anfrage des Kulturbundes der DDR, BL Potsdam an die SED-BL Potsdam bzgl. Reise zweier Mitglieder des Philatelistenverbandes zu einer Ausstellungseröffnung des Partnerverbandes in Minsk, 29.6.1981, BLHA Rep. 530, Nr. 6513, unpag.; Kulturbund BL Potsdam an SED-BL Potsdam: „Vertraulich! Berichterstattung über die internatio-
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seite auch auf die Kulturbund-Gruppen unmittelbar Einfluss zur Herstellung von Verbindungen genommen wurde, so darf doch eine mindestens indirekte Lenkung angenommen werden: Nur politisch gewollte Kontakte konnten auf dauerhafte Unterstützung hoffen. Schließlich hatten selbst diese Hobbyverbände über ihre Auslandsbeziehungen Rechenschaft abzulegen und mussten sich in diesem Zusammenhang politisch angemessen verhalten, wie sich an den Kontakten des Philatelistenverbandes Potsdam zu polnischen Gleichgesinnten in der Partnerwoiwodschaft Opole ablesen lässt: So berichtete der Kulturbund in seinem Jahresbericht für 1980 ausführlich über die vorläufig eingefrorenen Beziehungen zu den polnischen Briefmarkenfreunden, da diese sich in ihren Schreiben unmissverständlich für die gerade entstandene Solidarność-Bewegung ausgesprochen hatten. Als Gegen- und Vorsichtsmaßnahme empfahl der Kulturbund-Funktionär eine qualitativ verbesserte ideologische Arbeit unter den Briefmarkensammlern.699
Jugendkontakte Regelmäßige Kontakte wurden auch im Bereich der Jugendverbände bzw. Schulen initiiert. Wie bereits eingangs gezeigt, gehörten die Schulen der Bezirke bzw. Oblast’ mit zu den ersten Institutionen, die Direktbeziehungen mit den neu gewonnenen Partnern aufnehmen sollten. Dabei dürfte sich der Großteil dieser Beziehungen auf Briefwechsel beschränkt haben, die zumeist im Klassenverband geführt wurden.700 Dagegen wurden Formen eines individuellen Schüleraustauschs mit der Unterbringung in Gastfamilien, wie sie aus westeuropäischen Kontexten bekannt sind, offenbar nicht durchgeführt. Die gängige Form war die Versendung von Kinder- und Jugendgruppen, auch als komplette Schulklassen, in den Partnerbezirk, wo die jungen Gäste meist mehrere Wochen in Pionier- bzw. Ferienlagern verbrachten.701 Darüber hinaus knüpften auch die Leitungen der Jugendverbände Direktkontakte, wie etwa Vertreter aus Minsk und Potsdam, die anlässlich des 3. Festivals der Freundschaft, eines deutsch-sowjetischen Jugendfestivals, in Halle zusammengetroffen waren. In der Folge kam es regelmäßig nale Arbeit als Anlage zur Jahresfinanzanalyse 1980“, 30.1.1981, ebd.; Esperanto-Verband im Kulturbund an SED-BL Potsdam: Übersicht über Partnerbeziehungen, Oktober 1981, ebd. 699 Kulturbund BL Potsdam an SED-BL Potsdam: „Vertraulich! Berichterstattung über die internationale Arbeit als Anlage zur Jahresfinanzanalyse 1980“, 30.1.1981, BLHA Rep. 530, Nr. 6513, unpag. 700 Zu Briefkontakten zwischen Schulen siehe auch Kap. 3.3.3.3 dieser Arbeit; sowie SED-BL Potsdam: Bericht über die Durchführung des Erfahrungs- und Delegationsaustausches der SED-Bezirksleitung mit den Bruderparteien sowie über die internationale Arbeit der gesellschaftlichen Organisationen des Bezirkes im Jahre 1974, BLHA Rep. 530, Nr. 5388, pag. 44– 52. 701 Siehe dazu z. B. Bericht des Leiters der Mittelschule Nr. 3 in Vitebsk an das Ministerium für Bildung der BSSR über den Aufenthalt einer Gruppe von Schülern der DDR, 30.10.1979, GAVO f. 2797, op. 14, d. 508, l. 93–94; DSF-Bezirksvorstand Potsdam: „Übersicht über Patenschaftsbeziehungen zwischen Betrieben, Instituten, Schulen und Einrichtungen des Bz. Potsdam und des Gebietes Minsk“, 11.11.1980, BLHA Rep. 530, Nr. 6513, unpag.
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zum Austausch von FDJ- bzw. Komsomol-Delegationen der Partnerbezirke, in deren Rahmen sich meist so genannte Aktivisten zum Erfahrungsaustausch trafen, um gemeinsam Fragen der Jugendarbeit zu besprechen. Obwohl durchaus auch Ausflüge und Besichtigungen auf dem Programm standen, sollte wohl auch hier eine allzu touristische Ausrichtung zugunsten politischer Zweckmäßigkeit vermieden werden.702
Freundschaftsgesellschaften Neben anderen gesellschaftlichen Organisationen, wie Sportverbänden oder den Gewerkschaften703, taten sich die Freundschaftsgesellschaften auch im Rahmen der Bezirkspartnerschaften besonders hervor. Bereits im Januar 1968 hatte die sowjetische SSOD ihre Zweiggesellschaften angewiesen, den Ausbau der Partnerbezirke durch die Gründungen lokaler Abteilungen der Freundschaftsgesellschaft zu unterstützen, eine Anordnung, die sich im Übrigen auch auf Städte und Gebiete mit Partnerschaften im Westen bezog.704 Ganz ähnlich besannen sich auch die Deutschen nur wenig später auf die zunehmende Wichtigkeit von Städteverbindungen: Auch die DSF-Bezirksorganisationen, in deren Bezirken Parteiverbindungen bestanden, sollten entsprechende Zusatzvereinbarungen mit ihren sowjetischen Partnern treffen. Dazu gehörten, nach dem bewährten Vorbild der Kulturtage und Freundschaftswochen, so genannte Tage der Städtefreundschaft (in der Praxis dann offenbar zeitgleich mit Kulturtagen und Freundschaftswochen), anlässlich derer Laienkunstensembles und Lektoren aus den Partnergebieten auftreten sowie Schüler-, Jugend- und Touristengruppen als Botschafter ihrer Bezirke delegiert werden sollten. In der Folge wurde die Tätigkeit im Rahmen der Bezirkspartnerschaften fest in die jährlichen Arbeitspläne der Freundschaftsgesell702 Vgl. dazu z. B. Plan des Aufenthaltes einer FDJ-Delegation aus Frankfurt/Oder im Gebiet Vitebsk, Sitzungsprotokoll Nr. 60 des Obkom, 20.1.1970, GAVO f. 1p, op. 121, d. 13; Sitzungsprotokoll Nr. 1 des Obkom der KPB Vitebsk, Punkt 23: Fahrt einer Gruppe von Komsomolarbeitern, vom 14.–18. März, zur Teilnahme an der Bezirkskonferenz der FDJ, 7.3.1974; Bericht der SED-BL Potsdam an das ZK der SED zum Delegations- und Erfahrungsaustausch mit der KPdSU, Gebiet Minsk, 15.9.1975, BLHA Rep. 530, Nr. 5388, pag. 36–40, hier: 37; vgl. dazu auch Gespräch mit Frau Valentina Vasil’evna Šarendo, Direktorin des Stadtarchivs Vitebsk, am 23.3.2011 in Vitebsk: Frau Šarendo war selbst als KomsomolAktivistin Mitglied einer Delegation in den Partnerbezirk Frankfurt/Oder im Sommer 1981. Sie schilderte sowohl die Arbeitstreffen als auch die Freizeitgestaltung durch die deutschen FDJ-Kollegen. Eine kurze Übersicht über die Jugendkontakte im Rahmen der Bezirkspartnerschaften, wenn auch stark deskriptiv und mit einem Fokus auf dem sog. sozialistischen Erfahrungsaustausch in der Produktion, bieten Vorobej/Zacharčenko: Mosty družby, S. 39–40. 703 Auch Sportkontakte, wie sie etwa ab 1971/1972 verstärkt zwischen den Gebieten Vitebsk und Frankfurt/Oder einsetzten, wurden per Parteivereinbarungen festgelegt, vgl. dazu etwa die Akte der SED-BL Frankfurt/Oder, Abt. Internationale Verbindungen: Internationale Sportbeziehungen, u. a. Entwicklung der sportl. Beziehungen zu Vitebsk, 1969–1971, BLHA Rep. 730, Nr. 3590. 704 Anordnung Nr. 30/VIII der SSOD, 12.1.1968, NARB f. 914, op. 4, d. 269, l. 1–7.
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schaften aufgenommen.705 Damit bewahrten die Gesellschaften auch in diesem Bereich ihre zentrale Rolle in der ‚Vermittlung‘ der deutsch-sowjetischen Freundschaft.
Darstellung in Presse und anderen Medien Mindestens genauso wichtig wie die oben skizzierten Aktivitäten selbst, wenn nicht sogar wichtiger, war deren Darstellung in der Öffentlichkeit. Nur was möglichst massenwirksam war, galt den Bezirksparteileitungen als effektiv. Wenn auch nur ein geringer Teil der Bevölkerung persönlich an Delegationsreisen und Austauschen teilnehmen konnte, so sollte den übrigen doch der Eindruck vermittelt werden, an dieser ‚besonderen‘ deutsch-sowjetischen Freundschaftsbeziehung teilzuhaben. Die wichtigste Rolle spielte dabei die Presse, allen voran die Bezirksbzw. Oblast’parteiorgane, auf deren Berichterstattung die Parteileitungen unmittelbaren Einfluss nahmen. So planten und ‚bestellten‘ die Gebiets-/Bezirksparteileitungen neben den entsprechenden Veranstaltungen selbst auch gleich die zugehörige Berichterstattung in der Presse: Die Redaktionen der Parteiorgane Neuer Tag und Vicebski Rabočy (Frankfurt/Oder–Vitebsk) bzw. Märkische Volksstimme und Minskaja Praŭda (Potsdam–Minsk) tauschten zu diesem Zweck regelmäßig Berichte und Artikel aus; nicht umsonst gehörten journalistische Vertreter zu den häufigen Delegationsreisenden in die Partnerbezirke.706 Neben den obligatorischen Beiträgen über Reisen und Besuche, oder anlässlich besonderer Feierlichkeiten, gehörten zur Darstellung in der Presse auch diverse Kampagnen oder Sonderaktionen. Die schon bewährten Preisrätsel im Stil „Kennen Sie die DDR bzw. Sowjetunion?“, Pionieraktionen wie „Frankfurt grüßt Vitebsk“ oder auch Sonderseiten im Stil der jeweiligen Partnerzeitung anlässlich besonderer Jubiläen sollten einerseits das Interesse der Bevölkerung für den Partnerbezirk wecken, andererseits die besonders enge Freundschaftsbeziehung inszenieren.707 Dabei verschmolz die Werbung für die Bezirkspartnerschaft in der DDR 705 Vgl. dazu Vorlage der Abt. IV beim ZV der DSF: Über die Zusammenarbeit mit der SDF und zum Plan der Zusammenarbeit für 1969/1970, ohne Datum, SAPMO-BArch DY 32/580, pag. 1–4; sowie: Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen der SSOD, der SDF und der DSF (für das Jahr 1972), NARB f. 914, op. 4, d. 439, l. 122–124. 706 Vgl. z. B. Sitzungsprotokoll Nr. 35 des Obkom der KPB Vitebsk, Punkt 4: Aufenthalt von Journalisten im Kreis Vitebsk, 28.7.1970, GAVO f. 1p, op. 121, d. 92, l. 3–25; SED-BL Potsdam: Vorschläge für den Delegations- und Erfahrungsaustausch im Jahr 1974 und 1975, 19.10.1973, BLHA Rep. 530, Nr. 5388, unpag.; Piščulenok gibt in seinem kurzen Überblick zur Bezirkspartnerschaft Vitebsk–Frankfurt/Oder an, die intensive Zusammenarbeit der Presseorgane beider Gebiete habe erst in den 1980er Jahren begonnen, was sich in den vorliegenden Quellen jedoch anders zeigte, vgl. Piščulenok, M.V.: „Vitebskaja oblast’ i Germanija: tendencii sotrudničestva v 70–90-ch gg. XX stoletija“, Evropejskij sojuz: istorija, politika, ėkonomika, pravo. Meždunarodnaja naučno-praktičeskaja konferencija (17–18 dekabrja 1997 g., Minsk). Sbornik naučnych trudov., Minsk 1998, S. 84–89, hier S. 87. 707 SED-BL Potsdam, Einschätzung über die internationale Arbeit im Jahr 1978, ohne Datum, BLHA Rep. 530, Nr. 6508, unpag.; Schreiben Chefredakteur Thieme des Neuen Tag an SED-
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jedoch mit der allgegenwärtigen Sowjetunion-Propaganda und dürfte für viele Leser nicht unbedingt klar unterscheidbar gewesen sein. Gleichzeitig kam dazu zunehmend auch die Berichterstattung in anderen Massenmedien, denn auch Radio und Fernsehen wurden mehr und mehr für die Propagierung der Bezirkspartnerschaften genutzt. So hatte beispielsweise das ZK der KPB im Juni 1976 ausdrücklich die Herstellung von Materialien und Sendungen angeordnet, mit deren Hilfe die Partnerschaftsbeziehungen zu den sozialistischen Bruderländern beworben werden sollten. In der Oblast’ Vitebsk reagierte man darauf mit der Herstellung thematischer Sendungen zur DDR und dem Partnerbezirk Frankfurt/Oder, Berichten über Delegationen und Freundschaftszüge oder Dokumentationen über deutsche ‚Helden der Arbeit‘ für Radio, Fernsehen und sogar das Kino.708 Auch kam es offenbar häufiger vor, dass die Bezirks- bzw. Oblast’radiosender gegenseitig Beiträge produzierten, die der Partner in der Folge sendete.709 Daneben entstand in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre noch eine ganz andere Art von Informationsmaterial: Teilweise in gegenseitiger Kooperation gaben nahezu alle ‚verbrüderten‘ Parteibezirks- und Oblast’leitungen eigene Publikationen in Auftrag, die die erfolgreiche Geschichte der Bezirkspartnerschaften dokumentieren sollten.710 Für Minsk und Potsdam erschien eine entsprechende Publikation im Jahre 1975, herausgegeben durch die Bezirksleitung Potsdam: In Texten und zahlreichen Farbfotos informierte die Broschüre über Geschichte und Gegenwart des Gebietes Minsk, gleichzeitig sollten individuelle Lebensgeschichten und Erfahrungsberichte, zum Beispiel über den gemeinsamen Kampf deutscher Kommunisten und belorussischer Partisanen, eine lange Tradition der Freundschaft suggerieren.711 Im Falle Frankfurt/Oder–Vitebsk handelte es sich zwei Jahre später sogar um eine Gemeinschaftsproduktion beider Bezirksleitungen. Auch hier dominierten großformatige Farbfotos zum Leben und Arbeiten in beiden Bezirken das rund 180 Seiten dicke Buch. Zusätzlich informierten kurze Texte – in Deutsch, Russisch und Weißrussisch – über verschiedenste Themengebiete, wie Kultur, Freizeit und Erholung, das Leben von Kindern und Jugendlichen sowie das gemeinsame Gedenken an den Zweiten Weltkrieg. Den bei weitem größten Raum nahm allerdings der sozialistische Erfahrungsaustausch in Industrie und Landwirtschaft ein, insbesondere die Vorzeigepartner Novopolock und Schwedt. Auch dieses Buch („Freunde für immer“) zeichnete das Bild einer traditionsreichen „wahre[n] Freundschaft, die im Verlaufe der Jahre gewachsen ist“ und die
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BL Frankfurt/Oder, 15.4.1976, BLHA Rep. 730, Nr. 4780, unpag.; vgl. dazu auch: SED Bezirksleitung Potsdam (Hrsg.): Minsk, Potsdam, Potsdam 1975, S. 37. Vorlage Pucilevs, Vorsitzender des staatlichen Komitees für Radio- und Fernsehübertragungen beim Ministerrat der BSSR, für das ZK der KPB, 7.9.1979, NARB f. 4p, op. 56, d. 5, l. 131–132. Schreiben des Chefredakteurs von Radio Minsk an die SED-BL Potsdam, ohne Datum (1969–1970), BLHA Rep. 530, Nr. 4374, unpag. Vgl. dazu die Übersicht bei Gräfe: „Die Genesis von Direktverbindungen der Bezirke der DDR zu Gebieten bzw. Republiken der UdSSR in den 60er Jahren“, S. 623, insbesondere die Anmerkungen 14, 15. SED Bezirksleitung Potsdam (Hrsg.): Minsk, Potsdam.
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im Geiste des Friedens und der Völkerverständigung half, die „sozialistische Völkerfamilie“ zu verwirklichen.712
Freizeitgestaltung Schließlich machte der Erfindungsreichtum der Parteifunktionäre in Bezug auf die ‚Vermarktung‘ der Partnerschaftsbeziehungen auch vor dem Freizeitvergnügen der Bürger nicht halt. Im Gegenteil erscheint es sogar wenig überraschend, dass ausgerechnet in den 1970er Jahren, als die politische Führung sowohl in der Sowjetunion als auch in der DDR stärker auf einen entwickelten Sozialismus und damit Freizeit und Konsum setzte als all die Jahrzehnte zuvor, ein besonderes Freizeiterlebnis im Kontext der Partnerschaften etabliert wurde: In jeder der vier Bezirks-/Gebietsstädte eröffnete ein so genanntes Nationalitätenrestaurant, das den Namen der jeweiligen Partnerstadt trug und gegebenenfalls entsprechendes Interieur und Speisen bot.713 So wurde beispielsweise in Potsdam eine im Bau befindliche HO-Gaststätte in das Nationalitätenrestaurant Minsk umgewidmet – eine Entscheidung, die das ursprünglich 1969 begonnene Unternehmen Terrassenrestaurant erheblich verteuerte, wie aus den Unterlagen des Rates des Bezirks Potsdam hervorgeht. Die Gründe lagen dabei insbesondere in der „zu schaffenden Attraktivität“ dieses Prestigeobjekts der deutsch-sowjetischen Freundschaft: „Dieses Freundschaftsvorhaben widerspiegelt nach Fertigstellung nicht nur belorussische Nationalkultur, sondern ist zugleich Ausdruck der freundschaftlichen Beziehungen zwischen der
712 Gebietskomitee Witebsk der Kommunistischen Partei Belorußlands und Bezirksleitung Frankfurt (Oder) der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (Hrsg.): Druz’ja navsegda. O družeskich vstrečach i bratskom sotrudničestve meždu trudjaščimisja Vitebskoi oblasti (BSSR) i okruga Frankfurt-na-Odere (GDR) / Freunde für immer. Über freundschaftliche Begegnungen und die brüderliche Zusammenarbeit zwischen den Werktätigen des Gebietes Witebsk (Belorussische Sozialistische Sowjetrepublik) und des Bezirkes Frankfurt (Oder) (DDR), Rostock 1977. Mitte der 1980er Jahre entstand eine Neuauflage des Werkes, die sich noch stärker auf eine fotographische Darstellung konzentrierte; zudem waren die Texte inzwischen nur noch auf Deutsch und Russisch verfasst, vgl. Gužba, Galina und Kurt Günter (Hrsg.): Vitebsk – Frankfurt-na-Odere. O bratskoj družbe i vsestoronnem sotrudničestve trudjaščichsja Vitebskoj oblasti (BSSR) i okruga Frankfurt-na-Odere (GDR) / Frankfurt (Oder) – Vitebsk. Über die Freundschaft und allseitige Zusammenarbeit zwischen den Werktätigen des Gebietes Witebsk (BSSR) und des Bezirkes Frankfurt an der Oder (DDR), Minsk 1985. 713 Vgl. dazu: Information der SED-BL Frankfurt/Oder über ein Gespräch mit Vitebsker Kollegen zur Eröffnung der Gaststätte Frankfurt in Vitebsk, 18.4.1974, BLHA Rep. 730, Nr. 4774, unpag.; Rat der Stadt Frankfurt/Oder an die SED-BL über die Umgestaltung der Gaststätte Grüner Hof in ein deutsch-sowjetisches (sic!) Nationalitätenrestaurant Vitebsk, 15.9.1969, BLHA Rep. 730, Nr. 3598, unpag.; Schreiben des ersten Sekr. Wittig der SED-BL Potsdam an Poljakov, erster Sekr. des Minsker Obkom der KPB: Vorschläge für die Realisierung der Restaurants Potsdam in Minsk bzw. Minsk in Potsdam, 14.12.1970, BLHA Rep. 530, Nr. 4373, unpag.
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Sowjetunion und der DDR und besonders zwischen beiden Partnerstädten Minsk und Potsdam.“714
Konkret bedeutete dies eine erhebliche Vergrößerung der Restaurantkapazitäten; mit den Freiluftplätzen auf der Terrasse im Sommer sollten die Räumlichkeiten 315 Personen fassen, eine „Verbesserung der Speisenqualität“ sowie eine äußerst aufwändige Innen- und Außengestaltung.715 Besonders Erstere erfolgte in enger Kooperation mit belorussischen Künstlern: Glasornamente in den Fenstern mit Minsk-Motiven, Tischleuchten, Tongefäße und gewebte Wandbespannungen und Tischläufer stammten zumeist von belorussischen Volkskünstlern. Auch die Wandvertäfelungen im Gastraum aus massiver Mooreiche waren eigens aus der BSSR angeliefert worden.716 Und auch von außen wurde das hochmoderne Gebäude des Architekten Karl-Heinz Birkholz als „belorussische FolkloreGaststätte“ gestaltet: ein rotweißes Ornamentband sowie ein „Leuchtwerbeträger mit dem Stadtwappen ‚Minsk‘ [belorussischer Schriftzug mit charakteristischen Gebäuden am Bahnhof – sog. Stadttor – von Minsk, M.K.] an der Hauptfassade“ erinnerten durch den prominenten Standort des Gebäudes gegenüber des Bahnhofs weithin an die belorussische Partnerstadt.717 Umgekehrt war auch in Minsk ein Restaurant Potsdam entstanden, wenn auch scheinbar mit wesentlich weniger Aufwand als das Gegenstück in der DDR. In der belorussischen Hauptstadt hatte man eines der zentral gelegensten und elegantesten Cafés, das frühere Zarja in ein deutsches Nationalitätenrestaurant umgewandelt, das zwar deutsche Gerichte servierte, in der Innen- und Außengestaltung jedoch kaum spezifisch ‚Deutsches‘ aufzuweisen hatte.718 714 Rat des Bezirkes Potsdam: Bestätigung der Grundsatzentscheidung für das Objekt Terrassenrestaurant Minsk am Brauhausberg, 29.12.1977, BLHA RdB Pdm-401, Nr. 30217, unpag. 715 Ebd. sowie Dokumentation zur Grundsatzentscheidung für das Objekt Terrassenrestaurant Minsk am Brauhausberg, 21.4.1977, ebd. 716 „Minsk-Architekt Karl-Heinz Birkholz im MAZ-Interview – In den Bunker gehört ein BeatSchuppen“, Märkische Allgemeine Zeitung, 23.07.2014, http://www.maz-online.de/Lokales/ Potsdam/Minsk-Architekt-Karl-Heinz-Birkholz-im-MAZ-Interview (zugegriffen am 18.5. 2017). 717 Birkholz, Karl-Heinz: „Terrassenrestaurant ‚Minsk‘ in Potsdam“, Architektur der DDR 28/10 (1979), S. 620–624. Heute steht das Gebäude des früheren Restaurants leer und seine weitere Nutzung gab wiederholt Anlass zu Diskussionen unter der Potsdamer Bevölkerung sowie Protesten gegen seinen Abriss. Das Minsk, von Anfang an als Tanzrestaurant geplant, beherbergte häufig auch Hochzeiten und andere Festlichkeiten, und sei deshalb vielen Potsdamern in guter Erinnerung geblieben, so der Architekt Karl-Heinz Birkholz in einem Interview. Vgl. dazu: „Minsk-Architekt Karl-Heinz Birkholz im MAZ-Interview – In den Bunker gehört ein Beat-Schuppen“. Zu den Protesten gegen den Abriss des Gebäudes vgl. die Homepage der Bürgerinitiative „Pro-Brauhausberg“: „Pro Brauhausberg – Bürgerinitiative zum Erhalt des Potsdamer Brauhausberges“, http://www.pro-brauhausberg.de/?cid=1&scid1=0 (zugegriffen am 18.5.2017). Vlg. dazu auch die neueste Initiative: „Potsdamer Mitte Neu Denken“, http://www.potsdamermitteneudenken.de/minsk/ (zugegriffen am 18.5.2017). 718 Das bekannteste Gericht der Speisekarte war, nach Zeitzeugenerinnerungen, offenbar ein Gericht namens Sanssouci, das damit direkten Bezug auf die Partnerstadt nahm. Auch sei das Restaurant zwar teuer, aber trotzdem sehr beliebt gewesen – Schlangen vor den Türen waren offenbar keine Seltenheit. Vgl. dazu: Romanova, Aleksandra: „Malen’kaja istorija bol’šogo
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Wirtschaftlicher Erfahrungsaustausch Neben diesen dargestellten, eher gesellschaftlichen Kontakten initiierten Gewerkschaftsfunktionäre auch Direktbeziehungen zwischen volkseigenen Industrie- und Landwirtschaftsbetrieben der Partnerbezirke. Diese hatten, im Gegensatz zu den eher willkürlich ausgewählten Partnerschaften, die durch Vermittlung der Freundschaftsgesellschaften entstanden waren, den Vorteil, auf größere institutionelle Unterstützung und Kontinuität zurückgreifen zu können und dürften daher in ihrer Wirkung auch erfolgreicher gewesen sein.719 Daneben reisten im Rahmen der Direktbeziehungen verstärkt auch so genannte Spezialtourismusgruppen – homogene Touristengruppen aus einer Wirtschaftsbranche – zum Austausch von Produktionserfahrungen in das Partnergebiet. Wie beispielsweise der Fall einer Gärtnerischen Produktionsgenossenschaft in Potsdam zeigt, konnten aus dieser Art kontinuierlicher Besuche mit entsprechenden Gegenbesuchen durchaus auch echte Betriebspartnerschaften entstehen, bei denen die Initiative eben nicht von oben ausgegangen war, sondern sich Mitarbeiter um diese Form des Austauschs bemühten.720 Während die angesprochenen Spezialistengruppen üblicherweise kaum mehr als 20 Teilnehmer umfassten, etablierte sich daneben eine ganz andere, ‚massenwirksame‘ Art des gegenseitigen Besuchs: Im Rahmen so genannter Freundschaftszüge, die nicht selten mehr als 300 Reisende beförderten, erhielten ausgewählte Werktätige die Möglichkeit, das Freundesland, oft zum ersten Mal, mit eigenen Augen zu sehen. Damit ermöglichte diese Art des Massenaustauschs, obwohl streng reglementiert und kontrolliert, eine reale Begegnung der Menschen beider Länder, wie sie häufig genug nur fiktiv und in der Propaganda erfolgte. Im Folgenden sollen einige Aspekte dieser besonderen Art der Begegnung aufgezeigt werden.
5.1.4 Die Begegnung bester Freunde? Beispiel Freundschaftszug Die Versendung so genannter Freundschaftszüge in die sozialistischen Bruderländer war kein Phänomen, das erst im Rahmen der Bezirkspartnerschaften entstand. Bereits unmittelbar nach Neugründung der belorussischen Freundschaftsgesellschaft, und damit nach dem Umbau der VOKS zur SSOD, finden sich erste Hinkafe“, Belarus’ segodnja, 31.03.2010, http://www.sb.by/obshchestvo/article/malenkaya-istori ya-bolshogo-kafe.html (zugegriffen am 18.5.2017); Inanec, Snežana: „Legendy stoličnogo obščepita. Restoran ‚Zarja‘ i ‚Potsdam‘ so sol’vami“, Nachrichtenportal TUT.BY, 30.10.2014, http://news.tut.by/society/421754.html (zugegriffen am 18.5.2017). 719 So hatten im Jahr 1979 insgesamt 13 Betriebe, Kolchosen und Einrichtungen (darunter auch zwei Krankenhäuser) des Bezirkes Potsdam und der Oblast’ Minsk Direktbeziehungen etabliert. Vgl. dazu: Minsker Gewerkschaftsrat: Liste der Betriebe, Kolchosen und Sovchosen der Oblast’ mit Direktbeziehungen in die DDR und Polen, 20.7.1979, GAMN f. 1p, op. 75, d. 88, l. 17. 720 Vgl. ausführlich zu diesem Fall Kap. 3.3.3.1 dieser Arbeit.
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weise auf die Betreuung solcher Reisegroßgruppen durch die Funktionäre der Gesellschaft in Minsk.721 Dabei stellte die belorussische Sowjetrepublik jedoch nicht das eigentliche Reiseziel der Freundschaftszüge dar; in aller Regel hielten sie nur auf der Durchreise in der belorussischen Hauptstadt. Im Rahmen der Verlosungsaktion „Mitglieder der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft erleben die Sowjetunion“ ermöglichte die deutsche Freundschaftsgesellschaft verdienten Aktivisten sowie Fahrkartengewinnern eine Reise in die wichtigsten Städte des Mutterlandes des Kommunismus.722 Minsk gehörte bis weit in die 1970er Jahre hinein jedoch eindeutig nicht in diese Kategorie: Die weitgehend gelenkten Reiseströme konzentrierten sich in erster Linie auf die drei Städte Moskau, Leningrad und Kiew.723 Minsk fungierte lediglich als Zwischenstation, in der die Züge, wenn überhaupt, einen eintägigen Aufenthalt hatten. Immerhin verzeichnete die BELOD 1959 aber bereits sechs solcher Zwischenstopps, im Sommer 1960 waren es, wie aus einer Betreuungsliste ersichtlich wird, bereits 32 Züge mit so genannten „Spezialtouristen“ aus der DDR. Dabei handelte es sich einerseits um Freundschaftszüge, andererseits auch um Sonderzüge mit Spezialisten aus Industrie und Landwirtschaft, die die Möglichkeit erhalten hatten, zum Erfahrungsaustausch in die Sowjetunion zu reisen.724 Für die Mitarbeiter der belorussischen Freundschaftsgesellschaft spielte diese Unterscheidung allerdings nur eine untergeordnete Rolle: In Zusammenarbeit mit Partei, städtischer Verwaltung und dem sowjetischen Reisebüro Inturist organisierten sie für die Teilnehmer der Züge (teils mehr als 300 Personen!) ein eintägiges Besuchs- und Besichtigungsprogramm, das sich die BELOD zuvor vom ZK der KPB, ja sogar vom ersten Sekretär persönlich hatte bestätigen lassen. Diese logistisch bewundernswerte Leistung umfasste in aller Regel Betriebsbesichtigungen – die Freundschaftszugreisenden wurden zu diesem Zweck in kleinere Gruppen von etwa 60 Personen aufgeteilt –, den Besuch eines Museums sowie ein Mittagessen, meist in einer Werkskantine.725 Umgekehrt waren seit Beginn der 1960er Jahre auch Züge aus der Sowjetunion in die DDR unterwegs, offenbar jedoch in sehr viel geringerem Umfang. Dies mag einerseits an den restriktiveren sowjetischen Reisebestimmungen gelegen haben, andererseits aber auch daran, dass es ja vor allem die sozialistischen Bru721 Die Geschichte der Freundschaftszüge ist bislang noch weitgehend unerforscht. Heike Wolter geht in ihrem umfassenden Überblickswerk zum Tourismus in der DDR nur am Rande auf Freundschaftszüge der FDJ ein, die jedoch erst ab 1967 verkehrt seien. Vgl. dazu: Wolter, Heike: „Ich harre aus im Land und geh, ihm fremd“. Die Geschichte des Tourismus in der DDR, Frankfurt am Main u.a. 2009, S. 321. 722 Vorlage der Botschaft der DDR in Moskau: „Freunde erleben die Sowjetunion“, 26.3.1959, PA AA, MFAA, A 891, pag. 138–139. 723 Wolter: Geschichte des Tourismus, S. 160. 724 Vgl. dazu Übersichtsliste der BELOD für den Sommer 1960, ohne Datum, NARB f. 914, op. 3, d. 62, l. 19–21; Schreiben der DSF an die BELOD: Übersicht über Freundschafts- und Sonderzüge für das Jahr 1961, 7.4.1961, NARB f. 914, op. 3, d. 102, l. 122–125. 725 Schreiben der BELOD an Mazurov, erster Sekr. des ZK der KPB bzgl. Betreuungsprogramm für Freundschaftszüge, 18.4.1959, NARB f. 4p, op. 47, d. 471, l. 39–43; vgl. beispielhaft für ein Programm: Plan für die Aufnahme eines Sonderzuges aus der DDR, 5.2.1960, NARB f. 914, op. 3, d. 62, l. 22.
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derländer waren, die von der Sowjetunion lernen sollten: Der größte Teil der DDR-Sonderzüge nach Moskau, die, wie die Berichte der belorussischen Freundschaftsgesellschaft zeigen, von 1959 bis etwa 1962 einen regelrechten Boom erlebten, waren nämlich zum Besuch der Ausstellung „Errungenschaften der Volkswirtschaft der UdSSR“ versendet worden.726 Dass die Menge an Freundschaftszügen aus der DDR in die Sowjetunion nach dieser Hochphase abnahm, wahrscheinlich aus logistischen und/oder finanziellen Gründen, tat der Begeisterung auf Seiten der DSF-Verantwortlichen jedoch keinen Abbruch: So wandte sich der Präsident der DSF Johannes Dieckmann 1964 mit dem Vorschlag an das Politbüro der SED, für künftige Reisen einen ständigen Freundschaftszug der DSF auszurüsten. Dieser könne dann, als eine Art fahrendes Hotel, einmal monatlich Mitglieder und Funktionäre der Gesellschaft in die Sowjetunion bringen. Das sei wesentlich billiger als das bisherige Verfahren und könne mit einem Minimum an Valuta – ein ständiges Problem im DDR Auslandsreiseverkehr – bewerkstelligt werden. Eine Antwort ist nicht überliefert, die Idee wurde aber offensichtlich nicht weiter verfolgt.727 Trotzdem behielt der Gedanke der Freundschaftszüge seine Popularität, auch und gerade in der Sowjetunion, auch und besonders in den 1960er und 1970er Jahren: Die Idee vom proletarischen bzw. sozialistischen Internationalismus, der Begegnung der Werktätigen verschiedener Nationen auf einer neuen, gleichberechtigten Ebene und der Sicherung des Friedens und der Freundschaft zu den Werktätigen aller Länder durch die Sowjetunion ließen sich kaum besser in der Praxis demonstrieren. Freundschaftszüge fuhren dementsprechend nicht nur zwischen der UdSSR und der DDR, sondern im Austausch mit allen Ostblockländern sowie einigen westlichen Staaten.728 Insbesondere die Jugendorganisationen waren auf diesem Gebiet aktiv, nicht nur was den Austausch von Zügen anbelangt, sondern bereits auch in der internationalistischen Erziehung der Jüngsten. So gab etwa die Pionierorganisation schon im Jahre 1963 die Anleitung für ein entsprechendes Spiel (Poezd družby. – Freundschaftszug) heraus, das schon jungen Sowjetbürgern helfen sollte, das richtige Verhalten bei Begrüßung
726 In einer Aufstellung der DSF wird für das Jahr 1960 der zweite Freundschaftszug aus der UdSSR, Leningrad, vermerkt, vgl. dazu: Programm für den zweiten sowjetischen Freundschaftszug aus Leningrad vom 21.–31.7.60, ohne Datum, SAPMO-BArch DY 32/10951, fol. 250–252. Zur überdurchschnittlich hohen Menge an Freundschaftszügen Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre vgl. die entsprechenden Online-Findbücher des Bundesarchivs zu den Beständen der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft: 7. Abt. Internationale Verbindungen, 7.4 Tourismus und Freundschaftszüge: http://www.argus.bstu.bundesarchiv.de /dy32/index.htm (zugegriffen am 18.5.2017). 727 Schreiben Dieckmanns an Honecker, 12.8.1964, SAPMO-BArch DY 30/IV A 2/20/153, unpag. 728 Orlov, Igor: „The Soviet Union Outgoing Tourism in 1955–1985. Volume, Geography, Organizational Forms“, SSRN Scholarly PaperRochester, NY: Social Science Research Network, 29.04.2014, S. 23–25, https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2430667 (zugegriffen am 18.5.2017).
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und Verabschiedung von Freunden aus der ganzen Welt „mit weißer, gelber und schwarzer Haut“ am „Internationalen Bahnhof“ einzuüben.729 Angesichts der „großen politischen Bedeutung“, die die DSF der Versendung von Freundschaftszügen beimaß, und des Wunsches der Parteileitungen, die Partnerschaftsbeziehungen möglichst „massenwirksam“ zu gestalten, wurde das Konzept recht schnell auch von den Gebietsparteileitungen aufgegriffen und für die Gebiets-/Bezirkspartnerschaften eingesetzt. In diesem Rahmen kam es auch zu den ersten Freundschaftszügen, deren Reiseroute sich ausschließlich auf die belorussische Sowjetrepublik beschränkte und in deren Kontext umgekehrt ausschließlich belorussische Bürger ihre Partner in der DDR besuchten. 5.1.4.1 „[D]em Vorhaben der beiden Parteien […] unterzuordnen.“730: Reisevorbereitungen Der erste Freundschaftszug zwischen Frankfurt/Oder und der ostweißrussischen Partnerstadt Vitebsk rollte im Sommer 1974 anlässlich zweier besonderer Jubiläumsdaten: Während die Stadt Vitebsk ihr 1000jähriges Stadtjubiläum feierte, bereiteten sich die Deutschen auf das 25jährige Jubiläum der Staatsgründung der DDR vor. Schon Monate im Voraus hatten die Planungen für die Versendung von Freundschaftszügen begonnen; sie umfassten gegenseitige Absprachen, minutiöse Programmplanungen, politische Vorüberlegungen sowie die Auswahl ‚geeigneter‘ Teilnehmer und bedeuteten insgesamt einen ungeheuren logistischen Aufwand. Zusätzlich galt es, die Reise auch propagandistisch gewinnbringend zu nutzen und damit selbst in Bezug auf die Daheimgebliebenen massenwirksam zu gestalten.731 Angesichts dieser gewaltigen Aufgabe fand sich unter der Leitung der SEDBezirksleitung bereits im Herbst 1973 eine Arbeitsgruppe zur „politisch-ideologischen sowie technischen Vorbereitung“ des Freundschaftszuges zusammen. Während die Hauptverantwortung zur Durchführung des Unternehmens in den Händen des FGBG-Bezirksvorstandes liegen sollte – natürlich in enger Absprache mit der Partei – gehörten der Arbeitsgruppe auch zahlreiche andere Organisationen an: Neben SED- und FDGB-Funktionären saßen auch Vertreter der DSF, der
729 Permskij dvorec pionerov i škol’nikov (Hrsg.): „Poezd družby“. Igra dlja pionerov I, I stupeni po zakony. „Pioner družit s det’mi vsech stran mira“. V pomošč’ klubam internacional’noj družby, Perm 1963. Vgl. dazu auch den Beitrag der Autorin: Klöckner, Michelle: „Kollektiv auf Reisen? Zum Austausch von Freundschaftszügen zwischen der DDR und der BSSR“, in: Bohn, Thomas M., Rayk Einax und Julian Mühlbauer (Hrsg.): Bunte Flecken in Weißrussland. Erinnerungsorte zwischen polnisch-litauischer Union und russisch-sowjetischem Imperium, Historische Belarus-Studien 1, Wiesbaden 2013, S. 119–131. 730 SED-BL Frankfurt/Oder: Grundgedanken über die Vorbereitung eines Freundschaftszuges im Jahre 1974, 11.9.1973, BLHA Rep. 730, Nr. 4777, unpag. 731 Einen Eindruck der ‚Planungsdimension‘ gibt die Menge des überlieferten Archivmaterials: Allein die SED-BL Frankfurt/Oder ‚produzierte‘ vier überlieferte Aktenbände mit jeweils über 100 Seiten zu diesem ersten Freundschaftszug. Vgl. dazu: BLHA Rep. 730, Nr. 4774– 4777.
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Redaktion der Parteibezirkszeitung Neuer Tag sowie der Bezirksstelle des Reisebüros der DDR in der Arbeitsgruppe – letztere vor allem, um die logistische Seite abzudecken: Auch Züge für Freundschaftsreisen wurden wie sonst üblich beim Reisebüro bzw. der Deutschen Reichsbahn gebucht, hier in enger Absprache mit dem sowjetischen Reisebüro Inturist. Die Kollegen vom Reisebüro wurden jedoch sofort darüber aufgeklärt, dass es sich hierbei nicht um eine Touristenreise handelte: „Das vom Reisebüro der DDR und Intorist (sic!) übliche Rahmenprogramm hat sich dem Vorhaben der beiden Parteien bzw. gewerkschaftlichen Organisationen unterzuordnen.“732
Mit anderen Worten: Um Tourismus im herkömmlichen Sinne sollte es sich gerade nicht handeln. Vielmehr sei der „Charakter des Zuges mit konkreter Zielstellung“ zu bestimmen, den Teilnehmern sollten gar „Studienschwerpunkte“ für ihre Reise aufgetragen werden.733 Ziel der Veranstalter war es, die zukünftigen Teilnehmer – als Adressaten wie Absender gleichermaßen – fest in die politische Propaganda rund um den Freundschaftszug einzubinden. Dazu gehörte auch, dass es sich bei der Freundschaftszugreise mitnichten um ein Angebot handelte, das nach Belieben gebucht werden konnte. Vielmehr war die Verteilung der Reiseplätze an einen sozialistischen Wettbewerb734 geknüpft, der schon Monate im Voraus initiiert wurde: Betriebsbelegschaften des Bezirkes wurden zum „Wetteifern“ um die Fahrkarte nach Vitebsk aufgerufen; Produktionskampagnen und Aktionen, wie etwa die Verleihung der „Stafette 25 – am Strom der Freundschaft“ an Kollektive mit außergewöhnlichen Leistungen, gehörten zur Vorbereitung des Freundschaftszuges wie der Feierlichkeiten zum 25jährigen Jubiläum der DDR. Zusammen mit den innerbetrieblichen Aktionen entfaltete die Presse eine massive Kampagne zur Bewerbung der Reise: „Der Gedanke, daß die Teilnahme am Freundschaftsbesuch in Witebsk eine hohe Anerkennung für vorbildliche Leistungen bei der allseitigen Stärkung der DDR in Vorbereitung des 25. Jahrestages ist, wird vor allem publiziert […].“735
Nicht nur berichteten der Neue Tag und nahezu alle Betriebszeitungen schon Monate vorher über die Kampagne, über die BSSR im Allgemeinen und das Partnergebiet Vitebsk im Besonderen, sondern auch Rundfunk und Fernsehen wurden propagandistisch eingesetzt, etwa bei der Verleihung von Fahrkarten nach Vitebsk an „vorbildliche Werktätige“ im Rahmen von Fernsehsendungen und anderen ähnlich „massenwirksamen“ Maßnahmen.736 Die konkrete Auswahl der einzelnen Teilnehmer, dieser ‚besonders verdienten Mitarbeiter‘, oblag dabei den Betrieben 732 SED-BL Frankfurt/Oder: Grundgedanken über die Vorbereitung eines Freundschaftszuges im Jahre 1974, 11.9.1973, BLHA Rep. 730, Nr. 4777, unpag. 733 Vgl. dazu: SED-BL Frankfurt/Oder: Grundgedanken über die Vorbereitung eines Freundschaftszuges im Jahre 1974, 11.9.1973, BLHA Rep. 730, Nr. 4777, unpag.; Konzeption zur Vorbereitung eines Freundschaftszuges, 17.10.1973, ebd. 734 Zu den so genannten sozialistischen Wettbewerben siehe auch Kap. 3.3.3.1 dieser Arbeit. 735 Konzeption zur publizistischen Vorbereitung des Freundschaftszuges „Frankfurt (Oder) – Witebsk“, 1.2.1974, BLHA Rep. 730, Nr. 4774. 736 Ebd.
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beziehungsweise den Gewerkschaftsorganisationen, die auch die Reisekosten übernahmen.737 Dass es sich beim Wettbewerb um die Fahrkarte um ein faires und gleichberechtigtes Verfahren gehandelt hätte, entsprach jedoch allenfalls in der Propaganda der Wahrheit. Tatsächlich hatte nämlich die Arbeitsgruppe im Vorfeld auch bereits bestimmte, politisch wünschenswerte, Verteilerschlüssel ausgearbeitet, die die Zusammensetzung des Freundschaftszuges festlegten. So waren etwas über ein Drittel der Plätze bereits an verschiedene Delegationen und Gruppen vergeben: Offizielle Funktionärsdelegationen der SED-Bezirksleitung, der FDJ und des FDGB, dazu kam eine Gruppe von Abgeordneten des Bezirksrates, eine Journalistengruppe und eine Gruppe von Sportlern, ein Laienkunstensemble und eine Gruppe besonders ausgezeichneter Gewinner der Aktion „Stafette 25“. Die verbliebenen 175 Plätze schließlich wurden an Arbeiter und Angestellte vergeben, allerdings nicht ausschließlich nach den Kriterien des sozialistischen Wettbewerbs, wie es Presse und Fernsehen glauben machen wollten. So sollten etwa 30% Jugendliche unter den Reisenden sein, immerhin 25% Frauen – wobei diese Frauenquote nicht unbedingt die in der Propaganda kolportierte Gleichberechtigung in der sozialistischen Gesellschaft stützte – sowie 10% Angehörige der wissenschaftlich-technischen Intelligenz. Noch wichtiger erschien die politische Verlässlichkeit: 60% der Teilnehmer sollten SED-Mitglieder, ausnahmslos alle Reisenden Mitglied der DSF sein.738 Dass diese Vorgaben in der Praxis Vorrang hatten vor besonderen Leistungen im Arbeitsleben, zeigt die Eingabe eines Dachdeckers, der aufgrund überdurchschnittlicher Leistungen durch seinen Betrieb für die Reise nominiert worden war. Der FDGB-Bezirksvorstand lehnte ihn trotzdem als Teilnehmer ab, zum besonderen Ärger des Mannes nachdem dieser zugunsten der Sowjetunionreise seinen Familienurlaub bereits abgesagt hatte. Auch der Hinweis auf den VIII. Parteitag, wo eine Verbesserung des kulturellen und materiellen Lebensniveaus propagiert worden sei sowie die Versicherung seiner Freundschaft zur Sowjetunion konnten den Bescheid nicht beeinflussen – hatten er es bislang doch versäumt, seine Freundschaft durch eine DSFMitgliedschaft unter Beweis zu stellen.739 Schnell aufgedeckt hatten die Gewerkschaftsfunktionäre diese Schwachstelle vermutlich anhand der so genannten „Kurzbiographien“ und „Kurzcharakteristi737 Beim zweiten Freundschaftszug nach Vitebsk im Jahre 1976 kostete die Reise pro Teilnehmer immerhin 800 Mark. Dies entsprach im Jahr 1974 nahezu einem monatlichen Durchschnittseinkommen. Vgl. dazu: Schreiben der FDGB-Kreisvorstände an die Betriebsleitungen, 7.7.1976, BLHA Rep. 730, Nr. 4783, unpag.; sowie: Weber, Hermann: Die DDR 1945– 1990, Oldenbourg Grundriss der Geschichte, 5. Aufl., 2012, S. 86. 738 „Konzeption der Arbeitsgruppe zur Vorbereitung des Freundschaftszuges […] im August 1974“, ohne Datum, BLHA Rep. 730, Nr. 4774, unpag.; FDGB-BV Frankfurt/Oder: „Vorschlag an die Arbeitsgruppe der Bezirksleitung der SED zur Vorbereitung des Freundschaftszuges nach Witebsk“, 18.2.1974, ebd. 739 Die Eingabe des Mannes zeigt außerdem, dass eine Reise in die Sowjetunion durchaus als seltene Gelegenheit und begehrenswerte Gratifikation angesehen wurde, zumindest soweit, dass dafür auch eine Familienreise (vermutlich innerhalb der DDR) abgesagt wurde. Vgl. dazu: Eingabe eines Dachdeckers an die SED-BL und den FDGB-KV Frankfurt/Oder, 17.7.1974, BLHA Rep. 730, Nr. 4774, unpag.
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ken“, die die Reiseteilnehmer beziehungsweise deren Betriebe auszufüllen hatten. Offiziell als Hintergrundinformationen für die Berichterstattung der Vitebsker Medien gedacht, ermöglichten diese Fragebögen eine schnelle Überprüfung politischen und gesellschaftlichen Engagements der potentiellen Reisekandidaten. Eine besonders kritische Frage betraf dabei die Vergangenheit der möglichen Teilnehmer: Hatte der Befragte in der „faschistischen Wehrmacht“ (Zeitraum, Dienstgrad, Waffengattung) gedient? Wenn ja, in welchen Ländern? Plötzlich, fast 20 Jahre nach Kriegsende, schienen sich auch die SED-Funktionäre der erfolgreich durchgeführten Entnazifizierung nicht hundertprozentig sicher zu sein; zumindest sorgten sie sich um die Frage: „Wer war zu Zeiten des Krieges in diesem Gebiet?“ – so eine handschriftliche Notiz am Rande der Teilnehmerliste. Entsprechend wurden, wie aus der Bearbeitung der Dokumente ersichtlich, ehemalige Soldaten der Ostfront besonders gründlich überprüft. Dabei konnte eine Mitgliedschaft in SED und DSF, wie das Beispiel eines Schlossers zeigt, der in Polen und in der Sowjetunion gekämpft hatte und dann in Kriegsgefangenschaft geraten war, den Makel der Kriegsteilnahme im Osten allerdings ausgleichen.740 Auch im Partnerbezirk Vitebsk dürften zur gleichen Zeit die Vorbereitungen für die Freundschaftszüge auf Hochtouren gelaufen sein. Leider ist die Quellenlage auf weißrussischer Seite weit weniger umfassend. Trotzdem lassen sich einige Parallelen festmachen, die zeigen, dass auch auf sowjetischer Seite die Entsendung des Freundschaftszuges letztlich eine politische Kampagne darstellte. So erfolgte die Auswahl der Teilnehmer ganz ähnlich wie bei den deutschen Kollegen: Der Oblast’-Gewerkschaftsrat, dem insgesamt die Verantwortung für die Durchführung des Freundschaftszuges oblag, die Stadt- und Rayonkomitees der KPB sowie die Grundorganisationen von Partei und Gewerkschaft hatten schon frühzeitig die Anweisung der Gebietsparteileitung erhalten, geeignete Kandidaten für diese Auslandsreise vorzuschlagen. Dabei sollte es sich um Sieger des sozialistischen Wettbewerbs, Spitzenarbeiter (peredoviki), Neuerer der Produktion und andere führende Arbeiter und Kolchosbauern sowie ingenieur-technische Arbeiter handeln. Anders gesagt, nur wer aktiv am Aufbau des Kommunismus mitarbeitete und politisch-gesellschaftliches Wohlverhalten an den Tag legte, konnte mit einer Gratifikation durch eine begehrte Auslandsreise rechnen – ein Prinzip, das im Übrigen auch für andere Formen des Tourismus angewandt wurde. Schließlich überprüfte eine spezielle Kommission für Auslandsreisen beim Obkom der KPB die Vorschläge der Grundorganisationen und erteilte bei positivem Ergebnis die Erlaubnis zur Ausreise.741
740 Vgl. dazu den Aktenband BLHA Rep. 730, Nr. 4776, der sämtliche Kurzbiographien und Charakteristiken der potentiellen Teilnehmer sowie Überprüfungen enthält. 741 Vgl. dazu: Sitzungsprotokoll Nr. 50 des Sekretariates des Obkom Vitebsk der KPB, 2.1.1974, GAVO f. 1p, op. 130, d. 76, l. 1–3; Sitzungsprotokoll Nr. 12 des Büros des Sekr. des Obkom, Anlage: „Denkschrift über einige Fakten der Verletzung der Prinzipien der Auswahl und Empfehlung von Bürgern des Bezirks für Auslandsreisen im Rahmen touristischer Gruppen“, 16.8.1974, ebd., op. 130, d. 36, l. 157–160; Sitzungsprotokoll Nr. 14 des Büros des Sekr. des Obkom, 11.11.1974, ebd., d. 38, l. 99–111.
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Die soziale Zusammensetzung der Reisegruppen war dabei ganz ähnlich wie auf deutscher Seite: Insgesamt bestand der Freundschaftszug aus 309 Teilnehmern, darunter 120, also etwa 39% Frauen, 55 (ca. 18%) Komsomolmitglieder sowie 197 Arbeiter und Bauern (ca. 64%). 186 (ca. 60%) der Reiseteilnehmer waren gleichzeitig Parteimitglieder, für 248 (ca. 80%) war es die erste Auslandsreise.742 Damit erfolgte die Auswahl und Beurteilung der Teilnehmer der Freundschaftszüge überwiegend nach politischen Gesichtspunkten: Einerseits galt es, eine gewisse Quote bestimmter gesellschaftlicher Gruppen (Arbeiter und Bauern, Frauen, Parteimitglieder etc.) zu erfüllen, um die politisch angestrebte, letztlich aber nicht reale, Zusammensetzung der Gesellschaft widerzuspiegeln. Andererseits verfolgte auch der Auswahlprozess selbst sowohl politische als auch ökonomische Ziele: So diente der sozialistische Wettbewerb um die Fahrkarte für den Freundschaftszug der Mobilisierung der Arbeiter und Bauern, die für politisches und gesellschaftliches Engagement belohnt und über diese Art der Gratifikation an das System gebunden werden sollten. Gleichzeitig diente sie als Ansporn für eine bessere Arbeit des Einzelnen und damit, im Zusammenspiel mit dem geplanten Erfahrungsaustausch in der Produktion durch Gespräche und Treffen Werktätiger während der Reise, der angestrebten Produktionssteigerung in der Volkswirtschaft der 1970er Jahre.743 Die Propaganda in Presse und Fernsehen machte die Freundschaftsreise für alle Bevölkerungsgruppen sichtbar und warb somit für ein größeres Engagement des Einzelnen im Betrieb und in den deutsch-sowjetischen Freundschaftsbeziehungen.
5.1.4.2 Streng nach Protokoll: Unterwegs mit dem Freundschaftszug Als sich der Freundschaftszug aus Frankfurt/Oder am 27. August 1974 schließlich Richtung Osten in Bewegung setzte, glich er einem rollenden sozialistischen Werbeträger: Mit viel Aufwand hatte die Arbeitsgruppe Freundschaftszug dafür gesorgt, dass das Zuginnere und wohl auch die Fenster mit Fahnen, Wimpeln und Losungen geschmückt worden waren; zur „Sichtagitation“ vor Ort, also bei „Freundschaftsmeetings“ (so der aus dem Englischen übernommene Sprachgebrauch im Russischen) sowie zum sichtbaren Aushang in den Reisebussen in Vitebsk, hatte man Transparente und Spruchbänder auf Russisch und Weißrussisch744 anfertigen lassen, die die Sowjetunion priesen („Ruhm und Ehre der Partei und dem Lande Lenins“, „Wir grüßen die Erbauer des Kommunismus“, „Die Sowjetunion – Garant für Frieden – Sicherheit und Fortschritt“ u. a.) oder auch, in 742 Reisebericht des politischen Leiters des Freundschaftszuges Abašin, ohne Datum, GAVO f. 2800, op. 5, d. 585, l. 154–158. 743 Zu diesem Gedanken vgl. auch die Erwähnung der Freundschaftszüge bei Schütze, die diese ebenfalls als Mittel der ‚materiellen Interessierung‘ der Arbeiter einschätzt: Schütze: Die internationalen Beziehungen des Magistrats von Berlin, S. 125. 744 Besonders letzteres, nämlich die Begrüßungstransparente in weißrussischer Sprache, wurden durch die Vitebsker Presse besonders hervorgehoben, vgl. dazu: „Mityng družby“, Vicebski Rabočy, 29.8.1974, S. 1.
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Bezug auf den Zweiten Weltkrieg, den Helden von Vitebsk huldigten („Ruhm und Ehre den heldenhaften Partisanen des Witebsker Gebietes“). Mit deutscher Gründlichkeit hatten die Organisatoren sogar „200 farbige Winktücher“ anfertigen lassen, um am Ende der Reise einen stilvollen Abschied zu gewährleisten.745 So übertrieben, ja sogar komisch diese Art der Vorbereitung auch anmuten mag: Sie gehörte zum Protokoll der ritualisierten Freundschaftsbegegnungen, das die Freundschaftszugteilnehmer auf der gesamten Reise begleiten sollte.746 Dazu zählte insbesondere das Begrüßungsritual am Bahnhof, das, nahezu standardisiert, bereits durch junge Lenin-Pioniere im eingangs erwähnten Spiel eingeübt wurde.747 Als der Frankfurter Freundschaftszug um 15 Uhr nachmittags des 28. August 1974 im Vitebsker Bahnhof eintraf, wartete dementsprechend eine riesige Menschenmenge: Tausende Vitebsker Bürger waren gekommen, um die Freunde aus Deutschland willkommen zu heißen: mit Blumen, spontan angestimmten Liedern des gemeinsamen sozialistischen Kanons sowie „Drushba“-Rufen auf dem „festlich geschmückten Bahnhofsvorplatz“, wie der Neue Tag, das SED-Bezirksorgan Frankfurt/Oder, für die Daheimgebliebenen berichtete.748 Tatsächlich war das, was da als spontane Begeisterungsstürme dargestellt wurde, Teil des Rituals, für das die Gebietsparteileitung Vitebsk im Vorfeld gesorgt hatte: Zum „Miting“ hatten die Verantwortlichen zahlreiche Funktionäre aus Partei und gesellschaftlichen Organisationen bestellt, darunter auch der erste Sekretär der Gebietsparteileitung Vitebsk, der die Gäste mit einer Ansprache offiziell begrüßte. Der erste Sekretär der SED-Bezirksleitung Frankfurt/Oder erwiderte die Begrüßung mit einer Gegenrede. Dazu spielte ein Orchester die Hymnen der DDR, der UdSSR und der BSSR und begleitete die „spontanen“ Liedbeiträge der ebenfalls delegierten „400500“ Werktätigen der Stadt Vitebsk. Ganz so spontan dürfte jedoch auch letzteres nicht gewesen sein: Nicht näher bezeichnete „Beiträge“ von Arbeitern und Vertretern der Gäste waren bereits fest im Programm vorgesehen, ebenso die Übergabe von Blumen und dem traditionellen Brot und Salz zur Ankunft der Gäste. Ebenfalls geladene Vertreter von Presse, Radio und Fernsehen dokumentierten das Begrüßungsritual für die sowjetische Öffentlichkeit.749 Dabei stellt sich, angesichts der rigorosen Planung und Ritualhaftigkeit, die Frage nach Authentizität und Wirkung dieses Begrüßungsprozederes auf die Teil745 „Konzeption der Arbeitsgruppe zur Vorbereitung des Freundschaftszuges nach Witebsk im August 1974“, ohne Datum, BLHA Rep. 730, Nr. 4774, unpag.; Sektor Internat. Verbindungen der SED-BL „Über die Beratung der Arbeitsgruppe Freundschaftszug am 29.5.1974“, 30.5.1974, ebd. 746 Allerdings wurde die besondere „Ausgestaltung“ des Zuges schon mit der zweiten Organisation eines Freundschaftszugs 1976 verworfen, unter anderem wohl aus finanziellen Gründen. Vgl. SED-BL Frankfurt/Oder, Abt. AgitProp: „Konzeptionelle Gedanken […] zur Vorbereitung des Freundschaftszuges…“, 16.2.1976, BLHA Rep. 730, Nr. 4780, unpag. 747 Siehe Anmerkung 730. 748 „Gäste von der Oder begeistert empfangen“, Neuer Tag, 29.8.1974, S. 1. 749 Sitzungsprotokoll Nr. 11 des Büros des Sekr. des Obkom Vitebsk der KPB, Punkt 11: „Aufenthaltsplan des Freundschaftszuges aus dem Bezirk Frankfurt/Oder DDR in die Vitebsker Oblast’ vom 28. August bis 1. September 1974“, 5.8.1974, GAVO f. 1p, op. 130, d. 36, l. 111–121.
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nehmer: Trotz, oder vielleicht gerade wegen seiner Vorhersehbarkeit, erfüllte das Begrüßungsritual allerdings wichtige Funktionen in einer arrangierten Beziehung, deren Protagonisten sich zuvor meist nur über die allgegenwärtige Freundschaftsrhetorik (oder gar durch die Erfahrungen während der deutschen Besatzung!) kennengelernt hatten. Zwar beschränkte die Starre des Rituals die Handlungsfreiheit des Einzelnen; die individuelle erste Begegnung mit dem und den Fremden hatte sich den vorgegebenen Handlungszwängen zu unterwerfen. Gleichzeitig verringerte das Begrüßungsritual die Komplexität des ersten Aufeinandertreffens und erleichterte es damit auch.750 Insbesondere im Kontext der gemeinsamen deutschbelorussischen Vergangenheit ist dieser Aspekt nicht zu unterschätzen: Letztlich ersetzten hier wie dort (schon von Kindesbeinen an) eingeübte sozialistische Rituale – das Massenmeeting, Freundschaftsbekundungen durch Transparente, Banner und Sprechchöre, Einschwören auf Erfolge des Sozialismus und der Partei – die Auseinandersetzung mit der anderen Kultur beziehungsweise der Vergangenheit. Im Rahmen des Begrüßungsrituals war ein bestimmtes Verhalten vorgegeben, die Reaktion des Gegenübers damit berechenbar. Auf der anderen Seite hatte das Ritual aber durchaus auch emotional-affirmativen Charakter und schuf ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl: Wurde die Freundschaft nicht gerade dadurch bestätigt, dass Gastgeber und Besucher genau jene Erwartungen erfüllten, die ihnen im Rahmen der Freundschaftsrhetorik vermittelt worden waren? 751 Auch der nächste Programmpunkt trug zweifelsfrei symbolischen Charakter. Unmittelbar nach Unterbringung im Hotel führte der nächste Weg die deutschen Gäste zum zentralen Lenin-Denkmal sowie zum Ehrenmal am Platz des Sieges, wo in einer feierlichen Zeremonie Kränze niedergelegt wurden. Damit berief man sich einerseits auf das gemeinsame Erbe Lenins, andererseits auf die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg. „Wir betreten voller Ehrfurcht die mit dem Blute ungezählter Helden der Sowjetarmee und legendärer Partisanenverbände Witebsker Erde“, hatte der Erste Sekretär der SED-Bezirksleitung Frankfurt/Oder in seiner Begrüßungsrede erklärt. Mit der Zeremonie am Ehrenmal der Stadt wurde diesen Worten in einer konkreten Handlung Ausdruck verliehen und die Dankbarkeit der Befreiten gegenüber jenen Befreiern verdeutlicht, mit denen man fortan Seite an Seite um den Aufbau des Sozialismus kämpfte. Damit war die Problematik des 750 Bezeichnenderweise beschränkte sich die Ritualhaftigkeit der gemeinsamen Begegnungen im Rahmen von Bezirkspartnerschaften nicht nur auf diese östlichen Partnerschaften. Auch im Rahmen westlicher Städtepartnerschaften, insbesondere im deutsch-französischen Kontext einer Völkerverständigung nach dem Zweiten Weltkrieg, spielten ästhetische Erfahrungen, Rituale und rhetorische Festlegungen eine große Rolle. Nicht zuletzt dienten diese Rituale der Sichtbarmachung einer „invented tradition“ (Eric Hobsbawm), die sich auf eine (nicht unbedingt vorhandene) gemeinsame Vergangenheit beziehen und damit Anknüpfungspunkte für die Gegenwart und Zukunft liefern sollte. Vgl. dazu Vion, Antoine: „The Institutionalization of International Friendship“, in: King, Preston und Graham M. Smith (Hrsg.): Friendship in politics, London 2007, S. 168–173. 751 Zu (sozialistischen) Ritualen allgemein und der Angleichung ihrer symbolischen Handlungen insbesondere in der europäischen Sozialdemokratie/Arbeiterbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts vgl. Polexe, Laura: Netzwerke und Freundschaft. Sozialdemokraten in Rumänien, Russland und der Schweiz, Freunde – Gönner – Getreue 3, Göttingen 2011, S. 145–152.
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Zweiten Weltkriegs bereits in den ersten Stunden nach Ankunft der deutschen Gäste in einer eindeutigen Perspektive aufgegriffen und musste demnach in den weiteren Begegnungen nicht mehr offen thematisiert werden.752 Der darauffolgende Tag war für die Gäste aus Frankfurt größtenteils durch den „Austausch von Erfahrungen im sozialistischen Aufbau“ geprägt. Die einzelnen Gruppen, aufgeteilt nach Berufssparten und in Reisebusgrößen von je etwa 30 Personen, besuchten verschiedene Betriebe, Kolchosen und Einrichtungen im Vitebsker Gebiet. Dabei bestand der ‚Erfahrungsaustausch‘ konkret aus einem Treffen mit dem Betriebsdirektor, dem Leiter des Betriebsparteikomitees und einer anschließenden Besichtigung. Bei manchen Gruppen schloss sich in den Abendstunden der Besuch eines Freundschaftsabends im betriebseigenen Kulturpalast an. Für die mitgereiste Sportgruppe und das Laienkunstensemble hatte man ein eigenes Programm zusammengestellt: Während erstere vornehmlich Sportstätten besichtigte sowie ein Freundschaftsspiel bestritt, absolvierte das Ensemble mehrere Auftritte im gesamten Bezirk. Auch die Programmabläufe der folgenden Tage waren ähnlich straff gegliedert, widmeten sich jedoch mehr klassisch touristischen Aktivitäten: dem Besuch von Museen, einer (organisierten) Einkaufstour sowie der Teilnahme an den Feierlichkeiten zum 1000jährigen Stadtjubiläum. Insbesondere die Teilnahme der Deutschen am städtischen Jubiläumsumzug, aber auch an Freundschaftsabenden und Kulturveranstaltungen, machte den Besuch der ‚Freunde‘, zusätzlich zur Berichterstattung in den Massenmedien, für die Vitebsker Bevölkerung präsent.753 Am Morgen des Abreisetages wurden die deutschen Gäste abschließend mit Fakten versorgt, die sie zu Hause in Vorträgen würden nutzen können: Im „Haus der politischen Bildung“ informierten Vertreter der Gebietsverwaltung über ihre Arbeit; Parteifunktionäre, darunter der erste Sekretär des Obkom Vitebsk, priesen die „Arbeit der Werktätigen der Oblast’ in der Erfüllung der Beschlüsse des XXIV. Parteitages der KPdSU“. Wer unter den Teilnehmern nach den Anstrengungen der vorangegangenen Tage für die sich anschließenden Dokumentarfilme über die BSSR noch besonders aufnahmefähig war, muss dahingestellt bleiben: Nicht nur waren die Teilnehmer von morgens früh bis abends spät auf den Beinen gewesen, um das umfangreiche Programm zu ‚bewältigen‘, vielmehr hatte es auch 752 Vgl. dazu und zum Folgenden: Sitzungsprotokoll Nr. 11 des Büros des Sekr. des Obkom Vitebsk der KPB, Punkt 11: „Aufenthaltsplan des Freundschaftszuges aus dem Bezirk Frankfurt/Oder DDR in die Vitebsker Oblast’ vom 28. August bis 1. September 1974“, 5.8.1974, GAVO f. 1p, op. 130, d. 36, l. 111–121; sowie Aufstellung vermutl. Reisebüro der DDR: „Programm Freundschaftszug 10-64-062 Witebsk“, ohne Datum, BLHA, Rep. 730, Nr. 4774, unpag. 753 So hatten sich die Gäste aus Frankfurt/Oder besonders während des Festumzuges zum 1000jährigen Stadtjubiläum ins Augenmerk der Vitebsker Bürger gerückt: „Die Frankfurter grüßten die Witebkser Werktätigen mit einem mächtigen Transparent, auf dem in Russisch ‚Frankfurt grüßt das 1000jährige Witebsk‘ stand. Große Embleme des 25. Jahrestages der DDR, Riesensträuße künstlicher Rosen, Tausende Fähnchen und großer Luftballontrauben hatten sie mitgebracht und boten ein farbenprächtiges Bild. Immer wieder riefen sie in Sprechchören ihr ‚Freundschaft‘ und ‚Frankfurt grüßt Witebsk‘…“, aus: „Historischer Festumzug im 1000jährigen Witebsk“, Neuer Tag, 2.9.1974, S. 1.
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kaum Rückzugsmöglichkeiten für den Einzelnen gegeben: Stets waren alle Aktivitäten in der Gruppe erfolgt; Freizeit wurde selten mehr als zwei Stunden am Tag eingeplant. Dies bot zwar einerseits lückenlose Betreuung und Unterhaltung für die Reisenden, bedeutete aber gleichzeitig auch nahezu lückenlose Kontrolle, und sei es nur durch die Anwesenheit der übrigen Gruppenmitglieder. Neben dem besonderen sowjetischen Tourismusverständnis, das größeren Wert auf (Weiter-) Bildung als Erholung der Reisenden legte754, erscheint es naheliegend, dass auch darin ein Grund für die straffe Organisation lag: Individuelle und damit unkontrollierte Kontakte und Freundschaften waren in den Augen der Funktionäre und Planer offenbar nicht das prioritäre Reiseziel. Nach der Heimkehr dieses ersten Freundschaftszuges ging man in Frankfurt/Oder sofort daran, den Gegenbesuch logistisch und insbesondere medial vorzubereiten. Immer wieder wurde das Thema in der Presse aufgegriffen und so unter der Bevölkerung bekannt gemacht. Der Aufenthalt des Freundschaftszuges sei so zu gestalten, „[…] daß die Begegnungen unserer sowjetischen Gäste mit unseren Werktätigen zu Manifestationen der weiteren Vertiefung der deutsch-sowjetischen Freundschaft mit großer Massenbeteiligung werden.“755
Dazu wurden auch die Vitebsk-Fahrer in die Pflicht genommen: Bei Betriebsbesichtigungen und Freundschaftstreffen mit den Gästen sollten sie anwesend sein und so helfen, in der Partnerstadt geknüpfte Kontakte zu festigen. Dass dies außerhalb des strengen, staatlich verordneten Rahmens möglicherweise besser funktioniert hätte, kam unter den Parteifunktionären offenbar niemandem in den Sinn. Gleichzeitig nutzte man Appelle der Vitebsk-Reisenden in der Presse zur Mobilisierung der Bevölkerung: Unter der Überschrift „Ein herzliches Willkommen für unsere Gäste aus Witebsk zum 25.“ erinnerte der Neue Tag auf einer kompletten Seite mit Fotos und Berichten noch einmal an die Gastfreundschaft der sowjetischen Gastgeber. Auch die Vitebsk-Fahrer meldeten sich zu Wort: „Alles bereit für besten Empfang“, „Vorfreude auf liebe Bekannte“, „Den Freunden das Beste“ oder „Die Strausberger – gute Gastgeber“ sollte die Bevölkerung an ihre eigenen Gastgeberpflichten erinnern und zur Begrüßung zahlreich an den Bahnhof bringen.756 Insbesondere in dieser Hinsicht hatte die Bezirksleitung Frankfurt/Oder nämlich ein unangenehmes Problem zu lösen: Die Ankunftszeit des Zuges aus Vitebsk lag mitten in der Nacht und damit denkbar ungünstig, um eine Begrü-
754 Vgl. dazu die Unterscheidung der beiden Begriffe Turizm – meist eine Reise (im Kollektiv), die der (Selbst)Bildung und ‚Verbesserung‘ der sozialistischen Persönlichkeit diente – und Otdych als reine Erholungsreisen in Kurorte oder Sanatorien, die jedoch ebenfalls auch Ausflüge und Exkursionen beinhalten konnten. Siehe dazu: Koenker, Diane P.: „Travel to Work, Travel to Play. On Russian Tourism, Travel, and Leisure“, Slavic Review 62/4 (2003), S. 657–665, hier S. 658–660. 755 SED-Kreisleitung Frankfurt/Oder, Abt. Agit/Prop: „Ablauf des Empfanges des Freundschaftszuges am 4.10.1974, 3.15 Uhr“, 1.10.1974, BLHA Rep. 730, Nr. 4778, unpag. 756 Vgl. dazu die entsprechend gestaltete Seite: „Ein herzliches Willkommen für unsere Gäste aus Witebsk zum 25.“, Neuer Tag, 24.9.1974, S. 3.
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ßungszeremonie zu Stande zu bringen, die die Veranstaltungen in Vitebsk nach Möglichkeit noch übertraf. In der Presse versuchte man es mit mehr oder weniger moralischen Appellen: „Auch wir sollten allerbestens vorbereitet sein – in Frankfurt (Oder) für den Empfang des Zuges in den allerfrühesten Morgenstunden […]. Um 3.15 Uhr am 4. Oktober kommt der Zug in Frankfurt (Oder) an. Die Frankfurter sollten es sich nicht nehmen lassen, zu den ersten zu gehören, die unsere besten Freunde in die Arme schließen.“757
Damit waren die Bewohner der Partnerstadt rein rhetorisch von den guten sowjetischen Freunden schon zu den besten überhaupt geworden – ein beredtes Beispiel für die Superlative der Freundschaftsbekundungen, die die Presse im Vorfeld des Besuches lancierte. Trotz der oben dargestellten Appelle gingen die Planer dann doch lieber kein Risiko ein: Zur Ankunft des Freundschaftszuges organisierten sie ca. 1000 ‚Begrüßungsbürger‘. Ein Orchester sowie ein FDJ-Singeklub sorgten für die musikalische Begleitung, ein Genosse vom Kreislichtspielbetrieb „[f]ür Stimmung auf dem Bahnhof“. Blumen für die Gäste, die Ausschmückung des Bahnhofs mit Fahnen und Transparenten sowie ein Podest mit Mikrofonanlage zur Übertragung der Begrüßungsreden gehörten ebenfalls zur Vorbereitung. Alles in allem hielt man sich an das bekannte Begrüßungsritual, versuchte die Ehrenbezeugungen für die „besten Freunde“ aus Vitebsk aber noch um ein Mehrfaches zu steigern: Mehr Menschen zur Begrüßung als in der Partnerstadt, herzlichere Freundschaftsbekundungen, Ausschmückung der gesamten Stadt etc.758 Auch die Gestaltung und der Ablauf des Aufenthaltsprogramms ähnelten dem Vitebsker Vorbild. So standen am ersten Tag ebenfalls Betriebsbesichtigungen auf dem Programm, während die übrigen Tage Sehenswürdigkeiten kultureller Art oder diversen Veranstaltungen gewidmet waren: Stadtrundfahrten, Besichtigung von Konzerthalle und Galerien, Besuch der Messe der Meister von Morgen759, Filmabende und Freundschaftsmeetings wechselten sich ab. Ein besonderer ‚politischer‘ Höhepunkt, den die SED-Bezirksleitung entsprechend vorbereitet hatte, war zum einen ein Freundschaftstreffen in Eisenhüttenstadt, bei dem das mitgereiste Volkskunstensemble aus Novopolock auftreten sollte. Auch in der Anfang der 1950er Jahre entstandenen sozialistischen Musterstadt hatte die SED eine gigantische Begrüßungszeremonie organisiert und zur „Sicherung der Kundgebung“ 757 Ebd. 758 SED-Kreisleitung Frankfurt/Oder, Abt. Agit/Prop: „Ablauf des Empfanges des Freundschaftszuges am 4.10.1974, 3.15 Uhr“, 1.10.1974, BLHA Rep. 730, Nr. 4778, unpag. 759 Die seit 1958 stattfindende Messe der Meister von Morgen war ein durch die FDJ, den FDGB und das Ministerium für Volksbildung ausgerichteter Jugendwettbewerb, in dem es vor allem darum ging, das technische Können der Schüler und Jugendlichen zu fördern. Die Exponate der kreis-, bezirks- und schließlich republikweit ausgetragenen Messen sollten in Zusammenarbeit mit Betrieben entwickelt werden und so schon frühzeitig den Bezug zur Praxis sowie den gesellschaftlichen Nutzen stärken. Vgl. dazu: Droit, Emmanuel: „Die ‚Arbeiterklasse‘ als Erzieher? Die Beziehungen zwischen Schulen und Betrieben in der DDR (1949–1989)“, in: Droit, Emmanuel und Sandrine Kott (Hrsg.): Die ostdeutsche Gesellschaft: Eine transnationale Perspektive, Forschungen zur DDR-Gesellschaft, Berlin 2006, S. 35–52, hier S. 46.
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einen „Mobilisierungsplan“ erstellt: 1000 Teilnehmer wurden aus dem Kreis der SED-Mitglieder, dem Rat der Stadt und des Kreises, den Massenorganisationen und sozialen Einrichtungen wie Krankenhäusern und Kinderkrippen zur Begrüßung delegiert, 250 Pioniere überreichten den Gästen aus der BSSR Blumen. Sogar den entsprechenden Jubel hatte man bestellt: „Es ist zu sichern, daß ausgehend von den Werktätigen des EKO [Eisenhüttenkombinats Ost, M.K.] und den Mitarbeitern des Rates der Stadt Hochrufe auf die deutsch-sowjetische Freundschaft und die Parteiführung der KPdSU sowie der SED ausgebracht werden.“
Auch der anschließende Auftritt des Vitebsker Ensembles vor ausverkauftem Haus wurde selbstverständlich nicht dem Zufall überlassen.760 Mindestens genauso wichtig wie die Freundschaftsbekundungen gegenüber den sowjetischen Gästen war für die Reputation des antifaschistischen deutschen Staates das ‚richtige‘ Gedenken an den Zweiten Weltkrieg. Es nahm daher ebenfalls einen zentralen Raum im Besuchsprogramm ein. Frankfurt/Oder besaß mit der Gedenkstätte Seelower Höhen und dem sowjetischen Ehrenmal einen bereits 1945 durch die Sowjetische Militäradministration geschaffenen Ort, an dem feierliche (politische) Rituale anlässlich von Gedenktagen oder besonderen Veranstaltungen von Partei und Massenorganisationen stattfanden. Gleichzeitig war die Stätte auch für sowjetische Gäste und Veteranen ein wichtiger Erinnerungsort, befanden sich neben dem sowjetischen Ehrenmal doch auch Kriegsgräber gefallener Rotarmisten.761 Die Besucher aus Vitebsk konnten dabei an einer besonderen Zeremonie teilhaben: Anlässlich des Jubiläums zum 25. Jahrestag der DDR fand auch an der Seelower Gedenkstätte eine feierliche Kundgebung mit Kranzniederlegung statt: „Ehrenzüge“ der NVA und der sowjetischen Streitkräfte begleiteten zusammen mit einem Orchester die „Kranzdelegationen“ auf ihrem Weg zum Ehrenmal. Um eine ausreichende Anzahl von Teilnehmern und Zuschauern auf die Beine zu stellen, griff man zu bewährten Praktiken: „[S]tarke Betriebsdelega-
760 SED-KL Eisenhüttenstadt, Abt. Agit-Prop-Kultur: „Detailplan zur Sicherung der Kundgebung mit den Teilnehmern des Freundschaftszuges Witebsk und des Auftritts des Volkskunstensembles aus Nowopolozk im Friedrich-Wolf-Theater am 5. Oktober 1974“, 24.9.1974, BLHA Rep. 730, Nr. 4778, unpag. 761 Auf den Schlachtfeldern der Seelower Höhen fand im April 1945 die größte Schlacht des Zweiten Weltkriegs auf deutschem Boden statt. Sie war gleichzeitig Teil der letzten sowjetischen Großoffensive Richtung Berlin. Die Konzeption für die im November 1945 eröffnete Gedenkstätte Seelower Höhen mit dem sowjetischen Ehrenmal stammt von L. E. Kerbel’ und V. E. Cigal’, die auch das Sowjetische Ehrenmal im Berliner Tiergarten entworfen hatten. Zu Beginn der 1970er Jahre begann man von deutscher Seite mit einer Erweiterung zur Gedenkstätte der Befreiung auf den Seelower Höhen; eingeweiht wurde die neue Stätte anlässlich des 50. Jahrestages der Gründung der Sowjetunion am 27.12.1972. Vgl. zur Gedenkstätte Seelower Höhen die Webseite „Die Schlacht um die Seelower Höhen – Willkommen in der Gedenkstätte Seelower Höhen“, http://www.gedenkstaette-seelower-hoehen.de/cms/?path= ged-start.htm (zugegriffen am 18.5.2017); Herrmann, Gerd-Ulrich: „Die Gedenkstätte Seelower Höhen – ein internationaler Erinnerungsort“, in: Kurilo, Olga und Gerd-Ulrich Herrmann (Hrsg.): Täter, Opfer, Helden. Der Zweite Weltkrieg in der weißrussischen und deutschen Erinnerung, Berlin 2008, S. 91–96.
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tionen“ sicherten die erwünschte Massenbeteiligung.762 In den Tagen zuvor hatten die belorussischen Gäste schon mehrfach auch andere Denkmäler und Erinnerungsorte des Zweiten Weltkriegs besucht, darunter das „OdF-Mahnmal“ (Opfer des Faschismus) in Frankfurt/Oder. Hier hatten sie Kränze niedergelegt und „ihre hohe Wertschätzung für den opferreichen Kampf der deutschen Arbeiterklasse gegen Faschismus und Krieg“ bekundet.763 Damit spielten auch die sowjetischen Besucher die von ihnen erwartete Rolle im deutsch-sowjetischen Nachkriegsnarrativ.764 Neben den zahlreichen offiziellen Terminen und Besuchen sah auch das Programm der deutschen Seite kaum Freizeit und individuelle Erkundungen für die Besucher vor. Im Gegenteil: Sogar das scheinbar Private und Unpolitische wurde bis ins kleinste Detail geplant und mit politischer Bedeutung versehen, so auch der ‚Einkaufsbummel‘ der Gäste. Dazu galt es für die Arbeitsgruppe „Versorgung“ einige Probleme zu meistern. Einerseits musste sie, unter den Bedingungen der sozialistischen Planwirtschaft, dafür Sorge tragen, dass tatsächlich auch ausreichend Waren zum Verkauf zur Verfügung standen. („Die Bereitstellung des Warenfonds wird voll abgesichert.“) Es ist zu vermuten, dass dabei aus Prestigegründen durchaus Dinge über den Ladentisch gingen, die in der DDR eigentlich als Mangelware galten.765 Zumindest hatte man für das zuständige Kaufhaus konsument zusätzliche Artikel aus anderen Verkaufsstellen abgezogen, genau wie für den Geschenkartikelstand im Hotel Stadt Frankfurt. Vorgesehen war sogar, auf individuelle Kaufwünsche der Gäste einzugehen und bestimmte Artikel im Bedarfsfall zu besorgen. Dies war eine Behandlung, von der DDR-Kunden nur träumen konnten – und die daher für sie wohl auch nicht allzu offensichtlich werden sollte.766 Neben der Größe der Reisegruppe – alle rund 300 Teilnehmer des Freundschaftszuges wurden nach einem eigens erarbeiten Plan für den reibungslosen Einkauf durch die verschiedenen Etagen des Kaufhauses geschleust – lag 762 „Ablaufplan für die Kundgebung der Seelower Einwohner und Kranzniederlegung mit bezirklichen Delegationen am Seelower Ehrenmal am 7.10.1974 zum 25. Jahrestag der DDR“, ohne Datum, BLHA Rep. 730, Nr. 4778, unpag. 763 „Witebsker gedachten der Helden“, Neuer Tag, 7.10.1974, S. 12. 764 Zum gemeinsamen Gedenken an den Zweiten Weltkrieg als ostdeutsch-belorussischer Erinnerungsort vgl. Kap. 5.3 dieser Arbeit. 765 Ein Vergleich der veränderten Verkaufsangebote während dieses ersten wie des zweiten Freundschaftszuges 1976 zeigt, dass insbesondere hochwertige Kleidung, Fotozubehör, Lederwaren, Glas- und Kristall- sowie Porzellanwaren besonders gefragt waren. Entsprechende Artikel wurden, so die Anordnung 1976, „für den Einkaufstag zum Teil zurückgehalten…“ und gelangten also gar nicht erst in den Verkauf für DDR-Bürger. Darüber hinaus wurden besonders hochwertige Waren für die offizielle Parteidelegation sowie die (politische) Zugleitung zurückgelegt. Vgl. dazu: Abt. Industrie und Handel, Sektor Versorgungswirtschaft, Überblick über Angebot des Souvenirstandes sowie des Warenhauses konsument, ohne Datum (1976), BLHA Rep. 730, Nr. 4780, unpag.; Arbeitsgruppe Versorgung Freundschaftszug, „Information über den Stand der Vorbereitung […]“, 26.9.1974, BLHA Rep. 730, Nr. 4778, unpag. 766 Vgl. zu ähnlichen „Kontroversen im Konsum“ zwischen Angehörigen der Sowjetischen Streitkräfte und der deutschen Bevölkerung Satjukow: Besatzer, S. 204–207.
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möglicherweise auch darin ein Grund, den Einkaufstag ausgerechnet auf einen Sonntag zu legen und das Warenhaus spezielle für die Gäste aus der Sowjetunion zu öffnen. Die Planung lief offenbar reibungslos, und hatte zugleich noch einen politisch-ideologischen Pluspunkt aufzuweisen: Das „Verkaufskollektiv“ des Kaufhauses hatte nicht nur Sonntagsarbeit geleistet, sondern sich, in welchem Maße freiwillig, mag dahingestellt bleiben, auch bereiterklärt, den dafür erhaltenen Lohn als Solidaritätsbeitrag für Chile767 zu spenden – ein Ausdruck des ‚proletarischen Internationalismus‘, der selbstverständlich auch gegenüber den Gästen hervorgehoben wurde.768 Einen letzten Höhepunkt bildete am 7. Oktober die Teilnahme der Vitebsker am Volksfest zum 25. Geburtstag der DDR in den Straßen der Bezirksstadt. Dort habe insbesondere der Auftritt des mitgereisten Laien(tanz)ensembles aus Novopolock für Aufsehen beim Publikum gesorgt, so ein Bericht des Neuen Tages. Obgleich auch ein polnisches und ein slowakisches Ensemble auftraten, konnten diese doch nicht an die Leistungen der „besten Freunde“ heranreichen, so der Zeitungsbericht. Damit dominierte die Sowjetunion auch in der Freundschaftshierarchie: Obwohl Frankfurt/Oder auch Partnerbeziehungen zu den übrigen sozialistischen Staaten pflegte769, spielte die Freundschaft zur Sowjetunion stets eine übergeordnete Rolle. Dies äußerte sich wie hier zum Beispiel darin, dass die Leistungen des belorussischen Ensembles als die besten hervorgehoben wurden und einen breiteren Raum in der Berichterstattung einnahmen.770 Am Mittag des folgenden Tages hieß es dann am Frankfurter Bahnhof „Do swidanija, liebe Freunde!“ – eine Veranstaltung zu der, so die Presseangaben, 6000 Menschen erschienen waren: „[S]o wurde die Verabschiedung unserer lieben Gäste zur Versicherung der Werktätigen von der Dwina und der Oder, allzeit das Beste für die Sache des Sozialismus und Kommunismus zu geben.“ 771
767 Zur Solidaritätsbewegung mit Chile nach dem Militärputsch von 1973, auch der Aufnahme zahlreicher politischer Flüchtlinge in der DDR siehe Emmerling: Die DDR und Chile (1960– 1989), insbesondere Teil III. 768 Arbeitsgruppe Versorgung Freundschaftszug, „Information über den Stand der Vorbereitung…“, 26.9.1974, BLHA Rep. 730, Nr. 4778, unpag.; Sektor Internat. Verbindungen der SED-BL Frankfurt/Oder, Gesamteinschätzung des Besuchs des Freundschaftszuges, 14.10.1974, ebd., Nr. 4779, unpag.; BV Frankfurt/Oder Gewerkschaft Handel, Nahrung, Genuss: Kurzeinschätzung Freundschaftszug, Reisegruppe 6, 10.10.1974, ebd., Nr. 4779, unpag. 769 Frankfurt/Oder verband beispielsweise eine Bezirkspartnerschaft mit dem polnischen Zielona Góra; das wiederum auch mit Vitebsk verbunden war. 770 Sekretariat der SED-BL, Programm für den Aufenthalt des Freundschaftszuges, 9.9.1974, BLHA Rep. 730, Nr. 4778, unpag.; „Frohe Feststimmung auch in Frankfurt (O.)“, Neuer Tag, 8.10.1974, S.1; „Wir haben das Beste für Euch mitgebracht“, ebd., S. 4. 771 „Do swidanija, liebe Freunde! Verabschiedung der lieben Gäste aus Vitebsk – Kundgebung der Freundschaft der Werktätigen von Dwina und Oder. Über 6000 Frankfurter: Kommt bald wieder, liebe Genossen und Freunde!“, Neuer Tag, 9.10.1974, S. 2.
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5.1.4.3 Alles nur Propaganda? Der Freundschaftszug in Berichten Ob es tatsächlich 6000 Frankfurter waren772, die zur Verabschiedung des Zuges zum Bahnhof strömten, lässt sich aus den Quellen nicht herauslesen. Immerhin zeigen die Bilder zur Berichterstattung des Neuen Tages eine stattliche Menschenmenge, die aber, wie bereits zu anderen Gelegenheiten, zumindest zum Teil zum Bahnhof delegiert worden sein dürfte.773 Die gleiche Skepsis ist auch für die zahlreich erbrachten Freundschaftsbekundungen angebracht. Sie entsprachen in dieser Form wohl eher dem Wunsch- und Planungsdenken der SED- bzw. KPBFunktionäre, als dem tatsächlichen Willen der Bevölkerung, die vielfach zwangsverpflichtet worden war. Dennoch ist die Wirkung der Freundschaftsbekundungen und organisierten Begrüßungsrituale auf die Reisenden nicht zu unterschätzen und darf auch nicht vorschnell als ausschließlich negativ abgetan werden. Ein mindestens ausschnittartiges Bild über die gegenseitigen Reiseeindrücke zeigen Reiseberichte der einzelnen Gruppen bzw. Gruppenleiter sowie, leider nur auf deutscher Seite verfügbar, die Berichte der Gruppenbetreuer auf Seiten der Gastgeber. Allerdings, so muss betont werden, bieten auch diese Berichte kein völlig ungeschöntes Bild der Reiseerfahrungen einzelner Teilnehmer: Auf Anordnung der Partei- oder Gewerkschaftsleitungen entstanden, hatten diese Berichte natürlich vor allem die Aufgabe, den Erfolg des Unternehmens Freundschaftszug zu zeigen. Nach dem Motto ‚Was nicht sein kann, das nicht sein darf‘ waren Misserfolge der deutsch-sowjetischen Freundschaft im Skript nicht vorgesehen. Zudem übten die Berichte auch Kontrollfunktionen aus und sollten das politisch angemessene Verhalten aller Teilnehmer sicherstellen. Ihre Verfasser, die verantwortlichen Gruppenleiter, waren dabei meist „politische Mitarbeiter“ der Parteibezirksleitung oder des Bezirksvorstandes des FDGB,774 die die besagten Reiseberichte im politisch erwünschten Stil abfassen konnten: Deutsch-sowjetische Freundschaftsfloskeln gehörten dazu ebenso wie eine zu vermutende Selbstzensur, der sich Teilnehmer und Gruppenleiter unterwarfen. Dennoch können die Berichte, mit der nötigen quellenkritischen Vorsicht, dazu dienen, ein interessantes Licht auf Eindrücke, Erlebnisse und (Vor)Urteile der Teilnehmer zu werfen und sollen dazu näher untersucht werden.775 Auffallend einheitlich konstatieren alle Reiseberichte vor allem eine Tatsache: Die ausgesprochen herzliche und gastfreundliche Aufnahme durch die jeweiligen Gastgeber. Dabei schien ausgerechnet die Begrüßungszeremonie am Bahnhof 772 Immerhin spricht auch der Leiter des Freundschaftszuges Abašin in seinem (politischen) Bericht von mehr als 5000 Menschen, die zur Verabschiedung gekommen waren. Allerdings setzt er diese hohe Zahl auch für das Treffen bei der Ankunft an. Vgl. dazu: Reisebericht des politischen Leiters des Freundschaftszuges Abašin, ohne Datum, GAVO f. 2800, op. 5, d. 585, l. 154–158. 773 Vgl. dazu etwa die zahlreichen Fotos auf der Sonderseite des SED-Bezirksorgans: „Beste Freunde – unsere liebsten Geburtstagsgäste.“, Neuer Tag, 9.10.1974, S. 3. 774 „Konzeption der Arbeitsgruppe zur Vorbereitung des Freundschaftszuges nach Witebsk im August 1974“, ohne Datum, BLHA Rep. 730, Nr. 4774, unpag. 775 Zum Umgang mit Reiseberichten vgl. auch die quellenkritischen Bemerkungen in Kap. 5.2.3.
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einen besonderen Eindruck zu hinterlassen, umso mehr, als sie, so zwei deutsche Reiseberichte, in dieser Herzlichkeit niemand erwartet hatte.776 Dies lag, so wird ersichtlich, eben doch am belastenden Erbe des Zweiten Weltkriegs, das den Gästen aus der DDR zu schaffen machte: Besonders nach Gesprächen bzw. dem Besuch von Museen und Gedenkstätten sei deutlich geworden, welch große Opfer die Bevölkerung während des Krieges habe erleiden müssen: „Teilnehmer der Reisegruppe brachten zum Ausdruck, daß die Grausamkeiten des deutschen Faschismus in ihnen beschämende Gefühle hervorrufen und bewundern, welche große politische Aufgabe die KPdSU geleistet hat, damit die Sowjetmenschen heute solche tiefen freundschaftlichen Gefühle uns gegenüber zum Ausdruck bringen.“777
Dabei mag das besondere Lob an die Partei vor allem aus der Feder des Gruppenleiters stammen, der wusste, wie die freundschaftlichen Gefühle der Vitebsker politisch korrekt einzuordnen waren, die Betroffenheit angesichts des Ausmaßes der deutschen Verbrechen klingt jedoch echt.778 Umgekehrt saßen wohl auch auf Seiten der Vitebsker die Vorbehalte gegen die Deutschen zu Beginn der Reise noch tief – mindestens ergibt sich dieser Eindruck aus den überlieferten Bemerkungen, wie zum Beispiel eines deutschen Betreuers: „Über 90% der Teilnehmer des Freundschaftszuges aus Witebsk waren zum ersten Mal in der Deutschen Demokratischen Republik und sie erklärten am Ende ihres Aufenthaltes, daß sie jetzt persönlich erlebt haben, daß die DDR und ihre Bürger – besonders die Jugend – sich grundsätzlich vom ehemaligen Deutschland unterscheiden.“779
Ob dies tatsächlich der „gewaltige[n] ideologische[n] Arbeit der SED […] bei der Bewußtseinsentwicklung der Menschen“ zugesprochen wurde, wie ein weiterer (deutscher) Bericht vermerkt, mag dahingestellt bleiben.780 Ein weiterer Punkt, der die Vitebsker Besucher in diesem Zusammenhang offenbar sehr bewegte, war der Besuch von Gedenk- und Kriegsgräberstätten: Dabei habe sie besonders die „Achtung und Liebe“ beeindruckt, mit der auch die Deutschen diese Orte des Gedenkens pflegten – ein weiteres Beispiel für den affirmativen Charakter sozialistischer Rituale, wie es den Besuchern etwa in der Gedenkstätte Seelower Höhen dargeboten wurde.781 Die Weltkriegsthematik selbst kam in den Berichten der Vitebsker Reisegruppen zwar nicht zur Sprache, wohl aber ihre Wahrnehmung der Deutschen: So ist dort Freude, ja nahezu Erstaunen über die Freundlichkeit der 776 Nahezu alle Berichte sprechen von einer herzlichen und freundlichen Aufnahme; die Begrüßungszeremonie am Bahnhof wird besonders erwähnt im: Bericht der Reisegruppe II, 2.9.1974; Bericht der Reisegruppe IV, 3.9.1974; Bericht der Reisegruppe VII, 3.9.1974, alle BLHA Rep. 730, Nr. 4775, unpag. 777 Bericht der Reisegruppe IV, 3.9.1974, ebd. 778 Vgl. dazu insbesondere die Berichte der Gruppen IV und VI, ebd. 779 Sektor Internationale Verbindungen: Umlaufvorlage für das Sekretariat der SED-BL, Einschätzung des Besuchs des Freundschaftszuges, 14.10.1974, BLHA Rep. 730, Nr. 4779, unpag. 780 Einschätzung über die Arbeit der Reisegruppe VII, 10.10.1974, ebd. 781 Bericht über den Aufenthalt der Reisegruppe III, 9.10.1974; Aufenthaltsbericht Gruppe II, 9.10.1974; Aufenthaltsbericht Gruppe VII, 10.10.1974, alle BLHA Rep. 730, Nr. 4779, unpag.
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deutschen Bevölkerung herauszulesen. Besonders das Verhalten von Kindern und Jugendlichen wurde offenbar genau beobachtet: So zeigten sich Reiseteilnehmer begeistert über die zahlreichen Kinder, die den Gästen bei ihren Besuchen und Besichtigungen Blumen überreichten oder auch Adressen für sowjetische Kinder, um mit diesen einen Briefwechsel zu beginnen. Obwohl gut möglich ist, dass es sich auch dabei um organisierte Aktionen im Rahmen der Pionierorganisation handelte, verfehlten diese ihre Wirkung offensichtlich nicht.782 Auch allgemein machte die deutsche Jugend einen guten Eindruck, wie die SED-Bezirksleitung in ihrer Gesamteinschätzung berichtete: „Übereinstimmend wurde die politische Haltung, Begeisterung, Disziplin und Organisiertheit unserer Jugend hervorgehoben…“ Anlass für die besondere Erwähnung dieser Tugenden bot ausgerechnet ein Erlebnis, das zumindest dem deutschen Leser seltsam anmuten muss: So hatte die FDJ anlässlich des 25jährigen Bestehens der DDR einen Fackelzug durch Berlin organisiert, zu dessen Besuch die sowjetischen Gäste eigens nach Berlin gebracht worden waren. Ausgerechnet dieser Fackelzug, der an Praktiken der nationalsozialistischen Jugendorganisationen denken lässt, rief unter den Vitebsker Besucheren nicht nur Begeisterung hevor, sondern veranlasste sie zu obigem Lob der disziplinierten deutschen Jugend.783 Insgesamt, so die Vitebsker Berichte, habe ein sehr vertraulicher Umgang mit der Bevölkerung geherrscht, wodurch auf Seiten der Reisenden Sympathie und freundschaftliche Gefühle entstanden seien. Dabei liest sich diese erst „entstehende Freundschaft“ deutlich anders als die propagandistischen Freundschaftsbekundungen durch Partei- und Freundschaftsorganisationen – und darf vielleicht gerade darum als echte Sympathie gewertet werden. Dazu mag auch beigetragen haben, dass die Dankbarkeit der Deutschen gegenüber der UdSSR für die Hilfe beim Aufbau des Sozialismus spürbar gewesen sei; eine Wertschätzung, die gerade den belorussischen Besuchern viel bedeutet haben dürfte.784 Auch die Freundschaftszugreisenden aus der DDR hatten umgekehrt festgestellt, dass die Vitebsker den Kontakt mit ihnen suchten: „Dies beziehe sich auch auf Menschen, die während des faschistischen Überfalls persönliche Opfer zu beklagen gehabt hätten.“ Einem der deutschen Besucher traten Bewohner der ostweißrussischen Stadt ihren Platz in der Kaufhausschlange ab, nachdem sie gemerkt hätten, dass er aus der DDR stamme. Ein weiterer Teilnehmer des Freundschaftszuges wurde von einer ehemaligen Partisanin gar in eine Bar eingeladen, wo sie, so der Bericht, sogleich auf 782 Bericht einer Gruppe von Textil- und Leichtindustriearbeitern, ohne Datum, GAVO f. 1p, op. 137, d. 73, l. 74–79. 783 Sektor Internationale Verbindungen: Umlaufvorlage für das Sekretariat der SED-BL, Einschätzung des Besuchs des Freundschaftszuges, 14.10.1974, BLHA Rep. 730, Nr. 4779, unpag.; Bericht einer Gruppe des Werkzeug- und Maschinenbaus, 14.10.1974, GAVO f. 1p, op. 137, d. 73, l. 70–73; Bericht einer Gruppe von Textil- und Leichtindustriearbeitern, ohne Datum, ebd., l. 74–79. 784 Bericht einer Gruppe des Werkzeug- und Maschinenbaus, 14.10.1974, GAVO f. 1p, op. 137, d. 73, l. 70–73; Bericht einer Gruppe von Textil- und Leichtindustriearbeitern, ohne Datum, ebd., l. 74–79; Bericht einer Gruppe von Beschäftigen der Landwirtschaft, ohne Datum, ebd., l. 82–84.
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den Unterschied zwischen Faschisten und DDR-Bürgern zu sprechen gekommen sei.785 Während die Berichte zeigen, dass sich durch persönliche Begegnungen, die in Einzelfällen auch spontan und abweichend vom Programm ablaufen konnten, durchaus jene von gegenseitiger Sympathie getragenen Gefühle entwickelten, die die wechselseitige Propaganda bereits seit Kriegsende beworben hatte, zeigen sie allerdings auch, dass die gemeinsame, belastete Vergangenheit ein wichtiges Thema geblieben war. Hatte die Propaganda die Deutschen der DDR als Vorzeigesozialisten und Antifaschisten angepriesen, so war es für die meisten Belorussen offenbar eben doch wesentlich, sich mit eigenen Augen von dieser ‚Verwandlung‘ zu überzeugen – und gerade in diesem Zusammenhang spielten die (inszenierten) Freundschaftsrituale eine nicht zu unterschätzende, affirmative Rolle. Ähnliches dürfte für die deutschen Vitebsk-Fahrer gegolten haben: Wer mit einem mulmigen Gefühl angesichts der deutschen Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs in die BSSR gefahren war, empfand angesichts der herzlichen Aufnahme sicher nicht wenig Erleichterung, Erstaunen und Dankbarkeit. Gleichzeitig verdeutlichen die Reiseberichte aber auch eine andere, nicht explizit ausgesprochene, Tatsache, die die Beziehungen zwischen den Austauschreisenden charakterisierte: So bedeutete die vielzitierte Formel vom Lernen von der Sowjetunion („Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen!“) implizit auch, dass sich die DDR-Bürger als kleine Brüder und Schwestern in dieser Freundschaftsbeziehung zu fühlen hatten. Auffallend ist beispielsweise, dass Kritik am Besuchsprogramm, wenn überhaupt, eher von sowjetischer Seite geäußert wurde: Zwar bemerkte man hier wie dort, das Programm sei allgemein sehr straff organisiert und anstrengend gewesen, aber nur aus einer Vitebsker Gruppe gab es ernsthaftere Beschwerden: Der Warenverkauf – also gerade jener Einkaufssonntag, den man von deutscher Seite als besonders gelungen eingeschätzt hatte – sei nicht gut organisiert gewesen. Offenbar hatten die Besucher aus Vitebsk in Erwartung eines umfangreichen Einkaufs viel Geld umgetauscht und dann zu ihrem Ärger nicht alles ausgeben können.786 Auch andernorts, etwa in der unterschiedlichen Zeitungsberichterstattung zum Freundschaftszug, wird die Asymmetrie der Freundschaft greifbar. Während die DDR-Presse schon fast hysterisch die außergewöhnliche Herzlichkeit der deutsch-sowjetischen Freundschaft beschwor, fiel die Berichterstattung über den Besuch der Frankfurter in Vitebsk deutlich nüchterner aus: Die entsprechenden Artikel beschränkten sich oft auf eine sachliche Darstellung des Geschehens (Ankunft des Zuges, Betriebsbesichtigungen der einzelnen Gruppen etc.) oder gaben zum Teil wortwörtlich und in voller Länge die dort gehaltenen Reden der eigenen wie der Vertreter der Gäste wieder. ‚Einfache‘ Teilnehmer oder Bürger kamen kaum zu Wort, die Bebilderung war spärlich bis nicht vorhanden. 785 Bericht der Reisegruppe II, 2.9.1974, BLHA Rep. 730, Nr. 4775, unpag.; Bericht der Reisegruppe I, 3.9.1974, ebd. 786 Vgl. dazu: Bericht der Reisegruppe I, 3.9.1974, BLHA Rep. 730, Nr. 4775; Bericht der Gruppe von Textil- und Leichtindustriearbeitern, ohne Datum, GAVO f. 1p, op. 137, d. 73, l. 74– 79.
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Während im Oderbezirk die Rede davon war, die „liebsten Geburtstagsgäste“ und „besten Freunden in die Arme [zu] schließen“ und ihnen einen herzlichen Empfang zu bereiten, beschränkte sich der Vicebski Rabočy meist auf das förmlichere „liebe/teure Gäste“ („darahija hasci“) und verzichtete auf jegliche Aufrufe zur Teilnahme an die Bevölkerung.787 Auch die Inhalte der Artikel bzw. der abgedruckten Reden war deutlich verschieden: Ging es in der deutschen Berichterstattung insbesondere darum, die Erfolge der Sowjetunion bzw. ihren Beitrag zum deutschen Wiederaufbau zu verdeutlichen, etwa bei den Sonderseiten zur 1000Jahrfeier in Vitebsk, konzentrierte sich die sowjetisch-weißrussische Presse vor allem auf diesen letzten Aspekt und die brüderliche Hilfe, die das sowjetische Volk dem deutschen zukommen ließ. Zwar druckte auch der Vicebski Rabočy eine Sonderseite zum 25jährigen Jubiläum der DDR, jedoch dominierte auch hier sehr stark die sowjetische Perspektive.788 Wie ein Reisebericht zeigt, fügten sich offenbar nicht alle Frankfurter in diese Prämisse der sowjetischen Überlegenheit. So wünschte sich einer der Reisegruppenleiter eine bessere (politische) Vorbereitung von Teilnehmern, die zum ersten Mal in die Sowjetunion reisten: Davon versprach er sich ein bescheideneres Auftreten gegenüber den Gästen und bessere Eingliederung in das Reisekollektiv.789 Gleichzeitig herrschten unter der deutschen Bevölkerung offenbar noch immer althergebrachte Vorurteile und Stereotypen über ‚die Russen‘ fort – oder zumindest erwarteten die politischen Funktionäre das von der eigenen Bevölkerung. Ein geradezu beschämendes Beispiel ereignete sich am letzten Aufenthaltstag des Freundschaftszuges aus Vitebsk: Während des Fackelzuges in Berlin erkrankte einer der belorussischen Teilnehmer, so der Bericht, infolge einer chronischen Herzerkrankung, die er sich im Zweiten Weltkrieg zugezogen habe und konnte in der Folge nicht mehr am Programm teilnehmen.790 Dies schien den betreuenden deutschen Funktionär in Schwierigkeiten zu bringen: „Auch bei der Abreise hatte ich alle Mühe, ihn ohne großes Aufsehen in sein Abteil zu bringen. Natürlich wurden wir nachdem wir ihn mit 2 Mann getragen haben, von einigen Bürgern der Stadt gesehen. Sein Zustand und seine Schwäche konnten den Eindruck erwecken, daß er betrunken sei.“ 791
787 Vgl. dazu die Berichterstattung vom 24.9.1974–14.10.1974 im Neuen Tag sowie vom 29.8.1974–3.9.1974 im Vicebski Rabočy. 788 Vgl. dazu etwa die Artikel: „Darohami herojaŭ“ (Auf den Spuren der Helden), „Pamjatnik V.I. Leninu Berline“ (Das Lenindenkmal in Berlin), Vicebski Rabočy, 5.10.1974, S. 3; sowie die ausführliche Berichterstattung zum Besuch Breschnews in Berlin anlässlich des Jubiläums, ebd., 8.10.1974, S. 1. 789 Bericht zur Reisegruppe VI, 3.9.1974, BLHA Rep. 730, Nr. 4775, unpag. 790 Tatsächlich hatte der Mann offenbar aber ein „Nervenleiden“ – was den deutschen Gastgebern bezeichnenderweise aber nicht mitgeteilt wurde. Nach seiner Rückkehr nach Vitebsk wurde er daher in eine psychiatrische Klinik gebracht. Vgl. dazu: Bericht der Gruppe V, Transport und Verkehr, ohne Datum, GAVO f 1p, op. 137, d. 73, l. 80–81. 791 Siehe dazu Bericht über den Aufenthalt der Gruppe V, 9.10.1974; sowie Bericht zur Gruppe II, ohne Datum, beide BLHA Rep. 730, Nr. 4779.
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Selbst die Gesundheit des Einzelnen hatte sich dem schönen Schein der deutschsowjetischen Freundschaft unterzuordnen. Gleichzeitig ergab sich durch die Tabuisierung des Vorfalls auch keine Möglichkeit, das (der Bevölkerung unterstellte) Vorurteil als ebensolches aufzudecken und damit zu entkräften.
5.1.5 Zusammenfassung Ende der 1950er Jahre entwickelten sich auf Parteibeschluss auch in den sozialistischen Staaten, zwischen der DDR und der Sowjetunion seit 1959/60, kommunale Beziehungen. Im Unterschied zur westlichen Städte- bzw. Gemeindepartnerschaftsbewegung handelte es sich hier aber um von oben implementierte Verbindungen, die unter steter Kontrolle der Parteiorgane standen. Im Mittelpunkt dieser Direktbeziehungen standen von Anfang an weniger völkerverbindende Interessen, als vielmehr ein Austausch von Erfahrungen im sozialistischen Aufbau und damit (auch) volkswirtschaftliche Überlegungen. Entsprechend wurden zwischen Potsdam und Minsk im Jahr 1968 sowie zwischen Frankfurt/Oder und Vitebsk im Jahr 1969 derartige Bezirkspartnerschaften eingerichtet. Dabei hatten die Bezirke/Gebiete, wie die Entstehung der Partnerschaftsbeziehungen zeigt, wenig Mitspracherecht in der Auswahl ihrer Partner, ja im Gegenteil, wurden explizite Wünsche oder bereits bestehende Kontakte zugunsten zentraler Parteientscheidungen ignoriert. Dabei konnten diese Entscheidungen sogar anderweitig bestehende Partnerschaften behindern oder sogar zum Erliegen bringen, wie das Beispiel Zittau–Gomel’ verdeutlicht hat. Eine gesellschaftliche Initiative oder ein ‚Osteuropa-von-unten‘, analog zur westlichen Bewegung, war damit ganz offensichtlich nicht erwünscht. Bei den nach Parteibeschluss angeordneten Bezirkspartnerschaften dagegen entwickelte sich die Zusammenarbeit entlang fester Pläne. Nachdem die Bezirksbzw. Oblast’-Parteileitungen festgelegt hatten, in welcher Richtung freundschaftliche Kontakte zu entwickeln waren, übten sie stete Kontrolle aus: Gesellschaftliche Organisationen wie staatliche Einrichtungen hatten mindestens jährlich über ihre internationale Tätigkeit zu berichten und Rechenschaft abzulegen. Dies galt ebenso für die Freundschaftsgesellschaften, die ihre führende Rolle in der Ausgestaltung der deutsch-sowjetischen Freundschaftsbeziehung auch in diesem Rahmen behaupten konnten. Die detaillierten Planungen der Gebietsparteileitungen sorgten dafür, dass die Beziehungen zum Partnerbezirk in verschiedensten Bereichen des täglichen Lebens präsent waren: Kultur, Jugendarbeit und Freizeitbeschäftigungen der Bürger waren dabei ebenso involviert wie der Bereich des sozialistischen Erfahrungsaustausches, der vor allem wirtschaftliche und Betriebskontakte beinhaltete. Dabei dürfte die durch die Bezirkspartnerschaften gegebene Kontinuität dazu geführt haben, dass gerade in diesen Bereichen engere Kontakte entstanden als beispielsweise bei den willkürlich durch die Freundschaftsgesellschaften initiierten Bertriebspartnerschaften. Daneben entwickelte sich im Rahmen der Bezirkszusammenarbeit mit den Freundschaftszügen eine Form der ‚Massenbegegnung‘, die die Parteileitungen
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aus dem DSF-Kontext übernommen hatten: Bereits seit den 1950er Jahren hatte die deutsche Freundschaftsgesellschaft diese besondere Form des ‚Sowjetunionstudiums‘ etabliert, beim dem rund 300 Teilnehmer mit dem Zug das Land der Sowjets bereisten. Dass dabei stärker politische als touristische Ziele im Vordergrund stehen sollten, galt genauso für die Reisen im Rahmen der Bezirkspartnerschaften: Nicht nur stand der „Kampf um die Fahrkarte“ im Zeichen einer politisch-ökonomischen Kampagne, sondern auch die allgegenwärtige Berichterstattung sollte zur Mobilisierung der Bevölkerung für die deutsch-sowjetische Freundschaft genutzt werden. Die Reisen selbst prägten ein strenges Protokoll und stark ritualisierte Begegnungen zwischen Gästen und Gastgebern. Trotzdem schienen diese arrangierten Treffen ihre Wirkung nicht zu verfehlen: Wie die im Anschluss durch Reisegruppenleiter oder Betreuer verfassten Berichte zeigen, hinterließ etwa gerade die Begrüßungszeremonie am Bahnhof einen positiven Eindruck und schien die stets wiederholten Parolen der deutsch-sowjetischen Freundschaft sicht- und fühlbar zu bestätigen. Zudem hatten die Vorhersehbarkeit der Abläufe und damit der Reaktionen der Gegenseite durchaus auch Vorteile, stellte doch die deutsch-belorussische Vergangenheit ein schwieriges Erbe dar, das, so zeigen die Berichte auch, mitnichten ‚bewältigt‘ war. Der Zweite Weltkrieg und die nationalsozialistischen Verbrechen ließen Deutsche wie Belorussen mit gemischten Gefühlen und Vorbehalten in den Partnerbezirk aufbrechen; die vorgegebenen Handlungsmuster im symbolischen Umgang mit dem ‚Erbe‘ des Krieges schienen jedoch auf beiden Seiten den Umgang miteinander zu erleichtern. Deutsche wie belorussische Reiseteilnehmer fanden sich ein in die ihnen zugedachten Rollen als Befreier und Befreite und konnten, so scheint es, jetzt tatsächlich und erst jetzt (!) Sympathie füreinander entwickeln. Dabei liegt die Kehrseite dieser durchorganisierten MassenGruppenreise auf der Hand: Persönliche Kontakte wurden und sollten kaum gefördert werden; wenn überhaupt, dann im Rahmen eines betrieblichen Erfahrungsaustausches. Der Einzelne war nicht gefragt, wenn es darum ging, sich mit dem und den Fremden auseinanderzusetzen; eingespielte Freundschaftsrituale ließen wenig Raum für abweichendes, individuelles Verhalten und die Hinterfragung der jeweils zugedachten Rollen. Auch die den Freundschaftszug begleitende emotional-geprägte Pressekampagne konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich kaum um individuelle Bekanntschaften und Freundschaftsgefühle handelte – wobei die sowjetische Berichterstattung diesen Versuch auch gar nicht erst unternahm. Der ostdeutsche Staat war hier nur einer unter vielen internationalen Freunden, während auf deutscher Seite die Freundschaft zur Sowjetunion zur wichtigsten aller Freundschaften stilisiert wurde. Diese Vorbedingungen einer ungleichen Freundschaft sorgten dafür, dass Kritik und Unzufriedenheit auf deutscher Seite selten ausgesprochen werden konnten und verhinderten damit indirekt die Auflösung von Stereotypen und Vorurteilen über „die Russen“. Trotz dieser nicht unproblematischen Vorbedingungen boten die Freundschaftszüge, in der Folge in einem zweijährigen Rhythmus etabliert792, den Bewohnern der verbun792 Dies galt auch für die Beziehungen zwischen Potsdam und Minsk.
5.2 Tourismus im Dienste der Freundschaft
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denen Bezirke und Gebiete zusammen mit den übrigen Maßnahmen im Rahmen der Gebietspartnerschaften einmalige Chancen nicht nur auf eine Auslandsreise, sondern auch auf ein besseres Kennenlernen der jeweils Anderen. Für eine gewisse erfolgreiche Kontinuität spricht möglicherweise auch die Tatsache, dass bis heute eine Städtepartnerschaft zwischen Vitebsk und Frankfurt/Oder besteht.793
5.2 TOURISMUS IM DIENSTE DER FREUNDSCHAFT Kurz vor Weihnachten 1979 kursierte im Politbüro des SED-Zentralkomitees ein Rundschreiben zur Anmeldung von Urlaubswünschen durch die Genossen für das kommende Jahr. Sowohl deutsche Ferienorte und Erholungsheime als auch entsprechende Orte und Einrichtungen im befreundeten sozialistischen Ausland umfasste der umfangreiche ‚Wunschzettel‘. Dabei sei allerdings, so der kleine Wermutstropfen, zu beachten, „daß bei Auslandsplätzen im Urlauberaustausch mit Bruderparteien nur die Ehepartner, keine Kinder, berücksichtigt werden können.“794 Von solch zuvorkommender Behandlung, wie sie der Parteispitze zugute kam, konnten ‚einfache‘ DDR-Bürger indes nur träumen. Selbst Urlaubsreisen im eigenen Land waren, trotz der steten Ausweitung der Erholungsmöglichkeiten vor allem über den Feriendienst des FDGB in den 1960er und 1970er Jahren, oft nur schwer zu bekommen und wenn, dann nicht immer unbedingt zum anvisierten Wunschreiseziel. Die angehenden Touristen aus der DDR mussten nicht selten nehmen, was gerade (noch) im Angebot war, weil beliebte Urlaubsplätze in der Regel schnell ausverkauft waren. Dies galt umso mehr für Auslandsreisen. Zwar erkannte die SED-Führung seit dem Machtwechsel zu Honecker 1971 durchaus die Freizeit- und Erholungsbedürfnisse der Bevölkerung und reagierte entsprechend: Neben einem starken Ausbau von Ferienanlagen im Inland kam es in diesem Zuge auch zu erheblichen Reiseerleichterungen ins benachbarte sozialistische Ausland.795 Dennoch erwies sich das Kontingent an verfügbaren Auslandsreisen nie als ausreichend. Dies galt umso mehr für organisierte (Gruppen-)Reisen in die Sowjetunion, die, im Gegensatz zu Reisen in die benachbarten Ostblockstaaten, nicht oder nur halb illegal als Individualreisen durchgeführt werden konnten und daher im letzteren Fall eine gewisse Abenteuerlust erforderten.796 Weniger risiko793 Vgl. dazu den Internetauftritt der Stadt Frankfurt/Oder: https://www.frankfurt-oder.de/B%C 3%BCrger/Verwaltung-Politik/Frankfurt-International/Partnerst%C3%A4dte (zugegriffen am 6.6.2017). 794 Rundschreiben, 20.12.1979, SAPMO-BArch DY 32/1076, unpag. 795 Einen kurzen Überblick über die Geschichte des Tourismus in der DDR bietet Wolter: Geschichte des Tourismus, in Kap. II.1 ihrer Arbeit. 796 Dies galt seit Ende der 1960er Jahre insbesondere für die so genannte UdF (Unbekannt durch Freundesland) Bewegung: Mit der vorübergehenden Schließung der Grenzen zur ČSSR in Folge des Prager Frühlings mussten für die DDR-Touristenströme Richtung Ungarn und Rumänien andere Wege gefunden werden, um in ihre Urlaubsorte und zurück zu gelangen. Mit der UdSSR wurde deshalb eine Transitregelung ausgehandelt, die es DDR-Bürgern erlaubte,
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bereite Sowjetunion-Touristen, und damit die überwiegende Mehrheit, reisten jedoch im Rahmen einer geführten Gruppenreise, deren Angebot tatsächlich nie der Nachfrage entsprach. Dies bemängelte auch die DSF, die für besonders verdiente Freundschafts-Aktivisten gerne mehr Reisen zur Verfügung gestellt hätte. Da aber auch sie auf die beim Reisebüro der DDR verfügbaren Kontingente angewiesen war, konnte sie engagierten Mitgliedern ausgerechnet eine Reise zum gelobten Freundesland oft nicht bieten. 797 In der Sowjetunion, und damit auch in der BSSR, sah die Situation kaum besser aus. Hier war ein Auslandsurlaub für die einfache Bevölkerung sogar noch schwerer realisierbar, ganz im Gegensatz auch hier zu Funktionären aus Partei, Staat und Massenorganisationen. Während beispielsweise der Vorsitzende des Ministerrates der BSSR, T. Ja. Kiselëv, von Mitte August bis Mitte September 1966 nebst Gattin einen eigens auf ihn zugeschnittenen Erholungsurlaub in der DDR verbrachte798, blieb normalen Bürgern, noch dazu, wenn sie keine besonderen Beziehungen hatten, oft nur die vage Hoffnung auf die Zuteilung einer Reise durch die Gewerkschaft. Andere wandten sich, in logischer Konsequenz, an die sowjetisch-deutsche Freundschaftsgesellschaft – die wiederum wenig hilfreich auf Gewerkschaft oder Komsomol verwies.799 Dabei hatte auch in der Sowjetunion der Tourismus seit Mitte/Ende der 1950er Jahre einen rasanten Aufschwung genommen, eine Tatsache übrigens, die in jüngster Zeit auch in den Blickpunkt der Forschung gerückt ist. Verstärkt sind in den letzten Jahren Untersuchungen entstanden, die sich mit diesem Aspekt einer sowjetischen Gesellschafts- und Sozialgeschichte beschäftigt.800. Obwohl auch im Fokus des sowjetischen Erholungswe-
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mit einem Transitvisum durch die UdSSR nach Ungarn und Rumänien zu reisen. Viele, vor allem junge Erwachsene, nutzten diese Möglichkeit, um dann unerkannt – und eigentlich illegal – in der Sowjetunion weiter zu reisen. Vgl. dazu: Reinhart: „DDR-Alpinismus und Transitreisen“; Klauß, Cornelia und Frank Böttcher (Hrsg.): Unerkannt durch Freundesland. Illegale Reisen durch das Sowjetreich, 3. erw. Aufl., Berlin 2012. Daneben gab es auch die Möglichkeit, die UdSSR mit dem eigenen PKW zu erkunden. Allerdings war diese Reiseform nur halb-individuell, hatte sie doch auf festgelegten Routen und in festgesetzter Zeit, mit im Voraus gebuchten Übernachtungen zu erfolgen. PKW-Reisen, deren Angebot ebenfalls nicht die Nachfrage deckte, wurden durch das Reisebüro der DDR in Zusammenarbeit mit Inturist vertrieben. Vgl. dazu: Friedreich, Sönke: Urlaub und Reisen während der DDR-Zeit. Zwischen staatlicher Begrenzung und individueller Selbstverwirklichung, Dresden 2011, S. 94–116. Vgl. z. B. BV Dresden an ZV der DSF, Zu Problemen des Tourismus, 27.2.1986, SAPMOBArch DY 32/4556, fol. 121–124, hier: 123. Offenbar bestand dieses Problem schon wesentlich früher, wie eine Auswertung von Eingaben an die DSF aus dem Jahre 1956 nahelegt: Knapp 15%, und damit die größte thematische Gruppe aller Fragen und Anregungen durch DDR-Bürger, beschäftigte sich mit touristischen Reisen. Vgl. dazu Dralle: Von der Sowjetunion lernen, S. 388–391. Vgl. mehrere Hausmitteilungen der Abt. IV des ZK der SED, u. a. an Erich Honecker über Ankunft u. Urlaubsprogramm Kiselëvs, 12.8./15.8.1966, SAPMO-BArch DY 30/ IV A 2/20/154, unpag. Anfrage einer Deutschlehrerin u. Antwortschreiben der BELOD, 28.10./14.11.1971, NARB f. 914, op. 4, d. 379, l. 122, 124. Vgl. dazu insbesondere die Arbeiten der amerikanischen Historikerinnen Diane Koenker und Anne Gorsuch: Koenker, Diane: Club Red. Vacation travel and the Soviet dream, Ithaca, NY
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sens vornehmlich Inlandsreisen standen – von der Erholung in Sanatorien bis hin zu zunehmend individuelleren Formen eines Aktivurlaubs im heutigen Sinne in den 1960er und 1970er Jahren – hatte sich die Entstalinisierung auch für den Tourismus als Wendepunkt erwiesen: Erstmals nach jahrzehntelanger Abschottung durften sowjetische Bürger ab 1955 auch ins Ausland reisen; zunächst vor allem in die sozialistischen Bruderstaaten, später lagen auch Reiseziele in kapitalistischen Staaten mindestens theoretisch im Bereich des Möglichen.801 Dies markierte auch für die Freundschaftsgesellschaften den Startschuss, sich immer mehr der Arbeit mit Touristen zuzuwenden. Bereits bei einer sondierenden Zusammenkunft zwischen Vertretern der sowjetischen Allunions-Gesellschaft für Sowjetisch-Deutsche Freundschaft (SSOD) und der Gesellschaft für DeutschSowjetische Freundschaft (DSF) im April 1958 in Berlin war mehr als deutlich geworden, welche Erwartungen die sowjetischen Genossen diesbezüglich an die deutsche Seite stellten: Dabei ging es um nichts Geringeres als eine völlige Neukonzeption eines (bürgerlichen) Tourismusverständnisses, wie es sich in den meisten europäischen Ländern bereits vor den Weltkriegen herausgebildet hatte. So bemerkte einer der sowjetischen Gäste, „[…] dass nach ihrer Erfahrung die Touristen zuviel mit Denkmälern und historischen Stätten bekannt gemacht würden, dafür aber nur völlig ungenügend Gelegenheit hätten, mit den Menschen, den Arbeitern und anderen Werktätigen des Landes in Berührung zu kommen.“802
Er sprach dabei aus eigener Erfahrung: Im Vorfeld des Treffens hatte die SDFDelegation unter Leitung ihres Vorsitzenden Konstantin Fedin die Gelegenheit bekommen, einige Tage lang die DDR zu bereisen. Mit der Betreuung waren die Besucher aus oben genannten Gründen jedoch ausgesprochen unzufrieden. Eilfertig bemühte man sich von deutscher Seite, Verständnis zu bekunden und die Wogen zu glätten:
2013; Gorsuch, Anne E. und Diane Koenker (Hrsg.): The socialist sixties. Crossing borders in the Second World, Bloomington 2013; Gorsuch, Anne E. und Diane P. Koenker (Hrsg.): Turizm. The Russian and East European Tourist under Capitalism and Socialism, Ithaca u.a. 2006; Gorsuch, Anne E.: All this is your world. Soviet tourism at home and abroad after Stalin, Oxford studies in modern European history, Oxford 2011; die Beiträge des ukrainischen Historikers Popov, Aleksej Dmitrievič: „Ėksport sovetskoj modeli vyezdnogo turizma. Slučaj razdelennoj Germanii“, Vestnik Permskogo Universiteta 23/3 (2013), S. 155–165; Popov, Aleksej Dmitrievič: „Sovetskie turisty za rubežom. Ideologija, kommunikacija, ėmocii (po otčetam rukovoditelej turistskich grupp)“, Istoričeskaja panorama 6 (2008), S. 49–56; sowie die umfassende Studie zur Geschichte des sowjetischen Reisebüros Inturist von Bagdasarjan: Sovetskoe zazerkalʹe; Vgl. dazu auch das unlängst erschienene Buch von Orlov und Popov, das sich mit sowjetischen Reisen „durch den Eisernen Vorhang“ beschäftigt. Leider konnte es für die vorliegende Studie nicht mehr berücksichtigt werden: Orlov, Igor’ Borisovič und Aleksej Dmitrievič Popov: Skvoz’ „železnyj zanaves“. Russo turisto. Sovetskij vyezdnoj turizm, 1955–1991, Moskva 2016. 801 Koenker: Club Red, S. 212–214, 240–242. 802 Aktennotiz über ein Treffen von Vertretern der SDF und DSF in Berlin, 19.4.1958, SAPMOBArch DY 32/6370, fol. 932–937.
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5 Begegnungen „Freund Beyling wies darauf hin, dass sehr oft der Sinn solcher Delegationen nicht begriffen würde und dass unsere Freunde glaubten, sie hätten Touristengruppen vor sich, die man von einer Sehenswürdigkeit zur anderen schleifen müsse, anstelle sie mit den Arbeitern, Bauern, der Intelligenz und anderen Schichten der Bevölkerung zusammenzubringen…“803
Wenn man also in der Sowjetunion der 1960er und 1970er Jahre, auch innerhalb der Freundschaftsgesellschaften, kräftig für den Auslandstourismus vor allem in den verbündeten sozialistischen Staaten warb, so passte dies einerseits zur stärkeren Konsumorientierung der ‚entwickelten sozialistischen Gesellschaft‘ der 1960er und 1970er Jahre und kam damit den Bedürfnissen der Bevölkerung entgegen. Auf der anderen Seite war der sozialistische Staat mitnichten gewillt, seine Bürger auf Reisen gänzlich ‚von der Leine‘ zu lassen: So entwickelte sich ein touristisches Konzept, das in Reiseformen und Inhalten deutlich politische Absichten verfolgte und das die sowjetische Hegemonialmacht in der Folge auch in die osteuropäischen Satellitenstaaten exportierte.804 Die Freundschaftsgesellschaften waren, obwohl nicht selbst unmittelbare Reiseorganisatoren, stets involviert: Sie sorgten für die richtige ‚Arbeit‘ mit ausländischen Touristen, stellten nicht selten Reiseführer und organisierten freundschaftliche Treffen mit einheimischen Werktätigen – ein Punkt, der, sicherlich sehr zur Freude des oben genannten Funktionärs, bald obligatorisch in alle Reiseprogramme aufgenommen werden sollte.
5.2.1 Kollektive Auslandspropaganda: Organisation und Ziele des Auslandstourismus Der Export des sowjetischen Tourismuskonzepts betraf nicht nur Vorstellungen darüber, was eine gelungene Reise ausmachte. Vielmehr übernahm die junge ostdeutsche Republik weitgehend alle Mechanismen und auch Erholungsformen, die das große Vorbild im Osten schon Jahrzehnte zuvor etabliert hatte: Dabei entsprach vor allem das gewerkschaftlich organisierte Kur- und Erholungswesen, der so genannte Sozialtourismus, den sowjetischen Vorstellungen von einem Urlaub für die Arbeiterklasse: Vornehmlich rekreativ und die Arbeitskraft erhaltend sollte er sein, gleichzeitig aber auch kulturell-erzieherische Aufgaben übernehmen und zur (Selbst-)Bildung der Arbeiterklasse beitragen. Obwohl in der DDR Anknüpfungspunkte an die nationalsozialistische gewerkschaftliche Urlaubsorganisation Kraft durch Freude kaum zu übersehen waren, wurde der Aufbau eines sozialistischen Kur- und Erholungswesens zumindest rhetorisch rein nach sowjetischem Vorbild vorgenommen und manifestierte sich schließlich im FDGB-Feriendienst. Sanatorien und Ferienheime dienten wie in der Sowjetunion der Arbeiterschaft zum Erholungsurlaub; die Gewerkschaften wurden damit zum Tourismusunternehmen für den Urlaub – vorläufig noch ausschließlich – im eigenen Land.805 Für 803 Ebd. 804 Vgl. dazu: Popov: „Ėksport sovetskoj modeli“. 805 Schaufuß, Thomas: Die politische Rolle des FDGB-Feriendienstes in der DDR. Sozialtourismus im SED-Staat, Zeitgeschichtliche Forschungen 43, Berlin 2011, S. 73–76.
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die Organisation von Auslandreisen wurde 1957 der VEB Deutsches Reisebüro, ab 1964 dann Reisebüro der DDR, gegründet. Das Reisebüro bot nicht nur selbst Reisen, überwiegend in sozialistische, aber auch in einige kapitalistische Staaten an, sondern übernahm auch die organisatorische Seite für Auslandsreisen anderer Träger, so etwa der Gewerkschaften und der DSF. Dies bedeutete auch, dass die Mitarbeiter des Reisebüros zuständig waren für die meist jährlich stattfindenden Verhandlungen mit den Reisebüros der Partnerstaaten über Reisekontingente, Routenangebote, Transport etc. So war es auch das Reisebüro der DDR, das die Reiserouten und Angebote für ausländische Touristen zusammenstellte und organisierte – von Reiseführer und Besichtigungsprogramm über Transport bis hin zur Unterbringung.806 Auf sowjetischer Seite fungierte das staatliche Reisebüro Inturist als Verhandlungspartner für die deutschen Reiseorganisatoren. Bereits in den 1920er Jahren gegründet, wurde auch das sowjetische Reisebüro ab 1955/1956 mit der Organisation von Auslandsreisen für sowjetische Touristen, der Betreuung ausländischer Touristen im Land sowie den Verhandlungen mit ausländischen Partnern betraut. Bekannt auch im Westen wurde Inturist durch seine Werbekampagnen für den Sowjetuniontourismus für Reisende aus kapitalistischen Staaten. Dass es dabei nicht nur um politische Beeinflussung der Besucher zugunsten des sowjetischen Lebensstils im Sinne der Cultural Diplomacy ging, sondern auch wirtschaftliche Überlegungen, genauer die Beschaffung ‚harter‘ Devisen eine wichtige Rolle spielten, gehört mit zu den interessantesten und widersprüchlichsten Aspekten der Geschichte des sowjetischen Reiseveranstalters. Gleichzeitig hatte diese Fokussierung auf zahlungskräftige westliche Reisende, die sich übrigens auch in den anderen Ostblockstaaten im Laufe der 1970er und 1980er Jahre immer stärker herausbildete, auch indirekte Auswirkungen auf die Besucher aus den sozialistischen Bruderstaaten: Nicht selten wurden sie als Touristen zweiter Klasse entsprechend schlechter untergebracht und betreut beziehungsweise wurden Reisekontingente gleich an Touristen aus dem Westen vergeben. Auch Inturist war, neben der Vermarktung eigener Reisen, gleichzeitig Dienstleister für die Gewerkschaften und andere Massenorganisationen, etwa auch die Freundschaftsgesellschaften, die für ihre Mitglieder über das Reisebüro Reisen bestellen konnten.807 Die programmatische Neukonzeption – Treffen mit Werktätigen, Besichtigung von Produktionsstätten und Errungenschaften des Sozialismus allgemein – war nicht das einzige, nach außen deutlich sichtbare Merkmal des sowjetischen Auslandstourismus: Wer in der DDR (oder anderswo) sowjetische Touristen antraf, der hatte überwiegend Gruppen von 20 bis 30 Personen vor sich, die zusam806 Wolter: Geschichte des Tourismus, S. 219–226; Schaufuß: Die politische Rolle des FDGBFeriendienstes, S. 127–128. 807 Orlov: „The Soviet Union Outgoing Tourism“, S. 7–10; Gorsuch: All this is your world, S. 81–82; für den Aspekt der Devisenerwirtschaftung vgl. Salmon, Shawn: „Marketing Socialism. Inturist in the Late 1950s and Early 1960s“, in: Gorsuch, Anne E. und Diane P. Koenker (Hrsg.): Turizm. The Russian and East European Tourist unter Capitalism and Socialism, Ithaca u.a. 2006, S. 186–204; einen Überblick über die Entwicklung von Inturist bietet Bagdasarjan: Sovetskoe zazerkalʹe, insbes. Teil I.
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men auf einer festgelegten „Marschrut“ (maršrut) reisten. Begleitet und geführt wurden diese Touristengruppen durch Gruppenleiter, die über den Verlauf der Reise und das Verhalten der Reiseteilnehmer berichteten und mithin auch eine Kontrollfunktion ausübten. Wie bereits exemplarisch am Beispiel des Freundschaftszuges im Rahmen der Bezirkspartnerschaften gezeigt wurde808, konnte nicht jeder sowjetische Bürger nach Belieben eine Auslandsreise buchen: Vielmehr durchlief jeder potentielle Reisekandidat – der außerdem, mindestens im Falle von Gewerkschaftsreisen, durch die gewerkschaftliche Vertretung im Betrieb wegen ausgezeichneter Leistungen vorgeschlagen werden musste – ein bürokratisch kompliziertes Auswahlund Durchleuchtungsverfahren. Umfangreiche Charakteristiken und Empfehlungen des Kandidaten durch Gewerkschaft oder Komsomol wurden an die lokalen Kommissionen für Auslandsreisen der Parteiorganisationen weitergereicht; diese Kommissionen, bestehend aus Vertretern von Partei, Gewerkschaft und KGB, gaben bei einwandfreiem Leumund des Kandidaten grünes Licht und reichten die Unterlagen weiter an die entsprechende zentrale Kommission auf Unionsebene. Erst dann konnten die nötigen Ausreisepapiere beantragt werden: ein erneutes, kompliziertes Verfahren. Dass die Überprüfung für Reisen ins kapitalistische Ausland umso gründlicher durchgeführt wurde, verstand sich dabei von selbst.809 Die ausgewerteten Quellen legen nahe, dass nach Prüfung durch den Betrieb und gegebenenfalls die zuständige Betriebsparteikommission nur wenige Kandidaten durch die Parteikommissionen für Auslandsreisen abgelehnt wurden. So berichtete das Gomel’er Obkom der Partei an das Zentralkomitee der KPB, im Jahre 1967 habe man aus dem Gebiet Gomel’ über 663 Fälle für Auslandsreisen entschieden; nur zwei davon seien abgelehnt worden. In einem Fall handelte es sich um zu häufige Auslandsreisen, im anderen Fall wurden keine näheren Gründe genannt. Das Schreiben zeigt auch, dass Reisen ins kapitalistische Ausland sowie Dienstreisen strenger gehandhabt wurden: Hier entschied nämlich nicht die Kommission, sondern unmittelbar das Sekretariat des ZK der KPB.810 Dabei bot das Auswahlverfahren für Touristen ins Ausland nicht selten Anlass zu Kritik durch höhere Stellen. Zu wenig werde die tatsächliche Leistung der Kandidaten in Betrieben oder Massenorganisationen zur Beurteilung herangezogen und Aktivisten zu wenig 808 Vgl. Kap. 5.1.4. 809 Besonders in jüngster Zeit beschäftigte sich die Forschung verstärkt mit dem Thema des sowjetischen Tourismus. Obwohl der Auslandstourismus dabei noch immer eine untergeordnete Rolle spielt (und zahlenmäßig im Vergleich zum Inlandstourismus tatsächlich als marginal bezeichnet werden muss), sind der Auswahlprozess und die Zusammenstellung von Touristengruppen inzwischen recht gut erforscht. Vgl. dazu: Popov: „Sovetskie turisty za rubežom“, S. 50–51; Ševyrin, Sergej: „Za granicu! Iz istorii zarubežnogo turizma v SSSR“, Permskij gosudarstvennyj archiv novejšej istorii (2009), https://www.permgaspi.ru/publikatsii/stati/zagranitsu-iz-istorii-zarubezhnogo-turizma-v-sssr.html (zugegriffen am 9.6.2017); Orlov: „The Soviet Union Outgoing Tourism“, S. 9–11; Gorsuch: All this is your world, S. 82; Koenker: Club Red, S. 241–242. 810 Gomel’er Obkom der KPB an den Leiter der Abt. Administrative Organe beim ZK der KPB, Gen. Kleckov, Information über die Arbeit der Kommission für Auslandreisen beim Gomel’er Obkom für 1967, 31.1.1968, NARB f. 4p, op.62, d. 717, l. 116–119.
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durch Auslandsreisen ‚belohnt‘, wie sich etwa die BELOD kritisieren lassen musste.811 Im Gebiet Vitebsk beschäftigte sich eine Sitzung des Büros des ZK der KPB mit „einigen Fakten der Verletzung der Prinzipien in der Auswahl und Empfehlung von Bürgern der Oblast’ für Auslandsreisen im Rahmen touristischer Gruppen.“ Dabei waren immer wieder Fälle bekannt geworden, in denen Bürger zu Auslandsreisen empfohlen worden waren, obwohl sie einen „unwürdigen Lebenswandel“ (ohne nähere Beschreibung) führten, zur „Bereicherung und Gewinnsucht“ neigten, ihre Arbeit, z. B. als Sovchos-Leiter, nur „unbefriedigend“ machten oder – noch eklatanter – gar nicht bei der Schule angestellt waren, die sie für die Auslandsreise empfohlen hatte.812 Obwohl dies in der Vorlage nicht explizit angesprochen wurde, handelte es sich hier vermutlich durchweg um Personen mit guten informellen Beziehungen (blat)813, die auf diesem Wege an die Genehmigung zur Auslandsreise gelangt waren – im streng reglementierten sowjetischen Vergabeverfahren ein grundsätzliches und wiederkehrendes Problem. Damit eng zusammen hing auch die soziale Zugehörigkeit der Reisekandidaten: Zwar sollten laut staatlicher Vorgabe insbesondere ausgezeichnete „Spitzenarbeiter“ und verdiente gesellschaftliche Aktivisten ins Ausland geschickt werden, de facto nahmen aber meist überdurchschnittlich viele Mitglieder der Intelligenz diese Möglichkeiten in Anspruch: Einerseits, weil sie am ehesten in der Lage waren, die nicht ganz unerheblichen Kosten für eine Auslandsreise zu tragen, zweitens, weil sie oft über die geforderten Eigenschaften verfügten (gesellschaftliches oder parteipolitisches Engagement, einwandfreier und vorbildlicher Lebenswandel) und weil sie drittens häufig über die notwendigen Beziehungen verfügten.814 Für die DDR ist das Auswahlverfahren für Auslandsreisende bislang weniger gut dokumentiert. Die Untersuchungen zur Auswahl der Freundschaftszugteilnehmer im Rahmen der Bezirkspartnerschaften legen aber nahe, dass zumindest bei Gewerkschaftsreisen ein ähnliches Verfahren durchgeführt wurde.815 Inwieweit dies auch 811 Anordnung Nr. 41 des Präsidiums der SSOD, 30.10.1963, NARB f. 914, op. 4, d. 86, l. 24– 29. 812 Sitzungsprotokoll Nr. 2 des Büros des ZK der KPB, Obkom Vitebsk, Punkt 2, 16.8.1974, GAVO f. 1p, op. 130, d. 39, l. 136–138. 813 Zu dieser Art von Netzwerken in der sowjetischen, hier speziell in der sowjet-belorussischen Gesellschaft vgl. etwa Slepovitch, Elizaveta: „Blat – ‚Vitamin B‘ im sozialistischen Weißrussland? Gesellschaftskritik in der Satirezeitschrift Woschyk“, in: Bohn, Thomas M. (Hrsg.): Ein weißer Fleck in Europa... Die Imagination der Belarus als einer Kontaktzone zwischen Ost und West, Bielefeld 2011, S. 183–192. 814 Vgl. dazu etwa Gorsuch: All this is your world, S. 82. Ersichtlich wird das Problem auch in einem Plenum der BELOD aus dem Jahre 1975, in welchem, nach einer Revision der Arbeit der Gesellschaft durch die Partei, einige Mängel erstaunlich offen angesprochen wurden, so etwa auch die soziale Zusammensetzung der Reisegruppen, die zu wenig Repräsentanten der Arbeiterschaft enthielten und stattdessen Vertreter der Intelligenz, die eine gewisse „Hartnäckigkeit“ zur Erlangung der Reise an den Tag legten bzw. diese überhaupt bezahlen konnten. Vgl. Stenogramme des Plenums der BELOD am 25.9.1975 zur Anordnung der KPB vom 5.8.1975 „Über die Erhöhung der Effektivität der Arbeit der BELOD“, NARB f. 914, op. 4, d. 545, l. 1–71, hier: 20. 815 Siehe dazu Kap. 5.1.4.1.
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bei über das Reisebüro gebuchten Reisen galt, stellt, wie Sowjetunion-Reisen von DDR-Bürgern insgesamt, noch ein Desiderat der Forschung dar. Die strenge Kontrolle und sorgfältige Auswahl der Teilnehmer noch vor Reisebeginn hing mit einem weiteren, politisch motivierten Merkmal des sowjetischen Auslandstourismus zusammen. Während insbesondere der ‚aktive‘ Tourismus (turizm; im Gegensatz zur Erholung etwa in Sanatorien und Ferienheimen: otdych) im Sinne von Rundreisen und Besichtigungen auch der Weiterbildung und Entwicklung der sozialistischen Persönlichkeit zu dienen hatte, im Falle von Auslandsreisen zudem der internationalistischen Bildung, versuchte der sowjetische Staat direkten ideologischen Nutzen aus ein- wie ausreisenden Touristen zu ziehen. Offensichtlicher und nachvollziehbarer erscheint dies zunächst auf Seiten der einreisenden Touristen: Unter anderem die Freundschaftsgesellschaften waren dafür zuständig, mit Ausländern in der Sowjetunion zu ‚arbeiten‘ und ihnen die sowjetische Lebensweise von ihrer positivsten Seite näher zu bringen.816 Bereits im Jahr 1964 hatte die BELOD von ihrer Moskauer Dachgesellschaft SSOD die Anweisung erhalten, „[…] [d]ie Arbeit mit ausländischen Touristen als einen der wichtigsten Kanäle für die Ausweitung der propagandistischen Tätigkeit und die Knüpfung von Beziehungen zu ausländischen Staaten [zu] erachten.“817
Zur besseren Unterrichtung der Touristen über das Leben in der BSSR sollten vermehrt Informationsmaterialien sowie Radio und Fernsehen (Dokumentarfilme) herangezogen werden. Die eigens organisierten Treffen und Zusammenkünfte von Werktätigen und Aktivisten der Gesellschaft mit Touristen seien außerdem zu oft noch eine steife Angelegenheit, würden Elemente von „Effekthascherei“ („paradnost’“) und „Formelhaftigkeit“ („formal’nost’“) nicht beseitigt. Dass sich dieser Gegensatz von erwünschter Kontrolle und geplanter Zwanglosigkeit freilich nur schwer abstellen ließ, wird noch an anderer Stelle zu untersuchen sein.818 Etwas über ein Jahrzehnt später hatte sich an dieser Situation nur zum Teil etwas verändert. Noch immer erwiesen sich viele ‚Aktivisten‘ der Gesellschaft als zu wenig aktiv oder weigerten sich schlicht, an Treffen mit ausländischen Touristen teilzunehmen. Kamen dann doch solche Treffen zustande, kümmere man sich mehr um Souvenirs und gute Bewirtung als um den ‚richtigen‘ Inhalt der Gespräche. Zwar, so weiter, sei inzwischen eine Fülle von Informations- und Propagandamaterialien auch in Fremdsprachen erschienen, oft kosteten die zum Teil veralteten Alben oder Bildbände jedoch drei Rubel und wögen ein Kilo – ein Gewicht, 816 Insbesondere für den deutsch-deutschen Kontext hat etwa Natalia Donig gezeigt, dass die ‚Arbeit‘ mit ost- wie westdeutschen Touristen durch die VOKS bereits zu Beginn der 1950er Jahre einsetzte – wenn auch in wesentlich geringerem quantitativem Maßstab, als das nach Umgestaltung der sowjetischen Freundschaftsgesellschaft der Fall war: Donig: „Reisen ins ‚Arbeiterparadies‘“. 817 Anordnung Nr. 44 des Präsidiums der SSOD: Über Maßnahmen zur Stärkung der Arbeit der SSOD, der Republikabteilungen und der Sektionen der SSOD mit ausländischen Touristen, 10.6.1964, NARB f. 914, op. 4, d. 86, l. 68–73. 818 Ebd.
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das kein Tourist mit sich herumschleppen wolle. Nach dem Vorbild der DDR oder Polens solle man daher kleinere Broschüren und Statistikheftchen herausgeben, um ‚tragbar‘ über die Entwicklung der Sowjetrepublik zu informieren. Auf der derart als vorbildlich zitierten deutschen Seite hatte sich die Freundschaftsgesellschaft ebenfalls bereits im Jahre 1962 Gedanken über die „[i]ntensivere und wirksamere Ausnutzung des deutsch-sowjetischen Touristenaustausches zwischen den Bürgern der DDR und der UdSSR“ Gedanken gemacht. Gegenstand der Überlegungen waren vor allem bessere Vorbereitungen von Treffen Werktätiger mit sowjetischen Touristen – ebenfalls „Freundschaftstreffen“ genannt – sowie eine bessere Absprache mit dem Reisebüro der DDR, das, so eine interne Einschätzung aus dem Jahr 1970, in dieser Frage kaum etwas unternehme.819 Dies wiederum mag damit zusammenhängen, dass das Reisebüro seine so genannte auslandsinformatorische Tätigkeit mindestens bis in die 1970er Jahre hinein vornehmlich auf die westlichen, genauer auf die NATO-Staaten, konzentrierte und damit auf diesem Weg versuchte, aktiv für die völkerrechtliche Anerkennung der DDR zu arbeiten. „[A]lle Mittel und Möglichkeiten der auf dem Gebiete der Auslandsinformation tätigen Institutionen und Einrichtungen der DDR […]“ seien, so vertrauliche Konzeptpapiere des Reisebüros aus den Jahren 1964 und 1965, für die Botschaft zu nutzen: „Das wahre Deutschland ist in der Deutschen Demokratischen Republik.“ Neben Broschüren und anderen propagandistischen Drucksachen dachte das Reisebüro dabei seinen Mitarbeitern eine besonders wichtige Rolle zu, insbesondere den Reiseleitern/Dolmetschern, die ausländische Besucher betreuten. Sie sollten aktiv für den friedlichen Aufbau in der DDR werben und demgegenüber die aggressiv-chauvinistische und militaristische Gesellschaft in der Bundesrepublik herausstellen.820 Auf den ersten Blick weniger offensichtlich erscheinen die Möglichkeiten der Auslandspropaganda im Falle ausreisender deutscher oder sowjetischer Touristen. Jedoch war auch hier das vermeintlich private mitnichten eine Privatangelegenheit. Dies ist bereits anhand der rigorosen Durchleuchtung und Auswahl möglicher Reisekandidaten gerade auf sowjetischer Seite deutlich geworden. Mit der Auswahl besonders verdienter, gesellschaftlich engagierter und politisch zuverlässiger Bürger für eine Auslandsreise – mit exponentiell steigenden Anforderungen in der Reihenfolge sozialistische Staaten, Entwicklungsländer, westliche Staaten – ging es eben nicht nur um die Belohnung politisch konformen Verhaltens. Vielmehr wurde von jedem Bürger erwartet, ein ‚kleiner Botschafter‘ des eigenen Landes zu sein, und sich im Ausland entsprechend zu verhalten. Neben einem als selbstverständlich vorausgesetzten gesetzeskonformen Verhalten im Gastland 819 Sekretariatsvorlage des ZV der DSF zur besseren Ausnutzung des Touristenverkehrs mit der UdSSR, ohne Datum, SAPMO-BArch DY 32/608, unpag.; Maßnahmenplan der Kommission Auslandsinformation beim ZV der DSF für eine bessere Auslandsinformation der DSF in die UdSSR, 1970, SAPMO-BArch DY 32/661, unpag. 820 RBDDR, Generaldirektor: „Schlußfolgerungen und Maßnahmen zur Weiterführung der auslandsinformatorischen und Werbetätigkeit des Reisebüros der DDR im Ausland“, 20.5.1964, BArch DM 102/3313, unpag.; RBDDR: Plan des Direktionsbereiches Ausländerbetreuung, 24.9.1965, ebd.
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gehörte dazu auch ein politisch korrektes Auftreten. In diesem Zusammenhang wurden an sowjetische Reisende hohe Anforderungen gestellt, vertraten sie doch das am höchsten entwickelte kommunistische Land der Erde – eine Maßgabe, die im Übrigen viele Reisende wohl tatsächlich verinnerlicht hatten. In den sozialistischen osteuropäischen Staaten erwies sich diese Aufgabe nicht selten als besonders schwierig: Gerade die nicht immer freiwillig verbrüderten ‚kleinen Brüder‘ mussten von der höheren Entwicklung und Kultiviertheit (kul’turnost’) der sowjetischen Gäste überzeugt werden, auch wenn deren Kleidung allzu häufig die sowjetische Mangelwirtschaft offenbarte und das Benehmen der stets in Gruppen auftretenden Sowjetbürger nicht immer europäischen Erwartungen entsprach. Um derlei Irritationen zuvorzukommen, führten die sowjetischen verantwortlichen Stellen mit zukünftigen Auslandstouristen im Vorfeld instruierende Gespräche über deren Rolle im Gastland und verteilten Informationsmaterialien und ‚Benimmbücher‘ an die Reiseteilnehmer.821 Auch in der BSSR wurde diese Art der Vorbereitung praktiziert. So berichtete der Minsker Oblast’gewerkschaftsrat im Jahr 1968, man habe nun ebenfalls vorbereitende Gespräche für Auslandsreisende eingeführt. Diese erhielten dabei einen kurzen Überblick über angemessenes Betragen im Ausland, politische und kulturelle Informationen zum Zielland und würden auf politische Wachsamkeit sowie die Einhaltung von Staatsgeheimnissen aufmerksam gemacht – insgesamt eine Instruktionsliste, die mehr an die Ausbildung zukünftiger Spione denn an harmlose Touristen denken lässt. Einige Jahre später, im Jahr 1975, hatte der Gewerkschaftsrat sein Verfahren verfeinert: Neben den obligatorischen Informationen zu notwendigen Reisepapieren und Zollbestimmungen sowie der Gesetzeslage im Reiseland erhielten die Reisenden tatsächlich auch einen Überblick über das Programm sowie Literaturtipps zur Vorbereitung. Außerdem sollten sie sich auf die politische Bedeutung der Reise und ihre Rolle als Vermittler der sowjetischen Politik und Lebensweise vorbereiten: Vorträge von Lektoren der Parteiorganisationen zur sowjetischen Innen- und Außenpolitik sowie den „Errungenschaften des sowjetischen Volkes im Aufbau des Kommunismus“ rundeten die Instruktionen ab.822 Dass die Vorbereitungen auch weniger politisch geprägt sein konnten, zeigt der Bericht einer Reisegruppe von Spezialisten der Landwirtschaft aus dem Gebiet Vitebsk, die sich im Frühjahr 1974 auf eine Rundreise durch die ČSSR und die DDR vorbereitet hatten: Mit der Lektüre des „DDR-Magazins“823 informierten sich die Reisenden über das ge821 Gorsuch: All this is your world, S. 101–103; Ševyrin: „Za granicu“; Koenker: Club Red, S. 241–242. 822 „Überblick über die Arbeit der gewerkschaftlichen Organisationen der Oblast’ Minsk im Bereich Auslandstourismus und über freundschaftliche Beziehungen zu Gewerkschaften im Ausland für das Jahr 1968.“, ohne Datum, GAMN f. 2313, op. 1, d. 754, l. 4–19; „Bericht über die Arbeit des Oblast’gewerkschaftsrates Minsk zur Versendung sowjetischer Touristen ins Ausland für das Jahr 1975“, 28.12.1975, GAMN f. 1p, op. 72, d. 91, l. 28–42, hier: 30. 823 Vermutlich ist damit die Auslandszeitschrift DDR gemeint, die in den sozialistischen Ländern in sieben Sprachen und mit einer Jahresauflage von 3,2 Mio. erschien. Die Zeitschrift brachte in ansprechender Weise (farbige Hochglanzfotografien und Berichte im Stil einer Illustrierten) Reportagen über das kulturelle und gesellschaftliche Leben in der DDR, wirtschaftlichen
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genwärtige Leben in der DDR, wandten sich zusätzlich aber auch der deutschen Geschichte sowie der deutschen Klassik zu: So gehörten Goethe und Schiller offenbar noch immer zum festen Kanon dessen, was Sowjetbürger über Deutschland lernen sollten/wollten und was damit zur kul’turnost’ gehörte. Gerade vor dem Hintergrund der sozialen Herkunft der Gruppe – überwiegend Landarbeiter – unterstreicht dies auch den Anspruch auf Bildungscharakter im sowjetischen Tourismusmodell. Bezeichnenderweise bereitete sich die Gruppe aber auch durch das Studium der eigenen Leistungen vor: So habe die Gruppe im Vorfeld extra eine Stadtbesichtigung in Vitebsk erhalten, um über Aussehen und Geschichte ihres Oblast’zentrums informiert zu sein. Insbesondere das Verhältnis von Neubauten habe interessante Vergleiche und Schlussfolgerungen zu den bereisten Städten im Ausland möglich gemacht.824 Explizit war also erwünscht, die noch weniger entwickelten sozialistischen Bruderstaaten des Ostblocks – so zumindest die sowjetische Propaganda – vor der Folie der eigenen (überlegenen) Errungenschaften zu beurteilen.825 Allerdings zeigte sich auch hier, dass die Vorstellungen der sowjetischen Funktionäre oft Wunschdenken blieben, schließlich war nicht jeder Sowjetbürger der geborene Lektor, der etwa auf die Frage, was und wo er arbeite, einen ad hoc-Vortrag über die sowjetische Arbeits- und Lebensweise halten konnte.826 Auch in der DDR hatte man sich zu diesem Thema durchaus Gedanken gemacht; jedoch findet sich kein Nachweis über eine derart strenge politische Vorbereitung der künftigen Sowjetunion-Reisenden. Zwar wurden Mitte der 1960er Jahre so genannte „Arbeitsgruppen für Touristik“ auf lokaler Ebene aus Vertretern der DSF und anderer beteiligter Institutionen sowie des Reisebüros gebildet, diese konzentrierten sich jedoch vornehmlich auf den Empfang sowjetischer Touristen. Zur Vorbereitung von DDR-Touristen war lediglich ein Treffen vorgesehen, in dem eher allgemein über „Land und Leute der SU. insbes. über die Städte, die von den Reiseteilnehmern besucht werden sollen“ informiert wurde, jedoch ohne die
Aufbau, Innen- und Außenpolitik des ostdeutschen Staates. Vgl. dazu: Abraham: Auslandsarbeit der DDR in Schweden, S. 409–410. 824 Bericht der Reisegruppe 012070 (Spezialisten der Landwirtschaft) in die DDR und ČSSR, 22.2.1974–7.3.1974, GAVO f. 2800, op. 5, d. 585, l. 25–29. 825 Zu dieser Frage und auch den sich daraus ergebenden Problemen angesichts der tatsächlichen Entwicklung der Ostblockstaaten, die gerade im Bereich der Organisation des täglichen Lebens oder des Dienstleistungsbereichs, durchaus als „sozialistische Moderne“ und damit wünschenswerte Zukunft wahrgenommen wurden vgl. Gorsuch: All this is your world, S. 79–80; Koenker: Club Red, S. 248–250. 826 Auch dieser Missstand wurde auf dem bereits genannten Plenum der BELOD im Jahre 1975 angesprochen. Im angeführten Fall hatte eine derart befragte, unglückliche Sowjetbürgerin lediglich antworten können: „Ich stehe an der Werkbank.“, woraufhin ein peinliches Schweigen eingetreten sei. Der ausführende Redner des Plenums plädierte daraufhin noch einmal eindringlich für eine Verbesserung der vorbereitenden Gespräche, bei denen gegebenenfalls auch Vorträge eingeübt werden sollten: Stenogramme des Plenums der BELOD am 25.9.1975 zur Anordnung der KPB vom 5.8.1975 „Über die Erhöhung der Effektivität der Arbeit der BELOD“, NARB f. 914, op. 4, d. 545, l. 1–71, hier: 20.
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politischen Implikationen, die die ‚Einweisung‘ sowjetischer Touristen enthielt.827 Dies mag einerseits daran liegen, dass die korrekte Haltung gegenüber dem großen Bruder ohnehin implizit in allen Veranstaltungen der Freundschaftsgesellschaft, Medien und öffentlichem (im Sinne von staatlich sanktioniertem) Diskurs vermittelt wurde und insofern nicht noch einmal Gegenstand besonderer Instruktionen werden musste. Zum anderen konzentrierte die Tourismus-Verwaltung der DDR ihre Auslandspropaganda, wie bereits angesprochen wurde, vornehmlich auf die westlichen Staaten und stellte sich damit direkt in den Dienst der Außenpolitik. Insofern dürfte die ‚Vorbereitung‘ und Durchleuchtung gen Westen reisender Touristen um ein Vielfaches stärker gewesen sein. Nichtsdestotrotz beklagte der Generalkonsul der DDR in Minsk, Leopold Wohlert, in einem Schreiben an den DDR-Botschafter Harry Ott in Moskau im Jahre 1975 das Verhalten seiner Landsleute in der BSSR. So wies er unter anderem daraufhin, dass in der DDR noch nicht ausreichend (und ehrlich genug) über die Leistungen der Sowjetunion berichtet werde, insbesondere vor dem Hintergrund der mannigfaltigen Schwierigkeiten, auch im Hinblick auf den Zusammenhalt des Vielvölkerstaates, vor dem das Land gestanden habe und zum Teil noch immer stehe. Dies belege immer wieder das Verhalten der zahlreichen Touristen und in der UdSSR tätigen DDRBürger, die sich, so legt es die Formulierung nahe, nicht selten wenig beeindruckt gezeigt hatten von den Leistungen des vermeintlichen Vorbilds. Eingehend, so der Generalkonsul weiter, sollten Touristen über „[…] Sitten, Gebräuche – über die sowjetische Lebensweise überhaupt – informiert werden. Es zeigt sich immer wieder, daß viele Touristen […] mit relativ unvollständigen und falschen Vorstellungen in die UdSSR kommen.“ 828
Die Ausführungen des Generalkonsuls zeigen mithin auch ein grundsätzliches Dilemma der deutschen Sowjetunion-Propaganda: Der immerwährende utopische Diskurs über den ersten kommunistischen Staat der Erde ließ keinen Raum für realistische Betrachtungen – und provozierte damit gerade jene Irritationen und „falschen Vorstellungen“ deutscher Touristen, wie sie aus dem Bericht des Generalkonsuls ersichtlich werden.
827 Sekretariatsvorlage: „Intensivere und wirksamere Ausnutzung des deutsch-sowjetischen Touristenaustausches zwischen den Bürgern der DDR und der UdSSR.“, ohne Datum, vermutlich 1965, SAPMO-BArch DY 32/608, unpag. 828 Schreiben Wohlerts, GK der DDR in Minsk, an die Botschaft der DDR, Moskau, 14.11.1975, PA AA, MFAA, C 879/78, fol. 3–14, hier: 4–6.
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5.2.2 „Reiseland DDR“, belorussisches „Land der blauen Flüsse und Seen“829: Tourismus und Reiserouten „BESUCHEN SIE SOWJET-BELORUSSLAND!“ – so warb das sowjetische Reisebüro Inturist in den 1980er Jahren mit einer deutschsprachigen Broschüre für eine Reise in eine der westlichsten Sowjetrepubliken.830 Auf 16 reich bebilderten Seiten konnte der interessierte Leser sich über Geschichte, Wirtschaft, Kultur und Leben in Belorussland informieren und wurde eingeladen, eine entsprechende Reise über Inturist zu buchen. Bei dem ‚interessierten Leser‘ handelte es sich wahrscheinlich um einen potentiellen westdeutschen Touristen, so zumindest lassen Werbetext und typographischer Aufwand der Broschüre vermuten, und damit um einen möglichen Devisenbringer – ein Aspekt, der seit den 1960er Jahren eine zunehmend große Rolle in der Arbeit des staatlichen Reisebüros spielte.831 Der Reiseprospekt vermittelt einen vielfältigen Einblick in das Reiseland und zeigt touristische Grundthemen auf, die ein geteiltes Bild der belorussischen Sowjetrepublik zeichnen: Während großformatige Fotos ‚traditionelle‘ Volkskunst in farbenprächtigen belorussischen Kostümen und handgearbeitete Souvenirs („Holzschatullen, Miniaturtruhen, Wandschmuck, Zierteller, Strohflechtarbeiten“) anpreisen, steht demgegenüber die Helden- und Partisanenrepublik, die aus dem unvorstellbaren Leid während des Zweiten Weltkriegs eine blühende sozialistische Gesellschaft geschaffen hat. Während ersteres vor allem dazu diente, romantische (westliche) Reisevorstellungen zu bedienen, die sich – ähnlich wie die auf Auslandstournee geschickten staatlichen Folkloreensembles wie etwa das Moiseev-Ensemble832 – auf ein vorrevolutionäres ländliches ‚Russland‘ bezogen, folgte letzteres dem eigentlichen sozialistisch-nationalen Narrativ der Partisanenrepublik. Auch die möglichen, allerdings begrenzten, geographischen Reiseziele innerhalb der Republik orientierten sich an diesem Themenspektrum: So waren es vor allem die Haupt- und Heldenstadt Minsk sowie die westliche Grenzstadt Brest mit der so genannten Heldenfestung, die als touristische Ziele beworben wurden. Obwohl auch kulturelle Einrichtungen (Museen, Theater, Gedenkstätten der „Volksdichter Janka Kupala und Jakub Kolas“) in das Repertoire aufgenommen wurden, konzentrierte sich der Reiseführer thematisch überwiegend auf Orte und Stätten, die dem Gedenken des Zweiten Weltkriegs gewidmet waren, wie etwa das Museum des Großen Vaterländischen Krieges, der Hügel des Ruhms und die Gedenkstätte Chatyn’ nahe Minsk, oder eben die Brester Festung. Dazu kamen außerdem alte und neue wichtige Bezugsorte der sozialistischen Gegenwart, wie das Museum des ersten Parteitages der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russ829 So in einem deutschsprachigen BSSR-Reiseführer des staatlichen Reisebüros, vgl. dazu: Intourist: Besuchen Sie Sowjet-Belorussland!, Moskau 1982, http://kodeks.uni-bamberg.de/ Belarus/Sowjetbelorussland.htm (zugegriffen am 30.5.2017). 830 Vgl. hier und im Folgenden: Ebd. 831 Zur Rolle Inturists in der sowjetischen Wirtschaft und der Bevorzugung westlicher Touristen gegenüber Besuchern aus den sozialistischen Staaten vgl. Salmon: „Marketing Socialism“, S. 190–192, 196–198. 832 Vgl. dazu Kap. 3.3.2.2.
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lands in Minsk oder die Besichtigung staatlicher Vorzeigebetriebe in Industrie und Landwirtschaft. Damit verfolgte die belorussisch-sowjetische Führung bei der Aufnahme ausländischer (westlicher) Touristen programmatisch einen Spagat zwischen einer vermeintlich belorussischen Volkstümlichkeit, die als solche gut in das sozialistische Konzept des künstlerischen Volksschaffens passte und den sowjetischen Vorstellungen von einer neuen Art des Tourismus, wie sie eingangs dargestellt wurde. Dabei war die BSSR als Reiseland für ausländische Touristen erst relativ spät ‚entdeckt‘ worden: In einer internen Einschätzung des Reisebüros der DDR aus dem Jahre 1971 loteten die verantwortlichen Angestellten die touristischen Möglichkeiten der einzelnen Sowjetrepubliken für ihre Kunden aus und kamen zu dem Schluss, dass die RSFSR als größte Unionsrepublik auch gleichzeitig die beliebteste bei Touristen sei und, neben der ukrainischen Schwarzmeerküste, über die beste diesbezügliche Infrastruktur verfüge. Demgegenüber habe die belorussische Hauptstadt Minsk, und damit die gesamte BSSR, „für die Auslandstouristik keine größere Bedeutung“ – ein Tatbestand, der sich auch darin äußere, dass nach Eröffnung des Hotels Jubilejnaja 1968 in Minsk kaum zusätzliche Bauvorhaben für die touristische Infrastruktur geplant seien. Lediglich in der Grenzstadt Brest, die bisher über kein einziges Hotel zur Beherbergung ausländischer Touristen verfüge, sei für das Jahr 1973 die Eröffnung eines Inturist-Hotels vorgesehen.833 Diese eher pessimistische Einschätzung der Unterbringungssituation spiegelt sich auch in sowjetischen Quellen wider: Gerade das oben angesprochene Hotel Jubilejnaja war immer wieder Gegenstand kritischer Beobachtung durch die 1964 eingerichtete Hauptverwaltung der BSSR für ausländischen Tourismus (Glavnoe upravlenie Belorusskoj SSR po innostrannomy turizmu) beim Ministerrat der BSSR beziehungsweise das unionsweite, übergeordnete Pendant beim Ministerrat der UdSSR: So sei das Hotel auch zwei Jahre nach seiner Eröffnung noch nicht voll einsatzfähig, was in erster Linie dem Mangel an qualifiziertem Personal geschuldet sei. Zu wenige Mitarbeiter hätten wenigstens mittlere Bildungsabschlüsse, Fremdsprachenkenntnisse seien kaum vorhanden und nur acht Prozent der Belegschaft sei parteilich organisiert – offenbar eine wichtige Vorbedingung für den Umgang mit ausländischen Touristen. Darüber hinaus ließ auch das Dienstleistungsbewusstsein zu wünschen übrig: Nicht immer wurden Touristen in Restaurants mit der nötigen Zuvorkommenheit behandelt. Zuletzt sorgte sich die Verwaltung auch über das Verhalten der einheimischen Bevölkerung und regte an, an häufig besuchten Orten die „vorbeugende Arbeit“ mit der örtlichen Bevölkerung zu verstärken, um so „antisozialem“ Verhalten gegenüber Touristen entgegenzuwirken.834 Auch Mitte der 1970er Jahre hatte sich die prekäre Lage in der Versor-
833 „Entwicklung und Perspektive der Auslandstouristik in der UdSSR…“, ohne Datum, BArch DM 102/434, unpag. 834 Vgl. dazu: Empfehlung der Hauptverwaltung der BSSR für Auslandstourismus, 14.6.1973, NARB f. 4p, op. 56, d. 2, l. 56–64; Schreiben des Leiters der Kaderabteilung bei der Verwaltung für Auslandstourismus beim MR der UdSSR an den Leiter des Hotels Jubilejnaja, 18.3.1969, NARB f. 100, op. 1, d. 25, l. 19–21; Schreiben der Hauptverwaltung für Auslands-
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gung und Unterbringung von Touristen in Minsk kaum gebessert, insbesondere in Anbetracht der steigenden Besucherzahlen. Kam es dabei zu einer Kollision von In- und Auslandstourismus, zogen die sowjetischen Gäste unweigerlich den Kürzeren: So wurden sie im Fall einer Überbuchung des Restaurants im Hotel Turist kurzerhand per ZK-Beschluss in eine nahegelegene Werkskantine verfrachtet.835 Eindeutige und verlässliche Zahlen, wie viele ausländische und insbesondere (ost)deutsche Touristen tatsächlich die belorussische Sowjetrepublik bereisten, oder aber umgekehrt, wie viele Belorussen ins Ausland reisten, sind kaum zu ermitteln. Die Fülle der Reiseveranstalter ‒ (Jugend-)Reisebüro, Gewerkschaften, Freundschaftsgesellschaften etc. ‒ und Arten der Einreise – dienstlich, als Touristengruppe, mit einer Delegation, einem Freundschaftszug, um nur die Wichtigsten zu nennen – machen verifizierbare Aussagen auch für die gesamte Sowjetunion schwierig.836 Immerhin finden sich insbesondere in den örtlichen Beständen der mit Tourismus betrauten Institutionen immer wieder punktuelle Aussagen und Statistiken über die Anzahl der in- und ausreisenden Touristen. So informierte Inturist das belorussische Außenministerium im Sommer 1961: Im Zeitraum Januar bis einschließlich Juli des Jahres hätten sich insgesamt immerhin 12 069 Touristen, 8246 aus sozialistischen und 3826 aus kapitalistischen Staaten, in der belorussischen Hauptstadt aufgehalten, darunter 8144 Reisende so genannter „Spezialzüge“. Damit profitierten Minsk, und auch Brest als zweite Anlaufstation, vermutlich überwiegend von Moskau- oder Leningrad-Reisenden, deren Zug einen Zwischenstopp in der belorussischen Hauptstadt einlegte.837 Knapp acht Jahre später war die Menge ausländischer Touristen mindestens aus kapitalistischen Ländern signifikant angewachsen: So hielten sich über das Reisebüro Inturist nur in den Monaten Juli und August 1968 bereits 3294 Zug und Autobus-Reisende aus westlichen Staaten zwischen ein bis drei Tagen in Minsk auf, wohingegen in dieser Kategorie nur wenige Gruppen aus sozialistischen Staaten vermerkt waren (insgesamt 601 Reisende, davon 180 aus der DDR).838 Die Vermutung liegt also nahe, dass DDR-Bürger gerade für teure Reisebüro-Reisen die ‚klassischen‘ Reiseziele Moskau, Leningrad und sowjetische Schwarzmeerküste bevorzugten, oder aber dass Inturist diese besser bezahlten Reisen und die knappen Übernachtungsressourcen (vor allem in der Hauptreisezeit Juli, August) lieber für zahlungskräftigere Reisende aus dem kapitalistischen Ausland offenhielt.839 Das heißt aller-
835
836 837 838 839
tourismus beim MR der UdSSR an die Hauptverwaltung für Auslandstourismus der BSSR, 17.2.1970, ebd., l. 41. Anfrage des Vorsitzenden des Minsker Gewerkschaftsrates an das ZK der KPB bzgl. Überbuchung des Hotels Turist, 12.3.1976 sowie Antwortschreiben des Minsker Obkom, ohne Datum, GAMN f. 1p, op. 72, d. 91, l. 50–51. Orlov: „The Soviet Union Outgoing Tourism“, S. 17–19; Koenker: Club Red, S. 241. Schreiben von Inturist an das MID der BSSR, 21.8.1961, NARB f. 907, op. 1, d. 548, l. 116– 118. Verwaltung für Auslandstourismus beim Ministerrat der BSSR an das Obkom der KPB, Minsk, Sommer 1968, GAMN f. 1p, op. 67, d. 96, l. 4–8. Vgl. zu dieser Problematik (fehlende Unterbringungs- und Transportkapazitäten, Bevorzugung von Touristen aus kapitalistischen Staaten, Unbeliebtheit anstrengender Städterundrei-
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dings nicht, dass keine Touristen aus sozialistischen Staaten die BSSR bereisten, sondern dass viele von ihnen über andere Anbieter kamen: So organisierte der belorussische Gewerkschaftsrat im Jahr 1962 Reisen für 421 ausländische Touristen (acht Reisegruppen aus der DDR, sechs aus Polen) in die BSSR, 1964 für 776 Besucher aus 12 Ländern, 1966 bereits für 935 Personen.840 Bis Mitte der 1970er Jahr wuchs die Zahl der ausländischen Besucher auch in Minsk sprunghaft an: So verzeichnete die Hauptverwaltung für Auslandstouristik von Januar bis November 1975 bereits 75 100 (!) ausländische Touristen in der Stadt, im Gegensatz zu 43 700 für die gleiche Periode des Vorjahres. Leider wird auch hier nicht deutlich, über welche Kanäle diese Besucher reisten oder aus welchen Ländern sie kamen.841 Dennoch machen diese Zahlen deutlich, dass sich bis Mitte der 1970er Jahre durchaus auch die Belorussische Sowjetrepublik als Reiseland für ausländische Touristen etabliert hatte.842 Auch für die Ausreise belorussischer Touristen erweist sich die Lage als ähnlich unübersichtlich: So schickte etwa der Minsker Gewerkschaftsrat, der über Aushänge in Gewerkschaftsgebäuden, Kulturpalästen und Betrieben sowie in Presse und Radio umfassend Werbung für den Auslandstourismus gemacht hatte, im Jahr 1968 1081 Personen überwiegend ins sozialistische Ausland, davon 93 Personen in die DDR. Interessanter als die weniger aussagekräftigen, weil schwer vergleichbaren absoluten Zahlen erscheint dabei die Zusammensetzung der Reisenden: Nur 19,8 Prozent der Teilnehmer gehörten zur Arbeiterschaft und damit tatsächlich zur eigentlichen Zielgruppe von Gewerkschaftsreisen, 53 Prozent der Touristen waren Parteimitglieder. Auch die nationale Zugehörigkeit wurde verzeichnet: 605 Belorussen, 331 Russen, 64 Ukrainer, 61 Juden und 20 Angehörige anderer Nationalitäten traten im Jahr 1968 eine Auslandsreise über den Minsker Gewerkschaftsrat an. Damit verdeutlichen die Zahlen zweierlei: Erstens handelte es sich bei einer Auslandsreise auch über die Gewerkschaft noch immer um kein Privileg für ‚einfache‘ Arbeiter, weil ihnen Beziehungen, finanzielle Mittel oder nötiger Parteihintergrund fehlten. Zweitens ist auffallend, dass überdurchschnittlich viele in der BSSR lebende Russen an diesen Auslandsreisen teilnahmen – was auf hohe Stellungen und gute Beziehungen innerhalb der Republik schließen sen bei DDR-Bürgern) eine interne Einschätzung des Reisebüros der DDR „über die Entwicklung des Tourismus in die UdSSR …“ vom 31.10.1973, BArch DM 102/556, unpag. 840 Bericht über internationale Beziehungen der Gewerkschaften der Republik,18.7.1965, NARB f. 265, op. 9, d. 749, l. 50–52; Auskunft über den Aufenthalt ausländischer GewerkschaftsDelegationen und Touristen in der BSSR 1966,14.1.1967, ebd. l. 125. 841 Auskunft der Verwaltung für Auslandstourismus an den Ministerrat der BSSR, 4.12.1975, NARB f. 100, op. 1, d. 100, l. 36–37. 842 Trotz der beeindruckenden Zahl an ausländischen Touristen in der Stadt dürfte Minsk im Vergleich etwa zu Moskau, Leningrad und Kiew noch immer recht wenige ausländische Besucher zu verzeichnen gehabt haben. Leider liegen gerade für den einreisenden Auslandstourismus in die UdSSR keine Überblickszahlen, geschweige denn Zahlen für einzelne Sowjetrepubliken, vor. So spricht beispielsweise Popov, gestützt auf das statistische Jahrbuch der DDR, ebenfalls von einer rasanten Erhöhung, allerdings der Zahl der DDR-Touristen in der gesamten UdSSR, etwa von 14 604 im Jahre 1960 auf 143 170 im Jahre 1975. Vgl. dazu: Popov: „Ėksport sovetskoj modeli“, S. 156.
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lässt.843 Dass auch der Bereich ausreisende Touristik in der BSSR stetig wuchs, zeigt eine Übersicht des Vitebsker Gewerkschaftsrates für das Jahr 1974: Hier reisten immerhin 1479 Personen ins Ausland, davon 1308 in sozialistische Staaten. Fast 44 Prozent der Touristen entstammten nun der Arbeiterschaft, nur noch rund 23 Prozent (im Gegensatz zu rund 31 Prozent im Minsker Fall 1968, s.o.) waren russischer Nationalität, was darauf hindeutet, dass Auslandsreisen leichter zugänglich wurden.844 Dies galt offenbar auch für die Oblast’ Minsk: Insgesamt hatten 3036 Sowjetbürger eine Auslandsreise angetreten, davon 2229 in sozialistische Staaten. Nach Angaben der Gewerkschaft waren davon immerhin 55,1 Prozent Arbeiter oder Kolchosarbeiter. Dass die Gewerkschaftsorganisationen ausführlich Rechenschaft gegenüber der Parteileitung ablegen mussten, was ihre Bemühungen um den Auslandstourismus betraf, zeigt die zunehmende Wichtigkeit, die dem Thema durch die Sowjetführung beigemessen wurde.845 Zu den Aufgaben der Gewerkschaften gehörten auch die sorgfältige Ausarbeitung von Reiserouten und die Vorbereitung möglicher Besuchspunkte durch ausländische Touristen sowie Überlegungen dazu, welches BSSR-Bild ausländischen Touristen vermittelt werden sollte. Im Jahr 1975, als auch in der BSSR der Auslandstourismus veritable Ausmaße angenommen hatte, informierte der Belorussische Gewerkschaftsrat das ZK der KPB „Über die Lage der Informations- und Propagandaarbeit ins Ausland“, worunter sich bezeichnenderweise auch die Arbeit mit ausländischen Touristen verbarg. Diese, so der Bericht, besuchten in der BSSR vor allem Museen und Gedenkstätten, Betriebe sowie die BELOD, die damit aktiv in die Imagevermittlung einbezogen wurde. Ziel sei es, die Gäste „auf breiter Basis“ mit der „heldenhaften Geschichte der Stadt Minsk und der Republik, der Entwicklung der Wirtschaft und Kultur der BSSR, Erfahrungen der Gewerkschaftsarbeit, den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter und Angestellten“ bekannt zu machen – kurzum, für die sowjetische Lebensweise in der Partisanenrepublik zu werben. Dabei unterschieden sich die vermittelten Themen beziehungsweise deren inhärente Botschaft, je nachdem, ob es sich um Touristen aus kapitalistischen, sozialistischen oder Entwicklungsländern handelte. Während Besuchern aus dem Westen vor allem die umfassende und vorbildliche Versorgung der Werktätigen durch die Gewerkschaften (Lohn und Arbeitsschutz, medizinische Versorgung und Erholungswesen, kulturelle Bedürfnisse) vorgeführt wurde, bemühte man sich, Gästen aus Entwicklungsländern die organisatorische und fortschrittliche Arbeitsweise der Gewerkschaften zu vermitteln, inklusive etwa der Rolle der Frau im Rahmen ihrer Erwerbstätigkeit. Bei ‚Freunden‘ aus sozialistischen Staaten lag der Schwerpunkt auch bei den Gewerkschaften auf dem so genannten sozialistischen Erfahrungsaustausch, der, unter Anleitung und 843 Überblick des Minsker Gewerkschaftsrates über Auslandsbeziehungen für das Jahr 1968, ohne Datum, GAMN f. 2313, op. 1, d. 754, l. 4–19; Tabellarische Übersicht über ausreisende Touristen über den Minsker Gewerkschaftsrat für 1968, ohne Datum, ebd., l. 25–26. 844 Tabellarische Übersicht des Vitebsker Gewerkschaftsrates über Auslandsreisen für das Jahr 1974, ohne Datum, GAVO f. 2800, op. 5, d. 586, l. 8–9. 845 Bericht über die Arbeit des Minsker Gewerkschaftsrates über die Versendung sowjetischer Touristen ins Ausland, 1975, GAMN f. 1p, op. 72, d. 91, l. 28–42.
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Federführung der Sowjetunion (deren gewerkschaftliches System ohnehin zum großen Teil auf die Ostblockstaaten übertragen worden war), den Volkswirtschaften der RGW-Staaten und dem Leben ihrer Werktätigen zu Gute kommen sollte.846 Dabei gehörten zu einer Sowjetunionreise, insbesondere wenn sie im Rahmen des gewerkschaftlichen Tourismus organisiert worden war, unbedingt auch Betriebsbesichtigungen – umso mehr, als der hohe Industrialisierungs- und Modernisierungsgrad gerade in der BSSR einen Teil des Narratives vom nationalen Aufstieg unter der Sowjetmacht ausmachten. Welche Betriebe und Einrichtungen (etwa Schulen) durch Touristen besucht werden durften, wurde dabei im Vorfeld festgelegt, wobei die Auswahl für westliche Touristen deutlich strenger gehandhabt wurde als für Besucher aus den sozialistischen ‚Bruderstaaten‘. Beispielsweise erging durch die Verwaltung für Tourismus beim Ministerrat der UdSSR (!) im Juli 1968 eine Anweisung darüber, was im Rahmen touristischer Programme besichtigt werden durfte. Neben Industriebetrieben und Forstwirtschaft beinhaltete die vierseitige Liste auch konkrete Verkehrs- und Handelsbetriebe sowie medizinische, kulturelle und Bildungseinrichtungen. Waren zukünftige Besichtigungsorte einmal auf besagter Liste aufgetaucht, mussten sie gegebenenfalls noch für derartige Besuche hergerichtet werden: Eine Revision der entsprechenden Schulen ergab etwa, dass einige davon zwar Erfahrungen in der Arbeit mit ausländischen Touristen hätten, inzwischen aber in so schlechtem Zustand seien, dass man sie entweder renovieren oder durch Schulen in neu erbauten Mikrorayons (städtische Wohnbezirke mit kompletter Infrastruktur des täglichen Bedarfs, ‚Schlafstädte‘) ersetzen müsse.847 Parallel zur sorgfältigen Auswahl geeigneter Örtlichkeiten lief die gründliche methodische Vorbereitung des dortigen Personals. So wurden Mitarbeiter eigens für den Empfang ausländischer Touristengruppen geschult und beispielsweise auch auf die Beantwortung unbequemer Fragen vorbereitet: Gerade westdeutsche Besucher stellten demnach schwierige Fragen wie: „Könnte die BSSR aus der UdSSR austreten und ein eigenständiger Staat werden?“848 Besucher aus sozialistischen Staaten neigten dagegen zu mehr Vorsicht und somit häufig dazu, „Schablonenfragen“ zu stellen, deren Antworten sie aus der Propaganda oder der eigenen Schulbildung bereits kannten, die aber in jedem Fall politisch unverfänglich wa-
846 Schreiben des Belorussischen Gewerkschaftsrates an das ZK der KPB, 25.12.1975, NARB f. 4p, op. 56, d. 4, l. 123–127. 847 Oblast’gewerkschaftsrat Minsk, Liste für den Dienstgebrauch: Betriebe und Einrichtungen, welche durch ausländische Touristen besucht werden dürfen, 10.5.1975, GAMN f. 2313, op. 1, d. 1445, l. 20–25; Anweisung Nr. 32 der Verwaltung für Auslandstourismus beim MR der UdSSR vom 31.7.1968, 26.11.1968, NARB f. 100, op. 1, d. 26, l. 1–5; Überblick über den Zustand von Schulen und Kindergärten, 24.10.1968, ebd., l. 6–9. Zur Auswahl geeigneter Betriebe und Einrichtungen vgl. auch Donig: „Reisen ins ‚Arbeiterparadies‘“, S. 334–336. 848 Übersicht über die propagandistische Gruppe der 2. Zahnärztlichen Poliklinik in Minsk, ohne Datum (vermutl. 1968), NARB f. 100, op. 1, d. 26, l. 44–46; Übersicht über Besuchsobjekte in der Stadt Minsk, ohne Datum (vermutl. 1968), ebd., l. 96–101.
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ren.849 Eine Frage jedoch, so der Belorussische Tourismusrat, schien West- wie Ostdeutsche gleichermaßen zu beschäftigen: Welche Gefühle hegten sowjetische Menschen gegenüber den Deutschen? Die diesbezüglich empfohlenen Antworten sind jedoch leider nicht überliefert.850 Wenn die Forschung festgestellt hat, dass das sowjetische Reisebüro Inturist beständig „zwischen Skylla und Charybdis“, zwischen ideologischer Beeinflussung der Kunden und Gewinnstreben, agierte, so kann dies auch an der Gestaltung der Reiseprogramme in der BSSR abgelesen werden.851 Neben der ideologisch überhöhten und oftmals geschönten Vorführung der „sowjetischen Wirklichkeit“ gehörten zum Besuchsprogramm in der Belorussischen SSR, wie eingangs dargestellt, auch eine Reihe historischer und Gedenkstätten, vornehmlich in Verbindung mit dem Großen Vaterländischen Krieg und der Geschichte der Arbeiterbewegung. Dazu kamen insbesondere kulturelle Einrichtungen, die im Zusammenhang mit den „hervorragenden Repräsentanten der belorussischen Literatur“852 Janka Kupala und Jakub Kolas standen. Auch diese Besuchsorte waren durch die Tourismusverwaltung sorgfältig ausgewählt und für den Besuch freigegeben worden.853 Darüber hinaus reisten nahezu alle Touristen aus dem Ausland in der von sowjetischer Seite bevorzugten Form der Reisegruppe, deren Besuchsprogramme bereits im Vorfeld organisiert und geplant worden waren; damit wurde die weitgehende Umsetzung dessen, was sich die verantwortlichen sowjetischen Funktionäre unter einem „zielgerichteten“ Tourismus vorstellten, erst möglich. Dies betraf umso mehr Besucher aus dem sozialistischen Ausland, da deren nationalen Reiseanbietern, wie interne Einschätzungen des Reisebüros der DDR zeigen, relativ wenig Spielraum für Verhandlungen mit Inturist blieb.854 Umgekehrt versuchte die sowjetische Seite, wie eingangs für die Verhandlungen der Freundschaftsgesellschaften im Jahr 1958 dargestellt, ihre Vorstellungen eines für die sozialistische Gemeinschaft angemessenen Tourismus auch auf den 849 Bagdasarjan: Sovetskoe zazerkal’e, S. 140–144. 850 Übersicht über Besuchsobjekte in der Stadt Minsk, ohne Datum (vermutl. 1968), NARB f. 100, op. 1, d. 26, l. 96–101. 851 Vgl. dazu Popov: „Ėksport sovetskoj modeli“; sowie Bagdasarjan: Sovetskoe zazerkal’e, S. 67–77. 852 Inturist (Hrsg.): Minsk [Reiseführer], Moskau 1970, S. 8. 853 Genauer beinhaltete die Liste folgende Orte: Für die Stadt Minsk: Haus/Museum des ersten Parteitages der RSFSR, Museum der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges, Staatliches Museum der BSSR, Staatliches Kunst-Museum der BSSR, Literaturmuseum Janka Kupala, Literaturmuseum Jakub Kolas, Ausstellung über Errungenschaften der Volkswirtschaft, Gedenkstätte Chatyn’, Hügel des Ruhms (Kurgan Slavy), Museum der sowjetischpolnischen Zusammenarbeit (Lenino, Oblast’ Mogilov), Gedenkstätte/Wohnort Janka Kupalas (Dorf Vjasynka, 45 km von Minsk), Museum F.E. Dzeržinskij (Stadt Ivenec, 90 km von Minsk), Denkmal F.E. Dzeržinskij (Dorf Dzeržinovo, 110 km von Minsk); für die Stadt Brest: Gedenkstätte Brester Heldenfestung, Oblast Museum. Vgl. dazu: Hauptverwaltung für Auslandstourismus beim MR der BSSR, Mögliche Besichtigungsorte mit Kurzcharakteristik, ohne Datum [1978], NARB f. 100, op. 1, d. 139, l. 36–40. 854 Vgl. dazu beispielhaft: Interne Einschätzung des Reisebüros der DDR „über die Entwicklung des Tourismus in die UdSSR…“ vom 31.10.1973, BArch DM 102/556, unpag.
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deutschen Partner zu übertragen – wobei dies das Reisebüro der DDR nicht selten vor organisatorische Schwierigkeiten stellte. Dabei erwies sich vor allem die Durchführung von Betriebsbesichtigungen als stetes Problem: Zwar war die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft über die Ausrichtung so genannter Freundschaftstreffen, nicht selten in Betrieben, in die Betreuung sowjetischer Touristen involviert, weigerte sich jedoch, im Rahmen dieser Treffen auch Betriebsbesichtigungen anzubieten, da man sich dafür nicht zuständig fühlte. Dies sei vielmehr Sache der technisch-wissenschaftlichen Zusammenarbeit und habe, so der implizite Grundtenor, wenig mit Tourismus zu tun. Damit kollidierten die Genossen der DDR mit den Erwartungen des sowjetischen Reisebüros, was zu Unzufriedenheit und Beschwerden seitens sowjetischer Touristen führte: So hieß es im Monatsbericht zur Betreuung ausländischer Touristen durch das Reisebüro: „Ein großes Problem bleibt nach wie vor der ständige Wunsch sowjetischer Gruppen, während ihres Aufenthaltes in unserer Republik eine ganze Reihe von Betriebsbesichtigungen durchführen zu können.“855
Das Grundproblem war dabei doppelter Natur: Einerseits setzte Inturist die Teilnahme an Betriebsbesichtigungen wie selbstverständlich auf die vermarkteten Reiseprogramme, so dass sowjetische Touristen das Gefühl haben mussten, um einen Teil der gebuchten Leistungen ‚betrogen‘ zu werden. Andererseits reisten viele in gewerkschaftlich organisierten Reisegruppen und waren damit sogar verpflichtet, fachliche Eindrücke zu sammeln, über die sie bei ihrer Rückkehr würden berichten können.856 Zu ähnlichen Irritationen führte auch die Frage der Freundschaftstreffen. Hatte sich die DSF zwar grundsätzlich bereit erklärt, solche Treffen zwischen Werktätigen der UdSSR und der DDR auch für allgemeine touristische Reisegruppen zu organisieren, so führte spätestens Ende der 1960er Jahre das schiere Ausmaß an sowjetischen Touristen zu Überforderungen seitens der lokalen DSF-Gruppen. Da sowjetische Touristen stets auf den gleichen Routen unterwegs waren, kamen auch für Freundschaftstreffen immer die gleichen Bezirksvorstände und DSFBetriebsgruppen in Frage, die sich schließlich nicht mehr in der Lage sahen, den Andrang der ‚Freunde‘ zu bewältigen. Dabei schob man sich auch gerne gegenseitig die Schuld für Organisationsprobleme zu: Während Reiseleiter des Reisebüros, die den unmittelbaren Ärger sowjetischer Touristen und Reiseleiter zu spüren bekamen, die DSF beschuldigten, sich nicht um entsprechende Freundschaftstreffen zu kümmern, sah die DSF das Problem in der ungleichmäßigen Verteilung der Touristen und zu später Voranmeldung seitens des Reisebüros – Probleme, die offenbar noch in den 1980er Jahren nicht gelöst waren.857
855 Monatsbericht des RBDDR für den Monat Februar 1968, 19.3.1968, BArch DM 102/276, unpag. 856 Ebd. sowie: Notiz über Beratungen zwischen dem RBDDR und der DSF über die Betreuung von Reisegruppen im Jahr 1970, 9.9.1969, BArch DM 102/275, unpag. 857 Vgl. dazu ebd.; sowie verschiedene Monatsberichte des RBDDR für das Jahr 1968, BArch DM 102/276; Analysen von Eingaben und Beschwerden der Bezirksvorstände Erfurt und
281
5.2 Tourismus im Dienste der Freundschaft
Immerhin hatte sich die Zahl sowjetischer Touristen in der DDR – leider nicht differenzierbar nach Herkunftsrepubliken – von 1960 bis 1980 mehr als verzehnfacht (s. Tabelle), was die Schwierigkeiten der politischen ‚Betreuung‘ aus Sicht der Freundschaftsgesellschaft nachvollziehbar macht. Sowjetische Touristen in der DDR, Einreise über das Reisebüro der DDR858: 1960
1965
1970
1975
1980
5849
11 022
32 082
54 521
75 766
Probleme gab es jedoch nicht nur in der politischen Betreuung. Auch das Reisebüro der DDR unterlag den Tücken und Defiziten der sozialistischen Planwirtschaft und hatte daher mit Fragen der Hotelkapazität, Bereitstellung von Reisebussen und Betreuung in Restaurants zu kämpfen. Unvorhergesehene Änderungen im Plan, wie etwa der stärkere Zustrom sowjetischer Touristen in die DDR nach der vorübergehenden Stornierung sämtlicher ČSSR Reisen infolge der Ereignisse des Prager Frühlings, setzten dem Reisebüro zusätzlich zu. 859 Nichtsdestotrotz warb die DDR in der Sowjetunion im Allgemeinen, und auch gezielt in einzelnen Sowjetrepubliken, über Reiseausstellungen und andere Aktionen verstärkt für das „Reiseland DDR“. So organisierte das Reisebüro im Jahr 1969, anlässlich des 20jährigen Bestehens der DDR, der 25jährigen Befreiung vom Faschismus sowie des 100. Geburtstages V.I. Lenins in den Hauptstädten aller Unionsrepubliken „Tage der DDR-Touristik“.860 Höhepunkt dürfte für die Besucher ein Preisausschreiben zur Verlosung mehrerer DDR-Reisen gewesen sein, an dem sich immerhin 12 000 sowjetische Bürger beteiligten. Dabei erscheint es bemerkenswert, dass nun offenbar auch das Reisebüro der DDR sowjetische Bürger als echte ‚Kunden‘ entdeckt hatte: „Bei der Durchführung dieser Aktion wurden erstmalig neue Wege beschritten, indem die touristische Werbung (ökonomische Seite) und die Auslandsinformation (politisch-ideolo-
Frankfurt/Oder für das Jahr 1985, zu Fragen des Tourismus, 13.3. und 18.2.1968, SAPMOBArch DY 32/4556, fol. 125–129, 130–137. 858 Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik [Online-Ausgabe], Bd. 1965, Berlin (Ost) 1966, S. 470, http://www.digizeitschriften.de/dms/resolveppn/?PID=PPN514402 644_1965 (zugegriffen am 30.5.2017); Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik [Online-Ausgabe], Bd. 1973, Berlin (Ost) 1974, S. 395, http://www.digizeitschrif ten.de/dms/resolveppn/?PID=PPN514402644_1973 (zugegriffen am 30.5.2017); Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik [Online-Ausgabe], Bd. 1983, Berlin (Ost) 1984, S. 328, http://www.digizeitschriften.de/dms/resolveppn/?PID=PPN514402644_1983 (zugegriffen am 30.5.2017). 859 RBDDR, „Dienstreisebericht über die Dienstreise nach Moskau…“, 31.1.1968, BArch DM 102/282, unpag.; RBDDR, Generaldirektion, Bereich Ausländerbetreuung: Monatsbericht für April 1968, 12.7.1968, BArch DM 102/276, unpag.; ebd., Monatsbericht für August, September 1968, 15.11.1968, BArch DM 102/277. 860 „Bericht über die Vorbereitung und Durchführung der Reise der Freundschaft, an der 60 Preisträger und Gäste aus allen 15 Unionsrepubliken der UdSSR teilgenommen haben.“, ohne Datum [1969], BArch DM 102/415, unpag.
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5 Begegnungen gische Seite) eine Einheit bildeten. Das fand u. a. seinen Ausdruck in der Losung, die über diese ganze Aktion (sic!) stand ‚Reiseland, Freundesland – 20 Jahre DDR‘[…].“861
Dieses Motto, so das Reisebüro, spiegele sich auch in der Reiseroute der 28 Gewinner aus allen 15 Unionsrepubliken wider: So sollten einerseits landschaftliche und kulturelle Sehenswürdigkeiten der Republik gezeigt werden sowie deren sozialistische Entwicklung, andererseits aber auch die Freundschaft zur Sowjetunion herausgestellt werden. Besondere Höhepunkte bildeten Stätten, die mit der Geschichte der Arbeiterbewegung verbunden waren sowie „[…] die Ehren- und Ruhestätten der im Kampf gegen den Faschismus gefallenen Sowjetsoldaten und antifaschistischen Widerstandskämpfer, [die] der Obhut, Pflege und Fürsorge der gesamten Bevölkerung der DDR anvertraut wurden und in Ehren gehalten werden.“862
Damit folgte auch der Tourismus der DDR jener spezifischen Mischung aus neuen, sozialistischen und alten, bürgerlichen Tourismuskonzepten und bemühte sich zudem, touristische Reisen zielgruppenorientiert für die Auslandspropaganda einzusetzen. Dabei zeigte sich das sowjetische Reisebüro Inturist trotz allem wenig kompromissbereit in der Frage der Variation der Reiseprogramme – einem der zentralen Anliegen der überlasteten Kreis- und Bezirksverbände der Freundschaftsgesellschaft –, wie eine interne Einschätzung der DSF aus dem Jahre 1970 zeigt. Demnach reisten sowjetische Touristen zwar auf acht unterschiedlichen Routen, alle diese Routen beinhalteten jedoch die Städte Berlin, Leipzig, Dresden und Weimar, die unbedingt zu einem Deutschlandbesuch gehörten. Inturist seinerseits sah keinerlei Veranlassung, auf weniger besuchte Ziele, etwa im Raum Thüringen, im Erzgebirge oder in der Lausitz, auszuweichen.863 Eine Reisebroschüre des belorussischen Gewerkschaftsrates für eine „10-tägige touristische Reise durch die DDR“ aus dem Jahre 1961 zeigt das detaillierte Programm einer solchen Touristenreise: „1. Tag: Morgens: Ankunft in Berlin und Unterbringung im Hotel, Ausflug durch Berlin mit Besuch des Pergamon-Museums oder der Nationalgalerie und des Sowjetischen Ehrenmals im Treptower Park. Abends – Theaterbesuch. 2. Tag: Nach dem Frühstück: Fahrt nach Potsdam, Stadtbesichtigung und Besuch der Schlösser Sanssouci und Cecilienhof. Nach dem Mittagessen: Fahrt nach Leipzig, Unterbringung im Hotel. 3. Tag: Ausflug in die Stadt und Besuch des Georgi-Dimitroff-Museums sowie der IskraGedenkstätte. Nach dem Mittagessen: Besuch der Leipziger Messe. 4. und 5. Tag: Besuch der Leipziger Messe und fakultative Veranstaltungen. 6. Tag: Bis zum Mittagessen Messebesuch, danach Fahrt nach Weimar, Unterbringung im Hotel. 7. Tag: Ausflug in die Stadt mit Besuch des Goethe-Museums, des Schiller-Museums, und des List-Museums. Nach dem Mittagessen: Ausflug in das frühere Konzentrationslager Buchenwald. 861 Ebd. 862 Ebd. 863 „Einschätzung der Freundschaftstreffen und Fachbesichtigungen aller im Jahre 1970 in die DDR eingereisten Touristengruppen aus der Sowjetunion“, ohne Datum, DY 32/608, unpag.
5.2 Tourismus im Dienste der Freundschaft
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8. Tag: Nach dem Frühstück: Fahrt nach Meissen, Besuch einer Porzellanausstellung, des Albrecht-Dürer-Schlosses und der Kirche. Nach dem Mittagessen: Fahrt nach Dresden, Unterbringung im Hotel. 9. Tag: Ausflug durch die Stadt mit Besichtigung des Palastensembles Zwinger und Besuch des Staatlichen Museums mit der ‚Grünen Sammlung‘. Nach dem Mittagessen Ausflugsfahrten in die Sächsische Schweiz. 10. Tag: Besuch der Dresdner Gemäldegalerie. Nach dem Mittagessen Abfahrt nach Berlin. Abendessen in Berlin und Abfahrt in die UdSSR.“864
Dabei waren zwar als „fakultative Veranstaltungen“ am vierten und fünften Tag Besichtigungen von Industrie- und Landwirtschaftsbetrieben oder anderer Einrichtungen vorgesehen sowie Treffen mit Werktätigen der DDR, jedoch orientierte sich die übrige Programmgestaltung auffallend an bürgerlichen Tourismusvorstellungen und einem Kulturverständnis in ganz klassischem Sinne.865 Lediglich der Besuch des Sowjetischen Ehrenmals, des Dimitroff-Museums, der Iskra-Gedenkstätte und Buchenwalds entsprachen dem, was sich sowjetische Funktionäre unter einem sozialistischen Tourismus vorstellten. Es scheint jedoch, als hätte sich die Gewichtung im Laufe der Zeit zunehmend in Richtung dessen verschoben, was der ukrainische Historiker Aleksej Popov als „politische Thematik“ in zwei Gruppen beschreibt – und was auch in der oben erwähnten Preisrätselreise aufscheint: Auf der einen Seite standen Objekte, die die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung beziehungsweise die Revolutionsgeschichte thematisierten, auf der anderen Seite, und noch weitaus wichtiger, Orte, die an die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs erinnerten. Gerade Letztere dürften für Besucher aus der Partisanenrepublik BSSR eine besondere Bedeutung besessen haben. Als wichtigste Anziehungspunkte für sowjetische Touristen erwiesen sich dabei, bis zu einem gewissen Grad durch die beiden Reisebüros gesteuert, die Gedenkstätte Buchenwald, das Museum in Berlin-Karlshorst als Unterzeichnungsort der bedingungslosen Kapitulation sowie die Gedenkstätte auf den Seelower Höhen, die an die entscheidende Schlacht im Sturm auf Berlin erinnerte.866 Dazu kamen bis zum Ende der DDR immer mehr verschiedene Reiserouten – 1960 bot Inturist 4, Mitte der 1970er Jahre bereits 50, Mitte der 1980er Jahre dann 60 unterschiedliche DDRReiseprogramme an867 – die mehr und mehr auch die sozialistische Moderne ‚entdeckten‘, wie zum Beispiel die am Reißbrett entstandene Vorzeigestadt Eisenhüttenstadt, die Städte Suhl (Simson-Werke), Eisenach (Wartburg) oder Karl-MarxStadt. Neben der angestrebten besseren Verteilung der zunehmend größeren Touristenzahlen kam man damit eigentlich auch den expliziten Wünschen Inturists entgegen: Noch 1968 war man dort der Meinung,
864 Reisebroschüre des Belorussischen Gewerkschaftsrates für die DDR, 1961, GAMN f. 2313, op. 1, d. 349. 865 Ebd. 866 Popov: „Ėksport sovetskoj modeli“, S. 158–159. 867 Ebd.
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5 Begegnungen „[…] daß auf den Reisen durch die DDR zu viele alte Denkmäler und zu wenig der Neuaufbau und das Neue überhaupt in der DDR gezeigt werden.“868
Allerdings scheint dies nicht unbedingt den Wünschen aller Touristen entsprochen zu haben. Daher versuchte Inturist im Jahre 1977, in Verhandlungen mit dem Reisebüro der DDR eine Ausweitung der Touristenkontingente für die noch immer beliebtesten Städte Berlin, Dresden und Leipzig zu erreichen – und damit dem steten Balanceakt zwischen theoretisch-ideologischem Selbstverständnis und ökonomisch-pragmatischen Zwängen gerecht zu werden.869
5.2.3 Gelenkte Emotionen: Reisen zu den ‚Freunden‘ Seit Beginn der 1960er Jahre reisten mehr und mehr sowjetische Bürger in das „Freundesland“ DDR, das sich zu einem der beliebtesten Reiseziele innerhalb der sozialistischen Staaten entwickeln sollte. Doch obwohl es sich bei den Deutschen der DDR, mindestens dem offiziellen Duktus nach, um ein eng verbundenes Brudervolk handelte, konnten sich sowjetische Touristen dort vor allem insofern ‚wie zu Hause‘ fühlen, als die strikte soziale und politische Kontrolle des gesellschaftlich-öffentlichen Lebens gleich mit in den Urlaub exportiert wurde: Eine Touristenreise war mitnichten eine reine Privatangelegenheit. Nicht nur im Vorfeld nämlich unterlagen die Reiseteilnehmer einer umfassenden Überprüfung, sondern auch während der Reise selbst setzten sich Kontrolle und Überwachung fort: Zu diesem Zweck begleiteten meist politisch geschulte Reiseleiter jede ins Ausland reisende sowjetische und in die Sowjetunion reisende deutsche Touristengruppe. Diese waren dabei nicht nur für die Reiseplanung und Organisation vor Ort zuständig, sondern in erster Linie auch dafür, das Verhalten ‚ihrer‘ Touristen im Ausland zu beobachten, über die Reise schriftlich zu berichten und eventuelles Fehlverhalten zu verhindern bzw. zu dokumentieren. Die dabei entstandene Fülle an Reiseberichten wird besonders von osteuropäischen Wissenschaftlern zuneh868 RBDDR, „Dienstreisebericht über die Dienstreise nach Moskau…“, 31.1.1968, BArch DM 102/282, unpag.; DSF-ZV, „Einschätzung der Freundschaftstreffen und Fachbesichtigungen aller im Jahre 1970 in die DDR eingereisten Touristengruppen aus der Sowjetunion“, ohne Datum, DY 32/608, unpag.; „Strana druzej – strana turizma [Land der Freunde – Land des Tourismus]“, DDR-Reisebroschüre, um 1969, BArch DM 102/415 unpag. 869 Besagte Verhandlungen endeten im Übrigen ohne Erfolg für das sowjetische Reisebüro. Damit zeigen sie auch, dass sich das Reisebüro der DDR zwar bemühte, den sowjetischen Wünschen nachzukommen, dass dies aber keinesfalls um jeden Preis geschehen musste. Vielmehr verstanden sich beide Reisebüros bis zu einem gewissen Grad als Dienstleister, die möglichst wirtschaftlich arbeiten sollten und daher auch versuchten, den Wünschen ihrer Kunden nachzukommen. Da ein Teil der Kunden – diejenigen aus kapitalistischen Ländern – jedoch deutlich besser und in Devisen bezahlten, lässt sich immer wieder beobachten, dass gewisse Reiseziele für Kunden aus sozialistischen Staaten gerade zur Hauptreisezeit schwerer zugänglich waren – wie etwa die Schwarzmeerkreuzfahrten des sowjetischen Anbieters Morflot. Möglicherweise hing auch damit die Weigerung des Reisebüros der DDR zusammen, die Anzahl sowjetischer Touristen in den besonders beliebten Städten der DDR zu erhöhen. Vgl. dazu Popov: „Ėksport sovetskoj modeli“, S. 157; Salmon: „Marketing Socialism“, S. 198.
5.2 Tourismus im Dienste der Freundschaft
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mend als Quelle genutzt, um Eindrücke, Verhalten sowie Emotionen sowjetischer Touristen im Ausland zu erforschen.870 So hat sich etwa Aleksej Popov unter anderem mit den Emotionen sowjetischer Touristen in der Auseinandersetzung mit ihren Reiseerfahrungen, vornehmlich in westlichen Staaten, beschäftigt. Vorrangiges Ziel der ideologischen Beeinflussung vor und während der Reise, so Popov, sei es gewesen, diese Emotionen der Reisenden in die gewünschte Richtung zu lenken und so die Widersprüche zwischen Propaganda (über das Reiseland) und Wirklichkeit wenn nicht aufzulösen, so doch in möglichst plausible Bahnen zu lenken.871 Diese Überlegungen lassen sich durchaus auch auf Reisen in die sozialistischen Bruderländer übertragen: Unter anderem durch die Arbeit der Freundschaftsgesellschaften in längerer Perspektive sowie durch die unmittelbar vor der Abreise erfolgten Instruktionen wurde sowjetischen (belorussischen) und deutschen Touristen nicht nur ein Bild des Reiselandes vermittelt, sondern gleichzeitig auch versucht, entsprechende Emotionen – freundschaftliche Gefühle zum sozialistischen Brudervolk – zu wecken. Dass dies gerade im Fall der ehemaligen Kriegsgegner nicht immer so reibungslos funktionierte, wie die zuständigen Funktionäre beabsichtigten, oder dass sich im Fall einer positiven Beeinflussung daraus wieder ganz andere Schwierigkeiten, wie etwa enttäuschte Hoffnungen und Erwartungen, ergeben konnten, zeigen Reiseberichte belorussischer Touristengruppen in die DDR sowie ostdeutscher Gruppen in die Sowjetunion. Umgekehrt interessierten sich auch die verschiedenen Reiseveranstalter für die im Land weilenden ausländischen Besucher und beauftragten ihre Angestellten, so genannte Reiseführer-Dolmetscher (gid-perevočik), ebenfalls Berichte über den Aufenthalt ihrer Reisegruppen zu erstellen. Dies hatte zum einen ganz pragmatisch-organisatorische Gründe: Wie war die Betreuung in den jeweiligen Hotels, wie verliefen Freundschaftstreffen, inwiefern waren die Touristen zufrieden mit der Leistung des Reiseanbieters? Zum anderen betraf es aber auch die auslandsinformatorische Seite: Welche Eindrücke nahmen die Touristen mit, wie äußerten sie sich über ihr Gastland, nicht zuletzt: Welche politischen Meinungen äußerten sie? Dabei arbeitete nicht nur das Reisebüro aktiv an der Aushorchung
870 Vgl. z. B. Popov: „Ėksport sovetskoj modeli“; Popov: „Sovetskie turisty za rubežom“; Orlov: „The Soviet Union Outgoing Tourism“; Čistikov, A.N.: „,Ladno l’ za morem il’ chudo?‘ Vpečatlenija sovetskich ljudej o zagranice v ličnych zapisjach i vystuplenijach (seredina 1950-ch–seredina 1960-ch gg.)“, Novejšaja istorija Rossii / Modern history of Russia 1 (2011), S. 167–177; Ševyrin: „Za granicu“. 871 Popov: „Sovetskie turisty za rubežom“, S. 5. Dass dies freilich kein Novum und nicht auf sowjetische Touristen im Ausland beschränkt blieb, hat Natalia Donig für deutsche Delegationsreisen in die Sowjetunion in den 1950er Jahren aufgezeigt: Auch sie spricht von einer dezidierten emotionalen Beeinflussung; so habe die sowjetische Freundschaftsgesellschaft VOKS ihre Reiseprogramme dahingehend konzipiert, ausländischen Besuchern ein umfassendes emotionales Erlebnis zu bieten, das ‚falsche‘ Vorstellungen und Ressentiments über die ‚sowjetische Wirklichkeit‘ überwinden helfen sollte, vgl. dazu Donig: „Reisen ins ‚Arbeiterparadies‘“, S. 326–327, 336–337.
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der Touristen: So wurde in der Forschung bereits aufgezeigt, dass sich in der DDR auch das MfS mindestens für westliche ausländische Touristen interessierte.872 Dabei stellen die Reiseberichte der Reisegruppenleiter eine nicht ganz unproblematische Quellengattung dar. Sie folgten meist einem festen Raster an Fragen, die durch den Berichtenden ‚abgearbeitet‘ werden sollten: Größe und soziale Zusammensetzung der Gruppe, besuchte Objekte/Sehenswürdigkeiten laut Plan und darüber hinaus, Unzulänglichkeiten in der Arbeit der Reiseveranstalter, Qualifikation des (einheimischen) Reiseführer-Dolmetschers, Niveau der Dienstleistungen in Hotels und Restaurants, Resultate von Treffen mit der Bevölkerung sowie eventuelle Konfliktsituationen zum Beispiel durch das Verhalten der Reiseteilnehmer. Dadurch ergab sich schon in der Themenwahl eine gewisse Einschränkung für den Verfasser, der lediglich durch unterschiedlichen Umfang im Eingehen auf die einzelnen Punkte variieren konnte. Darüber hinaus handelte es sich hier weder um eindeutig subjektive Eindrücke einzelner Reisender noch um ein unbedingt repräsentatives Meinungsbild der ganzen Gruppe – nicht immer ist erkennbar, ob der Reisegruppenleiter nun vorwiegend eigene Eindrücke oder Meinungstendenzen der ganzen Gruppe widergibt. Nicht zuletzt darf auch die Frage der Selbstzensur nicht außer Acht gelassen werden: Obwohl Kritik im vorgegebenen Rahmen durchaus möglich war (in sowjetischen Reiseberichten stärker als in deutschen, wie noch zu zeigen sein wird), schien es auch für den Reisegruppenleiter nicht immer opportun, über jedes unangenehme Vorkommnis Zeugnis abzulegen: Abgesehen davon, dass das einmal festgehaltene Fehlverhalten eines Teilnehmers unter anderem zu dessen Ausschluss von weiteren Auslandsreisen führen konnte, hatte ja auch der Gruppenleiter seine Kompetenz unter Beweis zu stellen, indem er ebensolches Fehlverhalten verhinderte und mag sich in weniger schwerwiegenden Fällen daher entschieden haben, manche Probleme schlicht nicht weiterzuleiten. Darüber hinaus lässt die Länge, oder vielmehr bestechende Kürze, einer ganzen Anzahl der gesichteten Berichte vermuten, dass sich nicht jeder Gruppenleiter wohl in seiner Überwacherrolle fühlte und daher auf politische ‚Einschätzungen‘ jedweder Art verzichtete. Nichtsdestotrotz erscheinen die vorgestellten Reiseberichte erstaunlich offen: So waren auch kritische Bemerkungen über das Gastland und die sozialistischen Brudervölker in diesem Rahmen durchaus möglich und üblich, im Gegensatz etwa zu in der Presse erschienenen Reiseberichten, die ganz ideologiekonform keinerlei kritische Töne erlaubten.873 Obwohl diese Tatsache einen guten Einblick in die Reiseerfahrungen sowjetischer (und deutscher) Touristen gibt, darf andererseits nicht übersehen werden, dass eine große Zahl von Reiseberichten lediglich die unbedingt erforderlichen Angaben enthält – und somit der Reisegruppenleiter aus o.g. Gründen nur Positives
872 Vgl. dazu Tantzscher, Monika: „‚Der Paßkontrolleur ist ein Diplomat in Uniform‘. Die Überwachung des Reise- und Touristenverkehrs durch das MfS“, Deutschland-Archiv 36/2 (2003), S. 219–233. 873 Einen guten Überblick zur Quellengattung Reiseberichte im Kontext des sowjetischen Auslandstourismus sowie deren Problematisierung gibt Čistikov: „Vpečatlenija sovetskich ljudej o zagranice“, S. 170–171.
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berichten wollte oder es tatsächlich überwiegend Positives zu berichten gab. Anders gesagt, darf die Konzentration auf kritische Punkte innerhalb der Berichte kein verzerrtes Bild entstehen lassen, sondern der gesamte Kontext muss in die Untersuchung mit einbezogen werden. Allerdings soll und kann im Rahmen dieser Arbeit keine quantitative Auswertung der Reiseberichte vorgenommen werden: Dies erscheint – schon aufgrund der Fülle an Berichten, des langen Untersuchungszeitraumes sowie der großen Anzahl verschiedener Reiseveranstalter (Inturist, Gewerkschaften, Jugendreisen, Dienstreisen) – nicht praktikabel.
5.2.3.1 „[Z]wei Gesichter Deutschlands“: Belorussische Touristen in der DDR Im August 1969 besuchte eine 31köpfige Reisegruppe, Nr. V532/010833, organisiert durch den Minsker Gewerkschaftsrat, im Rahmen einer 14tägigen Rundreise die Nachbarländer DDR und ČSSR.874 Dabei handelte es sich, folgt man dem außergewöhnlich umfangreichen, dreiseitigen Bericht des Reisegruppenleiters, jedoch um kein ganz ungetrübtes Vergnügen: Zu kurz sei die Reisedauer gewesen für das (nicht näher beschriebene) umfangreiche Programm, zu wenig einheitlich die berufliche, soziale und politische (!) Zusammensetzung der Reisegruppe. Letzteres habe eine vernünftige und zielgerichtet ‚Arbeit‘ zumindest erschwert – ein Kritikpunkt, der eindeutig an die verantwortlichen Stellen zu Hause ging. Allerdings blieben auch die Gastgeber von Kritik nicht verschont, insbesondere die Reiseführer: Obwohl beide Kollegen – die deutsche sowie der tschechische „GidPerevočik“ – alle Aufgaben gewissenhaft gelöst und alle Bitten und Fragen bereitwillig erfüllt und beantwortet hätten, genügte vor allem die deutsche Begleiterin mit ihren Russischkenntnissen „ziemlich primitiven Charakters“ nicht den hohen Anforderungen zumindest des Gruppenleiters. Zudem habe sie einen übergroßen Akzent auf kulturelle Fragen gelegt und vieles des „vergangenen Deutschland“ gezeigt; politischen Fragen sei sie dagegen ganz aus dem Weg gegangen oder habe falsche „Interpretationen“ geliefert, insbesondere des Sowjetischen Ehrenmals im Treptower Park und des Soldatenfriedhofs in Weimar. Dass der Umgang mit dem Gedenken an den Zweiten Weltkrieg für die sowjetischen Touristen eine elementare Frage darstellte, zeigt auch die Unzufriedenheit mit dem Besuch entsprechender Gedenkorte: Nur selten habe man die Möglichkeit gehabt, Nelken und Kränze niederzulegen; überhaupt sei der ganze Vorgang an sich weit weniger zeremoniell vonstattengegangen, als man das von zu Hause gewohnt war, ja regelrecht „beiläufig“ geschehe dies in der DDR. Weitere politische Schlussfolgerungen zog der Bericht jedoch nicht. Im Gegensatz dazu zeigte sich der Reisegruppenleiter recht zufrieden mit dem allgemeinen Dienstleistungsniveau: Hotels, Transportmittel und kulinarische Versorgung hätten sich als gut und ausreichend erwiesen; dass sich einige der Touristen dennoch über die deutsche Küche
874 Vgl. dazu und für das Folgende: Bericht über die Reise der Gruppe Nr. V532/010833 vom 17.–30. August 1969 in die ČSSR und die DDR, GAMN f. 2313, op. 1, d. 824, l. 10.
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beschwerten und lieber wie zu Hause gegessen hätten, verbuchte er dem Tenor nach als typisches, aber nicht den Gastgebern anzulastendes Phänomen. Aller angeführten Kritik zum Trotz kam der Bericht schließlich zu einem erstaunlichen Urteil: „Die Gruppe fühlte sich in der DDR unbeschwert, unkompliziert und fast wie zu Hause.“ Dazu hatte möglicherweise auch ein fast fünfstündiges Treffen mit deutschen Werktätigen beigetragen, bei dem die belorussischen Besucher viel über das Leben und Arbeiten in der DDR erfahren hätten. Wirklich nachvollziehbar wird obige Einschätzung aber erst, wenn man die Erfahrungen im zweiten Reiseland hinzunimmt: So hatte die Gruppe, ziemlich genau ein Jahr nach der gewaltsamen Niederschlagung des Prager Frühlings durch sowjetische Truppen, in der ČSSR weniger erfreuliche Erfahrungen gemacht: Armee- und Polizeipatrouillen auf den Straßen, Unruhen unter Jugendlichen sowie gelegentliches demonstratives Nicht-Bedient-Werden in Geschäften boten einen lebhaften Kontrast zum deutschen Nachbarstaat und mag die Reisenden aus der Sowjetunion stärker als jede Freundschaftspropaganda von der Vorbildlichkeit der deutschen Freunde überzeugt haben.875 Der vorgestellte Bericht erweist sich nicht unbedingt als beispielhaft. Nur selten enthalten die Reiseberichte belorussischer Gruppen derart viele verschiedene Aspekte und vor allem Kritikpunkte.876 Dennoch reißt er wichtige Themen an, die in der einen oder anderen Form immer wieder zur Sprache kamen. Auf der einen Seite standen dabei sämtliche Aspekte, die die Organisation der Reise selbst betrafen, also Reiseroute, Dienstleistungen, Zufriedenheit mit der Reiseleitung usw. und die damit nicht nur auf das Reiseziel DDR zu beziehen sind, sondern auch Erwartungen und Ansprüche sowjetischer Touristen an eine Reise ins (sozialistische) Ausland allgemein widerspiegeln. Dies betraf etwa die Auswahl der Reiseroute und der Orte und Sehenswürdigkeiten, die im Laufe des Aufenthaltes besichtigt werden sollten. Beides wurde üblicherweise durch das Reisebüro der DDR festgelegt, das Routenvorschläge entwickelte und diese dann gegebenenfalls mit Inturist absprach. Dabei kam es nicht selten zu Konflikten, insbesondere zwischen ‚Altem und Neuem‘, also bürgerlich-kulturell geprägtem Tourismusverständnis einerseits und den Forderungen der sowjetischen Seite nach einer neuen Form des sozialistischen Tourismus andererseits, der es den Reisenden ermögli875 Rachel Applebaum zeigt in ihrer Studie eindrücklich, wie sowjetische Touristen in der ČSSR nach der Niederschlagung des Prager Frühlings zunehmend als Eindringlinge und Besatzer wahrgenommen und behandelt wurden. Interessanterweise hielt dies die sowjetischen Verantwortlichen nur wenige Wochen davon ab, sowjetische Touristengruppen in die ČSSR zu entsenden; vielmehr bemühte man sich nun, politisch besonders gefestigte und geschulte Sowjetbürger als Touristen auszuwählen – ein weiterer Hinweis auf die beabsichtigte auslandsinformatorische ‚Verwendung‘ sowjetischer Touristen. Vgl. dazu: Applebaum: Friendship of the peoples, S. 227–232. 876 Ausgewertet wurden 48 RGL-Berichte aus den 1960er und 1970er Jahren in die DDR, vornehmlich von gewerkschaftlich organisierten Reisen (Staatliches Archiv des Gebietes Vitebsk (GAVO), Bestand 2800: Gebietsgewerkschaftsrat; Staatliches Archiv des Gebietes Minsk (GAMN), Bestand 2313: Gebietsgewerkschaftsrat). Ergänzend dazu wurden Berichte über die Betreuung ausländischer Touristen durch das Reisebüro der DDR herangezogen (Bundesarchiv Berlin, Bestand DM 102: Reisebüro der DDR).
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chen sollte, Eindrücke und Erfahrungen über den sozialistischen Aufbau im Reiseland zu sammeln. Dies spiegelte sich auch in den Reiseberichten wider, allerdings mit weit weniger klarer Tendenz, als sich das sowjetische Tourismusverantwortliche möglicherweise gewünscht hätten. Wie im obigen Bericht, so fanden sich auch in einigen anderen ähnliche Beschwerden über zu viel ‚rückwärtsgewandte‘ Besichtigungen: So bemängelte ein Reisebericht noch 1976, als das Reisebüro bereits zahlreiche ‚neue‘ Routen eingeführt hatte, dass im Zuge der Stadtbesichtigungen zu wenig über das gegenwärtige Leben zu erfahren sei; dies gelte im Übrigen noch mehr für Polen, wo man die Gruppe fast ausschließlich über frühere Könige und Bischöfe unterrichtet habe.877 Auch Betriebsbesichtigungen wurden immer wieder vehement eingefordert, und selbst wo zwei von drei geplanten realisiert werden konnten, vermissten die Touristen die dritte. Auch kam es vor, dass die Besucher aus der BSSR mit der Qualität der besichtigen Betriebe nicht zufrieden waren. So bemerkte ein Reisegruppenleiter enttäuscht, man habe ihnen keine fortschrittlichen Betriebe gezeigt, sondern lediglich solche, die in punkto Mechanisierung und Arbeitssicherheit deutlich schlechter als entsprechende Minsker Betriebe seien. Dies wirft nicht nur ein Licht auf die hohen Ansprüche sowjetischer Besucher allgemein, sondern auch auf die großen (technischen) Erwartungen, die man an die deutschen Freunde stellte.878 Wie die amerikanischen Historikerinnen Diane Koenker und Anne Gorsuch argumentieren, lag der Grund für das große Interesse am sozialistischen Neuaufbau jedoch nicht nur im Weiterbildungsauftrag sowjetischer Touristen: Vielmehr mag dies auch mit der Selbstwahrnehmung sowjetischer Bürger im ‚befreundeten‘ sozialistischen Ausland zu tun gehabt haben: So besichtigten sie eben nicht nur die Aufbauerfolge des Brudervolkes, sondern mit einem gewissen Stolz auch die Ergebnisse ihrer eigenen Hilfe für diesen Aufbau.879 Demgegenüber stand allerdings die Tatsache, dass viele Touristen eben doch die ‚klassischen‘ Reiserouten schätzten, wie auch aus den Reiseführer-Berichten des DDR-Reisebüros deutlich wird. Demnach wirkten Dresden und Leipzig sowie ein Kulturprogramm mit Museums- und Theaterbesuchen in Berlin auch weiterhin sehr attraktiv: „Der Theaterbesuch bildet für die meisten Gruppen fast immer einen gewissen Höhepunkt ihres Aufenthaltes in unserer Republik […]“. Die neuen Routen kämen dagegen weniger gut an; Städte wie Eisenhüttenstadt, Stralsund oder Rostock böten nichts und führten zu Langeweile und zu viel Freizeit unter 877 Reisebericht der Gruppe 675/212, Polen und DDR, Oktober 1976, GAMN f. 2313, op. 1, d. 1396, l. 40–41. 878 Vgl. dazu: RBDDR, Generaldirektion, Bereich Ausländerbetreuung: Monatsberichte für April und Mai 1968, 12.7. u. 10.9.1968, BArch DM 102/276, unpag.; Gewerkschaftsrat des Gebietes Minsk an das ZK der KPB: Tätigkeitsbericht bzgl. Auslandreisen sowjetischer Bürger für das Jahr 1975, 28.12.1975, GAMN f. 1p, op. 72, d. 91, l. 28–42, hier: 10; Reisebericht der Gruppe Nr. 402–005, 7.–20. Juli 1976, GAMN f. 2313, op. 1, d. 1396, l. 142–147. Umgekehrt wurden auch besonders gelungene Betriebsbesichtigungen lobend erwähnt, vgl. z. B. „Bericht der Reise sowjetischer Erholungssuchender in die Deutsche Demokratische Republik“, 21.7.1979, GAMN f. 2313, op. 1, d. 825, l. 62–63. 879 Gorsuch: All this is your world, S. 89; Koenker: Club Red, S. 244–245.
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den Touristen.880 Tatsächlich tauchte gerade dieses Problem häufiger auf: Immer wieder bemängelten Reiseberichte zu viel Freizeit und zu wenig Programm. Dies mag zum Teil mit den Erwartungen und Gewohnheiten der Besucher zusammenhängen, die, aufgrund von Reiseerzählungen und Presseberichten, eine vollständige Betreuung erwarteten und nicht darauf gefasst waren, ihre Zeit auf eigene Faust zu verbringen. Zum anderen dürften diese Hinweise aber auch der Sorge der Reisegruppenleiter geschuldet gewesen sein, die dafür verantwortlich waren, ihr ‚Kollektiv‘ zusammenzuhalten und individuelle Kontakte zur einheimischen Bevölkerung möglichst einzudämmen.881 Relativ zufrieden waren die meisten Gruppen dagegen mit der Unterbringung im Hotel und der Dienstleistungsmentalität vor Ort, die im Vergleich mit der häufig schlechteren sowjetischen Realität als durchaus vorbildlich empfunden wurde. Größere Schwierigkeiten ergaben sich dagegen mit der deutschen Küche, die einigen Besuchern offenbar wenig zusagte – und zwar nicht ganz zu Unrecht, wie der Bericht einer Reiseführerin des Reisebüros zeigt: „[…] wie lieblos die Touristen oft verpflegt werden und ich bin zu der Schlußfolgerung gekommen, in manchen Gaststätten bekommen die Touristen d a s, was weg muß, ganz gleich, ob es im ‚Menü‘ zusammenpaßt oder nicht!“
Überhaupt sahen die Angestellten des Reisebüros die gastronomische Situation durchaus kritischer als die belorussischen Besucher, die sogar Glasscherben im Essen und eine Lebensmittelvergiftung durch verdorbene Speisen als offenbar verzeihbare Unannehmlichkeiten und die Reise insgesamt als Erfolg beurteilten.882 Viel mehr Anlass zu ernsthaften Beschwerden gab dagegen die Tätigkeit der einheimischen Reiseführer. Neben den organisierten Freundschaftstreffen waren sie das erste und oft einzige Bindeglied der belorussischen sowjetischen Touristen zur einheimischen Bevölkerung. Umso aufmerksamer und kritischer wurden ihre Arbeit und ihr Verhalten beobachtet und in den Berichten festgehalten. Es wurde 880 RBDDR, Generaldirektion, Bereich Ausländerbetreuung: Berichtszeitraum April/Mai 1969, 30.6.1969, BArch DM 102/275, unpag.; vgl. dazu z. B. auch: Reisebericht zur Gruppe G-9 aus Minsk, 24.6.–9.7.1969, GAMN f. 2313, op. 1, d. 825, l. 68–69; Reisebericht der Gruppe Nr. 402-005, 7.–20. Juli 1976, GAMN f. 2313, op. 1, d. 1396, l. 142–147. 881 Reisebericht einer Gruppe nach Polen u. in die DDR, 29.5.1980, GAMN f. 2313, op. 1, d. 1643, unpag.; Reisebericht einer Gruppe in die DDR, 3.–19.4.1979, GAMN f. 2313, op. 1, d. 1584, unpag.; Reisebericht der Gruppe 012070 aus Vitebsk in die DDR und ČSSR, 22.2.– 7.3.1974, GAVO f. 2800, op. 5, d. 585, l. 25–29. 882 Die Reiseführer des Reisebüros bemängelten immer wieder unsaubere Hotels, schlechte Zimmer und kaltes Wasser in den Unterkünften, vgl. RBDDR, Monatsbericht für Mai 1968, 10.9.1968, BArch DM 102/275, unpag. Zur Frage des Essens vgl. z. B. Reisebericht einer Minsker Gruppe in die DDR, 24.10.–5.11.1969, GAMN f. 2313, op. 1, d. 825, unpag. sowie Reisebericht einer Minsker Gruppe in die DDR und Polen, 20.6.1980, GAMN f. 2313, op. 1, d. 1643, unpag. Viele Reisegruppen waren trotz Pannen, Ausfällen und zeitweilig schlechter Unterbringung erstaunlich zufrieden mit ihrer Reise, vgl. z. B. Reisebericht der Gruppe S-615 aus Minsk, 7.3.–20.3.1969, GAMN f. 2313, op. 1, d. 825, unpag. Zur Bewunderung für die Dienstleistungsmentalität in den sozialistischen Bruderländern vgl. Koenker: Club Red, S. 251–252.
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bereits darauf hingewiesen, dass sich die Vorstellungen über Sehens- und Erfahrenswertes der Reiseführer oft nicht mit denen sowjetischer Touristen deckten: Zuviel Kultur und zu wenig Zeitgemäßes lautete nicht selten der Vorwurf von Seiten der Besucher, genauso wie mangelndes (politisches) Engagement: Die Reiseführer vor Ort sollten einen klaren sozialistischen Standpunkt vertreten, die deutsche Geschichte in dieser Hinsicht richtig interpretieren und gegebenenfalls bereits sein, mit den sowjetischen Besuchern über derartige Fragen zu diskutieren – so wollte es im Übrigen auch das Reisebüro der DDR. Neben fachlicher Inkompetenz und schlechten Russischkenntnissen führte ein ‚falscher‘ politischer Standpunkt zu ungewöhnlich scharfer Kritik in den Reiseberichten. Interessanterweise maßen die Touristen aus der BSSR die Kompetenz des einheimischen Personals nicht nur an dessen Fachwissen über die DDR, vielmehr wurden auch fundierte Kenntnisse über die Sowjetunion erwartet. Wusste die Reiseführerin besonders viel und Positives über die UdSSR zu sagen, thematisierte sie die Befreiung durch die Rote Armee und die Dankbarkeit der Deutschen gegenüber dem sowjetischen Volk, wurde dies besonders lobend erwähnt.883 Auch eine weitere Minsker Gruppe aus dem Jahr 1976 war grundsätzlich ausgesprochen zufrieden mit ihrem Reiseführer: Der Mann spreche ausgezeichnet Russisch, mache seine Sache sehr gut, wisse viel zu erzählen über Vergangenheit und Gegenwart der DDR, beantworte bereitwillig alle Fragen, könnte Witze zum Besten geben und wüsste im rechten Moment sogar jederzeit ein sowjetische Lied anzustimmen. Was den Reisegruppenleiter zu kränken schien, war jedoch das augenscheinliche Desinteresse des Mannes an der Heimat der belorussischen Besucher, obwohl, so der Bericht, alle das Gefühl hatten, der Mann wisse ganz genau, was Belorussland sei. Keinem der Touristen habe er auch nur eine einzige Frage gestellt. In seinem Ärger versuchte der Reisegruppenleiter den Deutschen zu provozieren: Ob er eigentlich über Chatyn’884 Bescheid wisse? „Bei Ihnen gibt es ein solches Dorf“, war indes die einzige Antwort, die er diesem entlocken konnte.885 Äußerten die deutschen Reiseführer, die das Reisebüro der DDR wegen Personalmangels in der touristischen Hauptsaison nicht selten aus den Reihen Studierender rekrutierte886, ‚despektierliche‘ politische Äußerungen, zeigten sich die Gäste geschockt: So setzte die Reiseführerin einer Minsker Gruppe aus dem Jahre 1980 offenbar recht wenig Vertrau-
883 Vgl. dazu etwa Reisebericht der Gruppe 201/053 in die DDR, 1976, GAMN f. 2313, op. 1, d. 1396, unpag. 884 Das ehemalige weißrussische Dorf Chatyn’ wurde während des Zweiten Weltkrieges von den deutschen Besatzern vollständig zerstört und seine Bewohner ermordet. Im Jahr 1969 wurde in Chatyn’ eine Nationale Gedenkstätte errichtet, die stellvertretend an mehr als 5000 zerstörte weißrussische Dörfer erinnert. Der Name Chatyn’ steht somit synonym für das einstige Dorf wie für das Gedenken an die Verbrechen der deutschen Besatzer während des Zweiten Weltkrieges. 885 Reisebericht der Gruppe 01142/321 aus Minsk in die ČSSR und die DDR, 28.1.–9.2.1976, GAMN f. 2313, op. 1, d. 1396, l. 237–241; vgl. dazu beispielsweise auch: Reisebericht einer Minsker Gruppe in die DDR, 24.10.–5.11.1969, GAMN f. 2313, op. 1, d. 825, unpag. 886 Vgl. dazu: RBDDR, Jahresbericht des Direktionsbereichs Ausländerbetreuung, 1967, 20.3.1968, BArch DM 102/276, unpag.
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en in ein Fortbestehen der Deutschen Demokratischen Republik. Die Frau, die gut Russisch sprach, durch den Reisegruppenleiter aber als hochmütig, ehrgeizig und stolz charakterisiert wurde, äußerte demnach gegenüber der Gruppe: „Wenn die Grenze zwischen DDR und BRD offen wäre, dann müsste der Letzte, der in die BRD ausreist, in Berlin das Licht ausschalten.“887
Andere Reiseführerinnen verhielten sich laut Bericht „kalt und feindselig“ gegenüber ihrer Gruppe und kümmerten sich nicht um die Wünsche der sowjetischen Touristen – was den offenbar erfahrenen Reisegruppenleiter dazu veranlasste, eine telefonische Beschwerde bei der Berliner Inturist-Filiale einzureichen.888 Interessanterweise unterlagen aber nicht nur die deutschen Reiseführer einer Beurteilung – auch das Reisebüro der DDR forderte seine Angestellten auf, ihrerseits eine politische Einschätzung der Besucher aus dem Ausland zu liefern. Leider unterscheiden diese Berichte jedoch kaum in der genauen geographischen Herkunft der Reisegruppen, nur ganz selten wurde explizit die Heimatrepublik der allgemein als „sowjetische Touristen“ bezeichneten Besucher genannt. Dabei ist, im Vergleich zur Beurteilung von Besuchern aus anderen sozialistischen Staaten, auffallend, dass sowjetische Touristen im Allgemeinen nur sehr selten kritisiert wurden; Gäste aus Bulgarien oder Polen wurden sehr viel bereitwilliger verdächtigt, nur des Einkaufs wegen in die DDR zu kommen, oder ihr mangelndes Verständnis für den Bau der Berliner Mauer, des so genannten „antifaschistischen Schutzwalls“, wurde missbilligend vermerkt.889 Sowjetische Touristen galten dagegen als „politisch sehr stark interessiert“ und traten überwiegend „mit vorbildlicher Disziplin“ auf, wie die DDR-Reiseführer in ihren Berichten für das Reisebüro vermerkten: „In den Gesprächen [die Angestellte des RBDDR gezielt initiierten, M.K.] konnte man immer wieder feststellen, wie gut die meisten Gäste unterrichtet sind und über welch großes Einfühlungsvermögen in die komplizierte politische Situation in Deutschland sie verfügen.“890
Dies ein Hinweis darauf, dass das sowjetische Auswahl-, Vorbereitungs- und Kontrollsystem für Auslandsreisende in gewissem Maße tatsächlich funktionierte. Daher fiel es besonders auf, wenn sowjetische Touristen abweichende politische Meinungen vertraten. Bezeichnenderweise waren es im Berichtszeitraum 1968/1969 ausschließlich Sowjetbürger aus dem Baltikum, die „negative Haltung und nationalistische Tendenzen“ zeigten oder sich abwertend über die DDR oder sogar die Sowjetmacht äußerten.891 Im Großen und Ganzen jedoch gab es über die 887 Reisebericht der Gruppe Nr. 102365 aus Minsk, 26.4.–11.5.1980, GAMN f. 2313, op. 1, d. 1643, unpag. 888 Reisebericht einer Gruppe nach Polen und in die DDR, 20.6.1980, GAMN f. 2313, op. 1, d. 1643, unpag. 889 RBDDR, Generaldirektion, Bereich Ausländerbetreuung: Monatsbericht für Januar 1969, BArch DM 102/275; ebd.: Monatsbericht für Dezember 1967, BArch DM 102/276. 890 RBDDR, Generaldirektion, Bereich Ausländerbetreuung: Monatsbericht für Februar 1969, BArch DM 102/275, unpag.; ebd.: Monatsbericht für April 1968, BArch DM 102/276, unpag. 891 RBDDR, Generaldirektion, Bereich Ausländerbetreuung: Monatsbericht für März 1969, BArch DM 102/275, unpag.; ebd.: Monatsbericht für Juni 1968, BArch DM 102/276, unpag.
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Freunde aus dem großen Bruderstaat kaum politisch Brisantes zu berichten – eine Tatsache, die dazu führte, dass sich einige deutsche Reiseführer zunehmend auf die Abfassung formelhafter Berichte verlegten und sich damit nicht selten eine Rüge der Generaldirektion einhandelten: „Mit der von Kollegin D. (Dolmetscherin – russisch, bulgarisch) vertretenen Auffassung, daß es ‚innerhalb der Gruppen aus den sozialistischen Ländern keine Diskussionen gebe und sie schon vor Ankunft der Gruppe in der Lage sei, den Bericht zu schreiben (‚weil alles bei allen Gruppen gleich sei!‘), kann man sich allerdings keinesfalls einverstanden erklären.“892
Dass jedoch mitnichten „alles bei allen Gruppen gleich“ war, zeigen demgegenüber die Berichte der belorussischen Reisegruppenleiter. Hier gab es durchaus differenziertere Wahrnehmungen der deutschen Bevölkerung, wenn auch gefiltert durch den nur eingeschränkten und meist organisierten Kontakt zwischen Besuchern und Einheimischen. Neben der steten Begleitung durch die deutschen Reiseführer ermöglichten insbesondere die durch die DSF organisierten Freundschaftstreffen ein direktes Zusammentreffen mit den ‚Werktätigen‘ der DDR. Wie bereits angesprochen wurde, stellte die Organisation dieser Treffen für die Freundschaftsgesellschaft mit zunehmender Touristenanzahl jedoch ein immer größer werdendes organisatorisches Problem dar: Zu viele Gäste mussten auf den immer gleichen Routen betreut werden, die entsprechenden lokalen DSF-Gruppen sahen sich überfordert. In diesem Zusammenhang wird ein eklatantes Problem der permanenten Freundschaftspropaganda durch die Freundschaftsgesellschaften deutlich, die sich in ihrer Wirkung schnell ins Gegenteil umkehren konnte: Durch die Programme des sowjetischen Reisebüros und die ideologisch-politische Vorbereitung im Vorfeld der Reise noch bestärkt, erwarteten sowjetische Touristen wie selbstverständlich, dass sie die Möglichkeit erhalten würden, im Rahmen eines Freundschaftstreffens mit Deutschen zusammenzukommen. Konnten diese Erwartungen aus oben genannten Gründen nicht erfüllt werden, rief dies Enttäuschung, bisweilen sogar Empörung auf Seiten der Reisenden hervor. Während man Pannen in der Hotelbuchung oder im Transport als allzu bekannte Widrigkeiten relativ leicht akzeptieren konnte, wurde die Absage von Freundschaftstreffen nicht selten als große Enttäuschung wahrgenommen, und entsprechend vermerkten dies auch die Gäste aus der BSSR in ihren Reiseberichten. Eine sowjetische Deutschlehrerin, die sich entsprechend ihres Berufes offenbar sehr gut mit der aktuellen Situation der DDR auskannte, verwies gar auf den gerade veröffentlichten Verfassungsentwurf893 und bemerkte verärgert „daß man so dem Artikel 6 der Verfassung [Freundschaft zur UdSSR, M.K.] nicht gerecht werden könne.“894 892 RBDDR, Generaldirektion, Bereich Ausländerbetreuung: Monatsbericht für Dezember 1967, BArch DM 102/276, unpag.; ebd.: Monatsbericht für Februar 1969, BArch DM 102/275, unpag. 893 In Abschnitt I, Kap. I, Art. 6,2 der neuen Verfassung der DDR aus dem Jahre 1968 hieß es zunächst noch: „Die Deutsche Demokratische Republik pflegt und entwickelt entsprechend den Prinzipien des sozialistischen Internationalismus die allseitige Zusammenarbeit und Freundschaft mit der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und den anderen sozialistischen Staaten“. Später, im Jahre 1974, wurde daraus mit einer Verfassungsänderung der be-
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Im Allgemeinen jedoch erwiesen sich Freundschaftstreffen eher als Anlässe zu positiven, teils sogar begeisterten Äußerungen in den Reiseberichten. So lobten die Reisegruppenleiter die warme und freundschaftliche Atmosphäre, den informativen Charakter der Treffen bezüglich der Lebensumstände in der DDR und die Offenheit der Deutschen und ihren allgemein gut entwickelten Horizont. „Sehr gut und auf hohem Niveau verlief ein Treffen der Touristengruppe mit Arbeitern eines Leipziger Chemiekombinates. Das war eine echte Demonstration der Freundschaft zwischen unseren Völkern und hinterließ einen tiefen Eindruck bei allen Mitgliedern unserer Gruppe.“895
So äußerte sich der Gruppenleiter einer Minsker Reisegruppe aus dem Jahr 1976. Obwohl viele Berichte zur Beschreibung der Freundschaftstreffen ganz offensichtlich immer wieder die gleichen (positiven) Formulierungen und Worthülsen verwendeten, lässt dies nicht unbedingt negative Rückschlüsse auf die Beurteilung der Zusammenkünfte zu, sondern mag eher ein Hinweis auf die Wiedergabe bekannter Formulierungen aus Reiseberichten in der Presse sowie der Propaganda sein. Wie Čistikov betont, ist es sogar ausgesprochen glaubwürdig, wenn sowjetische Touristen Freundschaftstreffen überwiegend positiv beurteilten, da Kritik im Rahmen dieser nicht-veröffentlichten Berichte ja durchaus zulässig war.896 Der Ablauf der Treffen selbst enthielt zwar stark ritualisierte Elemente, konnte aber offenbar durchaus auch individuelleren Charakter annehmen. Obligatorisch war dabei zunächst eine gegenseitige feierliche Begrüßung mit kurzer Ansprache sowie die Vermittlung von Informationen über das Leben und Arbeiten in der DDR durch einen örtlichen Parteifunktionär. Unabdingbar zu einem Freundschaftstreffen gehörte wohl auch die Übergabe eigens mitgebrachter kleiner Geschenke wie Abzeichen, Broschüren, Bilder u. ä. durch die Gäste und war ent-
kannte Passus: „Die Deutsche Demokratische Republik ist für immer und unwiderruflich mit der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken verbündet…“. Vgl. dazu beide Verfassungsentwürfe: „Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik (6.4.1968)“, document.Archiv.de, http://www.documentArchiv.de/ddr/verfddr1968.html (zugegriffen am 4.6.2017); „Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik (6.4.1968. Fassung: 7.10.1974)“, document.Archiv.de, http://www.documentArchiv.de/ddr/verfddr.html (zugegriffen am 4.6.2017). Sowie: Behrends: Erfundene Freundschaft, S. 366; Weber: Geschichte der DDR, S. 353–355. 894 RBDDR, Generaldirektion, Bereich Ausländerbetreuung: Monatsbericht für Februar 1968, 19.3.1968, BArch DM 102/276, unpag.; sowie z. B. zu nicht stattgefundenen Treffen mit Werktätigen: Reisebericht einer Gruppe von Deutschlehrerinnen aus Minsk in die DDR, 1979, GAMN f. 2313, op. 1, d. 1585, unpag. 895 Vgl. z. B. folgende Reiseberichte: Bericht der Gruppe Nr. S-615 aus Minsk in die DDR, 7.3.– 20.3.1969, GAMN f. 2313, op. 1, d. 825, unpag.; Bericht der Gruppe Nr. V532/010833 aus Minsk in die DDR, 17.8.–30.8.1969, GAMN f. 2313, op. 1, d. 824, l. 10–12; Bericht einer Gruppe in die DDR, 24.10.–5.11.1969, GAMN f. 2313, op. 1, d. 825, l. 23–25; Bericht der Gruppe Nr. 675/212 nach Polen und in die DDR, 6.–22.10.1976, GAMN f. 2313, op. 1, d. 1396, l. 40–41. 896 Čistikov: „Vpečatlenija sovetskich ljudej o zagranice“, S. 170–171.
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sprechend bereits in der Heimat vorbereitet worden.897 Danach spielte nicht selten Musik, man intonierte sowjetische, deutsche und auch belorussische Lieder, wie ein Reisegruppenleiter aus Vitebsk nicht ohne Stolz bemerkte. Er schlug in seinem Bericht auch explizit vor, für die Zukunft auf ein größeres belorussisches Liedrepertoire der Touristen zu achten.898 Daneben wurde außerdem gegessen und getrunken – bisweilen und sehr zum Ärger der deutschen Reiseführer auch Hochprozentiges: „Die Touristen (viele von ihnen waren Matrosen der Fischfangflotte) hatten ‚Fisch und viel zu trinken‘ selbst mitgebracht.“
– ein Grund für den Reiseführer, nach eigenen Aussagen, sehr schnell „Schluß“ zu machen mit dem Freundschaftstreffen.899 Dabei schien die Bewahrung einer strikten Kontrolle überhaupt eines der Hauptanliegen der deutschen Reiseführer einerseits, der sowjetischen Reisegruppenleiter andererseits zu sein. Abgesehen von einer (zu) großen Feierlust beider Seiten schienen auch Fremdsprachenkenntnisse dabei eine ambivalente Rolle zu spielen. Während ein Reisegruppenleiter bedauerte, das Treffen sei zwar freundschaftlich, aber leider durch die Sprachbarriere gehemmt gewesen, betonte ein anderer die Gefahr zu guter Sprachkenntnisse: „Allerdings war es schwierig, den Verlauf des Abends zur Gänze zu kontrollieren, da eine bemerkenswerte Anzahl der Teilnehmer Russisch konnten.“900
Letzteres dürfte jedoch eher nicht der Regel entsprochen haben, wie andere Berichte zeigen. Dabei ergab sich die Sorge der sowjetischen Reisegruppenleiter aus der Verantwortung, die sie für das Wohlverhalten ihrer Gruppen im Ausland trugen, und konnte bisweilen groteske Züge annehmen: So ging beim Reisebüro der DDR ein Bericht über das „unmenschlich[e]“ Verhalten einer sowjetischen Reisegruppenleiterin ein. Diese sah, so die Angestellte des Reisebüros, ihre Hauptaufgabe darin, abends Zimmerkontrollen durchzuführen und den Teilnehmern ihrer Reisegruppe, die ständig „wie unter einem Zwang“ gestanden hätten, jegliche (eigenständige) Freizeitgestaltung zu untersagen. Auch das „sehr gemütliche“
897 Bericht über die Arbeit des Minsker Gebietsgewerkschaftsrates bei der Entsendung sowjetischer Touristen ins Ausland für das Jahr 1975, GAMN f. 1p, op. 72, d. 91, l. 28–42, hier: 36; Reisebericht der Gruppe Nr. 402-005, 7.–20. Juli 1976, GAMN f. 2313, op. 1, d. 1396, l. 142–147; siehe zum Ablauf solcher Freundschaftstreffen: Ševyrin: „Za granicu“, S. 4–5. Allerdings mit Angehörigen der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland: Satjukow: Befreiung?, S. 213. 898 Reisebericht der Gruppe 012070 aus Vitebsk in die DDR und die ČSSR, 22.2–7.3.1974, GAVO f. 2800, op. 5, d. 585, l. 25–29. 899 RBDDR, Generaldirektion, Bereich Ausländerbetreuung: Monatsbericht für April 1968, 12.7.1968, BArch DM 102/276. 900 Reisebericht der Gruppe 012070 aus Vitebsk in die DDR und die ČSSR, 22.2–7.3.1974, GAVO f. 2800, op. 5, d. 585, l. 25–29; Reisebericht der Gruppe Nr. 402-005, 7.–20. Juli 1976, GAMN f. 2313, op. 1, d. 1396, l. 142–147.
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Freundschaftstreffen habe die Frau vorzeitig abgebrochen, weil sie nach eigenen Aussagen „Angst“ hatte.901 So überrascht es nicht, dass die eigenständige Kontaktaufnahme mit der einheimischen Bevölkerung mit zum am häufigsten gemeldeten Fehlverhalten sowjetischer Touristen gehörte. So vermerkte der Minsker Gewerkschaftsrat in seinem Jahresbericht für 1968 zwar, dass sich belorussische Touristen für gewöhnlich gut im Ausland benahmen, erinnerte aber auch an einige Zwischenfälle, die sich in Bulgarien abgespielt hätten: So habe sich ein Mann während des Aufenthaltes systematisch betrunken, ein anderer wiederholt den Kontakt zu Einheimischen, ja sogar zu in Bulgarien weilenden Ausländern gesucht.902 Eine weitere Sorge der Reisegruppenleiter betraf ein korrektes, möglichst unauffälliges Verhalten der Teilnehmer: Keinesfalls sollten Bürger des ersten kommunistischen Staates – höher entwickelt und damit Vorbild für die ‚kleinen‘ Brüder der sozialistischen Staaten – den Eindruck fehlender Kultiviertheit wecken. Dies führte, beispielsweise in Restaurants, sogar zu Unsicherheiten bezüglich des korrekten Verhaltens: Eine Reisegruppe berichtete, man habe sich, nach längeren Diskussionen innerhalb der Gruppe, dazu entschlossen, in Restaurants nicht mehr nach zusätzlichem Brot zu fragen, obwohl die Bitte beim ersten Mal anstandslos erfüllt worden war. Andere berichteten von, nicht näher bezeichnetem, unangemessenem Verhalten belorussischer Bürger in Restaurants. Dieses Problem, so die Berichte, habe man mit Hilfe von Einzelgesprächen geklärt – offenbar eine beliebte Sanktionsmaßnahme innerhalb touristischer Gruppen. Dabei führten womöglich gerade die Instruktion der Touristen vor Abreise sowie die Ausgabe von ‚Benimmregeln‘ zu Vorbehalten und Minderwertigkeitsgefühlen.903 Dazu kam außerdem die Erkenntnis, dass das Lebensniveau in den vermeintlich weniger weit entwickelten sozialistischen Ländern keinesfalls niedriger war. So schloss der oben erwähnte Reisebericht (Bitte nach mehr Brot in Restaurants) mit einer nachdenklichen Note: „Die Reise führte bei den Touristen natürlich zu Überlegungen und entschiedenen Schlussfolgerungen, und auch über die Frage, wie die Leute leben, ihre Stimmung. Die Meinung aller Touristen war, dass die Völker der ČSSR und der DDR Freunde der Sowjetunion sind, weil wir immer auf Wohlwollen und die Bereitschaft trafen, einem sowjetischen Menschen jedwede Hilfe zukommen zu lassen. Auf der anderen Seite gelangten wir zu der Meinung, dass trotz des hohen Durchschnittsgehaltes [in der DDR und ČSSR, M.K.], sowjetische Leute nicht schlechter essen und sich sogar besser kleiden – wenn auch etwas weniger nach der Mode. Unsere Touristen wunderten sich darüber, dass in diesen Ländern ein hoher Preis bezahlt wird für Fahrten im öffentlichen Personennahverkehr; wohin man sich auch wende, müsse man 901 RBDDR, Generaldirektion, Bereich Ausländerbetreuung: Monatsbericht für Februar 1969, 25.3.1969, BArch DM 102/275, unpag. 902 „Überblick über die Arbeit der Gewerkschaftsorganisationen in der Oblast’ Minsk im Bereich Auslandstourismus […] für das Jahr 1968“, ohne Datum, GAMN f. 2313, op. 1, d. 754, l. 4– 19. Vgl. zu dieser Thematik auch: Ševyrin: „Za granicu“, S. 8–9; Popov: „Sovetskie turisty za rubežom“, S. 4. 903 Bericht der Gruppe Nr. 01142/321 aus Minsk in die ČSSR und die DDR, 28.1.–9.2.1976, GAMN f. 2313, op. 1, d. 1396, l. 237–241; vgl. auch: Bericht der Gruppe Nr. G-9 aus Minsk in die DDR, 24.6.–9.7.1969, GAMN f. 2313, op. 1, d. 825, l. 68–69; sowie: Gorsuch: All this is your world, S. 101–103.
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zahlen (Garderoben, Toiletten usw.), und dass diese Ausgaben ein großes spezifisches Gewicht im Familienbudget ausmachten.“904
Das Beispiel zeigt, mehr noch zwischen den Zeilen, eine gewisse Bewunderung für das hohe Lebensniveau der westlichen Nachbarn sowie die Erkenntnis, dass die eigene Heimat im direkten Vergleich deutlich weniger gut abschnitt, als das die Propaganda glauben machen wollte. Umgekehrt übte diese Tatsache, insbesondere das damit verbundene größere und als anders und westlich empfundene Warenangebot, einen gewissen Reiz auf die Besucher aus der Sowjetunion aus. Immer wieder tauchte das Thema Einkauf in den Berichten der Reisegruppenleiter auf, oft mit einem negativen Beiklang. So zeigten Reiseteilnehmer ein „ungebührlich großes Interesse“ am Besuch von Geschäften und dem Einkauf von Souvenirs, dem Erwerb von Kaugummi oder Damenunterwäsche. Die strikte Reglementierung und Begrenzung des Geldumtausches stellte dabei ein Hindernis dar, das nicht wenige Touristen zu umgehen versuchten, indem sie aus der Sowjetunion mitgebrachte Waren – Fotoapparate, Uhren, ja sogar „Nationaltrachten“ – an die einheimische Bevölkerung verkauften oder versuchten, Rubel auf der Straße einzutauschen. Als Gegenmaßnahme erhöhten die Reisegruppenleiter die Kontrolle: So sammelte etwa der Leiter einer Minsker Gruppe im Vorfeld sämtliches Geld der Reisenden ein, um es nur nach kontrolliertem Gemeinschaftsumtausch wieder herauszugeben.905 Was die Meldung eines der oben aufgeführten Vergehen anbelangt, hatte der Reisegruppenleiter grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Bei als weniger schwer empfundenen Delikten begnügte er sich überwiegend mit allgemein gehaltenen Aussagen über Probleme, die in der Regel in Einzelgesprächen ‚gelöst‘ werden konnten. Bei schweren Verstößen und Fehlverhalten wurde dagegen der betreffende Reiseteilnehmer namentlich genannt und sein Verhalten genauestens beschrieben. Wie den Quellen zu entnehmen ist, kam es dann in aller Regel zu Nachfragen seitens der zuständigen, in diesem Fall gewerkschaftlichen, Organe und zu möglichen Disziplinarstrafen, wie etwa einem Vermerk in der persönlichen Akte, der mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem Ausschluss von zukünftigen Auslandsreisen führte.906 Ein Beispiel für ein solch schweres Vergehen führt gleichzeitig zu einem besonders schwierigen Thema, das einen zentralen Teil des Reiseprogramms für 904 Bericht der Gruppe Nr. G-9 aus Minsk in die DDR, 24.6.–9.7.1969, GAMN f. 2313, op. 1, d. 825, l. 68–69 905 Reisebericht der Gruppe Nr. 402-005 aus Minsk, 7.–20. Juli 1976, GAMN f. 2313, op. 1, d. 1396, l. 142–147; Bericht einer Gruppe aus Minsk, 24.10.–5.11.1969, GAMN f. 2313, op. 1, d. 825, l. 23–25; Bericht der Gruppe Nr. 102365 aus Minsk in die ČSSR und die DDR, 26.4.– 11.5.1980, GAMN f. 2313, op. 1, d. 1643; RBDDR, Generaldirektion, Bereich Ausländerbetreuung: Monatsbericht für April/Mai 1969, 30.6.1969, BArch DM 102/275, unpag.; sowie zum Einkaufsverhalten sowjetischer Touristen allgemein: Ebd., S. 93–95; Popov: „Ėksport sovetskoj modeli“, S. 161; Ševyrin: „Za granicu“, S. 9–10. 906 Vgl. dazu exemplarisch Schriftwechsel zu zwei Verfahren bzgl. Fehlverhaltens belorussischer Touristen in Bulgarien zwischen dem Gebietsgewerkschaftsrat Minsk und den örtlichen Parteikomitees vom 10.10.1972, GAMN f. 2313, op. 1, d. 1125, unpag.
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sowjetische Touristen ausmachte: Der Umgang mit dem belastenden Erbe und der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg dürfte gerade für belorussische Besucher trotz aller Freundschaftspropaganda kein simpler ‚Programmpunkt‘ gewesen sein. Welche Gedanken und Gefühle bewegten Bürger der mit am schwersten getroffenen Sowjetrepublik bei einer Reise in das Land der ehemaligen Besatzer? Obwohl die vorliegenden Reiseberichte kaum ganz persönliche und ungefilterte Eindrücke der Reisenden wiedergeben, kann doch aus zahlreichen Bemerkungen und Aussagen auf die Brisanz und Ambivalenz des Themas geschlossen werden. Ein beredtes Beispiel stellt der Bericht zu einer Gruppe dar, die im Sommer 1966 die DDR besuchte. Bei den Teilnehmern handelte es sich ausschließlich um Ingenieure der Energiewirtschaft, die sich im Rahmen einer Spezialistenreise mit der Arbeit ihrer deutschen Kollegen vertraut machten.907 Dabei hatte es, offenbar aufgrund von Kommunikationsschwierigkeiten zwischen beiden Freundschaftsgesellschaften, die das Spezialprogramm im Vorfeld organisieren sollten, einige Pannen gegeben: So konnte den Gästen aus der BSSR lediglich der Besuch einer einzigen Einrichtung des Energiesektors ermöglicht werden; andere zugesagte Besichtigungsprogramme wurden dagegen abgesagt. Zu der Enttäuschung über die mangelhafte Organisation seitens der Deutschen, die auch für andere Gruppen in dieser Hinsicht beobachtet wurde, gesellte sich jedoch noch ein anderes Gefühl, wie die zuständige, nach Abschluss der Reise informierte, ZK-Abteilung der KPB an Mašerov persönlich (!) berichtete: So hatten die belorussischen Besucher die deutsche Reiseleitung beschuldigt, die Besichtigung eines Elektrokraftwerkes nur deshalb zu verweigern, weil etwa 20% der Reiseteilnehmer jüdischer Herkunft seien. Auch bei weiteren Gelegenheiten stellten die Ingenieure provokante und „taktlose“ Fragen, warfen der deutschen Übersetzerin eine antisowjetische Haltung vor und forderten ihre Ablösung. Auch die bekannten „Einzelgespräche“ mit mitreisenden Parteivertretern konnten dieses Mal keine Abhilfe schaffen und die aufgebrachten Teilnehmer dazu bewegen, die „notwendigen Schlüsse“ zu ziehen. Die Vorfälle zeigen auf, dass die Versuche emotionaler Beeinflussung und Lenkung, wie auch Popov sie beschreibt, nur begrenzt erfolgreich waren; nicht immer bewegten sich sowjetische Reisende ausschließlich in den Bahnen der „erlaubten Emotionen“, besonders wenn es um die Verbrechen der Deutschen im Zweiten Weltkrieg ging.908 Nie angesprochene oder gar aufgearbeitete, ja durch die Freundschaftspropaganda sogar aktiv unterdrückte, Gefühle von Hass und auch Schuld (auf deutscher Seite), brachen sich hier Bahn aus vergleichsweise nichtigem Anlass. Daran, dass dieses ‚Fehlverhalten‘, über das sogar höchste Parteigremien der BSSR unterrichtet wurden, ein Nachspiel hatte, dürften wenige Zweifel bestehen. Bemerkenswert ist aber noch eine andere Wendung, die das Geschehen im Fall besagter Reisegruppe nahm: Als sich DSF- sowie Parteifunktionäre bei einem Abschlusstreffen mit den Ingenieuren noch einmal in aller Form für die 907 Vgl. jetzt und für das Folgende: Abt. für Schwerindustrie u. Transport des ZK der KPB an Mašerov: „Über einige Unzulänglichkeiten im Benehmen von Touristen der Energiewirtschaft aus Belorussland in die DDR“, 15.8.1966, NARB f. 4p, op. 62, d. 687, l. 84–86. 908 Popov: „Sovetskie turisty za rubežom“, S. 5–6.
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schlechte Organisation entschuldigten, beharrten letztere zwar auf ihrer vorangegangenen Einschätzung, präzisierten diese aber: Vor allem die ältere Generation der Deutschen, darunter auch die Reiseführerin, war ihnen negativ aufgefallen, dagegen habe man auf Seiten der Jungen durchaus freundschaftliche Gefühle verspürt.909 Zwar blieb ein derartiger Eklat eher die Ausnahme, kritische Bezugnahmen auf die deutsche Vergangenheit mussten sich die einheimischen Reiseführer jedoch öfter gefallen lassen: Viel ‚Aufklärungsarbeit‘ musste eine Angestellte des Reisebüros im März 1968 leisten, da ihre Gruppe „ein wenig mißtrauisch hinsichtlich unseres Verhältnisses zur Sowjetunion“ gewesen sei und immer wieder unangenehme Bemerkungen gefallen wären: „Während der Stadtrundfahrt erlebten die Touristen die Wachablösung am Denkmal der Opfer des Faschismus und Militarismus. ‚Beim Paradeschritt der Wache […] drang von hinten aus dem Bus eine laute Frauenstimme: Die gehen ja wie Faschisten!‘“.910
Dass diese Form des berüchtigten Stechschritts auch bei sowjetischen Ehrenwachen eingesetzt wurde, spielte für besagte Frau offensichtlich keine Rolle. Andere Touristen versuchten, die misstrauische Haltung ihrer Landsleute zu erklären: „Bei einer Erörterung der deutschen Frage brachten einige Gäste zum Ausdruck, daß wir das heute noch teilweise bestehende Mißtrauen der Sowjetbürger vollkommen verstehen müßten, sie selbst hingegen könnten nicht begreifen, warum viele Deutsche der UdSSR nicht mit Wohlwollen gegenüberstünden.“911
Derartige Bemerkungen blieben jedoch eher Einzelfälle; nur wenige Reisende beklagten sich über besagtes fehlendes „Wohlwollen“. Die kritische Begutachtung des Umgangs der Deutschen mit dem Gedenken an den Zweiten Weltkrieg blieb jedoch ein wichtiges Element der sowjetisch-belorussischen Reiseberichte, schon durch die derartig organisierten Reiseprogramme: So wurde die Pflege sowjetischer Kriegsgräber und Ehrenmale durch die einheimische Bevölkerung überwiegend positiv vermerkt und aufgenommen und verlieh dem staatlich organisierten Antifaschismus der DDR Glaubwürdigkeit.912 Belorussische Touristen zeigten sich insbesondere vom deutschen Wiederaufbau beeindruckt und zogen dabei einerseits wohl Parallelen zu ihrer eigenen Heimat, sahen andererseits die Fort-
909 Diese Differenzierung zwischen junger und älterer Generation brachten auch viele Teilnehmer des Freundschaftszuges Vitebsk–Frankfurt/Oder zum Ausdruck, vgl. dazu Kap. 5.1.4.3 dieser Arbeit. 910 RBDDR, Generaldirektion, Bereich Ausländerbetreuung: Monatsbericht für April 1968, 12.7.1968, BArch DM 102/276, unpag. 911 Ebd.: Monatsbericht für März 1969, 9.5.1969, BArch DM 102/275. 912 So bemerkte etwa eine Gruppe aus dem Jahr 1980 anlässlich eines Besuches in Potsdam, die Stadt sei keine Hochburg des preußischen Militarismus mehr, sondern vielmehr eine „sozialistische Stadt der Arbeit, Wissenschaft und Kultur“: Bericht der Gruppe Nr. 1585/102405 in die ČSSR und die DDR, 3.7.1980, GAMN f. 2313, op. 1, d. 1643, unpag.; vgl. z. B. auch: Bericht einer Gruppe aus Minsk nach Polen und in die DDR, 20.6.1980, ebd.; Reisebericht der Gruppe 012070 aus Vitebsk in die DDR und die ČSSR, 22.2.–7.3.1974, GAVO f. 2800, op. 5, d. 585, l. 25–29.
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schritte im Aufbau des Sozialismus auch als Ergebnis der eigenen Hilfestellung. Man fühlte sich solidarisch mit den sozialistischen Brüdern und bewunderte deren große Leistungen – angeblich, so ein DDR-Reiseführer, sogar noch stärker, wenn die Besucher im Zweiten Weltkrieg gekämpft hatten – und äußerte sich lobend über das „arbeitssame deutsche Volk“.913 Einen emotionalen Höhepunkt im Programm der meisten Reisegruppen bildete der Besuch der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald, deren Besichtigung die Besucher aus der UdSSR stark erschütterte. Die Gedenkstätte Buchenwald war, seit ihrem Aufbau 1958 als erste Nationale Mahn- und Gedenkstätte, zum zentralen Symbol des Leidens- und Siegesweges der deutschen Arbeiterklasse – zu einem „Tempel des Antifaschismus“914 – stilisiert worden. Mit ihrem Heilsnarrativ „durch Sterben und Kämpfen bis zum Sieg“ bildete sie nicht zuletzt eine der Legitimationsgrundlagen des ostdeutschen Staates und seiner Parteiführung.915 Belorussische Reiseberichte deuten darauf hin, dass die sorgfältige Choreographie der Gedenkstätte im Sinne der DDR-Geschichtsschreibung durchaus Eindruck bei den Gästen hinterließ: Eine Minsker Gruppe von Chemikern, die im Jahr 1961 die noch recht neue Gedenkstätte besuchte, erinnerte sich lebhaft, und politisch einwandfrei, an den Besuch des ehemaligen „Todeslagers“. Vor allem politische Gefangene wie Ernst Thälmann sowie sowjetische Kriegsgefangene seien hier inhaftiert und gequält worden, aber trotz der starken Befestigung des Lagers sei es den Häftlingen 1945 gelungen, sich selbst zu befreien.916 Andere Berichte erwähnten den Besuch in ehemaligen Konzentrationslagern nur als einen Programmpunkt unter vielen – was entweder als Desinteresse, oder aber, im Sinne eines beredten Schweigens, als Hinweis darauf gedeutet werden kann, dass nicht jeder Besucher bereit war, den deutschen (und sowjetischen) offiziellen Interpretationsmustern zu folgen.917 Deutlicher wurde eine Gruppe Vitebsker Touristen –
913 Bericht der Reisegruppe Nr. S-615 aus Minsk in die DDR, 7.–20.3.1969, GAMN f. 2313, op. 1, d. 825, l. 102–103; Bericht einer gesamtsowjetischen Reisegruppe zur Erholung in die DDR, 2.–26.7.1969, ebd., l. 62–63; Bericht einer Gruppe aus Minsk in die DDR und ČSSR, 14.–28.11.1979, GAMN f. 2313, op. 1, d. 1191, unpag.; RBDDR, Generaldirektion, Bereich Ausländerbetreuung: Monatsbericht für Januar 1969, 3.3.1969, BArch DM 102/275, unpag.; Bemerkungen über die Aufbauleistungen, Arbeitsdisziplin und (positive) ‚Pedanterie‘ der Deutschen auch im Bericht einer BGU-Komsomoldelegation, 21.–29.1.1969, NARB f. 205, op. 8, d. 880, l. 71–73. 914 Zitiert nach: Reuschenbach, Julia: „‚Tempel des Antifaschismus‘? – Die Nationalen Mahnund Gedenkstätten der DDR“, Deutschland Archiv 26.1.2015, http://www.bpb.de/199442 (zugegriffen am 4.6.2017). 915 Zur Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald, sowie zur Diskussion um dieselbe nach der Wende vgl. Knigge, Volkhard: „Buchenwald“, in: Sabrow, Martin (Hrsg.): Erinnerungsorte der DDR, München 2009, S. 118–127; Reuschenbach: „‚Tempel des Antifaschismus‘?“ Zu weiteren Reaktionen sowjetischer Besucher auf den deutschen Antifaschismus vgl. auch Kap. 5.3.1, dieser Arbeit. 916 Bericht einer Spezialistenreise Minsker Chemiker an die BELOD, 30.6.–20.7.1961, NARB f. 914, op. 3, d. 104, l. 1–73. 917 Vgl. z. B. Bericht des jüdischen (?) RGL N. Davidovič der Minsker Gruppe A-230, 27.4.– 9.5.1969, GAMN f. 2313, op. 1, l. 825, 100–101.
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bezeichnenderweise die eingangs erwähnten Landwirtschaftsspezialisten, die sich auf ihren DDR-Besuch unter anderem mit der Lektüre deutscher Klassik umfangreich vorbereitet hatten. Begeistert schilderte der Reisegruppenleiter dann auch den Aufenthalt der Reisenden aus Vitebsk, betonte die gute Arbeit und „richtige politische Ausrichtung“ der deutschen Reiseführerin-Dolmetscherin trotz einiger Schwierigkeiten in ihrer Sprachkompetenz, lobte die „hohe Kultur“ der Bedienung in Restaurants und Hotels sowie die guten Transportmittel für Touristen. Auch beim Besuch von Gedenkstätten und Soldatenfriedhöfen am Tag der Sowjetarmee zeigten sich die Reisenden von der sowjetisch-deutschen Freundschaft überzeugt: Alle Ehrenmale seien mit Blumen übersät gewesen – eine Ehrenbezeugung, wie man sie etwa in der ČSSR nie erlebt habe. Besonders stark beeindruckte die Vitebsker jedoch der Besuch in Weimar und der Gedenkstätte Buchenwald. An diesem Tag, so der Bericht, habe es unter ihnen keine Scherze und Lieder gegeben; an diesem Tag habe man sozusagen zwei Gesichter Deutschlands gesehen: die hohe Blüte der Kultur in den List-, Goethe- und Schiller Museen in Weimar sowie die „stumpfe Brutalität des Faschismus“. Während die Wahrnehmung der zwei Seiten Deutschlands zum sowjetischen Nachkriegsnarrativ passte, das zwischen Deutschen und Faschisten deutlich unterschied und somit ideologisch den Weg frei gemacht hatte für die Freundschaft zum ostdeutschen Volk, konnten die Touristen an anderer Stelle dem neuen, gegen den Klassenfeind im Westen gerichteten ‚Opferdiskurs‘ auf DDR-Seite nicht mehr folgen: „In Dresden erinnerten uns sowohl unsere Tourleiterin als auch die Guides, die uns durch die Stadt und das Palastensemble führten, sehr viel und häufig an die Brutalität der angloamerikanischen Flieger, die 80% der Stadt Dresden zerstört hatten, aber wir alle mussten an die Brutalität in Buchenwald denken.“918
Obwohl nach eigenen Aussagen allen Reisenden der Deutschlandbesuch sehr positiv im Gedächtnis geblieben war, zeigen die Erfahrungen der Vitebsker Landwirtschaftsspezialisten, dass das ‚Erbe‘ von Faschismus und Besatzung mitnichten und lediglich in der Propaganda gänzlich überwunden war. Viele Touristen dürften mit durchaus gemischten Gefühlen die Reise zu den Deutschen angetreten haben, wurden aber nicht selten positiv überrascht: Die deutsche Reiseleiterin, so ein Reisegruppenleiter, habe sich äußerst respektvoll gegenüber den Touristen und ihrem Land gezeigt – und das, obwohl ihr Großvater in der Hitlerarmee gedient und vier Jahre in sowjetischer Kriegsgefangenschaft verbracht hatte.919 Umgekehrt konnte die fehlende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit auch dazu führen, dass einfache Organisationspannen als Zeichen antisemitischer Kontinuitäten gedeutet wurden. Von einem einheitlich in allen Köpfen verankerten Siegesund Befreiungsnarrativ konnte also bei Weitem keine Rede sein.
918 Bericht der Reisegruppe Nr. 012070 in die DDR und ČSSR, 22.2.–7.3.1974, GAVO f. 2800, op. 5, d. 585, l. 25–29. 919 Reisebericht der Gruppe Nr. 509/P-808 aus Vitebsk in die DDR und nach Polen, 11.– 27.1.1979, GAVO f. 2800, op. 5, d. 585, l. 2–4.
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5.2.3.2 Antifaschistische Pilger, Touristen zweiter Klasse: DDR-Bürger in der Sowjetunion Während mit den Reiseberichten sowjetischer Reiseleiter eine unschätzbare, bislang nur zu einem geringen Teil und für wenige Regionen ansatzweise ausgewertete Quelle vorliegt, die einzigartige Einblicke in Reiseerfahrungen sowjetischer Touristen erlaubt, erweist sich die Quellenlage auf Seiten des DDR-Auslandsreiseverkehrs als weniger günstig und das Thema allgemein schlechter durch die Forschung erschlossen.920 Auch in der DDR galt das Verfassen von Berichten durch die Reisegruppenleiter bei nahezu allen Reiseanbietern als obligatorisch, so etwa dem Deutschen Reisebüro bzw. dem Reisebüro der DDR, bei über die DSF vermittelten Reisen sowie nachweislich auch für den Feriendienst der Gewerkschaften.921 Erhalten sind jedoch leider nur verhältnismäßig wenige solcher Berichte.922 Eine weitere Schwierigkeit in der Auswahl geeigneter Quellen bildet 920 Obwohl sich eine ganze Reihe von Werken mit dem Phänomen Tourismus in der DDR beschäftigt, auch in Form von Erlebnisberichten und Zeitzeugenerinnerungen, sind diese für die Fragestellung doch recht unergiebig. Die Organisation des Auslandstourismus wird meist nur der Vollständigkeit halber kurz angesprochen, oder bezieht sich auf den Individualtourismus in die sozialistischen Nachbarstaaten, wie etwa nach Bulgarien oder Ungarn. Vgl. dazu: Wolter: Geschichte des Tourismus; Görlich, Christopher: Urlaub vom Staat. Tourismus in der DDR, Zeithistorische Studien 50, Köln 2012; Friedreich: Urlaub und Reisen während der DDR-Zeit; Rahming, Dörte: Und nächstes Jahr am ... Ostseestrand, Gudensberg-Gleichen 2009; Bähre, Heike: Tourismuspolitik in der Systemtransformation. Eine Untersuchung zum Reisen in der DDR und zum ostdeutschen Tourismus im Zeitraum 1980 bis 2000, Berlin 2003; Tantzscher: „Der Paßkontrolleur ist ein Diplomat in Uniform“; Spode, Hasso (Hrsg.): Goldstrand und Teutonengrill. Kultur- und Sozialgeschichte des Tourismus in Deutschland 1945 bis 1989, Berlin 1996; Schaufuß: Die politische Rolle des FDGB-Feriendienstes. Studien, die sich mit Sowjetunion-Reisen beschäftigen, thematisieren in erster Linie individuelle Reisen, entweder in Form illegaler Aufenthalte mit Hilfe eines Transitvisums, oder aber im Rahmen des Autotourismus, der insbesondere seit den 1970er Jahren einsetzte: Reinhart: „DDR-Alpinismus und Transitreisen“; Klauß/Böttcher (Hrsg.): Unerkannt durch Freundesland. 921 Vgl. dazu Schreiben eines RGL an den ZV der DSF, 3.2.1959, SAPMO-BArch DY 32/6236, fol. 542; sowie FDGB, Abt. Feriendienst: „Analyse der Ergebnisse der kommerziellen Reisen in die UdSSR und SR Rumänien 1978“, 24.11.1978, SAPMO-BArch DY 34/15836, unpag. 922 So finden sich in den Beständen der DSF des Bundesarchivs (DY 32) zwar Reiseberichte, vor allem zu Freundschaftszügen in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren, darüber hinaus sind aber im Wesentlichen so genannte Spezialtourismus-Reiseberichte überliefert, die sich meist mehr auf technisch-wissenschaftliche Details konzentrieren und nur wenig persönliche Eindrücke schildern. Der Bestand Reisebüro der DDR (DM 102), ebenfalls im Bundesarchiv Berlin, ist zur Zeit leider noch weitgehend unbearbeitet und lediglich über eine Abgabeliste zugänglich; aus dieser geht jedoch hervor, dass die Aufbewahrungsfrist für RGL-Berichte lediglich fünf Jahre betrug. Dementsprechend sind derartige Berichte überwiegend seit 1985 erhalten geblieben. Was Gewerkschaftsreisen anbelangt, ist die Archivlage sogar noch schlechter; die Bestände des FDGB-Bundesvorstandes im Bundesarchiv (DY 34) enthalten keine Reiseberichte zu Auslandsreisen (lediglich einige wenige zusammenfassende Berichte, in die offensichtlich RGL-Berichte mit eingeflossen sind), und auch die Recherche im Brandenburgischen Landeshauptarchiv ergab in den Akten der gewerkschaftlichen Bezirksvorstände Frankfurt/Oder bzw. Potsdam keine derartigen Berichte. Möglicherweise finden sich
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zudem die geographische Schwerpunktsetzung: So war die belorussische Sowjetrepublik per se kaum ein massentouristisch erschlossenes Gebiet innerhalb der Sowjetunion. Das Reisebüro der DDR verfügte beispielsweise über eigene Auslandsvertretungen in der UdSSR, diese fanden sich jedoch ausschließlich in touristisch stark frequentierten Gebieten, namentlich Moskau sowie den beiden Schwarzmeerorten Soči und Pizunda. Die dort residierenden ReisebüroRepräsentanten verfassten Monatsberichte für die Kollegen zu Hause: über das Auftreten ost- und westdeutscher (!) sowie anderer Touristen an den Urlaubsorten sowie deren Verhältnis zueinander, über das Verhalten der deutschen und sowjetischen Reiseleiter/-führer bzw. Dolmetscher sowie zur Einschätzung der Situation am Urlaubsort allgemein. Nicht zuletzt sollte auch die auslandsinformatorische Wirksamkeit des Reiseverkehrs – also ein möglicher ‚Werbeerfolg‘ für die DDR – ausgelotet werden. Die wenigen erhaltenen Berichte beziehen sich jedoch meist konkret auf den Ort der Auslandsvertretung; auch die Hauptvertretung in Moskau beschäftigte sich nur wenig mit anderen Gebieten der UdSSR, geschweige denn mit Besuchern in der BSSR.923 Zudem wurden Urlaubsreisen in die Sowjetunion kaum beschränkt auf eine einzige Sowjetrepublik angeboten: Entweder bezog sich die Reiseroute auf bestimmte Städte – nicht selten umfassten Reisen bis zu fünf sowjetische Städte in 14 Tagen – oder auf regionale Schwerpunkte, so zum Beispiel Mittelasien-Routen oder die beliebte Urlaubsregion der Schwarzmeerküste. Insofern ist es kaum möglich, auf Berichte zurückzugreifen, die ausschließlich Reiseeindrücke in der BSSR wiedergeben. Im weitaus häufigeren Fall stellte die belorussische Hauptstadt, wie bereits eingangs dieses Kapitels dargelegt, eine Durchgangsstation für Bahnreisende dar; oft betrug der Aufenthalt dabei nur einen einzigen Tag. Gleiches gilt für die Grenzstadt Brest, die mit der Gedenkstätte Brester Heldenfestung (Krepost’ geroj) zwar einen touristischen Höhepunkt zu bieten hatte, meist jedoch nur als Grenzstation wahrgenommen wurde, die dem Zustieg eines sowjetischen Reiseführers diente. Dabei hatte sich gerade die DSF Ende der 1960er Jahre nicht nur für eine Ausweitung des bisherigen Sowjetunion-Reiseverkehrs um 25% bis zum Jahre 1975 ausgesprochen, sondern wünschte auch ganz bewusst die Einbeziehung „[…] solche[r] Orte in die Touristenprogramme der Mitglieder der Gesellschaft für DeutschSowjetische Freundschaft […], die bisher weniger oder gar nicht von DDR-Touristen besucht werden. Besonders in der BSSR, Ukrainischen SSR und dem westlichen Teil der RSFSR[…]“924
Sie folgte damit nicht nur dem umfassenden erzieherischen Anspruch der politischen und kulturellen Massenarbeit der DDR-Führung in der Propagierung der RGL-Berichte in Gewerkschaftsbeständen auf Kreis- oder gar Betriebsebene; diese konnten im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht herangezogen werden. 923 Vgl. z. B. Berichte der Auslandsvertretungen aus dem Jahre 1972, BArch DM 102/567; sowie RBDDR, Generaldirektion, Abt. Auslandsvertretungen: „Richtlinie für die Berichterstattung der Auslandsvertretungen, Saisonvertretungen und Repräsentanten“, 24.3.1972, BArch DM 102/524, unpag. 924 Kuhn: Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, S. 114–115.
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Errungenschaften des Sozialismus und der Vorreiterrolle der Sowjetunion. Vielmehr handelte es sich dabei um die „ehemals von den deutschen Faschisten okkupierten Gebiete“ und die „sowjetischen Heldenstädte“, welche auf eigens ausgewählten quasi antifaschistischen Pilger-Routen besucht werden sollten.925 So bereisten etwa im Frühjahr/Sommer 1975 zum 30. Jubiläum der ‚Befreiung vom Faschismus‘ insgesamt elf Gruppen von Mitarbeitern der Deutschen Reichsbahn im Rahmen der „Freundschaftsreise in Heldenstädte der Sowjetunion“ die sowjetische Hauptstadt sowie die „Heldenstädte Wolgograd, Odessa, Kiew und Minsk“. Dabei war die belorussische Hauptstadt erst im Juni 1974 zur (zehnten) Heldenstadt der Sowjetunion erklärt worden – offenbar eine Auszeichnung, die sie für den Tourismus aus der DDR attraktiver machte.926 Die deutschen Eisenbahner machten sich auf ihrer Reise, laut einem in dieser Hinsicht erstaunlich differenzierten Bericht, mit dem „Leben der Völker (!) in der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik, in der Ukraine und Belorußland“ vertraut. Interessanterweise handelte es sich dabei gar nicht um Bahn-, sondern vielmehr um Flugreisen, die zur Anerkennung für „ausgezeichnete Leistungen im sozialistischen Wettbewerb im Verkehrswesen der DDR“ durch das Ministerium für Verkehrswesen vergeben worden waren. Zum Minsker Besichtigungsprogramm der Gruppen gehörte neben dem Besuch der Volkswirtschaftsausstellung und anderer Errungenschaften des Sozialismus auch ein Stück Revolutionsgeschichte: Das als Museum gestaltete Holzhaus, das im Jahr 1898 den ersten Parteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands beherbergt hatte, stellte ein beliebtes Touristenziel dar. „Unvergeßlich“ bliebe jedoch, so der Bericht weiter, „der Besuch des gigantischen Ruhmeshügels in der näheren Umgebung von Minsk, an dessen Fuß die Delegation […] ein Blumengebinde mit Kranzschleifen ablegte.“927 Auch eine andere Besuchergruppe wurde dem Motto der Reise – 30 Jahre Befreiung vom Faschismus – gerecht, indem sie die „Helden von Minsk“ mit Blumen am Obelisken auf dem Platz des Sieges ehrte. Die Verantwortlichen bei 925 Abt. IV beim ZV der DSF: Zusammenarbeit mit der SGDDR, ohne Datum, DY 32/580, unpag.; Abt. IV: „Vorschläge für die Touristik 1969 in Vorbereitung des 20. Jahrestages der DDR“, 29.3.1968, DY 32/608, unpag.: Bei den entsprechend vorgeschlagenen Reiserouten handelte es sich um folgende: Minsk–Gomel–Brest, Kiew–Poltawa–Charkow, Kiew–Odessa– Saporoshe, Kiew–Odessa–Sewastopol, Minsk–Smolensk–Orjol. 926 Bohn: Minsk – Musterstadt des Sozialismus, S. 117–118. 927 Reisebericht zur 3. Freundschaftsreise an das Ministerium für Verkehrswesen, Politische Verwaltung der Deutschen Reichsbahn, 20.6.1975, BArch DM 1/39262, unpag.; tabellarischer Überblick: „Flugreisen in die Sowjetunion 1975“, ebd.; vgl. dazu auch: Symbolische Flugkarte für die Freundschaftsreise in Heldenstädte der Sowjetunion mit Abb. eines Soldaten und der Bildunterschrift: 1945 – 8. Mai – 1975. Die Verlagerung hin zu Flugreisen passte auch dazu, dass, vermutlich im Jahr 1970, eine Fluglinie Berlin–Minsk eröffnet worden war. Laut einer Aktennotiz des RBDDR verfolgte das sowjetische Reisebüro Inturist damit nicht nur eine Ausweitung des Tourismus in und um Minsk, sondern auch eine Entlastung der Flugstrecke Moskau–Soči für Urlauber an die sowjetische Schwarzmeerküste, die nun vermehrt über Minsk geleitet werden sollten, inklusive einem dortigen Kurzaufenthalt. Vgl. dazu: RBDDR, Sekretariat Generaldirektor: Aktennotiz, 23.9.1969, DM 102/415, unpag.
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Inturist nahmen auf die spezifische politische Zielstellung der Reise jedoch weniger Rücksicht: Erst auf besondere Nachfrage wurde einer anderen Gruppe von Eisenbahnern ein Besuch im Museum des Großen Vaterländischen Krieges ermöglicht, statt des ursprünglich vorgesehenen Besuches im Heimatmuseum. Darauf, dass die Gruppen auch die Gedenkstätte Chatyn’ besuchten, gibt es jedoch keine Hinweise. Selbst der Besuch des Kurgan Slavy – des bereits genannten Ruhmeshügels zu Ehren gefallener Rotarmisten und Partisanen – war nicht immer möglich, weil keine Autobusse für den Transport zur Verfügung gestellt werden konnten.928 Daneben trübten auch Unterbringungsschwierigkeiten den Aufenthalt in der belorussischen Hauptstadt, die auch in den 1970er Jahren noch unter fehlenden Hotelkapazitäten litt. Weil sämtliche Betten im Rahmen einer Sportveranstaltung belegt waren, musste eine weitere deutsche Eisenbahner-Gruppe 18 km außerhalb der Stadt untergebracht werden; von dem ohnehin nur auf einen Tag angesetzten Aufenthalt blieb damit nicht mehr viel übrig, wie der Bericht bedauernd feststellte: „Für die wiederaufgebaute bjelorussische Hauptstadt hatten wir nur einen Tag Zeit. […] Die fleißige Arbeit seiner Bewohner hat viel Schönes in der Stadt entstehen lassen, das ein gründlicheres Kennenlernen gelohnt hätte.“929
Überhaupt stellt die Bewunderung der deutschen Besucher für den rasanten Wiederaufbau in der belorussischen Unionsrepublik, und der Sowjetunion allgemein, ein zentrales, wenn nicht das zentrale Thema der ausgewerteten Reiseberichte dar. Dabei halfen die großen Aufbauleistungen in „Gebiete[n] […], die im 2. Weltkrieg durch deutsch-faschistische Truppen sehr stark heimgesucht waren“ bisweilen auch, die deutschen Besucher von ihrer abschätzigen Meinung über die Sowjetunion zu ‚kurieren‘, wie ein Reisegruppenleiter im Jahr 1957 berichtete.930 Allgemein zeigten sich die DDR-Touristen erstaunt über das schnelle Aufbautempo und den guten Zustand der Städte und Straßen, deren Sauberkeit und Ordentlichkeit – nicht zuletzt ein Indiz dafür, dass viele Reisende, insbesondere der späten 1950er und frühen 1960er Jahre, mit ganz anderen Vorstellungen und Erwartungen, vermutlich geprägt von nationalsozialistischer Propaganda und Erzählungen heimkehrender Soldaten, in das Land der kommunistischen Heilsversprechen gefahren waren.931 Niemand, so ein Reisebericht aus dem Jahre 1960 über eine Besichtigung der belorussischen Hauptstadt, habe „eine solche Stadt“ erwartet – weswegen sich die Gruppe auch vehement dafür ausgesprochen habe, Minsk als
928 „Bericht über die Freundschaftsreise in die Heldenstädte Moskau, Wolgograd, Odessa, Kiew und Minsk vom 19. Mai bis 2. Juni 1975“, 20.7.1975, BArch DM 1/39262, unpag. 929 „Bericht über die Freundschaftsreise vom 8. bis 20. September 1975“, 30.9.1975, BArch DM 1/39262, unpag. 930 Reisebericht für die Touristengruppe 1012 (Moskau, Tbilissi, Jalta), 11.9.1957, SAPMOBArch DY 32/6234, fol. 83–84. 931 Vgl. z. B. Reisebericht einer Teilgruppe von Reisenden mit einem Freundschaftszug (Minsk, Kiew, Moskau), 30.11.1959, DY 32/6248, fol. 1242–1243.
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Etappe der Freundschaftsreisen beizubehalten.932 Auch gegenüber belorussischen Reiseführern, die ihrerseits Berichte über die von ihnen betreuten Gruppen erstellten, hätten sich die Besucher aus der DDR erstaunt geäußert und zugegeben, „[…] dass in einer erstaunlich kurzen Frist die Werktätigen der Stadt Minsk […] die Folgen des Krieges überwunden hätten und eine neue sozialistische Stadt gebaut, in der keine Spuren der Zerstörung mehr zu bemerken seien.“
Dabei gab ein Reiseteilnehmer auch unumwunden zu, dass er als Kriegsteilnehmer 1943 in Minsk gewesen war und deshalb um die Zerstörungen wusste – eine Tatsache, die der sowjetische Bericht zwar vermerkte, aber nicht weiter kommentierte.933 Ganz ähnliche Vergleiche hatte ein deutscher Arzt angestellt, der einen Freundschaftszug im Jahre 1960 betreute. Auch er hatte die belorussische Hauptstadt im Zuge der deutschen Besatzung 1941 kennengelernt und bemerkte bewundernd: „Minsk war einfach nicht wiederzuerkennen“.934 Dabei fühlten sich beide Besucher offenbar so fest verankert in der antifaschistischen (Nach)Kriegserzählung der DDR, dass sie, in einem Fall sogar gegenüber dem sowjetischen Reiseführer, keinen Hehl aus ihrer Kriegsteilnahme machten. Andere Touristen begegneten diesem Thema jedoch mit gemischteren Gefühlen und nahmen die Zerstörung der belorussischen Hauptstadt und die Leiden der Zivilbevölkerung als Folgen deutscher Verbrechen wahr. Nach Besichtigung des Kurgan Slavy, der Gedenkstätte Chatyn’ sowie des Museums des Großen Vaterländischen Krieges in Minsk äußerten Teilnehmer eines Freundschaftszuges aus der Partnerstadt Potsdam, dass sie sich, offenbar der DDR-Aufbaugeneration angehörend, für ihre Väter und deren Taten schämten. Auch hätten sich viele der Teilnehmer im Vorfeld gefragt, wie man sie in Minsk aufnehmen würde, und ob die dortige Bevölkerung den deutschen Besuchern nicht etwa mit Hass begegnen würde.935 Ähnlich hatte auch eine Gruppe Minsk-Touristen Mitte der 1960er Jahre Scham darüber empfunden, dass es „gerade die Deutschen waren, die dem sowjetischen Volk soviel
932 Reisebericht einer Gruppe des 5. Sonderzuges 12.–22.8.1960, 25.8.1960, DY 32/6248, fol. 1334–1335. Auch das Reisebüro der DDR vermerkte den politischen Erfolg dieser frühen Sowjetunionreisen, der insbesondere der Bewunderung für den unglaublich schnellen Wiederaufbau zu verdanken war: Zwar reisten überwiegend Menschen in die Sowjetunion, die sich ohnehin für das Land interessierten und ihm daher positiv gegenüberstünden, aber es gebe auch Beispiele von Bürgern, die „die Reise nur nahmen, weil ‚es nichts anderes gab‘…“. Selbst diese wiederwilligen Touristen kämen im Anschluss stark beeindruckt zurück, vgl. RBDDR, Politische Einschätzung, 13.7.1962, BArch DM 102/3317, unpag. 933 Vgl. dazu sowjetische Reiseführer-Berichte zu Gruppen aus der DDR, 20.8.1966, 13.8.1966 sowie 8.9.1966, NARB f. 1134, op. 1, d. 81, l. 50, 62–63, 72. 934 Persönlicher Bericht des begleitenden Arztes zum 5. Sonderzug 1960, 23.8.1960, DY 32/6248, fol. 1366–1367. 935 Gebietsgewerkschaftsrat Minsk: Übersicht/Bericht über den Aufenthalt eines Freundschaftszuges aus Potsdam im Gebiet Minsk, 7.–11.10.1974, ohne Datum, GAMN f. 2313, op. 1, d. 1266, l. 1–10.
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Leid gebracht haben […]“ Gleichzeitig sei man aber auch stolz, nun an der Seite der Sowjetunion ein neues, sozialistisches Deutschland errichten zu können.936 Obwohl gerade letztere Aussage sich ausgezeichnet mit der offiziellen Freundschaftsrhetorik in der DDR deckte, entsprachen die Aussagen über deutsche Schuld und die Scham über die Taten der Eltern nicht unmittelbar diesen Vorlagen. Viel üblicher war es, rhetorisch strikt zwischen Deutschen und Faschisten zu trennen, wie das etwa eine Gewerkschaftsdelegation im Gästebuch des Hotels Minsk getan hatte: „Obwohl die Stadt Minsk von der barbarischen Hitlerarmee vollständig zerstört worden ist, konnten wir uns von der Schönheit ihres Wiederaufbaus überzeugen.“ Lediglich das Versprechen, alles zu unternehmen, damit von deutscher Erde nie mehr ein Krieg ausgehe und die deutsch-sowjetische Freundschaft Herzensangelegenheit aller (Ost)Deutschen werde, erinnerte an eine besondere deutsche Verantwortung, freilich im Impetus der Gewissheit, dass sich die wahrhaft Verantwortlichen für die Taten der „barbarischen Hitlerarmee“ auf der westlichen Seite der deutsch-deutschen Grenze fanden und dass andererseits die Freundschaft zur Sowjetunion (und nur diese!) in der Lage war, die Schuld der Ostdeutschen abzutragen.937 Auch deutsche Reisegruppenleiter – nicht selten hauptamtliche Funktionäre der DSF und damit geschulte Fachkräfte in Sachen deutsch-sowjetischer Freundschaft – bestärkten die deutschen Touristen in der strikten Trennung zwischen faschistisch und deutsch und sprachen sie damit von persönlichen wie kollektiven Schuldgefühlen frei: „Immer wieder tauchte die Frage auf – wie kommt es zu einer solchen Freundschaft zum deutschen Volk, wo wir (sic!) dem Sowjetvolk doch soviel Leid zugefügt haben? Wir haben darauf hingewiesen, daß die Sowjetmenschen von vornherein unterschieden haben zwischen den Faschisten und dem deutschen Volk.“938
Damit verschwiegen die Freundschaftsmakler freilich, dass mitnichten die „Sowjetmenschen“ für diese Unterscheidung verantwortlich zeichneten, sondern dass sie vielmehr ein Produkt der Propaganda war: So hatte bereits seit Anfang 1945 in einer regelrechten ideologischen Kehrtwende nicht mehr die Gleichsetzung von Faschisten und Deutschen den öffentlichen Diskurs in der Sowjetunion bestimmt, sondern es war nun die Rede von Hitler-Faschisten und Hitler-Armee, die keinesfalls mit dem gesamten deutschen Volk gleichgesetzt werden sollten. Es galt nun, die deutsche Arbeiterklasse aus den Fängen der faschistischen Barbaren zu befreien und ihr den Weg zu einem wahrhaft demokratischen (das heißt sozialistischen) Neuaufbau zu ermöglichen – und damit nicht zuletzt den Machtanspruch der sow-
936 Bericht des Reisebüros Inturist an das MID der BSSR über ausländische Touristen in der BSSR für das Jahr 1963, 29.1.1964, NARB f. 907, op. 1, d. 891, l. 88–90. 937 Arbeitsbericht des Belorussischen Republikrates für Tourismus und Exkursionen beim Republikgewerkschaftsrat über die Arbeit für 1965, ohne Datum, NARB f. 1134, op. 1, d. 66, l. 2–12. 938 Reisebericht einer Teilgruppe von Reisenden mit einem Freundschaftszug (Minsk, Kiew, Moskau), 30.11.1959, DY 32/6248, fol. 1242–1243.
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jetischen Führung in der SBZ zu sichern.939 An dieses ‚Skript‘ schienen sich auch sowjetische Reiseführer überwiegend zu halten. So bemerkte der Reisegruppenleiter eines Freundschaftszuges im Jahre 1960, die sowjetischen Betreuer hätten, bei der Demonstration des geradezu phantastischen Wiederaufbaus, taktvoll vermieden darauf hinzuweisen, „[…] daß es deutsche Soldaten waren, die ihrem Volk so unermeßliches Leid und riesigen materiellen Schaden zugefügt haben.“ Entsprechend blieb in der Gruppe das „Gefühl der großen Schuld vor dem sowjetischen Volke“ aus – und führte zur „Taktlosigkeit“ gegenüber dessen Leiden im Zweiten Weltkrieg. Auf die Frage, ob es sich dabei nicht viel eher um einen unvorhergesehen Nebeneffekt der antifaschistischen Staatsdoktrin der DDR handelte, wirft eine weitere Episode aus der besagten Reise ein bezeichnendes Licht: Bei der Ankunft des Zuges in Leningrad (Reiseroute Minsk, Moskau, Leningrad) hatte ein führender deutscher Reiseleiter in einer offiziellen Ansprache bemerkt, welch große Freude es sei, dass seine sowjetische Vorrednerin gerade „vor deutschen Menschen“ ihren Willen zum Kampf um den Frieden bekundete und dass sie diese Menschen so herzlich willkommen heiße, „[…] nachdem alle Reiseteilnehmer wegen der von den Faschisten begangenen Verbrechen beklommenen Herzens der Begegnung mit den sowjetischen Menschen entgegengesehen hatten.“ Offenbar war es gerade diese letzte Aussage, die ein Schuldeingeständnis der DDR-Bürger implizierte, und an der sich innerhalb des Freundschaftszuges hitzige Diskussionen entzündeten. So protestierten vier der insgesamt elf Reisegruppen gegen die „politisch falsch[en]“ Äußerungen des Funktionärs und übernahmen „scharfe Kritik“ daran auch in ihre offiziellen Reiseberichte. Die Zugleitung wiederum warf den ‚Abweichlern‘ Taktlosigkeit und Überheblichkeit gegenüber dem sowjetischen Volk vor. Bis zum Schluss konnten die Differenzen offenbar nicht beigelegt werden; über weitere Konsequenzen ist jedoch nichts bekannt.940 Der Zwischenfall macht dennoch deutlich, dass sich, fünfzehn Jahre nach Kriegsende, mitnichten ein einheitlicher, durch die Propaganda überformter Umgang mit der deutschen Schuldfrage hatte herausbilden können. Gerade die Kriegsteilnehmer-Generation dürfte sich, trotz der implizierten Distanzierung durch das Konstrukt der so genannten ‚Hitler-Faschisten‘, schwer getan haben mit dem Dreischritt einer Distanzierung und Ablehnung (der faschistischen Verbrechen) bei gleichzeitigem Eingestehen einer kollektiven Schuld der Untätigkeit gegenüber der ‚Hitler-Regierung‘ und Dankbarkeit gegenüber den sowjetischen Befreiern sowie drittens des Empfindens jener ‚unverbrüchlichen Freundschaft‘ zur Sowjetunion, die scheinbar den einzigen Ausweg zur Läuterung und Losspre939 Bekannt geworden ist in diesem Zusammenhang folgendes Stalin-Zitat, das auch in der SBZ für die deutsche Bevölkerung öffentlich gemacht wurde: „Die Erfahrungen der Geschichte besagen, daß die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk, der deutsche Staat bleibt.“ Vgl. dazu: Satjukow: Befreiung?, S. 26–28; Kowalczuk, Ilko-Sascha und Stefan Wolle: Roter Stern über Deutschland. Sowjetische Truppen in der DDR, Berlin 2001, S. 34. 940 Auch die Einzelberichte der verschiedenen Reisegruppen sind leider nicht erhalten geblieben, so dass nicht unmittelbar nachvollziehbar ist, was sich hinter der Beurteilung „politisch falsch“ verbirgt. Vgl. dazu: Bericht der Reiseleitung des 7. Freundschaftszuges an den ZV der DSF, ohne Datum, SAPMO-BArch DY 32/6248, fol. 1378–1381.
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chung von dieser Schuld bot. Demgegenüber war es vor allem die Aufbaugeneration der Mitte der 1920er bis Mitte der 1930er Jahre Geborenen, die sich leichter tat mit der Reue über die Taten der faschistischen Besatzer und bereit war, durch Freundschaft und Bündnistreue zur Sowjetunion und dem eigenen sozialistischen Staat diese deutsche ‚Erbsünde‘ abzutragen.941 Die deutschen Reisegruppenleiter, die häufig aus den Reihen der hauptamtlichen Mitarbeiter der DSF stammten942, sahen es als ihre Pflicht, ‚ihren‘ Touristen die richtige politische Sichtweise auf das Land der Sowjets nahezubringen und falsche Vorstellungen auszuräumen. Die als „Situationskollektiv“, so ein Reiseleiter in seinem schon fast als wissenschaftliche Experimentbeschreibung erscheinenden Bericht, willkürlich zusammengestellte Touristengruppe sollte die Reise nicht aus bloßem touristischem Interesse, um des Reisens willen, absolvieren, sondern vielmehr als politisch-ideologische Lehrfahrt verstehen. Gleichzeitig sollten auch reisende DDR-Bürger sich als „Sendboten des neuen deutschen Staates“ begreifen – und sich in entsprechender Weise verhalten.943 Dass sich nicht alle Reisenden vor diesen ideologisch-propagandistischen Karren spannen ließen, ärgerte den einen oder anderen Reisegruppenleiter erheblich und führte zu entsprechenden Bewertungen im Bericht. Als besonders wenig beeinflussbar erwies sich beispielsweise eine Gruppe von Reiseteilnehmern aus der ‚Intelligenz‘, die Ende der 1950er Jahre Moskau sowie die Schwarzmeerstädte Sochumi und Batumi bereiste: Mehrfach, so klagte der Reisegruppenleiter in seinem Bericht, hätten sich die Touristen seiner Einflussnahme entzogen; sie sonderten sich ab, zeigten weniger Interesse für das (politische) Besichtigungsprogramm als für Erholung und 941 Vgl. dazu auch: Satjukow: Befreiung?, S. 29–32. Interessant ist an dieser Stelle auch zu erwähnen, dass die Verteilung freundschaftlicher Gefühle gegenüber der Sowjetunion nach Generationen etwa in der ČSSR genau umgekehrt zu beobachten war, wie Applebaum in ihrer Studie festgestellt hat: Dort war es nämlich häufig die ältere Kriegsteilnehmergeneration, die die Sowjets als Befreier wahrnahm und auch nach den Ereignissen des Prager Frühlings noch positive Gefühle ihnen gegenüber hegte. Diese Tatsache wirft wiederum ein bezeichnendes Licht auf den Topos der Befreiung 1945, die in der Tschechoslowakei tatsächlich, in der DDR aber nur von einer kleinen Minderheit der Bevölkerung als solche wahrgenommen wurde. Vgl. dazu Applebaum: Friendship of the peoples, S. 231–232. 942 Vgl. dazu: Beschluss Nr. 45/71 vom 4.5.1968, ZV der DSF, SAPMO-BArch DY 32/639, unpag. 943 Vgl. beispielsweise: Reisebericht über die Touristengruppe 1012, 11.9.1957, SAPMO-BArch DY 32/6234, fol. 83–84; Reisebericht, Moskaureise vom 15.–26.7.1958, SAPMO-BArch DY 32/6235, fol. 242–246, hier ganz besonders aufschlussreich: fol. 6235: „Eine Reise in die Sowjetunion bedeutet für jeden – zumal wenn es für ihn die erste Reise dorthin ist – das unmittelbare Erleben der Kraft der sozialistischen Idee in ihrer Verwirklichung, Berührung mit dem sowjetischen Menschen und seinem Alltag, d.h. a u c h mit seinen Sorgen und Schwierigkeiten. Das Ergebnis einer solchen Reise darf also keineswegs nur eine Sammlung von mehr oder weniger subjektiven Eindrücken, es muß vor allem ein eindeutig ideologischpolitisches sein. Die Reisegruppe ist zunächst ein amorphes Gebilde mit so vielen Einzelinteressen, wie sie Teilnehmer zählt. Sie wird im Augenblick ihres Zusammentretens zum Situationskollektiv, […] der Reiseleiter tritt als Informationsgeber und Helfer auf. Bereits hier nun setzt seine Arbeit ein in Hinblick auf das vorgenannte Ziel: ein Kollektiv zu bilden, mit dessen Hilfe das ideologische Resultat erreicht wird.“
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Einkäufe und weigerten sich zudem, sich als Partei- oder DSF-Mitglieder zu erkennen zu geben. Keinerlei freundschaftliche Gefühle habe er, so der Gruppenleiter, für die Sowjetunion verspürt, ja man habe sich sogar über seine Freundschaftsrhetorik lustig gemacht und weigerte sich, am Lenin-Mausoleum einen Kranz niederzulegen. Dieses ‚Fehlverhalten‘ blieb offenbar ohne Folgen. Erbittert bemerkte der Reiseleiter, dass es ihm nicht möglich gewesen sei, mindestens einen Teil der Gruppe auf seine Seite zu ziehen und damit etwas auszurichten – mit anderen Worten: sozialen Druck auszuüben und damit das erwünschte Verhalten zu erzwingen.944 Dabei galt dieses Ziel der „Bewußtseinsformung“, wie es in einem Grundsatzpapier der DSF noch aus dem Jahre 1980 heißt, wohl in erster Linie, aber nicht nur, für durch die Freundschafsgesellschaft organisierte Reisen. Auch das Reisebüro der DDR forderte von seinen Reisegruppenleitern unter Teil II des entsprechenden Formulars eine „Politische Einschätzung der Reise“ – eine Kategorie, die, zumindest in den enthaltenen Reiseberichten Ende der 1980er Jahre, jedoch nur (noch) selten ausgefüllt wurde.945 Die Gefahr der übermäßigen Politisierung touristischer Reisen lag natürlich darin, dass jedwede Abweichung von der erwünschten Norm im Verhalten der Reisenden durch die Reiseorganisatoren kaum kritisch hinterfragt und als Chance auf eine mögliche Verbesserung wahrgenommen wurde. Stattdessen deutete man jede Schwierigkeit sogleich als Fundamentalkritik an der Sowjetunion und damit am System des Sozialismus überhaupt. Dazu gehörte die Unzufriedenheit mit dem stark durchorganisierten Reiseprogramm der oben genannten Gruppe genauso wie „Absonderungen“ vom Kollektiv, die per se verdächtig wirkten. Kam dazu noch das „Fotografieren von eigenartigen Objekten“ – wie etwa alten „baufälligen“ Holzhäusern statt neuer Prestigeobjekte des Sozialismus, so unterstellte der Reisegruppenleiter sogleich die Absicht, aus den Fotos „politisch Kapital schlagen“ zu wollen.946 Unter die Kategorie dieses Fehlverhaltens fiel weiterhin das „Geldumtauschfieber“: die bei sowjetischen Touristen in der DDR ebenfalls dokumentierte Praxis, durch Verkauf von mitgebrachten Waren an mehr ausländische Währung für eigene Einkäufe zu gelangen, als der staatlich reglementierte Austausch erlaubte. DDR-Bürger verkauften zu diesem Zweck Kleidung, Schuhe und andere Waren – offenbar nicht selten auf gezielte Nachfrage sowjetischer Bürger.947 944 Reisebericht zu einer Rundreise Moskau, Sochumi, Batumi, 2.8.1958, SAPMO-BArch DY 32/6235, fol. 224–227. 945 Vgl. dazu: Grundsätze und Zielstellung von und zu Reisen in die Sowjetunion der DSF, 1980, SAPMO-BArch DY 32/4227a, fol. 372; sowie zu den Reiseleiterberichten des RBDDR z. B. BArch DM 102/2583: Reiseleiterberichte für 1988. 946 Vgl. z. B. RBDDR an die Hauptverwaltung der Deutschen Volkspolizei: Auswertung von Reiseberichten zum undisziplinierten Verhalten von DDR-Bürgern, 4.1.1965, BArch DM 102/162, unpag.; Reisebericht für die Touristengruppe 1012 (Moskau, Tbilissi, Jalta), 11.9.1957, SAPMO-BArch DY 32/6234, fol. 83–84; RGL-Bericht an den KV Leipzig der DSF, 3.2.1960 zum Fehlverhalten eines Teilnehmers, SAPMO-BArch DY 32/6236, fol. 612– 613. 947 DSF, Abt. Internat. Verbindungen, Reiseberichte zu Gruppen Nr. D 641 (26.6.–8.7.1966) und D 2318 (8.–19.7.1966), 27.7.1966, SAPMO-BArch DY 32/608, unpag.; Reisebericht für die Touristengruppe 1012 (Moskau, Tbilissi, Jalta), 11.9.1957, SAPMO-BArch DY 32/6234, fol.
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Daneben kämpften die Reisegruppenleiter, mal mehr, mal weniger erfolgreich, in ihrer politischen Bildungsarbeit auch gegen Fehlverhalten ganz anderer Art: Nicht nur reisten viele Teilnehmer mit negativen Erwartungen in das Land der Sowjets – von denen einige offensichtlich entkräftet werden konnten – vielmehr zeigten sich noch immer handfeste Folgen der nationalsozialistischen Propaganda aus der Zeit des ‚Dritten Reiches‘. So hatte sich ein Bauer aus dem Bezirk Dresden, Gewinner der Aktion „Mitglieder der Gesellschaft für DeutschSowjetische Freundschaft erleben die Sowjetunion“ zunächst geweigert, seine Reise anzutreten, mit der Begründung, er habe ‚die Russen‘ im Krieg als Untermenschen kennengelernt. Erst als man ihm die Auszahlung des Gewinns verweigerte, nahm er an der gewonnenen Reise teil und kehrte, nach Aussage des DSFBerichts, geläutert und überzeugt vom Vorbildcharakter der Sowjetunion zurück.948 Einige wenige knüpften sogar während der Reise ganz offen an negative Kriegserfahrungen an, so etwa ein Tierarzt aus Schwerin, der sich bei einer Reise 1964 zu seiner Kriegsgefangenschaft äußerte: Der Mann weigerte sich, die lediglich russischsprachige sowjetische Zollerklärung zu unterschreiben mit der Begründung: „Was ich nicht lesen kann, unterschreib ich auch nicht. Ich war 5 Jahre bei den ‚Brüdern‘ in Gefangenschaft und habe ‚diese Brüder‘ zur Genüge kennengelernt!“. Ein NVA-Offizier machte, auf einer Moskaureise im gleichen Jahr, durch sein Verhalten deutlich, dass durchaus Kontinuitäten zwischen Wehrmacht und NVA bestanden: Beim Abschiedsabend mit den sowjetischen Gastgebern intonierte er „Deutschland, Deutschland über alles“ sowie „Die Fahne hoch“. Beide Fälle wurden durch das Reisebüro an die Volkspolizei weitergeleitet und dürften zumindest den Ausschluss von weiteren Auslandsreisen zur Folge gehabt haben.949 Ähnliche Konsequenzen hatte vermutlich auch ein Erfurter Tourist zu tragen, der offen antisemtische Ansichten vertrat: Auf die Feststellung in der Gruppe, dass es in der Sowjetunion mehr jüdische Mitbürger gäbe als in der DDR (!), hatte er dies lebhaft begrüßt: „[…] das wäre ganz gut so, jetzt müssten sie wenigstens einmal arbeiten, sonst hätten sie ja immer von anderen gelebt.“950 Während nur wenige so deutlich die nationalsozialistische Vergangenheit zitierten, hatten sich dennoch bei vielen DDR-Bürgern Vorurteile gehalten, die so gar nicht zum Bild des vorbildhaften Sowjetmenschen passten, das die DDRPropaganda vermittelte. So hielt sich offenbar hartnäckig das Bild vom ‚betrunkenen Russen‘, das explizit („[…] die Russen hätten bei der Fahrt nach Berlin [im Zug, M.K.] übermäßig viel Alkohol getrunken und sind mit der brennenden Zigarette eingeschlafen.“) oder implizit („Und überall gab es in hygienisch vorbildli83–84; RGL an RBDDR betr. undiszipliniertes Verhalten von Touristen: Reise D 1108 Minsk–Moskau (7.–16.7.1964), 25.11.1964, BArch DM 102/162, unpag. 948 Kreissekretariat Dippoldiswalde an den ZV der DSF, 9.12.1960, SAPMO-BArch DY 32/6248, fol. 1429. 949 Deutsches Reisebüro an die HV der Deutschen Volkspolizei, 4.1.1965 und Reiseleiterbericht betr. Auswertung der Sowjetunionreisen, 25.11.1963, BArch DM 102/162, unpag. 950 Im vorliegenden Fall empfahl der RGL, die entsprechende (Partei-?)Betriebsgruppe über dieses Verhalten zu informieren, vgl. Reisebericht der Gruppe 9 des 1. Freundschaftszuges Minsk, Leningrad, Moskau, 21.4.–4.5.1960, SAPMO-BArch DY 32/6248, fol. 1307.
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cher Weise alkoholfreie Getränke.“) angesprochen wurde.951 Auch die häufige Betonung von Sauberkeit und Ordnung in sowjetischen Städten, das Erstaunen über die Aufbauleistungen sowie allgemein die Tatsache, dass sich viele Reisende auch in ihren „kühnsten Träumen“ eine solche Reise nicht hätten vorstellen können, lassen darauf schließen, dass – gerade Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre – noch wenig positive Bilder und Erwartungen über die Sowjetunion vorherrschten. Auch die besondere Hervorhebung vieler Reisegruppenleiter, dass es keinerlei überhebliches Verhalten auf Seiten der Reisenden gegeben habe, lassen Rückschlüsse auf weit verbreitete Geringschätzung des vermeintlichen Vorbildes Sowjetunion zu.952 In Kontakt mit den „Sowjetmenschen“ selbst kamen die Besucher aus Deutschland oft nur im geplanten Rahmen von Freundschaftstreffen oder Betriebsbesichtigungen, mit den Angestellten im Hotel oder dem/der Dolmetscherin. Nicht zuletzt die Begrüßungen, zum Beispiel von Freundschaftszügen, am Bahnhof hinterließen einen nachhaltig positiven Eindruck, können aber schwerlich als unverfälschtes Zusammentreffen gewertet werden. Die Begrüßungskomitees am Bahnhof waren ebenso auf den Empfang vorbereitet, wie die Hotelangestellten sorgfältig ausgewählt und die zuständigen Belegschaftsmitglieder bei Betriebsbesichtigungen politisch-ideologisch instruiert wurden. Trotzdem griffe es zu kurz, die zahlreichen Berichte über sowjetische Gastfreundschaft und Herzlichkeit allein auf diese Tatsache zurückzuführen. Große Aufgeschlossenheit und Sympathie, so einige Reiseberichte, erfuhren Touristen aus der DDR Ende der 1950er Jahre; in Geschäften und Warenhäusern wurde ihnen als Gäste Platz gemacht, überall wurden sie herzlich empfangen. Bei Freundschaftstreffen, in den Hotels, auf der Straße oder in Warenhäusern sei, so auch ein Reisebericht aus dem Jahre 1966, die sowjetische Gastfreundschaft und deutsch-sowjetische Freundschaft zu spüren. Besonders beeindruckt von der Freundlichkeit der sowjetischen Gastgeber zeigten sich die Besucher auch gerade dort, wo der Zweite Weltkrieg besonders greifbar geblieben war, wie etwa in Stalingrad.953 Auch das Reisebüro der DDR 951 Tatsächlich stellte sich in ersterem Fall heraus, dass das Brandloch im Sitzpolster des Abteils, das bei den Reiseteilnehmern Anlass zu Spekulationen gegeben hatte, durch deutsche Passagiere verursacht worden war, vgl. Reisebericht für die Touristengruppe 1012 (Moskau, Tbilissi, Jalta), 11.9.1957, SAPMO-BArch DY 32/6234, fol. 83–84; Persönlicher Bericht des begleitenden Arztes zum 5. Sonderzug 1960, 23.8.1960, DY 32/6248, fol. 1366–1367. 952 Vgl. z. B. Bericht zum Ablauf des 3. Freundschaftszuges 1960 nach Minsk, Kiew und Moskau, 24.11.1960, SAPMO-BArch DY 32/6248, fol. 1324–1328. 953 Vgl. zu Aussagen über sowjetische Gastfreundschaft und freundliche Aufnahme z. B.: Reisebericht für die Touristengruppe 1012 (Moskau, Tbilissi, Jalta), 11.9.1957, SAPMO-BArch DY 32/6234, fol. 83–84; Reisebericht, Moskaureise vom 15.–26.7.1958, SAPMO-BArch DY 32/6235, fol. 242–246; Reisebericht einer Teilgruppe von Reisenden mit einem Freundschaftszug (Minsk, Kiew, Moskau), 30.11.1959, DY 32/6248, fol. 1242–1243; Bericht zum Ablauf des 3. Freundschaftszuges 1960 nach Minsk, Kiew und Moskau, 24.11.1960, SAPMO-BArch DY 32/6248, fol. 1324–1328; Persönlicher Bericht des begleitenden Arztes zum 5. Sonderzug 1960, 23.8.1960, DY 32/6248, fol. 1366–1367; Reisegruppe 1305: Kiew, Moskau, Leningrad, 31.7.1968, SAPMO-BArch DY 32/6673, fol. 1235; Reisebericht einer Spezialistengruppe der Landwirtschaft, 25.5.–7.6.1965, SAPMO-BArch DY 32/5404, fol.
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lobte in seinen politischen Einschätzungen die sowjetische Gastfreundschaft und deren positive Effekte auf deutsche Touristen: Gerade Mitglieder aus den Kreisen der Intelligenz oder des Handwerks, die dem sozialistischen Staat skeptisch gegenüberstanden, kehrten demnach positiv überrascht zurück.954 Dazu kamen auch positive Beurteilungen der nicht näher differenzierten „Sowjetmenschen“. Diese blieben jedoch überwiegend klischeebehaftet und orientierten sich, neben aktuellen Propagandabildern, zum Teil auch am romantischverklärten Russlandbild des ausgehenden 19. Jahrhunderts bzw. der Weimarer Republik.955 So dominierte, zumindest in den 1950er und 1960er Jahren, das Bild vom einfachen, treuherzigen und heimatliebenden Menschen, der sich, sichtbar an den Aufbauleistungen, diszipliniert und fleißig dem Wiederaufbau seines zerstörten Landes widmete und „nur den Frieden woll[te]“.956 Auch wenn eine Gruppe aus vorwiegend älteren Genossen nach einer Reise im Jahr 1968 begeistert bemerkte: „Es muss klar und mit aller Deutlichkeit gesagt werden: Diese Freundschaft ist eine offene ehrliche und herzliche Freundschaft.“, so muss hinzugefügt werden: Es blieb doch vor allem eine abstrakte und distanziert-politische Freundschaft; Nähe und persönliche Kontakte konnten und sollten sich im Rahmen von Touristenreisen kaum anbahnen.957 Auch wenn viele Reisende ihr ursprünglich
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417–421; Reisebericht zu Gruppe Nr. D 2318 (8.–19.7.1966) , 27.7.1966, SAPMO-BArch DY 32/608, unpag. Deutsches Reisebüro, Zentrale Leitung, Bereich Internationale Touristik: Streng vertraulicher Bericht über Auslandstouristik im II. Quartal 1962, 10.8.1962, BArch DM 102/3317, unpag.; sowie ebd.: Politische Einschätzung der Reisen in die Sowjetunion, 13.7.1962, ebd. Dieses romantische Russlandbild entstand vornehmlich in der Beschäftigung mit der russischen Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts (Tolstoj, Dostojevski) und wurde insbesondere von der deutschen Lebensreformbewegung der Jahrhundertwende aufgegriffen. Das Bild vom einfachen, genügsamen und erfüllten Leben auf dem Lande, vom ‚russischen Menschen‘ und der ‚russischen Seele‘ erschien den Reformern als Gegenstück zu Materialismus und Rationalismus der westlichen Zivilisation – eine Vorstellung, die nach dem Ende des Ersten Weltkriegs vielfach erneut aufkam. Gleichzeitig weckten auch die Versprechungen des neuen sozialistischen Staatswesens Hoffnungen und Wunschbilder unter deutschen Reformern und (bündischen) Jugendbewegungen; der radikale Bruch der Bolschewiki mit den althergebrachten Herrschaftsstrukturen galt vielen als idealer Aufbruch in eine neue Menschengemeinschaft. Vgl. dazu: Jahn, Peter: „Befreier und halbasiatische Horden. Deutsche Russenbilder zwischen napoleonischen Kriegen und Erstem Weltkrieg“, in: Berlin-Karlshorst, DeutschRussisches Museum (Hrsg.): Unsere Russen, unsere Deutschen. Bilder vom Anderen 1800 bis 2000, Berlin 2007, S. 14–29, hier S. 27; Hecker, Hans: „Zwiespältige Projektionen. Varianten in der deutschen Sicht auf Russland 1917–2007“, in: Berlin-Karlshorst, DeutschRussisches Museum (Hrsg.): Unsere Russen, unsere Deutschen: Bilder vom Anderen 1800 bis 2000, Berlin 2007, S. 30–45, hier S. 34–35. Vgl. dazu: Reisebericht zur 1. Freundschaftszugreise 1960, Gruppe 9, ohne Datum, SAPMOBArch DY 32/6248, fol. 1307; Bericht der Gruppe 9 des 5. Freundschaftszuges 1960, ohne Datum, ebd., fol. 1360; Reisegruppe 1305: Kiew, Moskau, Leningrad, 31.7.1968, SAPMOBArch DY 32/6673, fol. 1235; Reisebericht der Gruppe Nr. 1370: Moskau, Kiew, 2.– 16.6.1965, DY 32/6267, fol. 640. Diese eigenartige Unpersönlichkeit und Anonymität in den Beziehungen zwischen Deutschen und Sowjets hat Silke Satjukow auch für die Kontakte beispielsweise mit Angehörigen der Sowjetischen Streitkräfte in der DDR konstatiert, vgl. Satjukow: Befreiung?, S. 214–218.
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negatives oder zumindest skeptisches Bild von der Sowjetunion mindestens in Teilen revidiert haben dürften, so dienten Planung und Ablauf der organisierten Sowjetunion(rund)reisen mehr der politischen ‚Bildung‘ als dem individuellen Erleben des Fremden, oder gar der Erholung. Ein „Situationskollektiv“ – im Idealfall beeinflusst durch den Reiseleiter und eine ad hoc gegründete Parteigruppe unter den Touristen – machte sich auf, die sowjetische Utopie nicht nur mit eigenen Augen zu bestaunen, sondern auch möglichst zielführend zu studieren. Dabei bedeutete zielführend nicht nur die ideologische Beeinflussung der Teilnehmer, sondern auch ihre Rekrutierung für die Sache der deutsch-sowjetischen Freundschaft, entweder ganz unmittelbar durch einen DSF-Eintritt, oder durch eine spätere „Auswertung“ der Reise. Nicht zuletzt dienten die Reiseberichte nämlich auch der Auswahl geeigneter Kandidaten, die im Anschluss an die Reise als Agitatoren tätig werden und über ihre Reise im Betrieb, in lokalen DSF-, Gewerkschafts- oder FDJ-Gruppen berichten sollten.958 Dabei scheint es jedoch, dass diese politische Zielsetzung im Zuge der Professionalisierung des Reiseverkehrs insbesondere seit den 1970er Jahren zunehmend nebensächlich wurde. Vor allem der noch weitgehend unerschlossene Bestand des Reisebüros der DDR könnte hierüber wichtige Auskünfte geben, zumal die über das Reisebüro vermittelten reinen Touristenreisen von vornherein stärker ökonomischen Anforderungen gefolgt sein dürften – und damit auch mehr touristischen Bedürfnissen nach Erholung entgegen kamen.959 So zeigen etwa die seit Mitte der 1980er Jahren erhaltenen Reiseberichte eine stärkere Konzentration auf logistische Aspekte: Wie waren die Touristen untergebracht, inwieweit erfüllte Inturist die Ausflugsprogramme, gab es Probleme mit Hotels, Dolmetschern, Transport usw.? Dafür spricht auch, dass politisch-ideologische Einschätzungen kaum noch abgeliefert wurden – obwohl diese Tatsache, beispielsweise für den aufnehmenden Touristenverkehr, noch in den 1960er Jahren explizit durch die Direktion des Reiseanbieters bemängelt worden war.960 Freilich brachte die zunehmende Ausrichtung des Tourismus auf Wirtschaftlichkeit und Kundenwünsche ein ganz anderes Problem mit sich, über das Reise958 Vgl. dazu exemplarisch: Moskaureise vom 15.–26.7.1958, SAPMO-BArch DY 32/6235, fol. 242–246: Die Ausführungen des RGLs machen deutlich, dass es auch um eine Einschätzung der Teilnehmer für eine spätere ‚Verwendbarkeit‘ als Mittler der deutsch-sowjetischen Freundschaft ging; ähnliche Aussagen bzw. Teilnehmerlisten mit diesbezüglicher Beurteilung finden sich bei vielen Reiseberichten bzw. sind häufig auch nur diese Listen erhalten. 959 So hatte das Reisebüro der DDR Mitte der 1970er Jahre mit Absatzschwierigkeiten für Sowjetunion-Reisen zu kämpfen; gerade die häufig angebotenen, mehr als acht Tage zählenden Rundreisen, die häufig nicht weniger als fünf Städte im Programm hatten, wurden zunehmend unbeliebter. Stattdessen wünschten sich die Kunden des Reiseanbieters mehr Erholungsreisen ans Meer oder ins Gebirge sowie, in Anbetracht der neuen Möglichkeiten, die das Flugzeug als Reisemittel bot, Wochenendkurztrips nach Moskau, Leningrad, Kiew oder Minsk; vgl. dazu: Direktive der Generaldirektion des RBDDR „über die Beratungen zum Vertragsabschluss über den Tourismus für 1975 zwischen dem Reisebüro der DDR und der AAG-Intourist Moskau“, 22.3.1974, BArch DM 102/573, unpag. 960 Vgl. dazu beispielhaft: Reiseleiterberichte 1988, BArch DM 102/2589; RBDDR, Generaldirektion, Monatsbericht für Februar 1969, 25.3.1969, BArch DM 102/275.
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leiter seit Mitte der 1960er Jahren berichteten. So hatte nämlich nicht nur das Reisebüro der DDR, sondern auch der sowjetische Reiseanbieter Inturist den Tourismus als Wirtschaftsfaktor, genauer, Devisenquelle entdeckt, wobei gerade westliche Devisen zum Ausgleich der meist negativen Handelsbilanz der Sowjetunion eine immer wichtigere Rolle spielten.961 Dies führte dazu, dass diejenigen, die die begehrte Westwährung ins Land zu bringen versprachen, deutlich bevorzugt behandelt wurden, und zwar nicht nur, was Unterbringung und Reisezeitraum anbelangte – die Ausdehnung der Sowjetunion-Reiseangebote für die Hauptsaison wurde für das Reisebüro der DDR zunehmend schwieriger – sondern auch, und damit für die Touristen unmittelbar spürbar, in der Bedienung vor Ort. So geriet ein Reisegruppenleiter in arge Erklärungsnöte, als seine Teilnehmer in Moskau feststellten, dass bestimmte Warenauslagen nur gegen Dollar zu erwerben waren und sich sichtlich verärgert fragten: „Hat unser Geld für die Sowjetunion keine Bedeutung?“. In „geduldiger Erklärung“, so der Bericht weiter, habe „hier Verständnis erreicht“ werden können – leider ist nicht überliefert, auf welche Weise der Funktionär dieses gänzlich unsozialistische Verhalten rechtfertigte.962 Auch andere Besucher aus der DDR erfuhren sich als Touristen zweiter Klasse, sei es, dass Reisestationen gestrichen wurden, weil die Zimmer an französische Gäste vergeben worden waren, sei es, dass Taxifahrer die Beförderung ablehnten, weil die Deutschen keine Dollar als Bezahlung zu bieten hatten. Sogar sowjetische Dolmetscher „ließen durchblicken“, dass sie lieber Gäste aus dem kapitalistischen Ausland betreuten. Die Freunde aus der DDR reagierten darauf mit Empörung und deuteten, ganz in der Logik der DSF-Propaganda, diese Vorkommnisse sogleich in größerem Rahmen: „So sieht die Freundschaft aus, Freunde müssen weiter, weil andere mit hartem Geld kommen. Nie wieder hierher, das soll Freundschaft sein? Ist unser Geld weniger wert?“ Hatte die Propaganda von der deutschsowjetischen Freundschaft jahrelang die besondere Beziehungen zwischen den „Sowjetmenschen“ und ihren ostdeutschen Brüdern betont, so musste es letztere ganz besonders enttäuschen, wenn plötzlich ausgerechnet die westdeutschen Klassenfeinde sogar in der Sowjetunion deutlich besser bedient wurden. Folgerichtig drohten Touristen in der Folge sogar mit dem Austritt aus der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft.963 Besonders schwierig wurde diese Situation für die Reiseleiter dadurch, dass auch im Rahmen touristischer Reisen kaum Kritik am ‚großen Bruder‘ möglich war. Neben den oben angesprochenen Problemen kam es auf der Reise immer wieder auch zu anderen Schwierigkeiten oder Programmabweichungen. Stets aufs Neue bedauerten Touristen, dass angekündigte Betriebsbesichtigungen nicht statt961 Salmon: „Marketing Socialism“. 962 ZV der DSF, Abt. Internat. Verbindungen: Auszüge aus Reiseleiterberichten, Reise Nr. D 641, 27.7.1966, SAPMO-BArch DY 32/608, unpag. 963 Vgl. z. B. ebd., Reise Nr. D 1573, ebd.; Reiseleiterbericht einer landwirtschaftlichen Spezialistengruppen, 8.6.1965, SAPMO-BArch DY 32/6265, fol. 337–338; Reisebericht einer medizinischen Spezialistengruppe, 1969, SAPMO-BArch DY 32/6269, fol. 926–930; Eingabe an den ZV der DSF zur Reise Nr. 1041-1111-115, 21.–28.3.1989, SAPMO-BArch DY 32/4227, fol. 197.
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finden konnten oder dass Spezialistengruppen den geplanten Erfahrungsaustausch nicht realisieren konnten964 – eine Nachlässigkeit übrigens, die sowohl sowjetische Touristen als auch Inturist bei DDR-Reisen scharf kritisierten.965 Umgekehrt war derartige Kritik jedoch weniger gern gesehen; selten ging diese über Ausdrücke des Bedauerns hinaus. Ein bezeichnendes Licht auf diese Tatsache wirft etwa ein Vorfall aus den 1980er Jahren, bei dem eine Freundschaftszugreise über Brest nach Moskau, Leningrad und Tallin für die deutschen Touristen wahrhaft katastrophale Ausmaße annahm. Da das sowjetische Reisebüro die gebuchten Hotelplätze der Teilnehmer offenbar an westdeutsche und französische Touristen vergeben hatte, wurden die Deutschen kurzerhand Nacht für Nacht von Stadt zu Stadt gefahren und verbrachten somit von elf Reisetagen ganze sieben Nächte im Zug, der noch dazu ungeheizt und in schlechtem hygienischem Zustand war. Die Reisenden, unter denen zwischenzeitlich schon viele erkrankt waren, protestierten daraufhin, verweigerten zum Teil die Weiterreise und drohten mit DSF-Austritt. Zum Ende der Reise, so der Bericht, sei vom zuständigen Inturist-Mitarbeiter lediglich eine „oberflächlich[e]“ Entschuldigung erreicht worden. Das Sekretariat des Präsidiums der DSF, das nach zahlreichen Eingaben empörter Reisender schließlich über den Vorfall unterrichtet war, reagierte darauf mit einem moderaten Appell an die Abteilung für sozialistische Länder der SSOD mit der Bitte, sich in Zukunft dafür einzusetzen, „daß der Tourismus tatsächlich der Festigung der Freundschaft dient und nicht andere Wirkungen auftreten.“ Die Reaktion gegenüber den unzufriedenen Reisenden war jedoch deutlich weniger konziliant: Zwar musste das Reisebüro der DDR 25% des Reisepreises zurückerstatten, gleichzeitig wurde jedoch massiv Einfluss genommen, um, so das Schreiben, „politische[n] Schaden in den Betrieben und Grundeinheiten durch bestimmte Reiseteilnehmer, deren Mitgliedschaft nicht ausreichend gefestigt ist […]“ abzuwenden. Konkret sollten also Unzufriedene im Namen der deutsch-sowjetischen Freundschaft mundtot gemacht werden – unter anderem auch durch den Einsatz einer Untersuchungskommission des Ministeriums für Staatssicherheit.966 Dieser und ähnliche Vorfälle machen deutlich, dass DDR-Bürger bzw. Besucher aus anderen sozialistischen Ländern bisweilen nicht nur als Touristen zweiter Klasse behandelt wurden, sondern dass sie als ‚kleine Brüder‘ noch dazu keine ernsthafte Kritik am 964 Vgl. z. B. die andauernden Beschwerden hierüber bei den Freundschaftsreisen von DDREisenbahnern in Heldenstädte der Sowjetunion, verschiedene Reiseberichte 1975, BArch DM 1/39262. 965 Tatsächlich erwies sich die Einhaltung der versprochenen Betriebsbesichtigungen und Freundschaftstreffen offenbar als großes Problem, auf das das Reisebüro der DDR nur wenig Einfluss nehmen konnte. In einem internen Konzeptpapier aus dem Jahre 1973 plante man unter anderem auch deswegen eine Ausweitung der Zusammenarbeit mit der DSF. Diese könne, so hoffte man, über ihre Beziehungen zur sowjetischen Freundschaftsgesellschaft eine Verbesserung der touristischen Programme bewirken, vgl. dazu: 9seitiges Konzeptpapier des RBDDR: Konzeption über die Entwicklung des Tourismus in die UdSSR, 31.10.1973, BArch DM 102/556, unpag. 966 Schreiben des Sekretariats des Präsidiums der DSF an die SSOD, Abt. Sozialistische Länder, 24.6.1987, SAPMO-BArch DY 32/4227, fol. 151; DSF-Bezirksvorstand Neubrandenburg an das Sekretariat des Präsidiums der DSF, 3.6.1987, ebd., fol. 153–155.
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Reiseprogramm in der Sowjetunion äußern konnten. Dies galt im Übrigen genauso für den Bereich des sozialistischen Erfahrungsaustauschs im Rahmen so genannter Spezialistenreisen und macht damit den zweifelhaften Nutzen dieser touristischen Spezialform deutlich. So hatte beispielsweise eine landwirtschaftliche Spezialistengruppe aus der DDR, die zum Erfahrungsaustausch in die UdSSR gereist war, in ihrem fast 20seitigen Bericht gewissenhaft alle Errungenschaften der Sowjets auf dem Gebiet der Hydrokultur ausgewertet und war zu dem Schluss gekommen, dass es hierfür kaum Anwendungsmöglichkeiten in der DDR gab. Dies läge daran, dass man sich diesbezügliche Erfahrungen besser woanders holte, hätten westlich-kapitalistische Staaten doch einen erheblichen technischen Vorsprung auf diesem Gebiet, so der Bericht ganz sachlich. Die zuständigen DSFFunktionäre sahen dies jedoch weniger nüchtern: Unter keinen Umständen diene der vorliegende Bericht dem politischen Ziel und dürfe so nicht abgefasst werden; zu technisch und zu wenig touristisch habe man sich orientiert – absurderweise ein Vorwurf, der in den meisten anderen Fällen genau andersherum angebracht wurde. Wie man es richtig machte, hatte dagegen eine andere Gruppe gezeigt, die zum Studium der Schweinezucht unter anderem in die BSSR gefahren war. In „gebührend[er]“ Weise habe dieser Bericht das herzliche Freundschaftsverhältnis zur Sowjetunion und deren große Aufbauerfolge gewürdigt sowie nach dem Besuch der Brester Festung angemessen Betroffenheit gezeigt.967 Insgesamt zeigen die ausgewerteten Reiseberichte bei aller Lückenhaftigkeit, insbesondere was die 1970er Jahre betrifft, eine breite Palette an positiven wie negativen Erwartungen, Wahrnehmungen und Wertungen ostdeutscher Touristen. Diese fanden sich während ihrer Reise im ständigen Spannungsfeld zwischen Propaganda – positiver wie negativer – und daraus hervorgegangenen (Vor)Urteilen einerseits und der dargebotenen Wirklichkeit andererseits, zwischen Erwartungen, die der sozialistische Staat als gute „Sendboten“ an sie stellte und individuellen Bedürfnissen. Vielfach schien eine Reise in die Sowjetunion tatsächlich überkommene Meinungen zu revidieren und positive Wahrnehmungen zu fördern – dies mag insbesondere für die ältere Generation, die noch (aktiv) am Krieg teilgenommen hatte, der Fall gewesen sein. Gerade die DSF spielte dabei eine zentrale Rolle, sorgte sie doch etwa durch ihre Reise-Gewinnaktionen seit Ende der 1950er Jahre („Mitglieder der DSF erleben die Sowjetunion“) dafür, dass Menschen verschiedener Bevölkerungsschichten und politischer Einstellungen an solchen Reisen in Freundschaftszügen teilnahmen.968 Die gezielte Forcierung von Reisen in westsowjetische Gebiete bzw. so genannte Heldenstädte sollte zudem 967 ZV der DSF, Arbeitsbereich Landwirtschaft: Einschätzung des Reiseberichts der Reisegruppe Hydroponik, 8.4.1965, SAPMO-BArch DY 32/5404, fol. 137; ebd.: Einschätzung des Berichts über die Reise der spezialisierten Touristengruppe zum Studium der Schweinezucht und -mast, 14.5.1965, ebd., fol. 360. 968 So deutete es ein RGL einer normalen DSF-Gruppenreise im Jahre 1966 durchaus positiv, dass unter 30 Teilnehmern nur sechs Parteimitglieder waren. Dies zeige, dass sich auch andere Menschen für die Sowjetunion interessierten, vgl. DSF, Abt. Internat. Verbindungen, Reiseberichte zu Gruppe Nr. D 641 (26.6.–8.7.1966), 27.7.1966, SAPMO-BArch DY 32/608, unpag.
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der Auseinandersetzung mit bzw. der Huldigung der sowjetischen Befreiungstat vom Faschismus dienen. Die Ausweitung und zunehmende Professionalisierung des Reiseverkehrs seit etwa Mitte der 1960er, vor allem aber in den 1970er Jahren, brachte für die Sache der Freundschaft nicht nur Vorteile: Zwar standen denjenigen DDR-Bürgern, die eine Sowjetunion-Reise ergattern konnten, nun abwechslungsreichere und mehr auf Erholung zugeschnittene Reiserouten, etwa ans Schwarze Meer, zur Verfügung, gleichzeitig hatte aber auch der sowjetische Staat den Tourismus als wichtige Einnahmequelle entdeckt. Dies führte dazu, dass ostdeutsche Touristen sich mehr und mehr als Touristen zweiter Klasse abgefertigt fühlten und damit, nicht zuletzt beeinflusst durch die jahrelange DSF-Propaganda, die deutsch-sowjetische Freundschaft und mithin das östliche Bündnis auch auf einer politischen Ebene in Frage stellten. Einen interessanten, bislang weitgehend unerforschten Aspekt bieten in diesem Zusammenhang das Aufeinandertreffen von Touristen aus Ost und West in den zunehmend beliebteren sowjetischen Schwarzmeer-Urlaubsorten, oder etwa die Beziehung zwischen deutschen und sowjetischen Touristen. Diese Frage beschäftigte nämlich auch die örtlichen Repräsentanten des Reisebüros der DDR, umso mehr, wenn es Konflikte zwischen sowjetischen und DDR-Bürgern betraf969, oder das politisch korrekte Verhalten von DDR-Touristen gegenüber dem Klassenfeind aus dem Westen970. Reisen in die Belorussische Sowjetrepublik, in erster Linie nach Minsk oder Brest, fielen dagegen meist in das Ressort der Städtereisen. Der Fokus lag dabei nicht selten auf dem Zweiten Weltkrieg und dem Heldenstadt-Status beider Städte, die dabei jedoch im gesamtsowjetischen Kontext wahrgenommen wurden. Weder durch Klima und Erholungsmöglichkeiten oder exotische Schauplätze (wie etwa die zentralasiatischen Sowjetrepubliken), noch durch die Erschließung besonderer kulturgeschichtlicher Sehenswürdigkeiten machte die westlichste Sow-
969 So berichtete etwa der Repräsentant aus Pizunda im Sommer 1971 über einen Streit zwischen ostdeutschen und sowjetischen Touristen, der sich über einem allzu bekannten Urlaubsproblem entzündete: DDR-Touristen hatten Sonnenliegen beansprucht, die, entgegen der Hotelregeln, mit Handtüchern reserviert gewesen waren – ein Verhalten, das, wie der Repräsentant entschuldigend bemerkte, üblicherweise deutschen Touristen zu eigen sei. Schließlich stellte sich jedoch heraus, dass sowjetische Touristen die Liegen ‚reserviert‘ hatten – zu Unrecht, wie die DDR-Bürger in der anschließenden hitzigen Diskussion mit den sowjetischen ‚Freunden‘ argumentierten und sich dabei sogar durchsetzten. Die Freude dürfte jedoch nur von kurzer Dauer gewesen sein: „Dieses Vorkommnis mit dem nicht korrekten Auftreten unserer Touristen wurde in der betreffenden Gruppe beraten und mit Bedauern ihre falsche Handlungsweise eingesehen.“ Vgl. dazu: Bericht des Repräsentanten in Pizunda für Juli 1971, 12.8.1971, BArch DM 102/434, unpag. 970 Der Vertreter in Soči bemerkte in seinem Monatsbericht für August 1971 mit Genugtuung das „sehr bewusst[e]“ Auftreten von DDR-Touristen. Diese zeigten sich beim Zusammentreffen mit westlichen Reisenden stolz auf die Errungenschaften der DDR und machten durch ihr freundschaftlich-vertrautes Verhalten mit den sowjetischen Gastgebern („freundschaftliche Aussprachen“, Gastgeschenke etc.) deutlich, dass sie sich hier sozusagen unter Brüdern befanden. Vgl. den entsprechenden Bericht, 8.9.1971, BArch DM 102/434.
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jetrepublik für ein breiteres touristisches Publikum auf sich aufmerksam.971 Dies blieb weiterhin den Städten Moskau, Leningrad oder Kiew sowie vor allem der sowjetischen Schwarzmeerküste vorbehalten. Immerhin hatte das Reisen fernab vom Massentourismus auch seine Vorzüge: So schwärmte ein Reisebericht einer Gruppe von Bibliothekaren aus dem Jahre 1966, das Programm in Minsk sei abwechslungsreich, der abschließende Empfang bei der belorussischen Freundschaftsgesellschaft ausgezeichnet gewesen. Auch Unterbringung und Versorgung der Touristen hätten sich als vorzüglich erwiesen – insgesamt viel besser als in Moskau.972
5.2.4 Zusammenfassung Im Zuge der Entstalinisierung kam es für Bürger der Sowjetunion, die in den vorangegangenen zwei Jahrzehnten in einem nahezu abgeschotteten Staat gelebt hatten, zu spürbaren Veränderungen bezüglich Reisebestimmungen: Auch sie durften nun zunächst ins befreundete sozialistische Ausland, später theoretisch auch ins kapitalistische Ausland reisen. Dabei entdeckte der sowjetische Staat sehr schnell die vielfachen Vorteile, die die Entwicklung eines (staatlich) organisierten Tourismus mit sich brachte. Zum einen ergab sich durch die Aufnahme ausländischer Reisender in großem Maßstab die Möglichkeit, nun ganz unmittelbar auf die Verbreitung eines positiven Sowjetunionbildes Einfluss zu nehmen; die Besucher sollten mit eigenen Augen die Errungenschaften des fortschrittlichsten sozialistischen Staates der Erde bewundern und ihre Erfahrungen möglichst in ihren Heimatländern verbreiten. Zum anderen kam der sowjetische Staat damit auch den Wünschen der eigenen Bürger entgegen und versöhnte sie damit in Teilen mit einem in vielerlei Hinsicht defizitären System. Gleichzeitig versuchte er sie außerdem zu eigenen propagandistischen Zwecken einzuspannen: Nicht zufällig entstanden regelrechte ‚Benimmbücher‘ für sowjetische Touristen, in denen von Kleidungs- und Speiseregeln bis hin zu politischer Instruierung aufgeführt wurde, wie sich ein vorbildlicher sowjetischer Bürger im Ausland zu benehmen habe. Die zuständigen Funktionäre maßten sich dabei auch an zu entscheiden, welche Art des Urlaubs für ihre Landsleute am geeignetsten war. Daraus entstand nichts Geringeres als ein Neuordnungsversuch überkommener (bürgerlicher) Urlaubsvorstellungen: Zwar spielte auch bei dieser ‚sozialistischen‘ Form des Tourismus der Bildungsaspekt eine wichtige Rolle und sollte zur Entwicklung der sozialistischen Persönlichkeit beitragen, jedoch hatten sich Reiserouten und -programme nun überwiegend an den Sehens971 Das GK der DDR in Minsk berichtete, dass in den Jahren 1984 und 1985 immerhin je etwa 50 000 Touristen die BSSR besucht hätten, womit die rückläufige Tendenz der Vorjahre hätte überwunden werden können. Auch in der BSSR bemühte man sich demnach um mehr Touristen, etwa durch die Einrichtung von Skigebieten, die auch außerhalb der Hauptsaison Reisende in die BSSR bringen sollten. Vgl. dazu: „Hauptfragen der Zusammenarbeit zwischen der DDR und der BSSR“, GK Minsk, 6.2.1986, SAPMO-BArch DY 30/12403, pag. 6–13. 972 Bericht zur Reise Nr. D 1415, 1.–15.9.1966, SAPMO-BArch DY 32/245, unpag.
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würdigkeiten des sozialistischen Fortschritts zu orientieren: Die Besichtigung von neu erbauten Städten, Wohnquartieren und Betrieben verband sich, insbesondere im Fall der im Krieg stark zerstörten Gebiete sowohl in der BSSR als auch der DDR, mit dem Topos des Wiederauferstehens aus den durch die Faschisten hinterlassenen Ruinen. Während dies für DDR-Bürger eigentlich eine Reise in die kommunistische Zukunft sein sollte, erwies sich die Situation nicht selten als genau umgekehrt: So waren es häufig die sowjetischen Touristen, die ihre Reise in die DDR als Ausflug in einen weiterentwickelten Sozialismus begriffen. Damit verbunden war gleichzeitig aber auch der Stolz auf die eigene Leistung: So besichtigten sowjetische Touristen in den westlichen Bruderstaaten eben auch die eigene sozialistische ‚Entwicklungshilfe‘, die überhaupt erst nach der Befreiungstat vom Faschismus möglich geworden war. Die sowjetische Form des Tourismus wurde, mit nur wenigen Abweichungen, nahezu eins zu eins auf die DDR und die übrigen Ostblockstaaten übertragen, was sich unter anderem in der Arbeit der Freundschaftsgesellschaften widerspiegelte. Sowohl die deutsche als auch die belorussische Freundschaftsgesellschaft beteiligten sich an der ‚Arbeit‘ mit ausländischen Touristen, etwa durch die Organisation von Freundschaftstreffen, Herausgabe von Broschüren und Informationsmaterialien für ausländische Besucher oder auch durch die Bereitstellung von ‚Empfangskomitees‘ zum Beispiel für Freundschaftszüge. Umgekehrt wirkten beide mit an der Vorbereitung ausreisender Touristen, die als ‚Botschafter‘ ihres Landes für den Aufenthalt in der Fremde instruiert werden sollten. Dabei war die Urlaubsreise für sowjetische/belorussische Bürger an bestimmte Bedingungen und Voraussetzungen geknüpft, die mitnichten einen Urlaub für jedermann ermöglichten. So durchliefen potentielle Kandidaten zunächst ein kompliziertes Vorschlags-, Auswahl- und Beurteilungsverfahren: Auslandsreisen wurden häufig als Auszeichnung für besonders gute Leistungen im Betrieb oder gesellschaftliches Engagement im Rahmen der Massenorganisationen vergeben, die endgültige Entscheidung erfolgte dann durch spezielle Parteikommissionen für Auslandsreisen, die auch eine Prüfung des Kandidaten durch das KGB beinhaltete. Trotz des strengen Auswahlverfahrens entsprach die Auswahl der Urlauber jedoch mindestens bis in die 1970er Jahre hinein nicht den ideologischen Vorgaben: Sollte die Möglichkeit einer Auslandsreise nun vor allem Mitgliedern der Arbeiterklasse zur Verfügung gestellt werden, erwiesen sich diese Pläne in der Umsetzung als schwierig: Noch immer waren es überdurchschnittlich viele Angehörige der Intelligenz, die, nicht selten über ihre besseren Beziehungen und Netzwerke (blat), an die Empfehlung für eine Auslandsreise kamen. Auch in der DDR wurde mindestens ein Teil der Sowjetunion-Reisen als Auszeichnung für besondere Leistungen vergeben, etwa im Rahmen der DSF oder später der Gewerkschaften. Eine ‚Vorkontrolle‘ der Reisenden erfolgte also ebenfalls mindestens über dieses Vorschlagssystem, während eine umfassende zentrale Kontrolle über eigens eingesetzte Parteikommissionen nicht festgestellt werden konnte. Dennoch blieb die überwiegende Zahl der Reisenden weit davon entfernt, das Freundesland auf eigene Faust und außerhalb staatlichen Zugriffs besichtigen zu können. Durch die festgelegte Variante der Gruppenreise, die zudem durch die
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Begleitung eines verantwortlichen Reisegruppenleiters ergänzt wurde, standen sowjetische und deutsche Touristen auch im Ausland unter Beobachtung und Beeinflussung. Nicht zuletzt der abschließende Bericht des Gruppenleiters dokumentierte nicht nur Reiseeindrücke und Aufnahme im Gastland, sondern auch sehr genau das Verhalten der Reisenden. Fehlverhalten jedweder Art konnte demnach zu Konsequenzen wie etwa dem Ausschluss von weiteren Auslandsreisen führen. Auch die möglichen Reiserouten, und demnach das, was ausländische Touristen zu sehen bekommen sollten, waren im Vorfeld bereits festgelegt. Die Reisebüros, die für die Zusammenstellung der Reiseprogramme zuständig waren, orientierten sich dabei stark an den Vorgaben eines sozialistischen Tourismuskonzeptes – mehr Neues, weniger Altes, so lautete die Devise – und gerieten damit gleich in ein doppeltes Spannungsfeld: Zum einen entsprach diese Programmatik nicht den Vorstellungen der überwiegenden Anzahl der Touristen, die aller Propaganda zum Trotz doch immer noch ‚klassische‘ kulturgeschichtliche Sehenswürdigkeiten zu besuchen wünschten – und damit die zu größtmöglicher Ökonomie verpflichteten Reisebüros in gewisser Weise unter Druck setzen konnten. Dies galt natürlich umso mehr für westliche Touristen, die begehrte Devisen ins Land brachten. Zum anderen erwiesen sich die geforderten Betriebsbesichtigungen und Freundschaftstreffen bei der immer stärker wachsenden Anzahl von Touristen als kaum noch durchführbar. Gerade die für Freundschaftstreffen mit sowjetischen Touristen zuständige DSF beklagte in diesem Zusammenhang eine Überstrapazierung ihrer Orts- und Betriebsgruppen. Eine Besonderheit im gegenseitigen Tourismus zwischen der DDR einerseits und der BSSR bzw. der Sowjetunion andererseits war die Konzentration der Reiserouten auf Orte, die der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg sowie der Geschichte der Arbeiterbewegung gewidmet waren. Beide Themen machten einen wichtigen, wenn nicht sogar zentralen Teil im Selbstverständnis der sowjetischen Partisanenrepublik BSSR einerseits, der DDR als „erstem antifaschistischem Staat auf deutschem Boden“ andererseits aus. Über die Erlebnisse und Eindrücke belorussischer und deutscher Reisender im jeweils anderen Land geben die Reiseleiterberichte der Reisegruppen, bei aller gebotenen quellenkritischen Vorsicht, einen erstaunlich offenen Einblick. Sie zeichnen das vielfältige Bild eines staatlich organisierten Tourismus, der sich um ‚politische Bildungsarbeit‘ und Steuerung der Emotionen seiner reisenden Bürger bemühte – ein Ansinnen, das jedoch nur teilweise glückte. Vor allem die jeweilige Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und die dadurch entstandenen (Vor)Urteile ließen sich nicht immer in das vorgegebene Nachkriegsnarrativ von Befreiung und unverbrüchlicher Freundschaft pressen und überschatteten in einigen Fällen die gegenseitige Begegnung. Andererseits belegen ebenso viele Berichte, dass eine Reise in das jeweils andere Land negative Vorstellungen durchaus revidieren oder durch die Freundschaftsgesellschaften im Vorfeld vermittelte positive Bilder bestätigen konnten. Gerade dort, wo es zum unmittelbaren Zusammentreffen von Menschen kam – auch wenn dies im Rahmen des organisierten Gruppentourismus selten individuell und ungeplant, sondern überwiegend bei vorab geplanten Veranstaltungen geschah – empfanden viele Touristen tatsächlich Verbundenheit mit ihren Gastgebern, von denen sie
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sich gut und freundschaftlich aufgenommen fühlten. Dass dabei keine engen und persönlichen Kontakte entstanden, gehörte zum Kalkül der Planer: Im Vordergrund stand schließlich die Festigung einer politischen Freundschaft, die nicht zuletzt dazu dienen sollte, das östliche Bündnis unter Leitung der Sowjetunion zusammenzuhalten. Umgekehrt führte diese Art der Festlegung einer absoluten und nicht in Frage zu stellenden Freundschaft auch zu unerwünschten Nebeneffekten, weil sie gewisse Erwartungen weckte. Sahen sich Reisende mit Schwierigkeiten vor Ort, etwa in der Organisation von Freundschaftstreffen oder Betriebsbesichtigungen konfrontiert, wurde dies schnell zum Anlass, diese angeblich allumfassende Freundschaft beider Völker in Frage zu stellen. Noch schwerer durfte es für DDR-Bürger gewogen haben, wenn sie sich, in Konkurrenz zu Besuchern aus kapitalistischen Ländern, die Devisen ins Land brachten, plötzlich zu Touristen zweiter Klasse degradiert sahen, die ihre Kritik gegenüber dem ‚großen Bruder‘ Sowjetunion nicht einmal offen äußern durften. Neben diesen politischen Fragestellungen geben die Reiseberichte auch Einblicke in ganz ‚normale‘ Bedürfnisse und Wünsche der Reisenden, ihre Vorstellungen und Erwartungen an eine touristische Reise. Trotz des engen Korsetts der politisch aufgeladenen Gruppenreisen begriffen sich die Teilnehmer doch auch als Touristen, die gekommen waren, um Sehenswürdigkeiten zu bestaunen, Erholung vom Alltag zu suchen oder Dinge einzukaufen, die unter den Bedingungen der sozialistischen Plan- und Mangelwirtschaft in ihrer Heimat nicht verfügbar waren. Insbesondere diese Aspekte bieten, eingebettet in eine gesamteuropäische tourismusgeschichtliche Perspektive der 1960er und 1970er Jahre, zahlreiche Anknüpfungspunkte für bislang kaum erfolgte Forschungen.973
5.3 GETEILTE MYTHEN, GEMEINSAME ERINNERUNG? ANTIFASCHISTEN UND PARTISANEN Im November 1960 traf sich eine kleine siebenköpfige Arbeitsgruppe in der 1. Europäischen Abteilung des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, um dort über die Darstellung des ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaates im Ausland zu beraten. Ganz konkret ging es dabei um die Vermittlung der ostdeutschen Nachkriegsentwicklung in sowjetischen Museen sowie die Frage, wie entsprechende Ausstellungen aussahen und zukünftig aussehen sollten.974 Einig war man sich, dass insbesondere über die Verschickung eigener Ausstellungen eine 973 Vgl. dazu etwa im Vergleich Bundesrepublik – DDR: Spode (Hrsg.): Goldstrand und Teutonengrill. 974 An der Besprechung nahmen je ein Vertreter der DSF, der Gesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland (ab 1961 Liga für Völkerfreundschaft), des Komitees der antifaschistischen Widerstandskämpfer, des MfK, des Museums für Deutsche Geschichte sowie drei Mitarbeiter des MfAA teil. Vorgesehen war auch ein Vertreter des Instituts für Marxismus-Leninismus, der den Termin jedoch offenbar nicht wahrnehmen konnte. Vgl. dazu: 1. Europäische Abteilung, MfAA, Protokoll, 4.11.1960, SAPMO-BArch DY 32/4953, unpag.
5.3 Geteilte Mythen, gemeinsame Erinnerung? Antifaschisten und Partisanen
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richtige „Popularisierung“ der DDR zu erzielen sei, jedoch herrschte eine gewisse Uneinigkeit darüber, welche Akzente in diesem Zusammenhang gesetzt werden sollten. Während das Ministerium für Kultur plante, sich ausschließlich auf die Geschichte nach 1945 zu konzentrieren, sahen die übrigen Teilnehmer einen anderen Zeitabschnitt als weit wichtiger an für Selbstverständnis und Legitimation des ersten „antifaschistischen Staates auf deutschem Boden“: Gerade in sowjetischen Museen, die den Zweiten Weltkrieg thematisierten, fände man nämlich vielfach „falsche Vorstellungen über den Widerstandskampf der deutschen Antifaschisten“, die einer dringenden Revision bedürften. Einerseits sei hier ganz besonders das Wirken deutscher KZ-Häftlinge für die Befreiung vom Faschismus hervorzuheben („Gegen eine gewisse Meinung, daß vor allem Ausländer interniert waren, ist allein schon die Zahl an deutschen Häftlingen symbolisch.“), andererseits sollte aber auch auf illegale Widerstandsgruppen unter der deutschen Bevölkerung hingewiesen und ihr Beitrag zum Kampf gegen den Faschismus gewürdigt werden.975 Als besonders vielversprechende Schauplätze für derartige zukünftige Ausstellungen hatte man vor allem Museen in der belorussischen wie der ukrainischen SSR im Auge, da gerade dort zunehmend internationale Abteilungen eingerichtet würden – möglicherweise eine Folge der stärkeren internationalen Beachtung, die beide Sowjetrepubliken im Zusammenhang mit ihrer UN-Mitgliedschaft fanden. Dass sich die Spezialisten für Auslandsinformation unter anderem auf Museen konzentrierten, war aus erinnerungsgeschichtlicher Sicht eine gute Wahl. Ähnlich wie Gedenkstätten und Denkmäler sind Museen, um dem Konzept Jan und Aleida Assmanns zu folgen, Teil des kulturellen Gedächtnisses einer Gesellschaft und somit gerade jenes Teils des kollektiven Gedächtnisses, der auch über Generationen hinweg durch Symbole und Zeichen wie Monumente, Jahrestage, Riten, Texte, Bilder, aber auch Normen und Werte weitergegeben werden kann. Als Aufbewahrungs-, vor allem aber Ausstellungsorte tragen Museen darüber hinaus zur Etablierung eines kulturellen „Funktionsgedächtnisses“ bei und bestimmen somit, was – im Gegensatz zum bloß aufbewahrenden „Speichergedächtnis“ (überlieferter und aufbewahrter, aber nicht (mehr) rezipierter kultureller Überreste) – zur aktiven Erinnerung einer Gemeinschaft gehört und durch stetige Wiederholung am Leben gehalten wird. Vor allem historische Museen sind gleichzeitig politische Orte; sie sind integriert in politische Systeme und betreiben selbst (Geschichts)Politik, indem sie Vergangenheit konstruieren und interpretieren oder, wie im Falle der DDR, ganz gezielt in den Dienst der Gegenwart stellen.976 Das Museum für Deutsche Geschichte in Ost-Berlin, das auch die Federführung für 975 Der anwesende Vertreter des Museums für Deutsche Geschichte machte außerdem eine dritte Gruppe aus, der man sich vor allem in der historischen Forschung annehmen solle: diejenigen deutschen Widerstandskämpfer, die in den von „Hitlerdeutschland okkupierten Gebieten“ am antifaschistischen Widerstandskampf teilgenommen hatten. Damit wurde wohl schon hier Bezug auf deutsche Partisanen genommen. Vgl. ebd. 976 Assmann, Aleida: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, Bonn 2007, S. 51–59; Kurilo, Olga: „Der Zweite Weltkrieg im Museum. Deutschosteuropäische Spiegelungen“, in: Kurilo, Olga (Hrsg.): Der Zweite Weltkrieg im Museum: Kontinuität und Wandel, Berlin 2007, S. 11–24, hier S. 14–16.
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oben genannte Ausstellungen übernehmen sollte, sorgte seit 1950 für die Vermittlung eines staats- und parteikonformen Geschichtsbildes977, arbeitete mit anderen Worten also mit an der Implementierung eines kulturellen Gedächtnisses, das mit seiner antifaschistischen Grundprämisse jedoch nur dem kommunikativen Gedächtnis eines bestimmten Teils der DDR-Gesellschaft, nämlich dem der überwiegend kommunistischen Funktionsträger entsprach. Dieses, in diesem Fall auf eine soziale Gruppe beschränkte, kommunikative Gedächtnis ist eng mit der Zeitzeugenschaft seiner Träger verbunden und muss daher nach deren Tod in eine andere Form der (kulturellen) Speicherung überführt werden, um weiter bestehen zu können. Mit der Erhebung des eigenen Geschichtsbildes zum allgemeingültigen Gründungsmythos ging die kommunistische DDR-Führungsriege diesen Weg freilich deutlich früher und versuchte, auch durch Zensur und Unterdrückung konkurrierender Erinnerungen, einen allgemeingültigen, sinnstiftenden und herrschaftslegitimierenden Kanon zu schaffen.978 Dass die deutschen ehemaligen Besatzer und Kriegsverlierer nun ausgerechnet die Möglichkeit erhalten sollten, ihre eigene Geschichtsinterpretation im kulturellen Gedächtnis der Sieger zu verankern, erscheint nur auf den ersten Blick widersinnig. Tatsächlich passte dies nicht nur zu den antifaschistischen Selbstzuschreibungen des ostdeutschen Staates und damit seiner wichtigsten Legitimationsstrategie, sondern es deckte sich auch mit den Interessen der sowjetischen Hegemonialmacht, die ehemaligen Kriegsgegner in ein sowjetisch-osteuropäisches Nachkriegsnarrativ des Sieges über den Faschismus einzubeziehen. Dabei war den verantwortlichen Funktionären durchaus klar, dass die ‚unerwünschten‘ Bilder des Krieges, die der gegenseitigen Freundschaftspropaganda konträr entgegenstanden, hier wie dort im kommunikativen Gedächtnis der Bevölkerung verankert gewesen sein dürften und, etwa innerhalb der Kriegsgeneration, durchaus diskutiert wurden.979 Nicht zufällig sah es beispielsweise die neugegründete belorussische Freundschaftsgesellschaft als eine ihrer ersten Aufgaben an, in Veranstaltungen sowie Presse und Rundfunk über den „antifaschistischen Widerstandskampf“ des deutschen Volkes zu informieren und damit ein abweichendes kommunikatives Gedächtnis durch diese selektiven Erinnerungen zu überformen. Statt Krieg und Besatzung sollte mit den ostdeutschen ‚Freunden‘ der gemeinsame Kampf gegen den Faschismus in Verbindung gebracht werden – der tatsächlich jedoch ein
977 Ebenfeld, Stefan: Geschichte nach Plan? Die Instrumentalisierung der Geschichtswissenschaft in der DDR am Beispiel des Museums für Deutsche Geschichte in Berlin (1950 bis 1955), Marburg 2001, S. 74–79. 978 Classen, Christoph: Faschismus und Antifaschismus. Die nationalsozialistische Vergangenheit im ostdeutschen Hörfunk (1945–1953), Zeithistorische Studien 27, Köln u.a. 2004, S. 48–51. 979 Zu Erinnerungskonflikten in der Sowjetunion, insbesondere zwischen staatlicher Gedächtnispolitik und dem kommunikativen oder Familiengedächtnis vgl. Bauerkämper, Arnd: Das umstrittene Gedächtnis: die Erinnerung an Nationalsozialismus, Faschismus und Krieg in Europa seit 1945, Paderborn u.a. 2012, S. 341–343.
5.3 Geteilte Mythen, gemeinsame Erinnerung? Antifaschisten und Partisanen
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Kampf einiger weniger gewesen war, die nun zur ‚moralischen‘ Rehabilitierung des gesamten ostdeutschen Volkes herangezogen wurden.980
5.3.1 Gemeinsamer Topos: Antifaschismus Konstruierte ostdeutsche Vergangenheit Die Geschichte der DDR begann, folgt man den Beratern im Außenministerium ebenso wie der offiziellen Geschichtspolitik, bereits lange vor 1945 mit den ‚besten Traditionen der deutschen Arbeiterklasse‘ und lässt sich, folgt man der marxistisch-leninistischen DDR-Historiographie, bis zu den Bauernkriegen zurückverfolgen. Der Widerstand deutscher, in erster Linie kommunistischer, Antifaschisten gegen den Nationalsozialismus bildete demnach den Kulminationspunkt einer jahrhundertelangen Befreiungsgeschichte, die schließlich in der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik mündete. Freilich war diese endgültige Befreiung nicht allein aus eigener Kraft gelungen: So galten die Sowjetunion und ihre Rote Armee als Befreier der deutschen Arbeiterklasse vom Joch des Faschismus. Gleichzeitig und nicht minder wichtig für das Selbstverständnis der späteren SED-Führungsriege, die sich zu einem überwiegenden Teil aus dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus oder dem Exil speiste, blieb die Selbstbefreiung der deutschen Arbeiterklasse, wie sie sich insbesondere in Buchenwald manifestiert habe, eine zentrale Metapher in der ostdeutschen Nachkriegserzählung.981 Damit trat der ostdeutsche Staat ideologisch eben nicht die Nachfolge des Deutschen Reiches an (die der Bundesrepublik zugeschrieben wurde), sondern berief sich auf den Widerstand gegen den Nationalsozialismus, wie er sich in der Tätigkeit kommunistischer KZ-Insassen, Exilanten und angeblich breiter Bevölkerungsschichten gezeigt habe. Damit war die Grundlage geschaffen für den bis zum Ende der DDR zelebrierten Topos des Antifaschismus, der in der Folgezeit zu Gründungsmythos und Zukunftsverpflichtung des ostdeutschen Staates verklärt werden sollte. Dabei blieb der Begriff selbst von Anfang an durchaus unscharf bzw. unterlag in der Geschichte der DDR selbst gewissen Schwankungen je nach
980 In Bezug auf die Sowjetunion hat Sabine R. Arnold, in Weiterentwicklung Aleida Assmanns Unterscheidung zwischen „Funktions-“ und „Speichergedächtnis“, den Begriff des „okkupierten Gedächtnisses“ geprägt. So bliebe in totalitären bzw. autoritären Systemen der Zugang zum kulturellen Speichergedächtnis verwehrt; allein der Staat (bzw. die Partei) bestimme, was im offiziellen Funktionsgedächtnis erinnert werde und welche Normen, Werte und Verpflichtungen für die Zukunft sich daraus ergäben. So blieben abweichende Erinnerungen überwiegend auf das kommunikative Gedächtnis beschränkt, genauer gesagt, auf die Ebene des Alltags, etwa innerhalb der Familie. Vgl. dazu: Moller, Sabine: „Erinnerung und Gedächtnis. Version: 1.0“, 12.04.2010, S. 8–9, http://docupedia.de/zg/Erinnerung_und_Gedächt nis (zugegriffen am 5.6.2017); Münch, Matti: Verdun. Mythos und Alltag einer Schlacht, München 2006, S. 513–514. 981 Zimmering, Raina: Mythen in der Politik der DDR. Ein Beitrag zur Erforschung politischer Mythen, Opladen 2000, S. 79–80.
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politischer Zielsetzung und gesellschaftlicher Entwicklung. So reichte der Begriff historisch beispielsweise vom besagten Widerstand kommunistischer (!) NSGegner bis hin zum Bekenntnis zur deutsch-sowjetischen Freundschaft und, in einer Art Inklusionsfunktion, der Zugehörigkeit zum sozialistischen Friedenslager, dessen antifaschistischer Charakter vornehmlich in der Abgrenzung vom vermeintlich ‚faschistischen‘ westlich-kapitalistischen Teil der Welt lag. Die Reduzierung des DDR-eigenen Antifaschismus auf eine reine Herrschaftstechnik griffe dabei jedoch zu kurz, wie Christoph Classen in seiner Studie zum Antifaschismus im DDR-Hörfunk bemerkt hat.982 Erstens verkennt eine solch einseitige Betrachtungsweise Wahrnehmung, Selbstverständnis und politische Sozialisation der ostdeutschen Funktionseliten der Kriegs- und Aufbaugeneration, zweitens verstellt er den Blick für gesellschaftliche Rehabilitations- und Integrationsprozesse, die der zunächst noch breit angelegte Antifaschismus der unmittelbaren Nachkriegsjahre durchaus leisten konnte.983 Nicht zuletzt zeigt gerade die vorliegende Untersuchung, dass der Topos des Antifaschismus mit allen ihm eigenen Implikationen im deutsch-sowjetischen Kontext nicht auf eine rein funktionale Praxis beschränkt werden kann. Dabei hatte es in der sowjetischen Besatzungszone unmittelbar nach Kriegsende zunächst einiger ideologischer ‚Umwege‘ bedurft, um die einstigen Kriegsgegner, aktiven Unterstützer oder mehr oder weniger passiven Träger des Nationalsozialismus zu dessen Opfern umzudeuten. Wiewohl niemand in der Lage war, die mindestens stillschweigende Beteiligung eines großen Teils der deutschen Bevölkerung, gerade auch der Arbeiterschaft, im ‚Dritten Reich‘ wegzudiskutieren, war es mit Hilfe der kommunistischen Faschismustheorie (Dimitrov-These) immerhin möglich, diese Tatsache zu erklären und zu relativieren:984 Der Faschismus als „offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“985, wurde dabei lediglich zu einem Phänomen in der Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Kapitalismus erklärt. Entstanden im Zuge des verschärften Klassenkampfes im Deutschen Reich und der Weimarer Republik habe er als Täuschungsmanöver gegenüber der deutschen Arbeiterklasse gedient, die damit indirekt zum eigentlichen Opfer stilisiert wurde. Damit blieb freilich das rassische 982 Vgl. zur umfassenden Diskussion des Begriffes „Antifaschismus“, auch in der Forschung Classen: Faschismus und Antifaschismus, S. 12–20. 983 Danyel, Jürgen: „Die unbescholtene Macht. Zum antifaschistischen Selbstverständnis der ostdeutschen Eliten“, in: Hübner, Peter (Hrsg.): Eliten im Sozialismus. Beiträge zur Sozialgeschichte der DDR, Zeithistorische Studien 15, Köln 1999, S. 67–85, hier S. 71–80. 984 Münkler, Herfried: „Antifaschismus als Gründungsmythos der DDR. Abgrenzungsinstrument nach Westen und Herrschaftsmittel nach innen“, in: Agethen, Manfred, Eckhard Jesse und Ehrhart Neubert (Hrsg.): Der missbrauchte Antifaschismus: DDR-Staatsdoktrin und Lebenslüge der deutschen Linken, Freiburg im Breisgau 2002, S. 79–99, hier S. 79–81. 985 So der bulgarische Generalsekretär der Komintern Georgi Dimitrov in seinem Referat auf dem VII. Weltkongress der Komintern am 2. August 1935, zitiert nach: Schmidt, Rüdiger: „Sieger der Geschichte? Antifaschismus im ‚anderen Deutschland‘“, in: Großbölting, Thomas (Hrsg.): Friedensstaat, Leseland, Sportnation? DDR-Legenden auf dem Prüfstand, Berlin 2009, S. 208–229, hier S. 209.
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Moment des Nationalsozialismus weitgehend ausgespart, jüdische und andere Verfolgte und Ermordete wurden gleichsam unter den antifaschistischen Teppich gekehrt.986 Zur rhetorisch-moralischen Selbstaufwertung des ostdeutschen Staates trug außerdem die ‚antifaschistisch-demokratische Umwälzung‘ bei, die in der sowjetisch besetzten Zone im Gegensatz zu den Westzonen und der späteren Bundesrepublik zu einer umfassenden Entnazifizierung geführt habe. Dies bezog sich auf die Entfernung ehemaliger nationalsozialistischer Amtsträger und Parteimitglieder (Eintritt bis 1937) aus dem öffentlich-politischen und beruflichen Leben und die Neubesetzung ihrer Stellen in Politik, Justiz, Verwaltung und Militär – Maßnahmen, die zwar tatsächlich deutlich konsequenter als in Westdeutschland umgesetzt wurden, die jedoch Ende der 1940er, Anfang der 1950er Jahre durch so genannte Wiedereingliederungsgesetze für ehemalige Nationalsozialisten wieder aufgeweicht wurden.987 Gleichzeitig erfassten Entnazifizierungsmaßnahmen im östlichen Deutschland aber auch Bevölkerungsteile, die nicht unbedingt Nationalsozialisten gewesen waren, sondern deren Vergehen darin bestanden, einer ‚faschistischen‘ sozialen Klasse anzugehören: So wurden Fabrik- und Großgrundbesitzer enteignet, um dem wiederholten Heranwachsen eines faschistischen „Monopolkapitals“ die Grundlage zu entziehen. Die übrige und von der Entnazifizierung verschonte Bevölkerung konnte sich damit auf der Seite der antifaschistischen ‚Sieger der Geschichte‘ wähnen – eine Propagandaformel, die die Ostdeutschen nicht nur vom Makel ihrer Schuld am Nationalsozialismus freisprach, sondern auch Kooperations- und Partizipationsangebote lieferte, die den Fokus auf eine bessere, sozialistische Zukunft ohne kritische Hinterfragung der Vergangenheit legte.988 Während sich weite Teile der Bevölkerung teils wegen dieser entlastenden Funktion, teils aus echter Überzeugung und nach den Erfahrungen des Krieges mit der Vergangenheitsinterpretation der politisch dominierenden Gruppe der kommunistischen Widerstandskämpfer und Exilanten arrangieren konnte, stieß die damit einhergehende Glorifizierung des Sieges der Roten Armee und ihrer Befreiungstat zumeist auf Ablehnung. Zu groß waren hier die Differenzen zwischen Propaganda und Erfahrungswelt der meisten Deutschen, die sich – übrigens in Ost und West – vielfach als Opfer externer Akteure und Kräfte sahen; der lange gefürchtete und schließlich tatsächlich erfolgte traumatische Einmarsch der Roten Armee verblieb dabei im inoffiziellen, von staatlicher Seite unterdrückten Gedächtnis der ostdeutschen Bevölkerung.989
986 Münkler: „Antifaschismus als Gründungsmythos“, S. 83–85. 987 Weber: Geschichte der DDR, S. 84–85; Bauerkämper: Das umstrittene Gedächtnis, S. 134– 136. 988 Münkler: „Antifaschismus als Gründungsmythos“, S. 84; Schmidt: „Sieger der Geschichte?“, S. 214–215. 989 Bauerkämper: Das umstrittene Gedächtnis, S. 112, 194–195.
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Kriegsgedenken in Sowjetunion und BSSR In der Sowjetunion nach 1945 bildete der Zweite Weltkrieg einen wichtigen, ja sogar den wichtigsten Kristallisationspunkt der Erinnerungskultur, freilich jedoch unter ganz anderen Voraussetzungen. Millionen von Sowjetbürgern hatten den Großen Vaterländischen Krieg als bitteren und unglaublich opferreichen nationalen Abwehrkampf mit den „faschistischen Eindringlingen“ erlebt, und waren tatsächlich Opfer wie Sieger des Krieges, der durch das nationalsozialistische Deutschland an sie herangetragen worden war. Obwohl sich das fast ausschließlich heroische offizielle Kriegsgedenken, das nur wenig der Opfer unter der Zivilbevölkerung gedachte, nicht mit den Erfahrungen von Leid und Schmerz vieler Menschen deckte, konnte sich doch ein großer Teil der Bevölkerung mit dieser Form des Gedenkens identifizieren; nicht zuletzt, weil der immer wieder kolportierte Heldenmythos in all seinen Erscheinungsformen Opfer und Selbstentbehrungen der Kriegszeit einen Sinn zu verleihen schien.990 Während sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit und bis zum Tode Stalins die offizielle Erinnerung an den Krieg fast überwiegend auf Stalins angeblich geniale politische und militärische Strategie zur Rettung des Vaterlandes konzentriert hatte, die Leistungen und Opfer des sowjetischen Volkes jedoch nahezu vollständig ausgeblendet worden waren, wandelte sich die Erinnerungspolitik unter Chruschtschow in vieler Hinsicht; ja der Umgang mit dem Krieg entwickelte sich – auch wegen der Demontage des stalinistischen Führerkultes – zu einem zentralen Bestandteil der Entstalinisierung selbst. Mit einer neuen historischen Aufarbeitung, die etwa auch vor Fehlern und Verlusten auf Seiten der Roten Armee nicht haltmachte991 sowie dem Erscheinen zahlreicher Memoiren erhielt die Darstellung des Zweiten Weltkriegs nicht nur einen deutlich realistischeren, sondern auch einen individuelleren und subjektiveren Charakter. Die Deutungshoheit über die Kriegserzählung lag jedoch nach wie vor fest in den Händen der Partei, die den Sieg im Großen Vaterländischen Krieg als wichtige Legitimationsgrundlage für den Erhalt der eigenen Herrschaft einsetzte. Mitte der 1960er Jahre schließlich begann eine dritte Phase im Umgang mit dem Zweiten Weltkrieg, die die neue Parteiführung unter Breschnew mit einer umfassenden Kampagne zum 20. Jahrestag des Sieges einläutete. Zwar wurde dem Gedenken an den Krieg seitdem große staatliche Aufmerksamkeit zuteil, versinnbildlicht etwa dadurch, dass der 9. Mai nun als arbeitsfreier Feiertag (wieder)eingeführt und alljährlich mit großinszenierten Paraden und Feiern begangen wurde. Gleichzeitig kanonisierte die nahezu inflationäre Behandlung des Themas in Wissenschaft, Kunst und All990 Ebd., S. 83–84, 247, 341–343. 991 Dies gilt insbesondere für die in der ersten Hälfte der 1960er Jahre auf Beschluss des ZK der KPdSU erschienene „Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges der Sowjetunion“, die bis zum Ende des sowjetischen Staates die anspruchsvollste und differenzierteste Darstellung zum Thema bleiben sollte, vgl. dazu: Bonwetsch, Bernd: „‚Ich habe an einem völlig anderen Krieg teilgenommen.‘ Die Erinnerung an den ‚Großen Vaterländischen Krieg‘ in der Sowjetunion“, in: Berding, Helmut (Hrsg.): Krieg und Erinnerung: Fallstudien zum 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 2000, S. 146–168, hier S. 151–152.
5.3 Geteilte Mythen, gemeinsame Erinnerung? Antifaschisten und Partisanen
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tag eine offizielle heroische Siegesgeschichte, bei der die Opfer und der Preis des Sieges wiederum weitgehend ausgespart blieben. Stattdessen implementierte die staatliche Gedächtnispolitik einen undifferenzierten Heldenkult, der sich in den zahlreich entstehenden Denkmälern und monumentalen Gedenkkomplexen widerspiegelte. In diese Reihe gehörten auch die Verleihungen des Status der Heldenstadt an im Krieg besonders schwer getroffene Städte, wie etwa an die Brester Heldenfestung bereits am 8. Mai 1965 oder an die belorussische Hauptstadt am 26. Juni 1974 anlässlich des 30. Jahrestages der Befreiung Weißrusslands.992 In der Belorussischen Sowjetrepublik verfügte die Erinnerung an den Krieg, obwohl sie sich nahtlos in das gesamtsowjetische Narrativ einfügte, über eine besondere Komponente: So war die BSSR einerseits ein besonders schwer getroffener Schauplatz des deutschen Vernichtungskrieges: Weite Teile des Landes wurden verwüstet, die Bevölkerung hatte eine brutale und traumatische Besatzungszeit erlebt, jeder vierte Einwohner der Sowjetrepublik war im Krieg ums Leben gekommen. Andererseits wurde die Erinnerung an den Krieg gerade durch den erfolg- und letztlich siegreichen Widerstand gegen die ‚faschistischen Eindringlinge‘ geprägt: Der Mythos vom „Volkskrieg“, bei dem die weißrussische Partisanenbewegung mit Unterstützung des gesamten Volkes, zusammen mit der Roten Armee und unter Führung der Kommunistischen Partei die deutschen Besatzer aus der BSSR vertrieben und sich selbst befreit hatte, trug insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren dazu bei, eine eigene belorussisch-sowjetische Identität zu begründen, die sich wesentlich auf den Status als „Partisanenrepublik“ gründete. Der Befreiung der belorussischen SSR am 5. Juli 1944 wurde alljährlich gedacht; anlässlich des 25jährigen Jubiläums im Jahre 1969 wurde die wichtigste belarussische nationale Gedenkstätte Chatyn’ eingeweiht, die, am ursprünglichen Ort des zerstörten Dorfes Chatyn’ erbaut, gleichzeitig an alle zerstörten Dörfer in Weißrussland gemahnte. Interessanterweise handelt es sich bei Chatyn’, anders als bei der Gedenkstätte der Brester Heldenfestung, allerdings nicht um eine genuin sowjetische Gedenkstätte, weder architektonisch noch in ihrer Aussage. So geht es in Chatyn’ eben nicht um die Darstellung von Heldentum und Märtyrertod während des Krieges, sondern um die sinnlose und brutale Ermordung hilfloser Zivilisten durch die deutschen Besatzer.993
992 Ebd., S. 145–160. 993 Chiari/Maier: „Volkskrieg und Heldenstädte“, S. 737; zur Herausbildung einer eigenen belorussisch-sowjetischen Identität im Zusammenhang mit dem Partisanenmythos vgl. Keding: „Neues aus den Partisanenwäldern“, S. 85–87. Zu Chatyn’ vgl. Ganzer, Christian: „Die Erinnerung an Krieg und Besatzung in Belarus’. Die Gedenkstätten ‚Brester Heldenfestung‘ und ‚Chatyn’‘“, in: Quinkert, Babette und Jörg Morré (Hrsg.): Deutsche Besatzung in der Sowjetunion: 1941–1944. Vernichtungskrieg, Reaktionen, Erinnerung, Paderborn 2014, S. 318–334, hier S. 321–323.
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Befreiung, Antifaschismus, Freundschaft Die Erinnerung und das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg trafen im besiegten Deutschland und der siegreichen Sowjetunion auf grundsätzlich verschiedene Voraussetzungen. Gemeinsam war den herrschenden kommunistischen Funktionären jedoch der Wunsch, den Sieg über den Nationalsozialismus zur Legitimation der eigenen Herrschaft einzusetzen. Während in der Sowjetunion tatsächlich und unmittelbar einem Sieg gedacht werden konnte, benötigte man in der DDR einige ideologische Umwege, um sich zu ‚Siegern der Geschichte‘ erklären zu können. Nichtsdestotrotz nahm das Thema einen breiten Raum in den wechselseitigen Beziehungen ein, ja es wurde mit dem Themenkomplex Befreiung, Antifaschismus, Freundschaft sogar zur unveränderlichen Grundlage des ostdeutsch-sowjetischen Nachkriegsnarrativs. Die Freundschaftsgesellschaften als Träger und Vermittler des Freundschaftsgedankens, der unter anderem aus dem vorgeblich gemeinsam erfahrenen antifaschistischen Abwehrkampf und der Befreiung erwuchs, widmeten sich diesem Themenkomplex spätestens seit Ende der 1950er Jahre, wobei es scheint, dass die Initiative dazu auch von sowjetischer Seite ausging und gerade in der belorussischen SSR aufgrund der traumatischen Kriegserfahrungen als umso wichtiger eingestuft wurde.994 So reagierte die deutsche Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft sehr schnell auf eine Anfrage der belorussischen Kollegen vom November 1958 nach entsprechendem Material: Nur wenige Wochen später sandte sie Informationsmaterial in die belorussische Hauptstadt, das sich gut als (vor)zeigbarer Nachweis für die antifaschistische Gesinnung der deutschen Bevölkerung eignete: Neben antifaschistischen Texten, wie Apitz’ „Nackt unter Wölfen“995 oder Gotsches „Zwischen Nacht und Morgen“996 sowie „Lebensbilder und letzte Briefe“ deutscher Antifaschisten, schickten die deutschen Genossen außerdem eine Diaserie über die im Sommer 1958 eröffnete Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald – Informationsmaterial, dessen eindringliche bildliche Botschaft wohl ein breiteres Publikum erreichte als die gelieferte Literatur und offenbar nachhaltiges Interesse weckte.997 Nur zwei Jahre später nämlich, im Sommer 1961, erhielt die 994 Wie die DDR-Botschaft in Moskau berichtet hatte, war die Rolle des deutschen antifaschistischen Widerstandskampfes zum ersten Mal unionsweit anlässlich der Feierlichkeiten zum Tag des Sieges am 9. Mai 1965 ‚gewürdigt‘ worden. Demgegenüber hatte die belorussische Freundschaftsgesellschaft aber bereits bei ihrer Gründung 1958 um entsprechendes Material von ihrem deutschen Partner gebeten. 995 Bruno Apitz, Nackt unter Wölfen, 1958. Der Roman spielt in der Häftlingsgemeinschaft des KZ Buchenwald und thematisiert unter anderem die Tätigkeit einer kommunistischen Widerstandsgruppe, die schließlich an der Selbstbefreiung des Lagers mitwirkt. 996 Otto Gotsche, Zwischen Nacht und Morgen, 1955. Das Buch thematisiert die unmittelbare Zeit nach Kriegsende in einem mitteldeutschen Industrierevier und die Aufbauarbeit durch eine Gruppe Kommunisten, die zwar durchaus Scham darüber empfinden, dass ihnen die Selbstbefreiung unter dem NS nicht gelungen ist, daraus nun aber ihre zukünftige Aufgabe, nämlich den Aufbau eines sozialistischen deutschen Staates, ableiten. 997 Schreiben der Auslandsabt. der DSF an die BELOD, 22.1.1959, NARB f. 914, op. 3, d. 15, l. 10–11. Überwiegend wurden die durch die DSF versendeten Dia-Serien wohl in Schulen
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Belorussische Freundschaftsgesellschaft aus der DDR auch eine Ausstellung über die gerade eröffnete Nationale Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen. Ausgerechnet am 22. Juni, zum Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion, sollte diese, so die Anweisung der Minsker Zentrale an die Abteilung in Gomel’, in der südbelorussischen Gebietsstadt gezeigt werden. Dabei passte es gut, dass gerade die Gedenkstätte Sachsenhausen viel stärker als Buchenwald die Rolle der Roten Armee als Befreier thematisierte998; eine Tatsache, die auch die Auswahl der Bilder für die Ausstellung verdeutlichte: Unter den insgesamt 28 Fotografien fanden sich überwiegend Ansichten der Gedenkstätte und der Roten Armee gewidmeter Plastiken, dazu kamen Bilder der Gedenkstätteneröffnung mit emotionalen Szenen, die Vertrauen in die deutsche Bevölkerung stiften sollten. Dies unterstrich auch die Bildunterschrift: „Ergriffen umarmt eine Widerstandskämpferin, ehemalige Lagerinsassin von Sachsenhausen, einen jungen Pionier. Sie weint vor Freude, weil sie empfindet: Die Saat, die wir Antifaschisten legten, ist in diesem Deutschland, besonders unter der Jugend, aufgegangen.“999
Gleichzeitig fanden sich jedoch auch Bilder aus der Vergangenheit: Ein Foto etwa zeigte Heinrich Himmler mit führenden SS-Leuten, versehen mit dem Hinweis, dass einige der Täter aus Sachsenhausen1000 „heute in Westdeutschland zum Teil wieder hohe Funktionen“ einnähmen – eine Bildunterschrift, die nicht nur eine deutliche Abgrenzung von der Bundesrepublik betonte, sondern auch die Nachfolge des Nationalsozialismus klar auf die westliche Hälfte Deutschlands verwies. Allerdings hatte die belorussische Freundschaftsgesellschaft in der russischsprachigen (sic!) Übersetzung des Ausstellungstextes einige Elemente nach eigenem Belieben angepasst: So wurde die Einführung, die die Leistungen der DDR in der Erfüllung des Vermächtnisses der „antifaschistischen Helden“ pries, deutlich gekürzt, jedoch der Hinweis beibehalten, dass die ostdeutsche Bevölkerung über 30 Mio. Mark zur Errichtung der Gedenkstätte gespendet habe. Auch die Liste der auszustellenden Bilder war zensiert worden: Die Bilder Nummer 22 und 25, die in einem Fall verfolgte Christen, im anderen die Ermordung jüdischer Häftlinge thematisierten, wünschte man im atheistischen belorussischen Sowjetstaat, der die jüdischen Opfer der deutschen Besatzung ebenfalls weitgehend tabuisierte, nicht zu zeigen.1001 Überraschend erscheint dabei die Tatsache, dass die Deutschen beiverwendet, wie eine Nachfrage seitens der Gesellschaft 1963 offenbarte, vgl. dazu: Antwortschreiben der BELOD an die DSF, 22.8.1963, SAPMO-BArch DY 32/574, unpag. 998 Zu Aufbau und Thematik der Gedenkstätte, insbesondere der stärkeren Betonung der Rolle der Roten Armee vgl. Zimmering: Mythen in der Politik der DDR, S. 96–109. 999 Schreiben des Leiters der Abt. Sozialistische Länder der BELOD an die Gomel’er Abt. der SDF sowie das Gebietsparteikomitee Gomel’, 17.6.1961, NARB f. 914, op. 3, d. 102, l. 204– 213. 1000 Konkret bezog man sich hier auf die Leiter des Sonderkommandos Sachsenhausen des Reichssicherheitshauptamtes SS-Sturmführer Fritz Cornely sowie Obersturmbannführer Erwin Brandt. 1001 Vgl. zu den Ausstellungsobjekten und der Anweisung ihrer Ausstellung: Schreiben des Leiters der Abt. Sozialistische Länder der BELOD an die Gomel’er Abt. der SDF sowie das Gebietsparteikomitee Gomel’, 17.6.1961, NARB f. 914, op. 3, d. 102, l. 204–213.
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de Aspekte überhaupt in die Ausstellung aufgenommen hatten; dies legt die Vermutung nahe, dass die Ausstellung auch für einen Versand in westliche Staaten vorgesehen war.1002 Obwohl keine Besucherzahlen der Ausstellung überliefert sind, dürfte mindestens die Gedenkstätte Buchenwald in der BSSR hinreichende Bekanntheit erlangt haben. Dies impliziert zumindest eine Frage im Preisrätsel „Kennen Sie die DDR?“, das die größte belorussische Zeitung Sovetskaja Belorussija im Sommer 1973 in Zusammenarbeit mit der Freundschaftsgesellschaft veranstaltete. Ganz offenbar voraussetzend, dass der Begriff Buchenwald allen belorussischen Bürgern geläufig war, lautete Frage Nr. 10: „Wer ist der Schöpfer der Skulpturengruppe des Denkmals für die Opfer des Faschismus in Buchenwald?“ Zumindest das Preisrätsel stieß unter der belorussischen Bevölkerung auf große Resonanz.1003
Gedächtnisorte und Gedenktage Wie Raina Zimmering in seiner Studie über Mythen in der Politik der DDR bemerkt hat, spielt die Sichtbarmachung politischer Mythen, nach Aleida Assmann vereinfachte und identitätsstiftende, kulturell überlieferte ‚nationale‘ Erzählungen mit affektiver Wirkmacht für eine Gemeinschaft, in Form von Denkmälern und Gedenkstätten eine umso größere Rolle, je künstlicher die Gründungserzählung des Staates ist, die sie – im wahrsten Sinne – untermauern sollen. Nicht zuletzt daraus erklärt sich der florierende Bau von Denk- und Mahnmalen des Antifaschismus in der DDR seit den 1950er Jahren, die dazu dienten, den nationalen Gründungsmythos für die Nachkommen festzuhalten und durch eine häufig „monumentale Mnemotechnik“, die dem Betrachter keinen Beurteilungsspielraum zugestehen wollte, im kollektiven Gedächtnis zu verankern. Entsprechend zahlreich waren solche Bauwerke in der DDR verbreitet: Neben den drei großen Nationalen Mahn- und Gedenkstätten Buchenwald (1958), Ravensbrück (1959) und Sachsenhausen (1961) dienten auch die Neue Wache in Berlin sowie unzählige kleinere so genannte OdF-Denkmale (Opfer des Faschismus), Gedenksteine, -
1002 In ihrer Untersuchung zur Darstellung von DDR-Gedenkstätten in Reiseführern für englischsprachige Touristen hat Lynne Fallwell herausgearbeitet, dass Juden und andere NSOpfer bis Mitte der 1970er Jahre durchaus in diesen Publikationen erschienen. Sie sieht den Grund für das danach folgende Verschweigen dieser Opfergruppen in der veränderten internationalen Stellung der DDR seit dem Grundlagenvertrag und dem Ende der HallsteinDoktrin: Davor sei es der DDR-Außenpropaganda vor allem darauf angekommen, Opferstatus des und Ungerechtigkeiten gegenüber dem ostdeutschen Staat hervorzuheben. Nach 1975 sei dieses Narrativ einer Position der Stärke und des Selbstbewusstseins gewichen, in der Opfer keinen Platz mehr hatten. Vgl. dazu: Fallwell, Lynne: „Beating Nazis and exporting socialism. Representing East German war memory to foreign tourists“, in: Niven, Bill und Chloe Paver (Hrsg.): Memorialization in Germany since 1945, Basingstoke 2010, S. 276–286, hier S. 282–283. 1003 Vgl. dazu Dokumentation und Materialien zum Preisausschreiben in: SAPMO-BArch DY 32/485.
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tafeln und -stelen als Gedenkorte, an denen, etwa am „Tag der Opfer des Faschismus“, in ritualisierter Form Blumen und Kränze niedergelegt wurden. 1004 Zum zentralen antifaschistischen und internationalen Gedächtnisort entwickelte sich jedoch die 1958 errichtete Gedenkstätte in Buchenwald, die, unweit der Überreste des ehemaligen Lagerkomplexes errichtet, weniger ein traumatisches, als vielmehr ein heroisches Opfergedächtnis symbolisierte, das an den Sieg des deutschen Antifaschismus erinnern sollte.1005 Das Motto der weitläufigringförmig gebauten Anlage am Südhang des Ettersbergs „Durch Sterben und Kämpfen zum Sieg“ konnten zahllose ausländische Besucher beim Rundgang vorbei an Gräbern antifaschistischer Märtyrer nachvollziehen, um dann, gleichsam mit der deutschen Arbeiterklasse, die Treppe zur Freiheit zu erklimmen, wo das berühmte Buchenwald-Denkmal Fritz Cremers an den Widerstand und vor allem die Selbstbefreiung kommunistischer Häftlinge in Buchenwald gemahnte.1006 Für sowjetische Besucher, die den weitaus größten Teil des internationalen Publikumsverkehrs ausmachten, bedeutete die Besichtigung von Buchenwald auch eine Begegnung mit sowjetischen Kriegs- bzw. Nachkriegsnarrativen: Buchenwald, wo (kommunistische) Häftlinge unterschiedlicher Nationalitäten interniert gewesen waren, wurde dabei zum Erinnerungsort der europäischen Arbeiterbewegung, ganz besonders jedoch der sozialistischen Staatengemeinschaft stilisiert: So wurde die Selbstbefreiung des Lagers nicht zuletzt als Beweis für die internationalistische Zusammenarbeit der Arbeiterklasse gewertet. Gleichzeitig war Buchenwald für viele sowjetische Besucher auch ein Ort individueller Erinnerung und persönlicher Trauer, wenn etwa Angehörige in diesem oder anderen Lagern ums Leben gekommen waren. Wie Eintragungen in die Gästebücher der Gedenkstätte zeigen, empfanden viele sowjetische Touristen die Fahrt nach Buchenwald nicht nur als emotionalen Höhepunkt ihrer Reise, sondern sahen die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg auch als Unterpfand für und Verpflichtung auf eine friedliche Zukunft: Zeigte nicht der pflegsame Umgang der ostdeutschen Freunde mit der ehemaligen Stätte faschistischer Barbarei, dass man bereit war, für den Aufbau des Sozialismus und an der Seite der Sowjetunion für eine friedliche Zukunft zu kämpfen? Viele Einträge drückten zudem Dankbarkeit sowjeti-
1004 Vgl. zum Begriff des politischen Mythos ausführlich Zimmering: Mythen in der Politik der DDR, S. 17–35, 68–72; sowie Assmann: Der lange Schatten der Vergangenheit, S. 40–43; Agethen, Manfred: „Gedenkstätten und antifaschistische Erinnerungskultur in der DDR“, in: Agethen, Manfred, Eckhard Jesse und Ehrhart Neubert (Hrsg.): Der missbrauchte Antifaschismus: DDR-Staatsdoktrin und Lebenslüge der deutschen Linken, Freiburg im Breisgau 2002, S. 128–144, hier S. 128–130. 1005 Zum traumatischen bzw. heroischen Opfergedächtnis am Beispiel der DDR-Gedenkstätte in Ravensbrück vgl. Assmann: Der lange Schatten der Vergangenheit, S. 74–75. 1006 Zur Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald, sowie zur Diskussion um dieselbe nach der Wende vgl. Knigge: „Buchenwald“; Reuschenbach: „‚Tempel des Antifaschismus‘?“
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scher Gruppen gegenüber jenen (Deutschen) aus, die die Gedenkstätte gebaut hatten und pflegten.1007 Das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg stellte für sowjetische, auch belorussische, Touristen meist einen zentralen Aspekt ihrer DDR-Reise dar. Obwohl die beiden staatlichen Reisebüros, das Reisebüro der DDR wie Inturist, für den Entwurf der Reiseprogramme zuständig waren und Touristengruppen somit nur bedingt eine freie Wahl treffen konnten, zeigen die im vorigen Kapitel ausgewerteten Reiseberichte belorussischer Reisegruppen, welche Wichtigkeit das Thema für die Besucher besaß. 1008 Immer wieder wurden Besuche von Gedenkstätten und Ehrenmalen, etwa des Sowjetischen Ehrenmals im Treptower Park, hervorgehoben; der Zustand der Gedenkstätten – überwiegend gut und gepflegt – sowie die Ehrung durch die deutsche Bevölkerung – insbesondere an Feier- und Gedenktagen durchgeführte Rituale sowie Aufmärsche der Massenorganisationen unter Einbeziehung der Bevölkerung1009 – schien den Besuchern auch einen Indikator dafür zu bieten, wie es um die deutsch-sowjetische Freundschaft bestellt war. Dass die Ausübung des Gedenkens an diesen Orten durch die Deutschen nicht immer persönlicher Überzeugung entsprach, sondern oft genug zum inszenierten Ritual des antifaschistischen Gründungsmythos der DDR gehörte, spielte dabei eine geringere Rolle und war für die sowjetischen Besucher, die selten in ‚unkontrollierten‘ Kontakt mit der Bevölkerung traten, auch nicht unmittelbar nachvollziehbar. Stattdessen bestätigten sich hier Erwartungen und Bilder, die die antifaschistische Rhetorik und Freundschaftspropaganda zu Hause gezielt geweckt hatte oder die man aus der eigenen ‚Gedenkpraxis‘ kannte. Dabei diente die Implementierung eines gemeinsamen oder mindestens stark angenäherten Erinnerungsortes Zweiter Weltkrieg, der sich aus den Topoi antifaschistischer Widerstand, Sieg/Befreiung und Freundschaft zusammensetzte, aus der Perspektive der Sowjetführung in mehrerer Hinsicht Systemstabilität und Machterhalt: Einerseits benötigte das sowjetische Imperium seine stabile Einflusssphäre in Osteuropa im Hinblick auf die Ost-West-Konfrontation; kontroverse Ansichten um Schuld und Täterschaft der Ostdeutschen hätten, auch im Hinblick auf die übrigen Ostblockstaaten, politische und gesellschaftliche Diskussionen mit unter Umständen großer Sprengkraft offengelegt. Gleichzeitig ermöglichten es der Antifaschismus-Mythos 1007 Einschränkend bleibt hier allerdings darauf hinzuweisen, dass im Rahmen der üblichen Reisegruppen oft der (politisch geschulte) Gruppenleiter für diese Eintragungen zuständig war und entsprechend ‚geeignete‘ Formeln gewählt haben mag. Zur Wichtigkeit Buchenwalds im sowjetischen Nachkriegsnarrativ als Gedenkort des Zweiten Weltkrieges und der internationalen antifaschistischen Bewegung sowie zu Reaktionen sowjetischer Besucher, festgehalten in den dort ausliegenden ‚Ehrenbüchern‘ (Gästebücher) vgl. Popov, Aleksej Dmitrievič: „‚Pamjatnik gorja, mučenij i bor’by…‘. Memorial’nyj kompleks Buchenwal’d i sovetskij diskurs istoričeskoj pamjati“, Tileja. Istorični nauki 55 (2011), S. 149–155. 1008 Siehe dazu Kap. 5.2.3.1 dieser Arbeit. 1009 Zur umfangreichen Beschreibung der Fest- und Feierformen sowie Ritualen vgl. Gibas, Monika: „‚Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt!‘ Politische Feier- und Gedenktage der DDR“, in: Behrenbeck, Sabine und Alexander Nützenadel (Hrsg.): Inszenierungen des Nationalstaats. Politische Feiern in Italien und Deutschland seit 1860/71, Köln 2000, S. 191–220.
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und die Betonung der strikten Entnazifizierung in der DDR, demgegenüber den ‚faschistischen Charakter‘ der Westmächte anzuprangern und das eigene System als Hort des Friedens zu stilisieren. Nicht zuletzt war der Beweis einer Wandlung der Ostdeutschen auch gegenüber der sowjetischen Bevölkerung wichtig: So sollten die Opfer des Krieges, neben der Verteidigung des Vaterlandes, noch einem anderen Zweck gedient haben, nämlich der Befreiung der Arbeiterschaft in der mittel- und osteuropäischen Einflusssphäre, die den sowjetischen Helden daher mit Dankbarkeit und Respekt begegnete.1010 In der täglichen Arbeit der Freundschaftsgesellschaften diente diesem Ziel nicht zuletzt die Begehung von Feier- und Gedenktagen, die sich rund um das Thema Zweiter Weltkrieg ergaben – allen voran natürlich der Tag des Sieges bzw. der Tag der Befreiung am 8./9. Mai. Dabei ist bezeichnend, dass die deutsche Freundschaftsgesellschaft seit Ende der 1950er Jahre ausgerechnet um dieses Datum herum mit den Wochen der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft ein Großereignis in Szene setzte.1011 Mit Kulturveranstaltungen, Diskussionsrunden und in teilweise volksfestartigem Charakter wurde in den Tagen zwischen dem 1. und 8. Mai einerseits an die Traditionen der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung angeknüpft, andererseits der 8. Mai als Tag der Befreiung und als Chance auf einen Neuanfang an der Seite der Sieger gefeiert. Proletarischinternationalistische Solidarität und Dankbarkeit für die Befreiung vom Nationalsozialismus wurden dabei fest mit der Sowjetunion verknüpft; Freundschaft erschien damit gleichsam als Verpflichtung aus der Vergangenheit und Versprechen für die Zukunft. Während sich insbesondere die ältere Generation der Kriegsteilnehmer mit dem Topos der Befreiung schwertat, bot er für die jüngere Generation Möglichkeiten der Identifikation und Partizipation, oder, bezogen auf die Rolle der Deutschen im Zweiten Weltkrieg, ein „praktikables Sühnekonzept“, so Monika Gibas.1012 Als zentraler Schauplatz des jährlichen staatsoffiziellen Gedenkens an den Zweiten Weltkrieg fungierte das Sowjetische Ehrenmal im Treptower Park, das zunächst zwar an die gefallenen Soldaten der Roten Armee erinnerte. Gleichzeitig symbolisierte es mit der zwölf Meter hohen Bronzestatue des heldenhaften Rotarmisten im Zentrum, der unter seinem Fuß das Hakenkreuz zertritt und dabei mit dem Schwert in der Hand ein deutsches Kind in seinen Armen in Sicherheit bringt, aber vor allem den Triumph des Sieges. Der Treptower Soldat blieb bis zum Schluss das zentrale und immer wieder zitierte Motiv der Befreiung in der DDR, ja im ganzen Ostblock.1013 1010 Zur Instrumentalisierung des heldenhaften Kriegsnarrativs durch die sowjetische Führung vgl. auch: Bauerkämper: Das umstrittene Gedächtnis, S. 83–84, 247–249. 1011 Zur Durchführung der Wochen der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft durch die Freundschaftsgesellschaften in der DDR und der BSSR vgl. Kap. 3.3.1.1 dieser Arbeit. 1012 Gibas: „Politische Feier- und Gedenktage“, S. 208–211. 1013 Scharnowski, Susanne: „Heroes and Victims. The Aesthetics and Ideology of Monuments and Memorials in the GDR“, in: Niven, William John und Chloe E. M. Paver (Hrsg.): Memorialization in Germany since 1945, Basingstoke u.a. 2010, S. 267–275, hier S. 268–269; Flacke, Monika und Ulrike Schmiegelt: „Deutsche Demokratische Republik. Aus dem Dunkel zu den Sternen. Ein Staat im Geiste des Antifaschismus“, in: Flacke, Monika (Hrsg.):
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Für sowjetische Berlin-Touristen war das Ehrenmal im Treptower Park ein wichtiges Besuchsziel, das dementsprechend auch in russischsprachigen, in der DDR herausgegebenen, Reiseführern umfangreich dargestellt wurde. Ein abgedruckter Lageplan half den Besuchern, sich im Treptower Park zurechtzufinden, der zunächst, unter Rückgriff auf seine Bedeutung als Versammlungs- und Demonstrationsort der Arbeiterbewegung in der Zeit der „revolutionären Kämpfe“ der 1918er/1919er Jahre, als ein Schauplatz der deutschen Revolutionsgeschichte eingeführt wurde. Das Sowjetische Ehrenmal selbst sei der deutschen Öffentlichkeit nach der Befreiung vom Faschismus durch die siegreiche rote Armee „zur mahnenden Erinnerung“ übergeben worden. Der Reiseführer betonte, dass sich der ostdeutsche Staat dieses Vermächtnisses als würdig erweise: Als „Zeichen der Dankbarkeit und feierliches Gelöbnis“ legten am 8. Mai jeden Jahres Regierungs-, Partei- und Betriebsdelegationen Kränze am Ehrenmal nieder, das zudem Anziehungspunkt für Touristen aller Herren Länder geworden sei.1014 Mancher Besucher aus der Belorussischen SSR mag beim Anblick des heldenhaften Soldaten sogar einen Anflug von Nationalstolz verspürt haben: Zurückgehend auf eine Reportage des bekannten Schriftstellers, Journalisten und PravdaFrontberichterstatters Boris Polevoj, hatte sich eine – durch Nachforschungen in den 1990er Jahren widerlegt – Legende um den belorussischen Rotarmisten Trifon Luk’janovič verbreitet, der während einer der letzten Gefechte in Berlin ein dreijähriges Mädchen zwischen den Fronten gerettet und dafür selbst mit dem Leben bezahlt habe. Zum Andenken an den belorussischen Helden wurde 1976 in Treptow eine Gedenktafel eingeweiht; es entstand offenbar sogar das Gerücht, Luk’janovič sei mit seiner Tat Vorbild für den Soldaten am Sowjetischen Ehrenmal geworden. Möglicherweise in Reaktion auf die Einweihung der Gedenktafel in Berlin und unter Bezugnahme auf das Sowjetische Ehrenmal, begann man sich auch in der BSSR für die Geschichte des heldenhaften Landsmannes zu interessieren: Wie das Generalkonsulat im Mai 1977 an die DSF schrieb, wünschten die belorussischen Genossen weitere Einzelheiten über Luk’janovič zu publizieren, wenn möglich auch in der DDR. Dort erschien im Jahre 1979 ein Interview mit dem Schriftsteller Boris Polevoj in der Berliner Zeitung, wo dieser mindestens die Existenz Luk’janovičs bestätigte und außerdem feststellte, dass man in Minsk nun daran dächte, ein Denkmal für den heldenhaften Sohn der Stadt zu errichten.1015 Allerdings handelte es sich bei der Geschichte des weißrussischen Retters wohl nur um eine Verwechslung – oder Erfindung – des Journalisten Polevoj, die jedoch, einmal veröffentlicht, offenbar nicht mehr zurückgezogen werden sollte.1016 Mythen der Nationen: 1945 – Arena der Erinnerungen, Bd. 1, Mainz 2004, S. 173–189, hier S. 174–176. 1014 Lange, Annemari: Berlin. Stolica GDR, Dresden 1972, S. 92–94. 1015 „Das Fleckchen Erde in der Elsenstraße. Gespräch mit dem Schriftsteller Boris Polewoi.“, Berliner Zeitung, 12.10.1979, S. 3. 1016 1999 stellte sich – durch Nachforschungen eines Journalisten, später dann des DeutschRussischen Museums in Berlin-Karlshorst – heraus, dass es besagten Rotarmisten offenbar nie gegeben hatte und die Geschichte somit auf eine Erfindung Boris Polevojs zurückgeht. Die Gedenktafel wurde daraufhin demontiert. Die tatsächliche Rettung eines Kindes ist al-
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Selbst wenn es sich also nur um eine Propagandalegende handelte, so dürfte sie doch ihren vorrangigen Zweck erfüllt haben: In den 1970er Jahren in der Presse der DDR wiederholt aufgegriffen, symbolisierte sie das selbstlose Opfer der Roten Armee zur Befreiung der Deutschen und gab dem Topos damit ein menschliches Gesicht. Dies mag umso wichtiger für die jüngeren Generationen gewesen sein, die keinerlei lebensgeschichtliche Erfahrungen mit Krieg und Befreiung verbinden konnten.1017 In der BSSR, wo in der Hauptstadt Minsk mindestens eine Straße nach dem toten Helden benannt wurde, reihte sich Luk’janovič ein in die Reihe der heldenhaften sowjetischen Rotarmisten und Befreier, gleichzeitig bestätigte seine belorussische Nationalität die Tapferkeit des Volkes der Partisanenrepublik.1018 Deutsch-sowjetische Verbundenheit in der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg sollte jedoch nicht nur an abstrakte Begriffe wie den der Befreiung oder an mythisierte Heldenfiguren geknüpft werden. Im Bezirk Frankfurt/Oder erinnerte mit den Seelower Höhen sogar eine geographisch festzumachende Stätte der Erinnerung an die Befreiung der Deutschen durch die ruhmreiche Rote Armee, genauer die 1. Belorussische Front. Auf dem Höhenzug über dem Oderbruch hatte im April 1945 die größte und – mit etwa 33 000 gefallenen Rotarmisten und etwa 12 000 Toten auf deutscher Seite – verlustreichste Schlacht des Zweiten Weltkriegs auf deutschem Boden stattgefunden; für die Rote Armee bedeutete sie zugleich die letzte Offensive auf dem Weg nach Berlin und damit zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Bereits unmittelbar nach der Einnahme Berlins ließ Marschall Georgij Žukov, Kommandeur der 1. Belorussischen Front, entlang ihres sieg-, aber auch verlustreichen Weges sowjetische Ehrenmale errichten: in BerlinTiergarten, in Küstrin und auf den Seelower Höhen. Erst im Jahr 1972 entstand lerdings wohl für einen anderen, sibirischen Rotarmisten belegt: Nikolaj Ivanovič Masalov, der ebenso wahrscheinlich als Vorbild für den Treptower Soldaten in Frage kam. Vgl. dazu: Claudia Fuchs und Lars Harnisch, „Der Lebensretter hat nie existiert“, Berliner Zeitung, 12.6.1999, http://www.berliner-zeitung.de/archiv/geschichtsfaelschung--gedenktafel-basiertauf-falschen-tatsachen-der-lebensretter-hat-nie-existiert,10810590,9652002.html (zugegriffen am 9.6.2017); Lothar Heinke, „Legendärer Legionär“, Der Tagesspiegel, 12.1.2002, http://www.tagesspiegel.de/berlin/legendaerer-legionaer/283308.html (zugegriffen am 9.6.2017). Interessanterweise existiert Luk’janovič in der Republik Belarus’ noch immer; im Internet finden sich zahlreiche Hinweise auf den Rotarmisten, gleichzeitig ist er auch in der offiziellen weißrussischen Enzyklopädie noch enthalten, vgl. Luk’janovič, Trifon Andreevič, in: Respublika Belarus: ėnciklopedija, Bd. 4, Minsk 2007, http://unicat.nlb.by/ opac/pls/dict.prn_ref?tu=r&tq=v0&name_view=va_all&a001=BY-NLB-ar146237&strq=l_ siz=20 (zugegriffen am 9.6.2017). 1017 Zur Bedeutung des Sowjetischen Ehrenmals und seiner Befreiungssymbolik vgl. auch Satjukow: Befreiung?, S. 17–22. Die Rettungstat des sowjetischen Soldaten, allerdings des Russen Masalov, war demnach sogar Schulstoff der dritten Klasse und im entsprechenden Lesebuch abgedruckt. 1018 Die nach dem Rotarmisten benannte Straße Uliza Luk’janoviča findet sich noch heute in Minsk; ebenso die Legende der Verbindung Luk’janovičs mit dem Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park. Vlg. z.B. das private Online-Projekt Vulica.by, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Hintergrundwissen zu Minsker Straßennamen zu sammeln: http://vulica.by/luk yanovicha.html (zugegriffen am 9.6.2017).
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dann, anlässlich des 50. Jahrestages der Gründung der Sowjetunion, unterhalb des ursprünglichen Ehrenmals (Bronzestatue eines Soldaten und Kriegsgräber) eine DDR-Gedenkstätte, deren zentrales Thema die Befreiung durch die Rote Armee darstellte.1019 Dabei hatte eine Umformung des Gedenkens stattgefunden, das nun noch stärker auf die Zukunft gerichtet war: Neben Totenkult und Heldenverehrung stand die daraus hervorgehende Verpflichtung für die nachfolgenden Generationen zum Aufbau eines friedlichen sozialistischen Staates im Mittelpunkt; dies möglicherweise auch in Reaktion auf das gewachsene Selbstbewusstsein und den Stolz auf die eigenen Leistungen im Aufbau des Sozialismus. Dass beim Thema Befreiung immer auch die Tätigkeit kommunistischer deutscher Widerstandskämpfer und Gegner des Nationalsozialismus mitgedacht wurde, zeigte die Konzeption der Dauerausstellung, bei der dieser Aspekt überdurchschnittlich viel Raum einnahm. 1020 Auch bei der Bezirkspartnerschaft Frankfurt/Oder mit der ostbelorussischen Stadt Vitebsk spielte die Gedenkstätte Seelower Höhen eine wichtige Rolle insofern, als sich darüber eine deutliche Verbundenheit, ja gar historische Mission, der Einwohner beider Bezirke am konkreten Ort aufzeigen ließ. Dies verdeutlicht etwa die in den 1970er Jahren herausgegebene Broschüre der SED-Bezirksleitung Frankfurt/Oder „Befreier, Freunde, Kampfgefährten“, die die Entwicklung der wechselseitigen sowjetisch-deutschen Beziehungen im Oderbruch von der militärischen Befreiung durch die Schlacht um die Seelower Höhen bis hin zu verschiedenen Stadien der Zusammenarbeit in wirtschaftlicher, kultureller und nicht zuletzt militärischer Hinsicht zeigt. Die Bezirkspartnerschaft mit Vitebsk und insbesondere der Empfang des ersten Freundschaftszuges werden als Höhepunkte und Beweise der deutsch-sowjetischen Freundschaft herangezogen. Aus der Befreiung und der Hilfe der sowjetischen Freunde beim Wiederaufbau erwuchs somit jedem DDR-Bürger die Verpflichtung, am Aufbau des sozialistischen Staates mitzuwirken, so die Botschaft der Broschüre, die offenbar auch als Ausstellungsbroschüre der Gedenkstätte Seelower Höhen diente.1021 Dieses „Kleinod der deutsch-sowjetischen Freundschaft“1022 wurde für Besucher aus dem Vitebsker Partnerbezirk zum obligatorischen Besuchsziel. Vor allem, wenn die Gedenkstätte im Rahmen besonderer Anlässe Aufmarschplatz für Betriebsdelegationen und Massenorganisationen wurde, hinterließ die sichtliche 1019 Herrmann, Gerd-Ulrich: „Kontinuität und Bruch in der Darstellung von sowjetischer Vergangenheit in der Gedenkstätte Seelower Höhen“, in: Kurilo, Olga (Hrsg.): Der Zweite Weltkrieg im Museum: Kontinuität und Wandel, Berlin 2007, S. 63–81, hier S. 63–64. 1020 Rieh, Lisa: „Darstellung der Rotarmisten in der Gedenkstätte Seelower Höhen. Kontinuität und Wandel“, in: Kurilo, Olga und Gerd-Ulrich Herrmann (Hrsg.): Täter, Opfer, Helden. Der Zweite Weltkrieg in der weißrussischen und deutschen Erinnerung, Berlin 2008, S. 127–136, hier S. 128; Fallwell: „Beating Nazis“, S. 282; Herrmann: „Kontinuität und Bruch“, S. 73. 1021 Bezirksleitung Frankfurt (Oder) der SED, Abt. Agitation u. Propaganda (Hrsg.): Befreier, Freunde, Kampfgefährten, Frankfurt/Oder 1975; Herrmann: „Kontinuität und Bruch“, S. 74. 1022 Bezirksleitung Frankfurt (Oder) der SED, Abt. Agitation u. Propaganda (Hrsg.): Befreier, Freunde, Kampfgefährten, S. 69.
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Ehrerbietung der deutschen Bevölkerung gegenüber sowjetischen Gefallenen äußerst positive Eindrücke bei den Gästen.1023 Nicht zuletzt gehörte die Gedenkstätte Seelower Höhen, nach Buchenwald und dem Museum der bedingungslosen Kapitulation des faschistischen Deutschland im Großen Vaterländischen Krieg 1941–1945 in Berlin-Karlshorst, zu den beliebtesten und meistbesuchten Gedenkorten durch sowjetische Touristen. Im Jahr 1980 erreichte deren Anzahl mit 29 000 sowjetischen Besuchern in Seelow ihren Höhenpunkt.1024 Auch in der Belorussischen SSR erschien 1978 ein entsprechendes Werk, das sich der Entwicklung der Bezirkspartnerschaft Vitebsk–Frankfurt/Oder ganz unter dem Duktus der Befreiung widmete. Schon der Titel mit dem Wortspiel „Höhen der Freundschaft“ („Vysoty družby“) spielte deutlich auf die Erinnerungsstätte auf den Seelower Höhen an, die von einem Schauplatz des Krieges zu einem Schauplatz der Freundschaft umgedeutet wurden. Das Buch, verfasst durch den Journalisten Vladimir K. Archipenko1025, richtete sich ausdrücklich an ein breiteres Publikum, besonders aber an Studenten der Fachrichtung Internationale Beziehungen. In vier Kapiteln plus Vorwort schildert der Autor die Entwicklung der sowjetischdeutschen Freundschaft, ausgehend vom Zweiten Weltkrieg und dem „Weg nach Berlin“ der Roten Armee, bis hin zur Darstellung der Bezirkspartnerschaft Frankfurt/Oder–Vitebsk und den damit verbundenen Freundschaftszügen. Als Ausgangspunkt seiner Betrachtung wählt Archipenko den kleinen idyllischen Ort Seelow, der keinerlei Spuren des Krieges mehr aufweise; lediglich der von weither zu erkennende bronzene Soldat des Ehrenmals erinnere an das einstige Blutvergießen. Kurz reißt der Autor auch die Bedeutung der Seelower Höhen für die Kriegsgegner an: Nur noch 70 Kilometer trennte die Rotarmisten vom Sieg, dem Ende des Krieges und damit der Rückkehr in die verwüstete Heimat; auf der Gegenseite kämpften die Wehrmachtsoldaten mit der Kraft der Verzweiflung zur, wie sie glaubten, Rettung der Bevölkerung. Bemerkenswert an Archipenkos Darstellung ist die Offenheit, mit der die Gefühle und Feindbilder auf beiden Seiten, auch der deutschen, angesprochen werden: „Heiliger Hass“ auf sowjetischer Seite gegenüber den brutalen einstigen Besatzern, Hass und schließlich Angst vor der Vergeltung der Sieger und todesmutige Verzweiflung auf Seiten der deutschen Wehrmachtsoldaten, deren Handeln damit erklär- und entschuldbar gemacht wurde, zumal, so die Interpretation, lediglich die Aufhetzung durch die eigentlich verantwortlichen Faschisten den Hass der Völker untereinander geschürt habe. Trotz der offenkundigen und unverzeihlichen Verbrechen der 1023 Vgl. zum 1. Freundschaftszug Vitebsk–Frankfurt/Oder und der Wahrnehmung der Kundgebung an der Gedenkstätte Seelower Höhen Kap. 5.1.4.3 dieser Arbeit. 1024 Popov: „Ėksport sovetskoj modeli“, S. 158–159. 1025 Archipenko, Vladimir Kuz’mič: Vysoty družby, Minsk 1978. Archipenko hat in den späten 1970er Jahren noch weitere Bücher verfasst, die sich mit Ereignissen des Zweiten Weltkrieges bzw. der Oktoberrevolution beschäftigen, so etwa über den ukrainischen Kriegshelden und Flottenkommandanten Konstantin F. Ol’šanskij (V.K. Archipenko, Sozvezdie ol’šancev, Moskau 1978) sowie über den Beitrag der Matrosen der Baltischen Flotte zur Oktoberrevolution (Ders., Iščite svjaz‘…, Moskau 1977). Er hat augenscheinlich keinen weißrussischen Hintergrund.
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faschistischen Besatzer, so Archipenko weiter, habe die Rote Armee die „friedliche ostdeutsche Bevölkerung“ nicht bestraft, sondern durch ihre tätige Hilfe und Fürsorge das nationalsozialistische Propagandabild vom „Russen“ revidiert und damit dauerhaft die Freundschaft der Bevölkerung erlangt. Damit habe auch der Ort – die Seelower Höhen und insbesondere die dort eröffnete Gedenkstätte – neue Bedeutung erlangt: Das dort eröffnete „Memorial“ zöge tausende Besucher aus dem In- und Ausland an und sei damit zum wahren Begegnungsort von Freunden geworden.1026 Im Gegensatz zu wissenschaftlichen Abhandlungen über die Beziehungen der BSSR mit den sozialistischen Bruderländern, die in dieser Zeit zahlreich entstanden, bemühte sich Archipenko um eine subjektiv-emotionale Darstellung: So werden in den folgenden Kapiteln, neben allgemein (historisch) erklärenden Einschüben, immer wieder die Geschichten einzelner belorussischer Menschen erzählt und ihr Schicksal während des Krieges beleuchtet. Die beiden abschließenden Kapitel zeigen, wie die ehemaligen Rotarmisten schließlich in ein sozialistisches Deutschland zurückkehren; Ausgangspunkt der Erzählung sind wiederum die Seelower Höhen, nun jedoch das dortige Ehrenmal. Als hoch verehrte Veteranen und erste Delegierte im Rahmen der sich anbahnenden Bezirkspartnerschaften bereisen die beiden Belorussen den Bezirk Frankfurt/Oder, wo sie überall freundschaftlich empfangen werden – ebenso wie die vielen Werktätigen, die einige Jahre später mit dem ersten Freundschaftszug ankommen werden. Der einzige Wettstreit zwischen Deutschen und Sowjetbürgern, so die Botschaft im letzten Kapitel, sei der freundschaftliche sozialistische Wettbewerb: Auch wenn der gegenwärtige ‚Kampf‘ in verschiedenen Ländern stattfinde, so gehe es doch um die gemeinsame sozialistische Sache. Letztlich zeuge auch dies, so der Autor in seinen abschließenden Worten, davon, dass die Saat des Faschismus nicht aufgegangen sei und dass seine menschenverachtenden Ideen „auf der Müllhalde der Geschichte“ landeten.1027 Archipenkos „Höhen der Freundschaft“ wurde allem Anschein nach nicht ins Deutsche übersetzt. Demnach richtete es sich in erster Linie an Sowjetbürger und Belorussen, ausdrücklich auch an eine jüngere Generation, die zwar keine lebensgeschichtlichen Erinnerungen mit dem Krieg verbinden konnte, in deren Familien die Schrecken des Krieges aber durchaus noch im kommunikativen Gedächtnis verankert gewesen sein dürften. Dies greift der Autor auf, indem er seine belorussischen Protagonisten und Kriegsveteranen auch negative Gefühle gegenüber den Deutschen eingestehen lässt – eine Offenheit, die noch ein Jahrzehnt früher so vermutlich nicht möglich gewesen wäre. Gleichzeitig aber erkennen die Besucher aus der BSSR, dass die „friedliche Bevölkerung“ und insbesondere die heutige Generation der Deutschen zu derartigen Verbrechen nicht mehr fähig sei. Der Erinnerungsort der Seelower Höhen, der für beide Völker aus zunächst unterschiedlichen Gründen wichtiger Schauplatz des Krieges war, ist nun zum Symbol der Freundschaft geworden, praktisch nachvollziehbar am Beispiel der befreunde1026 Ebd., S. 3–6. 1027 Ebd., S. 35–54.
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ten Bezirke Frankfurt/Oder und Vitebsk. Dennoch handelte es sich bei Archipenkos Werk, trotz des Aufgreifens belorussischer Beispiele, nicht um eine dezidiert weißrussische Darstellung des Krieges: Auffallend ist hier nämlich, dass das wichtigste belorussische Kriegsnarrativ, der Partisanenkampf mit seiner großen Bedeutung gerade für den Bezirk Vitebsk, keinerlei Erwähnung findet, sondern alle Veteranen ausschließlich zu regulären Einheiten der Roten Armee gehörten. Insofern steht zwar die belorussische SSR, genauer das Gebiet Vitebsk, im Mittelpunkt des Buches, es besteht aber kein Zweifel daran, dass die Befreiungstat und damit auch die sich entwickelnde Freundschaft als eine Sache des gesamten sowjetischen Volkes galt.
5.3.2 Antifaschistische Helden und die „Partisanenrepublik“ Nachdem der erste Freundschaftszug im Zusammenhang mit den Bezirkspartnerschaften im Sommer 1974 am Vitebsker Bahnhof angekommen war, zeigten die deutschen Besucher aus Frankfurt/Oder, dass sie sich gut auf die Geschichte der Gastgeber vorbereitet hatten: Neben Transparenten, die ganz allgemein das Lande Lenins und seine Errungenschaften lobten, grüßten andere Spruchbänder mit „Ruhm und Ehre den heldenhaften Partisanen des Vitebsker Gebietes“ und nahmen damit direkten Bezug auf den Kern der weißrussischen Kriegserinnerung. Die Wahrnehmung der BSSR als Partisanenrepublik sowie der Mythos vom Volkskrieg bedingten, ebenso wie der rasche Wiederaufbau nach dem Krieg und das rasante Wirtschaftswachstum, einen wesentlichen Teil des belorussischen Selbstverständnisses. Obwohl der Begriff der Partisanenrepublik wohl erst im Jahre 1964 geprägt wurde1028, hatte die Fokussierung der Kriegserinnerung auf die (Selbst)Befreiung der Republik und auf das Wirken belorussischer Partisanenverbände bereits unmittelbar nach Kriegsende begonnen. 59 weißrussische Partisanen waren mit dem Titel Held der Sowjetunion und 200 000 weitere weißrussische Soldaten und Partisanen mit sowjetischen Orden ausgezeichnet worden; eine florierende Memoiren- und Erinnerungsliteratur sorgte seit dem Ende der 1940er Jahre für eine Mythen- und Legendbildung rund um die Partisanenkommandos, die, staatlich bewusst gesteuert, zu einer einseitigen, positivistischen Darstellung ihrer Untergrundtätigkeit führte.1029 Während negative oder nicht ins sowjetische Nachkriegsnarrativ passende Phänomene, wie Kollaboration oder antikommunistische Partisanengruppen, weitgehend ausgeklammert und verschwiegen wurden, 1028 Der Begriff geht vermutlich zurück auf ein Buch des Leiters des belorussischen Stabes der Partisanenbewegung Petr Zacharovič Kalinin, Partizanskaja respublika, Moskau 1964. Vier Jahre später erschien das Werk im Übrigen auch in der DDR im Dietz-Verlag: P.S. Kalinin, Die Partisanenrepublik, Berlin (Ost) 1968. Vgl. dazu: Keding: „Neues aus den Partisanenwäldern“, S. 83. 1029 Zur Zensur und Unterdrückung abweichender Partisanenerinnerungen vgl. Slepyan, Kenneth: Stalin’s guerrillas. Soviet partisans in World War II, Lawrence, Kan. 2006, S. 270– 271, 278–280.
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hob neben der Erinnerungsliteratur auch die nun einsetzende wissenschaftliche Bearbeitung des Themas stets die Zusammenarbeit mit und Unterstützung durch die Kommunistische Partei, Rote Armee und überhaupt die übrigen sowjetischen Brudervölker im Kampf gegen die faschistische Besatzung hervor. Gleichzeitig wurde die Widerstandsbewegung zu einem Volkskampf stilisiert, indem neben aktiver Unterstützung der Partisaneneinheiten durch die Bevölkerung auch jedwede Form von Widersetzlichkeit gegenüber den Deutschen – wie etwa das Verstecken von Nahrungsmitteln durch Bauern – als Widerstand gedeutet wurde. Damit hatte, mindestens in der Nachkriegs-Partisanenerzählung, das gesamte Volk zum Sieg gegen die deutschen Besatzer und damit zur Selbstbefreiung der BSSR beigetragen und somit Anteil am Heldenstatus der Partisanen. So entstand eine spezifisch belorussische Erinnerungskultur, die einerseits half, auch Bevölkerungsgruppen zu integrieren, die während der Besatzungszeit eben nicht für den Widerstand gekämpft oder sogar kollaboriert hatten, anderseits die Menschen für die (sozialistische) Aufbauarbeit nach dem Krieg mobilisierte. Zugleich diente sie der Legitimation des Sowjetstaates und der Herrschaft der Partei, wurde doch deren leitende und koordinierende Funktion für den Widerstand stets besonders hervorgehoben. Nicht zuletzt führte auch die Tatsache, dass nach dem XX. Parteitag der KPdSU ein Führungskern aus Partisanen an die Spitzen der belorussischen KPB und staatlicher Stellen gelangte, dazu, dass sich die Bevölkerung in ungewöhnlich starker Weise mit der politischen Führung der Republik identifizierte und Vertrauen in sie setzte. Dieses besondere Verhältnis zwischen Volk und Staatsmacht konnte auch auf ältere, bäuerliche Traditionen zurückgreifen: Eine traditionelle väterliche Leitfigur, die mit Strenge, durchaus aber auch Fürsorge über die ihr Anvertrauten wachte, fand sich ganz offensichtlich wieder in der Person des als bat’ka1030 (Väterchen) verstandenen Partisanenkommandanten, der sein Volk gegen die faschistischen Eindringlinge geschützt hatte – und in der NachkriegsBSSR mit Hilfe der Partei und ihrer Machtstrukturen weiter als solcher wirken konnte.1031 Die Partisanen selbst wurden dabei zu Idolen stilisiert, die im Sinne klassischer Heldenerzählungen als moralische Vorbilder wirkten: Selbstlos hatten sie ihr eigenes Leben für den Befreiungskampf des sowjetischen und belorussischen Volkes eingesetzt oder sogar geopfert. Andererseits trug das Heldenbild des Partisanen aber auch das Versprechen an den Einzelnen in sich, in einer außergewöhnlichen Situation selbst zum Helden werden zu können. Ganz im Sinne des sozialistischen Heldenverständnisses, nach dem jeder Einzelne als ‚neuer Mensch‘ mit sozialistisch entwickelter Persönlichkeit das Potential zum Helden in sich trug, bewiesen die Taten der Partisanen, dass auch ein einfacher Mensch mit Unterstüt-
1030 Ein Begriff der in der heutigen Republik Belarus auch wieder für deren Präsidenten Alexander Lukaschenko – Batka – verwendet wird. 1031 Lindner: Historiker und Herrschaft, S. 351–356; Keding: „Neues aus den Partisanenwäldern“, S. 82–86; Bugrova, Irina: Politische Kultur in Belarus. Eine Rekonstruktion der Entwicklung vom Großfürstentum Litauen zum Lukaschenko-Regime, 1998, S. 23–24, http:// www.uni-mannheim.de/fkks/fkks18.pdf (zugegriffen am 10.6.2017).
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zung der Partei zu wahrer Größe aufsteigen konnte.1032 Indem das belorussische Nachkriegsnarrativ praktisch jedem Bürger einen Anteil an der Unterstützung des Widerstandes und der Partisanen zugestand, konnte jeder einzelne von sich behaupten, einen zumindest kleinen Anteil an diesem Heldentum und damit die Zugehörigkeit zur belorussischen Partisanenrepublik erworben zu haben. Damit entstand eine spezifisch weißrussische „Partisanennationalität“, die jedoch eng an die Vorstellungen von einer sowjetischen Nation rückgekoppelt war.1033 Auch in der DDR, wie im gesamten Ostblock, wurde das sowjetisch-sozialistische Heldenbild übernommen und im Sinne des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufbaus propagandistisch eingesetzt. Die neuen Helden des sozialistischen Aufbaus oder der Kultur – Arbeitshelden, Sporthelden oder später auch die berühmten Kosmoshelden – wurden zum Teil aus der Sowjetunion ‚importiert‘, wie etwa der Kult um den Stoßarbeiter und Helden der sozialistischen Arbeit Aleksej Stachanov oder um die erste Kosmonautin Valentina Tereškova, zum Teil generierte die DDR-Propaganda aber auch eigene Heldenfiguren, wie etwa, analog zu Stachanov, den Bestarbeiter Adolf Hennecke oder eben auch jene Helden des antifaschistischen Widerstandes wie Ernst Thälmann, die seit Ende der 1940er Jahre und bis zum Ende der DDR in der Liste der Vorbilder ganz vorne rangierten.1034 Bis die Helden-Propaganda der DDR auch die belorussischen bzw. deutschen Partisanen für sich ‚entdeckte‘, sollte es allerdings bis zur Mitte der 1960er Jahre dauern. Erst dann setzte eine regelmäßige Rezeption des Themas in Presse, Literatur, Film und zunehmend auch Fernsehen ein – eine Tatsache, die vermutlich mit der veränderten Darstellung des Zweiten Weltkriegs in der Sowjetunion selbst zu tun hatte, wie sie seit dem 20. Jahrestag des Sieges und dem Machtantritt Leonid Breschnews deutlich wurde: Nicht zuletzt ging damit nämlich auch eine stärkere Betonung des Beitrages des internationalen Widerstands zum Sieg über den Faschismus einher, wie die Rede Leonid Breschnews auf einer Festveranstaltung im Moskauer Kreml anlässlich des 20. Jahrestages verdeutlicht. Der Generalsekretär hob detailreich den heroischen Sieg des sowjetischen Volkes und all seiner Nationalitäten hervor, um dann auf kommunistische Mitstreiter in den übrigen europäischen Ländern, darunter auch Deutschland, einzugehen:
1032 Satjukow, Silke und Rainer Gries: „Zur Konstruktion des ‚sozialistischen Helden‘. Geschichte und Bedeutung“, in: Satjukow, Silke und Rainer Gries (Hrsg.): Sozialistische Helden. Eine Kulturgeschichte von Propagandafiguren in Osteuropa und der DDR, Berlin 2002, S. 15–34, hier S. 15–17, 23; Zimmering: Mythen in der Politik der DDR, S. 40. 1033 Bugrova: Politische Kultur in Belarus, S. 24. 1034 Gries, Rainer: „Die Heldenbühne der DDR. Zur Einführung“, in: Satjukow, Silke und Rainer Gries (Hrsg.): Sozialistische Helden. Eine Kulturgeschichte von Propagandafiguren in Osteuropa und der DDR, Berlin 2002, S. 84–100, hier S. 89–90. Zur Etablierung des Helden- und Märtyrermythos um Ernst Thälmann 1948 am Beispiel des DDR-Rundfunks vgl. Classen: Faschismus und Antifaschismus, S. 258–262.
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5 Begegnungen „In Deutschland selbst führten die besten Söhne des deutschen Volkes unter der Führung der Kommunisten einen hartnäckigen Kampf gegen die Hitler-Faschisten unter den Bedingungen der Illegalität und des grausamen Terrors.“1035
Damit war der Beitrag deutscher Antifaschisten zum Sieg über den Faschismus auch von höchster Stelle gewürdigt worden, eine Tatsache, die sich auch in den größeren und kleineren Siegesfeiern quer durch die Sowjetunion bemerkbar machte, wie die Botschaft der DDR in Moskau feststellte. Für die offiziellen Freundschaftsbeziehungen zwischen der DDR und der belorussischen SSR bedeutete dies den Beginn einer neuen ‚Erinnerungskampagne‘ an die antifaschistische Vergangenheit: Ein gemeinsamer Partisanenmythos wurde geschaffen. Fortan sollten nicht nur sowjetische und belorussische, sondern auch deutsche Partisanen-Helden als Vorbilder des Antifaschismus und der deutsch-sowjetischen Freundschaft präsentiert werden. Hintergrund dieser Erzählung war die Tätigkeit deutscher Kommunisten, NS-Gegner und übergelaufener oder gefangen genommener ehemaliger Soldaten in den belorussischen Partisanenverbänden. Nach DDR-Angaben kämpften ca. 100 Deutsche auf Seiten der sowjetischen Widerstandskämpfer auf weißrussischem Territorium. Da viele von ihnen offenbar nur unter Decknamen in den Reihen der Partisanen lebten – möglicherweise aus Angst vor Vergeltung der deutschen Besatzer gegenüber ihren Familien in Deutschland – konnte die DDR-Forschung offenbar nicht alle namentlich ausfindig machen, insbesondere jene nicht, die bei Kämpfen ums Leben gekommen waren. 25 dieser ‚antifaschistischen Kämpfer‘ wurden nach dem Krieg von der Sowjetunion mit Auszeichnungen geehrt und passten auch deshalb gut in einen antifaschistischen Heldenkanon.1036
1035 „Die Geschichte lehrt: Der Sozialismus siegt über den Ungeist des Imperialismus. Aus der Rede des Ersten Sekretärs des ZK der KPdSU, Leonid Breshnew, auf der Festveranstaltung im Moskauer Kreml am 8. Mai anläßlich des 20. Jahrestages des Sieges über den Hitlerfaschismus.“, Neues Deutschland, 11.5.1965, S. 5–6. 1036 Vgl. dazu: Kühnrich, Heinz, Karlheinz Pech und Dora Schaul (Hrsg.): In den Wäldern Belorußlands. Erinnerungen sowjetischer Partisanen und deutscher Antifaschisten, 2. Aufl., Berlin (Ost) 1977, S. 9–12. Genauere Angaben über die Zahl Deutscher unter belorussischen Partisanen liegen nicht vor; die Zahl von ca. 100 Personen wird auch in Berichten des Neuen Deutschland stets wiederholt. Der entsprechende Quellenbestand beim Bundesarchiv Berlin, „Teilnahme deutscher Antifaschisten am Partisanenkampf in Belorussland 1941–1944“, SAPMO-BArch SgY 30/2270/1–6, der wohl bei der Zusammenstellung des genannten Bandes im Institut für Marxismus-Leninismus bei ZK der SED entstanden ist, verzeichnet immerhin 34 überprüfte Namen. Leider werden auch in einschlägigen Veröffentlichungen zur Partisanenbewegung keine deutschen Mitkämpfer erwähnt; Musial etwa nennt zur ethnischen Zusammensetzung der Partisaneneinheiten: Weißrussen, Russen, Ukrainer, Juden, Polen und nicht näher bezeichnete „Andere“, deren Anzahl 2,82% oder 5495 Personen ausmachte, vgl. Bogdan: Sowjetische Partisanen 1941–1944, S. 321. Einen allgemeinen Überblick über deutsche politische Emigranten und ihre Tätigkeit als sowjetische Agenten oder Partisanen bietet Erler, Peter: „Militärische Kommandounternehmen. Deutsche PolitEmigranten als sowjetische Fallschirmagenten und Partisanen 1941 bis 1945“, Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat 8 (2000), S. 79–101.
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Der erste – und wahrscheinlich auch bekannteste – in der Reihe dieser deutschen Partisanen war Fritz Schmenkel, der als Wehrmachtssoldat an der Ostfront zu den Partisanen übergelaufen war. Bei einem Einsatz für die Partisanen in Smolensk zunächst verwundet arbeitete er danach, dank seiner Sprachkenntnisse und deutschen Uniform, bei einer belorussischen Einheit als Aufklärer, zum Teil hinter der Front. Im Winter 1944 wurde er bei einem Einsatz durch die Wehrmacht festgenommen und am 22.2.1942 hingerichtet. Fritz Schmenkel war bereits 1943 mit dem Rotbannerorden ausgezeichnet worden; 1964 erhielt er dann, nach seiner ‚Wiederentdeckung‘ im Jahre 1960, posthum den Titel Held der Sowjetunion. Dabei sei Schmenkels Geschichte eher zufällig durch die Aussage einer Bäuerin im früheren Partisanengebiet zu Tage gekommen, so eine 1968 in der DDR erschienene Biographie über Schmenkel. Daraufhin hätten Nachforschungen sowjetischer Dienststellen und Bürger das Schicksal des Deutschen enthüllt.1037 Ob die Geschichte des deutschen Partisanen tatsächlich erst 1960 bekannt wurde, bleibt unklar. Falls ja, spricht jedoch einiges dafür, dass das politische Klima und Tauwetter unter Chruschtschow und die dadurch einsetzende Neubewertung der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg sowie die verstärkte Freundschaftsinitiative zur DDR die Aufdeckung, Erforschung und Popularisierung Schmenkels wesentlich beförderten. Dies passte auch in die zunehmende Heroisierung des Großen Vaterländischen Krieges unter der Führung Breschnews seit dessen Machtantritt 1964. Den Auftakt für die ‚Popularisierung‘ Fritz Schmenkels als deutsch-sowjetischer antifaschistischer Held machte seine Auszeichnung zum Helden der Sowjetunion im Oktober 1964 anlässlich des 15. Jahrestages der DDR, die der neue erste Sekretär des ZK der KPdSU Leonid Breschnew in einer in der Pravda abgedruckten Rede verkündete.1038 In der gleichen Ausgabe der Zeitung fand sich auch ein fast ganzseitiger Artikel über Schmenkel, in dem der Journalist und ehemalige Partisan und Mitkämpfer Schmenkels A. Zemcov den Deutschen einer breiten sowjetischen Leserschaft vorstellte. Darin kamen auch andere ehemalige Kampfgefährten „Ivan Ivanovičs“, so der Partisanenname Schmenkels, zu Wort, die deutlich machten, dass dieser wahrlich das Zeug zum Helden hatte: Für die Sowjetunion und sein deutsches Vaterland habe er stets treu und zuverlässig Seite an Seite mit sowjetischen Partisanen gekämpft und sei als Märtyrer für „die gerechte Sache“, so seine letzten überlieferten Worte, in den Tod gegangen. Schmenkel passte nicht zuletzt auch deshalb ausgezeichnet ins Bild des kommunistischen Kriegshelden, weil er einer Arbeiterfamilie entstammte, kommunistische Kontakte unterhalten hatte und wegen wiederholter Fluchtversuche aus der Wehrmacht schließlich inhaftiert worden war. Mithilfe von Aussagen seiner Witwe Erna Schmenkel wurde das Bild einer stringenten Entwicklung vom kommunistischen
1037 Neuhaus: Kampf gegen „Sternlauf“, S. 6–8; vgl. dazu auch den Eintrag „Fritz Schmenkel“ bei Hamacher, Gottfried: Gegen Hitler. Deutsche in der Résistance, in den Streitkräften der Antihitlerkoalition und der Bewegung „Freies Deutschland“. Kurzbiographien, 2. korr. Aufl., Berlin 2005, S. 182, http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Manuskripte_ 53_2.pdf (zugegriffen am 10.6.2017). 1038 „Rede des Genossen L. I. Brežnev“, Pravda, 7.10.1964, S. 3.
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Elternhaus über den Märtyrertod bis hin zur Erfüllung des Vermächtnisses des toten Partisanen gezeichnet: So ermögliche der Tod des Vaters den Kindern und Enkeln Fritz Schmenkels ein Leben in Frieden und Glück in der Deutschen Demokratischen Republik. Nicht zuletzt habe Fritz Schmenkels Einsatz, so der Artikel weiter, das Fundament gelegt für die Freundschaft zwischen den Völkern der Sowjetunion und der DDR.1039 Auch in den Folgejahren wurde Schmenkel nicht vergessen: Regelmäßig anlässlich besonderer Jubiläen (Tag des Sieges, Gründungstag der DDR) widmete die Zeitung dem deutschen Partisanen verschiedene Artikel, überwiegend verfasst von besagtem A. Zemcov. Im Jahr 1975, kurz vor dem 30. Jahrestag des Sieges, stellte der ehemalige Kampfgefährte schließlich fest: „Sowohl in unserem Land als auch in der DDR ist die Heldentat Fritz Schmenkels fest in die Erinnerung des Volkes geschrieben.“1040 In der BSSR, wo Fritz Schmenkel durch die deutschen Besatzer hingerichtet worden war, eröffnete im Dezember 1964 eine Ausstellung über den deutschen Partisanen1041, im Mai des darauffolgenden Jahres empfing die BELOD anlässlich des 20. Jahrestages des Sieges Witwe und Sohn Schmenkels, die sich während eines dreitägigen, eigens zusammengestellten Besuchsprogramms mit der Hauptstadt Minsk vertraut machen und von der Ehrung des Ehemannes und Vaters überzeugen konnten: Die Gäste aus der DDR besichtigten Betriebe, Pionierhäuser und die „Fritz-Schmenkel-Mittelschule Nr. 94“ in Minsk, trafen Veteranen, ehemalige Partisanen und „Aktivisten“ der belorussischen SDF und legten Blumen an der Gedenkplakette zu Ehren Schmenkels auf dem Minsker Platz des Sieges nieder.1042 Der derart zum Helden stilisierte Vorzeige-Antifaschist wurde natürlich auch in der DDR entsprechend thematisiert, bot er doch den besten aller Beweise für die antifaschistischen Wurzeln des ostdeutschen Staates. So hatte Schmenkel eben nicht nur einige Zeit in Gefangenschaft verbracht, sondern hatte unter Einsatz seines Lebens aktiv gegen den Nationalsozialismus gekämpft. Anlässlich seiner Auszeichnung zum Helden der Sowjetunion führte die Presse der DDR im Herbst 1964 eine mehrmonatige Kampagne durch, die sicherstellen sollte, dass der Name Fritz Schmenkel jedem Zeitungsleser geläufig wurde: Neben der Auszeichnung selbst thematisierten etwa das Neue Deutschland, die Neue Zeit und die Berliner Zeitung das Leben Fritz Schmenkels in mehrseitigen Artikeln, ließen Freunde und Kampfgefährten in der DDR und der Sowjetunion zu Wort kommen oder berich1039 1040 1041 1042
A. Zemcov: „Die Heldentat Fritz Schmenkels“, Pravda, 7.10.1964, S. 6. A. Zemcov, „In deinem Namen“, Pravda, 2.5.1975, S. 4. „Ausstellung in Minsk“, Neues Deutschland, 31.12.1964, S. 7. Die im Februar 1965 angebrachte und noch heute am Gebäude Nr. 4 auf dem Ploščad Svobody (Platz der Freiheit) erhaltene Gedenktafel trägt die Aufschrift: „In diesem Gebäude wurde der deutsche Bürger und Held der Sowjetunion, aktiver Teilnehmer im antifaschistischen Kampf und im Großen Vaterländischen Krieg der Sowjetunion, Fritz Schmenkel durch die faschistischen Henker zum Tode verurteilt und hingerichtet. Für seinen Heldenmut im Kampf gegen die deutsch-faschistischen Besatzer wurde er mit dem Rotbannerorden ausgezeichnet und posthum als Held der Sowjetunion gewürdigt.“, vgl. dazu: Schreiben V. Smirnovs, Vorsitzender des Präsidiums der BELOD an die Botschaft der DDR in Moskau, 20.5.1965, PA AA, MFAA, A892, fol. 127.
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teten über Schmenkels Familie.1043 In der Folgezeit wurde Fritz Schmenkel zudem Namenspate für Straßen – unter anderem seit 1976 jener Straße in Berlin-Karlshorst, in der sich das Kapitulationsmuseum (heute: Deutsch-Russisches Museum) befand – sowie für Klubs, Schulen, Pioniergruppen und ein NVA-Jagdfliegergeschwader. Aufgrund seiner Tätigkeit als Aufklärer an der Front sah sich sogar das Ministerium für Staatssicherheit in der Nachfolge solch „selbstlose[r] und mutige[r] Helden“ und benannte ein Wachbataillon nach ihm.1044 Schließlich setzte seit Ende der 1960er Jahre auch die Verarbeitung der Geschichte Schmenkels in Literatur und Film ein. So entstand 1968 in der DDR Wolfgang Neuhaus’, im Stil eines Heldenepos geschriebene, Biographie „Kampf gegen Sternlauf. Der Weg des deutschen Partisanen Fritz Schmenkel“, die 1970 ins Russische, 1982 ins Weißrussische übersetzt wurde.1045 Auch in der umfangreichen sowjetbelorussischen Partisanenliteratur, die einen wichtigen Teil der ‚Partisanenmeistererzählung‘ der Nachkriegszeit ausmachte, fand Fritz Schmenkel Erwähnung, so zum Beispiel im Roman „Das Gewitter entsteht in der Stille“ des weißrussischen Schriftsteller Ales’ Šaškov, der sich mit diesem Werk ausdrücklich auch an Schüler, besonders höherer Klassenstufen, richtete.1046 Darüber hinaus erschien die Geschichte Schmenkels in Fernsehen und Radio, auch im Programm „für junge Leute“1047, in Dokumentationen und 1978 schließlich im zum Teil in Minsk gedrehten Film „Ich will Euch sehen: In memoriam Fritz Schmenkel“ des DEFARegisseurs János Veiczi, welcher, so die Neue Zeit, durch die Zusammenarbeit mit den übrigen sozialistischen Staaten ein echtes Stück „sozialistischer Integration“ darstelle.1048 Wie das oben genannte Radioprogramm oder auch Šaškovs Roman verdeutlichen, stellte gerade die junge Generation eine wichtige Zielgruppe für die Propagierung der Partisanen-Helden dar. Nicht umsonst erhielten Schulen und Pionierklubs in der DDR und der BSSR den Namen Fritz Schmenkels und anderer Parti1043 Vgl. die umfangreiche Berichterstattung zu Fritz Schmenkel von Oktober bis Dezember 1964 im Neuen Deutschland, der Berliner Zeitung sowie der Neuen Zeit. 1044 „An der Seite des Volks – für die Sache des Volkes.“, Neues Deutschland, 7.2.1965, S. 2; Boch, Rudolf und Rainer Karlsch (Hrsg.): Uranbergbau im Kalten Krieg. Studien, Bd. 1, Berlin 2011, S. 208. 1045 Neuhaus: Kampf gegen „Sternlauf“. Russische Fassung: Nejgauz, V: Ego nazyvali Ivanom Ivanovičem: Roman o nemeckom partizane Geroe Sovetskoga Sojuza Frice Šmenkel’e (Übers.: V. Artemenko), Moskau: Voenizdat 1970; weißrussische Fassung: Nojgaŭc, V: Kanec aperacyi „Štėrnlaŭf“: žyccëvy i bajavy šljach njameckaga antyfašycta Geroja Saveckaga Sajuza Fryca Šmenkelja: dakumental’ny raman. (Übers.: M. Navicki), Minsk: Mastackaja litaratura 1982. 1046 Ales’ Šaškoŭ: Naval’nica snee ŭ cišyni. Apovesc’. Dlja starėjšaga škol’naga ŭsroctu, Minsk: Belarus’ 1969; russ. Übersetzung: Ales’Šaškov: Groza zreet v tišine. Roman: dlja st. škol. vozrast, Minsk: Mastackaja litaratura 1973. Im gleichen Jahr wurde ebenfalls eine russischsprachige Ausgabe in Moskau herausgegeben, jedoch ohne die Empfehlung zum schulischen Gebrauch. 1047 Vgl. Radioprogramm Radio DDR I vom Sonntag, 9.3.1969, in: Neue Zeit, 8.3.1969, S. 12. 1048 „Vertrauensvolles Miteinander. ZDK der Gewerkschaft Kunst beendet.“, Neue Zeit, 20.4.1977, S. 2.
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sanen – oft Anlass für die jungen Pioniere, umfangreiches Material über ihre Helden und Vorbilder zu sammeln und auszustellen.1049 Auch in den Kinder- und Jugendaustauschbeziehungen der beiden verbundenen Bezirke Vitebsk und Frankfurt/Oder wurde das Partisanenthema zum gemeinsamen Anknüpfungspunkt. In dem während des Zweiten Weltkriegs besondes stark umkämpften und sowjetischerseits zum „Partisanenland“ erklärten Gebiet Vitebsk bildete (und bildet) das Gedenken an Krieg und Partisanentätigkeit den Kern einer Erinnerungskultur, die mit mehr als 1600 Monumenten (Stand 2007) im Gebiet präsent war und ist.1050 Besonders bekannt und verehrt im Vitebsker Gebiet war der Kommandant der 1. Weißrussischen Partisanenbrigade und Held der Sowjetunion Minaj Šmyrëv1051, der nach dem Krieg leitende Funktionen in Partei und Verwaltung in Vitebsk übernahm. Nach seinem Tod wurde ihm im Jahre 1966 ein Museum gewidmet, das in seine Ausstellung betont belorussisch-nationale Elemente einbrachte und somit ebenfalls eine spezifisch belorussische Nationalität implizierte, die jedoch eng in eine sowjetische eingebunden blieb.1052 Der Partisanenheld Šmyrëv fungierte, ebenso wie Schmenkel, als Namenspate für Schulen und Straßen im Gebiet Vitebsk und auch in der DDR. Dort war 1976, aus Anlass eines Freundschaftszuges aus dem belorussischen Partnergebiet, die 14. Oberschule der Bezirkshauptstadt Frankfurt-Oder in M.F.-Schmyrjow-Oberschule umbenannt worden. Zuvor hatten sich die dortigen Schüler eingehend mit „Leben und Kampf des sowjetischen Kommunisten vertraut“ gemacht, begleitet von der Presse-Kampagne „Frankfurt/Oder grüßt Vitebsk“ des SED-Bezirksorgans Neuer Tag. Zur Schultaufe und Auswertung der Pionier- und Presseaktion bemühte sich die Redaktion des Neuen Tages zudem um die Einladung Familienangehöriger Šmyrëvs, denen die Ergebnisse feierlich durch Pioniere der Schule überreicht werden sollten.1053 Umgekehrt gehörte ein Besuch im Šmyrëv-Museum in Vitebsk für Besucher aus der DDR ebenfalls zum festen Programm, sei es für Teilnehmer eines Freundschafts-
1049 Vgl. z. B. Henning Rudewig, „Fritz Schmenkel – unser Vorbild“, Neues Deutschland, 27.8.1967, S. 11. 1050 Keding, Ekaterina: „Konkurrenz der Erinnerungen. Partisanenwiderstand und Holocaust in der belarussischen Gedenkkultur“, in: Bohn, Thomas M. und Victor Shadurski (Hrsg.): Ein weißer Fleck in Europa. Die Imagination der Belarus als Kontaktzone zwischen Ost und West, Bielefeld 2011, S. 159–171, hier S. 162–163. 1051 Minaj Filipovič Šmyrëv, 1891–1964, hatte bereits im Ersten Weltkrieg und im Bürgerkrieg in der Roten Armee gedient; in der Zwischenkriegszeit Kolchosvorsitzender sowie Direktor verschiedener Fabriken; im Zweiten Weltkrieg Mitorganisator und Kommandant der Partisanenbewegung; nach dem Krieg in Partei und Verwaltung in Vitebsk aktiv. Vgl. dazu „Minaj Filipovič Šmyrëv“, in: Prochorov: Bol’šaja Sovetskaja Ėnciklopedija, Bd. 29, S. 446. 1052 Keding: „Neues aus den Partisanenwäldern“, S. 86–87. 1053 „Der Name eines Partisanen“, Neues Deutschland, 26.6.1976, S. 10; Schreiben des Chefredakteurs des Neuen Tag an die SED-BL Frankfurt/Oder, 15.4.1976, BLHA Rep. 730, Nr. 4780, unpag.
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zuges oder Pioniere bzw. FDJler, die während der regelmäßig stattfindenden Sommerlageraustausche im Gebiet Vitebsk ihre Ferien verbrachten.1054 Neben der sehr konkreten Bezugnahme auf die ‚gemeinsame‘ Partisanengeschichte im Kontext der Bezirkspartnerschaften – so unterhielten beispielsweise auch zwei Fritz-Schmenkel-Oberschulen in Potsdam und Minsk Direktkontakte – erschien 1976 eine deutsch-belorussische Koproduktion, die sich dem Partisanenkampf widmete. Der mit fast 500 Seiten sehr umfangreiche Band „In den Wäldern Belorußlands. Erinnerungen sowjetischer Partisanen und deutscher Antifaschisten“ entstand aus der Zusammenarbeit beider historischer Parteiinstitute, dem Institut für Parteigeschichte beim Zentralkomitee der KPB (Institut istorii partii pri CK KPB) und dem Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED1055 – ein Vorhaben über das der Berliner Pravda-Korrespondent seinen sowjetischen Lesern bereits 1974 umfangreich berichtet hatte.1056 In den „Erinnerungen“ selbst kamen 29 ehemalige belorussische und deutsche Partisanen zu Wort, darunter der stellvertretende Außenminister und ständige Vertreter der DDR bei den Vereinten Nationen Peter Florin. In literarischem Stil erzählten die Geschichten von im Kampf gefallenen Helden sowie „guten Deutschen“ und deren Bewährungsproben, von Kämpfen, aber auch vom alltäglichen Miteinander der internationalistischen belorussischen Partisaneneinheiten, die sich schützend um die Bevölkerung gekümmert hätten und im Gegenzug durch das gesamte Volk unterstützt worden seien. Wie die im Bundesarchiv erhaltenen und durch das Institut für Marxismus-Leninismus zusammengetragenen Erinnerungsberichte zeigen, wurden sowohl die Manuskripte selbst, als auch ihre Autoren vor der Veröffentlichung genauestens überprüft; so wurde etwa ein österreichischer Widerstandskämpfer aus dem Kreis der möglichen Autoren ‚aussortiert‘. Zudem wurden die Texte offenbar nach politischen Bedürfnissen redigiert, gekürzt oder ergänzt. So baten die Herausgeber in einem Fall um eine Neufassung des Schlussteils, der explizit die heutige Beziehung der ehemaligen Partisanen herausstellen sollte und scheuten sich offenbar nicht, die erwünschte politische Botschaft selbst hinzuzufügen: „An jenem Tag, als ich nach über zwanzig Jahren wieder in Saretschije weilte, schämte ich mich nicht mehr, Deutscher zu sein. Ich spürte mit besonderer Intensität das Glück, Bürger der Deutschen Demokratischen Republik zu sein, das Glück, der großen, fest um die Sowjetunion gescharten sozialistischen Staatengemeinschaft anzugehören.“1057
1054 Informationsmappe der Abt. Agit.-Prop. der SED-BL Frankfurt/Oder: „Unser Partnergebiet Vitebsk. Freundschaft – Drushba“, vermutl. 1974/1975, BLHA Rep. 730, Nr. 4496, unpag.; Cordula Mäbert: „Zu Gast bei Lenin-Pionieren. Pioniere und FDJler aus Frankfurt (Oder) waren zu Gast in der Partnerstadt Witebsk.“, Neues Deutschland, 16.9.1973, S. 5. 1055 Kühnrich/Pech/Schaul (Hrsg.): In den Wäldern Belorußlands. In der BSSR erschien offenbar nur eine russischsprachige Ausgabe: Semenova, A.V. und R.A. Černoglasova (Hrsg.), V lesach Belorussii: Vospominanija sovetskich partizan i nemeckich antifašistov, Minsk: Belarus’ 1977. 1056 M. Podključnikov, „Po Veleniju sovesti“, Pravda, 11.9.1974, S. 4. 1057 Der gesamte Bestand der Partisanenerinnerungen findet sich im Bundesarchiv: SAPMOBArch SgY 30/2270 1–6: Erinnerungen antifaschistischer deutscher Kämpfer an die Parti-
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Auch wenn diese allzu propagandakonforme Aussage der Feder eines Mitarbeiters des Parteiinstituts entstammen dürfte, mag sie doch weitgehend die Ansichten und Gefühle jener Veteranen wiedergegeben haben, die den Krieg als aktive Widerstandskämpfer erlebt und unter der Verfolgung durch die Nationalsozialisten gelitten hatten. Viele fühlten sich den belorussischen sowjetischen Kampfgefährten noch immer verbunden; durch Veteranen- und Partisanentreffen wurden diese Verbindungen aufrechterhalten.1058 Gerade auch von weißrussischer Seite bestand offenbar großes Interesse daran, die Kontakte zu den deutschen Mitkämpfern fortzuführen, wie ein Schreiben des DDR-Generalkonsuls an das MfAA zeigt; ein Interesse, das den DDR-Vertreter in diesem Fall jedoch in eine unangenehme Lage brachte: „Zu den in der BSSR populären deutschen Antifaschisten, die in belorussischen Partisaneneinheiten kämpften, gehört Genosse Hugo Bahrs, ehemaliger Mitarbeiter des Zentralvorstandes der DSF. Über seine Tätigkeit wird in hier erscheinender Literatur und im ‚Museum des Großen Vaterländischen Krieges‘ (sic!) berichtet.“
Der Generalkonsul selbst hatte Bahrs in der DDR kennengelernt und von ihm wertvolle Hinweise zu möglichen Kontakten in der BSSR erhalten. Umso schwerer fiel es ihm, folgenden Sachverhalt gegenüber belorussischen Genossen zu erklären: „Vor einigen Wochen wurde mir […] bekannt, daß Genosse Bahrs in Konflikt mit unseren Gesetzen geraten sei. Da ich sehr häufig von ehemaligen Kampfgefährten besorgt nach dem Befinden von Hugo Bahrs gefragt und gebeten werde, Grüße zu übermitteln, wäre ich Ihnen für eine verwendbare Argumentation sehr dankbar. Wir müssen dabei berücksichtigen, daß es hier viele Genossen gibt, die […] enge Verbindungen zu leitenden Genossen in der DDR unterhalten.“1059
Leider ist nicht bekannt, welches Vergehens sich der angesehene Partisan Hugo Bahrs schuldig gemacht hatte, auffallend ist jedoch, dass der zuvor so populäre Bahrs nach 1970 kaum noch in der Presse erwähnt wurde und auch im Erinnerungsband keinen eigenen Beitrag mehr erhielt.1060 sanenkämpfe in Belorussland. Vgl. zur ‚Aussortierung‘ eines Autors: Zinhobl, Alfred, SAPMO-BArch SgY 30/2270/6, unpag.; zur Redigierung des Schlussteils: Hermann Ernst Schauer, SAPMO-BArch SgY 30/2270/2, unpag.; sowie: Kühnrich/Pech/Schaul (Hrsg.): In den Wäldern Belorußlands, S. 437. 1058 Vgl. dazu z. B. folgende Presseberichte: Horst Czerny: „Echte Kampfgemeinschaft sowjetischer und deutscher Genossen. Im Hinterland der Faschisten operierten Partisanen…“, Berliner Zeitung, 5.5.1970, S. 4; Iwan Bejdin: „Gruppe 117 unter dem Kommando von Galina. Über meinen deutschen Genossen Hugo Bahrs.“, Neues Deutschland, 23.5.1970, S. 10; „Dokumente der Waffenbrüderschaft. Erinnerungsgeschenk für Zentralvorstand der DSF.“, Neues Deutschland, 1.3.1968, S. 2; vgl. dazu auch die entsprechenden Abschnitte bei Ebd., S. 436–437, 450–451, 462–463. 1059 Schreiben Generalkonsul Wohlerts an den Leiter der Abt. SU im MfAA, 5.9.1973, PA AA, MFAA, C1205/75, pag. 25–26. 1060 Bahrs, der in der UdSSR auch Mitglied des Nationalkomitees Freies Deutschland gewesen war, emigrierte Ende der 1970er Jahre, wahrscheinlich aufgrund seiner Schwierigkeiten in der DDR, in die Bundesrepublik. Vgl. dazu Bahrs, Hugo in: Hamacher: Gegen Hitler, S. 20.
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Indes zeigt das Schreiben des Generalkonsulats deutlich, dass es wohl nicht selten solche persönlichen antifaschistischen Netzwerke und Motivationen waren, die den ‚Freundschaftsbetrieb‘ in Gang hielten. Ein Beispiel dafür ist auch der verantwortliche Sekretär der belorussischen Abteilung der SDF, Gennadij Juškevič, der dieses Amt mindestens von 1969 bis 1980 besetzte. Juškevič hatte bereits als 15jähriger als Partisan gekämpft, gehörte im Jahr 1944 zu einer im ostpreußischen Feindgebiet operierenden Fallschirmspringergruppe mit Namen „Džek“ und hatte in dieser Situation Hilfe durch eine deutsche, ostpreußische Familie erfahren, die er Jahre später in der DDR wiedertraf.1061 Wie verschiedene Zuschriften aus der DDR an die BELOD bzw. Juškevič persönlich zeigen, unterhielt er gute Kontakte zu verschiedenen Freunden in der DDR und setzte sich nach Aussagen des ehemaligen Generalkonsuls Leopold Wohlert ganz besonders und aus persönlicher Überzeugung für die sowjetisch-deutsche Freundschaft ein. Das Schicksal des verantwortlichen Sekretärs der SDF erregte offenbar so viel Interesse, dass sowohl die Horizont – Sozialistische Wochenzeitung für internationale Politik und Wirtschaft als auch die Frauenzeitschrift Für Sie Artikel über Juškevičs Einsatz im Zweiten Weltkrieg veröffentlichten, wobei letztere dem Sekretär der SDF sogar ‚Fanpost‘ aus der DDR bescherte.1062 Während Angehörige der Kriegsgeneration wie Juškevič, Hugo Bahrs, Peter Florin und andere die antifaschistische Botschaft des Partisanenmythos aus lebensgeschichtlicher Erfahrung verinnerlicht hatten, waren die nachfolgenden Generationen, insbesondere die nach dem Ende des Krieges Geborenen, auf die Konstruktion dieser antifaschistischen Prägung angewiesen, deren Impulse von außen kommen mussten.1063 Der Partisanenmythos bot sich dazu aus mehreren Gründen ausgezeichnet an: Erstens handelte es sich bei den Deutschen unter den belorussischen Partisanen um ‚echte‘ Widerstandskämpfer, die unter Einsatz ihres Lebens oder sogar unter Opferung desselben gegen den Nationalsozialismus gekämpft hatten. Einige von ihnen waren zudem erst durch die Erfahrungen des Krieges und als Wehrmachtssoldaten zu der Überzeugung gelangt, dass ein Kampf für ihr Vaterland sich zunächst gegen dieses und seine faschistischen Machthaber richten musste. Diese Läuterungsgeschichte machte besonders deutlich, dass jeder Einzelne in einer außergewöhnlichen Situation zum Heldenmut fähig war. Zweitens vermittelten die hagiographisch-literarisch aufgearbeiteten Erinnerungen an die Waffenbrüderschaft zwischen deutschen und belorussischen Partisanen das Bild eines gegenseitig erworbenen Respekts, der sich, belegt auch durch die vielfach 1061 Vgl. dazu die im Jahre 2005 veröffentlichten Erinnerungen über die Gruppe „Džek“ Juškevičs: Juškevič, Gennadij: Uvidet’ Prussiju i... umeret‘. Legendarnaja razvedgruppa „Džek“. Svidetel’stvo ostavšegjsja v živych, Kaliningrad 2005. 1062 Vgl. dazu Gespräch mit Herrn Generalkonsul a.D. Leopold Wohlert (Generalkonsul 1972– 1976) am 9.3.2012 in Berlin; BV der SED Frankfurt/Oder an Juškevič über einen Zeitungsartikel im Horizont sowie in Für Sie, 9.4.1975, NARB f. 914, op. 4, d. 552, l. 86–88; sowie Aktivist und Kriegsveteran Ewald N. an Juškevič, 15.4.1974, ebd., l. 96–98; 2 Postkarten von DDR-Bürgern an Juškevič mit Gratulationen für seinen mutigen Einsatz als Reaktion auf einen Artikel in der Frauenzeitschrift Für Sie, 10.4. u. 15.4.1974, ebd., l. 107, 108. 1063 Danyel: „Die unbescholtene Macht“, S. 73–74.
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nach wie vor bestehenden Veteranentreffen und -kontakte, zu einer nachhaltigen Freundschaft gewandelt hatte und bot damit einen Anknüpfungspunkt für die deutsch-sowjetische Freundschaft der Nachkriegszeit. Nicht zuletzt die Arbeit ehemaliger Partisanen in den Freundschaftsgesellschaften wie Juškevič oder Bahrs legten davon Zeugnis ab. Drittens haftete dem Kampf der Partisanen eine Kombination aus Heldentum, moralisch gutem Handeln und gleichzeitigem Abenteuer an, die den Stoff für die Rezeption in Film, Fernsehen und Literatur besonders interessant machten. Insbesondere im Laufe der 1970er Jahre entstand so eine ganze Reihe von Werken, auch deutsch-sowjetischen Koproduktionen, die den Partisanenkampf thematisierten. So wurde beispielsweise der belorussische Schriftsteller Vasyl Bykaŭ, der sich in seinen Werken vornehmlich diesem Thema widmete, ein beständig rezipierter ‚Gast‘ in der Presse der DDR.1064 In der BSSR selbst fungierte der Partisanenmythos als Integrationsstrategie der Nachkriegsgesellschaft, der, in Kombination mit dem rasanten Aufbau nach den unermesslichen Zerstörungen des Krieges, zur Herausbildung einer spezifisch belorussischen Identität in der multinationalen Sowjetunion führte. Zum Erfolg dieser ‚Meistererzählung‘ trug wesentlich bei, dass sie sich nicht im Widerspruch zu einer sowjetischen Identität, sondern vielmehr im Einklang mit dieser entwickelte. Möglicherweise machte gerade diese Synthese aus Anpassung an das sowjetische System und quasinationaler Eigenständigkeit die belorussische SSR, die in den 1970er und 1980er Jahren neben den baltischen Republiken den höchsten Lebensstandard in der UdSSR aufweisen konnte, so erfolgreich innerhalb der Sowjetunion.1065 Gleichzeitig, und damit zweitens, bot der Partisanenmythos den Nachweis ‚gelebten‘ Internationalismus. Einerseits wurde der Sieg über den Faschismus mit Hilfe der übrigen, sowjetischen Brudervölker errungen, andererseits bewies der Kampf deutscher Partisanen auf Seiten der belorussischen Helden die Existenz der „guten Deutschen“, wie sie die sowjetische Propaganda unmittelbar nach dem Ende des Krieges zu vermitteln begann und erhöhte damit die Glaubwürdigkeit des Freundschaftsdiskurses. Damit diente der Mythos vom gemeinsamen Kampf belorussischer, sowjetischer und deutscher Partisanen im belorussischen Volkskampf nicht nur der Integration der weißrussischen sondern auch der sowjetischen Nachkriegsgesellschaft, wie auch, ganz im Sinne sowjetischer Machtpolitik, der Stabilität des östlichen Bündnissystems insgesamt. Allerdings lag in der ursprünglichen Stärke des Partisanenmythos für beide Völker, nämlich seiner Begründung in tatsächlichen Erfahrungen einer bestimmten sozialen Gruppe und Generation, die ihre lebensgeschichtlichen Erfahrungen 1064 Vgl. beispielsweise folgende Beiträge zu Werken Bykaŭs sowie deren Verfilmung bzw. ein Interview mit dem Schriftsteller: Günter Sobe: „…aber die Figur des Jungen ist völlig übertrieben… Begegnungen, Eindrücke, Gespräche im Minsker Belorußfilm-Studio.“, Berliner Zeitung, 8./9.3.1975, S. 10; Monika Schettler: „‚Die Schlinge‘ von Wassil Bykau und andere Werke belorussischer Literatur“, Berliner Zeitung, 5.12.1972, S. 6; Isa Speder: „Der kurze Roman – das Genre liegt mir. Besuch in Minsk bei dem belorussischen Schriftsteller Wassil Bykau.“, Berliner Zeitung, 29./30.3.1975, S. 10. 1065 Lindner: Historiker und Herrschaft, S. 304–305; Bugrova: Politische Kultur in Belarus, S. 23–24.
5.3 Geteilte Mythen, gemeinsame Erinnerung? Antifaschisten und Partisanen
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an die nachfolgenden Generationen weitergab, gleichzeitig womöglich auch seine größte Schwäche: Mit abnehmender Präsenz der Partisanengeneration in politischen und staatlichen Funktionen verloren persönliche Netzwerke und Kontakte an Wichtigkeit und Strahlkraft, die durch eine bloße literarische und mediale Aufarbeitung des Themas, anders gesagt, durch ein künstlich implementiertes kulturelles Gedächtnis, das nur dem kommunikativen Gedächtnis eines Teils der Bevölkerung entsprach, nicht ersetzt werden konnten. Auch fehlte den nachfolgenden Generationen gerade jene persönliche Erfahrungsebene, die das Fehlen persönlicher Nähe in der politisch gewollten und forcierten deutsch-sowjetischen Freundschaft stellenweise ausgeglichen hatte. Nur so ist vielleicht zu erklären, dass sich Mitte der 1980er Jahre auf offizieller Ebene niemand bereitfand, eine in Minsk weilende Reisegruppe „mit Namensträgerkollektiven ‚Fritz Schmenkel‘“, darunter auch ein Sohn und eine Tochter des deutschen Partisanen-Helden, zu empfangen. Erst die Intervention des Generalkonsulates führte schließlich zu einer Einladung beim „OB der Stadt Minsk“.1066 Offenbar hatte der Partisanenheld Mitte der 1980er Jahre seine völkerverbindende Kraft eingebüßt.
1066 „Hauptfragen der Zusammenarbeit zwischen der DDR und der BSSR“, GK Minsk, 6.2.1986, SAPMO-BArch DY 30/12403, pag. 6–13.
6 FAZIT Anders als in bisherigen Studien bzw. für die unmittelbare Nachkriegszeit zumeist festgestellt, beschränkten sich auswärtige Kulturbeziehungen zwischen der DDR und der Sowjetunion nicht auf die Sowjetisierung des ostdeutschen Staates durch eine Verbreitung sowjetischer Kultur und einseitiger Freundschaftsparolen. Insbesondere mit der Entstalinisierung seit Ende der 1950er Jahre gab der Umbau der sowjetischen Freundschaftsgesellschaft VOKS zur SSOD das Signal für nicht nur strukturelle, sondern auch inhaltliche sowie intentionelle Veränderungen in der auswärtigen Kultur- und Freundschaftspolitik. Mit der SSOD als Dachgesellschaft aller sowjetischen Freundschaftsorganisationen entstand ein dichtes Netz an lokalen, regionalen und Republikgesellschaften sowie auf die einzelnen Partnerländer bezogener Organisationen. Ruhte der Fokus bisheriger Forschungen zur sowjetischen Cultural Diplomacy der Nachkriegszeit vor allem auf den Kontakten zur westlichen Welt und insbesondere den USA unter den Bedingungen der Systemkonkurrenz, hat diese Studie deutlich gemacht, dass die sozialistischen Staaten in den außenkulturpolitischen Überlegungen der sowjetischen Führung eine zunehmend wichtige Rolle spielten: So fand der koloniale Habitus der Freundschaftsgesellschaft VOKS gegenüber den sozialistischen ‚Bruderstaaten‘ in den 1950er Jahren auch Beachtung im Politbüro der KPdSU und wurde dort als wenig geeignet empfunden, um eine Einbindung dieser Staaten in eine internationalistische Völkerfreundschaft zu erreichen. Daher handelte es sich, freilich unter der Prämisse des nie verhandelbaren Ziels der Erhaltung des sowjetischen Imperiums, wohl um eine Mischung aus verstärkter Auseinandersetzung mit dem Westen mit den Mitteln einer auswärtigen Kulturoffensive sowie der Konsolidierung des östlichen Einflussbereiches unter Zuhilfenahme ‚weicher‘ Faktoren zur Ergänzung ‚harter‘ militärischer Maßnahmen, wie sie zur Bewältigung der Entstalinisierungskrisen, etwa 1956 in Ungarn, eingesetzt worden waren. Damit einher ging jedoch zweifellos auch ein gesellschaftlicher Aufbruch im Zeichen des innen- und außenpolitischen Tauwetters unter der Führung Nikita Chruschtschows, der die sowjetische Gesellschaft auf einen baldigen Übergang zum Kommunismus einschwor. Der neue Glaube an die Überlegenheit und Überzeugungskraft des Sozialismus bewirkten nicht nur eine Öffnung der Sowjetunion Richtung Westen, sondern mit der Gründung je eigener Freundschaftsgesellschaften zunächst auch Signale für eine partnerschaftlichere Beziehung zu den östlichen Verbündeten. Für die deutsche Seite gaben die skizzierten Entwicklungen den Rahmen vor, innerhalb dessen die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft eine auswärtige Kulturpolitik gegenüber der Sowjetunion betreiben konnte. Von Anfang an ging es den verantwortlichen Funktionären dabei darum, den sozialistischen ostdeutschen Staat und insbesondere seine ‚antifaschistische Geschichte‘ in einem möglichst positiven Licht darzustellen und somit die eigene Geschichtsinterpretation nicht nur im kulturellen Gedächtnis der Ostdeutschen, sondern auch
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sowjetischer Bürger zu verankern. Die Zusammenarbeit mit der eigens gegründeten sowjetischen Gesellschaft für sowjetisch-deutsche Freundschaft (SDF) sowie mit einzelnen Republikgesellschaften bot erstmals die Chance zu einer gegenseitigen Zusammenarbeit. Dass dabei jedoch sowjetische deutschlandpolitische Ziele bindend blieben, wird durch die zunächst doppelte west- wie ostdeutsche Ausrichtung der SDF deutlich. Erst 1966, ganze fünf Jahre nach dem Mauerbau, legte die Gesellschaft ihren gesamtdeutschen Anspruch ab und es entstand eine eigene Gesellschaft für Freundschaft mit der DDR (SGDDR). Eine belorussische Freundschaftsgesellschaft (BELOD) mit Sitz in Minsk entstand ebenfalls im Zuge des Umbaus der VOKS zur SSOD im Jahre 1958. Die Tatsache, dass eine bereits zuvor bestehende Organisation mit dem Hinweis auf ihre Unzulänglichkeit aufgelöst und eine Neugründung, wie im Falle der SSOD getarnt als gesellschaftliche Initiative, forciert wurde, zeigt die Abhängigkeit der belorussischen auswärtigen Kulturpolitik von Moskauer Vorgaben. Dies galt auch für die zukünftigen Partner: So legte die SSOD im Vorfeld fest, auf welche Länder sich die BELOD in ihrer Arbeit konzentrierte. Zu diesen Ländern gehörte wegen ihrer geographischen Nähe unter anderen auch die DDR; die Vermutung liegt außerdem nahe, dass die Moskauer Führung gerade in der schwierigen belorussisch-deutschen Vergangenheit einen Grund sah, dieses Feld der sowjetischdeutschen Freundschaft besonders intensiv zu ‚bearbeiten‘. In den Inhalten der auswärtigen Kulturpolitik beider Länder lassen sich mit unterschiedlicher Intensität außenpolitische Zielsetzungen ablesen. Die Tätigkeit der Freundschaftsgesellschaften diente einer gezielten Auslandsinformation, deren größere Richtlinien unmittelbar aus beiden Parteizentralen stammten. Dabei lässt sich auf sowjetischer Seite, nach Ende der Aufbruchsphase bis etwa Mitte/Ende der 1960er Jahre, welches nicht zufällig mit dem Führungswechsel von Nikita Chruschtschow zu Leonid Breschnew zusammenfiel, eine zunehmende Stagnation des Interesses für die sozialistischen Staaten beobachten; aufwändige Maßnahmen, wie etwa die Kulturtage einzelner Sowjetrepubliken in der DDR, wurden eingefroren. Gründe dafür lagen zwar einerseits in einer Neuakzentuierung der sowjetischen Nationalitätenpolitik, sind aber andererseits auch in einer stärkeren Konzentration der außenkulturpolitischen Ressourcen auf westliche Staaten sowie auf entkolonialisierte Staaten und Entwicklungsländer zu suchen. In den 1970er Jahren dominierte mindestens rhetorisch weiter die forcierte Annäherung der sozialistischen Staatengemeinschaft unter den Prämissen einer wirtschaftlichen Integration der RGW-Staaten. Auf Seiten der DDR bestimmten ebenfalls die Parteizentrale und die dort angesiedelte Arbeitsgruppe bzw. Abteilung für Auslandsinformation seit 1963 das diesbezügliche Vorgehen der Freundschaftsgesellschaft. Für den ostdeutschen Staat hatten die Freundschaft zur Sowjetunion und die Darstellung des eigenen Erfolges im Aufbau des Sozialismus noch höheren Stellenwert, als das umgekehrt der Fall war. Hatte in den 1950er und frühen 1960er Jahren noch überwiegend die Vermittlung der (konstruierten) antifaschistischen Vergangenheit im Mittelpunkt der Auslandsinformation gestanden, so rückte mehr und mehr die Selbstdarstel-
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lung der DDR als zuverlässiger und friedenssichernder Bündnispartner am westlichsten Rand des Warschauer Paktes in den Mittelpunkt. Die dabei stets betonte deutschlandpolitische Zielsetzung und die polemische Abwertung der Bundesrepublik standen nicht immer im Einklang mit sowjetischen Interessen, stellte aber trotzdem ein häufiges Thema dar. In den 1970er Jahren bildete auch für die von sowjetischen Rohstoffen abhängige DDR die wirtschaftliche Integration einen zentralen Bezugspunkt der Auslandsinformation: Sie präsentierte sich als fortschrittliche sozialistische Industrienation und wertvollen Handelspartner. Nicht zufällig konkurrierte das 1972 in Minsk gegründete Generalkonsulat der DDR gerade auf diesem Gebiet mit den polnischen Nachbarn; eine Konkurrenz, die bezeichnenderweise auch auf die kulturellen Auslandsbeziehungen ausgeweitet wurde. Die Belorussische SSR stand auch auf Grund dieser wirtschaftlichen Erwägungen hoch oben auf der Liste der wichtigsten Partner unter den Sowjetrepubliken. Dies bewies unter anderem die 1972 erfolgte Eröffnung eines DDRGeneralkonsulates in der belorussischen Hauptstadt, einer von insgesamt nur vier diplomatischen Vertretungen der DDR in der UdSSR insgesamt. Die vorliegende Studie lässt kaum Rückschlüsse auf eine eigenständige auswärtige Kulturpolitik der BSSR zu, die sich nicht im Rahmen sowjetischer Interessen bewegt hätte. Sowohl die (Neu)Gründung der belorussischen Freundschaftsgesellschaft, als auch die geographischen wie inhaltlichen Schwerpunkte der Außenrepräsentation gingen auf Moskauer Vorgaben zurück. Allerdings bot sich mit der gesellschaftlichen Liberalisierung und wirtschaftlichen wie politischen Dezentralisierung unter der Führung Chruschtschows für die einzelnen Sowjetrepubliken durchaus die Möglichkeit, im Kontext so genannter Kulturtage die eigene Republik im sozialistischen Ausland zu präsentieren – eine Möglichkeit, von der die belorussische Freundschaftsgesellschaft bezeichnenderweise jedoch erst in einer Anweisung aus Moskau erfuhr. Wenn es sich hierbei um eine Initiative lokaler sowjetischer Machthaber gehandelt haben sollte, so war die belorussische Führungsriege nicht daran beteiligt gewesen. Schon der Zickzackkurs der zuständigen sowjetischen Organe bezüglich der Durchführung bzw. Benennung besagter belorussischer Kulturtage in der DDR zeigt außerdem, dass bereits 1966 ein veränderter Kurs in der Nationalitätenpolitik eingeschlagen wurde mit der Tendenz, zumindest in den sozialistischen Staaten eine gesamtsowjetische Kultur als Beispiel für die gelungene Annäherung bzw. Verschmelzung der einzelnen Sowjetnationalitäten zu präsentieren. Die Quellen legen darüber hinaus nahe, dass man sich in der demonstrativen Darstellung der Vielfältigkeit und Eigenständigkeit der einzelnen Sowjetkulturen und Nationalitäten zunehmend auf die westlichen Staaten sowie die Entwicklungsländer und entkolonialisierten Staaten konzentrierte, auf deren Recht zu nationaler Souveränität die Sowjetunion stets rhetorisch pochte. Die belorussische Selbstdarstellung konzentrierte sich inhaltlich überwiegend auf zwei Narrative: Als zentraler Kristallisationspunkt einer genuin belorussischen Nachkriegsidentität spielten der Zweite Weltkrieg und vor allem der erfolgreiche Partisanenkampf gegen die faschistischen Besatzer die wichtigste Rolle. Nicht nur
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die Veröffentlichungen der Freundschaftsgesellschaft, sondern auch belorussische Kunst und Literatur widmeten sich dieser Thematik. Eng damit zusammen hing der erfolgreiche Wiederaufbau nach dem Krieg: Die BSSR verwies, ganz ähnlich wie die DDR, nicht ohne Stolz auf ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft. Auch darin lässt sich keine Abgrenzung von einer sowjetischen Identität festmachen: Betont wurden in diesem Zusammenhang nämlich stets die Rolle der Partei sowie die Hilfe der übrigen Sowjetvölker, ohne die, so der Duktus, dieser Erfolg der BSSR nicht denkbar gewesen wäre. In ihrer Zusammenarbeit mit dem ostdeutschen Staat verfolgte die belorussische Führung insbesondere wirtschaftliche Interessen unter dem Schlagwort des sozialistischen Erfahrungsaustauschs. Seit den 1970er Jahren unterstützte vor Ort auch das DDR-Generalkonsulat diese Bemühungen. Dabei kann die Eröffnung der Vertretung in Minsk 1972 als direktes Beispiel des Erfolgs belorussischer Einflussnahme in Moskau sowie der guten persönlichen Beziehungen zwischen deutscher und belorussischer Parteiführung gewertet werden. Allerdings blieb die politische Bedeutung des Generalkonsulates marginal; eigene Initiativen beschränkten sich überwiegend auf den Kulturbereich. Dies spiegelte indirekt die Situation in Minsk wider: So konnten auch Ministerien und Einrichtungen vor Ort meist nur im Rahmen vorgegebener gesamtsowjetischer Planvorgaben aus Moskau agieren. Auch die auswärtige Kulturpolitik sowie die Arbeit der belorussischen Freundschaftsgesellschaft unterstützten das offizielle Geschichtsbild, das die belorussische Nation der Nachkriegszeit fest in der Sowjetunion verankerte. Ihre einmalige Erfolgsgeschichte – Selbstbefreiung unter der Ägide der Partei von den faschistischen Besatzern, beispielloser Wiederaufbau unter sozialistischen Vorzeichen in der Nachkriegszeit – machte sie gar zur sowjetischen Musterrepublik und zum perfekten Vorzeigeobjekt: Gerade am Beispiel der BSSR ließ sich die sowjetische Utopie besonders gut verdeutlichen. Allerdings fehlen gerade zu dieser Fragestellung bislang Bezugswerte: So böte sich für weitere Forschungen der Vergleich mit anderen Sowjetrepubliken, etwa der Ukrainischen oder der Georgischen SSR, an, um zuverlässige Aussagen über mögliche Handlungsspielräume einzelner Teilrepubliken zu treffen. Gegenüber der eigenen Bevölkerung verstanden sich die Freundschaftsgesellschaften als Erziehungsinstitutionen: Es galt, die Menschen im Sinne des sozialistischen Internationalismus zu erziehen sowie, in einer klassisch-leninistischen Funktion als ‚Transmissionsriemen‘, (außen)politische Positionen der Staatsparteien zu vermitteln. Kultur und kulturelle Veranstaltungen dienten dabei als Möglichkeit, politische Inhalte in einem scheinbar unpolitischen Zusammenhang zu präsentieren und damit auch Menschen zu erreichen, die sich einer offenen politischen Einflussnahme entzogen. Symptomatisch für die politische Indienstnahme kultureller Veranstaltungen waren unter anderem die meist jährlich wiederkehrenden Freundschafts- und Kulturkampagnen, eine Form der Massenmobilisierung, die bereits in den 1920er und 1930er Jahren in der Sowjetunion etabliert und auf die sozialistischen Länder übertragen worden war. Bei aller politischen Instru-
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mentalisierung boten Veranstaltungen wie Ausstellungen, Musikabende, Filmwochen und Buchdekaden breiten Teilen der Bevölkerung jedoch durchaus die Möglichkeit, sich mit Kunst und Kultur des Partnerlandes, auch über einen Sozialistischen Realismus hinaus, vertraut zu machen; damit brachten die Freundschaftsgesellschaften ein Stück Internationalität auch für jene, die aufgrund der eingeschränkten Reisemöglichkeiten keine Auslandsreise unternehmen konnten. Unter dem breiten sozialistischen Kulturbegriff verbarg sich nicht nur ein klassisches Kulturrepertoire. Der Aufbau von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft galten als zentrale Grundlage einer so genannten sozialistischen Nationalkultur, die zwar national in der Form, aber sozialistisch im Inhalt sein sollte. Neben Erzeugnissen des klassischen Kulturbereichs, wie Literatur, Kunst und Musik, beinhaltete dies, gemäß einem Verständnis von Kultur als sozialistisches Erziehungsmedium, auch ein ‚Kulturschaffen‘ der Werktätigen. Ein augenscheinliches Beispiel für die Verquickung einer sozialistischen Nationalkultur mit kultureller Betätigung der Massen bot das sozialistische Laienkunstschaffen, beispielsweise in Form von Folkloregruppen. Diese spezifisch sowjetische Form der Folklore verbreitete sich im Zuge der Sowjetisierung im gesamten Ostblock und verband pseudo-nationale Elemente einer traditionellen Volkskunst mit Inhalten, die den Aufbau der sozialistischen Gesellschaft thematisierten. Gerade bei belorussischen Gruppen führte die staatlich forcierte Angleichung in Repertoire, Choreographien und Kostümen jedoch dazu, dass diese in der DDR häufig undifferenziert als sowjetische oder gar russische Gruppen wahrgenommen wurden. Trotzdem stellten sie bis in die 1980er Jahre ein bei den Freundschaftsfunktionären wie beim Publikum gleichermaßen beliebte Form des kulturellen Austauschs dar. Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg wurde in den Beziehungen zwischen der DDR und der BSSR von einer belastenden Voraussetzung zu einer positiven Gemeinsamkeit umgedeutet. Dies entsprach sowohl den Interessen der DDRFührung, die die Konstruktion einer antifaschistischen Vergangenheit nicht zuletzt zur Legitimation ihrer Parteiherrschaft nutzte, als auch den Interessen der sowjetischen Seite, die eine schnelle Integration ihrer Einflusssphäre im Westen zu erreichen suchte. Dabei bot sich eine Partnerschaft der BSSR und des ostdeutschen Staates aus mehreren Gründen an: Zum einen waren die weißrussischen Gebiete besonders stark von der nationalsozialistischen Besatzung betroffen gewesen und bedurften damit einer intensiven ‚Freundschaftsarbeit‘. Auch die DDR-Auslandsinformation betonte in diesem Zusammenhang stets die Wichtigkeit der eigenen Präsenz in der belorussischen Sowjetrepublik. Diese bot in ihren Augen für DDRBürger auch ein Besuchsobjekt besonderer Art: So zielte gerade die DSF darauf ab, ostdeutsche Touristen auf einer Art antifaschistischer ‚Pilgerfahrt‘ in die ehemaligen besetzten Gebiete der Sowjetunion zu entsenden. Die Reise bot dabei gleichermaßen eine Konfrontation mit der faschistischen deutschen Vergangenheit wie auch das Angebot zur Lossprechung von der deutschen Schuld: durch Dankbarkeit und Freundschaft gegenüber den Befreiern sowie ein Engagement für den Aufbau einer friedliebenden sozialistischen Gesellschaft. Auch für belorussische bzw. sowjetische Touristen bedeutete ein Besuch in der DDR eine Reise in
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die Vergangenheit, deren ‚Fahrplan‘ zuvor von den beiden staatlichen Reisebüros festgelegt worden war: Der gezielte Besuch von Gedenkstätten und Mahnmalen gab den Besuchern nicht nur Gelegenheit, den eigenen Opfern und Entbehrungen zu gedenken, sondern sich auch von der antifaschistischen Wandlung der Deutschen zu überzeugen. Zudem handelte es sich auch um eine Besichtigung der eigenen Befreiungstat: So hatte gemäß dem sowjetischen Nachkriegsnarrativ das Opfer der sowjetischen Bevölkerung während des Krieges nicht nur die Abwehr der faschistischen Eindringlinge ermöglicht, sondern auch die Länder Ost- und Mitteleuropas vom Joch des Faschismus und Kapitalismus befreit. Der erfolgreiche sozialistische Aufbau in diesen Ländern war, so die Darstellung, demnach auch ein direkter Erfolg der sowjetischen Außenpolitik. Schließlich bot die Geschichte der BSSR noch eine weitere Besonderheit, die echte Anknüpfungspunkte für die Erfahrungen deutscher Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus sowie eine greifbare Gemeinsamkeit gerade für die jüngeren Generationen liefern sollte: So gründete sich die belorussische Nachkriegsidentität ganz wesentlich auf den Status als Partisanenrepublik, ein Erinnerungskonstrukt, das die Selbstbefreiung der weißrussischen Gebiete durch die Partisanen und das gesamte, sie unterstützende, weißrussische Volk in den Mittelpunkt stellte – freilich nicht ohne dabei die zentrale Rolle der kommunistischen Partei in der Koordination des Widerstandes hervorzuheben. Seit Mitte der 1960er Jahre wurden, auf deutscher wie auf sowjetischer/belorussischer Seite, jene Deutschen in die Partisanen-Verehrung mit aufgenommen, die als ehemalige Kriegsgefangene oder Überläufer in den Reihen der Partisanenbewegung gekämpft hatten. Verbreitet wurde das gemeinsame Partisanenthema in der Presse, in Literatur, Film und Fernsehen sowie der Jugendarbeit. Neben deutsch-sowjetischen Veteranenzusammenkünften spielten auch andere ‚antifaschistische‘ Kontakte in der Zusammenarbeit eine Rolle: Nicht nur in der Partisanenrepublik BSSR besetzten ehemalige Kriegsteilnehmer und insbesondere Partisanen zentrale Stellen in Staat, Partei und Verwaltung, sondern auch in der DDR traten frühere Exilanten und NS-Gegner aktiv und aus persönlicher Überzeugung für die deutsch-sowjetische Freundschaft und eine enge Zusammenarbeit ein. Die staatlich verordnete Freundschaftspolitik brachte in bisher nie dagewesenem Maße Deutsche und Belorussen zusammen, sowohl ‚medial‘ vermittelt im Sinne von Informations- und Kulturveranstaltungen, Betriebskontakten und Briefwechseln als auch physisch im Rahmen von Delegations- und Freundschaftszugreisen oder durch den sich zunehmend entwickelnden Tourismus. Für viele Deutsche dürfte es zudem die erste bewusste Begegnung mit ‚Belorussland‘ als ‚eigene‘ Nation gewesen sein, wobei freilich die Zugehörigkeit der Republik zur Sowjetunion nie in Frage gestellt wurde. Auch dass es sich dabei um einen außenpolitischen Schachzug der Moskauer Parteiführung zur Propagierung der eigenen, als vorbildlich vermittelten Nationalitätenpolitik gehandelt hatte, tat dieser Tatsache grundsätzlich keinen Abbruch. Problematischer gestaltete sich da schon eher die verordnete Freundschaft angesichts der schwierigen gemeinsamen Vergangenheit, die nicht aufgearbeitet wurde und letztlich, neben den politischen und militäri-
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schen Tatsachen, eine asymmetrische Beziehung vorgab, deren Spannungen nie aufgelöst wurden: Nur die rhetorische Lossprechung durch die sowjetischen Befreier konnte auch die Ostdeutschen zu Siegern der Geschichte machen und damit die nationalsozialistische Vergangenheit neutralisieren – eine Vorgabe, die im Übrigen auch für die sowjet-belorussische Bevölkerung eine Herausforderung bedeutete. Allerdings zeigen die Ergebnisse dieser Studie, dass die staatliche Freundschaftspolitik gerade in diesem Kontext durchaus Erfolge aufweisen konnte. So schuf die Propaganda einen antifaschistischen deutschen Staat, von dessen Existenz sich nicht wenige Touristen persönlich überzeugen konnten: Gerade dort, wo solche Darstellungen zunächst auf Skepsis getroffen waren, sich dann aber, beispielsweise beim Besuch von Gedenkstätten und Mahnmalen, zu bestätigen schienen, machte dies umso mehr positiven Eindruck. Auch dass die Rituale und Routinen anlässlich von Freundschaftstreffen oder Gedenktagen häufig angeordnet und minutiös orchestriert waren, tat der wohlwollenden Aufnahme durch die meisten Touristen keinen Abbruch. Zudem vermerkten sowjetische Reisegruppen mit einem gewissen Stolz die Aufbauleistungen der DDR auch als ihre eigenen, während andere durchaus nachdenklich das Lebensniveau der Deutschen mit heimatlichen Verhältnissen verglichen. Ähnliches galt auch für DDR-Touristen, die die Sowjetunion bzw. die BSSR bereisten. Immer wieder betonten viele Reiseberichte die Aufbauleistungen der Sowjetunion mit einer Be- und Verwunderung, die darauf schließen lässt, dass man, entgegen der gängigen Sowjetunionpropaganda, damit nun gerade nicht gerechnet hatte. Im Umgang mit der, gerade in der BSSR, allgegenwärtigen Erinnerung an den Krieg und die deutsche Besatzung zeigten sich Unterschiede zwischen den Generationen: Besonders Menschen aus der DDR-Aufbaugeneration äußerten nicht selten Bestürzung und Beschämung über die faschistischen Verbrechen – mithin ihrer Elterngeneration – und bekräftigten das Bekenntnis zur Sowjetunion. Zu dieser Einsicht mag auch die immer wieder hervorgehobene Gastfreundschaft sowjetischer Bürger beigetragen haben, die sich durch alle Reiseberichte zieht. Somit förderte die Arbeit der Freundschaftsgesellschaften im Vorfeld sowie die zunehmende Organisation gegenseitiger Begegnungen durchaus das gegenseitige Verständnis. Auch die Rolle von Freundschaftsritualen und Gesten darf dabei nicht ausschließlich negativ beurteilt werden, boten sie doch vielfach Sicherheit auf zunächst unsicherem Begegnungsterrain und lieferten ein Skript für den Umgang mit dem ehemaligen Kriegsgegner. Auch dass es sich, etwa bei Freundschaftstreffen und Massen-‚Mitings‘, vielfach um delegierte Teilnehmer und bei Freundschaftsbekundungen nicht selten um leere Floskeln handelte, tat ihrer affirmativen Wirkung auf die Gegenseite keinen Abbruch. Die Grenzen des dadurch erzeugten, fragilen gegenseitigen Wohlwollens zeigten sich jedoch gerade dort, wo Rituale misslangen oder schlichtweg die Organisation versagte: Sowjetische Touristen legten missglückte Freundschaftstreffen als Absage an die sowjetisch-deutsche Freundschaft aus, vermerkten enttäuscht mangelnde deutsche Feierlichkeit bei der Ehrung sowjetischer Kriegsgräber oder warfen den deutschen ‚Freunden‘ nach Organisationspannen bei Betriebsbesichtigungen gar antisemitische Beweggründe vor. Deutsche Reisende in der Sowjetunion dagegen
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erlebten sich zunehmend als Touristen zweiter Klasse. Die häufig allzu offensichtliche Bevorzugung zahlungskräftiger westlicher Touristen durch das sowjetische Reisebüro konterkarierte die propagandistischen Bemühungen der Freundschaftsgesellschaften und führte bezeichnenderweise in einigen Fällen zur Androhung eines DSF-Austritts und damit der symbolischen Aufkündigung der deutschsowjetischen Freundschaft: Die staatlich verordnete Freundschaftsrhetorik hatte Erwartungen geweckt, die letztlich nicht einzulösen waren. Dies galt im Übrigen umso mehr für die Herstellung persönlicher Kontakte zwischen ‚gewöhnlichen‘ Bürgern beider Länder. Misst man den Erfolg der organisierten Freundschaft an diesem Freundschaftsverständnis, dann muss die Bilanz negativ ausfallen. Allerdings bestand darin auch nie das Ziel dieser Organisationen; von Anfang an ging es vielmehr um die Fortführung einer politischen Freundschaft auf gesellschaftlicher Ebene, die wenig Räume für persönliches Engagement außerhalb des vorgegebenen Rahmens ließ. Die parteistaatlichen Freundschaftsmakler, sei es innerhalb der Freundschaftsgesellschaften oder der Gebietsparteiorganisationen, versuchten ganz im Gegenteil sogar, unkontrollierte Beziehungen zu unterbinden: In diesem Sinne wirkten sie auch ganz aktiv an der Verhinderung individueller Beziehungen und Kontakte ‚von unten‘ mit – viel zu groß schien dabei die Gefahr, das einmal aufgebaute Bild vom Sowjetmenschen und vom antifaschistischen Deutschen zu zerstören. Dass diese umfassende Kontrolle nicht immer gelingen konnte, hat die vorliegende Studie für den Bereich des Tourismus ausschnittweise zeigen können. Daneben bietet diese Arbeit auch Perspektiven für eine weitere Erforschung der deutsch-sowjetischen Beziehungen auf gesellschaftlicher Ebene: So könnte etwa die Untersuchung wissenschaftlicher Kontakte und studentischen Austauschs – wie sie etwa zwischen der Belorussischen Staatlichen Lenin-Universität und der Friedrich-Schiller-Universität Jena bestanden – sowie des Austauschs von Arbeits- und Fachkräften im Rahmen kooperativer Bau- und Industrieprojekte einen weiteren Blick hinter die Kulissen des deutsch-sowjetischen Freundschaftstheaters werfen.
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS AgitProp BELOD
BL BV DSF FDGB FDJ GK Gorkom KL KPB KPdSU KV MfAA MfK MfS MID (N)KGB
Obkom RBDDR RGL RSFSR SDF
SED SGDDR SMAD SSOD
VOKS ZK ZV
Agitation und Propaganda Belorussischen Gesellschaft für Freundschaft und kulturelle Verbindung mit dem Ausland (Belorusskoe obščestvo družby i kul’turnoj svjazi s zarubežnymi stranami) Bezirksleitung Bezirksvorstand Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Deutsche Jugend Generalkonsulat Stadtkomitee der Partei (Gorodskoj Komitet Kreisleitung Kommunistische Partei Belorusslands Kommunistische Partei der Sowjetunion Kreisvorstand Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR Ministerium für Kultur Ministerium für Staatssicherheit der DDR Außenministerium (Ministerstvo inostrannych del) der UdSSR bzw. der BSSR Volkskommissariat für Staatssicherheit (Narodnyj Komissariat Gossudarstvennoj Bezopasnosti) Gebietskomitee (Oblastnoj Komitet) der KPdSU bzw. KPB Reisebüro der DDR, 1958–1964 Deutsches Reisebüro Reisegruppenleiter Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik Gesellschaft für Sowjetisch-Deutsche Freundschaft und kulturelle Verbindungen (Obščestvo sovetsko-germanskoj družby i kul’turnoj svjazi), später Sowjetische Gesellschaft für Freundschaft mit der DDR Sozialistische Einheitspartei Deutschlands siehe SDF Sowjetische Militäradministration Union der Sowjetischen Gesellschaften für Freundschaft und kulturelle Verbindungen mit dem Ausland (Sojuz sovetskich obščestv družby i kul’turnoj svjazi s zarubežnymi stranami) Allunionsgesellschaft für kulturelle Beziehungen mit dem Ausland (Vsesojuznoe obščestvo kul’turnoj svjazi s zagranicej) Zentralkomitee (der Partei) Zentralvorstand
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS UNVERÖFFENTLICHTE QUELLEN Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA) Bestand RdB Pdm-401: Rat des Bezirkes Potsdam Bestand Rep. 530: SED Bezirksleitung Potsdam Bestand Rep. 730: SED Bezirksleitung Frankfurt/Oder
Bundesarchiv (BArch) Bestand DC 20: Ministerrat der DDR Bestand DM 1: Ministerium für Verkehrswesen der DDR Bestand DM 102: VEB Reisebüro der DDR Bestand DR 1: Ministerium für Kultur der DDR
Nationalarchiv der Republik Belarus’ (Nacional’nyj archiv Respubliki Belarus’, NARB) Bestand 4p: ZK der KPB Bestand 100: Hauptverwaltung der Belorussischen SSR für Auslandstourismus (Glavnoe upravlenie Belorusskoj SSR po innostrannomu turizmy) Bestand 205: Belorussische Staatliche Lenin-Universität (Belorusskij Gosudarstvennyj Universitet imenii V.I. Lenina) Bestand 265: Belorussischer Republikgewerkschaftsrat (Belorusskij respublikanskij sovet professional’nych sojuzov, Belsovprof) Bestand 902: Außenministerium der BSSR (Ministerstvo inostrannych del BSSR) Bestand 914: Belorussische Gesellschaft für Freundschaft und kulturelle Verbindung mit dem Ausland (Belorusskoe obščestvo družby i kul’turnoj svjazi s zarubežnymi stranami) Bestand 974: Ministerium für Kultur der BSSR (Ministerstvo kul’tury BSSR) Bestand 1134: Belorussischer Republikrat für Tourismus und Exkursionen beim Belsovprof (Belorusskij respublikanskij sovet po turizmu i ėkskursijam Belsovprofa)
Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PP AA) Bestand MfAA: Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR
Staatl. Gebietsarchiv Minsk (Gosudarstvennyj archiv Minskoj oblasti, GAMN) Bestand 1p: Parteigebietskomitee Minsk der KPB (Minskij oblastnoj komitet KP Belorussii) Bestand 2313: Minsker Gebietsgewerkschaftsrat (Minskij oblastnoj sovet profsojuzov)
Staatl. Gebietsarchiv Vitebsk (Gosudarstvennyj archiv Vitebskoj oblasti, GAVO) Bestand 1p: Parteigebietskomitee Vitebsk der KPB (Vitebskij oblastnoj komitet KP Belorussii) Bestand 2797: Abteilung für Volksbildung beim Vitebsker Gebietsexekutivkomitee (Otdel narodnoe obrazovanie Vitebskogo obispolkoma) Bestand 2800: Gebietsgewerkschaftsrat Vitebks (Vitebskij oblastnoj sovet profsojuzov)
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Quellen- und Literaturverzeichnis
Staatsarchiv der Russischen Föderation (Gosudarstvennyj Archiv Rossijskoj Federacii, GARF) Bestand R-9576: Union der Sowjetischen Gesellschaften für Freundschaft und kulturelle Verbindungen mit dem Ausland (Sojuz sovetskich obščestv družby i kul’turnoj svjazi s zarubežnymi stranami)
Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO-BArch) Bestand DY 30: Zentralkomitee der SED Bestand DY 32: Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft Bestand SgY 30/2270 1-6: Erinnerungen antifaschistischer deutscher Kämpfer an die Partisanenkämpfe in Belorussland
VERWENDETE PERIODIKA Architektur der DDR Berliner Zeitung Die Presse der Sowjetunion Kul’tura i Žisn’/Kultur und Leben Kunst und Literatur National-Zeitung Neue Berliner Illustrierte Neuer Tag Neues Deutschland Polymja Pravda Sonntag. Die kulturpolitische Wochenzeitung Sovetskaja Belorussija Sovetskaja otčizna Vicebski Rabočy
GESPRÄCHE MIT ZEITZEUGEN Valentina Šarendo (23.3.2011, Vitebsk) Leopold Wohlert (9.3.2012, Berlin) Irina Slepovič (20.3.2012, Minsk)
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Die Beziehungen zwischen der DDR und der Sow jetunion wurden bislang vor allem unter dem einseitigen Blickwinkel einer Sowjetisierung von Staat und Gesellschaft betrachtet. Michelle Klöckner untersucht hingegen die Auswirkungen wechselseitiger deutschsowjetischer Kultur und Freundschaftsbeziehungen. Sie fragt nach den Bildern und Botschaften, die den Bevölkerungen vermittelt wurden – gerade vor dem Hintergrund der belastenden Erfahrungen des Zweiten Welt kriegs. Neu ist dabei die Konzentration auf eine einzelne Sowjetrepublik: Klöckner betrachtet Handlungsspielräume und Optionen einer belo
ISBN 978-3-515-11876-7
9
7835 1 5 1 18767
russischen auswärtigen Kulturvermittlung, stets in enger Rückkopplung mit sowjetischen Vorga ben. Im Mittelpunkt der Studie steht die Arbeit der beiden staatlichen Freundschaftsgesellschaf ten. Sie arbeiteten in den späten 1950er Jahren im Zuge der Konsolidierung der sowjetischen Einflusssphäre nach der Entstalinisierungskrise auf eine Völkerfreundschaft hin: Dieses Ziel sollte mittels Kultur und Informationsveranstaltun gen, „betreutem“ Tourismus und omnipräsenter Freundschaftspropaganda erreicht werden. Die Praxis entsprach jedoch nicht immer den Plänen der „Freundschaftsmacher“.
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