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German Pages 447 [448] Year 2016
Sebastian Teupe Die Schaffung eines Marktes
Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte
Herausgegeben im Auftrag der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte von Jan-Otmar Hesse, Christian Kleinschmidt und Werner Plumpe
Band 29
Sebastian Teupe
Die Schaffung eines Marktes Preispolitik, Wettbewerb und Fernsehgerätehandel in der BRD und den USA, 1945–1985
Die ursprüngliche Fassung dieser Untersuchung wurde 2015 als Dissertation an der Universität Bielefeld angenommen.
ISBN 978-3-11-049629-1 e-ISBN (PDF) 978-3-11-049794-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-049365-8 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Titelbild: RCA Annual Report 1961 (Ausschnitt). Mit freundlicher Genehmigung durch Hagley Museum & Library, Wilmington, DE 19807 Satz: fidus Publikations-Service GmbH, Nördlingen Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Vorwort Die folgenden Seiten sind das Ergebnis eines Forschungsprojektes, das mich seit seinem Beginn an viele Orte geführt und mit zahlreichen Menschen verbunden hat. Ohne sie wäre dieses Buch nicht möglich gewesen. Ich möchte zunächst meinem Doktorvater und Betreuer, Jan-Otmar Hesse, danken. Er hat das Projekt von Beginn an begleitet, intensiv gefördert und mir gleichzeitig Raum zur freien Entfaltung gegeben. Danken möchte ich auch Thomas Welskopp, dessen Seminare im Rahmen der Bielefeld Graduate School in History & Sociology mir große Freude bereitet haben und der ein sehr hilfreiches Zweitgutachten verfasst hat. Die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e. V. hat durch einen Druckkostenzuschuss die Publikation der Arbeit ermöglicht, wofür ich ebenfalls meinen Dank aussprechen möchte. Ich möchte mich außerdem bei den Kolleginnen und Kollegen am Fachbereich Wirtschaftsgeschichte der Universität Bielefeld bedanken, die mir nach meinem Wechsel aus Göttingen ein kollegiales Umfeld gegeben haben. Sebastian Knake und Christian Möller haben zudem Teile der Arbeit gelesen und wertvolle Hinweise gegeben. In der finalen Schreibphase der Arbeit hatte ich das Glück, an der Copenhagen Business School nicht nur die Vorteile hydraulischer Schreibtische an langen Arbeitsabenden kennenzulernen, sondern auch ein wundervolles Arbeitsumfeld am Centre for Business History zu haben. Stellvertretend möchte ich Mads Mordhorst danken, ebenso Alfred Reckendrees, der ein großartiger Gastgeber war. Das Deutsche Historische Institut in Washington, D.C. hat durch ein Stipendium die Sichtung zentraler Quellen ermöglicht und mir die Gelegenheit zur Präsentation erster Ergebnisse gegeben. Stellvertretend sei Hartmut Berghoff gedankt sowie Uwe Spiekermann, der schon in der Vorlaufphase des Projektes meine Faszination für die vertikale Preisbindung gefördert hat. Ich möchte mich außerdem bei Alexander Nützenadel, Laura Rischbieter, Ingo Köhler, Jan Logemann, Alexander Engel, Werner Plumpe, Ralf Banken, Werner Abelshauser, Dieter Ziegler und den Teilnehmenden der jeweiligen Kolloquien bedanken, in denen ich das Projekt vorstellen konnte. Gedankt sei auch den Organisatorinnen und Organisatoren des EBHA-Dokorandenworkshops in Ancona. Für ihre unermüdliche Hilfestellung bei der Bereitstellung der Quellen auf deutscher Seite ist zuerst das Deutsche Technikmuseum Berlin zu nennen. Die weitreichenden Bestände der AEG-Telefunken waren ein zentrales empirisches Fundament der Arbeit. Ihre Nutzbarmachung wäre ohne die Hilfe und das Vertrauen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Archivs, namentlich Herrn Schmalfuß und Herrn Bründel, nicht möglich gewesen. Danken möchte ich auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesarchivs Koblenz.
VI
Vorwort
Auf amerikanischer Seite möchte ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hagley Museum and Library danken, vor allem Lucas Clawson und Carol Lockman. Das nette Umfeld mit freundlichen, hilfsbereiten Menschen und die Spaziergänge in der Museumslandschaft werden mir immer in Erinnerung bleiben. Auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Missouri State University sowie der National Archives möchte ich für ihre Unterstützung danken. Während meines Aufenthaltes in Washington, D.C. hatte ich das Glück, bei meiner „zweiten Familie“ leben zu können, die immer eine offene Tür und ein großes Herz hat. Thank you, Linda and Mike! Auch ohne die Unterstützung meiner Eltern, Stiefeltern, Geschwistern, Freundinnen und Freunde wäre die Entstehung des Projektes nicht möglich gewesen. Ich möchte ganz besonders Henrike danken, die ständige Diskussionspartnerin, Schutz vor Bandwurmsätzen, verständnisvolle Unterstützung und mein frohes Licht in der Einsamkeit des Schreibens ist. Ohne sie hätte dieses Buch nicht halb so viel Freude gemacht. Widmen möchte ich das Buch meiner Mutter. Sie hat meine akademische Laufbahn und dieses Projekt im Besonderen stets mit einer rührenden Anteilnahme begleitet, die mir immer Kraft gegeben hat. Berlin, im Sommer 2016
Inhalt
Verzeichnis der verwendeten Grafiken
Tabellenverzeichnis
XIII
1 1 Einleitung 1.1 Die Historizität des Marktes 2 1.2 Märkte und institutioneller Wandel 1.3 Der Markt als Wertschöpfungskette 2 2.1 2.2 2.3 2.4
XI
4 6
10 Eine historische Theorie des Marktes Douglass North kauft einen Sack Orangen Die Neue Wirtschaftssoziologie 15 Wertproblem und Preisbestimmung 17 Wettbewerb und Kooperation 20
11
3
Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel 24 3.1 Die Fernsehgeräteproduktion in den USA 27 3.1.1 Die Entstehung des Fernsehens in den Vereinigten Staaten 27 3.1.2 Massenkonsum, shakeout und Größenwachstum 31 3.1.3 Transistorisierung und die Einführung des Farbfernsehens 37 3.1.4 Industrieller Strukturwandel in den 1970er und 1980er Jahren 49 3.2 Die Fernsehgeräteproduktion in der BRD 62 3.2.1 Die Entstehung des Fernsehens in Deutschland 62 3.2.2 Produktion und industrielle Struktur in den ersten Jahren 64 3.2.3 Transistorisierung und der Beginn des Farbfernsehens 70 3.2.4 Industrieller Strukturwandel in den 1970er und 1980er Jahren 75 4 4.1 4.1.1 4.1.2 4.2 4.2.1 4.2.2
Zwischen Fabrik und Wohnzimmer. Die Rolle des Groß- und Einzelhandels 88 Groß- und Einzelhändler in den USA 89 Die Funktion des Großhandels 89 Die Funktion der Einzelhändler und Werkstätten 96 Strukturwandel im Groß- und Einzelhandel der USA 110 Entwicklung des Facheinzelhandels 110 Die Entwicklung des Großhandels 116
VIII 4.3 4.3.1 4.3.2 4.4 4.4.1 4.4.2 5 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 6 6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4 7 7.1 7.1.1
Inhalt
Groß- und Einzelhändler in der Bundesrepublik 120 Der Großhandel in der Bundesrepublik 121 Die Funktion der Einzelhändler und Werkstätten 122 Strukturwandel im Groß- und Einzelhandel der BRD 128 Entwicklung des Facheinzelhandels 128 Die Entwicklung des Großhandels 134 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel 137 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in den USA 139 Konsumpioniere, Nachfrageexplosion und Stagnation 141 Gesättigte Märkte. Ersatzgeräte, Zweitgeräte, gebrauchte Geräte 150 Der späte Durchbruch des Farbfernsehens 163 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in der BRD 173 Bekannte Neuheit. Die ersten zehn Jahre des Fernsehens 176 Ein anderer Markt. Ersatz- und Zweitgeräte 189 Die Einführung des Farbfernsehens in der Bundesrepublik 194 203 Vertraute Bindungen. Hersteller und Händler in BRD und USA Hersteller-Händler Verhältnisse in den USA 205 Der legale Kontext amerikanischer Preis- und Wettbewerbspolitik 205 Turkey Economy. Admiral und die Preisdiskriminierung 220 Goldener Käfig. Magnavox und die vertikale Preisbindung 237 Territoriale Exklusivität. Der Fall Sylvania 244 Hersteller-Händler-Verhältnisse in der BRD 251 Wettbewerbspolitische und -theoretische Entwicklung in der BRD 251 Das „Fernsehkartell“. Die deutsche Industrie und die Preisbindung 264 Vertikale Inseln. Die Vertriebspolitik Sabas und Nordmendes 299 Preisbindung „durch die Hintertür“. Der Fall Telefunken 309 Verhandelte Werte. Konsumenten und Händler im Markt für Fernsehgeräte 318 Konsumenten und Händler in den Vereinigten Staaten Regulierung, Verbraucherschutz und das Bild des Konsumenten 320
320
Inhalt
7.1.2 7.1.3 7.2 7.2.1 7.2.2 7.2.3
IX
332 Die Kunst des Feilschens. Preispolitik im Wandel Falsche Angaben. Die Regulierung der Preiswerbung 341 Konsumenten und Händler in der BRD 351 Interaktionen, Verbraucherbilder und staatliche Institutionen 351 Preisvergleiche, Preispolitik und Preisverhandlungen 358 Listenpreise, Lockvögel und „grauer Markt“ 365
8 Fazit
384
398 Quellen- und Literaturverzeichnis Archivalische Quellen 398 Deutsches Technikmuseum Berlin. Historisches Archiv (DTMB) 398 9.1.2 Bundesarchiv Koblenz (BArch) 398 9.1.3 Hagley Museum and Library (HML) 398 9.1.4 National Archives (NA) 399 9.2 Gedruckte Quellen 399 9.2.1 Zeitungen und Zeitschriften 399 9.2.2 Statistische Periodika 400 9.2.3 Zeitgenössische Veröffentlichungen 400 9.3 Sekundärliteratur 407
9 9.1 9.1.1
Verzeichnis der verwendeten Grafiken Grafik 1: Grafik 2: Grafik 3: Grafik 4: Grafik 5: Grafik 6: Grafik 7: Grafik 8: Grafik 9: Grafik 10: Grafik 11: Grafik 12: Grafik 13: Grafik 14: Grafik 15: Grafik 16: Grafik 17: Grafik 18: Grafik 19: Grafik 20: Grafik 21: Grafik 22: Grafik 23: Grafik 24: Grafik 25: Grafik 26: Grafik 27: Grafik 28: Grafik 29:
Inländische Produktion von Fernsehgeräten in den USA, 1946–1986 31 Entwicklung des Fabrikabgabe-Preisniveaus von S/W-Geräten, 1947–1977 (USA) 33 Entwicklung des Fabrikabgabe-Preisniveaus von Farbgeräten, 1955–1978 (USA) 46 Zahl der in der Fernsehgeräteindustrie beschäftigten Arbeiter, 1966–1992 (USA) 52 Exporte der amerikanischen Fernsehgeräteindustrie, 1958–1984 54 Importe im amerikanischen Markt für Fernsehgeräte, 1958–1984 54 Konsum Fernsehgeräte und Anteil Importe (S/W und Farbe), 1960–1980 (USA) 61 Inländische Produktion von Fernsehgeräten in der BRD, 1952–1989 64 Entwicklung des Fabrikabgabe-Preisniveaus von S/W-Fernsehgeräten, 1956–1980 (BRD) 68 Entwicklung des Fabrikabgabe-Preisniveaus von Farbgeräten, 1968–1984 (BRD) 74 Die Handelsbilanz für Fernsehgeräte in der BRD (Farbe und S/W), 1958–1987 76 Importe von S/W-Geräten (links) und Farbgeräten (rechts) nach Herkunftsländern, 1966–1987 (in 1.000 Stück) (BRD) 78 Handelsbilanz der Industrie: Fernsehbildröhren und Fernsehgeräte im Vergleich (S/W und Farbe), 1971–1984 (BRD) 84 Marktanteile verschiedener Handelsformen in den USA (nach Stückzahlen) 113 Marktanteile verschiedener Handelsformen in der BRD (Stückzahlen) 130 Konsum von Fernsehgeräten in den USA, 1946–1984 141 Sättigungskurve von S/W-Fernsehgeräten in den USA, 1947–1960 142 Prozentualer Anteil einzelner Gerätetypen (S/W-Geräte), 1947–1979 (USA) 150 Der Kauf eines S/W-Fernsehgerätes als Ersatzkauf, 1953–1966 (USA) 152 Haushalte mit einem S/W-Zweitgerät, 1949–1973 (USA) 154 Entwicklung des Einzelhandels-Preisniveaus von S/W-Geräten, 1947–1977 (USA) 155 Inzahlungnahme eines Gebrauchtgerätes beim Kauf eines Neugerätes, 1950–1977 (USA) 162 Entsorgte Gebrauchtgeräte (in Prozent aller akzeptierten „Trade-Ins“), 1954–1975 163 Sättigung amerikanischer Haushalte mit Farbgeräten, 1955–1979 165 Prozentualer Anteil einzelner Gerätetypen (Farbgeräte), 1962–1980 (USA) 166 Entwicklung des Einzelhandels-Preisniveaus von Farbgeräten, 1955–1978 (USA) 169 Konsum von Farbgeräten nach Erstkäufen, Ersatzkäufen und Zweitgeräten, 1956–1981 (USA) 171 Konsum von Fernsehgeräten in der BRD, 1952–1986 178 Einzelhandelspreis eines Standard-S/W-Fernsehgerätes, 1954–1984 (BRD) 179
XII
Verzeichnis der verwendeten Grafiken
Grafik 30: Grafik 31: Grafik 32: Grafik 33: Grafik 34: Grafik 35: Grafik 36: Grafik 37: Grafik 38: Grafik 39: Grafik 40:
Sättigung der deutschen Haushalte mit S/W-Fernsehgeräten, 1953–1970 183 Anteil einzelner Gerätetypen an der Gesamtproduktion (S/W-Geräte), 1951–1973 (BRD) 185 Konsum und Prognose in den 1950er und 60er Jahren (S/W-Geräte), 1953–1970 (BRD) 190 Prozentualer Anteil einzelner Gerätetypen am Farbgeräte-Konsum, 1967–1973 (BRD) 198 Durch die FTC verfolgte Fälle von Preisdiskriminierung (nach Art der Diskriminierung), 1954–1980 211 Operativer Reingewinn im U.S. Radio- und Fernseh-Facheinzelhandel, 1946–1972 226 Zahl der beim Kartellamt angemeldeten Preisbindungen in der BRD, 1960–1973 261 Produktion und Lagerbestand der deutschen Fernsehgeräteindustrie, 1956–1973 270 Zahl der preisgebundenen Fernsehgeräte in der BRD, 1960–1973 278 Betriebswirtschaftlicher Reingewinn des Radio- und Fernseh-Einzelhandels, 1960–1976 (BRD) 291 Verfolgte Fälle durch die U.S. Federal Trade Commission mit Bezug zu Preisangaben, 1953–1980 342
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15: Tabelle 16: Tabelle 17: Tabelle 18: Tabelle 19: Tabelle 20: Tabelle 21: Tabelle 22: Tabelle 23: Tabelle 24: Tabelle 25: Tabelle 26:
Anzahl Fernsehgeräte produzierender Firmen in den USA, 1939–1980 34 Marktanteile der Fernsehgerätehersteller in den USA (S/W-Geräte), 1948–1980 36 Sendezeiten Farbprogramm, 1954–1963 43 Marktanteile der Fernsehgerätehersteller in den USA (Farbgeräte), 1960–1980 47 Private Label in den USA (in 1.000 Stück), 1966–1976 55 Produktion von Farbgeräten durch japanische Unternehmen in den USA (in 1.000 Stück), 1973–1980 59 Marktanteile der Fernsehgerätehersteller in BRD (in Klammern: FarbfernsehaAnteil), 1957–1980 66 Anteil verschiedener Bildschirmgrößen (Produktion von Tischgeräten) (in 1.000 Stück) 69 Eigeneinfuhren der deutschen Fernsehgeräteindustrie (in Prozent), 1968–1980 83 Zahl der radio and television stores in den USA, 1948–1987 112 Zahl an Rundfunk- u. Elektro-Großhändlern und Vertriebsstellen, 1954–1987 (USA) 117 Reparaturkosten für Fernsehgeräte, 1962–1984 (BRD) 127 Umsatzstruktur des Facheinzelhandels mit Rundfunk-, Fernseh- und Phonogeräten, 1962–1968 131 Unternehmen und Umsatz im Rundfunk-, Fernseh- und PhonogeräteEinzelhandel, 1962–1979 132 Beschaffungswege des Radio- und Fernseheinzelhandels (in Prozent), 1972 (BRD) 134 Unternehmen und Umsatz im Rundfunk- und Fernsehgroßhandel, 1962–1976 (BRD) 135 Fernseh-Sendestationen und Fernseh-Werbeausgaben in den USA, 1941–1970 145 Fernsehgeräte-Besitz nach Einkommen in den USA (Sättigung der Haushalte in Prozent), 1949–1955 147 Ausgaben für ein S/W-Fernsehgerät in Relation zu einem mittleren Haushaltseinkommen, 1947–1978 (USA) 157 Ausgaben für ein Farbfernsehgerät in Relation zu einem mittleren Haushaltseinkommen, 1955–1978 (USA) 167 Preis-Relation Schwarz-Weiß- zu Farbgeräten, 1961–1978 (USA) 172 Preis eines S/W-Fernsehgerätes in Relation zu einem durchschnittlichen Haushaltseinkommen, 1954–1984 (BRD) 181 Ausstattung der Haushaltstypen mit S/W-Fernsehgeräten (in Prozent), 1964–1980 (BRD) 187 Ausstattung der Haushaltstypen mit Farbfernsehgeräten (in Prozent), 1967–1983 (BRD) 201 Einstellung deutscher Konsumenten gegenüber der Preisbindung, 1958–1975 259 Rabattstaffel des „deutschen Fernsehkartells“ von 1960 273
XIV
Tabellenverzeichnis
Tabelle 27: Tabelle 28:
Anteil der Bezüge des Facheinzelhandels über den selbständigen Großhandel in Prozent (1964/65) 288 Markenpräsenz einzelner Hersteller beim Facheinzelhandel in Prozent, 1964–1966 300
1 Einleitung Im Jahr 1956 verließ der RCA Compton die Fabrik eines Fernsehgeräteherstellers in Bloomington, Indiana. Es handelte sich um ein Tischgerät mit einem 53 cm breiten Bildschirm und einer Mahagoniholzverkleidung. Der RCA Compton wurde von der Radio Corporation of America (RCA) produziert, einem der bedeutendsten Hersteller für Fernsehgeräte in den USA. Das Gerät war Teil einer bemerkenswerten Welle, die in diesem Jahr über das Land rollte. Fast 7,5 Mio. Fernseher wurden von der RCA und den anderen amerikanischen Herstellern produziert. Im Schnitt erreichten jeden Tag über 20.000 Stück die Familien zwischen Florida und Kalifornien. Die Welle von 1956 setzte einen Trend fort, der dem Fernsehen seit Mitte der 1940er Jahre einen zentralen Platz in der modernen amerikanischen Konsumgesellschaft verschaffte. Schon zu Beginn des Jahres hatte in etwas mehr als 70 Prozent der Haushalte ein Fernsehgerät gestanden. Am Ende des Jahres lag diese Zahl bei fast 80 Prozent. Das Fernsehen veränderte den Alltag der Menschen tiefgreifend. Neue Freizeitroutinen und ein neues Informationsverhalten entstanden. Bis zu fünf Stunden täglich schaute ein durchschnittlicher Amerikaner im Jahr 1960 fern.1 Ein gewaltiges Angebot traf auf eine ebenso große Nachfrage. Der Mechanismus, der diese Entwicklung ermöglichte, war der Markt für Fernsehgeräte. Märkte sind der ausschlaggebende Orientierungspunkt der Entscheidungen von Haushalten und Unternehmen in modernen Gesellschaften. Sie sind das Steuerungsinstrument der Produktion und Allokation von knappen Gütern. Zahlreiche Transaktionen laufen jeden Tag gesteuert über den Marktmechanismus ab. Preise werden gebildet. Geld und Güter wechseln wie selbstverständlich die Hände. Die zentrale Bedeutung von Märkten muss aber „eigentlich überraschen“.2 Denn bei näherem Blick ist der moderne Markt ein unsicherer Ort, auf dem anonyme Akteure mit unterschiedlichen Interessen aufeinander treffen. Die RCA musste den Compton in unsicherer Erwartung produzieren. Sie musste darauf vertrauen, dass die Konsumenten das Gerät zu einem Preis kauften, der am Ende die Entwicklungs- und Produktionskosten des Unternehmens übertraf.
1 Spigel, Lynn (1992): Make Room for TV. Television and the family ideal in postwar America. Chicago, IL, S. 1. Siehe auch: Bowden, Sue M.; Offer, Avner (1994): Household Appliances and the Use of Time. The United States and Britain since the 1920s. In: The Economic History Review 47 (4), S. 725–748. Hier S. 739–740. 2 Beckert, Jens (2007): Die soziale Ordnung von Märkten. In: Jens Beckert, Rainer Diaz-Bone und Heiner Ganßmann (Hg.): Märkte als soziale Strukturen. Frankfurt am Main/New York, S. 43–62. Hier S. 45.
2
1 Einleitung
Die Konsumenten mussten das Gerät unter unsicheren Bedingungen kaufen. Sie mussten darauf vertrauen, dass der hohe Preis die Anschaffung des RCA Compton wert war.
1.1 Die Historizität des Marktes Die vorliegende Arbeit ist der Versuch, die Geschichte des RCA Compton und der 7,5 Mio. anderen Fernsehgeräte in einen langfristigen historischen Bezug zu setzen und zu verstehen. Sie geht von der Tatsache aus, dass der Konsum der Geräte nicht ohne ihre Produktion erklärt werden kann und umgekehrt. Sie stellt aber gleichzeitig die Selbstverständlichkeit des Austauschmechanismus in Frage, der Produktion und Konsum aufeinander bezog. Das Ziel der Arbeit ist zu zeigen, dass es keinen einheitlichen und keinen zeitlosen Markt für Fernsehgeräte gegeben hat. Die Wege, die Fernsehgeräte einschlugen, um in die Haushalte zu gelangen, waren verschlungen und veränderten sich mit der Zeit. Das galt im wörtlichen Sinne wie als Metapher. Nicht nur die Distributionsstrukturen wandelten sich, sondern auch die rechtlichen Rahmenbedingungen, die Strategien der Verkäufer und Produzenten sowie das Verhalten der Konsumenten. Die Arbeit zeigt und erklärt den Markt für Fernsehgeräte als historisches Ergebnis des Verhaltens der Akteure zueinander, als strukturelles Ergebnis von Praktiken, nicht als zeitlose Struktur an sich. Nicht „der Markt“ löste die Probleme der Anonymität und gegensätzlichen Interessen, sondern die Akteure lösten diese Probleme und schufen dadurch den Markt für Fernsehgeräte. „Die Schaffung eines Marktes“ rückt die lange Zeit außerhalb des analytischen Zugriffs der Historiker liegende Funktionsweise von Märkten in einen neuen Fokus. Die an den zeitlosen Vorstellungen ökonomischer Markttheorien orientierten Arbeiten verwehrten sich einer solchen Perspektive, weil sie die „Wirtschaft“ als einen eigenständigen Bereich anerkannten und ihre Analyse auf Umwelteinflüsse beschränkten, die der Effizienz eines idealen Marktes gegenüberstanden. Die gegenüber der Ökonomie kritischen Arbeiten beschränkten sich dagegen meist auf eine Kritik der ökonomischen Annahmen, ohne eine eigene theoretische Auffassung von Märkten zur Grundlage ihrer empirischen Analyse zu erheben. Die hier vorgelegte Arbeit sucht einen Ausweg aus dem Dilemma, indem sie der theoretischen Marktauffassung der Neuen Wirtschaftssoziologie folgt und die historische Entwicklung des Marktes für Fernsehgeräte empirisch analysiert. Die Neue Wirtschaftssoziologie versteht Märkte als „eingebettet“. Diese Vorstellung bedeutet nichts weniger als die radikale Ablehnung einer nach eigenen und zeitlosen Regeln funktionierenden Marktlogik, indem sie die gesellschaft
1.1 Die Historizität des Marktes
3
liche Abhängigkeit des Markthandelns betont. Ohne Regeln, Gesetze und stabile Erwartungen würden Märkte verschwinden. Niemand würde einen RCA Compton kaufen. Niemand würde einen RCA Compton produzieren. Der für die Geschichtswissenschaft interessante Aspekt daran ist, dass Märkte nun selbst als veränderbar in einem fundamentalen Sinne erscheinen. Die Probleme, mit denen sich die Marktakteure konfrontiert sahen und die als sinnvoll und richtig erkannten Lösungen veränderten sich. Die Vorstellung einer Veränderlichkeit von Märkten ist zugleich eine Forderung nach vergleichenden Studien, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufzeigen können und Erklärungsansätze fundieren. „Die Schaffung eines Marktes“ geht von der Möglichkeit aus, dass sich die Funktionsweise des Marktes für Fernsehgeräte in den Vereinigten Staaten von der Funktionsweise des Marktes in anderen Ländern unterschied. Als vergleichende Studie stellt sie die Entwicklung des US-amerikanischen Marktes für Fernsehgeräte der Entwicklung des Marktes in der Bundesrepublik gegenüber. Im Jahr 1956 produzierte die Fernsehgeräteindustrie in der Bundesrepublik Deutschland 527.000 Geräte im Wert von 288 Mio. D-Mark. In gerade einmal zwei Prozent der bundesdeutschen Haushalte stand zu diesem Zeitpunkt ein Fernsehgerät. Deutsche Beobachter, die in die Vereinigten Staaten reisten, erlebten eine andere Welt. In den USA war das Fernsehen eine Selbstverständlichkeit. Fast jeder Haushalt besaß ein Gerät. Die Preise waren niedrig und die Vielfalt des Angebots war ebenso groß wie die Auswahl an Läden, in denen man dieselben Modelle zu unterschiedlichen Preisen erwerben konnte. In der Bundesrepublik hatte das Fernsehen gerade erst begonnen. Der Kauf erforderte noch mehrere Monatsgehälter eines durchschnittlich verdienenden Arbeiters. Die Konsumenten waren auf den traditionellen Facheinzelhändler angewiesen. Die Fernsehgeräte wurden zu überall einheitlichen Preisen verkauft. Mit der Zeit veränderte sich diese Situation. Das Fernsehen eroberte sich auch in den westdeutschen Haushalten seinen zentralen Platz.3 Neue Handelsformen kamen auf. Das alte preispolitische System brach zusammen. Glich sich die Funktionsweise des Marktes in der Bundesrepublik damit der Funktionsweise des Marktes in den Vereinigten Staaten an? Führte die gesellschaftliche
3 Schildt, Axel (1993): Der Beginn des Fernsehzeitalters. Ein neues Massenmedium setzt sich durch. In: Axel Schildt und Arnold Sywottek (Hg.): Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre. Bonn, S. 477–492. Siehe auch: Hickethier, Knut (1998): Die Geschichte des Fernsehens. Stuttgart/Weimar, S. 327. Bis 1960 stiegen die Werte auf über zwei Mio. produzierte Geräte mit einem Produktionswert von um die 1,25 Mrd. D-Mark. Die Sättigungsrate der Haushalte sprang auf über 20 Prozent.
4
1 Einleitung
Abhängigkeit des Markthandelns auch zu unterschiedlichen Preisbildungsprozessen, Wettbewerbsstrategien und Kaufentscheidungen? Veränderten sich diese Prozesse in gleichförmiger Weise oder waren sie divergent? Und was erklärt die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der historischen Entwicklung des Marktes für Fernsehgeräte in den beiden Ländern? Die Arbeit wird diese Fragen als empirische Fallstudie beantworten. Sie wird die Unterschiede herausarbeiten, gleichzeitig aber auch zeigen können, dass in langfristig vergleichender Perspektive die Bedeutung eines den beiden Ländern gemeinsamen Wandels überwog.
1.2 Märkte und institutioneller Wandel Die Einbettung des Marktes in soziale Beziehungen hat eine alltägliche, flüchtige und eine durch formalisierte Institutionen gefestigte Dimension, deren Verhältnis zueinander ein schwer zu definierendes Spannungspotential birgt. In vergleichenden Studien kam der Rolle formaler Institutionen meist eine zentrale Bedeutung zu, ihr Wandel ist aber mit ganz unterschiedlichen Faktoren erklärt worden. Aus Sicht der Vertreter der Institutionentheorie geht institutioneller Wandel in erster Linie von Strukturveränderungen der Wirtschaft aus.4 Akteure als rationale und profitmaximierende Wesen verändern die Institutionen erfolgreich in ihrem Sinne. Die Sozialwissenschaftler Peter Hall und Kathleen Thelen argumentieren ebenfalls dafür, institutionellen Wandel als Folge des Verhaltens ökonomischer Akteure zu verstehen.5 Hall und Thelen machen allerdings zwei wesentliche Einschränkungen. Erstens gehen sie nicht davon aus, dass sich die Interessen der Wirtschaftssubjekte unabhängig von ihrer zeitgenössischen Wahrnehmung modellieren lassen. Zweitens könne auch dem Staat eine wichtige Rolle bei der Erklärung institutionellen Wandels zukommen. „Regierungen befinden sich“, wie Hall schreibt, „in einer einzigartigen Position, um institutionellen Wandel anzuregen.“6 Um die grundlegenden Vorausetzungen institutionellen Wandels verstehen und unternehmenshistorisch fundieren zu können, greift die Arbeit auf den
4 Der Ökonom Douglass North benutzt in diesem Zusammenhang den Begriff des Kapitalstocks. Dessen Zusammensetzung kann sich durch Bevölkerungswachstum, neue Wissensbestände oder technologischen Wandel verschieben. North, Douglass C. (1981): Structure and Change in Economic History. New York, NY, S. 213–214. 5 Hall, Peter A.; Thelen, Kathleen A. (2009): Institutional Change in Varieties of Capitalism. In: Socio-Economic Review 7 (1), S. 7–34. Hier S. 15. 6 Hall, Peter A. (2006): Stabilität und Wandel in den Spielarten des Kapitalismus. In: Jens Beckert; u. a. (Hg.): Transformationen des Kapitalismus. Frankfurt am Main, S. 181–204. Hier S. 193.
1.2 Märkte und institutioneller Wandel
5
Ansatz des Wirtschaftssoziologen Neil Fligstein zurück. Der Vorteil seiner Theorie liegt darin, dass sie die Interaktionen der Marktteilnehmer untereinander mit der Rolle staatlicher Regulierungsstellen und einer dynamischen Marktentwicklung verknüpft. Fligstein zufolge begründet sich institutioneller Wandel in erster Linie durch verschiedene Stadien der Marktentwicklung. In neu entstehenden Märkten versuchten Marktakteure, eine institutionelle Struktur zu schaffen, die „noncompetitive forms of competition“ stützten. In stabilisierten Märkten würden etablierte Firmen versuchen, unter Rückgriff auf politische Unterstützung ihre Position gegenüber neuen Herausforderern zu verteidigen. Fligstein geht davon aus, dass es den Herausforderern erst während einer Phase der Markttransformation möglich sei, flexiblere institutionelle Strukturen durchzusetzen.7 Fligstein und die Neue Wirtschaftssoziologie unterscheiden sich von der ökonomischen Theorie darin, dass sie ein umfassenderes Verständnis von Macht in die Analyse einführen. Jens Beckert zu Folge nimmt die Neue Wirtschaftssoziologie nicht nur die bestehenden Strukturen, sondern auch den Kampf „um die Eindämmung, Ausweitung, Gestaltung und Regulierung von Wettbewerb“8 in den Blick. Der Staat strukturiert durch Rechtsprechung und Gesetze, Subventionen und Zölle, Verbraucherschutz und eigenes Unternehmertum das Verhalten aller wirtschaftlichen Subjekte so tiefgreifend, dass es schlicht irreführend wäre, von einer staatlich unabhängigen „Wirtschaft“ zu sprechen.9 Fligstein schreibt dazu: „Der Wettbewerb und der technische Wandel werden selbst im Laufe der Zeit durch die Marktakteure und staatlichen Instanzen bestimmt. Sie sind also
7 Erstmals formuliert in: Fligstein, Neil (1996): Markets as Politics. A political-cultural approach to market institutions. In: American Sociological Review 61 (4), S. 656–673. Für eine umfassendere und neuere Analyse Fligsteins, siehe: Fligstein, Neil (2011): Die Architektur der Märkte. Wiesbaden. Das Buch ist erstmals 2001 im englischen Original erschienen: Fligstein, Neil (2001): The Architecture of Markets. An economic sociology of twenty–first century Capitalist Societies. Princeton, NJ. 8 Beckert, Ordnung, S. 55. Für eine solche Perspektive haben bereits Alan Cawson und Kollegen in einer allerdings sehr oberflächlich bleibenden sozialwissenschaftlichen Studie zur Entwicklung der europäischen Elektroindustrie argumentiert. Cawson, Alan (1990): Hostile Brothers. Competition and closure in the European electronics industry. Oxford, S. 12. Siehe auch: King, Brayden G.; Pearce, Nicholas A. (2010): The Contentiousness of Markets. Politics, social movements, and institutional change in markets. In: Annual Review of Sociology 36, S. 249–267. 9 Hesse, Jan-Otmar (2013): Wirtschaftsgeschichte. Entstehung und Wandel der modernen Wirtschaft. Frankfurt am Main, S. 106. Siehe auch: Beckert, Ordnung, S. 56 und Abelshauser, Werner (2001): Markt und Staat. Deutsche Wirtschaftspolitik im „langen 20. Jahrhundert“. In: Reinhard Spree (Hg.): Geschichte der deutschen Wirtschaft im 20. Jahrhundert. München, S. 117–140.
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1 Einleitung
keine der Marktgesellschaft exogenen Kräfte, sondern endogener Bestandteil der marktgesellschaftlichen sozialen Beziehungen.“10 Die rechtlichen Grundlagen und ihre gleichzeitige Anfechtbarkeit waren wichtige Bestandteile der Funktionsweise des Marktes für Fernsehgeräte. Das Recht beeinflusste die Durchsetzbarkeit unternehmerischer Wettbewerbsstrategien, begünstigte das eine Unternehmen gegenüber dem anderen und definierte grundsätzliche Kriterien des Verbraucherschutzes. Insofern stellten die Wettbewerbs- und Verbraucherschutzgesetze nicht einfach Rahmenbedingungen dar, an die sich die Akteure mehr oder weniger genau hielten. Vielmehr waren sie selbst zentrale Bestandteile des Kampfes der Marktakteure untereinander, dessen Verlauf aufgrund kontinuierlich wechselnder Machtpositionen und immer wieder neu interpretierter Eigeninteressen dynamisch und kaum vorhersehbar war. Die von Fligstein inspirierten Arbeiten haben meist den Fokus auf Gesetzesänderungen durch Interessengruppen gelegt, wie sie beispielsweise in den Auseinandersetzungen um die Einzelhandelsgesetzgebung in den USA zum Ausdruck kam.11 Eine zentrale These der Arbeit ist dagegen die Feststellung, dass der Kampf um die rechtlichen Grundlagen des Marktes für Fernsehgeräte meist weniger direkt und politisch als indirekt und juristisch ausgefochten wurde. Die entscheidenden Entwicklungen spielten sich nicht auf der Ebene des Gesetzgebers, sondern im Kontext alltäglicher unternehmerischer Praktiken ab. Hier lag ein ständiges Konfliktpotential zwischen den Gesetzen und den Interessen der Unternehmen, dessen Wirkungen aber stark von der tatsächlichen Durchsetzung des Rechts durch die Gerichte und ihrer jeweiligen Interpretation abhingen. Teilweise veränderte sich die Interpretation der Gesetze im Kontext dieser Entwicklungen oder es entstanden neue Gesetze, mit denen die Politik auf einen jahrelangen Rechtsbruch reagierte. Die Bedeutung von Institutionen wie Wettbewerbsgesetzen entstand daher erst in ihrer praktischen Umsetzung.
1.3 Der Markt als Wertschöpfungskette Die Konfliktlinien der Marktparteien verliefen nicht nur horizontal zwischen unterschiedlichen Herstellern oder Händlern, sondern auch vertikal zwischen
10 Fligstein, Architektur, S. 16. 11 Ingram, Paul; Hayagreeva, Rao (2004): Store Wars. The enactment and repeal of anti‐chain‐ store legislation in America. In: American Journal of Sociology 110 (2), S. 446–487. Siehe auch: Scroop, Daniel (2008): The Anti-Chain Store Movement and the Politics of Consumption. In: American Quarterly 60 (4), S. 925–949.
1.3 Der Markt als Wertschöpfungskette
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Herstellern, Händlern und Konsumenten. Der tiefer liegende Grund dieser von Fligstein und anderen bisher vernachlässigten Dimension ist, dass der Markt für Fernsehgeräte erst entlang einer Distributionskette entstehen konnte, an der Hersteller, Groß- und Einzelhändler sowie Privathaushalte beteiligt waren. Diese eigentlich simple Beobachtung kann hinsichtlich ihrer Bedeutung kaum überschätzt werden. Die Funktionsweise des Marktes für Fernsehgeräte war immer auch eine Folge der Art und Weise, wie die Kette zwischen Herstellern und Endverbrauchern gestaltet war. Die Arbeit verfolgt das Ziel, den Markt für Fernsehgeräte als eine solche zusammenhängende Wertschöpfungskette zu betrachten und zu erklären. Zwischen der Fertigung eines funktionstauglichen Fernsehgerätes und seinem Anschluss in einem Privathaushalt lässt sich mit Hilfe der Wertschöpfungskette eine Reihe von Schnittstellen ausmachen, die durch einen Prozess der Preisbildung gekennzeichnet sind. Der Prozess der Preisbildung dient auch dazu, die für die Untersuchung relevanten Akteursgruppen zu bestimmen. In konkreten Tauschverhältnissen trafen nicht Hersteller und Groß- und Einzelhändler aufeinander, sondern Außendienstmitarbeiter und je nach Größe des Händlers Einkäufer oder die Inhaber selbst. Dasselbe galt für die Einzelhandelsebene, wo nicht Haushalte auf Händler, sondern Frauen und Männer auf das Verkaufspersonal trafen. Diese Feinheiten sollen nach Möglichkeit dort berücksichtigt werden, wo sie für den Prozess der Preisbildung relevant waren. Für die eigentliche Analyseebene wird von einer weiteren Differenzierung der Akteure abstrahiert.12 Die Zwischenstufen der Wertschöpfungskette führten dazu, dass der Preis, zu dem das Fernsehgerät die Fabrik verließ, häufig mehr als ein Drittel unter dem Preis lag, zu dem es von einem Privathaushalt erworben wurde. Die Höhe der Handelsspanne und der jeweils individuelle Anteil an ihr bildete für die Großund Einzelhändler neben dem Umsatz die entscheidende Variable für die Bestimmung ihres Gewinns. Die Händler mussten stets mit zwei Preisen kalkulieren, einem Einkaufspreis und einem Verkaufspreis. Und sie mussten in zwei Richtungen darauf achten, dass die gebildeten Preise ihr wirtschaftliches Überleben garantierten.
12 Dies geschieht unter der Annahme, dass die Außendienstmitarbeiter und Verkäufer im Auftrag und im Interesse ihres Arbeitgebers handelten. Diese grobe Vereinfachung ist freilich gerade in institutionentheoretischer Perspektive problematisch, da zweifelhaft ist, „ob Unternehmen in der Tat von ihrer Spitze her steuerbare bürokratische Komplexe“ sind. Plumpe, Werner (2004): Perspektiven der Unternehmensgeschichte. In: Günther Schulz u. a. (Hg.): Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Arbeitsgebiete – Probleme – Perspektiven. Stuttgart, S. 403–425. Hier S. 403.
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1 Einleitung
Die Aushandlungsprozesse zwischen Produzenten und Händlern verliefen anders als die Aushandlungsprozesse zwischen Einzelhändlern und Konsumenten. Die Machtverhältnisse, Handlungsspielräume und rechtlichen Rahmenbedingungen waren nicht deckungsgleich. Trotzdem standen die Preise, die zwischen Herstellern und Händlern ausgehandelt wurden, in einer engen Beziehung zu den Preisen, welche die Einzelhändler gegenüber ihren Konsumenten forderten und umgekehrt. „The final price of an article“, schrieb der Marketingprofessor Ralph S. Alexander Mitte der 1950er Jahre, „is not a simple thing arrived at as a result merely of the interaction of the forces in play at the point of sale and purchase. It is compounded of a whole system of interlocking price relationships reaching back through the retailer, the wholesaler, the manufacturer, and all the other marketing agents who may have had a hand in the movement of the product to the point of ultimate sale.“13 Die immer wieder neu definierten Zusammenhänge dieser Preisbeziehungen haben die Funktionsweise des Marktes für Fernsehgeräte in den beiden Ländern historisch verändert. Im Zentrum der Arbeit werden die Groß- und Einzelhändler mit Fernsehgeräten stehen, weil sie das verbindende Element zwischen Herstellern und Konsumenten bildeten.14 Sie waren Anbieter und Nachfrager in ein und derselben rechtlichen Person. In den allermeisten Fällen verhandelten die Großhändler mit den Herstellern und ihren Einzelhändlern, die Einzelhändler mit Großhändlern und Konsumenten. Wo einer der Marktakteure diesen Dreischritt abkürzte, wurde dies nicht selten als eine Störung der Stabilität des Gesamtsystems betrachtet und scharf sanktioniert. Der Einzelhandel bildete einen direkten Zugang und einen Ort für den Erwerb eines Fernsehgerätes. Die Verkäufer der Einzelhändler lieferten Informationen in Form von Werbung und Beratung. Sie installierten Geräte, nahmen Altgeräte
13 Alexander, Ralph S. (1955): Marketing’s Contributions to Economics. In: Robert A. Solo (Hg.): Economics and the Public Interest. New Brunswick, NJ, S. 71–72; zit. nach: Mallen, Bruce E. (1967): Introducing the Marketing Channel to Price Theory. In: Bruce E. Mallen (Hg.): The Marketing Channel. A conceptual viewpoint. New York, NY, S. 135–139. Hier S. 136. Siehe auch: Davidson, William D. (1967): Distribution Braekthroughs. In: Lee Adler (Hg.): Plotting Marketing Strategy. A new orientation, New York, NY, S. 257–281. 14 Die Geschichte des Einzelhandels ist ein insgesamt relativ neues Forschungsfeld in der Geschichtswissenschaft, wobei auch hier die deutsche Seite der anglo-amerikanischen Forschung hinterherhängt. Der Fokus liegt für die neuere Zeit eindeutig auf dem Lebensmitteleinzelhandel. Die Geschichte des Großhandels ist so gut wie überhaupt nicht erforscht. Für neuere Arbeiten und Überblicksdarstellungen, siehe: Alexander, Andrew (2010): Past, Present and Future Directions in the Study of the History of Retailing. In: Journal of Historical Research in Marketing 2 (3), S. 356–362; Jessen, Ralph; Langer, Lydia (Hg.) (2012): Transformations of Retailing in Europe after 1945. Farnham, Surrey; Langer, Revolution.
1.3 Der Markt als Wertschöpfungskette
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in Zahlung oder reparierten sie. Sie entschieden über verschiedene Formen der Preisauszeichnung und feilschten mit Konsumenten. Es ist für das Verständnis des Wettbewerbs im Markt für Fernsehgeräte wichtig zu sehen, dass nicht nur die Fernsehgerätehersteller im Wettbewerb standen, sondern auch die Groß- und Einzelhändler. Dieser Wettbewerb war lokal begrenzt, aber für die Analyse der Preisbildung und die Erklärung strategischen Verhaltens nicht weniger zentral. Die Folgen des Wettbewerbsverhaltens der Einzelhändler prägte nicht nur ihre jeweiligen Handlungsspielräume, sondern auch die der Konsumenten, Zulieferer und Hersteller. Sie waren in den Preisen spürbar und beeinflussten den Strukturwandel im Einzelhandel. Eine weitere zentrale These der Arbeit ist, dass viele preis- und vertriebspolitische Strategien der Hersteller gar nicht in erster Linie gegen ihre Konkurrenten gerichtet waren, sondern Forderungen der Großund Einzelhändler entsprachen. Auf Ebene der Produzenten allein lassen sich diese Maßnahmen daher nicht erklären. Umgekehrt reagierte der Einzelhandel mit seinen Forderungen auf Erfahrungen, die er im direkten Umgang mit den Konsumenten gemacht hatte. Die dynamische Entwicklung des Marktes für Fernsehgeräte bedeutete eine kontinuierliche Herausforderung der Marktbeziehungen. Sie ordnete die Machtverhältnisse neu, auf deren Grundlage Hersteller, Händler und Konsumenten ihre teils gegensätzlichen Forderungen durchsetzten. Sie zerstörte etablierte Routinen und zwang zum Umdenken. Gleichzeitig beförderte und bedingte sie einen Strukturwandel auf Produzenten- und Handelsebene, der die Absatz- und Konsummöglichkeiten erweiterte und ein zusätzliches Moment der Spannung bildete. Die Wertschöpfungskette für Fernsehgeräte war daher weder hinsichtlich der durch sie verbundenen Akteure noch hinsichtlich der Beziehungen zwischen den Akteuren statisch. Die Praxis des Markttausches und die Praxis der Regulierung hingen zusammen wie die unterschiedlichen Glieder der Wertschöpfungskette.
2 Eine historische Theorie des Marktes Die historische Analyse der Handlungsspielräume auf Märkten setzt insbesondere in vergleichender Perspektive eine Klärung der beiden zentralen Begriffe „Markt“ und „Wettbewerb“ voraus. In der historischen und sozialwissenschaftlichen Forschung sind die Theorien „der“ Ökonomen häufig mit dem Vorwurf konfrontiert worden, zu abstrakt und realitätsfern für eine empirische Analyse zu sein.1 Als Nachweis wird die Vorstellung des „vollkommenen“ oder „perfekten“ Wettbewerbs angeführt, die den Markt als effizienten und reibungslosen Ausgleichsmechanismus von Angebot und Nachfrage beschreibt. Diese Vorstellung ist in der neoklassischen Preistheorie verbreitet, in der Entwicklung der ökonomischen Wettbewerbstheorie aber schon frühzeitig kritisiert worden.2 So schrieb der amerikanische Ökonom John M. Clark in einem Aufsatz aus dem Jahr 1940: „,Perfect competition‘ does not and cannot exist and has presumably never existed […] What we have left is an unreal or ideal standard which may serve as a starting point of analysis and a norm with which to compare actual competitive conditions. It has also served as a standard by which to judge them. I am not quarreling with proper use of this standard as an ideal. However, it has seemed at times to lead to undesirable results, in that it does not afford reliable guidance to the factors which are favorable to the closest available working approximation to that ideal, under actual conditions.“3
Mittlerweile findet sich in der ökonomischen Theoriebildung ein breites Spektrum an Wettbewerbskonzeptionen und Marktvorstellungen.4 Tatsächlich liegt das Problem des Rückgriffs auf eine ökonomische Wettbewerbstheorie eher in ihrem grundsätzlich anderen Erkenntnisinteresse als in ihrem Grad an Abstraktion. Wie Clarks Ausführungen nahelegen, stand die ökonomische Wettbewerbstheorie stets in einem Spannungsfeld aus notwendigerweise komplexitätsreduzierender Theoriebildung („ideal standard“), wirtschaftspolitischem Anspruch
1 Nathaus, Klaus; Gilgen, David (2011): Analysing the Change of Markets, Fields and Market Societies. An introduction. In: Klaus Nathaus und David Gilgen (Hg.): Change of Markets and Market Societies. Concepts and case studies (Historical Social Research / Historische Sozialforschung 36 (3)), S. 7–16. 2 Eine gute Übersicht zur Entstehung der neoklassischen Preistheorie liefert Backhouse, Roger E. (2003): The Stabilization of Price Theory, 1920–1955. In: Warren J. Samuels, Jeff E. Biddle und John B. Davis (Hg.): A Companion to the History of Economic Thought. Malden, MA, S. 308–324. 3 Clark, John M. (1940): Toward a Concept of Workable Competition. In: The American Economic Review 30 (2), S. 241–256. Hier S. 241. 4 Erker, Paul (2005): Vom nationalen zum globalen Wettbewerb. Die deutsche und die amerikanische Reifenindustrie im 19. und 20. Jahrhundert. Paderborn, S. 10–11.
2.1 Douglass North kauft einen Sack Orangen
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(„reliable guidance“) und wirtschaftlicher Realität („actual conditions“). Sie hatte einerseits das Ziel, die Ursachen und Bedingungen wettbewerbspolitischer Verhaltensweisen aufzudecken. Die Theorie fasste diese ihrem ökonomischen Selbstverständnis nach als zeitlos auf, konnte den Nachweis der Zusammenhänge aber stets nur zeitgebunden leisten. Die Theorie übte andererseits mehr oder weniger explizit auch einen normativen Einfluss auf die Entscheidungsträger ihrer Zeit aus.5 Das Verhältnis zwischen Wettbewerbstheorie und „wirtschaftlicher Realität“, die durch das Verhalten ihrer Subjekte geschaffen wird, lässt sich daher als wechselseitig und hochgradig dynamisch verstehen.6 Die Wettbewerbstheorien der 1940er Jahre adressierten andere Probleme als die der 1970er Jahre. Das bedeutet aber auch, dass eine historische Analyse langer Zeiträume ihr Begriffsinstrumentarium nicht vorab auf eine Theorie festlegen sollte, deren deskriptive Reichweite einen anderen Problemhorizont umfasste. Im Folgenden soll die Frage, was Märkte und Wettbewerb bedeuten können, daher nicht durch den Rückgriff auf eine ökonomische Wettbewerbstheorie beantwortet werden. Stattdessen soll eine problemorientierte Perspektive verfolgt werden, welche die Handlungen und Entscheidungsprobleme der Akteure in den Mittelpunkt rückt. Sie soll eine Klärung der beiden Begriffe leisten und die Grundlage des Vergleichs bilden.
2.1 Douglass North kauft einen Sack Orangen Der Ökonom Douglass North diskutiert in seinem Buch „Structure and Change in Economic History“ die Rolle von Märkten in kapitalistischen Gesellschaften. Er beginnt seine Diskussion mit einem einfachen und anschaulichen Beispiel, das er aus eigener Erfahrung ableiten kann: dem Kauf eines Sacks Orangen. Aus Sicht des Käufers, dessen Rolle North in diesem Fall einnimmt, beginnt das Problem bereits bei der genauen Spezifizierung des gewünschten Produkts. North möchte gerne Orangen haben, die zur Herstellung eines frisch gepressten Orangensafts besonders gut geeignet sind. Aber welches der zahlreichen Angebote entspricht diesen Kriterien? Der Staat garantiert den Käufern zwar, dass einige objektive Kri-
5 Carrier, James G. (1997): Introduction. In: James G. Carrier (Hg.): Meanings of the Market. The free market in western culture. Oxford, S. 1–68. Hier S. 33. 6 Dieses Verhältnis ist in konkreten Einzelfällen schwer nachweisbar. Siehe bspw. Luhmann, Niklas (2002): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Darmstadt, S. 101. Zum Verhältnis zwischen Wirtschaftstheorie und -politik, siehe auch: Nützenadel, Alexander (2005): Stunde der Ökonomen. Wissenschaft, Politik und Expertenkultur in der Bundesrepublik 1949 – 1974. Göttingen.
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2 Eine historische Theorie des Marktes
terien wie Menge und Gewicht vereinheitlicht sind. Die Produkte können daher leicht erfasst und verglichen werden. Der Staat kann dem Käufer bei der Verfolgung seiner individuellen Wünsche aber nur bedingt behilflich sein. Die Suche nach den richtigen Orangen erfordert Zeit und Aufwand. Der Käufer kann sich zudem nicht sicher sein, ob ihm nicht ein besseres oder günstigeres Angebot entgeht. Hat sich der Käufer für einen Anbieter entschieden, stellt sich ein weiteres Problem. Der Anbieter, ein Einzelhändler, der seine Orangen von einem Großhändler bezieht, könnte herausgefunden haben, dass ihm einige faule Orangen geliefert worden sind. Um sie loszuwerden, könnte er sie North theoretisch zum Kauf anbieten. Das würde er aber nicht tun, denn North würde dann, so sagt er, zu einem anderen Anbieter mit einem besseren Angebot wechseln. Der Händler könnte sich auch opportunistisch verhalten. Er könnte North die faulen Orangen heimlich unterjubeln und einen Preis erzielen, den er bei einem Tausch unter transparenten Bedingungen nicht erzielt hätte. Auch dieses Verhalten hält North für unwahrscheinlich. North ist ein wertvoller Stammkunde und der Händler müsste befürchten, ihn nie wieder zu sehen. North schließt sein Beispiel mit der optimistischen Bemerkung, dass ihm der Händler wohl auch dann keine verfaulten Orangen untergeschoben hätte, wenn er ihn nie wiedergesehen hätte. North seinerseits hätte für die Orangen auch dann bezahlt, wenn er die sichere Möglichkeit gehabt hätte, einen unbemerkten Diebstahl zu begehen.7 Den Grund für das Verhalten auf beiden Seiten sieht North in einer komplexen Struktur aus formalen und informellen Institutionen. Beide Seiten sehen die Transaktion als fair und legitim und halten sich aus dieser Überzeugung heraus mit abweichenden Verhaltensformen wie Diebstahl oder Betrug zurück.8 Darüber hinaus sichern Gesetze und ihre Durchsetzung – „a complex structure of law and its enforcement“9 – die Durchführung der Transaktion. North geht es hier in erster Linie um die Frage der für seine Theorie zentralen Eigentumsrechte. Sowohl North als auch der Händler akzeptieren, dass es sich bei dem Geld, das North bezahlen möchte und den Orangen, die zum Verkauf stehen, um das Eigentum des jeweils anderen handelt. Letztlich sind es staatliche Institutionen, die durch die Garantie der Eigentumsrechte den effizienten Austausch zu einem gegenseitigen Vorteil sichern. Die Unsicherheit, eventuell einem zu teuren Angebot zum Opfer gefallen zu sein, sieht North dadurch begrenzt, dass der Wettbewerb durch eine große Anzahl von Anbietern und das sanktionierende Verhalten einer großen Zahl von
7 North, Structure, S. 34–37. 8 North, Structure, S. 37. 9 North, Structure, S. 35.
2.1 Douglass North kauft einen Sack Orangen
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Käufern garantiert wird: „Under these conditions, prices embody the same information that would require large search costs by individual buyers and sellers in the absence of an organized market. Opportunism is constrained by the competition of large numbers (and by personalized exchange).“10 North führt mit seinem Beispiel des Kaufs von Orangen eine Reihe von Problemen vor Augen, mit denen Verkäufer und Käufer auf Märkten konfrontiert sind: die Suche nach Informationen, die bei Anbietern und Käufern ungleich verteilt sind, was als Informationsasymmetrie bezeichnet wird; die Durchsetzung der vereinbarten Konditionen, der Schutz vor opportunistischem Verhalten. Die Neue Institutionentheorie hat diese und weitere Probleme als Marktnutzungskosten identifiziert und als Transaktionskosten bezeichnet. Diese Idee geht auf einen Aufsatz von Ronald Coase zurück, der unter dem Titel „The Nature of the Firm“ bereits 1937 veröffentlicht worden war. Coase ging es um die Frage, warum es zur Entstehung von Unternehmen kommt, in denen Arbeitskraft und Produkte nicht wie ein Sack Orangen gegen einen Marktpreis ausgetauscht werden. Die Lehrmeinung seiner Zeit definierte den über Märkte gesteuerten Tausch als reibungslos und sah ihn als die grundsätzlich effizienteste Möglichkeit, die unterschiedlichen Bedürfnisse der Marktteilnehmer zu befriedigen. Diesem Ideal stand die schlichte wirtschaftliche Realität einer großen Anzahl von Unternehmen entgegen, deren Existenz Coase eben damit erklärte, dass der über Märkte gesteuerte Tausch Transaktionskosten verursachte.11 Im Kern blieben sowohl Coase als auch die späteren Vertreter der Neuen Institutionentheorie wie Douglass North oder Oliver Williamson der grundsätzlichen Annahme der Neoklassik verpflichtet. Sie meinten, dass die bestehenden Strukturen der Wirtschaft durch das individuelle, rationale und nutzenmaximierende Verhalten einzelner Wirtschaftssubjekte zu erklären sei. Im Umkehrschluss folgerten sie daher, dass überall dort, wo die Wirtschaftssubjekte den Tausch von Orangen, Autos oder Fernsehgeräten über Märkte abwickelten, der Markt zumindest relativ betrachtet auch die effizienteste aller vorhandenen Möglichkeiten darstellte. Wie Ronald Coase einige Jahrzehnte später selbst einräumte, rückte die Analyse tatsächlichen Marktverhaltens dadurch fast paradoxerweise aus dem Blickfeld der Neuen Institutionentheorie.12 Aus der vergleichsweise blinden
10 North, Structure, S. 36. 11 Coase, Ronald H. (1937): The Nature of the Firm. In: Economica 4 (16), S. 386–405. 12 Ronald Coase bemerkte Ende der 1980er Jahre: „Although economists claim to study the working of the market, in modern economic theory the market itself has an even more shadowy role than the firm“. Coase, Ronald H. (1988): The Firm, the Market, and the Law. Chicago, S. 7; zit. nach: Richter, Rudolf (2011): Institutional Economics of the „Market Itself“. An attempted answer to a complaint by Ronald Coase. In: Klaus Nathaus und David Gilgen (Hg.): Change of
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2 Eine historische Theorie des Marktes
Effizienzannahme bestehender Märkte erklärt sich die angesichts der Annahme eines weit verbreiteten Opportunismus eigentümlich harmonische Darstellung des Kaufs eines Sacks Orangen bei Douglass North. Man muss nicht unbedingt Karl Marx bemühen, um diesen ausschließlich harmonisch gezeichneten Ablauf von Markttransaktionen wenigstens befremdlich zu finden. Zwar profitierten auf der einen Seite beide Transaktionspartner von dem Tausch. North erhielt seine Orangen. Der Einzelhändler erhielt sein Geld. Aber in der Transaktion selbst lag auch eine Spannung, die sich durch zwei fundamental gegensätzliche und unauflösliche Interessen begründet. Der Einzelhändler, der seinen Großhändler für die Orangen bezahlt hatte, seinen Verkäufern Lohn schuldete und für sein Geschäft Miete entrichten musste, hatte ein Interesse an dem Verkauf aller Orangen zu einem möglichst hohen Verkaufspreis. Der Käufer, der seinerseits über ein begrenztes Budget verfügte, möchte die Orangen zu einem möglichst geringen Preis erhalten. Er konnte sich nur dann auf einen funktionierenden Wettbewerb verlassen, wenn Konsumenten wie er selbst den Überblick behielten und preispolitisch abweichende Anbieter sanktionierten. Dieser Interessenkonflikt, der im Grunde so alt ist wie der Tausch selbst, führt nicht unbedingt zu Betrug und Diebstahl.13 Er trübt aber die Harmonie. Den Konsum macht er, wie Thomas Welskopp jüngst herausgestellt hat, zu einem harten Stück Arbeit.14 Den Verkauf macht er dagegen zu einem riskanten Unterfangen, weil die Anbieter nicht wissen können, ob sie aus der Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreisen langfristig ihren Lebensunterhalt bestreiten können.15 Völlig ungeklärt bleibt etwa, wer am Ende auf den verfaulten Orangen sitzen bleibt.
Markets and Market Societies. Concepts and case studies (Historical Social Research / Historische Sozialforschung 36 (3)), S. 34–54. Hier S. 35. 13 Strasser, Susan (1989): Satisfaction Guaranteed. The making of the American mass market. New York, NY, S. 286–292. 14 Welskopp, Thomas (2014): Konsum. In: Christof Dejung, Monika Dommann und Daniel Speich Chassé (Hg.): Auf der Suche nach der Ökonomie. Historische Annäherungen. Tübingen, S. 125–152. Hier S. 139–140. Siehe auch: Zukin, Sharon (2008): Julia Learns to Shop. In: Michael Ryan und Hanna Musiol (Hg.): Cultural Studies. An anthology. Malden, MA, S. 746–752. 15 Welskopp, Thomas (2004): Das Unternehmen als Körperschaft. Entwicklunsglinien der institutionellen Bindung von Kapital und Arbeit im 19. und 20. Jahrhundert. In: Karl-Peter Ellerbrock und Clemens Wischermann (Hg.): Die Wirtschaftsgeschichte vor der Herausforderung durch die New Institutional Economics. Dortmund, S. 192–215. Hier S. 195. Siehe auch: Fligstein, Architektur, S. 43–44.
2.2 Die Neue Wirtschaftssoziologie
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2.2 Die Neue Wirtschaftssoziologie Vertreter der Neuen Wirtschaftssoziologie haben den Versuch unternommen, eine Theorie des Marktes zu skizzieren, welche die von der Neuen Institutionentheorie angeführten Probleme und die Annahme eines wenigstens intendiert rationalen Verhaltens der Akteure ernst nimmt. Mit der Neuen Institutionentheorie und der Neoklassik insgesamt teilen etwa die Wirtschaftssoziologen Patrik Aspers und Jens Beckert die Vorstellung, dass Märkte eine Form der ökonomischen Koordination darstellen, die als Alternative zu Netzwerken und hierarchischen Organisationen gedacht werden kann.16 Als „der ausschlaggebende Orientierungspunkt von Unternehmensentscheidungen“17 stehen Märkte im Zentrum kapitalistischer Ordnungen. Sie sichern und organisieren die Konsummöglichkeiten der Bevölkerung. Märkte sind daher durch die Bedingung des Tausches noch nicht hinreichend beschrieben. Es bedarf darüber hinaus eines funktionierenden Wettbewerbs, Auswahl- und Bewertungsmöglichkeiten, einer klaren Rollenverteilung zwischen Anbietern und Nachfragern und eines Geldsystems.18 Den Primat eines ökonomischen Kalküls und die Annahme des Effizienzparadigmas der Neuen Institutionentheorie teilt die Neue Wirtschaftssoziologie explizit nicht.19 Für sie stellen Märkte nicht per se die effiziente Lösung wirtschaftlicher Koordinationsprobleme dar, sondern unwahrscheinliche, konflikt-
16 Aspers, Patrik (2011): Markets, Evaluations and Rankings. In: Klaus Nathaus und David Gilgen (Hg.): Change of Markets and Market Societies. Concepts and case studies (Historical Social Research / Historische Sozialforschung 36 (3)), S. 19–33. Hier S. 19. Auf die lange Zeit für Anthro pologen und Wirtschaftssoziologen im Anschluss an Karl Polanyi wichtige Frage, inwieweit die Durchsetzung „des Marktes“ als dominante Koordinationsform einen gesellschaftlichen Entwicklungsstand markierte, soll hier nicht eingegangen werden. Vgl. Applbaum, Kalman (2012): Markets. Places, Principles and Integrations. In: James G. Carrier (Hg.): A Handbook of Economic Anthropology. Cheltenham, S. 257–274. 17 Beckert, Ordnung, S. 43. 18 Aspers, Patrik; Beckert, Jens (2008): Märkte. In: Andrea Maurer (Hg.): Handbuch der Wirtschaftssoziologie. Wiesbaden, S. 225–246. Für andere Konzeptionalisierungsversuche, siehe: Baur, Nina (2008): Markt. In: Nina Baur (Hg.): Handbuch Soziologie. Wiesbaden, S. 273–293; Engels, Anita (2010): Die soziale Konstitution von Märkten. In: Jens Beckert und Christoph Deutschmann (Hg.): Wirtschaftssoziologie. Wiesbaden, S. 67–86; Fligstein, Neil; Dauter, Luke (2007): The Sociology of Markets. In: Annual Review of Sociology 33, S. 105–128; Teupe, Sebastian (2015): Everyday Transactions and Great Transformations. Markets and Marketization from the Perspective of New Economic Sociology. In: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 12 (3), S. 477–487. 19 Das ist die zentrale Stoßrichtung eines Aufsatzes von Mark S. Granovetter, der als eine Art Gründungsdokument der Neuen Wirtschaftssoziologie gilt. Granovetter, Mark S. (1985): Economic Action and Social Structure. The problem of embeddedness. In: The American Journal of
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2 Eine historische Theorie des Marktes
trächtige und „hochgradig voraussetzungsvolle Arenen sozialen Handelns“.20 In Anlehnung an Max Weber begreift die Neue Wirtschaftssoziologie das Verhalten der Akteure auf Märkten als eine Art ständige Auseinandersetzung, die vielfältige Formen von Kooperation bis hin zu einem regelrechten Tauschkampf und der Vernichtung unliebsamer Konkurrenten einschließen kann.21 Die unkontrollierbaren Kontingenzen und das hohe Maß an Ungewissheit bezüglich der Handlungsresultate lassen die Motivation der Akteure, sich am Markttausch zu beteiligen, als geradezu unwahrscheinlich erscheinen.22 Der für die Wirtschaftssoziologie zentrale Begriff der „Einbettung“ verweist auf „soziale, institutionelle und kulturelle Strukturen, die Einfluss auf das Handeln der Marktakteure und ihre Erwartungen hinsichtlich des Handelns von Alter Ego nehmen und dadurch reziproke Handlungsorientierungen ermöglichen“.23 Das Konzept der Einbettung erinnert stark an Norths informelle und formale Institutionen. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass sich das Verhalten der Akteure nicht modellieren lässt, weil es sich nicht notwendigerweise an den Kriterien der Effizienz orientiert. Daraus resultieren Unsicherheiten und Wandelbarkeiten, die Grundbedingungen rationalen Verhaltens in Frage stellen.24 Die Aufgabe der Marktsoziologie sieht Beckert darin, zu untersuchen, wie es Akteure unter diesen Bedingungen schaffen, Erwartungssicherheit herzu-
Sociology 91 (3), S. 481–510. Siehe auch: Beckert, Jens (2007): The Great Transformation of Embeddedness. Karl Polanyi and the new economic sociology. (MPIfG discussion paper). 20 Beckert, Ordnung, S. 44–45. 21 Beckert, Ordnung, S. 55. Siehe auch: Mikl-Horke, Gertraude (2010): Der Markt bei Weber und in der neuen Wirtschaftssoziologie. In: Andrea Maurer (Hg.): Wirtschaftssoziologie nach Max Weber. Gesellschaftstheoretische Perspektiven und Analysen der Wirtschaft. Wiesbaden, S. 97–117. 22 Beckert, Ordnung, S. 45. Ivo Bayer und Holger Bonus weisen auf den gemeinsamen semantischen Ursprung von „Tausch“ und „Täuschung“ hin. Siehe: Bayer, Ivo; Bonus, Holger (2008): Tausch und Täuschung. In: Dirk Loerwald (Hg.): Ökonomik und Gesellschaft. Wiesbaden, S. 100–115. 23 Innerhalb der Wirtschaftssoziologie lässt sich zwischen einem sozialen Ansatz, der die soziale Einbettung von Marktakteuren betont (White und Granovetter) und einem institutionellen Ansatz, der die Bedeutung institutioneller Einbettung betont (Fligstein) unterscheiden. Beckert, Ordnung, S. 49–51. 24 Die Neue Institutionentheorie ist aus diesem Grund auch gerade von Historikern immer wieder scharf attackiert worden. Siehe Plumpe, Werner (2004): Die neue Institutionenökonomik und die moderne Wirtschaft. Zur wirtschaftshistorischen Reichweite institutionenökonomischer Argumente am Beispiel des Handlungsmodells der Rationalität. In: Karl-Peter Ellerbrock und Clemens Wischermann (Hg.): Die Wirtschaftsgeschichte vor der Herausforderung durch die New Institutional Economics. Dortmund, S. 31–57; Berghoff, Hartmut (1999): Transaktionskosten. Generalschlüssel zum Verständnis langfristiger Unternehmensentwicklung? Zum Verhältnis von
2.3 Wertproblem und Preisbestimmung
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stellen. Der Ausgangspunkt dafür ist die Untersuchung der Strukturierung des Markthandelns und des dynamischen Prozesses der Veränderung dieser Strukturen.25 Fligstein hat in diesem Zusammenhang den Begriff der „stabilen Welten“ eingeführt, der die Bedingungen der Erwartungssicherheit prägnant zusammenfasst: „Market actors live in murky worlds where it is never clear which actions will have which consequences […] In markets, the goal of action is to ensure the survival of the firm. No actor can determine which behaviors will maximize profits (either a priori or post hoc), and action is therefore directed toward the creation of stable worlds.“26 Für eine vergleichende Geschichte des Wettbewerbsverhaltens auf Märkten ist die Grundsatzentscheidung gegen eine individualistische, auf dem Rationalmodell beruhende Theoriekonzeption wichtig. Sie bedeutet, dass die Analyse das Verhalten der Akteure nicht aus theoretischen Vorannahmen heraus erklären kann oder unter Berufung auf das ökonomische Modell bewerten muss. Die Arbeit rekonstruiert die sozialen, institutionellen und kulturellen Strukturen daher nicht unabhängig von ihren handlungsleitenden Wirkungen, sondern stellt die zeitgebundenen Praktiken in das Zentrum ihrer Analyse.
2.3 Wertproblem und Preisbestimmung Damit ein Markt funktionieren kann müssen Jens Beckert zu Folge drei Koordinationsprobleme gelöst werden: das Wertproblem, das Wettbewerbsproblem und das Kooperationsproblem.27 Grob zusammengefasst besagt die These Beckerts, dass Märkte aufhören zu existieren, wenn es den Konsumenten nicht möglich ist, den Wert eines Gutes verlässlich einzuschätzen, wenn es den Unternehmen nicht möglich ist, einen Profit aus der Transaktion zu ziehen und wenn sich die Transaktionspartner gegenseitig nicht vertrauen. Die seit Jahrhunderten belegte Existenz von Märkten ist für die Vertreter der Neuen Wirtschaftssoziologie ein Beleg dafür, dass es den Akteuren immer wieder gelungen ist, die Koordinationsprobleme zu lösen.28 Diese Tatsache allein sagt aber nichts darüber aus, welche
neuer Institutionenökonomie und moderner Unternehmensgeschichte. In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (2), S. 159–176. 25 Beckert, Ordnung, S. 44–45. Siehe auch: Deutschmann, Christoph (2010): Soziologische Erklärungen kapitalistischer Dynamik. In: Jens Beckert und Christoph Deutschmann (Hg.): Wirtschaftssoziologie. Wiesbaden, S. 43–66. 26 Fligstein, Marktes as Politics, S. 659. 27 Beckert, Ordnung. 28 Aspers/Beckert, Märkte.
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2 Eine historische Theorie des Marktes
Lösungswege in verschiedenen Produktmärkten, zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Kulturkreisen tatsächlich verfolgt wurden. „Each market has a history and is likely to have its own culture […], which is known and practiced within it“29, schreibt Aspers. Vergleichende und historische Ansätze gewinnen dadurch an Relevanz.30 Für Douglass North hing die Bewertung der Orangen von den Eigenschaften der Früchte und seinen eigenen festgelegten Präferenzen ab.31 Das Problem der Bewertung der angebotenen Orangen stellte sich in erster Linie als Folge einer Informationsasymmetrie dar, weil die Anbieter über die Eigenschaften ihrer Orangen besser informiert waren als North. Wie gut das Angebot seinen Präferenzen entsprechen würde, hing daher zuallererst von dem Aufwand ab, den North für die Beschaffung der notwendigen Informationen trieb. North schränkte selbst ein, dass die Beschreibung des Kaufvorgangs für Orangen relativ gut geeignet sei. Für den Kauf komplexerer Konsumgüter, zu denen er Fernsehgeräte zählte, war sie dagegen weniger passend.32 Die Entscheidung für den Kauf eines Fernsehgerätes begründet sich in den allermeisten Fällen zunächst einmal durch den Wunsch, ein Fernsehprogramm empfangen zu können. Dieser Wunsch ist von einer komplexen technischen und institutionellen Infrastruktur abhängig, die Sendung und Empfang eines Fernsehprogramms ermöglicht. Ein Fernsehgerät dient dem Empfang dieses Programms, wird diesem Wunsch also bereits qua definitionem gerecht. Um unter den zahlreichen Angeboten an verschiedenen Fernsehgeräten eine Präferenz zu bilden und auswählen zu können, bedurfte es daher zusätzlicher Kriterien: groß oder klein, teuer oder günstig, schlicht oder schick? Standgerät, Tischgerät oder Portable? Grundig oder Loewe? RCA oder Zenith? Sowohl in den USA als auch in der Bundesrepublik standen eine Reihe verschiedener Typen zum Kauf. Es gehört zu den bemerkenswerten Eigenschaften der Konsumenten in der Moderne, dass sie angesichts dieser Vielfalt an Angeboten noch Präferenzen bilden konnten, die sich in konkreten Kaufentscheidungen niederschlugen.33 Während die neoklassische Strömung der ökonomischen Theorie seit Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts die Frage der Entstehung von Präferenzen bewusst ausblendet, spielt sie in der wirtschaftssoziologischen Forschung eine
29 Aspers, Patrik (2010): Orderly Fashion. A sociology of markets. Princeton, NJ, S. 57. 30 Beckert, Ordnung, S. 61. 31 North, Structure, S. 35. 32 North, Structure, S. 39. 33 Holzer, Boris (2005): Private Choice and Public Influence. Political consumers behind the mirror of the market. In: Magnus Boström (Hg.): Political Consumerism. Its motivations, power, and conditions in the nordic countries and elsewhere. Kopenhagen, S. 183–202.
2.3 Wertproblem und Preisbestimmung
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zunehmend zentrale Rolle.34 Beckert definiert das Wertproblem als ein Problem der „Zuordnung unterschiedlicher Werte zu heterogenen Produkten innerhalb desselben Marktes“35. Objektive Qualitätsbeschreibungen, die durch technische Messverfahren ermöglicht werden, stellen nur eine von vielen Grundlagen der Wertdifferenzierung dar. Die meisten Produkte unterliegen einem komplexen und sozial interdependenten Prozess der Wertzuschreibung, bei dem das Produkt nicht für sich allein steht. Es kann nur innerhalb eines bestimmten Kontextes bewertet werden. Soziale Normen beispielsweise erklären die Entscheidung für eine bestimmte Kaffeesorte besser als ihre Bohnenqualität und ihr Geschmack.36 Kunst- und Weinmärkte sind von kontingenten und sozial konstruierten Kategorisierungen abhängig.37 Patrik Aspers hat am Beispiel der Textilindustrie gezeigt, dass für die Bewertung eines T-Shirts nicht so sehr das Design oder die Stoffqualität entscheidend sind als vielmehr die Reputation des Einzelhändlers, bei dem der Konsument das T-Shirt erwirbt.38 Selbst bekannte Markenhersteller müssen darauf achten, dass ihre teuer beworbenen Produkte nicht auf dem Grabbeltisch eines Discounters verramscht werden. Für die Konsumenten entsteht durch die Orientierung an der Reputation eines Einzelhändlers der Vorteil, dass sie nicht jedes einzelne Produkt bewerten müssen. Sie können bei dem Besuch eines Händlers darauf vertrauen, dass dieser zuverlässig eben jene Zielgruppe bedient und immer wieder neu rekrutiert, der diese Konsumenten sich selbst zuordnen. Es entsteht eine Ordnung des Marktes, indem eine stabile, auf Gegenseitigkeit beruhende Erwartungshaltung gebildet wird. Teilweise versetzt ihre zentrale Position die Händler in die Lage, gegenüber ihren Zulieferern weitreichende Zugeständnisse durchzusetzen und ihre Handelsmargen zu erhöhen. Dieser Gewinn muss zum Teil aber wiederum in die Sicherstellung ihrer Reputation – teilweise durch eigenständige Werbung, teilweise durch die Sicherstellung fachkundiger Beratung oder eine ansprechende Ladengestaltung – investiert werden.39
34 Backhouse, Stabilization. Klassisch der Aufsatz von Stigler und Becker: Stigler, George J.; Becker, Gary S. (1977): De Gustibus Non Est Disputandum. In: The American Economic Review 67 (2), S. 76–90. 35 Beckert, Ordnung, S. 53–54. 36 Beckert, Jens (2011): Where Do Prices Come From? Sociological approaches to price formation. Köln (MPIfG discussion paper), S. 18. 37 Beckert, Prices, S. 18. 38 Aspers, Fashion, S. 35–45. 39 Diese aktive Rolle des Einzelhandels ignoriert bspw. Holbrook, Morris B. (1992): Product Quality, Attributes, and Brand Name as Determinants of Price. The case of consumer electronics. In: Marketing Letters 3 (1), S. 71–83.
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2 Eine historische Theorie des Marktes
Im Markt für Fernsehgeräte stellte die Bewertung der Produkte ein vergleichbares Problem dar. Die Hersteller betrieben einerseits Werbung und versuchten, die Konsumenten durch die Bereitstellung von Informationen und Qualitätsbekundungen zu überzeugen. Sie waren aber auch auf die Dienste der Einzelhändler angewiesen. Viele Einzelhändler berieten die Kunden und „erklärten“ ihnen die Eigenschaften der Produkte. Sie luden die Produkte mit zusätzlicher Bedeutung auf. Wie die Produkte unterschieden sich die Einzelhändler untereinander. Nicht alle von ihnen boten den gleichen Service, was die Konsumenten wiederum mit einer Wahl konfrontierte. Durch die Entscheidung darüber, bestimmte Geräte überhaupt zu führen, hatten die Händler ihrerseits eine Vorentscheidung getroffen und die Wahlmöglichkeiten der Konsumenten begrenzt. Teilweise stützten um Objektivität bemühte Testergebnisse die Entscheidungen der Konsumenten. Nicht selten verbreiteten sich auch positive und negative Erfahrungswerte über die schwer kontrollierbaren und undurchsichtigen Kanäle sozialer Kommunikation. Der Bewertungsprozess vollzog sich im Markt für Fernsehgeräte in einer Mischung aus Geräteeigenschaften, Hersteller- und Händlerreputationen, sowie sozialer Kommunikationsprozesse. Die Arbeit wird zeigen, dass ihre jeweilige Bedeutung historisch stark schwankte.
2.4 Wettbewerb und Kooperation Das zweite von Beckert angeführte Koordinationsproblem bildet der Wettbewerb zwischen Akteuren auf Märkten. Aus Sicht der Anbieter ist dieser Wettbewerb, der im Einzelnen zahlreiche verschiedene Formen annehmen kann, ein Wettbewerb um die Gunst eines Abnehmers. Aus Sicht der Wertschöpfungskette ist die Frage des Abnehmers besonders bei Markenprodukten komplizierter. Eine umfassende Definition des Wettbewerbs wäre ein den Rahmen der Arbeit sprengendes Unterfangen. Sie müsste teilweise gegensätzliche, sich widersprechende Positionen einbeziehen. Clarks kritischer Verweis auf den „perfekten Wettbewerb“ der neoklassischen Preistheorie bezieht sich auf eine idealtypische Vorstellung, bei der eine große Anzahl von Anbietern, die alle dasselbe homogene Gut anbieten, auf eine große Anzahl von Nachfragern trifft. Angebot und Nachfrage werden durch einen automatischen Preismechanismus in Ausgleich gebracht. Der Ökonom Leon Walras hat in diesem Zusammenhang das Bild eines unsichtbaren Auktionators ins Spiel gebracht, der wie bei einer Auktion so lange
2.4 Wettbewerb und Kooperation
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Angebote entgegen nimmt, bis sich ein Marktpreis gebildet hat.40 Die Anbieter können ihn nicht überschreiten, weil sie dann ihre Kundschaft verlören. Sie können ihn aber auch nicht weiter unterbieten, weil sie ihre eigenen Kosten dann nicht mehr decken könnten. Sie agieren daher als „price taker“, die mit einem vorgegeben Preis konfrontiert sind, den sie selbst nicht beeinflussen können. Alle Situationen, die von diesem Ideal abwichen, bildeten aus Sicht der Theorie eine Situation des unvollkommenen Wettbewerbs, die es in normativer Absicht zu ändern galt.41 Clarks eigener Definitionsvorschlag konzipierte den Wettbewerb dagegen bereits dann als funktionsfähig, wenn die Preisgestaltung der einzelnen Anbieter effektiv eingeschränkt war.42 Die Vorstellung eines „price takers“ war für Clark keine zuverlässige Orientierung für wettbewerbspolitische Maßnahmen. Gemeinsam war den beiden Ansätzen, dass sie die Definition des Wettbewerbs an spezifische preispolitische Verhaltensweisen der Unternehmen knüpften. Der Zusammenschluss zu einem Kartell, das intendiert versuchte Preise zu diktieren, war aus dieser Sicht gerade kein Nachweis eines Wettbewerbs. Eine gegensätzliche Sichtweise haben der Ökonom Michael H. Best und der Unternehmenshistoriker Jeffrey Fear vertreten. Best stellte fest, dass aus Sicht der neoklassischen Theorie alle Formen der unternehmerischen Kooperation dazu führten, den Ausstoß zu verringern, die Preise zu erhöhen und die Innovationskraft zu senken. „How, then“, fragte Best rhetorisch, „can the coexistence in Japan of imperfect competition and widespread cartels and quasi-cartels with a growing, innovating, and non-inflationary economy be explained?“43 In eine ähnliche Richtung argumentierend hat Jeffrey Fear in einer Ausführung zur Geschichte der Kartelle behauptet, Kartelle seien nicht das Gegenteil von Wettbewerb, sondern eine Variation davon. Er hat auch behauptet, dass die Übernahme der Ansicht Adam Smiths, Kartelle stellten eine Verschwörung gegen
40 Paul, Axel T. (2007): Der Tausch, die Zahlung und die Münze. Über einige Wegmarken und Schwierigkeiten beim Versuch, eine Geschichte des Geldes zu schreiben. In: Wolfgang Reinhard u. Justin Stagl (Hg.): Märkte und Menschen. Studien zur historischen Wirtschaftsanthropologie. Wien, S. 33–50. Hier S. 35; Zafirovski, Milan Z. (2000): An Alternative Sociological Perspective on Economic Value. Price formation as a social process. In: International Journal of Politics, Culture and Society 14 (2), S. 265–296. 41 Backhouse, Stabilization, S. 309. 42 Clark, Competition, S. 243. 43 Best, Michael H. (1990): The New Competition. Institutions of industrial restructuring. Cambridge, S. 17. Für die Sicht auf die deutschen Kartelle ähnlich argumentierend: Nocken, Ulrich (2008): German Cartels Through the Lens of Transaction Cost Theory. In: Wilfried Feldenkirchen, Susanne Hilger und Kornelia Rennert (Hg.): Geschichte – Unternehmen – Archive. Essen, S. 273–291.
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2 Eine historische Theorie des Marktes
die Gesellschaft dar, ein Produkt von Ideen und Ereignissen nach 1945 gewesen sei.44 Das ist zum einen eine sehr stark auf den kontinentaleuropäischen Bereich zugeschnittene Aussage. Zum anderen zeigt sie aber auch, dass sich prinzipiell nahezu jedes Verhalten eines Anbieters auf Märkten als Wettbewerbsverhalten auslegen lässt. Der Kontrast zwischen der neoklassischen Preistheorie und den Meinungen Fears und Bests zeigt, wie zentral die vorab gewählte theoretische Perspektive für die Analyse des Wettbewerbs ist. Die meisten Wirtschaftssoziologen sehen Wettbewerb weder als Ausdruck eines spezifischen unternehmerischen Verhaltens noch in einer spezifischen Struktur aus Anbietern und Nachfragern verankert. Für sie definiert sich Wettbewerb als ein allgemein konstitutives Merkmal von Märkten. Denn im Gegensatz zu Tausch und Handel erfordern Märkte als Institutionen transparente Preise und eine Vergleichbarkeit des Angebots. Daraus ergibt sich zwangsläufig die Möglichkeit der Auswahl zwischen verschiedenen Anbietern, die um die Gunst eines Abnehmers buhlen.45 Es entsteht aber auch ein schwer kontrollierbares Risiko, das die Anbieter durch eine mehr oder weniger gezielte Strukturierung des Markthandelns zu lösen versuchen. Beckert verdeutlicht dies am Idealtyp des „vollkommenen Wettbewerbs“. Er betrachtet diesen nicht als reales Phänomen, sondern als eine potentielle Gefahr, die Profite und damit auch das Überleben der einzelnen Anbieter gefährdet. Unter den Bedingungen des „vollkommenen Marktes“ würden Märkte aufhören zu existieren, weil kein Anbieter einen Anreiz hätte, für den Markt zu produzieren. Entsprechend verfolgen die Unternehmen eine Reihe von Strategien, dieses Risiko zu minimieren. Dazu zählen Kartelle ebenso wie Zollforderungen oder auch der Versuch, sich durch Produktdifferenzierung von Konkurrenten abzuheben.46 Fligstein geht noch einen Schritt weiter. Für ihn ist der Wettbewerb sogar das ausschlaggebende Kriterium für die Erklärung von Marktstrukturen überhaupt. Seiner Meinung nach sei die Ausbildung der sozialen Strukturen von Märkten das Ergebnis des Versuchs der Unternehmen, die Effekte des Wettbewerbs mit
44 Fear, Jeffrey (2008): Cartels. In: Geoffrey Jones und Jonathan Zeitlin (Hg.): The Oxford Handbook of Business History. Oxford, S. 268–292. Siehe auch: Benkler, Yochai (2010): Law, Policy, and Cooperation. In: Edward J. Balleisen und David A. Moss (Hg.): Government and Markets. Toward a new theory of regulation. New York, NY, S. 299–334. 45 Aspers, Evaluations, S. 19–20. Für eine allgemeinere soziologische Einordnung von Konkurrenz, siehe: Rosa, Hartmut (2006): Wettbewerb als Interaktionsmodus. Kulturelle und sozialstrukturelle Konsequenzen der Konkurrenzgesellschaft. In: Leviathan 34 (1), S. 82–104 und Werron, Tobias (2010): Direkte Konflikte, indirekte Konkurrenzen. Unterscheidung und Vergleich zweier Formen des Kampfes. In: Zeitschrift für Soziologie 39 (4), S. 302–318. 46 Beckert, Ordnung, S. 56.
2.4 Wettbewerb und Kooperation
23
anderen Firmen zu mindern.47 In diesem Kontext ist Fligsteins Begriff der „stabilen Welten“ zu sehen. Aus Sicht der Nachfrager stellen diese Versuche eine Herausforderung dar.48 Wo es sich bei den Abnehmern um Unternehmen handelt, können die höheren Abnahmepreise ihr wirtschaftliches Scheitern bedeuten, wenn es ihnen nicht gelingt, die Kosten durch höhere Verkaufspreise ihrerseits zu kompensieren. Das Risiko der Endverbraucher besteht dagegen zwar nicht im Scheitern, wohl aber in dem Verlust von Konsummöglichkeiten. Die Struktur der Märkte ermöglicht es den Nachfragern prinzipiell, Anbieter gegeneinander auszuspielen, garantiert aber keinen Erfolg.49 Die kapitalistische Marktwirtschaft ersetzt die Preiskontrollen nicht-marktwirtschaftlicher Systeme, wie Michael Prinz schreibt, durch „das Preisbewusstsein der Konsumentinnen“.50 Aber auch das ist zunächst einmal die funktionalistische Interpretation eines Ideals. Preisvergleiche sind aufwendig und anstrengend. Sowenig das Modell des „vollkommenen Wettbewerbs“ aus Sicht der Anbieter zutrifft, so wenig trifft es notwendigerweise auch aus Sicht der Nachfrager zu. Entlang der Wertschöpfungskette für Fernsehgeräte kam es folglich zu einer Reihe unterschiedlichster Koordinationsprobleme und Lösungsansätze. Ihre Geschichte ist der Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Sie beginnt mit dem Ort der Produktion, an dem der RCA Compton und die 7,5 Mio. anderen Fernsehgeräte des Jahres 1956 entstanden. Sie verfolgt anschließend den Weg der Geräte über den Groß- und Einzelhandel bis hin zum Verbraucher und zeichnet die historische Entwicklung der Akteure entlang der Wertschöpfungskette nach. Der zweite Teil betrachtet die Interaktionen der Akteure im Markt für Fernsehgeräte und beleuchtet den Tausch der Geräte, die Preisbildung und den Wettbewerb in ihrer gesellschaftlichen Abhängigkeit. Mit diesen Interaktionen schufen und veränderten die Akteure jene „stabilen Welten“, in die der Markt für Fernsehgeräte eingebettet war.
47 Filgstein, Markets as Politics, S. 657. 48 Ähnlich wie im Fall der vergleichenden Kapitalismusforschung ist die Seite des Konsums auch innerhalb der Wirtschaftssoziologie ein lange Zeit vernachlässigtes Feld. Die Aufarbeitung beginnt erst allmählich. Siehe: Rössel, Jörg (2010): Kapitalismus und Konsum. Determinanten und Relevanz des Konsumverhaltens in Max Webers Wirtschaftssoziologie. In: Andrea Maurer (Hg.): Wirtschaftssoziologie nach Max Weber. Gesellschaftstheoretische Perspektiven und Analysen der Wirtschaft. Wiesbaden, S. 142–167. 49 Holzer, Choice, S. 183–184. 50 Prinz, konsumgesellschaftliche Seite, S. 125.
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel Fernsehgeräte wie der RCA Compton lassen sich als technische Bildmedien verstehen, die „vorstrukturierte Angebote an ein Publikum“1 abgeben. Anders als das Kino sind die Geräte für den Empfang von Unterhaltungs- und Informationsangeboten in der eigenen Wohnung geeignet. Bevor marktgängige Fernsehgeräte produziert werden konnten, musste eine Reihe von technischen und institutionellen Voraussetzungen erfüllt sein. Die Übertragung bewegter Bilder setzte die Produktion entsprechender Programmangebote sowie den Aufbau und den Betrieb von Sendestationen und -anlagen voraus. Technisch waren die Entwicklung und die Produktion von Aufnahme-, Übertragungs- und Empfangsgeräten notwendig. Durch die Festlegung einer Zeilennorm und einer Taktfrequenz des Bildempfangs mussten die Geräte aufeinander abgestimmt werden. Betrachtet man allein Aspekte der technologischen Entwicklung, hat das Fernsehen eine Geschichte, die bis weit in das neunzehnte Jahrhundert zurückreicht. Die Entdeckung der Trägheit des Auges und erste Erprobungen elektrischer Übertragungstechniken fielen in diese Zeit. Giovanni Casellis Pantelegraph von 1855, Paul Nipkows Elektrisches Teleskop von 1884 und Ferdinand Brauns Kathodenstrahlröhre von 1897 bildeten erste Puzzleteile eines großen internationalen Erfindungsprozesses. Boris Lwowitsch Rosing, Charles Francis Jenkins, John Baird und Kenjiro Takayanagi sorgten für aufsehenerregende Vorführungen. In den 1920er Jahren legten Vladimir Zworykin und Philo Farnsworth die Grundlage der elektronischen Fernsehtechnik. Die von ihnen entwickelte Bildröhrentechnik ersetzte langfristig die mechanische Fernsehtechnik, die noch den ersten im Umlauf befindlichen Geräten zu Grunde lag. Kein Land kann für sich allein in Anspruch nehmen, das Fernsehen erfunden zu haben.2 Die Produktion der Fernsehgeräte benötigte eine Reihe verschiedener elektronischer und nicht-elektronischer Bauteile, die technisch teils hochkomplex
1 Hickethier, Geschichte, S. 8. 2 Zur frühen internationalen (Technik-)Geschichte des Fernsehens, siehe: Abramson, History 1880 to 1941 u. Abramson, History 1942 to 2000. Siehe auch: König, Wolfgang (2000): Geschichte der Konsumgesellschaft. Stuttgart, S. 374; Sobel, RCA, S. 122–125 Fickers, Politique, S. 66–67; Hickethier, Geschichte, S. 8–32. Zum technischen Verständnis der Bildübertragung und der Funktionsweise von Fernsehgeräten, siehe auch die knappen Ausführungen bei: Robertson, Angus (1979): Television Basics and Sound. In: Angus Robertson (Hg.): From Television to Home Computer. The future of consumer electronics. Poole, Dorset, S. 14–24 u. Robertson, Angus (1979): Television Receivers. In: Ebd., S. 106–118.
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
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waren. Zu den wichtigsten Bestandteilen der Fernsehgeräte gehörte die Fernsehbildröhre, die für Empfang, Verarbeitung und bildliche Darstellung der Signale verantwortlich war. Sie war das mit Abstand teuerste und technisch aufwendigste Element. Wichtig waren außerdem die Elektronenröhren, die im Laufe der 1960er durch Transistoren ersetzt wurden, ferner ein Chassis, auf dem Elektronenröhren, Lautsprecher und Bildröhre miteinander verdrahtet wurden und schließlich ein Gehäuse (cabinetry), das dem Fernsehgerät sein äußeres Erscheinungsbild gab. Die Fertigung der Fernsehgeräte im engeren Sinne war von Beginn an industrielle Massenfertigung, die aus der Montage der einzelnen Bauelemente bestand. In der Frühphase der 1940er und 1950er Jahre wurden die Geräte, die auf Förderbändern durch die Fabrikhallen liefen, noch per Hand zusammengeschraubt, verdrahtet und verlötet. Später wurden die Fertigungsprozesse zunehmend automatisiert, was durch den Einsatz der Transistoren erleichtert wurde.3 Forschung und Produktion folgten einer in der Elektroindustrie allgemein verbreiteten Arbeitsteilung. Auf der einen Seite standen forschungsstarke Unternehmen, auf der anderen Seite Unternehmen, die sich auf die Produktion der Endgeräte spezialisierten. Die forschenden Unternehmen entwickelten neue Technologien, patentierten sie und schlachteten sie anschließend über die Forderung von Lizenzgebühren aus.4 Teilweise beschränkten sich die Unternehmen, wie etwa die Hazeltine Corporation, allein auf die Vergabe solcher Lizenzen.5 Aufgrund der langen internationalen Vorgeschichte der Entwicklung des Fernsehens spannte sich frühzeitig ein unübersichtliches Netz aus gegenseitigen Lizenzverpflichtungen für die zahlreichen Patente über den Globus.
3 Porter, Cases, S. 452. Siehe auch: Skinner, Wickham; Rogers, David C. D.; Ackerman, Robert W. (1968): Manufacturing Policy in the Electronics Industry. A casebook of major production problems. Homewood, IL. 4 Graham, RCA, S. 10. 5 Curtis, Philip J. (1994): The Fall of the U.S. Consumer Electronics Industry. An American trade tragedy. Westport/London, S. 104.
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3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
Abbildung 1: Television Manufacturing (1940s-1950s), Radio Corporation of America, 1946, SARNOFF_TV_8TS30production, David Sarnoff Library digital archive, Hagley Museum & Library, Wilmington, DE 19807
In vielen Fällen verfolgten die Unternehmen der Fernsehgeräteindustrie ein doppeltes Geschäftsmodell. Die RCA, Sylvania oder Motorola investierten sowohl größere Summen in Forschung und Entwicklung als auch in die Produktion von Fernsehgeräten. Andere Unternehmen wie Zenith konzentrierten sich stärker auf die Weiterentwicklung der Geräte und größere Produktionsserien. Unternehmen wie Admiral setzten ihren Schwerpunkt dagegen allein auf die Montage und die äußere Gestaltung der Endgeräte. Die Transformatoren, Schaltungen und Fernsehbildröhren bezogen sie über andere Zulieferer. Teilweise wurden sogar fertig montierte Fernsehgeräte mit geringfügigen Änderungen versehen. Die Fertigungstiefe der einzelnen Unternehmen divergierte entsprechend stark. Allerdings wies mit Ausnahme der RCA kein Unternehmen der Fernsehgeräteindustrie eine starke rückwärtsgerichtete vertikale Integration auf.6
6 MIT Commission on Industrial Productivity (1989): The Decline of US Consumer Electronics Manufacturing. History, hypotheses, and remedies. In: MIT Commission on Industrial Producti-
3.1 Die Fernsehgeräteproduktion in den USA
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In den meisten Fällen vertrieben die Hersteller von Fernsehgeräten die Produkte unter ihrem eigenen Markennamen. Teilweise belieferten sie aber auch parallel andere Anbieter mit Fernsehgeräten und überließen ihnen sowohl die Markenführung als auch den Vertrieb.7 Einige wenige Hersteller, wie Warwick, konzentrierten sich sogar vollständig auf die Produktion solcher „Private Label“Produkte. Die Abnehmer der Produkte waren normalerweise größere Handelsketten. Die Geräte Warwicks verkaufte der Handelsriese Sears unter dem Namen Silvertone. Da sie so gut wie keine Marketingkosten von Seiten des Herstellers erforderten, konnten die Private Label-Geräte zu günstigen Konditionen an die Händler verkauft werden. Die Fernsehgeräteindustrie markiert den Ort der Produktion eines marktgängigen Gutes und den Ausgangspunkt der hier beleuchteten Wertschöpfungskette. In den USA und Westdeutschland zeigte sie bemerkenswerte Parallelen in ihren oligopolistischen Strukturen, dem phasenweisen Ablauf ihrer Konsolidierung und ihrem so langfristigen wie definitiven Niedergang. Sie zeigte aber auch zen trale Unterschiede in ihrer innerbetrieblichen Organisationsstruktur, den indus triellen Beziehungen und ihrer Positionierung innerhalb einer zunehmend global organisierten industriellen Welt. Das folgende Kapitel beschreibt die Entstehung des Fernsehens und die weitere Entwicklung der Industrie von der Massenproduktion bis zum Ende national definierter Produktionsstandorte, die in beiden Ländern mit dem Niedergang einst großer Unternehmen einherging.
3.1 Die Fernsehgeräteproduktion in den USA 3.1.1 Die Entstehung des Fernsehens in den Vereinigten Staaten In den USA trieb vor allem die RCA die Einführung des Fernsehens voran. Das Unternehmen war 1919 als direkter Nachfolger der American Marconi, einem Tochterunternehmen der Marconi Wireless Company of England, gegründet worden. Erster Präsident der RCA wurde Owen Young, der für General Electric (GE) arbeitete und in Deutschland vor allem für seine Rolle bei den Reparations-
vity (Hg.): Working Papers of the MIT Commission on Industrial Productivity. Vol I. Cambridge, MA, S. 12. Siehe auch Chandler, Inventing. 7 New Private Brand. In: Electrical Merchandising Week, 5. Dezember, 1960, S. 212; Is Private Label Born Out of Desperation? In: Electrical Merchandising Week, 12. Dezember, 1960, S. 3; Trends to Watch. In: Electrical Merchandising Week, 6. November, 1961, S. 36.
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3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
verhandlungen Ende der 1920er Jahre bekannt ist.8 Die RCA war zunächst nicht mehr als ein patent pool der großen Elektrounternehmen. Unter ihrem Dach wurden die für die Drahtlostechnik notwendigen Patente versammelt, die bisher in den Händen verschiedener Unternehmen gelegen hatten.9 Zum Gesicht der RCA wurde der 1891 geborene David Sarnoff, der bereits in jungen Jahren für Marconi gearbeitet hatte, innerhalb der RCA Karriere machte und schließlich 1930 ihr Präsident wurde.10 In den 1920er Jahren sah Sarnoff eine seiner wichtigsten Aufgaben darin, die Rundfunktechnologie der RCA in ein profitables Konsumgütergeschäft zu überführen. Radiogeräte waren ein vielversprechendes und für die konsumhistorische Entwicklung der Dekade zentrales Produkt.11 Die RCA hielt die für die Radioproduktion wesentlichen Patente, was ihr sowohl aus technischer wie aus eigentumsrechtlicher Sicht einen profitablen Wettbewerbsvorteil hätte sichern müssen. In eine dominante Marktstellung konnte das Radiokombinat diesen Vorteil aber nicht überführen. Anfang der 1920er Jahre gab es etwa 200 Radiohersteller und mehrere Tausend Produzenten von Bauteilen. Diese kauften die Markengeräte der RCA, nahmen sie auseinander und kopierten sie. Diese Patentverletzungen hatten ihre Ursache in der Weigerung der RCA, Lizenzen für ihre Röhrentechnologie zu vergeben. Die unabhängigen Radiohersteller hatten also entweder die Wahl, aus dem Radiogeschäft auszusteigen oder das Gesetz zu brechen. Da sie den Bruch des Gesetzes einem Ausstieg aus dem vielversprechenden Radiogeschäft vorzogen, blieb der Markanteil der RCA trotz ihrer eigentlich dominanten Stellung gering. Sarnoff reagierte auf diese Verletzung der Eigentumsrechte, indem er einzelne Unternehmen rechtlich verfolgte. Der Handel mit Rundfunkröhren sollte zudem stärker kontrolliert werden. Die Großhändler wurden von der RCA sorgfältiger ausgewählt. Solche Großhändler, die nur einzelne Röhren aber keine Radiogeräte der RCA orderten, wurden fallen gelassen. Neubestellungen mussten durch die Rücksendung defekter Röhren legitimiert werden.12 Der rechtlich und technologisch bedingte Wettbewerbsvorteil der RCA sollte durch diese Maßnahmen zu einer effektiven Eintrittsbarriere ausgebaut werden.
8 Bilby, General, S. 45–67 u. 96–100. Hughes, Brady A. (1969): Owen D. Young and American Foreign Policy, 1919 – 1929. Univ. of Wisconsin-Madison, Diss. 9 An der Gründung der RCA waren neben GE daher auch Westinghouse, AT&T und andere in der Drahtlostechnologie aktive Unternehmen wie etwa United Fruit beteiligt. Siehe Chandler, Inventing, S. 15; Sobel, RCA, S. 17–35 für eine konzise Beschreibung der Ereignisse. 10 Bilby, General, S. 23–110. 11 Scott, Peter; Walker, James T.: Bringing Entertainment into America’s Homes. Marketing radios in an era of rapid technological change. In: Business History Review (im Erscheinen). 12 Bilby, General, S. 59.
3.1 Die Fernsehgeräteproduktion in den USA
29
Die Antwort der außerhalb des Radiokombinats stehenden Unternehmen war die Gründung der Association of Independent Radio Manufacturers unter der Leitung von Eugene McDonald, dem Präsidenten des Unternehmens Zenith. Statt vor den rechtlich begründeten Anschuldigungen der RCA zu kapitulieren, begegnete die Konkurrenz dem Unternehmen auf ihrem eigens gewählten Feld. In gezielten Attacken in der Presse wurde die RCA ihrerseits beschuldigt, die Gesetze der USA zu brechen. Mit ihrer dominanten Stellung innerhalb der Radioindustrie und ihrer gleichzeitigen Weigerung, die Radiotechnologie zu lizenzieren verletze die RCA die Antitrust-Gesetze. Aufgrund des Drucks, der durch die Eröffnung eines Verfahrens durch die Federal Trade Commission noch erhöht wurde, änderte Sarnoff im Jahr 1923 die Lizenzierungspolitik der RCA. Gegen die Zahlung einer Lizenzgebühr war es den anderen Unternehmen nun erlaubt, die Radiotechnologie der RCA zu verwenden. Bereits Mitte der 1920er Jahre wurden über 90 Prozent der in den USA hergestellten Radiogeräte unter einer vom Radiokombinat erteilten Lizenz produziert. Ihre Politik der Marktabschottung hatte die RCA damit zwar verfehlt. Im Gegenzug konnte sie nun den positiven Nebeneffekt von zusätzlichen Lizenzeinnahmen in Millionenhöhe verbuchen.13 Nach der Durchsetzung des Radios in den 1920er Jahren schien Sarnoff die Einführung des Fernsehens der nächste logische Schritt zu sein. In den 1930er Jahren repräsentierte die RCA so etwas wie das innovative Gesicht der amerikanischen Fernsehgeräteindustrie.14 Die meisten der für die Einführung des Fernsehens notwendigen Patente wurden entweder innerhalb des Unternehmens entwickelt oder von ihm gekauft. Bei der Einführung des Fernsehens hatte Sarnoff aus den Erfahrungen der frühen 1920er Jahre gelernt. Die RCA versuchte gar nicht erst, die von ihr in den 1930er Jahren entwickelten Fernsehpatente für sich zu behalten. Sie lizenzierte sie frühzeitig, umfassend und auch international. Das deutsche Unternehmen Telefunken war einer der ersten Lizenznehmer im Ausland.15 Etwa 16 amerikanische Unternehmen experimentierten in den 1930er Jahren mit der Produktion von Fernsehgeräten. Etablierte Radio- und Elektrounternehmen wie Philco, GE und Westinghouse versuchten ebenso wie einige Newcomer in das vielversprechende Geschäft einzusteigen. Die Versuche waren noch nicht von durchschlagendem Erfolg gekrönt. Der zentrale Grund lag in dem Fehlen eines industrieweiten Übertragungsstandards. Sender und Empfänger mussten
13 Ebd., S. 58–67. 14 Sobel, RCA, S. 122; McCraw, Business, S. 117. 15 Bilby, General, S. 66 u. 126. Siehe auch die Darstellung aus der Sicht von Zenith bei: Curtis, Fall, S. 23–33.
30
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
aufeinander abgestimmt sein, um den Empfang eines Fernsehprogramms garantieren zu können. Wenn die Unternehmen Fernsehgeräte mit verschiedenen Standards produzierten, bedeutete dies zwangsläufig, dass die Geräte jeweils nur einen Teil des verfügbaren Programms empfangen konnten. Die Konsumenten mussten zudem das Risiko eingehen, ein Gerät zu erwerben, dessen Empfangsstandard obsolet wurde. Im Jahr 1934 wurde die Federal Communications Commission (FCC) ins Leben gerufen. Die staatliche Behörde hatte unter anderem die Aufgabe, über einen allgemein verbindlichen Empfangsstandard zu entscheiden.16 Die RCA hatte ihr technisches System auf Basis einer Übertragungsrate von 441 Zeilen pro Sekunde entwickelt. Ihr Ziel war es, mit Hilfe des Rückhalts der anderen Unternehmen die FCC auf diesen Fernsehgerätestandard festzulegen. Die Strategie schlug fehl, weil andere Hersteller nicht mitzogen. Sie befürchteten eine erneute Monopolstellung der RCA und verzögerten die Verhandlungen innerhalb der FCC. Der Hersteller Philco, der an der Entwicklung eines eigenen Empfängerstandards arbeitete, klagte die RCA sogar vor dem New Yorker Supreme Court an. Philco beschuldigte die RCA unfairer Wettbewerbspraktiken. Einige Mitarbeiter der RCA hätten versucht, Mitarbeiterinnen Philcos geheime Informationen zu entlocken, indem sie ihnen Alkohol verabreicht und sie in eine kompromittierende Lage gebracht hätten. Die Anklage wurde fallengelassen. Sie zeigte aber das wenig kooperative Verhältnis innerhalb der amerikanischen Rundfunkindustrie.17 Weil sich die FCC vor diesem Hintergrund nicht auf einen allgemeinen Fernsehstandard festlegte, blieb der Markt in den 1930er Jahren sowohl regional als auch mengenmäßig begrenzt. Schätzungen gehen von gerade einmal 10.000 für den Endverbrauch produzierten Geräten aus.18 Als die FCC schließlich im Mai 1941 auf Basis der Empfehlung eines unabhängigen Komitees, des National Television System Committee (NTSC), zu der Entscheidung kam, den Standard auf 525 Zeilen festzusetzen, traten die USA wenig später in den Zweiten Weltkrieg ein. Der Beginn größerer Produktionsserien wurde verschoben.19 Mit Ende des Krieges räumte die RCA der Einführung des Fernsehens die höchste Priorität
16 Sterling/Kittross, Stay Tuned, S. 207–208. 17 Bilby, General, S. 18 Sobel, RCA, S. 135. Der Ökonom Alfred R. Oxenfeldt geht von insgesamt etwa 20.000 produzierten Geräten aus – 10.000 für den häuslichen Gebrauch und die andere Hälfte für Test- und Demonstrationszwecke. Siehe: Oxenfeldt, Alfred R. (1964): Marketing Practices in the TV Set Industry. New York, NY, S. 10. 19 Oxenfeldt nennt den Beginn der Verkäufe in den späten 1930er Jahren „abortive“ – einen Fehlversuch. Oxenfeldt, Marketing, S. 9. Die Größe des Bildschirms variierte zwischen 5 und 12
3.1 Die Fernsehgeräteproduktion in den USA
31
ein.20 Andere Unternehmen der Rundfunkindustrie, wie Zenith und Admiral waren zunächst zurückhaltender. Sie brachten erst 1948 eigene Fernsehgeräte auf den Markt.21 Zu diesem Zeitpunkt begann die Serienproduktion größerer Stückzahlen von Fernsehgeräten.
3.1.2 Massenkonsum, shakeout und Größenwachstum 14000 12000 10000 8000 6000 4000
1986
1984
1982
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1956
1954
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1950
1948
0
1946
2000
Inländische Produktion (SW + Farbe) (in 1.000) Inländische Produktion (nur SW) (in 1.000) Grafik 1: Inländische Produktion von Fernsehgeräten in den USA, 1946–198622
Inches (ca. 12–30 cm), die Preise zwischen $ 150 und $ 1.000. Ebd., S. 11. Siehe auch Porter, Cases, S. 449–450. 20 Chandler, Inventing, S. 28. 21 Oxenfeldt, Alfred (1958): A Dynamic Element in Consumption. The TV industry. In: Lincoln H. Clark, Joan B. Carney und James Morgan (Hg.): Consumer Behavior. Research on consumer reactions. New York, NY, S. 420–442. Hier S. 437. 22 Statistiken zur Produktion von Fernsehgeräten in den USA sind unter gewissen Vorbehalten zu betrachten. Die verschiedenen zur Verfügung stehenden Quellen machen unterschiedliche Angaben. Die offizielle Statistik des U.S. Bureau of the Census ist in sich selbst teilweise widersprüchlich, weil sie insbesondere während der frühen 1970er Jahre nicht sauber zwischen inländischer Produktion und inländischem Konsum trennt. Seine Daten bezieht das Bureau zum Teil über Business Surveys, zum Teil über Angaben der Fachzeitschrift Merchandising Week. Für die vorliegende Grafik wurden für den Zeitraum 1946–1977 die Angaben Michael E. Porters verwendet. Porter fasste für seine Studie Quellen der Electronic Industries Association, des U.S. Bureau
32
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
In Grafik 1 ist die Entwicklung der innerhalb der Vereinigten Staaten produzierten Fernsehgeräte zwischen 1946 und 1986 dargestellt. Die Darstellung ist von dem inländischen Konsum von Fernsehgeräten (siehe Kapitel 5.1) zu unterscheiden, da ab den 1960er Jahren Importe aus dem Ausland eine wichtige Rolle spielten. An der Grafik ist zunächst eindeutig ein bis 1948 noch geringes Produktionsvolumen zu erkennen, das bis 1950 innerhalb kürzester Zeit auf fast acht Mio. produzierte Schwarz-Weiß-Geräte pro Jahr hochschnellte. Die gesamten 1950er Jahre hindurch stagnierte die Produktion zwischen etwa sechs und acht Mio. Geräten, bevor sich Anfang der 1960er Jahre das Farbfernsehen durchsetzen konnte. Im Laufe der 1960er und 1970er Jahre sank die Zahl der im Inland produzierten Schwarz-Weiß-Geräte und wurde Mitte der 1980er Jahre nach einem kurzfristigen und minimalen Anstieg komplett eingestellt. Die Produktion der Farbgeräte nahm dagegen in den 1960er Jahren an Fahrt auf. Sie überkompensierte die sinkende Produktion von Schwarz-Weiß-Geräten. Von zwei sehr heftigen Einbrüchen Ende der 1960er und insbesondere Mitte der 1970er Jahre abgesehen, sorgte das Farbfernsehen für ein insgesamt erhöhtes Produktionsvolumen im Inland. Zwischen 1964 und 1986 lag die Gesamtproduktion von Fernsehgeräten in den USA bei durchschnittlich etwas unter zehn Mio. Geräten pro Jahr. Die massive Ausweitung der Produktion Ende der 1940er Jahre hatte unmittelbare Auswirkungen auf den Fabrikabgabepreis der Geräte, also den Preis, den die Fabriken von ihren direkten Abnehmern forderten. Allein zwischen 1947 und 1950 fiel der durchschnittliche Fabrikabgabepreis eines Fernsehgerätes von 278 auf 190 US-Dollar.23 Dafür war zum einen die Rationalisierung der Produktion verantwortlich. Lern- und Skaleneffekte senkten die Kosten. Das bezog sich nicht nur auf die Produktion der Fernsehgeräte selbst, sondern auch auf die einzelnen Bauelemente, die zu weiten Teilen von der RCA produziert wurden.24 Der Preisverfall wurde aber auch durch eine Verschiebung des Angebots auf kleinere und
of the Census, der US International Trade Commission, der Merchandising Week, dem Bureau of Labor und dem TV Factbook zusammen, allerdings ohne diese Angaben näher aufzuschlüsseln. Siehe Porter, Cases, S. 507. Für den Zeitraum 1977–1986 wurden die offiziellen Angaben des U.S. Bureau of the Census verwendet. Zahlen zu Manufacturers Shipments, die zu dieser Zeit mit dem inländischen Konsum identisch sind, wurden mit den Angaben zu Exporten addiert. Die Importe wurden abgezogen. Zahlen für Manufacturers Shipments nach U.S. Bureau of the Census: Statistical Abstract of the United States (versch. Jg.). Zahlen für Exporte nach U.S. Bureau of the Census: U.S. Exports. Commodity by Country (versch. Jg.); Importe nach U.S. Bureau of the Census: U.S. Imports of Merchandise for Consumption (versch. Jg.). 23 Oxenfeldt, Element, S. 421. 24 Chandler, Inventing, S. 29.
3.1 Die Fernsehgeräteproduktion in den USA
33
300
250
250
200
200
150
150
100
100
50
50
0
0
1947 1950 1953 1956 1959 1962 1965 1968 1971 1974 1977
300
Durchschnittliche FabrikabgabePreise für Schwarz-Weiß-Geräte (laufende Preise)
1947 1950 1953 1956 1959 1962 1965 1968 1971 1974 1977
damit kostengünstigere Geräte bewirkt, die den Beginn eines Massenmarkts in den USA um 1948/49 herum markieren.25
Durchschnittliche FabrikabgabePreise für Schwarz-Weiß-Geräte (Preise von 1950)
Grafik 2: Entwicklung des Fabrikabgabe-Preisniveaus von S/W-Geräten, 1947–1977 (USA)26
25 In Television Admiral’s Hot. In: Fortune, Juni 1949, S. 89. 26 Der durchschnittliche Fabrikabgabepreis ergibt sich durch die Division des Produktionswertes aller Fernsehgeräte durch die Zahl der insgesamt produzierten Geräte. Quelle: Porter, Cases. Deflationierte Werte: eigene Berechnung auf Basis des CPI (Preis [Jahr] * (CPI 1950/CPI [Jahr])). CPI nach U.S. Department of Labor. Bureau of Labor Statistic. Online abrufbar unter: http://www.
34
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
Mit dem Beginn der Ausweitung der Produktion war zunächst auch eine deutliche Zunahme produzierender Firmen zu beobachten, wie Tabelle 1 zeigt. Auf die Zurückhaltung der ersten drei Jahre nach dem Krieg folgte ein regelrechter Gründerboom. Waren 1947 erst 31 Unternehmen mit der Produktion von Fernsehgeräten befasst, erreichte die Zahl mit 140 Unternehmen im Jahr 1950 bereits ihren Höhepunkt. Die im Vergleich zu den 1920er Jahren liberale Lizenzpolitik der RCA beförderte einen Gründungsboom auf legaler Grundlage. An der Entwicklung der industriellen Struktur änderte sie aber wenig. Noch stärker als dies in der Radioindustrie der Fall gewesen war kam es nach wenigen Jahren innerhalb kürzester Zeit zu einem drastischen shakeout. Zwischen 1950 und 1955 fiel die Zahl der Unternehmen von 140 auf etwa 50. Bereits Ende der 1950er Jahre listete die offizielle Statistik nur noch 17 Unternehmen der Fernsehgeräteindustrie. Andere Schätzungen, die in Tabelle 1 dem Zensus gegenübergestellt sind, kamen zu etwas anderen Ergebnissen. Das ist vermutlich auf die nicht immer eindeutige Zuordnung eines Unternehmens zurückzuführen. Bei manchen Unternehmen war der Anteil des Umsatzes mit Fernsehgeräten am Gesamtumsatz so gering, dass sie nicht als Teil der Fernsehgeräteindustrie gewertet wurden. Tabelle 1: Anzahl Fernsehgeräte produzierender Firmen in den USA, 1939–198027 LaFrance 1939
15
1946
28
Bureau of the Census
Studie Telefunken
Simons/ Klepper
1947
31
1948
76
1950
140
140
usinflationcalculator.com/inflation/consumer-price-index-and-annual-percent-changes-from1913-to-2008/(Zugriff am 10.8.2014). 27 LaFrance = LaFrance, United States, S. 148; Bureau of the Census = U.S. Bureau of the Census. Census of Manufactures (In Klammern mit 90 Prozent, ab 1967 mit 75 Prozent Spezialisierungsgrad); Studie Telefunken = Telefunken Fachbereich Marketing. Marketing in USA. Reisebericht Dr. v. Seydlitz, Band 2. Mai 1967, S. 16. In: Deutsches Technikmuseum Berlin / Bestand AEG–Telefunken, Signatur GS 2031; Simons/Klepper = Simons, Kenneth L.; Klepper, Steven (2000): Dominance by Birthright. Entry of prior producers and competitive ramifications in the U.S. television receiver industry. In: Strategic Management Journal 21 (10/11), S. 997–1016.
3.1 Die Fernsehgeräteproduktion in den USA
35
Tab. 1 (fortgesetzt) LaFrance
Bureau of the Census
Studie Telefunken
1951
92
1954 1955
59 (36) 51
1958 1960
Simons/ Klepper
72 17 (10)
27
36
1963
24 (7)
1967
36 (25)
1970
17
1971
15
1972
16
1973
14
1974
15
1975
12
1976
13
1977
12
1978
13
1979
14
1980
15
38
32
18 17 (13)
15
14
Ein Blick auf die Marktanteile der verschiedenen Unternehmen zeigt das Ergebnis des shakeouts. Während die RCA von Beginn an eine dominante Position im Markt für Fernsehgeräte einnahm, bildete sich im Verlauf der 1950er Jahre ein Oligopol aus neun Unternehmen, die den Markt fast vollständig unter sich aufteilten. Neben Zenith, das in den 1950er Jahren zum zweitgrößten Fernsehproduzenten aufstieg, zählten zu diesen Unternehmen Admiral, GE, Philco, Motorola und der Händler Sears. Mit etwas Abstand folgten die Hersteller Magnavox und Sylvania sowie das Unternehmen DuMont, das allerdings 1958 seine Produktionskapazitä-
36
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
ten verkaufte. Auffallend an dieser Gruppe ist, dass alle Unternehmen bereits im Radiozeitalter und vor dem Zweiten Weltkrieg gegründet worden waren.28 Tabelle 2: Marktanteile der Fernsehgerätehersteller in den USA (S/W-Geräte), 1948–1980 29 1948
1949
1958
1968
1972
1976
1980
RCA
42,6
19,7
17,8
17
10,6
14
14,8
Zenith
k.A.
k.A.
13,9
22
13,2
18
16
GE
1,9
7,5
13,9
11
9,3
11
10
Admiral
1,9
11
11,9
8
4,6
5,7
0,8
Philco
16,6
7,2
9,9
6
3,3
3
2
Motorola (ab 1974 Matsushita)
k.A.
k.A.
8,4
6,5
3,8
5
3,5
Sears
k.A.
k.A.
7,9
8,3
7,9
9
9
Sylvania
k.A.
k.A.
4
k.A.
k.A.
3
2
Magnavox (ab 1974 Philips)
k.A.
k.A.
4
4,5
k.A.
2
1,5
DuMont
2,6
5,2
-
Matsuhita (Panasonic)
k.A.
10,8
8
6,7
Sony
k.A.
5,1
4,1
4,2
16,7
31,4
19,9
31,5
Andere
34,4
49,4
8,4
Wie verschiedene Autoren argumentiert haben, fehlte es den Nachkriegsgründungen an dem technischen Wissen, das die anderen Unternehmen durch die Einbindung in die Forschungsentwicklungen während des Zweiten Weltkriegs generiert hatten.30 In mittelfristiger Perspektive stellte sich auch die enge Verbindung zum „militärisch-industriellen Komplex“ als überlebenswichtig heraus.31
28 The Big Getting Bigger? In: Electrical Merchandising, September 1957, S. 206. Die Gründungsdaten sind: RCA (1919), Zenith (1918), GE (1892), Sylvania (1931), Magnavox (1917), Philco (1892), Admiral (1934/1942). Für eine kurze Skizze der Geschichte der einzelnen Firmen, siehe: Porter, Cases, S. 454–457. Siehe auch: MIT Commission on Industrial Productivity, Decline, S. 13–14. 29 1949 nach Oxenfeldt, Marketing, S. 13. Andere Angaben nach LaFrance, United States, S. 154. 30 Chandler, Inventing, S. 27. Oxenfeldt, Marketing, S. 10–11; Oxenfeldt, Element, S. 435; Simons/Klepper, Dominance. 31 Zum „militärisch-industriellen Komplex“ und seiner Rolle für die Entwicklung der Drahtlostechnologie im frühen zwanzigsten Jahrhunderts, siehe: Sobel, RCA, S. 17–35.
3.1 Die Fernsehgeräteproduktion in den USA
37
Anfang der 1960er Jahre machten Militäraufträge ca. 40 Prozent der gesamten Produktion von Magnavox aus. Bei RCA waren es immerhin 30, bei Admiral 25 und bei Motorola 15 Prozent.32
3.1.3 Transistorisierung und die Einführung des Farbfernsehens Zwei technische Innovationen waren für die Entwicklung der Produktion in den 1950er und 1960er Jahren zentral: erstens der graduelle Übergang von den anfälligen Elektronenröhren auf deutlich kleinere Transistoren, zweitens die Durchsetzung des Farbfernsehens. Transistoren erfüllten die gleiche Funktion wie Elektronenröhren, nämlich Erzeugung, Gleichrichtung, Verstärkung oder Modulation elektrischer Signale. Sie waren aber deutlich schockresistenter, verbrauchten weniger Energie und konnten in großer Anzahl auf Leiterplatten installiert werden.33 Die Entwicklung von Transistoren war seit den 1940er Jahren von AT&Ts Bell Labs und später unter anderem von Texas Instruments, Motorola und Sony vorangetrieben worden.34 Seit den 1960er Jahren erhöhte der zunehmende Einbau von Transistoren die Zuverlässigkeit der Geräte.35 Langfristig ermöglichten die Transistorisierung und die Einführung von Leiterplatinen auch einen stärkeren Automatisierungsgrad einzelner Fertigungsschritte.36 Die meisten Fernsehgeräte in den 1970er Jahren waren bereits sogenannte Solid-State-Geräte, die mit Ausnahme der Bildröhre ohne Röhrentechnologie auskamen.37 Das Farbfernsehen war bereits ebenso wie das Schwarz-Weiß-Fernsehen noch vor dem Zweiten Weltkrieg erstmalig entwickelt und auch eingeführt worden, ohne zu einer nennenswerten Produktion geführt zu haben. Das Unternehmen Columbia Broadcasting System (CBS), das 1927 von einer Gruppe Investoren als radio network gegründet worden war, hatte in den frühen 1940er Jahren erste Tests im Farbfernsehbereich durchgeführt. Die CBS arbeitete mit einem
32 Zahlen nach Fachbereich Marketing/Wirtschaftspolitische Abteilung: Wirtschaftsnachrichten. 19. Dezember, 1963. In: DTMB/AEG, GS 1987. 33 McCraw, Business, S. 135; Fickers, Andreas (1998): Der „Transistor“ als technisches und kulturelles Phänomen. Die Transistorisierung der Radio- und Fernsehempfänger in der deutschen Rundfunkindustrie 1955 bis 1965. Bassum, S. 27. 34 Zur Entwicklung des Transistors siehe Braun, Ernest (1982): Revolution in Miniature. The history and impact of semiconductor electronics re-explored. Cambridge; Fickers, Transistor. 35 Porter, Cases, S. 452. 36 Porter, Cases, S. 452 u. 501. 37 Porter, Cases, S. 501–503.
38
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
mechanischen System, das eine rotierende Scheibe beinhaltete.38 Die RCA und das Unternehmen DuMont testeten ebenfalls Farbfernsehsysteme. Im Laufe der 1940er Jahre wandte sich CBS mehrmals an die FCC und forderte, das eigene Farbfernsehsystem als Standard zu etablieren. Die RCA, die dabei war ein rein elektronisches und kompatibles System zu entwickeln, widersprach. Nach Meinung der RCA sollte der Beginn der Farbgeräte erst in den frühen 1950er Jahren erfolgen. In der Öffentlichkeitsarbeit des Unternehmens kam das Wort „Farbe“ schlicht nicht vor.39 Intern hatte David Sarnoff die Radio Corporation längst auf das kommende Farbfernsehzeitalter hin ausgerichtet und später verwies das Unternehmen immer wieder auf die bereits 1930 geäußerte „Vision“ ihres Vorsitzenden.40 Die FCC kündigte Ende der 1940er Jahre an, eine Anhörung mit CBS und der RCA zu veranstalten.41 Dabei ging es um die Entscheidung, ob das mechanische System der CBS oder das elektronische System der RCA als Farbfernsehstandard adaptiert werden sollte. Im Oktober 1950 akzeptierte die FCC das System der CBS, das von der Bildqualität her als besser galt. Dafür war es aber nicht mit den mittlerweile millionenfach vertriebenen Schwarz-Weiß-Fernsehgeräten kompatibel. Das bedeutete, dass sich sowohl die Sendestationen als auch die Haushalte für das Farbfernsehen neu hätten ausstatten müssen.42 Die RCA zog gegen die Entscheidung vor den Supreme Court. Sie verzögerte dadurch die Kommerzialisierung des CBS-Systems um sieben Monate, erlitt aber letztlich eine Niederlage.43 Die CBS führte ihr System im Juni 1951 ein, wurde kurz danach aber durch einen
38 Chisholm, CBS, S. 52–54 u. 72–174. Verantwortlich bei CBS war dafür der Erfinder der 33 1/3 rpm Schallplatte Peter Carl Goldmark. 39 Chisholm, CBS, S. 343. 40 In einer von der RCA produzierten Geschichte heißt es: „In 1930, David Sarnoff, now Chairman of the Board of the RCA, predicted that color TV would follow radio and phonograph – and still to be developed black-and-white television – into the American home.“ RCA Color Television History (ca. 1962), S. I–2–3. In: Hagley Museum and Library / RCA Victor Camden/Frederick O. Barnum III collection (Accession 2069), Series II, Box 2, Folder 25. (Im Folgenden: HML/RCAVictor). 41 Porter, Cases, S. 453. Das 1949 Hearing war anders als die Anhörungen zuvor nicht einmal von der CBS direct angestoßen worden, sondern ging auf Forderungen des Kongresses, der die FCC überwachte, zurück. Siehe: Chisholm, CBS, S. 334–344. 42 Die Rundfunkhistoriker Christopher H. Sterling und John M. Kittross betrachteten die FCC– Entscheidung von 1950 als schwer verständlich. Siehe: Sterling/Kittross, Stay Tuned, S. 322–324. Empfehlenswert ist die technikhistorisch argumentierende Dissertation von Chisholm, die den „Schnitzer“ der FCC historisch plausibilisiert. Die aus heutiger Sicht selbstverständliche Forderung der „Kompatibilität“ stellte sich den Zeitgenossen in den 1940ern nicht in gleicher Weise. RCA forderte sie erst ab Ende der 1940er Jahre als Gegenmodell zum CBS–System aktiv ein. Siehe Chisholm, CBS, S. 323. 43 Chisholm, CBS, S. 404.
3.1 Die Fernsehgeräteproduktion in den USA
39
Produktionsstopp für Farbgeräte aufgehalten. Der Koreakrieg band die für die Herstellung von Farbgeräten notwendigen Ressourcen an Personal und Baumaterialien.44 Die RCA nutzte den Zeitgewinn, um die technische Entwicklung ihres alternativen Systems voranzutreiben.45 Zudem berief sie ein Fernseh-Expertengremium ein, das sich in Anlehnung an das Komitee 1940/41 ebenfalls National Television Standard Committee (NTSC) nannte. Das Komitee erklärte den von der RCA entwickelten Standard zur überlegenen Technik. Mit der Bitte um Genehmigung trat es an die FCC heran.46 Noch im Dezember 1953 genehmigte die staatliche Behörde den neuen NTSC-Standard gegen den Widerstand von DuMont und zwei kleineren Entwicklern. CBS hatte dagegen seinen Widerstand aufgegeben.47 In späteren historischen Darstellungen, die unternehmensintern von der RCA produziert wurden, kam der Vorstoß der CBS nicht mehr vor. Der Beginn des Farbfernsehens wurde auf das Jahr 1954 datiert.48 RCA zahlte für den Gewinn der Auseinandersetzungen einen hohen Preis. Die Entwicklung allein der Farbbildröhre hatte über zehn Mio. US-Dollar gekostet.49 Die Produktion der Farbgeräte war technisch aufwendig und teuer. Das galt auch für die Produktion farbiger Programme. Zudem hatten sich zahlreiche Haushalte gerade erst ein Schwarz-Weiß-Gerät angeschafft oder besaßen noch nicht einmal ein solches (siehe Kapitel 5.1). David Sarnoff und RCAs Chef-Entwickler Elmer Engstrom propagierten in zahlreichen Auftritten die Vorteile des Farbfernsehens, die Notwendigkeit der industriellen Partizipation und das Nebeneinander von
44 McCraw, Business, S. 130. Weil der Farbfernseh–Vorstoß der CBS bis dahin wenig erfolgreich war, insbesondere was die Rekrutierung von Werbeträgern betraf, vermutete Sarnoff einen von der CBS inszenierten Stopp. Statement by David Sarnoff before National Production Authority, Washington, D.C. February 8, 1952. In: Hagley Museum and Library / David Sarnoff Library collection (Accession 2464) (im Folgenden: HML/RCA–David Sarnoff), David Sarnoff Publicity, Box 19, Folder 3 und Statement by Frank Stanton, President of Columbia Broadcasting System in Reply to David Sarnoff. February 8, 1952. In: HML/RCA–David Sarnoff, David Sarnoff Publicity, Box 19, Folder 3. Einige Historiker sind dieser Einschätzung gefolgt. Zu dieser Diskussion, siehe: Chisholm, CBS, S. 426–427. 45 Eine gut verständliche Erklärung der technischen Zusammenhänge liefert Fickers, Politique, S. 49–64. 46 Compatible Color. In: Electrical Merchandising, Mai 1953, S. 184. 47 Chisholm, CBS, S. 439–440. Siehe auch: A Green Light for Color. In: Electrical Merchandising, September 1953, S. 252. 48 RCA Color Television History (ca. 1962), S. I–4. In: HML/RCA-Victor, Series II, Box 2, Folder 25. 49 Das entspricht in heutigen Werten fast $ 100 Mio. Für Quelle der Berechnung, siehe: Grafik 2.
40
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
Schwarz-Weiß- und Farbfernsehen.50 Farbe war in den Augen der RCA der „natürliche“ nächste Schritt in der Entwicklung der Unterhaltungselektronik. Er habe keinen Zweifel daran, führte Engstrom im Jahr 1954 aus, „that color television is potentially the most significant advance so far achieved in the entire history of communications“51. Die Anfangseuphorie verflog schnell. Außer einigen Kneipen, Hotels und technikaffinen Haushalten mit hohen Einkommen kaufte kaum jemand ein Farbgerät.52 Bereits Ende 1954 machten Gerüchte die Runde, dass die CBS die Ausstrahlung farbiger Programme wieder einstelle. Man wolle warten, bis das Publikum ein größeres Interesse am Farbfernsehen zeige. Die Meldung stellte sich als falsch heraus. Sie drückte aber das Dilemma bei der Einführung der komplexen Systeminnovation aus. „Color TV was the victim of the old chicken-egg game. It seemed the networks were reluctant to televise in color because of a paucity of color TV sets in American homes. Consumers were reluctant to buy color TV sets until more color programming was available.“53 Die einen setzten auf die Verbreitung der Farbgeräte.54 Die anderen setzten auf eine Ausweitung des Programms.55 Gegenseitige Schuldzuschreibungen prägten die Diskussion um die Einführung des Farbfernsehens.56 Die RCA verfügte Mitte der 1950er Jahre als einziges Unternehmen über größere Produktionskapazitäten. Die anderen Hersteller verhielten sich abwartend.57 Während die RCA 1956 zehn verschiedene Modelle anbot, hatten Admiral,
50 Siehe bspw. Color Television. A case history in industrial research by Elmer Engstrom. Presented at the Spring Meeting of the Industrial Research Institute. April 21–23, 1954. In: HML/ RCA – David Sarnoff, Sarnoff Library, Press Releases, Box 1, Folder 17; Television. Its Role in this Era by Elmer Engstrom. Presented at the Sixth Annual Business Conference at Rutgers University. June 3, 1954. In: HML/RCA – David Sarnoff, Sarnoff Library, Press Releases, Box 1, Folder 19. 51 „Color Television is Potentially Most Significant Advance in Communications History, Says Engstrom“. RCA News Information. June 3, 1954. In: HML/RCA – David Sarnoff, Press Releases, Box 1, Folder 18. 52 Color’s Big Year? In: Electrical Merchandising, Januar 1955, S. 364; He’s Selling Color TV Today. In: Electrical Merchandising, Mai 1955, S. 75. 53 Color Television Celebrates Its Thirtieth Anniversary. December 1983, S. 2. In: HML/RCA – David Sarnoff, RCA News, Box 9, Folder 15. 54 Color Television. A Round Table Discussion. Excerpts reprinted from Hotel Management Magazine. February 1955. In: HML/RCA-Victor, Series II, Box 2, Folder 23. 55 Statement Frank M. Folsom. In: RCA Victor Color TV Prices will not be reduced before next July, Folsom states. RCA News Information. September 14, 1956. In: HML/RCA-Victor, Series II, Box 2, Folder 23. 56 Weber, Ted: Who’s the Villain in Color TV? In: Electrical Merchandising, Februar 1955, S. 207. 57 Color. Not So Clear. In: Electrical Merchandising, Juni 1953, S. 180; Weber, Ted: Is Color TV Really Ready to Go? In: Electrical Merchandising, September 1955, S. 71.
3.1 Die Fernsehgeräteproduktion in den USA
41
Emerson-DuMont, Magnavox, Olympic und Packard Bell lediglich ein bis drei kleinere Geräte im Portfolio.58 Die Hersteller Motorola, Zenith, Westinghouse und GE, die ebenfalls nur kleinere Mengen produziert hatten, stiegen noch Mitte der 1950er Jahre aus dem Farbgerätegeschäft wieder aus.59 Ein Comic von 1956 porträtierte das Unternehmen als einen einsamen Protagonisten in dem noch ungewohnten Tümpel des Marktes für Farbgeräte. Fast sieben Mio. US-Dollar Verlust im Farbgeschäft musste die RCA in dem Jahr verkraften.60 Die RCA-Tochter NBC strahlte als einziger Sender ein regelmäßiges Farbprogramm aus. Bis Ende der 1950er Jahre beschränkte sich das Farbfernsehprogramm auf weniger als 20 Stunden pro Woche (siehe Tabelle 3). Noch 1959 sendeten von etwa 500 lokalen TV-Stationen nur 25 farbige Programme.61 Die RCA versuchte in einer Werbekampagne den schwierigen Spagat zwischen der Besonderheit des Farbfernsehens und seiner Alltagstauglichkeit zu meistern. Statt ihre Farbgeräte zum wichtigsten Gegenstand eines amerikanischen Haushalts zu stilisieren, wählte sie in einer Anzeigenreihe bewusst den Slogan „My Second Most Prized Possession“. In Portraits individueller Farbgerätebesitzer rangierte das Farbgerät hinter Nepalesischen Altargemälden und Erinnerungsstücken aus der Welt des Baseballs. Es sollte auf diese Weise im Alltagsleben der Menschen präsent sein ohne seine Exklusivität ganz zu verneinen. Aber auch hier griff die RCA der Realität vorweg. Noch ein Jahr zuvor hatte Ernest Dichter bemerkt, dass man „von einem gelungenen Durchbruch des Farbfernsehens in die Gruppe der Qualitaetskaeufer geschweige denn die der Massenkaeufer“ nicht sprechen könne.62 Daran änderte zunächst auch die Werbekampagne der RCA nur wenig.
58 RCA Contends the Water Is Fine but the Rest of the Industry Isn’t so Sure. In: Electrical Merchandising, August 1956, S. 137; Can RCA Force Color Evolution? Reprinted from Broadcasting, Februar 20, 1961. In: HML/RCA – David Sarnoff, DSRC Public Relations Collection – Technology Later, Box 9, Folder 17. 59 Color Spurred by Zenith Support. In: Broadcasting, Februar 27, 1961, S. 23–25. In: HML/RCA– David Sarnoff, DSRC Public Relations Collection – Technology Later, Box 9, Folder 17. 60 Color in the Red. In: Electrical Merchandising, Februar 1957, S. 238. 61 Porter, Cases, S. 454. 62 Die Studie war vom deutschen Hersteller Nordmende in Auftrag gegeben worden. Siehe: Nordmende in der gegenwaerten (sic!) Deutschen Fernsehentwicklung. Eine pilot – motivstudie. Mai 1958. In: Hagley Museum and Library / Ernest Dichter Papers (im Folgenden: HML/EDP), Box 45, Folder 1008D.
42
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
Abbildung 2: My Second Most Prized Possession, Radio Corporation of America, The Radio Corporation of America, 1959, RCAPrizedPossession_1959-03, David Sarnoff Library digital archive, Hagley Museum & Library, Wilmington, DE 19807
3.1 Die Fernsehgeräteproduktion in den USA
43
Die Facheinzelhändler, die für die Zurschaustellung der Geräte extrem wichtig waren, verhielten sich ebenfalls zurückhaltend. Sie investierten nur in Einzelfällen in die Anschaffung eines größeren Bestands an Farbgeräten, obwohl die RCA sie mit speziellen Kampagnen umwarb.63 Die geringen Sendezeiten der Farbprogramme, die sich zudem auf die Abendstunden konzentrierten, erschwerten die Präsentation. Ein Einzelhändler aus Norwood, Massachusetts, der im Jahr 1957 gerade einmal 19 Farbgeräte verkaufte, galt der Electrical Merchandising bereits als „Color TV Specialist“64. Tabelle 3: Sendezeiten Farbprogramm, 1954–196365 Stunden pro Jahr
Stunden pro Woche
1954
56 (NBC)
1,5
1955
215 (NBC)
4
1956
560
11
1957
700
13
1958
692
13
1959
735
14
1960
1.040
20
1961
1.650
32
1962
1.945
37
1963
2.200
42
Anfang der 1960er Jahre nahm der Absatz von Farbgeräten schließlich an Fahrt auf. 1961 hatten die für die Fernsehgeräteindustrie wichtigen Unternehmen GE, Sylvania und vor allem Zenith nach jahrelangem Zögern beschlossen, in die Pro-
63 RCA Color Television History (ca. 1962), S. II–3–4. In: HML/RCA-Victor, Series II, Box 2, Folder 25. 64 Color TV Specialist. In: Electrical Merchandising, Mai 1957, S. 52. Siehe auch: Color Jumps His TV Volume $ 200 a Set. In: Electrical Merchandising, Oktober 1956, S. 85; A Profitable Color TV Volume. In: Electrical Merchandising, Juni 1957, S. 63 und You’ve Got to Believe in Color before You Can Sell It. In: Electrical Merchandising, September 1958, S. 64; Farr, Mort: „What’s Wrong with Color TV?“. In: Electrical Merchandising, August 1959, S. 51. 65 Quelle: Rubin, Donald S.: Your Best Bet in Home Electronics. In: Electrical Merchandising Week, 21. September, 1964, S. 15.
44
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
duktion von Farbfernsehgeräten einzusteigen.66 Bill Boss, der bei RCA für die Einführung des Farbfernsehens zuständig war, äußerte sich über den Einstieg der erbitterten Konkurrenten bezeichnenderweise positiv: „They’ll be more helpful than harmful.“67 Zenith war bis dahin nach eigenen Angaben zurückhaltend gewesen, weil es die Geräte für technisch nicht ausgereift genug gehalten hatte.68 Die für den NTSC-Standard verantwortlichen Entwickler bei der RCA hatten sich die 1950er Jahre hindurch mit dem Problem von Ausfällen und dauernden Farbveränderungen auseinandersetzen müssen. Die meisten Techniker waren mit der Herstellung, Wartung und Reparatur der komplexen Farbgeräte überfordert.69 Etwa zwei Drittel aller produzierten Geräte wurden noch in der Fabrik zurückgewiesen.70 Die technischen Probleme hatten dem NTSC-Kürzel die Interpretation „Never Twice the Same Color“ eingebracht.71 „If you have a color set, you’ve almost got to have an engineer living in the house“72, soll sich der GE-Manager Ralph Cordiner geäußert haben. Wolfgang König sieht in der Beseitigung dieser „Kinderkrankheiten“73 deshalb auch eine wesentliche Voraussetzung für den Durchbruch des Farbfernsehens. Der Sender NBC, der bis 1961 als einziger Sender in den USA Farbprogramme sendete, weitete im Jahr 1960 seine Sendezeit massiv aus.74 Die amerikanischen Unternehmen waren immer häufiger bereit, sich die Mehrausgaben für Werbung im Farbprogramm zu leisten. Eine Studie der Schwerin Research Corporation, die von der RCA in Auftrag gegeben worden war, kam 1961 zu dem Ergebnis, dass deutlich mehr Zuschauer, die eine Werbung in Farbe sahen, das Produkt auch
66 Zenith’s Decision. In: Television Digest, 27. Februar, 1961, S. 1; Color Spurred by Zenith Support. In: Broadcasting, February 27, 1961, S. 23–25. In: HML/RCA–David Sarnoff, DSRC Public Relations Collection – Technology Later, Box 9, Folder 17. 67 RCA Dealers Tell How They Sell Television Sets. In: Electrical Merchandising Week, 11. September, 1961, S. 36–37. 68 Porter, Cases, S. 460–461. 69 More Training for Color TV. In: Electrical Merchandising, September 1954, S. 216; Trained Servicemen. In: Electrical Merchandising, September 1956, S. 90. 70 McCraw, Business, S. 131. 71 Fickers, Politique, S. 114–115. 72 Color Television Celebrates Its Thirtieth Anniversary. Dezember 1983, S. 2. In: HML/David Sarnoff, RCA News, Box 9, Folder 15. Der Satz findet sich in zahlreichen Darstellungen. Siehe: McCraw, Business, S. 131 und Chandler, Inventing, S. 31. 73 König, Konsumgesellschaft, S. 378. Siehe auch: McCraw, Business, S. 132. 74 Can RCA Force Color Evolution? In: Broadcasting, Februar 20, 1961 (Reprint). In: HML/RCA – David Sarnoff Library, DSRC Public Relations Collection – Technology Later, Box 9, Folder 17.
3.1 Die Fernsehgeräteproduktion in den USA
45
kaufen wollten.75 Besitzer von Farbgeräten galten mit ihren hohen Einkommen als „top-quality audience“76. Nach Aussage der Zeitschrift Sponsor stieg Eastman Kodak wegen der Farbe bei der Ed Sullivan Show aus, die von CBS ausgestrahlt wurde. Das Unternehmen finanzierte stattdessen „Walt Disney’s Wonderful World of Color“ auf NBC.77 Im Jahr 1961 begann der Sender ABC damit, auf Farbe umzustellen und strahlte seit 1962 auch ein regelmäßiges Farbprogramm aus. CBS begann damit erst im Herbst 1965.78 Nachdem der durchschnittliche Fabrikabgabepreis eines Farbempfängers bis Anfang der 1960er Jahre konstant gefallen war, stabilisierte er sich mit der Durchsetzung des Farbfernsehens. Das gilt, wie in Grafik 3 zu sehen, zu diesem Zeitpunkt auch für die deflationierten Preise. In laufenden Preisen blieb das Niveau die gesamten 1960er Jahre über dem Wert von 300 US-Dollar, in realen Preisen setzte sich der Preisverfall dagegen ab Mitte der 1960er Jahre fort. Die RCA, die nach jahrelangen Verlusten im Jahr 1960 erstmals Gewinne mit dem Farbfernsehen machte, profitierte in dreifacher Hinsicht vom Durchbruch des Farbfernsehens.79 Zum einen verfügte das Unternehmen wie zuvor bei Radios und Schwarz-Weiß-Geräten über eine Reihe von Patenten, für die ihre Konkurrenten Lizenzgebühren zahlten.80 Zweitens ließen sich auch die eigenen Farbgeräte problemlos verkaufen. Drittens gab es weder bei der Ausstattung der Fernsehstudios noch bei der Produktion von Farbbildröhren eine nennenswerte Konkurrenz.81 Zenith gelang erst im Laufe des Jahres 1964 die Ausstattung der Geräte mit eigenen Röhren.
75 Color TV – The Biggest News Is More Clients. In: Sponsor, März 13, 1961 (Reprint). In: HML/ RCA – David Sarnoff Library, DSRC Public Relations Collection – Technology Later, Box 9, Folder 17. 76 RCA Color Television History (ca. 1962), S. I–6. In: HML/RCA-Victor, Series II, Box 2, Folder 25. 77 Color TV – The Biggest News Is More Clients. In: Sponsor, März 13, 1961 (Reprint). In: HML/ RCA – David Sarnoff Library, DSRC Public Relations Collection – Technology Later, Box 9, Folder 17. 78 Gould, Jack: TV. Sarnoff Triumphant. In: New York Times, March 10, 1965. In: HML/RCA– David Sarnoff Library, David Sarnoff Publicity, Box 26, Folder 4; RCA Color Television History (ca. 1962), S. I–6. In: HML/RCA-Victor, Series II, Box 2, Folder 25. 79 Can RCA Force Color Evolution? In: Broadcasting, Februar 20, 1961 (Reprint). In: HML/RCA – David Sarnoff Library, DSRC Public Relations Collection – Technology Later, Box 9, Folder 17. 80 Chandler, Inventing, S. 19. 81 Sylvania hatte eine eigene Produktion von Farbbildröhren angekündigt aber noch nicht aufgenommen. Motorola entwickelte eine innovative rechteckige Farbbildröhre. Sie wurde von dem unabhängigen Bildröhrenhersteller National Video ab 1962 exklusiv für das Unternehmen aus Illinois produziert. Bis Ende 1964 hatte der Hersteller aber mit Problemen zu kämpfen. Siehe:
46
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
600
600
500
500
400
400
300
300
200
200
100
100
0
0
Durchschnittliche FabrikabgabePreise für Farb-Geräte (laufende Preise)
Durchschnittliche FabrikabgabePreise für Farb-Geräte (in Preisen von 1955)
Grafik 3: Entwicklung des Fabrikabgabe-Preisniveaus von Farbgeräten, 1955–1978 (USA)82
Mit der Durchsetzung des Farbfernsehens im Laufe der 1960er Jahre änderte die RCA ihre Strategie. Mitte der 1960er Jahre senkte die RCA den Preis für ihre Endgeräte massiv, hielt aber den Preis für die Farbbildröhren konstant hoch. Von der Maßnahme waren mittlerweile 24 Unternehmen betroffen, darunter GE, Motorola, Magnavox und Admiral.83 Im Juli 1965 konnte es sich die RCA aufgrund einer
Faltermayer, Edmund K.: The Coming Battle for the Color-TV Market. In: Fortune, Januar 1966, S. 144–147, 188–190, 195. Hier S. 190. 82 Quellen wie Grafik 2. 83 Porter, Cases, S. 468 u. 477.
3.1 Die Fernsehgeräteproduktion in den USA
47
Knappheit an Bildröhren sogar leisten, die Fernsehgerätehersteller mit eigenen Produktionskapazitäten gar nicht mehr zu beliefern.84 Ein Drittel der zwischen 1960 und 1965 von 35 Mio. auf über 100 Mio. US-Dollar gestiegenen Gewinne des Großunternehmens war allein auf das Farbgerätegeschäft zurückzuführen.85 Tabelle 4: Marktanteile der Fernsehgerätehersteller in den USA (Farbgeräte), 1960–198086 1960
1964
1968
1972
1976
1980
95
42
30
20,5
20
21
Zenith
14
20
19,1
23
20,5
GE
k.A.
5,3
5,3
5,5
7,5
Admiral
7
6,5
3,5
3,5
0,5
Philco
k.A.
4
2,7
1,5
1,2
Motorola (ab 1974 Matsushita)
8
7
7
5
5
Sears
9
6
8,5
9
7,5
Sylvania
4
k.A.
5
4,5
4
Magnavox (ab 1974 Philips)
4
9
8,9
6,5
7
Panasonic
-
-
k.A.
2,5
2
k.A.
3,3
7
6,5
RCA
Sony Sanyo
2
Hitachi
1,7
Sharp
1,5
Toshiba
1
MGA
1
Andere
5
12
12,2
16,2
12
10,1
Die Dominanz der RCA bei den Marktanteilen für Farbfernsehgeräte nahm bis Ende der 1960er Jahre ab. Von dieser starken Verschiebung abgesehen, blieben die Marktverhältnisse in den 1960er Jahren relativ stabil. Das ist an Tabelle 2
84 Faltermayer, Battle, S. 195. 85 Porter, Cases, S. 468 u. 477. 86 Quelle: LaFrance, United States, S. 155.
48
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
zu sehen. Neue Unternehmen, Außenseiter und kleinere Anbieter erreichten in dieser Zeit keine nennenswerten Marktanteile. Lediglich Zenith überflügelte die RCA im Schwarz-Weiß-Fernsehen. Ende der 1960er Jahre wurde die Hälfte sowohl von Schwarz-Weiß- als auch von Farbgeräten im amerikanischen Markt von nur drei Unternehmen produziert. Das waren Zenith, RCA und GE. Der langwierige Beginn des Farbfernsehens zeigte die zahlreichen Voraussetzungen für die erfolgreiche Einführung einer so komplexen Innovation wie dem Farbfernsehen. Selbst die in der Rundfunkbranche übermächtige RCA hatte, nachdem die CBS bereits gescheitert war, mit großen Problemen zu kämpfen. Den für größere Produktionsserien notwendigen Massenmarkt konnte sie nicht alleine bedienen, obwohl sie das technische Repertoire für die Fernsehstudios bereitstellen konnte und mit der NBC auch über einen eigenen Sender verfügte. Im Vergeich zur Einführung des Radios versuchte das Unternehmen aktiv, aus der Rolle des Monopolisten herauszukommen. „RCA’s eagerness to make its tubes available to competitors reflects its recognition of the power of numbers over the power of monopoly“87, kommentierte der amerikanische Ökonom Theodore Levitt das Vorgehen. Darin lässt sich sowohl ein unternehmensinterner Lernprozess sehen als auch eine für die Funktionsweise des Marktes für Fernsehgeräte grundsätzliche Erkenntnis. Es stellte sich ein Kooperationsproblem, das sich sowohl auf Ebene der Produzenten als auch entlang der Wertschöpfungskette zeigte. Denn so sehr die Unternehmen im Einzelnen versuchten einen technologischen Vorsprung gegenüber ihren Konkurrenten zu gewinnen, so sehr waren sie gleichzeitig darauf angewiesen, in eine gemeinsame Richtung zu gehen und die Unterstützung der Händler und Anbieter der Fernsehprogramme zu gewinnen. Die Grundlage eines vereinheitlichten und allgemein anerkannten Standards war dafür ebenso wichtig wie ein verbreiteter Glaube an die unmittelbare Durchsetzbarkeit der neuen Innovation, der auch die Konsumenten einschließen musste. Die RCA war daher sowohl auf die Hilfe des Staates als auch auf die der Konkurrenz angewiesen. Wie der Historiker Thomas McCraw zu Recht festgestellt hat, war das Fernsehen eine Systeminnovation. „It required a regular schedule of programming, mass sales of sets, industry-wide standards for broadcasting and equipment manufacture, and facilities for repairing and adjusting the many things that could go wrong with sets and with home TV reception.“88 Die RCA trug mit ihren
87 Levitt, Theodore (1967): Market Stretching. In: Lee Adler (Hg.), Plotting Marketing Strategy. A New Orientation, New York, NY, S. 109–137. Hier S. 118. 88 McCraw, Business, S. 116–117.
3.1 Die Fernsehgeräteproduktion in den USA
49
Investitionen das größte Risiko aber auch die größten Gewinnchancen, sobald sich das Farbfernsehen durchsetzte.
3.1.4 Industrieller Strukturwandel in den 1970er und 1980er Jahren In den 1970er und 1980er Jahren erlebte die Unterhaltungselektronikindustrie einen tiefgreifenden Strukturwandel. Er bestand in der Verschiebung von Produktionsstätten ins Ausland, dem Abbau der Beschäftigung und schließlich auch dem Niedergang der amerikanischen Unterhaltungselektronikindustrie insgesamt. Der Prozess der industriellen Verlagerung war kein qualitativ neues Phänomen. Er hatte bereits frühzeitig innerhalb der nationalen Grenzen eingesetzt. Die amerikanische Elektroindustrie hatte ihren Ursprung im Nordosten der USA. Die Errichtung neuer Produktionsstätten nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich bereits auf den mittleren und südlichen Teil der Vereinigten Staaten konzentriert. Magnavox errichtete eine Produktionsstätte für Fernsehgeräte in Greenville, Tennessee und baute im Gegenzug Arbeitsplätze in Fort Wayne, Indiana ab. GE verlagerte die Produktion von Transformatoren von Pittsfield, Massachusetts nach Rome, Georgia.89 Die RCA hatte in den 1930er Jahren die Radioproduktion von Camden, New Jersey zunächst nach Bloomington, Indiana verlagert. Die Entscheidung, dort auch die komplette Fernsehgeräteproduktion von Schwarz-Weißund Farbgeräten zu konzentrieren, trug zur Entwicklung Bloomingtons zu einem industriellen Zentrum Indianas bei.90 In den frühen 1960er Jahren errichtete die RCA eine weitere Fabrik in Memphis, Tennessee, um Fernsehgeräte zu fertigen. Ursprünglich hatten die Manager der RCA den Standort Memphis als neues Zentrum der amerikanischen Fernsehgeräteproduktion auserkoren. Sie planten bis zu 8.000 Arbeiter zu beschäftigen, entschieden sich im Laufe der 1960er Jahre aber um. Statt Memphis zu einem neuen Zentrum auszubauen, orientierte sich die RCA zunehmend an den Möglichkeiten global ausgerichteter Produktionsstrukturen. Nur fünf Jahre nach der Eröffnung der Fabrik im Jahr 1966 schloss das Unternehmen wieder seine Türen.91
89 Fones-Wolf, Elizabeth; Fones-Wolf, Ken (2012): Religion, Human Relations, and Union Avoidance in the 1950s. The electrical industry’s Southern strategy and its limits. In: Enterprise & Society 13 (1), S. 154–185. Hier S. 171–174. 90 Cowie, Jefferson R. (1999): Capital Moves. RCA’s seventy-year quest for cheap labor. Ithaca, NY, S. 59. 91 Ebd., S. 62–74.
50
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
Fast alle amerikanischen Unternehmen der Unterhaltungselektronikindus trie begannen in den 1960er und frühen 1970er Jahren damit, Produktionsstätten für Bildröhren, Bauteile und später auch komplette Sets in Billiglohnländern wie Taiwan oder Mexiko zu errichten. Mexiko hatte 1966 mit einem Programm zur Industrialisierung der Grenzregion begonnen, in dessen Folge die Maquiladora entstanden.92 US-amerikanische Unternehmen konnten Rohstoffe und Bauteile in ihre Fabriken transportieren, ohne auf Zollhindernisse an der mexikanischen Grenze zu stoßen. Die Bedingung dafür war der Re-Export der fertigen Produkte in die Vereinigten Staaten. Auf Seite der USA fielen lediglich Zölle für die im Ausland entstandene Wertschöpfung an (sogenannte tariff exemptions). In die offizielle Außenhandelsstatistik für Fernsehgeräte gingen die in den Maquiladora produzierten Geräte nicht ein. Sie waren in erster Linie sogenannte preassembled sets. Von den übrig gebliebenen Arbeitern in Bloomington wurden sie in wenigen automatisierten Fertigungsschritten in ein Fernsehgerät verwandelt.93 RCA beschäftigte im Bereich der Unterhaltungselektronik seit Ende der 1970er Jahre mehr Menschen in Ciudad Juárez, Mexiko als in den Vereinigten Staaten.94 In Taiwan war das Unternehmen in den 1960er Jahren mit der Produktion von Leiterplatten für Farbgeräte und kompletten Schwarz-Weiß-Geräten der größte Arbeitgeber.95 Philco hatte ebenfalls bereits 1967 eine Fabrik in Taiwan errichtet, von der aus Schwarz-Weiß-Geräte in die USA exportiert wurden.96 Admiral stieg mit der Einführung des Farbfernsehens zum größten Taiwanesischen Exporteur von Farbgeräten auf.97 Auch Zenith begann 1971 die Inbetriebnahme einer Fabrik für Schwarz-Weiß-Geräte mit über 1.200 Beschäftigten in Taiwan. Im selben Jahr errichtete das Unternehmen eine Fabrik für Farbgeräte in Mexiko, wo Ende der 1970er Jahre auch Warwick und Sylvania produzierten.98 Nach 1977 verlagerte
92 Der Begriff der „maquiladora“ entstammt dem Verb „maquilar“. Das Wort bezeichnet die Gebühr, die von einem Müller für das Mahlen von Getreide oder Mais erhoben wird. Siehe: ebd., S. 113. 93 Ebd., S. 113 u. S. 131–133. 94 Ebd., S. 10. 95 Porter, Cases, S. 499. 96 LaFrance, United States, S. 275. 97 Porter, Cases, S. 500. 98 Confidential Submission accompanying the Testimony of Joseph S. Wright (Zenith) before the US Tariff Commission. In: National Archives/Records of the United States International Trade Commission (USITC) (Record Group 81) (im Folgenden: NA/USITC), AA1921–66 Television Receiver Sets Japan, Box 38, Folder Television Receiver Sets – Japan. Business Confidentials. Siehe auch: Shutdowns, Layoffs & Transfer of Production. Anlage zu: Statement of the International Association of Machinists, International Brotherhood of Electrical Workers and International Union of Electrical, Radio and Machine Workers, AFL-CIO u. a. before the United States Tariff,
3.1 Die Fernsehgeräteproduktion in den USA
51
Zenith fast seine komplette Produktion in die Maquiladora des mexikanischen Grenzgebiets.99 Insgesamt lässt sich die gesamten 1970er Jahre hindurch eine Zunahme der auf ausländische Produktionsstätten gerichteten Investitionen von 5,5 auf 18,2 Mio. US-Dollar jährlich beobachten. 1980 floss jeder vierte US-Dollar, der investiert wurde, in ausländische Fabriken.100 Eine Folge der globalen Umstrukturierung der Produktion war, dass immer weniger Menschen in der amerikanischen Fernsehgeräteindustrie Beschäftigung fanden.101 Ende der 1960er Jahre hatte die Zahl der Beschäftigten in Folge der Durchsetzung des Farbfernsehens ihren Höhepunkt erreicht. Seitdem nahm sie stetig ab. RCA schloss neben der Produktionsstätte in Memphis eine weitere in Cincinnati, Ohio mit insgesamt über 2.500 Beschäftigten. Warwick Electronics entließ im Zuge der Verlagerung nach Mexiko über 2.500 Mitarbeiter in den Fabriken für Farbgeräte in Forrest City, Arkansas und Zion, Illinois. Sylvania strich im Zuge einer Verlagerung von Batavia, New York nach Hongkong und Mexiko 1.200 Stellen. GE, Emerson, Admiral, Zenith und nahezu alle anderen Hersteller entließen ebenfalls Mitarbeiter. Sie schlossen ihre Fabriken in den USA in Teilen oder vollständig.102 Wie in Grafik 4 zu sehen ist, sank allein in den zehn Jahren zwi-
January 26, 1971. In: NA/USITC, AA1921–66 Television Receiver Sets Japan, Box 37, Folder Television Receiver Sets – Japan. Non-Confidential Statements. 99 Koido, Akihiro (1991): The Color Television Industry. Japanese-U.S. competition and Mexico’s maquiladoras. In: Gabriel Székely (Hg.): Manufacturing across Borders and Oceans. Japan, the United States, and Mexico. La Jolla, CA, S. 51–75. 100 LaFrance, United States, S. 277–278. Eine andere Studie kam 1978 zu dem Ergebnis, dass durchschnittlich die Hälfte der Wertschöpfung von RCA, GE, GTE-Sylvania und Zenith durch ausländische Produktionsstätten generiert wurde. Porter, Cases, S. 502 unter Verweis auf Developing World Industry and Technology, Inc. (1978): Sources of Competitiveness in the Japanese Color Television and Video Tape Recorder Industry. Washington, D.C. 101 Dieser Befund ist eindeutig, auch wenn die Zuordnung eines Beschäftigten zur Industrie im engeren Sinne in den vorhandenen Statistiken nicht ganz klar ist. Bei einem Beschäftigten in einer Fabrik, in der Fernsehbildröhren hergestellt wurden oder Geräte zusammengeschraubt wurden, war die Zuordnung eindeutig. Bei dem Beschäftigten eines vertikal integrierten Herstellers von Platinen war sie es nicht. Das Offshoring bedeutete auch nicht zwangsläufig einen Netto-Arbeitsplatzverlust in der amerikanischen Wirtschaft. Auf diese Debatte, die bis heute geführt wird, kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Für eine abwägende Übersicht, die auch die Radio- und Fernsehgeräteindustrie (zwischen 1979 und 1999) einbezieht, siehe: Kletzer, Lori G. (2001): Job Loss from Imports. Measuring the costs. Washington, D.C.. Allgemein: Milberg, William S.; Winkler, Deborah (2013): Outsourcing Economics. Global value chains in capitalist development. Cambridge. 102 Siehe Shutdowns, Layoffs & Transfer of Production. Anlage zu: Statement of the International Association of Machinists, International Brotherhood of Electrical Workers and International Union of Electrical, Radio and Machine Workers, AFL-CIO and others before the United States
52
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
schen 1966 und 1976 die Zahl der Arbeiter von etwa 110.000 auf unter 60.000.103 Bis Anfang der 1980er Jahre verringerte sich die Zahl der Beschäftigten auf unter 40.000. 120.000
100.000
80.000
60.000
40.000
20.000
0
In der Fernsehgeräteindustrie beschäftigte Arbeiter (production workers) Grafik 4: Zahl der in der Fernsehgeräteindustrie beschäftigten Arbeiter, 1966–1992 (USA)104
Tariff, January 26, 1971. In: NA/USITC, AA1921–66 Television Receiver Sets Japan, Box 37, Folder Television Receiver Sets – Japan. Non-Confidential Statements. 103 Siehe auch: Office of Technology Assessment (1981): U.S. Industrial Competitiveness. A comparison of steel, electronics, and automobiles – Summary. Washington, D.C., S. 77. 104 Quelle: Cowie, Capital Moves, S. 130. Die von Cowie verwendeten absoluten Zahlen sind mit Vorsicht zu betrachten. Die Zuordnung der Beschäftigten war nicht eindeutig. In anderen Quellen sind daher teilweise stark abweichende Zahlen zu finden. Das U.S. Bureau of the Census: Industry Statistics gibt folgende Zahlen an: 1954 (57.289 insgesamt/42.603 in der Produktion), 1958 (26.492/20.732), 1963 (39.410/33.265), 1967 (60.100/50.700). Eine Studie von Hufbauer, Berliner und Elliott gibt folgende Zahlen für in der Produktion Beschäftigte an: 1976 (26.957), 1980 (21.679), 1983 (21.121). Siehe: Hufbauer, Gary Clyde; Berliner, Diane T.; Elliott, Kimberly Ann (1986): Trade Protection in the United States. 31 case studies. Washington, D.C., S. 222.
3.1 Die Fernsehgeräteproduktion in den USA
53
Bereits Mitte der 1960er Jahre war die Handelsbilanz für Schwarz-Weiß-Geräte ins Negative gekippt. Die Vereinigten Staaten importierten mehr Geräte als ihre Industrie exportierte.105 Das war einerseits eine Folge der Produktionsverlagerung der amerikanischen Unternehmen ins Ausland. Andererseits war es eine Folge des starken Wachstums japanischer Elektrounternehmen, die in den USA einen wichtigen Absatzmarkt erblickten.106 Bei Farbgeräten war die Handelsbilanz von Beginn an negativ. Die amerikanischen Exporte nahmen Ende der 1970er zwar zwischenzeitlich zu. Sie konnten aber nie an die Höhe der Importe heranreichen. Mit einigen Unterbrechungen schnellten sie zwischen 1970 und 1984 von unter 150 Mio. auf über 1 Mrd. US-Dollar hoch (siehe Grafik 5 und Grafik 6).107 Seitdem die Importe von Fernsehgeräten Mitte der 1960er Jahre einen nennenswerten Umfang erreichten, wurden mehr als die Hälfte der Importe unter amerikanischen Markennamen vertrieben.108 Dabei handelte es sich zum Teil um jene Geräte, die amerikanische Hersteller im Ausland selbst produzierten. Zum Teil handelte es sich aber auch um sogenannte Original Equipment ManufactureImporte (OEM) und um Private Labels. OEM-Importe bezeichneten Geräte, bei denen der amerikanische Fernsehgerätehersteller seinen Markennamen auf ein Produkt druckte, das von einem ausländischen Hersteller in seinem Auftrag produziert wurde. Bei Private Label-Importen handelte es sich dagegen um Geräte, bei denen eine Handelskette als Importeur und Namensgeber fungierte. Private Labels bildeten gerade in der frühen Phase der Internationalisierung einen Weg für japanische Hersteller. Sie konnten ihre Geräte in den USA über größere Handelsketten wie Sears oder Montgomery Ward vertreiben.
105 Department of Commerce (1975): The U.S. Consumer Electronics Industry. Washington, D.C., S. 3. 106 Für eine unternehmenshistorische Kontextualisierung des japanischen „Wirtschaftswunders“, siehe: Abe, Etsuo; Fitzgerald, Robert (1995): Japanese Economic Success. Timing, culture, and organisational capability. In: Business History 37 (2), S. 1–31. Siehe auch: Partner, Simon (1999): Assembled in Japan. Electrical goods and the making of the Japanese consumer. Berkeley, CA. 107 Millstein, James E. (1983): Decline in an Expanding Industry. Japanese competition in color television. In: John Zysman und Laura Tyson (Hg.): American Industry in International Competition. Government policies and corporate strategies. Ithaca, NY, S. 106–141. 108 Wooster, James H. (1986): Industrial Policy and International Competitiveness. A case study of US – Japanese competition in the television receiver manufacturing industry. Univ. of Massachusetts, Diss., S. 65; LaFrance, United States, S. 271.
54
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
1000 900 800 700 600 500 400 300 200 0
1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984
100
Exporte (SW) (in Mill. $)
Exporte (Farbe) (in Mill. $)
Grafik 5: Exporte der amerikanischen Fernsehgeräteindustrie, 1958–1984109 1000 900 800 700 600 500 400 300 200 0
1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984
100
Importe (SW) (in Mill. $)
Importe (Farbe) (in Mill. $)
Grafik 6: Importe im amerikanischen Markt für Fernsehgeräte, 1958–1984
109 Quelle für die Jahre 1958–1980: LaFrance, United States, S. 18–20. Für 1980–1984: U.S. Bureau of the Census: U.S. Exports. Commodity by Country (versch. Jg.) und U.S. Bureau of the Census: U.S. Imports of Merchandise for Consumption (versch. Jg.).
3.1 Die Fernsehgeräteproduktion in den USA
55
An der Entwicklung in Tabelle 5 lässt sich die zentrale Bedeutung der Importe im Bereich der Private Labels ablesen. Amerikanische Firmen hielten sich mit der Produktion von Handelsmarken in den 1960er Jahren zurück. In dieser Zeit entsprach der Absatz von Farbgeräten angesichts der Knappheit an Bildröhren und der großen Nachfrage einem Verkäufermarkt. Schwarz-Weiß-Geräte wurden innerhalb der Vereinigten Staaten zunehmend seltener produziert. Ausländische Hersteller versorgten amerikanische Handelsketten dagegen frühzeitig und unabhängig von diesen Faktoren mit Fernsehgeräten. Das war insbesondere für Hersteller bedeutsam, die anders als Sony und Matsushita (Panasonic) über keine eigenen Distributionsnetzwerke verfügten.110 Die Exporte der japanischen Hersteller waren tendenziell dann am größten, wenn die amerikanischen Hersteller wenig für die Händler in den USA produzierten. Tabelle 5: Private Label in den USA (in 1.000 Stück), 1966–1976111 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 S/W (US-Produkt)
610
380
300
200
400
540
460
370
240
140
S/W (importiert)
760
670
940
1.250 1.310 380
430
1.060 660
740
700
Farbe (US-Produkt)
390
350
370
370
540
500
780
850
1.020 660
360
Farbe (importiert)
190
260
410
510
380
10
250
250
310
650
170
390
Im Dezember 1970 erhielt die US International Tariff Commission (USITC) vom Treasury Department den Hinweis, dass Fernsehgeräte aus Japan zu Dumpingpreisen in die USA exportiert würden. Die USITC untersuchte als unabhängige Bundesbehörde außenhandelspolitische Streitfragen und sprach der Regierung Empfehlungen aus. Die Behörde leitete eine Untersuchung ein, in deren Zuge die
110 Matsushita verkaufte seine Produkte seit 1959 unter dem Namen Panasonic über eine eigene Verkaufsorganisation. Sony gründete 1960 eine U.S. Verkaufstochtergesellschaft. Siehe: Chandler, Inventing, S. 53–55. Zu Matsushita auch: Shimotani, Masahiro (1995): The Formation of Distribution Keiretsu. The case of Matsushita Electric. In: Business History 37 (2), S. 54–69. 111 Quelle: Porter, Cases, S. 480. Eine genaue Aufschlüsselung der Importe nach Geräten aus Fabriken in amerikanischem Besitz, OEM und Private Label ist leider nicht möglich
56
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
verschiedenen Parteien ihre Position verteidigen konnten.112 An dem Verfahren waren nicht nur japanische und US-amerikanische Hersteller beteiligt, sondern auch die Einzelhandelskette J.C. Penney. Eigenen Angaben zu Folge hatte Penney als Großimporteur von Handelsmarken aus Japan ein erhebliches Interesse an der Verhinderung von Zollbarrieren.113 Die Handelskette bestätigte das anhand von Tabelle 5 erkennbare Muster. Die amerikanischen Händler griffen auf Private Label Importe zurück, weil sich die amerikanischen Hersteller, so Penney, geweigert hätten, die gewünschten Modelle anzubieten. Der gesättigte Markt habe ein größeres Angebot an kleineren Farbgeräten notwendig gemacht, die nur von den japanischen Anbietern bezogen werden konnten. „Had domestic sources been available, it is probable that the U.S. retailers would not have purchased from abroad.“114 J.C. Penney berief sich auf eine Studie Robert R. Nathans, die für die Electronic Industry Association of Japan angefertigt worden war. Darin hieß es wörtlich, die Weigerung der Unternehmen RCA, Zenith, Sylvania und Magnavox, Fernsehgeräte für die Anbieter von Private Label Produkten herzustellen, habe die unabhängigen Großhändler gezwungen, sich an die japanischen Hersteller zu wenden. Nur auf diese Weise hätten sie sich eine verlässliche Quelle an Qualitätsprodukten im Segment der populären Bildschirmgrößen erschließen können. „Thus, restrictive policies of U.S. producers […] have contributed to the growth in imports from Japan.“115
112 Television Sets from Japan. Notice of Investigation and Hearing. In: NA/USITC, AA1921–66 Television Receiver Sets Japan, Box 37, Folder Television Receiver Sets – Japan. 113 Written Statement of the J.C. Penney Company, Inc. to the US Tariff Commission. Februar 10, 1971. In: NA/USITC, AA1921–66 Television Receiver Sets Japan, Box 37, Folder Television Receiver Sets – Japan. 114 Ebd., S. 24. 115 An Economic Analysis of the Role of Japanese Television Receivers in the United States Market. Submitted to the US Tariff Commission on behalf of the EIA of Japan by Robert R. Nathan. Januar 1971, S. 34. In: NA/USITC, AA1921–66 Television Receiver Sets Japan, Box 37, Folder Television Receiver Sets – Japan. Non-Confidential Statements. Siehe auch: Memorandum and Affidavit on behalf of W.T. Grant Company. Februar 10, 1971, S. 2. In: NA/USITC, AA1921–66 Television Receiver Sets Japan, Box 38, Folder Television Receiver Sets – Japan. Non–Confidential Statements. Magnavox bezeichnete die Interpretation Penney’s als „totally false“ und gab an, zwischen 1963 und 1965 Montgomery Ward mit Geräten beliefert zu haben bis der Händler eigene Produktionskapazitäten erwarb. Ein Vertrag mit J.C. Penney sei nicht zu Stande gekommen, weil sich Magnavox nicht in der Lage gesehen hätte, den Dumping-Preisen der japanischen Anbieter zu folgen. Siehe: R.H. Platt (President Magnavox) to the Commissioners of the US Tariff Commission. Re: Investigation No. AA 1921–66 Television Sets from Japan. Februar 24, 1971. In: NA/USITC, AA1921–66 Television Receiver Sets Japan, Box 37, Folder Television Receiver Sets – Japan. NonConfidential Statements. Siehe allgemein zur Rolle der Importeure: Keesing, Donald B. (1983):
3.1 Die Fernsehgeräteproduktion in den USA
57
Ungeachtet der aktiven Rolle, die amerikanischen Herstellern und Händlern bei der Entwicklung der Importe zukam, machten Vertreter der Unterhaltungselektronikindustrie einen von Japan geführten „Handelskrieg“ für den zunehmenden Verlust von Marktanteilen im eigenen Land verantwortlich. Es sei unbestreitbar, so Jack Avins, ein hoher Angestellter der RCA Mitte der 1980er Jahre, „that Japan has been engaging in economic warfare“116. Zenith strengte seit den frühen 1970er Jahren eine Reihe von Aufsehen erregenden Verfahren gegen die Japaner an.117 Unterstützt wurde das Unternehmen dabei von der Gewerkschaft International Brotherhood of Electrical Workers, die auf den Abbau der Stellen im Inland mit protektionistischen Kampagnen reagierte. Auch die Konsumenten gaben regelmäßig an, heimische Produkte gegenüber den Importen zu bevorzugen. Bei den amerikanischen Wählern war der Ruf nach protektionistischen Maßnahmen bereits in den 1960er Jahren auf offene Ohren gestoßen. Die Einschränkung der Importe, insbesondere im Textilbereich und aus Japan, war ein wichtiges Wahlkampfthema Nixons Ende der 1960er Jahre gewesen. Ins Amt berufen sah sich Nixon zwar mit gegensätzlichen Empfehlungen der eigenen Berater konfrontiert. Er hielt aber aus politischem Kalkül an dem Vorhaben einer handelspolitischen Wende zunächst fest.118 1971 hob Nixon die Gold-Konvertibilität des US-Dollars auf, was zu einer Verbilligung des US-Dollars gegenüber den meisten ausländischen Währungen führte. Dadurch erhöhte sich der Preis von Importen.119 Außerdem sah Nixons Plan einen zehnprozentigen Importzoll auf alle Waren vor. Der Zoll war die erste solche Maßnahme, die seit dem berüchtigten „Smoot-Hawley-Tariff Act“ von 1930
Linking up to Distant Markets. South to North exports of manufactured consumer goods. In: The American Economic Review 73 (2), S. 338–342. 116 Avins, Jack (1984): Economic Issues Confronting the U.S. Consumer Electronics Industry. An inquiry into their nature and resolution. In: IEEE Transactions on Consumer Electronics 30 (2), S. 99–107. Hier S. 104. 117 Entsprechende Darstellungen bei: Schwartzman, David (1993): The Japanese Television Cartel. A study based on Matsushita v. Zenith. Ann Arbor, MI; Curtis, Fall; Elzinga Kenneth G. (1999): Collusive Predation: Matsushita v. Zenith. In: John E. Kwoka (Hg.): The Antitrust Revolution. Economics, competition, and policy. New York, NY, S. 220–238; Schwartz, Warren F. (1978): Zenith Radio Corp. v. United States. Countervailing duties and the regulation of international trade. In: Supreme Court Review, S. 297–312; Yamamura, Kozo; Vandenberg, Jan (1986): Japan’s Rapid Growth Policy on Trial. The television case. In: Gary R. Saxonhouse (Hg.): Law and Trade Issues of the Japanese Economy. American and Japanese perspectives. Seattle, WA, S. 238–283. 118 Dryden, Steve (1995): Trade Warriors. USTR and the American crusade for free trade. New York, NY, S. 129–130. 119 Dryden, Warriors, S. 151.
58
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
ergriffen wurde.120 Als deutlich spürbare Verbrauchssteuer verteuerte Nixons Maßnahme den Importpreis eines japanischen 18-Zoll-Farbfernsehgerätes von 200 auf 236 US-Dollar.121 Trotzdem war die Zollerhöhung mit einer 85-prozentigen Zustimmung eine extrem populäre Maßnahme.122 Nixon begründete sie mit einer Korrektur der unfairen internationalen Wettbewerbsbedingungen, die durch die Unterbewertung der anderen Währungen entstanden seien.123 Im Jahr 1977 schränkte ein „Orderly Marketing Agreement“ die Exportmöglichkeiten japanischer Hersteller durch festgesetzte Importquoten massiv ein. Nachdem sich bereits ein Jahr später eine starke Verschiebung der Importe auf andere Herkunftsländer andeutete, wurde die Vereinbarung auch auf Südkorea und Taiwan ausgedehnt.124 Die Schwächung des US-Dollars Anfang der 1970er Jahre und die Orderly Marketing Agreements Ende der 1970er Jahre sind als ein wesentlicher Anreiz für die japanischen Unternehmen interpretiert worden, ihre Produktionsstätten in die USA zu verlagern.125 Während amerikanische Unternehmen ihre Fabriken in den USA schlossen, bauten japanische Unternehmen wie Sony, Matsushita und Sanyo eben dort neue Fabriken auf (siehe Tabelle 6). Gleichzeitig übernahmen ausländische Investoren amerikanische Unternehmen und deren bestehende Produktionsstrukturen.126 Matsushita beispielsweise
120 Irwin, Douglas A. (2013): The Nixon Shock after Forty Years. The import surcharge revisited. In: World Trade Review 12 (1), S. 29–56. Hier S. 29. 121 Porter, Cases, S. 510. 122 Ohlmacher, Scott W. (2009): The Dissolution of the Bretton Woods System. Evidence from the Nixon tapes, August–December 1971. University of Delaware, Honors Thesis, S. 23 (online abrufbar unter http://dspace.udel.edu:8080/dspace/bitstream/handle/19716/4275/Ohlmacher,%20Scott.pdf?sequence=1.). 123 Dryden, Warriors, S. 151. Siehe auch: Yoffie, David B. (1988): Protecting World Markets. In: Thomas K. McCraw (Hg.): America versus Japan. Boston, MA, S. 35–75. 124 Hufbauer/Berliner/Elliott, Trade, S. 218–219. Die Studie errechnete, dass die amerikanischen Konsumenten für jeden Job, der durch die Handelsbarriere gesichert worden sei, $ 420.000 hätten zahlen müssen (Ebd., S. 14). Das lag freilich in erster Linie daran, dass so wenige Stellen gesichert werden konnten. 125 Aaron, Carl (1999): The Political Economy of Japanese Foreign Direct Investment in the US and the UK. Multinationals, subnational regions and the investment location decision. Houndmills Basingstoke, S. 153–156; LaFrance, United States, S. 21; Crystal, Jonathan (2003): Unwanted Company. Foreign investment in American industries. Ithaca, NY, S. 36. 126 Kenney, Martin; Tanaka, Shoko (2003): Transferring the Learning Factory to America? The Japanese television assembly transplants. In: William N. Cooke (Hg.): Multinational Companies and Global Human Resource Strategies. Westport, CT, S. 123–142. Anders als im Fall der Automobilindustrie führten die Japaner im Fall der Unterhaltungselektronik bei der Übernahme nicht ihr eigenes Produktionsregime ein. Siehe ebd. und Kenney, Martin (1999): Transplantation? A comparison of Japanese television assembly plants in Japan and the United States. In: Jeffrey K. Liker
3.1 Die Fernsehgeräteproduktion in den USA
59
erwarb den Fernsehgerätebereich von Motorola im Jahr 1974. Sanyo kaufte zwei Jahre später Warwick, ein für Sears produzierendes Unternehmen. Die niederländische Philips erwarb über ihre amerikanische Tochter den Fernsehgerätebereich des Herstellers Magnavox im Jahr 1974 und den von Sylvania im Jahr 1980.127 Von den 15 Unternehmen, die im Jahr 1980 noch in den USA Fernsehgeräte herstellten, waren neun in ausländischem Besitz.128 Tabelle 6: Produktion von Farbgeräten durch japanische Unternehmen in den USA (in 1.000 Stück), 1973–1980129 1973
1974
1975
1976
1977
1978
1979
1980
130
250
275
370
400
450
475
800
300
400
460
600
700
720
300
600
680
950
Toshiba
60
175
500
Mitsubishi
60
120
120
Hitachi
20
120
Sharp
100
360
Sony Matsushita Sanyo
Total
130
250
575
770
1.160 1.770 2.270 3.570
(Hg.): Remade in America. Transplanting and transforming Japanese management systems. New York, NY, S. 256–293; Abō, Tetsuo (1988): A Report of On-the-Spot Observations of Sony’s Four Major Color TV Plants in the United States, Great Britain, West Germany and Japan. Their similarities and differences. In: Annals of the Institute of Social Science 29, S. 21–59. Hier S. 31; Odaka, Konosuke (2013): American Factory – Japanese Factory. In: Christopher Gerteis (Hg.): Critical Readings in the History of Industrialization in Modern Japan. Vol. I–III. Leiden, S. 1197–1222. 127 LaFrance, United States, S. 149; GTE Acquisition by N.A. Philips Generates Interesting Coincidences. In: Merchandising Week, November 1980, S. 4; Philips’ GTE Acquisition Gets Federal Scrutiny. In: Merchandising Week, November 1980, S. 65. 128 USITC (1981): Television Receiving Sets from Japan. Determination of the commission in investigation no. 751–TA–2 under the Tariff Act of 1930. Washington, D.C.; LaFrance, United States, S. 149. Siehe auch: Jenkins, Glenn P. (1988): Trade, Protectionism, and Industrial Adjustment. The consumer electronics industry in North America. Cambridge MA. 129 Porter, Cases, S. 511. Die Produktionsstandorte waren: 1972 – Sony (California), 1974 – Matsushita (Illinois), 1977 – Sanyo (Arkansas), 1978 – Toshiba (Tennessee), 1979 – Sharp (Tennessee), 1979 – Hitachi (California). Siehe: Wilkins, Mira (1990): Japanese Multinationals in the United States. Continuity and change, 1879–1990. In: Business History Review 64 (4), S. 585–629. Hier S. 612.
60
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
Die wenig effektiven Handelsbarrieren sind immer wieder als eine Ursache für den Niedergang der amerikanischen Unterhaltungselektronikindustrie angeführt worden.130 Anderen Beobachtern erschien die Lage der Fernsehgeräteindustrie dagegen als Paradebeispiel einer mangelnden Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Industrieunternehmen.131 Diese Debatte lässt sich an dieser Stelle nicht endgültig entscheiden. Sicherlich führten die Forderungen einzelner Unternehmen nach einem Zollschutz nicht zu den gewünschten Wettbewerbsbeschränkungen, auch wenn sie aus politischer Sicht erfolgreich waren. Aber obwohl die Entwicklung der Importe von Fernsehgeräten in den 1970er und 1980er Jahren dramatisch aussieht, ist sie sicherlich kaum für den schleichenden Niedergang der amerikanischen Industrie verantwortlich zu machen. Wie in Grafik 7 zu sehen ist, spielten insbesondere die Importe von Farbgeräten relativ zum Gesamtkonsum in den 1970er Jahren eine relativ kleine Rolle.
130 Szamosszegi, Andrew Z. (2000): Short-Circuited. Dumping and America’s consumer electronics industry. Washington, D.C. 131 Millstein, Decline; LaFrance, United States; Wooster, Industrial Policy.; Levy, Diffusion; MIT, Decline; Sanderson, Susan W. (1989): The Consumer Electronics Industry and the Future of American Manufacturing. How the U.S. lost the lead and why we must get back in the game. Washington, D.C.; Hart, Jeffrey A. (1991): The Consumer-Electronics Industry in the United States. Its decline and future revival. In: Business & the Contemporary World 3 (4), S. 46–54.
61
1000
500
500
0
0
Importe (SW) (in Mill. $)
Konsum (Farbe) (in Mill. $)
Konsum (SW) (in Mill. $)
Importe (Farbe) (in Mill. $)
1980
1000
1978
1500
1976
1500
1974
2000
1972
2000
1970
2500
1968
2500
1966
3000
1964
3000
1960
3500
1960 1962 1964 1966 1968 1970 1972 1974 1976 1978 1980
3500
1962
3.1 Die Fernsehgeräteproduktion in den USA
Grafik 7: Konsum Fernsehgeräte und Anteil Importe (S/W und Farbe), 1960–1980 (USA)132
Der eigentliche Grund des Niedergangs war wohl eher, dass die Entwicklung und Einführung eines eigenen Standards für die seit Ende der 1970er Jahre zunehmend wichtige Videorekordertechnologie scheiterte. An dem VHS-System der JVC, das sich letztlich aufgrund des strategischen Verhaltens des Mutterunternehmens Matsushita durchsetzte, waren die amerikanischen Unternehmen
132 Quellen: LaFrance, United States. Für Fernsehgerätekonsum (nur 1960–1965) Porter, Cases.
62
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
lediglich als Gebühren zahlende Lizenznehmer beteiligt.133 Das Großprojekt RCAs, die VideoDisc, deren Entwicklung sich über Jahrzehnte hingezogen und etwa 500 Mio. US-Dollar gekostet hatte, war ein Desaster. Sie musste 1984 eingestellt werden.134 1986 wurde der unterhaltungselektronische Bereich von RCA und NBC an die GE verkauft und nur zwei Jahre später von Jack Welch gegen das medizinische Diagnostikgeschäft des französischen Herstellers Thomson eingetauscht.135 Zu diesem Zeitpunkt hatten amerikanische Hersteller im Inland nicht einmal mehr acht Prozent des Gesamtkonsums an Unterhaltungselektronik produziert. Mit der Abgabe der Unterhaltungselektronik-Sparte von RCA an den französischen Thomson-Konzern halbierte sich dieser ohnehin schon geringe Anteil noch einmal.136 Die einst erfolgreiche amerikanische Unterhatungselektronikindustrie war nun Geschichte.
3.2 Die Fernsehgeräteproduktion in der BRD 3.2.1 Die Entstehung des Fernsehens in Deutschland Die Geschichte der Fernsehgeräteproduktion in Deutschland begann wie in den USA ebenfalls lange bevor die ersten Geräte in den Wohnzimmern standen und endete ähnlich schmerzvoll für die einheimische Industrie. Bereits 1928 konnten die Besucher der Berliner Funkausstellung erste Prototypen eines Fernsehgerätes bewundern. An die Nutzung als Unterhaltungsmedium hatten die Entwickler zunächst allerdings nicht gedacht. Der militärische Wert oder die Möglichkeit, die Kundschaft in Warenhäusern zu überwachen, standen im Vordergrund.137 Für die Entwicklung des Fernsehens war die deutsche Reichspost zuständig, die in
133 Cusumano, Michael A.; Mylonadis, Yiorgos; Rosenbloom, Richard S. (1992): Strategic Maneuvering and Mass-Market Dynamics. The triumph of VHS over Beta. In: Business History Review 66 (1), S. 51–94. Siehe allgemein zur Verbreitung von Videorekordern in den 1980er Jahren auch: Butsch, Richard (1990): Home Video and Corporate Plans. Capital’s limited power to manipulate leisure. In: Richard Butsch (Hg.): For Fun and Profit. The transformation of leisure into consumption. Philadelphia, PA, S. 215–235 und Klopfenstein, B. C. (1989): The Diffusion of the VCR in the United States. In: Mark R. Levy (Hg.): The VCR Age. Home video and mass communication. Newbury Park, CA, S. 21–39; Lardner, James (1987): Fast Forward. Hollywood, the Japanese, and the onslaught of the VCR. New York, NY. 134 McCraw, Business, S. 138; Graham, RCA. 135 Chandler, Inventing, S. 44–46. 136 MIT, Decline, S. 7. 137 König, Konsumgesellschaft, S. 374.
3.2 Die Fernsehgeräteproduktion in der BRD
63
enger Zusammenarbeit mit einer Reihe von privaten Firmen versuchte, das Fernsehgerät als neues Medium zu etablieren. Unter den Firmen befanden sich die etablierten Rundfunkfirmen Telefunken, Loewe und Lorenz sowie die Süddeutsche Telefon-Apparate-, Kabel- und Drahtwerke AG (TeKaDe) und die 1929 von verschiedenen Firmen gegründete Fernseh AG, die 1939 in den alleinigen Besitz von Bosch überging.138 Trotz des „Fernsehsenders Paul Nipkow“, der als erster Sender weltweit in den 1930er Jahren so etwas wie ein regelmäßiges Programm ausstrahlte, kam das Fernsehen vor dem Krieg nicht über ein „Stadium des permanenten Experiments“139 hinaus. Die Eröffnung des öffentlichen Fernsehens im Deutschen Reich 1935 und die Übertragung der Olympischen Spiele 1936 waren propagandistisch ein Erfolg, erreichten aber nur etwa 160.000 Zuschauer.140 Ende der 1930er Jahre waren die meisten Voraussetzungen für die Einführung des Fernsehens gegeben. Der Krieg setzte der Vision ein jähes Ende. Die Auslieferung der wenigen bis zum Kriegsausbruch hergestellten „Einheitsempfänger“ erfolgte vor allem an Lazarette.141 Nach dem Krieg war an eine ähnliche Verbreitung des Fernsehens wie in den USA nicht zu denken. Die Rundfunkindustrie in der Bundesrepublik hatte mit schwierigen Startbedingungen zu kämpfen. Sie musste Kriegszerstörungen und Demontagen ausgleichen, bevor sie überhaupt den großen Bedarf an Radiogeräten bedienen konnte, der sich nach Ende des Krieges ergab. Die meisten Unternehmen hatten ihre Standorte in Berlin oder Ostdeutschland gehabt, darunter Telefunken, Körting, Loewe, Mende und Blaupunkt. Viele von ihnen siedelten nun um, sodass die Zahl der Rundfunkunternehmen auf dem späteren Bundesgebiet von 28 in der Vorkriegszeit auf etwa 200 Hersteller hochschnellte.142 Erst am 29. Februar 1949 trat die Fachabteilung Funk unter dem Dach des Zentralver-
138 König, Volksempfänger, S. 100–110. Zur Geschichte von Bosch, siehe: Bähr, Johannes; Erker, Paul (2013): Bosch. Geschichte eines Weltunternehmens. München. 139 Lerg, Winfried B. (1967): Zur Entstehung des Fernsehens in Deutschland. In: Rundfunk und Fernsehen 15 (4), S. 349–375. Hier S. 363; zit. nach: Fickers, Politique, S. 65. Siehe auch: Elsner, Monika; Müller, Thomas; Spangenberg, Peter M. (1992): Zwischen utopischer Phantasie und Medienkonkurrenz. Zur Frühgeschichte des Deutschen Fernsehens (1926–1935). In: Knut Hickethier (Hg.): Fernsehen. Wahrnehmungswelt, Programminstitution und Marktkonkurrenz. Frankfurt am Main/Berlin, S. 131–143. 140 König, Konsumgesellschaft, S. 375, Siehe auch: Zeutschner, Heiko (1995): Die braune Mattscheibe. Fernsehen im Nationalsozialismus. Hamburg; Reiss, Erwin (1979): Wir senden Frohsinn. Fernsehen unterm Faschismus. Berlin; Winker, Klaus (1996): Fernsehen unterm Hakenkreuz. Organisation – Programm – Personal. Köln/Weimar/Wien. 141 König, Konsumgesellschaft, S. 375. 142 Körting ging nach Oberbayern, Graetz nach Westfalen und Mende nach Bremen, wo sich das Unternehmen in Nordmende umbenannte. Siehe: Steiner, Ortsempfänger, S. 271–275.
64
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
bands der Elektrotechnischen Industrie (ZVEI) zusammen. Sie vertrat die Interessen der Rundfunkindustrie und benannte sich später in die Fachabteilung Rundfunk und Fernsehen um.
3.2.2 Produktion und industrielle Struktur in den ersten Jahren Der Beginn des Marktes für Fernsehgeräte ist auf die Jahre 1953/54 zu datieren. Nachdem bereits in den frühen 1950er Jahren wenige Tausend Geräte produziert worden waren, stieg die Produktion ab 1954 rasch an. Bis 1960 erlebte sie einen ungehinderten Boom, bevor sie Anfang der 1960er Jahre kurz einbrach. Gegen Mitte der 1960er stieg die inländische Produktion von Fernsehgeräten wieder an. Mit der Einführung des Farbfernsehens Ende der 1960er Jahre erlebte die Produktion im Inland einen weiteren Boom, der insbesondere ab den frühen 1970er Jahren zum Tragen kam. Während die deutschen Fernsehgerätehersteller ihre Produktion von Farbgeräten im Laufe der 1970er Jahre ausweiteten, stellten sie die Produktion von Schwarz-Weiß-Geräten vollständig ein. 5000 4500 4000 3500 3000 2500 2000 1500 1000 500 0
Produktion (SW + Farbe) (in 1.000 Stück) Inländische Produktion (nur S/W) (in 1.000 Stück) Grafik 8: Inländische Produktion von Fernsehgeräten in der BRD, 1952–1989143
143 Quellen für die Jahre 1952–1955 und für das Jahr 1967: Notariats-Statistik des ZVEI (unter Rundfunk und Fernsehen in Zahlen. In: DTMB/AEG, GS 1142). Für alle anderen Jahre: Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland (versch. Jg.). Hinweis: in dem Jahr 1967 führt die Bundesstatistik S/W- und Farbgeräte nicht getrennt aus.
3.2 Die Fernsehgeräteproduktion in der BRD
65
Nach einem Einbruch Mitte der 1970er Jahre stabilisierte sich die inländische Produktion von Fernsehgeräten insgesamt bei etwa 4,5 Mio. Geräten pro Jahr und ging dann ab Mitte der 1980er Jahre zurück. Die Darstellung der inländischen Produktion ist auch im deutschen Fall nicht mit dem inländischen Konsum von Fernsehgeräten zu verwechseln. Importe spielten bei Schwarz-Weiß-Geräten in den 1970er Jahren eine zunehmend wichtige Rolle. Importe von Farbgeräten wurden in den 1980er Jahren bedeutsam. Bei der deutschen Fernsehgeräteindustrie ist außerdem zu betonen, dass sie anders als die amerikanischen Unternehmen bereits frühzeitig eine ausgesprochen hohe Exportorientierung zeigte. Der inländische Konsum an Fernsehgeräten in der BRD lag daher tendenziell niedriger als die Zahlen der inländischen Produktion. Frühzeitig dominierten vier Unternehmen den deutschen Markt für Fernsehgeräte: die Deutsche Philips, Grundig, Nordmende und Graetz. Dahinter folgten Loewe-Opta, Telefunken, Saba, Blaupunkt und eine Handvoll kleinerer Unternehmen wie Körting, Kuba/Imperial, Tonfunk, Wega, Metz, Braun, SchaubLorenz. Zu dieser Gruppe zählte auch Siemens, das nur im kleinen Stil Fernseher produzierte. Unternehmen wie Telefunken, Loewe und Deutsche Philips investierten sowohl größere Summen in Forschung und Entwicklung als auch in die Produktion von Fernsehgeräten für den Endverbraucher.144 Andere Unternehmen konzentrierten sich stärker auf inkrementelle Innovationen, also die Weiterentwicklung der Geräte. Das Unternehmen Saba beispielsweise bezog seine Fernsehbildröhren über andere Anbieter. Mit seinem „zeilenfreien Fernsehen“, das auf einer relativ simplen Veränderung der Geräte basierte, erreichte Saba trotzdem im Jahr 1961 ein Alleinstellungsmerkmal.145 Grundig, einer der größten Hersteller von Fernsehgeräten in Europa, bezog den Großteil seiner Fernsehbildröhren von Philips, die Elektronenröhren- und Halbleitertechnik von Siemens. Eine eigene Grundlagenforschung betrieb Grundig nicht.146 Dasselbe galt für Unternehmen wie Nordmende oder Braun. In den meisten Fällen vertrieben die Hersteller den Großteil der Produkte unter ihrem eigenen Markennamen. Der Fernsehgerätehersteller Körting lieferte dagegen exklusiv an den deutschen Versandhändler
144 Cawson, Brothers, S. 289. 145 Brunner-Schwer, Hermann; Zudeick, Peter (1990): Saba. Bilanz einer Aufgabe: vom Aufstieg und Niedergang eines Familienunternehmens. Moos, S. 251–254 146 Bössenecke, Hermann: GRUNDIG. Appell an die Moral. In: Die Zeit, 22. Februar, 1985; Interview Andreas Fickers mit Walter Klein (Grundig) und Karl Tetzner (Funkschau). In: Fickers, Transistor, S. 118–119 u. 130; Cawson, Brothers, S. 303.
66
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
Neckermann. Telefunken fertigte zumindest einen Teil der Geräte im Auftrag des Mutterkonzerns AEG, der die Geräte unter seinem eigenen Namen vertrieb. Fast alle Unternehmen der deutschen Fernsehgeräteindustrie waren vor dem Zweiten Weltkrieg gegründet worden und hatten sich als Hersteller von Radiogeräten etabliert. In den 1920er Jahren waren viele von ihnen Branchenneulinge gewesen. Anders als in der komplexeren Investitionsgüterindustrie war es in der Rundfunkindustrie eher möglich gewesen, gegenüber den großen Elektrounternehmen Telefunken, Siemens und AEG Marktanteile zu erobern.147 Bis 1950 sank die Zahl der 200 Rundfunkunternehmen in der Bundesrepublik rasch auf 60. Bis zum Beginn des Fernsehens 1953 fiel sie weiter auf 35 Unternehmen, von denen aber nicht alle Fernsehgeräte produzierten.148 Diese frühzeitige Konsolidierung unmittelbar vor der Durchsetzung des Fernsehens führte dazu, dass es keinen Gründungsboom und kein vergleichbares Scheitern von Unternehmen der Fernsehgeräteindustrie wie in den USA gegeben hat. Tabelle 7: Marktanteile der Fernsehgerätehersteller in BRD (in Klammern: Farbfernsehanteil), 1957–1980149 1957
1959
1961
1963
1965
1968
1972
1980
Deutsche Philips
12
21
15
13
11
13 (19) 9 (13) (15)
Grundig
18
11
17
16
15
15 (11) 12 (15) (20)
Nordmende
10
11
11
13
8
7 (8)
8 (13) (7)
Graetz (ab 1968 mit Schaub- 14 Lorenz)
12
10
8
8
7
k.A.
(6,5)
Loewe-Opta
7
6
6
6
4
8 (8)
k.A.
k.A.
Telefunken (ab 1965 mit AEG)
3
6
7
6
10
9 (16) 11 (15) (10)
147 Wittke, Volker (1995): Wie entstand industrielle Massenproduktion? Die diskontinuierliche Entwicklung der deutschen Elektroindustrie von den Anfängen der „großen Industrie“ bis zur Entfaltung des Fordismus (1880–1975). Berlin, S. 112. 148 Steiner, Ortsempfänger, S. 285–286. 149 Quellen für 1957 bis 1972, siehe: Teupe, Sebastian (2014): Kontrolldenken. Vertikale Preisbindung, Hersteller-Händler-Beziehungen und die Transformation des Wettbewerbs im Markt für Fernsehgeräte zwischen den 1950er und 80er Jahren. In: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 59 (1), S. 47–72. Hier S. 55. Für 1980: IV A 4 (Hass), Vermerk. Betr.: Marktverhältnisse bei ausgewählten Erzeugnissen der Unterhaltungselektronik. Bonn, den 5. Oktober, 1981. In: BArch B 102/232220.
67
3.2 Die Fernsehgeräteproduktion in der BRD
Tab. 7 (fortgesetzt) 1957
1959
1961
1963
1965
1968
1972
1980
Saba
7
6
5
4
12
7 (5)
10 (9) (8,5)
Blaupunkt
4
3
7
6
9
7 (10) 9 (12) (7)
Sonstige
25
24
22
28
23
27 (16) ?
Der durchschnittliche Fabrikabgabepreis eines Schwarz-Weiß-Fernsehgerätes, der sich aus der Relation zwischen Stückzahl und Produktionswert ergibt, lässt sich erst ab dem Jahr 1956 berechnen. Für den Zeitraum davor, in dem allerdings nur wenige Fernsehgeräte produziert worden sind, liegen nur Stückzahlen vor. Wie die in Grafik 9 dargestellte Berechnung zeigt, stieg der durchschnittliche Fabrikabgabepreis bis Anfang der 1960er Jahre zunächst tendenziell an. Diese Entwicklung ist auf den ersten Blick und im Vergleich zu der Entwicklung in den USA verblüffend, da gerade in den ersten Jahren der Industrie Lerneffekte und eine Rationalisierung der Produktion zu erwarten wären.
68
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
300
200
200
100
100
0
0 1980
300
1977
400
1974
400
1971
500
1968
500
1965
600
1962
600
1959
700
1956
700
Durchschnittlicher Fabrikabgabepreis eines SW-Geräts (in laufenden Preisen)
Durchschnittlicher Fabrikabgabepreis eines SWGerätes (in Preisen von 1960)
Grafik 9: Entwicklung des Fabrikabgabe-Preisniveaus von S/W-Fernsehgeräten, 1956–1980 (BRD)150
150 Eigene Berechnung (Produktionszahl / Produktionswert). Quellen: Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland (versch. Jg.) und NotariatsStatistik des ZVEI (1957–1974). In: DTMB/AEG, GS 1142. Hinweis: in dem Jahr 1967 führt die Bundesstatistik S/W- und Farbgeräte nicht getrennt aus. Für das Jahr sind differenzierte Statistiken nur durch die Notariatsstatistik zu erhalten. Die Produktionswerte für S/W- und Farbgeräte, die in der Notariatsstatistik nicht enthalten sind, wurden durch ein angenommenes Durchschnittspreisniveau von 463 D-Mark bei S/W-Geräten (Mittelwert zwischen 1966 und 1968) und von 1.500 D-Mark bei Farbgeräten (entspricht in etwa dem Preisniveau von 1968) geschätzt. Zusammen ergibt der Produktionswert so 11,35 Mill. D-Mark, was in etwa dem amtlich ausgewiesen Wert von insgesamt 11,33 Mill. D-Mark entspricht. Als Grundlage für die Deflationierung diente der Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamtes (auf Basis eines 4-Personen-Haushalts mittleren Einkommens). Quelle: Statistisches Bundesamt: Preise. Verbraucherpreisindizes für Deutschland. Lange Reihen ab 1948. Wiesbaden. Online abrufbar unter: https://www.destatis. de/DE/Publikationen/Thematisch/Preise/Verbraucherpreise/VerbraucherpreisindexLangeReihenPDF_5611103.pdf?__blob=publicationFile (Zugriff am 10.10.2014).
3.2 Die Fernsehgeräteproduktion in der BRD
69
Wie Tabelle 8 zeigt, lässt sich die Preisentwicklung auch nicht mit fehlenden Lerneffekten, sondern mit einer sehr schnellen Umstellung der Produktion von kleineren auf größere Gerätetypen begründen. Diese Umstellung war in den USA zunächst ausgeblieben. Die 36 cm-Tischgeräte, die in den ersten Jahren trotz ihrer bescheidenen Stückzahl den Markt dominierten, wurden bereits 1954/55 vollständig durch größere 43 cm-Geräte abgelöst. Ende der 1950er Jahre übernahmen 53cm-Geräte den größten Anteil und wurden ihrerseits in den Jahren 1960/61 flächendeckend durch die 59 cm-Geräte ersetzt. Würde man allein die Preisentwicklung der einzelnen Gerätetypen betrachten, ließe sich ein deutlicher Preisverfall feststellen. Im Einzelhandel beispielsweise sank der Preis eines 36 cm-Tischgeräts von über 1.000 D-Mark im Jahr 1953 auf etwa 800 D-Mark nur ein Jahr später.151 Der durchschnittliche Einzelhandelspreis der 43 cm-Gerätetypen fiel zwischen Herbst 1953 und Frühjahr 1955 in weniger als zwei Jahren von 1.150 auf 750 D-Mark.152 Für die Fabrikabgabepreise lässt sich die Entwicklung im Laufe der 1960er Jahre zeigen. Die 59 cm-Tischgeräte blieben bis Ende der 1960er Jahre die mit Abstand am häufigsten verkauften Gerätetypen. Der durch die Rationalisierung begründete Preisverfall schlug in dieser Zeit auch in den Durchschnittswerten der Produktion voll durch. Tabelle 8: Anteil verschiedener Bildschirmgrößen (Produktion von Tischgeräten) (in 1.000 Stück) 153 36 cm
43 cm
48 cm
53 cm
59 cm
1951
0,3
1952
2
1953
k.A.
k.A.
0
0
1954
16
60
13
0
1955
9
205
39
0
1956
–
359
73
0
1957
391
201
0
1958
491
656
0
0
151 Schildt, Beginn, S. 480. 152 Telefunken. Abt. Marktforschung: Fernsehgeräte: o/- Preisentwicklung der Tischgeräte. 25. Mai, 1955. In: DTMB/AEG, GS 4191. 153 Notariats-Statistik des ZVEI (1957–1974). In: DTMB/AEG, GS 1142.
70
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
Tab. 8 (fortgesetzt) 36 cm
43 cm
48 cm
53 cm
59 cm
1959
309
1.136
0
1960
138
1.168
419
1961
3
27
12
1.295
1962
37
–
1.260
1963
17
1.367
1964
29
1.766
1965
2.084
3.2.3 Transistorisierung und der Beginn des Farbfernsehens In der Bundesrepublik setzte die Transistorisierung der Fernsehgeräte im Laufe der 1960er Jahre ein. Der Einbau von Transistoren war bereits seit Ende der 1950er Jahre technisch möglich gewesen, aus Preisgründen aber nicht umgesetzt worden.154 Mitte der 1960er Jahre hatte zumindest eine Teiltransistorisierung einzelner Fernsehgeräte eingesetzt. Einzelne Bauteile, wie etwa die UHF- und VHF-Tuner waren transistorisiert. Eine Volltransistorisierung der Geräte war aber immer noch zu teuer.155 Die zweite und wichtigste Innovation der deutschen Fernsehgeräteindustrie in den 1960er Jahren war das Farbfernsehen. Dessen Beginn wurde am 25. August 1967 durch den berühmten Knopfdruck Willy Brandts offiziell eingeläutet.156 Die Einführung war seit den frühen 1960er Jahren durch Bundespost, Landesrundfunkanstalten und Teile der Industrie koordiniert und vorbereitet worden. Der WDR richtete ein Farbfernsehversuchsstudio ein, das sich in den folgenden Jahren zu einer wichtigen Anlaufstelle für technische Fragen im Bereich der Farbfernsehstudiotechnik entwickelte. 157 Die meisten Unternehmen der deutschen Fernsehgeräteindustrie beschäftigten sich zunächst kaum mit dem Farbfern-
154 Fickers, Transistor, S. 50. 155 Fickers, Transistor, S. 66–67. Für die Entwicklung der Transistoren in der DDR, siehe: Hein, Bernhard (2004): 1968 bis 1990. Die Zeit der Transistoren und Schaltkreise bis zum bitteren Ende. Dessau. 156 Hickethier, Geschichte, S. 213. 157 Fickers, Politique, S. 171–174.
3.2 Die Fernsehgeräteproduktion in der BRD
71
sehen. Als erstes Unternehmen forschte Telefunken seit Ende der 1950er Jahre intensiv zur technischen Umsetzung eines Farbfernsehsystems. Anfang der 1960er Jahre begann der bei Telefunken mit der Untersuchung der Farbfernsehtechnik beauftragte Ingenieur Walter Bruch die beiden bestehenden Farbfernsehsysteme, das amerikanische NTSC und das französische SECAM, miteinander zu kombinieren.158 Von Seiten Telefunkens war er lediglich damit beauftragt worden, die Farbempfangsgeräte zu optimieren. Der ihm zur Verfügung stehende Forscherstab war infolge einer Umstrukturierung bei Telefunken sogar verkleinert worden.159 Was Bruch aber letztlich am 31. Dezember 1962 erfolgreich beim deutschen Patentamt als sogenanntes PAL-System (PhaseAlternating-Line-System) anmeldete, betraf das gesamte System von der Farbsignalübertragung bis hin zur Decodierung im Empfänger. Vereinfacht ausgedrückt bestand der Vorteil des PAL-Systems darin, mit Hilfe einer elektronischen Schaltung im Empfänger eine Mittelung der Farbtonwerte zu erreichen und dadurch Farbtonverzerrungen zu verhindern.160 Die anderen Fernsehgerätehersteller waren zunächst skeptisch gegenüber dem PAL-System Telefunkens. Die Frage eines Farbfernsehstandards in Europa war Anfang der 1960er Jahre noch völlig ungeklärt. Von den Franzosen wurde das eigene SECAM-System bevorzugt, andere Länder sprachen sich für das amerikanische NTSC-System aus. Der Vorstandsvorsitzende Telefunkens, Felix Herriger, setzte sich persönlich bei Max Grundig, Martin Mende und Fritz Philips für die Übernahme des PAL-Standards ein.161 Am 12. November 1964 kam der Fachverband für Rundfunk und Fernsehen im ZVEI zu dem Entschluss, das PAL-System zu unterstützen. Den Ausschlag dafür gaben niedrig gesetzte Lizenzgebühren. Telefunken forderte gerade einmal 0,3 Prozent des Netto-Fabrikabgabepreises eines PAL-Fernsehempfängers.162 Auch von Seiten der Bundespost und den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erhielt das System die volle Rückendeckung. Am Ende scheiterte der Versuch, einen europaweiten Farbfernsehstandard einzuführen. Die skandinavischen Länder, Großbritannien, die Schweiz und Italien entschieden sich für PAL, die Ostblockländer für SECAM.163
158 Ebd., S. 125–130. 159 Ebd., S. 176–178. 160 Fickers sieht in der Leistung Bruchs keine bedeutsame Erfindung, sondern eher eine „intelligente Systemoptimierung“. Ausführlichere Erklärungen bei ebd., S. 131–140. 161 Ebd., S. 183. 162 Fickers, Politique, S. 182. 163 Fickers, Politique, S. 316–333. Siehe auch: Vogel, Andreas (2008): Europäische Fernsehnormen. Technische, ökonomische und politische Aspekte. In: Horst A. Wessel (Hg.): Strom ohne Grenzen. Berlin, S. 43–66.
72
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
Insofern geschah die Einführung des Farbfernsehens in der Bundesrepublik auf einer völlig anderen institutionellen Grundlage als in den USA. Der Staat trug nicht nur zu Teilen die technische Entwicklung mit. Die staatlichen Sendeanstalten koordinierten auch den Start und den weiteren Ausbau eines Farbprogramms. Bei der Entwicklung und Durchsetzung eines einheitlichen Farbfernsehstandards lassen sich dagegen Parallelen zwischen Telefunken und der RCA ziehen. Zwar waren die Entwicklungskosten des deutschen Unternehmens im Vergleich gering. Aber auch Telefunken musste sich durch intensives Lobbying aktiv um die Durchsetzung des eigenen PAL-Standards bemühen und die Indus trie zur Kooperation bewegen. Für Telefunken war das PAL-System ein Glücksfall. Die Lizenzgebühren hatten zwar niedrig angesetzt werden müssen. Der Vorsprung in der technischen Entwicklung sicherte dem Unternehmen aber zu Beginn hohe Marktanteile bei den Farbempfängern. Der Vorsprung bei der Farbtechnik brachte Telefunken zudem zusätzliche Einnahmen durch die Versorgung zahlreicher Unternehmen mit den komplizierten und teuren Farbbildröhren. Diese wurden ansonsten nur von einer Handvoll Unternehmen wie Philips, Valvo und Schaub-Lorenz produziert.164 Die deutsche Fernsehgeräteindustrie profitierte auch kollektiv von der Lizenzpolitik Telefunkens. Das Unternehmen erteilte Lizenzen für die Produktion von PAL-Empfängern nur solchen Unternehmen, die auch in einem Land mit PAL-System produzierten. Effektiv bedeutete diese Politik eine Handelsbarriere für ausländische Hersteller. Die wichtigsten Konkurrenten in den USA und Japan produzierten in Ländern, in denen der NTSC-Standard Gültigkeit hatte.165 Der Absatz der teuren Geräte in der Bundesrepublik verlief nach einem „ausgezeichneten Start“166 zunächst schleppend. Die Vertreter des Fachhandels kritisierten insbesondere ein ausbaufähiges Programmangebot.167 Relativ bald zeigte sich aber gerade in diesem Bereich die positive Wirkung der von den öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten geförderten und vorbereiteten Entwicklung. Bereits im Jahr 1969 sendeten ARD und ZDF über 27 Stunden Farbprogramm pro
164 Das Meisterwerk Farbbildröhre. Ein Besuch der Valvo-Bildröhrenfarbik Aachen. In: RadioFernseh-Händler, November/Dezember 1967, S. 433. 165 Cawson, Brothers, S. 224–225. 166 Lauterbach, Georg: Farbfernsehen. Ein gutes halbes Jahr jung. In: Radio-Fernseh-Händler, April 1968, S. 84. 167 Zu wenig Farbfernseh-Sendungen im Abendprogramm. In: Radio-Fernseh-Händler, November/Dezember 1967, S. 408; Traurige Bilanz. In: Radio-Fernseh-Händler, Juli 1968, S. 195; Was ist mit dem Farbprogramm? In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, November 1967, S. 343–344 und Der neuralgische Punkt beim Farbfernsehen. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, September 1968, S. 249.
3.2 Die Fernsehgeräteproduktion in der BRD
73
Woche, die Regionalsender weitere 31 Stunden. Im Jahr 1971 stiegen die Werte auf knapp 79 Stunden, bzw. 67 Stunden bei den Regionalsendern.168 Der durchschnittliche Gerätepreis für Farbgeräte war zunächst sehr hoch. Der Produktionswert pro Gerät schwankte bis Anfang der 1970er Jahre um 1.500 D-Mark und sank bis 1976 nur leicht auf etwas unter 1.400 D-Mark. Erst in den späten 1970er Jahren fiel das Preisniveau rapide von ca. 1.175 (1977) auf unter 950 D-Mark (1980). Angesichts des in den 1970er Jahren stark gestiegenen Preisniveaus bedeutete die Entwicklung der Preise für Farbgeräte real eine drastische Senkung.169 Für den Preisverfall in den 1970er Jahren spielte einerseits die zunehmende Orientierung der Konsumenten an kleineren Geräten eine Rolle, andererseits die zunehmende Rationalisierung der Produktion.170 Bei dem allgemeinen Anstieg der Lebenshaltungskosten, der Lohnkürzungen unmöglich machte, war die Steigerung der Produktivität insbesondere seit Mitte der 1960er Jahre ein zentrales Anliegen der Unternehmen. Die Quellen belegen eindeutig eine entsprechende Zielsetzung. Telefunken verwendete nach eigenen Angaben einen „Großteil der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel […] um die menschliche Arbeit durch Einsatz von technischen Apparaturen weitestgehend zu ersetzen“.171 Diese Bemühungen führten im Laufe der 1970er Jahre zu einem „skill-biased technical change“, der als eine der vielen Ursachen für die zunehmende Arbeitslosigkeit in dieser Zeit zu sehen ist. Die Wachstumsbranchen, zu denen die Elektroindustrie in den 1970er Jahren zweifellos noch zählte, konnten den Verlust an Arbeitsplätzen durch die schrumpfenden Eisen-, Stahl-, Textil- und Schiffbauindustrien nicht kompensieren.172
168 Rapide steigender Farbanteil am Fernsehprogramm. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Januar 1972, S. 26. 169 Wie Andre Steiner deutlich gemacht hat waren Rundfunk-, Fernseh- und Phonogeräte zusammen mit Foto- und Kinogeräten die einzigen Güter der deutschen Konsumgesellschaft, deren Preisniveau langfristig zwischen 1962 und 1998 sank. Steiner, André (2007): Die Veränderung der Verbraucherpreise und der private Verbrauch von Konsumgütern in der Bundesrepublik Deutschland 1948–98. In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (2), S. 89–115. Hier S. 111. 170 EACEM (European Association of Consumer Electronics Manufacturers): Position of European Colour TV Screen Industry in Relation to Japan [o.D.]. In: BArch B 102/232219. 171 Unternehmensinternen Berechnungen nach gelang es Telefunken, den „Brutto-Fertigungslohnempfänger-Bedarf für 1000 Farbfernsehgeräte pro Jahr“ von 10 im Jahr 1970 auf 7 im Jahr 1975 zu senken. Aktennotiz. Betr.: Verbesserung der Produktivität bei TFR. 25.6.1975. In: DTMB/ AEG, JB XA 898. 172 Steiner, André (2006): Bundesrepublik und DDR in der Doppelkrise europäischer Industriegesellschaften. Zum sozialökonomischen Wandel in den 1970er-Jahren. In: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe 3 (3), S. 342–359. Hier S. 351.
74
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
800
600
600
400
400
200
200
0
0 1984
800
1982
1000
1980
1000
1978
1200
1976
1200
1974
1400
1972
1400
1970
1600
1968
1600
Durchschnittlicher Fabrikabgabepreis eines FarbGeräts (in laufenden Preisen)
Durchschnittlicher Fabrikabgabepreis eines FarbGeräts (in Preisen von 1970)
Grafik 10: Entwicklung des Fabrikabgabe-Preisniveaus von Farbgeräten, 1968–1984 (BRD)173
Die Unterhaltungselektronikindustrie konzentrierte sich auch deshalb auf Farbfernsehgeräte, weil sie im Gegensatz zu anderen Produkten der Unterhaltungselektronik wie Radiogeräten und Schwarz-Weiß-Geräten in den 1970er Jahren als „wachstumsorientierte Gerätegruppe“ galten. Die Unternehmen gingen davon aus, dass die Produkte der Unterhaltungselektronik bald nach ihrer Einführung an Prestige verloren. Der Vorstand von Telefunken stellte 1975 fest, dass es nicht das Ziel des Unternehmens sein könne, über den Preiswettbewerb weitere Marktanteile in allen Bereichen zu erlangen. Stattdessen wollte Telefunken seine Akti-
173 Quellen: siehe Grafik 9. Entwicklung des Fabrikabgabe-Preisniveaus von S/W-Fernsehgeräten, 1956–1980 (BRD).
3.2 Die Fernsehgeräteproduktion in der BRD
75
vitäten auf die „beratungs- sowie service-intensiven Hauptumsatzträger Farbfernsehen und Hifi“ ausrichten.174 Das Problem an dieser Strategie war, dass die anderen Unternehmen der Unterhaltungselektronikindustrie ähnlich dachten. Alle Fernsehgeräteunternehmen weiteten in den 1970er Jahren ihre Produktionskapazitäten massiv aus. Bereits 1972 war bei Telefunken von eigentlich notwendigen „Preiserhöhungen von erheblichem Ausmaß“ die Rede. Hierfür sah man allerdings – „bedingt durch die angespannte Wettbewerbslage – z.Zt. keine Realisierungsmöglichkeiten“175.
3.2.4 Industrieller Strukturwandel in den 1970er und 1980er Jahren In den 1970er Jahren setzte ein tiefgreifender Strukturwandel ein, der die Rolle der deutschen Unterhaltungselektronik in der Weltwirtschaft neu ordnete. Der Export war für die deutsche Fernsehgeräteindustrie von Beginn an ein wichtiger Faktor für die Auslastung der Kapazitäten gewesen. Importe hatten dagegen zunächst keine oder eine nur untergeordnete Rolle gespielt. In der Bundesrepublik hatte man sich für die vom Ettlinger Kreis empfohlene 625-Zeilen-Norm bei der Bildübertragung entschieden, die mit Ausnahme Großbritanniens (405 Zeilen) und Frankreichs (819 Zeilen) den Standard in Europa bildete. Kilian Steiner sieht in der Wahl eines eigenen Zeilenstandards den Grund dafür, dass sich die deutsche Fernsehindustrie „unbehelligt von US-Importen“176 hat aufbauen können. Die Bedeutung der Importe änderte sich in den 1970er Jahren grundlegend. Bereits Anfang der 1970er Jahre wurde etwa ein Drittel, seit Ende der 1970er der Großteil des Konsums an Schwarz-Weiß-Geräten durch Importe gedeckt. Seit Anfang der 1980er gewann auch der Import von Farbgeräten zunehmend an Bedeutung. Eine Ursache für die Entwicklung ließe sich zunächst in den radikalen Umwälzungen der internationalen Geldordnung seit den 1970er Jahren vermuten. Der Zusammenbruch des Systems von Bretton Woods stärkte die Deutsche Mark, die in den 1950er und 1960er Jahren unterbewertet war. Die Exporte der deutschen Industrie wurden dadurch tendenziell erschwert. Die Handelsbilanz für Fernsehgeräte spiegelt diesen internationalen Wettbewerbsnachteil allerdings nicht wider.
174 Langfristige Konzeption TFR. Planung 1975–1980. Anlage zu: TFR an Groebe. Betr.: TFRKonzept. 28. Februar, 1975. In: DTMB/AEG, JB XA 898. 175 Geschäftsbereich R. Präambel. Hauptplan 1972, Mehrjahresplan 1973–77. In: DTMB/AEG, GS 1467. 176 Steiner, Ortsempfänger, S. 280.
1500
1500
1000
1000
500
500
0
0
1986
2000
1982
2000
1978
2500
1974
2500
1970
3000
1966
3000
1962
3500
1958
3500
Importe (SW) (in 1.000)
Importe (Farbe) (in 1.000)
Exporte (SW) (in 1.000)
Exporte (Farbe) (in 1.000)
1000
500
500
0
0
1986
1000
1982
1500
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2000
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2000
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2500
1962
2500
1958
1969 1971 1973 1975 1977 1979 1981 1983 1985 1987
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
1969 1971 1973 1975 1977 1979 1981 1983 1985 1987
76
Importe (SW) (in Mio. DM)
Importe (Farbe) (in Mio. DM)
Exporte (SW) (in Mio. DM)
Exporte (Farbe) (in Mio. DM)
Grafik 11: Die Handelsbilanz für Fernsehgeräte in der BRD (Farbe und S/W), 1958–1987177
177 Quelle: Statistisches Bundesamt: Der Aussenhandel der Bundesrepublik Deutschland, Teil 2. Waren nach Herstellungsländern und Verbrauchsländern (versch. Jg.). Ab 1962: Statistisches
3.2 Die Fernsehgeräteproduktion in der BRD
77
Die Importe stiegen zwar deutlich sichtbar an. Die gesamten 1970er Jahre hindurch exportierte die deutsche Fernsehgeräteindustrie aber mehr Farbgeräte als importiert wurden.178 Bei Schwarz-Weiß-Geräten war die Handelsbilanz dagegen bereits in den Jahren 1970/71 ins Negative gekippt, je nachdem ob man die Gerätestückzahl betrachtet oder die monetären Werte. In Grafik 11 ist beides aufgeführt, weil die Gegenüberstellung sehr deutlich die Konzentration der deutschen Fernsehgeräteindustrie auf größere und entsprechend teurere Schwarz-Weißund Farbgeräte zum Ausdruck bringt. Das Preisniveau der exportierten Geräte lag stets über dem der importierten Geräte, wo den kleineren Portables eine zen trale Rolle zukam. Bei Farbgeräten ist der Kontrast noch deutlicher zu sehen. Hier kippte die Handelsbilanz erst Ende der 1980er Jahre, nachdem die Exporte der deutschen Industrie seit den späten 1970er Jahren stagniert hatten. In den 1960er Jahren kam der Großteil der importierten Schwarz-Weiß-Geräte aus Ländern der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, vor allem aus Italien und den Niederlanden. In den frühen 1970er Jahren nahm die Zahl importierter Schwarz-Weiß-Geräte zu. Der Anteil der EWG-Länder an dieser Entwicklung war dagegen seit etwa 1972 rückläufig. Zunächst konnten japanische Unternehmen ihren Anteil an Exporten in die BRD ausdehnen. Zu einer bedeutenden Verlagerung von Produktionsstätten japanischer Unternehmen in die Bundesrepublik kam es nicht. Lediglich Sony übernahm 1975 die Wega-Radio GmbH und stellte die Produktionsstätte des Stuttgarter Unternehmens im Jahr 1980 auf Farbfernsehgeräte und Videorekorder um.179 Der Befund geringer Direktinvestitionen im Fernsehbereich gilt auch für Europa insgesamt. Bei Videorekordern waren entsprechende Auslandsinvestitionen dagegen ausgeprägter.180 Ab Mitte der 1970er Jahre kamen die Fernsehgeräteimporte vor allem aus Taiwan und Südkorea. Unter den sonstigen Ländern spielte Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre Portugal eine wichtige Rolle, Mitte der 1980er Jahre Ungarn und Rumänien und in den späten 1980er Jahren Hong Kong und die Sow-
Bundesamt: Fachserie G – Aussenhandel. Reihe 2. Spezialhandel nach Waren und Ländern (versch. Jg.). 178 Die Fernsehgeräteindustrie bildete hier keine Ausnahme. Lindlar und Holtfrerich sprechen aufgrund der Exportstärke der deutschen Industrie in den 1970er Jahren angesichts der D-MarkAufwertung von einem „competitiveness puzzle“. Siehe: Lindlar, Ludger; Holtfrerich, Carl-Ludwig (1997): Geography, Exchange Rates and Trade Structures. Germany’s export performance since the 1950s. In: European Review of Economic History 1 (2), S. 217–246. Hier S. 237. 179 Abō, Report; S. 45–47. 180 Der Produktionsanteil japanischer Unternehmen lag im Farbfernsehbereich im Jahr 1986 bei 13,6 Prozent, im Videorekorderbereich dagegen bei 38 Prozent. Siehe: Cawson, Brothers, S. 222.
78
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
500
0
0
Japan
Taiwan
EWG
Sonstige
Südkorea
1987
500
1984
1000
1981
1000
1978
1500
1975
1500
1972
2000
1969
2000
1987
2500
1984
2500
1981
3000
1978
3000
1975
3500
1972
3500
1969
4000
1966
4000
1966
jetunion. In den 1980er Jahren waren Schwarz-Weiß-Geräte in der Bundesrepublik aber insgesamt keine gefragten Güter mehr.
Japan
Singapur
Südkorea
EWG
Österreich
Sonstige
Grafik 12: Importe von S/W-Geräten (links) und Farbgeräten (rechts) nach Herkunftsländern, 1966–1987 (in 1.000 Stück) (BRD)181
Während die Importe von Schwarz-Weiß-Geräten abnahmen, nahmen die Importe von Farbgeräten in den 1970er Jahren zu. Ab Anfang der 1980er Jahre explodierte die Zahl der Importe, die in erster Linie aus Japan und den Ländern der EWG, aus Italien, den Niederlanden und Frankreich, kamen. 1984 wurden fast 1,5 Mio. Farbgeräte importiert, 1987 fast 3,5 Mio. Geräte. Die Länder der EWG blieben wichtige Ursprungsländer. Österreich, das erst Mitte der 1990er Jahre der Europäischen Gemeinschaft beitrat, stieg im Laufe der 1980er Jahre zu einer der wichtigsten
181 Quelle: siehe Grafik 11. Die Handelsbilanz für Fernsehgeräte in der BRD (Farbe und S/W), 1958–1987.
3.2 Die Fernsehgeräteproduktion in der BRD
79
Exportnationen für Farbgeräte auf. Gegen Ende der 1980er Jahre kam ein großer Teil der Farbgeräte aus Singapur und vor allem aus Südkorea. Hinter den steigenden Importen aus Ländern wie Taiwan, Singapur und Südkorea standen meist japanische Unternehmen. Sie hatten in den 1970er Jahren begonnen, sogenannte „Exportbasen“ zu errichten.182 Für die Exporte aus Österreich war in erster Linie ein Zweigwerk Grundigs verantwortlich.183 Die seit den 1960er Jahren steigenden Fernsehgeräteimporte beunruhigten die Industrie zunehmend. Der Vorsitzende des Fachverbands für Rundfunk und Fernsehen bat 1972 um ein Treffen mit Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller, um diesen über die Schwierigkeiten der außenwirtschaftlichen Situation zu informieren. Im Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi) sah man die Situation entspannter. Der für Industriepolitik zuständige Ministerialdirektor Wilhelm Giel sah ein Gespräch „von der Sache her […] zweifellos nicht gerechtfertigt“. Er lehnte den Vorschlag nur deshalb nicht rundheraus ab, weil „die hier in Frage kommenden Herren […] vor einigen Monaten Berlin als Standort für die große Funkausstellung 1973 durchgesetzt haben“.184 Die von der Industrie vorgetragenen Befürchtungen über den weiteren Anstieg der Ostasienimporte und seine wirtschaftlich-sozialen Konsequenzen waren aus Sicht des Ministeriums „nicht völlig unbegründet, jedoch stark übertrieben“. Das Ministerium verwies auf die wertmäßig vergleichsweise geringen Importquoten und die insgesamt positive Ausfuhrentwicklung.185 Die von der Fernsehgeräteindustrie befürworteten Selbstbeschränkungsabkommen, die durch Absprachen auf privatwirtschaftlicher Ebene die Importe eindämmen sollten, wurden sowohl vom Kartellamt als auch im Ministerium skeptisch gesehen.186 Staatssekretär
182 Deutsches Generalkonsulat Osaka Kobe (Galinsky) an das Auswärtige Amt. Betr.: Japanische Elektro-Konsumwarenindustrie. Hier: Exportfertigung in Singapore. 17. November 1972. In: BArch B 102/94247. 183 IV A 4, Vermerk(Hass). Betr.: Eigeneinfuhren der deutschen Unterhaltungselektronik-Industrie. Bonn, den 12. September 1980. In: BArch B 102/232217. 184 Der Leiter der Abteilung W/IV (Dr. Giel) an Herrn MinDirig Dr. von Würzen. Betr.: Vorsprache des Präsidiums der Rundfunkindustrie bei Herrn Minister Prof. Dr. Schiller. Bonn, den 2. Juni 1972. In: BArch B 102/94245. Tatsächlich kam auch kein Treffen mit Schiller, sondern mit Staatssekretät Carsten Rohwedder am 21.6.1972 zu Stande. Siehe: Fachverband Rundfunk und Fernsehen an Rohwedder. Fürth, den 14. Juni 1972 [ohne Betreff]. In: BArch B 102/94245. 185 Aufzeichnung. Betr.: Gespräch mit Vertretern der deutschen Unterhaltungselektronik-Industrie am 21. Juni 1972 in Bonn. Bonn, den 16. Juni 1972. In: BArch B 102/94245. Siehe auch: Vermerk für Herrn Sts Dr. Rohwedder (Kahl). Betr.: Wirtschaftliche Lage der Elektroindustrie (Entwurf). Bonn, den 11. September 1972. In: BArch B 102/94246. 186 Vermerk (Flicker). Betr.: Kontaktgespräch mit einer japanischen Delegation über „Orderly Marketing“-Fragen. Bonn, den 20. Juli 1972. In: BArch B 102/94245 und Bundeskartellamt (4.
80
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
Rohwedder gab in einem Interview mit dem WDR sogar an, die möglichen Nachteile für die deutschen Arbeitsplätze stünden gegenüber dem Problem der Preisstabilität derzeit hinten an.187 Hermann Mende, Sohn des Nordmende-Firmengründers Martin Mende, nahm die Haltung der deutschen Politik mit Bedauern zur Kenntnis: „Wir hoffen“, schrieb Mende an den Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit Erhard Eppler 1972, „daß später einmal, wenn sich die Angelegenheit so weit entwickelt hat, daß man von dieser negativen Entwicklung in breiten Kreisen Notiz nehmen wird, sich jemand daran erinnert, daß unsere Firma und unser Industriezweig schon sehr früh darauf hingewiesen haben aber kein positives Echo fanden“.188 Hermann Brunner-Schwer, geschäftsführender Gesellschafter der Saba-Werke in Villingen, äußerte sich gegenüber Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs ähnlich.189 Der Fachverband Rundfunk und Fernsehen verwies auf die Situation in den USA. Das Ziel der Bundesrepublik müsse es sein, eine Situation wie in den USA „unter allen Umständen zu vermeiden“. Falls dies nicht gelinge, müsse mit „Teil-Betriebsschließungen, Verlegung von Produktionsstätten in Billigpreisländer und folglich mit der Abwanderung von qualifizierten Facharbeitern sowie hochwertigem technischen Personal gerechnet werden“.190 Die „verhängnisvolle Parallelität zu der Entwicklung in den USA“, so hieß es in einem weiteren Memorandum, sei „nicht zu übersehen“191. Mit der Krise der 1970er Jahre war „die Möglichkeit des Scheitens als reales Risiko in die Erfahrungswelt der erfolgsverwöhnten deutschen Unternehmer“192 zurückgekehrt.
Beschlussabteilung) (Dr. Christl) an die Japan External Trade Organisation (JETRO). Betr.: Japanische Exportbeschränkungsabkommen. 28. Juni 1972. In: BArch B 102/94245; Vermerk. Betr.: Gemeinsame Handelspolitik für elektronische Erzeugnisse gegenüber Japan. Bonn, den 16. November 1972. In: BArch B 102/94247. 187 Staatssekretär Rohwedder zur Frage der Selbstbeschränkungsabkommen. In: BMWF Tagesnachrichten, 17.8.1972 (WDR-Interview). In: BArch B 102/94246. 188 Hermann Mende an Erhard Eppler (Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit). Bremen, den 23.8.1972 [ohne Betreff]. In: BArch B 102/94246. 189 Hermann Brunner-Schwer an Hans Fridrichs (Bundesminister für Wirtschaft). Berlin, den 7. September 1973 [ohne Betreff]. In: BArch B 102/94251. 190 Fachverband Rundfunk und Fernsehen im ZVEI: Memorandum zur Lage der Rundfunk-, Fernseh- und Tonbandgeräteindustrie der BRD unter besonderer Berücksichtigung der Einfuhren aus Ostasien. 28. Juli 1971, S. 11. In: BArch B 102/94245. 191 Fachverband Rundfunk und Fernsehen im ZVEI: Memorandum. Auswirkungen der ostasiatischen Einfuhren von Rundfunk-, Fernseh- und Tonbandgeräten auf den Markt der Bundesrepublik Deutschland. Juni 1972. In: BArch B 102/94245. 192 Köhler, Ingo (2012): Havarie der „Schönwetterkapitäne“? Die Wirtschaftswunder-Unternehmer in den 1970er Jahren. In: Ingo Köhler und Roman Rossfeld (Hg.): Pleitiers und Bankrotteu-
3.2 Die Fernsehgeräteproduktion in der BRD
81
Mitte der 1970er Jahre gab es bezüglich der Unterhaltungselektronikindustrie allerdings weniger Anlass zur Sorge als zu Beginn der Dekade. Der Absatz an Farbfernsehgeräten boomte. Die konjunkturelle Lage der Industrie wurde bei einem Treffen im BMWi nicht einmal mehr näher erörtert. Es bestand Übereinstimmung darüber, „daß die augenblickliche Situation der Branche ausgesprochen günstig ist“. Während der Vertreter des Fachverbands aber auch seine Sorge über die langfristige Entwicklung äußerte, widersprach man im Ministerium dieser pessimistischen Beurteilung: „Es wird sicher auch nach dem Farbfernsehen – wenn auch nicht in dem bisherigen Maße – Ausweichmöglichkeiten auf höhere Techniken – z. B. Bildkonserve – geben.“193 1976 bezeichnete das Ministerium die deutsche Unterhaltungselektronikindustrie als „leistungsstark und wettbewerbsfähig“194. Noch im Oktober 1978 hieß es im Ministerium, aus deutscher Sicht stelle sich die „,japanische Gefahr‘ z.Z. nicht so bedrohlich“195 dar. Ab etwa diesem Zeitpunkt geriet die deutsche Unterhaltungselektronikindustrie in eine tiefgreifende Krise, die durch Werksschließungen, Entlassungen und die Übernahme von Normende und Saba durch den französischen Konzern Thomson geprägt war.196 Zwischen 1979 und 1980 verringerte sich die Zahl der etwa 100.000 Beschäftigten in der Unterhaltungselektronik, wie ein Mitarbeiter im BMWi feststellte, „erheblich“. Grundig entließ in einem Jahr etwa 1.900 Mitarbeiter. Das Unternehmen Telefunken, das einen Verlust von ca. 80–100 Mill. D-Mark eingefahren hatte, beabsichtigte die Zahl ihrer 8.700 Mitarbeiter bis Ende
re. Geschichte des ökonomischen Scheiterns vom 18. bis 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main, S. 251–283. Hier S. 256. 193 Vermerk (Prawdzik). Betr.: Probleme der Unterhaltungselektronik-Industrie. Bonn, den 10. April 1974. In: BArch B 102/94251. Siehe auch: IV A 4. Wirtschaftliche Lage der deutschen Rundfunk-, Fernseh- und Phonoindustrie. Bonn, den 8. Februrar 1974. In: BArch B 102/94251. 194 Die Feststellung wurde gegenüber der USITC getroffen, die mit der Bitte um Statistiken an das BMWi gewandt hatte. Vermerk (Prawdzik). Betr.: Untersuchungsverfahren der USITC über etwaige wettbewerbsschädigende Praktiken Japans auf dem US-Farbfernsehgerätemarkt. Bonn, den 21. September 1976. In: BArch B 102/196041. 195 Sachverhalt (Kahl). Betr.: Probleme der Unterhaltungselektronik-Industrie. Bezug: Schreiben des Vorsitzenden des Fachverbandes Unterhaltungselektronik im ZVEI vom 5. Oktober 1978. Bonn, Oktober 1978. In: BArch B 102/196041. 196 Thomson baute infolge seiner Expansion den eigenen Marktanteil in der Welt von 0,3 Prozent im Jahr 1970 auf 6 Prozent im Jahr 1980 aus, in Europa von 8 Prozent auf 16 Prozent. Siehe: IV A 4, Vermerk (Hass). Betr.: Gespräch mit Vertretern von Thomson-Brandt am 29. Dezember 1981 im BMWi. In: BArch B 102/232220.
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3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
1981 um 2.500 zu reduzieren. Auch die Deutsche Philips, Schaub-Lorenz, Nordmende, Blaupunkt, Saba und Loewe entließen Mitarbeiter.197 Hinter der „Springflut aus Fernost“198 standen nur zum Teil ausländische Marken, die wie Sony, Panasonic, Sanyo oder später auch Samsung von den Konsumenten als solche identifiziert werden konnten. Zu einem großen Teil handelte es sich insbesondere in den 1970er Jahren um sogenannte „Eigeneinfuhren“, bei denen die deutschen Hersteller als Importeur und Namensgeber des Fernsehgerätes auftraten. Die Aufwertung der D-Mark gegenüber dem Yen durch das Ende von Bretton Woods beförderte diesen Trend.199 Der Anteil an der Gesamtproduktion betrug bei Schwarz-Weiß-Geräten Ende der 1960er Jahre lediglich ein Prozent. Im Laufe der 1970er stieg er auf über 100 Prozent. Das bedeutete, dass die Hersteller mehr fertig zusammengebaute Geräte importierten als sie selbst produzierten. Der Anteil von Eigeneinfuhren an den gesamten Importen machte in den frühen 1970er Jahren knapp die Hälfte aus. In den späten 1970er Jahren lag er bei etwa einem Drittel. Bei Farbgeräten lag der Anteil der Eigeneinfuhren deutlich niedriger, machte bis Ende der 1970er Jahre aber immerhin fast zehn Prozent der Gesamtproduktion aus. Bei Importen waren Eigeneinfuhren Ende der 1970er Jahre für die Hälfte aller Importe verantwortlich. Im Bundeswirtschaftsministerium war man 1980 der Meinung, dass der Anteil der Eigeneinfuhren „insgesamt gesehen recht hoch“200 lag. Die Mitarbeiter hatten keine präzisen Zahlen über die genaue Herkunft der Eigeneinfuhren, gingen aber davon aus, dass ein erheblicher Teil der Eigeneinfuhren aus den europäischen Zweigwerken von Grundig (Österreich) und Philips stammte. Der große Anteil der Eigeneinfuhren verdeutlicht, dass die deutsche Rundfunkindustrie keineswegs passives Opfer der zunehmenden Internationalisierung des Marktes war, sondern diese aktiv vorantrieb. Das wird besonders dann deutlich, wenn man nicht nur die Fernsehgeräte selbst, sondern auch die verwendeten Bauteile wie etwa die Fernsehbildröhre in den Blick nimmt. Ein Unter-
197 IV A 4, Vermerk (Hass). Betr.: Beschäftigungslage in der Unterhaltungselektronikindustrie. Bonn, den 20. Juni 1980. In: BArch B 102/232215. Hinweis: Die Zahl der in der Unterhaltungselektronik Beschäftigten umfasst natürlich mehr als die in der Fernsehgeräteindustrie Beschäftigten. 198 Eglau, Hans-Otto: Springflut aus Fernost. In: Die Zeit, 27.10.1972. 199 Bei Telefunken begann man frühzeitig damit, Währungsreserven zu kaufen. Die Verantwortlichen rechneten mit sichtbarer Zufriedenheit die Einsparungen für das Unternehmen durch, die jede weitere Steigerung der D-Mark gegenüber der japanischen Währung bedeutete. Siehe: Notiz, Betr.: Zukauf von Cassettengeräten aus Japan, Warenerträge und Deckungsbeiträge. 27.9.1973. In: DTMB/AEG, GS 1470. 200 IV A 4, Vermerk (Hass). Betr.: Eigeneinfuhren der deutschen Unterhaltungselektronik-Industrie. Bonn, den 12. September 1980. In: BArch B 102/232217.
3.2 Die Fernsehgeräteproduktion in der BRD
83
nehmen wie Telefunken, selbst Produzent von Fernsehbildröhren, importierte in den 1970er Jahren zusätzliche Röhren. Trotz Zoll und Transportkosten waren diese günstiger für das Unternehmen als die eigenen Produkte und ermöglichten insgesamt eine Senkung der Fertigungskosten. Tabelle 9: Eigeneinfuhren der deutschen Fernsehgeräteindustrie (in Prozent), 1968–1980201 S/W-Geräte in Relation zu…
Farbgeräte in Relation zu…
Produktion in BRD Einfuhr in BRD (= 100) (= 100)
Produktion in BRD Einfuhr in BRD (=100) (=100)
1968
1
9
0
0
1969
2
17
0
0
1970
11
36
0
k.A.
1971
16
43
0
15
1972
17
37
0
3
1973
22
50
1
17
1974
k.A.
k.A.
3
29
1975
k.A.
k.A.
5
33
1976
36
30
3
25
1977
36
26
5
42
1978
77
37
7
51
1979
182
40
8
55
1980
227
45
9
47
Die Zunahme der Importe betraf aber auch andere Bauteile, die hier nicht im Einzelnen aufgeschlüsselt werden können.202 Der Fachverband für Rundfunk und
201 Quellen für 1967–1974: Rundfunk und Fernsehen in Zahlen. In: DTMB/AEG, GS 1142. Für 1975–1979 nach: IV A 4, Vermerk (Hass). Betr.: Eigeneinfuhren der deutschen Unterhaltungselektronik-Industrie. Bonn, den 12. September 1980. In: BArch B 102/232217. Für 1980 und Angaben zu Schwarz-Weiß-Geräten: Notiz (Prawdzik). Betr.: Eigeneinfuhren der deutschen Unterhaltungselektronikindustrie. Bonn, den 1. September 1981. In: BArch B 102/232219. Zahlen zu Einfuhr und Produktion nach Quellen in Grafik 8 und Grafik 11. 202 Siehe bspw. Vermerk (Hass). Betr.: Lage der europäischen (deutschen) Unterhaltungselektronik-Industrie, Bonn, den 19. Oktober 1978. In: BArch B 102/196041 und Kahl u. Hass an den
84
3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
Fernsehen im ZVEI begründete die Entwicklung in einem Memorandum Anfang der 1970er Jahre mit den gestiegenen Kosten der Produktion in der BRD. Die deutschen Hersteller sähen sich gezwungen, „auf Teilerzeugnisgebieten in kostengünstigeren Ländern produzieren zu lassen“203. 2000
2000
1500
1500
1000
1000
500
500
0
0
-500
-500
-1000
-1000
-1500
-1500
Handelsbilanz Fernsehgeräte (S/W) Handelsbilanz Bildröhren (S/W)
Handelsbilanz Fernsehgeräte (Farbe) Handelsbilanz Bildröhren (Farbe)
Grafik 13: Handelsbilanz der Industrie: Fernsehbildröhren und Fernsehgeräte im Vergleich (S/W und Farbe), 1971–1984 (BRD)204
Herrn Staatssekretär Rohwedder. Betr.: Gespräch mit Vertretern der Bauelemente-Industrie am 20. Juni 1977, 14.00 Uhr. Bonn, den 15. Juni 1977. In: BArch B 102/196041. Siehe auch: Ein Wirtschaftszweig in Gefahr. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. November, 1978. 203 Fachverband Rundfunk und Fernsehen im ZVEI: Memorandum zur Lage der Rundfunk-, Fernseh- und Tonbandgeräteindustrie der BRD unter besonderer Berücksichtigung der Einfuhren aus Ostasien. 28. Juli 1971, S. 5. In: BArch B 102/94245. Der Ökonom Frank D. Weiss argumentierte deshalb auch dafür, für empirische Tests von Außehandelstheorien zunächst eine Dis-Aggregation der untersuchten Industrien vorzunehmen. Er verdeutlichte dies am Beispiel der deutschen Elektroindustrie. Siehe: Weiss, Frank D. (1978): Electrical Engineering in West Germany. Adjusting to imports from less developed countries. Tübingen. 204 Für Quellen siehe: Grafik 11. Die Handelsbilanz für Fernsehgeräte in der BRD (Farbe und S/W), 1958–1987.
3.2 Die Fernsehgeräteproduktion in der BRD
85
Stellt man die Handelsbilanz für Fernsehgeräte der Handelsbilanz von Fernsehbildröhren gegenüber, relativiert sich das Bild einer exportstarken deutschen Fernsehgeräteindustrie. Die Handelsbilanz von Bildröhren für Schwarz-WeißGeräte war bis Mitte der 1970er Jahre positiv, kippte dann aber ins Negative. Die Handelsbilanz für Farbbildröhren war dagegen die gesamten 1970er Jahre hindurch negativ. Die seit Beginn der 1970er Jahre negative Handelsbilanz von Schwarz-Weiß-Geräten fällt vor diesem Hintergrund noch deutlicher aus. Bei Farbgeräten „erkaufte“ die Industrie nahezu ihren gesamten Exportüberschuss durch im Ausland produzierte Bildröhren. Das ist in Grafik 13 zu erkennen. Die offiziellen Zahlen der Produktion spiegelten daher bereits in den 1970er Jahren immer weniger eine in erster Linie in der Bundesrepublik erzielte Wertschöpfung wider. Fertige Bauteile oder Eigeneinfuhren aus dem Ausland erreichten die deutschen Fabriken und gingen verdeckt in die Produktionsstatistik ein. Kurzfristig positionierte sich die deutsche Fernsehgeräteindustrie dadurch vorteilhaft innerhalb der globalen Wertschöpfungskette. Langfristig führte die Strategie allerdings nicht zu der erfolgreichen Entwicklung zukunftsträchtiger Technologien. Im Ringen um die Deutung der Krise der deutschen Unterhaltungselektronik, die für die Frage nach protektionistischen Maßnahmen eine Rolle spielte, führte die Electronic Industries Association of Japan die Importaktivitäten der deutschen Industrie als Argument für eine selbst verschuldete Krise an. Der Hauptgrund ihrer schwierigen Lage sei in den ungenügenden Investitionen in Forschung, Entwicklung und Erneuerung der Produktionstechniken zu suchen. Statt auf diese Weise ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken habe die bundesdeutsche Industrie lieber Aufträge an ausländische Hersteller vergeben und dadurch ihre Produktpalette ergänzt. Die Aufwertung der D-Mark habe es zusätzlich erleichtert, „Energie und Rohmaterial und selbst elektronische Bauteile preiswert im Ausland einzukaufen“205. Aufgrund der längst etablierten globalen Arbeitsteilung der Produktion waren protektionistische Tendenzen ein zweischneidiges Schwert. Als der Fachverband Rundfunk und Fernsehen ein Plädoyer für Importrestriktionen an die Bundesregierung richtete, wandte sich der BDI verärgert an den Verband. Staatliche Subventionierung und Protektionismus seien nicht geeignet, die Anpassungsprobleme in einer sich verändernden Weltwirtschaft erfolgreich zu meistern. „Dem Eigeninteresse der deutschen Industrie entspricht aufgrund ihrer
205 Pressemeldung der EIA of Japan – European Office. Stellungnahme zum Memorandum des Fachverbands Unterhaltungselektronik im ZVEI bzgl. Importkontrollen für japanische Produkte der U-Elektronik, 4.3.1980. In: BArch B 102/232214. Siehe auch: Mit harten Bandagen um HiFi und Video. In: Süddeutsche Zeitung, 7.3.1980.
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3 Produkt und Produzenten. Die Fernsehgeräteindustrie im Wandel
starken Einbindung in die Weltwirtschaft ein Offenhalten der Weltmärkte. Sie werden daher verstehen, daß wir Ihren Wunsch an die Bundesregierung nach Drosselung des Importzuwachses für Produkte Ihrer Branche vor allem an diesen Kriterien messen müssen.“206 Diese Haltung, die letztlich auch von der Bundesregierung vertreten wurde, war dafür verantwortlich, dass es keinen protektionistischen Schutz für die deutsche Unterhaltungselektronikindustrie gab. Für den Niedergang der deutschen Unterhaltungselektronikindustrie ist der in den 1980er Jahren auslaufende Schutz der PAL-Patente kaum hauptsächlich verantwortlich zu machen. Wie Grafik 11 gezeigt hat, blieb die Handelsbilanz für Farbgeräte fast die gesamten 1980er Jahre positiv. Der Import der Bildröhren ging zwar zulasten der Arbeitsplätze. Für die Hersteller lag darin aber ein finanzieller Vorteil. Die Gewinne im Farbfernseh-Bereich blieben in den 1970er Jahren vor allem deshalb aus, weil bereits der zwischen den inländischen Produzenten herrschende Wettbewerb intensiv war. Langfristig entscheidender für den Niedergang der deutschen Unterhaltungselektronikindustrie war, dass sie die im Bundeswirtschaftsministerium anvisierten optimistischen „Ausweichmöglichkeiten auf höhere Techniken“ nicht hat wahrnehmen können. Die Verbreitung der „Bildkonserve“, die dem Ministerium dabei vor Augen schwebte, wurde fast ausschließlich von japanischen Unternehmen forciert. Das von Telefunken mit großem Aufwand vorangetriebene TED-Bildplattensystem musste Ende der 1970er Jahre unter großen finanziellen Verlusten eingestellt werden.207 Das von Philips entwickelte und unter anderem durch Grundig produzierte Video 2000Format konnte gegen das aggressiv von Matsushita eingeführte VHS-System nicht bestehen.208 Die deutschen Fernsehgerätehersteller verschwanden nach und nach von der Bildfläche. Lediglich die Hersteller Metz und Loewe konnten sich zunächst behaupten, indem sie auf die Nische hochwertiger Prestigeprodukte setzten.209 Ihre Zukunft ist ungewiss. Loewe musste im Sommer 2013 Insolvenz anmelden und konnte Anfang des Jahres 2014 durch einen Münchner Investor
206 Mann/Pfeiffer (BDI) an Bergmann (FV UE im ZVEI). Betr: Memorandum des Fachverbandes Unterhaltungselektronik. Köln, den 12. März 1980. In: BArch B 102/232214. 207 Zur TED-Bildplatte vergleiche die im Ordner „SL 1 Korrespondenz“ zusammengefassten Dokumente, die einen guten Überblick vom zuversichtlichen Beginn bis zum Ende der Bildplatte liefern. In: DTMB/AEG, JB XA 896. 208 Chandler, Inventing, S. 56–62; Cawson, Brothers, S. 225–227; Cusumano/Mylonadis/Rosenbloom, Maneuvering. 209 Rutenbeck, Henrik; u. a. (2009): Loewe. Aufbau einer Premium-Position in technik- und preisgetriebenem Marktumfeld. In: Frank Keuper (Hg.): Das Diktat der Markenführung. 12 Thesen zur nachhaltigen Markenführung und -implementierung. Wiesbaden, S. 4–38; Bald, Thorsten; Rutenbeck, Henrik (2010): Markenprofilierung durch werteorientierte Retail-Marketing- und
3.2 Die Fernsehgeräteproduktion in der BRD
87
noch knapp vor dem Ende bewahrt werden. Metz musste im November 2014 Insolvenz anmelden. Die TV-Sparte wurde 2015 vom chinesischen Investor Skyworth übernommen.210
Service-Konzepte am Beispiel der Loewe AG. In: Frank Keuper (Hg.): Professionelles Sales & Service Management. Vorsprung durch konsequente Kundenorientierung. Wiesbaden, S. 89–114. 210 Aus der Zauber. In: Süddeutsche Zeitung, 21.11.2014, S. 20. Weyh, D. (2015): Loewe AG. Aufstieg und Niedergang. In: Patrick Siegfried (Hg.): Krisen- und Insolvenzmanagement, Bd. 2. 13 Fallstudien aus der Industrie. München, S. 107–128; So soll die Traditionsmarke Metz wiederauferstehen. In: Die Welt, 14.07.2015. Online unter: www.welt.de/wirtschaft/article143939154/Sosoll-die-Traditionsmarke-Metz-wiederauferstehen.html (Zugriff am 10.05.2016).
4 Zwischen Fabrik und Wohnzimmer. Die Rolle des Groß- und Einzelhandels Ein Fernsehgerät, das in einer der Fabriken der amerikanischen Fernsehgeräteindustrie vom Band lief, hatte einen weiten Weg zurückzulegen und ging durch eine Menge Hände, bevor es im Wohnzimmer eines Haushalts in Jersey City, San Francisco oder Houston angeschlossen werden konnte.1 Die Komplexität dieser Vertriebskette lässt sich am besten durch einen Blick auf die Preisliste für Fernsehgeräte verdeutlichen, die von der RCA im Jahr 1956 an ihre Händler geschickt wurde. Im diesem Jahr verließ der RCA Compton in einem betriebsfertigen Zustand die Fabrik des Unternehmens. Das Gerät ging zunächst in die Hand eines Großhändlers über, wofür ihm die RCA einen Fabrikabgabepreis von 147,72 US-Dollar berechnete. Der Großhändler verkaufte das Gerät kurze Zeit später zum Großhandelspreis von 167,86 US-Dollar an einen Einzelhändler. Der Einzelhändler wiederum verlangte von dem Kunden, der das Gerät später bei ihm kaufte, einen Einzelhandels- bzw. Endverbraucherpreis von 229,95 US-Dollar. Zwischen dem Preis der Fabrik und dem Preis des Einzelhändlers lag somit ein Preisaufschlag von 82,23 US-Dollar bzw. eine Handelsspanne von etwas über 35 Prozent.2 Die Handelsspanne hatte weder mit der materiellen Fertigung des Gerätes etwas zu tun noch mit der Werbung, die der Hersteller in den nationalen Medien schaltete. Sie war allein der räumlichen und zeitlichen Distanz geschuldet, die ein Fernsehgerät auf seiner Reise zwischen Fabrik und Wohnzimmer zurückzulegen hatte. Eine Schätzung des Ökonomen Alfred Oxenfeldt, der in den frühen 1960er Jahren eine Studie zum Markt für Fernsehgeräte veröffentlichte, kam zu einem noch deutlicheren Ergebnis: Insgesamt nur 60,5 Prozent des vom Konsumenten gezahlten Endverbraucherpreises entstünden in der Produktion.3 Die hohen Kosten, die entlang der Wertschöpfungskette für Fernsehgeräte entstanden, waren kein spezifisch amerikanisches Phänomen. Auch in der Bundesrepublik entstand ein wesentlicher Teil der Kosten, die ein Kunde beim Kauf eines Fernsehgerätes zu zahlen hatte, nach der Produktion. Dies lässt sich in einem ersten Schritt durch ein klassisches Problem der Transaktionskosten erklären, wie es Douglass North am Beispiel des Kaufs eines Sacks Orangen ver-
1 Strasser, Satisfaction, S. 78. 2 Preise nach RCA Victor Television Division. Black&White – Color Receivers. Price List. Januar 2, 1956. In: HML/RCA-Victor, Series II, Box 10, Folder 25. 3 Die Schätzung Oxenfeldts ergibt für 1961/62 folgende Aufteilung: von 100 Prozent Endverbraucherpreis 60,5 Prozent Produzent, 13 Prozent Großhändler, 21 Prozent Einzelhändler, 5,5 Prozent Verbrauchssteuer. Oxenfeldt, Marketing, S. 17 und 154.
4.1 Groß- und Einzelhändler in den USA
89
deutlichte. Die Suche nach Abnehmern auf der einen und nach Anbietern auf der anderen Seite braucht Zeit und verursacht Kosten. Die Hersteller konnten nicht damit rechnen, dass die Konsumenten vor ihren Fabriktoren warteten, wenn die in Pappkartons verpackten Geräte das Gelände verließen. Die Konsumenten ihrerseits hätten vorab nicht gewusst, für welchen der braunen Pappkartons sie sich entscheiden sollten. Die Fragen des Transports und der übergangsweisen Finanzierung mussten geklärt werden. Auch mussten die Geräte irgendwo gelagert werden. Zwischen Produktion, Lieferung, Kauf und Zahlung verstrich Zeit, die den Marktteilnehmern zum wirtschaftlichen Verhängnis werden konnte. Wer Kredite bedienen musste, Miete für eine Lagerhalle oder ein Geschäft zu zahlen hatte und Personal beschäftigte war auf einen schnellen Verkauf der Geräte angewiesen. Die Lösung für dieses zeitlich-räumliche Problem und das gegenseitige Informationsdefizit kostete aus Sicht der Neuen Institutionentheorie im Fall des RCA Compton im Jahr 1956 exakt 82,23 US-Dollar. Das folgende Kapitel beschreibt, welche Akteure an der Wertschöpfung zwischen Fabrik und Wohnzimmer beteiligt waren, worin ihre Funktionen im Einzelnen bestanden und wie sich die Struktur der Wertschöpfungskette im historischen Verlauf veränderte.
4.1 Groß- und Einzelhändler in den USA 4.1.1 Die Funktion des Großhandels Hatte ein Fernsehgerät die Produktion durchlaufen, war der nächste Schritt normalerweise die Übergabe des Geräts an einen Großhändler. Die Großhändler organisierten innerhalb ihres regionalen Zuständigkeitsbereichs den Transport zwischen den Fabriken und den zahlreichen über das Land verstreuten Einzelhändlern. Die Durchführung des Transports selbst oblag im Normalfall spezialisierten Firmen außerhalb der Industrie.4 Bei den Großhändlern im Markt für Fernsehgeräte handelte es sich zum Teil um Vertriebs- oder Geschäftsstellen der Hersteller, die zwar im alltäglichen Geschäft weitestgehend autonom operierten aber letztlich weisungsgebunden gegenüber der Hauptzentrale waren.5 Zu einem
4 Oxenfeldt, Marketing, S. 153. 5 Selbständige Großhändler (im amerik. „merchant wholesalers“) und Vertriebsstellen („manufacturers’ sales branches“) unterscheiden sich auch in der Frage, ob der Großhändler mit der Übernahme der Zwischenhandelsfunktion auch die Rolle des Eigentümers übernimmt oder nicht. Darüber hinaus gab es den Zwischenfall des selbständig arbeitenden Händlers auf Kommissionsbasis, der an den Gewinnen beteiligt wurde, die Güter aber nicht selbst besaß.
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4 Zwischen Fabrik und Wohnzimmer. Die Rolle des Groß- und Einzelhandels
überwiegenden Teil handelte es sich jedoch um selbständige Unternehmen, die auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko arbeiteten. Für die Hersteller waren die Großhändler ein wichtiges Bindeglied, weil sie in der Lage waren, ihnen einerseits große Stückzahlen abzunehmen, andererseits aber auch die regionalen Spezifika und Bedürfnisse ihres Einzugsbereichs kannten.6 „We at headquarters can’t run a merchandising program in a local market“, gab der Geschäftsführer der Westinghouse Appliance Sales and Service Co., Harry Kane, gegenüber der Electrical Merchandising Week an: „We need someone in the market who knows it.“7 Die Hersteller versorgten die Großhändler ihrerseits mit den notwendigen Informationen über die Eigenschaften der Geräte, führten Verkaufstrainings durch oder halfen bei kaufmännischen Fragen.8 Allein die technische Komplexität von Fernsehgeräten (und anderen Gütern der Unterhaltungselektronik) machte diesen Kontakt notwendig. Wer als Großoder Einzelhändler seine Kunden von der Qualität der Geräte überzeugen wollte, musste ihre Eigenschaften kennen, die sich rein äußerlich nicht ergaben. Das war zum einen wichtig, um Verkaufsargumente in der Hand zu haben. Noch wichtiger aber war es, zu wissen, wie die Geräte installiert werden mussten, wie sie repariert werden konnten und wo sich Ersatzteile beschaffen ließen. Alfred Oxenfeldt zufolge dauerte es etwa sechs bis neun Monate, bis sich ein neuer Tauschpartner in der Wertschöpfungskette mit den technischen Unterschieden eines RCA, Zenith oder Admiral-Fernsehgerätes vertraut gemacht hatte und in der Lage war, es beratend zu verkaufen und später zu reparieren.9 In den USA kam den selbständigen Großhändlern eine besondere Rolle zu, weil die Hersteller einen räumlich großflächigen Markt mit lokalen Besonderheiten und vertriebsrechtlichen Unterschieden zu bedienen hatten. Gerade für die ländlichen Regionen, wo die lokale Bekanntheit und Eingebundenheit der selb-
6 Zur Funktion des Groß- bzw. Zwischenhandels allgemein, vergleiche die anschaulichen Ausführungen bei Robert W. Lear: Charlie Brunswick, Distribution Planner. In: NAM Marketing Committee: Meeting the New Attack on Today’s Distribution Costs. Mai 26–27, 1960. In: HML/ Bestand National Association of Manufacturers (im Folgenden HML/NAM), Series XVI, Box 220 und Oxenfeldt, Marketing, S. 89. 7 Wood, Wallis E.: The Changing Patterns of Distribution. In: Electrical Merchandising Week, 20. Dezember, 1965, S. 10. 8 Den direkten und persönlichen Bezug zu den Großhändlern stellten in den USA die „Regional Sales Manager“ her, von denen jedes Unternehmen der Fernsehgeräteindustrie in den 1960er Jahren etwa 15–20 Personen beschäftigte. Oxenfeldt, Marketing, S. 101–109. 9 Oxenfeldt, Marketing, S. 94. Siehe auch: Training Case History. In: Electrical Merchandising, Dezember 1955, S. 82; Magnavox Uses a Crusade. In: Electrical Merchandising, September 1957, S. 197.
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ständigen Großhändler besonders wertvoll war, galten die selbständigen Großhändler gegenüber den Vertriebsstellen als die bessere Alternative.10 Selbst einige Hersteller, die in den 1960er Jahren dazu übergingen, Transport und Lagerung der Geräte selbst zu übernehmen, behielten die Verbindung zu ihren Großhändlern, um über diese den Kontakt zu den Einzelhändlern aufrecht zu erhalten.11 Regelmäßig wurden die Großhändler zu großen „Annual Conventions“ eingeladen, die häufig in Miami Beach oder Las Vegas stattfanden. Bis zu eine Million US-Dollar zahlten die Hersteller Anfang der 1960er Jahre für diese Veranstaltungen, bei denen eine festliche, karnevaleske Stimmung geherrscht haben soll.12 „We make this a real glamour show – all the bells and the whistles and the dancing girls, as glamorous as we know how to present the product, to instill as much enthusiasm in the entire organization as we possibly can“13, beschrieb der Leiter des Verkaufs bei Zenith den ersten Tag der Veranstaltung. Der allgemeine Enthusiasmus sollte sicherstellen, dass die Verkaufsargumente ihren Weg über die Vertriebskette bis hinunter zum Endverbraucher fanden.14 Insgesamt bewertete Oxenfeldt das Verhältnis zwischen Herstellern und Großhändlern als geradezu romantisch: „There appears to be a basic feeling of warmth between most distributors and the factory personnel with whom they come in contact.“15 Ein zentrales Merkmal für die Gestaltung der Beziehungen zwischen den Herstellern von Unterhaltungselektronik in den Vereinigten Staaten und ihren Großhändlern war, dass die Hersteller ihnen exklusive Territorien zugestanden.16 Innerhalb eines mehr oder weniger eng definierten Bereichs belieferte ein Hersteller nur einen Großhändler, der für die dort ansässigen Einzelhändler zustän-
10 Oxenfeldt, Marketing, S. 111. Siehe auch: Wood, Wallis E.: The Changing Patterns of Distribution. In: Electrical Merchandising Week, 20. Dezember, 1965, S. 10; Distribution Shakeups. New Lift for Independents? In: Electrical Merchandising Week, 19. Mai, 1969, S. 2. 11 Davidson, Distribution Braekthroughs, S. 266. 12 Oxenfeldt, Marketing, S. 122. 13 Walter C. Fisher (Zenith): Briefing and Selling the Sales Force on the New Product. In: Role of the Sales Organization in Launching New Products. 13th Annual Marketing Conference (NICB). October 21, 1965, S. H9. In: HML/NICB, Series I, Box 119. 14 Walter C. Fisher (Zenith): Briefing and Selling the Sales Force on the New Product. In: Role of the Sales Organization in Launching New Products. 13th Annual Marketing Conference (NICB). October 21, 1965, S. H6. In: HML/NICB, Series I, Box 119. 15 Oxenfeldt, Marketing, S. 106. 16 Oxenfeldt, Marketing, S. 27. Siehe auch Ross D. Siragusa, Jr. (Admiral): Sound Techniques in the Design of Sales Territories. In: Matching Field Effort and Sales Potential. 15th Annual Marketing Conference (NICB). October 19, 1967. In: HML/NICB, Series I, Box 137. Zur theoretischen Einordnung: Marvel, Howard P. (1982): Exclusive Dealing. In: Journal of Law & Economics 25 (1), S. 1–25.
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dig war. Dies lässt sich historisch vor dem Hintergrund einordnen, dass viele Markenhersteller seit Ende des neunzehnten Jahrhunderts die Erfahrung gemacht hatten, keine ausreichende Unterstützung für den Vertrieb ihrer Waren von den Großhändlern zu erhalten, wenn sie ihnen nicht durch die Gewährung bestimmter Privilegien entgegen kamen.17 Umgekehrt führten die Großhändler keine konkurrierenden Marken innerhalb eines Gerätesegments.18 Sie waren daher meist eindeutig als RCA-, Zenith-, Admiral- oder Philco-Distributor zu erkennen. Sogenannte Franchise-Verträge banden beide Seiten aneinander und definierten die gegenseitigen Verpflichtungen.19 Mit dem heute in Deutschland üblichen Verständnis eines Franchise ist diese Vereinbarung nicht zu verwechseln, da sie den Franchisenehmern viel größere Freiheiten einräumte.20 Das Prinzip war dennoch ähnlich: die Privilegierung eines Vertragspartners durch die auferlegte Verpflichtung zu einem bestimmten Verhalten. Die Verträge konnten sowohl zwischen Herstellern und Händlern als auch zwischen Groß- und Einzelhändlern zustande kommen. Angesichts der weitreichenden Konzessionen, die Hersteller ihren Großhändlern durch territoriale Exklusivität gewährten, bildeten die FranchiseVerträge ein Faustpfand in den Händen der Zulieferer. Ein Franchise-Vertrag ließ sich kündigen, was die Händler zur Einhaltung der Vereinbarungen anhalten sollte. Für die Großhändler mit exklusiven Franchises war die Kündigung fatal, weil sie ihnen die Geschäftsgrundlage entzog.21 Auch zwischen den Großhändlern und den Einzelhändlern bestand eine enge Verbindung. Der Großhändler belieferte den Einzelhändler nicht nur mit Fernsehgeräten. Er gewährte auch Kredite, stellte Ausstellungsräume bereit und verfügte über Werkstätten, in denen defekte Fernsehgeräte repariert werden konnten. In den USA übten die selbständigen Großhändler darüber hinaus eine ausgeprägte Weiterbildungs- und Beratungsfunktion aus, die maßgeblich für
17 Strasser, Satisfaction, S. 79–84. 18 Oxenfeldt, Marketing, S. 148. 19 Hollander, Stanley .C (1966): United States of America. In: Basil Selig Yamey (Hg.): Resale Price Maintenance. London, S. 65–100. Hier S. 78; Hunt, Shelby D.; Nevin, John R. (2003): Power in a Channel of Distribution. Sources and consequences. In: Frank Hoy und John Stanworth (Hg.): Franchising. An international perspective. London, S. 103–120; Oxenfeldt, Alfred R.; Thompson, Donald N. (1968): Franchising in Perspective. In: Journal of Retailing 44 (4), S. 3. 20 Eggers, Christofer (1990): Vertikale vertragliche Vertriebssysteme für Markenartikel. Konstanz, S. 42–44. Siehe allgemein: Dicke, Thomas S. (1992): Franchising in America. The development of a business method, 1840–1980. Chapel Hill, NC. 21 Oxenfeldt, Marketing, S. 101; You’re Out of Step. In: Electrical Merchandising, August 1957, S. 166.
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die enge Bindung zwischen Groß- und Einzelhändlern war.22 Die noch 1976 in einer Umfrage mit Abstand häufigste Begründung, warum ein Einzelhändler in den USA mit mehreren Großhändlern Geschäfte machte, war nicht, dass man so bessere Preise erhalte (28 Prozent) oder sich gegen Lieferengpässe versichern könne (23 Prozent), sondern lediglich, dass kein Großhändler alle benötigten Produkte führte (91 Prozent). 71 Prozent der befragten Einzelhändler äußerten nicht den Wunsch, mehrere Großhändler in ihrer Gegend zu haben, um regelmäßig zwischen ihnen wählen zu können.23 Ein 1973 erschienener Artikel war zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen.24 Viele Einzelhändler, stellte der Verfasser einer Kolumne in der Electrical Merchandising Week fest, hätten ihren Erfolg den Ratschlägen und Krediten ihrer Großhändler zu verdanken.25 Wie der Fall der Dallman Company, einem Philco-Großhändler im Großraum San Francisco zeigt, hing die konkrete Ausübung der Hilfsfunktionen des Großhändlers sehr stark von dem Entwicklungsstand des Fernsehens in einer jeweiligen Region ab. Anfang der 1950er Jahre beispielsweise war das Fernsehen in der San Francisco-Oakland Bay Area bereits relativ stark verbreitet. Das Städtchen Eureka im Norden Kaliforniens war dagegen noch nicht einmal an das Fernsehnetz angeschlossen. Die Vertreter Dallmans sahen es hier als ihre Aufgabe, die Einzelhändler auf die Ankunft des Fernsehens vorzubereiten. Sie dämpften übertriebene Erwartungen, um die Lagerbestände des Einzelhändlers in Grenzen zu halten und schulten das Verkaufspersonal für die kommenden Verkaufsgespräche. Außerdem unterstützte der Großhändler die Einzelhändler bei ihren Werbekampagnen inhaltlich und finanziell.26 In San Francisco dagegen waren die Einzelhändler mit den Grundzügen des Verkaufs von Fernsehgeräten bereits vertraut. Hier sahen es die Vertreter des Großhändlers als ihre Aufgabe, in erster Linie die Profite ihrer Kunden zu sichern.
22 A Really Good Distributor Salesman is The TV Dealer’s Right Hand. In: Electrical Merchandising, September 1953, S. 85; Distributors Go Back to School. In: Electrical Merchandising, April 1953, S. 252; Who Needs the Distributor? In: Electrical Merchandising Week, 19. Februar, 1962, S. 38. Noch ein Artikel von 1973 kennzeichnete das Verhältnis als „rapport, warmth and exchange of ideas and information.“ Making the Daily Rounds with Carl Benton of Sues, Young. In: Electrical Merchandising Week, 25. Juni, 1973, S. 14. 23 Opinion File: We Want Full-Service Distributors. In: Merchandising Week, Juli 1976, S. 98. 24 Drop or Add? Dealers Take Issue Seriously. In: Electrical Merchandising Week, 2. April, 1973, S. 1. 25 Farr, Mort: Let’s Cooperate to Prosper. In: Electrical Merchandising, Januar 1956, S. 32. Siehe auch: Farr, Mort: Here’s What I Expect from Distributor Salesmen. In: Electrical Merchandising, Januar 1959, S. 24. 26 A Really Good Distributor Salesman is The TV Dealer’s Right Hand. In: Electrical Merchandising, September 1953, S. 87.
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Beispielsweise informierten sie sie über die verkaufsfähigen Qualitätsaspekte der Geräte („to sell brand instead of price“) und warnten vor schnellen „Deals“ anderer Großhändler, hinter denen sich nur schlecht zu verkaufende Geräte verbergen würden. Sie vermittelten zwischen Einzelhändlern, wenn sich bei den einen die Geräte türmten, während die anderen unter Engpässen litten. Die Vertreter halfen auch bei dem Verkauf gebrauchter Geräte, beispielsweise durch die Vermittlung eines Großhändlers, der diese Geräte aufkaufte. Wichtig schien es ihnen insgesamt, wie es in der Fallstudie hieß, mit Zeit, Kaffee und Donuts eine Freundschaft zwischen den Großhandelsvertretern und den Einzelhändlern aufzubauen und zu halten.27 Wie zwischen Herstellern und Großhändlern waren die Beziehungen zwischen Groß- und Einzelhändlern häufig über Franchise-Verträge geregelt. Um beispielsweise Ende der 1950er Jahre als Einzelhändler an ein Fernsehgerät des Herstellers Admiral zu gelangen, mussten die Händler in einer von der Admiral-Vertriebsstelle festgelegten Mindesthöhe Bestellungen aufgeben und ein „Dealer’s Agreement“ unterschreiben. Die Vereinbarung legte fest, dass die Händler zu allen Zeiten einen repräsentativen Bestand an Admiral-Geräten vorrätig haben mussten, sie vorteilhaft in Laden und Schaufenster positionierten und allgemein ihre Qualität und Vorteile gegenüber den Konsumenten anpreisen würden.28 Wer sich weigerte, die verbindliche Vereinbarung zu unterschreiben, musste in Zukunft ohne Admiral-Geräte auskommen.29 Für einen Einzelhändler war die Möglichkeit bestimmte Geräte nicht führen zu dürfen vor allem dann ein Problem, wenn es sich um eine stark nachgefragte Marke handelte. Die Bekanntheit der Marke wurde in Umfragen unter Händlern regelmäßig als der wichtigste Kauffaktor eingeschätzt, noch vor Bildqualität, Service und Preis.30 Herstellerwerbung diente daher sowohl direkt als Mittel der Nachfragelenkung als auch indirekt als Druckmittel gegenüber den Einzelhändlern.31 Wer als Einzelhändler ein Gerät nicht führte, das ein Kunde zuvor in der Zeitung gesehen
27 A Really Good Distributor Salesman is The TV Dealer’s Right Hand. In: Electrical Merchandising, September 1953, S. 85. 28 Conditions of Admiral Dealers Agreement (Exhibit No. 4). In: National Archives / Records of the Federal Trade Commission (Record Group 122), Records of the Docket (Legal) Section 1914–84 (122.5), Docket 7094, Box No. 88, Folder 1.1. (Im Folgenden: NA/FTC, RG 122.5) 29 Sam Schwartzstein to All Salesmen, Subject: June Open House – 1958 TV. June 18, 1957 (Exhibit No. 128A). In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box No. 88, Folder 1.4. 30 How Dealers Are Selling TV. In: Electrical Merchandising Week, 14. August, 1961, S. 14. Dealers Cling to „Demand“ TV Labels, Shun Secondaries. In: Electrical Merchandising Week, 8. April, 1974, S. 1. 31 Oxenfeldt, Marketing, S. 135.
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hatte, musste mit einer verlorenen Verkaufsgelegenheit rechnen. Wer dagegen das beworbene Gerät führte, konnte Schwierigkeiten haben, den Kunden vom Kauf eines anderen Gerätes zu überzeugen, das dieser nicht kannte. Diese Einschränkung war für den Händler problematisch, weil er seine Kaufempfehlung nicht nach der für ihn selbst günstigsten Handelsspanne ausrichten konnte.32 Die durch Marken moderierte Machtrelation gegenüber den Händlern schwankte von Hersteller zu Hersteller stark. Die meisten Fernsehgeräte in den USA galten mindestens bis weit in die 1960er hinein als push items.33 Das bedeutete, dass Konsumenten nicht von vornherein auf eine bestimmte Marke fixiert waren und die aktiven Verkaufsbemühungen auf Einzelhandelsebene einen wesentlichen Einfluss auf die Kaufentscheidung ausübten. Eine Studie von 1961 kam für den Markt in Philadelphia zu dem Ergebnis, dass etwa die Hälfte der Käufer von Fernsehgeräten sich bereits im Vorfeld für eine Marke entschieden hatte. Das bedeutete nicht, dass die Verkäufer keinen Einfluss mehr auf die Entscheidung des Konsumenten hatten, wohl aber, dass dieser Einfluss geringer war.34 RCA galt lange Zeit als die einzige Marke, die als demand item galt, weil den Konsumenten das Unternehmen bekannt war und ihnen vertrauenswürdig erschien. Diese Position einer unabhängig vom Einzelhandel kontrollierten Nachfrage konnte in der weiteren Geschichte der amerikanischen Fernsehgeräteindustrie lediglich Zenith erreichen. Eine starke Marke bedeutete nicht den Gewinn einseitiger Unabhängigkeit. Sie bedeutete zwar, dass die Unternehmen damit rechnen konnten, dass die von ihnen belieferten Händler versuchen würden, die Verbindungen zu halten. Die Hersteller mussten aber ihrerseits sicherstellen, dass die Qualität der Händler hoch war und dass sie ein funktionierendes Servicesystem bereitstellten.35 Eine Handvoll von Unternehmen versuchte, vom Image der fachkundigen Einzelhänd-
32 Pattern for Survival in TV. In: Electrical Merchandising, Februar 1955, S. 108. Siehe auch: How to Attract More Pre-Sold Customers! In: Electrical Merchandising, Juni 1953, S. 120; Not Price Alone. In: Electrical Merchandising, Mai 1957, S. 178; Time Market Study of TV Sales Finds Reputation Crucial Fact. In: Electrical Merchandising Week, 22. Januar, 1973, S. 21; Opinion File: Brands Sell Well, But…Retailer Says He Does It. In: Merchandising Week, März 1977, S. 28. 33 Changes Coming in Color TV Marketing and Merchandising. In: Electrical Merchandising Week, 4. März, 1968, S. 3. Siehe auch Oxenfeldt, Marketing, S. 210. 34 What TV Buyers Think About Their Retailers. In: Electrical Merchandising Week, 9. Oktober, 1961, S. 44. 35 RCA Comes Up with new Answers for Improved Retail Sales Training. In: Electrical Merchandising Week, 18. September, 1967, S. 43; RCA Training Centers Combat the Shortages of TV Repairmen. In: Electrical Merchandising Week, 19. Februar, 1968, S. 6; RCA Details All Brand Service Plan. In: Electrical Merchandising Week, 11. Mai, 1970, S. 3.
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ler zu profitieren. Sie sicherten sich die Loyalität der Händler, die gegenüber den Kunden die Vorteile ihrer Produkte hervorheben sollten. Parallel versuchten sie, über Werbung und Produktpolitik das Image eines Qualitätsherstellers aufzubauen und zu wahren. Dies gelang zuerst und am erfolgreichsten Magnavox. In den 1950er Jahren verfolgten auch Motorola und Philco und in den 1960er und 1970er Jahren vor allem Sylvania und Packard Bell diese Strategie.36 Der Preis, den diese Hersteller für die Loyalität der Einzelhändler zahlten, waren vergleichsweise hohe Handelsspannen.
4.1.2 Die Funktion der Einzelhändler und Werkstätten Die Einzelhändler von Fernsehgeräten waren für den letzten Schritt in der Wertschöpfungskette für Fernsehgeräte zuständig. Ihre allgemeine Funktion beschrieb Oxenfeldt wie folgt: „The function of the retailer is to bring merchandise to the point where the consumer finds it convenient to make his purchase. At this point, the retailer displays it, provides information about alternatives to facilitate choice, informs the consumer of the availability and price of the product, possibly extends him credit or assists him in obtaining credit from other sources, and gives him an opportunity to examine the offerings of many manufacturers. In addition, the retailer can serve customers by making it possible for them to purchase quickly and comfortably; he may make the act of purchase almost fun instead of an unpleasant chore.“37
Die konkrete Ausgestaltung dieser Funktion unterschied sich von Einzelhändler zu Einzelhändler stark. Im Gegensatz zu den Großhändlern genossen die Einzelhändler nicht den Schutz territorialer Exklusivität. Dafür verfügten sie meist über mehr als nur eine Marke, die sie gegeneinander ausspielen konnten.38 Über ihre relative Machtposition, die neben dem Verkauf konkurrierender Marken auch
36 Distribution Shakeups: New Lift for Independents? In: Electrical Merchandising Week, 19. Mai, 1969, S. 2. 37 Oxenfeldt, Marketing, S. 31–32. 38 Compare these Dealers’ Operations with Your Own. In: Electrical Merchandising Week, 28. August, 1961, S. 2–3. Vertragliche Bestimmungen, die vorsahen, dass sich ein Händler auf die Marke des Zulieferers zu beschränken habe, waren in der Fernsehgeräteindustrie die Ausnahme. Sie waren auch rechtlich spätestens seit dem Brown Shoe Co.-Urteil der Federal Trade Commission im Frühjahr 1963 mehr als fraglich. Siehe New FTC Ruling on Franchises and Pricing. In: Electrical Merchandising Week, 18. März, 1963, S. 42; N.Y. Dealer Doubles Business with Single Line. In: Electrical Merchandising, August 1952; TV Can Be Sold at List. In: Electrical Merchandising, September 1954, S. 80.
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aus dem direkten Zugang zu den Konsumenten resultierte, waren sich die Einzelhändler bewusst. Wie sich der Herausgeber der Electrical Merchandising, Laurence Wray, selbstsicher ausdrückte, habe der traditionelle Einzelhändler eine Tradition enormer Unabhängigkeit. „He has never been afraid to throw out one line in favor of another he thought better. He draws his strength […] from the confidence and regard his customers and community hold for him.“39 Auch Oxenfeldt stimmte dieser Einschätzung zu: „The retailer can and does play favorites […] One hears frequently that ,dealers are just dirty prostitutes who will push any manufacturer’s line for an extra buck‘“.40 Die Konsumenten mussten sich nicht nur für eine Marke entscheiden, sondern auch dafür, wo sie das Gerät erwerben wollten. „Not by any stretch of the imagination does any store have universal appeal, especially an appliance store“41, stellte ein Handelsratgeber Anfang der 1960er Jahre fest. Die Konsumenten waren mit einer Vielzahl von Handelsformen konfrontiert, deren Struktur ihre Wahlmöglichkeiten beeinflusste.42 Im Prinzip hatten die meisten Konsumenten zwischen den 1940er und den 1980er Jahren die Wahl zwischen vier voneinander zu unterscheidenden Handelsformen: den „traditionellen“, service-orientierten Facheinzelhändlern, den preisgünstigen „Discountern“, den großen Waren- oder Kaufhäusern und den Versandhändlern.43 Diese vier Idealtypen liefern keine abschließende Beschreibung, erlauben aber eine Differenzierung entlang der wichtigsten Kriterien. Oxenfeldts Beschreibung spiegelt den Kauf bei einem traditionellen, serviceorientierten Radio- und Fernseh-Facheinzelhändler (engl. radio and television store) wider, der die mit Abstand wichtigste Anlaufstelle für den Kauf eines Fern-
39 Wray, Laurence: The Battle Is Joined. In: Electrical Merchandising, November 1952, S. 214. 40 Oxenfeldt, Marketing, S. 208–209. Siehe auch: Davidson, Distribution, S. 268–271; Pattern for Survival in TV. In: Electrical Merchandising, Februar 1955, S. 108 und die Aussage: „The dealer […] is a servant of his locality, not a national representative of any one particular brand.“ Neretin, Aaron: Is It a National Disgrace? In: Electrical Merchandising Week, 10. März, 1969, S. 4. Siehe auch: McClure, Peter J.; Ryans jr., John K. (1968): Differences between Retailers’ and Consumers’ Perceptions. In: Journal of Marketing Research 5 (1), S. 35–40. 41 Klasson, Charles R.; Williams, Edgar G. (1961): Management and Financial Controls for Appliance Dealers. Washington, D.C., S. 43. 42 Kopper, Christopher (2002): Handel und Verkehr im 20. Jahrhundert. München, S. 115. Für eine Begriffsklärung verschiedener Einzelhandelsformen, siehe auch: Langer, Revolution, S. 43– 46. 43 A Close Look at Three Traditional Goals. In: Electrical Merchandising Week, 18. September, 1967, S. 32. In der Anfangszeit des Fernsehens in den USA wurden die Geräte an den verschiedensten Orten verkauft, beispielsweise in Kosmetiksalons, Tankstellen und Wäschereien. Aber diese Situation war eine zeitlich begrenzte Ausnahme. Oxenfeldt, Marketing, S. 14.
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sehgerätes war. Der serviceorientierte Rundfunkeinzelhandel war mit der Elektroindustrie Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts entstanden und hatte sich zunächst auf den Verkauf von Radiogeräten spezialisiert. Seit Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts verfügte er über ein auf den Warenbereich der Unterhaltungselektronik – auf Radios, Phonogeräte und Fernsehgeräte – beschränktes Sortiment. Der Fernsehfachhändler war über die von ihm geführten Geräte gut informiert, sodass er seine Kundschaft persönlich und intensiv beraten und ihnen die passenden Geräte empfehlen konnte. Oxenfeldt beschrieb den Fachhändler sogar als eine Art Doktor, der in der Lage sei, dem Konsumenten ein bestimmtes Fernsehgerät zu „verschreiben“.44 Diese Analogie ist auch insofern gerechtfertigt als der Facheinzelhändler in vielen Fällen über eine eigene Servicewerkstatt verfügte, in der defekte Fernsehgeräte repariert werden konnten. Die besondere Serviceorientierung kam zudem in der Gewährung von Krediten zum Ausdruck und der Möglichkeit, im Zuge eines Neukaufs sein altes Gerät in Zahlung zu geben. Lange Zeit war es beim Kauf eines Fernsehgerätes beim Fachhändler selbstverständlich, dass die Lieferung des Geräts und der Anschluss in der Wohnung im Verkaufspreis inbegriffen waren. Der Nachteil für die Konsumenten lag darin, dass der beim Facheinzelhändler zu zahlende Preis insgesamt höher war. Einen ähnlichen Ansatz aus fachkundiger Beratung, Service und hohen Preisen verfolgten die großen Waren- und Kaufhäuser (engl. department stores), die bereits im neunzehnten Jahrhundert entstanden waren.45 Das Ziel der Waren-
44 Oxenfeldt, Marketing, S. 169. Siehe auch: Hirschmann, I. A. (1944): Television in the Retail Field. In: Journal of Marketing 8 (4), S. 394–397. 45 Kauf- und Warenhäuser bilden vermutlich die historisch am besten erforschte Einzelhandelsform, zumindest für die Zeit vor 1945. Ihr Glanz, ihre Präsenz und ihre Stilisierung als „Tempel der Kauflust“ inspirierte insbesondere konsumsoziologisch inspirierte, kulturhistorische Arbeiten. Für eine allgemeine Übersicht: Kopper, Handel, S. 114–115. Vahrenkamp, Richard (2011): Die logistische Revolution. Der Aufstieg der Logistik in der Massenkonsumgesellschaft. Frankfurt am Main, S. 22–24. Siehe auch: Frei, Helmut (1997): Tempel der Kauflust. Eine Geschichte der Warenhauskultur. Leipzig; Briesen, Detlef (2001): Warenhaus, Massenkonsum und Sozialmoral. Zur Geschichte der Konsumkritik im 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main; Haupt, Heinz-Gerhard (2003): Konsum und Handel. Europa im 19. und 20. Jahrhundert. Göttingen, S. 65–89. Für historische Untersuchungen zu den Anfängen, siehe Spiekermann, Uwe (1999): Basis der Konsumgesellschaft. Entstehung und Entwicklung des modernen Kleinhandels in Deutschland 1850 – 1914. München, S. 363–381. Stärker unternehmenshistorisch orientiert: Banken, Ralf (2012): „Everything that Exists in Capitalism Can Be Found in the Departmemt Store“. The Development of Department Stores in the Federal Republic of Germany, 1949–2000. In: Ralph Jessen und Lydia Langer (Hg.): Transformations of Retailing in Europe after 1945. Farnham, Surrey, S. 147–160 und Homburg, Heidrun (2000): The First Large Firms in German Retailing. The chains of department
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häuser war es, „,alles unter einem Dach‘ mit hoher Fachkompetenz zu führen“46. Gemessen an der Sortimentsbreite war der Anteil an Fernsehgeräten relativ gering. Insgesamt kaufte in den USA aber mehr als jeder zehnte Haushalt sein Fernsehgerät bei einem der Warenhäuser. Zählt man den Handelsriesen Sears zu den department stores hinzu war der Anteil dieser Kategorie sogar noch deutlich höher. Sears zählte eigentlich nicht zu den „klassischen“ Kaufhäusern, die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts noch fast ausschließlich regional beschränkte Größen waren. Die Statistiken führten das Unternehmen als catalog chain. Sears war wie die großen Kaufhäuser zwar auch im neunzehnten Jahrhundert entstanden, hatte aber zunächst in erster Linie Versandhandel betrieben. Versandhändler wie Sears oder auch Montgomery Ward informierten ihre Kunden durch gedruckte Kataloge über das Angebot. Dadurch konnten die Unternehmen bei vergleichsweise geringen Fixkosten einen großen Einzugsbereich abdecken und durch große Einkaufsmengen Skalenerträge erzielen. Die Preiseinsparungen konnten an die Kunden weitergeben werden, um sie für die fehlende Beratung und das Risiko eines Fehlkaufs zu entschädigen.47 Erst seit den 1920er Jahren errichtete Sears eigene Filialen, häufig in mehrstöckigen Gebäuden.48 Das Kataloggeschäft verlor im Vergleich zu den Filialen insbesondere in den Metropolregionen schnell an Bedeutung, blieb aber für den ländlichen Markt wichtig.49 Sears allein, dessen Umsätze Ende der 1960er etwa ein Prozent des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts ausmachten, hatte im Fernsehgeräte-Bereich einen konstanten Marktanteil von um die neun Prozent.50 Geradezu gegensätzlich zum beratungsintensiven Facheinzelhandel positionierten sich die preisgünstigen Elektrodiscounter. Ihr Geschäftsmodell bestand
stores from the 1920’s to the 1970/80s: structures, strategies, management. In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (1), S. 171–198. 46 Tietz, Markt, S. 610. 47 Tedlow, Richard S. (1990): New and Improved. The story of mass marketing in America. New York, NY, S. 259–343. 48 Zu Sears in den 1920er Jahren, siehe: Chandler, Alfred D. (1962): Strategy and Structure. Chapters in the history of the industrial enterprise. Cambridge, MA, S. 238. 49 1973 machte das Kataloggeschäft von Sears nur noch 21 Prozent des Umsatzes aus. Bei Montgomery Ward waren es sogar nur 10 Prozent. Tietz, Markt, S. 587. Siehe auch: Oxenfeldt, Marketing, S. 117. 50 Zu Sears, siehe: Everyone’s Number 1 Competitor. Facing up to the Giant. In: Electrical Merchandising Week, 4. März, 1968, S. 21; Oh, that Sears Syndrome. In: Electrical Merchandising Week, 7. Juli, 1969, S. 4; There’s No Time to Slow Down to Catch Sears. In: Electrical Merchandising Week, September 1969, S. 4.
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darin, günstigere Preise als ihre Konkurrenten im Einzelhandel zu verlangen.51 Sie setzten auf einen schnellen Durchlauf der Geräte und eine geringe Sortimentsbreite, weshalb sie den Großhändlern größere Mengen abnehmen und bessere Konditionen einfordern konnten. Gleichzeitig war der angebotene Service stark eingeschränkt. Der Kunde musste sich über die Eigenschaften der Geräte selbst informieren. Kredite wurden nicht gewährt, Gebrauchtgeräte nicht angenommen. Wer das Gerät nach Hause geliefert haben wollte, zahlte einen Aufpreis. Aus Sicht der funktionalen Arbeitsteilung entlang der Wertschöpfungskette ließen sich die Discounter als Möglichkeit der Konsumenten auffassen, wenigstens einige der Distributionsfunktionen selbst zu übernehmen.52 Die Discounter verkauften deshalb auch fast ausschließlich bekannte Markenprodukte und betrieben so gut wie keine Eigenmarken.53 Discounter waren in den USA auch innerhalb des Elektrobereichs kein völlig neues Phänomen der 1940er und 1950er Jahre.54 In den frühen 1950er Jahren erreichte ihre Verbreitung aber eine neue Qualität. Sie wurde als „Discount Revolution“ wahrgenommen und rief eine Welle der Kritik des etablierten Facheinzelhandels hervor.55 Ursprung der Revolution war ein neuer Typ des Discounters im Markt für Fernsehgeräte, die so genannten „Mass Merchandiser“ oder Großdiscounter. Einige von ihnen, wie Korvette’s und Masters in New York und die Polk Bros. in Chicago gelangten zu überregionaler Berühmtheit, wenngleich sie selbst regional beschränkt blieben.56 Die Mass Merchandiser grenzten sich von
51 Bidlingmaier, Johannes (1962): Die Discount Houses. Pioniere im modernen Einzelhandel. In: Karl Christian Behrens (Hg.): Wandel im Handel. Wiesbaden, S. 153–180. 52 Oxenfeldt, Marketing, S. 34; LaFrance, United States, S. 237. Vgl. auch Hesse, Jan-Otmar (2008): Der Konsument als Unternehmer. Fünf Einwände und ein Interpretationsvorschlag. In: Morten Reitmayer und Ruth Rosenberger (Hg.): Unternehmen am Ende des „goldenen Zeitalters“. Die 1970er Jahre in unternehmens- und wirtschaftshistorischer Perspektive. Essen, S. 319–335. 53 The Discount House Grows Up. In: Electrical Merchandising, November 1956, S. 168; Will the Big Discount Houses Invade Your Market?, in Electrical Merchandising, März 1959, S. 56. 54 Für ein früheres Beispiel in der Elektroindustrie, siehe: Hastings, Ernest C.: The Rise and Fall of a Discount Merchant. In: Electrical Merchandising, März 1940, S. 9. Siehe auch: Jacobs, Pocketbook. 55 Farr, Mort: We Don’t Have to Go Discount. In: Electrical Merchandising, Februar 1955, S. 11; Wray, Laurence: Industry at the Crossroads. In: Electrical Merchandising, Juli 1954, S. 222. 56 Zu Korvettes siehe: Sobel, Robert (1999): When Giants Stumble. Classic business blunders and how to avoid them. Paramus, NJ, S. 27–44. Zu Sol Polk, bzw. den Polk Bros.: Enright, Laura (2005): Chicago’s Most Wanted. Washington, D.C., S. 344–345; Wright, John S. (1966): Leaders in Marketing. Sol Polk. In: Journal of Marketing 30 (2), S. 61–62; The King of the Discounters. In: Saturday Evening Post, 13, April, 1963, S. 28 und Sol Polk…How a Master Showman Sells. In: Electrical Merchandising Week, 13. November, 1961, S. 4–5. Allgemein auch: The Discount House Grows Up. In: Electrical Merchandising, November 1956, S. 168; Will the Big Discount Hou-
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den früheren Discountern ab und boten zumindest ein begrenztes Angebot an Service. Masters, ein Mass Merchandiser in New York, ist ein gutes Beispiel für diesen Wandel innerhalb der Discounter selbst. Einerseits positionierte sich Masters als preisaggressiver Einzelhändler, der verkrustete Preisstrukturen aufsprengen wollte und zu diesem Zweck auch vor Gericht zog.57 Andererseits lehnte er es explizit ab, sich als Discounter zu bezeichnen, weil sich seine Funktion als Händler nicht allein auf günstige Preise reduziere.58 Sowohl Facheinzelhändler als auch Discounter waren darauf bedacht, ein entsprechendes Image gegenüber den Kunden zu kommunizieren: „Some stress price and others sell ,prestige‘“59, fasste es ein Artikel der Electrical Merchandising 1958 zusammen. Die Dichotomie innerhalb des Fernsehgeräteeinzelhandels fiel auch zwei Marktforschern Telefunkens auf, die während einer Reise in die USA Ende der 1960er Jahre 20 Einzelhandelsgeschäfte besuchten. In den Discountern dominiere „einzig und allein das Argument ,Preis‘“. Die Fachgeschäfte entsprächen dagegen „in etwa den deutschen Rundfunkfachgeschäften“60. Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal des Facheinzelhandels zu den anderen Handelsformen bildete die Annahme von Gebrauchtgeräten. Die Discounter nahmen ebenso wie Sears keine oder nur selten Gebrauchtgeräte in Zahlung. Sie hatten entweder nicht die Kapazitäten für eine Wiederaufbereitung der Geräte oder scheuten die preispolitische und organisatorische Komplexität, die mit der Annahme verbunden war. Ihre Strategie war, den Kunden zu kommunizieren, dass sie auch ohne die Verrechnung von Gebrauchtgeräten günstige Preise anbieten könnten.61 Für die Facheinzelhändler im Elektrobereich stellte der Umgang mit gebrauchten Geräten von Kühlschränken über Waschmaschinen, Herden, Bügeleisen, Radios bis hin zu Fernsehgeräten dagegen seit Mitte der 1950er Jahre eine zentrale Herausforderung dar. „No single factor in the electrical
ses Invade Your Market? In: Electrical Merchandising, März 1959, S. 56; Bidlingmaier, Discount Houses, S. 165. Langers Behauptung, Discounter seien in den USA erst in den 1950er Jahren als „eigenständige Vertriebsform“ entstanden, ist inkorrekt. Langer, Revolution, S. 121. 57 Siehe dazu Kapitel 7.1.2. 58 Dieselbe Meinung vertrat auch Sol Polk. Siehe: Sol Polk…How a Master Showman Sells. In: Electrical Merchandising Week, 13. November, 1961, S. 5. Siehe auch: Gross, Herbert (1957): Die Preisbindung im Handel. Neue Eindrücke aus Nordamerika und Westeuropa, Düsseldorf, S. 14. 59 They’re Making Money in Today’s TV Market. In: Electrical Merchandising, September 1958, S. 47. 60 Marketing in USA. Reisebericht Dr. v. Seydlitz Fachbereich Marketing, Band 2. Mai 1967, S. 47. In: DTMB/AEG, GS 2031. 61 Wood, Wallis E.: The Key to Setting Prices. In: Electrical Merchandising Week, 2. Januar, 1967, S. 19.
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appliance dealer’s business for 1954“, stellte ein Electrical Merchandising Artikel fest, „affects so greatly his chances of operating profitably as his ability to accept used merchandise in trade without losing his profit on the new appliance sale“.62 Mitte der 1950er Jahre beinhaltete etwa jede dritte Transaktion, Ende der 1950er Jahre sogar mehr als jede zweite Transaktion die Inzahlungnahme eines gebrauchten Fernsehgerätes durch den Händler. Das waren allein im Jahr 1958 über 2,5 Mio. Fernsehgeräte. In frühzeitig gesättigten Märkten wie New York oder Chicago traf die Electrical Merchandising bereits 1955 die Feststellung: „Two sets figure in every television sale.“63 Die Zeitschrift erklärte die richtige Handhabung zu einer Frage des Überlebens im Facheinzelhandel. Hatte im Jahr 1954 noch etwas über die Hälfte der von der Zeitschrift Electrical Merchandising befragten Facheinzelhändler angegeben, gebrauchte Fernsehgeräte entgegen zu nehmen, stieg ihre Zahl bereits im Jahr 1955 auf über 70 Prozent und zwei Jahre später auf über 80 Prozent.64 Für die meisten Einzelhändler war das Geschäft mit den Gebrauchtgeräten zumindest bis Anfang der 1960er Jahre ein einträgliches Geschäft. 59 Prozent der Facheinzelhändler gaben in einer Umfrage von 1961 an, Gewinne zu machen und weitere 29 Prozent konnten immerhin ihre Kosten decken.65 Die praktischen Probleme der Inzahlungnahme, also etwa die Wertbemessung der alten Geräte und die Gewährung des entsprechenden Preisnachlasses für das neue Gerät, waren enorm.66 Die Einzelhändler mussten zudem darauf achten, dass sich die Geräte nicht bei ihnen stapelten. In Regionen mit hoher Sättigung war es nicht einfach, die Geräte wieder loszuwerden. In anderen Regionen gab es Wartelisten für gebrauchte Geräte.67 Wer als Einzelhändler seine Gebrauchtgeräte nicht selbst veräußern konnte oder wollte, verkaufte sie in größeren Mengen und zu günstigeren Preisen an Großhändler, die sie in Gegenden brachten, in denen das Fernsehen noch weniger weit vorangeschritten war.68 Ein weiteres wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen Facheinzelhändlern und Discountern in den 1950er Jahren war die Vergabe von Krediten. Die
62 Trade-Ins (Special Report). In: Electrical Merchandising, März 1954, S. 75. Siehe auch: Klasson/Williams, Management, S. 60. 63 Pattern for Survival in TV. In: Electrical Merchandising, Februar 1955, S. 108. 64 It’s More and More a Replacement Market. In: Electrical Merchandising, Januar 1958, S. 97. 65 How Dealers Handled Trade-Ins in 1961. In: Electrical Merchandising Week, 1. Januar, 1962, S. 52. 66 Dieser Aspekt wird in Kapitel 7.1.2 ausführlicher behandelt werden. 67 Trade-Ins (Special Report). In: Electrical Merchandising, März 1954, S. 75. 68 Pattern for Survival in TV. In: Electrical Merchandising, Februar 1955, S. 108; We’re Missing the Market in Replacement TV. In: Electrical Merchandising, April 1953, S. 148.
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Facheinzelhändler gewährten ihren Kunden einen Zahlungsaufschub. Bei den Discountern musste der Kunde dagegen bar bezahlen. Schätzungsweise rund die Hälfte bis zwei Drittel aller Geräte der Unterhaltungselektronik waren in den USA Anfang der 1960er Jahre kreditfinanziert.69 Für die serviceorientierten Facheinzelhändler waren Kredite ein Verkaufsinstrument, eine Möglichkeit zusätzlicher Gewinne und ein Risiko. Mit Hilfe der Kreditfinanzierung ließen sich hohe Preise in bezahlbare Einheiten aufteilen. Dadurch konnten Verkäufe getätigt werden, die unter anderen Umständen nicht möglich gewesen wären. Im Gegenzug musste der Händler befürchten, dass der Kunde seinen Kredit nicht bediente. In diesem Fall drohte ein Zahlungsausfall oder zumindest ein erhöhter Mehraufwand, um die ausstehenden Zahlungen einzutreiben.70 Für den Einzelhändler konnte die Kreditvergabe aber auch ein sehr einträgliches Zusatzgeschäft sein. Glaubt man der Aussage A.W. Bernsons, dem Geschäftsführer der National Appliance and Radio-TV Dealers Association, konnten die Einzelhändler mit der Finanzierung der Geräte sogar mehr Gewinn machen als mit dem Verkauf der Geräte selbst.71 Anders als dies in den 1920er Jahren die Regel gewesen war, finanzierten die traditionellen Fachhändler ihre Kredite seit den 1950er Jahren nur noch selten aus dem eigenen Vermögen.72 Stattdessen stellten Finanzierungsgesellschaften, die den Fernsehgeräteherstellern gehörten, Konsumentenkredite bereit und gewährten den Händlern Prämien für die Vermittlung.73 Andere Händler
69 Can You Sell Credit? In: Electrical Merchandising Week, 29. Februar, 1960, S. 31. Siehe auch: Wray, Laurence: Buy Now…Pay Later… In: Electrical Merchandising Week, 2. Oktober, 1961, S. 11; Black, Hillel (1961): Buy Now, Pay Later. New York, NY, S. 4. 70 Farr, Mort: Use Capital and Credit Together. In: Electrical Merchandising, Juli 1956, S. 44. Siehe auch: What You Should Know About Credit. In: Electrical Merchandising, Mai 1954, S. 55; Appliance Dealers and the FRB’s „Tight Money“ Policy. In: Electrical Merchandising, Juli 1956, S. 53; Farr, Mort: We Must Merchandise Credit. In: Electrical Merchandising, Juli 1958, S. 29; Savings vs. Credit. In: Electrical Merchandising, Juli 1958, S. 124. Zur allgemeinen Einordnung der Rolle des Kredits in den USA, siehe: Logemann, Jan (2012): From Cradle to Bankrupty? Credit access and the American welfare state. In: Jan Logemann (Hg.): The Development of Consumer Credit in Global Perspective. Business, regulation, and culture. New York, NY, S. 201–222 und Hyman, Louis (2011): Debtor Nation. The history of America in red ink. Princeton, NJ; Calder, Lendol G. (1999): Financing the American Dream. A cultural history of consumer credit. Princeton, NJ; Olney, Martha L. (1991): Buy Now, Pay Later. Advertising, credit, and consumer durables in the 1920s. Chapel Hill, NC; Edwards, Clive (2006): Buy Now – Pay Later. Credit: The mainstay of the retail furniture business? In: John Benson und Laura Ugolini (Hg.): Cultures of Selling. Perspectives on consumption and society since 1700. Aldershot, S. 127–152. 71 Black, Buy, S. 111 (ohne Quellenangabe des Zitats). 72 Siehe dazu Hyman, Debtor Nation, S. 11 und allgemein Logemann, Trams, S. 109 und Strasser, Satisfaction, S. 67. 73 Those New Bank Credit Plans. In: Electrical Merchandising, Juni 1959, S. 38.
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verkauften die Kreditverträge an Banken oder Finanzierungsgesellschaften mit einem Zinsabschlag, der sich an dem Übernahmeanteil des Zahlungsausfallrisikos orientierte.74 Dass die Discounter ihren Kunden keine Kredite gewährten, lag in erster Linie an dem damit verbundenen Aufwand und an der vergleichsweise losen Bindung der Discounter an die Hersteller, die ihnen diese Möglichkeit schlicht nicht einräumten. Seit den späten 1950er Jahren änderten sich die Strukturen der Kreditvergabe fundamental. Sogenannte Kontokorrentkredite (revolving credits) lösten die bis dahin auch bei kleineren Anschaffungen gängigen Ratenzahlungen (installment plans) ab, was die Electrical Merchandising als „the most sensational innovation in consumer credit in years“75 bezeichnete. Der zentrale Unterschied war die Loslösung des Kredits von einem konkreten Kaufakt und eine aktivere Rolle der Banken. Die Banken übernahmen nun zunehmend die zentrale Vermittlerrolle bei der Gewährung eines Kredits für den Kauf eines Fernsehgerätes. Vor diesem Hintergrund führten nun auch Mass Merchandiser die Möglichkeit eines kreditfinanzierten Verkaufs ein, was ihren Aufstieg beschleunigte. E.J. Korvette handelte 1960 als erster Discounter für seine New Yorker Filialen eine Vereinbarung mit der Chase Manhattan über die Einführung eines Finanzierungsplans aus. Im Laufe der 1960er Jahre gingen die Mass Merchandiser kollektiv dazu über, ihren Kunden mit Hilfe der Banken Kredite einzuräumen. Sie rissen damit eines der wesentlichen Unterscheidungsmerkmale zwischen Facheinzelhändlern und Discountern ein. Die Electrical Merchandising sah in dem Vorgehen einen Bruch mit den „Regeln“ und reagierte entsetzt.76
74 How Retail Credit Is Changing. In: Electrical Merchandising Week, 6. April, 1964, S. 14. 75 Those New Bank Credit Plans. In: Electrical Merchandising, Juni 1959, S. 35; Siehe auch: Booming Bank Credit. In: Electrical Merchandising, Juni 1959, S. 106. Hyman zu Folge richteten sich die Kontokorrentkredite in erster Linie an Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Ihr unregelmäßiges Einkommen machte es ihnen schwer, die im Rahmen der Ratenzahlungen vereinbarten Termine einzuhalten. Siehe: Hyman, Debtor Nation, S. 189. 76 Korvette Takes on CMCP and Plans to Run with It. In: Electrical Merchandising Week, 11. April, 1960, S. 3. Der Chase Manhattan Bank Charge Plan funktionierte wie folgt: Händler zahlten der Bank eine Einrichtungsgebühr pro Filiale und einen Zins für die verkauften Geräte. Die Kunden mussten ihre Kreditwürdigkeit überprüfen lassen, erhielten die Kreditkarte aber anschließend kostenlos. Bei Zahlung der Rechnung innerhalb von 20 Tagen fielen keine Zinsgebühren an, bei Zahlung innerhalb eines Jahres lagen sie bei 12 Prozent Jahreszins. Die Händler profitierten also von dem zusätzlichen Umsatz und die Bank von den Zinseinnahmen. Siehe: Hillel, Buy, S. 114–115. Nader, Patman Criticize High Charges for Credit. In: Electrical Merchandising Week, 31. Mai, 1971, S. 20. Siehe auch: Retail Credit Operations under the Gun. In: Electrical Merchandising Week, 29. Mai, 1972, S. 1.
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Das dritte wichtige Unterscheidungsmerkmal zwischen Fachhändlern und Discountern war die Bereitstellung einer Service-Infrastruktur, auf welche die Kunden auch nach dem Kauf eines Fernsehgerätes zurückkommen konnten. Fernsehgeräte waren aufgrund der großen Anzahl verschiedener Bauteile sehr fehleranfällig.77 In den USA rechnete die Zeitschrift „Electronics“ auf Basis von Erfahrungswerten in den Jahren 1947 bis 1949 mit 5 bis 6 Schadensfällen pro Gerät innerhalb nur eines Jahres.78 In den 1950er Jahren musste der durchschnittliche Fernsehgeräte-Besitzer noch mit 1,4 Serviceeinsätzen pro Jahr rechnen.79 Eine in Philadelphia Anfang der 1960er Jahre durchgeführte Studie ergab, dass immer noch 42 Prozent aller Besitzer eines Fernsehgerätes bereits im ersten Jahr ein Reparaturangebot in Anspruch nehmen mussten.80
77 No Machine Is Perfect! In: Electrical Merchandising, November 1959, S. 82. Bei nur 100 verbauten Teilen bewirkte eine Verlässlichkeit von immerhin 99 Prozent bei jedem Einzelteil eine Verlässlichkeit des Produkts von gerade einmal 36,5 Prozent. 78 Siehe: Telefunken. Tabelle der Fernseh-Service-Vorfälle und ihr Verhältnis zueinander. Angaben aus „Electronics“, Juli 1950 [ohne Datum]. In: DTMB/AEG, GS 2896. 79 Harrison, Randall P.: TV Service Is Outgrowing Sales. In: Electrical Merchandising, September 1955, S. 79. 80 What TV Buyers Think About Their Retailers. In: Electrical Merchandising Week, 9. Oktober, 1961, S. 44.
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Abbildung 3: Portrait of a Serviceman Building a Reputation, The Radio Corporation of America, 1953, RadioElectronics1953-04back, David Sarnoff Library digital archive, Hagley Museum & Library, Wilmington, DE 19807
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Die Reparatur eines Fernsehgerätes war ein nicht unerheblicher Kostenfaktor. Für die Konsumenten spielte die Frage des Service und der Zuverlässigkeit der Geräte bei der Anschaffung daher eine zentrale Rolle.81 Die Gewährleistungen (warranties) der Hersteller deckten lediglich die Bauteile selbst, nicht aber ihren Austausch oder überhaupt die Fehleranalyse ab. Ihre Dauer war nicht einheitlich geregelt, lag in den 1950er Jahren aber meist bei lediglich drei Monaten für die Bauteile. Einige Hersteller boten als zusätzliches Verkaufsargument ab Mitte der 1950er Jahre eine einjährige Garantie an, die für die Bauteile galt und eine dreimonatige Servicegarantie einschloss. Magnavox etwa tat diesen Schritt 1956, Philco und Westinghouse 1960.82 Grundsätzlich diente die Gewährleistung in den 1950er und 1960er Jahren lediglich dazu, sicherzustellen, dass ein Gerät bei der Inbetriebnahme nicht bereits defekt war. Sie garantierte nicht den einwandfreien Betrieb für einen längeren Zeitraum.83 Als verbreitete Verkaufsstrategie wurden Garantien von Seiten der Hersteller erst ab Mitte der 1960er genutzt.84 Anfang der 1970er Jahre etablierte sich eine Art industrieweiter Standard für Farbgeräte. Die meisten Hersteller gaben drei Monate Garantie auf Reparaturkosten, zwölf Monate auf die Bauteile und 24 Monate auf die Bildröhre. Bei den in den 1960er Jahren erstmals von Motorola eingeführten und von allen Herstellern außer von
81 Porter, Cases, S. 452; Oxenfeldt, Marketing, S. 139. 82 Magnavox Beefs Up… In: Electrical Merchandising, März 1956, S. 298; Don’t Worry about Longer Warranties. In: Electrical Merchandising Week, 21. November, 1960, S. 1; Labor Warranties on Rise. In: Electrical Merchandising Week, 2. Januar, 1961, S. 2. 83 Als Motorola Anfang 1960 erste Pläne für ein transistorisiertes Fernsehgerät mit einer Gewährleistung von fünf Jahren offen legte, kommentierte der Vorsitzende der National Alliance of Television and Electronic Service Associates, Frank J. Moch, die Ankündigung kritisch. „A warranty has just one legitimate purpose: To assure the buyer that the product was properly constructed of quality components. Ninety day is plenty […] anything longer is ‚phony‘ – a sales gimmick.“ Siehe: Are 5-Year Warranties on Television Too Long? In: Electrical Merchandising Week, 9. Januar, 1961, S. 6. 84 Wood, Wallis E.: The Changing Patterns of Distribution, 20. Dezember, 1965, S. 10. Siehe auch: Dubbs, Ed: The Warranty Grows in Merchandising Importance. In: Electrical Merchandising Week, 20. November, 1967, S. 17–20; Warranty, Warranty – Who’s Got the Warranty? In: Electrical Merchandising Week, 18. März, 1968, S. 3; Color TV Pricing. Westinghouse to pay inwarranty labor. In: Electrical Merchandising Week, 20. Mai, 1968, S. 3; RCA Details All Brand Service Plan. In: Electrical Merchandising Week, 11. Mai, 1970, S. 3; Consumer Pressure on Electronics. In: Electrical Merchandising Week, 25. Mai, 1970, S. 1; Faltermayer, Battle, S. 145. Oxenfeldt, Marketing, S. 138.
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Admiral und Emerson angebotenen Solid-State-Geräten lag die Garantie auf Reparaturkosten bei nahezu allen Herstellern bei 12 Monaten. 85 Die Anfälligkeit der Fernsehgeräte war ein großes Geschäft für Anbieter, Händler und Mechaniker. RCA beschäftigte im Jahr 1948 2.200 Personen im Fernseh-Servicebereich.86 Bereits im Jahr 1953 verdienten einer Schätzung Sylvanias zu Folge über 200.000 Amerikaner ihr Geld mit der Reparatur und der Installation allein von Fernsehgeräten.87 Zwischen 1954 und 1958 wuchs kein Servicebereich in den USA so schnell wie die auf Fernsehgeräte spezialisierten Werkstätten, deren Zahl zwischen 1948 und 1963 von 12.558 auf 43.208 hochschnellte.88 Viele der Mechaniker waren bei den Facheinzelhändlern und den Fachgroßhändlern angestellt, die in den meisten Fällen über eine angegliederte Werkstatt verfügten. Andere arbeiteten in den Servicedepartments regionaler Geschäfts- oder Vertriebsstellen der Hersteller oder betrieben eine eigene Werkstatt. 1955 wurden die Gesamtausgaben für Radio- und TV-Service von der RCA auf 1,5 Mrd. US-Dollar geschätzt. 1956 übertrafen die Ausgaben für Reparatur und Wartung der etwa 35 Mio. Geräte, die in Gebrauch waren, die Ausgaben für alle neu gekauften Geräte in diesem Jahr zusammen.89
85 Color TV Warranties. In: Electrical Merchandising Week, 14. August, 1972, S. 19. Siehe auch: Color TV Innovations Put Future of Service in Doubt. In: Electrical Merchandising Week, 26. April, 1971, S. 25. 86 Bell, William E. (1966): The Maturing TV Industry. In: Journal of Marketing 30 (2), S. 12–15. Hier S. 14. 87 Das Unternehmen Sylvania prognostizierte zu der Zeit ein Wachstum der Branche auf fast eine halbe Million der in diesem Bereich Tätigen bis 1962. Siehe: Big and Getting Bigger. In: Electrical Merchandising, Juni 1953, S. 158. Meistens handelte es sich dabei um kleine, selbständige Unternehmer. Siehe: Oxenfeldt, Marketing, S. 32. 1954 hatten nur 1,3 Prozent aller Werkstätten einen jährliche Umsatz von über $ 100.000. Die wenigsten Werkstätten hatten fest angestelltes Personal. 1958 hatten von allen Werkstätten nur 21,3 Prozent feste Angestellte. Diese Werkstätten machten 40 Prozent des gesamten Umsatzes der Branche aus. Siehe: U.S. Bureau of the Census (1957): Census of Business 1954, Vol. 5. Selected Services -Summary Statistics. Washington D.C. und U.S. Bureau of the Census (1961): Census of Business 1958, Vol. 5. Selected Services -Summary Statistics. Washington D.C. 88 U.S. Bureau of the Census (1961): Census of Business 1958, Vol. 5. Selected Services -Summary Statistics. Washington D.C. und U.S. Bureau of the Census (1970): Census of Business 1967, Vol. 5. Selected Services- Area Statistics. Part 1. U.S. Summary and Alabama to Indiana. Washington D.C. 89 Harrison, Randall P.: TV Service Is Outgrowing Sales. In: Electrical Merchandising, September 1955, S. 78. Die Schätzungen darüber, wie viele der seit 1946 verkauften 38.588.000 Geräte Mitte 1955 noch in Gebrauch waren schwankten zwischen 36.477.000 (Schätzung NBC) und 34.549.000 (Schätzung Sylvania).
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Aufgrund der geringen Betriebssicherheit der Fernsehgeräte erwarben die Konsumenten in den USA sogenannte „Serviceverträge“, die zwar alle innerhalb einer festgelegten Zeit anfallenden Kosten abdeckten, aber auch sehr teuer waren. Wie ein Mitarbeiter Telefunkens 1952 feststellte zahlte ein amerikanischer Kunde „in drei Jahren noch einmal den Kaufpreis des Gerätes“90. An der Preisentwicklung dieser Verträge lässt sich gut die im Laufe der 1950er Jahre zunehmende Zuverlässigkeit der Geräte ablesen. Die RCA, die ein eigenes und weit verzweigtes Service-Netzwerk betrieb, nahm 1950 für einen durchschnittlichen Service-Vertrag 100,00 US-Dollar, im Jahr 1955 69,95 US-Dollar und Anfang der 1960er Jahre „nur“ noch 39,50 US-Dollar.91 Gleichzeitig nahm die Zahl der Konsumenten, die beim Kauf eines Fernsehgerätes einen Servicevertrag unterschrieben, bis Mitte der 1950er Jahre stetig ab. 1949 hatten noch 75 Prozent aller Kunden einen Vertrag abgeschlossen. 1951 waren es 66 und 1954 nur noch 49 Prozent.92 Die zunehmende Zuverlässigkeit der Geräte, die an den abnehmenden Kosten der Serviceverträge zu erkennen ist, gefährdete die Gewinnwahrscheinlichkeit der Werkstätten. Viele Händler, die in den 1950er Jahren eine profitable Armada aus Mechanikern beschäftigt hatten, gingen seit den späten 1950er Jahren dazu über, Werkstätten wieder auszugliedern.93 Ab 1963 sank auch die Zahl der in der offiziellen Statistik angeführten Reparaturbetriebe von 43.208 auf 33.063 Betriebe im Jahr 1967.94 Die Einnahmen der selbständigen Radio- und Fernsehwerkstätten stiegen allerdings weiter.95 Der Grund dafür ist in erster Linie in der Verbreitung des Farbfernsehens zu zu sehen. Die Reparatur der Geräte erforderte technische Fertigkeiten, die in vielen Werkstätten nicht mehr vorhanden waren. Während die Länge der standardmäßigen Gewährleistung von den Herstellern bestimmt wurde, konnten selbständige Großhändler und die Vertriebsstellen auf regionaler Basis zusätzliche Vereinbarungen mit ihren Einzelhändlern treffen. Die New Yorker Vertriebsstelle des Herstellers Admiral bspw. bot den von
90 Buhl an alle G[eschäfts]S[tellen]! Betr.: Service-Versicherung. 24. April, 1952. In: DTMB/AEG, GS 2896. 91 Oxenfeldt, Marketing, S. 138. Für eine detailliertere Aufschlüsselung nach Gerätegröße und Antennenform, siehe: RCA Victor. Werks-Service-Vertrag. Preisliste (mit Wirkung vom 1. September 1951) (Abschrift Telefunkens). In: DTMB/AEG, GS 2896. 92 Harrison, Randall P.: TV Service Is Outgrowing Sales. In: Electrical Merchandising, September 1955, S. 79. Siehe auch: TV Sales Without Service Contracts. In: Electrical Merchandising, September 1952, S. 112. 93 Oxenfeldt, Marketing, S. 140. 94 U.S. Bureau of the Census (1970): Census of Business 1967, Vol. 5. Selected Services- Area Statistics. Part 1. US Summary and Alabama to Indiana. Washington D.C. 95 Ebd.
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ihr belieferten Einzelhändlern Mitte der 1950er Jahre bei dem Kauf der neu eingeführten Portables das folgende Geschäft an. Für 12,95 US-Dollar konnten sie ihren Konsumenten den Abschluss einer einjährigen Garantie anbieten, die sich sowohl auf die Bauteile als auch auf die Reparaturkosten erstreckte. In diesen Preis eingerechnet war ein Profit von drei US-Dollar pro Vertragsabschluss, der direkt an den Händler ging. Die Bedingung des Garantieangebots war, dass das Gerät an die Werkstatt der Vertriebsstelle geschickt wurde.96 Viele Facheinzelhändler machten ihren Kunden aber auch eigene Garantieangebote. Ein Händler aus Florida beispielsweise verkaufte im Jahr 1959 Serviceverträge für 59,94 US-Dollar, die eine einjährige Garantie auf alle Bauteile und Reparaturkosten umfassten. Für 34,94 US-Dollar erhielt der Kunde eine einjährige Garantie auf alle Bauteile außer der Bildröhre und eine 90-Tage-Garantie auf die anfallenden Reparaturkosten.97 Alternativ setzten die Händler darauf, dass die Kunden für die Reparatur zu ihnen zurückkamen, bzw. einen ihrer Mechaniker anforderten. Für den Besuch bei einem Klienten nahm ein Mechaniker im Jahr 1951 durchschnittlich 6,66 US-Dollar. 1955 waren es durchschnittlich 7,56 US-Dollar.98 Das Warenhaus Macy’s nahm im Jahr 1964 8,50 US-Dollar für die Reparatur in der Wohnung, Bauteile nicht inbegriffen. Bei einer notwendigen Mitnahme des Geräts stiegen die Reparatur-Kosten auf 24,50 US-Dollar.99
4.2 Strukturwandel im Groß- und Einzelhandel der USA 4.2.1 Entwicklung des Facheinzelhandels Ein Blick auf die langfristige Entwicklung des auf Fernsehgeräte spezialisierten Facheinzelhandels in den Vereinigten Staaten, die in Tabelle 10 dargestellt ist, zeigt eine sehr wechselvolle Entwicklung. Im Jahr 1948, zu Beginn eines entstehenden Massenmarktes für Fernsehgeräte, gab es laut offizieller Statistik 7.231 radio and television stores, die 14.399 Angestellte beschäftigten und in vielen
96 From Bob Howard to All Salesmen (NY&NJ). Subject: Admiral Portable Television Standard Parts Warranty & One Year Service Contract. April 17, 1956 (Exhibit No. 25B). In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box No. 88, Folder 1.4. 97 8 Ways to Make More Money on TV Service. In: Electrical Merchandising, August 1959, S. 64. 98 Harrison, Randall P.: TV Service Is Outgrowing Sales. In: Electrical Merchandising, September 1955, S. 79. Siehe auch: Calculating Retail Service Rates. In: Electrical Merchandising Week, 27. September, 1965, S. 8. 99 Here’s Macy’s Solution to Setting Repair Charges. In: Electrical Merchandising Week, 14. September, 1964, S. 63.
4.2 Strukturwandel im Groß- und Einzelhandel der USA
111
Fällen noch einen starken Schwerpunkt auf dem Radiogeschäft aufwiesen. Mit der regionalen und mengenmäßigen Ausbreitung des Fernsehens im Laufe der 1950er Jahre wuchs die Zahl der Geschäfte rasch an. Ende der 1950er Jahre hatte sie sich mehr als verdoppelt. Anschließend zeigt die Statistik einen dramatischen shakeout im Facheinzelhandel, der die Zahl der Händler von fast 17.000 auf etwas über 10.000 zu Beginn der 1960er Jahre reduzierte. Auch die Zahl der Angestellten nahm ab, wenn auch deutlich weniger drastisch. Damit hatte die Zahl der radio and television stores ihren historischen Tiefpunkt erreicht. Der Ökonom Vincent La France, der Anfang der 1980er Jahre eine Studie über die Fernsehgeräteindustrie veröffentlichte, führte den drastischen shakeout im Einzelhandel auf den historischen Bedeutungswandel der Fernsehgeräte und einen dadurch intensivierten Preiswettbewerb zurück. Indem Fernsehgeräte zuverlässiger und gleichförmiger geworden seien und die Nachfrage preiselastischer, seien viele Funktionen der traditionellen Händler wie Beratung, Lieferung, Installation, Reparatur und Kredit entweder nicht mehr notwendig gewesen oder nicht mehr nachgefragt worden. Konsumenten hätten begonnen, eher zu Impulskäufen mit einem Fokus auf Preisen zu neigen als zu langfristig vorbereiteten und beratungsgestützten Entscheidungen. LaFrance fasste seine Ausführungen zur Distribution von Fernsehgeräten als Geschichte eines Niedergangs traditioneller Handelsformen zusammen: „The history of TVR distribution is a story of the growth of nontraditional outlets and decline of traditional dealers“.100 Die Ausbreitung des Farbfernsehens in den 1960er Jahren relativiert diese Wahrnehmung. Tatsächlich stieg die Zahl der Facheinzelhändler mit der Durchsetzung der neuen Innovation wieder drastisch an. Bereits Anfang der 1970er gab es mit über 17.000 mehr Facheinzelhändler als je zuvor. Bis Ende der 1980er Jahre wuchs die Zahl – bei leicht veränderter Klassifikation – sogar auf über 30.000 Händler.101
100 LaFrance, United States, S. 237–240. Zitat auf S. 238. Siehe auch: Oxenfeldt, Marketing, S. 180. Auch das Office of Technology kam in seiner Studie zu dem Ergebnis: „Prior to the rapid sales gains of imported TV sets, the American market had been dominated by franchised dealers carrying well-known brand names. However, the Japanese chose to sell through alternative channels such as discount outlets where price was important. Here, their reliability advantage came into play, because discount stores rarely offered servicing.“ Office of Technology Assessment, Industrial Competitiveness, S. 78. 101 U.S. Bureau of the Census: Census of Business. Retail Trade. Washington, D.C. (versch. Jg.).
112
4 Zwischen Fabrik und Wohnzimmer. Die Rolle des Groß- und Einzelhandels
Tabelle 10: Zahl der radio and television stores in den USA, 1948–1987102 Establishments (Geschäfte)
Proprietorships (persönlich haftende Händler)
Establishments payroll only (Geschäfte mit Angestellten)
Employees (Beschäftigte)
1948
7.231
7.305
1958
16.761
17.644
10.251
35.804
1963
10.365
9.472
8.989
30.611
1967
13.400
9.600
9.701
46.376
1972377
17.500
9.500
k.A.
k.A.
1977
24.752
13.470
16.664
72.949
1982
k.A.
k.A.
19.462
92.284
1987
30.621
16.076
18.892
k.A.
14.399
Angesichts der enormen Ausweitung des Absatzes von Fernsehgeräten in den 1960er und 1970er Jahren erscheint die positive Entwicklung der radio television stores kaum verwunderlich. Allerdings hat die Diskussion der verschiedenen Handelsformen gezeigt, dass es auch Alternativen für den Vertrieb eines Fernsehgerätes gab. Ein vollständiges Bild auf die Entwicklung der Strukturen im Einzelhandel ergibt sich daher erst aus Sicht der Marktanteile, die die verschiedenen Handelsformen beim Verkauf von Fernsehgeräten im historischen Verlauf erreichten. In Grafik 14 sind die nach Schwarz-Weiß- und Farbgeräten differenzierten Marktanteile aufgelistet.
102 Angaben nach U.S. Bureau of the Census: Census of Business. Retail Trade. Washington, D.C. (versch. Jg.). Im Jahr 1987 wird die Kategorie „Radio and Television Store“ durch „Radio, Television and Electronics Stores“ ersetzt. 103 Für 1967 und 1972 liegen keine nach „Radio and Television Stores“ differenzierten Zahlen vor, sondern nur für Radio, Television and Music Stores. Die Angaben sind grobe Schätzungen. Sie basieren auf der Relation von Radio and Television Stores zu Music Stores in den Jahren 1963 (1,8:1) und 1977 (1,55:1) unter der Annahme, dass sie 1967 und 1972 bei etwa 1,7:1 lag. Die Angaben spiegeln daher nur einen annäherungsweisen Trendwert wider und wurden bewusst gerundet.
4.2 Strukturwandel im Groß- und Einzelhandel der USA
113
100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
1961 (S/W)
1975 (S/W)
1975 (Farbe)
1980 (S/W)
1980 (Farbe)
Andere Handelsformen / Unbestimmt Mail Order & Catalog Chain (u.a. Sears) Discount Houses & Mass Merchandiser Department Stores Radio-TV & Appliance and Furniture Stores Grafik 14: Marktanteile verschiedener Handelsformen in den USA (nach Stückzahlen)104
Wie die Grafik zeigt, verloren die serviceorientierten Fachhändler im Laufe der 1960er und 1970er Jahre trotz ihres quantitativen Wachstums Marktanteile, weil sie insgesamt nicht mit der Ausweitung des Konsums mithalten konnten. Auch
104 Den Anteil der verschiedenen Einzelhandelsformen an den Verkäufen von Fernsehgeräten zu bestimmen ist ein statistisch schwieriges Unterfangen. Öffentliche Statistiken, die von den Produkten ausgehen, werden der notwendigerweise feinen Aufgliederung in den USA erst Mitte der 1970er Jahre gerecht. Bis dahin sind Fernsehgeräte meist unter der größeren Kategorie der „major appliances“ zusammengefasst. Die an verschiedenen Stellen seit den 1960er Jahren veröffentlichen Daten legen darüber hinaus unterschiedliche Differenzierungen der einzelnen Handelsformen an. Das macht Betrachtungen über längere Zeiträume hinweg schwierig. Die Grafik liefert lediglich Annäherungswerte für die langfristige Entwicklung der Vertriebsstruktur von Fernsehgeräten. Quellen: Für das Jahr 1961: Television Digest, 9. August, 1965 (basierend auf einer Studie der EIA. Für die Jahre 1975 und 1980: Merchandising Week (versch. Jg.).
114
4 Zwischen Fabrik und Wohnzimmer. Die Rolle des Groß- und Einzelhandels
die Anteile der Department Stores, also der Kauf- bzw. Warenhäuser, fielen von über 20 Prozent im Jahr 1961 auf etwa 15 Prozent im Jahr 1980. Sears, Montgomery Ward und andere catalog chains konnten ihren Anteil ebenso wie die Mass Merchandiser innerhalb von wenigen Jahren stark ausbauen. Im Jahr 1961 sind diese Handelsformen noch unter „Other“ mit „Automotive Stores“ (5,3 Prozent), „Hardware Stores“ (1,43 Prozent) und „Jewelry & Music Stores“ (2,69 Prozent) zusammengefasst, machten also nicht einmal 10 Prozent des Umsatzes aus. Zu sehen ist außerdem, dass sich in den Jahren, in denen differenzierte Daten vorhanden sind, die Vertriebsstrukturen zwischen Schwarz-Weiß-Geräten und Farbgeräten deutlich unterschieden. Die traditionellen Facheinzelhändler konnten bei Farbgeräten ihre Marktanteile einigermaßen konstant halten. Bei den günstigeren Schwarz-Weiß-Geräten weiteten dagegen sowohl die großen Discounter als auch die nationalen catalog chains ihren Marktanteil auf etwa 20 Prozent aus. Bei Farbgeräten kratzten die Ketten ebenfalls an der 20-Prozent-Marke, während die Discounter zwar auch hier ihren Anteil ausweiteten, über einen Anteil von ca. 10 Prozent aber nicht hinauskamen.105 Die Geschichte des Vertriebs von Fernsehgeräten in den 1960er und 1970er Jahren spiegelte folglich nicht einfach die Verdrängung des traditionellen Facheinzelhandels, sondern im Gegenteil eine zwischenzeitlich quantitativ zunehmende Bedeutung wider. Der Anteil der von den Facheinzelhändlern verkauften Fernsehgeräte war im Laufe der 1970er Jahre zwar tatsächlich gesunken, wie LaFrance feststellte. Da er an dieser Stelle aber vergaß, auf den großen Unterschied zwischen Schwarz-Weiß- und Farbgeräten hinzuweisen, vermittelte er einen falschen Eindruck. Von einer Gleichförmigkeit der Geräte konnte keine Rede sein. Sein Hinweis auf einen Bedeutungswandel der Fernsehgeräte ist gleichwohl hilfreich. Er berührt direkt die Frage des noch zu diskutierenden Konsums von Fernsehgeräten. Die Facheinzelhändler reagierten auf die Ausbreitung der Mass Merchandiser und der nationalen Ketten durch eine verstärkte Kooperation untereinander, wodurch sie ähnliche Einkaufskonditionen erzielen konnten wie die großen Discounter.106 Die Kooperation im Facheinzelhandel war keine qualitativ
105 Der Befund wird gestützt durch die Studie Dambrot, Stuart M. (1980): Consumer Electronics. Product & market trends. Stamford, CT, S. 19. 106 Buying Groups Clout. In: Merchandising Week, November 1978, S. 16. Siehe auch die Fallstudien einiger Mitglieder von Einkaufsgruppen: Al Eisen. Armed with Co-Op Power to Fight the Local Giants. In: Electrical Merchandising Week, 17. Juni, 1968, S. 31; Irving R. Small. Selling Merchandise by Keeping it on the Move. In: Electrical Merchandising Week, 19. August, 1968, S. 8.
4.2 Strukturwandel im Groß- und Einzelhandel der USA
115
neue Erscheinung der 1960er Jahre.107 Ihr quantitatives Ausmaß hatte sich bis dahin aber in Grenzen gehalten, weil viele traditionelle Facheinzelhändler die Kosten der Mitgliedschaft, ihre Regeln und den Verlust an unternehmerischer Freiheit scheuten.108 Die Ausbreitung der Mass Merchandiser und der großen Ketten bewirkte ein Umdenken auf Einzelhandelsebene, das die Vorteile der Einkaufsgruppen in den Vordergrund rückte. In amerikanischer Manier schrieb die Electrical Merchandising Week Ende der 1960er Jahre, die Fernsehgerätehändler seien endlich bereit, etwas von ihrer geliebten Freiheit der wechselseitigen Abhängigkeit zu opfern: „Just as cooperation helped the American pioneer survive the hazards of frontier life, so too does the awakening mood of interdependence among independent retailers suggest a solution for survival in their business life.“109 In den 1970er Jahren nahm die Kooperation zu.110 Eine der ersten und größten Einkaufsgruppen war MARTA (Metropolitan Associated Radio-Television and Appliance Dealers), die 1967 gegründet wurde und bis Ende der 1970er Jahre bei einem jährlichen Umsatz von 300 Mio. US-Dollar auf 67 Mitglieder mit 309 Filialen anwuchs.111 Andere Einkaufsgruppen wie Post Merchandisers oder Key National operierten in ähnlichen Größenordnungen. Wie viele Facheinzelhändler in Gruppen organisiert waren und wie hoch der über Einkaufsgruppen abgewickelte Einkauf von Fernsehgeräten war, lässt sich nur schwer schätzen, da die Gruppen nicht offen über ihre konkreten Geschäfte redeten. Gruppenmitglieder wurden bei der Herausgabe von vertraulichen Informationen ausgeschlossen.112 In einer
107 Für ein früheres Beispiel siehe: The Significant Evolution of a Voluntary Chain. In: Electrical Merchandising, März 1957, S. 89. 108 To Join or not to Join a Co-Op Buying Group. In: Electrical Merchandising Week, 28. Juli, 1962, S. 4; Wood, Wallis E.: Retail Cooperatives. What Price the Independent Dealer’s Survival? In: Electrical Merchandising Week, 13. November 1967, S. 18; Joining a Retail Buying Co-Op Mai Only Be the First Big Step. In: Electrical Merchandising Week, 8. Juli 1968, S. 7. 109 The Frontier of Independence. In: Electrical Merchandising Week, 17. Februar, 1969, S. 3. 110 Independents Warned Time Is Running Out. In: Electrical Merchandising Week, 17. April, 1972, S. 1; NARDA Throws Its Weight behind „Well Managed“ Buying Groups. In: Electrical Merchandising Week, 5. Februar, 1973, S. 5; Group Buying and the Direction It’s Taking for Dealers. In: Electrical Merchandising Week, 12. März, 1973, S. 26; Für eine kritische Haltung, siehe: Buying Groups no Friend to Retailer. In: Electrical Merchandising Week, 8. Februar, 1971, S. 20. 111 Buying Groups Clout. In: Merchandising Week. November 1978, S. 16. Schon in den frühen 1950er Jahren hatten sich erste Einkaufsgruppen wie 40 Thieves, Good Neighboor Stores oder IRMA gegründet. Meist waren diese aber schnell wieder verschwunden. Der erste größere Erfolg war MARTA. Siehe: Retailing History. In: Electrical Merchandising Week, 14. August, 1972, S. 26. 112 Wood, Wallis E.: Retail Cooperatives. What Price the Independent Dealer’s Survival? In: Electrical Merchandising Week, 13. November, 1967, S. 18.
116
4 Zwischen Fabrik und Wohnzimmer. Die Rolle des Groß- und Einzelhandels
1978 durchgeführten Umfrage unter Appliances/Radio-Fernseh-Fachhändlern gab ein gutes Viertel der Befragten an, Mitglied einer Einkaufsgruppe zu sein, wobei die meisten dieser Händler weniger als 25 Prozent ihrer Einkäufe über die Gruppe abwickelten.113
4.2.2 Die Entwicklung des Großhandels Die revolutionären Umwälzungen im Einzelhandel berührten auch den Großhandel, dessen Strukturwandel seinerseits auf den Einzelhandel zurückwirkte. Der Vertrieb über selbständige Großhändler war die seit Beginn des Marktes für Fernsehgeräte in quantitativer Hinsicht dominante Form der Distribution gewesen.114 Wie an Tabelle 11 abzulesen ist wiesen die selbständigen Großhändler für elektrische Haushaltsgeräte, Fernsehen und Radio noch Ende der 1950er Jahre einen fünfmal so großen Umsatz wie die Vertriebsstellen aus und beschäftigten auch mehr als fünfmal so viele Personen. In den 1960er und 1970er Jahren bauten dagegen die Vertriebsstellen ihre Bedeutung aus. Zwischen 1958 und 1977 sprangen ihre Umsätze von 679 Mio. auf über 6,4 Mrd. US-Dollar. Sie stiegen also fast um das Zehnfache während die unabhängigen Großhändler in dieser Zeit ihren Umsatz (bei laufenden Werten) nicht einmal verdreifachen konnten. Ende der 1970er Jahre setzten die selbständigen Großhändler nur noch anderthalbmal so viel um wie die Vertriebsstellen.115
113 Opinion File: Questionnaire. In: Merchandising Week, August 1978, S. 46. 114 LaFrance, United States, S. 236. 115 Siehe auch: Weiss, Edward B. (1965): Vertical Integration. The coming era of scrambled marketing. In: U.S. Congress (Hg.): Price Discrimination Legislation-1965. Hearings before the Subcommittee on Antitrust and Monopoly 89–1, pursuant to S. Res. 40 on S. 995, Juni 21–23, and 30, 1965. Washington, D.C., S. 203–255; Independent Distributors Move to Expand for Greater Strength. In: Electrical Merchandising Week, 29. April, 1968, S. 23 und „Super Distributor“ Emerging from Traumatic Change. In: Electrical Merchandising Week, 28. Februar, 1972, S. 12.
4.2 Strukturwandel im Groß- und Einzelhandel der USA
117
Tabelle 11: Zahl an Rundfunk- u. Elektro-Großhändlern und Vertriebsstellen, 1954–1987 (USA)116 Merchant Wholesalers Establishments
Sales (in $ 1.000)
1954
2.065
2.814.584
1958
2.403
1963
Manufacturers’ Sales Branches Employees
Establishments
Sales (in $ 1.000)
Employees
3.431.731
47.486
319
678.596
8.259
2.486
4.166.274
41.791
422
1.011.104
7.537
1967
2.299
5.717.819
46.716
384
1.923.054
7.814
1977
2.577
9.580.260
44.926
421
6.407.911
14.369
1982
2.785
15.342.110
k.A.
384
7.384.028
k.A.
1987
2.932
25.968.613
51.004
311
11.627.233
9.034
Dass sich diese Struktur vertriebspolitischer Arbeitsteilung seit den 1960er Jahren veränderte, hatte eine Reihe von Gründen. In erster Linie war die Verschiebung eine Reaktion auf die revolutionären Entwicklungen, die sich auf der Einzelhandelsebene abspielten. Das war weniger der Ausbreitung der in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren dominanten Mass Merchandiser geschuldet. Die Dominanz dieser prominenten Händler veränderte die vertriebspolitische Struktur schon deshalb nicht entscheidend, weil sie auf die Metropolregionen wie New York und Chicago beschränkt blieben, in denen ohnehin die Vertriebsstellen dominant waren.117 Das galt in gleicher Weise für die großen Warenhäuser, die department stores. Entscheidend war eine andere Entwicklung auf Einzelhandelsebene, die in den späten 1960er und 1970er Jahren einsetzte. Seit dieser Zeit gingen die Hersteller dazu über, ihre eigenen Vertriebsstellen nicht mehr regional, sondern auch nach verschiedenen überregionalen Großabnehmern, soge-
116 Die englische Bezeichnung in der Statistik ist Electrical Appliances, TV and Radio Sets. Quellen: U.S. Bureau of the Census: Census of Business. Wholesale Trade, Washington, D.C. (versch. Jg.). Die Handelsvertreter („Agents“), die in der Statistik des Bureau of the Census ebenfalls aufgeführt sind, spielten bis Ende der 1970er Jahre eine geringe Rolle und sind hier der Übersichtlichkeit halber nicht aufgeführt. Ihre Umsätze betrugen 1958 $ 256 Mio, 1967 $ 490 Mio, 1977 $ 1,94 Mrd. und 1987 $ 5,09 Mrd. 117 Regional Is Retailing…Distribution Still Local. In: Electrical Merchandising Week, 5. Oktober, 1970, S. 5.
118
4 Zwischen Fabrik und Wohnzimmer. Die Rolle des Groß- und Einzelhandels
nannten „Key Accounts“118 zu strukturieren. Der Hintergrund war die Ausbreitung nationaler Ketten, die zunehmend in das Geschäft mit der „Braunen Ware“ einstiegen.119 Zu ihren Vertretern gehörten beispielsweise J.C. Penney, Wards, Zayres oder später K-Mart, die zum Teil Herstellermarken, zu einem wesentlichen Teil aber Eigenmarken führten.120 Das Geschäft mit Fernsehgeräten und anderen Gütern der Unterhaltungselektronik machte, wie bei den Warenhäusern auch, einen nur geringen Teil des Umsatzes der großen nationalen Ketten aus. Aber zum einen war ihre Kaufkraft trotzdem so stark und zum anderen war ihre nationale Ausrichtung für die regional operierenden Vertriebsstellen so ungeeignet, dass die Hersteller sich diesen Anforderungen anpassten.121 Die einzige Ausnahme war die RCA, die über ein großflächiges und gut funktionierendes Distributionsnetzwerk verfügte und erst 1976 Direktverkäufe an nationale Ketten einführte.122 Die großen Handelsketten forderten einen direkten Zugang zur Vertriebsorganisation der Hersteller sowie die Produktion von Geräten, die ihren Bedürfnissen entsprachen. Dabei ging es gar nicht in erster Linie darum, preisaggressiv günstig erworbene Geräte verkaufen zu können, sondern teilweise ganz im Gegenteil um die Herstellung von
118 Dubbs, Ed: Sears. Discounters Forcing More Change. In: Electrical Merchandising Week, 28. Februar, 1972, S. 12. Siehe auch: Changes Bring Diffusion in Distribution Patterns. In: Electrical Merchandising Week, 5. Juli, 1971, S. 10. 119 „Manufacturers Have Tacitly Encouraged an Oriental Bazaar at Retail…“. In: Electrical Merchandising Week, 12. Februar, 1968, S. 15. Siehe allgemein auch Logemann, Trams, S. 188–191. 120 Der in den 1960er Jahren bedeutendste Vertreter dieser überregional organisierten Handelsformen war ohne Zweifel der bereits im neunzehnten Jahrhundert als Versandhändler gestartete Handels-Riese Sears. Für die vertriebspolitische Revolution des amerikanischen Großhandels in den 1960er und 1970er Jahre spielte Sears aber eine vergleichsweise geringe Rolle, weil das Unternehmen bereits seit längerem durch exklusive Lieferverträge und die zwischenzeitliche Übernahme des Fernsehgeräteherstellers Warwick über eigene Produktions- und Vertriebsstrukturen verfügte. Die vertikale Integration verschiedener Hersteller war eine seit frühester Zeit verfolgte Strategie von Sears gewesen (siehe dazu: Chandler, Strategy, S. 228). Im 1966 verkaufte Sears Warwick an den Haushaltsgerätehersteller Whirlpool, der seinerseits aber Sears mit Waschmaschinen und anderen Geräten belieferte. Siehe: Warwick & Sears. Big Push Coming. In: Electrical Merchandising Week, 23. Juni, 1969, S. 11. Zu K-Mart, siehe: Electronics Suppliers Help out with Tests. In: Merchandising Week, April 1980, S. 23. 121 The Volume Merchant. Shaping Products by Expanding Markets. In: Electrical Merchandising Week, 14. April, 1969, S. 33. Siehe auch: Discounters Eye „Hybrids“ for Direct-Buying Gains. In: Electrical Merchandising Week, 2. August, 1971, S. 1. 122 RCA Selling Direct to National Chains. In: Television Digest, 24. Mai, 1976, S. 8.
4.2 Strukturwandel im Groß- und Einzelhandel der USA
119
Exklusivgeräten (sogenannten custom lines), die eben nicht für einen direkten Preisvergleich auf Handelsebene in Frage kamen.123 Die Zunahme der Private Labels ist ein eindeutiger Beleg für die zunehmende Bedeutung der Mass Merchandiser, Ketten und Kooperationen. Einer Schätzung zufolge stieg der Anteil der Eigenmarken im Farbfernsehgerätebereich zwischen 1964 und 1974 von 7 auf 18 Prozent.124 Anfang der 1970er Jahre produzierte Warwick Geräte für Sears, RCA für J.C. Penney und Admiral für Montgomery Ward und K-Mart.125 Genaue Angaben für die Verbreitung der Eigenmarken sind nicht zu erhalten, da sie, wie es ein Artikel ausdrückte ein wenig wie Pornographie seien. „There’s a lot of it around but no one wants to talk about where it comes from.“126 Das lag auch daran, dass Eigenmarken einen sensiblen Bereich des Wettbewerbs zwischen den Herstellern berührten. Zwei Geräte, die außer dem Verkaufsort, dem Preis und dem aufgedruckten Namen keine sichtbaren Unterschiede aufwiesen, gefährdeten das für Markenhersteller wie Facheinzelhändler gleichermaßen wichtige Narrativ der technischen Überlegenheit der Markengeräte. Bereits Ende der 1970er Jahre war die zwischenzeitliche Angst eines durch Eigenmarken vollständig dominierten Marktes aber verflogen, weil klar wurde, dass Hersteller- und Eigenmarken keine sich sinnvollerweise ausschließenden Angebotsformen bildeten.127 Ein weiterer Grund für die abnehmende Bedeutung der selbständigen Großhändler war, dass einige Hersteller seit Mitte der 1960er Jahre ihre eigenen Servicedepartments ausbauten. Das war zum einen der zunehmenden technischen Komplexität der Geräte geschuldet, mit der die Werkstätten der selbständigen Großhändler aus Sicht der Hersteller überfordert waren. Zum anderen hatten die Unternehmen erkannt, dass sich mit der Reparatur der Geräte Geld verdienen
123 „Major national buyers […] want unique products which will be exclusive in their areas and aren’t susceptible to consumer price shopping. Zenith and others have followed this practice for many years.“ RCA Maps more Aggressive Sales Program. In: Television Digest, 12. April, 1976, S. 9. 124 See Private Label Color TV Sales at 20 % of ’78 Total. In: Electrical Merchandising Week, 13. Mai, 1974, S. 38. 125 Private Labels in Color TV Seen at 16 % of Market and Rising. In: Electrical Merchandising Week, 1. Oktober, 1973, S. 1. 126 Private Label. Who Does What for Whom. In: Merchandising Week, September 1977, S. 71. Bereits 1965 warnte S.R. Herkes, Präsident der Consumer Products von Motorola in einer an die traditionellen Fachhändler addressierten Rede: „The private label will dominate the market […] if we do not compensate in some way or other for the economic advantage private-label retailers currently enjoy.“ The Distribution Dilemma. Motorola Sees a Way Out. In: Electrical Merchandising Week, 2. August, 1965, S. 8. Siehe auch: Universal-by-GE. A Public Answer to Private Labels. In: Electrical Merchandising Week, 20. September, 1965, S. 15. 127 Private Label. Who Does What for Whom. In: Merchandising Week, September 1977, S. 71.
120
4 Zwischen Fabrik und Wohnzimmer. Die Rolle des Groß- und Einzelhandels
ließ.128 In jedem Fall beraubte das Vorgehen die selbständigen Großhändler einer ihrer zentralen Funktionen und damit einer wesentlichen Existenzgrundlage.129 Teilweise war die Ausweitung aber auch eine notwendige Maßnahme seitens der Hersteller, um aus dem Geschäft ausgestiegene Großhändler zu ersetzen. Viele Großhändler scheuten die Kosten, die mit der Umstellung auf elektronische Datenverarbeitungssysteme in den 1960er Jahren verbunden waren oder sie waren nicht in der Lage, das generationelle Nachfolgeproblem zu lösen.130 Das verursachte insbesondere für die kleineren Hersteller Schwierigkeiten. Die großen Hersteller, wie RCA oder Zenith, hatten dagegen weniger Probleme, die größten und fähigsten Großhändler für sich zu gewinnen.131 Bis in die 1970er Jahre betrieb der Marktführer Zenith lediglich vier eigene Vertriebsstellen und zwar ausschließlich in den Metropolregionen in Chicago, Kansas City, New York und San Francisco.132
4.3 Groß- und Einzelhändler in der Bundesrepublik Die an der Vetriebsstruktur von Fernsehgeräten beteiligten Akteure waren in der Bundesrepublik dieselben wie in den USA. Das gilt zu weiten Teilen auch für die Funktionen der einzelnen Akteure entlang der Wertschöpfungskette. Die Probleme des Kaufs und Verkaufs von Fernsehgeräten waren strukturell bedingt und dadurch in beiden Ländern vorgegeben und ähnlich.133 Allerdings ließen sie sich auf unterschiedlichste Weise lösen. Daher unterschieden sich sowohl die Aufga-
128 Wood, Wallis E.: The Changing Patterns of Distribution. In: Electrical Merchandising Week, 20. Dezember, 1965, S. 10. 129 Wood, Wallis E.: The Changing Patterns of Distribution. In: Electrical Merchandising Week, 20. Dezember, 1965, S. 10. 130 Manufacturers Moving to Update Archaic Distribution System. In: Electrical Merchandising Week, 15. April, 1968, S. 3. 131 Independent Distributors Move to Expand for Greater Strength. In: Electrical Merchandising Week, 29. April, 1968, S. 23; Distribution Shakeups. New Lift for Independents? In: Electrical Merchandising Week, 19. Mai, 1969, S. 2. 132 RCA Maps More Aggressive Sales Program. In: Television Digest, 12. April, 1976, S. 9. 1965 waren sogar nur zwei der insgesamt 83 Großhändler unternehmenseigene Vertriebsstellen. Siehe: Walter C. Fisher (Zenith): Briefing and Selling the Sales Force on the New Product. In: Role of the Sales Organization in Launching New Products. 13th Annual Marketing Conference (NICB), October 21, 1965, S. H69. In: HML/NICB, Series I, Box 119. 133 Statement of the NAM to the Anti-Trust Subcommitee of the Senate Committee on the Judiciary relative to Mandatory Functional Discounts, HR 10304, HR 10305, HR 10640, HR 10999, HR 11409. July 18, 1958, S. 3–4. In: HML/NAM, Series XII, Box 192.
4.3 Groß- und Einzelhändler in der Bundesrepublik
121
benverteilung der einzelnen Akteure als auch die Verhältnisse zwischen Herstellern, Großhändlern und Einzelhändlern sehr stark von den Verhältnissen in den USA. Im Folgenden sollen vor allem die Unterschiede herausgearbeitet werden, um unnötige Wiederholungen zu vermeiden.
4.3.1 Der Großhandel in der Bundesrepublik In der BRD war das Verhältnis zwischen Herstellern und Großhändlern weniger eng und weniger exklusiv. Die Rundfunk- und Fernsehgroßhändler waren in der BRD nicht an strenge territoriale Grenzen gebunden, so dass es den Großhändlern im Regelfall frei gestellt war, dahin zu liefern, wo sie es für opportun hielten. Die Großhändler führten normalerweise auch nicht nur eine Marke, sondern Fernsehgeräte von drei bis vier konkurrierenden Herstellern.134 Ähnliche Aussagen wie die Oxenfeldts über die Beziehungen zwischen den Herstellern und ihren Großhändlern sind in der Bundesrepublik nicht überliefert. Die Treffen zwischen Vertretern der Industrie und den Großhändlern, die häufig im Rahmen der großen Internationalen Funkausstellung in Berlin stattfanden, verliefen zwar durchaus feucht-fröhlich. Ein vergleichbarer Glamour ist auf den Fotos, die in den entsprechenden Fachzeitschriften abgedruckt sind, aber nicht zu erkennen. Die unterschiedliche Aufteilung der Funktionen entlang der Wertschöpfungskette wird besonders an der Differenz der Handelspannen deutlich, die den beiden Handelsformen im Kontext durchkalkulierter Preislisten gewährt wurden. Während in der BRD die Differenz der Spanne zwischen Groß- und Einzelhandel relativ konstant bei um die 5 Prozent lag, betrug sie in den USA nicht selten über 10 Prozent.135 Auch zwischen den Großhändlern und den Einzelhändlern bestand in der Bundesrepublik eine weniger enge Verbindung. Der Rundfunkgroßhandel konzentrierte sich im Wesentlichen auf die Belieferung der Einzelhändler und die Transformation großer Mengen an Gütern in kleinteilige Verkaufseinheiten. Er gewährte den Einzelhändlern Kredit für größere Anschaffungen an Geräten
134 Tietz gibt an, dass „als Mindestmarkenprogramm drei bis vier führende Hersteller angesehen werden können.“ Tietz, Markt, S. 944. Siehe auch: Fack, Fritz Ullrich: Das Rabattkartell der Rundfunkindustrie. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. September, 1958. 135 Für die BRD, siehe etwa die Rabattstaffel in Tabelle 26 . Für die USA siehe die Diskussion in Kapitel 6.1.2.
122
4 Zwischen Fabrik und Wohnzimmer. Die Rolle des Groß- und Einzelhandels
und stellte Ausstellungsräume zur Verfügung.136 Viele Großhändler verfügten auch über eigene Werkstätten, in denen defekte Fernsehgeräte repariert werden konnten. Die Weiterbildung und Beratung der Einzelhändler war in der BRD dagegen eher Sache der Hersteller und ihrer regionalen Vertriebsstellen.
4.3.2 Die Funktion der Einzelhändler und Werkstätten In der Bundesrepublik konnten die Konsumenten ihre Fernsehgeräte im traditionellen Facheinzelhandel, in Warenhäusern, bei Discountern und Verbrauchermärkten sowie über den Versandhandel beziehen. Wie auch in den USA war der traditionelle Facheinzelhandel die wichtigste Anlaufstation. Der Anteil der Warenhäuser am Markt für Fernsehgeräte war in der Bundesrepublik geringer. Dafür war bei Fernsehgeräten der Versandhandel von größerer Bedeutung.137 Allein der Versandhändler Neckermann hatte zwischenzeitlich einen Marktanteil von um die 5 Prozent.138 Discounter hat es ebenfalls gegeben. In den 1950er Jahren bezeichneten sie sich zunächst als „Preisbrecher“. Erst im Laufe der 1960er Jahre setzte sich auch in der Bundesrepublik der Begriff des „Discounters“ durch.139 Mit der Zeit führten zudem die auf Lebensmittel spezialisierten Verbrauchermärkte eigene Abteilungen für Unterhaltungselektronik ein. Auch die deutschen Konsumenten waren sich der Dichotomie zwischen „Service“ und „Preis“ bewusst.140 Anders als in den USA kam in der Bundesrepublik dem Direktvertrieb eine wichtige Bedeutung zu. Bei dieser Vertriebsform wurde eine der Handelsstufen übersprungen. Der Konsument kaufte also nicht beim Einzelhandel, sondern direkt beim Großhändler oder der Fabrik. Der kreditfinanzierte Verkauf von Fernsehgeräten spielte in der Bundesrepublik eine ähnlich bedeutende Rolle wie in den USA. Das Institut für Handelsforschung hatte Mitte der 1950er Jahre ermittelt, dass der Radio- und Fernseheinzelhandel in den Jahren 1953 und 1954 etwa 65 Prozent seiner Umsätze durch
136 „Raumüberbrückungs-, Zeitausgleichs- und Mengentransformationsfunktion“ Tietz, Markt, S. 873. Siehe auch: Vom Spannendendenker zum Dienstleistungslieferanten. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Januar 1974, S. 6–7. 137 Tietz, Markt, S. 598. 138 Vorläufige Auswertung der Haushaltsbefragung Fernseh-Ersatz- und Zweitgeräte (ZVEIUntersuchung). Dezember 1963. In: DTMB/AEG, GS 1161. 139 Schildt, Zeiten, S. 273. Seit 1964 erschienen die „Discount-Informationen“ des Verbands Deutscher Discounthäuser e. V., Krefeld. 140 Greipl, Erich (1978): Wettbewerbssituation und -entwicklung des Einzelhandels in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin, S. 148–153. Siehe auch: Tietz, Markt, S. 161–169.
4.3 Groß- und Einzelhändler in der Bundesrepublik
123
Kreditverkäufe abwickelte. Auch die Marktforschungsabteilung Telefunkens vermutete, dass Fernsehgeräte „weitestgehend über Kreditverkäufe“ abgesetzt würden.141 1953 wurden 33,8 Prozent der Kreditverkäufe als Teilzahlungskredite in eigener Regie des Einzelhandels, 20,9 Prozent in Verbindung mit Teilzahlungsinstituten und 10,5 Prozent als offene Buchkredite abgewickelt. 1954 lagen die jeweiligen Zahlen bei 29,2, 13,8 und 22,2 Prozent.142 Fast vier Fünftel einer vom Ifo-Institut München befragten Gruppe gab an, Ratenkredite seien die einzige Möglichkeit der Bedarfsdeckung. Fast alle Befragten (99,5 bzw. 98,9 Prozent) gaben außerdem an, die Kredite seien eine „angenehme Erleichterung“ oder eine „wertvolle Hilfe“.143 Dies widersprach dem negativen Image, mit dem Kreditzahlungen in den 1950er Jahren in der Bundesrepublik verbunden waren.144 Die Marktforschungsabteilung Telefunkens stellte fest: „Die Bevölkerung geht nach Befriedigung des dringendsten Nachholbedarfs zu einem kultivierten, höheren Konsum über. Ein Grossteil dieser Güter des gehobenen Bedarfs wird über den Teilzahlungskredit abgewickelt.“145 Im Laufe der nächsten Jahrzehnte sank der Anteil der Kreditverkäufe am Gesamtumsatz der Radio- und Fernseheinzelhändler auf 39,6 Prozent im Jahr 1968 und auf 30,9 Prozent im Jahr 1976.146 Die Fernsehgeräte waren in der Bundesrepublik nur bedingt zuverlässiger als in den USA. Eine Untersuchung bei Telefunken ergab 1961, dass im Verlauf nur eines Jahres 80 Prozent aller erworbenen Geräte ausfielen und reparaturbedürftig wurden.147 Ein Facheinzelhändler aus Fürth gab an, im Jahr 1966 bei 161 von
141 Telefunken Marktforschung: Wirtschaftsbrief (4). November 1955, S. 7. In: DTMB/AEG, GS 1959. Die Bereitschaft, ein Fernsehgerät auf Kreditbasis zu erwerben, unterschied sich von der bei anderen Konsumgütern gezeigten Bereitschaft. Insgesamt hatten einer demoskopischen Erhebung zu Folge 1953 jeder vierte Haushalt, 1958 etwa jeder sechste und 1964 nur noch knapp jeder zehnte Haushalt einen Ratenzahlungskredit zu bedienen. Siehe: Schildt, Axel (2007): Die Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland bis 1989/90. München, S. 24 und Wildt, Michael (2003): Continuites and Discontinuities of Consumer Mentality in West Germany in the 1950s. In: Richard Bessel (Hg.): Life after Death. Approaches to a cultural and social history of Europe during the 1940s and 1950s. Washington, D.C., S. 211–229. Hier S. 219–220. Siehe außerdem: Stücker, Britta (2007): Konsum auf Kredit in der Bundesrepublik. In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (2), S. 63–88. 142 Telefunken Marktforschung: Wirtschaftsbrief (4). November 1955, S. 7. In: DTMB/AEG, GS 1959. 143 Ebd., S. 9. 144 Wildt, Continuities, S. 225; Logeman, Trams, S. 111–115. 145 Telefunken Marktforschung: Wirtschaftsbrief (4). November 1955, S. 9. In: DTMB/AEG, GS 1959. 146 Tietz, Markt, S. 706. 147 Diese Daten hatten dem Unternehmen zuvor gar nicht zur Verfügung gestanden, da sich die Übernahme der Reparaturen arbeitsteilig und unübersichtlich auf das Netzwerk aus Geschäfts-
124
4 Zwischen Fabrik und Wohnzimmer. Die Rolle des Groß- und Einzelhandels
260 verkauften Fernsehempfängern eine Reparatur durchgeführt zu haben. In 42 Prozent der Fälle seien diese in seiner Werkstatt und zu 58 Prozent beim Kunden erfolgt.148 Ein Report der Stiftung Warentest, der über fünf Jahre nach Einführung des Farbfernsehens veröffentlicht wurde, bestätigte die Probleme. Er ergab, dass die Besitzer damit rechnen müssten, dass ihr Apparat bereits während des ersten halben Jahres mindestens einmal kaputtgehe.149 Die deutschen Fernsehgerätehersteller hatten frühzeitig Überlegungen angestellt, wie die Servicekosten entlang der Vertriebskette zu verteilen seien. Telefunken beispielsweise war über die Servicesituation in den USA noch vor Einführung des Fernsehens in der BRD gut informiert. Die Vertreter des Unternehmens rechneten vor, dass ein ähnliches Versicherungssystem wie in den USA, wo die Konsumenten für jedes Gerät einen Service-Vertrag erwerben konnten, in der BRD Jahresprämien von um die 350 D-Mark bedeutet hätten. Sie führten dazu aus: „In Deutschland ist man sich darüber im klaren, dass solche Service-Beträge unmöglich sind, und versucht daher, andere Wege […] zu gehen.“150 Wie sich die Verteilung der Servicekosten schließlich genau ausdifferenzierte, ist insbesondere über historisch lange Zeiträume schwer zu ermitteln. Der zeitliche Umfang der Herstellergarantien schwankte und die Hersteller organisierten ihren Kundendienst unterschiedlich. Manche von ihnen legten ihren Schwerpunkt auf eigene Niederlassungen. Andere setzten auf Vertragswerkstätten des Handwerks oder des Einzelhandels.151 Die auf die Bildröhre gewährte Garantie lag in den ersten Jahren bei einem halben Jahr. Mitte der 1960er Jahre erhöhten die Unternehmen Schaub-Lorenz und Graetz die Garantie auf zwei Jahre, was nach Meinung des Radio-Fernseh-Händlers dem Stand der Bildröhrentechnik entsprach, die mit den Jahren deutlich zuverlässiger geworden war.152 Zur selben
stellen, Großhändlern und Einzelhändlern verteilte. Sie konnten nur deshalb ermittelt werden, weil die von der Muttergesellschaft AEG mit der Distribution beauftragte Firma Panther alle Reparaturen von ihrer eigenen Service-Abteilung durchführen ließ und darüber Buch führte. Siehe: Untersuchungen über Reparaturhäufigkeit bei Telefunken-Fernseh-Geräten. Hannover, den 3. Februar, 1962. In: DTMB/AEG, GS 922. 148 Werksgarantie – Sorgenkind des Fachhandels. In: Radio-Fernseh-Händler, Dezember 1966, S. 414. 149 „test“-Report. Kundendienst bei Farbfernsehgeräten. In: Radio-Fernseh-Händler, November 1975, S. 16. Die Geschichte des Reparierens ist auch in der BRD nur stiefmütterlich erforscht. Siehe: Reith, Reinhold; Stöger, Georg (2012): Einleitung. Reparieren – oder die Lebensdauer der Gebrauchsgüter. In: Technikgeschichte 79 (3), S. 173–184. 150 Himmelmann und Buhl an alle GS’en. Betr.: Fernseh-Service. 13. Mai, 1952. In: DTMB/AEG, GS 2896. 151 Tietz, Markt, S. 864. 152 Zwei Jahre Garantie für Bildröhren. In: Radio-Fernseh-Händler, Februar 1965, S. 44.
4.3 Groß- und Einzelhändler in der Bundesrepublik
125
Zeit installierte Kuba/Imperial eine neue Dauerprüfanlage im Werk, um rechtzeitig die Frühausfälle aufzuspüren, die erst nach einer längeren Betriebszeit auftraten. Die Transportkette, an der die zusammengebauten Geräte entlanggeführt wurden, enthielt „Schlag- und Rüttelstrecken sowie Vorrichtungen zum Ein- und Ausschalten der Geräte“153. Solche Vorrichtungen ersetzten den markanten Gummihammer, mit dem der Hersteller Graetz in den 1960er Jahren warb. 154 Telefunken gab 1973 nach eigenen Berechnungen insgesamt 2,7 Prozent des Umsatzes für den Garantieaufwand bei Farbfernsehgeräten aus. Im Jahr 1974 stieg der Anteil auf 3,6 Prozent.155 Noch in den 1970er Jahren schloss die Garantie der Hersteller bei Fernsehgeräten lediglich die Materialkosten, nicht aber die Kosten für die notwendigen Reparaturen ein.156 Die Hersteller lieferten Ersatzteile an Groß- und Einzelhändler. Sie übernahmen aber lediglich die Kosten für solche Reparaturen, die innerhalb der ersten Tage anfielen (sogenannte ÜbernahmeGarantie-Reparaturen) und zahlten den Groß- und Einzelhändlern, die diese Reparaturen ausführten, unterschiedlich geregelte Pauschalsätze.157 Zeitweise gewährten die Hersteller den Händlern mit dem Argument der Reparaturkosten auch höhere Spannen.158 Ende der 1960er Jahre gab es fast 6.000 Unternehmen im Elektrohandwerk, die der Radio- und Fernsehtechnik zugeordnet waren und etwa 35.000 Radiound Fernsehtechniker beschäftigten. Die Zahl stieg infolge der Einführung des Farbfernsehens bis Mitte der 1970er Jahre auf über 7.500 Unternehmen mit fast 40.000 Beschäftigten.159 Häufig wurden die Reparaturen nicht beim Einzelhändler, sondern in den Werkstätten der Großhändler durchgeführt.160 Für die Kunden waren aber in den meisten Fällen die Einzelhändler, bei denen sie ihr Gerät gekauft hatten, die ersten Ansprechpartner. Für die Wahl des Einkaufsortes
153 Neuartige Dauerprüfanlage für Fernsehgeräte. In: Radio-Fernseh-Händler, Februar 1965, S. 44. 154 Anzeige. In: Radio-Fernseh-Händler, März 1968. 155 TFR-Revision Farbfernsehgeräte. Abschlußbericht. Frankfurt am Main, 11. September, 1975. In: DTMB/AEG, JB XA 898. 156 Garantieabwicklung. Neue Regelung bei Grundig. In: Radio-Fernseh-Händler, Januar 1974, S. 15. 157 Vorstand und Beirat des VDRG tagten. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Februar 1971, S. 25; Garantieabwicklung. Neue Regelung bei Grundig. In: Radio-Fernseh-Händler, Januar 1974, S. 15. 158 Werksgarantie – Sorgenkind des Fachhandels. In: Radio-Fernseh-Händler, Dezember 1966, S. 414. 159 Tietz, Markt, S. 837. 160 Rationalisierungsmöglichkeiten beim Farbfernsehservice. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, April 1970, S. 97.
126
4 Zwischen Fabrik und Wohnzimmer. Die Rolle des Groß- und Einzelhandels
und die Beständigkeit des Fachhändlers im Bereich der Unterhaltungselektronik kann die Rolle des Service in Form von Beratung, Kundendienst und Garantieleistung kaum hoch genug veranschlagt werden.161 Die Rolle des Preises bei der Auswahl der Werkstatt wurde erstaunlich gering bewertet. Einer Schätzung zu Folge reparierten die Radio- und Fernsehfachgeschäfte und die Radio- und Fernsehtechniker über 60 Prozent aller verkauften Geräte selbst. Bei Farbfernsehgeräten lag die Loyalität der Kunden mit etwa 80 Prozent noch höher.162 Anfang der 1960er Jahre wurde ein Händler verklagt, der mit der Angabe geworben hatte: „Kundendienst für alle Geräte durch Urkunde auf Lebenszeit der Geräte garantiert“. Der Kläger hatte darin eine irreführende Werbung gesehen, die den Kunden den Eindruck vermittle, die Reparaturen umsonst zu erhalten. Das Landgericht Tübingen wies die Klage mit der Feststellung ab, dass der Kunde darin keinen kostenlosen Service vermute und fügte hinzu: „Heutzutage ist die Bezahlung von solchen Kundendienstleistungen die geringere Schwierigkeit gegenüber der anderen, sie überhaupt zu erhalten. Bekanntermaßen ist es die wirkungsvollste Waffe des Einzelhandels gegenüber dem Versandhandel, an dessen, oft billigeren Geräten den Kundendienst zu verweigern, auch wenn ihn der Kunde bezahlen will […] Die Möglichkeit, einen Kundendienst überhaupt zu erhalten, wird im Verkehr zunehmend für wichtiger angesehen, als Preisunterschiede und die Entgeltlichkeit.“163
Viele Facheinzelhändler versuchten, die Kosten, die sie bei einer späteren Reparatur zu tragen hatten, bereits in den Verkaufspreis einzurechnen, weil die Kunden eine kostenlose Reparatur der Geräte erwarteten. Andere Händler mussten sich mit verärgerten Kunden, die die Garantiebestimmungen falsch verstanden hatten, auseinandersetzen.164 Rechtlich gesehen stellte die Situation insbesondere für die Einzelhändler ein Problem dar, da das BGB den Verkäufer einer Ware für deren Funktionieren in Haft nahm. Eine vom Fachhandel sehr wohlwollend aufgenommene Garantiekarte Grundigs, die 1974 eingeführt wurde, klärte expli-
161 Eine Ende der 1970er Jahre durchgeführte Studie führte diese drei Punkte als die wichtigsten Gründe für den Kauf von Farbfernsehgeräten beim Fachhändler an. Siehe: Rühl, G.; Hantsch, G.; Wagner, W. (1978): Situation heute. Einflüsse und Auswirkungen. Karlsruhe, S. 213. Siehe auch: Orland, Barbara (1998): Haushalt, Konsum und Alltagsleben in der Technikgeschichte. In: Technikgeschichte 65 (4), S. 273–295. Hier S. 286 und Giedion, Sigfried (1987): Die Herrschaft der Maschinisierung. Ein Beitrag zur anonymen Geschichte, Frankfurt am Main, S. 643. 162 Rühl, Situation, S. 220–224. Siehe auch: Tietz, Markt, S. 861. 163 Werbung mit Preisgegenüberstellungen. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Januar 1963, S. 21. 164 Die Garantie im Radio-Fachhandel. Einige grundsätzliche Gedanken zu einem brennenden Problem. In: Radio-Fernseh-Händler, September 1967, S. 330–331.
4.3 Groß- und Einzelhändler in der Bundesrepublik
127
zit die Regelung über die „Nebenkosten“ zwischen dem Fachhändler und dem Käufer. Ob der Fachhändler Kosten für An- und Abtransport, Fahrtkosten, Verpackung oder Arbeitslohn in Rechnung stellen würde, ließ sich für jeden Verkauf individuell regeln.165 Im Jahr 1971 übernahm die Bundesstatistik erstmals die Kosten für die Reparatur eines Fernsehgerätes in ihre Berechnung der Lebenskosten. Wie Tabelle 12 zeigt, stiegen die Reparaturkosten pro Stunde im Laufe der 1970er Jahre deutlich und gegensätzlich zur Preisentwicklung der Geräte an. In dieser Zeit boten in Deutschland drei Versicherungsunternehmen eine spezielle Reparaturversicherung für Fernsehgeräte an, die Elektro Dauer Garantie Reparaturversicherung AG, die Gothaer und die Hanse-Merkur. Tabelle 12: Reparaturkosten für Fernsehgeräte, 1962–1984 (BRD)166 Kosten in DM, pro Stunde (ohne Fahrt- und Materialkosten) 1962
9,00
1978
34,00
1971
18,00
1979
37,00
1972
20,00
1980
40,00
1973
22,00
1981
43,00
1974
26,00
1982
46,00
1975
28,00
1983
48,00
1976
30,00
1984
50,00
1977
31,00
Die Jahresprämien lagen je nach Angebot und Gerätegröße für Farbfernsehgeräte zwischen 200 und 270 D-Mark, bei Schwarz-Weiß-Geräten zwischen 70 und 120 D-Mark. Das war selbst in laufenden Preisen eine deutliche Senkung gegenüber der Schätzung Telefunkens Anfang der 1950er Jahre, die sowohl die zunehmende Zuverlässigkeit der Geräte wie auch ihren Preisverfall zum Ausdruck bringt.
165 Garantieabwicklung. Neue Regelung bei Grundig. In: Radio-Fernseh-Händler, Januar 1974, S. 15. 166 Statistisches Bundesamt: Fachserie M – Preise, Löhne, Wirtschaftsrechnungen. Reihe 6 – Preise und Preisindizes der Lebenshaltung (versch. Jg.).
128
4 Zwischen Fabrik und Wohnzimmer. Die Rolle des Groß- und Einzelhandels
4.4 Strukturwandel im Groß- und Einzelhandel der BRD 4.4.1 Entwicklung des Facheinzelhandels In der Bundesrepublik war zu Beginn des Marktes für Fernsehgeräte der traditionelle, serviceorientierte Facheinzelhandel der mit Abstand wichtigste Ort für den Kauf eines Fernsehgerätes. Diese Tatsache schien so selbstverständlich, dass über die Rolle anderer Einzelhandelsformen zunächst keine brauchbaren statistischen Angaben gesammelt wurden. Nach einer Schätzung der Fachzeitschrift Radio-Fernseh-Händler, die auf Angaben des Statistischen Bundesamts, des Instituts für Handelsforschung in Köln und Verbandsangaben basierte, lag der Anteil der Facheinzelhändler am Gesamtumsatz von Rundfunk-, Fernseh- und Phonogeräten im Jahr 1962 bei 78,9 Prozent. In den folgenden sechs Jahren fiel dieser Anteil auf 66,1 Prozent. Von dieser Entwicklung profitierten mit einer Steigerung von 7,9 auf 11,1 Prozent die Warenhäuser, vor allem aber die relativ neu entstandenen Verbrauchermärkte und „Cash & Carry“-Betriebe, die ihren Anteil von 1,5 auf 12,8 Prozent ausbauen konnten.167 Anders als im Fall des spezialisierten Facheinzelhandels machten Rundfunk- und Fernsehgeräte nur einen geringen Anteil im Sortiment dieser Handelsformen aus. Eine Ende der 1970er Jahre von Mitarbeitern des Ifo-Instituts durchgeführte Studie bestätigte den für die 1960er Jahre festgestellten Trend sinkender Anteile des Facheinzelhandels zulasten der Verbrauchermärkte. Sie kam zu einem nur noch 62-prozentigen Anteil des Facheinzelhandels am Handel mit Rundfunk-, Fernseh- und Phonogeräten, während der Versandhandel bei 5 Prozent stagnierte und die C&C-Betriebe und Verbrauchermärkte ihren Anteil auf 18,5, die Warenhäuser auf 13 Prozent hätten ausbauen können.168 Eine ebenfalls im Kontext des Ifo-Instituts durchgeführte Studie Anfang der 1980er Jahre relativierte diese Einschätzung. Die Studie, die sich auf den nahezu deckungsgleichen Bereich der „Güter der Unterhaltungselektronik“ bezog, kam auf einen die gesamten 1970er Jahre hindurch konstanten Marktanteil des Fachhandels von knapp unter 70 Prozent. Warenhäuser kamen auf um die 8 Prozent, der Versandhandel baute seine Anteile von 8,5 im Jahr 1970 auf 10 Prozent 1980 aus. Verbrauchermärkte schwankten zwischen 6 und 8 Prozent. Der Rest (etwa 6–8 Prozent) entfiel auf
167 Bewegte Zeiten. Eine Untersuchung über den Wettbewerb im Rundfunk-, Fernseh- und Phonogeräte-Einzelhandel. Teil 2. In: Radio-Fernseh-Händler, Juli 1970, S. 176–180. Hier S. 176. Die Angaben für die C&C-Betriebe und die Verbrauchermärkte sind mit den (geringen) Werten des Handwerkerverkaufs zusammengerechnet. 168 Greipl, Wettbewerbssituation, S. 149.
4.4 Strukturwandel im Groß- und Einzelhandel der BRD
129
den nicht-institutionellen Einzelhandel (Handwerk, Großhandel, Industrie), dem in der anderen Studie die C&C-Märkte zugeordnet worden waren.169 Das waren erhebliche Abweichungen zu den Angaben, die das Ifo-Institut noch vier Jahre zuvor gemacht hatte und zeigt die Unsicherheit von Schätzungen dieser Art. Betrachtet man allein den Absatz an Fernsehgeräten, kam der selbständige Facheinzelhandel einer Studie der GfK zu Folge 1973 auf einen mengenmäßigen Marktanteil von 72 Prozent und dieser Anteil stieg bis 1977 auf 75 Prozent. Wertmäßig lag der Anteil sogar bei 78 bzw. 83 Prozent, wobei unklar ist, auf welcher Basis die von Bruno Tietz angeführte Studie zu ihren Ergebnissen kommt.170 Eine andere Studie der späten 1970er Jahre, die auch zwischen Schwarz-Weißund Farbgeräten differenziert, kommt zu einem ähnlichen Ergebnis (siehe Grafik 15). Während noch 1977 66 Prozent aller Schwarz-Weiß-Fernsehgeräte über den Facheinzelhandel abgesetzt wurden, lag der Wert bei Farbgeräten mit 71 Prozent deutlich höher. Hier bestätigt sich der im amerikanischen Beispiel entstandene Eindruck, dass Güter der Unterhaltungselektronik mit zunehmender Verbreitung von den Fachhändlern zu Handelsformen wanderten, die stärker über den Preis konkurrierten. Trotz aller statistischen Unsicherheiten zeigen diese Ergebnisse insgesamt doch relativ eindeutig, dass der Facheinzelhandel bei den beratungsintensiven Farbfernsehgeräten seine zentrale Stellung halten konnte.171
169 Batzer, Erich; Greipl, Erich; Täger, Uwe (1982): Kooperation im Einzelhandel. Berlin, S. 206. 170 Tietz, Markt, S. 358. Der Funk-Fachhändler ging von ähnlichen Zahlen – rund 73 Prozent auf den gesamten Markt für Unterhaltungselektronik bezogen – aus. Bei einzelnen Unternehmen wie Nordmende lag der Anteil mit 95 Prozent noch deutlich höher. Siehe: Nordmende bleibt am Ball und steht zum Fachhandel. In: Funk-Fachhändler, September 1979, S. 39. 171 Siehe auch: Nieschlag, Robert (1976): Der Klein- und Mittelbetrieb im Handel. Schicksal und Chancen. Berlin, S. 15.
130
4 Zwischen Fabrik und Wohnzimmer. Die Rolle des Groß- und Einzelhandels
100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
1977 (S/W)
1977 (Farbe)
Facheinzelhandel
Warenhäuser
Verbrauchermärkte / Cash&Carry
Versandhandel
Grafik 15: Marktanteile verschiedener Handelsformen in der BRD (Stückzahlen)172
Die Facheinzelhändler versuchten, der Konkurrenz in Gestalt der anderen Handelsformen durch eine verstärkte Kooperation in den eigenen Reihen zu begegnen. Seit Anfang der 1960er Jahre gründeten sich verstärkt Kooperationsgruppen oder Einkaufsringe, die sich gegenseitig durch Informationsaustausch, Sortimentsberatung, Kalkulationshilfen, Betriebsvergleiche und Schulungen unterstützten.173 Vor allem unterstützten sie einander durch einen gemeinsamen Einkauf, um „starken Partnern auf dem Markt eine größere Macht entgegensetzen zu können“174 und angesichts der sinkenden Spannen „auf einen möglichst günstigen Einkaufspreis zu kommen“175. Während sich 1960 erst etwa 150 Unternehmen des Radio- und Fernsehfachhandels zu solchen Kooperationsformen
172 Rühl, Strukturuntersuchung, S. 210. Rühl u. a. unterscheiden beim Fachhandel zwischen Fachhandel und Technikern, die hier zusammengefasst sind. Die Statistik enthält außerdem die Kategorie „Großhandel“, die hier mit Verbrauchermärkten u. Cash&Carry-Geschäften wiedergegeben ist. Der Grund ist die lange Zeit nicht trennscharf zu ziehende Unterscheidung zwischen den beiden Handelsformen. Zu den historischen Hintergründen, siehe Kapitel 7.2.3. 173 Für eine ausführlichere Liste, siehe: Batzer/Greipl/Täger, Kooperation, S. 210. 174 Fachhandels-Ringe in unserer Branche. In: Radio-Fernseh-Händler, September 1966, S. 292. Siehe auch: Gemeinschaft stärkt. In: Radio-Fernseh-Händler, Oktober 1967, S. 359; Wir müssen uns formieren. Aktuelle Gedanken zur notwendigen Einkaufspolitik. In: Radio-Fernseh-Händler, Mai 1970, S. 100. 175 Die zwei Gesichter der Handelsmarken. In: Radio-Fernseh-Händler, Juni 1965, S. 223.
4.4 Strukturwandel im Groß- und Einzelhandel der BRD
131
entschlossen hatten, wuchs diese Zahl bis Ende der 1960er Jahre auf über 500 Unternehmen an, die teilweise mehrere Filialen betrieben.176 Die Geschäftsstellenleiter Telefunkens hatten bereits 1963 festgestellt, dass die Einkaufsringe die Bemühungen des Unternehmens, niedrige Handelsspannen durchzusetzen, erheblich störten. Auch kleinere Händler würden „durch diesen Gesamteinkauf zu hohe Rabatte erhalten und damit das Niveau am Ort verderben“177. Ein Blick auf die Größenstrukturen der Facheinzelhändler im Verlauf der 1960er zeigt, dass die Gruppe der kleinsten Händler von den Kooperationsbemühungen am wenigsten profitierte. Bereits 1962 hatte der Anteil der Facheinzelhändler mit einem Umsatz von weniger als 250.000 D-Mark, wie Tabelle 13 zeigt, mit 28,2 Prozent lediglich etwas mehr als ein Viertel betragen. Nach 1962 sank dieser Anteil weiter auf 23,9 Prozent. Tabelle 13: Umsatzstruktur des Facheinzelhandels mit Rundfunk-, Fernseh- und Phonogeräten, 1962–1968178 Unternehmen mit Umsätzen von
1962
1964
1968
weniger als 250.000 DM
28,2
26
23,9
250.000 bis unter 1 Mio. DM
38,6
39,3
40,4
1 Mio. DM und mehr
33,2
34,7
35,7
Die Entwicklung zulasten der kleinen Einzelhändler wird auch daran deutlich, dass die Zahl der Unternehmen, wie in Tabelle 14 abgebildet ist, in den 1960er Jahren bei insgesamt steigenden Umsätzen zurückging.179
176 Bewegte Zeiten. Eine Untersuchung über den Wettbewerb im Rundfunk-, Fernseh- und Phonogeräte-Einzelhandel. In: Radio-Fernseh-Händler, Juni 1970, S. 148–152. Hier S. 150. 177 Aktennotiz (Kahle). Besprechung mit den GS-Leitern am 3.9.1963 in Berlin. In: DTMB/AEG, GS 2001. 178 Bewegte Zeiten. Eine Untersuchung über den Wettbewerb im Rundfunk-, Fernseh- und Phonogeräte-Einzelhandel. Teil 2. In: Radio-Fernseh-Händler, Juli 1970, S. 176–180. Hier S. 176. Die Tabelle basiert auf der Umsatzsteuerstatistik des Statistischen Bundesamtes. 179 Die Handels- und Gaststättenzählung kommt hier zu abweichenden Zahlen und einem Anstieg zwischen 1960 und 1968 von 6.853 auf 6.994 Unternehmen. An der Feststellung einer tendenziellen Entwicklung zu Lasten des kleinen Facheinzelhandels ändert dieser Befund aber wenig. Siehe: Strukturanalyse des deutschen Elektro-Einzelhandels. In: Radio-Fernseh-Händler, Juli 1973, S. 220.
132
4 Zwischen Fabrik und Wohnzimmer. Die Rolle des Groß- und Einzelhandels
Tabelle 14: Unternehmen und Umsatz im Rundfunk-, Fernseh- und Phonogeräte-Einzelhandel, 1962–1979180 Unternehmen
Umsatz
Anzahl
1962=100
in Mio. DM
1962=100
in DM
1962
7.033
100
1.883
100
267.738
1964
7.032
100
2.015,1
107
286.561
1966
7.016
99,8
2.147,4
114
306.072
1968
6.503
93,1
2.253,2
119,7
346.486
1970
6.958
96,9
3.046,8
161,5
437.884
1972
7.057
100,4
4.001,6
212,9
567.040
1974
7.347
106,5
4.753,7
232,3
647.026
1976
7.769
110,5
5.282,2
280,5
679.907
1979
10.232
8.054
Umsatz pro Unternehmen
787.138
In den 1970er Jahren ist ein weiterer Ausbau der in den 1960er Jahren eingeleiteten Kooperationen zu beobachten. Hatte der Anteil der Facheinzelhändler, die kooperativ organisiert waren, im Bereich der Unterhaltungselektronik 1970 etwas über 40 Prozent betragen, wuchs dieser Anteil bis 1980 auf fast 80 Prozent.181 Teilweise war die Kooperation durch den Fachgroßhandel, der insgesamt betrachtet ebenfalls seine Stellung behaupten konnte, initiiert.182 Beispiele hierfür bildeten die Weltfunk GmbH & Co. KG oder die Ruefach GmbH & Co. KG.183 Teilweise war sie durch den Einzelhandel initiiert. Bei diesen auf Einzelhandels-
180 Tietz, Markt, S. 680. Angabe für 1979 nach Statistisches Bundesamt, Jahrbuch. 181 Batzer/Greipl/Täger, Kooperation, S. 206. 182 Zu den Marktanteilen des Fachgroßhandels, siehe: Fachgrosshandel mit konstantem Marktanteil. In: Funk-Fachhändler, September 1979, S. 4. 183 Zu den vom Großhandel koordinierten Gruppen, die teilweise auch Eigenmarken vertrieben, gehörten Ende der 1970er Jahre außerdem unter anderem der Planet-Kreis e. V. (25 Fachgroßhandlungen und etwa 500 Facheinzelhändler) und die TELEROPA (Eltropa Marktgemeinschaft GmbH & Co. KG) (31 Groß- und 1500 Einzelhändler). Die Weltfunk GmbH & Co. KG (gegründet 1966) bestand aus 13 Groß- und 1700 Einzelhändlern und die RUEFACH GmbH & Co. KG (gegründet 1974) aus fünf Großhandelsunternehmen und über 700 Verkaufspunkten. Siehe: Tietz, Markt, S. 1027–1029 und Ruefach – jetzt fünf Jahre am Markt. Die Weichen sind gestellt. In: Funk-Fachhändler, Juni 1980, S. 16–17.
4.4 Strukturwandel im Groß- und Einzelhandel der BRD
133
ebene initiierten Verbundgruppen zählten die bild+ton Handelsgesellschaft mbH & Co. KG, auch als „expert-Gruppe“ bekannt, die interfunk Einkaufsgenossenschaft eG und die AERA GmbH & Co. KG zu den bedeutendsten. Allerdings lag der Schwerpunkt nur bei der AERA eindeutig auf dem Geschäft mit der „Braunen Ware“. Die anderen beiden Gruppen versammelten auch unterschiedlich ausgerichtete Elektrofachhändler unter ihrem Dach.184 Die „expert-Gruppe“, die europaweit organisiert war, konnte zwischen den Jahren 1971 und 1978 die Zahl ihrer Radio-, Fernseh- und Elektrofachhandelsunternehmen von 87 Unternehmen auf 217 (beziehungsweise 113 Läden auf 316) ausbauen.185 Mit 764 Facheinzelhandelsmitgliedern Ende der 1970er Jahre war außerdem die Interfunk Einkaufsgenossenschaft eG bedeutsam, deren Vorgänger, die Werbegemeinschaft Funkberater, bereits vor dem Krieg gegründet worden war.186 Die Entwicklung der Einkaufskooperationen ist auch in den 1970er Jahren nicht als Schutz der kleinen Facheinzelhändler zu verstehen. Kleinere Händler mit einem Jahresumsatz von unter 500.000 D-Mark und durchschnittlich 4,2 Beschäftigten waren so gut wie nie in einer Einkaufsgruppe organisiert. Sie bezogen ihre Ware in erster Linie über den selbständigen Großhandel (57 Prozent) und die Hersteller (32 Prozent). Je größer ein Händler in den 1970ern war, desto wahrscheinlich war dagegen sein Bezug über eine Einkaufsgemeinschaft, deren Anteile zwischen 37 Prozent und 55 Prozent lagen. Mit Ausnahme der sehr großen Einzelhändler (über 5 Mio. D-Mark Jahresumsatz) stieg auch der Anteil des direkten Bezugs über einen Hersteller mit der Größe des Einzelhändlers.187 Die bild+ton etwa nahm auch nur Fachgeschäfte mit einem Jahresumsatz von mindestens 500.000 D-Mark auf.188 Das Bild der zu Einkaufskooperationen zusammengeschlossenen selbständigen Elektrofacheinzelhändler prägte bis in die 1990er Jahre den Markt für Fernsehgeräte. Die beiden heute bekannten Elek-
184 Die AERA GmbH & Co. KG (gegründet 1963) war mit 24 Gesellschaftern und 75 Fachgeschäften auch deutlich kleiner als die anderen beiden Einkaufsgenossenschaften. Siehe Tietz, Markt, S. 1058–1063; Batzer/Greipl/Täger, Kooperation, S. 205 und Partner im technischen Fortschritt. Rfh-Gespräch über die Ziele der AERA. In: Radio-Fernseh-Händler, Dezember 1970, S. 424. Zur Interfunk, siehe: Intefunk eG Ditzingen. Mit Optimismus in die 80er Jahre. In: Funk-Fachhändler, Juni 1980, S. 17. 185 Expert in Europa. In: Radio-Fernseh-Händler, Juni 1971, S. 160–165. Hier S. 164; Tietz, Markt, S. 1058–1063. 186 Siehe Tietz, Markt, S. 1058–1063. Siehe auch: Interfunk machts möglich. Rfh-Gespräch mit H. Seringer über die Bedeutung der Interfunk. In: Radio-Fernseh-Händler, Juli 1970, S. 182. 187 Einfluß der Betriebsgröße auf Leistung und Kosten. In: Radio-Fernseh-Händler, Dezember 1974, S. 388. 188 Notiz B4 (BKA). Betr.: Besprechung mit H. Ruschemeyer, Geschäftsführer von bild+ton am 25. Februar 1981. Berlin, den 27.2.1981. In: DTMB/AEG, JB 1758.
134
4 Zwischen Fabrik und Wohnzimmer. Die Rolle des Groß- und Einzelhandels
trofachmärkte, Media Markt und Saturn, expandierten erst im Laufe der 1980er Jahre.189 Tabelle 15: Beschaffungswege des Radio- und Fernseheinzelhandels (in Prozent), 1972 (BRD)190 Betriebe mit … DM Jahresumsatz 200.000 – 500.000
500.000 – 1 Mio. – 1 Mio. 2 Mio.
2 Mio. – 5 Mio.
Über 5 Mio.
Insgesamt
Herstellerbezug
32
32
34
38
26
33
Gemeinschaftsbezug
11
37
49
51
55
42
Großhandelsbezug
57
31
17
12
19
24
4.4.2 Die Entwicklung des Großhandels Die Hersteller kamen den Konzentrations- und Kooperationstendenzen im Einzelhandel durch die Ausweitung ihres Direktverkaufs an die Händler entgegen. Grundig etwa hatte noch Mitte der 1960er deutlich über die Hälfte seiner Fernsehgeräte über den selbständigen Großhandel abgesetzt.191 Zehn Jahre später lieferte die Grundig-Vertriebsorganisation, die neun Niederlassungen mit 17 Filialen
189 Saturn war bereits 1961 gegründet worden, konzentrierte sich aber zunächst auf ausländische Diplomaten. Bis 1969 blieb der Markt Privatkunden verschlossen. Die Expansion begann erst 1985, nachdem die Eigentümer das Unternehmen an eine Gesellschaft der Kaufhof Warenhaus AG verkauften. Media Markt wurde 1979 gegründet. 1985 gab es zehn Filialen. Auch hier stieg die Kaufhof Warenhaus AG im Jahr 1988 mit einer Beteiligung ein, die eine weitere Expansion ermöglichte. Siehe: Creusen, Utho (2008): Media Markt und Saturn. Zwei Marken, eine Erfolgsstory. In: Hans-Christian Riekhof (Hg.): Retail Business in Deutschland. Wiesbaden, S. 471–490. Hier S. 474–475. 190 Quelle: Einfluß der Betriebsgröße auf Leistung und Kosten. In: Radio-Fernseh-Händler, Dezember 1974, S. 388. Die Angaben basieren auf einer Untersuchung des Instituts für Handelsforschung an der Universität Köln. Das Sortiment der untersuchten Einzelhändler bestand (absatzmäßig) zu 29 Prozent aus Farbgeräten, 15 Prozent aus S/W-Geräten, 13 Prozent aus TonRundfunkgeräten, 12 Prozent aus Elektromechanischen Phono- und Magnetbandgeräten, 8 Prozent aus bespielten Ton- und Bildträgern und 23 Prozent sonstige Waren wie Haushaltsgroß- und Elektro-Kleingeräte oder Zubehör. 191 Fachbereich Marketing. Auswertung „Ifak-Index“ Rundfunkfachgeschäfte: Fernsehgeräte. September 1966–Dezember 1966 und Jahresübersicht 1966. Ulm, 10. März 1967. In: DTMB/AEG, GS 7972.
4.4 Strukturwandel im Groß- und Einzelhandel der BRD
135
in ganz Deutschland betrieb, etwa 64 Prozent der Grundig-Geräte direkt an die Einzelhändler.192 Das Unternehmen Saba, das allerdings zwischenzeitlich fast den gesamten Absatz über den selbständigen Großhandel vertrieben hatte, setzte dagegen nur etwa 30 Prozent seiner Geräte direkt ab. Während sich die Fernsehgerätehersteller in ihrer Vertriebsorganisation also weiterhin unterschieden, ging der Anteil des selbständigen Großhandels von etwa 70 Prozent Mitte der 1960er Jahre auf unter 60 Prozent Ende der 1970er Jahre zurück.193 Tabelle 16: Unternehmen und Umsatz im Rundfunk- und Fernsehgroßhandel, 1962–1976 (BRD)194 Unternehmen
Umsatz (in Mio. DM)
1962
640
1.463,5
1964
657
1.740,8
1966
670
1.895,6
1968
667
2.255,7
1970
634
2.907,1
1972
661
3.968,3
1974
715
4.478,4
1976
843
5.024,1
Auf die absoluten Zahlen des Großhandels mit Rundfunk-, Fernseh- und Phonogeräten wirkte sich die Umorientierung der Hersteller nicht aus. Wie Tabelle 16 zeigt, ließen sich Anfang der 1960er Jahre 640 Unternehmen mit einem Umsatz von knapp unter 1,5 Mrd. D-Mark dieser Kategorie zuordnen. Bis Mitte der 1960er Jahre stieg die Zahl der Unternehmen an und fiel anschließend wieder zurück, so dass sie im Jahr 1970 den Stand von 1960 erreichte. Die Umsätze konnte der
192 Tietz, Markt, S. 1303. Die restlichen etwa 36 Prozent wurden durch drei selbständige Werksvertreter in den Großräumen Berlin, Hamburg und Stuttgart sowie durch insgesamt 33 selbständige Großhändler abgedeckt. Siehe: Tietz, Markt, S. 927. Angaben nach: Fachgroßhandel verlor Umsatz an Einkaufsverbände. In: Handelsblatt, 10./11. Juni, 1978. 193 Ebd. 194 Die genaue Bezeichnung der angeführten Großhandelsform lautet „Großhandel mit Rundfunk-, Fernseh- und Phonogeräten, deren Teilen und Zubehör sowie mit Schallplatten.“ Die Umsatzwerte enthalten die Mehrwertsteuer. Die Statistik basiert auf der Umsatzsteuerstatistik des Statistischen Bundesamtes. Quelle: Tietz, Markt, S. 919.
136
4 Zwischen Fabrik und Wohnzimmer. Die Rolle des Groß- und Einzelhandels
Fachgroßhandel die gesamten 1960er Jahre hindurch (in laufenden Werten) aber ausweiten. Die 1960 und 1968 durchgeführte Handels- und Gaststättenzählung weist bei der Zahl der Unternehmen sogar einen Zuwachs um 10 Prozent von 588 auf 648 Unternehmen aus.195 Die selbständigen Fachgroßhändler waren verständlicherweise kritisch sowohl gegenüber der verstärkten Tendenz zur Kooperation im Einzelhandel als auch gegenüber dem Trend der zunehmenden Direktbelieferung. Sie reagierten auf diese für sie bedrohliche Entwicklung ihrerseits mit Kooperation, Konzen tration, Forderungen und dem Versuch, sich im Rahmen eines Funktionswandels vorteilhafter gegenüber den Einzelhändlern zu positionieren. Man sei die 1950er und 1960er Jahre hindurch „Spannendenker“ gewesen, stellte der eigene Verband 1974 selbstkritisch fest. Wolle man im stärker werdenden Verdrängungsprozess bestehen, müsse man sich zu einem „Dienstleistungslieferanten“ entwickeln: „Datenzentrale, Rationalisierungsüberwachung, betriebliches Know-How, […], lokale Betriebsvergleiche, Verkaufsberatung, Personalschulung, Erfahrungsaustausch, zentrale Buchführung, Steuer- und Rechtsberatung, Hilfe beim Ladenumbau, Werbungsunterstützung, Brancheninformation im engen und erweiterten Sinne, Public Relations für alle“196 seien nur einige der Punkte, die Großhändler in der nächsten Zeit würden anbieten können. Die Vision wurde nicht umgesetzt. Eine Befragung im Elektrogroßhandel Baden-Württembergs von 1977 ergab, dass zwar zwischen Großhändlern und Herstellern „enge Bindungen“ bestünden. Zwischen den Großhändlern und den Einzelhändlern sei dies aber nicht der Fall. Der Einflussnahme der Hersteller durch Vereinbarungen wie Abnahmeverpflichtungen und Vertriebsbindungen habe der Großhandel „auf seiner Absatzseite kein Äquivalent entgegenzusetzen“197. Sowohl die Selbsteinschätzung des Verbands Deutscher Rundfunk- und FernsehFachgroßhändler (VDRG) als auch dieser Befund bestätigen die im deutschen Markt für Fernsehgeräte unterschiedlich strukturierte Arbeitsteilung entlang der Wertschöpfungskette.
195 Eine Analyse des Fachgroßhandels. In: Radio-Fernseh-Händler, Februar 1974, S. 36. Zu den Unterschieden zwischen Umsatzsteuerstatistik und Handels- und Gaststättenzählung, siehe auch: Struktur des Fachhandels. Eine Analyse des Ausleseprozesses im Elektro-Handel. In: Radio-Fernseh-Händler, September 1974, S. 256. 196 Vom Spannendendenker zum Dienstleistungslieferanten. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Januar 1974, S. 6–7. 197 Tietz, Markt, S. 1002.
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel Am Ende der Wertschöpfungskette für Fernsehgeräte standen die Konsumentinnen und Konsumenten. Sie lasen die Werbeanzeigen der Hersteller, suchten die Geschäfte der Einzelhändler auf und verhandelten mit dem Verkaufspersonal. Als Akteure sind sie für die Funktionsweise eines Marktes zentral. Als historische Subjekte verändern sie ihre Prioritäten, Verhaltensweisen und Möglichkeiten. Das folgende Kapitel verfolgt den Konsum von Fernsehgeräten in einer langfristigen Perspektive und rückt seine historischen Wandlungsprozesse in den Mittelpunkt. Ein Fernsehgerät der 1940er Jahre unterschied sich nicht nur technisch von einem Fernsehgerät der 1950er, 1960er oder 1970er Jahre. Es hatte sich auch in der Art und Weise verändert, wie es von den Konsumenten behandelt, betrachtet und gekauft wurde. Am 9. April 1956 schaltete die RCA eine Anzeige im LIFE-Magazine, in der die Vorzüge des RCA Compton geschildert wurden. Das Unternehmen nannte nicht nur eine Reihe objektiv feststellbarer Merkmale, wie die 21-Zoll-Bildröhre des Gerätes, die einem Bildschirm mit einem Durchmesser von etwas mehr als 53cm entsprach. Sie hob auch die Vorteile des Gerätes hervor: eine „amazing new ,4Plus‘ picture quality for extra brightness“, eine illuminierte Zeitanzeige, eine Phonobuchse zum Einstöpseln eines Plattenspielers und „New Balanced Fidelity Sound“.1 Wie man der Preisliste des Unternehmens entnehmen konnte, war diese Kombination an Eigenschaften aus Sicht der RCA 229,95 US-Dollar wert. Das Unternehmen löste das von der Wirtschaftssoziologie postulierte Wertproblem also durch einen vorgegebenen Preis, der durch eine Reihe von greifbaren Vorteilen und einem vertrauenswürdigen Markennamen begründet wurde. In der Anzeige selbst rückten diese Aspekte in den Hintergrund. Der Fokus lag, wie die Überschrift klar stellte, auf besonderen „Trade-In Deals“. Damit verband die RCA das Versprechen, beim Kauf des RCA Compton ein altes Fernsehgerät in Zahlung zu nehmen. Die Anzeige richtete sich an Haushalte, die bereits im Besitz eines Fernsehgerätes waren und über die Anschaffung eines neuen Gerätes nachdachten. Fünf Jahre zuvor hätte dieses Vorgehen noch wenig Sinn ergeben. Mitte der 1950er Jahre bildeten die Besitzer von Fernsehgeräte dagegen die bedeutendste Zielgruppe. Für die Funktionsweise des Marktes für Fernsehgeräte war dieser Wandlungsprozess am Ende der Wertschöpfungskette fundamental. Die Diffusion der Geräte
1 RCA Victor „Spring Special“ Trade-In Deals (Anzeige). In: LIFE Magazine, 9. April, 1956, S. 44.
138
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
in die Haushalte änderte nicht nur die Werbestrategien der Fernsehgerätehersteller. Auf einer viel tiefer gehenden Ebene förderte der Prozess die Vertrautheit der Konsumenten mit den Geräten, ließ ihre Ansprüche steigen und beeinflusste ihr Kaufverhalten. Der Prozess veränderte das Preisbewußtsein und das Verhältnis zwischen Kunden und Einzelhändlern. Die Konsumgeschichte der Fernsehgeräte bildet die Grundlage, auf der eine Geschichte dieses Marktes aufzubauen hat. Zuvor ist allerdings die Frage zu klären, was unter Konsum im Markt für Fernsehgeräte verstanden werden soll. Offensichtlich fragten die Konsumenten die Geräte trotz ihres teilweise aufwendigen Designs nicht oder nicht in erster Linie aufgrund ihrer äußeren Eigenschaften, bzw. ihrer Materialität an sich nach. Wie bereits in Kapitel 3 beschrieben sind Fernsehgeräte Medien. Ihr primärer Zweck ist darin zu sehen, einem Publikum „vorstrukturierte Angebote“2 zugänglich zu machen. Der Konsum dieser Angebote ist die eigentliche Ursache, die eine Entstehung des Marktes für Fernsehgeräte erklärt. Im Folgenden spielt die Geschichte des Fernsehprogramms dort eine Rolle, wo sie einen direkten Einfluss auf die Kauf- oder Produktionsentscheidungen der Akteure entlang der Wertschöpfungskette ausübte. Der Fokus der Arbeit liegt dagegen auf dem Konsum der Fernsehgeräte, die den Empfang ermöglichten. Dieses am Medium orientierte Verständnis von Konsum lässt sich wiederum weit oder eng auslegen. Ein weites Verständnis wirft die Frage auf, wie die Akteure mit den Geräten umgingen, wie sie die Geräte positionierten, wie die Geräte ihren Alltag und ihre sozialen Beziehungen veränderten. Ein enges Verständnis des Konsums fokussiert auf den unmittelbaren Kaufakt. Die Fragen, welche Geräte nachgefragt wurden und zu welchen Bedingungen, stehen im Vordergrund.3 Die beiden Perspektiven lassen sich nicht völlig trennscharf voneinander unterscheiden. Von ihrem Fokus her folgt die Arbeit einem engen Verständnis des Fernsehgerätekonsums. Dieser Fokus wird allerdings dort erweitert, wo das Kaufverhalten der Konsumenten ohne ein erweitertes Konsumverständnis nicht erklärbar ist. Die Entstehung eines Marktes für Zweitgeräte, die in der RCAAnzeige zum Ausdruck kommt, ist ein anschauliches Beispiel dafür. Denn das Vorhandensein eines Fernsehgerätes im Haushalt eröffnete neue Handlungsspielräume sowohl auf Seite der Konsumenten als auch auf Seite der Händler und Produzenten. Die Konsumenten mussten sich beispielsweise entscheiden, ob sie das alte Gerät gegen ein neues Gerät in Zahlung geben oder als Zweitgerät nutzen wollten. Die Händler waren plötzlich mit einer Vielzahl an Gebrauchtgeräten
2 Hickethier, Geschichte, S. 8. 3 Für eine ausführlichere Differenzierung, siehe: Welskopp, Konsum.
5.1 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in den USA
139
konfrontiert, für die sich wiederum ein eigener Markt ausbildete, der umgekehrt die Konsummöglichkeiten veränderte. Die Entwicklung dieses Marktes für Zweitund Gebrauchtgeräte war in der Bundesrepublik und den USA ähnlich, aber keineswegs deckungsgleich. Der Befund lässt sich verallgemeinern. Wie die Arbeit zeigen wird, folgte der Fernsehgerätekonsum in den beiden Ländern insgesamt einem Muster, das im Großen und Ganzen ähnlich war. Im Detail gab es dagegen Unterschiede, die ohne ein weiter gefasstes Verständnis des Konsums und seiner sozialen Grundlagen nicht erklärbar sind.
5.1 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in den USA Ende des Jahres 1950 schaltete ein Verbund aus US-amerikanischen Fernsehgeräteherstellern und -händlern eine nationale Werbekampagne mit der Überschrift: „Your daughter won’t ever tell you the humiliation she’s felt in begging those precious hours of television from a neighbor.“4 Am Beispiel der vergleichsweise drastischen Kampagne lassen sich zwei Punkte verdeutlichen, die für die Konsumgeschichte des Fernsehgerätes prägend waren. Denn zum einen verschleiert die Aussage nur schwerlich, dass es dem Verbund weniger um das Wohl des Kindes ging als um den subtilen Hinweis, dass der Nachbar bereits im Besitz eines Fernsehgerätes war. Zum anderen suggeriert die Dramatik der Kampagne eine Dringlichkeit auf Seite der Konsumenten, die aber bei näherem Blick eher den sorgenvollen Blick des Verbands auf zwischenzeitliche Probleme im Absatz offenlegt. Der erste Punkt spiegelt den für die Konsumgeschichte des Fernsehens zentralen Befund einer Verbreitung, die sich in räumlichen Clustern vollzog. Vance Packard hat die am Verhalten der Nachbarn orientierten Konsumentscheidungen anschaulich beschrieben: „Within a city or development, TV aerials did not begin appearing at random. Instead, they began sprouting in clusters. When one pioneering family put up its aerial for all to see, nearby neighbors felt impelled to emulate the pioneer.“5 Wie bei anderen Innovationen kam den „Pionieren“ des Fernsehkonsums eine besondere Bedeutung zu, die teilweise gegen soziale
4 Spigel, Installing, S. 156–157. Der Protest gegen die Kampagne war allerdings enorm und die Family Service Association of America wies auf den erbarmungslosen Druck auf diejenigen Haushalte hin, die sich ein Fernsehgerät noch immer nicht leisten konnten. Spigel scheint diese Informationen aus einem Newsweek-Artikel bezogen zu haben (Television Tempest. In: Newsweek, November 27, 1950, S. 62). 5 Packard, Vance (1961): The Status Seekers. An exploration of class behaviour in America. Harmondsworth, S. 70.
140
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
Widerstände ein Fernsehgerät kauften und es im Zentrum ihrer Wohnzimmer platzierten. Die Ausrichtung der Werbung mit ihrer Orientierung am Nachbarn deutete dagegen bereits den Beginn einer neuen Phase an, in welcher der Kauf eines Fernsehgerätes eher eine Frage des sozialen Drucks darstellte. In dem Maße, indem das Fernsehgerät Piano und Kamin als Mittelpunkt repräsentativer Wohnzimmer verdrängte, eroberte es sich auch seinen Platz in der Mitte der amerikanischen Gesellschaft.6 Der zweite Punkt verdeutlicht, dass die langfristige Entwicklung des Fernsehgerätekonsums nicht mit einem gradlinigen, prognostizierbaren und unproblematischen Prozess verwechselt werden darf. Das Jahr 1950 markierte nach einer kurzen Phase kometenhaft steigender Verkaufszahlen zugleich einen ersten Höhepunkt, dessen Scheitelpunkt Hersteller und Händler überraschen und verunsichern sollte. Noch sahen nicht alle Amerikaner in dem Kauf eines Fernsehgerätes eine Notwendigkeit, der auch exogene Schocks wie der Korea-Krieg nichts anhaben konnten. Anders als beim Kauf alltäglicher Produkte erforderte der Kauf eines Fernsehgerätes eine bewußte Entscheidung und einen tiefen Griff ins Portemonai. Der Motivforscher Ernest Dichter, der 1952 Motorola bei einer Werbekampagne für Fernsehgeräte beratend zur Seite stand, drückte die Schwierigkeit der Entscheidung wiefolgt aus: „The purchaser of a Television set is […] making a luxury purchase. No one really needs a Television set. There is therefore a feeling of guilt and a desire to rationalize the expenditure.“7 Die langfristige Diffusion der Geräte in die amerikanischen Haushalte und die kurzfristigen Schwankungen im Absatz waren Prozesse, deren Wechselspiel für die Konsumgeschichte zentral, historisch aber nicht determiniert war. Erst in der langfristigen Perspektive lassen sich unterschiedliche Phasen unterscheiden, an deren Übergängen sich die Funktionsweise des Fernsehgerätekonsums tiefgreifend veränderte.
6 Spigel, Installing, S. 124 u. S. 171. 7 Ernest Dichter to Leo Burnett, Inc. Subject: Motorola Television Sets Memo Leo Burnett, Inc. 13. February, 1952. In: HML/EDP, Box 8, Folder 166E.
5.1 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in den USA
141
5.1.1 Konsumpioniere, Nachfrageexplosion und Stagnation 25000
20000
15000
10000
Konsum Schwarz-Weiß (in 1.000)
1984
1982
1980
1978
1976
1974
1972
1970
1968
1966
1964
1962
1960
1958
1956
1954
1952
1950
1948
0
1946
5000
Konsum Gesamt (in 1.000)
Grafik 16: Konsum von Fernsehgeräten in den USA, 1946–19848
Wie an Grafik 16 abzulesen ist, begann die Verbreitung des Fernsehens in den USA um 1946 und nahm bis 1950 eine rasante und ungebrochene Entwicklung. Bis in die frühen 1960er Jahre stagnierte der Konsum auf einem relativ hohen Niveau von knapp unter acht Mio. Schwarz-Weiß-Geräten im Jahr. Mit der Verbreitung des Farbfernsehens seit den frühen 1960er Jahren verdoppelte sich der Konsum bis Mitte der 1970er Jahre noch einmal, brach dann Mitte der 1970er Jahre zwischenzeitlich ein und erholte sich gegen Ende der 1970er Jahre wieder. Mitte der 1980er Jahre war der Konsum an Fernsehgeräten höher als je zuvor.
8 Konsum = Fabrikation + Importe – Exporte. Quellen: Produktion und Importe: bis 1975 Porter, Cases. Danach Merchandising Week/U.S. Bureau of the Census: Statistical Abstracts. Exporte: LaFrance, United States. Hinweis: für die Jahre 1958 bis 1963 sind keine Stückzahlen, sondern nur monetäre Export-Werte erhältlich. Die Zahlen beruhen auf einer Schätzung des durchschnittlichen Exportpreises eines Fernsehgerätes, basierend auf den durchschnittlichen Fabrikationspreisen plus einem $ 10 Aufschlag, der anhand der Differenz zwischen Fabrik- und Exportpreis im Jahr 1964 als grobe Orientierung abgeleitet wurde. Exporte machten in dieser Zeit allerdings lediglich um die 1–2 Prozent der gesamten Produktion aus.
142
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
Zahl der Haushalte mit einem S/W-Fernsehgerät (in % aller elektrifizierten Haushalte) Grafik 17: Sättigungskurve von S/W-Fernsehgeräten in den USA, 1947–19609
Die Auswirkungen der dramatischen Zunahme des Konsums seit 1948 lassen sich anhand der in Grafik 17 abgebildeten Sättigungskurve ablesen. Bereits Anfang der 1950er Jahre besaß etwa ein Drittel der elektrifizierten amerikanischen Haushalte ein Fernsehgerät. Die Geräte waren Teil einer Nachkriegs-Konsumwelle, die sich auf langlebige Gebrauchsgüter konzentrierte, die während des Kriegs nicht produziert, technisch aber weiterentwickelt worden waren. Neue Haushaltsgründungen und „Babyboom“ stützten diesen Prozess.10 Der Einzelhandelspreis, der 1947 bei über 450 US-Dollar gelegen hatte, lag bereits 1950 bei unter 300 USDollar (siehe dazu auch Grafik 2). Dabei verdeckten Qualitätsverbesserungen, die in dieser Zeit enorm waren, zusätzliche Preissenkungen.11 Die Konsumenten kauften trotz des zu erwartenden weiteren Preisverfalls so viele Fernsehgeräte, wie die Industrie gerade noch herzustellen vermochte.12
9 Quellen: Electrical Merchandising Week (versch. Jahrgänge) und Porter, Cases. 10 Bowden/Offer, Household Appliances, S. 732. Eine „Consumer Durables Revolution“, also die zunehmende Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern hatte in den USA bereits in den 1920er Jahren eingesetzt. Olney, Martha L. (1990): Demand for Consumer Durable Goods in 20th Century America. In: Explorations in Economic History 27, S. 322–349. 11 Oxenfeldt, Element, S. 421. 12 Oxenfeldt spricht von einer „buyer impatience“ in den ersten Jahren des Fernsehens. Oxenfeldt, Element, S. 431.
5.1 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in den USA
143
In dieser Zeit glich der Markt für Fernsehgeräte einem „Verkäufermarkt“, in dem die Nachfrage das Angebot überstieg. Die Verkäufe stiegen von knapp 180.000 Geräten im Jahr 1947 auf fast drei Mio. Geräte im Jahr 1949 und lagen 1950 bei fast 7,4 Mio.13 Der massive Einbruch des Konsums im Jahr 1951 wird in der Forschung auf einen exogenen Faktor, den Ausbruch des Korea-Kriegs 1950, zurückgeführt. Die Angst vor Lieferengpässen führte zu einer verstärkten Nachfrage. Anschließend bewirkten tatsächliche Lieferengpässe und eine abwartende Haltung der Konsumenten einen Rückgang des Konsums.14 Ein regelmäßiges Fernsehprogramm war eine wesentliche Voraussetzung für die Verbreitung der Fernsehgeräte. Vor dem Zweiten Weltkrieg hatte sich der Ausbau von zwischenzeitlich zehn Sendestationen im Wesentlichen auf den New Yorker Raum konzentriert. Der Ausbau war auf privatwirtschaftlicher Basis durch die Unternehmen NBC, CBS und DuMont vorangetrieben worden.15 Nach vereinzelten Neugründungen in Metropolregionen wie Chicago, Washington, Baltimore, St. Louis oder Los Angeles kurz nach dem Krieg begann der eigentliche Ausbau in den Jahren zwischen 1946 und 1948. Das ist an Tabelle 17 zu sehen. 1948 begann das Network DuMont als erstes mit der Ausstrahlung regelmäßiger Daytime Schedules in New York. Zu der Zeit machten noch alle Networks Verluste, selbst mit Prime Time-Sendungen. Die beiden etablierten Networks CBS und NBC befürchteten Verluste von Radio-Werbeeinnahmen bei der Ausweitung des Fernsehprogramms. Sie agierten daher zurückhaltend. Das galt auch für den Sender ABC, der ein Spin-Off der NBC war.16 Im Jahr 1949 weitete DuMont sein Tages-Angebot auf weitere Sendestationen aus. Als ein Jahr später die Werbeplätze der besten Sendezeiten vollständig ausgebucht waren, gingen auch NBC, CBS und ABC dazu über, ein regelmäßiges Tages-
13 Oxenfeldt, Element, S. 421. 14 Porter, Cases, S. 451. 15 Weinstein, Network, S. 191. Die NBC war 1926 als Tochterunternehmen der RCA gegründet worden. Sie sendete als Radio-Network, das verschiedene lokale Sendestationen unter einem Dach vereinte, das erste landesweite Radioprogramm der USA aus. Regional begrenzte Networks hatte es schon früher gegeben. Sterling u. Kittross schreiben: „The idea of connecting two or more stations for simultaneous broadcast of a program probably existed from the start of broadcasting. In this way a given message could reach a far larger audience, at reasonable cost, than from a single station.“ Sterling/Kittross, Stay Tuned, S. 77. 16 Ursprünglich war die ABC als ein weiteres Tochterunternehmen der RCA gegründet worden, das sogenannte „Blue-Network“. Aufgrund der Dominanz der beiden Networks NBC und ABC hatte sich die RCA aber 1943 von dem Network trennen müssen. 1945 erhielt es den bis heute gültigen Namen ABC. Ebd., S. 231–232.
144
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
Angebot zu senden.17 Zwischen 1950 und 1955 explodierten die Werbeausgaben der Industrie von 171 Mio. auf über eine Mrd. US-Dollar pro Jahr, wie an Tabelle 17 abzulesen ist.18 Der Ausbau der Sendestationen erfolgte mit großen regionalen Unterschieden, was sich in der Verbreitung der Fernsehgeräte niederschlug. In Buffalo, Dayton, Pittsburgh, Houston, Johnstown oder Seattle etwa war im Frühjahr 1948, als dort die ersten Stationen ihren Betrieb aufnahmen, noch kein einziges Set in Gebrauch.19 In diesem Jahr erfolgte zudem ein sogenannter „Freeze“. Die FCC genehmigte keine weiteren Stationen. Die Behörde wollte einerseits eine organisierte Struktur erreichen, um Funkstörungen zu vermeiden und allen Gemeinden Zugang zum Fernsehsignal zu ermöglichen. Sie wollte andererseits verhindern, dass sich allein die Pionier-Sender die profitabelsten Sendegebiete sichern konnten.20 In der Zeit des „Freeze“, der aufgrund des Ausbruchs des Korea-Kriegs bis 1952 dauerte, war die Zahl der Sendestationen insgesamt sogar leicht rückläufig. In den Regionen, die noch vor dem „Freeze“ an den Empfang angeschlossen wurden, breitete sich das Fernsehen dagegen rasant aus, wenn auch ebenfalls mit regionalen Unterschieden. Ende 1952 verfügten in Buffalo etwa 85 Prozent, in Dayton rund 75 Prozent, in Pittsburgh 65 Prozent, in Houston knapp 60 Prozent, in Johnstown 53 Prozent und in Seattle 45 Prozent aller Haushalte über ein Gerät.21 In Milwaukee lag der Sättigungsgrad 1953 bei 94 Prozent, in St. Louis dagegen „nur“ bei 74 Prozent, obwohl St. Louis sein erstes Fernsehsignal früher empfangen hatte und ein ähnliches Realeinkommen pro Kopf aufwies.22
17 Spigel, Room, S. 76–77. ABC war 1942 auf Druck der FCC hin als Spin-Off des „kulturellen“ Flügels der NBC (Blue Network) gegründet worden. Chandler, Inventing, S. 20. 18 In den 1950er Jahren erfolgte die Finanzierung einzelner Sendungen noch durch nur einen „Sponsor“, also nur einen Werbeträger pro Show. Erst ab Ende der 1950er Jahre etablierte sich die heute bekannte Werbe-Finanzierung des Programms durch mehrere Unternehmen. Siehe Chisholm, CBS, S. 416. 19 Growth of Television Ownership in Fifteen Representative American Cities. In: Electrical Merchandising, September 1952, S. 81. 20 Chisholm, CBS, S. 334–335. Siehe auch: Boddy, William (1990): Fifties Television. The industry and its critics. Urbana, IL, S. 42–64 und Barnouw, Tube, S. 112–114; Rogers, Lawrence H. (2000): History of U.S. Television. A personal reminiscence. Bloomington, IN, S. 107–122. 21 TV Stations and Saturation. In: Electrical Merchandising, Januar 1953, S. 131. 22 Das Pro-Kopf-Einkommen in Milwaukee betrug $ 1.848, in St. Louis $ 1.802. Oxenfeldt, Element, S. 428.
5.1 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in den USA
145
Tabelle 17: Fernseh-Sendestationen und Fernseh-Werbeausgaben in den USA, 1941–197023 Commercial Stations (TV)
Werbeausgaben (in Mill. US-Dollar)
Commercial Stations (TV)
Werbeausgaben (in Mill. US-Dollar)
1941
2
–
1956
496
1.225
1942
10
–
1957
519
1.286
1943
8
–
1958
556
1.387
1944
9
–
1959
566
1.529
1945
9
–
1960
579
1.627
1946
30
–
1961
553
1.691
1947
66
–
1962
571
1.897
1948
108
–
1963
581
2.032
1949
69
58
1964
582
2.289
1950
104
171
1965
589
2.515
1951
107
332
1966
613
2.828
1952
108
454
1967
626
2.909
1953
198
606
1968
655
3.231
1954
402
809
1969
680
3.585
1955
458
1.035
1970
691
3.596
Die schnelle Verbreitung des Fernsehgerätes war aus späterer Sicht erstaunlich, da sich der Kauf in den 1940er Jahren nicht unbedingt aufdrängte. Die ersten Geräte hatten einen extrem kleinen Bildschirm, ein unhandliches Gehäuse und einen teuren Preis. Ein 1948 von Motorola als „Low-priced television for everybody“ angebotene Modell mit einem etwa daumengroßen Bildschirm oder das 1949er 10-inch Set von Air King lagen mit 179,95, bzw. 199,95 US-Dollar über dem Monatslohn eines durchschnittlichen Industriearbeiters.
23 U.S. Bureau of the Census (1975): Historical Statistics of the United States. Colonial times to 1970. Part 2. Washington, D.C., S. 796 u. 798.
146
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
Abbildung 4: Television, 1940s, Chamber of Commerce of the United States of America – Nation’s Business Photograph Collection (1993.230), Hagley Museum & Library, Wilmington, DE 19807
5.1 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in den USA
147
Mit der Relation von Preis- und Einkommensentwicklung allein ist die Entwicklung des Absatzes von Fernsehgeräten in der frühen Phase nicht zu erklären.24 Insbesondere in den ersten Jahren, in denen ein Fernsehgerät eine teure Anschaffung war, wies das wohlhabendste Viertel der amerikanischen Bevölkerung nur geringfügig höhere Sättigungsgrade auf als die beiden mittleren Einkommensschichten. Das ist an Tabelle 18 zu sehen, die das Ergebnis einer groß angelegten Studie der Market Research Corporation of America zeigt. In der Stadt New Brunswick, die als repräsentativ galt, war der Sättigungsgrad in der „Mittelschicht“ ab 1951 sogar höher als in den Haushalten der „Oberschicht“.25 Allein für viele Konsumenten der unteren Einkommensschichten war der Preis eines Fernsehgerätes in den ersten Jahren prohibitiv hoch.26 Viele Geringverdiener nahmen gleichwohl Kredite auf, die sie sich gerade noch leisten konnten, nahmen die Preisaufschläge hoher Kreditraten in Kauf und gingen das Risiko des Kreditbetrugs, der Zahlungsunfähigkeit und teurer Gerichtsprozesse ein.27 Tabelle 18: Fernsehgeräte-Besitz nach Einkommen in den USA (Sättigung der Haushalte in Prozent), 1949–195528 Oberstes Viertel
Zweites Viertel
Drittes Viertel
Unterstes Viertel
1949 (September)
7
7
6
3
1950 (Oktober)
24
19
18
12
1951 (Juli)
33
32
28
18
1952 (Juli)
45
41
40
23
1953 (Juli)
58
55
50
32
1954 (Juli)
70
63
59
41
1955 (April)
77
72
69
48
24 Bowden/Offer, Household Appliances, S. 742. Siehe auch: Parker, Philip M. (1990): Price Elasticity Dynamics Over the Adoption Lifecycle. An empirical study. Fontainebleau, S. 364–366. 25 The Television Market Is Still Changing. In: Electrical Merchandising, August 1954, S. 67. 26 Oxenfeldt, Element, S. 427. 27 Bowden/Offer, Household Appliances, S. 743. Siehe auch: Oxenfeldt, Element, S. 429. 28 Oxenfeldt, Element, S. 427.
148
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
In unternehmerischen Absatzprognosen spielten Preis- oder Einkommensentwicklungen so gut wie keine Rolle.29 Die Diffusionsforscher an amerikanischen Universitäten befassten sich stattdessen mit der Frage, welche sozialen Gruppen die neue Innovation als erstes akzeptierten und welche sie ablehnten. So wie eine Krankheit zunächst eine kritische Menge an infizierten Personen benötigt, um sich anschließend exponentiell verbreiten zu können, benötigt eine Innovation eine kritische Menge an Personen, die sie akzeptieren und als Medium ihrer Vermittlung wirken. Die anschließende Diffusion einer Innovation wie dem Fernsehgerät schien den Diffusionsforschern so natürlich und vorhersagbar wie der Verlauf einer Krankheit oder die Verbreitung einer Nachricht.30 Ein gutes Beispiel für diese Sichtweise war Saxon Graham, der den Großteil seiner Karriere als Professor für Epidemiologie am Department of Social and Preventive Medicine der Universität in Buffalo verbrachte. Graham hatte Anfang der 1950er Jahre die Verbreitung verschiedener Innovationen wie des Fernsehens, Supermärkten und Krankenversicherungen in der amerikanischen Gesellschaft untersucht.31 Er ging von der These aus, dass eine Innnovation grundsätzlich in solchen Gruppen Akzeptanz finde, die bereits kulturell in ihrem Verhalten mit den Eigenschaften der Innovation „kompatibel“ sei. Frühe Befürworter des Fernsehens sah Graham daher in jenen Haushalten als nachgewiesen, die eher passiv und bildungsfern seien und die bereits zuvor eine Vorliebe ähnlicher Unterhaltungsformen wie Radio und Kino gezeigt hätten.32 Die Gruppe der Kritiker, die in den USA während der 1940er und 1950er Jahre nicht unbedeutend war, bezeichnete Graham als „Rejecters“.33 Eine ökonometrische Studie von 1956 modellierte den Fernsehgerätekonsum umgekehrt proporti-
29 Oxenfeldt, Element, S. 433. 30 Die Diffusionsforschung dieser Zeit, die insbesondere im Zweiten Weltkrieg gefördert worden war, bezog ihre Erkenntnisse unter anderem aus Kommunikationswissenschaften, Medizin und Agrarsoziologie. Siehe: Katz, Elihu; Levin, Martin L.; Hamilton, Herbert (1963): Traditions of Research on the Diffusion of Innovation. In: American Sociological Review 28 (2), S. 237–252 und Dodd, Stuart C. (1955): Diffusion Is Predictable. Testing probability models for laws of interaction. In: American Sociological Review 20 (4), S. 392–401. Siehe auch: Bowden/Offer, Household Appliances, S. 726. 31 Graham, Saxon (1954): Cultural Compatibility in the Adoption of Television. In: Social Forces 33 (2), S. 166–170. 32 Graham selbst verstand die Frage einer zielgruppenorientierten Einführung neuer Ideen im Kontext der staatlichen Bemühungen seiner Zeit, sozialen Wandel im Gesundheitssystem oder der Agrarindustrie gegen Widerstand in der Bevölkerung durchzusetzen. Graham, Compatibility, S. 170. Siehe auch Graham, Saxon (1956): Class and Conservatism in the Adoption of Innovations. In: Human Relations 9, S. 91–100. 33 Spigel, Installing, S. 134–135.
5.1 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in den USA
149
onal zum Bildungsgrad. Die Studie stellte fest, dass Menschen mit einem hohen Bildungsgrad schon immer die wenig ernsthafte Unterhaltung des Fernsehprogramms kritisiert hätten: „Highly educated persons are apt to fear the effects of TV on their children.“34 Ein Beispiel dafür war die Frau eines Anwalts, die vor allem ihrer Kinder wegen das Fernsehen ablehnte: „If we had television, our children would be glued to it. We love books, George and I, and if our kids never got anything out of books, we’d be heartbroken. We want them to paint and build things and read books – not sit in front of a television set doing nothing.“35 Zeitschriften wie Ladies’ Home Journal oder House Beautiful begegneten der Kritik des Bildungsbürgertums, indem sie das Fernsehgerät in ihren Abbildungen neben Büchern oder einem Piano positionierten. Das räumliche Arrangement rückte das Fernsehgerät in assoziative Nähe zu geistigen Interessen, wie die Historikerin Lynn Spigel in ihrer Studie zum Einzug des Fernsehens in den häuslichen Bereich schreibt. Werbekampagnen stilisierten das Fernsehgerät als Baby, Freund, domestiziertes Haustier oder platziert im Garten und umgeben von Blumen, um das Fernsehgerät als Teil der menschlichen Kultur abzubilden.36 Passend dazu glichen die Geräte im oberen Preissegment eher Wohnmöbeln als technischen Neuerungen.37 Das hatte nicht allein ästhetische Ursachen, sondern war ein Weg, skeptisch eingestellte Käufer zu überzeugen.38 Wirft man einen Blick auf die in Grafik 18 dargestellte Entwicklung des Verkaufs unterschiedlicher Gerätetypen wird deutlich, dass der Verkauf größerer und zunehmend als „Wohnmöbel“ designter Standgeräte („Consoles“) bereits um 1950 stark zugenommen hatte. Zwischen 1950 und 1953 waren etwa die Hälfte aller verkauften Fernsehgeräte Standgeräte. Nimmt man die ähnlich prestigeträchtigen Kombinationen hinzu, erreichte der Anteil 1950 mit sogar über 60 Prozent einen Höhepunkt. Nach 1953 nahm die Bedeutung der Standgeräte dann zu Gunsten günstigerer Tischgeräte und sogenannter „Portables“ wieder ab. In dieser Phase wandelte sich das Fernsehgerät von einer neuen und Aufsehen erregenden Innovation zu einer als selbstverständlich wahrgenommenen Notwendigkeit, auch wenn die genaue Zäsur aufgrund der großen räumlichen Unterschiede
34 Dernburg, Thomas F. (1958): Consumer Response to Innovation. Television. In: Thomas F. Dernburg, Richard N. Rosett und Harold W. Watts (Hg.): Studies in Household Economic Behavior. New Haven, CT, S. 1–50. Hier S. 7. 35 Graham, Compatibility, S. 168. Zum problematischen Verhältnis zwischen dem Fernsehgerät und der Kindererziehung, siehe: Spigel, Installing, S. 148–150. 36 Spigel, Installing, S. 125–141. 37 Kosareff, Steve (2005): Window to the Future. The golden age of television marketing and advertising. San Francisco, CA. 38 We’re Missing the Market in Replacement TV. In: Electrical Merchandising, April 1953, S. 144.
150
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
in den USA nicht eindeutig zu bestimmen ist. Als Anfang der 1950er Jahre die Absatzzahlen kurzfristig einbrachen, verwies der Präsident von Admiral, Ross D. Siragusa auf das vorhandene Potential mit der Begründung, dass Fernsehgeräte bereits eine Notwendigkeit darstellten.39 Die Hersteller, die in den 1940er Jahren noch über die technischen Eigenschaften des Fernsehens aufgeklärt und über Empfangsmöglichkeiten informiert hatten, betonten nun bereits den Wert von Unterhaltung und medialer Erziehung.40 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 1947 1949 1951 1953 1955 1957 1959 1961 1963 1965 1967 1969 1971 1973 1975 1977 1979
S/W Kombinationen S/W Tischgeräte und Portables S/W Standgeräte (ab 1970 inkl. Kombinationen) Grafik 18: Prozentualer Anteil einzelner Gerätetypen (S/W-Geräte), 1947–1979 (USA)41
5.1.2 Gesättigte Märkte. Ersatzgeräte, Zweitgeräte, gebrauchte Geräte War zu Beginn der 1950er Jahre die Frage, ob Fernsehgeräte Luxusgegenstände oder Dinge der Notwendigkeit seien, noch nicht eindeutig beantwortet, stellte
39 Saturation. Myth to Beat. In: Electrical Merchandising, Oktober 1952, S. 190. 40 Oxenfeldt, Marketing, S. 70. 41 Quellen: Porter, Cases und Merchandising Week (versch. Jg.).
5.1 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in den USA
151
sich die Frage seit Mitte der 1950er nicht mehr. Mit einem Fernsehgerät in etwa zwei Dritteln aller amerikanischen Haushalte war das Fernsehgerät endgültig zur amerikanischen Alltagsnormalität geworden. Bereits 1953 war der Fernseher verbreiteter als der Staubsauger und im Jahr 1956 besaßen erstmals mehr Haushalte mit Strom ein Fernsehgerät als eine Waschmaschine.42 Auch Ernest Dichter sprach nun von einer grundlegend neuen Einstellung der Konsumenten.43 Das Magazin Fortune stellte fest: „TV has become a decidedly unglamorous area of a glamorous industry.“44 Die nahezu flächendeckende Verbreitung des Fernsehgerätes und der zunehmend routinisierte Umgang mit dem Gerät blieben nicht ohne Folgen. Ab Mitte der 1950er Jahre sind drei Entwicklungen zu beobachten, die tiefgreifende Auswirkungen auf die Praxis von Kauf und Verkauf eines Fernsehgerätes hatten. Erstens tätigten immer mehr Haushalte keine Erstkäufe mehr, sondern ersetzten ihr altes Fernsehgerät durch ein Neues. Zweitens nahm die Zahl von Haushalten zu, die sich ein zweites Fernsehgerät anschafften. Drittens stieg die Zahl von Gebrauchtgeräten, die von den Händlern entgegengenommen und wieder verkauft wurden. Als das Fernsehgerät noch eine neue Innovation darstellte, kauften die Konsumenten ein ihnen völlig unbekanntes Produkt. Drei Viertel aller Haushalte, die Anfang der 1950er Jahre ein Fernsehgerät erwarben, hatten zuvor noch keines besessen. Ab 1956 war bereits dagegen jeder zweite Kauf ein sogenannter Ersatzkauf, bei dem ein altes Gerät durch ein neues Gerät ersetzt wurde, wie in Grafik 19 zu erkennen ist. Nach durchschnittlich acht bis neun Jahren trennten sich die amerikanischen Konsumenten von ihren ersten Fernsehgeräten.45 Die Ursache für den Kauf eines neuen Fernsehgerätes bezifferte ein Artikel in der Electrical Merchandising mit der simplen Feststellung: „Bigger Screens, better performance and styling make people want new sets.“46 Etwas mehr als ein Drittel der Geräte, die beispielsweise in Chicago 1953 in Gebrauch waren, hatten eine Bildschirmgröße von 12 Inch (ca. 30 cm) und weniger. Die Familien mussten sich vor einem Bildschirm versammeln, der etwa die Fläche des Deckblatts einer Illustrierten hatte. Im selben Jahr bot Zenith 17 und 21 Inch-Tischmodelle für 199,95 bis 329,95 US-Dollar, 17 und 21-Inch-Stand-
42 Bowden/Offer, Household Appliances, S. 746. 43 A Motivational Pilot Study on the Sales and Advertising Problems of Hoffman Television Sets. May 1956. In: HML/EDP, Box 18, Folder 494 D. 44 Harris, William B.: The Electronic Business. In: Fortune, April 1957, S. 137–143 u. 216–226. Hier S. 224. 45 Riter, Charles B. (1966): What Influences Purchases of Color Televisions? In: Journal of Retailing 42 (4), S. 25–31. Hier S. 30. 46 We’re Missing the Market in Replacement TV. In: Electrical Merchandising, April 1953, S. 144.
152
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
modelle zwischen 269,95 und 499,95 US-Dollar sowie ein 27-Inch Luxusgerät zum Preis von 695 US-Dollar an.47 Im Jahr 1949, als eine amerikanische Durchschnittsfamilie etwa 1.000 US-Dollar weniger verdient hatte als 1953, hatte bereits ein 10 Inch Tischgerät etwa 199,95 US-Dollar gekostet. Für vergleichsweise wenig Geld ließ sich also bereits Anfang der 1950er Jahre das Fernseherlebnis deutlich aufwerten. Für die Anschaffung eines neuen Geräts sprachen neben der technischen Weiterentwicklung außerdem die noch geringe Zuverlässigkeit alter Röhrengeräte und die hohen Kosten der entsprechenden Reparaturen. 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 S/W Ersatzkäufe (in % aller Transaktionen)
Grafik 19: Der Kauf eines S/W-Fernsehgerätes als Ersatzkauf, 1953–1966 (USA)48
Die Fernsehgerätehändler machten die Erfahrung, dass Konsumenten, die nicht zum ersten Mal ein Fernsehgerät erwarben, anders mit der Situation umgingen. „Going after the replacement business isn’t going to be the pushover the first
47 Zenith-Anzeige (Modellreihe für 1953). In: Electrical Merchandising, August 1952. 48 Quelle: Porter, Cases. Der Ersatzkauf bedeutet in diesem Fall, dass ein Schwarz-Weiß-Gerät gegen ein neues Schwarz-Weiß-Gerät eingetauscht wird. Deshalb stagniert der Wert ab den frühen 1960er Jahren seit der Verbreitung des Farbfernsehens. Für den Ersatz eines S/W-Gerätes werden nun verstärkt Farbgeräte erworben. Die S/W-Geräte, die noch gekauft werden, dienen häufig nicht mehr dem Ersatz eines alten Geräts.
5.1 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in den USA
153
sale was“49, stellte ein Artikel in der Electrical Merchandising fest. Die Neuanschaffung stand nicht nur in größerer Konkurrenz zu alternativen Verwendungsmöglichkeiten des häuslichen Einkommens. Die Einzelhändler wurden auch mit Konsumenten konfrontiert, die über die Beschaffenheit der Geräte und ihre wesentlichen Merkmale viel besser unterrichtet waren. Die zweite bedeutende Entwicklung seit Mitte der 1950er Jahre war die Anschaffung eines zweiten Fernsehgerätes, das in der Küche, im Schlafzimmer oder im Zimmer der Kinder positioniert werden konnte. „With the variation in tastes, not only from individual to individual, but from age group to age group within the family, a second TV set is a necessity“50, stellte ein Einzelhändler aus St. Paul, Michigan, Mitte der 1950er Jahre fest. Die Ersatzkäufe allein waren nicht geeignet, den Absatz auf einem weiterhin ähnlich hohen Niveau zu halten. Das Zweitgerät als „Notwendigkeit“ war zu diesem Zeitpunkt allerdings noch ein frommer Wunsch der Händler, mehr Geräte zu verkaufen als Haushalte vorhanden waren. Wie Grafik 20 verdeutlicht, verfügten zu der Zeit erst zwei bis drei Prozent aller amerikanischen Haushalte über ein Zweitgerät. Die Entwicklung nahm seitdem aber tatsächlich an Fahrt auf. Keine zwanzig Jahre später stand in jedem zweiten Haushalt ein zusätzliches Schwarz-Weiß-Gerät, wobei die seit Anfang der 1960er Jahre verbreiteten Farbgeräte hier nicht einmal eingerechnet sind.
49 We’re Missing the Market in Replacement TV. In: Electrical Merchandising, April 1953, S. 148. 50 Sell-Back Promotion Moves TV Trade-Ins. In: Electrical Merchandising, August 1956, S. 74.
154
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
100 90 80 70 60 50 40 30 20 0
1949 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973
10
Haushalte mit S/W-Fernsehgerät (Gesamt) Haushalte mit S/W-Zweitgerät Grafik 20: Haushalte mit einem S/W-Zweitgerät, 1949–1973 (USA)51
Die Verbreitung der Zweitgeräte lässt sich zunächst einmal aus angebotsseitiger Perspektive plausibilisieren. Der zunehmende Preisverfall und das Angebot kleinerer Geräte senkten die finanzielle Belastung einer zusätzlichen Anschaffung. Zwischen den späten 1940er und 1950er Jahren fiel der durchschnittliche von den Einzelhändlern geforderte Einzelhandelspreis selbst in laufenden Preisen dramatisch.
51 Quellen: Porter, Cases (Zweitgeräte) und Electrical Merchandising Week (Sättigung).
500
450
450
400
400
350
350
300
300
250
250
200
200
150
150
100
100
50
50
0
0
1947 1950 1953 1956 1959 1962 1965 1968 1971 1974 1977
500
Durchschnittliche FabrikabgabePreise für Schwarz-Weiß-Geräte (laufende Preise) Durchschnittliche EinzelhandelsPreise für Schwarz-Weiß-Geräte (laufende Preise)
155
1947 1950 1953 1956 1959 1962 1965 1968 1971 1974 1977
5.1 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in den USA
Durchschnittliche FabrikabgabePreise für Schwarz-Weiß-Geräte (Preise von 1950) Durchschnittliche EinzelhandelsPreise für Schwarz-Weiß-Geräte (Preise von 1950)
Grafik 21: Entwicklung des Einzelhandels-Preisniveaus von S/W-Geräten, 1947–1977 (USA)52
52 Die Zahlen enthalten keine Verbrauchssteuern („Sales Tax“), da diese in den Vereinigten Staaten regional sehr unterschiedlich erhoben werden. Quellen: 1. Statistical Abstracts of the United States (Produktion S/W (1946–1978) u. Farbe (1963–1978) sowie „Retail Value“ (S/W: 1951–1978; Farbe: 1963–1978)); 2. Porter, Cases (Produktion und Fabrikabgabepreis S/W und
156
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
Diese Entwicklung ist in Grafik 21 klar zu erkennen. Erst im Jahr 1956 stabilisierte sich der Preis bei lediglich 190 US-Dollar. Danach stieg er bis 1960 auf etwa 220 US-Dollar an und fiel anschließend weiter. In realen Preisen war der Preissturz noch dramatischer.53 Die Grafik zeigt aber auch eine trendmäßig zwar ähnliche, in einzelnen Phasen aber sehr unterschiedliche Entwicklung von Fabrikabgabepreisen und Einzelhandelspreisen. Die Entwicklung in den späten 1950er Jahren sticht besonders heraus. Sie erklärt sich einerseits durch den parallel zu den Zweitgeräten zunehmenden Anteil höherwertiger Ersatzgeräte, bei denen die Einzelhändler überproportional hohe Spannen durchsetzen konnten. Sie erklärt sich aber auch durch den Mitte der 1950er Jahre eingesetzten Strukturwandel. Die großen Discounter senkten zwar insgesamt das Preisniveau, forderten aber auch höhere Handelsspannen von den Herstellern und Großhändlern.54 Da die verfügbaren Einkommen die gesamten 1950er und 1960er Jahre hindurch stiegen, glich der Kauf eines Schwarz-Weiß-Geräts längst nicht mehr der Belastung des Haushaltsbudgets, die er noch in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren gewesen war. Wie Tabelle 19 verdeutlicht, hatte der Erwerb eines durchschnittlichen Fernsehgerätes im Jahr 1950 noch mehr als das BruttoMonatseinkommen eines amerikanischen Haushalts mit mittlerem Einkommen erfordert. Ab Mitte der 1950er waren etwa zwei Wochen ausreichend. Im Laufe der 1960er Jahre sank der finanzielle Aufwand unter das innerhalb einer Woche erreichte Einkommen. Diese Angaben sind grob vereinfachend und spiegeln nur eine selektive Realität wider. Ein durchschnittlich verdienender Arbeiter in den USA musste im Jahr 1950 noch fast zwei Monate für den Erwerb eines SchwarzWeiß-Gerätes arbeiten. Aber sie geben einen allgemein gültigen Trend wieder. Bereits 1956 lag auch die notwendige Zeit des Arbeiters unter vier Wochen. Ab Mitte der 1960er Jahre waren auch für ihn keine zwei Wochen Arbeit mehr nötig.
Farbe (1946–1978)); 3. Merchandising Week (Produktion Farbe (1954–1962) und Retail Value S/W (1946–1950). Hinweis: für die Berechnung der Durchschnittspreise wurden unterschiedliche Produktionszahlen (Porter vs Stat. Abstract/MW) verwendet, da die Zahlen Porters in einigen Jahren abweichen, die Stat. Abstract aber keine Auskunft über den Fabrikabgabepreis liefern. Porters Zahlen beruhen auf Angaben der EIA. 53 Siehe auch: TV Today. Even a Mature Market Has Its Problems. In: Electrical Merchandising, September 1958, S. 42–46. Hier S. 46. 54 Diese Zusammenhänge werden in Kapitel 6.1.2 noch ausführlicher diskutiert.
5.1 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in den USA
157
Tabelle 19: Ausgaben für ein S/W-Fernsehgerät in Relation zu einem mittleren Haushaltseinkommen, 1947–1978 (USA)55 Benötigte Arbeitstage für den Erwerb eines durchschnittlich teuren S/W-Fernsehgerätes 1947
56
1963
10
1948
45
1964
9
1949
38
1965
8
1950
33
1966
7
1951
30
1967
6
1952
26
1968
6
1953
25
1969
5
1954
21
1970
5
1955
19
1971
5
1956
15
1972
4
1957
14
1973
3
1958
15
1974
4
1959
14
1975
4
1960
14
1976
3
1961
13
1977
3
1962
12
1978
2
Eine neue Zusammensetzung des „TV-Mix“ erleichterte die Verbreitung der Zweitgeräte zusätzlich. Zwischen 1955 und 1956 stieg der Produktionsanteil sogenannter „Portables“, kleiner, günstiger und theoretisch tragbarer Fernsehgeräte, von drei auf 23,5 Prozent. Der Anteil der teuren Standgeräte fiel von 43 Prozent auf 34,5 Prozent. Andere Schätzungen gingen sogar von einem Anteil der Portables von 40 Prozent aus.56 In Grafik 18 ist der relative Anteil von Portables und Tischgeräten nicht gesondert ausgewiesen, weil sich langfristig herausstellte, dass die
55 Eigene Berechnung. Angaben basieren auf dem mittleren Haushaltseinkommens der amtlichen Statistik (Median Income). Die Werte sind Brottowerte. Das mittlere Einkommen lag unterhalb des Durchschnittseinkommens. Für Quellen des Haushaltseinskommen: U.S. Bureau of the Census, Historical Statistics. Für Quellen der Preisangaben siehe Grafik 21. 56 Farr, Mort: Portable Sales Should Be Plus Sales. In: Electrical Merchandising, Mai 1957, S. 29.
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5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
Unterscheidung nicht trennscharf genug für die Statistik war. Viele als Portables verkaufte Geräte waren nicht tragbar, viele Tischgeräte kleiner als Portables.57 Mitte der 1950er Jahre erhielten Portables besondere Aufmerksamkeit, weil ihre rasche Verbreitung für die Industrie eine Überraschung darstellte. 1955 hatte GE ein kleines 14-inch Portable herausgebracht, für das die eigene Marktforschungsabteilung keinen „Markt“ im Sinne einer zufriedenstellenden Nachfrage gesehen und von der Einführung abgeraten hatte.58 In nur einem halben Jahr konnte das Unternehmen 250.000 Stück verkaufen, machte hohe Gewinne und blamierte die eigene Marktforschungsabteilung sowie die Konkurrenz. Noch Jahre später diente die Episode dem Managementtheoretiker Michael Porter zur Demonstration erfolgreicher Pionierarbeit.59 Die Einzelhändler waren zunächst verunsichert, wie sie die Entwicklung bewerten sollten. Auf die sich selbst gestellte Frage „Just how big is the portable market?“ hatte ein 1956 veröffentlichter Artikel noch keine Antwort. Die Konkurrenten von GE zögerten angesichts des sichtbaren Verkaufserfolgs nicht. Admiral produzierte dem eigenen Image als billiger Massenproduzent folgend große Mengen eines Modells und prognostizierte frühzeitig entsprechend hohe Umsatzzahlen.60 RCA hatte als marktanteilsmäßig in den 1950ern dominierendes Unternehmen Anfang 1956 kein einziges, bereits Ende 1956 aber drei verschiedene „Portables“ sowie einen noch kleineren „Personal“ auf der Preisliste.61 Die Verbreitung der Zweitgeräte lässt sich weiterhin aus Sicht der Haushalte plausibilisieren, die bereits im Besitz eines Fernsehgerätes waren. Seit ihrem Beginn hatten Fernsehgeräte einen Fokuspunkt des Nachkriegsideals amerikanischer Häuslichkeit und familiären Zusammenseins gebildet. In unzähligen Abbildungen stand das Fernsehgerät im „family room“, ein erst seit Mitte der 1940er Jahre gebräuchlicher Begriff, umringt von der einträchtigen Familie.62 Von Seiten der Unternehmen wurde die Familie ins Zentrum verschiedener Werbekampagnen gestellt, um das Fernsehgerät als Katalysator einer Rückkehr zu der verlorenen Welt häuslicher Liebe und Zuneigung zu stilisieren.63
57 Zu diesen Überlegungen siehe bereits die Bemerkungen in: New Look in TV…The Portable. In: Electrical Merchandising, Juni 1956, S. 139. 58 Porter, Cases, S. 451. 59 Porter, Cases, S. 451. Porter datiert die Einführung fälschlicherweise auf 1956. 60 New Look in TV…The Portable. In: Electrical Merchandising, Juni 1956, S. 139. 61 RCA Victor Television Division. Price List Black & White Receivers. Effective November 16, 1956. In: HML/RCA-Victor, Series II, Box 10, Folder 24. 62 Spigel, Room, S. 39. Siehe auch: May, Elaine T. (1988): Homeward Bound. American families in the Cold War era. New York, NY, S. 162–182. 63 Spigel, Installing, S. 120. Siehe auch: Patterson, James T. (1995): Grand Expectations. Postwar America, 1945–1974. New York, NY, S. 2–38.
5.1 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in den USA
159
Abbildung 5: Television, 1947, Chamber of Commerce of the United States of America – Nation’s Business Photograph Collection (1993.230), Hagley Museum & Library, Wilmington, DE 19807
Im familiären Alltag brachte die durch das Fernsehgerät bedingte Nähe aber auch Konflikte mit sich, was einen leitenden Gedanken in Spigels Studie zum Einzug des Fernsehens in den häuslichen Bereich darstellt. „Television was the great family
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5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
minstrel which promised to bring Mom, Dad and the kids together.”64 Gleichzeitig habe das Fernsehen sorgfältig kontrolliert werden müssen, um die Aufteilung der unterschiedlichen Geschlechterrollen nicht zu gefährden. Angesichts der klar verteilten Geschlechterrollen bildete die Wahl des Fernsehprogramms ein Konfliktpotential.65 In einem Essay von 1953 schrieb der Kritiker Goodman Ace: „The big television networks […] are little concerned with the crumbling of a man’s home. Programs are indiscriminately placed in direct opposition one to the other, regardless of domestic consequence […] When I should be at ringside for a Wednesday night fight, I’m watching ,This Is Your Life‘.“66 Die Electrical Merchandising fasste das Problem Mitte der 1950er Jahre ähnlich zusammen.67 Während die Einzelhändler Schwierigkeiten hatten, das genaue Potential der neuen Portables einzuschätzen, besaßen sie ein gutes Gespür für die Argumente, die für den Verkauf der Geräte als zusätzliche Fernsehgelegenheit sprachen. Als Ersatzkäufe waren die kleinen Portables im Vergleich zu den teuren Standgeräten für die Einzelhändler wenig attraktiv, da sie geringere Margen einbrachten.68 Sie versuchten daher, das inner-familiäre Konfliktpotenzial zu nutzen, um die Idee eines Zweitgerätes zu verkaufen.69 Die Hersteller unterstützten diese Argumente zusätzlich durch breit angelegte Kampagnen, die eine einträchtige, zufriedene, aber räumlich getrennte und mit zwei Fernsehgeräten ausgestattete Familie zeigten.70 Die dritte wichtige Entwicklung, die seit Mitte der 1950er Jahre zu beobachten war, bildete die zunehmend wichtige Rolle der gebrauchten Fernsehgeräte. In den zehn Jahren seit Einführung des Fernsehens Mitte der 1940er Jahre waren rund 38,5 Mio. neue Fernsehgeräte über die Ladentheken der Einzelhändler gewandert. Seit Anfang der 1950er Jahre war etwa jeder dritte bis vierte Kauf ein „Ersatzkauf“, also weder der Kauf eines ersten, noch eines zusätzlichen Gerätes gewesen. Allein für die dreieinhalb Jahre von 1952 bis Mitte 1955 bedeutete dies,
64 Spigel, Installing, S. 110. 65 Weiteres Konfliktpotenzial lag in Auseinandersetzungen über das Verhalten während der Mahlzeiten oder die Sorge erzieherischen Autoritätsverlusts. Siehe: Spigel, Installing, S. 165–166. 66 Ace, Goodman: A Man’s TV Set Is His Castle. In: The Saturday Review, April 1953, zit. nach: Spigel, Room, S. 66–67. 67 Sell-Back Promotion Moves TV Trade-Ins. In: Electrical Merchandising, August 1956, S. 74. 68 Farr, Mort: Portable Sales Should Be Plus Sales. In: Electrical Merchandising, Mai1957, S. 29. 69 Siehe zu familiären Konflikten bei der Wahl des Fernsehprogramms auch die faszinierende Studie von David Morley, die sich allerdings auf die Bedeutung der Verbreitung der Videoaufzeichnung in den 1980er Jahren konzentriert. Morley, David (1986): Family Television. Cultural power and domestic leisure. London. 70 Spigel, Room, S. 69–72.
5.1 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in den USA
161
dass sich ihre Besitzer von grob geschätzt über acht Mio. alten Fernsehgeräten trennten.71 Schätzungen vom Juli 1955 gingen aber davon aus, dass sich in den amerikanischen Haushalten noch immer etwa 35 Mio. Geräte befanden, über fünf Mio. Geräte also nie auf der Mülldeponie gelandet waren.72 Der Grund lag in der weit verbreiteten Inzahlungnahme alter Geräte durch die Händler, die wieder aufbereitet und als Gebrauchtgeräte an amerikanische Haushalte verkauft wurden, ohne je in die offizielle, an der Produktion orientierte, Verkaufstatistik eingegangen zu sein.73 Meist gingen die Gebrauchtgeräte der Electrical Merchandising zu Folge an Konsumenten mit geringeren Einkommen oder einer niedrigen Präferenz für technische Neuigkeiten.74 Ein Gebrauchtgerät mit kleiner Bildschirmgröße war bereits Ende der 1950er Jahre für den Preis eines neuen Toasters zu haben.75 Die Verschrottung von Altgeräten war eine in den 1940er und 1950er Jahren eher selten genutzte Option. Im Jahr 1948 waren nur 8 Prozent aller Herde, 12 Prozent aller Kühlschränke, 18 Prozent aller Waschmaschinen und jeder dritte Staubsauger von den Händlern verschrottet worden. Anfang der 1950er Jahre stiegen diese Werte an, auf 23 Prozent bei Herden, 28 Prozent bei Kühlschränken, 37 Prozent bei Waschmaschinen und 57 Prozent bei Staubsaugern.76 Für Fernsehgeräte liegen erst ab 1954 Statistiken der Electrical Merchandising vor, die sich aus Händlerumfragen ergaben.
71 Zahlen nach Electrical Merchandising (versch. Jg.). 72 Harrison, Randall P.: TV Service Is Outgrowing Sales. In: Electrical Merchandising, September 1955, S. 78. 73 In der offiziellen Statistik wurde der Verkauf von Gebrauchtgeräten nicht gesondert ausgewiesen. Gebrauchtgeräte wurden dafür explizit bei der Entwicklung der Sättigungsgrade berücksichtigt. U.S. Bureau of the Census, Statistical Abstracts. 74 He’s Building TV Sales with Trade-Ins. In: Electrical Merchandising, November 1952, S. 54. 75 Oxenfeldt, Element, S. 425. 76 Trade-Ins (Special Report). In: Electrical Merchandising, März 1954, S. 77.
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100 80 60 40 20 0
1950 1952 1954 1956 1958 1960 1962 1964 1966 1968 1970 1972 1974 1976 beim Kauf eines Schwarz-Weiß-Geräts (in % aller Transaktionen) beim Kauf eines Farbgeräts
Grafik 22: Inzahlungnahme eines Gebrauchtgerätes beim Kauf eines Neugerätes, 1950–1977 (USA)77
Demzufolge wurden 1954 erst etwa zehn Prozent aller akzeptierten Gebrauchtgeräte verschrottet. Die gesamten 1950er Jahre hindurch blieb der Wert unter 30 Prozent. Erst im Laufe der 1960er stieg die Zahl der entsorgten Geräte auf über 40 Prozent und Anfang der 1970er Jahre auf über 50 Prozent. Angenommene Farbgeräte wurden mit Ausnahme des Jahres 1968 seltener verschrottet als SchwarzWeiß-Geräte. Der insgesamt relativ hohe Grad der direkten Wiederverwertung der Altgeräte muss aber auch vor dem Hintergrund der Entwicklung überhaupt akzeptierter Altgeräte gesehen werden. Während sich der zunächst niedrige Wert der frühen 1950er Jahre aus der geringen Anzahl der im Umlauf befindlichen Geräte erklärte, stagnierte die Häufigkeit der Annahme ab Ende der 1950er Jahre und war seit den frühen 1960er Jahren trotz zunehmender Bestände rückläufig. Die Händler akzeptierten tendenziell nur noch solche Geräte, die sie wiederverwerten konnten. Anfang der 1970er Jahre akzeptierte kaum noch ein Händler Gebrauchtgeräte zur Inzahlungnahme, wobei sich diese Einstellung ab Mitte der 1970er Jahre wieder kurzfristig zu ändern schien.78
77 Quelle: Electrical Merchandising Week (versch. Jg.). 78 Opinion File: Trade Ins. Becoming Acceptable Again. In: Merchandising Week, Oktober 1976, S. 21. Für die Jahre nach 1977 liegen keine Statistiken vor.
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Entsorgte Fernsehgeräte (Schwarz-Weiß) Entsorgte Fernsehgeräte (Farbe) Grafik 23: Entsorgte Gebrauchtgeräte (in Prozent aller akzeptierten „Trade-Ins“), 1954–197579
Aus Sicht der Haushalte war die in den 1960er Jahren rückläufige Tendenz, das gebrauchte Fernsehgerät beim Kauf eines neuen Geräts zu verkaufen, vermutlich ein weiterer Grund für die Zunahme der Zweitgeräte. Viele Haushalte behielten beim Kauf eines neuen Geräts einfach ihr altes Gerät, verschoben es vom Wohnzimmer in Kinder- oder Schlafzimmer und erhielten so ihr Zweitgerät.80 Die Außendienst-Verkäufer der Einzelhändler waren, gern behilflich, Vorschläge für die neue Nutzung der alten Geräte zu machen.81
5.1.3 Der späte Durchbruch des Farbfernsehens Parallel zum Durchbruch der Ersatz- und Zweitgeräte sowie der zunehmenden Bedeutung von Gebrauchtgeräten spielte sich eine Entwicklung ab, die in den 1950er Jahren noch unter der Oberfläche brodelte, seit den 1960er Jahren aber
79 Quelle: Electrical Merchandising Week (versch. Jg.). 80 Riter, Purchases, S. 28–30. 81 Quelle: Oh, How They Hate TV Trade-Ins. In: Electrical Merchandising, Mai 1954, S. 59. Der Artikel stellte fest: „Before any trade-in is accepted a salesman personally sees the set in the prospect’s home. At that time the salesman either tries to show that it would be better if kept for a second set or given away to a relative who may not have one.“
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5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
voll durchschlug und den Markt für Fernsehgeräte tiefgreifend veränderte: die Einführung des Farbfernsehens. Wie Grafik 16 gezeigt hat, stieg der Konsum von Fernsehgeräten ab Anfang der 1960er wieder langfristig an. Dafür war allein die Verbreitung des Farbfernsehens verantwortlich, deren zunächst erfolglose Einführung durch die RCA im Jahr 1954 in Kapitel 3.1.3 diskutiert worden ist. Die wenigen Mitte der 1950er Jahre produzierten Geräte standen meist in Hotels oder Bars. Dort wurden sie den Schwarz-Weiß-Geräten werbewirksam gegenübergestellt.82 Ein durchschlagender Erfolg war dieser Strategie nicht beschieden. 1957 war einer Umfrage zu Folge erst ein Viertel der amerikanischen Bevölkerung mit dem Farbfernsehen überhaupt einmal in Berührung gekommen.83 Neben dem geringen Programmangebot spielten dafür auch die Verbraucherpreise der Geräte eine Rolle. Das Preisspektrum lag 1955 zwischen 695 und 995 US-Dollar, 1956 zwischen 495 und 850 US-Dollar.84 Die jährlichen Kosten für einen Farbgeräte-Service-Vertrag (Arbeitskosten und Material) beliefen sich 1955 zusätzlich auf etwa 149,50 US-Dollar.85 Ab Anfang der 1960er Jahre nahm der Absatz an Farbgeräten Fahrt auf. Die Einzelhändler trieben den Verkauf durch kostenlose Heimvorführungen, die Annahme alter Schwarz-Weiß-Geräte zu besonders günstigen Bedingungen oder Lokalwerbung voran.86 Farbgeräte stiegen von einem Nischenprodukt zum profitabelsten Angebot der Facheinzelhändler auf.87 Zwischenzeitlich hatte die RCA Service Corporation durch Schulungen das Funktionieren eines landesweiten Service-Netzwerks gesichert. Allein zwischen 1954 und 1958 waren über 118.000 Techniker geschult worden.88 Zu Beginn der 1970er Jahre befand sich bereits in über der Hälfte der amerikanischen Haushalte ein Farbfernsehgerät, wie an Grafik 24 abzulesen ist.
82 He’s Selling Color TV Today. In: Electrical Merchandising, Mai 1955, S. 75. 83 Richards, John A.: Color TV Takes on a New Sparkle. In: Electrical Merchandising, Mai 1958, S. 51–56. Hier S. 53. 84 The Growth of Color Television. A Step-by-Step Chronology. In: HML/RCA-David Sarnoff, DSRC Public Relations Collection – Technology Later, Box 9, Folder 17. 85 Richards, John A.: What’s so Old-Fashioned About Selling at List? In: Electrical Merchandising Week, 10. Oktober, 1960, S. 20. 86 Insbesondere Heimvorführungen stellten von Beginn an eine zentrale Verkaufsstrategie der Einzelhändler für die ungewohnten Farbgeräte dar. Siehe: Sell Color TV to the Whole Family. In: Electrical Merchandising, September 1956, S. 89; Farr, Mort: What Must a Dealer Do to Sell Color TV? In: Electrical Merchandising, September 1959, S. 36; Every Fourth TV Set He Sells Is Color. In: Electrical Merchandising Week, 4. Januar, 1960, S. 168. 87 How Dealers Are Selling TV. In: Electrical Merchandising Week, 14. August, 1961, S. 15. 88 Richards, John A.: Color TV Takes on a New Sparkle. In: Electrical Merchandising, Mai 1958, S. 51–56. Hier S. 53.
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Zahl der US-Haushalte mit Farbgeräten (am 31.12. des Jahres) Grafik 24: Sättigung amerikanischer Haushalte mit Farbgeräten, 1955–197989
Anders als im Fall des Schwarz-Weiß-Fernsehens lag der Anteil der teuren Standgeräte beim Farbfernsehen frühzeitig sehr hoch. Für Küche oder Schlafzimmer waren die großen und aufwendig gezierten Geräte nicht gedacht. „Color is going to bring the American family back into the living room“90, freute sich der berühmte Chicago-Einzelhändler Sol Polk, der auch mit Möbeln Geschäfte machte. Die meisten Hersteller versuchten, an der Produktion der teuren Standgeräte so lange wie möglich festzuhalten. „,The top of the line‘, as a Philco spokesman succinctly puts it, „,is where the dough is‘“.91 Die Anbieter sahen angesichts der großen Nachfrage und einer Knappheit an Bildröhren keinen Grund, das Preisniveau durch die Einführung kleiner Tischgeräte und Portables zu verderben. Die Zielgruppe der Hersteller bildeten die wohlhabenderen Haushalte. Das mittlere Einkommen eines Farbgeräte-Besitzers lag einer Schätzung zu Folge Anfang der 1960er bei etwa 11.400 US-Dollar.92 Das mittlere Einkommen der gesamten Bevölkerung war etwa halb so hoch. Im Jahr 1963 kauften Haushalte mit
89 Quelle: Porter, Cases und Electrical Merchandising Week (versch. Jg.). 90 Faltermayer, Battle, S. 146. 91 Ebd., S. 147. 92 RCA Color Television History (ca. 1962), S. III–19. In: HML/RCA-Victor, Series II, Box 2, Folder 25.
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einem Einkommen von über 10.000 US-Dollar um die 40 Prozent aller Farbgeräte, obwohl sie nur etwas über 12 Prozent der amerikanischen Bevölkerung ausmachten. Das erklärt, weshalb die Besitzer der Farbgeräte von den Werbefachleuten als „top-quality audience“ bezeichnet wurden. Nachdem allerdings GE 1965 ein Farbgeräte-Portable für 250 US-Dollar eingeführt hatte und der Händler Sears ein in Japan produziertes Set für 259 US-Dollar in sein Programm genommen hatte, nahm der Anteil der Standgeräte rasant ab.93 Das ist auch an Grafik 25 abzulesen. 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
Standgeräte (Farbgeräte) Tischgeräte und Portables (Farbgeräte) Kombinationen (Farbgeräte) Grafik 25: Prozentualer Anteil einzelner Gerätetypen (Farbgeräte), 1962–1980 (USA)94
Die Abnahme der Standgeräte Mitte der 1960er Jahre markierte den Beginn eines Massenmarkts für Farbfernsehgeräte. „Color sets are beginning to take on more of a middle-income appearance“95, stellte die Electrical Merchandising Week 1964 fest. Die Hälfte aller Farbgeräte wurde bereits von Haushalten mit einem
93 Faltermayer, Battle, S. 144–145. 94 Quelle für 1962/63: Written Statement of the J.C. Penney Company, Inc. to the US Tariff Commission, Februar 10, 1971. In: NA/USITC, AA1921–66 Television Receiver Sets Japan, Box 37, Folder Television Receiver Sets – Japan. Non–Confidential Statements. Quellen für die Jahre ab 1964: Electrical Merchandising Week (versch. Jg.). 95 Rubin, Donald S.: Your Best Bet in Home Electronics: Color TV, a Gift for the Whole Family. In: Electrical Merchandising Week, 21. September, 1964, S. 15.
5.1 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in den USA
167
Einkommen von 5.000 bis 10.000 US-Dollar erworben. 1964 war gut jedes zehnte verkaufte Fernsehgerät ein Farbgerät, 1966 war es bereits jedes dritte.96 1962 fiel das Mitte der 1950er Jahre noch rund 800 US-Dollar teure durchschnittliche Farbfernsehgerät unter den Wert von 600 US-Dollar. Dieses Preisniveau hatte in einer Umfrage von 1954 eine definitive Obergrenze für den Kauf eines Geräts gebildet.97 Real waren die Preissenkungen noch höher, zum einen wegen der Inflation, zum anderen wegen Qualitätsverbesserungen und höherer Zuverlässigkeit der Geräte. Tatsächlich war der finanzielle Aufwand für den Kauf eines Farbfernsehgerätes seit Mitte der 1950er Jahre stetig gefallen wie an Grafik 24 abzulesen ist. Auch die Farbgeräte-Service-Verträge waren innerhalb von fünf Jahren von 149,50 USDollar im Jahr 1955 auf 69,50 US-Dollar im Jahr 1960 gesunken.98 Tabelle 20: Ausgaben für ein Farbfernsehgerät in Relation zu einem mittleren Haushaltseinkommen, 1955–1978 (USA)99 Zahl der benötigten Arbeitstage für den Erwerb eines durchschnittlichen Farbgeräts 1955
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26
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10
96 The TV Picture. Growing Volume at Lower Prices. In: Electrical Merchandising Week, 13. Juni, 1966, S. 24. 97 Weber, Ted: Who’s the Villain in Color TV?. In: Electrical Merchandising, Februar 1955, S. 207. 98 Richards, John A.: What’s so Old-Fashioned About Selling at List? In: Electrical Merchandising Week, 10. Oktober, 1960, S. 20. 99 Eigene Berechnung nach U.S. Bureau of the Census, Historical Statistics für Haushaltseinkommen. Für Quellen der Preisangaben und ergänzende Hinweise, siehe Grafik 26.
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Die amerikanische Durchschnittsfamilie, die 1955 noch über zwei Monate für den Erwerb eines Farb-Geräts hatte arbeiten müssen, konnte seit den frühen 1960er Jahren ein Farbgerät für etwa ein Brutto-Monatseinkommen beziehen, wie Tabelle 20 zeigt. Der Preis der Geräte relativ zur Höhe des Einkommens war wie zuvor bei den Schwarz-Weiß-Geräten nicht allein für die Entwicklung des Farbgeräte-Absatzes verantwortlich. Gerade für die frühzeitige Anschaffung waren andere soziale Bedingungen ähnlich signifikant. Wie Walter P. Gorman III zeigen konnte, der in den 1960er die Verbreitung des Farbfernsehens in Tuscaloosa, Alabama, untersuchte, gab es signifikante Unterschiede zwischen den frühen Adaptoren der Innovation und anderen sozialen Gruppen. Die „early adopters“ in Tuscaloosa, die Gorman in seiner Studie untersuchte, waren sozial stärker integriert, lasen mehr Zeitschriften und besaßen mehr Radios, Plattenspieler und ein zweites Fernsehgerät. Erst nachdem diese Gruppe den Kauf eines Farbgeräts getätigt und dadurch einen neuen sozialen Standard gesetzt hatte, ging auch der größere Teil der Bevölkerung dazu über, ein Farbgerät anzuschaffen.100 Die Programmausweitung durch NBC, der Einstieg von GE, Sylvania und Zenith und die Beseitigung der „Kinderkrankheiten“ bei Farbgeräten wurden bereits als drei angebotsseitige Gründe für den verspäteten Erfolg des Farbfernsehens angeführt. Aus Sicht der amerikanischen Haushalte lassen sich neben der sozial vermittelten Akzeptanz noch zwei weitere Gründe ausmachen. Die Verbreitung des Farbfernsehens war erstens ohne Frage eine Folge gesunkener Preise aber auch eine Folge der Veränderung relativer Preise. Während ein Farbfernsehgerät bis 1958 durchschnittlich etwa zweieinhalb bis dreimal so teuer war wie ein Schwarz-Weiß-Fernsehgerät, fand Ende der 1950er Jahre eine Angleichung statt. Diese ließ sich zum Teil auf Preissenkungen der Farbgeräte, vor allem aber auf das Ende der 1950er Jahre kurzzeitig steigende Preisniveau bei Schwarz-WeißGeräten zurückführen.
100 Gorman, Walter P. (1967): Analyzing Consumer Markets Through Diffusion Research. In: Rural Sociology 32 (4), S. 456–463. Hier S. 461. Gorman ging von Everett Rogers Theorie der Diffusion aus.
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Durchschnittliche FabrikabgabePreise für Farb-Geräte (laufende Preise) Durchschnittliche EinzelhandelsPreise für Farb-Geräte (laufende Preise) Durchschnittliche EinzelhandelsPreise für Farb-Geräte (Schätzung auf Basis einer Handelsspanne von 38% (wie 1961-1963)
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Durchschnittliche Fabrik-Preise für Farb-Geräte (Preise von 1955) Durchschnittliche EinzelhandelsPreise für Farb-Geräte (Preise von 1955) Durchschnittliche EinzelhandelsPreise für Farb-Geräte (Schätzung) (Preise von 1955)
Grafik 26: Entwicklung des Einzelhandels-Preisniveaus von Farbgeräten, 1955–1978 (USA)101
101 Quellen wie Grafik 21. Hinweis: Durchschnittliche Einzelhandelspreise für Farbgeräte zwischen 1955 und 1960 sind ein Schätzwert. Sie wurden basierend auf der Annahme einer kons-
170
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
Das Preisniveau wiederum war Folge einer neuen Zusammensetzung der Geräte. Neben den Portables kauften Konsumenten auch wieder vermehrt teure Standgeräte, was für gestiegene Ansprüche in Folge der Sättigung der Haushalte mit Schwarz-Weiß-Geräten spricht.102 Viele dieser wohlhabenderen Haushalte gingen nun dazu über, ihre alten Geräte nicht mehr durch teure Schwarz-WeißStandgeräte, sondern durch ein noch teureres Farbgerät zu ersetzen. „It is as if Chevrolet owners suddenly had begun switching to Cadilllacs“103, kommentierte das Magazin Fortune die Entwicklung. Der Absatz an Schwarz-Weiß-Geräten blieb von der Stückzahl her nach der Durchsetzung des Farbfernsehens erstaunlich stabil, wie in Grafik 16 zu sehen ist. Er konzentrierte sich aber zunehmend auf kleinere Tischgeräte, wie in der Zusammenschau mit Grafik 18 deutlich wird. Die Rezession 1966/67, die insgesamt zu einem Rückgang des Konsums von Fernsehgeräten führte, ging allein zulasten der Schwarz-Weiß-Geräte, während der Absatz an Farbgeräten weiter zunahm (siehe Grafik 16). Der Bedarf einkommensstarker Haushalte an der Innovation glich eine mögliche krisenbedingte Konsumzurückhaltung aus. Zu dieser Zeit entsprach der Markt für Farbfernsehgeräte noch einem Verkäufermarkt. Ende der 1960er Jahre deuteten sich dagegen ähnliche Probleme wie zehn Jahre nach der Einführung des Schwarz-Weiß-Fernsehens an. 1969 ging der Konsum von Farbgeräten erstmals seit dem „Take Off“ Anfang der 1960er Jahre zurück. Nach 1970 war die Entwicklung durch massive Ausschläge – ein rasant steigender Absatz zwischen 1971 und 1974 und eine tiefe Rezession 1975 – gekennzeichnet. Auf den ersten Blick ähnelte die Entwicklung damit jener des Konsums von Schwarz-Weiß-Geräten beim Übergang von der ersten in die zweite Phase. Wie Grafik 27 zeigt, stagnierte die Zahl der Erstkäufer ab Ende der 1960er Jahre. Ersatzkäufe und der Kauf von Zweitgeräten gewannen an Bedeutung. Ein Unterschied zur Entwicklung der Schwarz-Weiß-Geräte ist allerdings darin zu sehen, dass der Übergang in die zweite Phase bei Farbgeräten deutlich früher einsetzte als bei Schwarz-Weiß-Geräten.
tanten Handelsspanne von 38 Prozent und ausgehend von den durchschnittlichen Fabrikabgabepreisen dieser Jahre gebildet. 102 Laut einer Umfrage von 1961 lagen Portables mehrheitlich zwischen $ 150 und $ 200, während Tischmodelle zwischen $ 175 und $ 250 lagen. Standgeräte lagen meist über $ 250. Siehe: How Dealers Are Selling TV. In: Electrical Merchandising Week, 14. August, 1961, S. 15. 103 Faltermayer, Battle, S. 146.
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1973
1972
1971
1970
1969
1968
1967
1966
1965
1964
1963
1962
1961
1960
1959
1958
1957
0
1956
2
Replacement
Grafik 27: Konsum von Farbgeräten nach Erstkäufen, Ersatzkäufen (Replacement) und Zweitgeräten, 1956–1982 (in Mio. Stück) (USA)104
Schwarz-Weiß-Geräte blieben ein gefragtes Produkt.105 Mitte der 1960er Jahre wurden mehr Schwarz-Weiß-Geräte verkauft als jemals zuvor in der amerikanischen Geschichte (oder danach). 1972 war der Konsum (in Stückzahlen gemessen) höher als in jedem Jahr zwischen 1946 und 1963. Noch Anfang der 1980er Jahre kauften ähnlich viele amerikanische Haushalte ein Schwarz-Weiß-Gerät wie in den späten 1950er Jahren. Diese Entwicklung lässt sich zum Teil mit der Tatsache erklären, dass Farbgeräte noch immer deutlich teurer waren als Schwarz-Weißgeräte, wo der Preisverfall stärker und die Verschiebung des Angebots auf kleinere Gerätetypen ausgeprägter war. Nach der Angleichung in den späten 1950er Jahren stieg die Differenz der Durchschnittspreise im Laufe der 1960er und 1970er Jahre daher wieder. Das ist in Tabelle 21 deutlich zu erkennen.
104 Bayus/Hong/Labe, Forecasting Models, S. 9. 105 Bell, Maturing, S. 15.
172
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
Tabelle 21: Preis-Relation Schwarz-Weiß- zu Farbgeräten, 1961–1978 (USA)106 Preis-Relation auf Basis durchschnittlicher Einzelhandelspreise 1961
1 : 2,9
1970
1 : 3,8
1962
1 : 2,9
1971
1 : 4,1
1963
1 : 3,1
1972
1 : 4,1
1964
1 : 3,4
1973
1 : 4,4
1965
1 : 3,5
1974
1 : 3,6
1966
1 : 3,8
1975
1 : 3,6
1967
1 : 4,0
1976
1 : 4,7
1968
1 : 3,9
1977
1 : 4,2
1969
1 : 3,9
1978
1 : 4,2
Angebotsseitig war der Ursprung des langfristig hohen Konsums von SchwarzWeiß-Geräten in erster Linie außenwirtschaftlicher Natur, wie Kapitel 3.1.4 gezeigt hat. Die Konsumenten bevorzugten nach Meinung der Federal Trade Commission und einer Studie Ernest Dichters zu Folge zwar im Inland produzierte Geräte.107 In den konkreten Kaufentscheidungen spiegelte sich diese Einstellung aber nicht. Gleichzeitig scheint die Verbreitung des Farbfernsehens den Absatz an SchwarzWeiß-Geräten zunächst sogar gefördert zu haben. Eine Verdrängung im Sinne alternativer Wahlmöglichkeiten hat nicht stattgefunden. Darin zeigt sich, dass das Fernsehen nicht nur als ein auf das Wohnzimmer begrenztes Prestigeprojekt beschreibbar war, sondern vielfältige Funktionen angenommen hatte, die sich gegenseitig verstärkten. Während die teuren Standmodelle für Farbgeräte noch diesen repräsentativen Charakter hatten und hohen technischen Ansprüchen genügen mussten, waren die anderen Fernsehgeräte längst in die verschiedenen Räume des Haushalts vorgedrungen. Die Eroberung von Schlaf- und Kinderzimmer war zugleich ein Indiz dafür, dass hier nicht das Gerät selbst, sondern
106 Zu den Quellen siehe Grafik 21. 107 The Motivations of Consumerism. Study prepared for Time, Inc. 1973, S. 77. In: HML/EDP, Box 113, Folder #2622C. Siehe auch: Davis, Bonnie D.; Kern, Sue A.; Sternquist, Brenda J. (1990): The Influence of Country of Origin, the „Buy American“ Campaign, and Store Prestige on Consumers’ Perceptions of Quality and Estimates of Price. In: Advances in International Marketing (4), S. 73–95 und Ettenson, Richard; Wagner, Janet; Gaeth, Gary (1988): Evaluating the Effect of Country of Origin and the „Made in the USA“ Campaign. A conjoint approach. In: Journal of Retailing 64 (1), S. 85–100.
5.2 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in der BRD
173
seine Funktion als Medium im Vordergrund stand. Die hohe Nachfrage nach den günstigen Schwarz-Weiß-Geräten war insofern zwar auch eine Folge des günstigen Preises, hatte zugleich aber in den 1970er Jahren einen ganz anderen Hintergrund als noch in den 1940er und 1950er Jahren. Den Veränderungen auf Seite der Anbieter stand eine Veränderung auf Seite der Haushalte gegenüber.
5.2 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in der BRD Die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen in Deutschland kontrastierten unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs und auch in den ersten Jahren der neu gegründeten Bundesrepublik sehr stark mit denen in den USA. Der Krieg hatte mehr als sieben Mio. Menschen das Leben gekostet. In vielen Großstädten waren mehr als die Hälfte der Gebäude zerstört. Wohnungsnot, Hunger und Kälte prägten die ersten Jahre der deutschen Gesellschaft nach dem Krieg.108 Die Währungsreform sorgte zwar für einen spürbaren Gewinn an allgemeiner Zuversicht und – je nach wirtschaftshistorischer Lesart – auch einen wirtschaftlichen Aufschwung.109 Sie machte aber auch die zuvor verschleierte Enteignung der Sparer durch die Nationalsozialisten sichtbar.110 Die wenigsten Menschen verfügten Ende der 1940er Jahre noch über größere Sparguthaben. Kultur und Medien nahmen ungeachtet von Not und Zerstörung rasch wieder einen wichtigen Platz im Alltagsleben der Menschen ein. Tageszeitungen, Theatervorstellungen und Radioprogramme konnten von den Deutschen bereits im ersten Nachkriegsjahr wieder konsumiert werden.111 Mit der Besatzung durch die
108 Schildt, Sozialgeschichte, S. 1–12. 109 Für die gegensätzlichen Positionen, siehe: Abelshauser, Werner (2011): Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Von 1945 bis zur Gegenwart. 2. Aufl. München, S. 119–151; Buchheim, Christoph (1988): Die Währungsreform 1948 in Westdeutschland. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 36 (2), S. 189–231 und Ritschl, Albrecht (1985): Die Währungsreform von 1948 und der Wiederaufstieg der westdeutschen Industrie. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 33 (1), S. 136–163. 110 Borchardt, Knut (1982): Die Erfahrung mit Inflationen in Deutschland. In: Knut Borchardt (Hg.): Wachstum, Krisen, Handlungsspielräume der Wirtschaftspolitik. Studien zur Wirtschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Göttingen, S. 151–161. 111 Schildt, Sozialgeschichte, S. 26. Bausch weist darafuf hin, dass es seit dem Beginn des regelmäßigen Programmdienstes am 29.10.1923 keinen Tag in der deutschen Geschichte gegeben hat, an dem Funkstille gehrrscht hat, da die Alliierten Besatzer bereits im Mai 1945 erste Funkhäuser übernommen hatten. Wer ohne Radio war, konnte zunächst allerdings nur durch einen Warenbezugsschein ein Gerät erwerben, da die Geräte bis zur Währungsreform der Bewirtschaftung unterlagen. Bausch, Rundfunkpolitik, S. 13; Steiner, Ortsempfänger, S. 274.
174
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
Alliierten stellte sich allerdings die Frage der Zuständigkeit. Der Rundfunk war in Deutschland stets eine weitestgehend staatliche Einrichtung gewesen.112 Die Sender waren im Besitz der Reichspost. Die Funkhäuser gehörten zu der von der Reichspost kontrollierten Reichs-Rundfunk-Gesellschaft. Die Rundfunk-Gebühren wurden ebenfalls von der Post festgesetzt und eingezogen. Die Besetzung der Leitung der Sendegesellschaften war nicht ohne die Zustimmung der Landesregierungen möglich.113 Für die deutschen Politiker stand die Fortführung dieser Tradition nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches gar nicht zur Debatte. Allerdings lag nach Kriegsende die Rundfunkpolitik in den Händen der Alliierten, die in ihren jeweiligen Besatzungszonen unterschiedlich agierten. Die Besatzungsmächte förderten den Ausbau des Rundfunks, verlagerten die Verantwortung aber von der Deutschen Post, der Nachfolgerin der Reichspost, auf die neu gegründeten Landesrundfunkanstalten. Die Post blieb für den Gebühreneinzug und die spätere Realisierung des Fernseh-Übertragungsnetzes zuständig.114 Noch bevor die ersten Geräte in die serienfertige Produktion gingen, wurden am 31. Dezember 1950 erste Versuche mit Fernsehprobesendungen beim Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) in Hamburg gemacht, der unter Britischer Kontrollhoheit stand.115 Am Zweiten Weihnachtsfeiertag 1952 nahm das NWDRFernsehen offiziell seinen Betrieb auf. Weitere Landesrundfunkanstalten folgten. Bereits 1950 war die „Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands“ (ARD) gegründet worden. Die ARD war eine unabhängige Arbeitsgemeinschaft der Landessender. Am 1. November 1954 strahlte sie erstmals ihr Gemeinschaftsprogramm „Deutsches Fernsehen“ aus.116
112 Der Rundfunk etablierte sich, wie Hickethier schreibt, „zunächst (in der Weimarer Republik) als halb private, dann (im „Dritten Reich“) als staatliche und nach 1945 (in der Bundesrepublik Deutschland) als öffentlich-rechtliche Institution.“ Hickethier, Wirtschaftsgeschichte, S. 379. Zur Geschichte des Radios in den 1920er Jahren, siehe auch: Marszolek, Inge (1999): Radiozeiten. Herrschaft, Alltag, Gesellschaft (1924 – 1960). Potsdam und Lenk, Carsten (1997): Die Erscheinung des Rundfunks. Einführung und Nutzung eines neuen Mediums 1923 – 1932. Opladen. 113 Bausch, Rundfunkpolitik, S. 9–10. Siehe auch: Frei, Norbert (1989): Hörfunk und Fernsehen. In: Wolfgang Benz (Hg.): Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Frankfurt am Main, S. 417–463. Hier S. 420–421. 114 Bausch, Rundfunkpolitik, S. 24–45. 115 Der NWDR war auch für die technische Entwicklung des Fernsehens, für Senderentwicklung und Studiotechnik, zuständig. Fickers, Politique, S. 166. 116 Insbesondere die frühe Institutionengeschichte des deutschen Fernsehens ist gut erforscht. Für eine sehr knappe Übersicht siehe: Schäffner, Gerhard (2002): „Das Fenster in die Welt“. Fernsehen in den fünfziger Jahren. In: Werner Faulstich (Hg.): Die Kultur der 50er Jahre. Pa-
5.2 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in der BRD
175
Die ARD sendete zunächst nicht mehr als ein zweistündiges Abend- und ein einstündiges Nachmittagsprogramm. Ab den Jahren 1956/57 gab es über vier Stunden, Ende der 1950er Jahre etwa fünf Stunden tägliches Fernsehprogramm. Mit diesem Schritt wurde die anfangs bestehende „Vorabendlücke“ zwischen Nachmittags- und Abendprogramm geschlossen.117 1961 begann die ARD mit der Ausstrahlung eines zweiten Programms, das allerdings auf zwei Stunden täglich begrenzt war, weil es die Zuschauer nicht vom Hauptprogramm der ARD „entfremden“118 sollte. Mit dem Sendebeginn des Zweiten Deutschen Fernsehens im Jahr 1963 wurde die Zeit auf etwa zehn bis elf Stunden bei der ARD erhöht. Das ZDF sendete zu Beginn der 1960er Jahre etwa fünf Stunden, ab Ende der 1960er Jahre ebenfalls zehn Stunden. Die von den einzelnen Landesrundfunkanstalten seit Mitte der 1960er ausgestrahlten Dritten Programme sorgten für zusätzliche Programmvielfalt.119 Die in ausreichender Nähe zur DDR wohnenden Bundesbürger konnten mit Hilfe entsprechend ausgestatteter Geräte auch das Fernsehprogramm des sozialistischen Nachbarn empfangen.120 Inhaltlich entwickelte sich das Fernsehprogramm Axel Schildt zu Folge „in einem gewissen Spannungsverhältnis zu den Wünschen der Zuschauer“121. Die Urteile der Besucher einer Fernsehvorführung, die 1953 von Telefunken und der
derborn, S. 91–102. Ausführliche historische Rekonstruktionen bei Bausch, Rundfunkpolitik und Hickethier, Geschichte. 117 Schildt, Axel; Siegfried, Detlef (2009): Deutsche Kulturgeschichte. Die Bundesrepublik – 1945 bis zur Gegenwart. München, S. 197. 118 Hickethier, Geschichte, S. 140. 119 Hickethier, Geschichte, S. 225–227. Zur Gründung des ZDF siehe auch: Bausch, Rundfunkpolitik, S. 447–515 u. Dussel, Konrad (2000): Vom Radio- zum Fernsehzeitalter. Medienumbrüche in sozialgeschichtlicher Perspektive. In: Axel Schildt und Detlef Siegfried (Hg.): Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften. Hamburg, S. 673–694. Die „Regionalprogamme“ waren bereits frühzeitig Bestandteil des Fernsehkonzepts der ARD gewesen. Die Programme der Regionalsender wurden bis Mitte der 1960er Jahre aber in das Programm der ARD integriert. Eine Auswahl zwischen verschiedenen Angeboten ergab sich daraus nicht. 120 Schildt/Siegfried, Kulturgeschichte, S. 198. Zum Fernsehen in der DDR, siehe: Meyen, Michael (2003): Einschalten, Umschalten, Ausschalten? Das Fernsehen im DDR-Alltag. Leipzig. Siehe auch: Bursztyn, Leonard; Cantoni, Davide (2014): A Tear in the Iron Curtain. The impact of Western television on consumption behavior, NBER Working Paper, Cambridge, MA. 121 Schildt, Beginn, S. 486. Die Ostblockländer hatten ebenso wie die Sowjetunion den gleichen Zeilenstandard wie die Bundesrepublik und die meisten Länder Europas. Aufgrund eines unterschiedlichen Ton-/Bildfrequenzabstands brauchte es aber einen Transcoder, um Bild und Ton gleichzeitig empfangen zu können. Sowohl auf der West- als auch auf der Ostseite Deutschlands waren die Sendestationen in bewusster Grenznähe errichtet worden. Vgl. Fickers, Politique, S. 91 u. 167–168.
176
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
Hannoverschen Presse in erster Linie für die „Händlerfreunde“122 veranstaltet worden war, waren noch rundweg negativ gewesen. Sie reichten von „mehr wie mäßig“ bis hin zu „mangelhaft“ und „unter aller Sau“.123 Einer der ersten Witze über das Fernsehen lautete: „Das Fernsehen ist gar nicht so schlimm. Wenn du die Augen zumachst, denkst du, es ist Radio!“124. Zwischen dem NWDR und den Herstellern und Händlern von Fernsehgeräten entwickelte sich eine Debatte, ob ein unzureichendes Fernsehprogramm oder die Preise der Geräte noch höhere Absatzzahlen verhinderten.125 Im Laufe der 1950er Jahre besserte sich die Situation. Quiz-Sendungen, Kinospielfilme, volkstümliche Komödien, Familienserien und Krimis bildeten in den 1950er Jahren die „tragenden Bausteine der abendlichen Fernsehunterhaltung“126. Allerdings gab es auch noch Ende der 1950er Jahre allgemeine Kritik an der Qualität des Fernsehprogramms.127
5.2.1 Bekannte Neuheit. Die ersten zehn Jahre des Fernsehens Ab etwa 1953/54 nahm der Absatz von Fernsehgeräten an Fahrt auf, wie in Grafik 28 zu sehen ist. In den 1950er Jahren waren die Geräte eine aufregende Neuheit und für die wenigen Haushalte, die ein Gerät besaßen, waren sie auch ein Statussymbol. Die Menschen, die in den 1950er Jahren ihr erstes Fernsehgerät kauften, konnten sich einer anlässlich des 30-jährigen Fernseh-Jubiläums veröffentlichten Studie noch Jahrzehnte später an diesen Vorgang erinnern.128 Auch Michael Wildt bemerkte für die Familie Z aus Kiel, deren Haushaltsbücher er konsumhistorisch untersuchte: „No other consumer item was placed in the housekeeping books of family Z in so symbolic a manner as was the television.“129
122 Aktennotiz. Betr.: hp-Aktion Fernsehstube. 10.1.1953. In: DTMB/AEG, GS 2896. 123 Aktennotiz. Betr.: Fernseh-Vorführung am 22. Februar 1953. Hannover, den 24.3.1953. In: DTMB/AEG, GS 2896. 124 Fernsehen ist gar nicht so schlimm. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. Februar, 1953, S. 6. 125 Bewußte oder unbewußte Irreführung?. In: Funk-Fachhändler, Dezember 1955, S. 336. 126 Schildt, Beginn, S. 490. 127 Woran krankt das Fernsehprogramm? In: Funk-Fachhändler, Januar 1956, S. 8; Eine Million Fernseh-Teilnehmer fordern: Steigert das Niveau! In: Radio-Fernseh-Händler, September 1957, S. 18. 128 Eurich, Claus; Würzberg, Gerd (1983): 30 Jahre Fernsehalltag. Wie das Fernsehen unser Leben verändert hat. Reinbek bei Hamburg, S. 51. 129 Wildt, Continuities, S. 219.
5.2 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in der BRD
177
Gesellschaftliche und sportliche Großereignisse spielten eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des neuen Mediums. Die Übertragung der Krönung Elisabeth II. von England am 2. Juni 1953 war ein erstes euphorisierendes Ereignis.130 Die Zahl der Menschen, die das Finale bei der Fußball-WM 1954 in einem Fernseher verfolgten wird auf etwa eine halbe Mio. geschätzt. Im Jahr 1953 waren fünf Prozent aller Deutschen mit dem Fernsehen in Berührung gekommen. Zwei Jahre später waren es bereits knapp drei Viertel, im Jahr 1958 sogar 93 Prozent der deutschen Bevölkerung.131 Zwischen Fernsehkonsum und Besitz der Geräte klaffte zunächst allerding eine große Lücke. Bis zum Jahr 1955 verfügten nicht einmal 100.000 Haushalte über einen eigenen Fernsehempfang, weil der Großteil der verkauften Geräte an Gaststätten, Hotels und die Ausstellungsräume der Einzelhändler gegangen war. Das änderte sich in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre rasch. Das Fernsehgerät war aufgrund seiner technisch begrenzten Bildgröße anders als das Kino für den öffentlichen Raum schlecht geeignet.132 Es vollzog daher auch, wie Wolfgang König schreibt, schon bald eine „Transformation vom kollektiven zum familialen“133 Konsumgut. Bereits im August des Jahres 1956 gab es über eine halbe Mio. Haushalte mit Fernsehempfang. Im Oktober 1957 stieg die Zahl auf eine Mio. Teilnehmer und noch Ende der 1950er Jahre hatten über drei Mio. Haushalte ein Fernsehgerät.134 In den gesamten 1950er Jahren stieg der Absatz von Fernsehgeräten in jedem folgenden Jahr. Bereits Ende der 1950er Jahre konnte das Fernsehen Axel Schildt zu Folge als ein „Massenmedium“, also als Freizeitmedium für die „breite Bevölkerung“ bezeichnet werden.135 Wie in den USA waren fallende Preise eine wesentliche Voraussetzung für die Durchsetzung des Fernsehens. Die Berechnung eines durchschnittlichen Einzelhandelspreises aller Geräte ist für die Bundesrepublik nicht möglich, da ausschließlich auf Fernsehgeräte bezogene Umsatzwerte des Einzelhandels nicht vorliegen. Die ersten 36cm-Geräte, deren Bildschirme nicht viel größer als ein DIN A 4-Blatt waren, kosteten zunächst über 1.000 D-Mark. Im Laufe des Jahres 1953 gab es einzelne Angebote für knapp unter 1.000 D-Mark und im Frühjahr 1954,
130 Schildt, Zeiten, S. 264. 131 Schildt, Beginn, S. 478. 132 Hickethier, Fernseher, S. 165. 133 König, Konsumgesellschaft, S. 379. Siehe auch: Zielinski, Siegfried (1989): Audiovisionen. Kino und Fernsehen als Zwischenspiele in der Geschichte. Reinbek bei Hamburg, S. 175–211. 134 Schildt, Beginn, S. 479. Im Dezember 1953 bildeten Gaststätten (25,3 Prozent) und Einzelhändler (31,3 Prozent) über die Hälfte der sogenannten „Fernsehteilnehmer“ in der Bundesrepublik. Schildt, Zeiten, S. 274. 135 Schildt, Zeiten, S. 274.
178
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
als 43cm-Geräte den Standard bildeten, sank der Preis einzelner 36cm-Geräte auf ca. 800 D-Mark. Neckermann bot bereits im Herbst 1954 ein 43cm-Modell für 648 D-Mark an.136 Der durchschnittliche Einzelhandelspreis der 43cm-Gerätetype fiel zwischen Herbst 1953 und Frühjahr 1955 in weniger als zwei Jahren von 1.150 auf 750 D-Mark.137 Dazu kamen die von der Post eingezogenen Fernsehgebühren, die zunächst monatlich fünf D-Mark betrugen, 1963 auf sieben D-Mark anstiegen und zwischen 1970 und 1980 in einem schnelleren Rhythmus von 8,50 D-Mark auf 13 D-Mark hochschnellten.138 5000 4500 4000 3500 3000 2500 2000 1500 1000 500 0
Konsum (Farbe u. SW) (in 1.000 Stück)
Konsum (SW) (in 1.000 Stück)
Grafik 28: Konsum von Fernsehgeräten in der BRD, 1952–1986139
136 Schildt, Beginn, S. 480. 137 Telefunken. Abteilung Marktforschung: o/- Preisentwicklung der Tischgeräte. 25. Mai, 1955. In: DTMB/AEG, GS 4191. 138 Statistisches Bundesamt, Fachserie M, Reihe 6 (versch. Jg.). Von den zu Beginn geforderten 5 D-Mark gingen 1,35 D-Mark an die Post, um sie für die errichteten und betriebenen Fernsehleitungen zu kompensieren. Bausch, Rundfunkpolitik, S. 667. 139 Eigene Berechnung: Konsum = Produktion + Importe – Exporte. Zahlen für Importe und Exporte nach: Statistisches Bundesamt: Der Aussenhandel der Bundesrepublik Deutschland. Teil 2. Waren nach Herstellungsländern und Verbrauchsländern (versch. Jg.). Zahlen für Produktion nach: Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland (versch. Jg.). Zahlen von 1952–1955 sind nicht-amtliche Notariats-Statistiken der deutschen
5.2 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in der BRD
179
0
Durchschnittlicher EinzelhandelsPreis eines SW-Tischgeräts (53cm) (Schätzung)
1982
0
1978
200
1974
200
1970
400
1966
400
1962
600
1958
600
1982
800
1978
800
1974
1000
1970
1000
1966
1200
1962
1200
1958
1400
1954
1400
1954
Die langfristige Entwicklung des Einzelhandelspreises eines Schwarz-Weiß-Fernsehgerätes ist in Grafik 29 dargestellt, bedarf aber der Erläuterung. Das Bundesamt für Statistik berücksichtigte Fernsehgeräte in seiner Fachserie zu Preisen und Löhnen erst ab 1959. Aufgrund der schwierig zu ermittelnden Durchschnittswerte wählte das Amt zunächst eine möglichst repräsentative Ausführung und ermittelte von dieser den durchschnittlichen Einzelhandelspreis.
Durchschnittlicher EinzelhandelsPreis eines SW-Tischgeräts (53cm) (in Preisen von 1960)
Durchschnittlicher EinzelhandelsPreis eines SW-Tischgeräts (53cm/59cm/61 cm)
Durchschnittlicher EinzelhandelsPreis eines SW-Tischgeräts (53cm/59cm/61 cm) (in Preisen von 1960)
Durchschnittlicher EinzelhandelsPreis eines SW-Portables
Durchschnittlicher EinzelhandelsPreis eines SW-Portables (in Preisen von 1960)
Grafik 29: Einzelhandelspreis eines Standard-S/W-Fernsehgerätes, 1954–1984 (BRD)140
Unterhaltungselektronik-Industrie, die vom ZVEI an die Mitglieder gemeldet wurden. Quelle ist: Rundfunk und Fernsehen in Zahlen. In: DTMB/AEG, GS 1142. Der Außenhandel in dieser Zeit ist nicht ermittelt, hatte aber nur eine geringfügige Bedeutung. Für den Zeitraum 1952–1955 gilt daher Zahlen für Konsum = Produktion. 140 In den Preisen ist die Umsatz-, bzw. ab 1968 die Mehrwertsteuer enthalten. Angabe für 1954–1956 nach Listenpreis für den Blaupunkt Sevilla (90 Grad Bildröhre). Preise für 1957 und
180
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
Die Statistik beginnt im Jahr 1959 daher mit dem am häufigsten produzierten Gerätetyp, einem 53cm-Tischgerät in Holzausführung mit einer 110-Grad Bildröhre zu einem Preis von 909 D-Mark. In der Grafik wurde der Preis von vergleichbaren Geräten dieser Ausführung zurück bis ins Jahr 1954 abgebildet, um eine längerfristige Betrachtung zu ermöglichen. Dabei ist zu beachten, dass 53cmGeräte seit 1954 zwar erhältlich waren, aber erst ab etwa 1958 den Standard bildeten. Der zu der Zeit noch gängige Ablenkungsgrad der Bildröhre von 90 Grad machte das Gerät darüber hinaus deutlich unhandlicher. Bereits 1961 musste das Bundesamt den 53cm-Gerätetyp zu Gunsten der neuen und teureren 59cm-Geräte fallen lassen, weil 53cm-Geräte faktisch nicht mehr erhältlich waren. Das erklärt den drastischen Preisanstieg in diesem Jahr. Die Hersteller hatten die Umstellung deshalb forciert, weil sie davon ausgingen, dass die Konsumenten bei nicht allzu großen Preisunterschieden die größeren Geräte bevorzugen würden und die Nachfrage nach den noch auf dem Markt befindlichen 53cm-Geräten zusammenbrechen könnte.141 Der Konsum ging in Folge der Preissteigerungen allerdings insgesamt deutlich sichtbar zurück, was die Vertreter der Industrie beunruhigte. In für ihn typischer Art ätzte der Telefunken-Direktor Hans Heyne 1962 über das Verhalten der Geschäftsstelle in München und kombinierte seine Kritik mit einer grundsätzlichen Frage bezüglich der Ausrichtung der eigenen Fernsehgeräte-Abteilung. Die Geschäftsstelle hatte dem Direktor wohlmeinend ein großes Fernsehgerät in sein eher bescheidenes Zimmer in einem Sanatorium in Bad Wiessee gestellt. Dabei habe er feststellen können, so Heyne in einem Schreiben an seinen Untergebenen, wie ein solches Gerät das Zimmer verunstalte. „Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr drängt sich mir doch die Frage auf, wie wir eigentlich ein Massengeschäft machen können, wenn wir solche großen, dunkel gehaltenen Fernsehempfänger als einzigen normalen Tischtyp verkaufen.“142 Bereits in dem Jahr nach Heynes Schreiben zerstreute sich die Grundlage seiner Kritik. Der Absatz nahm in Folge der Einführung des ZDF und weiterhin steigender Kaufkraft wieder deutlich an Fahrt auf. Mitte der 1960er Jahre erreichte er mit über 2,3 Mio. verkauften Geräten einen Höhepunkt. Die Tischgeräte mit
1958 nach einem nicht näher definierten 53cm-Gerät, das vom Funk-Fachhändler im Rahmen eines Rechenbeispiels als „vergleichbar“ betrachtet wurde. Quellen: Die Preise für Fernsehgeräte. In: Funk-Fachhändler, Februar 1955, S. 3; Preisliste. In: Funk-Fachhändler, September 1956; Der Festpreis hat trotzdem gesiegt! In: Funk-Fachhändler, Februar 1959, S. 36. EH-Preise ab 1959 nach: Statistisches Bundesamt, Fachserie M, Reihe 6. Deflation auf Grundlage wie Grafik 9. 141 Marktpflege und Preisklarheit. In: Radio-Fernseh-Händler, März 1961, S. 90. 142 Heyne an Zickermann. Betr.: 1. H. Schnürle, 2. Gehäuse des normalen Telefunken-Fernsehempfängers. 24. April, 1962. In: DTMB/AEG, GS 926.
5.2 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in der BRD
181
einer Bildschirmdiagonale von über 59cm bildeten mit über zwei Mio. Stück den mit Abstand größten Anteil. Erst 1969 wurde in der amtlichen Statistik das 59cm-Gerät durch ein 61cm-Gerät abgelöst, das bis 1977 den Standard bildete und die 1967 eingesetzte Stabilisierung der (laufenden!) Preise fortführte. Der scharfe Preisverfall im Jahr 1978 erklärt sich dadurch, dass dem Amt von diesem Zeitpunkt an kleine und kostengünstige „Portables“ als Berechnungsgrundlage dienten. Setzt man die dargestellte Entwicklung des durchschnittlichen Einzelhandelspreises zur langfristigen Entwicklung der Einkommen in Bezug, wird die zunehmend geringere Belastung des Haushaltsbudgets bei der Anschaffung eines Fernsehgerätes deutlich. Bis 1957 erforderte der Kauf eines 53cm-Geräts noch etwa zwei Netto-Monatseinkommen eines 4-Personen-Arbeitnehmerhaushalts. Bis 1963 fiel der Preis auf etwa ein Monatseinkommen. Angesichts der relativ stabilen Höhe des hier zu Grunde gelegten Preises bedeutet dies, dass ein Fernsehgerät für immer mehr Haushalte in dieser Zeit vor allem deshalb erschwinglich wurde, weil die Einkommen stark stiegen. Bei weiterhin steigenden Einkommen fiel der Preis und sank schließlich auf ein halbes Monatseinkommen bis Ende der 1960er Jahre. In den 1970er Jahren und 1980er Jahren war der Preisverfall der Schwarz-Weiß-Geräte noch dramatischer. Bereits Mitte der 1970er Jahre erforderte der Kauf eines vergleichbaren Schwarz-Weiß-Geräts einen Bruchteil dessen, was er Mitte der 1950er erfordert hatte. Tabelle 22: Preis eines S/W-Fernsehgerätes in Relation zu einem durchschnittlichen Haushaltseinkommen, 1954–1984 (BRD)143 Benötigte Arbeitstage für die Anschaffung eines S/W-Tischgeräts (Haushaltstyp 2) 1954
80
1970
14
1955
68
1971
12
1956
60
1972
11
1957
59
1973
10
1958
49
1974
9
1959
44
1975
8
143 Angaben zum Netto-Haushaltseinkommen nach 4-Personen-Arbeitnehmerhaushalt des Statistischen Bundesamtes (Haushaltstyp 2). Siehe: Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch (versch. Jg.). Zur Quelle der EH-Preise siehe Grafik 29.
182
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
Tab. 22 (fortgesetzt) 1960
39
1976
7
1961
45
1977
4
1962
38
1978
3
1963
33
1979
3
1964
29
1980
3
1965
24
1981
2
1966
20
1982
2
1967
17
1983
2
1968
17
1984
2
1969
15
Die relativ zur Kaufkraft der Bevölkerung sinkenden Preise ermöglichten eine zügige Verbreitung des Fernsehens. Bereits Anfang der 1960er Jahre verfügte laut Bundesstatistik etwa jeder dritte Haushalt über ein eigenes Fernsehgerät. Nimmt man die Zahl der „Fernsehteilnehmer“, die in der Allensbacher WerbeträgerAnalyse als „Anzahl der Personen, die zu Hause am eigenen Gerät das Fernsehprogramm verfolgen können“ definiert wurden, war die Zahl etwas höher (siehe Grafik 30). Das lag vermutlich zu einem wesentlichen Teil daran, dass die EinPersonen-Haushalte bis in die 1980er Jahre deutlich seltener über ein Fernsehgerät verfügten als die Mehrpersonen-Haushalte.144 Allerdings prägten zunächst auch starke regionale Unterschiede das Bild, da sich der Anschluss an das Fernsehnetz ungleichzeitig vollzog und die Kaufkraft der Bevölkerung regional ungleichmäßig verteilt war. 1957 beispielsweise lag die Fernsehdichte in Düsseldorf bei 13 Prozent, in Trier, Tübingen oder Freiburg dagegen nur bei drei Prozent. Bis zum Jahr 1960 stieg sie in Düsseldorf auf 38 Prozent, in Trier auf 12 Prozent.145
144 Siehe: Statistisches Bundesamt: Fachserie M – Preise, Löhne, Wirtschaftsrechnungen. Reihe 18 – Einkommens- und Verbrauchsstichproben. 1. Ausstattung privater Haushalte mit ausgewählten langlebigen Gebrauchsgütern (versch. Jg.). 145 Schildt, Beginn, S. 481. Siehe auch Bonus, Holger (1968): Die Ausbreitung des Fernsehens. Meisenheim am Glan, S. 116–122.
5.2 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in der BRD
183
100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
Sättigung der Haushalte
Anzahl der „Fernsehteilnehmer“ in Prozent
Grafik 30: Sättigung der deutschen Haushalte mit S/W-Fernsehgeräten, 1953–1970146
Die stark konstruierte Entwicklung des „Durchschnittspreises“ eines Fernsehgerätes verdeckt, dass die Haushalte sowohl zu deutlich günstigeren als auch zu deutlich teureren Konditionen an der Entwicklung des Fernsehens teilhaben konnten. In der Anfangsphase konnten sich trotz des früh einsetzenden Preisverfalls, der bei der Betrachtung einzelner Gerätetypen deutlich wird, zunächst nur die wohlhabenderen Haushalte ein Fernsehgerät leisten. Selbst das NeckermannModell für 648 D-Mark im Herbst 1954 kostete den 4-Personen-Arbeitnehmerhaushalt der amtlichen Statistik bei einem Netto-Monats-Einkommen von 447,86 D-Mark fast anderthalb Monatslöhne. Vielen Haushalten ging es bei der ersten Anschaffung eines Geräts in den 1950er Jahren daher auch um eine „Prestigefrage“147. Das kam in der äußerlichen Erscheinung der Fernsehgeräte zum Ausdruck. Die Standgeräte nahmen Anfang/ Mitte der 1950er Jahre über ein Drittel des Marktes für Fernsehgeräte ein. Sie zeichneten sich durch ein aufwendiges und häufig verziertes Äußeres aus und konnten einem Möbel gleich auf eigenen Beinen stehen. Ihr Preis lag bei vergleichbarer
146 Quellen: 1. Sättigung der Haushalte bis 1960 nach Telefunken Marktforschung: Voraussichtliche Entwicklung des Fernsehgeräte-Absatzes bis zum Jahr 1970 (1962), S. 12. In: DTMB/AEG, GS 922; ab 1961 Stat. Bundesamt. Fernseh-Rundfunkgenehmigungen und Zahl der Haushalte); 2. Anzahl der Fernsehteilnehmer: Tietz, Markt, S. 420 (nach Allensbacher Werbeträger-Analyse) 147 Hickethier, Fernseher, S. 169 u. 175.
184
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
Bildschirmgröße deutlich über dem der ohnehin teuren Tischgeräte. Wie in Grafik 31 zu sehen ist, fiel ihr Anteil Mitte der 1950er Jahre langfristig auf etwas über 20 Prozent und nahm ab 1963 dann rapide ab. Dies ist als weiterer Grund für die stark sinkenden durchschnittlichen Fabrikabgabepreise zu sehen.148 Ernest Dichter, der eine Motiv-Studie für den Hersteller Nordmende durchführte, teilte die deutsche Gesellschaft noch Ende der 1950er Jahre in eine „Protzgruppe“ und eine „Trotzgruppe“ ein. Die erste Gruppe war durch eine „geradezu naive Lust am Besitz des Apparates“ gekennzeichnet, die in vielen Fällen das Fernsehgerät als ein Statussymbol betrachtete, mit dem sich vor Freunden auch angeben ließ. Als typisch für diese Gruppe sah Dichter den Ausspruch eines etwa vierzigjährigen Arbeiters aus dem Ruhrgebiet: „Ich weiss nicht, warum die Leute immer so auf den Fernseher schimpfen. Ich freue mich an allem, was ich sehe […] Ich habe aber auch den groessten und besten Apparat gekauft, den man kriegen kann. Meine Freunde und alle die kommen bewundern den Apparat und sagen, dass (sic!) ist doch das Richtige.“149 Die andere Gruppe sah Dichter als die zahlenmäßig kleinere, dafür aber wesentlich artikuliertere Gruppe. Sie lehnte das Fernsehen rundheraus ab.150 Die Trennungslinie zwischen den beiden Gruppen verlief Dichter zu Folge im Wesentlichen „gleichlaufend mit der soziologischen Trennungslinie zwischen den nach Bildungsgrad und frueherer Klasseneinteilung (aber nicht mehr in jedem Fall nach Einkommen) niedereren Bevoelkerungsgruppen auf der einen Seite und den sogenannten ,hoeheren‘ Schichten, die eine umfassendere, akademische Erziehung genossen haben, auf der anderen.“151 Eine Ausnahme bildeten allerdings die Rentnerhaushalte, die aufgrund ihrer geringeren Einkommen zunächst von der Verbreitung des Fernsehens weitestgehend ausgeschlossen blieben.152
148 Ebd., S. 177. 149 Nordmende in der gegenwaerten (sic!) Deutschen Fernseh – Entwicklung. Eine Pilot – Motivstudie, May 1958, S. 10. In: HML/EDP, Box 45, Folder 1008D. 150 Ebd. Siehe auch: Loehlin, Jennifer A. (1999): From Rugs to Riches. Housework, consumption and modernity in Germany. Oxford, S. 95–97. 151 Nordmende in der gegenwaerten (sic!) Deutschen Fernseh – Entwicklung. Eine Pilot – Motivstudie, May 1958, S. 11. In: HML/EDP, Box 45, Folder 1008D. 152 Kramper, Peter (2000): From Economic Convergence to Convergence in Affluence? Income growth, household expenditure and the rise of mass consumption in Britain and West Germany, 1950–1974. Economic History Working Papers, 56/00. Department of Economic History, London School of Economics and Political Science. London, S. 55–56.
5.2 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in der BRD
185
100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20%
Standgeräte
Tischgeräte
1973
1972
1971
1970
1969
1968
1967
1966
1965
1964
1963
1962
1961
1960
1959
1958
1957
1956
1955
1953
1952
0%
1954
10%
Portables
Grafik 31: Anteil einzelner Gerätetypen an der Gesamtproduktion (S/W-Geräte), 1951–1973 (BRD)153
Haushalte mit geringeren Einkommen konnten auf die günstigeren Preise von Modellen mit geringerer Ausstattung zurückgreifen, auf Sonderangebote warten oder sich für auslaufende Modelle entscheiden, deren Preise gesunken waren. Wie allerdings ein Blick auf die nach Haushaltstypen differenzierte Ausstattung der privaten Haushalte zeigt, offenbarten sich noch lange Zeit deutliche Unterschiede zwischen den drei Haushaltstypen, die den Laufenden Wirtschaftsrechnungen des Statistischen Bundesamts zu Grunde gelegt sind. Der Haushaltstyp 1, der als kinderloser zwei-Personen-Haushalt mit geringem Haushaltseinkommen definiert ist, hinkte Anfang der 1960er Jahre der Entwicklung deutlich hinterher und konnte erst im Laufe der 1970er Jahre aufschließen.154 Dieser Unterschied ist durch das geringere Einkommen zu erklären und tritt auch in der differenzierten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zu Tage. Hier zeigt sich eine deutliche
153 Notariats-Statistik des ZVEI, nach: Rundfunk und Fernsehen in Zahlen. In: DTMB/AEG, GS 1142. 154 Zu den laufenden Wirtschaftsrechnungen und einer Kritik der Haushaltstypen, siehe: Reckendrees, Alfred (2007): Konsummuster im Wandel. Haushaltsbudgets und Privater Verbrauch in der Bundesrepublik, 1952–98. In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (2), S. 29–61. Hier S. 32– 37.
186
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
Abhängigkeit zwischen Höhe der Einkommen und Ausstattung der Haushalte. Noch 1969 verfügten erst 54 Prozent der Haushalte mit einem monatlichen Einkommen unter 600 D-Mark über ein Fernsehgerät. Bei den Haushalten mit einem Einkommen zwischen 600 D-Mark und 800 D-Mark waren es 75 Prozent. Ab einem Einkommen von 800 D-Mark lag der Sättigungsgrad relativ konstant bei etwa 80 Prozent.155 Die Unterschiede zwischen Haushaltstyp 2 (vier Personen, zwei Kinder, Arbeiter oder Angestellter mit mittlerem Einkommen) und Haushaltstyp 3 (vier Personen, zwei Kinder, Angestellter oder Beamter mit höherem Einkommen) sind dagegen offenbar nicht durch die Einkommensunterschiede zu erklären. Hier zeigt sich noch in den 1960er Jahren die lange Zeit abwehrende Haltung der Bildungselite gegenüber dem Fernsehen. Ab den frühen 1970er Jahren nahm der Grad an Ausstattung mit S/W-Fernsehgeräten in allen drei Haushalten ab. Die Entwicklung ist aber keinem Einstellungswandel mehr geschuldet, sondern der Ausbreitung des Farbfernsehens. Mit dessen Beginn verlor das Schwarz-WeißFernsehen an Reiz und die Geräte verschwanden langsam wieder aus den Haushalten. Der langfristig zentrale Grund für die Anschaffung eines Fernsehgerätes war laut Axel Schildt und zahlreichen Umfragen zu Folge eine Mischung aus Häuslichkeit und Unterhaltung. Das Fernsehen strukturierte die Freizeit, band die Männer an ihre Familien und beförderte die „Konzentration auf die Verschönerung des privaten Innenraums“156. Es war ein wichtiger Faktor „tiefgreifender lebensweltlicher Veränderungen“157.
155 Statistisches Bundesamt, Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. 156 Schildt, Beginn, S. 483. Siehe auch: Schäffner, Fenster, S. 96 und Bartz, Christina (2002): Die Masse allein zu Hause. Alte Funktionen und neue Medien. In: Irmela Schneider und Peter M. Spangenberg (Hg.): Medienkultur der 50er Jahre. Wiesbaden, S. 109–122. 157 Schildt/Siegfried, Kulturgeschichte, S. 197.
5.2 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in der BRD
187
Tabelle 23: Ausstattung der Haushaltstypen mit S/W-Fernsehgeräten (in Prozent), 1964–1980 (BRD)158 Haushaltstyp 1
Haushaltstyp 2
Haushaltstyp 3
1964
28,1
63
55,3
1965
37,5
69
62,1
1966
47,2
74,9
70,2
1967
53,4
77,4
68,2
1968
61
83
72,8
1969
69,2
86,5
77,2
1970
78,9
89,4
82,2
1971
78,2
91,4
83,3
1972
83,7
86,8
84,7
1973
84,1
87,3
83,8
1974
80
85
83,8
1975
76,4
81,5
79,6
1976
75,5
76,7
80,9
1977
75
74,8
78,4
1978
67,1
64,2
78,7
1979
62
58,3
74,2
1980
57,1
57,1
69,9
Während Theater- und Konzertbesuche unter der Verbreitung des Fernsehens kaum zu leiden hatten, mussten Kinos, Gaststätten und Tanzlokale teils starke Umsatzeinbußen hinnehmen.159 Im Laufe der 1950er Jahre wich die Anschaffung aus Prestigegründen zunehmend einer Dynamik sozialen Drucks, die Axel Schildt wie folgt erklärt: „Wenn sich Menschen im Gespräch mit Bekannten und Nachbarn nicht mehr so wirksam beteiligen konnten, weil sie das Fernsehpro-
158 Bis 1970 nach: Die Ausstattung der Haushalte mit „brauner Ware“. In: Radio-FernsehHändler, September 1974, S. 266. Für die Jahre danach: Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch (versch. Jg.). 159 Ebd. und Hickethier, Knut (2002): Das Theater der Bundesrepublik in den fünfziger Jahren. In: Werner Faulstich (Hg.): Die Kultur der fünfziger Jahre. München, S. 35–52.
188
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
gramm nicht verfolgt hatten, fehlte ihnen tatsächlich eine Erfahrungsdimension, die sich häufig als Defizitbewußtsein niederschlug, und zwar desto mehr, je mehr die Fernsehdichte der Umgebung zunahm.“160 Das war insbesondere seit Ende der 1950er Jahre der Fall. Dichter beschrieb in seiner Studie einen Fall der „Fernseh-Bekehrung“, der die Dynamik im Spannungsfeld zwischen Mit-Reden-Wollen, Fernseh-Skepsis und den hohen Anschaffungskosten beispielhaft zum Ausdruck bringt: „Urspruenglich wollte ich kein Fernsehgeraet haben. Weil die anderen Leute sagten dass das Programm schlecht sei und die Bilduebertragung auch. Aber als sich dann ein Kollege einen Empfaenger kaufte, da habe ich es bei ihm gesehen und da war ich nicht mehr so dagegen. Eigentlich sind das alles nur Vorurteile die man gegen das Fernsehen hat. Die Leute die sich keins leisten koennen, das sehe ich hier im Amt, die schwaetzen so bloed daher und tun so als waere man ein besserer Mensch wenn man keinen Fernseher haette. Dass ist der blosse Neid und nichts weiter.“161
Der Hersteller Blaupunkt fragte in einer Werbeanzeige der 1960er Jahre, ob man wirklich abseits stehen und schweigen wolle, wenn die wichtigsten Ereignisse der Tage diskutiert würden. Geradezu drohend bemerkte er: „Können Sie sich das leisten? […] Sie wissen selbst: Sie können es nicht! Wer heute mitreden will, muß informiert sein. Muß teilgenommen haben am Geschehen unserer Tage, muß fernsehen!“162 In vielen Haushalten rangierte die Anschaffung eines Fernsehgerätes noch vor dem Kauf einer Waschmaschine oder elektrischer Küchengeräte. Knut Hickethier verweist auf die Situation in Arbeiterhaushalten mit einem Einkommen von unter 800 D-Mark. Ende der 1960er Jahre befand sich hier in fast zwei Drittel der Fälle ein Fernsehgerät in der Wohnung, in weniger als einem Drittel der Fälle aber eine Waschmaschine.163 Alfred Reckendrees kann diesen Befund in seiner Studie zum Konsum der bundesdeutschen Haushalte in lang-
160 Schildt, Beginn, S. 482. Siehe auch: Schildt/Siegfried, Kulturgeschichte, S. 200 und Bonus, Verbreitung, S. 63–64. 161 Nordmende in der gegenwaerten (sic!) Deutschen Fernsehentwicklung. Eine pilot – motivstudie. Mai 1958, S. 13. In: HML/EDP, Box 45, Folder 1008D. Siehe auch: Schildt, Zeiten, S. 276–277. 162 Eurich, 30 Jahre, S. 22. 163 Hickethier, Fernseher, S. 174. Siehe auch: Loehlin, Rugs, S. 127 und Meyer, Sibylle; Schulze, Eva (1993): Technisiertes Familienleben. Ergebnisse einer Längsschnittuntersuchung, 1950–1990. In: Sibylle Meyer (Hg.): Technisiertes Familienleben. Blick zurück und nach vorn. Berlin, S. 19–40. Meyer und Schulze sehen den zentralen Grund darin, dass von den technischen Haushaltsgeräten nur die Frauen profitierten, während von dem Fernsehen die ganze Familie profitierte.
5.2 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in der BRD
189
fristiger Perspektive bestätigen. Das Fernsehgerät habe schnell „zur Basisausstattung bundesdeutscher Haushalte“164 gezählt.
5.2.2 Ein anderer Markt. Ersatz- und Zweitgeräte Axel Schildt ist der Meinung, dass der Aufstieg des Fernsehens aufgrund der in den USA und Großbritannien bereits vorhandenen Erfahrungswerte nicht überraschend gewesen sei. „Selten gelangen Prognosen so exakt wie auf diesem Gebiet.“165 Tatsächlich konzentrierten sich die Marktforscher in Deutschland aber zunächst auf die Entwicklung im eigenen Land ohne die Vergleichszahlen aus den USA oder Großbritannien heranzuziehen. 1957 hatte der Ökonom Wilhelm Schöniger versucht, den Absatz von Fernsehgeräten auf Basis der deutschen Erfahrungswerte der zurückliegenden vier Jahre zu berechnen.166 Die Trendkurve, die Schöniger berechnete, sah einen 1958 erreichten Höhepunkt von 582.000 Geräten und einen anschließenden Rückgang vor, was Schöniger zwar als bemerkenswert aber durchaus im Bereich des Möglichen empfand. Tatsächlich lag der Konsum im Jahr 1960 bei über 1,5 Mio. Geräten. Erst ab den frühen 1960er Jahren waren die Marktforscher bei Telefunken angesichts der vergleichbaren Entwicklung überzeugt, dass die „amerikanischen Zahlen für eine Abschätzung der zu erwartenden Umsatzentwicklung in der BRD herangezogen“167 werden könnten. Die stetige Entwicklung der Absatzzahlen seit Mitte der 1950er Jahre festigte die Überzeugung der Marktforscher, dass es möglich sei, die Zukunft aus der Vergangenheit heraus zu berechnen. 1962 hieß es in einer Studie Telefunkens: „Um eine langfristige Voraussage des Inlandabsatzes an Fernsehgeräten in der Bundesrepublik zu erstellen, wurden die absatzbestimmenden Faktoren und Gesetzmäßigkeiten des bisherigen Absatzverlaufes untersucht, beurteilt und danach in die Zukunft projiziert.“168 Die in Grafik 32 wiedergegebene Prognose zeigt eine bis Ende der 1950er Jahre den Trendberech-
164 Reckendrees, Konsummuster, S. 57. 165 Schildt, Zeiten, S. 262. 166 Schöniger, Wilhelm: Der Absatz von Fernsehempfangsgeräten in Westdeutschland. In: Der Marktforscher, August 1957, S. 18–24. In: DTMB/AEG, GS 1959. 167 Die Bedeutung der verschiedenen Bildschirmgrößen. Eine Stellungnahme von Fachbereich Marketing/Pp. 25. Juni, 1962. In: DTMB/AEG, GS 7972. 168 Telefunken Marktforschung: Voraussichtliche Entwicklung des Fernsehgeräte-Absatzes bis zum Jahr 1970 (1962), S. 1. In: DTMB/AEG, GS 922. Siehe auch: Weblus, Bernhard (1965): Zur langfristigen Absatzprognose gehobener Gebrauchsgüter, z. B. von Fernsehgeräten u. a.m. In: Zeitschrift für Betriebswirtschaft 35 (9), S. 593–607. Hier S. 595.
190
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
nungen ziemlich genau entsprechende Entwicklung. Die in den Jahren 1960 bis 1962 abweichende Schwankung vom langfristigen Trend, die in Grafik 32 zum Ausdruck kommt, wurde als kurzfristige Abweichung infolge der verspäteten Einführung des ZDF interpretiert. Wirft man einen Blick auf die weitere Entwicklung der 1960er Jahre wird deutlich, dass das auf historischer Erfahrung basierende Diffusionsmodell Telefunkens noch im Jahr seiner Veröffentlichung zusammenbrach. Der jährliche Konsum von Fernsehgeräten zeigte Ausschläge, die in ihrer Radikalität den Sinn der Prognose für die Anpassung der Produktion in Zweifel zogen. Auf den gesamten Verlauf zwischen 1962 und 1970 bezogen betrug die Differenz zwar insgesamt „nur“ rund 800.000 Geräte bei einem Absatz von über 16 Mio. Aber allein 1965 wurden statt den vorhergesagten 1,7 Mio. Geräten rund 2,3 Mio. abgesetzt und 1967 lag der Absatz rund 300.000 Stück unter dem erwarteten Wert. 2500 2000 1500 1000 500 0
Bedarf (Errechnet bzw. Prognose) Tatsächlicher Konsum (bis 1962 nach TFR-Studie, nach 1962 Stat. Bundesamt) Grafik 32: Konsum und Prognose in den 1950er und 60er Jahren (S/W-Geräte), 1953–1970 (BRD)169
Für die Schwierigkeiten der Prognose machten die Marktforscher Telefunkens zwei Faktoren verantwortlich, die den Markt für Fernsehgeräte in den 1960er
169 Telefunken Marktforschung: Voraussichtliche Entwicklung des Fernsehgeräte-Absatzes bis zum Jahr 1970 (1962), S. 12. In: DTMB/AEG, GS 922.
5.2 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in der BRD
191
Jahren auf eine neue Grundlage stellten: erstens die Zunahme der Ersatzkäufe, zweitens die zunehmende Bedeutung eines zweiten Fernsehgerätes in den Haushalten. Viele Haushalte hatten ihr erstes Fernsehgerät 1958 oder davor erworben. Der Großteil dieser Geräte (62 Prozent) entsprach mit einer Bildschirmdiagonale von 43 cm nicht mehr dem seit Anfang der 1960er Jahre gängigen Standard von 59 cm und war zunehmend reparaturanfällig.170 Das lieferte Anreize, das alte Gerät durch ein neues zu ersetzen und damit einen „Ersatzkauf“ zu tätigen.171 Der Fachbereich bei Telefunken sprach 1965 von einem „sinkende(n) Prestigenutzen bei wachsendem Sättigungsgrad und steigende(n) Ersatzbeschaffungen statt eigentlich erforderlicher Reparaturen am Erstgerät“172. Genaue Zahlen standen den Unternehmen anders als in den USA, wo die Zeitschrift Merchandising Week den Wandel statistisch belegte, nicht zur Verfügung. Die USA boten einen nur unsicheren Richtwert. Die Lebensdauer der Fernsehgeräte musste geschätzt werden, was insofern schwierig war als dies keine rein technische Frage war, sondern von der Bereitschaft der Besitzer abhing, ihr Gerät zu reparieren statt es zu ersetzen.173 Das zweite Problem war die Frage der Zweitgeräte. Seit Anfang der 1960er Jahre hatte sich in der Bundesrepublik ein Markt für kleinere Geräte, die „Por tables“, etabliert. Die Einführung des Transistors bei Fernsehgeräten im Laufe der 1960er Jahre erleichterte die Produktion dieser theoretisch tragbaren Geräte. Ab Ende der 1960er Jahre lässt sich der Anteil der relativ preisgünstigen Geräte als signifikant bezeichnen. Anfang der 1970er Jahre vergrößerte sich ihr Anteil weiter (siehe Grafik 31). Die Marktforscher Telefunkens betrachteten die kleinen
170 Bis einschließlich 1957 waren 43cm-Geräte die am häufigsten produzierten Fernseher, zwischen 1958 und 1960 wurden v. a. 53cm-Modelle gefertigt. Ab 1961 und bis zur Einführung des Farbfernsehens waren 59cm-Schwarz-Weiß-Modelle die mit Abstand am häufigsten gefertigten Modelle. Siehe: Rundfunk und Fernsehen in Zahlen. In: DTMB/AEG, GS 1142. 171 Fachbereich Marketing/Mf an Seydlitz. Betr.: Marktbefragung „Fernseh-Ersatz- und Zweitgeräte“, durchgeführt vom IFAK-Institut im Auftrag des Fachverbandes Rundfunk und Fernsehen im ZVEI e. V. 17. Februar, 1964. In: DTMB/AEG, GS 1101. Die Telefunken-Marktforscher definierten unter Ersatzbedarf „ausschließlich den Bedarf, der sich aus der Verschrottung alter Geräte ergibt. Ein ‚Ersatzkauf‘ liegt demnach nur dann vor, wenn das gekaufte Geräte nur zur Erhaltung, nicht zur Erhöhung des Fernsehgerätebestandes in den Haushalten beiträgt“. (Fachbereich Marketing (Cofalka): Voraussichtliche Entwicklung des Fernsehgeräte-Absatzes bis zum Jahr 1970. 18. September, 1964, S. 13. In: DTMB/AEG, GS 2011. 172 Fachgebietsbesprechung Fachbereich GR am 13. Oktober 1965 in Hannover. In: DTMB/AEG, GS 1052. 173 Bei Telefunken ging man 1962 von einer Dauer von 9 Jahren aus und rechnete entsprechend bis Ende der 1960er Jahre mit einer kalkulierbaren Zunahme. Siehe: Telefunken Marktforschung: Voraussichtliche Entwicklung des Fernsehgeräte-Absatzes bis zum Jahr 1970 (1962), S. 12. In: DTMB/AEG, GS 922.
192
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
Portables als Grundlage für die Anschaffung eines Zweitgerätes.174 Eine Umfrage unter verschiedenen Facheinzelhändlern von 1966 bestätigte diesen Eindruck: von 364 verkauften Portables wurden 137 Stück als Zweitgerät angeschafft. Bei Tischgeräten lag der Anteil der Zweitgeräte lediglich bei 8 Prozent.175 Der Umfrage zu Folge waren bereits 10 Prozent aller verkauften Fernsehgeräte Zweitgeräte.176 Der Hersteller Philips kontrastierte in einer an die Fernsehgerätehändler gerichteten Werbeanzeige im Jahr 1967 den Anteil der Fernsehhaushalte mit zwei Fernsehgeräten in den USA und der BRD. Dort sei „jetzt Wirklichkeit, was auch bei uns in absehbarer Zeit eintreten wird“. Philips sah gerade in den Besitzern der Farbfernsehgeräte eine Zielgruppe für den Kauf eines zweiten Schwarz-WeißGerätes. „Denken wir doch daran“, führte der Hersteller den Händlern vor Augen: „Ein Farbfernsehgerät wiegt mehr als 50kg und wird deshalb seinen festen unverrückbaren Platz im Wohnzimmer haben. Will ein Familienmitglied nun das andere Programm sehen, dann kann es dies nur mit dem beweglichen Schwarz/ Weiß-Gerät tun.“177 Der Sendebeginn des ZDF am 1. April 1963 hatte einen Anreiz für die Anschaffung eines zweiten Fernsehgerätes im Haushalt geschaffen. Er brachte die Möglichkeit, in der Bundesrepublik zwischen verschiedenen Fernsehprogrammen zu wählen.178 Der Streit in den Familien schien vorprogrammiert und wurde nicht nur von Philips bereits frühzeitig in der Werbung als Verkaufsargument genutzt. Mit dem Unterschied, dass es diesmal der Familienvater war, der mit dem Gerät aus dem Wohnzimmer verschwand, erinnerte eine andere Kampagne stark an die Werbung der amerikanischen Hersteller. Darin hieß es: „Fernsehfamilienstreit? – In unserer Zeit undenkbar. Wenn die Göttergattin Theater, Zirkus oder Modenschau sehen möchte und zur gleichen Zeit die Bundesligaspiele über den Bildschirm laufen, dann hat Vater sein Mehrzweckgerät, ein ,Portable‘, für sich, mit
174 Die Bedeutung der verschiedenen Bildschirmgrößen. Eine Stellungnahme von Fachbereich Marketing/Pp. 25. Juni 1962. In: DTMB/AEG, GS 7972. Zweitgerätebedarf wurde definiert als „die über den Erstbedarf hinausgehende Ausstattung der Haushalte mit Geräten, wobei sich der Bestand in den Haushalten erhöht, ohne den Sättigungsgrad zu beeinflussen“. (Fachbereich Marketing (Cofalka): Voraussichtliche Entwicklung des Fernsehgeräte-Absatzes bis zum Jahr 1970. 18. September, 1964, S. 14. In: DTMB/AEG, GS 2011. 175 Produktions- und Umsatzentwicklung in der Rundfunk- und Fernsehwirtschaft 1966/67. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Juni 1967, S. 174–191. Hier S. 189. 176 Ebd., S. 184. 177 Gute Aussichten für den Zweitgeräte-Markt (Anzeige). In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Juni 1967, S. 182. 178 Das 1961 eingeführte zweite Programm der ARD war ein nur halbherziger Versuch gewesen. Siehe Hickethier, Geschichte, S. 140–141.
5.2 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in der BRD
193
dem er entweder über Kopfhörer und Fernregler auf seinem geliebten Fußballfeld ist oder mit dem er kurzerhand ins Nebenzimmer umzieht.“179 Während der 1960er Jahre blieb die Zahl der Haushalte, die über ein zweites Fernsehgerät verfügten, trotz dieser Appelle begrenzt. Noch 1969 führte die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zu dem Ergebnis, dass lediglich etwas über ein Prozent der befragten Haushalte mit einem Fernsehgerät auch über ein zweites oder drittes Gerät verfügten. Im Laufe der Verbreitung des Farbfernsehens in den 1970er Jahren stieg der Anteil von Zweitgeräten in den Haushalten stark an. Ende der 1970er Jahre gab bereits jeder fünfte Haushalt an, über mindestens zwei Fernsehgeräte zu verfügen. Anfang der 1980er Jahre war es bereits jeder vierte Haushalt.180 Die zunehmende Bedeutung des Ersatz- und Zweitgerätebedarfs ließ sich in den Prognosen der Marktforschungsabteilung Telefunkens deshalb so schwer kalkulieren, weil sich das Kaufverhalten bei Ersatz- und Zweitgeräten in den 1960er Jahren vom Kaufverhalten in den 1950er Jahren fundamental unterschied. „Die Unsicherheit der Prognose“ nehme zu, stellte die Abteilung fest, da „beim Ersatzbedarf die Möglichkeit einer stärkeren Beeinflussung durch die wirtschaftliche Entwicklung gegeben ist.“181 Konsumenten von Ersatz- und Zweitkäufen reagierten tendenziell stärker auf Preisschwankungen und unsichere Zukunftserwartungen als Erstkäufer. Wer ein Gerät im Haus hatte, konnte mit dem Kauf eines neuen Geräts noch etwas warten, wenn die wirtschaftlichen Umstände dazu Anreize boten. Axel Schildt zu Folge strahlte das Fernsehen für die meisten Menschen in den 1960er Jahren noch „den frischen Reiz des Ungewohnten“182 aus. Andreas Fickers sieht den „Wandel vom Statussymbol zum Konsumgut“183 bei Fernsehgeräten frühestens in den 1970er Jahren. Die beiden Sichtweisen erscheinen auf den ersten Blick plausibel. Die Sättigungsrate überstieg erst Mitte der 1960er Jahre
179 Eurich, 30 Jahre, S. 35. 180 Die genauen Zahlen in Prozent sind: 1963: 1, 1969: 1,15, 1973: 5,75, 1978: 21,06, 1983: 25,06. Angabe für 1963 nach: Vorläufige Auswertung der Haushaltsbefragung Fernseh-Ersatz- und Zweitgeräte. Dezember 1963. In: DTMB/AEG, GS 1101. Für 1969–1983 nach Statistisches Bundesamt: Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (versch. Jg.). 181 Notiz über die Besprechung „Abstimmung Fernseh- und Rundfunkgeräte-Prognose für Haupt- und 6-Jahresplan“ am 11. August 1966 in Ulm. Ulm, den 22. August, 1966. In: DTMB/AEG, GS 7972. 182 Schildt, Axel (2000): Materieller Wohlstand – pragmatische Politik – kulturelle Umbrüche. Die 60er Jahre in der Bundesrepublik. In: Axel Schildt und Detlef Siegfried (Hg.): Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften. Hamburg, S. 21–53. Hier S. 31. 183 Fickers, Politique, S. 139.
194
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
überhaupt die 50-Prozent-Marke. Insofern bildeten Erstkäufe noch für einige Zeit den Normalfall. Der Verlauf der Absatzkurve und die Erfahrung der Unternehmen sprechen dagegen für eine differenziertere These. Im Zusammenbruch des Prognosemodells, der die sicher geglaubte Absatzplanung über den Haufen warf, kommt ein Wandel des Konsums eindeutig zum Ausdruck. Man kann das damit erklären, dass das Fernsehgerät Anfang/Mitte der 1960er Jahre eben kein Statussymbol und ungewohnte Neuheit mehr war, sondern langsam aber sicher zu einer Selbstverständlichkeit geworden war. Von einer gesamtgesellschaftlichen Sättigung ist dieser Wandel nicht abhängig, sondern allein von dem Konsumverhalten der Haushalte.184 Das wird indirekt auch durch die Studie Eurichs bestätigt. Anders als die Menschen, die in den 1950er Jahren den ersten Kauf eines Fernsehgerätes miterlebt hatten, konnten die Jüngeren später „in ihrer Biographie so gut wie keine Hinweise mehr auf dieses Ereignis“185 aufstöbern.
5.2.3 Die Einführung des Farbfernsehens in der Bundesrepublik Die Einführung des Farbfernsehens in den späten 1960er Jahren stellte die Marktforscher in Deutschland vor neue Prognoseprobleme. Sie erhöhte zugleich die Dringlichkeit zuverlässiger Vorhersagen. Seit Mitte der 1960er Jahre rechneten die Unternehmen mit der baldigen Einführung des Farbfernsehens. Die Prognosen waren schwierig, weil außerhalb der USA keine Erfahrungswerte vorlagen. Die wirtschaftspolitische Abteilung Telefunkens weigerte sich noch 1964, länger-
184 Bonus stellte Ende der 1970er Jahre ohne genaue Datierungsangaben fest: „Richtete sich die Nachfrage nach dauerhaften Konsumgütern bisher zu einem erheblichen Anteil auf die Erstausstattung, so hat sich ihr Charakter inzwischen grundlegend gewandelt. Die ‚quantitative‘ Ausbreitung des Bestandes ist in eine ‚qualitative‘ Ausbreitung umgeschlagen, in deren Verlauf ältere Exemplare gegen jüngere mit besseren Eigenschaften ausgetauscht werden.“ Bonus, Holger (1978): Die Nachfrage nach dauerhaften Konsumgütern. In: Gottfried Bombach, Bernhard Gahlen und Alfred E. Ott (Hg.): Neuere Entwicklungen in der Theorie des Konsumentenverhaltens. Tübingen, S. 437–458. Hier S. 457–458. 185 Eurich, 30 Jahre, S. 52. Für den Versuch einer konsumhistorischen Einordnung der 1960er Jahre, siehe: Prinz, Michael (2003): Das Ende der Bescheidenheit und der Untergang der deutschen Konsumvereine in den 1960er Jahren. In: Matthias Frese, Julia Paulus und Karl Teppe (Hg.): Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch. Die sechziger Jahre als Wendezeit der Bundesrepublik. Paderborn, S. 587–614; Ruppert, Wolfgang (2000): Zur Konsumwelt der 60er Jahre. In: Axel Schildt und Detlef Siegfried (Hg.): Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften. Hamburg, S. 752–767 und Sywottek, Arnold (2001): From Starvation to Excess? Trends in the consumer society from the 1940s to the 1970s. In: Hanna Schissler (Hg.): The Miracle Years. A cultural history of West Germany, 1949–1968. Princeton, NJ, S. 341–358.
5.2 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in der BRD
195
fristige Prognosen anzustellen, da der Verlauf in den USA „für die europäischen Verhältnisse nicht als repräsentativ anzusehen“186 sei. Im Gegensatz zu dem Alleingang RCAs Anfang der 1950er Jahre würden in Deutschland alle größeren Hersteller an der Einführung des Farbfernsehens aktiv beteiligt sein. Die Sender und Netzbetreiber hätten sich technisch und programmmäßig auf Farbe eingestellt. Die durch diese Akteure – Rundfunkanstalten, Bundespost und Industrie – getragenen „Marktvoraussetzungen“187 nähmen sich entsprechend günstiger aus. Mangels alternativer Zahlen kam den amerikanischen Erfahrungen in einer ein Jahr später veröffentlichten Prognose dann aber doch eine besondere Relevanz zu. Die vom Bereich Marketing erstellte „Vorausschätzung des FarbfernsehgeräteAbsatzes“ beruhte auf Schlussfolgerungen, die den Absatzverlauf von Farbgeräten in den USA als Ausgangspunkt nahmen.188 Andreas Fickers hat die im Vergleich zu den USA späte Einführung des Farbfernsehens in der BRD mit der allgemein verbreiteten Wahrnehmung „deutscher Wertarbeit“ erklärt. Während man in den USA auch unausgereifte Produkte auf den Markt werfe, sei ein solches Verhalten in der Bundesrepublik nicht denkbar. „Im Gegensatz zu dieser liberalen Einstellung gegenüber neuen Technologien“, schreibt Fickers, „stellte der ,Durchschnittseuropäer‘ erheblich höhere Qualitätsanforderungen.“ Fickers zu Folge spiegelten sich diese „nationalen Technikstile“ auch in der Haltung der Konsumenten. Die Amerikaner hätten kein Problem damit, mehrmals im Jahr einen Techniker zu sich ins Haus zu bestellen, zumal sie für einen Kundendienstvertrag nur „einen geringen Aufpreis“ zu zahlen gehabt hätten. Auch hätten die Amerikaner einen anderen Anspruch an Perfektion. Selbst die Möglichkeit, die Farbe individuell neu einzustellen ließe sich Fickers zu Folge als „Ausdruck der Freiheit des Individuums“189 verkaufen. Alternativ zu den mentalitätsbasierten Technikstilen lässt sich aber auch eine andere Erklärung für die frühe Einführung des Farbfernsehens in den USA anführen, die auf den institutionellen Unterschieden der Festsetzung eines allgemein verbindlichen Farbfernsehstandards basiert. Da die Federal Communi-
186 Aktennotiz (Weblus). Betr.: Farbfernsehen/Planung, 24. April, 1964. In: DTMB/AEG, GS 1987. 187 Fachbereich Marketing (Cofalka): Internationaler Stand des Farbfernsehens und voraussichtliche Marktentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland. 10. August, 1964, S. 19. In: DTMB/AEG, GS 2032. Noch 1963 hatte man bei Telefunken die Haltung der Rundfunkanstalten als den wichtigsten Faktor, aber auch den „erheblichsten Unsicherheitsfaktor bei der Abschätzung des Marktumfanges“ betrachtet. Siehe: Notiz über eine Besprechung am 25. September 1963 in Ulm. Fernsehen – Markt und Technik der Zukunft. 10. Oktober, 1963. In: DTMB/AEG, GS 1987. 188 Fachbereich Marketing: Überprüfung der Farbfernseh-Prognose. Ulm, den 24. November, 1965, S. 2. In: DTMB/AEG, GS 1968. 189 Fickers, Politique, S. 115.
196
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
cations Commission ihre Entscheidung auf Grundlage einer bereits entwickelten und erprobten Technologie fällte, setzte der Vorstoß der CBS die RCA unter Druck. Die RCA musste die Einführung des Farbfernsehens bereits zu einem Zeitpunkt vorantreiben, den das Unternehmen selbst für eigentlich nicht angemessen hielt. Wäre es der CBS gelungen, ihren eigenen Standard zu etablieren, wäre die RCA auf ihren Entwicklungskosten sitzen geblieben. Der wesentliche Grund für die zunächst großen, im späteren Verlauf aber eben nicht mehr nachweisbaren Qualitätsunterschiede der Geräte lag folglich in institutionellen Unterschieden. Sie lag nicht oder nicht primär in einer anderen Wertschätzung von Qualität, die in den amerikanischen Fernsehgeräteunternehmen der 1950er im Übrigen durchaus ausgeprägt war. Es ist vielmehr erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit Fickers, der ja selbst die soziale Konstruktion der PAL-Überlegenheit durch die Fernsehingenieure mustergültig aufdeckt, die negative Sichtweise der deutschen Ingenieure auf das NTSC-System der USA übernimmt. Die Einschätzung Fickers trifft mit Blick auf die Verbreitung der Farbfernsehgeräte aber auch aus Sicht der Konsumenten nicht zu. Auch in den USA setzte sich das Farbfernsehen erst viele Jahre nach seiner Einführung und erst nach Überwindung seiner „Kinderkrankheiten“ flächendeckend durch. Als Nachweis der Mentalität eines „Durchschnittsamerikaners“ ist die frühe Phase des Farbfernsehens in den USA gerade nicht geeignet. Die Erfahrung der Hersteller und Händler war ja ganz im Gegenteil die, dass sie mit so etwas wie einer statischen Mentalität der Konsumenten nicht rechnen konnten. Das machte den Markt für Fernsehgeräte zu einer hochgradig unsicheren Angelegenheit mit stark schwankenden Möglichkeiten, Profite zu erwirtschaften. Das zukünftige Konsumverhalten der deutschen Haushalte war insbesondere wegen des ungeklärten Verhältnisses zwischen Schwarz-Weiß- und Farbgeräten schwer einzuschätzen. In der Industrie konkurrierten zwei Prognosemodelle miteinander, die sich gerade in ihrer Interpretation dieses Verhältnisses voneinander unterschieden. Die Marketingexperten Telefunkens schätzten den zusätzlichen Nutzen der Farbgeräte im Vergleich zu den Schwarz-Weiß-Geräten gering ein. Der Verbraucher sehe im Farbfernsehen lediglich „eine normale technische Weiterentwicklung“. Der Absatz würde „nicht in dem Maße durch einen hohen Prestigenutzen gefördert werden, wie seinerzeit der Absatzverlauf bei SchwarzWeiß-Geräten“190. Die Schätzungen von Philips Deutschland gingen dagegen davon aus, dass Farbgeräte einen neuen und eigenständigen Markt begründen würden, der durch die Sättigung der Haushalte mit Schwarz-Weiß-Geräten nur geringfügig beeinflusst sei. Das Unternehmen antizipierte daher einen „stürmi-
190 Ebd., S. 8.
5.2 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in der BRD
197
schen Verlauf“191, ähnlich wie nach der Einführung des Schwarz-Weiß-Fernsehens. Der tatsächliche Absatz an Farbgeräten übertraf selbst die optimistischsten Erwartungen.192 Bis 1970 wurden mehr als eine Mio. Farbgeräte verkauft, über 750.000 Stück davon allein im Jahr 1970. Im Jahr 1972 durchbrach der Absatz an Farbgeräten die eine Million-Grenze, im Jahr 1974 wurden in der BRD über zwei Mio. Geräte verkauft. Mit Ausnahme des Jahres 1970 und insbesondere des Jahres 1975, als sich die durch die WM 1974 verzögerte Konjunkturkrise auch auf den Markt für Fernsehgeräte auswirkte, stieg der Konsum bis Ende der 1970er Jahre in jedem Jahr. Zu diesem Zeitpunkt lag der Konsum knapp unter der Drei-MillionenGrenze und stagnierte abgesehen von einem zwischenzeitlichen Hoch im Jahr 1983 bis Mitte der 1980er Jahre in etwa auf diesem Niveau (siehe Grafik 28). Für die Facheinzelhändler war das Farbfernsehen eine neue und vielversprechende Einnahmequelle, bedeutete aber auch zusätzliche Investitionen. Das technische Personal musste neu geschult werden, weil die Farbgeräte deutlich komplexer waren als die Schwarz-Weiß-Geräte. Vor allem aber sahen die Händler auch eine mit der Einführung des Farbfernsehens gewandelte Aufgabe der Verkäufer. Anlässlich der Jahreshauptversammlung des Verbandes des Rundfunkund Fernsehfachhandels Hamburg e. V. führte ein Vertreter aus, dass bei einem Kunden, der 2.500 D-Mark für ein Gerät ausgebe mit „höhere(n) Ansprüche(n)“ gerechnet werden müsse. „Entgegen den bisherigen Gewohnheiten bei Schwarzweißgeräten müssen deshalb die Farbfernsehgeräte beim Kunden durch einen versierten Verkäufer mit sicherem Auftreten vorgeführt werden.“193 Der Preis der Farbfernsehgeräte war in einer Marktuntersuchung Telefunkens von 1965 neben der verfügbaren Kaufkraft und der senderseitigen Versorgung als „der entscheidende Absatzfaktor“194 gesehen worden, was ein immens gestiegenes Preisbewußtsein seitens der Marktforscher erkennen lässt. In der
191 Fachbereich Marketing: Überprüfung der Farbfernseh-Prognose. Ulm, den 24. November, 1965, S. 3. In: DTMB/AEG, GS 1968. 192 So gesehen lagen die Prognosen von Philips und der Röhren-Abteilung Telefunkens näher an der tatsächlichen Entwicklung. Allerdings sollte nicht vergessen werden, dass gerade diese beiden Akteure den Markt für Farbgeräte in den späten 1960er Jahren maßgeblich prägten. Letztlich hatten sie ihr eigenes Verhalten vorhergesagt. 193 Die Mehrkosten des Fachhandels durch das Farbfernsehen. In: Radio-Fernseh-Händler, März 1967, S. 76. Siehe auch: Farbfernsehgeräte richtig vorführen. In: Radio-Fernseh-Händler, Oktober 1967, S. 360 und Farbfernsehen. Kundendienst nach dem Verkauf ist wichtig. In: RadioFernseh-Händler, März 1968, S. 74. 194 Fachbereich Marketing: Überprüfung der Farbfernseh-Prognose. Ulm, den 24. November, 1965, S. 7. In: DTMB/AEG, GS 1968.
198
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
1962 veröffentlichten Prognose waren sie noch der Meinung gewesen, dass etwa einer aktiven Preispolitik „generell kein bemerkenswertes Gewicht“ zugemessen werden müsse, da der errechnete Trendverlauf durch den Preis der Geräte nicht verändert werde.195 Ein Mitte der 1960er Jahre entwickeltes Diffusionsmodell differenzierte diese Sichtweise, indem es die in den 1950er Jahren beobachteten Phasen aufgriff, die Produkte bei ihrer Verbreitung durchlaufen würden.196 In der „Pionierphase“ trieb der Wunsch nach Prestige- und Statussymbolen „Konsum-Pioniere […] zu einem schnellen Kaufentschluß“197. Für diese Konsumenten spielte der Preis eine untergeordnete Rolle. Die Entwicklung des Farbfernsehens in den USA sei ähnlich verlaufen und „bei aller Vorsicht vor Vergleichen“ könne man doch annehmen, dass „das Repräsentations-Bedürfnis und Status-Bewußtsein in beiden Ländern eine ähnliche Rolle“ spiele.198 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 1967
1968
1969
1970
Standgeräte (über 56 cm)
1971
1972
1973
Tischgeräte
Grafik 33: Prozentualer Anteil einzelner Gerätetypen am Farbgeräte-Konsum, 1967–1973 (BRD)199
195 Telefunken Marktforschung: Voraussichtliche Entwicklung des Fernsehgeräte-Absatzes bis zum Jahr 1970 (1962), S. 13. In: DTMB/AEG, GS 922. 196 Fachbereich Marketing (Cofalka): Farbfernseh-Geräte. Bedarfsstruktur nach Gerätearten. Ulm, den 30. Dezember, 1966. In: DTMB/AEG, GS 1054. 197 Ebd., S. 5. 198 Ebd., S. 16. 199 Notariats-Statistik des ZVEI nach: Rundfunk und Fernsehen in Zahlen. In: DTMB/AEG, GS 1142.
5.2 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in der BRD
199
Die Marktforscher empfahlen den Produktionsleitern deshalb, den Schwerpunkt zunächst auf die teureren Standgeräte zu legen.200 Erst in der anschließenden „Nutzungsphase“ hatte ein Erzeugnis soweit Verbreitung gefunden, dass es zu einem Gegenstand des allgemeinen Gebrauchs geworden sei und dem Preis die „entscheidende Bedeutung“ zukomme.201 Tatsächlich war die Bedeutung von Standgeräten bei der Einführung des Farbfernsehens in Deutschland eher gering. Wie an Grafik 33 abzulesen ist, waren 1967 nur 15 Prozent der produzierten Typen Standgeräte. Dieser Wert sank innerhalb von nur fünf Jahren auf eine zu vernachlässigende Größe.202 Das war ein deutlich geringerer Anteil als bei der Einführung des Schwarz-Weiß-Fernsehens, wo der Anteil von Standgeräten noch bis Mitte der 1960er Jahre ein Fünftel betragen hatte (siehe Grafik 31). Sofern das Repräsentationsbedürfnis mit dem Design der Geräte also tatsächlich korrelierte, lässt sich die Verbreitung der Farbgeräte in der Bundesrepublik durch dieses Bedürfnis allein jedenfalls nicht erklären. Wahrscheinlicher ist aber wohl, dass den Besitzern eines Farbgeräts auch unabhängig vom Design ein gewisser Status schon deshalb zukam, weil sie noch lange Zeit eine kaufkräftige Minderheit darstellten. Die im Einzelhandel geforderten Preise für Farbfernsehgeräte waren zunächst sehr hoch. Durchschnittswerte stehen auch hier für den Einzelhandel leider nicht zur Verfügung. Der Rundfunk-Fernseh-Grosshandel veröffentlichte aber jedes Jahr eine Liste mit zur Preisbindung angemeldeten Farbfernsehgeräten, die eine erste Orientierung liefert. Einige Hersteller, darunter Nordmende, Grundig und Blaupunkt hatten bereits ein Jahr nach der Einführung ein 48cm-Farbgerät zum Preis von ca. 1.750 D-Mark im Angebot. Die anderen Hersteller lieferten Geräte mit einem gebundenen Endverbraucherpreis von mindestens 2.000 D-Mark aufwärts.
200 Interessanterweise zog die Marktforschung aus diesen Ergebnissen den eher moderaten Vorschlag, bei der Einführung des Farbfernsehens ein Verhältnis von 1/3 Tischgeräten zu 2/3 Standgeräten anzusetzen, da man nicht davon ausging, dass die Konkurrenz zu ähnlichen Ergebnissen gekommen sei. Vielmehr unterstellte man, dass die Konkurrenz „etwa zu 80 % Tischgeräte und zu 20 % Standgeräte“ bringen würde. Über die Gründe für diese Einschätzung kann nur spekuliert werden, da die Marktforscher sie nicht weiter ausführten. Durch Untersuchungen zur Meinung des Fachhandels wussten sie, dass diese von der aktuellen Situation im SchwarzWeiß-Geschäft, wo Tischgeräte seit Mitte der 1960er Jahre klar dominierten, auf den zukünftigen Bedarf bei Farbgeräten schlossen. Vermutlich gingen die Marktforscher von der Meinung aus, dass die anderen Hersteller eher dieser Sicht folgen würden als einer durch Diffusionsmodelle informierten Marketingstrategie. Siehe: ebd., S. 7 u. 27. 201 Ebd., S. 11. 202 Standgeräte unter 56 cm spielten bei der Einführung des Farbfernsehens keine Rolle.
200
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
Die meisten Modelle lagen etwa zwischen 2.200 D-Mark und 2.500 D-Mark.203 Im Jahr 1969 waren alle Hersteller mit wenigstens einem Modell unter die Grenze von 2.000 D-Mark gegangen ohne dass sich am Preisniveau der Geräte insgesamt viel verändert hatte.204 Die gleiche Feststellung gilt für das Jahr 1970.205 Ab 1971 gab es nur noch sehr wenige preisgebundene Farbgeräte, so dass die Liste keine valide Auskunft mehr geben kann. Laut der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe von 1973 gab die Mehrzahl der Käufer eines Farbgeräts (knapp 60 Prozent) zwischen 2.000 D-Mark und 3.000 D-Mark für ein Gerät aus. Etwa jeder Dritte zahlte zwischen 1.000 D-Mark und 2.000 D-Mark. Der Rest zahlte weniger.206 Die amtliche Statistik des Bundes führt Farbgeräte in ihrer Fachserie zu Preisen und Löhnen erst ab 1974 gesondert auf. Zu diesem Zeitpunkt kostete ein 66cm-Tischgerät in Standardausführung knapp unter 2.000 D-Mark. Ein vergleichbares Gerät wie der PAL Color 719T (63cm) hatte im Jahr 1970 noch knapp über 2.300 D-Mark gekostet. Für 2.000 D-Mark hatte ein Konsument in diesem Jahr noch mit einem 56cm-Gerät vorlieb nehmen müssen.207 Nach 1975 sank der Preis eines 66cm-Tischgeräts von 1.898 D-Mark auf 1.809 D-Mark im Jahr 1977. Im Jahr 1979 kostete es nur noch 1.645 D-Mark. Diese Preissenkungen waren insofern zwar erheblich, standen aber in keinem Verhältnis zum deutlich stärkeren Preisverfall der durchschnittlichen Produktionswerte. Die Differenz der beiden Entwicklungen verdeutlicht in erster Linie die zunehmende Bedeutung der kleineren Geräte. Mehr als jeder zehnte Farbgeräte-Kauf lag laut der Einkommensund Verbrauchsstichprobe des Statistischen Bundesamtes im Jahr 1978 bereits unter 1.000 D-Mark.208 Erst Anfang der 1980er Jahre stieg der Preis des von der
203 Liste der gebundenen Endverkaufspreise für Fernsehgeräte, Rundfunk- und Tischgeräte, Hi-Fi-Geräte, Koffergeräte sowie Phono- und Tonbandgeräte. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Februar 1968, S. 36–40. 204 Liste der gebundenen Endverkaufspreise für Farb- und Schwarz-Weiß-Fernseh-, Rundfunk-, Hi-Fi-, Koffer, Phono- sowie Tonbandgeräte. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Juli 1969, S. 194–200. 205 Liste der gebundenen Endverkaufspreise für Farb- und Schwarz-Weiß-Fernseh-, Rundfunk-, Hi-Fi-, Koffer, Phono- sowie Tonbandgeräte. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Januar 1970, S. 30. 206 Statistisches Bundesamt: Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. 207 Für knapp unter 2.000 D-Mark hatte im Jahr 1970 beispielsweise Graetz seinen Kurfürst Color electronic 2040 mit 56cm-Bildröhre verkauft. 208 1,7 Prozent unter 200 D-Mark, 1,5 Prozent bei 200–400 D-Mark, 1,2 Prozent bei 400–600 D-Mark, 6,4 Prozent bei 600–1000 D-Mark. Es ist zu vermuten, dass es sich bei einem Teil dieser Käufe um Gebrauchtgeräte gehandelt hat. Statistisches Bundesamt: Einkommens- und Verbrauchsstichprobe.
5.2 Die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums in der BRD
201
amtlichen Statistik ausgewählten Produkts wieder leicht an, während sich die Preise insgesamt weiter ausdifferenzierten. Wie auch bei der Einführung der Schwarz-Weiß-Geräte bezogen zunächst die besser verdienenden Schichten Farbgeräte. Als 1973 bereits jeder fünfte Haushalt des vom Statistischen Bundesamt konstruierten Typs 3 über ein Farbgerät verfügte, betrug die Sättigungsrate bei Typ 1 nicht einmal fünf Prozent. Das zeigt Tabelle 24. Von den Haushalten mit mittlerem Einkommen verfügte erst jeder zehnte Haushalt über ein Farbgerät. Dieser Haushaltstyp verringerte im Laufe der 1970er Jahre seinen Abstand. Ab 1976 verfügten relativ betrachtet mehr Haushalte des Typs 2 über ein Farbgerät als Haushalte des Typs 3. Das scheint in erster Linie eine Folge des in den 1970er Jahren noch relativ hohen Anteils der spät erworbenen Schwarz-Weiß-Geräte in Haushaltstyp 3 gewesen zu sein. Diese Haushalte trennten sich weniger rasch von ihren Schwarz-Weiß-Geräten als die beiden anderen Haushaltstypen. Es wäre allerdings falsch, die Verbreitung des Farbfernsehens als eine Geschichte der sofortigen Verdrängung des Schwarz-Weiß-Fernsehens zu betrachten. Das traf für die Industrie zu, nicht aber für den Konsum in der BRD. In den zehn Jahren nach Einführung des Farbfernsehens wurden sogar mehr Schwarz-Weiß-Geräte konsumiert als in den zehn Jahren davor.209 Erst mit dem Preisverfall für Farbgeräte Ende der 1970er Jahre, als auch der Kauf von Farbgeräten immer häufiger ein Ersatzkauf war, büßten sie deutlich an Bedeutung ein.210 Tabelle 24: Ausstattung der Haushaltstypen mit Farbfernsehgeräten (in Prozent), 1967–1983 (BRD)211 Haushaltstyp 1
Haushaltstyp 2
1967
0,5
1968 1969
Haushaltstyp 3
0,7
2
1,1
3,4
3,4
209 Zwischen 1968 und 1977 waren es 17,5 Mio., in den zehn Jahren davor 16,7 Mio. Eigene Berechnung nach Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch. Dazu kamen zwischen 1968 und 1977 fast 14 Mio. Farbgeräte. 210 Ende der 1970er Jahre war fast jeder dritte Kauf bereits ein Ersatzkauf. Siehe: Produktideen beleben den Audiomarkt. Weiter wachsendes Fernsehgeschäft. In: Funk-Fachhändler, Juli 1979, S. 17. 211 Die Ausstattung der Haushalte mit „brauner Ware“. In: Radio-Fernseh-Händler, September 1974, S. 266.
202
5 Vom Luxus zum Standard. Fernsehgeräte als Konsumgüter im Wandel
Tab. 24 (fortgesetzt) Haushaltstyp 1
Haushaltstyp 2
Haushaltstyp 3
1970
1,2
3,5
4,1
1971
2,6
3,8
7,3
1972
2,6
9,1
12,9
1973
4,5
10,9
20
1974
12,5
21,1
27,8
1975
17,8
29,3
31,6
1976
24,5
42,2
40,5
1977
24,4
50,1
46,8
1978
36,8
60,9
52
1979
45,4
69,2
60,8
1980
51,5
73,8
67,1
1981
57,5
78,7
69,8
1982
63,2
81,5
77,5
1983
67,3
85,1
83,3
6 Vertraute Bindungen. Hersteller und Händler in BRD und USA In Kapitel 4 wurde die Handelsspanne eines RCA Compton von 82,23 US-Dollar aus transaktionskostentheoretischer Perspektive plausibilisiert. Die zeitlichräumliche Distanz zwischen Produktion und Konsum verursachte Probleme. Die Zwischenhändler boten eine funktionale Lösung an, indem sie die Distanz überbrückten und im Gegenzug ein „Entgelt“ in Form einer Handelsspanne erhielten. Die Ausübung der Zwischenhändlerfunktion war nicht zwingend an selbständige Groß- und Einzelhändler gebunden. Hersteller konnten viele der Aufgaben selbst übernehmen, wie etwa die Errichtung unternehmenseigener Vertriebsstellen gezeigt hat. Historisch hat sowohl die Struktur der Vertriebskette als auch die Höhe der Handelsspannen geschwankt. Hersteller haben beispielsweise die Lieferung der Fernsehgeräte an die Einzelhändler übernommen. Konsumenten haben sich selbst die notwendigen Informationen beschafft. Die Transaktionskostentheorie macht Aussagen dazu, wie es zur konkreten Ausgestaltung der Vertriebskette zwischen Fabrik und Wohnzimmer kommt. Ihr zu Folge ist die Arbeitsteilung zwischen Herstellern, Händlern und Konsumenten das Ergebnis eines effizienzorientierten, rationalen Kalküls der Marktakteure. Der Wettbewerb zwingt die Anbieter dazu, ihre Ressourcen im Sinne effizienter Methoden zu verlagern. Wandeln sich die Transaktionskosten, weil es beispielsweise schwieriger wird, Lieferverträge effektiv zu kontrollieren, verschiebt sich auch die Aufgabenverteilung entlang der Wertschöpfungskette. Der in Kapitel 4 diskutierte Franchise-Vertrag lässt sich aus dieser Effizienzperspektive heraus erklären. Die Hersteller mussten immer wieder abwägen, ob es für sie günstiger sei, ein eigenes Service-Netzwerk zu betreiben oder ob es sich rechnete, die Großund Einzelhändler durch das Zugeständnis von Monopolgewinnen für diese Leistung zu bezahlen. Die Verbreitung der Franchise-Verträge ist für die Neue Institutionentheorie ein Beleg dafür, dass es sich lohnte die Händler zu bezahlen. Die zwischenzeitliche Krise des Facheinzelhandels spiegelte ihre ökonomische Ineffizienz.1 Aus Sicht der Neuen Wirtschaftssoziologie ist diese funktionale Interpretation zu einseitig. Woher wussten die Hersteller, welche Aufgaben sie selbst übernehmen und welche sie delegieren mussten? Waren die Groß- und Einzel-
1 Williamson, Oliver E. (1990): Die ökonomischen Institutionen des Kapitalismus. Unternehmen, Märkte, Kooperationen. Tübingen, S. 17–48. Zitat auf S. 26. Siehe auch: Williamson, Oliver E. (2008): Outsourcing. Transaction cost economics and supply chain management. In: The Journal of Supply Chain Management 44 (2), S. 5–16.
204
6 Vertraute Bindungen. Hersteller und Händler in BRD und USA
händler überhaupt bereit, der aus Sicht der Anbieter effizienten Umgestaltung der Vertriebskette Folge zu leisten? Inwieweit waren die Maßnahmen mit den geltenden Wettbewerbsgesetzen in den beiden Ländern vereinbar? Um diese Fragen zu beantworten und eine umfassendere Erklärung der Ausgestaltung der Vertriebskette zu liefern, setzt das folgende Kapitel der Sichtweise der Neuen Institutionentheorie eine wirtschaftssoziologische Alternative entgegen. Die Lösungen der Koordinationsprobleme des Marktes werden als Folge des interaktiven Handelns historischer Akteure verstanden und empirisch hergeleitet. Die vorhergehenden Kapitel haben zahlreiche Ähnlichkeiten langfristiger Entwicklungslinien in Produktion, Handel und Konsum von Fernsehgeräten aufgedeckt. In vergleichender Perspektive lässt sich in den folgenden Kapiteln zeigen, wie die Einbettung der Akteursverhältnisse in verschiedene gesellschaftliche und politische Strukturen unterschiedliche Lösungen der Koordinationsprobleme nahelegten und bedingten. Für die Akteure entlang der Wertschöpfungskette war es überlebenswichtig, diese Lösungen aktiv mitzugestalten. Oxenfeldt war überzeugt, dass der Aufbau eines funktionierenden Distributionsnetzwerkes der Unterschied war, der die neu gegründeten Unternehmen zum Scheitern verurteilte.2 Die mit den Groß- und Einzelhändlern über lange Zeiträume etablierten Beziehungen ermöglichten es den Unternehmen eine Form der Zusammenarbeit zu finden. Diese sicherte einerseits die Anforderungen an Beratung und Service im Markt für Fernsehgeräte und andererseits ihre Profite. Die „stabilen Welten“ dieser zwischenzeitlich gefundenen Lösungen waren nicht von Dauer. Das folgende Kapitel zeigt die Wandelbarkeit des Marktes für Fernsehgeräte im Kontext der Evolution des Wettbewerbsrechts in den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland und am Beispiel von vertriebs- und preispolitischen Aushandlungsprozessen zwischen Herstellern und Händlern. Das Wettbewerbsrecht bestimmte seiner Zielsetzung nach über die Handlungsspielräume der Unternehmen bei diesen Entscheidungen. In einem ersten Schritt soll daher das Wettbewerbsrecht für beide Länder historisch rekonstruiert werden. Der Fokus liegt auf jenen rechtlichen Aspekten, die für die Gestaltung der vertikalen Beziehungen ausschlaggebend waren. In einem zweiten Schritt rücken die historisch wandelbaren Beziehungen der vertikalen Vertragspartner in den Fokus. Die Preisbildung entlang der Wertschöpfungskette folgte keiner zeitlosen Logik, die zwischen den 1940er und 1980er Jahren stabil geblieben wäre. Eine Handelsspanne von 82,23 US-Dollar hatte zu unterschiedlichen Zeitpunkten eine völlig unterschiedliche Bedeutung.
2 Oxenfeldt, Marketing, S. 12.
6.1 Hersteller-Händler Verhältnisse in den USA
205
6.1 Hersteller-Händler Verhältnisse in den USA 6.1.1 Der legale Kontext amerikanischer Preis- und Wettbewerbspolitik Die staatliche Wettbewerbspolitik entstand in den Vereinigten Staaten Ende des neunzehnten Jahrhunderts als Antwort auf das rasante Wachstum einzelner Unternehmen innerhalb weniger Jahre. Die meisten Amerikaner hatten eine aktive Rolle des Staates zuvor abgelehnt, weil sie in dem freien Spiel der Kräfte die besten Voraussetzungen wirtschaftlichen Erfolgs, demokratischer Mitbestimmung und individueller Selbstverwirklichung erblickten.3 Das Größenwachstum einzelner Unternehmen im Zuge der Industrialisierung stellte das Ideal der völligen Abwesenheit staatlichen Einflusses in Frage. Der Unmut über die in zahlreichen Cartoons als rücksichtslose Räuberbarone mit politischem Einfluss dargestellten Monopole erstreckte sich von den Lehrstühlen der Universitäten bis hinunter zu den „einfachen Leuten“.4 Wie der Historiker Richard Hofstadter feststellte war Antitrust Ende des neunzehnten Jahrhunderts nicht einfach eine Form staatlicher Wettbewerbsregulierung. Sie war eine soziale Bewegung mit tiefgreifenden Auswirkungen auf das amerikanische Selbstverständnis.5 Das Jahr 1890 markiert den eigentlichen Beginn nationalstaatlicher Wettbewerbspolitik, da der Kongress in diesem Jahr den Sherman Antitrust Act verabschiedete, der bis heute Gültigkeit besitzt.6 Im ersten Paragrafen des Gesetzes heißt es: „Every contract, combination in the form of trust or otherwise, or conspiracy, in restraint of trade or commerce […] is declared to be illegal.“7 Diese Zielsetzung diente nicht dem Schutz der amerikanischen Verbraucher vor hohen Preisen.8 Sie lässt sich eher als Schutz der Wettbewerber verstehen, die unter
3 Sellers, Charles G. (1991): The Market Revolution. Jacksonian America, 1815 – 1846. New York, NY. 4 John, Richard R. (2012): Robber Barons Redux. Antimonopoly reconsidered. In: Enterprise & Society 13 (1), S. 1–38. 5 Hofstadter, Richard (1996): What Happened to the Antitrust Movement? In: Richard Hofstadter (Hg.): The Paranoid Style in American Politics. And other essays. Cambridge, MA [Erste Auflage 1965], S. 188–237. Hier S. 189. 6 Zur Entstehungsgeschichte siehe: Peritz, Competition Policy, S. 11–18. 7 Act of July 2, 1890 (Sherman Anti-Trust Act), July 2, 1890. Enrolled Acts and Resolutions of Congress, 1789–1992. In: NA/Bestand: General Records of the United States Government, Record Group 11. (online: http://www.ourdocuments.gov/doc.php?flash=true&doc=51. Zugriff am 25.10.2014). 8 Mayhew, Anne (1998): How American Economists Came to Love the Sherman Antitrust Act. In: Mary S. Morgan und Malcolm Rutherford (Hg.): From Interwar Pluralism to Postwar Neoclassicism. Durham, NC, S. 179–201.
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fairen Bedingungen konkurrieren sollten.9 Die Wirkungen des Sherman Acts waren zwiespältig. Der Supreme Court erklärte Kartellabsprachen spätestens mit einer 1897 getroffenen Entscheidung für eindeutig verboten im Sinne des Gesetzes.10 Bezüglich der Frage der eigentlich ins Visier genommenen Großkonzerne, die für die Namensgebung verantwortlich gewesen waren, war die Wirkung dagegen geradezu gegensätzlich.11 Um der Verfolgung wegen illegaler Kartellabsprachen zu entgehen, taten sich die Unternehmen zu noch einflussreicheren Trusts zusammen. Die als „Great Merger Wave“ in die Geschichte eingegangene Entwicklung führte dazu, dass immer größere Bereiche der Wirtschaft durch die mächtigen Trusts kontrolliert wurden.12 Erst im Jahr 1911 kam es mit der Zerschlagung von gleich zwei Großunternehmen, Standard Oil und American Tobacco, zu einem Aufsehen erregenden Eingriff der Wettbewerbshüter. Paradoxerweise schwächte aber, wie Rudolph J. Peritz argumentiert hat, gerade die von den Richtern am Supreme Court verfasste Urteilsbegründung zur Zerschlagung von Standard Oil den Sherman Act nachhaltig. Das Urteil etablierte die „Rule of Reason“ als den grundlegenden Ansatz bei der Bewertung der Trusts. Bei diesem Ansatz wurden Unternehmen nicht „per se“ für einen nachweisbaren Befund wie beispielsweise ein hoher Marktanteil oder ein Vertrag mit einem Zulieferer belangt. Stattdessen sollte geschaut werden, welche wettbewerbspolitischen Effekte konkret vorlagen, ob also etwa das Unternehmen tatsächlich seine Marktmacht missbrauchte und Preise durchsetzte, die unter „normalen“ Bedingungen nicht zu Stande gekommen wären.13 Der amerikanische Kongress reagierte 1914 auf die als zu passiv wahrgenommene Haltung des Supreme Courts und die Überforderung der staatlichen Angestellten mit der Verabschiedung des Federal Trade Commission Acts und des Clayton Acts.14 Nach Auslegung des Sherman Acts war ein Eingriff erst
9 Peritz, Competition Policy, S. 14. 10 Peritz, Competition Policy, S. 29–38. 11 Mercer, Helen (1995): Constructing a Competitive Order. The hidden history of British antitrust policies. Cambridge, S. 3. Siehe auch: Böckli, Hans Rudolf (1959): Was ist Antitrust? Einführung in das Wesen der amerikanischen Kartell- und Monopolkontrolle. Rüschlikon Zürich, S. 9–12. 12 Dunlavy/Welskopp, Myths, S. 51; Dobbin, Frank; Dowd, Timothy J. (2000): The Market That Antitrust Built. Public policy, private coercion, and railroad acquisitions, 1825 to 1922. In: American Sociological Review 65 (5), S. 631–657; Lamoreaux, Naomi R. (1985): The Great Merger Movement in American Business, 1895–1904. Cambridge/New York. 13 Beispiele für eine Stärkung der Trusts sind etwa United Shoe Company (1918) oder US Steel (1920). Peritz, Competition Policy, S. 61. 14 Peritz, Competition Policy, S. 65.
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dann notwendig gewesen, wenn aus dem Zusammenschluss von Unternehmen ein Monopol entstand.15 Der Clayton Act verschärfte die Regeln für den Zusammenschluss von Unternehmen. Das Gesetz untersagte außerdem die Preisdiskriminierung. Darunter ist eine Praxis zu verstehen, bei der ein Zulieferer von seinen Abnehmern für das gleiche Produkt unterschiedliche Preise fordert. Der Federal Trade Commission Act führte eine Generalklausel ein, welche die Behörde damit beauftragte „unfair methods of competition“ zu verfolgen, ohne den Begriff allerdings eindeutig zu definieren. In der praktischen Umsetzung untersagte die Federal Trade Commission Formen irreführender Werbung oder vertriebspolitische Strategien, die in der Lage waren, den Handlungsspielraum von Konkurrenten und Abnehmern einzuschränken.16 Bis heute ist die Federal Trade Commission neben dem Justice Department die zentrale wettbewerbspolitische Regulierungsbehörde der Vereinigten Staaten.17 Ihr Mandat wird durch die Gesetzgebung des Kongresses definiert, der zugleich für ihre Überwachung zuständig ist. Während Hinweise von anderen Unternehmen, Interessengruppen oder Konsumenten entgegen genommen werden, ist die Behörde autonom in ihren Entscheidungen darüber, welche Fälle sie verfolgt.18
15 Der Supreme Court orientierte sich hier am zeitgenössischen Stand der Preistheorie, die Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts im Grunde nur vollkommene Konkurrenz und Monopole berücksichtigte. Peritz, Competition Policy, S. 67. 16 Die Auslegung der „unfair methods of competition“ durch die Federal Trade Commission wird in Kapitel 7.1.1 ausführlich diskutiert. Siehe auch: Averitt, Neil W. (1980): The Meaning of „Unfair Methods of Competition“ in Section 5 of the Federal Trade Commission Act. In: Boston College Law Review 21 (2), S. 227–300. 17 Zur Funktionsweise der Federal Trade Commission, siehe: Hasin, Bernice R. (1987): Consumers, Commissions, and Congress. Law, theory, and the Federal Trade Commission, 1968–1985. New Brunswick, CA; Katzmann, Robert A. (1980): Regulatory Bureaucracy. The Federal Trade Commission and antitrust policy. Cambridge, MA; American Bar Association (1969): Report of the ABA Commission to Study the Federal Trade Commission. Chicago, IL; Posner, Richard A. (1969): The Federal Trade Commission. In: The University of Chicago Law Review 37 (1), S. 47–89. Zur Gründungsgeschichte der Federal Trade Commission, siehe: Davis, G. Cullom (1962): The Transformation of the FTC, 1914–1929. In: Mississipi Valley Historical Review 49, S. 437–445; Stone, Alan (1977): Economic Regulation and the Public Interest. The Federal Trade Commission in theory and practice. Ithaca, NY. 18 Die Verfahren laufen normalerweise wie folgt ab: ein Anwalt, der direkt bei der Federal Trade Commission angestellt ist, stellt einen Bruch mit den gesetzlich bestimmten Wettbewerbsregeln fest. Die Kommission verfasst daraufhin eine offizielle Beschwerde. Das betroffene Unternehmen hat die Möglichkeit zu antworten. Bestreitet es die Vorwürfe, wird ein Verfahren eröffnet, dem ein Hearing Examiner vorsitzt, was sich grob mit Verhandlungsführer übersetzen lässt. Der Hearing Examiner ist bei der Behörde angestellt, nimmt aber während des Verfahrens die Rolle eines unabhängigen Richters ein. Die Anklage wird durch einen Anwalt der Federal Trade Commission
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Die Wirkungen des Clayton Acts und des Federal Trade Commission Acts blieben zunächst begrenzt. Den staatlichen Stellen mangelte es in den 1920er Jahren nach wie vor an Personal. Zudem zeigte der Supreme Court eine geringe Bereitschaft, der Federal Trade Commission einen größeren Handlungsspielraum zuzugestehen. Erst im Laufe der 1930er Jahre und unter dem verheerenden Eindruck der Weltwirtschaftskrise veränderte sich die Situation. 1933 rief Roosevelt nicht nur den New Deal, sondern auch die bis heute bestehende Antitrust Division des Justice Departments ins Leben. Nach der Berufung Thurman Arnolds im Jahr 1938 stiegen sowohl die Zahlen der Mitarbeiter als auch die der verfolgten Fälle.19 1936 verabschiedete der Kongress den Robinson-Patman Act, der sich gegen die Praxis der Preisdiskriminierung richtete. Das Gesetz verschärfte das bereits im Clayton Act vorgesehene Verbot. Es stellte nicht nur solche Formen der Preisdiskriminierung unter Strafe, die substanziell den Wettbewerb beschränkten oder zur Monopolisierung beitrugen. Stattdessen sollte jede Form der Preisdiskriminierung untersagt werden, die einen betroffenen Wettbewerber benachteiligte.20 Der Robinson-Patman Act war in erster Linie ein Zugeständnis an den traditionel-
vertreten. Auf Grundlage der schriftlich eingereichten Unterlagen kommt der Hearing Examiner zu einer Entscheidung. Sofern die Entscheidung von Anklage oder Verteidigung angezweifelt wird, findet eine Anhörung vor einer Kommission mit einer Handvoll Mitglieder statt. Bestätigt die Kommission die Anklage, wird eine „cease-and-desist-order“ ausgestellt, die den Angeklagten unter Strafandrohung untersagt, die entsprechende Praxis fortzusetzen. Der Angeklagte kann gegen die Entscheidung vor Gericht ziehen. Normalerweise kommt es allerdings nicht zu einem längeren Verfahren. Stattdessen einigen sich die Parteien in einer „consent order“, in der eine konkrete Änderung der Verhaltensweisen einvernehmlich festgelegt wird. Eine kurze Zusammenfassung des Ablaufs findet sich bei: Posner, Richard A. (1973): Regulation of Advertising by the FTC. Washington, D.C., S. 12–14. 19 Die Zahl der Mitarbeiter stieg innerhalb von zwei Jahren von 58 Anwälten auf über 300. Die Zahl der Beschwerden, die durch die Abteilung formuliert wurden, stieg von 923 im Jahr 1938 auf 3.412 im Jahr 1940, die Zahl der „major investigations“ im selben Zeitraum von 59 auf 215. Brinkley, Alan (1993): The Antimonopoly Ideal and the Liberal State. The case of Thurman Arnold. In: Journal of American History 80 (2), S. 557–579. Hier S. 565. Siehe auch: Freyer, Tony A. (2006): Antitrust and Global Capitalism, 1930 – 2004. Cambridge, S. 24–32. 20 Gall, John C.: The Patman-Robinson Anti-Price Discrimination Act. August 4, 1936. In: HML/ NAM, Series V, Box 70, Folder „Robinson-Patman Act“; Peritz, Competition Policy, S. 150; Rowe, Frederick M. (1962): Price Discrimination under the Robinson-Patman Act. Boston/Toronto. Zu Wright Patman, siehe: Schwarz, Jordan A. (1994): Wright Patman. The last Brandeisian. In: Jordan A. Schwarz (Hg.): The New Dealers. Power politics in the age of Roosevelt. New York, NY, S. 285–296.
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len mittelständischen Einzelhandel, der drohte, durch das Wachstum der großen Ketten wie A&P, Sears oder Woolworth verdrängt zu werden.21 Theoretisch waren sowohl das Justice Department als auch die Federal Trade Commission für die Durchsetzung des Preisbindungsverbots verantwortlich. Faktisch lag die Verantwortung bei der Federal Trade Commission. Diese zeigte, wie in Grafik 34 zu sehen ist, bezüglich der Fälle von Preisdiskriminierung besonders während der späten 1950er und frühen 1960er Jahre eine große Aktivität. Eines der davon direkt betroffenen Unternehmen war der Fernsehgerätehersteller Admiral. Die Behörde warf dem Unternehmen vor, seine Abnehmer ungleich zu behandeln. Admiral gewähre einem Teil der Händler preisliche Vorteile, die es anderen verweigere. Aufgrund dieser Diskriminierung sei der Wettbewerb im Markt für Fernsehgeräte gefährdet. Admiral wehrte sich gegen die Vorwürfe vehement. Auch Andere sahen den Robinson-Patman Act und seine Auslegung durch die Federal Trade Comission skeptisch. Die National Association of Manufacturers und ihre Mitglieder formulierten ablehnende Statements, wann immer sie eine passende Gelegenheit erblickten.22 Der Jurist Frederick M. Rowe, der im Jahr 1962 das Standardwerk zu Inhalt und Analyse des Gesetzes veröffentlichte, nannte das Gesetz „the most complex and controversial of the federal antitrust laws“23. Im Jahr 1966 kritisierte selbst der 1961 berufene FTC-Commissioner Philip Elman die praktischen Auswir-
21 In einem Statement der Federal Trade Commission von 1963 heißt es: „The basic purposes of the Robinson-Patman amendments to the Clayton Act were to protect each business against unfair price advantages granted to its competitors by suppliers. This is particularly applicable to large concerns with massive buying power gaining any undue price advantages over their smaller competitors.“ Initial Decision. September 12, 1963, S. 17. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094 („USA before FTC in the Matter of Admiral Corporation“), Box 85, Folder 1.2. Für den historischen Hintergrund des Robinson-Patman Act, siehe: Bean, Jonathan J. (1996): Beyond the Broker State. Federal policies toward small business, 1936–1961. Chapel Hill, NC, S. 17–36; Palamountain, Joseph (1955): The Politics of Distribution. Cambridge, MA, S. 58–158; Rowe, Price Discrimination, S. 3–24. 22 The Robinson-Patman Act. Go Out and Compete but Don’t Get Caught at it. Speech by Thomas E. Sunderland (General Counsel, Standard Oil Company) delivered before the National Conference of the American Marketing Association. December 28, 1952. In: HML/NAM, Series V, Box 70, Folder „Robinson-Patman Act“; Lambert H. Miller (General Counsel NAM) to Philip A. Hart (Chairman Subcommittee on Antitrust and Monopoly (Senate)). February 27, 1964. In. Ebd.; Statement of the NAM before the Senate Subcommittee on Antitrust and Monopoly regarding S. 995, June 30, 1965. In: Ebd.; The Salesman Faces the Robinson-Patman Act. Proposed Presentation to the FTC by Industry Committee [ca. 1965]. In: Ebd. 23 Rowe, Price Discrimination, S. ix. Siehe auch: Statement of Frederick M. Rowe on behalf of the American Bar Association Presented to the Subcommittee on Antitrust and Monopoly. February 19, 1964. In: HML/NAM, Series V, Box 70, Folder „Robinson-Patman Act“; Price Discriminati-
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kungen des Gesetzes öffentlich. Während die Antitrust-Politik das Ziel habe, den Preiswettbewerb zu fördern, bewirke der Robinson-Patman Act in vielen Fällen das Gegenteil. Das Gesetz habe es nicht geschafft, die Grenze zwischen einer räuberisch destruktiven und einer wettbewerbsfördernden Diskriminierung zu ziehen. Geschäftsmänner, die unter dem Druck des Marktes agierten, sollten ihre Preisentscheidungen nicht auf die Gefahr einer wettbewerbspolitischen Verfolgung hin treffen müssen.24 „The time has come“, schloss Elman, „for the Federal Trade Commission to heed the strong and insistent pleas.“25 Die innerhalb und außerhalb der Federal Trade Commission spürbare Ablehnung des Robinson-Patman Acts spiegelte schließlich auch die Durchsetzbarkeit des Gesetzes wider. Während sich an den Buchstaben des Gesetzes im Laufe der 1960er Jahre nichts änderte, zeigt Grafik 34 eine zunehmend zurückhaltende Haltung der Federal Trade Commission ab 1964. Bereits Ende der 1960er Jahre verfolgte die Behörde weniger als zwanzig Fälle, Ende der 1970er Jahre nicht einmal mehr eine Handvoll.26
on under the Robinson-Patman Act by Fredrick M. Rowe before Antitrust Workshop of the ABA. October 23, 1964. In: Ebd. 24 The Robinson-Patman Act and Antitrust Policy. A time for reappraisal. Remarks by Philip Elman, FTC Commissioner, August 2, 1966, S. 4–6. In: HML/NAM, Series V, Box 70, Folder „Robinson-Patman Act“. Siehe auch: The Perils of Pricing. In: The Wall Street Journal, August 11, 1966, S. 18; Robinson-Patman Antitrust Law Must Be Overhauled, Elman Says. In: The Washington Post, August 5, 1966. Beide Artikel auch in: HML/NAM, Series V, Box 70, Folder „RobinsonPatman Act“. 25 The Robinson-Patman Act and Antitrust Policy. A Time for Reappraisal. Remarks by Philip Elman, FTC Commissioner, August 2, 1966, S. 3. In: HML/NAM, Series V, Box 70, Folder „Robinson-Patman Act“. 26 Siehe auch: Robinson-Patman Is not Dead – Merely Dormant. Address of Paul Rand Dixon before Sales Promotion Conference (NRMA), May 21, 1975. In: HML/NAM, Series V, Box 70, Folder „Robinson-Patman Act“ und Stigler, George J.; Stott, A. L.; Mulford, R. H. (1969): Report of the Task Force on Productivity and Competition. In: Antitrust Law & Economics Review 2 (3), S. 13–36.
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120 100 80 60 40 20 0
Preisunterschiede
Provisionszahlungen
Zuschüsse (u.a. für Werbung)
Grafik 34: Durch die FTC verfolgte Fälle von Preisdiskriminierung (nach Art der Diskriminierung), 1954–198027
Ein Jahr nach dem Robinson-Patman Act wurde 1937 der Miller-Tydings Resale Price Maintenance Act verabschiedet. Resale Price Maintenance, zu deutsch vertikale Preisbindung, ist eine Praxis, bei der ein Hersteller dem Händler verbindlich und vertraglich geregelt vorschreibt, zu welchem Preis er die gelieferte Ware an den Endverbraucher zu verkaufen hat. Was auf den ersten Blick wie ein Zugeständnis an die Hersteller wirkt, war in Wahrheit in erster Linie ein Zugeständnis an den traditionellen Einzelhandel. Die Preisvorgaben der Hersteller mussten nämlich für alle belieferten Einzelhändler verbindlich sein. Dadurch wurde der Preiswettbewerb auf der Einzelhandelsebene ausgeschaltet, was die traditionellen Einzelhändler gegenüber den preisaggressiveren Ketten und Discountern bevorteilte. Die Markenhersteller hatten von der Preisbindung bereits Ende des
27 Preisunterschiede (Price Discrimination) bezeichnen Unterschiede in den von Abnehmern geforderten Preisen. Provisionszahlungen (Brokerage) sind versteckte Preisnachlässe, indem Geldzahlungen an „Vermittler“ der Transaktion fließen, ohne dass deren Selbständigkeit und Serviceleistung garantiert ist (sog. „Dummy“-Brokers). Zuschüsse sind indirekte Preisnachlässe, also Prämienzahlungen, wie etwa materielle Zugaben oder Werbezuschüsse. Sie können ähnlich den geforderten Preisen in diskriminierender Weise gewährt werden. Zu Preisunterschieden, Zuschüssen und Provisionszahlungen, siehe: Rowe, Price Discrimination, S. 87–112 u. 330–362 und Buggie, Frederick D. (1967): Lawful Discrimination in Marketing. In: Donald F. Mulvihill und Stephen Paranka (Hg.): Price Policies and Practices. A source book in readings. New York, NY, S. 296–312. Quelle der Grafik: Federal Trade Commission: Federal Trade Commission Decisions. Findings, opinions and orders. Washington, D.C. (versch. Jg.).
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neunzehnten Jahrhunderts Gebrauch gemacht, um den Händlern einen finanziellen Anreiz zu geben, ihre Produkte ins Sortiment aufzunehmen.28 Das Verbot der Preisdiskriminierung und das Verbot der Preisbindung waren zwei Seiten derselben Medaille: das eine sollte im Einzelhandel einheitliche Einkaufspreise, das andere einheitliche Verkaufspreise garantieren. Aus Sicht der Wettbewerbsbehörden stand die Preisbindung dem Ziel des Sherman Antitrust Acts entgegen, da in ihr eine unrechtmäßige Einschränkung der Handlungs- und Wettbewerbsfähigkeit anderer Teilnehmer am Markt (restraint of trade) gesehen wurde. Diese Sichtweise wurde erstmals 1911 vom Supreme Court vertreten und fortan beibehalten.29 Dessen ungeachtet führten einzelne Staaten die Preisbindung im Zuge sogenannter Fair Trade-Gesetze Anfang der 1930er Jahre wieder ein.30 Diese Regelungen hatten für Hersteller und Händler allerdings nur insofern eine praktische Relevanz, als ihre Geschäftstätigkeit die staatlichen Grenzen nicht überschritt. Der grenzüberschreitende Handel, im Englischen als „interstate commerce“ bezeichnet, fiel dagegen in den Zuständigkeitsbereich der nationalen Regulierungsbehörden. Auf dieser Ebene galt die Preisbindung nach wie vor als illegales Wettbewerbshindernis.31 Der 1937 verabschiedete MillerTydings Act versuchte schließlich, eine nationale Gesetzesgrundlage zur Anwendung der Preisbindung zu schaffen. Allerdings ließ das Gesetz eine Lücke offen, die schließlich dazu führte, dass der Supreme Court im Jahr 1951 die Anwendung der Preisbindung auf Grundlage des Sherman Acts untersagte.32 Der Kongress
28 Allender, Mary E. (1993): Why Did Manufacturers Want Fair Trade? In: Essays in Economic and Business History 11, S. 218–230; Strasser, Satisfaction, S. 269. 29 Breit, William (1991): Resale Price Maintenance. What do economists know and when did they know it? In: Journal of Institutional and Theoretical Economics 8, S. 72–90. Hier S. 75. 30 Kalifornien war im Jahr 1931 der erste Staat. Bis 1936 folgten weitere 14 Staaten, unter anderem New York, Ohio, Pennsylvania und Illinois. Lediglich Missouri, Texas, Vermont und Washington, D.C. verabschiedeten auch später keine Fair Trade Gesetze. Siehe Schachtman, Samuel (1949/1950): Resale Price Maintenance and the Fair Trade Laws. In: University of Pittsburgh Law Review, S. 562–591. Hier S. 567; Hollander, United States und Logemann, Jan (2007): Shaping Affluent Societies. Divergent paths to mass consumer society in West Germany and the United States during the postwar boom era. Pennsylavia State University, Diss., S. 67–68. 31 Innerhalb der staatlichen Grenzen erkannte der Supreme Court 1936 die prinzipielle Anwendbarkeit der Preisbindung an. Siehe Old Dearborn Distributing Co. v. Seagram-Distillers Corp. 299 U. S. 183 (1936). 32 Schwegmann Bros. v. Calvert Distillers Corp. 341 U.S. 384 (1951). Siehe auch: Bowman, Ward S. (1955): Prerequisites and Effects of Resale Price Maintenance. In: University of Chicago Law Journal 22, S. 825–873. Hier S. 854; Overstreet, Thomas R. (1985): Resale Price Maintenance and Distributional Efficiency. Some lessons from the past. In: Contemporary Policy Issues 3 (3), S. 43–59.
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verabschiedete daraufhin 1952 den McGuire Act, der die vom Miller-Tydings Act offen gelassene Lücke schloss.33 Wie der Historiker Jonathan J. Bean in seiner Studie zur amerikanischen Mittelstands-Politik argumentiert hat, markierte das Jahr 1952 gleichzeitig den Beginn des Niedergangs von Fair Trade. Bean zu Folge sank die Zahl der preisbindenden Unternehmen allein zwischen 1952 und 1954 von 1.600 auf 900, weil der Erfolg der großen Discounter das alte preispolitische System in Frage stellte. Ironischerweise habe die Preisbindung sogar zu dem Erfolg der Discounter beigetragen, weil sie ihnen einen leicht nachvollziehbaren Vergleichsmaßstab für die zu erzielenden Preiseinsparungen geliefert habe.34 Die staatlichen Gerichte erklärten die Preisbindung in zahlreichen Urteilen im Laufe der 1950er Jahre für verfassungswidrig. Bereits 1962 war es den Herstellern in 24 Staaten nicht mehr möglich, die Preisbindung durchzusetzen.35 1975 unterzeichnete Präsident Jimmy Carter den Consumer Goods Pricing Act, der die Anwendung der Preisbindung im Sinne der Konsumenten und der Bekämpfung der Inflation in den noch verbliebenen Staaten untersagte.36 Ein Unternehmen, das der abnehmenden Bedeutung der Preisbindung und ihrer rechtlichen Fragwürdigkeit trotzte war der Fernsehgerätehersteller Magnavox. Das Unternehmen verfolgte eine der Preisbindung ähnliche Preis- und Vertriebspolitik, indem es seinen Abnehmern feste Verkaufspreise garantierte, ohne allerdings auf formale Strukturen zurückzugreifen. Im Zuge der landesweiten Kritik an der Preisbindung geriet Magnavox in den 1960er Jahren in das Visier der Federal Trade Commission. Die Auseinandersetzung zwischen der Wettbewerbsbehörde und dem Unternehmen führte schließlich dazu, dass Magnavox seine preispolitische Strategie und sein Verhältnis zu den Händlern veränderte. Während die Verbote der Preisdiskriminierung und der Preisbindung im Laufe der 1960er und 1970er Jahre fast vollständig an praktischer Relevanz verloren, beschäftigte die Wettbewerbsbehörden bald umso mehr ein dritter Problemkomplex aus dem Bereich vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen. Dabei ging es um die Frage, welche Sanktionsmöglichkeiten ein Hersteller gegenüber einem Abnehmer ausüben durfte. Konkret ging es um die Frage des vorgegebenen Verkaufsterritoriums und um die Frage, ob ein Hersteller berechtigt war, ein Lieferverhältnis aufzukündigen, wenn sich der Händler nicht an die vertraglich ver-
33 Bean, Broker State, S. 77–81. 34 Ebd., S. 82. Siehe auch: Hollander, United States, S. 100 u. Howard, Vicki (2015): From Main Street to Mall. The rise and fall of the American department store. Philadelphia, PA, S. 166–189. 35 Bean, Broker State, S. 82. 36 Ebd.
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einbarten Franchisebedingungen gehalten hatte. Diese Frage war durch die Wettbewerbsgesetze der Vereinigten Staaten nicht explizit geregelt, sondern musste durch eine Auslegung des Sherman Acts bestimmt werden. Die Begrenzung des Verkaufsterritoriums hatte den Zweck, den Wettbewerb zwischen den Groß- und Einzelhändlern zu beschränken. Sie berührte daher direkt die Zielsetzung des Sherman Acts, eben solche Beschränkungen zu unterbinden. Die Begrenzung ließ sich aber auch im Sinne der Vertragsfreiheit auslegen. Sie ermöglichte es den Herstellern, die Kontrolle über die Vertriebskette nicht zu verlieren. Zudem war die regionale Monopolisierung der Abnehmer ein Zugeständnis an die belieferten Facheinzel- und Großhändler. Sie war keine einseitige Maßnahme zu ihrem Nachteil. Die Händler gingen durch die FranchiseVerträge, die sie mit ihren Zulieferern schlossen, teure Verpflichtungen wie die Unterhaltung einer Werkstatt ein. Sie leiteten daraus selbst die Forderung ab, dass nur service-orientierte Fachhändler wie sie selbst beliefert werden sollten.37 Eine andere Situation hätte Trittbrettfahrerprobleme nach sich gezogen. Ein Beispiel dafür war der Discounter, der selbst keine Werkstatt unterhielt aber darauf setzen konnte, dass die Konsumenten trotzdem Fernsehgeräte kauften, weil andere Händler die notwendige Infrastruktur bereitstellten. Das Justice Department hatte bereits in den 1950er Jahren seiner Skepsis gegenüber dieser Art von vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen Ausdruck verliehen. Der Hersteller Philco hatte seine exklusiven Franchise-Vertragsbedingungen öffentlich gemacht. Wie darin zu lesen war, umfassten die Verträge festgelegte Verkaufsterritorien und das Verbot des Weiterverkaufs der Produkte auf gleicher Handelsstufe. Das Justice Department sah in der Regelung eine nach dem Sherman Act unzulässige Beschränkung der Akteure entlang der Wertschöpfungskette.38 Nach einer öffentlich geführten Auseinandersetzung einigten sich die Behörde und das Unternehmen in einer Übereinkunft im rechtlichen Graubereich. Philco (und damit implizit auch den anderen Unternehmen) wurde das Recht zugestanden, Franchise-Verträge bei Nicht-Erfüllung der vertraglich festge-
37 „The day you find a manufacturer distributing indiscriminately to any outlet in town, that’s the day you should think about dropping him“, äußerte sich beispielhaft ein Einzelhändler in Washington, D.C. Siehe: Retailers Gripe and Mrs Consumer Complains About Them. In: Electrical Merchandising Week, 21. August, 1967, S. 6. Siehe auch: Neretin, Aaron: Distribution Dilemma. In: Electrical Merchandising Week, 12. Oktober, 1970, S. 5; A Scramble at Retail. In: Electrical Merchandising Week, 9. Februar, 1970, S. 4; Franchises Not Very Valuable, Dealers Claim. In: Electrical Merchandising Week, 3. September, 1973, S. 8; Goldenberg to Dealers: Do It Yourself, Fellas. In: Merchandising Week, Mai 1978, S. 17. 38 Tough Policy Illegal? In: Electrical Merchandising, Januar 1955, S. 344.
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legten Forderungen aufzukündigen.39 Umgekehrt durften die Unternehmen aber kein eindeutiges Vertriebsterritorium abstecken. Sie sollten auch keinen direkten Einfluss auf die von den Großhändlern vertriebenen Produkte nehmen dürfen. Für die Hersteller war es daher stets eine Gratwanderung. Sie mussten die durch den Franchise-Vertrag geregelten Einschränkungen so formulieren, dass sie noch im Einklang mit der eingeforderten Wettbewerbsfreiheit aller Marktteilnehmer standen und trotzdem von den Facheinzelhändlern als wertvoll anerkannt wurden. Anders als im Fall der Preisbindung war der Supreme Court in diese Frage zunächst nicht involviert. Erst 1963 diskutierte das Gericht seinen ersten Fall einer nicht-preislichen vertikalen Wettbewerbsbeschränkung.40 Im White MotorFall kam das Gericht zu der Entscheidung, dass vertikale Restriktionen nicht „per se“ unter Sektion 1 des Sherman Acts fielen und daher je nach Auswirkung auf die Wettbewerbssituation zu bewerten seien. Die Begründung der Richter war, dass man einfach zu wenig über die Wettbewerbseffekte vertikaler Restriktionen wisse, um sie „per se“ für illegal zu erklären. Vertreter des Radio- und FernsehFachhandels, die den Fall als äußerst wichtig für die eigene Branche ansahen, reagierten auf die Entscheidung des Supreme Courts erleichtert. Hunderte von Hersteller-Händler-Verträgen wären fragwürdig geworden, stellte die Electrical Merchandising Week fest, wären die vertikalen Restriktionen für „per se“ illegal erklärt worden.41 1967 tat der Supreme Court genau dies. In einer Entscheidung gegen den Fahrradhersteller Schwinn, der ein weites Netzwerk territorial exklusiver Hersteller-Händler Beziehungen betrieb, erklärte das Gericht die vier Jahre zuvor unter die „Rule of Reason“ gestellte territoriale Exklusivität für „per se“ illegal. Der Fall basierte auf einer Klage der amerikanischen Regierung, die befürchtete, dass die territoriale Exklusivität den Wettbewerb sowohl auf Hersteller- als auch
39 How Binding Are Franchises? In: Electrical Merchandising, August 1956, S. 160. 40 Siehe: Posner, Richard A. (1977): The Rule of Reason and the Economic Approach. Reflections on the „Sylvania“ decision. In: The University of Chicago Law Review 45 (1), S. 1–20. Hier S. 1. Franchise-Verträge stellten bis zu dieser Entscheidung eine Frage rein staatlicher Regulierung dar. Siehe: Who Regulates the Franchisor? Confusion Reigns as Courts Ponder. In: Electrical Merchandising Week, 20. Mai, 1974, S. 5. 41 Are Exclusive Franchises Legal? In: Electrical Merchandising Week, 11. März, 1963, S. 3. Siehe auch: Wray, Laurence: Survival of the Fittest. In: Electrical Merchandising, Oktober 1955, S. 238; Farr, Mort: For Television It’s Only the Beginning. In: Electrical Merchandising, September 1958, S. 29; What Dealers Want from Manufacturers in: Electrical Merchandising Week, 9. März, 1964, S. 13; We Must Protect the Franchise of the Independent. In: Electrical Merchandising Week, 12. Februar, 1968, S. 16.
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auf Händlerebene zu Lasten der Konsumenten einschränken würde.42 Richard Posner, der die Anklage verfasste, argumentierte, dass Schwinn versuche, sich das Image eines Qualitätsherstellers zu verschaffen. Dadurch könne sich die Monopolstellung Schwinns vergrößern, was letztlich zu Lasten der Konsumenten ginge.43 Der Supreme Court gab dieser Einschätzung Recht und erklärte die territoriale Exklusivität zu einer generell unzulässigen Wettbewerbspraxis. Sowohl in der Haltung der Regierung als auch in dem Urteil des Supreme Court kam eine für die 1950er und 1960er Jahre typische Fokussierung auf die Gefahren der Monopolisierung zum Ausdruck. Das preis- und wettbewerbstheoretische Fundament dieser Einstellung lieferten die an der Harvard University sozialisierten „Strukturalisten“ wie Edward Mason, Joe S. Bain, Carl Kaysen oder Donald Turner.44 Die Ansichten dieser Ökonomen und Juristen waren im Einzelnen nicht deckungsgleich. Sie teilten aber die Vorstellung der zentralen Bedeutung von Marktstrukturen, die das Wettbewerbsverhalten der Unternehmen beeinflussten und legten den Schwerpunkt ihrer Analysen auf die Beurteilung der relativen Marktmacht („market power“) einzelner Unternehmen.45 Mason hatte bereits 1939 festgestellt: „Firms are not, regardless of what economic theory may suppose, undifferentiated profit maximizing agencies which react to given market situations in ways which are independent of their organization.“46 Gerade Großunternehmen wie die RCA sahen sich durch diesen Ansatz der Wettbewerbspolitik unter Beschuss genommen. David Sarnoff äußerte sich über die AntitrustPolitik der 1950er Jahre kritisch: „Today it is the successful enterprise that is investigated and may be forced to defend itself against a charge that it grew too
42 Posner, Rule of Reason, S. 2. 43 Posner, Rule of Reason, S. 3. Siehe auch: Hellman, Elizabeth (1973–1974): Vertical Territorial and Customer Restrictions in the Franchising Industry. In: Columbia Journal of Law & Social Problems 10, S. 497–523. 44 Kaysen, Carl; Turner, Donald Francis (1959): Antitrust Policy. An economic and legal analysis. Cambridge, MA, S. 17 u. 19. Bain, Kaysen und Mason gehörten in Harvard einer Arbeitsgruppe zu „problems of public policy in the field of monopoly and competition“ an. Siehe: Peritz, Competition Policy, S. 184. 45 Eine präzise Übersicht liefert Kaysen, Carl (1956): United States v. United Shoe Machinery Corporation. An economic analysis of an anti-trust case. Cambridge, MA, S. 16–24. Siehe auch: Williamson, Institutionen, S. 303. 46 Mason, Edward S. (1939): Price and Production Policies of Large-Scale Enterprise. In: American Economic Review 29 (1), S. 68–73. Hier S. 67.
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large even if it served the public well and increased the security and prosperity of our nation.“47 Bereits in den 1950er Jahren hatte eine Reihe amerikanischer Ökonomen begonnen, den Ansatz der „Strukturalisten“ und die Logik der amerikanischen Wettbewerbsregulierung systematisch zu hinterfragen. Weil nahezu die gesamte Gruppe dieser Ökonomen an der University of Chicago lehrte, etablierte sich der Begriff der „Chicago School“, was auch als Gegenentwurf zur „Harvard School“ der 1950er und 1960er Jahre zu verstehen war. Ausgangspunkt der Argumentationskette war eine ganzheitlichere Sicht der mit der wettbewerbspolitischen Regulierung verbundenen Kosten. In einem frühen Aufsatz Gary Beckers kommt diese Sichtweise paradigmatisch zum Ausdruck. Becker griff das Argument auf, dass Monopole eine sub-optimale Verteilung der Ressourcen bewirkten, weil Monopolisten höhere Preise forderten als durch die Grenzkosten bedingt sei. Eine optimale Allokation der Ressourcen bestünde bei einem funktionierenden Wettbewerb, der für eine Anpassung der Preise an die Grenzkosten sorge. Deshalb müsse es staatliche Wettbewerbsgesetze geben, um Monopole aufzubrechen oder zu regulieren. Becker hielt diese Argumentation für falsch. In seinem Aufsatz differenzierte er zwischen den theoretischen und den tatsächlichen Folgen einer Intervention durch den Staat. Der Nachweis eines theoretisch wohlstandsfördernden Eingriffs führe nicht automatisch zu besseren Ergebnissen, da auch Regierungen nicht reibungslos und ohne eigene Interessen funktionierten. Becker folgerte: „This kind of inference is logically equivalent to identifying the actual workings of the market sector with its ideal workings.“48 Ein besonderer Fokus der Chicago School lag auf der Frage der vertikalen Restriktionen. Deren kritische Behandlung seitens der Wettbewerbsbehörden ging nach Meinung der Vertreter der Chicago School von den falschen Prämissen aus. Im Jahr 1959 formulierte der Chicagoer Ökonom Lester G. Telser das Argument, dass Hersteller mit der vertikalen Preisbindung nicht den – aus Sicht der Hersteller absurden – Zweck verfolgten, den Einzelhändlern Monopolprofite zuzusichern.49 Vielmehr würden sie dadurch sicherstellen, dass der Händler bestimmte Services anbot, die sowohl die Effizienz des Marktes als auch den Wettbewerb zwischen den Herstellern stärke. Telsers Ausführungen zur Preisbindung
47 A Layman Looks at the Law. Address of David Sarnoff before the Harvard Law School Alumni Association of New York City. April 23, 1952, S. 5. In: HML/David Sarnoff, David Sarnoff Publicity, Box 19, Folder 5. 48 Becker, Gary S. (1958): Competition and Democracy. In: The Journal of Law & Economics 1, S. 105–109. Hier S. 105. 49 Telser, Lester G. (1959): Why Should Manufacturers Want Fair Trade? In: The Journal of Law & Economics 3, S. 86–105. Siehe auch: Allender, Manufacturers, S. 220–221.
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ließen sich generalisieren. Die zunächst vereinzelten Ausführungen der Chicago School verdichteten sich mit der Zeit zu einer kohärenten wettbewerbstheoretischen Position. Diese Position war, wie Posner ausführte, simpel: „Firms cannot in general obtain or enhance monopoly power by unilateral action – unless, of course, they are irrationally willing to trade profits for position.“50 Aus dieser Position heraus verurteilten die Vertreter der Chicago-School die Schwinn-Entscheidung von 1967 scharf. Für Posner, der in diesem Fall die Regierung erfolgreich vertreten hatte, markierte sie einen Wendepunkt. Er wandelte sich, nachdem Aaron Director ihn Ende der 1960er Jahre mit George Stigler und Ronald Coase bekannt gemacht hatte, zu einem Geläuterten und einem der schärfsten Kritiker der selbst herbeigeführten Entscheidung.51 Unterstützt wurde ihre Kritik von der an Einfluss gewinnenenden Neuen Institutionentheorie, deren prominentester Vertreter Oliver Williamson war. Williamson hatte zwischen 1965 und 1968 als Assistent Donald Turners in der Antitrust Division des Justice Departments gearbeitet, die Schwinn-Entscheidung aber nicht unterstützt.52 Sein Standardwerk von 1975 mit dem bezeichnenden Titel „Markets and Hierarchies. Analysis and Antitrust Implications“ ist zu weiten Teilen eine Kritik an der Vorstellung, dass vertikale Restriktionen zu Lasten der Effizienz und der Wohlfahrt der Konsumenten gingen.53 Williamson kritisierte die 1960er Jahre als eine „Zeit des militanten Wettbewerbsschutzes“54, dessen „ökonomische[r] Unterbau […] bedauerliche Mängel“55 aufgewiesen habe.
50 Posner, Richard A. (1979): The Chicago School of Antitrust Analysis. In: University of Pennsylvania Law Review 127 (4), S. 925–948. Hier S. 928. Siehe auch: Calvani, T.; Langenfeld, J. (1985): An Overview of the Current Debate on Resale Price Maintenance. In: Contemporary Policy Issues 3 (3), S. 1–8 und die kritische Position bei Comanor, William S.; Kirkwood, John B. (1985): Resale Price Maintenance and Antitrust Policy. In: Contemporary Policy Issues 3 (3), S. 9–17. 51 Medema, Steven G. (2011): Chicago Price Theory and Chicago Law and Economics. A tale of two transitions. In: Robert van Horn, Philip Mirowski und Thomas A. Stapleford (Hg.): Building Chicago Economics. New perspectives on the history of America’s most powerful economics program. New York, NY, S. 151–179. Hier S. 169. Siehe auch: Demsetz, Harold (2009): George J. Stigler and his Contributions to Law and Economics. In: Lloyd R. Cohen (Hg.): Pioneers of Law and Economics. Cheltenham, S. 50–59; Ulen, Thomas S. (2009): Pioneers of Law and Economics. William M. Landes and Richard A. Posner. In: Lloyd R. Cohen (Hg.): Pioneers of Law and Economics. Cheltenham, S. 175–202. 52 Shapiro, Carl (2010): A Tribute to Oliver Williamson. Antitrust economics. In: California Management Review 52 (2), S. 138–146. Hier S. 143. 53 Williamson, Markets. Siehe auch: Blair, Roger D (2010): Guest Editor’s Introduction. In: The Antitrust Bulletin 55 (3), S. 539–543. 54 Williamson, Institutionen, S. 217. 55 Ebd., S. 300.
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Im Jahr 1977 fällte der Supreme Court im Fall „Sylvania“, dem Hersteller von Fernsehgeräten, eine Grundsatzentscheidung. Die Entscheidung revidierte die zehn Jahre lang geltende Gesetzesauslegung des „per se“-Verbots und stellte die territoriale Exklusivität wieder unter die „Rule of Reason“. Der Fall Sylvania war vor den Supreme Court gekommen, nachdem ein Händler aus Kalifornien dem Unternehmen vorgeworfen hatte, seine Handelsfreiheit durch restriktive Gebietsschutz- und Vergeltungsmaßnahmen beschränkt und ihn wirtschaftlich runiert zu haben. Der Fernsehgerätehersteller sah durch die Anklage seine seit Jahren etablierte Vertriebspolitik und sein Verhältnis zu den anderen Abnehmern gefährdet. Mit Erfolg setzte er alle ihm möglichen juristischen Hebel in Bewegung und kippte in diesem Zuge die durch Schwinn etablierte Rechtsprechung. Die Entscheidung gilt bis heute als historisch, nicht so sehr, weil sie den wettbewerbspolitischen Handlungsspielraum der Unternehmen veränderte und schon gar nicht wegen ihrer Auswirkungen auf den Markt für Fernsehgeräte. Sie gilt deshalb als historisch, weil die theoretische Fundierung der Entscheidung einen Paradigmenwechsel in der amerikanischen Wettbewerbspolitik begründete.56 Marc A. Eisner nannte in einer Studie das Sylvania-Urteil „the most explicit and consequential statement of the Court’s new position regarding the economics of antitrust and the importance of business efficiency“57. Die Mehrheitsmeinung des Supreme Courts wurde von Richter Lewis Powell formuliert, der sich seit den 1960er Jahren für die Berücksichtigung unternehmerischer Interessen zum Schutz des „free enterprise system“ eingesetzt hatte und 1971 von Präsident Nixon an den Supreme Court berufen worden war.58 Im Folgenden sollen drei Fallstudien dazu dienen, den Wandel amerikanischer Wettbewerbspolitik aus einer praxistheoretischen Perspektive heraus zu verstehen und zu erklären. Die Fallstudien greifen die drei großen Problemfelder
56 Freyer, Antitrust, S. 146; Eisner, Marc A. (1991): Antitrust and the Triumph of Economics. Institutions, expertise, and policy change. Chapel Hill, NC, S. 143. 57 Eisner konnte in der Studie zeigen, wie die Ideen der Chicago School nicht nur eine breite Rezeption in den wichtigsten Fachzeitschriften erlangen konnten, sondern auch im Supreme Court, in der Antitrust Division und mit einiger Verzögerung auch in der Federal Trade Commission personell verankert wurden. Eisner, Antitrust, S. 143. Siehe auch: Lianos, Ioannis (2009): The Vertical/Horizontal Dichotomy in Competition Law. Some reflections with regard to dual distribution and private labels. In: Ariel Ezrachi und Ulf Bernitz (Hg.): Private Labels, Brands, and Competition Policy. The changing landscape of retail competition. Oxford, S. 161–188. Hier S. 163. Die Richter verweisen in ihrem Urteil explizit auf die Arbeiten Posners und Borks. Siehe auch: Peritz, Competition Policy, S. 257–258. 58 McGarity, Thomas O. (2013): Freedom to Harm. The lasting legacy of the laissez faire revival. New Haven, CT, S. 41–42. Siehe auch: Jeffries, John C. (1994): Justice Lewis F. Powell, Jr. New York, NY.
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vertikaler Beziehungen auf: die Preisdiskriminierung, die vertikale Preisbindung und die territoriale Exklusivität. Die unternehmerische Strategie der Preisdiskriminierung und ihre Regulierung durch die Federal Trade Commission wird am Beispiel des Fernsehgeräteherstellers Admiral in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren diskutiert. Das Problem der vertikalen Preisbindung wird anhand der Auseinandersetzungen zwischen dem Hersteller Magnavox und der Federal Trade Commission nachgezeichnet. Die Frage der territorialen Exklusivität soll am Beispiel der Sylvania-Supreme Court-Entscheidung von 1977 und dessen Vorgeschichte exemplifiziert werden.
6.1.2 Turkey Economy. Admiral und die Preisdiskriminierung 1958 eröffnete die Federal Trade Commission ein Verfahren gegen den Fernsehgerätehersteller Admiral.59 Das Unternehmen Admiral war 1934 unter dem Namen Continental Radio & Television Corp gegründet worden und hatte sich nach frühen mäßig erfolgreichen Versuchen im Rundfunkbereich dank der Rüstungsproduktion im Zweiten Weltkrieg zu einem erfolgreichen Unternehmen gewandelt.60 Noch während des Krieges hatte der Gründer Admirals, Ross D. Siragusa, den Umstieg auf die Konsumgüterproduktion geplant. Um eine ausreichend große Zahl an Groß- und Einzelhändlern für seine noch unbekannte Marke zu gewinnen, warb Siragusa erfahrene Manager von etablierten Unternehmen wie RCA und Montgomery Ward ab. Breit angelegte Werbekampagnen informierten bereits 1944 Händler und Konsumenten über die kommende Welle an Elektrogeräten, die der Krieg ihnen noch verweigerte. Etwa 86 Großhändler und rund 18.000 Händler zeigten Interesse an den Radios, Plattenspielern und Kühlschränken. Ab 1948 konzentrierte sich das als aggressiv wahrgenommene Chicagoer Unternehmen auf die massenhafte Produktion von Fernsehgeräten. Die meisten Unternehmen vertrieben zu der Zeit unhandliche und teure Tischgeräte, die als Hundehütten („doghouses“) bezeichnet wurden. Admiral produzierte mit der „Consolette“ dagegen ein preisgünsti-
59 Opinion of the Commission. April 7, 1965, S. 1–2. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 84, Folder 1.1. 60 Ein erster Versuch mit einem Unternehmen für Transformatoren scheiterte 1934. Noch im selben Jahr gründete Siragusa die Continental Radio & Television Corp. Um an Produktionslizenzen für Radios von der RCA zu gelangen, kooperierte er mit einer Pleite gegangenen Lizenznehmerin, der Radio Products Corp. Die Radios vertrieb er über die Radio & Television Corp. Schließlich kaufte er die Radio Products Corp auf und führte 1942 die Unternehmen unter dem Namen Admiral zusammen. Siehe: In Television Admiral’s Hot. In: Fortune, Juni 1949, S. 89–90.
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ges Gerät, das auf eigenen Beinen stehen konnte und dadurch nicht den ganzen Wohnzimmertisch in Beschlag nahm. Dem Magazin Fortune galt das Unternehmen als der Inbegriff eines für den amerikanischen Massenmarkt produzierenden Herstellers.61 Innerhalb von nur einem Jahr war der Marktanteil Admirals von 1,9 Prozent auf 11 Prozent gesprungen. Diesen Marktanteil hielt Admiral auch noch Ende der 1950er Jahre, als die Federal Trade Commission das Unternehmen ins Visier nahm. Die Anklage, die von dem Anwalt Peter J. Dias vertreten wurde, basierte auf zwei Punkten. Dias beschuldigte Admiral erstens, dass die unternehmenseigenen Vertriebsstellen unzulässige Preisnachlässe an einzelne Händler gewährt hätten. Zweitens monierte er eine selektive und nicht-proportionale Gewährung von Werbezuschüssen, sogenannten „Co-Ops“, und „Promotional Allowances“, also Sonderrabatten in Form von Prämien und Zuschüssen. Um diese Regelverletzungen nachzuweisen, hatten Dias und seine Kollegen Dokumente von drei Vertriebsstellen Admirals aus New York, Washington, D.C. und Milwaukee zusammengetragen.62 Die in den Augen der Anwälte wichtigsten Beweisstücke bildeten Preislisten der Vertriebsstellen. Auf den Preislisten wurde für jedes Fernsehgerät auf der einen Seite ein Listenpreis für den Verkauf der Geräte an den Endverbraucher ausgewiesen. Auf der anderen Seite wurde durch die Listen der von den Abnehmern geforderte Preis festgelegt. Für das Verständnis des Verfahrens ist es wichtig, zunächst die Rolle der Preislisten im amerikanischen Markt für Fernsehgeräte in den 1950er Jahren zu beschreiben. Viel stärker als dies heute der Fall ist, legten die Preislisten nicht nur die Tauschbedingungen zwischen Herstellern und ihren Abnehmern fest, sondern strukturierten den Markt für Fernsehgeräte bis hinunter zum Verbraucher. Aufgrund dieser tiefgreifenden Auswirkungen soll an dieser Stelle von einem „Preislistensystem“ gesprochen werden, das sich von der späteren Rolle der Preislisten unterscheidet. Das erste wesentliche Element des Preislistensystems war, dass die gesamte Kalkulation der Preise zentral von den Herstellern vorgenommen wurde. Das zweite wesentliche Element des Preislistensystems war, dass sich alle Beteiligten entlang der Wertschöpfungskette an diese Preisvorgaben hielten, obwohl die Listenpreise rechtlich nicht bindend waren. Einem Artikel des Magazins Fortune zu Folge war es bis Mitte der 1950er Jahre die Regel, dass die Preise der Hersteller zunächst auf Basis der einzelnen ver-
61 In Television Admiral’s Hot. In: Fortune, Juni 1949, S. 126 62 Das Verhalten der drei Vertriebsstellen, die preispolitisch volle Freiräume genossen, betrachtete die Anklage als insgesamt repräsentativ für das Verhältnis Admirals gegenüber seinen Einzelhändlern.
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arbeiteten Bauteile festgelegt wurden. Jeder Unternehmensbereich sollte einen Profit erwirtschaften, der einem theoretisch außerhalb des Unternehmens erzielten, also fiktiven, Marktpreis entsprach. Mit der Einführung der Portables änderte sich die Preispolitik der Unternehmen. Die Preise der Geräte waren zu niedrig, um jeden einzelnen Unternehmensbereich für sich allein profitabel zu betreiben. Die Preispolitik begann daher einer neuen Logik zu folgen. Sie orientierte sich an den Profiten, die das gesamte Unternehmen erzielen konnte, nicht an den Profiten der einzelnen Bereiche.63 Die Aufgabe, die Geräte zu bepreisen, oblag normalerweise dem Manager der Produktplanung („product planning officer“). Der Manager der Produktplanung entschied sowohl über den Preis als auch über die zu produzierende Menge eines spezifischen Modells. In den späten 1950er und 1960er Jahren folgte die Preispolitik der Anbieter der neuen Logik einem stärker nachfrage-orientierten Grundsatz. Innerhalb einer Produktlinie sollten die Preise möglichst nah beieinander liegen. Die Preisunterschiede sollten durch klar erkennbare Unterschiede der Geräteeigenschaften nachvollziehbar sein. Der Preis sollte darüber hinaus so bemessen sein, dass er für jedes Modell einen Profit abwarf und die Zielvorgaben des Geräteabsatzes ermöglichte.64 Die Preispolitik lässt sich an dieser Stelle lediglich beispielhaft an der preispolitischen Strategie von Zenith verdeutlichen, über die der Sales Manager Walter C. Fisher im Rahmen einer Tagung des National Industrial Conference Board referierte. Fisher zu Folge legte Zenith die Höhe der Verkaufspreise in Absprache mit der eigenen Verkaufsorganisation fest. Dies geschehe während der Durchführung der großen jährlichen Konferenzen, bei denen die neuen Produktlinien vorgestellt wurden. Zunächst würden die besonderen Eigenschaften der Geräte diskutiert, gewürdigt und in subjektive Werte für den Verbraucher übersetzt. Nachdem die herausragenden Eigenschaften eines Zenith-Geräts gegenüber den Merkmalen der Konkurrenzprodukte herausgearbeitet seien, würde die Gruppe diskutieren: „How much is it worth to a customer to have this benefit? […] Is it
63 Harris, William B.: The Electronic Business. In: Fortune, April 1957, S. 137–143 u. 216–226. Hier S. 220 u. 224. Siehe auch: Bell, Maturing, S. 14. 64 Wie genau die Hersteller zu dem Ergebnis kamen stellte in den meisten Fällen ein Geheimnis dar, das von den Unternehmen sorgfältig gehütet wurde. In der Studie Oxenfeldts werden dafür noch eine Reihe preispolitischer Charakteristika in der Fernsehgeräteindustrie genannt. Oxenfeldt, Marketing, S. 55–57. Siehe auch: Oxenfeldt, Alfred R. (1973): A Decision-Making Structure for Price Decisions. In: Journal of Marketing 37 (1), S. 48–53 und Oxenfeldt, Alfred R. (1967): An Analysis of Present Product Pricing. In: Donald F. Mulvihill und Stephen Paranka (Hg.): Price Policies and Practices. A source book in readings. New York, NY, S. 121–133.
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worth a ten dollar bill? Is it worth fifty cents a year over the life of the product, a dollar a year?“65 Fisher erläuterte das Vorgehen am Beispiel der Goldkontaktköpfe eines Tuners in einem Zenith-Farbfernsehgerät. Das teure Goldmaterial verbesserte die technischen Eigenschaften und verringerte den Reparaturbedarf, musste aber in einen subjektiven Dollarwert übersetzt werden. „What’s it worth to have the kind of a tuner that will not require, let’s say, a 7,50 US-Dollar service call during the life of the product? These are the mental processes we go through […] right down to the line to a point where we feel that we’re all convinced that we’re giving an awful lot of value for the dollar we ask.“66 Allerdings gab Fisher auch zu, dass die Kosten der zusätzlichen Vorrichtungen gedeckt sein müssten: „We have to be awfully sure that we’re getting a fair return back.“67 Die anschließende Berechnung der von den Groß- und Einzelhändlern geforderten Preise geschah normalerweise in Form von prozentual festgelegten Handelsspannen, die sich allerdings von Hersteller zu Hersteller und von Produkt zu Produkt unterschieden. Im Fall des RCA Compton beispielsweise lag die Spanne zwischen dem Preis, den ein Verbraucher zu zahlen hatte und dem Preis, den der Einzelhändler zu zahlen hatte, bei 27 Prozent. Die Spanne zwischen Großhandels- und Fabrikabgabepreis lag bei 12 Prozent.68 Im Fall des im selben Jahr vertriebenen RCA Thrifton, der eine kleinere Bildröhre hatte und insgesamt 70 US-Dollar günstiger war, lag die Spanne für den Einzelhändler lediglich bei 20 Prozent, für den Großhändler bei 10 Prozent. Bei dem RCA Cheltenham, einem mit einem Preis von 995,00 US-Dollar sehr teuren Farbgerät, betrug die Spanne 30 Prozent für den Einzelhändler und 15 Prozent für den Großhändler.69 Allgemein waren niedrigere Preise auch mit niedrigeren Handelsspannen verbunden, da
65 Walter C. Fisher (Zenith): Briefing and Selling the Sales Force on the New Product. In: Role of the Sales Organization in Launching New Products. 13th Annual Marketing Conference (NICB), October 21, 1965, S. H14. In: HML/NICB, Series I, Box 119. 66 Ebd., S. H86. 67 Ebd., S. H87. 68 Zur Erinnerung: Der Listenpreis für den Verbraucher lag bei $ 229,95. Legt man einen Prozentwert von 73 Prozent an, erhält man 167,8635, aufgerundet also $ 167,86. Aus diesem Wert berechnet sich der von den Großhändlern geforderte Preis von $ 147,72, der 88 Prozent des von den Einzelhändlern geforderten Preises ausmacht. Dem Einzelhändler wird folglich eine Handelsspanne von 27 Prozent zugesprochen, dem Großhändler von 12 Prozent. 69 Eigene Berechnung nach RCA Victor Television Division. Price List Black&White – Color Receivers. January 2, 1956. In: HML/RCA-Victor, Series II, Box 10, Folder 25.
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diese Produkte als preissensibler galten als höherpreisige Produkte und schnellere Umsätze erzielten.70 Hersteller mit starken Marken wie die RCA berechneten niedrigere Spannen als Hersteller mit schwächeren Marken.71 Wer beispielsweise als Admiral-Großhändler im Jahr das Modell T2507 erwerben wollte, dessen Listenpreis bei 289,95 US-Dollar lag, musste dafür regulär 153,30 US-Dollar zahlen. Dank einer Sonderaktion im September des Jahres zahlte er sogar nur 131,97 US-Dollar.72 Der RCAVincent, der im selben Jahr zum selben Listenpreis von 289,95 US-Dollar auf dem Markt war, kostete einen RCA-Großhändler dagegen 179,53 US-Dollar, also über 25 US-Dollar mehr als selbst der reguläre Preis des Admiral-Geräts.73 Der Hersteller kontrollierte die gesamte Bandbreite des Preisbildungsprozesses vom Großhändler bis zum Verbraucher und kommunizierte den festgelegten Endverbraucherpreis sowohl in nationalen wie in regionalen Werbekampagnen. Die festen nach Groß- und Einzelhandel streng differenzierten Rabattstaffeln spiegelten feste Vorstellungen unterschiedlicher Funktionen und eine klare Aufgabenteilung entlang der Wertschöpfungskette wider. Laurence Wray charakterisierte das Preislistensystem Anfang der 1960er Jahre als eine geheiligte, ein halbes Jahrhundert alte Tradition in der Elektroindustrie. Hersteller wüssten seit langem, was es sie koste, ein Produkt herzustellen und zu welchem Preis sie es ihren Groß- und Einzelhändlern mit Profit verkaufen könnten. Sie hätten stets eine vernünftige Handelsspanne einberechnet, damit die Wiederverkäufer eine Idee von dem wahren Wert der Produkte im Markt hätten.74 Das Festhalten der Einzelhändler an den unverbindlichen Listenpreisen dämmte den Preiswettbewerb ein. Da die Listenpreise unverbindliche Empfehlungen darstellten, waren dafür keine rechtlichen Bindungen verantwortlich, sondern ein kollektiver und kulturell verankerter Verhaltenskodex. Die meisten traditionellen Facheinzelhändler verteufelten jede Form übertriebenen Preiswett-
70 Wood, Wallis E.: The Key to Setting Prices. In: Electrical Merchandising Week, 2. Januar, 1967, S. 20. 71 Changes Coming in Color TV Marketing and Merchandising. In: Electrical Merchandising Week, 4. März, 1968, S. 3; Siehe auch: Image, Pricing Are Still Key Zenith Strategy. In: Electrical Merchandising Week, 23. Juli, 1973, S. 18. 72 Siragusa, Ross D. to All Admiral Distributors and Branches. September 18, 1956. In: In: NA/ FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 85, Folder 1–1. 73 RCA Victor Television Division. Price List Black&White – Color Receivers. January 2, 1956. In: HML/RCA-Victor, Series II, Box 10, Folder 25. 74 Wray, Laurence: List Pricing on the Way Out? In: Electrical Merchandising Week, 28. Juli, 1962, S. 16. Siehe auch: Wray, Laurence: The Great Shakeout – 1950–1957. In: Electrical Merchandising, August 1957, S. 190 und Price Is Right. In: Electrical Merchandising, Dezember 1952, S. 51.
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bewerbs. Diese Einstellung wurde vor allem in der Abgrenzung zu denjenigen Akteuren deutlich, die ganz bewusst dieses Ideal nicht teilten und sich auch in ihrer Selbstbezeichnung von den Vertretern des Preislistensystems abgrenzten: den „Discountern“. Der Herausgeber der Electrical Merchandising verglich das Abgehen von den Listenpreisen 1953 mit einem Virus, der Händler und Konsumenten infiziert habe.75 Diese Ausführungen waren noch vergleichsweise milde. An anderer Stelle war in den 1950er Jahren von Kannibalismus, Dschungel-Taktiken und krebsartigen Befunden die Rede.76 Ab Mitte der 1950er Jahre war bei Beobachtern der Industrie der Eindruck verbreitet, dass das lange Zeit geheiligte Preislistensystem auf breiter Front zusammenbrach.77 Die Hersteller druckten zwar weiterhin Preislisten und kommunizierten diese Preise in ihren nationalen Werbekampagnen.78 Mit den Preisen, die Konsumenten am Ende zahlten, hatten diese Preise aber so gut wie nichts mehr zu tun. „List price is the price nobody pays“, konstatierte das Better Business Bureau 1962.79 Ein anonymer Verkäufer, der für die Electrical Merchandising Week schrieb, drückte sich noch deutlicher aus: „The average American would rather part with a vital organ before he pays list.“80 Während die preispolitische Struktur im Kern zunächst identisch blieb, wurde ihre praktische Relevanz durch
75 Wray, Laurence: Arithmetic Lesson. In: Electrical Merchandising, Juni 1953, S. 206. Siehe auch: Farr, Mort: We Don’t Have to Go Discount. In: Electrical Merchandising, Februar 1955, S. 11; Wray, Laurence: Industry at the Crossroads. In: Electrical Merchandising, Juli 1954, S. 222. 76 The Price Revolution. In: Electrical Merchandising, Januar 1954, S. 365. 77 Siehe bspw. Weiss, E.B.: The Off-List Revolution. In: Electrical Merchandising, Oktober 1954, S. 61; Wray, Laurence: The Great Shakeout – 1950–1957. In: Electrical Merchandising, August 1957, S. 190; Wray, Laurence: List Pricing on the Way Out? In: Electrical Merchandising Week, Juli 28, 1962, S. 16. Allgemein: Weiss, Edward B. (1957): Marketing’s Coming Readjustment to Low-Margin Retailing. New York/Los Angeles. 78 GE sah erst 1968 davon ab, Preislisten für die neue Serie an Farbgeräten zu drucken. Die Begründung war: „Distributors may differ on the best suggested price for their regions.“ Dealers Get new GE Color Sets, but no Suggested Retail Prices. In: Electrical Merchandising Week, 26. Juni, 1967, S. 10. Siehe auch: How to Find the Consumer in the Distribution Maze. In: Electrical Merchandising Week, 29. Juli, 1968, S. 8. Die Preislisten von RCA weisen bis in die späten 1960er Jahre für die meisten Gerätetypen sowohl Großhändler als auch Einzelhandels- und Endverbraucherpreise aus. 79 How Better Business Bureaus Are Policing List Price Ads. In: Electrical Merchandising Week, 30. Juli, 1962, S. 3. Zu den Better Business Bureaus, die eine Institution der Selbstregulierung der amerikanischen Wirtschaft bilden, siehe: Reich, Norbert (1984): Staatliche Regulierung zwischen Marktversagen und Politikversagen. Erfahrungen mit der amerikanischen Federal Trade Commission und ihre Bedeutung für die Entwicklung des Verbraucherschutzrechtes. Heidelberg, S. 130–131. 80 The Art of Unselling. In: Electrical Merchandising Week, 8. Oktober, 1962, S. 23.
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eine Verhaltensänderung der Konsumenten in Frage gestellt. Ein Einzelhändler, der gegenüber seinem Zulieferer den geforderten Listenpreis bezahlte, musste befürchten, den vorgesehenen Listenpreis gegenüber den Konsumenten nicht durchsetzen zu können. Die Einzelhändler standen daher immer häufiger vor einer schwierigen Wahl. Sie konnten entweder auf den geforderten Listenpreisen bestehen und dadurch potentielle Kunden verlieren. Oder sie konnten sich auf den ungeliebten Preiswettbewerb einlassen, den das Preislistensystem eigentlich hatte unterbinden sollen.
Net Operating Profits (of total Sales) Grafik 35: Operativer Reingewinn im U.S. Radio- und Fernseh-Facheinzelhandel, 1946–197281
Wie die Entwicklung des operativen Reingewinns der Radio- und Fernseh-Facheinzelhändler zeigt, blieb der durch das Ende des Preislistensystems intensivierte Preiswettbewerb nicht ohne Folgen. Nach einer extrem profitablen Phase zwischen 1946 und 1950, erzielten die Einzelhändler bis 1955 zwar geringere, aber immer noch ausreichende Gewinne von um die drei Prozent ihres Umsatzes.82
81 Die Angaben basieren auf Umfragen der National Appliance and Radio Dealers Association (NARDA). Quellen: 1946–1955: Electrical Merchandising, Juli 1956, S. 84; 1955–1958: Electrical Merchandising, Juli 1959, S. 57; 1958–1967: Electrical Merchandising Week, 12. August, 1968, S. 7; 1968/69: Do Independents Need Service? In: Electrical Merchandising Week, 29. Juni, 1970, S. 71; 1970/71: Servicing Dealers fare better in NARDA business survey. In: Electrical Merchandising Week, 21. August, 1972, S. 3; 1972/73: Gross Margins Better: NARDA. In: Electrical Merchandising Week, 24. Juni, 1974, S. 3. 82 Der operative Reingewinn berechnet sich wie folgt: Net Sales – Costs of Goods Sold – Total Operating Costs (incl. Owners Remuneration, Office Salaries, Salesmen’s Pay, Servicemen’s
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Ab 1955 sank der operative Reingewinn mit deutlich unter drei Prozent in einen Bereich, der das Überleben der einzelnen Händler gefährdete. Diese Entwicklung begründete den in Kapitel 4 diskutierten Strukturwandel. Das Interesse des Fernsehgeräte-Fachhandels an der Verfolgung von Preisdiskriminierungsfällen hatte sich in der ersten Hälfte der 1950er Jahre in Grenzen gehalten. Dass nicht alle Groß- und Einzelhändler die gleichen Preise zahlten, war kein Geheimnis und in Zeiten relativ stabiler Endverbraucherpreise auch kein Problem.83 Mit den sinkenden Profiten seit Mitte der 1950er Jahre änderte sich die Wahrnehmung. Der Facheinzelhandel sah sich nun einerseits gefährdet und schutzbedürftig, wurde sich aber andererseits auch verstärkt seiner eigenen Rolle als Käufer bewusst. In diesem Zuge widmete er dem Robinson-Patman Act seine Aufmerksamkeit.84 Ein Kolumnist der Electrical Merchandising stellte 1955 fest: „If all retailers had paid the same prices, I doubt if the growth of discount houses would have been as rapid as it has been.“85 Auch viele Großhändler, die wussten, dass die traditionellen Facheinzelhändler sensibel auf das Problem der Preisdiskriminierung reagierten, äußerten sich ihr gegenüber kritisch.86 In diese Zeit einer dramatischen preispolitischen Zäsur, einer neuen Problemwahrnehmung und eines einsetzenden Strukturwandels im Einzelhandel fiel das Vorgehen der Federal Trade Commission gegen den Hersteller Admiral.87
Wages, Vehicle Expense, Occupancy Expense, Advertising Expense, Bad Dept Losses, All other = Net Operating Profit. 83 Die Frage der Preisdiskriminierung nahm in Diskussionen zur Antitrust-Politik und selbst ökonomischen Standardwerken der 1940er und 1950er Jahre breiten Raum ein: Kaysen/Turner, Antitrust, S. 179–188; Bain, Joe S. (1949): Pricing, Distribution, and Employment. Economics of an enterprise system. New York, NY, S. 400–437. 84 Siehe: New Light on Pricing. In: Electrical Merchandising, Mai 1956, S. 178; Can the Whirlpool Dealer Compete with Sears? In: Electrical Merchandising, September 1958, S. 82; You Can Buy as Well as a Discounter? In: Electrical Merchandising, Dezember 1958, S. 41; Will U.S. Crack Down on „Unfair“ Pricing? In: Electrical Merchandising Week, 25. Januar, 1960, S. 1; When Are Price Cuts Illegal? In: Electrical Merchandising Week, 30. Oktober, 1961, S. 4; Wray, Laurence: Robinson-Patman Needs Revision. In: Electrical Merchandising Week, 20. November, 1961, S. 13. 85 Farr, Mort: We Have a Right to Compete – I. In: Electrical Merchandising, September 1955, S. 25. 86 Ein Großhändler in New York, der Geräte für Crosley and Bendix an fast 800 Einzelhändler vertrieb, gab an, er betreibe keine Preisdiskriminierung, weil er auf Einzelhändler vertraue „that will stick by him over the long haul“. Richards, John A.: How Gerry Kaye Does It. In: Electrical Merchandising, August 1956, S. 59. Siehe auch: Four Ways a Distributor Protects His Dealers. In: Electrical Merchandising Week, 19. März, 1962, S. 7. 87 Admiral blieb auch nicht das einzige Unternehmen im Markt für Fernsehgeräte, das von einer Anklage der Federal Trade Commission betroffen war. Ende der 1950er Jahre klagte die Federal Trade Commission einen Großhändler der RCA an. Zwischen 1960 und 1965 musste sich
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Die Preislisten, die für das Verfahren zusammengetragen wurden, zeigten eine Ungleichbehandlung Admirals gegenüber seinen Abnehmern. Wie die Anklage zeigen konnte, verfügten die Vertriebsstellen nicht über eine einheitliche Preisliste für alle Einzelhändler, sondern über verschiedene Preislisten mit abweichenden Preisen. Admiral gab allerdings von Anfang an zu, unterschiedliche Preise von den Einzelhändlern gefordert zu haben. Das Unternehmen berief sich auf Einschränkungen, die der Robinson-Patman Act bei seinem Verbot der Preisdiskriminierung machte. Die unterschiedlichen Preise seien durch Kosteneinsparungen beim Absatz und durch eine Anpassung an die Wettbewerbsverhältnisse rechtens. Bei dieser Interpretation blieb das Unternehmen auch, nachdem der Hearing Examiner ein Fehlverhalten Admirals bestätigt hatte. Es kam zu einer Anhörung. Eine fünfköpfige Kommission der Federal Trade Commission musste klären, ob die Diskriminierung Admirals durch Kosteneinsparungen gerechtfertigt war, ob sie systematisch war und ob sie bezogen auf die Wettbewerbsstrukturen bedeutsam war. Keine der Fragen war bei näherer Betrachtung einfach zu beantworten. Allein für die im Auftrag Admirals durchgeführte Kostenstudie musste das Unternehmen nach eigenen Angaben 80.000 US-Dollar zahlen.88 Die Studie kam zwar zu dem Ergebnis, dass die durchschnittlichen Preisnachlässe gegenüber den bevorzugten Großabnehmern durch Kosteneinsparungen mehr als aufgewogen wurden.89 Für das Verfahren hatte die Studie aber keine Relevanz, weil sie sich nur auf den New Yorker Raum bezog und daher keine für alle Bereiche der Anklage gültige Reichweite hatte. Das war durchaus typisch für die Probleme, die Verteidigungsstrategien auf Basis der „Cost Justification“ bis dahin gehabt hatten. In den zwanzig Jahren zwischen 1936 und 1956 gab es nur zwei Fälle, in denen ein Unternehmen eine Klage erfolgreich auf Grundlage dieser Klausel
ein Großhändler des Geräte-Herstellers Emerson wegen ähnlicher Vorwürfe rechtfertigen. Siehe: Hamburg Bros, Inc. In: Federal Trade Commission Decisions. Findings, Orders, and Stipulations, July 1, 1957 to June 30, 1958 (Vol. 54. 1960), S. 1450–1453 und Emerson Radio Associates, Inc. In: Federal Trade Commission Decisions. Findings, Orders, and Stipulations, January 1, 1965 to June 30, 1965 (Vol. 67. 1970), S. 978–981. 88 Initial Decision. September 12, 1963, S. 31. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 85, Folder 1.2. 89 Nach der Berechnung 2,79 Prozent gegenüber 7,4082 Prozent. Für die komplexe Aufschlüsselung, siehe: S.D. Leidesdorf: Admiral Corp. – Metropolitan Division. Revised Allocation of Operating Expenses to FTC Selected Sales, March 30, 1962, S. 2. In: In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 91, Folder 1.6.
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abgewehrt hatte.90 Der zweite und dritte Aspekt der Fragen – die Systematik der Diskriminierung und ihre Wettbewerbsfolgen – waren dagegen für das Verfahren von größerer Bedeutung. In allen drei untersuchten Vertriebsstellen verfügten die Mitarbeiter im Außendienst über mehrere Preislisten, die sie den Einzelhändlern nach einer zuvor vorgenommenen Kategorisierung zukommen ließen. In Milwaukee beispielsweise zahlten „AD“-Händler für ein- und dasselbe TV-Modell 136,75 US-Dollar, „Key“-Dealers 143,20 US-Dollar, „M“-Dealers 145 US-Dollar und „D“-Dealers 148,70 US-Dollar.91 In Washington teilte die Vertriebsstelle ihre 150 Einzelhändler in sechs verschiedene Kategorien ein, deren Preise sich bis zu 6,7 Prozent unterschieden.92 In New York, wo Admiral die mit Abstand größte Vertriebsstelle betrieb, gab es drei Preiskategorien: „Agency“, „Franchise“ und „AAA“. Unter die erste Kategorie fielen Gelegenheitskäufe. Diese Kategorie galt dann, wenn ein Kunde, der normalerweise keine Admiral-Geräte führte, ein spezielles Modell nachfragte. Die zweite Kategorie an Händlern unterhielt dagegen mit Admiral ein längerfristiges Franchiseverhältnis. Das Vertragsverhältnis berechtigte die Händler dazu, Admiral-Geräte zu verkaufen und wies sie offiziell als „Admiral-Händler“ aus. Als „Eintrittskarte“ in das Vertragsverhältnis mussten die Händler dem Hersteller eine größere Menge an Geräten abnehmen.93 Um als „AAA“-Händler zu gelten mussten die Mengen besonders hoch sein. Solche Händler bezogen fast ausschließlich sogenannte „Carload Shipments“. Das waren große, einmalige Lieferungen, die teilweise direkt aus der Fabrik bezogen wurden. Von der Kategorie „AAA“ gab es in New York in den späten 1950er Jahren nur 15 Händler, die allerdings jeweils mehrere Filia-
90 New Light on Pricing. In: Electrical Merchandising, Mai 1956, S. 178. Das hieß aber nicht, dass die meisten Unternehmen für schuldig befunden worden wären. Sie beriefen sich in den meisten Fällen auf andere Möglichkeiten der Verteidigung, etwa darauf, dass sie lediglich in gutem Glauben ihre Preise an die Bedingungen des Wettbewerbs angepasst hätten. Siehe: Wray, Laurence: Robinson-Patman Needs Revision. In: Electrical Merchandising Week, 20. November, 1961, S. 13. 91 Initial Decision. September 12, 1963, S. 21. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 85, Folder 1.2. 92 Für Informationen zur Vertriebsstelle in Washington, siehe: Aussage Lisee. Offical Transcript of Proceedings (Pages 497–685). Nov. 24, 1958, S. 515 u. 527. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 85, Folder 2.1. 93 Bob Howard to All Salesmen. Subject: Admiral Television Profit Sharing Plan 1956. December 27, 1955 (Exhibit No. 115A). In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 88, Folder 1.1. Die über die Preislisten festgelegten Preiseinsparungen zwischen „Franchise“ und „Agency“ betrugen etwa zwei bis drei US-Dollar pro Gerät, was um die 1–3 Prozent Preisdifferenz ausmachte. Siehe: Dealer Bulletin #128. July 24, 1956 (Exhibit No. 112). In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 88, Folder 1.4.
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len betrieben. Dazu zählten die Ketten Davega, Vim, Klein’s, Masters, Korvette’s und Friendly Frost. Die Händler, die in die AAA-Kategorie fielen, erhielten auch bei geringeren Abgabemengen günstigere Preise. Während der AAA-Listenpreis für das TV-Modell T18A1 90 US-Dollar betrug, musste ein „Franchise“-Händler 112 US-Dollar und ein „Agency“-Händler 115 US-Dollar zahlen.94 Die Existenz verschiedener Preislisten war den jeweils betroffenen Einzelhändlern häufig gar nicht bewusst. „They thought, as most dealers do, I suppose, that they had the best price“95, stellte der Ankläger im Laufe des Verfahrens fest. Was die Anklage im Laufe des Verfahrens aber ebenfalls feststellen musste, war, dass die Preislisten für die tatsächlich gezahlten Preise faktisch kaum Bedeutung hatten. Der Grund dafür war eine komplexe Vielfalt an Sonderrabatten und Prämienzahlungen. In ihrem abschließenden Urteil sprach die Kommission den Preislisten jede Beweiskraft ab: „The net prices to the various customers were so complicated and modified by a confusing welter of deals and discounts as to make respondent’s price lists almost useless.“96 Die „Deals and Discounts“, die in dem Urteil angesprochen wurden, machten eine Systematisierung der betriebenen Preispolitik Admirals unmöglich. Mit den „Deals“ waren relativ spontane preispolitische Maßnahmen gemeint. Darunter fielen Anpassungen an neue Wettbewerbsbedingungen, Reaktionen auf Absatzprobleme und Forderungen des Einzelhandels oder auch schlichtweg willkürliche Aktionen der Leiter der Vertriebsstellen. Einen nachvollziehbaren Sinn konnte die Kommission auch retrospektiv in den „Deals“ nicht erkennen.97 Der Hearing Examiner ließ sich zu der Aussage
94 Initial Decision, September 12, 1963, S. 23. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 85, Folder 1.2. 95 Official Transcript of Proceedings before the Federal Trade Commission (Pages 1–65). March 12, 1964, S. 58. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 84, Folder 1.1. Siehe auch: Aussage Rothman. Offical Transcript of Proceedings (Pages 1191–1306). Feb. 11, 1959, S. 1240. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 86, Folder 2.2 und Official Transcript of Proceedings before the Federal Trade Commission (Pages 1–62). December 15, 1964, S. 46. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 85, Folder 1.2. Für alle Einzelhändler traf diese Einschätzung allerdings nicht zu. Ein kleiner Einzelhändler aus Milwaukee behauptete, von den Preisunterschieden gewusst zu haben, obwohl er nie eine Rechnung des Konkurrenten gesehen hatte. Auf die Frage, woher er dies dann wisse, antwortete er: „Through the grapevine. Q: And what is the grapevine? A: Well, it is among the dealers.“ Aussage Kraft. Official Transcript of Proceedings (Pages 2426–2501). July 7, 1960, S. 2438. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 87, Folder 2.4. 96 Opinion of the Commission. April 7, 1965, S. 9 (Fn. 2). In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 84, Folder 1.1. 97 Initial Decision. September 12, 1963, S. 22. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 85, Folder 1.2.
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hinreißen: „Whose fertile brain dreamed up this thing, this is a messy pricing system.“98 Dias hatte selbst eingeräumt: „It sounded like there was no rhyme or reason to it.“99 Meistens waren die Angebote darüber hinaus mit besonderen Formen von Preisnachlässen, den „Discounts“, kombiniert. Die Discounts verliehen der Preisstruktur nicht nur eine zusätzliche Dynamik, sondern machten sie auch undurchsichtig. Ein Beispiel dafür waren Angebote, bei denen Admiral die Preisnachlässe offiziell mit bestimmten Forderungen verknüpfte, sogenannte „Promotional Allowances“. Diese Sonderaktionen wurden entweder durch die Unternehmensleitung oder durch die Vertriebsstellen in unregelmäßigen Abständen initiiert. Beispielsweise gewährte Admiral den Einzelhändlern bei der Einführung der Portables 1956 einen Preisnachlass, wenn sie die Admiral-Geräte in ihre Schaufenster stellten.100 Allerdings änderte sich nicht der Preis der Geräte, den die Vertriebsstelle von den Händlern forderte. Stattdessen erhielten die Händler in Abhängigkeit der Anzahl der Geräte, die sie in die Schaufenster stellten, rückwirkend Geld.101 Eine besondere Form der finanziellen Zuwendung waren die „Co-operative Advertising Allowances“. Die „Co-Op“-Gelder bezeichneten Zuschüsse für Werbung, die Einzelhändler in ihrem eigenen Namen schalteten. Diese spezielle Werbefinanzierung spielte auch bei allen anderen Herstellern und den meisten Großhändlern eine wichtige Rolle für das Verhältnis zu ihren Abnehmern.102 Die Aktionen bildeten eine Ergänzung der von den Herstellern zentral und im nationalen Rahmen betriebenen Werbekampagnen und machten einer Schätzung Anfang der 1960er Jahre zu Folge etwa ein Drittel des Werbebudgets der Hersteller aus.103 Sie waren lokal auf den Einflussbereich der Händler begrenzt und wurden von diesen auch individuell gestaltet und bei den Tageszeitungen und Radioanstalten in Auftrag gegeben.
98 Aussage Dias. Official Transcript of Proceedings before the Federal Trade Commission (Pages 1–65). March 12, 1964, S. 37. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 84, Folder 1.1. 99 Official Transcript of Proceedings before the Federal Trade Commission (Pages 1–65). March 12, 1964, S. 12. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 84, Folder 1.1. 100 Offical Transcript of Proceedings (Pages 9–123). October 6, 1958, S. 104. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 85, Folder 2.1. 101 Wer beispielsweise zwischen 13 und 25 Geräte für zwei Wochen ins Schaufenster stellte, erhielt pro Gerät $ 4. Davon zahlte der Großhändler $ 1.50 und die Fabrik $ 2.50. Siehe: Admiral Advertising Sales Promotion. Bulletin No. 1053. July 31, 1956 (Exhibit No. 63A). In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 88, Folder 1.1. 102 Oxenfeldt, Marketing, S. 61; Opinion File: Co-Op. The Partnership That Perplexes. In: Merchandising Week, Mai 1976, S. 12. 103 Oxenfeldt, Marketing, S. 68.
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Offiziell erforderte der Erhalt der „Promotional Allowances“ die Leistung bestimmter Dienstleistungen.104 Faktisch mussten diese Leistungen, wie das Verfahren zeigte, aber nur selten erbracht werden. Sie hatten lediglich den Zweck, faktische Preisreduzierungen zu verdecken.105 Leistungen, die aus dem Co-OpFond bezogen wurden, mussten zwar normalerweise erbracht werden, waren aber ähnlich geeignet, die Preisstruktur aufrecht zu erhalten. „If co-op allowances were dropped“, stellte die Merchandising Week noch Mitte der 1970er Jahre fest, „some discounter stores would simply pass along the savings to the consumer and force retail prices and margins down.“106 Ein anderes Beispiel für die „Discounts“ waren Prämien in Form materieller Zusatzgaben bei dem Kauf einer bestimmten Menge an Fernsehgeräten. Die Zusatzgaben waren finanzielle Anreize für den Händler, die den für die Fernsehgeräte gezahlten Preis aber nicht veränderten. Sie wurden vor allem den kleineren Facheinzelhändlern angeboten. Wer beispielsweise in New York als Einzelhändler Admirals die Bedingungen einer bestimmten Mindestabnahme erfüllte, konnte sich als kostenlose Zusatzgabe mit Uhren, Truthähnen und Whiskey eindecken oder eine Reise in das berühmte Grossinger’s Resort Hotel in den Catskill Mountains antreten.107 Prämien spielten in nahezu allen Unternehmen der Fernsehgeräteindustrie auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette eine zentrale Rolle. Sie wurden – teilweise sogar hinter dem Rücken der Inhaber der einzelnen Unternehmen – auch dem Verkaufspersonal angeboten.108 Die Einzelhändler reisten auf Kosten ihrer Zulieferer nach Florida, New York, Paris, Rom, Acapulco, Bermuda, Havanna, Hollywood Beach, Virgin Islands, French Riviera und viele andere Orte. „The list is bounded only by a travel agent’s imagination“109, äußerte sich der Herausgeber der Electrical Merchandising, nachdem er mit 240 Einzel- und Großhändlern auf
104 Offical Transcript of Proceedings (Pages 353–452). October 15, 1958, S. 372. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 85, Folder 2.1. 105 Initial Decision, September 12, 1963, S. 24. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 85, Folder 1.2. Siehe auch: Offical Transcript of Proceedings (Pages 190–352). October 14, 1958, S. 333. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 85, Folder 2.1. und Offical Transcript of Proceedings (Pages 353–452). October 15, 1958, S. 369. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 85, Folder 2.1. 106 Opinion File: Co-Op. The Partnership That Perplexes. In: Merchandising Week, Mai 1976, S. 12. 107 Official Transcript of Proceedings (Pages 1529–1586). November 17, 1959, S. 1575. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 87, Folder 2.3. 108 Spiffs. Selling Tool…Or Bribe? In: Electrical Merchandising Week, 10. April, 1961, S. 6; Are Spiffs Payola? …Is Switching Illegal? In: Electrical Merchandising Week, 15. Dezember, 1959, S. 1. 109 Wray, Laurence: Travel, Unlimited. In: Electrical Merchandising, Dezember 1954, S. 132.
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Einladung von Westinghouse eine Woche in Las Vergas verbracht hatte. Die Führungskraft eines Fernsehgeräteherstellers äußerte gegenüber Oxenfeldt leicht abfällig: „Today’s appliance dealers are the best traveled class of businessmen in the United States.“110 Der Herausgeber der Electrical Merchandising sah die Anreize dagegen als einen wesentlichen Teil des Spiels: „Incentives are the tinder that ignites the sales fire […] There is that curious quirk in human nature that puts some things above dollars.“111 Die Ankläger der Federal Trade Commission sahen die verbreitete Praxis, den Einzelhändlern statt Preisnachlässen Prämien anzubieten, dagegen kritisch: „We don’t agree“, so Dias, „that if a non-favored customer pays $ 105.00 for a television, but gets himself a ham or a bottle of whiskey, that is worth $ 5.00, that he in effect is paying the similar hundred dollars that the favored customer is paying.“112 Die Bewertung der „Preisnachlässe“ war ein wesentlicher Streitpunkt. Nicht nur Anklage und Verteidigung waren hier gegensätzlicher Meinung. Auch innerhalb der Kommission kam es zu einer Spaltung. Philip Elman erkannte den zusätzlichen Nutzen einer kostenlosen Zugabe an. Paul Rand Dixon, der seit 1961 den Vorsitz der Federal Trade Commission innehatte, sah die Sache dagegen ähnlich kritisch wie Dias. Der Händler kaufe und verkaufe Fernsehgeräte, so Dixon, und nicht Whiskey.113 Die nächste von der Kommission zu klärende Frage war, ob die Preisdiskriminierung Admirals signifikante Auswirkungen auf den Wettbewerb der Einzelhändler untereinander hatte. Das war eine komplexe Frage, weil dabei auch die spezifische Rolle Admirals berücksichtigt werden musste. Die Kommission musste die Frage klären, ob Admiral als Anbieter überhaupt in der Lage war, mit seinem Verhalten den Wettbewerb auf Einzelhandelsebene substanziell zu beeinflussen. Die Anhörungen zeigen, dass die Kommission weder eine einheitliche Wettbewerbstheorie zu Grunde legte noch irgendwelche feststehenden Maß-
110 Oxenfeldt, Marketing, S. 166. Ein Händler aus Kentucky kam 1953 zu dem Schluss, dass diese Anreizsetzung auch auf Konsumenten-Ebene funktionieren sollte. Er verloste einen Trip nach Florida. Siehe: TV Prospects Like Free Trips, Too. In: Electrical Merchandising, September 1953, S. 90. 111 Wray, Laurence: Travel, Unlimited. In: Electrical Merchandising, Dezember 1954, S. 132. Als einigermaßen perfide galt dagegen die Einbeziehung der Familie in solche Prämien. So gab es etwa das Wochenende für zwei Personen auf den Bermudas im Angebot, das den innerhäuslichen Druck auf die Einzelhändler erhöhte. Siehe dazu: Oxenfeldt, Marketing, S. 168. 112 Official Transcript of Proceedings before the Federal Trade Commission (Pages 1–65). March 12, 1964, S. 37. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 84, Folder 1.1. 113 Official Transcript of Proceedings before the Federal Trade Commission (Pages 1–62). December 15, 1964, S. 40–41. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 85, Folder 1.2.
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stäbe anlegte. Fragen nach den Marktanteilen der verschiedenen Hersteller oder nach der Bedeutung des Wettbewerbs auf Herstellerebene wurden zwar gestellt, konnten aber weder von Dias noch von Melville beantwortet werden.114 Auch wie die ständig wechselnde Preispolitik Admirals und die exotischen Preis-Deals eigentlich zu bewerten seien, war der Kommission nicht klar: „It may reflect the most vigorous, keen, rough competition of a sort we ought to be encouraging“115, stellte Elman an einer Stelle des Verfahrens unsicher fest. In ihrem vorläufigen Urteil kam die Kommission bezüglich der Frage, ob die Einzelhändler von Admiral-Geräten miteinander konkurrierten, dennoch zu einem eindeutigen Ergebnis: „There is a considerable amount of testimony in this record that competition at the retail level in each of the three trade areas in the sale of respondent’s products was extremely keen and rough and that price was the most important factor in connection with the retail sale of Admiral products.“116 Diese Einschätzung wurde vor allem durch die Aussagen verschiedener Einzelhändler begründet, dass Konsumenten auch bei geringen Preisunterschieden zur Konkurrenz wechseln würden. Selbst kleine Preisunterschiede von 15, 25 oder 50 Cent seien in der Lage gewesen, einen Konsumenten zum Kauf bei einem anderen Händler zu bewegen.117 Ein wichtiger Punkt des Verfahrens war, dass Admiral keine Einzelhändler belieferte, die ausschließlich Admiral-Produkte, sondern immer auch weitere Marken führten.118 Die Verteidigung interpretierte diese Situation als Machtressource der Einzelhändler, die bei einer übermäßigen Diskriminierung durch Admiral immer den Anbieter wechseln könnten. Das lag daran, dass Admiral keine sonderlich begehrte Marke war: Die Verteidigung Admirals stellte fest: „Admirals are just like potatoes in a bag, when you take Philco and Emerson. In television you take RCA, that is a demand item. People come in and ask for that. This has a public demand. But Admiral doesn’t.“119 Die Verteidigung sah darin eine automatische Kontrolle ihrer Preisdiskriminierung, da das Unterneh-
114 Official Transcript of Proceedings before the Federal Trade Commission (Pages 1–65). March 12, 1964, S. 45. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 84, Folder 1.1. 115 Ebd., S. 47. 116 Initial Decision. September 12, 1963, S. 27. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 85, Folder 1.2. 117 Initial Decision. September 12, 1963, S. 27. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 85 Folder 1.2. 118 Official Transcript of Proceedings before the Federal Trade Commission (Pages 1–65). March 12, 1964, S. 15. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 84, Folder 1.1. 119 Aussage Williams. Official Transcript of Proceedings before the Federal Trade Commission (Pages 1–65). March 12, 1964, S. 63. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 84, Folder 1.1.
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men ansonsten vom Markt verschwinde. Diese Einschätzung wurde von anderen Zeugen bestätigt.120 Admiral war, so der Einkäufer der Sunset Apliances Stores, eine „Push Number. You would have to push it to sell it.“121 Zusammenfassend brachte das Verfahren die beiden Erkenntnisse, dass der Wettbewerb zwischen den Einzelhändlern preisintensiv und die Preispolitik Admirals undurchsichtig war. Es ist wichtig, diese beiden Aspekte der Preisbildung im Markt für Fernsehgeräte im Zusammenhang zu sehen. Die von Admiral gewährten Prämien hatten den Zweck, den Preiswettbewerb zwischen den Händlern dadurch zu entschärfen, dass sie auf eine – zumindest oberflächlich – intakt bleibende Preisstruktur setzten. Das belegen die Aussagen der verschiedenen Akteure. Auch die Kommission kam in ihrer Einschätzung zu diesem Ergebnis.122 Wenn ein Händler durch einen zusätzlichen Truthahn oder eine Flasche Whiskey gegenüber einem anderen Händler besser gestellt wurde, konnte er diese Diskriminierung zumindest preispolitisch nicht nutzen. Innerhalb eines funktionierenden Preislistensystems wurde diese Art unternehmerischer Preispolitik vom traditionellen Facheinzelhandel deshalb positiv gesehen. Die Verschleierung war intendiert und von allen Akteuren entlang der Wertschöpfungskette mit Ausnahme des Konsumenten befürwortet. Das Verfahren konnte aber auch zeigen, dass Mitte der 1950er Jahre längst nicht mehr alle Einzelhändler über die Truthähne begeistert waren. Angesichts eines intensiven Preiswettbewerbs auf Einzelhandelsebene machten es ihnen die Prämien schwer, in einen Preiswettbewerb mit den größeren Händlern zu treten.123 Die großen Discounter mit ihren vergleichsweise bürokratischen Struk-
120 Der Käufer der Kaufhauskette Macy’s antwortete auf die Frage, ob irgendetwas an den Admiral-Geräten einzigartig gewesen sei, mit einem schlichten „Nein“. Sowohl Zenith, Emerson, Philco, Sylvania, Motorola und möglicherweise noch eine Reihe anderer Geräte hätten als Substitute für Admiral gelten können. Aussage Dunlevy. Official Transcript of Proceedings (Pages 1744–1872). February 17, 1960, S. 1751. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 87, Folder 2.3. Siehe auch: Aussage Perloff. Official Transcript of Proceedings (Pages 2597–2769). September 20, 1960, S. 2699. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 87, Folder 2.4. 121 Aussage Sobel. Official Transcript of Proceedings (Pages 1744–1872). February 17, 1960, S. 1851. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 87, Folder 2.3. Mit Ausnahme von RCA habe dies aber für alle Anbieter gegolten. 122 Initial Decision. September 12, 1963, S. 24. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 85, Folder 1.2. Siehe auch: Aussage Hebenstreit. Offical Transcript of Proceedings (Pages 190–352). Oct. 14, 1958, S. 199. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 85, Folder 2.1. 123 Ein kleinerer Einzelhändler aus New York gab an: „I remember one argument I had with Berliner (an Admiral Salesman, ST) after I got involved with some package-deal with liquor and turkey at Christmastime, and I still had the sets in march and april, and I said I can’t sell the sets because they are too high and Sid Berliner said, ‘What about the turkey and the liquor?‘ and I
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turen konnten als Abnehmer der Admiral-Geräte nur durch Preisnachlässe, nicht aber durch Geflügel und Alkohol überzeugt werden. Eine zunächst vorteilhafte unternehmerische Preispolitik, die im Kontext des Preislistensystems die Stabilität der Preise auf Einzelhandelsebene gesichert hatte, stellte sich angesichts des Strukturwandels auf Einzelhandelsebene nun plötzlich als nachteilig dar. Für die Federal Trade Commission war die Bewertung der strukturellen Veränderungen nicht einfach. Einerseits erkannte sie die Gefahren, die für die Einzelhändler in der Preisdiskriminierung Admirals lagen. Andererseits sprachen auch viele Gründe für einen Freispruch: erstens war offensichtlich, dass Admiral kein marktstarkes Unternehmen war, dem die Einzelhändler auf Gedeih und Verderb ausgeliefert waren. Zweitens war systematisch kaum nachweisbar, in welcher Weise die vielschichtige Preispolitik des Unternehmens den Wettbewerb auf Einzelhandelsebene konkret beeinflusste. In einem ersten Urteil von 1963 erklärte die Kommission Admiral in beiden Punkten der Anklage für schuldig.124 In einem abschließenden Urteil, das nach einer Berufung Admirals und dem Tod des ersten Hearing Examiners erst 1965 verfasst wurde, sprach die Federal Trade Commission Admiral dagegen frei. Der erste Grund dafür war eine neue Rechtsauslegung des Supreme Courts. Dieser erkannte nun auch bei diskriminierenden Werbezuschüssen die Anpassung an das Wettbewerbsverhalten der Konkurrenten als legitime Verteidigungsstrategie an.125 Der zweite Grund bezog sich auf das Fehlen wesentlicher Informationen. Das Verfahren hatte zwar eine Reihe von diskriminierenden Beispielen zu Tage gefördert, eine systematische und dauerhafte Diskriminierung einzelner Abnehmer hatten die Ankläger aber aus Sicht der Kommission nicht nachweisen können. In ihrem abschließenden Urteil hieß es: „No clear pattern of preferential treatment emerges from an examination of isolated transactions.“126 Im selben Jahr wurde auch ein Urteil, das gegen einen Großhändler von Emerson auf einer vergleichbaren Grundlage verhängt worden war, wieder aufgehoben.127
told him that I could not use that instead of profit.“ Aussage Berg. Official Transcript of Proceedings (Pages 1529–1586). November 17, 1959, S. 1571–1572. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 87, Folder 2.3. 124 Initial Decision. September 12, 1963, S. 27. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 85, Folder 1.2. 125 Opinion of the Commission. April 7, 1965, S. 3. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 84, Folder 1.1. 126 Opinion of the Commission. April 7, 1965, S. 11. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 84, Folder 1.1. 127 Emerson Radio Associates, Inc. In: Federal Trade Commission Decisions. Findings, Orders, and Stipulations, January 1, 1965 to June 30, 1965 (Vol. 67. 1970), S. 978–981.
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6.1.3 Goldener Käfig. Magnavox und die vertikale Preisbindung Der zweite Fall ist die Geschichte des Fernsehgeräteherstellers Magnavox. Das Unternehmen ging auf ein 1911 gegründetes Forschungslaboratorium zurück. Dort wurden grundlegende Erfindungen im Bereich frei schwebender Spulen für den Bau von Lautsprechern gemacht. Das 1917 gegründete Unternehmen Magnavox diente zunächst der Vermarktung der entwickelten Lautsprecher. In den 1920er Jahren stieg Magnavox zu einem der größten Lautsprecherhersteller der Welt auf. In den 1930er Jahren weitete Magnavox seine Produktion auf Radios und Schallplattenspieler aus. Später kamen als qualitativ hochwertig geltende Fernsehgeräte hinzu. Zwischen 1946 und 1956 nahm die Zahl der Beschäftigten von rund 2.000 auf rund 5.700 zu. Fernsehgeräte machten zu diesem Zeitpunkt etwa die Hälfte des Umsatzes von Magnavox aus. Das Elektrounternehmen profitierte zudem als Auftragnehmer der amerikanischen Verteidigungsindustrie.128 Ende der 1950er Jahre betrug der Marktanteil von Magnavox bei Schwarz-WeißFernsehgeräten etwa vier Prozent. Der Hersteller war innerhalb der Fernsehgeräteindustrie also zunächst ein vergleichsweise kleines Unternehmen, galt aber aus Sicht der Einzelhändler als extrem profitabel. Der Grund dafür waren die exklusiven Franchise-Beziehungen des Unternehmens, die im Folgenden zu diskutieren sind. Im Jahr 1964 wandte sich eine Gruppe von Magnavox-Einzelhändlern an die Federal Trade Commission mit dem Hinweis, dass ihre Verkaufspreise von Magnavox-Handelsvertretern überwacht würden. Bei Nichteinhaltung der von Magnavox vorgegebenen Listenpreise werde mit der Kündigung des FranchiseVertrages gedroht. Auch in Staaten, in denen es keine Fair Trade-Gesetze gebe, fordere Magnavox selbst von Discountern die Einhaltung der Listenpreise.129 Im
128 Geist, Manfred (1960): Rationelle Absatzpolitik. Dargestellt am Beispiel der Magnavox Company, S. 43–59. In: Betriebsführung und Fortbildung. Schriftenreihe des Rationalisierungs-Kuratoriums der Deutschen Wirtschaft (Band 4.). Frankfurt am Main. 129 Federal Trade Commission. Docketed Case Files. Magnavox Investigation. Docket 8822, Folder 4–1, S. 17 (im Folgenden: FTC/Magnavox, File 8822–4–1); zit. nach: Goldberg, Victor P. (1981/1982): Resale Price Maintenance and the FTC. The Magnavox investigation. In: William & Mary Law Review, S. 439–500. Hier S. 445. Hinweis: Der von der Federal Trade Commission archivierte Magnavox-Fall war zum Zeitpunkt der Untersuchung noch nicht an die National Archives transferiert. Bei der Federal Trade Commission konnte lediglich der Ordner mit der Signatur 8822–1–2 gesichtet werden. Die anderen Ordner sind derzeit verschollen. Für die weiteren Dokumente zu dem Fall musste deshalb auf die Arbeit Victor Goldbergs zurückgegriffen werden. Goldberg hatte Anfang der 1980er Jahre Möglichkeit, die gesammelten Dokumente zu sichten. Goldberg zitiert ausführlich, ist aber nachläs-
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Jahr 1966 setzte die Federal Trade Commission eine Untersuchung in Gang, die klären sollte, ob die Anschuldigungen zutrafen und ob Verletzungen des Robinson-Patman Acts oder illegale Preisbindungen vorlagen. Im Jahr 1970 wurde eine offizielle Beschwerde verfasst, die Magnavox beschuldigte, gegenüber seinen Abnehmern unzulässige Druckmittel auszuüben.130 Im Kern ging es bei dem Verfahren um die Auswirkungen, die das von Magnavox betriebene System der vertikalen Preisbindung auf den Wettbewerb der Einzelhändler hatte. Die vertikale Preisbindung war im Markt für Fernsehgeräte in den 1950er und 1960er Jahren keine Seltenheit. Wie viele Fernsehgeräte genau in den USA der vertikalen Preisbindung unterlagen, ist aus zwei Gründen aber kaum möglich zu bestimmen. Erstens gab es in den USA keine zentrale Stelle, bei der Preisbindungen angemeldet werden mussten. Zweitens wurden die Preisbindungen zwar von den Herstellern mitgetragen, vertraglich aber meist von den regionalen Großhändlern und Vertriebsstellen durchgesetzt und überprüft.131 Das galt zumindest für die sogenannten Mindestpreise, die über das System der Preisbindung ebenso gesichert werden konnten wie der genau vorgegebene Endverbraucherpreis. Die Verlagerung der Preisbindung auf die Großhandelsebene lag zum einen an der stark durch den Großhandel geprägten Distributionsstruktur und zum anderen daran, dass die Fair Trade-Gesetze nicht in allen Staaten Gültigkeit hatten.132 Trotz ihrer regional begrenzten Verbreitung waren die Fair Trade-Gesetze eines der am heftigsten diskutierten Streitthemen im Bereich langlebiger Gebrauchsgüter.133 Mit dem Zerfall des Preislistensystems in den 1950er Jahren schien es den Herstellern zunehmend schwieriger zu fallen, die auf Einzelhandelsebene geforderten Preise zu kontrollieren. GE hob die Preisbindung für große Elektrogeräte (major appliances) auf. Westinghouse verabschiedete sich eben-
sig bezüglich der genauen Quellenangaben. Teilweise findet sich daher lediglich die Signatur als Quellenbeleg. 130 Staff Recommendation. December 1969, S. 113–14. In: FTC/Magnavox, File 8822–4–1; zit. nach Goldberg, Resale, S. 443. 131 Oxenfeldt, Marketing, S. 158–160. Einer Studie der frühen 1950er Jahre zu Folge wandte die Hälfte der 100 Unternehmen mit dem größten Werbeetat in den USA für mindestens eines ihrer Produkte die Preisbindung an. GE wandte sie für die meisten Produkte an. Siehe: Bowman, Prerequisites, S. 834. 132 Is Fair Trade Dying? In: Electrical Merchandising, April 1955, S. 215; Fair Trade Is Not Enough. In: Electrical Merchandising, Juni 1954, S. 138; Fair Trade Decisions Reached. In: Electrical Merchandising, Juni 1956, S. 158; Will Fair Trade Go National or Fade? In: Electrical Merchandising Week, 1. Mai, 1972, S. 1; Congress Mai Kill Fair Trade Next Year. In: Electrical Merchandising Week, 25. November, 1974, S. 1. 133 Wray, Laurence: Fair Trade. In: Electrical Merchandising, Mai 1955, S. 220. „Fair Trade has been a problem area throughout most of the life of TV.“ Bell, Maturing, S. 14.
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falls von der Fair Trade Idee. Die Business Week kommentierte: „Both actions point up the difficulty manufacturers face when they try to reconcile the conditions brought about by today’s mass-production and mass-distribution with the older idea of selective, franchised distribution. Manufacturers, in pumping out a steady stream of goods, can no longer offer dealers protection.“134 Seit Anfang der 1960er Jahre nahm die Verbreitung der Preisbindung in einzelnen Staaten wie New York und Kalifornien allerdings wieder zu.135 1961 ging GE wie schon zuvor Motorola dazu über, die eigenen Geräte im New Yorker Raum ausschließlich über ein streng bewachtes Fair Trade-Programm zu vertreiben. Andere Hersteller, wie Admiral, Westinghouse, Philco und später Sony folgten.136 Fair Trade-Programme sendeten ein starkes Signal an die traditionellen Einzelhändler und ihr Verkaufspersonal. Sie sicherten sich durch das Versprechen eines abgemilderten Preiswettbewerbs und hoher Profite die Loyalität des Einzelhandels. „The certainty of a guaranteed price fills the salesman with a desire to really sell product and service to the consumer […] A salesman will always push a fair-trade item over an open-price one.“137 Dies spürten vor allem die Hersteller, die sich an den Fair Trade Programmen nicht oder nur geringfügig beteiligten. Der General Manager der Vertriebsstelle von Zenith, das nur einige wenige Farbgeräte im Fair-Trade-Programm hatte, beschwerte sich beispielsweise, ob Profite das einzige seien, das zählte. „Doesn’t the dealer have guilt on his conscience about switching the customer away from Zenith to another product, just so he can make a few bucks more on it?“138 Der Nachteil der Preisbindung war neben ihrer regionalen Begrenztheit, dass ihre Durchsetzung extrem aufwendig und teuer war. Knickerbocker, der Großhändler von Motorola in New York, beschäftigte Mitte der 1960er Jahre 40 bis 50 Frauen, welche die Aufgabe hatten, die über 1.000 von Knickerbocker belieferten
134 Westinghouse Off Fair Trade. In: Business Week, 3. September, 1955, S. 31. 135 Wie ein Artikel in der Electrical Merchandising 1963 feststellte: „Whether you believe that Fair Trade is American or unAmerican, legal or illegal, it made significant strides in the appliance industry last year in New York and California.“ A Look at Fair Trade in ’62. What the Industry Accomplished. In: Electrical Merchandising Week, 7. Januar, 1963, S. 43; Für eine gegensätzliche Einschätzung, vgl. Logemann, Self-Service, S. 87–100. 136 A Look at Fair Trade in ’62. What the Industry Accomplished. In: Electrical Merchandising Week, 7. Januar, 1963, S. 43; GE Goes Fair-Trade in L.A. July 1, in : Electrical Merchandising Week, 29. Juni, 1970, S. 3. Sony Wins Another Fair-Trade Case. In: Electrical Merchandising Week, 12. Februar, 1973, S. 16; 7 to Pay Sony on Fair Trade. 2 More Enjoined. In: Electrical Merchandising Week, 15. April, 1974, S. 8. 137 Don’t Scramble Golden Eggs. In: Electrical Merchandising Week, 16. November, 1964, S. 32. 138 Fair Trade. An Effective Brake on Skidding Prices? In: Electrical Merchandising Week, 17. August, 1964, S. 26.
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Läden auf die Einhaltung der Preisbindung hin zu überprüfen. Zudem hatte der Großhändler parallel acht verschiedene Anklagen vor dem New Yorker Supreme Court wegen Verletzung der Preisbindungsauflagen laufen.139 Professionellen Service bot auch die Merit Protection Service Inc. an, die sich selbst als „One of America’s Leading Shopping Services“ bezeichnete. Für elf Läden, bei denen jeweils dreimal die Freundlichkeit und die Effizienz des Verkaufspersonals sowie die Einhaltung der Preise überprüft wurde, berechnete das Unternehmen dem Auftraggeber eine Pauschale von 495 US-Dollar.140 Kostengünstigere Hilfe kam von den Einzelhändlern selbst, die sich gegenseitig ihre durch Fair Trade-Programme geschützten Franchise-Verträge neideten und Spione in die Läden der Konkurrenz schickten. Die Spione sollten nachweisen, dass Geräte unter dem gebundenen Preis verkauft wurden.141 Die Vertriebspolitik des Herstellers Magnavox basierte auf demselben Mechanismus einer durch Profite erkauften Loyalität. Sie unterschied sich von der Vertriebspolitik und den Fair Trade-Programmen der anderen Hersteller aber in zwei entscheidenden Punkten: erstens umging Magnavox den Großhandel und lieferte über eigene Handelsvertreter direkt an die Einzelhändler.142 Zweitens betrieb das Unternehmen eine sogenannte „One Price Policy“, die es allen belieferten Händlern untersagte, selbständig Preissenkungen vorzunehmen. Diese Politik war, wie der Präsident des Unternehmens, Frank Freimann, in einem Brief an die Händler 1957 schrieb, unabhängig von allen geltenden Fair Trade-Gesetzen.143 Seit 1938 betreibe das Unternehmen eine Verkaufspolitik, die auch ohne den Schutz der Fair Trade-Gesetze einheitliche Preise auf Handelsebene sicherstelle.144 Im Herbst 1954 kündigte Magnavox die Hälfte der Franchise-Verträge und reduzierte die ohnehin geringe Anzahl seiner Händler auf 850 in den gesamten USA.145 Auf
139 New York City. Test Case for Fair-Trade. In: Electrical Merchandising Week, 19. Dezember, 1966, S. 10. 140 FTC/Magnavox, File 8822–4–14–3, CX 169; zit. nach: Goldberg, Resale, S. 478. 141 Sehr unterhaltsam ist: A Retail Salesman Says „Get Wise“. In: Electrical Merchandising Week, 23. Oktober, 1967, S. 10. Die gegenseitige Beobachtung der Einzelhändler scheint auch im Fall von Magnavox die effektivste Kontrollmethode gebildet zu haben. Siehe: Goldberg, Resale, S. 478–479. 142 Oxenfeldt, Marketing, S. 25. 143 FTC/Magnavox, File 8822–4–1, S. 108; zit. nach: Goldberg, Resale, S. 452. 144 Ebd. 145 Fewer Dealers, More Sales. In: Electrical Merchandising, Dezember 1954, S. 122. Die Zahl der Einzelhändler stieg in den folgenden Jahrzehnten auf über 3.000 Händler an. Siehe Goldberg, Resale, S. 466.
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diese Weise versuchte das Unternehmen, sich der Loyalität der übrig gebliebenen Einzelhändler zu versichern und die Preise der Geräte stabil zu halten. Die hohen Handelsmargen, die Magnavox den Händlern gewährte und das Versprechen einer stabilen Preisstruktur brachten dem Unternehmen den Ruf eines „Golden Franchise“146 ein. Das Unternehmen sicherte die kollektive Einhaltung seiner Vertriebspolitik mit einer Drohung. Im Falle des Vertragsbruchs oder eines Abweichens von den „vorgeschlagenen Preisen“ wurde der FranchiseVertrag gekündigt.147 Auch für Gebrauchtgeräte gab es eine Übersichtstabelle, welche die zu gewährenden Preise festlegte. Offiziell handelte es sich dabei um einen Leitfaden. Das beigefügte Schreiben stellte allerdings klar, dass jede übermäßige Gewährung eines Nachlasses als Bruch der Vertragsbestimmungen angesehen werde. Darin hieß es: „Any overallowance will be considered a discount and therefore a breach of your franchise agreement.“148 Von den meisten Facheinzelhändlern wurden diese Einschränkungen bereitwillig in Kauf genommen. Die Nische, die sich Magnavox als „the darling, high-profit line“149 erarbeitet hatte, brachte das Unternehmen in den späten 1960er Jahren in die Position des drittgrößten Herstellers von Farbgeräten. Zu dieser Zeit wurde die Federal Trade Commission auf die Vertriebspolitik von Magnavox aufmerksam. Magnavox habe, so lautete die 1970 offiziell verfasste Beschwerde, durch die von ihr garantierten Profite ein Druckmittel gewonnen. Diese Position ermögliche es dem Unternehmen, den Einzelhändlern Exklusiv-Verträge aufzudrücken, Kopplungsgeschäfte mit ungewollten Geräten zu betreiben und die Forderung durchzusetzen, dass die Händler das gesamte Sortiment von Magnavox führ-
146 On What Terms Can Independents Survive? In: Electrical Merchandising Week, 17. August, 1964, S. 22. Siehe auch: Pattern for the Trade? In: Electrical Merchandising, März 1954, S. 248; Magnavox Selling Policy. Old Rules for New Faces. In: Electrical Merchandising Week, 8. Februar, 1964, S. 7. 147 Fewer Dealers, More Sales. In: Electrical Merchandising, Dezember 1954, S. 122. Siehe auch: The Magnavox Secret. In: Time Magazine, 5. Mai, 1961; Magnavox Selling Policy. Old Rules for New Faces. In: Electrical Merchandising Week, 17. Februar, 1964, S. 7 und On What Terms Can Independents Survive? In: Electrical Merchandising Week, 17. August, 1964, S. 22; Oxenfeldt, Marketing, S. 117. 148 FTC/Magnavox, File 8822–4–14–3, CX 119; zit. nach: Goldberg, Resale, S. 465. Bei einem Modellwechsel gewährte Magnavox den Händlern klar definierte preispolitische Freiheiten. Dem Händler war es zunächst erlaubt, den Preis um 10 Prozent zu senken, nach sechs Monaten um 15 Prozent und nach elf Monaten konnte der Händler den Preis selbst bestimmen. Siehe: FTC/ Magnavox, File 8822–4–14–3, CX 151; zit. nach Goldberg, Resale, S. 475. 149 Changes Coming in Color TV Marketing and Merchandising. In: Electrical Merchandising Week, 4. März, 1968, S. 3.
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ten.150 Der Einzelhändler sei aufgrund der hohen Spannen motiviert, die Geräte von Magnavox in seinen Verkaufsbemühungen gegenüber den Geräten anderer Hersteller zu bevorzugen. Die Federal Trade Commission sah die Vorteile kritisch, die das Magnavox-Franchise den Händlern brachte: „Full profit margins may make for cooperative and reliable dealers, but cooperation and reliability should not be misread as indicating that Magnavox dealers have not been coerced and intimidated in running their own businesses or that their own competitive needs have not been subverted to those of Magnavox.“151 Zu einer „cease and desist order“, einer einseitigen Unterlassungserklärung also, kam es allerdings nicht. Magnavox lenkte ein und erklärte sich bereit, eine Vereinbarung mit der Federal Trade Commission („consent order“) zu unterschreiben.152 Die Vereinbarung sah vor, dass Magnavox allen seit dem Jahr 1966 gekündigten Einzelhändlern die Möglichkeit zur Wiederaufnahme der Lieferbeziehungen anbieten musste. Das Unternehmen stimmte auch zu, in Zukunft davon abzusehen, Franchise-Verträge aufzukündigen, Lieferungen zu verzögern oder Händler einzuschüchtern, wenn es den Verdacht hegte, dass die Preisempfehlungen nicht eingehalten oder Geräte an andere Händler weiterveräußert wurden.153 In Staaten ohne Fair Trade-Bestimmungen enthielten Franchise-Verträge nun den expliziten Hinweis an den Händler, die Geräte zu den Preisen verkaufen zu dürfen, die er selbst bestimmte.154 Auf Seite des traditionellen Facheinzelhandels zeigte sich im Zuge des Verfahrens eine große Unterstützung für Magnavox.155 Der Zusammenhalt war angeblich so stark, dass die Preise stabil blieben, obwohl Magnavox in Folge der
150 Staff Recommendation. Dezember 1969, S. 113–14. In: FTC/Magnavox, File 8822–4–1; zit. nach: Goldberg, Resale, S. 443. 151 Ebd. 152 Goldberg, Resale, S. 446. 153 Comparison of Relief Provisions (an Appendix to Memorandum in Support of Motion for Withdrawal from Adjudication and Entry of a Consent Order). February 8, 1971, S. 5. In: FTC/ Magnavox, File 8822–4–1; zit. nach: Goldberg, Resale, S. 450. 154 Ebd. 155 Ein Kommentar in der Electrical Merchandising Week hatte in spöttischer Reaktion auf die Federal Trade Commission-Verfolgung bemerkt: „How many interviews did the commissioners […] conduct with clothing salesmen, restaurant owners and ice cream vendors before they decided that Magnavox was, indeed, guilty of the unpardonable sin of permitting its dealerships an orderly distribution and pricing system designed to provide an all-too-elusive profit structure?“ Neretin, Aaron: How Now FTC? In: Electrical Merchandising Week, 2. März, 1970, S. 4. Siehe auch: NARDA Hits FTC over Magnavox. In: Electrical Merchandising Week, 2. März, 1970, S. 8; Magnavox Dealers Calm over FTC Pricing Bomb. In: Electrical Merchandising Week, 23. Februar, 1970, S. 1.
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Anklage von der Preisbindung abrückte: „No one resorted to price cutting or any other foolish behavior“156, stellte die Electrical Merchandising Week 1971 fest. Bei Magnavox selbst ließ sich Anfang der 1970er Jahre allerdings eine vertriebspolitische Wende feststellen, die das eigene Image und das etablierte Verhältnis zum Facheinzelhandel auf eine ernsthafte Weise gefährdete. 1972 trat der Vize-Präsident und langjährige Leiter der Konsumgütersparte des Unternehmens, George H. Fezell, zurück. Wenige Jahre zuvor war bereits der Präsident von Magnavox, Frank Freimann, gestorben. Freimann hatte das Unternehmen die gesamten 1950er Jahre und bis kurz vor seinem Tod 1968 geleitet. Beide galten als Vertreter der „alten Schule“, die an die Tugenden stabiler Preise glaubten.157. Fezell, ein langjähriger Weggefährte von Freimann sei nun, so ein Artikel der Electrical Merchandising Week, Opfer eines Generationenwechsels geworden.158 Im Jahr 1972 ging Magnavox dazu über, aggressive Kampagnen zu fahren, die allein auf günstige Preise setzten.159 Es ist zu vermuten, dass die Einigung mit der Federal Trade Commission diesen Wandel zumindest begünstigte, da sie den Vertretern einer neuen Vertriebspolitik ein zusätzliches Argument gab. Das Verhältnis zum traditionellen Einzelhandel geriet durch die Neu-Orientierung in eine Phase der Missstimmung und Verwirrung. Der in einem Kaufhaus für den Einkauf zuständige Manager kommentierte: „They just don’t seem to know where in the hell they want to go. On the one hand, they’re the old, stable Magnavox, pretending they hold only one sale a year, and then they turn around and try to promote like Zenith and RCA.”160 Nur ein Jahr später drehte sich Mag-
156 Magnavox Dealers Hold Prices so Far. In: Electrical Merchandising Week, 25. Januar, 1971, S. 7. Magnavox Limits Factory Pricing to Fair-Trade States. In: Electrical Merchandising Week, 7. Dezember, 1970, S. 1. Siehe auch: Magnavox Sees Little New in FTC Order. In: Electrical Merchandising Week, 3. Mai, 1971, S. 10. 157 Freimann beispielsweise wurde in einer an die Einzelhändler gerichteten Werbeanzeige als eine personifizierte Garantie der Preisbindung dargestellt. Preisbrecher gebe es nicht „because that firm uncompromising unrelenting firehorse, Frank Freimann, will not let it develop, stamps it and you out the first time you try any fancy footwork“ FTC/Magnavox, File 8822–4–14–3, CX 161; zit. nach: Goldberg, Resale, S. 479. 158 Behind Fezell’s „Retirement“. Revamped Magnavox Evolving. In: Electrical Merchandising Week, 16. Oktober, 1972, S. 11. Im April 1974 folgten der Vize-Präsident Marketing, Gerald G. Martin und der Vize-Präsident International and Consumer Sales, Keith Niemann. Siehe: At Magnavox Shakeup Is On. In: Electrical Merchandising Week, 29. April, 1974, S. 1. 159 Thinner Color TV Margins Plague. In: Electrical Merchandising Week, 19. Juni, 1972, S. 32. 160 Luckett, Jim: Dealers Love Maggie but Old Flame Is Gone. In: Electrical Merchandising Week, 24. April, 1972, S. 1. Mit dem Wandel ging auch eine Anpassung der gegenüber den Einzelhändlern verfolgten Preispolitik einher. Hatte Magnavox zuvor nur geringe Preisnachlässe bei der Abnahme größerer Mengen an Geräten gewährt, machte das Unternehmen in diesem Be-
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navox um 180 Grad. Nach empörten Protesten wurde die Vertriebspolitik den Forderungen des traditionellen Facheinzelhandels angepasst und die Selektivität der Franchise-Verträge betont.161 Das erfreute die kleinen und mittelgroßen Selbständigen, ärgerte aber nun wiederum die Großabnehmer, denen Magnavox sich im Jahr zuvor zugewandt hatte.162 Ende 1973 drehte sich Magnavox deshalb erneut, verkündete, es werde in Zukunft auch Geräte an die Discounter-Kette White Front in Kalifornien verkaufen und erregte nun wieder den Zorn der Facheinzelhändler.163 Auch dieser Richtungswechsel war weder erfolgreich noch langfristig. Bereits 1974 musste White Front Konkurs anmelden und Magnavox wurde durch die Philips-Tochter North American Philips übernommen.164 Über tausend Mitarbeiter mussten in Folge der Krise entlassen werden.165 Im Jahr 1976 lag der Marktanteil bei Farbgeräten bei nur noch 6,5 Prozent.
6.1.4 Territoriale Exklusivität. Der Fall Sylvania Der dritte Fall ist die Geschichte des Fernsehgeräteherstellers Sylvania. Er ist ein weiteres Beispiel für eine enge Kooperation zwischen Herstellern und Einzelhändlern. Seit den frühen 1960er Jahren verfolgte Sylvania, seit 1959 eine Tochter des Industriekonglomerats General Telephone & Electronics Corporation (GT&E) die Strategie, eine ausgewählte Gruppe von Facheinzelhändlern als verlässliche Partner zu gewinnen und direkt zu beliefern. Anders als Magnavox setzte Sylvania zunächst nicht auf die Kontrolle der Preispolitik auf Einzelhandelsebene, sondern auf eine strikte und nach regionalen Abgrenzungen geordnete selektive Franchise-Strategie. Sowohl im Schwarz-Weiß- als auch im Farbgeräte-Bereich hielt Sylvania Marktanteile von etwa vier Prozent. Der eigentliche Schwerpunkt
reich nun weitreichendere Zugeständnisse. Siehe: Magnavox Alters Dealer Discount Setup. In: Electrical Merchandising Week, 5. Juni, 1972, S. 1. Ende der 1950er Jahre hatte Magnavox einen maximalen zusätzlichen Mengenrabatt von 2 Prozent bei Bestellungen von mehr als $ 200.000 jährlich gegeben. Siehe: Goldberg, Resale, S. 469. 161 Magnavox Comeback-Bid Program Shown to Enthusiastic Dealers. In: Electrical Merchandising Week, 21. Mai, 1973, S. 6. 162 Magnavox Plagued by Key Account Problems. In: Electrical Merchandising Week, 2. Juli, 1973, S. 12. 163 Coast Dealers Blast Magnavox-White Front. In: Electrical Merchandising Week, 10. September, 1973, S. 45. 164 Coast Retailers Sigh in Relief at White Front’s Departure. In: Electrical Merchandising Week, 24. Juni, 1974, S. 2. 165 1,1140 Laid Off by Magnavox. In: Electrical Merchandising Week, 2. Dezember, 1974, S. 7.
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des vertikal relativ stark integrierten Elektrounternehmens lag in der Produktion von Fernsehbildröhren und Leuchtstoffen. In diesem Bereich war Sylvania einer der größten Zulieferer der amerikanischen Elektroindustrie. Der Fernsehgerätebereich war dagegen ebenso wie der Radio- und Phonobereich ein Nebengeschäft.166 Nachlässigkeit gegenüber den belieferten Einzelhändlern folgte aus der untergeordneten Rolle des Fernsehgerätegeschäftes nicht. Als Sylvania einem Einzelhändler aus Kalifornien einen Bruch mit den Vertragsbedingungen vorgeworfen und den Franchise-Vertrag gekündigt hatte, zog der Händler vor Gericht. Der Händler äußerte den Vorwurf, Sylvania habe mit der strikten Auslegung der selektiven Franchise-Strategie seinen Handlungsspielraum beschränkt. Damit habe Sylvania eine im Sinne des Sherman Acts wettbewerbswidrige Handlung begangen. Die Klage wurde zunächst vor verschiedenen regionalen Gerichten verhandelt. Ende der 1970er Jahre erreichte sie schließlich den Supreme Court, der über die rechtliche Zulässigkeit der selektiven Franchise-Strategie zu entscheiden hatte. Selektive Franchise-Verträge hatten seit Beginn des Marktes für Fernsehgeräte eine wichtige Rolle gespielt. Der mit ihnen verbundene Schutz vor Wettbewerbern bedeutete aber auch umgekehrt eine Einschränkung des Wettbewerbs als Institution. Die U.S.-amerikanischen Antitrust-Behörden hatten die Praxis der vertraglichen Bindungen und die in ihnen festgelegten Bedingungen daher stets skeptisch betrachtet. Die Auseinandersetzung zwischen Philco und dem Justice Department in den 1950er Jahren hatte einen ersten Eindruck der gegensätzlichen Positionen vermittelt. Der Präsident Philcos, James H. Carmine, hatte auf die Anschuldigung der Behörde mit dem Argument reagiert, das Justice Department würde das Überleben der unabhängigen Großhändler gefährden. Ein negatives Urteil würde die Hersteller dazu zwingen, ihre eigenen Vertriebsstellen zu errichten und das Ende vieler mittelständischer Unternehmen bedeuten.167 In seiner offiziellen Antwort an das Justice Department betonte Philco außerdem, dass seine Vertriebspolitik den Wettbewerb stärke, dass Verkäufe durch ungelernte Händler schlecht für das Gemeinwesen seien und dass die Reputation des Unternehmens unter solchen Händlern leide. Außerdem verwies Philco in einer Anlehnung an das angelsächsische Gewohnheitsrecht darauf, dass diese Form der Vertriebspolitik für technisch anspruchsvolle Güter universell rechtlich akzeptiert sei. Sie würde allgemein angewendet.168 Aus der Einigung zwischen
166 Porter, Cases, S. 457. 167 Tough Policy Illegal? In: Electrical Merchandising, Januar 1955, S. 344. 168 Philco Tells the Court. In: Electrical Merchandising, April 1955, S. 268.
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dem Justice Department und Philco heraus war der rechtliche Graubereich entstanden, in dem selektive Franchise-Verträge seitdem angewandt wurden.169 Der Fall Sylvania testete die Grenzen aus, inwieweit es den Herstellern im Markt für Fernsehgeräte möglich war, die von den traditionellen Einzelhändlern geforderte Effektivität der Franchise-Verträge auch durchzusetzen.170 Bis 1962 hatte Sylvania die eigenen Fernsehgeräte sowohl über selbständige Großhändler als auch über eigene Vertriebsstellen verkauft ohne eine darüber hinausgehende Kontrolle auszuüben.171 Seit Ende der 1950er Jahre hatte sich der Marktanteil Sylvanias aber von etwa vier Prozent auf etwa 1–2 Prozent reduziert.172 Das Management Sylvanias änderte daraufhin seine Strategie, wohl in dem Glauben, dass ein vorteilhaftes Image und die Loyalität der Einzelhändler dem Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen könnten.173 Bis Ende der 1970er Jahre weitete Sylvania den Anteil der Direktbelieferung auf etwa 70 Prozent aus und belieferte nur noch solche Groß- und Einzelhändler, die sich mit den Franchise-Bestimmungen des Unternehmens einverstanden erklärten.174 Das Versprechen geschützter Franchises wurde kurz nach seiner Verlautbarung auf eine harte Probe gestellt. Im März 1965 kündigte die Einzelhandelskette Continental TV an, nach Sacramento expandieren zu wollen. Continental TV betrieb acht Filialen in Kalifornien und war seit 1964 einer der größten Abnehmer von Sylvania-Produkten. In Sacramento unterhielt Sylvania aber einen bereits bestehenden Franchise-Vertrag mit einem anderen Einzelhändler, Handy Andy. Sylvania verwehrte Continental TV ein Franchise-Verhältnis für Sacramento, um die Beziehungen zu Handy Andy nicht zu gefährden. Continental TV begann daraufhin, sogenanntes „Transshipping“ zu betreiben. Der Händler lieferte Sylvania-Geräte, die über die anderen Filialen in Kalifornien bezogen wurden, an die
169 How Binding Are Franchises? In: Electrical Merchandising, August 1956, S. 160. 170 What Dealers Want from Manufacturers in: Electrical Merchandising Week, 9. März, 1964, S. 13. 171 GTE Sylvania Incorporated v. Continental T. V., Inc. 537 F.2d 980 (9th Cir. 1976). April 9, 1976. (Im Folgenden: 537 F.2d 980). Online unter: http://openjurist.org/537/f2d/980 (Zugriff am 10.12.2014). 172 LaFrance, United States, S. 154. 173 537 F.2d 980, Abschnitt I.3. Siehe auch: Is the „Rejuvenation“ over at Sylvania? In: Electrical Merchandising Week, 2. März, 1964, S. 29. Siehe auch: Changes Coming in Color TV Marketing and Merchandising. In: Electrical Merchandising Week, 4. März, 1968, S. 3. 174 Die Zahl der von Sylvania belieferten Großhändler lag bei etwas über 40. Die Zahl der Einzelhändler bei ca. 1.500 bis 2.000. Schätzung nach Aussage von William E. Boss. Siehe: Official Report of Proceedings before the U. S. Tariff Commission In the Matter of Television Sets from Japan (Pages 1 to 189). January 26, 1971, S. 59–60. In: NA/USITC, AA1921–66 Television Receiver Sets Japan, Box 37, Folder Television Receiver Sets – Japan.
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Filiale in Sacramento. Dadurch stand Handy Andy entgegen des Versprechens in einer direkten Konkurrenz zu einem anderen Sylvania-Händler. Sylvania verringerte nach Bekanntwerden der Maßnahme von Continental TV zunächst den Kreditrahmen. Kurze Zeit später kündigte Sylvania das gesamte Franchise-Verhältnis auf.175 Soweit entsprach das Verhalten Sylvanias den Forderungen des traditionellen Fachhandels nach effektiv durchgesetzten Franchise-Verträgen. Bei Verletzungen der Bestimmungen waren diese zu kündigen. Gegen diese Maßnahme Sylvanias wehrte sich Continental TV durch die Anklage. Die erste Phase des Verfahrens spielte sich in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren vor dem District Court in Northern California ab. Sylvania hob in der Verteidigungsstrategie den geringen Marktanteil der eigenen Fernsehsparte hervor, der die Strategieänderung überhaupt erst notwendig gemacht habe. Der Hersteller sagte auch aus, dass die Kündigung des Franchise-Vertrages nicht dazu gedient habe, die effektive Durchsetzung von Vertragsbestimmungen gegenüber abtrünnigen Einzelhändlern zu demonstrieren. Sie sei erfolgt, nachdem Sylvania in Erfahrung bringen konnte, dass der Besitzer von Continental TV wegen Kreditbetrugs vorbestraft war und höher verschuldet war, als es der Kreditrahmen Sylvanias vorsah.176 Continental TV interpretierte die Maßnahmen dagegen als einen Vergeltungsakt für die Eröffnung der Filiale in Sacramento, der eine Einschränkung der unternehmerischen Freiheit („restraint of trade“) darstelle und insofern Sektion 1 des Sherman Acts verletze.177 Das Verfahren fiel in eine Zeit, in der die Rechtsprechung bezüglich vertikaler Verträge zunehmend strikt ausgelegt wurde. Die oben diskutierte Schwinn-Entscheidung hatte das gezeigt. Die Richter empfahlen der Jury, den Fall nach den strengen, durch „Schwinn“ aufgestellten Kriterien zu bewerten. Die Jury gab Continental TV in einem 1974 erlassenen Urteil Recht.178. Das Gericht schätzte den von Continental TV infolge der Kündigung des Franchise-Vertrages erlittenen Verlust auf insgesamt 591.505 US-
175 Sylvania Seeks Review of Transshipment Case. In: Electrical Merchandising Week, 27. Mai, 1974, S. 3; Producer-Franchisee Relations to Be Tested by Supreme Court. In: Merchandising Week, März 1977, S. 5. 176 537 F.2d 980, Abschnitt I–12. 177 537 F.2d 980, Abschnitt I–14. 178 Die Richter lehnten etwa unter explizitem Verweis auf diese Entscheidung das Argument ab, dass die territoriale Exklusivität nur dann als illegal anzusehen sei „if it unreasonably restrained competition in the market for television sales“ (537 F.2d 980, Abschnitt I–18). Im selben Jahr forderte auch die Federal Trade Commission den New Yorker Großhändler des japanischen Herstellers Sharp auf, die praktizierten territorialen Beschränkungen aufzuheben. Sharp Electronics Corporations. In: Federal Trade Commission Decisions. Findings, Orders, and Stipulations, July 1, 1974 to December 31, 1974 (Vol. 84, 1975), S. 743–748.
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Dollar. Da Antitrust-Fälle in den USA unter die „Treble-Demage“-Regel fallen, was bedeutet, dass bei einer Verurteilung die Strafe durch eine Verdreifachung des erlittenen Schadens berechnet wird, erhielt Continental von Sylvania 1.774.515 US-Dollar und zusätzlich 275.000 US-Dollar für Anwaltskosten.179 Der neunte Circuit Court der Vereinigten Staaten, ein Bundesbezirksgericht direkt unterhalb des Supreme Courts, revidierte 1976 diese Entscheidung. Die Mehrheit der Richter fasste die vertikalen Restriktionen Sylvanias als eine Form moderner Distributionsstrategie auf, die nicht unter die „Schwinn“-Entscheidung falle. Sie interpretierte die Ziele des Sherman Acts als Sicherstellung sowohl günstiger Preise als auch hoher Qualität.180 Das Urteil machte zudem ausführliche Verweise auf die durch Franchise-Verträge gesicherte Existenz des kleinen, selbständigen Händlers, der häufig ein Franchise-Nehmer und bereits ein gefährdeter Unternehmer sei.181 Zentral war allerdings die Interpretation der Unterscheidung von intra- und interbrand-Wettbewerb, die das Gericht seinem Urteil zu Grunde legte: „The free market policy of the antitrust laws would not be served by fashioning rules which foster intrabrand competition to the point of extinguishing interbrand competition. This would lead to the more insidious evil of total monopolization.“182 Die Maßnahmen Sylvanias hätten den pro-kompetitiven Effekt gehabt, dass sie in einer von oligopolistischen Tendenzen geprägten Industrie einem marginalen Wettbewerber eine Chance auf Überleben eröffnet habe. Das Urteil des U.S. Supreme Court, der ein Jahr später über die Gültigkeit der Entscheidung des Circuit Court zu befinden hatte, bestätigte dessen Entscheidung nicht nur. Er ging sogar darüber hinaus. Der Circuit Court hatte in seinem Urteil die Unterschiede zwischen Schwinn und Sylvania soweit betont, dass auch eine Bestätigung des Urteils nicht notwendigerweise bedeutet hätte, die „Schwinn“Entscheidung außer Kraft zu setzen. Der vom Circuit Court begründeten Unterscheidung zwischen Schwinn und Sylvania folgte der Supreme Court aber expli-
179 537 F.2d 980, Abschnitt I–14. 180 Das geschah unter Verweis auf eine andere Supreme Court-Entscheidung (Northern Pacific R. Co. v. United States, 356 U.S. 1) von 1958. Darin wurden die Ziele des Sherman Act definiert als eine Sicherstellung der freien Interaktion von Wettbewerbskräften, „that will yield the best allocation of our economic resources, the lowest prices, the highest quality and the greatest material progress, while at the same time providing an environment conducive to the preservation of our democratic political and social institutions“. 537 F.2d 980, Abschnitt II–20. 181 „…now often a franchisee, and already an endangered entrepreneur“. 537 F.2d 980, Abschnitt B–50. 182 537 F.2d 980, Abschnitt C–57.
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zit gerade nicht.183 Dadurch hob er sein Urteil auf eine Ebene, auf der sich die Legalität vertikaler Restriktionen, die die Richter als weit verbreitet ansahen, grundsätzlich diskutieren ließ.184 Die Entscheidung wurde deshalb nicht nur von der Fernsehgeräteindustrie, sondern auch in der Welt der Juristen, mit Spannung verfolgt.185 Das zentrale Argument in der von der Mehrheit der Richter vertretenen Meinung basierte auf derselben Interpretation des Verhältnisses zwischen Interund Intra-brand-Wettbewerb, der auch der Circuit Court gefolgt war. Vertikale Restriktionen seien in der Lage, die Einzelhändler zu der Bereitstellung verschiedener Services wie Werbung und Reparaturen zu bewegen. Bei einem intensiven Preiswettbewerb würden diese Leistungen aufgrund eines „free-rider-Problems“ nicht angeboten.186 Der Hersteller könne durch vertikale Restriktionen die Effizienz seiner Distribution erhöhen und dadurch den Wettbewerb auf HerstellerEbene steigern.187 Diese Argumente waren an sich bereits seit Jahrzehnten als Legitimation vertikaler Bindungen angeführt worden. Im Kontext des SylvaniaUrteils erhielten sie aber eine besondere Beachtung. Sie galten nicht länger als eine nur schlecht versteckte Argumentationsstrategie im Sinne der Einschränkung des Preiswettbewerbs. Stattdessen standen sie im Kontext der kohärenten Neu-Interpretation der amerikanischen Anti-Trustgesetze, die durch die Vertreter der Chicago-School und der Neuen Institutionentheorie vorangetrieben worden war.
183 Continental T.V., Inc. v. GTE Sylvania, Inc., 433 U.S. 36 (1977), S. 46. 184 433 U.S. 36, S. 36. 185 Siehe u. a. Altschuler, Stuart (1980): Sylvania, Vertical Restraints, and Dual Distribution. In: Antitrust Bulletin (1), S. 1–102; Gesmer, Lee (1978): Sylvania and Vertical Restraints on Distribution. In: Boston College Law Review 19 (4), S. 751–771; Handler, Milton (1977): Changing Trends in Antitrust Doctrines. An unprecedented Supreme Court term-1977. In: Columbia Law Review 77 (7), S. 979–1028; McClenahan, Gregory A. (1978): Sylvania and Beyond: An expanding rule of reason for distributional restraints. In: Journal of Corporation Law 4 (1), S. 169–190; Strasser, Kurt A. (1977): Vertical Territorial Restraints after Sylvania. A policy analysis and proposed new rule. In: Duke Law Journal (4), S. 775–840; Bock, Antitrust, S. 8–9. Siehe auch: Preston, Lee (1999): Territorial Restraints. GTE Sylvania. In: John E. Kwoka (Hg.): The Antitrust Revolution. Economics, competition, and policy. New York, NY, S. 311–327; Roszkowski, Mark E. (1989): The Sad Legacy of GTE Sylvania and Its ‘Rule of Reason‘. The dealer termination cases and the demise of 1 of the Sherman Act. Urbana, IL. 186 Hier verwies Richter Powell unter anderem auf einen Aufsatz von Richard Posner (Posner, Richard A. (1975): Antitrust Policy and the Supreme Court. An analysis of the restricted distribution, horizontal merger and potential competition decisions. In: Columbia Law Review, S. 282– 327). Siehe: 433 U.S. 36, S. 48. 187 433 U.S. 36, S. 54.
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Die Einschätzung des U.S. Supreme Court wurde seitens der traditionellen Fachhändler positiv aufgenommen. Eine einzige richterliche Entscheidung habe den Herstellern ein Mittel an die Hand gegeben, Transshipping zu unterbinden, den Wert von Franchises gesteigert und die Rolle des selbständigen Händlers gestärkt, so ein Kommentar der Merchandising Week.188 Die finanzielle Position Sylvanias konnte das Urteil allerdings nicht verbessern. Nur gut drei Jahre nach der Entscheidung wurde Sylvania, bzw. die Muttergesellschaft GTE Entertainment Products, von North American Philips aufgekauft, demselben Unternehmen also, das bereits Magnavox sechs Jahre zuvor eingegliedert hatte.189 Anfang der 1980er Jahre rollte die North American Philips vor dem Hintergrund der Sylvania-Entscheidung den Magnavox-Fall von 1970/71 wieder neu auf. Die Entscheidung sei, so argumentierte der Anwalt von Magnavox, in der Folge der Schwinn-Entscheidung von 1967 erfolgt, die nun keine Gültigkeit mehr habe. Der Fokus müsse nun auf der Frage des Interbrand-Wettbewerbs liegen, während es anerkanntermaßen zu gewissen Einschränkungen im IntrabrandWettbewerb kommen könne. Bei dem intensiven Wettbewerb, der im Markt für Fernsehgeräte vorherrsche und bei der großen Anzahl von Herstellern könne ein Händler leicht den Anbieter wechseln. Dies zeige, dass exklusive Verträge nicht die Folge von Zwang, sondern von einer wechselseitigen Anerkennung der jeweiligen Vorteile von Anbietern und Händlern seien. „If retail dealers, having the full right to drop the Magnavox line at will, are pressed unreasonably to handle unwanted products, it will be the Magnavox manufacturer and not its competition that will incur a competitive penalty.“190 Magnavox sollte das Recht haben, seine Vertriebspolitik frei zu gestalten und das Transshipping zu unterbinden. Das Antwortschreiben der Federal Trade Commission umfasste gerade einmal
188 High Court Places Curbs on Transshipping, Strengthens Role of Independent Distributor, in. Merchandising Week, August 1977, S. 6. Siehe auch: Justice Dept. to Scrutinize More Closely Supplier Curbs vs. Distributors. In: Merchandising Week, Juli 1978, S. 4 und Pricing Fruit Salad. In: Electrical Merchandising Week, 27. Mai, 1974, S. 2. 189 GTE Acquisition by N.A. Philips Generates Interesting Coincidences. In: Merchandising Week, November 1980, S. 4; Philips’ GTE Acquisition Gets Federal Scrutiny. In: Merchandising Week, November 1980, S. 65. 190 Request to Reopen and Modify Consent Order. February 2, 1983, S. 20. In: FTC/Magnavox, File 8822–1–2. An anderer Stelle hieß es: „Most importantly, in light of Sylvania, the focus now must be on competitive effects on interbrand competition, even while recognizing that certain vertical restraints, such as exclusive dealing, necessarily have some restraining effect on intrabrand competition.“ (Ebd., S. 18).
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drei Seiten. In allen Punkten gab es der Einschätzung des Unternehmens Recht und hob das 1971 erlassene Verbot vertikaler Restriktionen auf.191
6.2 Hersteller-Händler-Verhältnisse in der BRD 6.2.1 Wettbewerbspolitische und -theoretische Entwicklung in der BRD Der Beginn der staatlichen Wettbewerbsregulierung in Deutschland lässt sich auf das späte neunzehnte Jahrhundert datieren. Am 4. Februar 1897 gestattete das Reichsgericht einer Gruppe sächsischer Holzstofffabrikanten ein abtrünniges Kartellmitglied zur Zahlung einer Vertragsstrafe zu verpflichten. Der betroffene Hersteller hatte seine Fabrikate direkt veräußert und die gemeinsame Verkaufsstelle umgangen, die den Absatz organisierte und die Preise stabilisierte.192 Unter Rückgriff auf Arbeiten der historischen Schule der Nationalökonomie sahen die Richter in der Sicherung eines Mindestpreises keine Verletzung der Interessen der Allgemeinheit. Sie sprachen dem ausgeschorenen Kartellmitglied sogar das Recht ab, langfristige Verträge kurzfristig und einseitig aufzukündigen.193 Die Tendenz von Unternehmen, sich zum Schutz vor einem „ruinösen“ oder „verderblichen“ Wettbewerb zusammenzuschließen und als Kartell Beschaffung, Produktion und Absatz kollektiv zu organisieren war eine Begleiterscheinung der Industrialisierung gewesen.194 Mit der Entscheidung des deutschen Reichsgerichts von 1897, die inhaltlichen Bestimmungen der Kartellverträge auch vor Gericht einklagen zu können, setzte eine für die deutsche Geschichte folgenschwere Entwicklung ein. Das Reichsgericht hatte, wie Fritz Blaich in seiner
191 Order Modifying Decision and Order. July 11, 1983. In: FTC/Magnavox, File 8822–1–2. Das Verbot der Preisbindung wurde nicht aufgehoben, da die Preisbindung seit 1975 illegal war und Magnavox diesen Punkt auch nicht addressiert hatte. Die Commissioners Pertshuk und Bailey stimmten dagegen, dass Magnavox Maßnahmen gegen „Transshipping“ anwenden dürfe. 192 Richter, Klaus W. (2007): Die Wirkungsgeschichte des deutschen Kartellrechts vor 1914. Tübingen, S. 71. 193 Ebd., S. 71–77. Siehe auch: Fezer, Karl-Heinz (1985): Die Haltung der Rechtswissenschaften zu den Kartellen bis 1914. In: Hans Pohl (Hg.): Kartelle und Kartellgesetzgebung in Praxis und Rechtsprechung vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Stuttgart, S. 51–68. 194 Höpner, Martin; Petring, Alexander; Seikel, Daniel; Werner, Benjamin (2011): Liberalisierungspolitik. In: KZfSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 63 (1), S. 1–32. Hier S. 3.
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Studie zur Kartellpolitik im Kaiserreich schrieb, „ungewollt Wirtschaftspolitik betrieben“195. Deutschland wurde zum „Land der Kartelle“.196 Ungeachtet der wirtschaftsliberalen Ursprünge der deutschen Kartellierung entwickelte sich die Frage der Verflechtung bald zu einer Sache des nationalen Selbtsverständnisses. In dem hohen Organisationsgrad der Wirtschaft sah bereits der Nationalökonom Gustav Schmoller einen besonderen Charakterzug der Deutschen. „Wenn Deutschland eine stärkere Kartellbildung als andere Staaten erlebt hat“, schrieb Schmoller in der 1908 veröffentlichten Fassung seines „Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre“, „so sind zuletzt die Ursachen dieselben, welche Deutschland neben England auch an die Spitze der Genossenschaftsbewegung gestellt haben: Wir sind nach Volkscharakter und historischem Schicksal das disziplinierteste Volk, wir sind fähig, auch im wirtschaftlichen Leben uns in Reih und Glied zu stellen, durch freie Vereinbarung zusammenzuwirken.“197 Bis Ende des Zweiten Weltkriegs änderte sich an der in intellektuellen und parteipolitischen Zirkeln weit verbreiteten Akzeptanz horizontaler Zusammenschlüsse wenig.198 Der Erste Weltkrieg förderte die Tendenz der Kartellierung, die teilweise auch von staatlicher Seite erzwungen wurde. Die Gesetzgebung der Weimarer Republik untersagte Kartelle durch die „Verordnung gegen Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen“ vom 2. November 1923 lediglich im Rahmen einer sogenannten Missbrauchsregelung.199 Obwohl nicht direkt deckungsgleich lässt sich das Prinzip der Missbrauchsgesetzgebung mit der „Rule of Reason“ des Supreme Courts vergleichen. Kartelle waren nicht per se verboten, sondern lediglich unter dem Vorbehalt einer nachweislichen Schädigung des Gemeinwohls.
195 Blaich, Fritz (1973): Kartell- und Monopolpolitik im kaiserlichen Deutschland. Das Problem der Marktmacht im deutschen Reichstag zwischen 1879 und 1914. Düsseldorf, S. 9. 196 Die Literatur zur Rolle der Kartelle für die deutsche Wirtschaftsgeschichte ist umfassend. Einen neueren Überblick liefert Jovovic, Thomas (2012): Deutschland und die Kartelle. Eine unendliche Geschichte. In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (1), S. 237–273. Siehe außerdem: Schröter, Harm G. (1994): Kartellierung und Dekartellierung. 1890 – 1990. In: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 81 (4), S. 457–493; Ambrosius, Gerold (1981): Die Entwicklung des Wettbewerbs als wirtschaftspolitisch relevante Norm und Ordnungsprinzip in Deutschland seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. In: Jahrbuch für Sozialwissenschaft 32, S. 154–201. 197 Schmoller, Gustav Friedrich von (1908): Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Leipzig [Erste Auflage 1900], S. 538; zit. nach: Blaich, Kartell- und Monopolpolitik, S. 294. 198 Höpner/Petring/Seikel, Liberalisierungspolitik, S. 1–32. Hier S. 8–9. Siehe auch: Ambrosius, Entwicklung, S. 156 u. 162; Höpner, Sozialdemokratie, S. 210; Gömmel, Rainer (1985): Kartelle in der öffentlichen Meinung. In: Hans Pohl (Hg.): Kartelle und Kartellgesetzgebung in Praxis und Rechtsprechung vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Stuttgart, S. 69–80. Hier S. 71–72. 199 Robert, Rüdiger (1976): Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik. Berlin, S. 67–69.
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Eben dieser Nachweis war in Deutschland schwer zu erbringen, da der zentrale Zweck der Kartelle, die Preise zu kontrollieren, anders als in den USA gerade nicht als notwendigerweise schädigend betrachtet wurde. Die Regierung Stresemann ging „von einer volkswirtschaftlich bedeutsamen Funktion verantwortungsbewußter Kartelle aus“200. Die Entwicklung nach Verabschiedung des Gesetzes war nicht durch Kartellverbote, sondern durch eine weitere Kartellierung geprägt.201 Im Nationalsozialismus wurden alle Unternehmen verpflichtet, sich in Kartellverbänden zusammenzuschließen, was allerdings nicht dem Schutz der Unternehmen vor fallenden Preisen, sondern der politischen Steuerung diente.202 Mit der Niederlage im Zweiten Weltkrieg änderte sich die wettbewerbspolitische Situation in Deutschland schlagartig. Die Kartellpolitik galt den Alliierten als „eines der vorrangigen Ziele“203. Hier kam nicht nur eine den deutschen Großunternehmen zugeschriebene Mitverantwortung bei der nationalsozialistischen Terrorherrschaft, sondern auch das amerikanische Verständnis einer durch übermächtige Unternehmen korrumpierten Politik zum Ausdruck.204 Die 1945 erlassene Direktive JCS 1067/6 und die 1947 in den Westzonen verabschiedeten Dekartellierungsgesetze sahen ein Kartellverbot und eine Entflechtung der Wirtschaftsstrukturen vor.205 Bereits 1946 begann innerhalb der Stuttgarter Länderratskommission die Auseinandersetzung mit den amerikanischen Dekar-
200 Bremer, Klaus J. (1985): Die Kartellverordnung von 1923. Entstehung, Inhalt und praktische Anwendung. In: Hans Pohl (Hg.): Kartelle und Kartellgesetzgebung in Praxis und Rechtsprechung vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Stuttgart, S. 111–128. Hier S. 117. 201 Ebd., S. 120. Siehe auch: Reckendrees, Alfred (2000): Das „Stahltrust“-Projekt. Die Gründung der Vereinigte Stahlwerke A.G. und ihre Unternehmensentwicklung 1926 – 1933/34, München, S. 130–135. Die Kartellierung des von Reckendrees untersuchten Stahlwerksverbands war allerdings instabil, was mit zu der Entscheidung führte, zu den Vereinigten Stahlwerken zu fusionieren. 202 Feldenkirchen, Wilfried (1985): Das Zwangskartellgesetz von 1933. Seine wirtschaftliche Bedeutung und seine praktischen Folgen. In: Hans Pohl (Hg.): Kartelle und Kartellgesetzgebung in Praxis und Rechtsprechung vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Stuttgart, S. 145–166; Wessel, Horst A. (1985): Die Haltung der Unternehmer zur Zwangskartellierung. In: Hans Pohl (Hg.): Kartelle und Kartellgesetzgebung in Praxis und Rechtsprechung vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Stuttgart, S. 188–201. 203 Murach-Brand, Lisa (2004): Antitrust auf deutsch. Der Einfluss der amerikanischen Alliierten auf das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) nach 1945. Tübingen, S. 2. 204 Satzky sieht die frühen Pläne der Zerschlagung als Teil der von Morgenthau angestrebten „‘destruktiven‘ Antikonzentrationspolitik“. Satzky, Grundsätze, S. 230. Satzky verweist auf: Robert, Konzentrationspolitik. Die These wird auch von Murach-Brand bestätigt. Siehe: MurachBrand, Antitrust, S. 38. 205 Zu Inhalt und Entstehung der Direktive 1067/6, siehe: Murach-Brand, Antitrust, S. 34–39.
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tellierungszielen.206 Die Arbeitsgruppe ging in ihren wirtschaftspolitischen Vorstellungen von den Leitideen des Ordoliberalismus aus. Darunter ist eine Gesellschaftstheorie zu verstehen, die von einer freiheitlichen Wirtschaftsverfassung ausgeht, dem Staat aber eine zentrale Rolle zuschreibt.207 Diese Rolle besteht unter anderem darin, einen funktionierenden Wettbewerb sicherzustellen. Halte sich der Staat aus der Wirtschaft vollständig heraus, drohe eine privatwirtschaftliche Vermachtung.208 Bei den deutschen Unternehmen stießen die Vorstellungen der Ordoliberalen auf heftigen Widerstand.209 Die deutsche Unternehmerschaft war, wie Volker Berghahn an verschiedenen Stellen herausgearbeitet hat, „dem früheren Kartelldenken so verhaftet, dass sie sich hartnäckig einem dem amerikanischen Sherman Act nachempfundenen Wettbewerbsgesetz widersetzte“210. In den folgenden Jahren wurden zunächst in der Kartellabteilung der Verwaltung für Wirtschaft und anschließend innerhalb des 1949 neu gegründeten Bundesministeriums für Wirtschaft zahlreiche Entwürfe erarbeitet, diskutiert und verworfen.211 Der 1952 dem Bundestag vorgelegte Regierungsentwurf ahndete anders als frühere Entwürfe kartellrechtliche Verstöße nur noch als Ordnungswidrigkeiten ohne drohenden Gefängnisaufenthalt. Er enthielt aber ein mit einigen Ausnahmen versehenes Kartellverbot, eine Zusammenschlusskontrolle und eine Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen. Aufgrund des Drucks des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) und wegen Vorbehalten auf Seiten der Politiker wurde der Regierungsentwurf erst 1957 verabschiedet. Mit dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
206 Robert, Konzentrationspolitik, 102–106. 207 Der Staat ist nicht, wie Nils Goldschmidt die Anschauung des Ordoliberalismus beschreibt, „aufgrund bestimmter Überzeugungen oder Werte (‚Ideologien‘) aus sich heraus legitimiert, sondern nur durch seine funktionale, wiewohl notwendige Rolle für Markt und Gesellschaft.“ Goldschmidt, Nils; Neumärker, Bernhard (2009): Kapitalismuskritik als Ideologiekritik. Der Freiburger Ansatz des „Ordo-Liberalismus“ als sozialwissenschaftliche Alternative zum Laissez-Faire-Approach. In: Hubert Hieke (Hg.): Kapitalismus. Kritische Betrachtungen und Reformansätze. Marburg, S. 143–166. Hier S. 144. Siehe auch: Besters, Hans (1986): Neoliberalismus. In: Roland Vaubel und Hans D. Barbier (Hg.): Handbuch Marktwirtschaft. Pfullingen, S. 107–122. 208 Franz Böhm, der Mitglied der Arbeitsgruppe war, hatte dieses Szenario bereits in einer 1937 veröffentlichten Schrift dargestellt Böhm, Franz (1937): Die Ordnung der Wirtschaft als geschichtliche Aufgabe und rechtsschöpferische Leistung. Stuttgart. 209 Siehe die klassische Studie: Berghahn, Unternehmer sowie Hüttenberger, Peter (1976): Wirtschaftsordnung und Interessenpolitik in der Kartellgesetzgebung der Bundesrepublik 1949–1957. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 24 (3), S. 287–307. 210 Berghahn, Kapitalismus-Modell, S. 37. 211 Berghahn, Unternehmer, S. 158–171.
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erhielt die Bundesrepublik ab dem 1. Januar 1958 ihre kartellpolitische Autonomie. Mit der Verabschiedung des Gesetzes wurde auch die Gründung des Bundeskartellamtes beschlossen, das an das Bundesministerium für Wirtschaft angeschlossen wurde und im Jahr 1958 seine Arbeit aufnahm.212 Die Aufgabe des Bundeskartellamtes war die Durchsetzung der Bestimmungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Vorsitzender der zunächst fast ausschließlich mit Juristen besetzten Behörde wurde Eberhard Günther, der zuvor die im Bundeswirtschaftsministerium erarbeiteten Entwürfe zum Kartellgesetz verfasst hatte.213 Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen verbot Kartelle, sollte den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen verhindern und regelte die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen war ein wichtiges Element der durch ordoliberale Überzeugungen geprägten „Sozialen Marktwirtschaft“. Mit ihrer Betonung des Wettbewerbs bildete sie „a conscious departure from a German tradition of economic trusts and cartels and certainly showed some affinity to American notions of free enterprise.“214 Auch Christoph Buchheim sieht in dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen „einen entscheidenden Bruch mit der Tradition in Deutschland und eine grundlegende Neuorientierung der Ordnungspolitik“215. Andere Historikerinnen und Historiker haben die Idee einer wettbewerbspolitischen Zäsur zumindest stark relativiert. Mit ordoliberalen Positionen hatte das Gesetz, wie Horst Satzky in einem Aufsatz zu seiner Genese feststellte, „nicht mehr viel gemeinsam“216. Susanne Hilger zu Folge bildete es lediglich eine „verwässerte“217 Form der von den Ordoliberalen formulierten Ideale. Der Grund für diese Einschätzung liegt einerseits in der nur schwach ausgepräg-
212 Weber, Klaus (1968): Geschichte und Aufbau des Bundeskartellamtes. In: Karl Schiller (Hg.): Zehn Jahre Bundeskartellamt. Beiträge zu Fragen und Entwicklungen auf dem Gebiet des Kartellrechts. Köln, S. 263–270; Kurzlechner, Werner (2008): Fusionen – Kartelle – Skandale. Das Bundeskartellamt als Wettbewerbshüter und Verbraucheranwalt. München. 213 Satzky, Grundsätze, S. 232. Zu Günther, siehe auch: Löffler, Bernhard (2002): Soziale Marktwirtschaft und administrative Praxis. Das Bundeswirtschaftsministerium unter Ludwig Erhard. Wiesbaden, S. 73–74. 214 Logemann, Affluent Societies, S. 79. 215 Buchheim, Christoph (1997): Einführung in die Wirtschaftsgeschichte. München, S. 104. Siehe auch: van Hook, James C. (2004): Rebuilding Germany. The creation of the social market economy, 1945–1957. Cambridge/New York; Gerber, David J. (2001): Law and Competition in Twentieth Century Europe. Protecting Prometheus. Oxford; Nicholls, Anthony J. (1994): Freedom with Responsibility. The social market economy in Germany, 1918 – 1963. Oxford. 216 Satzky, Grundsätze, S. 233. 217 Hilger, Susanne (2005): Zur Genese des „German Model“. Die Bedeutung des Ordoliberalismus für die Ausgestaltung der bundesdeutschen Wettbewerbsordnung nach dem Zweiten Welt-
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ten Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, andererseits in den zahlreichen Ausnahmebereichen, die im Zuge der Auseinandersetzungen während der 1950er Jahre in das Gesetz eingebaut worden waren.218 Im Jahr 1965 wurde das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen erstmals novelliert. In diesem Zuge wurde die zuvor eher laxe Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen etwas verschärft. Den Unternehmen wurden nun deutlichere Anweisungen dazu gemacht, unter welchen Umständen sie eine Fusion beim Kartellamt anzuzeigen hatten. Außerdem konnte das Kartellamt nun auch selbständig Bußgelder verhängen.219 Gleichzeitig wurden den kleinen und mittelständischen Unternehmen neue Möglichkeiten der Kooperation eingeräumt.220 Eine zweite Kartellgesetz-Novelle, die bereits Ende der 1960er Jahre vorbereitet wurde und am 1. Januar 1974 in Kraft trat, war dagegen deutlich tiefgreifender. Sie reagierte auf die zunehmend kritische Haltung der deutschen Bevölkerung gegenüber der Macht der großen Konzerne und auf die im Zuge der Inflation der 1970er Jahre gewachsene Preissensibilität. Neben einer weiteren Kooperationserleichterung für kleine und mittlere Unternehmen verschärfte sie die Missbrauchsaufsicht und führte erstmals eine Zusammenschlusskontrolle ein.221 Marktstarke Unternehmen mit mehr als 10.000 Beschäftigten oder einem
krieg. In: Paul Windolf (Hg.): Finanzmarkt-Kapitalismus. Analysen zum Wandel von Produktionsregimen. Köln, S. 222–241. Hier S. 223. 218 Erstens wurden ganze Wirtschaftszweige wie die Verkehrswirtschaft, die Landwirtschaft, die Banken und die öffentliche Versorgungswirtschaft von den Bestimmungen des Gesetzes ausgenommen. Zweitens genehmigte das Gesetz verschiedene Formen von „Sonderkartellen“ wie Exportkartellen, Rationalisierungskartellen oder Rabattkartellen, die als Ausnahmen des strikten Kartellverbots galten. Darüber hinaus erhielt der Bundesminister für Wirtschaft die Erlaubnis, im Rahmen einer Ausnahmegenehmigung weitere Kartellverträge zu genehmigen. Als weitere Einschränkung ordoliberaler Idealvorstellungen legalisierte das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen die vertikale Preisbindung der zweiten Hand. Siehe: Hesse, Jan-Otmar (2016): Abkehr vom Kartelldenken? Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen als ordnungspolitische und wirtschaftstheoretische Zäsur der Ära Adenauer. In: Hans-Günther Hockerts und Günther Schulz: Der „Rheinische Kapitalismus“ in der Ära Adenauer. Paderborn, S. 29–51. Zur Fusionskontrolle, siehe: Kurzlechner, Fusionen, S. 94. 219 Bis dahin hatte das Kartellamt das Bußgeld gerichtlich durchsetzen müssen. Bei der Anzeige der Fusion hatte die Regel gegolten, dass Unternehmen, deren Marktanteil nach einer Fusion 20 Prozent übersteigen würde, ihre Fusion beim Kartellamt anmelden mussten. Nach 1965 musste eine Fusion auch dann gemeldet werden, wenn die Unternehmen zusammen mehr als 10.000 Beschäftigte, 400 Mio. Mark Umsatz oder eine Bilanzsumme über 200 Milllionen Mark aufwiesen. 220 Satzky, Grundsätze, S. 236. 221 Zur Erleichterung der Kooperation im Rahmen der sogenannten „Mittelstandsempfehlung“, siehe: Schulte, Günther (1998): Das nationale Kartellrecht und seine Bedeutung für die
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Jahresumsatz von mindestens 500 Mio. Mark bedurften vor einem Zusammenschluss nun der Genehmigung des Bundeskartellamtes. Als marktbeherrschend galten die Unternehmen bereits dann, wenn sie einen Drittel des Marktes kon trollierten.222 Als weitere Maßnahme der Novelle wurde zudem die Preisbindung der zweiten Hand verboten. Das Verbot der Preisbindung der zweiten Hand traf die deutsche Markenartikelindustrie und den mittelständischen Facheinzelhandel hart. Die Legalisierung der Preisbindung war bei all den Ausnahmen im 1957 verabschiedeten Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen der für diese beiden Gruppen wichtigste Aspekt gewesen. Sie hatte eine über Jahrzehnte lange Kontinuität preispolitischer Beziehungen zwischen Herstellern und Händlern wieder hergestellt. Seit der Entstehung des Markenartikels in Deutschland in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts war die Preisbindung ein zentrales Element unternehmerischer Preispolitik gewesen.223 Noch in den 1920er Jahren war ihre Anwendung dem Rechtswissenschaftler Mikael Budich zu Folge „unter dem Gesichtspunkt der Vertragsfreiheit für zulässig erachtet und keiner eigentlichen wettbewerbspolitischen Wertung unterworfen“224 worden. Die 1930er Jahre sahen zwar eine Reihe von Gesetzesänderungen, die eine Meldepflicht für preisgebundene Waren einführten und die Preisbindung unter eine stärkere Missbrauchsaufsicht stellte. Ein grundsätzliches Verbot der Preisbindung war damit aber nicht verbunden gewesen.225 Das änderte sich mit der Niederlage im Zweiten Weltkrieg und der Besetzung Deutschlands durch die Alliierten. Von dem Ziel der Dekartellisierung war auch das Institut der vertikalen Preisbindung betroffen.226
strategische Entwicklung der Verbundgruppen. In: Günter Olesch (Hg.): Kooperation im Wandel. Zur Bedeutung und Entwicklung der Verbundgruppen. Frankfurt am Main, S. 183–206. Hier S. 187–188 und Stahl, Klaus (1978): Kooperationsförderung und Kartellgesetznovelle. In: Wirtschaft und Wettbewerb 28 (1), S. 7–13. 222 Kurzlechner, Kartelle, S. 102–104. 223 Wörmer, Peter (1962): Vertikale Preisbindung. Berlin, S. 15 und Uherek, Edgar W. (1962): Zur Entwicklung der vertikalen Preisbindung. In: Karl Christian Behrens (Hg.): Wandel im Handel. Wiesbaden, S. 37–58. 224 Budich, Mikael (1992): Der Geltungsbereich des kartellrechtlichen Preisbindungsverbotes nach § 15 GWB beim Warenabsatz über Verkaufsagenten unter besonderer Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des Bundeskartellamtes und der Gerichte zu den Telefunken-Vertriebsverträgen. Univ. Saarbrücken, Diss., S. 34. 225 Ebd., S. 37. 226 Das „Bronson-Memorandum“ vom 21.6.1948 verbot explizit die Anwendung der vertikalen Preisbindung. Das eindeutige Verbot wurde allerdings am 18. November 1952 mit der Erscheinung des sogenannten „Willner-Briefes“ wieder aufgeweicht. Die Alliierten sicherten den Unternehmen zu, eine Anwendung der Preisbindung nicht weiter straf- und verwaltungsrechtlich zu
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Die Legalisierung der Preisbindung hatte einen Zankapfel während der gesamten Verhandlungen über das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in den 1950er Jahren gebildet. Ludwig Erhard, der sich zunächst gegenüber den Forderungen der Markenartikelhersteller offen zeigte, änderte im Laufe der Zeit seine Meinung. Das Bundeswirtschaftsministerium war an einer Modernisierung des Einzelhandels interessiert, die der Meinung ihrer Angehörigen nach günstigere Verbraucherpreise, eine geringere Inflationsrate und ein Mittel gegen Lohnforderungen der Gewerkschaften bewirken könnte.227 Die Preisbindung stand dem Ziel der Modernisierung entgegen, weil sie den Preismechanismus auf Einzelhandelsebene außer Kraft setzte und dadurch Innovations- und Rationalisierungsanreize fehlten. In dem Wunsch der Markenartikelhersteller, ihre Preise zu binden, sah der Ökonom Fritz W. Meyer in Wahrheit nichts anderes als ein „Kampf für die Existenz von Kartellen der Markenartikelhersteller“228. Auch Erich Hoppmann, dessen Studie „Vertikale Preisbindung und Handel“ im Jahr der Verabschiedung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen erschien war der Meinung, die Kartellgefahr würde „zumindest sehr nahe liegen“229. Im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen wurde die Preisbindung nur unter strengen Auflagen legalisiert. Die Markenhersteller waren verpflichtet, ihre Preisbindungen beim Bundeskartellamt anzumelden. Das Bundeskartellamt konnte sie jederzeit für nichtig erklären, wenn sie missbräuchlich gehandhabt wurde, die Preise künstlich verteuerte oder ein Sinken der Preise verhinderte. Ein
verfolgen. Die Frage ihrer zivilrechtlichen Gültigkeit wurde an die Gerichte verwiesen, die sich in den 1950er Jahren mit einer Reihe von Preisbindungsfällen auseinanderzusetzen hatten. Vgl. Budich, Geltungsbereich, S. 38. Siehe auch: Röper, Burkhardt (1955): Die vertikale Preisbindung bei Markenartikeln. Untersuchungen über Preisbildungs- und Preisbindungsvorgänge in der Wirklichkeit. Tübingen, S. 87–88; Beyenburg-Weidenfeld, Ursula (1992): Wettbewerbstheorie, Wirtschaftspolitik und Mittelstandsförderung, 1948 – 1963. Die Mittelstandspolitik im Spannungsfeld zwischen wettbewerbstheoretischem Anspruch und wirtschaftspolitischem Pragmatismus. Stuttgart., S. 217 und Fachabteilung 14. Rundfunk und Fernsehen im ZVEI: Rundschreiben F 14 Nr. 30/56. 25. Oktober, 1956. In: DTMB/AEG, GS 2656. 227 Logemann, Affluent Societies, S. 92. 228 Meyer, Fritz Walter (1954): Warum feste Preise für Markenartikel? Auseinandersetzung mit einer Interessentenideologie. In: Ordo 6, S. 133–165. Hier S. 164. Vgl. auch Büntig, Heinz (1957): Kartellersatz durch vertikale Preisbindung. In: Wirtschaft und Wettbewerb 7 (3), S. 143–165. Eine gegensätzliche Position bei Mellerowicz, Konrad (1963): Markenartikel. Die ökonomischen Gesetze ihrer Preisbildung und Preisbindung. 2. Aufl. München/Berlin [Erste Auflage 1955], S. 265–273. 229 Hoppmann, Erich (1957): Vertikale Preisbindung und Handel. Berlin, S. 59. Siehe allgemein: Schröter, Harm G. (1999): Konsumpolitik und „Soziale Marktwirtschaft“. Die Koexistenz liberalisierter und regulierter Verbrauchsgütermärkte in der Bundesrepublik der 1950er Jahre. In: Hartmut Berghoff (Hg.): Konsumpolitik. Göttingen, S. 113–133.
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weiterer Verbotsgrund war, wenn die Preisbindung die Erzeugung der Produkte oder ihren Absatz beschränkte.230 Eine praktische Relevanz hatten die Auflagen zunächst nicht. Fast 20.000 preisgebundene Artikel in der Bundesrepublik meldete das Bundeskartellamt für das Jahr 1960. Umfragen zeigten eine weit verbreitete Zustimmung innerhalb der Bevölkerung. Unmittelbar nach Inkrafttreten des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen sprachen sich 68 Prozent der vom Demoskopischen Institut Allensbach befragten Deutschen für gebundene Preise aus.231 Wie Tabelle 25 zeigt, musste aber auch das Demoskopische Institut Allensbach feststellen, dass die Zustimmung im Laufe der 1960er Jahre rapide sank. Tabelle 25: Einstellung deutscher Konsumenten gegenüber der Preisbindung, 1958–1975232 1958
1962
1967
1975
Für gebundene Preise
68
62
53
40
Gegen gebundene Preise
22
29
36
52
Unentschieden
10
9
11
8
An verschiedenen Stellen wurde darauf hingewiesen, dass auch die faktische Bedeutung der Preisbindung als preispolitische Praxis in dieser Zeit abnahm. Neue Handelsformen wie Discounter und Verbrauchermärkte traten als vernehmbare Kritiker an die Seite der liberalen Volkswirte und boten den Konsumenten
230 Vertikale Preis- und Vertriebsbindungen im Kartellgesetz. In: Markenartikel, September 1957, S. 427–436. Hier S. 436. 231 Das Vorgehen des Instituts, das dem Markenartikelverband nahe stand, war dabei durchaus suggestiv. Die Konsumenten waren aufgefordert, einer von zwei Aussagen ihre Zustimmung zu geben. Die erste Aussage lautete: „Ich bin dafür, daß Markenartikel überall den gleichen Preis haben. Man kann sich fest darauf einrichten. Außerdem braucht man nicht weit herumzulaufen, sondern kann in jedem Geschäft kaufen.“ Die andere Aussage lautete: „Ich finde es gut, wenn die Geschäft von sich aus entscheiden, zu welchem Preis sie die Markenartikel verkaufen wollen. Da kann man sich in den verschiedenen Geschäften umsehen und immer da kaufen, wo es am billigsten ist.“ Noelle-Neumann, Elisabeth; Schmidtchen, Gerhard (1968): Verbraucher beim Einkauf. Eine wirtschaftssoziologische Studie über die Rolle des Markenartikels. Allensbach, S. 71. 232 Quellen: Noelle, Elisabeth (1959): Der Markenartikel im Urteil der Verbraucher. Eine sozialpsychologische Untersuchung. Allensbach; Noelle-Neumann/Schmidtchen, Verbraucher u. Noelle-Neumann, Elisabeth (Hg.) (1974/1976): Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie. München.
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Ausweichmöglichkeiten an.233 Spektakuläre Preissenkungen bei Elektrogeräten, Spirituosen und Schokolade Anfang der 1960er Jahre läuteten nach Meinung von Historikern das Ende der Preisbindung ein. Ralf Banken hat diesbezüglich die These aufgestellt, dass Strukturveränderungen der Wirtschaft, nämlich der Wandel von einem Verkäufer- zu einem Käufermarkt, den Zusammenbruch bewirkt hätten. Die Entstehung der bundesdeutschen Massenkonsumgesellschaft habe die Anwendung der Preisbindung für die Unternehmen „nutzlos“234 gemacht. Die Zahl der beim Bundeskartellamt angemeldeten Preisbindungen, die in Grafik 36 abgebildet sind, spiegeln diese Interpretation nur bedingt wider. Ein erheblicher Einbruch zu Beginn der 1960er Jahre ist feststellbar. Auch danach sinkt die relative Bedeutung der Preisbindung weiter, da die Zahl der gehandelten Markenartikel während dieser Zeit dramatisch zunimmt. Von einem flächendeckenden Bedeutungsverlust lässt sich angesichts der Zahlen aber nicht sprechen. Am Beispiel der Fernsehgeräteindustrie lässt sich diese im Allgemeinen schwer deutbare Entwicklung näher verfolgen. Die deutschen Fernsehgerätehersteller hatten die Legalisierung der Preisbindung sehnlichst erwartet und sich unmittelbar danach zu einem Preisbindungs-Kartell zusammengeschlossen. Die meisten in den späten 1950er verkauften Fernsehgeräte unterlagen der Preisbindung. Mit dem Preisverfall Anfang der 1960er Jahre und dem zwischenzeitlichen Niedergang der Preisbindung zerfiel auch das Kartell in seine Einzelteile. Das Ende der Preisbindung war dagegen nur von kurzer Dauer. Mit der Einführung des Farbfernsehens Ende der 1960er Jahre erlebte die Preisbindung ein Comeback, das bis Anfang der 1970er Jahre andauerte. Von der Idee einer für sie vorteilhaften Preisbindung hatten sich die Hersteller keineswegs verabschiedet.
233 Siehe bspw. Schnitzler, Theo: Gebt die Preise frei! In: Discount-Informationen, Januar 1967, S. 1–5 und Schenk, Hans-Otto: Die Bedeutung der Preisbindung für den Discounthandel. In: Discount-Informationen, November/Dezember 1967, S. 23–24. 234 Banken, Ralf (2007): Schneller Strukturwandel trotz institutioneller Stabilität. Die Entwicklung des deutschen Einzelhandels, 1949 – 2000. In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (2), S. 117–145. Hier S. 143.
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250.000 200.000 150.000 100.000 50.000 0
1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 Zahl der beim Bundeskartellamt angemeldeten Preisbindungen
Grafik 36: Zahl der beim Kartellamt angemeldeten Preisbindungen in der BRD, 1960–1973235
Das 1973 erlassene Verbot der vertikalen Preisbindung beraubte die Markenartikelhersteller allerdings nur einer Möglichkeit, die vertraglichen Beziehungen zu ihren Abnehmern im Sinne einer Beschränkung des Wettbewerbs zu gestalten. Eine andere Möglichkeit, die den Anbietern noch offen stand, war die sogenannte selektive Vertriebsbindung. Bei dieser Form des Absatzes bestimmt der Anbieter nicht den Endverbraucherpreis seiner Ware. Er kontrolliert aber, an welche Groß- und Einzelhändler sie geliefert werden darf. Die selektive Vertriebsbindung ähnelt den amerikanischen Franchise-Verträgen und der „territorialen Exklusivität“. Auch bei ihr werden Bedingungen an die Abnehmer gestellt, die durch die Garantie eines begrenzten Wettbewerbs „erkauft“ werden. Die an die Händler gestellten Bedingungen reichten von der Bereitstellung einer bestimmten Serviceleistung bis hin zu dem Verzicht auf Preiskämpfe, wobei Letzteres aus kartellrechtlichen Gründen so gut wie nie vertraglich näher bestimmt wurde.236 Wie die Preisbindung war auch die Vertriebsbindung bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs nicht generell verboten gewesen. Sie hatte lediglich einer zivilrechtlichen Regelung unterlegen. Bei dieser musste von Fall zu Fall entschieden werden, ob eine sittenwidrige Beschränkung der wirtschaftlichen Freiheit des Vertragspartners vorlag.237 Mit den Dekartellierungsgesetzen der Alliierten wurden die vertikalen Bindungen einem grundsätzlichen Verbot unterworfen.238 Im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen wurde die Frage vertika-
235 Quelle: Bericht des Bundeskartellamtes über seine Tätigkeit … sowie über die Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet (versch. Jg.). 236 Zum Begriff der Vertriebsbindung, siehe: Niens, Hans-Joachim (1968): Die Vertriebsbindung als absatzpolitisches Instrument der Markenartikel-Industrie, Freiburg/Berlin, S. 9–14. 237 Lehmpfuhl, Rolf-S (1965): Vertriebsbindungen. Ihre Formen, Funktionen sowie wettbewerbs- und kartellrechtliche Bedeutung. Köln, S. 39–40. 238 Lehmpfuhl, Vertriebsbindungen, S. 41.
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ler Verträge nur insofern berücksichtigt, als diese im Sinne einer unrechtmäßig wettbewerbsbeschränkenden Handlung interpretiert und auf dieser Grundlage untersagt werden konnten. Das in Paragraf 26 des Gesetzes festgeschriebene Diskriminierungsverbot untersagte zwar die unrechtmäßige Einschränkung anderer Marktteilnehmer.239 Insbesondere als „marktstark“ geltende Unternehmen gerieten dadurch in den potentiellen Einflussbereich des Bundeskartellamtes. Ein allgemeines Diskriminierungsverbot, das wie der Robinson-Patman Act eine Ungleichbehandlung der Abnehmer generell untersagte, kam aber wohl auch wegen der wenig ermutigenden Erfahrungen, die man in den USA mit dem Gesetz gemacht hatte, nicht zu Stande.240 Aufgrund der in den 1950er Jahren rechtlich ungeklärten Situation kam zunächst nicht dem Bundeskartellamt, sondern dem Bundesgerichtshof die zentrale Rolle bei der Klärung zu, welchen Platz die selektive Vertriebsbindung in der bundesdeutschen Marktwirtschaft einnehmen durfte.241 Wie sich im Fall des Fernsehgeräteherstellers Saba zeigte, legte der Bundesgerichtshof zunächst eine relativ großzügige Haltung an den Tag. Saba hatte einem Händler die Lieferung verweigert, dessen Preispolitik der Vertriebspolitik des Herstellers zuwiderlief. Der Bundesgerichtshof sah dies als einen legitimen Grund für die Beendigung eines Vertrags, sofern der gesperrte Händler dadurch nicht „zu künftigem Wohlverhalten im Sinne des Herstellers veranlaßt werden soll(te)“242. Der Abbruch der Beziehungen war also nur dann legal, wenn damit nicht eine spätere Wiederaufnahme verbunden war. Hier widersprach der Bundesgerichtshof der Ansicht des Bundeskartellamtes, das der Meinung war, dass „ein Hersteller das Preisverhalten eines Händlers grundsätzlich nicht zum Anlaß einer Liefereinstellung nehmen dürfe“243.
239 Tietz, Markt, S. 1292; Völp, Fromut: Markenartikel und Kartellrecht. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Januar 1958, S. 8–9. 240 Loewenheim, Ulrich: Aktuelle Probleme des kartellrechtlichen Diskriminierungsverbots. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, April 1982, S. 190–195. Hier S. 190; Gerber, David J. (1982): The German Approach to Price Discrimination and other Forms of Business Discrimination. In: The Antitrust Bulletin 27 (1), S. 241–273. Hier S. 245. Siehe allgemein: Kamecke, Ulrich (1998): Vertical Restraints in German Antitrust Law. In: Stephen Martin (Hg.): Competition Policies in Europe. Amsterdam, S. 143–159; Lehmpfuhl, Vertriebsbindungen; Martinek, Michael (2000): Vertriebsrecht und vertikale Integration in der BGH-Rechtsprechung. In: Claus-Wilhelm Canaris (Hg.): 50 Jahre Bundesgerichtshof. München, S. 101–152. 241 Lehmpfuhl, Vertriebsbindungen, S. 42. 242 Benisch, Werner: Individuelle Liefer- und Bezugsverweigerung aus Gründen der Marktpflege. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Juli/August 1966, S. 235–240. Hier S. 235. 243 Ebd.
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Nach Verabschiedung der zweiten Kartellgesetznovelle stellte sich das Problem der Vertriebsbindung neu dar. Bereits Ende der 1960er Jahre hatte sich angedeutet, dass Bundeswirtschaftsministerium und -kartellamt an einer Ausweitung der Missbrauchskontrolle marktbeherrschender Unternehmen interessiert waren.244 Die Zweite Novelle des Kartellgesetzes verschärfte die Bestimmungen, unter denen eine diskriminierende Handlung als legitim betrachtet wurde. Liefersperren wurden nicht länger nur aus Sicht der Marktposition des Zulieferers bewertet, sondern auch danach, ob die belieferten Unternehmen vom Anbieter abhängig waren. Ausschlaggebend dafür war die Frage, ob die Händler ausreichende und zumutbare Ausweichmöglichkeiten hatten.245 Im Laufe der 1970er zeigte sich ein zunehmender Einfluss der europäischen Wettbewerbsgesetzgebung, die in den 1950er und 1960er Jahren für die meisten deutschen Unternehmen nur bei grenzüberschreitenden Geschäften eine direkte Relevanz gehabt hatte. Die EWG-Kommission bestätigte im Jahr 1970 die Einschätzung des Bundesgerichtshofs, dass ein per se-Verbot selektiver Vertriebssysteme nicht bestehe.246 Die stete Veränderung der deutschen Wettbewerbsgesetze seit den 1950er Jahren prägte die Handlungsspielräume der deutschen Unternehmen zutiefst. Insbesondere das Verbot der Kartellierung versperrte einen über Jahrzehnte als selbstverständlich wahrgenommenen Weg, die Unsicherheit des Marktes zu reduzieren. Das Verhältnis zwischen Herstellern und Händlern war von diesen Prozessen unmittelbar abhängig. Im Folgenden wird an einer Reihe von Fallbeispielen diese Abhängigkeit näher beleuchtet.
244 Leo, Hans-Christoph: Marktbeherrschende und marktstarke Unternehmen. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Juni 1970, S. 197–204. 245 Kontrahierungsrecht nach neuem Kartellrecht. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, März 1974, S. 137. 246 Spormann, Kurt: Europäischer Alleinvertrieb. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Februar 1971, S. 49–55. Hier S. 53; Hermanns, Ferdinand: Selektiver Vertrieb nach Europäischem Wettbewerbsrecht. Zugleich eine Besprechung der Saba-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 25. Oktober 1977. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, März 1978, S. 172–175; Zum Urteil Metro SB-Großmärkte GmbH & Co. KG und Verband des SB-Großhandels e. V. gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften und Saba vom 25.10.1977. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Dezember 1977, S. 779.
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6.2.2 Das „Fernsehkartell“. Die deutsche Industrie und die Preisbindung Im Sommer 1953, mit Beginn des Fernsehens in der Bundesrepublik, startete die Firma Grundig gemeinsam mit dem Fachgroß- und Einzelhandel eine „Aktion zur Herbeiführung gesunder wirtschaftlicher Verhältnisse“. Grundig war gerade auf dem Weg zum größten deutschen Rundfunkunternehmen der Nachkriegszeit. Das Ziel der Aktion war die Beseitigung um sich greifender „Mißstände“, die das Unternehmen als „Preisschleudereien“ und „Direktlieferungen“ identifizierte.247 Unter Preisschleudereien verstand Grundig die Praxis, dass sich die Einzelhändler gegenseitig in den Preisen unterboten. Mit Direktlieferungen war gemeint, dass ein Großhändler seine Geräte statt an den Einzelhandel auch an Privatpersonen verkaufte. Das nahm den Einzelhändlern einen Teil ihrer Kundschaft und vermittelte dieser das Gefühl, die Geräte anderswo günstiger zu erhalten. Dies wiederum verschärfte den Konkurrenzkampf der Einzelhändler und führte zu weiteren „Preisschleudereien“. Darunter litt auch der Fachgroßhandel, weil die Einzelhändler sich weigerten, ihm die Geräte zu den alten Preiskonditionen abzunehmen. Max Grundig kannte diese Probleme des Groß- und Einzelhandels aus eigener Erfahrung. Mit 20 Jahren war er Ende der 1920er Jahre als Radioeinzelhändler in das noch junge Rundfunkgeschäft eingestiegen. Zum Wechsel in die Produktion von Radiogeräten hatte ihn schließlich der Wuppertaler Elektrogroßhändler Erich Rüsing überredet, der sich vertraglich verpflichtete, ihm die Hälfte der hergestellten Geräte abzunehmen. Grundig war skeptisch gewesen, weil er als Außenseiter seine Verdrängung aus der Produktion befürchtete, sobald die großen und etablierten Hersteller wie Telefunken, Loewe oder Saba ihren durch Kriegszerstörung, Demontage und Besatzung erlittenen Rückschritt überwunden hätten. Ein wesentlicher Grund für Grundigs Erfolg lag in seinem „ausgeklügelten Vertriebssystem“, das Grundig seit Ende des Krieges durch enge Kontakte zu einer Handvoll „wendige(r) Händler, die sich auf dem Schwarzmarkt auskannten“, aufgebaut hatte.248 Die über regionale Vertriebsmonopole verfügenden Werksvertreter verpflichteten sich zur Abnahme einer bestimmten Quote der Produktion, einer schnellen Barzahlung der Ware sowie der Schaltung von Werbung in ihren Vertriebsbezirken. Sie finanzierten darüber hinaus die Expansion Grun-
247 Grundig Radio-Verkaufs-GmbH. Einschreiben (Abschrift). 3. August , 1953. In: DTMB/AEG, GS 2597. 248 Die neuen Größen. In: Der Spiegel, 15. Januar, 1958, S. 18–28. Hier S. 21–23.
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digs, indem sie ein komplexes Verfahren der Wechselmanipulation mittrugen.249 Die ökonomische Expansion Grundigs ließ die Werksvertreter bald an ihre finanziellen Grenzen stoßen. Im Laufe der 1950er Jahre fielen sechs der zehn Werksvertreter Grundigs Expansion zum Opfer. Bereits im August 1953, dem Zeitpunkt, zu dem Grundig seine „Aktion zur Herbeiführung gesunder wirtschaftlicher Verhältnisse“ startete, hatten sich die Werksvertreter gegen Grundig mit der Forderung verschworen, nicht länger zur Abnahme der von Grundig festgelegten Mengen verpflichtet zu sein. Grundig kam dieser Forderung nicht nach und war bereits dazu übergegangen, die engen Bindungen zu seinen Werksvertretern durch die Belieferung einzelner selbständiger Großhändler zu unterlaufen. Die Aktion ist daher nicht nur im Sinne der Beschwichtigung des Groß- und Einzelhandels zu sehen. Sie war im Fall Grundigs auch ein zentrales Element einer sich vollziehenden vertriebspolitischen Wende. Im weiteren Verlauf der 1950er Jahre gründete Grundig eine eigene Vertriebsgesellschaft, die mit eigenen Standorten einen Anlaufpunkt für Groß- und Einzelhändler vor allem in den Großstädten bildete. Mit etwa 40 selbständigen Großhändlern schloss Grundig Lieferverträge.250 Den Kern der Aktion Grundigs bildete ein sogenannter Revers, ein rechtlich bindender Vertrag zwischen Anbietern und Abnehmern. Der Revers enthielt bestimmte beiderseitige Verpflichtungen. Grundig verpflichtete in dem Vertrag alle mit Rundfunk- und Fernsehgeräten belieferten Groß- und Einzelhändler auf die Erfüllung verschiedener Leistungen wie die adäquate Präsentation der Geräte und den Betrieb einer Reparaturwerkstatt. Damit verbunden war aber auch die Forderung, die von Grundig vorgegebenen Preise einzuhalten, also die Einführung einer vertikalen Preisbindung. Im Gegenzug verpflichtete sich Grundig, nur solche Händler zu beliefern, die ein Revers unterschrieben hatten. Damit passte sich Grundig einer Vertriebspolitik an, die in den anderen Unternehmen der deutschen Rundfunkindustrie seit Jahrzehnten etabliert war. Die anderen Fern-
249 Von der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank lieh sich Grundig Geld, indem er als Sicherheiten die an die Werksvertreter bestehenden Forderungen an die Bank übertrug. Parallel ließ er sich von den Werksvertretern Wechselakzepte für dieselben Forderungen ausstellen und diskontierte diese ebenfalls bei der Bayerischen Hypo, welche sich ihrerseits bei der Landeszen tralbank refinanzierte. Die neuen Größen. In: Der Spiegel, 15. Januar, 1958, S. 18–28. Hier S. 21–22. Zur Biographie Grundigs siehe auch die Darstellungen in: Prinz von Bayern, Konstantin (1956): Die grossen Namen. Begegnungen mit bedeutenden Deutschen unserer Zeit. München, S. 200– 230; Bronnenmeyer, Christl (1999): Max Grundig. Berlin; Mayer, Alexander (2008): Grundig und das Wirtschaftswunder. Erfurt und Fein, Egon (1983): Sieben Tage im Leben des Max Grundig. München. Eine solide Unternehmerbiographie liegt bis heute nicht vor. 250 Ebd.
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sehgerätehersteller wie Loewe, Blaupunkt, Philips, Nordmende oder Telefunken führten zur selben Zeit nahezu identische „Aktionen“ durch.251 Ein Jahr später schrieb der „Deutsche Radio- und Fernseh-Fachverband e. V.“, der die Interessen des mittelständischen Facheinzelhandels vertrat, an die Hersteller, dass die eingeführte Preisbindung die Erwartungen nicht erfüllt habe. Ihr Zustand erweise sich „als rein formaler Natur“252. Jede Vertragstreue seitens der Einzelhändler führe zur Abwanderung der Konsumenten. Der Fachverband, der die Verantwortung auf Seiten der Hersteller sah, bat diese eindringlich, sich für eine konsequente Durchsetzung der Preisbindung und den Ausschluss nicht-vertragstreuer Handelspartner einzusetzen. Die Hersteller wiesen die Schuldzuweisung von sich. Telefunken antwortete dem Verband mit einem Verweis auf die in Deutschland etablierte Kartellmentalität. Seit 30 Jahren vertrete man „wie kaum eine andere Firma“253 den Standpunkt der Preisbindung. Der Einzelhandel habe aber durch sein Verhalten die „im Vertrauen auf die versprochene Unterstützung“ des Handels eingeleiteten Maßnahmen untergraben. Die Durchsetzung der Preisbindung sei nicht zuletzt dadurch erschwert, dass der Einzelhandel gebrauchte Geräte zu „ganz willkürlich“ 254 gesetzten Preisen entgegen nehme, um die Preisbindung der zweiten Hand zu umgehen. Die Forderung der Einhaltung der Preisbindungsreverse mit einem vorgezeichneten Absatzweg war in der BRD zu diesem Zeitpunkt schwierig durchzusetzen, weil die Drohung der Vertragskündigung gegenüber den Großhändlern
251 Schreiben Loewe Opta. Betr.: Marktordnung – Preisbindung der zweiten Hand. Kronach, im Juli 1953. In: DTMB/AEG, GS 2597; Richtlinien für den Vertrieb von Blaupunkt-Heimradio- und Fernseh-Empfängern. In: Ebd.; Zusatz zu den Liefer- und Zahlungsbedingungen der Deutsche Philips GmbH. In: Ebd; Ergänzungen zu den Nordmende-Lieferungsbedingungen. Bremen, den 25. August, 1953. In: Ebd.; Nowack/Mannhardt an den Deutschen Radio- und Fernseh-Fachverband e. V. Betr.: Preisbindung der 2. Hand. 4. Januar, 1955. In: Ebd. 252 Deutscher Radio- und Fernseh-Fachverband e. V. 1 Jahr Preisbindung der zweiten Hand. Köln, den 2. November, 1954. In: DTMB/AEG, GS 2597. 253 Nowack/Mannhardt an den Deutschen Radio- und Fernseh-Fachverband e. V. Betr.: Preisbindung der 2. Hand. 4. Januar, 1955. In: DTMB/AEG, GS 2597. In einem Antwortschreiben an den Wirtschaftswissenschaftler Burkhart Röper, der Anfang der 1960er Jahre für seine Studie zur Preisbindung die Meinung verschiedener Unternehmen einholte, betonte Telefunken ebenfalls die Kontinuität der Preisbindung in der gesamten Rundfunkindustrie: „Die deutsche Rundfunkindustrie hat in ihrem rund vierzigjährigen Bestehen ihre Erzeugnisse als Markenartikel immer zu festen Konsumentenpreisen verkauft und diese Gepflogenheit auch in der Nachkriegszeit wieder aufgenommen.“ Nowack/Buchwald an Röper. Betr.: Vertikale Preisbindung. 18. September, 1963. In: DTMB/AEG, GS 1988. 254 Nowack/Mannhardt an den Deutschen Radio- und Fernseh-Fachverband e. V. Betr.: Preisbindung der 2. Hand. 4. Januar, 1955. In: DTMB/AEG, GS 2597.
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wenig effektiv war. Angesichts zahlreicher Vertragspartner war es den Großhändlern in der Bundesrepublik möglich, bei einer Vertragskündigung den verlorenen Anteil durch andere Zulieferer zu kompensieren. „Mitunter berühren Sperren […] einen Großhändler nicht weiter, weil der Marktanteil der Firma […] bei ihm relativ gering ist.“255 Die aus Sicht der traditionellen Hersteller sowie der Fachgroß- und Einzelhändler zentralen Probleme Mitte der 1950er Jahre, die „Preisschleudereien“ und Direktlieferungen des Großhandels an die Konsumenten, ließen sich auf dieser letztlich rein privat-vertraglichen Ebene nicht beheben. Die Direktverkäufe, die eine Abkürzung des Vertriebswegs durch den direkten Bezug bei Herstellern oder Großhändlern bezeichneten, machten Mitte der 1950er Jahre etwa 10–15 Prozent des Gesamtumsatzes im Markt für Fernsehgeräte aus. Zu diesem Ergebnis kam jedenfalls eine vom Zentralverband der Elek trotechnischen Industrie (ZVEI) gemachte Erhebung.256 Diese „Beziehungskäufe“ hingen neben der fehlenden Kontrolle des Großhandels auch damit zusammen, dass sowohl Hersteller als auch Händler bemüht waren, keinen offenen Preiswettbewerb auszutragen.257 Es ist angesichts dieses sich im halb-legalen Graubereich des Marktes abspielenden Verhaltens unmöglich festzustellen, wie viele der Händler sich an die Vereinbarungen tatsächlich hielten. Allein die weit verbreiteten Beschwerden liefern einen Hinweis darauf, dass die Vertragstreue nicht die unhinterfragte Norm war. Im Februar 1955 etwa schrieb der Radio-FernsehHändler, eine Fachzeitschrift des mittelständischen Rundfunk-Fernseh-Facheinzelhandels, man lese in den Tageszeitungen des Ruhrgebiets „beängstigend oft Artikel über den Direktbezug beim Großhandel oder durch die Einkaufsabteilungen der Gruben, Stahlwerke, Elektrizitätsgesellschaften und großer Produktionsfirmen.“258 Ein Vorstoß des ZVEI und der Fachgroß- und Einzelhandelsverbände mit dem Ziel, vertragsbrüchige Händler durch finanzielle Sanktionen abzuschrecken, scheiterte 1956/57 an einer ablehnenden Haltung der Kartellreferenten der Länder, der sich Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard anschloss. Mit Verweis auf die geltenden Dekartellierungsgesetze war das Bundeswirtschaftsministerium zu dem Schluss gekommen, dass „die Festsetzung von […] Bedingungen beim Ankauf oder Verkauf von Erzeugnissen und Gegenständen aller Art,
255 Fack, Fritz Ullrich: Das Rabattkartell der Rundfunkindustrie. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. September, 1958. 256 Fachabteilung Rundfunk und Fernsehen im ZVEI an das BWM (z Hd. Erhards). 15. April, 1957. Betr.: Unterbindung von Direktverkäufen. In: DTMB/AEG, GS 2656. 257 Nowack an die Geschäftsführer. Betr.: Fernsehgeschäft. 19. Juli, 1955. In: DTMB/AEG, GS 2896. 258 Sturmwarnung im Ruhrgebiet. In: Radio-Fernseh-Händler, Februar 1955, S. 51–54.
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der Ausschluss von Personen von Marktgebieten oder geschäftlichen Tätigkeitsbereichen, die Zuteilung von Kundschaft, der Boykott oder die diskriminierende Behandlung von Herstellern, Grossisten, Verbrauchern oder anderen Personen zum Zwecke der Ausschaltung oder Verhinderung des Wettbewerbs“259 verboten sei. Das BMWi argumentierte gegenüber dem ZVEI, dass der „Drang der Verbraucher zum Direktbezug“ unvermeidbar sei, solange die Preisvorteile gegenüber den Nachteilen des wegfallenden Kundendienstes so erheblich überwiegten. Die „Masse der Verbraucher“ strebe in ihrer „fortgesetzten und berechtigten Suche nach den billigsten Märkten“ zu jenen Bezugsquellen, die einen merkbaren Preisvorteil gewährten. „Es wäre ein Verstoß gegen die elementaren Gesetze, welche unsere Marktwirtschaft regieren, wollte man diese Bewegung unterdrücken.“260 Die Legalisierung der Preisbindung, die mit der Verabschiedung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen am 4. Juli 1957 einherging, kam der Industrie entgegen.261 Sie erlaubte den Herstellern und Händlern der Fernsehgeräteindustrie die Durchsetzung jener Maßnahmen, die das BMWi noch im Frühjahr desselben Jahres als Verletzung der elementaren Regeln der Marktwirtschaft ausgelegt hatte. Am 1. Januar 1958 trat das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in Kraft. Bereits im Juli trafen sich die Fernsehhersteller Graetz, Grundig, Mende, Philips und Telefunken, sowie Vertreter des Groß- und Einzelhandels zu einer Besprechung, deren Ergebnis die kollektive Einführung der Preisbindung der zweiten Hand war.262 AEG, Schaub-Lorenz, Blaupunkt, Loewe-Opta, Metz, Saba, Braun und Siemens schlossen sich wenig später der Gruppe an, so dass etwa 80 Prozent des Marktanteils an Fernsehgeräten auf die preisbindenden Unterneh-
259 Der Bundesminister für Wirtschaft an den Markenverband e. V. Betr.: Vertikale Vertriebsbindung/Vertraglicher Ausschluss des Direktverkaufs (Abschrift). 17. Dezember, 1956. In: DTMB/ AEG, GS 2656. 260 Fachabteilung Rundfunk und Fernsehen im ZVEI an das BWM (z Hd. Erhards). Betr.: Unterbindung von Direktverkäufen. 15. April 1957. In: DTMB/AEG, GS 2656. 261 Der folgende Abschnitt basiert teilweise auf meinem Artikel: Teupe, Sebastian (2014): Kontrolldenken. Vertikale Preisbindung, Hersteller-Händler-Beziehungen und die Transformation des Wettbewerbs im Markt für Fernsehgeräte zwischen den 1950er und 80er Jahren. In: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 59 (1), S. 47–72. Er stellt inhaltlich aber eine wesentliche Erweiterung dar. 262 Geschäftsbereich Geräte (Nowack) an die GS. Betr.: Marktordnung. 25. Juli, 1958. In: DTMB/ AEG, GS 4686. Siehe auch: Fernsehindustrie und -handel wünschen Preisbindung und Rabattkartell. In: Fernseh-Informationen, Februar 1958, S. 76.
6.2 Hersteller-Händler-Verhältnisse in der BRD
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men verteilt waren. Der Zusammenschluss wurde deshalb auch als deutsches „Fernsehkartell“ bezeichnet.263 Die kollektive Einführung der vertikalen Preisbindung im Sommer 1958 brachte nicht die Ordnung, die sich ihre Befürworter erhofft hatten. Wie an Grafik 37 abzulesen ist, stiegen die Lagerbestände zwischen 1957 und 1958 stark an und betrugen Ende des Jahres mehr als ein Zehntel der gesamten Produktion. Die Höhe war verglichen mit späteren Jahren keine dramatische Entwicklung. Aber da die Akteure diesen zukünftigen Vergleichsmaßstab nicht hatten, entfalteten die Lagerbestände der deutschen Fernsehgeräteindustrie eine besondere Wirkung. Vor dem Hintergrund der noch jungen Auseinandersetzungen um die Vor- und Nachteile einer „freien Marktwirtschaft“ bildeten sie ein greifbares Argument für die Gegner der Preisbindung. Die Lagerbestände waren ein Indiz dafür, dass der über Preise gesteuerte Anpassungsprozess zwischen Angebot und Nachfrage gestört war.264
263 Die Rundfunkindustrie hebt die Preisbindung auf. Marktgerechte Preise im freien Wettbewerb. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Januar, 1959 und Rundfunkmarkt noch nicht beruhigt. In: Deutsche Zeitung, 24. Januar, 1959. 264 Preisbindung für Markenartikel. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. Juli, 1958.
270
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4000
1000
3500
900 800
3000
700
2500
600
2000
500
1500
400 300
1000
200
500
100
0
0
Produktion Fernsehgeräte (SW) (in 1.000 Stück) Produktion Fernsehgeräte (Farbe) (in 1.000 Stück) Lagerbestand (am 31.12 des Jahres) (in 1.000 Stück) (rechte Achse) Grafik 37: Produktion und Lagerbestand der deutschen Fernsehgeräteindustrie, 1956–1973265
Bereits im Januar 1959 entschlossen sich die Unternehmen AEG, Deutsche Philips, Graetz, Grundig, Schaub-Lorenz und Telefunken dazu, die Preisbindung wieder aufzuheben. In einer gemeinsamen Erklärung hofften sie nun auf die Bildung „marktgerechter“266 Preise. Die Firmen würden sich bemühen, „in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit dem Handel eine neue Ordnung zu erreichen, die beiden Teilen gerecht werde“267. Die Deutsche Zeitung betrachtete die Kündigung der Preisbindung als einen Sieg des Marktes, den sie explizit in die Zusammenhänge der Auseinandersetzungen um die wettbewerbspolitische Gestaltung der sozialen Marktwirtschaft stellte. Der Markt habe „seine eigenen und stärkeren Gesetze
265 Teupe, Kontrolldenken, S. 56. 266 Preisbindung der zweiten Hand für Rundfunkgeräte fällt fort. In: Die Welt, 19. Januar, 1959. Siehe auch: Die Rundfunkindustrie hebt die Preisbindung auf. Marktgerechte Preise im freien Wettbewerb. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Januar, 1959; Der Preiseinbruch wird breiter. In: Die Welt, 20. Januar, 1959 und An Rückkehr zur Preisbindung vorerst nicht zu denken. In: Die Welt, 26. Januar, 1959. 267 Preisbindung der zweiten Hand für Rundfunkgeräte fällt fort. In: Die Welt, 19. Januar, 1959.
6.2 Hersteller-Händler-Verhältnisse in der BRD
271
[…], die sich nicht mit einer ,Marktordnung‘ reglementieren lassen […] Der Markt hat gesiegt.“268 Der Rest des „Fernsehkartells“ schloss sich der Maßnahme der sechs abtrünnigen Kartellmitglieder allerdings nicht an. Die Unternehmen Blaupunkt, LoeweOpta, Nord-Mende, Metz, Saba, Braun und Siemens beschlossen stattdessen, Preissenkungen vorzunehmen und die Preisbindung beizubehalten.269 Bis Ende Februar waren alle sechs Unternehmen zur Preisbindung zurückgekehrt.270 Der Volkswirt, ein der Preisbindung gegenüber kritisches Medium, sprach von einer „für den Wettbewerbstheoretiker entmutigende(n) Moral“271. Grundig betonte dagegen, Rabatte und Preise seien „marktgerecht“ geworden und die Preisbindung sei eine wirksame Maßnahme gegen Beziehungshandel und Direktverkäufe.272 Aus Sicht der Facheinzelhändler konnte von der Bildung „marktgerechter“ Preise kaum die Rede sein. Nachdem die Endverbraucherpreise wieder gebunden waren, versuchten die Hersteller über die Rabatte, die sie dem Handel gewährten, Wettbewerbsvorteile zu erzielen. In der Folge stiegen die Rabatte an.273 Viele Händler gaben die Einsparungen weiter, indem sie den Konsumenten trotz Preisbindung und Rabattgesetz hohe Preisnachlässe gewährten.274 Im Herbst entbrannte in Düsseldorf ein regelrechter „Preiskrieg“. Einzelne Händler waren dazu übergegangen, die eigentlich gebundenen Preise selbständig zu senken. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung begründete den Schritt damit, dass die Händler
268 Der Markt ist stärker. In: Deutsche Zeitung, 24. Januar, 1959. 269 Überraschend starke Verbilligungen. In: Der Tagesspiegel, 23. Januar, 1959. 270 Fünf der sechs Unternehmen waren bereits Anfang Februar umgeschwenkt, Grundig kehrte Ende Februar zum „Fernsehkartell“ zurück. Siehe: Kampf um die Preisbindung geht weiter. In: Die Welt, 30. Januar, 1959; Dissonanzen in der Rundfunkindustrie beseitigt. In: Süddeutsche Zeitung, 5. Februar, 1959; Beruhigung am Rundfunk- und Fernsehgerätemarkt. In: Fernseh-Informationen, Februar 1959, S. 99–100; Die Rückkehr der Grundig-Werke zur Preisbindung. Max Grundig über die künftige Marktpolitik. In: Fernseh-Informationen, Februar 1959, S. 120–121. 271 Preisbindungskomödie bei Rundfunkgeräten. In: Der Volkswirt 13 (8), 1959, S. 306. Siehe auch: Schachzüge um die Preisbindung. In: Der Volkswirt 13 (4), 1959, S. 131–132; Preisbindungspraxis und ihr Mißbrauch. In: Der Volkswirt 13 (2), 1959, S. 62–64. 272 Rundfunk- und Fernsehwirtschaft in der Interimszeit. In: Fernseh-Informationen, Februar 1959, S. 119–120. 273 Geräte-Vertrieb Fernsehen an die GS. Betr.: Bruttopreisänderung für Fernsehgeräte. 22. Dezember, 1959. In: DTMB/AEG, GS 2896. 274 Der Rachepreis. In: Der Spiegel, 4. Mai, 1960, S. 24–27.
272
6 Vertraute Bindungen. Hersteller und Händler in BRD und USA
„das unehrliche Spiel mit den nur für das Schaufenster bestimmten Preisen und den heimlichen Rabatten leid“275 gewesen seien. Trotz dieser kurzfristigen Turbulenzen blickten die Vertreter der Industrie am Ende des Jahres insgesamt positiv auf die Entwicklungen zurück. Die relativ hohen Lagerbestände des Jahres 1958 hatten zu einer kollektiven Produktionszurückhaltung entsprechend der Planvorgaben des ZVEI geführt.276 Die Lagerbestände waren, wie Grafik 37 gezeigt hat, Ende 1959 geringer als noch ein Jahr zuvor. Vor diesem Hintergrund nahmen die Vertreter der Fernsehgeräteindustrie einen neuen Anlauf, die seit Jahren laufenden Verhandlungen über ein Rabattkartell zu einem Abschluss zu bringen. Die Hersteller hatten mit dem Rabattkartell von Anfang an das Ziel verfolgt, „die Hersteller aus dem Rabattwettkampf beim Handel herauszubringen“277. Für den Groß- und Einzelhandel bedeutete eine solche kollektive Regelung die Gefahr einer schwächeren Verhandlungsposition gegenüber den Herstellern. Sie konnten sie nicht mehr gegeneinander ausspielen. Anders als bei der Preisbindung, die ein eigenes Anliegen war, hatten sich die Vertreter des Handels in den Verhandlungen daher hart gezeigt.278 Das hatte gerade vor dem Hintergrund der Marktbeunruhigungen für Verstimmungen zwischen Herstellern und Händlern gesorgt.279 Im April 1960 gelang es den Vertretern von Industrie und Handel schließlich, zu einer einvernehmlichen Lösung zu gelangen.280 Die gefundene Regelung sah
275 Geschäft und Gewissen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. September, 1959. Siehe auch Kapitel 7.2.2. 276 Fachabteilung Rundfunk und Fernsehen im ZVEI berichtet über das Jahr 1959. 29. März, 1960. In: DTMB/AEG, GS 2657. 277 Himmelmann an Heyne. Betr.: Marktordnung in der Rundfunk- und Fernsehwirtschaft. 16. Juni, 1958. In: DTMB/AEG, GS 2190. 278 Notiz. Betr.: Verkaufs- und Entwicklungsbesprechung am 27.10.1959 im G/W-H. In: DTMB/ AEG, GS 4595. Siehe auch: Rieger, Max: Die Preisbindung in der Rundfunk und Fernsehwirtschaft ging durch harte Prüfung. In: Fernseh-Informationen, Februar 1959, S. 97–99; Preisbindung ja – Rabattkartell fraglich! In: Fernseh-Informationen, Juli 1958, S. 453 und Rieger, Max: Die Situation in der Rundfunk- und Fernsehwirtschaft. In: Fernseh-Informationen, November 1958, S. 707–710. 279 Der Rundfunk-Krieg geht weiter. In: Die Welt, 21. Januar, 1959. 280 Aktennotiz (Nowack) (dem Sekr. Heymann vorgelegt am 29.4.1960). Betr.: Rabattkartell. In: DTMB/AEG, GS 1998. An dem „Hearing“ im BKA, das dem Abschluss des Kartells vorangegangen war, hatten neben den Kartellmitgliedern auch „Outsider“ wie Körting teilgenommen. Siehe: Das Rabattkartell für Rundfunk- und Fernsehgeräte. In: Fernseh-Informationen, März 1960, S. 226– 228 und Wieder freie Preise für alte Fernsehgeräte. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. April, 1960; Gesamtumsatz-Rabattkartell beantragt. In: Fernseh-Informationen, Januar 1960, S. 34–35; Die Bemühungen um das Rabattkartell. In: Fernseh-Informationen, Februar 1960, S. 135–137 und Das Kartell für Rundfunk- und Fernsehgeräte. In: Fernseh-Informationen, März 1960, S. 206. Selbst in den USA fand diese kollektive Regelung in der Branche der Unterhaltungselektronik
6.2 Hersteller-Händler-Verhältnisse in der BRD
273
eine Rabattstaffel vor, die deutlich unter den Ende der 1950er Jahre gewährten Rabatten von bis zu 45 Prozent lag und sich nach der Umsatzhöhe in zehn Kategorien zwischen bis 25.000 D-Mark und über 6 Mio. D-Mark gliederte. In welche Kategorie die Groß- und Einzelhändler fielen, bestimmte die Höhe der im Jahr zuvor getätigten Einkäufe von Radio- und Fernsehgeräten bei allen westdeutschen Herstellern zusammen. Das bedeutete, dass etwa ein größerer Einzelhändler, der den Großteil seiner Geräte bei Grundig oder Deutsche Philips bezog und dadurch auf einen Umsatz von über 1,5 Mio. D-Mark kam, auch von Loewe oder Saba bei selbst kleinen Mengen einen Rabatt von 30 Prozent erhielt. Bezog der Einzelhändler ausschließlich von Loewe, Telefunken und Saba Geräte im Umfang von weniger als 750.000 D-Mark durften ihm diese trotzdem nur einen Rabatt von 28,5 Prozent gewähren. Tabelle 26: Rabattstaffel des „deutschen Fernsehkartells“ von 1960281 Gesamtumsatzrabatt für Einzelhändler und Großhändler
Zusatzrabatt für Großhändler
bis 25.000 DM
20 %
–
bis 50.000 DM
23 %
–
bis 100.000 DM
25 %
–
bis 200.000 DM
26 %
–
bis 400.000 DM
27 %
4 %
bis 750.000 DM
28,5 %
4 %
bis 1.500.000 DM
30 %
4 %
bis 3.000.000 DM
31 %
4 %
bis 6.000.000 DM
32 %
4 %
über 6.000.000 DM
32,5 %
4 %
Der Mindest-Rabatt für Umsätze unter 25.000 D-Mark betrug 20 Prozent. Bei über sechs Mio. D-Mark konnte ein Händler 32,5 Prozent Rabatt erzielen. Großhändler
Beachtung. Siehe: In Germany Strong Cartel Controls the Prices of Radio and Television. In: Electrical Merchandising Week, 8. August, 1960, S. 32. 281 Quelle: Das Rundfunkkartell ist in Kraft. In: Radio-Fernseh-Händler, April 1960, S. 126–128. Hier S. 128. Siehe auch: Anlage zum Rabattkartell für Rundfunk- und Fernsehgeräte. In: DTMB/ AEG, GS 2190.
274
6 Vertraute Bindungen. Hersteller und Händler in BRD und USA
erhielten (ab einem jährlichen Mindestumsatz von 400.000 D-Mark) z usätzlich vier Prozent Rabatt. Letzteres entsprach einer zentralen Forderung der im Verband deutscher Rundfunk- und Fernsehfachgroßhändler organisierten Großhändler, die einen „funktionsechten“ Rabatt durchsetzen wollten.282 Gemeint war damit ein Rabatt, der nicht auch dem Einzelhandel bei der Abnahme großer Mengen gewährt werden sollte. Bezüglich der Unterscheidung zwischen Großund Einzelhändlern erhielt die 1960 abgeschlossene Vereinbarung deshalb die etwas abwegig klingende Bestimmung: „Die Leistung eines Grosshändlers wird durch Verkäufe an den Letztverbraucher entwertet.“283 Direktverkäufe durch den Großhandel betrugen nach Schätzungen der Gesellschaft für Konsumforschung aber auch nach Verabschiedung des Rabattkartells um die 10 Prozent.284 Der wesentliche Unterschied war, dass nun nicht mehr so offen mit „Großhandelspreisen“ geworben wurde.285 Auch gegenüber dem Bundeskartellamt hatte das Rabattkartell einiges an Vorlauf, Absprachen und Überzeugungsarbeit gekostet. 1958 war Hans Heyne mit dem Präsidenten des Bundeskartellamtes, Eberhard Günther, zu einem Gespräch zusammengekommen.286 Das Bundeskartellamt war skeptisch gegenüber einem Rabatt, der allein auf Grundlage der Gesamtumsätze gewährt wurde. Es konnte dabei den konkreten Leistungsaspekt, den es als Grundlage der Rabattverhandlungen zwischen Herstellern und Händlern betrachtete, nicht erkennen.287 Heyne teilte seinen Mitarbeitern in einer anschließenden Notiz mit, er habe Günther mit dem Argument beschwichtigen können, dass ein Rabattkartell dem Händler ermögliche, dem „echten Bedürfnis des Marktes“ nachzukommen. Bei einer nicht kartellierten Marktordnung könne er in die Versuchung kommen, seinen „egoistischen persönlichen Vorteilen“288 entsprechend zu handeln und nicht die in seinem Umfeld gefragten Fabrikate zu kaufen, sondern die Geräte mit den höchsten Rabatten. Ob das Gespräch tatsächlich einen Einfluss ausübte, ist unklar. Gegen das im April 1960 verabschiedete Rabattkartell, das den Zusam-
282 Nach eigenen Angaben repräsentierte der VDRG etwa 90 Prozent des gesamten Fach-Großhandelsumsatzes. Siehe: Tietz, Markt, S. 925. 283 Anlage zum Rabattkartell für Rundfunk- und Fernsehgeräte. In: DTMB/AEG, GS 2190. 284 Ifo zum Direktabsatz des Großhandels. In: Radio-Fernseh-Händler, Juli 1960, S. 268. 285 Geschäfte mit der Leichtgläubigkeit der Verbraucher. In: Radio-Fernseh-Händler, Juli 1960, S. 289. Siehe dazu auch Kapitel 7.2.3. 286 Schreiben Heyne. Betr.: Besuch bei dem Präsidenten des Bundeskartellamtes in Berlin Herrn Dr. Günther am 25. Juni 1958. Berlin, den 25. Juni, 1958. In: DTMB/AEG, GS 2190. 287 Himmelmann an Heyne. Betr.: Marktordnung in der Rundfunk- und Fernsehwirtschaft. 16. Juni, 1958. In: DTMB/AEG, GS 2190. 288 Ebd.
6.2 Hersteller-Händler-Verhältnisse in der BRD
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menhalt des „Fernsehkartells“ stärken sollte, legte das Bundeskartellamt jedenfalls zunächst keine Beschwerde ein. Das änderte sich im Verlauf des Jahres. Die Lagerbestände Ende 1960 erreichten mit über 360.000 Fernsehgeräten einen neuen Höchststand. Otto Siewek, der kaufmännische Direktor Grundigs, forderte eine Einschränkung der Produktion, die er als „unvermeidlich“289 betrachtete. Der Handel war aufgrund der Rabattsenkung im Rahmen des Rabattkartells nicht mehr bereit, das Lager-Risiko zu tragen und bestellte daher erst bei Einsetzen der Nachfrage.290 Parallel häuften sich erneut Meldungen über illegale Preissenkungen und Direktverkäufe. Der Spiegel interpretierte den von den Herstellern bestimmten Endverbraucherpreis, der bei stark gekürzten Händlerrabatten selbst nur unzureichend gesenkt worden war als einen „Rachepreis“ am Handel. Mit diesem habe sich die Industrie für die „wilden Preissenkungswellen“291 des letzten Jahres revanchieren wollen. Allein zwischen Juli und November 1960 gingen die Hersteller gegen 60 vertragsbrüchige Großhändler und 47 Einzelhändler vor.292 Ein Betriebswirt stellte unter dem Eindruck der Entwicklung fest, offensichtlich wüssten Produktions- und Handelsstufe gegenseitig nur wenig über die betriebswirtschaftlichen Erfordernisse und Notwendigkeiten der jeweiligen anderen Seite, „denn sonst könnte es einfach nicht immer wieder zu so eruptionsartigen gegenseitigen Angriffen kommen“293. Es war ihm tatsächlich ein Anliegen, den beteiligten Unternehmen vor Augen zu führen, dass das Spannungsverhältnis „objektiver Natur“ sei und nicht „auf Böswilligkeit, Arglist oder Machtstreben“ beruhe.294 Auch der Vorsitzende der Fachabteilung für Rundfunk und Fernsehen im ZVEI, Bruno Piper, sah sich veranlasst, für mehr gegenseitiges Verständnis zu werben. Auf keinen Fall solle man das gerade erst erreichte Preisbindungs- und Rabattkartell wieder über Bord werfen: „Die Sünden vieler Jahre
289 Fachabteilung 14 Rundfunk und Fernsehen im ZVEI. Niederschrift über die Mitgliederversammlung am 23. November 1960. In: DTMB/AEG, GS 2657. Siewek war einer der ersten Mitarbeiter, die Grundig direkt nach dem Krieg für sein Unternehmen gewinnen konnte. Siewek hatte seine Stellung als Geschäftsführer einer Radiohandelsfirma nach Problemen mit den Entnazifizierungsbehörden aufgeben müssen. Siehe dazu: Die neuen Größen. In: Der Spiegel, 15. Januar, 1958, S. 20. 290 Notiz über die Besprechung des GR-Halbjahresberichtes 1960/61 am 9.11.1960. In: DTMB/ AEG, GS 1998. 291 Der Rachepreis. In: Der Spiegel, 4. Mai, 1960, S. 24–27. Hier S. 26. 292 Bedenkliche Mittel im Kampf um die Preisbindung. In: Der Tagesspiegel, 19. Februar, 1961. 293 Triebenstein, Olaf (1962): Der Wandel in den Beziehungen zwischen Produktion und Handel. In: Karl Christian Behrens (Hg.): Wandel im Handel, S. 75–94. Hier S. 91. 294 Triebenstein, Wandel, S. 93.
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lassen sich nun einmal nicht in kurzer Zeit bereinigen und es gehört schon viel Geduld und Kompromissbereitschaft dazu, um ein solches Werk auch zu einem glücklichen Ende zu führen.“295 Das Bundeskartellamt forderte die Industrie zu einer Stellungnahme auf und setzte ein Treffen mit Vertretern von Industrie sowie Groß- und Einzelhändlern Mitte Dezember des Jahres 1960 fest. Es sei skeptisch, ob die durch das „Fernsehkartell“ geschaffene Marktordnung noch in der Lage sei, den für „wirtschaftlich gesunde Verhältnisse“296 notwendigen Ausgleich von Angebot und Nachfrage herzustellen. Die Industrie widersprach dieser Wahrnehmung und schob die bestehenden Absatzprobleme auf die gescheiterte Einführung des Zweiten Programms, was das Bundeskartellamt wohl auch als Argument anerkannte.297 Als sich in den Wochen danach Gerüchte über Sonderrabatte mehrten, die einzelne Hersteller ihren Händlern gewährten und auch die Rede von illegalen Absprachen der Hersteller untereinander die Runde machte, forderte das Bundeskartellamt erneut eine Erklärung.298 Die Hersteller versuchten zunächst, das Rabattkartell für die von den Lagerbeständen besonders betroffenen 53cm-Geräte aufzuheben, die Preisbindung aber beizubehalten.299 Ihr Ziel war, die Preisstruktur gegenüber der Öffentlichkeit intakt zu halten, selbst aber gegenüber dem Handel mehr preispolitischen Spielraum zu erhalten. Das Bundeskartellamt war dagegen mittlerweile zu der Überzeugung gelangt, dass mit der Preisbindung der Industrie ein Endverbraucherpreis gehalten werden sollte, der den „Marktverhältnissen“ nicht entsprach und daher einen Verstoß gegen die Bestimmungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen darstellte.300 Auf einer erneuten Besprechung beim Bundeskartellamt am 3. März, an der alle Unternehmen und Vertreter von Groß- und Einzelhandel teilnahmen, wurde die Preisbindung für 53cm-Fernsehgeräte auf-
295 Piper, Bruno: Die Rundfunk- und Fernseh-Industrie im Jahr 1960. In: Fernseh-Informationen, November 1960, S. 653–652. 296 Aktennotiz Geschäftsbereich GR. Betr.: Besprechung im Bundeskartellamt und mit den Groß- und Einzelhandelsverbänden in Berlin vom 12.–14.12.1960. 23. Dezember, 1960. In: DTMB/ AEG, GS 1998. 297 Ebd. Siehe auch: Kartellamt erklärt. Gegenwärtig kein Anlaß zum Einschreiten. In: FernsehInformationen, Dezember 1960, S. 665. 298 Mahnung an das Rundfunkkartell. In: Deutsche Zeitung, 21. Januar, 1961; Abmahnungen. In: Tagesspiegel, 12. Februar, 1961. 299 Geschäftsbereich GR (Kahle) an Heyne. Betr.: Kartellsitzung am 27.1.1961 in Frankfurt. 30. Januar, 1961. In: DTMB/AEG, GS 1998. 300 Rundschreiben Nowack. Betr.: Rabattkartell. 1. März 1961. In: DTMB/AEG, GS 1998. Siehe auch: Die Preisbindung für Fernsehgeräte fällt. In: Deutsche Zeitung, 27. Januar, 1961.
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gehoben. Die Vertreter des Groß- und Einzelhandels gaben an, dass man „freie Marktverhältnisse“301 vorziehe, sofern man den „Lagerdruck“, der alle Vereinbarungen sprenge, nicht in den Griff kriege. Ein Vorstoß Grundigs, der auf eine kollektive Einschränkung der Produktion abzielte, scheiterte.302 In einer weiteren Sitzung zwischen dem 12. und 14. April erklärte Grundig seinen Austritt aus dem Fernsehkartell. Landgerichtsdirektor Bandasch, der die Sitzung leitete, meinte, er räume der Genehmigung eines zweiten Kartelljahrs angesichts der im vorangegangen Jahr gemachten Erfahrungen keine großen Chancen ein. Der freie Markt sei „die einzige Möglichkeit, die Bestände abzubauen und […] wieder normale Verhältnisse zu schaffen.“303 Am 4. Mai 1961 löste sich das Fernsehkartell wieder auf und die Gestaltung der den Händlern gewährten Rabatte war keine kollektive Angelegenheit mehr.304 Die meisten Unternehmen, einschließlich Grundig, behielten die Preisbindung für die Geräte der aktuellen Saison zunächst bei. Im Februar 1962 schaffte die Fernsehgeräteindustrie dann auch die Preisbindung der zweiten Hand flächendeckend ab, wie an Grafik 38 abzulesen ist.305 Wie zuvor die gelungene Gründung des Fernsehkartells wurde auch diese Entwicklung in den USA mit Interesse wahrgenommen.306 Der Grund für die Aufhebung der Preisbindung lag neben der Haltung des Bundeskartellamtes auch darin, dass die Facheinzelhändler nicht mehr bereit waren, die relativ flexible Handhabung der Preisbindung durch die Hersteller mitzutragen. Der Einzelhandel habe gefolgert, so der Radio-Fernseh-Händler, dass „der Fernseher überhaupt kein Objekt für eine Preisbindung sei“307. Die Modelle änderten sich zu schnell und die Einzelhändler blieben dann auf den auslaufenden und dem Preiswettbewerb frei gegebenen Modellen sitzen.
301 Rundschreiben Nowack. Betr.: Rabattkartell. 1. März 1961. In: DTMB/AEG, GS 1998. 302 Nowack an Heyne. Betr.: Rabattkartell / Besprechungen beim Bundeskartellamt vom 12. bis 14.4.1961. 18.April 1961. In: DTMB/AEG, GS 1998. Siehe auch: Gespräche über Rundfunk-Rabattkartell blieben ohne Ergebnis. In: Die Welt, 15. April, 1961. 303 Nowack an Heyne. Betr.: Rabattkartell / Besprechungen beim Bundeskartellamt vom 12. bis 14.4.1961. 18.April 1961. In: DTMB/AEG, GS 1998. 304 AEG Rundfunk-Abteilung. Rundschreiben an den Handel. Betr.: Rabattkartell-Preisbindung. Juni 1961. In: DTMB/AEG, ALB 034. Siehe auch: Reindl, Wirtschaft, S. 249 und Rundfunkkartell bricht zusammen. In: Deutsche Zeitung, 5. Mai, 1961. 305 Geschäftsbereich GR. Protokoll Fachgebietsbesprechung am 29.11.1962 in Hannover. In: DTMB/AEG, GS 1052. 306 Price Cutting now Rampant in Europe. In: Electrical Merchandising Week, 7. Januar, 1963, S. 36. 307 Fernseher im freien Markt. In: Radio-Fernseh-Händler, Februar 1962, S. 46–48. Hier S. 46.
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600 500 400 300 200 100 0
1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 Zahl preisgebundene Fernsehgeräte (Anzahl Typen)
Grafik 38: Zahl der preisgebundenen Fernsehgeräte in der BRD, 1960–1973308
Tatsächlich waren die Preiskämpfe auf Einzelhandelsebene so weitreichend, dass das Landgericht Bielefeld Ende 1961 einem Händler untersagte, sich in seinen Anzeigen als „Preisbrecher“ zu bezeichnen. Nicht, weil er sich dadurch als vertragsbrüchiger Händler zu erkennen gab, sondern weil bereits auch alle anderen Händler den Preis gebrochen hatten.309 Auch Rabattvereinbarungen und Vertriebsbindungen durch Handelsreverse hatten sich in Zeiten von Überproduktion und stockenden Absätzen als ineffektiv erwiesen. Es fehle jede Kontrolle darüber, so der Radio-Fernseh-Händler, an wen die Geräte geliefert würden. „Die Angst, auf den Vorräten sitzenzubleiben, überwindet die Moral.“310 Zwischen 15 Prozent und 40 Prozent aller Verkäufe waren einer Schätzung der Zeitschrift zu Folge nicht zu den vom „Fernsehkartell“ vorgegebenen Bedingungen abgewickelt worden. Weitere Versuche, in vertraulichen Gesprächen zu einer Einigung zu kommen, konnten das Ende der horizontalen Kartellvereinbarungen ebenfalls nicht verhindern. Kurz vor dem Fall der Preisbindung berichtete Hans Heyne von einem Gespräch, in dem er mit Kurt Hertenstein von der Deutschen Philips und einem anonymen Gesprächspartner die Frage der Rabatte diskutiert hätte.311
308 Teupe, Kontrolldenken, S. 68. 309 Das Bielefelder Preisbrecherurteil. In: Radio-Fernseh-Händler, Dezember 1962, S. 520. 310 Fernseher im freien Markt. In: Radio-Fernseh-Händler, Februar 1962, S. 46–48. Hier S. 46. 311 Zu Kurt Herstenstein (geboren 1904) siehe: Wer sie sind und was sie tun. Manager der Deutschen Philips GmbH. In: Radio-Fernseh-Händler, Januar 1970, S. 6. Zu Heyne (1900–1970) siehe: Strunk, Peter (1999): Die AEG. Aufstieg und Niedergang einer Industrielegende. Berlin, S. 72.
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Das Gespräch sollte verhindern, dass die Groß- und Einzelhändler die Hersteller gegeneinander ausspielten. Heyne merkte an, es seien „sehr häufig Fälle vorgekommen, dass abgedeckte Angebote mit angeblich niedrigeren Preisen von einer bestimmten Stelle vorgezeigt wurden und dann festgestellt worden ist, dass diese Stelle an diese Firma überhaupt kein Angebot abgegeben hat“312. Die drei Herren waren sich zwar einig, dass die vereinbarten Sätze von 37 Prozent für die Einzelhändler und 42 Prozent für die Großhändler praktisch wohl nicht zu halten seien und eher zu 38 Prozent, bzw. 43 Prozent tendieren würden. Man wolle sich aber „bei der Feststellung von Über- oder Unterschreitungen gegenseitig verständigen“313. Heynes Gesprächspartner kündigte auch an, Max Grundig anzurufen und „ihn noch einmal bei seiner Ehre zu packen“, um seine Unterstützung der Preisbindung sicherzustellen. Das Gespräch der drei älteren Direktoren- Heyne und Hertenstein waren um die 60 Jahre alt – zeugte eher von einem Reflex etablierter Kartellmentalität als von einer effektiven Kontrolle des Marktes. Zum einen ließ sich Grundig nicht bei seiner Ehre packen. Zum anderen zeigte die Diskussion der vereinbarten Rabattsätze auch eine grobe Unkenntnis der konkreten Verhandlungssituation, in der sich Hersteller und Händler 1962 befanden. Die Geschäftsstelle Telefunkens in Hamburg berichtete zu derselben Zeit von Rabattsätzen im FernsehgeräteGeschäft, die 45 Prozent im Einzel- und 48–50 Prozent im Großhandel betrugen, also bereits um die acht Prozentpunkte höher lagen als von den Direktoren vermutet.314 Diese erhebliche Steigerung gegenüber den 1961/62 von den Geschäftsstellen gewährten Höchstrabatten, die für den Einzelhandel zwischen 38 Prozent und 40 Prozent und für den Großhandel bei 41,5 Prozent gelegen hatten, deutete bereits ein auf eine neue Grundlage gestelltes preispolitisches Verhältnis zwischen Herstellern und Händlern an.315
312 FK (Zickermann) an Verteiler. Betr.: Besprechung Dr. Heyne in Hamburg am 15.2.1962. 23. Februar, 1962. In: DTMB/AEG, GS 1977. 313 FK (Zickermann) an Seydlitz, Mössner, Nowack. Betr.: Besprechung Dr. Heyne in Hamburg am 15.2.1962. 23. Februar, 1962. In: DTMB/AEG, GS 1977. 314 GS Hamburg. Besprechung mit Herrn Dr. von Seydlitz. 15. Februar, 1962. In: DTMB/AEG, GS 2001. Heyne musste sich zudem durch seine Gesprächspartner darüber informieren lassen, dass die ungeliebten Sonderboni und Rabatterhöhungen Anfang 1961 als erstes von seinem eigenen Unternehmen und Blaupunkt vorgenommen worden waren. Siehe: FK (Zickermann) an Seydlitz, Mössner, Nowack. Betr.: Besprechung Dr. Heyne in Hamburg am 15.2.1962. 23. Februar, 1962. In: DTMB/AEG, GS 1977. 315 In Hamburg (EH: 38 %, GH: 41,5 %), Frankfurt (EH: 39,5 %, GH: 41,5 %) und Düsseldorf (EH: 40 %, GH: 41,5 %). Siehe: FV/Revision (Sellin) an Seydlitz. Betr.: Händler-Höchstrabatte. 20. Dezember, 1961. In: DTMB/AEG, GS 2001.
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Das Fernsehkartell der 1950er Jahre war der Versuch gewesen, die Koordinationsprobleme zwischen Herstellern und Händlern in einer kollektiv durch die verschiedenen Verbände getragenen und zentral beschlossenen Weise zu lösen. Dieses Experiment war Anfang der 1960er Jahre gescheitert. Der Übergang in den „freien Markt“ stellte die Hersteller vor zwei prinzipielle preispolitische Alternativen. Sie konnten entweder sogenannte Netto-Preise bilden, die sie lediglich mit der nachgelagerten Handelsstufe aushandelten oder sie konnten, ähnlich dem Preislistensystem in den Vereinigten Staaten, sogenannte Brutto-Preise bilden. Beim Brutto-Preissystem gaben die Hersteller einen unverbindlichen Endverbraucher-Richtpreis vor und gewährten den Groß- und Einzelhändlern auf diesen Preis zentral oder durch die jeweiligen Geschäftsstellen festgelegte Rabatte. Die Hersteller von Fernsehgeräten experimentierten mit verschiedenen PreisSystemen und tendierten nach etwa einem Jahr zunächst zu dem Brutto-Preissystem.316 Die von den Herstellern gesetzten unverbindlichen Richtpreise waren ebenso wie die gewährten Rabatte so hoch, dass ihre Anwendung den Eindruck von „Mondpreisen“ erweckte. Wie auch in den USA profitierten in erster Linie die Discounter von den öffentlich bekannt gemachten und zu hoch festgesetzten Preisen, weil sie dadurch leichter ihrem Image als „Preisbrecher“ gerecht werden konnten. Der traditionell gesinnte Fach-Einzelhandelsverband forderte die Einführung von Netto-Preisen als „wirksamste Waffe gegen den grauen Markt und die Discounthäuser aller Schattierungen“317. Im Frühjahr 1963 gingen die meisten Hersteller dazu über, sowohl die dem Handel gewährten Rabatte als auch die unverbindlichen Richtpreise zu reduzieren.318 Die Erfahrung des vergangenen Jahres habe bewiesen, so äußerte sich Telefunken-Direktor Kurt Nowack auf der Hannover-Messe, dass hohe Rabatte mit überhöhten Richtpreisen automatisch dazu führten, „daß der Einzelhandel einen Teil seiner Spanne an die Kunden weitergibt. So entstand die böse Unsitte des ,Rabattkaufens‘“319. Grundig hielt allerdings, wie Nowack unternehmensintern verärgert feststellte „entgegen seiner Zusage“320 an einem System hoher
316 Netto- oder Richtpreise. In: Radio-Fernseh-Händler, Juni 1962, S. 245. 317 Der Realpreis. In: Radio-Fernseh-Händler, April 1964, S. 138. Siehe auch: Der Verband wünscht Nettopreise. In: Radio-Fernseh-Händler, Februar 1963, S. 47–48; VerbraucherpreisEmpfehlung muß fallen. In: Radio-Fernseh-Händler, März 1965, S. 84. 318 Die Reduzierung betrug etwa 10 Prozent und senkte den Rabatt auf etwa 35 Prozent. Siehe: Aktennotiz (Barth). Aktennotiz über Besprechung mit den GS-Leitern am 1. Mai 1963. 7. Mai, 1963. In: DTMB/AEG, GS 2001. 319 Endlich wieder Prospekte mit Preisen. In: Radio-Fernseh-Händler, Mai 1963, S. 182. 320 Nowack an Verteiler. Betr.: Inlandsmarkt Rundfunk/Fernsehen. 19. September, 1963. In: DTMB/AEG, GS 2056.
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Preise und hoher Rabatte fest. Dieser Vertriebsstrategie folgten im Laufe des Septembers 1963 auch nahezu alle anderen Hersteller. Das Ganze sei, kritisierte Nowack, „Verkaufs-Optik“, die im Grunde nur dazu führe, dass die Richtpreise ihre Glaubwürdigkeit gegenüber dem Publikum verlieren würden.321 Hätten sich alle Firmen an das Modell der gesenkten Rabatte gehalten, unterstützte der Radio-Fernseh-Händler Nowacks Meinung, hätte man den Rabattkauf aus der Welt schaffen können. „Damit wäre der Markt für eine neue Ordnung reif geworden – von anderer Art als die der gebundenen Preise und der Kartelle.“322 Das Bundeskartellamt, das die Einschätzung überzogener Rabatte und täuschender Preisempfehlungen teilte, drängte die Hersteller ab 1964 zur Einführung von Netto-Preisen.323 Auf der Hannover-Messe 1964 gab es erstmals so gut wie keine vorgegebenen oder vorgeschlagenen Preise seitens der Fernsehgeräteindustrie mehr. Grundig hängte große Plakate mit dem Hinweis auf, dass der Fachhandel nun seine Preise selbst kalkuliere. „Jeder Marktpartner konnte daraus entnehmen“, schrieb der Radio-Fernseh-Händler, „daß seine eigene Verantwortung als Händler jetzt größer geworden ist als je zuvor“324. Einige Groß- und Einzelhändler interpretierten diesen Spielraum so, dass sie einfach selbst Bruttopreise festlegten, auf die sie dann ihren Abnehmern hohe Rabatte von bis zu 50 Prozent gewährten. Das Bundeskartellamt untersagte ihnen schließlich diese Praxis schon deshalb, weil auf der Grundlage des Rabattgesetzes nur Preisnachlässe von maximal drei Prozent erlaubt waren.325 Insgesamt blickte der Facheinzelhandel kurz nach der Aufhebung der Preisbindung aber zuversichtlich in die Zukunft. Die Industrie sehe in ihm „die stärkste Stütze des Marktes“326. Es könne, stellte der Radio-Fernseh-Händler fest, nun endlich wieder ein „Berufsstolz der Branche“327 entstehen, wie ihn die Apotheker und Fotohändler hätten. Die für das Verhältnis von Herstellern und Händlern zentrale Frage der Handelsspannen verlagerte sich nach Ende des Fernsehkartells wieder von einer kollektiven Entscheidungsebene auf eine bilaterale Ebene vertikaler Beziehungen. Das galt sowohl für das Netto- als auch das Brutto-Preissystem, wobei es den
321 Ebd. 322 Die Sehnsucht nach Ordnung. In: Radio-Fernseh-Händler, Juni 1963, S. 230–234. Hier S. 230. 323 v. Dellinghausen an Seydlitz. Betr.: Netto-Preissystem und Vertriebsbindung. 11. Januar, 1965. In: DTMB/AEG, GS 2021. 324 Zuversicht und Vertrauen in Hannover. In: Radio-Fernseh-Händler, Mai 1964, S. 191. 325 Das Bundeskartellamt zu „Mondpreisen“ für Rundfunk- und Fernsehgeräte. In: Radio-Fernseh-Händler, Juni 1966, S. 202. 326 Zuversicht und Vertrauen in Hannover. In: Radio-Fernseh-Händler, Mai 1964, S. 191. 327 Die rote und die grüne Preisliste. In: Radio-Fernseh-Händler, November 1964, S. 420.
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Herstellern im Rahmen des Brutto-Preissystems leichter möglich war, Preisvergleiche zwischen den jeweiligen Angeboten festzustellen, die ein wesentliches Element der unternehmerischen Preispolitik darstellten. Ein Bericht des Fachgebiets Fernsehen bei Telefunken stellte fest, dass seit Aufhebung der Bruttopreise „eine gemeinsame Basis für einen Preisvergleich nicht mehr gegeben sei“. Man solle aber anstreben, „daß Preisniveau im gleichen Rahmen wie bei der übrigen Industrie“328 zu halten. Das setzte genaues Wissen über die Herstellungskosten der eigenen Geräte sowie der Geräte der Konkurrenz voraus. Es erforderte auch Informationen über die Durchsetzbarkeit der Handelsspannen, die über die Höhe der Endverbraucherpreise entschieden. Unabhängig davon, ob es sich um gebundene, Brutto- oder Nettopreise handelte, waren preispolitische Entscheidungen schon unternehmensintern ein komplexer Prozess. Wie das Beispiel Telefunkens zeigt, waren in diesen Prozess eine Reihe verschiedener Unternehmensbereiche involviert. Ausgangspunkt der Kalkulation der Preise waren die Fabrikselbstkosten (FSK) pro Gerät. Das Fachgebiet Fernsehen ermittelte diese durch eine Aufschlüsselung der Kosten einzelner Bauelemente wie der Bildröhre, Kondensatoren, Widerständen, Transistoren sowie Sonderkosten (Werkzeug, Prüfmittel, Erprobung), Lizenzen, Gehäuse und Verpackung, den Entwicklungskosten und dem Fertigungslohn. Während sich ein Teil dieser Kosten, wie die Bildröhre und andere Bauelemente, durch tatsächliche oder (unternehmensinterne) fiktive Marktpreise ermitteln ließ, mussten Kostenfaktoren wie der Fertigungslohn oder die mit der Einführung neuer Modelle entstehenden Sonderkosten auf die Anzahl der produzierten Geräte umgerechnet werden.329 Die Feststellung der FSK ermöglichte die Betrachtung der „Erlös-Situation“ unter verschiedenen Annahmen der Händlerspannen und der erreichbaren Endverbraucherpreise. In einer Vorbesprechung zur Einführung des Farbfernsehens hieß es beispielsweise. „Unter Einrechnung unserer vollen Vertriebskosten einschließlich Rendite sowie der optimalen Spannen für GH und EH (müßte sich) ein Endverbraucherpreis von ca. D-Mark 2.900 ergeben. In der Praxis wird sich aber eine ähnliche Kalkulation ergeben wie bei den jetzigen Geräten, so daß der Endverbraucherpreis zwischen D-Mark 2.200 und D-Mark 2.500 liegen könnte.“330
328 Telefunken. Fachgebiet Fernsehen. Eröffnungsbericht Fe 1/65. 20. September, 1965, S. 6. In: DTMB/AEG, GS 2389. 329 Siehe für zwei Beispiele: „Geräteaufwand und Konzept FE 217 T“. Anlage zu: Fachgebiet Fernsehen. Entwicklungsbesprechung am 14.9.1967. In: DTM/AEG, GS 2389 und Kalkulationsvergleich Farbe. 5. Februar, 1973. In: DTMB/AEG, JB XA 897. 330 Telefunken GR. Besprechungs-Niederschrift. Betr.: Farbfernsehempfänger, Sachverhalt: Anlauf-Stückzahlen, Kalkulation, Sonstiges. 13. Juni, 1966, S. 3. In: DTMB/AEG, GS 2389.
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Handelsspannen und die Preise der Konkurrenz lagen außerhalb der Kontrollmöglichkeiten der Hersteller und ließen sich nicht mit Sicherheit vorhersagen. Die Mitarbeiter Telefunkens verglichen die eigenen Preise aber regelmäßig mit den Preisen der „bedeutenden Konkurrenz“331. Sie schlüsselten deren Herstellungskosten so detailliert wie möglich auf.332 Die Preisvorstellungen der Geräte-Abteilung wurden zudem mit den Leitern der Geschäftsstellen dahingehend abgeglichen, ob diese die angestrebten Preise im Kontext der festgesetzten Absatzziele für realisierbar hielten.333 Bei diesen „Verhandlungen“ wurde seitens der Geschäftsstellen selten eine einheitliche Meinung geäußert. Auch die Abstimmung mit der Geräte-Abteilung war angesichts unterschiedlicher Interessen nicht immer einfach. Der preispolitische Entscheidungsprozess stellte sich folglich schon innerhalb der Unternehmen als schwer vorhersehbar dar. Das erklärt, weshalb der Leiter der Geräte-Abteilung vorschlug, den Punkt Preispolitik aus dem Aufgabenbereich der 1961 gegründeten Marketing-Abteilung (Kürzel: FM) zu streichen.334 Er vermöge sich „nur schlecht vorzustellen, welcher Art die Mitarbeit von FM auf diesem Gebiet sein kann“335. Eine preispolitische Verhandlung zwischen Geräte-Abteilung und Geschäftsstellen sei nur beispielhaft erwähnt. Angesichts schleppender Absätze Mitte der 1960er Jahre schlug die Leitung der Abteilung Rundfunk- und Fernsehgeräte vor, allgemeine Preissenkungen vorzunehmen, ohne allerdings die den unterschiedlichen Marktpartnern gewährten Rabattsätze zu verändern. Die Vertreter der Geschäftsstellen, die erfahren hatten, dass die Konkurrenten ihre Händler nicht
331 „Fernsehgeräte 61/62“. Anlage zu: Protokoll Fachgebietsbesprechung am 24./25. Oktober 1961 in Hannover. Hannover, den 31. Oktober, 1961. In: DTMB/AEG, GS 1052. 332 Siehe für ein Beispiel: „25“-Farbfernseh-Chassis Aufwandvergleich“. Anlage zu: Fachgebiet Fernsehen. Entwicklungsbesprechung am 14.9.1967. In: DTM/AEG, GS 2389. 333 Protokoll über GS-Leiter-Tagung am 30. August 1965 in Stuttgart. Hannover, den 9. September, 1965. In: DTMB/AEG, GS 2028. 334 Zum horizontal gegliederten Bereich „Marketing“ bei Telefunken, in den die vorherigen Bereiche „Markt- und Absatzförderung“ (unter der Leitung Oerdings), „Marktforschung“, „Produktplanung“, „Werbung“, „Wirtschaftspolitik“ und „Export“ integriert wurden, siehe: Fachbereich Marketing-Rundschreiben Nr. 1/62. Ulm, den 31. Januar, 1962. In: DTMB/AEG, GS 1974. 335 Nowack an Seydlitz. Betr.: Fachbereich Marketing-Rundschreiben Nr. 1/61. 4. Januar, 1962. In: DTMB/AEG, GS 1974. Der Leiter der Marketing-Abteilung, Friedrich-Wilhelm Seydlitz, widersprach dem. Die unternehmerische Preispolitik enthalte neben dem kaufmännisch-wirtschaftlichen auch einen marketingmäßigen Aspekt. Eine Prüfung der Aufgabenverteilung bei der Marketing Services Division der GE ergebe ebenfalls, dass diese Gebiete auch dort in den Marketing-Bereich fielen. „Es heißt dort ausdrücklich: ‚Formulation of pricing, discount, conditions, terms, and permitted costs.‘“ Seydlitz an Nowack. 5. Januar 1962 [ohne Betreff]. In: DTMB/ AEG, GS 1974.
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mit allgemeinen Preissenkungen, sondern mit individuell gewährten Boni akquirierten, forderten dagegen eine andere Lösung. Die Form der „Preissenkung“, die sie sich wünschten, war, dass sie die Einnahmen, die bei der vorgeschlagenen Preissenkung theoretisch verloren gingen als „Spielgeld“336 gegenüber dem Handel flexibel einsetzen könnten. Dabei schwebte ihnen insbesondere die Gewährung individueller Mengenboni vor, die sie einzelnen Großabnehmern gewährten. Die Bereichsleitung kam diesem Wunsch allerdings nicht nach. Sie legte für jeden individuellen Gerätetyp lediglich neue, reduzierte „Schnitterlöse“ vor. Die Schnitterlöse waren für die Geschäftsstellen verbindliche Orientierungspunkte, die bei den unterschiedlichen Rabattsätzen sicherstellen sollten, dass der Schwerpunkt nicht allein auf der Höhe der Umsätze, sondern auch auf der erzielten Rendite lag. Die Bereichsleitung begründete ihr Festhalten an einheitlichen Rabattsätzen mit einer einheitlichen Preispolitik aller Geschäftsstellen den Händlern gegenüber, da diese „ein sehr gut und schnell funktionierendes internes Nachrichtensystem“337 hätten. Eine Ungleichbehandlung würde zu Unruhen führen. Ein Facheinzelhändler aus Ottobrunn bei München, der seine Grundig-, Philips- und Telefunken-Geräte direkt über die Vertriebsstellen der Hersteller bezog, äußerte sich in diesem Sinne: „Wenn ich […] feststelle, daß mein Lieferant anderen Kunden bessere Bedingungen gegeben hat, bin ich sauer und schalte ab.“338 Durch eine Richtlinie hatte die Bereichsleitung die Geschäftsstellen daher bereits 1963 auf die zentral festgesetzten Spitzenrabatte verpflichtet.339 Ein ähnliches, aber etwas flexibler gestaltetes Preis-System führte Grundig 1965 ein. Das System sah wie im Falle Telefunkens eine zentral festgelegte Staffelung der Rabatte vor, die sich nach der Höhe des Umsatzes der einzelnen Händler richtete. Es berücksichtigte aber auch die Leistungen, „die der Fachhändler zugunsten der Grundig-Erzeugnisse […] erbringt“340. Grundig verstand darunter die Werbung des Einzelhändlers, seine Schaufenster- und Ladengestaltung, die Beratung der Kunden und den technischen Kundendienst.
336 Protokoll über die GS-Leiter-Tagung am 29. Juni 1965 in Hannover. 30. Juli, 1965, S. 2. In: DTMB/AEG, GS 2028. Siehe auch: v. Dellinghausen an Seydlitz. Betr.: Netto-Preissystem und Vertriebsbindung. 11. Januar, 1965. In: DTMB/AEG GS 2021. 337 Fachbereich Geräte. Schnellinformation über einige interessante Punkte der GS-Leiter-Tagung in Hannover am 29.6.1965. 2. Juli, 1965, S. 2. In: DTMB/AEG, GS 2028. 338 Der fliegende Radio-Doktor. In: Radio-Fernseh-Händler, Mai 1968, S. 122. 339 Aktennotiz (Kahle). Aktennotiz über Besprechung mit den GS-Leitern am 3.9.1963 in Berlin. In: DTMB/AEG, GS 2001. 340 Grundig führt Händlerpreissystem ein. In: Radio-Fernseh-Händler, Februar 1965, S. 67.
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Das Beispiel Telefunkens zeigt, dass mit dem Wandel von der kollektiven Preisbindung zu individuellen Aushandlungsprozessen eine tiefgreifende Wende einherging. Noch 1962, kurz nach Ende der Preisbindung, hatte die Leitung des Geschäftsbereichs Geräte den Vertrieb an den kleinen bis mittelgroßen Facheinzelhandel forciert und eine geradezu feindliche Rabattpolitik gegenüber umsatzstarken Groß- und Einzelhändlern vorgegeben. Der Spitzenrabatt war auf eine Abnahme von 20 Geräten festgesetzt. Die Bereichsleitung wies explizit darauf hin, Kaufverträge auch mit Abnehmern von 100 Geräten „keinesfalls“ zu anderen Konditionen abzuschließen, „da hierdurch das Rabattgefüge in der ganzen Breite gefährdet“341 werde. Wenn außerdem bekannt werde, so äußerte sich ein Mitarbeiter der Marktforschungsabteilung Telefunkens, wie gering die Unterschiede der Rabatte seien, die man den Großhändlern gewähre, so würden Abschlüsse mit dem Großhandel in Zukunft „sehr schwierig werden“342. Im Jahr 1963 vollzog sich bei Telefunken eine vertriebspolitische Wende, die dem Großhandel entgegen kam. Bei Telefunken war man auf Ebene der Bereichsleitung seit Ende der Preisbindung der Meinung, dass es absolut notwendig sei, die Umsätze auszuweiten, um langfristig die Marktanteile zu halten. Dies sei nur durch einen Ausbau des Vertriebs über den selbständigen Großhandel möglich.343 Er habe schlicht ein so großes „akquisitorisches Potential“, daß es nicht möglich sei, „ihn auszuschalten“344. Genaue Zahlen sind nicht erhältlich. Unternehmensinterne Schätzungen Telefunkens Anfang der 1960er Jahre gingen aber davon aus, dass die deutsche Fernseh- und Rundfunkindustrie etwa 70 Prozent des Umsatzes über den selbständigen Großhandel absetzte.345 Diese Einschätzung wurde durch eine Mitte der 1960er Jahre durchgeführte Befragung des Facheinzelhandels bestätigt.346 Die Leiter der Geschäftsstellen erkannten die Gefahr einer zu einseitig ausgerichteten Vertriebspolitik. Man solle sich nicht nur auf den Großhandelsabsatzka-
341 Kahle an die Leitung der GS. Betr.: GS-Leiter-Besprechung am 21.6. in Berlin. 22. Juni, 1962. In: DTMB/AEG, GS 2001. 342 Bericht v. Dellinghausen. Betr.: GS Düsseldorf. 8. Mai, 1962. In: DTMB/AEG, GS 2000. 343 v. Dellinghausen an Seydlitz. Betr.: Telefonische Rücksprache mit Herrn Schnürle über Intensivierung des GH-Anteiles. 23. Januar, 1963. In: DTMB/AEG, GS 2017. 344 Notiz über die Besprechung vom 20.6.1963 in Berlin über Geschäftsstellen-Organisation. 24. Juli, 1963. In: DTMB/AEG, GS 2000. 345 Fachbereich Marketing (Seydlitz) an Verteiler. Betr.: Intensivierung der GS-Akquisition. 25. Februar, 1963, S. 3. In: DTMB/AEG, GS 2000. 346 Fachbereich Marketing. Auswertung „Ifak-Index“ Rundfunkfachgeschäfte: Fernsehgeräte. September 1966–Dezember 1966 und Jahresübersicht 1966. Ulm, 10. März 1967. In: DTMB/AEG, GS 7972.
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nal beschränken, „weil man dadurch ihm zu sehr ausgeliefert wäre, was namentlich wegen seiner Empfänglichkeit für billige ausländische Ware gefährlich ist“347. Die beste Strategie sei, wie der Großhandel alle möglichen Absatzmöglichkeiten auszunutzen. Das bedeutete in den bevölkerungsreichen Regionen eine Forcierung der direkten Belieferung an den Einzelhandel durch die eigenen Vertriebsstellen. In den ländlichen Gebieten sollte dagegen eine Zusammenarbeit mit den selbständigen Großhändlern erfolgen. 1965 wurde weiter beschlossen, sich vor allem auf die umsatzstarken „Spitzengroßhändler“348 zu konzentrieren, da diese einer Untersuchung zu Folge am ehesten geeignet seien, das Vertriebssystem Telefunkens „gebietsmäßig auszuweiten“349. In dieser neuen Einstellung der Vorteilhaftigkeit des Vertriebs über umsatzstarke Großhändler und der Abwendung von einer direkten Kontrolle der Absatzbedingungen und -wege kamen Ideen zum Ausdruck, die unternehmensintern insbesondere in der Marketingabteilung seit den späten 1950er Jahren entwickelt worden waren.350 Im Rahmen einer Studienreise in die USA im Jahr 1958 hatte der Leiter der Marktforschungsabteilung, Rudolf Oerding, festgestellt, dass dort eine andere Vertriebsstrategie verfolgt werde als in der Bundesrepublik. Statt die Produkte mit Hilfe von „Verkaufsaufgaben und Boni, durch Sonderrabatte und Händlerveranstaltungen“ in den Markt zu drücken, erzeugten in den USA breit angelegte und auf den Konsumenten gerichtete Werbekampagnen einen „Sog“, der die Produktion der Hersteller gleichsam absauge.351 Oerding interpretierte dieses direkt durch die Hersteller, bzw. ihre Marketingabteilungen, kontrollierte Prinzip als eine grundsätzliche Alternative zum bisherigen engen Kontakt zu den Facheinzelhändlern. Die hohen Handelsspannen ließen sich als Ausdruck einer vertriebspolitischen Arbeitsteilung interpretieren, deren Sinnhaftigkeit durch die krisenhaften Entwicklungen der späten 1950er und frühen 1960er Jahre in Frage gestellt wurde. Die Krise sah Oerding nicht als Folge einer stagnierenden Nachfrage, sondern begründet durch den im Rundfunkfachhandel einsetzenden Strukturwandel. Wie auch in den USA würden freie Absatzwege und freie Preise für einen schärferen Wettbewerb und
347 Notiz über die Besprechung vom 20.6.1963 in Berlin über Geschäftsstellen-Organisation. 24. Juli, 1963. In: DTMB/AEG, GS 2000. 348 Kahle/Iburg. Betr.: Nachtrag GS-Leiter-Besprechung am 1. September 1965 in Stuttgart. In: DTMB/AEG, GS 2028. 349 Notiz (Schnürle). Betr.: Vertriebsorganisation – Großhandelsuntersuchung. 5. April, 1965. In: DTMB/AEG, GS 2028. 350 Siehe hierzu auch: Teupe, Kontrolldenken, S. 60–61. 351 Rudolf Oerding: Die wichtigsten Ergebnisse der USA-Marktstudien-Reise Mai/Juni 1958. August 1958. In: DTMB/AEG, GS 4686.
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einen „Reinigungsprozess“352 sorgen, dessen Folgen entweder der Fachhandel zu tragen habe oder „diejenigen Hersteller, die die rechtzeitige Kontaktaufnahme mit dem Endverbraucher versäumt haben“. Die engen Bindungen zum Facheinzelhandel stellten sich in dieser Sichtweise als geradezu gefährliche Schicksalsbindung einer im Strukturwandel untergehenden Allianz dar. Der Handel müsse auf die Funktion, den Güterfluss sicherzustellen, reduziert werden. Informationsaustausch und individuelle Gespräche zwischen „persönlich bekannten Marktpartnern“353 wie den Handelsvertretern und ihren Kunden auf Einzelhandelsebene sollten nicht mehr Teil der unternehmerischen Vertriebspolitik sein. Das war eine extreme, einseitige und auch nicht für alle Teile des Unternehmens repräsentative Sichtweise. Auch erfasste Oerding die für das Verhältnis zwischen Herstellern und Händlern zentrale Bedeutung der Markenpflege als ein für die Verhandlungsposition wichtiges Instrument nicht. Seine Sichtweise stellte trotzdem eine handlungsleitende Interpretation zur Verfügung, die auch bei den anderen Bereichen des Unternehmens das Bild eines nicht in allen Punkten verlässlichen und von schwarzen Schafen durchsetzten Facheinzelhandels bestätigte. Als der Marketingwissenschaftler Burkhart Röper bei Telefunken nach den Gründen des Scheiterns der Preisbindung nachfragte, antwortete ihm der Leiter der Abteilung Geräte, die notwendige Branchen-Disziplin sei durch „die Heterogenität der Absatzwege und die Übersetzung des Handels verhindert“354 worden. Von einigen Ausnahmen abgesehen vernachlässigten die Hersteller zunehmend die Kontrolle der vertikalen Absatzwege und verkauften immer häufiger über die umsatzstarken Großhändler oder direkt an große Einzelhändler. Eine Auswertung der Situation beim Facheinzelhandel ließ der Marktforschungsabteilung Telefunkens zu Folge mit Ausnahme von Schaub-Lorenz bei allen Herstellern Bemühungen erkennen, „ihren Großhandelsanteil im Inlandsabsatz zu verstärken“.355 Allein zwischen 1964 und 1965 stieg der Anteil der über den Großhandel abgesetzten Fernsehgeräte im ersten Quartal des Jahres von 71 Prozent auf 80 Prozent, wie Tabelle 27 zeigt. Das Problem für den Facheinzelhandel an dieser Entwicklung war weniger der Vertrieb über den Großhandel an sich, sondern die Tatsache, dass diese in einem „freien Markt“ vertraglich bezüglich ihrer Absatzkanäle nicht gebun-
352 Rudolf Oerding: Bekanntheit und Wertschätzung von TELEFUNKEN im Hinblick auf eine mögliche Marktentwicklung in den nächsten Jahren. Hannover 1961. In: DTMB/AEG, GS 1152. 353 Rudolf Oerding: Manuskript zum Vortrag „Marketing und Marktforschung“. Hannover, 24. Februar, 1961. In: DTMB/AEG, GS 1152 354 Nowack/Buchwald an Röper. Betr.: Vertikale Preisbindung. 18. September, 1963. In: DTMB/ AEG, GS 1988. 355 Auswertung des „Ifak“-Index Fernsehgeräte. 15. April, 1966, S. 2. In: DTMB/AEG, GS 7972.
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den waren. Sie galten daher in den Augen der Telefunken-Geschäftsstellen als „unkontrollierbar“356. Die neue strategische Ausrichtung der Hersteller, die eine Umsatzausweitung in das Zentrum vertriebspolitischer Überlegungen rückte, schwächte die für das Fernsehkartell charakteristische Bindung zwischen Herstellern und mittelständischen Fachgroß- und Einzelhändlern. Der Vorsitzende des Verbands deutscher Rundfunk- und Fernseh-Fachgroßhändler, Gerhard Otte, konstatierte rückblickend, manchen Herstellern sei „eine klare und rechtzeitige Konzeption gegenüber den sogenannten neuen Vertriebswegen“357 nicht vordringlich gewesen.358 Die zunehmenden Marktanteile, die neue Handelsformen wie die Verbrauchermärkte im Laufe der 1960er Jahre gewinnen konnten, lässt sich auch als Folge dieses Kontrollverlusts lesen. Tabelle 27: Anteil der Bezüge des Facheinzelhandels über den selbständigen Großhandel in Prozent (1964/65)359 Marke
1964 (1. Quartal)
1965 (1. Quartal)
Grundig
56
73
Saba
93
99
Kuba/Imperial
93
88
Philips
60
70
Blaupunkt
64
79
Graetz
85
96
Nordmende
97
100
Telefunken
39
44
Schaub-Lorenz
67
66
Loewe Opta
93
95
Metz
65
87
Siemens
17
42
Sonstige Marken
74
79
Gesamt (im Durchschnitt)
71
80
356 Leistungsvergleich der Tfk-Geschäftsstellen. Mai/Juni 1965. In: DTMB/AEG, GS 2028. 357 Otte, Gerhard: Das Weihnachtsgeschäft liegt im Schatten. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Dezember 1966, S. 385. 358 Ebd. 359 Ebd.
6.2 Hersteller-Händler-Verhältnisse in der BRD
289
Der traditionelle Facheinzelhandel wehrte sich gegen die Entwicklung. Telefunken musste bald feststellen, dass sich das Verhältnis zum Groß- und Einzelhandel auch in einem „freien Markt“ nicht so einseitig gestalten ließ, wie Oerding es sich vorgestellt hatte. Für die Einzelhändler bedeutete das Anfang der 1960er Jahre eingeführte Nettopreis-System, einen Kampf nach zwei Seiten: „Einmal“, wie der Radio-Fernseh-Händler schrieb, „mit den Lieferanten um den günstigsten Einkaufspreis – und auf der anderen Seite mit seinen Konkurrenten um einen Verkaufspreis, der für den Kunden interessant, aber für ihn selbst nicht bestandgefährdent (sic!) ist.“360 Wenigstens ein Teil der Facheinzelhändler hatte die Abschaffung der Preisbindung 1962 aufgrund der in den Jahren zuvor gemachten Erfahrungen befürwortet. An der Vorstellung klar geregelter Absatzwege, dem Verbot der Direktverkäufe und der Verpflichtung der Hersteller nur an den „echten“ Fachhandel zu liefern, hielten die Händler dagegen fest. Wenngleich sowohl Direktverkäufe als auch die Belieferung „fachfremder“ Händler in Zeiten des Fernsehkartells weit verbreitet waren, verschärfte sich das Problem nach Aufhebung der Preisbindung durch die strategische Neuausrichtung der Hersteller. Der Facheinzelhandel errichtete daher insbesondere gegen die als „Preisdiktatur“ wahrgenommene Institution der Verbrauchermärkte eine „Abwehrfront des Handels“361. Die Abwehrfront bestand im Wesentlichen in der Forderung nach der Einhaltung „sauberer“ Vertriebswege. Mit „sauberen Vertriebswegen“ war das Ziel gemeint, die Verbrauchermärkte von der Belieferung auszuschließen. Hersteller, die sich an diese Forderung nicht hielten, mussten befürchten, aus dem Sortiment verbannt zu werden, wie dies beispielsweise in einer „spontanen Reaktion“362 1965 auch tatsächlich geschah. Die Einführung einer Vertriebsbindung auf breiter Ebene, die seit Einführung des Netto-Preissystems diskutiert und von den Handelsverbänden gefordert
360 Zweigleisig. In: Radio-Fernseh-Händler, März 1962, S. 86–90. Hier S. 86. Aus dieser Perspektive ist auch verständlich, dass innerhalb des Einzelhandels gar nicht wirklich klar war, was unter Netto-Preisen eigentlich zu verstehen sei: „Wenn man unter Nettopreis den Fabrikausgangspreis meint, tritt sofort die Frage auf, für welche Abnahmemenge und zu welchen Konditionen er als Einkaufspreis des Handels gelten soll.“ Von den Mond- zu Nettopreisen. In: RadioFernseh-Händler, Oktober 1963, S. 410. 361 Zur Marktbereinigung. In: Radio-Fernseh-Händler, Mai 1964, S. 192. 362 Blick in die Wirtschaft. Vertriebsbindung gescheitert. In: funkschau elektronik express, 20. Januar, 1965. Siehe auch: Verbrauchermärkte und Rundfunk- und Fernsehbranche. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Januar 1969, S. 5.
290
6 Vertraute Bindungen. Hersteller und Händler in BRD und USA
wurde, scheiterte dagegen noch am Verhandlungstisch.363 Die Industrie hatte trotz Forderungen des Verbands deutscher Rundfunk- und Fernseh-Fachgroßhändler nicht den Eindruck, dass eine Vertriebsbindung durchsetzbar sei, da auf eine groß angelegte Umfrage bei den Großhändlern nur 25 Prozent aller Großhändler eine Zustimmung bekundeten, während 60 Prozent gar nicht geantwortet hatten.364 Der Leiter der Marktforschungsabteilung bei Telefunken hielt eine Vertriebsbindung beim eigenen Unternehmen auch für „vermutlich ohnedies nicht durchführbar“365. Die Muttergesellschaft AEG trage dies nicht mit und die Kontrolle der Durchführung sei aufgrund des großen Warensortiments schwierig. Die Meinung Telefunkens bestätigte die Einschätzung der funkschau-elektronikexpress, dass gemeinsame Lösungen der Marktprobleme angesichts der individuell so unterschiedlichen Umstände „fast ausgeschlossen“366 seien. Ein Blick auf die betriebswirtschaftlichen Gewinne im Facheinzelhandel, die in Grafik 39 zu sehen sind, verdeutlicht die Dringlichkeit von Abwehrmaßnahmen. Nach extrem hohen Gewinnen Anfang der 1960er Jahre ist ein langfristig abnehmender Trend zu erkennen, der die Preisentwicklung der Schwarz-WeißGeräte in den 1960er Jahren widerspiegelte. Bis Mitte der 1960er Jahre bewegten sich die Gewinne des Facheinzelhandels noch im grünen Bereich. Danach wurde die Lage kritisch. Nachdem die Zahl der Unternehmen im Einzelhandel mit Rundfunk-, Fernseh- und Phonogeräten bis Mitte der 1960er Jahre relativ stabil gewesen war, sank die Zahl allein zwischen 1966 und 1968 von 7.016 auf 6.503 Unternehmen. Die mit den Erwartungen auf einen neuen „Berufsstolz“ verbundene Euphorie im Facheinzelhandel war damit spätestens Mitte der 1960er Jahre verflogen.
363 Protokoll über GS-Leiter-Tagung am 21. September 1964 in Hannover. In: DTMB/AEG, GS 1158. 364 v. Dellinghausen an Seydlitz. Betr.: Netto-Preissystem und Vertriebsbindung. 11. Januar, 1965. In: DTMB/AEG GS 2021. 365 Ebd. 366 Großhandel. Keine Schuld am Scheitern der Vertriebsbindung. In: funkschau elektronik express, 20. Februar, 1965, S. 3.
6.2 Hersteller-Händler-Verhältnisse in der BRD
291
6 5 4 3 2 1 0 -1 -2
Betriebswirtschaftlicher Gewinn (in Prozent des Umsatzes, ohne Unternehmerlohn) Grafik 39: Betriebswirtschaftlicher Reingewinn des Radio- und Fernseh-Einzelhandels, 1960–1976 (BRD)367
Der Fachhandel sei im Wettrennen mit dem Discounter wundgelaufen und „in finanzielle Atemnot“368 geraten, klagte der Radio-Fernseh-Händler. Er sehnte sich wieder nach geordneten Verhältnissen und erklärte den Ruin einzelner Fachhändler für nicht „marktgerecht“369. Mit 91 Prozent Befürwortung bei den kleinen und 72 Prozent Befürwortung bei den größeren Händlern zeigte sich eine insgesamt wieder gestiegene Bereitschaft, die Preisbindung einzuführen.370 Der Rundfunk-Fernseh-Großhandel warnte sogar davor, „mit dem Schlagwort Strukturwandel die Ausschaltung tausender selbständiger und politisch verantwortungsbewußter Existenzen einfach zu überdecken und damit den Weg zu politischen Extremen vorzubereiten“371.
367 Angaben für 1960–1968 nach: Bewegte Zeiten. Eine Untersuchung über den Wettbewerb im Rundfunk-, Fernseh- und Phonogeräte-Einzelhandel. In: Radio-Fernseh-Händler, Juni 1970, S. 148–152. Angaben für 1967–1969 nach: Der Radio- und Fernseheinzelhandel im Spiegel der Zahlen. In: Radio-Fernseh-Händler, Februar 1971, S. 20–22. Für 1970–1971 nach: Betriebsvergleich Fach–Einzelhandel. Ergebnisse des Kölner Betriebsvergleichs für das Jahr 1972. In: RadioFernseh-Händler, Januar 1974, S. 4. Für 1972–1973 nach: Ergebnisse des Kölner Betriebsvergleichs für das Jahr 1973. In: Radio-Fernseh-Händler, Februar 1975, S. 4, Für 1974 und 1976 nach: Tietz, Markt, S. 705. Der Wert für 1975 ist ein geschätzter Trendwert! 368 Die Gretchenfrage. In: Radio-Fernseh-Händler, Februar 1967, S. 35. 369 Ruin ist nicht „marktgerecht“. In: Radio-Fernseh-Händler, September 1967, S. 319. 370 Preisbindung in unserer Branche? In: Radio-Fernseh-Händler, April 1966, S. 112. Siehe auch: Unbehagliche Preise. In: Radio-Fernseh-Händler, Januar 1966, S. 3. 371 Rundfunk-Einzelhandel. Wettbewerbsverzerrungen werden zum Vernichtungswettbewerb. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Mai 1968, S. 143. Siehe auch: Dienst ohne Verdienst? In: Ra-
292
6 Vertraute Bindungen. Hersteller und Händler in BRD und USA
Gerhard Otte vergaß nicht, die Einzelhändler auf diese Meinungsänderung hinzuweisen: „Eine Zeitlang war man (im Einzelhandel, ST) fest davon überzeugt, daß der Nettopreis das Allheilmittel in der Kalkulation sei. Offenbar war er dies aber nicht.“372 Otte hatte sich, wie der Verband deutscher Rundfunk- und Fernseh-Fachgroßhändler insgesamt, stets für eine Aufrechterhaltung der Preisbindung ausgesprochen.373 Dem Meinungswandel der Facheinzelhändler kam entgegen, dass sich auch auf Herstellerebene ein solcher Wandel vollzog. Dieser hing eng mit der Einführung des Farbfernsehens im Jahr 1967 zusammen. Die Einführung des Farbfernsehens veränderte die relativen Machtpositionen der Akteure im Markt. Die Konsumenten sahen sich, wie in Kapitel 5 dargestellt, mit einem neuen Produkt konfrontiert, für das keine Erfahrungswerte vorhanden waren und das viele Fragen nach technischer Zuverlässigkeit, System-Kompatibilität und Reparaturkosten aufwarf. Diese Eigenschaften des neuen Produkts hatte den Kolumnisten des Radio-Fernseh-Händlers schon 1966 trotz krisenhafter Entwicklungen „ohne Angst in die Zukunft schauen“374 lassen. Während die Beschränkung auf nur einen Absatzkanal bei „problemlosen ,Regal-Geräten‘“ nicht mehr möglich sei, wie ein Vertriebsleiter der Deutschen Philips Anfang der 1970er Jahre bemerkte, führe die Zunahme beratungsbedürftiger Produkte „fast zwangsläufig zu einer weiteren Stärkung der Position des Fachhandels“375. Der Facheinzelhandel war sich dieser neuen Machtposition vollkommen bewusst. Die Vertriebspolitik der Hersteller war, wie der Kolumnist des Radio-Fernseh-Händlers ausführte, für die Facheinzelhändler ein zentrales Kriterium für die Beur-
dio-Fernseh-Händler, August 1966, S. 267 und Markt und Ordnung. In: Radio-Fernseh-Händler, Juli 1965, S. 263. 372 Der Wettbewerb klärt die Fronten. Wie der funktionsechte Großhandel die Probleme des Einzelhandels sieht. In: Radio-Fernseh-Händler, August 1970, S. 204. Siehe auch: Aus dem Bereich des Rundfunk-Einzelhandels. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Mai 1966, S. 166. 373 Vorstand und Beirat des VDRG tagten. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Februar 1973, S. 23. Siehe auch: Stand des Lepkes-Konkurses. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Juni 1960, S. 168; Der Großhandel wird die Hersteller bevorzugen, deren Markthilfe spürbarer wird. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Januar 1966, S. 5; Die Preise für Rundfunk- und Fernsehgeräte nach Aufhebung der Preisbindung von 1962. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, September 1966, S. 269; Fragen des Großhandels an die Industrie. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Februar 1968, S. 29–30; Verteidigung der Preisbindung für Farbfernsehgeräte. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, November 1970, S. 339. 374 Nicht nervös werden. In: Radio-Fernseh-Händler, Dezember 1966, S. 403. Siehe auch: Zukunft gesichert. In: Radio-Fernseh-Händler, März 1970, S. 43. 375 Philips-Vertriebspolitik. Für den Vertrieb gibt es keine Patentrezepte. In: Radio-FernsehHändler, November 1972, S. 360.
6.2 Hersteller-Händler-Verhältnisse in der BRD
293
teilung, „mit wem eine Zusammenarbeit auf die Dauer fruchtbar sein wird“376. Die „Fachhandelstreue“ sah die Zeitschrift als einen „moralisch zu wertende(n) Begriff“377. Das Bekenntnis der Hersteller zum Fachhandel war vor dem Hintergrund der Einführung des Farbfernsehens mehr als eine leere Worthülse. Alle Hersteller, die ihre Geräte über den Fachhandel vertreiben wollten, führten eine Preisbindung ein. Sie taten dies, um die Handelsspannen der Händler zu sichern und einen fachgemäßen Kundendienst zu gewähren.378 Mit moralischen Kriterien oder nostalgischen Gefühlen alter Bindungen hatte diese Entwicklung wenig gemein. Der Geschäftsführer der Schaub-Lorenz-Vertriebs GmbH betonte, man sei keineswegs aus reiner Sentimentalität die enge Verbindung mit dem Fachhandel eingegangen.379 Der bei Blaupunkt für den Vertrieb zuständige Walter Blumenthal äußerte sich auf die Frage, ob das Vertriebskonzept des Unternehmens durch ein historisch bedingtes „Treuegefühl“380 begründet sei ähnlich. Weder Industrie noch Handel könnten „von Emotionen leben“381. Die Hersteller verhielten sich bei der Einführung der Preisbindung zunächst unterschiedlich. Einzelne Hersteller, namentlich Braun, Graetz, Kuba/Imperial, Loewe Opta, Nordmende, Saba, Siemens, Telefunken und Wega hatten sich noch vor Einführung des Farbfernsehens dazu entschlossen, einzelne Schwarz-WeißModelle preislich zu binden.382 Die funkschau-elektronik-express hatte sogar bereits 1966 von einer neuen „Preisbindungswelle“383 gesprochen aber diese
376 Vertriebspolitik. Geheimrezepte. In: Radio-Fernseh-Händler, Juli 1970, S. 175. 377 Vertriebspolitik. In Treue fest? In: Radio-Fernseh-Händler, Dezember 1971, S. 395. 378 Hücking, Günther: Mut zur Farbe. In: Radio-Fernseh-Händler, August 1967, S. 267. Siehe auch: Grundig startet das Farbfernsehen ohne Paukenschlag. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. Juli, 1967. 379 Wer sie sind und was sie tun. Manager der Schaub-Lorenz Vertriebs GmbH. In: Radio-Fernseh-Händler, März 1970, S. 48–49. Hier S. 49. Siehe auch: Prinzipiell fachhandelstreu. Rfh-Gespräch mit Cay Baron Brockdorff. In: Radio-Fernseh-Händler, April 1970, S. 73. 380 Wer sie sind und was sie tun: Manager der Blaupunkt-Werke. In: Radio-Fernseh-Händler, September 1970, S. 258–264. Hier S. 262. 381 Wer sie sind und was sie tun: Manager der Blaupunkt-Werke. In: Radio-Fernseh-Händler, September 1970, S. 258–264. Hier S. 262. 382 Liste der gebundenen Endverkaufspreise für Fernsehgeräte, Rundfunk- und Tischgeräte, Hi-Fi-Geräte, Koffergeräte sowie Phono- und Tonbandgeräte. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Januar 1967, S. 8. 383 Die neue Preisbindungswelle. In: funkschau-elektronik-express, 20. Februar, 1966.
294
6 Vertraute Bindungen. Hersteller und Händler in BRD und USA
Einschätzung war eher der zuvor herrschenden Flaute geschuldet.384 Grundig erklärte auch zunächst, die freie Marktwirtschaft vertrage sich nicht mit einer Preisbindung und schloss sich wie die Deutsche Philips der Welle von 1966 nicht an.385 Wie an Grafik 36 abzulesen war, stieg die Anzahl der preisgebundenen Modelle nach 1966 und insbesondere mit Einführung des Farbfernsehens sprunghaft an. Fast alle Hersteller banden zumindest für einen Teil ihrer Farbgeräte der Saison 1968 die Preise.386 Diese Liste vergrößerte sich 1969 weiter.387 Im Jahr 1970 erreichte die Zahl preisgebundener Modelle einen neuen Höchststand. Bis auf die Deutsche Philips, die nach wie vor nur drei preisgebundene Modelle im Programm führte, hatten alle bedeutenden Hersteller für einen Großteil ihrer Fernsehgeräte die Preisbindung wieder eingeführt.388 Aber auch die zweite Welle der Preisbindung verlief nicht ohne Probleme und Spannungen. Wenige Wochen nach Einführung der neuen Technik bildete der Preis für Farbgeräte bereits wieder einen „Zankapfel“389 zwischen Industrie und Handel. Der Rückgang zur Preisbindung hatte zu einer deutlichen Reduzierung der Handelsspannen geführt. Anfang der 1960er Jahre und nach Ende der ersten Preisbindungswelle hatte der Rabatt etwa 48 Prozent betragen. Bis Anfang 1964
384 Preisbindung – Ansichten und Aussichten. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Februar 1966, S. 29; Kuba bindet Preise für zwei weitere Geräte. In: Radio-Fernseh-Händler, November 1966, S. 402. 385 Die neue Preisbindungswelle. In: funkschau-elektronik-express, 20. Februar, 1966. 386 AEG-Telefunken (8 Modelle), Blaupunkt (7 Modelle), Braun (1 Modell), Graetz (3 Modelle), Grundig (19 Modelle), Loewe (4 Modelle), Metz (4 Modelle), Nordmende (39 Modelle), Philips (allerdings nur mit zwei Modellen), Saba (5 Farb- und 16 S/W-Modelle), Schaub-Lorenz (2 Modell), Siemens (5 Modell), Tonfunk (2 Modelle), Wega (4 Farb- und 3 S/W-Modelle) Siehe: Liste der gebundenen Endverkaufspreise für Fernsehgeräte, Rundfunk- und Tischgeräte, Hi-Fi-Geräte, Koffergeräte sowie Phono- und Tonbandgeräte. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Februar 1968, S. 36–40. 387 Insbesondere Telefunken (von 8 auf 18 Modelle), Blaupunkt (von 7 auf 22 Modelle), Loewe (von 4 auf 22 Modelle) und Nordmende (durch die Hinzunahme von Schwarz-Weiß-Geräten) erweiterten ihr Programm. Siehe: Liste der gebundenen Endverkaufspreise für Farb- und SchwarzWeiß-Fernseh-, Rundfunk-, Hi-Fi-, Koffer, Phono- sowie Tonbandgeräte. In: Rundfunk-FernsehGroßhandel, Juli 1969, S. 194–200. 388 Liste der gebundenen Endverkaufspreise für Farb- und Schwarz-Weiß-Fernseh-, Rundfunk-, Hi-Fi-, Koffer, Phono- sowie Tonbandgeräte. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Januar 1970, S. 30. Siehe auch: Preisbindung im Vormarsch. In: Radio-Fernseh-Händler, September 1970, S. 254 und Ein Bekenntnis zum Fachhandel. Rfh-Gespräch mit Cay Baron Brockdorf über die Loewe-Opta-Vertriebsbindung. In: Radio-Fernseh-Händler, April 1969, S. 72. 389 Zweierlei Meinung zum Farbgeräte-Markt. In: Radio-Fernseh-Händler, Oktober 1967, S. 362.
6.2 Hersteller-Händler-Verhältnisse in der BRD
295
war er sogar auf über 50 Prozent angestiegen.390 Die im Zuge der Anmeldung beim Bundeskartellamt genannten Handelsspannen lagen dagegen bei lediglich ca. 24 Prozent für den Einzelhandel und ca. 30,5 Prozent für den Großhandel.391 Viele Facheinzelhändler sahen sich angesichts der hohen Preise der Hersteller nicht in der Lage, die an das Farbfernsehen gerichteten Absatzerwartungen zu erfüllen. Sie erwarteten eine Senkung der Preise bei stabilen Handelsspannen. Die Fernsehgerätehersteller waren dazu nicht bereit. Der Geschäftsführer des Fachverbandes Rundfunk und Fernsehen im ZVEI, Günther Hücking, führte aus: „Eine Senkung der gebundenen Endverbraucherpreise, wie sie vom Einzelhandel für richtig gehalten wird, könnte nur zu Lasten der Handelsspanne erfolgen, da eine Verminderung der Werksabgabepreise auf absehbare Zeit kalkulatorisch nicht möglich ist.“392 Von den „lukrativen Gewinnspannen“393, die der Deutsche Radio- und Fernseh-Fachverband den Herstellern unterstellte, könne nicht die Rede sein. Angesichts der festen Preise rückte seit Ende der 1960er Jahre die Gewährung „kostenloser“ Zugaben in den Fokus der Facheinzelhändler. Die Praxis hatte bereits Mitte der 1950er den Unmut der Fachzeitschrift Radio-Fernseh-Händler geweckt, die sie als ein „völlig unkaufmännisches Mittel“ ansah.394 In den Jahren danach entzogen sich die Zugaben der Aufmerksamkeit des Fachhandels. Erst 1968 konstatierte der Rundfunk-Fernseh-Großhandel eine erneute Zunahme.395 Ab etwa 1970 häuften sich dann Beschwerden über eine Welle von kostenlosen Prämien, die die Preisbindungswelle begleitete. Lieferanten übersandten kleine Schnapsflaschen, Süßigkeiten, Wein oder Taschentücher an ihre Großhändler, verschenkten ein Klapprad im Wert von 100 D-Mark als Werbeprämie oder gewährten Gratisreisen. Das alles stand freilich unter der Voraussetzung, dass der
390 Aktennotiz. GS-Leitertagung vom 22.–24.1.1964. 28. Januar, 1964. In: DTMB/AEG, GS 1158. 391 Blick in die Wirtschaft. Handelsspannen für gebundene Preise offengelegt! In: funkschauelektronik-express, 20. März, 1966. 392 Ebd. Auf einer Pressekonferenz im Juni hatte Hücking ähnliche Ansichten vertreten. Die Industrie sei „an die unterste, kostenmäßig gerade noch vertretbare Grenze gegangen“. Referat Günther Hücking. Die Situation der deutschen Rundfunk- und Fernsehgeräteindustrie. 30. Juni, 1967. In : DTMB/AEG, GS 3415. 393 Zweierlei Meinung zum Farbgeräte-Markt. In: Radio-Fernseh-Händler, Oktober 1967, S. 362. 394 Das große Unbehagen. In: Radio-Fernseh-Händler, August 1955, S. 319. 395 Werbung, Lockvogelangebote sowie Preis- und Vertriebsbindung. In: Rundfunk-FernsehGroßhandel, Mai 1968, S. 154.
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6 Vertraute Bindungen. Hersteller und Händler in BRD und USA
Händler zunächst Aufträge über Phono- oder Fernsehgeräte in einer bestimmten Höhe abschließen musste.396 Dabei war es bezeichnend, dass etwa der Radio-Fernseh-Händler noch 1970 nur von „Gerüchten über seltsame Verkaufspraktiken“397 sprach. Anders als in den USA fand die Praxis keinerlei öffentliche Zustimmung seitens des traditionellen Fachhandels. Die in den 1970er Jahren im Markenartikel veröffentlichten „Wettbewerbsregeln des Markenverbandes“ lesen sich teilweise wie das genaue Gegenteil der Sichtweise amerikanischer Facheinzelhändler. Darin hieß es: „Hersteller verstoßen gegen die guten Sitten im Wettbewerb, wenn sie die Mitarbeiter ihrer Abnehmer oder diese selbst unsachlich beeinflussen, indem sie Preisausschreiben oder Reisen veranstalten, Gewinne ausspielen, Prämien oder sonstige geldwerte Vorteile gewähren, um Bestellungen oder eine besondere Behandlung ihrer Erzeugnisse […] zu erwirken.“398 In der Zugabeverordnung von 1932 fand dieses Selbstverständnis seinen rechtlich verbindlichen Ausdruck. Die Käufer sollten, wie es in der Verordnung hieß, „beim Kauf von Waren nicht durch besondere Zugaben davon abgelenkt werden, die Hauptware nach Preis und Qualität zwischen verschiedenen Anbietern zu vergleichen“399. Trotz dieses breiten Widerstands ließ sich die Praxis der Gewährung von Zugaben nicht wirklich eindämmen. Sie breitete sich vielmehr außerhalb der legalen Bestimmungen in den 1970er Jahren weiter aus. Das Handelsblatt stellte 1971 fest, dass „ein großer Teil der in der Wirtschaft erzielten Umsätze auf unlauterer Grundlage“400 zustande käme. Der Rundfunk-Fernseh-Großhändler bemerkte, manche Praktiker seien inzwischen so schlau, schriftliche Unterlagen über ihre Reiseangebote nicht mehr herauszugeben. „Die Angebote erfolgen von den Vertretern von Mund zu Mund.“401 1973 konstatierte die Zeitschrift schließlich, die Gewährung kostenloser Zugaben sei zu einem „System“ geworden.402 Diese Einschätzung wurde von Seiten der Industrie mit Bedauern bestätigt. „Ich glaube,
396 Die wirtschaftliche Lage im Rundfunk- und Fernseh-Großhandel 1969/70. In: RundfunkFernseh-Großhandel, Juni 1970, S. 164–176. Hier S. 166. 397 Farbgeräte-Absatz. Wie teuer sind Gerüchte? In: Radio-Fernseh-Händler, August 1970, S. 203. 398 Wettbewerbsregeln des Markenverbandes. In: Markenartikel 38 (6), 1976, S. 207. 399 Schreiber, Rolf: Gesetzliche Bestimmungen im Handel. In: Radio-Fernseh-Händler, Februar 1968, S. 37. 400 Handelsblatt am 12. November, 1971; zit. nach: Besteht mangelnde Bereitschaft, das geltende Wettbewerbsrecht einzuhalten? In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, März 1971, S. 54–60. 401 Aus der Tagesarbeit des Rundfunk- und Fernseh-Großhandels. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Juni 1972, S. 131–147. Hier S. 131. 402 Ebd., S. 147.
6.2 Hersteller-Händler-Verhältnisse in der BRD
297
wir wären alle überglücklich“, so Cay-Baron Brockdorff von Loewe-Opta, „wenn wir diesen Geist, den wir gerufen haben, so bald wie möglich wieder verbannen könnten.“403 Es ist kein Zufall, dass sich dieses „System“ genau in der Zeit ausbreitete, in der die Hersteller und Händler mit der Preisbindung nach einem Weg suchten, den über Preise gesteuerten Wettbewerb zu eliminieren. Das endgültige Ende der vertikalen Preisbindung begann im Jahr 1970. Ende des Jahres häuften sich erste Anzeichen, dass die flächendeckende Aufrechterhaltung der Preisbindung schwierig werden könnte. Verbrauchermärkte im Westen, insbesondere der Ratio-Markt, nutzten die innerhalb der EWG-Gesetzgebung kaum zu regulierende Möglichkeit der Re-Importe, um einzelne Modelle zu günstigen Preisen anzubieten und dadurch öffentlich als Preisbrecher aufzutreten.404 Die Aktion des Ratio-Marktes verfehlte ihre mediale Wirkung nicht.405 Die Hersteller, die an der Preisbindung festhalten wollten, sahen sich zu Preissenkungen von schätzungsweise rund sechs Prozent gezwungen. Die meisten Fachhändler im Norden und Süden hofften ebenfalls auf eine Rettung der Preisbindung. Im Westen waren die von Re-Importen besonders betroffenen Händler dagegen schon wieder dazu übergegangen, eine Abschaffung zu befürworten.406 Als auch die Warenhäuser nach der viel beachteten Aktion des Ratio-Marktes dazu übergingen, die Preisbindung einzelner Modelle systematisch zu durchbrechen, entschloss sich das Bundeskartellamt, die Preisbindung für die betroffenen Modelle ohne vorherige Abmahnung aufzuheben.407 Wie in Grafik 36 abzulesen war, verlief das Ende der zweiten Welle der Preisbindung weniger drastisch und abrupt als noch 1962. Die Hersteller Braun, Graetz, Imperial, Nordmende, Saba und Schaub-Lorenz hielten die Preisbindun-
403 Brockdorff, Cay Baron: Vertriebsaufgaben der Unterhaltungselektronik in Gegenwart und Zukunft. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Juni 1973, S. 159–161. Hier S. 160. 404 Preisbindung für Farbfernsehgeräte. Schwankender Boden. In: Radio-Fernseh-Händler, November 1970, S. 371; Verteidigung der Preisbindung für Farbfernsehgeräte. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, November 1970, S. 339. 405 Siehe: Der Zukunft wurde Zwang angetan. In: Handelsblatt, 20. November, 1970; Broichhausen, Klaus: Bildstörung im Markt der Farbfernsehgeräte. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Dezember, 1970; Tetzner, Karl: Die Preise sinken – die Preisbindung bleibt. In: Handelsblatt, 2. November, 1970; Ratio unterbietet Farbfernseh-Preise. In: Die Welt, 2. Oktober, 1970. 406 Preisbindung für Farbfernsehgeräte. Schwankender Boden. In: Radio-Fernseh-Händler, November 1970, S. 371. Siehe auch: Absatzsituation. Unruhiger Markt. In: Radio-Fernseh-Händler, Dezember 1970, S. 423. 407 Die drei Nahziele nach Aufhebung der Preisbindung für Farbfernsehgeräte. In: RundfunkFernseh-Großhandel, Dezember 1970, S. 367.
298
6 Vertraute Bindungen. Hersteller und Händler in BRD und USA
gen zumindest für einen Teil ihres Fernsehgeräteprogramms aufrecht.408 Erst mit dem generellen Verbot der Preisbindung durch die zweite Novelle des Kartellgesetzes von 1973 verschwand die Preisbindung vollständig aus dem Markt für Fernsehgeräte. Dieser Unterschied zwischen dem ersten und dem zweiten Verlauf der Preisbindungswellen in der Bundesrepublik war bezeichnend für einen historischen Wandel, den das Institut der Preisbindung in diesen knapp 20 Jahren durchlaufen hatte. Der wesentliche Unterschied der zweiten Preisbindungswelle war, dass die Preisbindung nicht mehr, wie noch Ende der 1950er Jahre, im Zentrum der Bemühungen um eine auf horizontaler Ebene geregelte Marktordnung stand. Vielmehr war sie Ausdruck einer Koordination vertikaler Marktbeziehungen, die sich auf einzelne Produkte beschränkte und durch die sich die Hersteller der Kooperation der Facheinzelhändler versichern wollten. Anders als bei den „problemlosen“, weit verbreiteten und bekannten „Regal-Geräten“ wie Radios und Schwarz-WeißGeräten spielten die Fach-Händler bei Farbgeräten die Rolle eines zentralen Akteurs. Zwar war es ihnen wichtig, den Preisverfall bei den neuen Produkten möglichst lange zu vermeiden. Dahinter stand aber nicht mehr die Idee einer umfassenden Marktordnung. Das lässt sich an zwei einfachen Feststellungen deutlich machen: erstens gab es keine Bemühungen, die Preisbindung durch ein horizontal organisiertes Rabattkartell abzusichern, wie dies in den späten 1950er Jahren der Fall gewesen war. Zweitens trat an die Stelle der Preisbindung nach ihrer Abschaffung nicht die Preisempfehlung oder der „freie Markt“ wie Anfang der 1960er Jahre, sondern eine andere zentrale Forderung des traditionellen Fachgroß- und Einzelhandels: die Vertriebsbindung mit ihrem Versprechen, in Zukunft nur „fachechte“ Händler zu beliefern.409
408 Liste der gebundenen Endverkaufspreise für Farb- und Schwarz-Weiß-Fernseh-, Rundfunk-, Hi-Fi-, Koffer, Phono- sowie Tonbandgeräte. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Februar 1971, S. 32–35. 409 Siehe etwa die 1973 angestellten Überlegungen bei Telefunken: „Nach dem Fortfall der Preisbindung der 2. Hand soll an die Stelle einer Strategie der Exclusivgeräte […] eine Vertriebsbindung des Groß- und Einzelhandels treten.“ Gleichzeitig wollte Telefunken im Zuge der Abkehr von der freien Absatzwirtschaft eine verstärkte Belieferung des Facheinzelhandels vornehmen und die Fernsehgeräte „sukzessive aus den Verbrauchermärkten“ lösen. Siehe: Gedächtnisvermerk über die Bereichsbesprechung des Unternehmensbereichs Rundfunk, Fernsehen, Phono (R) am 3.7.1973 in Frankfurt (Main). In: DTMB/AEG, JB XA 897.
6.2 Hersteller-Händler-Verhältnisse in der BRD
299
6.2.3 Vertikale Inseln. Die Vertriebspolitik Sabas und Nordmendes Ein wesentlicher Grund, weshalb die Hersteller nach einer Phase loser Bindungen wieder dazu übergegangen waren, einen engeren Kontakt zum Fachhandel zu suchen, war neben der Einführung des Farbfernsehens das Beispiel der Schwarzwälder Apparatebau-Anstalt Saba. Die Firma Saba war ein Familienunternehmen aus Villingen, das seit den 1920er Jahren Rundfunk- und seit den 1950er Jahren Fernsehgeräte herstellte. Ende der 1960er Jahre beschäftigte das Unternehmen etwa 4.000 Personen und wies einen Umsatz von etwas unter 200 Mio. D-Mark aus.410 Anders als nahezu alle anderen Hersteller der deutschen Fernsehgeräte industrie war das Villinger Familienunternehmen kurz nach dem Fall der Preisbindung Anfang der 1960er Jahre dazu übergegangen, seinen Vertrieb zu reformieren und eine selektive Vertriebspolitik einzuführen. Die Reform bestand in der radikalen Reduzierung der von Saba belieferten Großhändler von 870 auf 130 Unternehmen. Die Händler verfügten über regionale Vertriebsmonopole und waren durch ein Revers dazu verpflichtet, die von Saba bezogenen Geräte ausschließlich an solche Facheinzelhändler weiterzuverkaufen, die von Saba vorgegebene Kriterien erfüllten. Im Gegenzug verpflichtete sich der Hersteller, alle Großhändler, die sich nicht an diese Vorgaben hielten, von der zukünftigen Belieferung auszuschließen. Das Ziel war, wie Hermann Brunner-Schwer ausführte, den Wettbewerb auf den Facheinzelhandel zu konzentrieren.411 Der Wert dieses Versprechens hing von der tatsächlichen Durchsetzung der angedrohten Sanktionen gegenüber vertragsbrüchigen Händlern ab. Das war, wie Brunner-Schwer in seinen Erinnerungen beschrieb, ein nicht einfacher Kampf: „Immer wieder läuteten die Alarmglocken. Den sich brüskiert fühlenden Warenhauskonzernen schien jedes Mittel Recht zu sein, um die Vertriebsbindung aufs Kreuz zu legen. Zuerst hielt ich es für ein Gerücht, doch dann überzeugte ich mich selbst: Bei Kaufhof, Karstadt, Horten und Konsorten standen plötzlich wieder Saba-Geräte in den Regalen! Wo,
410 Was das Saba-Beispiel zeigt. Der Großhandel potenter und unentbehrlicher Partner der Industrie. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, November 1969, S. 336; Brunner-Schwer, Saba, S. 305. 411 Brunner-Schwer, Hermann (1967): Distribution durch das Saba-System. In: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung 13, S. 116–118. Siehe auch: Wege zum sauberen Markt – Saba erläutert ihre Vertriebspolitik. In: Radio-Fernseh-Händler, Februar 1965, S. 38; Niens, S. 86–90 und Pollmüller, Heinz-Dieter (1981): Vertriebsbindungssysteme in der Unterhaltungselektronikbranche – dargestellt am Beispiel der Firma Saba. In: Dieter Ahlert (Hg.): Vertragliche Vertriebssysteme zwischen Industrie und Handel. Grundzüge einer betriebswirtschaftlichen, rechtlichen und volkswirtschaftlichen Beurteilung. Wiesbaden, S. 317–358.
300
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zum Teufel, kamen die her? Die Kisten standen nicht lange dort. Ich ließ sie sofort wieder herauskaufen, und Sabas Juristen machten Überstunden. Es dauerte nur wenige Tage, und wir wußten Bescheid. Die Warenhäuser hatten ganze Mannschaften zusammengestellt, sie mit Bargeld ausgestattet und in die Fachgeschäfte geschickt. Dort waren sie dann als harmlose Privatleute aufgetreten und hatten Saba-Apparate gekauft, immer nur einen pro Mann natürlich, damit der Händler keine Lunte roch.“412
Die Berliner Geschäftsstelle Telefunkens bezeichnete die Vertriebsbindung Sabas ein knappes Jahr nach ihrer Einführung als einen „glatte(n) Mißerfolg“413, da die Warenhäuser trotz der eingeleiteten Maßnahmen nach wie vor Saba-Geräte führten. Der Facheinzelhandel schätzte die Bemühungen Brunner-Schwers dagegen ungeachtet der anfänglichen Probleme. Er bekundete frühzeitig sein Wohlwollen, dass Saba durch die strenge Auswahl der belieferten Großhändler und dank der Auflagen „einen Weg zur Zusammenarbeit von Produktion und Vertrieb gefunden“414 habe. Tabelle 28: Markenpräsenz einzelner Hersteller beim Facheinzelhandel in Prozent, 1964–1966415 Marken
1964
1965
1966
Grundig
71
70
72
Saba
70
74
80
Philips
70
68
70
Blaupunkt
46
51
53
Telefunken
59
56
62
Nordmende
75
69
68
Graetz
69
62
60
Kuba
59
68
63
412 Brunner-Schwer, Saba, S. 269. Siehe auch: Sabas Macht. In: Der Spiegel, 31. Oktober, 1962, S. 80. 413 v. Dellinghausen an Seydlitz. Betr.: Bericht über die GS-Leitertagung am 4.1.1963 in Hannover. 21. Januar, 1963. In: DTMB/AEG, GS 2001. 414 Die Sehnsucht nach Ordnung. In: Radio-Fernseh-Händler, Juni 1963, S. 230–234. Hier S. 230. 415 Fachbereich Marketing. Auswertung „Ifak-Index“ Rundfunkfachgeschäfte: Fernsehgeräte. September 1966–Dezember 1966 und Jahresübersicht 1966. Ulm, 10. März 1967. In: DTMB/AEG, GS 7972.
6.2 Hersteller-Händler-Verhältnisse in der BRD
301
Tab. 28 (fortgesetzt) Marken
1964
1965
1966
Schaub-Lorenz
37
38
37
Loewe-Opta
55
50
51
Siemens
24
20
19
Metz
16
16
Wega
18
16
jap. Geräte
7
11
Die Wertschätzung des Facheinzelhandels gegenüber Saba lässt sich besonders eindrücklich an der Präsenz der Saba-Geräte innerhalb der Geschäfte des traditionellen Facheinzelhandels ablesen, die in Tabelle 28 abgebildet ist. Bereits 1964 konnten Konsumenten die Fernsehgeräte des vergleichsweise kleinen Unternehmens aus dem Schwarzwald in 70 Prozent aller Fachgeschäfte erwerben. Das war ein Wert, den sonst nur die umsatzstarken Unternehmen Grundig, Philips und Nordmende oder ähnlich „fachhandelstreue“ Hersteller wie Graetz erreichten. Andere Hersteller, die zu dem Zeitpunkt einen höheren Marktanteil als Saba hatten, wie Blaupunkt, Telefunken und Loewe Opta, kamen auf deutlich geringere Werte. In den folgenden zwei Jahren stieg der Anteil sogar auf 80 Prozent, während er bei allen anderen Herstellern stagnierte oder zurückging. Da der Facheinzelhandel, wie in Kapitel 4.4 gezeigt, auch in den 1960er Jahren seine zentrale Stellung behaupten konnte, bedeutete die Anerkennung der Fachhändler eine für Saba günstige Ausgangsposition. Innerhalb von wenigen Jahren stieg der Markt-Anteil des Unternehmens Schätzungen zu Folge von um die 4 Prozent auf 12 Prozent, wie in Tabelle 7 zu sehen war. Im Winter 1966 stellte der Radio-Fernseh-Händler ohne Übertreibung fest, dass Saba mit der neuen Vertriebspolitik äußerst gut gefahren sei.416 Bei der Einführung des Farbfernsehens konnte das Unternehmen die gute Ausgangsposition allerdings nicht nutzen, da das Unternehmen mit großen Qualitätsproblemen zu kämpfen hatte. Die Ausweitung der Produktion in den 1960er Jahren und Investitionen in neue Großprojekte hatten die finanziellen Möglichkeiten des Unternehmens überstiegen. Im Jahr 1968 übernahm der amerikanische Mutterkonzern Sylvanias, die General Telephone & Electronics, das Schwarzwälder Unterneh-
416 Saba verstärkt die Kooperation mit dem Großhandel. In: Radio-Fernseh-Händler, November 1966, S. 402.
302
6 Vertraute Bindungen. Hersteller und Händler in BRD und USA
men. 1980 wurde Saba an den französischen Thomson-Konzern weiterveräußert. Die Marktanteile für Fernsehgeräte blieben in den 1970er Jahren konstant. Die Erlössituation war dagegen angesichts der fallenden Preise nicht gut.417 Die vor Beginn des Farbfernsehens sehr vorteilhafte Entwicklung Sabas veränderte die Wahrnehmung ihrer Vertriebspolitik von einem Misserfolg zu einem leuchtenden Beispiel. Nicht nur bei Telefunken, wo die Marktforschungsabteilung eine Vertriebsbindung noch Ende 1965 mit der Begründung abgelehnt hatte, dass sie nur für Unternehmen mit „wesentlich geringere(m) Marktanteil“418 in Frage käme, gewann die am Fachhandel orientierte Vertriebspolitik in den späten 1960er Jahren erneut an Gewicht.419 Mancher Hersteller habe erkannt, so der Rundfunk-Fernseh-Großhandel, „wie schnell seine Rendite in Gefahr gerät, sobald seine Erzeugnisse in den Strudel vertrieblicher Unordnung gezogen werden“420. Aber auch für den Fachhandel stand die Frage der Vertriebswege nach dem Wegfall der Preisbindung „an erster Stelle der Dringlichkeitsliste“421. Als „unerträglich“ würden es die Facheinzelhändler empfinden, „wenn beispielsweise im Verbrauchermarkt ein offensichtlich für diesen Vertriebskanal hergestelltes Farbfernsehgerät für 1.800 D-Mark verkauft wird, während der Facheinzelhändler ein vergleichbares Modell mit gleichem Chassis zum Preis von 2.300 D-Mark auf den Markt bringen soll.“422 Die Umgehung der Verbraucher- und Cash&Carry-Märkte müsse daher „mit härtester Konsequenz und unter Opfern durchgesetzt werden“423. Loewe tat sich hierbei in den Augen des Fachgroß- und Einzelhandels besonders hervor.424 Aber auch nahezu alle anderen Hersteller von Graetz über Braun bis hin zur Deutschen Philips und Grundig hielten nach Auf-
417 Zur Geschichte Sabas und insbesondere für den spannend geschilderten „Übernahme-Poker“ mit Grundig, Telefunken, Philips, RCA und der GT&E siehe die autobiographischen Schilderungen in: Brunner-Schwer, Saba, S. 290–306. 418 v. Dellinghausen an Seydlitz. Betr.: Netto-Preissystem und Vertriebsbindung. 11. Januar, 1965. In: DTMB/AEG, GS 2021. 419 Zu Telefunken siehe: Referat Oskar Schmidt. 29. Oktober, 1974. In: DTMB/AEG, JB XA 899 und Langfristige Konzeption TFR. Planung 1975–1980. In: DTMB/AEG, JB XA 898. 420 Vertriebsbindungen. Frischer Wind. In: Radio-Fernseh-Händler, Dezember 1972, S. 411. 421 Steuerung der Vertriebswege. Gesprächsstoff für Berlin. In: Radio-Fernseh-Händler, September 1973, S. 251. Für die preisgebundenen Waren hatte automatisch ein Kontrahierungszwang bestanden, also eine Lieferpflicht an alle Abnehmer. Der Lieferzwang hatte aber dadurch an Bedeutung eingebüßt, dass preisgebundene Waren für preisgünstige Anbieter (zumindest theoretisch) weniger attraktiv waren. 422 Fachhandelstreue. Beim Wort genommen. In: Radio-Fernseh-Händler, Juli 1973, S. 191. 423 Vertriebsbindungen. Frischer Wind. In: Radio-Fernseh-Händler, Dezember 1972, S. 411. 424 Ein beispielhafter Großhandelsrevers. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Januar 1970, S. 6; Ein Bekenntnis zum Fachhandel. Rfh-Gespräch mit Cay Baron Brockdorf über die Loewe-Opta-
6.2 Hersteller-Händler-Verhältnisse in der BRD
303
hebung der Preisbindung in öffentlichen Bekenntnissen an der Vertriebsbindung fest.425 Nicht alle Hersteller hielten sich konsequent an das Versprechen der Vertriebsbindung. Der Direktor der Gruppe Rundfunk/Phono/Magnetband und stellvertretender Geschäftsführer der Deutsche Philips GmbH, Ingwert Ingwertsen, wurde in einem Interview mit dem Rundfunk-Fernseh-Großhandel mit der Bemerkung konfrontiert: „Unser Gespräch ist bisher so verlaufen, als wenn es außer dem Facheinzelhandel, dem Fachgroßhandel und der fachhandelstreuen Industrie niemanden weit und breit auf dem Markt gäbe. Sie und wir wissen sehr genau, daß die Philips-Marke keineswegs nur im Fachhandel präsent ist, sondern daß sie auch in Massenvertriebsformen auftaucht. Wird das so bleiben?“426 Nach Aufhebung der Preisbindung avancierte die vertikale Vertriebsbindung zum „zentrale(n) Rechtsproblem der Absatzwegepolitik“427. Auch bei der Vertriebsbindung zeigte sich der grundsätzliche Konflikt in einer freiheitlichen Marktwirtschaft zwischen der Freiheit unternehmerischer Entscheidungen und dem Schutz des Wettbewerbs als Institution. Die Freiheit des Herstellers, seine Vertriebswege selbst zu bestimmen, wurde durch das Wettbewerbsgesetz dahingehend eingeschränkt, dass das Diskriminierungsverbot „marktstarken“ Unternehmen untersagte, willkürlich andere Marktteilnehmer durch einen Lieferstopp am Marktzugang zu hindern. Dieser grundsätzliche Konflikt war bereits in den 1960er Jahren in Einzelfällen auch in der Fernsehgeräteindustrie präsent gewesen. Am 28. Oktober 1965 hatte sich der Bundesgerichtshof zu einer Liefersperre geäußert, die Saba 1962 im Zuge ihrer selektiven Vertriebspolitik gegenüber einem Niedrigpreisgeschäft verhängt hatte. Das Geschäft war daraufhin Konkurs gegangen. Das Bundeskartellamt hatte vermutet, dass Saba durch die Liefersperre versucht habe, das Geschäft zu einem Anheben seiner Preise auf die empfohlene Höhe zu bewegen. Es stellte daraufhin beim Kammergericht Berlin einen Bußgeldantrag gegen Saba. Das Kammergericht lehnte diesen ab, weil die Motive unklar gewesen seien. Das Bundeskartellamt zog vor den Bundesgerichtshof, der aber ebenfalls kein Bußgeld
Vertriebsbindung. In: Radio-Fernseh-Händler, April 1969, S. 72; Prinzipiell fachhandelstreu. RfhGespräch mit Cay Baron Brockdorff. In: Radio-Fernseh-Händler, April 1970, S. 73. 425 Greatz bekennt Farbe. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, April 1974, S. 88; Vertriebspolitik der Gegenwart und Zukunft im Rahmen des neuen Wettbewerbs. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Mai 1974; S. 128; Steigende Werbungskosten erzwingen neue Überlegungen. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Juni 1974, S. 169. 426 Steigende Werbungskosten erzwingen neue Überlegungen. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Juni 1974, S. 169. 427 Tietz, Markt, S. 1291.
304
6 Vertraute Bindungen. Hersteller und Händler in BRD und USA
verhängen wollte. Er teilte nicht den vom Bundeskartellamt vertretenen Gedanken, dass eine wegen zu niedriger Preise verhängte Liefersperre immer den Sinn habe, „den Einzelhändler zu höheren Preisen zu veranlassen“. Liefersperren seien gültig, wenn der Belieferte nicht den vom Hersteller erwünschten Service oder „angemessenen äußeren Rahmen“428 bieten könne. Die Sperre müsse dann aber endgültig sein und dürfe nicht dazu intendiert sein, den Händler „zu künftigem Wohlverhalten“429 zu bewegen. Der Radio-Fernseh-Händler sah die Interpretation des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen durch das Bundeskartellamt und die EWG-Kommission als geradezu „existenzbedrohend“430. Die Zeitschrift sah bereits das Ende der vertikalen Vertriebsbindungen gekommen, da die Behörden die Unterschiede zwischen Selbstbedienungs- und Fachhändlern nicht anerkannten.431 Schon bald seien die Vertriebsbindungen „in der Praxis nicht mehr wert […] als das Papier, auf das sie gedruckt wurden“432. Ihr Ende sei absehbar. Das war eine in mehrfacher Hinsicht falsche Einschätzung. Denn zum einen stand die EWG der Vertriebsbindung nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber. Ein Antrag Sabas auf eine europaweite Vertriebsbindung war bereits Ende 1972 unter Vorbehalt gebilligt worden. Am 15. Dezember 1975 erging dann auch die offizielle Entscheidung.433 Zum anderen lösten sich die vertikalen Bindungen zwischen Herstellern und Händlern in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren keineswegs. Schon 1976 beobachtete die Zeitschrift selbst „verstärkte Bemühungen um ,saubere‘ Vertriebswege (und) schnellere Reaktionen auf Verstöße gegen Vertriebsbindungsverträge“434. Die Zunahme vertikaler Verträge bedeutete aber
428 Rundfunkindustrie und Rundfunk-Großhandel. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Mai 1966, S. 170–179. 429 Otte, Gerhard: Wettbewerbsfragen in der Praxis. Selbstkostenermittlung, Preisangebote an Verbraucher, Liefersperren und Kontrahierungszwang. In: Radio-Fernseh-Händler, September 1967, S. 332–334. Hier S. 334. 430 Hilfen für den Fach-Einzelhändler. Kommen die Alternativen? In: Radio-Fernseh-Händler, Juni 1974, S. 175. Siehe auch: Wettbewerb. Wir brauchen bessere Gesetze. In: Radio-FernsehHändler, September 1974, S. 255. 431 Lockvogelpreise. Legalisierter Vernichtungs-Wettbewerb. In: Radio-Fernseh-Händler, April 1974, S. 83. 432 Marktstruktur 1974. Hoffnung und Wirklichkeit. In: Radio-Fernseh-Händler, Januar 1974, S. 3. 433 Saba-EWG-Vertriebsbindung durch die EWG-Kommission genehmigt. In: Radio-Fernseh-Händler, Januar 1976, S. 6. Am 29.10.1977 lehnte der Gerichtshof der EG zudem in einer „wichtige(n) Grundsatzentscheidung“ (Tietz, Markt, S. 225) einen Belieferungszwang der MetroSB-Großmärkte durch Saba ab. 434 Noch einmal davongekommen? In: Radio-Fernseh-Händler, Januar 1976, S. 4.
6.2 Hersteller-Händler-Verhältnisse in der BRD
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auch eine zunehmende Spannung zwischen den kartellrechtlichen Bestimmungen und dem Wunsch einzelner Marktakteure nach einer vertikal koordinierten Marktordnung. Das Bremer Rundfunk-Unternehmen Nordmende hatte sich mit Einführung seiner Vertriebsbindung dazu entschlossen, die Allkauf-Gruppe, die eine Reihe von Selbstbedienungsmärkten in der Bundesrepublik betrieb, nicht zu beliefern. Es ist nicht klar, ob dies in unternehmensinternen Befürchtungen der „Preisschleuderei“ oder in der Reverenz vor dem Fachgroß- und Einzelhandel, der die Allkauf-Gruppe als „übermächtigen Gegner“ betrachtete, begründet lag.435 Mit einem Umsatz von über 1 Mrd. D-Mark Mitte der 1970er Jahre war Allkauf die zweitgrößte Verbrauchermarkt-Kette in der BRD.436 Die Liefersperre war rechtlich ein schwieriger Fall, weil die Allkauf-Märkte zwar große Verbrauchermärkte ohne einen Schwerpunkt auf „Brauner Ware“ waren, trotzdem aber über Fachhandelsfunktionen verfügten. Da sich Allkauf durch den Boykott diskriminiert sah, klagte der Händler Nordmende vor dem Landgericht Dortmund 1976 an. Das war der Auftakt für eine rechtliche Auseinandersetzung, die sich über mehrere Jahre hinzog und deren Folgen bis hinauf zum Bundeswirtschaftsminister auch die Politik mit einbezog.437 Für den FernsehFacheinzelhandel war die Sache dem Funk-Fachhändler zu Folge von „grundsätzlicher Bedeutung“438. Das Landgericht Dortmund sagte Nordmende zunächst das Recht zu, Allkauf nicht zu beliefern. Aus Sicht Nordmendes bedeutete dies eine „Unterstützung für alle am freien Wettbewerb interessierten Unternehmen“439. Auch das Oberlandesgericht Düsseldorf bestätigte im Jahr 1978 diese Einschätzung. Die Erwartung der Käufer, in dem Verbrauchermarkt bestimmte Fernsehgerätemarken zu finden sei niedriger einzuschätzen als die an den Fachhändler gestellten Erwartungen. In dem Urteil hoben die Richter hervor, ein Verbraucher suche in einem Verbrauchermarkt vor allem nach günstigen Gegenständen des täglichen Verbrauchs. Den „niedrigen Bedienungskomfort“ und die „unpersönlichere Abwicklung des
435 Die erste Runde ging an Nordmende. Lieferverweigerung gegenüber Allkauf war sachlich gerechtfertigt. In: Radio-Fernseh-Händler, September 1976, S. 9. Siehe auch: Nordmende setzt voll auf den Fachhandel. In: Radio-Fernseh-Händler, Mai 1976, S. 6 und Tietz, Markt, S. 224. 436 Tietz, Markt, S. 633. 437 Kurz, Rudi (1983): Behinderungsmißbrauch. Probleme einer ordnungskonformen Konkretisierung. Tübingen, S. 217–224. 438 Nordmende-Fernsehgeräte auch für SB-Warenhäuser? In: Funk-Fachhändler, Februar 1979, S. 3. 439 Die erste Runde ging an Nordmende. Lieferverweigerung gegenüber Allkauf war sachlich gerechtfertigt. In: Radio-Fernseh-Händler, September 1976, S. 9.
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Einkaufsgeschehens“ nehme er bewusst in Kauf. Bei Artikeln der Unterhaltungselektronik erwarte er daher, wie der Senat „aus eigener Sachkunde“ heraus beurteilen konnte, kein breiteres Sortiment als im Facheinzelhandel.440 In einer „Grundsatzentscheidung“ widerrief der Bundesgerichtshof am 17. Januar 1979 die Entscheidung des Oberlandesgerichts. Der Bundesgerichtshof stellte fest, dass „zumindest die ,Spitzenanbieter‘ der Branche dem Diskriminierungsverbot unterliegen und daher zur Belieferung auch der SB-Warenhäuser ‚auf der grünen Wiese‘ verpflichtet sind, sofern nicht ein sachlicher Rechtfertigungsgrund für die Lieferverweigerung besteht“441. Das Urteil stellte nicht die Vertriebsbindung als solche in Frage. Es verpflichtete aber die Hersteller, alle Händler, welche „die objektiven Sachkriterien der Vertriebsbindung“ erfüllten, in gleicher Weise in ihr Vertriebssystem einzubeziehen und zu gleichen Bedingungen zu beliefern. „Mit anderen Worten“, wie ein Mitarbeiter der wirtschaftsrechtlichen Abteilung im Bundeswirtschaftsministerium intern vermerkte, „auch die Fachabteilung eines SB-Warenhauses oder Verbrauchermarktes kann ebenso wie diejenige eines traditionellen Warenhauses ein ,echter Fachhändler‘ sein“. Nach Meinung des Mitarbeiters im Ministerium hätten die Hersteller mit diesem Urteil auch gut leben können, „wenn sie nicht unter massiven Druck von Teilen des Fachhandels stünden, der mit Abbruch der Geschäftsbeziehungen gegenüber jedem Hersteller droht, der – selbst gerichtlich oder kartellbehördlich gezwungen – einen Verbrauchermarkt beliefert“442. Der Vorsitzende des Deutschen Radio- und Fernsehfachverbands, Günter Preuten, interpretierte die Situation dagegen genau umgekehrt. Bei dem „großen Ansehen“ des Fernsehfachhandels sei es für ihn nicht schwer, ausländische Marken einzuführen. Die deutschen Hersteller aber müssten, um auf dem Markt zu überleben, dessen Realitäten anerkennen:„Und Marktrealität ist nun einmal, daß die Verbraucher in ihrer überwiegenden Mehrheit beim Einkauf von Erzeugnissen dieser Branche den Fachhandel bevorzugen […] Für den Normalverbraucher ist es nach wie vor wichtig, daß er in der Nähe seiner Wohnung sich von
440 Die Abhängigkeit von marktstarken Unternehmen. Zur Urteilsbegründung im Allkauf-Nordmende-Prozess. In: Funk-Fachhändler, April 1978, S. 50. Siehe auch: Die Frage der Belieferungspflicht bleibt ein Streitthema. In: Funk-Fachhändler, Mai 1978, S. 4. 441 I B 5. Vermerk (Stahl). Betr.: Lieferpflicht von Markenwarenherstellern aufgrund des Diskriminierungsverbots in § 26 Abs. 2 GWB. Hier: Forderung der Unterhaltungselektronik-Industrie nach gesetzlicher Änderung. Bonn, den 11. November 1980, S. 1. In: BArch B 102/232217. 442 Ebd., S. 2. Der Vermerk bezog sich auf den Artikel Höhere Preise sollen Verlust-Phase beenden. In: Handelsblatt, 7./8. November, 1980.
6.2 Hersteller-Händler-Verhältnisse in der BRD
307
einem Fachhändler persönlich beraten lassen kann, den er dann auch persönlich verantwortlich machen möchte, wenn sein Gerät einmal nicht funktioniert.“443 Die „Marktrealität“, von der Preuten sprach, war in Wahrheit eine versteckte Drohung der Händler an die Hersteller, die ihre zwischenzeitlich durch das Farbfernsehen gewonnene Position zu halten suchten. Eine wirkliche Alternative zwischen Fachhandel und Nicht-Fachhandel bestand ja lediglich aus Sicht des einzelnen Konsumenten, nicht aber aus Sicht der Hersteller, die von mehrgleisigen Vertriebswegen durchaus profitiert hätten. Der Fachhandel schuf die Alternativlosigkeit der Absatzwege bewusst, um seine Position gegenüber den Nicht-Fachhändlern auf Kosten der Hersteller zu stärken. Erst vor diesem Hintergrund gewann der Kampf der Hersteller um die Unterstützung des Fachhandels eine wettbewerbspolitisch relevante Dimension, deren Reichweite der Bundesgerichtshof mit seiner Haltung nun eindämmte. Mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs war die Auseinandersetzung aber noch nicht beendet. Er hatte mit der grundsätzlichen Feststellung einer allgemeinen Lieferpflicht der „Spitzenanbieter“ den Fall an das Oberlandesgericht Düsseldorf zurückverwiesen. Der Vorstand Nordmendes stellte unmittelbar nach dem Urteil fest, dass angesichts des Vorgehens gegen einen unerwünschten Konkurrenten „das Ansehen der Mende-Firma in Fachhandelskreisen erheblich gestärkt“ worden sei.444 Das weitere „Beharren auf unserem Standpunkt im ALLKAUF-Rechtsstreit und dessen positiver Ausgang“ sei für die gesamte Unterhaltungs-Elektronik und den Facheinzel- und Großhandel „von entscheidender Bedeutung“445. Hier zeigte sich das bereits im Fall Saba vorhandene Muster, dass weniger die Effektivität einer Maßnahme als solche die Anerkennung des Fachhandels bewirkte denn der als ehrlich wahrgenommene Versuch. Vom Landgericht Düsseldorf wurde Nordmende schließlich durch eine einstweilige Verfügung am 4. Dezember 1979 dazu verurteilt, „Allkauf noch zum Weihnachtsfest mit Fernsehgeräten zu beliefern“446. Für den Fachgroß- und Einzelhandel war das Urteil eine schlechte Bescherung. Günter Preuten beschuldigte den Präsi-
443 Preuten, Günter (1980): Alleinverkaufsrecht, selektiver Vertrieb, Vertriebsbindung, Belieferungspflicht. In: Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels (Hg.): Dritte Kartellrechtliche Arbeitstagung des Einzelhandels (26. November 1980 in Köln). Köln, S. 65–72. Hier. S. 66. 444 Vermerk. Betr.: Norddeutsche Mende KG. Bremen, den 19. Januar 1979. In: BArch / Bestand Landeszentralbank in Bremen / Wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens Nordmende – Vermerke, Bilanzauswertungen, Prüfungsberichte, Zeitungsartikel, 1977–1980 / Signatur: B 331– HB/63) (im Folgenden: BArch B 331–HB/63) 445 Ebd. 446 Kurz, Behinderungsmißbrauch, S. 217. Siehe auch: Letzte Runde im Rechtsstreit AllkaufNordmende. In: Funk-Fachhändler, Januar 1980, S. 3.
308
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denten des Bundeskartellamtes in einer Ansprache auf der dritten kartellrechtlichen Tagung des Einzelhandels, die Branche auf einen Irrweg geführt zu haben. Der Präsident hatte den Herstellern der Unterhaltungselektronik geraten, wegen des Problems des Kontrahierungszwangs Prozesse zu führen. „Heute schon“, so Preuten, „stehen wir vor dem Scherbenhaufen dieser Prozeßergebnisse“447. Die Niederlage Nordmendes im Kampf um ihr Recht, Allkauf von der Belieferung auszuschließen, mobilisierte eine breite Kampagne. Der mittlerweile von „Rundfunk und Fernsehen“ zu „Unterhaltungselektronik“ umbenannte Fachverband im ZVEI strebte eine Änderung der Wettbewerbsgesetzgebung an.448 Im April 1981 ließen die beiden Vorsitzenden Ingwertsen und Köberle dem Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff eine ausführliche Ausarbeitung zur selektiven Vertriebsbindung zukommen. Man könne dem Nordmende-AllkaufFall sehr deutlich entnehmen, beschwerten sich die beiden, dass die Tendenz der Rechtsprechung offensichtlich dahin gehe, „daß mehr und mehr eine Abhängigkeit von marktstarken Unternehmen angenommen wird“. Damit nähere man sich in der Branche der Unterhaltungselektronik „ganz bedenklich einem allgemeinen Lieferzwang, den der Gesetzgeber zwar nicht einführen wollte, der aber jetzt durch die Rechtsanwendung […] mehr und mehr festgeschrieben wird“. Die Unterscheidung von „marktstark“ und „marktbeherrschend“ werde aufgelöst. Hersteller seien von der „subjektiven Entscheidung des gesperrten Händlers“, welchen Hersteller er zuerst auf Lieferung verklage, abhängig. Ob diese einseitige Auslegung des Begriffs der „,Abhängigkeit‘ noch mit rechtsstaatlichen Prinzipien“ vereinbar sei, müsse stark bezweifelt werden.449 Die hochwertigen Konsumgüter der Unterhaltungselektronik würden von den Managern dieser „zum Teil riesigen Unternehmen (Metro, Allkauf, usw.) bestimmt nicht mit heißem Herzen geliebt“. Immer wieder behaupteten die Märkte zwar, in ihren Fachabteilungen für Unterhaltungselektronik die gleichen Leistungen wie der konventionelle Facheinzelhändler zu erbringen. „Erschütternd“ sei aber nicht nur die „schwache
447 Preuten, Alleinverkaufsrecht, S. 71. Grundig war 1978 mit einer einstweiligen Verfügung beim Düsseldorfer Landgericht zunächst gescheitert, durch die der Metro der Vertrieb von Grundig-Produkten untersagt werden sollte. Siehe: Grundig verteidigt Fachhandelsschutz. In: Funk-Fachhändler, September 1978, S. 8. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilte die Metro AG dagegen in nächster Instanz, den Verkauf von Grundig-Geräten zu unterlassen, weil sie die EG-weite Grundig-Vertriebsbindung anerkannte. Siehe: Grundig behält Recht. Fachhandelsorientierte Vertriebsbindung anerkannt! In: Funk-Fachhändler, Februar 1979, S. 3. 448 Höhere Preise sollen Verlust-Phase beenden. In: Handelsblatt, 7./8. November, 1980. 449 Ingwertsen/Köberle (ZVEI) an Herrn Dr. Otto Graf Lambsdorff. Frankfurt am Main, den 28. April, 1981 [ohne Betreff], S. 1–3. In: BArch B 102/232219.
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Besetzung der Abteilung mit Personal, sondern auch dessen Unfähigkeit, dem Kaufinteressenten die einzelnen Produkte technisch zu erklären“450. Das Schreiben Ingwertsens und Köberles wurde vom Referat I B einer ausführlichen und vergleichsweise nüchternen Bewertung unterzogen. Der Leiter des Referates Wettbewerbspolitik im Ministerium, Dr. Klaus Stahl, erkannte durchaus den grundsätzlichen Konflikt zwischen den unterschiedlichen Auslegungen unternehmerischer Freiheit. Stahl betrachtete die Frage des Kontrahierungszwanges als eine der schwierigsten des Kartellgesetzes.451 „Da diese Ziele“, so schrieb er „in unserer Wirtschaftsordnung grundsätzlich durch Markt und Wettbewerb, nicht aber durch staatliche Maßnahmen erreicht werden sollen“, habe die Bundesregierung gegenüber dem Kartellamt die äußerste Vorsicht betont, mit der ein Kontrahierungszwang durchzusetzen sei. Das Kartellamt habe auch Zurückhaltung geübt. Die Rechtsprechung sei von privaten Klagen der SBWarenhäuser ausgegangen und nicht auf Initiative des Kartellamtes. Der Kontrahierungszwang sei aber deshalb zentral, weil der Gesetzgeber mit der zweiten Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen beabsichtigt habe, „mit dem Kontrahierungszwang auch ein wirksames Mittel zur Unterbindung der Preisbindung zu schaffen. Dem liege die Überzeugung zu Grunde, dass es eben nicht Aufgabe der Hersteller sei, den Händlern „eine bestimmte Verdienstspanne zu sichern“452. Eine Änderung der Rechtslage herbeizuführen sah Stahl, wie er allerdings nur intern kommunizierte, als weder möglich noch sinnvoll an.453
6.2.4 Preisbindung „durch die Hintertür“. Der Fall Telefunken Eine andere Strategie, die Verbrauchermärkte zu umgehen, verfolgte das Unternehmen Telefunken. Im Wissen um die kartellrechtlich heikle Situation vertikaler Bindungen suchten Vertreter des Fernsehgeräteherstellers bereits frühzeitig
450 Ebd., S. 7 u. 9. 451 I B 5. Vermerk (Stahl). Betr.: Selektiver Vertrieb von Markenwaren. Hier: Aufzeichnung des ZVEI zur Problematik des kartellrechtlichen Lieferzwanges nach § 26 Abs. 2 Satz 2 GWB. Bonn, den 30. Juni 1981, S. 2–3. In: BArch B 102/232219. Stahl hatte selbst ausführlich zu dem Thema gearbeitet. 452 Ebd., S. 5. 453 I B 5. Vermerk (Stahl). Betr.: Lieferpflicht von Markenwarenherstellern aufgrund des Diskriminierungsverbots in § 26 Abs. 2 GWB. Hier: Forderung der Unterhaltungselektronik-Industrie nach gesetzlicher Änderung, Bonn, den 11. November 1980, S. 3. In: BArch B 102/232217.
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Kontakt zu dem Bundeskartellamt.454 Ziel der Gespräche war die Erläuterung des neuen Vertriebssystems, das Telefunken im Jahr 1981 einführen wollte. Der Inhalt dieses Vertriebssystems bestand darin, in Zukunft Farbfernsehgeräte nur noch an Einzelhändler zu liefern, die einen „Partnervertag“ mit Telefunken abgeschlossen hatten. Dieser Vertrag war im Wesentlichen ein Kommissionsvertrag. Das bedeutete, dass die Geräte bis zum Verkauf an den Verbraucher im Besitz von Telefunken blieben und der Einzelhändler für die verkauften Geräte lediglich eine festgelegte Provision erhielt. Telefunken begründete das System gegenüber dem Bundeskartellamt mit der Sicherung eines hohen Qualitätsstandards der Erzeugnisse und einer möglichst hohen „Markendurchsetzung“ auf Einzelhandelsebene, um im „immer härter werdenden Wettbewerbskampf“ bestehen zu können. Den nach eigener Aussage „an die jeweiligen Wettbewerbsverhältnisse angepassten Endabnehmerpreis“ legte Telefunken selbst fest.455 Das Bundeskartellamt führte aufgrund der Nähe des Systems zur Preisbinding eine interne „Grundsatzdiskussion“. Das neue Vertriebssystem Telefunkens könne zur Nachahmung durch andere Unternehmen führen, „da es eine Lösung der gegenwärtigen Probleme der Hersteller mit den Verbrauchermärkten beinhalte“. Der Direktor der für die Unterhaltungselektronik zuständigen vierten Beschlussabteilung, Dr. Becker, hatte selbst keine prinzipiellen Vorbehalte gegen das Vorgehen Telefunkens.456 Die „Grundsatzdiskussion“ innerhalb des Bundeskartellamtes ergab dagegen, dass diese Haltung nicht auf allgemeine Zustimmung stieß. Die Diskussion fokussierte in erster Linie auf die Frage, ob es sich bei dem Telefunken-System überhaupt um ein echtes Kommissionssystem handelte, in dem laut Handelsgesetzbuch der Kommittent aufgrund der Übernahme des vollen Risikos auch die Preisbildungsfunktion übernehmen durfte.457 Der zentrale Diskussionspunkt in diesem Zusammenhang war die Frage
454 Am 4. Dezember 1980 kamen Wilhelm Kahle, Vertriebsleiter der Telefunken Fernseh und Rundfunk GmbH, Vorstandmitglied Dr. Kunkel und Dr. Elben, Justitiar der AEG-Telefunken mit dem Direktor der für Elektrogeräte zuständigen vierten Beschlussabteilung, Dr. Becker, zu einer Besprechung im Bundeskartellamt zusammen. Protokoll über eine Besprechung vom 4. Dezember 1980 in Sachen Telefunken-Partner- und Agenturvertrag. Berlin, den 4. Dezember, 1980. In: DTMB/AEG, JB 1758. 455 Dr. Elben an das Bundeskartellamt, 4. Beschlussabteilung, z.Hd. von Herrn Direktor Becker. Betr.: Telefunken Fernseh und Rundfunk GmbH. Neues Vertriebssystem. 27. November, 1980, S. 1–2. In: DTMB/AEG, JB 1758. 456 Schreiben Bundeskartellamt. 4. Beschlußabteilung. Betr.: Telefunken Fernseh und Rundfunk GmbH, Hannover. Kartellrechtliche Prüfung eines Agentur-Vertriebssystems. Berlin, den 27. Januar, 1981, S. 2–4. In: DTMB/AEG, JB 1758. 457 Vermerk. Betr.: Neues Vertriebssystem der Telefunken Rundfunk- und Fernseh GmbH – B4 – 87/80 – Hier: Koordinierung am 4.2.1981. Berlin, den 6. Februar, 1981. In: DTMB/AEG, JB 1758. Die
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der Risikoverlagerung. Viele Mitarbeiter des Bundeskartellamtes erkannten die Risikoübernahme durch Telefunken nicht als eine grundsätzlich neue Form des Verhältnisses zwischen Herstellern und Händlern an. Sie sei lediglich „formaler“ Natur. Hersteller von Unterhaltungselektronik hätten auch früher jederzeit Ware zurückgenommen.458 Bei den Einzelhändlern verbleibe ein Absatzrisiko. „Nunmehr müsse er bei mangelndem Absatz den Verlust oder die Einschränkung seiner Provision befürchten.“459 Becker widersprach dieser Haltung. Er „rügte, daß die Verhaltensweise der Eigenhändler nicht differenziert genug gesehen werde“. Viele Händler hätten vorgezogen, Skonti zu ziehen und gegebenenfalls Mengenrabatte in Anspruch zu nehmen statt mit den Herstellern langfristige Zahlungsziele zu vereinbaren und eine mögliche Rückgabe der Ware in Anspruch zu nehmen. Bei diesen Händlern zumindest hätte bisher „ein erhebliches Dispositionsrisiko bestanden. So hätten sie z. B. sog. Ladenhüter mit Abschlag verkaufen müssen.“460 Insgesamt tendierte die Meinung der Mitarbeiter des Kartellamtes aber dahin, den von Telefunken unternommenen Vorstoß weniger als eine aktive Stütze des mittelständischen Fachhandels zu betrachten, sondern als schlecht versteckte Intention, die Preisbindung auf Umwegen wieder einzuführen. Becker sah sich aufgrund der kritischen Haltung im Bundeskartellamt gezwungen, dem juristischen Büro Telefunkens mitzuteilen, dass der Kommissionsvertrag nach Meinung des Kartellamtes kein echter Kommissionsvertrag sei und daher unter den Paragrafen 15 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen falle.461 Die negative Einschätzung konnte Telefunken nicht bremsen. Als das Unternehmen im März 1981 begann, das neue Vertriebssystem den Groß- und Einzelhändlern vorzustellen, gingen Telefunken und das Bundeskartellamt folglich mit gegensätzlichen Positionen in die Öffentlichkeit. In der Presse fand das Vertriebssystem ein großes Echo.462 Der Spiegel bezeichnete es als ein „für Handel und
Franchise-Verträge der Auto-Industrie sind dafür ein bekanntes Beispiel. Für Unterschiede zum Telefunken-Partnervertrag siehe: Telefunken. Ein Vergleich mit dem Daimler Benz-Vertrieb. In: Handelsblatt, 17. November, 1981. 458 Ebd., S. 7. 459 Vermerk. Betr.: Neues Vertriebssystem der Telefunken Rundfunk- und Fernseh GmbH – B4 – 87/80 – Hier: Koordinierung am 4.2.1981. Berlin, den 6. Februar 1981, S. 7. In: DTMB/AEG, JB 1758. 460 Ebd. 461 Dr. Becker an Dr. Elben. Betr.: Telefunken Fernseh und Rundfunk GmbH. Hier: Neues Vertriebssystem. Bezug: Ihr Schreiben vom 30. Januar 1981. Gespräch im Bundeskartellamt am 28. Januar 1981. 13. Februar, 1981. In: DTMB/AEG, JB 1758. 462 Siehe: Telefunken will sich zu den schwarzen Zahlen durchboxen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. März, 1981; Mit „Partnern“ zum Gewinn. In: Die Welt, 13. März, 1981; „Telefunken-
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Industrie gleichermaßen lukrative(s) Kommissionsgeschäft“463. Wie auch das Kartellamt interpretierten die meisten Zeitungen das System als einen Versuch, die Preisbindung „durch die Hintertür“ wieder einzuführen.464 Die Zeit bescheinigte dem System schon deshalb wenig Erfolg, weil zu große Kapazitäten bestünden und Telefunken gegenüber den Konkurrenten nur schwerlich höhere Preise einfordern könne. Die meisten Geräte der Unterhaltungsindustrie seien heute – „im Bewußtsein der Käufer“ – austauschbar. „Markentreue ist keinen Hundertmarkschein wert.“465 Die Konfliktlinien verliefen entlang vorhersehbarer Akteursgruppen. Die Vertreter des Großhandels waren skeptisch, da sie einerseits mit der beabsichtigten Spannenkürzung nicht einverstanden waren und andererseits die von Telefunken anvisierte Begrenzung der belieferten Großhändler auf etwa 15 Betriebe nicht guthießen.466 Die Einkaufskooperationen äußerten sich skeptisch und der Bundesverband der SB-Warenhäuser teilte dem Bundeskartellamt mit, man werde „alles uns Mögliche tun […], um eine solche Entwicklung auf dem Sektor ,Braune Ware‘ zu unterbinden“467. Unterstützt wurde die Kritik an dem Kommissionssystem auch von den Verbraucherzentralen.468 Die Zeitschrift DM sah in dem System „Ketten für die Partner“469, die Verbraucherpolitische Korrespondenz eine „Preisbindung durch die Hintertür“470.
partner“ soll Absatz ankurbeln. In: Berliner Morgenpost, 13. März, 1981; Mit Festpreisen gegen die „Billigmacher“. In: Handelsbatt, 16. März, 1981; „Wir kämpfen mit dem Rücken zur Wand“. In: Der Spiegel, 16. März, 1981, S. 95–104. 463 Kartell-Veto gegen Telefunken. In: Der Spiegel, 9. März, 1981, S. 117. 464 Preisbindung durch die Hintertür. In: Frankfurter Rundschau, 13. März, 1981; Angebot mit Tücken. In: Süddeutsche Zeitung, 14./15. März, 1981; Blüthmann, Heinz: Durch die Hintertür. In: Die Zeit, 20. März, 1981, S. 18; Preisbindung durch die Hintertür. In: Funk-Fachhändler, April 1981, S. 10; Rückfall in die Preisbindung. Das Kartellamt kämpft für einen freien Einzelhandel. In: Die Zeit, 5. Juni, 1981; Preisbindung durch die Hintertür. In: Süddeutsche Zeitung, 16. Oktober, 1981. 465 Blüthmann, Heinz: Durch die Hintertür. In: Die Zeit, 20. März, 1981, S. 18. 466 Notiz Dr. Becker (B4 – BKA). Betr.: Einige Anmerkungen über mein mit H. Ströhlein am 2.3.81 geführtes Gespräch im Hause. Berlin, den 3. März, 1981. In: DTMB/AEG, JB 1758. 467 Dr. Wichmann an Dr. Becker. Betr.: Neue Vertriebsstrategie von AEG-Telefunken. 23. März, 1981. In: DTMB/AEG, JB 1758. 468 Edelhoff an das Bundeskartellamt. Betr.: Vertriebspläne der AEG/Telefunken. 18. Mai, 1981. In: DTMB/AEG, JB 1758. 469 Telefunken – Ketten für die Partner. In: DM, Juni 1981, S. 17. Siehe auch die kritische Antwort der markt intern: o.T. In: markt intern, 23. Juni, 1981. In: DTMB/AEG, JB 1758. In dem Artikel der DM werde „frisch und frei (erfunden) behauptet, Telefunken wolle mit dem neuen Vertriebssystem hauptsächlich die Preise binden“. 470 Preisbindung durch die Hintertür? In: Verbraucherpolitische Korrespondenz, 25. August, 1981, S. 2–4.
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Die „markt intern“, Sprachrohr des kleinen und mittelgroßen selbständigen Facheinzelhandels, widmete dem Konzept nach Bekanntwerden der Details dagegen eine zustimmende Sonderausgabe.471 Wer glaube, dass für einen Einzelhändler Gewinnspannen von fünf bis 15 Prozent ausreichend seien, verkenne, dass man auf der Bank für sein Geld 12,5 Prozent Zinsen erhalte. „Wo bleibt also da der Anreiz, sich für den Verbraucher als Marktversorger zu betätigen?“472 Einer selbst durchgeführten Umfrage zu Folge, die angesichts der Leserschaft der „mi“ aber nicht repräsentativ war, bewerteten 51,3 Prozent das System „grundsätzlich positiv“ und 43,8 Prozent „mit Einschränkung positiv“. Nur 3,5 Prozent der Leserschaft lehnte es ab. Die Nachfrage seitens der Facheinzelhändler war tatsächlich so groß, dass Telefunken bis Ende April bereits 4.500 Händler akquirieren konnte.473 Bis Ende des Jahres unterschrieben 7.500 Einzelhändler die PartnerVerträge, deren wettbewerbsrechtliche Gültigkeit völlig ungeklärt war.474 Intern hatte sich das Kartellamt mit Telefunken relativ frühzeitig darauf verständigt, keine einstweilige Unterlassungsanordnung zu verfügen. Stattdessen sollte eine gerichtliche Klärung herbeigeführt werden, da man das Vertriebssystem im Bundeskartellamt als einen Präzedenzfall betrachtete.475 Am 11. November 1981 ordnete die vierte Beschlussabteilung des Bundeskartellamtes wie vereinbart an, der Telefunken Fernseh- und Rundfunk GmbH die Durchführung des Partner-Systems zu untersagen und Telefunken eine Gebühr für diese Verfügung von 2.500 D-Mark aufzuerlegen.476 Die Untersagungsverfügung war, wie Telefunken auch seinen „TelefunkenPartnern“ mitteilte, nicht rechtskräftig. Das Unternehmen legte gegen die Anordnung vor Gericht Beschwerde ein. Man gehe davon aus, so teilte Telefunken mit, dass Kammergericht und Bundesgerichtshof dem Unternehmen Recht geben werden. „Eine Entscheidung wird nicht vor Ablauf von drei Jahren ergehen.“477
471 TelefunkenPartner. In: markt intern, 17. März, 1981. In: DTMB/AEG, JB 1758. Siehe auch: o.T. In: markt intern, 17. Februar, 1981. In: DTMB/AEG, JB 1758. 472 o.T. In: markt intern, 23. Juni, 1981. In: DTMB/AEG, JB 1758. 473 Schreiben Stoffels. 27. April, 1981 [ohne Betreff]. In: DTMB/AEG, JB 1756. 474 Bundeskartellamt. 4. Beschlußabteilung. Beschluß [ohne Datum]. In: DTMB/AEG, JB 1758. 475 G1 (BKA). Betr.: Neues Vertriebssystem der Telefunken Fernseh- und Rundfunk GmbH. Berlin, den 2. Juli 1981, S. 3. In: DTMB/AEG, JB 1758. 476 Bundeskartellamt. 4. Beschlußabteilung (Stockmann/Leube/Hoffmann). Beschluß [ohne Datum]. In: DTMB/AEG, JB 1758. Die Gebühr wurde allein auf Basis des „personellen und sachlichen Aufwand(s)“ der Kartellbehörde festgesetzt und erreichte mit 2.500 D-Mark ihren gesetzlichen Höchstsatz. 477 Vorlage Schreiben Stoffels/Kahle an alle TELEFUNKENPARTNER [ohne Datum und Betreff – eingegangen beim Bundeskartellamt am 26.11.1981]. In: DTMB/AEG, JB 1758.
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Mit dem Beschluss des Kartellamtes verlagerte sich der Konflikt von einer stark öffentlichkeitswirksamen Konfrontation auf die Ebene der juristischen Auseinandersetzung. Für diesen Zweck beauftragte Telefunken die Stuttgarter Kanzlei Gleiss, Lutz, Hootz, Hirsch und Partner, deren Anwalt Alfred Gleiss sich bereits Ende der 1950er Jahre für die Absatzbindungen der deutschen Fernsehgeräteindustrie eingesetzt hatte.478 Für die Vertretung Telefunkens war Martin Hirsch zuständig, der auch das Vertriebssystem von Daimler-Benz rechtlich betreute.479 Im August 1982 kam das Kammergericht Berlin zu einer mündlich getroffenen Entscheidung. Darin folgte es „ohne nähere Begründung“ 480 der Argumentation des Kartellamtes hinsichtlich einer Verletzung des Paragrafen 15 im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und lehnte die Beschwerde ab.481 Das Unternehmen beschritt daraufhin den Weg zum Bundesgerichtshof. Bevor der zweite und entscheidende Abschnitt des Verfahrens anlief, erhielt Josef Stoffels einen Brief von Arno Sölter. Sölter war ein im deutschen Wettbewerbsrecht umtriebiger Volkswirt, der bereits in den 1930er Jahren wissenschaftlich tätig gewesen war.482 In dem Brief an Stoffels machte Sölter den Vorschlag, für das Verfahren vor dem Bundesgerichtshof ein wettbewerbstheoretisches und -politisches Gutachten zu erstellen. Sölter sah den strategischen Fehler Telefunkens darin, zu sehr bei den alten Argumentationskriterien des Kartellrechts verblieben zu sein. Er räumte dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof nur dann
478 Gleiss/Deringer: Bei Verkauf durch Hersteller Absatzbindungen verboten. Auch vertraglicher Ausschluß von Direktverkäufen unzulässig. In: Der Betriebs-Berater (Sonderdruck der Ausgabe vom 20. Januar, 1957, S. 55–57). In: DTMB/AEG, GS 2656. 479 Aktenvermerk (Dr. Knoll). Betr.: TFR-Vertriebskonzept – Einschaltung eines Rechtsanwalts. Frankfurt, 18. Mai, 1981. In: DTMB/AEG, JB 1756. 480 Telefunken-Vertriebssystem verstößt gegen das Kartellgesetz. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. August, 1982. 481 Protokoll. Öffentliche Sitzung. In der Kartellverwaltungssache Telefunken Fernseh- und Rundfunk GmbH gegen Bundeskartellamt. Berlin, den 5. August 1982. In: DTMB/AEG, JB 1759. Siehe auch: Telefunken-Vertriebssystem ist wettbewerbswidrig. In: Handelsblatt, 6. August, 1982. 482 1941 hatte Sölter eine Schrift zum Großraumkartell als „Instrument der industriellen Marktordnung im neuen Europa“ vorgelegt und war auch danach seit den 1950er Jahren publizistisch äußerst aktiv geblieben. Unter anderem hatte Sölter verfasst: Sölter, Arno (1941): Das Großraumkartell. Ein Instrument der industriellen Marktordnung im neuen Europa. Dresden; Sölter, Arno (1955): Das Rabattkartell. Die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen einer Ordnung im Rabattwesen. Düsseldorf; Sölter, Arno (1964): Markenpreisbindung und Marktintegration. Zugleich ein Beitrag zur GWB-Novelle. Düsseldorf; Sölter, Arno (1960): Nachfragemacht und Wettbewerbsordnung. Düsseldorf. Siehe ansonsten auch die Bibliographie in: Andreae, ClemensAugust (Hg.) (1982): Wettbewerbsordnung und Wettbewerbsrealität. Festschrift für Arno Sölter zum 70. Geburtstag. Köln.
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Erfolg ein, wenn es gelinge, eine wettbewerbspolitische Begründung für das neue vertriebspolitische System zu finden und „dessen Vereinbarkeit mit einem nicht in überkommenen juristischen Kriterien verharrenden GWB nachzuweisen“483. Sölters Argumente basierten auf der Forderung eines grundsätzlichen Überdenkens der gängigen Wettbewerbsgesetze. Während Stoffels dem Ansinnen gegenüber positiv aufgeschlossen war, meldete der von Telefunken beauftragte Anwalt ernsthafte Bedenken an.484 „Wenn das Verfahren beim Bundesgerichtshof überhaupt zu gewinnen ist“, schrieb dieser, „meine ich, dass das nur mit streng formal-rechtlichen Argumenten möglich ist, die sich auf die bisherige Rechtsprechung stützen. In diesem Rahmen fügt sich das Gutachten Herrn Sölters sicher nicht ein.“ Hirsch sah die Argumentation Sölters sogar als gefährlich, da sie die „sichtbare Furcht der Richter“ stärke, dass es bei einer Entscheidung im Sinne Telefunkens zu „einem Dammbruch“ kommen könne. Wegen dieser Furcht sei man vor dem Kammergericht gescheitert. „Wir dürfen nichts tun, sie zu vergrößern.“485 Ein von Stoffels vermitteltes Treffen der beiden Herren hielt die Befürchtungen des Anwalts aufrecht. Es werde Sölter wohl nicht möglich sein, „alle Gedankengänge in jene enge Form zu pressen, die für das Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesgerichtshof unerlässlich ist“486. Man einigte sich deshalb auf eine wissenschaftliche Veröffentlichung, die auf das laufende Verfahren nicht einmal Bezug nehmen sollte. Im Jahr 1986, fünf Jahre nach der ersten Entscheidung des Kammergerichts Berlin, gab der Bundesgerichtshof Telefunken den Erwartungen der eigenen Anwälte zum Trotz Recht. Um Zeit zu schinden hatte Telefunken das Kommissionärs-Verhältnis im Frühjahr 1983 kurzfristig und mit leichten Änderungen in ein „Agentur-Verhältnis“ umgewandelt, das nach wie vor feste Preise auf Einzelhandelsebene beinhaltete. Die Rechtsbeschwerde vor dem Bundesgerichtshof gegen die Verfügung des Kartellamtes, die aber nur die alte Vertragsregel betraf, wurde kurz vor dem Urteil zurückgezogen. Seinen Einzelhandels-“Partnern“ hatte Telefunken bereits in Erwartung eines negativen Bescheids im April 1983 mitgeteilt:
483 Sölter an Stoffels. Betr.: Vorschlag zur Erstellung eines wettbewerbstheoretischen und -politischen Gutachtens zum Telefunken-Vertriebssystem. Köln, den 9. August 1982. In: DTMB/AEG, JB 1759. 484 Dr. Müller-Machens an Dr. Hirsch. 24. September, 1982 [ohne Betreff]. In: DTMB/AEG, JB 1759. 485 Dr. Hirsch an Dr. Müller-Machens. Betr.: Telefunken-Partnerkonzept. 24. August, 1982. In: DTMB/AEG, JB 1759.. 486 Dr. Hirsch an Dr. Müller-Machens. Betr.: Partnerschaftssystem – Gutachten Sölter. 13. Oktober, 1982. In: DTMB/AEG, JB 1759.
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„Im Sommer d. J. wird der Bundesgerichtshof über das TELEFUNKENPARTNERSystem entscheiden […] Um für uns und unsere PARTNER jedes Risiko aus einem eventuellen negativen Urteil des Bundesgerichtshofs zu vermeiden, haben wir vorsorglich einen neuen TELEFUNKENPARTNER-Vertrag (Agentur-Vertrag) erarbeitet, der auf der einen Seite die juristische Beziehung zwischen den TELEFUNKENPARTNER und TELEFUNKEN neu regelt, auf der anderen Seite aber für Sie die wesentlichen Bestandteile des TELEFUNKENPARTNER-Vertrages unverändert erhält.“ Die wesentliche Veränderung lag darin, dass die Einzelhändler die Ware nun „im Namen und für Rechnung von TELEFUNKEN“487 verkauften, statt in ihrem eigenen Namen und für Rechnung von Telefunken. Mit Rückzug der Beschwerde wurden diese Verträge rechtskräftig. Daraufhin spielte sich zunächst ein identischer Ablauf wie drei Jahre zuvor ab. Das Kartellamt untersagte Telefunken die Durchführung des Vertriebssystems. Telefunken zog vor das Kammergericht Berlin. Das Kammergericht lehnte die Rechtsbeschwerde ab. Telefunken zog vor den Bundesgerichtshof.488 Anders als drei Jahre zuvor legitimierte der Bundesgerichtshof das Agentur-System Telefunkens diesmal jedoch.489 Als Begründung verwies das Gericht auf die Risikoverteilung zwischen Kommittent und Kommissionär, die in den internen Diskussionen des Kartellamtes sechs Jahre zuvor und auch noch vom Kammergericht 1984 abgelehnt worden war.490 Für die Telefunken-Leitung war die Legalisierung ihres seit fünf Jahren im legalen Graubereich praktizierten Vertriebssystems eine späte, aber nicht sonderlich bedeutende Genugtuung. Bereits 1983 hatte der französische Thomson-Konzern, der zuvor Nordmende und Saba eingegliedert hatte, die Leitung des Unternehmens übernommen. Was letztlich den Anstoß für den Bundesgerichtshof gab, den Agentur-Vertrag Telefunkens auf der neuen Bewertungsgrundlage zu legitimieren, ist auf Basis einer einzelnen Entscheidung und in der hier verfolgten Perspektive unmöglich zu beurteilen. Im Rahmen einer Tagung des Arbeitskreises Kartellrecht, die im Oktober 1987 beim Bundeskartellamt stattfand und die Folgen des Telefunken-
487 TelefunkenPartner Nachrichten (5/83), 27. April, 1983. In: DTMB/AEG, JB 1760. 488 Kammergericht. Beschluß in der Kartellverwaltungssache der TFR gegen das Bundeskartellamt. Berlin, 28. November, 1984, S. 10, 19 u. 21. In: DTMB/AEG, JB 1760.Ebd., S. 21. 489 Wolfgang Fikentscher nennt das Urteil „bedeutend“. Fikentscher, Recht, S. 171. Siehe auch: Wu, Jiin-yu (1999): Der Einfluß des Herstellers auf die Verbraucherpreise nach deutschem und taiwanesischem Recht. Eine rechtsvergleichende Untersuchung zur allgemeinen Dogmatik vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen. Tübingen, S. 216. Wu spricht sogar von einer „immensen Bedeutung“. 490 BGH 15.4.1986 „EH-Partner-Vertrag“. In: Wirtschaft und Wettbewerb / WUW-Entscheidungssammlung zum Kartellrecht, 1986, S. 2238–2239.
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Urteils kontrovers diskutierte, verabschiedete der Präsident des Kartellamtes Kartte alle Teilnehmer aber schließlich mit einer bemerkenswerten Feststellung: „Der vollziehende Strukturwandel in der Wirtschaft“, so Kartte, falle auch „auf die rechtlichen Rahmenbedingungen zurück und man (müsse) prüfen, ob dieser noch zeitgemäß sei.“491 Das war eine Bemerkung, die zum einen ein interessantes Licht auf die Debatte zwischen Sölter und den Anwälten Telefunkens wirft. Denn aus dieser Sicht war der Erfolg Telefunkens weder einem „Dammbruch“ im Sinne einer radikalen Neuauslegung des GWB geschuldet noch den kleinteiligen streng formal-rechtlichen Bemühungen der Anwälte. Er war vielmehr die Folge einer strukturellen Entwicklung, die Telefunken selbst kaum maßgeblich beeinflusst hatte, die aber die Wahrnehmung der Legitimität vertriebspolitischer Maßnahmen veränderte. Zum anderen spiegelte sich in der Bemerkung eine ganz grundsätzlich andere Wahrnehmung des Verhältnisses zwischen Wettbewerbsrecht und wirtschaftlichen Strukturen als sie das Kartellamt und die Vertreter einer liberalen Wirtschaftsordnung noch 30 Jahre zuvor vertreten hatten. Insofern hatten sich nicht nur die rechtlichen Rahmenbedingungen verändert, sondern auch die Auffassung darüber, wie sich diese den „realen“ Märkten gegenüber verhielten.
491 Bundeskartellamt. Grundsatzabteilung – Arbeitskreis Kartellrecht. Protokoll. Berlin, den 5. Januar, 1987, S. 28. Anhang zu: BDI. Ausschuß für Wettbewerbsordnung. Betr.: Kartellrechtliche Beurteilung vertikaler Bindungen. 20. Januar, 1987. In: DTMB/AEG, JB 1760.
7 Verhandelte Werte. Konsumenten und Händler im Markt für Fernsehgeräte Mit dem Verkauf eines Fernsehgerätes an die Einzelhändler war die Kette an Transaktionen nicht abgeschlossen. Die hohen Lagerbestände beim Handel, die zwischenzeitlich den deutschen Markt für Fernsehgeräte in Turbulenzen stürzten, waren nur der sichtbarste Ausdruck dieser Unvollständigkeit. Ohne den anschließenden Verkauf an einen Endverbraucher waren die sorgfältig ausgearbeiteten Vertriebskonzepte, war die ganze Idee eines Marktes für Fernsehgeräte sinnlos. Diesen Schritt konnten die Hersteller durch ihre eigene Preispolitik oder durch Werbemaßnahmen beeinflussen. Steuern oder vollständig kontrollieren konnten sie ihn nicht. Die Vermittlung der letzten Transaktion lag in den Händen der Einzelhändler, an die sich die Konsumenten bei ihrer Suche nach einem Fernsehgerät wandten. Das Zusammentreffen von Käufern und Verkäufern auf Märkten hat die Historikerin Susan Strasser als eine „fundamentale Konfrontation“1 bezeichnet. Der Begriff verweist zum einen auf die grundsätzliche Bedeutung der Interaktion, die jede konkrete Ausgestaltung eines Marktes beeinflusst. Er deutet zum anderen aber auch auf das Konfliktpotential und die Gefahren hin, die das Tauschverhältnis birgt. Einzelhändler und Konsumenten begegnen sich auf der Ladenfläche zwar mit der Möglichkeit einer Übereinkunft zum gegenseitigen Vorteil. Ihre Beziehung ist aber nicht weniger konfliktträchtig als die zwischen Herstellern und Händlern. Gegensätzliche Interessen und Informationsasymmetrien können den reibungslosen Ablauf der alltäglichen und „geräuschlosen Transaktionen“ gefährden. Neue Wirtschaftssoziologie und Institutionentheorie betonen daher die komplexen Voraussetzungen, damit Vertrauen generiert und Tauschbeziehungen zu Stande kommen können. Der Unterschied zwischen dem Verhältnis von Herstellern und Händlern und dem von Händlern und Konsumenten ist dabei so tiefgreifend, dass Oliver Williamson Endverbrauchermärkte in seiner Analyse der ökonomischen Institutionen des Kapitalismus explizit ausklammerte. Er tat dies, obwohl er zugeben musste, dass jede Theorie, die diese Märkte nicht einbeziehe, „geradezu himmelschreiend unvollständig“2 sei. Einzelne Verbraucher müssen
1 Strasser, Satisfaction, S. 124. Siehe auch: Schelling, Thomas C. (1956): An Essay on Bargaining. In: The American Economic Review 46 (3), S. 281–306. 2 Williamson, Institutionen, S. 335.
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sich viel stärker als die mit Expertise ausgestatteten Ein- und Verkäufer größerer Unternehmen auf Marktsignale wie Markennamen, Werbung und Preise verlassen können, obwohl Anbieter diese strategisch und nicht notwendigerweise im Sinne der Konsumenten einsetzen können.3 Williamson, der mit seiner Theorie politische Eingriffe in die vertikalen Vertragsbeziehungen von Herstellern und Händlern kritisierte, war auf Endverbrauchermärkten diesen Eingriffen gegenüber viel eher aufgeschlossen.4 Die tatsächlichen Konfrontationen auf Märkten sind in der Konsumgeschichte vergleichsweise selten erforscht worden. Sofern Konsumenten als aktive Akteure auftauchten, richtete sich der Blick meist auf die Frage ihrer politischen Gestaltungsmöglichkeiten, wie dies im Begriff des „Consumerism“ zum Ausdruck kam.5 Ansonsten wurden die Verbraucher zwar immer wieder zum alleinigen Bezugspunkt unternehmerischer Entscheidungen stilisiert. In der konkreten Analyse blieb aber der tiefe Graben zwischen Anbietern und Nachfragern bestehen. Während die Unternehmensgeschichte als „Marketinggeschichte“ einer einseitigen Betrachtung der Anbieter verhaftet blieb, erforschte die Konsumgeschichte eine große Vielfalt an Moden und Konsumentenbewegungen. Die kleinteiligen konsumistischen Praktiken wie die Suche nach einem passenden Fernsehgerät oder der Kaufvorgang bei einem Händler standen dagegen selten im Fokus.6 Das folgende Kapitel untersucht diese Praktiken unter Rückbezug auf die wettbewerbs- und verbraucherschutzpolitische Regulierung, die eine rechtliche Grundlage des Verhältnisses zwischen Einzelhändlern und Konsumenten bildete. Der Konsument erscheint dabei sowohl als direkter wie als indirekter Akteur. Er führte einerseits Auseinandersetzungen über Preise und Konditionen mit den Händlern. Andererseits war die Vorstellung von ihm als Verbraucherbild ein ständiger Bezugspunkt der Regulierungspraxis und der öffentlichen Medien.
3 Klassisch in diesem Zusammenhang die Studie Packard, Vance (1958): The Hidden Persuaders. New York, NY. Siehe allgemein: Trumbull, Consumer Capitalism. 4 Williamson verwies dabei auf Tversky, Amos; Kahneman, Daniel (1974): Judgment under Uncertainty. Heuristics and biases. In: Science 185, S. 1124. 5 Zu dieser Diskussion siehe die Ausführungen weiter unter und in vergleichender Perspektive: Glickman, Lawrence B. (2001): Twentieth Century Consumer Activism and Political Culture in America and Germany. In: Roland Becker (Hg.): Eigeninteresse und Gemeinwohlbindung. Kulturspezifische Ausformungen in den USA und Deutschland. Konstanz, S. 115–136 u. Daunton, Martin J.; Hilton, Matthew (Hg.) (2001): The Politics of Consumption. Material culture and citizenship in Europe and America. Oxford. 6 Clarke, Consumer Negotiations; Berghoff, Hartmut (Hg.) (2007): Marketinggeschichte. Die Genese einer modernen Sozialtechnik. Frankfurt am Main.
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Durch den Fokus auf die verbraucherschutzpolitische Regulierung rückt die Frage in den Vordergrund, was der Kauf eines Fernsehgerätes an Informationen und Gesetzen erforderte. Dabei geht es nicht um eine theoretische Bestimmung, sondern um die Sichtweise der historischen Akteure. Im Zentrum stehen Preise als die zentralen Informationsträger auf Märkten, deren Bildung und Kommunikation historisch wandelbar waren und dadurch die Akteure mit immer neuen Herausforderungen konfrontierten. Das Kapitel zeichnet in einem ersten Schritt jeweils für die Vereinigten Staaten und die Bundesrepublik die Entwicklungen verbraucherschutzpolitischer Regulierungssysteme nach. Es skizziert in einem zweiten Schritt eine erste Annäherung an die zwei Akteursgruppen, die auf der Ladenfläche aufeinander prallten: die Verkäufer der Fernsehgeräte und ihre Kunden. Das Kapitel widmet sich danach dem historischen Wandel der konkreten Praktiken von Kauf und Verkauf in ihrem Wechselbezug zu den jeweiligen Regulierungssystemen.
7.1 Konsumenten und Händler in den Vereinigten Staaten 7.1.1 Regulierung, Verbraucherschutz und das Bild des Konsumenten Der „freie Markt“, in dem Käufer und Verkäufer unreguliert aufeinander trafen, ist ein amerikanischer Mythos. Tatsächlich war die politische und rechtliche Einbettung des Marktes frühzeitig gegeben. Die staatliche Regulierung, die das Verhältnis von Händlern und Konsumenten rechtlich definierte, diente der Verhinderung der Täuschung, des Betrugs und der Übervorteilung. Ihre historische Entwicklung lässt sich am besten durch die Brille der Federal Trade Commission verfolgen. Der Federal Trade Commission Act von 1914, der zur Gründung der Federal Trade Commission führte, war bereits im Bewusstsein schädlicher Verkaufs- und Werbepraktiken verabschiedet worden. Die Behörde interpretierte das Gesetz daher sowohl im Sinne des Wettbewerbs- wie auch des Verbraucherschutzes.7 In den 1920er und 30er Jahren widersprach der Supreme Court dieser Interpretation. Er schränkte den Handlungsspielraum der Kommission massiv ein, indem er die im Gesetz festgeschriebene Aufgabe nicht als eine den Verbraucher,
7 Henderson, Gerard Carl (1924): The Federal Trade Commission. A study in administrative law and procedure. New Haven, CT, S. 34–37; Reich, Regulierung, S. 39; Alexander, George J. (1967): Honesty and Competition. Syracuse, NY, S. 1.
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sondern lediglich den Wettbewerb zu schützende Norm interpretierte.8 Der Kongress reagierte durch die 1938 erfolgte Verabschiedung des Wheeler-Lea Acts. Das Gesetz stattete die Federal Trade Commission mit dem expliziten Mandat aus, unlautere und täuschende Handelspraktiken („unfair and deceptive practices in commerce“) zu verfolgen.9 Das Gesetz mit seinem expliziten Fokus auf irreführender Werbung und anderen täuschenden Praktiken stand im Kontext der Entdeckung des Konsumenten in den späten 1930er Jahren.10 Die Idee dieses Konsumenten blieb allerdings abstrakt und stand in nur indirektem Bezug zu den konkreten Akteuren.11 Ausgestattet mit dem Mandat des Wheeler-Lea-Acts verfolgte die Federal Trade Commission Fälle wie falsche oder irreführende Angaben über Produkteigenschaften und Herkunft, täuschende Angaben über Preise und Preiseinsparungen, „kostenlose“ Zugaben und verlockende Gewinnspiele.12
8 Tedlow, Richard S. (1981): From Competitor to Consumer. The changing focus of federal regulation of advertising, 1914–1938. In: Business History Review 55 (1), S. 35–58. Hier S. 49–50; Reich, Regulierung, S. 41. 9 Die Begriffe waren allerdings ebenfalls nicht näher definiert. Siehe: Posner, Advertising, S. 12. 10 Peritz, Competition Policy, S. 156. Siehe auch: Tedlow, Competitor, S. 52–56; Cohen, Lizabeth (1998): The New Deal State and the Making of Citizen Consumers. In: Susan Strasser, Charles McGovern und Matthias Judt (Hg.): Getting and Spending. European and American consumer societies in the twentieth century. Cambridge/New York, S. 111–126. Hier S. 121; Cross, Gary S. (2001): Coralling Consumer Culture. Shifting rationales for American state intervention in free markets. In: Martin J. Daunton und Matthew Hilton (Hg.): The Politics of Consumption. Material culture and citizenship in Europe and America. Oxford, S. 283–299; Griffith, Robert (1983): The Selling of America. The advertising council and American politics, 1942–1960. In: Business History Review 57 (3), S. 388–412. Für den historischen Kontext, siehe auch: McGovern, Charles (1998): Consumption and Citizenship in the United States, 1900–1940. In: Susan Strasser, Charles McGovern und Matthias Judt (Hg.): Getting and Spending. European and American consumer societies in the twentieth century. Cambridge/New York, S. 37–58 und McGovern, Charles F. (2006): Sold American. Consumption and citizenship, 1890 – 1945. Chapel Hill, NC. In der Literatur zur amerikanischen Mittelstands- und Wettbewerbspolitik im Kontext der Regulierungsgeschichte ist das Gesetz vergleichsweise wenig erforscht. Bean, Broker State und Jacobs, Pocketbook Politics erwähnen ihn mit einem Wort. 11 Peritz, Competition Policy, S. 157. Siehe auch: Pitofsky, Robert (1974): Changing Focus in the Regulation of Advertising. In: Yale Brozen und Harold S. Geneen (Hg.): Advertising and Society. New York, NY, S. 125–148. 12 Siehe die Fälle in Alexander, Honesty. Siehe auch: Posner, Advertising; Baker, Eugene; Baum, Daniel J. (1962): Section 5 of the Federal Trade Commission Act. A continuing process of redefinition. In: Villanova Law Review 7 (4), S. 517–562 und Shapiro, Carl (1983): Consumer Protection Policy in the United States. In: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 139 (3), S. 527–544. Hier S. 534–537.
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Auch die Unterhaltungselektronikindustrie sah sich mit einer Reihe von Verfahren konfrontiert. Admiral wurde in den 1950er Jahren gleich zweimal wegen irreführender Angaben der Bildschirmgröße der eigenen Geräte zur Rechenschaft gezogen. Das erste Mal wurde Admiral belangt, weil das Unternehmen fälschlicherweise behauptete, seine 21-Zoll „Giant Picture Tubes“ seien 20 Prozent größer als die 21-Zoll-Röhren der Konkurrenz.13 Das zweite Mal monierte die Behörde, dass Admiral bei der Größenangabe der Bildschirme nicht die zu der Zeit standardmäßige Breite des Bildschirms, sondern die Bildschirmdiagonale verwendete.14 Mehrere Bildröhrenhersteller, unter anderem Westinghouse, National Television Tube und Parliament TV Tube, wurden Anfang der 1960er Jahre dafür belangt, dass sie Elektronenstrahlröhren, die gebrauchte Glashüllen enthielten, als neu deklarierten.15 In ähnlicher Weise musste sich Motorola in einem sechsjährigen Verfahren dafür rechtfertigen, nicht angegeben zu haben, dass wesentliche Bestandteile der eigenen Radios aus Japan importiert seien, obwohl die breite Öffentlichkeit eine Präferenz für Artikel aus inländischer Produktion habe.16 Maßnahmen wie diese bildeten den Schwerpunkt der Behörde in den 1950er und 1960er Jahren. Sie versuchte damit den simplen Grundsatz der ehrlichen Bereitstellung korrekter Informationen durchzusetzen, die sie als Grundlage eines funktionierenden Marktes betrachtete.17
13 USA before FTC in the Matter of Admiral Corporation. In: NA/FTC Docketed Case Files, RG 122, Docket No. 6319, Box 478. 14 USA before FTC in the Matter of Admiral Corporation. In: NA/FTC Docketed Case Files, RG 122, Docket No. 6935, Box 1143. 15 Die Glashülle war neben der Elektronenkanone und der Phosphor-Bildschirmoberfläche eine von drei wesentlichen Bestandteilen der Bildschirmröhre und machte um 1960 etwa 15 Prozent der Kosten einer Röhre aus. Dabei spielte es in dem Verfahren keine Rolle, ob die Funktionsweise der Bildröhre durch die Wiederverwertung der Glashülle in irgendeiner Weise eingeschränkt war. Der Federal Trade Commission ging es um die Richtigkeit der Angabe vor dem Hintergrund angenommener Präferenzen der Konsumenten. Federal Trade Commission. Preliminary Statement. May 22, 1963, S. 7. In: NA/FTC Docketed Case Files, RG 122, Docket No. 8545, Box 1671. Siehe auch: USA before FTC in the Matter of National Television Tube, Inc. In: NA/FTC Docketed Case Files, RG 122, Docket No. 8124, Box 1225; USA before FTC in the Matter of Parliament TV Tube Sales, Inc. In: NA/FTC Docketed Case Files, RG 122, Docket No. 8180, Box 1253; USA before FTC in the Matter of Westinghouse. In: NA/FTC Docketed Case Files, RG 122, Docket No. 8545, Box 1671. 16 USA before FTC in the Matter of Motorola, Inc. In: NA/FTC Docketed Case Files, RG 122, Docket No. 8473, Box 1473. Siehe auch: The FTC versus Motorola. What You Should Watch. In: Electrical Merchandising Week, 9. April, 1962, S. 3. Die Industrie hielt das Vorgehen der FTC als wenig sinnvoll. da von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen jeder U.S.-Hersteller importierte Bauteile verwende. Siehe: The Federal Trade Commission Opens a Can of Worms. In: Electrical Merchandising Week, 18. Oktober, 1965, S. 3. 17 Reich, Regulierung, S. 66.
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In den 1960er Jahren mehrten sich die Stimmen, die eine striktere Regulierung einforderten. Die Aufsehen erregenden Arbeiten Rachel Carsons und Ralph Naders schürten nicht nur Zweifel an der Bereitschaft der Unternehmen, korrekte Informationen bereit zu stellen. Sie zogen auch ihre Integrität und Regelkonformität als solche in Frage. Carsons hatte mit ihrem 1962 erschienenen Buch „Silent Springs“ die verheerenden Auswirkungen des Einsatzes von Pestiziden offen gelegt. Nader hatte drei Jahre später mit „Unsafe at any Speed“ die Sicherheitsrisiken bei amerikanischen Autofirmen aufgedeckt. Die Politik reagierte und die Regulierungstätigkeiten staatlicher Behörden nahmen zu. Hatte der Kongress zwischen 1900 und 1964 nur zwei Behörden zum Schutz der Verbraucher ins Leben gerufen, entstanden bis Ende der 1970er Jahre gleich zehn solche Behörden.18 Allein der Bereich der Werbung war Anfang der 1970er Jahre so stark reguliert, dass eine vergleichende Studie feststellte: „The range of restrictions imposed upon the advertiser might lead to the conclusion that deceptive salesmanship must be a thing of the past in America. If it is not, the fault evidently does not lie in the letter of the law.“19 Nader zwang die Federal Trade Commission zu einer aktiveren Haltung. Im Jahr 1968 bedachte er sieben Jura-Studenten mit der Aufgabe, die Defizite der Behörde offen zu legen. In seinem Vorwort zu dem 1969 vorgelegten „Nader Report“ schrieb er wenig nachsichtig: „On paper, the FTC was the principal consumer-protection agency of the Federal government. As such, the Commission could have been an exciting and creative fomenter of consumer democracy. In reality, the ,little old lady on Pennsylvania Avenue‘ was a self-parody of bureaucracy, fat with cronyism, torpid through an inbreeding unusual even for Washington, manipulated by the agents of commercial predators, impervious to governmental and citizen monitoring.“20 Im Laufe der 1970er Jahre gelang den Aktivisten um Nader die Besetzung der Federal Trade Commission mit gleichgesinnten Juristen.
18 Zwischen 1900 und 1965 wurde neben der Federal Trade Commission nur eine Behörde mit einer entsprechenden Zielsetzung ins Leben gerufen (die Federal Drug Administration). Zwischen 1964 und 1977 waren es 10 neue Behörden (unter anderem die Equal Employment Opportunity Commission (1964), die Environmental Protection Agency (1970) und die Consumer Product Safety Commission (1972)). Siehe: Vogel, David (1981): The „New“ Social Regulation in Historical and Comparative Perspective. In: Thomas K. McCraw (Hg.): Regulation in Perspective. Historical essays. Cambridge, MA, S. 155–185. Hier S. 161. 19 Whincup, Michael H. (1973): Consumer Protection Law in America, Canada and Europe. Dublin, S. 23. 20 Nader, Ralph (1969): Preface. In: Cox, Edward F.; Fellmeth, Robert C.; Schulz, John E.: The Nader Report on the Federal Trade Commission. New York, NY, S. vii.
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Als Höhepunkt berief Präsident Carter im Jahr 1977 Michael Pertschuk, Gegner unternehmerischer Interessen, als Vorsitzenden der Federal Trade Commission.21 Die Vertreter der Chicago School kritisierten die zunehmende Regulierung und die aktivistische Haltung der Federal Trade Commission. Sie sahen zwar die zentrale Bedeutung korrekter Informationen für die Funktionsfähigkeit der Märkte. Sie bezweifelten aber, dass die Federal Trade Commission bei der Bereitstellung dieser Informationen hilfreich war. Stattdessen vertrauten sie auf die Macht des Wettbewerbs und des Rechts. Wie Posner ausführte könnten sich sowohl die Konkurrenten als auch die Kunden gegen falsche Angaben eines Anbieters durch den Gang vor Gericht zur Wehr setzen.22 Während der Präsidentschaft Ronald Reagans wurde James C. Miller III, der eine eben solche Sichtweise vertrat, zum Vorsitzenden der Federal Trade Commission berufen. Damit wurde auch innerhalb der Federal Trade Commission ein Paradigmenwechsel im Sinne der Chicago School eingeläutet. 23 Viele Unternehmen reagierten von Beginn an mit Unverständnis und scharfen Attacken auf die Regulierung durch die Federal Trade Commission. Die Electrical Merchandising Week beklagte einen Vertrauensverlust in die Entscheidungsfähigkeit der amerikanischen Konsumenten. Glaube man dem vom Kongress vermittelten Bild des Konsumenten, so die Zeitschrift, werde dieser von irreführender Werbung getäuscht, um ein Produkt zu erwerben, für das er zehn Jahre lang exorbitante Zahlungen leisten müsse, obwohl es bereits nach zehn Tagen den Geist aufgebe und im selben Zuge dem Käufer noch Gesundheitsschäden verursachte.24 Die National Association of Manufacturers kritisierte die verbraucherschutzpolitischen Maßnahmen der Behörde ebenfalls.25 In ihrem
21 Hasin, Consumers, S. 133. Siehe auch: Carter May Have Reached too Far to Left for New FTC Chairman. In: Merchandising Week, Juni 1977, S. 9. 22 Posner, Advertising, S. 3. 23 Eisner, Marc A.; Meier, Kenneth J. (1990): Presidential Control versus Bureaucratic Power. Explaining the Reagan revolution in antitrust. In: American Journal of Political Science 34 (1), S. 269–287; Kovacic, William E. (1988): Public Choice and the Public Interest. Federal Trade Commission antitrust enforcement during the Reagan administration. In: Antitrust Bulletin 33, S. 467–504; Petty, Ross D. (1992): FTC Advertising Regulation. Survivor or casualty of the Reagan revolution? In: American Business Law Journal 30 (1), S. 1–34; Harris, Richard A.; Milkis, Sidney M. (1996): The Politics of Regulatory Change. A tale of two agencies. New York, NY; Hasin, Consumers, S. 194–217. 24 Hutchinson, William: Consumer Protection and the Retailer. In: Electrical Merchandising Week, 1. Januar, 1968, S. 17. 25 Siehe: Marketing Under Attack. An address by John A. Stuart (NAM) before the 28th Annual EBASCO Marketing Conference. September 14, 1964. In: HML/NAM, Series I, Box 28; Consumerism – The Opportunity of Marketing. From a Luncheon Address by Peter F. Drucker to the
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„Consensus Statement“ unterstützte das Marketing Committee des Verbands zwar offiziell den Kampf gegen jegliche Form der Täuschung, des Betrugs und der Wettbewerbsbeschränkung. Das Statement machte aber auch deutlich, dass die National Association of Manufacturers nahezu jede Form verbraucherschutzpolitischer Regulierung als unnötigen und illegitimen Eingriff in den Markt interpretierte: „The laws against monopoly and restraint of trade […] are the consumer’s ultimate protection of free choice and fair treatment in the marketplace.“26 Der Verband stellte die Verbraucher den staatlichen Regulierungsbehörden diametral entgegen. Ihre Fähigkeit, den Überblick im Marktgeschehen zu behalten, stand im Gegensatz zu den Regulierungspraktikern, die von ihren Bedüfnissen keine Ahnung hätten. Eindringlich brachte die Kongressabgeordnete des Staates Washington, Catherine D. May, diese Sichtweise Anfang der 1960er Jahre zum Ausdruck: „All the government officials and all the government laws in the world are as nothing as compared to the impact Mrs. America has on Mr. Manufacturer and on Mr. Storekeeper when she makes up her mind to buy one can of beans over another can of beans […] And, to reward her, I want to protect her. Not with more government regulations and laws – I want to protect her freedom of choice. I want to protect her right to reward or punish the businessman. I want her to stay the boss of the market place. As long as she is, then there’s no danger to our free enterprise system.“27
Die optimistische Sichtweise Mays wurde freilich nicht von allen geteilt. Bereits Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts hatte der Jurist Louis Brandeis gegenüber Felix Frankfurter, der zu diesem Zeitpunkt die Roosevelt-Administration beriet, bemerkt: „Isn’t there among your economists some one who could make clear to the country that the greatest of social-economic troubles arise from the fact (that) the consumer has failed absolutely to perform his function?“28 Walter Henry
NAM Marketing Committee Conference. In: HML/NAM, Series I, Box 28; Consumerism. The Mood Turns Mean. A Reprint from Sales Management Marketing Magazine, July 15, 1969. In: HML/ NAM, Series IV, Box 52; What Price Consumerism? Address by Henry Luce III. NAM Marketing Conference „The Crisis in Credibility“. New York, April 9, 1970. In: HML/NAM, Series I, Box 28; Hello Consumerism, Goodbye America. A Speech by Thomas R. Shepard, Jr. (Publisher of LOOK Magazine) at the 1971 Spring Marketing Conference of the NAM. In: HML/NAM, Series I, Box 28. 26 Perspective on Consumerism – A Consensus Statement of the NAM Marketing Committee [ohne Datum]. In: HML/NAM, Series I, Box 28. 27 The Housewife Goes to Congress. An Address by Catherine May, US Representative from the State of Washington [ca. 1964]. In: HML/NAM, Series I, Box 28. 28 McCraw, Thomas K. (1981): Rethinking the Trust Question. In: Thomas K. McCraw (Hg.): Regulation in Perspective. Historical essays. Cambridge, MA, S. 1–55. Hier S. 27. Siehe auch: Sci-
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Nelson, der zu der Zeit von Mays Rede ein viel beachtetes Buch zu den Praktiken der Discounter veröffentlichte, zeichnete ein ähnliches Portrait. Nelson zu Folge war der amerikanische Konsument hoffnungslos naiv, den zwielichtigen Methoden der Anbieter hilflos ausgesetzt. Selbst Konsumenten, die gegenüber der Qualität eines Produkts Vorbehalte hegten, würden dem Einzelhändler bezüglich der geforderten Preise blind vertrauen: „We believe what the tag says: that the higher price is the one charged by the independent retailer around the corner, or the department store down the street.“29 Dem Bild eines über den Tisch gezogenen Verbrauchers entsprach die Vorstellung rechtlich und ethisch fragwürdiger Verkaufsmethoden auf Seiten der Einzelhändler. Handelsexperten zu Folge waren die Verkäufer keine Informationsquelle, sondern Vermittler von Fehlinformationen. „They have been criticized very, very harshly […] on grounds of incompetence, low effort and limited intelligence“30, fasste Oxenfeldt das Urteil der Manager in der Fernsehgeräte industrie zusammen. Auch einzelne Filialbetreiber attestierten ihren Verkäufern mangelndes Wissen, Disziplinlosigkeit, fehlenden Enthusiasmus und schlechte Gesundheit.31 Der Ruf der Verkäufer war Mitte der 1960er Jahre so schlecht, dass die Radio- und Fernsehgerätehändler bei allgemein geringer Arbeitslosigkeit Schwierigkeiten hatten, überhaupt neues Verkaufspersonal zu rekrutieren. Ein Vertreter des Herstellers Westinghouse erklärte es zum Ziel, die Praxis des Verkaufs nicht länger in der gleichen sozialen Kategorie zu sehen wie Prostitution. „Most people look upon selling as what a guy does after he has failed at something – or everything – else.“32 Selbst bei Vorzeigehändlern wie Korvettes
tovsky, Tibor (1964): Ignorance as a Source of Oligopoly Power. In: Tibor Scitovsky (Hg.): Papers on Welfare and Growth. London, S. 202–208 [Erstmals erschienen in: The American Economic Review 40 (2), 1950, S. 48–53]. 29 Nelson, Walter H. (1965): The Great Discount Delusion. New York, NY, S. 45–46. Zur Rezeption von Nelsons Buch in der BRD, siehe: Kisseler, M.: US-Discounter unter der Lupe – Verbraucher genasführt. Was kann die deutsche Absatzwirtschaft aus der amerikanischen Entwicklung lernen? In: Industriekurier, 1. Juli, 1969 und die kritische Antwort auf Kisselers Artikel: Schultes, Werner: Wird der Verbraucher in Discounthäusern getäuscht? Bemerkungen zu dem Buch H.W. Nelson ‚The Great Delusion‘. In: Discount-Informationen, Juli/August, 1970, S. 1–6. 30 Oxenfeldt, Marketing, S. 202. 31 Farr, Mort: Here’s Why Our Salesmen Fail… In: Electrical Merchandising, Dezember 1956, S. 33. 32 Wood, Wallis E.: The Search for Better Retail Salesmen. In: Electrical Merchandising Week, 23. Mai, 1966, S. 16. Siehe auch: Siehe dazu auch: Cushman, Joy (2006): „The Customer is Always Right“. Change and Continuity in British and American Department Stores Salesmanship, 1945– 1960. In: John Benson und Laura Ugolini (Hg.): Cultures of Selling. Perspectives on consumption and society since 1700. Aldershot, S. 185–214.
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oder den Polk Bros. wiesen Marktstudien zahlreiche Fälle schlechter Beratung nach.33 Ein Grund für das problematische Image der Verkäufer lässt sich in den institutionellen Strukturen erkennen. Die Händler und ihr Verkaufspersonal waren zu keinerlei Ausbildung verpflichtet. Das amerikanische Handelsgesetz sah keine Lizenzierungspflicht vor. Die Verkäufer wurden auf extrem unterschiedliche Weise in den Handel mit Fernsehgeräten eingeführt.34 Während der eine Händler die neu angestellten Verkäufer über Dächer klettern ließ, damit sie die Bedeutung einer Fernseh-Antennen-Installation lernten, überließen andere Manager das Verkaufspersonal sich selbst.35 Noch Anfang der 1960er Jahre stellte Oxenfeldt fest: „Most retailers do not consider it to be their responsibility to train their salesmen. Apparently they feel their job is done when they hire someone who seems to be a good salesman. If they find by examining actual sales records that they were mistaken, they usually hire a replacement.“36 Die Verkäufer waren selten an ihren Arbeitgeber gebunden und wurden in den meisten Fällen auf Kommissionsbasis bezahlt. Ihr Gehalt war abhängig von dem Umsatz, den sie erzielten.37 Das Interesse der Verkäufer lag weniger in der langfristigen Bindung eines Kunden an das Geschäft als darin, einen Verkauf zum Abschluss zu bringen.38 Der Händler Sears betrachtete bei der Auswahl seines Verkaufspersonals neben Intelligenz, Flexibilität und Aktivität auch Aggressivität als ein wichtiges Merkmal. Ein Artikel in der Electrical Merchandising erklärte diese Eigenschaft sogar zu einer Art Grundausstattung der Verkäufer im Fernsehgerätebereich: „Appliance, or big-ticket, salespeople are […] extremely socially aggressive, gregarious, socially dominant, and somewhat more independent than most people. They work out their social domination and aggressiveness in the sales situation.“39
33 Shopping Chicago. Color TV Tour Finds Salesmen Ready, Willing, Able to Help. In: Electrical Merchandising Week, 1. April, 1974, S. 16; Shopping for Color TV. New York Scene Kaleidoscop. In: Electrical Merchandising Week, 4. Februar, 1974, S. 1. 34 Klasson/Williams, Management, S. 72. 35 Farr, Mort: Our Big Need: More and Better Trained Salesmen… In: Electrical Merchandising, November 1956, S. 11. 36 Oxenfeldt, Marketing, S. 207. 37 Allerdings gab es auch einzelne Fälle, in denen die Händler ihr Verkaufspersonal durch ein festes Gehalt oder eine Mischform entlohnten. Would You Run a TV Sales Staff Like This? In: Electrical Merchandising, Februar 1953, S. 86. Für eine Übersicht im Fernsehgeräte-Fachhandel, siehe: Klasson/Williams, Management, S. 79–80. 38 I Almost Failed. In: Electrical Merchandising, November 1956, S. 800 u. 804–805. 39 Ebd., S. 16.
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Die Electrical Merchandising Week machte in einer 1961 veröffentlichten Reihe zur Schulung des eigenen Verkaufspersonals keinen Hehl daraus, dass Verkauf nicht nur Beratung, sondern auch Überzeugung sei. „Salesmanship is the art of increasing the satisfaction of customers by persuading them to buy specific goods or services as the best solutions to their needs and desires.“40 Vor allem waren die Verkäufer darum bemüht, Kunden den Kauf von Geräten in höheren Preissegmenten nahe zu legen. Solche Geräte brachten dem Händler höhere Spannen. Die Preislisten RCAs sowie eine 1976 durchgefragte Befragung von Händlern bestätigen das. Bei Farbgeräten unter 300 US-Dollar lag die Handelsspanne nur in 67 Prozent der Fälle über 15 Prozent. Bei Farbgeräten über 400 US-Dollar lag sie dagegen in 78 Prozent der Fälle über 15 Prozent. Bei jedem zweiten Gerät lag sie sogar bei über 20 Prozent.41 Preispsychologisch ließ sich das damit erklären, dass es leichter war, den Schritt von 229 auf 259 US-Dollar zu machen als von 129 auf 159 US-Dollar, wie die Electrical Merchandising Week in einer Studie bemerkte.42 Zusätzliche Features, die das Standardmodell ergänzten, waren für den Einzelhändler ebenfalls überproportional profitabel. Oxenfeldt beschreibt, dass sich in den 1960ern die Faustregel etablierte, dass jeder zusätzliche US-Dollar zu den Herstellungskosten des Basismodells mindestens drei US-Dollar auf Einzelhandelsebene bedeuteten.43 „Up-Selling“ galt sowohl bei Discountern als auch bei Fachhändlern als Paradedisziplin fähiger Verkäufer. Die service-orientierten Fachhändler hatten hier leichteres Spiel, weil ihre Kunden tendenziell offener für technische Argumente waren und weniger preissensibel. Auch die kreditbasierte Finanzierung erleichterte den Verkauf höherwertiger Güter. Bei der Zahlung kleinerer Raten sei es einfacher, teure Geräte zu verkaufen, stellte ein Artikel von 1960 fest. Obwohl ein Konsument sich eigentlich ein Preislimit gesetzt habe, könne man ihm trotzdem
40 Cunningham, Chet: A Sales Training Program for Your Store. In: Electrical Merchandising Week, 13. Februar, 1961, S. 18. Siehe auch: How to Run a Sales Meeting (Booklet). In: Electrical Merchandising Week, 22. Juni, 1964, S. 15–30. 41 Opinion File: Margins. Actual and Desired. In: Merchandising Week, September 1976, S. 16. Scitovsky erklärt die überproportional höheren Spannen teurer Güter damit, dass reichere Menschen sich weniger Gedanken beim Einkauf machen müssten. Er bezeichnet diesen Zusammenhang als „Harrod’s law of diminishing price elasticity“. Scitovsky, Tibor (1964): Some Consequences of the Habit of Judging Quality by Price. In: Tibor Scitovsky (Hg.): Papers on Welfare and Growth. London, S. 193–201. Hier S. 198 [Erstmals erschienen in: The Review of Economic Studies 12 (2), 1944/1945, S. 100–105]. 42 Wood, Wallis E.: The Key to Setting Prices. In: Electrical Merchandising Week, 2. Januar, 1967, S. 20. 43 Oxenfeldt, Marketing, S. 58.
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ein höherwertiges Gerät erfolgreich vorführen: „You show him a deluxe $ 250 set anyway. His eyes brighten with interest at once and he hesitantly asks you the price. You tell him that it will cost him only 50 cents a week more than the standard model. This is a sum which is too trivial to faze him. He gives you the order for the higher priced set.“44 Das Verkaufspersonal größerer Ketten war speziell darin geschult, auf Kreditbasis zu verkaufen. Das Management sah das Wissen über die kreditfinanzierte Aufgliederung des Preises als ähnlich wichtig wie das Wissen über die Eigenschaften des Produkts.45 Einen besonderen Ruf erwarb sich in den 1950er und 60er Jahren das Verkaufspersonal von Sears. Mit dem Übergang vom Versand- zum Filialhändler in den 1920er Jahren hatte Sears ein finanzielles Anreizsystem eingeführt, das den Verkauf höherwertiger Geräte durch ein Bonussystem förderte. Für die sogenannten „Lockvögel“, die günstigen, von Sears in der Werbung hervorgehobenen Angebote, gab es eine geringere Kommission. Um die Konsumenten zum Kauf höherwertiger Gegenstände zu bewegen, nannte der Sears-Verkäufer all die Dinge, die das günstige beworbene Gerät nicht konnte. Wenn der Konsument trotzdem auf dem Kauf des Geräts bestand, begann der Verkäufer zu schwitzen. Er wollte die Kommission des höher bepreisten Geräts und den Hohn durch die Kollegen vermeiden.46 Es machte sogar das Gerücht die Runde, dass ein Verkäufer, der einen „Lockvogel“ verkaufte, entlassen würde.47 So jedenfalls berichtete die Merchandising Week über die Verkaufsstrategien in der Reihe „Inside Sears“, die eine Mischung aus lehrreicher Faszination und abschreckendem Beispiel bildete. Verkaufsstrategien des „Up-Selling“ waren relativ weit verbreitet, zeigten verschiedene Nuancen und trugen sogar eingängige Namen. Bei der sogenannten „Add-on-Practice“ wurde zunächst ein geringer Preis genannt, der den Konsumenten zu einer innerlich vorgenommenen Kaufentscheidung bewegen sollte. Erst danach nannte der Verkäufer die verschiedenen Zusatzkosten für Steuern, Garantien, Lieferung oder Antenne, die bei anderen Händlern bereits in dem angegeben Preis enthalten waren. Der Konsument ging davon aus, einen günstigen Handel eingegangen zu sein. In Wahrheit trug er am Ende hohe Zusatzkosten.48 „The Burn“ war eine Strategie, die ein Verkäufer bei dem Eindruck
44 Can You Sell Credit? In: Electrical Merchandising Week, 29. Februar, 1960, S. 31. 45 How Retail Credit Is Changing. In: Electrical Merchandising Week, 6. April, 1964, S. 14. 46 Inside Sears. In: Electrical Merchandising Week, 5. Januar, 1970, S. 4. 47 Nelson, Delusion, 32. Das war allerdings vermutlich nicht wahr. Siehe: Wood, Wallis E.: Everyone’s Number 1 Competitor. Facing up to the giant. In: Electrical Merchandising Week, 4. März, 1968, S. 25. 48 Aussage Dunlevy. Official Transcript of Proceedings (Pages 1744–1872). February 17, 1960, S. 1747. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 87, Folder 2.3.
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anwandte, dass ein Konsument zuvor intensive Preisvergleiche betrieben hatte. Er nannte deshalb einen eigentlich unrealistisch niedrigen Verkaufspreis, der weitere Preisverhandlungen im Keim erstickte. Anschließend ging der Verkäufer in die „Add-On-Methode“ über, um die verlorene Marge durch Zusatzangebote wettzumachen. Die noch ausgefeiltere Variante war die „Burn and Switch“Methode. Nachdem der Konsument durch den niedrigen Preis vom Bedürfnis einer Preisverhandlung abgelenkt war, versuchte der Verkäufer, sein Vertrauen zu gewinnen. Anschließend überzeugte er ihn von den Vorzügen eines anderen Produkts, von dem aber nicht der Kunde, sondern vor allem der Händler profitierte. Wie weit verbreitet die Praktiken waren, ist nicht genau zu beziffern. In einer Anhörung des Senats antwortete ein Zeuge auf die Frage, ob es in den USA tatsächlich solche Fälle gebe, schlicht mit der Antwort: „To ask that question […] is like asking whether the Pope is Catholic.“49 Der Konsument, der im Geschäft mit solchen Verkaufspraktiken und „aggressiven“ Verkäufern konfrontiert wurde, schien eine wenig beneidenswerte Position einzunehmen. Er war mit einer enormen Bandbreite ähnlicher Produkte konfrontiert, deren technische Details er nicht bewerten konnte. Die Ausgaben für die Geräte waren so hoch, dass ein Fehler schwerwiegende finanzielle Folgen hatte. Im Laden traf er dann auf den „sharp salesman“, der ein nur loses Verhältnis zur Wahrheit hatte und den leichtgläubigen Konsumenten ausnutzte.50 Aber so einseitig war das Machtgefälle zwischen Verkäufern und Kunden in Wahrheit natürlich nicht. Oxenfeldt differenzierte die Konsumenten in verschiedene Gruppen, die sich in ihrer Verhandlungsstärke und -bereitschaft stark voneinander unterschieden. 80 Prozent aller Konsumenten seien angenehme Menschen und leicht zufrieden zu stellen, schätzte die Electrical Merchandising Week Mitte der 1960er Jahre.51 Zu dieser Gruppe zählte Oxenfeldt die dem Händler wohlgesonnenen „Gentlemen“, die freundlich und informiert waren sowie „The Lambs“, die „Lämmer“. Die Lämmer waren schlecht informierte und ungebildete Kunden. Sie galten als treudoof und besonders anfällig für alle Verkäufer, die es mit der Wahrheit oder einer guten Beratung nicht all zu genau nahmen.52 Die anderen 20 Prozent der Kunden waren für den Verkäufer weniger angenehm. Der mit geringer ethischer Kompetenz ausgestatte Verkäufer fand hier sein
49 Testimony of Robert E. Carter. In: Quality Stabilization. Hearings before a Subcommittee of the Committee on Commerce, United States Senate, 87th Congress, 2d Session, on S.J. Res. 59, April 9, 19, 23; Mai 24 and 25, 1962. Washington, D.C., 1962, S. 228–229; zit. nach: Nelson, Delusion, S. 32. 50 Oxenfeldt, Marketing, S. 185. 51 How to Run a Sales Meeting. In: Electrical Merchandising Week, 22. Juni, 1964, S. 21. 52 Oxenfeldt, Marketing, S. 184.
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Spiegelbild. Die Electrical Merchandising Week belehrte ihre Leser: „Whether they’re in a temporary sour mood or are just making a profession out of being angry. You may not like ’em, but, buddy, you gotta live with’em.“53 Die Händler und ihre Verkäufer bezeichneten solche Fälle als „The Enemy“. Unter diesen Begriff fielen aggressive, gut informierte aber auch unehrliche Kunden. Sie betrachteten den Einkauf als eine Herausforderung, um ihre Überlegenheit gegenüber dem Verkaufspersonal zu belegen. Der Wert, den sie auch kleinsten Einsparungen zuschrieben, entzog sich rein ökonomischer Kalkulation. Die durch Zeitaufwand und Benzinverbrauch entstandenen Such- und Vergleichskosten kompensierten sie durch den Stolz, einen guten Deal gemacht zu haben. Selbst wenn sie Gelegenheit hatten, ein Gerät unterhalb des Einkaufspreises des Händlers zu erwerben, würden sie eher damit angeben als Mitgefühl mit dem Händler zu empfinden. Oxenfeldt folgerte, es sei unmöglich, den geringen ethischen Standard im Markt für Fernsehgeräte zu verstehen, wenn man nicht auch die Skrupellosigkeit und Habgier vieler Konsumenten anerkenne.54 Angesichts der Vielfalt an Verhaltensweisen und Kompetenzen stand die Federal Trade Commission, die das Interesse aller Konsumenten zu vertreten hatte, vor einer schwierigen Aufgabe. Sie hatte zwar das Recht, die Interessen der Konsumenten ihrer eigenen Interpretation und Einschätzung nach zu vertreten.55 Sie verfügte aber über keinerlei methodische Standards oder den Rückgriff auf Umfragen, um die Auswirkungen verschiedener Verkaufspraktiken auf das Wohlbefinden der Konsumenten zu beleuchten. Letztlich blieb unklar, auf welche Weise die Mitglieder der Behörde ihre Vorstellungen der Interessen und Präferenzen der Konsumenten entwickelten. Klar war dagegen, dass die Behörde in der Feststellung der Konsumenteninteressen nicht dem Bild eines „Durchschnittskonsumenten“ verpflichtet war. In ihrer Bewertung fragwürdiger Praktiken ging sie von der Wahrnehmung des intellektuell unbedarftesten und leichtsinnigsten Konsumenten aus.56
53 How to Run a Sales Meeting. In: Electrical Merchandising Week, 22. Juni, 1964, S. 21. 54 Oxenfeldt, Marketing, S. 184. 55 Official Transcript of Proceedings in the Matter of George’s Radio & Television Company, Inc. November 7, 1961 (Pages 1 thru 43), S. 40. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 8134, Box 1231. 56 In den Auseinandersetzungen der Federal Trade Commission mit den Gerichten, die teilweise ein höheres Maß an Selbstverantwortung zu Grunde legen wollten, wurde der Behörde vorgeworfen, sie sehe Konsumenten als „wayfaring fools“. Siehe dazu die Ausführungen bei Alexander, Honesty, S. 6–9. Posner spricht schlicht von „stupid or imprudent“. Posner, Richard A. (1974): Truth in Advertising. The role of government. In: Yale Brozen und Harold S. Geneen (Hg.): Advertising and Society. New York, NY, S. 111–124. Hier S. 115. Die Electrical Merchandising Week
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7.1.2 Die Kunst des Feilschens. Preispolitik im Wandel Der Preis eines Fernsehgerätes war der neuralgische Punkt der Verhandlungen zwischen Einzelhändlern und Konsumenten. Hier zeigten sich die größten Unterschiede in der Durchsetzungs- und Verhandlungsfähigkeit der Akteure auf beiden Seiten. Die langfristige Entwicklung der Durchschnittspreise, auf welche die Einzelhändler so gut wie keinen Einfluss hatten, war zwar für die Entwicklung des Gesamtmarktes zentral. Für eine Diskussion der alltäglichen Konsumentscheidungen ist dagegen eine differenziertere Sichtweise unabdingbar, die auch die Preispolitik des Einzelhandels in ihren vielfältigen Facetten berücksichtigt. Denn der Preis bildete nicht nur die materielle Grundlage der Konsummöglichkeiten. Er war gleichzeitig Information, Werbeargument und Wettbewerbsinstrument in den Händen der Anbieter. Wie Einzelhändler ihre Preise festlegten und kommunizierten war historisch wandelbar. Noch um die Jahrhundertwende hatten Preisverhandlungen zwischen Kunden und Händlern den Normalfall im Einzelhandel gebildet. Das wird an der historisch-semantischen Bestimmung der Wörter „Bargain“ und „bargaining“ deutlich. Zunächst gab es den Begriff lediglich als Verb. Bis in das zwanzigste Jahrhundert hinein beschrieb „bargaining“ einen Preisbildungsprozess, an dem Anbieter und Kunden als gleichberechtigte Verhandlungspartner beteiligt waren. Die großen Versandhändler und Warenhäuser, die Ende des neunzehnten Jahrhunderts aufkamen, führten eine neue Art der Preispolitik ein. Statt individuell mit ihrer Kundschaft zu verhandeln, gaben sie den Preis vor. Erst in diesem Zusammenhang konnte aus dem Verb „bargaining“ ein Nomen werden. Das Wort „Bargain“ kennzeichnete ein Angebot, das ohne den Konsumenten als Verhandlungspartner zu Stande kam. Die Preisbildung verlagerte sich von einer Interaktion auf der Ladenfläche zu einer Entscheidung des Managements, war aber nach wie vor an den Einzelhandel als Ort der Entstehung gebunden.57 Die Durchsetzung von Markenprodukten stellte die Praxis der Preisverhandlungen zwischen Händlern und Konsumenten sowie die Ebene des Einzelhandels als autonomen Ort der Preisbildung in Frage. Die Markenhersteller nutzten die Preise der Artikel als zentralen Bestandteil ihrer Werbung, weil sie durch einen stabilen und offen kommunizierten Preis die Wahrnehmung einer gleichbleibenden Qualität erzeugen wollten. Teilweise war der Preis sogar direkt auf das
nutze den Begriff „the garden variety of naïve walk-in customers“. Clean-Up in Advertising. Fact or Fancy? In: Electrical Merchandising, April 1959, S. 58. 57 Strasser, Satisfaction, S. 73–74.
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Produkt aufgedruckt.58 Die von den Herstellern erstellten Preislisten verlagerten den Preisbildungsprozess vom Einzelhandel in die Etagen der Hersteller. Kleinere und etablierte Handelsformen begrüßten diese Art der Preispolitik, weil sie den Preiswettbewerb auf Einzelhandelsebene eindämmte. Warenhäuser und Versandhändler bekämpften sie dagegen scharf. Sie lief ihrer Preispolitik zuwider und beraubte sie eines zentralen Wettbewerbsvorteils. Die Konfliktlinien verliefen folglich sowohl zwischen neuen und alten Einzelhandelsformen als auch zwischen Markenherstellern und neuen Handelsformen.59 Die Hersteller in der amerikanischen Fernsehgeräteindustrie der 1940er und 1950er Jahre knüpften an die Tradition der Preislisten nahtlos an. Kaum einer von ihnen verzichtete bei der Schaltung von Werbeanzeigen darauf, den Endverbraucherpreis mit abzudrucken.60 Den kleinen, selbständigen Facheinzelhändlern und den Discountern gab das Preislistensystem einen Orientierungspunkt für ihre Preissetzung. Das spiegelte sich auch in ihrer Werbepraxis wider. Die service-orientierten Facheinzelhändler versuchten, den vom Hersteller vorgegebenen Preis durchzusetzen. Sie druckten den Listenpreis als zusätzliche Information mit ab, was teilweise von den Herstellern auch explizit gefordert wurde. Die Discounter druckten den Listenpreis ebenfalls ab. In ihrem Fall diente der Listenpreis aber lediglich als Vergleichsgröße, um den von ihnen angebotenen Preisnachlass (den „Discount“) kommunizieren zu können. Große Ketten wie Sears oder Macy’s betrieben ebenso wie die Mass Merchandiser Korvettes, Polk Bros. oder Masters von Anfang an eine autonome preispolitische Strategie. Sie warben zwar mit günstigen Preisen, die unter denen der Konkurrenz lagen. Sie setzten diese Preise aber nicht auf Basis der Preislisten, sondern nach ihren eigenen Regeln fest. Masters beispielsweise strengte mehrere Prozesse gegen die Fair Trade-Gesetze an, weil sie seinen preispolitischen Handlungsspielraum einschränkten. Er bezeichnete sich öffentlich als „,Number One‘ foe of resale price maintenance legislation“61. Gegenüber den Kunden forderte
58 Siehe Strasser, Satisfaction, S. 269. Kellog’s druckte auf seine Packungen nicht nur den Preis, sondern auch die Warnung: „Retailing the package at less than 10 cents per package is a violation of the conditions of sale, and is an infringement on our patent rights, and renders the vendor liable to prosecution as an infringer.“ Siehe: McCraw, Thomas K. (1996): Competition and „Fair Trade“. History and theory. In: Research in Economic History 16, S. 185–239. Hier S. 188. Siehe auch: und Friedman, Walter A. (2004): Birth of a Salesman. The transformation of selling in America. Cambridge, MA, S. 88–116. 59 McCraw, Competition, S. 188. Siehe auch: Allender, Manufacturers, S. 219. 60 Oxenfeldt, Element, S. 426. 61 Don’t Call Me a Discounter… In: Electrical Merchandising, September 1955, S. 96 u. 154–158. Hier S. 96.
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Masters dagegen feste Preise. Er wollte die Kontrolle über die komplexe Buchhaltung nicht verlieren. Auch der Preis bei Sears und den anderen großen „Discountern“ war keine Verhandlungssache. Ein Preis galt für alle Kunden.62 Das Ende des Preislistensystems bedeutete für die Facheinzelhändler einen Zugewinn an Handlungsspielraum, der neue Chancen, aber auch neue Risiken mit sich brachte. Versucht man, den Wandel einzelhändlerischer Preispolitik in den 1950er und 1960er Jahren zu rekonstruieren, lassen sich drei große Linien verfolgen, welche die preispolitischen Entscheidungsprozesse prägten und strukturierten. Im Folgenden soll erstens der Wandel preispolitischer Möglichkeiten im Kontext der Annahme von Gebrauchtgeräten diskutiert werden. Zweitens wird die Dynamik der Preisvergleiche im Zuge einer ausdifferenzierten Einzelhandelsstruktur in den Blick genommen. Drittens schließlich widmet sich das Kapitel der Frage preispolitischer Gegenstrategien im Facheinzelhandel. Etwa fünf bis zehn Jahre nach dem Kauf ihres ersten Fernsehgerätes kauften die amerikanischen Kunden ein neues Gerät. In diesem Zusammenhang tauschten viele von ihnen ihr altes Gerät ein und erwarteten dafür einen fairen Preis, der vom Listenpreis des neu erworbenen Geräts abgezogen werden musste. Wie hoch dieser Preisnachlass war, hing von verschiedenen Faktoren ab. Einen Markt- oder Listenpreis für das Gebrauchtgerät gab es nicht. Der Preis war deshalb notwendigerweise Verhandlungssache. In einer Studie zur einzelhändlerischen Preispolitik empfahl die Electrical Merchandising Week den Händlern, sich einige Minuten Zeit zu nehmen, um herauszufinden, welchen Wert der Kunde seinem Gebrauchtgerät zuschrieb. „It may be junk to the store, but she has lived with it for years and has some feeling for it.“63 Das Interesse des Verkäufers gebe dem Kunden das Gefühl, einen fairen Preis zu erhalten.64 Bereits 1954 stellte ein von Motorola herausgegebenes „TV trade-in sales manual“ fest. „The buyer of a new TV set really isn’t ,trading‘ his old set to you. He is selling it to you […] So no matter what you think of the used set, never knock it – or you’ll lessen the chances of selling the new set.“65 Der Einzelhändler stand dagegen vor dem Problem einer umgekehrten Informationsasymmetrie. Als Käufer kannte er den ursprünglichen Kaufpreis, die Qualität und das genaue Alter der Geräte nicht. Er konnte sich nur bedingt
62 Wood, Wallis E.: The Key to Setting Prices. In: Electrical Merchandising Week, 2. Januar, 1967, S. 19; Looking at One Price vs. Negotiated Price Retailing. In: Electrical Merchandising Week, 12. März, 1973, S. 22. 63 Wood, Wallis E.: The Key to Setting Prices. In: Electrical Merchandising Week, 2. Januar, 1967, S. 21. 64 Ebd. 65 How to Market Used TV. In: Electrical Merchandising, Oktober 1954, S. 183.
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auf die Angaben des Käufers, der in diesem Moment Verkäufer war, verlassen.66 Die Lösung für das Problem sahen viele Händler darin, allgemeine Regeln für die Bewertung der Gebrauchtgeräte aufzustellen, die sich weniger an dem Gerät selbst als an der Gesamttransaktion orientierten. Ein Händler aus Pittsburgh beispielsweise orientierte sich an einer Tabelle, die den Ankaufspreis in eine direkte Beziehung zum Verkaufspreis des Neugerätes setzte und ansonsten lediglich von der Bildschirmgröße abhing.67 Ein und dasselbe Gebrauchtgerät konnte bei diesem Ansatz zwischen 10 und 70 US-Dollar wert sein. Ein Händler aus Chicago akzeptierte bei dem Verkauf eines günstigen Angebots gar keine Gebrauchtgeräte. Bei dem Verkauf eines „guten Geräts“ zwischen 300 und 400 US-Dollar nahm er dem Konsumenten das Gebrauchtgerät dafür gerne zu einem „guten Preis“ aus der Hand.68 Andere Händler legten den Verkaufspreis ihrer Geräte bereits unter dem Vorbehalt fest, dass im Gegenzug ein Gebrauchtgerät in Zahlung genommen würde.69 Der Verkauf der Gebrauchtgeräte durch die Händler stellte ein preispolitisches Problem eigener Art dar. Einer Umfrage von 1954 zu Folge war bei etwa 60 Prozent der Händler das Management mit dieser Aufgabe betraut. 40 Prozent überließen die Preisfestsetzung und -verhandlung dem Verkaufspersonal oder zogen alte Preislisten als Orientierungsgröße heran.70 Ein Händler aus dem Staat New York verband das preispolitische Problem der Gebrauchtgeräte mit einem Anreizsystem für sein Verkaufspersonal. Ausgangspunkt der Überlegungen war ein Grundpreis für den Wiederverkauf der Geräte von mindestens 55 US-Dollar,
66 Einerseits bestand die Möglichkeit eines bewussten Täuschungsversuchs, andererseits war es aber auch möglich, dass der Kunde das Alter der Geräte einfach vergessen hatte. Akerlof hat die weitreichenden Folgen der wechselseitigen Informationsasymmetrie auf Märkten, die hier zum Ausdruck kommt, am Beispiel des Gebrauchtgerätemarktes entwickelt. Siehe Akerlof, George A. (1970): The Market for „Lemons“. Quality uncertainty and the market mechanism. In: The Quarterly Journal of Economics 84 (3), S. 488–500. 67 Für ein 10-Zoll-Gerät erhielt der Kunde einen Nachlass von $ 10, wenn das neue Gerät weniger als $ 250 kostete. Erwarb der Kunde ein Gerät für über $ 350, lag sein Nachlass bei $ 15. Handelte es sich um ein in der Zeit vergleichsweise großes 17-Zoll-Gerät betrug sein Nachlass sogar $ 40 bis $ 70. Muth, Frank A.: TV Selling Outside. In: Electrical Merchandising, Oktober 1953, S. 79. 68 Pattern for Survival in TV. In: Electrical Merchandising, Februar 1955, S. 108. Siehe auch: TV Trade-Ins Preferred. In: Electrical Merchandising, Februar 1954, S. 104. 69 Wood, Wallis E.: The Key to Setting Prices. In: Electrical Merchandising Week, 2. Januar, 1967, S. 20. 70 Trade-Ins (Special Report). In: Electrical Merchandising, März 1954, S. 102.
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da sich darunter Wiederaufbereitung und -verkauf nicht mehr lohnten.71 Die Verkäufer des Händlers hatten bei dem Verkauf eines Neugeräts die Möglichkeit, Geräte auch unterhalb dieser Grenze zu akzeptieren. Sie standen gegenüber dem Management dann jedoch in einer Schuld, die erst bei dem erfolgreichen Verkauf des Gebrauchtgeräts getilgt wurde. Im Idealfall sprang in diesem Zusammenhang für den Verkäufer eine Provision heraus.72 Ganz ähnlich verfuhr auch ein Händler in Kalifornien. Dieser hatte die Erfahrung gemacht, dass seine Verkäufer Gebrauchtgeräte annahmen, um einen Verkauf abzuschließen, die Geräte aber anschließend vernachlässigten, so dass sie sich im Laden stapelten. In der Folge veränderte er sein gesamtes Provisionssystem, das nun den An- und Verkauf von Gebrauchtgeräten gezielt integrierte. Das neue System beteiligte die Verkäufer zur Hälfte an den Gewinnen und den Verlusten sowohl von den neuen als auch von den gebrauchten Geräten.73 Unabhängig von den einzelnen preispolitischen Strategien der Händler stellte die Annahme von Gebrauchtgeräten die Starrheit der Listenpreise grundsätzlich in Frage, weil sie die Händler schon frühzeitig zu einer großen preispolitischen Flexibilität zwang. Für den Zusammenbruch des Preislistensystems im Laufe der 1950er Jahre ist die Annahme der Gebrauchtgeräte daher Bestandteil der Erklärung, bedarf aber der Kontextualisierung. Denn die alltägliche Erfahrung von Preisverhandlungen machten die Einzelhändler im Laufe der 1950er Jahre zunehmend auch ohne die Annahme von Gebrauchtgeräten. Der Zusammenbruch des Preislistensystems ging aus Sicht des Facheinzelhändlers vor allem von der Erfahrung aus, dass die Kunden bereits den vorgegebenen Preis nicht akzeptierten. Immer häufiger stellten sie den Einzelhändler vor die Wahl, seinen Preis zu senken oder einen möglichen Kunden zu verlieren. Als Verhandlungsgrundlage diente in diesem Fall der Preis eines Konkurrenten. Schon hier zeigten sich große Unterschiede in Kenntnisstand und Preisbewußtsein einzelner Konsumenten. Denn das Wissen über die Preissituation war alles andere als trivial. Sowohl Anbieter als auch Nachfrager mussten einen nicht unbeträchtlichen Aufwand betreiben, um sich einen Überblick über die aktuelle Marktsituation zu verschaffen. Die Komplexität dieses Vorgangs lässt sich an den unterschiedlichen Strategien des Preisvergleichs erkennen, mit denen die Einzelhändler den Markt für
71 Der Grundpreis setzte sich wiefolgt zusammen: $ 15 für Fixkosten (overhead), $ 8 für durchschnittliche Reinigungskosten, $ 10 für Garantieleistung, $ 5 für Lieferung, $ 12 Provision für den Verkäufer und $ 5 für den Ankäufer. 72 This Commission System Works. In: Electrical Merchandising Week, 18. April, 1960, S. 164. 73 They Make Money on TV Trades. In: Electrical Merchandising, September 1954, S. 68.
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Fernsehgeräte beobachteten. Die Discounter-Kette Friendly Frost beispielsweise ließ ihre Verkäufer zusammen mit deren Ehefrauen auf Vergleichstouren nach Dienstschluss gehen. Anschließend mussten die Verkäufer einen ausführlichen Bericht über die Preise der einzelnen Konkurrenten verfassen.74 Macy’s erhielt regelmäßig Informationen über die Preise der Mitbewerber durch einen bezahlten „Shopping Service“.75 Klein’s, der wie Friendly Frost ein Discounter in New York war, verfolgte nach eigener Angabe die Philosophie, alles zum günstigsten Preis der Stadt anzubieten. Wo immer man höhere Preise als bei der Konkurrenz aufdecke, reduziere man diese, berichtete ein Manager Klein’s. Das sei ein hochgradig dynamischer Prozess. „It is like the stock market“, gab der Manager an: „It changes hourly.“76 Der Hintergrund für den intensiven Preisvergleich der Discounter war das nach außen hin kommunizierte Selbstverständnis eines preisgünstigen Anbieters. Es lockte eine preissensible Kundschaft an. Im Rahmen des Verfahrens gegen Admiral gab der Manager eines Mass Merchandisers an, dass fünfzig Cent für den Wechsel zur Konkurrenz genügten, was die Kommission bei einem Fernsehgerät kaum glauben konnte.77 Die Kunden kämen, so der Manager, mit sieben oder acht verschiedenen Vergleichspreisen in das Geschäft. „They are much shrewder than we are. The New York customer is way beyond us.“78 Für die „one-price“-Stores war es wichtig, den Überblick über das Preisniveau zu behalten, um nicht in die Verlegenheit zu geraten, doch Preisverhandlungen durchführen zu müssen. Das Management des Händlers Samson aus Milwaukee hatte für diesen Zweck eine direkte Telefonleitung zu den einzelnen Filialen. Wenn ein Konsument behauptete, in einem anderen Geschäft einen günstigeren Preis erhalten zu können, musste der Verkäufer beim Management anrufen. Dort konnte er sich das o.k. für eine entsprechende Preissenkung holen.79
74 Aussage Perloff. Official Transcript of Proceedings (Pages 2597–2769). September 20, 1960, S. 2704. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 87, Folder 2.4. 75 Aussage Dunlevy. Official Transcript of Proceedings (Pages 1744–1872). February 17, 1960, S. 1746. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 87, Folder 2.3. 76 Aussage Germain. Offical Transcript of Proceedings (Pages 1307–1424). February 12, 1959, S. 1333. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 86, Folder 2.2. 77 Offical Transcript of Proceedings (Pages 1307–1424). February 12, 1959, S. 1334. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 86, Folder 2.2. 78 Aussage Germain. Offical Transcript of Proceedings (Pages 1307–1424). February 12, 1959, S. 1334. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 86, Folder 2.2. 79 Aussage Wilk. Official Transcript of Proceedings (Pages 2312–2425). July 6, 1960, S. 2359. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7094, Box 87, Folder 2.4.
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Die kleineren, selbständigen Facheinzelhändler waren in diesem Punkt flexibler, weil ihr Verkaufspersonal meist größere Handlungsspielräume bei preispolitischen Verhandlungen mit den Kunden besaß. Die Preispolitik war hier während des Zusammenbruchs des Preislistensystems ein hochgradig individueller und dynamischer Prozess. Der geforderte Preis konnte mit dem Ziel hoher Spannen von 15 bis 20 Prozent auf den Einkaufspreis beginnen und bei drei Prozent enden, wenn der Kunde nicht nachgab. Aber auch diese Einzelhändler versuchten, über die Preise der Konkurrenten informiert zu bleiben, um gegenüber den Konsumenten nicht benachteiligt zu sein. Meist orientierten sie sich an den Preisen der übermächtigen Handelskette Sears. Der Verkäufer eines New Yorker Radio-Fernsehladens verbrachte seinen Urlaub damit, dort Preisvergleiche anzustellen.80 Die Electrical Merchandising Week erleichterte den Preisvergleich durch regelmäßige Informationen zu den Katalogpreisen der großen Versandhäuser Montgomery Ward und Sears.81 Bei Sears war die systematische Durchführung des Preisvergleichs sogar Teil der Ausbildung des Verkaufspersonals. Die Verkäufer besuchten andere Händler und waren aufgefordert, die Zusammensetzung des Preises nach Servicekosten, Garantiebestimmungen und Ausführungen aufzuschlüsseln. Erst danach sollten sie die Preise in Zusammenarbeit mit den Ausbildern vergleichen.82 Die Facheinzelhändler bereiteten sich auf die Preisforderungen der Konsumenten noch in anderer Weise vor. Mitte der 1960er Jahre gab die Electrical Merchandising Week eine Broschüre mit dem Titel „How to Run a Sales Meeting“ heraus. Die Ausführungen gaben Managern einige Hinweise darüber, wie sie ihr Verkaufspersonal auf die Konfrontation mit dem Kunden und seinen möglichen Einwänden gegen den Preis optimal vorbereiten konnten: „Discounts, price cutting, bait advertising and price wars have made everyone price conscious,“83 stellte die Broschüre fest. Für die Schulung des Verkaufspersonals sei es daher entscheidend, der preisbewussten Haltung der Konsumenten entgegen zu wirken. Der beste Weg sei, einen Einwand gegen den Preis direkt zu verhindern. Man solle eine gute Produktpräsentation geben, die besonderen Eigenschaften anpreisen, die Vorteile loben, den Service der eigenen Filiale hervorheben und die Qualität des Produkts betonen. Im Idealfall fragte der Kunde dann gar nicht mehr nach einem Preisnachlass. Für den Fall, dass der Kunde dies doch tat und
80 Sears Doesn’t Scare Me… In: Electrical Merchandising, Dezember 1958, S. 53. 81 What You Are Selling Against at Ward’s. In: Electrical Merchandising Week, 6. August, 1962, S. 7; A Look at Sears New Catalog. In: Electrical Merchandising Week, 8. Juli, 1968, S. 24. 82 Inside Sears. In: Electrical Merchandising Week, 30. März, 1970, S. 1. 83 How to Run a Sales Meeting. In: Electrical Merchandising Week, 22. Juni, 1964, S. 21.
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der Verkäufer sich gezwungen sah zu verhandeln, ließen die Manager ihrem Verkaufspersonal normalerweise keinen vollkommen freien Spielraum. Die Verkäufer mussten sich entweder die Genehmigung des Managements holen oder hatten eine Untergrenze, die allerdings für den Kunden nicht sichtbar war.84 Eine andere Strategie der Facheinzelhändler, den Preiswettbewerb im Keim zu ersticken, war das Verhindern oder Erschweren der Preisvergleiche. Verschiedene Einzelhändler entwickelten zu diesem Zweck eine Reihe von Strategien wie beispielsweise den Rückgriff auf Sondermodelle und „Exklusivgeräte“. Diese Geräte waren vor allem deshalb beliebt, weil sie nicht vergleichbar waren. Wie ein Händler aus Corpus Christi, Texas, berichtete, könne sein Geschäft aufgrund der Ausrichtung auf Exklusivgeräte nicht „geshoppt“ werden. Er könne sogar versprechen, noch nachträglich Preisnachlässe zu gewähren, sollte der Kunde das Gerät innerhalb von dreißig Tagen bei einem anderen Händler günstiger sehen. Denn diese Gefahr war gering, wie der Händler selbst ausführte: „We don’t have to worry about a rebate if no one else sells it.“85 Die Funktion der Exklusivgeräte, den direkten Preisvergleich zu verhindern, kam auch in dem für sie gängigen Begriff des „Blind Item“ zum Ausdruck.86 Innerhalb des Geschäfts fanden Händler ein Mittel gegen den intensiven Preisvergleich durch die Gestaltung ihrer Preisschilder, die eine wichtige Aufgabe des Managements darstellte.87 Für ein und denselben festgesetzten Preis von 214,95 US-Dollar für ein Fernsehgerät ließen sich fünf verschiedene, im Prinzip
84 Ebd. u. This Commission System Works. In: Electrical Merchandising Week, 18. April, 1960, S. 164. 85 Looking at One Price vs. Negotiated Price Retailing. In: Electrical Merchandising Week, 12. März, 1973, S. 22. 86 He’s on a Serious Venture. In: Electrical Merchandising Week, 18. März, 1974, S. 1. Für größere Versand- und Warenhausketten wie Sears, Montgomery Ward oder Macy’s lieferten „Private Label“ aus demselben Grund nicht nur den Vorteil, günstige Konditionen gegenüber ihren Zulieferern durchzusetzen. Ihre Informationspolitik gegenüber den Konsumenten basierte neben der Schaltung einzelner Werbeangebote zu einem wesentlichen Teil auf Katalogen, die Preisangaben zu dem gesamten Sortiment enthielten. Das gab anderen Händlern prinzipiell die Möglichkeit, auf einzelne Angebote zu reagieren und im Rahmen einer gezielten Werbeaktion den Preis zu unterbieten, während sich Katalogpreise nicht so einfach anpassen ließen. Siehe: Evolution of Mass Merchandising. In: Electrical Merchandising Week, 28. Februar, 1972, S. 12 und The Changing Patterns of Distribution. In: Electrical Merchandising Week, 20. Dezember, 1965, S. 12. 87 Wood, Wallis E.: The Key to Setting Prices. In: Electrical Merchandising Week, 2. Januar, 1967, S. 21. Die Händler hatten diesbezüglich regional unterschiedliche Handlungsspielräume. Anders als Angaben zum Verpackungsinhalt, die durch den 1966 verabschiedeten „Fair Packaging and Labeling Act“ national einheitlich geregelt waren, fällt die Regulierung der Preisauszeichnung bis heute in den Aufgabenbereich der staatlichen Wettbewerbspolitik und wird teilweise sogar auf County-Ebene geregelt. Siehe: Bergen, Mark; Levy, Daniel; Ray, Sourav; Rubin, Paul H.; Ze-
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austauschbare Preisschilder entwerfen. In einem Geschäft mit wenigen „Price Shoppern“ beispielsweise konnte es sinnvoll sein, das Preisschild mit dem vollen Preis und lediglich kleinen codierten Hinweisen für den Verkäufer zu versehen. Die in Zahlen- und Buchstabenkürzeln notierten Hinweise informierten den Verkäufer über seinen Verhandlungsspielraum. Sie bildeten Einkaufsdatum und Anschaffungspreis des Gerätes ab und gaben dem Verkäufer einen Hinweis, wie weit er für ein Gebrauchtgerät den Preis senken durfte. Bei ohnehin günstigen Lockvogelangeboten bot sich ein Preisschild an, das lediglich den niedrigen, bereits beworbenen Preis angab. Je nach Marktlage konnten Service-Kosten direkt in den angeschlagenen Preis integriert oder erst später aufgeschlagen werden.88 Bei der Angabe des Preises bestand die Gefahr, dass ein Konsument den Preis las und ihn als zu hoch empfand. Er verließ dann eventuell den Laden, bevor man mit ihm ins Gespräch kommen, den Preis erklären oder verhandeln konnte. „Give ’em price […] and you give ’em the chance to make up their minds at home […] You give competition a club to beat your brains out with“89, hatte bereits ein Artikel von 1959 diese Gefahr etwas salopper ausgedrückt. Die Händler konnten der Gefahr begegnen, indem sie statt des Preises den Hinweis „Ask our low discount price“ auf das Preisschild druckten. Der Hinweis gab dem Verkäufer die Gelegenheit, über die besonderen Eigenschaften und Vorteile des Geräts zu sprechen, ohne den Preis nennen zu müssen.90 In Geschäften mit hohem Umsatz und vielen Kunden, die auf der Suche nach einem preisgünstigen Angebot waren, empfahl sich die Strategie, den angeschlagenen Preis durch einen Preiscode zu ersetzen.91 Normalerweise reichten dafür Zahlen, die inmitten sinnloser Buchstaben versteckt waren, wie ZNG230L für einen Preis von 230 US-Dollar oder ZNG032L, wobei man die Zahlen rückwärts lesen musste. Die Codes für besonders wettbewerbsintensive Märkte basierten dagegen auf Buchstaben. Ein Wort mit zehn Buchstaben wie etwa GREAT KIDS ordnete den Zahlen von eins bis zehn
liger, Benjamin (2008): When Little Things Mean a Lot. On the inefficiency of item-pricing laws. In: The Journal of Law & Economics 51 (2), S. 209–250. Hier S. 210 (Fußnote 5). 88 Ein Artikel der Electrical Merchandising Week stellte fest: „If the market will allow it, base the margin on the cost with the service. If the market is tough […] base the margin on the merchandise cost, then add the service.“ Wood, Wallis E.: The Key to Setting Prices. In: Electrical Merchandising Week, 2. Januar, 1967, S. 20. 89 Sell Price Without Quoting Price. In: Electrical Merchandising, April 1959, S. 82. 90 Wood, Wallis E.: The Key to Setting Prices. In: Electrical Merchandising Week, 2. Januar, 1967, S. 21. 91 Ebd.
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je einen Buchstaben zu. Der Preis von 230 US-Dollar las sich in diesem Fall als „RES“. 92 Wie Susan Strasser herausgearbeitet hat, gab es solche Buchstaben-Codes auf Preisschildern bereits im späten neunzehnten Jahrhundert.93 Wie auch in den 1950er und 60er Jahren sollte der Code bei den alltäglichen Verhandlungen mit den Kunden den Händlern als Orientierung dienen. Im neunzehnten Jahrhundert erinnerten sie den Verkäufer allerdings nicht an den vom Management festgelegten Verkaufspreis, sondern daran, was der Händler selbst beim Einkauf gezahlt hatte. Dieser zunächst trivial erscheinende Unterschied zwischen der Codierung des Einkaufspreises und der Codierung des Verkaufspreises war mehr als ein neuer Orientierungspunkt in den Preisverhandlungen. Er spiegelte einen historischen Transformationsprozess wider: die Rückkehr des Preisbildungsprozesses auf die Einzelhandelsebene unter der Herrschaft des Markenartikels, der Ende des neunzehnten Jahrhunderts erst dazu geführt hatte, dass sie von dieser Ebene verschwunden war.
7.1.3 Falsche Angaben. Die Regulierung der Preiswerbung Im Jahr 1960 warnte der Vorsitzende der Federal Trade Commission, Earl W. Kintner, die Einzelhändler mit den Worten: „You have no constitutional right to say anything you damned please in order to move merchandise.“94 Kintner bezog sich mit dieser Warnung auf einen Effekt, der in dem Ende des Preislistensystems begründet lag und die Kommunikation der Preise als Werbemittel und Grundlage der Preisverhandlungen veränderte. Der Kern dieser Entwicklung war, dass viele Fernsehgerätehändler versuchten, die Preisverhandlungen vorwegzunehmen und in ihren Werbeanzeigen hohe Rabatte ankündigten.95 Das Wort „bargaining“
92 There Are Some Things the Customer Shouldn’t Know. In: Electrical Merchandising, März 1959, S. 67; 88. 93 Strasser, Satisfaction, S. 73–74. 94 Tell the Truth, Urges FTC Head. In: Electrical Merchandising Week, 11. April, 1960, S. 8. Siehe auch: Raise Your Standards or Face New Laws. In: Electrical Merchandising Week, 15. August, 1960, S. 1. 95 What’s Wrong with Dealer Advertising? In: Electrical Merchandising Week, 28. Januar, 1963, S. 43. Dabei gab es freilich Ausnahmen. Ein Händler aus Oklahoma beispielsweise gab an, er werbe nie mit einem Preis. Der Konsument könne die Relation zwischen dem Wert eines Produktes und seinem Preis ohnehin nicht beurteilen und seine Konkurrenten würden ihn sofort um $ 10–15 unterbieten. Siehe: Dick Christman. Oklahoma’s Top RCA Dealer Says Color TV Is a Gusher. In: Electrical Merchandising Week, 11. Dezember, 1967, S. 8.
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war auch im Markt für Fernsehgeräte zum „Bargain“ geworden. Die Listenpreise der Hersteller entsprachen zwar nicht mehr den geforderten Preisen. Sie dienten aber weiterhin als Wertmaßstab und Vergleichsgröße, denen die Händler ihre eigenen Preise gegenüberstellten.96 „Discounts below list represent bargains, whereas reductions in list do not“, stellte Oxenfeldt fest. Er lieferte im selben Zug auch eine Erklärung dafür, warum Kintner mit dem Verhalten der Einzelhändler so unglücklich war. Immer häufiger würden Händler „selling against list price“ betreiben und dafür einen künstlich hoch gehaltenen Listenpreis angeben, um die Konsumenten über ihre erzielten Ersparnisse zu täuschen.97 80 70 60 50 40 30 20
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1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980
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Terms and Conditions (u.a. Truth in Lending) Bait Advertising (Lockvogelangebote) Fictitious as Regular (Mondpreise) Grafik 40: Verfolgte Fälle durch die U.S. Federal Trade Commission mit Bezug zu Preisangaben, 1953–198098
96 Scitovsky, Consequences, S. 195. 97 Oxenfeldt, Element, S. 426. Siehe auch: How Better Business Bureaus Are Policing List Price Ads. In: Electrical Merchandising Week, 30. Juli, 1962, S. 3; Clean-Up in Advertising. Fact or Fancy? In: Electrical Merchandising, April 1959, S. 55 98 Eigene Darstellung nach Federal Trade Commission. Federal Trade Commission Decisions. Findings, Opinions and Orders (versch. Jg.).
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Ein langfristiger Blick in die Entscheidungspraxis der Federal Trade Commission belegt eindrucksvoll, wie die Behörde auf die neue Situation seit Ende der 1950er Jahre reagierte. In Grafik 40 sind die zwischen 1953 und 1980 insgesamt verfolgten Fälle abgebildet, bei denen es um die Preisauszeichnung von Anbietern ging. Die Fälle lassen sich grob in die drei Kategorien der Mondpreise („fictitious as regular“), der Lockvogelangebote („bait advertising“) und der Verkaufsbedingungen („terms and conditions“) gliedern. Bei den insbesondere in den 1970er Jahren verfolgten Fällen zu Verkaufsbedingungen ging es in erster Linie um unklare Angaben zu den Kreditbedingungen, welche die Käufer mit höheren Kosten konfrontierten als sie antizipiert hatten. Das Problem der Lockvögel wurde insgesamt relativ konstant angegangen. Ein Schwerpunkt der Verfolgung lässt sich in den 1960er Jahren feststellen. Diese Phase wird weiter unten noch näher beschrieben. Das Problem der übertrieben hohen Listenpreise, der „Mondpreise“, bildete in den späten 1950er Jahren und frühen 1960er Jahren (mit Ausnahme des Jahres 1960) den Schwerpunktbereich der Federal Trade Commission. Die Werbung der Einzelhändler fiel eigentlich nicht in den Zuständigkeitsbereich der Federal Trade Commission. Ihr Zugriff beschränkte sich auf Unternehmen, die entweder im District of Columbia ansässig waren oder über die Grenzen eines einzelnen Staates hinaus Handel trieben. Die lokal begrenzten Einzelhändler hatten daher kaum im Fokus der Behörde gestanden. Gerade hier war das Problem der irreführenden Preiswerbung aber besonders eklatant. Mit zwei Strategien versuchte die Behörde deshalb, Kontrolle über die von den Einzelhändlern betriebene Werbepraxis auszuüben. Erstens wertete sie die Schaltung von Werbeanzeigen, die einen überregionalen Einzugsbereich hatten, bereits als „interstate commerce“.99 Zweitens machte sie die Hersteller für die Verwendung der von ihnen veröffentlichten Preislisten haftbar. Ein 1958 veröffentlichter Leitfaden der Behörde stellte fest „Those who disseminate ,pre-ticketed‘ price figures for use in connection with the offering for sale of articles at retail by others […] are chargeable if the price figures do not meet the standards set forth in this guide. As such they are chargeable with knowledge of the ordinary business ,facts of
99 In einem Verfahren gegen die New Yorker Warenhauskette S. Klein Department Stores von 1960 gelang es ihr, diese Sichtweise als etablierte Praxis durchzusetzen. USA before FTC in the Matter of S. Klein Department Stores. In: NA/FTC, RG 122.5, Docket 7891, Box 937. Siehe auch: Are You Under the FTC’s Thumb? In: Electrical Merchandising Week, 5. Dezember, 1960, S. 3 und Straight from Washington. If You Advertise Across State Lines… In: Electrical Merchandising Week, 13. November, 1961, S. 4.
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life‘ concerning what happens to articles for which they furnish ,preticketed‘ prices.“100 Die Hersteller ließen sich durch die Bestimmungen der Behörde zunächst nicht irritieren und hielten weiter an der Veröffentlichung ihrer Preislisten fest. Erst ein 1961 eröffnetes Verfahren gegen den Staubsaugerhersteller Regina bildete den Testfall, wie ernst der Leitfaden zu nehmen war. Die Federal Trade Commission beschuldigte Regina, fiktive Mondpreise für die eigenen Geräte gebildet zu haben. Die auf den Listen abgebildeten Preise entsprächen nicht den handelsüblich geforderten Preisen.101 Regina bestritt die Vorwürfe und hatte die Unterstützung weiter Teile der Industrie und des Einzelhandels auf ihrer Seite. Der Händler Mort Farr begründete die Vorteilhaftigkeit der Listenpreise damit, dass es selbst für die Einzelhändler schwierig sei, den Wert eines Gutes zu ermitteln. „Without a list price on your things it would be difficult even for a dealer with experience to know the various models and in what category they should fall.“102 Viele Händler pflichteten dieser Einschätzung in Beschwerden gegenüber der Federal Trade Commission bei. Ein Händler fragte: „If I’m selling a TV and the woman asks what the original price was, I can’t use the manufacturer’s list printed right in the sheet? What am I supposed to do, call my competitors and ask what they’re selling it at?“103 Ein anderer Händler stellte fest: „People demand to know what the list is – or was. It is their only guide to value. What is value than a comparison? The customer gets a disservice when we don’t use list. People don’t know the value intrinsically.“104 Auch die Electrical Merchandise Week war kritisch. Das Verfahren sei eine „Hexenjagd“, beschwerte sich der Kolumnist der Electrical Merchandising Week.105 In einer wütenden Auseinandersetzung mit dem Thema schrieb er, das Vorgehen der FTC sei symptomatisch für das Chaos und die Verwirrung, die entstehe, wenn die Regierung mit willkürlichen Maßnahmen gegen normale wettbewerbsorientierte Marketingmethoden vorgehe. Die Öffentlichkeit sei weit davon entfernt, unwissend oder getäuscht zu sein und
100 Clean-Up in Advertising. Fact or Fancy? In: Electrical Merchandising, April 1959, S. 58. Siehe auch: Wray, Laurence: FTC Decision. New Day Dawning? In: Electrical Merchandising Week, 4. Dezember, 1961, S. 4–5. 101 Siehe die Zusammenfassung in: The Regina Corporation et al. In: Federal Trade Commission Decisions. Findings, Orders, and Stipulations, July 1, 1962 to December 31, 1962 (Vol. 61. 1964), S. 983–1004. 102 Ebd., S. 9. 103 Dealers Talk Back to the FTC. „We Have Our Problems, Too“. In: Electrical Merchandising Week, 7. November, 1960, S. 41. 104 Ebd. 105 Wray, Laurence: FTC vs. Regina. In: Electrical Merchandising Week, 16. Oktober, 1961, S. 15.
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mache sich die Preiskämpfe der Anbieter zu Nutze: „The so-called gullible consumer whom the FTC is striving so heroically to protect, is actually playing dealer against dealer and haggling with the finesse of an Armenian rug merchant. If anybody needed protection it’s the poor dealer.“106 Der Vorsitzende des Verfahrens bei der Federal Trade Commission, Herman Tocker, versuchte zunächst einen Kompromiss im Sinne des Leitfadens zu finden. Regina sollte es zugestanden werden, Preislisten zu veröffentlichen. Die Bedingung dafür war aber, dass diese zu Identifikations- und Informationszwecken genutzt wurden und nicht als „gewöhnliche Verkaufspreise“ („usual retail prices“) beworben würden. Regina musste auch sicherstellen, dass die Listenpreise nicht zu täuschenden Werbezwecken missbraucht wurden.107 Zu dem Kompromiss kam es nicht. Die Kommission untersagte Regina die weitere Verwendung ihrer Preislisten.108 Der massive Widerstand gegen die Regulierungspolitik der Federal Trade Commission seitens der Unternehmen blieb allerdings nicht folgenlos. Bereits 1964 veröffentlichte die Behörde eine überarbeitete Version des Leitfadens. Die Überarbeitung enthob die Hersteller explizit der Verantwortung, die Verwendung ihrer national beworbenen Listenpreise zu kontrollieren. Einzelne Preisnachlässe in verschiedenen Regionen würden den beworbenen Preis noch nicht „fiktiv“ machen. Der Leitfaden stellte fest, dass ein Hersteller oder Großhändler, dessen Geschäfte sich über ein weites Gebiet erstreckten, nicht aufgefordert werden könne, die Preise seiner Artikel bis ins Detail hinein zu überwachen: „If he advertises or disseminates a list or pre-ticketed price in good faith (i.e., as an honest estimate of the actual retail price) which does not appreciably exceed the highest price at which substantial sales are made in his trade area, he will not be
106 Wray, Laurence: More About List Prices. In: Electrical Merchandising Week, 30. Oktober, 1961, S. 11. Siehe auch: Wray, Laurence: FTC Decision. New Day Dawning? In: : Electrical Merchandising Week, 4. Dezember, 1961, S. 4. 107 Case Against Regina Dismissed. Has FTC Defined List Price?. In: Electrical Merchandising Week, 4. Dezember, 1961, S. 3. Siehe auch: FTC on List Price. In: Electrical Merchandising Week, 11. Dezember, 1961, S. 4. 108 Regina Continues FTC Fight. In: Electrical Merchandising Week, 7. Januar, 1963, S. 8. Das Unternehmen legte daraufhin vor dem US Court of Appeals (Third Circuit) Berufung ein und scheiterte hier ebenfalls. „The Court […] denied that there is any Constitutional right to promulgate and distribute ‘fictitious suggested list prices‘. It took the view that the Commission’s order only sought to insure ‘that such an opinion (the maker’s estimate of his product’s market worth) will not mislead or deceive the public.‘“ Regina Loses Appeal on List Prices. In: Electrical Merchandising Week, 26. August, 1963, S. 3. Regina Loses Appeal on List Prices. In: Electrical Merchandising Week, 26. August, 1963, S. 3. Das Urteil ist online einsehbar unter: http://openjurist. org/322/f2d/765/regina-corporation-v-federal-Trade-commission (Zugriff: 16.5.2014).
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chargeable with having engaged in a deceptive practice.“109 Im Zuge dieser NeuInterpretation wurde auch das gegenüber Regina gefällte Urteil modifiziert. Dem Unternehmen wurde die Veröffentlichung von Listenpreisen wieder erlaubt.110 Für die Einzelhändler änderte sich durch die Neu-Auflage des Leitfadens nichts. Die für die Hersteller gegebene Begründung eines großflächigen, nationalen Handelsgebiets traf für die meisten von ihnen nicht zu. Der Markt eines Einzelhändlers war lokal und die Händler kannten, wie ihre intensiven Preisvergleiche belegen, die tatsächlich geforderten Preise in ihrer Umgebung. Eine „Preisreduzierung“ vom Listenpreis dürfe ein Händler deshalb nur dann kommunizieren, wie Paul Rand Dixon bemerkte, wenn die Händler in seiner Umgebung auch tatsächlich noch den empfohlenen Listenpreis verlangten.111 In einem 1960 eröffneten Verfahren wurde dem Washingtoner Discounter George’s, hinter dem sich die George’s Radio and Television Company verbarg, ein Vergehen wegen eben dieser irreführenden Verwendung von Preislisten in der Werbung vorgeworfen. Das Verfahren erlangte wegen der Aufregung über die Verfolgung irreführender Werbepraktiken der Electrical Merchandising Week zu Folge nationale Aufmerksamkeit.112 Es bezog sich konkret auf Kühl- und Gefrierschränke. Von seiner Signalwirkung her hatte es jedoch Bedeutung für das gesamte Sortiment der Radio-, Fernseh- und Elektrohändler. George’s hatte in verschiedenen Anzeigen zum Verkauf stehende Geräte des Herstellers Westinghouse sowohl mit dem Listenpreis als auch mit dem eigenen Verkaufspreis beworben. Wie auch in dem Verfahren gegen Regina interpretierte die Federal Trade Commission den Listenpreis als den Preis „at which the merchandise advertised was usually and customarily sold at retail in the trade
109 Here’s Your Big Chance. In: Electrical Merchandising Week, 13. Mai, 1963, S. 12; Federal Trade Commission (1964): Guides Against Deceptive Pricing. Effective January 8, 1964. Washington, D.C., S. 4–5. Ab 1972 galten allerdings für die Hersteller genaue Vorgaben, wie ihre speziellen Preisaktionen aussehen durften. Die FTC wollte sicherstellen, dass die Sonderangebote der Hersteller tatsächlich „legitimately sliced prices“ darstellten. Beispielsweise durfte nicht mehr als die Hälfte des gesamten Angebots über gesondert beworbene Preisaktionen vertrieben werden und pro Produkt durfte es nicht mehr als drei solche Aktionen geben. Siehe: FTC Spells out Price Promo Rules. In: Electrical Merchandising Week, 5. Juli, 1971, S. 3. 110 Regina Wins Modification of FTC Order on List Prices. In: Electrical Merchandising Week, 27. April, 1964, S. 10. Siehe auch: Alexander, Honesty, S. 124–128. 111 The FTC’s new Guides on List Price. Here’s What „Deceptive“ Means Now. In: Electrical Merchandising Week, 13. Januar, 1964, S. 3. 112 List Price. What George’s Told FTC. In: Electrical Merchandising Week, 13. November, 1961, S. 3; Wray, Laurence: More About List Prices. In: Electrical Merchandising Week, 30. Oktober, 1961, S. 11.
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area where the representations were made“113. Tatsächlich sei der vergleichende Preis aber deutlich höher gewesen als der gängige Preis. Die Preisangaben seien daher falsch, irreführend und täuschend gewesen. In Wahrheit konnten die Konsumenten nicht die Einsparungen erzielen, die ihnen suggeriert wurden.114 Die Verteidigung widersprach dieser Sichtweise. Die Nutzung von Preislisten durch die Einzelhändler habe eine lange, ehrenhafte Geschichte und die Federal Trade Commission missachte mit ihrer Haltung die handelsüblichen Gebräuche.115 George’s habe sich durch das Versprechen, unterhalb der Listenpreise zu verkaufen, eine Reputation erarbeitet. „At a tremendous expense in advertising they have created a good will and a public knowledge.“116 Die Nutzung von Listenpreisen gebe Sicherheit, sie verhindere Verwirrung. Der von der Federal Trade Commission verfolgte Ansatz sei daher falsch. „There is nothing deceptive about this.“117 Da Täuschung und Wahrnehmung eng zusammenhängen, war die Frage der Wahrnehmung der Listenpreise durch die Konsumenten ein wesentlicher Bestandteil des Verfahrens. Die Anklage der Kommission ging davon aus, dass Konsumenten den Listenpreis als den gängigen Preis in ihrem Umfeld interpretierten und daher jede Preisreduzierung als eine Einsparung wahrnehmen würden. Woher die Behörde diese Einschätzung nahm, blieb unklar. Auf die Frage des Federal Trade Commissioners Philip Elman, warum der Verbraucher in dem empfohlenen Listenpreis des Herstellers etwas anderes als eben diese unverbindliche Empfehlung erkennen sollte, fiel die Antwort denkbar knapp aus.118 Die Gerichte hätten bestätigt, dass diese Einschätzung in der Expertise der Kommission liege. In diesem Fall sei die Kommission nun einmal „Mr. John Q. Public“.119 Mit dieser Einschätzung setzte sich die Anklage durch. George’s wurde die weitere Verwendung der Listenpreise untersagt. Obwohl der Leitfaden der Federal Trade Commission durch das Urteil an Drohpotential gewann, waren die Reaktionen der Einzelhändler uneinheitlich.
113 Federal Trade Commission. Complaint. October 7, 1960, S. 3. In: NA/FTC, Docket 8134, Box 1231. 114 Ebd. 115 Yochelson, Irving B.: Proposed Findings of Fact. Conclusions of Law, and Order. May 23, 1961, S. 5. In: NA/FTC, Docket 8134, Box 1231. 116 Official Transcript of Proceedings in the matter of George’s Radio & Television Company, Inc. (Pages 1 thru 29). February 15, 1961, S. 6. In: NA/FTC, Docket 8134, Box 1231. 117 Official Transcript of Proceedings in the matter of George’s Radio & Television Company, Inc. (Pages 1 thru 53). November 7, 1961, S. 6. In: NA/FTC, Docket 8134, Box 1231. 118 Ebd., S. 41. 119 Ebd.
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Eine unter ihren regional organisierten Mitgliedern durchgeführte Umfrage der Association of Better Business Bureaus stellte eine große Bandbreite des Verhaltens ihrer Mitglieder fest. Die Umsetzung der Vorgaben reiche „from zero to excellent“, die Einstellung der Händler von rückhaltlos über halbherzig bis indifferent.120 George’s hielt sich an die Vorgaben der Federal Trade Commission. Ein konkurrierender Händler in Washington behielt dagegen die vergleichende Werbung bei und druckte lediglich einen zusätzlichen Hinweis über die Bedeutung der Listenpreise. Der Hinweis informierte die Kundschaft: „All of the manufacturers’ list prices shown in all of Todd’s advertising are reproduced only for the purpose of identifying and clarifying the models of the nationally branded merchandise…All merchandise at Todd’s five locations is sold everyday at low discount prices…prices that are always lower than manufacturers’ list prices.“121 Wie Grafik 40 gezeigt hat, gingen die Verfahren wegen täuschender Preiswerbung im Laufe der frühen 1960er Jahre drastisch zurück. Dies ist vermutlich weniger auf einen Rückgang der entsprechenden Praxis zurückzuführen als darauf, dass die wahrgenommene Bedeutung der täuschenden Preislistenwerbung abnahm. Angesichts drängenderer Probleme stellte sie kein zentrales Regulierungsproblem mehr dar und wurde in der Öffentlichkeit allgemein als relativ unbedeutend betrachtet.122 Darin kam eine Normalisierung der Preispolitik des Einzelhandels zum Ausdruck, die sich nach der Zäsur durch das Ende des Preislistensystems erst einmal neu definieren musste. Mit der Gleichsetzung von Listenpreis und gängigem Marktpreis, die den Denkhorizont der Federal Trade Commission zur Zeit des Preislistensystems definiert hatte, war diese Preispolitik nicht vereinbar. Der Rückgang der Verfahren zeigt aber, dass sich die Behörde diesen neuen Bedingungen anpasste. Auch Mr. John Q. Public war wandelbar. Etwas anders lag der Fall bei der Lockvogelwerbung, welche die Federal Trade Commission ebenfalls als eine illegale Praxis ansah. Die Behörde definierte „Lockvogelwerbung“ in ihren „Guides Against Bait Advertising“ vom 24. November 1959 als „an alluring but insincere offer to sell a product or service which the advertiser in truth does not intend or want to sell“123. Das Problem dieser Definition war, dass die Grenze zwischen dem legitimen Versuch des „trading-up“ und der illegalen „bait-and-switch“-Taktik nicht eindeutig war. Anders als im Fall der Werbung mit Listenpreisen ließ sich die Strategie nicht unabhängig von dem
120 Clean-Up in Advertising. Fact or Fancy? In: Electrical Merchandising, April 1959, S. 59. 121 Washington Ads – Is This the Way? In: Electrical Merchandising Week, 5. März, 1962, S. 7. 122 ABA Commission, Report, S. 36–37. 123 Federal Trade Commission: Guides Against Bait Advertising. Adopted November 24, 1959. In: Nelson, Delusion, S. 209–211 (Appendix 1).
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konkreten Vorgehen des Verkäufers im Geschäft bewerten. Und nicht jede Werbeanzeige war ein „Köder“, nur weil das Verkaufspersonal im Geschäft den Versuch machte, den Kunden von einem höherwertigen Gerät zu überzeugen.124 Unter den von der Federal Trade Commission verfolgten FernsehgeräteEinzelhändlern befanden sich zunächst kleinere Händler wie die Lawrence TV Corporation aus Washington D.C, Blair’s Television & Music Company aus Chevy Chase (Maryland) oder Aaron’s aus Falls Church (Virginia).125 Für den Verband der service-orientierten Facheinzelhändler NARDA war Lockvogelwerbung anders als die Preislistenwerbung ein eindeutiges, weit verbreitetes und illegales Übel. Das Übel konzentrierte sich nach Meinung des Verbands allerdings auffällig stark auf den Konkurrenten Sears und andere größere Ketten wie Montgomery Ward. Mitte der 1960er Jahre begann NARDA, systematisch die Preiswerbestrategien von Sears und anderen Ketten zu beobachten. 1966 versuchte der Verband, eine Untersuchung durch die Federal Trade Commission anzustoßen und bat seine Mitglieder, ihm Fälle von Lockvogel-Werbung zukommen zu lassen.126 Die Einzelhändler sollten versuchen, die von Sears beworbenen Geräte im Geschäft zu erwerben. Im Falle eines „Misserfolgs“ gaben sie eine eidesstattliche Erklärung ab, die NARDA dann gesammelt an die Federal Trade Commission weiterleitete. Die Federal Trade Commission war rechtlich allerdings gar nicht verpflichtet, den Hinweisen nachzugehen und ging erst Anfang der 1970er dazu über, die Lockvogel-Praxis von Sears auch tatsächlich zu verfolgen.127 Das Verfahren gegen Sears erregte ein hohes Maß an öffentlichem Aufsehen. Aber anders als intendiert wurde die Aufmerksamkeit, die Bait-and-Switch-Taktiken dadurch erhielten, für die Facheinzelhändler zu einem Problem. Das Verfahren erwies sich als Bumerang. Die Zeitschrift Merchandising Week klagte 1974:
124 Wood, Wallis E.: Everyone’s Number 1 Competitor. Facing up to the giant. In: Electrical Merchandising Week, 4. März, 1968, S. 24. 125 Lawrence TV Corporation et al. In: Federal Trade Commission Decisions. Findings, Orders, and Stipulations, January 1, 1968 to June 30, 1968 (Vol. 73. 1972), S. 687–696; Blair’s Television & Music Company, Inc. et al. In: Federal Trade Commission Decisions. Findings, Orders, and Stipulations, January 1, 1969 to June 30, 1969 (Vol. 75. 1972), S. 947–952;; Aaron’s, Inc. et al. In: Federal Trade Commission Decisions. Findings, Orders, and Stipulations, July 1, 1969 to December 31, 1969 (Vol. 76. 1973), S. 268–274. 126 Deceptive Retail Prices. NARDA Wants to Build an FTC Case. In: Electrical Merchandising Week, 10. Oktober, 1966, S. 3. Siehe auch: NARDA Uncovers Second Sears Ad in Watchdog Campaign. In: Electrical Merchandising Week, 19. Februar, 1968, S. 3; New NARDA Watchdog Prey, Montgomery Ward, Bites Back. In: Electrical Merchandising Week, 11. März, 1968, S. 3; FTC Hits Sears on Bait-and-Switch. In: Electrical Merchandising Week, 15. Juli, 1974, S. 3; Retailers See Little Fallout from Sears-FTC Hassle. In: Electrical Merchandising Week, 22. Juli, 1974, S. 3. 127 FTC Hits Sears on Bait-and-Switch. In: Electrical Merchandising Week, 15. Juli, 1974, S. 3.
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„In many instances the consumer, who wouldn’t know bait-and-switch from a hole in the wall is likely to attack the first salesman who tries to step her up (a perfectly legitimate practice) and cut him to ribbons with a snide and knowing ,you wouldn’t be trying to bait-and-switch me buddy, would you?’”128 Die Facheinzelhändler, die sich zuvor an die Federal Trade Commission gewandt hatten, kritisierten sie nun wegen ihres Vorgehens. Die Verfolgung von Lockvogelmethoden sei ein unnötiger Eingriff in ihren Markt.129 Insofern war die „fundamentale Konfrontation“ zwischen Händlern und Konsumenten in den USA weder statisch noch außerhalb ihres sozialen Kontextes denkbar. Der Wandel des Fernsehgerätes als Konsumobjekt bewirkte eine Neudefinition der Ansprüche und eine Anpassung der Verhaltensweisen. Mit dem Hinweis auf einen verschärften Preiswettbewerb auf Seite der Händler und einer erhöhten Preissensibilität auf Seite der Konsumenten wäre diese Anpassung nur unzureichend beschrieben. Es handelte sich vielmehr um einen wechselseitigen Lernprozess, der historisch nicht determiniert war. Das Ende des Preislistensystems eröffnete neue Spielräume, die auf kreative Weise von den Händlern genutzt wurden. Mit der Wahrnehmung von Konsumenten, die sich vor der Konfrontation mit Informationen bewaffneten, ging auf Seite der Händler die Preispolitik einer gezielten Desinformation einher. Die Informationsasymmetrie war daher nicht strukturell vorgegeben, sondern Folge des Verhaltens der Akteure. Die Federal Trade Commission nahm dies durchaus wahr. Sie reagierte aber zunächst mit dem Versuch einer Regulierung der Preiswerbung, die sich an einem nicht länger haltbaren Standard des Preises als Informationsquelle orientierte. Die Verlagerung des Preisbildungsprozesses auf die Ebene der einzelnen Händler hatte diese Vorstellung obsolet gemacht. Auch hier setzte ein Lernprozess ein, der erst in der konkreten Auseinandersetzung mit den Händlern und der Durchführung von Prozessen erfolgen konnte. Während die Konsumenten aus Sicht der Federal Trade Commission unscharf blieben, traten die Händler mit konkreten Forderungen an die Behörde heran. Hier zeigte sich, dass die für das Funktionieren eines Marktes notwendige Balance zwischen Freiheit und Eingriff von den betroffenen Akteuren völlig unterschiedlich ausgelegt wurde. Als grundlegendes Ergebnis der 1960er Jahre lässt sich allerdings festhalten, dass die Flexibilisierung der
128 Neretin, Aaron: Fish or Cut Bait. In: Electrical Merchandising Week, 29. Juli, 1974, S. 4. 129 Siehe allgemein zur (periodisch) kritischen Einstellung der Händler zur Federal Trade Commission: New Worry for the Trade. The Government Steps Into the Picture. In: Electrical Merchandising, Dezember 1956, S. 97; Federal Government Officials Reflect Industry Concern of „Legislative Overkill“. In: Electrical Merchandising Week, 1. Juli, 1968, S. 10. Retail Opinion File: „Get Government off Our Backs“. In: Merchandising Week, Oktober 1977, S. 34.
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Preise – ob als Ergebnis von „bargaining“ oder als „Bargain“ – letztlich von allen Seiten anerkannt wurde und nicht länger als schwerwiegendes Regulierungsproblem erkannt wurde. Die Gefahr einer Benachteiligung der unbedarfteren und verhandlungsschwächeren Konsumenten wurde in den 1960er Jahren weniger durch die Tätigkeit der Federal Trade Commission als durch das Sinken der Preise abgemildert. Die Umorientierung der Behörde auf andere Bereiche des Konsumentenschutzes war daher eine konsequente, wenn auch verspätete Folge der Durchsetzung der Massenkonsumgesellschaft.
7.2 Konsumenten und Händler in der BRD 7.2.1 Interaktionen, Verbraucherbilder und staatliche Institutionen Das wichtigste Gesetz, das in der Bundesrepublik zwischen den 1950er und 1980er Jahren die Verkaufs- und Wettbewerbspraktiken der Einzelhändler und das Verhältnis zu ihren Kunden regelte, war das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Das Gesetz wurde 1896 als „Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs“ verabschiedet. Es hat bis heute Gültigkeit, wurde aber zwischenzeitlich mehrfach novelliert.130 Die bis Ende des zwanzigsten Jahrhunderts folgenreichste Veränderung war die Einführung einer sogenannten „Generalklausel“ im Jahr 1909. Sie verbot jedes Verhalten, das gegen die „guten Sitten“ verstieß. Außerdem untersagte das Gesetz jede Angabe gegenüber potentiellen Abnehmern, die als „irreführend“ (§ 3) gelten konnten. Die Generalklauseln statteten die deutschen Richter mit einem großen Spielraum aus. Das deutsche Wettbewerbsgesetz war eine „weitgehende Ersetzung des Gesetzgebers durch den Richter“131, die Definition „unlauterer“ oder „irreführender“ Praktiken zeitgebundene Auslegungssache der Richter. Im Gesetz wurde die Wandelbarkeit der
130 Die grundlegendste Neuerung in den letzten Jahren war die UWG-Novelle von 2004, die als europarechtskonforme Modernisierung interpretiert wird. Siehe: Beater, Axel (2011): Unlauterer Wettbewerb. Tübingen, S. 137–139. 131 Droste, Karl: Die Generalklausel des § 1 UWG und das Richterrecht. In: Der Betrieb (21), 1963, S. 719–725. Hier S. 720. Siehe auch: Hefermehl, Wolfgang (1990): Wettbewerbsrecht. Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Zugabeverordnung, Rabattgesetz und Nebengesetze. 16. Aufl. München, S. 101. In der Wirtschaftsgeschichte ist die Bedeutung der Rechtsprechung als Praxis bisher nicht systematisch behandelt worden. Am meisten Beachtung hat die aktive Rolle der Richter im Kontext der Hyperinflation und ihrer Folgen gefunden. Siehe: Rückert, Joachim (1994): Richtertum als Organ des Rechtsgeistes. Die Weimarer Erfüllung einer alten Versuchung. In: Knut Wolfgang Nörr, Bertram Schefold und Friedrich Tenbruck (Hg.): Geisteswissenschaften zwischen
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Wirtschaft damit anerkannt. Die Richter konnten ihre Urteile nicht deduktiv aus dem Gesetzestext erschließen.132 Anders als das Bundeskartellamt beim Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen steht hinter dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb keine Behörde, deren primäres Ziel die Durchsetzung des Gesetzes ist. Mit seiner Verabschiedung wurden vielmehr Unternehmen, Interessenverbände und sogenannte „Vereine zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs“ mit einer Klagebefugnis ausgestattet. Die traditionellen Einzelhändler, bzw. die sie vor Gericht vertretenden Verbände, nutzten das Gesetz, um ihre eigenen Interessen geltend zu machen. Die Industrie- und Handelskammer Osnabrück beispielsweise forderte die eigenen Mitglieder in ihren 1967 verfassten Richtlinien über das Wettbewerbsverhalten in der Absatzwirtschaft auf, „im geschäftlichen Verkehr mit besonderer Sorgfalt auf die Wahrung von Anstand und Sitte des ehrbaren Kaufmanns“133 zu achten. Wie der Rundfunk-Fernseh-Großhandel, der die Richtlinien im Wortlaut abdruckte, freimütig angab, hoffte die Industrie- und Handelskammer, „daß damit auch den Gerichten eine Grundlage für deren Entscheidungen gegeben werden kann“134. Der Streit um Begrifflichkeiten war ein wesentliches Element der auf Basis des Gesetzes gegen den Unlauteren Wettbewerb geführten Auseinandersetzungen. Fernsehgerätehändler wurden erfolgreich verklagt, die sich in ihrer Werbung als „Super-Markt“ bezeichneten, „Luxus-Geräte“ verkauften oder die Fernsehgeräte zurückliegender Produktionsserien mit dem Hinweis „alle Geräte neueste Modelle“ bezeichneten.135 Auch Händler, die mit hochtrabenden Ausdrücken wie
Kaiserreich und Republik. Zur Entwicklung von Nationalökonomie, Rechtswissenschaft und Sozialwissenschaft im 20. Jahrhundert. Stuttgart, S. 267–313. 132 Karl Droste zufolge habe die Reichsregierung bei der Beratung über die Einführung des UWG Bedenken gegen eine Generalklausel angemeldet, „weil der deutsche Richter im Gegensatz zum französischen für Wirtschaftsrechtsfragen zu deduktiv zu urteilen pflege“, weshalb ein enger Kontakt zwischen Gerichten und Wirtschaft notwendig sei. Droste, Karl: Rechtsprobleme des „Direktverkaufs“. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, August 1963, S. 253–262. Siehe auch Spiekermann, Basis, S. 430–431 u. 438–439. 133 Entartung des Wettbewerbs verhindern. Richtlinien über das Wettbewerbsverhalten in der Absatzwirtschaft. In: Radio-Fernseh-Händler, Juli 1967, S. 246. 134 Ebd. 135 Siehe: Kurz berichtet. In: Der Wettbewerb, Mai 1965, S. 26 und Super-Markt – Luxus-Geräte. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Februar 1964, S. 57–58. Den Begriff „Super-Markt“ wertete das Gericht als noch ungeklärten Begriff. „In neuester Zeit“ würden allerdings „nach amerikanischem Vorbild große – zumeist auf die Lebensmittel-Branche beschränkte – Einkaufszentren von erheblicher räumlicher Ausdehnung“ in der Presse so bezeichnet.
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„Preiskillern“ und „Bombenpreisen“ warben, fanden sich vor Gericht wieder.136 Entscheidend war bei der Beurteilung nicht allein die „objektive Richtigkeit“ der Angabe, was bei „Bombenpreisen“ ohnehin schwer zu beurteilen war, sondern die sogenannte „Verkehrsauffassung“ des breiten Publikums.137 Die Botschaft musste von den Richtern dahingehend bewertet werden, welchen subjektiven Eindruck sie beim Publikum hervorrief. Weil die Richter die Informationsverarbeitung der Konsumenten nicht im Einzelnen nachvollziehen konnten, mussten sie sich auf ihre „Lebenserfahrung“ oder demoskopische Gutachten stützen.138 In den vor Gericht ausgetragenen Konflikten zeigte sich die Bedeutung abstrakter Verbraucherbilder.139 Die Vorstellung des Konsumenten definierte die Grenze, nach denen die Zulässigkeit unternehmerischer Verkaufsstrategien bewertet wurde.140 Verbraucherumfragen, wie sie im großen Stil von den Meinungsforschern des Instituts für Demoskopie Allensbach durchgeführt wurden, waren vor diesem Hintergrund mehr als empirische Erkenntnisquellen. Elisabeth Noelle-Neumann versuchte aktiv, die Demoskopie als zentralen Bestandteil der Rechtspraxis zu etablieren.141 Verbrauchern und Verbraucherverbänden wurde erst 1965 die Möglichkeit eingeräumt, selbständig gegen Verstöße des Gesetzes gegen den Unlauteren Wett-
136 Siehe: „S. hat den Preiskiller – Sonst keiner“. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Juni 1971, S. 277–279 und Irreführung durch hochtrabende Bezeichnungen. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Januar 1972, S. 42–45. 137 Brose, Claus-Detlev: Lockvogelangebot oder zulässiges Sonderangebot mit bekannten Markenartikeln im Wandel der Verkaufs- und Werbemethoden in Handel und Industrie und der Veränderung des Verbraucherbewußtseins. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, November 1978, S. 770–773. Hier S. 770. „Objektiv“ war die Beurteilung bezüglich der Frage, ob eine bestimmte Werbung „zur Irreführung geeignet“ war. Siehe: Aus der Arbeit des Kölner Vereins gegen Unwesen in Handel und Gewerbe. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Mai 1971, S. 123–125. 138 Brose, Claus-Detlev: Lockvogelangebot oder zulässiges Sonderangebot mit bekannten Markenartikeln im Wandel der Verkaufs- und Werbemethoden in Handel und Industrie und der Veränderung des Verbraucherbewußtseins. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, November 1978, S. 770–773. Hier S. 770. 139 Trumbull betont allgemein die zentrale Rolle von Verbraucherbildern. „At the heart of the politics of consumer protection was a contest over ideas.“ Trumbull, Consumer Capitalism, S: 15. 140 Sosnitza, Wettbewerbsbeschränkungen, S. 181. 141 Siehe: Droste, Karl: Die Umfrage als notwendige Erkenntnisquelle unlauteren Wettbewerbs. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Oktober 1966, S. 323–330. Hier S. 330 und Noelle-Neumann, Elisabeth (1961): Umfrageforschung in der Rechtspraxis. Weinheim. Eine kürzere Zusammenfassung in: Noelle-Neumann, Elisabeth: Umfrageforschung in der Rechtspraxis. In: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, März 1958, S. 119.
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bewerb vor Gericht zu ziehen.142 Das erklärt zu einem gewissen Grad die „nachrangige Rolle“143, die eigenständige Verbraucherinteressen in der Bundesrepublik bis in die 1970er Jahre gespielt haben. Die Exklusion der Verbraucherverbände zeigt die ursprüngliche Ausrichtung des Gesetzes auf die Interessen von Herstellern und Händlern. Das Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb war kein genuin verbraucherschutzpolitisches Instrument. Trotzdem lässt sich das Gesetz im komplexen Feld von Verbraucherschutz und -politik verorten. Der Schutz der Konsumenten vor Übervorteilung und Betrug war zunächst ein Nebeneffekt der Sicherstellung „fairer“ Wettbewerbsbedingungen zwischen den Einzelhändlern. Ein Einzelhändler sollte sich durch unlautere Methoden, die zu Lasten des Konsumenten gingen, keinen Wettbewerbsvorteil verschaffen können. Der „Schutz des Verbrauchers“ blieb aber auch ein Argument, das streitende Parteien mit völlig gegensätzlichen Positionen gleichermaßen bemühen konnten.144 Neben dem Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb regelte eine Reihe von einzelnen Gesetzen den Handlungsspielraum der Akteure. Preispolitisch relevant waren vor allem das Rabattgesetz und die Preisauszeichnungsverordnung. Das Rabattgesetz war 1933 beschlossen worden.145 Es untersagte Preisnachlässe von mehr als drei Prozent auf die angeschlagenen Preise. Die Motivation für das Gesetz war in erster Linie mittelstandspolitischer Natur gewesen.146 Die Preis-
142 Wirth, Gerhard (1976): Die Klagebefugnis der Verbraucherverbände in § 13 Ia UWG. Mannheim Univ., Diss.; Pastor, Wilhelm L.:, Die UWG-Reform und der Mißbrauch der Verbandsklagebefugnis aus § 13 UWG. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, April 1978, S. 245–254. Hier S. 251. Siehe auch: Scherf, Dieter: Wettbewerbliche Unterlassungsverfügung als „Hauptsache“? In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Oktober 1969, S. 393–398; Borck, Hans-Günther: Klagebefugnis für Verbraucherverbände. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, September 1965, S. 319–323; Falckenstein, Roland von: Verbraucherverbandsklage, Schädigungen der Konsumenten und UWG-Novelle. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, April 1978, S. 502–513. Zur ursprünglichen Stoßrichtung, siehe: Spiekermann, Basis, S. 441. 143 König, Wolfgang (2008): Die siebziger Jahre als konsumgeschichtliche Wende in der Bundesrepublik. In: Konrad H. Jarausch (Hg.): Das Ende der Zuversicht? Die siebziger Jahre als Geschichte. Göttingen, S. 84–99. Hier S. 94. 144 Typisch ist beispielsweise Rabattgesetz. Einzelhandel kontra Kartellamt. In: Radio-FernsehHändler, Mai 1974, S. 130. Für den Versuch einer historisch umfassenden Einordnung des legalen Status von Konsumenten, siehe: Everson, Michelle (2006): Legal Constructions of the Consumer. In: Frank Trentmann (Hg.): The Making of the Consumer. Knowledge, power and identity in the modern world. Oxford, S. 99–121. 145 Johannson, Jürgen (1977): Rabattgesetz und Einzelhandel. Eine Darstellung der Systematik und der Wirkungen des Gesetzes über Preisnachlässe vom 25. 11. 1933. München, Univ., Diss. 146 Seit dem neunzehnten Jahrhundert hatte sich im traditionellen Einzelhandel Kritik an der Praxis der Rabattgewährung etabliert. Die Einzelhändler sahen in den Preisnachlässen einen ruinösen Wettbewerb. Anfang der 1930er Jahre traf die etablierte Kritik auf politisch günstige
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auszeichnungsverordnung verpflichtete die Einzelhändler dazu, die von ihnen geforderten Preise eindeutig kenntlich zu machen. Die Verordnung hatte Vorläufer in den 1920er und 1930er Jahren, wurde aber erst 1940 reichsweit einheitlich geregelt.147 Im Dritten Reich diente sie in erster Linie der Preiskontrolle. Sie sollte dabei helfen, den seit 1936 allgemein verhängten Preisstopp effektiver zu überprüfen. Sowohl Rabattgesetz als auch Preisauszeichnungsverordnung behielten nach 1945 ihre Gültigkeit. Sie wurden als Elemente der „Sozialen Marktwirtschaft“ neu interpretiert. Das Rabattgesetz wurde vom Bundesgerichtshof in seiner Rechtsprechung im Sinne des „Leistungswettbewerbs“ und als verbraucherschutzpolitisches Instrument gesehen.148 Es sicherte eine für alle Verbraucher gleiche Verhandlungsposition und untersagte den Einzelhändlern, ihre Preise nur gegenüber verhandlungsstarken Kunden zu senken. Ordnungsstrafen von bis zu 10.000 D-Mark je Einzelfall waren hier möglich.149 Während das Rabattgesetz im traditionellen Einzelhandel noch lange Unterstützung erhielt, forderten die Verbraucherverbände schon früh seine Abschaffung.150 Auch die Preisauszeichnungsverordnung wurde nach 1945 als „wesensgemäßes Element“151 der auf dem Wettbewerb beruhenden Marktordnung beibehalten. Sie bilde, so der Verfasser einer Studie zum deutschen Preisrecht, das „notwendige Gegenstück“152 zu der nach der Währungsreform vorgenommenen Preisfreigabe. Mit dem Rabattgesetz zusammen sollte die Preisauszeichnungsver-
Umstände. Die NSDAP hatte den Schutz des bedrohten „Mittelstands“ in der Weltwirtschaftskrise politisch instrumentalisiert. Die Deflation lieferte ein weiteres Argument dafür, den „Preisverfall“ zu stoppen. Siehe ebd. Zur gut erforschten NS-Mittelstandspolitik siehe: Saldern, Adelheid von (1979): Mittelstand im „Dritten Reich“. Handwerker, Einzelhändler, Bauern. Frankfurt am Main und Spiekermann, Uwe (2000): Rationalisierung, Leistungssteigerung und „Gesundung“. Der Handel in Deutschland zwischen den Weltkriegen. In: Michael Haverkamp (Hg.): Unterm Strich. Von der Winkelkrämerei zum E-Commerce. Bramsche, S. 191–210. 147 Stiegler, Hans (1962): Preisauszeichnung in der Marktwirtschaft. Ein Handbuch für die Praxis. Berlin, S. 10. 148 Kritisch dazu und mit den entsprechenden Quellenbelegen: Sosnitza, Olaf (1995): Wettbewerbsbeschränkungen durch die Rechtsprechung. Erscheinungsformen und Ursachen auf dem Gebiet des Lauterkeitsrechts. Baden-Baden, S. 142–143. 149 Feilschen im Fachhandel. Todsünden des König Kunden. In: Funk-Fachhändler, April 1980, S. 46; Whincup, Consumer Protection, S. 37. 150 Kisseler, Marcel: Ist das Rabattgesetz noch zeitgemäß? In: Wettbewerb in Recht und Praxis, März 1975, S. 129–132. Hier S. 129. 151 Häberlein, Ludwig: Käufergerechte neue Preisauszeichnungsbestimmungen. In: DiscountInformationen, November/Dezember 1969, S. 5–6. 152 Ebisch, Hellmuth (1965): Grundlagen des Preisrechts und Vorschriften allgemeinen Inhalts. Köln, S. 51.
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ordnung eine institutionelle Grundlage für „Preiswahrheit“ und „Preisklarheit“ in der Bundesrepublik schaffen. Diese beiden Ziele sollten einen einfachen Preisvergleich sicherstellen und dadurch ein Grundprinzip der Marktwirtschaft garantieren. Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Rabattgesetz und Preisauszeichnungsverordnung lassen sich folglich als institutionelle Sicherungen eines funktionsfähigen Marktes verstehen: der Zugang zu glaubhaften Informationen und die Sicherstellung von Transparenz erlaubten einen funktionierenden Wettbewerb, setzten allerdings auch das Bild eines entscheidungsfähigen und aufgeklärten Konsumenten voraus.153 Aus Sicht der deutschen Einzelhändler traf dieses einheitliche Bild des Verbrauchers nur bedingt zu. In den Fachzeitschriften findet sich dagegen der Versuch einer Systematisierung unterschiedlicher Verhaltensweisen, die als praxisorientierter Mittelweg zwischen der Fiktion eines Normalverkäufers und den vielen individuellen, nicht berechenbaren Verhaltensweisen der Kunden verstanden werden kann.154 Von Erich Katona (dessen Ausführungen zum amerikanischen Verbraucher im Radio-Fernseh-Händler fraglos übernommen wurden) bis Ernst Korff spannte sich ein polares Feld von rationalen und irrationalen Kundentypologien, die nach Meinung des Radio-Fernseh-Händlers Auswirkungen auf das Verkaufsgespräch haben sollten.155 Wer die Ausführungen Korffs studiert hatte, wusste: Der Mensch, der „gemessen-ernst“ eintritt, zuweilen etwas verkrampft wirkt und seine Wünsche knapp und möglichst präzise äußert, „wünscht keine Verkaufsplauderei.“156 Andere Autoren diskutierten die Unterschiede zwischen Mann und Frau beim Kauf von Unterhaltungselektronik und bemühten dafür den Stereotyp der auf dem Wochenmarkt einkaufenden Hausfrau. Die Frau vergleiche gerne Angebote und wechsle daher leichter das Geschäft. Sie lasse sich mehr Zeit, wähle langsam
153 Trumbull, Gunnar (2006): National Varieties of Consumerism. In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (1), S. 77–93. Hier. S. 80. Siehe auch: Schöppe, Günter; Hudson, Michael (1983): Consumer Protection by Law and Information. A view of Western German practice and experience. In: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 139 (3), S. 545–567. 154 Moeller-Herrmann, Klaus Jürgen (1968): Die Möglichkeiten der Preispolitik im Einzelhandel. Köln, S. 109 u. 114. 155 Verkäuferschulung. Wie werden Erstkäufer zu Stammkunden? In: Radio-Fernseh-Händler, April 1973, S. 106; Psychologie des Kunden. Studieren Sie die Typologie der Käufer! In: RadioFernseh-Händler, April 1973, S. 70. Siehe auch: Korff, Ernst (1965): Betriebspsychologisches Taschenbuch für Vorgesetzte. ABC der Menschenführung. Heidelberg und Katona, George (1962): Die Macht des Verbrauchers. Düsseldorf [Übersetzung aus dem Amerikanischen]. 156 Verkäuferschulung. Wie werden Erstkäufer zu Stammkunden? In: Radio-Fernseh-Händler, April 1973, S. 106.
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und bedächtig und wisse Preisvorteile zu schätzen.157 Wie eine „Image-Studie“ Mitte der 1960er Jahre ermittelte, versetzte der besonders günstige Einkauf gerade die jüngeren, nicht berufstätigen Hausfrauen in die Lage, „ihre hausfraulichen Fähigkeiten“ beweisen zu können. „Sie verbinden damit die Vorstellung, daß sie durch preiswerten Einkauf sogar ,Geld verdienen können‘.“158 Trotz ihres Wunsches nach großer Auswahl und individueller Beratung habe die Frau für technische Dinge aber meist nur geringes Interesse. Besondere technische Einzelheiten sollten daher beim Kauf etwa eines Radiogerätes nicht erwähnt werden. Hinweise auf die moderne Form, das neuartige Gehäuse, praktische Druckknöpfe oder auch darauf, daß sich kein Staub ansammeln kann, wisse die Frau dagegen zu schätzen.159 Kundentypologien differenzierten weiter in schweigsame, schüchterne, schwerfällige, unsichere, misstrauische, nervöse, anspruchsvolle, rücksichtlose, geizige und entschlossene Kunden. Es gab an einer „heiteren Grundstimmung“ erkennbare freundliche Kunden, die eine zuvorkommende Beratung erwarteten, die auch dann beibehalten werden sollte, „wenn sich die Freundlichkeit nur als Mittel […] zur Erlangung eines Rabattes, erweisen sollte“. Es gab redselige Kunden, die in das Kaufgespräch Reiseberichte oder Krankheitsschilderungen einflochten, um den Kauf eines Fernsehgerätes zu begründen. Diesen Kunden sollte man nicht wiedersprechen, um das Verkaufsgespräch nicht unnötig zu verlängern. Es gab die unfreundlichen Kunden, die mit „laute(m) Organ“ und einem „von oben herabblickenden Wesen“160 ausgestattet waren. Es gab auch „verbitterte oder gar bösartige Kunden“, für deren Befriedigung ein spezialisierter Verkäufer in einem Fall sogar 30 Prozent mehr Gehalt erhielt.161
157 Schreiber, Rolf: Das Verkaufsgespräch. Eine Typologie der Kunden. In: Radio-FernsehHändler, Mai 1971, S. 124. 158 Die Einstellung des Verbrauchers zum Einzelhandel – Ergebnisse einer Image-Studie. In: Radio-Fernseh-Händler, Mai 1965, S. 186. Siehe auch: Wolff, Janet L.; Martin, George S. (1959): Kaufen Frauen mit Verstand? Ein Leitfaden zum Verständnis der Frau von heute und zur Beeinflussung ihrer Kaufwünsche. Düsseldorf [Übersetzung aus dem Amerikanischen]. 159 Schreiber, Rolf: Das Verkaufsgespräch. Eine Typologie der Kunden. In: Radio-FernsehHändler, Mai 1971, S. 124. 160 Ebd. 161 Verkaufspsychologie. Ein Spezialist besonderer Art. In: Radio-Fernseh-Händler, September 1974, S. 270.
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7.2.2 Preisvergleiche, Preispolitik und Preisverhandlungen Für den Verkauf von Fernsehgeräten war der geschulte Umgang mit den Kunden sehr wichtig. Aus Sicht der Facheinzelhändler waren Fernsehgeräte vergleichsweise langsam umsetzbare und service-intensive Handelsgüter, die sich nur bei hoch angesetzten Spannen profitabel vertreiben ließen. Das Entlohnungssystem im deutschen Facheinzelhandel setzte wenig Anreize individueller Absatzbemühungen seitens der Verkäufer. Akkordlöhne und ähnliche Formen eines „Leistungslohnes“ gab es kaum. Mit zunehmender Vollbeschäftigung im Laufe der 1960er Jahre diskutierte der Radio-Fernseh-Händler zwar auch die Vorteile einer solchen Entlohnung. Die Ausführungen zeigten aber eine eindeutige Zurückhaltung. Die Arbeitsleistung könne nur insoweit zum Maßstab der Entlohnung gemacht werden, „wie sie allein von dem Beschäftigten abhängt“. Eine genaue Messung der Arbeitsleistung sei nicht möglich, weshalb reine Leistungslohnsysteme im Handel kaum anwendbar seien.162 Diese Einschätzung ist in vergleichender Perspektive bemerkenswert, da in den Vereinigten Staaten eben dieses System ja die Regel war. Idealtypisch stellten sich Fragen einzelhändlerischer Preispolitik und Preisverhandlungen in den 1950er Jahren nicht. Die meisten Fernsehgeräte waren preisgebunden und damit nicht Gegenstand von Preisverhandlungen. Das entsprach auch dem Selbstverständnis der Fernsehgerätehändler. Das Feilschen um Preise galt dem Kolumnisten des Radio-Fernseh-Händlers als eine der deutschen Wettbewerbskultur fremde Sitte. Sie sei eine dem Orient verhaftete Praxis, wo die Händler anders als in Deutschland gelernt hätten, trotzdem Gewinne zu machen.163 Dazu kam, dass es den Einzelhändlern aufgrund des Rabattgesetzes verboten war, ihre Preise in individuellen Preisverhandlungen zu senken. Den Rat der Konsumvereine, ungeachtet des Systems der Preisbindung und des Rabattgesetzes hart zu verhandeln, kommentierte ein Autor im Radio-FernsehHändler mit der Bemerkung, die Konsumvereine verleiteten ihre Mitglieder dazu, „die Vorschriften des Gesetzgebers zu übertreten“164. Die Facheinzelhändler erkannten den Grundsatz von „Preisklarheit“ und „Preiswahrheit“ im Prinzip an. Vor dem Hintergrund der ohnehin nicht vorgesehenen Preisunterschiede ein- und desselben Modells interpretierten sie den
162 Auch im Handel bewährt sich der Leistungslohn. In: Radio-Fernseh-Händler, Januar 1965, S. 17. 163 Ihr sollt nicht schachern, sondern handeln! In: Radio-Fernseh-Händler, September 1957, S. 380. 164 Ebd., S. 381.
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ausgezeichneten Preis aber weniger als eine notwendige Vergleichsgrundlage. Sie sahen darin vielmehr einen sichtbaren Ausdruck des „Wertes“ der Geräte. Der Käufer solle wissen, „was er für sein Geld bekommt – und wie hoch der Gebrauchswert bei den Waren ist, die er wegen ihrer technischen Kompliziertheit nicht selbst beurteilen kann.“165 Der Preis markierte einen objektiven Gradmesser der Qualität. Die Qualität wurde aus den Herstellungskosten und den verwendeten Bauteilen abgeleitet. Der Preis sollte sichtbar machen, was dem Kunden verborgen blieb. Drei gleich großen Tischfernsehern etwa, so führte der RadioFernseh-Händler aus, könne kein Konsument ansehen, ob das Gerät ein Standard- oder ein Luxuschassis enthalte. „Irgendwo kostet die aufwendigere Technik Geld und muß sich also im Preis niederschlagen.“166 Die Fachhändler konnten mit der Vorstellung wenig anfangen, dass Preise auch eine Frage der subjektiven Nachfrage sein könnten. Dass es möglich wäre, ein in der Herstellung teures Gerät zu einem günstigeren Preis zu verkaufen als ein vielgefragtes und daher knappes, in der Herstellung aber günstigeres Modell, kam ihnen nicht in den Sinn. Eine subjektive Dimension erkannten sie lediglich darin, dass der Preis ein für die Konsumenten entscheidendes Bewertungskriterium darstellte. Man tue dem Kunden daher, behauptete der Radio-FernsehHändler, mit einem zu niedrigen Verkaufspreis durchaus keinen Gefallen, „weil man ihm die Freude an dem Apparat nimmt – und das Vertrauen in seine Leistung herabsetzt.“167 Die Vorstellung der Vorteilhaftigkeit stabiler, durch objektive Kriterien definierter und rechtlich im Rahmen der Preisbindung geschützter Preise teilten nicht alle Händler. Die gefeierten „Preisbrecher“ etwa gingen das Risiko hoher Strafzahlungen bewusst ein, zumal sie ihren Ansatz, die Preisbindung zu unterwandern, öffentlich machten. „Preisbrecher“ zu sein war ein Image, das auch von der Berichterstattung der öffentlichen Medien lebte.168 Für die „Preisbrecher“ war der Rechtsbruch daher Teil des Geschäftsmodells. Es hob sie von den anderen Handelsformen ab. In gewisser Weise war die rechtliche Grenzüberschreitung sogar rechtlich geschützt. Das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 21. Dezember 1961, das einem Händler die Bezeichnung als „Preisbrecher“ untersagte, hatte dies gezeigt.
165 Marktpflege und Preisklarheit. In: Radio-Fernseh-Händler, März 1961, S. 92. Siehe auch: Moeller-Herrmann, Möglichkeiten, S. 291. 166 Marktpflege und Preisklarheit. In: Radio-Fernseh-Händler, März 1961, S. 92. 167 Man sollte nie unter dem Wert verkaufen – der Kluge fragt nicht, was etwas kostet, sondern was es wert ist. In: Radio-Fernseh-Händler, November 1964, S. 418. 168 „Preisbrecher“ auf Schleichwegen. In: Radio-Fernseh-Händler, Juni 1965, S. 224.
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Besondere Beachtung der Medien erhielt Ende der 1950er Jahre der Bonner Kaufmann Bernhard Lepkes. Lepkes verkaufte seine Fernsehgeräte trotz Preisbindung weit unter den Preisen der Konkurrenz. Als „erstes Discounthaus“ versuchte er, „den Rundfunk- und Fernsehgeräte-Handel zu revolutionieren“169. Rückhalt erhielten „Preisbrecher“ wie Lepkes von liberalen Ökonomen und den Verbraucherverbänden, die sich seit den 1950er Jahren vehement gegen das Institut der Preisbindung aussprachen.170 Andere Händler waren vorsichtiger als die bekannten „Preisbrecher“, die in der Einzelhandelsszene „verrufen“171 waren. Sie brachen erst im Zuge des durch Lagerbestände wachsenden Preisdrucks öffentlich mit den eingegangenen Verträgen. Im Herbst 1959 beispielsweise probte eine Gruppe Düsseldorfer Einzelhändler den Aufstand und senkte die Preise ihrer preisgebundenen Fernsehgeräte. Der „Düsseldorfer Preiskrieg“ erlangte eine solche Dramatik, dass der Leiter der Pressestelle im ZVEI den Herstellern der Fernsehgeräteindustrie „arbeitstäglich“172 eine Übersicht der Geschehnisse erstattete. Fast alle überregionalen Tageszeitungen berichteten.173 Einzelne Händler wie das Warenhaus Hertie stellten den Herstellern ein Ultimatum. Sollte es ihnen nicht gelingen, „bis Ablauf des 2.10.59 […] die Preisbindung lückenlos wieder herzustellen“174 werde man sich nicht länger an die Preisbindungsbestimmungen gebunden fühlen. Die Industrie traf sofort „Gegenmaßnahmen“, verhängte Liefersperren und erwirkte
169 Das erste Discounthaus im Bundesgebiet. Bernhard Lepkes versucht den Rundfunk- und Fernsehgeräte-Handel zu „revolutionieren“. In: Fernseh-Informationen, Juni 1958, S. 367–369. Dem Spiegel war 1960 selbst ein Waschmaschinenkauf Konrad Adenauers eine Kurzmeldung wert gewesen. Siehe: Personalien. Konrad Adenauer. In: Der Spiegel, 6. Januar, 1960, S. 78. Siehe auch: Reindl, Wachstum, S. 240. 170 Siehe bspw. Preisbindung mit Verbraucher-Augen gesehen. In: Radio-Fernseh-Händler, Juli 1960, S. 276; Bidlingmaier, Discount Houses; Preisbindung als Fremdkörper. Wer oder was wird geschützt im GWB? In: Verbraucherpolitische Korrespondenz, 25. März, 1968, S. 2–3; Preisbindung kostet die Verbraucher jährlich 3 Mrd. DM! In: Verbraucherpolitische Korrespondenz, 5. Januar, 1969, S. 2–5. Zur AgV allgemein: Gasteiger, Der Konsument, S. 58–66. 171 Bericht (v. Dellinghausen). Betr.: GS Düsseldorf. 8. Mai, 1962. In: DTMB/AEG, GS 2000. 172 Alfred Sanio an Verteiler. Hamburg, den 30. September, 1959 [ohne Betreff]. In: DTMB/AEG, GS 2817. 173 Siehe auch die Kurzmitteilungen der Philips-Pressestelle. In: DTMB/AEG GS 2817. 174 Hertiezentrale an Telefunken Geschäftsleitung (Telegramm). 25. September, 1959 [ohne Betreff]. In: DTMB/AEG, GS 2190.
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einstweilige Verfügungen.175 Ende September wurde die Beendigung des Krieges erklärt, die dem Handelsblatt eine Meldung auf der Titelseite wert war.176 Die Aufhebung der Preisbindung, die mit dem Ende des „Fernsehkartells“ einherging, änderte nichts an dem Wertverständnis der Facheinzelhändler, umso mehr aber an ihrer preispolitischen Situation.177 „Seitdem es keine festgelegten Listenpreise der Industrie mehr gibt und an jedem Platz andere Verkaufspreise im sogenannten ,freien Spiel der Kräfte‘ entstehen, scheint […] alles ganz anders als früher geworden zu sein“178, stellte der Radio-Fernseh-Händler im Jahr 1963 fest. Die Zeitschrift war sich bewusst, dass die Aufhebung der Preisbindung die Rolle des Handels als eigenständigem preispolitischen Akteur neu definierte. Bei einer Untersuchung in 80 verschiedenen Geschäften an 40 verschiedenen Orten stellte die Verbraucherpolitische Korrespondenz Ende der 1960er Jahre fest, dass sich allein die Preise der tragbaren Fernsehgeräte mittlerweile bis zu 43 Prozent voneinander unterschieden.179 Ohne Einschränkung durch die Preisbindung stand den Einzelhändlern ein breites Instrumentarium an möglichen preispolitischen Strategien zur Verfügung. Vergleichsweise einfache Formen des „Kostenpreises“ bildeten den zeitgenössischen Lehrbüchern zu Folge die eine Option. Diese Strategie basierte in ihrer einfachsten Variante auf artikelbasierten, prozentualen Preisaufschlägen. Möglich war aber auch die Ableitung der Preiskalkulation aus den totalen oder variablen Durchschnittskosten des Einzelhändlers.180 Absatzorientierte „Marktpreise“ waren die theoretische Alternative. Hier sollte „allein der Markt“181, wie der Betriebswirt Klaus J. Moeller-Herrmann schrieb, die Höhe des Preises bestim-
175 Schreiben Hoffmann (GS Düsseldorf). Betr.: Unterrichtung über Preisbindung. 29. September, 1959. In: DTMB/AEG, GS 2190. 176 Handelsblatt am 30.9.1959 laut Philips-Pressestelle. Siehe: Kurzmitteilungen Nr. 76/59. Hamburg, den 30. September, 1959. In: DTMB/AEG GS 2817. 177 Man sollte nie unter dem Wert verkaufen – der Kluge fragt nicht, was etwas kostet, sondern was es wert ist. In: Radio-Fernseh-Händler, November 1964, S. 418. 178 Lockvögel werden zu Pleitegeiern. In: Radio-Fernseh-Händler, Mai 1963, S. 196. 179 Preisvergleich hilft sparen. Erhebliche Preisunterschiede auch bei Heimbüglern, Kühlschränken und Fernsehgeräten. In: Verbraucherpolitische Korrespondenz, 25. Februar, 1968, S. 2–3. 180 Moeller-Herrmann, Möglichkeiten, S. 219–228; Hoppmann, Erich (1952): Preisbildung, Kosten und Handelsspanne im Einzelhandel. In: Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung 4, S. 340–372; Ruberg, Karl (1949): Kostenprinzip und Wertprinzip bei der Kalkulation im Einzelhandel. In: Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung 1, S. 193–206; Theisen, Paul (1960): Die betriebliche Preispolitik im Einzelhandel. Köln, S. 53–78. 181 Moeller-Herrmann, Möglichkeiten, S. 229.
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men. Dieser Preis ergab sich nicht aus den Kosten des Händlers, sondern aus dem Wert, den die Konsumenten dem Produkt beimaßen.182 Die eigentliche Alternative, vor denen die Einzelhändler seit Aufhebung der Preisbindung standen, war eine andere. Sie mussten zunächst einmal entscheiden, ob sie die frei zu kalkulierenden Nettopreise oder eine freiwillige Orientierung an den Preisempfehlungen der Hersteller befürworteten. In einer beim Fachhandel getätigten Umfrage im Sommer 1963 tendierten 32 Prozent zu Nettopreisen und 25 Prozent zu empfohlenen Richtpreisen. 41 Prozent sehnten sich bereits zurück zur Preisbindung. Bei der Frage, ob die Richtpreise „möglichst hoch“ angesetzt werden sollten, um den Kunden Rabatte einzuräumen, waren die Meinungen geteilt. Befürworter der Preisbindung waren gegen überhöhte Richtpreise, Vertreter des Netto-Preissystems dafür.183 Dem Bericht eines Vertreters Telefunkens zu Folge, der verschiedene Einzelhändler im Raum Düsseldorf kurz nach Aufhebung der Preisbindung besucht hatte, wurde das Netto-Preissystem dann begrüßt, „wenn es sich um gut geführte Geschäfte handelte […] die ihre genauen fixen und variablen Unkosten kennen“184. Diese Händler würden in dem neuen System eine „faire Wettbewerbsbasis“ erkennen. Die kleineren und schlecht geführten Händler seien dagegen. „Es ist für diese Firmen völlig ungewohnt, statt wie bisher von oben nach unten, jetzt von unten nach oben zu kalkulieren, zumal sie ihren wahren Unkostenfaktor nicht kennen.“ Fast überall werde es als verkaufserschwerend betrachtet, dass durch die Einführung der Netto-Preise auf dem Prospektmaterial keine Preise mehr stehen: „Kunden wollen gedruckte Preise und darauf Prozente!“185, sei die Aussage dieser Händler gewesen. 1963 berichtete der Tagesspiegel: „Wer hierzulande in ein Fachgeschäft geht, um bestimmte Konsumgüter des gehobenen Bedarfs zu kaufen, muß sich auf das Feilschen verstehen. Da in vielen Fällen mit empfohlenen Verbraucherpreisen gearbeitet wird, die den Marktpreisen nicht entsprechen, ist der Rabatthandel weit verbreitet.“186 Die Kundschaft lese die Preise im Schaufenster, kommentierte der Radio-Fernseh-Händler im selben Jahr nach Aufhebung der Preisbindung, und ziehe davon „im Geiste 15 % ab.“187 Das Rabattkaufen habe sich „zu einer
182 Ebd. unter Verweis auf: Horacek, Max (1950): Der kalkulatorische Ausgleich. Wien, S. 4. 183 Zusammenfassung einer Untersuchung der Ifak beim Fachhandel über die Absatzsituation für Rundfunk-, Fernseh-, Tonband- und Abspielgeräte. Juni/Juli 1963. In: DTMB/AEG, GS 1986. 184 Bericht (v. Dellinghausen). Betr.: GS Düsseldorf. 8. Mai, 1962. In: DTMB/AEG, GS 2000. 185 Ebd. 186 „Mondpreise“ schaffen Mißkredit. In: Radio-Fernseh-Händler, November 1963, S. 631. 187 Richtpreise im Sperrfeuer. In: Radio-Fernseh-Händler, Januar 1963, S. 2–4. Hier S. 2.
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Art Sport entwickelt“188. Die Verfahren häuften sich, in „denen Verstöße gegen die Preiswahrheit und Preisklarheit“189 verhandelt würden. Max Rieger, Direktor des Herstellers Schaub-Lorenz, schrieb in der Kundenzeitschrift seines Unternehmens: „Ein Markt, der erst transparent wird, wenn man alle Methoden des Preisfeilschens durchexerziert hat, kann kein Vertrauen einflößen.“190 Die traditionellen Facheinzelhändler sahen in Preisnachlässen und Rabattkäufen auch nach Aufhebung der Preisbindung zu vermeidende Übel. Das kam schon begrifflich in abwertenden Äußerungen wie den „Gummipreisen“191 und den „Basarmethoden“192 zum Ausdruck. Die Einzelhändler versuchten, den Gefahren des Preiswettbewerbs zu begegnen, indem sie den Konsumenten die Verhandlungsgrundlage eines direkten Preisvergleichs entzogen. Trotz Preisauszeichnungspflicht gab es Händler, die „in ihrem Schaufenster eine Preisauszeichnung tunlichst vermeiden“193. Der bessere (und legale) Weg war, wie der RadioFernseh-Händler berichtete, im eigenen Schaufenster nach Möglichkeit einfach niemals die gleichen Waren auszustellen, wie sie im Geschäft auf der anderen Straßenseite zu finden waren. So könne dem Betrachter ein direkter Preisvergleich erschwert werden. Man tue sich nämlich „wirklich keinen größeren Gefallen, als die direkte Vergleichsmöglichkeit weitgehend zu unterbinden.“194 Dies erforderte allerdings, wie der Artikel bemerkte, eine tägliche Beobachtung der Konkurrenz und gegebenenfalls eine sofortige Dekorationsänderung. Andere Fachhändler reagierten auf die Gefahren der neuen preispolitischen Handlungsspielräume durch die Einführung „gespaltener Preise“. Dabei bildeten sie für ein und dasselbe Gerät sowohl einen „normalen“ Preis, der die gängigen Serviceleistungen wie Lieferung, Umtauschmöglichkeit und Reparatur umfasste als auch einen „Cash+Carry-Preis“, der günstiger war aber diese Serviceleistungen nicht enthielt.195 Die „gespaltenen Preise“ waren in erster Linie
188 Lockvögel werden zu Pleitegeiern. In: Radio-Fernseh-Händler, Mai 1963, S. 196. 189 Verbraucherpreis-Empfehlung muß fallen. In: Radio-Fernseh-Händler, März 1965, S. 84. 190 Wege zum sauberen Markt – Goldene Worte von Max Rieger. In: Radio-Fernseh-Händler, April 1964, S. 132–134. Hier S. 132. 191 Der fliegende Radio-Doktor. In: Radio-Fernseh-Händler, Mai 1968, S. 122. 192 Rabattgesetz. Einzelhandel kontra Kartellamt. In: Radio-Fernseh-Händler, Mai 1974, S. 130. Siehe auch: Ein Preisnachlaß kann teuer werden. In: Radio-Fernseh-Händler, Januar 1965, S. 4. 193 Dienst ohne Verdienst? In: Radio-Fernseh-Händler, August 1966, S. 267. 194 Schaufenstergestaltung. Das Preisschild – Hinweis oder Verlockung?. In: Radio-FernsehHändler, April 1970, S. 82. Zur „Preisverschleierung“ siehe auch allgemein: Moeller-Herrmann, Möglichkeiten, S. 349. 195 Fachhandel diskutiert Marktprobleme. In: Radio-Fernseh-Händler, Oktober 1962, S. 432– 434.
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eine Antwort auf die neu aufkommenden Handels- und Vertriebsformen der Discounter, SB-Warenhäuser und Verbrauchermärkte.196 Sie waren eine Art Erziehungsprogramm, das über den Sinn der höheren Preise im Facheinzelhandel und „die wahre Bedeutung (seiner) Leistung“197 aufklärte. Beim „Cash+CarryAngebot“ sollte dem Kunden klargemacht werden, dass der Preisnachlass sehr teuer bezahlt werde. Die Umtauschmöglichkeit sei ausgeschlossen, die Garantieleistung begrenzt. Schlage der Kunde vor, dass er zumindest den Garantieservice erwerben könnte, müsse der Fachhändler dies ablehnen: „Beim Kundendienst ist es wie mit der Schwangerschaft: ganz oder gar nicht.“ Auch der jüngste Lehrling müsse wissen, dass Kartonverkäufe und Discountpreise nicht zu den Aufgaben eines Fachgeschäftes gehörten, sondern ausschließlich Kampfmaßnahmen seien, „deren Ursachen so schnell wie möglich ausgeschaltet werden müssen“. Der Fernseher habe es nicht verdient, dass er heute „im Zentrum eines Preisund Rabattkrieges steht, wo er mit Spirituosen, abgepackten Lebensmitteln und hundert anderen Verbrauchsartikeln in einen Topf geworfen wird“.198 Die Erziehungsmaßnahme fand ihre Grenze in der Einstellung der Konsumenten zum Fernsehgerät. Im Übergang zum „freien Markt“ Mitte der 1960er Jahre stellte der Radio-Fernseh-Händler selbst fest, dass sich die Einstellung der Verbraucher zu den Erzeugnissen der Radio- und Fernseh-Industrie gewandelt hätte. Der Fernseher sei nicht mehr Gegenstand der Bewunderung der Technik, sondern „eine selbstverständliche Forderung des gehobenen Lebensstandards, die jeder zu einem möglichst niedrigen Preis zu befriedigen trachtete.“ Früher habe das „Wertdenken“ der Konsumenten die einzigartige Stellung des Radiohändlers begründet. Das Verkaufen sei „ein ganz persönlicher Akt des Kontaktes zwischen Verkäufer und Käufer“ gewesen, der durch den Kundendienst den Geschäftsabschluss noch Jahrzehnte lang überdauert habe. Heute sei das Verhältnis vom „Rabattdenken“ bestimmt. Der Verkauf sei unpersönlich geworden, das Vertrauen zum Fachhändler „mit dem sinkenden Niveau der Verkaufsmethoden“ zerfallen. Der Händler habe Lust und Freude am Verkaufen verloren. Angesichts
196 SB-Warenhäuser. Gefährliche Töne. In: Radio-Fernseh-Händler, April 1975, S. 67. 197 Markt und Ordnung. In: Radio-Fernseh-Händler, Juli 1965, S. 263. 198 Die Todsünde „gespaltener Service“. In: Radio-Fernseh-Händler, Dezember 1962, S. 506– 512. Andere Fachfernsehhändler, die eine ähnliche Strategie verfolgten, wiesen in einem Gemeinschaftsinserat darauf hin, dass sie bei Verzicht auf die volle Garantie einen verringerten Preis nehmen würden. Sie begründeten das in der Anzeige damit, dass wer mit niedrigen Preisen locke, in irgendeiner Form weniger für seine Kunden biete. „Entweder verkauft er nicht die neuesten und besten Geräte oder es stimmt mit dem Service nicht.“ „Jeder kann nur mit Wasser kochen…“. In: Der Wettbewerb, Mai 1968, S. 21–22.
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der Forderungen der Kunden und der neuen Handelsformen, die „von keiner Tradition geprägt“ seien, habe er aber keine andere Wahl gehabt.199
7.2.3 Listenpreise, Lockvögel und „grauer Markt“ Die zentralen wettbewerbsrechtlichen Probleme zwischen Einzelhändlern und Konsumenten betrafen die begriffliche Verwendung von „Listenpreisen“ und „Discount-Preisen“, die Praxis von Lockvogelangeboten sowie der Direktbezug der Fernsehgeräte über einen Großhändler. In diesen Problemen spiegelte sich einerseits, was der der Radio-Fernseh-Händler unter dem „sinkenden Niveau“ der Verkaufspraktiken und der Traditionslosigkeit neuer Handelsformen verstand. Andererseits zeigte sich in ihnen die teilweise problematische Grenzziehung zwischen alten und neuen Handelsformen und ihren jeweiligen Verkaufspraktiken. Die Gerichte waren nicht nur mit einem Strukturwandel im Einzelhandel konfrontiert, der neue Akteure und Konfliktlinien entstehen ließ. Sie hatten sich auch mit begrifflichen Wandlungsprozessen auseinander zu setzen, die durch die Veränderungen im Markt für Fernsehgeräte bedingt waren. Die „Listenpreise“ sind ein erstes Beispiel für den Zusammenhang aus alten und neuen Verkaufspraktiken, dem Wandel des Marktes für Fernsehgeräte und den begrifflichen Deutungsproblemen der Gerichte. Offiziell waren die Listenoder auch Richtpreise im Zuge der Aufhebung der Preisbindung unverbindlich geworden, lieferten also lediglich einen losen Orientierungswert. Viele Konsumenten betrachteten die durch die Hersteller definierten Preise aber nach wie vor als gebunden. Einzelhändler, die sich als besonders presiwert darstellen wollten, konnten so den Unterschied aus empfohlenen und tatsächlichen Preisen für ihre Werbezwecke nutzen. „Freie Preise in einem freien Markt, die mindestens 20 % unter dem empfohlenen Richtpreis liegen.“ Mit diesem Slogan, der an die Rhetorik der Preisbrecher erinnerte, bot ein Fernsehgerätehändler kurz nach dem Fall der Preisbindung seine Geräte an. Der Fokus der Aussage auf dem Wettbewerbsfaktor Preis rief den Unmut des traditionellen Facheinzelhandels hervor. Durch eine solche Werbung werde, kritisierte der Radio-Fernseh-Händler, ein Preis künstlich hochgespielt, der im tatsächlichen Preiswettbewerb keine reale Bedeutung habe. Jeder Kenner der Radio- und Fernseh-Branche wisse, dass die empfohlenen Richtpreise auch von den Herstellern kaum ernst genommen würden. Der größte Teil der Verbraucher glaube jedoch, diese Preise würden von der Mehrzahl der Einzelhandels-
199 Vom Preisdenken zum Wertdenken. In: Radio-Fernseh-Händler, Februar 1965, S. 34–36.
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kaufleute auch tatsächlich verlangt. „In Wirklichkeit handelt es sich um fiktive Rechnungsgrößen, die nur in seltenen Fällen eingehalten werden.“200 Der Händler wurde von einem konkurrierenden Händler angezeigt und in erster Instanz auf Unterlassung verklagt. Das Landgericht gab der Klage statt, weil es in der Behauptung eine Täuschung des Publikums sah. Die Verbraucher glaubten, durch das Angebot eine tatsächliche Preiseinsparung von 20 Prozent zu erhalten. Es sei aber fraglich, ob der angegebene Richtpreis dem in der Umgebung allgemein geforderten Preis entspreche. Kurz darauf kam der Fall bis vor den Bundesgerichtshof. Der Bundesgerichtshof teilte die Einschätzung in seinem Urteil vom 10. Juni 1964 nicht. Er hielt den Verbraucher für prinzipiell fähig, den Begriff des empfohlenen Preises richtig zu deuten. In einer interessanten Einschränkung machte er allerdings gleichzeitig deutlich, dass die Einschätzung einer solchen Fähigkeit auf einer unsicheren Grundlage basierte. Denn selbst wenn die Verbraucher irrtümlich der Auffassung folgten, so der Gerichtshof, dass der empfohlene Preis ein gebundener Preis sei, dürfe diese Form der Preiswerbung nicht verboten werden. Sobald ihr andere Händler folgten, könnte die monierte Täuschungsgefahr nur vorübergehend sein. Die weitere Verwendung des Begriffs würde einen Lernprozess auslösen, in dessen Folge die Täuschungsgefahr ausgeräumt würde.201 Der Bundesgerichtshof machte damit einerseits deutlich, dass er die Rolle eines mündigen Verbrauchers im Kontext der sozialen Marktwirtschaft anerkannte. Er erteilte andererseits dem Versuch des traditionellen Facheinzelhandels eine Absage, die Generalklausel des UWG für seine eigenen Zwecke zu nutzen. Der Begriff des „Discount“ wurde durch das Ende der Preisbindung ähnlich kontrovers diskutiert. Das Problem hatte zwei Dimensionen, die sich zum einen auf den einzelnen Preis, den „Discount-Preis“, zum anderen auf das Geschäft, den „Discounter“ bezogen.202 Beide Begriffe waren ähnlich der Preislisten-Wer-
200 Preiswettbewerb jetzt mit Catcher-Methoden. In: Radio-Fernseh-Händler, Oktober 1963, S. 416. 201 Greifelt, Kurt: Wettbewerbszentrale untersucht höchstrichterliche Rechtsprechung in Wettbewerbssachen. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Januar 1970, S. 9–11. Hier S. 11. Siehe auch: Erlaubtes Preisverhalten. Preisgegenüberstellung mit „Listenpreis“. In: Radio-Fernseh-Händler, April 1975, S. 96. 202 Der Unterschied findet sich auch in der allgemeineren Unterscheidung zwischen „Organisationsform“ und „Vertriebsform“ wieder. Siehe: Generotzky, Werner: Formen des Groß- und Einzelhandels. Versuch einer begrifflichen Klarstellung. In: warendistribution aktuell (4), 1972, S. 14–18. Hier S. 16.
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bung werbewirksam, weil sie Preiseinsparungen suggerierten.203 Die Idee eines „Discount“ war in der Bundesrepublik in den frühen 1960er Jahren relativ neu. Er war kein Rabatt im Sinne des Rabattgesetzes, weil er keine Ausnahme für einzelne Kunden darstellte, sondern für alle Kunden gleich hoch bemessen war.204 Diese Bedeutung musste der Begriff aber erst einmal auch in der Vorstellung des Publikums erlangen. Noch im Kontext der durch die Preisbindung geprägten 1950er Jahre waren Preisermäßigungen einzelner Händler nur im Sinne eines Rabattnachlasses denkbar gewesen.205 Die Kontroverse drehte sich vor allem um die Frage, ab wann vereinzelte preispolitische Maßnahmen einen Händler dazu berechtigten, sich allgemein als „Discount-Geschäft“ zu bezeichnen.206 In den 1950er hatte sich diese Frage nicht gestellt, weil preispolitische Praxis und Händlerimage zusammenfielen. Allein das fehlende Bekenntnis zur Preisbindung machte einen Händler zum „Discounter“. In den 1960er Jahren war die Situation komplexer. Der mit dem Ende der Preisbindung gewonnene preispolitische Spielraum war für die ehemaligen „Preisbrecher“ ein zweischneidiges Schwert. Einerseits blickten sie nicht länger der Gefahr einer rechtlichen Verfolgung durch die Hersteller ins Auge. Andererseits war die urspünglich simple Abgrenzung zum traditionellen Einzelhandel nun schwieriger. Die traditionellen Einzelhändler versuchten gezielt, den ehemaligen „Preisbrechern“ ihr Alleinstellungsmerkmal zu entziehen, indem sie ihrerseits rechtliche Mittel bemühten. Sie wiesen darauf hin, dass nicht alle Angebote der „Discounter“ unter dem allgemeinen Preisniveau des Marktes lagen und sahen darin eine wettbewerbspolitisch relevante Irreführung des Publikums, die sie vor Gericht durchzusetzen versuchten.207 Ende der 1960er Jahre kam der Fall eines Kieler Elektro-, Rundfunk- und Fernsehgerätehändlers vor das Landgericht Schleswig. Der Händler hatte sein
203 Die ersten Discounter hatten sich vielfach allerdings nicht als Discounter, sondern als „Preisbrecher“ bezeichnet. Frey, Gerhard: „Discounthaus“ – „Discountpreis“. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Juli 1963, S. 221–229. Hier S. 222 (Fn. 7a). 204 Beck-Managetta, Margarete: Der Diskontpreis und die Werbung mit Diskontpreisen. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, März 1971, S. 109–112. Hier S. 109. 205 Werbung mit dem Wort „Discount“. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, März 1963, S. 86. 206 Gutachter-Ausschuß für Wettbewerbsfragen zur Werbung mit dem Begriff ‚Discount‘. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Januar 1963, S. 16. 207 Frey war extrem skeptisch, ob die Discounter tatsächlich günstiger seien, da sie ihre günstigen Angebote auf einige wenige Lockvögel reduzierten und ansonsten schwer oder gar nicht vergleichbare Produkte (etwa Handelsmarken) in fragwürdiger Qualität oder zu höheren Preisen anböten. Siehe: Frey, Gerhard: „Discounthaus“ – „Discountpreis“. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Juli 1963, S. 221–229. Hier S. 222.
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Unternehmen seit 1963 als „Discount-Geschäft“ bezeichnet und die von ihm geforderten Preise als „Discount-Preise“. Er wollte damit ein allgemein günstigeres Preisniveau zum Ausdruck bringen, das er durch den Verzicht auf Auswahl und Kundendienst erreichte. Der Kläger, ein konkurrierender Händler, beanstandete, dass sich der Händler mittlerweile „den Verkaufsgepflogenheiten des FachEinzelhandels“ angepasst habe. Seine Preise lägen nicht flächendeckend unter denen der Konkurrenz. Zahlreiche Preisvergleiche hätten dies gezeigt. Die Selbstbezeichnung als „Discount-Geschäft“ und die Werbung mit „Discount-Preisen“ bilde eine Irreführung, da die Verbraucher mit den Begriffen eine Preiseinsparung verbinden würden.208 Der Klage wurde in erster Instanz stattgegeben, vom Oberlandesgericht Schleswig aber abgewiesen. Aus der Tatsache, dass andere Einzelhändler die Geräte teilweise günstiger angeboten hätten, folge keine Irreführung des Publikums. Das Publikum verbinde mit dem „Discount-Preis“ zwar besonders günstige Preise. Es sei aber denkbar, dass auch die konkurrierenden Händler DiscountPreise angeboten hätten, ohne sich selbst als Discount-Geschäfte zu bezeichnen. In diesem Fall handele es sich nicht um Wettbewerb zwischen traditionellen Einzelhändlern und einem Discounter, „sondern um Wettbewerb zwischen einem Discounter und Einzelhändlern, die sich mindestens für eine gewisse Zeit wie Discounter verhielten“. Daraus folge aber auch, dass sich ein Discounter auch dann als solcher bezeichnen dürfe, wenn er nicht für alle Artikel die niedrigsten Preise anbiete. Der Bundesgerichtshof kam in seinem Urteil vom 13. November 1970 zu der Feststellung, dass die Verkehrsbedeutung der Worte „Discount-Geschäft“ und „Discount-Preis“ nicht hinreichend geklärt seien, um diesen Schluss zu ziehen. Er war der Meinung, dass die Verbraucher mit dem Begriff des Discount-Geschäfts allgemein die Vorstellung verbänden, dass „alle Preise des angebotenen Sortiments erheblich unter den Preisen liegen, die für gleiche Waren in Geschäften gefordert werden, die sich dieser Werbung nicht bedienen“. Mit Blick auf den Einkauf großer Elektrogeräte relativierte der Bundesgerichtshof diese Feststellung jedoch sogleich. Der Konsument stelle gerade in Elektrogeschäften keine Gesamtkalkulation an. Es komme ihm auf den Preis einer ganz bestimmten Ware an. Damit definierte der Bundesgerichtshof den Begriff des „Discounters“ zwar nicht abschließend. Er eröffnete aber einen hinreichend großen Auslegungsspielraum, der das Klagerisiko erheblich senkte.209
208 „Discount-Preis“ – „Discount-Geschäft“. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, März 1971, S. 125–128. 209 Ebd.
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Auf dem Kalkül, dass Konsumenten in Elektrogeschäften keine Gesamtkalkulation anstellten, sondern auf den Preis einer bestimmten Ware schielten, basierte auch die Lockvogel-Strategie. Sie stellte das zweite zentrale verbraucherund wettbewerbsrechtliche Problem der Einzelhändler im Markt für Fernsehgeräte dar.210 Weil der Händler die „Lockvögel“ besonders knapp oder sogar unterhalb seiner Einkaufskosten kalkulierte, dienten sie in erster Linie dazu, Kunden in das Geschäft zu locken. Damit verbunden war das Ziel, sie zum Kauf weiterer Waren anzuregen oder sie zum Kauf eines Alternativangebots umzustimmen, das aus Sicht des Händlers vorteilhafter bepreist war. Der traditionelle Facheinzelhandel sah in Lockvögeln eine unlautere und zudem asoziale Wettbewerbsmethode einzelner Händler. Weil der Händler die entgangenen Gewinne des Lockvogelangebots wieder ausgleichen musste, gewinne der Käufer von Lockvögeln bei seinem Einkauf auf Kosten der übrigen Kundschaft.211 Vor allem aber kritisierte er die Verschärfung des Preiswettbewerbs, die mit dem Lockvogelproblem einhergehe. Die Konsumenten würden den Preis des Lockvogelangebots in eine direkte Beziehung zu den Preisen der anderen Fernsehgeräte setzen. Sie könnten nicht wissen, „daß der niedrige Preis ausschließlich die Folge des gedankenlosen Preiswettkampfes der Händler untereinander ist.“212 Die Kritik des Facheinzelhandels an den Lockvogelangeboten hing eng mit der Tatsache zusammen, dass diese vor allem bei den Warenhäusern ein beliebtes Wettbewerbsinstrument darstellten. Der traditionelle Facheinzelhandel versuchte daher, das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb zu nutzen, um auf rechtlichem Wege gegen Lockvogelangebote vorzugehen. Sein Argument war, dass der Konsument aus den Lockvogelangeboten auf das allgemeine Preisniveau des Händlers schließe. Dadurch werde er aber in die Irre geführt. Denn Lockvögel spiegelten ein einseitige Ergebnis der Mischkalkulation des Händlers wider und nicht sein allgemeines Preisniveau. Hier zeigte sich der zentrale Unterschied zwischen Lockvogelangebot und „Discount-Preis“, da Letzterer wenigstens in der Idealvorstellung das allgemeine Preisniveau eines Händlers widerspiegelte. 1971 konnten die Gegner der Lockvogelangebote einen Erfolg feiern. Das Landgericht Braunschweig untersagte es einem Händler, ein Farbfernsehgerät zum Preis von 1.398 D-Mark zu verkaufen. Ein solcher Preis lag nach Ansicht des Gerichts erheb-
210 Der Begriff des Lockvogels bezeichnet in der Jagdsprache für das Anlocken von Tieren genutzte künstliche Tierkörper. Mellerowicz, Markenartikel, S. 143–149; Wörmer, Preisbindung, S. 71; Röper, Preisbindung, S. 81. 211 Lockvögel werden zu Pleitegeiern. In: Radio-Fernseh-Händler, Mai 1963, S. 196. 212 Ebd.
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lich unter den „der Allgemeinheit bekannten durchschnittlichen Verkaufspreisen für Farbfernsehgeräte in Rundfunk-Fachgeschäften.“213 Im Einklang mit der etablierten Rechtsprechung folgerte das Landgericht, der Verbraucher ziehe falsche Rückschlüsse hinsichtlich des allgemeinen Preisniveaus des Händlers. Er werde daher getäuscht. Allerdings erwies sich der Gang vor die Gerichte als insgesamt wenig effektiv. Mitte der 1970er Jahre forderten die Fach-Händler eine Novellierung des Gesetzes gegen den Unlauteren Wettbewerb. Die im Gesetz formulierten Kriterien der Lockvogelangebote erschienen ihnen zu schwammig, um eine effektive Rechtsprechung zu gewährleisten. „Wir sehen hier Dinge im Gange, die man schlicht als Verdrängungswettbewerb bezeichnen muß“214, kritisierte der Vertreter des Fachgroßhandels, Erich Ströhlein. Auch Günter Preuten zeigte sich mit der bisherigen Entscheidungspraxis der Gerichte unzufrieden. „Wenn ein Warenhaus heute unter 130.000 Artikeln einen Farbfernseher unter dem Einstandspreis anbietet, so doch nicht, um dieses Gerät billig zu verkaufen, sondern um die Preiswürdigkeit des gesamten Sortiments darzustellen – was nach dem UWG unlauter ist“, klagte Preuten. Dieser Auffassung würden die Gerichte nicht folgen. „Wenn das die Praxis ist, dann benötigen wir dieses Gesetz nicht, oder es ist nicht anwendbar.“215 Zu der gewünschten Novelle kam es nicht. Stattdessen führte das gesetzliche Ende der Preisbindung zu einer Neu-Interpretation der Lockvogelangebote durch die Gerichte. Zur Zeit der Preisbindung hatten die Gerichte noch das Vorhandensein relativ fester Preisgefüge innerhalb des Einzelhandels angenommen. Innerhalb dieses Kontextes schien es Ihnen naheliegend, dass die Konsumenten von dem Preis eines einzelnen Produkts auf die Preisbemessung des gesamten Sortiments rückschlössen. Mit dem Wegfall der Preisbindung entwickelten sich Sonderangebote zum Normalfall und die ohnehin nur schwer nachweisbaren
213 Lockvogelwerbung mit Farbfernsehgeräten. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Oktober 1971, S. 258. 214 Podiumsdiskussion Baden-Baden. Unlauterer Wettbewerb. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Juli 1974, S. 184. 215 Erstickt der Fachhandel im Würgegriff der Kartellgesetze? In: Radio-Fernseh-Händler, Dezember 1974, S. 406. Siehe auch: Die Großsortimenter bedrängen den Einzelhandel. Rfh-Gespräch mit dem Vorsitzenden des Deutschen Radio-Fernseh-Fachverbandes. In: Radio-FernsehHändler, Januar 1973, S. 4. Warenhäuser (56 Prozent) wurden Anfang der 1970er von den meisten Radio- und Fernseh-Fachhändlern noch vor Verbrauchermärkten (34 Prozent) und C&C-Betrieben (43 Prozent) als „stärkste unmittelbare Konkurrenten“ angesehen. Siehe: Batzer, E. u. Greipl, E.: Fach-Einzelhandel im Wettbewerb mit neuen Betriebsformen. In: warendistribution aktuell (3), 1972, S. 8–11. Hier S. 9.
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Unterschiede zwischen Lockvogel- und Sonderangeboten verschwommen zusehends. Wie der Jurist Claus-Detlev Brose kommentierte, habe dies dazu geführt, dass aus Sicht der Richter selbst eine radikale Preissenkung die Kunden nicht mehr notwendigerweise auf das gesamte Preissegment des Einzelhändlers schließen ließ.216 Tatsächlich reichte diese Entwicklung bis vor das Ende der Preisbindung 1974 zurück. Das Selbstbild des traditionellen Facheinzelhandels, das stabile und einheitliche Preise vorsah, war aufgrund des Kaufverhaltens des Publikums bereits in den frühen 1960er Jahren erschüttert worden. Die Grenzen zwischen traditionellen und preis-aggressiven Einzelhändlern waren zwar vorhanden, in der alltäglichen Verkaufspraxis aber längst nicht mehr trennscharf. Auch der traditionelle Facheinzelhandel hatte vereinzelt günstige Angebote, Warenhäuser und Verbrauchermärkte einen rudimentären Kundenservice. Der vom traditionellen Facheinzelhandel beklagte Einstellungswandel der Verbraucher zu den Erzeugnissen der Radio- und Fernsehindustrie war nicht so einseitig und radikal, dass er diese feineren Differenzierungen nicht erlaubt hätte. Wie genau die Vorstellungen und Erwartungen der Verbraucher beim Kauf eines Fernsehgerätes aussahen, war für die Gerichte kaum feststellbar. Was sich dagegen feststellen lässt ist, dass auch die Gerichte von einem wandelbaren Konsumentenverhalten ausgingen, der in ihren Urteilen langfristig wirkungsmächtig wurde. In einer 1978 getroffenen Entscheidung, bei der es um das günstige Angebot der Spirituose AsbachUralt durch einen Einzelhändler ging, sah der Bundesgerichtshof anders als in den Jahren zuvor keine Irreführung des Publikums mehr.217 Der von dem Urteil betroffene Einzelhändler war ein sogenannter Verbrauchermarkt. Neben den Warenhäusern und Discountern stellten diese eine dritte von den Facheinzelhändlern unterscheidbare Kategorie dar. Ihr Aufstieg vollzog sich ähnlich rasant und von rechtlichen Konflikten durchzogen. Im Fall der Verbrauchermärkte kam allerdings noch einem weiteren wettbewerbsrechtlichen Problem eine zentrale Bedeutung zu, dessen Ursprünge bis an die Anfänge des Marktes für Fernsehgeräte zurückreichten. Dabei geht es um das in Kapitel 6.2 diskutierte Problem der Direktverkäufe, bei denen eine Handelsstufe übersprungen und die Einzelhändler als Teil der Vertriebskette obsolet wurden.
216 Brose, Claus-Detlev: Lockvogelangebot oder zulässiges Sonderangebot mit bekannten Markenartikeln im Wandel der Verkaufs- und Werbemethoden in Handel und Industrie und der Veränderung des Verbraucherbewußtseins. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, November 1978, S. 770–773. Hier S. 771. 217 Lockvogelangebot. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, September 1978, S. 658–660.
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Zwei Jahre nach der Einführung der Fernsehgeräte beklagte ein Kommentator der Fachzeitschrift Radio-Fernseh-Händler die Ausbreitung eines „Schwarzmarktes“218. In drastischen Worten kritisierte er einen blühenden Handel mit Warenbezugsscheinen für Fernseh- und Radiogeräte im Ruhrgebiet. Mitarbeitern von Gruben, Stahlwerken und großen Produktionsfirmen sei es so möglich, auf illegale Weise den Einzelhändler zu umgehen und ihre Geräte stattdessen bei verschiedenen Großhändlern zu beziehen. Die Lage sei so ernst geworden, dass sie einer Vertrauenskrise des Publikums in die Preisschilder der Schaufenster gleichkomme. Niemand glaube mehr an die dort sichtbaren Bruttopreise. Die Profitgier und der Kampf um den Absatz hätten sich über „alle vernünftigen kaufmännischen Regeln und die Geschäftsmoral glatt hinweggesetzt“. In einem eindringlichen Plädoyer hielt der Kommentator fest, dass endlich gehandelt werden müsse: „Nur ein harter Zugriff kann die Sünder wieder auf den Weg des sinnvollen Wettbewerbs zurückführen.“219 Mit dem Begriff des „Schwarzmarktes“ weckte der Kommentar Erinnerungen, die Mitte der 1950er Jahre für die meisten Bewohner der Bundesrepublik Deutschland noch frisch waren. Bis einige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs war der Tausch auf illegalen Schwarzmärkten eine alltägliche Erfahrung breiter Massen der deutschen Bevölkerung. Die zentral gelenkte Versorgung konnte den alltäglichen Bedarf nicht decken und führte zu illegalen Schwarzmarktgeschäften.220 Der Staat bekämpfte den Schwarzmarkt mit Razzien und hohen Gefängnisstrafen.221 Umgekehrt gab es keinen rechtlichen Schutz, auf den sich die Akteure bei Betrug berufen konnten.222 Ende der 1940er Jahre war selbst jüngeren Menschen der Tausch auf Schwarzmärkten zur alltäglichen Gewohnheit geworden.223 Der Historiker Michael Wildt spricht sogar von einem „heimlichen Lehrplan der Nachkriegszeit“. Die Deutschen lernten den Nutzen „von der zwielichtigen, aber
218 Sturmwarnung im Ruhrgebiet. In: Radio-Fernseh-Händler, Februar 1955, S. 51–54. Hier S. 51. 219 Ebd. 220 Teuteberg, Hans-Jürgen (2005): Vom alten Wochenmarkt zum Online-Shopping. In: Peter Lummel und Alexandra Deak (Hg.): Einkaufen! Eine Geschichte des täglichen Bedarfs. Berlin, S. 19–46. Hier S. 29. 221 Zu den Schwarzmärkten in der Schlussphase des Krieges und in den frühen Friedenszeiten, siehe: Zierenberg, Malte (2008): Stadt der Schieber. Köln und Wildt, Michael (1986): Der Traum vom Sattwerden. Hunger und Protest, Schwarzmarkt und Selbsthilfe. Hamburg. Siehe auch die Studie zum Britischen Fall: Roodhouse, Mark (2013): Black Market Britain. 1939 – 1955. Oxford. 222 Beckert, Jens; Wehinger, Frank (2013): In the Shadow. Illegal Markets and Economic Sociology. In: Socio-Economic Review 11 (1), S. 5–30. 223 Wildt, Wohlstand, S. 36.
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effizienten Marktwirtschaft“224. Erst die Währungsreform von 1948 ermöglichte es den Händlern wieder marktgerechte Preise zu bilden. Die Waren wurden von wenigen Ausnahmen abgesehen nicht länger gehortet oder auf dunkle Kanäle verlagert.225 Der Schutz des Verbrauchers vor Betrug und die Gewährleistung der Eigentumsrechte erforderten umgekehrt die Unterordnung unter das deutsche Einzelhandels- und Wettbewerbsgesetz. Der unregulierte Schwarzmarkt machte einer streng regulierten freien Marktwirtschaft Platz. Die zentralen Unterschiede zwischen dem Schwarzmarkt der 1940er und dem „Schwarzmarkt“ im Ruhrgebiet der 1950er Jahre liegen auf der Hand. In den 1940er Jahren ging es primär um Lebensmittel und die Sicherung der Subsistenz. Es drohten drakonische Strafen für die „Sünder“ auf beiden Seiten. Der Konsument, der in den 1940er Jahren die Händler umging und auf das Angebot des Schwarzmarktes zurückgriff, versuchte seinen nötigen Bedarf trotz immenser Preisaufschläge zu decken.226 Der Konsument, der in den 1950er Jahren auf dem „Schwarzmarkt“ agierte, hatte das Ziel, eben solche Preisaufschläge zu umgehen. Er kaufte keine Lebensmittel, sondern Luxusprodukte des langfristigen Bedarfs und hatte keine rechtlichen Konsequenzen zu fürchten. Trotzdem war der vom Kommentator bemühte Begriff der „Illegalität“ nicht zu hoch gegriffen. Die privat-rechtlichen Verträge zwischen Herstellern und Großhändlern untersagten explizit den direkten Verkauf an Endverbraucher. Das Rabattgesetz wurde ebenso wie die Pflicht zur Preisauszeichnung umgangen. Die Anbieter konnten – anders als die Konsumenten – bei wiederholten Verstößen mit Strafgeldern oder sogar einem kurzen Aufenthalt im Gefängnis belangt werden.227 Die Bezeichnung
224 Ebd., S. 30. 225 Teuteberg, Wochenmarkt, S. 29; Spiekermann, Uwe (2006): From Neighbor to Consumer. The transformation of retailer-consumer relationships in twentieth century Germany. In: Frank Trentmann (Hg.): The Making of the Consumer. Knowledge, power and identity in the modern world. Oxford, S. 147–174. Hier S. 159. Zu den Ausnahmen, siehe: Zierenberg, Stadt, S. 289. Zudem wurden zahlreiche Bereiche wie viele Nahrungsmittel oder Mieten von der freien Preisbildung ausgenommen und einer staatlichen Preispolitik unterworfen. Zündorf, Irmgard (2006): Der Preis der Marktwirtschaft. Staatliche Preispolitik und Lebensstandard in Westdeutschland, 1948 bis 1963. Stuttgart. 226 Für den ökonomischen Zusammenhang zwischen Angebotsregulierung und Preisentwicklungen in historischer Perspektive siehe die sehr klaren Ausführungen von: Borchardt, Erfahrung. 227 Bis Mitte der 1950er Jahre wurde noch ein Gesetzesentwurf diskutiert, der auf den Werksund Behördenhandel bezogen auch die Abnehmer, bzw. die Organisatoren rechtlich zur Verantwortung gezogen hätte. 1952 erklärte der Bundesinnenminister den Vertrieb von Waren oder den Umlauf von Bestelllisten während der Arbeitszeit und in den Arbeitsräumen staatlicher Behörden für verboten. 1960 wurde das Gesetz gegen Betriebs- und Belegschaftshandel verabschiedet,
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„Schwarzmarkt“ für den direkten Bezug bei Großhändlern war aufgrund der erheblichen Unterschiede zu der Situation in den 1940er Jahren dennoch ungeeignet. Stattdessen etablierte sich der Begriff des „Grauen Marktes“. Er steht bis heute für Tauschvorgänge, die außerhalb rechtlich autorisierter Vertriebswege stattfinden.228 Das Ifo-Institut rechnete im Konsumgütergroßhandel Ende der 1950er Jahre mit etwa vier Prozent des Umsatzes, die insgesamt über Direktverkäufe abgewickelt würden. Bei langlebigen Gebrauchsgütern lag der Anteil allerdings deutlich höher. Eine Untersuchung der Gesellschaft für Konsumforschung kam auf etwa 10 Prozent aller getätigten Verkäufe.229 In einer auf den Raum Nürnberg, Erlangen und München bezogenen Untersuchung, wo viele Fabriken der deutschen Unterhaltungselektronik ihren Sitz hatten, kam die GfK sogar auf 25 Prozent Direktverkäufe von Rundfunk- und Fernsehgeräten. Bei Mixern, Staubsaugern, Schreibmaschinen und Kühlschränken war der Anteil noch höher.230 Das Büro für Wirtschaftsforschung in Frankfurt ermittelte, dass fast die Hälfte aller Fachgroßhändler im Elektrogerätebereich in Direktgeschäfte verwickelt war, obwohl der eigene Verband die Praxis offiziell scharf verurteilte.231 Urspünglich lief der Großteil des Direktbezugs als „Belegschafts- und Behördenhandel“ über die im einleitenden Kommentar kritisierten Großbetriebe und
von Bundespräsident Lübke aus verfassungsrechtlichen Gründen aber nicht unterschrieben. Es trat nie in Kraft. Siehe: Scheybani, Hadwerk, S. 394–401. 228 Der Begriff des „Grauen Marktes“ war in bewusster Unterscheidung aber eben auch in bewusster Anlehnung an den „Schwarzen Markt“ der Nachkriegszeit entwickelt worden. Nach dem Sprachsinn könne der Begriffsinhalt „Grauer Markt“, so der Rechtsanwalt Horst Dieter Martino, nur zwischen dem regulären Marktgeschehen und dem gesetzeswidrigen „Schwarzmarkt“ gefunden werden. Vom regulären Markt unterscheide ihn „das Zwielichtige, ein Element der Unlauterkeit, die Nichtvereinbarkeit mit guten kaufmännischen Sitten“. Gegenüber dem Schwarzmarkt entfalle „in der Regel das vom Standpunkt staatlicher Ordnung aus gesehene ‚kriminelle‘ Moment.“ Martino, Horst Dieter: Was ist der „Graue Markt“? In: Wettbewerb in Recht und Praxis, März 1967, S. 80–82. Hier S. 80. Für neuere Definitionsversuche, siehe: Xiao, Ying; Palekar, Udatta; Liu, Yunchuan (2011): Shades of Gray. The impact of gray markets on authorized distribution channels. In: Quantitative Marketing and Eonomics 9 (2), S. 155–178 und Bieri-Gut, Marianne (1994): Rechtsprobleme beim Absatz auf grauen Märkten. Die Durchsetzbarkeit von Selektivvertriebsverträgen gegenüber Dritten. Zürich. 229 Zu den Angaben siehe: Ifo zum Direktabsatz des Großhandels. In: Radio-Fernseh-Händler, Juli 1960, S. 268. 230 Nur 70 % gehen über den Ladentisch. In: Radio-Fernseh-Händler, Oktober 1960, S. 424. 231 Zu den Angaben siehe: Ifo zum Direktabsatz des Großhandels. In: Radio-Fernseh-Händler, Juli 1960, S. 268. Siehe auch: Geschäfte mit der Leichtgläubigkeit der Verbraucher. In: RadioFernseh-Händler, Juli 1960, S. 289 u. Aktion gegen den grauen Markt in Hannover. In: RadioFernseh-Händler, April 1960, S. 133–134.
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staatliche Behörden.232 Ende der 1950er Jahre setzte dagegen die erste Phase einer zunehmenden Institutionalisierung ein.233 Neben die Handelsvereinigungen der Behörden und Großunternehmen traten zunehmend auch kleinere Händler, deren ausschließliches Geschäftsmodell die Vermittlung des Einkaufs bei Großhändlern war. Die „Vermittler“ und „Käuferringe“ sorgten dafür, dass der für den Bezug beim Großhändler erforderliche „Bezugsschein“ keine besonderen Beziehungen oder Beschäftigungen mehr voraussetzte. „Was den Beamten, die mit Einkaufsscheinen […] beziehen, recht ist, ist dem ,Käufer ohne Beziehungen‘ billig“234, kommentierte der Radio-Fernseh-Händler die neue Situation. Die aufstrebenden Unternehmen versuchten durch eine an alle potentiellen Endverbraucher gerichtete Werbung mit „Großhandelspreisen“ ihren Einzugsbereich auszuweiten.235 Allein in Hannover lag die Zahl der Kundenausweis-Händler und Käuferringe im Jahr 1960 bei etwa sieben Unternehmen. Die Zahl der „Fabrikauslieferungslager“ lag bei um die 58. Das Warensortiment umfasste neben Radio- und Fernsehgeräten auch Textilien, Pelze, Schuhe, Uhren, Schmuck, Möbel und Sportartikel.236 1960 erfolgte die Gründung des Verbands des Kundenausweis-Handels e. V. mit Sitz in Essen, an der verschiedene Firmen wie die „Sparkauf-Handelsgesellschaft m.b.H.“ aus Wuppertal und die „Wickel KG“ aus Siegen beteiligt waren. Teilweise waren die Kundenausweis-Händler aber auch nur kleine EinMann-Betriebe. Diese neuen Existenzen betrieben, wie in Ludwig Berekovens Geschichte des Einzelhandels zu lesen ist, zum Teil in Hinterhöfen und Garagen
232 Scheybani, Handwerk, S. 394. Siehe auch: Behördliche Sozialwerke = Beziehungshandel. In: Funk-Fachhändler, April 1957, S. 90. 233 Behrens, Karl Christian (1962): Warenhaus mit verschlossenen Türen. Der Platz der Beamten-Einkauf eGmbH in der deutschen Distribution. In: Karl Christian Behrens (Hg.): Wandel im Handel. Wiesbaden, S. 181–190. 234 Geschäfte mit der Leichtgläubigkeit der Verbraucher. In: Radio-Fernseh-Händler, Juli 1960, S. 289. 235 Hiersemann, Walter: „Ab Großhandel – zu Großhandelspreisen“. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Oktober 1959, S. 285; Droste, Karl: Der unzulässige Direktverkauf. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Januar 1960, S. 27; Mehr Wahrheit im Leistungswettbewerb. AGV begrüßt Novelle zum Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. In: Verbraucherpolitische Korrespondenz, 25. Mai, 1969, S. 5–7. Hier S. 7. „Zumindest teilweise“, so urteilte die Verbraucherpolitische Korrespondenz, hätten sich durch die Zusammenarbeit mit leistungsfähigen Großhändlern „günstige Bezugsquellen für die Verbraucher erschlossen“. 236 Geschäfte mit der Leichtgläubigkeit der Verbraucher. In: Radio-Fernseh-Händler, Juli 1960, S. 289.
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ihre „(gesetzeswidrigen) Geschäfte“237. In Hannover wurde beispielsweise ein Händler überprüft, der in der Tageszeitung Radio- und Fernsehgeräte, Möbel, Mopeds, Uhren, Goldschmuck und anderes „vom Großhandel“ und mit starken Preisnachlässen angeboten hatte. Dahinter verbarg sich ein Schlosser, der im Hinterhaus eines Mietshauses sein Geschäft betrieb. Das Geschäft bestand im Wesentlichen aus einem Schreibtisch, einem Block mit Einkaufsbescheinigungen und einer Liste von Großhändlern.238 Die Großhändler und die Fabrikauslieferungslager wiederum waren teilweise „normale“ Großhändler, die nebenbei Einzelhandel betrieben. Teilweise waren sie aber bereits um 1960 eine institutionalisierte Mischung aus Groß- und Einzelhandel. Der Radio-Fernseh-Händler berichtete von einem Möbelhändler, der zwei Eingänge hatte, die in dieselben Geschäftsräume führten. „Wer durch den ,Großhandelseingang‘ die Räume betritt und sich durch einen Einkaufsberechtigungsschein eines der zahlreichen Käuferringe ausweisen kann, erhält einen wesentlich günstigeren Preis als der Käufer, der das Geschäft durch den ,Einzelhandelseingang‘ betritt, obgleich der gesamte Verkaufsvorgang völlig gleich ist.“239 Die Entwicklung der zunehmend auch im öffentlichen Raum operierenden Kundenausweis-Händler wurde von den Gerichten zunächst toleriert.240 Der Bundesgerichtshof erklärte, die Marktwirtschaft kenne keine festgelegten Absatzwege. Die Handelsstufen seien „keine die Wirtschaftsteilnehmer generell verpflichtende wirtschaftliche Gegebenheit.“241 Es verstoße daher nicht grundsätzlich gegen das Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb, „wenn ein Großhändler, ohne als Einzelhändler hervorzutreten, gelegentlich auch an Letztverbraucher zu Großhandelspreisen verkaufe.“242 Das Oberlandesgericht Hamm erklärte es sogar für unerheblich, ob ein Großhändler wisse, ob Kunden bei ihm mit gefälschten Einkaufsausweisen einkauften. Das Nicht-Wissen könne als
237 Berekoven, Ludwig (1986): Geschichte des deutschen Einzelhandels. Frankfurt am Main, S. 92. 238 Geschäfte mit der Leichtgläubigkeit der Verbraucher. In: Radio-Fernseh-Händler, Juli 1960, S. 289. 239 So machen die Käuferringe ihre Geschäfte. In: Radio-Fernseh-Händler, Juli 1960, S. 288. 240 Droste, Karl: Der unzulässige Direktverkauf. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Januar 1960, S. 27–28. 241 Direktverkäufe des Großhändlers zuläßig? In: Der Betriebs-Berater, 30. Juli, 1958, S. 751. 242 Droste, Karl: Der unzulässige Direktverkauf. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Januar 1960, S. 27.
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„berechtigte Schutzmaßnahme der Großhändler gegen ihnen sonst vielleicht von Einzelhändlern drohende Boykottierungen“ ausgelegt werden.243 Die Einzelhändler dagegen fanden sich mit der lockeren Haltung der Gerichte gegenüber den Direktverkäufen nicht ab. Wie bei Discount-Preisen und Lockvögeln versuchten sie auch die Ausbreitung des „Grauen Marktes“ durch Unterlassungsklagen auf Grundlage des UWG zu unterbinden. Sie zweifelten erstens die Zulässigkeit der Werbung mit „Großhandelspreisen“ an und verwiesen auf das im Gesetz festgeschriebene Verbot der „Irreführung“. Sie versuchten zweitens durchzusetzen, dass ein Großhändler, der auch eine Funktion als Einzelhändler ausübte, rechtlich unter die restriktiveren Regelungen des Einzelhandels fiel. Dadurch würde dieser den Möglichkeiten der Rabattgewährung und der flexibleren Öffnungszeiten beraubt. Die Werbung mit „Großhandelspreisen“ war beliebt, weil sie aus Sicht des Anwaltes Walter Hiersemann dem in breiten Käuferschichten vorhandenen Bestreben entgegenkomme, „sich größere Bedarfsgüter des täglichen Lebens möglichst unter Ausschaltung des Einzelhandels zu beschaffen.“244 Der Handelsausschuss der Industrie- und Handelskammer in Münster sprach von einer „Suggestivkraft“245. Hiersemanns Ansicht nach galt es zudem als vornehm, direkt beim Hersteller oder dem Großhändler zu kaufen. „Man zählt gern zu dem Kreis einflußreicher Persönlichkeiten, die auf Grund ihrer Beziehungen in der Lage sind, sich Sondervorteile zu verschaffen und die es deshalb nicht nötig haben, den Weg zu gehen, auf den die Masse der Verbraucherschaft angewiesen ist.“246 Die konsumgenossenschaftliche Rundschau „Der Verbraucher“ stützte diese Sicht. Vom „Grauen Markt“ würden „vor allem Besserverdienende, Großstadtbewohner und Beschäftigte von Behörden und großen Unternehmen“ profitieren.247 Die Facheinzelhändler werteten die von den Konsumenten erhofften Preiseinsparungen dagegen als Schein. Wer an Endverbraucher verkaufe, könne dies schlicht nicht zu Großhandelspreisen tun. Die vermeintlichen Großhändler agierten in ihrer Funktion als Einzelhändler, unabhängig davon, ob sie ansonsten vor-
243 Ebd., S. 28. 244 Hiersemann, Walter: „Ab Großhandel – zu Großhandelspreisen“. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Oktober 1959, S. 285. Siehe auch: Moeller-Herrmann, Möglichkeiten, S. 264. 245 Werbung mit den Bezeichnungen „Großhandel“ und „Großhandelspreis“. In: RundfunkFernseh-Großhandel, April 1967, S. 113. 246 Hiersemann, Walter: „Ab Großhandel – zu Großhandelspreisen“. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Oktober 1959, S. 285. 247 Soziologie des „Grauen Marktes“. In: Der Verbraucher. Konsumgenossenschaftliche Rundschau, 4. Mai, 1963, S. 341. Siehe auch: Grauer Markt. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Juli 1963, S. 237.
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wiegend auf der Großhandelsstufe tätig wären. Ihre Bezeichnung als Großhändler sei in diesem Zusammenhang „falsch und geeignet, bei den Konsumenten die Vorstellung einer Privilegierung vor anderen Käufern hervorzurufen“248. Der Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels stellte pauschal fest: „Wer sich mit Preisangeboten an Verbraucher wende, sei in jedem Falle Einzelhändler […] Erfolge ein besonderer Hinweis auf die Großhandelseigenschaft […], so geschehe sie voraussichtlich in der Absicht, ein besonders günstiges Angebot vorzutäuschen.“249 Im Jahr 1960 erzielten die Gegner des „Direktverkaufs“ einen Erfolg vor dem Oberlandesgericht Celle. In dem Fall ging es um eine Gesellschaft, die von einem Sozialwerk von Landesbediensteten gegründet worden war. Die Gesellschaft hatte ihren Mitgliedern Einkaufsausweise und ein Verkaufsstellenverzeichnis ausgehändigt. Das Verzeichnis listete verschiedene Vertragsfirmen, bei denen Mitglieder Elektro-Rasierer, Kühlschränke oder Radio- und Fernsehgeräte zu „Großhandelspreisen“ erwarben. Wie der klagende Verband nachweisen konnte, forderten die beteiligten Groß- und Einzelhändler aber keinen wirklichen Großhandelspreis, sondern einen „Zwischenpreis“. Das Oberlandesgericht Celle sah das Verkaufsstellenverzeichnis daher als unzulässig. Es vermittle einen irreführenden Eindruck. Das Gericht untersagte der Gesellschaft unter Strafandrohung die weitere Verwendung.250 Bedeutsamer und schwieriger als die Unterbindung der Werbung zu „Großhandelspreisen“ war die Strategie der Fachhändler, die mit den Direktverkäufen verbundene Institutionalisierung zu verhindern. Die Strategie richtete sich weniger auf die kleinen und schwer greifbaren Kaufausweis-Händler. Sie bezog sich vielmehr auf Großhändler, die in systematischer Weise die Trennung zwischen Groß- und Einzelhandel unterliefen. Das wohl schillerndste Beispiel dafür war die Firma Terfloth & Snoek, die in Münster, Bochum und Hannover mehrere tausend Quadratmeter große „Ratio“-SB-Großmärkte betrieb. In diesen sogenannten Cash+Carry-Betrieben konnten Lebensmitteleinzelhändler in
248 Wettbewerbszentrale untersucht höchstrichterliche Rechtsprechung in Wettbewerbssachen. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Januar 1970, S. 10. Siehe auch Werbung mit den Bezeichnungen „Großhandel“ und „Großhandelspreis“. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, April 1967, S. 113. 249 Otte, Gerhard: Wettbewerbsfragen in der Praxis. Selbstkostenermittlung, Preisangebote an Verbraucher, Liefersperren und Kontrahierungszwang. In: Radio-Fernseh-Händler, September 1967, S. 332–334. Hier S. 334. 250 Großhandelspreis – Direktverkauf. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Oktober 1960, S. 276. Siehe auch: So machen die Käuferringe ihre Geschäfte. In: Radio-Fernseh-Händler, Juli 1960, S. 288.
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Selbstbedienung ihren Bedarf decken. Im Laufe der 1960er Jahre erweiterten die C+C-Großhändler ihr zuvor auf Lebensmittel konzentriertes Sortiment auf „NonFood“-Bereiche und verwischten dadurch die Trennung zwischen Wiederverkäufer und Endverbraucher. „Der Lebensmittelhändler“, so Hiersemann, „nutzt die Gelegenheit, um ein Fernsehgerät zum C+C-Preis zu erwerben, er kauft für seine Kinder Schultaschen, für seine Frau Haushaltsgeräte und Textilien, Gold- und Silberwaren.“251 Das Ziel der Kläger war, den auch an Endverbraucher verkaufenden Großhändlern die firmenrechtliche Bezeichnung als „Großhändler“ abzuerkennen. Dahinter stand das Kalkül, einerseits den Konkurrenten eine ähnlich den „Großhandelspreisen“ werbewirksame Bezeichnung zu nehmen. Andererseits ging es auch darum, die mit dem Status als Großhändler verbundenen Privilegien im deutschen Handelsrecht zu hinterfragen. Großhändler waren nicht vom Rabattgesetz, der Preisauszeichnungsverordnung, dem Ladenschlussgesetz oder der gesetzlichen Erlaubnispflicht zur Berufsausübung betroffen. Bis zur Einführung der Mehrwertsteuer 1967 hatten sie zudem nur ein Prozent Umsatzsteuer, also drei Prozentpunkte weniger als der Einzelhandel, zu entrichten.252 Der Bundesgerichtshof hatte 1958 gelegentliche Verkäufe des Großhändlers an Endverbraucher für zulässig erklärt. Das Oberlandesgericht Hamm hielt darüber hinaus eine eher laxe Kontrolle dieser Verkäufe für unproblematisch. Die mittelständischen Vereine zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs konzentrierten ihre Bemühungen in den 1960er und 1970er Jahren daher darauf, erstens die Grenzen der Zulässigkeit „gelegentlicher Verkäufe“ möglichst eng zu setzen. Zweitens wollten sie die Großhändler zu schärferen Kontrollstrukturen verpflichten. Die Industrie- und Handelskammer Köln meinte, dass 10 Prozent des Umsatzes an den Endverbraucher ausreichend dafür seien, dass ein Großhändler auch als Einzelhändler firmieren müsse.253 Die Zahl von 10 Prozent entwickelte sich als Daumenregel bald zu einer Art „Toleranzgrenze“.254 Die konkreten Zahlen waren aber eigentlich nicht nachweisbar. Es war den Händlern nämlich kaum möglich,
251 Hiersemann, Walter: Rechtsprobleme um C+C-Betriebe. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Februar 1967, S. 33–38. Hier S. 34. 252 Werbung mit den Bezeichnungen „Großhandel“ und „Großhandelspreis“. In: RundfunkFernseh-Großhandel, April 1967, S. 113. Die Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels rechnete 1951 vor, dass dem Staat durch den Direktverkauf ein Steuerausfall von ca. 150 Mio D-Mark entstünde. Siehe: Scheybani, Handwerk, S. 395. 253 Hiersemann, Walter: Rechtsprobleme um C+C-Betriebe. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Februar 1967, S. 33–38. Hier S. 34. 254 Selbstbedienungsgroßhandel. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Januar 1978, S. 43–49. Hier S. 47.
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funktional streng nach Gewerbetreibenden, die für den Weiterverkauf einkauften und Privatpersonen, die zur eigenen Bedarfsdeckung einkauften, zu differenzieren. Deshalb entwickelte sich die Frage der Kontrolle zum eigentlichen Kern der Debatte. Kontroll- und Überwachsungsstrukturen innerhalb der Geschäftsräume sollten dem Verkauf an Endverbraucher einen wörtlich gemeinten Riegel vorschieben. Hiersemann etwa wies darauf hin, dass Kantinenausweise und Wandergewerbescheine eine besondere Prüfung erforderten. Beide würden „erfahrungsgemäß vielfach als Tarnung für ausschließliche Letztverbraucherkäufe benutzt werden.“255 Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in den 1960er und 1970er Jahren setzte die zunächst liberale Linie nur teilweise fort. In zwei Urteilen von 1964 und 1965 kam er den Forderungen nach einer schärferen Trennung zwischen Großund Einzelhandel nach. Er forderte von den Großhändlern eine Ausweisprüfung, um die „Wiederverkäufereigenschaft eines ihm unbekannten Kunden“ sicherzustellen und er definierte sowohl den Unterschied zwischen Groß- und Einzelhandel als auch den zwischen Gewerbetreibenden und privaten Endverbrauchern.256 Der Bundesgerichtshof stellte aber auch klar: wer als Großhändler die Abgabe der Ware überprüfe und nur gelegentlich an Gewerbetreibende zur privaten Bedarfsdeckung verkaufe, könne nicht als Einzelhändler bezeichnet werden. Folglich würden auch die strengeren Regeln der deutschen Einzelhandelsgesetze nicht gelten.257 Der Rundfunk-Fernseh-Großhandel war mit den Urteilen unzufrieden. Sie stünden „in einem krassen Mißverhältnis zu der Auffassung des verständigen und anständig denkenden Kaufmanns“258. Im Jahr 1968 kam der Bundesgerichtshof den Forderungen des traditionellen Facheinzelhandels entgegen. Zumindest für Betriebe, „die eine auffällige Letztverbraucherwerbung“ betrieben, bejahte er die Anwendung des Rabattgesetzes. Diesen Geschäften verbot das Gericht auch die ausschließliche Verwendung der
255 Hiersemann, Walter: Rechtsprobleme um C+C-Betriebe. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Februar 1967, S. 33–38. Hier S. 35. 256 Ebd. Siehe auch: Schulze zur Wiesche, Jörg: Wettbewerbsrechtliche Probleme des Selbstbedienungsgroßhandels, insbesondere das Problem der privaten Bedarfsdeckung. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, November 1975, S. 636–644. 257 Brose, Claus-Detlev: Die Großhandelseigenschaft des C+C-Großhändlers im Hinblick auf die sogenannte „Privatbedarfsdeckung des gewerblichen Abnehmers“. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Februar 1975, S. 88–92. 258 Werbung mit den Bezeichnungen „Großhandel“ und „Großhandelspreis“. In: RundfunkFernseh-Großhandel, April 1967, S. 113.
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Firmierung als „Großhandel“.259 Das Oberlandesgericht Hamburg und das Landgericht Berlin bekräftigten im Jahr 1975 die bereits durch die Ratio-Entscheidung 1965 definierten Voraussetzungen.260 Wie effektiv diese Rechtsprechung war, ist schwer zu beurteilen. Der Rundfunk-Fernseh-Großhandel sprach noch Ende der 1960er Jahre von „fühlbaren Umsatzeinbußen im Einzelhandel“261. Offiziellen Erhebungen des Ifo-Instituts zu Folge sank der Anteil der über die Fachgroßhändler an Letztverbraucher abgegebenen Rundfunk-, Fernseh- und Phonogeräte von 7,8 Prozent im Jahr 1962 auf 5 Prozent im Jahr 1968.262 Diese Angaben sind aber mit großer Unsicherheit belastet, weil sie die Verkäufe der C+C-Großhändler nicht erfassen. Diese weigerten sich weiterhin, auf das Einzelhandelsgeschäft im Non-Food-Bereich zu verzichten263 Mitte der 1970er Jahre stellte der Jurist Ekkehard Gerstenberg fest, die Privilegien der C+C-Betriebe hätten zu einer „Umsatzverschiebung in Milliardenhöhe“ geführt.264 Wie hoch der Anteil der „Einzelhandels-Umsätze“ tatsächlich war, ließ sich allerdings kaum feststellen, da es den Großhändlern wie bemerkt nicht möglich war, die bei ihnen getätigten Einkäufe nach privaten Endverbrauchern und Zwischenhändlern zu differenzieren. Vermutlich beschleunigte die Rechtsprechung aber die Transformation einiger ehemaliger C+C-Großhandelsbetriebe zu reinen Einzelhandels-SB- und
259 Hiersemann, Walter: Klare Trennung zwischen Großhandel und Einzelhandel. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Dezember 1968, S. 428–431. Hier S. 428. Zu dem Urteil, siehe: Großhandelsunternehmen. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Dezember 1968, S. 440–443. 260 Siehe die ausführlichen Urteilsbegründungen: Großhandel und geschäftlicher Verkehr mit dem letzten Verbraucher. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Februar 1976, S. 109–116 und Kaufscheinhandel. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Februar 1976, S. 121–126. 261 Werbung mit den Bezeichnungen „Großhandel“ und „Großhandelspreis“. In: RundfunkFernseh-Großhandel, April 1967, S. 113. 262 Bewegte Zeiten. Eine Untersuchung über den Wettbewerb im Rundfunk-, Fernseh- und Phonogeräte-Einzelhandel. Teil 2. In: Radio-Fernseh-Händler, Juli 1970, S. 176–180. Hier S. 176. 263 In Münster gab zur selben Zeit jeder dritte Verbraucher an, seine Fernsehgeräte beim „Großhandel“ zu beziehen. Industrielle-und-Psychologische-Marktforschung-Doktor-Hilpert-KG (o.J.): Zur Veränderung der Wettbewerbssituation im Raum Münster und Umgebung durch die Eröffnung des Ratio-Marktes. Zusammenfassende Darstellung. „Das Problem des Ratio-Marktes in Münster aus der Sicht des Handels und der Verbraucher“. Eine Spezialuntersuchung. München, S. 11. Hinweis: das Erscheinungsjahr der Studie ist als 1954 katalogisiert. Dies ist sicherlich inkorrekt, da der Ratio-Markt erst Anfang der 1960er Jahre errichtet wurde. Die Publikation selbst enthält keine Angabe. 264 Gerstenberg, Ekkehard: Ist der C+C-Handel noch Großhandel? In: Wettbewerb in Recht und Praxis, Februar 1976, S. 72–76. Siehe auch: Weyhenmeyer, Hans: Die rechtliche und wettbewerbspolitische Einordnung des Cash and Carry-Großhandels. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, September 1975, S. 484–491.
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7 Verhandelte Werte. Konsumenten und Händler im Markt für Fernsehgeräte
Verbrauchermärkten. Die Ratio ist dafür ein gutes Beispiel. 1963 eröffnete Terfloth & Snoek den ersten für das „normale“ Publikum geöffneten Verbrauchermarkt.265 Auf einer großen Verkaufsfläche bot der Ratio-Markt nicht nur Lebensmittel, sondern auch eine breite Auswahl an Textilien, Möbeln, Teppichen, Haushaltsartikeln und Rundfunk- und Fernsehgeräten an. Die Ausweitung der Selbstbedienung auf Non-Food-Bereiche war in den frühen 1960er Jahren noch so ungewohnt, dass der Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen die Industrielle und Psychologische Marktforschung Doktor Hilpert KG mit einer ausführlichen Studie beauftragte.266 Es folgten weitere RatioMärkte. Ab Mitte der 1960er Jahre wuchs der Umsatz der als „Einzelhändler“ firmierenden und für alle zugänglichen SB- und Verbrauchermärkte insgesamt in einem rasanten Tempo. Trotz ihrer geringen Zahl konnten sie ihren Umsatzanteil am gesamten Lebensmittel-Einzelhandel von unter einem Prozent im Jahr 1965 auf etwa 10 Prozent fünf Jahre später ausbauen.267 Im Bereich der Unterhaltungselektronik konnten die neu entstandenen Verbrauchermärkte und die C+C-Betriebe zusammen ihren Anteil von 1,5 Prozent Anfang der 1960er Jahre auf sogar 12,8 Prozent im Jahr 1968 ausbauen.268 Im Bereich der Fernsehgeräte betrug der Anteil auch Ende der 1970er Jahre noch deutlich über 10 Prozent.269 Dabei war es bezeichnend, dass das Ifo-Institut seine Statistik, der diese Angaben entnommen sind, nicht weiter differenzierte. Aus Sicht der streng zwischen Groß- und Einzelhandel differenzierenden deutschen Einzelhandelsgesetzgebung ist das bemerkenswert. Sie erklärt sich aber durch die im SB-Großhandel historisch enge Verbindung zwischen Groß- und Einzelhandel. Bereits die Hilpert-Studie der frühen 1960er Jahre hatte ermittelt, dass die Konsumenten die Verbrauchermärkte gar nicht als neue Einzelhandelsformen, sondern meist als Großhändler auffassen würden.270 An dem strukturellen Problem des „Direktkaufs“ hatte sich bis Ende der 1970er Jahre trotz der heftigen Konflikte, der rechtlichen Urteile und des Strukturwandels im Einzelhandel insofern wenig geändert. Was die Facheinzelhändler an Umsätzen in den 1950er Jahren an den „Grauen Markt“ verloren, verloren sie
265 Berekoven, Geschichte, S. 102. 266 Industrielle und Psychologische Marktforschung Dr. Hilpert KG, Veränderung. 267 Banken, Strukturwandel, S. 133–134. 268 Bewegte Zeiten. Eine Untersuchung über den Wettbewerb im Rundfunk-, Fernseh- und Phonogeräte-Einzelhandel. Teil 2 in: Radio-Fernseh-Händler, Juli 1970, S. 176–180. Hier S. 176. Die Angaben für die C&C-Betriebe und die Verbrauchermärkte sind mit den (geringen) Werten des Handwerkerverkaufs zusammengerechnet. 269 Rühl/Hantsch/Wagner, Strukturuntersuchung, S. 210. 270 Industrielle und Psychologische Marktforschung Dr. Hilpert KG, Veränderung, S. 7.
7.2 Konsumenten und Händler in der BRD
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in den 1970er Jahren an die neuen Verbrauchermärkte und C+C-Betriebe. Was sich dagegen veränderte war das Verschwinden des Schlagworts „Grauer Markt“ aus den Diskussionen. Die Fachzeitschrift des Radio- und Fernsehfachgroßhandels stellte 1974 fest, das Problem sei soweit zurückgegangen, dass es heute in der Betrachtung vernachlässigt werden könne.271 Der Grund des Verschwindens war, dass die Überzeugungskraft des Begriffs von der Kommunikation der Direktverkäufe als individuelle moralische Verfehlungen abhing. Indem sich aber die zunächst undurchsichtigen und flexiblen Strukturen der Hinterhof-Händler und Warenbezugsschein-Vermittler in greifbaren Organisationen bündelten, rückte die Kritik einer unmoralischen Praxis zunehmend in den Hintergrund. Sie machte einer Kritik der neuen Handelsform als einer vermeintlich außerhalb der rechtlichen Ordnung operierenden Organisation Platz, die mit dem Konzept des „Grauen Marktes“ nicht mehr zu erfassen war. Aus Sicht der „Endverbraucher“ bedeutete die Institutionalisierung des „Grauen Marktes“ einen Gewinn an Bequemlichkeit, da sie die Fernsehgeräte nun ohne Umwege und Beziehungen günstig erwerben konnten. Es wäre allerdings völlig verfehlt, nicht auch die zentrale Bedeutung der Konsumenten für eben diese Entwicklung hervorzuheben. Mit Beginn des Marktes für Fernsehgeräte hatten viele von ihnen ein hohes Maß an Kreativität und Bereitschaft gezeigt, die von Industrie und Fachhandel vorgesehenen Vertriebswege abzukürzen und Preiseinsparungen zu erzielen. Welchen konkreten Einfluss die in den 1940er Jahren gemachten Erfahrungen des Schwarzmarkthandels auf diese Praktiken hatten, lässt sich kaum feststellen. Auch bleibt der Befund indirekt, weil sich das Verhalten der Konsumenten hier nur als „Problem“ aus Sicht der traditionellen Handelsformen präsentierte. Es ist aber naheliegend, dass die jahrelange Gewöhnung an den Handel mit Bezugsscheinen und die aktive Suche nach Anbietern außerhalb der vorgegebenen Beschaffungswege die „gute Sitte“, ausschließlich beim Facheinzelhändler einzukaufen, als handlungsleitende Norm geschwächt hat. Die Bereitschaft, tradierte Absatzwege zu umschiffen, war frühzeitig vorhanden. Das zeigt, dass die Entstehung der neuen Handelsformen kein allein von den Anbietern ausgehender Prozess war. Sie war gleichzeitig eine durch großen Aufwand ausgedrückte Forderung der Nachfrager. Zugespitzt formuliert wäre es ohne die Schaffung eines „Grauen Marktes“ durch die Konsumenten auch nicht zu seiner anschließenden Institutionalisierung gekommen.
271 Der Fachgroßhandel im Wandel der Zeit. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, Januar 1974, S. 5. Die vom Radio-Fernseh-Händler in einer ausführlichen Serie erläuterten „Fachbegriffe“ wiesen weder einen eigenen Abschnitt zum „Direktverkauf“ noch zum „Grauen Markt“ auf. Fachbegriffe aus der Handelspraxis (5). In: Radio-Fernseh-Händler, August 1973, S. 246.
8 Fazit Im November 1969 traten zwei Herren vor die Presse, die zwei sehr unterschiedliche Unternehmen vertraten. Der eine, Hermann Brunner-Schwer, war geschäftsführender Gesellschafter Sabas. Der andere, Roger Wellington, war Senior-Vice President der General Telephone & Electronic (GT&E), Mutterkonzern des amerikanischen Fernsehgeräteherstellers Sylvania. Ein Jahr zuvor hatte die GT&E die Kontrolle über das Familienunternehmen aus dem Schwarzwald übernommen. Die Übernahme schürte Unsicherheiten bei den von Saba belieferten Groß- und Einzelhändlern. Sie befürchteten, dass mit ihr die „amerikanische Praxis“ eines unkontrollierten Vertriebs über alle nur denkbaren Handelsformen Einzug erhalten könne. Brunner-Schwer und Wellington beschwichtigten. Die GT&E werde, so führte Wellington aus, die „mentalitätsbedingten Grundsätze“ anderer Länder anerkennen und dafür sorgen, dass Saba „vom Wesen her ein deutsches Unternehmen“ bleibe. Brunner-Schwer bestätigte, dass Saba auch unter amerikanischer Kontrolle an der selektiven Vertriebspolitik festhalten werde.1 Mit einer nüchternen Bestandsaufnahme vertriebspolitischer Gepflogenheiten in den beiden Ländern sind die Beschwichtigungen Wellingtons und BrunnerSchwers nicht zu erklären. Hätten die deutschen Groß- und Einzelhändler einen besseren Überblick über die vertriebspolitischen Strategien der amerikanischen Fernsehgerätehersteller gehabt, wären ihre Befürchtungen kaum begründet gewesen. Tatsächlich fiel die Übernahme Sabas ausgerechnet in die Zeit, in der Sylvania vor Gericht das Recht auf ihre selektive Vertriebspolitik erstritt. Trotzdem sind die Aussagen der beiden Unternehmer interessant. Denn zum einen lässt sich an ihnen die Bedeutung national vorgefärbter Beobachtungsmuster erkennen. Zum anderen lenken sie den Blick auf die kulturell bedingte Einbettung von Märkten. Sie greifen damit die eingangs gestellte Frage nach der Funktionsweise des Marktes für Fernsehgeräte in den zwei unterschiedlichen nationalen Kontexten auf. Die in der Arbeit entfaltete Fallstudie erlaubt es, die von Wellington bemühten „mentalitätsbedingten Grundsätze“ der beiden Länder in vielerlei Hinsicht zu differenzieren. Eine „amerikanische Praxis“, die sich von einer „deutschen Praxis“ unterschied, hat es nur vereinzelt und nicht über längere Zeiträume hinweg gegeben. Sie lässt sich nicht als Ausdruck grundsätzlich verschiedener und normativ fundierter Verhaltensweisen beschreiben. In vielerlei Hinsicht
1 Was das Saba-Beispiel zeigt. Der Großhandel potenter und unentbehrlicher Partner der Industrie. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, November 1969, S. 336. Siehe auch: Brunner-Schwer, Saba, S. 305.
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funktionierten der amerikanische und der deutsche Markt für Fernsehgeräte ähnlich, gab es vergleichbare Vorstellungen, wie eine „stabile Welt“ zu erschaffen sei. Eine Diskussion, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den beiden Ländern abwägt, verspricht ein besseres Verständnis der kulturellen und gesellschaftlichen Bedingungen des Markthandelns. Die wohl auffälligste Ähnlichkeit in der Entwicklung des Marktes für Fernsehgeräte in den beiden Ländern war ihre nahezu identische Phasenhaftigkeit. Einer zunächst drastischen und dann langsam abnehmenden Steigerung des Absatzes in den ersten zehn Jahren folgte eine weitere etwa fünfjährige Phase von heftigen Schwankungen um einen stagnierenden Trend. Danach folgte in beiden Ländern eine etwa fünfzehnjährige Phase relativ stetigen Wachstums mit kurzfristigen Schwankungen, die in den USA Mitte der 1970er Jahre, in der BRD Ende der 1970er Jahre durch teils heftige Konsumeinbrüche beendet wurde und eine erneute Phase stagnierenden Absatzes von fast zehn Jahren markierte. Oberflächlich waren die Phasen durch Brüche in den Absatz- und Sättigungszahlen gekennzeichnet. Dahinter verbargen sich aber tiefer liegende Wandlungsprozesse mit weitreichenden Auswirkungen auf die Akteure entlang der Wertschöpfungskette und ihren Beziehungen zueinander. Fligsteins Idee einer dynamischen Marktentwicklung mit unterschiedlichen Marktstadien findet hier ihren Ausdruck. Die Akteure in der Bundesrepublik und den USA waren von den Entwicklungen auf nahezu identische Weise betroffen. Preiswettbewerb und Strukturwandel im Einzelhandel prägten die Zeit der „gesättigten Märkte“ während die erfolgreiche Einführung des Farbfernsehens sowohl den Herstellern als auch den Groß- und Einzelhändlern in den ersten Jahren vergleichsweise große Gewinne bescherte. Ursprünglich enge Bindungen zwischen Herstellern und Fachhändlern lösten sich mit dem Prestigeverlust der Fernsehgeräte auf, wurden mit Durchsetzung der teuren und beratungsintensiven Farbgeräte neu geknüpft. Diese Grundtendenz war von den kulturellen Spezifika der beiden Länder völlig unbenommen. Das ist als erster Befund festzuhalten. Die Hersteller und Händler begegneten den Entwicklungen zunächst mit unterschiedlichen Vorstellungen und Strategien, die ihren Gewohnheiten aus der Zeit vor der Entstehung eines Marktes für Fernsehgeräte entsprangen. Die für das Verhältnis zwischen Herstellern und Händlern zentralen rechtlichen Bestimmungen betrafen die Preisdiskriminierung, die Preisbindung und die Vertriebsbindung. In vergleichender Perspektive schwankten beide Ländern zwischen dem Schutz der Händler, am Markt partizipieren zu können und dem Recht der Anbieter, ihre Absatzwege frei zu gestalten. Die institutionellen Rahmenbedingungen für den Bereich der Hersteller-Händler-Beziehungen waren zusammenfassend betrachtet zwischen den 1950er und 1980er Jahre vergleichbar. In dem hier untersuchten Zeitraum trafen sie allerdings auf wirtschaftliche Strukturen
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und Lösungsstrategien, die sich in den beiden Ländern grundsätzlich voneinander unterschieden. Der Vertrieb von Fernsehgeräten in den USA ging von einer zentralen Position der Großhändler aus, die räumlich streng voneinander abgegrenzt organisiert waren. Insgesamt übernahmen die selbständigen Großhändler in den USA mehr Beratungs- und Weiterbildungsfunktionen als ihr Gegenstück in der Bundesrepublik. Durch die Begrenzung auf nur eine Marke konnten sie sich stärker auf die Spezifika der verschiedenen Anbieter konzentrieren. Entlohnt wurden sie für ihren Aufwand und diese Einschränkung durch eine regionale Monopolstellung. Die Bindungen zwischen amerikanischen Herstellern und Großhändlern, vor allem aber auch zwischen amerikanischen Groß- und Einzelhändlern waren daher enger als dies in der Bundesrepublik der Fall war. Zusammen mit der Tatsache, dass die Abnehmer nur eine Marke führten, beschränkte dieses System den Wettbewerb auf Großhandelsebene und stabilisierte die Hersteller-Händler-Beziehungen. Franchise-Verträge hielten die im Rahmen der Kartellgesetze möglichen Zugeständnisse schriftlich fest. Die Großhändler hatten ihrerseits einen guten Überblick über die von ihnen belieferten Einzelhändler, mit denen sie eigene Franchise-Verträge abschlossen. Sie konnten bei einem festgestellten Fehlverhalten einzelne Händler sanktionieren. In den frühen 1950er Jahren unterstützte ein funktionierendes Preislistensystem die Sicherung der Profite entlang der Wertschöpfungskette. In den späten 1950er Jahren brach diese Form einer „stabilen Welt“ zusammen. Sie wurde durch individuelle Franchise-Verträge der Hersteller ersetzt. Die Vertriebsstruktur in der BRD sah vergleichbare Kontrollmechanismen wie in den USA zunächst nicht vor. Die west-deutschen Hersteller übten keine direkte Kontrolle darüber aus, in welchen Regionen ein Großhändler aktiv war. Die Großhändler galten als unkontrollierbar. Das lag auch daran, dass sie in der Bundesrepublik mehr als nur eine Marke führten und daher theoretisch die Hersteller gegeneinander ausspielen konnten. Umgekehrt standen sie untereinander in einem schärferen „Intra-Brand“-Wettbewerb. Eine „stabile Welt“ war in den 1950er Jahren deshalb möglich, weil die Marktbeziehungen von Herstellern, Großund Einzelhändlern in der BRD in ein anderes preispolitisches System eingebettet waren. Die kollektiv vereinbarte Preisbindung und das Rabattkartell sicherten die Kontrollmöglichkeiten auf einer anderen Ebene. Die von den Abnehmern geforderten Preise und der Verdienst der Händler wurden nicht durch räumliche Monopole, sondern durch vorgeschriebene Preise und Handelsspannen stabilisiert. Eine grundsätzlich andere Haltung der Akteure zum Problem des Preiswettbewerbs im Sinne „mentalitätsbedingter Grundsätze“ spiegeln die beiden Kontrollstrategien nicht wider. Vielmehr ist der Neuen Wirtschaftssoziologie hier zuzustimmen. Unternehmen begegnen dem Koordinationsproblem des Wettbe
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werbs auf vielfältige Weise. Sie sind letztlich aber versucht, einen direkten Preiswettbewerb soweit wie möglich zu vermeiden und „stabile Welten“ zu erschaffen, die ihre Gewinne sichern. Die Idee der Produktdifferenzierung, die als eine solche Möglichkeit in preistheoretischen und marketinghistorischen Studien prominent ist, spielte in der Geschichte des Marktes für Fernsehgeräte eine untergeordnete Rolle. Jedenfalls aus Sicht der Einzelhändler waren die meisten Marken nahezu austauschbare „potatoes in a bag“. Ihre entscheidenden Unterscheidungsmerkmale lagen in vertriebs- und preispolitischen Strategieentscheidungen, die ihr Verhältnis zum Einzelhandel prägten. Das erklärt einerseits die zentrale Stellung des Einzelhandels. Es widerspricht andererseits aber auch der Selbstwahrnehmung der Hersteller und den Bemühungen der Marketingabteilungen, die sich und ihre Produkte als einzigartig wahrnahmen. Diese Sichtweise war streng genommen nicht falsch, da jedes Unternehmen individuell war und unterschiedlich agierte. Aus Sicht der Verbraucher waren diese Unterscheidungsmerkmale aber kaum zu bewerten. Die Produkte der Markenhersteller waren von einigen Ausnahmen abgesehen nicht von vornherein mit einer preispolitisch relevanten Symbolik – einem „Zusatznutzen“ – aufgeladen. Vielmehr entstand der Wert eines Fernsehgerätes erst im Verkaufsprozess selbst, in den sowohl die marketingpolitischen Bemühungen der Hersteller als auch die Verkaufsstrategien der Händler und die Erwartungen der Verbraucher einflossen. In der Pionierphase der ersten zehn Jahre wandelte sich das Fernsehgerät von einer neuen und unbekannten Innovation zu einer Selbstverständlichkeit. Die meisten Haushalte, die in dieser Zeit ein Fernsehgerät kauften, hatten zuvor keines besessen und nahmen große finanzielle Opfer in Kauf, um Teil der stetig wachsenden Fernsehgemeinschaft zu werden. In der zweiten Phase wurden diese „Erstkäufe“ immer häufiger durch Ersatzkäufe oder den Kauf eines zweiten Fernsehgerätes abgelöst. Die Zahl von Gebrauchtgeräten, die gehandelt wurden, nahm zu. Die zeitliche Dringlichkeit eines Kaufs nahm tendenziell ab, die Ansprüche stiegen. Der Konsum an Fernsehgeräten stagnierte. In der dritten Phase bedingte eine neue Innovation, die Einführung des Farbfernsehens, eine neue Konsum-Welle. In der vierten Phase flaute der sprunghafte Anstieg der ersten Jahre langsam ab. Ersatzkäufe und der Kauf von Zweit- und Gebrauchtgeräten spielten nun auch im Markt für Farbgeräte eine bedeutende Rolle. Erneut heftige Schwankungen kennzeichneten den Absatz an Farb- und Schwarz-Weißgeräten. Die Geräte wurden nun zunehmend nicht mehr im Inland produziert, sondern importiert. Der Soziologe Harrison White vertritt die Theorie, dass Anbieter die Nachfragefunktion der Verbraucher nicht erfassen können und stattdessen eine Marktord-
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nung der Nischenbildung etablieren, die auf gegenseitiger Beobachtung beruht.2 Letzteres kann mit der Einschränkung bestätigt werden, dass die Nischenbildung eben auch eine Folge vertriebspolitischer Entscheidungen war und nicht allein durch das Verhalten der Produzenten bestimmt wurde. Der ersten Aussage kann dagegen ohne Einschränkung zugestimmt werden. Das kollektive Verhalten der Verbraucher, das für die Gesamtentwicklung des Marktes entscheidend war, ließ sich im Unterschied zum individuellen Kaufakt kaum beobachten, geschweige denn prognostizieren. Keines der im zwanzigsten Jahrhundert entwickelten ökonomischen Modelle war in der Lage, die Entwicklung des Fernsehgerätekonsums adäquat zu beschreiben. Das galt sowohl für die Vereinigten Staaten wie für die Bundesrepublik Deutschland.3 Zusammenhänge zwischen Volkseinkommen, Zahl der Haushalte und Preisniveau ließen sich für einzelne Phasen, nicht aber durchgängig nachweisen. Als gesättigt geltende Märkte erlebten plötzlich einen Boom. Der Zusammenhang zwischen Preis und Absatz eines Fernsehgeräts, der in den frühen 1950er Jahren Gültigkeit hatte und zur Vorhersage der Marktentwicklung brauchbar war, stellte sich schon Mitte der 1950er Jahre als falsch heraus. Abgesehen von Verkaufszahlen und Preisstatistiken blieb „der“ Verbraucher ein diffuses und kaum berechenbares Bild. Daran änderten auch die Bemühungen der Marktforscher wenig, deren Modelle an den Übergängen der einzelnen Marktphasen scheiterten. Neben der erwähnten Gemeinsamkeit der großen Entwicklungslinien zeigten sich auch Unterschiede zwischen dem Fernsehgerätekonsum in der Bundesrepublik und den USA. Beispielsweise scheinen sportliche Großereignisse den Verlauf des Absatzes in der BRD stärker als in den USA geprägt zu haben. Das ließe sich dadurch erklären, dass in der BRD vor allem die alle vier Jahre ausgetragenen Fußballweltmeisterschaften das bedeutendste Ereignis markierten. Die Amerikaner, die sich für Fußball kaum interessierten, konnten ihre sportlichen Großereignisse – die Playoffs in Football, Baseball, Eishockey oder Basketball – dagegen in jährlichen Abständen verfolgen. Prestigeträchtige Standgeräte spielten in den USA eine insgesamt größere Rolle als in der Bundesrepublik. Das galt
2 White, Markets. 3 Bowden/Offer, Household Appliances; Bonus, Ausbreitung. Siehe auch die selbstkritischen Äußerungen von Bonus zehn Jahre später. „Wann wird der Haushalt das erste Exemplar eines dauerhaften Konsumgutes kaufen? Auch hier sind viele falsche Antworten gegeben worden, weil falsche Fragen gestellt worden waren; ich fühle mich frei, dies so krass zu sagen, da ich selbst betroffen bin.“ Bonus, Nachfrage, S. 443.
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für die Schwarz-Weiß-Geräte und in einem noch deutlich stärkeren Ausmaß für die später eingeführten Farbgeräte. Der finanzielle Aufwand eines durchschnittlichen Haushalts, um ein durchschnittliches Fernsehgerät zu erwerben, war in der Bundesrepublik etwas größer. Das gilt auch dann, wenn man die zeitlichen Unterschiede berücksichtigt. Mitte der 1950er Jahre musste ein Haushalt mit mittlerem Einkommen in den USA etwa einen halben Monat arbeiten, um das Fernsehgerät bezahlen zu können. In der Bundesrepublik wurde diese Relation erst Ende der 1960er Jahre erreicht. Die Zahlen sind nicht wirklich vergleichbar, weil sie grobe Durchschnittswerte und Vereinfachungen der Konsummöglichkeiten darstellen.4 Nimmt man die Unwägbarkeiten allerdings in Kauf, könnte der Unterschied der Kaufkraft erklären, weshalb Zweitgeräte in der Bundesrepublik deutlich länger brauchten, um eine ähnlich weite Verbreitung in den Haushalten zu erreichen. Allerdings spielte in diesem Punkt wohl noch eher die späte Einführung eines alternativen Fernsehprogramms die zentrale Rolle. Der Kauf eines Fernsehgerätes war eine voraussetzungsreiche Handlung. Douglass North räumte ein, dass seine Theorie, die er am Beispiel des Kaufs eines Sacks Orangen diskutierte, für den Kauf eines Fernsehgerätes aufgrund der Komplexität an Informationen weniger gut geeignet sei. Das historische Fallbeispiel des Marktes für Fernsehgeräte verdeutlicht dagegen, dass schon die Grundannahme in seinem Beispiel kaum haltbar ist. North zu Folge konnten sich die Konsumenten darauf verlassen, dass der Wettbewerb die Wiedergabe relevanter Preisinformationen sicherstellte. Diese Art von leicht zugänglichen und verlässlichen Informationen hat es im Markt für Fernsehgeräte aber nicht gegeben. Die Preiswerbung verdeckte teilweise mehr als sie enthüllte. Die angeschriebenen Preise waren selbst in der Bundesrepublik trotz Rabattgesetz verhandelbar. Die Händler forderten unterschiedliche Preise für dasselbe Gerät, boten aber auch unterschiedlichen Service. Einen objektiven Preis gab es nicht. Das alles bedeutete, dass der Konsum von Fernsehgeräten nicht das Gegenstück von Arbeit war,
4 Der Haushaltstyp 2 des Statistischen Bundesamts entsprach nicht eins zu eins dem Haushalt mit mittlerem Einkommen in den USA. Zudem ist es problematisch, das Brutto-Einkommen eines amerikanischen Haushalts dem Netto-Einkommen eines deutschen Haushalts gegenüber zu stellen. Diese Schwierigkeit nimmt noch dadurch zu, dass die durchschnittlichen Preise im Einzelhandel im deutschen Fall die Mehrwertsteuer enthielten, im amerikanischen Fall aber nicht. Umgekehrt müssten bei einem direkten Vergleich der Einkommen auch die in den USA deutlich höheren Sparguthaben nach 1948 berücksichtigt werden. Eine direkte Vergleichbarkeit wäre mit einem größeren Aufwand verbunden gewesen, als für diese Arbeit angemessen schien. In langfristiger Perspektive wäre sie nahezu unmöglich.
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sondern selbst Arbeit und vielfältige Möglichkeiten der sozialen Differenzierung erlaubte.5 Preis- und vertriebspolitische Maßnahmen zwischen Herstellern und Händlern ließen sich nur dann durchsetzen, wenn die Verbraucher auch bereit waren, die auf sie zurückfallenden finanziellen Konsequenzen zu tragen. In der Konsumgeschichte ist diese Bereitschaft als Bestandteil zweier gegensätzlicher „Wettbewerbskulturen“ in der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten beschrieben worden. Die deutschen Konsumenten seien eher bereit gewesen, Einschränkungen ihrer Wahlmöglichkeiten hinzunehmen. Victoria de Grazia zu Folge sei die Entscheidungsgewalt in Europa dem Kaufmann zugefallen, in den USA dem „,souveränen‘ Verbraucher“6. Jan Logemann hat die deutschen Konsumenten der 1950er als „Quality Shopper“ beschrieben, deren Jagdinstinkt auf günstige Schnäppchen nicht sehr ausgeprägt gewesen sei.7 Die Kaufkultur in der Bundesrepublik war deshalb eine andere als in den USA, wo „Bargain Shoppers“ oder „Value Shoppers“ die Kaufkultur prägten. Das in der Geschichtswissenschaft und anderen Disziplinen vom „deutschen Verbraucher“ der 1950er und 1960er Jahre gezeichnete Bild ergab sich meist stimmig aus den restriktiven wettbewerbsrechtlichen Institutionen. Die „unternehmerische ‚Findigkeit‘“ der deutschen Konsumenten etwa sei, wie Christian Kleinschmidt in Anlehnung an Peter Engelhard festgestellt hat, aufgrund der vertikalen Preisbindung stark eingeschränkt gewesen.8 Dieses Bild der deutschen Konsumenten wird aus Sicht der historischen Fallstudie geradezu in sein Gegenteil verkehrt. Betrachtet man den Zusammenbruch der Preisbindung und die zentrale Rolle der „Direktverkäufe“ zeigte sich von Beginn an eine große „Findigkeit“ der deutschen Konsumenten, die letztlich auch für das Aufweichen oder die mangelnde Anwendbarkeit der in der Tat strikten Rahmenbedingungen im deutschen Einzelhandel verantwortlich zu machen
5 Welskopp, Konsum. Siehe auch: Hesse, Konsument. 6 Ebd. Siehe auch: de Grazia, Victoria (1998): Changing Consumption Regimes in Europe, 1930–1970. Comparative perspectives on the distribution problem. In: Susan Strasser, Charles McGovern und Matthias Judt (Hg.): Getting and Spending. European and American consumer societies in the twentieth century. Cambridge/New York, S. 59–83. 7 Logemann, Trams, S. 69. 8 Engelhard, Peter (1999): Paradigmata des Konsumentenverhaltens. Die Rolle der Nachfrage im Innovationsprozeß. Ein sozialökonomischer Beitrag zur subjektivistischen Theorie der Wahlhandlungen von Konsumenten. Berlin, S. 76; zit. nach Kleinschmidt, Christian (2006): Konsumgesellschaft, Verbraucherschutz und Soziale Marktwirtschaft. Verbraucherpolitische Aspekte des „Modell Deutschland“ (1947–1975). In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (1), S. 13–28. Hier S. 17.
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ist. Aus Sicht der Geschichte des Marktes für Fernsehgeräte spiegeln die Unterschiede viel eher kulturelle Selbstzuschreibungen wider, wie sie in den Aussagen Wellingtons und Brunner-Schwers zum Ausdruck kommen als grundsätzlich unterschiedliche Konsumpraktiken. In keinem der Länder ließen sich die Verbraucher langfristig in ihren Konsummöglichkeiten einschränken, auch wenn dies in beiden Ländern von Seiten der Anbieter aus versucht worden ist. Seine eigentliche Wirkungsmacht entfaltete die Vorstellung „des“ Verbrauchers als juristisch tragfähige Figur, an der sich historische Veränderungsprozesse ablesen lassen. Sowohl im Fall der Federal Trade Commission als auch im Fall der deutschen Gerichte fällt hier zunächst auf, dass die Vorstellungen über Interessen und Fähigkeiten der Verbraucher äußerst vage waren, obwohl oder vielleicht auch weil „der“ Verbraucher im Zentrum aller Debatten stand. Nahezu alle Akteure, die sich zu regulativen Maßnahmen äußerten, gaben stets an, in seinem Interesse zu handeln.9 Dabei ging es vor Gericht nicht nur um die grundsätzliche Frage von Kompetenz und Entscheidungsfähigkeit, sondern auch um das Verständnis zentraler Begriffe. Die Unterscheidung unterschiedlicher Handelsformen, der Rückschluss von einer Werbemaßnahme auf die Preispolitik eines Einzelhändlers oder die Interpretation eines Listenpreises waren weder in der Bundesrepublik noch in den USA als Verbrauchervorstellungen festgelegt. Viele der für beide Länder diskutierten Problemfälle waren identisch. In beiden Ländern stand die Frage der Täuschung des Konsumenten in den 1950er und 1960er Jahren im Mittelpunkt. Selbst der konkrete Inhalt der diskutierten Fälle wies länderübergreifende Überschneidungen auf. In vergleichender Perspektive sticht zudem der Unterschied ins Auge, dass die Federal Trade Commission als direkte Vertreterin der Verbraucherinteressen auftrat, während die deutschen Gerichte lediglich indirekt das Interesse der Verbraucher vertraten. Die amerikanische Behörde legte selbst fest, welche verbraucherschutzpolitischen Probleme ihr vordringlich erschienen. Die deutschen Gerichte betrieben Verbraucherschutzpolitik in Abhängigkeit der Fälle, mit denen sie sich befassen mussten. Umso erstaunlicher ist es, dass mit der Preislistenwerbung und den Lockvogelangeboten in der Bundesrepublik eben jene Praktiken auf privatrechtlicher Basis verhandelt wurden, die von der Federal Trade Commission vor dem Hintergrund des Verbraucherschutzes sanktioniert wurden. Aber anders als die Federal Trade Commission in den USA besaß das
9 Jacobs, Pocketbook, S. 260.
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Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb in der Bundesrepublik eine „hochgradige Legitimität“.10 Eine Ausnahme war die Frage der Direktverkäufe, bzw. des „Grauen Marktes“, die in den USA keine vergleichbare Rolle spielte. Das lag zum einen an der effektiveren Kontrolle der Großhändler durch die Hersteller, die bei einem direkten Verkauf an die Endverbraucher den Verlust ihrer exklusiven Franchises befürchten mussten. Das Fehlen einer vergleichbaren Diskussion lag aber nicht allein in den Kontrollstrukturen begründet. Es hatte auch institutionelle und historischsemantische Ursachen, die in den restriktiveren Einzelhandelsgesetzen in der Bundesrepublik und den abweichenden Vorstellungen über legitime Absatzwege zu suchen sind. Einen „Grauen Markt“ hat es in den USA nicht gegeben, weil es auch keine vergleichbaren Vorstellungen eines davon zu unterscheidenden legitimen Marktes gegeben hat. Es wäre falsch, die Rechtsprechung der Gerichte und die Entscheidungen der Wettbewerbsbehörden als einen eng gesteckten Rahmen unternehmerischer Handlungsfähigkeit zu sehen. Das Gegenteil war der Fall. Erstens entstanden viele der Prozesse erst in der Konsequenz kontinuierlicher Grenzüberschreitungen. Zweitens bildete das Recht nicht nur Handlungsorientierung, sondern auch eine Art Kapital, das im Wettbewerb mit unliebsamen Konkurrenten eingesetzt wurde.11 Die Ausbildung von Normen und Begriffen war die Folge rechtlicher Auseinandersetzungen, die durch die Akteure selbst angestoßen wurden. Teilweise waren die Auseinandersetzungen kaum mehr als Scharmützel, die in den beiden Ländern ohne größere Auswirkungen auf die Handlungsspielräume der Akteure blieben. Sie sind vor allem deshalb interessant, weil sich in ihnen Veränderungen des Marktes spiegeln, die sich methodisch ansonsten nur schwer erfassen lassen. Der Bedeutungswandel der Listenpreise war nicht zuletzt eine Reaktion der Regulierungsbehörden auf die tiefgreifenden preispolitischen Zäsuren, die mit dem Ende der Preisbindung in der BRD und dem Preislistensystem in den USA einhergingen. Teilweise waren die Auseinandersetzungen von grundlegender und über den Markt für Fernsehgeräte hinausreichender Bedeutung. Die Neu-Interpretation des Kommissions-Systems durch den Rechtsstreit Telefunkens ist ein solches Beispiel. Das Sylvania-Urteil des U.S. Supreme Court ist ein weiteres. Diese
10 Hefermehl, Wettbewerbsrecht, S. 101. Für die USA stellt Hefermehl dagegen fest, dass die FTC auch über Fälle des unlauteren Wettbewerbs entscheide, erkläre „manche Eigenart des amerikanischen Rechts“. Ebd., S. 100. 11 Vgl. zu dieser Überlegung auch Bourdieu, Pierre (1986): The Force of Law. Toward a Sociology of the Juridical Field. In: Hastings Law Journal 38, S. 805–853.
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Urteile allein aus dem engeren Kontext des Marktes für Fernsehgeräte heraus zu bewerten, ist nahezu unmöglich. Der in der historischen Entwicklung des Wettbewerbsrechts in den USA genannte Aufstieg der Chicago School, der mit dem Urteil seinen Niederschlag in der praktischen Rechtsprechung erfuhr, vollzog sich unabhängig von der Geschichte des Marktes. Dennoch deuten die praktischen Probleme der Rechtsprechung und die Urteilsbegründungen darauf hin, dass die einseitig angebotsseitige Interpretation der theoretischen Durchsetzung des „Neoliberalismus“ zu kurz greift. Die Richter des Supreme Court scheinen das Angebot der Chicago School vielmehr aktiv nachgefragt zu haben, weil es ihnen einen angemesseneren Interpretationsspielraum der vertikalen Beziehungen im Markt für Fernsehgeräte (und anderen Märkten) lieferte. Diese These soll an dieser Stelle aber lediglich als Ausgangspunkt weiterer Forschungen verstanden werden, nicht als feststehender Befund an sich. Die Entstehung einer Rundfunkindustrie im Allgemeinen und der Fernsehgeräteindustrie im Besonderen war ohne eine aktive Rolle des Staates nicht denkbar. Wie die Beispiele der Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik zeigten, ließ sich die Rolle des Staates unterschiedlich ausfüllen. In den USA war der Staat maßgeblich für die Gründung der RCA verantwortlich, die ohne staatlichen Einfluss nicht erfolgt wäre. Durch die Federal Communications Commission ermöglichte der Staat zudem die Schaffung eines allgemein verbindlichen Standards. Dieser Prozess war nicht die Folge einseitiger Vorgaben. Vielmehr versuchten die verschiedenen Akteure der amerikanischen Fernsehgeräteindustrie die staatliche Institution der FCC in ihrem Sinne zu nutzen. Die Produktion des Programmangebots und der Ausbau von Sendestationen war in den USA in erster Linie eine privatwirtschaftliche Angelegenheit, weil die Unternehmen das Risiko trugen. In der Bundesrepublik kam dem Staat eine aktive Rolle bei der Entwicklung und der Einführung von Rundfunk und Fernsehen zu. Der Austausch der von privaten Elektrounternehmen entwickelten Patente erfolgte nicht durch die Gründung eines Monopols, sondern auf Basis eines Kartells. Der Staat übernahm eine koordinierende Funktion, unterhielt aber auch zusätzliche Forschungsabteilungen. Der Wettbewerb war eine Grundtatsache im Markt für Fernsehgeräte, deren konkrete Erscheinungsform sich insbesondere mit den Übergängen der vier Phasen veränderte. Der Versuch der preispolitischen Stabilisierung in der ersten Phase war bei allen Unterschieden in beiden Ländern primär eine Aufgabe der Produzenten. Die Sicherstellung des Absatzes war weniger ein Problem der preispolitischen Anreize auf Verbraucherebene als die Gewinnung verlässlicher Großund Einzelhändler. Natürlich zwangen die gerade in den ersten Jahren erzielten Rationalisierungsgewinne in der Produktion zu einer kontinuierlichen Anpassung der Preise. Wer hier als Anbieter nicht mitziehen konnte, schied relativ bald
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wieder aus. Aber als strategischen Preiswettbewerb lässt sich der Wettbewerb zwischen den Herstellern in den ersten Jahren nur dort auffassen, wo einzelne Anbieter durch günstige Preise die Groß- und Einzelhändler von der Marktgängigkeit ihrer Produkte überzeugen wollten. Admiral in den 1950er Jahren ist ein gutes Beispiel dafür, weil die Vertriebsstrategie des Unternehmens gleichzeitig verdeutlicht, dass die Preise selbst relativ stabil gehalten wurden. Die Anreize gegenüber den Händlern nahmen statt Preisnachlässen die Form von Truthähnen und Whisky an. Der Preiswettbewerb auf der Einzelhandelsebene blieb dadurch begrenzt. Die zweite Phase veränderte den Wettbewerb im Markt für Fernsehgeräte. Einerseits gewannen preisgünstige Geräte mit geringeren Margen wie die Portables an Bedeutung. Andererseits weitete sich der Preisbildungsprozess auf die Ebene des Einzelhandels aus. Der Prozess war sowohl Folge des Strukturwandels als auch des Zusammenbruchs des Preislistensystems in den USA und der Preisbindung in der Bundesrepublik. War die „stabile Welt“ in den 1950er Jahren das Ergebnis der Zusammenarbeit mehrerer Akteure entlang der Wertschöpfungskette gewesen, dominierte in der Zeit des „freien Marktes“ ein Kalkül individueller Nischenbildung. Nach den ernüchternden Erfahrungen der letzten Jahre befürworteten sowohl viele Facheinzelhändler als auch die meisten Hersteller relativ lose Bindungen. Sie sahen zunächst durchaus Vorteile in der größeren Handlungsautonomie und der flexibleren Anpassung an die Bedingungen des Marktes. Der Verbraucher trat als preispolitisch relevanter Akteur stärker in Erscheinung, verhandelte als Widerpart des Verkäufers, verglich unterschiedliche Angebote und Preise miteinander, testete die möglichen legalen und illegalen Bezugsquellen aus. Die traditionellen Facheinzelhändler traf die Entwicklung härter als erwartet. Andererseits wehrten sie sich und nutzten die ihnen verbliebenen Möglichkeiten, so etwas wie eine „stabile Welt“ zu erhalten. Der Gang vor die Gerichte war die eine Strategie. Subtilere Abwehrmaßnahmen wie der erschwerte Preisvergleich und die Suggestion von Preiseinsparungen war die andere. Der Übergang in den „freien Markt“ war in der Bundesrepublik radikaler. Hier setzte eine Phase völlig unkontrollierter Absatzwege ein, weil die durch das Bundeskartellamt forcierte Abschaffung von Preisbindung und Rabattkartell auf keinerlei alternatives Kontrollsystem wie in den USA traf. Darin zeigten sich die Folgen eines jahrzehntelang von kollektiven Absprachen auf horizontaler Ebene abhängigen Vertriebssystems. Die Bemühungen der Marketingabteilung Telefunkens in dieser Zeit stehen stellvertretend für die Strategie individueller Nischenbildung wie für ihr Scheitern. Dass auch der „freie Markt“ in den Vereinigten Staaten im Bereich der Unterhaltungselektronik nicht frei von vertikal kontrollierenden Strukturen war, wurde innerhalb der Marktforschungsabteilung Telefunkens Ende der 1950er
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Jahre schlicht nicht gesehen. Die einseitige Aufladung des Angebots mit Symbolik generierte vor dem Hintergrund gesättigter Märkte keine stabile Nachfrage, insbesondere nicht die der Händler. Die dritte Phase, die durch die Einführung des Farbfernsehens eingeläutet wurde, war in weiten Teilen eine Wiederholung der ersten Phase. Der Preiswettbewerb verlor an Bedeutung. Die Hersteller konkurrierten über Rabatte und den Zugang zum Fachhandel. Zwei wesentliche Unterschiede sind gleichwohl zu nennen. Erstens fand keine konsequente Rückverlagerung des Preisbildungsprozesses auf die Herstellerebene statt. Zweitens glichen sich die konkreten Strategien zur Vermeidung des Preiswettbewerbs in der Bundesrepublik und den USA an. Der Schwerpunkt lag auf selektiven Vertriebsstrategien. In beiden Ländern wurde die Effektivität der Strategie allerdings beschränkt. Das lag erstens am Bedeutungsgewinn der nicht-traditionellen Handelsformen und zweitens an den rechtlichen Grenzen. Entweder die neuen Handelsformen klagten wie im Fall Nordmende ihr Recht auf Belieferung ein oder die Wettbewerbsbehörden begrenzten wie im Fall Magnavox die „Exklusivität“ der vertriebspolitischen Strategie. Drittens konnten die neuen Handelsformen über den Rückgriff auf internationale Anbieter die Allianz aus Herstellern und Facheinzelhändlern umgehen. Interessanterweise war das weniger für die Facheinzelhändler als für die Hersteller ein Problem. Die Zunahme an Innovationen in der Verbraucherelektronik, wie VideoRekorder und Hi-Fi, ermöglichte ihnen die Konzentration auf kaum preissensible Segmente. Die amerikanischen und deutschen Hersteller verpassten diesen Übergang dagegen und gingen langfristig mit dem Übergang des Farbfernsehens in ein normales Alltagsgut unter. Die Fähigkeit und der Wille zur Kooperation auf horizontaler Ebene blieben in der BRD wohl stärker. Das lässt sich etwa an dem deutlich höheren Grad der Kooperation auf Einzelhandelsebene ablesen. Angesichts der Tatsache, dass auch in den USA die Kooperation auf Einzelhandelsebene eine akzeptierte Lösungsstrategie darstellte, sollte dieser Kontrast nicht überbewertet werden. Die wohl größten Unterschiede auf diskursiver wie institutioneller Ebene lassen sich im Bereich der materiellen Zusatzgaben verorten. Während die kleinen Geschenke in den USA generell wohlwollend aufgenommen und wettbewerbspolitisch nur unter den Gesichtspunkten der Diskriminierung relevant wurden, waren sie in der Bundesrepublik weithin offiziell geächtet und streng reguliert. Aber auch hier gilt eine wesentliche Einschränkung. Anders als dies etwa in der Bundesrepublik von Vertretern des Einzelhandels und dem Markenverband kommuniziert wurde, waren die „Zusatzgaben“ in den USA gerade nicht darauf ausgerichtet, die Intensität des Wettbewerbs zu fördern. Vielmehr sollten sie den Preiswettbewerb sowohl zwischen den Händlern als auch zwischen den Herstellern dadurch entschärfen, dass sie auf eine – zumindest oberflächlich – intakt bleibende Preis
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struktur setzten. In diesem Fall resultierte die prinzipielle Ablehnung aus einem Missverständnis. Die deutschen Unternehmen bewerteten die Praxis durch ihre eigene kulturelle Brille.12 Mit diesem Argument eines verzerrten Blicks auf die andere Kultur hatte auch Brunner-Schwer versucht, die Händler im eigenen Land zu beschwichtigen. Die Eindrücke unkontrollierter Absatzwege, so führte er auf der Pressekonferenz aus, lägen auch in den USA um viele Jahre zurück. Was sich inzwischen in den USA ereignet habe, belege mit Nachdruck die These, dass technisch anspruchsvolle Gebrauchsgüter einen kontrollierten Vertriebsweg über den Fachhandel erforderten. Alle führenden Hersteller von Fernsehgeräten in den USA hätten dies erkannt. Sie praktizierten Vertriebsmethoden, „die denen unseres Hauses nicht unähnlich sind“13. Brunner-Schwers Einschätzung war eine Momentaufnahme. Sie spiegelte das Ergebnis eines Lernprozesses in den beiden Ländern wider, der in langfristiger Perspektive nicht abgeschlossen war, sondern immer neue Lösungsansätze produzierte. Transaktionskostentheoretisch ließ sich die Ausgestaltung der Wertschöpfungskette durch effizienzorientierte Handlungen erklären. Für eine historische Beschreibung der Vorgänge war diese Perspektive aber kaum adäquat. Wie die konfliktträchtigen Auseinandersetzungen zwischen Herstellern, Händlern und Konsumenten zeigen, ging es nicht nur darum, was effizientes Handeln oder die Beschaffenheit des Produkts erforderten. Es ging auch um relative Machtpositionen, Befindlichkeiten und divergierende Interessen. In historischer Perspektive ging es darüber hinaus aber auch um Pfadabhängigkeiten, Lernprozesse und die Interpretation von Begriffen. In dieser Perspektive stellt sich das Konzept eines intendiert rationalen Verhaltens für sich genommen als inhaltsleer dar. Eine allein auf den abstrakten Begriff wirtschaftlicher Institutionen beschränkte Analyse kann institutionellen Wandel weder erklären noch überhaupt die Bedeutung der Institutionen für die Funktionsweise des Marktes erfassen. Eine „amerikanische“ Praxis hat es ebenso wenig gegeben wie eine „deutsche“ Praxis. Dafür war das Handeln der Marktakteure in den beiden Ländern zu dynamisch. Wie konnte der Markt für Fernsehgeräte vor diesem Hintergrund funktionieren? Wie schafften es die Akteure unter diesen Bedingungen, ihr Markhandeln zu strukturieren und Erwartungssicherheit herzustellen? Die Arbeit
12 Teupe, Sebastian (2016): Material Incentives, Market Relations, and Historical Change. Selling Television Sets in West Germany and the United States. In: Enterprise & Society (im Erscheinen). 13 Was das Saba-Beispiel zeigt. Der Großhandel potenter und unentbehrlicher Partner der Industrie. In: Rundfunk-Fernseh-Großhandel, November 1969, S. 337.
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hat gezeigt, dass es eine zeitlose Antwort auf diese Frage nicht geben kann. Die Koordinationsprobleme stellten sich mit der Entwicklung des Fernsehgerätes als Konsumobjekt und dem Strukturwandel in Industrie und Handel stets neu. Die Akteure schwankten zwischen Kooperation und Opportunismus. Sie setzten Lösungen durch, die sie für vielversprechend hielten, versuchten Konkurrenten abzuwehren, die das Funktionieren der Lösungen gefährdeten. Preislistensystem, Franchises, Fernsehkartell und Vertriebsbindungen lassen sich ebenso als Versuche bewerten, die Unwägbarkeiten des Marktes zu meistern wie das zwischenzeitliche Experimentieren mit losen Bindungen. Die Effektivität der Lösungsansätze war zeitlich begrenzt. Aber indem sie den Akteuren als Orientierung dienten, definierten sie, wie Preisbildung, Wettbewerb und Handel im Markt für Fernsehgeräte der Bundesrepublik und den USA funktionierten.
9 Quellen- und Literaturverzeichnis 9.1 Archivalische Quellen 9.1.1 Deutsches Technikmuseum Berlin. Historisches Archiv (DTMB) 9.1.1.1 Firmenarchiv der AEG-Telefunken
Signaturen: GS 1052, GS 1054, GS 1101, GS 1142, GS 1152, GS 1161, GS 1460, GS 1467, GS 1470, GS 1959, GS 1968, GS 1974, GS 1977, GS 1986, GS 1987, GS 1988, GS 2000, GS 2001, GS 2011, GS 2017, GS 2019, GS 2021, GS 2028, GS 2031, GS 2032, GS 2190, GS 2218, GS 2389, GS 2597, GS 2656, GS 2657, GS 2817, GS 2896, GS 3415, GS 4191, GS 4595, GS 4686, GS 7972, GS 922, GS 926, JB 1756, JB 1758, JB XA 896, JB XA 897, JB XA 898, JB 1759, JB 1760.
9.1.2 Bundesarchiv Koblenz (BArch) 9.1.2.1 Bestand des Bundesministeriums für Wirtschaft (B 102)
Signaturen: 94245, 94246, 94247, 94251, 196041, 232214, 232215, 232217, 232218, 232219, 232220
9.1.2.2 Bestand der Landeszentralbank in Bremen (B 331) Signatur: HB/63
9.1.3 Hagley Museum and Library (HML) 9.1.3.1 RCA Victor Camden/Frederick O. Barnum III collection (Accession 2069) (RCA-Victor) Series II (B.L. Aldridge Files, 1897–1980)
9.1.3.2 David Sarnoff Library collection (Accession 2464) (David Sarnoff) David Sarnoff Publicity, Press Releases, RCA News, DSRC Public Relations Collection – Technology Later
9.2 Gedruckte Quellen
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9.1.3.3 Records of the National Association of Manufacturers (Accession 1411) (NAM) Series IV (General administrative files), Series V (Law Dept. records), Series XII (Vada Horsch subject files), Series XVI (Publications)
9.1.3.4 National Industrial Conference Board records, 1916–1985 (Accession 1057) (NICB) Series I (Transcripts of conference proceedings (1929–1977))
9.1.3.5 Ernest Dichter Papers (Accession 2407) (EDP)
Subgroup A (Research proposals and studies), Subgroup F (Ernest Dichter correspondence)
9.1.4 National Archives (NA) 9.1.4.1 Records of the United States International Trade Commission (Record Group 81) (USITC) AA1921-66 Television Receiver Sets Japan
9.1.4.2 Records of the Federal Trade Commission (Record Group 122) (FTC)
122.5 Records of the Docket (Legal) Section: Docket 6140, Docket 6319, Docket 6928, Docket 6935, Docket 7094; Docket 8124, Docket 8134, Docket 8180, Docket 8545
9.2 Gedruckte Quellen 9.2.1 Zeitungen und Zeitschriften Die einzelnen Aufsätze und Artikel der summarisch aufgelisteten Zeitungen und Zeitschriften sind nur in den Anmerkungen aufgeführt, nicht aber im Quellen- und Literaturverzeichnis. Die Titel wurden daher auch bei ihrer Wiederholung jeweils vollständig wiedergegeben.
9.2.1.1 Zeitungen und Zeitschriften mit durchgängiger Verwendung:
Electrical Merchandising (1952–1958), Electrical Merchandising Week (1959–1974), Federal Trade Commission Decisions (1952–1980), Fernseh-Informationen (1958–1986), Funk-Fachhändler (1955–1980), Merchandising Week (1975–1980), Radio-Fernseh-Händler (1955–1976), Rundfunk-Fernseh-Großhandel (1966–1974), Television Digest (1964–1986), Wettbewerb in Recht und Praxis (1958–1984)
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9 Quellen- und Literaturverzeichnis
9.2.1.2 Zeitungen und Zeitschriften mit selektivem Bezug:
Betriebs-Berater, Der Betrieb, Der Spiegel, Der Tagesspiegel, Der Volkswirt, Deutsche Zeitung, Die Welt, Die Zeit, Discount-Informationen, Fortune, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau, funkschau elektronik express, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Handelsblatt, Markenartikel, New York Times, Radio & Television Retailing, Saturday Evening Post, Süddeutsche Zeitung, Time Magazine, Verbraucherpolitische Korrespondenz, warendistribution aktuell
9.2.2 Statistische Periodika Statistisches Bundesamt: Der Aussenhandel der Bundesrepublik Deutschland, Teil 2. Waren nach Herstellungsländern und Verbrauchsländern (ab 1962: Fachserie G – Aussenhandel. Reihe 2. Spezialhandel nach Waren und Ländern) Statistisches Bundesamt: Fachserie M – Preise, Löhne, Wirtschaftsrechnungen. Reihe 6 – Preise und Preisindizes der Lebenshaltung. Statistisches Bundesamt: Fachserie M – Preise, Löhne, Wirtschaftsrechnungen. Reihe 18 – Einkommens- und Verbrauchsstichproben. 1. Ausstattung privater Haushalte mit ausgewählten langlebigen Gebrauchsgütern. Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland U.S. Bureau of the Census (1975): Historical Statistics of the United States. Colonial times to 1970. Part 2. Washington, D.C. U.S. Bureau of the Census: Census of Business. Retail Trade. U.S. Bureau of the Census: Census of Business. Selected Services U.S. Bureau of the Census: Census of Business. Wholesale Trade U.S. Bureau of the Census: Census of Manufactures. U.S. Bureau of the Census: Statistical Abstract of the United States. U.S. Bureau of the Census: U.S. Exports. Commodity by Country. U.S. Bureau of the Census: U.S. Imports of Merchandise for Consumption.
9.2.3 Zeitgenössische Veröffentlichungen Abō, Tetsuo (1988): A Report of On-the-Spot Observations of Sony’s Four Major Color TV Plants in the United States, Great Britain, West Germany and Japan. Their similarities and differences. In: Annals of the Institute of Social Science 29, S. 21–59. Adams, W.; Dirlam, J. B. (1977): Import Competition and the Trade Act of 1974. A case study of section 201 and its interpretation by the International Trade Commission. In: Indiana Law Journal 52 (3), S. 535–599. Alexander, George J. (1967): Honesty and Competition. Syracuse, NY. Alexander, Ralph S. (1955): Marketing’s Contributions to Economics. In: Robert A. Solo (Hg.): Economics and the Public Interest. New Brunswick, NJ, S. 71–72. Altschuler, Stuart (1980): Sylvania, Vertical Restraints, and Dual Distribution. In: Antitrust Bulletin (1), S. 1–102.
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