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German Pages 224 [225] Year 1981
Heinz Wüstenhagen Krisenbewußtsein und Kunstanspruch
Amerikanische Autoren wie Norman Mailer, James Balduin, John Updike, Joseph Heller und viele andere sind dem Lesepublikum in unserem Lande wohlbekannt. Bücher wie „Die Nackten und die Toten„Eine andere Welt", „Der Zentaur" und „Der IKS-Haken" haben seit Mitte der 60er Jahre jene Lektüre ergänzt, die bis dahin — neben Werken des älteren Erbes — aus Romanen und Kurzgeschichten der „modernen Klassiker" Dreiser, Hemingway, Sinclair Lewis oder Faulkner bestand. Gegenüber jener älteren Generation amerikanischer Schriftsteller des 20. Jahrhunderts sind die jüngeren Autoren mit einer komplizierteren gesellschaftlichen Wirklichkeit konfrontiert. Kalter Krieg und McCarthy-Ära die mühsam balancierte Entspannungspolitik, die Bewegungen der Afro-Amerikaner, der Jugend und der Studenten, Vietnamkrieg und Watergate erscheinen als Brennpunkte einer umfassenden Krisenhajtigkeit, wie sie in unserer Zeit des weltweiten Ubergangs zum Sozialismus den gleichwohl noch immer mächtigen Kapitalismus der USA charakterisiert. Die jüngste Literatur der USA verlor unter diesen Bedingungen an Substanz, entwickelte jedoch auch neuartige ästhetische Qualitäten. Der „Tod des Romans" oder gar der Literatur fand nicht statt, allen düsteren Prophezeiungen zum Trotz. Krisenbewußtsein und Kunstanspruch bleiben in einem letztlich produktiven Spannungsverhältnis, so prekär es mitunter zu werden droht. Dieses Buch erschließt repräsentative und charakteristische Erscheinungen der neueren amerikanischen Romanliteratur, indem es die Widersprüche nicht glättet, sondern hervorkehrt.
Heinz Wüstenhagen, Jahrgang 1931, studierte Deutsch und Englisch an der Pädagogischen Hochschule Potsdam. Nach der Promotion über den amerikanischen Romancier Harold Frederic und der Habilitation über den amerikanischen Roman nach 1945 erfolgte 1977 die Berufung zum ordentlichen Professor für Amerikanistik an der Pädagogischen Hochschule Potsdam. 1979 absolvierte Wüstenhagen einen dreimonatigen Forschungsaufenthalt in den USA. Publikationstätigkeit in Fachzeitschriften und als Nachwortautor.
Heinz Wüstenhagen
Krisenbewußtsein und Kunstanspruch Roman und Essay in den USA seit 1945
Akademie-Verlag • Berlin 1981
Erschienen im Akademie-Verlag. D D R - 1 0 8 0 Berlin, Leipziger Str. 3—4 Lektor: Barbara Lammel © Akademie-Verlag Ber'in 1980 Lizenznummer: 202 • 101/188/80 Gesamtherstellung: VEB Druckerei „ T h o m a s M ü n t z e r " , 5820 Bad Langensalza Einbandgestaltung: Dietmar Kunz Bestellnummer: 753 8369 (6588) • LSV 8051 Printed in G D R D D R 19,50 M
Inhalt
Vorbemerkung
7
Gesellschaft, Ideologie und Kultur — Haupttendenzen in den 50er und 60er Jahren
8
Allgemeine Krise und soziale Bewegungen
8
Ideologie zwischen Apologie und Protest Herbert Marcuse Norman O. Brown Wilhelm Reich Zusammenfassung
10 11 14 21 25
Massenkultur als ideologisches Klischee und ästhetische Manipulation . . . .
27
Henry Miller: Mythisierung des Sexus und anarchistische Endzeitvision . . .
41
Literarischer Untergrund im Exil: Tropic of Cancer und Tropic of Capricorn
42
The Air-Conditioned Nightmare: Anarchistische Zivilisationskritik
44
The Rosy Crucifixion: Das Ich und das Ende der Welt
49
William S. Burroughs: Auflösung der künstlerischen Kommunikation . . .
60
The Naked Lunch: Willkür und Perversion des Künstlerischen
60
Drogen, Orgone, Horror: Anarchistischer Terror als Sozialtherapie
62
Semantischer Positivismus und Zerstörung des Ästhetischen
65
Norman Mailer: Zwischen gesellschaftlichem Engagement und ideologischästhetischer Konfusion
69
Zweiter Weltkrieg und McCarthyismus: Von The Naked and the Dead zu The Deer Park
69 5
„Amerikanischer Existentialismus": The White Negro und An Dream
American 80
Das neue Engagement der sechziger Jahre: Why Are We in Vietnam? . . .
89
James Baldwin: Komplexität schwarzer literarischer Standpunkte
97
Die Suche nach der eigenen Identität in der Gesellschaft: Von Notes of a Native Son zu No Name in the Street
97
Schwarze Erfahrung und Romangestaltung: Von Go Tell It on the Mountain zu Another Country 106 Künstlerische Erkenntnis: Tell Me How Long the Train's Been Gone und If Beale Street Could Talk 121 John Updike: Der humanistische Anspruch künstlerischer Begabung und die imperialistische Aktualität 125 Humanistische Gesellschaftsentwürfe in Neuengland: The Poorhouse Fair und Of the Farm 126 Humanismus und Mythologie: The Centaur
132
Gesamtgesellschaftliche Zielstellungen in der Verwirrung ideologischer Klischees: Von den Rabbit-Romanen bis zur Marry Me-Romanze 135 Zusammenfassung
152
Verzeichnis der Abkürzungen
160
Anmerkungen
161
Register
219
Vorbemerkung
Die amerikanische Literatur nach dem 2. Weltkrieg, besonders umfassend in der erzählenden Prosa ausgeprägt, stellt sich in ihrer Ambiguität und Widersprüchlichkeit, ebenso aber in ihrer mitunter schillernden Attraktivität und echten künstlerischen Potenz als Herausforderung d a r : an das kritische Verständnis des sozialistischen Rezipienten und an die differenzierende Analyse der marxistischen Literaturwissenschaft. Die vorliegende Arbeit ist sich der Herausforderung bewußt und versucht — in diesem Sinne — zur kritischen Erhellung u n d systematisierenden G e s a m t sicht einzelner literarischer Entwicklungstendenzen und Erscheinungen beizutragen. Die Auswahl, wiewohl zwangsläufig subjektiv, strebt Repräsentanz u n d Signifikanz in dem Sinne an, d a ß keine der untersuchten Erscheinungen nur f ü r sich bedeutungsvoll ist, sondern d a ß sich vielmehr alle als einflußreich f ü r die amerikanische und zum Teil die gesamte bürgerliche Literaturentwicklung erwiesen haben. Dies gilt in gleicher Weise auch für die untersuchten ideologischen Phänomene. Die Untersuchung der Werke Henry Millers, William Burroughs', N o r m a n Mailers, James Baldwins und J o h n Updikes erfolgt auf der G r u n d l a g e einer analysierenden Betrachtung jener Prozesse, die sich in Gesellschaft, Ideologie u n d K u l t u r vollziehen und sich im Werk der Schriftsteller vielfältig brechen. Die genannten Autoren werden nicht primär als Vertreter ethnisch determinierter Literaturen angesehen, sondern prinzipiell als Repräsentanten der amerikanischen Nationalliteratur als einer Manifestation der herrschenden bürgerlichen K u l t u r . Dies läßt die Möglichkeit offen, sie in ihrem widerspruchsvollen Verhältnis zur herrschenden Kultur und zur spätbürgerlichen Gesellschaft zu bestimmen, u n d es schließt auch die sekundäre Beachtung ethnischer Spezifika ein, besonders dort, wo diese sich als Negation der kulturellen Affirmation artikulieren. J a n u a r 1979
Gesellschaft, Ideologie und Kultur — Haupttendenzen in den 50er und 60er Jahren
Allgemeine Krise und soziale
Bewegungen
Die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus insgesamt und des US-Imperialismus im besonderen ist umfassend untersucht und nachgewiesen worden. 1 Während die allgemeinen Charakteristika der zweiten und dritten Etappe der allgemeinen Krise des Kapitalismus voll auf die USA bezogen werden können, ja teilweise gerade hier ihre umfassendste Ausprägung erfahren, müssen dennoch einige spezifische Erscheinungen erwähnt werden, die in unserem Kontext von besonderem Interesse sind. So hat der McCarthyismus 2 als innenpolitischer Ausdruck des Kalten Krieges tiefgreifende Auswirkungen auf das gesamte gesellschaftliche Leben hervorgebracht: Es kam zu einer Stagnation nicht nur des literarisch-künstlerischen Lebens und vor allem der von Literaten, Künstlern und Intellektuellen vorgetragenen Kritik an Politik und Gesellschaft, sondern auch zu weiterer Desorientierung der Arbeiterklasse und Arbeiterbewegung, insbesondere zu einer Diffamierung der KPUSA, welche die Partei an den Rand der Illegalität brachte, ihre Mitgliederschaft und ihren Einfluß in den Gewerkschaften weiter reduzierte. Die progressive Tradition der 30er Jahre — in gesellschaftlicher und ideologischliterarischer Hinsicht — wird höchst wirkungsvoll paralysiert, der Antikommunismus zur Staatsdoktrin erhoben, wenngleich zu berücksichtigen bleibt, daß gerade in der Literatur auch eine Widerstandsbewegung entsteht und gewisse Klärungsprozesse einsetzen. Kalter Krieg und McCarthyismus sind extreme Ausdrucksformen der globalen bzw. nationalen Krise des Imperialismus; sie sind einerseits systembedingt und systeminhärent, andererseits Ausdruck des sich zugunsten des Sozialismus verändernden Kräfteverhältnisses. Diese prinzipielle Einschätzung gilt auch bei Berücksichtigung der Tatsache, daß sich in den genannten Erscheinungen eine relative politische und ideologische Stärke und jedenfalls die zumindest gleichbleibende Gefährlichkeit und Aggressivität des US-Imperialismus äußert. „Aggression ist eine Lebensweise für den Imperialismus", stellt Gus Hall fest, und er belegt seine Aussage u. a. mit einer Aufzählung der direkten militärischen Aktionen der USA in den letzten fünfundzwanzig Jahren, von Korea über Laos, Panama, Kuba, die Dominikanische Republik bis Vietnam. Dazu käme die mehr oder weniger versteckte Beteiligung der USA an weiteren imperialistischen Aggressionsakten wie z. B. den israelischen Überfallen auf die arabischen Staaten 8
oder der faschistischen Konterrevolution in Chile. Für den US-Imperialismus der Gegenwart gelten — zusammenfassend — die folgenden Wesenszüge: „1. das Anwachsen des Finanzkapitals . . .; 2. neue Merkmale des staatsmonopolistischen Kapitalismus, insbesondere seine militärische Auswirkung auf die Nation; 3. das Auftreten der wissenschaftlich-technischen Revolution als eine neue Produktivkraft und 4. der zunehmende Kapitalexport der USA, der zu den multinationalen Konzernen unter USA-Vorherrschaft führte." 3 Die wachsende Aggressivität des US-Imperialismus in militärischer und ökonomischer Hinsicht, nach außen und innen, hat zu einer Brutalisierung des öffentlichen Lebens in den USA geführt. Sie äußert sich in Polizeiwillkür ebenso wie im Widerstand dagegen, in der Gewalt-Atmosphäre des Ghettos ebenso wie in der zunehmenden Kriminalisierung des „normalen" Urbanen und suburbanen Lebens. Das gigantische Wachstum der Produktivkräfte, der immer höhere Grad der Vergesellschaftung der Produktion sind objektive Bedingungen für den Übergang zum Sozialismus. Zunächst aber haben diese Entwicklungen, zusammen mit den daraus resultierenden Veränderungen in der Klassenstruktur 4 , durchaus widersprüchliche Auswirkungen auf die sozialökonomische und politische Situation und vor allem auf das Bewußtsein von dieser Situation: Die Gewerkschaften beginnen von ihrer reformistischen Politik abzurücken (wenngleich auch eingeräumt werden muß, daß die Führung der AFL/CIO den Krieg in Vietnam befürwortete, weil er eine relative Vollbeschäftigung sicherte), die KPUSA gewinnt an Einfluß; große Teile der Jugend und Studenten werden politisiert und finden sich in Protestaktionen, ebenso die Afroamerikaner; innerhalb der Bourgeoisie selbst vollzieht sich ein Differenzierungsprozeß. Die gesamte Bewegung, als deren Beginn die Entscheidung des Obersten Gerichts über die Aufhebung der Rassentrennung an den Schulen des Südens (1954) gelten kann und der wenig später der berühmt gewordene Bus-Boykott in Montgomery/Al. (1956) und die ersten studentischen Aktionen in Berkeley/Cal. (1958) folgten, zentriert sich um zwei hauptsächliche Anliegen: Sie richtet sich gegen den Rassismus und gegen die Aggressivität, betrifft mithin integrale Aspekte des US-Imperialismus, ist objektiv in ihrem Wesen anti-imperialistisch und wird vom Machtapparat auch so eingeschätzt, wie dessen Reaktion (u. a. Morde an Martin Luther King und Malcolm X) beweisen. Trotz objektiv homogener Zielrichtung ist die Bewegung jedoch noch zersplittert und in der Tat äußerst heterogen, somit anfallig gegenüber den Unterdrückungsorganen und -mechanismen des militärisch-industriellen Komplexes. Da eine Führung fehlt, welche die objektiven Klasseninteressen der Arbeiterklasse konsequent vertritt und den Massen bewußt macht (eine solche Führungskraft ist potentiell die KPUSA), kann sich noch immer die ideologische Diversion, speziell der Antikommunismus, in hohem Maße desorientierend auswirken, ja werden in den radikalisierten Schichten des intellektuellen Kleinbürgertums schädliche Ideologien, besonders revisionistischer und ultralinker Art, ständig neu produziert. Wir betonen diesen Aspekt, weil unter den Bedingungen der 50er und 60er Jahre in den 9
USA das krisenhafte Bewußtsein, das einem bedeutenden Teil der bürgerlichen Literatur zugrundeliegt, sich vorwiegend aus den Quellen kleinbürgerlich-revisionistischen Denkens speist. Ideologie
zwischen Apologie
und
Protest
Der sozialökonomische Grundwiderspruch des Kapitalismus ist in der Phase seiner allgemeinen Krise prinzipiell der gleiche geblieben und zeigt sich im modernen staatsmonopolistischen Kapitalismus der USA in extrem zugespitzter Form: Es ist der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung. Diesen Widerspruch zu rechtfertigen bzw. zu verschleiern, ist objektiv Auftrag jeder bürgerlichen Ideologie, weil in eben diesem Widerspruch dialektisch seine Aufhebung impliziert ist. Solange der Kapitalismus menschheitlichen Fortschritt bedeutet, ist die Bewältigung der prinzipiellen Aufgabe nicht nur relativ einfach, sondern auch — wie etwa das Beispiel der klassischen bürgerlichen Nationalökonomie oder der klassischen bürgerlichen Philosophie zeigt — selbst fortschrittsfördernd, wenn auch keineswegs widerspruchslos. Die in den fortgeschrittensten Ländern wie England und Deutschland um die Mitte des 19. Jahrhunderts voll zutage tretenden Widersprüche des Kapitalismus führen folgerichtig einerseits zur Ausarbeitung des wissenschaftlichen Kommunismus durch Marx und Engels, andererseits zum Niedergang des bürgerlichen Denkens insofern, als es seinen Geschichtsoptimismus einbüßt und einen restaurativ-apologetischen Charakter annimmt. Die am Ende des Jahrhunderts beginnende imperialistische Entwicklung verursacht die volle Entfaltung des bürgerlichen Krisenbewußtseins, das sich seinerseits nicht als bürgerliches, sondern als menschheitliches Krisenbewußtsein begreift. Friedrich Nietzsches „Umwertung aller Werte" 5 ist kleinbürgerlich-militanter Ausdruck des Programms der spätbürgerlichen Philosophie und Gesellschaftstheorie; die Krise des konkreten sozialökonomischen Seins wird endgültig zur Krise des bürgerlichen Bewußtseins, das zu seiner Rechtfertigung in zunehmendem Maße der Revision alles bisherigen Denkens, einschließlich des marxistischen, bedarf. Die Verwirklung der Theorie des wissenschaftlichen Kommunismus, eingeleitet durch die Oktoberrevolution in Rußland und sich immens entfaltend durch die Anfange des sozialistischen Weltsystems im Ergebnis des zweiten Weltkriegs, vertieft nicht nur schlechthin die seit 1917 zu datierende allgemeine (das meint auch: die Ideologie einschließende) Krise des Kapitalismus, sondern führt zu durchaus divergierenden Tendenzen im politischen, gesellschaftstheoretischen und philosophischen Denken. So ist einerseits — in Politologie, Ökonomie, Soziologie — eine verstärkte apologetische Tendenz zu beobachten, die immer wieder die Überlegenheit des kapitalistischen Systems zu beweisen sucht bzw. konstruktive Lösungen gegenüber systemimmanenten Defekten oder Alternativen zum realen Sozialismus anbietet. Hierher gehören beispielsweise PluralismusTheorien, die Konzeption der postindustriellen Gesellschaft, konvergenztheo10
retische und globalstrategische Auffassungen. 6 Andererseits zeigen sich — besonders in Philosophie, Gesellschaftstheorie und Kulturphilosophie — starke Tendenzen eines erkenntnistheoretischen Nihilismus, der die Sinnlosigkeit einer sozialen menschlichen Existenz postuliert. Diese Philosophie der Verzweiflung basiert theoretisch auf nichtmarxistischen Entfremdungskonzeptionen, äußert häufig Kritik an gesellschaftlichen Erscheinungen (die aber letztendlich pervertiert, weil im Rahmen des Bestehenden befangen, bleiben) 7 , und ist in ihren einzelnen Varianten hauptsächliche ideologische Grundlage der spätbürgerlichen amerikanischen Literatur. Wenn im folgenden auf die ideologischen Systeme Herbert Marcuses, Norman O. Browns und Wilhelm Reichs näher eingegangen wird, so deshalb, weil sich hier überaus charakteristische Gedanken manifestieren, deren Einfluß auf die spätbürgerliche amerikanische Literatur direkt nachweisbar ist, und weil sich — infolge eines umfassenden Eklektizismus — entscheidende ideologisch-philosophische Tendenzen und die Krisenhaftigkeit des modernen Imperialismus hier reflektieren. Die Kritik an Marcuse, Brown und Reich erfolgt exemplarisch, um zu verdeutlichen, wie sich bürgerliche Ideologie auf bürgerliche Literatur auswirkt.
Herbert Marcuse Herbert Marcuse 8 hat in starkem Maße auf die oppositionellen Intellektuellen und Künstler der USA und anderer kapitalistischer Länder gewirkt; mit einem gewissen Recht wird er auch als „der ideologische Führer der ,Neuen Linken*" 9 bezeichnet. Seine Gesellschaftstheorie beruht primär auf der zur Philosophie 10 aufgeblähten Psychoanalyse Sigmund Freuds, ferner auf bestimmten Resultaten der klassischen bürgerlichen Philosophie (Kant, Hegel) und Ästhetik (Alexander Baumgarten, Schiller), auf der bürgerlichen Philosophie des Niedergangs (Nietzsche, Existentialismus) und schließlich auf einem revidierten Marxismus. Nicht unerwähnt bleiben darf die „Anziehungskraft ästhetisierend-dekadenter bürgerlicher Ideologen auf Marcuse" 1 1 , was sich u. a. im häufigen Heranziehen bestimmter Dichter wie Rilke, Baudelaire, Gide und Valéry zum Zwecke theoretischer Argumentation äußert. 1 2 Marcuses Kulturphilosophie und Ästhetik als integrale Bestandteile seiner Gesellschaftstheorie beruhen ebensowenig wie diese auf „einer nüchternen wissenschaftlichen Analyse der Wirklichkeitsfakten und der Tendenzen ihrer geschichtlichen Entwicklung", sondern auf „einem abstrakten sozial-sittlichen Ideal". 1 3 Dieses Ideal besteht für Marcuse in einer „Transformation der Sexualität in den Eros": The culture-building power of Eros i s non-repressive Sublimation: sexuality is neither deflected from nor blocked in its objective; rather, in attaining its objective, it transcends it to others, searching for fuller gratification . . . The biological drive b e c o m e s a cultural drive. 1 4
11
Die Unhaltbarkeit solchen Ideals — das Marcuse an anderer Stelle unter Berufung auf Charles Fouriers „gigantisches sozialistisches Utopia" 1 5 umschreibt — wird evident, wenn man seine Prämissen betrachtet: Der Ursprung der menschlichen Gesellschaft liegt für Marcuse, in enger Anlehnung an Freud, in der konstruierten Tatsache der Herrschaft des Vaters über die Gruppe; danach erst werde das Matriarchat etabliert, das wiederum von einer „patriarchalischen Konterrevolution" abgelöst werde. Danach sei Ursprung der Menschheit weder die mutterrechtliche Gens noch die produktive Arbeit, sondern das Prinzip der Herrschaft. Die Arbeit sei folglich von Anfang an entfremdet und werde es ewig bleiben: „alienated labor is absence of gratification, negation of the pleasure principle." Der Mensch befinde sich folglich ständig im Zustand der Repression bzw. der „surplus-repression", unter dem Zwang des „performance principle" 16 , es sei denn, beides könne transzendiert werden, und zwar entweder durch „neue und dauerhafte Arbeitsbeziehungen" auf der Grundlage eines „nichtrepressiven Realitätsprinzips" 17 oder — da dies für unwahrscheinlich gehalten wird — durch Mutation des Leistungsprinzips, durch Automation: N o matter how justly and rationally the material production may be organized, it can never be a realm of freedom and gratification; but it can release time and energy for the free play of human faculties o u t s i d e the realm of alienated labor. 18
Die Vernunft wird als „Rationalität des Leistungsprinzips" verworfen; statt dessen gebe es eine besondere Vernunft in der Phantasie. Marcuse plädiert im folgenden für die Ablehnung des prometheischen und die Annahme des orphischnarzißtischen Ideals: „The Orphic Eros transforms being: he masters cruelty and death through liberation. His language is s o n g , and his work is p l a y . Narcissus' life is that of b e a u t y , and his existence is c o n t e m p l a t i o n . " 1 9 Damit ist Marcuse auch schon bei der Essenz seiner „ästhetischen Dimension" angelangt : Es ist dies die Überwindung des von ihm selbst mystifizierten und enthistorisierten Dualismus zwischen Vernunft und Sinnlichkeit durch das erotische Spiel. Dabei beruft sich Marcuse ausführlich auf Schillers Schrift „Über die ästhetische Erziehung des Menschen, in einer Reihe von Briefen", die von ihm aus dem geschichtlichen Zusammenhang gelöst und damit falsifiziert wird. 20 Nicht nur in diesem Zusammenhang, bezogen auf Schiller, wird Marcuses völliges Unverständnis für Kulturerbe und -tradition sichtbar. „As aesthetic phenomenon, the critical function of art is self-defeating", deklariert Marcuse. Er begründet seine Ansicht, indem er behauptet, die Kunst müsse kritikwürdige Zustände in ästhetischer Weise darstellen; dadurch würde aber die Darstellung zum Gegenstand des Vergnügens und die Kritik paralysiert; Aristoteles' Konzept der Katharsis wird von Marcuse zurückgewiesen. Für die Kunst der Gegenwart fordert Marcuse folglich andere Maßstäbe: „Art survives only where it cancels itself, where it saves substance by denying its traditional form and thereby denying reconciliation: where it becomes surrealistic and atonal. Otherwise, art shares the fate of all genuine human communication: it dies off." 2 1 12
In der Konsequenz ist diese Aussage keineswegs nur eine Rechtfertigung von Surrealismus und Atonalität, sondern ein Aufruf zur Zerstörung der künstlerischen Form überhaupt bzw. zur künstlerischen Willkür. Eine Kritik der Ansichten Marcuses kann hier nur partiell und konzentriert erfolgen; dabei bleibt zu berücksichtigen, daß Marcuses ästhetische Position organisch aus seiner Gesellschafts- und Geschichtsauffassung hervorgeht, so daß nur von hier aus gegen erstere zu polemisieren ist. Marcuses KapitalismusKritik ist in ihrem Wesen romantisch genannt worden 2 2 ; das ist insofern richtig, als sein Geschichtsverständnis selbst hinter das der deutschen Klassik zurückgeht, wie seine Schiller-Adaptation nur allzu deutlich macht. Kern der falschen Auffassungen Marcuses ist ein umfassender Geschichts- und Kulturpessimismus; er ist nicht in der Lage zu erkennen, daß die auf Arbeitsteilung beruhenden Klassengesellschaften, einschließlich des Kapitalismus als höchstentwickelter Form, Bedingung und Voraussetzung jedes zivilisatorischen, kulturellen und auch künstlerischen Fortschritts sind. Marx hatte bereits in den „Grundrissen zur Kritik der politischen Ökonomie" nachdrücklich festgestellt: „So schafft das Kapital erst die bürgerliche Gesellschaft und die universelle Aneignung der Natur wie des gesellschaftlichen Zusammenhangs selbst durch die Glieder der Gesellschaft. Hence the great civilising influence of capital; seine Produktion einer Gesellschaftsstufe, gegen die alle früheren nur als l o k a l e E n t w i c k l u n g e n der Menschheit und als N a t u r i d o l a t r i e erscheinen." 23 In Anlehung an im „Manifest der Kommunistischen Partei" 2 4 entwickelte Gedanken formuliert Michail Lifschitz: „Die Ursache, die als ein die bürgerliche Gesellschaft innerlich beseelendes Element die ,Verachtung der Kunst' bewirkt, ist zugleich ein mächtiger revolutionierender Faktor." Und weiter unten heißt es, daß die Zerstörung der vorkapitalistischen „idyllischen" Verhältnisse „notwendige Bedingung für die Schaffung einer echten universellen menschlichen Kultur" sei. 25 Damit ist prinzipiell auch die Rolle der Entfremdung bestimmt, aus der Marcuse — weil er sie nicht historisch faßt — seine pessimistischen Schlüsse zieht: Entfremdung ist „Vergegenständlichung der gesellschaftlich bestimmten wesentlichen Kräfte des Menschen in einer vom Menschen selbst geschaffenen künstlichen Umwelt"; und: „In dem Vorgang der Entäußerung, Entfremdung seiner Wesenskräfte, denen er, als seinen Produkten, frei gegenübertritt, in dieser produktiven Tätigkeit, die den wesentlichen Unterschied zwischen dem Menschen und dem Tier ausmacht und ihn aus der ganzen Natur hervorhebt . . ., sind alle Voraussetzungen für die volle Entfaltung des menschlichen Wesens gegeben" 26 , nämlich mit dem Übergang von der Klassen- zur klassenlosen Gesellschaft. Indem Marcuse den Entfremdungsbegriff im Wesen des Menschen schlechthin ansiedelt, anthropologisiert er sozial-ökonomische Tatbestände, führt sie auf letztlich biologische Ursachen zurück: „. . . so, wie das letzte Wort der Marxschen Reproduktionstheorie die sozialistische Revolution ist, so das letzte Wort dieser Freud-Marcuseschen Theorie die bio-psychische Revolution. D a s ist die Vertiefung der Marxschen Ratio durch Marcuse!" 2 7 So kann Marcuse auch nicht 13
verstehen, d a ß die Vergegenständlichung, Herausschaffung der menschlichen Wesenskräfte durch die produktive Arbeit auch das Grundgesetz der ästhetischkünstlerischen Produktion ist; folglich m u ß er — indem er Surrealismus und Atonalität empfiehlt — die Kunst als gesellschaftliche und gesellschaftlich wirksame Erscheinung ebenso absolut negieren wie die gesamte „affirmative" Kultur 2 8 nicht nur der bürgerlichen, sondern jeder „totalitären" Gesellschaft, worunter er selbstredend auch die sozialistische versteht. Die kleinbürgerlich-anarchistische Basis seines Denkens zeigt sich hier ebenso wie in der Polemik gegen die in das System angeblich integrierte Arbeiterklasse: die „linken R a d i k a l e n " seien heute „die schwachen und verwirrten, aber dennoch die wahren historischen Erben der großen sozialistischen T r a d i t i o n " . 2 9 Marcuse Ideen wirken attraktiv, weil sie systemkritisch aufgemacht sind. In unserem Kontext sind sie wichtig, weil sie auf den Schriftsteller in den USA in hohem G r a d e desorientierend wirken, gerade weil sie — in einem undifferenziert-absoluten Sinne — kritisch sind und das allgemeine Unbehagen an dieser Gesellschaft und den Protest gegen sie scheinbar rational artikulieren. Der umfassende Revisionismus, der dem Denken Marcuses eigen ist (umfassend, weil er sowohl den Marxismus als auch das klassische bürgerliche Denken revidiert), fungiert als zusätzliche Attraktion, wird doch dadurch der Anschein radikaler Systemkritik verstärkt und der Anspruch, Alternativen zu bieten, oberflächlich glaubhaft. Marcuses ideologische Position und Wirkung weist somit gewisse Analogien zu derjenigen Nietzsches auf, auch unter dem Aspekt einer scharfsichtigen Kritik an bestimmten gesellschaftlichen Erscheinungen, wie sie für beide zum Gesamtbild gehört.
Norman O. Brown Ein weiterer Vertreter der psychoanalytisch orientierten Gesellschaftstheorie, Philosophie und Ästhetik (auch hier ist die Vermischung der verschiedenen Elemente charakteristisch) ist N o r m a n O. Brown mit seiner Schrift Life Against Death, die den aussagestarken Untertitel The Psychoanaiytical Meaning of History30 trägt. Während Marcuse in Eros and Civili:ation insofern im R a h m e n der Freudschen Kulturphilosophie bleibt, als er in seiner vagen Vision einer bestimmten Relation von Arbeit und Spiel Freuds G r u n d t h e s e der Sublimation beibehält, versucht Brown eben die Sublimation Freuds zu transzendieren, indem er die Arbeit durch das (erotische) Spiel zu ersetzen empfiehlt. Diese besondere Konsequenz Browns hat wahrscheinlich eine größere Breitenwirkung seiner Ideen — wie sie bei Marcuse zu verzeichnen ist — verhindert; sie hat dennoch stark attraktiv gewirkt, besonders auf Künstler wie N o r m a n Mailer, die hinter dem geschliffenen Stil des Altphilologen nicht zu Unrecht die sich total gebärende rebellische Attitüde des kleinbürgerlichen Intellektuellen witterten. 14
Brown geht von dem Krisenbewußtsein seiner gegenwärtigen Welt a u s : „. . . unsere gegenwärtige Situation wird in ihrer vollen Aktualität konkret als tragische Krise e r f a h r e n . " U m damit fertigzuwerden, bedürfe es einer N e u f o r m i e r u n g der Psychoanalyse als einer „breiteren allgemeinen Theorie der menschlichen Natur, Kultur und Geschichte"; „ W a s wir brauchen, ist eine Synthese von Psychoanalyse, Anthropologie und Geschichte." 3 1 Die notwendige Reinterpretation Freuds schließe ein, einerseits die Affinität zwischen Freud und Nietzsche, andererseits die Verwandtschaft Freuds mit häretisch-mystischen Traditionen, speziell mit J a k o b Böhme, zu untersuchen. 3 2 Charakteristisch für Browns Geschichtsauffassung ist die von Nietzsche entlehnte Konzeption „der Mensch als Krankheit", die in F r e u d s Repressionskonzept (das Lustprinzip werde durch das Realitätsprinzip, Eros durch Arbeit, unterdrückt) und in der daraus folgenden Auffassung von der „universellen Neurose der Menschheit" 3 3 ihren entsprechenden Ausdruck finden. In spezieller Anwendung auf die Geschichte postuliert Brown eine „Dialektik der N e u r o s e " , die zwar von der Geschichtswissenschaft noch nicht erkannt sei, die m a n aber aus Freuds universeller Menschheitsneurose ableiten könne, wobei als Verbindung zwischen Neurosen- und Geschichtstheorie die Religionstheorie zu dienen habe. In diesem Z u s a m m e n h a n g bestreitet Brown die marxistische These von der menschenformenden Rolle der Arbeit und unternimmt es, das „ V a k u u m in der marxistischen U t o p i e " zu füllen: „ F r e u d weist darauf hin, d a ß jenseits der Arbeit Liebe ist", und „der unterdrückte Eros ist die Energie der Geschichte, und die Arbeit m u ß als sublimierter Eros begriffen werden." M a r x wird als „ ö k o n o m i s c h e r Determinist" und „Utilitarier" verunglimpft, der — weil er den Menschen nicht als „psychologisches Rätsel" begreifen kann bzw. die Repressionsdoktrin nicht kennt — seine „ U t o p i e " biologisch begründet: „ M a r x . . . wendet sich der Biologie zu und postuliert ein absolutes Gesetz menschlicher Biologie: d a ß die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse stets neue Bedürfnisse h e r v o r b r i n g t . " 3 4 Brown schließt d a r a u s auf einen angeblichen biologischen Determinismus bei M a r x : „Wenn menschliche Unzufriedenheit somit biologisch gegeben ist, ist sie unheilbar", und glaubt im gleichen Z u s a m m e n h a n g „dunkle Wolken des Pessimismus" im 3. Band des „ K a p i t a l " zu entdecken, was er durch ein völlig inadäquates Zitat belegen will. 35 Folgen wir Browns Argumentation weiter, so finden wir auch sogleich seine Therapie, die freilich eher einer utopisch-mystischen Eschatologie gleicht: Wenn historisches Bewußtsein schließlich in psychoanalytisches Bewußtsein transformiert wird, würde sich der Griff der toten Hand der Vergangenheit um das Leben in der Gegenwart lockern, und der Mensch wäre bereit zu leben anstatt Geschichte zu machen, zu genießen anstatt alte Rechnungen und Schulden zu begleichen und in jenen Zustand des Seins einzutreten, der das Ziel seines Werdens war. 36
In den folgenden Kapiteln — überschrieben „Sexuality and C h i l d h o o d " u n d „The Seif and the O t h e r : Narcissus" — unternimmt Brown eine im wesentlichen 15
auf Freud basierende Darstellung der infantilen Sexualität, wobei es ihm auf den polymorphen, nicht-genitalen Charakter dieser Sexualität ankommt (impliziert ist immer die genital organisierte Sexualität des Erwachsenen als Ergebnis der Repression bzw. — das ist deckungsgleich — der Kultur), und verteidigt das narzißtische, d. h. auf das eigene Ego gerichtete, auf „self-acceptance, self-activity, self-enjoyment" basierende erotische Prinzip. Brown lehnt damit den Dualismus in Freuds Denken ab, der sich in der Ambivalenz von Liebe und Haß, Spiel und Arbeit usw. zeige. Andeutungsweise wird der Radikalismus Browns schon hier sichtbar: Obwohl er sich mit Freud von infantilistischen Vorstellungen (Wiederherstellung kindlicher, umfassender Sexualität) abgrenzt und sich von Wilhelm Reich distanziert 37 , impliziert sein Herangehen dennoch eine Verabsolutierung des Triebhaft-Biologischen zuungunsten des RationalSozialen. Daß Marx in diesem Kontext abermals geschändet wird, sollte nach dem Vorangegangenen nicht mehr verwundern; Brown zufolge soll Marx in „einigen seiner Frühschriften" unter dem Einfluß Fouriers die „Abschaffung der Arbeit als notwendige Voraussetzung für die Emanzipation einer echt menschlichen Selbsttätigkeit" 38 gefordert haben. Auf genauere Belege läßt sich Brown diesmal vorsichtshalber nicht ein. Browns Theorien über Kunst (Kapitel „Art and Eros") und Sprache (Kapitel „Language and Eros") bringen nichts wesentlich Neues. Interessant in unserem Zusammenhang ist die Feststellung, daß die Kunst eine subversive Funktion habe: „Die Kunst, wenn ihr Ziel die Abschaffung von Repressionen ist, und wenn die Zivilisation essentiell repressiv ist, ist in diesem Sinne subversiv gegenüber der Zivilisation." Da sich selbst Freud über die Rolle der „unerläßlichen dritten Person" ausgelassen habe, postuliert Brown als abgeleitete Funktion der Kunst die Formierung einer „subversiven Gruppe" als Gegenspieler der autoritären Gruppe. 3 9 Ziel der Partnerschaft zwischen Künstler und Publikum sei dabei jedoch immer „Instinktbefreiung" 4 0 im Sinne der polymorph-perversen Sexualität der Kindheit. Das methodologische Dilemma Browns wird gerade in seinen Auslassungen über die Kunst sichtbar; so ist es denn kein Wunder, daß er sich am Ende des Kapitels ausführlich auf Rilkes Aufsatz „Über Kunst" (1899) stützt. Die Sprache sei nach Brown aus Liebe entstanden, wobei ausdrücklich Engels' „Über den Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen" zurückgewiesen wird. Dabei ist Brown offensichtlich nicht in der Lage, methodologisch klare Unterscheidungen zu treffen; so argumentiert er auf der Basis der Ontogenese gegen Engels' phylogenetisch bezogene Feststellungen: „In der ontogenetischen Entwicklung jedes menschlichen Wesens ist es zuerst die Sprache der Liebe und des Lustprinzips, bevor es zur Sprache der Arbeit und des Realitätsprinzips wird; Sprache ist ein operationaler Überbau auf einer erotischen Basis." 41 Im folgenden wird die Sprache dem psychoanalytischen Denkschema unterworfen: Otto Jespersen, Susanne K. Langer und Ernst Cassirer werden bemüht, um den Spielcharakter der Sprache zu beweisen; Wittgenstein wird zitiert, um ihren psychopathologischen Aspekt hervorzuheben. Dieser Dualismus 16
löst sich für Brown in charakteristischer Weise: „Sprache als Krankheit und Sprache als Spiel — beides trifft sich im Konzept des neurotischen Spiels, d. h. in der Magie . . ." 42 Unter Berufung auf die mystische Tradition (Jakob Böhmes Konzept der „sensualischen Sprache") wird schließlich der „modernen Poesie" die Aufgabe zugeschrieben, die „Sprache zu transzendieren", das Ziel „stummer Sprache" zu erreichen. Zusammenfassend wird ein zutiefst reaktionäres ästhetisches Programm (die Sprache erscheint nun nur noch als Ausgangspunkt) formuliert : Die Unaussprechlichkeit der Schönheit, und die Verbindung zwischen Schönheit und dem, was Valéry die Integrität der Sinnlichkeit nennt, konstituieren zusammen ein Maß der Repression des Eros in der Zivilisation wie auch ein Maß des Unterschieds zwischen den Menschen wie sie heute sind, mit ihrer neurotischen Gebundenheit an ihre neurotische Sprache, und den Menschen wie sie sein könnten, wenn sie ihre eigentliche Vollendung als tierische Spezies erlangten und die Kraft der sinnlichen Sprache wiedergewönnen. 4 3
Bemerkenswert erscheint die Offenheit dieser Programmatik: sie läßt sowohl einem esoterischen Formalismus als auch dem absoluten anarchistischen Protest Raum, freilich unter der gemeinsamen Bedingung der Inkommunikabilität, denn „sensual speech" oder gar „mute speech" mögen allenfalls in der Phantasiewelt Marshall McLuhans („The Medium is the Message") 44 eine Rolle spielen; in der Literatur können sie nichts und an niemand vermitteln. Die bisher betrachtete Position Browns enthält alles Wesentliche seiner Theorie, so daß wir uns ein genaueres Eingehen auf die weiteren Abschnitte ersparen können. Brown gibt eine Zusammenfassung seiner Theorie im letzten Abschnitt des Buches (der Abschnitt ist überschrieben „The Way O u t " und wird mottoartig durch ein anarchistisch-utopisches Zitat aus Henry Millers Sunday after the War eingeleitet; das Kapitel innerhalb des Abschnitts trägt die Überschrift „The Resurrection of the Body"), deren Inhalt sich in seiner eigenen Formulierung mit ,,A little more Eros and less strife" umschreiben ließe. Genauer heißt dies, daß Brown der mit tiefem Unbehagen registrierten weltweiten Auseinandersetzung auf politischem, militärischem, sozialökonomischem und ideologischem Gebiet — sowohl im Rahmen der System-Konfrontation wie im Rahmen der systemimmanenten imperialistischen Widersprüche — eine utopische Alternative entgegensetzen will: „. . . die Frage, vor der die Menschheit steht, ist die Abschaffung der Repression — oder, in traditioneller christlicher Ausdrucksweise, die Resurrektion des Körpers. . . Der Lebensinstinkt, oder Sexualinstinkt, fordert Aktivität einer solchen Art, die — im Gegensatz zu unserer üblichen Art der Aktivität — nur Spiel genannt werden kann. Der Lebensinstinkt verlangt auch eine Einheit mit anderen und mit der Welt um uns, basierend nicht auf Furcht und Aggression sondern auf Narzismus und erotischer Üppigkeit." 4 5 Der eschatologische Charakter seiner sozial-therapeutischen Zielstellung sei noch an einem weiteren Zitat verdeutlicht: 2
Wüstenhagen
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Die Resurrektion des Körpers ist ein soziales Projekt, das vor der gesamten Menschheit steht, und sie wird zu einem praktischen politischen Problem, wenn die Staatsmänner der Welt aufgerufen sind, Glück statt Macht zu bringen, wenn die politische Ökonomie eine Wissenschaft der Gebrauchswerte statt der Tauschwerte wird — eine Wissenschaft des Genusses statt eine Wissenschaft der Akkumulation. Angesichts dieses gewaltigen menschlichen Problems hat die gegenwärtige Gesellschaftstheorie, die kapitalistische wie die sozialistische, nichts zu sagen . . . U m Gesellschaftstheoretiker zu finden, die über das wirkliche Problem unseres Zeitalters nachdenken, müssen wir zum Marx des Jahres 1844 zurückgehen, oder sogar zu den Philosophen, die Marx 1844 beeinflußt haben: Fourier und Feuerbach. 46
Angesichts solch eklatanter, wenngleich im R a h m e n der zeitgenössischen bürgerlichen Ideologie durchaus typischer und verbreiteter weltpolitischer Fehlurteile erübrigt sich jede Polemik. Es soll der weiteren Erhellung obiger Einschätzung dienen, wenn im folgenden noch auf einige Thesen Browns eingegangen wird, die als methodische Schritte hin zu seiner zusammenfassenden Gesellschaftstheorie anzusehen sind. So setzt er (im Kapitel „Instinctual Dualism a n d Instinctual Dialectics") dem Freudschen Instinkt-Dualismus seine eigene Instinkt-Dialektik entgegen, aus welcher sich d a n n eine „Metaphysik der H o f f n u n g " ableiten ließe. Inhaltlich argumentiert Brown folgendermaßen: „Es ist das Privileg des Menschen, gegen die N a t u r zu revoltieren und sich krank zu machen. Aber wenn der Mensch sich von der N a t u r abgewandt hat, ist es ihm möglich, zur N a t u r zurückzukehren und sich zu heilen." Durch diese „Modifikation der Ontologie F r e u d s " ergebe sich die „Möglichkeit der Erlösung", nämlich eben durch die Restauration der „Einheit der Gegensätze, die in der Kindheit existierte und beim Tier existiert." 4 7 Allem Anschein nach besteht die Brownsche Dialektik aus einer Kreisbewegung seines Denkens, deren Ausgangs- und E n d p u n k t im biologisch verstandenen Individuum liegt. Eigentlich sichtbar wird der Kurzschluß im Denken Browns, wenn man seine Geschichtsauffassung betrachtet (im Kapitel „ D e a t h , Time, a n d Eternity"), der zufolge alle Gesellschaftlichkeit morbide sei: „ F ü r den psychoanalytischen S t a n d p u n k t ist es wesentlich, die Morbidität menschlicher Gesellschaftlichkeit zu behaupten, nicht lediglich der zivilisierten' im Gegensatz zur ,primitiven' Gesellschaftlichkeit oder der Klassengesellschaft' im Gegensatz zum ,primitiven K o m m u n i s m u s ' , sondern jeder menschlichen Gesellschaftlichkeit . . ," 4 8 Eben weil der Mensch sich infolge Triebrepression nicht entfalten könne, werde er zur Gesellschaftlichkeit gezwungen; so entstehe Geschichte, so werde das Individ u u m der „historischen Suche der Species" unterworfen. Zwar m u ß auch Brown eingestehen, d a ß „Geschichte nicht von Individuen, sondern von G r u p p e n gemacht werde" 4 9 , doch ist im Sinne seiner Geschichts-„Dialektik" jede Soziabilität eine Krankheit, womit abermals das abstrakte Individuum als A n f a n g und Ende aller Anschauung erscheint. Brown ist damit noch nicht am Ende seiner Geschichtsauffassung, denn er will ja, anders als Freud, einen positiven Entwurf 18
zeigen. Gerade dieser aber enthüllt in besonderem Maße seine erschreckende Fortschrittsfeindlichkeit: . . . die Menschheit muß über die Repression hinausgehen, wenn sie ein Leben finden will, das nicht von dem unbewußten Plan beherrscht wird, eine neue Art Leben zu finden . . . Nachdem die unbewußte Suche des Menschen nach dem rechten Modus seines Seins beendet ist — n a c h d e m G e s c h i c h t e b e e n d e t i s t — können besondere Glieder der menschlichen Species ein Leben führen, das, w i e d a s L e b e n n i e d e r e r O r g a n i s m e n , individuell die Natur der Species verkörpert. Aber n u r e i n i n d i v i d u e l l e s L e b e n in d i e s e m S i n n e k a n n b e f r i e d i g e n d s e i n , für das Individuum, das es lebt. 50
Brown selbst scheint erschrocken ob der düsteren Konsequenz; deshalb spricht er von Eros, dem Lebensinstinkt, als dem übergeordneten Trieb, der das Körperliche aufrechterhalten müsse; gleichzeitig müsse freilich der Todestrieb in entgegengesetzter Richtung wirken, „und in der Bejahung des Todes das Leben preisen". 51 Die geradezu neurotische Furcht Browns vor Begriffen wie Fortschritt, Gesellschaftlichkeit, Entwicklung und Geschichte (sofern letzterer mit dem Sinn der Höherentwicklung behaftet scheint) erklärt sich letztlich aus der Eigenart und den Bedingungen kleinbürgerlichen Denkens und kleinbürgerlicher Existenzweise: Es identifiziert, zutiefst enttäuscht und abgestoßen von den Resultaten imperialistischer Entwicklung, jeden Fortschritt mit progressiver Perfektionierung des spätbürgerlichen Establishments und seines Apparats, wobei solcher Haltung bedeutende kritische Elemente innewohnen können; es bleibt dennoch eben bürgerliches, verkehrtes, borniertes Bewußtsein, das, weil es diese Schranken nicht transzendieren kann, die eigene reale Klassenmisere auf die Menschheit und die gesamte Geschichte projiziert; der reale Sozialismus wird in diese Projektion einbezogen, Marx zum bürgerlichen Denker umfunktioniert, der Marxismus zu einem Spezialfall bürgerlicher Nationalökonomie und Soziologie, Aristoteles ebenso wie Jakob Böhme, Martin Luther oder Jonathan Swift zum Psychoanalytiker. Lenins Thesen über den Anarchismus bestätigen sich auch am Beispiel Norman O. Brown, insbesondere wo von „Nichtbegreifen der gesellschaftlichen Entwicklung", dem Anarchismus als „Produkt der Verzweiflung" und der „Mentalität des aus dem Geleise geworfenen Intellektuellen" die Rede ist. 52 Es ist schwierig, die Wirkung Browns exakt zu bestimmen. Man darf aber annehmen, daß sie beträchtlich ist, weil das Buch zum einen in das soziale Verhaltensmuster paßt (u. U. dieses Muster mit geschaffen hat), das zumindest im intellektuellen und jugendlich-studentischen Sektor des Kleinbürgertums der 60er Jahre vorherrschend war: die sogenannte Sex-Welle oder — umfassender ausgedrückt — das Streben nach „Befreiung" von insbesondere sexualmoralischen Tabus. Zum anderen artikuliert Life Against Death das Unbehagen speziell dieser Schichten gegenüber dem imperialistischen Staat auf bürgerliche Weise, d. h. es kanalisiert objektiv die Rebellion in Richtungen, die dem militärisch-industriellen Komplex nur recht sein können. So wäre es beispielsweise denkbar, wenn auch 19
konkret nicht nachweisbar, daß Browns Konzept des (nach Nietzsche) dionysischen und (nach Böhme, Rilke und Berdjajew) androgynen Menschenbilds 53 den äußeren Lebensstil eines großen Teils der jungen Generation (Haartracht, „unisex"Kleidung usw.) beeinflußt hat. In einem weiteren Sinne ist Browns Pansexualismus jedoch als Ideologisierung der spontanen Kleinbürgerrevolte zu verstehen, wie sie sich in den multiplen Bestrebungen der NEW LEFT manifestiert. Marcuse forderte programmatisch: „Die Linke muß das adäquate Mittel finden, das konformistische und korrupte Universum politischer Sprache und politischen Verhaltens zu brechen", und er charakterisiert solchen Ausbruch als „fast übermenschliche Aufgabe", die eine „fast übermenschliche Imagination" erfordere. Die Gefahr der Spontanität wenigstens teilweise einsehend, forderte Marcuse das Paradox der „organisierten Spontaneität". 5 4 Browns Ideologie — neben Marcuses eigener — kommt dem entgegen. Vance Packard vertritt die Meinung, Brown sei „einer der artikuliertesten Anwälte umfassender Sinnlichkeit als Lebensweise, und seine Bücher seien die „Favoriten vieler College-Studenten."; „Brown befürwortet eine Rebellion gegen alle maßvollen Werte, die wesentliche Gesellschaften entwickelt haben, und schlägt die Rückkehr in eine dionysische Welt der Sinnlichkeit vor." 5 5 Diese allzu grobe Charakteristik dürfte Browns Werk zwar nicht gerecht werden, weist aber auf die Popularität des Buches und die Gründe dafür hin. Susan Sontags Besprechung von Life Against Death ist höchstwahrscheinlich typisch für die Rezeption Browns unter jungen bürgerlichen Intellektuellen der USA. Sie sieht darin eine Manifestation der „revolutionären Implikationen der Sexualität in der heutigen Gesellschaft", und trotz differenzierter und relativ umfangreicher Einschätzung ist ihre Begeisterung kaum verhüllt: „Das höchste Lob, das man Browns Buch zollen kann ist, daß es — abgesehen von seinem überaus wichtigen Versuch, die Einsichten Freuds zu durchdringen und zu fördern — der erste bedeutende Versuch in den siebzig Jahren seit Nietzsche ist, eine Eschatologie der Immanenz zu formulieren." 5 6 Der Wirkungsmechanismus der Brownschen (und auch der Marcuseschen u. a.) Ideen ist deshalb gefährlich, weil dadurch das Unbehagen besonders der künstlerischen Intelligenz in bestimmter Weise sowohl reflektiert wie auch antizipiert und dirigiert wird. Die (klein)bürgerlichen Künstler wollen sich abgrenzen häufig sicher instinktiv und unbewußt — gegen Sprache und Lebensstil der Herrschenden: sie wollen nicht die gleiche Sprache sprechen wie das Pentagon; sie wollen anders sein. Norman Mailer faßte diese Situation als Gegensatz hipster-square (und an diesem Beispiel wird auch schon das Fragwürdige solcher halbartikulierten Anti-Positionen sichtbar). 57 Immerhin erscheinen aber der Protest und die Suche nach Alternativen als legitime Strebungen des Künstlers in dieser spätbürgerlichen Gesellschaft, zumal auch das Auffinden realer Alternativen als Möglichkeit keineswegs auszuschließen ist. Genau an dieser Nahtstelle setzt aber die Funktion der Ideologie ein, und zwar besonders derjenigen Ideologie, die sich kritisch und herrschaftsfeindlich, sogar ideologie20
feindlich gibt u n d in vielen Fällen subjektiv auch so gemeint ist. Im Falle Browns wird Psychologie zur Weltanschauung, wenn nicht zur Religion u m f u n k t i o n i e r t . Trieb, Instinkt, Intuition, Spontaneität, postulierte Geschichtslosigkeit werden zu dominierenden Konstanten dieser Weltanschauung u n d der darin einbegriffenen Ästhetik. Der Künstler, der sich die Maximen Browns ganz oder teilweise zu eigen macht, wird diese verzerrte Weltsicht mehr oder weniger auf seine künstlerische Suche übertragen. Bürgerliche Ideologie, d. h. formiertes, aber verkehrtes Bewußtsein verstellt ihm den Blick auf die soziale, d. h. menschliche, Realität, aus der allein Kunst schöpfen kann. Die so erzielte Perversion des künstlerischen Bewußtseins 5 8 entspricht genau den Interessen jener etablierten Macht, gegen die Brown zu rebellieren meint.
Wilhelm Reich Vertreten Marcuse und Brown — bei prinzipiell kleinbürgerlichem Weltverständnis — in ihren Schriften dennoch Positionen bürgerlichen Denkens und bemühen sie sich um eine zwar revisionistische A u f a r b e i t u n g des geistigkulturellen bürgerlichen Erbes, so gibt Wilhelm Reich (1897—1957) solche Positionen vollends auf, und zwar bewußt und in provozierender Absicht. Dies erklärt sich aus seiner prononciert anarchistischen Haltung, die ihn — den Schüler Freuds — zunächst zur Partei der Arbeiterklasse (er war bis 1934 Mitglied der K P D ) und zur Sympathie mit der jungen Sowjetunion führte, danach zur Revision seiner Position und zum entschiedenen A n t i k o m m u n i s m u s , schließlich zu wissenschaftlicher Scharlanalerie und weltanschaulichem O b s k u r a n tismus. Es ist immerhin bemerkenswert, d a ß Reich gerade in den 30er Jahren die Reste seiner rationalen Positionen aufzugeben beginnt; er steht damit in der Reihe jener kleinbürgerlichen Intellektuellen (Stephen Spender, G e o r g e Orwell), die z. T. schon lange vor dem deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt von 1939 die Konsolidierung der Sowjetmacht unter F ü h r u n g Stalins nicht verstanden und zu Renegaten wurden. Dennoch wäre es wohl falsch, von einer ausgeprägten Wende in Reichs Ansichten zu sprechen: Der Eklektizismus seiner Theorie, speziell der Versuch, Marxismus und Psychoanalyse zu synthetisieren 5 9 , ist von A n f a n g an in seinen Schriften angelegt und kann folgerichtig nur so enden. Reichs subjektiv sicher ehrliche Verbundenheit mit der Arbeiterklasse in den 20er Jahren soll hier lediglich erwähnt, nicht diskutiert w e r d e n ; sie ist in unserem Kontext ebenso irrelevant wie seine psychologische Kritik des F a schismus. 6 0 Von Interesse f ü r uns sind Reichs Konzeption der Sexualökonomie, seine Orgasmus- und Orgon-Theorie sowie die Tatsache, d a ß diese Vorstellungen Reichs seit den 50er Jahren in der N E W L E F T und bei Schriftstellern der Vereinigten Staaten ein nachhaltiges Echo gefunden haben. Die Reichsche Sexualökonomie findet sich vor allem in der Schrift entwickelt, die als sein Hauptwerk angesehen werden kann, nämlich in Die sexuelle Revolution 21
mit dem Untertitel „ Z u r charakterlichen Selbststeuerung des Menschen". 6 1 Der Begriff Sexualökonomie beruht auf der Freudschen Konzeption des Triebenergie-Haushalts 6 2 , die von Reich prinzipiell als richtig bezeichnet wird. Im Gegensatz zu Freud jedoch reduziert Reich — und darin besteht in den Augen der orthodoxen Freud-Nachfolge zumindest ein bedeutender Teil seiner Häresie — die Triebenergie auf genitale Sexualität, die durch die Kultur (Gesellschaft) immerfort unterdrückt werde. Die Familie, speziell die bürgerliche, erscheint Reich als die Institution der von ihm so genannten „zwangsmoralischen" Regulierung. Er unterscheidet zwischen „natürlichen biologischen Ansprüchen, und „sekundäre(n), krankhafte(n), asoziale(n) Triebe(n)", wobei letztere ständig neu durch Unterdrückung bzw. zwangsmoralische Regulierung der ersteren erzeugt würden. 6 3 Den Ausweg sieht Reich zunächst in einer marxistisch verstandenen sozialistischen Revolution mit entsprechender Veränderung der Besitzverhältnisse und Herrschaftsstrukturen; folgerichtig begrüßte er die Oktoberrevolution und auch die ersten Jahre der Sowjetmacht. Eine sozialistische Revolution sei aber wertlos, wenn sie nicht unmittelbar von einer Kulturrevolution oder (die Ausdrücke stehen bei Reich synonym) sexuellen Revolution gefolgt würde. Reich ist folglich zutieft enttäuscht, als er die Korrekturen einiger Fehlentwicklungen in der Sowjetunion A n f a n g der 30er Jahre registriert; weil die Sowjetmacht Ehe und Familie nicht abschafft, verrate sie die Revolution und entwickle sich regressiv, d. h. zurück zu einem autoritären Staat. G e n a u von diesem Zeitpunkt a b datiert Reichs Antisowjetismus und Antikommunismus. Unabhängig von der sozialistischen Revolution entwickelt Reich seine Theorie der sexuellen Revolution, d. h. sein sexualökonomisches Konzept, das sich in erheblichem M a ß e verselbständigt und von ihm auch schon als Vorbereitungsphase der Revolution begriffen wird. „ I n d e r Ü b e r g a n g s p e r i o d e v o n a u t o r i t ä r e r z u f r e i h e i t l i c h e r G e s e l l s c h a f t gilt der Satz: M o r a l i s c h e R e g u l i e r u n g f ü r sekundäre, asoziale Triebe, sexualökonomische Selbststeuerung für n a t ü r l i c h e b i o l o g i s c h e B e d ü r f n i s s e . " Reichs Sexualökonomie erstrebt eine Moral, die auf dem „vollen Einklang von N a t u r und Zivilisation" beruhe: „ D a s Ziel e i n e r K u l t u r r e v o l u t i o n ist d i e H e r s t e l l u n g m e n s c h l i c h e r C h a r a k t e r s t r u k t u r e n , d i e z u r S e l b s t s t e u e r u n g f ä h i g s i n d . " 6 4 Das klingt durchaus verführerisch, ist aber bei näherem Hinsehen ebenso anarchistischutopisch wie die Wege zur Erreichung dieses Ziels, die Reich skizziert: Zerstörung der Familie, Bildung von K o m m u n e n , F ö r d e r u n g kindlicher und jugendlicher Sexualität usw. Methodologisch gelangt Reich nicht über die einfache Negation hinaus: Die bürgerliche Familie, die obendrein mit Familie schlechthin gleichgesetzt wird, ist eine repressive Institution, folglich m u ß sie zerstört werden. 6 5 Vor allem aber zeigt sich in Reichs Konzeption ein völliges Mißverstehen der gesellschaftlich-geschichtlichen Entwicklung (und er hat dies eben mit Marcuse und Brown gemein) insofern, als er nicht in der Lage ist, die klassengesellschaftlichen F o r m a t i o n e n als im Detail zwar kritikwürdige, im weltgeschichtlichen Kontext aber fortschrittliche, weil die Vorbedingungen für höhere 22
F o r m e n schaffende, Entwicklungsstufen zu begreifen. 6 6 Weil geschichtliche Entwicklung im marxistischen Sinne für Reich nicht existiert, setzt er etwas nach seiner Auffassung schlechthin Vollkommenes, nämlich eben jene „ C h a r a k t e r strukturen, die zur Selbststeuerung fähig sind". Sie sind eigentlicher Kern seiner umfassenderen Geschichtsutopie: V o m „vegetativen L e b e n " als dem U r g r u n d allen Seins entwickle sich über die sexualbejahende „Urreligion", die „patriarchalische Großfamilie", die „urchristliche Bewegung", d a s „ N e u h e i d e n t u m " die Menschheit schließlich zur „Sex-Bejahung als Kern der lebensbejahenden Kulturpolitik auf der G r u n d l a g e der soz. Planwirtschaft". Die zwangsmoralischen Irrwege der Geschichte (d. h. die wirkliche Geschichte oder Teile davon) seien nach Reich die Klassengesellschaft, die Staatskirche und die nationalsozialistische Mystik, die sämtlich das Merkmal „sex. Verneinung" trügen. 6 7 In Reichs anarchistischer Zukunftsvision steht „ a m Ende . . . der Sieg der N a t u r kräfte im Menschen: die E i n h e i t v o n N a t u r u n d K u l t u r " . I h m schwebt die „natürliche Arbeitsdemokratie" als künftige Organisation der Gesellschaft vor, und er schließt sein Hauptwerk mit der vielzitierten Beschwörungsformel: „Liebe, Arbeit und Wissen sind die Quellen unseres Daseins. Sie sollen es auch regieren." 6 8 Reichs Orgasmus- und Orgonentheorie findet sich in The Function of the Orgasm69 und erscheint zunächst als Darlegung klinischer Forschungen. Diese werden von Reich jedoch mit seinem Konzept der Sexualökonomie v e r b u n d e n : „Die O r g a s m u s - F o r m e l , welche die sex-ökonomische Untersuchung bestimmt, ist folgende: M E C H A N I S C H E S P A N N U N G BIOELEKTRISCHE ENTLADUNG M E C H A N I S C H E E N T S P A N N U N G . " Auf dieser Basis erklärt Reich kategorisch: „ D e r s e x u e l l e P r o z e ß , d. h. d e r e x p a n s i v e b i o l o g i s c h e L u s t - P r o z e ß , ist d e r p r o d u k t i v e L e b e n s p r o z e ß an sich."70 Nun wird niemand die biologisch fundamentale Bedeutung des Sexuellen ernsthaft in Frage stellen wollen; Reich jedoch begnügt sich ebensowenig wie ehemals die Sozialdarwinisten mit der Biologie, sondern will seine Lehre ausdrücklich als Gesellschaftswissenschaft verstanden wissen, die freilich außerhalb der real existierenden Gesellschaften anzusiedeln sei: S e x - Ö k o n o m i e hat n i c h t s zu tun mit i r g e n d w e l c h e r e x i s t i e r e n d e n p o l i t i s c h e n O r g a n i s a t i o n o d e r I d e o l o g i e . Die politischen Konzepte, welche die verschiedenen Schichten und Klassen der Gesellschaft trennen, sind auf die Sex-Ökonomie nicht anwendbar. Die soziale Mißinterpretation des natürlichen Liebeslebens und seine Verweigerung gegenüber Kindern und Jugendlichen stellen einen Zustand dar, der charakteristisch menschlich ist und die Grenzen jedes Staates und jeder Gruppe überschreitet. 71
Reich wechselt damit endgültig in ein mystisches Niemandsland über. H a t t e er sich noch in Die sexuelle Revolution — mit welchen Einschränkungen auch immer — auf die Arbeiterklasse orientiert, so gibt er dies n u n m e h r völlig a u f ; die Unverbindlichkeit wird zur Maxime, genauer: D a s bornierte (klein-) bürgerliche Bewußtsein sucht globale, ja kosmische Dimensionen. Dabei ver23
kennen wir Reichs ehrliche Kritik des deutschen Faschismus (obiges Zitat datiert aus dem Jahre 1940) durchaus nicht; nur ist seine psychoanalytische, d. h. biologische Weltsicht älter als seine Faschismus-Analyse, so daß diese lediglich auf der Basis jener erfolgt. So wird der Faschismus als „psychische Plage" klassifiziert; und „Hitler war nur der Ausdruck eines tragischen Konflikts in den menschlichen Massen, des K o n f l i k t s z w i s c h e n d e r S e h n s u c h t n a c h F r e i h e i t u n d d e r t a t s ä c h l i c h e n F u r c h t v o r d e r F r e i h e i t . " 7 2 Reichs F a schismus-Kritik überschreitet nicht nur nicht die Grenzen der Psychoanalyse 7 3 , sondern lenkt objektiv von der sozialökonomischen und politischen Kausalität ab, um so mehr, als Reich nach der frühen Enttäuschung über den vermeintlichen Irrweg der Sowjetunion überall „autoritäre Diktaturen" wittert. Reichs Orgasmus-Experimente und die zunächst daraus abgeleitete Theorie werden nun noch ergänzt durch eine angeblich experimentell nachgewiesene bio-elektrische Orgasmus-Energie, die dann schließlich auf eine bio-elektrische Weltenergie zurückgeführt wird. „ L u s t u n d A n g s t s i n d d i e g r u n d l e g e n d e n E r r e g u n g e n o d e r E m o t i o n e n der lebenden Substanz. Ihr bio-elektrisches Funktionieren macht sie zu einem Teil des allgemeinen elektrischen Prozesses der N a t u r . " Die generelle biologische Energie beruhe auf einer atmosphärischen, d. h. kosmischen Energie, die von Reich Orgon-Energie genannt wird. Die Orgone hätten eine blaue bis blaugraue Farbe und ließen sich praktisch überall in der Natur nachweisen. 7 4 Damit sind wir nun im Bereich der Science-fiction. Doch Reich behauptet allen Ernstes, das Geheimnis des Lebens entdeckt zu haben; er sieht im Orgon das entscheidende Element, das alle seine einzelnen Thesen zu einer geschlossenen Lebenstheorie verbinde. Der Vollständigkeit halber muß hinzugefügt werden, daß Reich auch sein gesellschaftstheoretisches Konzept der Sexualökonomie der Orgon-Theorie subsumiert: „,Sex-Ökonomie' meint die Art und Weise, in der ein Individuum seine bio-elektrische Energie handhabt; wieviel davon es aufstaut und wieviel es orgastisch entlädt." Störungen dieser Regulierung hätten stets soziale Ursachen 7 5 , womit nichts anderes gesagt wird, als daß Kultur, Zivilisation, d. h. gesellschaftliche Organisation nicht schlechthin biologisch interpretiert werden (der Mensch als „ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse" bzw. — noch viel älter — als „zoon politicon" wird aufgegeben und in die Natur integriert), sondern vor allem als Ursache notwendig pathologischer Veränderung des Natürlichen. 7 6 Die Sexualität des Menschen wird ihrer Spezifik entkleidet und damit zum bloßen Objekt experimenteller Forschungen. 7 7 Der Kulturpessimismus Nietzescher Prägung wird Reich zwar nicht bewußt, aber von ihm praktiziert. Wilhelm Reichs Ideologie ist in ihrer Gesamtheit biologisch-anarchistisch und damit in ihrem Wesen dem Marxismus nicht nur fremd, sondern feindlich. Dieses Urteil gründet sich nicht primär auf die politische Haltung des Antikommunismus und Antisowjetismus, sondern vielmehr auf die theoretische Entstellung des Marxismus, der zumindest hinsichtlich der Sexualmoral ultralinks revidiert wird. 7 8
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Freilich kann nicht verkannt werden, d a ß Reichs Position sich aus der als desperat empfundenen Situation der bürgerlichen Welt herleitet. G e r a d e hier wird aber das kleinbürgerlich-anarchistische Wesen dieser H a l t u n g sichtbar: Die sowjetische Entwicklung ist für Reich nur so lange Alternative, wie sie f ü r ihn ultrarevolutionäres Abenteurertum darstellt. Der sozialistische A u f b a u , die Konsolidierung der Sowjetmacht werden von ihm als Bürokratisierung u n d Reetablierung autoritärer Macht mißverstanden, d. h. Reich begreift das Wesen gesellschaftlich-geschichtlicher Entwicklung nicht. D a s Nicht- und Mißverstehen wird zweifellos verstärkt durch die Machtergreifung des deutschen Faschismus: Der tatsächliche A b g r u n d verstellt vollends den Blick für die reale Alternative u n d vergrößert die utopische Sehnsucht nach revolutionaristisch-aktivistischer Befreiung. Da auch die Misere des Kapitalismus in seinen bürgerlich-parlamentarischen Erscheinungsformen von Reich zunehmend akut e m p f u n d e n wird, ist — im R a h m e n seines grundsätzlichen Weltbilds — die A u s d e h n u n g seines Revolutionarismus zu kosmischen Dimensionen gleichsam gesetzmäßig: Reichs Gesellschaftstherapie wird zur Science-fiction-Utopie. Reichs spezifische Reaktionsweise auf den Imperialismus in seinen faschistischen und nicht-faschistischen Varianten sowie sein Angebot einer Schein-Alternative haben in den 50er und 60er Jahren auf eine Reihe von Intellektuellen und Schriftstellern eben deshalb stark gewirkt, weil letztere in Reichs Theorie eine Artikulation ihres eigenen Gesellschafts-Verhältnisses zu sehen glaubten. Dabei geht es nicht primär um den Einfluß Reichs auf die Sexualideologie in den heutigen USA und anderen Ländern, manifestiert in Erscheinungen wie HippieK o m m u n e n , love-ins, Woodstock, W O M E N ' S L I B E R A T I O N usw. 7 9 , obwohl solche Erscheinungen von nicht zu unterschätzender Bedeutung f ü r die Literatur sind. 8 0 Vielmehr geht es um „Reichianism" als anarchistischer Extremismus, der bei Intellektuellen und Schriftstellern ein prinzipiell falsches Weltverständnis im Sinne radikalistischer Maschinenstürmerei fördert, das durch maoistische Einflüsse nur noch verschlimmert wird und zur Perversion des Protests, d. h. letztlich zur Integration in das verabscheute etablierte System führt. Der ideologische Einfluß Reichs auf die spätbürgerliche Literatur — obwohl nicht ausdrücklich ästhetisch formuliert — wird somit deutlich.
Zusammenfassung Definiert man die Theorien Marcuses, Browns und Reichs zusammenfassend u n d generalisierend als Versuche, die Welt, den Menschen und die K u n s t psychoanalytisch, d. h. genauer: in der Nachfolge der Freudschen Kulturtheorie, zu interpretieren, so werden hierbei sowohl Unterschiede wie auch charakteristische Gemeinsamkeiten sichtbar. Über erstere ist nicht mehr zu reden; sie sind hinreichend deutlich geworden und lassen sich im übrigen, in der knappsten Zusammenschau, als unterschiedlich motivierte Varianten bürgerlicher Kultur25
kritik charakterisieren. Die Gemeinsamkeiten erstrecken sich auf die bedingungslose und anti-dialektische Ablehnung der bürgerlichen O r d n u n g , auf die Revision des Marxismus u n d des klassischen bürgerlichen Denkens, auf einen umfassenden Anthropologismus bzw. Biologismus als Grundlage ihrer eigenen Theorie, auf eine prinzipielle Kultur- und Technik-Feindlichkeit; die Gemeinsamkeit der angebotenen Alternativen besteht in einer reaktionär-romantischen Gesellschaftsund ebensolcher ästhetischer Utopie, die von einer ahistorischen Mystik-Rezeption, bestenfalls von einer ebenfalls ahistorisch verstandenen Rezeption des utopischen Sozialismus geprägt wird. Versucht man, einen Hauptnenner für die Essenz der beschriebenen Positionen zu finden, so bietet sich a m ehesten der Begriff Anarchismus an, der sich nicht allein als politische Doktrin, sondern auch — in unserem Kontext primär — als Gesellschaftstheorie, Philosophie und allgemeine Kunsttheorie bzw. Ästhetik versteht. 8 1 Anarchismus als grundlegende ideologische Tendenz spätbürgerlicher ästhetischer Theorien und der Literatur selbst erscheint insofern akzeptabel, als dieser Begriff infolge seiner Vieldeutigkeit in der Erscheinung dem polymorphen C h a r a k t e r des spätbürgerlichen Kunstschaffens entspricht, gleichzeitig aber in der Eindeutigkeit seines kleinbürgerlichrevolutionaristischen Wesens die bürgerliche Klassenbedingtheit dieses Schaffens bestimmt. Dabei wird überhaupt nicht verkannt, d a ß die beschriebene anarchistische G r u n d h a l t u n g vieler Künstler und Ideologen weniger dem Verhaftetsein an eine bestimmte Denktradition (die sich d a n n freilich als Folge herausbildet) als vielmehr — grundsätzlich — der Krise des bürgerlichen Seins und Bewußtseins entspringt, die sich gesetzmäßig, als Folge systeminhärenter Widersprüche und im Ergebnis der K o n f r o n t a t i o n mit dem Sozialismus, verschärft und zuspitzt. Die prinzipielle Opposition des Künstlers wie des Ideologen gegen die etablierte O r d n u n g ist in diesem R a h m e n ebenso unabdingbares Element wie das Fehlen realer Alternativen. John Berger hat die Grundsituation des bürgerlichen Künstlers a d ä q u a t beschrieben: Heute ist der sensitive bürgerliche Künstler von seiner offiziellen Kultur angeekelt oder gelangweilt; doch weil er keinen Weg sieht, sie zu ändern, und weil er, die Dialektik ablehnend, unfähig ist, zwischen ihren positiven und negativen Tendenzen zu unterscheiden, sieht er sich gezwungen, seine eigene Sensibilität und sein Erbe absolut zu negieren, in der Tat sein Leben umzukehren (to unlive his life) und dann in irgendeine Form rohen und falschen Primitivismus zu entfliehen. 82
Auf die Widerspiegelung der ideologischen und künstlerischen Prozesse in der Literaturwissenschaft der Vereinigten Staaten kann hier systematisch nicht eingegangen werden. 8 3 Es sei aber darauf hingewiesen, d a ß dort solche Konzeptionen ihre spezifisch literaturwissenschaftliche Ausprägung erfahren, die bei den Ideologen und Künstlern in unserem Kontext eine zentrale Rolle spielen: Anthropologisierung des Gesellschaftlichen, Ahistorizität, Freud- und JungNachfolge, die Erhebung des M y t h o s zur umfassenden literaturwissenschaftlichen Kategorie. 8 4 Besonders im Hinblick auf letztgenannte Tendenz erscheint 26
die folgende zusammenfassende Einschätzung (die der A u t o r ausdrücklich auf „Dichter und Kritiker" bezieht, mithin als wirkende Tendenz u n d normierende Sanktionierung versteht) als relevant f ü r das von uns untersuchte Material: „Die Mythophilie . . . erweist sich . . . als restaurative Sehnsucht nach einer heilen, geschlossenen W e l t o h n e G e s c h i c h t e und voller Numen, als Rückzug in die mythologische Vergangenheit oder — sublimiert — als n e o p a g a n e r E r s a t z f ü r v e r l o r e n e R e l i g i o n und l i t e r a r i s c h e R ü c k k e h r z u d e n M ü t t e r n ; als ä s t h e t i s c h e K r i t i k a n d e r h e u t i g e n G e s e l l s c h a f t und als s i m p l i f i z i e r e n d e R e a k t i o n auf eine sprachlich und strukturell allzu schwierige Literatur, bei der eine Analyse der Form-InhaltDialektik nicht mehr gelingen will." 85
Massenkultur als ideologisches und ästhetische Manipulation
Klischee
Im folgenden soll der Versuch u n t e r n o m m e n werden, eine synthetisierende Sicht jener geistig- und künstlerisch-kulturellen P h ä n o m e n e zu gewinnen, die teils den N ä h r b o d e n f ü r die spätbürgerliche Literatur in den U S A mitbilden, teils deren (bedingt) rationale Artikulation darstellen, teils als N e b e n p r o d u k t e anzusehen sind. Eine exakte Klassifikation dieser Erscheinungen ist schwierig: Die Variationsbreite reicht von der literarischen Publizistik über die Massenund Subliteratur bis zur populärwissenschaftlichen Darstellung und seriösen Belletristik und schließt theoretische Äußerungen von Schriftstellern wie auch Literaturkritik ein. Die Berechtigung, derart Heterogenes z u s a m m e n z u t u n , leitet sich aus der gemeinsamen anarchistischen Protesthaltung ab, die sich — wie oben bereits charakterisiert — in der einfachen Negation der etablierten M a c h t u n d speziell ihrer Kultur erschöpft. Der Begriff der „ G e g e n k u l t u r " ist aus eben diesem G r u n d e bisher lediglich objektiv potentiellen C h a r a k t e r s ; die tatsächlich entwikkelten Counter-Culture-Konzeptionen 8 6 sind noch nicht das, was der Begriff auszudrücken vorgibt, sondern wohl eher Ausprägungen einer Sub-Kultur. 8 7 Die potentiell stärksten Ansätze zu einer Gegenkultur finden sich dort, wo wirkliche soziale Bewegungen K u l t u r hervorbringen. D a s ist im R a h m e n der a f r o amerikanischen Bewegung der Fall. Hier haben wir es mit literarischen Erscheinungen zu tun, die bei aller Verschiedenheit und Widersprüchlichkeit — James Baldwin z. B. strebt nach Integration im Sinne der bürgerlichen K u l t u r , C l a u d e Brown verabsolutiert den gefährdeten Einzelnen im Dschungel des Ghettos 8 8 , Eldridge Cleaver ist Fürsprecher einer auf dem schwarzen Nationalismus basierenden afroamerikanischen Kultur 8 9 — echte kulturelle Alternativen hervorzubringen vermögen. Wir finden dies eindeutig dort, wo die kulturell-literarische Leistung aus einer sozialökonomisch-ideologisch-politisch progressiven Orientierung erwächst, so bei W. E. B. DuBois 9 0 und — obwohl außerhalb des von uns betrachteten Zeitraums — Richard Wright 9 1 . Zu nennen sind ferner die aus dem Bewußtsein der Bürgerrechtsbewegung bzw. B L A C K L I B E R A T I O N hervorge27
gegangenen Beiträge zur afroamerikanischen Selbstverständigung von Anne Moody 9 2 , Malcolm X 9 3 und Martin Luther King 94 . Die typische und für unsere Betrachtung wesentliche Widersprüchlichkeit der bürgerlichen Kulturkonzepzeptionen reflektiert sich freilich auch bei schwarzen Autoren. So kommt beispielsweise Chester Hirnes, der Autor zahlreicher Romane 9 5 , nicht über einen anthropologischen Standpunkt hinaus. Bei dem Versuch, das „Dilemma des Neger-Romanciers in den USA" zu bestimmen (ein Versuch, der durch große Ehrlichkeit und auch tiefe Einsicht gekennzeichnet ist), definiert er die „menschliche Qualität", die auch die afroamerikanische Situation eines Tages bestimmen M.II, als „Wachstum": „Growth is the surviving influence in all lives . . . Children will grow from poverty and filth and oppression and develop honor, develop integrity, contribute to all mankind." 9 6 Einblicke in den sozialökonomischen Kausalnexus bleiben ausgespart; der Standpunkt des Allgemeinmenschlichen stellt letzten Endes nur einen Reflex der von Marcuse, Brown und Reich vorgenommenen biologisch-anthropologischen Reduktion des Menschen dar. Deutlicher noch drückt sich dies in Eldrige Cleavers Auffassung von „the primary thrust of life — the fusion of male and female" und seinem Konzept der „pussy power" 9 7 aus; bei ihm wie auch bei Chester Hirnes und Robert Gover 9 8 spielt folglich die Darstellung verabsolutierter Sexualität eine große Rolle. Die Beat-Generation kann die erste (und bisher einzige) Gruppierung in Nachkriegsamerika genannt werden, die versucht, subkulturellen Protest literarisch zu artikulieren. Allen Ginsbergs Howl (1955) ist in seiner Bedeutung sicher nicht zu unterschätzen; die bereits hier festzustellende „Beschränktheit und Ambivalenz" 9 9 aber soll sich in der Folgezeit verstärken und zum bestimmenden Element weiden: Yoga und Zen, Pansexualismus und Anti-Autoritarismus sind beherrschende inhaltliche Themen seiner späteren Gedichte. 100 Jack Kerouac hat bereits in seinem erfolgreichen Erstling On the Road (1958) seine Präokkupation mit Sexualität, anarchisch aufbegehrender, „freier" Lebensweise bzw. mit dem Rauschzustand als Lebensweise und mit dem Kult des Primitiven gestaltet. 101 Psychoanalytisches Weltverständnis ist in höchst primitiver Weise sichtbar und damit besonders charakteristisch: The one undergo probably admit it)
thing that we yearn for in our living days, that makes us sigh and groan and sweet nauseas of all kinds, is the remembrance of some lost bliss that was experienced in the womb and can only be reproduced (though we hate to in death. 1 0 2
Wilhelm Reich findet Erwähnung, ausgerechnet mit seiner „Erfindung" des Orgonen-Akkumulators, die von Kerouac mit geradezu kindlich-gläubiger Naivität getreulich beschrieben wird 1 0 3 ; dieser Umstand ist vor allem deshalb erwähnenswert, weil sich damit die ungebärdige, „freiheitliche" und anarchische Pose Kerouacs als ideologisch bedingt erweist. An anderer Stelle macht Kerouac „the sudden illuminated glad wondrous discovery of Wilhelm Reich, his book The Function of the Orgasm, clarity as I had not seen in a long time, not 28
since perhaps the clarity of personal modern grief of Céline . . . " Reich erscheint — charakteristisch simplifiziert — als Weiser, „who shows how life is simply the man entering the woman and the rubbing of the two in soft . . ." 1 0 4 Auch Kerouac ist mit der Zivilisationsgesellschaft unzufrieden und stellt dieser seine anarchistische Utopie entgegen, getragen von „Dharma Bums" und „Zen Lunacy bards": . . . the whole thing is a world full of rucksack wanderers, Dharma Bums refusing to subscribe to the general demand that they consume production and therefore have to work for the privilege of consuming, all that crap they didn't really want anyway such as refrigerators, TV sets, cars, at least new fancy cars, certain hair oils and deodorants and general junk . . . , all of them imprisoned in a system of work, produce, consume, work, produce, consume, I see a vision of a great rucksack revolution thousands or even millions of young Americans wandering around with rucksacks, going up to mountains to pray, making children laugh and old men glad, making young girls happy and old girls happier, all o f ' e m Zen Lunatics who go about writing poems that happen to appear in their heads for no reason and also by being kind and also by strange unexpected acts keep giving visions of eternal freedom to everybody and to all living creatures . . . l o s
Die Konsumverweigerung und — implizit — das totale Mißverständnis gesellschaftlicher Produktion und damit menschlicher Geschichte darf als ein Grundzug anarchistischen Denkens angesehen werden : es trägt bei Kerouac sichtlich adolescenten Charakter, stellt aber die Endstufe seines Weltverständnisses dar. Die Negation der „Affluent Society" (J. K. Galbraith) durch Kerouac, die Beats und die Hippies geschieht durch „die merkwürdige Subkultur freiwilliger Armut" 1 0 6 bzw. mittels einer „individualistischen lumpenproletarischen Existenz" 1 0 7 , die keine Alternative darstellt. Kerouacs künstlerische Absicht ist von seiner weltanschaulichen Einstellung nicht zu trennen. Sein Gesamtwerk wird von ihm als „one enormous comedy", als „the world of raging action and folly and also gentle sweetness seen through the keyhole of his eye" 108 gesehen; dabei erscheint auch die ästhetische Realisation zunehmend nur mittels halluzinogener Drogen möglich 109 , und die Inkommunikabilität seiner Texte nimmt zu. Die sogenannte Sex-Welle, die sich im Anschluß an die Blütezeit der Beats ausbreitet, zum Gegenstand vielfaltiger Kommerzialisierung und Manipulation wird und sich sowohl auf der literarischen wie der trivial-literarischen Ebene behauptet, muß prinzipiell — bis hinein in ihre pornographischen Aspekte — als bewußte oder unbewußte Umsetzung Reichscher Ideologie, d. h. der Konzeption der sexuellen Revolution, begriffen werden. Die Sex-Welle hat zu vielfältigen theoretischen und literarischen Versuchen geführt, die, auf verschiedenartige Interpretationen des Phänomens hinauslaufend, jedoch geeignet sind, einzelne Aspekte des ideologischen Koordinatensystems weiter zu verdeutlichen. Gore Vidal mag als Ausgangspunkt dienen. Sein starkes satirisches Talent drückt sich sowohl in seinem bekannten Sex-Bestseller Myra Breckinridge (1968) wie auch in seiner Essay-Sammlung aus, die unter dem Titel Sex, Death and Money 29
(1968) veröffentlicht wurde. Einerseits versteht es Vidal, beispielsweise die gesellschaftlich bedingte Beschränkung des zeitgenössischen Romans auf das Individuelle analytisch scharf zu konstatieren: . . . the tone of the contemporary novel, though not cheerful, is precise. Man is on his own. In certain human actions, in love, in violence, he can communicate with others, touch and be touched, act and in the act forget his fate. The scale is often small. Kings are neglected because, to relativists, all men are the same within eternity. Or rather their crisis is the same. The concern in modern letters is with that crisis which defines the prospect. 1 1 0
Andererseits bleibt Vidal in psychoanalytischen Formeln stecken: The obsessive concern with sexuality which informs most contemporary writing is not entirely the result of a wish e p a t e r l e s b o u r g e o i s but, more, the reflection of a serious battle between the society man has constructed so illogically and confusedly and the nature of the human being, which needs a considerably fuller expression sexually and emotionally than either the economics or morality of this time will permit. 111
Die „Natur des Menschen" erscheint also auch bei Vidal als das in seiner Entwicklung und Bedingung nicht verstandene Absolute. Es entspricht der Paradoxie (und wohl auch der satirischen Neigung) Vidals, wenn er die „Verzweiflung" und „Konfusion" in der modernen Literatur teils auf „the nervous, bloody age", teils aber auf jenen „Hunger nach dem Absoluten" zurückführt, welcher „delivered two great nations into the hands of tyrants, while in our own country the terror of being man alone, unsupported by a general religious belief and undirected by central authority, has reduced many intellectuals either to a bleak nihilism or, worse, to the acceptance of some external authority (Rome, Marx, Freud).]' 112 Diese offensichtliche Widersinnigkeit wird nur im Lichte des umfassenden Kulturpessimismus faßlich, der sich — damit seine kleinbürgerliche Klassenbasis offenbarend — als Verzweiflung äußert, als totaler Nihilismus, der dennoch des ideologischen Stützkorsetts in Gestalt des (Neo-) Freudismus bedarf. In diesem Sinne fordert Vidal: . . . a world authority must be established in order to limit births, while attempting, simultaneously, the restauration in our favor of man's ecology . . . this new world order will create a society more repressive than any man has so far endured, and what little is of value in our civilization is certain to be spoiled by the managers.
Noch zugespitzter und aus verändertem Blickwinkel: „The alternative to a planned society is no society, a grim knowledge which tends to shadow one's works and days." 1 1 3 Diese perfekte Hilflosigkeit und tiefgreifende Existenzangst macht das anarchistische Dilemma beispielhaft deutlich; es offenbart sich auch deshalb als typisch bürgerliches Krisenbewußtsein, weil es die eigene Misere als menschheitliche interpretiert: „There is . . . a somber satisfaction in knowing that the race as a whole is in quite as much trouble as the American empire." 1 1 4 Sicherlich ist bei dem Bestseller Myra Breckinridge zu berücksichtigen, daß er als 30
Satire angelegt ist; insofern ist das Buch trotz des äußeren Anscheins keine bloße mit Sadismus und Gewalt angereicherte pornographische Orgie. Die minutiöse Deskription von Abenteuern der künstlich — in Operationssaal und Labor — durch Geschlechtsmutation geschaffenen nymphomanen Titelfigur versteht sich folglich auch als Reaktion auf die literarische und subliterarische Sex-Welle; es ist dies freilich eine Reaktion, die eher einem amüsierten Überdruß als ernstgemeintem Protest entspringt. Entscheidend für die endliche Wertung des Buches ist aber der Umstand, daß es genau innerhalb der bereits skizzierten ideologischen Grenzen befangen bleibt, ja diese sogar noch deutlicher hervortreten läßt. Innerhalb solcher Grenzen, d. h. im Rahmen eines völligen Geschichts-Unverständnisses, läßt sich letztlich keine Satire gestalten; genauer: Die satirische Absicht wird lediglich deklariert, die Swift-Nachfolge findet sich weder hier noch bei William Burroughs. 115 So finden wir in Myra Breckinridge, neben allem pornographischen Beiwerk, die drastische Zuspitzung von Gedanken, die bereits theoretisch geäußert wurden: . . . famine and war are now man's only hope. T o survive, human population must be drastically reduced. Happily, our leaders are working instinctively toward that end, and there is no doubt in my mind that nature intends Lyndon Johnson and M a o Tse-tung to be the agents of our salvation. By destroying a majority of the human race, they will preserve the breed since the survivors are bound to be not only wiser than we but racially stronger as a result of cellular mutancies caused by atomic radiation. 116
Diese Art Geschichtspessimismus ist zwar spätestens seit Nietzsche und Spengler nicht mehr originell; bemerkenswert erscheint jedoch die quasisatirische politische Aktualisierung, die auf den Einfluß des modernen Anarchismus verweist, sowie die Verwandtschaft zu den Science-fiction-Utopien und zur Wilhelm-Reich-Rezeption William Burroughs' 1 1 7 . Die gewiß nicht geistlose Persiflage auf Marshai McLuhan, die sich an zahlreichen Stellen des Buches findet 118 , bleibt letztlich ebenso unbefriedigend, weil oberflächlich; sie mündet sogar — an sich folgerichtig — in die Formulierung eines ästhetischen Nihilismus bzw. Anarchismus: . . . the only useful form left to literature in the post-Gutenberg age is the memoir: the absolute truth, copied precisely from life, preferably at the moment it is happening 119
Damit wird — wiederum ist die Parallelität zu Burroughs frappierend, wenn man nicht von einem bloßen Plagiat sprechen will 120 — Geschichtslosigkeit zur ästhetischen Maxime erklärt: Myra Breckinridge (als literarische Gestalt und als Roman) erscheint nun auch theoretisch als Ergebnis eines technisch komplizierten Labor-Experiments. Auch auf diese Weise entsteht Literatur; sie entsteht freilich um den Preis erheblicher Verzerrung sowohl ihres Abbild- wie ihres Bild-Charakters 121 , auf der Grundlage spätbürgerlicher Krisen-Ideologie. In aller Kürze seien einige jener Publikationen erwähnt, die durch die 31
sympathisierende (und zumeist kritiklose) Beschreibung der Beat- und HippieSubkultur zu eben jenem kulturell-ideologischen Klima beitrugen, das durch vorgebliche Elimination der Ideologie bzw. zumindest durch deren Reduktion auf Kulturkritik gekennzeichnet ist; die objektive Funktion dieser besonderen Ideologie ist die der Ablenkung von der wirklichen, d. h. der im Wesen sozialökonomischen, Krise der amerikanischen Gesellschaft. Zu den Klassikern dieser Art Kulturkritik zählt Lawrence Lipton mit dem bereits 1959 erstveröffentlichten Band The Holy Barbarians, der in den Beats eine Opposition neuer Qualität sehen möchte: This is not, as it was at the turn of the century, the expatriates in flight from New England gentility and bluenose censorship. It is not the anti-Babbitt caper of the twenties. Nor the politically oriented alienation of the thirties. The present generation has taken note of all these and passed on beyond them to a total rejection of the whole society, and that, in present-day America, means the business civilization. The alienation of the hipsters from the squares is now complete.
Lipton interpretiert diese in ihrem Protest sicher nicht zu unterschätzende Bewegung schließlich nicht nur als „tiefreichende Veränderung", sondern als „Revolution unter den Rippen." 1 2 2 Auch hier also schon die pseudorevolutionäre Geste, die anarchistisch verinnerlichte Revolutionsattitüde, wie sie für die oppositionelle bürgerliche Bewegung der 60er Jahre und ihre Literatur charakteristisch werden soll. Fast ein Jahrzehnt nach Lipton untersucht Burton H. Wolfe die gegenüber den Beats zahlenmäßig stärkere und wohl auch einflußreichere Subkultur der Hippies. Seine Haltung zum Gegenstand ist zwar prinzipiell von Sympathie bestimmt, gleichzeitig aber distanziert-kritisch, was ihm bestimmte analytische Einblicke in Erscheinungen wie den von den Hippies praktizierten und von Timothy Leary und Richard Alpert unter dem Slogan „Turn on. Tune in, Drop out!" 1 2 3 propagierten Drogenmißbrauch, die hemmungslose und unhygienische Promiskuität in den Hippie-Kommunen und die Auswüchse des Zen-Buddhismus erlaubt. Wolfe gelangt auch noch zu folgender differenzierter Gesamteinschätzung der Hippie-Bewegung: The hippie movement may be a flight from reality into a world of drug-inducccl illusions. Or it may be a revolution against war, violence, racial prejudice, materialism, and puritanism . . . But it is more than that. The hippie is an individual who believes that the American way is wrong. He is a perceptive individual, even if he is half crazy and his mind is blown on drugs and he is wallowing in dirt. His perception tells him that in order to become the President of the United States, it is necessary to be a millionaire or an associate of millionaires . . . Johnson is not their leader, and the war in Vietnam is not their cause.
Dies ist Resultat genauer Beachtung und Analyse, wenn auch nicht die ganze Wahrheit. Man möchte Wolfe auch zustimmen, wenn er schlußfolgert, man 32
m ü ß t e nicht etwas für die Hippies tun, sondern f ü r die Drogensüchtigen (die dropouts), die Geistesgestörten: „The real question to be asked is not what should we d o about the hippies, but rather: W h a t should we d o a b o u t u s ? " 1 2 4 Die charakteristische Schwäche bzw. die typische ideologisch begrenzte Sicht Wolfes wird an seinen Alternativ-Vorstellungen deutlich: T r o t z aller Kritik an bestimmten Erscheinungen der Hippie-Subkultur hält er deren Weg f ü r prinzipiell gangbar, d. h. er befürwortet den Guerilla-Krieg einer sozialen Minderheit gegenüber dem Klassenkampf der sozialen Mehrheit, deren Bedeutung ihm gar nicht bewußt wird, weil er sie — ganz im Sinne der bürgerlich-ideologischen Manipulation — lediglich als „schweigende M e h r h e i t " oder auch als „ G r o ß e Gesells c h a f t " mißbilligen und letztlich mißverstehen kann. D a s Dilemma einer kleinbürgerlich-anarchistischen Haltung wird somit wiederum sichtbar. Unter den vielen kritischen Fragen, die Wolfe der amerikanischen Gesellschaft stellt u n d deren positive Beantwortung er nicht f ü r möglich hält, befinden sich auch die folgend e n : „Are the American people willing to cut u p the vast cities into small communities where people know each other a n d feel reponsible for each o t h e r ? " und „Are the American people willing to love each o t h e r ? " 1 2 5 Die anarchistische Attraktivität solcher Thesen dürfte ebenso sicher sein wie ihre Untauglichkeit. Im G r u n d e hat Wolfe nicht mehr anzubieten als einer seiner Gesprächspartner, der Hippie-Kommunen-Begründer Ken Kesey, der vom F o r t leben der „Bewegung" überzeugt ist und seine Überzeugung begründet: „ O n e reason is it's based on a life-pulsating rhythm, an upbeat that is vibrating through the universe, turning on people. Iambic is the natural meter in all music and literature . . . It says l i f e - d e a t h , l i f e - d e a t h , l i f e - d e a t h . There is a total impact, then decay." 1 2 6 Kern dieser dithyrambisch vorgetragenen G e d a n k e n ist nichts anderes als die Auffassung einer rational nicht erklärbaren „life f o r c e " , wie sie auch den Theoremen N o r m a n O. Browns und Wilhelm Reichs zugrunde liegt. Wir teilen die Bedenken, die Ursula Beitz ä u ß e r t : „Die . R ü c k k e h r zur N a t u r ' wird . . . zur R ü c k k e h r in das Animalische. Dieser , U r z u s t a n d ' wird nicht in seiner historischen und ökonomischen Bedingtheit verstanden, sondern wörtlich genommen und kultiviert. Auf die G e f a h r , d a ß aus dieser Haltung eine faschistische oder faschistoide Variante entstehen kann, m u ß mit aller Deutlichkeit hingewiesen werden." 1 2 7 Die Kritikerin Susan Sonntag, die auch als R o m a n a u t o r i n hervorgetreten ist 1 2 8 , bemüht sich um eine Reinterpretation speziell des ästhetischen Selbstverständnisses der kulturellen Szejie Amerikas. Obwohl sie ihrer eigenen ästhetischen Position eine Polemik gegen die falsch verstandene aristotelische Mimesis-Konzeption zugrundelegt — Mimesis sei lediglich „imitation of reality" 1 2 9 , gelangt sie zunächst zu einem bemerkenswert dialektischen Kunstverständnis: sie versteht Kunst „as object and as function, as artifice and as living f o r m of consciousness, as the overcoming or supplementing of reality and as the making explicit of f o r m s of encountering reality, as a u t o n o m o u s individual creation and as dependent historical p h e n o m e n o n . " 1 3 0 Dieser Auffassung liegt einerseits eine kluge Reinterpretation 3
Wüslenhagcn
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Ortega y Gassets zugrunde: das Konzept Ortegas, große Kunst basiere auf „Künstlichkeit", Distanz, Stil, „Dehumanisation" usw., sei irreführend, „unless one adds that the movement is not just away from but toward the world. The overcoming or transcending of the world in art is also a way of encountering the world, and of training or educating the will to be in the world." 1 3 1 Andererseits bezieht sich Susan Sontag auf eine ganze Reihe durchaus suspekter Autoritäten: „. . . Nietzsche, Wittgenstein, Antonin Artaud, C. S. Sherrington, Buckminister Fuller, Marshall McLuhan, John Cage, André Breton, Roland Barthes, Claude Lévi-Strauss, Siegfried Gidieon, Norman O. Brown, and Gyorgy Kepes." 1 3 2 Unter dem Einfluß dieser Autoritäten kann Susan Sontag ihre Ansätze einer dialektischen Kunstauffassung nicht aufrechterhalten ; vielmehr werden diese unter einem vorwiegend psychoanalytischen Gesichtspunkt verzerrrt : „In place of a hermeneutics we need an erotics of art" 1 3 3 , erklärt sie kategorisch, und das heißt doch wohl den Teufel mit Beelzebub austreiben. Vorausgesetzt, sie versteht den Begriff Hermeneutik in seiner ursprünglichen Bedeutung (anders wird aus der Widersprüchlichkeit ohnehin Nonsens), so ergibt sich aus seiner Ablehnung eine recht deutliche lebensphilosophisch-intuitionistisch-nietzscheanische Orientierung in Form der Ablehnung wissenschaftlicher Kunstinterpretation — „Against Interpretation"; diese setzt in der Tat die Negation des Inhalts und die Hypertrophie der Form voraus, was von der Autorin auch keineswegs verschwiegen wird. Susan Sontags Prägung „erotics of art" ist somit lediglich die psychoanalytisch eingekleidete Formel (der Einfluß Norman O. Browns ist unverkennbar) für die Dilthey-Bergsonsche „Lebensschau"; Miss Sontag ist folglich nicht unbedingt originell, dafür aber der Tradition der Geistesgeschichte verhaftet. Ihre „Notes on ,Camp"' 1 3 4 demonstrieren die Anwendung dieser Denktradition auf die kulturelle Szene der USA in den 60er Jahren. Was hier als „ C a m p " beschrieben und gespriesen wird, sind einerseits konkrete Erscheinungen der „Camp"-Kultur; diese reichen von literarischen Werken wie z. B. die Oscar Wildes, Ronald Firbanks und Ivy Compton-Burnetts, über Filme, PopSänger, bestimmte Restaurants, Zeichnungen Aubrey Beardsleys, Porno-Filme, Bellini-Opern, das Schwanensee-Ballett bis zur Kleidung der 20er Jahre, bestimmten Ansichtspostkarten und Gebrauchs- und Kitschgegenständen verschiedener Art. Andererseits wird als Essenz des Camp „its love of the unnatural : of artifice and exaggeration" beschrieben; die „Camp sensibility" sei „disengaged, depoliticized — or at least apolitical" und sie „converts the serious into the frivolous"; kurz: „Camp is a certain mode of aestheticism." 135 Von entscheidender Bedeutung ist die Tatsache, daß die „Camp"-Sensibilität Ideologiecharakter und Weltanschauungsfunktion annimmt; „Camp is a vision of the world in terms of style — but a particular kind of style." Die Herkunft auch dieser „Camp"-Ideologie von psychoanalytischen Kulturtheorien wird nur allzu deutlich : „The androgyne ist certainly one of the great images of Camp sensibility", und: „. . . the most refined form of sexual attractiveness (as well as the most refined form of sexual pleasure) consists in going against the grain of one's sex." 136 Der 34
Spielraum der von der „Camp"-Subkultur selektiv appropiierten Kulturwerte reicht von Werken der vergangenen und gegenwärtigen Hochkultur bis zur Vulgärkultur und zum Kitsch. Gerade in diesem Umstand wird das Muster bürgerlicher Krisenideologie schlechthin sichtbar: Die Umwertung der Werte erfolgt zum Zwecke der Bewußtseinsmanipulierung und -pervertierung. Ein bedeutender Teil der amerikanischen Buchproduktion der Gegenwart beruht auf dem Versuch, zeitgenössische Kulturstimmung oder auch nur zeitgenössisches Verhalten zu beschreiben. Gleichgültig, ob dies in journalistischer oder Romanform geschieht, bedeutet es doch prinzipiell einen Verzicht auf kunstästhetische Verallgemeinerung, weil die Hypertrophierung des Zufälligen im Wesen solcher Methode liegt. In Analogie dazu weist der ideologische Gehalt das bekannte Muster auf. Die gesellschaftliche Misere des späten Kapitalismus wird als Schicksal der Menschheit ausgegeben. Die weitaus ernsthaftesten Ergebnisse, in künstlerischer und ideologischer Hinsicht, liegen dort vor, wo auf der Grundlage einer distinktiven diesbezüglichen Haltung bereits ein bedeutsames künstlerisches Gesamtwerk entstanden ist, z. B. in der Essayistik, Journalistik und Reportage James Baldwins und Norman Mailers, ferner in der eindeutig politischen Satire eines Joseph Heller 137 , Leonhard C. Lewin 138 oder Philip Roth. 1 3 9 Letzterer Autor demonstriert freilich auch das Gegenteil. In seinem bekanntesten Roman, Portnoy's Complaint1*0, wird die Psychoanalyse zum strukturtragenden Element. Die Titelfigur liegt auf der Analytiker-Couch, und die gesamte Handlung besteht aus entsprechend konditionierten Reflektionen und Erinnerungen, sämtlich um die anscheinend asoziale Individualität des Helden zentrierend. In der mehr oder weniger pornographisch orientierten Massenliteratur der 60er Jahre finden wir Variationen des ästhetischen Grundklischees: Männer und Frauen erscheinen nur mehr als Personifikationen sexueller Eigenschaften, auch und gerade dort, wo Perversionen unterschiedlichster Art dargestellt werden; die zwischenmenschlichen Beziehungen sind folglich nicht eigentlich menschlich, weil lediglich sexuell. Der Titel von Jacqueline Susanns Bestseller — The Love Machine141 — umschreibt das Phänomen adäquat. Noch wichtiger ist jedoch die Tatsache, daß in nahezu allen diesen Werken ideologische Klischees reproduziert werden, die — weil sie sich anarchistisch-kritisch verstehen — auch den Werken einen kritischen, zumindest aber distanzierten Anschein geben. So findet sich beispielsweise in dem Bestseller Candy von Southern/Hoffenberg ein ausführlicher, auch auf politische Schockwirkung berechneter Reflex FreudReichscher Ideen sowie eine ebenfalls auf Reich zurückgehende, aber auf die Ideologie der NEW LEFT zielende Persiflage auf die Hippie-Kommunen samt ideologischen Ornamenten wie Zen-Budhismus und Yoga-Philosophie. 142 Das alles ist mit Geschick und einigem Witz gemacht; es ist freilich eindeutig der pornographischen Hauptlinie des Romans subsumiert. Gerade dadurch wird aber neulinke Ideologie gleichsam zusätzlich verharmlost, verliert sie ihren in der sozialen Realität der USA zweifellos vorhandenen systemkritischen Kern. Die 3'
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Massenliteratur „verfälscht und verzerrt die realen Tendenzen im gesellschaftlichen Leben des Landes und deutet sie auf eigene Weise und zu eigenen Zwecken u m " ; aus „elementarer P o r n o g r a p h i e " wird ein „allgemeine(s) ideologische(s) System der Nivellierung des menschlichen Bewußtseins" 1 4 3 , womit eine Aussage sowohl über den ästhetischen Mechanismus wie über die ideologische F u n k t i o n dieser Literatur in gedrängter F o r m getroffen ist. Die Massenliteratur ist darüber hinaus, mit Hilfe der gleichen Klischees, in der Lage, zumindest Teile der amerikanischen und der Weltgeschichte zu verfalschen; Harold R o b b i n s unternimmt dies beispielsweise am Gegenstand Hitlerdeutschlands und der Tradition der 30er Jahre in den U S A . 1 4 4 Im übrigen darf Robbins als subliterarischer Bewunderer der M a f i a gelten; in diesem R a h m e n sorgt er für eine innige Verschmelzung von Sex und G e w a l t : „The first girl and the first death. Strange how they always seemed to come together. The reality of living was never greater than when you held death clutched tightly in your h a n d s . " 1 4 5 Trivialliterarisches Niveau gibt sich auch in journalistischer Zeit- oder Zivilisationskritik zu erkennen. Diese Kritik, exemplifiziert etwa durch T o m Wolfe 1 4 6 , unternimmt vorgeblich eine Analyse von Aspekten des Lebens in den Vereinigten Staaten. Es geht dabei um „ T h e New Culture M a k e r s " , „Heroes and Celebrities", „Status Strife and the High Life" und „Love and Hate New York Style" 1 4 7 , die von der Autoindustrie sehr bald aufgegriffene und ausgenutzte M o d e der „customized cars" (die ursprünglich als Protest gegen die das Establishment symbolisierende offizielle A u t o m o d e der großen Firmen gemeint war) wird ebenso witzig und spritzig untersucht wie der A l p t r a u m Las Vegas oder der R u m m e l um „ T h e Girl of the Y e a r " . D o c h abgesehen davon, d a ß vieles sich mit den Klatschspalten der Zeitungen deckt, obskuriert T o m Wolfe jeden gesellschaftlichen Z u s a m m e n h a n g , indem er die bloße Erscheinung — wie witzig und elegant auch immer — beschreibt und es dabei bewenden läßt. Allzuoft entsteht der Eindruck, Wolfe werbe heimlich für das, was er zu kritisieren vorgibt. Die Paradoxa u n d Perversionen des gesellschaftlichen Lebens Amerikas erscheinen bestenfalls als Aberrationen, die irgendwie dennoch liebenswert sind. Von einer Kritik des Systems kann folglich nicht die Rede sein; im Gegenteil, auf subtile Art wird der G e d a n k e suggeriert, Amerika stelle immer noch die beste aller Welten dar. Die Perversion des Protests wird von T o m Wolfe sehr einleuchtend demonstriert. Weiteren Aufschluß über das spezifische literarische Klima geben Werke, die ganz offensichtlich entstanden sind, weil die schockierende Darstellung der Intimsphäre im Laufe der 60er Jahre immer mehr zum großen Geschäft wurde. So ist es nahezu gesetzmäßig, d a ß der aus der McCarthy-Zeit unrühmlich bekannte Hollywood-Regisseur Elia Kazan mit einem dementsprechenden fünfhundertseitigen R o m a n a u f w a r t e t 1 4 8 ; der ehemals realistische James Jones tut es ihm gleich 1 4 9 , und sogar Erskine Caldwell, der in den 30er Jahren mit Recht zu den Vertretern einer proletarischen Literatur gezählt wurde, bestätigt nunmehr sein endgültiges Absinken auf die trivialliterarische Ebene. 1 5 0 D a s ästhetische Klischee 36
dieser Literatur ist nur allzu deutlich und wiederholt sich ad infinitum: Sexuelle Kraftprotze beiderlei Geschlechts werden glorifiziert, animalische Leidenschaft erscheint als einzige Triebkraft, Probleme ergeben sich lediglich auf diesen Ebenen. Die neonaturalistische Deskription des Sexuellen und Obszönen wird als Schock 151 ausgegeben, womit auch schon die ideologische Tendenz angedeutet ist: Sie besteht wesentlich aus der permanenten Reproduktion der Illusion, gesellschaftliche Erscheinungen seien ursächlich auf sexuelle, d. h. biologische, Verhaltensweisen zurückzuführen; die implizite Folgerung ist nichts anderes als die I eugnung gesellschaftlicher Probleme schlechthin, bzw. die Ablenkung eines Millionenpublikums von diesen Problemen. Bei prinzipiell gleicher ideologischer Funktion sind jedoch weitere Varianten der ästhetischen Realisation zu konstatieren. Der immense Erfolg von Erich Segais Love Story1S2 beruht zunächst auf der perfekten Kitsch-Machart, die auch in den USA keineswegs traditionslos ist; man denke beispielsweise an Francis Marion Crawford gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Sicher ist dabei auch eine gewisse Müdigkeit des Publikums gegenüber den Sex-Bestsellern der 60er Jahre in Rechnung zu stellen: Man wollte nicht mehr unbedingt schockiert werden: genauer: die Diktatoren der literarischen Mode hielten es für geraten, die „harte" durch eine „weiche Welle" zu ersetzen. Das weist bereits wieder in den ideoloschen Bereich: Die Love Story etabliert „Gesetz und Ordnung" (law and order) im literarischen Bereich, sie liefert die Illustration zu Charles A. Reichs 153 bürgerlicher Elitetheorie. Sie reduziert gesellschaftliche Probleme „auf das rein Individuelle, auf die absolut gefühlsmäßige, saubere Privatsphäre" 1 5 4 , d. h. sie eliminiert die gesellschaftlichen Probleme, lenkt bewußt von ihnen ab, präsentiert eine heile Welt. Wichtig erscheint dabei die Feststellung, daß es sich bei Segal letzten Endes nur um eine Variante der ideologischen Grundfunktion der Massenliteratur handelt. Die harte „sex and violence"-Literatur, der Neo-Naturalismus erfüllt die gleiche Funktion der Ablenkung, lediglich in Form unterschiedlicher ästhetischer Klischees. Die Unterschiede sind analog den Varianten, wie sie im Rahmen der modernen bürgerlichen Ideologie durch ultralinken Anarchismus einerseits und direkte Apologetik andererseits repräsentiert werden. Im übrigen ist es nicht völlig korrekt, die Love Story als neue Erscheinung der 70er Jahre auszugeben; Herman Wouks Romane 1 5 5 der 60er Jahre haben den Boden unmittelbar vorbereitet, auch wenn diesen vielhundertseitigen neoviktorianischen Produktionen ein mit Segal vergleichbarer Erfolg nicht beschieden war. Gesonderter Erwähnung wert ist Stephan Schneck mit seinem Roman The Nightderk156, der bei seinem Erscheinen 1965 sogar mit dem Prix Formentor ausgezeichnet wurde. Hier wird Pornographie in gleichsam elitärer, anspruchsvoller Einkleidung geboten. Exotik, Mystik, Horror und Perversion werden aufgeboten, und Schneck bedient sich darüber hinaus einer Erzähltechnik, die strukturell mit den Mitteln der Rückblende und der Montage arbeitet und stilistisch eine Lyrisierung des Pornographischen anstrebt, letzteres ganz ohne 37
Zweifel zum Zwecke einer kalkulierten Erhöhung des Kitzels. M a n wird an Arthur Schnitzler und H. H. Ewers 1 5 7 erinnert; die Verwandtschaft mit Henry Miller und William Burroughs ist ebenfalls zu konstatieren, auch wenn zu beachten bleibt, daß diese Autoren bewußt ein Gesellschaftsbild, wie auch immer verzerrt und verfälscht, anstreben, worauf Schneck ebenso bewußt verzichtet. — John Rechy, der mit seinem Erstling City of Night158 den beachtenswerten Versuch unternahm, das Persönlichkeitsproblem des Homosexuellen zum sozialen Problem der Menschenfeindlichkeit und Bösartigkeit- des amerikanischen Großstadtdschungels in Beziehung zu setzen 1 5 9 , begibt sich mit einem späteren R o m a n 1 6 0 auf die Ebene Schnecks. Schließlich soll Hubert Selby, jr. knapp untersucht werden, der mit seinen Romanen Last E.xit to Brooklyn161 und The Room162 nicht nur BestsellerErfolge erzielt, sondern auch — im Urteil der bürgerlichen Kritik — den Anspruch erhebt, eine völlig neue A r t Literatur gesschaffen zu haben. In der Tat ist der Episodenroman Last Exit to Brooklyn zunächst wegen seiner Unterschiede zur gängigen Massenliteratur bemerkenswert: Soldaten, Arbeiter, Gewerkschaftsfunktionäre sind wesentliche Figuren, daneben freilich auch Transvestiten, Prostituierte, motorisierte Rocker. Selby stellt die Lebensbedingungen in den Slums von Brooklyn ähnlich intensiv dar wie Claude Brown das Ghetto von Harlem. Er reduziert alle menschlichen Beziehungen, vor allem die sexuellen, auf Brutalität; man kann behaupten, Selby sei vom Thema Brutalität ebenso besessen wie beispielsweise Henry Miller vom Thema Sexualität, wobei Selby letzteres nicht ausspart, es aber der Brutalität subsumiert. Es besteht gar kein Zweifel an der enthüllenden und entlarvenden Absicht des A u t o r s : Perversion, Brutalität, Bestialität erscheinen als erschreckende Züge des amerikanischen Alltags, sind zur Gewohnheit, zur Lebensweise, zur N o r m geworden. Alle Gestalten Selbys akzeptieren dies, die Transvestiten Georgette und Vinnie 1 6 3 ebenso wie die Prostituierte Tralala, die am Ende, von Dutzenden Männern mißbraucht und mißhandelt, halbtot auf einem Trümmergelände liegengelassen wird 1 6 4 , oder wie der Gewerkschaftsfunktionär Harry Black, der vor der Frustation korrupter Gewerkschaftsbürokratie, von der er nichtsdestoweniger profitiert, in die A r m e käuflicher Homosexueller flüchtet, um zu erleben, daß er nur als Zahlender geduldet ist. 165 Die (neo-)naturalistische Schock-Ästhetik Selbys ist nicht schlechthin voraussetzungslos oder absolut originell, sondern steht in einer Traditionslinie, die möglicherweise bei Edgar Allan Poe beginnt, jedenfalls aber durch den „klassischen" Naturalismus (wie ihn Frank Norris in Vandover and the Brüte und McTeague praktiziert) und Teile des muckraking repräsentiert wird und sich in jüngster Zeit in der „sex-and-violence"-Literatur unterschiedlicher Nuancierung fortsetzt. Während jedoch der amerikanische Naturalismus der Wer Jahre die theoretisch-ästhetisch gesetzte Sackgasse praktisch-geschichtlich überwand und in seinen besten Vertretern auf realistische Positionen überging 1 f,fi . demonstriert der Neo-Naturalismus die vertiefte Krise des bürgerlichen Bewußtseins und agiert zugleich — objektiv, nicht zwangsläufig bewußt oder gewollt — als
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Apologet der imperialistischen Ordnung. Freilich geschieht dies auf vergleichsweise subtile Art. Die detaillierte Schilderung gesellschaftlicher Gebrechen und ihrer Folgen für das Individuum ist insofern nicht analytischer Natur, als die von Selby geübte Hypertrophie der Brutalität unvermeidlich eine Assoziation mit dem Pathologischen suggeriert. Die Brutalität wird so nicht als soziale Erscheinung begriffen, sondern ursächlich als pathogenes Phänomen interpretiert, das sich gleichsam ständig selbst erzeugt. Perspektivische Gestaltung, die ja wohl ein Begreifen der geschichtlichen Potenz des Menschen einschließt, ist im Rahmen dieses biologistischen Menschenbilds prinzipiell nicht möglich; was sich als Kritik gibt, wird objektiv zur Apologie. Selbys Roman The Room erhärtet die obigen Feststellungen. Ein Gefängnisinsasse „dreams of absolute evil" 167 : Der gesamte Roman besteht aus Phantasien der Hauptgestalt über Polizei- und Justizwillkür sowie aus phantastischen Racheplänen, als deren Höhepunkt die Hauptgestalt zwei Polizisten zu Hunden macht, sie im Käfig hält, eine Ratte töten läßt, sie wie im Zirkus den Angehörigen vorführt. Die gleichen Polizisten hatten vorher — ebenfalls in der Phantasie des Häftlings — eine junge Frau vergewaltigt und mißhandelt; eine Szene, für die sich kaum Vergleiche in der Literatur finden168. Dieser Roman macht ganz deutlich, wie eine potentielle Kritik am imperialistischen, ja faschistischen Polizeiund Justizapparat eben dadurch zur Apologie pervertiert wird, daß IndividuellPathologisches höchst kunstvoll hypertrophiert wird. Die zwangsläufige Schlußfolgerung richtet sich auf den kranken einzelnen Menschen, nicht auf das kranke System. Ein analytisches Eindringen in die Kausalität fehlt, und Selby erweist sich als ästhetischer Anarchist, dessen Aufbegehren durch seine Ziellosigkeit sich selbst paralysiert. Unser Versuch, die Ursachen für die Widersprüchlichkeit, das Schockierende und die Vielfalt in der bürgerlichen Literatur der Vereinigten Staaten zu analysieren, hatte von einer Skizze der sozialökonomischen Realität der USA nach dem 2. Weltkrieg auszugehen. Die Krisenhaftigkeit des modernen Kapitalismus, das Wesen des US-Imperialismus, die spezifische, auf diesen Voraussetzungen beruhende Lebensqualität in den heutigen USA werden in der Ideologie nicht nur schlechthin reflektiert, sondern mit ihrer Hilfe potenziert und perpetuiert. Ohne daß prinzipiell die endliche Abhängigkeit dieser Ideologie von der sozialökonomischen Basis in Frage zu stellen ist, muß dennoch von einer zunehmenden Gewichtigkeit und relativen Selbständigkeit ideologischer Erscheinungen ausgegangen werden. Gleichzeitig ist ein Abnehmen der offensichtlich und ostentativ apologetischen Funktion der Ideologie festzustellen, verbunden mit einer stärkeren Akzentuierung von teilweise scheinbar antibürgerlichen, neulinken und anarchistischen Tendenzen, die objektiv als zeitgemäße Varianten der bürgerlichen Ideologie (in einem mehr konservativen Sinne) fungieren und sich methodologisch als umfassende Revision marxistischen und klassischbürgerlichen Denkens charakterisieren. Obwohl diese Tendenz im Rahmen der globalen System-Konfrontation eine Rückzugsposition markiert, ist weder ihre 39
Gefährlichkeit noch ihre Attraktivität — speziell für den (kleinbürgerlichoppositionellen Intellektuellen und Künstler — zu unterschätzen. G e r a d e von hier aus wird die Relevanz ideologischer Erscheinungen für die literarisch-kulturelle Entwicklung in ihrer Gesamtheit sichtbar und faßbar. Die Fülle und Vielfalt der literarisch-kulturellen Szene der 50er und speziell der 60er J a h r e k o n n t e nicht erfaßt werden; wir meinen jedoch, d a ß unsere Auswahl wesentliche Tendenzen verdeutlicht und eine Gesamtsicht ermöglicht. Auf dieser G r u n d l a g e sollen in den folgenden Kapiteln einzelne repräsentative Autoren untersucht werden mit dem Ziel, die theoretische Gesamtsicht zu konkretisieren, zusätzliches Belegmaterial bereitzustellen und wesentliche Aspekte der bürgerlichen amerikanischen Literatur nach dem 2. Weltkrieg kritisch zu erhellen.
Henry Miller: Mythisierung des Sexus und anarchistische Endzeitvision
Das umfangreiche Gesamtwerk Henry Millers — darunter befinden sich freilich relativ wenige Romane 1 — erscheint in besonderer Weise geeignet, bürgerliche Literaturentwicklung in den Vereinigten Staaten nach 1945 zu erhellen, weil es in seinen ideologischen Prämissen wie in seinen ästhetischen Prägungen überaus deutlich bestimmte Trends reflektiert und gleichzeitig maßstabsetzend wirkt. Der besondere Status Millers ergibt sich schon aus einigen Daten 'seines Lebens: 1891 in New York City geboren, verlebte er als Kind kleinbürgerlicher deutsch-amerikanischer Eltern seine Kindheit und frühe Jugend in Brooklyn; diese Zeit — die eine sehr kurze Studienzeit am City College einschließt — wird von ihm selbst als wichtige formierende Periode seines Lebens bezeichnet. Es folgten Erlebnisse in verschiedenen Beschäftigungen und auf Reisen in den Staaten; 1920 wurde er Personalchef der Western Union Telegraph Company; 1927 betrieb er eine Kneipe in Greenwich Village. Die entscheidenden Jahre der G R E A T DEPRESSION und der Roosevelt-Ära (1930-1940) sahen ihn in Frankreich, gleichsam als verspäteten Nachfahren der „Verlorenen Generation", mit der er im übrigen kaum etwas gemein hatte. Seit seiner Rückkehr in die USA (1940) lebt Miller in Big Sur, California; sein Haus war vorübergehend Treffpunkt der Beats, denen er sich wesensverwandt fühlte und von denen er als eine Art spiritueller Vater angesehen wurde. Ein summarischer Blick auf sein Werk bestätigt den Eindruck, den auch schon die Lebensdaten anzudeuten scheinen: Miller spielt zunächst die Rolle eines Außenseiters, wenngleich eine historisch-perspektivische Sicht seine Wirkung und Attraktivität auf eine vorerst im Untergrund verbleibende Literatur- und Kulturszene in Rechnung zu stellen hat. Während die 30er Jahre mit Krise, Faschismus, Krieg und dem Entstehen einer proletarisch-revolutionären Literatur unter den bedeutenden bürgerlichen Schriftstellern der USA von Caldwell und Faulkner bis Steinbeck und Wolfe eine entschiedene Hinwendung zu sozialer Thematik bewirkten und in einem bedeutenden Höhepunkt des kritischen Realismus kulminierten, blieb Millers Werk abseits von dieser Entwicklung. Tropic of Cancer und Tropic of Capricorn waren bis weit in die 50er Jahre hinein lediglich einem esoterischen Zirkel von Kennern bekannt. Auf die Rolle der literarischen Zensur in den USA ist hier nur zu verweisen; die Fortschrittsfeindlichkeit dieser Zensur ist unbestreitbar, jedoch in unserem Kontext ebenso 41
irrelevant wie Erörterungen über die möglichen Verdienste Millers im Kampf gegen die Zensur-Gesetzgebung. Entscheidend ist vielmehr die Tatsache, daß sowohl die 7>o/wc-Romane wie die Bände der Rosy Crucifixion in den 60er Jahren auch in den USA weite Verbreitung fanden. Die durch Manipulierung des gesellschaftlichen Bewußtseins, durch weitere Vermarktung und kommerzielle Korruption geistig-kultureller Werte und schließlich — aus beiden folgend — durch Etablierung „neuer" literarischer Ausdrucksweisen entstandene Sex-Welle hatte den Boden vorbereitet. Dahinter stand freilich noch mehr: die Kongruenz Millerscher literarischer Aussage mit imperialistischer Ideologie, deren politische Orientierung sowohl ultrarechter wie ultralinker Schattierung ist.
Literarischer Untergrund im Exil: Tropic of Cancer und Tropic of Capricorn In diesem Licht erscheinen Millers Tropic-Romane (sowie auch Black Spring2) weniger als stilistisch-formale Neuerungen, die den radikalen Bruch mit Tradition und Tabu herbeiführen halfen; sie etablieren vielmehr — entgegen dem Hauptstrom der literarischen Entwicklung der 30er Jahre — eben jenen philosophischen, politischen und letztlich auch ästhetischen Nihilismus, der für weite Teile der bürgerlichen amerikanischen Literatur der 50er und 60er Jahre charakteristisch werden sollte. Höchst aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang die Gedanken George Orwells, eines der ersten prominenten Bewunderer Millers. In seinem berühmten Essay Inside the Whale3 kommt Orwell zu bemerkenswerten, wenn auch höchst widersprüchlichen Einsichten. Tropic of Cancer nehme die Welt passiv hin; in dieser Hinsicht gleiche Miller Whitman. Natürlich macht Orwell auf die fundamentalen Unterschiede aufmerksam: Whitmans Welt läßt seine Hinnahme der Wirklichkeit völlig anders erscheinen als die Millers: „The democratic vistas' have ended in barbed wire" und „To accept civilization a s it is means accepting decay." 4 Wenn man von Orwells falschen Verallgemeinerungen absieht, die sich aus seiner kleinbürgerlich-anarchistischen Weltsicht 5 ableiten (Whitmans Vision endet nicht absolut im Stacheldraht, und die bürgerliche Zivilisation ist nicht Zivilisation schlechthin), ist seiner Gedankenführung soweit zuzustimmen. Darauf folgt jedoch eine Behauptung, die nicht nur Orwells Denkweise, sondern möglicherweise auch Millers Realitätsinstinkte zu erhellen vermag: Weil Miller sich gegenüber der Erfahrung (d. h. der Welt, der Gesellschaft) passiv verhalte, gelinge es ihm „to get nearer to the ordinary man than is possible to more purposive 6 writers. F o r t h e o r d i n a r y m a n is a l s o p a s s i v e . " Was der „ordinary m a n " auch immer sein möge: „So far from endevouring to influence the future, he simply lies down and lets things happen to him." 7 Orwell muß angesichts dieser seiner Behauptung gewisse Bedenken gehabt haben, denn wenig später versichert er: „I do not mean that the people Miller is 42
writing about constitute a majority, still less that he is writing about proletarians." Über welche „einfachen Leute" schreibt also Miller wirklich? Orwell sieht das so: „Miller's 'ordinary man' is neither the manual worker nor the suburban housholder, but the derelict, the déclassé, the adventurer, the American intellectual without roots and without money." Und der letzte, freilich erfolglose Rettungsversuch am Argument: „Still, the experiences even of this type overlap fairly widely with those of more normal people. Miller has been able to get the most out of his rather limited material because he has had the courage to identify with it." 8 Im folgenden versucht Orwell, Millers Abweichen von der Norm durch Vergleiche mit den progressiven, „linken" Tendenzen vorzugsweise der englischen Literatur der 30er Jahre zu erklären. Dabei verwundert es nun nicht mehr, daß diese progressive literarische Entwicklung als minderwertig, weil unfrei, denunziert wird. Schließlich, um den Titel des Essays gerecht zu werden, bemüht Orwell auch noch das biblische Bild Jonas im Bauch des Wals: „Short of being dead, it is the final, unsurpassable stage of irresponsibility." 9 Miller habe damit die Richtung gewiesen, in der sich die Literatur der Zukunft zu bewegen habe: „Seemingly there is nothing left but quietism — robbing reality of its terrors by simply submitting to it . . . Give yourself over to the world-process, . . . simply accept it, endure it, record it. That seems to be the formula that any sensitive novelist is now likely to adopt." 1 0 Es bedarf kaum noch der zusätzlichen Versicherung Orwells, Miller habe am spanischen Bürgerkrieg keinerlei Interesse genommen. Ende 1936, als sich Orwell und Miller in Paris trafen, wurde diese Haltung des letzteren wie folgt evident: „He felt no interest in the Spanish war whatever. He merely told me in forcible terms that to go to Spain at that moment was the act of an idiot." 11 Es ist dies freilich — wenn auch erschreckend — lediglich der zugespitzte politische Ausdruck einer umfassenderen philosophisch-ethischen Verantwortungslosigkeit, die — so wagen wir vorausblickend zu behaupten — in Millers Gesamtwerk auch ästhetisch manifest wird. Orwells Essay war für unser Vorhaben interessant, weil er — erstens — objektiv richtig die Haltung Millers am Beginn seiner literarischen Karriere umschreibt, wie sie in Tropic of Cancer, Black Spring und Tropic of Capricorn Ausdruck findet. Damit ersparen wir uns ein genaueres Eingehen auf die Frühwerke Millers, die ohnehin außerhalb unseres Betrachtungszeitraums liegen. Zweitens erlaubt Orwells Interpretation gerade wegen ihrer reaktionären Tendenz den Schluß, daß Millers zweifelhafte ästhetische Grundhaltung ein gewisses Echo zumindest ab 1940 zu finden beginnt. Inside the Whale als intellektueller Extrakt der Frühwerke Millers ist somit als eine Art ästhetisches Manifest zu werten, das sich in deutlich erkennbarer geistiger Nachbarschaft zu Theorie und Praxis T. S. Eliots und Ezra Pounds befindet und seine Beeinflussung durch Nietzsche, die deutsche Lebensphilosophie und Ortega y Gasset nicht verleugnen kann. Die Prophetie Orwells, verbunden mit seiner militanten anti-
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kommunistischen Gesinnung, weist politisch, ideologisch und künstlerisch hinüber zu literarischen Entwicklungen nach dem 2. Weltkrieg.
The Air-Conditioned Nightmare: Anarchistische Zivilisationskritik Miller selbst hat in einer Reihe von Bänden, deren Inhalt sich wohl am besten mit „Erinnerungen und Reflexionen" umschreiben läßt, seine Haltung zu definieren und Maximen zu verkünden versucht. Es handelt sich dabei um The Cosmological Eye11, The Colossus of Maroussi13, The Air-Conditioned Nightmare14 und Remember to Remember15. Die in diesen Werken vermittelte Weltsicht ist zwar alles andere als kohärent, dennoch aber vergleichsweise umfassend und vielschichtig. Die Herkunft der Ansichten Millers über Gesellschaft, Politik und Kunst ist einerseits schwer exakt bestimmbar, weil er fast ausschließlich intuitiv vorgeht; andererseits sind diese Ansichten in ihrer Summe durchaus auf bestimmte Quellen rückführbar. Obwohl man Miller nicht vorwerfen kann, er klammere Probleme der zeitgenössischen Weltpolitik (d. h. der 30er Jahre einschließlich des 2. Weltkriegs) aus, so ergibt sich dennoch der Eindruck einer gewaltsamen Rückbesinnung auf die 20er Jahre; diese erscheinen als Endzeit jeder Normalität, während Krise, Faschismus, revolutionäre Arbeiterbewegung und Sozialismus unterschiedslos als Symptome einer nicht mehr heilbaren gesellschaftlichen Krankheit gewertet werden. Neben der Glorifizierung der 20er Jahre und der damit implizierten Negation der potentiell revolutionären Gegenwart der 30er Jahre finden wir jedoch auch eine scheinbare Antizipation der Zukunft, d. h. der 50er und 60er Jahre, vor allem im Hinblick auf die Entwicklung der Literatur. Dieser Eindruck ergibt sich aus drei Gründen: Erstens wird Miller in den 50er Jahren auch in den USA akzeptiert und bestimmt somit die eine Linie der amerikanischen Literaturentwicklung maßgeblich mit; zweitens beruft man sich in den 50er Jahren wenn nicht immer auf Miller, so doch in zunehmendem Maße auf die Autoritäten, die Millers Denkweise beeinflußten; drittens scheinen bestimmte sozialökonomische und politische Erscheinungen der 50er und 60er Jahre, wie sie für die Endphase des Kapitalismus charakteristisch sind, Millers düsteren Gesellschafts- und Kulturprognosen noch besser zu entsprechen als die Wirklichkeit der 30er Jahre. Das Belegmaterial für Millers Gesellschafts-, Kultur-, politische und ästhetische Konzeption ist sehr umfangreich, so daß eine gewisse Beschränkung angezeigt ist. Extremer Individualismus kennzeichnet durchgehend Millers Haltung. Von solcher Position aus ist ihm jedes wirkliche Verständnis für gesellschaftliche, kulturelle und politische Probleme verstellt. Es hätte gar nicht seiner ausdrücklichen Versicherung bedurft: „I have never read a line of Karl Marx"; diese Tatsache ist ohnehin evident. „Karl Marx, so they say, explains the strueture of our capitalistic society . . . Society is made up of individuáis. It is
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the individual who interests me — not the society." 1 6 Es verwundert nicht, wenn zu solcher Haltung noch ausgesprochener Egozentrismus tritt: „I believe in myself — that is my whole credo." 1 7 Führer lehnt Miller ab, aber nur f ü r seine Person, denn die Massen brauchen Führer. F ü r die Massen hat Miller letzlich nur Verachtung, auch wenn diese Verachtung verbal verbrämt wird: „Their illusions und delusions are poignantly touching to me, but they d o not convince me that I should offer my life for t h e m . " U n d die weitere Folgerung ist schon deshalb nicht als einfacher Denkfehler abzutun, weil sie sich bei Miller hundertfach wiederholt und obendrein in unseren Tagen zum Arsenal des konvergenztheoretischen A n t i k o m m u n i s m u s gehört: „It seems to me that the men who would create a Fascist world are the same at heart as those who would create a Communist world. They are all looking for leaders who will provide them with enough work to give them f o o d and shelter." 1 8 T r o t z der politischen Brisanz solcher Aussagen sollte nicht übersehen werden, d a ß die Ursache dieses D e n k e n s in der Verachtung der Massen, die Miller nur als instinkthaften M o b begreifen kann, bzw. — als Kehrseite der Medaille — in seinem Individualismus und Elitismus liegt. Es gibt freilich noch eine tiefere U r s a c h e : Millers Verachtung des einfachen Menschen ist Verachtung des arbeitenden Menschen oder der Arbeit. So sieht er die H ä n d e des Arbeiters als „ h a n d s without souls . . . soul-less hands with warts and callouses, busy, busy, making ¡numerable nothings for n o n entities living without grace, light, wisdom or compassion . . ." Kein Zweifel, d a ß Miller hier, poetisch-bildhaft, die E n t f r e m d u n g der Arbeit und des Arbeiters a u s d r ü c k t ; kein Zweifel aber auch, d a ß er deren Ursache nicht zu erkennen vermag. U n d die Kontrastierung der Arbeiterhände mit den K ü n s t l e r h ä n d e n bleibt im circulus vitiosus des Agnostizismus u n d der Ignoranz („I never read a line of Karl M a r x " ) befangen: „ H a n d s not busy but creative: disciplined h a n d s formed to give joy to seeing eyes. H a n d s belonging to an ancient organism, not local but universal, the organism of the Brotherhood of M a n . " 1 9 Millers völlig ahistorische Gesellschaftsauffassung mündet in eine K u l t u r und Zivilisationskritik, die in erster Linie auf die U S A gerichtet ist. O b w o h l dies einerseits zu einer durchaus berechtigten kritischen Analyse bestimmter Erscheinungen des amerikanischen gesellschaftlichen und kulturellen Lebens 2 0 führt, werden andererseits die agnostizistisch-individualistischen G r u n d z ü g e seines Denkens mit ihren Folgeerscheinungen gerade hier besonders deutlich. Diese Ambivalenz bestimmt z. B. seine Einschätzung A b r a h a m Lincolns und des amerikanischen Bürgerkriegs: Hauptresultat des Kriegs sei „the enslavement of the whites as well as the blacks", " T o - d a y no m a n is free except he w h o has the money or who owns the machines we work w i t h " ; Lincoln sei erst d a n n als „the great leader" gefeiert worden, nachdem er Amerika in „the most bloody internecine strife that ever a nation participated i n " gestürzt hatte. 2 1 Miller scheint jedes Verständnis für die Entwicklungsgesetze sozialen Seins, für dessen Geschichtlichkeit also, zu fehlen. Einzelerscheinungen mögen als solche von ihm zuweilen richtig gewertet werden; Z u s a m m e n h ä n g e erkennt er nicht. So ist der
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alte Süden für ihn noch immer Gegenstand nostalgischer Sehnsucht, dessen Sklavenkultur er mit den Kulturen Indiens, Ägyptens, Roms und Griechenlands vergleicht: „Who knows what splendors might have blossomed forth from such nuclei as Charleston, Savannah, New Orleans!" 2 2 Gleichgültig, ob er sich auf den Süden, auf eine kleine Indianerreservation in North Carolina 2 3 oder auch auf europäische Länder wie Griechenland bezieht; immer erscheinen ihm solche besonderen geographischen Orte oder Gemeinschaften als Idyllen, die durch die „Zivilisation", die Maschine, das industrielle Zeitalter bedroht werden. Die Vereinigten Staaten insgesamt erscheinen ihm als das Opfer einer von ihm bestenfalls auf dem Niveau der Maschinenstürmer verstandenen industriellen Zivilisation. 24 Es ist nur folgerichtig, wenn Miller in seinem Denken jeglichen Staat als autoritär verwirft. 25 Die Charakteristik der Millerschen Gesellschafts- und Geschichtsauffassungen wäre ohne Hervorhebung ihres tiefen Pessimismus unvollständig. „We are in the grip of cosmic forces", heißt es bei ihm; „We are in the hands of Fate", und: „The whole meaning of life is contained in the word suffering." 26 Miller ist allgemein vom Weltuntergang überzeugt: „I could never have written the sorts of books I did had I not been imbued with the a b s o l u t e c o n v i c t i o n of t h e i m m i n e n c e of t h e e n d . " 2 7 Ist das noch eine Art allgemeiner Zivilisationspessimismus, so drückt sich die Furcht Millers distinktiver, weil klassenbedingt, in folgendem aus: „The era of the collectivity is already inaugurated. America is communized, from top to bottom. She needs only a Lenin, or a Mussolini, or a Hitler." 2 8 Die Gleichsetzung von diametralen Gegensätzen sollte dabei nicht mehr verwundern. Trotz des so gearteten Pessimismus, dessen Herkunft von Millers totalem Unverständnis für gesellschaftliche Entwicklungsgesetze bzw. von seinem bornierten Klassenstandpunkt offensichtlich ist, bietet er dennoch sozialtherapeutische Lösungen a n ; sein Pessimismus ist demnach nicht absolut, sondern relativ und höchst widersprüchlich. Miller verkündet nicht weniger als eine „Revolution". Dazu gehöre vor allem die Einsetzung des Individuums in seine Rechte: „Everything proceeds from the living individual", und natürlich die Abschaffung des Staates. Ebenso natürlich ist für ihn die Abschaffung der Nationen. Voraussetzungen zur Erreichung solcher Ziele vermag Miller freilich nur vage und mystisch verkleidet auszudrücken: „inspirational fervor", "a new realm of consciousness", „an overwhelming desire" seien vonnöten. Sogar „The little man, the man who does the dirty work, t h e p r o d u c e r " wird bemüht: „When the little man all over the world becomes so desperate that he cannot wait another minute, another second, beware O world!" Miller kann aber auf die Führerfigur zur Verwirklichung seiner chiliastischen Phantasien nicht verzichten: „At the dawn of every age there is distinguishable a radiant figure in whom the new time spirit is embodied." 2 9 Der quasireligiöse Charakter dieser Erlöserfigur ist offensichtlich und bedarf keines weiteren Kommentars. — Das Wesen der „neuen Welt", die laut Millers Sozialtherapie entstehen soll, wird relativ klar
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und umfassend als „a whole which no political ideology can hope to e m b r a c e " beschrieben, beruhend auf „a new mentality, a new consciousness". 3 0 Und an anderer Stelle heißt es, aufgeweitet zu „kosmischen" Dimensionen: By the year 2000 A. D. we will be completely under the sway of Uranus and Pluto. The word Communism will be an obsolete expression known only to philologists and etymologists. We shall be breaking ground for t h e
new a n a r c h y
which will c o m e in with the
advent of the new zodiacal sign, Aquarius. 3 1
Millers sozialtherapeutische Vorstellungen laufen also im wesentlichen auf chiliastisches Wunschdenken hinaus; dabei stellen wir bestimmte ideologische Ingredienzien fest: einen offenbar tief verwurzelten Elitismus, einen mit diesem oberflächlich in Widerspruch stehenden Anarchismus 3 2 , astrologischen Mystizismus, Zivilisationspessimismus, schwer definierbare Ideen von einem instinkthaft begriffenen „neuen Bewußtsein". 3 3 Von hier aus zu den ästhetischen Auffassungen Millers besteht ein nahtloser Übergang. Zunächst sei festgestellt, daß Miller von einer Gesellschaftlichkeit der Kunst und des Künstlers ausgeht; dies ergibt sich schon aus dem geradezu missionarischen Eifer, mit dem er immer wieder das Problem zu beleuchten versucht. Freilich erscheint die Art und Weise der Gesellschaftlichkeit der Kunst bei Miller in sehr zweifelhaftem Licht; überdies lassen sich Widersprüche zwischen dieser — wie immer gearteten — Konzeption der Gesellschaftlichkeit und seinem extremen Individualismus feststellen. So heißt es einerseits: „ T h e role which the artist plays in society is to revive the primitive, anarchic instincts which have been sacrificed for the illusion o f living in c o m f o r t . " 3 4 Dieser Satz darf sowohl als ästhetisches Programm wie auch als kurze Formel seiner reaktionären Gesellschaftsauffassung verstanden werden. Miller interpretiert die gesellschaftliche Verantwortung des Künstlers in typisch elitistischer Weise: Der Künstler sei nicht an ein „anonymous life in the brotherhood o f m a n " 3 5 gebunden. Miller denunziert einerseits die „Bruderschaft des M e n s c h e n " als „Reduktion des Prinzips der Individuation auf den kleinsten gemeinsamen Nenner der Intelligibilität", was im übrigen die Massen zur Identifikation mit Filmstars und „megalomaniacs like Hitler and Mussolini" führe; kurz: Miller negiert auf gesellschaftlicher Arbeit gewachsene, historisch sich entwickelnde Sozietät, weil er sie nur als autoritär-staatlich organisiert begreifen kann. Andererseits akzeptiert er eine andere Gemeinsamkeit: „Below the belt all men are brothers." 3 6 Interessanterweise bezieht sich Miller in diesem Zusammenhang auf „Father F r e u d " und „Jung the Mystic", allerdings nicht in dem Sinne, daß er sie als Begründer psychoanalytischer Lehren oder philosophischer Theorien anerkennt; Miller ist gegen Lehren und Theorien, er ist ideologie- und intellektfeindlich, ohne sich bewußt zu sein, daß er damit lediglich seine eigene Theorie, seine eigene Ideologie schafft, die objektiv dennoch ihre Abhängigkeit von anderen nicht verleugnen kann. Vielmehr will Miller Freud und Jung als Vorbilder und Wegweiser verstanden wissen. In diesem Sinne empfiehlt er, ihre 47
Theorien als solche zu zerstören; statt dessen: „Let each one turn his gaze inward and regard himself with awe and wonder, with mystery and reverence; let each one promulgate his own laws, his own theories . . . Let each one as an individual, assume the roles o f artist, healer, prophet, priest, king, warrior, saint. N o division o f labor. Let us recombine the dispersed elements o f our individuality. Let us reintegrate." Die Menschen sollten zum Bewußtsein des „Id, the great unknown reservoir and fundament o f humanity" erweckt werden, zum Bewußtsein „ o f this identy o f substratum, this brotherhood below the b e l t " 3 7 . Diese irrationale, reaktionär-utopische, synkretistische Denkweise ist sowohl für Millers Gesellschafts- wie für seine ästhetische Konzeption Grundlage; was bei Freud und Jung keimhaft angelegt war (letzten Endes hatten beide eine feste wissenschaftliche Basis, von der sie ausgingen), wird von Miller bedenkenlos in den Rang der letzten Lebensweisheit, der Philosophie erhoben. Immerhin erscheint ein Blick auf die Jungsche Archetypenlehre geeignet, Millers Auffassungen weiter zu erhellen; So behauptet Jung, daß unter bestimmten Umständen die Archetypen des kollektiven Unbewußten so mächtig werden, daß „Millionen gebildeter Menschen der Theosophie und Anthroposophie verfallen". Dies deshalb, „weil diese modernen gnostischen Systeme dem Bedürfnis nach Ausdruck und Formulierung dieser innern wortlosen Ereignisse entgegenkomm e n " . Das Christentum sei zu rational, um diesem Bedürfnis Rechnung tragen zu können; deshalb suche man viel eher Befriedigung in Buddhismus, Brahmanismus und Taoismus. Und schließlich: „ D e r unerhörte Synkretismus der Theosophie . . . kommt diesem Bedürfnis weitgehend entgegen . . , " 3 8 Kehren wir zu Millers ästhetischen Auffassungen im engeren Sinne zurück. Wir hatten auf den reaktionären Synkretismus seines Denkens bereits hingewiesen; die Frage ist, wie sich dieser mit seinem nachweisbaren, extremen Individualismus verträgt. Die Antwort ist relativ einfach: Selbst einem Henry Miller ist es natürlich nicht möglich, sich gleichsam selbst einen Atavismus zu verordnen, der ihn in die Gefilde urgesellschaftlichen synkretistischen Denkens zurückversetzt (es sei denn, man ginge im Sinne der Psychoanalyse von einer atavistischen Regression aus, was uns dann freilich endgültig in den Bereich der Psychopathologie verweisen würde); sehr wohl möglich ist dagegen eine — bewußte oder unbewußte — Adaptation verschiedener präformierter Ideen, die im Rahmen der bürgerlich-bornierten Weltsicht Millers unvermeidlich zu eklektizistischer Widersprüchlichkeit führen. So ist er einerseits der Ansicht, „that the life of the artist, his devotion to art, is the highest and the last phase of egotism in m a n " ; andererseits spricht er von der Verantwortung des Künstlers: „I feel . . . a growing liberation, supplemented more and more by a desire to serve the world in the highest possible w a y " ; oder „I felt a sense of responsibility such as I had never known before." 3 9 Könnte man möglicherweise bis hierher noch unterstellen, Miller begreife den Künstler als notwendig subjektives Prisma, in dem sich die Welt breche (wobei es — das sei konzediert — sicher nicht leicht ist, die Grenze zwischen echter künstlerischer 48
Subjektivität und subjektivistisch-elitistischer Willkür zu bestimmen 4 0 ), so werden die Zweifel in der folgenden Passage gewiß ausgeräumt: Art, like religion, . . . is only a preparation, an initiation into the way of life. T h e goal is liberation, freedom, which means assuming greater responsibility. T o continue writing beyond the point of self-realization seems futile . . . T h e mastery of any form of expression should lead inevitably to the final expression — mastery of life. I n t h i s r e a l m o n e is a b s o l u t e l y a l o n e , f a c e t o f a c e with the very e l e m e n t s of creation.41 Sehen wir von allem — auf seine Weise freilich auch aussagekräftigen — irrationalen Beiwerk ab, so bliebt festzustellen, d a ß sich Miller in einem ästhetischen Circulus vitiosus bewegt: A n f a n g und Ende jeder K u n s t sei das eigene Ich; die mehrfach beschworene „responsibility" kann allenfalls eine Verantwortung sich selbst gegenüber sein. M a n ist versucht, Millers D i k t u m über Joyces Finnegan's Wake („a ferocious masturbation carried on in fourteen tongues" 4 2 ) auf ihn selbst anzuwenden. U n t e r diesem Aspekt sind auch weitere, zugespitzte Ä u ß e r u n gen Millers zu verstehen. 4 3 Henry Millers theoretische Ansichten sind damit im wesentlichen erfaßt. Es war zu zeigen, d a ß seine gesellschaftlichen, politischen u n d ästhetischen Ideen nicht nur aufs engste miteinander verflochten sind, sondern auch eine gemeinsame ideologische H e r k u n f t verraten bzw. einen methodologischen H a u p t n e n n e r aufweisen: In der allgemeinsten Fassung ist dies der subjektive Idealismus. Extremer egozentrischer Individualismus, mystisch-irrationales Denken, EliteAuffassungen, Astrologie und ein alles durchdringender Agnostizismus bestimmen seine Haltung im einzelnen. Diente unsere Analyse der Millerschen Auffassungen bisher dem Ziel, die in seiner gesamten Weltanschauung begründete reaktionäre Ästhetik bloßzustellen, so soll eine Betrachtung seiner Romantrilogie den Beweis für seine entsprechende Literaturpraxis erbringen u n d von da aus zur weiteren Erhellung der spätbürgerlichen Literatur schlechthin beitragen.
The Rosy Crucifixion: Das Ich und das Ende der Welt Sieht man von dem episodenhaften, story-artigen (und auch verfilmten) Quiet Days in dichv44 ab, so bleibt als Nachkriegs-Romanwerk Millers in erster Linie seine autobiographische Trilogie The Rosy Crucifixion mit den Bänden Sexus, Plexus und Nexus zu betrachten. Der autobiographische C h a r a k t e r d ü r f t e bei der Trilogie als ebenso erwiesen gelten wie bei Tropic of Cancer, Tropic of Capricorn und Black Spring, wobei die Handlungszeit der Trilogie vor der der früher erschienen Werke liegt; entsprechend ist auch hauptsächlicher Schauplatz der Trilogie New York City, der der früheren Werke dagegen Paris. Miller hält es immerhin f ü r nötig, auf den autobiographischen C h a r a k t e r seiner Werke (wenn auch in engerem Sinne auf Tropic of Cancer bezogen) ausdrück4
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lieh hinzuweisen; seine weiterführenden Bemerkungen an gleicher Stelle sind von besonderem Interesse und erlauben erste Rückschlüsse: „I didn't write a piece of fiction: I wrote an autobiographical document, a h u m a n book." Und: „At a certain point in my life I decided that henceforth I would write about myself, my friends, my experiences, what I knew and what I had seen with my own eyes. Anything else, in my opinion, is literature and I a m n o t i n t e r e s t e d in l i t e r a t u r e . " 4 5 In der Abgrenzung gegenüber dem, was Miller unter „Literatur" versteht, liegt implizit die Negation der Gesellschaftlichkeit der Literatur, und die Beschränkung auf den Persönlichkeits- und persönlichen Erfahrungsbereich bedeutet keinen realistischen Ansatz etwa im Sinne Hemingways, sondern die Kapitulation vor den Forderungen, die die Gesellschaft an die Literatur stellt, bedeutet Rückzug auf das eigene Ego. Die Bände der Rosy Crucifixion (und das gilt für alle anderen Romane bzw. romanhaften Werke Millers auch) sind nicht durch strenge Kompositionsmerkmale struktuiert; es scheint vielmehr, als schreibe Miller Erinnerungen und Reflektionen nieder, so, wie sie ihm gerade in den Sinn kommen. So entsteht der Eindruck des Regellosen, wenn nicht Chaotischen; zumindest aber extremer Spontaneität. Ohne jeden Zweifel ist gerade das beabsichtigt. Miller will in seinen Werken „a greater REALITY" etablieren, worunter er „obscenity", „violence", „imagination", „fantasy" und „a liberty as yet undreamed oP' versteht, vor allem aber „a real, inner harmony, an inner peace — and silence". Er empfiehlt der Literatur eine stärkere Verwendung des Symbols und der Metapher, des Mythologischen und des Archaischen; erst dann werde sie wahrhaft kommunikabel sein und sich vorteilhaft von der zeitgenössischen Literatur und ihrem „arid plateau of intellectuality" unterscheiden. So wird auch seine zusammenfassende Selbsteinschätzung und Zielstellung verständlich: „I am not a realist or naturalist; I am for life, which in literature . . . can only be attained by the use of dream and symbol. I am at bottom a metaphysical writer . . ," 4 6 Die zentrale ,lifeKonzeption' Millers verrät die Herkunft vieler seiner Vorstellungen vom Anarchismus. Der an sich politisch-philosophische Anarchismus — von Godwin, Stirner und Bakunin bis zu Herbert Read, Cohn-Bendit und Paul Goodman — enthält in besonders verführerischem Maße Bezugsmomente zum Ästhetischen: „the anarchist sees man less as ,Homo faber' . . . than as ,Homo ludens' . . . The function of his labor is not to remake the world around him but to manifest the creative forces of his personality"; der Anarchismus enthält demzufolge auch immer „a broad streak of antiintellectualism" und „an exaltation of 'life' over 'thought'". 4 7 Bereits das Strukturprinzip der Rosy Crucifixion reflektiert also ein für Miller charakteristisches ästhetisches Programm, dem eine prinzipiell biologistische 48 philosophische Orientierung zugrunde liegt. Darüber sei nicht verschwiegen, daß auch The Rosy Crucifixion eben jenes beträchtliche Erzähltalent Millers demonstriert, das von anglo-amerikanischen Kritikern recht treffend mit „gift for gab" umschrieben wird: Es handelt sich hierbei um weit mehr als naive Fabulier50
kunst; der Autor versteht es vielmehr, nahezu jede denkbare äußere wie innere Situation, jede Stimmungs- oder Gefühlsnuance intensiv zu gestalten. Miller handhabt die Magie des Wortes mit unleugbarer Virtuosität, was die Inkongruenz von Inhalt und Form zwar einerseits zu verschleiern vermag, sie andererseits jedoch um so krasser hervortreten läßt. Die Handlungsebenen der einzelnen Bände der Trilogie folgen einem einheitlichen Muster. So bestimmt sich die vordergründige Ebene aus dem autobiographischen Charakter der Trilogie und umfaßt die äußeren Stationen im Leben des Autors: seinen „ B e r u f als New Yorker Personalchef der Western Union Telegraph Company, seine Tätigkeit als Inhaber einer Kneipe in Greenwich Village und eine Reihe von odd jobs (Gelegenheitsarbeiten). Dazu gehören ferner familiäre Bindungen: das Elternhaus (das vollständiger allerdings in einer Reihe von Retrospektiven dargestellt wird) und seine beiden Ehen. Die Freundschaften des Autors sind ebenso ungezählt wie die erfolgreichen und mißglückten Versuche, von Bekannten und Unbekannten Geld zu leihen. Die materielle Grundlage der Existenz des Autor-Erzählers erscheint permant prekär: Sie beruht letzten Endes auf der ans Wunderbare grenzenden Fähigkeit seiner anfanglichen Geliebten und zweiten Ehefrau Mara-Mona, im entscheidenden Moment immer Geld beschaffen zu können von geheimnisvollen Männern, denen sie sich praktisch — kaum verhüllt und von Miller mit Stoizismus hingenommen — prostituiert. Es sind jedoch zwei Bereiche vor allen anderen, die sowohl die Vordergrundhandlung wie den geschilderten Lebensweg des Autor-Erzählers zentral bestimmen: der Bereich mannigfaltiger und übernatürliche Potenz fordernder sexueller Praxis einerseits und der Bereich des immer wieder frustrierten Bemühens um das eigene literarische Schöpfertum andererseits. Während die Präokkupation des Autors mit diesen beiden Bereichen insgesamt — in der gesamten Trilogie — evident ist, so muß doch eine quantitative Differenzierung zwischen den einzelnen Bänden festgestellt werden in dem Sinne, daß ersterer Bereich — in Sexus noch vorherrschend — zunehmend durch letzteren verdrängt wird, wenn auch nie absolut. Auch die Hintergrundebene der Handlung in der Trilogie, die allgemein reflektierender Natur ist und sich erzähltechnisch vorwiegend in Form von inneren Monologen, Retrospektiven und Träumen darbietet, basiert thematisch in erster Linie auf den beiden zuletzt genannten Bereichen. Besonders tritt dabei das Problem des schöpferischen künstlerischen Arbeitens hervor, das hier nun zusätzlich philosophisch und allgemein ideologisch relativiert wird. Es sind gerade diese Teile der Rosy Crucifixion, die den umfassendsten Rückschluß auf Ideologie und Ästhetik Millers suggerieren. Dabei ist es doch von einigem Interesse festzustellen, daß sich die Reflektionen der Romantrilogie in ihrer Gestaltung — wie teils auch in ihrem Inhalt — nicht von den Essay-Bänden Millers unterscheiden; Teile der einen und Teile der anderen wären ohne weiteres austauschbar. Der naheliegende Schluß auf eine bloß anarchische Gestaltungsweise reicht zur Erklärung dieses Phänomens noch nicht aus. Vielmehr ist zu 4*
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berücksichtigen, daß Miller auch hier gemäß seinem eigenen, auf seiner eigentümlichen ,life-Konzeption' basierenden ästhetischen Programm verfahrt: Die Spezifik der Kunst wird bewußt diffundiert, jeder Gegenstand ist danach kunstwürdig, und jede Objektivierung noch so abstruser Gedanken — vorausgesetzt, sie stammt von einem Begnadeten, für den sich Miller freilich hält — ist eo ipso Kunst. Wie schon angedeutet, überwiegt in Sexus die Deskription dessen, was der Titel verrät. Miller setzt hier potenziert fort, was bereits in Tropic of Cancer begonnen wurde: die variationsreiche Darstellung des sexuellen Akts, ungezählter Orgasmen, der immer wiederholten Fellatio und des Cunnilingus, kurz: aller nur denkbaren sexuellen Techniken. Minutiöse klinische Genauigkeit und freizügiger, genüßlicher Gebrauch von four-letter-words bilden den einen Aspekt der diesbezüglichen Darstellungsweise: She liked to fuck with the inner cunt, lying absolutely still, as in a trance. With semaphores erect, distended, jubilant, twitching, tickling, sucking, clinging, she could fuck to her heart's content, fuck till the last drop of juice was exhausted. 4 9
Sidney Finkelstein schätzt solche Darstellung differenziert als Millers „battle against society, against the prudes and philistines" und gleichzeitig als „his surrender to a loss of humanity" 5 0 ein. Andere Aspekte fordern weiterreichende Erklärungen; so z. B. die Beschreibung der Genitalien, als führten diese ein losgelöstes Eigenleben: The cunt and the prick, they're married, by crikey, no matter if the bodies are going different ways . . . She's opening and closing like a flower . . . Flower says: Stay there, sunny boy! Flower talks like a drunken sponge. Flower says: I do take this piece of meat to cherish until I wake. And what says the body, the independent hoist moving on ballbearings? Body is wounded and humiliated. Body lost its name and address temporarily. 51
Zunächst resultiert daraus der Eindruck der Depersonalisation, ja Desintegration der Partner, insbesondere aber — wie an vielen Stellen belegbar — der Frau. 5 2 Damit wird der Geschlechtsakt seines spezifisch menschlichen Aspekts entkleidet und auf das bloß Animalische zurückgeführt, was sehr direkt in einer Vielzahl von Vergleichen und Metaphern zum Ausdruck kommt: She crouched on all fours like a she animal, quivering and whinnying with undisguised pleasure. N o t a human word out of her, not a sign that she knew any language except this block-and-tackle-subgum-one-ton-blow-the-whistle sort. 53
Es ergibt sich dann freilich die weiterführende Frage nach der Vereinbarkeit solcher „entfremdeten" Menschenauffassung mit dem anderen Extrem eines exaltierten, mystisch verstandenen Humanitätsideals, wie es in Millers „life"Konzeption (und übrigens auch in seinem Individualismus und Egozentrismus) 52
Ausdruck findet. 54 Die offensichtliche Widersprüchlichkeit, die hier nun auch künstlerisch manifest wird, sollte nicht verwundern: Millers eklektizistisches Weltbild muß notwendig zu Widersprüchen führen, und eine ganzheitliche, humanistische ästhetische Sicht und künstlerische Gestaltungskraft kann auf solchem Boden nicht erwachsen. Trotz allem gibt es Ansätze bei Miller, das Phänomen Sex sozial zu relativieren und zu motivieren. So gestaltet er gegen Ende von Sexus eine Szene, in der die burlesque queen Cleo ihr Publikum animiert, wenn nicht fanatisiert, und der Autor-Erzähler, der dieser Schaustellung beiwohnt, meditiert darüber folgendermaßen: Theoretically everything is ideal, just, equitable . . . Yet by some queer, mystical agreement, a woman called Cleo is performing an obscence dance in a darkened house next door to a church . . . Her dance is a violation of the Constitution of the United States. It is archaic, primitive, obscene, tending only to arouse and inflame the base passions of men and women. It has only one honest purpose in view — to augment the box office receipts of the Minsky brothers. That it does. And there one must stop thinking about the subject or go crazy. 55
So weit geht Miller, aber eben nicht weiter. Obwohl der cash-nexus erahnt wird, obwohl die Doppelbödigkeit der Moral dieser Gesellschaft angedeutet wird, bleibt der kritische Ansatz im Zivilisationspessimismus stecken, dringt nicht zur Gesellschaftserkenntnis oder gar -kritik vor (ganz abgesehen davon, daß die Erkenntnis jeder Art von Prostitution als Resultat des Widerspruchs von Geld und Moral nicht eben neu wäre). Im Rahmen einer weiterreichenden Dimension wird nun aber die Konfrontation des entfremdeten, isolierten und in gewisser Weise hilflosen, weil auf Erkenntnis verzichtenden Autors mit seiner miserablen, untergehenden Gesellschaft deutlicher und verständlicher. Es ist diese Konfrontation, die Miller seine Zuflucht im Biologischen suchen läßt, weil er außerstande ist, das Soziale in seinem Wesen zu begreifen. Eben deshalb erscheint ihm das Biologisch-Sexuelle mystisch überhöht, eben deshalb ist er vom Sex besessen, und eben deshalb verabsolutiert und mystifiziert er den Widerspruch zwischen Sozialem und Sexuellem, woraus künstlerisch ein abnorm verzerrtes Bild des Menschen resultiert. 56 Die besonders in Plexus und Nexus sehr zahlreichen (wenn auch in Sexus keineswegs fehlenden) Passagen über Philosophie, Gesellschaftsauffassungen und Ästhetik sind — infolge ihres prinzipiell biologistischen Charakters — vielfältig und eng mit den sexuellen Darstellungen verbunden, was diese zwar teilweise über die bloße Pornographie hinausgeht, jene aber nicht rationaler macht. Obgleich sich die — kurz gefaßt — philosophischen Reflektionen der gesamten Rosy Crucifixion von denen der Essay- und Memoirenbände in Inhalt und Form nur unwesentlich unterscheiden, sind wir dennoch gezwungen, sie als integrale Bestandteile der künstlerischen Autobiographie anzusehen. Wir tun das nicht, um einem methodischen Dilemma zu entgehen, sondern weil die Integration 53
dieser Bestandteile in ein übergreifendes Ganzes, die künstlerische Autobiographie, unbestreitbar ist. Freilich ist dieses Ganze nicht identisch mit episch-ganzheitlicher Struktur; vielmehr nehmen wir eine bewußt fragmentarische Struktur 5 7 an, die einem formalästhetischen Spiegelbild der prinzipiell und absolut negativen Reaktion Millers auf eine sozial-ökonomische Realität gleichkäme, die er nicht oder bestenfalls fragmentarisch versteht und deren ideologische Reflexe er eben deshalb nur eklektizistisch akkumulieren und letztlich auch akzeptieren kann. Anders gesagt: Gerade hier findet das Unvermögen Millers bedenklichen ästhetischen Ausdruck, die Klassenbedingtheit der bürgerlichen Ideologie als „die als Gedanken gefaßten herrschenden materiellen Verhältnisse" 58 auch nur ansatzweise zu durchschauen. Daraus ergibt sich nach unserer Auffassung nicht das absolute Fehlen eines künstlerischen Strukturprinzips; ein solches liegt auch dann vor, wenn — wie hier — ideelles und weltanschauliches Chaos strukturiert wird. Wohl aber resultiert daraus das Fehlen einer echten Perspektive der künstlerischen Gestaltung; dieser fundamentale Mangel ist wesentliches ästhetisches Merkmal der Millerschen Schreibweise, die aus dem fehlerhaften Zirkel um das eigene Ich und der im umfassenden Sinne ewig rückwärts gerichteten Sicht des Autors folgt. Der Versuch einer Klassifizierung der Millerschen Autobiographie als Bekenntnis im Sinne Northrop Fryes ist, obwohl oberflächlich einleuchtend, letztlich deshalb unbefriedigend, weil solche Klassifizierung von vornherein auf eine soziale Relativierung verzichtet. 59 Im Zentrum der philosophisch-ästhetischen Reflektionen Millers in The Rosy Crucifi.xion steht zweifellos die Suche nach der eigenen Identität, d. h. ein universelles Problem speziell der spätbürgerlichen Literatur. 60 Eine solche Suche wird immer dann ästhetisch befriedigende Resultate zeitigen, wenn das Selbst in einer irgendwie gearteten produktiven Beziehung zum Gesellschaftlichen dargestellt wird. Das schließt die Darstellung des Selbst als äußerst bedroht nicht aus, sondern ein; ja vielfach wird gerade das gefährdete Selbst Hauptgegenstand der Darstellung sein, was sich aus dem inhumanen Charakter der spätkapitalistischen Gesellschaft zwangsläufig erklärt. Wesentlich für die produktive Beziehung des Selbst zur Gesellschaft ist aber die Überzeugung von der grundsätzlichen Potenz des Menschen zur Weiterentwicklung oder — was dasselbe ist — die Ahnung von der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte. Hier liegt letztlich die Wurzel des Allgemeinmenschlichen, das freilich — unter den Bedingungen der Klassengesellschaft überhaupt und ganz besonders im Spätkapitalismus — „zwangsläufig und unausweichlich durch das KlassenmäßigEinseitige gebrochen" 6 1 wird, dadurch aber noch nicht aufhört, Allgemeinmenschliches in bestimmter Form zu sein. Die Suche Millers nach seiner Identität ist gleichzeitig eine Flucht vor dem sozial bezüglichen Selbst, wenn auch eine widerspruchsvolle, zwischen Extremen schwankende Flucht. Sicher bezeichnet der Rückzug auf das Animalisch-Sexuelle eine Richtung dieser Flucht 6 2 ; ebenso sicher ist freilich auch, daß damit eine Absage an jedes soziale Engagement impliziert wird. Aber Miller selbst ist damit noch nicht zufrieden. Er erinnert 54
sich an die B e g e g n u n g mit einem H i n d u , mit dem er sich über seine P r o b l e m e auszutauschen versucht: He didn't understand why I should be dissatisfied with my position in life, particularly when I was doing so much good. That one could be thoroughly disgusted with being a mere instrument of good was unthinkable to him. E r verläßt den H i n d u , u m seine Frustrationen im Sexuellen
abzureagieren,
aber auch das ist vergeblich: „ A s I raced through the street a phrase repeated itself over and o v e r : ' W h i c h is the true s e l f ? ' " Schließlich k o m m t er, im gleichen K o n t e x t , zu einer A r t Erkenntnis, die freilich durch absolute N e g a t i o n gekennzeichnet ist: If you persist in throttling your impulses you end by becoming a clot of phlegm. Y o u finally spit out a gob which completely drains you and which you only realize years later was not a gob of spit but your inmost self. If you lose that you will always race through dark streets like a madman pursued by phantoms. Y o u will always be able to say with perfect sincerity: 'I don't know what I want to do in life.' Y o u can push yourself clean through the filament of life and come out at the wrong end of the telescope, seeing everything beyond you, out of grasp, and diabolically twisted. From then on the game's up. Whichever direction you take you will find yourself in a hall of mirrors; you will race like a madman, searching for an exit, to find that you are surrounded only by distorted images of your own sweet self. 63 D e r A u f w a n d an Bildhaftigkeit ist beachtlich und a u f seine Weise aussagestark. W a s hier j e d o c h so gestaltet wird, ist nichts anderes als eben j e n e r C i r c u l u s vitiosus, der den A u t o r - E r z ä h l e r wie die M a u e r n einer G e f ä n g n i s z e l l e umschließt: D a s Ich wird zum G e f a n g e n e n seiner selbst, weil es nichts m e h r findet, zu d e m es in K o m m u n i k a t i o n treten könnte. D i e solipsistische Sterilität des Millerschen D e n k e n s verhindert, daß sich aus der potentiellen F r u c h t b a r k e i t der künstlerischen Identitätsbestimmung tatsächliche K e i m e entwickeln. E s w ä r e nun aber ein T r u g s c h l u ß , wollte m a n a n n e h m e n , M i l l e r negiere die G e s e l l s c h a f t und die Gesellschaftlichkeit des M e n s c h e n schlechthin. V i e l m e h r äußert der A u t o r - E r z ä h l e r bestimmte Sehnsüchte, die in verschiedener Einkleidung ein Ziel h a b e n : die Partizipation a m „ L e b e n " , an der G e s e l l s c h a f t . I m A n s c h l u ß an seitenlange rhapsodische L o b p r e i s u n g e n O s w a l d Spenglers k o m m t es zu folgender zugespitzter M e i n u n g : That gulf between the dawn man, who participated mystically, and contemporary man, who is unable to communicate except through sterile intellect, can only be bridged by a new type of man, the man with a cosmic consciousness. 64 D a s ist zunächst ein sehr direkter R e f l e x der zutiefst reaktionären Spenglerschen Geschichtsphilosophie mit ihrer metaphysischen Entgegensetzung der
Kultur-
phase und der Zivilisationsphase der G e s e l l s c h a f t , wobei letztere j e w e i l s den
55
Untergang einleitet, und der typischen Gleichsetzung von bürgerlicher K u l t u r mit Kultur ü b e r h a u p t 6 5 ; zum anderen widerspiegelt sich hier — äußerst gerafft — eine wesentliche Grundlage des Millerschen Gesellschaftsbildes, das sich an einer Vielzahl von Stellen, in vielfaltigen F o r m e n , nachweisen läßt. Interessanterweise aber begnügt sich Miller noch nicht mit der bloßen Paraphrasierung des irrationalistisch-mystischen Geschichtsbildes Spenglers; er versucht vielmehr, Spengler zu transzendieren: A morphology of history, valid, exciting, inspiring though it may be, is still a death science. Spengler was not concerned with what lies beyond history. I a m . O t h e r s are. Even if Nirvana be only a word, it is a pregnant word, it contains a promise. That 'secret' which lies at the heart of the world may yet be dragged into the open . . . If the solution to life is the living of it, then let us live, live more abundantly! The masters of life are not found in books. They are not h i s t o r i c a l figures. They are situated in eternity, and they beseech us unceasingly to join them, in eternity. 66
N i m m t m a n beide Zitate in ihrem Z u s a m m e n h a n g zueinander und zur Identitätssuche, so wird eine doppelte Transzendenz sozialer Realität sichtbar: einerseits in Richtung des Ich als solipsistisch verstandenen Mikrokosmos, andererseits in Richtung gleichzeitig kosmischer und mystisch-prähistorischer Dimensionen. Die scheinbar extreme Polarität beider Richtungen löst sich — zumindest für Miller — in der Gemeinsamkeit des mystischen Nebels, der für beide charakteristisch ist, weil weder das Ich noch eine ersehnte Gemeinschaftsidylle prähistorischen, ahistorischen oder gar kosmischen Zuschnitts ohne konkrete Gesellschaftlichkeit bzw. Geschichtlichkeit (von der Miller bewußt abstrahiert) mehr sein können als eben mystifizierte ideologische Begriffe ohne Inhalt. Die Motivation — ob ausgesprochen oder impliziert — für solche Vorstellungen ergibt sich immer aus dem tiefen Unbehagen Millers a m gesellschaftlichen Status quo, jedoch ist die bürgerliche Perversion seines Bewußtseins so umfassend, d a ß er nie zu einer Kritik des sozialen Sysiems vordringt, sondern statt dessen zu seiner Apologie beiträgt. Die bereits geschilderten Auswirkungen auf das künstlerische Schaffen Millers werden nunmehr eher verständlich: Die Zerstörung des sozialen und die Etablierung eines biologischen Menschenbilds erscheinen somit konsequent. A u c h die häufig anzutreffende Sozialisierung und Ritualisierung des Sexuellen ändern d a r a n nichts. 6 7 Charakteristisch ist die ständig variierte theoretisch-ästhetische Bestätigung des eigenen Vorgehens, die somit zu einem auch quantitativ bedeutsamen Bestandteil der Rosy Crucifixion wird. So meditiert Miller über die übermenschlichen, geheimnisvollen Kräfte, die im Akt des künstlerischen Schaffens freigesetzt würden: It was as if, by taking pen in hand, the "archons" were summoned. Yes, the archons! Those mysterious entities, those cosmic enzymes, who are at work in every seed, who engineer the creation, structural and aesthetic, of every flower, every plant, every tree, every universe. The powers within. An everlasting ferment from which stemmed law and order. 68
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Der Künstler wird entsprechend solcher Auffassung zum bloßen Instrument einer übermenschlichen, letztlich göttlichen Schöpferkraft. So endet auch die mit großem Aufwand betriebene Suche nach dem Selbst, wie alles andere auch, im Nichts. Es muß an dieser Stelle explizit auf die modernste bürgerliche Miller-Forschung hingewiesen werden, weil deren methodologische Misere auf besondere Weise das Verständnis für die in Millers Werk manifestierte künstlerische Problematik fördert. So bemüht sich Jane A. Nelson, die von anderen Forschern zumindest angedeutete Kritik am Fehlen der sozialen Dimension in Millers Werk zu entkräften, indem sie das Soziale im Hinblick auf Miller für irrelevant erklärt. Das aber — obwohl zunächst in gewisser Weise berechtigt — führt zum Aberwitz, denn die Not Millers wird ihr zur Tugend, d. h. sie wertet Millers gesamte Autobiographie als weit über dem von ihr verachteten (und nicht verstandenen) Realismus stehend. Als Beweis dient ihr ein umfangreicher Interpretationsapparat, der auf C. G. Jungs Archetypenlehre beruht und mit dessen Hilfe einige Passagen der Werke Millers in eben diesem Sinne gedeutet werden, d. h. als Gestaltungen von „Archetypen" des „kollektiven Unbewußten", die eben als Gestaltungen zurück ins Bewußtsein gehoben würden, worin das künstlerische Verdienst Millers bestehe. Ein Zitat muß genügen, um das Vorgehen Jane A. Nelsons zu illustrieren: „The fragmentation of the Archetypal Feminine permits Miller to present or bring into 'consciousness' the chthonic forces of the unconscious which are, according to Jung, symbolized by the feminine." 6 9 Eine Beeinflussung Millers durch Jung und Freud ist in der Tat ebenso unbestreitbar wie der Einfluß durch die Lebensphilosophie, Nietzsche, den Anarchismus oder Oswald Spengler (weder der Anarchismus noch Spengler werden übrigens von Nelson auch nur erwähnt!); das völlige Außerachtlassen jedes ideologischen Kontextes durch Nelson, ja selbst ihr Verzicht auf den Nachweis des Einflusses durch Jung läßt die Arbeit als eine höchst einseitige und trotz aller Tiefsinnigkeit oberflächliche formalästhetische Spitzfindigkeit erscheinen. Dennoch: Macht man sich die Mühe, Millers Werk kritisch durchzusehen und daraus eigene wiederum kritische Erkenntnisse zu gewinnen, so kann Jane A. Nelsons Studie in beträchtlichem Maße zur detaillierten Bestimmung der Kunst Millers beitragen 70 ; gleichzeitig reflektiert sie die Misere der psychologistisch-mythologisch orientierten spätbürgerlichen Literaturwissenschaft. 71 Bevor wir unsere eigene Einschätzung zum Schluß führen, sei ein weiterer Aspekt untersucht, der noch genaueren Aufschluß über die im umfassenden Sinne ideologischen Wurzeln der Millerschen Kunstauffassung und -ausübung zu geben vermag. Es handelt sich um die Berufung auf sehr viele Namen nicht nur in der Essayistik (wo das nicht sonderlich zu betonen wäre) sondern vor allem auch in The Rosy Crucifixion. Eine undifferenzierte Aufzählung (die allerdings auch bei Miller häufiger vorkommt) ergibt folgendes — unvollständiges — Bild, allein bezogen auf die Trilogie: Bakunin, Gottfried Benn, Berdjajew, Alexander Berkman, Jacob Boehme, Hieronymus Bosch, John Brown, Dostojewski, W. E. B. 57
Dubois, Elie Faure, Sigmund Freud, Gogol 7 2 , E m m a G o l d m a n , G o r k i , H a m s u n , Hegel, Heidegger, H e r m a n n Hesse, T h o m a s Jefferson, C. G. Jung, Immanuel K a n t , Peter K r o p o t k i n , Marx, N o s t r a d a m u s , Paracelsus, Herbert R e a d , Wilhelm Reich, Ricardo, Oswald Spengler, Swedenborg, Lew Tolstoi, T h o r e a u , Lester F r a n k W a r d , Wittgenstein. Versucht man, die verschiedenen Einflüsse zu differenzieren u n d zu werten, so lassen sich Anarchismus 7 3 , Mystizismus 7 4 , tiefenpsychologisch und lebensphilosophisch motivierter Kulturpessimismus 7 5 und — wenn auch weniger deutlich — Existentialismus als Haupttendenzen feststellen. Astrologie u n d okkulte Religiosität 7 6 figurieren gleichsam als schmückendes Beiwerk und fügen sich nahtlos an die genannten Haupttendenzen an. Obwohl es sich im einzelnen um durchaus unterschiedliche Einflüsse handelt, die sich im Weltbild Millers eklektizistisch vermengen, gehen sie dennoch auf eine gemeinsame methodologisch-weltanschauliche Wurzel zurück, die sich zwangsläufig aus der umfassenden Krisensituation des Kapitalismus um die Jahrhundertwende und später ergibt: den Irrationalismus 7 7 . Der Anarchismus, der in seinen Grundlagen umfassend kritisiert worden ist 78 und dessen Z u s a m m e n h a n g mit der deutschen Kultur- und Lebensphilosophie einerseits und einigen Ideologen der „Neuen L i n k e n " in den USA andererseits 7 9 evident ist, erweist sich im Hinblick auf die Haupttendenz in Millers eklektizistischem Weltbild als besonders aufschlußreich. Die anarchistische Ideologie entspricht Millers kleinbürgerlicher Klassenposition; Sie ist seinem auf diesem Boden gewachsenen, höchst verschwommenen Rebellentum genau a d ä q u a t ; sie ist ein „ P r o d u k t der Verzweiflung" (Lenin), der Verzweiflung am nicht begriffenen modernen Industriekapitalismus und somit treffliches Äquivalent für Millers tiefes Unbehagen an seiner Gesellschaft. Der Anarchismus vereint krasse Widersprüche: die Konzeption einer absoluten, im Extrem elitär verstandenen Freiheit des Individuums einerseits und die mystisch exaltierte Gemeinschaftsidee andererseits; beides finden wir bei Miller ausgeprägt. Miller teilt mit dem Anarchismus den H a n g zur Mythologisierung realer gesellschaftlicher T a t b e s t ä n d e : die Technik erscheint dem Menschen gegenüber a u t o n o m , wird zum G o l e m 8 0 . Spontaneitätsglaube, „ a n t i a u t o r i t ä r e " Haltung, Glorifizierung einer angeblich idyllischen Vergangenheit, Primitivismus 8 1 sind weitere Tendenzen, die gleichermaßen den Anarchismus wie Miller kennzeichnen. Millers Mythenbildung, wie sie sich in der gesamten Bildersprache seiner Prosa ästhetisch niederschlägt, ist nicht primär oder ausschließlich auf Freuds Kulturtheorie oder Jungs Archetypenlehre z u r ü c k f ü h r b a r ; sie ist vielmehr das Resultat der Summe der krisenideologischen, irrationalistischen Einflüsse, denen Miller unterlegen ist und die ihrerseits den geistigen Reflex der sozialökonomischen Krise des Imperialismus darstellen. In diesem Sinne ermöglicht die Analyse der Beeinflussung durch den Anarchismus, die Lebensphilosophie, Nietzsche und Spengler ein genaueres und direkteres Bestimmen der negativen gesellschaftlichen Relevanz des Millerschen Werkes, als dies durch die abstrakt-metaphysische Explikation etwa der Jungschen Archetypenlehre geschehen kann. Die Wirkung Millers auf einen Teil der amerikanischen Schriftsteller der 50er 58
und 60er Jahre — die Beats, Mailer, Burroughs z. B. — beruht nun weiterhin darauf, d a ß die von ihm primär reflektierten ideologischen Einstellungen von der jüngeren Generation „ m o d e r n " verstanden und interpretiert werden. D a s heißt nichts anderes, als d a ß z. B. der Kulturpessimismus M a x Webers in der Kapitalismus-Kritik, und Gesellschaftstheorie Herbert Marcuses seine Fortsetzung, keineswegs aber seine prinzipielle Überwindung oder dialektische A u f h e bung findet. 8 2 Marcuses triebstrukturelle Gesellschaftskonzeption 8 3 läuft ebenso auf eine Anthropologisierung, Psychologisierung, Biologisierung der Gesellschaft und des Menschen hinaus wie die Auffassungen des von ihm in Frage gestellten, aber nicht überwundenen Wilhelm Reich 8 4 oder auch wie das psychoanalytische Geschichtsbild N o r m a n O. Browns 8 5 . A u s eben diesem G r u n d e k ö n n e n Millers Werke ebensogut als künstlerische Illustrationen Spenglers oder Bakunins wie Marcuses oder Reichs verstanden werden. Alle diese Auffassungen — zu denen letztendlich auch anarchistische Vertreter der N E W L E F T 8 6 u n d m o d e r n e Revisionisten zu zählen sind — sind für Miller und eine Reihe von Schriftstellern der 50er und 60er Jahre nicht zuletzt deshalb attraktiv, weil sie der subjektiven Kritik an Erscheinungen des Kapitalismus breiten Spielraum lassen, während ihre objektive Apologetik verschleiert erscheint. 8 7 Henry Miller hat mit seinem essayistischen und künstlerischen Werk, das sich von den 30er bis in die 60er Jahre hinein erstreckt, national u n d international gewirkt, indem er die Skala literarischer Ausdrucksmöglichkeiten erweitert, gleichzeitig jedoch die Realisierung humanistischer Potenz in der Literatur limitiert hat. Er hat als einer der ersten Amerikaner künstlerisch-bildhaft, u n d in bestimmten Grenzen auch massenwirksam, reaktionäre, mitunter esoterische spätbürgerliche Ideologie umgesetzt u n d damit einen Teil der neuesten amerikanischen R o m a n entwicklung negativ beeinflußt. Aus eben diesem G r u n d e ist die kritische Auseinandersetzung mit ihm geboten. W ä r e er lediglich eine Randerscheinung, k ö n n t e m a n seinen eigenen, in unfreiwilliger Selbstironie formulierten S t a n d p u n k t akzeptieren und es dabei bewenden lassen: T h e great question was that eternal seemingly unanswerable o n e : what have I to tell the w o r l d which is s o desperately important? W h a t have I to say that has not been said before, and t h o u s a n d s of times, by m e n infinitely m o r e gifted? W a s it sheer e g o , this c o e r c i v e need to be heard? In what w a y w a s I u n i q u e ? F o r if I w a s not u n i q u e then it w o u l d be like adding a cipher to an incalculable a s t r o n o m i c
figure.88
William S. Burroughs: Auflösung der künstlerischen
Kommunikation
Es gibt mehrere gewichtige G r ü n d e d a f ü r , die in anderer Hinsicht lediglich abwegige literarische P r o d u k t i o n Burroughs' in unsere Analyse charakteristischer Erscheinungen der spätbürgerlichen amerikanischen Literatur einzubeziehen: Burroughs ist Henry Miller insofern vergleichbar, als er wie dieser durch bewußten A f f r o n t eine Stellung zur Gesellschaft zu beziehen versucht; wobei er freilich, anders als Miller in den 30er Jahren, sich mit einer breiten F r o n t kultureller und literarischer Prozesse einig weiß; Burroughs k a n n sich von A n f a n g an des Wohlwollens eines gewiß nicht breiten, aber einfluß- und wortreichen Teils der Intellektuellen und Schriftsteller 1 sicher sein, weil er sich als Bürgerschreck u n d Avantgardist gibt; Burroughs ist Sprachrohr bürgerlicher und der Perpetuierung der bürgerlichen O r d n u n g dienlicher Ideologien, die — weil weitgehend unreflektiert — in seinem Werk um so deutlicher nachweisbar sind; Burroughs ist schließlich der Nachkriegsautor in den Vereinigten Staaten, der in der Praxis und in der Theorie einen bedenklichen ästhetischen Avantgardismus verkörpert, wie er extremer bisher k a u m angetroffen worden ist. Es gilt also, Burroughs' Werk im Sinne dieser Gesichtspunkte zu untersuchen, wobei es nicht um eine Gesamtdarstellung gehen kann, schon deshalb nicht, weil viele Details sich sowohl aus zeitökonomischen wie geschmacklichen G r ü n d e n verbieten.
The Naked Lunch: Willkür und Perversion des
Künstlerischen
Basierte Henry Millers Schockwirkung — in Büchern wie Tropic of Cancer, Tropic of Capricorn und der Trilogie The Rosy Crucifi.xion — auf der unverblümten Darstellung und Beschreibung von Geschlechtsorganen und des heterosexuellen Akts, so transponiert Burroughs das Sexuelle stets auf sado-masochistische und vielfach homosexuelle Ebenen, unter starken Beimischungen mythischkosmischer Visionen und im R a h m e n eines durch Halluzinogene herbeigeführten „kosmischen Bewußtseins". So beschreibt die wohl in Burroughs' Werk bisher obszönste Szene die Kopulation einer F r a u mit einem Gehenkten, wobei sie sich — als er am Strick durch die Luft schwingt — an ihn klammert und ihn anschließend kannibalisch zerstückelt, um am Ende selbst — trotz fortgesetzter
60
einschlägiger Übungen unbefriedigt — von einem weiteren Partner gehängt zu werden. 2 Es bedarf der übermenschlichen Anstrengung guten Willens, solche und ähnliche Szenen in dem Sinne zu interpretieren, den Burroughs in der „Introduction" suggerieren will: Certain passages in the book that have been called pornographic were written as a tract against Capital Punishment in the manner of Jonathan Swift's Modest Proposal. These sections are intended to reveal capital punishment as the obscene, barbaric and disgusting anachronism that it is. A s always the lunch is naked. 3
Aus der Art der Darstellung ergibt sich jedoch keine Satire, sondern hypertrophierte Obszönität, die in ihrer Ausschließlichkeit keinerlei gesellschaftliche oder gesellschaftskritische Assoziation gestattet, es sei denn die, daß alles Gesellschaftliche (oder Menschliche) im Prozeß der Auflösung begriffen sei. Akzeptiert man dies — und letztlich kann Burroughs' zwar nur verbale Aufforderung zur gesellschaftskritischen Interpretation seiner Darstellung nicht einfach ignoriert werden —, so ergibt sich das Muster der Identifikation der amerikanischen oder allenfalls imperialistischen Gesellschafts-Malaise mit einer (eingebildeten oder behaupteten) gesamtmenschlichen Misere. 4 Die in Burroughs' Werk durchgängig vorherrschende apokalyptische Vision erweist sich so als kleinbürgerliche, pseudo-revolutionär eingekleidete Verzweiflungshaltung, die ihre direkte Abhängigkeit von der bürgerlichen Ideologie und ihrem Klasseninhalt zwar verschleiern, aber nicht verleugnen kann. Agieren in The Naked Lunch noch Figuren mit zumindest äußeren menschlichen Merkmalen und ist eine Unterscheidung zwischen männlichen und weiblichen Wesen ohne weiteres möglich, auch wenn die Szenerie bereits unwirklichmythisch erscheint, so verschwinden in späteren Werken nicht nur die Unterschiede, sondern die Menschengestalten überhaupt. Statt dessen entstehen „death dwarfs", die „sex dwarfs" und „talk dwarfs", „nova police", der „nova mob", „Uranian Willy" und „Lesbian Agents", die „Insect People of Minraud" und die „Vegetable People", die „Heavy Metal People of Uranus", „Paralyzed Orgasm Addicts", „Sex Equilibrists" und „Sodomite Tumblers", „Mr. Bradly Mr. Martin", und häufig begegnen nur noch durch Initialen bezeichnete Wesen. 5 Analog dazu verschwinden auch zunehmend die Deskriptionen des heterosexuellen Akts, der in The Naked Lunch bei aller Obszönität immer noch den Anschein einer freilich höchst einseitigen Menschlichkeit erweckt hatte, und werden durch homosexuelle Drogenhalluzinationen ersetzt. Während Henry Miller die weiblichen Geschlechtsorgane und den weiblichen Orgasmus hypertrophiert, interessieren Burroughs die männlichen Pendants. In einem seiner jüngsten Bücher 6 gibt es nur noch „boys" (weibliche Gestalten existieren auf keiner Ebene mehr), die Masturbation und Analverkehr ad nauseam praktizieren. Die von Burroughs beabsichtigte Entfremdung und Perversion des Menschlichen findet hier nicht nur ihren ästhetischen Tiefpunkt, sondern erweist sich auch als auf besondere Weise konsequent: Sein (Kultur-)Pessimismus ist so absolut, daß sich selbst der Gedanke an poten61
tielle biologische Reproduktion — wie sie sich in der Darstellung weiblicher Sexualität manifestieren würde — verbietet.
Drogen, Orgone, Horror: Anarchistischer Terror als
Sozialtherapie
Ein immer wiederkehrendes Hauptthema in den Werken Burroughs' ist das Rauschgift. Darüber versteht er kompetent und kohärent zu schreiben, weil es offenbar das einzige Gebiet ist, das er aus langjähriger Erfahrung genau kennt. 7 Zunächst scheint es, als würde Burroughs sich von all jenen DrogenExperten — von Aldous Huxley bis Timothy Leary — distanzieren, demzufolge die Weltrevolution nur durch Bewußtseinsveränderung mittels Drogen erreicht werden könne. 8 Burroughs beschreibt — im Gegenteil — die Schrecken der Drogensucht und stellt die Beziehung zur sozialökonomischen Basis her: „Junk is big business . . .", wenn auch anschließend gleich die unzulässige Verallgemeinerung folgt: „ T h e j u n k v i r u s is p u b l i c h e a l t h p r o b l e m n u m b e r o n e of t h e w o r l d t o d a y . " 9 Noch genauer analysiert Burroughs den Mißbrauch der Drogensucht durch die etablierte Macht: . . . drugs are one of the ideal power devices. The so-called drug problem is a pretext . . . to extend police power over areas of actual or potential opposition. In Western countries, opposition is concentrated in the 18-to-25 age group. So, make more drug laws, publicise all drug news, and a good percentage of the opposition is criminal by legal definition . . . authorities estimate as many as ten million Americans have tried marijuana at least once . . . Of course, they can't put ten million people in jail — that would be coming too far out into the open. If there's one thing Western authorities don't want to do, it's come out into the open with what they're doing. But they can keep young people under continual threat of police search or action, at the same time divert rebellion into the dead-end channels of addiction and criminality. 10
So klar und scharf solche Analyse auch sein mag, die Haltung Burroughs' zum Gesamtproblem des Rauschgifts bleibt widersprüchlich. Zum einen erkennt er nur Symptome des imperialistischen Herrschaftssystems, nicht seine sozialökonomische Kausalität, und kann deshalb die eigentliche Unlösbarkeit des Drogenproblems unter imperialistischen Bedingungen nicht wirklich begreifen. Zum anderen nähert er sich Leary, wenn er die Bewußtseinserweiterung durch Halluzinogene empfiehlt: „It would seem to me that cannabis and the other hallucinogens provide a key to the creative process, and that a systematic study of these drugs would open the way to nonchemical methods of expanding consciousness." 11 Insgesamt — so wird deutlich — ist Burroughs' widersprüchliche Haltung zum Drogenproblem auf sein unzureichendes Weltverständnis zurückzuführen: Wer an manipulierte Bewußtseinserweiterung als Mittel der 62
Weltveränderung glaubt, hat die gesellschaftlichen Bewegungsgesetze im Grunde nicht verstanden. Burroughs' Verhältnis zur Welt, zur Gesellschaft, ist nun nicht allein durch mangelhaftes Verstehen, sondern auch durch Verzweiflung charakterisiert. Im ganz persönlichen Bereich — der an sich nicht weiter interessiert — ist die eigene, fast mit Stolz eingestandene Rauschgiftsucht Ausdruck dieser Verzweiflung. Ihre literarische — und damit zwangsläufig öffentliche — Manifestation findet sie in der bereits erwähnten apokalyptischen Vision, der in den Werken Burroughs' alle übrigen Details subsumiert sind. Die Vision der Apokalypse ergibt sich für Burroughs aber nicht nur, vielleicht nicht einmal vorwiegend, aus der ästhetischen Reaktion auf eine als desperat empfundene Wirklichkeit; vielmehr ist sie in starkem M a ß e ideologisch, d. h. durch präformierte Denkmuster bedingt. Der entwurzelte, demoralisierte Kleinbürger Burroughs sieht nur noch die Trümmer seiner Welt, oder er wünscht sie sich herbei, damit die Misere seiner Gesellschaft auf die Welt projizierend. Trotz vorgeblicher Antibürgerlichkeit sind ihm bürgerliche und revisionistische Denkschemata willkommen. A u f die Frage, ob die Ersetzung des Kapitalismus durch den Sozialismus eine Lösung der Misere bieten würde, antwortet Burroughs bezeichnenderweise: „It would seem to me most emphatically n o . " Und er elaboriert seine Meinung: What happens, for example, when the government takes over the so-called means of production? Nothing. Our factories in the West are practically state-owned now. That is, a person may own a factory, but he is told how much he must pay his workers, how many people he can employ . . . He's little more than a manager, and his position not much different than a manager of a Russian factory. 1 2
Daraus spricht nicht nur schlechthin politische Naivität, sondern vor allem totales Unverständnis für und Feindseligkeit gegen die weltpolitischen Veränderungen seit 1917. So wird die Oktoberrevolution als „the old splintered pink carnival 1917" und „sad little irrigation ditch" 1 3 diffamiert. Antikommunismus und imperialistische Apologetik ergänzen sich gegenseitig. Immer wieder Erwähnung in den Äußerungen Burroughs' findet Wilhelm Reich, und zwar so häufig und mit einem solchen Nachdruck, daß wir berechtigt sind, Reich als einen bedeutsamen ideologischen Einfluß auf Burroughs zu interpretieren. Dabei bezieht sich Burroughs sowohl auf die teils revisionistische, teils linkssektiererische Theorie Reichs von der „sexuellen Revolution" als auch auf die sogenannte Orgonentheorie und die damit zusammenhängende Theorie von der Sexualökonomie. 1 4 Burroughs hat — sicher unbewußt und unbeabsichtigt — Reichs Orgonentheorie persifliert: Y o u see sex is an electrical charge that can be turned on and off if you know the electro-magnetic switchboard — Sex is an electrical flesh trade. 1 5
Ansonsten sieht Burroughs in Reichs Theorien große Möglichkeiten. E r erklärt Reichs D O R (Deadly Orgone Radiation), wonach bereits kleinste Mengen radio-
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aktiven Materials in den O r g o n e n - A k k u m u l a t o r e n schwerste Schäden a m M e n schen verursachen sollen; gleichzeitig aber könne man den Menschen d a d u r c h gegen Radioaktivität immunisieren: „. . . der Zweck der D O R - E x p e r i m e n t e war, ein Mittel zur Massenimmunisierung gegen die Strahlenkrankheit zu find e n . " 1 6 A n anderer Stelle nennt Burroughs Reichs Orgonentheorie „eine enorm wichtige E n t d e c k u n g " ; gleichzeitig aber verknüpft er Reichs Entdeckung mit der Erfindung der A p o m o r p h i n - B e h a n d l u n g für Heroinsüchtige insofern, als beide brutal unterdrückt würden. 1 7 Dieser Z u s a m m e n h a n g weist auf eine Linie in Burroughs' Schaffen, die zweifellos einen rationalen Kern enthält: Immer wieder macht er auf den M i ß b r a u c h der M a c h t durch den Staat a u f m e r k s a m und trifft damit in der Tat ein wesentliches Symptom der M a c h t a u s ü b u n g im imperialistischen S t a a t ; im Falle des A p o m o r p h i n s gelingt ihm sogar ein Blick auf den Z u s a m m e n h a n g zwischen Profitinteresse, Heroinsucht und verhinderter wirksamer Rauschgiftbekämpfung. 1 8 D a s entscheidende Übergewicht behält jedoch die Überzeugung Burroughs' von der Notwendigkeit der alternativlosen Zerstörung des Staates, und zwar unterschiedslos jeglichen Staates, womit er abermals seine Abhängigkeit von den Ideen Reichs unterstreicht. Wiederholt und mit starker Emphase fordert Burroughs die A b s c h a f f u n g der Familie und der N a t i o n , womit er die anarchistische Grundlinie in Reichs Theorie der sexuellen Revolution nicht nur akzeptiert, sondern sogar noch zuspitzt. Als ein Beispiel sei hier Burroughs' Meinung zur Studentenbewegung angeführt, wobei lediglich am R a n d e vermerkt sei, d a ß er die unterschiedlichen Gesellschaftssysteme gleichsetzt: There should be more riots and more violence . . . Best thing they (die Studenten und Jugendlichen, H. W.) can do is take the place apart before they are destroyed in a nuclear war . . . Young people pose the only effective challenge to established authority. . . Established authority is moving against young people everywhere. It is now virtually a crime to be young. This is all-out war in which the opposition will use the dirtiest tactics at their disposal. The only country to gain the support of its young people is Red China . . , 19
Die Anspielung auf China sollte nicht verwundern: ultralinkes Abenteurert u m ist verführerisch für den kleinbürgerlichen Anarchisten. Z u r Ü b e r w i n d u n g der „Konzentrationslager genannt N a t i o n e n " empfiehlt Burroughs neben der Gewalt auch noch „den R ü c k z u g gleichgesinnter Individuen in gesonderte Gemeinschaften innerhalb der Nation" nach dem Beispiel der Black Muslims und der Hippies. 2 0 Die literarische Umsetzung der in obigen Beispielen verdeutlichten Denkschemata ist so extrem, d a ß wir wiederum auf Burroughs' eigenen Rauschgiftkonsum verweisen müssen, der ihn auf besondere Weise inspiriert hat. Die Notwendigkeit, das Bild Burroughs' möglichst umfassend kritisch zu enthüllen, zwingt uns dennoch zu einem längeren Zitat: Rock and Roll adolescent hoodlums storm the streets of all nations. They rush into the Louvre and throw acid in the Mona Lisa's face. They open zoos, insane asylums, prisons, burst water mains with air hammers, chop the floor out of passenger plane
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lavatories, shoot out light-houses, file elevator cables t o one thin wire, turn sewers into the water supply, throw sharks and sting rays, electric eels a n d candiru into swimming pools (the candiru is a small eel-like fish or w o r m a b o u t one-quarter inch t h r o u g h a n d two inches long patronizing certain rivers of ill repute in the G r e a t e r A m a z o n Basin, will d a r t u p your prick or your asshole or a w o m a n ' s cunt, faute de mieux, a n d hold himself there by sharp spines with precisely what motives is not k n o w n since n o o n e h a s stepped forward to observe the candiru's life-circle in situ), in nautical costumes r a m the Queen Mary full speed into N e w York H a r b o r , play chicken with passenger planes a n d busses, rush into hospitals in white coats, carrying saws a n d axes a n d scalpels three feet long, throw paralytics out of iron lungs (mimic their suffocations flopping a b o u t on the floor and rolling their eyes up), administer injections with bicycle p u m p s , disconnect artificial kidneys, saw a w o m a n in half with a two-man surgical saw, they drive herds of squealing pigs into the C u r b , they shit on the floor of the United N a t i o n s a n d wipe their ass with treaties, pacts, alliances. 2 1
Eine ganz ähnliche Szene — in das Jahr 1988 verlegt und somit eine soziale Utopie andeutend — gestaltet Burroughs in The Wild Boys. Jetzt ist aber explizit von „underground armies" die Rede, die gegen die überall entstandenen „suppressive police states" rebellieren: W e intend to march on the police machine everywhere. W e intend to destroy the police machine and all its records. We intend to destroy all d o g m a t i c verbal systems. T h e family unit and its cancerous expansion into tribes, countries, nations we will eradicate at its vegetable roots. W e d o n ' t want t o hear any m o r e family talk, m o t h e r talk, father talk, c o p talk, priest talk, country talk o r party talk. T o put it country simple we have heard enough bullshit.
Noch präziser — und ungewollt ehrlicher — heißt es im gleichen Kontext: „Our aim is total chaos." 2 2 Wir dürfen annehmen, daß Chaos tatsächlich die Summe aller gesellschafts-theoretischen Überlegungen Burroughs' ist, wobei diese Summe sich vielfaltig aus Reichschen Formeln und Science-fiction-Konzepten23 zusammensetzt. Das wird unterstrichen durch den Hauptgedanken des Nova Express: Die Erde ist hoffnungslos korrupt; sie kann nur durch eine Intervention aus dem Kosmos in Form einer umfassenden Polizeiaktion korrigiert werden. 2 4 Burroughs' apokalyptische Vision drückt seine Imperialismus-Kritik ebenso unmißverständlich aus wie sein anarchistisches Unverständnis für gesellschaftliche und politische Entwicklungen.
Semantischer
Positivismus
und Zerstörung
des
Ästhetischen
Eine fundierte Kritik an Burroughs kann den enormen Einfluß sprachphilosophischer Vorstellungen auf sein Denken nicht ignorieren. Ludwig Wittgenstein 25 und Alfred Korzybski 26 werden ausdrücklich erwähnt. Eigentlicher philosophischer Ausgangspunkt ist für Burroughs die Ablehnung der klassischen bürgerlichen Philosophie, insbesondere des dualistischen Denkens: 5
Wüstenhagen
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. . . as Korzybski, the man who developed general semantics, has pointed out, the Aristotelian "either-or" — something is either this or that — is one of the great errors of Western thinking, because it's no longer true at all.
Auf die sich anschließende Frage, w a r u m dieses Aristotelische Denken so lange akzeptiert worden sei, antwortet Burroughs: There are certain formulas, word-locks, which will lock up a whole civilization for a thousand years . . . Yes, I would agree emphatically that Aristotle, Descartes, and all that way of thinking is extremely stultifying and doesn't correspond even to what we know about the physical universe, and particularly disastrous in that it still guides the whole academic world. They were bitterly opposed to Korzybski and his general semantics, which would seem to be an obvious consideration — that labels are not the things they stand for, that when you're arguing about labels, when you're talking about things like democracy, communism and fascism that have no clear-cut references, no clear-cut thing to which they refer, you're not talking about anything. 27
Burroughs' Kritik a m Dualismus steht jedoch auf tönernen F ü ß e n ; er ersetzt ihn durch die extremste F o r m subjektiven Idealismus, durch den Solipsismus: ,,I d o n ' t think that there is really room for more than one person, that is, one will, on any planet." 2 8 M a n denkt unwillkürlich an Max Stirners Der Einzige und sein Eigentum (von Burroughs freilich nicht erwähnt), und man tut gut d a r a n , sich des Zusammenhangs zwischen den solipsistischen Tendenzen im Empiriokritizismus und Neupositivismus einerseits und dem politisch-theoretischen Ausdruck dieser Tendenzen im Anarchismus andererseits zu erinnern. 2 9 Dient die Bezugnahme auf die Sprachphilosophie einerseits als weitere Beg r ü n d u n g des Burroughschen Irrationalismus, der als Element seines prinzipiellen Anarchismus fungiert und im übrigen als „ a n t i a u t o r i t ä r e " H a l t u n g verstanden werden will 30 , so ist andererseits — und das ist in unserem Kontext noch wesentlicher — die sprachphilosophisch-neupositivistische Konzeption von der Macht des Wortes essentiell für Burroughs' ästhetische Einstellung. Für die Beschwörung Ludwig Wittgensteins durch Burroughs in diesem Kontext gilt jedoch in vollem U m f a n g die marxistische Kritik an der allgemeinen G r u n d orientierung der Sprachphilosophie, ihrer Kausalität und ihren Konsequenzen: „Eine Reduktion der Philosophie auf philosophische Probleme der Sprache m u ß als die charakteristische Widerspiegelung der klassenmäßigen und sozialökonomischen Situation der heutigen bürgerlichen Welt eingeschätzt werden: Verlust der Perspektive, Mangel an Vertrauen in die Menschheit und deren Z u k u n f t , Skeptizismus, Leugnung des gesellschaftlichen Fortschritts und Beschränkung auf ein enges Spezialistentum . . ." 3 1 Bereits 1964 legt Burroughs — zunächst auf der technischen Ebene — dar, wie er sich die Auswirkung seiner von Wittgenstein und Korzybski abgeleiteten Konzeption von der A u t o n o m i e des Wortes auf die Gestaltung eines literarischen Texts vorstellt: 66
There are many ways to do cut ups: 1.) Take a page of text and draw a line down the middle and cross the middle. You have now four blocks of text 1 2 3 4. N o w cut along the lines and put block 1 with block 4 and block 2 with block 3. Read the rearranged page. 2.) Fold a page of text down the middle lengthwise and lay it on another page of text. N o w read across half one text and half the other. 3.) Arrange your texts in three or more columns and read c r o s s column. 4.) Take any page of text and number the lines. N o w shift permutate order of lines 1 3 6 9 12 ecetera (sic). There are of course many other possibilities. A throw of the words gives you new combos. Selection and use is up to the writer. 32
Trotz eines gewissen ironisch-satirischen Aspekts in obiger Ä u ß e r u n g (und im gesamten Artikel) will Burroughs durchaus ernst genommen werden. Die A u t o nomie des Wortes wird an gleicher Stelle von ihm ernsthaft verfochten: „ W o r d s know where they belong better than you do. I think of words as being alive like animals." 3 3 Später elaboriert Burroughs diese G e d a n k e n : Image and word are the instruments of control used by the daily press and by such news magazines as Time, Life, Newsu eek . . .
Er unterscheidet dann — den Z u s a m m e n h a n g von Sprache und Denken negierend — zwischen silbischen und hieroglyphischen Sprachen: A syllabic language forces you to verbalize in auditory patterns. A hieroglyphic language does not. I think that anyone who is interested to find out the precise relationship between word and image should study a simplified hieroglyphic script. Such a study would tend to break down the automatic verbal reaction to a word. It is precisely these automatic reactions to words themselves that enable those who manipulate words to control thought on a mass scale. 34
Trotz unbestreitbarer Einsicht in Aspekte der modeinen bürgerlichen Massenmanipulation bleibt die ästhetische Schlußfolgerung völlig u n h a l t b a r : die Zerstörung des verbalen Kontextes in der Literatur, wie es Burroughs in seiner cut-up-Methode und auch in höchst komplizierten Magnetton-Verfahren 3 5 postuliert und praktiziert, führt nicht zu befreienden Einsichten, sondern — wenn nicht zur absoluten Inkommunikabilität — bestenfalls zur quasikünstlerischen Nabelschau. Der von Burroughs — in Anlehnung an die Sprachphilosophie — negierte Z u s a m m e n h a n g von Sprache u n d Denken impliziert auch die Negation des gesellschaftlichen Charakters der Sprache und läßt ihn folglich die Sprache ausschließlich als Instrument begreifen, das keine Widerspiegelungsfunktion besitzt und dessen gesellschaftliche Relevanz lediglich durch den G e b r a u c h oder eigentlich den Mißbrauch bestimmt wird. Ein ästhetisches Konzept läßt sich auf solchem F u n d a m e n t schon gar nicht gründen, was durch Burroughs' a p o d i k t i s c h - p r o g r a m m a t i s c h e Ä u ß e r u n g im Naked Lunch evident w i r d : There is only one thing a writer can write about: w h a t is in f r o n t o f h i s s e n s e s at t h e m o m e n t o f w r i t i n g . . . I am a recording instrument . . . I do not presume to impose "story" "plot" "continuity" . . . Insofar as I succeed in d i r e c t recording of certain areas of psychic process I may have limited function. 3 6
5'
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Burroughs postuliert Unmögliches: die direkte Aufzeichnung sinnlicher Eindrücke, ohne Vermittlung der Sprache u n d damit des Denkens, d. h. ohne menschlichen Bezug, denn das Gesellschaftliche als eigentlich Menschliches bleibt ebenso ausgeklammert wie die historische Dimension. Natürlich kann auch Burroughs sein eigenes Postulat nicht praktizieren, doch führt sein ästhetisches Denken zu künstlerischen Manifestationen, die gesellschaftlicher E r f a h r u n g nicht mehr zugänglich sind. Burroughs' fehlerhaftes Denken führt überall — trotz scheinbarer Vielfalt — zum gleichen prinzipiellen Kurzschluß: Solipsistischer Absolutismus kennzeichnet den anarchistischen Ansatz seiner philosophischen, sozialen und politischen Vorstellungen ebenso wie sein ästhetisches Konzept. Seine im Marxschen Sinne bornierte Sichtweise kulminiert in seiner Auffassung vom Menschen: Nothing basically wrong with the human beings themselves, but they certainly will have to take a very basic forward step in evolution. It's quite probable that at the real beginning point of what we call modern man was speech. In the beginning was the word. I think the next step will have to be beyond the word. The word is now an outmoded artifact. Any life form that gets stuck with an outmoded built-in artifact is doomed to destruction . . . The present form of human being quite possibly results from words, and unless they get rid of this outmoded artifact, it will lead to their extinction. 37
Apgesichts solcher Auffassung, deren Unhaltbarkeit ebenso evident ist wie ihre H e r k u n f t aus der sozialen Bedingtheit des entwurzelten, hilflosen, aber rebellisch posierenden Kleinbürgers, kann die in den Werken anzutreffende Gestaltung der Welt als Science-fiction-Horror-Utopie 3 8 k a u m verwundern. Burroughs geht von einer prinzipiellen, freilich subjektiven Opposition gegenüber jeder etablierten M a c h t und O r d n u n g aus. Sein philosophisches und soziales Koordinatensystem ist jedoch so heillos verworren, d a ß daraus erkennbare Orientierungen und Haltungen nicht erwachsen können, es sei denn die Attitüde absoluter Negation. Im R a h m e n solcher Einstellung ist Kritik an einzelnen Aspekten der staatsmonopolistischen Gesellschaft, z. B. an der Manipulierung der öffentlichen Meinung durch die Massenmedien oder an der Manipulierung der Rauschgiftsucht, noch möglich, aber infolge der klassenmäßigen S t a n d p u n k t losigkeit des Autors k a u m wirksam. Die Ausweitung des US-imperialistischen Misere zur gesamtmenschlichen Katastrophe, wie sie für Burroughs' anarchistisches Denken charakteristisch ist, führt vielmehr zur objektiven Entschärfung seiner Imperialismus-Kritik und überdies zur Etablierung unmenschlicher Verhaltensweisen als N o r m . Ideologie und ästhetisches Bewußtsein sind bei Burroughs k a u m zu unterscheiden, weil beide essentiell vom Anarchismus seines Denkens beherrscht werden. D a r a u s folgt die wohl extremste Erscheinungsform in der amerikanischen Prosa der 50er und 60er Jahre: Burroughs' Werk verbindet äußerste Menschenverachtung im Inhalt mit der Auflösung der künstlerischen Form.
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Norman Mailer: Zwischen gesellschaftlichem und ideologisch-ästhetischer
Engagement Konfusion
Persönlichkeit und Werk des 1923 geborenen Norman Mailer verdienen unser Interesse, nicht weil sie schlechthin nonkonformistische Haltung und Kunst darstellen, sondern weil sie demonstrieren, zu welchen Extremen Menschliches und Künstlerisches unter den Bedingungen Nachkriegsamerikas gelangen können, auch wenn der Autor, wie es der Fall ist, sich um die Gestaltung jeweils aktueller sozialer und politischer Probleme müht. Das Problem bei Mailer besteht nicht in der Distanz zur gesellschaftlichen Realität, sondern eher in der Nähe zu ihr und in den daraus resultierenden Schwierigkeiten bei der Gewinnung einer perspektivischen Sicht. Als Folge sind — vorab — zwei auffällige Phänomene zu konstatieren: eine multivalente und höchst widersprüchliche Rezeption von Ideologie und ein graduelles Abrücken vom Roman zugunsten einer Bevorzugung essayistisch-journalistischer Genres und der Reportage.
Zweiter Weltkrieg und McCarthyismus : Von The Naked and the Dead zu The Deer Park Es sind mehr als drei Jahrzehnte vergangen, seit Mailers erster Roman erschienen ist; seitdem hat dieses Buch nicht nur in den Staaten, sondern weltweit viele Auflagen erlebt, ist ein Bestseller geworden. Noch immer wird Mailers Name zuerst mit The Naked and the Dead (1948) in Verbindung gebracht, und es gibt nicht wenige Stimmen, die die Publikation des Romans als ein „historisches Ereignis in der amerikanischen Literatur". . } bezeichnen. Dabei wird häufig außer acht gelassen, daß Mailer weiterhin literarisch tätig gewesen ist; man muß doch aber wohl The Naked and the Dead in Relation zu den übrigen Werken sehen. Nicht bestritten werden soll die „Kritik am Krieg und an den stark ausgeprägten faschistischen Tendenzen innerhalb des amerikanischen Militärs" 2 , eine wesentliche Aussage des Romans. Es ist sicherlich auch richtig, den Unterschied Mailers zu Dos Passos' individualistischem Protest in Three Soldiers (1921) hervorzuheben: „The virtue of the Naked and the Dead . . . is that it sees the individual within the military organization. It attempts to evaluate the whole complex structure of the American Army in war and peace, as a weapon of conquest and destruction." 3 Zweifellos wohnen der Beschreibung des Lebens in 69
der Armee stark sozialkritische Aspekte inne, die nicht auf die besonderen Bedingungen der Kriegs-Gesellschaft (d. h. der Armee) beschränkt bleiben: Der R o m a n „gave the impression of showing American society itself in uniform. And indeed the army of a nation at war is that nation itself turned inside out, with its secrets exposed." 4 M a n mag sich freilich hier schon fragen, o b die künstlerische Intention Mailers bereits so weit gespannt war. Er selbst bezeichnete später seinen ersten Versuch eines Kriegsromans, A Calculus at Heaven (1944) 5 , als „ a n attempt of the imagination . . . to guess what war might really be like" 6 . Über sein Kriegserlebnis (1944—45) und den Plan zu The Naked and the Dead werden an gleicher Stelle weitere Ausführungen gemacht, die unterstreichen, d a ß Mailer seinen Kriegsroman unter dem Eindruck eignen direkten Erlebens u n d gleichzeitig fiktiv, unter Zuhilfenahme schöpferischer Phantasie, gestaltete; es läßt sich andererseits aber bezweifeln, d a ß er bereits ganz bewußt soziale und politische Zusammenhänge wahrgenommen hat. Es ist natürlich richtig: Der Mailer gegen Ende der 50er Jahre, der Advertisements for Myself kompilierte, distanzierte sich von seiner frühen „sozialkritischen" Periode; er fühlt sich z. B. „ e m b a r r a s s e d " beim Wiederlesen seiner Story The Greatest Thing in the World (1941) 7 und urteilt: „Crude, derivative of the kind of writing which was done in the thirties . . ," s Bei aller Distanzierung m u ß jedoch berücksichtigt werden, d a ß Mailers Entwicklung eben nicht in dieser Weise geradlinig verlief: Der A u t o r der Armies of the Night (1968) erweist sich als mindestens ebenso sozialkritisch wie der Verfasser des berühmten R o m a n s von 1948. Im Mittelpunkt des berechtigten Interesses vieler Kritiker steht die Darstellung des Faschismus in The Naked and the Dead, d. h. des Faschismus in der amerikanischen Armee und Gesellschaft. Wir wollen die wohlfundierte Kritik, Mailer habe hier die Proportionen grob verschoben und den Eindruck erweckt, als sei die ihren Anteil an der Anti-Hitler-Koalition leistende amerikanische Armee, noch dazu unter der Präsidentschaft des Antifaschisten Franklin D. Roosevelt, zumindest in ihrer F ü h r u n g total faschistisch verseucht gewesen 9 , zunächst unberücksichtigt lassen. Beschränken wir uns auf den Erfahrungsbereich Mailers, wie er ihn im R o m a n gestaltet. Die Faschisten im R o m a n sind General C u m m i n g s auf der oberen und Sergeant Croft auf der unteren Ebene. Als Antifaschisten stehen ihnen Lieutenant Hearn und Red Valsen gegenüber, wobei Hearn als müd-liberaler Harvard-Intellektueller, Valsen als Lumpenproletarier erscheint. Hearn wird — entsprechend der inneren Logik des R o m a n s — von C u m m i n g s psychisch, von C r o f t physisch vernichtet. Auch ein denkbarer moralischer Sieg Hearns über seine Gegenspieler ist nicht w a h r n e h m b a r . Bereits an der Oberfläche schlägt also das Pendel zugunsten der faschistischen K r ä f t e aus. N u n könnte man das als eine kompromißlose, realistisch-anklagende Zustandsschilderung verstehen, wenn Mailer sich nicht so stark von C u m m i n g s und C r o f t fasziniert und weniger von Hearn enttäuscht gezeigt hätte. N o r m a n Podhoretz stellt mit Recht fest: „The Naked and the Dead simply does not sound like a book drawing u p an angry i n d i c t m e n t . . . T h e tone, indeed, is rather more disinterested 70
than partisan . . ." 1 0 Sidney Finkelstein urteilt über die Gestalt H e a r n s : " C o m p a r e d to C u m m i n g s his is a flabby mind, compared to C r o f t he is an inept soldier." 1 1 Wenn man " A Calculus at H e a v e n " als eine Art Studie zum späteren R o m a n ansieht, d a n n ist auch Captain Hilliard eine Studie zu Hearn. Ü b e r Hilliard aber heißt es: " H e defended nothing intellectually, almost everything emotionally . . . He said he believed in nothing, and he enjoyed it, for he found that believing in nothing meant believing in himself . . ," 1 2 M a n k ö n n t e solche und ähnliche Passagen als bedeutungslos abtun, wenn Maiier nicht in den 50er Jahren ausdrücklich sein Bild des amerikanischen Existentialisten 1 3 gezeichnet hätte; Anti-Intellektualismus, Defaitismus und extremer Individualismus, wie in obigem Zitat angedeutet, aber sind wesentliche Attribute des Existentialismus. ". . . all varieties of Existentialism . . .", sagt A d a m Schaff, " a r e united not only by the fact that their central problems concern the fate and experiences of the individual, but also by their conception of the individual as isolated, lonely and tragic in his senseless struggle with the alien forces of the world a r o u n d him . . ," 1 4 Auch f ü r Lieutenant Hearn besteht das Leben aus einer Serie von F r u s t r a t i o n e n : Hearn verabscheut und verurteilt zwar C r o f t und am Ende auch Cummings, aber er unterliegt ihnen sowohl wie dem unbedeutenden M a j o r Dalleson; m e h r noch, er hält einen effektiven Widerstand von vornherein f ü r sinnlos, er akzeptiert seine Niederlage im voraus, gibt sich geschlagen, ohne je wirklich g e k ä m p f t zu haben. "Style without c o n t e n t " , schreibt N o r m a n Podhoretz sehr treffend, " a vague ideal of personal integrity, a fear of attachment, and a surly nihilistic view of the world are not enough to save a man in the long run f r o m the likes of Cummings and C r o f t . . ," 1 5 Die kritischen Implikationen der Figurenkonstellation, bezogen auf die gesellschaftlichen Verhältnisse der U S A , mögen unbestritten bleiben; wir dürfen aber die Ansätze einer existentialistischen G r u n d h a l t u n g , wie sie f ü r Mailers späteres Werk weithin bestimmend werden soll, ebensowenig übersehen wie gewisse Tendenzen zur Darstellung des G r a u samen und Ekelerregenden als Selbstzweck. Barbary Shore, 1952 erschienen u n d Jean Malaquais gewidmet, macht Mailers ideologische und künstlerische Verwirrung bereits sehr deutlich. Gewiß sind auch hier sozialkritische Aspekte zu finden; das Sujet u m f a ß t nicht weniger als eine Untersuchung der Auswirkungen des Kalten Krieges auf die amerikanische Psyche. Dieses durchaus zeitnahe T h e m a erfährt nun allerdings eine sehr vage Behandlung. Mailer selbst kündigt an, das Buch vermittle " a kind of insane insight into the psychic mysteries of Stalinists, secret policemen, narcissists, children, Lesbians, hysteric revolutionaries . . .", es habe darüber hinaus " A n air which f o r me is the air of our time, authority and nihilism stalking one another in the orgiastic hollow of this century." 1 6 Diese Worte Mailers ermöglichen einen Einblick in sein Weltbild: Autoritätsglaube (wobei er sich sowohl auf bürgerlichen Konformismus, Faschismus wie auch auf sozialistische Gesellschaftssysteme bezieht) und Nihilismus ( N o n k o n f o r m i s m u s ) sind die Alternativen, die f ü r 71
ihn in die „orgiastische Leere dieses Jahrhunderts" münden. Kein Wunder, daß er diese Welt nur mehr als absurd zu begreifen vermag. In unfreiwilliger Selbstironie hat Mailer recht, wenn er von Barbary Shore sagt: . . it was really a book to emerge from the bombarded cellars of my unconscious . . ," 17 Das Geschehen des Romans spielt ausschließlich in einem schäbigen Brooklyner Pensionshaus. Handelnde Personen sind die Pensionsinhaberin Guinevere, ihr Ehemann McLeod, ihre kleine Tochter Monina; ferner die Pensionsgäste Hollingsworth und Lannie Madison. Ebenfalls Gast der Pension ist Michael Lovett, der als beobachtender, wertender und häufig mitagierender narrator (Erzähler) fungiert. Im Mittelpunkt der auf kleinsten Raum beschränkten, dennoch aber recht turbulenten Handlung steht McLeod. Er, der ehemals „revolutionäre Sozialist", war infolge seiner Enttäuschung über den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt seinen Überzeugungen untreu geworden und in den Dienst des State Department getreten. Auch dieses Dienstes überdrüssig geworden, versucht er nunmehr, ein bescheidenes, unauffälliges, halb illegales Dasein zu führen; er ist jedoch den Verfolgungen des geheimen FBI-Agenten Hollingsworth ausgesetzt, der die Aufgabe hat, McLeod ein nicht identifizierbares "little object" abzujagen, das dieser dem State Department entwendet haben soll und das für das Department offensichtlich den Wert eines Staatsgeheimnisses erster Ordnung repräsentiert. Zeugen der Verhöre, die Hollingsworth mit McLeod anstellt, sind Michael Lovett und Lannie Madison. Ersterer verspürt zunehmende Sympathie für McLeod, was sich freilich nicht eindeutig auf die Faszination der politischen Ansichten McLeods zurückführen läßt; vielmehr scheint es, als spiele Loveits Abneigung gegen Hollingsworth dabei die entscheidende Rolle. Man kann sogar annehmen, als werde Lovetts Handeln von Geschlechtsneid motiviert: Hollingsworth hat bei der Nymphomanin Guinevere, der Ehefrau McLeods, mehr Erfolg als er. Lannie Madisons Sympathien bleiben weitgehend unklar. Sie, die nach der Ermordnung Trotzkis einen schweren psychischen Schock erlitten hat, haßt — wie es scheint — McLeod; man fragt sich, ob wegen seines "revolutionary socialism" oder seiner Tätigkeit im State Department. Sie überträgt diesen Haß später sogar auf Lovett, für den sie anfangs gänzlich andere Gefühle gehegt hat. Für Hollingsworth scheint sie eher Sympathie zu empfinden, obwohl er durch sein sexuell-sadistisches Verhältnis zu Guinevere ihre eigenen lesbischen Beziehungen zu dieser Frau stört: Wie ersichtlich, ist die Konfusion nicht unerheblich. Beim letzten Verhör hält McLeod eine lange Rede, worin er seine Überzeugungen zusammenfaßt. Er macht seinen Frieden mit Hollingsworth; der seinerseits will mit Guinevere, Monina und dem nun endlich errungenen "little object" fliehen, wobei McLeod getötet und Lovett besinnungslos geschlagen wird. Am Ende kommen Männer — sind es Irrenhauswärter oder Geheimpolizisten? — und holen Lannie; Lovett kann fliehen und findet sich im Besitz von McLeods politischem Testament, in dem er ihm "The remnants of my socialist culture" 1 8 vermacht. ". . . Mr. Mailer merely seems to be saying that no normal sex life is 72
possible until the neurosis of history has been resolved", summiert Maxwell Geismar, und er vergleicht Barbary Shore mit der "gruesome fascination" von "Orwell's Utopia of horrors" 1 9 . Norman Podhoretz meint, daß der McCarthyismus ein "negligible element" des Romans sei; andere Dinge stünden im Mittelpunkt: "Mailer's real subject is the effect on modern life of the failure of the Russian revolution, and if there is an extravagant assumption at work in Barbary Shore, it is that all our difficulties (political, spiritual, psychological and sexual) are directly traceable to this failure." 2 0 Obwohl es beiden Urteilen an der letzten kritischen Distanz fehlt, sind die Aussagen in ihrer Art dennoch aufschlußreich: Der Vergleich mit George Orwells 1984 (1949) wird äußerst relevant, sobald man diesen Roman richtig, d. h. als antikommunistisch-trotzkistische Utopie 21 einschätzt, deren besondere demagogische Qualität darin liegt, daß hier auch Züge des imperialistischen Staates kritisch-satirisch beleuchtet werden. Ähnlich aufschlußreich ist die Bemerkung, der „Fehlschlag der russischen Revolution" liege Barbary Shore zugrunde. Norman Podhoretz vergißt hinzuzufügen, daß eben diese Auffassung zum ehernen Bestand der trotzkistischen Ideologie gehört; da der Sieg des Sozialismus in einem Lande nach Meinung Trotzkis und seiner Anhänger nicht möglich sei, war die „russische Revolution" eben deshalb ein „Fehlschlag", weil sie keine Weltrevolution zu entzünden vermochte. 22 Hauptsächliches Sprachrohr der trotzkistischen Ideologie im Roman ist McLeod, in geringerem Maße Lovett. Es ist verhältnismäßig leicht, durch Zusammenstellung verschiedener Äußerungen McLeods und Lovetts einen fast lückenlosen Katalog des trotzkistischen ideologischen Arsenals zu erhalten. Lovett in einem inneren Monolog: "What were the phenomena of the world today? If I knew little else, I knew the answer — war, and the preparations for new war . . ," 2 3 McLeod: "My political formulations are based on the thesis that war is inevitable . . ," 2 4 McLeod: ". . . when the events of 1917 failed to induce similar uprisings in the countries of the West, the revolution was doomed . . . all possibility for socialism was lost in the necessity for survival. 25 McLeod über die beiden politischen Weltsysteme: "It is a war fought by two different exploitative systems . . . a conflict between two virtually identical forms of exploitation." 2 6 McLeod über seine Konzeption des Sozialismus: ". . . revolutionary socialism . . . conceives of a society where the multitude own and control the means of production in opposition to what exists everywhere today. It holds the true conception of equality where each works according to his ability and each is supplied according to his needs." 27 Es ist, wie gesagt, nicht schwer, hinter den hier zitierten Textstellen (und vielen anderen, die nicht angeführt werden können) typische trotzkistische Phrasen zu entdecken: die These von der Unvermeidlichkeit eines dritten Weltkrieges (oder des Krieges überhaupt) und die damit verbundene Unterschätzung der Weltfriedensbewegung; die These von der Unmöglichkeit des Sieges des Sozialismus in e i n e m Lande; virulente Sowjetfeindlichkeit, sehr häufig eingekleidet 73
in die Behauptung, die sowjetische O r d n u n g sei eine Ausbeuterordnung in F o r m des Staatskapitalismus; die ultralinke Phrase. 2 8 Dieser ideologische Kern der Mailerschen Vorstellungen erscheint, wie bereits gezeigt wurde, eingebettet in eine Handlung, die über lange Strecken wie ein Alptraum anmutet. — Dennoch darf man bei Bar bary Shore immer noch die Frage offen lassen, o b es sich hier nicht doch u m die subjektiv ehrliche Widerspiegelung einer Weltsicht handelt, die a m Chaos verzweifelt. Es zeigt sich aber bereits hier: Die Ambivalenz und Inkonsequenz der letztlich im Kleinbürgertum wurzelnden trotzkistischen Falsifikationen resultieren in bedenklichen ästhetischen Offenbarungen. M a n mag Mailer zugestehen wollen, d a ß der Beginn der McCarthy-Ära ihn zutiefst verwirrte und ihn zu einem wie auch immer gearteten anarchistischen Protest herausforderte — die objektive Zielrichtung bleibt primär, im R a h m e n der für den Trotzkismus typischen schillernden Ambivalenz, der Antikommunismus. Will m a n einen Augenblick lang vom Politischen abstrahieren, so bleiben als philosophisches Endresultat Defaitismus, Nihilismus, Geschichtslosigkeit. " . . . I had n o past and was therefore without a f u t u r e " , sagt Lovett, u n d : " S o the blind lead the blind and the deaf shout warnings to one another until their voices are lost." 2 9 Wir werden noch zu zeigen haben, d a ß „unpolitischer" Nihilismus und politischer Trotzkismus nicht nur die gleiche Perspektivlosigkeit besitzen, sondern auch auf die gleichen extrem subjektivistischen Wurzeln zurückgehen. Auch das Sujet von The Deer Park (1955) enthält zunächst deutlich erkennbare sozialkritische Tendenzen. Charles Eitel, Hauptfigur des Werkes, berühmter Filmregisseur, sieht sich eines Tages vor die Alternative gestellt, entweder Kollaborateur des House Un-American Activities Committee zu werden und seine F r e u n d e und Gesinnungsgenossen preiszugeben oder alle Chancen seiner beruflichen Karriere zu verspielen. Zunächst kann es sich Eitel leisten a b z u w a r t e n : In seinem Bungalow in Desert D ' O r (dem Vergnügungs- und Erholungszentrum der Filmkolonie, das wohl für Palm Springs stehen soll) kann er sich in aller M u ß e mit künftigen Filmprojekten beschäftigen und über seine dahinschwindende Jugend, seinen verblassenden R u h m und die mit beiden P h ä n o m e n e n verbundene A b n a h m e seiner sexuellen Anziehungskraft und Potenz sinnieren. Diese bedingte Idylle soll freilich nicht lange währen. Eitel versucht, durch N u t z u n g persönlicher Beziehungen trotz des Bannfluchs wieder ins Geschäft zu k o m m e n , nicht zuletzt auch deshalb, weil seine finanzielle Lage prekär zu werden beginnt. Er bedient sich dazu eines gewissen Collie Munshin, der bei seinem Schwiegervater, dem allgewaltigen Herman Teppis, ein gutes Wort einzulegen verspricht. Der Preis, den Munshin für seine Dienste fordert, ist an sich eine Entwürdigung: Eitel soll Munshin von seiner Geliebten befreien, derer er überdrüssig geworden ist und die obendrein seinen „guten R u f " zu zerstören d r o h t ; zu diesem Zweck soll Eitel sich auf eindeutig definierte Weise um sie „ k ü m m e r n " , damit sie abgelenkt wird und nicht auf den G e d a n k e n k o m m t , Munshin durch Hysterie, Selbstmord o. ä. zu kompromittieren. Eitel, dem das Erniedrigende dieser Rolle zwar bewußt wird, der aber letztlich nichts Ernsthaftes dagegen einzu74
wenden hat, unterzieht sich seiner Aufgabe mit bemerkenswerter Bravour. Die schöne, aber ungebildete Elena Esposito wird zum Symbol seines Protests gegen die arrivierte Gesellschaft von Desert D ' O r , eines Protests freilich, der sich auf der Ebene von durchaus nicht immer m o n o g a m e n Parties u n d im Bett vollzieht. Eitel trennt sich in dem Augenblick von Elena, als er den entscheidenden, wenn auch keineswegs ehrenvollen Schritt zum "friendly witness" des im Buch so genannten Subversive Committee vollzogen hat und ihm d a n a c h die Filmkarriere wieder offensteht. Elena begibt sich in die H ä n d e des dämonischen Zuhälters M a r i o n Faye, wird aber schließlich doch von Eitel geheiratet. J a h r e später, am Ende des R o m a n s , werden Eitel und Elena als relativ glückliches Ehepaar mit Kind gezeigt, das nicht mehr im lasterhaften Desert D ' O r , sondern in der Metropole der Filmindustrie lebt. Eitel macht selbstverständlich wieder Filme, wenn auch nicht solche, von denen er einst geträumt h a t t e ; er hat nebenbei ein Verhältnis mit dem großen Star Lulu Meyers (eine seiner geschiedenen Frauen), und eben das ist äußeres Kennzeichen des Durchschnittlichen und „ N o r m a l e n " , zu dem er nun endgültig zurückgekehrt ist. Während die Gestalt der Lulu Meyers einerseits als T y p des manipulierten Stars ein gewisses Eigeninteresse beansprucht, ist sie andererseits als zeitweilige Gespielin des agierenden und kommentierenden Erzählers Sergius O'Shaughnessy (vergleichbar in seiner Rolle dem Michael Lovett in Barbary Sliore) in die H a n d l u n g integriert. Sergius ist nach Desert D ' O r gekommen, weil er sonst nicht recht gewußt hätte, was er, entlassener 23jähriger First Lieutenant der amerikanischen Luftwaffe, Veteran des Korea-Krieges, mit seinen beim P o k e r gewonnenen 14000 Dollar hätte anfangen sollen. 3 0 So spielt er die Rolle des halbnaiven Eindringlings in eine exotische Welt, die ihn auf verschiedene Weise verändert: Lulu Meyers gibt ihm seine infolge des Kriegserlebnisses verlorene sexuelle Potenz zurück, verläßt ihn aber, weil e r . mit ihrer weiteren Filmkarriere nicht vereinbar scheint; er sympathisiert mit Eitels Dilemma u n d glaubt sich von ihm verstanden, m u ß aber am Ende seine Enttäuschung über Eitels Verhalten konstatieren; der nihilistische Zynismus M a r i o n Fayes, der durch das Leben immer wieder bestätigt scheint, zerstört einen Teil seiner U n s c h u l d ; das Filmgeschäft insgesamt, das ihm anfangs eine Chance zu geben schien, seine Lebensgeschichte darzustellen, vernichtet weitere Illusionen. Eine Illusion freilich bleibt ihm, auch nach einer Periode, da er als Tellerwäscher sein Dasein fristen mußte, nach einem Mexico-Aufenthalt und dem geglückten Versuch, in N e w York eine Stierkämpfer-Schule einzurichten, u n d nach einer ganzen Reihe sporadischer Liebeshändel, darunter einer Affare mit D o r o t h e a O ' F a y e , der M u t t e r M a r i o n s : D a s ist die Illusion, kraft seiner E r f a h r u n g und einer vagen Inspiration z u m Schriftsteller berufen zu sein. M a n darf Maxwell Geismar zustimmen, wenn er a m A n f a n g seiner Kritik über The Deer Park sagt, " t h a t the novel contained valid and sharp social c o m m e n t a r y , and that the descriptions of Hollywood's more intimate f o r m s of recreation were often penetrating" 3 1 . D a s trifft sicherlich auf manche Episode u n d Szene, m a n c h e s 75
Detail des Romans zu; man denke nur an jene Szene, in der der allgewaltige Produzent Herman Teppis nacheinander seine beiden Stars Teddy Pope und Lulu Meyers in separater Privataudienz empfängt, weil diese beiden nach seinem Willen — weil er sich davon viel Publizität verspricht — ein Paar werden sollen. 32 Geismars Implikation, daß man Derartiges auch im gutgemachten Journalismus finden könne, wäre nichts hinzuzufügen. Auch der zentralen Kritik am Roman ist zuzustimmen: ". . . there is no human center in the Deer Park; no balancing episodes of warmth, affection, or generosity . . . Mailer has no confidence in human nature itself, and perhaps no mature experience with it." 3 3 Trotz der Schärfe und Treffsicherheit der Geismarschen Analyse, die sich auch in vielen Detailbeobachtungen äußert, wird die Frage nach den tieferen Ursachen nicht gestellt, geschweige denn beantwortet; es ist eine Analyse der Oberfläche, und Geismar ist listig genug, zunächst einmal a priori anzunehmen, der geistige Tiefgang darunter sei unerheblich. Auch wenn eine solche Haltung gegenüber dem Mailerschen Œuvre zuweilen eine gewisse Versuchung darstellt, so dient sie doch nicht dem Erfassen weiterer philosophischer und literarischer Zusammenhänge. Um eben diese Zusammenhänge geht es Norman Podhoretz in seiner Kritik des Buches, auch wenn einschränkend gesagt werden muß, daß es sich lediglich um eine spezielle und begrenzte Sicht handelt. Was die Personen in The Deer Park betreffe, meint Podhoretz, so werde ihr Handeln von folgendem Widerspruch bestimmt: die „Skrupel, Inhibitionen und Konventionen", die einst den „natürlichen Egoismus des Individuums" gezügelt hätten, seien in ihrer Wirkung beeinträchtigt, weil die dahinterstehenden „Werte" ("values") nicht mehr voll gültig sind ; das aber wolle niemand wahrhaben. Deshalb handelten sie weiter so, als seien ihre "basic psychological drives" immer noch in Harmonie mit den „Werten", zu denen sie sich bekannten, als diese „Werte" noch gültig genug waren, um starke "internal needs" hervorzurufen. Obwohl sich dieser Widerspruch in allen Lebensbereichen zeige, "it is in sex that its contours are most clearly defined, and therefore it is on the sexual affairs of his characters that Mr. Mailer concentrâtes in The Deer Park,"34 Was Podhoretz hier zu geben versucht, ist eine zwar scharfsinnige, aber dennoch nur symptomatische Behandlung. „Skrupel", „natürlicher Egoismus", „psychologische Triebe", „innere Bedürfnisse", „Sexus" — das alles sind bedingte menschliche Äußerungen, und zwar sozial bedingte; Podhoretz' Hinweis auf die „Werte", mit denen die menschliche Psyche nicht mehr harmoniere, bleibt zu vage, um als sozial determinierter Begriff richtige Relationen herstellen zu können. Sehen wir uns also auf eine bloß biologische Konzeption z. B. der „Triebe" oder des „Sexus" verwiesen? Bei Mailer liegt dieser Schluß zumindest nahe, wie unten noch zu zeigen sein wird ; bei Podhoretz möchten wir das nicht annehmen. Es scheint vielmehr, als solle darauf aufmerksam gemacht werden, daß Mailer mit seiner Konzentration auf die "sexual affairs of his characters" ein Bild des entfremdeten Menschen zu zeichnen beabsichtigt. Man wird dabei an jene Worte aus den „Ökonomisch-philosophischen Manuskripten" 76
erinnert, mit denen Marx die Vertierung des Menschen als Folge der sogenannten Entfremdung konstatiert: „Es kommt daher zum Resultat, daß der Mensch nur mehr in seinen tierischen Funktionen, Essen, Trinken und Zeugen, höchstens noch Wohnung, Schmuck etc. sich als freitätig fühlt . . . Essen, Trinken und Zeugen etc. sind zwar auch echt menschliche Funktionen. In der Abstraktion aber, die sie von dem übrigen Umkreis menschlicher Tätigkeit trennt und zu letzten und alleinigen Endzwecken macht, sind sie tierisch." 35 Wenn Podhoretz sagen will, daß Mailer den Menschen in seiner Entfremdung darstellt, so muß man ihm zustimmen; freilich muß gleichzeitig geltend gemacht werden, daß es sich um eine Falsifikation der Entfremdung handelt, bei Mailer sowohl wie bei seinem Kritiker. Beide begreifen die Entfremdung des Menschen als fatales Ereignis, als ein dem Menschen schlechthin inhärentes Phänomen, das man allenfalls akzeptieren, niemals aber verändern könne. Das eben ist der Kern der Falsifikation: Die Entfremdung des Menschen erscheint nicht als ein primär soziales, die individuelle Persönlichkeit affizierendes Phänomen, sondern wird als eine primär vom Individuum ausgehende psychologische Erscheinung aufgefaßt, die unter Umständen in der Lage ist, die sozialen Relationen des Betroffenen aus dem Gefüge zu bringen. Damit aber ist der Tatbestand einer solipistisch-anthropologischen Konzeption gegeben, wie sie zum Arsenal der modernen Marxfälschung gehört 3 6 ; es ist dies eine Konzeption, die natürlich — bei Strafe ihres Untergangs — unter allen Umständen die Marxsche Begründung der Entfremdung auf die Besitzverhältnisse als entscheidende soziale Verhältnisse zu negieren suchen muß. Kehren wir zu Mailers Roman zurück und versuchen wir, hier jene Züge nachzuweisen, die für den Schwund kritisch-realistischer künstlerischer und fortschrittlich-humanistischer weltanschaulicher Orientierung des Autors typisch sind. — Charles Eitel befindet sich in einem Dilemma, das zunächst als Ergebnis einer graduellen Korruption seiner politischen und künstlerischen Ansichten aufgefaßt werden könnte, ähnlich der negativen Entwicklung, die Alvah Bessie seinen Francis X. Lang nehmen läßt. 37 Während die Korruption hier jedoch auf reale, d. h. soziale Kräfte zurückgeführt wird, scheint Mailers Held eher im Banne von Trieben zu stehen. Bei einem Gespräch mit Sergius gesteht Eitel, daß er sich in einer Schaffenskrise befinde, die auch in der Bedrohung durch das Subversive Committee und der daraus folgenden Diskriminierung begründet liege. Es biete sich, so sagt Eitel, allerdings in Europa für ihn eine Chance; er brauche nur ein gutes Drehbuch zu schreiben. "Only, it's not that simple. I feel as if I've been . . . amputated." Für alle jene, die meinen könnten, Eitel wolle damit ausdrücken, er fühle sich geistig oder gar politisch „amputiert", fügt er hinzu: „You know, I haven't had a woman in three months." 3 8 Diesem Übelstand wird bald durch die langandauernde Affäre mit Elena abgeholfen. Wenn man dieses Verhältnis als eine Art Katharsis für Eitel auffassen darf, so muß doch darauf hingewiesen werden, daß sie sich ausschließlich im animalischen Bereich vollzieht, denn Elena hat — wenigstens nach Eitels Ansicht — keinerlei geistige Qualitäten. Der weitere Weg 77
Eitels — T r e n n u n g von Elena, Kooperation mit dem Subversive Committee, Rückkehr zu Elena und künstlerischer Mittelmäßigkeit — wird weniger von äußerer Notwendigkeit als vielmehr von seiner Triebhaftigkeit bestimmt; es ist eine höchst individualistische Biographie, und wo immer äußeres Geschehen eine Rolle zu spielen scheint, da ist es die zufallige Bestätigung intuitiver Antizipation. D a m i t aber wird selbst dieses Äußere aller sozialen Relevanz entkleidet u n d auf das bloß Individuelle reduziert: das Subversive Committee z. B. ist nicht mehr Manifestation sozialen Übels, sondern lediglich Eitels persönliches Ärgernis, mit dem er sich einzurichten hat 3 9 , ebenso wie mit den dadurch bewirkten Störungen seines Geschlechtslebens. W ä h r e n d bei Eitel dies alles noch in relativ sublimierter F o r m erscheint, ist das bei der Gestalt der Elena k a u m noch der Fall. Sie vermag nur mehr zu fühlen, und sie erfüllt im G r u n d e eine bloß biologische Funktion. D e n n o c h — oder gerade deswegen? — läßt Mailer sie wenigstens einen Teil der Philosophie direkt äußern, die dem R o m a n zugrunde liegt. In dem Brief, den Elena an Eitel schreibt, nachdem sie sich von ihm getrennt hat und zu M a r i o n Faye gegangen ist, finden sich — bezogen auf M a r i o n und eingebettet in eine Art masochistischer Orgasmus-Theorie — folgende bemerkenswerte W o r t e : . . he [Marion] thinks if he's doing something dirty, that's going to change the world o r blow u p the world or something of the sort." 4 0 Hier findet eine Auffassung ihren Ausdruck, wie sie für Mailer bestimmend werden sollte: anarchistischer Protest, aber auf die Ebene physischer F u n k t i o n e n reduziert. "Sex becomes the substance of b o h e m i a " , hatte schon Harry Slochower mit Bezug auf literarische Erscheinungen zwischen den beiden Weltkriegen konstatiert, und der Fortschritt, an den z. B. Aldous Huxley glaubte, sei "progress through mystical faith rather than scientific investigation'\ 4 1 Mailer fühlt sich zwar nicht mehr als Bohémien, er bekennt sich statt dessen zum " H i p " 4 2 . Es handelt sich aber lediglich um graduelle, nicht u m prinzipielle Unterschiede; der Kern bleibt Irrationalismus und Agnostizismus. Paradoxerweise ist es M a r i o n Faye, der am meisten wünscht, Eitel möge der Versuchung des Subversive Committee widerstehen. Doch gerade Marion Faye hat alle Werte aufgegeben: Er ist Zuhälter, gelegentlich Homosexueller, M a rihuana-Raucher, Sadist, der sich vor dieser Welt unaussprechlich ekelt, der diese Welt in eine Atomwüste verwandelt sehen möchte. "Let it c o m e " , betet er, ". . . and clear the rot and the stench and the stink . . . and the world stands clear in the white dead d a w n . " 4 3 Auch diese visionäre, menschenfeindliche Mystik des Weltuntergangs ist uns schon begegnet, z. B. bei Aldous Huxley. 4 4 Aber davon ganz abgesehen, ist Marion Faye als M a h n e r Eitels einfach inadäquat. Zumindest bietet die Anlage dieser Gestalt keinerlei moralische oder ideelle Motivation für die A n n a h m e , der A u t o r wolle in ihr positive Kräfte des Protests sichtbar machen. D a m i t wird im G r u n d e die Gesamtanlage des Konflikts Eitels zwischen aufrechter Gesinnung und Kapitaluation vor dem Subversive Committee unglaubwürdig. 78
Es erhebt sich schließlich die Frage, o b nicht nonkonformistischer, anarchistischer Protest letztlich auf Apologie hinausläuft: D a die „Protest"-Figuren in ihrer Degradation diskreditiert sind, m u ß das Objekt ihres Protests dem Leser als nicht protestwürdig erscheinen. M e h r n o c h : D a s Subversive C o m m i t t e e und alles, wofür es symbolhaft stehen mag, können in diesem Zerrspiegel als positives Prinzip der O r d n u n g gegenüber dem Bösen und Verderbten mißverstanden werden. Auch das wäre ein Ausdruck der „ U m k e h r u n g aller Werte", wie sie für den trügerischen S u m p f b o d e n der (spät-)bürgerlichen M o r a l charakteristisch ist. " T h e most powerful leverage in fiction comes f r o m point of view, and giving O'Shaughnessy courage gave passion to the others." 4 5 Mit dieser Feststellung in seinen Notizen über den R o m a n versucht Mailer nachträglich, die Proportionen zurechtzurücken. Freilich k a n n das nicht überzeugen. Sergius O'Shaughnessy in seiner D o p p e l f u n k t i o n als Erzähler und Akteur ist zuwenig von den übrigen Figuren des R o m a n s unterschieden; das gilt auch bei Berücksichtigung des U m s t a n d s , d a ß er als Außenseiter in die Gesellschaft von Desert D ' O r eindringt u n d letztlich Außenseiter bleibt. Sein geistiges Profil trägt die gleichen nihilistisch-individualistischen Grundzüge wie das der anderen Personen, so d a ß seine Sicht des Geschehens, die den point of view (Erzählerstandpunkt) des R o m a n s wesentlich bestimmt, die verzerrten perspektivischen Proportionen nicht zu restaurieren vermag. Es bedarf nicht des ausdrücklichen Hinweises, d a ß Mailer in Sergius " a n implicit portrait of m y s e l f ' gestaltet habe, um den S t a n d p u n k t des A u t o r s als eigentliche Ursache zu erkennen. Wiederum sehen wir uns dabei auf den zunehmenden Irrationalismus und Anarchismus verwiesen; seine progressive Rauschgiftsucht wirkte dem sicherlich nicht entgegen. Eine Bemerkung Mailers, bezogen auf die Arbeit an The Deer Park, möge stellvertretend für viele ä h n liche Selbstzeugnisse zitiert werden: My powers of logic became weaker each day, but the book had its own logic, and so I did not need close reason. What 1 wanted and what the drugs gave me was the quick flash of associations, and there I was often oversensitive, could discover new experience in the lines of my text. . , 46
Die speziellen irrationalistischen Qualitäten des R o m a n s werden überdies noch von einem wohl unverdächtigen Zeugen attestiert. In einem seiner Essays schreibt James Baldwin über die A u f n a h m e des Deer Park durch Jean Malaquais, d a ß das Buch "could only baffle and annoy a French intellectual w h o seemed to me essentially rationalistic." U n d Baldwin fährt fort: " N o r m a n has m a n y qualities and faults, but I have never heard anyone accuse him of possessing this particular
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„Amerikanischer Existentialismus" : The White Negro und An American Dream The White Negro. Superficial Reflections on the Hipster48 ist der Titel eines 1957 veröffentlichten Aufsatzes, in dem Mailer versucht, seinen Irrationalismus mit rationalen Mitteln zu fundieren. Vieles spricht dafür, hierin das (vorläufige) weltanschauliche Credo des A u t o r s zu suchen. Bei seinen Überlegungen geht Mailer von bestimmten Fakten der historisch-sozialen Realität und ihren Folgeerscheinungen aus; es ist die Rede von Konzentrationslagern, von der A t o m bombe, von G a s k a m m e r n , radioaktiv verseuchten Städten, vom II. Weltkrieg, von Angst, K o n f o r m i s m u s und Depression. 4 9 " I t is on this bleak scene that a p h e n o m e n o n has a p p e a r e d : the American existentialist — the hipster", so behauptet Mailer. U n d er definiert im folgenden den Hipster als: the man who knows that if our collective condition is to live with instant death by atomic war, relatively quick death by the State as "l'univers concentrationnaire", or with a slow death by conformity with every creative and rebellious instinct stifled . . . if the fate of twentieth-century man is to live with death from adolescence to premature senescence, why then the only lifegiving answer is to accept the terms of death, to live with death as immediate danger, to divorce oneself from society, to exist without roots, to set out on that uncharted journey into the rebellious imperatives of the self. 50
D a s ist einerseits der Versuch einer existentialistischen Antwort auf soziale Probleme; andererseits wird deutlich, d a ß das solipsistische Sich-Versenken in die eigene Persönlichkeit und die damit verbundene und ausdrücklich postulierte T r e n n u n g von der Gesellschaft als Lösungsweg absolut untauglich ist. D e n n o c h ist die existentialistische Konzentration auf Persönlichkeitsprobleme, die — wie hier — noch dazu mit bewegenden Fragen der Gegenwart in Verbindung gebracht werden, für den Intellektuellen der spätbürgerlichen Gesellschaft von beträchtlicher Anziehungskraft, scheint es dabei doch u m Antworten auf die vielen, mit der E n t f r e m d u n g der Persönlichkeit verknüpften Fragen zu gehen. 5 1 D a ß es sich dabei objektiv u m eine Sackgasse handelt, deren A n f a n g und Ende das eigene Ich bildet, ist evident und bedarf hier keiner Beweisführung. Es m u ß aber gefragt werden, inwieweit die dem Existentialismus eigene Ambivalenz zwischen Protest und Apologie — die er im übrigen mit jeder als Bohemian zu klassifizierenden künstlerisch-literarischen Bewegung gemein hat — bei Mailer zum bewußt Irrationalen und damit zu philosophischem Obskurantismus und politisch-sozialer Apologetik hin ausschlägt. Ein aufschlußreicher Aspekt des „amerikanischen Existentialismus", wie er von Mailer verkündet wird, ist die Durchdringung seiner Argumentation mit biologistischen Auffassungen Freudscher Prägung. Neben vielen, immer wieder variierten Lobpreisungen des „guten O r g a s m u s " sind vor allem Mailers Ausführungen über den „ P s y c h o p a t h e n " aufschlußreich. " T h e psychopath murders — if he has the courage — out of the necessity to purge his violence, for if he
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cannot empty his hatred then he c a n n o t love, his being is frozen with implacable self-hatred for his cowardice." Es ist nicht schwierig, hinter solchen Äußerungen Freuds Theorie der Triebe, des U n b e w u ß t e n , der Instinkte zu entdecken. Es überrascht auch nicht sonderlich, d a ß die Motive des psychopathischen M ö r d e r s im gleichen Z u s a m m e n h a n g noch weitgehend expliziert werden: " A t b o t t o m , the d r a m a of the psychopath is that he seeks love. N o t love as the search for a mate, but love as the search for an orgasm m o r e apocalyptic than the one which preceded it. Orgasm is his therapy . . ," 5 2 Der Mensch wird also, nach Mailer, von seinen Trieben beherrscht; das ist genauso u n a b ä n d e r lich wie die E n t f r e m d u n g (und hängt mit dieser engstens zusammen). W a s hieran eigentlich interessiert, ist die inhärente Apologie eben jener sozialen K r ä f t e , gegen die der '"socialist" und " M a r x i a n anarchist" Mailer zu protestieren vorgibt. „ D e r Freudismus", sagt K. A. Schwarzman, „trägt . . . dazu bei, den sozialen Charakter der K r ä f t e zu tarnen, die bei Millionen Menschen tiefe U n r u h e und Angst hervorrufen; er erweckt den Glauben, d a ß nicht die bürgerlichen gesellschaftlichen Verhältnisse die Ursache für diese U n r u h e sind, sondern irgendwelche irrationalen Kräfte, die in der N a t u r des Menschen liegen." 5 3 N u r der Vollständigkeit halber sei d a r a u f h i n g e w i e s e n , d a ß Mailers biologistische Auffassungen nicht auf den vorliegenden Aufsatz beschränkt bleiben. In besonders unappetitlicher F o r m präsentieren sich solche Auffassungen z. B. auch in The Presidential Papers.54 M a n könnte Mailers Auslassungen in der geschilderten Manier als unseriös a b t u n bzw. völlig ignorieren, wenn er nicht versuchen würde, aus seinen eigenen existentialistischen und freudistischen Phrasen ethische Schlußfolgerungen abzuleiten und politisches Kapital zu schlagen. " T h e only H i p morality", können wir lesen, " . . . is to do what one feels whenever a n d whereever it is possible, and . . . to open the limits of the possible for oneself, for oneself alone, because that is one's need." Indem aber — entsprechend der besonderen Mailerschen Dialektik — die „Arena des Möglichen" erweitert werde, erweitere man sie auch ("reciprocally") für die anderen, " s o that the nihilistic fulfilment of each m a n ' s desire contains its antithesis of h u m a n c o - o p e r a t i o n . " H i p fordere (und darin übertreffe es sogar noch die "unforgettable s o l u t i o n " des M a r q u i s de Sade " t o sex, private property, and the familiy"): " t h a t every social restraint and category be removed, and the affirmation implicit in the proposal is that m a n would then prove to be more creative than m u r d e r o u s and so would not destroy himself." In der deutlichsten F o r m u l i e r u n g Mailers heißt es schließlich: Hip . . . is the affirmation of the barbarian, for it requires a primitive passion about human nature to believe that individual acts of violence are always to be preferred to the collective violence of the State; it takes literal faith in the creative possibilities of the human being to envisage acts of violence as the catharsis which prepares growth. 5 5
Mit den Mitteln einer Scheinlogik wird also versucht, eine von vornherein brüchige Hip-Moral zu verkünden, die auf dem Antagonismus des Individuums 6
\\ ¡Nienhagen
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gegenüber dem Gemeinwesen, d. h. dem Staat als der organisierten Gesellschaft beruht, wobei das Individuum a priori das Prinzip des G u t e n , der Staat das Prinzip des Bösen verkörpert. Gewiß wäre ein solcher Individualismus auch in unserer Zeit als progressiv denkbar, wenn nämlich durch eine unmißverständliche Definition der Art des Gemeinwesens als eines imperialistischen Staates die Zielrichtung des (freilich auch d a n n noch individualistischen) Protests exakt determiniert würde. In der vorliegenden anarchischen F o r m aber wird dem Protest jede Spitze g e n o m m e n ; es ist zunächst ein Protest um des Protests willen. Die Hypertrophierung der Individualität gegenüber der Gesellschaft gewinnt jedoch im Kontext des White Negro noch einen weiteren bezeichnenden Aspekt. In Erwiderung auf einen kritischen Brief Jean Malaquais' 5 6 gibt Mailer — wie schon in Barbary Shore — trotzkistische Anschauungen preis, mit denen er seine Ablehnung der Gesellschaft zu begründen versucht. Diese trotzkistischen G e d a n ken fügen sich scheinbar zwanglos in die existentialistisch-freudistischen Schemata ein; sie dienen in besonderem M a ß e der politisch-ideologischen Pointierung. Dieses unser Jahrhundert, argumentiert Mailer, verlange nach einer Revolution, weil Bewußtsein und Vitalität angewachsen seien. D a nun die frontale Revolution (gemeint ist die G r o ß e Sozialistische Oktoberrevolution) sich als Fehlschlag erwiesen habe, weil sie den exploitativen Charakter der Produktionsverhältnisse nicht zu ändern vermochte, könne es sein, d a ß sich eine zweite Revolution dieses J a h r h u n d e r t s in Gestalt der Hipster-Rebellion ankündige. Diese allerdings bewege sich: not forward towards action and more rational equitable distribution, but backward towards being and the secrets of human energy, not forward to the collectivity which was totalitarian in the proof but backward to the nihilism of creative adventurers . . . unlike that first revolution which was conscious, Faustian, and vain, enacted in the name of the proletariat but more likely an expression of the scientific narcissism we inherited from the nineteenth century, a revolution motivated by the rational mania that consciousness could stifle instinct and marshal it into productive formations, the second revolution, if it is to come, would come indeed as antithesis to the "Great Experiment": — its desire would be to turn materialism on its head, have consciousness subjugated to instinct. 57
Diese W o r t e sind eine einleuchtende Illustration der verschiedenen Bestandteile in der Philosophie Mailers. Dabei fallt freilich eine gewisse innere Geschlossenheit a u f : Die Freudsche Instinktlehre beruht auf der gleichen irrationalistischen Basis wie der existentialistisch-anarchische Protest gegen die Gesellschaft und die damit verbundene Hypertrophierung des Individuums, und eben dieser Irrationalismus ist auch für die trotzkistische K o m p o n e n t e charakteristisch, in der die Oktoberrevolution zum Fehlschlag erklärt und der A n t i k o m m u n i s m u s , demagogisch getarnt als ultralinke, „anti-totalitäre" Phrase, zur D o k t r i n erhoben wird. Die Klammer, die den Anschein der Geschlossenheit in Mailers Weltbild erweckt, heißt also Irrationalismus. „. . . die Stellungnahme pro oder k o n t r a Vernunft entscheidet zugleich über das Wesen einer Philosophie als Philosophie, über ihre Rolle in der gesellschaftlichen Entwicklung", sagte G e o r g Lukacs, und er wies 82
in seiner Schrift Die Zerstörung der Vernunft, neben dem genauen Eingehen auf die deutsche, letztlich zum Faschismus f ü h r e n d e bürgerliche Philosophie, auf das gefahrliche Wirken irrationalistischer Tendenzen auch in den USA hin. 5 8 Bei Mailer tendiert der Irrationalismus zur (zumindest potentiellen) Apologetik, wobei gerade die pseudorevolutionäre, z. T. ultralinke Phraseologie ihre W i r k u n g auf ein relativ breites und großenteils jugendlich-intellektuelles Publikum nicht verfehlen dürfte. Es erscheint als tragische Paradoxie, wenn Mailer kurz nach dem Ende der McCarthy-Ära den FBI zwar als „insidious, plague-like, an evil force" bezeichnet; er sei das aber nur, weil der richtige Führer fehle. . . . if the FBI had a hero for a leader . . ., then even if its ideas seemed odious, one would have to accept its prosperity as an historic event, a force with precise features. M c C a r t h y w a s such an e m b o d i m e n t . 5 9
Hitler wird, im gleichen Z u s a m m e n h a n g und auf der G r u n d l a g e der K o n zeption des "existential h e r o " , zwar als negatives Beispiel, als " h e r o - a s - m o n s t e r " bezeichnet, aber d e n n o c h : " I t was a hero America needed, a hero central to his time, a man whose personality might suggest contradictions and mysteries which could reach into the alienated circuits of the u n d e r g r o u n d , because only a hero can capture the secret imagination of a people, and so be good for the vitality of his nation . . Roosevelt, Churchill, Lenin, DeGaulle und eben auch Hitler (wenn schon im negativen Sinne) seien solche Helden gewesen. 6 0 Mailers theoretische Manifestationen lassen (vorläufige) Schlußfolgerungen evident werden, wie sie im G r u n d e auch sein R o m a n w e r k nahelegt: Die sicherlich subjektiv ehrliche Rebellion gegen die imperialistische Gesellschaft 6 1 wird eben dadurch paralysiert, d a ß sie sich untauglicher oder inadäquater theoretischer Mittel bedient. Der Irrationalismus in seinen verschiedenen Ausprägungen vermag weder „die ökonomischen Prozesse des Imperialismus" noch deren „Auswirkungen auf Individuum und Gesellschaft" 6 2 in ihren Z u s a m m e n h ä n g e n zu ergründen. Diese werden vielmehr — bei ausschließlicher Konzentration auf Probleme des isolierten, frustrierten und entfremdeten Individuums — obskuriert, wodurch objektiv der Tatbestand einer Apologie der bestehenden Verhältnisse (bei gleichzeitiger Rebellion gegen einzelne Symptome) gegeben ist. Der bürgerliche Rebell unserer Zeit bleibt in eben den „ v e r k e h r t e n " Werten der spätbürgerlichen Welt befangen, gegen die er zu rebellieren vorgibt. Zu welchen bedenklichen und fragwürdigen künstlerischen O f f e n b a r u n g e n eine derartige philosophisch-ideologische Orientierung zu führen vermag, haben wir bereits zu zeigen versucht. Besonders zugespitzt findet sich dies in An American Dream63, dem erneuten Versuch Mailers, seine Ansichten in einem großen R o m a n zu gestalten. Wenn man einmal a n n i m m t , d a ß Michael Lovett (Barbary Shore) u n d Sergius O'Shaughnessy ( T h e Deer Park) in gewissem M a ß e autobiographische Züge verkörperten, d a n n ist sicherlich auch Stephen Richards Rojack, die H a u p t 6*
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gestalt in An American Dream, eine Art literarischer Mailer-Inkarnation. Diese Annahme (die übrigens durch die weitgehende Übereinstimmung zwischen Mailers weltanschaulichen Meinungen und dem intellektuellen Profil seiner Gestalten nahegelegt wird) ist schon deshalb reizvoll, weil der weltanschauliche und ästhetische Substanzverlust an der Gestalt des Stephen Rojack im Vergleich zu den früheren Figuren besonders deutlich sichtbar wird; Rückschlüsse auf eine Entwicklung beim A u t o r bieten sich geradezu an. Stephen Richards Rojack, ehemaliger Kriegsteilnehmer, ehemaliger Kongreßabgeordneter, begegnet uns im R o m a n als Professor für Existentialpsychologie und A u t o r und Akteur einer Fernseh-Serie. Ungleich wichtiger freilich als diese professionellen Bindungen erscheinen seine intimen Beziehungen. Rojack ermordet seine Frau, Deborah Caughlin Mangaravidi Kelly, von der er getrennt lebt: Im Verlaufe eines Streits in Deborahs Wohnung, der sich um außereheliche Liebesaffaren, in der Hauptsache aber um beiderseitige sexuelle Unzulänglichkeiten dreht, erwürgt Rojack sie. Offensichtlich empfindet Rojack den M o r d als eine Therapie ("I had not feit so nice since I was twelve." 6 4 ); gestärkt und erfrischt begibt er sich in die untere Etage des Duplex-Apartment und geradewegs in die A r m e Rutas, des deutschen Dienstmädchens seiner Frau. Danach stürzt er die Leiche Deborahs aus dem Fenster, um den Anschein zu erwecken, es handle sich um Selbstmord, und ruft die Polizei an. Bis zu deren Eintreffen findet er Zeit, sich abermals mit Ruta zu beschäftigen; er kann ihr auch noch Verhaltensmaßregeln für den Fall eines Verhörs geben. Unten auf der Straße, an der Leiche, ist inzwischen die Polizei beschäftigt; hier trifft Rojack auch zum erstenmal auf Cherry, die blonde Nachtklubsängerin aus den Südstaaten, die als Insassin eines der vielen durch den Aufprall der Leiche in Auffahrunfalle verwickelten A u t o s ihr Mitgefühl mit dem Witwer bekundet. A u f der Polizeistation, auf die Cherry und ihre beiden Begleiter, der M a f i a - C h e f Eddi Gannuci und der Zuhälter T o n y irgendwie geraten sind, sehen sie und Rojack sich wieder, und R o jack erfahrt, in welchem Lokal in Greenwich Village Cherry arbeitet. Dort besucht er sie auch noch in derselben Nacht, nachdem die Polizei, die ihn erfolglos zu einem Geständnis des Mordes bewegen wollte, ihn vorläufig entlassen hat, und begleitet sie zu einer kleinen Wohnung in einem von Puertoricanern bewohnten Mietshaus der Lower East Side. Hier findet Rojack abermals sexuelle Befriedigung, die im Grunde nur unterbrochen wird, weil er zwischendurch nach Hause gehen muß, um sich umzuziehen, mit der Universität und seinem T V Producer zu telefonieren und sich auf der Polizeiwache zu melden. Hier liegen scheinbar erdrückende Beweise seiner Schuld vor, doch überraschenderweise ( " Y o u have a big brother somewhere", sagt der Polizeibeamte, und: " R o j a c k , are you C I A ? " 6 5 ) wird er entlassen, weil plötzlich durch das medizinische Gutachten Selbstmord bestätigt wird. N u n kann sich Rojack wiederum Cherry widmen, was er mit Hingabe tut, nachdem er einen anderen Geliebten Cherrys, den Negersänger Shago Martin, verprügelt und die Treppe hinuntergeworfen hat. D o c h vor der erhofften endgültigen Idylle hat sich Rojack noch einer weiteren
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P r ü f u n g zu unterziehen: Sein Schwiegervater, der Multimillionär Barney Oswald Kelly, will ihn sprechen. Also findet sich Rojack zu mitternächtlicher Stunde im Waldorf ein und wird von der n u n m e h r hier als maid (Dienstmädchen) (und wie sich später herausstellt, Geliebte) Kellys fungierenden R u t a in das A p p a r t e m e n t geführt. Kelly will zunächst nichts weiter, als d a ß sein Schwiegersohn beim Begräbnis D e b o r a h s erscheint. Es k o m m t jedoch zu einer sehr komplizierten Auseinandersetzung, in deren Verlauf enthüllt wird, d a ß Kelly einst zu seiner minderjährigen Tochter in blutschänderischen Beziehungen gestanden h a b e ; dieser Umstand hat in ihm einen Schuldkomplex erzeugt, der ihn daran hindert, seinen Schwiegersohn f ü r den M o r d an D e b o r a h (der f ü r Kelly kein Geheimnis ist) der Gerechtigkeit auszuliefern. Im Gegenteil: Kelly hat seine Beziehungen zur M a f i a und zur C I A (und wohl auch zu J o h n F. Kennedy, mit dem er während dieses Gesprächs telefoniert) benutzt, u m Rojack den N a c h f o r s c h u n g e n der Polizei zu entziehen. Die Begegnung endet damit, d a ß Rojack — durch eine „telepathische Botschaft" davon unterrichtet, Cherry würde sterben, wenn er es nicht täte — auf dem fußbreiten R a n d des Balkons entlangbalanziert, bei stürmischem Wetter, im 38. Stockwerk des Waldorf. Dieser schizophrene K r a f t a k t vermag einerseits Kelly zu imponieren, ihn andererseits aber nicht von dem Versuch abzuhalten, seinen Schwiegersohn hinabzustoßen. Rojack überlebt auch das (trotz oder vielleicht wegen des reichlich genossenen Brandy) und begibt sich eilends zu Cherrys W o h n u n g in der Lower East Side. Hier sind bereits Polizei und Rettungsdienst am Werke, um die übel zugerichtete Cherry ärztlicher Hilfe zuzuführen. D o c h sie vermag Rojack nur noch zuzuflüstern, d a ß ein F r e u n d Shago Martins, der wenige Stunden zuvor in Harlem ermordet worden war, der Täter ist — d a n n stirbt sie. Rojacks letzte vage H o f f n u n g — mit Cherry ein neues Leben zu beginnen — ist damit zunichte geworden. Er fahrt ("driving through the landscape of Super-America" 6 6 ) zunächst nach Las Vegas, um dort im Spiel zu gewinnen, und d a n n nach G u a t e m a l a und Y u c a t a n , zu den ersehnten " H a r b o u r s ofthe Moon".67 Wir möchten uns der Entschuldigung anschließen, die der Rezensent des Times Literary Supplement am Ende seiner Inhaltswiedergabe ausspricht: " I t is difficult to avoid being flippant when detailing the events of An American Dreain\68 Der Titel des R o m a n s deutet auf die Absicht Mailers, ein kritisches Bild der amerikanischen Gesellschaft zu zeichnen, wobei der „amerikanische T r a u m " , das historische, aus der Revolutionszeit stammende und nie eingelöste Gesellschaftsideal im Leben Amerikas als Ausgangspunkt gewählt wird. Natürlich ist dieser Titel nur als ironisch gemeint zu verstehen, weil die Nichtigkeit des amerikanischen T r a u m s in unseren Tagen auch f ü r den bürgerlichen Schriftsteller evident geworden ist. " I n Mailers R o m a n zeigt sich", so heißt es in einem Artikel A. N. Nikoljukins, „was aus dem Ideal eines freien und blühenden Amerikas in den Vereinigten Staaten unserer Tage geworden ist." 6 9 Gewiß läßt die Degradation Rojacks Schlüsse auf den Zustand der Gesellschaft zu, vor deren Hintergrund er steht: die Frage ist jedoch, o b Rojack als repräsentativ für
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diese Gesellschaft gellen darf und vor allem, o b Mailer will, d a ß Rojack in seiner Fragwürdigkeit die Fragwürdigkeit der amerikanischen Gesellschaft repräsentiere. Mailers irrationalistischer Individualismus in verschiedenen philosophischen Gewändern, wie er u. a. in seiner Essayistik Ausdruck findet, läßt uns die Frage eher verneinen. Aber selbst wenn wir einen Augenblick lang Mailer die kritische Absicht unterstellen, so bleibt die Frage nach seinem künstlerischen, ästhetischen Vermögen, ein kritisches Gesellschaftsgemälde zu schaffen. Auch diese Frage möchten wir negativ beantworten. In diesem Sinne ist Stephen Rojack eben nicht „organisch mit jener Gesellschaft verwachsen, in der er lebt", und genausowenig bestimmt das „amerikanische Zeitalter" den „geistigen und emotionalen Gehalt dieses Buches". 7 0 Es geht im G r u n d e um die Frage, o b Rojacks intellektueller Zuschnitt der Aufgabe gewachsen ist, nicht nur den gesellschaftlichen Verfall sichtbar zu machen, sondern auch die Potenz der geschichtlichen Bewegung zu tragen und diese zu kommunizieren. Rojacks Interessen sind um das eigene, beschädigte und strapazierte Ego zentriert. So meditiert er am A n f a n g des R o m a n s auf dem Balkon der W o h n u n g eines Freundes, hoffnungslos betrunken: And suddenly I understood the moon. Believe it if you will. The only true journey of knowledge is from the depth of one being to the heart of another and I was nothing but open raw depths at that instant . . ., the spirits of the food and drink I had ingested wrenched out of my belly and upper gut, leaving me in raw Being, there were clefts and rents which cut like geological faults right through all the lead and concrete and kapok and leather of my ego, that mutilated piece of insulation . . . 71
N u n ist es vielleicht möglich, aus den zerstörten Ego-Beziehungen dieser literarischen Gestalt den Schluß zu ziehen, d a ß das soziale Milieu, aus dem solche Offenbarungen letztlich entspringen (es sei denn, man betrachte Rojack ganz und gar als isolierten klinischen Fall), ebenfalls erheblich gestört sein müsse. D a s heißt jedoch noch nicht, d a ß Rojack die amerikanische Gesellschaft repräsentiert oder sie gültig interpretiert. Rojack — und das gilt uneingeschränkt für alle Figuren des R o m a n s — ist viel zu sehr mit sich beschäftigt, als d a ß er auch nur andeutungsweise in sozialen Dimensionen zu denken vermöchte. Er ist nicht einmal repräsentativ für die vergleichsweise kleine soziale Schicht der amerikanischen Intellektuellen der 60er Jahre, eher im Gegenteil. Rojack (oder auch der R o m a n ) konstatiert in der Tat den Nihilismus, die moralische Degradation, die D e k a d e n z eines Teils der Monopolbourgeoisie, im Sinne einer klinischen Diagnose. Gesamtgesellschaftliche Prozesse der 60er Jahre werden damit nicht erfaßt. Die amerikanische Gesellschaft insgesamt erregte die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit durch den Krieg in Vietnam genauso wie durch die machtvollen D e m o n strationen gegen diesen Krieg, durch den Rassismus genauso wie durch die Bürgerrechtsbewegung, durch die John-Birch-Society genauso wie durch C O R E (Congress for Racial Equality) oder S N C C (Student Non-violent Coordinating Committee). D a r ü b e r sagt jedoch der R o m a n nichts aus. In der vorliegenden 86
Form ist An American Dream lediglich "a set of symptoms" 7 2 , und zwar von Symptomen einer falsch, weil statisch begriffenen Gesellschaft. Sieht man vom Gesamtbezug der Hauptgestalt zur Realität einmal ab, so ergibt sich, im Hinblick auf ihr ethisches Format, eine absolute Dominanz der sexuellen Perversion auf der einen und der Grausamkeit und Gewalttätigkeit auf der anderen Seite. Wir werden hier an bereits früher theoretisch formulierte Grundsätze erinnert: an die Anspielungen etwa auf de Sade 73 , an die Ausführungen Zur „Metaphysik des Bauches" 74 , an Mailers Auffassung vom gewalttätigen Individuum. 75 Im Roman sind die genannten Ingredienzien häufig in inniger Vermengung anzutreffen. An der Leiche Deborahs, nach dem perversen Akt mit Ruta, wird Rojack von folgenden Gedanken beherrscht: I had an impulse to go up to her and kick her ribs, grind my heel on her nose, drive the point of my shoe into her temple and kill her good this time, kill her right. 76
Doch die absolute sadistische Perversion, vergleichbar den Halluzinationen William Burroughs', folgt noch: I had a desire to take Deborah to the bathroom, put her in the tub. Then Ruta and I would sit down to eat. The two of us would sup on Deborah's flesh, we would eat for days: the deepest poisons in us would be released from our cells. I would digest my wife's curse before it could form. 7 7
Der perverse Sadismus solcher (und ähnlicher) Passagen wird auch nicht dadurch neutralisiert, daß ein gewisser Symbolgehalt erkennbar ist: Der Gehalt wie das Bild tendieren zur absoluten Degradation des Menschlichen. Hier (wie an vielen anderen Stellen) wird am Einzelbeispiel evident, was Mailers Werk spätestens seit The White Negro vermuten läßt: Selbst die überaus bedingte und fragwürdige Beschränkung humanistischer Wertschätzung auf das isolierte Individuum ist zugunsten einer kompletten Zerstörung jedes menschlichen Maßes, man möchte meinen zugunsten einer Negierung des Menschlichen überhaupt, aufgegeben worden. Der Kommunikationsgehalt solcher Art literarischer Offenbarung kommt, ob beabsichtigt oder nicht, einem Appell an niedrigste Instinkte gleich. Gewiß, Rojacks ethischer Nihilismus, sein Amoralismus sind die individuelle Entsprechung des gesellschaftlichen Amoralismus unter den Bedingungen des heutigen Imperialismus in Amerika. Es will uns aber nicht gelingen, hinter der Darstellung eine wie auch immer geartete therapeutische oder auch nur kritische Absicht zu entdecken. Die Alternativlosigkeit des Dargestellten läßt das nicht zu. Im Gegenteil: Es scheint vielmehr, als seien Rojacks amoralische Aktivitäten eine individuelle Imitation der größeren Unmenschlichkeit, die heute von Amerika unter Berufung auf Freiheit und Demokratie praktiziert wird. Wir wollen uns den Schluß auf wissentliche Apologetik versagen; fest steht jedoch, daß die von Rojack demonstrierte sittliche Verkommenheit im Leser Wirkungen hervorzurufen vermag, die den führenden Kräften nur höchst willkommen sein können. 87
Völkermord praktiziert sich leichter, wenn m a n den „einfachen" M o r d als etwas Alltägliches zu betrachten gelernt hat. F ü r die allgemeine irrationalistische und ästhetisch bedenkliche Tendenz des R o m a n s ist sowohl die übermäßige Strapazierung des Geruchssinns wie die sehr häufige A n r u f u n g magischer und telepathischer K r ä f t e (besonders in einer Art M o n d m a g i e ausgedrückt) charakteristisch. Als ein Bild mit potentieller sozialer Relevanz k ö n n t e das Krebssymbol verstanden werden, das bereits im plot (hier als: Fabel) integriert wird (die Autopsie Deborahs ergibt Krebs), das ferner in einer Reihe von Anspielungen (etwa als „Zerstörung der Zellen") auftritt und das überhaupt als metaphysische G r u n d l a g e des R o m a n s betrachtet werden kann. Benutzt Mailer wirklich das „cancer-monster" als „the image of the sickness of American life" 7 8 ? Wir möchten das bezweifeln, denn die soziale Bezüglichkeit des Krebs-Bildes wird nirgendwo deutlich gemacht. Wir müssen schließlich noch einer weiteren Möglichkeit nachgehen. In der bereits mehrfach zitierten Rezension des R o m a n s im Times Literary Supplement heißt es am Schluß entschuldigend (nachdem der R o m a n als „failure" charakterisiert wurde): Mailer „has m a d e efforts more honourable and courageous than most to adjust his perspective to understand what he once spoke of as a subterranean river of untapped, ferocious, lonely and romantic desires, that concentration of ecstasy and violence that is the dream life of the n a t i o n . " K a n n m a n Mailers R o m a n wirklich als „ m o d e r n contribution to the genre of the Romantic q u e s t " verstehen? 7 9 Sicherlich fehlt es nicht an Versuchen, bestimmte Vertreter der modernen amerikanischen Gegenwartsliteratur zu Fortsetzern der romantischen Tradition zu erklären. Solche Versuche laufen letztlich auf eine unhistorische Gleichsetzung des romantischen Protests mit modernistischen Attitüden hinaus; mit Recht bezeichnet A. N. Nikoljukin den Versuch, „das Ideal des einsamen ,edlen' Menschen wiedererstehen zu lassen", als „im G r u n d e genommen gesellschaftsfeindlich und deshalb aussichtslos". 8 0 Es ist auch nicht möglich, F r a n k Norris „primitivistic anti-intellectualism" zu bemühen, u m d a r a u s eine Tradition abzuleiten, die den amerikanischen R o m a n des 20. Jahrhunderts weitgehend bestimme und in der sich auch Mailer befinde. 8 1 W ä h r e n d Norris' Anti-Intellektualismus eine spezifische, historisch bedingte Weise der Wirklichkeitssicht war, die sich dennoch auf die Erfassung menschlicher Totalität richtete (genauso wie das auch für Hemingway und Faulkner zutrifft, die D. Pizer ebenfalls im gleichen Z u s a m m e n h a n g nennt), geht es bei Mailers Irrationalismus eben um die Verneinung des Menschlichen oder bestenfalls um ein völlig ahistorisches, amorphes Menschenbild, das noch dazu seinen Schöpfer zu faszinieren scheint. Für den R o m a n gilt genauso wie für Rojack, was Karl-Heinz Wirzberger f ü r den Helden einer bestimmten Richtung der spätbürgerlichen amerikanischen Literatur festgestellt h a t : „ W a s ihn bewegt, liegt . . . jenseits des Erfahrungsbereichs der Mehrheit aller Menschen und führt uns endgültig heraus aus dem Bezirk, den der Mensch mit seiner K u n s t ü b u n g bisher erobert und ausgefüllt hat."82 88
Das neue Engagement der sechziger Why Are We in Vietnam?
Jahre:
Mailers weitere Entwicklung erlaubt Einschätzungen, die in ihrer Gesamtheit nur den Charakter einer Zwischenbilánz haben. N a c h An American Dream erschien lediglich ein weiterer R o m a n , und zwar unter dem vielversprechenden Titel Why Are We in Vietnam'?3 Es bleibt d e m wohlmeinenden Leser überlassen, zwischen der Frage im Titel und dem R o m a n selbst irgendeine Beziehung herzustellen: Der R o m a n beschreibt äußerlich eine Jagdexpedition in Alaska und enthält ansonsten endlose stream-of-consciousness-Monologe und -Dialoge, deren entzifferbarer Inhalt — neben unglaublicher Obszönität — aus leidenschaftlich-anarchistischem Protest gegen „ S u p e r - A m e r i k a " , gegen „technology", gegen unterschiedlos jede etablierte Macht und O r d n u n g besteht: „. . . America is run by a mysterious hidden mastermind, a secret creature w h o ' s got a plastic asshole installed in his brain whereby he can shit out all his c o r p o r a t e m a n a g e m e n t of thoughts." 8 4 Solche Passagen, an sich verständlich, finden sich häufig. Der Gesamteindruck ist jedoch, als verzichte Mailer bewußt auf jedes k o h ä r e n t e Arrangement seiner Gedanken u n d überließe der bloß intuitiven Assoziation bzw. dem „stream-of-conch" (Mailers Prägung) des Lesers die A n o r d n u n g . So beginnt der Abschnitt „ I n t r o Beep 7" (der gesamte R o m a n besteht aus numerierten , , C h a p s " und ,,Intro Beeps"): Yeah, the time is soon coming, thinks Rusty, when fornication will be professional athletics, and everybody will watch the national eliminations on TV. Will boys like D. J. and Tex be in the finals with a couple of Playboy bunnies or black ass honeys? well, shit-and-sure, fifty thousand major league fuckers will be clawing and cutting to get in the big time to present their open flower petal pussy, or hand-hewn diamond tool and testicles in happy magnification by Color Vision RCA.
K u r z darauf äußert Rusty „large c o m m o n thoughts", numeriert u n d in Thesenform, von denen die obszönsten weggelassen seien: . . . (2) The Niggers are free, and the dues they got to be paid is no Texas virgin's delight . . . (4) The Yellow races are breaking loose. (5) Africa is breaking loose. (6) The adolescents are breaking loose including his own son. (7) The European nations hate America's guts. (8) The products are no fucking good anymore. (9) Communism is a system guaranteed to collect dues from all losers. (9a) More losers than winners. (9b) and out: Communism is going to defeat capitalism, unless promptly destroyed . . . (13) The Jews run the Eastern wing of the Democratic party . . . (15) The sons of the working class are running around on motorcycles. (16) Church is out, L S D is in . . , 85
Mailer liefert hier wohl die bisher klarste Illustration anarchistischer ästhetischer Gestaltung. Wir sind dennoch der Meinung, d a ß Mailers Gestaltungsweise in diesem R o m a n Ausdruck seines gesellschaftlichen Engagements ist, seiner Sorge um Amerika, wenn nicht der Menschheit. Wir meinen gleichzeitig, d a ß diese
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spezifische A r t der G e s t a l t u n g nicht n u r nicht k o m m u n i k a b e l ist, s o n d e r n auch — u n d vor allem — die im K e r n nur passive R e a k t i o n des A u t o r s a u f die Wirklichkeit reflektiert, d. h. eine H a l t u n g , die von O h n m a c h t , Ratlosigkeit, vielleicht sogar Z y n i s m u s gekennzeichnet ist. D i e a b s o l u t e Alternativlosigkeit solcher H a l t u n g u n d des d a z u g e h ö r i g e n literarischen G e s t u s ist weit d a v o n e n t f e r n t , die Verderbtheit des imperialistischen Systems k o m p r o m i ß l o s realistisch bloßzustellen; vielmehr handelt es sich u m eine literarische R e a k t i o n , die nicht n u r im neo-naturalistischen Sinne passiv reflektiert, sondern vor allem f r a g m e n t i e r t , im Leser d a m i t die Zwangsvorstellung einer kritikwürdigen, zerstörten, u m keinen Preis m e h r positiv v e r ä n d e r b a r e n Welt suggerierend. D u r c h einen sehr wohlwollenden M a i l e r - K r i t i k e r wird unsere I n t e r p r e t a t i o n gestützt, w e n n auch die W e r t u n g f u n d a m e n t a l differiert : The novel's answer to the question raised in its title fits none of the schemes of cause and effect that dominate nearly all "responsible" social and political thinking . . . Instead Mailer is attempting, with a vitality akin to the Circe episode in Ulysses, to register the fevered mentality of which this atrocity is not so much a consequence as a part. So naturally a part, that no one in the book needs consciously to be aware of the existence of Vietnam as in any way unique. It is not especially worth mentioning. We are in V i e t n a m b e c a u s e we are as we c o r p o r a t e l y are. We are all of one another. And for that reason Mailer makes the voices that speak to us in the book . . . a matter of serious but comic bewilderment.86 Als D e s k r i p t i o n u n d I n t e r p r e t a t i o n Mailers ist dies o h n e Zweifel a d ä q u a t , u n d insofern wäre d e m nichts h i n z u z u f ü g e n . D a wir j e d o c h — im Unterschied zu Poirier — die Leistung eines Schriftstellers p r i m ä r nach d e m G r a d der Wirklichkeitsbewältigung bemessen u n d eben d a v o n auch die ästhetische Q u a l i t ä t eines literarischen K u n s t w e r k s ableiten, müssen wir u n s im G r u n d s ä t z l i c h e n von Poirier distanzieren: A m e r i k a schlechthin hat nie den Krieg in V i e t n a m als natürliche Seinsweise e m p f u n d e n ; vielmehr hat sich — t r o t z der u n l e u g b a r e n G e f a h r einer manipulierten Volksmehrheit — eine machtvolle A n t i - K r i e g s b e wegung herausgebildet, die bei aller H e t e r o g e n i t ä t v o m Wirken der realen K l a s s e n k r ä f t e zeugt. W a s Poirier als T u g e n d preist — d a s A b s e h e n von den „schemes of cause a n d e f f e c t " —, ist in W a h r h e i t Mailers (ästhetische u n d ideologische) N o t . Poirier spricht — bezogen auf Mailer generell — eine W a r n u n g a u s : „ T o read Mailer as if the l a n g u a g e were a series of referential signs is wholly to misread him, to m a k e him a n o b n o x i o u s p u f f e r . " 8 7 Diese W a r n u n g , gegen deren zweifelhafte ideologische A b k u n f t a n sich zu polemisieren wäre 8 8 , soll uns nicht d a v o n a b h a l t e n . Mailers W e r k wie d a s a n d e r e r spätbürgerlicher Schriftsteller nach seinem aktiven Realitätsbezug zu befragen u n d es d a n a c h zu beurteilen. The Armies of the Night89 v e r m a g nicht n u r sehr viel m e h r ü b e r den I n d o c h i n a Krieg der U S A auszusagen als Why Are We in Vietnam?, sondern ist d e m R o m a n — o b w o h l „ n u r " literarische R e p o r t a g e — a u c h in künstlerischer
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Hinsicht weit überlegen. D a s Werk ist zunächst eine Schilderung jener bedeutsamen Ereignisse, die sich im O k t o b e r 1967 um das Pentagon in Washington abspielten: die machtvolle Protestaktion von 160000 Menschen gegen den Krieg der USA in Vietnam, eine der größten Demonstrationen der bisherigen amerikanischen Geschichte. Mailer fungierte dabei nicht als unparteiischer Beobachter, sondern er war selbst D e m o n s t r a n t und wurde als solcher auch verhaftet; mit ihm waren andere Intellektuelle und Künstler, wie der Lyriker R o b e r t Lowell und der bekannte Linguist N o a m Chomsky. Mailers Sicht des Geschehens ist notwendig subjektiv, zumal er sich auf das von ihm selbst W a h r g e n o m m e n e beschränkt; die Darstellung ist dennoch nicht nur höchst eindrucksvoll und in ihrer stilistischen Brillanz bestechend, sondern vermittelt auch ein objektives Bild. Natürlich begnügt sich Mailer nicht mit einer bloßen Schilderung, sondern er kommentiert das äußere Geschehen, wertet es, stellt d a r ü b e r z. T. weitreichende Reflektionen an, spricht über Zeitgenossen und Zeiterscheinungen und nicht zuletzt über sich selbst. Insgesamt bilden solche Bemerkungen ein buntes Mosaik, das über die Widersprüchlichkeit Mailers wie der amerikanischen Gesellschaft von heute, ja selbst der amerikanischen Protestbewegung A u s k u n f t gibt. Mailer gibt seinem M i ß t r a u e n gegenüber der „liberalen akademischen Intelligenz" Ausdruck, wenn er schreibt, d a ß die Angehörigen dieser sozialen Schicht in keinem wirklichen Konflikt mit „technology"-Land stünden und glaubten, die „ G r o ß e Gesellschaft" Johnsons sei nur zeitweilig d e f e k t ; im Gegenteil: die Intellektuellen „were the natural managers of that f u t u r e airconditioned vault where the last of h u m a n life would still exist". 9 0 Gewiß ist das Mißtrauen gegenüber der akademischen Intelligenz nicht völlig unberechtigt — aber vergißt Mailer nicht diejenigen, die sich in wirkliche Opposition begeben haben? Keineswegs: Er ist vielmehr von besonderem Mißtrauen gegenüber den oppositionellen Intellektuellen erfüllt. Dieses Paradoxon ist a n n ä h e r n d zu erklären, wenn wir Mailers Gedankengänge weiter verfolgen: An anderer Stelle gibt er eine Aufzählung der K r ä f t e für und der K r ä f t e gegen den Krieg in Vietnam. F ü r den Krieg in Vietnam sind nach seiner M e i n u n g : „All the healthy Marines, state troopers, professional athletes, movie stars, rednecks, sensuous life-loving Mafia, cops, mill workers, city officials, nice healthy-looking easygrafting politicians . . . " Dagegen seien: an élite! the Freud-ridden embers of Marxism, good old American anxiety strata — the urban middle-class with their proliferated monumental adenoidal resentments, their secret slavish love for the oncoming hegemony of the computer and the suburb, yes, they and their children, by the sheer ironies, the sheer ineptitude, the kinks of history, were now being compressed into more and more militant stands, their resistance to the war some hopeless melange, somehow firmed of Pacifism and closet Communism. 9 1
An anderer Stelle wird die Gegenüberstellung noch aufschlußreicher: „. . . the American corporation executive, who was after all the foremost representative of M a n in the world today, was perfectly capable of burning unseen w o m e n 91
and children in the Vietnamese jungles . . , " 9 2 ; und die Geringschätzung des amerikanischen Proletariats: das Proletariat sei möglicherweise „halfway to Storm T r o o p Junction already" 9 3 , und „the labor unions now sat closer to the M a f i a than to M a r x . " 9 4 Wir sind nun berechtigt, ein erstes Fazit zu ziehen. Es fallt auf, d a ß bei Mailers Versuch, die sozialen K r ä f t e zu analysieren, die f ü r den Krieg in Vietnam verantwortlich sind, die entscheidende K r a f t nicht genannt wird: die herrschende Schicht der Monopolbourgeoisie. Statt dessen nennt Mailer eine Reihe von sozialen Stufungen, die gewiß wichtige Positionen in der Hierarchie von Wirtschaft und Staat repräsentieren (als höchste Stufe den „corporation executive"), die aber in ihrer Gesamtheit nicht den Kausalnexus der sozioökonomischen Struktur und damit auch des Krieges in Vietnam zu erhellen vermögen. Im Gegenteil: Die resultierende Konzeption der Manager-Gesellschaft verschleiert die reale Klassensituation, und gerade hieraus ergibt sich auch die negative Einschätzung der Arbeiterklasse und ihrer Organisationsformen. Dabei soll ü b e r h a u p t nicht verkannt werden, d a ß Mailer einzelne Aspekte der in der Tat ungemein komplizierten soziologischen Struktur 9 5 und deren Z u s a m m e n hang mit dem Vietnam-Krieg kritisch und richtig zu sehen vermag: Was am Ende fehlt, ist die Fähigkeit, den letzten kausalen Z u s a m m e n h a n g zu erkennen. Wie k ö n n t e er auch, wenn er von einer weltanschaulichen Position aus argumentiert, die er selbst als „his private mixture of Marxism, conservatism, nihilism, and large parts of existentialism" 9 6 umschreibt. D a s Z e n t r u m der politischen Ansichten Mailers — die d a n n in die soeben diskutierten soziologischen Diskurse einmünden — findet sich in einem Kapitel unter der Überschrift „ W h y Are We in V i e t n a m ? " ; es sei vorwegnehmend gesagt, d a ß diese Frage hier sehr viel klarer diskutiert wird als in dem R o m a n gleichen Titels. D e n n o c h bleibt genügend Widersprüchliches und zum Widerspruch Herausforderndes übrig. Mailer beginnt mit einer k n a p p formulierten Einsicht: Der Krieg in Vietnam sei der Kulminationspunkt einer langen Reihe von Ereignissen seit dem zweiten Weltkrieg, von denen der Kalte Krieg und der Korea-Krieg die wichtigsten waren. Alle seien sie letztlich auf den A n t i k o m m u n i s m u s z u r ü c k z u f ü h r e n : „A consensus of the most powerful middle-aged and elderly Wasps in America — statesmen, corporation executives, generals, admirals, newspaper editors, and legislators — had pledged an intellectual t r o t h : they had sworn with a faith worthy of medieval knights that C o m m u n i s m was the deadly foe of Christian culture." 9 7 D a China nun im Begriff stünde — so läßt Mailer die Kriegspartei, die „ F a l k e n " argumentieren —, eine Atomstreitmacht aufzubauen, sei es notwendig, die kleineren asiatischen Nationen vor dem K o m m u n i s m u s zu schützen und damit Amerika vor Asien zu schützen; folglich sei der Krieg in Vietnam notwendig, denn ,,. . . America would face eventually a united Asia (and Africa?) ready to engage America (and Russia?) in a suicidal atomic war . . ," 9 8 Mailer stellt d a n n die Argumente der Friedenskräfte, der „ T a u b e n " d a r : die ungeheuren Kosten des Vietnam-Krieges f ü r die U S A ; China sei keine aggressive N a t i o n ; 92
und schließlich schade sich Amerika selbst: „ . . . part of the real damage of Vietnam takes place in America where civil rights have deteriorated into city riots, and an extraordinary number of the best and most talented students in America are exploring the frontiers of nihilism and drugs." Mailer erklärt abschließend zu den Argumenten der „ F a l k e n " und der „ T a u b e n " : „Mailer was bored with such arguments. The Hawks were smug and self-righteous, the Doves were evasive of the real question." 99 Welches ist nun die „wirkliche Frage", welches ist der Standpunkt des „linken Konservativen" Mailer? Er meint zunächst, daß es am vernünftigsten wäre, Vietnam zu räumen und Asien den Asiaten zu überlassen, und er fragt, was dann geschehen würde, und stellt darüber Vermutungen an. Asien würde sicherlich kommunistisch werden, aber das könne ihn, Mailer, nicht beunruhigen, denn der Kommunismus enthalte so viele Widersprüche, daß er sich endlich selbst zerstören müsse. Gerade weil sich Mailer hier so offensichtlich zum Sprachrohr virulenter, aber nichtsdestoweniger recht subtiler antikommunistischer Ideologie macht, lohnt es sich, seine Gedankengänge durch weitere Zitate zu belegen: „ . . . Communism seemed to create great heretics and innovators and converts (Sartre and Picasso for two) out of the irreducible majesty of Marx's mind", und um den konstruierten Gegensatz zwischen den heutigen Marxisten und der „Majestät des Marxschen Geistes" rhetorisch noch zu verstärken, bezeichnet er diesen als „perhaps the greatest single tool for cerebration Western man had ever produced". Eine weitere mächtige Waffe gegen den Marxismus sieht Mailer in einer „diversity of primitive lore", das sich von Polen bis nach Indien, von Prag bis nach Bangkok erstreckte und „which would jam every fine gear of the Marxist". Wer würde in Asien mehr Schaden anrichten, fragt Mailer, der Kapitalismus oder der Kommunismus? Die Frage bliebe offen, denn „In either case, the conquest would be technological, and so primitive Asian societies would be uprooted." 1 0 0 Damit wäre Mailer wieder bei der These, der wir so oft in seinem Werk begegnen, nämlich der Auffassung, der technisch-technologische Fortschritt ebene die prinzipiellen Differenzen der Gesellschaftssysteme progressiv ein. Diese Ansicht ist ganz offensichtlich anarchistischen Ursprungs; Mailer zeigt sich damit auf der Höhe antikommunistischer Ideologie. Un verhüllt äußert Mailer imperialistisches politisches Wunschdenken, wenn er abschließend sagt: It was not difficult to envision a time when one Communist nation in Asia might look for American aid against another Communist nation. Certainly Russia and China would be engaged in a cold war with each other for decades. Therefore, to leave Asia would be precisely to gain the balance of power . . . F o r the more Communism expanded, the more monumental would become its problems . . . The only force which could ever defeat Communism, was Communism itself.
Solche Worte lassen an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig. Kein Zweifel, daß Mailer hier gefährlichste antikommunistische Ressentiments äußert. Dennoch wäre es sicherlich falsch, würde man ihn lediglich danach beurteilen; man würde so seiner komplexen Widersprüchlichkeit nicht gerecht werden. Es darf deshalb 93
auch nicht allzusehr überraschen, daß sich unmittelbar nach dem oben Zitierten folgende wichtige Erkenntnis findet: Yet there was no likelihood America would ever withdraw from Asia. Rather there was the covert and unhappy intimation that we were in Vietnam because we had to be. Such was the i m b a l a n c e of the n a t i o n that war was its balance. T h e b u r n i n g of village s b y n a p a l m m i g h t b e the index of our coli ective instability.101
Hier wie an anderen Stellen gelingt Mailer ein tiefer, erkenntnisreicher und kritischer Blick hinter das Phänomen „moderne amerikanische Gesellschaft". Diese Gesellschaft werde zwischen dem Mysterium des Christentums und dem Anti-Mysterium des Computers, der Technologie, hin- und hergerissen. Daraus resultiere eine Schizophrenie, die nur durch die Brutalität des Vietnam-Krieges zeitweilig kuriert werden könne. Mailer erkennt erschreckende Symptome und versteht sie zu beschreiben; die Einsicht in letzte Zusammenhänge fehlt ihm hier wie anderswo, denn sonst hätte er die amerikanische Schizophrenie als das Resultat bewußter Manipulation des Volkes durch ideologische Mittel der Herrschenden erkennen müssen. Dennoch darf als erwiesen gelten, daß er mit The Armies of the Night zu einer prinzipiell kritischen Auffassung seiner Gesellschaft gelangt ist. Die mitleidslose Analyse vieler Symptome des amerikanischen Lebens unterscheidet sich vor allem auch insofern von seinen literarischen Versuchen der 50er und 60er Jahre, als er hier die Fakten und Zusammenhänge, soweit er sie zu erkennen vermag, transparent macht und sie nicht — wie in den früheren Werken — obskuriert. Das ist ein Fortschritt, denn man versteht nun, was Mailer will; dieser Fortschritt besitzt überdies ästhetische Relevanz, denn die klareren Gedanken dieses Buches resultieren folgerichtig in durchschaubarem künstlerischem Ausdruck. Mailers unbestreitbares Talent kann sich nach zwanzig Jahren des Chaos und der Wirrnis zum erstenmal wieder in einem ganzen Kunstwerk und nicht nur in Fragmenten manifestieren. — So scharf Mailer zu beobachten versteht, so wenig gelingt es ihm, einen festen Standpunkt zu finden, von dem aus seine Beobachtungen zu einem konsistenten Bilde hätten gefügt werden können. Einerseits erweist er sich hiermit als spezieller Fall jener allgemeinen Standpunktlosigkeit, jener schwankenden Haltung, wie sie für den spätbürgerlichen Intellektuellen und Künstler charakteristisch ist; andererseits widerspiegelt er damit aber auch die Widersprüchlichkeit der von ihm untersuchten und beschriebenen gesellschaftlichen Erscheinungen und Organisationen. Beiden, dem Autor wie seinem Gegenstand, mangelt es an einer tragfahigen neuen gesellschaftlichen Orientierung, an einer neuen Klassenorientierung, die allein auch das Setzen einer wirklichen Alternative ermöglichen würde. Die einzige philosophische Gesamtsicht, die Mailer bei seinem gegenwärtigen Entwicklungsstand zu geben vermag, trägt unverkennbar existentialistische Züge mit Momenten des Irrationalen. So kann er das erregende Geschehen um das Pentagon — man möchte sagen wider bessere intuitive Einsicht — nur
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als im existentialistischen Sinne absurd interpretieren und sich selbst als „komischen Helden". 1 0 2 A m Ende des Buches steht Mailers Wunschbild „of a new world brave and tender, artful and wild". Hoffen auch wir, d a ß sich sein Wunschbild erfüllen möge und nicht die Alternative, „the most fearsome totalitarianism the world has ever k n o w n . " Den Weg zum Ideal allerdings vermag Mailer nur existentialistisch-anarchistisch verschlüsselt a n z u d e u t e n : „ F o r we must end on the road to that mystery where courage, death, a n d the dream of love give promise of sleep." 1 0 3 Ähnliche Einschätzungen wie zu The Armies of the Night lassen sich im Hinblick auf jene Reportagen treffen, in denen er die Parteikonvente der Republikaner und D e m o k r a t e n in Miami and Chicago im August 1968 beschreibt. 1 0 4 Herausragende Leistungen dabei sind die satirische Bloßstellung Nixons und der republikanischen Parteibürokratie einerseits und die unverhältnismäßig direkte und engagierte Schilderung der Brutalität, wie sie die Polizei des Chicagoer Bürgermeisters Daley gegen linksliberale Demonstranten übt. Bei allem Respekt, der dieser politischen Stellungnahme Mailers zu zollen ist, bleibt die Frage nach seiner künstlerisch-literarischen Wiederbesinnung und/oder Neuorientierung unbeantwortet. In dieser Hinsicht bieten auch die weiteren Publikationen keine Anhaltspunkte. D a s gilt zunächst für A Fire on the Moonws, eine vierhundertseitige R e p o r t a g e über die amerikanische Apollo-Mondlandung. D a s T h e m a bietet d e m A u t o r vielfältige Möglichkeiten zu kritischen K o m m e n t a r e n (,,. . . he [Mailer] hardly knew whether the Space Program was the noblest expression of the Twentieth Century or the quintessential statement of our fundamental insanity." 1 0 6 ), zu allgemeiner, anarchistisch fundierter Zivilisationskritik, die sich nicht über das Niveau Henry Millers erhebt, und zu immer wieder variierter Selbstbespiegelung. The Pi'isoner of Sex107 ist Mailers polemische Erwiderung auf die Angriffe, die Kate Millett 1 0 8 gegen ihn richtete und mit denen sie, trotz prinzipiell fragwürdiger ideologischer Basis, wesentliche Apsekte in Mailers Schaffen kritisch enthüllte. (Das Verhältnis zwischen K a t e Millett und anderen Vertreterinnen 1 0 9 der W O M E N ' S LIB einerseits und N o r m a n Mailer andererseits ist im G r u n d e p a r a d o x : beide Seiten befehden sich von Positionen aus, denen die anarchistische ideologische Basis gemeinsam ist.) Mailer fühlte sich getroffen und zur Reaktion gedrängt; diese ist insofern interessant, als sie nicht beim Versuch, Millett und W O M E N ' S LIB zu widerlegen, stehenbleibt, sondern zum Versuch einer erneuten Bestimmung der eigenen ideologischen und künstlerischen Position weitergeführt wird. Dabei geht er aus — von sich selbst immer in der dritten Person sprechend — von „his most pessimistic belief — that the spirit of the twentieth century was to convert m a n to a m a c h i n e . " 1 1 0 Diese im wesentlichen anarchistische und politisch-ideologisch höchst widersprüchliche Haltung, die auch als Kritik am Mißbrauch des technologischen Fortschritts durch den US-Imperialismus verstanden werden will, ist nicht n e u ; bemerkenswert ist jedoch der U m s t a n d , d a ß Mailer seinen Zivilisationspessimismus im J a h r e 1971 erneut pointiert for95
muliert. Er bildet einerseits eine ideologische K o n s t a n t e im Schaffen der 50er und 60er J a h r e ; andererseits zeigen sich gerade dort fruchtbare Ansätze einer produktiven Weiterentwicklung dieser Haltung, wo die politisch-soziale Szene Amerikas a m markantesten von Kritik, Protest und revolutionärer Stimmung gekennzeichnet ist: 1967 und 1968. Diese Tatsache erlaubt interessante Rückschlüsse auf die Spezifik der ideologisch-künstlerischen Gesamthaltung Mailers: Er hat während seiner bisherigen literarischen Karriere immer aktuell reagiert, d. h. jeweils neue politisch-ideologische u n d kulturideologische Erscheinungen der Gesellschaft in seinem Werk reflektiert; dies führte bisher zu den H ö h e p u n k t e n der Reflektion des Progressivismus Ende der 40er Jahre ( T h e Naked and the Deacl) und der Reflektion der Protestbewegung Ende der 60er J a h r e ( T h e Armies of the Night) ; es f ü h r t e ebenso zu spezifischen Reaktionen auf rückläufige Entwicklungen wie McCarthyismus, Flucht in Drogen- und Hippie-Kult, Degeneration des sozialen Protests in Anarchismus und N E W LEFT-Ideologie, Erscheinungen verstärkten Reformism u s in der Arbeiterbewegung, was letztlich in tiefer Verwirrung u n d Widerspiegelung dieser Verwirrung im Werk resultierte. Mailers Verbundenheit mit sozialen Bewegungen und ideologischen Erscheinungen ist sehr eng, woraus in Zeiten progressiven Aufschwungs nicht nur eine positive Orientierung seines Werks an sich erwächst, sondern auch die Potenz seiner Kunst zu aktivierender Wirkung. Es ist, als schöpfe Mailer K r a f t aus der Stärke der sozialen Bewegung. Mailers Werk demonstriert jedoch auch (und bisher in noch stärkerem Maße), d a ß das Fehlen eines eigenen festen S t a n d p u n k t s zu politischem und ästhetischem Nihilismus f ü h r t ; aus Verzweiflung, wie sie sich angesichts krisenhafter Zuspitzung der gesellschaftlichen Misere der imperialistischen USA immer wieder neu gebiert, erwachsen nur noch fragmentarische künstlerische Manifestationen. D a s soeben skizzierte künstlerische Verhaltensmuster Mailers ist natürlich prinzipiell — bei aller denkbaren Variationsbreite — repräsentativ für die spätbürgerliche Literatur. Mailers Werk ist gerade deshalb so illustrativ, weil es nirgendwo völlig in esoterisch-escapistischen Ästhetizismus abgleitet. Die gesellschaftliche Determiniertheit seines Schaffens bleibt folglich auch im Negativen sichtbar, ähnlich wie sich sein sprachkünstlerisches Talent (das ohne Zweifel die Ausdrucksmöglichkeiten der Prosa des 20. J a h r h u n d e r t s erweitert hat) sowohl diesseits wie jenseits kommunikabler gesellschaftlicher E r f a h r u n g bewährt. Mailers Verbundenheit mit sozialen und politischen Bewegungen ist relativ, seine S t a n d p u n k t losigkeit absolut; weil letztere aus dem Fehlen einer Klassenorientierung bzw. aus dem charakteristischen Schwanken des bürgerlichen Intellektuellen resultiert, wird erstere nur ideologisch realisiert, d. h. die Verbundenheit mit den wirklichen Bewegungen ist ideologisch bedingt, wird mithin nur verzerrt erfahren und verzerrt reflektiert. Bei aller scheinbaren Vielfalt der politischen, ideologischen und ästhetischen Sichtweisen Mailers lassen sich diese daher dennoch dem H a u p t nenner des Anarchismus als des a d ä q u a t e n Ausdrucks seines kleinbürgerlichen Schwankens subsumieren. 96
James Baldwin: Komplexität schwarzer
literarischer
Standpunkte
James Baldwin muß als bislang prominentester schwarzer Autor der Vereinigten Staaten nach dem 2. Weltkrieg angesehen werden. Die G r ü n d e für seinen R u h m sind vielfaltig und widersprüchlich: Seine Essays, Romane, short stories und Dramen repräsentieren beachtliche literarische Qualität, koinzidieren freilich nicht ohne weiteres mit seinem sozialen und politischen Engagement; das öffentliche Interesse an seinem Werk und auch an seiner Person bestimmt sich einerseits aus dem objektiv zunehmenden Gewicht der schwarzen Befreiungsbewegung, wird andererseits jedoch auch von Sensationsgier und Mode-Diktat überlagert; Baldwins prinzipiell kritische Sicht der amerikanischen Gesellschaft als eigentlicher und wesentlicher Nährboden seiner Kunst kollidiert schließlich immer wieder mit den Bedingungen seiner sozialen Existenz als Schwarzer 1 und den daraus resultierenden ideologischen Formeln. — Baldwins Essay- und R o m a n w e r k sei unter diesem Gesichtspunkt der Widersprüchlichkeit analysiert, wobei der kritische Aspekt stärker akzentuiert werden soll als das Streben nach ausgewogener Wertung. Bei all dem ist zu berücksichtigen, daß Baldwin in den rund 20 Jahren von 1954 bis 1975 eine beachtliche politische, ideologische und künstlerische Entwicklung genommen h a t ; innerhalb dieser sind Widersprüche, im Zusammenhang mit der wachsenden politischen und Lebenserfahrung des Autors, durchaus gelöst worden.
Die Suche nach der eigenen Identität in der Gesellschaft: Von Notes of a Native Son zu N o Name in the Street Es erscheint angebracht, zuerst Baldwins Essays zu betrachten, weil sie eine schnellere und direktere, von ästhetischen Überlegungen weitgehend unabhängige Ortung seines weltanschaulichen, politischen und sozialen Standpunkts ermöglichen. Am Ende der dem Band Notes of a Native Son vorangestellten „Autobiographical Notes" findet sich der folgende denkwürdige und zweifellos programmatische Satz: I think all theories are suspect, that the finest principles may have to be modified, or may even be pulverized by the demands of life, and that one must find, therefore, one's own moral center and move through the world hoping that this center will guide one aright. 2 7
Wiisteilhagen
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N u n kann man eine solche Äußerung angesichts der spätbürgerlichen „ T h e o r i e n " und „Prinzipien" als Ausdruck eines erfreulichen Nonkonformismus oder sogar Protests werten. D a es Baldwin aber vermeidet, seine Deklaration sozial oder ideologisch zu relativieren, liegt der Schluß auf Theoriefeindlichkeit und Prinzipienlosigkeit näher, zumal auch der Rückzug auf das „eigene moralische Zentrum" — so begreiflich er angesichts der Umstände erscheinen mag — doch eher eine individualistische Haltung andeutet als etwa eine feste Wertposition. Die anschließende Versicherung: „ I consider that I have many responsibilities . . ." 3 vermag danach nicht viel mehr als ein subjektiv ehrliches Wollen anzukündigen. — Unter der polemischen Überschrift „Everybody's Protest N o v e l " wendet sich Baldwin scharf gegen Uncle Tom's Cabin, aber auch bereits gegen den Roman Native Son seines einstigen Freundes Richard Wright. Es ist dabei von sekundärem Interesse, wenn auch aufschlußreich, welche schlechten Eigenschaften Baldwin dem Buch der Harriet Beecher-Stowe zuschreibt: „self-righteous, virtuous sentimentality" 4 , „hot, self-righteous, fearful", „not different from that spirit of medieval times which sought to exorcize evil by burning witches" und schließlich sogar „not different from that terror which activates a lynch m o b " 5 . Es genügt ein kurzer Hinweis auf das völlige Außerachtlassen historischer M a ß stäbe, um die Attacken gegen Uncle Tom's Cabin ad absurdum zu führen. 6 Von größerer Relevanz sind die Verallgemeinerungen, die Baldwin gegen den Protestroman überhaupt ins Feld führt. A l s das „ a v o w e d a i m " des Protestromans bezeichnet er den Versuch, „ t o bring greater freedom to the oppressed"; wegen dieser guten Absicht vergebe man ihnen „whatever violence they do to language, whatever excessive demands they make of credibility" 7 . Der Protestroman sei weit davon entfernt, erregend zu sein (eine sehr kühne Behauptung, wenn man sie etwa auf Native Son bezieht!); er sei im Gegenteil „ a n accepted and comforting aspect of the American scene, ramifying that framework we believe to be necessary". Protestromane seien „fantasies, connecting nowhere with reality"; und schließlich sei das Ziel solcher R o m a n e vergleichbar dem Eifer jener „alabaster missionaries to Africa to cover the nakedness of the natives, to hurry them into the pallid arms of Jesus and thence into slavery" 8 . — Baldwin begründet seine generalisierenden Thesen, indem er zunächst seine eigene Definition der Kategorie der Wahrheit der angeblichen Unwahrheit im Buch der Mrs. Beecher-Stowe entgegensetzt. Er erkennt dabei sehr wohl das Relative dieses Begriffs: „. . . that battered word, truth, . . . confronts one immediately with a series of riddles . . ." Die Wahrheit, wie sie Baldwin verstanden wissen will, impliziere „ a devotion to the human being, his freedom and fulfillment; freedom which cannot be legislated, fulfillment which cannot be charted". A u f keinen Fall aber dürfe die Wahrheit verwechselt werden mit „devotion to Humanity", denn diese werde „ t o o easily equated with a devotion to a Cause; and Causes, as we know, are notoriously bloodthirsty" 9 . Die Konfrontation der Begriffe „human being" und „ H u m a n i t y " und Baldwins Allergie gegen letztere trägt einen unverkennbar individualistisch-anarchistischen A s p e k t ; man kann darin
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das tief verwurzelte Mißtrauen gegenüber sozialen Phrasen sehen, das dem spätbürgerlichen Künstler zunächst einmal notwendig eigen ist. Aber Baldwins Mißtrauen gegenüber der Humanität und gegenüber „Causes" ist absolut, d. h., es läßt keinen Raum für die Annahme, daß es auch echte, nicht hohl klingende „Causes" geben könnte, solche nämlich, die auf dem realen Boden einer opponierenden Klasse wachsen. Daß Baldwin von dieser Position aus den Roman des sozialen Protests negiert, kann nunmehr nicht länger verwundern. Baldwins Wahrheitsdefinition beruht natürlich auf seinen Vorstellungen von der Gesellschaft; er bleibt sie uns nicht schuldig. Zwar erkennt er die Existenz zweier entgegengesetzter gesellschaftlicher Kräfte an — „oppressed" und „oppressor" —, aber diese seien wie in einem Käfig „bound together within the same society", und „they accept the same criteria, they share the same beliefs, they both alike depend on the same reality". Es sei romantisch und sinnlos, von einer neuen Gesellschaftsordnung als dem Wunsch der Unterdrückten zu sprechen, „for that shivering dependence on the props of reality which he (d. h. der Unterdrückte) shares with the Herrenvolk makes a truly ,new' society impossible to conceive". Mit einer „neuen Gesellschaft", so meint Baldwin, sei eine Gesellschaft gemeint, in der die Ungleichheit verschwinde und Vergeltung geübt werde, und das sei schlechthin utopisch. Vielmehr sei der Wunsch der Unterdrückten gerichtet auf „an elevation of status, acceptance within the present community" 1 0 . Folgerichtig ist für Baldwin „our humanity . . . our burden, our life; we need not battle for it; we need only to do what is infinitely more difficult — that is, accept it" 1 1 . Anstelle weiterer Kommentare zu dieser zumindest widersprüchlichen Position zitieren wir Michael Harringtons Worte: . . . in recent years Negroes were more and more asked to accept their position in society, to sacrifice their own needs to the common good . . . This took the form of various sincere people calling upon the Negro movement not to "obstruct" various welfare programmes by insisting that they be integrated. In other words, the Negroes were being asked to help to build a welfare state that would discriminate against them in a double sense, that would not really benefit them because they are so poor as to be beyond the reach of the new benefits, and that would continue and reinforce the racist pattern of all of American society. 12
Baldwin stößt — immer noch im gleichen Aufsatz — von der Soziologie und Ideologie bis in den Bereich der Ästhetik vor. Der Romanschriftsteller habe den Menschen in seiner Komplexität zu begreifen und darzustellen. Diese vernünftige Maxime wird freilich ihres Wertes entkleidet, wenn wir bedenken, worauf Baldwin den Menschen vorher reduziert hat, nämlich auf den Leidenden, den Dulder. Die kämpferische Seite des Menschen ist eliminiert worden; der Mensch sei nicht nur „a member of a Society or a G r o u p or a deplorable conundrum to be explained by Science", sondern er sei „something resolutely indefinable, unpredictable". Um eben dieses „Undefinierbare" darzustellen, bedürfe es für den Schriftsteller einer „journey toward a more vast reality" 1 3 , 7*
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aber nicht etwa der Hilfe durch beispielsweise die Soziologie. Die Suche nach „a more vast reality" (was auch immer Baldwin darunter verstehen möge) sei vorrangig; die Verantwortung des Schriftstellers — „which seems to mean that he must m a k e formal declaration that he is involved in, and affected by, the lives of other people and to say something improving a b o u t this somewhat self-evident f a c t " — dagegen korrumpiere ihn. 1 4 Die gewollte — und begreifliche — Distanzierung von der imperialistischen Gesellschaft führt zumindest verbal zur Distanz von der gesellschaftlichen Verantwortung, die Baldwin im praktischen Leben nie geleugnet hat. Einen unverhältnismäßig breiten R a u m widmet Baldwin der Auseinandersetzung mit seinem einstigen F r e u n d Richard Wright. 1 5 Diese Auseinandersetzung sei hier deshalb ausführlicher behandelt, weil sie die philosophischen, politischen und ästhetischen Maßstäbe Baldwins erhellt. Es geht Baldwin zunächst — als Ausgangspunkt — um Wrights berühmten R o m a n Native Son (1940) 16 , den man ungeachtet Wrights späterer Entwicklung als ein fortschrittliches, von echtem revolutionärem Pathos durchdrungenes Werk bezeichnen kann. 1 7 Auch Baldwin bezeichnet Native Son am A n f a n g als „the most powerful and celebrated statement we have yet had of what it means to be a Negro in America . . ." D o c h unmittelbar darauf folgt die Feststellung, Wrights Buch sei „proof, by its very existence, of what strides might be taken in a free democracy", eine Behauptung, der wir nur schwer zu folgen vermögen. Im übrigen sei Native Son bereits Geschichte; ein solches Buch könnte heute nicht mehr geschrieben werden, denn die dargestellten Neger hätten bereits eine neue „ M e t a m o r p h o s e " e r f a h r e n : Sie würden an den Colleges, im Baseball und im Film akzeptiert. 1 8 D e n n o c h gibt es heute in den U S A eine machtvolle Bürgerrechtsbewegung, an der Baldwin — man möchte angesichts der obigen Behauptung sagen paradoxerweise — selbst aktiv teilnimmt. Native Son, fährt Baldwin fort, sei nicht zu trennen von dem „spezifisch sozialen K l i m a " seiner Entstehungszeit, also der 30er Jahre. Aufschlußreich ist das Bild, das Baldwin von den 30er Jahren skizziert: „ T h e rigors of that unexpected time filled us not only with a genuinely bewildered and despairing idealism — so that, because there at least was something to fight for, young men went off to die in Spain — but also with a genuinely bewildered selfconsciousness." Weiter sieht Baldwin als ein Ergebnis der 30er Jahre das Entstehen des „ N e w N e g r o " , der sich aus dem „passionate and delightful primitive" der Golden Twenties entwickelt hat. Wright wurde zum „most eloquent spokesm a n " des „ N e w N e g r o " ; Wrights Werk ist von A n f a n g an „most clearly committed to the social struggle". Baldwins Interpretation der dreißiger J a h r e fehlt es gewiß nicht an Einblicken. Doch will es scheinen, als fehle das umfassende geschichtliche Verständnis. Auch der Geschichtlichkeit der Literatur und die geschichtlich bedingte F u n k t i o n von Wrights R o m a n wird nicht richtig bestimmt, wenn es über letzteren heißt: „the reality of man as a social being is not his only reality and that artist is strangled who is forced to deal with h u m a n beings solely in social terms." 1 9
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In der weiteren Polemik gegen Wright geht es Baldwin um das Bild des Negers in der amerikanischen Kulturtradition. Dieses Bild wird eindrucksvoll beschrieben: The "nigger", black, benighted, brutal, consumed with guilt . . . He stands at our shoulders when we give our maid her wages . . . Each generation has shouted behind him, Nigger! as he walked our streets; it is he whom we would rather our sisters did not marry; he is banished into the vast and wailing outer darkness whenever we speak of the "purity" of our women, of the "sanctity" of our homes, of "American" ideals. What is more, he knows it. He is indeed the "native son": he is the "nigger". Let us refrain from inquiring at the moment whether or not he actually exists; for we b e l i e v e that he exists. Whenever we encounter him amongst us in the flesh, our faith is made perfect and his necessary and bloody end is executed with a mystical ferocity of joy. 2 0
Wir haben hier ein tiefes Erfassen der gesellschaftlichen Situation des Negers vor uns, verbunden mit bedeutenden kritischen Einsichten in amerikanische Legenden. Ebensowichtig ist die ergänzende Feststellung, daß das geläufige amerikanische Bild vom Neger auch im Neger selbst lebt und Haß gegen die Weißen hervorruft: . . . there is . . . no Negro living in America who has not felt, briefly or for long periods, with anguish sharp or dull, in varying effect, simple, naked and unanswerable hatred; w h o has not wanted to smash any white face he may encounter in a day, to violate, out of motives of the cruelest vengeance, their women, to break the bodies of all white people and bring them low, as low as that dust into which he himself has been and is being trampled. . . 21
Aus diesen Worten spricht — in großer Intensität — das Erlebnis der Erniedrigung Baldwins als Neger, und daraus spricht ebenso die Geistesverfassung jenes Bigger Thomas, der aus (Selbst-)Haß, entsprungen aus immerfort beleidigter Menschenwürde, zwei Morde begangen hat und am Ende des Wrightschen Buches den elektrischen Stuhl erwartet. Erstaunlicherweise begegnen wir hier dem Einspruch Baldwins: Er bestreitet, daß Bigger Thomas eben diesen von Baldwin selbst eindrucksvoll beschriebenen Haß zu repräsentieren vermöge. „Bigger, who cannot function . . . as a reflection of the social illness, having, as it were, no society to reflect, likewise refuses to function on the loftier level of the Christ-symbol . . . for it is not his love for them (seine Verwandten und Freunde) or for himself which causes him to die, but his hatred and his self-hatred; he does not redeem the pains of a despised people, but reveals, on the contrary, nothing more than his own fierce bitterness at having been born one of them." 2 2 In der Tat: Bigger Thomas fühlt sich nicht als Erlöser und demzufolge auch nicht als „Christ-symbol", sein Handeln wird nicht von Liebe, sondern von Haß bestimmt. Gerade dieser Haß, diese Unversöhnlichkeit werden von Wright bewußt gestaltet; gerade diese Eigenschaften ergeben sich notwendig aus der sozialen Situation (nicht nur der dreißiger Jahre!), und sie machen Bigger Thomas zu einer rebel101
lischen, kämpferischen, wenn nicht potentiell-revolutionären literarischen Gestalt. Auch der zweifellos vorhandene, nach innen gerichtete Selbsthaß der Romangestalt ist letztlich sozial bedingt. Es sind aber eben diese Qualitäten des Bigger Thomas, die Baldwin diffamieren zu müssen glaubt. Als Kern der Baldwinschen Auffassungen über die amerikanische Gesellschaft und als Angelpunkt der Wright-Kontroverse enthüllt sich am Ende die Überzeugung, daß es weniger um Klassenbeziehungen als vielmehr um eine „Blutsverwandtschaft" (,,blood relationship") 23 im Verhältnis schwarzer und weißer Amerikaner gehe. Hierin signalisiert sich immerhin die Tendenz zum Biologismus — anders ist die Ausführlichkeit und Ernsthafigkeit der Polerrfik, gegen Wrights primär soziale Menschenauffassung nicht zu verstehen. 24 Sich mit Baldwin zu beschäftigen heißt unter anderem, immer wieder auf die Widersprüchlichkeit seiner Aussagen aufmerksam zu machen. Dabei geht es nicht an, und es ist nicht damit getan, diese Widersprüchlichkeit simplifiziert als absolut zu bezeichnen; es ist vielmehr so, daß diese Widersprüchlichkeit erwächst aus der von Baldwin außerordentlich stark empfundenen Paradoxie der amerikanischen Situation im allgemeinen und der Situation des Afroamerikaners im besonderen. Dabei ergeben sich immer wieder erstaunliche Einsichten in gesellschaftliche Zusammenhänge; es finden sich militante Formulierungen des Negerproblems von erheblicher anklägerischer Intensität: Am Ende jedoch gelingt es Baldwin nicht, zur ganzen Wahrheit durchzudringen, bleibt er gefangen in Vorurteilen, überspringt er gewisse ideologische Schranken nicht. So findet sich auf den ersten Seiten seines langen Essays Down at the Cross. Letter from a Region in my Mind25 die folgende Version eines schon öfter behandelten Themas: „White people in this country will have quite enough to do in learning how to accept and love themselves and each other, and when they have achieved this — which will not be tomorrow and may very well be never — the Negro problem will no longer exist, for it will no longer be needed." 2 6 Dieser Erkenntnis folgt nun eine lange Reihe von teilweise programmatischen Feststellungen über das Verhältnis von Schwarzen und Weißen in Amerika. Ein guter Teil davon bezieht sich auf die Kirche und stützt sich auf die biographische Tatsache, daß Baldwin drei Jahre lang (im Alter von 14 bis 17) „Junger Laienprediger" war. So z. B. kommt Baldwin zu dem Schluß, „that there was no love in the church. It was a mask for hatred and self-hatred and despair" 2 7 . Oder: „If the concept of God has any validity or any use, it can only be to make us larger, freer, and more loving. If God cannot do this, then it is time we got rid of Him." 2 8 Baldwin beschwört die furchbare Macht der Atombombe und behauptet, diese Bedrohung verändere — „totally and for ever" — die Realität und stelle die wahre Bedeutung der menschlichen Geschichte in Frage. Kein Zweifel, daß tiefste Besorgnis um den Bestand der menschlichen Gesellschaft Baldwin bewegt: „We human beings now have the power to exterminate ourselves; this seems to be the entire sum of our achievement." 29 Und dennoch zeigt sich seine Hilflosigkeit angesichts dieser 102
Situation — eine Hilflosigkeit, Verlassenheit und Leere, die er mit vielen spätbürgerlichen Intellektuellen und Künstlern (etwa den Repräsentanten der Beat-Generation) teilt: „This, then, is the best that God (the white God) can do. If that is so, then it is time to replace Him — replace Him with what? And this void, this despair, this torment is felt everywhere in the West . . ." 3 0 Oder betrachten wir Baldwins Zwiespältigkeit an einem anderen Beispiel. Er führt die Entscheidung des Obersten Gerichts über die Aufhebung der Rassentrennung in den Schulen des Südens (1954) zurück auf „the competition of the Cold War, and the fact that Africa was clearly liberating herself and therefore had, for political reasons, to be wooed by the descendants of her former masters" 3 1 . Dieser klugen und nüchtern-realistischen Beobachtung stehen — wenige Seiten später und ohne weiteres auf die afrikanischen Völker zu beziehen — klischeehafte, diffamierende Äußerungen über die Politik der Sowjetunion gegenüber: . . . we have simply been mesmerized by Russia . . . the only real advantage Russia has in what we think of as a struggle between the East and the West is the moral history of the Western World. Russia's secret wapon is the bewilderment and despair and hunger of millions of people of whose existence we are scarcely aware. The Russian Communists are not in the least concerned about these people. But our ignorance and indecision have had the effect, if not of delivering them into Russian hands, of plunging them very deeply in the Russian shadow, for which effect — and it is hard to blame them — the most articulate among them, and the most oppressed as well, distrust us all the more. 3 2
Baldwin versteht es, mit stilistischer Brillanz, tiefem humanistischem Verständnis und großem Einfühlungsvermögen das Rassenproblem darzustellen. Niemand wird ihm vorwerfen können, es sei ihm nicht ernst damit oder er meine es nicht ehrlich, oder er behandle das Problem oberflächlich und leichtfertig. Baldwin ist zutiefst engagiert. Man wird ihm aber vorwerfen müssen, das Verhältnis zwischen den Rassen in Amerika einseitig und daher unvollständig interpretiert zu haben: Die gleichsam psychoanalytische Untersuchungsmethode, so meisterlich sie zuweilen gehandhabt wird und so eindringliche Blicke sie gewährt, reicht nicht aus, die schwarz-weiße amerikanische Realität wirklich gründlich zu erfassen, trotz subjektiv ehrlichen Bemühens. Diese Methode hätte der Ergänzung — oder besser: der Fundamentierung — durch die Darstellung und Einbeziehung ökonomisch-politisch-sozialer Zusammenhänge bedurft. Diese aber werden entweder nur flüchtig gestreift, fehlen gänzlich oder erscheinen im Ergebnis psychologischer, religiöser, emotionaler Überlegungen, Deklarationen und Äußerungen. Aus dieser Einseitigkeit resultieren letztlich auch Baldwins befremdend unfreundliche, ja feindselige Kommentare zu politisch bewußten, in der Emanzipationsbewegung führenden Persönlichkeiten wie Paul Robeson und Lena Hörne 3 3 , Richard Wright (als Autor — wohlverstanden — von Native Son) 34 und W. E. B. DuBois 3 5 . Von hier aus wird auch begreiflich, 103
w a r u m Baldwin die Harlemer Moslem-Bewegung und ihren F ü h r e r Malcolm X dadurch diffamiert, d a ß er die Bewegung mit der amerikanischen Nazi-Partei und Malcolm X mit George Lincoln Rockwell vergleicht. 3 6 M a n tut gut d a r a n , sich der bereits von Karl Marx 3 7 erkannten Integration der Negerbewegung mit dem K a m p f der Arbeiterklasse zu erinnern; Baldwin reduziert diese Gemeinsamkeit auf den Wunsch der Neger wie der Arbeiter nach besseren Arbeitsbedingungen. 3 8 Aus Baldwins einseitiger Orientierung auf die emotionalen, häufig irrationalen Bereiche resultiert auch seine Betonung der Sexualität. Über dieses Problem wird bei der Analyse seiner R o m a n e ausführlicher zu reden sein; hier müssen einige Andeutungen genügen. Wie so oft, erscheint auch dieses Gebiet bei Baldwin in widerspruchsvollem Licht. So z. B. enthüllt er einerseits scharfsichtig den Mythos, den die amerikanische Gesellschaft um die sexuellen Potenzen des Negers gewoben hat, und den damit zusammenhängenden Kult um die Reinheit der amerikanischen (weißen) F r a u ; andererseits aber macht er sich eben diesen M y t h o s zu eigen und spielt die „echte" Sexualität und Erotik des Negers gegen die verdorbene, verfälschte des weißen M a n n e s aus. 3 9 Der Homosexualität widmet Baldwin einen ganzen Essay 4 0 , in dem er, ausgehend von A n d r é Gides Dilemma, die Homosexualität als verzweifelten Ausdruck der Isolation des modernen Menschen deutet und sie mit der heterosexuellen Liebe (die er als „mystery" bezeichnet) als wirklich h u m a n e m Wert konfrontiert. Viele der bisher konstatierten und kommentierten Haltungen, Meinungen und wohl auch Vorurteile Baldwins finden ihre Relativierung, K o r r e k t u r , j a Überwindung in jenem bemerkenswerten schmalen, essayistisch-autobiographischen Band, der 1972 unter dem Titel No Name in the Street publiziert wurde. 4 1 Unter dem Eindruck der persönlichen Erfahrungen, die der A u t o r innerhalb der machtvollen sozialen Bewegungen in den sechziger Jahren sammeln konnte, nicht zuletzt auch beeinflußt durch die persönliche Freundschaft zu M a r t i n Luther King, durch ein neues Verständnis f ü r Malcolm X u n d durch die neugewonnene Freundschaft zu Angela Davis gewann er ein tieferes Verständnis für die gesellschaftlichen und politischen Probleme seines Landes, wenn nicht der Welt. Es ist dabei ein zugespitzter Ausdruck der von Baldwin stets akut empfundenen tragischen Paradoxie des amerikanischen Lebens, d a ß sich ihm die eigentliche Bedeutung dieser drei Persönlichkeiten, der Sinn ihres K a m p f e s und ihrer Auffassungen erst ganz erschloß, als Malcolm und King ermordet wurden und Angela Davis im Gefängnis saß. Kern des politischen Denkens Baldwins ist nun die Überzeugung, d a ß Amerika „a f o r m of socialism" etablieren müsse; qualifizierend heißt es: „This m e a n s an indigenous socialism, formed by, and responding to, the real needs of the American people." Ängstlich bemüht, seine Distanz gegenüber einer „doktrinären Position" zu betonen, kann er gleichwohl die Notwendigkeit einer revolutionären Umgestaltung sehr klar begründen :
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The necessity for a form of socialism is based on the observation that the world's present economic arrangements d o o m most of the world to misery; that the way of life dictated by these arrangements is both sterile and immoral; and, finally, that there is no hope for peace in the world so long as these arrangements obtain. 4 2
Viele weitere Passagen des Bandes belegen die Entwicklung der Ansichten Baldwins über das Wesen der amerikanischen Gesellschaft; Passagen über die vernichtende Kritik des weißen Liberalismus, das Durchschauen der politischen Morde, das Erkennen der manipulierten öffentlichen Meinung, die Interdependenz schwarzer und weißer radikaler Bewegungen, die Reaktionen des M a c h t apparats. Von spezieller Bedeutung für die tatsächliche und potentielle künstlerische Entwicklung Baldwins in den siebziger Jahren sind zweifellos die Reflektionen über eine Zeit in Hollywood, während der er bei der Filmgesellschaft C o l u m b i a unter Exklusivvertrag stand, um an einem Drehbuch über Malcolm X zu arbeiten. Im luxuriösen Beverly Hills Hotel wohnend, e m p f a n d er äußerst a k u t den Konflikt „between my life as a writer and my life as — not spokesman exactly, but as public witness to the situation of black people." Die verpflichtende Rolle des „öffentlichen Z e u g e n " zwang ihn immer wieder, entgegen d e m Vertrag mit Columbia, an die Schauplätze der gesellschaftlichen Auseinandersetzung, was sich freilich in bestimmter Weise als lebensnotwendig erweist, denn er braucht in zunehmendem M a ß e die gesellschaftliche E r f a h r u n g als Quell seiner K u n s t : „in this perpetual and bitter ferment I was learning something which kept me in touch with reality and would deepen the truth of the scenario." 4 3 Die gesellschaftliche Verantwortung des Schriftstellers wird n u n m e h r in d u r c h a u s paradigmatischer Weise von Baldwin akzeptiert und zur politischen Verantwortung ausgeweitet: D a s Verhältnis von „Künstler und R e v o l u t i o n ä r " zueinander und beider zum Volk sei zwar problematisch, aber es sei notwendig vorhanden u n d schließe die Respektierung der einzelnen Persönlichkeit ein, wie umgekehrt die Respektierung der Persönlichkeit Voraussetzung für den Respekt vor den Volksmassen sei. — W o r u m es letztlich dabei geht, ist das Problem der Distanz des Künstlers zur Realität als einer Voraussetzung zur Perspektivgewinnung. Neu ist, d a ß Baldwin diese Distanz nicht mehr als Privileg voraussetzt oder sie gar ins subjektivistische Extrem geführt wissen will; vielmehr problematisiert er die Frage, indem er die Realitätsnähe des Künstlers wohlweislich nicht im Sinne einer Identität bestimmt, gleichzeitig aber die künstlerische Distanz als ästhetisch notwendiges und eben deshalb produktives Verfahren der Wirklichkeitsaneignung interpretiert. Aus solcher Sicht bestimmt. sich d a n n auch sein Verständnis des Verhältnisses Künstler — Revolutionär: „. . . I think we need each other, and have much to learn f r o m each other, and, more than ever, now.
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Schwarze Erfahrung und Romangestaltung: Von Go Teil It on the Mountain zu Another Country Baldwins erster veröffentlichter Roman Go Teil It on the Mountain erscheint zunächst und vorwiegend als literarische Autobiographie. Die äußere Konstellation des Romangeschehens, Handlungsablauf und Personengruppierung — das alles ist fast deckungsgleich mit den in den Essays verstreuten autobiographischen Anspielungen und Fakten. 4 5 Auch das Zweifeln und Verzweifeln an der Religion, bei oberflächlicher Betrachtung Hauptthema des Romans, findet seine Entsprechung und tiefere Begründung im essayistischen Werk. 46 Hauptfigur des Romans ist der vierzehnjährige John Grimes, Stiefsohn des Harlemer Laienpredigers Gabriel Grimes. Die Familie wird durch Johns Mutter Elizabeth, seinen Halbbruder Roy und seine kleinen Halbschwestern Sarah und Ruth komplettiert. In enger Beziehung zur Familie steht Aunt (Tante) Florence, die Schwester Gabriels. Für Johns religiöse Entwicklung spielt der blutjunge Prediger Elisha eine gewisse Rolle; Praying Mother Washington und Sister McCandless sind andeutungsweise profilierte episodische Figuren, Repräsentanten des TEMPLE O F THE F I R E BAPTIZED, jener Kirche auf der Lenox Avenue, der die Familie Grimes angehört. Die eigentliche Handlung des Romans wird durch die soeben angedeuteten Personen getragen. Sie beschränkt sich — auf der Gegenwartsebene — auf die Darstellung des Verhältnisses der Personen zueinander sowie auf die Schilderung einiger Gottesdienste und des Kirchenlebens. Obwohl sich letzteres vorwiegend auf die Hauptpersonen bezieht, können wir darin jedoch kaum mehr als ein gewisses Lokalkolorit erblicken. Der Gehalt des Romans liegt erzähltechnisch auf einer anderen zeitlichen Ebene: Er findet sich in vielen Rückblenden — Erinnerungen zumeist der Hauptpersonen an zeitlich zurückliegende Ereignisse. Diese Erinnerungen bilden in ihrer Gesamtheit eine psychisch-emotionale Motivation der Hauptgestalten — John, Gabriel, Elizabeth, Roy, Florence —, bezogen auf John und gesehen von seinem point-of-view. Die Retrospektive ist somit das entscheidende kompositorische Element des Romans. Es erklärt sich aus dem Wesen dieser Kompositionsform, wenn innerhalb der einzelnen Rückblenden weitere, für das Werden der Hauptgestalten entscheidende Personen eingeführt werden: Gabriels erste Frau Deborah, seine zeitweilige Geliebte Ester, Elizabeths früherer Verlobter und Johns Vater Richard, Florences einstiger Ehemann Frank. Durch die Einteilung in drei Teile und die Wahrung einer einheitlichen Erzähltechnik innerhalb der einzelnen Teile wird weitgehend Ordnung in die Komplexität gebracht. Der erste Teil — „The Seventh Day" 4 7 — umfaßt den Zeitraum vom frühen Morgen bis zum frühen Abend eines Sonnabends im März 1935. Es ist John Grimes' 14. Geburtstag; die Bedeutung dieses Tages für die Hauptgestalt liegt jedoch nicht in einer Atmosphäre der Geburtstagsfestlichkeit (die nicht vorhanden ist), sondern vielmehr in einer seelischen Krise, deren Höhepunkt sich an eben diesem Tage anzudeuten beginnt. Die Geschehnisse dieses Tages 106
tragen den Charakter des Gewöhnlichen, Alltäglichen: John muß bestimmte Arbeiten im Haushalt verrichten; er erhält von der Mutter einige Cents als Geschenk und geht dafür ins Kino; er hat bestimmte Aufgaben in der Kirche zu verrichten. Selbst das Außergewöhnliche erscheint fast alltäglich: Johns Bruder Roy kommt mit einer Messerverletzung, die aus einem Kampf mit weißen Halbwüchsigen stammt, nach Hause; der Vater schlägt die Mutter, weil sie nach seiner Meinung nicht genügend auf den Jungen acht gegeben hat; und er schlägt schließlich Roy selbst, als dieser dagegen protestiert. Das an sich wenig relevante äußere Geschehen erhält seinen Sinn erst durch die Konfrontation mit der „inneren Handlung". Hier aber geht es um einen hauptsächlichen Konflikt: den Zwiespalt Johns zwischen Weltlichem und Geistlichem. Dieser Konflikt wird in verschiedenen Variationen dargestellt. Ganz offensichtlich besteht eine beträchtliche Spannung zwischen John und seinem Vater Gabriel Grimes. Gabriel erscheint als fanatischer Geistlicher, der z. B. das Kino als Instrument des Teufels betrachtet und es demzufolge seinen Kindern verbietet. John, so meint jedermann, wird einmal in die Fußstapfen des Vaters treten; der Vater selbst ist davon überzeugt. Paradoxerweise gehört seine Liebe jedoch Roy, dem „verlorenen Sohn", von dem von vornherein feststeht, daß er auf gar keinen Fall ein Diener Gottes werden, sondern im Gegenteil eine höchst profane Laufbahn einschlagen wird. Gegen John dagegen richtet sich das Mißtrauen des Vaters, und John haßt ihn dafür. Eine weitere Version des Konflikts in John deutet sich auf der entwicklungspsychologischen Ebene an. Erwachende Sexualität, die Wirren der Pubertät stehen im Widerstreit mit dem Bewußtsein, das ein Ergebnis religiöser Erziehung ist. Nach dem heimlichen Kinobesuch stellt sich für John die Alternative mit absoluter Unerbittlichkeit: entweder die durch das Kino symbolisierten weltlichen Freuden hinter sich zu lassen oder im Status der Sünde zu verbleiben. Ein Kompromiß ist nicht möglich: „. . . he had been raised in the truth. He could not claim, as African savages might be able to claim, that no one had brought him the gospel." 48 Baldwin will hier zweifellos andeuten, daß Johns Dilemma (und wir wollen nicht vergessen, daß es sich um einen autobiographischen Roman handelt) aus dem größeren Dilemma der ihn hervorbringenden Zivilisation erwächst. Er konfrontiert deshalb die Komplexität der amerikanischen Ideologie mit der relativen Simplizität der afrikanischen, wobei zunächst noch nicht klar wird, welcher der beiden Seiten er den Vorzug gibt. 49 Obwohl John seine erwachende Sexualität und bestimmte, damit naturgemäß verbundene physiologische Vorgänge als Sünde empfindet, neigt er dazu, sich ohne Rücksicht auf sein Seelenheil der Welt und ihren Freuden zu verschreiben. Charakteristischerweise aber ist das diesbezügliche Wunschbild von Weißen bestimmt und geformt; sein Sehnen gilt dem Ebenbürtig-Sein mit den Weißen. Gerade dieser rassenproblematische Aspekt des Konflikts bildet aber wiederum einen Streitpunkt zwischen Vater und Sohn, denn der leidenschaftliche, unbeherrschte Diener Gottes haßt alle Weißen mit religiöser Inbrunst. 107
Nun ist Gabriel Grimes kein liebenswerter Charakter, und seine negative Wertung durch den Autor bleibt bis zum Ende des Romans offensichtlich. Obwohl wir Baldwin zugute halten müssen, daß er im Roman weitgehend die Differenzen mit seinem eigenen Vater gestaltet, drängt sich bereits jetzt eine wesentliche Frage auf: Aus welchem Grunde erscheint ein bewußt negativ gestalteter Charakter als Repräsentant von Neger-Religion und -kirche? Wenn, wie wir wohl annehmen müssen, eine Wertung der Religiosität des Negers und der Negerkirche damit beabsichtigt ist, dann ergibt sich die weitere Frage, ob Baldwin hier nicht das Prinzip der historischen Wahrheit mißachtet. Es ist dabei von untergeordneter Bedeutung, welche religiöse — oder antireligiöse — Haltung Baldwin einnimmt. Entscheidend ist lediglich, daß Baldwin die Rolle der Negerkirche im Kampf für die Emanzipation — in Vergangenheit und Gegenwart — nicht beachtet. Die von Baldwin selbst wiederholt postulierte Besinnung auf Tradition und Vergangenheit 50 des amerikanischen Negers ist aber ohne Beachtung seiner Religion und Kirche nicht denkbar. Während der erste Teil dem retrospektiven Charakter des Romans zwar durch Reflektionen, innere Monologe und erlebte Rede Rechnung trägt, im übrigen aber eine mehr konservative Erzähltechnik beibehält, findet sich im zweiten, umfangreichsten und handlungsärmsten Teil eine ausgeprägte RückblendenTechnik, die mit beachtlichem Geschick und stilistischer Brillanz gehandhabt wird. Trotz verwirrender Vielfalt und Kompliziertheit wird die Stoffülle gebändigt, nicht zuletzt dadurch, daß der zweite Teil unter dem Haupttitel „The Prayers of the Saints" in „Florence's Prayer", „Gabriel's Prayer" und „Elizabeths Prayer" 5 1 gegliedert wird. Zunächst dient der Hauptteil dem Zweck, durch die Erzählung vergangener Ereignisse die im ersten Teil bereits dargestellte, aber noch nicht genügend motivierte Haß-Konstellation zwischen Gabriel Grimes und John zu begründen. Der Schwerpunkt der Erzählung verlagert sich dabei auf Gabriel; seine Entwicklung seit früher Kindheit wird dargestellt, und zwar vom Blickwinkel seiner Schwester Florence, seiner selbst und seiner Frau Elizabeth. Dabei gewinnen allerdings die Schicksale Florences, Elizabeths und auch Deborahs und Esthers ein beträchtliches eigenes Gewicht. Johns Blickwinkel bleibt in diesem Hauptteil auf die wenigen kurzen Szenen beschränkt, die, als Unterbrechungen der retrospektiven Erzählung, die Situation in der Kirche während des samstagabendlichen Gottesdienstes schildern. In den Erinnerungen seiner älteren Schwester Florence erscheint Gabriel als wilder, ungebärdiger Junge, der vom Lernen nichts hält und der später ein ausschweifendes, von Sexualität und Alkohol beherrschtes Leben führt. Im übrigen war Gabriel, der einzige Sohn der Familie, besonderer Liebling der Mutter — ein Umstand, unter dem Florence zu leiden hatte und der schließlich zu ihrer Rebellion führt: Sie läßt die kranke Mutter und den Bruder in ihrer Hütte irgendwo in den Südstaaten zurück und geht nach New York; damit verläßt Florence auch die Welt der bitteren Erfahrungen, das Erbteil ihrer in der Sklaverei geborenen Eltern. 108
Sie verläßt auch ihre Freundin D e b o r a h , die spätere F r a u ihres Bruders, die als Sechzehnjährige von einer H o r d e verrohter Weißer vergewaltigt worden war. Florences weiteres Schicksal ist an sich bewegend: N a c h einer relativ kurzen, kinderlosen Ehe mit dem leichtsinnigen Frank, der es nicht versteht, den von ihr so ersehnten bescheidenen Wohlstand zu erringen, sieht sie sich vereinsamt; ihre kritische Distanz gegenüber dem Bruder ist die gleiche geblieben, u n d auch das Leben, das sie in New Y o r k führt, ist im G r u n d e d a s gleiche, vor dem sie aus ihrer südlichen Heimat geflohen ist. Gabriels Erinnerungen beginnen mit der Zeit, da er mit der kranken M u t t e r allein im Süden lebte. Seine Ausschweifungen werden eines Tages, recht unvermittelt, durch die große Reue und anschließende Bekehrung beendet. Gabriel wird Laienprediger, und er heiratet sehr bald die beträchtlich ältere, seit ihrem furchtbaren Erlebnis gänzlich unattraktive D e b o r a h . D a s Schwanken zwischen sexueller Begierde und glühender Religiosität bleibt auch weiterhin bestimmend für Gabriel. Dieser Zwiespalt führt zum abermaligen Fall — „ f o r the first time since his conversion, for the last time in his life" 5 2 —; er unterhält intime Beziehungen zu Esther, einem sehr hübschen M ä d c h e n , das sich obendrein über seinen religiösen Eifer lustig macht. Schließlich reißt er sich los: „after nine days G o d gave him the power to tell her this thing could not b e . " 5 3 Ein weiterer negativer Charakterzug Gabriels wird enthüllt, als sich herausstellt, d a ß Esther ein Kind erwartet. Es rät ihr, recht bald irgend j e m a n d e n zu heiraten. F ü r Gabriel bestand offensichtlich keinerlei menschliche Beziehung zu E s t h e r ; sie blieb auf das Animalische beschränkt. Aber er findet religiöse Phrasen, seine U n m o r a l zu entschuldigen: „Satan tempted me and I fell." 5 4 Die moralische Integrität Esters erscheint dagegen trotz ihres „leichtfertigen" Lebenswandels überzeugend; kurz vor der G e b u r t ihres Kindes schreibt sie G a b r i e l : I ain't holy like you are, but I know right from wrong. I'm going to have my baby and I'm going to bring him up to be a man. And I ain't going to read to him out of no Bibles and I ain't going to take him to hear no preaching. If he don't drink nothing but moonshine all his natural days he be a better man than his Daddy. 5 5
Esther stirbt während der G e b u r t ; ihr Sohn Royal wird im Alter von sechzehn Jahren in einer Kneipe erstochen. Gabriels Deutung dieser unglücklichen Ereignisse ist bezeichnend: „. . . he (Royal) had been begotten in sin, and he had perished in sin; it was G o d ' s punishment, and it was j u s t . " 5 6 Elizabeths Lebensgeschichte ist vielleicht die erregendste. Bereits im Kindesalter hat sie die Mutter verloren, und ihr Vater, den sie sehr liebt, gibt sie zu einer Tante, damit sie dort als gute Christin erzogen würde. F ü r Elizabeth gibt es keine innigen Beziehungen zur T a n t e : Sie denkt nur an den Vater, den sie jedoch nicht mehr wiedersieht. Mit achtzehn beginnt ihre große Liebe: Der nur wenig ältere Richard, eine Waise, nimmt sie mit sich nach N e w Y o r k . Sie ist glücklich, trotz der Tatsache, d a ß Richard und seine F r e u n d e rebellisch und gottlos sind, d a f ü r besessen von dem Wunsch, die geistige Knechtschaft ihrer
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Rasse zu durchbrechen. „I just decided me one day", erklärt Richard, „that I was going to get to know everything them white bastards knew, and I was going to get to know it better than them, so could no white son-of-a-bitch n o w h e r e never talk me down, and never make me feel like I was dirt . . ." Als Elizabeth ihn nach seinen Zielen fragt, ist er freilich ratlos: „I don't know. I got to find out. Looks like I can't get my mind straight nohow." 5 7 Wahrscheinlich ist es die Ziellosigkeit seines Strebens, seine noch nicht gefestigte Rationalität, das ewige Rätsel, als das der Autor die Welt begreift, das — alles zusammen — zu Richards frühem Tode führt. Er wird grundlos verdächtigt, an einem Raubüberfall beteiligt gewesen zu sein, verhaftet, peinlich verhört, geschlagen und schließlich mangels Beweisen freigesprochen; als gebrochener Mann, in auswegloser Verzweiflung, nimmt er sich das Leben. Diese Szenen gehören zum Bewegendsten, was bisher aus Baldwins Feder geflossen ist; sie erhellen die Fragwürdigkeit der menschlichen Existenz des Negers, sein soziales Dilemma in erbarmungsloser Schärfe. Dennoch darf nicht übersehen werden, daß Richards rebellische Rationalität in Ausweglosigkeit mündet und daß die Gruppe, der er angehört, passiv bleibt. Elizabeth kehrt, in ihrer Deutung des furchtbaren Geschehens, zum religiös-irrationalen Standpunkt zurück, den sie im Grunde — trotz Richards Einfluß — nie ganz verlassen hatte; als sie Richards Sohn John gebiert, sieht sie ihn als Kind der Sünde; schon vorher hatte sie sich von Richards Freunden losgesagt. Elizabeth wird in der Folgezeit mit Florence bekannt; die beiden Frauen verbindet gemeinsame Bitterkeit und gemeinsamer Stolz, der es ihnen verbietet, sich schnell jemandem anzuschließen; beide betrachten sich auch, im gleichen religiösen Sinne, als „gefallene Frauen". Durch Florence lernt Elizabeth deren Bruder Gabriel kennen, der nach dem Tode Deborahs nach New York gekommen ist. Gabriels Werbung um Elizabeth vollzieht sich zwar auf einer streng religiös-zeremoniellen Ebene; dennoch darf man annehmen, daß die immer noch sehr junge Elizabeth nicht ausschließlich an das Gefühl der christlichen Nächstenliebe in ihm appellierte. Gabriel sieht es auch als eine Fügung Gottes an, daß mit dem kleinen John ihm erneut ein Sohn — für den verlorenen Royal — geschenkt ist; er wolle ihn liebhaben wie seinen eigenen Sohn, erklärt er Elizabeth feierlich. Der dritte Teil des Romans, „The Threshing Floor" 5 8 , beschreibt die religiöse Verzückung Johns vor dem Altar und seine schließliche Erlösung. Der allgemeine Zwiespalt in John zwischen Geistlichem und Weltlichem mündet immer wieder in das spezielle Dilemma seines Verhältnisses zu Gabriel. Die Auseinandersetzung zwischen (Stief-)Vater und Sohn vollzieht sich, in der Vorstellungswelt Johns, vorwiegend auf sexueller Ebene; es geht dabei um die — für John — geheimnisvolle und furchteinflößende sexuelle Potenz Gabriels. Angedeutet werden diese Zusammenhänge durch eine Art religiös verbrämten Penis-Mysteriums und durch Beobachtungen Johns, die Intimsphäre des elterlichen Zusammenlebens betreffend. Als man im Morgengrauen des Sonntags die Kirche verläßt, werden Gespräche 110
in einzelnen Gruppen geführt. Elizabeth weint vor Freude über die „Erlösung" ihres Sohnes; sie hört sich die Lobpreisungen der sie begleitenden Praying Mother Washington, Sister Price und Sister McCandless an. Und doch bleiben Elizabeths Reflektionen nicht ausschließlich auf die religiöse Sphäre beschränkt; in ihren Erinnerungen an Richard deutet sich auch die Hoffnung darauf an, daß ihr bastard son durch sein religiöses Erlebnis für Gabriel akzeptabel geworden sein könnte. Florence geht unterdessen mit Gabriel ins Gericht. Sie kennt ihres Bruders Vergangenheit, sie weiß über die Zusammenhänge, die zu Esthers Tod führten, und sie rechnet ihm, dem selbstgefälligen „Lord's anointed", sein Schuldkonto auf, das auch seine Ungerechtigkeit gegenüber John umfaßt. So sagt sie ihm: „I know you thinking at the bottom of your heart that if you make h e r (d. h. Elizabeth), her and her bastard boy, pay enough for her sin, y o u r son (d. h. Roy) won't have to pay for yours. But I ain't going to let you do that. You done made enough folks pay for sin, it's time you started paying." 5 9 Es ist vor allem eine menschliche, diesseitige Gerechtigkeit, die Florence fordert; sie kontrastiert positiv mit Gabriels christlich-metaphysischer Auffassung. Das Gespräch schließlich zwischen John und Elisha macht deutlich, daß John von seinem religiösen Erleben zutiefst durchdrungen ist. Er sieht in Elisha einen Geistesverwandten, der das Vorbild verkörpert, das ihm der Vater auch jetzt nicht sein kann. Elishas „holy kiss" zum Abschied, „a seal ineffaceable forever" 6 0 scheint eine Freundschaft zu besiegeln, die auf mehr als religiöser Gleichgestimmtheit beruht. Versuchen wir, den Roman als Ganzes einzuschätzen. Von einem britischen Kritiker wird Go Tell It on the Mountain als „the largely autobiographical description of a difficult adolescence" bezeichnet; es sei ein Werk, dessen zentrale Krise „is sexual in essence and religious in expression"; jedem, der auch nur ein wenig Freud gelesen habe, sei klar, „that the hero, John, is going to develop into a homosexual" 6 1 . In der Tat handelt es sich bei diesem Roman um die „autobiographische Beschreibung einer schwierigen Jugendzeit". Die Ausweitung zum großen Entwicklungsroman gelingt nur in Ansätzen, die freilich nicht unterschätzt werden dürfen; diese Ansätze sehen wir vor allem in der kunstvollen Verknüpfung einer relativen Vielzahl individueller Schicksale. Baldwin forderte mit Recht die Nutzung der Vergangenheit, der Geschichte für das literarische Kunstwerk. „. . . I think that the past is all that makes the present coherent, and further, that the past will remain horrible as long as we refuse to assess it honestly." 62 In Go Tell It on the Mountain wird er freilich diesem Anspruch nicht gerecht. So weiß er z. B. über den Bürgerkrieg — in der Geschichte des amerikanischen Negers zweifellos ein herausragendes Ereignis — nicht mehr zu sagen als: „. . . armies, plundering and burning, had come from the North to set them (d. h. die Neger) free. This was in answer to the prayers of the faithful, who had never ceased . . . to cry out for deliverance." 63 Vielleicht kommt man der Absicht des vorliegenden Romans am nächsten, wenn man ihm die gleiche Qualität unterstellt, die Baldwin selbst in den Romanen 111
Ralph Ellisons entdeckt zu haben glaubt, nämlich „ t o utilize in language, and brilliantly, some of the ambiguity and irony of Negro life" 6 4 . Baldwins zweiter R o m a n , Giovanni's Room, ist wie der Erstling in retrospektiver Technik angelegt, wobei allerdings die ästhetische Rechtfertigung dieses Verfahrens weniger zwingend scheint als in Go Tell It on the Mountain, wenn auch nicht weniger kompliziert. Es gibt verschiedene Zeitebenen, die teilweise bis in die Kindheit und Jugend der Hauptgestalten zurückreichen; die H a u p t handlungsebene, ebenso retrospektiv erzählt, ist gegenüber der Erzählebene unmittelbare Vergangenheit. Der Einfachheit halber erlauben wir uns, im folgenden die retrospektive Struktur des R o m a n s weitgehend außer acht zu lassen. Als Hauptgestalt und gleichzeitig Ich-Erzähler fungiert der Amerikaner David, der einerseits mit Hella, einer Landsmännin, verlobt ist, andererseits aber homosexuelle Beziehungen zum Italiener Giovanni, einem Barmann in Paris, unterhält. Davids Schwanken zwischen heterosexuellen und homosexuellen Neigungen wird schließlich zugunsten der letzteren entschieden, obwohl sein idealer Partner Giovanni wegen M o r d e s an dem Barbesitzer Guillaume, der sich ebenfalls um Giovannis G u n s t bewirbt, hingerichtet wird. Davids Versuch eines Zusammenlebens mit Hella scheitert endgültig, als sie ihn, in einer eindeutig definierten Kneipe, in der intimen Gesellschaft eines betrunkenen Seemanns antreffen m u ß . Hella bleibt nur die Abreise und damit unwiderrufliche T r e n n u n g , David die Vision der Hinrichtung Giovannis. D a s T h e m a der Homosexualität kann sehr wohl als eine Möglichkeit verstanden werden, die Isolation und Frustration des Menschen künstlerisch zu veranschaulichen. U n s scheint freilich, als vermischen sich in Baldwins R o m a n soziale und psychoanalytische Ansätze, wobei die Tendenz zur Obskurierung der ersteren durch letztere vorherrscht. So wird z. B. minutiös geschildert, wie David als Halbwüchsiger bereits homosexuelle Beziehungen zu einem gleichaltrigen Jungen unterhielt. 6 5 Rückblickend versucht David später dieses Erlebnis zu interpretieren: „ M y flight may, indeed, have begun that summer — which does not tell me where to find the germ of the dilemma which resolved itself, that summer, into flight." Flucht, Dilemma — Flucht wovor, und welches D i l e m m a ? Er überläßt es dem psychoanalytisch geschulten Leser, aus Davids Kindheit, die er mit dem Vater und dessen unverheirateter Schwester verlebte, Schlüsse zu ziehen. Davids Mutter war gestorben, als er fünf Jahre alt w a r ; die Erinnerung an sie beherrscht seine T r ä u m e : „. . . she figured in my nightmares, blind with worms, her hair as dry as metal and brittle as a twig, straining to press me against her b o d y ; that body so putrescent, so sickening soft, that it opened, as I clawed and cried, into a breach so e n o r m o u s as to swallow me alive." 6 6 D a s mag eine wahre F u n d g r u b e für den Psychoanalytiker sein; wir glauben nicht, d a ß dem primär sozialen Anliegen der Literatur damit gedient ist. Die geistige Situation, in der sich David befindet, bevor er nach Europa flieht und in Giovanni einen neuen Lebensinhalt zu finden glaubt, ist durch äußerste Inhaltslosigkeit, durch Zerstörung aller Werte gekennzeichnet: 112
People who believe that they are strong-willed and the masters of their destiny can only continue to believe this by becoming specialists in self-deception. Their decisions are not really decisions at all . . . but elaborate systems of evasion, of illusion, designed to make themselves and the world appear to be what they and the world are not.
Entsprechend diesem selbstgeschaffenen System der Selbsttäuschung u n d Illusion lebte David, ohne sich Rechenschaft zu geben, im Taumel — „by not looking at the universe, by not looking at myself, by remaining, in effect, in constant m o t i o n " . Dennoch wird diese Bewegung gelegentlich unterbrochen von einem „mysterious drag, a d r o p , like an airplane hitting an air p o c k e t " . Welcher Art diese Intervalle der Besinnung waren, wird hinreichend deutlich: „. . . there were a number of those, all drunken, all sordid, one very frightening such d r o p while I was in the Army which involved a fairy who was later courtmartialed out. T h e panic his punishment caused in me was as close as I ever came to facing in myself the terrors I sometimes saw clouding another m a n ' s eyes." Trotz brillanter Formulierungen erfahren wir nicht viel mehr als die Bestätigung grenzenloser Leere und Verzweiflung: . . . all unconscious of what this ennui meant, I wearied of the motion, wearied of the joyless seas of alcohol, wearied of the blunt, bluff, hearty, and totally meaningless friendships, waried of wandering through the forests of desperate women, wearied of the work which fed me only in the most brutally literal sense. Perhaps, as we say in America, 1 wanted to find myself. This is an interesting phrase . . . which certainly does not mean what is says but betrays a nagging suspicion that something has been misplaced. I think now that if I had had any intimation that the self I was going to find would turn out to be only the same self from which I had spent so much time in flight, I would have stayed at home. 6 7
Baldwin — so verrät dieses Zitat — ist sich der sozialen Bezogenheit des Einzelschicksals wohl b e w u ß t ; am Ende jedoch m ü n d e n derartige Ansätze zur Erkenntnis wieder in das rein Individuelle und bleiben damit fruchtlos. So gelingt es ihm nicht, die soziale Relevanz durchgängig sichtbar zu machen. Übrigbleibt die Suche nach dem Selbst, nach der eigenen Identität. Kein Zweifel, d a ß Baldwin damit ein modernes T h e m a der spätbürgerlichen Literatur anschlägt: das T h e m a der hoffnungslosen E n t f r e m d u n g der menschlichen Persönlichkeit. 6 8 In der T a t liegt damit ein legitimes, der Gestaltung würdiges Problem vor. Es bedarf aber der entsprechenden sozialen Relativierung, und gerade die erscheint bei Baldwin obskuriert. David flieht vor seinem eigenen D i l e m m a ; in Paris findet er zwar nicht zu sich selbst, aber zu Giovanni. Doch die Erfüllung bleibt ihm auch in dieser Zweisamkeit versagt. Aus dem anfänglichen ,,joy and a m a z e m e n t " ihres Zusammenlebens wird sehr bald Qual und F u r c h t : „. . . anguish and fear h a d become the surface on which we slipped and slid, losing balance, dignity, a n d pride." 6 9 Obwohl sich David nach einem normalen Leben, nach einer F r a u und K i n d e r n sehnt, versagt er dennoch, als Hella zurückkehrt und eben dieses Leben greifbar 8
Wüstenhagen
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nahe liegt. Die intime Beziehung zur F r a u vermag nur noch G e f ü h l e der Abwehr und des Ekels hervorzurufen. Wir sehen uns wiederum zurückverwiesen auf das generelle Problem der Homosexualität. Im R o m a n findet sich die bedeutendste Ä u ß e r u n g darüber in einem Streit zwischen Giovanni und D a v i d ; es geht dabei um die Frage, ob Giovanni im G r u n d e nicht doch besser eine F r a u lieben solle und ob David f ü r ihn nicht nur eine Art Ersatz sei. Giovanni gibt darauf die entscheidende A n t w o r t : „ Y o u are the one who keeps talking a b o u t w h a t I want. But I have only been talking about w h o I w a n t . " 7 0 Giovanni, so wird im Z u s a m m e n h a n g deutlich, erscheint echter Gefühle noch fähig, auch wenn sie auf eine individualistische Ebene beschränkt bleiben. Er ist im Gegensatz zu David noch nicht zivilisiert genug, um den schrecklichen Zwiespalt der Persönlichkeit so wie dieser empfinden zu können. Giovanni liebt ungeteilt, mit seiner ganzen Persönlichkeit. Hier liegen bedeutende Ansätze zu einer wirksamen sozialkritischen Fundamentierung. Giovanni stammt — so erzählt er selbst — aus einem kleinen süditalienischen Weinbauerndorf, wo er absolut glücklich lebte: ,. . . I wanted to stay there forever and eat much spaghetti and drink much wine and m a k e many babies and grow f a t . " 7 1 Es bleibt freilich unklar, w a r u m Giovanni den Schauplatz seines Glücks verläßt; die bloße Tatsache, d a ß sein Mädchen ein totes Kind zur Welt bringt, vermag seine Flucht nicht überzeugend zu begründen. Auch von daher bleibt es beim Ansatz: Übrigbleiben isolierte Individuen, die bestenfalls als beklagenswerte Opfer der E n t f r e m d u n g ihrer Zeit angesehen werden können. Es ist nicht leicht, Baldwins Haltung gegenüber dem P h ä n o m e n der H o m o sexualität eindeutig zu bestimmen. In einem Essay über André Gides H o m o sexualität, The Male Prison, wird eine recht entschiedene A b l e h n u n g der Homosexualität ausgedrückt. „It is one of the facts of life that there are two sexes, which fact has given the world most of its beauty, cost it not a little of its anguish, and contains the hope and glory of the world. And it is with this fact, which might better perhaps be called a mystery, that every h u m a n being born must find some way to live." Baldwin sieht durchaus die gesellschaftlichen Aspekte der Homosexualität: „The really horrible thing a b o u t the p h e n o m e n o n of present-day homosexuality . . . is that today's unlucky deviate can only save himself by the most tremendous exertion of all his forces f r o m falling into an underworld in which he never meets either men or women, where it is impossible to have either a lover or a friend, where the possibility of genuine h u m a n involvement has altogether ceased." G e n a u das ist auch das ausweglose Dilemma, in das David geraten ist. Davids Schicksal jedoch bleibt im privaten Ansatz stecken. Theoretisch-philosophisch ringt sich Baldwin dagegen noch zu einer weiteren kritischen Einsicht durch : . . . the prison in which Gide struggled . . . is not very different from the prison inhabited by, say, the heroes of Mickey Spillane. Neither can they get through to women, which is the only reason their muscles, their fists and their tommy guns have acquired such
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fantastic importance. It is worth observing, too, that when men can no longer love women they also cease to love or respect or trust each other, which makes their isolation complete. Nothing is more dangerous than this isolation, for men will commit any crimes whatever rather than endure it. 72
Die Widerspiegelung dieser Gedankengänge in Giovannis Room ist kompliziert. Einerseits wird die degradierende Wirkung der Homosexualität demonstriert, verbunden freilich mit einem guten Teil Koketterie mit dem Phänomen an sich. Andererseits findet sich, entgegen den Ausführungen im Essay, keine Andeutung einer Lösung, statt dessen Ausweglosigkeit, Zerstörung, Pessimismus. Die daraus folgernde Annahme. Baldwins künstlerische Einsicht sei tiefer und im gewissen Sinne realistischer als sein theoretisches Erfassen der Wirklichkeit, wird wiederum stark — zumindest zum größeren Teil — in Frage gestellt durch die fehlende soziale Motivation der Hauptgestalten im Roman. 7 3 Selbst wenn man geneigt wäre, den besonders bei David ausgeprägten, in religiöse Formen gekleideten Sünde-Komplex als Symbol für soziales Übel zu deuten, so käme dabei nicht mehr heraus als die allgemeine und abstrakte Konstatierung irgendwie gearteter gesellschaftlicher Unzulänglichkeiten. Der nicht vorhandene oder obskure Wirklichkeitsbezug des Romans würde dadurch nicht aufgehellt. Das Sujet der Homosexualität als Instrument sozialer Analyse erscheint fragwürdig. Der Deutlichkeit halber beginnen wir die Betrachtung des Romans Another Country mit einem kurzen Uberblick über die Hauptpersonen und deren Gruppierung. Rufus Scott und seine unverheiratete Schwester Ida sind Neger aus Harlem; sie sind zugleich die einzigen farbigen Hauptpersonen des Romans. Vivaldo Moore ist Schriftsteller und lebt in Greenwich Village; er ist der Geliebte Ida Scotts. Eric Jones ist Schauspieler; er unterhielt homosexuelle Beziehungen zu Rufus Scott, ging dann für einige Jahre nach Frankreich und erwartet, nach seiner Rückkehr nach New York, den jungen Franzosen Yves, der in Frankreich sein Geliebter wurde. Cass ist mit dem Schriftsteller Richard Silenski verheiratet; trotz Erics andersartiger Neigungen unterhält sie eine Zeitlang intime Beziehungen zu diesem. Steve Ellis ist ein erfolgreicher TVManager, der der schönen Ida Scott für bestimmte Gegenleistungen eine Karriere als Jazzsängerin zu ermöglichen verspricht. Leona ist eine verkommene Südstaatlerin, die ihrem Mann und ihren Kindern davongelaufen ist, um in New York Abenteuer zu erleben; nach einer schrecklichen Liebesaffare mit Rufus Scott wird sie von ihren Angehörigen schließlich in eine Anstalt gebracht. Jane endlich, eine nicht mehr ganz junge Village-Bewohnerin, ist eine der vielen, mit denen Vivaldo Moore zeitweilige Liebesbeziehungen unterhält. Die Handlung des Romans wird in einer von Baldwin bisher nicht erreichten erzähltechnischen Perfektion dargeboten: Die bereits in den früheren Werken geübte Rückblenden-Technik wird nunmehr virtuos gehandhabt (besonders auch im Hinblick auf die vertiefende Motivation der Hauptgestalten Vivaldo, Rufus, Ida, Cass und Eric); impressionistisch eindringliche Schilderungen äußerer Be115
gebenheiten und Szenerien verleihen der H a n d l u n g Kolorit und eine gewisse D y n a m i k ; Dialoge, Reflektionen und innere M o n o l o g e schillern in stilistischer Brillanz und offenbaren zuweilen, in epigrammatischer Schärfe, enthüllende dialektische Einsichten; der point of view (Erzählerstandpunkt) der verschiedenen Gestalten erscheint in moderner, häufig wechselnder, sich gegenseitig durchkreuzender Komplexität. 7 4 Buch I — Easy Ricler15 — erzählt von der tiefen Verzweiflung des R u f u s Scott, seinem Umherirren in der Stadt, seinem vergeblichen Suchen nach sozialem K o n t a k t und dem Selbstmord im East River. Es folgt die eindrucksvolle Beschreibung der Beerdigung R u f u s ' ; a m Ende des ersten Buches steht die erfüllte Liebe zwischen Vivaldo M o o r e und Ida Scott, der Schwester des Selbstmörders. D a s hauptsächliche Interesse in diesem ersten Teil gilt zunächst einmal R u f u s und vor allem der Frage, was ihn zum Selbstmord bewogen haben könnte. D a s Motiv materieller N o t scheidet von vornherein aus; R u f u s hat zwar kein Geld, und er hungert, und er läßt sich sogar — um den Preis eines Sandwichs — auf die homosexuellen Annäherungsversuche eines weißen M a n n e s ein, aber schließlich hätte er, wie das noch vor kurzem der Fall war, als beliebter Jazzmusiker jederzeit sein Geld verdienen können, und als letzte Zuflucht wäre ihm die Hilfe seiner Eltern und seiner Schwester in Harlem geblieben. Es ist vielmehr seelische N o t , die ihn in den T o d treibt, das Gefühl völliger Vereinsamung, dem er sich nicht zu entziehen vermag. Freilich hat R u f u s verzweifelt versucht, der Einsamkeit zu entrinnen. Seine Liebesaffare mit Leona war das letzte Glied in einer Kette solcher Versuche. Obwohl Leona ebenso verzweifelt und einsam ist wie er selbst, sind die Beziehungen zwischen ihnen seltsam pervertiert, voller Sadismus und H a ß auf seiner, voller masochistischer Unterwürfigkeit auf ihrer Seite. Obwohl Leona keinen Augenblick lang ihre weiße H a u t f a r b e gegen R u f u s ausspielt, obwohl sie — ihrer unglücklichen Ehe im Süden entflohen — bereit ist, an R u f u s ' Seite glücklich zu werden ohne die geringsten Ressentiments, kann R u f u s nicht umhin, sie zu demütigen, sie zu hassen, zu schlagen und unsagbar zu erniedrigen. Es scheint, als wolle R u f u s seine ganze Erbitterung an Leona abreagieren, als mache er sie verantwortlich f ü r alle Demütigungen, die ihm in seinem jungen Leben bereits aus seiner H a u t f a r b e erwachsen sind. Dabei ist er sich seiner eigenen Ungerechtigkeit durchaus bewußt, bereut diese sogar, kann aber seiner Emotionen nicht Herr werden. Baldwin läßt R u f u s die Welt emotional erleben, nicht rational begreifen, und R u f u s ' Emotionalität äußert sich überdies fast ausschließlich auf sexueller Ebene. In einem Gespräch mit Vivaldo wird R u f u s ' Dilemma sehr deutlich umrissen:
'What d o two people want from each other", asked Rufus, "when they get together? D o y o u know? . . . What do y o u want — when you get together with a girl?" 'Well; said Vivaldo, fighting panic, trying to smile, 'I just want to get laid, man.' But he stared at Rufus, feeling terrible things stir inside him. 'Yeah?' And Rufus looked at
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him curiosly, as though he were thinking. S o t h a t ' s t h e w a y w h i t e b o y s m a k e it. 'Is that all?' 'Well' — he looked down — 'I want the chick to love me. I want to make her love me. I want to be loved.' There was silence. Then Rufus asked, 'Has it ever happened?' 'No,' said Vivaldo, thinking of Catholic girls, and whores, 'I guess not'. 'How do you m a k e it happen?' Rufus whispered. 'What d o you d o ? ' He looked over at Vivaldo. He half-smiled. 'What do y o u do?' 'What do you mean, what do I do?' He tried to smile; but he knew what Rufus meant. 7 6
Das, was sowohl R u f u s wie Vivaldo suchen und nicht finden können, ist Liebe, echte, menschliche Liebe. Weil diese Liebe (oder dieser zwischenmenschliche K o n t a k t ) sozial weitgehend indeterminiert bleibt, ist ihrer Suche kein Erfolg beschieden. Es wäre jedoch verfehlt anzunehmen, R u f u s ' Niedergang werde allein von seinem Verhältnis zu Leona bestimmt. Wir müssen dieses Verhältnis vielmehr als den Kulminationspunkt einer langen Reihe von — vorwiegend sexuellen — Erlebnissen verstehen. D a s selbstzerstörerisch Perverse seiner E r f a h r u n g e n wird durch die homosexuellen Beziehungen zu dem weißen Schauspieler Eric Jones, wie Leona ein Kind der Südstaaten, besonders eindringlich und deutlich d e m o n striert. In einem retrospektiven inneren M o n o l o g erinnert sich R u f u s : He remembered only that Eric had loved him; as he now remembered that Leona had loved him. He had despised Eric's manhood by treating him as a woman, by telling him how inferior he was to woman, by treating him as nothing more than a hideous sexual deformity. But Leona had not been a deformity. And he had used against her the very epithets he had used against Eric, and in the very same way, with the same roaring in his head and the same intolerable pressure in his chest. 77
So sieht R u f u s nur noch einen Ausweg: den F r e i t o d ; " h e had hit the b o t t o m " , sagt er sich selbst, u n d : " O n e thing a b o u t the b o t t o m , . . . you can't fall any farther." 7 8 Als R u f u s sich von der Washington Bridge in die Tiefe stürzt, ist sein letzter G e d a n k e religiöser N a t u r , wenn auch mit negativ-zynischem Vorzeichen: ". . . all right, you motherfucking Godalmighty bastard, I'm coming to y o u . " 7 9 R u f u s ' Schicksal erinnert uns an den „ H e l d e n " der spätbürgerlichen Literatur, wie er von Charles I. Glicksberg definiert wird: " T h e introspective hero of our time is a bitter outcast, a denizen of the universe of the absurd, unable to make any sense of the world in which he lives." 8 0 Buch II Any Day Now81 — führt zunächst den bereits wiederholt erwähnten Eric Jones direkt in die H a n d l u n g ein; Eric lebt zusammen mit seinem Geliebten Yves in einem kleinen Ort an der französischen Mittelmeerküste und beabsichtigt, in Kürze nach New York zurückzukehren, wohin ihm Yves folgen soll. Erics alter Freundeskreis in New York schließt die Silenskis, Vivaldo und Ida ein. Während Eric — relativ glücklich — auf die A n k u n f t Yves' wartet, geht das scheinbare Glück der anderen Hauptpersonen in die Brüche: Cass findet 117
nicht mehr das rechte Verhältnis zu Richard, weil dessen kommerzieller schriftstellerischer Erfolg ihr Zusammenleben vergiftet, und sie sucht Trost in intimen Beziehungen zu Eric; Ida benutzt ihre sexuellen Beziehungen zu dem TV-Manager Steve Ellis, um zu Erfolg zu kommen, und ihre Liebe zu Vivaldo kann sich somit nicht erfüllen; Vivaldo selbst verzweifelt an seiner Liebe zu Ida und findet Verständnis nur bei Eric und Cass. Vivaldo kannte wegen seiner Freundschaft zu Rufus Ida schon seit langem; nach Rufus' Tod beginnt er sie zu lieben, und beide leben zusammen in Vivaldos " p a d " („Bude") in Greenwich Village. Die emotionale Grundlage der Liebe Vivaldos zu Ida ist sehr komplex: Er wird von Farbigen allgemein sehr stark physisch angezogen, wobei außer der rein physischen Attraktion auch eine gewisse Protesthaltung eine Rolle spielt; er fühlt sich — aus einem unklaren Schuldgefühl heraus — der Schwester seines Freundes Rufus verpflichtet; und schließlich üben Idas persönliche Attribute eine starke Anziehungskraft aus: ihre blendende Schönheit, ihre Klugheit, der stark sinnliche Zauber ihrer Persönlichkeit. Aber damit ist Vivaldos Dilemma noch nicht erfaßt. Baldwin versucht darzustellen, daß Vivaldos Konflikt in dessen eigenem Bewußtsein tobt. In einem inneren Monolog reflektiert Vivaldo über seine — fast ausschließlich amourösen — Beziehungen zu den Negern Harlems: He knew that Harlem was a battlefield and that a war was being waged there day and and night — b u t o f t h e w a r a i m s h e k n e w n o t h i n g . And this was due . . . to the fact that o n e k n e w o f b a t t l e s o n l y w h a t o n e h a d a c c e p t e d o f o n e ' s o w n . He was forced, little by little, against his will, to realize that in running the dangers of Harlem he had not been testing his manhood or heightening his sense of life. H e h a d m e r e l y b e e n t a k i n g r e f u g e in t h e o u t w a r d a d v e n t u r e in o r d e r t o a v o i d t h e c l a s h a n d t e n s i o n o f t h e a d v e n t u r e p r o c e e d i n g i n e x o r a b l y w i t h i n . . . They (die Harlemer Neger) knew that he was driven, in flight: the liberal, even revolutionary sentiments of which he was so proud meant nothing to them whatever. He was just a poor white boy in trouble and it was not in the least original of him to come running to the niggers. 82
Der seelische Konflikt Vivaldos, die verzweifelte Suche nach seinem verlorenen Selbst, wird richtig als Konsequenz äußerer, d. h. sozialer Konflikte gedeutet. Vivaldo wird sich vorwiegend auf der emotionalen, speziell der sexuellen, Ebene der sozialen Problematik bewußt. Ida bedeutet nur vorübergehend Rettung für Vivaldo; sehr bald muß er erkennen, daß die Innigkeit und Poesie ihres ersten Zusammenseins nicht dauern können. Ida macht ihm klar, daß er in Illusionen lebt: "Our being together doesn't change the world, Vivaldo.' 'It does', he said, 'for me.' 'That', she said, 'is because you're white.'" 8 3 Es ist auch Ida, die — von allen Personen des Romans — die entschiedensten Ansichten über die Gesellschaft, in der sie leben muß, äußert. So sagt sie Cass, "that the whole world was just one big whorehouse and so the only way for you to make it was to decide 118
to be the biggest, coolest, hardest whore around, and make the world pay you back that way" 8 4 . Ida scheint diesen Weg zu gehen; sie opfert ihre Liebe zu Vivaldo und damit ihr Glück; ihr Weg zum Erfolg führt über die Degradation, die sie erfahrt, indem sie sich einem Manne wie Steve Ellis prostituiert. Sehr klar und völlig desillusioniert begreift Ida, daß sie und ihre farbigen Mitbürger in einem Gefängnis leben. . . wouldn't you hate all white people if they kept you in prison here?", fragt sie Cass, und sie fährt in ihrer Anklage fort: "They keep you here because you're black, the filthy, white cock suckers, while they go around jerking themselves off with all that jazz about the land of the free and the home of the brave . . . Some days, . . . I wish I could turn myself into one big fist and grind this miserable country to powder. Some days, I don't believe it has a right to exist." 85 Idas anklägerischer Zorn wird motiviert durch ihr Rassenbewußtsein; eben deshalb, und weil sie in ihrer Person rassistisch bedingte Degradation verkörpert, wirkt sie bewegend und überzeugend. Noch kann Baldwin freilich die Potenz zu sozial kämpferischer Aktion nicht verfolgen, noch bleibt die faszinierende literarische Gestalt der Ida Scott im Gefängnis individueller und selbstzerstörerischer Ohnmacht. Ganz ähnliche Gestaltung findet das Schicksal des Eric Jones. Wie bei David in Giovannis Room, versucht Baldwin auch hier die Genesis eines Homosexuellen zu vermitteln; der Unterschied liegt hauptsächlich darin, daß Eric in den Südstaaten aufgewachsen und sein erster Geliebter ein farbiger Junge war. Später fiel Eric einem Chaos anheim: „He remembered that army of lonely men who had used him . . . It was not merely his body they had used, but something else; his infirmity had made him the receptacle of an anguish which he could scarcely believe was in the world." 8 6 Der soziale Bezug ist damit angedeutet. Klarer werden Erics Gedankengänge im weiteren Verlauf selbstanalytischer Reflektionen: And where was honor in all this chaos? . . . Honor. He knew that he had no honor which the world could recognize. His life, passions, trials, loves, were, at worst, Filth, and, at best, disease in the eyes of the world, and crimes in the eyes of his countrymen. There were no s t a n d a r d s for him e x c e p t t h o s e he c o u l d m a k e for h i m s e l f . There were no standards for him because he could not accept the definitions, the hideously mechanical jargon of the age. He saw no one around him worth his envy, did not believe in the vast, gray sleep which was called security, did not believe in the cures, panaceas, and slogans which afflicted the world he knew; and this meant that h e h a d t o c r e a t e h i s s t a n d a r d s a n d m a k e u p h i s d e f i n i t i o n s a s h e w e n t a l o n g . It w a s u p t o h i m t o f i n d o u t w h o h e w a s , and it was his neccessity to do this, so far as the witchdoctors of the time were concerned, alone. 8 7
Erics Gedanken sind gewiß als Ausdruck sozialen Protests zu deuten, als Protest gegen einen entleerten, bedeutungslos gewordenen bürgerlichen Moralund Ehrenkodex. Doch Eric protestiert im Grunde nur durch seine sexuelle Andersartigkeit. Ist dies — auch in der gleichsam masochistischen Intensität des 119
Figurenprofils — der Gestaltung der Ida Scott durchaus vergleichbar, so sind in der Wirksamkeit und sozialen Motivation doch erhebliche Unterschiede zu konstatieren: Erics Protest, so subjektiv ehrlich er gemeint sein möge, entbehrt der tatsächlichen sozialen Basis; die soziale Ächtung des Homosexuellen ist der sozialen Ächtung des Schwarzen nicht gleichzusetzen, und Eric kann sich durch seine Homosexualität nicht mit dem Schwarzen identisch machen. Buch III — Tornird Bethlehem88 — beschreibt die Zerstörung der natürlichen und den Triumph der abartigen zwischenmenschlichen Beziehungen. Vivaldo und Eric entdecken ihre Liebe füreinander und vollziehen diese auch physisch, wobei beiden freilich klar ist, daß ihr Glück keinen Bestand haben kann: Vivaldo kehrt zunächst zu Ida zurück, und Eric erwartet Yves. Die Beziehungen zwischen Cass und Eric enden, weil Richard Cass' Untreue entdeckt hat (ohnehin wäre durch Yves' Ankunft der Liebe ein Ende gesetzt gewesen); Cass wird vermutlich mit den Kindern zu ihren Eltern zurückkehren. Das Verhältnis zwischen Vivaldo und Ida wird, wenn nicht zerstört, so doch in seiner warmen Menschlichkeit stark beeinträchtigt. Den einzigen glücklichen, unbeschwerten Ausblick scheint es für Eric zu geben: Er empfangt seinen Geliebten Yves auf dem Flughafen Idlewild. Die Auseinandersetzung zwischen Vivaldo und Ida — besser: die Lektion, die Ida ihrem Geliebten erteilt — beansprucht in diesem letzten Teil des Romans zweifellos das größte Interesse: Es ist Nachmittag, als sie sich in Vivaldos Wohnung treffen; Ida hatte den Abend und die Nacht mit Ellis verbracht, Vivaldo kommt aus der Umarmung Erics. Für Ida ist es eben diese vergangene Nacht mit Ellis, das letzte Glied einer ganzen Kette von Erniedrigungen, die sie zu ihren Enthüllungen veranlaßt. Nach Rufus' Tod suchte sie verzweifelt nach einem Ausweg, nach Rache weniger für Rufus, sondern vielmehr für die Lage, in der sich alle ihre schwarzen Brüder und Schwestern befanden. Thcre was only one thing for me to do, as R u f u s used to say, and that was to hit the A train. S o I hit it. N o t h i n g was clear in my mind at first. I used to see the way white men watched me, like dogs. A n d 1 thought about what I could d o to them. H o w I hated them . . . I didn't want to be at their mercy. 1 wanted them to be at mine! 8 9
Ida sieht zunächst nur einen Weg. ihre Rache zu vollziehen: den ihrer Prostitution mit dem erklärten Ziel, weiße Männer in deren Erniedrigung zu erleben. Zwei Ereignisse durchkreuzen jedoch ihren Weg: ihre wirkliche Liebe zu Vivaldo und die unsagbare Demütigung, die sie durch Ellis erfährt. Idas Motive, aus denen heraus sie sich Ellis prostituiert, sind nachempfindbar: Sie will dem materiellen und — mehr noch — dem seelischen Elend entrinnen. Die selbstquälerische Verbissenheit, mit der sie ihr Ziel verfolgt, ist gewiß ebenfalls verständlich. Freilich scheint es auch, als werde zuweilen die psychologische Subtilität übertrieben, so daß eine gewisse Tendenz der Verselbständigung resultiert. Dennoch ist Baldwin mit Ida Scott eine große Romanfigur gelungen.
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Ihre Leidenschaften, Liebe und Haß, entspringen letztlich dem spezifischen Bewußtsein ihres schwarzen Seins. So ist auch ihre Reaktion auf die Erlebnisse mit Ellis zu verstehen: Sie haßt nicht Ellis, sondern Vivaldo — weil er im Grunde darum wußte, aber nicht mutig genug war, den Tatsachen ins Auge zu sehen — und sich selbst. Haß und Liebe sind für Ida jedoch komplementäre Gefühle: "I just want you to know", erklärt sie Vivaldo, "that I wouldn't have been with you so long, and wouldn't have given you such a hard time, if . . . I didn't love you." 9 0 Schließlich scheinen Ida und Vivaldo wieder zusammenzufinden, aber mit dem Bewußtsein einer neuen Qualität ihrer Beziehungen, das sich auch Vivaldo mitteilt. Das Leid, das Ida ertragen hat, hat sie — und durch sie auch Vivaldo — reifen lassen; auf dieser Grundlage läßt sich, so will es scheinen, ein neues Verhältnis aufbauen, freilich ein Verhältnis, dem die ursprüngliche Naivität fehlt: ". . . she was stroking his innocence out of him." 9 1
Künstlerische Erkenntnis: Teil Me How Long the Train's Been Gone und If Beale Street Could Talk Zweifellos markiert Teil Me How Long the Train s Been Gone92 eine Weiterentwicklung des Autors. Der Roman zeichnet sich zunächst durch eine qualitativ neue Erzählperspektive aus. Die Hauptgestalt Leo Proudhammer, arrivierter schwarzer Schauspieler, fungiert als Ich-Erzähler, der aus der Perspektive des über Vierzigjährigen (der einen Herzinfarkt erlitten hat) sein eigenes Werden und das seiner Verwandten und Freunde in einer Vielzahl von Rückblenden und Erinnerungen darstellt. Kindheit und frühe Jugend Leo Proudhammers sind durch die an der Grenze zur lumpenproletarischen Existenz im Harlemer Ghetto lebenden Eltern des Helden determiniert: Der Vater, aus Barbados stammend, arbeitet schwer, trinkt häufig und ist prononciert areligiös; die sympathische Mutter hält mit ihren einfachen, aber festen moralischen Grundsätzen die Familie notdürftig zusammen. Wichtigste Bezugsperson für den jungen Leo ist der ältere Bruder Caleb. der dem Jungen die grundlegenden gesellschaftlichen und Lebenserfahrungen eines Schwarzen im Ghetto vermittelt. Calebs bittere Erfahrungen kulminieren in einer lialtstrafe, die er auf einer Gefängnisfarm abbüßen muß, wo er die allgemeine Degradation des schwarzen USA-Bürgers nunmehr persönlich pointiert erlebt. Die Vermittlung dieses Erlebnisses — Summe aller früheren Erfahrungen — an Leo führt bei diesem zur für Baldwins Denken charakteristischen "love"-Reaktion: Leo liebt den Bruder, weil dessen erfahrenes Leid Liebe und Mit-Leiden provoziert. Da Calebs Leid sehr eindeutig soziale Ursachen hat, gewinnt damit auch Leos l iebe die Dimension sozialer Stellungnahme, umso mehr, als diese Liebe den Haß auf die sozialen Ursachen einschließt. Baldwin gelangt hier erstmals in seinem Romanwerk zu derartig eindeutiger und klarer sozialer Motivation. Die Grenzen 121
spätbürgerlichen Denkens werden dennoch nicht durchbrochen: Der in Caleb personifizierte soziale Konflikt kann sich in der privaten Sphäre brüderlicher Liebe nicht lösen, auch dann nicht und schon gar nicht, wenn diese Liebe sich homosexuell erfüllt; Caleb findet folgerichtig dadurch auch nicht zur Aktion, nicht einmal zur psychischen Selbstbefreiung, sondern wird im Grunde zunächst nur durch den Armeedienst im 2. Weltkrieg aus einer unhaltbaren Position erlöst. Seine Liebe zu einer Italienerin, die gegen Kriegsende neue Hoffnung verheißt, wird durch weiße Kameraden zerstört. Daraus erwächst jedoch nur vorübergehend Haß und Verzweiflung: Caleb macht — in die Staaten zurückgekehrt — seinen Frieden mit der Gesellschaft, erlebt eine religiöse Konversion, wird Prediger, heiratet, hat Kinder, versucht sich periodisch — und erfolglos — an der Bekehrung des Vaters und des Bruders. Die klassenmäßige Definition dieser wichtigen Romangestalt ist am Ende — obwohl unausgesprochen — überaus deutlich: Caleb gehört zur schwarzen Bourgeoisie. Leo Proudhammer dagegen geht den zwar schwierigen, in seinem Falle erfolgreichen Weg des Künstlers: Er wird zum arrivierten Schauspieler, nach Jahren einer ständig bedrohten Existenz. Er bleibt sich jedoch des Prekären, Widersprüchlichen, zutiefst Unsicheren seiner Position bewußt und repräsentiert damit und dadurch den Typus des Intellektuellen, der eine schwankende Stellung zwischen den entscheidenden sozialen Kräften bezieht. Aus dieser Position ist sowohl eine weitreichende Erkenntnis der eigenen Lage als auch eine Kritik an Erscheinungsformen der Gesellschaft möglich, die gelegentliche Rebellion einschließt. Leos dauerhafte, wenn auch stets bedrohte Beziehung zu seiner weißen Kollegin Barbara King, der emanzipierten Tochter einer reichen Familie aus Kentucky, macht die Fragwürdigkeit seines sozialen Seins deutlich. Sie lieben sich — "but what, I asked myself, was I to do with her? L o v e , h o n o u r , a n d p r o t e c t . But these were not among my possibilities." 93 Zweifellos erkennt Baldwin hier die Abhängigkeit zwischenmenschlicher Beziehungen von sozial geprägten — d. h. hier bürgerlichen — Werten, und er setzt diese generelle Abhängigkeit zur spezifischen schwarzen Existenz des Helden in Relation. Die Spezifik seiner Erfahrung setzt Leo folgerichtig in den Stand, die Patentlösung seiner Geliebten als inadäquat anzuzweifeln. Barbara sagt: ". . . we must be great. That's all we have. That's the only way we won't lose each other." 9 4 Beide erringen in der Tat künstlerisches Renommee und materielle Sicherheit, doch an der permanenten Bedrohung ihrer Beziehung ändert sich im Grunde nichts. Auf der theoretischen Ebene geht es um das Problem der Wahrheit in der Kunst. So äußert Leo folgende Sentenz: There is a truth in the theatre and there is a truth in life — they meet, but they are not the same, for life, God help us, is the truth. And those disguises which an artist wears are his means, not of fleeing from the truth, but of attempting to approach it . . . one's disguises are designed to make the truth a quantity with which one can live — or from which one can hope, by the effort of living, to be delivered. 95
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Ohne Abstriche von dem tiefen Gehalt dieser Aussage machen zu wollen, muß dennoch festgestellt werden, daß eben hier die Grenzen modern-bürgerlichen Kunstverständnisses sehr deutlich sichtbar werden: Die verändernde, aktivierende Dimension bleibt ausgespart oder wird nicht als Funktion der Kunst (an)erkannt. Die positive Erfüllung, die der dedizierte Schauspieler Leo Proudhammer im Theater hätte finden können, bleibt folglich auch aus. Auch auf dieser Ebene des Romans herrscht mitleidlose Desillusion vor; Baldwin gestaltet somit das Rassenproblem konsequent illusionslos, gleichzeitig aber als geschlossenen Kreis, aus dem nicht auszubrechen ist. Ähnliche Feststellungen gelten letztlich auch in bezug auf Black Christopher, einen militanten jungen Schwarzen, der als Geliebter und zeitweilig als Leibwächter Leo Proudhammers fungiert. Abgesehen von der physischen Attraktion bleibt Christopher seltsam vage und beziehungslos; es scheint, als wüßten weder der Ich-Erzähler noch der Autor selbst etwas mit ihm anzufangen. Sicherlich ist es Baldwins Absicht, in Christopher revolutionäre Kräfte der Afroamerikaner zu personifizieren. Ebenso sicher gerät diese Intention jedoch ins Widersprüchliche: Da die Ansätze wirklich revolutionärer Aktion vom Autor nicht wahrgenommen werden, das Wachsen revolutionärer Potenz — zusammen mit der Erkenntnis der zunehmenden Überlebtheit des amerikanischen Kapitalismus — jedoch gespürt und erahnt wird, sieht sich Baldwin auf Erscheinungsformen spektakulären Aktivismus verwiesen, wie er sich in den extrem anarchistischen Teilen der NEW LEFT, der extremistischen BLACK-POWER-Bewegung und der BLACK P A N T H E R PARTY äußerte. Black Christopher sagt zu Leo Proudhammer: . . if you don't want me to keep on going under the feet of horses, then I think you got to agree that we need us some guns." Auf Leos Einwand: "But we're outnumbered, you know" entgegnet Christopher: "Shit. So were the early Christians." 9 6 Ungewollt gerät die Romanfigur Christopher zur Karikatur des ultralinken Rebellen. 97 Um die Essenz des Romans zu bestimmen, sehen wir uns zurückverwiesen auf das psychische, aber sozial determinierte Dilemma des Leo Proudhammer, der während der langen Zeit der Krankheit und Rekonvaleszenz über sich, sein Werden und seine Rolle (er bleibt Schauspieler) in dieser Gesellschaft nachzudenken Zeit hat. Das Resultat dieses Nachdenkens ist logisch schlüssig und wird durch die gesamte spezifische Existenz Leos belegt; es ist gleichzeitig charakteristisch für den nunmehr reifen Baldwin und umschreibt Größe und Grenzen seines Weltverständnisses, seiner Selbstanalyse und seiner Kunst: I was part of this people, no matter how bitterly I judged them. I would never be able to leave this country. I could only leave it briefly, like a drowning man coming up for air, I had the choice of perishing with this doomed people, or of fleeing them, denying them, and, in this effort, perishing. It was a very cunning trap, and a very bitter joke.
Die wenn nicht selbstgewählte, so doch als ästhetische Pose immer wieder angenommene bürgerliche Klassenposition des Autors verhindert letztlich die 123
Gestaltung gesellschaftlich-geschichtlicher Potenz. Leo denkt im gleichen Zusammenhang über Christopher nach, "whose destiny was as tied to this desolation as my own, but who felt that his options and his possibilities were different." 9 8 Baldwin läßt Leo bis zur Schwelle revolutionärer Sicht gelangen: . . . it seemed to me that Christopher's options and possibilities could change only when the actual framework changed: and the metamorphosis of the framework into which we had been born would almost certainly be so violent as to blow Christopher, and me, and all of us, away. And then . . . perhaps God would raise up a people who could understand . . . Then, heaven would pass a civil rights bill and all of the angels would be equal and all God's children have shoes." James Baldwins bedeutende künstlerische Potenz manifestiert sich in Tell Me How Long the Train s Been Gone in hohem Maße und deutlicher als in vorangegangenen Romanen. Baldwins soziale Analyse wird hier nicht mehr durch sexuelles, psycho-analytisch motiviertes Gestrüpp überlagert und schon gar nicht mehr — wie teilweise in früheren Werken — dadurch ersetzt. Doch die praktische Welterfahrung des Autors findet nach wie vor nur widersprüchliche künstlerische Verallgemeinerung, weil vorgeprägte Denkschemata ihm die Erkenntnis speziell jener realen sozialen Prozesse und Strukturen versperren, die für die konkrete Position des Afroamerikaners verantwortlich sind. In eben jenem Maße, in dem Baldwin die den Kern der schwarz-weißen Problematik bildende Klassenfrage nicht erkennt, in diesem Maße bleibt sein Weltverständnis und damit seine Kunst bürgerlich befangen. Diese Befangenheit ist nicht gesetzmäßig und statisch, woraus sich die Möglichkeit einer Veränderung ableitet. Zumindest die Andeutung einer solchen Veränderung ist der 1974 erschienene Roman //' Beeile Street Could Talk100, der eine Weiterführung des Nachdenkens anzeigt, das bei Baldwin durch die Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre ausgelöst wurde. Baldwins Botschaft, in gelungener künstlerischer Umsetzung, zeigt nunmehr einen Humanismus, der im Begriff steht, die bürgerlichen Klassenschranken und die daraus erwachsenen Beschränkungen des bürgerlichen Denkens zu überwinden. Konsequenterweise wird damit auch die Furcht vor dem „Soziologischen" und der Identifikation des Künstlers mit den Menschen überwunden: If Beule Street Could Talk gestaltet werktätige Menschen des schwarzen Ghettos, ihre Ängste, Sehnsüchte und Hoffnungen, aber auch ihre erwachsende Solidarität, die Zukünftiges in sich birgt. Uns scheint, daß James Baldwin und Richard Wright hier sehr nahe zusammengerückt sind. 101
John Updike: Der humanistische Anspruch künstlerischer Begabung und die Aktualität
imperialistische
D a s Ziel unserer U n t e r s u c h u n g J o h n Updikes, dessen Werk durch Komplexität und hohen formkünstlerischen R a n g gekennzeichnet ist, besteht primär in dem Bemühen, den schmalen und gefährdeten Weg zu zeigen, der einem ehrlichen und talentierten, um H u m a n i s m u s und Realismus bemühten, aber prinzipiell auf dem Boden bürgerlicher Ideologie stehenden A u t o r noch verbleibt. John Hoyer Updike wurde 1932 als einziges Kind einer Familie holländischdeutsch-irischer A b s t a m m u n g in der Kleinstadt Shillington, Pennsylvania, geboren, wo er auch aufwuchs und zur Schule ging. Die Familie war keineswegs begütert: Der Vater war Oberschullehrer, und das Vermögen der literarisch ambitionierten Mutter war in der Depression dahingeschmolzen. So absolvierte John Updike die Universität Harvard auf der Basis eines Stipendiums, ebenso ein J a h r an der Oxforder Ruskin School of Drawing and Fine Art. In H a r v a r d und Oxford äußerte sich ein starkes zeichnerisches T a l e n t ; in der T a t wollte Updike Karikaturist werden. Journalistische Arbeit im Stab des New Yorker (1955—1957) beeinflußte ihn jedoch stärker in literarischer Richtung. 1 Updikes literarische Karriere ist durch Fruchtbarkeit gekennzeichnet. So sind bisher die R o m a n e The Poorhouse Fair, Rabbit Run, The Centaur, Of tlie Farm, Couples, Rabbit Redit.x, A Month of Sundays and Marry Me erschienen, ferner die short-story-Bände The Same Door, Pigeon Feathers and Other Stories, The Music School und Museums and Women. Außerdem sind Gedichtbände, satirische Werke und Kinderbücher aus Updikes Feder erschienen. 2 D a s bisherige G e s a m t werk Updikes speist sich stofflich vorwiegend aus autobiographischen Quellen; hauptsächlicher Schauplatz der R o m a n e und stories ist demzufolge die Kleinstadt Neuenglands (Pennsylvanias, New Jerseys, Massachusetts'), und das soziale Milieu reicht von der Intelligenz über das Kleinbürgertum bis zu F a r m e r n , Arbeitern und Altersrentnern. Stoff und auch Thematik der Werke U p d i k e s sind damit zwar relativ beschränkt, jedoch wäre der naheliegende R ü c k s c h l u ß auf provinzielle Enge sicherlich oberflächlich. Es scheint vielmehr, als böte die stoffliche und thematische Eingrenzung auf den eigenen Erfahrungs- u n d Gesichtskreis dem A u t o r einen Standpunkt, von dem aus die Fülle der Wirklichkeit ordnend und wertend überschaut werden kann. Freilich ist die so gewonnene Perspektive in ihrer sozialen und ästhetischen Reichweite auch nicht zu überschätzen: Die Eingrenzung erweist sich oft als Beschränktheit, weil der 125
Standpunkt des Autors vielfach im Lokalen befangen bleibt und deshalb eben nicht in gesamtgesellschaftlichen Dimensionen zu verallgemeinern vermag.
Humanistische Gesellschaftsentwürfe in Neuengland: The Poorhouse Fair und Of the Farm Updikes erster Roman, The Poorhouse Fair (1959), unterscheidet sich von den übrigen Werken dadurch, daß seine Handlung in der Zukunft spielt, d. h. in den 70er Jahren. 3 Vordergründig erzählt der Roman die Geschehnisse, die sich an einem Augustsonntag, wie alljährlich, bei dem traditionellen Fest des Altersheims einer Kleinstadt in New Jersey abspielen: Die Gemüter der Insassen sind erregt, weil Conner, der Direktor der Institution, ihre Stühle mit Namensschildern hat versehen lassen; Conner verletzt die Gefühle seiner Schutzbefohlenen erneut, als er eine streunende schwerverletzte Katze, die allgemeines Mitleid hervorruft, erschießen läßt; als Conner die Trümmer eines Teils der Einfriedungsmauer — sie war durch den jungen Lastwagenfahrer, der die Limonade für das Fest brachte, beschädigt worden — aufräumen läßt, bewirft man ihn mit Steinen; das Fest, anfangs verregnet, nimmt am Ende doch seinen Verlauf und endet friedlich, unter der üblichen Teilnahme auch der Kleinstadtbevölkerung ; die alten Leute verkaufen selbstgefertigte Gegenstände — Flikkendecken, aus Pfirsichsteinen geschnitzte Figuren — und kommen damit unbewußt der Sucht der mit Maschinenprodukten überfütterten Städter nach Handgearbeitetem entgegen; Halbwüchsige suchen am Rande des abends ausklingenden Festes erste sexuelle Abenteuer. Trotz einer Vielzahl von Personen, die teilweise anonym figurieren, dem Ganzen jedoch Farbigkeit verleihen, wird die Handlung von einer überschaubaren Anzahl von Gestalten getragen. Es sind dies Conner, der Direktor, allgegenwärtig, aber als Person bewußt flach und blaß gestaltet 4 ; John F. Hook, der älteste Insasse des Hauses, ehemaliger Lehrer, mit besonderem Interesse für "Roman history . . . and nineteenthcentury American politics" 5 und von beachtlichem menschlichem und intellektuellem Format; der aggressive und in seiner Redeweise obszöne Gregg, der Rebell gegen Conner auf der praktischen, konkreten Ebene (er ist der erste, der einen Stein gegen Conner wirft); Mr. und Mrs. Lucas, die als einzige dargestellte Insassen des Altersheims erkennbare, wenn auch negative Beziehungen zur Außenwelt in Gestalt ihrer Tochter, die sie vernachlässigt, unterhalten; die blinde Mrs. Heinemann; Mrs. Mortis, für ihre Flickendecken bekannt ; Fred Kegerise mit seinem Enkel David, der zwar nur das Fest besucht, aber seinem Aufenthalt im Altersheim entgegensieht. Die Figurenkonstellation — erzählerisch effektiviert durch eine bereits in diesem ersten Roman virtuos gehandhabte point-of-view-Technik — ergibt im Zusammenhang mit dem bisher Gesagten eine erste, recht eindeutige Aussage: Dem 126
technisch optimierten, aber herz- und gefühllosen Management, repräsentiert durch Conner und seinen jugendlichen Gehilfen Buddy, ist der Menschlichkeit fordernde Widerstand der Insassen, repräsentiert durch Hook, konfrontiert; die Außenwelt, repräsentiert durch Nebenfiguren, die der Mikro-Gesellschaft der Kleinstadt angehören, macht aus ihrer Ratlosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber den alten Menschen kein Hehl und dient somit der noch deutlicheren Kontrastierung. Zweifellos ist die Aussage auf dieser Ebene des Romans prinzipiell humanistisch, nicht zuletzt bewirkt durch die hervorragende Charakterisierungskunst, wie sie insbesondere bei Hook und anderen Heimbewohnern deutlich wird. Jedoch sind hier bereits Einschränkungen zu machen. So ist die soziale Motivation Conners und damit die Sozialkritik des Autors beschränkt auf den fast anonymen bürokratischen Apparat, als dessen Untergebener und Instrument Conner fungiert; der entscheidende cash nexus, die sozialökonomischen Bedingungen des Handelns Conners und der Lage des Poor House und seiner Insassen bleiben unberücksichtigt bzw. werden nur episodisch und damit nicht tragfähig genug gestaltet (so z. B. in der Gestalt des Antiquitätenhändlers aus Trenton, der mit den Flickendecken der Mrs. Mortis Geschäfte macht). Die Analyse der hintergründigen Ebene des Romans bestätigt und verstärkt die kritische Einschätzung. Der bereits erwähnte utopische Charakter des Werkes vermag zwar einerseits kritische Einblicke in das Erscheinungsbild der amerikanischen Gesellschaft zu fördern, so z. B. wenn Conner von einem rassisch völlig integrierten Amerika als einem etablierten Tatbestand spricht, wodurch der Vergleich zur zeitgenössischen Wirklichkeit der 50er, aber auch noch der 60er und 70er Jahre provoziert wird. Andererseits jedoch wird der Entwurf eines utopischen Amerikabildes eingeengt auf den gewiß nicht unwesentlichen Aspekt der zunehmenden Bürokratisierung, der aber in seiner Verabsolutierung gefahrliche Denkansätze suggeriert: Diese wären insofern anarchistisch zu nennen, als sie implizit die wissenschaftlich-technische Entwicklung oder die Produktivkräfte für die gesellschaftliche Misere verantwortlich machen, die entscheidende Bedeutung der Produktionsverhältnisse negieren und damit auf das Niveau eines bloßen Kulturpessimismus absinken. Das aber ¡st genau die Stelle, an der Updikes — und vieler anderer bürgerlicher Autoren — Gesellschaftserkenntnis durch die Klassenschranken seines Bewußtseins und die manipulative Wirkung der bürgerlichen Ideologie blockiert wird. Zum genaueren Beleg sei zunächst die Passage zitiert, die als einzige im Roman als Autor-Kommentar angesehen werden kann und den utopischen Ansatz des Werkes wiederum ausdrückt: Heart had gone out of these people; health was the principal thing about the faces of the Americans that came crowding through the broken wall to the poorhouse fair. They were just people, members of the race of white animals that had cast its herd over the land of six continents. Highly neural, brachycephalic. uniquely able to oppose their thumbs to the four other digits, they bred within elegant settlements . . . History had passed on beyond them.
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They remembered its moment and came to the fair to be freshened in the recollection of an older America, . . . an America of stained-glass lampshades, hardshell evangelists. Flag Days, ice men, plug tobacco, China trade, oval windows marking on the exterior of a house a stair landing within, pungent nostrums for catarrhal complaints, opportunism, churchgoing, and well-ordered orations in the glare of a cemetery on summer days. The London Pacts with the Eurasian Soviet had been new in the experience of America, who had never fought a war that was not a holy war, and never lost one once begun. T h e r e w a s t o b e n o w a r ; w e w e r e t o b e a l l o w e d t o d e c a y o f o u r s e l v e s . And the population soared like diffident India's, and the economy swelled, . . . and everywhere was sufferance, good sense, wealth, irreligion, and peace. The nation became one of pleasure-seekers; the people continued to live as cells of a body do in the coffin, for the conception 'America' had died in their skulls. 6
Zugespitzte Sozialkritik ist für diese Passage ebenso kennzeichnend wie anarchistisch-kulturpessimistische Sicht. An der subjektiven Ehrlichkeit der Kritik ist nicht zu zweifeln; dies umso weniger, als Updike in höchst subtiler Weise die menschliche Überlegenheit der alten Menschen, insbesondere Hooks, über die von C o n n e r personifizierte Bürokratie des „neuen A m e r i k a " ins Spiel zu bringen weiß. Hook erweist sich als vorzüglicher Kenner der amerikanischen Geschichte. Immer wieder verteidigt er seine eigene Meinung, die ein seltsames Gemisch aus scharfsichtiger Geschichtsanalyse und emotionalem Wunschdenken darstellt; einerseits erkennt er richtig, d a ß der Bürgerkrieg primär ökonomische Ursachen hatte, und erwähnt in diesem Z u s a m m e n h a n g auch die Krise von 1857; andererseits sieht er in den Kapitalisten des N o r d e n s nicht die Personifikation des objektiven gesellschaftlichen Fortschritts, denunziert demzufolge Lincoln als ihren Anwalt, "hired to d o their dirty w o r k " , als Atheisten und jemanden, der dem General und späteren skandalumgebenen Präsidenten Ulysses S. G r a n t in den Sattel geholfen hat. Auf der G r u n d l a g e seines Geschichtsverständnisses wird H o o k beinahe zum Apologeten des sklavenhaltenden Südens, ohne es eigentlich zu wollen: „The civilization of the south menaced their (i.e. the northern capitalists', H. W.) pocket-books" 7 , wobei die „Zivilisation des Südens" im Kontext als etablierter Wert erscheint. Die direkte geistige K o n f r o n t a t i o n H o o k s mit C o n n e r gibt weitere interessante Aufschlüsse. C o n n e r legt — im Speisesaal im Gespräch — zunächst seine gesellschaftliche Zukunftsvision d a r : Im Amerika der nahen Z u k u n f t werden Krankheit, Hunger, U n t e r d r ü c k u n g verschwinden; die Freizeit werde z u n e h m e n ; die Lebenserwartungen des Menschen werde sich erhöhen usw. Auf seine Zuhörer macht das keinen Eindruck; erhöhte Lebenserwartung bedeutet, so sagt Mrs. Mortis, " M o r e p o o r h o u s e s " ; und als sie fragt, ob Conners Paradies für sie noch erlebbar sein werde, und C o n n e r dies verneinen m u ß : "Well, then . . . to hell with it." 8 H o o k , der dazu geschwiegen hatte, wird von C o n n e r direkt zur Debatte herausgefordert. H o o k s Position erscheint dabei seltsam schwach. Er weicht vor Conners wissenschaftlichen, evolutionären und mathematisch-logischen 128
Erklärungen der Welt auf das Gebiet der religiösen Ethik zurück; sein letzter Standpunkt kann nicht mehr rational erklärt werden: There is no goodness, without belief. There is nothing but busy-ness. And if you have not believed, at the end of your life you shall know you have buried your talent in the ground of this world and have nothing saved, to take into next. 9
Wiederum ist die Gestaltung sehr subtil: Hook ist Sieger dieser Auseinandersetzung; nicht weil er als Person infolge seines Alters und seiner Lebenserfahrung Ehrfurcht gebietet, sondern weil Conners Utopie, angesichts des "poorhouse" als sinnlich faßbaren Ausdrucks dieser Wirklichkeit, einfach unglaubhaft, hohl, ja lächerlich erscheinen muß. Nahezu jede Gegenposition ist demgegenüber zwangsläufig überzeugend, zumal die Position Hooks, der menschliches Maß gegenüber der Connerschen Gigantomanie zu vertreten scheint und überdies nicht mit einem Absolutheitsanspruch auftritt, sondern im Grunde alles offen läßt: Das Gespräch mit Conner verfolgt ihn bis tief in die Nacht hinein; er hat vergessen, Conner einen Rat zu geben, aber er kann diesen Rat (oder die Lösung des offengelassenen Problems) nicht fassen. "What was it?" ist der letzte quälende Gedanke Hooks. 10 Die Kunst Updikes grenzt gerade hier an Virtuosität; gerade hier auch ist sein Standpunkt höchst ambivalent. Während einerseits die subjektive Ehrlichkeit und das emotionale Engagement seiner sozialkritischen Absicht klar zutage treten, besteht andererseits wohl kaum ein Zweifel daran, daß sein eigener Standpunkt die wenn nicht religiöse, so doch letztlich alternativlos allgemeinmenschliche Figurenperspektive Hooks nicht wesentlich überschreitet. Dies gilt auch dann, wenn wir in Rechnung stellen, daß der Erzählerstandpunkt sich nicht ausschließlich im point-of-view Hooks äußert; Hook ist aber die zentrale Romangestalt, und im Vergleich zu ihm vermitteln die übrigen Figuren zwar Kolorit und zugespitzt sententiöse Einsichten, nicht aber eine kohärente Gesamtsicht. Fassen wir zusammen: Updikes Erstling ist ein Roman von beachtlichem künstlerischem Rang, dessen Stärke aus zwei hauptsächlichen Quellen entspringt: der Ehrlichkeit und Tiefe der künstlerischen Menschenauffassung und der Vertrautheit, ja innigen Verbundenheit mit Neuengland, wie sie aus Updikes eigenem Erlebnis- und Erfahrungsbereich erwächst. Bürgerliches Bewußtsein, Befangenheit des Autors in bürgerlichen ideologischen Leitbildern sind feststellbar und erweisen sich als Hemmnisse einer durchgängig perspektivischrealistischen Gestaltung. Das führt zu einer Einengung des auktoralen Blickfeldes — hinweg von der gesamtgesellschaftlichen Perspektive — auf den persönlichen Bereich, innerhalb dessen Updike immer noch eine bemerkenswerte tiefe humanistische Gestaltung möglich ist. Die ganz persönliche Handschrift Updikes, in den Bereich mitunter beängstigender Virtuosität hinüberspielend, ist noch integriert und wird in den Dienst des inhaltlichen Anliegens gestellt. 11 Updikes formkünstlerische Subtilität erreicht mit Of the Farm (1965) einen 9
Wüstenhagen
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weiteren Höhepunkt. Joey Robinson verbringt mit seiner zweiten Frau Peggy und deren lljährigem Sohn Richard drei Tage auf der Farm seiner Mutter Mary in Pennsylvania nahe Alton/Olinger. 12 Zweck des Besuches ist, daß Joey das Gras auf der Farm mäht und daß Mrs. Robinson ihre netoe Schwiegertochter besser kennenlernt. Hinter dem Banal-Alltäglichen verbirgt sich jedoch Tiefgründiges: Der 35jährige Joey Robinson steckt in einer schweren Identitätskrise, die auf unterschiedlichen inneren und äußeren Ebenen dargestellt und deren Überwindung — wenn überhaupt — bestenfalls in einem Sich-Abfinden gesehen wird. Joey — charakteristischerweise ausschließlich mit dem kindlichen Diminutiv seines Namens bezeichnet — ist der „moderne Held", dessen persönliche Entfremdung und Wurzellosigkeit in Beziehung zur gesellschaftlichen Misere gesetzt, wenn auch nicht kausal erklärt wird. Man kann den Gehalt des Romans zu einem guten Teil in Kontrasten erfassen und darstellen. So basieren äußere Handlungsmotivation und Problemgestaltung auf dem Gegensatz zwischen Stadt und Land: Joey, Peggy und Richard kommen aus New York City auf die Farm, von Mrs. Robinson als "pilgrims" (Pilger) 13 apostrophiert und sich fremd vorkommend. Doch ist dieser Gegensatz — ebenso wie der Kontrast zwischen der geschiedenen Frau Joan und Peggy — seltsam alternativlos: die ländliche Idylle der Farm, abgesehen von der „Verstädterung" der näheren Umgebung, wie etwa in der Supermarktszene sichtbar, ist nicht von Bestand, weil mit Mrs. Robinsons abzusehendem Tode die Farm aufhören wird zu existieren; überdies ist es ohnehin "a farm nobody f a r m s ' " 4 und damit dem Verfall bereits preisgegeben. Die mit der Farm eng verbundene Konzeption Mrs. Robinsons vom heilen Menschen — "People were meant to be r o u n d " — wird zu einem schrecklichen Ende und damit ad absurdum geführt. Sie entwickelt ihren Gedanken, die Farm zu einem "people sanctuary" zu machen: "A place . . . where people can come, and be refugees like me, for an hour or two, and let their corners rub off, and try to be round again." Doch die idyllische Utopie erfährt durch Mrs. Robinson selbst ihre Verwandlung in einen Alptraum: ". . . Richard and I are planning a people sanctuary. I'll sell tickets up at the pear tree and he'll be the warden and mark the diseased people for destruction." Zum Überfluß wird noch Peggys Kommentar angefügt: "What a funny sanctuary . . . Like a concentration camp." 1 5 Die Fortsetzung des utopischen "Poorhouse"-Gleichnisses ist unverkennbar; dies und die Einbettung der Schrekkensvision in die Perspektive des frühreifen Richard (an ihn wendet sich Mrs. Robinson) mit seiner angelesenen Lebensweisheit, die sich aus pessimistischen Statistiken über die Zukunft der Menschheit und ebensolcher Science-fiction mischt, machen den Schluß auf die sozialkritische Absicht des Autors zwingend. Und dennoch erscheint eben diese kritische Absicht pervertiert, schon bei oberflächlicher Betrachtung: Die Vernichtungslager-Vision will nicht recht zu der gütigen, wenn auch verschrobenen alten Dame passen, obgleich die Möglichkeit einer beabsichtigten Kontrastwirkung einzuräumen wäre. Hauptursache der Perversion ist jedoch die letztendliche Alternativlosigkeit, die der people sanetuary130
Auffassung innewohnt; dabei darf man sogar von der grausigen Zutat abstrahieren, denn: Auch die bloße ländliche Idylle als Seelenkurort böte keine Alternative. Natürlich weiß der Autor das auch. Er transponiert aber die sozialökonomische Kausalität ins (bürgerlich) Ideologische und obskuriert damit den Ansatz zur künstlerischen Erkenntnis. So ist Joeys Schwanken Ausdruck der Tatsache, daß er sich nicht an der Wirklichkeit, sondern bestenfalls an deren verzerrtem ideologischen Reflex zu orientieren vermag. Er sieht seine Mutter ausdrücklich in einem ideologischen Kontext: My mother within the mythology she had made of her life was like a mathematician who, having decreed certain severely limited assumptions, performs feats of warping and circumvention and paradoxical linkage that an outside observer, unrestricted to the plane of their logic, would find irksomely arbitrary. 16
Mrs. Robinson selbst dient dem Autor als Sprachrohr der Ideologie: so z. B. in der Szene, in der sie Peggy erklärt, daß sie ihrem verstorbenen Mann George seine Freiheit zu geben versucht habe; als Peggy solche Möglichkeit prinzipiell in Frage stellt ("Can you give a person freedom?"), weicht Mrs. Robinson in die religiöse Dimension aus: "I suppose . . . only God really gives. But people can by not denying, which comes to the same thing." 1 7 Hier besteht eine deutliche Beziehung zum Motto des Romans, dem Sartre-Wort: Consequently, when, in all honesty, I've recognized that man is a being in w h o m existence precedes essence, that he is a free being who, in various circumstances, can want only his freedom, I have at the same time recognized that I can want only the freedom of others.
Die Reduktion der an sich komplex angelegten Gestalt der Mrs. Robinson auf ideologische (existentialistische) Konzeptionen ist im Hinblick auf die Position des Autors höchst aufschlußreich. Der Widerspruch zwischen künstlerisch-realistischem Erfassen der Wirklichkeit und deren ideologischer Überlagerung ist evident. Solcher Widerspruch ließe sich auch bei der Gestaltung Joeys nachweisen: Seine selbstquälerische Zerrissenheit, seine unbewältigte Abhängigkeit von der Mutter, sein ambivalentes Verhältnis zum verstorbenen Vater, das charakteristische Schwanken zwischen seiner ehemaligen Frau Joan mit seinen drei Kindern und Peggy samt Richard, der das Kind eines anderen ist, das alles ist nicht nur meisterlich erzählt, sondern auch — teilweise — überzeugend motiviert durch die auf sozialökonomischen Bedingungen basierende gespaltene Persönlichkeit des Helden. Joeys Beruf wird exakt beschrieben: I work for a firm which arranges educational programs for corporations on such matters as tax minimization, overseas expansion, federal contract acquisition, and automation. My specialty is advertising dollar distribution, which is to say, broadly, corporate image presentation. 18 131
Dieser Beruf wird kaum Joeys "poetic ambitions" gerecht: "My mother had wanted me to be a poet, like Wordsworth." 1 9 Noch treffender und überzeugender wird die Motivation Joeys, gleichzeitig freilich die zugrunde liegende widersprüchliche Konzeption, wenn der Autor seinen Helden über die Wahrheit meditieren läßt: All misconceptions are themselves data which have the minimal truth of existing in at least one mind. Truth, my work had taught me, is not something static, a mountaintop that statements approximate like successive assaults of frostbitten climbers. Rather, truth is constantly being formed from the solidification of illusions. In New York 1 work among men whose fallacies are next year worn everywhere, like the new style of shoes. 2 0
Die gesellschaftskritische Relativierung dieser Wahrheits-Definition ist ebenso überzeugend, wie ihre Verknüpfung mit dem subjektiv-idealistischen Vorzeichen der existentialistischen Wahrheits-Konzeption die mehrfach zitierte Widersprüchlichkeit des Autors belegt. Diese spiegelt sich schließlich in der gesamten Anlage des Helden, der — selbst wenn wir von den unverkennbar psychoanalytisch beeinflußten Verstrickungen absehen — letztlich als Gefangener seines Ich erscheint, d. h. als literarische Gestalt befangen in den Grenzen, die durch das individualistische Weltbild des Autors gesetzt sind. Ein solches Werturteil kann nicht absolut sein: Updikes Kunst ist gerade in Of the Farm so stark, daß ihm immer wieder — trotz der genannten Sichtbeschränkung — die Gestaltung des Menschlichen gelingt.
Humanismus und Mythologie:
The Centaur
Die Handlung des Romans The Centaur (1963) ist im Jahre 1947 angesiedelt, hauptsächlicher Schauplatz ist das fiktive, aber wiederum Updikes persönlichem Erlebnisbereich eng entsprechende pennsylvanische Olinger mit seiner Oberschule und das unmittelbar benachbarte Alton. Die Personen gruppieren sich um die Mittelpunktsgestalt des Lehrers George Caldwell und stehen zu ihm zumeist in familiärer oder beruflicher Beziehung. Da ist sein Sohn Peter, zur Zeit der Handlung noch Schüler, später Kunstmaler in Paris; seine Frau Cassie und sein Schwiegervater Pop Kramer; der Direktor der Olinger High School, Zimmermann; seine Kollegin, die Sportlehrerin Vera Hummel, und ihr Mann AI, der eine Autoreparaturwerkstatt betreibt; sein Arzt, Doc Appleton; seine Schüler Deifendorf, Iris Osgood und Penny Fogelman (letztere die Freundin seines Sohnes); sowie schließlich eine Vielzahl mehr oder weniger peripherer Figuren, wie z. B. der rechtsreaktionäre Imbißstubenbesitzer Minor, der gespenstisch wirkende Schulhausmeister Heller oder der namenlose Tramp und der ebenfalls namenlose Betrunkene. Keine dieser Gestalten dient nur ornamentalen Zwecken; die Funktionalität der vielen Nebenfiguren legt allein schon Zeugnis ab von Updikes beachtlicher Erzählkunst. 132
Die H a n d l u n g zeigt uns vordergründig die Ereignisse im Leben George Caldwells und seines Sohnes während dreier Wintertage: die von viel persönlichem Idealismus getragene, aber objektiv wenig erfolgreiche pädagogische Arbeit Caldwells, der im G r u n d e genommen als Lehrer zumindest an der Disziplinlosigkeit seiner Schüler scheitert; Caldwells Ängste u m seine berufliche Position und um seine Gesundheit, seine Furcht vor dem Direktor, seinen H o r r o r vor der Technik seines Autos, seine Verstrickung in die Verführungskünste Vera H ü m m e l s ; die beständige Sorge um seinen Sohn, dem er ein besseres Rüstzeug für das Leben wünscht, als er es selbst gehabt h a t ; sein schließlicher T o d an einer heimtückischen Krankheit, von dem wir nur sehr indirekt erfahren. 2 1 Peter hat seine eigenen Sorgen: Er leidet an Psoriasis, was ihn nach seiner Meinung zu einem Gezeichneten m a c h t ; er pflegt seine adolescente Liebe zu Penny Fogelman, für die Peters H a u t k r a n k h e i t nichts Schreckenerregendes ist; er opponiert gegen die von Z i m m e r m a n n personifizierte seelenlose Schulordnung; vor allem aber bewegt ihn ständige Sorge um den Vater, dessen G ü t e immer wieder — so erkennt Peter — mit der Bosheit der ihn umgebenden Welt kollidiert. Bereits auf dieser Ebene wird das Muster des prinzipiellen Anliegen Updikes deutlich sichtbar: Wie in Rabbit, Run geht es u m die K o n frontation des Individuums mit einer feindlichen Gesellschaft, hier freilich unter anderem Vorzeichen. Caldwell personifiziert Verantwortlichkeit und G ü t e , ja Opferbereitschaft in einem solchen A u s m a ß , d a ß es nahezu u n g l a u b h a f t erscheint; selbst als Lehrer m u ß er notwendig — mit solchen Qualitäten ausgestattet — in Konflikt mit dieser Gesellschaft geraten. Es ist auch nur folgerichtig, d a ß Caldwell letztlich an seiner Mission gegenüber der Gesellschaft scheitert. Von einem Scheitern m u ß man wohl auch sprechen, wenn m a n die familiäre Ebene der Beziehungen — Peter, Cassie — berücksichtigt. D e r Schüler und spätere Künstler Peter Caldwell erscheint zu blaß, um als tragfahige Personifikation der in die Z u k u n f t projizierten Ideale des Vaters fungieren zu können. Immerhin bliebe festzuhalten, d a ß die Konzeption George Caldwells als Lehrer die Möglichkeit einer differenzierten, kritisch-realistischen Gesellschaftsanalyse in sich birgt und mit dem Bereich des Bildungswesens eine fruchtbare Ausgangsposition für die kritische künstlerische E r g r ü n d u n g gesamtgesellschaftlicher Bewegungsmechanismen und -kausalitäten gesetzt wäre. Diese Überlegung bleibt jedoch teilweise theoretisch, weil George Caldwell mit Zügen ausgestattet ist, die ihn als Sonderling erscheinen lassen, wodurch nicht nur seine Glaubwürdigkeit, sondern auch seine soziale Signifikanz gemindert wird. W a h r scheinlich ist sich der A u t o r dieser Schwäche bewußt geworden; jedenfalls hielt er es für nötig, die Konzeption des R o m a n s durch Einbeziehung des antiken griechischen Chiron-Mythos 2 2 zu vertiefen. D a s wird erzähltechnisch in höchst subtiler Weise bewerkstelligt, und eine Kritik des R o m a n s k a n n nicht prinzipiell bei der Schwierigkeit ansetzen, die solche Erzählweise für den Leser zweifellos in sich birgt. 2 3 D e n n o c h ergibt sich natürlich die Frage nach der F u n k t i o n des M y t h o s in diesem R o m a n . 2 4 Diese ist nach unserer A u f f a s s u n g meta-
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physischer Natur: Der ästhetische Reiz des Romans ergibt sich zu einem nicht geringen Teil aus der Spannung zwischen Realität und Mythos. Die Weisheit und Güte des Zentauren Chiron wird zur Projektionsebene der Ideale des letztendlich frustrierten Lehrers Caldwells; Vera Hummel wird — wenn auch auf weniger anspruchsvoller Ebene — als sehr irdische, aber nichtsdestoweniger komplexe Aphrodite präsentiert; AI Hummel in seiner Werkstatt erscheint als treffliches Abbild des Hephaistos, und Zimmermann mag in der mythischen Verkleidung als Zeus gerade noch akzeptiert werden. Während also besonders die Figur des Caldwell/Chiron einen potentiell produktiven Ansatz 25 darstellt, erweist sich die mythische Verkleidung Peter Caldwells als Prometheus als offensichtliche Schwäche bzw. als Grenze der metaphorisch-symbolischen Möglichkeiten des Mythos, wie ihn Updike handhabt. Die oben bereits angedeutete geringe Dimension des nicht-mythologisierten Peter Caldwell wird eben durch den konstruierten Prometheus-Bezug besonders kraß sichtbar. Der Symbolgehalt der mythischen Prometheus-Figur ist kaum mißdeutbar: Als Wohltäter der Menschen, der ihnen das Feuer zurückbringt, hat er die Strafe Zeus' zu ertragen; der diesseitig-humanistische, progressiv-optimistische Kern des Symbols ist unverkennbar, universell akzeptiert und in Literatur und Kunst von der Antike bis zur Moderne rezipiert. Peter Caldwell aber wird höchstens in seiner Opposition gegen Zimmermann/Zeus dem mythologischen Alter ego gerecht, und selbst das nur in eingeschränkter Weise. 26 Ansonsten ist er höchst un-prometheisch. In einem Monolog, den er an seine schwarze Geliebte richtet, mit der er in Paris zusammenlebt, bekennt er das Scheitern seiner künstlerischen Bemühungen: "My vast canvases — so oddly expensive as raw materials, so oddly worthless transmuted into art . . ."; er sieht sich als Endglied der "classic degeneration": "Priest, teacher, artist". Die Summe seiner Selbstabrechnung sieht dann so aus: I consider the life we have made the sun keeps and its baroque furnishings like a scattering of half-Oriental sex-mysticism, and his life?27
together, with its days spent without relation to the days arabesques of increasingly attenuated emotion and its worn-out Braques and its rather wistful half-Freudian I wonder, W a s it f o r t h i s t h a t m y f a t h e r g a v e u p
Gewiß ist die in der Gesamtanlage Peters implizierte Entheroisierung — die hier ihre Kulmination findet — des Prometheus nicht ohne ihren eigenen Reiz. Aber Updikes Roman ist weder Satire noch gar Mythen-Persiflage. Der eigentlich sinntragende Kontext des Romans, auf den wir uns hier wieder besinnen müssen, manifestiert sich großenteils in der Opferbereitschaft Caldwells/Chirons gegenüber Peter/Prometheus. In dieser Opferbereitschaft liegt die Potenz zur positiven Aufhebung der letztlich sozial motivierten Verstrickung, in der sich Caldwell befindet: Peter ist dazu berufen, das humanistische Vermächtnis des Vaters zu erfüllen (sicher wäre das auch mit den Mitteln der Kunst möglich gewesen, freilich nicht von der Position des resignierenden 134
Künstlers aus); sinnfällig-bildhaft wird dies durch die von Chiron an den ketzerischen Prometheus abgetretene Unsterblichkeit. Peter aber ist von seiner Anlage und der Statur her gar nicht.in der Lage, das Erbe des Vaters anzutreten, was nur bedeuten kann, daß Updike damit auf realistisch-perspektivische Gestaltung bewußt verzichtet. 28 Wir sehen uns in dieser Auffassung gerade dadurch bestärkt, daß Updike — mit achtunggebietender Belesenheit und erzähltechnischer Brillanz — dieses Verfahren zu begründen und zu rechtfertigen versucht. Er tut dies, indem er der ersten mythologischen Ebene — der antikklassischen — eine zweite — die christliche — unterlegt. Updike ist auch hier konsequent: Er weiß genau, daß der Mythos des Nazareners nichts anderes ist als der ins Religiös-Mystische entfremdete, damit aber auch vom Real-Historischen abstrahierte Prometheus-Mythos. 29 Dieser Tatbestand wird durch das dem Roman vorangestellte, Karl Barths Dogmatics in Outline entnommene Motto lediglich modern-theologisch, christlich-existentialistisch eingekleidet, ansonsten aber bestätigt: "Heaven is the creation inconceivable to man, earth the creation conceivable to him. He himself is the creature on the boundary between heaven und earth." 3 0
Gesamtgesellschaftliche Zielstellungen in der Verwirrung ideologischer Klischees: Von den Rabbit-Romanen bis zur Marry Me-Romanze Rabhit, Run (i960) 31 erzählt die Geschichte des 26jährigen Harry Angstrom, der mit seiner Frau Janice und seinem kleinen Sohn Nelson in der gleichen Stadt lebt — nämlich Brewer, Pennsylvania — wie seine Eltern, seine Schwester Miriam und seine Schwiegereltern, die Springers; Mr. Springer ist relativ vermögend, betreibt er doch ein Gebrauchtwagengeschäft mit mehreren Filialen; der alte Angstrom dagegen gehört als Schriftsetzer dem Proletariat an. Das Geschehen erscheint an der Oberfläche trivial: Harry, der aus seiner Zeit als Basketball-Star an der Oberschule den Spitznamen „ R a b b i t " mitgebracht hat, ist unzufrieden mit seinem Leben, insbesondere mit seiner schwangeren, schlampigen, frigiden Frau, aber auch mit seinem Job als Verkäufer eines billigen Küchengeräts. Eines Tages bricht er aus der Routine des Alltagslebens aus. Er fahrt die Nacht hindurch mit seinem Wagen über Land, träumt von der Ferne, kehrt aber am Morgen wieder nach Brewer zurück. Hier macht ihn sein ehemaliger Trainer Tothero mit der Prostituierten Ruth bekannt, mit der er eine Zeitlang sexuelle Befriedigung, aber keine wirkliche Erfüllung findet. Vor seiner inzwischen leerstehenden Wohnung — Janice ist zu ihren Eltern zurückgegangen — trifft Harry eines Tages den Pastor Eccles, der künftig die Rolle eines Beichtvaters für Harry und eines Vermittlers zwischen Harry und Janice übernimmt. Den Sommer über arbeitet Harry als Gärtner für die alte Mrs. Smith; auch hier war Eccles der Vermittler. Als Janice in der Klinik auf ihre 135
Entbindung wartet, verläßt Harry seine Geliebte R u t h und kehrt zu seiner F r a u zurück. Aber das Zusammenleben — nach der G e b u r t der Tochter Rebecca June — gestaltet sich erneut schwierig. In einer Nacht, als Harry aus dem Hause geht, betrinkt sich Janice und ertränkt versehentlich ihr Baby in der Badewanne. Bei der Beerdigung schreit Harry laut heraus, d a ß nicht er, sondern Janice am T o d des Babys schuld sei. Als niemand ihn versteht, läuft er weg. Die schwangere R u t h will ihn nur unter der Bedingung wieder aufnehmen, d a ß er sie heiratet. D a s ist f ü r ihn nicht akzeptabel; aus Angst flieht er wiederum. Harry „ R a b b i t " Angstrom — der als absolut zentrale Gestalt anzusehen ist und dessen point-of-view die Erzählweise vorwiegend bestimmt — ist eine sehr widersprüchliche R o m a n f i g u r . Er rebelliert gegen gesellschaftliche Moralkonventionen, fühlt sich ihnen aber auch ausgeliefert und unterworfen u n d akzeptiert sie zumindest teilweise; er ist die Personifikation der Verantwortungslosigkeit, glaubt aber, zur moralischen Veränderung der Welt berufen zu sein, somit eine viel größere Verantwortung sich a n m a ß e n d ; er ist noch Kind, aber auch schon Greis; er glaubt die F r a u e n sexuell zu beherrschen, wird jedoch von seiner eigenen Sexualität beherrscht. Wir möchten bezweifeln, d a ß diese Widersprüchlichkeit der Romangestalt Ausdruck einer dialektischen Konzeption des A u t o r s von der Welt ist. Viel einleuchtender erscheint die A n n a h m e , die R o m a n gestalt sei Spiegelung einer fragmentierten Sicht Updikes 3 2 , einer Sicht, die zwar prinzipiell vom sozialen Bezugssystem als menschlichem Bedingungsgefüge ausgeht, aber aus Verzweiflung an der Beschaffenheit der Gesellschaft diese zu transzendieren sucht. Die Motivation der Handlungsweise Rabbits legt solche Schlußfolgerungen immer wieder nahe. Als Eccles mit Harry Golf spielt, fragt er ihn, w a r u m er seine F r a u verlassen habe. Harrys Antwort bleibt vage: " T h e r e was this thing that wasn't there." Auf Eccles' dringliche weitere Fragen und heftige Vorwürfe weiß Harry auch keine Antwort, bis ihm ein perfekter Ball gelingt, der ihm ein tiefes G e f ü h l der Befriedigung vermittelt. ' " T h a t ' s it!' he cries and, turning to Eccles with a smile of aggrandizement, repeats, T h a t ' s it.' " 3 3 Setzt m a n diese Szene zu Harrys in Erinnerungen beschriebener, glücklicher Basketball-Vergangenheit in Beziehung, wird einiges deutlicher: Im Spiel gab es, wie T o t h e r o es formuliert, " t h e s a c r e d n e s s of achievement" 3 4 ; hier war R a b b i t erstklassig und fühlte sich bestätigt, während danach alles — sein Beruf, seine F r a u , sein ganzes Leben — zweitklassig wurde. Vor dem wirklichen Leben, das durch das Spiel eben nur unzureichend modellierbar ist, versagt R a b b i t . Freilich resigniert er nicht völlig; angesichts seiner entfremdeten Position hegt er noch immer vage H o f f n u n g e n . So meditiert er nach dem T o d e seiner kleinen Tochter: . . . what kept him walking was the idea that somewhere he'd find an opening. For what made him mad at Janice wasn't so much that she was in the right for once and he was wrong and stupid but the closed feeling of it, the feeling of being closed in. He had gone to church and brought back this little flame and had nowhere to put it on the dark damp walls of
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the apartment, so it had flickered and gone out. And he realized that he wouldn't always be able to produce this flame. What held him back all day was the feeling that somewhere there was something better for him than listening to babies cry and cheating people in used-car lots and it's this feeling he tries to kill . . , 35
A m Ende jedoch findet der A u t o r für seinen Helden nur die frustrierte religiöse Vision und die Flucht vor der Verantwortung: Im T r a u m " h e realizes he must go forth f r o m this field and found a new religion." D o c h die Frustration folgt nach dem Erwachen: " H e realizes it was a dream, that he has nothing to tell the world, and the knot regathers in his chest." 3 6 David Galloway wertet die Flucht des Helden vor " t h e pretensions and inconsistencies of the w o r l d " als einzig möglichen Weg, seine Integrität zu bewahren. " R a b b i t , like Huck Finn, lights out for the wilderness: escape becomes fulfillment and irresponsibility becomes responsibility . . . U p d i k e portrays Rabbit as a contemporary saint w h o cannot resist the search f o r t r u t h . . ." 3 7 Obwohl Updike „die W e l t " durch eine Vielfalt von Details kritisch zu beschreiben versteht, wird deren eigentliches Wesen nicht erfaßt, Rabbits W a h r heitssuche und Rebellion sind eben deshalb mit dem Mal der von vornherein feststehenden Ergebnislosigkeit gezeichnet. Galloways Interpretation ist metaphysisch, genauer: existentialistisch, wobei allerdings einzuräumen ist, d a ß auch Updike keine weiterreichende Sicht gelingt. Die Kritik an Aspekten der amerikanischen Gesellschaft ist auch hier u n ü b e r s e h b a r ; eine tragfähige Perspektive baut sich nicht darauf auf. Die hauptsächliche ideologische Ursache für das allzu beschränkte F o r m a t der Zentralfigur d ü r f t e in der Faszination zu suchen sein, mit der U p d i k e m o derne christlich-theologische Lehren rezipiert hat. Besonders deutlich wird dies in seinem Interesse für den Schweizer Theologen und Religionsphilosophen Karl Barth 3 8 ; darüber hinaus aber zeigt er eine große Vertrautheit mit der Religionsgeschichte des Mittelalters. 3 9 Erschien H o o k in The Poorhouse Fair in seinem religiösen Zuschnitt insgesamt noch überzeugend, so wird Rabbit A n g s t r o m in dem größeren und komplizierteren sozialen R a u m , in dem er angesiedelt ist, bereits fragwürdig, weil seine vage Religiosität den Blick auf den umfassenden sozialen Kontext zumindest einschränkt. 4 0 Der R o m a n Couples (1966) stellt einerseits eine Fortsetzung der Schaffenslinie dar, die mit Rabbit, Run begonnen w u r d e ; diese Linie läßt sich als Versuch, eine direkte Gesellschaftsinterpretation und -kritik zu geben, näher bestimmen und hebt sich von der autobiographisch, regional und mythologisch determinierten G r u p p e der übrigen R o m a n e ( T h e Poorhouse Fair, The Centaur, Of the Farm) deutlich ab. Andererseits aber markiert Couples jene Stelle in Updikes R o m a n s c h a f f e n , an welcher der A u t o r zur breiten Darstellung sexueller Aktivitäten übergeht, in dieser Beziehung zweifellos einen K u l m i n a t i o n s p u n k t erreicht und sich mithin n u n m e h r im Strom der literarischen M o d e befindet, die an der Wende der 50er und der 60er Jahre ihren A n f a n g n a h m . Der R o m a n , dessen H a n d l u n g sich vom F r ü h j a h r 1963 bis zum F r ü h j a h r 1964 137
erstreckt, hat die Darstellung der Lebensweise von zehn Ehepaaren in einer kleinen, an der Massachusetts-Bay gelegenen Stadt mit dem fiktiven Namen Tarbox zum Gegenstand. Tarbox — oder genauer: die Gruppe von Ehepaaren, die sämtlich der Mittelstandsbourgeoisie angehören und nach dem Willen des Autors Tarbox repräsentieren sollen — wird als "sexpot" 4 1 dargestellt: Die gesamte Handlung beruht im Grunde auf den außerehelichen sexuellen Aff aren der zwanzig Personen, wobei das Geschehen — abgesehen von rückblendenartig erzählten Episoden außerhalb des Handlungszeitraums — streng auf eben diesen Personenkreis beschränkt bleibt. Updike läßt keinen Zweifel daran, daß er die vorwiegend sexuelle Handlung unter dem Blickwinkel sozialer Bedeutsamkeit sieht. 42 Dies wird vor allem durch die Akzentuierung der Gestalt des Piet Hanema erreicht, dessen Entwicklung die Erzählstruktur des Romans weitgehend bestimmt: Piet Hanema, Bauingenieur und Partner des Bauunternehmers Matt Gallagher, befindet sich gleichzeitig innerhalb und außerhalb des sozialen Zirkels der Paare; er vollbringt einerseits die erstaunlichsten und anstrengendsten sexuellen Bravourstücke, arbeitet andererseits voll Hingabe in seinem Beruf und teilt somit die Leere und Ziellosigkeit der übrigen Gruppe nicht; er schwankt zwischen seiner problematischen Ehefrau Angela und seiner großen Leidenschaft Foxy Whitman, erlebt den Zusammenbruch seiner Familie und seiner Berufswelt, die zeitweilige Zerstörung seines Verhältnisses zu Foxy, um am Ende einen unwirklichen Neubeginn — zusammen mit Foxy als neues Paar — in Lexington zu erleben. Trotz der bestimmenden strukturellen Rolle, die Piet Hanema spielt, wird das Geschehen nicht allein aus seiner Figurenperspektive erzählt; vielmehr finden wir eine komplexe point-of-view-Technik, die differenziert gewertet werden will. Einerseits bewirkt der wechselnde point of view eine kunstvolle Verbindung von beherrschender Perspektive der Hauptgestalt und panoramahaft breiter Sicht; andererseits jedoch erwächst aus solcher virtuoser Erzähltechnik der Verlust eines strukturell fest integrierten Autorstandpunkts, der sich folglich nicht mehr primär ästhetisch, sondern nur noch in Form ideologischer Überlagerungen und damit stark relativiert manifestieren kann. Piet Hanema kann also bis zu einem bestimmten Grade die Sozialkritik des Romans tragen. Er ist holländischer kleinbürgerlicher Abkunft; im Unterschied zu allen anderen Männern der Gruppe (übrigens auch im Unterschied zu Foxy Whitman, die Radcliffe College absolviert hat) hat er keine Hochschulbildung und übt einen praktischen Beruf aus. So fühlt er sich im Party-Kreis bedroht und entfremdet, und kritische Beobachtungen erscheinen glaubhaft: Piet feit, brave small Dutch boy, a danger hanging tidal above his friends, in this town where he had been taken in because Angela had been a Hamilton. The men had stopped having careers and the women had stopped having babies. Liquor and love were left. 4 3
Er liebt seine Arbeit und fühlt Bewunderung für die exakte Zimmermannsarbeit, die von den beiden alten Zimmerleuten Comeau und Adams geleistet wird; er muß gleichzeitig diese Bewunderung den Geschäftsrücksichten opfern, 138
denen zufolge Comeau und Adams einfach unrentabel arbeiten. Solches Detail fungiert als Muster für die durchgängige Gestaltung des Widerspruchs zwischen der Erfüllung, die Piet in kreativer Arbeit findet (gleichermaßen beim Umbau des Whitmanschen Hauses wie beim Basteln eines neuen Hamsterkäfigs für seine Kinder), und dem Widerwillen gegen die Schluderarbeit, die zu leisten er aus Profitinteresse gezwungen wird und als deren Ergebnis — so beim Bau des Siedlungsprojekts Indian Hill — Talmiprodukte entstehen für eine Welt, die auf Schein beruht. In einer zugespitzten Formulierung schließlich werden bestimmte Erscheinungen — in diesem Fall das Fernsehen — als Ausdruck der vergifteten Lebensqualität in den USA gewertet: Television brought them the outer world. The little screen's icy brilliance implied a universe of profound cold beyond the warm encirclement of Tarbox, friends, and family. Mirrors established in New York and Los Angeles observed the uninhabitable surface between them and beamed reports that bathed the children's faces in a poisonous, flickering blue. This poison was their national life. Not since Korea had Piet cared about news. News happened to other people. 44
Hier endet die künstlerisch integrierte kritische Wirklichkeitssicht Piet Hanemas, fast auch die Updikes. Es ist nun charakteristisch, daß Updike diese beschränkte Realitätsinterpretation seiner Gestalt künstlich, d. h. mit dem Mittel ideologischer Überlagerung, zu erweitern sucht. So ist Piet Hanema als einziger Mann der Gruppe religiös und geht gelegentlich sogar in die Kirche. Am Ende des Romans, unfähig, eine Ordnung im Chaos (das er selbst mit angerichtet hat) zu finden, interpretiert er das Geschehen religiös: ". . . he believed that there was, behind the screen of couples and houses and days, a Calvinist God Who lifts us up and casts us down in utter freedom, without recourse to our prayers or consultation with our wills." 45 Diese religiös-fatalistische Auffassung ist lediglich eine Variante des dem Roman als Motto vorangestellten Wortes des neuorthodox-existentialistischen Theologen Paul Tillich, entnommen aus seinem Werk The Future of Religions: There is a tendency in the average citizen, even if he has a high standing in his profession, to consider the decisions relating to the life of the society to which he belongs as a matter of fate on which he has no influence — like the Roman subjects all over the world in the period of the Roman empire, a mood favorable for the resurgence of religion but unfavorable for the preservation of a living democracy. 46
Die Hinnahme des Schicksals, der Verzicht auf Veränderung, ja selbst auf Erkenntnis, führen in der Entwicklung Hanemas allerdings nicht zur verzweifelnden Resignation. Vielmehr versieht Updike seinen Helden mit einer weiteren ideologischen Schicht, indem er den Verzweifelnden jeweils durch seine Sexualität zu sich finden läßt. Dabei ist es absolut gleichgültig, mit welcher Frau Piet Hanema sich über seine Verzweiflung rettet; Voraussetzung ist ledig139
lieh der gelungene Orgasmus. W o dieser nicht auf normalem Wege erreichbar ist, muß die Perversion helfen; so schlägt er während des Coitus seine Partnerin Bea Guerin und expliziert sein Verhalten wie folgt: . . . in abusing her he had strengthened the basis of his love, given his heart leverage to leap. He loved any woman he lay with, that was his strength, his appeal; but with each woman his heart was more intimidated by the counterthrust of time. Now, with Bea, he had made a ledge of guilt and hurled himself secure into the tranquil pool of her body and bed . . . he experienced orgasm strangely, as a crisisless osmosis, an ebbing of light above the snow-shrouded roofs. Death no longer seemed dreadful. 47 D a s von Freud initiierte und von Norman O. Brown 4 8 erweiterte Begriffspaar Eros — Thanatos ist hier unschwer zu entdecken: Es wird in den Rang einer universellen Lebensweisheit erhoben und obendrein mit dem religiösen Schuldkomplex vermischt. Updikes Ansatz zur realistischen und kritischen Erklärung sozialer Tatbestände mündet hier ins Biologistisch-Anthropologische, ja ins Irrationale: "We are all exiles who need to bathe in the irrational." 4 9 Piet Hanema ist nur zur Hälfte eine realistische, überzeugende Romanfigur; die Schranken der bürgerlichen Ideologie, mit deren Hilfe Updike seine Gestalt zu überhöhen glaubte, hindern ihn letztlich an der folgerichtigen künstlerischen Ausformung seines Ansatzes. D i e Analyse anderer Figuren und Aspekte des Romans ergibt ähnliche Resultate. So zieht sich die Gestaltung der Applesmith-Affare durch den gesamten Roman. Frank und Janet Appleby und Harold und Marcia Smith bilden den Kern der neuen sozialen Gruppe in Tarbox, die sich von der alten Gruppe deutlich distanziert: The boatyard crowd, a postwar squirearchy of combat veterans, locally employed and uncollegiate, knew that it was patronized by these younger cooler couples and suffered no regrets when they chose to form a separate set and to leave them alone with their liquor and bridge games and noisy reminiscences of Anzio and Guadalcanal. 50 Updike verwendet ungewöhnlich große Sorgfalt darauf, die Applebys und die Smiths ("Apple-smiths") in ihren sozialen Gewohnheiten und Wertvorstellungen vor dem allgemeinen sozialen Hintergrund zu charakterisieren, was nur durch ein längeres Zitat veranschaulicht werden kann: The Applebys and little-Smiths had moved to Tarbox in the middle Fifties, unknown to each other, though both men worked in securities on State Street, Harold as a broker, Frank as a trust officer in a bank. Frank had gone to Harvard, Harold to Princeton. They belonged to that segment of their generation of the upper middle class which mildly rebelled against the confinement and discipline whereby wealth maintained its manners during the upheavals of depression and world war. Raised secure amid these national trials and introduced as adults into an indulgent economy, into a business atmosphere strangely blended of crisp youthful imagery and underlying depersonalization, of successful small-scale gambles carried out against a background of rampant diversification and
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the ultimate influence of a government whose taxes and commissions and appetite for armaments set limits everywhere, introduced into a nation whose leadership allowed a toothless moralism to dissemble a certain practiced cunning, into a culture where adolescent passions and homosexual philosophies were not quite yet triumphant, a climate still furtively hedonist, of a country still too overtly threatened from without to be ruthlessly self-abusive, a climate of time between, of standoff and day-byday, wherein all generalizations, even negative ones, seemed unintelligent — to this new world the Applebys and little-Smiths brought a modest determination to be free, to be flexible and decent. Fenced off from their own parents by nursemaids and tutors and "help", they would personally rear large intimate families; they changed diapers with their own hands, did their own housework and home repairs, gardened and shoveled snow with a sense of strengthened health. Chauffered (sic), as children, in black Packards and Chryslers, they drove secondhand cars in an assortment of candy colors. Exiled early to boarding schools, they resolved to use and improve the local public schools. Having suffered under their parents' rigid marriages and formalized evasions, they sought to substitute an essential fidelity set in a matrix of easy and open companionship among couples. For the forms of the country club they substituted informal membership in a circle of friends and participation in a cycle of parties and games. They put behind them the stratified summer towns of their upbringings, with their restrictive distinctions, their tedious rounds of politeness, and settled the year round in unthought-of places, in pastoral mill towns like Tarbox, and tried to improvise here a fresh way of life. Duty and work yielded as ideals to truth and fun. Virtue was no longer sought in temple or market place but in the home — one's own home, and then the homes of one's friends. 51 D i e hier ausgeführten Wertvorstellungen verfallen jedoch zusehends, offensichtlich — wenn man Updike folgt — infolge einer dem Leben der Gruppe innewohnenden Eigengesetzlichkeit. D i e Applesmiths praktizieren — kaum verhüllt — den Partnertausch; ihre und der gesamten Gruppe moralische Degradation führt am Ende zu deren Auflösung. Jüngere Leute — "the young sociologist w h o had been elected town moderator", "a charmingly yet unaffectedly bohemian children's book illustrator", "the new Unitarian minister", bilden nun die neue Gruppe: "They formed a distinct social set, that made its own clothes, and held play readings, and kept sex in its place, and experimented with L S D , and espoused liberal causes more militantly than even Irene Saltz." 5 2 So wiederholt sich das gleiche Muster in aufeinanderfolgenden Gruppen-Generationen. Es ist speziell an diesem Gegenstand, sichtbar daß sich Updikes realistischer Sinn, verbunden mit ironisch-kritischer Distanz, bewährt, und ein Vergleich mit Sinclair Lewis 5 3 scheint auf dieser Ebene gerechtfertigt. Ebenso — im gleichen Zusammenhang — gelungen ist die Gestaltung der Janet Appleby, solange U p d i k e sich die M ü h e macht, ihre soziale Konditionierung analytisch scharf zu untersuchen: Janet wished powerfully not to be frigid. All her informal education, from Disney's Snow White to last week's Life, had taught her to place the highest value on love. Nothing but a kiss undid the wicked apple. We move from birth to death amid a crowd of others and the name of the parade is love. 141
However unideal it was, she dreaded being left behind. Hence she could not stop flirting, could not stop reaching out, though something distrustful within her, a bitterness like a residue from her father's medicinal factory, had to be circumvented by each motion of her heart. Liquor aided the maneuver. 5 4
Solcherart brillante Analyse vermittelt das Verständnis für die Genesis der moralischen Degradation, in die Janet ebenso wie die gesamte Gruppe verfällt. Jedoch kann auch Updikes kritisch-ironische Distanz nicht seine eigene fatalistisch-biologistische Grundhaltung vergessen machen: Janet ist am Ende eher Opfer ihrer Triebe als gesellschaftlicher Konstellation, genau wie ausnahmslos alle wesentlichen Figuren des Romans. Die am stärksten ideologisch motivierte Romanfigur schließlich ist der allgegenwärtige Zahnarzt und Zyniker Freddy Thorne, dessen Frau Georgene eine Zeitlang die Geliebte Piet Hanemas ist und der am Ende von diesem verlangt, ihm seine Frau Angela für eine Nacht zu überlassen, wofür er eine Abtreibung bei Foxy Whitman arrangiert und zu vergessen bereit ist, daß er ein betrogener Ehemann ist. Sein Weltverständnis ist hedonistischer Natur; er organisiert Party-Spiele, entwirft ein pornographisches Drama und philosophiert über die Rolle des Menschen: "You know why we're all put here on earth? . . . We're all put here to humanize each other" und erläutert weiter: "We're a subversive cell . . . Like in the catacombs. Only they were trying to break out of hedonism. We're trying to break back into it. It's not easy." 55 Die Sexualität spielt für Thorne die alles beherrschende Rolle, obwohl er selbst sexuell wenig aktiv ist. Der Hedonismus — an sich schon ein dürftiger Philosophie-Ersatz 56 — ist für Thorne auf das Sexuelle reduziert. Dies findet ausdrücklich ideologische Bestätigung in der Erwähnung der Autoren und Titel, die Thornes NachttischBibliothek bilden: Sigmund Freud, Jean Genet, Henry Miller, Pornographie und vor allem Wilhelm Reich 57 . Solche Haltung ist für Freddy Thorne sowohl wie für alle anderen Personen des Romans bestimmend, denn nirgends findet sich eine Alternative zu dem, was Thorne (im Bett mit Angela Hanema, aber unfähig zum sexuellen Akt) äußert und was als eine Art philosophisches Fazit betrachtet werden kann: . . . he talked to her . . . about the fate of them all, suspended in this one of those dark ages that visits mankind between millennia, between the death and rebirth of gods, when there is nothing to steer by but sex and stoicism and the stars. 58
Das "happy end" des Romans widerspricht der existentialistischen Resignation dieser hier dargelegten bestimmenden Auffassungen nicht, denn es ist im Grunde alles andere als glücklich: Piet and Foxy were married in September. Her father, pulling strings all the way from San Diego, found a government job for his new son-in-law, as a construction inspector for federal jobs, mostly military barracks, in the Boston-Worcester area. Piet likes the
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official order and the regulär hours. The Hanemas live in Lexington, where, gradually, among people like themselves, they have been accepted, as another couple. 59
Das Spiel der Paare könnte von neuem beginnen, es gibt kein Ausbrechen aus dem Circulus vitiosus einer inhaltslosen Geselligkeit und Gesellschaftlichkeit. Das mögliche Glück der persönlichen Beziehung Piet — Foxy ist nicht mehr erwähnenswert, und die starke und wichtige Liebe Piets zu seiner Arbeit hat sich im "government j o b " aufgelöst: Kasernen bedürfen weder architektonischer Ambition noch handwerklicher Sorgfalt. Die Desintegration — der zwischenmenschlichen Beziehungen, der sozialen Determination des Menschen, des Humanismus schlechthin — erscheint mithin als philosophische und ästhetische Determinante des Romans, und Updike konstatiert dies zwar noch immer als Symptom einer umfassenden gesellschaftlichen Desintegration, kann aber den Kausalnexus nicht wirklich künstlerisch erfassen und bloßlegen. Auf jeden Fall demonstriert Couples einen künstlerischen Substanzverlust gegenüber The Poorhouse Fair oder Of the Farm.60 Updikes Rabbit Redux (1972) ist eine Fortsetzung des früheren Rabbit, Run. Aufbau der Handlung und Erzählstruktur weichen nur geringfügig voneinander ab; der neue Roman weist gegenüber dem älteren eine Untergliederung in vier große Abschnitte (I. Pop/Mom/Moon; II. Jill; III. Skeeter; IV. Mim) auf, die jeweils von Äußerungen sowjetischer und amerikanischer Kosmonauten während ihrer Sojus- bzw. Apollo-Raumflüge motto-artig eingeleitet werden und somit schon äußerlich die politisch-aktuelle Relativierung der Romanhandlung andeuten. Als zentrale Figur fungiert wiederum Harry „Rabbit" Angstrom; daneben spielen die aus dem früheren Roman bereits bekannten Figuren seiner Frau Janice, seiner Eltern, seines Sohnes Nelson und seiner Schwester Miriam („Mim") wesentliche Rollen. Der Schauplatz — Brewer, Pennsylvania — ist unverändert; die Handlungszeit ist mit dem Jahr 1969 exakt definiert. Die wesentliche Linie der Romanhandlung ist — vordergründig betrachtet — eine direkte Fortsetzung, ja eigentlich eine Repitition der Handlung in Rabbit, Run: Harry Angstrom lebt mit Janice in einer Beziehung wachsender Entfremdung, die sich vorwiegend in sexueller Frustration ausdrückt; Janice verläßt ihren Mann zeitweilig, um mit Charlie Stavros zusammenzuleben, der sie sexuell zu befriedigen vermag; Harry lebt mit Nelson allein, bis er im fast noch jugendlichen Hippie-Mädchen Jill eine zwar in jeder Beziehung unbequeme, aber dennoch auf besondere Art befriedigende Gefahrtin findet; durch Jill wird Harry mit dem Schwarzen Skeeter bekannt, der als krimineller Ultralinker mit seinen politisch-konservativen Ansichten heftig kollidiert; Harry erfährt durch Skeeter eine Art politischer Katharsis, die ihn dazu veranlaßt, Skeeter vor der Polizei zu retten; Harrys Haus brennt ab, und Jill kommt in den Flammen um; damit ist am Ende der Weg frei für eine wiederum mehr als fragwürdige Versöhnung Harrys mit Janice. Die Repitition des Handlungsmusters entspringt möglicherweise einer schöpfe143
rischen Krise Updikes, obgleich freilich ein sicheres Urteil darüber nur aus späterer Sicht zu fallen sein dürfte; fest scheint dagegen zu stehen, daß eben dieses Muster den Schluß auf die Unveränderlichkeit, das Statische im Leben Rabbit Angstroms suggerieren soll. Eine Anzahl von Fakten mag solcher Auffassung widersprechen: Schließlich aktualisiert Updike seinen Stoff in beträchtlichem Maße, und das politische und soziale Engagement seiner Romanfigur ist unbestreitbar. Jedoch zwingt die innere Logik des Romans — wie zu zeigen sein wird — zu unserer angedeuteten Schlußfolgerung. Zunächst verwendet Updike viel Sorgfalt und ausgefeilte Metaphorik darauf, die entfremdete Position Rabbits gegenüber seiner gesamten Umwelt, gegenüber seiner Frau, seinen Eltern und Arbeitskollegen künstlerisch-bildhaft zu vermitteln. So sieht er seinen Vater, mit dem er nach der Arbeit — beide sind in der gleichen Druckerei beschäftigt — einen Daiquiri trinkt, als "one of the hundreds of skinning whining codgers in and around this city, men who have sucked this same brick tit for sixty years and have dried up with it." 6 1 Gelegentlich verschärft sich Rabbits Beobachtung alltäglicher Dinge zu bissiger, ironischsatirischer Amerika-Kritik, so z. B. als er seinen Vater beim Abschied von der Bar in der Sonnenglut der Straße stehen sieht: Pop stands whittled by the grat American glare, squinting in the manna of blessings that come down from the government, shuffling from side to side in nervous happiness that his day's work is done, that a beer is inside him, that Armstrong is above him, that the U.S. is the crown and stupefaction of human history. 62
Überall in seinem eigenen Hause sieht Rabbit "a slippery disposable gloss" 6 3 ; der billige Glanz des großenteils synthetischen Materials seiner Möbel erscheint ihm als Symbol für den Talmiglanz dieser seiner Welt. Ähnlich ergeht es ihm hinsichtlich seiner Intimbeziehungen zu Janice. Eine der aussagestärksten Szenen dieser Art ist aus der Perspektive Janices gestaltet; sie hat, im Bett neben dem schlafenden Harry masturbierend, Gelegenheit zu ausgedehnten sexuellen Phantasien und berührt dabei in einem langen inneren Monolog die entfremdete Natur ihrer ehelichen Beziehungen: "How sad it was with Harry now, they had become locked rooms to each other, they could hear each other cry but couldn't get in . . ," 54 Der Eindruck des Unabänderlichen, sich ewig Wiederholenden ist überwältigend stark und liegt ohne Zweifel in der künstlerischen Absicht Updikes. Von besonderem Interesse sind die politisch-sozialen Dimensionen, in die Harry Angstrom gestellt ist. Hier wird auch eine bestimmte Entwicklung — so will es oberflächlich scheinen — gestaltet. Zunächst gibt sich Rabbit prononciert konservativ-chauvinistisch-rassistisch: Er führt an seinem Wagen — als Abziehbild — die USA-Flagge; er findet, daß Afro-Amerikaner stinken, und ist von tiefem Unbehagen gegenüber den rebellischen "rich kids" (Reiche-Leute-Kindern) durchdrungen; er interpretiert die amerikanische Indochina-Politik als "trying to give ourselves away to make little yellow people happy" 6 5 . Sicherlich muten 144
solche Haltungen wie eine Karikatur politischen Konservatismus an; eine satirische Überhöhung ist gewiß zu unterstellen. Der Autor beabsichtigt eine psychologische Integration dieser Haltung in die Romangestalt: . . . Rabbit is locked into his intuition that to describe any of America's actions as a 'power play' is to miss the point. America is beyond power, it acts as in a dream, as a face of God. Wherever America is, there is freedom, and wherever America is not, madness rules with chains, darkness strangles millions. Beneath her patient bombers, paradise is possible. 66
Dabei ist es höchst charakteristisch, daß dieser durchsichtige Chauvinismus untrennbar verknüpft ist mit einem akuten Bewußtsein der gesellschaftlichen Misere der USA. Diese paradoxe Einstellung ist nur plausibel zu gestalten, wenn sie in die durch umfassende Entfremdung geprägte psychische Not der Hauptgestalt integriert wird. So äußert Rabbit seine Ansicht über den Indochina-Krieg der USA: . . . you have to fight a war now and then to show you're willing, and it doesn't much matter where it is. T h e t r o u b l e i s n ' t t h i s w a r , it's t h i s c o u n t r y . . . This country is so zonked out on its own acid, sunk so deep in its own fat and babble and filth, it would take H-bombs on every city from Detroit to Atlanta to wake us up and even then, we'd probably think we'd just been kissed. 67
Ohne Frage wird hier eine wichtige Erkenntnis 68 formuliert, und sie erhält Gewicht und psychologische Glaubwürdigkeit durch die Entfremdung und Verzweiflung, die Rabbit charakterisieren. Dennoch bleibt Rabbits Haltung "silent majority", wie Janice es charakterisiert; Rabbits Erkenntnis kann sich nur als Paradoxon manifestieren und wird letztlich durch die Alternativlosigkeit der weiteren Romanhandlung paralysiert. Rabbits großes Erlebnis ist die Bekanntschaft mit dem 18-jährigen HippieMädchen Jill; sie gehört zu eben jenen „rieh kids", die sich rebellisch geben und die er genau wie die Schwarzen haßt. Anlaß zu dieser Bekanntschaft ist die Tatsache, daß seine Frau ihn verlassen hat; sein schwarzer Arbeitskollege Buchanan lädt ihn in eine von Schwarzen frequentierte Bar ein und verkuppelt ihn dort an Jill (später bezahlt ihn Rabbit tatsächlich dafür). Durch Jill, die fortan in seinem Hause lebt, und den später hinzukommenden Afro-Amerikaner Skeeter, der, wegen Rauschgifthandels im Gefängnis sitzend und dann entflohen, von ihm ebenfalls aufgenommen wird, erfährt Rabbit neue Dimensionen: Jill und Skeeter scheinen in ihren Ansichten und ihren Taten das genaue Gegenteil seines Konservatismus zu repräsentieren. Doch Jill weiß, außer rebellischen Vokabeln in der Manier der Black Panthers, letztlich keine andere Weisheit anzubieten als eine irrationalistisch-anarchistische Mystik: „The point is ecstasy . . . Energy. Anything that is good is in ecstasy." 69 Vor dem Hintergrund dieser prätentiösen Leere, der auch durch Marihuana und harte Drogen kein Inhalt verliehen werden kann, erscheint sogar Rabbits Reaktion verständlich: „You sick bitch. You rich 10
Wüstenhagen
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kids playing at life make me sick, throwing rocks at the poor dumb cops protecting your daddy's loot. You're just playing, baby." 7 0 Doch die hier wie an vielen Stellen implizierte Alternative — Anarchismus auf der einen und Rechtskonservatismus bzw. „silent majority" auf der anderen Seite — ist einfach eine ideologische Falsifikation der sozialen und politischen Realität der USA am Ende der 60er Jahre. Sie wird durch das Zerrbild des kriminellen Skeeter noch verstärkt, gerade weil dieser seine Haltung höchst subtil zu intellektualisieren versteht. Das ideologische Format Skeeters wird durch die Bücher, die er mit in Rabbits Wohnung bringt, bereits recht klar definiert: The Selected Writings of W. E. B. DuBois, The Wretched of the Earth, Soul on Ice, The life and Times of Frederick Douglass, others, history, Marx, economics, stuff that makes Rabbit feel sick, as when he thinks about what surgeons do, or all the plumbing and gas lines there are under the street. 71
Zu dieser Mischung aus Marx und DuBois einerseits und Fanon 7 2 und Eldridge Cleaver 73 andererseits gesellt sich Skeeters Sucht nach Drogen, Sex und Gewalttätigkeit. Das schließt keineswegs aus, daß er die Rassendiskriminierung akut wahrnimmt und hier Einsichten zu formulieren versteht. In den entscheidenden und immer wieder diskutierten Fragen — Vietnamkrieg und die Beschaffenheit der USA-Gesellschaft — mischen sich stets Einsichten mit anarchistischen Verzerrungen. Charakteristischerweise empfindet Skeeter Furcht vor „technology", denn diese — d. h. die Entwicklung der Produktivkräfte, die freilich nicht umfassend verstanden werden — werde die Zivilisation zerstören : Technology . . . is horseshit . . . N o w the Romans had technology, right? And the barbarians saved them from it. The barbarians were their saviors. Since we cannot induce the Eskimos to invade us, we have raised a generation of barbarians ourselves, pardon me, y o u have raised them. Whitey has raised them, the white American middle-class and its imitators the world over have found within themselves the divine strength to generate millions of subhuman idiots that in less benighted ages only the aristocracies could produce. The last Merovingian princes were dragged about in ox carts gibbering and we are now blessed with motorized gibberers. It is truly written, we shall blow our minds, and dedicate the rest to Chairman Mao. 7 4
Oswald Spenglers Kulturzyklen-Theorie, Herbert Marcuses Totalitarismusund Technologie-Auffassungen 75 , die Technik-Feindlichkeit des klassischen und modernen Anarchismus 76 und schließlich der Maoismus werden hier reflektiert. Es soll nicht verkannt werden, daß Skeeter damit Einstellungen der weißen jugendlichen Rebellen, der „college kids" persifliert, jedoch bietet er keine Alternative, seine eigene Haltung bleibt entweder unklar oder erscheint höchst zweifelhaft, ja sie resultiert am Ende in einer Umkehrung der Werte. Diese wird von Harry Angstrom höchstens im Marihuana-Rausch akzeptiert, ansonsten 146
aber ändert er seine Haltung nicht. In einem Gespräch mit Skeeter, in dem dieser einen Teil seiner eigenen Erlebnisse als Soldat im Vietnamkrieg dargestellt und diese Erlebnisse als eine Art religiöser Erfahrung interpretiert hat, äußert Rabbit erregt genau die gleiche Meinung, die er von Anfang an vertreten hat: „It's just a dirty little war that has to be fought. You can't make something religious out of it just because you happened to be there." Worauf Skeeter mit eben jener Abwertung der Vernunft entgegnet, wie sie für seine prinzipiell anarchistische Grundposition charakteristisch ist: Trouble with you, . . . you still cluttered up with common sense. C o m m o n sense is bullshit, man. It gets you through the days all right, but it keeps you from k n o w i n g . You just don't k n o w , Chuck. You don't even know that now is all the time there is. 77
Freilich darf solche Äußerung nicht verabsolutiert gesehen und interpretiert werden. Sie erhält vielmehr erst ihre ganze Bedeutung in der Relation zu Rabbits flachem, zur Schau gestelltem Nationalismus, der seinerseits auf die Geschichte spezifisch amerikanischer nationalistischer Vorstellungen bezogen wird. So äußert Skeeter weitere Erkenntnisse, die eben diese vom Autor gewollte Relativierung verdeutlichen und erklären: We (gemeint sind die U S A ) is t h e spot. Few old fools like the late H o may not know it, we is what the world is begging f o r . Big beat, smack, black cock, big-assed cars and billboards, we is into it. Jesus come down, He come down here. These other countries, just bullshit places, right? We got the a p e shit, right? Bring down Kingdom Come, we'll swamp the world in red-hot real American blue-green ape shit, right? . . . N a m the spot where our heavenly essence is pustulatin'. Man don't like Vietnam, he don't like America. 7 8
Hinter der gewiß nicht leichtverständlichen, dennoch aber artikulierten Metaphorik wird der Kern der Problematik sichtbar: Die (ideen-)geschichtlich auf der Konzeption des M A N I F E S T DESTINY beruhende gegenwärtige Außenpolitik der USA, wie sie im Roman immer wieder in Rabbits Nationalismus implizit und explizit erscheint, wird durch Skeeter enthüllt, alles schmückenden Beiwerks entkleidet und der Lächerlichkeit und Verachtung preisgegeben. Diese kritische Leistung ist trotz des prinzipiell anarchistischen und irrationalistischen Standpunktes Skeeters noch möglich. Der Realitätsbezug beider Gestalten — Harry Angstroms wie Skeeters — ist an sich unbestreitbar; die Konfrontation beider Romangestalten erinnert jedoch stark an Norman Mailers Gegenüberstellung von hipster und square 7 9 und impliziert wie diese eine objektiv verfälschende Simplifizierung der sozialen und politischen Kräftekonstellation in den USA, was gerade deshalb letztlich alternativlos ist, weil dadurch selbst die Möglichkeit tiefgreifender Veränderungen ausgeschlossen wird. Updikes Fortschritt gegenüber Mailer besteht lediglich darin, daß er sich nicht in die Illusion ideologischer Formeln — bei Mailer war das der „amerikanische Existentialismus" — flüchtet, sondern auf dieser Ebene des 10'
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Romans und der Figurenkonstellation die politisch-ideologischen Kontraste hart, unvermittelt und kompromißlos gegeneinandersetzt. Der letzte Abschnitt des Romans behandelt die besondere Beziehung Harry Angstroms zu seiner Schwester Mim, die an der Westküste als Callgirl lebt und ihre Eltern und ihren Bruder besucht. Sie ist die einzige Figur des Romans, zu der Rabbit so etwas wie ein Vertrauensverhältnis hat. Auch ihr gegenüber äußert er sich zu Vietnam. Als Mim ihn fragt: „Since when. . . did you become such a war lover?", antwortet er: It's not all war I love,. . . it's t h i s war. Because nobody else does. N o b o d y else understands it . . . It's a, it's a kind of head fake. T o keep the other guy off balance. The world the way it is, you got to do something like that once in a while, to keep your options, to keep a little space around you . . . Otherwise, he gets so he can read your every move and you're dead. 8 0
Dies bedarf an sich keines Kommentars; am Rande sei nur vermerkt, daß Updike schon in Rabbit, Run seine Romanfigur eine Metapher aus dem Bereich des Sports benutzen ließ, um quasi-philosophische Einsichten auszudrücken. Rabbit, so zeigt seine Äußerung, hat nichts gelernt aus der Episode mit Jill und Skeeter, auch nicht aus der Brandstiftung, die ein weißer Mob aus der Nachbarschaft beging, um seine Empörung über das Zusammenleben eines weißen Mädchens mit einem Schwarzen im Hause Rabbits drastisch-terroristisch auszudrücken. Folgerichtig wird auch seine gegenteilige Äußerung Mim gegenüber: „I learned . . . the country isn't perfect" sogleich negiert: ,,Even as he says this he realizes he doesn't believe it, any more than he believes at heart that he will die." 81 Der sich hier ausdrückende Hang zur Illusion ist wohl der optimistischste Zug der ganzen Romangestalt; gleichwohl scheint die jüngere Mim mit mehr Lebensweisheit ausgestattet, die sie sich als Callgirl unter Gangstern an der Westküste erworben hat: I'm a career girl. I perform a service. I can't describe it to you, the way it is out there. They're not bad people. They have rules . . . The men believe in flat stomach muscles and sweating things out. They don't want to carry too much fluid. You could say they're puritans. Gangsters are puritans. They're narrow and hard because off the straight path you don't live. Another rule they have is, Pay for what you get because anything free has a rattlesnake under it. They're survival rules, rules for living in the desert. 82
Zweifellos ist dies ein wirkungsvolles Bild für die Wolfsmoral der Gesellschaft, nur ist eben Mim als Trägerin solcher Gesellschaftskritik zu unbedeutend dimensioniert; ihr Erfahrungsbereich („Don't you ever get tired of fucking?" fragt Rabbit, und sie antwortet: „Actually, no . . . It's what we do. It's what people do." 8 3 ) schränkt die Verallgemeinerung ihres im Individuellen wohlmotivierten Urteils ein. Der Besuch Mims in Brewer bereitet die Versöhnung Rabbits mit Janice unmittelbar vor, schon deshalb, weil Mim mit Charlie Stavros schläft und ihn dadurch von Janice ablenkt. Janice und Harry nehmen sich, nach langer Autofahrt, 148
ein Zimmer in einem Motel, und auch hier konzentriert sich Harrys eigentliches Interesse auf Vietnam. „ D o you think Vietnam will ever be o v e r ? " fragt er Janice. Sie antwortet, ihren gerade verlassenen Geliebten zitierend: „Charlie thought it would, just as soon as the big industrial interests saw that it was unprofitable." D o c h Harry akzeptiert das nicht, statt dessen beruft er sich auf Skeeter: Skeeter thought it was the doorway into utter confusion. There would be this terrible period, of utter confusion, and then there would be a wonderful stretch of perfect calm, with him ruling, or somebody exactly like him.
Doch auch an diese Heilsverkündung (die auf mehr zielt als Vietnam) will Rabbit nicht glauben: „. . . I'm t o o rational. Confusion is just a local view of things working out in general." Neben Janice im Bett, bevor er im Schlaf Vergessen findet, gibt Harry seinem Schuldkomplex A u s d r u c k : "I feel so guilty." "About what?" "About everything." "Relax. N o t everything is your fault." "I can't accept that." 8 4
Die Gestalt des Harry Angstrom, die den R o m a n beherrscht, ist bewußt als Durchschnittsamerikaner im Sinne der silent majority (schweigende Mehrheit) angelegt. Obwohl die Durchschnittlichkeit an vielen Stellen des R o m a n s u n d in einigen Grundzügen überzeugend gestaltet wird — der Einfluß der Massenmedien, die Banalität der sexuellen Beziehungen, die Reaktionen Rabbits auf das Nichtalltägliche, die M o n o t o n i e der Alltags- und Arbeitswelt —, ist eben dieser Anspruch, Rabbit repräsentiere eine Mehrheit des amerikanischen Volkes, eine Falsifikation. Rabbit Angstrom erscheint vielmehr primär als Träger der bürgerlich-bornierten Vorstellungen des Autors, wofür das kunstvolle Spiel mit ideologischen Klischees ebenso beredt Zeugnis ablegt wie das Fehlen einer wirklichen (;m ^lollc einer bloß vorgegebenen) sozialen Charakteristik der Hauptgestalt. Weder Rabbit noch sein Vater sind Arbeiter, obwohl sie fraglos als Lohnarbeiter tätig sind; Tätigkeit und Lebensbedingungen einerseits und Vorstellungswelt andererseits passen jedoch nicht zueinander. Beim Versuch, gesamtgesellschaftliche Probleme überzeugend in einem R a h m e n zu gestalten, der die lokal streng umschriebene Idylle sprengt, scheitert Updike letztlich a m absoluten ideologischen Relativismus und Pluralismus seiner bürgerlichen Wertwelt, was mit einem sichtbaren Verfall auch des ästhetischen Vermögens einhergeht. John Updikes R o m a n w e r k bis 1972 gehört ohne Zweifel zu den bedeutendsten literarischen Leistungen in der bürgerlichen USA-Literatur der 60er und zu Beginn der 70er Jahre. Trotz unbestreitbarer F o r m k u n s t , die sich deutlich a m neuenglischen mikrogesellschaftlichen Stoff am stärksten manifestiert, macht
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gerade Updikes Werk die Grenzen kenntlich, die der Kunst durch die Borniertheit der spätbürgerlichen Ideologie gesetzt werden. Ist die künstlerische Realisierung eines humanistischen Weltbildes in zwar gefährdeter, aber dennoch integrer Ganzheit in The Poorhouse Fair und teilweise auch in The Centaur und Of the Farm noch möglich, so schrumpft diese Potenz zusehends, wenn der Autor versucht, Probleme und Figuren von gesamtgesellschaftlicher Repräsentanz zu gestalten. Die künstlerisch-humanistische Vision wird hier fragmentiert, wobei innerhalb der Fragmente noch immer kritische Einsichten in die Symptomatik, zuweilen sogar die Kausalität der Gesellschaft gelingen. Ideologische Formeln Freudscher, neo-Freudscher, anarchistischer, existentialistischer und religiöser Observanz treten an die Stelle humanistischer — und das meint immer zugleich gesellschaftlicher — Menschengestaltung und werden zum Ausdruck weltanschaulicher Hilflosigkeit des Autors. Die gesellschaftliche Dynamik wird auf die bloße Rezeption, das Ganze auf seine Teile, die menschliche Alternative auf mechanische Alternativlosigkeit reduziert; der gesellschaftliche Reichtum der menschlichen Intimbeziehung verarmt im klinischen Detail des sexuellen Kraftakts; die aussagestarke — weil sozial determinierte — Metapher degeneriert zur oft beziehungslosen Formel des four-letter-word. Updikes Hilflosigkeit gegenüber der Wildnis der spätbürgerlichen Gesellschaft und Ideologie findet auch in dem zur Satire überhöhten Bech: A Book ihren beredten Ausdruck. Im Vorwort umreißt Updike sein Grundanliegen, die gesellschaftliche Stellung des Schriftstellers zu untersuchen: . . . no revolutionary has concerned himself with our oppression, with the silken mechanism whereby America reduces her writers to imbecility and cozenage. Envied like Negroes, disbelieved in like angels, we veer between the harlotry of the lecture platform and the torture of the writing desk, only to colhpvo. our five-and-dime Hallowe'en priests' robes a-rustle with economy-class jet-set tickcts aiul honorary certificates from the Cunt-of-theMonth Club, amid a Standing crowd of rueful, Lilliputian obituaries. 85
Obwohl Bech zweifellos als Satire auf den jüdisch-amerikanischen Schriftsteller (Mailer, Bellow, Philip Roth, Salinger) gemeint ist, enthält es doch Ansätze einer kritischen, ironisch-satirisch verfremdeten Selbsteinschätzung. Als solche könnte Bech den Beginn einer Neubesinnung Updikes andeuten. 86 Der kritische Scharfblick für gesellschaftliche und ideologische Symptome erscheint hier in zugespitzter Form, freilich noch in Verbindung mit politisch-ideologischer Orientierungslosigkeit und ohne den Versuch einer integralen künstlerischen Perspektive. Letztlich handelt es sich, wie auch in einem seiner jüngsten Romane 8 7 , um die Ersetzung des eigenen künstlerischen Standpunkts durch die Aneinanderreihung von Aspekten der aktuellen Alltagswirklichkeit des „de-Vietnamisierten" 88 Amerika, das Updike weniger als zuvor zu verstehen scheint. Nur seine virtuose Erzähltechnik kann den Anschein des Originellen und sogar des Imaginativen wahren, freilich ohne den Anspruch noch wirklich einzulösen. 89 150
Auch Marry Me (1976) 90 , ausdrücklich als Romance deklariert, bietet keinen neuen Ansatz, obwohl immerhin anzumerken ist, daß Updike hier zu einer gemäßigten, fast möchte man sagen konventionellen Erzählweise zurückkehrt, die in wahrscheinlich bewußtem Gegensatz zu den innovatorischen Techniken und mitunter gewollten „modernistischen" Passagen der vorausgegangenen Bände steht, d. h. den Romanen der 70er Jahre wie Rabbit Redux, Bech: A Book und A Month of Sundays. Die Frage nach der Weiterentwicklung des hochbegabten Autors erscheint berechtigt, ist er doch in seinen besten Schaffensjahren. Sie ist nicht spekulativ zu beantworten, doch erscheint eine entschiedene Wende angesichts des künstlerischen Leerlaufs, in den Updike geraten ist, unvermeidlich. Die Richtung einer solchen Wende ist nach unserer Meinung völlig offen: Denkbar wäre sowohl eine Rückbesinnung auf den künsterisch niveauvollen Humanismus der früheren Werke, wie The Poorhouse Fair oder The Centaur, als auch ein Absinken auf trivialliterarisches Niveau. 91
Zusammenfassung
Unser Versuch, die Entwicklung des bürgerlichen Romans in den USA nach 1945 an ausgewählten und repräsentativen Beispielen darzustellen, ermöglicht im Ergebnis Aussagen über Genesis, Wesen und Funktionalität der spätbürgerlichen Literatur unter den Bedingungen der zweiten und dritten Etappe der allgemeinen Krise des Kapitalismus im höchstentwickelten imperialistischen Land. Während die allgemeinen historischen und ideologischen Entwicklungstendenzen auch für unseren Gegenstand belangvoll sind, prägen dennoch spezifische Erscheinungen in Gesellschaft, Ideologie und Kultur der USA das besondere Bild der Literatur. Kalter Krieg und McCarthyismus wirken in hohem Maße destruktiv auf große Teile der bürgerlichen Literatur (wobei nicht verkannt wird, daß hier auch eine Literatur des Widerstands und der Perspektive in Fortsetzung der Tradition der 30er Jahre entsteht); die Aggressivität des amerikanischen Imperialismus nach innen und außen, Ghetto-Rebellionen und BLACK LIBERATION, das weitere Voranschreiten der wissenschaftlich-technischen Revolution, die Protestbewegung der Studenten und der Jugend, steigende Kriminalität und Drogensucht, Entstehung und Wachstum der multinationalen Konzerne und die Perfektionierung des Machtapparats, das Entstehen der sogenannten N E W LEFT — alle diese Erscheinungen finden in der Literatur ihre unterschiedliche, vorwiegend widerspruchsvolle und häufig desperate Reflektion. Die bürgerliche Ideologie übernimmt im Prozeß der Widerspiegelung der Realität durch die Literatur eine wesentliche Steuerungsfunktion in dem Sinne, daß die Realität durch den Schriftsteller nicht mehr direkt, sondern vermittelt und bewertet wahrgenommen und entsprechend gestaltet wird. Die Ideologie der zweiten und dritten Etappe der allgemeinen Krise des Kapitalismus, um die es hier primär geht, ist einerseits eine Fortsetzung der bürgerlichen Krisenideologie seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, andererseits deren Aufhebung in dem Sinne, daß in Anpassung an veränderte Bedingungen nach dem 2. Weltkrieg die positiven Denkansätze (einschließlich älterer ideologischer Erscheinungen) seit dem 19. Jahrhundert zunehmend revidiert, die reaktionären Linien mit mehr oder weniger Modifikationen dagegen rezipiert werden. Die direkte und bewußte Apologetik, obwohl auch in jüngster Zeit durchaus noch vorhanden, spielt in unserem Zusammenhang eine geringere Rolle; vielmehr sind die subtileren Formen der bürgerlichen Ideologie von Belang, insbesondere 152
revisionistische und anarchistische bzw. ultralinke Varianten auf kleinbürgerlicher Basis, weil sie die Kritik an' Erscheinungen der imperialistischen Realität einschließen und somit die Illusion einer kritischen Gegenposition vermitteln. Während die traditionelle Form der philosophischen Gesellschafts- und Kulturtheorie nach wie vor eine Haupterscheinung der Ideologie ist, erweisen sich daneben auch in zunehmendem Maße solche Konzeptionen als einflußreich, die von bestimmten Erscheinungen wie Hippie- und anderen Subkulturen, der Explosion der Massenmedien, Modegewohnheiten und sozialen Verhaltensweisen, Drogensucht, ja selbst einzelnen Aspekten des weltrevolutionären Prozesses (besonders der nationalen Befreiungsbewegung) abgeleitet werden. Die Literatur selbst nimmt, besonders im Essay, häufig Ideologiefunktion an, wirkt in einzelnen Fällen sozusagen als reine Ideologie und als solche zurück auf die Literatur. Akzeptiert man (wenn auch gewiß mit Einschränkungen) Herbert Marcuse als „ideologischen Führer der NEW L E F T " (M. Teodori), dann ergibt sich allein daraus eine bedeutende Schlüsselposition: Marcuse konditioniert mit seiner Gesellschafts- und Kulturtheorie ganz wesentlich die weltanschauliche und ästhetische Einstellung breiter Schichten der Intelligenz, besonders auch der Schriftsteller. Marcuses an Freud angelehnte triebstrukturelle Interpretation der Welt schließt revisionistisch entstellte Elemente des Marxismus ein und ermöglicht immer noch eine Kritik an Erscheinungen des Imperialismus; sie ist gerade deshalb attraktiv, gleichzeitig freilich auf subtile Weise gefährlich. Der biologischfreudistische Ansatz der Marcuseschen Gesellschaftstheorie muß das Individuelle gegenüber dem Gesellschaftlichen verabsolutieren, kann folglich weder ein Geschichtsverständnis noch ein Verständnis des Wesens des Menschen als „Schöpfer seiner selbst" (Kurella) hervorbringen. Die anarchistischen Züge speziell seiner Kulturtheorie und Ästhetik ergeben sich daraus folgerichtig und zwangsläufig: Kunst und Kultur der Vergangenheit seien immer „affirmativ", d. h. systemstabilisierend gewesen; die Kunst der Gegenwart müsse, unter Ablehnung jeder Tradition und jedes Erbes, „surrealistisch" und „atonal" sein, sie sterbe sonst ab. Ohnehin könne Kunst niemals kritisch sein, weil ästhetisches Wesen der Kunst und (soziale) Kritik einander ausschlössen. — Kein Zweifel, daß Marcuses ästhetisches Manifest von einem großen Teil der bürgerlichen amerikanischen Gegenwartsliteratur rezipiert wird. Norman O. Brown, obwohl nicht in gleicher Weise mit sozialen Bewegungen verbunden wie Marcuse, hat ähnliche Theorien wie dieser formuliert. Auf der Basis einer ausgesprochen freudistischen Geschichtsphilosophie trägt Brown eine Gesellschafts- und Kulturkonzeption vor, die insofern paradox ist, als sie von wahrer Geschichtlichkeit abstrahiert, das Biologisch-Anthropologische dagegen hypostasiert. Unter Einbeziehung mystisch-häretischer Traditionslinien gelangt Brown zur Formulierung objektiv reaktionärer, dem Anschein nach jedoch anarchistischer Ideen, deren Attraktivität im Rahmen der spätbürgerlichen Ideologie nicht zu unterschätzen ist. Browns reaktionäre Gesellschafts- und Kultur- (bzw. Kunst-)Utopie beruht letztlich auf der radikalen Negation der 153
produktiven Arbeit und der daraus abgeleiteten Hypertrophie des sexuellen Spiels; sie bietet mithin die theoretische Fundierung für eine umfassende Biologisierung des Menschenbilds der spätbürgerlichen Literatur. Die spektakuläre Wiederentdeckung des häretischen Freud-Schülers Wilhelm Reich in den 60er Jahren wirft ein besonders grelles Licht auf die ideologische Szene, weil Reichs Entwicklung und seine Schriften offensichtlich die anarchistisch-kleinbürgerliche Tendenz der neulinken Bewegung und die auf diesem Boden gewachsene Literatur theoretisch fundieren. Reichs militant anarchistische Revolutionsattitüde erwächst aus einem fundamentalen Nichtverstehen gesellschaftlich-geschichtlicher Bewegung und daraus resultierender Enttäuschung über die konsequente Anwendung des Marxismus-Leninismus, wie sie sich in der Entwicklung des Sowjetstaates vollzog und in der politischen Linie kommunistischer Parteien widerspiegelte (Reich war bis Anfang der 30er Jahre Mitglied der KPD). Auf dieser Basis formulierte Reich seine Theorien, die von der (psychologisch orientierten) Kritik am Faschismus bis zur Orgasmus- und Orgonentheorie reichen und als deren Kernstück die Theorie der sexuellen Revolution anzusehen ist. Letztere wurde gleichermaßen von Bewegungen der Subkultur (Hippies) und Ideologie und Literatur rezipiert, weil mit ihrer Hilfe die reale Unzufriedenheit mit dem gesellschaftlichen System des amerikanischen Imperialismus artikuliert werden konnte und weil — vor allem — damit eine (schein)revolutionäre Zielstellung gegeben war, die dem kleinbürgerlichen Einzelnen wie der subkulturellen Gruppen-Minorität realisierbar erscheinen mußte. In ähnlicher Weise ist der Wirkungsmechanismus der wissenschaftlich Obskuranten Orgasmusund Orgonentheorie zu erklären; diese wirkte besonders auf einzelne Literaten, weil sie die Grundlage für Science-fiction-Utopien (William Burroughs) abgab. — Die objektive Ablenkungsfunktion a l l e r Reichschen Konzeptionen ist offensichtlich. Zur möglichst umfassenden Klärung der ideologisch-ästhetischen Ambivalenz des zeitgenössischen amerikanischen Romans mußte versucht werden, die kulturelle Szene insgesamt in repräsentativen Ausschnitten zu erfassen, wobei die Heterogeneität dieser Erscheinungen methodologisch nur durch ihre Rückführung auf ideologische Grundtendenzen und -mechanismen bewältigt werden konnte. Kulturell-literarische Erscheinungen werden immer dort kritisch wirksam, wo sie mit wirklichen, progressiven sozialen Bewegungen verbunden sind bzw. aus diesen hervorgehen. Wo dies nicht der Fall ist, d. h. wo kulturell-literarische Erscheinungen letztlich als Ergebnis bürgerlich-ideologischer Konditionierung entstehen, bleiben sie kritisch unwirksam und indizieren bestenfalls den geistigen, kulturellen und künstlerischen Verfall des späten Imperialismus. Es liegt im Wesen der Sache, daß es viele Erscheinungen z w i s c h e n den Extrem-Positionen gibt. Daraus erklärt sich auch deren Vielfalt und Kompliziertheit. Beispiele für kritische Positionen finden wir in Teilen der schwarzen Literatur, in der politischen Satire Joseph Hellers, Philip Roths u. a., in einigen politischen Reportagen Norman Mailers (die eindeutig humanistische bürgerliche und die sozialistische Literatur
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bleibt bei dieser Betrachtung zwangsläufig ausgeklammert). Zwischenpositionen exemplifizieren sich in Erscheinungen wie den Beats, in der Subkultur der Hippies, selbst noch in Pornographie-Persiflagen wie denen G o r e Vidals, in Teilen der schwarzen Literatur wie Eldridge Cleaver oder auch e h e s t e r Hirnes, in den Counter-Culture-Konzeptionen T h e o d o r e Roszaks. Als Beispiele f ü r die apologetische Linie verweisen wir auf die Love Story Erich Segais, auf die pornographischen Bestseller ä la Jaqueline Susann oder S o u t h e r n / H o f f e n b e r g , auf die elitäre Camp-Subkultur, welche die spätere vulgarisierte Nostalgie-Welle vorwegnimmt, auf die auf Schockwirkung kalkulierten R o m a n e H u b e r t Selbys, auf Stephen Schneck oder J o h n Rechy. Die Variantenvielfalt ist beträchtlich, doch läßt sich unschwer eine Tendenz zu Anarchismus, linksbürgerlichen A u f fassungen und scheinkritischer Haltung feststellen, die im R a h m e n unserer Beispiele in der neonaturalistischen Schock-Ästhetik H u b e r t Selbys offensichtlichsten Ausdruck findet. Erich Segais hochhonorierter Versuch, „Gesetz u n d O r d n u n g " zu reetablieren, erscheint zunächst als Ausnahmefall. S o d a n n wird jedoch sichtbar, d a ß sich ultralinke Attitüde u n d k o n f o r m e s Wohlverhalten insofern gleichen, als sie beide — unter Verzicht auf jede wirkliche Analyse — das System nicht nur nicht angreifen, sondern es stabilisieren helfen. Unterschiedlich ist lediglich das jeweilige formalästhetische Muster, das letztlich vom kalkulierten Appell an unterschiedliche Konsumentenschichten u n d nicht zuletzt von der Spekulation auf kommerziellen Erfolg durch wechselnde literarische M o d e determiniert wird. Henry Millers umfangreiches R o m a n - u n d essayistisches Werk ist f ü r die genauere analytische Bestimmung der von uns untersuchten amerikanischen Literatur nach 1945 von primärer Bedeutung, weil es bereits in den 30er J a h r e n eine Gegentradition gegen jedweden Realismus zu etablieren beginnt, die d a n n vor allem in den 50er Jahren manifest wird und als negativer Einfluß auf die unter dem McCarthyismus zutiefst desorientierten jüngeren Schriftsteller zu wirken beginnt. Millers nahezu gigantischer ideologischer Eklektizismus ist hinsichtlich seiner historischen Genesis, seiner G r u n d t e n d e n z u n d seiner Klassenbasis exakt bestimmbar. Die Ideologie der Krise des klassischen bürgerlichen D e n k e n s (die deutsche Lebensphilosophie, Nietzsche, Spengler) wird von ihm unter den Bedingungen der ersten Etappe der allgemeinen Krise des Kapitalismus rezipiert und mit Anarchismus, Astrologie, Freudscher Psychoanalyse, Jungscher Archetypenlehre, der Boheme-Attitüde der 20er J a h r e und jenem allgemeinen Zivilsationspessimismus angereichert, der sein gesamtes Werk durchzieht u n d partiell sogar zum F u n d a m e n t glaubhaft kritischer Haltungen wird. Die G r u n d t e n d e n z der Millerschen Ideologie ist anarchistisch-irrationalistisch; sie wird durch die Bedingungen der zweiten Etappe der allgemeinen Krise noch besonders verstärkt und wirkt ihrerseits — auf der G r u n d l a g e der gleichen Bedingungen — in negativer Weise normierend auf das geistig-literarische Klima der 50er Jahre. Millers Klassenbasis ist eindeutig kleinbürgerlich. Die ästhetische Umsetzung resultiert in umfassender Biologisierung des Gesellschaftlichen, in 155
der Hypertrophierung des Sexuellen, in der Mystifizierung des Rationalen, in der animalischen Verzerrung des Menschenbilds. William S. Burroughs geht wie Miller von einer prinzipiellen, aber subjektiven Opposition gegenüber jeder etablierten Macht und Ordnung aus. Sein philosophisches und soziales Koordinatensystem ist jedoch so verworren, daß daraus erkennbare Orientierungen und Haltungen nicht erwachsen können, es sei denn die Attitüde absoluter Negation. Im Rahmen solcher Einstellung ist Kritik an einzelnen Aspekten der staatsmonopolistischen Gesellschaft, z. B. an der Manipulierung der öffentlichen Meinung durch die Massenmedien oder an Erscheinungen wie Rauschgiftsucht, noch möglich, aber infolge der klassemäßigen Standpunktlosigkeit des Autors kaum wirksam. Die Ausweitung der US-imperialistischen Misere zur gesamtmenschheitlichen, ja kosmischen Katastrophe, wie sie für Bourroughs' anarchistisches Denken charakteristisch ist, führt vielmehr zur objektiven Entschärfung seiner Imperialismus-Kritik und überdies zur Etablierung unmenschlicher Verhaltensweisen als Norm. Ideologie und ästhetisches Bewußtsein sind bei Burroughs kaum zu unterscheiden, weil beide essentiell vom Anarchismus seines Denkens beherrscht werden. Daraus folgt die wohl extremste Erscheinungsform in der amerikanischen Prosa der 50er und 60er Jahre: Burroughs' Werk verbindet äußerste Menschenverachtung im Inhalt mit der Auflösung der künstlerischen Form. Zu den widersprüchlichsten und spektakulärsten Erscheinungen der-amerikanischen Nachkriegsliteratur gehört ohne Zweifel Norman Mailer. Er hat während seiner bisherigen literarischen Karriere immer aktuell reagiert, d. h. jeweils neue politisch-ideologische und kulturideologische Erscheinungen der Gesellschaft in seinem Werk reflektiert. Dies führte bisher zu den Höhepunkten der Reflektion des Progressivismus Ende der 40er Jahre (The Naked and the Deacl) und der Reflektion der Protestbewegung Ende der 60er Jahre (The Armies of the Night; Miami and the Siege of Chicago); es führte ebenso zu spezifischen Reaktionen auf rückläufige Entwicklungen wie McCarthyismus, Flucht in Drogenund Hippie-Kult, Degeneration des sozialen Protests in Anarchismus und NEW LEFT-Ideologie, Erscheinungen verstärkten Reformismus in der Arbeiterbewegung, was letztlich in tiefer Verwirrung und Widerspiegelung dieser Verwirrung im Werk resultierte. Der gesamte Kanon des Mailerschen Werkes von Barbary Shore bis An American Dream und Why Are We in Vietnam? (einschließlich der Essayistik, besonders Advertisements for Myself) legt von dieser regressiven Entwicklung Zeugnis ab. Mailers Verbundenheit mit sozialen Bewegungen und ideologischen Erscheinungen ist sehr eng, woraus in Zeiten progressiven Aufschwungs nicht nur eine positive Orientierung seines Werks an sich erwächst, sondern auch die Potenz seiner Kunst zu aktivierender Wirkung. Mailers Werk demonstriert jedoch auch (und bisher in noch stärkerem Maße), daß das Fehlen eines eigenen festen Standpunkts zu politischem und ästhetischem Nihilismus führt; aus Verzweiflung, wie sie sich angesichts krisenhafter Zuspitzung der gesellschaftlichen Misere der imperialistischen USA immer wieder 156
neu gebiert, erwachsen somit bedenkliche und höchst widersprüchliche künstlerische Manifestationen. — Dieses künstlerische Verhaltensmuster Mailers ist prinzipiell — bei aller denkbaren Variationsbreite — repräsentativ für die spätbürgerliche Literatur der Verzweiflung. Mailers Werk ist gerade deshalb so illustrativ, weil es nirgendwo völlig in esoterisch-escapistischen Ästhetizismus abgleitet. Die gesellschaftliche Determiniertheit seines Schaffens bleibt folglich auch im Negativen sichtbar. Mailers Verbundenheit mit sozialen und politischen Bewegungen ist relativ, seine Standpunktlosigkeit absolut; weil letztere aus dem Fehlen einer Klassenorientierung bzw. aus dem charakteristischen Schwanken des bürgerlichen Intellektuellen resultiert, wird erstere nur ideologisch realisiert, d. h. die Verbundenheit mit den wirklichen Bewegungen ist ideologisch bedingt, wird mithin nur verzerrt erfahren und verzerrt reflektiert. Bei aller scheinbaren Vielfalt der politischen, ideologischen und ästhetischen Siehtweisen Mailers lassen sich diese daher dennoch dem Hauptnenner des Anarchismus als des adäquaten Ausdrucks seiner kleinbürgerlichen Klassenindifferenz subsumieren. James Baldwin muß als bislang prominentester schwarzer Autor der Vereinigten Staaten nach dem 2. Weltkrieg angesehen werden. Die Gründe für seinen Ruhm sind vielfältig und widersprüchlich: Seine Essays, Romane, short stories und Dramen repräsentieren beachtliche literarische Qualität, koinzidieren freilich nicht restlos mit seinem sozialen und politischen Engagement. Das öffentliche Interesse an seinem Werk und auch an seiner Person bestimmt sich primär aus dem objektiv zunehmenden Gewicht der schwarzen Befreiungsbewegung, wird jedoch auch von Sensationsgier und Mode-Diktat (Sex-Welle) beeinflußt. Baldwins prinzipiell kritische Sicht der amerikanischen Gesellschaft ist eigentlicher und wesentlicher Nährboden seiner Kunst und Quelle seines humanistischen Anliegens, das sich freilich weder in geradliniger Entwicklung noch gar in' widerspruchsfreier oder problemloser künstlerischer Aussage manifestiert. Baldwins Verbundenheit mit der sozialen Bewegung seines Volkes war bestimmendes Merkmal seiner Entwicklung, wiewohl es des öfteren der Distanz des Exils bedurfte, um seinen Standpunkt jeweils neu zu finden. Seine überaus starke künstlerische Sensibilität, die sich in allen seinen Werken ausprägt, ist gleichwohl auch Ursache für eine gewisse Anfälligkeit gegenüber bürgerlichen ideologischen Klischees, die ihn sowohl politisch am Erkennen des Wesens der afroamerikanischen Realität hinderten, als auch in einigen seiner Werke künstlerisch manifest wurden in der Gefahr einer Überlagerung der sozialen Problematik durch die sexuelle. Die Ermordung oder Inhaftierung namhafter Persönlichkeiten wie Malcolm X, Martin Luther King oder Angela Davis setzte bei Baldwin Denkprozesse frei, die politisch u n d künstlerisch neue Perspektiven eröffneten und in Werken wie Teil Me How Long the Trains Been Gone, If Beale Street Could Talk und No Name in the Street resultierten. John Updikes Werk ist ähnlich dem Baldwins durch Komplexität und hohen formkünstlerischen Rang gekennzeichnet. An seinem Beispiel war zu zeigen, wie schmal und gefährdet der Weg geworden ist, der unter den Bedingungen des 157
heutigen US-Imperialismus einem ehrlichen und talentierten, um Humanismus und Realismus bemühten, aber prinzipiell auf dem Boden bürgerlicher Ideologie stehenden Autor noch verbleibt. John Updikes Romanwerk bis 1972 gehört ohne Zweifel zu den bedeutendsten literarischen Leistungen in der bürgerlichen USA-Literatur der 60er und zu Beginn der 70er Jahre. Trotz unbestreitbarer Formkunst, die sich am neuenglischen mikrogesellschaftlichen Stoff deutlich am stärksten bewährt, macht gerade Updikes Werk die Grenzen kenntlich, die der Kunst durch die Borniertheit der spätbürgerlichen Ideologie gesetzt werden. War die künstlerische Realisierung eines humanistischen Menschenbildes in zwar gefährdeter, aber potentiell dennoch integrer Ganzheit in The Poorhouse Fair und teilweise auch in The Centaur und Of The Farm noch möglich, so schrumpft diese Potenz zusehends, wenn der Autor versucht, Probleme und Figuren von gesamtgesellschaftlicher Repräsentanz zu gestalten. Die künstlerisch-humanistische Vision wird hier (besonders in Couples und Rabbit Redux) fragmentiert, wobei innerhalb der Fragmente noch immer kritische Einsichten in die Symptomatik der Gesellschaft gelingen, weniger in Kausalzusammenhänge. Ideologische Formeln Freudscher, neo-Freudscher, anarchistischer, existentialistischer und religiöser Observanz treten an die Stelle humanistischer — und das meint immer zugleich gesellschaftlicher — Menschengestaltung und werden zum Ausdruck weltanschaulicher Hilflosigkeit des Autors. Die gesellschaftliche Dynamik wird auf die bloße Rezeption, das Ganze auf seine Teile, die menschliche Alternative auf mechanische Alternativlosigkeit reduziert; der gesellschaftliche Reichtum der menschlichen Intimbeziehung verarmt im klinischen Detail des sexuellen Kraftakts; die aussagestarke — weil sozial determinierte — Metapher degeneriert zur oft beziehungslosen Formel des four-letter-word. Unser Versuch, Ursachen, Wesenszüge und Erscheinungsformen der spätbürgerlichen Romanentwicklung in den Vereinigten Staaten zu analysieren, hatte von einer Skizze der sozialökonomischen Realität der USA nach dem 2. Weltkrieg auszugehen. Die Krisenhaftigkeit des modernen Kapitalismus, das Wesen des US-Imperialismus, die spezifische, auf diesen Voraussetzungen beruhende Lebensqualität in den heutigen USA werden in der Ideologie nicht nur schlechthin reflektiert, sondern mit ihrer Hilfe potenziert. Ohne daß prinzipiell die endliche Abhängigkeit dieser Ideologie von der sozialökonomischen Basis in Frage zu stellen ist, mußte dennoch von einer zunehmenden Gewichtigkeit und r e l a t i v e n Selbständigkeit ideologischer Erscheinungen ausgegangen werden. Gleichzeitig war ein Abnehmen der offensichtlich und ostentativ apologetischen Funktion der Ideologie festzustellen, verbunden mit einer stärkeren Akzentuierung von scheinbar antibürgerlichen, neulinken und anarchistischen Tendenzen, die objektiv als zeitgemäße Varianten der bürgerlichen Ideologie (in einem mehr konservativen Sinne) fungieren und sich methodologisch als umfassende Revision marxistischen u n d klassisch-bürgerlichen Denkens charakterisieren. Obwohl diese Tendenz im Rahmen der globalen System-Konfrontation eine RückzugsPosition markiert, ist weder ihre Gefährlichkeit noch ihre Attraktivität — speziell 158
für den (klein)bürgerlich-oppositionellen Intellektuellen und Künstler — zu unterschätzen. Gerade von hier aus wurde die Relevanz ideologischer Erscheinungen für die literarisch-kulturelle Entwicklung in ihrer Gesamtheit sichtbar und faßbar; in besonderem Maße gilt dies für den Roman, der zwar weniger operativ, daher auch deutlich langsamer als Lyrik oder Dramatik, dafür umfassender und gründlicher, vielfach auch direkter sozialökonomische und ideologische Tendenzen verarbeitet und der übrigens angesichts weltweiter Rezeption und Wirkung unser sorgfaltiges Interesse beansprucht.
Verzeichnis der
DZfPh Einheit KL LHUS MEW SuF WB ZAA
Abkürzungen
Deutsche Zeitschrift für Philosophie. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin. Einheit. Zeitschrift für Theorie und Praxis des wissenschaftlichen Sozialismus. Hrsg. vom Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Kunst und Literatur. Verlag Kultur und Fortschritt, Berlin. Robert E. Spiller, Willard, Thorp u. a., Literary History of the United States. New York 1960. Karl Marx, Friedrich Engels, Werke. 41 Bände. Berlin 1961 ff. Sinn und Form. Rütten & Loening. Berlin. Weimarer Beiträge. Zeitschrift für Literaturwissenschaft, Ästhetik und Kulturtheorie. Aufbau-Verlag Berlin und Weimar. Zeitschrift für Anglistik und Amerikanistik. VEB Verlag Enzyklopädie, Leipzig.
Die Originalzitate im Text werden in den Anmerkungen übersetzt. Die Übersetzung stützt sich auf in der D D R vorliegende Ausgaben; wo keine Quellenangabe erfolgt, handelt es sich um Arbeitsübersetzungen des Autors.
Anmerkungen
Gesellschaft, Ideologie und Kultur — Haupttendenzen in den 50er und 60er Jahren 1 Vgl. u. a.: Jürgen Kuczynski, Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus. Band 29 und 30, Berlin 1966; Dokumente der Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien, Moskau 1969, insbesondere „Die Aufgaben des Kampfes gegen den Imperialismus in der gegenwärtigen Etappe und die Aktionseinheit der kommunistischen und Arbeiterparteien, aller imperialistischen Kräfte". In: Einheit, Heft 7/1969, S. 762ff.; Gus Hall, Die weltweite marxistisch-leninistische Bewegung verleiht uns große Kraft (Rede auf der Moskauer Beratung 1969). In: Horizont, Heft 26/1969, S. 6ff.; Gus Hall, Der amerikanische Imperialismus in der Welt von heute. Berlin 1973; Das neue Programm der Kommunistischen Partei der USA. Berlin 1971. — Selbst aus ultralinker Position erscheint die Darstellung des krisenhaften amerikanischen Imperialismus noch weitgehend überzeugend. Vgl.: Felix Greene, The Enemy. Notes on Imperialism and Revolution. London 1970. — Einzelne bürgerliche Soziologen haben wesentliche Aspekte der Krise im gesellschaftlichen System der USA untersucht. Vgl.: Vance Packard, The Status Seekers. Harmondsworth 1966 (Ersterscheinung 1959); ders., The Waste Makers. New York 1960; ders., The Sexual Wilderness. London 1970 (Ersterscheinung 1968); ders., The Hidden Persuaders. New York 1957; ders., The Naked Society. New York 1964. 2 Vgl.: Heinz Förster, Die Widerspiegelung des McCarthyismus im amerikanischen Roman. Diss. Leipzig 1964, besonders S. 1—50; ders., Der McCarthyismus und seine Auswirkungen auf die amerikanische Literatur. Lehrbrief für das Fernstudium. Potsdam 1970; Phillip Bonosky, The Background to American Literature Since the War. Lehrbrief für das Fernstudium. Potsdam 1967. 3 Hall, Der amerikanische Imperialismus, S. 14f. u. 28. 4 Ebenda, S. 49, und: Jürgen Kuczynski, Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus. Band 30, S. 241—262. — Die Tendenz zur Proletarisierung breiter Schichten im Zuge der wissenschaftlich-technischen Revolution widerspiegelt sich in der Klasseneinteilung, wie sie der bürgerlich-liberale Soziologe Vance Packard angibt (The Status Seekers, S. 41 u. 51—53): I. The Real Upper Class II. The Semi-Upper Class III. The Limited-Success Class IV. The Working Class V. The Real Lower Class (1. Die eigentliche Oberklasse II. Die Semi-Oberklasse 11
Wüstenhagen
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III. Die Klasse des beschränkten Erfolgs IV. Die Arbeiterklasse V. Die eigentliche Unterklasse) Nach P a c k a r d s Einteilung bilden die Klassen I u n d II die „ D i p l o m a Elite", die Klassen III-V die „ S u p p o r t i n g Classes". Die Grobeinteilung wird folgendermaßen charakterisiert: „ T h e d i p l o m a élite consists of the big, active, successful people w h o pretty much run things. T h e supporting classes contain the passive non-big people who wear b o t h white a n d blue collars: the small shopkeepers, workers, functionaries, technical aides." ( „ D i e Diplom-Elite besteht aus den großen, aktiven, erfolgreichen Menschen, die mehr oder weniger den Lauf der Dinge bestimmen. Die unterstützenden Klassen umfassen die passiven, unbedeutenden Menschen mit sowohl weißen als blauen K r a g e n : die kleinen Ladenbesitzer, Arbeiter, F u n k tionäre, technischen Gehilfen.") Neben dieser horizontalen soziologischen Glied e r u n g beschreibt P a c k a r d eine vertikale nach folgenden Kriterien: 1. recency of arrival in the locality, 2. national b a c k g r o u n d , 3. religion, 4. pigmentation. (1. D a u e r der lokalen Ansässigkeit, 2. nationaler Hintergrund, 3. Religion, 4. H a u t f a r b e . ) D a s Verhältnis beider Gliederungsprinzipien zueinander sei so, d a ß sich die horizontale Gliederung innerhalb der verschiedenen vertikalen Schichtungen wiederholt, d a ß also innerhalb einer ethnischen Minorität sich die gleiche Gliederung findet wie in der „ g r o ß e n Gesellschaft". P a c k a r d ist kritisch genug zuzugeben, d a ß freilich die M a j o r i t ä t der W A S P S (White Anglo-Saxon Protestants = weiße angelsächsische Protestanten) gegenüber ethnischen und religiösen Minoritäten eine abwertende, j a diskriminierende H a l t u n g einnimmt.
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5 Vgl.: Geschichte der Philosophie. Hrsg. v. d. A k a d e m i e der Wissenschaften der U d S S R , Band 4, Berlin 1967, S. 434. 6 Detaillierte Untersuchungen bieten: I. S. K o n , D e r Positivismus in der Soziologie, Berlin 1968: W. G . Kalenski/R. Mocek/B. P. Löwe, Politologie in den U S A . Z u r Kritik imperialistischer M a c h t k o n z e p t i o n e n . Berlin 1971; H. Meißner, Konvergenztheorie und Realität. Berlin 1969; B. A. Schabad, Die politische Philosophie des m o d e r n e n Imperialismus. Berlin 1970. 7 Vgl.: Alfred Kurella, D a s Eigene und das Fremde. Berlin und Weimar 1968, 5. 191 f. 8 Eine ausführliche marxistische Marcuse-Kritik bietet Robert Steigerwald in: Herbert Marcuses „dritter W e g " . Berlin 1969; vgl. ders., Marxistische Klassenanalyse oder spätbürgerliche M y t h e n . In : Z u r Kritik der bürgerlichen Ideologie. Band 15, Berlin 1972, speziell S. 49—81 ; ferner K o n , Der Positivismus in der Soziologie, speziell S. 335 bis 338. 9 M a s s i m o Teodori (Hrsg.). The New Left: A D o c u m e n t a r y History. L o n d o n 1970, S. 469. 10 Marcuse möchte beitragen „ z u r Philosophie der Psychoanalyse", die von F r e u d bereits selbst als solche konzipiert worden sei: „ F r e u d developed a theory of m a n , 162
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a ,psycho-logy' in the strict sense." ( „ F r e u d entwickelte eine Theorie des Menschen, eine ,Psycho-logie' im eigentlichen Sinne des W o r t e s . " ) Herbert Marcuse, E r o s a n d Civilization. A Philosophical Inquiry into Freud. N e w Y o r k o. J. (Ersterscheinung 1955), S. 7. Steigerwald, Herbert Marcuses „dritter W e g " , S. 61. Vgl.: Marcuse, Eros and Civilization, S. 139, S. 147—149. K o n , Der Positivismus . . ., S. 338. Marcuse, Eros a n d Civilization, Kapitel 10, (S. 180—202), Zitat S. 193. Ebenda, S. 198. Ebenda, S. 55, 59, 40f. Ebenda, S. 140. — Der Preis d a f ü r sei d a n n freilich „repression to a lower s t a n d a r d of living", worüber M a r c u s e seine Leser mit einem Baudelaire-Zitat tröstet: „ L a vraie civilization . . . n'est pas d a n s le gaz, ni d a n s la vapeur, ni d a n s les tables t o u r n a n t e s . Elle est d a n s la diminution des traces d u péché originel." ( „ D i e wahre Zivilisation besteht weder aus der E r f i n d u n g des Gases noch der D a m p f k r a f t noch des Plattenspielers. Sie besteht vielmehr aus d e r ' V e r m i n d e r u n g der Spuren der E r b s ü n d e . " ) Ebenda, S. 139. Ebenda, S. 142. Ebenda, S. 156. So betont Schiller beispielsweise die Gesetzlichkeit innerhalb der „ästhetischen F r e i h e i t " ; vgl.: Friedrich Schiller, Ü b e r die ästhetische Erziehung des Menschen, in einer Reihe von Briefen, I n : Schillers Werke. Hrsg. v. Heinrich Kurz, 7 Bände, Leipzig o. J., S. 326—417, speziell S. 385. Marcuse, Eros a n d Civilization, S. 131 f. Vgl.: Ursula Reinhold, A n t i h u m a n i s m u s in der westdeutschen Literatur. Berlin 1971, S. 3 5 - 4 3 .
23 Zitiert n a c h : M . Lifschitz (Hrsg.), Karl Marx/Friedrich Engels, Über K u n s t u n d Literatur. Berlin 1951, S. 69. 24 Vgl.: M E W . Band 4, S. 465f. 25 M. Lifschitz, Karl M a r x und die Ästhetik. Dresden 1960, S. 236, 237. 26 Alfred Kurella, Die kapitalistische E n t f r e m d u n g und ihre sozialistische A u f h e b u n g . An den Quellen des sozialistischen H u m a n i s m u s . I n : D e r Mensch als Schöpfer seiner selbst. Berlin 1961, S. 48 f. 27 Steigerwald, Herbert Marcuses „dritter W e g " , S. 239. — A u c h Kurella widmet der biologistischen E n t f r e m d u n g s - I n t e r p r e t a t i o n sorgfältige A u f m e r k s a m k e i t . Vgl.: D a s Eigene und das Fremde. S. 104—109. 28 Vgl. hierzu auch den bereits 1937 entstandenen Aufsatz Marcuses „ Ü b e r den affirmativen C h a r a k t e r der K u l t u r " . I n : Herbert Marcuse, K u l t u r und Gesellschaft I, F r a n k f u r t / M a i n 1968, S. 5 6 - 1 0 1 . 29 Marcuse, On the New Left, I n : T h e New Left, S. 473. 30 N o r m a n O. Brown, Life Against Death. T h e Psychoanalytical M e a n i n g of History. New Y o r k o. J. (Ersterscheinung 1959). 31 32 33 34 il
Ebenda, Ebenda, Ebenda, Ebenda,
S. S. S. S.
xii, xiii. xiv. 9f. 17f. 163
35 Ebenda, das Marx-Zitat lautet bei Brown: „Just as the savage must wrestle with nature, in order to satisfy his wants, in order to maintain his life and to reproduce it, so the civilized man has to do it in all forms of society and under all modes of production. With his development the realm of natural necessity expands, because his wants increase; but at the same time the forces of production increase, by which these wants are satisfied." Diese Stelle findet sich in der deutschen Ausgabe im siebenten Abschnitt, achtundvierzigstes Kapitel, unter dem Titel „Die trinitarische Formel" (MEW, Band 25, S. 828): „Wie der Wilde mit der Natur ringen muß, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, um sein Leben zu erhalten und zu reproduzieren, so muß es der Zivilisierte, und er muß es in allen Gesellschaftsformen und unter allen möglichen Produktionsweisen. Mit seiner Entwicklung erweitert sich dies Reich der Naturnotwendigkeit, weil die Bedürfnisse; aber zugleich erweitern sich die Produktivkräfte, die diese befriedigen." Die von Brown zitierte englische Fassung ist dem Original adäquat. — Anstelle einer Polemik sei hier nur die Fortsetzung des Marxschen Gedankens — unmittelbar an den fraglichen Text anschließend — zitiert: „Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehen, daß der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand unter den, ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehen. Aber es bleibt dies immer ein Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gibt, d a s w a h r e R e i c h d e r F r e i h e i t , d a s a b e r nur auf j e n e m Reich der N o t w e n d i g k e i t als seiner B a s i s a u f b l ü h e n k a n n . Die Verkürzung des Arbeitstags ist die Grundbedingung." Ebenda (Hervorhebung H. W.). 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46
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Brown, Life Against Death, S. 19. Vgl.: Ebenda, S. 49, S. 29. Ebenda, S. 34. Ebenda, S. 63. — Man wird hier an Marcuses Theorie der randständigen Gruppen erinnert. Ebenda, S. 64. Ebenda, S. 69. Ebenda, S. 71. Ebenda, S. 73 (Hervorhebung H. W.). Vgl. zu einer fundierten Kritik McLuhans: Sidney Finkelstein, Sense and Nonsense of McLuhan. New York 1969. Brown, Life Against Death, S. 312, 307. Ebenda, S. 317f. — Brown bezieht sich hier auf die „Ökonomisch-philosophischen Manuskripte" von Marx aus dem Jahre 1844, die er an anderer Stelle (Ebenda, S. 237—239) psychoanalytisch-anthropologisch interpretiert und dabei verfälscht, im Grunde nur, um dei Marx des „Kapital" zu widerlegen, d. h. den revolutionären Kern des Marxismus, insbesondere die Lehre vom Klassenkampf, zu eliminieren. Ebenda, S. 84f. Ebenda, S. 105. — Im gleichen Kontext heißt es: „What is essential is the clinical pronouncement that sociability is a sickness." Ebenda, S. 106. („Worauf es wesentlich ankommt, ist die klinische Erklärung, daß Gesellschaftlichkeit eine Krankheit ist.")
49 Wenn auch mit erheblicher Unlust, denn der Satz geht weiter: „and the clichemongers repeat ad nauseam that man is by nature a social animal." Ebenda, S. 105. („und die Klischee-Fabrizierer wiederholen ad nauseam, daß der Mensch von Natur aus ein gesellschaftliches Tier sei.") 50 Ebenda, S. 106 (Hervorhebung H. W.). 51 Ebenda, S. 109. 52 W. I. Lenin, Anarchismus und Sozialismus (Thesen). In: Werke, Band 5, Berlin 1958, S. 334, 337. 53 Vgl.: Brown, Life Against Death, S. 133f. 54 Marcuse, On the New Left, S. 471 f. 55 Vance Packard, The Sexual Wilderness, London 1970 (Ersterscheinung 1968), S. 399. 56 Susan Sontag, Psychoanalysis and Norman O. Brown's 'Life Against Death'. In: Against Interpretation and Other Essays, New York 1969, S. 259, 264. 57 Vgl.: Norman Mailer, Advertisements for Myself, London 1963 (Ersterscheinung 1959), speziell Teil 4: „Hipsters", S. 237—281, und „The Hip and the Square", S. 3 1 0 - 3 1 4 . 58 Vgl. Kurellas These von der Perversion selbst des Protests der Kunst unter imperialistischen Bedingungen: In: Das Eigene und das Fremde, S. 191 f. 59 Der bedeutsamste Versuch ist Reichs Schrift „Dialektischer Materialismus und Psychoanalyse" aus dem Jahre 1929. Zitiert von Horst Oertel, Klassenkampf oder ,sexuelle Revolution'? In: DZfPh, Heft 5/1973, S. 629 et passim. 60 Vgl.: Wilhelm Reich, Die Massenpsychologie des Faschismus. Zitiert bei Oertel, Klassenkampf . . ., S. 634 et passim. 61 Frankfurt/Main 1966. Diese Schrift wurde ursprünglich unter dem Titel „Die Sexualität im Kulturkampf. Zur sozialistischen Umstrukturierung des Menschen", 1936 im Kopenhagener Sexpol-Verlag veröffentlicht; englisch-amerikanische Erstveröffentlichung „The Sexual Revolution" 1962. 62 Vgl. die prinzipielle Freud-Kritik Walter Hollitschers in ,,,Kain' oder Prometheus. Zur Kritik des zeitgenössischen Biologismus" Berlin 1972, S. 35 — „Das Freudsche Bild vom psychischen Energiehaushalt bleibt unbewiesen." 63 Reich, Die sexuelle Revolution, S. 52. 64 Ebenda, S. 55 f (Hervorhebungen im Original). 65 Oertel, Klassenkampf . . ., S. 633. — „Es handelt sich bei der Reichschen Konzeption von der sexuellen Revolution um eine Art sozialpolitischer Maschinenstürmerei, da Reich den kritikwürdigen bürgerlichen Inhalt der Familie mit der Familie, die auf Monogamie beruht, gleichsetzt. Familie mit sozialistischem Inhalt ist in Reichs Verständnis eine contradictio in adjecto." 66 Es genügt hier, auf Friedrich Engels' „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie" zu verweisen, wo prononciert die Notwendigkeit der geschichtlichen Entwicklungsstufen hervorgehoben wird. MEW, Band 21, S. 267. 67 Reich, Die sexuelle Revolution, S. 327. — Diese Seite enthält ein graphisches „Schema der kulturpolitischen Entwicklung", das oben umschrieben wurde. 68 Ebenda, S. 328 f. — Verwiesen sei hier auch auf das Werk des namhaften (und berüchtigten) amerikanischen Trotzkisten Max Eastman „Love and Revolution. My Journey through an Epoch", New York 1963, — das bereits im Titel die Bezüglichkeit Reichs zum Trotzkismus deutlich macht.
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69 Wilhelm Reich, The Function of the Orgasm. Sex-Economic Problems of Biological Energy. Übersetzt von Theodore P. Wolfe, London 1968 (Ersterscheinung 1941). Dieses Werk ist nicht identisch mit „Die Funktion des Orgasmus" (1927), enthält aber dessen wesentliche Thesen, zusätzlich weiteres Material, insbesondere zur Orgonen-Theorie. 70 71 72 73 74 75 76
Reich, The Function of the Orgasm, S. 30f. Ebenda, S. 32. Ebenda, S. 234. Vgl.: Oertel, Klassenkampf . . ., S. 635. Reich, The Function of the Orgasm, S. 354, 358, 360. Ebenda, S. 355 f. Ebenda, S. 366 — „ T h e p s y c h o - s o m a t i c s t r u c t u r e is t h e r e s u l t of a c l a s h b e t w e e n s o c i a l a n d b i o l o g i c a l f u n c t i o n s . " („Die psychosomatische Struktur ist das Resultat eines Zusammenstoßes zwischen sozialen und biologischen Funktionen.") 77 Man vergleiche — als logische Folge — d a s „Liebeslabor" der amerikanischen Sexuologen Masters und Johnson. 78 Wir stimmen Horst Oertel zu, wenn er Reichs Konzeptionen als „,linke' Verkleidung der Psychoanalyse" einschätzt; wir sehen jedoch in der unmittelbar folgenden Behauptung, Reichs Lehren seien „ihrem Wesen nach Erscheinungen kleinbürgerlich-humanistischer (?) Aufklärung (?)", entweder irrtümliche Formulierungen oder eine Verharmlosung, die der Rolle dieser Ideologie nicht gerecht werden kann. Oertel, Klassenkampf. . ., S. 635. 79 Relevantes Material findet sich auch bei Kate Millett „Sexual Politics", London 1971 (Ersterscheinung 1969), die sich mehrfach direkt auf Reich bezieht; ferner Germaine Greer, The Female Eunuch, London 1971 (Ersterscheinung 1970); Betty Friedan, The Feminine Mystique, Harmondsworth 1971 (Ersterscheinung 1963); Lawrence Lipton, The Holy Barbarians, New York 1962 (Ersterscheinung 1959); Burton H. Wolfe, The Hippies, New York 1968. Vgl. auch Mailers Polemik gegen Kate Millett: Norman Mailer, The Prisoner of Sex, New York 1971. 80 Leslie Fiedler — auch wenn wir seiner theoretischen Basis nicht trauen sollten — überschätzt Reichs Einfluß auf die Literatur kaum: er nennt Bellow, Mailer, Paul Goodman, Isaac Rosenfeld, Allen Ginsberg, Karl Shapiro als Beispiele. „Freud has come to seem too timid, too puritanical, and above all too r a t i o n a l for the second half of the twentieth century." Statt dessen sei es „Wilhelm Reich who moves the young, with his antinomianism, his taste for magic, and his emphasis on full genitality as the final goal of man. The cult of the orgasm has won converts in recent years, even from members of the generation of the Forties and Fifties, approaching middle-age and disillusioned with orthodox Marxism and Freudianism." Leslie A. Fiedler, Waiting for the End. The American Literary Scene from Hemingway to Baldwin, Harmondsworth 1967 (Ersterscheinung 1964), S. 178. — („Freud erscheint zu ängstlich, zu puritanisch, und vor allem zu rational für die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts". Statt dessen sei es „Wilhelm Reich, der die Jungen bewegt, mit seinem Antinomianismus, seinem Geschmack für Magie, und seiner Betonung der vollen Genitalität als Endziel des Menschen. Der Kult des Orgasmus hat in den letzten Jahren Anhänger gewonnen, sogar aus der Generation
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der vierziger und fünfziger Jahre, die sich dem mittleren Alter nähern und gegenüber dem orthodoxen Marxismus und Freudismus desillusioniert sind.") 81 Vgl. die umfassende, von Sympathie getragene, dabei nicht unkritische Definition des modernen Anarchismus, wie sie Marshall S. Shatz in der „Introduction" (Einleitung) zu der von ihm edierten Anthologie „The Essential Works of Anarchism", New York 1971, S. xi-xxixf. gibt. 82 John Berger, Permanent Red. Essays in Seeing. London 1960, S. 72. 83 Umfangreiche marxistische Studien liegen vor; vgl. Robert Weimann, „New Criticism" und die Entwicklung bürgerlicher Literaturwissenschaft. Halle 1962; ders., Phantasie und Nachahmung. Drei Studien zum Verhältnis von Dichtung. Utopie und Mythos. Halle 1970, speziell S. 91 — 145; ders., Literaturgeschichte und Mythologie. Methodologische und historische Studien. Berlin und Weimar 1972, speziell S. 39—128, 218—280, 342—430. Relevant ist ferner Robert Weimann (Hrsg.), Tradition in der Literaturgeschichte. Beiträge zur Kritik des bürgerlichen Traditionsbegriffs bei Croce, Ortega, Eliot, Leavis, Barthes u. a. (mit Beiträgen von C. Lehmann, H. Militz, M. Walter und R. Weimann). Berlin 1972. 84 Eine handhabbare und repräsentative Anthologie bietet Willi Erzgräber (Hrsg.), Moderne englische und amerikanische Literaturkritik. Darmstadt 1970. 85 Bernhard Ostendorf, Der Mythos in der Neuen Welt. Eine Untersuchung zum amerikanischen Myth Criticism. Frankfurt/Main 1971, S. ix (Hervorhebungen H. W.). 86 Vgl. u. a.: Theodore Roszak, The Making of a Counter Culture New York. 1969; Charles A. Reich, The Greening of America. New York 1971. Speziell diese Auffassungen werden einer marxistischen Kritik unterzogen von Ursula Beitz, Die ,Counter Culture' — Kulturrevolution' und Konterrevolution der kleinbürgerlichen Linken in den USA der 60er Jahre, In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-MarxUniversität Leipzig. Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe, 22. Jahrgang, Heft 3/4/1973, S. 375—377. — Eberhard Brüning bezeichnet in seinem Aufsatz „Die Konzeption vom ,neuen amerikanischen Menschen' bei Charles A. Reich und Erich Segal" (Ebenda, S. 389—392) Charles A. Reichs Schrift als „ein großangelegtes, wortreiches Ablenkungsmanöver im Sinne und zum Vorteil der herrschenden Klasse." (Ebenda, S. 394f.) — Vgl. auch: W. Moltschanow, Für und gegen die ,Gegenkultur'. In: KL. Heft 7/1973, S. 659—673, und A. N. Nikoljukin, Massenliteratur und Gegenkultur. In: WB, Heft 12/1974, S. 3 5 - 5 2 . 87 So J. Kagramanow, Die Fallen der Technik und die Paradoxa des ,Neoarchaismus'. In: KL, Heft 2/1974, S. 163. — Kagramanow sagt an anderer Stelle sehr treffend: „Obwohl man ihre antibürgerliche Tendenz schwerlich bezweifeln kann, unterscheidet sich die ,Gegenkultur' insgesamt von der herrschenden Kultur so wie das Negativ vom Positiv." (Ebenda, S. 164). 88 Vgl.: Claude Brown, Manchild in the Promised Land. New York 1965. 89 Vgl.: Eldridge Cleaver, Soul on Ice. New York 1968; ders., Post-Prison Writings and Speeches. Hrsg. v. Robert Scheer. New York 1969. 90 Vgl.: W. E. B. DuBois, The Autobiography of W. E. B. DuBois. A Soliloquy on Viewing My Life from the Last Decade of Its First Century. New York 1968. 91 Besonders in: Richard Wright, Native Son. New York 1940. 92 Vgl.: Anne Moody, Coming of Age in Mississippi. New York 1968. 93 Vgl. bes.: The Autobiography of Malcolm X. New York 1966. 167
94 Vgl. bes.: Martin Luther King, Why We Can't Wait. New York, London 1964. — Eine marxistische Untersuchung der genannten schwarzen Autoren bietet Friederike Hajek, „Das Identitätsproblem im Befreiungskampf der afroamerikanischen USABürger und seine Widerspiegelung in Selbstzeugnissen der 60er Jahre", Diss. Potsdam 1974. 95 Vgl. z. B.: Chester Hirnes, Pinktoes. London 1967 (Ersterscheinung 1965): ders., Cotton Comes to Harlem. New York 1970 (Ersterscheinung 1965); ders., The Real Cool Killers. London 1969. 96 Chester Himes, Dilemma of the Negro Novelist in the United States. In: John A. Williams (Hrsg.), Beyond the Angry Black. New York 1966, S. 80. — („Wachstum ist der bleibende Einfluß auf jedes Leben . . . Kinder werden der Armut und dem Schmutz und der Unterdrückung entwachsen und Ehre entwickeln, Integrität entwickeln, die ganze Menschheit bereichern.") 97 Eldridge Cleaver, Post-Prison Writings and Speeches, S. 209, 143. — („der primäre Stoß des Lebens — das Verschmelzen von Mann und Weib" ; „Macht des weiblichen Genitals".) 98 Vgl.: Robert Gover, One Hundred Dollar Misunderstanding. London 1967 (Ersterscheinung 1961); ders., Here Goes Kitten. London 1969 (Ersterscheinung 1964). 99 Vgl. : Robert Weimann, Allen Ginsberg und das geschlagene Glück Amerikas. BeatLyrik zwischen Anarchie und Engagement. In: SuF. Heft 5/1965, S. 718—732, Zitat S. 723. 100 Vgl.: The Change: Kyoto-Tokyo-Express, July 18, 1963 und Kral Majales. In: Donald Allen and Robert Creeley (Hrsg.), The New Writing in the USA. Harmondsworth 1967. 101 Vgl.: Jack Kerouac, On the Road, London 1963 (Ersterscheinung 1958); relevante Belege S. 6, 10, 291 et passim. 102 Ebenda, S. 129. — („Das eine, nach dem wir uns das ganze Leben sehnen, das uns seufzen und stöhnen macht und uns süße Ekel aller Art empfinden läßt, ist die Erinnerung an eine Wonne, die wahrscheinlich im Mutterleib erfahren wurde und nur im Tod — obgleich wir das nicht eingestehen wollen — reproduziert werden kann.") 103 Vgl.: Ebenda, S. 158f. 104 Jack Kerouac, The Subterraneans. London 1962 (Ersterscheinung 1958), S. 53, 55. — („die plötzliche erleuchtete frohe herrliche Entdeckung Wilhelm Reichs, seines Buches Die Funktion des Orgasmus, Klarheit wie ich sie lange nicht erlebt hatte, nicht seit vielleicht der Klarheit persönlichen modernen Schmerzes von Céline . . ."; „der zeigt, wie das Leben einfach der Mann ist, der in die Frau eindringt, und das Aneinanderreihen der beiden im Weichen . . .") 105 Jack Kerouac, The Dharma Bums. London 1965 (Ersterscheinung 1958), S. 72. — („. . . das Ganze ist eine Welt voll von Rucksack-Wanderern, Dharma Bums, die sich weigern, der allgemeinen Forderung zu gehorchen, daß sie die Produktion konsumieren und daher für das Privileg des Konsums arbeiten müssen, all den Mist, den sie sowieso nicht wollten, Kühlschränke, Fernseher, Autos, zumindest neue Modeautos, bestimmte Haaröle und Deodorants und allgemeines Gelumpe . . . alle von ihnen gefangen in einem System von arbeiten, produzieren, konsumieren, arbeiten, produzieren, konsumieren, ich sehe eine Vision einer großen Rucksack-Revolution. Tausende oder sogar Millionen junger Amerikaner mit Rucksäcken umherwandernd, auf Berge
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steigend, um zu beten, sie machen die Kinder lachen und die alten Männer froh, sie machen junge Mädchen glücklich und alte Mädchen glücklicher, alle von ihnen Zen-Besessene, die Gedichte schreiben, die ohne Grund in ihren Köpfen erscheinen, und auch durch Freundlichkeit und durch seltsame unerwartete Akte geben sie jedermann und aller lebenden Kreatur Visionen ewiger Freiheit . . .") Michael Harrington, The Other America. Poverty in the United States. Harmondsworth 1963 (Ersterscheinung 1962), S. 88 — die Studie des katholischen Soziologen erweist sich zwar als im Ganzen inadäquat, eröffnet aber dennoch — in Einzelaspekten — bemerkenswerte Einblicke. Beitz. Die ,Counter Culture' . . ., S. 383. Jack Kerouac, Vorwort zu Big Sur. New York 1962, n.p., („als eine enorme Komödie, als Welt der rasenden Aktion und Narrheit und auch der sanften Süße, wahrgenommen durch das Schlüsselloch seines Auges"). Vgl. u. a. die späteren Werke „Visions of Gerard" und „Tristessa", London 1964. Gore Vidal, Sex, Death and Money. New York 1968, S. 109. — („. . . der Ton des zeitgenössischen Romans, obgleich nicht heiter, ist präzise. Der Mensch ist sein eigener Herr. In bestimmten menschlichen Aktionen, in der Liebe, in der Gewalttätigkeit, kann er mit anderen kommunizieren, kann berühren und berührt werden, kann handeln und in der Handlung sein Schicksal vergessen. Die Skala ist oft schmal. Könige werden nicht berücksichtigt, weil für den Relativisten alle Menschen in der Ewigkeit gleich sind. Oder besser: ihre Krise ist die gleiche. Das Interesse in der modernen Literatur richtet sich auf jene Krise, die den Ausblick definiert.") Ebenda, S. 105. — („Das zwanghafte Verhältnis zur Sexualität, das die meiste zeitgenössische Literatur bestimmt, ist nicht aussschließlich Ergebnis des Wunsches epater les bourgeois, sondern die Reflektion eines ernsten Kampfes zwischen der Gesellschaft, die der Mensch so unlogisch und konfus konstruiert hat, und der Natur des Menschen, die einen erheblich umfassenderen sexuellen und emotionalen Ausdruck braucht, als die Ökonomie oder die Moral dieser Zeit erlauben.") Ebenda, S. 102f. — („das nervöse, blutige Zeitalter"; „. . . welcher zwei große Nationen in die Hände von Tyrannen lieferte, während in unserem eigenen Lande der Schrecken davor, ein einzelner Mensch zu sein, ohne allgemeinen religiösen Glauben und nicht gelenkt durch zentrale Autorität, viele Intellektuelle entweder auf einen traurigen Nihilismus reduziert oder, noch schlimmer, zur Annahme irgendeiner äußeren Autorität [Rom, Marx, Freud] geführt hat.")
113 Ebenda, S. X, XI f. (Vorwort). — („. . . eine Welt-Autorität muß eingerichtet werden, um die Geburten zu begrenzen und gleichzeitig die Restauration der Ökologie des Menschen zu unseren Gunsten zu versuchen . . . diese neue Weltordnung wird eine Gesellschaft schaffen, die repressiver ist als jede, die der Mensch bisher ertragen hat, und das wenige, was in unserer Zivilisation von Wert ist, wird mit Sicherheit von den Managern zerstört werden."; „Die Alternative zu einer geplanten Gesellschaft ist keine Gesellschaft, ein grimmes Wissen, das unsere Werke und Tage verdüstern kann.") 114 Ebenda, S. XIII. — („Es liegt eine düstere Genugtuung in dem Wissen, daß die menschliche Rasse als Ganzes sich im gleichen Unglück befindet wie das amerikanische Imperium.") 115 Vgl.: William S. Burroughs, The Naked Lunch. London 1964 (Ersterscheinung 1952).
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116 Gore Vidal, Myra Breckinridge. New York 1968, S. 155. — („. . . Hunger und Krieg sind jetzt die einzige Hoffnung des Menschen. Um zu überleben, muß die menschliche Bevölkerung drastisch reduziert werden. Glücklicherweise arbeiten unsere Führer instinktiv auf dieses Ziel hin, und in meinem Geist besteht kein Zweifel, daß die Natur Lyndon Johnson und Mao Tse-tung dazu ausersehen hat, die Agenten unserer Erlösung zu sein. Durch Zerstörung der Mehrheit der menschlichen Rasse werden sie die Art erhalten, weil die Überlebenden zwangsläufig nicht nur klüger als wir Sein werden, sondern auch rassisch stärker als Resultat von Zellveränderungen, die durch Atomstrahlung verursacht werden.") 117 Speziell dazu siehe auch Heinz Wüstenhagen, Rezension von Daniel Odier „The Job. Interviews with William S. Burroughs", In: ZAA, Heft 4/1973, S. 437—439. 118 Vgl. z. B. folgende Belegstelle: In der „post-McLuhan world no one will read books for that is a solitary activity like going to the bathroom alone (it is the proliferation of private bathrooms, which has . . . created modern man's sense of alienation from others of his kind: our ancestors bathed and shat together and, all in all, relished the sharing of their common natural functions) or like making love alone if there are others available to share the body's pleasures." Vidal, Myra Breckinridge, S. 230. — (In der „post-McLuhan Welt wird niemand Bücher lesen, denn dies ist eine einsame Aktivität wie Allein-auf-die-Toilette-gehen (die massenhafte Vermehrung privater Badezimmer hat das Gefühl der Entfremdung des modernen Menschen von den anderen seiner Art hervorgebracht: unsere Vorfahren badeten und schissen gemeinsam und genossen überhaupt das Gemeinsame ihrer gewöhnlichen natürlichen Funktionen) oder allein zu lieben, wenn andere da sind, um die Freuden des Körpers miteinander zu genießen.") 119 Ebenda, S. 18. — (,,. . . die einzige nützliche Form, die der Literatur im post-Gutenberg Zeitalter geblieben ist, ist die der Memoiren: die absolute Wahrheit, präzise nach dem Leben kopiert, wenn möglich in dem Augenblick, da es geschieht . . ."). 120 Immerhin erschien Burroughs' „The Naked Lunch" in der Erstausgabe bereits 1959; vgl. die entscheidende Passage, die Burroughs' ästhetisches Credo enthält: „There is only one thing a writer can write about: w h a t is in f r o n t of h i s s e n s e s a t t h e m o m e n t of w r i t i n g . . ." William S. Burroughs, The Naked Lunch. London 1964, S. 218. — („Es gibt nur eins, worüber der Schriftsteller schreiben kann: das was sich im Moment des Schreibens vor seinen Sinnen befindet . . .") 121 Vgl. dazu: Erwin Pracht, Marxistisch-leninistische Theorie und künstlerische Methode. In: Hans Koch (Hrsg.), Zur Theorie des sozialistischen Realismus. Berlin 1974, S. 3 6 6 - 3 9 6 , speziell S. 3 7 5 - 3 9 1 . 122 Lawrence Lipton, The Holy Barbarians. New York 1962, Vorwort, n. p. — („Dies ist nicht — wie an der Jahrhundertwende — die Flucht der Expatriierten vor der Vornehmheit und blaunäsigen Zensur Neuenglands. Es ist aber auch nicht die Anti-Babbitt-Mode der zwanziger Jahre. Die gegenwärtige Generation hat all dies beachtet, ist jedoch darüber hinausgegangen zur totalen Ablehnung der ganzen Gesellschaft, und das bedeutet im heutigen Amerika, der Geschäfts-Zivilisation. Die Entfremdung der .Hipsters' von den .Squares' ist heute komplett.") — Eine gründliche Kritik der Beats, verbunden mit einer Rezension Liptons, bietet Eberhard Brüning, The Holy Barbarians. In: ZAA, Heft 3/1961, S. 261—271. 123 Burton H. Wolfe, The Hippies. New York 1968, S. 24. — Eine gute Materialsammlung zum Drogenkult bietet David Solomon (Hrsg.). LSD: The Consciousness-
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Expanding Drug. New York 1966, — die Einleitung und ein Artikel dieses Bandes stammen von Timothy Leary. 124 Wolfe, The Hippies, S. 193, 194. — („Die Hippie-Bewegung ist vielleicht eine Flucht vor der Realität in eine Welt von Drogen hervorgerufener Illusionen. Oder sie ist eine Revolution gegen Krieg, Gewalt, Rassenvorurteil, Materialismus und Puritanismus . . . Aber sie ist mehr als das. Der Hippie ist ein Individuum, der glaubt, daß der amerikanische Weg falsch ist. Er ist ein wahrnehmungsfähiges Individuum, selbst wenn er halbverrückt ist, sein Geist von Drogen aufgebläht und er sich im Schmutz wälzt. Seine Wahrnehmung sagt ihm, daß man, um Präsident der Vereinigten Staaten zu werden, Millionär oder Verbündeter von Millionären sein muß . . . Johnson ist nicht ihr Führer, und der Krieg in Vietnam ist nicht ihre Sache."; „Die wirkliche Frage ist nicht, was wir mit den Hippies tun sollen, sondern: was sollen wir mit uns tun?") 125 Ebenda, S. 194. — („Sind die amerikanischen Menschen willens, die großen Städte in kleine Gemeinden zu teilen, wo die Leute einander kennen und sich füreinander verantwortlich fühlen?"; „Sind die amerikanischen Menschen bereit, einander zu lieben?") 126 Ebenda, S. 197. — („Ein Grund ist, es basiert auf einem lebenspulsierenden Rhythmus, einem Aufwärtstakt, der durch das Universum vibriert und die Menschen anfeuert. Jambisch ist das natürliche Metrum in jeder Musik und Literatur . . . Es sagt L e b e n — T o d , L e b e n — T o d , L e b e n — T o d . Da ist ein totaler Effekt, dann Verfall.") 127 Beitz, Die 'Counter Culture' . . ., S. 386. 128 Vgl.: Susan Sontag, Death Kit, New York 1968 (Ersterscheinung 1967). 129 Susan Sontag, Against Interpretation and Other Essays. New York 1969, S. 13. 130 Ebenda, S. 40. — („als Objekt und als Funktion, als Kunstwerk und als lebende Form des Bewußtseins, als Überwindung und Ergänzung der Realität und als explizit-Machen von Formen, der Realität zu begegnen, als autonome individuelle Schöpfung und als abhängiges historisches Phänomen.") 131 Ebenda, S. 39. — („wenn man nicht hinzufügt, daß die Bewegung nicht einfach weg von, sondern hin zur Welt verläuft. Das Überwinden oder Transzendieren der Welt in der Kunst ist auch eine Art, der Welt zu begegnen, und eine Art, den Willen zu trainieren oder zu erziehen, in der Welt zu sein.") 132 Ebenda, S. 299. 133 Ebenda, S. 23. — („Anstelle einer Hermeneutik brauchen wir eine Erotik der Kunst.") 134 Ebenda, S. 2 7 7 - 2 9 3 ; datiert 1964. 135 Ebenda, S. 277ff. — („seine Liebe zum Unnatürlichen: zum Künstlichen und zur Übertreibung"; „Camp-Sensibilität sei desengagiert, depolitisiert — oder wenigstens apolitisch"; sie „wendet das Ernsthafte ins Frivole"; „Camp ist eine bestimmte Art des Ästhetizismus.") 136 Ebenda, S. 280f. (Hervorhebung H. W.); („Camp ist eine Sicht der Welt im Sinne von Stil — aber einer besonderen Art von Stil."; „Der Androgyn ist sicherlich eine der großen Metaphern der C a m p - S e n s i b i l i t ä t . . . die raffinierteste Form sexueller Attraktivität (ebenso wie die raffinierteste Form des sexuellen Vergnügens) besteht darin, sich gegen die Richtung des eigenen Geschlechts zu stellen.") 137 Vgl.: Joseph Heller, Catch-22. New York 1961. 171
138 Vgl.: Leonard C. Lewin (Hrsg.), Report from Iron Mountain on the Possibility and Desirability of Peace. Harmondsworth 1968 (Ersterscheinung 1967). 139 Vgl.: Philip Roth, Our Gang. (Starring Tricky and His Friends). New York 1972 (Ersterscheinung 1971); es handelt sich hier um eine Satire auf den Präsidenten Richard Nixon. Freilich muß angemerkt werden, daß die Wirklichkeit, wie sie sich etwa in der Watergate-Affäre zeigte, die Satire übertrifft. 140 Vgl.: Philip Roth, Portnoy's Complaint. New York 1970 (Ersterscheinung 1969); vgl. ferner: ders., The Breast, London 1973. 141 Vgl.: Jacqueline Susann, The Love Machine. London 1970 (Ersterscheinung 1969): dies., Valley of the Dolls. London 1968 (Ersterscheinung 1966). Als weitere Belege sind zu nennen: Penelope Ashe (Pseudonym; das Buch ist von einigen Journalisten verfaßt), Naked Came the Stranger. London 1970 (Ersterscheinung 1969); Henry Sutton, The Exhibitionist, London o. J. (Ersterscheinung 1967). Analoge Beispiele der britischen Kulturszene sind Johnny Byrne/Jenny Fabian, Groupie. New York 1970 (Ersterscheinung 1969), und Patrick Skene Catling, The Experiment. London 1968 (Ersterscheinung 1967). Letzteres ist eine Persiflage auf das Sex-Labor von Masters und Johnson in St. Louis, Missouri. Am Beispiel dieser (und weiterer) Bestseller wird evident, daß der Faktor der Kommerzialisierung und Manipulierung bei nahezu allen von uns untersuchten Erscheinungen in Rechnung zu stellen ist; die Spannweite reicht vom kommerziellen Porno als Buch oder Film bis zu subkulturellen Erscheinungen wie den Hippies, Yippies, den Jesus-people und ihren entsprechenden Kleidermoden und ideologischen Klischees. 142 Terry Southern/Mason Hoffenberg, Candy. New York 1967 (Ersterscheinung 1964), S. 92f.: „In the fifth chapter of 'Masturbation Now!' I state expressly that heterosexual lovemaking is the root of all neuroses, a shabby illusion which misleads the ego, that we must endevour to keep it in its true place — as an aid, and adjunct to masturbation, which is the only sex-mode that permits complete fulfillment and mental health." Weitere Belegstellen zu den angeführten Themen; vgl. S. 165—173, 197—208, passim. („Im fünften Kapitel von Masturbation Jetzt!' konstatiere ich ausdrücklich, daß heterosexuelle Liebe die Wurzel aller Neurosen ist, eine schäbige Illusion, die das Ego auf Irrwege führt, die wir uns bemühen müssen unter Kontrolle zu halten — als Hilfe und Zutat zur Masturbation, welche die einzige Art Sex ist, die völlige Erfüllung und geistige Gesundheit erlaubt.") 143 N. Anastasjew, .Massenbelletristik' in den USA. Sozialer Auftrag und ästhetische Klischees. In: KL, Heft 11/1973, S. 1132, 1128f. 144 Vgl.: Harold Robbins. The Carpetbaggers. New York 1966, S. 3 5 0 - 3 5 4 ; 204, 584. 145 Harold Robbins, Stiletto. New York 1966 (Ersterscheinung 1960), S. 7 f. — („Das erste Mädchen und der erste Tod. Seltsam, wie sie immer zusammenzukommen schienen. Die Realität des Lebens war nie größer als in dem Moment, wenn man den Tod fest in seinen Händen umklammert hielt.") 146 Vgl.: Tom Wolfe, The Kandy-Kolored Tangerine-Flake Streamline Baby. London 1968 (Ersterscheinung 1965): ders., Radical Chic & Mau-Mauing the Flak Catchers. New York 1977 (Ersterscheinung 1970). 147 Ebenda, Überschriften zu den einzelnen Abschnitten. 148 Vgl.: Elia Kazan, The Arrangement. London 1968 (Ersterscheinung 1967). 149 Vgl.: James Jones, G o to the Widow-Maker. New York 1968 (Ersterscheinung 1967). 150 Vgl.: Erskine Caldwell, Summertime Island. London 1971 (Ersterscheinung 1968). 172
151 Anastasjew, Massenbelletristik . . ., S. 1129, spricht in diesem Zusammenhang von „.fröhlichem' Schock". 152 Vgl.: Erich Segal, Love Story. New York 1971 (Ersterscheinung 1970). 153 Vgl.: Charles A. Reich, The Greening of America. New York 1971 (Ersterscheinung 1970). 154 Brüning, Die Konzeption vom ,neuen amerikanischen Menschen' bei Charles A. Reich und Erich Segal, S. 396. 155 Vgl.: Herman Wouk, Youngblood Hawke. London 1964 (Ersterscheinung 1962); ders., Marjorie Morningstar. London 1965. 156 Vorliegende Ausgabe: Stephen Schneck, Der Nachtportier oder dessen völlig wahre Beichte. Übers, von Uwe Friesel. Reinbek b. Hamburg 1966. — Gespreizte literarische Ambition findet sich auch im sogenannten „Neo-Narrative" der Arlene Zekowski, wie sie ihn in „The Seasons of the Mind", New York 1969, praktiziert und theoretisch begründet. Verzweiflung am imperialistischen Kulturverfall führt zur Forderung nach „an Aristocratic Literature" (Ebenda S. 13) und nach „a new aristocracy of readers", denn „Mass man is a 2oth century barbarian" (Ebenda, S. 19); („einer aristokratischen Literatur"; „einer neuen Aristokratie der Leser"; „der Massenmensch ist ein Barbar des 20. Jahrhunderts".) Solche apokalyptisch-elitäre Vision ist seit Ortega y Gasset nicht mehr originell; bemerkenswert ist jedoch, daß die Bedingungen des krisenhaften staatsmonopolistischen Kapitalismus erneut zum Nährboden für solche ästhetischen Konzepte werden. Es liegt im Wesen letzterer und findet sich auch in Zekowskis Werk praktisch bestätigt, d a ß die so geschaffene Prosa stark zur Inkommunikabilität tendiert. 157 Vgl.: Hanns Heinz Ewers, Alraune. Die Geschichte eines lebenden Wesens. München 1919. 158 Vgl.: John Rechy, City of Night. New York 1964 (Ersterscheinung 1963). 159 Folgende Belegstellen seien zitiert: „Later I would think of America as one vast City of Night stretching gaudily from Times Square to Hollywood Boulevard — jukebox-winking, rock-n-roll-moanirig: America at night fusing its darkcities into the unmistakeble shape of loneliness." (Ebenda, S. 9) — „. . . that fusion of savage contradicitions within this legend called America." (Ebenda, S. 280) — „Sad for the whole rotten spectacle of the world wearing cold, cold masks. And I remember someone's words — from some darkcity: 'The. ice age of the heart'" (Ebenda, S. 341); („Später würde ich an Amerika denken als eine weite Stadt der Nacht, die sich marktschreierisch von Times Square bis Hollywood Boulevard erstreckt — Musikbox-leuchtend, Rock'n roll-stöhnend: Amerika nachts, das seine dunklen Städte zu der unverkennbaren Gestalt der Einsamkeit verschmilzt"; „jene Fusion von barbarischen Widersprüchen innerhalb der Legende, Amerika genannt"; „Traurig über das ganze verderbte Spektakel der Welt, die kalte, kalte Masken trägt. Und ich erinnere mich an jemandes Worte — aus irgendeiner dunklen Stadt ,Die Eiszeit des Herzens'.") 160 Vgl.: John Rechy, The Vampires, New York 1971. 161 Vorliegende Ausgabe: New York 1965 (Ersterscheinung 1964). 162 Vorliegende Ausgabe: New York 1971. 163 Vgl.: Hubert Selby, The Queen Is Dead. In: Last Exit to Brooklyn, S. 23—81. 164 Vgl.: Selby, Tralala. In: Ebenda, S. 9 3 - 1 1 6 . 165 Vgl.: Selby, Strike. In: Ebenda, S. 117-231.
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166 Der Naturalismus Nords', Cranes oder selbst des frühen Dreiser ließ die Möglichkeit realistischer Weiterentwicklung prinzipiell offen, weil neben der positivistisch determinierten t h e o r e t i s c h e n Sackgasse das Aufgreifen und Gestalten von Themen und Stoffen charakteristisch war, die vom entwickelten Industriekapitalismus bzw. vom beginnenden Monopolismus auf die Tagesordnung gesetzt wurden. Das bloße positivistische Registrieren dieser Erscheinungen schloß bereits die Möglichkeit des Forschens nach der sozialökonomischen Kausalität ein. Im Ergebnis dieses komplizierten künstlerisch-ideologischen Erkenntnisprozesses finden wir in Dreisers „An American Tragedy" voll ausgeprägten, in „Jennie Gerhardt", „The Financier" und „The Titan" vorbereiteten kritischen Realismus; diese Entwicklung ist in bedeutenden Ansätzen schon bei Cranes „The Monster" und Norris' „The Octopus" und „The Pit" nachweisbar. 167 So im Titel einer Rezension von Ray Gosling, A prisoner dreams of absolute evil. In: The Times, 24. 2. 1972, S. 14. („Ein Gefangener träumt vom absolut Bösen.") 168 Vgl.: Selby, The Room, S. 199-221. 137-149.
Henry
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1 Hier seien genannt: Tropic of Cancer, London 1965 (Ersterscheinung Paris 1934); Tropic of Capricorn, New York 1961 (Ersterscheinung Paris 1938); Sexus, New York 1965 (Ersterscheinung Paris 1962); Plexus, London 1963; Nexus, London 1964. 2 Ersterscheinung Paris 1936. Vorliegende Ausgabe: New York 1963. 3 Ersterscheinung 1950; vorliegende Ausgabe: Inside the Whale and Other Essays, Harmondsworth 1968. 4 Ebenda, S. 18. (Hervorhebung im Original). — („Die .demokratischen Ausblicke' endeten im Stacheldraht"; „Die Zivilisation zu akzeptieren, wie sie ist, bedeutet, Verfall zu akzeptieren.") 5 Orwells geradezu wütender Antikommunismus, der auch in diesem Essay beredten Ausdruck findet, muß hier weitgehend unberücksichtigt bleiben. 6 Darunter versteht Orwell z. B. all jene, die ihre Kunst in den Dienst der spanischen Republik stellten, Männer wie Hemingway, aber auch Auden und Spender. 7 Orwell, Inside the Whale . . ., S. 18. — (Hervorhebung H. W.) — („näher an den gewöhnlichen Menschen heranzukommen, als es zielbewußteren Schriftstellern möglich ist. Denn der gewöhnliche Mensch ist auch passiv."; „Weit davon entfernt, die Zukunft zu beeinflussen, legt er sich einfach nieder und läßt die Dinge mit sich geschehen.") 8 Ebenda, S. 19. — („Ich meine nicht, daß die Leute, über die Miller schreibt, eine Mehrheit darstellen, noch weniger, daß er über Proletarier schreibt."; „Millers .gewöhnlicher Mensch' ist weder der manuelle Arbeiter noch der vorstädtische Hausherr, sondern das menschliche Wrack, der Deklassierte, der Abenteurer, der amerikanische Intellektuelle ohne Wurzeln und ohne Geld."; „Dennoch: die Erfahrungen sogar dieses Typs decken sich weitgehend mit denen der normaleren Menschen. Miller war in der Lage, aus seinem eher begrenzten Material das meiste herauszuholen, weil er die Kraft gehabt hat, sich damit zu identifizieren.") 9 Ebenda, S. 43. — („Außer dem Tod ist dies der endliche, nicht zu übertreffende Zustand der Verantwortungslosigkeit.")
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10 Ebenda, S. 48 f. — („Scheinbar bleibt nichts anderes übrig als Quietismus — indem man die Realität dadurch ihrer Schrecken beraubt, daß man ihr einfach nachgibt . . . Überantworte dich dem Weltprozeß, . . . akzeptiere ihn einfach, ertrage ihn, zeichne ihn auf. Dies scheint die Formel zu sein, die sich jeder sensitive Romancier heute wahrscheinlich zu eigen macht.") 11 Ebenda, S. 40 — („Er fühlte absolut kein Interesse am spanischen Krieg. Er sagte mir lediglich, in starken Worten, daß es der Akt eines Idioten wäre, in diesem Moment nach Spanien zu gehen.") Orwell nahm — freilich in einer trotzkistischen Brigade — am Spanienkrieg teil, distanzierte sich allerdings schon 1938 von seinen kommunistischen Sympathien. 12 Norfolk, Conn., o. J. (Ersterscheinung 1939). 13 Harmondsworth 1964, (Ersterscheinung 1941). 14 New York o. J., (Ersterscheinung 1945). 15 Norfolk, Conn., o. J., (Ersterscheinung 1947). 16 Henry Miller, An Open Letter to Surrealists Everywhere. In: The Cosmological Eye, S. 162. — („Ich habe nie eine Zeile von Karl Marx gelesen"; „Karl Marx, so sagt man, erklärt die Struktur unserer kapitalistischen Gesellschaft . . . Die Gesellschaft besteht aus Individuen. Es ist das Individuum, das mich interessiert — nicht die Gesellschaft.") 17 Ebenda, S. 158. — ( „ I c h g l a u b e a n m i c h s e l b s t — das ist mein ganzes Credo.") 18 Ebenda, — („Ihre Illusionen und Verblendungen berühren mich schmerzlich, aber sie überzeugen mich nicht davon, daß ich dafür mein Leben geben sollte." „Mir scheint, daß die Menschen, die eine faschistische Welt schaffen würden, im Grunde die gleichen sind wie jene, die eine kommunistische Welt schaffen würden. Alle wollen sie Führer, die sie mit genügend Arbeit versorgen, um ihnen Nahrung, Kleidung und Wohnung zu geben.") 19 Miller, The Amazing and Invariable Beauford Delaney. In: Remember to Remember, S. 32. — („Hände ohne Seele . . . seelenlose Hände mit Warzen und Schwielen, geschäftig, geschäftig, sie machen unzählige Nichtigkeiten für Nicht-Wesen, die ohne Anmut, Licht, Weisheit oder Mitleid leben . . ."; „Hände, nicht geschäftig sondern kreativ: disziplinierte Hände, dazu bestimmt, sehenden Augen Freude zu geben. Hände, die einem altehrwürdigen Organismus angehören, nicht lokal sondern universell, dem Organismus der Bruderschaft der Menschen.") — Es scheint geboten, hier auf Norman O. Brown zu verweisen, der die von Freud nur implizierte These von der Oberherrschaft des Eros und der daraus folgenden Ersetzung der Arbeit durch das Spiel theoretisch zu Ende führt; Miller wird von Brown überdies ausführlich zitiert. Vgl.: Brown, Life Against Death, speziell S. 305. 20 Allein der Titel „The Air-Conditioned Nightmare" ist vielsagend; vgl.: Ebenda — Vgl. ferner die Satire auf den ,American way of life' in „The Colossus of Maroussi", S. 151 — 155; den Essay „The Staff of Life" über fließbandproduziertes Brot in Amerika. In: Remember to Remember, S. 35—53. 21 Henry Miller, Murder the Murderer. In: Remember to Remember, S. 152. — („die Versklavung sowohl der Weißen wie der Schwarzen"; „Heute ist niemand frei außer demjenigen, der das Geld hat oder die Maschinen, mit denen wir arbeiten"; „der große Führer"; „den blutigsten mörderischen Kampf, an dem je eine Nation teilnahm".) 175
22 Henry Miller, The Southland. In: The Air-Conditioned Nightmare, S. 250f. — („Wer weiß, welche Pracht aus solchen Zentren wie Charleston, Savannah, New Orleans hätte erblühen können!") 23 Vgl.: Henry Miller, Good News! God Is Love!. In: The Air-Conditioned Nighmare, S. 33. 24 „We are building an abstract, dehumanized world out of the ashes of an illusory materialism." („Wir bauen eine abstrakte, dehumanisierte Welt aus der Asche eines illusorischen Materialismus.") Miller, The Colossus of Maroussi, S. 240. — Vgl. auch die folgende bezeichnende Definition der civilization: „Civilization is drugs, alcohol, engines of war, prostitution, machines and machine slaves, low wages, bad food, bad taste, prisons, reformatories, lunatic asylums, divorce, perversion, brutal sports, suicides, infanticide, cinema, quackery, demagogy, strikes, lockouts, revolutions, putsches, colonization, electric chairs, guillotines, sabotage, floods, famine, disease, gangsters, money barons, horse racing, fashion shows, poodle dogs, chow dogs, Siamese cats, condoms, pessaries, syphilis, gonorrhea, insanity, neuroses, etc., etc." (Miller, An Open Letter . . . In: The Cosmological Eye, S. 177); („Zivilisation bedeutet Drogen, Alkohol, Kriegsmaschinen, Prostitution, Maschinen und Maschinensklaven, niedrige Löhne, schlechtes Essen, schlechten Geschmack, Gefängnisse, Erziehungsanstalten, Irrenanstalten, Ehescheidung, Perversion, brutalen Sport, Selbstmorde, Kindermord, Kino, Quacksalberei, Demagogie, Streiks, Aussperrungen, Revolutionen, Putsche, Kolonisation, den elektrischen Stuhl, Guillotinen, Sabotage, Überschwemmungen, Hungersnot, Krankheit, Gangster, Geldbarone, Pferderennen, Modeschauen, Pudel, ChowChows, Siam-Katzen, Kondome, Pessare, Syphilis, Gonorrhoe, Wahnsinn, Neurosen, usw., usw.") 25 Vgl. hierzu besonders das Vorwort in: Remember to Remember, S. vii—xxxvii. 26 Miller, Murder the Murderer, S. 165. — („Wir sind im Griff kosmischer K r ä f t e " ; „Wir sind in den Händen des Schicksals"; „Der ganze Sinn des Lebens ist im Wort Leiden enthalten.") 27 Ebenda, S. 129. (Hervorhebung H. W.); („Ich könnte niemals die Art Bücher geschrieben haben, die ich geschrieben habe, wäre ich nicht erfüllt gewesen von der a b s o l u t e n Ü b e r z e u g u n g d e s u n m i t t e l b a r b e v o r s t e h e n d e n E n d e s . " ) 28 Henry Miller, Glittering Pie. In: The Cosmological Eye, S. 344f. — („Die Ära der Kollektivität hat bereits begonnen. Amerika ist kommunisiert, von oben bis unten. Es braucht nur noch einen Lenin, oder einen Mussolini, oder einen Hitler." 29 Umfangreiche Belege in: Miller, Vorwort zu „Remember to Remember". S. xx—xxxvii. — („Alles geht vom lebenden Individuum aus"; „inspiratorischer Eifer"; „ein neues Reich des Bewußtseins"; „eine übermächtige Begierde"; „der kleine Mann, der Mann, der die schmutzige Arbeit macht, der Produzent"; „Wenn der kleine Mann auf der ganzen Welt so verzweifelt, daß er keine Minute, keine Sekunde mehr warten kann, dann nimm dich in acht, Welt!"; „In der Morgendämmerung jedes Zeitalters ist eine strahlende Figur erkennbar, in welcher der neue Zeitgeist verkörpert ist.") — Vgl. auch die folgende Passage: „ . . . a leader greater than any we have known in the past will arise to lead us out of the present impasse. But in order for such a figure to come into being humanity will have to go through an ordeal beyond anything heretofore known . . . We will have to become planetary citizens of the earth, connected with one another not by country, race, class, religion, profession or ideology, but by a common, instinctive rhythm of the heart." Miller, Murder the Murderer, In:
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Ebenda, S. 146. — („. . . ein Führer, größer als jeder, den wir in der Vergangenheit gekannt haben, wird erscheinen und uns aus der gegenwärtigen Sackgasse führen. Aber damit eine solche Figur lebendig wird, muß die Menschheit eine Prüfung bestehen, die jenseits aller bisherigen Erfahrung liegt . . . Wir müssen planetarische Bürger der Erde werden, miteinander verbunden nicht durch Land, Rasse, Klasse, Religion, Beruf oder Ideologie, sondern durch einen gemeinsamen, instinktiven Rhythmus des Herzens.") 30 Ebenda, S. xix. — („ein Ganzes, das keine politische Ideologie je umfassen k a n n " ; „einer neuen Mentalität, einem neuen Bewußtsein") 31 Miller, An Open Letter . . ., S. 179 (Hervorhebung H. W.) — („Um das Jahr 2000 werden wir uns völlig unter dem Einfluß von Uranus und Pluto befinden. Das Wort Kommunismus wird ein obsoleter Ausdruck sein, der nur noch Philologen und Etymologen bekannt ist. Wir werden den Boden vorbereiten für die neue Anarchie, die mit der Ankunft des neuen Tierkreiszeichens, Aquarius, beginnen wird.") 32 Miller bezeichnet die Begegnung mit der amerikanischen Anarchistin Emma Goldman (1869—1940) als „Die wichtigste Begegnung meines Lebens"; siehe „Autobiographical Note". In: Ebenda, S. 368. — Zum Anarchismus: vgl. auch die Anthologie Marshall S. Shatz (Hrsg.), The Essential Works of Anarchism. New York 1971, speziell zu Emma Goldman S. 312—355. 33 Man wird hier an die später entwickelten Drogen- und Bewußtseinsmanipulationen William S. Burroughs' sowie an den LSD-Propheten Timothy Leary erinnert; vgl. u. a.: W. S. Burroughs, The Naked Lunch, London 1964 (Ersterscheinung 1959): Daniel Odier, The Job. Interviews with William S. Burroughs, New York 1972; David Solomon (Hrsg.), LSD: The Consciousness-Expanding Drug, speziell die „Introduction" (Einleitung) von Leary (S. 11—28). 34 Miller, An Open Letter . . ., S. 156. — („Die Rolle des Künstlers in der Gesellschaft besteht darin, die primitiven, anarchischen Instinkte wieder zu beleben, die für die Illusion, im Komfort zu leben, geopfert werden.") 35 Ebenda, S. 156ff. — („ein anonymes Leben in der Bruderschaft der Menschen".) 36 Ebenda, S. 151 f. — („Größenwahnsinnige wie Hitler und Mussolini"; „Unter der Gürtellinie sind alle Menschen Brüder.") 37 Ebenda, S. 174f. — („Jeder möge seinen Blick nach innen richten und sich mit Scheu und Wunder, mit Mysterium und Verehrung betrachten; jeder möge seine eigenen Gesetze, seine eigenen Theorien verkünden . . . Jeder möge, als Individuum, die Rolle des Künstlers, Heilers, Propheten, Priesters, Königs, Kriegers, Heiligen annehmen. Keine Teilung der Arbeit. Wir wollen die verstreuten Elemente unserer Individualität wieder zusammenfügen. Wir wollen uns reintegrieren."; „. . . des Es, des großen unbekannten Reservoirs und Fundaments der Menschheit"; „dieser Identität des Nährbodens, dieser Bruderschaft unterhalb der Gürtellinie.") 38 C. G. Jung, Das Unbewußte im normalen und kranken Seelenleben (III. vermehrte und verbesserte Aufl. der „Psychologie der unbewußten Prozesse"). Zürich, Leipzig, Stuttgart 1926. — Die jüngste amerikanische Miller-Studie basiert völlig auf der Jungschen Archetypen-Lehre, ohne sich freilich die Mühe zu machen, Jungs Einfluß auf Miller nachzuweisen; vgl.: Jane A. Nelson, Form and Image in the Fiction of Henry Miller. Detroit 1970. — Über den urgesellschaftlichen Zusammenhang zwischen künstlerischem und religiösem Bewußtsein, die Rolle des Mythos und der Magie 12
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vgl. auch: M. Kagan, Vorlesungen zur marxistisch-leninistischen Ästhetik. Berlin 1971, S. 180-183. Miller, The Colossus of Maroussi, S. 208. — („daß das Leben des Künstlers, seine Hingabe an die Kunst, die höchste und letzte Phase des Egoismus im Menschen ist"; „Ich fühle . . . eine wachsende Befreiung, mehr und mehr ergänzt durch den Wunsch, der Welt in der höchstmöglichen Weise zu dienen"; „Ich spürte ein Gefühl der Verantwortung, wie ich es nie zuvor gekannt hatte.") Vgl. hierzu Kagans wichtige Überlegungen über die Dialektik des Sozialen und Individuellen; Kagan, Vorlesungen . . ., S. 352—356. Miller, The Colossus of Maroussi, S. 209. — (Hervorhebung H. W.) — („Die Kunst, wie auch die Religion, . . . ist nur eine Vorbereitung, eine Initiation des Lebens. Das Ziel ist Befreiung, Freiheit, was bedeutet, größere Verantwortung auf sich zu nehmen. Es scheint nichtig, über den Punkt der Selbstverwirklichung hinaus zu schreiben . . . Die Meisterung jeder Form des Ausdrucks sollte zwangsläufig zum endlichen Ausdruck führen — Meisterung des Lebens. In diesem Reich ist man absolut allein, man sieht sich den wirklichen Elementen der Schöpfung gegenüber.") Miller, The Universe of Death, In: The Cosmological Eye, S. 125 — („eine wilde Masturbation in vierzehn Sprachen".) Miller, An Open Letter . . . In: Ebenda, S. 193. — „The world problem becomes the problem of the Self. The world problem is the projection of the inner problem. It is a process of expropriating the world, of becoming God." Und ,,. . . there will always be a gulf between the creative artist and the public because the latter is immune to the mystery inherent in and surrounding all creation." Miller, Obscenity and the Law of Reflection. In: Remember to Remember, S. 280.— („Das Weltproblem wird zum Problem des Selbst. Das Weltproblem ist die Projektion des inneren Problems. Es ist ein Prozeß der Enteignung der Welt, des Gott-Werdens."; ,,. . .es wird immer eine Kluft zwischen dem schöpferischen Künstler und dem Publikum geben, weil letzteres gegenüber dem Mysterium jeder Schöpfung immun ist.") — Dieses Zitat widerspiegelt auch deutlich den Einfluß Ortega y Gassets; vgl.: José Ortega y Gasset, The Dehumanization of Art and Other Writings. Garden City/New York 1956. Vorliegende Ausgabe: New York 1965; (Ersterscheinung Paris 1956); die beiden Episoden des Bandes, nämlich „Quiet Days in Clichy" und „Mara-Marignan", wurden 1940 geschrieben, 1956 überarbeitet. Miller, An Open Letter . . . In: The Cosmological Eye, S. 161 (Hervorhebungen im Original!); („Ich schrieb kein Stück Fiktion: ich schrieb ein autobiographisches Dokument, ein m e n s c h l i c h e s Buch."; „An einem bestimmten Punkt meines Lebens entschloß ich mich, daß ich künftig über mich selbst, meine Freunde, meine Erfahrungen, was ich wußte und was ich mit eigenen Augen gesehen hatte, schreiben würde. Alles andere ist meiner Meinung nach Literatur, und ich b i n an L i t e r a t u r nicht interessiert.") Miller, Autobiographical Note. In: The Cosmological Eye, S. 371. — („eine größere R E A L I T Ä T " ; „Obszönität"; „Gewalttätigkeit"; „Imagination"; „Phantasie"; „eine Freiheit, bisher nicht erträumt"; „eine wirkliche, innere Harmonie, einen inneren Frieden — und Stille"; „unfruchtbaren Plateau des Intellektualismus"; „Ich bin kein Realist oder Naturalist; ich bin für das Leben, das in der Literatur . . . nur erreicht
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werden kann durch den Gebrauch des Traums und des Symbols. Im Grunde bin ich ein metaphysischer Schriftsteller . . .") Shatz, The Essential Works of Anarchism, Einleitung, S. xx. — („der Anarchist sieht den Menschen weniger als Homo faber . . . denn als Homo ludens . . . Die Funktion seiner Arbeit ist nicht, die Welt um sich herum neu zu schaffen, sondern die schöpferischen Kräfte seiner Persönlichkeit zu manifestieren"; „eine breite Strähne von Antiintellektualismus"; „eine Exaltation des ,Lebens' über das ,Denken'".) — Vgl.: auch Lenins thesenhafte Einschätzung des Anarchismus „Anarchismus und Sozialismus" in: W. I. Lenin, Werke, Band 5, Berlin 1958, S. 334—337. Vgl.: Walter Hollitscher, ,Kain' oder Prometheus? Zur Kritik des zeitgenössischen Biologismus. Berlin 1972, — Obwohl Hollitscher den Anarchismus unberücksichtigt läßt, sind die Prinzipien seiner Auseinandersetzung in unserem Kontext relevant. Miller, Sexus, S. 281. — („Sie fickte gern mit der inneren Vagina, absolut still liegend, wie in Trance. Mit aufgerichteten Signalen, ausgedehnt, jubilierend, zuckend, kitzelnd, saugend, klammernd, konnte sie nach Herzenslust ficken, bis der letzte Tropfen Saft erschöpft war.") Sidney Finkelstein, Existentialism and Alienation in American Literature. New York 1965, S. 205. — („Kampf gegen die Gesellschaft, gegen die Prüden und Philister"; „Kapitulation vor dem Verlust der Humanität".) Miller, Sexus, S. 105, — („Vagina und Penis sind verheiratet, zum Teufel, egal ob die Körper verschiedene Wege gehen . . . Sie öffnet und schließt sich wie eine Blume . . . Die Blume sagt: Bleib dort, Junge! Die Blume spricht wie ein trunkener Schwamm. Die Blume sagt: Ich nehme dieses Stück Fleisch, ich werde es hegen, bis ich erwache. Und was sagt der Körper, der unabhängige Flaschenzug, der sich auf Kugellagern bewegt? Der Körper ist verwundet und erniedrigt. Der Körper hat zeitweilig Namen und Adresse verloren.") Wir können Leslie Fiedlers (Waiting for the End. The American Literary Scene from Hemingway to Baldwin. Harmondsworth 1967, S. 43) Beobachtung in diesem Zusammenhang nicht zustimmen : „To Miller sex ist not an instrument of power and degradation but a howling joke, and the most comic of all created things is the female sex organ as observed by his own oddly objective, though properly concupiscent, eye." — (Für Miller ist Sex nicht ein Instrument der Macht und Degradation, sondern ein toller Spaß, und das komischste aller Dinge der Schöpfung ist das weibliche Geschlechtsorgan, wie es von seinem eigenen seltsam objektiven, gleichwohl lüsternen Auge beobachtet wird.") Fiedlers Versuch einer historischen Relativierung Millers ist nicht akzeptabel, weil er von einer verzerrten, stark antikommunistisch gefärbten Sicht der 30er Jahre ausgeht. Ebenda, S. 41—50. Miller, Sexus. S. 126. — („Sie kauerte auf allen vieren wie ein Tier, zitternd und wiehernd mit unverhüllter Lust. Kein menschliches Wort aus ihr, kein Zeichen, daß sie irgendeine Sprache kannte außer dieser . . .") Vgl.: Finkelstein, Existentialism . . ., S. 207. — „Miller the poet is bright, sensitive, curious, observant, full of vitality, and the pity ist that Miller the mind gives the poet so little to work with. He swings between a passionate welcome to life and furious revulsion against it, between a humanized and an alienated response to the same object." — („Miller der Dichter ist gescheit, sensitiv, neugierig, gut beobachtend, voller Vitalität, und das Unglück ist, daß Miller, der Denker, dem Dichter so wenig zu arbeiten gibt. Er schwankt zwischen einer leidenschaftlichen Bejahung des Lebens 179
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und wütender Ablehnung, zwischen einer vermenschlichten und einer entfremdeten Haltung gegenüber dem gleichen Objekt.") Miller, Sexus, S. 603f. — („Theoretisch ist alles ideal, gerecht, billig . . . Doch durch irgendein seltsames, mystisches Übereinkommen vollführt eine Frau namens Cleo einen obszönen Tanz in einem verdunkelten Haus neben einer Kirche . . . Ihr Tanz ist eine Verletzung der Verfassung der Vereinigten Staaten. Er ist archaisch, primitiv, obszön, er ist nur dazu angetan, die niedrigen Leidenschaften von Männern und Frauen zu entzünden. Er hat nur einen ehrlichen Zweck — die Kasseneinnahmen der Minsky-Brüder zu vermehren. Das tut er auch. Und hier muß man aufhören, über den Gegenstand nachzudenken, oder man wird verrückt.") — Nelson, Form and Image . . ., S. 65—71, widmet der Cleo-Episode große Aufmerksamkeit, wobei sie den von uns akzentuierten Aspekt völlig negiert, statt dessen aber Cleo als Archetypus der „Terrible Mother" in Anlehnung an die Lehren C. G. Jungs und Erich Neumanns interpretiert. Wir sehen uns in diesem Gedankengang durch M. Kagan bestätigt, der für die Ästhetik folgendes feststellt: „Das Allgemeinmenschliche, das Unvergängliche ist in der Kunst wie auch im Leben nicht etwas dem Konkret-Historischen, dem Veränderlichen und Vergänglichen absolut Entgegengesetztes. Gerade deshalb ist die für die Ästhetik des Freudismus und des Existentialismus charakteristische Abgrenzung des Ewigen und des Zeitlichen, des Unvergänglichen als Biologisches und Gesellschaftliches, als Sexuelles und Soziales nicht annehmbar . . ." (Kagan, Vorlesungen . . ., S. 446) Leslie Fiedlers Begriff der „anti-structure" („Waiting for the End", S. 42) erscheint uns deshalb unannehmbar. — Differenzierter ist Kingsley Widmers Auffassung, der die Unordnung als Ordnungsprinzip ansieht: vgl.: Kingsley Widmer, Henry Miller. New York 1963, S. 27. Marx/Engels, Die deutsche Ideologie. MEW, Band 3, S. 46. Diesen Versuch unternimmt Nelson, „Form and Image . . .", S. 23 et passim. Vgl.: Charles I. Glicksberg, The Seif in Modern Literature. University Park, Penn., 1963. Kagan, Vorlesungen . . ., S. 449. So Glicksberg, The Seif in Modern Literature, S. 92: „Like Henry Miller, . . . Durrell relates the theme of sex to the quest for self-realization, connected with the compulsion of sex is the basic need to search for self-identity." („Wie Henry Miller . . . bezieht Durrell das Thenia Sex auf die Suche nach Selbstverwirklichung: verbunden mit dem Zwang des Sex ist das grundlegende Bedürfnis, nach Selbst-Identität zu suchen.") Miller, Sexus, S. 259f. — („Er verstand nicht, warum ich mit meiner Position im Leben unzufrieden sein sollte, besonders da ich so viel Gutes tat. D a ß man gründlich Ekel empfinden konnte davor, ein bloßes Instrument des Guten zu sein, war für ihn undenkbar."; „Als ich durch die Straßen raste, wiederholte sich ein Satz wieder und wieder: .Welches ist das wahre Selbst?'"; „Wenn du darauf bestehst, deine Impulse zu drosseln, endest du als ein Klumpen Schleim. Schließlich speist du einen Klumpen aus, der dich vollständig leer macht und der, wie du erst Jahre später erkennst, kein Auswurf war, sondern dein innerstes Selbst. Wenn du das verlierst, wirst du immerzu durch dunkle Straßen rasen, wie ein Verrückter, der von Phantomen verfolgt wird. Du wirst immer mit völliger Aufrichtigkeit sagen können: ,Ich weiß nicht, was ich im Leben tun möchte.' Du kannst dich direkt durch
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das Netzwerk des Lebens stoßen und kommst am falschen Ende des Teleskops heraus, siehst alles entfernt, außer Reichweite, und teuflich verdreht. Von da an fängt das Spiel an. Egal welche Richtung du einschlägst, du wirst dich in einem Spiegelsaal finden; du wirst wie ein Wahnsinniger rasen und nach einem Ausgang suchen, und du wirst finden, daß du nur von verzerrten Bildern deines eigenen kostbaren Selbst umgeben bist.") Über Spenglers „Der Untergang des Abendlandes" heißt es z. B.: „To us it was life, the elixir of life. We got drunk on it every time we met." (Miller, Plexus, S. 561) — („Für uns war es Leben, das Elixier des Lebens. Wir wurden davon betrunken, sobald wir ihm begegneten.") — Wenig später heißt es über das gleiche Werk : „Today I think what a pity it is that, as a frontispiece to this phenomenal work, there is not reproduced the horoscope of the author." (Ebenda, S. 562); „Heute denke ich, wie schade es ist, daß das Horoskop des Autors nicht als Frontispiz dieses phänomenalen Werkes abgedruckt wird.") Zitat rm Text S. 562. — („Jene Kluft zwischen dem urzeitlichen Menschen, der mystisch partizipierte, und dem modernen Menschen, der lediglich mittels sterilen Intellekts kommunizieren kann, kann nur überbrückt werden durch einen neuen Typus Mensch, den Menschen mit kosmischem Bewußtsein.") Vgl.: M. A. Dynnik, M. T. Jowtschuk u. a. (Hrsg.), Geschichte der Philosophie. Band VI, Berlin 1967, S. 538; — Erinnert sei auch an Thomas Manns bereits 1924 entstandenen, brillant-polemischen Essay „Über die Lehre Spenglers"; vgl.: Thomas Mann, Altes und Neues. Kleine Prosa aus fünf Jahrzehnten. Berlin und Weimar 1965, S. 1 6 5 - 1 7 3 . Miller, Plexus, S. 562. — („Eine Morphologie der Geschichte, obgleich sie gültig, erregend, inspirierend sein mag, ist dennoch eine Todeswissenschaft, Spengler war nicht an dem interessiert, was jenseits der Geschichte liegt. I c h b i n es. A n d e r e s i n d es. Selbst wenn Nirvana nur ein Wort sein mag, es ist ein trächtiges Wort, es enthält ein Versprechen. Jenes ,Geheimnis' im Herzen der Welt kann noch offengelegt werden . . . Wenn die Lösung des Lebens darin besteht, es zu leben, dann laßt uns leben, laßt uns in der Fülle leben! Die Meister des Lebens kann man nicht in Büchern finden. Sie sind keine h i s t o r i s c h e n Figuren. Sie befinden sich in der Ewigkeit, und sie beschwören uns unaufhörlich, uns mit ihnen in der Ewigkeit zu vereinen.") Ein Beispiel wurde bereits angeführt, vgl. die Cleo-Episode, oben, S. 115F. — Ein weiteres beredtes Zeugnis ist der obszöne Tanz Helens vor den 12 Mitgliedern der Xerxes Society, der eine Massen-Onanie auslöst (Vgl.: Miller, Plexus, S. 241—243). Ein besonders eindringliches früheres Beispiel ist das im Traumbereich angesiedelte .Scenario" (in „The Cosmological Eye", S. 75—106) mit den beiden Frauengestalten Alraune und Mandra; der Name der ersteren und die schwüle Atmosphäre des ganzen Szenariums erinnern teilweise an Hanns Heinz Ewers, Alraune, München 1919. Miller, Nexus, S. 149 — („Es war, als ob, wenn ich die Feder in die Hand nahm, die ,Archons" herbeizitiert würden. Ja, die Archons! Jene mysteriösen Ganzheiten, jene kosmischen Enzyme, die in jedem Samen wirken, die die strukturelle und ästhetische Schöpfung jeder Blume, jeder Pflanze, jedes Baumes, jedes Universums bewerkstelligen. Die Kräfte drinnen. Ein immerwährendes Ferment, aus dem Gesetz und Ordnung stammen.") 181
69 Nelson, Form and Image . . ., S. 23. — („Die Fragmentation des archetypischen Weiblichen erlaubt es Miller, die chthonischen Kräfte des Unbewußten, die nach Jung durch das Weibliche symbolisiert werden, zu gestalten oder ins .Bewußtsein' zu bringen.") 70 M. Kagans Beobachtung, daß die dekadente bürgerliche Kunst sich primitivistisch orientiert, d. h. die Kunst der Urgemeinschaft rezipiert, wird von Jane A. Nelson unbewußt in ihrer gesamten Arbeit bestätigt (Vgl.: Kagan, Vorlesungen . . ., S. 534f.). 71 Vgl.: Robert Weimann, Tradition und Krise amerikanischer Literarhistorie. Zu ihrer Methodologie und Geschichte. In: WB, Heft 3/1965, speziell S. 430f. 72 Dem Roman „Nexus" ist, lediglich durch Gogols Namen gekennzeichnet, eine Seite russischer Text vorangestellt; es handelt sich um das berühmte Troika-Bild am Ende des ersten Bandes der „Toten Seelen"; vgl.: Nikolai Gogol, Tschitschikows Abenteuer oder Tote Seelen, übersetzt von Elisabeth u. Wladimir Wonsiatsky, Leipzig o. J., S. 3 4 5 - 3 4 7 . 73 Die Liste der prominenten Vertreter des Anarchismus allein innerhalb der hier aufgezählten Namen ist beachtlich: sie reicht von Bakunin und Kropotkin bis zu Herbert Read und schließt Tolstoi ein, der vom Anarchismus als der Ihre beansprucht wird (Vgl.: Shatz [Hrsg.], The Essential Works . . ., S. 2 2 9 - 2 6 5 ) . 74 Nicht nur Jakob Boehme und Nostradamus werden von Miller so gesehen, sondern vor allem auch Dostojewski und Hermann Hesse. Über die Wirkung Hesses auf die spätbürgerliche Kultur, auch in den USA; vgl. den sehr aufschlußreichen Aufsatz von Hans-Joachim Bernhard „Hesse-Pflege und Hesse-Kult". In: Neue Deutsche Literatur, Heft 1/1973, S. 103-128. 75 Vgl. hier besonders die Benn-Zitate in „Plexus", S. 242f. 76 Der Titel der Trilogie, „The Rosy Crucifixion", geht auf eine Reihe von geheimen Religionsgemeinschaften zurück, die vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart in verschiedenen Ländern eine Rolle spielten, zumeist unter dem Namen Societas Roseae Crucis; um 1900 in den USA, geführt von Max Heindel, The Rosicrucian Fellowship. Alle diese Gesellschaften befaßten sich mit Okkultismus, vielfach mit Alchimie und Astrologie. 77 Vgl. dazu den Gesamtkontext von Georg Lukacs „Die Zerstörung der Vernunft", Berlin 1954. 78-Vgl.: Marx/Engels, Die Deutsche Ideologie, speziell S. 101 — 136; Lenin, Anarchismus und Sozialismus. 79 Vgl.: Robert Steigerwald, Marxistische Klassenanalyse oder spätbürggrliche Mythen. In: Zur Kritik der bürgerlichen Ideologie, Band 15, Berlin 1972, S. 68f. et passim. 80 Ebenda, S. 68: Steigerwald spricht — bezogen auf Ideologen der Neuen Linken — von einer „Erneuerung des Golem-Mythos". 81 Vgl.: Anmerkung 70. 82 Vgl.: Gertraud Korf, Ausbruch aus dem ,Gehäuse der Hörigkeit'? Kritik der Kulturtheorien Max Wehers und Herbert Marcuses. In: Zur Kritik der bürgerlichen Ideologie, Band 5, I erlin 1971; Steigerwald, Herbert Marcuses ,dritter Weg', Berlin 1969. 83 Vgl.: Marcuse: Eros and Civilization. 84 Vgl.: Reich, Die sexuelle Revolution; ders., The Function of the Orgasm. SexEconomic Problems of Biological Energy, London 1968. Von Miller wird Reich erwähnt; vgl.: Miller, Plexus, S. 385. 182
85 Vgl.: Anmerkung 19. 86 Z. B.: Paul Goodman; vgl.: Shatz (Hrsg.), The Essential Works . . S. 5 7 5 - 5 9 7 . 87 Z. B. durch den „korrelativen Mythos von Pluralismus und Totalitarismus"; vgl.: Steigerwald, Marxistische Klassenanalyse oder spätbürgerliche Mythen, S. 84. 88 Miller, Nexus, S. 148. — („Die große Frage war jene ewige, scheinbar unbeantwortete: was habe ich der Welt zu sagen, das so verzweifelt wichtig wäre? Was habe ich zu sagen, das nicht schon — tausende Male — gesagt worden wäre, von unendlich begabteren Männern? War es bloßes Ego, dieses zaghafte Bedürfnis, gehört zu werden? In welcher Weise war ich einzigartig? Denn wenn ich nicht einzigartig wäre, dann wäre es, wie wenn man einer unwägbaren astronomischen Zahl eine Ziffer hinzufügte.")
William S. Burroughs 1 Erinnert sei hier an Norman Mailers Meinung nach Erscheinen der ersten Kapitel des „Naked Lunch" in einer Zeitschrift, daß Burroughs wahrscheinlich „seinen Rang als einer der wichtigsten Schriftsteller Amerikas einnehmen wird"; Norman Mailer, Advertisements for Myself. London 1963, S. 347, Fußnote. 2 Vgl.: William S. Burroughs, The Naked Lunch. London 1964 (Ersterscheinung Paris 1959). S. 1 0 0 - 1 0 3 . 3 Ebenda, S. 7. — („Bestimmte Passagen in dem Buch, die pornographisch genannt worden sind, wurden als Traktat gegen die Todesstrafe geschrieben, in der Art von Jonathan Swifts „Modest Proposal". Diese Abschnitte sollen die Todesstrafe als den obszönen, barbarischen und ekelerregenden Anachronismus enthüllen, der sie wirklich ist. Wie immer — der Lunch ist nackt.") 4 Robert Steigerwald schreibt in bezug auf Freud, er habe „ganz einfach die barbarischen Grundzüge des Lebens unter imperialistischen Bedingungen zu anthropologischen Konstanten umgedeutet, ein in der bürgerlichen Gesellschaftstheorie von alters her bekanntes Verfahren." Steigerwald, Marxistische Klassenanalyse oder spätbürgerliche Mythen, S. 72; vgl. dazu auch die grundsätzliche Biologismus-Kritik Walter Hollitschers in ,,,Kain' oder Prometheus?", Berlin 1972. 5 Alle Beispiele aus William S. Burroughs' Nova Express, London 1966; („Todeszwerge"; „Sexzwerge"; „Redezwerge"; „Nova-Polizei"; „Nova-Pöbel"; „UranWilli"; „Lesbische Agenten"; „Insektenmenschen von M i n r a u d " ; „Gemüsemenschen"; „Schwermetallmenschen vom U r a n u s " ; „Paralysierte Orgasmus-Süchtige"; „Sex-Äquilibristen"; „Sodomitische Akrobaten".) 6 William S. Burroughs, The Wild Boys. A Book of the Dead. New York 1971. 7 Vgl. hierzu besonders die Einleitung zu „The Naked Lunch", S. 1 —11, sowie den Anhang zum gleichen Werk, einen Auszug aus dem „British Journal of Addiction", Band 53, Nr. 2, enthaltend einen Artikel aus Burroughs' Feder; Ebenda, S. 235—251. — Vgl. ferner: William S. Burroughs, Dead Fingers Talk. London 1966 (ein Werk, das aus Fragmenten früherer Werke zusammengeschrieben worden ist und hauptsächlich das Thema Rauschgift behandelt). 8 Die Skala reicht von Huxleys Empfehlung von „reiner Rezeptivität und geistiger Stille" (Aldous Huxley, Culture and the Individual. In: David Solomon [Hrsg.], LSD: The Consciousness-Expanding Drug, S. 42) bis hin zu einem Beobachter der von 183
Leary initiierten International Federation for Internal Freedom (IFIF), der folgendes zu berichten weiß: „In my opinion, the IFIF people are social revolutionaries with a religious base using these extraordinary new drugs as both sacramental material and power medicine. I think they hope to establish a Good Society in the United States and eventually in all lands by establishing cells of good will in our cities and towns." Gewürzt wird dies noch durch die Nachbemerkung: „. . . Christ and Hitler started small; all revolutionaries meet initially in ridiculous barns and bar-rooms. So what is especially minor league about a hotel on the Mexican coast that sleeps forty (dem Sitz der famosen IFIF, H. W.)?"; (Alan Harrington, A Visit to Inner Space. In: Ebenda, S. 78); („Nach meiner Meinung sind die IFIF-Leute soziale Revolutionäre mit einer religiösen Basis, die diese außergewöhnlichen neuen Drogen sowohl als sakramentales Material wie als starke Medizin benutzen. Ich glaube, sie hoffen, eine Gute Gesellschaft in den Vereinigten Staaten und schließlich in allen Ländern etablieren zu können, indem sie Zellen des guten Willens in unseren Städten einrichten."; „. . . Christus und Hitler fingen klein an; alle Revolutionäre treffen sich anfänglich in lächerlichen Scheunen und Bars. Was ist also so besonders kleinkariert an einem 40-Betten-Hotel an der mexikanischen Küste?") 9 Burroughs, The Naked Lunch, S. 7. — („Stoff ist großes Geschäft. . ."; „ D e r D r o g e n V i r u s ist d a s P r o b l e m N r . 1 d e r ö f f e n t l i c h e n G e s u n d h e i t in d e r W e l t v o n heute." 10 Odier (Hrsg.), The Job. Interviews with William S. Burroughs, S. 121 f. — („. . . Drogen sind eines der idealen Machtinstrumente. Das sogenannte Drogenproblem ist ein Vorwand . . ., Polizeigewalt über Gebiete tatsächtlicher oder potentieller Opposition auszudehnen. In den westlichen Ländern ist die Opposition in der Altersgruppe 18—25 Jahre konzentriert. Man mache also mehr Drogengesetze, publiziere alle Drogennachrichten, und ein beträchtlicher Prozentsatz der Opposition ist laut gesetzlicher Definition kriminell . . . Die Behörden schätzen, daß nicht weniger als 10 Millionen Amerikaner mindestens einmal Marihuana probiert haben . . . Natürlich kann man nicht 10 Millionen Menschen einsperren — das hieße zu sehr mit offenen Karten spielen. Wenn es etwas gibt, das die westlichen Autoritäten nicht möchten, dann ist es dieses Spiel mit offenen Karten. Aber sie können die jungen Menschen unter der ständigen Bedrohung polizeilicher Aktionen halten und gleichzeitig Rebellionen in die ausweglosen Kanäle der Sucht und Kriminalität ablenken.") 11 Burroughs, Points of Distinction between Sedative and Consciousness-Expanding Drugs. In: Salomon (Hrsg.), LSD . . ., S. 174. — („Mir will scheinen, daß Cannabis und die anderen Halluzinogene einen Schlüssel zum kreativen Prozeß darstellen und daß ein systematisches Studium dieser Drogen den Weg für nicht-chemische Methoden der Bewußtseinserweiterung öffnen würde.") 12 Odier (Hrsg.), The Job . . ., S. 64. — („Mir scheint, ganz entschieden nicht."; „Was geschieht z. B., wenn die Regierung die sogenannten Produktionsmittel übernimmt? Nichts. Unsere Fabriken im Westen sind heute praktisch Staatseigentum. Das heißt, jemand kann eine Fabrik besitzen, aber ihm wird vorgeschrieben, wieviel er seinen Arbeitern zahlen muß, wie viele Leute er beschäftigen kann . . . Er ist wenig mehr als ein Manager, und seine Position unterscheidet sich kaum von der eines Managers einer russischen Fabrik ") 13 Burroughs, Nova Express, S. 49. — („der alte gesplitterte rosa Karneval 1917"; „trauriger kleiner Bewässerungsgraben".)
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14 Genauer zu Reich: vgl. Kap. I, S. 23—30. 15 Burroughs, Nova Express, S. 168. — („Sehen Sie, Sex ist eine elektrische Ladung, die an- und abgeschaltet werden kann, wenn man die elektromagnetische Schalttafel kennt — Sex ist ein elektrischer Fleischhandel.") 16 Odier (Hrsg.), The Job . . ., S. 57; vgl. auch: Ebenda, S. 8 4 - 8 9 . 17 Ebenda, S. 116. 18 Vgl.: Ebenda, S. 150f„ und „The Naked Lunch", S. 2 - 4 . 19 Odier (Hrsg.), The Job . . ., S. 73. — („Es sollte mehr Aufstände und Gewalttätigkeiten geben . . . Das beste was sie tun können ist, die Bude auseinanderzunehmen, ehe sie in einem nuklearen Krieg vernichtet werden . . . Junge Menschen sind die einzige effektive Herausforderung an die etablierte Autorität . . . Die etablierte Autorität geht überall gegen die jungen Menschen vor. Es ist heute buchstäblich ein Verbrechen, jung zu sein. Dies ist ein umfassender Krieg, in welchem die Opposition die schmutzigste Taktik anwenden wird, über die sie verfügt. Das einzige Land, das die Unterstützung seiner jungen Menschen gewonnen hat, ist Rotchina . . ."') 20 Ebenda, S. 91. 21 Burroughs, Dead Fingers Talk, S. 76f. — („Rock-and-Roll Halbstarke stürmen die Straßen aller Nationen. Sie stürmen in den Louvre und spritzen Säure in Mona Lisas Gesicht. Sie öffnen Zoos, Irrenanstalten, Gefängnisse, sprengen Hauptwasserrohre mit Preßlufthämmern, hacken den Fußboden aus den Toiletten der Passagierflugzeuge, schießen Leuchttürme aus, feilen Fahrstuhlkabel an, leiten Abwässer in die Trinkwasserversorgung, werfen Haifische und Stachelrochen, elektrische Aale und Candiru in Schwimmbecken (der Candiru ist ein kleiner aalähnlicher Fisch oder Wurm, etwa V4 Zoll dick und 2 Zoll lang, er bevorzugt bestimmte berüchtigte Flüsse im AmazonasBecken, er stürzt sich auf deinen Penis oder Anus oder die Vagina einer Frau und hält sich dort mit scharfen Stacheln fest; welche Motive ihn dabei bewegen, ist nicht bekannt, da noch niemand den Lebenszirkel des Candiru in situ beobachtet hat), in Matrosenkleidung rammen sie die Queen Mary mit voller Kraft in den New Yorker Hafen, sie spielen Haschen mit Passagierflugzeugen und Bussen, sie gehen in Krankenhäuser in weißen Kitteln und mit drei F u ß langen Sägen und Äxten und Skalpellen, werfen Paralytiker aus den eisernen Lungen (und äffen das Ersticken, das Auf-dem-Boden-Wälzen und Augenrollen nach), sie geben Injektionen mit Fahrradluftpumpen, klemmen künstliche Nieren ab, sägen eine Frau zur Hälfte durch mit einer chirurgischen 2-Mann-Säge, sie treiben Herden quiekender Schweine in den Rinnstein, sie scheißen auf den Fußboden der Vereinten Nationen und wischen sich den Hintern mit Verträgen, Pakten, Bündnissen.") 22 Zitate aus Burroughs, The Wild Boys, S. 138—140. — („Untergrund-Armeen"; „unterdrückende Polizeistaaten"; „Wir wollen überall gegen die Polizeimaschinerie marschieren. Wir wollen die Polizeimaschinerie und alle ihre Akten zerstören. Wir wollen alle dogmatischen verbalen Systeme zerstören. Die Familie und ihre krebsartige Ausweitung in Stämme, Länder, Nationen werden wir mit der Wurzel ausrotten. Wir wollen kein Familiengerede, Muttergerede, Vatergerede, Polizistengerede, Priestergerede, Landgerede oder auch Parteigerede mehr hören. Um es ländlich simpel auszudrücken: wir haben genug Scheiße gehört."; „Unser Ziel ist totales Chaos.") 23 So wird z. B. die Umwandlung allen Morphins in Apomorphin empfohlen; am Ende stehe dann „Apomorphine and silence". Burroughs, Nova Express, S. 14.
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24 "The success of the nova mob (damit ist die in Burroughs' Bewußtsein erdumspannende ,power elite' gemeint, H. W.) depended on a blockade of the planet that allowed them to operate with imunity — This blockade was broken by partisan activity directed from the planet Saturn that cut the control lines of word and image laid down by the mob . . ." Burroughs, Nova Express, S. 63. — („Der Erfolg des Nova Mob beruhte auf einer Blockade des Planeten, die ihnen straflose Operationen erlaubte — Diese Blockade wurde durch Partisanen durchbrochen, gelenkt vom Planeten Saturn aus, wodurch die Kontroll-Linien von Wort und Bild, wie sie vom Nova M o b installiert wurden, abgeschnitten wurden . . .") 25 Vgl.: Burroughs, The Naked Lunch, S. 9; Odier, The Job . . ., S. 162. 26 Ebenda, S. 39 f. 27 Ebenda, — („. . . wie Korzybski, der Mann, der die allgemeine Semantik entwickelte, gezeigt hat, ist das Aristotelische ,entweder-oder' — etwas ist entweder dies oder das — einer der großen Irrtümer des westlichen Denkens, weil es nicht mehr wahr ist."; „Es gibt bestimmte Formeln. Wort-Sperren, die eine ganze Zivilation tausend Jahre lang einschließen können . . . Ja, ich bin ganz entschieden der Meinung, daß Aristoteles, Descartes und diese ganze Denkrichtung extrem verdummend sind und nicht einmal dem entsprechen, was wir über das physische Universum wissen, und besonders verheerend, weil sie immer noch die ganze akademische Welt bestimmen. Sie opponierten heftig gegen Korzybski und seine allgemeine Semantik, die doch eine offensichtliche Überlegung zu beinhalten scheint — daß Bezeichnungen nicht die Dinge sind, für die sie stehen, daß man über gar nichts redet, wenn man über Bezeichnungen streitet, wenn man über Dinge wie Demokratie, Kommunismus und Faschismus redet, über Dinge also ohne klare Beziehungen, ohne klare Sache, auf die sie sich beziehen.") 28 Ebenda, S. 89. — („Ich glaube nicht, daß auf einem Planeten wirklich Platz für mehr als eine Person, d. h. einen Willen ist.") 29 Vgl.: G. Klaus/M. Buhr, Philosophisches Wörterbuch. Leipzig 1965, Stichwort „Solipsismus"; Marx/Engels, Die Deutsche Ideologie, In: MEW, Band 3, W. I. Lenin, Materialismus und Empiriokritizismus, Leipzig (Reclam) 1970. 30 Vgl.: Gil Green: „. . . anarchism tends to regard all social autority as The Enemy." Gil Green, The New Radicalism: Anarchist or Marxist? New York 1971, S. 19. — („. . . der Anarchismus tendiert dahin, jede soziale Autorität als d e n Feind zu betrachten.") 31 Erhard Albrecht, Zur Kritik der Auffassungen Ludwig Wittgensteins über das Verhältnis von Sprache, Logik und Erkenntnistheorie. In: DZfPh. 16. Jahrgang (1965), S. 815. — Vgl. hierzu auch Erhard Albrecht, Bestimmt die Sprache unser Weltbild? Zur Kritik der gegenwärtigen bürgerlichen Sprachphilosophie. In: Zur Kritik der bürgerlichen Ideologie. Band 19. Berlin 1972; und ders., Sprache und Erkenntnis. Logisch-linguistische Analysen, Berlin 1967. — Im Kontext ihrer Kritik an Max Stirner und Ludwig Feuerbach gelangten bereits Marx und Engels zu einer prinzipiellen Einschätzung der Natur der bürgerlichen Philosophie, die sich in unserem Zusammenhang gerade deshalb anbietet, weil die von Marx und Engels in bezug auf Stirner gegeißelte mystische Hypertrophierung des Wortes in verblüffender Weise die geradezu pathologische Präokkupation mit der Macht des Wortes in Burroughs' Wittgenstein-Verständnis kritisch antizipiert: „Wir haben gesehen, daß das ganze Problem, vom Denken zur Wirklichkeit und daher von der Sprache zum Leben zu 186
kommen, nur in der philosophischen Illusion existiert. . . Dies große Problem, sobald es überhaupt in den Köpfen unserer Ideologen spukte, mußte natürlich den Verlauf nehmen, daß zuletzt einer dieser fahrenden Ritter ein Wort zu suchen ausging, das als W o r t den fraglichen Übergang bildete, als Wort aufhörte, bloßes Wort zu sein, als Wort in mysteriöser, übersprachlicher Weise aus der Sprache heraus auf das wirkliche Objekt, das es bezeichnet, hinweist, kurz, unter den Worten dieselbe Rolle spielt wie der erlösende Gottmensch unter den Menschen in der christlichen Phantasie . . . Seine philosophierende Gedankenlosigkeit war ja schon von selbst das Ende der Philosophie, wie seine unaussprechliche Sprache das Ende aller Sprache." Marx/Engels, Die deutsche Ideologie, MEW, Band 3, S. 435. 32 W. S. Burroughs, The Literary Techniques of Lady Sutton-Smith. In: Times Literary Supplement, 6. 8. 1964, S. 682f. — („Es gibt viele Wege, ,cut-ups' herzustellen: 1. Man nehme eine Seite Text und ziehe eine Längs- und eine Querlinie durch die Mitte. Man hat nun vier Blöcke Text, 1 2 3 4. Nun schneide man entlang den Linien und kombiniere Block 1 mit Block 4 und Block 2 mit Block 3. Dann lese man die neu zusammengestellte Seite. 2. Man falte eine Seite Text längs und lege sie auf eine andere Seite Text. Dann lese man zur Hälfte den einen und zur Hälfte den anderen Text. 3. Man arrangiere seine Texte in drei oder mehr Spalten und lese quer über die Spalten. 4. Man nehme eine beliebige Seite Text und numeriere die Zeilen. Dann verändere und vertausche man die Zeilenordnung 1 3 6 9 12 usw. Natürlich gibt es viele andere Möglichkeiten. Ein Mischen der Wörter ergibt neue Kombinationen. Auswahl und Gebrauch sind Sache des Schriftstellers.") 33 Ebenda, — („Wörter wissen, wo sie hingehören, besser als du. Ich denke, Wörter sind lebendig wie Tiere.") 34 Odier (Hrsg.), The Job . . ., S. 51. — („Bild und Wort sind die Kontrollinstrumente, wie sie von der Tagespresse und von Nachrichtenmagazinen wie „Time", „Life", „Newsweek" benutzt werden . . ."; „Eine silbische Sprache zwingt dich, in auditiven Mustern zu verbalisieren. Nicht so eine hieroglyphische Sprache. Ich glaube, daß jeder, der die genaue Beziehung zwischen Wort und Bild herausfinden will, eine vereinfachte Hieroglyphenschrift studieren sollte. Ein solches Studium würde dazu beitragen, die automatische verbale Reaktion auf ein Wort zu zerbrechen. Es sind genau diese automatischen Reaktionen auf die Wörter selbst, die diejenigen, welche Wörter manipulieren, in den Stand setzen, das Denken in einem großen Maßstab zu kontrollieren.") Vgl. auch: Ebenda, S. 169—181. 35 Ebenda, S. 1 7 - 2 0 . 36 Burroughs, The Naked Lunch, S. 218 f. — („Es gibt nur eine Sache, über die ein Schriftsteller schreiben kann: d a s w a s s i c h im M o m e n t d e s S c h r e i b e n s v o r s e i n e n S i n n e n b e f i n d e t . . . Ich bin ein Aufzeichnungsinstrument . . . Ich maße mir nicht an, ,story', .Fabel', .Kontinuität' zu erfinden . . . Insofern es mir gelingt, bestimmte Gebiete des psychischen Prozesses d i r e k t aufzuzeichnen, habe ich vielleicht eine begrenzte Funktion.") — Burroughs' späterer Versuch einer Relativierung dieser Aussage ist ohne Belang; Vgl.: Odier, The Job . . ., S. 39. 37 Odier, The Job . . ., S. 90f. — („Mit den Menschen selbst ist grundsätzlich alles in Ordnung, aber sie müssen sicherlich einen sehr grundsätzlichen Schritt in ihrer Evolution tun. Es ist recht wahrscheinlich, daß am wirklichen Anfang dessen, was wir den modernen Menschen nennen, die Sprache war. Am Anfang war das Wort. Ich glaube, der nächste Schritt muß über das Wort hinausgehen. Das Wort ist heute 187
ein aus der Mode gekommenes Artefakt. Jede Lebensform, die mit einem aus der Mode gekommenen, eingebauten Artefakt belastet ist, ist der Zerstörung preisgegeben . . . Die gegenwärtige Form des Menschen resultiert wahrscheinlich aus Wörtern, und wenn die Menschen sich dieses aus der Mode gekommenen Artefakts nicht entledigen, dann wird dies zu ihrer Vernichtung führen.") 38 Leslie Fiedlers Einschätzung Burroughs' kann im ganzen nicht akzeptiert werden; sie enthält dennoch einige richtige Elemente: „. . . the nausea he (Burroughs) produces ist not so much in his compulsive images of anal assault or of the meaningless orgasm of the hanged man, but in an authentic cosmic vision of the end of man, total death." Wir möchten lediglich das „authentic" in Frage stellen. — An gleicher Stelle folgt der Hinweis: „. . . what technique Burroughs occasionally attains and holds is precisely a technique of science fiction — as Burroughs himself is a character out of science fiction." Fiedler, Waiting for the End, S. 186. — (,,. . . der Ekel, den Burroughs produziert, liegt nicht so sehr in den zwanghaften Bildern analer Notzucht oder des sinnlosen Orgasmus des gehängten Mannes, sondern in einer authentischen kosmischen Vision von Ende des Menschen, totalen Todes."; „. . . welche Technik Burroughs auch gelegentlich erreichen mag — es ist genau eine Technik der Science fiction, wie Burroughs selbst ein Charakter aus der Science fiction ist.")
Norman
Mailer
1 So z. B. Finkelstein, Existentialism . . ., S. 270. — ähnlich auch Sigmar Pfeil, Bemerkungen zu einigen bedeutenden amerikanischen Kriegsromanen über den 2. Weltkrieg. In: ZAA, Heft 1/1965, S. 74. 2 Pfeil, Bemerkungen zu einigen bedeutenden amerikanischen Kriegsromanen über den 2. Weltkrieg. 3 Maxwell Geismar, American Modems, From Rebellion to Conformity. New York 1964 (7. Auflage), S. 171. — („Der Vorzug von ,The Naked and the Dead' . . . besteht darin, daß das Individuum innerhalb der militärischen Organisation gesehen wird. Der Roman versucht, die ganze komplexe Struktur der amerikanischen Armee in Krieg und Frieden, als Waffe der Eroberung und Zerstörung einzuschätzen." 4 Finkelstein, Existentialism . . ., S. 270. — ( „ . . . vermittelte den Eindruck, als zeige er die amerikanische Gesellschaft in Uniform. Und in der Tat ist die Armee einer Nation im Kriege die Nation selbst, umgestülpt, mit ihren enthüllten Geheimnissen.") 5 In: Norman Mailer, Advertisements for Myself. London 1963, S. 25—58. 6 Ebenda, S. 24. — („Versuch der Imagination . . . zu erraten, wie Krieg wirklich sein könnte".) 7 Ebenda, S. 59—74. Diese story ist übrigens auch in der Anthologie „Moderne amerikanische Prosa" enthalten, Berlin 1966; leider verabsäumt es der Herausgeber Hans Petersen, die Kurzgeschichte in irgendeine Relation zum Gesamtwerk zu setzen, so daß beim Leser der Eindruck entsteht, dieses frühe Werk sei charakteristisch für Mailer. 8 Mailer, Advertisements of Myself, S. 59. — („Unreif, eine Nachahmung der Schreibweise der dreißiger Jahre . . .") 188
9 So stellt Finkelstein, Existentialism . . ., S. 271, mit Recht fest: „. . . not true is the view of fascism as running the whole show and the democratic tradition as impotent and doomed. Yet it is this that the novel says, with cumulative impact." („. . . die Ansicht, der Faschismus bestimme allein die Schau und die demokratische Tradition sei impotent und zum Untergang verurteilt, ist nicht wahr. Doch gerade dies sagt der Roman mit verstärktem Nachdruck.") 10 Norman Podhoretz, Doings and Undoings. The Fifties and After in American Writing. London 1965, S. 183f. — („,The Naked and the Dead' k l i n g t einfach nicht wie ein Buch mit zorniger Anklage . . . Der Ton ist eher unbeteiligt als parteilich . . .") 11 Finkelstein, Existentialism . . ., S. 271. — („Verglichen mit Cummings hat er einen kraftlosen Geist, verglichen mit Croft ist er ein ungeeigneter Soldat.") 12 Norman Mailer, A Calculus at Heaven. In: Advertisements for Myself, S. 30. — („Er verteidigte nichts intellektuell, fast alles emotional . . . Er sagte, er glaube an nichts, und er genoß das, denn er fand, daß an nichts glauben bedeutete, an sich selbst zu glauben . . .") 13 Vgl. den Aufsatz „The White Negro", In: Advertisements for Myself, S. 241—259. 14 A. Schaff, A Philosophy of Man. Mew York 1963, S. 24. — („alle Spielarten des Existentialismus gleichen sich, nicht nur durch die Tatsache, daß ihre zentralen Probleme mit dem Schicksal und den Erfahrungen des Individuums befaßt sind, sondern auch durch ihre Konzeption des Individuums als isoliert, einsam und tragisch in seinem sinnlosen Kampf mit den fremden Kräften der Umwelt . . .") 15 Podhoretz, Doings and Undoings . . ., S. 184. — („Stil ohne Inhalt, ein vages Ideal persönlicher Integrität, eine Furcht vor Zuneigung und eine mürrisch-nihilistische Weltsicht genügen nicht, jemanden auf lange Sicht vor den Cummings' und Crofts zu retten . . .") 16 Mailer, Advertisements for Myself, S. 77. — („. . . eine Art geisteskranker Einsicht in die p.\\chischen Mysterien von Stalinisten, Geheimpolizisten, Narzissisten, Kindern, Lesbierinnen, hysterischen Revolutionären . . ."; „Ein Aussehen, das für mich das Aussehen unserer Zeit ist, wo Autorität und Nihilismus einander auflauern in der orgiastischen Leere dieses Jahrhunderts.") 17 Ebenda, — („. . . es war wirklich ein Buch, das aus den bombardierten Kellern meines Unbewußten stammte . . .") 18 Mailer, Barbary Shore. London 1952, S. 286. ^ („Die Reste meiner sozialistischen Kultur . . .") 19 Geismar, American Modems . . ., S. 174. — (,,. . . Mr. Mailer scheint lediglich zu sagen, daß kein normales Sexualleben möglich ist, bis die Neurose der Geschichte geklärt ist"; „grausige Faszination"; „Orwells Utopie des Schreckens".) 20 Podhoretz, Doings and Undoings . . ., S. 190. — („unbedeutendes Element"; „Mailers wirklicher Gegenstand ist die Auswirkung des Fehlschlagens der russischen Revolution auf das moderne Leben, und wenn in ,Barbary Shore' eine extravagante Annahme wirksam ist, dann die, daß a l l e unsere Schwierigkeiten politische, geistige, psychologische und sexuelle direkt auf dieses Fehlschlagen rückführbar sind.") 21 Orwells politische Entwicklung verlief in einer aufschlußreichen Linie: Von einer antiimperialistischen Haltung gelangte er über den Trotzkismus zum militanten Antikommunismus. Sein „1984" blieb auch in den Vereinigten Staaten nicht ohne literarisches Echo; verwiesen sei z. B. auf David Karp, One (1953). 189
22 Vgl. dazu: Notes on Trotzkyism, herausgegeben vom Central Education Department der britischen KP, Januar 1960, S. 8f.; ferner M. Basmanow, Das Wesen des Trotzkismus von heute. Moskau 1975. 23 Mailer, Barbary Shore S. 151. — („Welches sind die Phänomene der Welt heute? Wenn ich sonst wenig wüßte, die Antwort weiß ich — Krieg und die Vorbereitungen zu einem neuen Krieg . . .") 24 Ebenda, S. 254; ähnlich noch an vielen anderen Stellen. — („Meine politischen Formulierungen basieren auf der These, daß der Krieg unvermeidlich ist . . .") 25 Ebenda, S. 255. — (,,. . . als die Ereignisse von 1917 es nicht vermochten, ähnliche Aufstände in den Ländern des Westens herbeizuführen, war die Revolution verloren . . . jede Möglichkeit des Sozialismus verlor sich in der Notwendigkeit des Überlebens.") 26 Ebenda, S. 256. — („Es ist ein Krieg zwischen zwei unterschiedlichen exploitativen Systemen . . . ein Konflikt zwischen zwei praktisch identischen Formen der Ausbeutung.") 27 Ebenda. S. 261. — („. . . der revolutionäre Sozialismus stellt sich eine Gesellschaft vor, wo das Volk die Produktionsmittel besitzt und kontrolliert, im Gegensatz zu dem, was heute überall existiert. Er vertritt die wahre Konzeption der Gleichheit, wo jeder nach seinen Fähigkeiten arbeitet und jedem nach seinen Bedürfnissen gegeben wird.") 28 Vgl. dazu: Notes on Trotzkyism, S. 5—12. 29 Mailer, Barbary Shore, S. 10 u. 12. — („. . . Ich hatte keine Vergangenheit und war daher ohne Zukunft"; „So führen die Blinden, und die Tauben rufen sich Warnungen zu, bis ihre Stimmen sich verlieren.") 30 „Still intact at the age of twenty-three, . . . I came out of the Air Force with no place to go, no familiy to visit, and I wandered down to Desert D ' O r . " (Norman Mailer, The Deer Park. London 1964, S. 9); („Noch unberührt mit 23, . . . kam ich aus der Luftwaffe, hatte keinen Ort, wo ich hingehen konnte, keine Familie zu besuchen, und ich wanderte nach Desert D'Or.") 31 Geismar, American Modems . . ., S. 176. — („daß der Roman gültige und scharfe soziale Kommentare enthielt, und daß die Beschreibung von Hollywoods intimeren Formen der Erholung oft durchdringend scharf waren.") 32 Vgl.: Mailer, The Deer Park, S. 2 4 6 - 2 6 5 . 33 Geismar, American Modems . . ., S. 178. — („. . . im ,Deer Park' gibt es kein menschliches Zentrum, keine ausgleichenden Episoden der Wärme, Zuneigung, Großherzigkeit . . . Mailer hat kein Zutrauen zur menschlichen Natur und vielleicht auch keine reife Erfahrung damit.") 34 Podhoretz, Döings and Undoings . . . S. 197. — („grundlegenden psychologischen Antriebe"; „innere Bedürfnisse"; „es ist im Sexus, daß seine Konturen am klarsten definiert sind, und eben deshalb konzentriert sich Mr. Mailer in The Deer Park auf die sexuellen Affaren seiner Charaktere.") 35 Zitiert nach: Alfred Kurella, Der Mensch als Schöpfer seiner selbst. Berlin 1961, S. 43. 36 Vgl. dazu u. a.: T. I. Oisermann, Die Entfremdung als historische Kategorie. Berlin 1965, speziell S. 5—18; Entfremdung und Humanität. Marx und seine klerikalen Kritiker. Berlin 1964; Manfred Buhr, Die Philosophie von Karl Marx und der ideologische Klassenkampf. Zur Funktion des Begriffs der Entfremdung im System der
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bürgerlichen Marx-Kritik. In: Einheit. Heft U/1960, S. 1424—1433. Als ein Beispiel für moderne bürgerliche Marxfälschung sei hier genannt: Fritz Pappenheim, The Alienation of Modern Man. New York 1959. 37 Alvah Bessie, The Un-Americans. 1957 (deutsch: Die Gezeichneten) Berlin 1959. 38 Mailer, The Deer Park, S. 49. — („Nur es ist nicht so einfach. Ich fühle mich . . . amputiert."; „Wissen Sie, ich habe schon drei Monate keine Frau gehabt.") 39 Eitels Haltung zu seinem Verrat wird in seinen eigenen Worten deutlich: „. . . I knew they had me on my knees, and that if I wasn't ready to take an overdose of sleeping pills, I would have to let myself slide through the experience, and not try to resist it. So for the first time in my life I had the sensation of being a complete and total whore in the world, and I accepted every blow, every kick, and every gratuitous kindness with the inner gratitude that it could have been as a good deal worse." (Mailer, The Deer Park, S. 283). — („. . . Ich wußte, sie hatten mich auf den Knien, und ich wußte auch, daß ich mich durch diese Erfahrung gleiten lassen mußte und nicht versuchen, Widerstand zu leisten, wenn ich nicht bereit war, eine Überdosis Schlaftabletten zu nehmen. Zum erstenmal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, eine völlige und totale Hure in dieser Welt zu sein, und ich akzeptierte jeden Schlag, jeden Stoß und jede unverdiente Freundlichkeit mit der inneren Dankbarkeit, daß es noch ein gut Teil schlimmer hätte sein können.") 40 Ebenda, S. 288. — („. . . er [Marion] glaubt, daß, wenn er etwas Schmutziges tut, dies die Welt verändern oder die Welt in die Luft jagen würde oder etwas dergleichen.") 41 Harry Slochower, Literature and Philosophy Between Two World Wars. The Problem of Alienation in a War Culture. New York 1964 (Erstveröffentlichung 1945), S. 23 u. 35. — („Sex wird zur Substanz der Boheme"; „Fortschritt durch mystischen Glauben, nicht durch wissenschaftliche Untersuchung.") 42 Es ist nützlich, die Definitionen zum Begriff ,hipster' im Dictionary of American Slang (Harold Wentworth/Stuart Berg Flexner, New York und Berlin 1960, S. 258 f.) zu lesen, aus denen hier zitiert sei: ,,. . . one who has removed himself from commercial material, political, and all physical and intellectual reality, intensely believing in and protecting only his true, nonemotional, nonsocial, amoral identity." („. . . jemand, der sich von der kommerziellen, politischen und jeder physischen und intellektuellen Realität losgelöst hat und der nur intensiv an seine wahre, nichtemotionale, nicht-soziale, amoralische Identität glaubt und diese beschützt.") 43 Mailer, The Deer Park, S. 152. — („Laß es kommen . . . und Fäulnis und Gestank beseitigen . . . und die Welt steht klar in der weißen toten Dämmerung.") 44 Huxley, Ape and Essence, 1948. 45 Mailer, Advertisements for Myself, S. 181. — („Die größte Kraft in der Romanliteratur liegt in der Figurenperspektive, und die Kraft O'Shaugnessys gab den anderen Figuren Leidenschaft.") 46 Ebenda, S. 182. — („Meine logischen Kräfte wurden täglich schwächer, aber das Buch hatte seine eigene Logik, und so brauchte ich scharfe Vernunft nicht. Was ich wollte und was mir die Drogen gaben, war das schnelle Aufblitzen von Assoziationen, und hier war ich oft übersensitiv, konnte in den Zeilen meines Textes neue Erfahrung entdecken. . .") 47 James Baldwin, The Black Boy Looks at the White Boy. In: Nobody Knows My Name, London 1964, S. 179. — („einen französischen Intellektuellen, der mir wesentlich 191
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rationalistisch schien, nur verwirren und verärgern konnte"; „Norman hat viele Qualitäten und Fehler, aber ich habe nie jemand gehört, der ihn beschuldigt hätte, diesen besonderen Fehler (d. h. Rationalismus) zu besitzen.") In: Mailer, Advertisements for Myself, S. 241—259. Vgl.: Ebenda, S. 242f. — Freilich ist n i c h t die Rede von der Oktoberrevolution, vom Antifaschismus und vom realen Sozialismus. Ebenda, S. 243. — („Auf dieser trüben Szene ist ein Phänomen erschienen: der amerikanische Existentialist — der Hipster"; „den Menschen, der weiß: wenn es unsere kollektive Bedingung ist, mit dem augenblicklichen Tod durch Atomkrieg zu leben, mit dem relativ schnellen Tod durch den Staat als I'univers concentrationnaire (etwa: absoluter Staat) oder mit einem langsamen Tod durch Konformität, wobei jeder kreative und rebellische Instinkt erstickt wird . . ., wenn es das Schicksal des Menschen im 20. Jahrhundert ist, von der Jugend bis zum vorzeitigen Alter mit dem Tod zu leben, dann ist die einzige lebenspendende Antwort, die Bedingungen des Todes zu akzeptieren, mit dem Tod als unmittelbarer Gefahr zu leben, sich von der Gesellschaft abzusondern, ohne Wurzeln zu existieren, sich auf jene unskizzierte Reise zu den rebellischen Geboten des Selbst zu begeben.") Vgl. dazu auch: K. A. Schwarzman, Ethik ohne Moral. Kritik der modernen bürgerlichen ethischen Theorien. Berlin 1967, speziell S. 168. Mailer, Advertisements for Myself, S. 250. — („Der Psychopath mordet — wenn er die Kraft hat — aus der Notwendigkeit, seine Gewalttätigkeit zu sühnen, denn wenn er seinen Haß nicht entleeren kann, dann kann er auch nicht lieben, sein Wesen ist gefroren mit unversöhnlichem Selbsthaß wegen seiner Feigheit."; „Im Grunde besteht das Drama des Psychopathen darin, daß er Liebe sucht. Nicht Liebe als Suche nach einem Partner, sondern Liebe als Suche nach einem Orgasmus, der apokalyptischer als der vorangegangene ist. Der Orgasmus ist seine Therapie . . .") Schwarzmann, Ethik ohne Moral . . ., S. 210. Siehe dazu Mailer, The Presidential Papers. London 1964, speziell die Abschnitte „Truth and Being: Nothing and Time" (S. 271 f.) und „The Metaphysics of the Belly" (S. 2 7 7 - 3 0 2 ) . Mailer, Advertisements for Myself, S. 256. — („Die einzige Hip-Moral . . . ist zu tun, was man fühlt, wann und wo immer das möglich ist, und die Grenzen des Möglichen für sich selbst, und nur für sich selbst, zu öffnen, weil das ein Bedürfnis ist."; „. . . so daß die nihilistische Erfüllung der Begierde eines jeden ihre Antithese menschlicher Kooperation enthält."; „. . . die unvergeßliche Lösung des Marquis de Sade von Sex, Privateigentum und Familie"; „daß jeder soziale Zwang und jede soziale Kategorie beseitigt werde; und die Affirmation, die dieser Vorschlag impliziert, liegt darin, daß der Mensch sich dann eher schöpferisch als mörderisch erweisen und sich so nicht selbst zerstören würde."; „ H i p . . . ist die Affirmation des Barbarischen, denn es gehört eine primitive Passion für die menschliche Natur dazu, um zu glauben, daß individuelle Akte der Gewalt immer der kollektiven Gewalt des Staates vorzuziehen sind; man braucht buchstäblichen Glauben an die schöpferischen Möglichkeiten des Menschen, um Gewaltakte als Katharsis, die Wachstum vorbereitet, zu sehen.") — An anderer Stelle argumentiert Mailer, daß man beispielsweise den Mord an einem älteren Ladeninhaber durch zwei Jugendliche nicht einfach verurteilen könne, denn auch dazu gehöre „courage of a sort", und ein solcher Mord sei überdies ein Angriff auf eine Institution." . . . so no matter how brutal the act, it is
not altogether cowardly." (Ebenda, S. 250); („eine Art Courage"; „egal, wie brutal die Tat sein möge, sie ist nicht völlig feige.") Wenn die Motive solcher Gewalttaten allein psychologisch erklärt werden, dann freilich bleibt das Anwachsen von Gewaltverbrechen in den USA bzw. auch des internationalen Terrorismus nicht nur schlechthin ungeklärt, sondern die eigentlichen Gründe werden bewußt verschleiert. 56 In: Mailer, Advertisements for Myself, S. 260—262; in diesem Brief, auf dessen recht prinzipielle Kritik hier nicht eingegangen werden soll, wird die Hip-Konzeption mit beißendem Spott als „a gorgeous flower of Mailer's romantic idealism" bezeichnet („eine prachtvolle Blüte des romantischen Idealismus Mailers"). 57 Mailers, Advertisements for Myself, S. 263, — („nicht vorwärts zur Aktion und einer rationaleren gerechten Verteilung, sondern rückwärts zum Sein und den Geheimnissen der menschlichen Energie, nicht vorwärts zur Kollektivität, die sich als totalitär erwiesen hatte, sondern rückwärts zum Nihilismus schöpferischer Abenteuer . . . anders als jene erste Revolution, die bewußt, faustisch und eitel war, durchgeführt im Namen des Proletariats, aber eher ein Ausdruck des wissenschaftlichen Narzismus, den wir vom 19. Jahrhundert geerbt haben, eine Revolution, motiviert durch die rationale Manie, daß Bewußtheit den Instinkt ersticken und ihn in produktive Formationen lenken könne, würde die zweite Revolution, wenn sie stattfindet, als Antithese zum ,Großen Experiment' kommen: ihr Wunsch wäre es, den Materialismus auf den Kopf zu stellen und die Bewußtheit dem Instinkt unterzuordnen.") — Weitere Ansichten Mailers zu politischen Fragen finden sich in „The Presidential Papers"; besonders aufschlußreich sind die mystischen Vorstellungen über Totalitarismus, ebenda, S. 175 bis 186. — Auf die fast komplette Kongruenz mit Norman O. Brown, Herbert Marcuse und Wilhelm Reich sei aufmerksam gemacht; vgl. Kap. I. 58 Georg Lukacs, Die Zerstörung der Vernunft. Berlin 1954; Zitat S. 6; Vgl. auch das Kapitel „Existentialism and German Fascism: Husserl, Heidegger und Jaspers." In: Finkelstein, Existentialismus . . ., S. 81 — 112. 59 Mailer, The Presidential Papers, S. 6. (Hervorhebung H. W.) — „heimtückisch, pestartig, eine böse M a c h t " ; „. . . wenn der FBI einen Helden zum Führer hätte . . ., müßte man, selbst wenn seine Ideen widerlich schienen, seine Prosperität als historisches Ereignis, als Macht mit genauen Zügen, akzeptieren. McCarthy war eine solche Verkörperung.") 60 Ebenda. S. 41 f. — („Amerika brauchte einen Helden, einen Helden mitten in seiner Zeit, einen Mann, dessen Persönlichkeit Widersprüche und Mysterien andeuten könnte, die in die entfremdeten Kreisläufe des Untergrunds reichten, weil nur ein Held die geheime Imagination eines Volkes einfangen und somit gut für die Vitalität seiner Nation sein kann . . .") 61 Wie sie sich z. B. auch in Mailers Beteiligung an Demonstrationen ausdrückt, so z. B. an der Demonstration gegen den Vietnamkrieg in Washington am 21. 10. 1967. 62 Arno Hochmuth, Literatur und Dekadenz. Kritik der literarischen Entwicklung in Westdeutschland. Berlin 1963, S. 9. 63 Mailer, An American Dream. London 1965. 64 Ebenda, S. 39. — („Ich hatte mich nicht so gut gefühlt, seit ich zwölf war.") 65 Ebenda, S. 163f. — („Sie haben irgendwo einen großen Bruder"; „Rojack, sind Sie von der CIA?") 66 Ebenda, S. 267. — („fahrt durch die Landschaft Super-Amerikas".) 13
Wüstenhagen
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67 So im Titel des Epilogs, ebenda. 68 In Carcinoma City. In: Times Literary Supplement. 29. April 1965, S. 325. — („Es ist schwierig, nicht frivol zu werden, wenn man die Handlung von „An American Dream" im einzelnen untersucht.") 69 A. N. Nikoljukin, Die amerikanische Romantik und unsere Epoche. In: ZAA, Heft 4 1967, S. 353. 70 Ebenda. 71 Mailer, An American Dream, S. 19. — („Und plötzlich verstand ich den Mond. Glaub es, wenn du willst. Die einzig wahre Reise des Wissens ist die von der Tiefe eines Seins zum Herzen eines anderen, und ich war nichts als offene, rohe Tiefe in jenem Moment . . ., die Geister des Essens und Trinkens, das ich eingenommen hatte, entrangen sich meines Magens und der oberen Eingeweide, sie ließen mich in rohem Sein zurück, da waren Spalten und Risse, die wie geologische Verwerfungen das ganze Blei und den Beton und den Kapok und das Leder meines Ego durchschnitten, jenes verstümmelten Stücks Isolierung . . .") 72 Finkelstein, Existentialism . . ., S. 274. — („ein Satz von Symptomen".) 73 Vgl.: Mailer, The White Negro, S. 256. 74 Vgl.: Mailer, The Presidential Papers, S. 277—302. 75 Vgl.: Mailer, The White Negro, S. 249f. et passim. 76 Mailer, An American Dream, S. 56. — („Ich hatte einen Impuls, zu ihr zu gehen und ihr in die Rippen zu treten, mit dem Absatz auf ihre Nase zu stampfen, die Spitze meines Schuhs ihr in die Schläfe zu jagen und sie erneut zu töten, sie diesmal gut zu töten, sie richtig zu töten.") 77 Ebenda, S. 57. — („Ich hatte Lust, Deborah ins Bad zu bringen, sie in die Wanne zu legen. Dann würden Ruta und ich uns setzen und essen. Wir beide würden von Deborahs Fleisch essen, wir würden tagelang essen: die tiefsten Gifte in uns würden aus unseren Zellen befreit. Ich würde meiner Frau Fluch verdauen, ehe er sich formen könnte.") 78 In Carcinoma City, — („Krebs-Ungeheuer"; „Bild von der Krankheit des amerikanischen Lebens".) 79 Ebenda, („Mailer hat ehrenhaftere und mutigere Anstrengungen als die meisten unternommen, um seine Perspektive anzupassen, um zu verstehen, wovon er einst sprach als unterirdischer Fluß von unangezapften, wilden, einsamen und romantischen Begierden, als jener Konzentration von Ekstase und Gewalt, die das Traumleben der Nation ist."; „modernen Beitrag zum Genre der romantischen Suche".) 80 Nikoljukin, Die amerikanische Romantik und unsere Epoche, S. 368. 81 Vgl.: Donald Pizer, The Significance of Frank Norris's Literary Criticism. In: Realism and Naturalism in Nineteenth-Century American Literature. Carbondale and Edwardsville 1966, S. 100—107, speziell S. 107. 82 Karl-Heinz Wirzberger, Der impotente Retter. Das Dilemma des bürgerlichen amerikanischen Romans der Gegenwart. In: SuF, Heft 3/1966, S. 990. 83 Norman Mailer, Why Are We in Vietnam?, New York 1967. 84 Ebenda. S. 36. — (,,. . . Amerika wird von einem mysteriösen versteckten Meistergeist beherrscht, einem geheimen Geschöpf, das in seinem Hirn ein Arschloch aus Plast installiert hat, womit es sein ganzes korporiertes Management der Gedanken ausscheißen kann.")
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85 Ebenda, S. 109—111. — („Die Zeit wird bald kommen, denkt Rusty, wenn Hurerei professioneller Sport sein wird, und jeder wird die nationalen Ausscheidungskämpfe im Fernsehen sehen. Werden D. J. und Tex mit ein paar Playboy-Häschen oder schwarzen Zuckerpüppchen im Finale sein? Nun sicher, 50000 Hurer der ersten Liga werden sich abstrampeln, um ihre offene Blütenblatt-Vagina oder handgehauenes Diamant-Gehänge in glücklicher Vergrößerung durch RCA-Color-TV präsentieren zu können." ,,. . . (2) Die Niggers sind frei, und die Schulden, die man ihnen zahlen muß, wird nicht das Entzücken texanischer Jungfrauen hervorrufen . . . (4) Die gelben Rassen brechen los. (5) Afrika bricht los. (6) Die Jugend bricht los einschließlich seines eigenen Sohnes. (7) Die europäischen Nationen hassen Amerika. (8) Die Produkte taugen verdammt nichts mehr. (9) Der Kommunismus ist ein System, das garantiert Schulden von allen Verlierern eintreibt. (9a) Mehr Verlierer als Gewinner. (9b) und zum Schluß: der Kommunismus wird den Kapitalismus besiegen, wenn er nicht sofort zerstört wird . . . (13) Die Juden kommandieren den östlichen Flügel der Demokratischen Partei . . . (15) Die Söhne der Arbeiterklasse fahren auf Motorrädern herum. (16) Die Kirche ist out. LSD ist in . . .") 86 Richard Poirier, Mailer. London 1972, S. 131 f. (Hervorhebung H. W.), — („Die Antwort des Romans auf die Frage des Titels paßt in keines der Schemata von Ursache und Wirkung, die fast das gesamte .verantwortliche' soziale und politische Denken beherrschen . . . Statt dessen versucht Mailer, mit einer der Circe-Episode in .Ulysses' ähnlichen Vitalität, die fiebrige Mentalität zu registrieren, wovon diese Scheußlichkeit nicht so sehr Konsequenz als vielmehr Teil ist. Ein so natürlicher Teil, daß niemand im Buch die Existenz von Vietnam als irgendwie einzigartig bewußt wahrzunehmen braucht. Sie ist nicht besonders erwähnenswert. Wir sind in Vietnam, weil wir so sind, wie wir korporativ sind. Wir sind alle vom anderen. Und aus diesem Grunde macht Mailer die Stimmen, die zu uns im Buch sprechen . . ., zu einer Sache ernsthafter doch komischer Bestürzung.") 87 Ebenda, S. 89, — („Mailer zu lesen, als ob die Sprache eine Serie von referentiellen Zeichen sei, bedeutet, ihn total mißzuverstehen, ihn zu einem anrüchigen Marktschreier zu machen.") 88 Es ist dies der von Wittgenstein ausgehende semantische Positivismus (general semantics), der sich hier — diesmal bei einem Mailer-Kritiker — abermals bestätigt. Vgl. S. 65—67 dieser Arbeit. 89 Norman Mailer, The Armies of the Night. History as a Novel. The Novel as History. London 1968. 90 Ebenda, S. 15. — („wären die natürlichen Manager jener zukünftigen klimatisierten Gruft, wo das letzte menschliche Leben noch existieren würde.") 91 Ebenda, S. 34. — („All die gesunden Marineinfanteristen, Staatsmilizionäre, Profisportler, Filmstars, südstaatlichen Farmerburschen, sinnlichen lebenslustigen Mafia, Polizisten, Fabrikarbeiter, Stadtbeamte, netten gesund aussehenden leicht zu bestechenden Politiker . . ."; „eine Elite! die Freud-besessenen, letzten glühenden Aschereste des Marxismus, die gute alte amerikanische Schicht der Angst — die städtische Mittelklasse mit ihren wuchernden monumentalen Drüsenverstimmungen, ihrer sklavischen Liebe zur kommenden Hegemonie des Computers und der Vorstadt, ja, sie und ihre Kinder wurden nun, durch die blanke Ironie, die blanke Abgeschmacktheit, die Grillen der Geschichte zu mehr und mehr militanten Standpunkten gezwungen. 13'
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Ihr Widerstand gegen den Krieg war ein hoffnungsloses Gemisch aus Pazifismus und Kabinett-Kommunismus.") Ebenda, S. 49. — („. . . der amerikanische Konzernangestellte, der schließlich der erste Repräsentant des Menschen in der Welt heute war, war durchaus fähig, nie gesehene Frauen und Kinder im vietnamesischen Dschungel zu verbrennen . . .") Ebenda, S. 20. — („schon auf dem halben Wege zum SS-Knotenpunkt".) Ebenda, S. 86. — („die Gewerkschaften standen jetzt der Mafia näher als Marx.") Aufschlußreich und relevant sind in diesem Zusammenhang die soziologischen Studien Vance Packards (obwohl auch er die wirkliche Klassenlage nicht zu erkennen vermag), besonders in „The Status Seekers", Harmondsworth 1966 (Ersterscheinung 1959). — Jürgen Kuczynski kommt auf marxistischem Wege zu der Auffassung, daß es infolge der zunehmenden Differenzierung der Klassenlage in den USA heute nicht mehr berechtigt sei, von einer herrschenden Klasse zu sprechen; vielmehr handle es sich um eine herrschende Schicht oder Gruppe, das Monopolkapital. (Vgl.: Darstellung der Lage der Arbeiter in den Vereinigten Staaten von Amerika seit 1898, Berlin 1966, S. 253.) Mailer, The Armies of the Night, S. 23. — (. . . „seine private Mischung aus Marxismus, Konservatismus, Nihilismus und großen Teilen Existentialismus".) Ebenda, S. 181. — („In Übereinstimmung miteinander hatten damals die Machtgruppen der mittleren und älteren Generation [Weiß, Angel-Sächsisch, Protestantisch — WASPs], hatten Staatsmänner, Industriedirektoren, Generäle, Admiräle, Zeitungsherausgeber und Angehörige der Legislation eine Art von intellektuellem Gelöbnis geleistet: Sie verschworen sich nämlich, und ihre Glaubensstärke stand der von mittelalterlichen Rittern in nichts nach, gegen den Kommunismus als den Todfeind jeder christlichen Kultur." Norman Mailer, Die Sprache der Männer. Übers, von Matthias Büttner, Leipzig 1978, S. 209.) Ebenda, S. 182. — (,,. . . könnten wir uns leicht eines Tages einem Vereinten Asien [und Afrika?] gegenübersehen, das drauf und dran war, sich mit Amerika [und Rußland?] auf einen selbstmörderischen Atomkrieg einzulassen . . ." Ebenda, S. 209 f.) Ebenda, S. 183f. — (,,. . . wird ein guter Teil der Schäden, die der Vietnamkrieg verursacht, in Amerika selbst angerichtet, wo der Kampf um die Bürgerrechte sich inzwischen fast zum Bürgerkrieg entwickelt hat und wo in der Folge eine erschreckend große Zahl der besten und talentiertesten Studenten es vorzieht, in neue unerforschte Grenzgebiete auszuweichen: sich im Nihilismus und in der Anwendung von Drogen zu versuchen."; „Mailer fühlte sich von allen Argumenten dieser Art nur noch gelangweilt: Die Falken waren fett und selbstzufrieden, und die Tauben drückten sich um die eigentlichen Fragen!" Ebenda, S. 212, 214.) Ebenda, S. 186f. — (,,. . . der Kommunismus schien sich große Ketzer und Neuerer und Proselyten [Sartre und Picasso als zwei Beispiele] aus der unveränderten Majestät des Marxschen Geistes zu schaffen"; „vielleicht das größte einzelne Werkzeug für die Hirntätigkeit, die der westliche Mensch je hervorgebracht h a t " ; „Reichtum primitiver Volkskunst"; „die jedes feine Arsenal des Marxisten durcheinanderbringen würden"; „Jedenfalls wäre die Eroberung technologisch, und damit würden die primitiven asiatischen Gesellschaften entwurzelt.") Ebenda, S. 187; (Hervorhebung H. W.) — („Es war durchaus nicht schwierig, sich eine Zeit vorzustellen, in der kommunistische Nationen Asiens bei Amerika Hilfe
gegen andere kommunistische Nationen anforderten! Rußland und China zumindest würden auf Jahrzehnte hinaus miteinander im kalten Krieg liegen. Sich aus Asien zurückzuziehen bedeutet daher für die USA: das Gleichgewicht der Kräfte erwirken! . . . Und je mehr der Kommunismus expandierte, desto gewaltiger wurden seine Probleme . . . Die einzige Macht, die jemals den Kommunismus besiegen kann, ist der Kommunismus selbst!"; „Doch scheint es kaum wahrscheinlich, daß Amerika sich je aus Asien zurückziehen wird. Im Gegenteil, es häufen sich unglücklicherweise die Anzeichen dafür, daß wir in Vietnam sind, weil wir in Vietnam sein müssen! Denn die Nation ist so sehr aus dem Gleichgewicht gebracht, daß nur der Krieg sie in der Schwebe halten kann. Und die unter Napalmwolken verbrennenden Dörfer sind wohl die schrecklichen Zeichen unserer kollektiven Labilität." Mailer, Die Sprache der Männer, S. 216.) 102 Ebenda, S. 53. 103 Ebenda, S. 288. — („einer neuen Welt — tapfer und zärtlich, listig und wild"; „der schrecklichste Totalitarismus, den die Welt je gekannt h a t " ; „Denn wir müssen auf dem Wege zu jenem Mysterium enden, wo Kraft, Tod und der Traum von Liebe den Schlaf versprechen.") 104 Norman Mailer, Miami and the Siege of Chicago. An Informal History of the American Political Conventions of 1968. Harmondsworth 1969 (Ersterscheinung 1968). 105 Vgl.: Norman Mailer, A Fire on the Moon, London 1971 (Ersterscheinung 1970). 106 Ebenda, S. 19. — („. . . er [Mailer] wußte kaum, ob das Raumfahrtprogramm der edelste Ausdruck des 20. Jahrhunderts oder die reinste Konstatierung unseres fundamentalen Irrsins ist.") 107 Vgl.: Mailer, The Prisoner of Sex. New York 1971. 108 Vgl.: Kate Millett, Sexual Politics. London 1971 (Ersterscheinung 1970), S. 314—335. 109 Vgl.: Germaine Geer, The Female Eunuch. London 1971 (Ersterscheinung 1970) und Betty Friedan, The Feminine Mystique. Harmondsworth 1971 (Ersterscheinung 1963). 110 Mailer, The Prisoner of Sex, S. 25, — („. . . seinem höchst pessimistischen Glauben — daß der Geist des 20. Jahrhunderts darauf gerichtet war, den Menschen zu einer Maschine zu machen.")
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1 Eine sehr differenzierte Analyse der Klassenposition Baldwins bietet Friederike Hajek, Das Identitätsproblem im Befreiungskampf der afroamerikanischen USA-Bürger und seine Widerspiegelung in Selbstzeugnissen der 60er Jahre. Diss. Potsdam 1974, S. 100-128. 2 James Baldwin, Notes of a Native Son. Boston 1963 (Ersterscheinung 1955), S. 9. — („Ich glaube, alle Theorien sind suspekt, ich glaube, daß die besten Prinzipien vielleicht modifiziert werden müssen, oder sie können durch das Leben sogar vernichtet werden; daher muß man sein eigenes moralisches Zentrum finden und sich in der Welt bewegen, in der Hoffnung, das dieses Zentrum uns richtig leiten möge.") 3 Ebenda, — („Ich denke, daß ich viele Verantwortlichkeiten habe . . .") 4 Ebenda, S. 13. — („selbstzufriedene, tugenhafte Sentimentalität".) 197
5 Ebenda, S. 18 — („Hitzig, selbstzufrieden, furchtbar"; „nicht anders als jener Geist des Mittelalters, der das Böse durch Hexenverbrennungen exorzieren wollte"; „nicht anders als der Terror, der einen Lynchmob aktiviert.") 6 Vgl. auch: Phillip Bonoskys Aufsatz „The Negro Writer and Commitment"; In: Mainstream. Februar 1962, speziell S. 18 f. 7 Baldwin, Notes of a Native Son, S. 18. — („erklärte Ziel"; „den Unterdrückten größere Freiheit zu bringen"; „welche Gewalt sie der Sprache antun, welche übermäßigen Anforderungen sie an die Glaubwürdigkeit stellen.") 8 Ebenda, S. 19 f. — („ein akzeptierter und tröstlicher Aspekt der amerikanischen Szene, und er stärkt das System, das wir für nötig halten"; „Phantasien, die überhaupt nicht mit der Wirklichkeit verbunden sind"; „blendendweiße(n) Missionare in Afrika, die die Blöße der Eingeborenen bedecken, sie in die bleichen Arme Jesu und von dort in die Sklaverei treiben wollen.") 9 Ebenda, S. 15. — („. . . jenes abgenutzte Wort, Wahrheit, . . . konfrontiert dich sofort mit einer Reihe von Rätseln"; „eine Zuneigung zum Menschen, seiner Freiheit und Erfüllung; Freiheit, die nicht gesetzlich verordnet, Erfüllung, die nicht vorgezeichnet werden k a n n " ; „Zuneigung zur Menschheit"; „diese werde zu leicht mit Zuneigung zu einer guten Sache gleichgesetzt; und gute Sachen, wie wir wissen, sind notorisch blutdürstig.") 10 Ebenda, S. 21. — („Unterdrückte" — „Unterdrücker"; „zusammen innerhalb der gleichen Gesellschaft"; „sie akzeptieren die gleichen Kriterien, sie teilen die gleichen Glaubenssätze, sie hängen beide von der gleichen Realität a b " ; „denn jene zitternde Abhängigkeit von den Stützen der Realität, die der Unterdrückte mit dem ,Herrenvolk' teilt, macht eine wirklich ,neue' Gesellschaft unvorstellbar"; „eine Erhöhung des Status, Akzeptierung in der gegenwärtigen Gesellschaft.") 11 Ebenda, S. 24. — („unsere Menschlichkeit . . ., unsere Bürde, unser Leben; wir brauchen nicht darum zu kämpfen; wir müssen nur tun, was unendlich schwieriger ist — sie akzeptieren".) — Der katholische Soziologe Michael Harrington dagegen schreibt z. B. über die Neger der Südstaaten: „They are poor, and part of their poverty is fright and the acceptance of their own humiliation." — The Other America. Poverty in the United States. Harmondsworth 1963, S. 51; („Sie sind arm, und ein Teil ihrer Armut ist Furcht und die Akzeptierung ihrer eigenen Demütigung.") 12 Ebenda, S. 81 f. — („. . . in den letzten Jahren passierte es immer häufiger, daß man von den Negern verlangte, ihre Position in der Gesellschaft zu akzeptieren, ihre eigenen Bedürfnisse dem Gemeinwohl unterzuordnen . . . Dies nahm die Form an, daß selbst wohlmeinende Leute die Negerbewegung aufforderten, die verschiedenen Wohlfahrtprogramme nicht durch ihr Beharren auf Integration zu verhindern'. Mit anderen Worten: man verlangte von den Negern, daß sie mithalfen, einen Wohlfahrtsstaat aufzubauen, der ihnen gegenüber in doppeltem Sinne diskriminierend wäre, der ihnen nicht wirklich nutzen würde, weil sie so arm sind, daß sie außerhalb der Reichweite der neuen Wohltaten sind, und der das rassistische Muster der ganzen amerikanischen Gesellschaft fortsetzen und verstärken würde.") 13 Baldwin, Notes of a Native Son, S. 15. — („Mitglied einer Gesellschaft oder einer Gruppe oder ein bedauerliches Rätsel, das von der Wissenschaft zu erklären sei"; „etwas entschieden Undefinierbares, Unvorhersehbares"; „Reise nach einer weiteren Realität".) 198
14 Ebenda, S. 16. — („was zu bedeuten scheint, daß er formell deklarieren müsse, er sei vom Leben anderer Leute berührt, und obendrein noch etwas Erbauliches über diese immerhin offensichtliche Tatsache sagen müsse.") 15 Zwei größere Essays sind diesem Thema gewidmet: Many Thousands Gone. In: Notes of a Native Son. S. 24—45; und: Alas, Poor Richard. In: Nobody Knows My Name. London 1964 (Ersterscheinung 1961), S. 149—176. 16 Vorliegende Ausgabe: New York 1940. 17 Selbst ein anti-marxistischer Literaturhistoriker wie Robert A. Bone muß eingestehen: „The novel (,Native Son') is a modern epic, consisting of action on the grand scale. As such, it functions as a commentary on the more prosaic plane of daily living." Über Wright selbst heißt es: „. . . his association with the Communist Party lifts him to a new plane of consciousness." Bone, The Negro Novel in America. New Häven, Conn., 1958, S. 145 u. 141.); („Der Roman [Native Son] ist ein modernes Epos, das aus Handlung im großen Maßstab besteht. Als solches fungiert es als Kommentar zu der prosaischen Ebene des täglichen Lebens."; „. . . seine Verbindung mit der Kommunistischen Partei hob ihn auf eine neue Ebene des Bewußtseins.") 18 Baldwin, Many Thousands Gone, S. 30f. — („die kraftvollste und gefeierteste Darstellung, die wir bisher hatten, vom Schicksal des Negers in Amerika . . ."; „sei Beweis, durch seine bloße Existenz, welche Fortschritte in einer freien Demokratie gemacht werden können".) 19 Ebenda, S. 32f. — („Die Unbilden jener unerwarteten Zeit erfüllten uns nicht nur mit einem echt verwirrten und verzweifelnden Idealismus — so daß, weil es wenigstens e t w a s gab, für das man kämpfen konnte, junge Männer nach Spanien gingen und dort starben — sondern auch mit einem echt verwirrten Bewußtsein"; „des Neuen Negers"; „leidenschaftlichen und entzückenden Primitiven"; „beredtesten Sprecher"; „sehr klar dem sozialen Kampf verbunden"; „die Realität des Menschen als soziales Wesen ist nicht seine einzige Realität, und jener Künstler ist unterdrückt, der gezwungen ist, von Menschen ausschließlich in sozialen Beziehungen zu handeln!") 20 Ebenda, S. 37. — („Der ,Nigger', schwarz, unkultiviert, brutal, von Schuldgefühl verzehrt . . . Er steht neben uns, wenn wir dem Dienstmädchen ihren Lohn geben . . . Jede Generation hat ihm N i g g e r ! nachgerufen, als er durch unsere Straßen ging; er ist es, den unsere Schwestern nicht heiraten sollten; er wird in die weite und wehklagende äußere Dunkelheit verbannt, wann immer wir von der ,Reinheit' unserer Frauen, von der .Heiligkeit' unseres Heims, von .amerikanischen' Idealen sprechen. Und er weiß das auch. Er ist in der Tat der ,eingeborene Sohn', er ist der ,Nigger'. Wir wollen im Moment nicht fragen, ob er wirklich existiert oder nicht — denn wir wollen g l a u b e n , daß er existiert. Wann immer wir ihm unter uns wirklich begegnen, wird unser Glaube perfekt gemacht, und sein notwendiges und blutiges Ende wird mit einer mystisch-wilden Freude vollzogen.") 21 Ebenda, S. 38. — („. . . es gibt . . . keinen in Amerika lebenden Neger, der nicht, kurz oder über-lange Perioden, mit scharfem oder dumpfem Zorn, mit unterschiedlichem Effekt, einfachen, nackten und unbeantwortbaren H a ß gefühlt hätte; der nicht gewünscht hätte, jedes weiße Gesicht, dem er an einem Tage begegnete, zu zerschmettern, aus Motiven grausamster Rache ihre Frauen zu vergewaltigen, die Körper aller weißen Menschen zu zerbrechen und sie in den Staub zu stoßen, in den er selbst getreten wurde und wird . . .")
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22 Ebenda, S. 40. — („Bigger, der nicht als Reflektion der gesellschaftlichen Krankheit fungieren kann, da er keine Gesellschaft hat, die er reflektieren könnte, kann auch nicht auf der erhabeneren Ebene des Christus-Symbols fungieren . . . denn es ist nicht seine Liebe zu ihnen oder zu sich selbst, welche ihn sterben läßt, sondern sein Haß und sein Selbsthaß; er tilgt die Schmerzen eines verachteten Volkes nicht, sondern im Gegenteil, er enthüllt nichts weiter als seine eigene leidenschaftliche Verbitterung darüber, daß er als einer der Ihren geboren wurde.") 23 Vgl.: Ebenda, S. 42 (Hervorhebung im Original). 24 E s muß daraufhingewiesen werden, daß Richard Wright sich der von Baldwin betonten „ b l o o d relationship" zwischen Schwarzen und Weißen durchaus auch bewußt war: „ I made the discovery that Bigger T h o m a s was not black all the time; he was white, too . . . " heißt es zugespitzt in „ H o w Bigger was B o r n " . In:' Native Son, S. xxiii; Vgl. auch den Gesamtkontext des Essays. — („Ich machte die Entdeckung, daß Bigger T h o m a s nicht völlig schwarz war; er war auch weiß . . . " ) E s bleibt die Frage nach dem Primat entweder der sozialen oder der Blutsbeziehung, die allerdings von Wright sehr eindeutig zugunsten der ersteren beantwortet wird. D a r a u s ist aber entschieden nicht der Vorwurf soziologischer Enge in der Kunstauffassung herzuleiten. 25 In: Baldwin: The Fire Next Time, London 1963. S. 26—112. 26 Ebenda, S. 33 — ( „ D i e Weißen in diesem Lande werden genug damit zu tun haben, zu lernen, wie sie sich selber und einander akzeptieren und lieben, und wenn sie das erreicht haben — was nicht morgen, vielleicht niemals sein wird — wird das Negerproblem nicht mehr existieren, denn es wird nicht mehr gebraucht.") 27 Ebenda, S. 50. — ( „ d a ß es keine Liebe in der Kirche gab. Sie war eine M a s k e für Haß und Selbsthaß und Verzweiflung.") 28 Ebenda, S. 57. — („Wenn die Vorstellung von Gott irgendwie Gültigkeit oder Sinn hat, dann nur, uns größer, freier, liebender zu machen. Wenn Gott das nicht vollbringen kann, dann ist es Zeit, ihn loszuwerden.") 29 Ebenda, S. 66. — („Wir Menschen haben nun die Macht, uns selbst auszulöschen; das scheint die ganze Summe unserer Errungenschaften zu sein.") 30 Ebenda, — ( „ D i e s nun ist das beste, was Gott [der weiße Gott] tun kann. Wenn das so ist, dann ist es Zeit, ihn zu ersetzen — doch wodurch? Und diese Leere, diese Verzweiflung, diese Q u a l wird überall im Westen empfunden . . . " ) 31 Ebenda, S. 95. — („den Wettkampf des kalten Krieges, und die Tatsache, daß Afrika sich selbst befreite und daher aus politischen Gründen von den Nachkommen seiner früheren Herren umworben werden mußte.") Vgl. auch: Baldwin, N o b o d y K n o w s My Name, S. 73. 32 Baldwin, The Fire Next Time. S. 97. — ( „ . . . wir sind von Rußland einfach hypnotisiert gewesen . . . der einzige Vorteil, den Rußland in dem hat, was wir als K a m p f zwischen dem Osten und dem Westen ansehen, ist die moralische Geschichte der westlichen Welt. Rußlands Geheimwaffe ist die Verwirrung und Verzweiflung und der Hunger von Millionen Menschen, deren Existenz wir kaum wahrnehmen. Die russischen Kommunisten sind nicht im mindesten an diesen Leuten interessiert. Aber unsere Ignoranz und Unentschlossenheit haben den Effekt gehabt, sie sehr tief in den russischen Schatten zu treiben, wenn nicht sie in russische Hände zu geben. Für diesen Effekt — und es ist schwer, sie zu tadeln — mißtrauen uns die artikuliertesten unter ihnen und die unterdrücktesten ebenfalls, um so mehr.")
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Vgl.: Baldwin, Notes of a Native Son, S. 61. Ebenda, S. 22f., S. 30—45, Nobody Knows My Name, S. 150—155. Ebenda, S. 27f. u. 73 (hier wird DuBois sogar als Stalinist bezeichnet!). Baldwin, The Fire Next Time, S. 90f. Das Kapital, Band 1, MEW, Band 23, Berlin 1962, S. 318. Baldwin, Notes of a Native Son, S. 33. — Dies ist die einzige Stelle in Baldwins Essays, wo er die Arbeiterklasse überhaupt erwähnt. — Vgl. dazu: Harrington, The other America . . ., S. 27. — Über die Situation bestimmter Gruppen von schwarzen Arbeitern: „. . . their plight is not exclusively racial, for it is shared by all the semi-skilled and unskilled workers . . . They are involved in an interracial misery." („. . . ihre Lage ist nicht ausschließlich rassisch bedingt, denn sie wird von allen halbausgebildeten und unausgebildeten Arbeitern geteilt . . . Sie sind Teil einer interrassischen Misere.") Zu diesem Problem vgl.: Baldwin, Notes of a Native Son, S. 53, ders., Nobody Knows My Name, S. 66f., 94f., 134f., 178; ders. The Fire Next Time. S. 85. Baldwin, The Male Prison, In: Nobody Knows My Name, S. 130—135. Vorliegende Ausgabe: London 1973. — Vgl. auch: J. Baldwin/M. Mead, A Rap on Race. London 1971. James Baldwin, N o Name on the Street, S. 113. — („Aber das wäre ein bodenständiger Sozialismus, zugeschnitten auf die tatsächlichen Bedürfnisse des amerikanischen Volkes."; „Das Wirtschaftssystem, das wir zur Zeit haben, verdammt den größten Teil der Weltbevölkerung zum Elend und diktiert ihm Lebensbedingungen, die genauso steril wie unmoralisch sind, also brauchen wir den Sozialismus. Es wird so lange keinen Frieden auf der Welt geben, wie dieses alte Wirtschaftssystem nicht geändert wird." Zitiert nach: James Baldwin, Keinen Namen auf der Gasse. Übersetzt v. Irene Ohlendorf. In: James Baldwin, Amen Corner. Keinen Namen auf der Gasse. Berlin 1975. S. 275f.) Ebenda, S. 81 f. — (,,. . . daß ich einerseits Schriftsteller war, andererseits aber — ich will nicht sagen Sprecher der Schwarzen, aber doch ein, sagen wir mal, Zeuge ihrer Lage, der in der Öffentlichkeit bekannt war."; ,,. . . denn bei diesen bitteren Umwälzungen machte ich Erfahrungen, die mich der Wirklichkeit näher brachten und damit auch dem Drehbuch zugute kommen mußten." Ebenda, S. 230f.). Ebenda, S. 112. — („Einer braucht den anderen, so glaube ich, und beide können voneinander lernen, heute mehr denn je." Ebenda, S. 274.) Als besonders relevant vgl.: Notes of a Native Son, S. 3—9, S. 85—114; Nobody Knows My Name. S. 56—67; No Name in the Street. Vgl. besonders den Essay „Down at the Cross". In: The Fire Next Time, S. 25—112. James Baldwin, G o Tell It on the Mountain, London 1963 (Ersterscheinung 1954). S. 9 - 6 9 . Ebenda, S. 45. — (,,. . . denn er war in der Wahrheit des Herrn erzogen worden. Er konnte nicht behaupten, wie vielleicht Wilde im afrikanischen Busch, ihm habe niemand das Evangelium gebracht." Zitiert nach: James Baldwin, Gehe hin und verkünde es vom Berge. Übers, v. Jürgen Manthey. Berlin 1968, S. 54.) Es sei jedoch an Baldwins Essay „Princes and Powers" erinnert, in dem er den Kongreß afrikanischer Schriftsteller und Künstler vom September 1956 in Paris kommentiert. Baldwin spricht hier von „that gulf which yawns between the American Negro and all other men of colour" und bedauert diesen Zustand, „for the American
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Negro ist possibly the only man of colour who can speak of the West with real authority, whose experience, painful as it is, also proves the vitality of the so transgressed Western ideals". (In: Nobody Knows My Name, S. 28.) Im gleichen Zusammenhang preist Baldwin die amerikanische Gesellschaft: „. . . we had been born in a society, which, in a way quite inconceivable for Africans, and no longer real for Europeans, was open, and, in a sense which has nothing to do with justice, was free . . . we had therefore been born to a greater number of possibilities . . ." (Ebenda, S. 29); — (, jener Kluft, die zwischen dem Neger und allen anderen farbigen Menschen gähnt"; „denn der amerikanische Neger ist vielleicht der einzige Farrbige, der mit wirklicher Autorität vom Westen sprechen kann, dessen Erfahrung, so schmerzlich sie sein möge, auch die Vitalität der so verletzten westlichen Ideale beweist"; „. . . wir wurden in einer Gesellschaft geboren, die in einer Weise offen war, wie das für Afrikaner unvorstellbar und für Europäer nicht mehr real ist, und die frei war in einem Sinne, der nichts mit Gerechtigkeit zu tun hat . . . wir wurden deshalb mit den größeren Möglichkeiten geboren . . .") 50 Vgl. z. B.: Baldwin, Notes of a Native Son, S. 28—33, 35f. 51 Baldwin, G o Tell It on the Mountain, S. 7 3 - 1 0 3 ; 104—173; 174—218. 52 Ebenda, S. 144. — („zum erstenmal seit seiner Bekehrung, zum letztenmal in seinem Leben." Zitiert nach: Baldwin, Gehe hin und verkünde es vom Berge, S. 175.) 53 Ebenda, S. 145. — („. . . nach neun Tagen gab Gott ihm die Kraft, ihr zu sagen, daß es so nicht weitergehen könne." Ebenda, S. 176.) 54 Ebenda, S. 151. — („Der Teufel hat mich in Versuchung geführt, und ich bin ihm erlegen." Ebenda, S. 183.) 55 Ebenda, S. 155. — („Ich bin nicht heilig wie Du, aber ich weiß, was recht ist und was nicht recht ist. Ich werde mein Kind zur Welt bringen und es zum Mann erziehen. Und ich werde ihm aus keiner Bibel vorlesen, und ich werde ihn nicht in die Kirche schicken und Predigten hören lassen. Und selbst wenn er sein Leben lang nichts als billigen Schnaps trinkt, wird er immer noch ein besserer Mensch sein als sein Vater." (Ebenda, S. 187f.) Die moralische Integrität Esthers wird sogar durch Deborah bestätigt, die von allem gewußt, aber nicht gewagt hat, Gabriel das zu sagen; vgl.: S. 170f. 56 Ebenda, S. 130. — („. . . er war in Sünde gezeugt worden, und er war in Sünde umgekommen; es war Gottes Strafe gewesen, und sie war gerecht." (Ebenda, S. 158.) 57 Ebenda, S. 192. — („Eines Tages hab ich mir vorgenommen, daß ich mal genausoviel wissen will wie die weißen Hunde, und ich will sogar noch mehr wissen, damit m i c h keiner von diesen weißen Hurensöhnen auf k e i n e m Gebiet an die Wand reden kann. Und keiner gibt mir mehr das Gefühl, i c h bin ein Stück Dreck . . ."; „Ich weiß es nicht. Ich muß erst mal sehen. Es sieht so aus, als ob ich mich für nichts entscheiden kann." Ebenda, S. 233f.) 58 Ebenda, S. 2 1 9 - 2 5 4 . 59 Ebenda, S. 246. — („Ich weiß, du denkst im Grunde deines Herzens: Wenn du sie, sie und ihren Bastard, genug für ihre Sünden büßen läßt, dann wird d e i n Sohn nicht für deine Sünden büßen müssen. Aber das werde ich nicht zulassen. Du hast genug Menschen für ihre Sünden zahlen lassen, jetzt wird es Zeit, daß auch du selbst anfängst zu zahlen." Ebenda, S. 299t
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60 Ebenda, S. 254. — („heiliger K u ß " ; „ein unauslöschliches Siegel". Ebenda, S. 309.) 61 Baldwin, Black Man's Bürden, In: Times Literary Supplement, Nr. 3, 210, S. 672. — („die größtenteils autobiographische Beschreibung einer schwierigen Jugend"; „sexuell im Wesen und religiös im Ausdruck ist"; „daß der Held, John, sich zu einem Homosexuellen entwickeln wird.") 62 Baldwin, Notes of a Native Son, S. 6. — („. . . Ich glaube, daß die Vergangenheit erst die Gegenwart klarmacht, und ferner, daß die Vergangenheit so lange schrecklich sein wird, wie wir uns weigern, sie ehrlich einzuschätzen.") 63 Baldwin, G o Teil It on the Mountain, S. 78. — ( , . . . kamen Truppen aus dem Norden brennend und plündernd ins Land gezogen, um ihnen die Freiheit zu bringen. So waren die Gebete der Frommen erhört worden, die Tag und Nacht unaufhörlich um Befreiung gefleht hatten." Zitiert nach: Baldwin, Gehe hin und verkünde es vom Berge, S. 93 f.) 64 Baldwin, Notes of a Native Son, S. 8. — („. . . etwas von der Doppeldeutigkeit und Ironie des Negerlebens brillant in Sprache umzusetzen".) 65 Baldwin, Giovanni's Room, London 1963 (Ersterscheinung 1956). S. 9—12. 66 Ebenda, S. 12f. — („Meine Flucht könnte in jenem Sommer begonnen haben — was mir nicht verrät, wo der Keim des Dilemmas zu finden ist, das sich in jenem Sommer in Flucht auflöste."; „. . . sie geisterte durch meine Alpträume, von Würmern wimmelnd, ihr Haar trocken wie Metall und brüchig wie dürre Zweige, sich anstrengend, um mich an ihren Körper zu pressen; an jenen Körper, faulend, ekelhaft weich, der sich öffnete, während ich rang und schrie, sich öffnete zu einem so gewaltigen Spalt, daß er mich lebendig zu verschlingen drohte.") 67 Ebenda, S. 20. — („Menschen, die glauben, sie seien starken Willens und Herren ihres Geschicks, können dies nur weiterglauben, indem sie Spezialisten in Selbsttäuschung werden. Ihre Entscheidungen sind in Wirklichkeit keine Entscheidungen . . . sondern ausgeklügelte Systeme der Ausflucht, der Illusion, dazu bestimmt, sich und die Welt als etwas erscheinen zu lassen, was sie und die Welt nicht sind."; „. . . nicht auf das Universum schauend, nicht auf mich selbst schauend, in ständiger Bewegung bleibend"; „geheimnisvollen Widerstand, einem Fall, wie ein Flugzeug, das auf ein Luftloch trifft"; „. . . da gab es eine Menge, alle betrunken, alle schmutzig, einen beängstigenden Fall, der — während ich in der Armee war — einen Schwulen betraf, der später kriegsgerichtlich ausgeschaltet wurde. Die Panik, die seine Bestrafung in mir verursachte, war dem Terror in den Augen eines anderen Mannes sehr nahe, wie ich ihn manchmal sah, jenem Terror, dem ich nun in mir selbst begegnete"; „. . . ich war mir nicht bewußt, was diese Langeweile bedeutete, ich wurde der Bewegung müde, müde auch der freudlosen Meere des Alkohols, müde der plumpen, derben, herzlichen und völlig bedeutungslosen Freundschaften, müde des Wanderns durch die Wälder verzweifelter Frauen, müde der Arbeit, die mich nur im brutal buchstäblichsten Sinne ernährte. Vielleicht wollte ich mich selbst finden, wie wir in Amerika sagen. Dies ist ein interessanter Satz . . ., der sicher nicht bedeutet, was er sagt, aber der den nagenden Verdacht verrät, daß etwas nicht stimmt. Hätte ich eine Ahnung gehabt — so glaube ich jetzt —, daß das Selbst, das ich finden sollte, sich lediglich als das gleiche Selbst erweisen würde, vor dem ich so lange geflohen war, wäre ich zu Haus geblieben.") 68 In einer Untersuchung zu diesem Problem heißt es: „. . . there are few modern writers who have not, though in varying degress, been influenced by this pronounced
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alienation of the self." (Charles I. Glicksberg, The Self in Modern Literature. University Park, Penn. 1963, S. xii.); (,,. . . es gibt wenige moderne Schriftsteller, die nicht, obgleich in unterschiedlichem Maße, von dieser prononcierten Entfremdung das Selbst beeinflußt worden sind.") Baldwin, Giovanni's Room, S. 58. — („Freude und Überraschung"; „Qual und Furcht waren die Oberfläche geworden, auf der wir dahinglitten und das Gleichgewicht, die Würde und den Stolz verloren.") Ebenda, S. 107 (Hervorhebungen im Original); („Du sprichst dauernd über das, w a s ich möchte. Ich aber habe nur darüber gesprochen, w e n ich möchte.") Ebenda, S. 104. — („. . . Ich wollte immer dort bleiben und viel Spaghetti essen und viel Wein trinken und viele Kinder machen und fett werden.") Baldwin, Nobody Knows My Name, S. 13f. — („Es ist eine der Tatsachen des Lebens, daß es zwei Geschlechter gibt, und diese Tatsache hat der Welt das meiste ihrer Schönheit gegeben, hat sie nicht wenig ihrer Qual gekostet, und sie enthält die Hoffnung und Herrlichkeit der Welt. Und mit dieser Tatsache, die man vielleicht besser ein Mysterium nennen sollte, muß jedes menschliche Wesen irgendwie leben."; „Das wirklich Schreckliche am Phänomen der heutigen Homosexualität. . . ist, daß der unglückliche Abartige sich nur durch eine gewaltige Anstrengung aller seiner Kraft davor bewahren kann, in eine Unterwelt abzusinken, in der er weder Männer noch Frauen trifft, wo es unmöglich ist, einen Liebhaber oder Freund zu haben, wo die Möglichkeit zu echter menschlicher Verbundenheit absolut aufgehört hat."; „. . . das Gefängnis, in dem Gide kämpfte . . . unterscheidet sich nicht wesentlich von dem Gefängnis, das z. B. von den Helden Mickey Spillanes bewohnt wird. Auch diese Helden können zu Frauen keine Beziehung herstellen, und dies ist der einzige Grund, warum ihre Muskeln, ihre Fäuste und ihre Maschinenpistolen eine so phantastische Bedeutung erlangt haben. Es lohnt sich auch, folgendes zu beobachten: wenn Männer keine Frauen mehr lieben können, hören sie auch auf, einander zu lieben oder zu respektieren oder zu trauen, was ihre Isolation komplett macht. Nichts ist gefährlicher als diese Isolation, denn die Männer würden eher jedes Verbrechen begehen als sie ertragen."
73 Recht treffend heißt es dazu in „Black Man's Burden": ,,. . . he (Baldwin) records a portrait in depth of one or two individuals who, though society finally does erupt into their lives and destroy them, might otherwise have been living on the other side of the m o o n . " („. . . er zeichnet ein Tiefenporträt von ein oder zwei Individuellen, die, obgleich die Gesellschaft schließlich in ihr Leben dringt, ansonsten auf der anderen Seite des Mondes leben könnten.") 74 Hier deutet sich die Tendenz zu starker Subjektivierung an. Robert Weimann spricht in ähnlichem Zusammenhang, von einer Schwerpunktverlagerung: „Wirklichkeitse r k e n n t n i s " werde zum „Wirklichkeitserlebnis", Auseinandersetzung mit der Umwelt zur „Emotionschronik" (Romanheld und Wirklichkeit. In: ZAA, Heft 3/1960, S. 270). — „Twentieth-century literature", bemerkt Glicksberg, „influenced by the philosophical work of William James and Bergson, pictures consciousness as a dynamic flow continuous but obscure . . . The individual,, as James had shown, far from being governed by a single self, is actually the locus of a plurality of selves." Glicksberg, The Self in Modern Literature, (Die Literatur des 20. Jahrhunderts, beeinflußt durch das philosophische Werk William James' und Bergsons, bildet das Bewußtsein als dynamischen Fluß ab, ununterbrochen doch dunkel . . . Das Indivi-
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duum ist, wie James gezeigt hatte, weit davon entfernt, durch ein einziges Selbst regiert zu werden, es ist vielmehr der Ort einer Pluralität von Selbst.") 75 Baldwin, Another Country. New York 1963 (Ersterschinung 1962). S. 9—153. 76 Ebenda, S. 62f. — (Hervorhebungen im Original); („,Was w o l l e n zwei Menschen voneinander', fragte Rufus, ,wenn sie zusammenkommen? Weißt du es? . . . Was willst du, wenn du mit einem Mädchen zusammenbist?' ,Nun', sagte Vivaldo und drängte seine Panik zurück, versuchte zu lächeln, ,ich möchte mit ihr schlafen. Mann.' ,Ja?' Und Rufus schaute ihn neugierig an, als ob er dachte, so m a c h e n es a l s o d i e w e i ß e n J u n g e n . ,Ist das alles?' ,Nun' — er schaute nach unten — ,Ich möchte, daß das Mädchen mich liebt. Ich möchte sie zwingen, daß sie mich liebt. Ich möchte geliebt werden.' Es war Stille. Dann fragte Rufus, ,Ist das je geschehen?' ,Nein', sagte Vivaldo und dachte an katholische Mädchen, und an Huren. ,Ich glaube nicht.' ,Wie kannst du es e r z w i n g e n ? ' flüsterte Rufus. ,Was t u s t du?' Er schaute hinüber zu Vivaldo. Er lächelte halb. ,Was tust d u ? ' ,Was meinst du, was ich tue?' Er versuchte zu lächeln; aber er wußte, was Rufus meinte.") 77 Ebenda, S. 44. — („Er erinnert sich nur, daß Eric ihn geliebt hatte, wie er sich jetzt erinnerte, daß Leona ihn geliebt hatte. Er hatte Erics Männlichkeit verachtet, indem er ihn als Frau behandelte, indem er ihm sagte, daß er einer Frau unterlegen war, indem er ihn als nichts weiter als eine gräßliche sexuelle Mißgestaltung behandelte. Aber Leona war keine Mißgestaltung, und er hätte ihr gegenüber genau die gleichen Worte gebraucht wie gegenüber Eric und in genau der gleichen Weise, mit dem gleichen Dröhnen im Kopf und dem gleichen unerträglichen Druck in der Brust.") 78 Ebenda, S. 50. — („er hatte das untere Ende erreicht"; „Etwas spricht für das untere Ende . . . man kann nicht noch weiter fallen." — Wir werden hier an eine Stelle in den Essays erinnert, wo Baldwin das Verhältnis des Negers zum Weißen in den USA wie folgt beschreibt: „. . . we were almost personally indispensable to each of them [d. h. den Weißen], simply because, without us, they could never have been certain . . . where the bottom was." Baldwin, Nobody Knows My Name. S. 29.); (,,. . . wir waren fast persönlich unerläßlich für jeden von ihnen, einfach deshalb, weil sie ohne uns nie hätten sicher sein können, wo das untere Ende war.") 79 Baldwin, Another Country, S. 78. — (,,. . . nun gut, du mutterschänderischer gottallmählichter Bastard, ich komme zu dir.") 80 Glidsberg, The Seif in Modern Literature, S. xiii. — („Der introspektive Held unserer Zeit ist ein bitterer Ausgestoßener, ein Bewohner des Universums, des Absurden, unfähig, in der Welt, in der er lebt, einen Sinn zu entdecken.") 81 Baldwin, Another Country, S. 157—317. 82 Ebenda, S. 116; (Hervorhebungen H. W.); („Er wußte, daß Harlem ein Schlachtfeld war und daß dort Tag und Nacht Krieg herrschte — aber von den Kriegszielen wußte er nichts. Und das lag daran, . . . d a ß m a n v o n K ä m p f e n n u r d a s w u ß t e , w a s m a n v o n s e i n e n e i g e n e n a k z e p t i e r t h a t t e . Er war gegen seinen Willen gezwungen, Stück für Stück einzusehen, daß er nicht seine Männlichkeit ausprobiert oder sein Lebensgefühl erhöht hatte, als er sich den Gefahren Hadems aussetzte. E r h a t t e s i c h l e d i g l i c h in d a s ä u ß e r e A b e n t e u e r g e f l ü c h t e t , u m d e n W i d e r s p r u c h u n d die S p a n n u n g des sich u n e r b i t t l i c h im I n n e r n ab-
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s p i e l e n d e n A b e n t e u e r s zu v e r m e i d e n . . . Sie [die Harlemer Neger] wußten, daß er ein Gejagter war, auf der Flucht; die liberalen, ja sogar revolutionären Gefühle, auf die er so stolz war, bedeuteten ihnen absolut nichts. Er war nur ein armer weißer Junge in Not, und es war nicht im geringsten originell von ihm, zu den Niggern gelaufen zu kommen.") Ebenda, S. 273. — („,Unser Zusammensein verändert die Welt nicht, Vivaldo.' ,Für mich schon', sagte er. ,Das ist', sagte sie, ,weil du weiß bist.'") Ebenda, S. 293. — („daß die ganze Welt nur ein großes Hurenhaus sei und daß die einzige Art, es zu etwas zu bringen, darin bestehe, die größte, kühlste, härteste Hure zu sein und die Welt so zu zwingen, einem etwas zurückzuzahlen.") Ebenda, S. 295. — („. . . würdest du nicht alle Weißen hassen, wenn sie dich hier im Gefängnis hielten?" „Sie halten dich hier, weil du schwarz bist, die dreckigen weißen Arschlecker, und sie bringen dich halb um mit all dem Quatsch über das Land der Freien und die Heimat der Tapferen . . . Manchmal könnte ich mich zu einer großen Faust machen und dieses elende Land zu Staub zermahlen. Manchmal glaube ich, es hat kein Recht zu existieren.") Ebenda, S. 179. — („Er erinnerte sich jener Armee einsamer Männer, die ihn benutzt hatten . . . Sie hatten nicht nur seinen Körper benutzt, sondern etwas anderes; seine Schwäche hatte ihn zum Behältnis einer Qual gemacht, von der er kaum glaubte, daß es sie auf dieser Welt geben könnte.") Ebenda, S. 181. — (Hervorhebungen H. W.); („Und wo war Ehre in all diesem Chaos? . . . Ehre. Er wußte, er hatte keine Ehre, die die Welt anerkennen könnte. Sein Leben, seine Leidenschaften, seine Qualen, seine Liebe waren, in den Augen der Welt, schlimmstenfalls Schmutz und bestenfalls Krankheit; in den Augen seiner Landsleute waren es Verbrechen. Es g a b f ü r i h n k e i n e R e g e l n a u ß e r d e n e n , d i e e r s i c h s e l b s t m a c h e n k o n n t e . Es gab für ihn keine Regeln, weil er die Definitionen nicht akzeptieren konnte, den gräßlich mechanischen Jargon des Zeitalters. Er sah niemanden um sich, den er beneidet hätte, er glaubte nicht an den endlosen grauen Schlaf, der Sicherheit genannt wurde, glaubte nicht an die Kuren, Allheilmittel und Losungen, welche die Welt quälten, die er kannte; und dies bedeutete, d a ß er s e i n e R e g e l n u n d D e f i n i t i o n e n s e l b s t m a c h e n m u ß t e , im P r o z e ß d e s V o r a n s c h r e i t e n s . E s o b l a g i h m h e r a u s z u f i n d e n , w e r e r w a r , und es war notwendig für ihn, soweit es die Zauberer der Zeit betraf, es allein zu tun.")
88 Baldwin, Another Country, S. 321—366. 89 Ebenda, S. 351 f. — („Für mich gab es nur eins, wie Rufus zu sagen pflegte: den durchgehenden Zug zu erwischen. Das tat ich. Nichts war zuerst klar in meinem Kopf. Ich sah, wie weiße Männer mich beobachteten, wie Hunde. Und ich dachte darüber nach, was ich ihnen antun könnte. Wie ich sie haßte . . . Ich wollte ihnen nicht preisgegeben sein. Ich wollte, daß sie mir preisgegeben wären!") 90 Ebenda, S. 360 f. — („Ich möchte, daß du weißt, daß ich nicht so lange mit dir zusammengewesen wäre und es dir so schwer gemacht hätte, wenn ich dich nicht liebte.") 91 Ebenda, S. 362. — („. . . sie streichelte die Unschuld aus ihm heraus.") 92 Vorliegende Ausgabe: London 1968 (Ersterschinung 1968). 93 Baldwin, Teil Me How Long the Train's Been Gone, S. 232; Hervorhebung im Original. — („. . . aber was, fragte ich mich, sollte ich mit ihr machen. L i e b e n , e h r e n u n d b e s c h ü t z e n . Aber das lag nicht in meinem Möglichkeiten.")
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94 Ebenda, S. 233. — („. . . wir müssen großartig sein. Das ist alles, was wir haben. Das ist der einzige Weg, wie wir uns nicht verlieren werden.") 95 Ebenda, S. 100. — („Es gibt eine Wahrheit auf dem Theater und es gibt eine Wahrheit im Leben — beide berühren sich, aber sie sind nicht das gleiche, denn das Leben, Gott hilf uns, ist die Wahrheit. Und die Verkleidungen, die ein Künstler trägt, sind seine Mittel ihr nahezukommen, nicht vor ihr zu fliehen . . . die Verkleidungen sind dazu bestimmt, die Wahrheit zu einer Größe zu machen, mit der man leben kann — oder hoffen, durch die Mühe des Lebens, davon erlöst zu werden.") Vgl. hierzu auch Baldwin, No Name in the Street, S. 81 f. 96 Ebenda, S. 406. — („. . . wenn du nicht willst, daß ich unter den Hufen von Pferden weiterleben soll, dann glaube ich, mußt du mir zustimmen, daß wir ein paar Gewehre brauchen."; „Aber wir sind in der Minderzahl"; „Scheiße. Das waren die frühen Christen auch.") 97 Etwas Ähnliches, in viel größerem, wenngleich subliterarischem Maßstab, bringt Edwin Corley zustande, der in seinem Roman „Siege" (London 1971, Ersterscheinung 1969) die letztlich gescheiterte Eroberung Manhattans durch schwarze Rebellen beschreibt; für Manhattan sollte der Staat New Jersey eingetauscht werden, der dann als schwarzer Staat namens Redemption Autonomie erhalten sollte. 98 Baldwin, Teil Me How Long the Train's Been Gone, S. 282. — („Ich war Teil dieses Volkes, gleichgültig, wie bitter ich es beurteilte. Ich würde dieses Land nie verlassen können. Ich könnte es nur kurz verlassen, wie ein Ertrinkender, der hochkommt, um nach Luft zu schnappen. Ich hatte die Wahl, mit dem verlorenen Volk unterzugehen, oder es zu fliehen, es zu verleumden, und dabei unterzugehen. Es war eine sehr schlaue Falle, und ein sehr bitterer Spaß."; „ . . . dessen Schicksal genauso an dieses Elend gebunden war wie mein eigenes, aber der fühlte, daß seine Optionen und Möglichkeiten anders waren.") 99 Ebenda, S. 283. — („. . . mir schien, daß Christophers Optionen und Möglichkeiten sich nur verändern konnten, wenn der tatsächliche Bedingungsrahmen sich veränderte: und die Metamorphose des Bedingungsrahmen, in den wir hineingebohren wurden, würde fast mit Sicherheit so gewaltsam sein, um Christopher und mich und uns alle hinwegzufegen. Und dann . . . würde Gott vielleicht ein Volk hervorbringen, das verstehen könnte . . . Dann würde der Himmel ein Bürgerrechtsgesetz beschließen und alle Engel würden gleich sein und alle Gotteskinder Schuhe haben.") 100 Deutsche Ausgabe: Beale Street Blues. Berlin und Weimar 1976. 101 Vgl. die ausführliche Besprechung des Romans von Friederike Hajek, James Baldwin: Beale Street Blues. In: WB. Heft 6/1977, S. 137—150, mit der wir uns weitgehend identifizieren.
John Updike 1 Direkte autobiographische Selbstzeugnisse finden sich in „Memories, Uncles, Confessions", dem zweiten Teil des Bandes „Assorted Prose" (London 1965), ganz speziell in „The Dogwood Tree: A Boyhood". — Zu biographischen Angaben vgl. ferner: Alice and Kenneth Hamilton, John Updike. A Critical Essay. Grand Rapids, Mich. 1967.
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2 Folgende Werke Updikes lagen vor: The Poorhouse Fair. New York 1964 (Ersterscheinung 1959). Rabbit Run. Harmondsworth 1965 (Ersterscheinung 1960). The Centaur. Harmondsworth 1966 (Ersterscheinung 1963). Of the Farm. London 1966 (Ersterscheinung 1965). Couples. London 1968. Rabbit Redux. London 1972. A Month of Sundays. Harmondsworth 1975. Marry Me. Harmondsworth 1977 (Ersterscheinung 1976). The Same Door. Harmondsworth 1968 (Ersterscheinung 1959). Pigeon Feathers and Other Stories. Harmondsworth 1965 (Ersterscheinung 1962.) The Music School. New York 1966. Museums and Women. Harmondsworth 1975 (Ersterscheinung 1972). The Carpentered Hen and Other Tame Creatures. New York 1958. Telephone Poles and Other Poems. New York 1963. Bech: A Book. Harmondsworth 1972 (Ersterscheinung 1970). 3 Updike macht es dem Leser allerdings schwer, diesen Umstand zu entdecken. Wir sind hier A. und K. Hamilton, John Updike, S. 13, für einen entsprechenden Hinweis dankbar; andere Kritiker erwähnen diese Tatsache nicht. Sie ist belegbar: Der 94jährige John F. Hook erinnert sich, als blutjunger Absolvent der „normal school" zur Zeit der Administration Theodore Roosevelts (1901 — 1909) sein erstes Amt als Lehrer angetreten zu haben; vgl.: Updike, The Poorhouse Fair, S. 6f. 4 Wir stimmen den Hamiltons zu, die Conner als „an oddly two-dimensional figure" bezeichnen (A. and K. Hamilton, John Updike, S. 14); („eine seltsam zweidimensionale Figur"). 5 Updike, The Poorhouse Fair, S. 8. — („Römische Geschichte . . . und amerikanische Politik des 19. Jahrhunderts".) 6 Ebenda, S. 109f. (Hervorhebung H. W.); („Diese Menschen hatten kein Herz mehr; Gesundheit war die Hauptsache in den Gesichtern der Amerikaner, die sich durch die Mauerlücke zum Fest drängten. Sie waren eben nur Menschen, Mitglieder der Rasse weißer Tiere, die sich über sechs Kontinente verbreitet hatte. Nervlich hochorganisiert, breitschädlig, in einzigartiger Weise fähig, ihre Daumen den vier anderen Fingern entgegenzusetzen, vermehrten sie sich in eleganten Wohnsiedlungen . . . Die Geschichte war an ihnen vorbeigegangen. Sie erinnerten sich ihrer Bedeutung und kamen zum Fest, um ihre Erinnerung an ein älteres Amerika aufzufrischen, . . . ein Amerika der Lampenschirme aus buntem Glas; der strengen Evangelisten; der Nationalfeiertage; der Eismänner; des Kautabaks; des Chinahandels; der ovalen Fenster, die außen am Haus ein innen befindliches Treppenhaus andeuten; der scharfen Wundermittel gegen Katarrh-Beschwerden; des Opportunismus; des Zur-Kirche-Gehens und der wohlgesetzten Reden im gleißenden Licht des Friedhofs an Sommertagen. Die Londoner Pakte mit dem Eurasischen Sowjet waren etwas Neues in der Erfahrung Amerikas, das niemals einen Krieg führte, der nicht ein heiliger Krieg war, und niemals einen verlor, wenn er einmal begonnen war. Es s o l l t e k e i n e n K r i e g m e h r g e b e n ; u n s s o l l t e g e s t a t t e t w e r d e n , v o n s e l b s t zu v e r f a l l e n . Und die Bevölkerungszahl schnellte in die Höhe wie die des schüchternen Indien, und die Wirtschaft schwoll an, . . . und überall war Toleranz, Sinn und Verstand, Reichtum, Unglaube und Friede. Die Nation wurde zu einer Nation von Vergnügungssüchtigen; die
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Menschen lebten weiter so wie die Zellen eines Leichnams im Sarg, denn die Konzeption .Amerika' in ihren Schädeln war gestorben.") — Alice und Kenneth Hamilton vergleichen Updikes Utopie mit der „Utopia of horrors" Huxleys und Orwells, schließen daraus jedoch lediglich auf Sozialkritik, ohne sich kritisch mit dem Wesen dieser Kritik bei Updike, Huxley oder Orwell auseinanderzusetzen; Vgl.: A. u. K. Hamilton, John Updike, S. 13. Updike, The Poorhouse Fair, S. 64f., 67. — („Die Zivilisation des Südens bedrohte ihre [d. h. der Kapitalisten des Nordens] Brieftaschen.") Ebenda, S. 75. — („Nun, dann . . . zum Teufel damit.") Ebenda, S. 81. — („Es gibt keine Güte ohne Glauben. Es gibt nichts als Geschäftigkeit. Und wenn man nicht geglaubt hat, wird man am Ende seines Lebens wissen, man hat sein Talent im Boden dieser Welt vergraben und nichts gerettet, um es in die nächste Welt mitzunehmen.") Ebenda, S. 127. Dies sind die letzten Worte des Romans. — („Was war es?") Wir können die Meinung von Norman Podhoretz nicht teilen, der Updike pauschal verreißt, nicht zuletzt wegen „the veneer of Updike's literary sophistication"; vgl.: Norman Podhoretz, A Dissent on Updike. In: Döings and Undoings. The Fifties and After in American Writing. London 1965. S. 251—254, Zitat S. 252. — („des schönen Scheins von Updikes Intellektualismus".) Wiederum handelt es sich um äußere Umstände autobiographischen Ursprungs; vgl.: Updike, The Dogwood Tree. A Boyhood. In: Assorted Prose. — Außerdem muß auf die Verarbeitung des gleichen Materials in „The Poorhouse Fair" und „The Centaur" hingewiesen werden. Updike, Of the Farm, S. 7. Ebenda, S. 4 et passim. — („eine Farm, die niemand bewirtschaftet". Zitiert nach: John Updike, Auf der Farm. Übers, v. Fritz Lorch. Berlin 1973, S. 6). Ebenda, S. 69, 71. — („Die Menschen sollten r u n d sein"; „Menschenschutzgebiet"; „ein Ort . . . wo die Menschen hinkommen und Flüchtlinge sein können wie ich, für eine Stunde oder zwei, wo sie sich die Ecken abstoßen und versuchen können, wieder rund zu sein"; „. . . Richard und ich planen ein Menschenschutzgebiet. Ich werde Eintrittskarten verkaufen oben am Birnbaum, und er ist der Aufseher und markiert die Kranken, die vernichtet werden sollen"; „Was für ein komisches Schutzgebiet . . . Ganz wie ein Konzentrationslager." Ebenda, S. 71, 73f.) Ebenda, S. 31. — („Meine Mutter verfuhr in ihrer mythologischen Biographie wie ein Mathematiker, der nach Aufstellung bestimmter, fest umrissener Postulate Großtaten der Verdrehung und List und paradoxen Verknüpfung vollbringt, die einem Außenstehenden, der nicht auf die Ebene dieser Logik eingeschworen ist, schauderhaft willkürlich vorkommen müssen." Ebenda, S. 33.) Ebenda, S. 31 f. — („Kann man einem Menschen Freiheit geben?"; „Vermutlich . . . gibt nur Gott Freiheit. Aber die Menschen können es auch, indem sie nicht verneinen, was auf dasselbe hinausläuft." Ebenda, S. 33 f.) Ebenda, S. 109. — (Motto in angeführter deutscher Ausgabe nicht enthalten: „Wenn ich folglich, in aller Ehrlichkeit, anerkannt habe, daß der Mensch ein Geschöpf ist, bei dem die Existenz dem Wesen vorausgeht, daß er ein freies Geschöpf ist, das unter verschiedenen Umständen nur seine Freiheit wünschen kann, dann habe ich gleichzeitig anerkannt, daß ich nur die Freiheit anderer wünschen kann."; „Ich arbeite für eine Firma, die für Gesellschaften Lehrgänge programmiert über solche Gegen-
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stände wie Steuereinsparung, Expansion nach Übersee, Beschaffung von Staatsaufträgen und Automation. Mein Gebiet ist die Werbung mit Barausschüttungen, das heißt ungefähr die Präsentation eines Konzern-,Image'." Zitiert nach: Updike, Auf der Farm, S. 111.) 19 Ebenda, — („Nach dem Wunsch meiner Mutter hätte ich ein Dichter werden sollen wie Wordsworth". Ebenda.) — Hier ist ein weiterer Ansatz — nach Peter Caldwell in „The Centaur" —, wo sich Updikes programmatische Ambition andeutet, neben Sex und Religion auch die Kunst literarisch zu gestalten. Bis heute hat sich dieses Vorhaben Updikes nur in Ansätzen verwirklicht. Vgl. den Abschnitt: Concerning the Three Great Things. In: The Dogwood Tree: A Boyhood, S. 80—83; ferner A. und K. Hamilton, John Updike, S. 11. 20 Updike, Of the Farm, S. 135. — („Alles Mißverständnis ist als solches etwas, was die minimale Wahrheit besitzt, in zumindest einem Geist zu existieren. Wahrheit — dies hatte meine Arbeit gelehrt — ist nicht etwas Statisches, ein Berggipfel, dem Aussagen sich annähern wie die Kletterpartien frosterstarrter Bergsteiger. Vielmehr formt sich Wahrheit beständig aus der Verfestigung von Illusionen. In New York arbeite ich unter Menschen, deren Irrtümer sich im nächsten Jahr jedermann zu eigen gemacht hat wie die neue Schuhmode." Ebenda, S. 137.) 21 Bei aller dichterischen Freiheit der Handhabung des Materials ist dessen autobiographische Herkunft — bis hinein in Details — offensichtlich. Die Gestalten George und Cassie Caldwell und Pop Kramer entsprechen recht genau Updikes Eltern und seinem Großvater mütterlicherseits. Vgl.: The Dogwood Tree. A Boyhood. In: Assorted Prose. 22 Dieser Mythos wird in seinem Hauptinhalt hinreichend deutlich in dem dem Roman vorangestellten Auszug aus „Old Greek Folk Stories Told anew" von Josephine Preston Peabody, 1897, vgl.: The Centaur. — Eine gute Interpretation bietet auch Karl-Heinz Schönfelders Nachwort zur deutschen Ausgabe; vgl.: Updike, Der Zentaur. Übers, von Maria Carlsson. Berlin 1972, S. 347—359. 23 So z. B. bei Podhoretz, Doings and Undoings, S. 254—257. 24 David Galloway faßt die Frage weiter, ohne sie freilich befriedigend zu beantworten: „Myth and legend would seem to serve two functions in modern literature: to suggest, after the manner of Jung, universal, archetypal experiences; or to demonstrate, by comparison, modern man's decreased stature and relevance. Updike's use of the Chiron myth serves both functions." David Galloway, The Absurd Hero in American Fiction. Updike, Styron, Bellow, Salinger. Austin/Texas u. London 1966, S. 14. — („Mythos und Legende scheinen in der modernen Literatur zwei Funktionen zu haben: nach Jung universelle archetypische Erfahrungen zu suggerieren oder durch Vergleich den verminderten Status und die verringerte Relevanz des modernen Menschen zu demonstrieren. Updikes Nutzung des Chiron-Mythos dient beiden Funktionen.") — Obwohl reizvoll, können wir hier nicht das Problem des Mythos in bezug auf die moderne Literatur diskutieren; wir verweisen jedoch auf Robert Weimann, Phantasie und Nachahmung. Drei Studien zum Verhältnis von Dichtung, Utopie und Mythos. Halle 1970, speziell s. 91 — 145. Vgl. ferner: ders., Literaturgeschichte und Mythologie. Berlin und Weimar 1972, — Anregend ist ferner Peter Hacks' „Adam und Eva" und „Über ,Adam und E v a ' " . In: SuF, Heft 1/1973, S. 7—78. 210
25 Vgl. auch: Finkelstein, Existentialism . . ., S. 246. — „It is largely around Caldwell's figure that the writing takes on a humanizing character." („Hauptsächlich um Caldwells Figur nimmt die Gestaltung einen humanisierenden Charakter an.") 26 Der Höhepunkt ist erreicht, als Peter den Direktor wegen der „humanist values implicit in the sciences" (einer Formulierung, die Zimmermann in seinem Hospitationsbericht über die Caldwell-Stunde verwendet hat) zur Rede stellt; Peter erscheint hier nicht einmal als jugendlicher Rebell, geschweige denn als ernsthafter Opponent; vgl.: Updike, The Centaur, S. 217—220; Zitat S. 217. — („der humanistischen Werte, die der Physik innewohnen." Zitiert nach: Updike, Der Zentaur, S. 277). 27 Ebenda, S. 242ff. — (Hervorhebung im Original); („Meine riesigen Leinwandflächen, die so erstaunlich teuer sind als rohes Arbeitsmaterial und so erstaunlich wertlos, sobald man sie in Kunst verwandelt. . ."; „Priester, Lehrer, Künstler: der klassische Niedergang"; „Ich bedenke das Leben, das unser Leben war, unsere Tage, die wir ohne Beziehung zu den Tagen, wie die Sonne sie vorschreibt, verbrachten, die barocken Arabesken immer dünner werdender Empfindung, das Mobiliar unseres Lebens, das wie ein Sammelsurium abgeschraubter Braques ist, und unseren ziemlich sehnsüchtigen, halb freudianischen, halb orientalischen Sex-Mystizismus, und ich frage mich: D a f ü r a l s o h a t m e i n V a t e r s e i n L e b e n g e g e b e n ? " Ebenda, S. 309ff.) 28 Ohne seinen Schluß überzeugend zu belegen, kommt Sidney Finkelstein zu einer ähnlichen, wenn auch vielleicht übertriebenen zugespitzten Interpretation: „. . . the effect of this symbolism is to abstract the picture of contemporary smalltown America still further out of history, to give its bleakness a philosophic universality, to intimate that the world has not progressed from the primal raptures of the age of mythology but has merely decayed and hardened. It is the Nietzschean view of civilization and science as not progress but decadence, expressed in 'The Birth of Tragedy'. (S. 247); („. . . der Effekt dieses Symbolismus besteht darin, das zeitgenössische Kleinstadt-Amerika noch weiter aus der Geschichte zu abstrahieren und anzudeuten, daß die Welt seit den ursprünglichen Verzückungen des Zeitalters der Mythologie sich nicht fortentwickelt hat, sondern lediglich verfallen sei und sich verhärtet hat. Es ist die Sicht Nietzsches, ausgedrückt in ,Die Geburt der Tragödie': Zivilisation und Wissenschaft seien nicht Fortschritt, sondern Dekadenz.") 29 Im Grunde haben das die Hamiltons in ihrer Studie erkannt, wenn sie natürlich auch in ihrer eigenen christlichen Sicht befangen bleiben: „The true inspiration of ,The Centaur' is not pagan myth but Christian history." A. and K. Hamilton, John Updike, S. 39 („. . . die wahre Inspiration des,Zentaur' ist nicht der heidnische Mythos, sondern die christliche Geschichte.") 30 Updike, The Centaur, Titelblatt; („Der Himmel ist die dem Menschen unbegreifliche, die Erde ist die ihm begreifliche Kreatur. Er selbst ist die Kreatur der Grenze zwischen Himmel und Erde." Zitiert nach: Updike, Der Zentaur, Rückseite des Titelblatts.) 31 Eine frühere Gestaltung des Themas findet sich in der short story „Ace in the Hole". In: The Same Door, S. 17—25. 32 Es wird so auch verständlich, warum David Galloway in dem Kapitel „The Absurd Man as Saint" zu einer letzlich existentialistischen Deutung Rabbits gelangt. Diese Interpretation trägt der Symptomatik des Falles bis zu einem gewissen Grade Rechnung, wenn auch die Kausalität durch die bürgerliche Sicht Galloways verschleiert wird. Vgl.: Galloway, The Absurd Hero . . . 211
33 Updike, Rabbit, Run, S. 108f. — („Da war dieses Etwas, das nicht da w a r " ; „ , D a s ist es!' schreit er und wiederholt, indem er sich Eccles mit einem Lächeln des Stolzes zuwendet. ,Das ist es'.") 34 Ebenda, S. 52. („die H e i l i g k e i t der Leistung".) 35 Ebenda, S. 219. — (,,. . . was ihn auf den Beinen hielt, war der Gedanke, daß er irgendwo eine Öffnung finden würde. Denn was ihn auf Janice wütend machte, war nicht so sehr, daß sie einmal recht hatte und er unrecht [obendrein wurde er für dumm gehalten], sondern das geschlossene Gefühl, das Gefühl, eingeschlossen zu sein. Er war in die Kirche gegangen und hatte diese kleine Flamme mitgebracht und konnte sie nirgendwo an den dunklen feuchten Wänden der Wohnung anbringen; so hatte sie geflackert und war ausgegangen. Und er erkannte, daß er nicht immer in der Lage sein würde, diese Flamme hervorzubringen. Was ihn den ganzen Tag zurückhielt, war das Gefühl, daß es irgendwo etwas Besseres für ihn gab als auf schreiende Babies zu hören und Menschen auf Gebrauchtwagen-Plätzen zu betrügen, und eben dieses Gefühl will er versuchen zu töten . . .") 36 Ebenda, S. 228. — („er erkennt, daß er hingehen und eine neue Religion gründen m u ß " ; „Er erkennt, daß es ein Traum war, daß er der Welt nichts zu sagen hat, und der Knoten in seiner Brust ist wieder da.") 37 Galloway, The Absurd Hero . . . S. 40. — („den Anmaßungen und Ungereimtheiten der Welt"; „Rabbit, wie Huck Finn, geht in die Wildnis: Flucht wird Erfüllung und Verantwortungslosigkeit wird Verantwortungsbewußtsein . . . Updike zeichnet Rabbit als zeitgenössischen Heiligen, der der Suche nach Wahrheit nicht widerstehen kann . . .") 38 Vgl. die Rezension „Faith in Search of Understanding" zu Karl Barths „Anselm: Fides Quaerens Intellectum", aus der auch die Vertrautheit Updikes mit Barths weiterem Werk einschließlich der vielbändigen „Kirchlichen Dogmatik" ersichtlich ist. In: Updike, Assorted ProSe, S. 173—176. 39 Deutlich sichtbar in der umfangreichen Rezension „More Love in the Western World" zu Denis de Rougemont, „Love Declared". In: Ebenda, S. 183—196. 40 Vgl.: Finkelstein, der den sozialen Kontext nur noch mittelbar, durch die entfremdete Darstellung, erkennen zu können glaubt; Finkelstein, Existentialism . . ., S. 245. 41 So Angela Hanema, die das an sich auf Personen bezügliche Wort ausdrücklich auf Tarbox angewandt wissen will; vgl.: Updike, Couples, S. 210. 42 Wir sehen hier von den zahlreichen Passagen ab, in denen sich sexuelle Darstellung ins Klinische und Obszöne verzerrt, sich verselbständigt und mithin funktionslos wird. 43 Updike, Couples, S. 12. — („Piet, der tapfere kleine holländische Junge, fühlte eine Gefahr wie eine Flutwelle über seinen Freunden hängen, in dieser Stadt, wo er aufgenommen wurde, weil Angela eine Hamilton gewesen war. Die Männer hatten aufgehört, Karriere zu machen und die Frauen hatten aufgehört, Babies zu haben. Alkohol und Liebe waren übrig.") 44 Ebenda, S. 214. — („Das Fernsehen brachte ihm die äußere Welt. Das eisige Glänzen des kleinen Bildschirms implizierte ein Universum tiefer Kälte jenseits des warmen Zirkels von Tarbox, Freunden und Familie. Spiegel in New York und Los Angeles beobachteten die unbewohnbare Oberfläche dazwischen und strahlten Berichte aus, die die Gesichter der Kinder in ein giftiges, flackerndes Blau tauchten. Dieses Gift war 212
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ihr nationales Leben. Seit Korea hatte sich Piet nicht mehr um Nachrichten gekümmert. Nachrichten waren etwas, das anderen Leuten passierte.") Ebenda, S. 415. — („. . . er glaubte, daß es hinter dem Schirm von Paaren und Häusern und Tagen einen Calvinistischen Gott gab, der uns erhebt und erniedrigt, mit äußerster Willkür, ohne Beachtung unserer Gebete oder Konsultation unseres Willens.") Ebenda, Titelblatt. — („Es gibt eine Tendenz beim Durchschnittsbürger, selbst wenn er beruflich eine geachtete Stellung hat, die Entscheidungen, die das Leben der Gesellschaft betreffen, der er angehört, als Schicksalsangelegenheit zu betrachten, auf die er keinen Einfluß hat — so wie die römischen Untertanen in der ganzen Welt zur Zeit des römischen Weltreichs, eine Stimmung, die für das Wiederaufleben der Religion günstig, aber für die Erhaltung einer lebendigen Demokratie ungünstig ist.") Updike, Couples, S. 336. — („. . . durch ihre Beschimpfung hatte er die Basis seiner Liebe gestärkt, seinem Herzen Macht verliehen zu erglühen. Er liebte jede Frau, bei der er lag, das war seine Stärke, seine Anziehungskraft; aber bei jeder Frau wurde sein Herz durch den Gegenstoß der Zeit mehr erschreckt. Jetzt, mit Bea, hatte er sich eine Brüstung von Schuld geschaffen und warf sich sicher in den ruhigen Pfuhl ihres Körpers und Betts . . . er erlebte den Orgasmus auf seltsame Weise, als krisenlose Osmose, als Abnehmen des Lichts über den schneeverhüllten Dächern. Der Tod schien nicht mehr schrecklich.") — In dieser Passage finden wir die Reflektion des zweiten Mottos zum Roman, vier Zeilen aus Alexander Blocks „The Scythians": „We love the flesh; its taste, its tones. / Its Charnel odor, breathed through Death's jaws . . . / Are we to blame if your fragile bones / Should crack beneath our heavy, gentle paws?" — („Des Fleischs Vergänglichkeit — sinnlich und keusch — / Wir lieben sie wie seinen bittern / Verwesungshauch. Sind wir denn schuld, daß euch / In unsren Armen eure Knochen splittern?"Zitiert nach: Alexander Block, Ausgewählte Werke, Band 1, Hrsg. v. Fritz Mierau. Berlin 1978, S. 248; Nachdichtung: Heinz Czechowski.) Vgl. Brown, Life Against Death. Updike, Couples, S. 438; — („Wir sind alle Verbannte, die ins Irrationale tauchen müssen.") Ebenda, S. 108. — („Die Bootshausgruppe, eine Nachkriegssippe von Schlachtveteranen, am Ort beschäftigt und nicht akademisch, wußte, daß sie von diesen jüngern smarteren Paaren gönnerhaft behandelt wurde, und sie bedauerte es nicht, als diese es vorzogen, eine separate Gruppe zu bilden und sie allein zu lassen mit ihrem Alkohol und Bridge und den lauten Erinnerungen an Anzio und Guadalcanal.") Ebenda, S. 105 f. — („Die Applebys und die kleinen Smiths waren Mitte der fünfziger Jahre nach Tarbox gezogen; sie waren nicht bekannt miteinander, obgleich beide Männer in Wertpapiergeschäften in der State Street arbeiteten, Harold als Makler, Frank als Treuhänder in einer Bank. Frank hatte in Harvard studiert, Harold in Princeton. Sie gehörten zu jenem Segment ihrer Generation der oberen Mittelklasse, die vorsichtig gegen die Beengtheit und Disziplin rebellierte, womit der Reichtum seine Manieren während der Umwälzungen der Depression und des Weltkriegs bewahrte. Sicher aufgewachsen inmitten dieser nationalen Prüfungen und als Erwachsene in eine nachsichtige Ökonomie eingeführt, in eine Geschäftsatmosphäre, seltsam gemischt aus scharfen jugendlichen Bildern und darunterliegender Depersona213
lisation, aus erfolgreichen kleinen Spekulationen, die vor allem vor einem Hintergrund zügelloser Mannigfaltigkeit und schließlich unter dem Einfluß einer Regierung durchgeführt werden, deren Steuern und Kommissionen und deren Appetit auf Rüstungen überall Grenzen setzte; eingeführt in eine Nation, deren Führung es einem zahnlosen Moralismus gestattete, eine gewisse praktizierte Hinterlist zu verbergen; eingeführt in eine Kultur, wo jugendliche Leidenschaften und homosexuelle Philosophien noch nicht ganz triumphierten; ein Klima, das noch h e i m l i c h hedonistisch war, eines Landes, das noch zu offen von außen bedroht war, um unbarmherzig selbstanklägerisch zu sein; ein Klima der Zwischenzeit, des Sich-Fernhaltens und Von-Tag-zu-Tag-Lebens, worin alle Verallgemeinerungen, selbst die negativen, unintelligent schienen — in diese neue Welt brachten die Applebys und die kleinen Smiths eine bescheidene Entschlossenheit mit, frei zu sein, flexibel und anständig. Sie waren von ihren eigenen Eltern durch Kindermädchen, Tutoren und .Haushilfen' abgeschirmt; deshalb wollten sie persönlich große, intime Familien haben; sie wechselten eigenhändig die Windeln, machten die Hausarbeit und Reparaturen selber, besorgten den Garten und schippten Schnee mit einem Gefühl gestählter Gesundheit. Als Kinder wurden sie in schwarzen Packards und Chryslers chauffiert; nun fuhren sie bonbonfarbene Gebrauchtwagen. Sie wurden früh an Internatsschulen verbannt; nun entschlossen sie sich, die örtlichen öffentlichen Schulen zu benutzen und zu verbessern. Sie hatten unter den strengen Ehen und formalisierten Ausflüchten ihrer Eltern gelitten; jetzt suchten sie eine essentielle Treue zu etablieren, innerhalb eines Grundgefüges natürlicher und offener Gemeinschaft unter Paaren. Sie ersetzten die Formen des ländlichen Klubs durch informelle Mitgliedschaft in einem Zirkel von Freunden und Teilnahme an einem Zyklus von Parties und Spielen. Sie ließen die gesellschaftlich gegliederten sommerlichen Erholungsorte, wie sie sie aus ihrer Kindheit kannten, hinter sich, jene Orte mit ihren restriktiven Unterschieden und langweiligen gesellschaftlichen Höflichkeitsrunden, und ließen sich das ganze Jahr über in Orten nieder, an die niemand gedacht hätte, in ländlichen Industriestädtchen wie Tarbox, und versuchten hier einen neuen Lebensstil zu improvisieren. Die Ideale Pflicht und Arbeit wurden durch Wahrheit und Spaß abgelöst. Man suchte Tugend nicht mehr im Tempel oder auf dem Marktplatz, sondern im Heim — im eigenen Heim, und dann auch im Heim von Freunden.") 52 Ebenda, S. 454; — („der junge Soziologe, der zum städtischen Schiedsmann gewählt worden w a r " ; „ein Kinderbuchillustrator, der auf charmante doch unaffektierte Weise bohemehaft w a r " ; „der neue unitarische Geistliche"; „sie bildeten eine distinktive soziale Gruppe, sie machten sich ihre Kleider selbst, hielten dramatische Lesungen ab, hielten den Sex in Grenzen, experimentierten mit LSD und ergriffen für den Liberalismus Partei, militanter als selbst Irene Saltz.") 53 So M. Mendelson in seiner Rezension des Bandes; vgl. „Amerikaner aus Tarbox", in: Literaturnaja Gaseta. Nr. 4/1969. Moskau (russ.). 54 Updike, Couples, S. 157. — („Janet wünschte sich stark, nicht frigid zu sein. Ihre ganze informelle Eniehung von Disneys Schneewittchen bis zur letzten Nummer von Life hatte sie gelehrt, in der Liebe den höchsten Wert zu sehen. Nur ein Kuß konnte den vergifteten Apfel entzaubern. Wir bewegen uns von der Geburt bis zum Tode innerhalb einer Menge anderer, und der Name der Parade ist Liebe. Wie unideal es auch sein mochte — sie fürchtete, zurückgelassen zu werden. Daher konnte sie nicht aufhören, ihre Hände auszustrecken, obgleich etwas Mißtrauisches
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in ihr, eine Bitterkeit wie ein Rückstand in ihres Vaters pharmazeutischer Fabrik, durch jede Bewegung ihres Herzens überlistet werden mußte. Alkohol half bei diesem Manöver.") 55 Ebenda, S. 148. — („Wissen Sie, warum wir alle auf der Erde sind? . . . Wir sind eine subversive Zelle . . . Wie in den Katakomben. Nun versuchen sie, aus dem Hedonismus auszubrechen. Wir versuchen, dahin zurückzugelangen. Das ist nicht leicht.") 56 Vgl. Marx/Engels, Die Deutsche Ideologie. MEW Band 3, S. 402—428. 57 Vgl.: Updike, Couples, S. 53. — Zur Verdeutlichung der gefährlichen Implikationen solcher Anschauung vgl.: Reich, Die sexuelle Revolution; ders., The Function of the Orgasm, London 1968. 58 Updike, Couples, S. 372. — („. . . er sprach zu ihr . . . über ihrer aller Schicksal, in der Schwebe in gerade diesem jener dunklen Zeitalter, von denen die Menschheit zwischen den Millennien heimgesucht wird, zwischen dem Tod und der Wiedergeburt von Göttern, wenn es nichts gibt, wonach man sich richten kann, außer Sex und Stoizismus und die Sterne.") Daß hier auch die Sterne ins Spiel gebracht werden, darf wohl als Ausdruck des Einflusses gewertet werden, den Henry Miller und sein „Astrologisches Frikassee" auf jüngere Autoren ausgeübt haben. 59 Updike, Couples, S. 458. — („Piet und Foxy heirateten im September. Ihr Vater besorgte, indem er von San Diego aus seine Beziehungen spielen ließ, einen Regierungsposten für seinen neuen Schwiegersohn als Bauinspektor für Bundesprojekte, meist Kasernen, in der Gegend um Boston und Worcester. Piet mag den offiziellen Auftrag und die regelmäßige Arbeitszeit. Die Hanemas wohnen in Lexington, wo sie nach und nach, von Leuten wie sie selber, als weiteres Paar akzeptiert worden sind.") 60 Es ist immerhin bemerkenswert, daß ein amerikanischer Kritiker zu einer so definitiv abwertenden Beurteilung wie der folgenden gelangt: „. . . 'Couples' is almost a case study in the effects of literary decadence, if such a phrase is taken to mean purposeless ornamentation, formalized passions, and a joyless candor about sex that tries to disguise the lack of any real life in all those swooning copulations. For all his gifts and intelligence, Updike seems as lost as the reader in his saga of surburban ,Angst'." Jack Richardson, Keeping U p with Updike. In: New York Review of Books. Band XV. Nr. 7, 22. 10. 1970, S. 47. — („. . .,Couples' ist fast eine Fallstudie über die Auswirkungen literarischer Dekadenz, wenn man darunter zwecklose Ornamente, formalisierte Leidenschaften und eine freudlose Aufrichtigkeit in bezug auf Sex versteht, eine Aufrichtigkeit, die das Fehlen von wirklichem Leben in all den absterbenden Kopulationen zu verschleiern sucht. Trotz all seiner Gaben und seiner Intelligenz scheint Updike so verloren wie der Leser in seiner Saga surburbaner ,Angst'.") 61 Updike, Rabbit Redux, S. 5. — („einen der hunderte von sich abplackenden, jammernden Käuze in dieser Stadt, Männer, die an dieser Brust aus Ziegel sechzig Jahre lang gesaugt haben und mit ihr eingetrocknet sind.") 62 Ebenda, S. 11. — („Paps steht, geschwächt vom großen amerikanischen Glanz, er blinzelt im Manna der Segnungen, die von der Regierung herunterkommen, er tritt von einem Bein aufs andere in einem nervösen Glücksgefühl; daß seine Tagesarbeit getan ist, daß er ein Bier in sich hat, daß Armstrong über ihm ist, daß die USA die Krönung und das Wunder menschlicher Geschichte sind.") 63 Ebenda, S. 25. — („einen schlüpfrigen Wegwerfglanz".) 215
64 Ebenda, S. 54. — („Wie traurig es mit Harry jetzt war, sie waren einander wie geschlossene Räume geworden, sie konnten einander weinen hören, aber nicht zueinander kommen . . .") 65 Ebenda, S. 45. — („Versuch, uns wegzuwerfen, um kleine gelbe Menschen glücklich zu machen.") 66 Ebenda, S. 47. — („. . . Rabbit ist gefangen in seiner Ahnung, daß es deplaziert wäre, Amerikas Aktionen als ,power-play' zu beschreiben. Amerika ist jenseits der Macht, es handelt wie im Traum, als Antlitz Gottes. Wo Amerika ist, ist Freiheit, und wo Amerika nicht ist, herrscht Wahnsinn mit Ketten, und die Dunkelheit erstickt Millionen. Unter Amerikas geduldigen Bombern ist das Paradies möglich.") 67 Ebenda, S. 47f. — (Hervorhebung H. W.); (,,. . . man muß ab und zu einen Krieg führen, um seinen guten Willen zu zeigen, und es spielt keine Rolle, wo. D a s P r o b l e m ist n i c h t d i e s e r K r i e g , s o n d e r n d i e s e s L a n d . . . Dieses Land ist so von seiner eigenen Säure angenagt, es ist so tief im eigenen Fett und Geschwätz und Dreck versunken, daß man H-Bomben auf jede Stadt von Detroit bis Atlanta werfen müßte, um uns aufzuwecken; und selbst dann würden wir wahrscheinlich glauben, daß wir nur geküßt worden seien.") 68 Ähnlich der, wie sie Norman Mailer in „The Armies of the Night" gewinnt. Vgl.: Mailer, The Armies of the Night, S. 183; ferner Heinz Wüstenhagen, Bemerkungen zu Norman Mailers „The Armies of the Night". In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule Potsdam. Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe. Jahrgang 13, Heft 2/1969, S. 5 9 1 - 5 9 5 . 69 Updike, Rabbit Redux, S. 159. — („Worauf es ankommt, ist Ekstase . . . Energie. Alles Gute ist in der Ekstase.") 70 Ebenda, S. 170. — („Du verrückte Gans. Ihr reichen Kinder, die ihr mit dem Leben spielt, macht mich krank. Ihrt werft mit Steinen nach den armen dummen Polizisten, die die Beute eurer Väter schützen. Du spielst bloß, Baby.") 71 Ebenda, S. 226. — (,,,Die ausgewählten Schriften von W. E. B. DuBois', ,Die Verdammten dieser Erde', .Seele auf Eis', ,Das Leben und die Zeit von Frederick Douglass', weitere Werke, Geschichte, Marx, Ökonomie, Zeug, das Rabbit krank macht, so wie wenn er daran denkt, was Chirurgen machen, oder an die Abwasser- und Gasleitungen unter der Straße.") 72 Vgl.: Frantz Fanon, The Wretched of the Earth. Harmondsworth 1969 (Ersterscheinung 1961), übersetzt von Constance Farrington, und „Black Skin White Masks", übersetzt von Charles L. Markman. New York 1968 (Ersterscheinung Paris 1952). 73 Vgl.: Eldridge Cleaver, Soul on Ice, und Post-Prison Writings and Speeches. 74 Updike, Rabbit Redux, S. 276. — ("Technologie . . . ist Scheiße . . . Die Römer hatten Technologie, richtig? Und die Barbaren retteten sie davor. Die Barbaren waren ihre Retter. Da wir die Eskimos nicht dazu veranlassen können, bei uns eine Invasion zu machen, haben wir selber eine Generation von Barbaren herangezogen, entschuldige, i h r habt sie herangezogen, die weiße amerikanische Mittelklasse und ihre Nachahmer in der ganzen Welt haben in sich die göttliche Kraft gefunden, Millionen von subhumanen Idioten hervorzubringen, die in weniger unkultivierten Zeiten nur die Aristokraten erzeugen konnten. Die letzten Merowinger wurden schnatternd wie Idioten in Ochsenkarren gefahren; wir sind heute mit motorisierten 216
schnatternden Idioten gesegnet. Es steht wahrhaftig so geschrieben: wir werden verrückt werden und den Rest dem Vorsitzenden Mao widmen.") 75 Vgl.: Marcuse, Eros and Civilization, und: Kultur und Gesellschaft I, Frankfurt/M. 1968, speziell S. 7—16 (Vorwort). Zur Marcuse-Kritik: vgl.: Steigerwald, Herbert Marcuses ,dritter Weg', und ders.: Marxistische Klassenanalyse oder spätbürgerliche Mythen, speziell das Kapitel „Bürgerliche Ideologie in linker Verkleidung / Zur Marcuse-Diskussion in den USA", S. 49—91. Zur Rolle der Technik-Konzeptionen in der bürgerlichen Kultursoziologie: vgl.: Dieter Ulle, Technik und Kultur im Imperialismus. Berlin 1968. 76 Vgl.: Shatz (Hrsg.), The Essential Works . . ., New York 1971. 77 Vgl.: Updike, Rabbit Redux, S. 262f. — („Es ist nur ein schmutziger kleiner Krieg, der gemacht werden muß. Du kannst daraus nicht irgendwas Religiöses machen, nur weil du zufällig dabei warst."; „Das Problem mit dir ist . . . du bist immer noch mit gesundem Menschenverstand vollgestopft. Gesunder Menschenverstand ist Scheiße, Mann. Du kannst damit wohl zurechtkommen, aber er hält dich vom W i s s e n ab. Du w e i ß t nicht. Du weißt nicht mal, daß jetzt und nur jetzt zählt, von der ganzen Zeit, die es gibt.") 78 Ebenda, S. 263f. — („Wir sind d e r Ort. 'N paar alte Narren wie ehemals Ho wissen das vielleicht nicht, doch wir sind das, wonach die Welt verlangt. Großer Beat, schwarzer Penis, breitärschige Autos und Werbetafeln, wir sind drin. Wenn Jesus wiederkommt, dann hier. Die anderen Länder sind Scheiße, stimmts? Wir haben die Affenscheiße, stimmts? Wenn das Himmelreich kommt, werden wir die Welt mit echter amerikanischer glühender blaugrüner Affenscheiße überschwemmen, richtig? . . . Nam ist der Ort, wo unser himmlisches Wesen in Pusteln ausschlägt. Wer Vietnam nicht mag, der mag Amerika nicht.") 79 Vgl.: Mailer, The White Negro. Superficial Reflections on the Hipster, und ders.: The Hip and the Square. In: Advertisements for Myself, (der zuerst genannte Aufsatz erschien erstmals 1957), S. 241—259 bzw. S. 310—312. 80 Updike, Rabbit Redux, S. 357. — („Seit wann . . . bist du solch ein Kriegsanhänger?"; „Es ist nicht Krieg schlechthin, den ich liebe . . . es ist d i e s e r Krieg. Weil niemand ihn liebt. Niemand sonst versteht ihn . . . Er ist wie, wie eine Art Kopftäuschung. Um den anderen im Ungleichgewicht zu halten. Die Welt ist nun mal so, wie sie ist, und man muß so etwas von Zeit zu Zeit mal tun, um seine freie Wahl zu behaupten, um etwas freien Raum um sich zu haben . . . Sonst kann der Gegner jede deiner Bewegungen vorhersehen und du bist erledigt.") 81 Ebenda, S. 358. — („Ich lernte . . . das Land ist nicht vollkommen"; „Noch während er das sagte, erkennt er, daß er es nicht glaubt, daß er es ebensowenig glaubt im Herzen wie er sterben müsse.") 82 Ebenda, S. 359. — („Ich bin ein Karriere-Mädchen. Ich führe eine Dienstleistung aus. Ich kann es dir nicht beschreiben, wie es da draußen ist. Es sind keine schlechten Leute. Sie haben ihre Spielregeln . . . Die Männer glauben an flache Bauchmuskeln und ans Ausschwitzen. Sie wollen nicht zuviel Flüssigkeit im Körper haben. Man könnte sagen, sie sind Puritaner, Gangster sind Puritaner. Sie sind genau und hart, weil man abseits vom geraden Weg nicht überlebt. Eine andere Regel, die sie haben, lautet: Bezahle für alles, was du bekommst, denn alles, was man umsonst kriegt, hat eine Klapperschlange unter sich. Dies sind Überlebensregeln, Regeln für das Leben in der Wüste.") 217
83 Ebenda, S. 376. — („Wirst du des Hurens nicht müde?"; „Eigentlich nicht . . . Es ist das, was wir tun. Es ist das, was die Leute tun.") 84 Ebenda, S. 405f. — („Glaubst du, Vietnam wird jemals vorbei sein?"; „Charlie glaubte ja, sobald die großen Industrie-Interessen sähen, daß es nicht profitabel ist."; „Skeeter glaubte, es sei die Tür zu äußerster Verwirrung. Es würde diese schreckliche Periode äußerster Verwirrung geben, und dann käme eine wunderbare Strecke völliger Ruhe, und er würde reagieren, oder jemand genauso wie er."; „. . . ich bin zu rational. Verwirrung ist nur eine lokale Sicht der Dinge, wie sie sich im Allgemeinen darstellen."; „,Ich fühle mich so schuldig.' ,Worüber?' ,Über alles.' ,Sei ruhig. Nicht alles ist deine Schuld.' ,Ich kann das nicht akzeptieren.'") 85 Updike, Bech: A Book, S. 9. — („. . . kein Revolutionär hat sich mit unserer Unterdrückung befaßt, mit dem seidenen Mechanismus, mit dessen Hilfe Amerika seine Schriftsteller auf Schwachsinn und Betrug reduziert. Beneidet wie Neger, ungläubig behandelt wie Engel, lavieren wir zwischen der Hurerei des Vortragspults und der Tortur des Schreibtisches. Wir brechen am Ende inmitten eines Gewimmels von kläglichen, winzigen Nachrufen zusammen, unsere Groschen-Hallowe'en-Kostüme rascheln mit Flugtickets der Billigklasse und mit Ehrenzertifikaten vom Klub der Vagina des Monats.") 86 Wir verweisen hier auf das Beispiel Philip Roths, der zu beißenden politischen Satiren fand. Vgl.: Philip Roth, Our Gang, New York 1972 (Ersterscheinung 1971). 87 Updike, A Month of Sundays. 88 Ebenda, S. 76. 89 Vgl. den Zusammenhang der Kritik an Updike und anderen, wie sie von Anastasyev geäußert wird: „Doch allzu oft vermissen wir die künstlerische Gegenwart des Autors . . ."; die Rede ist auch von der „Ästhetik der Zeitungskolumne und der 6-Uhr-Nachrichten". (N. Anastasyev, Hopes and False Hopes. In 20th Century American Literature: A Soviet View. Moscow 1976. S. 91.) 90 Vorliegende Ausgabe: Harmondsworth 1977. 91 Die Literatur der USA im 20. Jahrhundert kennt eine relativ große Anzahl von Präzedenzfällen; verwiesen sei nur auf Erskine Caldwell, ausdrücklich genannt sei Howard Fast, dessen jüngster Roman „The Immigrants", New York 1977, bei gleichbleibend hoher Erzählvirtuosität ein geschichtliches Erkenntnisniveau demonstriert, das wohl am ehesten mit Margaret Mitchells „Gone With the Wind", 1936, verglichen werden kann.
Personenregister
Albrecht, Erhard 186 Alpert, Richard 32 Artaud, Antonin 34 Ashe, Penelope 172 Baldwin, James 27, 35, 79, 97-124, 157, 191 f., 197-207 Notes of a Native Son 97—102 Down at the Cross 102 f. No Name in the Street 104f. Go Tell It on the Mountain 106—112 Giovanni s Room 112—115 Another Country 115—121 Tell Me How Long the Train's Been Gone 121-124 If Beale Street Could Talk 124 Bakunin, Michail 50, 57, 59, 182 Barth, Karl 135,137,212 Barthes, Roland 34 Baudelaire, Charles 11 Baumgarten, Alexander 11 Beardsley, Aubrey 34 Beecher-Stowe, Harriet 98 Bellow, Saul 150, 166 Benn, Gottfried 57, 182 Berdjajew, Nikolai 20 Berger, John 26,167 Bergson, Henri 34 Berkman, Alexander 57 Bessie, Alvah 77,191 Block, Alexander 213 Bòhme, Jacob 15, 17, 19, 20, 57, 182 Bonosky, Phillip 198 Bosch, Hieronymus 57 Breton, André 34 Brown, Claude 27, 38, 167
Brown, John 57 Brown, Norman, O. 11, 14—21, 28, 33, 34, 59, 140, 153 f., 163 f., 175, 193 Burroughs, William 31, 38, 59, 60—68, 87, 154, 156, 169, 170, 177, 183-188 Byrne, Johnny 172 Cage, John 34 Caldwell, Erskine 36, 41, 172, 218 Cassirer, Ernst 16 Catling, Patrick Skene 172 Chomsky, Noam 91 Cleaver, Eldridge 27, 28, 146,155, 167, 168, 216 Cohn-Bendit, Daniel 50 Compton-Burnett, Ivy 34 Corley, Edwin 207 Crane, Stephen 174 Crawford, Francis Marion 37 Davis, Angela 104,157 Dilthey, Wilhelm 34 Dos Passos, John 69 Dostojewski, Fjodor 57, 182 Dreiser, Theodore 174 DuBois, W. E. B. 27, 58, 103, 146, 167, 201, 216 Durrell, Lawrence 180 Eastman, Max 165 Eliot, T. S. 43 Ellison, Ralph 112 Engels, Friedrich 16, 165, 180, 182, 186f„ 215 Ewers, Hanns Heinz 38, 173, 181 Fabian, Jenny, 172 Fanon, Frantz 146, 216 219
Fast, Howard 218 Faulkner, William 41,88 Faure, Elie 58 Feuerbach, Ludwig 18,186 Fiedler, Leslie 166, 179, 180, 188 Finkelstein, Sidney 52, 71, 164, 179, 188, 189, 193, 194,211,212 Firbanks, Ronald 34 Fourier, Charles 11,18 Freud, Sigmund 11, 15, 16, 18, 22, 47f„ 57, 58, 140, 142, 152, 155, 162 Friedan, Betty 166, 197 Frye, Northrop 54 Galbraith, J. K. 29 Galloway, David 137, 210, 211, 212 Geismar, Maxwell 75f., 188, 189, 190 Genet, Jean 142 Gide, André 11, 104, 114, 204 Ginsberg, Allen 28, 166, 168 Glicksberg, Charles I. 180, 203f., 204f. Godwin, William 50 Gogol, Nikolai 58, 182 Goldman, Emma 58,177 Goodman, Paul 50, 166, 183 Gorki, Maxim 58 Gover, Robert 28, 168 Grant, Ulysses S. 128 Green, Gil 186 Greer, Germaine 166, 197 Hacks, Peter 210 Hall, Gus 8 f., 161 Hamilton, Alice and Kenneth 208, 209, 211
Hamsun, Knut 58 Harrington, Michael 99, 169, 198, 201 Hegel, Georg F. W. 11,58 Heidegger, Martin 58 Heller, Joseph 35, 154, 171 Hemingway, Ernest 88 Hesse, Hermann 58, 182 Himes, Chester 28, 155, 168 Hoffenberg, Mason 35,155 Home, Lena 103 Huxley, Aldous 62, 77, 183, 191, 209 Jefferson, Thomas 58 Jespersen, Otto 16
220
Jones, James 36, 172 Joyce, James 49 Jung, C. G. 47f., 57, 58, 155, 177, 180 Kagan, Moissej 178, 180, 182 Kant, Immanuel 11,58 Kazan, Elia 36, 172 Kennedy, John F. 85 Kerouac, Jack 28 f., 168 f. Kesey, Ken 33 King, Martin Luther 8, 28, 104, 157, 168 Kon, I. S. 162, 163 Korzybski, Alfred 65f„ 66, 186 Kropotkin, Peter 58,182 Kuczynski, Jürgen 161,196 Kurella, Alfred 153, 162, 163, 165, 190 Langer, Susanne K. 16 Leary, Timothy 32, 62, 171, 177, 184 Lenin, W. I. 19, 58, 179 Lévi-Strauss, Claude 34 Lewin, Leonarde. 35, 172 Lewis, Sinclair 141 Lincoln, Abraham 45, 128 Lipton, Lawrence,32, 166, 170 Lowell, Robert 91 Lukacs, Georg 82f., 182, 193 Luther, Martin 19 Mailer, Norman 14, 20, 35, 59, 69—96, 147, 150,154, 156f„ 166, 183, 188-197 The Naked and the Dead 69—71 Barbary Shore 71—74 The Deer Park 74—79 The White Negro 80—83 Ah American Dream 83—88 Why Are We in Vietnam? 89—90 The Armies of the Night 90—95 Miami and the Siege of Chicago 95 A Fire on the Moon 95 The Prisoner of Sex 95 Mann, Thomas 181 Mao-Tse-Tung 146 Marcuse, Herbert 11 — 14, 20, 21, 28, 59, 146, 153, 162 f., 164, 182, 193, 217 Marx, Karl 13, 15, 16, 18, 19, 58, 76f„ 93, 104, 146, 164, 180, 182, 186f„ 201, 215
McLuhan, Marshall 17, 31, 34, 164 Mendelson, M. 214 Miller, Henry 17, 38, 4 1 - 5 9 , 60, 61, 95, 142, 155 f„ 174, 183, 215 Tropic of Cancer 42—44 Tropic of Capricorn 42—44 Black Spring 42, 43 The Cosmological Eye 44—49 The Colossus of Maroussi 44—49 The Air-Conditioned Nightmare 44—49 Remember to Remember 44—49 The Rosy Crucifixion 49—58 Millett, Kate 95, 166, 197 Mitchell, Margaret 218 Moody, Anne 28, 167 Nelson, Jane A. 57, 180, 182 Nietzsche, Friedrich 10, 15, 20, 31, 57, 58, 155 Nikoljukin, A. N. 85, 88, 194 Nixon, Richard M. 95, 172 Norris, Frank 38,88, 174 Nostradamus 58, 182 Ortega y Gasset, José 34, 43, 173, 178 Orwell, George 21, 42—44, 73, 174f„ 189, 209 Packard, Vance 161 f„ 165, 196 Paracelsus 58 Pizer, Donald 88, 194 Podhoretz, Norman 70, 73, 76f., 189, 190, 290,210 Poe, Edgar Allan 38 Poirier, Richard 90 Pound, Ezren 43 Read, Herbert 50, 58, 182 Rechy, John 38, 155, 173 Reich, Charles A. 37, 167, 173 Reich, Wilhelm 11, 2 1 - 2 5 , 28, 33, 35, 58, 59, 63f., 142, 154, 165f„ 182, 193, 215 Ricardo, David 58 Rilke, Rainer Maria 11, 16, 20 Robbins, Harold 36, 172 Robeson, Paul 103 Rockwell, George Lincoln 104 Rosenfeld, Isaac 166
Roszak, Theodore 155,167 Roth, Philip 35, 150, 154, 172, 218 Salinger, Jerome D. 150 Sartre, Jean Paul 131 Schaff, Adam 71, 189 Schiller, Friedrich 11, 12, 163 Schneck, Stephen 37f., 155, 173 Schnitzler, Arthur 38 Schwarzman, K. A. 81 Segal, Erich 37, 155, 173 Selby, Hubert jr. 38f„ 155, 173, 174 Shapiro, Karl 166 Slochower, Harry 78, 191 Sontag, Susan 20, 33f., 171 Southern, Terry 35, 155, 165 Spender, Stephen 21 Spengler, Oswald 31, 55 f„ 57, 58, 59, 146, 155, 181 Spillane, Mickey 114,204 Steigerwald, Robert 162,163,182,183,217 Stirner, Max 50, 66, 186 Susann, Jacqueline 35, 155, 172 Sutton, Henry 172 Swedenborg, Emanuel 58 Swift, Johanthan 19, 31, 183 Thoreau, Henry David 58 Tillich, Paul 139 Tolstoi, Lew N. 58, 182 Trotzki, Leon 73 Updike, John 125-, 151, 157f„ 207—218 The Poorhouse Fair 126 — 129 Of the Farm 129—132 The Centaur 132—135 Rabbit, Run 135—137 Couples 137—143 Rabbit, Redux 143—149 Bech : A Book 150 Marry Me 151 A Month of Sundays 151 Valéry, Paul 11 Vidal, Gore 29—31, 155, 169, 170, 171 Ward, Lester Frank 58 Weber, Max 59,182 Weimann, Robert 167, 168, 182, 204, 210
221
Whitman, Walt 42 Wilde, Oscar 34 Wirzberger, Karl-Heinz 88, 194 Wittgenstein, Ludwig 16, 34, 58, 65f., 66, 186, 195 Wolfe, Burton H. 32f., 166, 170, 171 Wolfe, Thomas 41
Wolfe, Tom 36, 172 Wouk, Herman 37, 173 Wright, Richard 27, 98, 100, 102, 103, 124, 167, 200 X, Malcolm 8, 28, 104, 157, 167 Zekowski, Arlene 173
Amerikanische Literaturkritik im Engagement Beiträge zur marxistischen Literaturtheorie und Literaturgeschichte Übersetzung aus dem Englischen Eingeleitet und herausgegeben von Norman Rudich Mit einem Vorwort von Robert Weimann 1978. 220 Seiten — 8° - 7,— M Bestell-Nr. 753 038 3 (2150/47)
„Die militärischen, ökonomischen und politischen Niederlagen der imperialistischen Innen- und Außenpolitik der USA, die bereits um die Mitte der sechziger Jahre nicht mehr zu verschleiern waren und die heute das Ausmaß einer allgemeinen Krise in der gesamten kapitalistischen Welt angenommen haben, fanden einen Widerhall in allen Bereichen des geistigen Lebens", so schreibt der Herausgeber Norman Rudich in seiner profunden Einleitung über den Quellpunkt der in diesem Band vorgestellten Aufsätze. Neben bekannten Marxisten wie Sidney Finkelstein, Fredric Jameson, Annette T. Rubinstein und anderen werden relativ junge Wissenschaftler vorgestellt. Bestellungen durch eine Buchhandlung erbeten
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