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German Pages 234 [252] Year 2003
Christian Rödel
Krieger, Denker, Amateure Alfred von Tirpitz und das Seekriegsbild vor dem Ersten Weltkrieg Franz Steiner Verlag Stuttgart
Christian Rödel
Krieger, Denker, Amateure Alfred vonTirpitz unddasSeekriegsbild vordemErsten Weltkrieg
Beiträge zurKolonial- undÜberseegeschichte herausgegeben von Rudolf von Albertini undEberhard Schmitt
Band 88 Verantwortlich fürdie Frühe Neuzeit: Eberhard Schmitt Verantwortlich fürdie Neuere Neuzeit: Rudolf vonAlbertini
Christian Rödel
Amateure Denker, Alfred von Tirpitz und das Seekriegsbild vor dem Ersten Weltkrieg
Krieger,
Franz Steiner Verlag Stuttgart 2003
Umschlagbild: Wilhelm II. imGespräch mitdenAdmirälen Tirpitz undHoltzendorff S.M.Y. HOHENZOLLERN. Zeitgenössische Postkarte, Verlag Gustav Liersch & Co., Berlin 1910
an Bord
Bibliografische Information derDeutschen Bibliothek DieDeutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation inderDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind imInternet über abrufbar.
ISBN 3-515-08360-X
ISO 9706
Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig undstrafbar. Dies gilt insbesondere fürÜbersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung odervergleichbare Verfahren sowie fürdieSpeicherung inDatenverarbeitungsanlagen. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. © 2003 by Franz Steiner Verlag Wiesbaden GmbH, Sitz Stuttgart. Druck: Druckerei Proff, Eurasburg. Printed
inGermany
Für meine
Eltern
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung 1.1 Die Betrachtung deutscher Flotten 1.2 Die Tirpitz-Flotte in der Forschung 1.3 Untersuchungsgegenstand und Vorgehensweise 1.4 Dilemmata: Seestrategie vor 1914
Schirmenden Wehr“ 2 Die Notwendigkeit der „ 2.1 Deutsche Seemacht als politischer Imperativ 2.2 Die Loyalitäten des Seeoffiziers Tirpitz: Ein marinespezifischer ? Primat der Innenpolitik“ „
2.3 Zusammenfassung
3 Die „Funktionsweise“der Tirpitz-Flotte homogene Schlachtflotte“ 3.1 Die „ 3.2 Der„Hebel“Nordsee 3.3 Die Risikotheorie (Teil I) Bündnisflotte“ 3.4 Die „
1 1 7 12 15
25 30 52 63
65 66 82 99 121
4 Clausewitz und die Royal Navy: Corbett Beschränkter Krieg“ 4.1 Das Fundament: Clausewitz’„ 4.2 Corbett gegen die Seestrategie der „Maximen“ 4.3 Die Blockade 4.4 Die strategische Defensive 4.5 Schlußfolgerung
131
5 Kontinuität und Umbruch: Alfred Stenzel 5.1 Vernichtung und Offensive 5.2 Seeherrschaft und Kriegführung 5.3 Stenzel und Tirpitz
157 159 168 175
: Mahan 6 Der „Ideologe der Seemacht“ Ideologie“ 6.1 Mahan als Historiker und die Seemacht-„ 6.2 Mahan, Deutschland und die Seeherrschaft
177
133 138 142 151 153
180 184 IX
VIII
Inhaltsverzeichnis
7 Streit um das „Bärenfell“ : Maltzahn 7.1 Die Opposition gegen Tirpitz 7.2 Der „ Maltzahn-Plan“
197 197 198
8 Seeherrschaft und Risiko-Theorie (Teil II)
203
9 Zum Schluß
209
Abkürzungsverzeichnis
215
Quellen- und Literaturverzeichnis
217
Namensregister
231
Vorwort Tirpitz wollte Deutschland eine Flotte von Einheitslinienschiffen bauen, und am Ende rollten ein DREADNOUGHT und ein Schlachtkreuzer nach dem anderen von den Hellingen. Wer den Auftrag für eine Motoryacht erhält, und am Ende sieht, daß seine Vorstellungen nur in den Rumpf eines Schlachtschiffes passen, der wird den Entstehungsprozeß dieser Arbeit richtig einzuschätWollte man alle Gesichtspunkte befriedigen, so käme man leicht zen wissen. „ , wie Tirpitz einmal zum 100,000-Tonnen-Schiff, und hätte erst nichts erreicht“ schrieb. Für kaum jemanden ist es in der Folge eine größere Überraschung als für den Konstrukteur, wenn das Gebilde dann, einmal vom Stapel gelaufen, tatsächlich schwimmt.
Von der recht herkömmlichen Ansicht, die Marine sei immer das Stiefkind des deutschen Militärs gewesen, über die Einsicht Dülffers, der die eindeutige Rüstungspriorität der Marine Ende der 30er Jahre herausgearbeitet hatte, bis zu der schablonenhaften Selbstverständlichkeit einer doch grundsätzlich recht verdienstvollen Bielefelder Schule reichten die Perspektiven, unter denen sich Was war los dem Verf. immer wieder die nur naiv zu stellende Frage auftat. „ mit der Marine?“ Bei der Überführung dieser recht amorphen Problemstellung in ein wissenschaftlich tragfähiges Gerüst von Fragestellung, Hypothese und Methodologie führte die Studie Das zerbrechende Schiff von Knut Stang zum ersten Anstoß. Ihr verdankt diese Arbeit einige wesentliche Impulse, vor allem, da sich die Gestaltlosigkeit der ursprünglichen Frage auch mit zunehmender Durcharbeitung kaum auflöste, sondern sich vielmehr immer neue, ineinanderfließende Ebenen des Diskurses offenbarten, auf die für eine fruchtbringende Untersuchung des Gegenstandes schlechterdings nicht zu verzichten war. Konkret hieß dies unter anderem, gewonnene Ergebnisse immer wieder dahingehend zu überprüfen, ob bei ihrem Auffinden Repräsentativität über Eklektizismus bei Auswahl und Analyse der Quellen gegangen war. Auch, wenn d. Verf. seine Ergebnisse bereitwillig der Reevaluation im Lichte etwa der Bearbeitung des schwerer zugänglichen Schrifttums seiner Protagonisten unterwirft, so glaubt er doch, mit den veröffentlichten Gedanken jener Männer das für das Seekriegsbild jener Epoche Maßgebliche aufgefaßt und bearbeitet zu haben. Freilich wird die Lektüre der Arbeit offenbaren, daß d. Verf. nicht immer in der Lage war, eindeutige Schlußfolgerungen ohne Vorbehalte zu treffen. Schon kurz nach der Fertigstellung der Arbeit legte darüber hinaus Rolf Hobson seine neue Studie Imperialism at Sea (Boston 2002) vor, die sich jedoch im Großen und Ganzen innerhalb des von ihm schon in seinem hier verwendeten früheren Werk erarbeiteten hält, eingeschlossen die vom gegenwärtigen Verf. für problematisch
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Vorwort
erachteten Punkte. Eine Umarbeitung des fertigen Textes, um auf jene neue Veröffentlichung einzugehen, hielt d. Verf. somit für nicht erforderlich. So stellt sich denn auch das Ergebnis dieser Bemühungen, im Frühjahr 2002 als Magisterarbeit vonder historischen Fakultät der Otto-Friedrich-Universität Bamberg angenommen, in weiten Teilen als Kompromiß zwischen dem Nötigen und dem Machbaren, oft genug aber auch als kompromißlose Hintanstellung der persönlichen Vorlieben des Verfassers im Angesicht wissenschaftlicher Sachzwänge, dar. Umso erfreulicher empfindet d. Verf. den Umstand, das Vorliegende in vollem Umfange und unverwässert als seine Arbeit der Öffentlichkeit unterbreiten zu können. Dafür hat er ganz besonders Herrn Prof. Dr. Eberhard Schmitt zu danken, der die Entstehung der Arbeit nicht nur mit Interesse verfolgt, sondern auch mit der Öffnung seiner Privatbibliothek unterstützt hat. Das weitere, gute Schicksal dieser Arbeit bis zur Veröffentlichung darf in allererster Linie als sein Verdienst gelten. Vielfältiger Dank gebührt auch Herrn Dr. Thomas Beck, der schon weit vor Beginn und auch weit über Beendigung dieser Arbeit hinaus niemals mit Inspiration, Ermutigung, wertvoller Kritik und tatkräftiger Hilfe gespart hat. Wenn der Verfasser sich einen Wissenschaftsbegriff zu eigen gemacht hat, dessen Verfolgung lohnend, dessen Ernsthaftigkeit erfüllend, unddessen Resultate relevant sind, so hat er das ihm zuverdanken. Obwohl er sich dagegen verwahren würde, so darf ich auch Herrn Holger Kraft, M.A., dem teuren Freund seit den ersten Studientagen, hier als nie versiegende Quelle der Inspiration, der Orientierung, und nicht zuletzt des Wissens, vonHerzen danken. Im Großen wieim Kleinen, im Abstrakten wieim Konkreten wäre diese Arbeit ohne ihn (noch) mehr schuldig geblieben, ebenso wie ohne Rat und Hilfe von Herrn Roman Sieberz, M.A., Eike Schmidt, PD Dr. Michael Meyer, das Organisationstalent von Frau Angelika Glodeck und die Geduld der Mitarbeiter der TB 5. Ihnen allen herzlichen Dank.
Bamberg, im Mai 2003
C.R.
„Weil wir aber dasselbe einmal angefangen und es überall in Welt einen éclat gemacht, so befinden wir unsere Glorie dabei teressiert, daß wir dasselbe continuieren.“
der in-
Kurfürst Friedrich Wilhelm über seine Flottenpläne, Juli 1682
1 Einleitung 1.1 Die Betrachtung deutscher Flotten Am Anfang dieser Untersuchung stand der Eindruck, daß der Kriegführung der deutschen Marinen zeit ihres Bestehens–sieht man von der Entwicklung der Marine der Bundesrepublik Deutschland seit 1955, die sich aber unter völlig anderen Rahmenbedingungen vollzogen hat, ab–höchst selten eine zum Erreichen der gesteckten Ziele geeignete Strategie zugrunde lag. Quellen und Literatur zu diesem Thema vermitteln stark den Eindruck, als habe eine Vielzahl von außermilitärischen Faktoren, die aus der Einbindung der Marine in gesamtgesellschaftliche–etwa wirtschafts-, sozial- oder außenpolitische– Prozesse resultierten, die Strategiegenese der deutschen Marinen beeinflußt unddie militärisch-strategischen Anforderungen in den Hintergrund gedrängt, oft–fast zwangsläufig–zum Nachteil des Einsatzes der Flotte als Kampfmittel. Gleichzeitig zeichneten sich die Planungen der deutschen Marinen immer auch durch die Tatsache aus, daßsie im Grunde für Flotten vorgenommen wurden, die weder vorhanden noch in absehbarer Zeit zu beschaffen waren. Nunist die Marinerüstung–bedingt durch die immensen Kosten und lange Dauer des 1 auf eine mehr oder weniger ungewisse ZuWechsel“ Schiffbaues–immer ein „ kunft. Trotzdem ist auffällig, daß, selbst wenn marinefremde Faktoren in den Hintergrund traten, die Marine in ihrer Planung also relativ selbständig agieren konnte, dennoch den augenblicklichen Notwendigkeiten2 relativ wenig Beachtung geschenkt wurde, und stattdessen das Seeoffizierskorps den Blick auf eine 1
SALEWSKI, MICHAEL,
Die deutsche Kriegsmarine zwischen Landesverteidigung und Seemachtambitionen, jetzt in: SALEWSKI, MICHAEL, Die Deutschen und die See. Studien zur deutschen Marinegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, hrsg. v. ELVERT. JÜRGEN 198, hier S. 191. und LIPPERT, STEFAN (=HMRG Beiheft 25), Stuttgart 1998, S. 191– , von dem man nicht Die Bezeichnung des Flottenbaues als „ Wechsel auf die Zukunft“ wisse, ob er eingelöst werden könne, stammt vom bayerischen Finanzminister: Aufzeichnung Burkhards über die Bundesratssitzung vom 14. November 1908, Bay. HStA München, Kriegsarchiv, MKr. 761/1, cit. bei EPKENHANS, MICHAEL, Die Wilhelminische 1914. Weltmachtstreben, industrieller Fortschritt, soziale IntegratiFlottenrüstung 1908– on (=Beiträge zur Militärgeschichte 32), München 1991 (cit. Epkenhans, Wilhelminische Flottenrüstung), S. 85. Vgl. auch die Formulierung in: Tirpitz an Stosch, 21. Dezember 1895, abgedruckt in: TIRPITZ, ALFRED V., Erinnerungen, Leipzig 1919 (cit. Tirpitz, Erinnerungen) S. 52f: „ [Ohne] Macht, und zwar Seemacht [...] fehlt die Courage, Cheks [sic] auf die Zukunft auszustellen.“Das Zitat auf S. XI stammt aus Petter, Flottenrüstung (wie
Anm. 3), S. 26. 2 Damit ist im allgemeinen die Aufstellung eines funktionierenden Planes zur Verteidigung der Küsten, des Seehandels oder der Seeherrschaft, wobestehend, und die Bereitstellung des zu seiner Durchführung geeigneten und erforderlichen Schiffsmaterials gemeint. Die Definition dieser Begriffe wird weiter unten von einiger Bedeutung sein.
2
1 Einleitung
ferne Zukunft gerichtet hatte, in der die Marine völlig andere–üblicherweise wesentlich größere Kräfte beanspruchende–Aufgaben zu erfüllen haben würde, als es momentan der Fall war. Diese beiden Faktoren, die (zumindest temporäre) Dominanz außermilitärischer Faktoren und die Dichotomie zwischen Erfüllung der momentan oder in absehbarer Zeit auf die Marine zukommenden Aufgaben und der Vorbereitung auf einen erst für die fernere Zukunft zu erwartenden Aufgabenkatalog, wirkten zusammen bzw. alternierten, umdie Anstrengungen der Marine in einer bewaffneten Auseinandersetzung wirkungslos werden zu lassen. 1853 erfüllte in erster Linie Die Reichs- bzw. Bundesflotte der Jahre 1848– eine politische Integrationsfunktion3 als greifbare Inkarnation des projektierten deutschen Nationalstaates; wo nach einer sehr zögerlichen Anfangsphase schließlich energische Aufbauarbeit platz griff, wurde diese sehr schnell Opfer der politischen Umstände, so daß Brommys Flotte nie über einen embryonalen Zustand hinauskam undmit ihrer Liquidation durch Hannibal Fischer 1853 der erste Versuch einer nationaldeutschen maritimen Machtentfaltung, das heißt der Schaffung des Instrumentes dazu, als gescheitert angesehen werden kann. Beredtes Zeugnis für den untergeordneten Stellenwert, und die damit zusammenhängenden äußerst geringen Entfaltungsmöglichkeiten, diedieser erste Ansatz in einem gesamthistorischen Kontext hat, ist die Tatsache, daß Entwicklung und Ende der deutschen Flotte nur eine Fußnote in demübergreifenden Prozeß der „ Abwicklung“der Revolution von 1848/49 darstellt, als Begleiterscheinung des politischen Spiels zwischen Preußen und Österreich zwischen demVertrag vonOlmütz unddemBeginn des preußischen Verfassungskonflik-
tes.
In den Reichseinigungskriegen4 spielte die kleine preußische bzw. norddeutsche Marine keine wesentliche Rolle; sie wirkte nirgendwo kriegsentscheidend. Freilich ist das mit den geographischen Verhältnissen zu erklären und der Tatsache, daß die verbündeten Heere der Unterstützung durch die Marine 3 Was nicht bedeutet, daß sie von Anfang an „mehr revolutionäres Symbol als militärisches Instrument“sein sollte, wie es HEINSIUS dem Verfasser des einschlägigen Artikels im
Handbuch zur deutschen Militärgeschichte, Petter (PETTER, WOLFGANG, Deutsche Flottenrüstung von Wallenstein bis Tirpitz, in: HACKL, OTHMAR/MESSERSCHMIDT, MAN1939, 6 Bde., München FRED (Hrsg.), Handbuch zur Deutschen Militärgeschichte 1648– 1981, Bd. 4, München 1979, Abschnitt VIII: Deutsche Marinegeschichte der Neu1964– 262, [cit. Petter, Flottenrüstung]), in den Mund legt (cf. HEINSIUS, PAUL, Die zeit, S. 13– erste Deutsche Marine in Überlieferung und Wirklichkeit, in: HUBATSCH, WALTHER ET 1853, hrsg. v. d. Deutschen Marine-Akademie unddem AL.Die erste deutsche Flotte 1848– Deutschen Marine Institut (=Schriftenreihe des Deutschen Marine Instituts 1), Herford 77, S. 76). Es ist die historische Bedeutung dieser Flotte, nicht ihr Entste1981, S. 73– hungszweck, revolutionäres, vor allem aber nationales, Symbol zu sein. Petter bestreitet dies an keiner Stelle. 4 Für 1870/71 cf. STENZEL, ALFRED, Flotte und Küste, in: PFLUGK-HARTTUNG J. v., 611. Cf. auch UHLEKrieg und Sieg 1870/71. Ein Gedenkbuch, Leipzig 1895, S. 585– WETTLER, FRANZ, Alfred von Tirpitz in seiner Zeit, Hamburg u. a. 1998, S. 26ff (cit. Uhle-Wettler, Tirpitz).
1.1 Die Betrachtung deutscher Flotten
3
im Grunde nicht bedurften; gleichwohl fehlte es in Auseinandersetzungen mit Mächten, die maritim durchaus bedeutsam waren, nämlich Dänemark mit seiner einzigartigen geostrategischen Position zwischen Nord- und Ostsee, und Frankreich, das sich zu dieser Zeit noch nicht gegen England im Rennen um die stärkste Seemacht überhaupt geschlagen gegeben hatte.5 nicht an theoretischen Ansatzpunkten für die Verwendung von Seestreitkräften. Aber es war nicht die preußische Marine, die 1864 bei Helgoland den Dänen eine Niederein besonderes Ärgernis für Preußen – lage6 zufügte, sondern ausgerechnet– Tegetthoffs österreichische Panzerschiffe, und 1870/71 bekamen, mit einer bemerkenswerten Ausnahme,7 die Besatzungen nicht einmal die Kriegsdienstzeit angerechnet, wie Tirpitz mit noch in den zwanziger Jahren spürbarer Verbitterung schrieb:
Die Armee hat es uns verübelt, daß wir nicht die ganze französische „ Flotte angriffen, als sie auf dein Rückmarsch [aus der Ostsee, d. Verf.] 5 1859 hatte Frankreich mit dem Ironclad LA GLOIRE den Startschuß zum Wettlauf zwischen Panzer und Artillerie gegeben; die Überlegenheit der Royal Navy war mit dem Aufkommen des eisernen Panzers mit einem Schlage in Frage gestellt, dem ihre hölzernenSegelschiffsflotten nichts entgegenzusetzen hatten. England antwortete umgehend mit dem Bau des wesentlich größeren WARRIOR (1860) und setzte sich mit einem rüstungsmäßigen Kraftakt allein nach Zahl der Panzerschiffe wieder an die Spitze, was aber einige Jahre dauerte (dazu und zum Folgenden cf. vor allem CLARK E. H./HALL M., in: POT-
6 7
TER, ELMER B./NIMITZ, CHESTER W./ROHWER, JÜRGEN, Seemacht. Eine Seekriegsgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, Herrsching 1982 (cit. Potter/ Nimitz/Rohwer, 190; auch: WATTS, ANTHONY J., The Royal Navy. An Illustrated HiSeemacht), S. 186– story, London 1994 (cit. Watts, Royal Navy), S. 29ff und Petter, Flottenrüstung, S. 76; STROHBUSCH E., Kriegsschiffbau seit 1848 (=Führer des Deutschen Schiffahrtsmuseums 8), Bremerhaven 1977 (zitierte Ausgabe 21984), S. 16f). Die in dieser Zeit einsetzende rasante waffen- und schiffbautechnische Entwicklung, die gleichzeitig gewaltige taktische Probleme aufwarf (speziell nach der Schlacht von Lissa, cf. v. a. ROHWER J./HUBATSCH 256), führte dazu, daß W./ARNOLD J. A., in: Potter/Nimitz/Rohwer, Seemacht, S. 227– längere Zeit das Rennen um die stärkste Marine in der Schwebe blieb und vor allem die Kriterien, nach denen sie zu messen sein könnte, unklar waren. Petter, Flottenrüstung, S. 61, 79; auch: Uhle-Wettler, Tirpitz, S. 25. Nachdem das Kanonenboot METEOR von der US-Regierung aus Key West ausgewiesen worden war, verabredete der Kommandant, Kptlt. v. KNORR (der spätere Kommandierende Admiral) nach Art und Weise eines Gentleman ein Gefecht mit dem in diesen Gewässern kreuzenden französischen Aviso BOUVET, in dessen Verlauf es dem preußischen Schiff gelang, vor einem größeren Publikum dem Gegner den schwereren Schaden zuzufügen, worauf BOUVET das Gefecht abbrechen mußte. METEOR war die einzige Einheit der preußischen Marine, die die Kriegszeit angerechnet bekam (cf. Stenzel, Flotte und Küste, S. 607ff; zusammengefaßt und des zeitgenössischen Enthusiasmus entkleidet bei Petter, Flottenrüstung, S. 101. Hergang der Ereignisse auch bei Uhle-Wettler, Tirpitz, S. 33f). Drei Schiffe, die als Handelsstörer eingesetzt werden sollten, konnten praktisch keine Erfolge erzielen: ARCONA wurde auf denKanarischen Inseln, AUGUSTA imspanischen Vigo von der französischen Marine blockiert (nach immerhin drei Kaperungen), während ELISABETH ohne Feindeinwirkung havarierte. Cf. auch: HASSELL, ULRICH V., Tirpitz. Sein Leben und Wirken mit Berücksichtigung seiner Beziehungen zuAlbrecht vonStosch, Stuttgart 1920 (cit. Hassell, Tirpitz), S. 9f; Petter, Flottenrüstung, S. 102.
4
1 Einleitung plötzlich vor Wilhelmshaven erschien. [...] Für Nichtseeleute ist auch schwer zu verstehen, weshalb wir nicht wenigstens einen Ausfall wagten. Ein angefangenes Gefecht auf See kann aber nicht abgebrochen werden, wenn der Feind schneller ist. Jedenfalls wurde der Marine ihre Untätig8 keit verdacht. So bekamen wir nicht einmal Kriegsjahre angerechnet.“
Es ist nicht notwendig, auf die Ursachen der Passivität der preußischen Marine einzugehen. Festzuhalten bleibt, daß sie in den Kriegen von 1864, 1866 und 1870/71 keinen entscheidenden Beitrag leisten konnte.9 Nach 1919 befand sich die deutsche Marine in einer ähnlichen Lage materieller Unzulänglichkeit wie schon 1848, und auch hier war das Augenmerk viel mehr auf den langfristigen Aufbau einer Flotte für einen Staat, den es noch gar nicht gab, gerichtet–nämlich ein von den Rüstungsbeschränkungen des Versailler Vertrages (die gerade die Marine mit ihrer Selbstversenkung in Scapa Flow in dieser Schärfe überhaupt erst herbeigeführt hatte) befreites Deutschland, das politisch und militärisch wieder in der Lage sein sollte, den ihm gebührenden Platz in der Rangfolge der Mächte zurückzugewinnen–als auf die Gewährleistung der militärischen Verteidigungsfähigkeit unter Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Mittel.10 Zwar war sich die Marine 1935, als sowohl 1848, als der Hauptgegner Dänemark hieß, als auch 1919– Frankreich und Polen die wahrscheinlichsten Gegner waren, über ihre Zweitrangigkeit und die Beschränktheit ihrer Mittel im klaren; es bestand jedoch Konsens unter den Marineoffizieren, daß bereits in der gegenwärtigen Macht-
losigkeit der Grundstein zur langfristigen Wiedererhebung der Marine gelegt werden müsse, selbst wenn darunter die unmittelbar an die Marine gestellten Anforderungen litten. So ließ die Marine während der gesamten Weimarer Zeit beispielsweise keinen Zweifel daran, daß sie im Falle eines Krieges etwa mit Polen oder der neuen Sowjetunion das Heer bei der Verteidigung des durch den polnischen Korridor vom Reich getrennten Ostpreußen nicht unterstützen können würde; eine Versorgung beispielsweise Danzigs über See oder den Schutz der ostpreußischen Küste glaubte die Marine, nicht leisten zu können. Sie sah sich damit den elementarsten Aufgaben einer Seestreitmacht, zumal der jeweils zuerst an eine preußische Flotte gestellten Aufgabe, des Schutzes
8 Tirpitz, Erinnerungen, S. 6. 9 Ihre geringe Aktivität reichte aber immerhin, 1870 ein französisches Geschwader unter Bouët-Willaumez aus der Ostsee zu vertreiben, ein Beispiel gelungenen Küstenschutzes (Petter, Flottenrüstung, S. 101).
10 Cf. RAHN, WERNER, Kriegführung, Politik und Krisen-die Marine des Deutschen Reiches 1914–1933, in: DEUTSCHES MARINE INSTITUT/DEUTSCHES MILITÄRGESCHICHTLICHES FORSCHUNGSAMT (Hrsg.), Die deutsche Flotte im Spannungsfeld der Politik 1848– 1985. Vorträge und Diskussionen der 25. Historisch-Taktischen Tagung der Flotte 1985 104, S. 97, (=Schriftenreihe des Deutschen Marine Instituts 9), Herford 1985, S. 79– und STANG, KNUT, Das zerbrechende Schiff. Seekriegsstrategien- und Rüstungsplanung 1939 (=Europäische Hochschulschriften der deutschen Reichs- und Kriegsmarine 1918– III 630), Frankfurt/M. 1995 (cit. Stang, Das zerbrechende Schiff), bes. S. 111ff.
1.1 Die Betrachtung deutscher Flotten
5
der langgestreckten preußischen Küste, nicht gewachsen. Gleichzeitig aber entwarfen Offiziere wie Zenker oder Raeder11 großartige Pläne einer ozeanischen Zukunftsflotte“,12 wie es bei einem Historiker heißt–und Kriegführung–eine „ forderten, obwohl es sich eigenem Bekunden nach um eine nicht innerhalb der nächsten Jahre realisierbare Vorstellung handelte, die Bereitstellung des für die Vorbereitung dieser Zukunftsflotte für erforderlich gehaltenen SchiffsmateA“ , über denja rials. Ein wesentliches Motiv für den Bau des Panzerschiffes „ schließlich das Kabinett Müller stolperte, war die Ansicht, daß nur der Dienst ozeanischen“Geist im Offizierskorps auf dem Artilleriegroßkampfschiff jenen „ am Leben halten könne, der für den Aufbau einer hochseefähigen deutschen Flotte unabdingbar sei. Von Tirpitz und den Flottenprofessoren spannt sich dieser Bogen bis hin zu Raeder. Ihren Höhepunkt erreichte diese Bevorzugung von Zukunftsoptionen vor der Erfüllung mit den jeweils zur Verfügung steZ“ -Plan13 bzw. den sogar henden Mitteln durchführbarer Aufgaben mit dem „ noch darüber hinausgehenden Flottenplänen, mit denen die Hitlersche Kriegsmarine England, später den USA und Japan, in einer Entscheidungsschlacht von apokalyptischen Ausmaßen endgültig die Weltherrschaft abringen sollte. Z“ -Plan mehr als ein 1939 kurz aufflackerndes, utopisches GedanDaß der „ kengebilde war, dem durch den bald folgenden Kriegsausbruch die historische Wirkungsmächtigkeit versagt blieb, lag daran, daß es Raeder tatsächlich gelang, Hitler zu einer Schwerpunktverlagerung in der Rüstung zu überreden, die dem Aufbau einer in den späten vierziger Jahren einsatzfähigen Mammutflotte dienen sollte. Die dadurch gebundenen Ressourcen fehlten naturgemäß dem 11 „ Unsere Aufgabe wird sehr bald wieder in der Nordsee liegen [...]“ : Raeder an Levetzow, 23. Oktober 1932, BA-MA NL Levetzow, cit. nach SALEWSKI, MICHAEL, England, Hitler und die Marine, jetzt in: SALEWSKI, MICHAEL, Die Deutschen und die See. Studien zur deutschen Marinegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, hrsg. v. ELVERT, JÜRGEN und LIPPERT, STEFAN (=HMRG Beiheft 25), Stuttgart 1998, S. 215– 1928 Chef der Mari neleitung; Großadmiral Dr. 227, S. 219. Admiral Adolf Zenker, 1924– 1943 Oberbefehlshaber der 1935 Chef der Mari neleitung, 1935– h. c. Erich Raeder, 1928– 1939, in: HACKL Kriegsmarine (cf. DÜLFFER, JOST, Die Reichs- undKriegsmarine 1918– 1939, O./MESSERSCHMIDT M. (Hrsg.), Handbuch zur Deutschen Militärgeschichte 1648– 1981, Bd. 4, München 1979, Abschnitt VIII: Deutsche Marinege6 Bde., München 1964– 528), S. 404, 431ff. schichte der Neuzeit, S. 337– 12 Hierzu SALEWSKI, MICHAEL, Zukunftsflotten, jetzt in: SALEWSKI, MICHAEL, Die Deutschen unddie See. Studien zur deutschen Marinegeschichte des 19. und20. Jahrhunderts, hrsg. v. ELVERT, JÜRGEN und LIPPERT, STEFAN (=HMRG Beiheft 25), Stuttgart 1998, 53 (cit. Salewski, Zukunftsflotten), S. 49. S. 40– 13 Zuden Flottenplänen des Nationalsozialismus cf. die detaillierte Untersuchung von DÜLF1939. FER, JOST, Weimar, Hitler und die Marine. Reichspolitik und Flottenbau 1920– Mit einem Anhang von Jürgen Rohwer, Düsseldorf 1973, der aber den persönlichen Einfluß Hitlers auf die Flotten- und Operationsplanung der Kriegsmarine überbetont; zum Stugleichen Thema, aber in dieser Hinsicht korrigierend STEGEMANN, BERND, Hitlers „ fenplan“und die Marine, in: MÄCHLER A./GRÜNERT E./KRAEMER H./SEIDEL K.R. (Hrsg.), Historische Studien zu Politik, Verfassung und Gesellschaft. Festschrift für Ri317. Cf. auch Stang, Das chard Dietrich zum 65. Geburtstag, München 1976, S. 301– zerbrechende Schiff,
S. 322ff.
6
1 Einleitung
Heer undbegründeten ein Defizit, das in den Feldzügen zu Beginn des Zweiten Weltkrieges sehr empfindlich zu spüren war. Es sei dahingestellt, ob nun die inadäquate14 Marineplanung deshalb zunächst wenig wahrgenommen wurde, weil sich der Krieg als ein kontinentaler Krieg entwickelte, oder ob der Krieg bereits in seiner Anfangsphase andere Schwerpunkte gefunden hätte, wäre die mit Anstand zu sterben“15 in ihn deutsche Flotte mit mehr als der Option „ hineingegangen. Daß ein Krieg gegen England kein kontinentaler Krieg sein konnte, führte zu den heftigsten Kontroversen sowohl innerhalb der Marineführung als auch zwischen Marine undpolitischer Führung, die schließlich 1943 mit demmateriellen und personellen Ende des Konzeptes der schweren Überwassereinheiten verebbten, mit demAbgang Raeders als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine [OBdM] undseiner Ablösung durch den bisherigen Befehlshaber der U-Boote [BdU], Karl Dönitz. Ausgeklammert aus der Aufzählung deutscher „ Zukunftsflotten“blieb bisher ein Abschnitt der deutschen Marinegeschichte, der in mehrfacher Hinsicht einzigartig ist: Der Flottenbau der Kaiserlichen Marine zwischen 1898 und 1914. Die Vorrangigkeit, die die Flottenrüstung unter Wilhelm II. genoß, erhob die Marinepolitik zu einem Kernbereich der Reichspolitik, umso mehr, als die Erschaffung eines Machtmittels dieser Größenordnung die Abstimmung auch ihrer übrigen Bereiche, also vor allem der Außen- und Finanzpolitik, zur Voraussetzung hatte–oder vielmehr hätte haben müssen. Die Notwendigkeit zu einer solchen Abstimmung wurde auch durchaus gesehen, aber es war nicht ausschließlich apologetische Schuldabwälzung, wenn Tirpitz in seinen Erinne16–gemeint war rungen behauptete, daß „ bei einer Politik größerer Vorsicht“ hier das Absehen vonProvokationen deszurSee übermächtigen England–der 14 „ Inadäquat“heißt hier: Nicht den Erfordernissen der politischen und militärischen Gesamtlage angepaßt.
15 Aufzeichnung Raeders vom3. September 1939, cit. nach SALEWSKI,
MICHAEL,
Die deut-
1941, 1975, Bd. I, 1935– 1945, 3 Bde., Frankfurt/M. 1970– sche Seekriegsleitung 1935– MGFA III M 151/5. Frankfurt/M. 1970, S. 91, als KTB C VII.– 16 Tirpitz, Erinnerungen, S. 57. Daß die Kritik vorrangig auf die außenpolitischen Aktivitäten des Kaisers, des Kanzlers und des AA gemünzt war, zeigt die ausführliche Kritik Unserer mangelnden Würde im Unglück liegt wieunserer auf S. 164 mit einigem Pathos: „
unzulänglichen Zurückhaltung im Glück die Illusion zugrunde, als ob der Beengtheit unserer Weltstellung abgeholfen werden könnte durch Worte undGefühle, statt einzig durch straffgefaßte und klugverwendete Macht [manifestiert in den einheitlichen Geschwadern der Schlachtflotte, d.Verf.]. Ein gemeinsamer Grundfehler der Politik unserer Zeit wares, das große, aber noch nicht zureichende Machtansehen, welches uns Bismarck hinterließ, stückweise aufzubrauchen durch immer wiederholte Demonstrationen, bei denen unsere Friedensliebe, aber auch unsere Nervosität durchschimmerte und auf die leicht ein bloßes Einknicken folgte, so daß sich für uns die verhängnisvolle Charakteristik als ‚poltron valeureux‘ beim Feinde festsetzen konnte. Die schlechte Gewohnheit dieser effektvollen Eingriffe, von Schimonoseki, der Krügerdepesche, Manila über die Chinaexpedition und Tanger bis Agadir u.a. führte zu dem stümperhaften Schlußglied der Methode in dem Ultimatum an Serbien vom Juli 1914. [...] Richtiger wäre es gewesen, in der Stille zu wachsen undweitere Macht anzusammeln [...].“
7
1.2 Die Tirpitz-Flotte in der Forschung
Flottenbau und das von ihm abhängige Konglomerat langfristiger politischer Konzeptionen funktioniert hätte. Zwar argumentiert hier ein Seeoffizier, wenn auch ein auf der politischen Bühne maßgeblich agierender, aus seinem Blickwinkel und bemängelt, daß die Reichspolitik sich nicht unter das mit dem Flottenbau verfolgte „große Ziel“unterordnete; insgesamt jedoch stimmt die Einschätzung, daß die einzelnen Bereiche der deutschen Politik, ungeachtet welchen Stellenwert
man ihnen zuordnen wollte, oft genug zu widersprüchli-
chen Aktionen und Ergebnissen führten. Daß allerdings der Flottenbau zu einem mit den anderen Bedürfnissen der großen Politik konkurrierenden gleichberechtigten Staatsvorhaben wurde, ist eben die Besonderheit der wilhelminischen Epoche. Die Schwierigkeit der Zeitgenossen, alle diese Problemkreise unter einen Hut zu bringen, zeigt aber vor allem, daß mit der Hochseeflotte nicht ein militärisches Mittel zur Lösung der ihr von der Außenpolitik vorgelegten Probleme geschaffen wurde: Anders als das Heer war die Schlachtflotte , sondern sollte das Reich einem Versicherungsprämie für den Ernstfall“ keine „
der Tagespolitik übergeordneten, entrückten „großen Ziel“näherbringen, das nirgendwo anders als in der Zukunft zu verorten war. In den Quellen häufen sich die Indizien, daß Tirpitz mit Vorsatz und Beharrlichkeit Bedürfnissen der Gegenwart auswich, ja diese geradezu mißachtete, wosie dem in die Zukunft gerichteten Projekt abträglich waren.17
1.2 Die Tirpitz-Flotte in der Forschung The last thing an explorer arrives at is a complete map that will cover „ the whole ground he has travelled, butfor those whocome after him and would profit by and extend his knowledge his map is the first thing with which they will
begin.“
1
8 Corbett
Es stünde zu erwarten, daß Tirpitz’oben kurz erwähntes übergeordnetes Ziel die Nachteile, die seine Verwirklichung für die konkrete Politik und–enger gefaßt–kurzfristige maritime Wehrfähigkeit mit sich brachte, auch rechtfertigte. Und tatsächlich war es nichts anderes als das Überleben Deutschlands 19 der Völker, das Tirpitz mit dem Schlachtflottenim „ Kampf ums Dasein“ bau anstrebte, und das er nur auf diesem Wege für erreichbar hielt. Die Literatur, die sich mit den Zielsetzungen und Vorstellungen des Staatssekretärs befaßt, ist außerordentlich reichhaltig und beleuchtet jede Facette des in seiner Prominenz an politischen, sozialen und ökonomischen Bezügen äußerst 17 Siehe Kapitel 7. 18 CORBETT, JULIAN S., Some Principles of Maritime Strategy, hrsg. v. GROVE, ERIC J., Annapolis 1988 (cit. Corbett, Principles, S. 15. 19 Hierzu neuerdings NEITZEL, SÖNKE, Weltmacht oder Untergang. Die Weltreichslehre im Zeitalter des Imperialismus, Paderborn u.a. 2000 (cit. Neitzel, Weltmacht), bes. S. 82ff.
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1 Einleitung
vielschichtigen Phänomens „ Tirpitz-Plan“ . Aber gerade die Gravitationskraft des Rüstungsprogramms, das alle anderen Bereiche der wilhelminischen Politik zwangsläufig berühren und beeinflussen mußte, hat dazu geführt, daß das im Mittelpunkt zuerst undvor allem seestrategische Programm des Seeoffiziers Tirpitz ausgerechnet im Hinblick aufseine seestrategische Funktionstüchtigkeit bislang äußerst unzulänglich untersucht ist.
Nun ist im Lichte der schon mit dem Ereignis selbst beginnenden historischen Diskussion evident, daß sich ein derart zentraler Problemkreis wie der Tirpitzsche Flottenbau nicht unter rein strategischen bzw. militärischen Gesichtspunkten betrachten läßt. Für die Forschung, die sich mit den innenpolitischen Verwerfungen beschäftigt, die der Tirpitz-Plan als sozialintegrative Strategie glätten sollte, die er aber gleichzeitig verstärken half, mit den außenpolitischen Zwangslagen, die er bei seiner Durchführung hervorrief, und die der Frage nachspürt, wie sich der Tirpitz-Plan in ein politisches Gesamtkalkül der Reichsleitung einfügen läßt, ist die Frage letztlich irrelevant, ob die Flotte, wie sie von Tirpitz geplant war, im Ernstfall „ funktioniert“hätte; dies umso mehr, als der Erste Weltkrieg eine eindeutige Antwort auf diese Frage zu geben scheint. Und tatsächlich sind die rein militärtechnischen Einzelheiten in Wesen“des Kaiserreiches zu fassen bemüht der Diskussion, die gleichsam das „ ist, wenig mehr als interessante Fußnoten. Rückschlüsse auf die Motivationen und Absichten der Hauptakteure, von denen kaum einer als Militärfachmann mit diesen Fragen in direkte Berührung gekommen ist, erlauben sie so gut wie nicht. Die Militärgeschichte, wiesie sich heute präsentiert, bemüht, sozialhistorische und wirtschaftshistorische Fragestellungen in dem ihnen gebührenden entscheidenden Stellenwert zu berücksichtigen, hat für rein technokratische Einzelheiten nur noch in Detailräumen Platz.
Bei der Betrachtung der Tirpitzschen Flottenrüstung undihrer–belegbaren oder durch Indizien erschlossenen–Endziele fällt immer vor allem die vage, ja geradezu schwammige Formulierung dieser Endziele, auch und gerade in der wissenschaftlichen Literatur, auf. Der Tirpitz-Plan kann nicht als rein militärpolitischer Vorgang, losgelöst von seinen politischen und ökonomischen Implikationen, betrachtet und verstanden werden. Gerade der von einem Großteil der Forschungsliteratur weitergetragene Eindruck der Unbestimmtheit seiner Ziele oder seiner politischen und ökonomischen Grundlegung führt zu einem perspektivischen Spagat, bei dem entweder allein auf die Absicht, eine „ Flotverwerflicher) damit und ein (implizit England “ gegen te zu bauen, rekurriert Realitätsverlust der Verantwortlichen postuliert wird, oder eine schemenhafte Weltreiches“zu zeichnen, das auf irrationalen BeurVision eines deutschen „ teilungen der Weltwirtschaft und ihrer Mechanismen, insbesondere ihrer Verflechtung mit militärischen Belangen, beruhe. Zwischen der Beurteilung der unmittelbaren Vorgänge und den projektierten Endzielen dieser Handlungen, die nicht nur in die zwanziger, sondern teilweise bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts reichten, klafft in der modernen Betrachtung eine Lücke, die
1.2 Die Tirpitz-Flotte in der Forschung
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Weise im Denken der Zeit nicht vorhanden war. Die meisten Publikationen20 zu diesem Thema begnügen sich mit (mehr oder weniger kritischen) BündnisVerweisen auf eine aus der Flottenmacht vermeintlich hergeleiteten „ Kampf ums Überleben“der fähigkeit“des Reiches, oder auf einen allgemeinen „ Völker, auf den Deutschland sich mittels der Flotte vorbereiten wollte. Wertvolle Details über die Genese dieser Einschätzung der Weltsituation, wissenschaftliche Stellungnahmen und Prognosen, die sich, im Kontext der Zeit betrachtet, durch eine partiell erstaunliche Klarsicht und eben nicht in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle durch eine Art galoppierenden Realitätsverlust auszeichnen, sind vor allem der Arbeit von WOLFGANG MARIENFELD Flottenagitation“(das Wort hier in seiner zeitgenössischen, der negaüber die „ tiven Aufladung im 20. Jahrhundert noch ledigen, Bedeutung genommen) der Flottenprofessoren“zu entnehmen.21 Sie als Bezugsrahmen für sogenannten „ das Vorgehen der Reichsleitung oder des Reichsmarineamtes zu setzen, scil. aus ihrer Zeit heraus“zu beurteilen, entspricht einer die handelnden Personen „ traditionellen Arbeitsmethode, gegen die sich zuerst ECKART KEHR mit.seiner SpätDissertation Schlachtflottenbau und Parteipolitik22 als unangebrachten „ historismus“seines Doktorvaters FRIEDRICH MEINECKE wandte, und die er Status , das heißt eine Kapitulation vor dem „ politische Verabsolutierung“ als „ Quo“ablehnte.23 Für Kehr, der seine Dissertation 1930 veröffentlichte, wurde eine solche Wendung dadurch maßgeblich erleichtert, daß sie noch nicht in das Grunddilemder Zeit“fast ma münden konnte, die deutsche Geschichte ohne den Maßstab „ zwangsläufig als auf 1933 weisende Vorgeschichte zuinterpretieren. Wollte man überspitzt formulieren, stellte sich der Zugriff auf die deutsche Geschichte seitdemnurnoch als methodische Wahl zwischen Historismus oder Determinismus, ja Zynismus; eine Aporie, zu deren Überwindung sich die Bedeutung der zeitimmanenten Wertmaßstäbe neu legitimieren konnte, aus der das Verstehen der handelnden Personen den Weg wies und damit wieder zu mehr wurde als erkenntnistheoretischen Illusion“(Kehr). Die Kenntnis dieser Maßstäbe, einer „ Flottenprofessoren“etwa, und die Einsicht, daß es sich beim des Denkens der „ Mahanismus“ummehr als nur eine willkommene Schablone zur Bemäntelung „
in dieser
20 Hier sind besonders zunennen die Arbeiten vonHubatsch, Herwig, Hobson, Lambi, Gemzell (siehe Literaturverzeichnis), unddie zwischen den Weltkriegen publizierte Literatur. 21 MARIENFELD, WOLFGANG, Wissenschaft und Schlachtflottenbau in Deutschland 1897– 1906 (=Marine-Rundschau Beiheft 2), Berlin u.a. 1957 (cit. Marienfeld, Wissenschaft undSchlachtflottenbau). 22 Berlin 1930 (Ndr. Nendeln 1975). 23 WEHLER, HANS-ULRICH, Einleitung, in: KEHR, ECKART, Der Primat der Innenpolitik. Gesammelte Aufsätze zur preußisch-deutschen Sozialgeschichte im 19. und20. Jahrhun29; dert. Herausgegeben undeingeleitet von HANS-ULRICH WEHLER, Berlin 21970, S. 1– cf. FORSTMEIER, FRIEDRICH, Der Tirpitzsche Flottenbau im Urteil der Historiker, in: DEIST, WILHELM/SCHOTTELIUS, HERBERT (Hrsg.), Marine und Marinepolitik im kai53 (cit. 1914, Düsseldorf 1972 [zitierte Ausgabe 21981], S. 34– serlichen Deutschland 1871– Forstmeier, Urteil), S. 47f.
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1 Einleitung
längst gefaßter Expansionsabsichten handelte, ermöglicht heute, mehr als für Kehr, eine Beurteilung der Tirpitzschen Flottenrüstung, ohne daßsie dadurch, wenn manpartout in diesen Kategorien denken will (was allerdings nicht Sache des Historikers sein sollte), ihre moralische Monstrosität verliert. Entscheidend ist hierbei, daß die unterschiedlichen Ansätze sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern diskursiv miteinander in Beziehung treten müssen. So kann keine Diskussion des Flottenbaues, welches Interesse sie auch verfolge, heute mehr an der Kehrs Ansatz weiterführenden Arbeit VOLKER BERGHAHNs24 vorbeigehen, der das Rüstungsprogramm auf breiter Quellenbasis als auf zwei Ebenen arbeitenden Versuch der Sozialintegration, dem neuerdings auch so genannten Sozialimperialismus, interpretiert.25 Dabei sollte auf der einen Seite die unmittelbare wirtschaftliche Schubkraft eines großen Industrieprogramms sedierend auf die Arbeiterschaft einwirken, undsie so–das Vorbild vaterlandslosen Gesellen“der SozialdeBismarcks sticht ins Auge–von den „ mokratie scheiden; auf der anderen Seite sollte der rein retrospektive Identifikationskonsens des „ Deutschen Berufs Preußens“durch die Übersteigerung der kontinentalen Hegemonie- zur „ Weltpolitik“durch einen neuen, auch die noch demetatistischen preußischen Modell antagonistisch gegenüberstehenden globalen Beruf“ Schichten an den Staat heranführenden „ Deutschlands, ersetzt werden, wie es Max Weber in seiner berühmten Freiburger Antrittsvorlesung gefordert hatte. Berghahns bis 1908 weisende Studie, neuerdings mit leicht veränderter Zielsetzung für die Zeit bis 1914 fortgesetzt durch MICHAEL EPKENHANS,26 stützt sich unter anderem auf den empirischen Befund des Versagens der deutschen Flotte im Ersten Weltkrieg, und leitet daraus das Übergewicht
24 BERGHAHN, VOLKER R., Der Tirpitz-Plan. Genese und Verfall einer innenpolitischen Krisenstrategie unter Wilhelm II. (=Geschichtliche Studien zu Politik und Gesellschaft 1), Düsseldorf 1971 (cit. Berghahn, Tirpitz-Plan). 25 Tut man es doch, so gelangt man zu Resultaten, die heute keinesfalls mehr befriedigen können. Ein Beispiel dafür ist das oben bereits zitierte Uhle-Wettler, Tirpitz. Diese Arbeit, deren Autor wegen seiner Nähe zu rechtspopulistischen Zirkeln zurecht als äußerst umstritten gilt undvon der historischen Fachwelt im großen undganzen ignoriert wird, mußhier, als umfangreichste und neueste Tirpitz-Biographie, kritische Berücksichtigung finden. Dem politischen und stellenweise ungeschminkt ideologischen Gedankenhorizont Uhle-Wettlers, so sehr die darauf bezüglichen Schlußfolgerungen auch den Anschein des Apriorischen zuvermeiden suchen, steht d. Verf. mit größten Vorbehalten gegenüber (VölWeltpolitiker“ kischen, Alldeutschen undmilitaristischen Abenteuern undGedanken der„ Missetaten“der liberalen, vor allem der anstellt Uhle z. B. gern breit ausgemalt die „ gelsächsischen, Staaten gegenüber; seine Diskussion des Ansatzes Kehrs und Berghahns (S. 76ff) ist gerade durch eine apriorische Ablehnung gekennzeichnet und läßt einiges Unwissen über die Realität des preußisch-deutschen Konstitutionalismus erkennen [cf. hierzu auch RAHN, WERNER, Seestrategisches Denken in deutschen Marinen von 1848 bis 1990, in: DUPPLER, JÖRG (Hrsg.), Seemacht undSeestrategie im 19. und20. Jahr79 (cit. Rahn, hundert (=Vorträge zur Militärgeschichte 18), Hamburg u.a. 1999, S. 53– Seestrategisches Denken), S. 57 Anm. 9]). Verwertbare wissenschaftliche Arbeit aus diesem im Ganzen als suspekt zu bezeichnenden Horizont herauszufiltern und nutzbar zu machen, ist hinsichtlich dieser Arbeit mit Sorgfalt versucht worden. 26 Epkenhans, Wilhelminische Flottenrüstung (wie oben S. 1 Anm. 1).
1.2 Die Tirpitz-Flotte in der Forschung
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außermilitärischer Zielsetzungen im Prozeß der Strategiegenese der Marine ab. Brauchbarkeit“der strategischen Einschätzungen, aufgrund Somit wird die „ derer diese Flotte gebaut wurde, zu einem entscheidenden Bewertungsmaßstab für die Ziele und Pläne des Programmes. Berghahn mußte sich bei ihrer Herausarbeitung auf zwei gleichermaßen unbefriedigende Grundlagen stützen: Zumeinen eine äußerst schreibfreudige Schule von Tirpitz-Apologeten umden Mediävisten FRITZ KERN und seinen Schüler HANS HALLMANN, die, noch in persönlicher Verbindung zu Tirpitz stehend, den von der Weimarer Öffentlichkeit scharf verurteilten Staatssekretär, gerade auch im Hinblick auf das Werk Kehrs, zu exkulpieren suchten.27 In diesen Kreis ist auch die Biographie ULRICH VONHASSELLS einzuordnen.28 Sie trugen das von Tirpitz in seinen Memoiren29 gezeichnete Bild weiter, konnten aber aufgrund von Kehrs anders gesetztem Schwerpunkt die Betrachtung der Tirpitzschen Strategie monopolisieren. Der andere, kaum weniger unbefriedigende Zweig sind die Schriften ehemaliger oder aktiver Offiziere der verschiedenen deutschen Marinen.30 Ein methodisches Problem, das namentlich in den Arbeiten von aus der Marine selbst hervorgegangenen Autoren ins Auge fällt, liegt in der Beurteilung operativer und strategischer Maßnahmen. Wo die Vorgänge der Vergangenheit, z. B. von modernen Seekriegslehrern beurteilt werden, kann das technisch nur in den Kategorien des heutigen, hochentwickelten strategischen Denkens erfolgen. Eine solche Beurteilung kann, in rein utilitaristischer Hinsicht, äußerst erhellend sein unddazu beitragen, zu erklären, warum manche strategischen Konzeptiofunktioniert“haben, oder Fehleinschätzungen der Handlungsträger nen nicht „ offenlegen. Eine derartige Analyse trägt einen primär pragmatischen Charakter und magfür den strategisch zu schulenden Offizier instruktiv sein. Da aber das Ziel der Geschichtswissenschaft–um mit DROYSEN zu sprechen31–nicht das Erklären, sondern das Verstehen ist, sind die Ergebnisse einer solchen, ei-
27 Besonders auffällig HALLMANN, HANS, Krügerdepesche undFlottenfrage. Aktenmäßiges zur Vorgeschichte des deutschen Schlachtflottenbaus (=Beiträge zur Geschichte der nachbismarckischen Zeit und des Weltkriegs 1), Stuttgart 1927; HALLMANN, HANS, Der Weg zumdeutschen Schlachtflottenbau (=Beiträge zur Geschichte der nachbismarckischen Zeit unddesWeltkriegs 14/15), Stuttgart 1933; cf. Petter, Flottenrüstung, S. 176; diese Arbeit, S. 52 Anm. 129. 28 Hassell, Tirpitz (wie oben S. 3 Anm. 7). Hassells Werk, auf dem Tiefpunkt von Tirpitz’ Totengräber der deutschen Flotte“[Persius]) geschrieben, ist ein veritabler Popularität („ Panegyricus auf Tirpitz und seinen, so postuliert der Autor, geistigen Ziehvater Stosch. Hassell war mit einer Nichte Stoschs verheiratet, sein Sohn mit der ältesten Tochter Tirpitz’. 29 Wie oben S. 1 Anm. 1. 30 Hier vor allem WEGENER, EDWARD, Die Tirpitzsche Seestrategie, in: DEIST, WILHELM/SCHOTTELIUS, HERBERT (Hrsg.), Marine und Marinepolitik im kaiserlichen 262 (cit. We1914, Düsseldorf 1972 (zitierte Ausgabe 21981), S. 236– Deutschland 1871–
gener, Tirpitzsche Seestrategie). S. u. S. 189 Anm. 77. JOHANN GUSTAV, Historik. Vorlesungen über Enzyklopädie undMethodologie der Geschichte, hrsg. v. RUDOLF HÜBNER, München 51967.
31 DROYSEN,
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ner Rückprojektion gleichkommenden, Zugangsweise für eine historische Würdigung der Vorgänge von allenfalls mittelbarem Interesse, für die eigentliche Aufgabe des Historikers sogar vollkommen inadäquat. Berghahns intime Quellenkenntnis hat zwar die wichtigsten Fehlurteile dieser Traditionen eliminiert, mußte aber–wiederum aufgrund des andersgelagerten an Details des strategischen Diskurses vorbeithematischen Schwerpunktes– gehen. Da Berghahns Arbeit zu recht als grundlegend zu gelten hat, können sich viele dieser Unschärfen nach wie vor in der Forschung halten, umso mehr, als die Militärgeschichte sich nur langsam von ihrem Status des esoterischen Reservats freimachen kann.
1.3 Untersuchungsgegenstand und Vorgehensweise Hier will nun die vorliegende Arbeit ansetzen. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebte einen Aufschwung der Marineliteratur, dem maßgeblich die Entdeckung der Seekriegsgeschichte als Form der pragmatischen Geschichtsschreibung zugrunde lag. Ausder Erfahrung der Vergangenheit sollten so Lehren für Gegenwart und Zukunft gezogen werden. Diese Entwicklung soll in ihren Grundelementen in Abschnitt 1.4 kurz umrissen werden. Wichtig ist, daß diese Entwicklung auch die Marinen selbst erfaßte, deren Angehörigen in steigendem Maße die Bedeutung der theoretischen Dimension von Strategie und Taktik bewußt wurde. Dies wiederum führte zur Formulierung seestrategischer Theorien, die mehr und mehr das aus der unbestrittenen globalen Seeherrschaft der Royal Navy, die die Machtverhältnisse auf den Ozeanen seit Trafalgar praktisch unverändert gehalten hatte, entstandene strategische Vakuum zu füllen begannen.32 Verbunden mit allgemein akzeptierten Grundsätzen, oder ihrerseits solche einführend, wurden diese Theorien dann auch für die strategischen Dispositionen der westlichen Marinen maßgeblich. Es soll hier nun untersucht werden, wo der Standort der Tirpitzschen Gedanken innerhalb dieses seekriegstheoretischen Koordinatensystems war. Eine, die gröbste, Bestimmung kann hier vorweggenommen werden, indem auf die Schlachtschiffschule verwiesen wird. Axiomatisch für sämtliche Flotten seit der Mitte der 1890er Jahre (für die französische seit 1901) war die Einschätzung, das maßgebliche Instrument des Seekrieges sei das Schlachtschiff. Konkurrierende Entwürfe, wie etwa der der französischen Jeune école, sahen durch die rasante technische Entwicklung33 seit 1850 das Ende der Unverwundbarkeit 32 Zur Genese der Seekriegstheorie als Disziplin cf. RODGER, NICHOLAS A.M., Die Entwicklung der Vorstellung von Seekriegsstrategie in Großbritannien im 18. und 19. Jahrhundert, in: DUPPLER, JÖRG (Hrsg.), Seemacht undSeestrategie im 19. und20. Jahrhun103 (cit. Rodger, dert (=Vorträge zur Militärgeschichte 18), Hamburg u.a. 1999, S. 83– SCHURMAN, DONALD M., The Education of a Navy. The development 1914, Chicago 1965 (cit. Schurman, Education); of British naval strategic thought, 1867– Entwicklung);
Rahn, Seestrategisches Denken.
33 Hierzu: BUEB,
VOLKMAR,
Die „Junge Schule“der französischen Marine, Strategie und
1.3 Untersuchungsgegenstand und Vorgehensweise
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und damit der Vorherrschaft des Schlachtschiffes gekommen. Ohne sie detailliert zu besprechen, müssen solche Gegenentwürfe, da sie für die Einordnung der Schlachtschiffleute von Bedeutung sind, in ihrem theoretischen Rüstzeug hier ebenfalls vorgestellt werden. Die Arbeit wird sich auf die hauptsächlichen strategischen Publikationen der wichtigsten, der prominentesten–unddas bedeutet auch, der in den westlichen Marinen wirkungsmächtigsten–Seekriegstheoretiker beschränken, und damit schon denwesentlichen Teil desseemilitärischen Denkens vordemErsten Weltkrieg abgedeckt haben. Daß sie alle Vertreter des Schlachtschiffgedankens waren, erleichtert ihren Vergleich, bringt aber die Bedeutung vonFormulierungen und Nuancen zumVorschein, auf die diese Arbeit oft im Detail einzugehen haben wird. Ein etwas ungefüger Fußnotenapparat ließ sich so nicht vermeiMut zum Weglassen“sich hier nicht den, umso mehr, als der unabdingbare „ wörtliche Wiedergaben zum Gegenstand machen konnte, da Details in Formulierungen undBegrifflichkeiten oft denSchlüssel zustrategischen Vorstellungen Strategiestreits“sehr schön zeigen in sich tragen (wie sich etwa anhand des „ geistigen Befindläßt); vielmehr besteht er, von der Charakterisierung der „ abgesehen, in der konzisen Ausrichtung auf die lichkeit“des Seeoffizierskorps seestrategische und außenpolitische Theorie der Tirpitzflotte. So wurde auch auf die Darstellung des Verlaufs des Flottenbaues und seiner Verschränkung mit dem jeweiligen politischen und diplomatischen Hintergrund weitgehend verzichtet.34 Die Untersuchung wird zunächst die strategischen Vorstellungen, die dem Tirpitz-Plan zugrunde lagen, behandeln. Die Basis bildet seine allgemeinen Herleitung aus den politischen Vorstellungen seines Hauptakteurs, die vor allem in außenpolitischer Hinsicht beleuchtet werden; innenpolitische Motivationen werden für das Marineoffizierskorps, nicht die Reichsleitung, untersucht, denn für die Marine galt eine gesellschaftliche Motivation, die sich zumindest partiell voneinem der Reichsleitung in Teilen der Forschung unterstellten „ Primat der Innenpolitik“unterschied. Diese wird skizziert undihre Tragweite auf Tirpitzdas strategisch-operative Feld erörtert. Die Benutzung des Terminus’„ Plan“geschieht konsequenterweise in dieser Arbeit nicht in der strengen, auf die sozialimperialistische Komponente beschränkten, Begriffsbedeutung, son. der Tirpitzsche Flottenbau“ dern synonym zu „ Die wichtigsten Komponenten des Tirpitz-Planes werden nach dieser ökonoPhänomenolomisch-politischen Herleitung im Detail untersucht, wobei eine „ werden, also vorangestellt gie“ Gründen systematischen aus der Tirpitz-Flotte ihr „ Funktionieren“im taktischen Maßstab charakterisiert werden muß, um dann die operative und strategische Ebene zu erlangen. Die Herleitung und Hinterfragung vielfach zum Schlagwort geronnener Konzepte soll hierbei im 1900 (=Militärgeschichtliche Studien 12), hrsg. v. MGFA, Boppard/Rhein Politik 1875– 1971 (cit. Bueb, Junge Schule). 34 Ausführlich hierzu LAMBI, Ivo N., The Navy and German Power Politics, 1862– 1914, Boston 1984 (cit. Lambi, Power Politics).
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Vordergrund stehen; das impliziert die Frage nach ihrem strategischen „ Wert“ , ihrer Gültigkeit. Im Vordergrund stehen soll dabei nicht die tatsächliche Durchführung oder der offensichtliche Verfall des Programmes nach 1906, sondern die Diskussion seiner Grundlagen, die 1897/8 zur Entstehung des Konzeptes geführt haben, und, zentral, ihre Würdigung in der Zeit. Darauf aufbauend wird schließlich versucht, den Standort der in ihre militärischen Komponenten aufgeschlüsselten Tirpitz-Strategie innerhalb des seestrategischen Rahmens vor dem Ersten Weltkrieg zu finden. Die militärische Gedankenwelt der deutschen Marine wird dabei gleichberechtigt neben diezentralen atlantischen Seekriegstheoretiker, Corbett und Mahan, gestellt, wobei versucht wird, die Opposition gegen Tirpitz zucharakterisieren undder Heterogenität der Anschauungen innerhalb der Marine Rechnung zu tragen. Aufeine isolierte, d.h. gleichsam in vitro durchgeführte vollständige Darlegung divergierender seestrategischer Konzepte wird insoweit verzichtet, als strategische Auffassungen anderer Theoretiker analysiert und direkt mit den hinter dem Tirpitz-Projekt stehenden in Beziehung gesetzt werden. Es lassen sich so die unterschiedlichen Auffassungen vergleichen und Aufschluß darüber gewinnen, auf welche Einflüsse gründend das Tirpitz-Konzept entstand, und wie es um seine Nachvollziehbarkeit für seemilitärische Experten außerhalb des Reichsmarineamtes bestellt war. Erweist die Untersuchung, daß diese nicht gegeben war, so ist dies ein gewichtiges Indiz dafür, daß die eigentliche Zielsetzung des Rüstungsprogramms nicht militärischer Art war. Umgekehrt schlösse das Ergebnis, daß der Plan als Seekriegskonzept Gültigkeit beanspruchen durfte, das Vorhandensein anderer und andersartiger Ziele und Motivationen nicht aus, würde sie aber im Verhältnis an Gewicht verlieren lassen.35 Es mußaußerdem die Relation zwischen politischer und militärischer Offensive beleuchtet werden, ein Problem, das sich im Verlauf dieser Arbeit als zunehmend zentral erweisen wird. Zwar herrscht in der Forschung mittlerweile Konsens darüber, daß die deutsche Marine nicht kämpfen, sondern der politischen OfRisikofensive dienen sollte. Trotzdem wird demPlan, namentlich den in der „ offensiver PferdeTheorie“ausgedrückten Stärkerelationen, letztendlich ein „ fuß“ zugeschrieben–den Tirpitz geschickt verschleiert habe. Die Untersuchung wird hierauf eingehen und als ein wesentliches novum der Flottenrüstung die Absicht einer Synthese solcher militärischen und politischen Aktivitäten im Sinne einer genuinen Grand Strategy darlegen. Diese Einsicht ist freilich nicht neu; ihre Spiegelung in den Einsatzverfahren der Marine wurde bisher aber nicht gewürdigt.
35 Mit gleicher Meinung, aber nach Ansicht d.Verf. zu weit greifend ROHWER, JÜRGEN, Kriegsschiffbau und Flottengesetze um die Jahrhundertwende, in: DEIST, WILHELM/SCHOTTELIUS, HERBERT (Hrsg.), Marine und Marinepolitik im kaiserlichen 235 (cit. Roh1914, Düsseldorf 1972 (zitierte Ausgabe 21981), S. 211– Deutschland 1871– wer, Kriegsschiffbau), S. 211f; cf. die Gedanken zu militärischen und außermilitärischen Zielsetzungen in den deutschen Marinen bei Stang, Das zerbrechende Schiff, S. 77ff, S. 111ff.
1.4 Dilemmata: Seestrategie vor 1914
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1.4 Dilemmata: Seestrategie vor 1914 [...] schlagen, was uns vorkommt, und zwar immer ohne Besin„ 36 nen!“ Stosch
Jellicoe war der einzige Mann, der den Krieg an einem einzigen Nachmittag „ 37 Mit diesem Ausspruch wollte der Erste Lord der Admiverlieren konnte.“ ralität, Winston Churchill, nicht etwa die Kompetenz seines Flottenchefs, des allenthalben als äußerst fähig eingeschätzten Admirals Sir John Jellicoe, in Fragestellen, sondern vielmehr dieaußergewöhnliche Verantwortung hervorheben, die auf dem Oberbefehlshaber der Grand Fleet, der als britische Hauptschlachtflotte größten Ansammlung schwerer Überwassereinheiten der Weltgeschichte, im Angesicht der Bedrohung durch die deutsche Hochseeflotte lastete. Eine sekundäre Betonung legt Churchill damit auf die Besonderheit dieser Verantwortung, die sich aus der Charakteristik des Seekrieges schlechthin herzuleiten scheint: Die Möglichkeit, in einem einzigen Zusammenstoß mit demGegner eine Situation heraufzubeschwören, die sämtliche anderweitigen Kriegsanstrengungen des britischen Weltreiches fruchtlos machen und Großbritannien zur Einstellung der Feindseligkeiten zwingen würde. Churchills Diktum stellt die äußerste Verkürzung einer theoretischen Kausalkette der Seestrategie dar, deren Entwicklungslinie sich durch das ganze 19. Jahrhundert verfolgen läßt. Damit ist gemeint, daß hier ein seestrategischer Zusammenhang hergestellt wird, der in der Zeit zwischen Trafalgar und demSkagerrak scheinbar immer stringenter wurde undsich gewissermaßen zu einem intellektuellen Selbstläufer entwickelte: Der Zusammenhang zwischen Seeherrschaft und Entscheidungsschlacht. Mehrfach ist in Darstellungen des Ersten Weltkrieges38 zu lesen, die Schlacht an sich habe–ob nun charakteristisch für das westliche Militärwesen schlechthin39 oder für den sozialdarwinistischen Geist der Zeit40–einen über ihre operativ-strategische Bedeutung 36 Hassell, Tirpitz, S. 114. 37 Cit. nach HERWIG, HOLGER H., “Luxury Fleet” 1918, : The Imperial German Navy 1888– London 1980 (cit. Herwig, Luxury Fleet), S. 149; cf. SALEWSKI, MICHAEL, Tirpitz. Macht–Scheitern (=Persönlichkeit und Geschichte 12/12a), Frankfurt/M. Aufstieg– u.a. 1979 (cit. Salewski, Tirpitz), S. 98. 38 Cf. STORZ, DIETER, Kriegsbild undRüstung vor 1914. Europäische Landstreitkräfte vor demErsten Weltkrieg, Herford u.a. 1992 (cit. Storz, Kriegsbild undRüstung), S. 79ff mit Literatur.
39 Diese Ansicht kommt implizit bei YÔICHI HIRAMA, Die Einflüsse von Sun Tzû und Tôsenkyô in der Kaiserlichen Japanischen Marine. Rationalismus und Emotionalismus im Zweiten Weltkrieg, in: DUPPLER, JÖRG (Hrsg.), Seemacht undSeestrategie im 19. und 240, 20. Jahrhundert (=Vorträge zur Militärgeschichte 18), Hamburg u.a. 1999, S. 225– S. 233ff. zum Ausdruck. 40 AFFLERBACH, HOLGER, Falkenhayn, München 1994, passim, mit Literatur. Cf. auch Wille, Moral, Energie, Disziplin undAggressivität Storz, Kriegsbild undRüstung, S. 81: „ waren die Leittugenden aller europäischen Armeen, die 1914 in dengroßen Krieg zogen.“
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weit hinausgehenden ideologischen Wert bekommen; für den Seekrieg läßt sich eine eindeutige, zunächst nicht nachvollziehbare Emphase der rangierten See-
im Denken der meisten Offiziere und Marinetheoretiker nachweisen. Ob es sich dabei allerdings um einen Irrationalismus41 handelte, der die Seeschlacht „ [...] merely as a kind of gladiatorial contest between two opposing fleets without ultimate aim or purpose [...]“42 betrachtete, wie es ein englischer Admiral formulierte, muß eine systematische Analyse klären. Sollte es sich tatsächlich um ein defizitäres seestrategisches Denken handeln, dem die Befürworter der grandiosen Entscheidungsschlacht anhingen, so wußten sie jedenfalls die Mehrheitsmeinung und eine lange Traditionslinie auf ihrer Seite; dies ist umso bemerkenswerter, und damit werden diese Überlegungen zum Ausgangspunkt unserer Betrachtung, als daß der Begriff „ Seestrategie“ , ja der Begriff der Strategie überhaupt, in der englischen Sprache erst seit dem Jahr 1800–als Lehnwort aus dem Französischen–belegt ist,43 ein Indiz dafür, daß es eine systematisierte Vorstellung von der Verwendung von Seestreitkräften vor dieser Zeit nicht oder nur ansatzweise gegeben hatte; maritime Entscheidungen waren weitgehend pragmatisch und situativ auf der Basis allgemeiner schlacht
Richtlinien ohne theoretische Exaktheit44 gefällt worden. Im 19. Jahrhundert wurde, wie in anderen Lebensbereichen auch, im Militärwesen eine grundlegende, umfassende theoretische Einbindung versucht, aus der sich alle Erscheinungen des Krieges–undder Seekrieg bildet hier eine spezifische Ausformung, aber keine Ausnahme–ableiten ließen. Derlei war nicht neu; in gewisser Weise war es ein Rückgriff auf ein Phänomen des 18. Jahrhunderts, dessen Bedürfnis nach rationaler Durchdringung der Welt auch den 45des Krieges zu umNebel einer mehr oder weniger großen Ungenauigkeit“ „ 41 DIRKS, UWE, Julian S. Corbett: Strategische Theorie vor dem Hintergrund historischer Forschung, in: DUPPLER, JÖRG (Hrsg.), Seemacht undSeestrategie im 19. und20. Jahr171 (cit. Dirks, hundert (=Vorträge zur Militärgeschichte 18), Hamburg u. a. 1999, S. 153– Corbett), S. 165. 42 Cit. bei MARDER, ARTHUR J., From the Dreadnought to Scapa Flow. The Royal Navy in 1970, Bd. I: The Road to War, London 1909, 5 Bde., Oxford 1961– the Fisher era, 1904– 41975, S. 305, das (wie sein Vorgänger, MARDER, ARTHUR J., The Anatomy of British 1905, Sea Power. A History of British Naval Policy in the Pre-Dreadnought Era, 1880– London 31972 [=11940] für die frühere Zeit) als maßgebliches Werk zur britischen Marinegeschichte dieser Epoche Geltung beanspruchen darf. ZuPerson und Position Marders 1980) und seines Werkes cf. KEMP, PETER (Hrsg.), The Oxford Companion to (1910– Ships and the Sea, Oxford 1976 (cit. Ausgabe OUP Paperback, Oxford 1988), S. 518 s.v. Marder, Arthur Jacob. 43 Rodger, Entwicklung, S. 83. Die Chefs der Marinestationen der Nord- und Ostsee, die Admirale MONTS und v. WICKEDE, bezeichneten Ende der 1880er Jahre den Kreuzer; cf. Petter, Seeraub“undbefürworteten die „ krieg als „ ritterliche [!] Geschwaderschlacht“ Flottenrüstung, S. 136. 44 Rodger, Entwicklung, S. 83f.
45 CLAUSEWITZ, CARL V., Vom Kriege, hrsg. v. HAHLWEG, WERNER, Bonn 191980, cit. Absoluten“ nach WEHLER, HANS-ULRICH, Der Verfall der deutschen Kriegstheorie: Vom„ zum„Totalen“Krieg oder von Clausewitz zu Ludendorff, in: GERSDORFF, URSULA V. (Hrsg.), Geschichte und Militärgeschichte. Wege der Forschung, Frankfurt/M. 1974, S.
1.4 Dilemmata: Seestrategie vor 1914
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fassen suchte. Gerade in Reaktion auf übergreifende militärtheoretische Konstruktionen, die noch das Werk des schweizer Offiziers Jomini im 19. Jahrhundert beeinflußten, sprach etwa Lord Nelson von dem Schaden, den der Glaube an allgemeingültige Theorien46 und die aus ihm resultierende unflexible Haltung hervorrufen könnten, und verfaßte CLAUSEWITZ sein posthum (1834) veröffentlichtes und im Gegensatz zu vielen anderen Schriften zur Militärtheorie intellektuell erstrangiges Meisterwerk Vom Kriege als Darlegung 47des Krieges, die sich vor allem jener formelhafbeschränkten Theorie“ einer „ ten Handlungsanweisungen entkleidete, die das Kennzeichen seiner Vorgänger gewesen waren. Allerdings waren auch die Rahmenbedingungen der napoleonischen Epoche grundlegend andere als die des 18. Jahrhunderts, dessen absolutistische Armeen mit ihrer mechanistischen Kriegführung zur sozusagen geometrischen Systematisierung dieser offenbar rational erfaßbaren Grundsätzen folgenden Art des Krieges geradezu einlud. Mit der französischen Revolution hatte sich diese Art der gehegten militärischen Auseinandersetzung aber überlebt, und selbst, wodie übergreifende Systematisierung früher zugetroffen haben mochte, war sie auf die moderne Art der Kriegführung nach der Levée en masse undeiner großflächigen ideologischen Polarisierung Europas, die schließlich Völker, und nicht mehr nur Kabinettsarmeen48 fechten ließ, nicht mehr anwendbar. So fehlte denn auch in keinem strategischen Werk des 19. Jahrhunderts der Imponderabilien“des Krieges, die jede Theorie nur zur SchuVerweis auf die „ lung des Urteilsvermögens, nicht aber als ein starres, feststehendes Regelwerk á la Jomini sinnvoll machen. In jedem Falle aber drückte sich auch hier in allererster Linie das Bedürfnis des 19. Jahrhunderts nach einer Berücksichtigung der historischen Dimension aus, die sich als pragmatische Betrachtungsweise der Geschichte manifestierte, so wie die formelle ratio und ihre Pragmatik es für das 18. Jahrhundert gewesen waren. Diese empirische Bezugnahme auf das von der Vergangenheit bereitgestellte Lehrmaterial bildete schon bei Clausewitz die Grundlage einer weitergehenden, noch sehr vorsichtig angewandten Pragmatik; für die Marinegeschichte läßt sich im weiteren Verlauf eine zunehmende Sorglosigkeit beim Postulieren historischer Paradigmata feststellen.49
311 (cit. Wehler, Verfall), S. 286 (Wehler zitiert Clausewitz 181966). 273– 46 DUPPLER, JÖRG, Seemacht, Seestrategie, Seeherrschaft, in: DUPPLER, JÖRG (Hrsg.), Seemacht undSeestrategie im 19. und20. Jahrhundert (=Vorträge zur Militärgeschichte 20 (cit. Duppler, Seemacht, Seestrategie, Seeherrschaft), 18), Hamburg u.a. 1999, S. 13– S. 14. 47 Clausewitz, VomKriege, cit. nach Wehler, Verfall, S. 275. 48 Wehler, Verfall, S. 283. 49 In der Weiterführung dieser grundsätzlichen Bestrebungen, die historische Dimension des Krieges auszuleuchten, und über den zunächst rein utilitaristischen Charakter dieser Betrachtungen hinauszugehen, forderte HANSDELBRÜCK die Anerkenntnis der Kriegsgeechter“historischer Subdisziplin, stieß damit aber im Generalstab (der bisher schichte als „ einzigen Institution, dieKriegsgeschichte betrieb) undin seinem akademischen Umfeld auf . Strategiestreit“ weitgehendes Unverständnis: Cf. LANGE, SVEN, Hans Delbrück undder „
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Das Kennzeichen der historischen Herleitung aber ist allen wichtigen Marinetheoretikern und Seekriegslehrern des 19. Jahrhunderts gemein; Einigkeit darüber, welche Lehren die Geschichte nun aber tatsächlich bereitzustellen schien, konnte freilich nicht erzielt werden. Es spricht Bände und sei hier, um nicht vorzugreifen auch nur am Rande, angemerkt, daß Tirpitz’ RMA, um die Jahrhundertwende bereits im Besitz eines voll ausformulierten strategischen Programms, das sich–so behauptete Tirpitz wenigstens–ebenfalls auf eine historische Herleitung stützte, im Falle konkurrierender Entwürfe „ [...] die pragmatische Analyse von militärischen Operationen als Irremachen des Publikums [...]“interpretierte.50 Auf der Grundlage der historischen Betrachtung brachte das 19. Jahrhundert, genauer die Zeit bis zumAusbruch des Ersten Weltkrieges, die größten Seekriegstheoretiker hervor. Als Katalysator ihrer Arbeit mag gewirkt haben, daß die Flottenrüstung in jener Zeit die Spitze der technologischen Leistungsfähigkeit der westlichen Welt–des europäischen Konzerts–darstellte, ähnlich wie im 20. Jahrhundert mit FULLER51 der Panzer, mit DOUHET52 und MITCHELL das Flugzeug zum Mittelpunkt einer umfassenden Theorie des Krieges wurde. Zwar berührte die Diskussion der Seestrategie den Landkrieg nur indirekt, imAllgemeinen aber wurde in der Dichotomie zwischen „ maritimem“und kontinentalem“Denken53 der Vorrang dem ozeanischen Gedanken gegeben, „ so daß man mit der Überlegung, wer über die See verfügen könne, habe entscheidende Vorteile im Landkrieg, dieses strategische Reservat gewissermaßen inkorporieren konnte.54 Es ist ein für die Geschichte der militärischen Theorie 1914 [=Einzelschriften zur Kriegführung undKriegsgeschichte in der Kontroverse 1879– Militärgeschichte 40], Freiburg i. Br. 1995 (cit. Lange, Strategiestreit), S. 34ff. 50 Petter, Flottenrüstung, S. 209f. 51 GAT, AZAR, Fascist andLiberal Visions of War, Oxford 1998 (cit. Gat, Visions), S. 27ff. 52 Giulio Douhet (1869– 1930), ein äußerst vielseitiger Mann, hatte sich schon vor demErsten Weltkrieg mit erstaunlichem Sachwissen allen möglichen Gebieten derModernisierung zugewandt: Der Elektrizität, der Chemie, usw. Als Berufssoldat faßte er immer auch die militärische Komponente neuer Erfindungen ins Auge, bevor er umdie Zeit des Durchbruchs des aeronautischen Ansatzes der Gebrüder Wright in Europa 1908/09 das Potential des Flugzeugs erkannte. Douhet forderte–im Einklang mit faschistischen Künstlern wie GABRIELE D’ANNUNZIO, die die Geschwindigkeit als neue tragende Säule der Zivilisation feierten–riesige Luftflotten strategischer Bomber, die Armeen und Marinen herkömmlichen Typs bald überflüssig machen würden. Auch bei Douhet verbanden sich dieVorstellung vonder Notwendigkeit zur Überwindung herkömmlicher gesellschaftlicher Organisationsformen mit ästhetischen und mystischen Elementen zu einer Weltanschauung, die er in den italienischen Faschismus einbrachte, sobald dieser 1919 aus der Taufe gehoben worden war, und der im Flugzeug eines seiner wichtigsten Symbole hatte. Cf. Gat, Visions, S. 52ff. 53 KENNEDY, PAUL M., Mahan versus Mackinder. Two Interpretations of British Sea 66 (cit. Kennedy, Mahan versus Mackinder). Power, in: MGMXVI (1974), S. 39– 54 Eine allgemein verbreitete Auffassung, diesich aber schon kurz vordemErsten Weltkrieg zu relativieren begann. Mackinder unddie bekannte Geopolitik KARL HAUSHOFERS wiesen aufdieökonomische Bedeutung eines kontinentalen Hinterlandes hin, wieetwa Rußland darauf Zugriff habe, und ordneten diesem Faktor eine „ stille Wirksamkeit“zu, wie
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insgesamt (die uns hier nicht interessieren soll, aber für die Einordnung der behandelten Denker von Bedeutung ist) äußerst bemerkenswerter Umstand, daß umundnach der Zeit desersten Weltkrieges wieder Versuche quasi-holistischer Kriegstheorien unternommen wurden, ein Rückgriff aufdie Zeit vorClausewitz 1966) beispielhaft ist, ein Anspruch, gleichsam, für den J.F.C. Fuller (1878– der bereits in den Titeln seiner Werke, The Foundations of the Science of War (1926) oder The Principles of War, with Reference to the Campaigns of 1914–1555, unter anderen, zum Ausdruck kommt (letzterer Titel ist vor allen Dingen in dem Zusammenhang augenfällig, als JULIAN CORBETT, von dem später noch die Rede sein wird, sein als umfassend intendiertes Werk zu den Principles of Maritime Strategy abmilderte zu Some Principles56). Dies hängt nach AZAR GAT damit zusammen, daß die militärische Theorie Fullers und anderer präfaschistischer Denker in einem holistischen Weltbild verankert war, einer Weltanschauung im eigentlichen Wortsinne, partiell dezidiert okkult und metaphysisch, deren Teilbereich und Derivat sie darstellte.57 Daß der erfolgreichen Kriegführung einige (wenige) fundamentale und universelle Prinzipien zugrundeliegen, kann als Allgemeingut des militärischen Denkens gelten; auf dieser Basis bauten Jomini undseine Zeitgenossen ihre Arbeit auf. Auch Napoleon formulierte diese Ansicht,58 undsie ist auch bei Mahan anzutreffen; aber die post-Clausewitzschen Theoretiker waren sich darüber klar, daß ihre Umsetzung in einer konkreten militärischen Situation, und das Erkennen, welches Prinzip gerade in Funktion oder zur Anwendung zubringen sei, ein nahezu unüberwindliches Problem darstellte, das große Flexibilität erforderte und durch ein in irgendeiner Weise starres Regelwerk nur verstellt undvergrößert wurde. Bei Mahan ist dieser Umstand der Ausgangspunkt für seine Forderung nach der Konstitution einer Admiralstabswissenschaft, die die Arbeit einer die militärische Situation beobachtenden und angemessen beurteilenden Planungsund Operationsbehörde begleiten und ihr zugrundeliegen solle); der Unterschied nunzwischen Fullers Arbeit undJominis klaren Handlungsanweisungen etwa ist der, daß Fuller, um seine Prinzipien tatsächlich universell zu machen, sie in einem sehr starken Maße abstrahierte, unddamit genau dieses Problem verschärfte. In der Zeit der Konstitution einer sich historisch-pragmatisch verstehenden Kriegstheorie verliehen einige, wieMahan, ihren Theorien inanderer Weise eine holistische Komponente, indem sie die Seemacht in Wesenseinheit mit dem Staat–in Mahans Fall den USA–setzten. Ein Konsens über Aufgaben und Inhalte der Seestrategie aber war vor dem Ersten Weltkrieg nicht erreicht. Es ist eine der gelungensten Ironien der Geschichte, daßausgerechnet jene Nationen, deren Marineschriftsteller internatioSeemacht“postulierte. Die Ereignisse der Ostfront 1918 zeigen, daß sie Mahan für die „ solche Gedanken
in Deutschland bereits eine gewisse
55 In: JRUSI 61 (1916), S. 1– 40 56 S. u. S. 132
57 Cf. Gat, Visions, S. 6, S. 26. 58 Cf. Gat, Visions, S. 24
Wirksamkeit erreicht hatten.
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nal rezipiert wurden, unddie einen unermeßlichen Aufwand an finanzieller und geistiger Kraft in den Aufbau der größten Flotten der Welt investiert hatten, zuBeginn desgroßen Krieges mit äußerst konfusen undteilweise skurrilen operativen Konzepten dastanden. Deutschland war gezwungen, seine gesamte, in fast zwei Jahrzehnten gewachsene Marineplanung innerhalb weniger Wochen umzuwerfen;59 Großbritannien sah sich einem gravierenden Mangel in praktisch allen Schiffskategorien, die der Seekrieg erforderte (mit Ausnahme der Großkampfschiffe) gegenüber;60 die operativen Vorbereitungen der US Navy, 1914 wie 1917, tragen geradezu satirische Züge.61 Wie konnte die Diskussion derart an den Erfordernissen des Krieges, wie er sich letztendlich einstellte, vorbeigehen? Um in die Vielfalt der seestrategischen Anschauungen eindringen zu können, seien hier einige Grundlagen des Seekrieges, eine Konsensebene aller Theoretiker gewissermaßen, kurz skizziert; an jenen Stellen der Untersuchung, an denen sie besondere Bedeutung gewinnen, werden diese einführenden, sehr kursorischen Betrachtungen vertieft. Die gleichförmige Wasserfläche der See hat keine wirtschaftliche oder militärische Bedeutung per se. Wieder Kheiberpaß erst durch dasVorhandensein der Militärmacht Rußland mit seinen Truppen zumstrategischen Sorgenkind Englands wurde, so erlangt auch die See erst durch den Einsatz von Schiffen, die sie entweder ausbeuten (in Form vonFischfang, Ölförderung etc.) oder als Verkehrsweg benutzen (also Handelsschiffe) eine wirtschaftliche, durch den durch sie bereitgestellten Zugang an die Küsten des Feindes für Truppentransporter o.ä. eine militärische Bedeutung. Die beiden großen Varianten der Seenutzung lassen sich auf die beiden prinzipiellen Einsatzarten für Kriegsschiffe transponieren, nämlich erstens die unmittelbare militärische Nutzung des Meeres als 59 HUBATSCH, WALTHER, Die Ära Tirpitz, jetzt in: HUBATSCH, WALTHER, Die Ära Tirpitz. 1918 (=Göttinger Bausteine zur GeschichtsStudien zur deutschen Marinepolitik 1890– 24 (cit. Hubatsch, Ära), S. 22ff. wissenschaft 21), Göttingen 1955, S. 11– 60 Watts, Royal Navy, S. 88ff, S. 102ff; Marder, Dreadnought I, S. 54. 61 Der amerikanische Operationsplan „Schwarz“von 1903 sah vor, daß die US-Schlachtflotte sich in der Chesapeake Bay sammeln und dann in die Karibik laufen sollte, um bei der Insel Culebra den massierten Angriff der deutschen Hochseeflotte abzufangen. Der Plan wurde beim Kriegseintritt der USA 1917 in die Tat umgesetzt. Cf. HERWIG, HOLGER H., Strategische Unbestimmtheitsrelation? Die US-Navy im Ersten Weltkrieg, in: DUPPLER,
JÖRG (Hrsg.), Seemacht undSeestrategie im 19. und20. Jahrhundert (=Vorträge zur Mi183, S. 173f, 176. Die größte Ironie hierbei litärgeschichte 18), Hamburg u. a. 1999, S. 173– ist, daßdieser Plan tatsächlich dieangemessene Antwort aufeinen vom(deutschen) Admiralstab ebenfalls im Jahre 1903 auseinem Gedankenspiel heraus entwickelten Operationsplan gegen die amerikanische Ostküste war, der zuerst die Eroberung eines Stützpunktes in der Karibik und die Vernichtung der amerikanischen Schlachtflotte vorsah, cf. BA-MA, NL Büchsel, N 168/8, Immediatvortrag: Grundlagen für die Kriegführung Deutschlands gegen die Vereinigten Staaten im Jahre 1903, 21. 2. 1903, cit. bei Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 334. Büchsel, der damalige Chef des Admiralstabes, hielt diesen Plan 1903 „unter bestimmten Voraussetzungen“für durchführbar. Cf. HERWIG, HOLGER H./TRASK, DAVID F., Naval Operations Plans between Germany and the United States of America 1898– 1913. A Study of Strategic Planning in the Age of Imperialism, in: MGM VIII (1970) 2, 32, S. 24ff. S. 5–
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Zugang zu den Küsten des Gegners und zweitens die Unterbindung der Nutzung der See als Verkehrsweg durch den Gegner. Dieses geschieht in mehreren Stufen, da üblicherweise zwei um die Nutzung der See konkurrierende Bel-
ligerenten mehrere Verfahren der Seenutzung gleichzeitig einsetzen. So mag beispielsweise der Seehandel während eines Seekrieges aufrechterhalten werden; der Gegner setzt jedoch Kriegschiffe ein, umdiesen Seehandel zu stören. Aufgabe dieser Kriegsschiffe ist also, gegnerische Handelsschiffe aufzubringen oder zu vernichten. Um die eigenen Schiffe vor dieser Gefahr zu schützen, werden wiederum Kriegsschiffe eingesetzt, die in der Lage sein müssen, die feindlichen Handelsstörer von ihrem Tun abzuhalten; vor der Erfindung des Torpedobootes, des U-Bootes und des Flugzeugs konnte das, wenn nicht eine Konzentration von gleichstarken Schiffen, nur ein Schiff mit einer größeren Kampfkraft und Standfestigkeit, das Schlachtschiff also, sein. Es läßt sich also eine Hierarchie der maritimen Kampfkraft aufbauen, deren Vertreter jeabwärtskompatibel“sein müssen, um militärisch nutzbar zu sein: Der weils „ Kreuzer muß in der Lage sein, Handelsschiffe zu zerstören; das Schlachtschiff mußin der Lage sein, Kreuzer zu zerstören. Die seemilitärische Bedeutung des Schlachtschiffes/Linienschiffes bis ins 19. Jhdt. erklärt sich durch seine Stellung an der Spitze dieser Hierarchie: Das Schlachtschiff kann von keinem anderen Schiffstyp zerstört werden, sondern nur von einer Konzentration gegnerischer Schlachtschiffe. Mithin steht die gesamte Hierarchie in Abhängigkeit vomVor, der ein Einbrechen des Gegners in die Hierarchie Schlußsteins“ handensein des„ unmöglich macht. Im Denken der Schlachtschiffschule mußjeder Ansatz, die Hierarchie des Gegners zu zerstören, an der Spitze erfolgen, mit der Elimiultimate security of defence“ ). Der nierung der letzten, obersten Sicherung („ Einbruch des Gegners an einem tieferen Punkt der Hierarchie, etwa durch den Einsatz von Handelsstörern bei gleichzeitiger Unterlegenheit an Schlachtschiffen, würde, im Denken der blue-water-Schule, durch die überlegene Kampfkraft der Schlachtflotte, die den Kreuzern die Nutzung der See verwehren könnte, zunichte gemacht werden.62 Würde nundasSchlachtschiff aber, ungeachtet seiner Unzerstörbarkeit durch Abwärtskompatibilität“verlieren, etwa durch eine andere Schiffstypen, seine „ entscheidende Unterlegenheit in der Geschwindigkeit, unddadurch nicht mehr in der Lage sein, Handelsstörer zu vernichten (die ihm einfach davonfahren könnten), so würde es abseits der Hierarchie stehen; es wäre nur noch in der Lage, andere Schlachtschiffe (von ebenfalls niedriger Geschwindigkeit) zu zerstören, die wiederum keinen militärischen Nutzen mehr hätten, also der Zerstörung (die ja schließlich Zeit und Geld kostet) gar nicht wert wären, weil sie keinen Beitrag mehr zur Seeherrschaft leisten konnten. Dies versuchte Lord Noone would Fisher der Admiralität klar zu machen mit der Formulierung „ seriously advocate building battleships merely to fight other battleships“.63 62 Corbett, Principles, S. 114. 63 Fisher, Naval Necessities I 40, 55– 7, cit. nach Marder, Anatomy, S. 528.
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Zunächst lag die Bedeutung des Schlachtschiffes also in seiner Unzerstörbarkeit durch andere Seekriegsmittel bei seiner gleichzeitigen Fähigkeit, eben diese zu zerstören. Selbst woein artilleristisch unterlegener Gegner sich durch überlegene Geschwindigkeit der Zerstörung entziehen könnte, war es jeweils der Vorteil der Schlachtflotte, sich Ort und Zeitpunkt ihrer Schwerpunktbildung aussuchen zu können, mithin also zumindest an wichtigen Punkten die Einwirkung etwa vongroßen Kreuzern durch ihre bloße Anwesenheit zuverhindern. Bei geschickter Handhabung der Flotte und Ausnutzung geographischer Gegebenheit ließ sich so idealiter eine völlige Paralyse der gegnerischen Flotte erreichen–durch die Blockade etwa (man sieht hier, daß das Fehlen der „ Abwärtskompatibilität“kein absolut zu messender Begriff sein kann, sondern unter besonderen Einsatzumständen variabel). Die Vorteile der Kampfkraft undStandfestigkeit überwogen so den Nachteil der gegenüber Kreuzern unterlegenen Geschwindigkeit. Mit der Entwicklung desDampfantriebs unddesTorpedos, demAufkommen der Torpedobootes undder von ihm ausgehend entwickelten Seekriegsmittel– des Zerstörers und des Unterseebootes–war dieser Vorteil der Unzerstörbarkeit aufgehoben. Besonders in Frankreich erwartete manseit Anfang der 1870er Jahre in zunehmendem Maße, daßsich jedes Seegefecht dank der Unabhängigkeit, den der Dampfantrieb gewährte, zu einem derartigen Chaos entwickelte, daß viele kleine Einheiten (Torpedoboote) die schwerfälligen und unbeweglichen Schlachtschiffe leicht mit ihren Torpedos vernichten konnten, während zugleich einschneller Kreuzer denihman Kampfwert überlegenen großen Schiffen immer entkommen und die Handelsschiffahrt des Gegners lahmlegen konnte. Daher wollte man das strategische Schwergewicht auf schnelle Kreuzer und Torpedoboote legen. Bis etwa 1890 florierten diese Entwürfe, und der WiderJungen“Schule führte zueiner völligen Unklarheit streit der„ Alten“unddieser „ über strategische und taktische Vorgehensweisen, die sich erst langsam zu klären begannen, als man um 1890 mit dem Einheitslinienschiff, das die Waffen Ramme, Torpedo und Artillerie (in einer schweren und mittleren sowie einer leichten Form zur Verteidigung gegen die Torpedoboote) auf sich vereinigte, den idealen und der Herausforderung der Jeune école gewachsenen Schiffstyp gefunden zu haben glaubte. Vondiesem Zeitpunkt an geriet die Kreuzerschule mehr und mehr ins Hintertreffen, und der Schlachtschiffgedanke konnte das Feld behaupten.64 Selbst wenn sich Schwärme von Torpedobooten, die schwerfällige Leviathane in unzähligen Angriffen zu Tode stachen, als Utopie der Jeune école entpuppten, die bloße Potentialität eines glücklichen Torpedotreffers mußte den Handlungsspielraum der Admirale in der Verwendung ihrer großen und teueren Schlachtschiffe in entscheidendem Maße einengen (die Konsequenz daraus war beispielsweise die Aufgabe des Konzeptes von der „ Engen Blockade“Anfang des 20. Jahrhunderts). Die Aufhebung des Vorteils des Schlachtschiffes
64 Eine Darstellung dieser Entwicklung bei Potter/Nimitz/Rohwer, Seemacht, S. 293– 315.
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ließ jetzt den Nachteil, die gegenüber dem Kreuzer unterlegene Geschwindigkeit, unmoderiert in den Vordergrund treten. Auch Kreuzer waren nicht immun gegen Torpedoangriffe–immerhin aber waren sie billiger zu bauen als Schlachtschiffe und in der Lage, mit fremden Handelsstörern Schritt zu halten und sie zu vernichten. Wenn die Immunität gegen Angriffe nun für keinen Schiffstyp mehr gegeben war, so gab den Ausschlag das Fehlen des Nachteils einer geringen Geschwindigkeit, positiv ausgedrückt: Die letzten Reservate des Schlachtschiffeinsatzes konnten vomgroßen Kreuzer besser bedient werden, der überdies auch noch billiger war. Unter ökonomischen Gesichtspunkten eröffnete diese Ausgangslage nunzwei prinzipielle Handlungsmöglichkeiten: Zumeinen konnte man auf den Bau von Schlachtschiffen ganz verzichten, um die so frei gewordenen Mittel in große Extremisten“ Kreuzer zu investieren. Italienische undfranzösische sogenannte „ des maritimen Denkens vertraten diese Auffassung.65 Aber selbst der in der Frage des Schiffsbestandes der Royal Navy als unsentimental bis zur Rücksichtlosigkeit verschriene Fisher mochte sich nicht dazu durchringen, Großbri[...] at the present tannien die Abschaffung seiner Schlachtflotte zu raten: „ moment naval experience is not sufficiently ripe to abolish totally the building 66Hier war man nun auf of battleships so long as other countries do not do so.“ einen Weg geraten, der mehr und mehr dem ähnelte, was Fisher usprünglich noch abgelehnt hatte: Schlachtschiffe ausschließlich zur Bekämpfung gegnerischer Schlachtschiffe zu bauen. Allerdings läßt sich der DREADNOUGHT-Bau seit 1906, der einen wichtigen Entwicklungsschritt auch in jener seit etwa der Jahrhundertwende zu beobachtenden Tendenz darstellte, daß große Kreuzer undSchlachtschiffe sich in ihren Merkmalen mehr undmehr ähnelten, gerade
65 Herausragendste Figur unter ihnen war Admiral François Fournier, der unter dem Eindruck des chinesisch-japanischen Krieges von 1895 (in der Seeschlacht am Yalu hatten japanische Kreuzer der chinesischen Schlachtflotte großen Schaden zugefügt) den schnellen Kreuzer mit einer großen Zahl von Schnellfeuergeschützen undgroßer Reichweite als idealen Schiffstyp für die französische Marine forderte, die auf den Bau vonobsoleten stark gepanzerten und schwerst bewaffneten Schlachtschiffen verzichten sollte. Cf. FOURNIER, FRANÇOIS, La flotte nécessaire, Paris 1896. Diese Vorstellungen wurden 1896 beim Bau des Panzerkreuzers JEANNE D’ARCumgesetzt, die es bei einer Verdrängung von 11.000 ts auf eine Geschwindigkeit von 23 kn und eine Bewaffnung von 2 · 7,6“und 14 · 5,5“ -Seitenpanzer Geschützen brachte (Marder, Anatomy, S. 283). Sie verfügte über einen 6“ (Marder, Anatomy, S. 528, S. 275 Anm. 2) Zurzeitgenössischen Bewertung der Gedanken der Jeune école, Aubes undFourniers, cf. MALTZAHN, CURT FRHR. V., Geschichte unserer taktischen Entwickelung. Im Auftrage des Admiralstabes der Marine unter Benutzung 1911 (Cit. Maltzahn, Taktische Entwickelung), dienstlicher Quellen, 2 Bde., Berlin 1910– Bd. I, Berlin 1910, S. 19ff. 66 Fisher, Naval Necessities I 40, 55– 7, cit. bei Marder, Anatomy, S. 528. Selbst, wenn der eingeschlagene Weg möglicherweise der technisch falsche war, so wurde er doch, indem ihn alle großen Seemächte mittrugen, zumausschlaggebenden: „Durch dieselbe Notwendigkeit gezwungen, sind alle anderen Seestaaten dengleichen Weggegangen. Mager nun falsch sein oder richtig, wir müssen uns ihm anpassen.“(MALTZAHN, CURT FRHR. V., Seestrategie in ihren Beziehungen zurLandstrategie nach englisch-amerikanischem Urteil, 886 [cit. Maltzahn, Beziehungen], S. 877). in: Marine-Rundschau XXIII (1912), S. 869–
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Abwärtskompatibiauch als Versuch interpretieren, dem Schlachtschiff seine „ lität“zurückzugeben.67 Daß sich Schlachtschiff und Schlachtkreuzer im Ersten teilten, ein angeWeltkrieg die Bezeichnung capital ship–Großkampfschiff– sichts des Versagens der britischen Schlachtkreuzer in der Linie (etwa am Skagerrak) oft bedauerter Schritt, läßt diese Zielsetzung erkennen. Ob allerdings dieser neue, undunbestreitbar überlegene Typ, demWesen des neuartigen Seekrieges gewachsen sein würde, konnte trotz reger Manövertätigkeit in seinem Vorfeld nur der „ richtige“Krieg, der Erste Weltkrieg, erweisen. Sein Verdikt war für die Schlachtschiffleute niederschmetternd; doch wardie Bedeutung des Schlachtschiffes so tief im Denken der verschiedenen Offizierskorps und Theoretiker verwurzelt, daß selbst die katastrophale Bilanz des Ersten Weltkrieges demSchlachtschiff vorerst nicht den Garaus machen konnte.
67 Marder, Anatomy, S. 528. Für Deutschland s. u. S. 68f.
2 Die Notwendigkeit der „ Schirmenden Wehr“ Ohne Seemacht blieb die deutsche Weltgeltung wie ein Weichtier ohne „ 1 Schale“ Tirpitz
Die Frage nach der Unzulänglichkeit der deutschen Seestrategie, wie sie sich 2 Einsatz der kaiserlichen Hochseeflotte im Ersten Weltim „ enttäuschenden“ krieg niederschlug, ist aufs Engste verknüpft mit jener Persönlichkeit, die die Marinepolitik des Kaiserreiches in den beiden Dekaden vor dem großen Krieg maßgeblich–undin zunehmendem Maße ausschließlich–bestimmt hatte, Admiral (seit 1911 Großadmiral) Alfred vonTirpitz, 1897 bis 1916 Staatssekretär im Reichsmarineamt. Wie kaum eine andere Persönlichkeit hatte Tirpitz seine eigene Zeit wiedie Diskussion umseine historische Bedeutung in allerhöchstem auch Tirpitz war Maße polarisiert.3 Wenn Walther Hubatsch 1951 beteuerte, „ kein Dämon [...]“,4 so reagierte er damit bewußt auf eine Strömung, die sich 5 Großadmiral zur primären Haßfigur6 eines den Weltkrieg unheimlichen“ den „ bewußt herbeiführenden Ressortegoismus und militaristischen Größenwahns gemacht hatte, in Abgrenzung voneiner apologetischen Geschichtsschreibung, in der Tirpitz als der große Visionär deutscher Weltgeltung zum Schöpfer der deutschen Flotte schlechthin und eine geradezu messianische Figur eines anbrechenden deutschen Weltzeitalters firmierte. Diese Abgrenzung nahmen auch jene vor, die Tirpitz als reinen Technokraten7 sahen und ihm damit impliciter leichtfertige Fahrlässigkeit oder böswillige Borniertheit8 dahingehend unter1 Erinnerungen, S. 50. 2 HUBATSCH, WALTHER, Der Admiralstab unddie obersten Marinebehörden in Deutschland 1945, Frankfurt/M. 1958 (cit. Hubatsch, Admiralstab, S. 13. 1848– 3 Salewski, Tirpitz, S. 8f. 4 Hubatsch, Ära, S. 24. 5 Salewski, Tirpitz, S. 9. 6 REINHARDT, HORST DIETER, Tirpitz und der deutsche Flottengedanke in den Jahren 1898, Diss. Marburg 1964 (cit. Reinhardt, Flottengedanke), S. 1. 1892– 7 STÜRMER, MICHAEL, Deutscher Flottenbau und europäische Weltpolitik vor dem Ersten 1985. Vorträge und Weltkrieg, in: Die deutsche Flotte im Spannungsfeld der Politik 1848– Diskussionen der 25. Historisch-Taktischen Tagung der Flotte 1985 (=Schriftenreihe des Deutschen Marine Instituts 9), hrsg. v. Deutschen Marine Institut und vom Deutschen 65 (cit. Stürmer, Flottenbau Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Herford 1985, S. 53– und Weltpolitik), S. 61; cf. RITTER, GERHARD, Staatskunst undKriegshandwerk, 4 Bde., 1968, Bd. II: Die Hauptmächte Europas und das Wilhelminische Reich München 1954– 1914), München 1960 (cit. Ritter, Staatskunst II), S. 174. (1890– 8 Wobei der Unterschied jeweils darin liegt, ob man ihm zubilligt, daß er die Möglichkeit eines großen europäischen Krieges als Konsequenz seines Handelns nicht sah oder eben in Kauf nahm.
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2 Die Notwendigkeit der „Schirmenden
Wehr“
stellten, daß er die gewaltigen außenpolitischen Konsequenzen seines–wie er defensiven“Flottenund sein oberster Dienstherr9 immer wieder betonten–„ baues unddie Verantwortlichkeiten eines Amtes übersah, das erst er selbst zu einem hochpolitischen gemacht hatte. Bewunderer wie Kritiker jedenfalls plazieren Tirpitz durch die Ausstattung arbeitsam, lernhungrig, hochintelligent, mit bemerkenswerten Geistesgaben–„ 10–klar über demdurchschnittlichen deutschen Seeoffizier–was,jeenergisch“ weils von der Betrachtungsweise abhängig, es entweder umso bedauerlicher macht, daß die „ staatsmännische Leistung [des Flottenbaues] durch exogene 11 oder der Persönlichkeit, Störungen nicht zu Ende geführt werden konnte“ die für das grandiose Scheitern der deutschen Flottenrüstung und ihres ganzen strategischen Ansatzes verantwortlich war, eine besonders sinistre Qualität verleiht. Im Zeichen seines vielzitierten Lebensmottos „Ziel erkannt–Kraft 12jedenfalls war es bemerkenswert, mit welcher Zielstrebigkeit Tirgespannt“ pitz die ihm gestellten Aufgaben anging–und fast immer brillant löste. Die augenfälligsten Beispiele hierfür sind seine Zeit als Chef desTorpedo-Versuchs1889), in der Kommandos (seit 1886 Inspekteur des Torpedowesens)13 (1878– automobilen Fischtorpedos“von er aus demvielversprechenden Kuriosum des„ Whitehead14 eine frontreife Präzisionswaffe–darauf wird noch zurückzukommen sein–schuf, als Chef des Ostasiatischen Kreuzergeschwaders (1896/97)
9 So zumBeispiel im Daily-Telegraph-Interview. 10 Stürmer, Flottenbau und Weltpolitik, S. 61. Cf. unter vielen anderen auch Salewski, Tirpitz, passim; Hubatsch, Ära, S. 12; Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 58. 11 Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 12.
12 SCHEER, REINHARD, VomSegelschiff zum U-Boot, Leipzig 1925 (benutzte Ausgabe bearb. v. SCHEIBE, ALBERT, Leipzig 21936, cit. Scheer, Segelschiff), S. 153. Epigonen und Untergebene waren nicht die einzigen, die Tirpitz Fähigkeiten als außergewöhnlich einschätzten. Stilbildend wirkten Aussagen von Männern wie Bülow (cf. Berghahn, Tirpitz92, Plan, S. 58) oder Eduard von Knorr, als Chef der Marinestation der Ostsee 1890– und später als Kommandierender Admiral 1895 (cf. Hubatsch, Admiralstab, S. 217) noch einmal Tirpitz’ Vorgesetzter und Mentor während seiner Zeit als Chef des Stabes dieser beiden Dienststellen (cf. Tirpitz, Erinnerungen, S. 29, 32), später erbitterter Gegner Einehrenhafter, energischer, selbständiger und desrenitenten ehemaligen Untergebenen: „ ehrgeiziger Charakter, mit gewandten Formen und etwas sanguinischem Temperament, ein reger, findiger Geist mit spekulativer Richtung undidealer Auffassung der Dinge [...] Seiner sonst erfolgreichen Tätigkeit in höheren Stellen haftete noch die Schwäche an, daß er leicht in den Fehler geriet, die Dinge einseitig anzusehen, mit der ganzen Kraft immer nur auf ein einzelnes Ziel losging, ohne die allgemeinen Bedingungen des Dienstes dabei hinreichend zu berücksichtigen, so daß häufig der erzielte Gewinn einer anderen Forderung Schaden brachte.“(Knorr, 1. Januar 1897, cit. bei Hubatsch, Ära, S. 12). 13 Tirpitz, Erinnerungen, S. 30ff; Uhle-Wettler, Tirpitz, S. 47. 14 Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 60ff. und Salewski, Tirpitz, S. 17ff. ZumWhitehead-Torpedo (und die Reaktion der Royal Navy) cf. GRAY E., The Devil’s Device. Robert Whitehead and the History of the Torpedo, Annapolis 1991 (Zuerst erschienen als The Devil’s Device. The Story of the Invention of the Torpedo, London 1975); Watts, Royal Navy, S. 54. ZurTorpedoentwicklung in der deutschen Marine ein Abriß bei RÖHR, ALBERT, Vorgeschichte und Chronik des Torpedowesens der deutschen Marine bis zumEnde des 19. Jahrhunderts, in: Schiff & Zeit VII (1973), S. 47– 51.
27 mit dem ausdrücklichen Auftrag, entweder Amoy, Samsah oder Tschusan als Platz für einen zu bauenden Stützpunkt der kaiserlichen Marine zu erkunden und auszusuchen15 und sich schließlich für Tsingtau als den einzig sinnvollen Ort entschied (und damit eine seit Jahren zwischen den Kommandobehörden, dem Reichskanzler unddem Auswärtigen Amt hin- und hergehende Konfusion beendete) und schließlich seine–ob im positiven oder negativen–beispiellose Arbeit beim planmäßigen Aufbau einer deutschen Schlachtflotte. So wird eine Betrachtung des deutschen Flottenbaues vor dem Ersten Weltkrieg ganz zwangsläufig die Ansichten, Leistungen und Irrtümer des Mannes berücksichtigen und oft in den Vordergrund rücken müssen, dessen singuläres Auftreten Ära Tirpitz“werden ließ.16 seine Zeit für manche gar zur „ Ein grundsätzliches Problem bei der Betrachtung eines längeren Zeitraumes–hier das Wirken Tirpitz’an verantwortlicher Stelle in den Marinestäben seit Anfang der 90er Jahre bis zum endgültigen Scheitern seiner Konzeption 1914 bzw. seinem Ausscheiden aus dem RMA 1916–ist die Veränderlichkeit von Konstellationen, Prioritäten oder Ansichten. Es kann nicht von vorneherein davon ausgegangen werden, daß Tirpitz einen über fast dreißig Jahre hinwegkonstanten gedanklichen Pol, seine Ansichten undKonzeptionen einen unveränderlichen monolithischen Block innerhalb der Entscheidungsfindung der Reichsleitung bildeten. Es ist erst der auf diachroner Betrachtung beruhende historisch-kritische Befund, der im Tirpitzschen Denken eine bemerkenswerte Kontinuität und tatsächlich eben jene Unveränderlichkeit der leitenden Ideen ergibt, von der oben die Rede ist. Auch wenn die Flottenpropaganda und auf politische Rücksichten angepaßte Äußerungen17 des Staatssekretärs das Bild mitunter zu verzerren scheinen, lassen sich die Tirpitzsche Weltsicht mit ihren politischen Implikationen und den daraus zu ziehenden strategischen Konsequenzen, von schrittweisen Verfeinerungen und Ausdifferenzierungen in fertiggestellt“betrachten.18 Dieser Detailfragen abgesehen, als sehr frühzeitig „ Umstand versetzt uns in die Lage, jenes Denken in dem ihm eigentümlichen organischen Zusammenhang hier zu entwickeln. Bei der Herausarbeitung vonTirpitz’seestrategischen Auffassungen sind wir nicht aufdie Interpretation vonindirekten Hinweisen undIndizien angewiesen. Das verdanken wir ihm selbst in seiner Stellung als subalterner Offizier. Bei 15 Hubatsch, Ära, S. 33f. 16 Zur herausgehobenen Stellung Tirpitz’innerhalb der Reichsleitung: STADELMANN, RUDOLF, Die Epoche der deutsch-englischen Flottenrivalität, in: STADELMANN, RUDOLF, 146 (cit. StaDeutschland und Westeuropa. Drei Aufsätze, Schloß Laupheim 1948, S. 85– delmann, Flottenrivalität), S. 95 Anm. 14; Ritter, Staatskunst II, S. 173; in der Marine (polemisch): PERSIUS, LOTHAR, Tirpitz, der Totengräber der deutschen Flotte, Berlin 1918 (cit. Persius, Totengäber), S. 2. 17 Tirpitz an Lans, 31. August 1914 (über die Tatsache, daß der projektierte Hauptgegner der Schlachtflotte von Anfang an England gewesen war): „Dies natürliche und einzige , cit. bei Salewski, Ziel konnte in denletzten zwei Jahrzehnten aber nicht gesagt werden.“ Tirpitz, S. 55; cf. auch diese Arbeit, S. 39. 18 Salewski, Tirpitz, S. 37f.
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der Überzeugungsarbeit, die Tirpitz praktisch die gesamten neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts hindurch (und zumTeil schon zuvor) innerhalb der Marine zu leisten hatte, bediente er sich, wie das üblich war, vorzugsweise des Mittels der Denkschrift; die Ausformung und die Evolution, wenn schon nicht seines strategischen Konzepts, dann wenigstens seiner Argumentation dafür, gehen aus ihnen direkt hervor. Tirpitz war darauf angewiesen, die Richtigkeit seiner Gedanken vor militärischen Experten schlüssig darzulegen. Da es sich uminterne Dokumente19 handelt, die für andere Marineoffiziere, üblicherweise seine jeweiligen Chefs, geschrieben waren, unddie sich deshalb öffentlichkeitswirksamer Phrasen enthielten und gezielt das seemilitärisch-technische in den Vordergrund rückten, wird mansie viel direkter als authentische Äußerungen seines Denkens als Seeoffizier werten dürfen als etwa die mit anderen Prioritäten überfrachtete–weil an andere Empfänger gerichtete–Flottenpropaganda der Jahre ab 1897. Die Analyse von Tirpitz’maritimem Denken wird sich an folgendem Schema orientieren: Die Betrachtung der Seestrategie, das heißt, der Art und Weise, wie eine Marine die ihr zur Verfügung stehenden Mittel letztendlich einsetzen soll und, darüber hinaus, wiesie diese Mittel selbst zu gestalten, das heißt aufzubauen, hat, kann in mehrere Schritte gegliedert werden. Einer internationalen Lage, in diedie Seestrategie betreibende Marine eingebettet ist, oder jedenfalls einer bestimmten, subjektiven Sicht davon, sind die Ziele, die dieselbe Marine erreichen will, gegenüberzustellen. Dabei kann es sich umbestimmte Veränderungen oder aber die Aufrechterhaltung eines bestehenden Status Quo handeln, oder eine Mischung aus beidem. Gleichzeitig können solche Ziele auch den Charakter von Nah- oder Fernzielen haben. Ist man sich über Ausgangsposition und eigene Ziele im klaren, macht man sich Gedanken über die Seekriegsmittel, mit denen das Ziel am besten erreicht werden kann. Basis hierfür ist die Technik, die Geographie, praktische Erfahrungen des Seekriegs und, im Verlauf des 19. Jahrhunderts immer prominenter, scheinbar aus der Seekriegsgeschichte gewonnene Lehren. Schließlich hat man sich ein Verfahren zu überlegen und zu erproben, das im eigentlichen Einsatz die eingesetzten Seekriegsmittel befähigt, taktisch das jeweils angepeilte Nahziel zu erreichen, strategisch die zu Anfang der Überlegungen gesteckten übergreifenden Ziele zu verwirklichen. Besonders die letzten beiden Punkte, die Entscheidung über die Art der zu
19 HOPMAN, ALBERT, Das Logbuch eines deutschen Seeoffiziers, Berlin 1924 (cit. Hopman, Logbuch), S. 181. Hopman, dendie Literatur mitunter einen derintelligentesten Beobachter des Geschehens nennt, erweist sich in seinen Memoiren als dezidierter Tirpitzianer, der in allen taktischen, strategischen undpolitischen Fragen der Ansicht seines Vorgesetzten folgt. Seine Darstellung ist insofern vonunschätzbarem Wert, als sie, imGegenpol zu Tirpitz selbst, zeigt, wiedessen Gedanken voneinem politisch unambitionierten professionellen Marineoffizier aufgefaßt werden konnten. Das Logbuch ist allerdings die gekürzte und geglättete Version von Hopmans privatem Tagebuch, in dem die im Original vorkommende Kritik an Tirpitz, Wilhelm II. und der Flottenpolitik, der die Quelle gerade ihre Hochschätzung in der Forschung verdankt, entfallen ist (Epkenhans, Wilhelminische Flottenrüstung, S. 94f Anm. 8).
29 bauenden Schiffe, und das Verfahren ihrer eigentlichen Verwendung in See, stehen in enger Interaktion miteinander und bedingen sich jeweils gegenseitig; dieser Zusammenhang nimmt in Tirpitz’Äußerungen immer wieder großes Gewicht ein. Und obwohl für die vorliegende Arbeit gerade die Betrachtung dieser letzten beiden Punkte, die das militärische Vorgehen vor einem politischen Hintergrund ausmachen, in der Zeit im Vordergrund steht, ist doch für ein Verständnis der Tirpitzschen Gedanken der politische Denkhorizont, in demsie entstanden sind, das heißt, das allgemeine Verständnis vonBedeutung und Zweck einer Flotte, von entscheidender Bedeutung. Das so etablierte Schema gewinnt seine Legitimation daraus, daßalle in ihm enthaltenen Komponenten in Tirpitz’ Arbeit vorhanden sind, miteinander in Fall Tirpitz“konkret Beziehung stehen undauseinander hervorgehen. Auf den„ angewendet bedeutet dies, daßzunächst sein Bild vonder internationalen Lage, in der Deutschland sich befand, zusammen mit erwarteten machtpolitischen, ökonomischen und sozialen weiteren Entwicklungen und Perspektiven (teils mittel-, teils langfristiger Natur) vorzustellen sein wird, um dann weiterzugehen zu den Konsequenzen, die er daraus für das weitere Vorgehen des Reiches zog, und welche Ziele er damit zu erreichen suchte. Die große Kontroverse um die Person des Großadmirals dreht sich genau um diese Ziele, die vorwiegend im politischen Bereich angesiedelt waren, und behandelt seine eigentliche marinepolitische und operativ-taktische Arbeit größtenteils als eine Komponente, eine Funktion, sozusagen ein Nebenprodukt dieser Ziele. Ihre Beurteilung als Marinestrategie im eigentlichen Sinne (vereinfacht gesagt als Weg, um einen Krieg zu gewinnen), bleibt dabei entweder im Hintergrund oder erfolgt auf der Basis des common sense undBeurteilungen dieser Strategie, die nach dem Ersten Weltkrieg veröffentlicht wurden.20 Die dabei gewonnene Einschätzung ist meistens notwendigerweise katastrophal und führt schnell zu dem Schluß, der Tirpitz-Plan sei als Kriegsentwurf für die deutsche Flotte von vornherein ungeeignet und deshalb von seinen Urhebern eigentlich gar nicht als solcher gedacht gewesen. Ausdiesem Grund wendet sich die vorliegende Arbeit genau diesen marinepolitischen und operativ-taktischen Maßnahmen zu und fragt, wie (und ob überhaupt) sie sich als maritime Strategien in das Verständnis der Zeit einordnen lassen. Im Ergebnis mag das einen Schluß zulassen, ob es Tirpitz-Plan“ , um eine nachvollziehbare sich bei dem Gesamtkonzept, dem „ maritime militärische Strategie handelte, wie sie es vorgab zu sein, oder, falls schon die Experten der Zeit seine Gedankengänge militärisch als (schlimm-
20 Wegbereitend hierbei etwa die Gedanken des Konteradmirals Wolfgang Wegener, dem Chef der Marineleitung, Admiral Zenker, im September 1925 vorgelegt als Wegener an Zenker, 25. 9. 1925: Gedanken zu den Grundlagen unserer Kriegsspiele undKriegsunter1928. suchungen (cit. bei RAHN, WERNER, Reichsmarine und Landesverteidigung 1919– Konzeption undFührung der Marine in der Weimarer Republik, München 1976, S. 129), später erweitert und als Denkschrift veröffentlicht als WEGENER, WOLFGANG, Die Seestrategie des Weltkrieges, Berlin 1929 (erw. Aufl. 21941). Cf. auch Rahn, Seestrategisches Denken, bes. S. 66ff.
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stenfalls) falsch beurteilten, ob die durch sie zu erreichenden Ziele außerhalb des militärischen Horizonts lagen. Denkbar ist auch eine Synthese beider zu einer ganzheitlichen, koordinierten Grand Strategy, einem Verschmelzen innenoder wirtschaftspolitischer mit sicherheitspolitischen Aspekten. Doch auch dies setzt die Kenntnis der militärischen Gedanken Tirpitz’undihren Standort im strategischen Diskurs der Zeit voraus. Ohne eine Klärung dieser Position des Tirpitz-Konzeptes imseemilitärischen Kontext der Zeit hängt jeder Schluß, den man über die letztendlichen Ziele dieser Konzeption ziehen will, in der Luft.
2.1 Deutsche Seemacht als politischer Imperativ WELTREICHE UND SEEINTERESSEN
Grundlegend für Tirpitz’ Arbeit war die Ansicht, daß die Seemacht eine der wesentlichen gestalterischen Kräfte der Weltgeschichte war und Deutschland ohne sie in der Konkurrenz der Weltmächte über kurz oder lang verkümmern mußte:
„ [...] Das Zusammenballen vonRiesennationen Panamerika, Greater
Britain, das Slawentum undmöglicherweise der mongolischen Rasse mit Japan an der Spitze werden [sic] Deutschland im kommenden Jahrhundert vernichten oder doch ganz zurückdrängen, wenn Deutschland nicht eine politische Macht auch über die Grenzen des europäischen Kontinents hinaus wird. Die unerläßliche Grundlage hierfür in dieser Welt, wo die Dinge hart aufeinanderstoßen–ist eine Flotte.“21
Die Formulierung, daß die Dinge „ in dieser Welt [...] hart aufeinanderstoßen“ legt nahe, daß Tirpitz, demGedankenhorizont seiner Zeit verhaftet, sozialdarwinistisches Gedankengut rezipiert und bis zu einem gewissen Grad verinnerlicht hatte. Und der „ Kampf ums Dasein“ ,22 dem Deutschland sich diesem Denken gemäß zu stellen hatte, spielte sich nicht mehr im traditionellen, 1815 restituierten europäischen Konzert der Mächte ab, in der Pentarchie, die seit dem Hinzutreten Japans und der USA zur „ Heptarchie“geworden war, sondern „ im Rahmen eines Weltstaatensystems von‚Supermächten‘ ,23deren “ 21 Tirpitz an Blanca Tirpitz, 18. Juli 1897, cit. bei Salewski, Tirpitz, S. 52. Cf. u.v. a. Tirpitz an Kaiser (Geheim.), 24. April 1898: Mittel und Wegefür die Weiterentwicklung der
deutschen Flotte (HOHENLOHE-SCHILLINGSFÜRST, CHLODWIG V., Denkwürdigkeiten der Reichskanzlerzeit, hrsg. v. MÜLLER K. A. v., Berlin 1931 [cit. Hohenlohe, DenkwürdigkeiWeltreichslehre“ ten], S. 441ff). Zu der in diesen Gedanken zum Ausdruck kommenden „ cf. besonders Neitzel, Weltmacht, S. 94ff. 22 VonAhlefeld an Tirpitz, 12. Februar 1898, cit. bei Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 179, Anm. 34, als BA-MA/NL Tirpitz 16 (vorl.); für die britische Marine und Öffentlichkeit cf. Marder, Anatomy, S. 18f. 23 Salewski, Tirpitz, S. 53.
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befürchtete ökonomische Abschottungstendenzen Deutschland wirtschaftlich abzuschnüren drohten,24 wenn es sich nicht selbst die Machtmittel zur Aufdaseine schloß das rechterhaltung seines Handels verschaffte beziehungsweise– andere nicht aus–sich selbst auf das Ende des Freihandels durch die Erwerbung eines kolonialen Übersee-Hinterlandes vorbereitete.25 Dieses Denken bewegte sich noch ganz auf den Schienen, die erst HOBSON mit seiner berühmten Imperialismus-Studie im Zuge einer in Großbritannien einsetzenden Strömung liberaler Selbstkritik26 hinterfragte und widerlegte, vor allem die Fiktion von 24 Cf. auch den Aufsatz Die modernen Weltreiche, in: Nauticus II (1900), S. 51– 73; Marienfeld, Wissenschaft und Schlachtflottenbau, S. 25f. Namhafte Ökonomen wie GUSTAV SCHMOLLER befürchteten, daß das Ineinandergreifen von Rohstofflieferungen aus den Kolonien und der Versorgung mit Industriegütern aus dem Mutterland einen NeoParasitendasein“(Tirpitz, Erinnerungen, S. Merkantilismus befördern werde, der denein „ 168) führenden deutschen Handel durch Schutzzölle und staatliche Gewaltmittel aus den geschlossenen Ökonomien der neuen Weltreiche verdrängen mußte (SCHMOLLER, GUSTAV, Die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands und die Flottenvorlage, in: SCHMOLLER, GUSTAV/SERING, MAX/WAGNER, ADOLF (Hrsg.), Handels- und Machtpolitik. Reden und Aufsätze im Auftrage der Freien Vereinigung für Flottenvorträge, 2 Bde., Stuttgart 21900, Bd. I, S. 1– 38 [cit. Schmoller, Wirtschaftliche Zukunft], S. 27); cf. auch MOMMSEN, HANS, Sozialgeschichte, in: WEHLER, HANS-ULRICH (Hrsg.), Moderne deutsche Sozialgeschichte, Königstein/Taunus 51976 (Ndr. Düsseldorf 1981; zuerst ersch. Köln34, S. 29. Ähnliche, dem Kreise der „ Flottenprofessoren“zuzuordBerlin 1966), S. 27– nende Argumentation u.a. bei MAXSERING (cf. v. a. Die Handelspolitik der Großstaaten und die Kriegsflotte, in: SCHMOLLER, GUSTAV/SERING, MAX/WAGNER, ADOLF (Hrsg.), Handels- und Machtpolitik. Reden und Aufsätze im Auftrage der Freien Vereinigung für 44, S. 17), ERICH MARCKS (Die Flottenvorträge, 2 Bde., Stuttgart 21900, Bd. II, S. 1– imperialistische Idee zu Beginn des 20. Jahrhunderts (1903), in: MARCKS, ERICH, Eng28) oder KARL RATHGEN lands Machtpolitik, hrsg. v. ANDREAS W., Stuttgart 1940, S. 1– (Über den Plan eines britischen Reichszollvereins, in: Preußische Jahrbücher LXXXVI 523; Die Kündigung des englischen Handelsvertrages undihre Gefahr für (1896), S. 481– Deutschlands Zukunft, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft
242). Cf. auch Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 132. im Deutschen Reich XXI (1897) 4, S. 225– 25 Die ökonomische Argumentation für eine deutsche Großflotte, wie sie von den „ Flottenprofessoren“gestützt wurde, findet sich konzentriert und auf die breite Öffentlichkeit N“ ] herausgegebenen Nauticuszugeschnitten in der vom Nachrichtenbüro des RMA [„ Reihe. Die erste dieser Schriften, Altes und Neues zur Flottenfrage. Erläuterungen zum Nauticus“als Autor, hinter dem sich, neben anderen, Flottengesetz, erschien 1898 mit „ der Volkswirtschaftler ERNST V. HALLE verbarg. Neue Beiträge zur Flottenfrage (Berlin 1898), Jahrbuch für Deutschlands Seeinteressen (1899) und Beiträge zur Flottennovelle 1900, dienten unmittelbar der Propaganda für dieFlottengesetze 1898 und1900; erst die auf der Publikation von 1899 sich gründende Zeitschrift (Nauticus. Jahrbuch für Deutsch1906]) entwickelte sich von der Propagandaschrift lands Seeinteressen, Jg. I-VIII [1899– ihrer Ursprünge zueiner Fachzeitschrift für Marinefragen ähnlich derMarine-Rundschau. Cf. Marienfeld, Wissenschaft undSchlachtflottenbau, S. 79ff. 26 HOBSON, JOHNA., Imperialism. A Study, London 1902. Die 1938 erschienene 3., überarb. Ausgabe der Studie wurde seither mehrmals neu aufgelegt, zuletzt als Paperback 1988. Deutsch: HOBSON, JOHN A., Der Imperialismus, Köln 1968 (21970). Unter Anlage der gleichen Bewertungsmaßstäbe kommt Herwig bei einer Analyse der Situation für die deutschen Kolonien zu Ergebnissen, die sich ganz ähnlich lesen: Herwig, Luxury Fleet, S. 106f.
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den überseeischen Gebieten als „Abflüsse“für in der Metropole überschüssiges Kapital und essentielle, weil gesicherte, Rohstofflieferanten für die heimische erzeugende Industrie. So sehr Hobsons vierhundert-Seiten-Statistik ihnen einige Jahre später auch widersprach, vorherrschend waren diese Fiktionen nicht nur in Großbritannien, sondern auch unter den Befürwortern eines deutschen Imperialismus.27 Die Tatsache nun, daß Deutschland sich der weltweiten Bewegung auf Märkte, Investitionsmöglichkeiten und Rohstofflieferanten an der Peripherie erst anschloß, als diese schon zum größten Teil vergeben und also nur noch auf Kosten der anderen europäischen Mächte für das Reich zu erwerben waren, konnte Deutschland nur in Opposition zu diesen Mächten, zuvörderst England, bringen.28 Diese Konfrontation zu vermeiden, schien es keinen gangbaren Weg zu geben. Weltpolitischer Verzicht hätte, in denWorten des Nauticus, katastrophale [...] Ohne eine starke Flotte wird Deutschland am Ende des Folgen gehabt: „ 20. Jahrhunderts keine Kolonien mehr besitzen können, ohne Kolonialbesitz aber in seinem kleinen Gebiete ersticken oder von den großen Weltmächten, denen es wiederum seine Auswanderer zu Millionen undaber Millionen zusen29Eine Argumentation, der Tirpitz nurbeipflichdenmüßte, erdrückt werden.“ ten konnte: „Ohne auf den Stand eines armen Ackerbaulandes zurückzusinken, 30 konnten wir England nicht zumFreund und Gönner gewinnen.“ Umso mehr, als gerade im Gegenteil die Selbsteinschätzung des Reiches mit demWilhelminismus die eines unaufhaltsam vorwärtsdrängenden, sich seiner zukunftsweisenden Mission bewußten geworden war31, hatte das Deutsche
27 Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 131f. 28 Tirpitz, Erinnerungen, passim; Marienfeld, Wissenschaft undSchlachtflottenbau, S. 17ff; Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 132. Bemerkenswert auch die Einschätzung eines Gegners Weltmacht“ einer deutschen „ :„ [...] Überdies kommen wir ja längst zu spät, alles, was wertvoll ist an überseeischen Besitzungen ist schon in anderen Händen, die es festhalten
[...].“ (BERGHAHN,
VOLKER R./DEIST, WILHELM, Rüstung im Zeichen der wilhelmi1914, (hrsg. v. MGFA), Düsseldorf nischen Weltpolitik. Grundlegende Dokumente 1890– 1988 (cit. Berghahn/Deist, Rüstung), Nr. VI 1, Völderndorff an Hohenlohe, 9. November [...] vollkommen unfähig [...]“(Hohenlohe, 1897). Völderndorff hielt die Marine für „ Denkwürdigkeiten, S. 423: Völderndorff an Hohenlohe, 12. Dezember 1897). 29 Nauticus II (1900), S. 73; cf. Herwig, Luxury Fleet, S. 35. Cf. auch Caprivis berühmte Aussage vor demReichstag: „ [...] Wir müssen exportieren. Entweder wir exportieren Waren oder wirexportieren Menschen. Mit dieser steigenden Bevölkerung ohne eine gleichmäßig zunehmende Industrie sind wir nicht in der Lage, weiter zu leben [...].“(10. Dezember 1891, cf. Tirpitz, Erinnerungen, S. 51). 30 Tirpitz, Erinnerungen, S. 167. 31 BÜLOW, BERNHARD V., Reden. In Auswahl herausgegeben und mit Einleitung und verbindender geschichtlicher Darstellung versehen von WILHELM V. MASSOW, 4 Bde., Leip1914, Bd. IV, 1905– 1908, Leipzig 1914, S. 146; auch: Berghahn, Tirpitz-Plan, zig 1910– S. 174; MESSERSCHMIDT, MANFRED, Reich undNation im Bewußtsein der wilhelminischen Gesellschaft, in: DEIST, WILHELM/SCHOTTELIUS, HERBERT (Hrsg.), Marine und Marinepolitik im kaiserlichen Deutschland 1871– 1914, Düsseldorf 1972 (zitierte Ausgabe 21981), S. 11– 33, S. 12f. Cf. auch STEINBERG, JONATHAN, The Copenhagen Complex, in:
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Reich gar keine andere Wahl als nach vorne zu gehen, ob es wollte oder nicht.32 Solchermaßen umdes lieben Überlebens willen geradezu in andere Weltteile hinausgezwungen, sahen sich deutsche Kaufleute, Kolonialisten und Emigranten vielfältigen Gefahren gegenüber, die von Belästigungen durch zivile Konkurrenten33 über veritable diplomatisch-militärische Schwierigkeiten mit ungebärdigen Klein- und neidischen Großmächten34 bis hin zur Aufgabe der deutschen Identität im Ausland lebender Reichsbürger35 reichten (letzteres wurde vor allem von der Reichsleitung und in Teilen des deutschen Bürgertums mit [...] Lohnsklaven oder Überläufer fremder Mißfallen zur Kenntnis genommen [„
JCH I (1966) 3, S. 23– 46 (cit. Steinberg, Copenhagen Complex), S. 26f; man denke auch an die berühmte Antrittsvorlesung Max Webers: Stadelmann, Flottenrivalität, S. 99.
32 Eine als zwingend angesehene Dynamik wird greifbar bei Hohenlohe, Denkwürdigkeiten, Wir sind vielleicht zu rasch vorgeS. 497f: Tagebucheintragung Hohenlohes, 1. Mai 1899: „ gangen; aber wir können nicht zurück, wie wir überhaupt in unserer Weltstellung nicht stehen bleiben, sondern stets vorwärts gehen müssen.“(S. 498). 33 Cf. hierzu Tirpitz’ fassungslose Beschreibung seines Versuches, mit dem Kanonenboot BLITZ die Emdener Heringsfischer vor Übergriffen ihrer schottischen und holländischen Konkurrenten zu schützen (unmittelbare Umsetzung des Stoschschen Ehrgeizes, Deutschtum und deutsche Arbeit in der Welt zu kräftigen und zu schützen.“[Tirpitz, „ Erinnerungen, S. 12]), und deren unwillige Reaktion darauf: Tirpitz, Erinnerungen, S. 12f. Der dahinterstehende Gedanke ist weniger satirisch als die Umsetzung: Die HochseeSeeinteressen“(s. u.), fischerei bildet einen integralen Bestandteil des Bündels deutscher „ die hier eben „geschützt“werden sollen, wo sich ein Ansatzpunkt bietet. So gesehen ist Seeinteressen“ -Theorie (cf. Petdieser Zwischenfall weniger Beleg für die Falsizität der „ ter, Flottenrüstung, S. 181ff, 183ff), sondern vielmehr für das Vorherrschen einer gewissen Naivität bezüglich des Rezeption dieser Interessen außerhalb der Reichsleitung (cf. auch Stadelmann, Flottenrivalität, S. 95ff). 34 „[Der Wiederaufstieg Deutschlands zur Großmacht hat] in den zivilisierten Teilen Europas u[nd] besonders in England eine ähnliche Empfindung hervorgerufen, wie etwa die Gesellschaft einem Emporkömmling entgegenbringen würde, gemischt in diesem Falle vielleicht mit dem Gefühl der Unsicherheit, was dieser neue Faktor noch alles bringen möchte.“(Tirpitz an [?], 13. Juni 1879, BA-MA, NL Tirpitz, K 70, cit. nach Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 182f. Cf. auch Ritter, Staatskunst II, S. 179. 35 Berghahn/Deist, Rüstung, Nr. III 6 (S. 159ff): Notizen des Staatssekretärs des Reichsmarineamtes, Kontreadmiral Tirpitz, zumImmediatvortrag am 28. September 1899 über die Vorbereitung undZielsetzung der Novelle zumFlottengesetz, S. 161. Vor allem Stosch Heranholung des Auslandshatte sich umdiese Entwicklung Sorgen gemacht undsich zur„ deutschtums“verpflichtet gefühlt: Petter, Flottenrüstung, S. 116; VERCHAU, EKKEHARD, Von Jachmann über Stosch und Caprivi zu den Anfängen der Ära Tirpitz, in: DEIST, WILHELM/SCHOTTELIUS, HERBERT (Hrsg.), Marine und Marinepolitik im kaiserlichen 72 (cit. Ver1914, Düsseldorf 1972 (benutzte Ausgabe 21981), S. 54– Deutschland 1871– chau, Von Jachmann...) S. 60f. Daß vor allem die Aktivitäten der Auslandsschiffe der Marine und damit auch die Kommandogewalt über sie Stosch besonders am Herzen lagen (Scheer, Segelschiff, S. 204; Reinhardt, Flottengedanke, S. 17), führte immer wieder zu Reibungen mit Bismarck, cf. Hubatsch, Admiralstab, S. 37f; HOLLYDAY B. F., Bis215; STEINMETZ H.-O., Bismarck und die marck’s Rival, Durham 1976 (=1960), S. 136– deutsche Marine, Herford 1974 (cit. Steinmetz, Bismarck...), S. 38ff. Tirpitz äußert sich 76) mit Bitternis über eigene Anschauung in den USA (Tirpitz, Erinnerungen, S. 71– und Wladiwostok (Tirpitz an Marie Tirpitz, 12. September 1896, abgedruckt bei Hassell, 147, S. 117f). Tirpitz, S. 134–
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Rassen [...]“]36). Solchen Gefahren, selbst letzterer, konnte nach Meinung der Zeitgenossen nur mit Hilfe einer starken Marine abgeholfen werden. Insgesamt galten diese Gedanken unter deutschen Intellektuellen als Allgemeingut und waren nicht erst durch die Flottenpropaganda der Jahre nach 1897 aufgebracht worden.37 Deren Verdienst aber war es, die Öffentlichkeit immer wieder nachdrücklich auf den Zusammenhang zwischen Deutschlands Prosperität, ja Existenz, undseiner Seemacht hinzuweisen: Die Notwendigkeit, die deutsche Nutzung der See auszudehnen, verlangte im gleichen Maße nach dem militärischen Schutz38 der vorhandenen und zu Seeinteressen“ erwerbenden „ , zu deren „Funktion“,39also von ihnen abhängige Größe, die Flotte wurde. Das ist durchaus wörtlich zuverstehen: Es bedeutete nicht nur, daßein reges überseeisches Engagement durch Handel, Territorialaquisition und Emigration eben einer Flottenmacht zu seinem Schutze bedurfte, sondern gleichzeitig, daß diese Flotte in ihrer Größe in Relation zu dem Volumen der überseeischen Interessen zu setzen war, d.h. mit ihnen wuchs oder schrumpfte, nicht zuletzt deswegen, weil die Wirtschaft nicht nur das Schutzobjekt, sondern gleichzeitig die Grundlage für den zur Unterhaltung einer Flotte notwendigen Wohlstand war.40 Dieser Gedanke ist deshalb von so großer Tragweite, weil er etwas impliziert, das Tirpitz über die gesamte Zeit des Flottenbaues hinweg immer wieder betonte: Die Flotte sei–auch in ihrer Größe!–mit Blick und in Relation auf die Bedürfnisse41 des deutschen Rei36 Tirpitz, Erinnerungen, S. 74. 37 Ritter, Staatskunst II, S. 175. 38 Berghahn/Deist, Rüstung, Nr.II 8 (S. 114ff): Tirpitz an Stosch, 13. Februar 1896: „ Wollen wiraber gar unternehmen, in die Welt hinauszugehen undwirtschaftlich durch die See zu erstarken, so errichten wir ein gänzlich hohles Gebäude, wenn wir nicht gleichzeitig ein gewisses Maß an Seekriegsstärke uns verschaffen.“(S. 114). Bei Tirpitz, Erinnerungen, 109, sind jeweils unterschiedliche Passagen des 56, und bei Hassell, Tirpitz, S. 106– S. 54– Briefes auszugsweise abgedruckt. Es wird deshalb aus Berghahn/Deist nach der Vorlage BA-MA, [RM] NL Tirpitz, N 253/321 zitiert. 39 Berghahn/Deist, Rüstung, Nr. II 4 (S. 103– 105): Tirpitz an Stosch, 21. Dezember 1895, S. 104. Dieser Zusammenhang, insbesondere der zwischen Handels- und Kriegsmarine, taucht in aller Deutlichkeit erstmals bei Mahan auf, vondemTirpitz ihn möglicherweise übernommen hat (cf. HATTENDORF, JOHN B., The Anglo-American Wayin Maritime Strategy, in: HATTENDORF, JOHN B., Naval History and Maritime Strategy. Collected 120, S. 113. Essays, Malabar (Fl.) 2000, S. 109– 40 ZurBestätigung bemühte Tirpitz einen Artikel des Saturday Review von1893: „ DerHandel erzeugt entweder eine Marine, die stark genug ist, ihn zu schützen, oder er geht in die Hände von fremden Kaufleuten über, welche solchen Schutz genießen.“(Tirpitz, Erinnerungen, S. 50). 41 Cf. die Begründung des ersten Flottengesetzes: Stenographische Berichte über die Ver1918, 9. Legisla325, Berlin 1871– handlungen des Deutschen Reichstages [SBR] Bd. 19– 10: Gesetzentwurf, betreffend turperiode, 5. Session 1897/98, 1. Anlagenband, Nr. 4, S. 1– die deutsche Flotte. Begründung (cit. Begründung zum ersten Flottengesetz 1898), S. [...] der Sollbestand [ist] nicht nach den künftigen Bedürfnissen, sondern nach den 2: „ heutigen Seeinteressen des Reiches zu bemessen [...].“Freilich bleibt es den seemilitärischen Experten überlassen, zu entscheiden, welches Quantum an Seeinteressen x eine entsprechende Menge an Flotte y notwendig machen! Cf. dazu auch SALEWSKI, MICHA-
2.1 Deutsche Seemacht als politischer Imperativ
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ches gebaut, und nicht im Hinblick auf irgendeine andere Marine (und schon gar nicht die Englische).42 Freilich hat Tirpitz auch diese Relation zwischen erfunden“ ; Mahan formulierte Seehandelsaufkommen und Flottenstärke nicht „ sie 1890;43 Anklänge, wenn auch noch nicht so stringent formuliert wie bei Tirpitz, finden sich in einem Aufsatz Stoschs,44 der zwar erst 1897 (posthum) veröffentlicht wurde,45 dessen Abfassung aber, laut Hallmann,46 bereits 1884 begonnen wurde also zueinem Zeitpunkt, da Stosch noch nicht brieflich mit den Tirpitzschen Gedanken in Berührung gekommen war.47 Nicht auszuschließen ist freilich, daß Hallmann, Parteigänger des nach dem Krieg vielgeschmähten Tirpitz, hier mehr um den Bau einer Traditionslinie als um akkurate Wiedergabe bemüht ist. Unbestreitbar jedenfalls geht bereits der Stoschsche Flottenplan48 von 1873 implizit von der Annahme aus, daß eine Erhöhung der deutschen Handels- und Kolonialaktivität auch eine Erhöhung der Belastung für die Marine zur Folge haben würde; vondiesem Punkt aus ist keine ausgefallene Gedankenakrobatik nötig, um einen erhöhten Sollbestand für notwendig zu erachten. Seeinteressen“nahm in Tirpitz’Schrifttum einen sehr Die Wichtigkeit der „ breiten Raum ein, auch deshalb, weil sich aus ihr konkrete Forderungen für die Geschäftsführung bei ihrer Wahrnehmung ergaben: Die deutschen Seeinteressen könnten am besten gewahrt und gepflegt werden, wenn man sie in einem verantwortlichen Amt zusammenfaßte, das nicht nur ihre Konkurrenz untereinander unterband, sondern sie durch zentrale Koordination auch schneller, [...] freier Hand nach (manchesterlich) [...]“49möglich wäre, wachsen als es „ EL, Deutschland als Seemacht, jetzt in: SALEWSKI, MICHAEL, Die Deutschen und die See. Studien zur deutschen Marinegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, hrsg. v. ELVERT, JÜRGEN und LIPPERT, STEFAN(=HMRG Beiheft 25), Stuttgart 1998, S. 11–23 (cit. Salewski, Deutschland als Seemacht), S. 15; STEINBERG, JONATHAN, Yesterday’s Deterrent. Tirpitz and the Birth of the German Battle Fleet, London 1865 (cit. Steinberg, Deterrent), S. 143ff. Der Text der Begründung wurde veröffentlicht in: Nauticus I 154): Auszug aus (1899), S. 304ff; jetzt auch: Berghahn/Deist, Rüstung, Nr. III 3 (S. 147– der Begründung zumEntwurf des 1. Flottengesetzes, November 1897. 42 Tirpitz, Erinnerungen, S. 58; Steinberg, Deterrent, S. 146; cf. auch Salewski, Deutschland als Seemacht, S. 15. 43 Siehe Kapitel 6. 44 General und Admiral Albrecht v. Stosch (1818– 1883. 1896), Chef der Admiralität 1872– 45 BATSCH, KARL FERDINAND, General v. Stosch über die Marine und die Kolonisation, in: Deutsche Revue über das gesamte nationale Leben der Gegenwart XXII (1897) 1, S. 64. 53– 46 Schlachtflottenbau, S. 41f. 47 Briefwechsel auszugsweise bei Tirpitz, Erinnerungen, S. 52– 56; ausführlicher bei Hassell, Tirpitz, S. 102, 114. 48 SBR, 1. Legislaturperiode, 4. Session (1873), Bd. III: Anlagen zu den Verhandlungen des 321: Denkschrift, betreffend die Entwickelung der Kaiserlichen Reichstages, Nr. 50, S. 236– Marine und die sich daraus ergebenden materiellen undfinanziellen Forderungen (cit. Denkschrift zum Flottengründungsplan 1873), S. 237. 49 Berghahn/Deist, Rüstung, Nr. II 4 (S. 103ff): Tirpitz an Stosch, 21. Dezember 1895, gekürzt in: Hassell, Tirpitz, S. 103f. Tirpitz, Erinnerungen, S. 52f. Zu Tirpitz’Versuch,
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ließ. DenGedanken einer „ Oberseebehörde“hatte schon Stosch–ohne Erfolg– gefaßt,50 und auch die Ernennung Tirpitz’zum Staatssekretär im RMA–dem Kristallisationspunkt“der Seeinteressen ausAmt, das er zu dem geforderten „ weiten wollte–scheiterte zunächst, wenn nicht hauptsächlich, dann doch zumindest zumnicht geringen Teil, an Tirpitz’politischen, demKaiser noch nicht ganz geheueren Kompetenzforderungen.51 So wechselte er 1896 zunächst nicht an den Leipzigerplatz in Berlin, sondern an Bord SMS KAISER, Flaggschiff des Ostasiatischen Kreuzergeschwaders.
Was waren nun genau diese „ Seeinteressen“ , mit deren Wahrnehmung doch offenbar Wohl und Wehe des Reiches auf unabsehbare Zukunft hinaus verknüpft zu sein schienen? Tirpitz’eigene Äußerungen dazu sind nicht von jener wissenschaftlichen Systematik geprägt, wie sie die nationalökonomischen Schriften der Flottenprofessoren aufweisen.52 Über grobe Skizzierungen und das heute name-dropping genannte Einwerfen von nicht näher charakterisierten Schlüsselbegriffen geht er nicht hinaus. Der Begriff selbst ist nicht weiter bemerkenswert, sondern schon lange vor Tirpitz sehr gebräuchlich.53 Umso genauer sollte man Tirpitz’ Gebrauch des Begriffes beleuchten. In dem schon mehrfach zitierten, für eine Analyse seines Denkens zentralen Brief an Stosch vom Dezember 1895 (s.o. Anm. 49) findet sich eine Aufzählung: „ Seehantransatlantisches Kolonien, Seefischerei, transatlantische Exportindustrie, del, Seeinteressenministerium“durchzusetzen, cf. auch Tirpitz an Kaiser (Geheim.), 24. ein „ April 1898: Mittel und Wegefür die Weiterentwicklung der deutschen Flotte (abgedruckt in: Hohenlohe, Denkwürdigkeiten, S. 441ff, s.o. Anm. 21). 50 Hollyday, Bismarck’s Rival, S. 150f; Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 135. 51 Berghahn/Deist, Rüstung, Nr. II 6: Notizen Tirpitz’für den Immediatvortrag vom 28. Januar 1896; Salewski, Tirpitz, S. 44. 52 Cf. auch die Definition der Seeinteressen im „engeren“und„ weiteren“Sinne in: Nauticus I (1899), S. 319ff; Darüberhinaus gab das RMA 1898 eine Broschüre Die Seeinteressen des Deutschen Reichs. Zusammengestellt auf Veranlassung des Reichs-Marine-Amts heraus, die sich auch als Anlage zum ersten Flottengesetz (SBR, 9. Legislaturperiode, 5. Session 1897/98, 1. Anlagenband, Nr. 5, S. 11ff) findet. Cf. auch Marienfeld, Wis40 mit umfangreichen Quellenangaben; DEIST, senschaft und Schlachtflottenbau, S. 17– WILHELM, Flottenpolitik und Flottenpropaganda. Das Nachrichtenbureau des Reichsma1914 (=Beiträge zur Militär- und Kriegsgeschichte. Schriftenreihe des rineamtes 1897– Deutschen Militärgeschichtlichen Forschungsamtes 17), Stuttgart 1976 (cit. Deist, Flottenpropaganda), S. 56. 53 ZumBeispiel bei STENZEL, ALFRED, Seekriegsgeschichte in ihren wichtigsten Abschnitten mit Berücksichtigung der Seetaktik, 7 Bde., bearb. v. KIRCHHOFF, HERMANN, Hannover1913, Bd. VII [Ergänzungsband]: Kriegführung zur See. Lehre vomSeekrieLeipzig 1907– ge, Berlin 1913 (cit. Stenzel, Kriegführung), passim. Tirpitz kam es freilich sehr darauf an, die Anknüpfung an die Tradition der Flottenentwicklung Stoschs klar herauszustreichen; die Ansicht wird allerdings geäußert (HOBSON, ROLF, The German School of Naval 1900 (=Vorsvarsstudier [Defence StuThought and the Origins of the Tirpitz Plan 1875– dies] 2/1996), o.O. 1996 [cit. Hobson, Origins], S. 70 Anm. 42), daß Tirpitz den alten SeemachtTerminus mit völlig neuem Gehalt, nämlich der von Mahan übernommenen „ ideologie“erfüllt (und so auch Stosch mit einem Etikettenschwindel geködert) habe. Zur Seemachtideologie“cf. Kapitel 6. sog. „
2.1 Deutsche Seemacht als politischer Imperativ
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KriegsDeutschtum, Kriegsmarine [...].“Interessanterweise firmiert hier die „ mit den anderen Seeinteressen; sie ist ihnen beimarine“offenbar gleichrangig geordnet, ohne daßdie Formulierung ihren „ Funktionscharakter“ergäbe.54 Freilich schrieb Tirpitz an einen Seeoffizier undImperialisten, demder Zusammenhang nicht erst verdeutlicht werden mußte; gleichwohl fällt auf, daßdie gewählte syntaktische Konstruktion der„Kriegsmarine“nicht weniger Selbstzweck zutransatlantischen Deutschtum“ , ein Selbstzweck, billigt als beispielsweise dem „ Syden Tirpitz immer vehement geleugnet hat.55 Ein weiteres Element einer „ stematik“der Seeinteressen taucht 1898 in einer geheimen Denkschrift an den Überseeinterallgemeinen“und„ Kaiser auf (s. o. Anm. 21), in der er zwischen „ essen“des Reiches unterscheidet, ohne näher den Unterschied zu spezifizieren.
VON DEN SEEINTERESSEN ZUR WENDUNG GEGEN ENGLAND
Seeinteressentheorie“gilt in der neueren Forschung einhellig als vorgeschoDie„ benes Argument, als politisches Blendwerk zur Durchsetzung namentlich des ersten Flottengesetzes.56 So große Zugkraft das Schlagwort in seiner Zeit auch gehabt haben mag, ein Vorteil, der seiner unmittelbaren Einsichtigkeit entsprang, so wenig erweist es sich bei einer genaueren Analyse als tragfähig. Für denFall derdeutschen Passagierschiffart etwa ließ sich nachweisen, wiesehr die internationalistischen Tendenzen (Pool- und Kartellbestrebungen) der Transnationalen“Charakter atlantikschiffahrt im Begriff waren, den postulierten „ der Seeinteressen zu verwässern undden theoretischen Ansatz ad absurdum zu führen;57 vor allem Hamburgs Schiffahrt hatte schon seit Jahr undTag unter dem Patronat der englischen Seemacht prosperieren können.58 Stattdessen ist der Forschung der überzeugende Nachweis gelungen, daßvom Tage seines Amtsantrittes am Leipzigerplatz an Tirpitz beim Bau der deutschen Schlachtflotte sehr wohl den Maßstab einer anderen Flotte angelegt hat und zuerst und vor allem an England, an die Royal Navy, an die englische Seemacht und an die zwischen beiden Ländern offenbar bestehende Handelskonkurrenz gedacht hat.59 Der Nachweis ist deswegen nicht ganz einfach, weil
54 Das meint Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 138, wenn er davon spricht, die Marine sei mit bezeichnenderweise im gleichen Atemzuge“genannt. Darauf den anderen Seeinteressen „ hingewiesen hat auch Nägler, S. 563 (siehe Anm. 125). 55 Tirpitz, Erinnerungen, S. 50. Der gleiche Gedanke taucht auch auf in: Berghahn/Deist, Rüstung, Nr. IV 2 (S. 195ff): Denkschrift des Kontreadmirals Tirpitz zum Flottenbauprogramm des OK [undatiert, abgeschickt 3. Januar 1896] (ein weiterer Abschnitt des Dokuments ibid., Nr. II 5 [S. 105ff]), dort aber in jenem Teil, der sich mit den Strategien zur Durchbringung einer Flottenvorlage im Parlament beschäftigt! 56 Deist, Flottenpropaganda, S. 31ff. 57 Petter, Flottenrüstung, S. 183ff. 58 Petter, Flottenrüstung, S. 84f; Tirpitz, Erinnerungen, S. 12; Stenzel, Kriegführung, S. 92. 59 Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 173ff; Petter, Flottenrüstung, S. 175ff; Salewski, Tirpitz, S. 53ff. Gemeinhin wird Steinbergs Yesterday’s Deterrent die Anerkennung zuteil, den Um-
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Schirmenden Wehr“ 2 Die Notwendigkeit der „
Funktion der Seeinteressen“sich früher oder später auch ein Flottenbau als „ gegen England wenden mußte, das allenthalben als den deutschen Bedürfnissen am meisten im Wege stehende und die deutsche Konkurrenz am meisten fürchtende Macht wahrgenommen wurde;60 nach dem Kriege versuchte Tirpitz die Fiktion aufrechtzuerhalten, erst im Verlauf des Flottenbaues habe sich England als der Hauptgegner herauskristallisiert. Tatsächlich hielt Tirpitz, außer in der Propaganda für das erste Flottengesetz, niemals mit seiner Ansicht hinterm Berg. Wodie Grenzen der deutschen Weltpolitik lagen, verdeutlichte er dem Reichskanzler Fürst Hohenlohe am 23. Tirpitz schließt, alle England feindliche Politik müsse solange Oktober 1898: „ beruhen, bis wireine Flotte hätten, die so stark wäre, wiedieenglische.“ ,61doch rein formal vomStandpunkt des verantwortlich denkenden Offiziers noch völlig plausibel ist die Formulierung des sog. „ Emser Memorandums“vom Sommer 1897: „ Der Abgrenzung der Schiffsklassen untereinander [...] mußdie schwierigste Kriegslage zugrunde gelegt werden, in die unsere Flotte kommen kann [...]. Für Deutschland ist zurZeit dergefährlichste Gegner zurSee England. Es ist auch der Gegner, gegen denwir amdringendsten ein gewisses Maßan Flot62 Die parlamentarische tenmacht als politischer Machtfaktor haben müssen.“ stand herausgearbeitet zuhaben, daßdie Flotte vonAnfang an gegen England konzipiert war (cf. Forstmeier, Urteil, S. 39); tatsächlich verwies Stadelmann, Flottenrivalität, S. 101 Anm. 25 schon 1948 auf die Dissertation von MICHALIK, BERNHARD, Probleme des deutschen Flottenbaus, Breslau 1931 (cit. Michalik, Probleme), der dies präzise erkannt hatte (S. 21ff, S. 120f). 60 Michalik, Probleme, S. 22ff; Stadelmann, Flottenrivalität, S. 121 Anm. 71. An Zwischenfällen, die dies zu belegen schienen, mangelte es nicht (s.u.). 61 Hohenlohe, Denkwürdigkeiten, S. 464: Tagebuchaufzeichnung Hohenlohes, 24. Oktober Ri1898. Es handelt sich um eine Manifestation des Gedankens, der sich schließlich zur „ Stärkung unserer sikotheorie“entwickelte (cf. Stadelmann, Flottenrivalität, S. 101), die „ politischen Macht u[nd] Bedeutung gegen England“(Berghahn/Deist, Rüstung, Nr. III 1, 136, S. 134: Notizen des Staatssekretärs des Reichsmarineamts, Kontreadmiral S. 134– Tirpitz, zum Immediatvortrag am 15. Juni 1897 über das Flottenrüstungsprogramm, S. 135. Hervorhebung durch d. Verf.) im Blick hat. Es handelt sich um eine für diese Frage derart zentrale, weil singuläre Äußerung Tirpitz’, daß vor Bekanntwerden seines SchreiHörfehler attestiert“ bens anLans (s. u. Anm. 63) demgreisen Hohenlohe allenthalben ein„ flüchtig stilisiert“habe wurde (Petter, Flottenrüstung, S. 175), oder er Tirpitz’Äußerung „ (HUBATSCH, WALTHER, Realität und Illusion in Tirpitz’ Flottenbau, jetzt in: HUBATSCH, 1918 [=GöttinWALTHER, Die Ära Tirpitz. Studien zur deutschen Marinepolitik 1890– 84 [cit. Hubatsch, ger Bausteine zur Geschichtswissenschaft 21], Göttingen 1955, S. 52– Realität undIllusion...], S. 66 Anm. 55). 62 Berghahn/Deist, Rüstung, Nr. II 10 (S. 122– 127): Denkschrift des Staatssekretärs des Allgemeine Gesichtspunkte bei Reichsmarineamts, Kontreadmiral Tirpitz, vomJuli 1897. „ der Feststellung unserer Flotte nach Schiffsklassen undSchiffstypen“(cit. Emser Memorandum). Das planen für die schwierigste Lage, das sog. worst case scenario, gehört zum grundlegenden Instrumentarium aller militärischen Planungsbehörden; wenn diedeutsche Marine in ihrer Geschichte davon abgewichen ist, dann mit üblicherweise katastrophalen Folgen, cf. Stang, Das zerbrechende Schiff, S. 21; cf. auch Hubatsch, Admiralstab, S. 190. Dies bezieht sich allerdings auf die Planung innerhalb einer vorgegebenen Kon188– stellation, eines von der Politik dem Militär vorgegebenen Gegners mit einer bekannten
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undöffentliche Überzeugungsarbeit im Umfeld des ersten Flottengesetzes aber ließ diese Wendung gegen England völlig unter den Tisch fallen; den Grund verriet Tirpitz nach Kriegsausbruch dem Chef des I. Geschwaders, Vizeadmi[...] wir müssen eine England gleich starke Flotte haben. Dies ral v. Lans: „ einzige und natürliche Ziel konnte in den letzten 2 Jahrzehnten aber nicht geMund halten und Schiffe sagt werden [...]“63 Getreu der vielzitierten Losung „ 64hatte Tirpitz versucht, die Flotte zu entwickeln und eine Provokation bauen“ Englands, die er eher von der überschäumenden deutschen Öffentlichkeit und dem Temperament des Kaisers befürchtete, als von dem englischen Blick auf einen planmäßigen Aufbau65 von Schiff über Schiff, tunlichst zu vermeiden. Obwohl Reibereien in der gesamten zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auftraten und viele in Deutschland, Tirpitz eingeschlossen, den Engländern Palmerstons berühmte Drohung, jedes Schiff unter deutscher Flagge als Pirat zu betrachten66 und die Besatzung aufhängen zu lassen, nicht vergessen hatten, haben sich England und Deutschland als Gegner in seemilitärischen KrügerdeOperationen erst 1896 entdeckt, als in der Atmosphäre, die die „ pesche“hervorbrachte, die Verschärfung eines Gegensatzes zwischen beiden allgemein spürbar wurde.67 Die berühmte flying squadron, unmittelbar nach Flottenmacht und -disposition etwa; so wäre es unzulässige Simplifizierung (so bei Hubatsch, Ära, S. 15 Anm. 5), das Tirpitzsche Postulat damit in eins zu setzen, der ja erst die Hinwendung an den stärksten Gegner überhaupt zumThema macht; da die Konfrontation mit England aber eine für ihn unausweichliche ist, nicht vonder Politik zwar, aber vonder zwangsläufigen Entwicklung deseuropäischen Weltsystems diktiert, der Rahmen also vorgegeben, sind diese beiden gedanklichen Modelle hier analog. 63 Tirpitz an Lans, 31. August 1914, cit. bei Petter, Flottenrüstung, S. 176. 64 TIRPITZ, ALFRED V., Politische Dokumente, 2 Bde., Berlin u.a. 1924– 1926, Bd. I: Der Aufbau der deutschen Weltmacht, Stuttgart-Berlin 1924 (cit. Tirpitz, Dokumente I), S. 16 Anm. 1. Bülow teilte die Ansicht, der Flottenbau müsse diskret vor sich gehen, um England nicht zu provozieren, cf. BÜLOW, BERNHARD V., Denkwürdigkeiten (hrsg. v. 31, Bd. I: VomStaatssekretariat bis STOCKHAMMERN, FRANZ v.), 4 Bde., Berlin 1930– zur Marokkokrise, Berlin 1930 (cit. Bülow, Denkwürdigkeiten I), S. 16. Übrigens zog sich diese Vorliebe für das Unauffällige durch Tirpitz’gesamtes Leben. Die dem wilhelminischen eigene Exuberanz war ihm, vondemmanguten Gewissens sagen kann, daßer auf prunkvolle Äußerlichkeiten keinen Wert legte, ein Dorn im Auge. Sein Kommentar zu den Kaisermanövern“1892 war: vonihmals seinen Ausbildungsablauf störend empfundenen „ Wir ersticken in Festlichkeiten undJubilees unddenken nicht daran, daß 1806 bald seine „ hundertjährige Wiederkehr feiert.“(Niederschrift Tirpitz vom 9. August 1892, cit. nach Hallmann, Schlachtflottenbau, S. 122) Als der Wegfall der ausgefeilten Evolutionsübungen im Zuge der taktischen Neuordnung der Flotte ältere Marineoffiziere auf die Barrikaden trieb, antwortete Tirpitz lapidar, im Gegensatz zu den letzten zwanzig Jahren habe man Freilich so anmutig wie in früheren Jahren nunechte taktische Fortschritte erzielt, aber: „ wird die zukünftige Seefahrt nicht.“(Niederschrift Tirpitz vom 14. Juli 1892, cit. nach Hallmann, Schlachtflottenbau, S. 121). 65 Ob wohl auch der tunlichst zu vermeiden war, wie seine Bedenken anläßlich des Besuches König Edwards VII. bei der Kieler Woche 1904 zeigten, cf. Bülow, Denkwürdigkeiten, Bd. II: Von der Marokko-Krise bis zum Abschied, Berlin 1930, S. 23. 66 Tirpitz, Erinnerungen, S. 13; cf. Petter, Flottenrüstung, S. 58. 67 Tirpitz an Stosch, 13. Februar 1896 (wie Anm. 38), S. 115; Der gleichen Ansicht ist
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Schirmenden Wehr“ 2 Die Notwendigkeit der „
der Krügerdepesche aufgestellt undbis in diejüngste Zeit als Maßnahme einer Konfrontation mit Deutschland gedeutet,68 war schon im Rahmen der Venezuelakrise 1895, also mit Stoßrichtung gegen die USA, ins Auge gefaßt worden und dampfte, obwohl auch eine Verwendung gegen Deutschland nicht ausgeschlossen wurde, bis zu ihrer Auflösung im Oktober 1896 nicht eine Meile.69 Unstreitig wurde der Ton der englischen Diplomatie in dieser Zeit Deutschland gegenüber rauher; es kamsogar zu Übergriffen gegen in England lebende Deutsche. Jedoch läßt sich diese Entwicklung nicht isoliert betrachten, sondern
nur im Rahmen einer Reaktion auf eine allgemein gespannte Weltlage, in der England unter vielfältigen Beschuß geriet und sich von Frankreich, Rußland, den USA und Deutschland gleichzeitig bedroht fühlte.70 Für die englische Regierung schien sogar in dieser Periode allgemeiner Bedrohung, wenn ihr nur not so splendid isolation“abgeholfen werden konnte, eimit der Aufgabe der „ ne Allianz mit Deutschland der vernünftigste Wegzu sein;71 Hatzfeldt unddie von ihm unterrichtete Reichsleitung aber fürchteten, daß das Bekanntwerden solcher Absichten einen Schrei der Entrüstung in der englischen Öffentlichkeit auslösen würde–trennten also zwischen rational leicht überbrückbaren Interessenkonflikten undoffenbar vorhandenem, tiefverwurzeltem emotionalen Antagonismus,72 eine angesichts der europäischen Unopportunität des Zusammengehens mit England umdie Jahrhundertwende sehr willkommene Konstellation. Pläne für kriegerische Handlungen gegen England hatten bis dahin bei der deutschen Marine nicht existiert; der erste voll ausgearbeitete Operationsplan 178, Protokoll einer Besprechung Botschafter Metternich: GP XXVIII, Nr. 10306, S. 168– im Reichskanzlerpalais am3. Juni 1909 über die Frage einer Verständigung mit England, 437). Bülow äußerte aufdieser Sitzung S. 169. (Auch: Bülow, Denkwürdigkeiten II, S. 431– überrascht, er höre zumersten Mal, daß Tirpitz einer Verständigung mit England nicht prinzipiell undgrundsätzlich abgeneigt sei; in der Vergangenheit habe sich das, wenn die Gelegenheit dazu greifbar gewesen sei, nicht gezeigt (ibid., S. 173). 68 Uhle-Wettler, Tirpitz, S. 86; KENNEDY, PAUL M., Maritime Strategieprobleme der deutsch-englischen Flottenrivalität, in: DEIST, WILHELM/SCHOTTELIUS, HERBERT 1914, Düsseldorf (Hrsg.), Marine und Marinepolitik im kaiserlichen Deutschland 1871– 21981, S. 178– 210 (cit. Kennedy, Maritime Strategieprobleme), S. 190; differenzierter Hop-
man, Logbuch, S. 221. 69 Marder, Anatomy, S. 256f. 70 Marder, Anatomy, S. 241– 273. In dem Zeitraum zwischen 1896 und 1902 verfestigte sich der Eindruck der englischen Öffentlichkeit, Deutschland stünde dem Empire essentiell feindselig gegenüber, cf. Marder, Dreadnought I, S. 5f. Die Reichsleitung nahm diese Entwicklung zur Kenntnis (cf. Hohenlohe, Denkwürdigkeiten, S. 434f: Münster an Hohenlohe, 21. März 1898), in Deutschland wertete man die englische Empörung jedoch als Überreaktion. Dabei spielt eine Rolle, daßDeutschland im Falle der Krügerdepesche beispielsweise mit einer Einmischung drohte, die realiter für das Reich undurchführbar war, in Großbritannien aber dennoch Deutschland als Option zugeschrieben wurde. Cf. Hopman, Logbuch, S. 221. 71 Epkenhans, Wilhelminische Flottenrüstung, S. 21 mit Literaturangaben. 72 GP XIV 1, Weltpolitische Rivalitäten, Berlin 1924 Kap. 91, S. 193– 255; GP XVII, Die 131. Wendung im Deutsch-Englischen Verhältnis, Berlin 1924, Kap. 109, S. 3–
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des Admiralstabes gegen England entstand sogar erst nach der Jahrhundertwende.73 Für diejenigen aber, die wie Tirpitz und Stosch die Rolle des Reiches undseiner Marine in einem globalen Kontext betrachteten, warschon die längste Zeit klar, daßder Konflikt in der geopolitischen Konstellation angelegt und nun, da Deutschland sich anschickte, sich den ihm zustehenden Anteil an Weltgeltung zu sichern, auch unausweichlich geworden war: Deutschland, dessen „ natürliche“Seeinteressen (als Europas zentraler Stapelplatz) ihm durch die englische Usurpation während und seit der napoleonischen Kriege streitig gemacht worden waren, müsse die „ künstliche“ , zusammengeräuberte englische Seeherrschaft Stück um Stück zurückdrängen.74 Der einzige Unterschied war, daß Tirpitz nun das zu Stoschs Zeiten noch unerreichbare Fernziel75 als unmittelbare Aufgabe in Angriff nahm.
Daß England sich das nicht so ohne weiteres gefallen lassen würde, schien offensichtlich. Es entstand ein circulus vitiosus: Die wahrgenommene Situation weltpolitischen“Bevormundung des Reiches–und, wardie der maritimen, der „ bis auf wenige, oft punktuelle Ausnahmen, aller Großstaaten–durch Großbritannien mit seiner mächtigen Marine. Was an deutschen Seeinteressen vorhan[...] auf dem breiten Rücken des britischen Freihandels den war, vollzog sich „ und der britischen Weltherrschaft [...] auf Widerruf [...]“,76 also eingedenk seiner Insignifikanz gerade noch von Großbritannien geduldet. Auf diese Duldung war aber mit dem Anwachsen ihres Volumens und aufgrund des damit einhergehenden in England aufkommenden Gefühls der Bedrohung–nämlich 73 Tirpitz, Erinnerungen, S. 58f. Dererste englische Operationsplan für einen Seekrieg gegen 1904 Deutschland stammt von1904 (cf. Herwig, Luxury Fleet, S. 51). Nach Hopman, 1900– (unbeteiligter) Dezernatschef im Admiralstab, waren die ersten Pläne gegen England, bis 1903, dezidiert defensiver Natur, und überließen die Nordsee komplett der Royal Navy (Hopman, Logbuch, S. 274). Tatsächlich hatte sich das OK 1896/97 mit der Möglichkeit eines Offensivvorstoßes gegen die englische Küste beschäftigt, jedoch keinen Operationsplan festgelegt; der Gedanke wurde 1897 fallengelassen. Hierzu WENIGER, KARL, Die Entwicklung des Operationsplanes für die deutsche Schlachtflotte. Unter Benutzung der 10 (cit. Akten des Marine-Archivs dargestellt, in: Marine-Rundschau XXXV (1930), S. 1– Weniger, Operationsplan), S. 2.
74 Stosch über die Marine und die Kolonisation (wie Anm. 45), S. 56: „ Bis jetzt haben die Engländer noch denLöwenanteil an der Seeschiffahrt der Welt. In denKriegen imAnfang dieses Jahrhunderts gegen Napoleon I. hat England die See erobert und die Handelsschiffe aller europäischen Kontinentalstaaten, die sich mehr oder minder in der Gefolgschaft Frankreichs befanden, vom Weltmeer verbannt. Nur langsam ist es anderen Völkern gelungen, sich wieder an demselben zu beteiligen; aber noch jetzt, nahe dem Ende des Jahrhunderts, ist das Verlorene nicht ganz wiedergewonnen [...]. Hier gibt es wieder zu erobern, was wir in unglücklicher Zeit verloren haben.“Der Verantwortung als Chef der Admiralität entpflichtet, begann Stosch 1883, derlei Ansichten, die er während seiner Dienstzeit für sich behalten hatte, offen auszusprechen. (Hubatsch, Admiralstab, S. 42; Petter, Flottenrüstung, S. 181ff). 75 Mit gleicher Ansicht Reinhardt, Flottengedanke, S. 13. 76 Tirpitz, Erinnerungen, S. 51 (Hervorhebungen im Original gesperrt); cf. Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 177f.
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just demenglischen „ 77–nicht auf unabsehbare Zeit zu rechnen. Handelsneid“ Gerade in der unmittelbaren Vorzeit des Tirpitzschen Amtsantrittes im 78 RMA schienen sich, mit Postdampferaffäre, Manilazwischenfall,79 etc., die Anzeichen dafür zu häufen, daß es mit der Toleranz der Engländer zu EnWeltpolitiker“wurde dieses–übrigens durchaus zu de ging. In Kreisen der „ kritisierende Verhalten Englands–als Alarmsignal wahrgenommen; keine Zeit durfte verloren werden, die deutschen Seeinteressen auf eigene sicherheitspolitische Füße zu stellen.80 Überdies hatten die Engländer ja längst bewiesen, wozu sie imstande waren: Als sie im Sommer 1807 die in Kopenhagen vor Anker liegende dänische Flotte vernichteten, so wußte man, geschah dies aus geschickt moralisch bemänteltem81 wirtschafts- und machtrationalem Kalkül. Wasdie Reichsleitung dem„perfiden Albion“alles zutraute, undfür wieimmanent die Gefahr eines plötzlichen englischen Angriffes82 gehalten wurde, läßt erahnen, wie ernst Tirpitz der Ausspruch war, daß die Dinge in der Welt hart aufeinanderstoßen, unddaßBülows Sentenz, imkommenden Jahrhundert müsse Deutschland „Hammer oder Amboß“83sein, nicht nur publikumswirksame Phrasendrescherei war. Die Reichsleitung sah sich einem–aus der heutigen
Warte chimärisch anmutenden–Existenzproblem gegenüber. Oberste Forderung mußte deshalb jene nach Selbständigkeit für die deutsche überseeische Machtausübung sein. Es wurde als ein unhaltbarer Zustand gesehen, wenn etwa die Schiffe des Ostasiatischen Kreuzergeschwaders für Ausbesserungsarbeiten die englischen Docks in Hongkong benutzen mußten, und [...] mit Sein oder Nichtso diedeutsche Machtausübung in dieser Weltregion „ 84Selbst wenn eine internationale sein [...] von der britischen Gnade abhing.“ 77 1902/03 war sich der Chef des Admiralstabes, Büchsel, sicher: „ Der innere Grund eines Krieges zwischen Großbritannien] u[nd] Deutschland wird ein wirtschaftlicher sein. Das steigende Bedürfnis Englands, Handel u[nd] Industrie Deutschlands in ihrer Entwicklung zuhemmen unddadurch denunbequemen Konkurrenten aufbeiden Gebieten unschädlich zu machen [...].“(BA-MA, NL Büchsel, N 168/8, Immediatvortrag: Krieg England ufnd] Deutschland, o. D. [1903], cit. nach Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 335. Cf. ibid., S. 177f. 78 GP XV, Rings umdie Erste Haager Friedenskonferenz, Berlin 1924, Kap. 102, S. 441– 497; Forstmeier, Urteil, S. 35. 79 The British Documents on the Origins of the War 1898– 1914 [BD], 11 Bde., London 1938, Bd. I: The End of British Isolation, London 1927 (Ndr. London-New York 1926– 1967); Cf. HUBATSCH, WALTHER, Auslandsflotte und Reichspolitik, jetzt in: HUBATSCH, 1918 (=Göttinger Die Ära Tirpitz. Studien zur deutschen Marinepolitik 1890– 41. 51, hier S. 35– Bausteine zur Geschichtswissenschaft 21), Göttingen 1955, S. 25– 80 Berghahn/Deist, Rüstung, Nr. IV 2 (S. 195ff): Denkschrift Tirpitz’zum Flottenbauprogramm des Oberkommandos, 3. Januar 1896, S. 196f. WALTHER,
81 RUEDORFFER
J.J.
[KURT RIEZLER], Grundzüge
Stuttgart-Berlin 1913, S. 91.
der Weltpolitik in der Gegenwart,
82 Hohenlohe, Denkwürdigkeiten, S. 464; 565; Kriegsgefahr generell: 463, sowie das in Steinberg, Copenhagen Complex, passim, zusammengetragene Material.
83 Cit. nach SCHILLING, KONRAD, Beiträge zueiner Geschichte des radikalen Nationalismus 1909, Diss. Köln 1968, S. 60; Berghahn, Tirpitz-Plan, in der Wilhelminischen Ära, 1890– S. 137; der Ursprung des Satzes liegt bei Bismarck. 84 Tirpitz, Erinnerungen, S. 61.
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Kooperation zwischen Deutschland und England möglich und der Flottenbau so auch für ausgewiesene Imperialisten unnötig gewesen wäre,85 schon für das deutsche Selbstverständnis–von einer eventuell real vorhandenen Instabilität dieses Zustandes, dessen Kollaps doch Deutschland mehr als seinem Partner geschadet hätte, gar nicht zu reden–war eine Kolonialpolitik als „ Juniorpartnerschaft“mit Großbritannien vor den deutschen Eliten nicht zu vertreten.86 Der Seekriegslehrer Stenzel faßte beide Seiten diese Problems um1880 zusam-
men: Solche Stellung, die einer geringschätzenden Duldung, ist des Deut„ schen Reiches unwürdig, weil es eine Macht darstellt, die niemand verachten, und deren Angehörige niemand ungestraft mißhandeln darf; sie ist aber auch unmöglich, seitdem [...] alles unter deutscher Flagge geeint ist, weil die deutsche Flagge so, wie der deutsche Kaufmann diese Duldung, wie die kleinstaatlichen sie genossen, nicht mehr finden würde– am wenigsten jetzt, woDeutschland infolge seiner ungeahnt großen und schnellen Machtzunahme undder Handhabung seiner Politik nurzuviele 87 Feinde hat.“
Seemacht und Selbstbewußtsein vermengten sich deutlich auch bei Tirpitz, demgerade die Emanzipation der Marine vonden Engländern wohl auch persönliches Bedürfnis war.88 Doch das deutsche Pochen auf Selbständigkeit darf nicht nur auf persönliche Eitelkeiten, nicht einmal die des Kaisers, reduziert
85 Für Salewski eine–die einzige!–gangbare und sinnvolle Alternative (Deutschland als Seemacht, S. 12ff, 18ff). 86 Weshalb es auch für den Konservativen Ritter noch 1960 „ natürlich“und die einzig mögliche Handlungsweise war, eine selbständige Seemacht (im Sinne ihrer Unabhängigkeit von selbständige Seemacht“ ausländischem Wohlwollen. Zu den Implikationen des Terminus „ s.u. Abschnitt 3.4) aufzubauen, cf. Ritter, Staatskunst II, S. 176f. 87 Stenzel, Kriegführung, S. 93. 88 So glaubt Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 177, bestimmt zurecht: Die Erinnerungen sind reich Juniorpartnerschaft“der vor-Tirpitzschen Marine mit der Royal an Verweisen auf diese „ Navy, aber auch an Reminiszenzen an englische Herablassung, s. u. S. 61. Wichtig ist, wie ungemein traditionsreich dieses Arrangement war, denn die deutsche Marine hatte ihre Entwicklung durchweg in den Fußstapfen der englischen vollzogen, sich, in den Worten emporgerankt“(Erinnerungen, S. 10), und noch Admiral Hopman beTirpitz’, an ihr „ richtet von der Unmöglichkeit, allen Bestrebungen Stoschs zum Trotz, Mitte der 1880er Jahre die Ausrüstung eines deutschen Kriegsschiffes in deutschen Häfen allein durchzuführen, so daß sie in Plymouth vervollständigt werden mußte (Hopman, Logbuch, S. 44). Das immer wieder anzutreffende Gefühl der Minderwertigkeit gegenüber der Royal Navy wurde von den deutschen Seeleuten also sozusagen bereits mit der Muttermilch aufgesogen, ein Messen der eigenen Kraft an dem großen Vorbild ist somit unvermeidlich als weit älter als jede weltpolitische Rivalität einzustufen (cf. Stadelmann, Flottenrivalität, S. 98f). Tatsächlich scheint der Vergleich mit Großbritannien ein in nahezu allen Lebensbereichen angestellter und damit gewissermaßen eine psychologische Konstante des Kaiserreiches gewesen zu sein; ein weiteres (willkürliches) Beispiel sei seiner Skurrilität halber herausgegriffen: Die von der zuständigen Reichstagskommission am 24. Januar 1900 abgewiesene Petition, betreffend die Wiedereinführung der Prügelstrafe, argumenDie Gegner der Prügelstrafe möchten erwägen, daß im freien England Niemand tierte: „
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werden, denen dann eine ökonomische Begründung als Rationalisierung und Rechtfertigung übergestülpt wurde. Die Demonstration nationaler Unabhängigkeit als Bestandteil desfür die auswärtigen Beziehungen so zentralen Prestigedenkens warfür die Zeit ein heute in seiner Bedeutung leicht unterschätztes Element des politischen Diskurses; allein die Fähigkeit, ein so hochkompliziertes Instrument wie ein Schlachtschiff bauen zu können, stellte einen immensen Prestigewert dar, welcher als movens für die Ende des 19. Jahrhunderts allenthalben (nicht nur in Deutschland oder England) aufgestellten Flottenbaupläne zu berücksichtigen ist.89 Die Äußerungen, in denen Wilhelm II. seinem Empfinden Ausdruck verlieh, daß vor allem eine Demonstration nationaler Stärke für die eigene Durchsetzungsfähigkeit von entscheidender Bedeutung sei, und darin mit seinen Kabinetten übereinstimmte und von ihnen bestätigt wurde („ vor der harten Haltung des Kaisers wichen sie zurück“ ),90 lassen sich fast beliebig anführen. Umso interessanter ist es, daß diese preußisch-atavistisch anmutenden Gedanken in der Auffassung der englischen Regierung ebenso vorhanden waren.91 Unabhängig von den Mechanismen der Diplomatie, die freilich ein gewisses Gewicht und also eine gewisse Machtfülle im auswärtigen Verkehr unabdingbar machen, ist hier wichtig, daßin den Köpfen der leitenden Staatsmänner diese Komponente eine deutliche Emphase trug. Zwar ist richtig, daß in der Zeit vor UN und OSZE92 die eigene Einigkeit und militärische Stärke, undvor allem das Wissen der Anderen darum, das sanfteste–oder zumindest unterste–Ruhekissen eines politisch Verantwortlichen war; trotzdem ließ dieses Denken ein–wie sich in den Akten der verschiedenen Auswärtigen Ämter immer wieder zeigt–vorhandenes, großes Potential von Mechanismen zur Konfliktvermeidung ungenutzt; daß gerade die deutsche Außenpolitik aus diesem Kalkül heraus viele wichtige Chancen versäumte, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß derlei Vorstellungen auch außerhalb eines Deutschlands freien Hand“einsichtig waren. Das Seevölkerrecht beispielsweise wurde– der „ als wünschenswerte, leider aber auch utopische außerhalb der Jeune école– Einhegung des Krieges wahrgenommen;93 und es war nur ein weiterer Beleg [sic] an die Abschaffung der Prügelstrafe denke.“(SBR, 10. Legislaturperiode, 1. Session [1898/1900], Anlagenband V, Nr. 547, S. 3358). 89 Cf. STEINBERG, JONATHAN, The Kaiser’s Navy and German Society, in: Past & Present 111, S. 103. Dieser Aufsatz ist in seiner Grundaussage mittlerweile 28 (1964), S. 102– veraltet, daer die vom„ aristokratischen“Heer praktizierte Abschottung desOffizierskorps Offenheit“der Marineoffiziere gegenüberstellt (hierzu richtiger der bürgerlich-liberalen „ Herwig, Elitekorps, S. 59), beinhaltet jedoch trotzdem einige noch gültige Aussagen. 90 Tirpitz, Erinnerungen, S. 65; cf. auch Hopman, Logbuch, S. 64f; 139. 91 Cf. Marder, Dreadnought I, S. 4. 92 So formuliert bei Uhle-Wettler, Tirpitz, S. 89. 93 „ Die Idee, daß Privateigentum auch auf See respektiert werden soll, ist sehr hübsch, aber ich kann mir vorläufig noch nicht vorstellen, daß sie in den nächsten hundert Jahren zur Wirklichkeit wird.“(Tirpitz an Rudolf Friedrich Tirpitz [seinen Vater], 11. September 1871; cit. bei Hassell, Tirpitz, S. 88ff (die Angabe bei Uhle-Wettler, Tirpitz, S. 34 [...] eine Phrase der Jünger Anm. 38 ist falsch); für andere, wie Stenzel, war das gar „ einer falschen Humanität [...], ein Zeichen einer verweichlichten ungesunden Zeit, die
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für die Auslegung des Rechtes durch die Macht (Herder!), wie Großbritannien, um nur ein Beispiel herauszugreifen, während des ersten Transvaalkonfliktes Konterbande“nach seinem Gutden (seevölkerrechtlich festgelegten) Begriff „ dünken94 uminterpretierte–eine immer wieder anzutreffende Praxis, der sich auch Japan (in der Annäherung an Großbritannien befindlich) im Krieg gegen China 1895 und, als Englands Verbündeter, im Krieg gegen Rußland 1904/5 bediente. Dieser Wegblieb, in der Auffassung der deutschen Beobachter, dem Reich mangels Seegeltung verschlossen. Die Emanzipation95 von der englischen Bevormundung war aber nur eine Dimension des Problems; das Symptom einer weiteren glaubte man in dem teilweise recht aggressiven Vorgehen Großbritanniens vorweggenommen zu sehen. Einmal hergestellt, sollte die deutsche Seemacht nicht nurdie vorhandenen Seeinteressen selbst schützen, sondern die unvermeidliche Ausweitung96 dieser Seeinteressen decken, und diese Ausweitung konnte ebenfalls nur auf Kosten der überall präsenten Engländer geschehen, wogegen sich diese erst recht sperren würden, wie sie es offenbar bereits praktizierten.97 Wie sehr Tirpitz in seinem Denken von der für den Reichstag bestimmten Begründung des ersten Flottengesetzes von 1898 entfernt war, die Flotte müsse für gegenwärtige, nicht für zukünftige Bedürfnisse des Reiches berechnet sein (s. o. Anm. 41), zeigt sich in diesem lapidaren Sachverhalt.98 Ohne der Diskussion der spezifisch Tirpitzschen Ausformung des Schlachtflottengedankens im nächsten Kapitel vorzugreifen, sei hier kurz skizziert, wie Deckung“des deutschen Machtzuwachses zur See vor sich zu gehen diese „ Mitspracherecht“ Gleich, gar „ hatte, denn der Mechanismus99 war simpel: „ MonopolEnglands , mit den alten Seemächten war das Ziel, berechtigung“ stellung das größte Hindernis. In der Venezuelakrise zeigte sich für Tirpitz, den Krieg überhaupt für ein Unding, verabscheuungswürdig, vernunftbegabter Wesen unwürdig erklärt. Das ist Torheit [...].“(Stenzel, Kriegführung, S. 212; Hervorhebungen
im Original gesperrt).
94 Hierzu und zur Rezeption dieser Vorgänge in Deutschland cf. Marienfeld, Wissenschaft 46; auch: Stenzel, Kriegführung, S. 213; allgemein: DÜLFund Schlachtflottenbau, S. 40– FER, JOST, Limitations on Naval Warfare and Germany’s Future as a World Power: 39 (cit. Dülffer, 1906, in: War & Society III (1985) 2, S. 23– A German Debate 1904– Limitations), S. 25f. 95 Cf. auch Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 178. 96 In dieser Relativierung des Bismarckischen Diktums „ Die Flagge folgt dem Handel“läßt sich der vollzogene Paradigmenwechsel sehr schön beobachten. 97 Cf. Tirpitz an Stosch, 13. Februar 1896. 98 Daß es Tirpitz eben nicht nur um die Deckung bereits bestehender, sondern auch um die in der Zukunft zu erwerbender Seeinteressen ging, ist ein für das Verständnis der zwangläufig expansiven Natur des Projektes entscheidender Punkt. Noch Hubatsch (Ära, S. 14 Anm. 3) hatte in diesem Punkt irrtümlicherweise die Argumentation der TirpitzApologeten übernommen, als er Stadelmann (Flottenrivalität, S. 99f) widersprach (hierzu Reinhardt, Flottengedanke, S. 17 undAnm. 85); auch Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 425, 183. 99 ZumFolgenden cf. Epkenhans, Wilhelminische Flottenrüstung, S. 15ff; Berghahn, TirpitzPlan, S. 184; Kennedy, Maritime Strategieprobleme, S. 189.
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wiees die USA vermittels ihrer Flotte geschafft hatten, den Briten politisches Gewicht und Mitspracherecht in überseeischen Fragen abzuringen: „ [...] England läßt eine Brüskierung durch Amerika, weil sie eine spätere Sorge in sich schließt undvor allem, weil Amerika ein unangenehmer Gegner ist, laufen und Deutschland zahlt die Zeche, weil es z[ur] Z[ei]t jeder ins Gewicht fallenden
Seemacht entbehrt [...].“100In diese Position versuchte Tirpitz, Deutschland ebenfalls hineinzumanövrieren. Schaffte Deutschland es, eine für diesen Zweck genügende Flotte aufzustellen, ohne daß England vorher die deutschen Absichten überinterpretierte–denn es ging, mit den Worten Delbrücks, allein darum, „ [...] daß auch so große Völker wie die Franzosen und die Deutschen einen ihrem inneren Wert entsprechenden Spielraum auf dieser Erde behalund diese Flotte präventiv vernichtete, dann konnten sich Deutsch101– ten.“ land und Großbritannien endlich auf Augenhöhe unterhalten, dann konnte das fair play“102 erwarten: Erst für diese Zeit hielt Tirpitz Reich von England „ ein Abkommen, gar ein Bündnis mit England für sinnvoll. Während Deutsche Bündnissondierungen, ob seit 1898 oder 1912 (Haldane-Mission) vonihm, weil sie von Deutschland immense Zugeständnisse erfordert hätte, torpediert wurden103 (besonders 1912, als freilich ein Zusammengehen der beiden Mächte vollends illusorisch und selbst die Minimal-Verhandlungen über eine gegenseitige Rüstungsbeschränkung zur Farce geworden waren), betrachtete er ein festes Bündnis zwischen den beiden Mächten, durch die deutsche Flotte gleichSchlußstein unserer Flottenpolitik“.104 berechtigt, als „ Freilich, selbst wenn mander Überzeugung war, nur das Deutschland zustemandenke an das Daily Telegraph-Interview–unddadurch hende zufordern– keine Gefahr für den Bestand des Empire als solches darzustellen, so mußte 105letztlich neue Verteilung der Erde“ doch die von Deutschland angestrebte „ darauf hinauslaufen, daß Deutschland diese alte Weltmacht beerbte106–was 100Tirpitz an Stosch, 13. Februar 1896 (wie oben Anm. 38), S. 115. 101DELBRÜCK, HANS, Weshalb baut Deutschland Kriegsschiffe? Beantwortung der Frage 161, S. 156. eines Engländers, in: Preußische Jahrbücher CXXXVII (1909), S. 149– 102Tirpitz an Kronprinz Wilhelm, 15. April 1909, BA-MA, NL Tirpitz, N 253/8, cit. bei Epkenhans, Wilhelminische Flottenrüstung, S. 15 Anm. 1; Tirpitz’Haltung in dieser Frage insgesamt wird deutlich in Tirpitz, Dokumente I, S. 150ff: Tirpitz an Müller, 6. Mai 1909, bes. S. 151f. 103„ In der jetzigen schwierigen Situation möchte ich es für ausgeschlossen erachten, daß wir England eine Verminderung unserer militärischen Rüstungen gegen politische Konzessionen seinerseits zusichern.“(Tirpitz, Dokumente I, S. 120ff: Tirpitz an Bülow, 4. Februar 1909, S. 121). Auch: GP XXVIII, Nr. 10306 (wie oben Anm. 67), S. 169. 104Aufzeichnung Dähnhardts für sein Gespräch mit Erzberger, 16. Oktober 1911, BA-MA, RM 3/6678, cit. nach Epkenhans, Wilhelminische Flottenrüstung, S. 100. 105Senden, Stellungnahme betr. Geschwaderkrieg, o. D., BA-MA, NL Senden, N 160/3, cit. nach Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 181. 106Zudiesem zentralen Punkt cf. WINZEN, PETER, Bülows Weltmachtkonzept. Untersuchungen zur Frühphase seiner Außenpolitik 1897– 1901, Boppard 1977, S. 80ff und passim; Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 198f; Lambi, Power Politics, S. 137ff; Epkenhans, Wilhelminische Flottenrüstung,
S. 16.
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einer Verdrängung gleichkam. Wilhelm II. zumindest war bewußt, daß man [...] Englands Weltstellung zugunsten von Deutschland zu bredarauf zielte, „ 107In Großbritannien sah man dies auch in der Öffentlichkeit wesentlich chen.“ klarer.108 Übrigens machte sich der Staatssekretär durchaus keine Illusionen darüber, wemdie Verantwortung für die Verschärfung des Gegensatzes zu England angelastet wurde, ja er gab sogar offen zu, daß der Flottenbau an ihr seinen Diese unvermeidliche Verschärfung war nur zeitweilig und Anteil hatte. Aber: „ ,109 nämlich die Verständigung nach der trug zugleich die Remedur in sich“ deutschen Seemachtbildung. Freilich sah er die englisch-deutschen Spannun-
gen im Lichte der postulierten, jahrzehntealten Handelsrivalität, die sich in der Zukunft, ob mit oder ohne Flottenbau, ohnehin verschärfen mußte. Tirpitz’Apologeten wissen eine Unzahl von Belegen110 für die Existenz dieser Handelsrivalität anzuführen, und ohne Zweifel war sie, spätestens seit den 1890er Jahren, auch gegeben. Mit dem Verweis darauf gehen sie jedoch am Kern des Problems vorbei, unddas in unredlicher Weise, da die Quellen deutlichen Aufschluß darüber geben, daß man sich im RMA der Komplexität der Zusammenhänge wohlbewußt war: So groß die kommerzielle Konkurrenz auch immer gewesen sein mag, sie allein reichte nicht aus, um Deutschland zum militärischen Gegner des Empires zu machen. Das konnte nur durch das plötzliche Auftreten eines neuen Machtfaktors geschehen, denGroßbritannien nicht anders als gegen sich gerichtet interpretieren konnte: Die deutsche Flotte mußte in England zwangsläufig ein Gefühl der Bedrohung auslösen, das jenseits aller Handelsrivalitäten angesiedelt war.111 In der Nordsee konzentriert und durch ihre technischen Eigenschaften praktisch nur zumKampf umdie Seeherrschaft in diesen Gewässern einsetzbar, verlagerte erst die Flotte–und auch das nur in Verbindung mit der in Großbritannien als aggressiv und feindselig, ja als erpresserisch wahrgenommenen deutschen Politik112 der Jahre zwischen 1896 und 1902 den Gegensatz auf eine neue, eine 107Äußerung Bethmann Hollwegs (1903), cit. nach Epkenhans, Wilhelminische Flottenrüstung,
S. 16.
108Marder, Dreadnought I, hat zahlreiche Aussagen führender Köpfe der englischen Politik 122), die eindeutig wie Grey, Esher, Fisher, Balfour u.a. zusammengetragen (S. 120– erkennen lassen, daß, selbst wenn der Verwendungszweck der Flotte ein politischer war, ihr Endziel doch die Erpressung von Konzessionen, wenn nicht gar die Übernahme des Empires durch Deutschland sein mußte. Dies führte allerdings dazu, daß sich die englischdeutschen Beziehungen immer mehr zumdie Flottenfrage zentrierten. Die in der (Tirpitz der hierin folgenden) apologetischen Literatur gerne aufgegriffene Dichotomie zwischen „ Handelsneid“als Triebfeder des englisch-deutschen Antagonismus löst Flotte“oder dem „ sich dadurch jedoch auf. 109Tirpitz, Dokumente I, S. 150ff: Tirpitz an Müller, 6. Mai 1909, S. 151 Anm. 1. 110Uhle-Wettler, Tirpitz, S. 100ff; Hallmann, Schlachtflottenbau, passim; etc. Unbestritten
ist allerdings, daß die deutsche Konkurrenz in Großbritannien ein gewisses Maß an Beunruhigung hervorrief (Petter, Flottenrüstung, S. 183). 111Cf. Marder, Dreadnought I, S. 11; 105; 120; Marder, Anatomy, S. 456ff, bes. S. 464, 545. 112Für die Tirpitz nicht nur nicht verantwortlich war, sondern die er auch, bekanntermaßen,
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militärische Ebene. Auch wenn Tirpitz sein RMAfest auf die Überzeugung eingeschworen hatte, daß der Handelsneid die primäre Motivation der englischen Die ‚City‘macht die englische Politik“113), so stellt doch sein engPolitik sei („ ster Mitarbeiterkreis einen Kronzeugen. 1925 schrieb der ehemalige Chef des Zentraldepartements des RMAundTirpitz’Nachfolger Eduard v. Capelle: „ In späteren Jahren wird man nicht mehr verstehen, daß das ‚Dreiertempo‘ eine so verhängnisvolle Bedeutung für den Weltkrieg gewinnen konnte. Wer wird heute [...] noch verteidigen wollen, daß für Englands Beteiligung am Welt114 Freilich darf eine solche krieg der ‚Handelsneid‘ maßgebend gewesen sei.“ Äußerung ex eventu allein nicht als Beleg für eine bewußte politische (Selbst)Täuschung desRMAgewertet werden; derGlaube andieUnversöhnlichkeit der City“warstark, einleuchtend, undstrahlte über die Flottenpropaganda auch „ nach außen. Capelles Eingeständnis wird jedoch gestützt von gleichlautenden Aussagen anderer „ Eingeweihter“ , etwa des Marineattachés Widenmann, der (anders als sein nüchterner Vorgänger Coerper) ein überzeugter Parteigänger Tirpitz’ und–wichtiger noch–Gegner einer durch deutsches Entgegenkom-
menerreichten Verständigung mit England war, und andererseits des von der Notwendigkeit genau dieses Entgegenkommens überzeugten Botschafters Graf Metternich: „ Nicht die deutsche Konkurrenz auf dem Weltmarkt [...] sei es gewesen, welche die tiefgehende Verstimmung erzeugt habe, sondern lediglich Handelsneidthese“ist damit ins Reich der die deutsche Flottenpolitik.“115Die „ Legenden zu verweisen. Wiewohl sie als unbequeme Hintergrundstrahlung von beiden Mächten empfunden wurde, konnte die wirtschaftliche Konkurrenzsituation allein nicht denAusschlag über Wohl undWehe desdeutsch-englischen Verhältnisses geben. Wenn die Propagandaabteilung des RMAder Öffentlichkeit auch kontinuierlich das Gegenteil vorhielt, so ging dessen Verfall doch auf das Konto der ungebremsten Marineexpansion. Tirpitz hatte mit seiner Flottenentwicklung den Graben zwischen Deutschland und England nicht vertieft, sondern vermint.116 nachdrücklich mißbilligte (s.u.). Wohlfeil deshalb die Kritik Bülows, die Flotte habe das Unheil heraufbeschworen, so richtig sie im Kern ist. Tirpitz konterte gewohnheitsmäßig mit „Handelsneid“ : GP XXVIII, Nr. 10306, S. 169f; cf. Marder, Dreadnought I, S. 172; 5f. 113Tirpitz an Stosch, 13. Februar 1896, S. 117. 114BA-MA, NL Capelle, N 170/3, Capelle an Bethmann Hollweg, 9. November 1925, cit. bei Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 176 (Hervorhebung im Original). 115GP XXVIII, Nr. 10308, S. 170; cf. ibid., S. 169f, S. 171. Drei Wochen zuvor hatte Widenmann an Tirpitz mit der gleichen Stoßrichtung geschrieben (Tirpitz, Dokumente I, S. 155: Auszug aus einem Bericht des Marineattachés in London, Kapitän Widenmann, 153– 11. Mai 1909. S. 153f). Auch hier muß wieder die Person Tirpitz’ besonders betrachtet werden; ob er sich einer bewußten oder unbewußten Selbsttäuschung hingab oder aus taktischen Gründen auf seinem Standpunkt verharrte, ist unklar, jedoch widersprach er der Auffassung beider in der gleichen Sitzung energisch und führte die englische Verstimmung erneut auf den Handelsneid und die „ [...] Mache Sir John Fishers, der mit allen Mitteln der Perfidie gegen Deutschland arbeite [...]“zurück (ibid., S. 170f); cf. Epkenhans, Wilhelminische Flottenrüstung, S. 51. 116Cf. hierzu BECKER W., Fürst Bülow und England, 1897– 1909, Greifswald 1929 (cit.
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Wenn Tirpitz schrieb, die deutsche „ Anglomanie“117müsse eingedämmt werMann, einem von von dem Philipp v. Eulenburg zu berichten den (geäußert Angst vor England“hatte!118), so wandte er sich lediglich gegen wußte, daß er „ zu lautstark vorgetragene deutsche Unmutsäußerungen, die zur Provokation der Insel führen mußten, widersprach aber nicht einem in der Reichsleitung, Handel und Industrie stark verankerten, von Tirpitz geteilten undseiner Politik hilfreichen Gefühl des Ausgeliefertseins an die englische Willkür. Gleichzeitig mit dem durch die Wahrnehmung seiner weltwirtschaftlichen Rechte“ausgelösten Konkurrenzempfinden mußte jedenfalls der dazu erforder„ liche Aufbau maritimer Macht des Reiches erst recht das Bedrohungsgefühl der Engländer verstärken; Frucht dieser Erkenntnis war der Gedanke vom DurchGefahrenzone“beim deutschen Flottenbau, in der die Flotte schreiten einer „ noch nicht stark genug sein würde, einen englischen Präventivangriff abzuKopenhagenwehren, dessen Verhärtung zu dem von Steinberg so genannten „ Risikotheorie“ausKomplex“führte. Darüber wird bei der Besprechung der „ führlicher zu handeln sein. Handelsneid“getragenen engZur Veranschaulichung dieses vombritischen „ wurde immer wieder das berüchtigte Triptylisch-deutschen Gegensatzes119 chon von Artikeln des Saturday Review herangezogen, in dem die (teilweise Germaniam esse denoch immer unbekannten) Autoren wiederholt forderten: „ .120 Tatsächlich wurden in Großbritannien immer wieder Stimmen lendam!“ laut, die vor der deutschen Konkurrenz warnten und die gar einen wirtschaftPräventiv“ -Krieg empfahlen; daß Deutschland hier aber nicht lich motivierten „ als alleiniger Gegner, ja vor 1896 bzw. 1898 noch nicht einmal als Hauptgegner121 figurierte, übersah die Flottenagitation nur zu gerne. Die nationalistische Becker, Bülow und England), S. 306f; 328; Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 176. 117Tirpitz an Stosch, 13. Februar 1896, S. 115. 118Eulenburg über Tirpitz, bei Bülow, Denkwürdigkeiten I, S. 461. Hervorhebung vom Verf. 119Cf. hierzu Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 174ff. 120Der Verfasser des ersten Artikels (Saturday Review vom24. August 1895), in dem dieser Spruch noch nicht vorkam, der aber ausdrücklich die Vorteile eines zeitigen Krieges gegen den Wirtschaftskonkurrenten Deutschland darlegte, war der Zoologe PETER CHALMERS MITCHELL, cf. GRIMM H., in: Marine-Rundschau VIL (1941), S. 447ff. Laut Stadelmann (Flottenrivalität S. 125 u. Anm. 79) handelte es sich um eine stark interessengebundene Einzelstimme. Der Verdacht liegt allerdings nahe, daß Stadelmann, vielleicht unwillWeltpolitikern“stark strapazierte Kerbe kürlich, mit seiner Bemerkung in jene von den „ Krämerseelen“undseine parlamentarische Ordschlägt, die England als eine Nation von„ Seeräubernaturen“zu staatlicher Macht begünstigend sieht, nung als den Aufstieg von „ cf. Schmoller, Wirtschaftliche Zukunft, S. 15ff; Steinberg, Copenhagen Complex, S. 25. Die Verfasser der Artikel vom 1. Februar 1896 und 11. September 1897 (cf. Uhle-Wettler, Tirpitz, S. 108f), die mit demzitierten Appell schlossen, sind unbekannt. Hübsche Synopsen 110; Berghahn, Tirpitz-Plan, antideutschen Sentiments bei Uhle-Wettler, Tirpitz, S. 100– S. 176; Marder, Anatomy, S. 13ff, 543ff. 121Wirtschaftlich wohlgemerkt. Eine genuine politische Gegnerschaft entwickelte sich erst später, cf. METZ, ILSE, Die deutsche Flotte in der englischen Presse. Der Navy Scare vom Winter 1904/05 (=Historische Studien 290), Berlin 1936 (Ndr. Vaduz 1965), S. 6ff, 11ff. Wo in England „ Germaniam esse delendam“zu hören war, war in der Zeit ebenso
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Northcliffe-Presse wurde in Deutschland zu einem ungerechtfertigten Grad an Repräsentativität emporgehoben,122 teils aus genuin empfundener Bedrohung, teils aus Kalkül, da aus einem außenpolitischen Zwischenfall, der die relative Schwäche der deutschen Flotte (möglichst noch samt ihrer ökonomischen Konsequenzen) veranschaulichte, für den Flottenbau in der Öffentlichkeit Kapital geschlagen werden konnte.123 Gerade an der Beurteilung der antideutschen Presse in der Vor- und Frühzeit des Flottenbaues zeigt sich recht plakativ eine Problematik bei der Arbeit mit tendenziell apologetischer Literatur, die, durchaus nachvollziehbar argumentierend, dennoch zuunzulässigen Schlüssen kommt (und einen Großteil des Schrifttums zum Flottenbau ausmacht). Ihr erstrangiges Interesse ist, aufzuzeigen, daß die Gegnerschaft der beiden Staaten älter sei als der Flottenbau124 unddeshalb nicht demTirpitz-Programm angelastet werden könne. Dazu gilt eine allgemeinere Beobachtung: Weltpolitik“ Es ist eine vonTirpitz- und„ -Apologeten gern angewandte Strategie, zur Rechtfertigung einer in Teilen rücksichtslosen deutschen Außenpolitik auf die „ Missetaten“anderer, vorzugsweise der angelsächsischen Staaten zu verweisen125 und das deutsche Vorgehen damit rechtfertigen zu wollen. So Aufrechnung“sein mag, mußdoch dieWirkung unzulässig eine derart plumpe „ eines aggressiven außenpolitischen Vorgehens anderer Staaten aufdasBewußtsein der deutschen Öffentlichkeit und das Denken der Reichsleitung, gleichsam deren Sichtweise des „ Funktionierens“ihrer Zeit, in Rechnung gestellt werden. Das Vorgehen der USA gegen Spanien 1898 war aggressiv und (jeweils vom Standpunkt des Betrachters aus gesehen) ungerechtfertigt, das der Engländer 1902 nicht weniger, in einem Maße übrigens, das von keinem 1896 und 1899– Franciam esse delendam“zu hören. häufig „ 122Und wird es noch heute, wie z. B. bei Uhle-Wettler, Tirpitz, S. 108f deutlich wird. Gegen einflußdie allgemeine Einschätzung, es handle sich um eine isolierte Stimme in einer „ losen Zeitschrift“(Becker, Bülow und England, S. 364) betont Uhle, daß im Saturday Review vier spätere Nobelpreisträger publizierten (S. 110), als ob das einen Schluß auf die Breitenwirkung oder Repräsentativität der Zeitschrift zuließe. Hatzfeldt, Botschafter , den der Artikel (laut Tirpitz) überall in London, scheint von dem „großen Aufsehen“ erregte, nichts bemerkt zu haben. Cf. Becker, Bülow und England, S. 364; Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 176 Anm. 12. 123Cf. Tirpitz an Stosch, 13. Februar 1896, S. 115. Gleiches gilt für die Postdampfer-Affäre, breit dargestellt bei Uhle-Wettler, Tirpitz, S. 85f. Grundlegend: Deist, Flottenpropaganda, S. 147ff, 249ff; Petter, Flottenrüstung, S. 216. 124Beispielhaft Uhle-Wettler, Tirpitz, S. 100ff. Hierzu auch, bereits erwähnt, Stadelmann, Flottenrivalität, S. 98f; Hubatsch, Ära, S. 13f. 125Etwa bei Hallmann, Krügerdepesche; Hallmann, Schlachtflottenbau; auffallend bei UhleWettler, Tirpitz, bes. S. 39f, 77f. Welche skurrilen Blüten dies treiben kann, zeigt eine enthusiastische Rezension von Uhles Tirpitz im Spiegel (AUGSTEIN, RUDOLF, Tirpitz, 46), in der Rudolf Augstein ein verkannter Schurke, in: Der Spiegel Nr. 51 [1998], S. 44– in völliger Sachunkenntnis selbst den historisch fragwürdigsten Auslassungen Uhles (s.o. S. 10 Anm. 25) mit Verve folgt. Urteile von Fachhistorikern zu Uhle-Wettlers äußerst problematischer Biographie: Die Rezension von FRANK NÄGLER, in: MGMLVII (1998), 566 und Rahn, Seestrategisches Denken, S. 57 Anm. 9. S. 561–
2.1 Deutsche Seemacht als politischer Imperativ
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der deutschen weltpolitischen Abenteuer erreicht wurde. Umdie Weltsicht, die sich bei den politisch Verantwortlichen in Deutschland um die Jahrhundertwende etabliert hatte, angemessen beurteilen, ja–es sei der Ausdruck nicht gescheut–verstehen zu können, mußman diese Ereignisse und ihre Rezeption berücksichtigen.126 Unzulässig aber ist die selektive, das Gesamtbild verzerrende Auswahl dieser Vorkommnisse (zum Zweck der Rechtfertigung einer deutschen Aktion), in der Zeit selbst suspekt, durch den Zurückschauenden (zumal den Historiker) unentschuldbar. Man mag darüber spekulieren, ob die englischen Ansprüche, vor allem der eines primus inter pares unter den europäischen Großmächten–denn sie gründeten sich nicht nur auf militärische Macht, sondern auch und vor allem auf eine moralische und eine aus ihrer Kontinuität127 hergeleitete Legitimation– sich nicht auf ein seit 1848 in Auflösung begriffenes und spätestens 1871 obsoletes Mächtesystem und das mit ihm so wesentlich verknüpfte Konvenienzkategorische Einspruch gegen das prinzip bezogen, und damit der deutsche „ 128als Notwendigkeit einer neuen Weltmeeren “ den auf Übergewicht englische ein gewisses Maß an Legitimität seinerseits somit Zeit empfunden wurde, der reklamieren konnte. Letztendlich scheint die Weltsicht, auf der sich die Notwendigkeit des Machtausbaus zur See für Tirpitz gründete, von der Forschung in seinen wesentlichen Zügen aufgehellt zu sein. Daß die Meßlatte der Flotte von Anfang an in Portsmouth hing, darf als gesichert gelten. Es soll lediglich noch ein Gedanke zu den–in der Literatur immer wieder vorgebrachten–Implikationen einer solchen Ausrichtung des Flottenbaues angesprochen werden, bevor die Kernkomponenten des Tirpitzschen Konzeptes selbst einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. Es sind zwei verschiedene Fragen, ob die Flotte gleich stark mit der Englands sein sollte oder nicht, undwenn ja, ob mandann dieses Instrument auch automatisch–seiner inneren Dynamik folgend–zur militärischen Vernichtung des Gegners benutzt hätte. Die moderne Forschung beantwortet, zumindest was die Person Tirpitz’selbst angeht–interessanterweise die erste dieser FraJa“ gen mit „ , die Flotte sollte tatsächlich in der Lage sein, England zur See zu schlagen;129 gleichzeitig aber wird die zweite dieser Fragen (mit einem spä126Cf. Steinberg, Copenhagen Complex, S. 30. 127Dieser Zusammenhang wurde in der deutschen Marine gesehen, gleichzeitig jedoch im Sinne des Satzes Herders, wonach zeitliche Kontinuität auch und gerade im Ursprung gewaltsame Veränderungen legitimiere, auch als Rechtfertigung des eigenen Tuns herangezogen: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit IX 4 (S. 240f der Ausgabe Darmstadt 1966). 128Stadelmann, Flottenrivalität, S. 104. 129Cf. Petter, Flottenrüstung, S. 175f. Gerade im Hinblick auf die obenstehende Quelle (s.o. Anm. 48) entlarvt Petter die–mit Hilfe Hallmanns und seines akademischen Lehrers, des Mediävisten FRITZ KERNvorgenommene–Verschleierung dieser Tatsache nach dem Kriege, die die oben zitierte Stelle so interpretiert, als sei das Ziel gewesen, daßsich die sich zu behaupten gegenüber der gewaltigen englischen Flotte“ Flotte in der Lage fand, „
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Wehr“
ter zuerörternden, wichtigen Vorbehalt) mit „Nein“beantwortet130: Die Flotte sollte zwar in der Lage sein, ihre Existenz bedeutete aber nicht die zwingende militärisch-politische Handlungsanweisung, die große Entscheidungsschlacht zu gewinnen. Für Tirpitz ging es darum, „ 3 gute hochgeschulte Geschwader [...] 2– in dieWaagschale der Politik“ nötigenfalls in diejenige desKonfliktes , aber nur„ zu werfen im Stande [...]“131zu sein. Sollte England dem Reich friedlich die angemessenen Konzessionen machen, würde die Flotte ihre eigentliche Funktion erfüllt haben: Die des politischen Druckmittels.
2.2 Die Loyalitäten des Seeoffiziers Tirpitz: Primat der Innenpolitik“ Ein marinespezifischer „ ? Das Ziel, die Flotte war ihm alles, undmit demPsalmisten konnte er „ von sich sagen (Psalm 69, 17): ‚Ich eifre mich schier zu Tode um Dein Haus‘. Der Eifer um undfür die Flotte verzehrte ihn.“1 32 Bülow über Tirpitz
TIRPITZ, DER KARRIERIST
So sehr Tirpitz auch von der Notwendigkeit für Deutschland überzeugt sein mochte, sich eine große Marine zuzulegen, so warer es mindestens ebenso von der Notwendigkeit für die Mari ne selbst, ein Denken, mit demer in der deutschen Marinegeschichte nicht allein steht. Die Besprechung des Hochseegedankens wird umdas ihm zumguten Teil zugrundeliegende Bedürfnis der Marine, sich vom Heer–und damit von der Küste–gleichsam zu „ emanzipieren“ , um sich als eigenständige Säule der Politik zu etablieren, nicht herumkommen. Wir wissen sicher, daßTirpitz vonder Richtigkeit seines Konzeptes–zumindest bis zum Kriege–absolut überzeugt und nicht besonders zimperlich war, (ibid., Zitat aus Hallmann, Schlachtflottenbau); hierzu auch Berghahn, Tirpitz-Plan,
S.
191.
130Cf. SALEWSKI, MICHAEL, Die wilhelminischen Flottengesetze. Realität undIllusion, jetzt in: SALEWSKI, MICHAEL, Die Deutschen und die See. Studien zur deutschen Marinegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, hrsg. v. ELVERT, JÜRGEN UND LIPPERT, STEFAN
126 (cit. Salewski, Flottengesetze), S. 120, (=HMRG Beiheft 25), Stuttgart 1998, S. 119– , die Absicht des bewußten Herbeiführens eines maritider diese Frage für „nicht geklärt“ unwahrscheinlich“hält. In seiner Tirpitz-Biographie äußert men Endkampfes jedoch für „ er sich in dieser Richtung dezidierter. Zu den Einschränkungen dieser Ansicht siehe Abschnitt 3.3. 131Cf. Berghahn/Deist, Rüstung, Nr.IV 2 (S. 195ff): Denkschrift Tirpitz’zumFlottenbauplan des Oberkommandos, 3. Januar 1896, S. 197; auch: Salewski, Tirpitz, S. 55; Kennedy, Maritime Strategieprobleme, S. 186. 132Bülow, Denkwürdigkeiten I, S. 109.
2.2 Ein marinespezifischer „ Primat der Innenpolitik“ ?
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wenn es darum ging, Opposition auszuschalten; bei der Propaganda bediente er sich jedes Argumentes, unabhängig von seiner Plausibilität für Fachleute, das die Öffentlichkeit gewinnen konnte. Über seine letzten Motive können wir jedoch nicht besonders viel sagen. Eine Hypothese besagt, Tirpitz habe lediglich das eigene Fortkommen und die eigene Karriere im Blick gehabt und sich deshalb mit der erfolgversprechendsten Konzeption Profil zu verschaffen versucht.133 Selbstverständlich lag Tirpitz das eigene Fortkommen am Herzen. Die Konstruktion aber, der Schlachtflottengedanke, den Tirpitz gegen größte stromlinienförmigste“Andurchboxen“mußte, sei lediglich der„ Widerstände „ satz für den Aufstieg gewesen, ist wenig durchdacht. Der Kaiser selbst, von der Vorstellung schnittiger, die Weltmeere durchpflügender deutscher Kreuzer auf Linie“für die durchdrungen, war von Tirpitz nur unter allergrößter Mühe „ großen, in der Nordsee eingepferchten Schlachtschiffe zu halten,134 unddas Verhältnis verschlechterte sich nicht zuletzt wegen Tirpitz’ Unnachgiebigkeit immer mehr.135 Hollmann hatte als glänzendes Anschauungsobjekt vorgemacht, wie es einem Staatssekretär im RMA erging, der zwar die persönliche Sympaallerhöchsten Marinepasthie des Kaisers genoß, vor dem Reichstag jedoch der „ konnte; sein Abgang wardie Voraussetverhelfen sion“nicht zum Durchbruch maßvollen“ zung für die Berufung Tirpitz’gewesen, der mit durchdachten und„ Forderungen136 an den Reichstag noch am ehesten die Garantie für Wilhelm 133GEMZELL, CARL-AXEL, Organization, Conflict, andInnovation. A Study of German Na1940 (=Lund Studies in International History 4), Lund 1973 val Strategic Planning, 1888– (cit. Gemzell, Innovation), S. 96; Hobson, Origins, S. 38 meint, das sozialimperialistische faltering career“zu retten. Argument sei von Tirpitz gebraucht worden, umseine „ 134Deist, Flottenpropaganda, S. 43f; Petter, Flottenrüstung, S. 252; Salewski, Tirpitz, S.
42f; Herwig, Luxury Fleet, S. 20 (Herwigs Darstellung, obschon von der Forschung gerne benutzt, ist stellenweise allerdings sehr ungenau bzw. vergröbernd); Stadelmann, Flottenrivalität, S. 109. So erklärt sich auch, wieStadelmann (S. 90 Anm. 8) etwas befremdet feststellt, daß Hallmann (dem Tirpitz die Episode offenbar persönlich mitgeteilt hat, cf. Hallmann, Schlachtflottenbau, S. 116; Stadelmann, Flottenrivalität, S. 89) im bezug auf die Unterredung im Kieler Schloß (6. April 1891), während derer Tirpitz zum ersten Mal seine Gedanken dem Kaiser vortragen konnte, die Übereinstimmung zwischen nur scheinbar“und„ an der Oberfläche“bleibend beschreibt dem Kaiser und Tirpitz als „ (Hallmann, Schlachtflottenbau, S. 117); Stadelmann hält die erste Begegnung zwischen [...] Wilhelm II. und demdamaligen Chef des Stabes der Marinestation der Ostsee für „ einen tiefen Einschnitt in der deutschen Geschichte.“(S. 88); tatsächlich ließ sich der Kaiser aber nie vollkommen vonseiner Vorliebe für die Kreuzer abbringen, auch wenn er sich immer wieder mit denen Tirpitz’übereinstimmender Formulierungen bediente. Hallmann, Schlachtflottenbau S. 238 und Salewski, Tirpitz, S. 46f bezweifeln, ob der Kaiser überhaupt wußte, worauf er sich mit Tirpitz einließ. Gegen Stadelmanns Einschätzung, polemisierend, auch Uhle-Wettler, Tirpitz, S. 63 Anm. 103. Zur Unstetigkeit des Kaisers in Marinefragen cf. auch Tirpitz, Erinnerungen, S. 85f. 135Cf. Tagebucheintragung v. Hassells, 12. Januar 1916, cit. bei Hubatsch, Ära, S. 17; cf. auch Stadelmann, Flottenrivalität, S. 111. 136So vor allem Hubatsch, Ära, passim. Tatsächlich wares gerade die geringfügige Steigerung des Flottenbestandes auf 17 gegenüber den 14 Schlachtschiffen des Flottengründungsplanes von 1873 (auf den sich das Gesetz ausdrücklich berief [Begründung zum Ersten Flottengesetz 1898, S. 2]), die denReichstag überzeugte (cf. Tirpitz, Erinnerungen, S. 99;
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II. abgeben konnte, „mehr Marine“zu schaffen. Anders formuliert: Daß Tirpitz den Willen des Kaisers („ mehr Marine“ ) durch den Reichstag (Richters uferlose Flottenpläne“ Einspruch gegen „ ) gegen denWillen des Kaisers (Kreuzerkrieg) durchsetzen wollte, und das alles seines schnelleren Fortkommens wegen, bleibt eine äußerst fragile Konstruktion. Mit seiner Zielgerichtetheit begab sich Tirpitz auf einer für die wilhelminische Politik charakteristischen, entscheidend wichtigen persönlichen Ebene in direkten Gegensatz zu Wilhelm II. Vorgesetzte zeigten sich stets durch Tirpitz’Kenntnisse und Arbeit beeindruckt, von seiner Art jedoch häufig konsterniert.137 In keiner der von den zahlreichen Tirpitz-Gegnern aus der Zeit verfaßten Schriften138 ist auch nur die kleinste Anspielung darauf zu finden, daß Tirpitz um seiner eigenen Karriere willen das Reich in eine falsche Rüstungspolitik treibe. Zugegeben, all dies erlaubt noch längst nicht, Tirpitz’ Charakter dahingehend zu beurteilen, daß er für die Richtigkeit seiner Sache auch entscheidenden Schaden an der Karriere in Kauf genommen hätte139 (seine häufigen Abschiedsgesuche aus der Staatssekretärszeit sind bewußt zur Umstimmung des Kaisers eingesetzte Druckmittel140), rechtfertigt jedoch den Einwand, daß, wäre der prinzipielle Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 115f; Hassell, Tirpitz, S. 164). 137Oft zitiert wird die Beurteilung des Kommandanten des Panzerschiffes FRIEDRICH CARL, Der Leutnant z. S. T[irpitz] ist gut begabt und Kapitän z. S. Reinhold Werner von 1873: „ gewandt, fachlich entspricht er den Anforderungen. Er besitzt gute Formen, weiß ziemlich gut mit der Feder umzugehen und ist energisch und mit gutem Kommando. Er würde ein vortrefflicher Offizier sein, wenn er mehr innere Disziplin besäße. Ich habe mehrmals auf das ernsteste gegen ihn einschreiten müssen, weil er sich in ganz unpassender Weise gegen ältere Offiziere benahm [...]. Für höhere Stellungen halte ich ihn erst geeignet, wenn er zuvor dauernd bewiesen hat, daß er sich disziplinarisch voll unterzuordnen versteht.“(cit. nach SCHULZE-HINRICHS, ALFRED, Großadmiral Alfred von Tirpitz (=Persönlichkeit und Geschichte 12), Göttingen u.a. 1958 [cit. Schulze-Hinrichs, Tirpitz], S. 12). Auch hier greift wieder der Altersvorbehalt: Ein rabiater 24jähriger mag das Bewußtsein, daß das Fortkommen bestimmte Verhaltensweisen erfordert, sehr wohl in der Zukunft noch zu entwickeln. Des weiteren wird in einigen späteren Beurteilungen freundlich“bewertet; seine Intelligenz, Wesen“vonTirpitz sehr positiv undals „ auch das „ Tüchtigkeit, etc. stehen jedoch immer im Vordergrund. Stosch selbst urteilt allerdings T[irpitz] ist eine für die Entwicklung der Marine bedeutende Kraft undwird, noch 1881: „ wenn seiner Erziehung Sorge zugewandt wird, für höhere Stellen hervorragend geeignet werden.“(Schulze-Hinrichs, Tirpitz, S. 13. Hervorhebung durch d. Verf.). Cf. auch die Beurteilung von Knorr, s. o. S. 26 Anm. 12. 138Ausdrücklich ausgenommen hiervon seien Schriften wie die des bekannten, demAnarchismuszuzuordnenden Literaten, Flotten- und Matrosenrevolten-Veterans THEODOR PLIVIER, der in der Weimarer Zeit der erst während des Krieges großflächig Raum greifenden Einschätzung, die Offiziere würden sämtlich nur Pfründe und Privilegien, und zwar auf demRücken der „Kulis“ , der Mannschaften, verteidigen, literarisch Stimme verlieh: PLIVIER, THEODOR, Des Kaisers Kulis, hrsg. v. MÜLLER, HANS-HARALD, München 1981 (=2. erweiterte Ausgabe, Berlin 1930). 139Schaden an der eigenen Person sehr wohl, wiedie dramatische Episode umdie Havarie der Schichau-Torpedoboote zeigt (cf. Schulze-Hinrichs, Tirpitz, S. 13; Uhle-Wettler, Tirpitz, S. 52f; Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 61f). 140Cf. Tirpitz, Erinnerungen, S. 140.
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Antrieb für ihn nur das eigene Fortkommen gewesen, er es sich (mindestens ab seinem Ausscheiden aus dem Oberkommando, als er seinen Mentor Knorr als Vorgesetzten verlor) sehr viel einfacher hätte machen können! Der Idee vom Flottenbauplan als Karrieresprungbrett141 mehr als um der Sache selbst willen mangelt es an Plausibilität. Man wird wohl davon ausgehen müssen, daß Tirpitz überzeugt war, im Dienste einer höheren Sache zu handeln.142
MARINE ALS SELBSTZWECK UND ABSCHOTTUNG DES OFFIZIERSSTANDES
seiner“Marine Daß es sich bei dieser Sache in erster Linie umdie Bedürfnisse „ und erst in zweiter Linie um jene des Reiches drehte, ist eine in der Forschung durchaus gängige These.143 Im gesellschaftlich-politischen Gefüge des preußisch-deutschen Reiches hatte die Marine zunächst nämlich keinen guten Stand: Zwar galt sie als eine der wenigen Klammern eines deutschen nationalen Sentiments, aber ein gesamtdeutscher Patriotismus wurde in der vorwilhelminischen Zeit noch vielerorts durchaus kritisch beäugt, zumal von den verbündeten Regierungen“ , namentlich der konservativen Herrschaftseliten der„ preußischen Junkeraristokratie.144 141Dennoch ein Indiz dafür, von Gemzell nicht erwähnt, scheint zunächst Tirpitz’Abschied von der Torpedowaffe sein, den er just in dem Augenblick (und, wie er in den Erinnerungen unumwunden zugibt, auch nur aus diesem Grunde) erbat, als mit Graf Monts ein ausgesprochener Gegner der Torpedowaffe Chef der Admiralität wurde (cf. Tirpitz, Erinnerungen, S. 36f; Petter, Flottenrüstung, S. 144), undmit demer dieeigener Aussage elf schönsten Jahre“(ibid. S. 43f) seines Lebens beendete. Es liegt durchaus nazufolge „ he, zu vermuten, Tirpitz, der maßgebliche Mann der deutschen Torpedoentwicklung, sei Schlachtflotte“aufgesprungen; in diesem Augenblick auf den erfolgversprechenden Zug „ später wird allerdings noch darauf zurückzukommen sein, daß Tirpitz’Abschied vonden Torpedos keine Konversion in marinestrategischer bzw. -taktischer Hinsicht bedeutete, denn er hatte die Torpedoboote nie als eigenständige, sondern als „Hilfswaffe“angesehen; seine ganze Entwicklungsarbeit hatte auf ein Konzept abgezielt, das die Torpedoboote
zur Unterstützung der Großkampfschiffe in der Schlacht vor allem, zur Wahrnehmung eigenständiger Aufgaben wie des Hafen- und Küstenschutzes aber auch, befähigen sollte (siehe die taktischen Dienstschriften S. 160 Anm. 16; Tirpitz, Erinnerungen, S. 35 Anm. 2; Hopman, Logbuch, S. 186 u. passim). Im Übrigen starb Monts im Januar 1889, nach nur einem halben Jahr an der Spitze des Oberkommandos, ohne in der Torpedowaffe größeren Schaden anrichten zu können. 142Mit gleicher Ansicht Michalik, Probleme, S. 5; 9f. 143Diesen Umstand hatte besonders Kehr in Schlachtflottenbau undParteipolitik hervorgehoben und damit den Tirpitz-Kreis zu einer Rechtfertigung herausgefordert, die mit Hallmanns Wegzum deutschen Schlachtflottenbau 1933 erfolgte. Der entscheidende Durchbruch erfolgte 1965 mit Steinbergs Yesterday’s Deterrent auf der Basis bisher unzugänglicher, geheimster Akten, das ebenfalls die Entwicklung der Marine umihrer selbst Willen herausstreicht; manbeachte den Gegensatz zu Berghahns sich ebenfalls vonKehr herlei507], S. 503f). tendem Ansatz (cf. Petter, Flottenrüstung, Bibliographie [S. 491– 144Cf. Tirpitz, Erinnerungen, S. 2; Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 134; Steinberg, Navy and Society, S. 104; Ritter, Staatskunst II, S. 172.
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Schirmenden Wehr“ 2 Die Notwendigkeit der „
Seit jeher, und ganz besonders unmittelbar nach den Reichseinigungskriegen, die ausschließlich zu Lande gewonnen worden waren, hatte die Marine, so sie überhaupt wahrgenommen wurde, hinter dem Heer eine sehr klägliche zweite Geige gespielt.145 In einem interessanten Zusammenfluß aus dieser stark empfundenen prestigemäßigen Zurücksetzung hinter jene traditionelle preußische Ausdrucksform des Militärischen einerseits, und einem deren Selbstbewußtsein und Selbstverständnis teilenden, weil in ihrem Ursprung durch sie befruchteten–die Marine war unter der Ägide des Heeres aus der Taufe geBild von sich selbst als tragende Kraft147 des preußischen hoben worden146– Staats- und Gesellschaftgebildes, versuchte die preußische Marine seit jeher, sich die ihrer selbstverstandenen, mit dem Heer gleichberechtigten Rolle angemessene Autonomie innerhalb des Staates zu verschaffen. Treibende Kraft dieser Bestrebungen war Prinz Adalbert148 gewesen, dessen Tatkraft darauf gerichtet war, der Marine selbstgewählte und ihrer Profilierung zuträgliche Betätigungsfelder149 zu eröffnen, ohne sich in Aufgaben wie Handels- oder Küstenschutz, die als einer Unterordnung unter andere staatliche Gruppierungen gleichkommend wahrgenommen wurde, zu erschöpfen. „ [...] Unsere Marine mußvonsich hören lassen, damit man ihr den kleinen undlangsamen Anfang verzeiht [...].“150Dieses Ziel würde am Besten erreicht werden mit dem Aufbau einer Linienschiffsflotte, die also im freien Gewässer einen selbstgewählten Feind zu bekämpfen imstande war; diese wurde seither mit dem Streben der Marine nach Emanzipation, sich als Selbstzweck setzend, auf das Engste verknüpft. Hier liegt auch der Ursprung des Gedankens, die Emanzipation vonder Küste (auf die offene See hinaus) sei gleichbedeutend mit der Emanzipation der Marine vomHeer, derin derLiteratur zudendeutschen Hochseekonzepten so oft vorkommt.151 Während die Schlacht von Helgoland 1864152 und die Erfahrungen der Einigungskriege dieses Ziel entfernter denn je scheinen ließen, lebte die Einsicht in die Notwendigkeit, sich gegenüber der erdrückenden Glorie des Heeres zu profilieren, umso mehr in der preußisch-deutschen Marine fort. Noch dem abgebrochenen „ Todesritt der Hochseeflotte“1918 undder Raederschen Strategie des rückhaltlosen Einsatzes der Überwasserstreitkräfte trotz gewaltiger gegnerischer Übermacht liegt der Gedanke zugrunde, durch Aktivität auf für das 145Cf. Tirpitz, Erinnerungen, S. 7. 146Hubatsch, Admiralstab, S. 17ff; Stang, Das zerbrechende Schiff, S. 126 u. Anm. 46. 147Petter, Flottenrüstung, S. 66. 148DUPPLER, JÖRG, Prinz Adalbert von Preußen. Gründer der deutschen Marine, Herford 1986 (cit. Duppler, Adalbert) S. 53ff. 149Dieses Bestreben ist derentscheidende Grund fürdieabenteuerliche Strafexpedition gegen die Rifkabylen im August 1856, cf. Duppler, Adalbert, S. 65ff. Dazu gehört auch die
unddie Orientierung an der Royal cf. ibid., S. 57f. 150Gerlach an Bismarck, undatiert, cit. Duppler, Adalbert, S. 68. 151Hierzu Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 50, 58. 152S. o. S. 3. energische Ablehnung landmilitärischer Formen
Navy,
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Heer unerreichbaren Tätigkeitsfeldern die eigene Unentbehrlichkeit, und sei es nur zur Legitimation eines späteren Neuaufbaus,153 unter Beweis zu stellen; entscheidend hierbei ist, daß die Flotte in der Überzeugung ihrer eigenen unmittelbaren Wichtigkeit für denStaat an sich keine für andere, für ZwischenInstrument des zivilen instanzen verwertbaren Ergebnisse herbeiführen, kein „ Sektors“(Petter) oder des Heeres sein wollte, sondern unmittelbar dem Staat selbst, wie das Heer, nutzen wollte.154 Doch selbst, wenn dieser Anspruch ungerechtfertigt gewesen wäre, hätte es die Disposition des Seeoffizierskorps nicht erlaubt, dieses anzuerkennen: eine Marine als weitere, wichtige Facette–oder Interpretationsvariante–desFalles „ , die im zeitlichen Ablauf, und besonders mit demersten Weltkrieg Selbstzweck“ und der Niederlage sprunghaft an Bedeutung gewann. Die des Selbstverständnisses, später gar der Existenzangst155 ihrer Offiziere. Die Abschottungstendenzen, ja die Arroganz der Seeoffiziere156 gegenüber den Marineingenieuren und Deckoffizieren sind bekannt, ja berüchtigt; sie gelten als ein Menetekel und nicht unwesentlicher Beweggrund für die Matrosenaufstände des Krieges. In 153S. o. S. 6; Tagebucheintragung Scheers vom25. Oktober 1918: „ [...] Es ist unmöglich, daß die Flotte alsdann in dem Endkampf, der einem baldigen oder späteren Waffenstillstand vorausgeht, untätig bleibt. Sie mußeingesetzt werden. Wenn auch nicht zu erwarten ist, daß hierdurch der Lauf der Dinge eine entscheidende Wendung erfährt, so ist es doch aus moralischen Gesichtspunkten Ehren- und Existenzfrage der Marine, im letzten Kampf ihr Äußerstes getan zu haben.“(cit. bei Hubatsch, Admiralstab, S. 180; cf. Stang, Das zerbrechende Schiff, S. 87 Anm. 40; S. 89f). 154Cf. Kehr, Parteipolitik, S. 353f; Wilhelm II. verfolgte im gleichen Sinne das Ziel, „ die Marine [...] der Armee möglichst ebenbürtig an die Seite zu stellen.“(Berghahn, TirpitzPlan, S. 23). 155ZumFolgenden cf. Stang, Das zerbrechende Schiff, passim; Herwig, Luxury Fleet, S. 111– 143; HERWIG, HOLGER H., Das Elitekorps des Kaisers. Die Marineoffiziere im Wilhelminischen Deutschland (=Hamburger Beiträge zur Sozial- undZeitgeschichte 13), Hamburg 84; SCHEERER, THOMAS, Die Marineoffiziere 1977 (cit. Herwig, Elitekorps), bes. S. 59– der Kaiserlichen Marine. Sozialisation undKonflikte, Diss. Hamburg 1993 (cit. Scheerer, Marineoffiziere), passim, bes. S. 196ff. 156Mit demheutzutage umfassend gebrauchten Begriff „ Seeoffizier“bzw. „ Marineoffizier“war
in der kaiserlichen Marine der im Englischen manchmal mit executive officer bezeichnete seemännische Offizier im Gegensatz zu den Marine-Ingenieuren (denen bis in die letzte Zeit der kaiserlichen Marine die Gleichstellung mit den Seeoffizieren verweigert wurde [cf. Hopman, Logbuch, S. 41; polemisch Persius, Totengräber, S. 3; Herwig, Elitekorps, S. 109], und die bis 1945 noch nicht mit einem Seeoffizier im gleichen Dienstgrad auf ei85– 1966, ner Stufe stehend betrachtet wurden [cf. HERZOG, BODO, Deutsche U-Boote 1906– Herrsching 1990 (=Koblenz 1968), S. 155; Scheerer, Marineoffiziere, S. 15f.]), Sanitätsoffizier, Zahlmeister usw., gemeint. Laufbahnabzeichen dieser Gruppe warder sechsstrahlige Stern, seit 1886 die bisher von den Offizieren des Admiralstabes getragene Krone über den Ärmelstreifen (cf. Hubatsch, Admiralstab, S. 40; Petter, Flottenrüstung, S. 114). InSeeoffizierskorps“am 26. Juni 1899 ins Leben gerufen stitutionell wurde ein einheitliches „ (cf. BLACK, HANS, Die Grundzüge der Beförderungsordnungen, in: MEIER-WELCKER, HANS, (Hrsg.), Untersuchungen zur Geschichte des Offizierskorps. Anciennität und Beförderung nach Leistung (=Beiträge zur Militär- undKriegsgeschichte 4), Stuttgart 1962, 151, S. 126f. S. 65–
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der älteren Forschung157 kaum wahrgenommen, bildete die Sorge um die Exklusivität des Marineoffizierskorps, dessen Streben auf externe Anerkennung seines intern empfundenen Elitebewußtseins, vergleichbar dem der privilegierten Gardeformationen158 gerichtet war, ein zentrales Element des Selbstverständnisses des kaiserlichen Seeoffiziers (dessen „ Ehre“aber gleichzeitig auch für das interne Funktionieren der Waffe als in noch höherem Maße als beim Heer für entscheidend gehalten wurde159). Symptomatisch hierfür war etwa adeliger“Verhaltensweisen160 wie der des Dudie Übernahme überlieferter „ ells auch durch Offiziere bürgerlicher Herkunft (die den weitaus größten Teil des Offizierskorps der Marine, im Unterschied zu dem des preußischen Heeres der Vorkriegszeit, stellten). Obwohl der von Herwig benutzte Ausdruck Feudalisierung“für dieses Phänomen nicht befriedigend ist, ist seiner Ein„ schätzung zuzustimmen, die Marineoffiziere empfänden sich als Vorreiter einer Militäradels“.161 Die Übersteigerung eines von der preußineuen Kaste des „ schen Armee übernommenen Elitebewußtseins verband sich mit den ebenfalls im Kasino vorgefundenen Haltungen zu Konfession, Kapital,162 Politik usw., die eindeutig auf eine geistige Verarmung infolge selbstauferlegter Isolation hinweist, ihren Grund aber auch in der weitgehenden Untätigkeit der seit etwa der Jahrhundertwende in Nord- und Ostsee (unter Wegfall längerer Auslandsaufenthalte) konzentrierten Flotte hat.163 Zudiesen Vorstellungen gehörte Unbehagen an der Moderne“ auch ein unter den Heeresoffizieren verbreitetes „ (Oexle), ein äußerst vielschichtiges Phänomen, das im Heraufziehen einer neuen Zeit samt der Ausbreitung eines allgemeinen Wohlstands auch für bisher sozial Unterprivilegierte eine Hinterfragung der raison d’être164 des eigenen 157Herwig, Elitekorps, S. 7ff. 158Herwig, Elitekorps, S. 8. Der Kaiser tat durch offensichtliche Vorlieben das seine, die Seeoffiziere zu ermutigen: „ [...] Ein armer Linienoberst spielt eine traurige Rolle neben dem Gardelieutenant oder gar erst neben demjungen Seeoffizier, der sich mit ihm zusammen beim Kaiser meldet [...].“(Müller an Tirpitz, cit. nach Herwig, Elitekorps S. 9). 159Cf. die Forderung nach einer besonderen „ Flaggenehre“für Marineoffiziere schon bei Stenzel, Kriegführung, S. 77f. Korpsgeist und Abschottungstendenzen innerhalb der verschiedenen Offizierskorps wurden freilich schon in der Zeit problematisiert und zeitigten Die gesellschaftliche Vornehmheit aber, die Rechtfertigungen wie etwa die Delbrücks: „ unser Offizierskorps auszeichnet, ist eine aus seinem Charakter mit Notwendigkeit sich ergebende Konsequenz. Eifersüchtig darauf kann man nur sein entweder aus Eitelkeit oder Unfähigkeit, den inneren Zusammenhang zu verstehen.“(DELBRÜCK, HANS, Mili592, S. 592. tärisches, in: Preußische Jahrbücher LII (1883), S. 579– 160Herwig, Elitekorps, S. 60, 62. 161Müller, cit. bei Herwig, Elitekorps, S. 64. 162Für diesen Hinweis habe ich Herrn Dr. Thomas Beck zu danken. 163Cf. Memorandum Dambrowskis für Tirpitz, 7. April 1913, cit. bei Herwig, Elitekorps, S. 76 Anm. 76; cf. Auch Hopman, Logbuch, S. 123. 164Die Verachtung des Offiziers für den Gemeinen in dieser Zeit scheint sich zueinem guten Teil auch aus der Einschätzung zu speisen, daßein erhöhter allgemeiner Lebensstandard verweichlichend undder Bereitschaft zur„ Selbstaufopferung“abträglich wirke, mithin also das Bestreben fördere, sich der Pflicht am Vaterland zu entziehen. Verwerflich wurde dies in der Augen der Offiziere dadurch, daßja der siegreichen preußischen Armee diese
2.2 Ein marinespezifischer „ ? Primat der Innenpolitik“
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[...] Anschauungen, in Standes fürchtete. Dies führte zur Zementierung von „ denen sich Aufgeblasenheit mit Dünkel und Unwissenheit mischte.“165Mit der Weltoffenheit“und „ Weltgewandtheit“166des Seeofallenthalben postulierten „ fiziers war es allerspätestens seit der Jahrhundertwende nicht mehr weit her. Die zum größten Teil bürgerlichen Marineoffiziere drängten in die Solidarität mit den hergebrachten Säulen167 der preußischen Krone, Junkertum und Armee; damit verliehen sie diesem primär preußischen Phänomen eine nationale Dimension, die zu den sozialen Verwerfungen des Kaiserreiches maßgeblich beigetragen hat. Diese Allianz wurde zementiert durch ein gemeinsames Feindbild: Die Sozialdemokratie.168 Auf diesem Wege mündet eine Diskussion des Selbstverständnisses des kaiserlichen Seeoffiziers, über den Zwischenschritt des Erhöhung des Lebensstandards überhaupt erst zu verdanken war (cf. BALCK, WILHELM, 1907; Inhalt cit. nach ECHETaktik, 6 Bde., hrsg. v. WALTHER KRUEGER, Berlin 1903– VARRIA, ANTULIO S., II., On the Brink of the Abyss: The Warrior Identity and German 40, S. 24f, Military Thought before the Great War, in: War & Society XIII (1995) 2, S. 23– 27f; cf. auch Storz, Kriegsbild, S. 79ff; dasselbe kommt zum Ausdruck in der Einleitenden Je mehr anderwärts Luxus Ordre zu der Verordnung über die Ehrengerichte Wilhelms I.: „ undWohlleben umsich greifen, umso ernster tritt an denOffiziersstand die Pflicht heran, nicht zu vergessen, daß es nicht materielle Güter sind, welche ihm die hochgeehrte Stellung im Staate und in der Gesellschaft erworben haben und erhalten werden.“(cit. nach GeStenzel, Kriegführung, S. 81). Ergänzend, zur Ablehnung der Moderne und ihrer „ sellschaft“unter Beschwörung von im Mittelalter vermuteten Formen für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg cf. OEXLE, GERHARD O., Das Mittelalter und das Unbehagen an der Moderne. Mittelalterbeschwörungen in der Weimarer Republik und danach, in: BURGHARTZ, SUSANNA ET AL. (Hrsg.), Spannungen und Widersprüche. Gedenkschrift für 153. František Graus, Sigmaringen 1992, S. 125– 165Herwig, Elitekorps, S. 62. Der Antisemitismus (cf. ibid., S. 79ff) unddie weitausgreifende Verachtung für Kapital oder Arbeit innerhalb des Offizierskorps lassen diese Formulierung nicht überzogen erscheinen. Beispielhaft etwa eine Äußerung des erst kurz zuvor nobilitierten nachmaligen Flotten- und Admiralstabschefs, Admiral Hugo v. Pohl, gegenSie wissen ja gar nicht, mein lieber Selchow, was über Kptlt. Bogislav v. Selchow (1913): „ Sie vor anderen voraushaben, daß Sie einem Uradelsgeschlecht angehören; denn wasfür Sie Selbstverständlichkeiten sind, dazu brauchen andere unendlichen Schweiß. Und das ist etwas so Häßliches; den mußman immer wieder herunter waschen.“(cit. bei Herwig, Elitekorps, S. 65). 166Cf. etwa ZEDLITZ-TRÜTZSCHLER, ROBERT V., Zwölf Jahre am deutschen Kaiserhof, Berlin-Stuttgart-Leipzig 1923, S. 122; cf. auch Hopman, Logbuch, passim, bes. S. 123. 167Wie stark verwurzelt diese Loyalität im Korps war, zeigt der zwar besondere, aber nicht untypische Fall des Kommandanten des Schlachtkreuzers MOLTKE, Magnus v. Levetzow, dernoch nach der nationalsozialistischen Machtergreifung die Hoffnung aufeine Restaurapolitischer Beauftragter“ tion der Hohenzollernmonarchie nicht aufgegeben hatte undals „ Wilhelms II. diese zu erwirken suchte. Mit viel Pathos dargestellt in GRANIER, GERHARD, Magnus von Levetzow. Seeoffizier, Monarchist und Wegbereiter Hitlers. Lebensweg und ausgewählte Dokumente (=Schriften des Bundesarchivs 31), Boppard/Rhein 1982, 189. bes. S. 126– 168BORN, KARL-ERICH, Der soziale und wirtschaftliche Strukturwandel Deutschlands am Ende des 19. Jahrhunderts, in: WEHLER, HANS-ULRICH (Hrsg.), Moderne deutsche Sozialgeschichte, Königstein/Taunus 51976 (Ndr. Düsseldorf 1981; zuerst ersch. Köln-Berlin
284, S. 283. 1966), S. 271–
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Hinzutretens des vorher verpönten Kapitals, zu der von Berghahn vertretenen Sozialimperialismus-These. Ein solcher sozialer Ehrgeiz konnte ein möglicherweise objektiv vorhandenes Legitimationsdefizit nur verdrängen oder zumindest nach außen leugnen, seine Akzeptierung aber mußte ihm vonvorneherein unmöglich sein. Allerdings, und Flotte als Selbstzweck“geschlagen, damit ist der Bogen zurück zur Frage der „ scheinen sich in den Quellen keine stichhaltigen Belege für ein bewußt von den Offizieren empfundenes Legitimationsdefizit zu finden (was freilich ohnehin überraschen würde), so daß letztendlich die Frage, ob die „ Unverzichtbarkeit“ der Marine für Deutschland von den Offizieren so empfunden oder lediglich ihrer eigenen sozialen Bedeutung zuliebe vorgeschoben wurde, unbeantwortet bleiben muß. Mit einer sicheren, mehreren wahrscheinlichen Ausnahmen: Im Baumeisters der Hochseeflotte“kann kein Zweifel bestehen, daß er Falle des „ während seiner ganzen aktiven Dienstzeit und darüber hinaus immer an die objektiv gegebene Notwendigkeit einer starken deutschen Marine im Sinne von Wilhelms „ Bitter not ist uns eine starke deutsche Flotte“169geglaubt hat.
Der Kampf der Offiziere um die Bedeutung „ ihrer“Marine erfuhr mit der durch Untätigkeit und Revolution im Kriege hervorgerufenen Kritik eine Verschärfung, dajetzt die Marine unddamit ihr Korps als Ganzes zur Disposition standen. Nach 1920 bekämpfte man die Unterstellung der Marine unter die Heeresleitung unter anderem mit demArgument, das Wegfallen des Admiralsranges, während man im Heer in sechs Laufbahnen General werden konnte, würde der Marine die besten Köpfe entziehen.170 Als Nachsatz sei dies nur deshalb angemerkt, weil dieser Kampf umdie Erhaltung der Marine ein Glied in derKette von„ Wiederauferstehungsphantasien“ist, diesich durch ihre ganze Geschichte verfolgen lassen, und die sich immer wieder der gleichen Argumente bedienten. Die Kombattanten dieser Auseinandersetzung waren vor allem die Seeoffiziere: Die beiden oben genannten Entgleisungen (Scheer 1918, Raeder 1939) sind nur längst ins Irrationale abgeglittene Übersteigerungen der der Marine eigentümlichen Form des Korpsgeistes,171 der überdies auch für eigentlich Außenstehende, solange sie über eine offenbar charakteristisch preußisch-militärische Denkart verfügten, plausibel und nachvollziehbar war: Niemand anders als der sich Zeit seines Lebens als Heeresoffizier verstehende Caprivi schlug, just in der grundsätzlichen Verteidigung des Schlachtflottengedankens um der Bedeutung der Marine selbst willen, die Brücke zwischen 169Geäußert, sehr zum Ärger von Tirpitz, der Verdächtigungen der Unmäßigkeit fürchtete, anläßlich des Stapellaufs des Linienschiffes KARL DER GROSSE am 18. Oktober 1899 in Hamburg, cf. KENNEDY, PAUL M., Tirpitz, England and the Second Navy Lawof 1900: 57 (cit. Kennedy, Navy Law), S. A Strategical Critique, in: MGM VIII (1970) 2, S. 33– 34; cf. auch Hopman, Logbuch, S. 279f. 170Stang, Das zerbrechende Schiff, S. 129. 171Obwohl die o.g. Strafexpedition nach Marokko (s.o. Anm. 148) darauf hinzudeuten scheint, daß derlei in einem derart kurzsichtigen und egoistischen Waffenstolz bereits angelegt war.
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Adalbert und Stosch172 auf der einen und etwa der Formulierung Raeders auf [...] Die Marine mußsich im nächsten Kriege unter allen der anderen Seite: „ Umständen, sei es durch einen Sieg, oder durch eine Reihe kleinerer Erfolge, in die Geschichte Deutschlands einkaufen [...]“,173 und fügte hinzu, dieses ließe sich am besten mit Schlachtschiffen bewerkstelligen. Zwei Dinge gilt es hier festzuhalten: Erstens gab es eine Tradition des Strebens nach Selbständigkeit in der deutschen Marine, deren Offiziere, Dünkel hin oder her, ganz selbstverständlich davon ausgingen, daß eine starke Marine zum Besten des Staates sei, und sie deshalb unabhängig von allen Zwischeninstanzen, wie etwa dem Heer, sein müsse. 1890 bekamen sie eine wertvolle Argumentationshilfe in den Schriften Mahans, die dem bis dahin institutionell angemaßten Anspruch eine extra-institutionelle, politisch-philosophische Basis zu geben schien.174 Und offenbar kämpfte man hier nicht nur gegen einen eingebildeten Gegner: Nach dem Kriege schien dieser Kampf kurzzeitig verloElften Korps“des Heeres175 wollten viele die Marine, die jetzt mit ren, zum „ Untätigkeit und Revolution assoziiert wurde, reduziert sehen. In der Tradition dieses Kampfes stand auch Tirpitz. Die Entwicklung „seiner“Marine lag ihm sehr am Herzen. Inmitten all der Rationalisierungen, Weltmacht, Seeinteressen, Sozialdarwinismus, die zur Untermauerung dieses Anspruches herangezogen wurden, verschwimmt seine letzte Begründung: Die theoretischen Einsichten in die Schwäche, die aus dem dem deutschen Bund anhaftenden Mangel an Seemacht resultierte, und die vor 1871 immer wieder einmal sehr stark empfunden wurde,176 verbanden sich mit den am eigenen Leib erfahrenen Schwierigkeiten und Zurücksetzungen, die man als deutscher Seeoffizier–und bald verkürzte sich das zu: als Deutscher–vom Ausland hinzunehmen hatte.177 Tirpitz entwickelte, was Aussagen über die mangelnde Seetüchtigkeit der Deutschen anbelangte, ein veritables Elefantengedächtnis.178 Die Grenze 172Über ihre Ausstrahlung auf andere Gesellschaftsebenen hinaus warfreilich stets auch die Ferner Binnenwirkung eines auf Kriegstaten gegründeten Waffenstolzes betont worden: „ bedarf jede Armee undjede Marine zur gedeihlichen Fortentwicklung, ja nur zumerfreulichen Bestehen, der Tradition, der Überlieferung, der Geschichte; sie muß etwas für’s große Ganze, für den Staat, für das Vaterland, geleistet und ihm Opfer gebracht haben, das erst gibt ihr eigentlich die Berechtigung des Bestehens, unddas erst kann Offizieren, wieMannschaften das zugedeihlichem Wirken undnamentlich zuhervorragenden Kriegstaten nötige Selbstgefühl verschaffen.“(Stenzel, Kriegführung, S. 63. Hervorhebung im Original gesperrt, Interpunktion im Original). Der Ergänzungsband ist eine Zusammenfassung der vonStenzel zwischen 1874 und1881–also unter Stosch–an der Marineakademie gehaltenen Vorträge. S. dazu Kapitel 5. Die Verquickung zwischen Waffenstolz unddem Offensivgeist“(s. u.) ist hier schon deutlich. von Tirpitz geforderten „ 173Hallmann, Schlachtflottenbau, S. 31; Reinhardt, Flottengedanke, S. 11f. 174S. u. Kapitel 6. 175Stang, Das zerbrechende Schiff, passim, bes. S. 125f. 176Petter, Flottenrüstung, S. 37ff, S. 73ff. 177Cf. Tirpitz, Erinnerungen, S. 13: „ So erlebten wiranschaulich, wieverschüchtert ein großes Volk ohne Seegewalt werden kann [...].“ 178Cf. Tirpitz, Erinnerungen, S. 2 („ gräßliche Flotte“ But you are not a seagoing ); 5; 10 („
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der Marine als Selbstzweck und der Entwicklung der Marine als unabdingbare Voraussetzung für das dauernde, nachhaltige Wohl desStaates und Deutschtums“als Ganzes hob sich auf, und war, wie anzunehmen ist, in des „ Tirpitz’Zeit schon kaum mehr wahrnehmbar, zumindest nicht bei denen, die sich im Besitz der platonischen Wahrheit als „ maritim denkend“empfanden. Zumzweiten war dieses Bestreben nach Selbständigkeit von frühester Zeit, und spätestens seit Adalbert und der Maidenkschrift179 von 1848, untrennbar verknüpft mit dem Schlachtflottengedanken, schon in dem erwähnten Dokuselbständige Seemacht“ ment bezeichnet als „ . Der Kampf gegen einen militärischen Gegner, nicht die Bindung an das, was Tirpitz später als „ Seeinteressen“bezeichnete, sollte das höchste Ziel der Marine sein. Materiell waren solche Ideen in der Zeit vor Tirpitz nicht umzusetzen; alle Theoretiker vor ihm konnten auf eine Schlachtflotte und eine genuine „ selbständige Seemacht“nur als im Moment unerreichbares Fernziel hinweisen. Wenn also Tirpitz mit der Koppelung einer deutschen Seemacht an die Seeinteressen des Reiches diese Entwicklung umkehrte, so sind dafür nur zwei Deutungen denkbar: Entweder handelte es sich um einen „ Rückschritt“in den Selbständigkeitsbestrebungen der Marine, die Tirpitz wieder in einen Gesamtzusammenhang einband, der von ihr absichtlich über Bord geworfen worden war–realisiert als rationale Selbstbeschränkung, die–paradoxerweise–erst recht einen großangelegten Machtzuwachs dieser Waffe nötig undunabdingbar machte, damit sie ihre von anderen Organen, dem Handel, der militärischen Gesamtführung, gestellten Aufgaben erfüllen konnte. Oder, wenn Tirpitz dieses ideologische Territorium nicht in der eben beschriebenen Weise aufgab, dann handelte es sich bei der theoretischen Begründung des Flottenbaues nur um Vorwände, Rationalisierungen, deren Adressaten jene Interessengruppen waren, deren Mitarbeit für das Flottenprogramm notwendig war. Freilich würde die Marine, selbst wenn sie als „ Funktion der Seeinteressen“gebaut war, wenn Tirpitz also tatsächlich die von ihm vorgebrachten Argumente ernst nahm, im kommenden Jahrhundert ihre erstrangige Bedeutung ganz von selbst unter Beweis stellen undsich . So gesehen handelt es sich bei in die Geschichte einkaufen“ auf diese Weise „ Hochseeflotte während des Krieges, der Verwendung eine auf Tirpitz’Drängen , eine rein taktische wurde aus Scheers „ moralischer Ehr- und Existenzfrage“ Erwägung, um der Marine das Wohlwollen der Stellen, auf die sie (für ihren Ausbau, ihre Erhaltung oder ihren Wiederaufbau!) angewiesen war, zu erhalten–womit sich der Kreis schließt. Es ist also eine hochsubjektive, eine , ob Tirpitz und seinen Mitoffizieren die Marine „Selbstzweck“ Glaubensfrage“ „ war oder sie ihm tatsächlich, wie er vorgab, „nur“als Instrument zur SicheDeutschland“galt; ein Zusammenhang, der sich rung des Gesamtorganismus „ zwischen
), etc. ad lib. Cf. auch Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 177. nation“ Das sind ja Soldaten“ ); 16 („ 179ADALBERT PRINZ V. PREUSSEN, Denkschrift über die Bildung einer deutschen Kriegs-
flotte, Potsdam 1848; nachgedruckt als Anhang in DUPPLER, JÖRG, Prinz Adalbert von 115 (cit. Adalbert, KriegsPreußen. Gründer der deutschen Marine, Herford 1986, S. 79– flotte).
2.3 Zusammenfassung
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eigentlich nur in einer ahistorischen, einer im Grunde unzulässigen Gegenfrage verdeutlichen läßt: Hätte Tirpitz, und hätten seine Mitoffiziere, wenn sie die überflüssig“gehalten hätten, trotzdem in einer derartig energischen Marine für„ Weise auf ihren Ausbau gedrängt? Vernünftig ist es, eine Synthese aus beidem anzunehmen, indem (nicht erst seit Tirpitz, sondern im Verlauf des gesamten 19. Jahrhunderts) eine ursprünglich sachorientierte Forderung nach Seemacht sich immer mehr verselbständigte und dadurch schließlich Konstante bleiben konnte, auch wenn sich die Rahmenbedingungen ihrer Herleitung änderten.
2.3 Zusammenfassung Sowohl die wirtschaftliche Notwendigkeit als auch die Selbsteinschätzung des Seeoffizierskorps wiesen auf unmittelbare Benefizien aus dem Erwerb einer leistungsfähigen Seemacht für das Deutsche Reich. Bei den oben skizzierten Gedanken handelt es sich allerdings um ökonomisch-politische Begründungen und Hebelpunkte für ein grundlegenderes Drängen auf die See, das als Voraussetzung und integraler Bestandteil einer zukunftsweisenden Selbstsicht des halb-hegemonialen“ Kaiserreiches gesehen wurde; das Bewußtsein der eigenen „ Deutschen Berufs Preußens“mündete, seit Stellung (Dehio) als Ergebnis des „ demRegierungsantritt Wilhelms II. auch auf allerhöchster Ebene, in die ÜberBerufung“stellen mußte.180 Die zeugung, daß das Reich sich nun einer neuen „ Stellungnahmen führender Intellektueller, der Flottenprofessoren, das Selbstbewußtsein der Marine undauch der Reichsleitung in dieser Zeit deuten darauf hin, daß Stadelmann schon 1948 das Richtige traf, als er (in einem dem Diskurs der Zeit, über die er handelt, nicht unähnlichen Ton) die Quintessenz des großen Planes in einer glänzend formulierten, mit den folgenden Sätzen kulminierenden, Passage auf den Punkt brachte:
„ [...] unter dem jungen Kaiser [...] beginnen die Lücken der Weltgeltung erst eigentlich ins Bewußtsein zu treten und von da an auch zu schmerzen. Was von Bismarck gewonnen wurde–und es ist doch nicht viel weniger als die Hegemonie auf dem europäischen Festland– gilt schon nicht mehr genug. Das Fehlende wird stärker empfunden als das Errungene. Auf dem weitschichtigen Gebiet der ‚Weltinteressen‘ [...] ist der britische Vorsprung noch einzuholen, muß der Deutsche erst in die selbstverständliche Gleichberechtigung aufrücken, die den alten seefahrenden Nationen schon lange nach einer festen Rangordnung zusteht. Auf all diesen neuen Tätigkeitsfeldern den deutschen Namen heraufzuführen aus einer nur geduldeten ‚Parasitenexistenz‘, der Nation großzü180Cf. Marienfeld, Wissenschaft undSchlachtflottenbau, S. 52– 56; dies galt auch undgerade
Solch fürdiezivilisatorische Wirkung desdeutschen Kolonialismus, cf. Hopman, Logbuch: „ ordentliche, tüchtige, fleißige Kolonisatoren findet ihr auf der Welt nicht wieder. Die Welt braucht [die Deutschen] auch weiterhin bei dieser Arbeit, sonst geht sie zumTeufel!“(S.
165).
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gige ‚Schecks auf die Zukunft‘ auszustellen und ihr jenen Stolz des Palmerston’schen Weltreiches einzuimpfen, der noch in dem letzten, ärmlichsten seiner Bürger am Rande der bewohnten Welt trotzig erklären darf: ‚Civis Germanus sum‘–das ist der politische Sinn der Seemacht, 181 die Tirpitz aufbauen will.“
In einem schwungvollen Überflug streift hier Stadelmann einige der entscheidenen Punkte für die grundlegende Motivation eines deutschen Imperialismus: Das Defizit an Identifikationsmöglichkeiten, das die nirgendwo zukunftsweisende, sondern ausschließlich retrospektive, Sinngebung des Reiches aus dem konstruierten „ deutschen Beruf Preußens“gleichsam als Geburtsfehler mit sich herumtrug, und das erst durch Wilhelm II. und die Substitution durch einen globalen Beruf Deutschlands“im Sinne Max Webers–vonder Politik in denk„ bar ungelenker Weise umgesetzt–aufgehoben, vielleicht auch nur aufgeschoPlatz an der Sonne“nur ben, werden konnte; das moralische Defizit, seinen „ und demographischen Machtaufgrund seiner wirtschaftlichen, militärischen position unter Aufbruch der „ gewachsenen“und historisch legitimierten Rangordnung der Großmächte beanspruchen zu können, ohne, wie England oder Frankreich, dazu durch Kontinuität legitimiert zu sein; unddie Strategie, den bedrohten sozialen Frieden des Reiches durch eine innenpolitisch pazifizierende Flotten- und Expansionspolitik wiederherstellen zu können, der nicht auf modernen“Modell sozialer Gerechtigeinem–wie man heute sagen würde–„ archaischen“Identifikation mit nationaler Größe undKraft keit, sondern einer „ beruhte, die durch ihre materiellen Wohltaten für die Unterschichten nur kagebildeten und talysiert werden sollte–bei den Auslandsdeutschen sowie den„ ungebildeten Sozialdemokraten.“ Damit bildet Stadelmann zugleich eine Synthese zwischen den „ traditionelTirpitz-Planes“und den len“ , machtpolitischen Interpretationsansätzen des „ Sozialimauf Kehr aufbauenden Berghahnschen Theorien vom Tirpitzschen „ perialismus“ , wie sie neueren Forschungsmeinungen entsprechen. Gleichzeitig mußmanauch hier die Frage nach den Loyalitäten Tirpitz’im Blick behalten.
181Stadelmann, Flottenrivalität, S. 99f. DieWendung „ Civis Germanus sum“ geht letztendlich Flottenprofessors“C. J. FUCHS zurück, in: Außerordentliche Beilage auf einen Satz des „ zur Allgemeinen Zeitung (München), Nr. 22, März 1898. Cf. Marienfeld, Wissenschaft undSchlachtflottenbau, S. 33 Anm. 107.
Funktionsweise“der Tirpitz-Flotte 3 Die „ Ich bin sehr mißtrauisch gegen Paradeschiffe, die nur zur Markierung „ von Prestige dienen, und die man, wenn die Sache ernst wird, mitunter 1 Lügenschiffe nennen muß, weil sie nichts leisten.“ Bismarck
Nachdem das Postulat von der Unverzichtbarkeit einer Flotte für das Deutsche Reich in seiner Herleitung dargelegt worden ist, soll nundie seestrategische und – taktische Umsetzung dieser Seemacht, wie Tirpitz sie anstrebte, im Vordergrund stehen. Das Tirpitzsche Konzept von der Nordsee als „ Hebel unserer Weltpolitik“gibt dabei einen ersten Aufschluß über Sinn und Zielsetzung der Flotte in der gewählten Form, nämlich einer Schlachtflotte. Da für Tirpitz das Flottenkonzept direkte Manifestation der deutschen Grand Strategy war, in ihr also Strategie und Politik eine Einheit bildeten, wird einiges, was in der oben vorgenommenen Charakterisierung der politischen Wirkungsweise der Flotte gesagt wurde, in diesem militärisch-politischen Kapitel noch einmal zur Sprache kommen. Die intime Verschränkung der verschiedenen Teile des Konzeptes macht eine Strukturierung schwierig; eine kapitelweise Ordnung ist deshalb nicht viel mehr als übergestülpt, um wenigstens ein Minimum an Struktur zu erreichen. Namentlich die Zuordnung von Detailfragen erfolgt zwar nach einem angemessenen, jedoch keineswegs dem einzig möglichen Ordnungsprinzip; vieles, was an Problemen in einem Unterkapitel besprochen wird, könnte Risiko-“ ebenso einem anderen zugeordnet werden. Die Gedanken von der „ Bündnisflotte“werden hier ebenfalls diskutiert, weil ihr (angemaßter und der „ oder realer) strategischer Gehalt wichtige Kernpunkte des Konzeptes abdeckt; sie sind, selbst wenn sie der bewußten Verschleierung bzw. der für Experten leicht als gegenstandslos zu durchschauenden, aber publikumswirksamen Untermauerung des Flottenbaues dienen sollten, keine Erfindung der TirpitzPropaganda, sondern waren in der deutschen Marine lange vorher bekannt, wahr“akzeptiert. Die herkömmlichen Verfahren der Liteteilweise sogar als „ ratur, sie entweder als Schlagworte kritiklos zu übernehmen, oder sie kurz als unredliche Verschleierungsversuche zu disqualifizieren, greifen deshalb zu kurz.
1 Hallmann, Schlachtflottenbau, S. 295.
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3 Die „Funktionsweise“der Tirpitz-Flotte
3.1 Die „homogene Schlachtflotte“ 2 Bataillen gehören dazu, um zu decidiren“ „ Friedrich der Große
Bevor die strategischen Besonderheiten, die der von Tirpitz projektierten und gebauten Hochseeflotte eigen waren, vorgestellt werden unddamit die Bestimmung des Standortes, dendie Flotte sowohl im Koordinatensystem der Grand Strategy desKaiserreiches, wieauch demdesunter denatlantischen Großmächten vor dem Ersten Weltkrieg herrschenden Bildes der Seestrategie, einnahm, vervollständigt werden kann, ist ein Blick auf ihr Wesen undihr Funktionieren imtaktischen Maßstab erforderlich. Denn selbst, wenn mannicht mit demDiktum Stenzels übereinstimmt, das Gefecht sei das einzige Mittel der Strategie,3 so ist doch Clausewitz dahingehend zuzustimmen, „ [...] daß sich jede strategische Handlung auf die Vorstellung eines Gefechtes zurückführen läßt [...]“ ,4 da sie ihre Bedeutung erst aufgrund der Fähigkeit der involvierten Streitkräfte zum Kampf, oder wie es im Sprachgebrauch der Zeit heißt, zum Schlagen erhält. Den Zusammenhang zwischen Taktik und Strategie systematisch zu thematisieren, zu denen sich in der modernen Militärtheorie das Operative als Zwischenebene schaltet, kann im Rahmen dieser Arbeit unterbleiben; die Bedeutung der im taktischen Kapitel erörterten Fragen für den strategischen Teil wird sich an Ort undStelle augenfällig erweisen, da sie Kontinuitäten und Brüche zwischen Tirpitz und seinen Vorgängern offenbaren, die ihnen entsprechende Verhältnisse auf derstrategischen Ebene leichter einzuordnen erlauben. Überdies ist die Betrachtung der Tirpitzschen Taktik per se lohnenswert, denn sie stellt seine wichtigste und erfolgreichste Leistung dar–eine Leistung, die in demvonihmselbst für sie abgesteckten Rahmen noch immer unanfechtbar ist, will sagen: Keine Flotte der Geschichte warjemals so gut aufjene Schlacht vorbereitet, die sich nach Maßgabe der Situationsanalysen und Handlungsalternativen, die Tirpitz zumindest zu Beginn des Flottenbaues für zutreffend hielt, eigentlich hätte ergeben müssen.
AUSFALLFLOTTE“ SCHLACHTFLOTTE“ UND „ „
Betrachtet man das Verhältnis zwischen Tirpitz und seinen Vorgängern, den Generälen Stosch und Caprivi als Chefs der Admiralität, dem Admiral Friedrich von Hollmann als Staatssekretär im RMA, so wird schnell deutlich, daß auch hier die innovativste und originellste Leistung Tirpitz’ auf taktischem
2
Hopman, Logbuch,
S. 181.
3 S. u. S. 134, Anm. 18, S. 162.
4 CLAUSEWITZ, CARL V., Vom Kriege, hrsg. v. HAHLWEG, WERNER, Bonn 191980 (zuerst 34) S. 423 (Hervorhebung vomVerf.). ersch. 3 Bde., Berlin 1832–
3.1 Die „homogene Schlachtflotte“
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Gebiet lag. Die Zwänge, die den Bau einer Großflotte für Tirpitz notwendig zu machen schienen, wurden oben dargestellt; neuoder originär waren die dort zu findenden Gedanken beileibe nicht. ROLF HOBSON meint in seiner originellen Studie, von dem vielgelesenen ALFRED THAYER MAHAN habe die deutsche 5 übernommen, die in Tirpitz’ wichtigMarine eine „Ideology of Sea Power“ stem Memorandum, der Dienstschrift IX, nachweislich auf Mahan fußend zum Ausdruck komme.6 Tatsächlich enthält die Dienstschrift IX die erste ausführliche Besprechung zur Seemacht und ihrer Bedeutung, die bei Tirpitz zu finden ist; gleichzeitig muß aber festgestellt werden, daß Mahans Argumente, zu einer günstigen Zeit veröffentlicht, eine willkommene Untermauerung für bei Tirpitz bereits vorher ausgeformte Gedanken darstellten;7 dies mag bei der Letztbegründung“des Flottenallgemeinen, politischen und welthistorischen „ gedankens weniger der Fall sein als bei Tirpitz’Kernkonzept einer homogenen Schlachtflotte, das in der deutschen Marine seit Prinz Adalbert und besonders bei Tirpitz von Anfang an eine zentrale Stellung einnahm. Daß die deutsche und die Weltöffentlichkeit die Gedanken von Mahan geradezu enthusiastisch rezipierten, leistete Tirpitz’Hinwendung zu Mahans Argumentation und Formulierung Vorschub, führte ihn aber nicht erst an neue Konzepte heran. Es wird allerdings unten der Frage nachzugehen sein, ob Hobson recht hat, wenn er die Besonderheit der Tirpitzschen Seestrategie in der Synthese einer auf Deutschen Schule“mit der „ SeemachtClausewitz fußenden seestrategischen „ Ideologie“Mahans vermutet, und was genau damit gemeint ist.
,8 gemeint Daß für die Zukunft Deutschlands ein „Denken in Kontinenten“
war, in globalen Maßstäben, erforderlich sei, hatte schon General von Stosch Weltpolitik“ganz unverhohlen an, und, formuliert; allerdings hing Stosch der „ gewesen, hätte er vielleicht neben wäre Engländer er Berghahn, „ [...] meint so 9 Überraschender ist, daßselbst dengroßen britischen Imperialisten gestanden.“ sein Nachfolger Caprivi, dessen Marinepolitik allein kontinentale Erwägungen zugrunde lagen (er erwartete während seiner gesamten Amtszeit als Chef der 5 Hobson, Origins, S. 34. Berghahn sieht im „Mahanismus“eine „fester umrissene und vom Kampf umdie Seemacht abgeleitete Variante desSozialdarwinismus“(Berghahn, TirpitzPlan), S. 179f. 6 Hobson, Origins, S. 32ff. 7 Cf. EPKENHANS, MICHAEL, Der deutsche Griff nach der Weltmacht: Die Tirpitzsche 1914, in: DUPPLER, JÖRG(Hrsg.), Seemacht undSeestrategie im 19. Flottenplanung 1897– und 20. Jahrhundert (=Vorträge zur Militärgeschichte 18), Hamburg u.a. 1999, S. 121– 131, S. 123 (cit. Epkenhans, Griff nach der Weltmacht); Uhle-Wettler, Tirpitz, S. 121f; und sein Einfluß auf die Seestrategie des 19. und 20. Jahrhunderts, in: ELVERT, JÜRGEN/JENSEN, JÜRGEN/SALEWSKI, MICHAEL (Hrsg.), Kiel, die Deutschen und die See (=HMRG Beiheft 47 (cit. Epkenhans, Seemacht=Weltmacht), S. 40; Deist, Flot3), Stuttgart 1992, S. 35– den Lehren Mahans folgend tenpropaganda, formuliert neutral, die Dienstschrift IX sei „ [...]“(S. 33). 8 Hubatsch, Realität undIllusion..., S. 57, 59. 9 Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 135. Cf. auch Hollyday, Bismarck’s Rival, S. 283. EPKENHANS, MICHAEL, Seemacht=Weltmacht. Alfred Thayer Mahan
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3 Die „Funktionsweise“der Tirpitz-Flotte
Admiralität den Krieg mit Frankreich undRußland für „ 10), nächstes Frühjahr“ Immer mehr hören die Meere auf, die Nationen nicht umhin kam, zuzugeben: „ zu trennen, und immer mehr scheint der Gang der Geschichte darauf hinzuweisen, daß sich ein Staat von der See nicht zurückziehen darf, wenn er auch über die nächste Zukunft hinaus sich eine Stellung in der Welt zu erhalten 11 Caprivi freilich war der Überzeugung, zugunsten der sofortigen trachtet.“ Kriegsbereitschaft einer die entscheidenden Feldzüge der Armee unterstützenden Marine auf die Entwicklung ebendieser Marine in einem größeren Umfang verzichten zu müssen.12 In der voluminösen Literatur enkomiastischer oder apologetischer Natur, die zu Tirpitz und dem Schlachtflottenbau erschienen ist, firmiert Tirpitz häufig als geistiger Nachfolger13 Stoschs, dem ins Werk zu setzen vorbehalten blieb, was der Ältere nur vordenken konnte. Unbestreitbar besaß Tirpitz in Stosch einen einflußreichen Gönner,14 der in dessen Denken das eigene fortgesetzt sah. Tatsächlich scheint die Gemeinsamkeit aber über einen Minimalkonsens, die Notwendigkeit einer überseeischen Machtausübung des Reiches und die mehr Marine“ daraus erwachsende Forderung nach „ , und zwar in Form einer Schlachtflotte, nicht wesentlich hinausgegangen zu sein.15 Dies zeigt sich schon in dem ersten uns greifbaren Beleg für das maritime Denken Tirpitz’, 10 Tirpitz, Erinnerungen, S. 23. Cf. auch Michalik, Probleme, S. 21f. 11 Denkschrift betreffend die weitere Entwicklung der Marine, 1. Juli 1883, cit. bei Hubatsch, Realität undIllusion..., S. 56. Hervorhebungen im Original gesperrt. ZuCaprivis Mari48; Verchau, VonJachmann..., S. 66– 70. nekonzeption cf. Hubatsch, Admiralstab, S. 43– 12 Maltzahn, Taktische Entwickelung I, S. 116. Mit seiner langfristigen Planung, die der täglichen Funktions- und Einsatzbereitschaft der Marine wichtige Ressourcen entzog, würde Tirpitz die diametral entgegengesetzte Richtung einschlagen. 13 Cf. u. a. Hassell, Tirpitz, S. 1, S. 92ff. Die Formulierung bei Scheer, Segelschiff, S. 154f (im Grunde dieRechtfertigungsschrift eines überzeugten Tirpitzianers) erweckt denEindruck, Tirpitz habe die bereits von Stosch gebaute und unter Caprivi verfallene Schlachtflotte Ausfallflotte“hatte aber, wie gleich zu zeigen sein wird, lediglich restituiert. Stoschs „ mit Tirpitz’Schlachtflotte wenig gemeinsam, auch wenn Stosch die Bildung einer echten Hochseeflotte im späteren Sinne Tirpitz’ und Mahans als Idealziel vorschwebte. In diese Richtung gehen auch die–wie bereits erwähnt weit offenherzigeren–Aussagen nach Man überlasse also der Armee wie bisher die Verteidigung des Ablauf seiner Amtszeit: „ Landes und seiner Küsten, von der Marine aber fordere man nur die Beherrschung der See, Verteidigung unserer Weltinteressen.“(Stosch über die Marine unddie Kolonisation (wie S. 35 Anm. 45), S. 62. Hervorhebung vomVerf.). Formulierungen dieser Art implizieren seemilitärische Ansichten, die sehr viel leichter in Verbindung mit denen Tirpitz’ zu bringen sind als die während Stoschs Zeit als Chef der Admiralität–unter dem Zwang der Verhältnisse–realisierten. Allerdings, die Einschränkung ist notwendig, daßbei aller Auslandsselbständigen Offensivkraft“Stoschs Hauptaugenmerk auf den„ Betonung der „ politischen Dienst“der Flotte deutschen“lag, er also im wesentlichen einen verstärkten „ forderte. Der Gedanke, daß eine (Schlacht-)Flotte, die „ die Beherrschung der See“zur Aufgabe hatte, in ihren Nordseehäfen eingesperrt lag, war ihm völlig unplausibel. 14 Cf. Salewski, Tirpitz, S. 21, 23. 15 Wichtigste Komponente dieser Übereinstimmung war die Tatsache, daß unter Stosch, wie später unter Tirpitz und im Gegensatz zu Caprivi, die Flotte (in einem unten zu Selbstzweck“gewesen ist (Petter, Flottenrüstung, S. 130). erörternden Rahmen) „
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ein Brief an seinen Vater16 vom 11. September 1871, in dem der damals 22jährige Unterleutnant z. S. im wesentlichen die Leitgedanken der Stoschschen Marinekonzeption–die überdies in der preußischen und deutschen Flotte einige Tradition hatten–wiedergibt.17 Darunter ist die gedankliche Perspektive echten“Offensive, als zukünftigem Eckeiner Schlachtflotte, das Potential zur „ pfeiler deutscher Seemacht von vorrangiger Bedeutung18–damit aber endet die Gemeinsamkeit bereits. Im Gegensatz zu dem Landgeneral Stosch undseinem Nachfolger Caprivi dachte Tirpitz an eine echte blue-water-Flotte, die ganz dem homogenen Schlachtgeschwader verschrieben war, während sich bei-
de Chefs der Admiralität bei ihrer Marineplanung an einem Modell maritimer Waffengattungen“orientierten, deren jede für eine besondere Art der Kriegfüh„ rung besonders geeignet sei. Die Küstenverteidigung wardemTorpedo in seiner offensiven unddefensiven Variante (der Mine) zugewiesen, schwimmenden Batterien und Küstenpanzerschiffen, den Handelskrieg sollten Kreuzer besorgen, und das Offensivvermögen für den Kampf um die Seeherrschaft endlich war die Domäne der Schlachtgeschwader.19 Sowohl aus dem Flottenbauplan von 1873 wie aus den Caprivischen Rüstungsvorhaben, beide auf ältere preußische Arbeitsteilung“der WaffengatFlottenpläne zurückgreifend, geht diese–der „ Strukturierung hervor; das rüstungstungen im Landkrieg entsprechende20– mäßige Schwergewicht sollte zunächst beim Ausbau der Küstenverteidigung und sodann im Überseedienst liegen. Bei aller Betonung seiner Bedeutung war der Bau einer Schlachtflotte, die die See beherrschen und den Krieg an die Küsten den Gegners tragen konnte, für beide noch keine Option (Stoschs , Offensive“ Flottenplan forderte zwar den Bau von Schlachtschiffen für die „ jedoch nicht ohne darauf hinzuweisen, daß es sich dabei vorerst nicht um eine gegen eine europäische Seemacht gerichtete handeln könne, s.u.). Stosch sah lokale“ , gestützt auf für die Küstenverteidigung zwei Komponenten vor, die „ Kleinkampfmittel–etwa den Hafen verteidigende Torpedoboote–, Küstenbat, die in Gestalt einer „Ausfalllebendige“bzw. „ aktive“ terien usw., und eine „ flotte“dem Gegner durch ein gewisses Maß an Mobilität an einem beliebigen Punkt der eigenen Küste entgegentreten konnte.21 Dieses schlug sich selbstverständlich in den baulichen Anforderungen für die Schiffe nieder, etwa den 16 Tirpitz an Rudolf Friedrich Tirpitz (wie oben S. 44 Anm. 93). 17 Cf. Salewski, Tirpitz, S. 16f; Hubatsch, Ära, S. 14. 18 Greifbar bereits bei Adalbert (s.u.), desgl. in den Flottenplänen von 1855 (Hubatsch, Realität undIllusion..., S. 60) und 1865 (Hubatsch, Admiralstab, S. 25). So auch KEHR, ECKART, Die deutsche Flotte undder politisch-militärische Dualismus, in: APG 9 (1927), S. 192 (cit. nach Hubatsch, Ära, S. 52). 19 Denkschrift zumFlottengründungsplan 1873, S. 237; Reinhardt, Flottengedanke, S. 8f. 20 Stenzel, Kriegführung, S. 84ff. Cf. auch die mit Schiffen zu besetzende „ Seefestung“(Reinhardt, Flottengedanke, S. 13). 21 Reinhardt, Flottengedanke, S. 9f; Petter, Flottenrüstung, S. 110. Petter sieht auch ein gewisses Maßan„ Offensivkapabilität“vorweggenommen, diein einem Einsatz derKreuzer gegen kleinere Staaten in Übersee (s.u.) oder auch in einem Kraftakt der Ausfallflotte gegen einen französischen Hafen bestehen konnte (S. 111).
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KüstenpanzerAusfallkorvetten“und -fregatten22 und Caprivis „ Stoschschen „ Tirpitz nun wandte sich gegen diese Ideen, schiffen“der SIEGFRIED-Klasse.23 lokale“Küstenverteidigung für widersinnig unddem Grundsatz indem er die „ der Konzentration nicht entsprechend erklärte. Gleichzeitig sei der Bau von ausschließlich zur défense mobile24 geeigneten Schiffen geradezu VerschwenDie natürliche Bestimmung einer Flotte ist die Offensive“war dabei dung. „ der Kernsatz. Auf See sei die Offensive sehr viel zwingender als an Land anzustreben, da der Verteidiger dem Angreifer keinerlei über die unmittelbar eingesetzten Seestreitkräfte hinausgehenden Schaden zufügen könne. Die OfAusfallflotte“von vornherein weg; und auch für die fensive aber falle für eine „ Defensive sei sie nur mittelbar geeignet, denn einer unterlegenen Flotte bleibe, da auf See die Vorteile einer Verteidigungsposition, die an Land wirksam seien, Untätigkeit“unddamit die„ moralische Selbstvernichtung.“25 entfielen, nurdie„ Eine „ Ausfallflotte“ , die zwar in Anlehnung an die eigenen Küstenwerke den Feind schlagen, selbst aber keine eigenen Offensivmaßnahmen (Ausnutzung der gewonnenen Seeherrschaft) ausführen könne, sei überdies schon aus wirtschaftlichen Gründen26 widersinnig, für den Schutz von Häfen unddergleichen überflüssig:
„ [...] die unmittelbare Küstenverteidigung ist sinnvoll nur durch Befestigungen zu leisten [...] Die eingeschränkte Verwendung des Flottenkerns als Ausfallkomponente bedeutet den Verzicht auf den zweiten Schritt [echte Offensivmaßnahmen, d.Verf.]. Mit einer Defensivkonzeption erklärt sich die Flotte selbst für strategisch überflüssig.“27 22 Maltzahn, Taktische Entwickelung I, S. 137ff. Die zwischen 1872 und 1874 bewilligten Bügeleisen“geZementfabriken“bzw. „ Schiffe der SACHSEN-Klasse, im Marinejargon „ nannte, recht unästhetische Schiffe, waren ganz auf diese Verwendung hin gebaut, mit kleinem Aktionsradius, niederiger Geschwindigkeit, aber hoher Standfestigkeit undeiner Ausfall“auf einen vorder HafenGeschützaufstellung, die in Fahrtrichtung (d.h. für den„ einfahrt blockierenden Gegner) diegrößte Feuerkraft ermöglichte (Petter, Flottenrüstung, 1945, 2 Bde., München 1966– S. 126f; GRÖNER, ERICH, Die deutschen Kriegsschiffe 1815– 68, Bd. I, S. 62ff). Das „Ausfall“ -Konzept wird üblicherweise mit von den Landgenerälen an der Spitze der Marine gebildeten (falschen) Analogien aus dem Landkrieg erklärt (Tirpitz, Erinnerungen, S. 20f; Reinhardt, Flottengedanke, S. 8ff). 23 Die„Meerschweinchen“oder „schwimmenden Särge“des Marinejargons, die nach dengleichen Gesichtspunkten gebaut, aber beweglicher waren (Gröner, Die deutschen Kriegs67), und damit den Kampf in unmittelbarer Küstennähe (gestützt auf schiffe I, S. 65– Landbatterien u.ä.) schon in das Küstenvorfeld verlegten, wosie mit TorpedobootflottilEmanzipation von der Küste“(s.u.) wird len zusammen wirken konnten. Die langsame „ Küstenpanzerdenkschrift“Caprivis, beigehier greifbar (Petter, Flottenrüstung, S. 134f; „ fügt dem Etat 1887/88, auszugsweise cit. bei Hallmann, Schlachtflottenbau, S. 35ff). 24 Dienstschrift IX, S. 91. Hierzu auch Maltzahn, Taktische Entwickelung II, S. 16. 25 Dienstschrift IX, S. 89, wie auch das Nachfolgende. Die englische Marine teilte diese Ansicht seit langem (Marder, Anatomy, S. 70f Anm. 7), die französische schwenkte um die Jahrhundertwende wieder auf sie ein (ibid., S. 77, 469). 26 Dieselbe Ansicht bei Maltzahn, Taktische Entwickelung II, S. 16. 27 Dienstschrift IX, cit. nach Petter, Flottenrüstung, S. 146 (die zitierte Passage ist in dem bei Berghahn/Deist, Rüstung, als Dokument II 2 veröffentlichten Auszug nicht enthalten).
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Sinnvolle Küstenverteidigung sei somit (abgesehen von der lokalen Verteidigung durch landgestützte Werke) nur durch Einheiten, die über eine volle Offensivkapazität verfügten (also Schlachtschiffe), und damit vom zweifelhaften Rückhalt einer defensiven (landgestützten) Infrastruktur unabhängig seien, gewährleistet, was den Bau einer homogenen Schlachtflotte auch zum ökonomischsten Mittel der Flottenbildung mache.28 Es bestehe überdies die Gefahr, über der Küstenverteidigung die Offensive zum Zwecke der Machtprojektion, „ de[n] vornehmlichste[n] Zweck der Flotte überhaupt“ , aus den Augen zu verlieren. Stoschs undCaprivis langfristig angelegtem Vorhaben, sich gestützt auf eine tiefgestaffelte Küstenverteidigung nach und nach auf die offene See29 herauszutasten, erteilte er eine dezidierte Absage: Ebensowenig darf man bei der Schaffung einer Flotte, von den Kü„ stenwerken anfangend, über die Flußmündungen undHafeneingänge hinwegallmählich versuchen, auf die See selbst zu gelangen. See und Küste sind ihrem Wesen nach verschiedene Dinge und die Entwicklung der Flotte an diejenige der festen Küstenverteidigung zu binden, führt zu einer grundsätzlich falschen Richtung. Der Ausgangspunkt einer Flotte 30 muß die See und die Seeinteressen der Nation sein.“
Tirpitz durchbrach hier also eine Tradition der deutschen Marine. Die überArbeitsteilung“der Seestreitkräfte lehnte er zukommene Ansicht von der „ gunsten des Schlachtschiffes als alleiniger Quelle maritimer Machtausübung ab. Später wird zu sehen sein, wie im Gefolge dieser Anschauung die anderen Seestreitmittel, Kreuzer, Torpedoboot usw., gleichsam radial aufeinen gemeinsamen Mittelpunkt, die Schlachtgeschwader, ausgerichtet wurden. Der direkte Vorgänger Tirpitz’, Admiral Hollmann, verkörperte in seiner 31der deutschen Marine, während dessen eiverlorene Jahrzehnt“ Person das „ ne zwischen Kreuzer- und Schlachtflotte hin- und hergerissene Bau- und Bewilligungspolitik den Reichstag zur fast willkürlichen Streichung individueller Schiffsbauten führte, da die unsystematischen Projekte, denen als einzige Mehr Marine“zugrunde lag, den Ruch Gemeinsamkeit Wilhelms Forderung „ 32trugen, die die liberale Opposition, allen voran der uferloser Flottenpläne“ „ in Marinebelangen äußerst sachverständige Eugen Richter, nicht hinzunehmen 28 Caprivi 1883: „Abgesehen davon, daßdie wirksamste Weise der Verteidigung der vaterländischen Küsten unter allen Umständen der Sieg in einer Schlacht auf hoher See bleiben wird, würde eine reine Küstenverteidigung sich immer nur mit demnegativen Vorteil der reinen Abwehr begnügen müssen.“(cit. nach Hubatsch, Realität und Illusion..., S. 62. Hervorhebungen vomVerf. Auch: Maltzahn, Taktische Entwickelung I, S. 121). 29 Weniger, Operationsplan, S. 1. 30 Dienstschrift IX (Berghahn/Deist, Rüstung, Nr. II 2, S. 87– 99), S. 91. 31 Der Ausdruck wurde von Hallmann in Übereinstimmung mit Tirpitz geprägt, um zu Verspäsuggerieren, daßder Flottenbau ohne die vonTirpitz unverschuldete zehnjährige „ tung“zum Erfolg geführt hätte: Petter, Flottenrüstung, S. 173. 32 Maltzahn, Taktische Entwickelung II, S. 19.
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gewillt war.33 Eine auf einer klaren Theorie fußende Linie in der Flottenentwicklung war deshalb nicht zu erkennen, vielmehr schien sich die Marine mehr schlecht als recht als „ Hansdampf in allen Gassen“ , was Typen, Spezifikationen undTaktik anbelangte, versuchen zuwollen. Das Resultat wardas „ Chaos von ungeklärten Anschauungen“34 und die darauf fußende „ Musterkarte von 35 deren Bereinigung Tirpitz–nicht zu unrecht–als „ meine beSchiffstypen,“ ste Leistung“36bezeichnen konnte. Damit hatte sich die Situation der Marine freilich nicht gebessert, imGegenteil: Während das Oberkommando mit Tirpitz homogenen Schlachtals Chef des Stabes nun die klare Forderung nach einer „ flotte“immer nachdrücklicher zu stellen begann, ging es dem RMA vor allem um die Beschaffung dessen, was sich überhaupt noch durch den Reichstag lancieren ließ.37 Der Antagonismus, den die Dienststellen dabei entwickelten, nahm mitunter kindische Ausmaße an.38 Daß diese Situation nicht auf Dauer haltbar war, eine Misere, die sich angesichts des ungeduldigen Monarchen in Hollmanns Rücken nur noch verschlimmerte, war das entscheidende Moment für seinen Abgang 1897 und seine Ersetzung durch einen Mann mit klaren Zielvorstellungen und der Energie, diese auch durchzusetzen: Tirpitz.39
GRUNDLEGUNG DER GESCHWADERTAKTIK
Der Grundstein für eine nach Tirpitz’taktischen Ansichten organisierte Flotte wurde nicht 1897 mit seiner Berufung ins RMA gelegt, sondern im Januar 1892, als er Chef des Stabes des Oberkommandos der Marine unter Admiral Freiherr von der Goltz, später Eduard von Knorr wurde, ein Posten, den er mit dem persönbis Oktober 1895 behielt.40 Seine Ernennung war verbunden „ lichen Auftrag des Kaisers, die Taktik der Hochseeflotte zu entwickeln [...]“,41 eine Weisung, die Tirpitz mit großem Einsatz befolgte. Dasvöllige Fehlen anerkannter taktischer Vorgehensweisen beruhte bis dahin auf demWiderstreit der verschiedenen in einem Panzerschiff vereinigten Waffen, deren Wirkungsgrad und Einsatzverfahren angesichts des Mangels an empirischer Erfahrung–also
33 Salewski, Tirpitz, S. 28. 34 Hopman, Logbuch, S. 178; cf. auch Scheer, Segelschiff, S. 149. 35 Hopman, Logbuch, S. 179. 36 Tirpitz, Erinnerungen, S. 47. 37 Ibid., S. 81f. 38 Hubatsch, Admiralstab, S. 69ff; Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 29ff. Die Kompetenzrangeleien vorallem desRMAunddesOKsollten sich bis zurvonTirpitz maßgeblich mitbetriebenen Auflösung des letzteren nicht beilegen lassen; sie verschlimmerten sich noch, als in Tirpitz rote Eduard“von Knorr es als Staatssekretär der letzte kommandierende Admiral, der „ mit einem Gegner zu tun bekam, der ihm an Dickköpfigkeit mindestens ebenbürtig war. 39 Deist, Flottenpropaganda, S. 73. 40 Über die taktische Arbeit dieser Zeit sehr detailliert Maltzahn, Taktische Entwickelung 85. II, S. 43– 41 Tirpitz, Erinnerungen, S. 41.
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mit dem neuen Material durchgeführten Seegefechten–nur auf dem Wege der theoretischen Spekulation“42 behandelt werden konnte, wobei jede Waffe– „ Ramme, Torpedo, Artillerie–ihre Befürworter hatte.43 Auf dem Boden der Einschätzung etwa Stoschs, daß die Ramme im Kampf der ausschlaggebende Faktor sein würde, so schnell wie möglich also das mêlée als eine Art Kavalleriegefecht, ein wildes Durcheinander Schiff gegen Schiff ohne die Möglichkeit zur übergeordneten Leitung gesucht werden sollte, konnte sich keine ausgefeilte Flottentaktik entwickeln.44 Allerdings standen die anderen Marinen der deutschen, was taktische Ratlosigkeit betraf, in nichts nach. Mit Tirpitz zognunein „neuer Geist“ins Oberkommando ein.45 Er setzte die ganzjährige Indiensthaltung der aktiven Flotte durch,46 die sich im Herbst mit den Schul- und Übungsgeschwadern zur großen Herbst-Übungsflotte verband, deren Chef des Stabes er gleichzeitig war, undmit der die über das Jahr ausge[...] auf dem ‚kleinen arbeiteten taktischen Vorstellungen fünf Wochen lang „ Exerzierplatz‘ vor der Kieler Föhrde [...]“47 erprobt wurden. Das Exerzierreglement, das bislang vor allem aus Evolutionen bestanden hatte, Formationsänderungen bei Insichtkommen des Gegners also, wurde von allem unnötigen empirischen“(Tirpitz) Versuchen stellte sich heraus, Ballast befreit, und in „ daß die Kiellinie die für die Schlachtflotte sinnvollste Gefechtsformation sei. Karussellreiten“ , der „Quadrillentour“48des bisherigen Reglements, Aus dem „ Chaos von ungeklärten Anschauungen“ , das der Flotte weManifestation des „ der eine taktische noch eine strategische Zielansprache ermöglichte, erwuchs vor allem in den Jahren 1892/93 die Linientaktik des einheitlichen Schlachtgeschwaders. Der Ausruf des französischen Kapitäns, der einmal das Geschützexerzieren an einer vonTirpitz geleiteten Batterie mit den bewundernden Worten 42 Maltzahn, Taktische Entwickelung I, S. 3; zu den verschiedenen Waffen und Schiffen cf. 44. ibid. S. 28– 43 Die genaueste Darstellung der Entwicklung der französischen, englischen und deutschen Taktik vonetwa 1830 bis 1889, jene Jahre derVerwirrung also, ist nach wievorMaltzahn, 135 (für Deutschland), 142– 205. 86, 87– Taktische Entwickelung, Bd. I., bes. S. 45– 44 „ Totmachen ein Schiff und einen Menschen nach dem andern, das ist das glänzendste Geschäft der Schlacht.“(Stosch an Batsch, 31. Mai 1877, cit. nach Maltzahn, Taktische Entwickelung I, S. 170). Die Hochschätzung der Ramme war 1866 durch die Schlacht bei Lissa und den Rammstoß des österreichischen Flaggschiffes ERZHERZOG FERDINAND MAXIMILIAN auf RE D’ITALIA ausgelöst worden (cf. ibid., S. 11ff. ZuStoschs taktischen Ansichten cf. ibid., S. 169). 45 Hopman, Logbuch, S. 178. In dem Kapitel über Oberkommando und Geschwadertaktik schildert Hopman eigene Erfahrungen, stützt sich jedoch, wie teilweise wörtliche Übernahmen zeigen, auch auf Tirpitz’ Erinnerungen. Die wichtigste Quelle für die Taktik ist jedoch Maltzahn, Taktische Entwickelung, in unserem Falle Bd. I, passim. Maltzahns kritische unddetaillierte Darstellung warfür deninternen Gebrauch der Marine geschrieben und„ganz geheim!“eingestuft worden. 46 Ibid., S. 44. Petter, Flottenrüstung, S. 144. 47 Tirpitz, Erinnerungen, S. 47. 48 Beide Tirpitz, Erinnerungen, S. 45. Diese Pejorative gehörten allerdings damals zum Jargon. Maltzahn, Taktische Entwickelung I, S. 49: „ Denn wie man fechten wollte, wußte man nicht, man übte eben nur mögliche Formationen.“
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Je vous vois travailler pour le but final“ 49 trifft die Stimmung kommentierte „ der Zielgerichtetheit und des Realismus genau, den Tirpitz an die Stelle der ,50aber kriegsuntauglichen Seefahrt, die er in der Flotte vorgefunanmutigen“ „ den hatte, setzte, undder durchaus mit demzehn Jahre später von Fisher und gunnery against paint“ Percy Scott aufgenommenen „ -Widerstreit51 der Royal Navy vergleichbar ist: Die Ausrichtung von Ausbildung, Organisation und Taktik auf den effizienten Waffengebrauch. Die strategische Überlegung über unser Verhalten im nächsten See„ kriege hat [...] zu der Erkenntnis geführt, daß die Entscheidung für unsere Marine in der offenen Seeschlacht gesucht werden muß. Es entsteht daher die dringende Veranlassung, diese zukünftige Seeschlacht als das unverrückbare Ziel bei unserer Taktik, bei unserer Personalausbildung undbei unserer Organisation im Auge zu behalten.“52
Eine Reihe von Denkschriften, die das Oberkommando in dieser Zeit, die Manöver auswertend, herausgab, fand in der Marine großen Widerhall (sie waren auch befehlsgemäß Pflichtlektüre);53 aus ihnen erwuchs schließlich das neue Exerzierreglement54 von 1893, nichts weniger als das taktische Einsatzverfahren der Flotte mit seinen Säulen „ Lineartaktik“und „ Geschwadergrundsatz“ .55 Wichtigste ihnen zugrundeliegende Erkenntnis war die Einsicht, daß die Hauptwaffe des Schiffes die schwere (oder mittlere, ein bis in den Ersten Weltkrieg kontroverser Punkt56) Artillerie sei, die bereits auf weite Entfernung 49 Tirpitz, Erinnerungen, S. 41, wiederholt von Hopman, Logbuch, S. 179. 50 Siehe S. 39 Anm. 64. 51 Marder, Anatomy, S. 384ff. 52 Tirpitz, Denkschrift über dieNeuorganisation unserer Panzerflotte, Januar 1892, cit. nach Reinhardt, Flottengedanke, S. 221f; dazu auch Maltzahn, Taktische Entwickelung II, S. 14). 9ff (Abdruck der Denkschrift S. 10– 53 Hopman, Logbuch, S. 181; Petter, Flottenrüstung, S. 145. Die wichtigste und der Kulminationspunkt dieser Denkschriften war die Dienstschrift IX vom 16. Juni 1894. 54 Petter, Flottenrüstung, S. 144. 55 Tirpitz, Erinnerungen, S. 46. 56 Erst mit dem DREADNOUGHT-Sprung endete vorübergehend die Debatte, wie stark die Mittelartillerie [M.A.] eines Schlachtschiffes zu sein habe; während die Schlacht vonYalu 1894 scheinbar erwiesen hatte, daß der Geschoßhagel aus nächster Entfernung, mit demdie S. K. [Schnellfeuerkanonen] derjapanischen mittleren Artillerie die chinesischen Schiffe überzogen, denAusschlag gegeben habe vorderzwar durchschlagkräftigeren, aber langsam undauf große Entfernung ungenau feuernden schweren Artillerie, führte die vor Tsushima 1905 auf große Entfernung und mit schwerer Artillerie herbeigeführte Katastrophe der russischen Ostseeflotte endgültig dazu, daß unmittelbar vor dem DREADNOUGHT-Sprung die Überlegenheit der großen Geschütze, denen verbesserte Feuerleitung nun auch größere Treffgenauigkeit ermöglichte, allgemein akzeptiert war (Marder, Anatomy, S. 529f); überdies mache der Torpedobootzerstörer die M.A. als Eigenschutz der Schlachtschiffe gegen Torpedoboote überflüssig; später kehrte man aber vor allem aufgrund dieser Bedrohung zurstärkeren M.A. zurück. In Deutschland wurde, anders als mit DREADNOUGHT, bei keinem Entwurf auf eine Mittelartillerie verzichtet (cf. u.a. Strohbusch, Kriegsschiffbau, S. 28ff).
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zum Einsatz komme und also die Entwicklung einer für sie optimalen Formation zum primären Ziel der Geschwaderführung machte. Formationen, die die Flotte direkt in das mêlée zum Einsatz von Ramme und Torpedo führten, fielen dadurch weg.57 Das Ergebnis war das zunächst etwas paradox anmutende Phänomen, daßmannach etwa vierzig Jahren geradezu tumultuarisch sich vollziehender technischer Fortentwicklung zur Kampfesweise der britischen Flotten der Segelschiffzeit als der optimalen zurückgekehrt war.58 Der Fortfall der für den Nahkampf optimalen Formationen wurde durch eine intensivere taktische Durcharbeitung der Formationen für Artilleriefernkämpfe ergänzt. Schon 1891 fand sich in den Manöverprogrammen der Hinweis, überlegene Taktik und Handhabung der Geschwader könnten, genauso wie überlegene Artillerie und Schießkunst, eine materielle Überlegenheit des Gegners ausgleichen.59 60 zweier in Kiellinie aneinander Passiergefecht“ Während noch 1891 das „ praktisch das einzige Gefechtsbild für die Artillerie vorbeifahrender Flotten61 gewesen war, ergaben Studie und Erprobung nuneine größere Differenzierung; insbesondere kam man von dem für das Zustandekommen des Passiergefechts nötigen, taktisch aber unklugen Vorgehen ab, mit der eigenen Linie stracks auf den Gegner zuzudampfen. Verstand man es, den Gegner querab der eigenen Mitte zu halten, laut Tirpitz das Hauptproblem,62 so ließ sich mit der Kiellinie die maximale Anzahl von Rohren zum Tragen bringen. Zwei hauptsächliche Gefechtsarten stellten sich dabei heraus: Lief eine Flotte in Kiellinie auf den Gegner zu, wie es nötig war, um in Gefechtsreichweite zu gelangen, so konnte sie nur die vorderen Geschütze des vordersten Schiffes einsetzen. Näherte sich der Gegner in breiter Formation, oder drehte er rechtwinklig ab, umseinerseits 57 Hierzu auch Scheer, Segelschiff, S. 149. Auch dieser Sachverhalt ist ein Beleg dafür, daß wahrheitsfähig“ Taktik weniger inhärent „ , also richtig oder falsch ist, sondern es, bedingt durch die Interdependenz eigener undgegnerischer Waffen undihrer Wirkung, erst durch die Akzeptanz in einer Mehrheit wird (cf. den Kommentar einer Manöverkritik bei MaltMan will [einem schräg anlaufenden Gegner, zahn, Taktische Entwickelung II, S. 92: „ d.Verf.] aber immer noch nicht recht zugestehen, daß er ‚taktisch richtig‘ handelt. Es magdies ja darauf basiert gewesen sein, daßandere Nationen immer noch so falsch handeln würden, wie wir selbst 1892 es tun wollten.“Wird in einer Flotte die Benutzung der Artillerie als Hauptwaffe dekretiert (und die Schießkunst danach ausgerichtet), so müssen andere Marinen folgen, wenn sie nicht aus der Entfernung zerstört werden wollen. Das warauch eines der entscheidenden Argumente bei der Erhöhung der Gefechtsentfernung der Royal Navy durch Fisher 1904 (Marder, Anatomy, S. 515f). Der DREADNOUGHTSprung selbst rückte in einer vergleichbaren Situation genau dieses Phänomen sogar in den Mittelpunkt der Überlegungen. Cf. die Formulierung bei Scheer, Segelschiff, S. 150: So erlangte die Artillerie durch Thomsen [enger Mitarbeiter Tirpitz’im OK und 1897 „ Geschwaderchef, d. Verf.] den ihr zukommenden Rang als Hauptwaffe im Geschwader255. kampf“ ; hierzu auch Potter/Nimitz/Rohwer, Seemacht, S. 248– 58 Marder, Anatomy, S. 516. 59 Maltzahn, Taktische Entwickelung II, S. 38ff. 60 Ibid., S. 37, 51. 61 Das Folgende nach Hopman, Logbuch, S. 182– 185. Weniger detailliert Scheer, Segelschiff, S. 183ff. 62 Tirpitz, Erinnerungen, S. 46.
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die Gefechtslinie zuentwickeln, so befand sich dieeigene Flotte in Schwierigkeiten, da der Gegner eine ungleich größere Zahl Geschütze zumTragen bringen crossing the T“ konnte („ ). Es ergab sich so, daßbei Insichtkommen desGegners beide Flotten rechtwinklig abdrehen würden. Taten sie dies nach der gleichen Seite, so würden sie auf leicht konvergierenden Kursen (zur Verkürzung der Entfernung) nebeneinander herlaufen, während sie Breitseiten austauschten, . Drehten sie nach entgegengesetzten Seiten das sogenannte „laufende Gefecht“ ab, so ergab sich aufgrund des Bestrebens der Führerschiffe, denGegner in der Mitte zu halten, ein sogenanntes „ Kreisgefecht“.63 Grundsätzlich problematisch auf See, zumal im Gefecht, ist die Nachrichtenübermittlung, das Signalwesen. Um nun sicherzustellen, daß der Flottenführer die Verbindung zu seinen Einheiten aufrechterhalten unddiese gleichzeitig einheitlich als Verband operieren konnten–wie alle taktischen Evolutionen ist auch das Manövrieren in Kiellinie nicht einfach–waren zwei Dinge entscheidend. Das Schiffsmaterial hatte innerhalb eines Verbandes größtmögliche Homogenität aufzuweisen, also etwa im Hinblick auf Drehkreis und Geschwindigkeit, damit auch bei Wendungen die Linie aufrechterhalten werden konnte und schnellere Schiffe nicht durch langsamere aufgehalten und damit taktisch herabgewertet wurden.64 Gleichzeitig hatten Armierung und Panzerschutz insoweit einheitlich zu sein, als sich nicht an einer Stelle der Linie eine Lücke auftun durfte, auf die der Gegner sein Feuer konzentrieren und dadurch die homogenen Schlachtflotte“ eigene Linie sprengen konnte. Daher ist von der „ zu sprechen; vor 1906 bezeichnete man die in ihr vertretenen Schlachtschiffe Einheitslinienschiffe“.65 Als optimale Größe, bei der ein Geschwader noch als „ einheitlich geleitet werden konnte, ermittelte mandurch Versuche die Anzahl von acht Linienschiffen.66 Das Problem der Annäherung mit der Kiellinie löste man zunächst mit Hilfe der T-Formation.67 Die neuesten und stärksten Schiffe, anfangs also die BRANDENBURG- und FRIEDRICH III.-Klasse, sollten in Dwarslinie die Flotte anführen, um bei der Annäherung schon eine Anzahl Geschütze zur Wirkung , die hinter der in die Linie eingestellt“ zu bringen. Die älteren Schiffe wurden „ Dwarslinie herdampfte, so daß sich die Form eines T ergab. Bei Erreichen einer günstigen Gefechtsentfernung schwenkte manab oder dampfte auf, umdie Gefechtskiellinie zu bilden. Mit diesem Vorgehen war das Prinzip des Doppelgeschwaders geboren, der taktischen Kombination zweier Schlachtgeschwader. Aufgrund der geringen Gefechtsentfernungen durfte die Linie nicht zu lang werden, damit der Gegner sein Feuer nicht auf einen Teil der Linie konzentrieren konnte, während die anderen eigenen Schiffe nicht eingreifen konnten. Gab 63 Dienstschrift XXIII (1896), cit. nach Maltzahn, Taktische Entwickelung II, S. 97f. 64 Rohwer, Kriegsschiffbau, S. 213. 65 Nägler, S. 564. Man spricht im Englischen davon, ein Schiff habe „ fit for the line“zu sein. 66 Begründung zum ersten Flottengesetz 1898, S. 3; Tirpitz, Erinnerungen, S. 46; cf. auch Rohwer, Kriegsschiffbau, S. 215. 67 Hopman, Logbuch, S. 188.
3.1 Die „homogene Schlachtflotte“
77
sich der Gegner diese Blöße, konnte man mit zwei Geschwadern eine Doppelzwischen zwei Feuer nehmen“(das klassische kiellinie bilden und den Gegner „ Beispiel Nelsons bei Aboukir). Rechnete man zu diesen beiden Geschwadern zu je acht Schiffen ein unabhängiges Flaggschiff hinzu, so ergab sich die im ersten Flottengesetz geforderte Zahl von 17 Panzerschiffen. Tirpitz konnte, ein wesentlicher Punkt bei der [...] aus der Taktik Durchbringung der Vorlage, darauf verweisen, daß allein „ eine neue Organisation, die auf das Flottengesetz nachmals bestimmend ein68erwachsen sei, und daß persönliche Flottenlaunen und uferlose gewirkt hat“ Pläne in ihr keinen Platz hätten. Daß die erste Etappe seines Planes sich in das Gewand der Flottengründung von 1873 (die vierzehn Panzerschiffe gefordert hatte) kleiden konnte, mußte Tirpitz sehr zupaß kommen;69 die Fiktion von der Durchführung des Stoschschen Plans hielt er über den Krieg hinaus, sekundiert von Hallmann, aufrecht. Allerdings war auch die Tirpitzsche Flottentaktik, Quantensprung den sie darstellte, nicht der Weisheit letzter Schluß.70 Die T-Formation kamrecht bald wieder in Fortfall, nachdem das genügende Vorhandensein von Aufklärungsschiffen gewährleistete, daßdasDoppelgeschwader genug Zeit haben würde, um aus der Marschformation der Doppelkiellinie die einzelne, die Gefechtskiellinie zu bilden. Die Länge der Linie wurde mit zunehmender Gefechtsentfernung ein immer unbedeutenderes Problem. Doch die wesentlichen Elemente der von Tirpitz eingeführten Geschwadertaktik blieben bis 1909 unverändert; Flottenchefs bis auf Koester beschränkten sich darauf, sie zu vervollkommnen undden neuen Verhältnissen, etwa densteigenden Gefechtsentfernungen, anzupassen.71
Die Aufstellung des III. Geschwaders72 mit der Novelle von 1912 machte eine erneute, grundlegende Überarbeitung notwendig, die die Flotte unter Holtzendorff bereits seit 1909 unter Einbeziehung der Reserve leistete; dabei wurde die Kolonnenaufstellung als die zweckmäßigste gefunden, bei der die Geschwader in drei Kiellinien nebeneinander herliefen. Insgesamt sei, laut Scheer, gerade unbestreitbarer und wesentlicher unter Holtzendorff in der Flottentaktik ein „ 73erzielt worden, auch wenn es an Kritik vondenOffizieren der FlotForschritt“ 68 Tirpitz, Erinnerungen, S. 46. 69 Hierzu auch Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 112ff; Kehr, Parteipolitik, S. 378. 70 Der taktische Stand des Jahres 1895 zusammengefaßt bei Maltzahn, Taktische Entwicke86. lung II, S. 76– 71 Scheer, Segelschiff, S. 183f. 72 Intern sprach die Marine vom V. Geschwader, da die beiden Geschwader der Reserveschlachtflotte mitgezählt wurden. Die Novelle erhöhte die aktive Schlachtflotte von 2 auf 3 Geschwader (mit einem Flottenflaggschiff, SMS FRIEDRICH DER GROSSE), während denzwei Geschwadern der Reserveflotte das Flaggschiff genommen wurde (Die Angabe bei Stadelmann, Flottenrivalität, S. 110, die Flotte sei auf 5 aktive Geschwader erhöht worden, ist ungenau). Dazu kam noch das Aufklärungsgeschwader (mit drei Gruppen), dessen Ausrüstung mit Schlachtkreuzern bereits begonnen hatte. 73 Scheer, Segelschiff, S. 186f.
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3 Die „Funktionsweise“der Tirpitz-Flotte
te über die taktischen Neuerungen nicht mangelte („ Holtzendorff-Kringel“74). Die Kreuzer und Torpedoboote hatten ebenfalls ihre Rolle in der Schlacht 75 zu spielen. Über die Aufklärung, ihre für die Flotte zentrale Aufgabe, hinaus wies man etwa den großen Kreuzern die Aufgabe zu, die verwundbaren Enden der Linie, einer Kavallerieschwadron vergleichbar, durch ihre überlege-
ne Geschwindigkeit zu decken. Für die Torpedoboote fand sich eine Vielzahl verschiedener Einsatzmöglichkeiten, grundsätzlich aber hatten sie sich bei der Annäherung in Feuerlee der Linie zu halten und im günstigen Augenblick zum Angriff durchzubrechen (beim Passiergefecht), vorzusetzen76 (beim laufenden Gefecht) oder zu wenden (beim Kreisgefecht).77 Je größer die Schiffe wurden und je weiter ihre Geschütze trugen, desto schwerer und gefährlicher wurde allerdings der Einsatz der Torpedoboote. Ab der Jahrhundertwende mußten sie durch eigene Kreuzer gedeckt werden (was umgekehrt implizierte, daß den Kreuzern die Aufgabe zur Zerstörung der gegnerischen T-Boote zufiel); es dauerte nicht lange, bis die allgemeine Tonnagesteigerung auch dieTorpedoboote, die ihre Gefährlichkeit zu verlieren drohten, erfaßte, undsie sich über das Divisionstorpedoboot78 und den Torpedobootzerstörer zum Zerstörer entwickelten.79
SCHIFFBAULICHE KONSEQUENZEN
Die Flotte, die Tirpitz zur Ausführung der gefundenen taktischen Maßgaben baute, war von Anfang an eingeschnürt in ein rigides Korsett von taktischen, finanziellen und sich daraus ergebenden konstruktionsmäßigen Beschränkungen. Zwei Dinge waren es vor allem, die dafür sorgten, daß die deutschen Konstrukteure ihrer Phantasie nicht freien Lauf lassen konnten: Die finanziellen Limitationen, die sich das Flottengesetz von 1898 zur Beruhigung des 80selbst auferlegt hatte, die aber 1900 Geldgrenze“ Reichstages noch mit einer „ fiel unddafür durch die ab diesem Zeitpunkt chronische Finanznot des Reiches ersetzt wurde.81 Die andere, nur schwer überwindbare Hürde bei der Größenbestimmung der deutschen Schiffe wardie Kapazität des 1895 fertiggestellten Nord-Ostsee-Kanals.82 Schiffe mit mehr als der Typverdrängung der BRAUN74 Hopmann, Logbuch, S. 366.
75 Maltzahn, Taktische Entwickelung II, S. 110. 76 Diese Technik ist aus demEinsatz der deutschen U-Boote im Zweiten Weltkrieg bekannt. 77 Maltzahn, Taktische Entwickelung II, S. 105ff. 78 Das es nur in Deutschland gab: Die weiter aufgezählten Typen waren deswegen in Deutschland bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts größer als in Großbritannien oder den USA. 79 Gröner, Die deutschen Kriegsschiffe I, S. 211ff. 80 Begründung zumFlottengesetz 1898, S. 6– 10; Tirpitz, Erinnerungen, S. 100. 81 Berghahn, Tirpitz-Plan, passim; Epkenhans, Wilhelminische Flottenrüstung, S. 83– 92. 82 Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 436.
3.1 Die „ homogene Schlachtflotte“
79
SCHWEIG-Klasse (13.208 t83) konnte der Kanal nicht mehr ohne weiteres aufInnere Linie“ , die gefahrloses Wechseln der Schiffe zwinehmen; die wertvolle „ schen den beiden Meeren erlaubte, und die den Einschluß der Flotte in der Ostsee nach einem überraschenden Vorstoß der Briten (bei feindseliger Haltung Dänemarks) verhinderte, wäre weggefallen.84 Äußerste Sparsamkeit bei genau einzuhaltender Größe steckten also den Rahmen ab, innerhalb dessen größtmögliche Kampfkraft realisiert werden mußte:
Jedes Kriegsschiff ist nun aber ein Kompromiß verschiedener Wün„ sche, die in dem beschränkt tragfähigen Gebilde niemals alle zugleich erfüllt werden können. In einem gegebenen Deplacement wünscht man eine bestimmte Armierung, Kohlenvorräte, Bewohnbarkeit, Unsinkbarkeit, Panzerschutz, Schnelligkeit; da wird in denAusschüssen um25 oder 30 Tonnen hin- und hergekämpft, und wollte man alle Gesichtspunkte befriedigen, so käme man leicht zum 100000 Tonnen-Schiff, und hätte 85 erst nichts erreicht.“
Größten Wert maß man im RMA und in der Konstruktionsabteilung der Standfestigkeit“der durch Sinksicherheit und Panzerschutz herbeigeführten „ Schiffe zu.86 Reichweite und Geschwindigkeit wurden für die Schlacht in der meist unsichtigen Nordsee als nicht entscheidend angesehen.87 Man rechnete stellen“zu müssen, sondern auf beiden Seiohnehin damit, den Gegner nicht „ Taktisch kam für Tirpitz der vorzufinden.88 Gefecht zum Bereitschaft die ten querab undalso im Wirden Gegner Schiff das Hilfe deren , mit Drehfähigkeit“ „ Feuerkraft größten halten größere Bedeutung zu seiner konnte, kungsbereich als der Geschwindigkeit.89 Große Gewichtsersparnis brachte das gewählte Kaliber der Hauptartillerie; die Durchschlagskraft deutscher Geschütze entsprach durchaus der des nächstgrößeren Geschützes etwa der Briten.90 Gerade aber der bewußte Verzicht auf die schwersten verfügbaren Kaliber trug Tirpitz auch innerhalb der Marine den 83 Angabe nach Gröner, Die deutschen Kriegsschiffe I, S. 73. 84 Die Wiedereröffnung des Kanals nach den durch den DREADNOUGHT-Sprung nötig gewordenen Umbauten im Sommer 1914 galt als ein wesentliches Kriterium für die Kriegsbereitschaft der Flotte. 85 Tirpitz, Erinnerungen, S. 35f. 86 Tirpitz, Erinnerungen, S. 112ff. ZudenMerkmalen der unter Tirpitz gebauten Schiffe sehr 89; zur Herleitung der Baumerkdetailliert Gröner, Die deutschen Kriegsschiffe I, S. 71– male kurz Petter, Flottenrüstung, S. 176f; Güth, Organisation, S. 275; zumTorpedoschutz Strohbusch, Kriegsschiffbau, S. 32. 87 Emser Memorandum, S. 123. 88 Eine Prämisse, unter der auch die Royal Navy eine höhere Geschwindigkeit für nicht maßgeblich erachtete (Marder, Anatomy, S. 517). 89 Emser Memorandum, S. 123. 90 Tirpitz, Erinnerungen, S. 114f. Tirpitz’ Angaben entsprechen den von der Forschung anerkannten. Unmut erregte bei den Besatzungen jedoch der Verdacht, man habe zwar die Durchschlagskraft, nicht aber die Reichweite der größeren gegnerischen Geschütze ausgleichen können.
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3 Die „Funktionsweise“der Tirpitz-Flotte
Ruf ein, unnachvollziehbarerweise den Briten vonAnfang an unterlegene Schiffe zu bauen. Während die Royal Navy für die Einheitslinienschiffe seit 1893 mit der MAJESTIC-Klasse auf das 30,5 cm-Kaliber zurückgegangen war91 undstandardmäßig 4 · 30,5 cm benutzte, blieben die unter Tirpitz gebauten deutschen Linienschiffe vonderWITTELSBACH- (4 24 cm) biszurDEUTSCHLAND-Klasse (seit BRAUNSCHWEIG 4 · 28 cm) zwischen · 1899 und 1907 dahinter zurück.92 Für Tirpitz aber stand die Homogenität des eigenen Schiffsmaterials und die sorgfältige Abstimmung der eigenen Waffen aufeinander im Vordergrund; von Rücksicht auf die Bauprojekte anderer Mächte wollte er programmatisch absehen93–soweit im Kriegsschiffbau überhaupt möglich. Der DREADNOUGHTSprung brachte Tirpitz in große Bedrängnis: Eine–wenn schon als notwendig erachtete–Typvergrößerung, auf die wohl oder übel reagiert werden mußte, sollte nach Ansicht des RMA nicht so plötzlich, sondern lieber graduell vor sich gehen, auch, um das bereits vorhandene Schiffsmaterial nicht zu schnell veralten zu lassen und für den Kampf in der eigenen Linie unbrauchbar zu machen.94 Während die US Navy, die japanische unddie italienische Marine, vonden Briten ganz zuschweigen, seit 1904 mit demGedanken des high-speedin Kombination mit dem all-big-gun-battleship spielten (im März 1905 autorisierte der Kongreß den Bau zweier solcher Schiffe, USS SOUTH CAROLINA undUSS MICHIGAN, ohne über ein durchkonstruiertes Design zu verfügen, so daß DREADNOUGHT trotz aller Verzögerungen das erste seiner Art wurde95), konnte sich Tirpitz nur unter größtem Widerwillen dazu bringen, 1907 die Tonnage auf 18.000 t zu steigern (NASSAU-Klasse96), und damit der neuesten Entwicklung Rechnung zu tragen. Geschwindigkeit, Reichweite undBewohnbarkeit, wievonTirpitz aufgezählt, rangierten in der Liste der erwünschten Eigenschaften am Ende: Sie wurden als für die bei Helgoland geplante Schlacht nicht ausschlaggebend97 betrachtet. Auseinandersetzungen gab es besonders um die Geschwindigkeit, die immer mehr, besonders von Lord Fisher, als taktischer Faktor gewertet wurde, der in der Schlacht sehr wohl den Ausschlag geben könne.98 Berühmt wurde der AnIdeal Aufsatz des italienischen Konstrukteurs VITTORIO CUNIBERTI über „ 91 Wegen technischer Probleme bei den 35 cm-Geschützen (Watts, Royal Navy, S. 66; Marder, Anatomy, S. 5). 92 Erst mit der BAYERN-Klasse (1913) gab man diese Zurückhaltung auf; die für sie gewählte S. A. von8 · 38cm-Geschützen entsprach der zeitgleich in Großbritannien angenommenen (Strohbusch, Kriegsschiffbau, S. 34). 93 Emser Memorandum, S. 125. 94 Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 440ff. 95 Marder, Anatomy, S. 540ff. 96 18.873 t; Gröner, Die deutschen Kriegsschiffe I, S. 80. 97 Cf. auch Rahn, Seestrategisches Denken, S. 58. Dies wurde in Großbritannien mit Beunruhigung wahrgenommen, denn auch für die Briten waren diese Konstruktionsmerkmale durch die Entscheidungsschlacht in der Nordsee determiniert: Marder, Anatomy, S. 464. 98 Siehe auch Maltzahn, Taktische Entwickelung II, S. 106.
3.1 Die „homogene Schlachtflotte“
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Battleship for the British Fleet“in Jane’s Fighting Ships von 1903,99 undWilhelm II. verfiel über der Besichtigung der REGINA-ELENA-Klasse, die faktisch schnelle Linienschiff“ verkörperte, einmal mehr das von ihmlange gewünschte „ in jenes Konstruktionsfieber, mit dem er seinen Staatssekretär im RMA ganz
besonders zu ärgern pflegte.100 Was Wohnlichkeit101 und Seeausdauer102 der deutschen Schiffe anbelangte, so waren sie ebenfalls auf den kurzen Einsatz, den in der Nordsee, ausgelegt: Die für den Ferneinsatz konstruierten britischen Schiffe waren auf einen großen Kohlenvorrat angewiesen, der einen größeren Prozentsatz der Gesamttonnage beanspruchte,103 was von der vorsichtigen Admiralität freilich als Nachteil für die britischen Konstrukteure gewertet wurde, da die Deutschen zunächst ohne Verluste an Kampfkraft kleiner und billiger bauen konnten. Damit war den Unsere Flotte muß [...] so deutschen Schiffen, der Vorgabe Tirpitz’ gemäß („ eingerichtet werden, daßsie ihre größte Kriegsleistung zwischen Helgoland und der Themse entfalten kann.“104), eindeutig das Kampfgebiet Nordsee zugewiesen. Ein Aufenthalt etwa im Atlantik wäre mit ihnen nur so kurze Zeit möglich gewesen, daß sie dort ohne eine unverhältnismäßig große Unterstützung von Tendern keine strategische Funktion hätten erfüllen können. Der Gedanke drängt sich auf, daß die von Tirpitz gebaute Flotte die überlieferten Traditionen Stoschs und Caprivis zwar politisch in eine andere Dimension hob, militärisch aber nur einen einzigen Schritt weiterging: Während
99 CUNIBERTI, VITTORIO, AnIdeal Battleship for the British Fleet, in: Jane’s All the World’s 409. Marder, AnaFighting Ships (Naval Encyclopedia and Year Book) 6 (1903), S. 407– An Ideal Warship for the British Navy“ tomy, S. 527, zitiert falsch „ . Zum high-speed battleship, dem „ schnellen Linienschiff“cf. auch Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 434f und Hubatsch, Admiralstab, S. 115f. 100Die Skizzen des „ Projektes Schnelles Linienschiff“ , die der Kaiser bei dieser Gelegenheit anfertigte, in: BA-MA, Mar. Kab., 3501, PG 67856. Cf. Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 452. Auch Wilhelm II. beschäftigten derlei Pläne schon seit 1904, als er unter dem PseudL“seine Ansichten über den Bau von Panzerkreuzern in der Marine-Rundschau onym „ veröffentlichte: L. [WILHELM II.], Einiges über Panzerkreuzer, in: Marine-Rundschau 15 17. Tirpitz waren angesichts der Finanzmisere und den Empfindlichkei(1904) 1, S. 13– ten des Reichstages derlei Aktivitäten höchst unangenehm (Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 359ff). Zur Einmischung Wilhelms II. in Marinefragen auch Herwig, Elitekorps, S. 24f. all big-gun battleship“als Ergebnis der Lehren von Tsushima und Die Verbindung des „ des „high-speed battleship“ergab 1906 schließlich HMS DREADNOUGHT, dessen Name seither eponym für die Epoche der Großkampfschiffe gebraucht wird. 101Darüber gab es besonders unter den Mannschaften Beschwerden, die deshalb öfter in Pamphleten als in den Memoranden vonFlottenoffizieren vorkamen: Persius, Totengräber, S. 3. 102Tirpitz sprach im Emser Memorandum (S. 125) die Absicht aus, speziell für den Ferneinsatz keine eigenen Typen zubauen, sondern sich aufdieErfordernisse derHeimatgewässer zukonzentrieren. Die Seeausdauer dürfte hierbei mit im Vordergrund gestanden haben. Vergleicht man den Fahrbereich der großen Schiffe mit dem der gleichaltrigen U-Boote, so zeichnet sich ein deutliches Mißverhältnis ab. 103Marder, Anatomy, S. 113ff, 240. 104Emser Memorandum, S. 122.
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3 Die „Funktionsweise“der Tirpitz-Flotte
zunächst der Kampf in unmittelbarer Anlehnung an die Küste gesucht wurde und später mit der SIEGFRIED-Klasse dieser sich etwas weiter auf das Wasser verlegte, konnten die Tirpitz-Schiffe die Freiwasserschlacht führen; sie waren allerdings für ihren Sieg auf die Unterstützung derTorpedoboote angewiesen105 und also keine wirkliche blue-water-Schlachtflotte mit globaler Aktionsfähigkeit. Daßdie Schiffe mit ihrem restringierten Aktionsradius etwa die englischen Verbindungen im Atlantik nicht gefährden konnten, wird gerne als Beleg für den lauteren, defensiven Charakter des deutschen Flottenbaues angeführt;106 gerade aber um die Oberflächlichkeit dieser Einschätzung zu entlarven, wurde hier einiger Raum auf die technische und taktische Charakterisierung der Flotte verwandt, mit dem Ziel, das strategische Kalkül, das die Grundlage dieses Flottenbaues bildete, besser verdeutlichen zu können. Tirpitz baute seine Schiffe nicht in dieser Weise, weil er die englischen Verbindungen im direkten Angriff nicht gefährden wollte; er tat es, weil seiner Einschätzung nach eine deutsche Marine dies gar nicht konnte, undder englischen Überlegenheit in anderer Weise begegnen mußte.107 Die Veranschaulichung dieser Gedankengänge soll Gegenstand der weiteren Erörterungen sein.
3.2 Der „Hebel“Nordsee SCHLACHTFLOTTE ALS „ RÜCKHALT“ FÜR DIE KREUZER
Der Anstieg desdeutschen Handelsvolumens, besonders über See, vollzog sich jenseits des Schutzes des preußischen Heeres. Damit war die an die ökonomische Expansion Deutschlands gekoppelte Aufgabe der Marine klar definiert: [...] dahin unsere Macht tragen, wowir selbst kleinere Interessen Sie sollte „ zu vertreten haben, und wo wir die eigentliche Macht unseres Staates, die Landmacht, nicht anders hinbringen können. Wir müssen die Mittel haben, schützend auftreten zu können, wo unsere deutschen Interessen unmotiviert verletzt worden sind [...].“108Die der Flotte damit übertragenen Pflichten waren im wesentlichen polizeilicher Natur109 und richteten sich gegen kleinere Staaten, die sich immer wieder einmal zu Willkürakten gegen Angehörige der 105Auch: Scheer, Segelschiff, S. 212, der aber wohl eher den zurückhaltenden Einsatz der Flotte im Krieg zu rechtfertigen sucht. 106Etwa bei Uhle-Wettler, Tirpitz, S. 166. 107Die Gedanken, die Tirpitz in der Dienschrift IX über die Ausnutzung der Seeherrschaft niedergelegt hatte, wurden während des Flottenbaues keineswegs vergessen; sie traten lediglich in den Hintergrund, da es Tirpitz zuvörderst umden Sieg in der entscheidenden Seeschlacht zu tun war. 108Denkschrift zumFlottengründungsplan 1873, S. 238. 109Einen graphischen Eindruck von der Tätigkeit der deutschen Auslandsschiffe geben die 215; S. Abschnitte bei Hopman, Logbuch, über seine Auslandskommandierungen (S. 107– 358). 325–
3.2 Der „Hebel“Nordsee
83
[...] die Leidenschaften des EinGroßmächte hinreißen ließen, weil in ihnen „ zelnen größer sind als die Macht und die Vernunft des Staates [...].“110Für Bismarck, Stosch und Caprivi erschöpfte sich das Potential der Flotte im HinÜberseeinteressen“genannt werden blick auf denSchutz dessen, wasspäter die„ Schiffe im politischen Dienst“ , die Auslandskreuzer. Prinz sollte, auf die sog. „ Adalbert hatte in seiner Maidenkschrift von 1848 drei unterschiedliche denkbare Tätigkeitsfelder einer Flotte aufgeführt, nämlich den Handelsschutz, den selbständige Seemacht“ , die in der Lage war, nicht Küstenschutz und die sog. „ umdie Seeherrschaft“zukämpfen. Vondiesen drei Tätig, sondern „ nur„gegen“ keitsgebieten, vondenen der Küstenschutz hier noch unbesprochen bleiben soll, warfür die Marine ab 1871 zunächst nurdas erste, der Handelsschutz, vorgesehen. Der gänzlich anders geartete Seekrieg mit einer europäischen Großmacht lagjenseits ihrer Möglichkeiten: „[Die Flotte hat] nicht die Aufgabe, gegen die europäischen Staaten offensiv zu verfahren [...]“,111 und zwar aufgrund ihrer [...] wir materiellen, dazu gehört auch die infrastrukturelle, Unterlegenheit: „ schlagen. “ zu Seeschlacht sein, eine ,112 und berufen nicht können noch lange politischen richtigen“ , also gegenüber dem diese Fähigkeit schien für einen „ Dienst völlig anders gearteten, Seekrieg unabdingbar zu sein. In der ungestörten Entwicklung einer Kreuzerflotte, die den deutschen Handel in der Welt beschützte, lag also der Schlüssel zur ebenso ungestörten Entwicklung der deutschen Interessen. Die Konfrontation mit einer großen europäischen Marine, die die Form einer „ rangierten“Seeschlacht annehmen würde, wareine davon getrennte Facette, die in anderen Gewässern, gegen andere Gegner undmit anderen Mitteln–demSchlachtschiff–vonstatten ging, undstellte für Deutschland (noch) keine Alternative dar. Doch die Trennung dieser Einsatzfelder war eben nicht so ohne weiteres Ohne den Hintergrund von gepanzerten Schlachtschiffen, möglich. Caprivi: „ ohne dieSicherheit, in einer gesammelten kampfbereiten Hochseeflotte nötigenfalls ausgiebige Unterstützung finden zu können, würde ein der Weltstellung des deutschen Kaiserreiches angemessenes Auftreten jener Schiffe des politi113Damit warein komplexes schen Dienstes auf Dauer nicht gewährleistet sein.“ 110Denkschrift
zum Flottengründungsplan 1873, S. 238; einige Jahre später, dafür umso plastischer, Stenzel: „ Bei Staaten auf der Stufe von Halbwilden, wo oft ganz moderne demokratische Institutionen auf halb wilde Bevölkerung gepfropft oder sonst ungeregelte Verhältnisse, innere Wirren und Revolutionen häufig sind, ist man genötigt [...], dort einen Teil seiner Streitmacht dauernd zu entfalten–eine demonstratio ad oculos [...].“ (Stenzel, Kriegführung, S. 94). 111Denkschrift zum Flottengründungsplan 1873, S. 238. 112Stosch an Gustav Freytag, 3. Dezember 1871, abgedruckt in: STOSCH, ALBRECHT V., Denkwürdigkeiten des Generals undAdmirals Albrecht v. Stosch, erster Chef der Admiralität. Briefe und Tagebuchblätter. Hrsg. v. ULRICH V. STOSCH, Stuttgart-Leipzig 31904 1903), S. 272. (zuerst ersch. in der Dt. Revue 1902– 113Denkschrift Caprivis vom 11. März 1884, cit. nach Hubatsch, Admiralstab, S. 46. Auch: Maltzahn, Taktische Entwickelung I, S. 118. Kommentierter (auszugsweiser) Abdruck der 123. Denkschrift ibid., S. 117–
84
3 Die „Funktionsweise“der Tirpitz-Flotte
Thema angeschnitten, dessen befriedigende Lösung, geschweige denn taktische Ausformulierung, niemals geleistet wurde. Ganz offensichtlich schwebte Caprivi das Heranrücken der deutschen Schlachtflotte in überseeische Gebiete vor, in denen Auslandskreuzer aufgrund ihrer zugeringen Kampfkraft überfordert wavonHand“zuunterstützen. Unabhängig von ren, umsie dort direkt, gleichsam „ der Art seiner tatsächlichen Durchführung aber verdichtete sich der Lehrsatz, die Kreuzer bräuchten Rückhalt von der Schlachtflotte, wie viele ursprünglich konkrete taktische Überlegungen der deutschen Marine, zu einem Axiom.114 Tirpitz sollte dieses Argument aufgreifen, aber mit umgekehrten Vorzeichen (s.u.), und machte damit aus einer einleuchtenden Notwendigkeit einen komplizierten Zusammenhang: Der Rückhalt seiner Schlachtflotte für die Kreuzer bestand nun nicht mehr in ihrer Fähigkeit, sie nötigenfalls in den entlegenen Gebieten zu unterstützen, sondern durch ihr Vorhandensein den Gegner von der Gefährdung der deutschen Kreuzer abzuschrecken. Dieses konnte kleineren Staaten gegenüber nicht direkt funktionieren, sondern setzte den Umweg über die politische Ebene voraus: Auch kleinere Staaten mußten sich deutschen Wünschen fügen, wenn die englische Seemacht, durch die deutsche fleet in being gehemmt, ihnen nicht beispringen konnte. England wurde so zumZielobjekt aller, auch der exotischsten Abenteuer der deutschen Überseepolitik. Das Prinzip Bismarcks, die Ableitung europäischer Konflikte an die Peripherie, war damit auf den Kopf gestellt: Periphäre Konflikte wurden direkt auf die europäische Bühne geleitet und dadurch in ihrer Brisanz potenziert. Daß die Existenz der Schlachtflotte eine solche Wirkung haben würde, konnten die deutschen Weltpolitiker bei Mahan nachlesen (s.u. Kapitel 6). Statt aber, wie jener, den Schlachtschiffen unabhängig von ihrem Einsatzgebiet diese Fähigkeit zur Ausübung stillen Druckes zuzuschreiben, ging Tirpitz im Hinblick auf die Dislozierung auf Nummer sicher, und hielt seine Flotte in der Nordsee bereit. Ob es sich dabei um die Übernahme einer „Ideology of Sea Power“115 handelte, ist weniger wahrscheinlich als die Inanspruchnahme argumentativer Unterstützung aus berufenem Munde für Tirpitz’eigene, längst ausformulierte Ansichten. Tirpitz ließ sich nicht von Mahan bekehren, er spannte ihn ein.116 Selbst den Schutz des Handels und ihre politischen Aufgaben periphären Staaten gegenüber hatte die Flotte bislang nur unter günstigen Umständen, vor allem im Einvernehmen mit den„ Seemächten“ , lösen können, ein unbefrie114Cf. GALSTER, KARL, Welche Seekriegsrüstung braucht Deutschland?, Berlin 1907, S. 6. In seiner ursprünglichen gedanklichen Herleitung ist dies in der Denkschrift zumFlottengründungsplan 1873, S. 238, noch anzutreffen. 115Hobson, Origins, S. 23ff. Hobson hält die Sonderstellung der deutschen Seestrategie für das Produkt aus der Adaption Clausewitz’ auf den Seekrieg (durch Stenzel) und der Übernahme der Mahanschen Seemacht-Ideologie.
116Mit gleicher Ansicht HERWIG, HOLGER H., The Influence of A. T. Mahan upon German Sea Power, in: HATTENDORF, JOHN B. (Hrsg.), The Influence of History on Mahan. The The proceedings of a conference marking the centenary of Alfred Thayer Mahan’s “ 80 (cit. Herwig, 1783” , Newport 1991, S. 67– Influence of Sea Power upon History, 1660– Influence of Mahan...),
S. 70.
3.2 Der „Hebel“Nordsee
85
digender, aber auf absehbare Zeit unabänderlicher Zustand:
Die Frage, wie wir im Falle eines europäischen Krieges unsere Han„ delsmarine schützen, ist nicht beantwortet, weil im Falle eines Krieges mit den großen Seemächten die deutsche Kriegsmarine nicht imstande ist, dieser Aufgabe zu genügen, sondern dies nur indirekt durch unsere Landmacht geschehen kann. Der deutschen Kriegsmarine wird dann nur die Aufgabe zufallen [...], ihr Scherflein zur Entscheidung beizutragen. Sie wird sehen müssen, wassie leisten kann mit denjenigen Schiffen, welche für Aufgaben in entfernten Gegenden, wieoben angegeben, bestimmt sind [...].“ 117
Es lag also nicht in der Hand Deutschlands, sich im Falle eines europäischen Krieges für oder gegen den Seekrieg zu entscheiden; die starken englischen oder französischen Flotten würden diese Entscheidung treffen, und zwar mit für Deutschland katastrophalen Konsequenzen. Diese Hypothek, die seit der Reichsgründung unablässig auf der Marine lastete, wurde so lange als nicht zu ändern toleriert, bis mit Tirpitz ein Mann ans Ruder kam, demsie vollends unerträglich war. Den oben begonnenen Gedankengang dachte er konsequent zu [Tirpitz sagt,] die Verluste bei einem Kriege mit England seien so groß, Ende: „ daß es nicht mehr darauf ankomme, ob wir Hamburg verlören oder nicht. Er meint, mit Ausbruch eines Krieges mit England würden alle unsere Handelsschiffe verschwinden, unsere Kolonien uns genommen, unser Handel ruiniert werden. Die ganze Küste von Wilhelmshaven bis Memel würde blockiert und wir ohne Zufuhr sein [...].“118 Da sie das Mittel war, mit dem die ökonomische Entwicklung des Reiches in erster Linie gewährleistet werden sollte, war die Kreuzerflotte119 auch für Tirpitz das eigentliche Zielprojekt einer langfristigen deutschen Seemachtbildung. Der Schutz der deutschen Überseeinteressen konnte dauerhaft nur von einer Anzahl schneller, vor Ort stationierter und daher flexibel einsetzbarer Kampfschiffe geleistet werden. Was Tirpitz allerdings konsequenter als seine Zeitgenossen wahrnahm und ausführte, war, daß die Bildung und Unterhaltung einer solchen Kreuzerflotte für Deutschland gegenwärtig schlechterdings unmöglich war: Vorallem fehlte es an Stützpunkten als Versorgungs- undRückzugspunkte für die Kreuzer.120 Die Inbesitznahme von Tsingtau und sein Ausbau zu einer großen Flottenbasis war ein isoliertes Ereignis gewesen, das die 117Stosch an Freytag (wie Anm. 112), S. 272. 118Hohenlohe, Denkwürdigkeiten I, S. 464. 119ZumFolgenden cf. Ritter, Staatskunst II, S. 174ff. 120Aufzeichnung der Etat-Abteilung „ Die Sicherung Deutschlands gegen einen englischen 220, (Stadelmann, FlottenrivaliAngriff“ , Februar 1900, BA-MA, RM 3/6657 AB 214– An Auslandsschiffen tät, S. 113f; cf. Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 188 Anm. 77), S. 128: „ sowohl wiean Stützpunkten ist der Vorsprung Englands [...] ein so enormer, daßeine Anstrengung Deutschlands nachzukommen, vergeblich sein würde.“(Auslassung v. Hrsg.). DieInbesitznahme Samoas, demkein wirtschaftlicher Wert beigemessen wurde, warallein aufgrund seiner strategischen Möglichkeiten wegen, als Kreuzerstützpunkt, Etappen- und
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3 Die „Funktionsweise“der Tirpitz-Flotte
Defizite der Deutschen „ Weltstellung“noch plakativer herausstrich: Angesichts des deutschen Mangels an Stützpunkten bei einem gleichzeitigen Überfluß der Engländer an ebendiesen war schon die Aussicht, im Falle eines Krieges mit England die wichtigste deutsche Flottenbasis in der östlichen Hemisphäre halten zu können, gleich null; eine Situation, an der auch der spätere großzügige
Ausbau Tsingtaus zu einer starken Festung nichts ändern konnte. Solange man auf das britische Wohlwollen rechnen durfte, ließen sich die deutschen Interessen ja in allen Teilen der Welt („ auf dembreiten Rücken der Engländer“ ) durchsetzen. Das hatte sich 1873 in Spanien und 1894 in Venezuela gezeigt. Doch sobald die Reichsleitung eine England widerstrebende Politik zumachen versuchte (etwa Samoa 1889 und1899), mußte sie sich entweder den britischen Wünschen fügen oder lief Gefahr, ernste diplomatische Verwicklungen heraufzubeschwören. Für ein Deutschland, das sich in der Vorbereitung Sein oder Nichtsein“im nächsten Jahrhundert sah, war auf einen Kampf um„ diese Situation unhaltbar. Undebensowenig, wieein Sich-fügen der deutschen Außenpolitik schon aus Prestigegründen möglich war, so wenig schien es auch Handelsneid“ dauerhaft von Nutzen sein zu können: Der englische „ , das Gefühl der Bedrohung der (noch) stärksten Handelsmacht der Welt durch die ihn in wesentlichen Schlüsselindustrien stetig überflügelnde deutsche Konkurrenz, würde, so warmanin intellektuellen undin Kreisen der Marine überzeugt, die noch vorhandenen Reste britischen Wohlwollens gegenüber Deutschland bald überlagern. DerWendepunkt dieser Entwicklung schien in denJahren zwischen 1896 und 1902 erreicht. Eine Situationsanalyse ging nun also davon aus, wie die Deutschen Interessen im Falle einer Krise oder gar eines Krieges gegen Großbritannien fahren würden; damit verbunden war gleichzeitig die Frage, wie Deutschland einen solchen Krieg gegen England überhaupt mit Aussicht auf Erfolg führen konnte. Die Anfangsphase des Ersten Weltkriegs lief genau so ab, wie Tirpitz es den Befürwortern des Kreuzerkrieges immer wieder prophezeit hatte: Tsingtau verlor bei Beginn des Krieges seinen militärischen Wert und wurde bald eingenommen; die Auslandskreuzer konnten sich nur kürzeste Zeit (aber immerhin länger als erwartet) behaupten und wurden, wenn auch nach teilweise spektakulären Anfangserfolgen, bald von der Übermacht der Royal Navy zu [...] Emser Memorandum“dargelegt: „ Tode gehetzt.121 1897 hatte Tirpitz im „ Kreuzerkrieg und transozeanischer Krieg gegen England ist wegen Mangel an Stützpunkten unsererseits und des Überflusses Englands an solchen so aussichtslos, daß planmäßig von dieser Kriegsart gegen England bei Feststellung Kabelstation, wünschenswert, und hatte elf Jahre vorher einen Zusammenstoß zwischen dem Reich, Großbritannien und den USA provoziert: GP XIV 2, S. 660f. (Reinhardt, Flottengedanke, S. 16 u. Anm. 83; Herwig, Luxury Fleet, S. 102). 121Cf. WALDEYER-HARTZ, HUGO V., Der Kreuzerkrieg 1914– 1918. Das Kreuzergeschwader. Emden, Königsberg, Karlsruhe. Die Hilfskreuzer (=Marinearchiv. Einzeldarstellun1918. Bearbeitet unter Benutzung der amtlichen Quellen des gen des Seekrieges 1914– Marinearchivs Berlin 2), Oldenburg i. O. 1931.
3.2 Der „Hebel“Nordsee
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planmäßige Absehen“ unserer Flottenart abgesehen werden muß.“122 Dieses „ war freilich der Grund dafür, daß sich siebzehn Jahre nach der Diagnose die Situation der deutschen Kreuzer kein Iota gebessert hatte, und trägt damit alle Züge der self-fulfilling prophecy; ein Grundelement von Tirpitz’geistiger an einmal als richtig erkanntem rücksichtslos festDisposition war es jedoch, „ zuhalten“,123 und als richtig war die Notwendigkeit erkannt worden, zuerst die Schlachtflotte zu bauen, und seine Kraft nicht in überseeischen Ansätzen, die Halbheiten bleiben mußten, zu verzetteln: Auch ein Ausbau des Stützpunktnetzes, wie ihn Tirpitz grundsätzlich befürwortete,124 konnte an der deutschen Unterlegenheit nichts ändern, bis die deutsche überseeische Infrastruktur der der Engländer gleichwertig war. Die Krise, die 1889 über die Erwerbung Samoas mit England und den USA ausgebrochen war, bestärkte jedoch die Marineführung nachhaltig in der Einschätzung, daß die Engländer einem Ausbau englisches“Niveau nicht tatenlos zudes deutschen Stützpunktnetzes auf ein „ wir ja längst zu spät, alles, was kommen überdies „ [...] sehen würden: Und [nicht nur ökonomisch, sondern auch strategisch, d. Verf.] wertvoll ist an überseeischen Besitzungen ist schon in anderen Händen, die es festhalten [...].“125 Mit England war die Errichtung eines dauerhaft tragfähigen Auslandsdienstes als nicht zu bewerkstelligen; folglich mußte sie, in welcher Form auch immer, gegen England erfolgen. Wie aber war England nun zur Duldung eines deutschen Machtausbaues, der seinen Interessen zuwiderlaufen mußte, zu bewegen? Da die britische Kooperation, wieoben dargelegt, nicht zu erlangen war, mußte diese Aufgabe der Zwang erledigen. Tirpitz’Kalkül orientierte sich–wiees sich in der Zeit ziemte zumindest demTone nach–hierbei an Bismarck, der einmal die Budgetkommission des Reichstages informiert hatte:
Das Reich werde immer in der Lage sein, seine Kolonien zu schützen. „ Frankreich liege vor den Toren von Metz, England sei freilich zu Lande unerreichbar, indessen biete die allgemeine Politik Handhaben genug, um auch England zu veranlassen, die Deutschen in fremden Weltteilen unbehelligt zu lassen.“126 allgemeinen Politik“war, Was für den Politiker Bismarck die Aufgabe der „ Hebel Nordsee“der das transferierte Tirpitz, der Militär, auf die Flotte–der „ Tirpitz-Konzeption ist nichts anderes als die Nahtstelle zwischen kontinentaEngland zu Lande freilich ler undWeltmacht. An dem Punkt ansetzend, daß „ 122Emser Memorandum, S. 122; cf. auch Kennedy, Maritime Strategieprobleme, S. 179f. 123Das Zitat abgewandelt bei Salewski, Tirpitz, S. 38. 124Tirpitz, Erinnerungen, S. 67; cf. Aufzeichnung einer Unterredung desLegationsrates Kleh-
met mit Tirpitz über die Erwerbung von Curaçao, St. Thomas und ein Settlement am Jangtse (1898), in: Bülow, Denkwürdigkeiten I, S. 188f; Immediatbericht Mittel und Wege für die Weiterentwicklung der deutschen Flotte, in: Hohenlohe, Denkwürdigkeiten, S. 441f. 125S. o. S. 32 Anm. 28. 126Cit. nach Hopman, Logbuch, S. 142; cf. Hubatsch, Realität undIllusion, S. 66.
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3 Die „Funktionsweise“der Tirpitz-Flotte
unerreichbar“sei, und gleichzeitig die Mittel der „ allgemeinen Politik“als für die Zeitumstände zu wenig wirkungsvoll einschätzend, war der Kern der Tirpitzschen Aufbauarbeit die Bildung einer Brücke, die Großbritannien selbst in die Reichweite der deutschen Militärmacht bringen sollte: „[England ist] der Gegner, gegen den wir am dringendsten ein gewisses Maß an Flottenmacht als politischer Machtfaktor haben müssen.“127Da ein reiner Kreuzerkrieg, der an den Brennpunkten in Übersee direkt angesetzt werden konnte, undurchführbar war, mußte der Ansatz der deutschen Machtmittel auf eine andere Unsere Flotte mußdemnach so eingerichtet werden, Ebene verlagert werden: „ daß sie ihre höchste Kriegsleistung zwischen Helgoland und der Themse ent128 Zwei wesentliche Überlegungen kennzeichnen das auf dieser falten kann.“ Basis durchgeführte Programm: Erstens, die„ höchste Kriegsleistung“derdeutschen Flotte in den Heimatgewässern mußte die einer Schlachtflotte sein. Auf sehr breitem Raum setzte sich Tirpitz immer wieder mit Kritikern auseinander, unter ihnen auch Wilhelm II., die das reine Schlachtflottenkonzept durch Hinzunahme eines Kreuzer- (Maltzahn) oder Kleinkriegsprogramms (Galster) verwässern wollten. Dabei wies die Expertenmeinung in Europa undder Welt eindeutig auf das Schlachtschiff als das einzige Seekriegsmittel hin, das die Seeherrschaft erkämpfen konnte, undTirpitz vertrat diese Auffassung rigoros. Die (auch aus Geldgründen bedingte) Ausschließlichkeit desSchlachtschiffbaues wurde zu Tirpitz’wichtigstem Prinzip, aber auch zum Punkt der heftigsten
Kritik (s.u. Kapitel 7).
WarnunGroßbritannien mit einer starken deutschen Schlachtflotte in seiner unmittelbaren Nähe konfrontiert, einer, von der es nicht anzunehmen wagte, sich ihrer enpassant, undohne sich selbst in äußerste Gefahr zubegeben, entleWeltpolitiker“ digen zukönnen, so erwarteten die „ , daßdies die britische Politik Gleichberechtigung“ zurückhaltender dem Reich gegenüber machen würde.129 „ mit England wäre damit erreicht gewesen, die Bewegungsfreiheit in Übersee gewährleistet. Der Mechanismus, den Tirpitz hier zugrunde legte, war ebenso einfach wie fehlerhaft, seine genaue Untersuchung soll aber einem späteren Abschnitt130 vorbehalten bleiben. Für den Moment genügt es, darzulegen, welches der zentrale Gedanke beim Aufbau der Flotte war: Die Verlagerung der Auseinandersetzung mit England auf eine Ebene, auf der ihn die deutsche Marine führen konnte–gewissermaßen vor die eigene Haustür. Der Teufelskreis zwischen den eigenen unzureichenden Machtmitteln in Übersee und der Unmöglichkeit, sich diese zu verschaffen, war damit offenbar durchbrochen. 127Emser Memorandum, S. 122. Hervorhebung durch d. Verf. 128 Ibid. 129Dem Kaiser setzte Tirpitz dieses Konzept des „ Hebels Nordsee“in einem Immediatvortrag in Rominten am 28. September 1899 in Gegenwart des Chefs des Marinekabinetts, Admiral v. Senden-Bibran, auseinander (Tirpitz, Erinnerungen, S. 102ff); das Konzept des Vortrages bei Berghahn/Deist, Rüstung, Nr. III 6; cf. Kennedy, Maritime Strategieprobleme, S. 185, 189). 130Nämlich den beiden Kapiteln über die „ Risiko-Theorie“ab S. 99 bzw. S. 203.
3.2 Der „Hebel“Nordsee
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Gleichzeitig sprach noch eine andere Überlegung für den Druckansatz in der Nordsee: Die Erfordernis für die britische Marine, ihre Kräfte auf der ganzen Welt zu zersplittern, würde einer in der Nordsee konzentrierten deutschen Flotte einen kleineren zahlenmäßigen Nachteil zuweisen, als es aus dembloßen Zahlenverhältnis der beiden Flotten in toto ersichtlich war. Es lohnt sich, hier einen kurzen Blick auf die englische Seite des Problems zu werfen. Wie schon Nelson (s.o. S. 17), so wehrte sich auch Lord Fisher gegen die FormenAufstellung eines allgemeingültigen, allzu unflexiblen Regelwerkes als „ lehre“des Seekrieges.131 Die Befürchtung, ganz englischer Pragmatismus, ein am grünen Tisch“ausgearbeiteten Handlungsanweizu detailliertes Werk von „ sungen würde Flottenführern und einzelnen Kommandanten das der Lage anein Punkt, der auch bei Mahan und Tirpitz gemessene Handeln erschweren– eine große Rolle spielt–wirkte sich dahingehend aus, daß in der Royal Navy lange Zeit keine oder nur unklare, höchstens Erfahrungscharakter tragende muddled thinking“132) vorhanden waren, und konstrategische Vorstellungen („ Admiralstabswissenschaft eine sich erst gegen Ende des Jahrsequenterweise hunderts entwickeln konnte. Fisher, in seltener Übereinstimmung mit demRest der Admiralität, folgte hier Mahan in der Forderung, seestrategische Entscheidungen nur als Ableitungen einiger weniger, fundamentaler (und im Denken der Zeit historisch herleitbarer) Prinzipien zu sehen. Eines dieser Prinzipien ist das folgende, formuliert von der britischen Admiralität 1902:
It is a fundamental principle of Admiralty policy that sufficient force „ shall at all times be maintained in home waters to ensure the command of those seas. And in no other way than by defeat can our naval forces be rendered unable to meet the enemy at sea.“133 Hier wird unmißverständlich die Entschlossenheit der Admiralität zumAusdruck gebracht, jeder Bedrohung in den Heimatgewässern in der erforderlichen Stärke zu begegnen, undden Schutz der überseeischen Besitzungen der Bereitthose seas“unterzuordnen–wasden stellung einer adäquaten Flottenmacht in „ Gedanken einer Schwächung der Royal Navy in Tirpitz’Operationsgebiet, der Nordsee, durch übermäßige Dislozierung ihrer Einheiten durchkreuzt. Trotzdem mag ein Tirpitz bei der Lektüre dieser Zeilen frohlockt haben. In seinen zentralen Gedanken spiegelt der Satz eine große Übereinstimmung mit dessen 131Cf. Marder, Anatomy, S. 423. 132Marder, Anatomy, S. 110. Auch: ibid., S. 133; 134f; 389; cf. Tirpitz, Erinnerungen, S. 1793, in: Louis, 43; cf. auch RODGER, NICHOLAS A. M., Sea-Power and Empire, 1688– 99, WM. ROGER (Hrsg.), The Oxford History of the British Empire, 5 Bde., Oxford 1998– 183 (cit. Bd. II: The Eighteenth Century (hrsg. v. MARSHALL P. J.) Oxford 1998, S. 169– Rodger, Sea-Power), S. 171. 133Admiralty (Admiralty Records, Public Record Office, London) 116/900 B, Confidential Memorandum on the Strategic Conditions governing the Coast Defences of the CawdorUnited Kingdom in war as affected by naval considerations, March 1902 [„ Memorandum“ ], cit. nach Kennedy, Maritime Strategieprobleme, S. 191.
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3 Die „Funktionsweise“der Tirpitz-Flotte
eigenen Ideen wieder. Das entscheidende Ereignis des Seekrieges ist die rangierte Schlacht: Nur durch eine britische Niederlage kann eine andere Macht die Gelegenheit bekommen, der Royal Navy die Seeherrschaft abzuringen. Der Schlachtflottengedanke an sich schien also richtig zu sein (und er wurde es automatisch dadurch, daß die anderen großen Marinen ihn teilten134). Auch die britischen Marinetheoretiker (das heißt die seit den 1890er Jahren endgültig wieder dominant gewordene sog. blue-water-school der Schlachtschiffbefürworter) sahen die Entscheidung über die Fähigkeit, Seeherrschaft auszuüben, einzig und allein in der rangierten Seeschlacht, womit Tirpitz’ Konzeption, dieses rangierte Gefecht zu suchen, auch auf der anderen Seite des Kanals ge7 wird deutlich werden, wie die reine rechtfertigt wurde. In den Kapiteln 4– Theorie hier das geographische Element bis zu einem gewissen Grade aushebelte. Charakteristisch–und für die deutsche Marine fatal–ist allerdings die Tatsache, daß Tirpitz erst 1914 darauf kam, den in demobenstehenden Zitat Und was tun Sie, unausgesprochenen Gedanken zu ergänzen, als er fragte: „ wenn sie nicht kommt?“.135 Denn hier ist schon impliziert, daßdie Grand Fleet sufficient force to ensure command als diedie Seeherrschaft ausübende Flotte („ of those seas“ ) sich nicht zu einer Seeschlacht stellen müßte, wenn eine gegnerische Flotte durch die überwältigende englische Flottenpräsenz in ihren Häfen festgehalten würde, also lediglich als fleet in being die englischen Seestreitkräfte binden könnte. Diese Einsicht bedeutete eine bemerkenswerte Relativierung des in der deutschen Marine bis zu diesem Zeitpunkt durchgehaltenen Standpunktes bezüglich des Wesens von Seeherrschaft. Tirpitz wird oft vorgeworfen, er habe Mahan mißverstanden oder die Elemente seines Denkens, die nicht in Tirpitz’Konzept paßten, einfach ignoriert.136 Dieses „Mißverständnis“war und im Angesicht allerdings subtiler, als es zunächst den Anschein hat137– des immanenten Krieges brachte Tirpitz sich dazu, die Theorie zu hinterfragen. Daß der Druck, den er mit dem Flottenbau auf Großbritannien ausüben wollte, sich in ganz entscheidendem Maße auf die Konkordanz der Ideen beiderseits des Kanal stützte, eine allgemeine undweitgefaßte Übereinstimmung 134Ein wichtiger Gesichtspunkt bei der Typenbestimmung; siehe S. 22, 132; auch: Maltzahn, Beziehungen, S. 877; Rohwer, Kriegsschiffbau, S. 211f. Auf die Frage, warum er, wenn Geschwindigkeit seiner Ansicht nach doch die Hauptsache in der Seeschlacht sei, den Bau
vonSchlachtschiffen nicht gänzlich zugunsten des Panzerkreuzers á la Fournier aufgebe, [...] at the present moment naval experience is not sufficiently antwortete Fisher 1904: „ ripe to abolish totally the building of battleships so long as other countries do not do (cit. nach Marder, Anatomy, S. 528. Hervorhebung vomVerf.). so.“ 135Der genaue Wortlaut ist „ Was werden Sie mit der Flotte machen, wenn die Engländer , mündl. Frage Tirpitz’ an Flotüberhaupt nicht in der Deutschen Bucht erscheinen?“ tenchef Adm. v. Ingenohl, Mai 1914, cit. nach GÜTH, ROLF, „ Undwas tun Sie, wenn sie nicht kommt?“ . Großadmiral v. Tirpitz’Frage an Admiral v. Ingenohl. Die Entwicklung deutscher seestrategischer Theorien seit der 1870er Jahre [sic!]“ , in: Schiff & Zeit X 57; cf. auch Hopman, Logbuch, S. 393f. (1974), S. 51– 136Kennedy, Maritime Strategieprobleme, S. 188; Epkenhans, Seemacht=Weltmacht, S. 40. 137Siehe Kapitel 6.
3.2 Der „Hebel“Nordsee
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der Ansichten, die sich erst verflüchtigte, als sie auf das konkrete Problem der Kriegführung verengt wurde, ist ein sehr beredter Hinweis auf den primär politischen Zweck der Flotte.138 Seine für die Kriegführung relevante Konkretisierung fand dieses sehr allgemeine Problem in der Frage, ob die Royal Navy im Falle eines Seekrieges gegen das Deutsche Reich zum Mittel einer engen Blockade greifen würde.139 Nichtsdestoweniger bleibt als eine der beiden zentralen Aussagen des obenstehenden Zitats festzuhalten, daß die britische Admiralität der Überzeugung war, der Seeherrschaft nur als Folge einer verlorenen Entscheidungsschlacht, und nicht, und das ist das Entscheidende, etwa durch Operationen des Kreuzerkrieges oder der Kleinkriegführung, verlustig gehen zu können–und gerade dieses Ergebnis, beziehungsweise die Angst davor, bemühte sich Tirpitz, herbeizuführen. Er mußte sich, wenn in der deutschen Marine diese Gedanken zur Kenntnis genommen wurden, also davon nachgerade bestätigt fühlen. Interessant ist nun, daß es zwei Haltungen Tirpitz’zu dem Effekt gibt, den eine deutsche Konzentration auf die Flottendisposition der Engländer haben würde: Vor dem Krieg untermauerte Tirpitz seine Pläne mit dem konsensfähigen Gedanken, seine weltweiten Verflechtungen würden das Empire zu einer weiträumigen Aufspaltung seiner Kräfte zwingen, die das für die deutsche Flotte ungünstige Kräfteverhältnis in der Nordsee in nachgerade entscheidender Weise abmildern mußte.140 Der Umstand fand bereits Erwähnung, daß Tirpitz hier eine friedensmäßige Disposition zugrundelegte, die auf einer beiderseitigen Übereinstimmung in der Theorie gründete. Er glaubte nicht daran, daß die Briten den ihnen von Mahan zugeschriebenen Vorteil der Position durch die Zurückziehung ihrer auf diese gestützten Auslandsgeschwader einschränken würden (freilich begannen sich 1904 die Rahmenbedingungen derart zu verändern, daß die bisherige Konfiguration der deutschen Abschreckung nicht aufrechterhalten werden konnte. Wie die Marine darauf reagierte, zeigt das nächste Kapitel). In den Erinnerungen, nicht nur nach dem Kriege verfaßt, sondern auch nach der großen Neudisposition der englischen Flotten in der Fisher-Ära,141 die die Stärke der britischen Seestreitkräfte in den Heimatgewässern vervielfachte, nach dem Rückzug der Navy aus dem Mittelmeer142 in 138Kennedy blendet dies vollkommen aus, wenn er Tirpitz unterstellt, er habe voraussehen können, daßdie Royal Navy sich angesichts derdeutschen Bedrohung undder Bedeutung der Heimatgewässer für die Zusammenziehung ihrer Streitkräfte in der Nordsee entschei194. den werde (Maritime Strategieprobleme, S. 190– 139Kennedy, Maritime Strategieprobleme, S. 184f, 196ff. 140„ [England kann] seiner Auslandsinteressen wegen nur sehr geringe Teile [seiner Schlacht-
flotte] in der Nordsee verwenden [...]. Daher ist der schwache Punkt Englands die Nordsee, denn hier können wir unsere ganzen Kräfte konzentrieren.“(BA/MA, NL Büchsel, Bd. 11, Tirpitz an Büchsel [den nachmaligen Chef des Admiralstabes], 29. Juli 1899, cit. nach Kennedy, Maritime Strategieprobleme, S. 183; cf. auch Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 187f. 141Dazu Marder, Dreadnought I, S. 72ff. 142HALPERN, PAUL G., The Mediterranean Naval Situation: 1908– 1914 (=Harvard Histo-
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Funktionsweise“der Tirpitz-Flotte 3 Die „
1913 (die diese „Windpipe of the Empire“in die Obhut der den Jahren 1908– vom gefährlichen Gegner zum verläßlichen Ententepartner gewordenen Franzosen gab), wodie dadurch freigewordenen Kräfte ebenfalls der Verteidigung der Heimatgewässer zugeführt wurden, und nach der Zusammenfassung der britischen Flotten zur in der Nordsee konzentrierten Grand Fleet zu Beginn des Krieges erklärte er, ohnehin damit gerechnet zu haben, ja proklamierte es gerade als Ziel der Konzentration einer deutschen Hochseeflotte in den Heimatgewässern, daß die Royal Navy dadurch ihrerseits zu einer Konzentration ihrer Kräfte in Europa143 gezwungen wurde–unddamit ihre überseeische Machtentfaltung schwächte. Damit bewirke die Existenz der Hochseeflotte automatisch eine diplomatische Zwangslage für England, in der es eigentlich den Ausgleich mit Deutschland suchen müßte.144 Hier ist die konstruierte Rechtfertigung der Hochseeflotte amdurchsichtigsten. Freilich stimmte die Analyse, a posteriori die Flotte habe eine Zwangslage für Großbritannien geschaffen– ist aber klar zu erkennen, daß sie damit nur zur Beschleunigung eines Prozesses beitrug, in dem sich seit Jahren eine Großmacht nach der anderen ihrer außenpolitischen Handlungsmöglichkeiten begab bzw. ihrer beraubt wurde,
so
daßder Erste Weltkrieg ganz primär als die Sprengung eines in diplomatischer Ausweglosigkeit erstarrten Systems von Interessen und Ansprüchen gesehen werden muß. Daß Großbritannien in diesem Augenblick nicht nachdrücklicher die Verständigung mit Deutschland betrieb, lastete Tirpitz dem Versagen der deutschen Außenpolitik an, die–etwa in der Gestalt Kiderlen-Wächters und , aber auch anderer–in unnötigen AbenteuPanthersprungs von Agadir“ des „ ern die Sympathien des Auslandes vescherzte. Programmatisch sprach Tirpitz [...] welchen Trumpf unsere Flotte damals einer tätigen Außenpolidavon, „ tik in die Hand gab [...]“;145 mit dieser Feststellung ging er aber davon aus, Gefahrenzone“bereits durchschritten und die Macht der daß die sogenannte „ Flotte als politisches Druckmittel auf Großbritannien bereits applikabel sei. In den Erinnerungen taucht diese Behauptung wiederholt auf,146 findet sich aber in keinem Dokument der Vorkriegszeit: Vielmehr warsich Tirpitz (Biographen sprechen vonanhaltender Schlaflosigkeit in dieser Zeit) imKlaren darüber, daß Fishers Reformen (insbesondere die forcierte Bautätigkeit, aber auch die Konzentration in den Heimatgewässern unddie Personalreformen Selborne Scheme rical Studies 86), Cambridge/Mass. 1971, passim; cf. auch Herwig, Luxury Fleet, S. 79, Stadelmann, Flottenrivalität, S. 134. 143Tirpitz, Erinnerungen, S. 155. 144Kennedy, Maritime Strategieprobleme, S. 183, 185. 145Tirpitz, Erinnerungen, S. 155. 146Tirpitz, Erinnerungen, passim; S. 130. Auf der rein politischen Ebene gab es ja dafür auch Indizien, beispielsweise das zweite, von Kühlmann und Grey ins Auge gefaßte Abkommen über die Aufteilung der portugiesischen, Kolonien (1913), das für das Reich sehr viel günstiger als das von 1898 ausfiel (ULLRICH, VOLKER, Die nervöse Großmacht 1918. Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs, Frankfurt/M. 42001 [cit. 1871– Ullrich, Nervöse Großmacht], S. 231).
3.2 Der „Hebel“Nordsee
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und Nucleus Crew System147) und die intelligente Bündnispolitik der Briten seinen Plan seit 1904 bzw. 1906 fast gänzlich ausgeschaltet hatten.148 Überdies versuchte Tirpitz in den Jahren zwischen 1908 und 1912 das „ äternisierte , das eindeutig das übergeordnete Ziel149 aller Planungen war, zuDreiertempo“ gunsten eines zeitweiligen „ Vierertempos“zu durchbrechen, umden Vorsprung der Briten nicht uneinholbar werden zu lassen.150 Obwohl richtig ist, daß der DREADNOUGHT-Bau das Stärkeverhältnis zugunsten Deutschlands beeinflußte, wardieses Konvergieren der Bestände doch nurephemer, undder Entschluß der Engländer, ihre Überlegenheit aufrechtzuerhalten, konnte dadurch umgesetzt werden, daß sie keine globale, sondern eine nunmehr ausschließlich gegen Deutschland gerichtete Überlegenheit anstrebten.151 Im Tirpitz-Kreis wertete man die Konzentration der Briten auf die Nordsee, vor allem in Verbindung mit den Vorschlägen Greys zu einem Marineabkommen, freilich als Signal der Schwäche, das nur dadurch zustande gekommen sein konnte, daß die Flotte nun anfing, ihre politische Wirkung zu entfalten–zunächst ausschließlich die politische, die militärische Wirksamkeit war noch einige Jahre entfernt.152 Gefahrenzone“sei durchschritten, der militäriWollte man also sagen, die „ sche Erfolg der Hochseeflotte aber noch nicht gesichert, so verlöre man sich in Spitzfindigkeiten. Letztendlich war die Hochseeflotte materiell der Royal Navy nicht gewachsen, ein Zustand, der sich bis Kriegsbeginn und darüber hinaus nicht ändern sollte. Zwar hatten die Briten durchaus in der von Tirpitz prognostizierten Weise reagiert; sie taten es jedoch mit sehr viel mehr Energie und Erfolg, und sie hatten erheblich größere Ressourcen an Material, Geld und Menschen, als Tirpitz ihnen zugetraut hatte.153 Wasjener als Erfolge des politischen Druckansatzes sehen wollte, warkonstruiert, warnämlich Emanati[...] im Zustand der Flottenlosigkeit oneines unumstößlichen Glaubenssatzes: „ [...] hätten [die Engländer] unsdann wohl schon früher Halt geboten.“154–alle weiteren, vermeintlichen oder tatsächlichen, diplomatischen Erfolge ließen sich damit auf das Konto der Flotte schreiben. Für die Diplomaten und Politiker hingegen nahm sich die Sache anders aus; Bülow, grundsätzlicher BefürworWeltpolitik“ , urteilte, bis ter eines deutschen Flottenbaues im Rahmen der „ zu einem gewissen Grade habe die Außenpolitik im Dienste des Flottenbau147Marder, Dreadnought I, passim. 148Kennedy, Maritime Strategieprobleme, S. 187. Noch 1909 sprach Tirpitz davon, „ [...] daß wir einem Zusammenstoße mit England in den nächsten Jahren mit Ruhe nicht entgegensehen könnten.“(GP XXVIII, Nr. 10306 [wie oben S. 40 Anm. 67], S. 169; Hervorhebung Gefahrenzone“setzte Tirpitz damals etwa 1915 an; davon ist vom Verf.) Das Ende der „ in den Erinnerungen freilich nicht die Rede. 149S. u. S. 107.
150Kennedy, Maritime Strategieprobleme, S. 181; Berghahn, Tirpitz-Plan, passim. 151Marder, Anatomy, S. 483ff. 152Tirpitz, Dokumente I, S. 350– 355: Schlußbericht des Marineattachés in London, Kapitän Widenmann, vor seiner Ablösung, 28. Juli 1912. 153Cf. hierzu Tirpitz, Erinnerungen, S. 25. 154 Ibid., S. 58.
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3 Die „Funktionsweise“der Tirpitz-Flotte
es gestanden, und sich damit ihrer Handlungsmöglichkeiten begeben.155 Nach demgroßen Krach taten die Exponenten des RMAundAAnichts anderes, als sich gegenseitig den schwarzen Peter zuzuschieben (wobei freilich die moderne Sichtweise in langer Tradition steht, wenn sie ihn letztendlich beim RMA beläßt, da von Schlieffen und Tirpitz bis Hitler der Primat des Militärischen über das Politische stets eine Katastrophe heraufbeschworen hatte.156 Das Verschulden des AAsei es, daßes sich derart das Heft aus der Hand habe nehmen lassen: Die deutsche Außenpolitik habe nur versagen können, denn Tirpitz habe ihr jede Bewegungsfreiheit geraubt157). Der taktische Vorteil der Hochseeflotte, es mit einem über den ganzen Erdball verteilten Gegner zu tun zu haben, war also schon lange vor dem Krieg dahin. Imnachhinein konnte Tirpitz daraus eine positive Leistung seiner Flotte konstruieren, in der Zeit selber zoger den längst verlorenen Vorteil bis zuletzt für seine Argumentation heran. Gerade aber an diesem Gesamtzusammenhang schieden sich immer wieder die Geister, denn in der Tirpitz-Konzeption stand hier der politische Zweck Der Hebel unserer Weltpolitik war die Nordsee; der Flotte im Vordergrund: „ er wirkte schon auf dem ganzen Erdball, ohne daß wir unmittelbar irgendwo Hebels Nordsee“mehr anders ansetzen brauchten.“158Falls das Konzept des „ ist als eine imNachhinein vorgenommene Angleichung seiner Theorie andieinzwischen historisch gewordene Realität, so wurde dieser Mechanismus vordem Krieg nie öffentlich, jedenfalls nie unverklausuliert, geäußert. So könnte man ausdenEinflüssen aufdas Stärkeverhältnis allein eine Kernfrage kristallisieren: War der Mechanismus „Hebel Nordsee“in Tirpitz’Planungen schon vor dem Kriege undvor der Retrospektive der Erinnerungen vorhanden, so ergibt sich damit die Gültigkeit des bisher skizzierten, und die politische Absicht Tirpitz wird deutlich. Ist aber der „ Hebel“ -Gedanke nur eine nachträgliche Rechtfertigung der Flottenpolitik, die eine unerwartete Reaktion der Gegenseite dreist als eben die erwünschte darstellt, dann handelt es sich bei der gesamten politischen Konzeption wohl um Humbug und das Ziel war am Ende doch die Vernichtung des Gegners in der Schlacht, sobald sich die Gelegenheit bot? Es wird aber schnell deutlich, daß die Reduzierung des Problems auf die Stärkeverhältnisse zu kurz greift und der Sache nicht gerecht wird. Die Antwort weist in umfassenderer Weise auf die politische Dimension der Tirpitzschen Pläne hin: Nicht auf die tatsächliche materielle Schwächung der Royal 155Herwig, Luxury Fleet, S. 34; Ritter, Staatskunst II, S. 178. 156Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, daß dieser Umstand in Deutschland nicht nurnicht unbekannt war, sondern dort sogar früher undluzider als irgendwo anders
es ist der Kernpunkt des so oft falsch zitierten Satzes von Clausewitz „ [...] der Krieg ist nichts als eine Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel“(Clausewitz, VomKriege, S. 990), scil. der Krieg ist das Instrument, das imvonderPolitik vorgegebenen Rahmen Verwendung zufinden hat. Bismarck darüber: Der Krieg ist eine zu ernste Sache, umihn den Militärs zu überlassen.“ „ 157Stadelmann, Flottenrivalität, S. 118. 158Tirpitz, Dokumente I, S. 346. formuliert wurde;
3.2 Der „Hebel“Nordsee
95
Navy in der Heimat im Hinblick auf die große Entscheidungsschlacht setzte Tirpitz seine Hoffnungen, sondern darauf, daß Großbritannien im Hinblick auf dieVielgestalt seiner Verpflichtungen die Auseinandersetzung mit Deutschland scheute, um sich diese Schwächung überhaupt erst leisten und seine Tagespolitik fortführen zu können. Mit anderen Worten: Tirpitz setzte darauf, daß sich die Frage, wohin Großbritannien seine zu kurze Decke von Schiffen zog, gar nicht erst stellte, sondern im Vorfeld England derartige Dilemmata am Verhandlungstisch zu lösen versuchte, an dem Deutschland auf demhohen Kissen seiner Flotte saß. Dies ist die speziell Tirpitzsche Ausformung des Gedankens, daß die Auslandsschiffe die Rückendeckung einer Schlachtflotte159 in heimischen Gewässern brauchten. So gewinnen auch die operativen Zusammenhängeeine klare Struktur, die unter Ausklammerung dieses politischen Ziels diffus bleiben: Außer der höchst allgemeinen Zielsetzung, durch die Konzentration in Europa den Schiffen in Übersee mehr Bewegungsfreiheit zu verschaffen, findet sich nirgendwo eine wirkliche Analyse des so postulierten Mechanismus. Zweierlei Deutungsmöglichkeiten sind denkbar, die eine allerdings nicht weniger vage als die andere: Wollte England nicht durch Aggressivität oder sprichwörtliche Arroganz in irgendeinem nebensächlichen überseeischen Interessen‚Klarschiff konflikt mit dem Reich riskieren, auf einmal die Bedrohung einer „ zum Gefecht‘ mit geladenen Geschützrohren“160ausgelaufenen Schlachtflotte vor der eigenen Küste ausgesetzt zu sein, würde es wohl eher zum Einlenken bereit sein. Die andere, noch simplizistischere, Interpretation ist die, daß ein in heimischen Gewässern konzentrierter Schiffsbestand der Engländer die unmittelbaren Machtverhältnisse vor Ort, d. h. in Übersee, schon rein quantitativ zugunsten der Deutschen ändern würde. Im Vergleich dazu macht sich Tirpitz’ 1903 Lehrer an der MariCrew-Kamerad Curt Freiherr v. Maltzahn, 1895– neakademie (ab 1900 ihr Direktor161) und Duzfreund des Staatssekretärs162 genauere Gedanken über das seit der Zeit Stoschs im Raum stehende Diktum vom Rückhalt für die Auslandsschiffe durch die heimische Schlachtflotte: In der 1906, nach seinem Abschied als Vizeadmiral erschienenen Schrift Der Seekrieg163 führt er aus, daß Schiffe in Übersee, die als Handelsstörer (Raider) 159Cf. Hubatsch, Realität undIllusion..., S. 66. 160WEGENER, EDWARD, Die Tirpitzsche Seestrategie, in: DEIST, WILHELM/SCHOTTELIUS, 1914, HERBERT (Hrsg.), Marine und Marinepolitik im kaiserlichen Deutschland 1871–
262, S. 238. Düsseldorf 21981, S. 236– 161Petter, Flottenrüstung, S. 209. 162Lambi, Power Politics, S. 165. Maltzahn teilte zwar Tirpitz’Einschätzung vonder übergeordneten Bedeutung der rangierten Seeschlacht, undbefürwortete dementsprechend auch den Schlachtflottenbau, stellte sich aber gegen die Ausschließlichkeit, mit der Tirpitz zugunsten der Schlachtschiffe alle anderen Schiffstypen vernachlässigte. In seiner Schrift Seekriegslehre von 1899, deren Veröffentlichung Tirpitz verhinderte, forderte Maltzahn das Nebeneinander einer Schlachtflotte und starker Kreuzerkräfte. Im Zuge einer immer schärfer werdenden Auseinandersetzung vonetwa 1899 bis 1903 wurde der Kritiker schließlich von Tirpitz mundtot gemacht (Petter, Flottenrüstung, S. 208ff, bes. S. 210; Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 190ff; Deist, Flottenpropaganda, S. 88ff). 163MALTZAHN, CURT FRHR. V., Der Seekrieg. Seine geschichtliche Entwickelung vomZeit-
3 Die „Funktionsweise“der Tirpitz-Flotte
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eingesetzt würden, sehr wohl vom Einsatz einer Flotte in den Heimatgewässern profitierten, wenn diese nämlich die gegnerische Seeherrschaft durch die Vernichtung seiner Flotte in der Schlacht ausgeschaltet habe.164 Maltzahn thedes in der Schlacht gewonnenen“,165 blickt also matisiert hier die Ausnutzung „ auf die operativen Möglichkeiten jenseits der Schlacht (nämlich nachdem sie durchgefochten ist) in einer Weise, die bei Tirpitz erstaunlicherweise in den großen Dienstschriften der taktischen Zeit, nicht aber in seinen Äußerungen als Staatssekretär vorkommt. Es ist, wie auch der nächste Abschnitt zeigen wird, nicht zu hoch gegriffen, zu sagen, mit dem Sichten der gegnerischen Schlachtflotte endet, seit die zu wählende Taktik eindeutig feststeht, Tirpitz’ strategischer Horizont.166
DIE AUSNUTZUNG DER SEEHERRSCHAFT UND DEUTSCHE INVASIONSPLÄNE
I donot say they cannot come, myLords. I only say they cannot come „ by sea.“167
Lord St. Vincent
Angesichts der geographischen Lage mußte die Invasions Englands durch deutsche Truppen der gewichtigste Faktor im „ Hebel“ -Konzept sein: Ein Angriff auf die britischen Atlantikverbindungen war der deutschen Marine auch nach der Entscheidungsschlacht nur unter Schwierigkeiten möglich; auch der Totalausfall der britischen Nordseehandels würde Großbritannien nicht in solche Bedrängnis bringen, wie das für die Beendigung eines Krieges notwendig sein direkte“Bedrohung Großbriwürde.168 Es stellte sich also die Frage, wie die „ tanniens, die die heimische Schlachtflotte erreichen sollte, aussehen, welcher Mittel sie sich bedienen sollte. Ausgangspunkt dieser Überlegungen mußte die siegreiche Seeschlacht sein. Nur durch sie konnte sich die Flotte jene Bewegungsfreiheit verschaffen, die alter der Entdeckungen bis zu Gegenwart (=Aus Natur undGeisteswelt 99), Leipzig 1906 (cit. Maltzahn, Seekrieg). 164Maltzahn, Seekrieg, S. 97. 165Ibid. 166Tirpitz’taktischer Horizont öffnete sich mit dem Auftauchen der gegnerischen Flotte auf der Kimm erst: Seine größte Leistung warnicht (nur) der Bau der Hochseeflotte, sondern, wiebereits besprochen, die homogene Abstimmung vonSchiffsmaterial undSeetaktik auf das Gewinnen der Schlacht. 167Marder, Dreadnought I, S. 347. 168Hierzu MAHAN, ALFRED T., Considerations governing the Disposition of Navies, in: MAHAN, ALFRED T., Retrospect and Prospect. Studies in International Relations Naval and Political, Boston 1902 (Ndr. Port Washington 1968, cit. Mahan, Disposition), S. 205, S. 170. 139–
3.2 Der „Hebel“Nordsee
97
für die Durchführung beliebig gearteter Operationen vonnöten war, die Seeherrschaft.169 Die Frage nach der Bedrohung Englands stellte sich also als die nach der Ausnutzung der Seeherrschaft.170 Zunächst ist festzustellen, daß dies für Tirpitz keine Lebensfrage war. SeinemDenken gemäß wares für Großbritannien eine Katastrophe vonso unausdenkbarer Tragweite, die Seeherrschaft in den nordeuropäischen Gewässern zu verlieren, daß die bloße Situation schon die britische Niederlage unausweichlich nach sich zog.171 Die britische Auffassung ermutigte ihn zu dieser Unterlassung, indem sie diesen Gedanken teilte.172 Für Tirpitz kam es also in der Hauptsache darauf an, den Schlachtensieg herbeizuführen–Kritikern, die der Marine auf Kosten der Vollständigkeit dieser Ausrichtung die Fähigkeit verin der Regel in Form eines bestimmten schaffen wollten, die Seeherrschaft– [...] das BärenOperationstyps–nach der Schlacht auszunutzen, warf er vor, „ Diese Überlegung, 173 zuerst müsse ist. “ Bär erlegt der bevor verteilen], [zu fell und Konstruktion Typbestimmung der bei die der war werden, der Bär erlegt deutschen Schlachtschiffe, durch alle anderen Erwägungen ungeschmälert, ausschlaggebende. Unter denjenigen, die dennoch über die Ausnutzung der Seeherrschaft nachdachten, kristallisierten sich zwei maßgebliche Vorgehensweisen heraus, aus der Fähigkeit der unumschränkten Nutzung der See (denn als solche sei der TerSeeherrschaft“vorläufig definiert) Nutzen zu ziehen undden Gegner zu minus „ schädigen: DieGelegenheit, seine Handelsschiffahrt vollständig zuunterbinden, und/oder Truppen an seine Küste zu werfen. Zunächst stand für die deutsche Marine letzteres im Vordergrund, ein Umstand, der möglicherweise auf den gesellschaftlichen Primat des Heeres zurückzuführen ist, als dessen „ dienende Gehilfin“174die Marine verstanden wurde. War der Gegner auf dem Landweg nicht zu erreichen, mußte die Marine die Funktion erfüllen, das Heer dorthin zu bringen. Innerhalb der Marine allerdings wurden zujeder Zeit auch die anderen Möglichkeiten gesehen, die Seeherrschaft auszunutzen, etwa der Kreuzerkrieg, das Bombardement, der Schutz deseigenen Handels usw. Verengten sich diese theoretischen Erörterungen aber auf den konkreten Gegner England (entpuppte sich der zu erlegende Bär also als der Walfisch), so stellte sich schnell heraus, 169Siehe Kapitel 4– 7: Das war die Ansicht Mahans und der deutschen Seekriegslehrer. 170Auch: Maltzahn, Beziehungen, bes. S. 880. 171Siehe Kapitel 4. 172Maltzahn, Beziehungen, S. 876 übersetzt eine der von Corbett als in der Royal Navy Wenn England je unhinterfragte Gültigkeit genießende Phrasen angegriffene Maxime: „ die Seeherrschaft verliert, dann ist es mit ihm am Ende!“ 173Randbemerkung des Staatssekretärs des Reichsmarineamts, Kontreadmiral Tirpitz, vom November 1899 zu den strategischen Vorstellungen des Kapitäns z. S. v. Maltzahn und des Vizeadmirals a. D. Valois, in: Berghahn/Deist, Rüstung, Nr. II 11, S. 127. 174Reinhardt, Flottengedanke, S. 28. In diesem Sinne auch die Denkschrift zumFlottengrünDie Wegnahme einer ganzen feindlichen Kriegsflotte gewährt höchstens dungsplan 1873: „ das Mittel, eine Eroberung zu beginnen.“(S. 237).
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3 Die „Funktionsweise“der Tirpitz-Flotte
daß die Drohung mit der Invasion gegen die wie ein Sperriegel vor er Nordsee liegende Insel die wirkungsvollste sein mußte. Die Arbeiten an demunvollendeten Operationsplan des OK von 1897 verwandten dieses Szenario.175 Obwohl allerdings nie ein Plan zur Invasion Englands zur Vollendung gelangte, war es gerade diese Gefahr, die in Großbritannien besonders stark wahrgenommen wurde: Wie schon im Fall der Krügerdepesche traute man dem Reich eine Operation zu, die es, selbst woder militärische und politische Wille dazu vorhanden gewesen wäre, ohne die fertiggebaute Flotte niemals hätte durchführen können.176 Um 1903/04, mit dem Fortschreiten des konstruktionsmäßig offenbar gegen England gerichteten Flottenbaues, wurden diese Ängste auf der Insel prominenter, bis sie schließlich, bedingt durch die Spannungen des russisch-japanischen Krieges, im Winter 1904/05 zu einem regelrechten Invasion Scare anwuchsen; die journalistische, vor allem aber die belletristische Literatur beider Seiten produzierte eine reichhaltige Palette an Szenarien für eine deutsche Invasion.177 Das Kapitel IV von Corbetts Principles etwa hat seinen Ursprung in einer Untersuchung des C.I.D., die 1907 die Gefährdung der Mutterinsel durch eine deutsche Invasion beurteilen sollte. Dadas Heer die Angst vor einer solchen Gefahr vor allem für eine Steigerung seiner Rüstung , war Fisher im Interesse des nutzen wollte–die Mechanismen gleichen sich– Marinehaushalts daran gelegen, derlei Vermutungen zu entkräften. Er beauftragte Corbett und den ehemaligen Chef des War College undjetzigen D.N.I. [Director of Naval Intelligence], Slade, mit der Zurückweisung der Argumente des Heeres, was Corbett in Form einer Untersuchung der Invasionsgefahren von 1588, 1744, 1759, 1779 und 1805 und der Herausstellung der entscheidenden Rolle der Royal Navy bei der Vereitelung dieser Vorhaben–also bester blue-water-Tradition gemäß–auch gelang.178
175Weniger, Operationsplan, S. 2ff; Gemzell, Innovation, S. 68. 176Das war auch die Ansicht Tirpitz’: Tagebucheintragung Hohenlohes, 24. Oktober 1898 Ein Einfall in England (Hohenlohe, Denkwürdigkeiten, S. 464): Tirpitz war der Ansicht „ sei Unsinn. Selbst wennes unsgelänge, zwei Armeekorps in England zulanden, würde uns dasnichts helfen, denn diese Korps seien nicht stark genug, sich in England ohne Sukkurs vonder Heimat zuhalten.“Den„ , nach Schlieffens Einschätzung Sukkurs vonder Heimat“ eine ungestörte Verbindung über die Nordsee für mindestens sieben Tage, könnte freilich eine die See beherrschende Flotte bringen. (Kennedy, Maritime Strategieprobleme, S. 186 Anm. 33). Cf. auch: Tirpitz an Stosch, 13. Februar 1896 (Hassel, Tirpitz, S. 108). 177Beispiele bei Marder, Anatomy, S. 461f, 476; Herwig, Luxury Fleet, S. 50. Diese geben auch einen Hinweis darauf, wiestark die Zeit vondenLehren Mahans geprägt war. Selbst in dem bis heute meistveröffentlichten dieser Werke, ERSKINE CHILDERS’ The Riddle of the Sands, sieht der englische Held, eben [1902] einem deutschen Attentat entgangen, die Berechtigung der deutschen Seemachtaspirationen: „[Sea Power] is a newthing with [the Germans], but it’s going strong, and that Emperor of theirs is running it for all it’s worth. He’ s a splendid chap, and anyone can see he’s right. They’ve got no colonies to speak of, and must have them, like us. They can’t get them and keep them, and they can’t protect their huge commerce without naval strength. The command of the sea is the thing nowadays, isn’t it?“(CHILDERS, ERSKINE, The Riddle of the Sands, London 1903 [benutzte Ausgabe Ware 1993], S. 80. Hervorhebungen im Original). 178CORBETT, JULIAN S., Some Principles of Maritime Strategy, hrsg. v. GROVE, ERIC J.,
3.3 Die Risikotheorie (Teil I)
99
Mit derVerschlechterung derrelativen Situation für Deutschland ab 1904/05 war ernsthaften Plänen für eine Invasion allerdings endgültig der Boden entzogen. Es bleibt als Fazit, daß es vor allem die Bewegungsfreiheit der Seeherrschaft war, die Tirpitz im Ernstfall erreichen wollte, und daß das Bewußtsein der Briten, dies auf keinen Fall riskieren zu dürfen, sie den deutschen Forderungen zugänglicher machen sollte. Da mit dem Verlust der Seeherrschaft automatisch das finis Britanniae heraufbeschworen sein würde, wie sowohl in Deutschland wie in Großbritannien die zum Dogma erhobene Überzeugung lautete, war für Tirpitz das Nachdenken über das, was nach der Schlacht zu tun sei, nicht notwendig, man würde sich ja keiner handlungsfähigen Opposition mehr gegenübersehen. Symptomatisch für dieses Denken ist ein Satz des scharfsinnigsten britischen Militärtheoretikers, Julian Corbett, übersetzt und unsere[m[erste[n] Marineschriftsteller“, 179Vizeadmiral von kommentiert von „ [Die Flottenstrategie] erMaltzahn, dem gerade diese Frage Sorgen machte: „ reicht ihren Abschluß, wenn die Seeherrschaft gewonnen oder verloren worden Ich möchte dem die Frage anfügen, ob denn die ist.“Kommentar Maltzahns: „ der Seeherrschaft, die deren Erringung folgt, Ausnutzung mit Flottenstrategie 180 nichts zu tun hat.“
3.3 Die Risikotheorie (Teil I) 181 „ Quatsch, Hasenfuß, Feigling, echt Metternichscher Unsinn!“ Wilhelm
II. über eine Verständigung mit England
So einfach es zu beschreiben ist, so große Probleme bereitet die Interpretation unddie kritische Auseinandersetzung mit jenem Konzept, das das grundlegende des Tirpitzschen Flottenbaues in seiner Gesamtheit darzustellen scheint: , zu. Ob geniale militärisch-politische „Notlösung“ Risikogedankens“ Demdes „ kunftsweisende strategische Idee oder offensive Absichten zielgerichtet verschleiernder Humbug, die Urteile der Literatur wieder Zeitgenossen über diese Denkfigur sind vielfältig, umso mehr, als der Stellenwert, derdemRisikogedanken in Tirpitz’Arbeit selbst, ob generell oder in Detailfragen, zukam, schwer zu ermitteln ist. Selbst über die zeitliche Akzeptanz der Idee, inner- und außerhalb der Marine, inner- undaußerhalb des RMA, inner- undaußerhalb der politischen Reichsleitung oder gar, was die Person Tirpitz’selbst anbelangt, sind widersprüchliche Aussagen zu finden. Vollends undurchdringlich wird die Annapolis 1988, darin: GROVE, ERIC J., Introduction,
S. xi-xlv, S. xxii.
179KIRCHHOFF, HERMANN, Alfred Stenzels Leben und Werke, in: STENZEL, ALFRED, See-
kriegsgeschichte in ihren wichtigsten Abschnitten mit Berücksichtigung der Seetaktik, 7 1913, bearb. v. KIRCHHOFF, HERMANN, Bd. VII [Ergänzungsband]: Bde., Berlin 1907– Kriegführung zur See. Lehre vom Seekriege, Berlin 1913, S. XIII-XXXI (cit. Kirchhoff,
Stenzels Leben
und Werke), S. XXX.
180Maltzahn, Beziehungen, S. 875 (Hervorhebung im Original). 181Herwig, Elitekorps, S. 27.
100
3 Die „Funktionsweise“der Tirpitz-Flotte
Kontroverse, wenn der „ Risikogedanke“zum Platzhalter für variable oder konstante Flottenstärken gemacht wird, dieihrerseits wieder aufdasWesen dermit dem Flottenbau verfolgten Zielsetzungen verweisen sollen.182 Einzige Aussage, die sich zudiesem Zeitpunkt treffen läßt, ist die, daß eine detaillierte Betrachtung des „ Risikogedankens“eine für die Beurteilung des Tirpitz-Programms unerläßliche ist. Dabei sollen zunächst die Gedankengänge und der strategische „ Wert“der Theorie selbst beleuchtet werden. Nach der Vorstellung der Pole“ seestrategischen „ , zu denen sich Tirpitz’Denken in eine relative Position setzen läßt, ist aufgrund der dort erzielten Ergebnisse die Diskussion der Risikotheorie in einem zweiten Teil zu vervollständigen. Dabei werden einige der Widersprüche, die im folgenden ersten Teil dem Risikogedanken anhaften, defensiver“Anstrich, anders gedeutet werden als bisher. insbesondere sein „
ALLGEMEINES
Deutschland mußeine so starke Schlachtflotte besitzen, daßein Krieg auch für „ den seemächtigsten Gegner mit derartigen Gefahren verbunden ist, daß seine 183Gemäß dieser in der Begrüneigene Machtstellung in Frage gestellt wird.“ dung des zweiten Flottengesetzes verwandten Formulierung war ein über die 19 Linienschiffe des Gesetzes von 1898 hinausgehendes Mindestmaß an Flottenmacht nötig, umeine europäische Großmacht (der erwähnte „ seemächtigste Gegner“ist freilich Großbritannien) von einem Seekrieg abzuschrecken; denn selbst, wenn die deutsche Flotte nicht in der Lage war (und das würde sie auch mit den im Flottengesetz vorgesehenen 38 Linienschiffen nicht sein), ihren Gegner zu besiegen, so sollte er doch derart geschwächt aus der Schlacht hervorgehen, daß „ [...] trotz des etwa errungenen Sieges die eigene Machtstellung [des Gegners, d.Verf.] zunächst nicht mehr durch eine ausreichende Flotte gesichert wäre [...].“,184 da diese in einem erneuten Gefecht, nämlich mit deutschen Verbündeten, mit hoher Wahrscheinlichkeit unterliegen würde. Für das Beispiel Englands verband Tirpitz diese Hoffnung mit dessen Rivalen Frankreich und Rußland.185 Ein Krieg zwischen England und Deutschland würde zwangsläufig als Seekrieg geführt werden. In einem solchen Falle aber würde die Royal Navy zuihremseit Jahrhunderten bewährten Mittel der Blockade greifen, d.h. durch die Abriegelung der deutschen Häfen seinen Schiffsverkehr lahmlegen und damit 182Siehe hierzu Kapitel 8.
183SBR, 10. Legislaturperiode, 1. Session (1898/1900), 5. Anlagenband, Nr. 548, S. 3359– 3364, S. 3359. 184Ibid., S. 3360. 185Tirpitz hierzu im Reichstag: SBR, 10. Legislaturperiode, 1. Session (1898/1900), Bd. IV, 119. Sitzung, 11. 12. 1899, S. 3295f; cf. Tirpitz an Stosch, 13. Februar 1896 (abgedruckt bei Tirpitz, Erinnerungen, S. 55); auch: Kennedy, Maritime Strategieprobleme, S. 182; Tirpitz, Erinnerungen, S. 129, 154, 81.
3.3 Die Risikotheorie (Teil I)
101
gleichzeitig versuchen, die deutsche Flotte zur Seeschlacht zu stellen. Damit aber begaben sich die britischen Schiffe in den Wirkungsbereich der deutschen Kleinkriegswaffen, der Torpedoboote, Minenleger, später der U-Boote. Durch sie würde die zahlenmäßige Überlegenheit der Royal Navy soweit ausgeglichen werden, daß die kleinere deutsche Flotte ihr in einem rangierten Gefecht die Seeherrschaft streitig machen konnte. War die britische Flotte geschlagen oder gar vernichtet, so stand die Nordsee und damit die englische Gegenküste der deutschen Marine offen, undsie konnte dort Operationen nach ihrem Belieben durchführen. Allerdings war dieses Ergebnis ein angesichts der Stärkeverhältnisse unwahrscheinlicher Idealfall; die Gesetzesbegründung 1900 unddieöffentlichen Äußerungen in ihrem Vorfeld (die der Vorbereitung der Öffentlichkeit auf die Einbringung der Novelle dienten), ziehen eine solche Möglichkeit, so hat es zunächst den Anschein, nicht in Betracht. Ob sie in der Zeit vor 1912 dauerhaft ernstlich in Erwägung gezogen undden Marineplanungen zugrundegelegt wurde, ist also schwierig zu klären. Sicher wäre es unvernünftig, anzunehmen, ein Seeoffizier plane mit allem Einsatz eine Flotte, die von vornherein keine reelle Siegchance besaß.186 Die Vermutung ist also plausibel, daß innerhalb der Marine die Hoffnung gehegt wurde, die Flotte in ihrem endgültigen Ausbauzustand werde die gegen sie eingesetzten Kräfte der Royal Navy allein besiegen können (s.u.). Nach der Verschärfung des Wettrüstens und der immer offenbarer werdenden deutschen Isolation in den Jahren zwischen 1909 und 1912 wardieses Vorhaben, die britische Marine in offener Seeschlacht allein besiegen zu können, auch eindeutig als den Marineplanungen zugrundeliegend greifbar. Im zweiten Teil dieser Untersuchung des Risikogedankens ist, gestützt auf die RisikogeBetrachtung der Seestrategie, die Frage zudiskutieren, ob damit der „ danke“ad acta gelegt war, wie es die gängige Sichtweise ist, da mit der Chance auf den durch die deutsche Flotte allein erfochtenen Sieg das wesentliche Element des Risikogedankens offenbar wegbrach: In der frühen und mittleren Phase des Flottenbaues nämlich war von einem solchen Sieg (offenbar) noch keine Rede.187 Vielmehr bildete die Essenz des Risikogedankens, neben einer angemessenen deutschen Flotte, ein zweiter Gedanke, der der internationalen Koalitionen. Ideales Kriegsszenario war für Tirpitz eine Koalition der europäischen Mächte gegen England–eine Konstellation, die sich im außenpolitischen 186Läßt sich aber dennoch nicht vonvornherein ausschließen (es soll hier nicht der–ohnehin hinkende–Vergleich mit der nuklearen Abschreckung bemüht werden; gleichwohl ist die
Implementierung einer solchen Vorgehensweise im Verbund der Grand Strategy nicht abwegig, auch wenn sie dem Seeoffizier wiederstreben muß. Admiralstabschef Heeringen Es ist auf die Dauer völlig unmöglich, daß unsere Flotte in dem Gedanken lebt, 1911: „ für England nur dem Sinne ein Risiko zu sein, daß sie, wenn auch selbst geschlagen, doch vielleicht die maritime Machtstellung Englands den Neutralen gegenüber verschieben könnte. Unsere Flotte bedarf zur Erhaltung des inneren moralischen Elements wie zum äußeren Erfolg unbedingt einer militärisch brauchbaren Chance gegen England.“ (Heeringen an Bethmann Hollweg, 7. Oktober 1911, abgedruckt bei Tirpitz, Dokumente I, S. 220f, S. 221. Hervorhebungen im Original). 187Das heißt aber nicht, daß daran nicht gedacht wurde. Näheres siehe Kap. 8.
102
3 Die „Funktionsweise“der Tirpitz-Flotte
Klima um 1897 auch anzudeuten schien.188 Im Falle einer Seeschlacht der britischen gegen die deutsche Flotte mochte die Royal Navy dann sogar Sieger bleiben: Für die nun heranrückenden französischen oder russischen Einheiten wären ihre versehrten Reste eine leichte Beute. Das wardie Version, die in die Öffentlichkeit getragen wurde–festgeschrieben in der Begründung des zweiten Flottengesetzes 1900. Wie die Risikostrategie in ihrer Gesamtheit, so wird auch gerade diesem Element des maritimen Bündnisses eine verschleiernde Qualität zugeschrieben; das offensichtliche Versagen des Risikokonzeptes wird zum Beweis genommen, daßes mit der Sprache der Defensive aggressive Absichten der deutschen Flottenplanung bemänteln sollte. In diesem Zusammenhang muß allerdings darauf hingewiesen werden, daß der Flottenchef, der kraft seiner Dienststellung bald zumscharfen Kritiker der Tirpitzschen Flottenpläne wurde, die mit ihrer langfristigen Perspektive die unmittelbare Kriegsbereitschaft der Flotte gefährdeten, in der Zeit des noch planmäßig vor sich gehenden Flottenbaues189 dem Risikokonzept zustimmte und es zur Grundlage seiner Planung machte,190 sich damit allerdings in den Gegensatz zumAdmiralstab begab. Auch diedurch Fisher vorgenommene Neuverteilung der britischen Flotten–die erst durch die Entlastung der Navy im Mittelmeer (durch die Entente Cordiale) undspäter durch das Abkommen mit trug zunächst der Risikotheorie Rechnung, indem Rußland möglich wurde191–
sie die Heimatgewässer gegen einen deutschen Angriff in Verbindung mit einer anderen Flotte sichern sollte. Erst mit dem DREADNOUGHT-Sprung sah man die deutsche Marine allein als Gefahr, und damit das durch die Neuverteilung erreichte Übergewicht relativiert.192 Während das durch die Flotte konstituierte Risiko die Gewähr für eine dauerhafte Berücksichtigung deutscher Interessen durch die englische Politik leisten sollte, war man sich darüber klar, daß Großbritannien sich durchaus von der wachsenden deutschen Flotte bedroht fühlen konnte. Die Reichsleitung beim Lichte der eigenen friedfertigen Harmlosigkeit“(Tirpitz), die in trachtete, „ Großbritannien laut werdenden ängstlichen Stimmen jedoch vielmehr als unaufrichtige Bemäntelung und Rechtfertigung für eine gegenüber Deutschland härtere Gangart;193 lediglich Wolff-Metternich, der Botschafter, und Coerper, bis 1907 Marineattaché, billigten in ihren Berichten den Briten eine authentische Besorgnis angesichts der deutschen Aufrüstung zu.194 Die Reichsspitze,
188Cf. Hopman, Logbuch, S. 230f. Siehe auch Kapitel 2.1. 189Wenn man, sicher zurecht, mit Berghahn (Tirpitz-Plan, S. 419ff) davon ausgeht, daßseit dem DREADNOUGHT-Sprung der Flottenbau immer mehr verfiel und sinnlos wurde, da seine Grundannahmen eine nach der anderen wegbrachen. 190Weniger, Operationsplan, S. 2. 191Hubatsch, Admiralstab, S. 87f. 192Marder, Anatomy, S. 538. 193Cf. Steinberg, Copenhagen Complex, S. 23ff. 194Etwa GP XXIV, Deutschland und die Westmächte 1907– 1908, Berlin 1925, Nr. 8193, S. 46: Metternich an Bülow, 8. März 1908; cf. Epkenhans, Wilhelminische Flottenrüstung, 44– passim; Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 382. Zur Reaktion Wilhelms II. auf diese Berichte s.[xxx] u.
3.3 Die Risikotheorie (Teil I)
103
undbesonders Tirpitz, argwöhnten vielmehr, die Briten könnten die wachsende Abschirmung der deutschen Seeinteressen zum Anlaß nehmen, die deutschen Pläne zu durchkreuzen, solange sie dazu noch in der Lage sein würden, und Deutschland dauerhaft auf eine untergeordnete weltpolitische Position zu verGefahrenzone“zwischen der Einschätzung der deutweisen versuchen. Diese „ schen Flotte als quantité négligeable und ihrem Wachstum bis zumfunktionierenden Abschreckungsinstrument prognostizierte Tirpitz zu Beginn des Flot05 (als die Briten auf die deutsche Heraustenbaues etwa für die Zeit um1904– forderung mit einem sowohl quantitativen als auch qualitativen Organisationsund Rüstungsprogramm antworteten, begann sich diese Gefahrenzone in die Länge zu ziehen; noch 1911 sah Tirpitz sie nicht überwunden,195 obwohl er die vorhandene immer wieder beschwörend erklärte, die Lage habe sich, weil „ ,196 schon entscheidend gebessert). Als das Mittel, mit dem Marine größer ist“ Gefahrenzone“die deutsche Flotten- und damit die Wirtdie Briten in dieser „ schaftsentwicklung bremsen würden, erwartete man einen gezielten Überfall auf Wilhelmshaven und Kiel, um die deutschen Schiffe präventiv zu vernichten,197 wiees 1807 den Dänen passiert war;198 als Schlagwort für einen solchen Kopenhagen“ein.199 Überfall bürgerte sich auch schnell „
ABSOLUTER UND RELATIVER UMFANG DER FLOTTE
Wie stark mußte die Flotte nun aber sein, um den gewünschten Effekt erzielen zu können? Stärkerelationen mochten auf einer abstrakten Ebene das Konzept verdeutlichen, Budgets, Werften und die Marineverwaltung mußten jedoch mit konkreten Zahlen arbeiten. Die stetig sich ändernde Stärke der S. 121, Anm. 275. 195Tirpitz an Bethmann Hollweg, 7. Oktober 1911, in: Tirpitz, Dokumente I, S. 223; GP XXVIII, Nr. 10306 (3. Juni 1909), S. 168ff. 196Ibid., S. 224. Tirpitz’ Denken schien sich mehr und mehr um diesen „ Kopenhagen“ Überfall zu verengen. Wann immer eine Krise nicht zu diesem Überfall geführt hatte Risikoansatzes“ziehen; gleich(1904/05, 1911), konnte er daraus eine Bestätigung seines „ zeitig verlor er außenpolitische Realitäten völlig aus dem Blick, als er noch 1912 froh über den Stapellauf dreier französischer Schiffe war, die er der Waagschale gegen England zurechnete (Tirpitz, Erinnerungen, S. 153; cf. Stadelmann, Flottenrivalität, S. 134f. Gemeint wardamit, daßsie in die Rechnung des Two-Power-Standards einfließen würden undGroßbritannien damit weiter an die Grenze seiner Baukapazität gezwungen wurde). 197Tatsächlich mangelte es nicht an Stimmen, die der britischen Regierung dies empfahlen (Marder, Dreadnought I, S. 111ff). 198In diesen Jahren kames tatsächlich zu Angstausbrüchen in der deutschen Bevölkerung. 199Die Spannungen nach dem Doggerbankzwischenfall führten dazu, daß Fisher König Edward VII. 1905 diesen Vorschlag allen Ernstes unterbreitete. Die Reaktion des Königs MyGod, Fisher, youmust be mad!“(Marder, Dreadnought I, S. 113ff). wurde legendär: „ Fisher irrte sich allerdings, wenn er auf das Beispiel Nelsons verwies: Nelsons Angriff auf Kopenhagen 1802 wareine reguläre Kriegshandlung. Der Überfall im Frieden 1807 geht auf das Konto von Admiral Gambier.
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3 Die „Funktionsweise“der Tirpitz-Flotte
gegnerischen Flotte mußte, wenn sie als Grundlage für ein deutsches Flottenbauprogramm herangezogen werden sollte, sich zumindest etappenweise in einem festen Bauziel für die deutschen Werften niederschlagen. Damit sind bereits zwei wesentliche Elemente der Tirpitzschen Flottenvermehrung genannt: Der Aufbau einer schlagkräftigen Streitmacht, also die Verfügung über eine gewisse Zahl von Schiffen in Relation zum Gegner; und die Stetigkeit dieses Ausbaues, der kontinuierlich vor sich gehen mußte, um die Kapazitäten der deutschen Werften sowohl zuerhalten wieauch auszunutzen. Beide dieser Ziele werden als Kernpunkte des Tirpitz-Konzeptes vonje her kontrovers und mit einer erstaunlichen Vielfalt von Ergebnissen diskutiert.
Diezweite Prämisse, diedeskontinuierlichen Flottenausbaues, determinierte für Tirpitz die Notwendigkeit nach einem Flottengesetz, das diejährlichen Planungen der Marine vom Budgetrecht des Reichstages entkoppelte.200 Gleichzeitig machte es sein Kunstgriff, Schiffe geschwaderweise zu fordern, da sich sonst kein anwendbares Einsatzverfahren ergeben konnte, demParlament „ mo201unmöglich, einzelne Schiffe willkürlich zu streichen. Stellt man die ralisch“ antiparlamentarische Stoßrichtung des Flottenbaues insgesamt in den Vordergrund, so ergeben Flottengesetz und Geschwaderprinzip zusammen eine gekonnte Überrumpelung des Reichstages, der sich in Marinedingen selbst die extrakonstitutionelle Reservat“der Hände binden undvon Übergriffen in das „ Seestreitkräfte absehen sollte.202 Dabei dürfen allerdings die militärischen Erwägungen, die in dieses Vorgehen einflossen, nicht ganz außer acht gelassen, das heißt, nicht vorneweg als reine Hilfsargumente für eine solche Verschleierungstaktik gesehen werden.203 Da ohnehin das Verhältnis Tirpitz’undseiner Flotte zumParlament hier nicht das Thema ist, soll hier der Hinweis genügen, daß der antiparlamentarische Charakter des Flottenbaues ein unbestreitbares Faktum ist, daß aber seine innenpolitischen und sozialimperialistischen Komponenten vonanderen Entscheidungsträgern innerhalb der Reichsleitung mehr in denVordergrund gerückt wurden als vondenMarineoffizieren, darunter Tirpitz, die sich zunächst mit den militärischen Erfordernissen einer solchen Flotte beschäftigten. Eine Arbeitshypothese für eine dahingehende Untersuchung wäre der Ansatz, das Verhältnis zwischen antiparlamentarischem Hauptanlie200Tirpitz, Mittel und Wegefür die Weiterentwicklung der deutschen Flotte (wie S. 30 Anm. 21). Cf. Tirpitz, Erinnerungen, S. 85ff; Berghahn/Deist, Rüstung, Nr. II 6 (S. 109ff): Notizen des Kontreadmirals Tirpitz für den Immediatvortrag am 28. Januar 1896 zu den politischen Voraussetzungen desKampfes umdas Flottenrüstungsprogramm, S. 110; auch Hubatsch, Realität undIllusion..., S. 64. 201Berghahn, Tirpitz-Plan, 115. 202Dies ist die grundlegende, die rein seemilitärische Gültigkeit der Tirpitzschen Gedanken in Abrede stellende unddaher nach Ansicht d. Verf. in dieser Schärfe nicht haltbare, These Berghahns (Der Tirpitz-Plan) und, in anderer Gewichtung, Epkenhans’ (Wilhelminische Flottenrüstung). Dagegen Salewski (Tirpitz). 203Rohwer, Kriegsschiffbau, S. 211ff. Rohwer betont allerdings zu stark die Analogie zu den langfristigen Flottenplänen anderer Staaten, eine Einschätzung, die den besonderen Verhältnissen des preußisch-deutschen Konstitutionalismus nicht gerecht wird.
3.3 Die Risikotheorie (Teil I)
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gen und militärischem Hilfsargument zu dessen Durchsetzung, wie es bei den Herrschaftseliten des Kaiserreiches sicherlich festzustellen ist, im Falle der Marineoffiziere umgekehrt zu sehen.204 Prämisse Nummer eins ist für diese Arbeit von größerem Interesse. Konnte ursprünglich noch der Umfang der deutschen „Seeinteressen“einen Anhalt für den Umfang der erforderlichen deutschen Flotte geben, so mußte doch mit der Konzentration auf einen Hauptgegner die Flottenentwicklung mehr und mehr aus der Relation zu dessen Seestreitkräften ihre erforderliche Stärke bestimmen. Weder das Flottengesetz von 1898 mit seinen 19, noch das von 1900 mit seinen 38 Linienschiffen205 tragen darüber allerdings den geringsten Aussagewert: Zwar sollte 1900 die Flottenstärke schon ein „ Risiko“für den seemächtigsten Gegner“bedeuten, doch auch eine Verwendung gegen den „ franko-russischen Zweibund lag ebenfalls noch in seiner Perspektive. Hier nun griff das Tirpitzsche Vorgehen in Etappen, dergestalt, daß es im großen und ganzen vorausbestimmte Flottenstärken in stufenweise erhöhte Forderungen stellende Flottengesetze mit jeweils ihrer eigenen strategischen Begründung goß: Die neue Stufe wurde einfach auf die alte „ aufgepfropft“.206 Stand allerdings der wirkliche Gegner, Großbritannien, schon 1898 fest, dann mußte es bereits zu diesem Zeitpunkt feste Vorstellungen davon geben, wie stark diese Flotte letztendlich zu sein hatte.207 Den aus dem Landkrieg zur Verfügung stehenden Lehren gemäß hielt der erste Seekriegstheoretiker der deutschen Marine, Stenzel, auch für den Seekrieg eine Materialüberlegenheit von 2:1 auf Seiten des Angreifers für notwendig.208 Tirpitz hielt, die Seekriegsgeschichte heranziehend, 3:2 für realistischer.209 Würde also die Royal Navy der deutschen Flotte in mindestens diesem Verhältnis gegenübertreten, so konnte sich jene nur zusammenschießen lassen oder das Gefecht verweigern. Es kommt hinzu, daß sich alle Theoretiker darmathematischen“Gesetzen enger folgt als über einig sind, daßdie Seeschlacht „ das Gefecht an Land. Eine unterlegene Flotte wird durch die schnelle Ausschal204Ähnlich formuliert bei Deist, Flottenpropaganda, S. 14. 2051898 wurde ein Doppelgeschwader zu je acht Schiffen, ein Flottenflaggschiff und eine Materialreserve vonzwei Linienschiffen gefordert (Begründung zumFlottengesetz 1898, S. 4). Das Flottengesetz 1900 forderte ein zweites Doppelgeschwader samt Flaggschiff sowie die Erhöhung der Materialreserve denneuen Bedürfnissen entsprechend, verdoppelte also das Gesetz von 1898 (Begründung zumFlottengesetz 1900, S. 3358). 206Der Ausdruck stammt von Tirpitz; Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 113; Herwig, Luxury Fleet, S. 37. 207Das Flottengesetz von 1898 faßte noch den Krieg gegen den Frankreich und Rußland ins Auge, der damals der politisch wahrscheinlichste Fall war. Da aber klar ist, daß Tirpitz dieses Gesetz nur als Etappe verstand, kommt seiner Bemerkung, es werde über bei der [...] über die strategischen u[nd] taktischen Vertretung des Gesetzes vor demReichstag „ Motive offener gesprochen werden müssen als im Hinblick auf d[ie] Generalstäbe d[er] fremden Marinen sonst wünschenswert [...]“sei, höchstens momentane Bedeutung zu (Immediatvortrag vom 15. Juni 1897 [wie oben S. 38 Anm. 61], S. 134). 208Stenzel, Kriegführung, S. 163f. 209Dienstschrift IX, S. 93. Auch: Herwig, Luxury Fleet, S. 36ff.
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tung einzelner Einheiten eine galoppierende Verschlechterung ihrer Situation erleben. Es folgt daraus, daß der Unterschied zwischen einem „ Risiko“für den Gegner und dem eigenen Sieg an sich schon ein sehr geringer ist. Tirpitz jedenfalls kam um die Mitte der 1890er Jahre zu der Einsicht, daß eine Flotte, der die englische umnicht mehr als ein Drittel überlegen sei, im Gefecht nicht hoffnungslos zu unterliegen drohte.210 Weiter unten wird das Fallenlassen des Risikogedankens und die Verkündung einer 2:3-Relation diskutiert, ein Vorgang, der in der Forschung immer wieder als Beweis für die „ Verschleierung“ der Tatsache, daß die Flotte England von Anfang an allein besiegen sollte, durch die leere Hülle „ Risiko“ -Gedanke, gewertet wird. Es kann jetzt schon darauf hingewiesen werden, daßmit demAbwehrerfolg, dendie „ Risiko“ -Flotte erringen sollte, nichts anderes als die Chance auf den Sieg in der Seeschlacht gemeint ist.211 Darüber konnte auch in der informierten Öffentlichkeit kein Zweifel herrschen. Im Lichte der nur relativierbaren, aber nicht umkehrbaren britischen Materialüberlegeneit vertraute Tirpitz überdies auf einen qualitativen Vorsprung212 der deutschen Marinerüstung und-organisation, umden zahlenmäßigen Nachteil auszugleichen. Es kam hinzu, daß man die britische Regierung personell zu überfordern hoffte: Wenn der two-power-standard (plus 10%)–ausgehend von der deutschen Flottenvermehrung bis 1904 (dann würde das als Sexennat realisierte Flottengesetz auslaufen, wobei vorher eine erneute Novellierung geplant war)–auch baulich gehalten werden konnte, so würde eine Reaktion auf das zweite Flottengesetz doch den Dienst von 50.000 Mann in den Schiffen beanspruchen–ausgebildetes technisches Personal, über das England, so glaubte man, nicht verfügte.213 Üblicherweise wird der von Tirpitz allenthalben geplante Sollbestand der Flotte in ihrem endgültigen Ausbauzustand mit 60 großen Schiffen, also Linienschiffen und großen Kreuzern, beziffert.214 Die Zahl war lange unklar, läßt 210Dieses Verhältnis sollte man im Auge behalten, wenn man sich das spätere „ Umkippen“ der Risikotheorie zugunsten einer offen verkündeten 2:3-Relation ansieht, die seit 1910/11 Sieg“und nicht nur zum„ Risiko“eröffnen sollte (s.u.). unstreitig eine Perspektive zum„ Risikogedanken“vorgestellte britische Sieg ja auch schon der für Überdies war der im „ günstigste Fall“ , nicht der einzig mögliche (cf. Stadelmann, Flottenrivalität, S. England „ 104). 211 Hierzu auch: Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 192f. 212Nach Tirpitz’eigener Einschätzung lagen die generellen Vorteile der deutschen über die [...] geographische[n] Lage [!], Wehrsystem, Mobilmachung, Torenglische Flotte in der „ pedoboote, taktische[n] Ausbildung, planmäßigen organisatorischen Aufbau undeinheitliche[n] Führung [...].“(Tirpitz, Erinnerungen, S. 107; Zitat aus dem Immediatvortrag vom28. September 1899 (wie oben S. 33 Anm. 35). Sein Adlatus Hopman stimmt auch hierin überein (Hopman, Logbuch, S. 401). 213Admiralstab, Denkschrift zum Immediatvortrag vom 23. Januar 1900, 20. Januar 1900, cit. nach Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 288. Cf. Stadelmann, Flottenrivalität, S. 104f. 214Zuden vom„ Tirpitz-Plan“letztendlich verfolgten baulichen Zielen cf. Berghahn, Tirpitz617; Deist, Flottenpropaganda, S. 11f; Kennedy, Maritime StrategiePlan, S. 192f, 607– probleme, S. 181; Herwig, Luxury Fleet, S. 36; Petter, Flottenrüstung, S. 172f, S. 178f;
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sich aber anhand der Quellen eindeutig greifen: Im Sinne der Kontinuität des Flottenbaues, das heißt, der Vermehrung und des gleichzeitigen bzw. anschließenden Ersatzes veralteter Schiffe, strebte Tirpitz, wie Berghahn eindeutig Dreiertempo“ , also den nachgewiesen hat, vomersten Tage an das sogenannte „ Bau von drei großen Schiffen jährlich, an.215 Zusammen mit der lange geplanten und in der Novelle von 1908 auf 20 Jahre festgesetzten Lebensdauer der Großkampfschiffe216 ergab sich eine aus sechzig Schiffen bestehende Schlachtflotte, deren älteste Einheiten jährlich automatisch ersetzt wurden. Mit der erneuten Erweiterung des Bauprogramms durch die Novelle von 1912 wurde dieses Ziel, demmansich bisher in Etappen angenähert hatte, in Gesetzesform erreicht–das Tirpitz-Programm also voneiner Frage der Marinepolitik, das es die ganze Zeit gewesen war, zu einer des Schiffbaues allein.217 Wie verhielt sich diese–gigantisch anmutende–Zahl zu dem angestrebten Verhältnis von 2:3? Tirpitz dazu: Die Relation ist ein Grundsatz, kein Rechenexempel. Wird die No„ d. Verf.] durchgeführt, so wie von mir vorgeschlagen, so kann die Flotte [...], alles in allem genommen von den Engländern nicht um mehr als die Hälfte überboten werden. [...] Durchführung eines „ Two German Standards“d. h. ein jährliches Bautempo von sechs großen Schiffen [...] ist auch für die Engländer nicht möglich.“ 218 velle [von 1912,
Die vonTirpitz erwähnte Novelle sollte, da England 1909 mit demKraftakt einer Inbaugabe von acht großen Schiffen davongezogen war, die Relation von 2:3 sicherstellen, konnte aber nur sehr zurechtgestutzt durch den Reichstag lanciert werden.219 Das angestrebte Verhältnis war aber, wie ebenfalls ersichtlich, ein minimales: Jeder Umstand, der das Verhältnis angleichen konnte, war Stadelmann, Flottenrivalität, S. 104, verwendet noch die von Hallmann in Umlauf gebrachte (falsche) Zahl von 40 Schiffen. Cf. hierzu den zu Petter, Flottenrüstung gehörigen bibliographischen Essay, in: HACKL, OTHMAR/MESSERSCHMIDT, MANFRED (Hrsg.), 1981, Bd. 1939, 6 Bde., München 1964– Handbuch zur Deutschen Militärgeschichte 1648– 507, S. 4, München 1979, Abschnitt VIII: Deutsche Marinegeschichte der Neuzeit, S. 491–
503. 215„ Die Bedeutung des dadurch erlangten Äternats für das 3-Tempo schien S[eine] M[ajestät] nicht zu erkennen oder nicht zu schätzen. Im Ganzen war dieser Vorgang deprimierend für mich, der [ich] seit 10 Jahren unaufhörlich dieses eine Ziel verfolgt habe.“(Berghahn/Deist, Rüstung, Nr. VII 9: Notizen des Staatssekretärs des Reichsmarineamtes, Admiral v. Tirpitz, zumImmediatvortrag am 29. September 1907 über die Erweiterung der geplanten Novelle zumFlottengesetz, S. 325. Ergänzung vomHrsg.); cf. DÜLFFER, JOST, Wilhelm II. und Adolf Hitler. Ein Vergleich ihrer Marinekonzeption, in: ELVERT, JÜRGEN/JENSEN, JÜRGEN/SALEWSKI, MICHAEL (Hrsg.), Kiel, die Deutschen und die See 69, S. 56; Deist, Flottenpropaganda, S. 172f. (=HMRG Beiheft 3), Stuttgart 1992, S. 49– 216Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 505ff. 217Epkenhans, Wilhelminische Flottenrüstung, S. 93– 142. 218Tirpitz an Bethmann Hollweg, 7. Oktober 1911 (wie Anm. 195), S. 222. Hervorhebungen und Interpunktion im Original. 219Petter, Flottenrüstung, S. 255f; Epkenhans, Griff nach der Weltmacht, S. 127.
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erwünscht. Während vor den Reformen Fishers und dem mit der Aufgabe der Helgoland-Position verbundenen teilweisen Wegfall der dort wirksamen ausgleichenden Momente (s.u.), vor demAuseinanderbrechen der Grundkonstanten des Risikogedankens also, die stärkemäßige Relation von 2:3 der deutschen Marine–mit etwas Glück und zum richtigen Zeitpunkt220–ein örtliches und zeitliches Übergewicht hätte verschaffen können, mußte nun, als diese Momente zwischen 1904 und 1909 wegfielen, die Relation von 2:3 oder, je nach Lage, darüber hinaus, zum Erzielen eines Übergewichtes genügen (vorübergehend war deshalb auch an die Formulierung einer Relation von 3:4 bei den Neubauten gedacht; von einer solche Provokation Englands sah man dann aber doch ab221). Auch, wenn Tirpitz überzeugt war, die Briten an die Grenze ihrer Baukapazität222 getrieben zu haben, schien der Flotteneinsatz doch mehr und mehr zum Glücksspiel zu werden. Während es, unter demDruck der immer ungünstiger werdenden Verhältnisse, für Tirpitz in der letzten Zeit des Flottenbaues aber hauptsächlich darum ging, den Vorsprung der Engländer nicht zu groß werden zu lassen,223 können, abhängig vom Betrachtungsgegenstand, derlei durch exogene Fährnisse undKompromisse ausgelöste Relativierungen nicht mit denletztlich verfolgten Zielen verrechnet werden. Will mandieTheorien undDenkfiguren, diedie Handelnden leiteten undmotivierten, in denBlick rücken (ein Vorhaben, das seine Tirpitz-Plan“ Berechtigung aus dem ausgesprochen langfristig angelegten224 „ zieht), so bleibt festzuhalten: Es ging der deutschen Marine, der „ Front“wie dem RMA, letztendlich darum, die Royal Navy in der großen Entscheidungsschlacht allein zu besiegen. Warum dieses aber nicht per se eine Aufhebung defensiven“Risikogedankens225 bedeutet, wird weiter unten dargestellt. des „ 220Petter, Flottenrüstung, S. 178f. Man rechnete ja nicht damit, daß die Royal Navy ihre gesamten Kräfte in der Nordsee konzentrierte, und selbst der Anmarsch der in den Heimatgewässern stationierten Verbände konnte einige Tage in Anspruch nehmen, in denen die unmittelbar verfügbaren Einheiten der Home Fleet bereits geschlagen werden konn-
ten. Freilich ist es in militärischen Planungen ein grundsätzlicher Fehler, mit Fehlern des Gegners
zu rechnen.
221GP XXVIII, Nr. 10370, Metternich an Bethmann Hollweg, 3. Februar 1910; GP XXVIII, Nr. 10306, S. 169: „ [...] der Vorschlag des Admirals von Tirpitz einer Relation von 3:4 [...] würde [...] in kürzester Frist zumKriege führen.“; auch S. 174; cf. Epkenhans, Wilhelminische Flottenrüstung, S. 65; Stadelmann, Flottenrivalität, S. 104. Es ist bemerkenswert, in welchem Maße Tirpitz über der Rettung seiner Flottenpläne dieaußenpolitischen Implikationen seines Handelns ignorierte; dies ist freilich vonjeher das Grundmotiv der kritischen Forschung.
222Tirpitz, Dokumente I, S. 343. 223Die in der Literatur an dieser Stelle gerne gemachten Stärkevergleiche hält d. Verf. für wenig sinnvoll, da eine kaum überschaubare Zahl von Faktoren hier berücksichtigt werdenmüßten. Ein wirklich erschöpfendes statistisches Werk über das Verhältnis der beiden Flotten stand demVerf. nicht zur Verfügung. Zur Orientierung nützlich Rohwer, Kriegsschiffbau, S. 224– 233. 224Tirpitz hatte das Erreichen der 60-Schiffe-Flotte für 1920 geplant; später willigte er in eine Verlangsamung bis 1925 ein (GP XXVIII, Nr. 10306, S. 175). 225So schon Stadelmann, Flottenrivalität, S. 104, wenn auch allein vor politischem Hin-
3.3 Die Risikotheorie (Teil I)
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EINE GLEICHUNG MIT VIELEN UNBEKANNTEN
Der ideenreiche, aber im Korps umstrittene Admiral Henning v. Holtzendorff, 1913), trat mit einer Nachfolger des Prinzen Heinrich als Flottenchef226 (1909– eigenen strategischen Idee hervor, dieer durch seine Dienststellung im Manöver einzubringen vermochte und die damit zwangsläufig Tagesordnungspunkt der strategischen Diskussion innerhalb der Marine (die sich üblicherweise zwischen den drei Polen Tirpitz–Admiralstab–Flottenchef abspielte) war. Sie ermöglicht uns, da unser Interesse hier ja der Resonanz und Nachvollziehbarkeit der Tirpitzschen Ideen unter den zeitgenössischen Experten gilt, eine Perspektive auf die Prämissen, von denen die Risikotheorie ausging, und wird deshalb hier kurz skizziert. Dieser „Umweg“wird den Zugang zur Diskussion einiger Risikogedanke“erschließen. Charakteristika des operativen Konzeptes „ Holtzendorff war ein dezidierter Vertreter dessen, was in der Marine die [...] Schlacht in unmittelbarer AnPositionstaktik“genannt wurde und die „ „ lehnung an die durch unsere Küstengestaltung, Befestigungen, Untiefen oder Minensperren“,227 die im öffentlich formulierten Konzept der Marine also die zahlenmäßige Überlegenheit des Gegners ausgleichenden Faktoren, zustande zu bringen versuchte. Die operative Verwirklichung dieser Idee wollte Holtzendorff durch die Zusammenziehung der Flotte im Kattegat und den südlich davon liegenden Gewässern, in der Ostsee also, erreichen. Das kam einer Preisgabe der Nordsee gleich, denn eine Entwicklung der Flotte in die Nordsee hinein hätte den Besitz Jütlands und der dänischen Inseln und günstigstenfalls den eines leistungsfähigen Hafens (etwa Skagen) vorausgesetzt, Dinge, die für die Marine nur durch die Besetzung Dänemarks zuerreichen waren, dessen Feindseligkeit manin Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg überbewertete (hier zeigte das deutsche Militär einmal die sonst selbstverständliche Praxis der worst-casePlanung, deren sträfliche Vernachlässigung sich ansonsten durch die gesamte deutsche Militärgeschichte von 1871 bis 1945 zieht). Eine Besetzung Dänemarks freilich warindiskutabel, nicht zuletzt deshalb, weil sie der Generalstab des Heeres kategorisch ablehnte.228 Holtzendorff ging es dabei aber gar nicht um eine Entwicklung der Flotte aus dem günstigen Aufmarschgebiet des Kattegats in die Nordsee hinein. Äußerungen oder gar Lösungen zu den politischen Schwierigkeiten, die sein Konzept aufwerfen würde, fehlen von ihm, so scheint es, gänzlich. Eine vollständige Auswertung des Schrifttums Holtzendorffs könnte hierfür vielleicht Erhellendes zutage fördern. Hopman berichtet lediglich
in einem Nebensatz,
tergrund argumentierend; der strategische Aspekt, der hier im Vordergrund stehen soll, fehlt. 226Sein Chef des Stabes 1909– 1912 war Scheer (Scheer, Segelschiff, S. 181). 227Hopman, Logbuch, S. 366. Zum Folgenden ibid., S. 366ff. 228Weniger, Operationsplan, S. 7, 5; Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 338f; Gemzell, Innovation,
S. 66f, 69f.
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3 Die „Funktionsweise“der Tirpitz-Flotte
habe „ Vorstöße aus dem Kattegat“229empfohlen. Er hatte im wesentlichen, so der Eindruck, jedoch einen Plan im Auge, der ohne die wohlwollende Neutralität oder Besetzung Dänemarks auskam. Seiner demMahanschen Schlachtschiffgedanken ganz verhafteten Auffassung nach würde die britische Flotte die deutsche Fleet in Being in der Ostsee mit Beginn eines Krieges aufsuchen, umsie zu vernichten;230 die sich dabei in der Ostsee ergebende SeeHoltzendorff
schlacht würde in enger Anlehnung an die das Kräfteverhältnis ausgleichenden Faktoren der deutschen Küste, wie sie in dem 2:3-Konzept ausgedrückt sind, durchgefochten werden.
In der Marine jedoch stieß die Idee Holtzendorffs auf keine positive Resonanz; sie wurde vom Admiralstab als in die 1890er Jahre gehörig und von der Dienstschrift IX überholt abgetan. Zwei Dinge stachen heraus: Man befürchtete, der Rückschritt werde seine negative Wirkung vor allem in bezug Offensivgeist“der auf den von Tirpitz seit Jahrzehnten dezidiert geforderten „ Flotte entfalten, gleichzeitig begann man, sich doch nicht so sonderlich wohl komdabei zu fühlen, alles auf die eine Karte zu setzen, daß die Royal Navy „ 231). Welcher unzuverlässigem Optimismus“ men“würde (Fischel sprach von „ der beiden Einwände der gewichtigere war, ist eine schwer zu klärende Frage. Die Darstellungen der Operationsbefehle kommen üblicherweise ohne den Rekurs auf die moralische Komponente aus.232 Der Ausstattung des Personals Geist“wurde jedoch in vielen psychologisierenden Schriften mit demrichtigen „ praktisch aller bedeutsamen Marineoffiziere viel Raum gegeben; eine Tradition, die linear in die Raedersche Flottenentwicklung der zwanziger und dreißiger 229Hopman, Logbuch, S. 367. Hopmans Angaben sind ungenau. An zwei Stellen setzt er sich mit deroperativen Idee Holtzendorffs auseinander; daserste Mal(S. 366f) mit demAkzent auf dem„ Vorstoß aus dem Kattegatt“ , der schon im Ansatz unpraktikabel sei; das zweite Mal (S. 374f) stellt er dieals dieIdee Holtzendorffs dievöllige Preisgabe derNordsee und die Seeschlacht in der Ostsee dar. Tatsächlich sind die beiden Ideen, die Hopman trennt, miteinander verbunden, denHoltzendorff wollte beim Mißlingen desVorstoßes, etwa, weil er ein „Luftstoß“wurde, der Flotte die Rückzugslinie in die Ostsee offenhalten (Weniger, Operationsplan, S. 5), wobei derVorstoß für denFall geplant war, daßdie deutsche Flotte zu Kriegsbeginn ihre volle Kampfbereitschaft erreicht hätte; eine unterlegene deutsche Flotte sollte durch Vorstöße nach Nordwesten die Briten in die Ostsee ziehen und dort unter Ausnutzung der Positionsfaktoren schlagen (Gemzell, Innovation, S. 82f). 230„ Er war der Ansicht, daß die englische Flotte doch darauf ausgehen würde, die deutsche Flotte, woauch immer sie sich stellen würde, zu schlagen.“(Scheer, Segelschiff, S. 185). 231Denkschrift Fischels: Ostsee oder Nordsee als Kriegsschauplatz, 18. August 1910, cit. bei Gemzell, Innovation, S. 79f, 83. Bis 1911 allerdings war dieser Optimismus sicher unzuverlässig, aber nicht ganz verfehlt, und auch danach setzte sich die Abkehr von der sofortigen Vernichtung des Gegners in der Royal Navy nicht vollständig durch (Petter, Flottenrüstung, S. 177). 232Eine interessante Fußnote dabei ist, daß der Einspruch, den Tirpitz selbst gegen Holtzendorffs Plan erhob, geltend machte, daß bei einem Vorstoß aus Süden (also von den Nordseehäfen her) die deutsche Flotte flexibler sei und den Zeitpunkt der Begegnung selbst wählen konnte, falls es aus irgendwelchen Gründen geraten schien, der Entscheidungsschlacht auszuweichen (cf. Tirpitz bei Weniger, Operationsplan, S. 5)
3.3 Die Risikotheorie (Teil I)
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Jahre fortwirkte.233 Die Denkweise des kaiserlichen Marineoffizierskorps würde diese Erklärung allein schon plausibel erscheinen lassen. Gleichzeitig mehrten sich aber im letzten Jahrfünft der Flottenrüstung die Anzeichen dafür, daßdie britische Flotte keineswegs darauf angewiesen war, und im Kriegsfalle möglicherweise davon absehen würde, der deutschen Hochseeflotte am ersten Tage des Krieges entgegenzufahren, um diese potentielle Gefährdung seiner Seeherrschaft zu vernichten. War es aber falsch, die Flotte ganz aus der Nordsee zurückzuziehen, wodie Engländer sie nicht aufsuchen würden, so wares militärisch ebenso fragwürdig, sie in den deutschen Nordseehäfen zu konzentrieren, wo sie zwar näher an England, aber ebenso auf den Angriff der Engländer angewiesen war. Das wiederum läßt einen der beiden für das Scheitern des Tirpitz-Planes im militärischen Sinn entscheidenden Punkte offenbar werden: Der erste wardie Baukapazität undder Bauwille234 der Engländer, die Tirpitz Engen Blockade“ beide unterschätzt hatte; der zweite ist die Frage der „ .
Gemäß dem gängigen strategischen Verständnis glaubte man sich sicher sein
zukönnen, daßdieRoyal Navyals eine derersten Kriegshandlungen dieBlockadeder deutschen Küste undihrer Häfen erklären undmit ihren Seestreitkräften
diese abriegeln würde.235 Obwohl dieses Verfahren schwerwiegende Nachteile236 besaß, eine Flotte sehr gefährdete und einen enormen Abnutzungseffekt mit sich brachte, glaubte die deutsche Marine, in der Seekriegsgeschichte den Beleg für die unumgängliche Wahl gerade dieser Variante zu erkennen, umso mehr,
Our maritime frontier must be the territoals sie mit der britischen Maxime „ 237auch den emotionalen Bedürfnissen des britischen rial waters of the enemy“ weiten BlockaSeeoffizierskorps entsprach: Die ökonomischere Variante der „ in der Tradition der Engländer“,238 äußerte Admiralstabschef de“liege nicht „ Büchsel zuversichtlich. Erst 1910 begann man die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daßdie britische Flotte sich außerhalb des Wirkungsbereiches der deutschen Torpedoboote damit begnügen könnte, die Eingänge der Nordsee abzuriegeln, eine Einsicht, die wesentlich auf die Fertigstellung der Befestigungen von Borkum und Helgoland zurückzuführen ist, die die Gefahr für in der deutweite“ schen Bucht operierende britische Blockadekräfte potenzierten.239 Diese „ 233Stang, Das zerbrechende Schiff, S. 159ff. 234Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 427f; Epkenhans,
Griff nach der Weltmacht, S. 127f; auch Stadelmann, Flottenrivalität, S. 105. Komplementiert wurde diese Fehleinschätzung der materiellen undpersonellen Ressourcen Großbritanniens durch die Projektion gegenwärtraditioneller“politischer Linien auf die Zukunft mit dem Ergebnis, daß die tiger oder „ Möglichkeit einer Koalition England-Rußland oder England-Frankreich zunächst nicht ernsthaft in Betracht gezogen wurde. 235Kennedy, Maritime Strategieprobleme, S. 184ff, 196ff. 236S. u. Abschnitt 4.3. 237The Personal Papers of Lord Rendel, London 1931, S. 241 (cit. nach Marder, Anatomy,
S. 68).
238Immediatvortrag: Krieg England u[nd] Deutschland (wie oben S. 42 Anm. 77). 239Weniger, Operationsplan, S. 6. Gleichzeitig spielte auch die Vervollkommnung des UBootes eine Rolle, die auf die Admiralität eine von der Verwendung von Großkampfschif-
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3 Die „Funktionsweise“der Tirpitz-Flotte
Blockade schnürte die deutsche Zivilschiffahrt ebenso wie die enge Spielart ab und war für die Royal Navy ökonomischer. Einen Punkt gab es allerdings, der elegantere“weite Methode im Bewußtsein derdeutschen wieder die unstreitig „ britischen Marine nicht automatisch zur bevorzugten Alternative werden ließ: Die weite Blockade würde, zumindest zunächst, nicht zu der Entscheidungsschlacht führen, die die deutsche Marine als auch von den Briten gewünscht ansah.240 Die ungeheuren Vorzüge der weiten Blockade, die der Royal Navy im Ersten Weltkrieg die Abriegelung der Nordsee ohne unverhältnismäßige Gefährdung ihrer Seestreitkräfte gestatteten, sah man dadurch aufgehoben, daß keine echte unddauerhafte Seeherrschaft ohne die Ausschaltung der deutschen Flotte zuerrichten war, unddie Briten deshalb die deutsche Flotte so früh wie möglich stellen und ihr bei Helgoland in die Falle gehen würden.241 Festzuhalten bleibt, daß, obwohl die gravierenden Schwierigkeiten, denen sich die Royal Navy bei der engen Abriegelung der deutschen Nordseeküste gegenübersehen würde, in Deutschland sehr wohl bekannt waren,242 ein Abgehen der Briten von diesem nach der zeitgenössischen Einschätzung bewährtesten aller Seekriegsmittel243 nicht erwartet wurde. Die späteren Kapitel werden zeigen, daßdies, selbst wenn ein gewisses Maßan zweckgerichteter Selbsttäuschung dabei involviert war, sich doch zum nicht geringen Teil auch auf allgemein anerkannte strategische Prinzipien, mithin also eine „ rationale“nicht weniger als eine „ emotionale“Komponente, zurückführen läßt. Dieses Vertrauen auf tradierte strategische Konventionen begann erst in der zweiten Dekade des zwanzigsten Jahrhunderts zu wanken;244 allerdings ist, gerade auch was den Zeitpunkt solcher Zweifel anbelangt, festzustellen, daßdie aus demAdmiralstab, besonders aber dieausdemFlottenkommando kommenden operativen Einschätzungen und Konzepte eine wesentlich höhere Volatilität aufwiesen als die in der langfristigen Planung des RMAvorherrschenden. Während die Pläne des RMA sich mit der Verwendung der fertiggestellten Flotte beschäftigten, mußten die anderen Immediatbehörden in wesentlich höherem Maße, im Falfen in Küstennähe abschreckende Wirkung hatte (hierzu auch Marder, Anatomy, S. 368). all shades of naval opinion“(ibid.) hätten die enge Blockade Marders Einschätzung, „ seit 1903/4 als anachronistisch empfunden, ist allerdings zu hoch gegriffen: Noch 1911 mußte Corbett gegen das anschreiben, waser als nach wie vor gängige Ansicht des Seeoffizierskorps empfand (s.u.), und der Übergang zur weiten Blockade vollzog sich nicht auf einmal, sondern stufenweise (Gemzell, Innovation, S. 78). 240Scheer, Segelschiff, S. 182; cf. die Ansicht Holtzendorffs. In der Tradition der deutschen Marine war die Notwendigkeit dieser Entscheidungsschlacht ein ausschlaggebendes Kriterium, wie im nächsten Teil deutlich wird. 241Selbst Corbett, der an dem Umdenkprozeß zugunsten der weiten Blockade in Großbritannien maßgeblich beteiligt war, legt in seinen Principles noch dar, daß die wünschenswerteste Konstellation die frühestmögliche Vernichtung der gegnerischen Schlachtflotte sei (s.u. S. 139). 242Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 338. 243Erst die neueste Forschung nimmt die historische Unhaltbarkeit dieser Beurteilung der britischen Seestrategie ins Visier: Rodger, Sea Power, S. 177 244Weniger, Operationsplan, S. 6.
3.3 Die Risikotheorie (Teil I)
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le des Flottenkommandos sogar ausschließlich, die unmittelbare Kriegsbereitschaft und den Istbestand der Flotte zur Grundlage ihrer Planungen nehmen. Gerade um deren Zustand aber war es, da das RMA den anderen Behörden wertvolle Ressourcen geistiger und materieller Natur zu entziehen und in den Dienst der planmäßigen Rüstung zu stellen245 bemüht war, praktisch während der gesamten Zeit des Flottenbaues–auf den strategischen Maßstab, nämlich die Gegnerschaft Englands berechnet–nicht gut bestellt, was zu einem tiefgreifenden Antagonismus zwischen dem RMA und der sogenannten „ Front“ führte.246
WERT“ DES RISIKOANSATZES ZUM „
Daß so viele Prämissen erfüllt sein mußten, damit der Risikoansatz wirken konnte, und daß vor allem kein Raum für Gegenmaßnahmen einer weit- oder wenigstens nicht allzu kurzsichtigen politischen und Marineführung GroßbriFehlrechnung“ein, tanniens gelassen wurde, trug Tirpitz das Zeugnis einer „ so gigantisch [ist], daß sie an das Wahnwitzige streift“,247 eines „gruesome die „ monstrous mistake“.248 Will man das Militärfachliche zunächst hintan,„ error“ stellen und sich der politischen Beurteilung des Risikoansatzen zuwenden, so zeigt der Gang der Ereignisse, daß, gerade was die Bündnisvorstellungen Tirpitz’betraf, der Flottenbau gemäß dem„ Risiko“ -Prinzip das genaue Gegenteil dessen herbeiführte, was ursprünglich beabsichtigt war. Die außenpolitischen Fragen selbst sollen im nächsten Kapitel untersucht werden, es ist jedoch hier Wahnwitz“des Tirpitzschen Vorhaschon die Frage angängig, inwieweit der „ bens in der Zeit selbst erkennbar war, anders herum, inwieweit die RisikoTheorie und die ihr zugrundeliegenden Einschätzungen und Absichten noch die politischen Mechanismen, gemäß denen das europäische Konzert funktionierte, wiederspiegeln oder zumindest das Bild, das die Reichsleitung selbst 245Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 286f, 290, 295. 246Cf. die Protest- und Schmähschriften der aus der „ Front“erwachsenen Tirpitz-Gegner (RUST, FRANZ, Marinesorgen. Revision des Flottenprogramms, Berlin 1904; VALOIS, VIKTOR V., Deutschland als Seemacht sowie Betrachtungen marinepolitischen Inhalts, Leipzig 1908; GALSTER, KARL, Welche Seekriegs-Rüstung braucht Deutschland? (wie S. 84 Anm. 114; PERSIUS, LOTHAR, Tirpitz, der Totengräber der deutschen Flotte, Berlin 1918, u. a. m.), aber auch Denkschriften undImmediatberichte vonAdmiralstab undFlottenchef, die diesen Zustand immer wieder beklagten (Berghahn, Tirpitz-Plan, passim). Es ergibt sich hieraus die Schwierigkeit, daß der notwendig kompromißhafte Charakter Front“vertretene Idealvorstelder Operationspläne wenig Aufschluß über etwa von der „ lungen gibt, mit denen sich die Planungen des RMA nahezu ausschließlich befaßten: Eine Diskrepanz der Ergebnisse ist somit nicht notwendigerweise Hinweis auf andersgeartete offensive“Operationsplan für 1909 etwa stellt, allen Unstrategische Auffassungen. Der „ Front“zum Trotz, eher eine Annäherung an den Risikogedanken dar als seine muts der „ Ablehnung; die vorher gültigen Befehle blieben dahinter zurück. Cf. Ostsee oder Nordsee als Kriegsschauplatz, 18. August 1910 (wie oben Anm. 231).
247Stadelmann, Flottenrivalität, S. 117. 248Herwig, Luxury Fleet, S. 34.
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von ihnen hatte. Daß sie dies bis zu einem gewissen Grade taten, läßt sich der Tatsache entnehmen, daß selbst ein intimerer Kenner dieser Mechanismen, als es Tirpitz sein konnte, nämlich der Botschafter in Paris, Graf Münster, Tirpitz’ Idee nicht für abwegig, sondern sogar für äußerst plausibel hielt: Die starke Flotte ist, nach meiner Auffassung, nicht dazu bestimmt, „ ummit England Krieg zuführen, wird aber ein wichtiger Faktor sein, um mit England auf gutem Fuße zu bleiben. England wird in der Zukunft stets suchen müssen, eine Koalition unserer Flotte mit denen einer oder mehrerer Mächte zu verhindern. So stark wie die englische kann und darf, solange wir eine so starke Kontinental-Armee halten müssen, die deutsche Flotte nicht werden, sie mußaber so stark sein, daß sie vereint mit der stärksten Flotte einer anderen Nation England die Spitze bieten kann [...] England [muß] uns nicht als Feind, aber als ebenbürtig 249 ansehen; wases nur tut, wenn wir mächtig genug sind, auch zur See.“
Es fällt hier sofort das wichtige caveat ins Auge: Die deutsche Flotte dürfe keinesfalls so stark wie die englische werden (die Möglichkeit, daß die Bedingung des starken Heeres wegfiel, braucht nicht erörtert zu werden). Nur die Aussicht, im Falle einer ungerechten Behandlung Deutschlands mit einer Flottenkoalition indignierter Großmächte konfrontiert zu werden, sollte England von einer solchen weltpolitischen Zurücksetzung abschrecken. Eine see-hegemoniale Stellung zusätzlich zu der in Kontinentaleuropa halb-hegemonialen Stellung Deutschlands durch sein Heer werde Großbritannien nicht tolerieren, jeder Versuch in dieser Richtung also in denKrieg münden. Der Gegensatz zuTirpitz’nur wenig später getroffener Aussage, Deutschland brauche die so stark wäre wie die englische,“250ist diametral. eine Flotte, „ Zunächst ist allerdings gar nicht von Belang, daß Tirpitz wohl bereits bei der Formulierung des Risikogedankens daran dachte, ihn zudurchbrechen, und tatsächlich eine Flotte plante, die die Entscheidungsschlacht mit Großbritannien allein aufnehmen konnte (oder vielmehr, daß Tirpitz insgeheim das RiRisiko“ sikokonzept selbst auf eine solche Flotte ausdehnte bzw. den Begriff „ nicht an ein bestimmtes operatives Vorgehen gebunden, sondern als Synonym für „Abschreckung“verstand251–umso mehr, als die Admiralität bereits 1902 249Hohenlohe, Denkwürdigkeiten, S. 575f: Münster an Hohenlohe, 13. Juni 1900. Diese Äußerung weist umso mehr darauf hin, daß Münster den Risikogedanken durchaus als den politischen Mechanismen angemessen empfand, als er sonst keine allzu hohe Meinung im Hinblick auf das politische Einfühlungsvermögen der deutschen Seeoffiziere hatte. Über den anglophoben Chef des Marinekabinetts Admiral von Senden-Bibran etwa äußerte er sich so: „ Einer unserer rabiaten Marinehelden, Admiral v. Senden, war kürzlich hier in Paris undhat mit mirdiniert. Es wargeradezu himmelschreiend, anhören zumüssen, welchen politischen größenwahnsinnigen Unsinn er zusammenschwatzte.“(14. Februar 1898, 1900, cit. nach MEYER, JÖRG, Die Propaganda der deutschen Flottenbewegung, 1897– Diss. Bern 1967, S. 200). 250Wie oben S. 38 Anm. 61. 251Alswährend derSpannungsphase nach demAblauf desösterreichischen Ultimatums 1914
3.3 Die Risikotheorie (Teil I)
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klarstellte, anderweitige Dislokationen jederzeit der Verteidigung der Heimatgewässer unterzuordnen252). Entscheidend ist vielmehr, da unser Augenmerk Wert“des Konzeptes selbst gelten soll, daß als wohlverstandene Abhier dem „ wehrkonzeption die Risikotheorie für einen Mann wie Münster notwendig und praktikabel war.
Tirpitz’ Aussagen zur Risikotheorie, namentlich die Präambel des 2. Flottengesetzes, wo sie als Begründung der Novelle auftaucht, erscheinen in einem neuen, mit dem vordergründigen Eindruck eines seetaktischen Hasardspiels kaum zu vereinbarenden Licht, wenn man die fast paranoide Vorsicht der englischen Admiralität bedenkt. Die Navy Scares von 1884, 1888, 1893, ) und 1909 sind zwar in erster Linie PresInvasion scare“ besonders 1904 („ sefabrikationen, geben also mehr Aufschluß über die Befindlichkeit der englischen Öffentlichkeit als der Experten in der Admiralität; gleichwohl sind die Schriftstücke, die gravierende qualitative, vor allem aber quantitative Mängel in der Flotte konstatieren, in der überwältigenden Mehrheit gegenüber jenen, in denen die Admiralität Zuversicht angesichts der Flottenstärke in Relation zu jener der anderen Mächte zum Ausdruck bringt.253 Die Engländer sahen sich wechselweise oder gleichzeitig militärischen Schwerpunktbildungen etwa Frankreichs und Rußlands im Mittelmeer, der USA im Atlantik, Rußlands in Fernost, Frankreichs, Rußlands und Deutschlands in den Heimatgewässern usw. unterlegen. Forderungen wie ein Verhältnis von 5 zu 3 gegenüber den beiden nächstgrößeren Flotten, oder, im Lichte einer kontinentalen Koalition Frankreichs, Deutschlands und Rußlands, der Ruf nach einem Three-PowerStandard, dokumentieren vor allem, als wie ungenügend die Stärke der Royal Navy empfunden wurde. Dies brachte politische Zwangslagen mit sich: Als die Reichsleitung kurzzeitig überzeugt war, Großbritannien, dessen 25 in der Grand Fleet
vereinigten Großkampfschiffen (21 DREADNOUGHT-Schlachtschiffe, 4 Schlachtkreuzer [Die Zahlen aus Watts, Royal Navy, Appendix 4, S. 247]) 22 deutsche (17 Schlachtschiffe, 5 Schlachtkreuzer [Güth, Organisation, S. 271, 275f. Die Bezeichnung „ Schlachtkreuzer“ war damals in Deutschland nicht geläufig. Wie alle Kreuzer über 5500 t Deplacement wurden diese Großkampfschiffe als „ große Kreuzer“bezeichnet]) gegenüberstanden, werde Die Risikotheorie funktioniert.“Während neutral bleiben, äußerte Tirpitz erleichtert „ freilich zwischen dem DREADNOUGHT-Sprung und Kriegsausbruch nur noch die Zahl solcher Großkampfschiffe in den Flottenrelationen berücksichtigt wurde, stellte sich jetzt schnell heraus, daßdiegewaltige Übermacht, die die Royal Navy an älteren, also vor 1906 gebauten, Linienschiffen besaß, durchaus noch für die Kriegführung ins Gewicht fiel. 252Im bereits zitierten Cawdor-Memorandum, oben S. 89. 253Vor allem seit 1893 machte sich laut Goschen, seit Juni 1895 Erster Lord, in der Admi[...] to underrate the power of England and to accentuate the ralität die Tendenz breit „ , eine Einschätzung, undoubted difficulties with which she would have to contend [...].“ der der D.N.I., Admiral Beaumont, zustimmte, die aber in der Bewilligungspolitik des Unterhauses wurzle (Marder, Anatomy, S. 263 undAnm. 35). Die Betonung der qualitativen Mißstände in der Royal Navy hörte mit der Ära Fisher (ab 1904) recht schnell auf; vondiesem Zeitpunkt rückte die Sorge umihre quantitative Überlegenheit in den Mittelpunkt einer ungeteilten Aufmerksamkeit, wiedie Diskussionen um Two-Power-Standard, Two-Keels-To-One etc., zeigen (cf. Marder, Dreadnought I, S. 120ff).
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beispielsweise im Gefolge der Venezuelakrise das Verhältnis zu den USA sich dramatisch verschlechterte und in Teilen der englischen Presse gar ein Präunverschämten“USA gefordert wurde,254 sah sich die ventivschlag gegen die „ Admiralität angesichts der instabilen Lage in Europa255 außerstande, irgendwelche Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Zwar war ein Krieg zwischen dem Empire unddenVereinigten Staaten zukeinem Zeitpunkt sehr wahrscheinlich; ausschlaggebend aber war, daßdie Flottenstärke Großbritanniens einfach nicht ausreichte, umdie amerikanischen oder ostasiatischen Stationen zuverstärken: „ [...] In fact, the Admiralty never had a sufficient margin of superiority over the Dual Alliance [die Schlachtflotten desfranzösisch-russischen Zweibundes im Mittelmeer bzw. Schwarzen Meer, d.Verf.] alone to contemplate the possibility of strengthening British squadrons in American waters [...].“256Entscheidend ist hierbei zweierlei: Erstens waren die Engländer nicht bereit, ihre Flottenpräsenz, in diesem Fall im Mittelmeer, unter eine bestimmte prozentuale Überlegenheit gegenüber ihren Gegnern absinken zu lassen, auch nicht, falls eine Situation woanders es erforderte (denn für den Fall einer zeitweiligen britischen Unterlegenheit malte die Admiralität sofort das Schreckgespenst der Kontrolle des östlichen Mittelmeeres durch Rußland, die Schließung des Suezkanals für den britischen Handelsverkehr und, in der äußersten Konsequenz, den Verlust Indiens und Ägyptens an die Wand). Im Lichte dieser Erfahrung gewinnt der Tirpitzsche realistischere“Komponente,257 denn was, so die Risikoansatz eine wesentlich „ galt, mußte auch für die Nordsee gelten. Die Frage Atlantik den für Rechnung, der Invasionsgefahr mochte von Osten zwar drängender sein (zumindest drohender wahrgenommen werden), doch behielt die Admiralität allen Argumenten der alten brick-and-mortar-Schule,258 der Armee und der 1904 zum Inva254STEEVENS,
G. W., Naval Policy, S. 150f: „ With a fewheavy blows at the outset wemight
have sickened them of the war and the newfleet at the same time“ , cit. nach Marder, Anatomy, S. 255 Anm. 17. 255Cf. Marder, Anatomy, S. 255ff. Zur Einschätzung bedrohlichen Lage im Mittelmeer durch 240. die Admiralität cf. ibid., S. 209– 256Marder, Anatomy, S. 255. 257So auch Rohwer, Kriegsschiffbau, S. 233f. Daß hier ein politischer Druckansatz für einen „ lachenden Dritten“gegeben war, wurde auch in Großbritannien deutlich gesehen undals Argument zugunsten einer entscheidenden Flottenüberlegenheit der Royal Navy herangezogen: „ The possibility of other powers than those with whom wemight be in conflict, making intolerable demands upon us during a period of difficulty, cannot be overlooked. In short, it seems indispensable to have a margin; otherwise, wemight be fatally crippled by a single great disaster.“(Undatierte Aktennotiz Goschens, cit. bei Marder, Anatomy, S. 263). Die militärisch-politischen Mechanismen, die der „Risikotheorie“zugrunde lagen, wurden also in Whitehall genauso eingeschätzt wie wenige Jahre später im RMA; Sinn undZweck desTirpitz-Planes wares unter diesem Gesichtspunkt gerade, Großbritannien die genannte „margin“ , den Sicherheitsabstand in der Flottenstärke, zu verweigern. 258Sie florierte vor allem in der Mitte des 19. Jahrhunderts und glaubte, die Sicherung der Küste nicht mehr mit Schlachtschiffen, sondern nur mit Küstenwerken, gewährleisten zu Palmerston’s Follies“ ) stammen können. Die berühmten Befestigungen vonPortsmouth („
3.3 Die Risikotheorie (Teil I)
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sion Scare aufgereizten Öffentlichkeit zum Trotz die Überzeugung bei, daß die Royal Navy mit ihrer Schlachtflotte wie seit 1798259 jede Invasion verhindern in vitro beurteilt–nicht größer würde. Die Gefahr aus der Nordsee konnte– sein als die auf dem Atlantik mit seinen lebenswichtigen Versorgungslinien. Daß Deutschland trotzdem nie in die Rolle gelangen würde, die die USA im kontingenoben erwähnten Falle gespielt hatten, nämlich die einer sozusagen „ ten“Bedrohung in Kombination mit wesentlicheren Verpflichtungen der Flotte (hier im Mittelmeer), lag an den zum Zeitpunkt des Flottenbaues veränderten politischen Gegebenheiten.260 Überdies war dem RMA nicht bewußt, daß es mit seiner Flotte eine in Großbritannien als größer eingestufte Bedrohung schuf als die vondenUSAausgehende (ein Punkt, der sich allerdings auch wieder auf das zwischen den Mächten herrschende Klima zurückführen läßt–immerhin waren privatim noch kurz vor der Krise sogar Unionspläne der beiden atlantischen Mächte diskutiert worden261). Aber: England war nicht stark genug, um an jedem Punkt der Welt alle seine potentiellen Gegner auf einmal mit großer Überlegenheit in Schach zu halten–das mag die Quintessenz der britischen Marinepolitik des späten 19. Jahrhunderts sein, wie sie in Deutschland rezipiert wurde. Hierbei ist charakteristisch, daß die Erfahrungen aus dieser Krise in Deutschland, und zumal von Tirpitz, unter einem ganz bestimmten Blickwinkel gesehen wurden: Während oben die Rede davon ist, daß Großbritannien auf eine sich abzeichnende Bedrohung durch die USA deshalb nicht reagieren konnte, weil primäre Aufgaben der Flotte, die Sicherung des Mittelmeeres und der Heimatgewässer, keinen Spielraum für eine Reaktion auf diese sekundäre,
weniger große, Bedrohung ließen, die beschränkte Natur der Herausforderung durch die USA also das hierfür ausschlaggebende Moment war, zieht Tirpitz [...] England läßt eine Brüskierung daraus gerade den umgekehrten Schluß: „ durch Amerika, weil sie eine spätere Sorge in sich schließt und vor allem, weil Amerika ein unangenehmer Gegner ist, laufen und Deutschland zahlt die Zeche, weil es z[ur] Z[ei]t jeder ins Gewicht fallenden Seemacht entbehrt [...].“262 Illustrativ ist das obige Beispiel überdies noch unter einem anderen Gesichtspunkt (das angekündigte Zweitens:) Kaum wurde die außenpolitische Lage als bedrohlich wahrgenommen, regten sich in England Stimmen, die das Ende der not so splendid isolation“forderten. Noch wares zwar eine kleine Minderheit, „ die den Anschluß Englands an die franko-russische Entente einerseits oder gar
aus dieser Zeit; ab 1890 (seit Mahan) wurden diese Ansichten seltener, bis Fisher sie beseitigte (Marder, Anatomy, S. 68ff). Cf. Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 420f. 259Demteuersten Identifikationsmuster der Royal Navy gemäß damals gerne zitiert: Admiral I do not say they cannot come, my Lords. of the Fleet Sir John Jervis, Lord St. Vincent, „ I only say they cannot come by sea.“(cit. nach Marder, Dreadnought I, S. 347). 260Als Premierminister (1902– 1905) interpretierte Balfour die Risikotheorie bis Ende 1904 genau in diese Richtung: Er glaubte, daß bei einem Krieg Englands gegen die frankorussische Entente die deutsche Flotte die Rolle des tertius gaudens übernehmen wollte (Marder, Anatomy, S. 509f). 261Marder, Anatomy, S. 252ff. 262Tirpitz an Stosch, 13. 2. 1896, abgedruckt in: Tirpitz, Erinnerungen, S. 54ff., S. 55.
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den Dreibund263 andererseits befürwortete, und tatsächlich war die englische Öffentlichkeit nach Abflauen der Krise mehr denn je davon überzeugt, daß„ All countries stand in need of Britain, and Britain of none“ .264 Dennoch mochte man in Deutschland durchaus registriert haben, daß außenpolitischer Druck sehr wohl geeignet war, England zur Kontemplation von Allianzen zu bewegen. DaßItalien mit seiner–wenn auch als wenig effizient verschrienen– Flotte ein gewichtiger Attraktionsfaktor war, zeigt, daßdas Konzept der „ Bündnisflotte“ , so ungelenk und widersinnig es von den politisch Verantwortlichen dann auch gehandhabt wurde, durchaus nicht eines gewissen Bezugs zur politischen Realität entbehrte. Für die Zeit der Grundlegung desFlottenbaues mußalso voneinem gewissen Grad an Plausibilität seiner Grundpfeiler ausgegangen werden. Während die Zweidrittelflotte“ Koalition hier, zusammen mit der „ , als eine der beiden zur Risikotheorie“verschmelzenden Ideen betrachtet wurde, soll das nächste Ka„ Bündniswert“einer Flotte per se, wiesie Tirpitz immer pitel die Theorie vom„ wieder
zur Untermauerung seiner Forderungen verwandte, diskutieren. ZWEIDRITTELFLOTTE“? „ RISIKOFLOTTE“ oder „
Militärisch konnte erst die Erosion der anfangs unanfechtbaren Maxime, die Entscheidungsschlacht werde vom Gegner mit allem Nachdruck gesucht werden, den Blick für die Einsicht öffnen, daß mit der engen Blockade die um die Schlacht bei Helgoland zentrierte Risiko-Theorie stand und fiel; erst jetzt wurde die doppelte Absicht der deutschen Marine, einerseits die enge Blockade der Küste zu verhindern (die seit jeher in allen preußischen und deutschen Plänen im Vordergrund gestanden hatte), andererseits die britische Flotte zur Erringung der Seeherrschaft, die zur effektiven Verteidigung sowohl der Küste wie der Schiffahrt nötig war, auszuschalten, zur Paradoxie. Versuche der unmittelbaren Vorkriegszeit, aus dieser Einbahnstraße auszubrechen, scheiterten kläglich. Wenn aber militärische Fehler gemacht werden, so ist dies nicht automatisch der Beweis dafür, daß eine Maßnahme gänzlich andere Ziele verfolgte. Es wäre fragwürdig, zu unterstellen, die Unsicherheit bezüglich der Flottenverwendung weise eindeutig in die Richtung der Flotte als politisches Druckin7 werden verdeutlichen, daß es sich umeine genuine strument. Die Kapitel 4– strategische Fehleinschätzung, nicht primär um die Rückwirkung außermilitärischer Rücksichten handelte. Mit der weiten Blockade gewann die zweite Absicht, die Seeherrschaft, die Suprematie über die erste, die Freihaltung der 263Für Großbritannien lag in jener Zeit die Hauptattraktivität des Dreibundes in der italienischen Flotte, die als Gegengewicht zur französischen die zeitweise als äußerst bedrängend empfundenen Flottenverhältnisse im Mittelmeer wieder zugunsten Großbritanniens hätte verschieben können. Cf. Marder, Anatomy, lain liebäugelte damals mit demDreibund. 264Marder, Anatomy, S. 258.
S. 231. Vor allem Kolonialminister Chamber-
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Küste. Die Marine reagierte zwar auf die sich immer mehr durchsetzende Einsicht, die Engländer würden sich dem Risiko der deutschen Flotte gar nicht ohne Not aussetzen, die deutschen Flotte nicht als solche vernichten müssen; sie reagierte aber nur theoretisch, mit der befehlsmäßigen Verlegung des Kampfes in die mittlere oder nördliche Nordsee265 (wo also die Hochseeflotte ihrerseits den Gegner aufzusuchen in der Lage sein sollte); sie reagierte jedoch nicht baulich oder technisch. Das Realisierung des Schiffsmaterials blieb nach wie vor
an den überkommenen Gedanken der Entscheidungsschlacht in der südlichen Nordsee, ausgehend von einem offensiven Vorstoß der Engländer, gekoppelt, wie es anders ja auch nicht möglich war, wollte man nicht die Konstruktionsvorgaben aufgrund jährlich wechselnder strategischer Prämissen ändern; die
Frontdienststellen allerdings nahmen diese Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit durch die strategischen Vorgaben des RMA, gegossen in die Konstruktionspläne der Schiffe, mit denen sie zu fahren und zu kämpfen hatten, sehr empfindlich wahr. Wenn die Entscheidungsschlacht außerhalb der Reichweite derdeutschen Torpedoboote ins Auge gefaßt wurde, so bedeutete das zunächst den Wegfall eines die britische Überlegenheit ausgleichenden Moments, auf den also auf quantitativem Weg reagiert werden konnte. Zusammen mit der seit 1904 vor sich gehenden Zusammenziehung der britischen Seestreitkräfte in den Heimatgewässern, die den Wegfall eines weiteren dieser eingeplanten266 ausgleichenden Momente, der Notwendigkeit für die Royal Navy, ihre schweren Einheiten über den gesamten Erdball zu zersplittern, bedeutete, ergibt sich so schon ein rein militärischer Anlaß für die um 1908/09 vom RMA gewünschten Baubeschleunigungen (s.o.), wollte man die einmal gewählte Konzeption nicht ad acta legen; so gesehen handelt es sich dabei nicht umdie Ersetzung des Risikokonzeptes, sondern um krampfhafte Versuche zu seiner Aufrechterhaltung. Dabei war es gerade der Admiralstab und die Flotte, die von einer militärisch brauchbaren Chance“267sprachen: Tirpitz hielt bis zum Krieg die „ Diktion der Risiko-Theorie aufrecht, und begründete jede Neuforderung mit der Erreichung des äternisierten Dreiertempos undder Gefahr, daßdie quantitative Lücke zu Großbritannien unaufholbar groß würde.268 Während mansich bei der Flotte um Etiketten wenig Sorgen machte, sondern vielmehr versuchte, mit dem vorhandenen Schiffsmaterial eine Möglichkeit zum Sieg über die auszuknobeln“ –der Ausdruck trifft es wohl–, ist bei Tirpitz britische Flotte „ feststellbar, wobei „ Risiko“allerdings Risiko-Konzept am Festhalten klares ein Der offensichtliche Unterschied ist.269 gemeint mit „ Abschreckung“ synonym zum ursprünglichen Konzept war der, daß die Bündnispartner nun wegfielen. Für den Reichstag wollte Tirpitz das so rechtfertigen: 265Gemzell, Innovation, S. 75ff, S. 79f. Weniger, Operationsplan, S. 3f. 266Begründung zumFlottengesetz 1900, S. 3360; Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 183. 267Heeringen [1911 Admiralstabschef] an Bethmann Hollweg, 7. Oktober 1911, auszugsweise
abgedruckt bei Tirpitz, Dokumente I, S. 220f, hier S. 221. 268Cf. Tirpitz an Bethmann Hollweg, 7. Oktober 1911, ibid., S. 222f. 269Cf. auch Epkenhans, Wilhelminische Flottenrüstung, S. 67.
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Flottengesetz von 1900 rechnet nicht mit einem ‚Sieg‘, nur Risiko „ für England, daß es durch Krieg mit uns und seinen Sieg über uns so geschwächt wird, daßes später anderen Nationen gegenüber seine jetzige 270 Suprematie verlieren würde.“
Die Forderung lautete jetzt (1911), „ daß wir im Kriegsfall wenigstens aus271Ander Subsichtsreiche Defensivchance haben müssen, d. h. Verhältnis 2:3.“ stanz der Flottenplanung änderte sich allerdings nichts: Schon das erwähnte zweite Flottengesetz warja, wie oben dargestellt, von einem Stärkeverhältnis von 2:3 ausgegangen, um ein „ Risiko“für die Royal Navy möglich zu machen. Das dieses Verhältnis ausgleichende Moment sollte die britische Dislokation unddie Helgoland-Position sein. Da diese Prämissen nun wegfielen, wurde die Notwendigkeit einer Relation von mindestens 2:3 akut, da manesjetzt mit der gesamten, taktisch nicht mehr benachteiligten britischen Flotte aufzunehmen hatte. Diese Änderung erscheint deshalb als Quantensprung, weil mander ÖfimGrunde marginalen–Schritt durch eine Umstellung der fentlichkeit diesen– Flottenpropaganda, die Bereitstellung eines neuen Schlagwortes klarzumachen versuchte. Dabei warGroßbritannien genauso Ziel wiedieeigene Öffentlichkeit: Die Verkündung der Relation 2:3 als offizielle Baupolitik sollte Großbritannien das Mißtrauen voraggressiven Absichten Deutschlands nehmen.272 Dererzielte aussichtsreichen Risiko“gegen das der „ Effekt war freilich der, das Wort vom„ Defensivchance durch 2:3“zu ersetzen, während sich an der Baupolitik praktisch nichts änderte; der Risikogedanke mußte dadurch aber, wiees geschehen ist, den Ruch eines verschleiernden Schlagwortes gewinnen.273 Nun soll hier allerdings kein Versuch der Exkulpation Tirpitz’ unternommen werden. Mit der Formulierung des Gedankens, Deutschland wolle England im Kriegsfalle nur in Verbindung mit verbündeten Streitkräften zur See zu besiegen imstande sein, während alle Marineplanungen (vernünftigerweise!) den Sieg der auf 270Tirpitz an Bethmann Hollweg, 7. Oktober 1911 (wie oben Anm. 268), S. 222.
271 Ibid.
272Wilhelm II. an Bethmann Hollweg, 26. September 1911, abgedruckt bei: Tirpitz, Dokumente I, S. 216f. Diese Verkündung der 2:3-Relation ist das zentrale Thema der hier oft zitierten Antwort Tirpitz’auf die Anfrage Bethmann Hollwegs zu den Auswirkungen der Flottenpolitik auf das deutsch-englische Verhältnis (s.o. Anm. 195). 273Marder, Dreadnought I, S. 311, liegt mit seiner Einschätzung ganz auf der Linie Berghahns, die Risikotheorie sei ohnehin nur zur ephemeren Verschleierung, soweit bequem, erdacht worden. Als Beleg führt Berghahn (Tirpitz-Plan, S. 226 Anm. 100) ein Gespräch Tirpitz’mit Bülow (1900) an, in demTirpitz genau das gesagt habe. Der Stelle ist jedoch nichts deartiges zu entnehmen: Bülow, Denkwürdigkeiten I, S. 413. Schwerer wiegt die Passage des oben (Anm. 272, Wilhelm II. an Bethmann Hollweg) zitierten Briefes, die demvon Tirpitz gekürzt veröffentlichten Text unmittelbar vorausgeht (und unveröffentDer Risikogedanke hat seinen Zweck erfüllt und ist erledigt.“Es ist zwar licht blieb): „ Verschleierung“ nicht Tirpitz selbst, der spricht, trotzdem legt die Formulierung eine „ dringend nahe. Das Faktum bleibt jedoch, daß sich die neue Qualität der 2:3-Relation in demAnspruch, der Royal Navy allein gegenüberzutreten, erschöpfte, nicht etwa in einem erhöhten Bauziel oder aggressiverer Flottenpolitik. Dagegen Stadelmann, Flottenrivalität,
S. 130 Anm. 93.
3.4 Die „ Bündnisflotte“
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sich gestellten deutschen Flotte im Auge hatten, erleichterte Tirpitz der öf-
fentlichen Meinung und dem Parlament die Zustimmung zu seinen Vorlagen; am Tatbestand einer bewußt vage gehaltenen Information will auch d. Verf. nicht zweifeln. Diese Verschleierung fand aber ausschließlich auf dem politischen Feld statt. Die üblicherweise bestrittene Ansicht, daß die Öffentlichkeit zujedem Zeitpunkt präzise über das unterrichtet wurde, was die Tirpitzflotte militärisch zu leisten imstande sein sollte, wird sich–nach einer Betrachtung der allenthalben vorherrschenden Vorstellungen von den Grundlagen dieser Leistungsfähigkeit–im zweiten Teil der Betrachtungen zum Risikogedanken, erweisen. Überdies waren die Tirpitzschen Gedankengänge zuvielschichtig und Risiko“oder „ Siegchance“redukomplex, als daß sie auf die bloße Dichotomie „ Hebel Nordsee“hat bereits den zentralen Gedanzierbar wären. Das Kapitel „ kengang des Tirpitz-Planes dargestellt; eine weitere wesentliche Komponente folgt.
Bündnisflotte“ 3.4 Die „ Eine zugleich wagemutigere und behutsamere deutsche Politik (wir „ waren unvorsichtig bei aller Furchtsamkeit) hätte die Bündniskraft unserer Risikoflotte, den einzigen weltpolitischen Trumpf, den wir bei unserer geographischen Lage besaßen, so ausspielen können, daß der Weltfriede gesichert war.“ 274 Tirpitz
Oben wurden bereits die Schwierigkeiten offenkundig, mit denen man bei der Analyse der theoretischen Grundlegung des Tirpitz-Planes und des Ganges ihrer Erforschung zu kämpfen hat. Es kommt hinzu, daß sowohl Tirpitz’Apologeten die meist nicht im Ansatz theoretisch ausgeführten Schlagworte der Zeit275 als sich selbst erklärend übernehmen, als auch jene, die der Marineführung primär sozial-imperialistische Zielsetzungen vorwerfen, sie als die wahren 274Erinnerungen, S. 155. 275Die Kondensation im Detail nicht zu analysierender Konzepte in prägnante Schlagworte ist ein Kennzeichen des politischen Diskurses allgemein und kann wohl nicht als ausschließliches Charakteristikum der wilhelminischen Epoche betrachtet werden; trotzdem ist die Häufung, in der solche emblematischen Begriffe unter Umgehung eindeutiger politischer Zielansprache auftauchen, bemerkenswert (cf. den berühmt gewordenen AusWeltmarschalls“Graf Waldersee anläßlich seiner Entsendung nach China: spruch des „ Wir sollen Weltpolitik betreiben. Wenn ich nur wüßte, was das sein soll. Zunächst doch „ nicht mehr als ein Schlagwort“ . (WALDERSEE, ALFRED GRAF V., Denkwürdigkeiten des General-Feldmarschalls Alfred Grafen von Waldersee, bearbeitet und herausgegeben von 1900, Berlin 1922, S. 23, Bd. II: 1888– HEINRICH-OTTO MEISNER, 3 Bde., Berlin 1922– 449: Aufzeichnung vom 13. Juli 1900), und der deutsche Botschafter in London, WolffMetternich, der gegen eine neue Flottenvorlage und für eine Verständigung mit England eintrat, faßte den vagen Charakter der deutschen Ambitionen und Ansprüche wie folgt [...] Woist der Siegespreis, woist das Ziel, die dieses Einsatzes [der Gefahr zusammen: „ eines Krieges mit England, d.Verf.] wert wären? Ich vermag sie nicht zu entdecken. Wo
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3 Die „Funktionsweise“der Tirpitz-Flotte
Gründe des Flottenbaues überdeckenden propagandistischen Firnis276 erwähnen, aber nicht analysieren. Die „ Risikoflotte“ist in der Präambel zumzweiten Flottengesetz zwar theoretisch entwickelt; auch über Natur undGestalt dergesamtheitlichen „ Seeinteressen“des Deutschen Reiches informierte der Nauticus ebenso energisch wie ausdauernd. Die obskurste dieser Größen jedoch, obwohl sie in keiner Diskussion des Zeitabschnitts fehlt, ist die „ Bündnisfähigkeit“ , die die Flotte dem Reich sicherstellen sollte. Dieses Konzept geistert durch die zeitgenössische wie die spätere Literatur, wobei mit zunehmendem zeitlichen Abstand seine Hinterfragung immer mehr abnimmt, bis es schließlich als reines Schlagwort gebraucht wird. Noch in den Erinnerungen benutzt Tirpitz den Ausdruck in einer Weise, als erkläre er sich selbst und bedürfe keiner weiteren Erläuterung: „ [...] nur eine Flotte, welche Bündniswert für andere Großmächte darstellte, also eine leistungsfähige Schlachtflotte, konnte unsrer Diplomatie dasjenige Werkzeug an die Hand geben, das, zweckentsprechend genützt, unsere festländische Macht ergänzte.“277Ohne analytischen Kommentar erschließt sich der Zusammenhang, in den das Wort hier gestellt wird, keineswegs von selbst; es mutet zunächst eher wie eine willkürlich mit Sinn zu füllende Worthülse an.278 Die Ursprünge des Konzeptes sind schwer zu fassen. Auf der Basis allgemeiner machtpolitischer Erwägungen scheint es zunächst plausibel, davon auszugehen, daß man sich jeweils mit einem Staat, dessen Machtmittel die eige-
nen Interessen wirksam schützen können, lieber verbindet als mit einem, der
uns ein Sizilien [gemeint ist die Seeschlacht von Mylae 260 v. Chr., mit der die Römer den ersten Punischen Krieg für sich entscheiden konnten, d.Verf.] oder eine karthagische Küste, wenn wir das moderne Karthago zumKampfe herausfordern? Woliegt für unsdie Notwendigkeit, den Gegensatz zuEngland künstlich zuverschärfen, wenn wir doch nicht sein Erbe antreten können? Wir setzen alles aufs Spiel, ohne zuwissen, waswir gewinnen wollen oder können [...].“(METTERNICH, PAUL GRAF V., Meine Denkschrift über die Flottennovelle vom10. Januar 1912, in: Europäische Gespräche 4 (1926), S. 57– 76, S. 69. Hervorhebung vomVerf.) Cf. auch Epkenhans, Wilhelminische Flottenrüstung, [...] Gejammer von[...] Angstmeiern!“(SchlußbemerS. 110. Der Kaiser nannte dasdas„ kung zu einem Bericht Widenmanns an Tirpitz, 5. Januar 1912, BA-MA, RM 3/2975, cit. bei Epkenhans, Wilhelminische Flottenrüstung, S. 111). Sich diese Uneinigkeit vor Augen zu führen ist notwendig, wenn man etwa die von Mahan der deutschen Flotte zugeschriebenen Vorteile beurteilt. 276Petter, bei demdiesozialimperialistische Tendenz zwar nicht wiebei Berghahn imVordergrund steht, nennt das Konzept der Bündnisfähigkeit trotzdem lapidar eine „ Täuschung der Tirpitz-Propaganda“(s.u. Anm. 296). 277Tirpitz, Erinnerungen, S. 51, 55. Hervorhebungen im Original gesperrt. Weitere, in die gleiche Richtung gehende Aussagen passim. 278Ebenso enigmatisch bleiben die Zusammenhänge bei Stenzel, Kriegführung, S. 92: „ Jedenfalls ist zur starken Beschäftigung der feindlichen Flotten sowie für die Schaffung von Bundesgenossen eine Flotte ein äußerst wichtiger Einsatzgegenstand.“(Hervorhebung vom Verf.) Es sei nochmals darauf hingewiesen, daß Stenzel, als Lehrer an der Marineakademie, im Urteil seines Hörers Tirpitz zwar keinen übermäßigen Einfluß auf ihn, wohl aber einen nicht zuvernachlässigenden auf das Denken des Marineoffizierskorps im allgemeinen gehabt haben dürfte. winkt
3.4 Die „ Bündnisflotte“
123
sein Potential, so groß es auch immer sein mag, nicht direkt zum Nutzen seiner Bundesgenossen zur Entfaltung bringen kann. Englands historische Suche Festlandsdegen“gegen die jeweils hegemoniale Aspirationen henach einem „ gende kontinentale Macht magdafür ein Beispiel sein. Daßder Gedanke schon in der Zeit weitgehend zum Schlagwort degenerieren konnte, ist ein Indiz für sein häufiges Auftreten, das im zeitgenössischen Empfinden eine Diskussion und Analyse zumindest von populärer Seite nicht mehr erforderte, zumal bei näherem Hinsehen tatsächlich verschiedene Vorstellungen unter diesem Etikett subsumiert wurden (s.u.).
Eine allseitige selbstverständliche Anerkennung dieses Gedankens ist jedoch quellenmäßig kaum zu fassen. Zumersten Mal taucht der Gedanke im Zusammenhang mit einer deutschen Flotte in der Denkschrift279 des Prinzen Adalbert vomMai 1848 auf. Hier diskutiert Adalbert die möglichen Linien bei der A. VertEntwicklung einer deutschen Seemacht, die sich in die Alternativen „ B. Eine Kriegsmarine zur offensiven Vertheidigung ,280 „ heidigung der Küsten“ C. Eine selbststänund zum nothwendigsten Schutze des Handels“281 und „ selbstständiger Seemacht“eine dige [sic] Seemacht“282gliedert, wobei unter „ Schlachtflotte im Gegensatz zur reinen Küstenmarine (A.) oder einer Kreuzerflotte zum Handelsschutz (B.) zu verstehen ist. Adalbert diskutiert in diesem dritten Kapitel seiner Denkschrift die geographischen Besonderheiten der deutschen Position, die es ihm nicht erlauben, mit nur einer kleinen Schlachtflotte wie etwa der der USA politisches Gewicht und militärische Erfolge zu erzielen.283 Die Vielzahl der Mächte, die Linienschiffe in der Ostsee (dem primären Operationsraum) und darüber hinaus unterhielten, würde sich durch eine Flottenrüstung unter Verzicht auf eine Schlachtflotte nicht bedroht fühlen.284 Entschied sich Deutschland aber dazu, eine Schlachtflotte zu bauen, so 279Zur Arbeit Adalberts für die deutsche Marine cf. Duppler, Adalbert. Zur Einordnung der Denkschrift unter militärischen Gesichtspunkten cf. Rahn, Seestrategisches Denken, S. 55f. Herwig, Influence of Mahan..., S. 75, irrt, wenn er in demKonzept eine Übernahme von Mahan sieht. 280Adalbert, Kriegsflotte, S. 5. 281 Ibid. S. 11. 282Ibid. S. 24. 283Ibid. S. 25f. 284Die Schrift Adalberts wird allenthalben als der Grundstein zurtheoretischen Entwicklung
undals Ausgangspunkt derdeutschen Marinegeschichte überhaupt gesehen (cf. Duppler, Adalbert, S. 44); mit anderer Meinung Uhle-Wettler, Tirpitz, S. 21f); da es sich um ein ebenso klarsichtiges wiewichtiges Dokument handelt, seien umfangreichere Zitate daraus gestattet. „ So lange Deutschland auf der eben [durch A. undB. bezeichneten] Bahn wandelt; so lange es, fern von allem Ehrgeiz, fast ohne die Aufmerksamkeit, geschweige die Eifersucht seiner weit mächtigeren Nachbarn zu erregen, nur Fregatten und Dampfschiffe baut, undes sich begnügt, eine bescheidene Stelle unter den kleineren Marinen einzunehmen; so lange Jedermann einsieht, daßes weder nach großer Geltung zurSee strebt, noch
daran denkt, Schlachten zu liefern, wird Niemand es einer Halbheit in seinen Maaßregeln zeihen. Sobald es aber durch den Bau von Linienschiffen, von Schlachtschiffen, aus diesemanspruchslosen Kreise heraustritt, werden alle Augen sich darauf richten, eine scharfe
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3 Die „Funktionsweise“der Tirpitz-Flotte
müßte sie stark genug sein, es mit der schlagkräftigen russischen Ostseeflotte, 285allein aufzunehmen. Der unserem nächsten und gefährlichsten Nachbarn“ „ Grund hierfür ist ein ökonomischer: Mit einer kleineren Flotte sei Deutschland der übermächtigen russischen Flotte ohne die Hilfe Englands von vornherein nicht gewachsen; es sei dann aber ökonomisch sinnvoller, England gleich die
gesamte Schlachtflotte stellen zu lassen und sich selbst auf die Bereitstellung von Hilfsschiffen zu beschränken.286 Baue Deutschland aber eine selbständige Seemacht von mindestens 20 Linienschiffen auf, würde es „ [... J ein gewaltiges Gewicht in die Waagschale legen, durch seinen Beitritt zu einer Allianz den Ausschlag geben unddarum seiner Seemacht wegen als Bundesgenosse ebenso gesucht sein als wegen seiner Landmacht.“287
Einer der Kerngedanken, die in der Zeit des Flottenbaues und über den Ersten Weltkrieg hinaus so verstanden werden, ist hier also klar definiert: Während eine Seite früher noch die Rede davon ist, daß ein kleines deutsches Geschwader seinen (bereits vorhandenen!) Alliierten „ 288 höchst willkommen sein“ würde, kehrt sich die Kausalität hier um, und die Flotte soll als Anreiz dienen, Deutschland in eine Koalition überhaupt erst aufzunehmen. Rückschauend scheint für das Funktionieren dieser Idee allerdings ausschlaggebend zu sein, daß Deutschland nicht per se durch die Flotte ein hegemoniales Übergevierte Seemacht ersten Ranges“289als wicht erhielte, sondern sich vielmehr als „ ein Faktor des maritimen Gleichgewichts unter mehreren etablieren konnte. Die Vorstellung, daß Deutschland von an einer Allianz interessierten anderen Mächten umworben würde, diese (um die Diktion der wilhelminischen Ära zu gebrauchen) gleichsam „ kommen“würden, ist hier aber bereits voll ausgeformt festzustellen.290
Wie wenig originell diese Idee auch immer sein mag, auf Deutschland, ehrfurchtgebietende Landmacht mit zwar nicht den Mitteln der Seemacht, wohl aber dem Potential zu deren Entwicklung, schien sie in mehrerer Hinsicht geradezu maßgeschneidert. Hatte Adalbert, der zum Zeitpunkt der Abfassung der Denkschrift alle Möglichkeiten für die Entwicklung der Deutschen Marine offen sah, Deutschland für den Fall des Schlachtflottenbaues zwar als Seemacht ersten Ranges, aber eben nur als vierte gesehen (was wohl einer Maximalforderung im Rahmen des zunächst politisch und ökonomisch Machbaren gleichkommen dürfte, auch wenn die Denkschrift von einem militärisch-taktischen Kritik wird anheben, undwehe demVaterlande, wenn es sich bei diesem entscheidenden Schritte einer halben Maaßregel schuldig machen sollte.“(Adalbert, Kriegsflotte, S. 24). 285Adalbert, Kriegsflotte, S. 25. Adalbert kalkuliert hier mit einer russischen Flottenstärke von 18 Linienschiffen undeiner jederzeit zur Ausrüstung bereiten Reserve von9 (ibid. S.
26). 286Ibid., S. 26f. 287Ibid., S. 27. 288Ibid., S. 26. 289 Ibid., S. 27. 290Mit anderer Ansicht Rahn, Seestrategisches Denken, S. 55.
3.4 Die „ Bündnisflotte“
125
Minimum von 20 Linienschiffen291 spricht), so äußert Napoleon III. Bismarck gegenüber einige Jahre später, wie wünschenswert es für Frankreich wäre, in Europa einige kleinere Marinen als Bündnispartner gegen die übermächtige Royal Navy zu gewinnen.292 Dieser Gedanke einer gegen England gerichteten Flottenkoalition mit dem Ziel eines maritimen Gleichgewichtes läßt sich bei Bismarck in leitmotivischer Wiederkehr verfolgen.293 Die äußerste Ausdehnung erlangte er, immerhin noch ganz im Horizont Bismarcks, bei Stosch: „ Es wäre doch groß, wenn wir die Engländer zur See schlügen. Alle unsere Kolonien würden wir wieder haben, und selbst ein Bündnis mit Frankreich gegen England könnte zu einer Möglichkeit werden.“294 So fand die Überzeugung vomgrundsätzlichen Bündniswert einer zur Offensive fähigen Flotte direkten Eingang in die Ideenwelt der kaiserlichen Marine. Wir sind zur Keiner der maßgeblichen Männer, weder Stosch, noch Caprivi („ See als Alliierte wertlos, wenn wir nicht mit einer Schlachtflotte auf hoher See 295), noch der im 19. Jahrhundert bedeutendste Lehrer der erscheinen können.“ Marineakademie. Stenzel, behandelten sie als etwas anderes als eine unumstößliche Wahrheit. Es dürfte deshalb zumindest verflachend sein, die „ Bündnisflotte“als ein weiteres Schlagwort, das Tirpitz lediglich zur Verschleierung seiner wahren Pläne der Öffentlichkeit gegenüber verwandte, abzutun. Die politische Attraktivität, die eine starke Flotte auf potentielle Bundesgenossen ausüben 291Adalbert, Kriegsflotte, S. 27. 292Wiedergabe des Gesprächs zwischen Napoleon III. undBismarck anläßlich dessen zweitem Totaleindruck“aller seiner in Paris gesammelten Besuch in Paris (von Bismarck zwar als „ Eindrücke charakterisiert, läßt der Vergleich mit anderen Quellen, die verbatim wiederholte Passagen ausdrücklich Napoleon III. zuschreiben, den Schluß zu, daßes sich vor allem um persönliche Aussagen des Kaisers während der Audienz vom 16. April 1857 handelt. Cf. GEISS, H., Bismarck und Napoleon III. Ein Beitrag zur Geschichte der preußisch1871 (=Kölner historische Abhandlungen 1), Köln 1959, französischen Beziehungen 1851– S. 39ff.). BISMARCK, OTTO V., Die gesammelten Werke, Bd. 2: Politische Schriften 1. Januar 1855 bis 1. März 1859, bearb. v. PETERSDORFF H. v., Berlin 1924 (Ndr. Nendeln 1972), Nr. 236: Bismarck an Manteuffel, 29. April 1857. „ [...] Ohne einen Bruch mit England zu wollen, sagt man sich [in Frankreich, d. Verf.] doch, daß er wahrscheinlich früher oder später eintritt; man zählt die Marinen, die für einen solchen Fall verbündet sein könnten, undwürde die Entwicklung secundärer, insbesondere auch der unsrigen oder einer scandinavischen gern sehn [...]“ . Cf. die Erinnerung Bismarcks an dasselbe Gespräch [...] Es fehle an Seemächten zweiten Ranges, die durch Vereinigung aus demJahre 1870: „ ihrer Streitkräfte mit der französischen [sic] dasjetzt erdrückende Übergewicht Englands
aufhöben [...].“(Aufzeichnung Buchers, abgedruckt in: POSCHINGER, HEINRICH V., Ein 1894, Bd. III, Achtundvierziger. Lothar Buchers Leben und Werke, 3 Bde., Berlin 1890– Berlin 1894, S. 152ff.) Cf. auch Steinmetz, Bismarck..., S. 18; Petter, Flottenrüstung, S. 71; Verchau, Von Jachmann..., S. 68f, der aber vielfach auf Einzelnachweise verzichtet. 293Cf. auch den programmatischen Verweis auf Bismarck bei Tirpitz, Erinnerungen, S. 154. 294Stosch an Tirpitz, 17. Februar 1896, auszugsweise abgedruckt bei Hassell, Tirpitz, S. 109f. Bismarckisch ist dieses Denken deshalb noch, weil es sich in den Kategorien eines– unter veränderten Gewichtsverhältnissen wiederherzustellenden–europäischen Konzerts Weltpolitik“ , wie sie Tirpitz anstrebte, ist hier allenfalls als vage Zubewegt; von einer „ kunftshoffnung die Rede. Mit gleicher Meinung Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 187. 295Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 53; Maltzahn, Taktische Entwickelung, S. 120, 125.
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3 Die „Funktionsweise“der Tirpitz-Flotte
konnte, war im 19. Jahrhundert allgemein anerkannt.296 Umso weniger kann Bündnisflotten“ eine Diskussion des „ -Vorstellung abgeschlossen sein, ohne die Frage, ob derartige Gedanken etwa auch die anderen europäischen Sachverständigen umtrieben. Wenn in der Literatur297 aller Couleur, angefangen bei Tirpitz selbst, immer wieder darauf hingewiesen wird, daß Großbritannien im ersten Flottengesetz von 1898 noch lange keine Gefährdung von jenseits der Nordsee ausmachte, so unterläßt sie die Feststellung, daß das zwar für die Stärke der deutschen Flotte selbst galt, nicht aber für die Möglichkeit eines Zusammengehens dieser erstarkten Flotte mit einer anderen Seemacht: „ [...] It was the alliance value of the German fleet that concerned the English more than anything else“ .298 Grundsätzlich ist hierbei zu fragen, ob die Briten über eine Verschiebung des maritimen Kräftegleichgewichts hinaus, den ein signifikanter Schiffszuwachs, gleich woin Europa, in jedem Falle nach sich zog, auch–wieTirpitz–eine erhöhte Attraktivität Deutschlands als Bündnispartner für andere Seemächte als gleichsam automatisch gegeben annahmen. Marder (loc. cit.), sicher der intimste Kenner der Materie, scheint zu mutmaßen, Großbritannien befürchte eine im Flottenbau implizierte Annäherung an Frankreich, mit demmittelfristigen Ziel, den Briten in Afrika Sorgen zu bereiten. Eine erhöhte Aufnahmebereitschaft seitens der Franzosen für ein solches Vorhaben ist zwar nicht greifbar, trotzdem aber scheint es sich hier umeinen gleichsam instinktiven Rekurs auf in der Zeit anerkannte Vorstellungen vonMachtmechanismen zuhandeln, auch wenn die Aussagekraft dieses Indizes als denkbar schwach angesehen werden muß. Die Implementierung dieser vonder Flotte für die Diplomatie bereitgestellten Vorteile weist nunallerdings wieder die für Tirpitz typische Verschmelzung militärischer undpolitischer Komponenten auf, die zeigt, daßTirpitz seine Marinestrategie als die für das Deutsche Reich erforderliche Grand Strategy verstand. Die militärische Komponente liegt dabei im wesentlichen im Risikogedanken; die Bündnisflotte ist seine unerläßliche Ergänzung auf der politischen Ebene.299 Die Überlegung, daß eine Flotte stark genug sein sollte, selbst im Falle ihrer eigenen Zerstörung jedem Angreifer Schäden einer Größenordnung 296So zog die britische Regierung seit 1898 die Allianzbildung mit einer Seemacht in Erwägung (Marder, Anatomy, S. 312). Umso bemerkenswerter ist der Umstand, daßgerade ein bündnisfähideutscher Admiral, Maltzahn, entlarvend fragte, wer denn eigentlich eine „ ge“ Flotte wünsche, denn weder der Reichskanzler noch das AAerhoben diese Forderung. Maltzahn kam bei der Lektüre der Dienstschrift IX zu den Schluß, mit der Flotte sollten die Bedürfnisse des Reiches weniger als die der Marine befriedigt werden (Petter, Flottenrüstung, S. 209; Deist, Flottenpropaganda, S. 45). Petter nennt den Bündnisgedanken Tirpitz’ „ wichtigstes Täuschungsmittel [...] im Anfangsstadium des Flottenbaus [...]“ (Flottenrüstung, S. 194). 297Eine lange (unvollständige) Liste von Autoren bei Marder, Anatomy, S. 295 Anm. 37. 298LANGER, WILLIAM L., The diplomacy of imperialism: 1890– 1902, 2 Bde., New YorkLondon 1935 (mittlerweile 21968 =2 1951; es wird die 1. Aufl. zitiert), Bd. II, S. 441f. 299Tirpitz, Erinnerungen, S. 129, 154, 81.
Bündnisflotte“ 3.4 Die „
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zuzufügen, die ihm eine weitere Auseinandersetzung mit einer anderen Flotte unmöglich machen würden, führt nahtlos zu der Aufgabe, sich der Unterstützung jener anderen Flotte(n) zu versichern. Das Interesse anderer Mächte an einem Bündnis mit Deutschland dürfte, gemäß der Theorie, allerspätestens mit der Entstehung einer starken deutschen Flotte geweckt worden sein; damit war Tirpitz’ Aufgabe erfüllt, die notwendigen Schritte zur Konkretisierung dieser Tendenzen, zum Zustandekommen eines echten Bündnisses, lagen außerhalb [...] da die hohe Politik ihre Domäne ist [...]“,300 wie er seiner Zuständigkeit, „ an Richthofen, den Staatssekretär im AA, schrieb. Da am objektiven Vorhan301, das Tirpitz behauptete, der AußenpoliWerkzeuges“ densein des potenten „ an die Hand“gegeben zu haben, nicht gerüttelt werden kann, liegt seinem tik „ Verständnis nach die Schuld für die im weiteren Verlauf folgende Katastrophe Es würde zu weit führen, die Unterlassungen beim Auswärtigen Amt allein. „ ,302die es versäumt habe, das von unserer Diplomatie im einzelnen zu erörtern“ ihm meisterlich geschmiedete Instrument in der richtigen Weise zu nutzen. So lautet zumindest die etwas geglättete Version dieser Theorie, die sich nach demKrieg trefflich zur eigenen Rechtfertigung verwenden ließ.303 Während des Flottenbaues selbst erwiesen sich die Zusammenhänge als ungleich komplizierter. Denn Bülow fühlte sich in seiner Außenpolitik zu recht vom Flottenbau eingeschnürt, wenn die Richtlinien, an denen Tirpitz die deutsche Diplomatie gern orientiert hätte, folgende waren: „ [Ich riet] 1. grundsätzlich zur Erhaltung des Friedens, bei dem wir jährlich gewannen, während ein Krieg uns wenig einbringen, dagegen alles rauben konnte, und deshalb 2. zur Vermeidung aller Zwischenfäl-
le durch Anbiederungsversuche, die insbesondere der Engländer nicht verträgt, oder durch Herausforderungen. Die Sicherung unserer jungen 304 Weltmacht aber sah ich 3. in einer Gleichgewichtspolitik zur See.“ Waren das schon komplizierte Regeln, die der Außenpolitik also die Annäherung sowohl an England wiean eine England antagonistisch gegenüberstehende Gleichgewichtspolitik zu See“ eiMacht verwehrten, so verbarg sich hinter der „ komplementär Mächte Annäherung die an andere auch ne Idee, die sozusagen ausschloß. Die Stelle lautet weiter:
Ich bedauerte es deshalb, wenn wir uns mit Österreich-Ungarn, das „ 300Tirpitz an Richthofen, 1. November 1904, cit. nach Tirpitz, Erinnerungen, S. 143– 146, S. 145. Hervorhebung im Original gesperrt. 301S. o. S. 122 und Anm. 277 302Tirpitz, Erinnerungen, S. 154f. 303So wardas AAsogar Schuld an der Niederlage im Krieg, denn „ Ein einziger Verbündeter zurSee aber hätte sogar im späteren Weltkrieg genügt, unsdemKampf umdie freie See mit den günstigsten Aussichten zu ermöglichen.“(Tirpitz, Erinnerungen, S. 80f; auch: S. 155). 304Tirpitz, Erinnerungen, S. 141.
3 Die „ Funktionsweise“der Tirpitz-Flotte
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zur See nichts bedeutete, zustark auf Gedeih undVerderb verschwisterten [...]“305
Als im Gefolge des Doggerbankzwischenfalls 1904 ein Bündnisvorschlag des Zarenreichs einging, äußerte Tirpitz sich Richthofen gegenüber ablehnend mit dem Hinweis, ein Bündnis mit Rußland würde den Antagonismus zu England Kopenhagen“übermächtig nur verschärfen (und die drohende Gefahr eines „ werden lassen), ohne daß Rußland dem Reich irgendeine Hilfe in einem Seekrieg gegen England sein könne.306 Bedenkt man außerdem noch, daß Tirpitz jedes ernstgemeinte, notwendigerweise eine Rüstungsbeschränkung nach sich ziehende Abkommen mit England ablehnte,307 bis dieFlotte ihren planmäßigen Ausbauzustand erreicht haben würde, zeigt sich, daß die Bündniskomponente seines „ Planes“nicht viel mit den Anforderungen der politischen Realität zu tun hatte, ja sich geradezu in einem luftleeren Raum abspielte. Seine IdealvorKontinentalbündnisses“308 Deutschland-Frankreich-Rußland stellungen eines „ oder gar eines „ deutsch-russisch-japanischen Dreibund[es]“309 (dessen Wert er aber erst nach dem Krieg postulierte), war gemäß seinen eigenen Vorgaben jedenfalls nicht zu erreichen. Hier richteten sich wieder alle Erwartungen auf Verwendbarkeit“ die Zeit der Fertigstellung der Flotte. Nach den Linien der „ eines Bündnispartners, die in Land- oder Seemacht eingeteilt wurde, verfuhr das Reich in der ersten Marokkokrise, als es versuchte, die Entente Cordiale dadurch zu sprengen, daß es Frankreich den relativen Unwert seines Bündnisses mit England vor Augen führte (ebenso, wie Rußland für Deutschland gegen England wertlos sein würde), und die Franzosen vielmehr zu einer Allianz mit Deutschland zu ermuntern versuchte.310 maEs ist trotzdem schwierig, an dieser Stelle von der Konstellation eines „ zu sprechen, ent311 obwohl das Blick auf ersten den ritimen Schlieffenplanes“ scheidende Kriterium, die Prävalenz des Militärischen vordemPolitischen, vorhanden ist. Es ging, wenn unsere Analyse der Tirpitzschen Gedanken stimmt, 305Ibid. Gegenüber Eckardstein gab Tirpitz einmal zu, der deutschen Diplomatie einen „ Eiertanz“abzuverlangen (ECKARDSTEIN, HERMANN FRHR. V., Lebenserinnerungen und politische Denkwürdigkeiten, 2 Bde., Leipzig 1920, Bd. II, S. 40). 306„ Hauptsache bleibt immer, daß ein realer, d.h. militärischer Nutzen aus der Allianz mit Rußland für uns nicht erwächst.“(Tirpitz an Richthofen, 1. November 1904 [s.o. Anm. 127]); cf. Steinberg, Copenhagen Complex, S. 34. 307Protokoll der Besprechung vom 3. Juni 1909 (GP XXVIII, Nr. 10306, wie oben S. 40 Anm. 67). 308Aufzeichnung der Etat-Abteilung „ Die Sicherung Deutschlands gegen einen englischen Ein Angriff“ , Februar 1900 (wie oben Anm. 120), die selbst zu dem Schluß kommt, „ Zusammenschluß aller Kontinental-Großmächte gegen Großbritannien, wie er [...] das einzig Richtige und Natürliche wäre, darf leider vorläufig nur als frommer Wunsch bezeichnet werden.“(Auslassung Stadelmann). Auszüge dieser Denkschrift abgedruckt bei Berghahn/Deist, Rüstung, Nr. II 12, S. 128f. 309Tirpitz, Erinnerungen, S. 153. Cf. Stadelmann, Flottenrivalität, S. 113. 310Marder, Dreadnought I, S. 114. 311Hierzu u.a. Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 50.
3.4 Die „ Bündnisflotte“
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nur zum Teil darum, die Politik zugunsten der optimalen Kriegsvorbereitung vor den Karren der Marine zu spannen, wie es der Schlieffenplan und endlich totaler Krieg“für das Heer versuchten; zwar wird man mit eiLudendorffs „ Übergewicht militärischer über politische nigem Recht mit Ritter von einem „ Rücksichten“312 sprechen können, umso mehr, als gerade die Anforderungen, nichts anderes [bedeuteten], als die Tirpitz an die deutsche Diplomatie stellte, „ ein Mittel zumZweck [zu] machen unddas gesunde Verhältnis vonStaatskunst und Kriegshandwerk auf den Kopf [zu] stellen“.313 Die saubere und eindeutige Trennung zwischen diesen beiden, die damit vorausgesetzt wird, ist aber im historischen Befund nicht gegeben: war die militärische Abschreckung, wie oben erläutert, der eigentliche Grund für die Existenz der Flotte, unddie rein militärische Entscheidung nurein kontingentes, überdies unerwünschtes, Szenario, so behält die hier postulierte Symbiose von Politik und Militär im Sinne einer– nach vollendetem Flottenbau–durchaus säbelrasselnden Grand Strategy ihre Gültigkeit. Daß Tirpitz freilich die Schwierigkeiten der Außenpolitik, namentlich der deutschen, die weder rein rational generiert noch effizient koordiniert war, unterschätzte, bleibt ein Geburtsfehler seines Planes. Letztendlich kommt der Idee vonder „ Bündnisflotte“ein besonderer Rang in der Reihe Tirpitzscher Verengungen zu aufgrund der Tatsache, daß das Konzept durchaus auch in anderen Staaten gängig undverständlich war, daßes sich umeine in der deutschen Marine traditionelle Denkfigur handelte–unddaßes keine gültigen Belege, etwa historische, für seine Tragfähigkeit gab. Während die Erwägung der bündnispolitischen Nützlichkeit sicher das Zünglein an der Waage zwischen einander ohnehin zuneigenden Staaten sein konnte, glaubte Tirpitz, fest verwurzelt in einem Weltbild, das aus der Abneigung oder mindestens dem Mißtrauen der europäischen Mächte gegen das wirtschaftliche und politische Übergewicht des halbhegemonialen deutschen Reiches heraus wahrscheinlich in den 1890er Jahren sich zum Mahanistischen Sozialdarwinismus entwickelte, an eine allein von machtpolitischen Gesichtspunkten bestimmte europäische Außenpolitik (man könnte hierin wieder, wieim Falle der Schiffstypen, ein Phänomen konstatieren, bei demaus Reziprozität Realität erwachsen konnte). Der Tirpitzsche Flottenbau machte es aber geradezu notwendig, daß die Nützlichkeit der Flotte für den potentiellen Bündnispartner der grundlegende, nicht, wie es maximal möglich war, der letztendlich den Ausschlag gebende Grund für eine Anlehnung an Deutschland sein mußte: das Bild entspricht nach hinten losgehenden maritimen Schnellschusses“.314 tatsächlich dem eines „
312Ritter, Staatskunst II, S. 171. 313 Ibid. S. 178. 314Salewski, Deutschland als Seemacht,
S. 17.
4 Clausewitz und die Royal Navy: Corbett „ false analogy is not a secure basis for
1 a theory of war“ Corbett
Julian Stafford Corbett (1854– 1922) gilt als der größte britische Seekriegstheoretiker des frühen 20. Jahrhunderts. Über die Juristerei, die Belletristik und schließlich einige vielbeachtete Werke der Marinegeschichte kam er zu guter letzt, als Korrespondent der Times und des liberalen Monthly Review, zum Marinewesen im allgemeinen und seiner theoretischen Grundlagen im besonderen. Obwohl ihm damit bei Kritikern zeitlebens das Stigma des historischen wie strategischen Amateurs anhing, gilt Corbett heute in der Literatur als im einen wie dem anderen technisch versierter und anspruchsvoller Autor2– weithin anerkannt, jedoch bei weitem nicht unumstritten. Vonden anderen britischen Autoren, die in diese Pionierzeit der Marinegeschichte, sei es ars gratia artis, sei es als Zuträgerin der Admiralstabswissenschaften, gehören, hob sich Corbett besonders durch den Umstand ab, daß seine strategischen Vorstellungen Ergebnis, nicht Interpretationsansatz seiner historischen Studien waren: Anders als etwa Mahan (der durchaus zu den britischen Marinehistorikern zu rechnen ist, da sich seine historischen Darstellungen überwiegend mit der britischen Marinegeschichte befassen3), dessen Idee von der Bedeutung der Sea Power sich zuerst herausbildete, undder dann historische Phänomene auf ihre Wirkung abklopfte, stand bei Corbett die historische Untersuchung an erster Stelle, aus der er dann seine strategischen Ideen deduzieren konnte.4 1 Principles, S.93. 2 Schurman, Education, S. 148; cf. Grove, Introduction, S. xii, xxiv. Cf. auch Dirks, Corbett, S. 154. Eine Wirkung dieses Rufs, aber auch Corbetts durch seine juristische Ausbildung kompromißlosen Argumentationsstils war, Marinenostalgiker mit seiner Wortwahl mad perpendicular attack“etc.), welche bezüglich der Ikone Lord Nelson zu düpieren („ schließlich die Admiralität dazu bewegten, 1912, also fast 107 Jahre nach der Schlacht von Trafalgar, die damaligen Vorgänge durch einen offiziellen Admiralitätsausschuß untersuchen zu lassen (Der Abschlußbericht bestätigte Corbetts Sichtweise). Grove, Introduction, S. xxiii. „Since Drake andthe Tudor Navy waswritten, Corbett had become the weightiest naval historian in England. This wasnot dueso much to his views being completely accepted as it was to the visibly solid nature of his publishing achievement [...].“(Schurman, Education, S. 182). 3 Schurman, Education, S. 61. 4 Schurman, Education, S. 182; HATTENDORF, JOHN B., Sir Julian Corbett on the Significance of Naval History, in: HATTENDORF, JOHN B., Naval History and Maritime 89 (cit. Hattendorf, Significance), Strategy. Collected Essays, Malabar (Fl.) 2000, S. 77–
S. 81, S. 86f.
132
4 Clausewitz und die Royal Navy: Corbett
Wie Clausewitz, an dem er sich immer wieder orientierte, für die Militärtheorie, so erlangte Corbett für die Seestrategie seine Sonderstellung durch die Etablierung eines Systems nach den Grundsätzen der philosophischen Theoriebildung–deren Teil die Diskussion von Vermögen und Unvermögen der theo, die auch moderner Kritik standhalten, scil. seine retischen Annäherung sind– Seekriegsstrategie ist eingebettet in eine Theorie der Kriegsführung generell. Die Breitenwirksamkeit von Corbetts Schriften war sehr hoch; Sir John Fisher, dessen Reformen er publizistisch wirkungsvoll unterstützte, warihmundseinen Ideen besonders gewogen und verschaffte ihm eine verantwortungsvolle Stellung in den seit 1900 sich langsam etablierenden Kriegsakademien der Royal Navy.5 Da ein Admiralstab, wieCorbett ihn befürwortete, Fishers direkte Kontrolle über alle Marinebelange geschmälert hätte, versuchte er, mit dem War College in Portsmouth (HMS TERPSICHORE) ein Substitut aufzubauen, das ihm zwar theoretisch durchgearbeitetes strategisches Material liefern, ansonsten aber über keinerlei Befugnisse verfügen sollte.6 Parallel zuseiner Tätigkeit als Lehrer für Seekriegsstrategie unter anderem am War College undder damit verbundenen Forschungstätigkeit brachte Corbett eine Reihe von umfangreichen Untersuchungen der Seekriegsgeschichte heraus, als deren Quintessenz 1911 sein Hauptwerk Some Principles of Maritime Strategy–wohl auf Anregung Lord Fishers7–erschien. Seinen schmucklosen, direkten Stil durchbrach Corbett in diesem Werk deswegen, weil er sich–eingedenk seines ihm von älteren Offizieren immer noch vorgehaltenen Status’ als Nicht-Seemann–nicht der Kritik eines dogmatischen Ausschließlichkeitsanspruches aussetzen wollte. Deshalb wurden aus den The Principles der ersten Entwürfe bei der Veröffentlichung Some Principles.8 Corbetts Ansatz spiegelt das bereits zuBeginn über das strategische Denken des 19. Jahrhunderts Gesagte wieder: Auch er betrieb, ja war Vorreiter, einer dezidiert „pragmatischen“Geschichtsschreibung („ app9), in der aus der Betrachtung der Geschichte Handlungsanweisunlied history“ genfürdieGegenwart kristallisiert werden sollten. Dabei allerdings verhinderte Corbetts intellektueller Anspruch eine Verflachung, wiesie manchem etwa bei 10zu begegnen schien, ja er merkwürdige Frucht des Historismus“ Mahan als „ 5 Marder,
Dreadnought I, S. 82; Schurman, Education, S. 182. Wie wirksam Corbett in Öffentlichkeit und Korps war, zeigt, daß Lord Sydenham of Combe 1916 ausdrücklich ) für das bisherige Fehlen spektakulärer Erfolge der semi-Defätismus“ Corbetts Lehren („ Royal Navy verantwortlich machte (Schurman, Education, S. 150). 6 Grove, Introduction, S. xviii. 7 Dirks, Corbett, S. 158. 8 Grove, Introduction, S. xxiv f. 9 CORBETT, JULIAN S., The Teaching of Naval and Military History, in: History, N.S. pragmatische“Ansatz darf als 19 (cit. Corbett, Teaching), S. 18. Der „ 1 (1916), S. 12– Kennzeichen einer Militärgeschichte als Zuträgerin der Generalstabswissenschaften gelten, die sich noch nicht durch die Erschließung rein historischen Erkenntnisinteresses den Rang als eigenständige geisteswissenschaftliche Subdisziplin errungen hatte, wiees etwa in Deutschland HANS DELBRÜCK forderte (hierzu Lange, Strategiestreit, S. 14, 17). 10 Hubatsch, Realität undIllusion, S. 55f.
4.1 Das Fundament: Clausewitz’„ Beschränkter Krieg“
133
Versuchung des Captain Mahan“ warnte ausdrücklich vor der „ , aus Analogiebildung allzu voreilige Schlüsse und Lehren zu ziehen.11 Die Frage nach dem Wert seekriegshistorischer Betrachtungen für den Seebefehlshaber stellte sich auf zwei Ebenen, nämlich inwieweit in einem Zeitalter radikaler technischer Veränderung, von der der Seekrieg ganz besonders betroffen war, die für die Segelschiffszeit geltenden Regeln überhaupt noch relevant waren, und gleichzeitig, welchen Wert die Theorie auf demSchlachtfeld überhaupt besitzt. Dabei konstatierte Corbett, daßdie Augenzeugen eines gewichtigen Ereignisses, eines großen Krieges zumal, zwangläufig dazu tendieren, ihm eine in der Geschichte nie dagewesene Qualität zuzusprechen, die die Kraft besitze, die bisher gültigen Prinzipien der Historie zu durchbrechen–eine Einschätzung, die sich mit zunehmender Distanz zu jenem Ereignis wieder relativiere, so daß letztendlich die die Geschichte tragenden Prinzipien doch wieder sichtbar würden– wobei sich freilich der zunehmenden Fülle diversen Anschauungsmaterials nur durch einen immer höheren Grad der Abstrahierung gerecht werden lasse.12 In Abstraktion und kritischer Distanz liegt Corbetts Verständnis vom Wert pragmatischen“Seekriegsgeschichte; erstere konnte die Adaption gültiger der „ Grundmechanismen auf veränderte Rahmenbedingungen garantieren, während atrophy ausschließlich letztere eine immerfort drohende Verabsolutierung, eine „ of essentially good tactical principles“13verhindern konnte, ein Problem, mit demsich Corbett immer wieder auseinandersetzte.
Beschränkter Krieg“ 4.1 Das Fundament: Clausewitz’ „ PhänomenoloCorbetts Arbeit ist zunächst bemüht um eine systematische „ gie“ des Krieges, die er in ausdrücklicher Weiterführung des von Clausewitz in seinem–durch seinen Choleratod 1831 unvollendet gebliebenen–achten Buch des monumentalen VomKriege angedachten dualistischen Kriegsmodells vornimmt.14 Clausewitz hatte gegen Ende seiner Arbeit erkannt, daßdie durch den wahren“und ganzen früheren Teil des Werkes durchgehaltene Typisierung in „ wahre“Krieg, der den vollkommenen wirklichen“Krieg zu kurz greift. Der „ „ Einsatz aller verfügbaren Ressourcen zur ebenso vollkommenen Vernichtung des Gegners unter Wegfall irgendwelcher einschränkenden Umstände bedeutet, komme, so betont Clausewitz, in der Geschichte nicht vor–Limitationen gleich welcher Natur seien praktisch immer amWerk. So nehme der Krieg in der Reawahren“Krieg inhälität die Gestalt eines weniger absoluten, gleichwohl zum„ wirklichem“ wahrem“oder „ absolutem“und„ rent tendierenden an–zwischen „
11 Corbett, Teaching, cit. nach Grove, Introduction, S. xv. 12 CORBETT, JULIAN S., The Revival of Naval History, in: The Contemporary Review CX 740 (cit. Corbett, Revival), S. 739. (1916), S. 734– 13 Ibid. S. 86. 14 Corbett, Principles, S. 51.
134
4 Clausewitz und die Royal Navy: Corbett
Krieg15 bestehe mithin nur ein quantitativer, kein echter Wesensunterschied. In dervorder Fertigstellung desachten Buches demWerk beigefügten Nachricht vom 10. Juli 182716 bekundet Clausewitz seine Einsicht in die Unzulänglichkeit dieser Typisierung–die zwar nicht falsch sei, gleichwohl keine befrie[...] welche seit Alexander und digende Bemessungsgrundlage für alle Kriege „ 17dareinigen Feldzügen der Römer bis auf Bonaparte geführt worden sind“ stellen und kündigt sein Vorhaben an, das Werk gemäß den im achten Buch angelegten Prinzipien zu überarbeiten; bei diesen Prinzipien handelt es sich absoluten“Krieg und dem nun von ihm geum die Scheidung zwischen dem„ beschränkten Krieg“ .18 trennten „ absoluten“Kriegs mit mathematischer UnWährend sich die Aktionen des „ vermeidlichkeit, als „ algebraische Aufgabe, vor der selbst ein Newton zurück19vollziehen, da das einzige Ziel dervollkommene Sieg ist und schrecken könnte“ also das Ziel jeder Aktion geradlinig auf die Vernichtung des Gegners weist, beschränkten“Krieges in ihrem Ablauf situativ können die Mechanismen des „ gestaltet werden. Statt der vollständigen Niederwerfung des Gegners gibt sich diese Art des Konfliktes mit beschränkten, also z. B. territorial eng begrenzten Zielen zufrieden, die zunächst erobert und in einem zweiten Schritt dadurch gehalten werden, daßgenügend Druck auf den Gegner ausgeübt wird, umihn die veränderte Situation anerkennen zu lassen;20 die Ausübung dieses Druckes durch eine erneuerte Offensive wird üblicherweise möglich durch denUmstand, daßmanmit der ersten Operation denGegner auf das Schlachtfeld der eigenen Wahl gezwungen hat, woer sich nach dem Abschluß der ersten Phase in Gegenangriffen vorausgabt, die seine Kräfte übersteigen.21 Clausewitz nennt als Beispiel das schlesische Abenteuer Friedrichs des Großen. Der Wesensunterschied zum „ absoluten“Krieg liegt darin, daß das umstrittene Territorium– oder was immer es auch sein mag–für beide Gegner nicht die Verwendung
15 Hier liegt, über einen höchst problematischen Prozeß der Vereinfachung undVerflachung, : Wehler, Verfall, S. 288ff. totalen Krieg“ der Ursprung des Begriffes vom„ 16 Clausewitz, VomKriege, S. 179– 183. 17 Clausewitz, VomKriege, S. 954; cf. Corbett, Principles, S. 48. 18 Daß dies eine von Clausewitz intendierte Reinterpretation des bereits verfaßten Werkes ist, ist die gängige Ansicht der jüngeren Forschung; mit anderer Meinung GAT, AZAR, The Origins of Military Thought. From the Enlightenment to Clausewitz, Oxford 1989, S. 199ff. Allerdings geht Gat davon aus, daß, wie es die „deutsche Schule“(Hobson) der Strategie tat, der Clausewitzsche Satz, das einzige Mittel der Strategie sei das Gefecht, wörtlich zu verstehen sei. Tatsächlich handelt es sich um ein ideales Prinzip (oder auch „ , wie Maltzahn in seiner Rezension der Principles formuliert: logische Spitzfindigkeit“ Maltzahn, Beziehungen, S. 873). Das einzige Mittel der Strategie nach Clausewitz ist die Vorstellung des Gefechtes“ , s. o. S. 66 denTruppen inhärente Kapazität zur Schlacht (die „ u. Abschnitt 5.1); cf. Hobson, Origins, S. 19f; Gemzell, Innovation, S. 53. 19 Clausewitz, VomKriege, S. 961, zitiert hier Napoleon. 20 Corbett, Principles, S. 46. 21 Corbett, Principles, S. 83. Belege aus Clausewitz’ umfangreichem Werk könnten hier beliebig aneinandergereiht werden; es erscheint deshalb sinnvoller, auf die von Corbett diskutierten Beispiele zu verweisen.
4.1 Das Fundament: Clausewitz’„ Beschränkter Krieg“
135
ihrer gesamten Wehrkraft rechtfertigt–oder zumindest eine der Parteien zu einem solchen Kraftaufwand nicht in der Lage ist, und deshalb nicht automatisch die Hauptmacht des Gegners das Ziel ist. Dies magauch durch geschickte Abriegelung des Schlachtfeldes durch die schwächere Partei erreicht werden. Ein Beispiel hierfür sei der russisch-japanische Krieg von 1904/05, in demdie Japaner sich eine örtliche Dominanz verschaffen undsie aufrechterhalten konnten, ohne die gesamte Macht des Zarenreiches zu zerschmettern. Gerade mit dieser Umformulierung seiner Theorie entzieht Clausewitz den in der Vorzeit des Ersten Weltkrieges herrschenden Anschauungen völlig den Boden: Da an zentraler Stelle des Krieges22 das Gefecht, die Schlacht, und konsequenterweise im Interesse jeder kriegführenden Partei die Maximierung der Fähigkeit zu wahrer“und deren Gewinn liege, ist in der ursprünglichen Fassung, in der „ wirklicher“Krieg die beständige Tendenz zeigen, ineinander überzugehen, die „ Schlußfolgerung impliziert, daßderjenige Staat die besten Siegesaussichten hat, der sich von einschränkenden Einflüssen am erfolgreichsten freimachen könne, sich also der mathematischen Gleichung am dichtesten annähere. Tatsächlich Verwardiese Forderung, die das 19. Jahrhundert so stark wahrnahm undzum„ nichtungsgedanken“verdichtete, angesichts der (philosophisch begründbaren) Unmöglichkeit ihrer Umsetzung gar nicht Teil des Clausewitzschen Gedankens; das Kapitel vom Wesen des Krieges ist ein rein deskriptives. Die Neufassung nun hebelt diese Beziehung aus, indem sie der beschränkenden Wirkung der Politik nicht nur den Stellenwert eines einfließenden, sondern des konstitutiven Faktors zumißt.23 Hier nun setzt Corbetts eigentliche Weiterentwicklung des Clausewitzschen Gedankens ein. Die beiden oben erwähnten Beispiele aus der Militärgeschichte unterscheiden sich in einem gewichtigen Punkt, der Clausewitz große Schwierigkeiten bereitet hatte: Die Nachbarschaft zwischen Österreich und Preußen beschränktem“und„ absolutem“Krieg getroffene Unverwischte die zwischen „ terscheidung dergestalt, daß der Umschlag des ersteren in den letzteren allein durch die geographische Position nicht ausgeschlossen werden konnte, mit anderen Worten: Die Einnahme Berlins hätte das schlesische Problem für Maria Theresia mit einem Schlage gelöst undwardeshalb eine sinnvolle Alternative. Daß sie in der konkreten Situation nicht durchführbar war, ist für die philosophische Betrachtung Clausewitz’ nicht von Belang. Die Scheidung, die der kluge Preuße nach Jahrzehnten des Schreibens als die gültige erkannt zuhaben glaubte, schien doch noch ihre Schwächen zu haben. Hier springt Corbett ihm bei: Clausewitz’ Betrachtung habe sich auf den kontinentalen Krieg beschränkt, ein Umstand, der es Clausewitz unmöglich gemacht habe, die wahre Tragweite undBedeutung des von ihmAngedachten zu
22 Dazu auch Maltzahn, Beziehungen, S. 873. 23 Übrigens erhob Clausewitz auch in der „Urfassung“nirgendwo die ihm von den Militärtheoretikern zugeschriebene Forderung, immer undmit allen Mitteln die Vernichtung des Gegners anzustreben (Lange, Strategiestreit, S. 73ff; für zeitgenössische Mißinterpretation cf. Stenzel, Kriegführung, passim).
136
4 Clausewitz unddie Royal
Navy: Corbett
überblicken.24 Tatsächlich offenbare sich die Gültigkeit vonClausewitz’Theorie – erst in einem für ihn unüberblickbaren weltweiten–bei Corbett „ maritimen“ Kontext. Das von Corbett angeführte Beispiel, der russisch-japanische Krieg, oder auch eine für Clausewitz’Zeit zugängliche Erfahrung, die Eroberung Kanadas durch die Briten während des Siebenjährigen Krieges, zeigen, wie erst die Diversifizierung der Kampfplätze die von Clausewitz vorgenommene Trennung in aller Schärfe hervortreten läßt.25 Zur Zeit des Siebenjährigen Krieges war Frankreich die größere Militärmacht; die Abriegelung des kanadischen Kriegsschauplatzes durch die Royal Navy verhinderte jedoch, daßdiese größere Macht zumTragen kam. Ebenso wurde die geographische Verschiedenheit von Machtschwerpunkt (Rußland) undKriegsschauplatz (Korea, Liautung) den an Heeresstärke unvergleichlich überlegenen Russen 1904/05 zumVerhängnis, ein Bild, das durch die pittoreske Odyssee der Ostseeflotte noch an Überzeugungskraft gewinnt.26 Vergegenwärtigt man sich hier Tirpitz’ Konzept vom „ Hebel Nordsee“ , so wird klar, daß er gemäß dem Mechanismus der Abschreckung durch die Drohung mit dem automatischen unbeschränkten Krieg funktionierte. Die Angst davor, daßdie deutsche Flotte jede Segregation des Kriegsschauplatzes vonder Metropole unmöglich machen könnte, sollte England vor der Möglichkeit der militärischen Auseinandersetzung mit Deutschland zurückschrecken lassen. Dabei krankt eine an sich nicht unvernünftige Idee an einem Punkt: Für das landmilitärisch weit überlegene Deutschland wares sinnvoll, den unbeschränkten Krieg, den Stoß auf das Zentrum des Gegners, zu suchen.27 Gleichzeitig aber war es Tirpitz, der immer wieder am lautesten betonte, daß ein Invasionsversuch in Großbritannien von vornherein zumScheitern verurteilt war28 Tirpitz’ drohte also, wenn man so will, von Anfang an mit einem hölzernen Schwert, und war sich dessen, was die Invasion selbst anging, auch bewußt; indessen hebelte er diese Bedenken mehr oder minder geschickt aus, indem er
immer wieder auf die unbeschränkten Möglichkeiten hinwies, die Deutschland, einmal im Besitz der Seeherrschaft in den englischen Heimatgewässern, besäße, ohne im Detail darauf einzugehen, wieaus diesen Nutzen geschöpft werden sollte; Denkern, die diese Frage anrissen, warf er vor, „ [...] das Bärenfell [zu verteilen], ehe der Bär erlegt ist.“ ;29 man müsse sich zuerst, und bis es soweit sei, ausschließlich, darauf konzentrieren, wie die Entscheidungsschlacht, und damit die Seeherrschaft, gewonnen werden könne.
24 Corbett, Principles, S. 52, S. 58f. 25 Ibid., S. 55f, S. 78ff. 26 Maltzahn, Beziehungen, S. 874f hält das russisch-japanische Beispiel für ungeeignet und kritisiert Corbetts Ausführungen dazu scharf: Weder vonIsolation desKriegsschauplatzes noch voneinem rein beschränkten Ziel könne die Rede sein. 27 Entsprechend Corbett, Principles, S. 57. 28 S. o. Abschnitt 3.2. 29 Randbemerkung Tirpitz’, Berghahn/Deist, Rüstung, Nr. II 11, S. 127 (wie oben S. 97 Anm. 173).
4.1 Das Fundament: Clausewitz’„ Beschränkter Krieg“
137
Clausewitz’oben skizzierte Vorgehensweise im beschränkten Krieg magder Schlüssel zum Auflösen dieses Widerspruches im Denken Tirpitz’ sein. Das oben vorgestellte Konzept vom „ Hebel Nordsee“kann als die Umsetzung der Clausewitz-Idee im globalen Maßstab gelesen werden: Die Besetzung eines limitierten Objektes–etwa eines Standortes für einen Kreuzerstützpunkt–und die darauffolgende Applikation allgemeinen Druckes, nämlich durch die heimische Hochseeflotte, um Großbritannien zur Anerkenntnis dieser Erwerbung zu zwingen. Aus dieser Perspektive offenbart die Theorie somit eine weitere . Es soll dieses Rückhaltes der Schlachtflotte für die Kreuzer“ Dimension des „ allerdings nur als Ergänzung angefügt werden, denn ob Tirpitz bewußt und in Kenntnis des Clausewitzschen Konzeptes auf dieses Vorgehensmodell rekurrierte, muß zweifelhaft bleiben, da in seinen Schriften jeder Verweis auf beschränkten Krieg“fehlt und umso mehr, als ja erst Corbett Clausewitzens „ die ausdrückliche Adaption des Gedankens auf den maritimen Krieg leistete. Die Forschung rätselt, wie oben dargestellt, ob mit der Fertigstellung der Hochseeflotte der Startschuß für einen unbeschränkten Krieg gefallen wäre, ja nimmt den Ausbruch der Feindseligkeiten im August 1914–als mit der Wiedereröffnung des Kaiser-Wilhelm-Kanals die strategische Wirkkraft der Flotte offenbar wiederhergestellt war30–geradezu als Beleg dafür. Das Kapitel über die politische Dimension des Tirpitz-Konzeptes hat zu zeigen versucht, daß gewichtige Indizien gegen einen solchen einseitigen Automatismus sprechen. Daraus hat sich vordergründig der Widerspruch ergeben, daß eine für den unbeschränkten Krieg gebaute Schlachtflotte offenbar ihre Wirkung entfalten sollte, ohne jemals zum Einsatz zu kommen, also als rein politisches Instrument zu fungieren. Hier nun läßt sich zumindest eine gewichtige, intelligente und vor allem Tirpitz’ Idee weit vordatierende Denkfigur identifizieren, der -Idee genau entspricht; der Tirpitz-Plan ist damit ein weidie „Hebel Nordsee“ teres Stückchen aus seinem intellektuellen Vakuum herausgetreten. Es muß Stufenplan“so prominent freilich bezweifelt werden, ob der Clausewitzsche „ Vernichtungsgedanke“im Bewußtsein der Zeit verankert war; wie etwa der „ Ermatdies scheint (im Lichte etwa der Kontroverse um die Delbrücksche „ ) sogar mit Sicherheit nicht der Fall zu sein. Gleichzeitig aber tungsstrategie“ ja kein neuartiges strategisches Komgab Clausewitz–undmit ihm Corbett– pendium heraus, sondern destillierte aus den Instanzen der Kriegsgeschichte immer wiederkehrende Muster, umsie zu systematisieren; in allen Denkschriften ist Clausewitz der einzige Militärtheoretiker, den Tirpitz nennt, und fehlt bei ihmauch eine analytische Systematik, so magdoch dieallgemeine Vertrautheit mit vergangenen Kriegsbildern ein Bewußtsein für die Berechtigung einer solchen Vorgehensweise gefördert haben. Noch einmal: Die Überbetonung des Offensivgeistes“und der Entscheidungsschlacht, denen ja gerade Clausewitz „ 30 Cf. SALEWSKI,
MICHAEL, Die militärische Bedeutung des Nord-Ostsee-Kanals, jetzt in: SALEWSKI, MICHAEL, Die Deutschen und die See. Studien zur deutschen Marinegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, hrsg. v. ELVERT, JÜRGEN und LIPPERT, STEFAN
118, hier S. 111f. (=HMRG Beiheft 25), Stuttgart 1998, S. 96–
138
4 Clausewitz und die Royal Navy: Corbett
zum Opfer31 fiel, sind geeignet, dieses Bewußtsein zu übertünchen, und alle Anzeichen sprechen dafür, daß dies in der Zeit auch geschah; trotzdem sind diese sich vordergründig widersprechenden Konzepte sehr wohl miteinander vereinbar, und die Tatsache, daß der Tirpitz-Plan in seiner intendierten Form nie zur Ausführung gelangte, nötigt uns, diese Möglichkeit zu berücksichtigen. beschränkter Krieg“begegnet uns in seinen beiden Stufen miliClausewitz’„ Hebel Nordsee“hat, gemäß unserer Hypothese als Adaption tärisch. Tirpitz’„ des Clausewitz-Konzeptes, eine militärische wie eine politische Komponente. Diese beiden Komponenten können dann nur zusammen betrachtet werden: Eine isolierte Darstellung der militärischen Dimension, die in einen eingleisigen „ Vernichtungsgedanken“ , die Entscheidungsschlacht mündet, verzerrt die Gesamtidee, und beschwört den angesprochenen Widerspruch herauf.
4.2 Corbett gegen die Seestrategie der „Maximen“ Admiral Tirpitz teilte aus voller Überzeugung einen Grundsatz des seemilitärischen Denkens im Allgemeinen, dem Corbett in aller Schärfe widersprach. Es handelt sich dabei um die Maxime, daß die Schlacht der automatische Endpunkt einer maritimen Auseinandersetzung sei. Die Schlacht, so schreibt Corbett in Übereinstimmung mit Clausewitz, sei zur See das einzige Mittel, umsich der Seeherrschaft dauerhaft zuversichern.32 Der Zusammenstoß zweier konzentrierter Hauptschlachtflotten sei deshalb das wahre, letzte Ziel zumindest der britischen Seestrategie, wobei Corbett immer von der quantitativen Überlegenheit der Royal Navy über jeden denkbaren Gegner ausgeht. Diese Schlacht, und hier spricht Corbett einen Gedanken aus, mit dem Tirpitz sich erst in der unmittelbaren Vorzeit desWeltkrieges auseinanderzusetzen scheint, komme aber eben nicht mitjener uhrwerkartigen Unvermeidlichkeit zustande, die Clausewitz undCorbett für den„ absoluten“Krieg feststellen. Daß demso ist, liege im Wesen der Seeherrschaft, die fast niemals eine sichere und permanente sei. Vielmehr sei der Normalzustand der der unbeherrschten See, über die keiner der beiden Gegner die Gewalt habe. Die See könne nicht wie Landterritorium erobert, sondern lediglich die Kontrolle über die Seeverbindungen ausgeübt werden.33 Das heißt, daß der Verlust der Seeherrschaft durch dieeine Partei nicht automatisch ihren Übergang an die andere bedeute;34 vielmehr sei Seeherrschaft ihrem Wesen nach nurdurch kontinuierliche, zahlenmäßig hohe Präsenz an maritimen Verbindungslinien, End- und Knotenpunkten
31 Welche Beharrungskraft dieser Fehlinterpretation Clausewitz’zueigen ist, zeigt, daßnoch 1948 der ausgesprochene Tirpitz-Kritiker Rudolf Stadelmann ihn durchgehend als echten „Schüler Clausewitz’ b ezeichnet, aus dessen Lehren direkt die oben dargestellten Fehleinschätzungen erwachsen “ sieht (Stadelmann, Flottenrivalität, S. 106f u. passim). 32 Corbett, Principles, S. 87. 33 Corbett, Principles, passim; Hattendorf, Significance, S. 83. 34 Der Gedanke stammt von Captain Sir John Colomb (Schurman, Education, S. 177f), aber Corbett wurde sein wichtigster Vertreter. Corbett, Principles, S. 91ff, 206.
4.2 Corbett
gegen
die Seestrategie der „ Maximen“
139
zu erreichen. Eine graduierte Intensität von Seeherrschaft in infinitesimalen Abstufungen ist daraus die Folge, so daß der Ausbruch eines einzigen kleinen Kreuzers (sporadic action)35 die Seeherrschaft innerhalb der Reichweite seiner Geschütze diktiere, die wiederum, selbst wenn die andere Partei eine überlegene Schlachtflotte auf dem Schauplatz hat, von deren flexiblen und schnellen Schiffen außer Kraft gesetzt werden muß. Seeherrschaft, so sagt Corbett dezidiert, sei nur durch Kreuzer auszuüben.36 Eine Marine, die die Überlegenheit an Einheiten dieser Art habe, besitze ein höheres Maßan Seeherrschaft als ihr
Gegner, unabhängig zunächst vomVorhandensein schwerer Einheiten. Daraus folgt, daß eine Partei nicht automatisch an der Herbeiführung der Entscheidungsschlacht interessiert sein muß. Die Aufgabe der Schlachtschiffe sei es, den Kreuzern die Ausübung dieser ihrer ureigensten Funktion zu ermöglichen, indem sie ihnen Rückhalt für den Fall des Auftretens überlegener gegnerischer Seestreitkräfte biete.37 Ohne eine sozusagen die Verhältnisse klärende Seeschlacht befindet sich die Seeherrschaft freilich in einem mehr oder weniger permanenten Schwebezustand; dieser aber, der die potentielle Verfügungsgewalt einer Partei über die Verkehrsfläche der See–denkbarerweise selbst bei Unterlegenheit der eigenen schweren Einheiten–bedeutet, kommt bei Tirpitz schlechterdings nicht vor. Das Fell des Bären nicht zu verteilen, bevor man ihn erlegt hat, heißt für Tirpitz, daß durch den Sieg in der Seeschlacht die Hand[...] erst wenn lungsfähigkeit der Kreuzer etc. überhaupt erst hergestellt wird: „ die Seeherrschaft erreicht ist, bieten sich die eigentlichen Mittel, umden Feind zum Frieden zu zwingen.“38 Scharf wendet sich Corbett gegen die in der Zeit allgemein verbreitete Auffassung, die Schlacht mit der Flotte des Gegners sei das wichtigste und einzige Ziel, und woder Gegner die Schlacht nicht freiwillig suche, müsse man ihn unter allen Umständen zur Schlacht zwingen. Dabei gesteht
er zu:
Whatever the nature of the war in which we are engaged, whether „ it be limited or unlimited, permanent and general command of the sea is the condition of ultimate success. The only way of securing such a command by naval means is to obtain a decision by battle against the enemy’s fleet. Sooner or later it must be done, and the sooner the better [...], andwepass with confidence to the conclusion that thefirst business 39 of our fleet is to seek out the enemy’s fleet and destroy it.“
35 Corbett, Principles, S. 142. 36 Ibid., S. 112. 37 Hier führt Corbett die Unterscheidung ein zwischen command of the sea, das letztendlich von den Schlachtschiffen abhängt, und control of sea communications, die den Kreuzern obliegt. Corbett, Principles, S. 161, 165. Die Einsicht in die Durchführbarkeit des Handelskrieges (denn umdiesen handelt es sich letztendlich) auch ohne die vollständige Absicherung der Seeherrschaft durch die Schlachtflotte war einer der Hauptpunkte Corbetts, den auch er selbst sich erst spät erschloß, cf. Schurman, Education, S. 160. Cf. die gegenteilige Ansicht bei Mahan (s.u.). 38 Dienstschrift IX, S. 88. Cf. dazu die „ Küstenpanzerdenkschrift“Caprivis (s. u. Anm. 82) 39 Corbett, Principles, S. 167.
140
4 Clausewitz und die Royal Navy: Corbett
Der Eindruck entsteht, eine Denkschrift Tirpitz’sei ins Englische übersetzt worden. Corbett betont darüber hinaus, daß es sich hierbei umeine allgemein als wahr akzeptierte strategische Maxime handelt, undwarnt: „ [...] nothing is so dangerous in the study of war as to permit maxims to become a substitute for judgment.“40So sehr er also das Obenstehende für grundsätzlich richtig hält, so sehr hält er es für verhängnisvoll, es als automatisch richtig anzusehen, undgibt im Folgenden Beispiele, in denen der kompromißlose Versuch, die Entscheidungsschlacht herbeizuführen, einen strategischen Fehler darstellte. Es ist übrigens interessant, daßder in dieser Maxime formulierte „ Vernichtungsgedanke“ von Corbett als Ausdruck des in der Zeit des Commonwealth von der New Model Army unter ihrem Generalleutnant Oliver Cromwell in die Flotte41 importierten „ 42gesehen wird, demselben militärischen Geist, high military spirit“ Marine in der Konzentration auf rein milideutsche für Adalbert die denPrinz tärische Ziele anstrebte. Dieser „ militärische Geist“ist eine Vorform der in den Dekaden vordemErsten Weltkrieg sich verfestigenden Fixierung aufdie Offensive, wiesie vonallen großen Landarmeen praktiziert wurde undinnerhalb der Marinen, namentlich der britischen, erst seit 1910 eine gewisse Relativierung unterging. Weitere Forschung auf dem Gebiet dieser Zusammenhänge dürfte sich als lohnend erweisen, undes wird bei der Diskussion der weiten bzw. engen Blockade nocheinmal darauf zurückzukommen sein.
Daß Corbett freilich solche Mühe aufbieten mußte, um seinen Landsleuten klar zu machen, wie falsch es unter Umständen sein könne, den Gegner so schnell wie möglich aufzusuchen und zu schlagen43–Zeichen dafür ist die Energie, mit der er fast emphatisch seine Leser beschwört, immer der situa, tiven Lagebeurteilung Vorrang vor strategischen Patentrezepten zu geben– wirft ein verändertes Licht auf die strategischen Kozeptionen beispielsweise eiKommen“der Engländer rechneten, und nes Holtzendorff,44 die fest mit dem„ der läßt sie durch die Einbindung in den Rahmen des strategischen Denkens „ Zeit“als weniger unrealistisch erscheinen, als sie das isoliert betrachtet tun. Selbst die militärische Konzeption des Tirpitz-Planes, die die Schlacht in der südlichen oder mittleren Nordsee zum Ziel hatte, wird damit realistischer, zu40 Ibid. 41 Realisiert in der Cromwellschen Institution der Generals at Sea, die tatsächlich Landgenerale wie Monck oder Deane zu Seebefehlshabern machte. Cf. Oxford Companion to Ships andthe Sea, S. 554f, s. v. Monck, undS. 235, s. v. Deane. 42 Corbett, Principles, S. 176. 43 Der Navalist Spenser Wilkinson zog in seiner Erwiderung auf die Principles (Strategy in the Navy, in: The Morning Post, 13. April 1909) nicht weniger als sieben Admiräle und Marineschriftsteller als Autoritäten für das Gegenteil heran: Mahan, Custance, Bridge, Colomb, Daveluy, Batsch, Maltzahn und Stenzel (Kapitän z.S.). 44 In diesem Licht ist auch die Äußerung Tirpitz’zu sehen, die Chance auf einen Sieg (un[...] psychologisch begründet durch den ter günstigen Verhältnissen) bei Helgoland sei „ starken Drang der englischen Admiralität und der englischen Staatsleitung, sobald [sic] wieirgend möglich überhaupt zur Schlacht zu kommen.“(Stellungnahme zumImmediatvortrag vom30. Januar 1912, cit. nach Weniger, Operationsplan, S. 5).
4.2 Corbett
gegen
die Seestrategie der „ Maximen“
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mindest bis etwa ab demJahre 1910 ein umfassender Lernprozeß in Verbindung mit technischen Entwicklungen die Royal Navy zur Abkehr von den liebgeworWas tun Sie, wenn sie nicht kommt?“ denen Maximen brachte; Tirpitz Frage „ bekommt somit eher denCharakter einer verspäteten Reflexion über geänderte Umstände, als einer verspäteten Einsicht in die grundsätzliche Unwahrheit der eigenen Postulate. Überdies scheint es auch Corbett nurunter Schwierigkeiten gelungen zusein, sich von der Idee der absoluten Notwendigkeit einer Entscheidungsschlacht zu befreien. Die Principles enthalten den seiner sonstigen Auffassung widersprechenden Satz, für England sei es, um einen beschränkten Krieg aufrechtzuerhalten, unabdingbar notwendig, den Kriegsschauplatz von der Metropole zu [...] and such isolation can never be established until we have enisolieren, „ the enemy’s naval forces.“,45 dabei konnte in den von ihm overthrown tirely analysierten Fällen, etwa demSiebenjährigen Krieg, nie voneiner Vernichtung der gegnerischen (meistens der französischen) Flotte die Rede sein! Es liegt also nahe, mit Schurman46 zu vermuten, mit „overthrow“könnte genausogut die Neutralisierung der gegnerischen Flotte durch Blockade gemeint sein, wie sie die Royal Navy an vielen Punkten der Geschichte und nicht zuletzt im Ersten Weltkrieg zustande brachte. Nur durch die Interpretation dieses von Corbett offengelassenen Punktes ist der Widerspruch auflösbar, wenn man sich genau an die Formulierung hält. Wie Corbett an anderer Stelle betont, ist vor der Schlachtentscheidung die Seeherrschaft in der Schwebe–ein Zustand, der Großbritannien immer genützt hat, denn es konnte diesen Schwebezustand zu seinen Gunsten ausnutzen; der Seeschlacht weist Corbett nur die Funktion der unwiderruflichen Absicherung der eigenen Seeherrschaft zu. Corbett argumentiert freilich aus einer Überlegenheit britischer Kreuzerkräfte heraus, deren scheinbare Unurnkehrbarkeit für Tirpitz ja der eigentliche Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist, so daß die deutsche Marine sich auf keinen Fall in der Position befindet, aus den sich so bietenden Möglichkeiten über längere Zeit Kapital zuschlagen; undTirpitz’Denken warauf etwas dauerhaft Erreichbares, nicht die Aufrechterhaltung einer prekären Balance gerichtet. Wenn die Royal Navy auf das Zustandekommen dieser entscheidenden Seeschlacht hinarbeitete, dann immer in demBewußtsein, damit ihre gegebene Überlegenheit ausspielen undso die herrschenden Verhältnisse zementieren zu können.47 Die für die deutsche (und auch die französische) Seestrategie grundlegende Frage, ob ein Krieg umoder gegen die Seeherrschaft48 zu führen und überhaupt führbar sei, kann Corbett, sobald er sich von der abstrakten Ebene der reinen Theorie auf die Ebene von Handlungsanweisungen für die
45 Corbett, Principles, S. 87. 46 Schurman, Education, S. 182. 47 Etwa Corbett, Principles, S. 143, 163. 48 Wobei von entscheidender Bedeutung ist, daß Tirpitz und Corbett diametral entgegengesetzte Vorstellungen vomUrsprung der Seeherrschaft hatten; dieser Punkt wird in diesem und den nächsten Kapiteln deutlich.
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4 Clausewitz und die Royal
Navy: Corbett
Royal Navy begibt, getrost ausklammern, denn aus ihrer Überfülle an Material heraus kann für die Briten nur das Problem sein, die Schritte zur Sicherung der Seeherrschaft in der richtigen Weise auszuführen. Die Möglichkeit, dieses zu tun, besteht für sie immer. Die deutschen Kreuzer der ostasiatischen Station errangen im zweiten Halbjahr 1914 genau aufgrund des Zutreffens von Corbetts Theorie der überwiegend unbeherrschten See ihre Erfolge; daß diese nicht von Dauer sein konnten, stimmt mit Corbetts Theorie vom Rückhalt der schweren Einheiten für die Kreuzer überein, die alle anderen blue-waterTheoretiker, Tirpitz eingeschlossen, teilten. Großbritannien tat sich zunächst schwer, seine Seeherrschaft in umfassender Weise aufzurichten (nicht zu vergar nicht anders, teidigen), konnte aber–wenn auch letztlich über Umwege– als dieses Ziel zuerreichen. Vondieser letzten Komplizierung abgesehen bleibt als Quintessenz dieser Gedankengänge stehen, daßCorbett hier ein kohärentes Gebäude hinstellt, vondemTirpitz in der inzwischen schon bekannten Manier Anfangs- und Endpunkt in seine Vorstellungen aufnimmt und den mittleren Flügel, die Transition vom einen zum anderen, entweder völlig undiskutiert oder für Deutschland nicht zutreffend ausklammert. Die damit erreichte Straffung seiner Argumentation gewinnt im Lichte seiner vielen Verkürzungen mehr und mehr den Charakter der Verzerrung, und zwar deshalb, weil er damit Handlungsalternativen ausklammert undnicht mehr zur Verfügung stellt, auf die der Intuition des militärischen Befehlshabers–die für Clausewitz und damit für Corbett das Theoriegebäude auf dem Schlachtfeld ersetzen muß–ein
Rückgriff möglich sein muß.
4.3 Die Blockade In seiner theoretischen Analyse hat Corbett bereits zwei Ziele der Seestrategie voneinander getrennt, die in Tirpitz’ Konzept ineinanderfließen und in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit das Vorgehen der Royal Navy im Kriegfalle diktieren würden: Das Bestreben, denGegner zur Seeschlacht zustellen (bei Corbett ), undvorallem dieAusschaltung derdeutschen Schiffahrt securing command“ „ („ exercising command“ ).49 Umdiese beiden Ziele zuerreichen, würde, so glaubte man, die britische Marine zumbewährten Mittel derengen Blockade greifen, d.h., ihre Geschwader nahe an die deutschen Häfen und Flottenstützpunkte legen unddiese durch vorgeschobene Kreuzerkräfte, bei der Royal Navy technisch „ inshore squadrons“genannt, beobachten lassen. Dadurch würden sie,
eventuell nach zuvor erfolgtem Kräfteausgleich durch Kleinkampfmittel, der deutschen Flotte die Gelegenheit geben, sie in einer rangierten Entscheidungsschlacht zu vernichten. Nichts könnte offensichtlicher sein als die Fehleinschätzung, der Tirpitz unddie deutsche Marineführung aufgesessen sind–denn die Engländer ließen, nachdem der Krieg ausgebrochen war, die deutschen Häfen in Ruhe undbeschränkten sich auf die Sperrung des Kanals undder nördlichen
49 Immediatvortrag: Krieg Deutschland
u[nd] England (wie oben S. 42 Anm. 77).
4.3 Die Blockade
143
Ausgänge der Nordsee–womit die deutsche Atlantikschiffahrt ebenfalls abgeschnitten war. Zwar wurde auch die theoretische Möglichkeit dieser Gefahr in Deutschland gesehen, blieb jedoch ohne Konsequenzen für die Einsatzplanungen und–in dieser besonderen Epoche gilt es das immer mitzubedenken–für den Flottenbau, undzwar mit der Begründung, die weite Blockade liege nicht in der Tradition der Engländer“.50 Nun fällt ob dieser etwas biederen Herlei„ tung die Vermeidung von Häme schwer, doch Büchsel war sich, obwohl er sich schwer irrte undauch sachlich falsch lag, durchaus bewußt, waser sagte. Denn Offensivgeistes“hatte, wie sich inzwischen an einigen Stellen der Virus des „ erwiesen hat, nicht nur die deutsche, sondern auch die britische Marine seit längerem gepackt, undeine weitere Manifestation dieses Offensivgeistes schien die Bevorzugung der engen vor der weiten Blockade zu sein:
We are even led to believe that the choice depended on the military „ spirit of the officer concerned. If his military spirit was high, he chose the close and more exacting form; if it were low, he was content with the open and less exacting form [...] it is too often suggested that this attitude [die Ablehnung der engen Blockade, d.Verf.] was no more than 51 a mask for defective spirit.“ Wenn ein quellenmäßig belegtes Verbot es erlaubt, auf das Vorhandensein vonanderweitig nicht überlieferten Mißständen zu schließen, so läßt sich diese betont allgemein gehaltene Passage als ein Indiz für die nicht weniger allgeMameine Anerkenntnis einer wiederum von Corbett als solche abgelehnten „ it is suggested...“, „ weare led to xime“deuten–beim handelnden Subjekt („ ) handelt es sich umkeine spezifischere Instanz als „ ournaval literabelieve...“ !52Kurz: Es gibt Hinweise darauf, daß in der Vorzeit des Ersten Weltkrieture“ ges ein signifikanter Teil der englischen Seeoffiziere tatsächlich, zumindest bis zu einem gewissen Grade, eine emotionale Affinität zur Offensive, hier in der 53) unabhänmaking the enemy’s coast our frontier“ Form der engen Blockade („ gig von ihrer operativen Zweckmäßigkeit, zeigte. Da sich dies vortrefflich mit den in Deutschland gängigen Anschauungen deckte, nimmt es nicht Wunder, daß Büchsel, undmit ihm der gesamte Admiralstab undwohl die Tirpitzianer innerhalb der Marineführung insgesamt, diese Einschätzung nur allzu bereitwillig zur Basis ihrer Planungen oder als deren Bestätigung nahmen. Dabei lagen sie allerdings (genau wie ihre diese Ansicht teilenden Kollegen in Großbritannien) falsch: Die enge Blockade war, wie Corbett sehr extensiv54 darstellt, keineswegs in der Vergangenheit die ausschließliche Option der Briten 50
Ibid.
51 Corbett, Principles, S. 186f. 52 Ibid. Demgegenüber spricht Corbett allerdings weiter hinten (S. 206) vonseiner Einschätzung, die weite Blockade sei wegen ihrer Ökonomie und Möglichkeit der Überraschung die gegenwärtig vonder Mehrheit favorisierte. 53 Corbett, Principles, S. 93. 54 Ibid., S. 183– 208.
4 Clausewitz und die Royal Navy: Corbett
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undihre weite Variante lag sehr wohl „ in der Tradition“der Engländer. Mit der Untermauerung seiner These, die enge Blockade sei eine der (für den Blockierenden) schwächsten und am wenigsten wünschenswerten Formen des Seekrieges,55 da sie einen großen Materialaufwand nötig mache, schwierig aufrechtzuerhalten undnie einhundertprozentigen Erfolg zu garantieren in der Lage sei, versuchte Corbett allerdings nicht auszudrücken, daßdieenge Blockade unter allen Umständen in der heutigen Zeit als zu gefährlich abzulehnen sei. In der Vergangenheit habe es Situationen gegeben, in denen jeweils eine der beiden Varianten die zweckmäßigste gewesen sei, und wenn sich Howe 1796 für die weite, Cornwallis 1800 für die enge Blockade entschieden hätten, dann jeweils der spezifischen strategischen Situation entsprechend. Des weiteren habe die moderne Technik, der Dampfantrieb, die Mine, der Torpedo u.ä. die Form der engen Blockade zwar geändert; der „ allgemeinen Ansicht“ ,56 sie sei nicht mehr praktikabel, stellt er aber Szenarien und Lösungsvorschläge gegenüber, [...] there seems still no reason why we die in der Erkenntnis kulminieren: „ should not make our dispositions on the principle of close blockade. Distan57–statt der Reichweite der Küstenbatterien ces will be greater, that is all.“ sei nun die Grenze, an die sich die Blockadeflotte mit der inshore squadron heranwagen könne, eben die Nachtreichweite der gegnerischen Zerstörer bzw. die Tagreichweite der U-Boote; die größeren Entfernungen würden durch die fortgeschrittenen Aufklärungs- und Kommunikationsmittel wettgemacht. Es zeigt sich also einmal mehr, daßdieenge Blockade weder–wievonmodernen Kritikern der deutschen Planung–vonvornherein ausgeschlossen werden, noch wievonvielen Zeitgenossen, als allein zumErfolg führendes Mittel absolut gesetzt werden kann; Corbett bleibt auch hier seinem Credo derstrategischen Situationsbeurteilung treu.58 Ein Wort an dieser Stelle zu den diesbezüglichen Vorstellung Tirpitz’. In den Erinnerungen an seine Torpedozeit59 legt Tirpitz mit großer Eindringlichkeit dar, wie nötig und wie mühsam es war, seinen Kommandanten Den Umständen gemäß handeln“einzuimpfen, der exakt dem den Grundsatz „ von Corbett, Clausewitz und allen auch in der Praxis erfahrenen militärischen Denkern vertretenen Ideal entspricht. Was für seine Torpedobootskommandanten galt, übertrug Tirpitz seinem Verständnis nach später auch auf die Schlachtflotte; auch bei der Formulierung der Geschwadertaktik wollte er die letzte Entscheidung der auf der konkreten Situation beruhenden Lagebeurteilung des Admirals vor Ort überlassen. Die von Corbett studierten Beispiele haben operative Zusammenhänge zum Gegenstand (etwa der relativen Dislogewesen,
55
[...] close
naval blockade was one of the weakest
[...]”(Corbett,
Principles,
S. 188).
and least desirable forms of warfare
56 “ Ibid., S. 184. 57 Ibid., S. 205; cf. auch S. 201f. 58 „ We can never say that close blockade is better than open, or the reverse. It must always be a matter of judgment.“(Ibid., S. 200). 59 Tirpitz, Erinnerungen, S. 43.
4.3 Die Blockade
145
kation dreier in den Heimatgewässern vorhandener Geschwader bei bekannter Dislokation des Gegners), das heißt einer Mittelebene zwischen der übergreifenden strategischen und der auf das Verhalten im tatsächlichen Gefecht bezogenen taktischen Ebene. Diese Dreiteilung ist allerdings eine moderne, die den Zeitgenossen nicht zur Verfügung stand; sie bewegten sich ausschließlich in der Diochtomie zwischen Taktik und Strategie. Eine wegweisende Abweichung von diesem Schema ist jedoch Corbetts Aufteilung der Strategie in eine , „Major“und „Minor“Strategy, die er etwas verkleine“ große“und eine „ „ Strategy is the art of directing force to the ends in klausuliert so definiert: „ view. Classified by the object is Major Strategy, dealing with ulterior objects; Minor Strategy, with primary objects“,60 und die nichts anderes als die oben erwähnte Dreiteilung zwischen strategischer (major), operativer (minor) und taktischer Ebene herstellt. Die konkrete Auseinandersetzung mit Dingen vornehmlich der operativen, in geringerem Maße auch der strategischen Ebene führt ihn zu der iterativen Herausstreichung des Grundsatzes situativ angepaßten Handelns, so daß er diesen Grundsatz ganz eindeutig für diese Ebenen gebraucht wissen will. Tirpitz selbst nun nennt seine Forderung „ den Umstänmehr in’s Strategische fallende“ .61 Es sei den gemäß Handeln“ebenfalls eine „ aber unterstrichen, daß bei der zeitlich späteren Ausarbeitung seiner Konzepte diese situative Flexibilität mehr und mehr verschwand. Der organische Zusammenhang zwischen dem Material und dessen Gebrauch, über den er sich immer im Klaren war, tritt hier offen zutage: DenGefechtsanweisungen lag eine aus den Erfahrungen der Übungsflotten und Manöver hervorgegangene TakGefechtsbilder“(laufendes tik zugrunde, gestützt auf immer wiederkehrende „ Gefecht, Kreisgefecht, etc.). Freilich blieb der Ermessensspielraum des Führers im Gefecht hier sehr groß. Auf der operativen und strategischen Ebene hingegentrat diese „ empirische“Komponente mehr undmehr hinter den vonTirpitz aufgestellten Postulaten zurück;62 die Flotte wurde auf die Schlacht in der südlichen und mittleren Nordsee ausgerichtet, unddemgemäß die Schiffe gebaut,63 Hebel Nordsee“und wasseinerseits wieder ihre Verwendung prädeterminierte. „ Vernichtungsgedanke“funktionierten hier tatsächlich als Hebel, sie hebelten „ nämlich die Flexbilität auf der strategischen Ebene völlig, auf der operativen Ebene nahezu vollständig, aus–denn das Ziel, die Vernichtung der britischen Flotte in der rangierten Seeschlacht, stand ja fest, und Tirpitz machte immer [...] wonach die Schlacht Ziel wieder die Unverrückbarkeit des Satzes klar, „ Entwicklung organisatorischen taktischen auch und unsrer Schwerpunkt und
64 sein müsse.“
60 Corbett, Green Pamphlet, S. 308. 61 Tirpitz, Erinnerungen, S. 43. 62 Symptomatisch die Evolution seines Stiles in denentscheidenden Denkschriften: Salewski, Tirpitz, S. 31ff. 63 S.o. Abschnitt 3.1. 64 Tirpitz, Erinnerungen, S. 49 (Hervorhebung im Original gesperrt). Desgl.: Über die Neuorganisation unserer Panzerflotte, private Denkschrift 1891/92, Inhaltsangabe bei Hall-
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4 Clausewitz und die Royal Navy: Corbett
Ob dann der Flottenchef in der tatsächlichen Auseinandersetzung seine situative Entscheidungsfreiheit auszuüben versucht oder nicht, ist eine andere Frage. Es erwies sich 1914, daß Tirpitz nicht in der Position war, die von ihm gebaute Flotte zu führen, und die Frage der Verwendung der Flotte stellte sich in aller Schärfe. Die Offenheit ihrer Beantwortung scheint auf den ersten Blick für das Vorhandensein verschiedener operativer Alternativen und also der Situation gemäßen Handelns“zu sprechen; tatsächder Möglichkeit des „ lich schränkte aber die enge konstruktive Fokussierung des Flottenmaterials mit seiner niedrigen Geschwindigkeit, beschränkten Reichweite undWohnlichkeit beihoher Standfestigkeit, diese Entscheidungsfreiheit derart ein, daßsie als faktisch nicht gegeben bewertet werden muß. Noch so sehr konnte Tirpitz jetzt auf seinen Grundsatz der situativen Flexibilität drängen–die zur Anwendung kommende Strategie hatte er mit seinem Flottenbau definitiv baulich festgeJa/Nein“ -Fragestellung: legt, unddas Problem reduzierte sich auf eine simple „ Vorgehen oder Zurückhalten, womit operative undstrategische Flexibilität im eigentlichen Sinne desWortes ausgeschaltet war. Aufeiner recht subtilen Ebene handelte Tirpitz also einem der wichtigsten Grundsätze aller ernstzunehmenden militärischen Denker zuwider, ohne ihmdirekt zu widersprechen, ja sogar während er ihn vordergründig übernahm. Dies schlägt sich in der Frage der Blockade, mit der die Tirpitz-Strategie im Urteil der Historie steht oder fällt, in einer Weise nieder, die am Besten mit einer kontrafaktischen Projektion verdeutlicht wird, die hier, eingedenk ihrer Natur, mit aller Vorsicht eingebracht werden soll. Da die enge Blockade eine schwierige und ihrer intrinsischen Schwäche als „arrested offensive“wegen wenig wünschenswerte Form der Seekriegsführung ist, Schwierigkeiten, die Corbett in der Zukunft noch wachsen sieht, kann eine rationale Seekriegführung sie nur dann für der Durchführung wert erachten, wenn durch sie Ziele erreicht werden können, die eine weite Blockade nicht erreichen kann. Dieses wird sich vor allem in einem Umstand niederschlagen, nämlich dem, daß die durch die enge Blockade vorgenommene Fernhaltung
des Gegners von den Kommunikationswegen der See eine viel rigorosere ist, als es die der weiten Blockade sein kann, jedenfalls unter normalen geographischen Bedingungen. Das Ziel der engen wie der weiten Blockade ist zunächst die Immobilisierung der gegnerischen Hauptmacht, der Schlachtflotte; damit erschöpft sich im Grunde die Wirkung der weiten Blockade auch schon. Ihre abriegelnde Wirkung vor allem gegen Handelsstörer65 ist wesentlich geringer als die der engen Blockade. Konsequenterweise mag eine weit blockierende Nadelstiche“ Flotte durch wiederholte, mit schnellen Einheiten durchgeführte „ des Gegners auf die eigene Handelsschiffahrt, zur Verschärfung der Blockade, also zumÜbergang auf die enge Variante, gezwungen werden.66 mann, Schlachtflottenbau,
S. 118f.
65 Corbett, Principles, S. 207. 66 Nachdrücklich ausgesprochen in Corbett, Principles, S. 208.
4.3 Die Blockade
147
Es läßt sich aus der heutigen Warte mühelos überblicken, daß es, selbst wenn mansich ausschließlich innerhalb des vonCorbett undTirpitz gesteckten Rahmens bewegt, zunächst keine Veranlassung zur engen Blockade für die Engländer geben konnte: Die dazu notwendige Materialüberlegenheit konnte keine englische Konzentration aufbringen, wenn sie sich einer deutschen Flotte gegenübersah, die nach Tirpitz’Willen zwei Drittel der Stärke der englischen Überdies stellte sich nach Kriegsausbruch schnell heraus, umfassen sollte.67 daß die von der deutschen Flotte bedrohten Verbindungswege in der Nordund Ostsee keine für England lebenswichtigen waren, so daß das auch Motiv des eigenen Handelsschutzes wegfiel. Die von Tirpitz indoktrinierte Flotte hatte den Briten kampflos die Seeherrschaft überlassen, und sich von vornherein jeder Option begeben, parallel zur Übermacht der Navy (command) ein gewisses und störendes Maß an eigener submit[ted] to Aktivität auf den Seeverbindungen (control) auszuüben: sie „ 68 the worst which a naval defeat can inflict upon them.“ Um nun die Briten zu der unökonomischen engen Blockade zu provozieren, hätte es, in Corbetts Modell, einer kontinuierlichen Anstrengung vonden deutschen Basen aus erfordert, die der Royal Navy die Unzulänglichkeit ihrer weiten Blockade demonstriert hätte. Ihm gilt als erwiesen, daß es sich dabei nur um Kreuzerunternehmungen69 hätte handeln können, und tatsächlich waren die tastenden Vorstöße der deutschen schweren Einheiten zu vereinzelt und zu zaghaft, um dieses Ergebnis zu zeitigen, sodaß sich die enge Blockade
in ihrer Folge nicht einstellte. Ein gewichtiges caveat bei der Weiterverfolgung dieser Gedanken stellt der U-Boot-Krieg dar. Auf den ersten Blick handelt es sich bei diesem genau um jene Operation, die von Corbett gefordert wurde, nämlich die Bedrohung (und Nadelstiche“tatsächlich hinaus!) der Seewege einer an diese ging nun über „ . Damit schweren Einheiten überlegenen Macht–„control“ohne „command“ stellt sich aber die Frage, warum dann die Aufnahme des uneingeschränkten U-Boot-Krieges nicht eben die Folge hatte, die Briten zu einer lückenloseren Überwachung unter die deutsche Küste zu ziehen, wo sich der Flotte eine Chance zumEingreifen eröffnet hätte? DieAntwort ist in Corbetts System zufinden. Sie liegt imWesensunterschied klassische“Flottenzusammensetzwischen den verwendeten Schiffstypen. Die „ zung der Segelschiffszeit wareine dreiteilige, undihrer Wiederbelebung in der Struktur moderner Flotten ist ein langer Abschnitt des Zweiten Teiles der Principles gewidmet.70 Die Dreiteilung ist diejenige in Schlachtschiffe (Linienschiffe), Kreuzer und flotilla, Klein- und Hilfsfahrzeuge; sie sind in dem von 67 Corbett, Principles, S. 198, 201. Man beachte, daß sich in diesem einen Satz bereits die gravierendste Fehleinschätzung des „ Tirpitz-Planes“offenbart! 68 Ibid., S. 185. Manbeachte, wieCorbett die Mahansche Terminologie für sein komplexeres System verwendet.
69 Ibid., S. 206ff. 70 Part Two, Chapter Two: Theory of the Means–The Composition of Fleets, S. 107– 127.
148
4 Clausewitz und die Royal Navy: Corbett
Tirpitz gern gebrauchten Ausdruck „ Zubehör“inkorporiert, der allerdings darüber hinaus auch die kleinen Kreuzer bezeichnet. Dieersten beiden Kategorien, Schlachtschiff und Kreuzer, zeigen aus verschiedenen Gründen die beständige Tendenz zur Verschmelzung.71 Das U-Boot gehört nun eindeutig der letzteren Kategorie, flotilla, und nicht der Kategorie der Kreuzer an, obwohl es im Einsatz gegen Handelsschiffe dessen Rolle einnimmt.72 Das Charakteristikum jener technischen Neuerungen, die eine große Steigerung der Schlagkraft dieser Kleinfahrzeuge zur Folge hatten (U-Boot, Mine, Torpedo), ist, daß ihr Einsatz nicht im Rahmen der traditionellen Flottentaktik73 erwidert werden kann, das heißt, diese neue Form der Offensive machte eine neue Form der Defensive erforderlich–unddas ist der große Unterschied zum Einsatz der Kreuzer, der sich nach wie vor in den durch die Seekriegsgeschichte vorgezeichneten Bahnen bewegte. Ausdiesem Grunde hatte der Einsatz der Unterseeboote auf die Bewegungen der Flotte im operativen und strategischen Rahmen keinen Einfluß, sondern beschleunigte die Evolution der flotilla, die mit Geleitschiffen, d. h. mit aus demTorpedoboot unddemTorpedobootzerstörer hervorgegangenen Typen ihrem Auftreten entgegenwirkten. Der Einsatz des traditionelleren Seekriegsmittels des Kreuzers hätte die Royal Navy vor das Problem gestellt, ihrerseits das Einsatzverhalten der schweren Überwassereinheiten ändern zu müssen. Nach Corbett hätte diese Reaktion hauptsächlich in dem Versuch bestanden, denEinschluß der deutschen Stützpunkte rigoroser zumachen undso
71 Dazu ibid; cf. auch oben S. 23. 72 Hier ist eine Ergänzung zu Corbetts Ausführungen notwendig, der die Kleinkampfmittel, nachdem sie nun mit demTorpedo usw. auch eine für die Schlachtflotte gefährliche Offensivkraft erreicht hatten, lediglich noch aufgrund ihrer geringen Seeausdauer und in the purest sense“(S. 122) ver-tüchtigkeit von den Kreuzern, deren Funktion sie „ körperten, da ihre Aufgabe vornehmlich die Kontrolle der Handelswege war und blieb, unterschied, d.h. anhand der Wahrnehmung ihrer Aufgaben im Küstenbereich und KüFlotten“ -U-Boot stenvorfeld. Dieses trifft für das U-Boot, namentlich das deutsche sog. „ großer Reichweite, nicht zu, die Überschneidung mit dem Kreuzer ist hier also noch U-Kreuzer“U 131 bis U 157 u.a.) enger (versinnbildlicht etwa im Bau der deutschen „ Es sei deshalb erlaubt, ein weiteres Unterscheidungskriterium einzuführen, das Corbett passiven Offensivkraft“ nicht erwähnt, obwohl es ein sehr charakteristisches ist. das der „ oder Standfestigkeit, die bei U-Booten chronisch defizitär ist, was auch zum Scheitern des U-Kreuzer-Konzeptes führte. Über Wasser ist kein U-Boot auch nur dem kleinsten Kriegsschiff gewachsen (da ein einziger Treffer seine Tauchfähigkeit zerstören kann), und getaucht verliert es, falls dem Gegner seine Anwesenheit bekannt ist, im Regelfall seine gesamte Offensivkraft. D.Verf. hält deshalb seine Einordnung in die Kleinkampfmittel der flotilla für gerechtfertigt. Daß Corbett, dem Stand der technischen Entwicklung seiner Zeit gemäß–die in U-Booten in erster Linie ein Verteidigungsmittel gegen Kriegsschiffe sah–ihre Einsatzmöglichkeiten im Handelskrieg falsch einschätze, gipfelte in der falschen Schlußfolgerung, das Konvoisystem sei wahrscheinlich überholt (Corbett, Principles, S. 261f); nach demErsten Weltkrieg wurde ihm eine Hauptschuld and den diesbezüglichen Versäumnissen der Admiralität zugeschoben (Dirks, Corbett, S. 168), obwohl wir sehen, daß seine Theorie den Raum für das Konvoisystem als technisch-innovative Antwort auf die Herausforderung der technischen Leistungssteigerung der flotilla offenließ! 73 Corbett, Principles, S. 121f, S. 267.
4.3 Die Blockade
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sporadic action“zuverringern. Der Schluß: Aufeiner theoretischen Ebene hat „ Tirpitz’ausschließliches Hinarbeiten auf die Entscheidungsschlacht den deutschen Kreuzern nicht diejenigen Einsatzmöglichkeiten offengelassen, die eine enge Blockade für die Briten zum notwendigen Verfahren gemacht hätte, und sich somit selbst entwertet. Freilich gibt es noch andere Faktoren, die diese grundsätzlich richtige Folgerung in ein gänzlich anderes Licht rücken. Hier kommt die Mahansche FaustSeemacht = Flottenstärke × geographische Position“zum Tragen. Die regel „ Problematik dieser Regel wird an anderer Stelle diskutiert. Hier hingegen muß dargestellt werden, wiesehr die geographische Position eine deutsche Entscheidung zum Überwasser-Handelskrieg beeinflussen mußte. Um die britische Versorgungsschiffahrt in einer Weise zu bedrohen, die eine englische Reaktion nötig machen konnte, mußte der Atlantische Ozean als Operationsgebiet zur Verfügung stehen. Dieser ist von der deutschen Bucht mit ihren Flottenstützpunkten über den Ärmelkanal oder die Gewässer nördlich der Britischen Inseln zu erreichen, jene Stellungen, die die Royal Navy mit ihrer weiten Blockade bezogen hatte, d. h. ein Ansatz deutscher Überwasserstreitkräfte auf die transatlantische Versorgungsschiffahrt der Ententemächte war nicht ohne weiteres möglich. Unter weiterer Bezugnahme auf Corbett, engen Gewäsdessen Thesen auch ausdrücklich für die Kriegführung in jenen „ 74Geltung besitzen, ist nunals gegeben anzunehmen, daßes für eine weite sern“ Blockade grundsätzlich unmöglich ist, das Durchbrechen von einzelnen oder im Verband operierenden Handelsstörern vollständig zu unterbinden. Eine kurze Schlechtwetterperiode genügt ihnen im allgemeinen. Man kann weiter annehmen, daß das Problem der Versorgung während einer atlantischen Unternehmung ein zwar existentes, aber kein unlösbares ist; deutschen Auslandskreuzer versorgten und bekohlten sich während ihrer monatelangen Unternehmungen üblicherweise aus den von ihnen aufgebrachten Handelsschiffen. Man hatte hier also mit Einschränkungen umzugehen, die, auch bedingt durch die geographische Lage, einen Kreuzerkrieg gegen Großbritannien entscheidend erschwerten. Ein Befehlshaber mochte in Abwägung seiner Optionen undderseemilitärischen Lage durchaus zudemSchluß kommen, daßvomKreuzerkrieg keine entscheidende Wirkung zu erwarten und das den eingesetzten Schiffen auferlegte Risiko somit ungerechtfertigt sei. Das Eintreten Corbetts für diese Art der Kriegführung ist nur die gewichtigste Stimme für eine der Alternativen im Widerstreit der Ansichten, ein Widerstreit, mit demauch Tirpitz zeit seines Wirkens konfrontiert war. Aber er verschaffte sich ein Instrumentarium, umin diesem Wettbewerb letztendlich seine Ideen durchzusetzen. Für die Kreuzerkrieg und transdeutsche Marine stand seit 1897 unverrückbar fest: „ ozeanischer Krieg gegen England ist wegen Mangels an Stützpunkten unsererseits und des Überflusses Englands an solchen so aussichtslos, daß planmäßig
74 Der englische Terminus“the narrow seas”bezeichnet den Kanal und die Nordsee, cf. Corbett, Principles, S. 202 Anm. 48.
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4 Clausewitz und die Royal
Navy: Corbett
vondieser Kriegsart gegen England bei der Feststellung unserer Flottenart abgesehen werden muß.“ 75 Hier zeigt sich nun in seiner ganzen Tragweite, was sich oben schon semantisch angedeutet hat: Für Tirpitz waren die Kreuzer das , das die Operation der Flotte unterstützen und abschirmen sollte, Zubehör“ „ ihre „Augen“ , die für sie Aufklärung leisten sollten. Wenn Deutschland Kreuzer baute, dann nicht, umsporadisch die Handelsschiffahrt der Ententemächte zu verheeren, sondern allein, umsie der Flotte zur Verfügung zu stellen. Dies zeigt sich vor allem in den Novellen nach 1900 (bes. 1906), als Kreuzernachforderungen zwar vordergründig für den Auslandseinsatz u.ä. deklariert werden, in Wirklichkeit aber die Schlagkraft der Hochseeflotte stärken sollten.76 Die
[...] every Distanz zu Corbett könnte, nebenbei bemerkt, größer nicht sein: „ 77 cruiser attached to the battle-fleet is one withdrawn from its true function.“ Die Methode, nach der Tirpitz operiert, ist die inzwischen hinlänglich bekannte: Widerstreitende Einflüsse werden so lange auf ihren mutmaßlichen Wesenskern reduziert, bis eine Position als die unabänderlich Richtige feststeht undzur Ausführung gebracht werden kann. Die Probleme, die sich einer deutschen Handelskriegführung78 entgegenstellten, waren unzweifelhaft gravierend, undeine Erfolgsgarantie liegt nicht im Bereich dessen, was im Krieg zu erwarten ist. Tirpitz aber verabsolutierte diese Probleme, und machte somit aus sich in der Realität infinitesimal abgestuft stellenden Zusammenhängen einfache Ja/Nein-Entscheidungen. Die Auswirkungen auf die Entscheidungsfreiheit des Befehlshabers im Kriege sind notwendigerweise katastrophal, denn so richtig die Einschätzung auch gewesen sein mag, der reine Handelskrieg gegen Großbritannien sei aussichtslos in dem Sinne, daß er keine für den Gegner unrettbare ökonomische Situation hervorbringen konnte79 (als „unlimited trade war“ , wenn man so will), so unüberlegt ist es dennoch, sich der Option undder Mittel auch seines punktuellen Einsatzes (etwa umeine Veränderung der gegnerischen Dislokation zu provozieren, also limited) von vornherein zu begeben.80
75 Emser Memorandum, S. 122. 76 Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 483ff. Es sei an das Auftreten des gleichen Phänomens bei derTorpedowaffe erinnert, die Tirpitz ausschließlich auf die Verwendung im Rahmen der Flottenoperationen hin gestaltete. 77 Corbett, Principles, S. 116. 78 Auch: Corbett, Principles, S. 267ff. 79 Wie es das Ziel des reinen Handelskrieges sein muß: Corbett, Principles, S. 275. 80 Daßes sich tatsächlich umden vollkommenen Ausschluß dieser Option handelte, zeigt die Tatsache, daßTirpitz während der ersten Haager Konferenz durchaus den Schutz des Privateigentums auf See für Deutschland als wünschenswert darstellte (Interne Denkschrift Unverletzlichkeit desPrivateigentums zur See in Kriegszeiten, 12. Juni 1899, BA-MA, RM 5/v 996, cit. nach Dülffer, Limitations, S. 41), von einer öffentlichen Unterstützung der diesbezüglichen niederländischen Anträge aber Abstand zu nehmen riet, da sie ohnehin nicht durchzusetzen sein würden.
4.4 Die strategische Defensive
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4.4 Die strategische Defensive Vongrößtem Interesse für unssind selbstverständlich die Analysen, die Corbett bezüglich der Möglichkeiten einer unterlegenen Flotte vornimmt. Bei seiner Diskussion der strategischen Defensive auf See stützt sich Corbett zunächst auf die in den vorhergehenden Kapiteln gewonnene Einsicht, daß diese tatsächlich eine Berechtigung habe und nicht von vorneherein zugunsten einer Offensive um jeden Preis unbeachtet bleiben solle, unter der Voraussetzung, daß man sich der verteidigenden Flotte als einer echten fleet in being und nicht nur einer fleet in existence bediene, wie es die Royal Navy, so behauptet er, im Gegensatz zur zeitgenössischen Auffassung dieses Prinzips, in ihrer Vergangenheit mit Geschick verstanden habe.81 Der Terminus, der nach Corbetts Verständnis die aktive Handhabung einer unterlegenen Flotte statt ihrer Intakthaltung durch Inaktivität bezeichnet, entstammt einer Auseinandersetzung über genau diesen Punkt; geprägt wurde er von Admiral Arthur Herbert, Lord Torrington 1716), der sich für sein Verhalten 1690 vor dem Parlament verantwor(1647– ten mußte.82 Nach den hier ausgearbeiteten Gedanken bedeutet die Defensive auf See wie an Land immer die Einnahme einer abwartenden, vorteilhaften negative Ziele“ , das heißt, die BehindePosition, und die Beschränkung auf „ rung des Gegners, bis anderweitige Entwicklungen militärischer, politischer, oder sonstiger Natur, es einem wieder erlauben, die Offensive erneut aufzupositiver Ziele“zurückzukehren. Dabei ist nehmen und also zur Verfolgung „ die Beschränkung auf die Sicherung der daß von entscheidender Bedeutung, eigenen Kampfmittel, zumal auf See, demGegner alle Optionen offenläßt, die er ansonsten nurdurch eine siegreiche Schlacht erringen könnte; es ist deshalb dafür Sorge zu tragen, daß der Gegner das Vorhandensein (being) der eigenen Flotte nicht nur nicht ignorieren kann (das würde eine im Hafen blockierte Flotte auch erreichen), sondern daß an geeigneten Stellen aktiv Druck auf ihn ausgeübt wird, der ihn, etwa durch die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung eines gewissen Maßes an Konzentration, an der beliebigen Dislozierung seiner Kräfte hindert.83 In demvonCorbett untersuchten Falle hatte der britische Admiral, Torrington, die Wahl zwischen drei Optionen, nämlich den Rückzug auf einen sicheren Ankerplatz, der der französischen Flotte die Freiheit gegeben hätte, das schwa81 Corbett, Principles, S. 212f, S. 221f. 82 Ibid., S. 219 Anm. 15. Das volle Zitat findet sich bei COLOMB, PHILIP H., RN, Naval Warfare. Its Ruling Principles and Practice Historically Treated, London 1891 (zitierte Ausgabe 2 Bde., Annapolis 1990 [=London 31899]). Torrington kamvorein Kriegsgericht, wurde aber rehabilitiert. Der Befehlshaber der noch unvollständig mobilisierten Home Fleet hatte das Gefecht mit einer überlegenen französischen Flotte unter Tourville nur auf direkten Befehl hin widerstrebend angenommen, da die Admiralität sein Vorhaben, den Gegner durch Observation (und also aktives Handeln) an der Durchführung seiner Pläne zu hindern, in der Weise mißverstanden hatte, als dächte er nicht daran, seine beiden Geschwader überhaupt zu verwenden. 83 Ibid., S. 221f.
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che britische Geschwader in der irischen See und die sich in See befindlichen Geleitzüge zu vernichten, oder der sofortigen Annahme der Seeschlacht, die über die Vernichtung der nur teilweise einsatzfähigen Home Fleet dasselbe Ergebnis gezeitigt hätte. Torrington entschied sich für eine dritte Möglichkeit, den Kontakt mit Tourville zu halten, ihn dadurch zur Konzentration zu zwingen, und sich jederzeit die Möglichkeit offenzuhalten, sich im Westen mit den anderen britischen Kräften zu vereinigen. Es wird hier sofort offenbar, wie sich diese Beobachtungen mit den aus der Betrachtung der Blockade gezogenen Schlüssen decken: Nach Corbett mußeine Flotte unter allen Umständen ein gewisses Mindestmaß an Aktivität aufrecht84); da ihre Fähigkeit, eine beerhalten („ keep the sea to amuse the enemy“ stimmte, lokale Operation des Gegners zu verhindern, höchst fragwürdig und stark von den jeweiligen Bedingungen abhängig ist, muß allgemeiner Druck und Verunsicherung ihr Ziel sein. Dies verhindert sowohl, daß der Gegner in See nach Belieben verfährt, und eröffnet im günstigsten Falle die Möglichkeit, sich einer temporären Schwäche des Gegners zu bedienen, um das Kräfteverhältnis auszugleichen. Üblicherweise führt dieses Verfahren jene erwähnte Gelegenheit überhaupt erst herbei; es ist unvernünftig, anzunehmen, daß sich ein unbelästigter Gegner vonselbst eine Blöße gibt. Die Aussicht, selbst wieder zur Offensive antreten zu können, ist hierbei das allem zugrundeliegende movens. DerEinwand mußfreilich gemacht werden, daßdiedeutsche Strategie des Weltkrieges nicht diekontinentale Kriegführung, anders als das C.I.D., sondern eher noch den Seekrieg als sekundär betrachtete; die Rollen der strategischen Defensive, die die Flotte einnimmt, unddas primäre Interesse, ihr durch sekundäre Entwicklungen wieder dieOffensive zuermöglichen, magmanhier getrost als vertauscht ansehen. Dieser Einwand ist aber auszwei Gründen nicht tragfähig: Erstens ist sein Gegenstand nicht die Marinestrategie, umdie es hier allein geht. Vielmehr sind die genannten Prioritäten undihre Verteilung Bestandteile der Grand Strategy, der die Seestrategie untergeordnet ist. Für die Betrachtung der Seestrategie allein, für die die Planer der Marine verantwortlich sind, gilt die „ Rollenverteilung“von Primär- und Sekundärschauplätzen85 nach wie vor; auf einer abstrakten Ebene sind die Aussichten, durch sekundäre Entwicklungen die Offensivfähigkeit der Flotte wiederherzustellen, für eine in jenen–für die Marine–sekundären Betätigungsfeldern wie etwa dem Landkrieg derart mächtige Partei wie das Deutsche Reich sogar erheblich größer als für die Seemacht England. Daß Grand Strategy und Seestrategie für Großbritannien in Eins fallen, darf den systematischen Unterschied zwischen beiden nicht die Flotte als politisches Tauschobverwischen.86 Die Idee der Reichsleitung, „ jekt für einen Friedensschluß zu erhalten“und deshalb von ihrer Gefährdung
84 Corbetts Übersetzung auseiner Denkschrift Tourvilles, Principles, S. 220. ZumFolgenden Corbett, Principles, S. 224f. 85 In dieser Richtung auch Corbett, Principles, S. 226f. 86 Ein im Lichte der Ambitionen des englischen Heeres nicht immer unproblematischer Zusammenhang: Dirks, Corbett, S. 160.
4.5 Schlußfolgerung
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durch den Einsatz abzusehen, zeigt dieses Verhältnis sehr deutlich–und kann bei der Betrachtung der Grand Strategy den Verantwortlichen auch nicht als grundsätzlicher Fehler, höchstens als politische Fehleinschätzung, angekreidet werden. Für die Seestrategie war diese Entscheidung freilich katastrophal.87
4.5 Schlußfolgerung Den obenstehenden Betrachtungen ist zu entnehmen, daß einer der erfolgreichsten Vertreter einer Schule, diedie Seekriegsgeschichte zumAusgangpunkt ihrer seestrategischen Überlegungen macht, zahlreiche Anknüpfungspunkte zur Einordnung und Beurteilung des Tirpitz-Konzeptes bietet. Die Grundpfeiler der Tirpitzschen Gedanken hält Corbett allesamt für richtig. Eine Schlachtflotte sei das einzige Mittel, die Beherrschung der Seeverbindungslinien dauerhaft zu garantieren; wo zwei Kontrahenten sich um sie streiten und mit einiger Aussicht die Seeschlacht aufnehmen können, werde sie auch geschlagen werden; der élan der Offensive, der Kampfgeist, Moral, Zusammenhalt–oder wie immer man es auch nennen will–eines Verbandes erhält und befördert, sei auch durch die taktische Überlegenheit der militärischen Verteidigung nicht immer aufzuwiegen. Wogegen er sich jedoch wehrt, ist die Absolutsetzung solcher Faustregeln. Gerade die wichtigsten Merkmale des seestrategischen Denkens vor dem Ersten Weltkrieg zeigen für ihn Anzeichen einer unheilvollen dogmatischen Erstarrung, die es zugunsten einer flexiblen Reaktion auf die jeweiligen Gegebenheiten zu durchbrechen gilt. Es wurde gezeigt, wie viele der grundsätzlichen Gedanken der Tirpitzschen Schlachtflotte mit diesen in der Zeit die Qualität des Allgemeingültigen tragenden Grundsätzen konform geht; wo sie zu identifizieren sind, gelingt es, festzustellen, wann Tirpitz die Einschätzung seiner Zeit hinter sich läßt, also ihre Irrtümer durchbricht–oder sie auf die Spitze treibt. Die alleinige Ausrichtung auf die Spitze“zu erkennen Vernichtung der gegnerischen Flotte, in der eine solche „ War, however, is not conlogisch“ ist, nennt Corbett „ , nur um einzuwenden: „ ducted by logic [...].“88 Genausowenig wie die Seeschlacht automatisch zum Allheilmittel in der Seestrategie wird, genausowenig ist der Offensive und ihrer beflügelnden Kraft automatisch der Vorzug vor der stärkeren Defensive zu geben, auch wenn stimmt, daß die Defensive immer eine abwartende, verzögernde sein und sich das Ziel setzen muß, zu einem späteren Zeitpunkt zur Offensive zurückzukehren. Während Tirpitz im Falle der Schlacht weniger gedanklich als vielmehr in der praktischen Umsetzung und in der Vorbereitung seine Zeitgenossen an Radikalität und Einseitigkeit übertraf, so läßt sich in seiner Haltung zumOffensivgedanken keine derartige Qualität feststellen; hier 87 Undwidersprach der Marinetradition selbst: „Schonung des Materials, Erhalten der Schiffe, solche Gedanken dürfen erst in letzter Linie aufkommen.“(Stenzel, Kriegführung, S. 106).
88 Corbett, Principles, S. 234.
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4 Clausewitz und die Royal
Navy: Corbett
er sich im Rahmen seiner Zeit, der freilich ohnehin so gut wie nicht mehr zu übertreffen war. Entfernt man sich von den noch relativ einfach zu identifizierenden, weil in prägnante Schlagworte gegossenen, Vorlieben dieser Zeit in der Richtung debewegte
taillierterer strategischer Konzepte, so stößt man auf schwieriger aufzulösende Konflikte zwischen dem Denken eines Corbett und dem eines Tirpitz. Daß das Tirpitzsche Verständnis von Seeherrschaft wohl näher am dem in der Zeit allgemein akzeptierten liegt als das Corbetts, läßt sich mit dem Erfolg und der ungeheuren Verbreitung der Gedanken Mahans belegen, der wie Tirpitz davon ausgeht, daßdie See erst, wenn manseine Herrschaft über sie aufgerichtet hat, auch benutzt werden kann. Ob es sich dabei, wie Rolf Hobson meint, um eine Adaption von Clausewitzsch-territorialen Ideen auf die See handelt, vorgenommen von den deutschen Marinedenkern, bleibt allerdings fraglich.89 Unzweifelhaft suchten die Zeitgenossen in Deutschland für das Ideenkonglomerat vonVernichtungsgedanke, Entscheidungsschlacht, usw., vor allem zuLand, aber wohl auch auf See, die gewichtige Unterstützung des großen Kriegstheoretikers; als ständige Referenz wurde Clausewitz in der Marineschule undvon den wichtigen Lehrern der deutschen Marine, etwa Stenzel, herangezogen; es ist aber offensichtlich, daß sie damit Clausewitz in sein Gegenteil verkehrten. Kein Wort steht bei ihm darüber, die Schlacht unter allen Umständen zu suchen, kein Wort auch vom unbedingten Vorrang des Angriffes vor der Verteidigung. So wird eine vollständige Geschichte des Denkens in der deutschen Marine in Teilen auch eine Rezeptionsgeschichte des ehrwürdigen Vom Kriege sein müssen, zumal sich auch Beispiele finden lassen, in denen Clausewitz nicht mißverstanden wurde. Falls in dieser Arbeit das Tirpitz-Konzept vom „Hebel Nordsee“mit der richtigen Bedeutung gefüllt wurde, läßt sich in ihmeine solches Beispiel erblicken, ohne daßder Name Clausewitz ein einziges Mal auftaucht. Bleibt das Konzept aber ein propagandistisches Schlagwort, so steht es emblematisch für ein unauflösbares Gewirr vonsich widersprechenden, unausgereiften Einzelideen, ein Phänomen freilich, daß in der deutschen Militärgeschichte kein Einzelfall ist. Daß der Tirpitz-Plan nach 1906 stückweise anfing, auseinanderzufallen, darf denBetrachter aber nicht dazu verleiten, ihm vonAnfang anjenes Maßan Inkohärenz zu unterstellen, das ihm bei Kriegsbeginn durch zahlreiche Versuche, mit Flickschusterei zu retten, waszuretten ist (Berghahn), eigentümlich war. Die enge Verflechtung von Militärischem und Politischem schon in der Dienststellung Tirpitz’ legt nahe, daß seinen Plänen eine strikte Differenzierung dieser beiden Sphären fremd war; und da die Zusammenschau politischer Anwendung und militärischen Instrumentariums Widersprüche eliminiert, die sich in der rein auf das militärische fokussierten Betrachtung seiner Arbeit ergeben, ist es angebracht, ihnen hier als dem Wahrscheinlichen das Wort zu reden. Schließlich darf auch nicht übersehen werden, daß die großen angelsächsischen Theoretiker–wie Mahan und Corbett, 89 Hobson, Origins, S. 12– 22, 26– 32.
4.5 Schlußfolgerung
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die uns hier als Referenz dienen–stets nur die Verwendung einer Marine im Kriegsfalle90 untersuchten, so daß die Betrachtung des Tirpitz-Konzeptes zwingend die Erweiterung ihrer Perspektive voraussetzt. Unschärfen bleiben auch dann. Während die militärischen Zusammenhänge, was das Heraufkommen und Durchfechten der Seeschlacht betrifft, bei Tirpitz minutiös entwickelt und ausgearbeitet sind, spricht er von der politischen Wirkung seines Instrumentes Flotte nur in den allgemeinsten, kaum auf eine bestimmte Vorgehensweise zu kondensierenden, Worten–das ist auch der Grund, warum unsere Darstellung des Konzeptes vom militärischen Druckansatz in der Nordsee zur Überwindung des politischen englischen Übergewichtes lediglich den Charakter einer qualifizierten und begründeten Hypothese hat. Die Widersprüche des rein Militärischen treten besonders hervor, wenn die Möglichkeit besteht, sie an einem kohärenten Referenzsystem wie dem Corbettschen zu messen. Sie steigern sich etwa bezüglich der engen Blockade bis hin zur krassen Fehleinschätzung. In dem Licht, das Corbett auf dieses Instrument wirft, indem er den Schleier einer emotionalen-irrationalen Präferenz zugunsten einer nüchternen Analyse seines Nutzen und seiner Schwierigkeiten beiseite schiebt, zeigt sich das ganze Ausmaß der Irrwege, auf die Tirpitz’ axiomatische Setzungen die Marine gebracht hatten, und zwar mit unerbittlicher Konsequenz und Folgerichtigkeit; und was Corbett über Mahan schrieb, gilt bedingt auch für Tirpitz: „ [...] the wonder is that Mahan could build as 91 Die Bilanz im Hinblick auf den well as he did on a foundation so insecure.“ Kreuzereinsatz sieht noch düsterer aus, und gemahnt im Vergleich mit dem Corbettschen Prinzipien an eine deutsche Bankrotterklärung. Eine jahrzehntelange Baupolitik auf der Basis, daß der Kreuzerkieg, in welcher Form auch aussichtslos“sei, konnte die Chancen der deutschen immer, gegen England „ schnellen Schiffe kaum steigern. Daß sie dennoch ein halbes Jahr lang die Royal Navy in Atem hielten, und sogar die Detachierung von mehreren Schiffen der Schlachtgeschwader (vor allem der Schlachtkreuzer HMS INVINCIBLE und HMS INFLEXIBLE) erreichten, die in der Nordsee fehlten,92 zeigt, wie falsch Tirpitz’Einschätzung war, und wie sehr ein gut geführter Kreuzereinsatz der deutschen Hochseeflotte militärisch hätte helfen können, hätte Tirpitz sich undder Marineführung diese Möglichkeit nicht von vorneherein verbaut. Daempirische“Befund des Ersten Weltkrieges allerdings in unserer bei kann der „ Beurteilung keine Rolle spielen, da er den Zeitgenossen bei der Durchführung ihrer Pläne nicht zur Verfügung stand und die philosophische Wahrheitsfähigrichtig“oder „ falsch“(in diesem keit einer Quelle, das heißt ihr intrinsisches „ historisch-kritischen einer gut nie Gegenstand wie so Tirpitz-Planes) Fall des 90 Hattendorf, Anglo-American Way..., S. 115. 91 Corbett, Revival, S. 734f. 92 Laut BRUCE, GEORGE, Seeschlachten des 20. Jahrhunderts, Gräfelfing 1993, S. 51, genurgeringe Überlegenheit [der Grand Fleet, d.Verf.] fährdete diese Detachierung gar die „ über die deutsche Hochseeflotte [...].“Cf. auch Scheer, Segelschiff, S. 217.
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Untersuchung sein können.93 Fest steht allerdings, daß niemand so radikal wie Tirpitz der Kreuzerkriegführung eine Absage erteilt hatte, ja daß der Kampf gegen Kreuzerkonzepte sogar ein gut Teil seiner Energie beanspruchte.94 DaSpitze“identifiziert, in der Tirpitz in seiner Zeit vertretene mit ist eine weitere „ Anschauungen bis zur äußersten, nicht selten ungültigen, Konsequenz trieb, denn der Widerstreit zwischen Jeune école und Schlachtschiffschule war mitnichten entschieden; Tirpitz beendete die Kreuzerdiskussion, so gut er konnte, und verstieß damit gegen den Kernsatz Corbetts, der gleichsam per Ukas95– damit gleichzeitig die prägnanteste Kritik an Tirpitz’Vorgehen formuliert hatWar being, as it is, a complex sum of naval, military, political, financial, te: „ and moral factors, its actuality can seldom offer to a naval staff a clean slate on which strategical problems can be solved by well-turned syllogisms.“96Und Imponderabilien“einer militärischen Auseindas, trotz aller Verweise auf die „ andersetzung, ist das Wesen der Tirpitz-Flotte.
93 Dafür Beispiele anzugeben, erübrigt sich eigentlich; es sei aber doch auf die Bemerkung Langes zu Buchheits Arbeit über Clausewitz-Rezeption und„ Vernichtungsstrategie“hingewiesen, die genau diesen Punkt zumGegenstand hat: Lange, Strategiestreit, S. 17. 94 S.o. S. 53f, 197ff. 95 Hierzu Kapitel 7. 96 Corbett, Principles, S. 234.
5 Kontinuität und Umbruch: Alfred Stenzel [...] die Offensive kann eine Streitmacht nicht entbehren, wenn sie „ 1 fröhlich gedeihen soll“ Stenzel
Im Jahre 1862 wurde der Göttinger Student der Mathematik und Astronomie 1906), ehemals Seemann, mit der hydrographischen ALFRED STENZEL (1832– Vermessung der hannoverschen Küsten beauftragt.2 Über diese Arbeit hielt Stenzel, der kurz darauf in die Königlich Preußische Marine eintrat, ab 1874 Vorträge in der neugegründeten Marine-Akademie in Kiel, und als dort der Entschluß fiel, die Teilnehmer beider Coeten auch in der Seekriegsgeschichte zu unterweisen, fiel die Wahl schnell auf den vielbelesenen und hochgebildeDa ich mich für die Sache nicht ten, wenn auch zunächst wenig begeisterten („ 3) Hydrographen. Aber wie fast jede historieigne und nichts leisten kann.“ sche Fragestellung gewann auch die Seekriegsgeschichte mit fortschreitendem Eintauchen in die Materie für ihn an Plastizität, Eindringlichkeit und damit Attraktivität, und einige Zeit später stellte Stenzel befriedigt fest, „ [...] mein Feld habe ich gefunden, es ist ein in der deutschen Sprache noch unangebautes, die Seekriegsgeschichte.“4 Freilich gehörte auch, wasaußerhalb desdeutschen Sprachraums an marinehistorischen Schriften vorhanden war, mehrheitlich zumSujet der abenteuerlichen Erzählung, als wissenschaftlichen Ansprüchen zu genügen, ein Umstand, der sich erst durch Zeitgenossen Stenzels wie Laughton oder John Colomb5
1 Kriegführung, S. 106. 2 Kirchhoff, Stenzels Leben und Werke, S. XIV; cf. auch BERNER, KARL GUSTAV HEINRICH: Schlesische Landsleute, o. O. 1901 (DBI Bd. IV [1986], DBA 1223,2, s.v. Stenzel, 62 „ hauptsächlich Alfred [2]); wie Kirchhoff allerdings darauf kommt, Stenzel habe 1860– bei Gauß“(Stenzels Leben und Werke, S. XIV) studiert–der 1855 gestorben war–und auf dessen Vermittlung hin den Vermessungsauftrag bekommen, ist unergründlich. 3 Stenzel an Eisendecher, Mitte 1876, cit. nach Kirchhoff, Stenzels Leben und Werke, S. XVII.
4 Kirchhoff, Stenzels Leben und Werke, S. XVII. 5 SIR JOHNKNOXLAUGHTON (1830–1915) begann 1876 am Royal Naval College in Greenwich Seekriegsgeschichte zu lesen und avancierte 1885 zum Professor of Modern History 1909), am King’s College, University of London. CAPTAIN SIR JOHN COLOMB (1838– der jüngere Bruder des Admirals und Seekriegshistorikers Philip Colomb, hatte 1867 mit einem Büchlein über den Handelsschutz und die Dislozierung der Royal Navy (The Protection of our Commerce and Distribution of our Naval Forces Considered, London 1867) die Diskussion über die Marinestrategie in Großbritannien angestoßen undgehört damit zu den Wegbereitern auch der aus ihr erwachsenen Renaissance der britischen Seekriegsgeschichte. Als Vorgänger Stenzels kann er aber aufgrund seines Schwerpunktes,
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Alfred Stenzel
änderte. Tirpitz hörte Stenzels Vorträge an der Marineakademie zwischen Oktober 1874 und Mai 1876.6 Als der erste Fachvertreter an der ersten Bildungseinrichtung ihrer Art weltweit mußte Stenzel sich freilich die Grundlagen des Faches als wissenschaftlicher Disziplin vonGrund auf selbst erarbeiten.7 Entsprechend tastend undvorsichtig nehmen sich deshalb seine ersten Zugriffsversuche auf das Thema auch aus. ZurGrundlage seines Konzeptes vomSeekrieg nahm er sich die empirische Erfahrung seiner Gegenwart undihrer Zeitgeschichte, wieetwa die Schlacht von Lissa (1866), eingebunden in eine grundlegende Kriegstheorie, die dem entsprach, was man damals allenthalben unter den Lehren Clausewitz’verstand. VomKriege ist in Stenzels Werk in unzähligen, belegten undunbelegten, Zitaten gegenwärtig. Für diese Verankerung in der (Land-)Kriegstheorie scheint die vergleichsweise Erfahrungs- und Traditionslosigkeit derjungen deutschen Marine, vor allem auf taktisch-strategischem Gebiet, ausschlaggebend gewesen zu sein.8 Da Stenzels Auftrag aber die Behandlung der Geschichte des Seekrieges war, gestaltete er dessen theoretische Systematisierung als ein Steckenpferd, das konsequenterweise erst posthum als Ergänzungsband seiner ausladenden Seekriegsgeschichte veröffentlicht wurde. Anders als jene 6 Bände des historischen Hauptwerks aber, die Stenzel zu Lebzeiten nicht vollenden konnte, war sein Theorieband bei seinem (ersten) Ausscheiden aus der Marineakademie 1882 nahezu abgeschlossen. Die Einzelheiten von Stenzels Seekriegslehre darzustellen, erübrigt sich hier, umso mehr, als sich das Kuriosum ergibt, daßer, ebenso wie Clausewitz, kurz vor seinem Tode die Notwendigkeit der grundlegenden Überarbeitung seines Werkes erkannt hatte, durch sein Ableben aber an ihrer Durchführung gehindert wurde. Während Clausewitz allerdings einen Mangel seiner Theorie selbst, der sich durch seine ersten sieben Bücher zog, eliminieren wollte (und uns wenigstens noch die Grundlagen dieser Ergänzung in der Nachricht hinterließ), warim Falle Stenzels vor allem die Anpassung seiner taktischen und strategischen Konzepte an durch den technischen Fortschritt geänderte Rahmenbedingungen beabsichtigt, ohne daß die Grundkonstanten seiner Seekriegslehre sich geändert hätten. Diese Konstanten herauszuarbeiten und ihren Einfluß auf das Seekriegsbild der deutschen Marine zu beleuchten, soll im Folgenden geleistet werden.9 der Imperial Defence (er gehörte der Royal Marines Artillery an), nicht des Seekrieges an sich, und des Fehlens der historischen Dimension in seinem Werk nicht gelten. Diese hinzuzufügen, blieb Männern wieseinem Bruder oder Corbett vorbehalten (cf. Schurman, 109). 35, 83– Education, S. 1– 6 Die genauen Daten von Tirpitz’Abkommandierung zur Marineakademie sind: 15. Okto6. Mai 1876 (II. Coetus), nach: 20. Mai 1875 (I. Coetus) und 1. Oktober 1875– ber 1874– Uhle-Wettler, Tirpitz, S. 426. 7 Kirchhoff, Stenzels Leben und Werke, S. XVII. 8 Hobson, Origins, S. 10, 17f. Auch in den militärischen Wochen- und Monatsschriften fand bis Anfang der 1890er Jahre praktisch keine Erörterung von seetaktischen bzw. -strategischen Fragen statt (ibid.).
9 Die wissenschaftliche Literatur zu Stenzel ist praktisch nicht existent. Wenn er in einer
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5.1 Vernichtung und Offensive Die Bedeutung Stenzels liegt, trotz seiner exponierten Stellung in der Seekriegsgeschichte, nicht in der Originalität seiner Gedanken, ja nicht einmal in einer enthusiastischen Rezeption seiner Lehre á la Mahan. Vielmehr wird man in seinem Werk so etwas wie das geistige Grundkapital der deutschen Marine sehen müssen, das von ihm weniger erdacht, als vielmehr zusammengetragen undgeordnet wurde, sich über seine Ausstrahlungskraft in der Marineakademie dann aber auch perpetuieren konnte.10 Die Eckpfeiler des militärischen Denkens zwischen Sedan und Verdun (Vernichtungsgedanke, Offensivgeist, TenWehrstandsideologie“11usw.) denzen in Richtung des Sozialdarwinismus, die „ hervorgehoben, und so daß er vielemphatisch gedrängt ihm bei sich finden militärischen des Mainstream des 19. Propagandist leicht am treffendsten als Jahrhunderts zu bezeichnen ist. Stenzels Bild vomSeekrieg entsprach ganz demim Gefolge der Schlacht von Gewirr von taktischen Anschauungen“ Lissa in Europa vorherrschenden. Das „ Musterkarte von Schiffstypen“waren die Realität der eu(Tirpitz) und die „ ropäischen Marinen während Stenzels Zeit als aktiver Seeoffizier. Er gehörte einer Vieille école an, die wider alle Anfechtungen der Jahre zwischen 1870 und 1890, als das Torpedoboot das Feld vorübergehend zu beherrschen schien, fest an der entscheidenden Bedeutung der rangierten Seeschlacht, der bataille rangée, und damit des Schlachtschiffes, festhielt. Es mag ein ins Philosophische gehender, gleichwohl berechtigter Gedankengang sein, ob nicht gerade die Persistenz solcher Anschauungen einen stimulus darstellte, der die taktischstrategische Rückkehr zur Linientaktik–die auch ein wiederhergestelltes Vertrauen in die Möglichkeiten des Schlachtschiffes implizierte–aufgrund der auf ihn zurückzuführenden technischen und taktischen Arbeit maßgeblich herbeimiArbeit über die deutsche Marine Erwähnung findet, dann immer in Abrissen des „ , unter anderen, als Zuträger des Tirpitzschen Schlachtgedankens. litärischen Denkens“ Typisch ist die Aufzählung Lambis, der in seinem umfangreichen Werk über die Marine unddie deutsche Machtpolitik Stenzel einmal als Verfechter desSchlachtflottengedankens erwähnt, in einer Reihe mit Batsch, Bartholomäus v. Werner und Wislicenus (Lambi, Power Politics, S. 67, vgl. die Aufzählung Spenser Wilkinsons (s.o. Anm. 43). Güths Abriß über die deutsche Seestrategie enthält über Stenzel nicht viel mehr als eine sehr knappe, überdies unkommentierte, Inhaltsangabe (Güth, Undwastun sie, wenn sie nicht kommt?, S. 51f.). Amausführlichsten (und differenziertesten) ist noch Hobson, Origins, 22, der Stenzel für die Übertragung Clausewitzscher Gedanken auf den Seekrieg S. 18– verantwortlich macht. 10 So versteht sich die Feststellung Stangs, Stenzel sei „ [...] der wichtigste deutsche Lehrer vonSeestrategie [...]“gewesen (Das zerbrechende Schiff, S. 55). Die Bedeutung Stenzels warin der vonStang untersuchten Zeit, nach 1918, imVerhältnis gewachsen, nicht zuletzt deshalb, weil Persönlichkeiten vomRange (und Durchsetzungsvermögen) eines Tirpitz der Marine dann fehlten. 11 Diese Bezeichnung scheint d. Verf. für das selbstbezügliche Gedankengebäude, mit dem v.a. die Offiziere ihren sozialen Standort bestimmten und rechtfertigten, nützlicher als Militarismus“ . das allgemeine und unscharfe „
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geführt hat. Jede derartige Neuerung kann schließlich vernünftigerweise nur in aufmerksamer Beobachtung des (potentiellen) Gegners und seiner Konzepte passieren.12 Vor der um 1890 sich allenthalben vollziehenden Rückkehr zur Linientaktik jedenfalls waren die Vorstellungen, die mansich vomHergang eines zukünftigen Seegefechtes machte, zwangsläufig verschwommen,13 Stenzels entscheidendsten“Waffe Emphase der Bedeutung des Rammsporns14 als der „ des modernen Schlachtschiffes mithin ganz im Erwartungshorizont dieser dynamischen Übergangszeit;15 bereits Anfang des 20. Jahrhunderts hielt Stenzel selbst viele dieser Ansichten jedoch für veraltet. Dasist zubeachten, wenn man sich der Bedeutung des Stenzelschen Werkes in der Zeit des deutschen Flottenbaues zu nähern versucht. Immerhin war gerade Tirpitz mit seinen wichtigen technischen Denkschriften maßgeblich an der Überwindung des Wildwuchses verschiedenster nebeneinander existierender technisch-taktischer Anschauungen beteiligt.16 Umso bedeutsamer erscheint es, daß die wichtigsten der bei
12 Wobei die Gefahr gleichermaßen im Vorauspreschen wieim Hinterherbleiben besteht. Cf. die Reaktionen der DREADNOUGHT-Gegner auf Fishers Projekt (z. B. Marder, Anatomy, S. 515ff), die sein Vorgehen im Vergleich zur technischen Entwicklung bei anderen Marinen zu forsch fanden, im Gegensatz zu demdesillusionierten Navalisten Sidney Low, der den Zwang zumVorwärtsdrängen anerkannte, ihn aber als zumindest das nationale Budget belastend empfand: „ The pestilent activity of the modern military and naval inventor is simply a cosmopolitan nuisance [...] it seems a pity that an International Convention cannot be arranged, whereby any individual proposing a newmachine or device for warlike purposes should be immediately taken out and hanged.“(Should Europe Disarm?, in: Nineteenth Century, Oktober 1898, cit. nach Marder, Anatomy, S. 8 Anm. 8). 13 Tirpitz, Erinnerungen, S. 45f; Hallmann, Schlachtflottenbau, S. 107f; Michalik, Probleme, S. 7; Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 46ff. Noch im September 1892–Tirpitz hatte Anfang des Jahres mit seiner taktischen Entrümpelung im OK begonnen–schrieb ein Admiral: „ Im eigentlichen Sinn des Worts gibt es ebensowenig Seetaktik wie Strategie zur See, wenngleich beides zur Zeit der Segelschiffahrt noch bestand.“(WERNER, BARTHOLOMÄUS v., Der Seekrieg, der Geschwaderdienst unddie Bedeutung der Kriegswerften, Darmstadt Drauf und durch, wie der Augenblick es eingibt und höhere Eingebung es 1893, S. 6. „ anbefiehlt.“(ibid. S. 8). 14 Stenzel, Kriegführung, S. 89f, 121f. 15 Noch in einer Denkschrift Hollmanns, BA-MA, Marinearchiv, 7603 (alt), „Zwölf Grundsätze“in der Seektaktik, o. D. (cit. nach Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 53) ist vonder BedeuDurchschlagen“eines Gefechtes die Rede, und Tirpitz war noch tung der Ramme beim „ [...] daßsich eine Art Reiterkampf entwickeln nach demErsten Weltkrieg der Meinung, „
muß, wenn eine Schlacht ernstlich durchgeschlagen wird [...]“(Tirpitz, Erinnerungen, S. 25 Anm. 1), die Gefechtslinien sich also mit zunehmender Dauer auflösen und die Schiffe in Einzelkämpfe, das sog. mêlée, verwickelt würden. In der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts gehörte die Ramme auch noch zur Standardbewaffnung eines Schiffes. Der Unterschied zu früher bestand lediglich darin, daß man das Gefecht nun in Kiellinie und aus der Distanz aufnahm, während vorher das Aufeinanderlosstürmen in Dwarslinie, Keil und Karrée für wahrscheinlich und sinnvoll gehalten wurde (Tirpitz, Erinnerungen, S. 45f; cf. Reinhardt, Flottengedanke, S. 7). 16 Hier sind v. a. zu nennen: Unsere maritim-militärische Fortentwicklung, April 1891 (abge87); Allgemeine Erfahrungen aus den druckt bei Berghahn/Deist, Rüstung, Nr. II 1, S. 82– Dienstschrift IX“ , BergManövern der Herbstübungsflotte, 16. Juni 1894 (die berühmte „ 99); Allgemeine Gesichtspunkte bei der Feststellung hahn/Deist, Rüstung, Nr. II 2, S. 87–
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Stenzel erstmals an für die Marine repräsentativer Stelle formulierten, oben so genannten „ Eckpfeiler“des militärischen Mainstream-Denkens, als Kontinuitäten faßbar sind, denen auch Tirpitz in hohem Maße verhaftet war (und auf die sich einige der Irrationalismen in seinem Konzept zurückführen lassen). Dabei sittlich-moralische“17etikettiert handelt es sich um Ideen, die in der Zeit als „ und als der Erosion durch den technischen Fortschritt entzogen–gleichsam –wahrgenommen wurden. Die Einzeldarstellung ihrer Komponenten zeitlos“ „ der Struktur dieses Kapitels zugrundezulegen, wie es in den Kapiteln 2 und Tirpitz-Plan“subsumierten Kon3 mit den verschiedenen unter dem Begriff „ zepten geschah, erscheint sinnvoll und zweckmäßig. Um den hohen Grad der Verschränkung dieser Ideen zu illustrieren, seien sie aber zunächst in einer von Synopse“angerissen: Stenzel selbst formulierten „
Für Vermeidung einer Schlacht sind allerlei Vorwände gebraucht; das „ sind alles falsche Vorstellungen. Wenn der Krieg ein Übel ist, so ist freilich die Schlacht als Essenz des Krieges das größte Übel. Solche Gedanken sind aber grundfalsch. Völker und Staaten gleichen Individuen, sie streben nach weiteren, höheren Zielen, nach Besserung ihres Zustandes; ist einer durch inneren Kampf tüchtig geworden, hat er Nachbarn überflügelt, so empfindet er das natürliche Verlangen, seine Bedeutung nach außen hin geltend zu machen, sich die entsprechende Stellung zu sichern. Der Krieg ist gut und nötig, um Beiseitesetzung und Unterdrückung nicht andauern zu lassen, sondern durch scharfen Schnitt sie zu beseitigen; das tut zwar weh, schafft aber Gesundheit. Diegroße Entscheidung mußdaher baldigst im Kriege gesucht werden, da nur durch sie ein großer Erfolg erreicht, und das Ende des Krieges in kurzer Zeit herbeigeführt werden kann. Das ist wahrhaft human und sparsam, magder Anschein noch so sehr dagegen sein, denn hinhaltende Kriegführung kostet auf die Dauer viel größere Opfer [...].“18
Neu war mit Sicherheit die Menge an historischen Beispielen, mit denen Stenzel eine solche Passage untermauern konnte; jedem Generalstäbler um1890 mußte dies aber wie das kleine Einmaleins, die selbstverständlichen Grundlagen seiner Profession, vorkommen.19 Es sei im Zusammenhang mit der Marine nur an Adalberts Denkschrift von 1848 erinnert, die die Forderungen von selbständigem Offensivvermögen und Schlachtflotte bereits intim miteinander verknüpft hatte.20 Stosch, von dem man annehmen darf, daß er seinen Clausewitz kannte, tat das seine, um die Bildung einer solchen Traditionslinie in , Emser Memorandum“ unserer Flotte nach Schiffsklassen und Schiffstypen, Juli 1897 („ 127), in denen vor allem die Notwendigkeit Berghahn/Deist, Rüstung, Nr. II 10, S. 122– betont wird, alle Aspekte der Marineentwicklung auf die Entscheidungsschlacht auszurichten. Näheres bei Hallmann, Schlachtflottenbau, S. 107ff, 112. 17 Cf. die Kapitelüberschrift in Stenzel, Kriegführung, S. 39: „ 1. Sittliche und geistige An-
. forderungen im allgemeinen“ 18 Stenzel, Kriegführung, S. 177. 19 Storz, Kriegsbild, passim, bes. S. 113ff. 20 S.o. Abschnitt 3.4.
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5 Kontinuität und Umbruch: Alfred Stenzel
Den Feind schlagen, dann beherrsche ich die See, das der Marine zu fördern: „ ist meine Weisheit.“21schrieb er zu Beginn der 1890er Jahre gegen den Handelskrieg. Dies fördert die Erkenntnis, daß Stenzel eher allgemein anerkannten strategisch-taktischen Ansichten Stimme verlieh, als innovativ tätig zuwerden, und verweist uns auf eine von herausragenden Exponenten gestützte Traditionsbasis innerhalb der Marine. Stenzel legt Wert auf die Feststellung, das einzige Mittel der Strategie sei das Gefecht.22 Dieser Satz scheint sich ganz selbstverständlich aus dem Clausewitzschen Diktum abzuleiten, daßdas Gefecht der einzige Daseinszweck des Soldaten sei, und alle Vorbereitung, alle Ausbildung und alle Ausrüstung auf dieses Ziel ausgerichtet werde. In philosophischer Hinsicht stimmt das auch. Wenn es nicht das Gefecht selbst ist, mit dem der Gegner zum Frieden gezwungen wird, so doch zum Beispiel das Erreichen einer Position, die die eigenen Streitkräfte instand setzt, demGegner mit noch größerem Erfolg Schaden im Gefecht zuzufügen, unter immanenter Androhung des Schlages. Für das militärische–nicht nur das deutsche–Denken dieser Zeit war charakteri23nicht stisch, daß sich die von Clausewitz erkannte „ doppelte Art des Krieges“ gleichberechtigter“(Lange), sondern eines mehr als ein Nebeneinander zweier „ höher- undeines geringerwertigen Systems derKriegführung manifestierte, von denen daserstere unter allen Umständen anzustreben, letzteres abzulehnen sei. Vernichtungs“ Dabei handelte es sich, wie schon besprochen, umdie „ - bzw. in der Zeit so genannte „Niederwerfungsstrategie“gegenüber der von Delbrück Ermattungsstrategie“.24Ohne der implizierten Abstufung zu so bezeichneten „ higher“undeiner „ lower road folgen, wird selbst Corbett 1911 noch von einer „ of warfare“ ,25 direkter und indirekter Strategie, sprechen. Auf der Position des Generalstabes, die sich durch die gesamte Dauer der Kontroverse26 von 1879 bis 1954 verfolgen läßt, widerspricht Stenzel sowohl Clausewitz als auch [...] das Außergefechtsetzen des Personals Corbett, wenn er daraus folgend „ [...] “27 versteht. Die Gefahr für das reguläre und Materials als Selbstzweck normale“Leben des Gegners ist vielstaatliche, ökonomische und anderweitig „ Es mehr das für ein zum Friedensschluß führendes Einlenken maßgebliche: „ mußein Überschuß an Kraft vorhanden sein, um das ganze nationale Leben des Gegners lahmzulegen [...] und so den Frieden zu erzwingen.“28Da davon 21 Stosch an Hollmann, abgedruckt bei Aus der Zeit des Admirals v. Stosch: Skizzen aus den Akten von Geh. Admiralitätsrat Koch, in: Marine-Rundschau XIV (1903) 2, S. 846, cit. nach Reinhardt, Flottengedanke, S. 227f, Anm. 58, mit weiteren Zitaten dieser Art. 22 Stenzel, Kriegführung, S. 29, 37. 23 Clausewitz, Nachricht, S. 179. 24 Lange, Strategiestreit, S. 13. 25 Corbett, Principles, passim. 26 Cf. Lange, Strategiestreit, S. 83– 124. 27 Stenzel, Kriegführung, S. 178. 28 Maltzahn, Beziehungen, S. 876, in bestätigender Paraphrase eines Satzes von Corbett. Für Stenzel stellt sich nach der Hauptaufgabe der Zerstörung der feindlichen Hauptmacht nurnoch die nachgeordnete Aufgabe, „ [...] seine ferneren Hilfsmittel für denKrieg soweit
5.1 Vernichtung und Offensive
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ausgegangen werden muß, daß der Gegner wahrnimmt, wenn eine Armee zwar in der Lage ist, eine potentiell kriegsentscheidende strategische Position einzunehmen, sich dabei aber so erschöpft, daß sie keinen nennenswerten Druck mehr ausüben, das heißt, kein Gefecht mehr führen kann, ist klar, daß auch die letztendliche Ausrichtung des Manövrierens und der Defensive immer auf das Führen eines Gefechtes hinzielt. Wenn der Gegner vorher einlenkt, etwa, weil seine Hauptstadt bedroht ist, so wird er es doch nur tun, wenn er davon ausgehen kann, daß der letzte Akt des Dramas unweigerlich folgen wird, nicht, wenn der Hauptdarsteller gelähmt in der Bühnenmitte stehenbleibt (so hätte beispielsweise die weite Blockade der Grand Fleet im Ersten Weltkrieg keinerlei Wirkung gezeitigt, wäre der in ihren Basen liegende Flotte nicht zu jeder Zeit die Drohung mit der Entscheidungsschlacht immanent gewesen). Ist die Situation eindeutig, so tut man freilich gut daran, sich dieses letzte Gefecht zu ersparen. Interessanterweise geht die Erosion der Möglichkeiten zur Verfall der Kriegstheorie“(Wehler) Hand ehrenhaften Übergabe mit diesem „ in Hand.29 Aus dem Gesagten ergibt sich der hinter der Erkenntnis von Clausewitz steckende Gehalt recht eindeutig. Sie richtet sich nicht gegen den Manöverkrieg an sich; sondern gegen jene Theoretiker, die meinten, durch geschicktes Manövrieren ausschließlich und unter vollkommener Vermeidung von Gefechten einen Krieg gewinnen zu können–wobei dieser mehr oder weniger offensichtliche apriorische Verzicht auf das Gefecht die eigentliche Aufgabe einer Armee, die Drohung mit der Zerstörung des staatlichen Lebens des Gegners, unwirksam werden ließ30 (eine Drohbewegung mit einem Schwert, von dem nur der es Tragende selbst weiß, daß es aus Holz ist, hat mehr Aussicht auf Erfolg als ein quasi-ritueller Schwertstreich mit leerer Hand). Die aus der Ablehnung einer solchen Kriegführung resultierende strategische Einseitigkeit war, wie schon festgestellt, im postnapoleonischen Europa nicht den Deutschen allein vorbehalten, auch wenn hier das Miteinander von strategischer Irrlehre“ Fehleinschätzung–„ –und bewußt oder unbewußt fehlerhaft-selektiver Clausewitz-Rezeption das Problem besonders hervortreten ließ, sondern sie war .31Bei Stenzel allercollective mind of military Europe“ fester Bestandteil des „ dings ist diese letztendliche Ausrichtung auf Gefecht undVernichtung als letzte, entscheidende Konsequenz, schon zu einer Ausschließlichkeit geronnen, die kei-
zu schädigen oder zu zerstören, bis die Regierung in die Friedensbedingungen einwilligt.“ (Stenzel, Kriegführung, S. 20f). 29 Wehler, Verfall, S. 287ff. Zu der–auch außerhalb Deutschlands–immer wiederkehrenfalscher Humanitätsgefühle“(Stenzel, Kriegführung, S. 210), deren Ziel denDenunziation „ die widersinnige Abmilderung des Krieges sei, cf. Stenzel, Kriegführung, passim; Marder, Anatomy, S. 17ff; Storz, Kriegsbild, S. 79ff. Ein marinespezifischer Auswuchs dieses ProKapitulationsverbot“für deutsche blemkomplexes war das am 17. März 1885 erlassene „ . KapitulationsMit wehender Fahne untergehen“ Kriegsschiffe: AFFLERBACH, HOLGER, „ 612, S. 600. verweigerungen in der deutschen Marine, in: VfZG IL (2001) 4, S. 595– 30 Clausewitz, VomKriege, passim; allgemein hergeleitet S. 422ff („ ). Das Gefecht überhaupt“ 31 Schurman, Education, S. 175.
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nemanderen militärischen Manöver überhaupt noch irgendwelche strategische Bedeutung zubilligt. Dieses Denken mag seinen Ursprung in der Überzeugung haben, die zerstörerische Wirkung der Schlacht liege vor allem in der Demoralisierung des Gegners, die den Wert der verbleibenden Streitkräfte entscheidend reduzieSchlagen“tatsächlich potentiell zum Selbstzweck, da der re.32 Damit wird das „ Niedergang der Moral nicht nur weitere Schlachten, sondern die Teilnahme am Krieg selbst verhindern könne. Für Delbrück, Corbett unddie ClausewitzInterpretatoren des 20. Jahrhunderts aber liegt die Bedeutung der Schlacht (mitsamt ihrer demoralisierenden Wirkung) in den Zugriffsmöglichkeiten auf ulterior objects“bzw. das staatliche Leben des Gegners selbst, die erst die die „ Beendigung des Krieges zumpolitischen Willen lassen werden.33
Stenzel jedenfalls trägt die Clausewitz-Auffassung des Generalstabs nicht nur in vollem Umfange mit, er geht über sie hinaus: Für die Marine sei die Gültigkeit des „ Vernichtungsgedankens“sogar in noch größerem Maße als für Wehrlosmachung“oder „ das Heer gegeben, da hier „ Zersprengung“des Gegners (demoralisierende Faktoren), die der Armee schon genügten, nur durch Vernichtung zu erreichen seien.34 So grundsätzlich richtig der Satz zwar ist, eine Armee müsse in allen Belangen auf das Gefecht als ihr einziges Ziel durchgebildet werden– von Clausewitz wiederum als regulatives Prinzip, als Ideal, gebraucht– , so offenkundig ist hier schon wieder die vorweggenommene (spekulative) Amputation alternativer Handlungsmöglichkeiten, die in einer einseitigen Fixierung auf das frontale Anrennen gipfelten, wiees bei Stenzel deutlich zu sehen ist. Nicht umsonst schließt Kirchhoffs Einleitung zu Stenzels Werk 32 Stenzel, Kriegführung, S. 181. 33 Zu diesem Punkt sei noch eine vorsichtige Überlegung eingeflochten. Die Diskrepanz der Ansichten scheint vorallem in der Einschätzung dereinen Seite zuliegen, daßder Zusammenbruch der Armee das für die Niederlage im Krieg entscheidende Moment sei, währen dieandere Seite denZugriff aufdie Grundlagen des Zivillebens als das Ausschlaggebende betrachtet, ohne das ein Staat nicht existieren kann. Stenzel, Kriegführung, S. 60, zeichmit der Herrschaft eines einzelnen net ein Bild der Armee als Spiegelbild des Staates „ Bevorzugten, Ausgezeichneten, mit der Monarchie“als Ideal. Klar ist, daß die preußische Armee eine für ihren Staat nachgerade einzigartige Bedeutung hatte, eine Bedeutung, die ihr Funktionieren möglicherweise–auspreußischer Sicht–in denRang einer intrinsischen staatlichen Lebensgrundlage wiePolitik, Wirtschaft, Eigentum, Bevölkerung etc., erhob, für die es außerhalb Preußen-Deutschlands keine Entsprechung gab, und daß deshalb möglicherweise für Preußen der Niedergang der Armee gleichbedeutend mit demNiedergang des Staates per se sei, wie es das Land 1806 erlebt und nur durch eine reziproke undparallele staatliche und militärische Erneuerung überwunden hatte. So könnte dem „ Vernichtungsgedanken“die prinzipielle Anerkenntnis der Corbettschen „ ulterior objectives“zugrunde liegen. Die Basis für diese Überlegung bietet: Lange, Strategiestreit, S. 16; SALEWSKI, MICHAEL, Zur preußischen Militärgeschichtsschreibung im 19. Jahrhundert, in: Militärgeschichte in Deutschland undÖsterreich vom18. Jahrhundert bis in die Gegenwart, hrsg. v. MGFA (=Vorträge zur Militärgeschichte 6), Herford-Bonn 1985, S. 69, S. 65. 47– 34 Stenzel, Kriegführung, S. 178.
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35Tirpitz schrieb 1877, also nach seiner Zeit auf Drauf!“ mit der Ejakulation „ der Marineakademie, in einer für seine Karriere entscheidenden Denkschrift: Nur im Vernichten liegt auf See der Erfolg.“36 „ Es wurde in Kapitel 3 der frappierende Sachverhalt festgestellt, daß die Frage, wie die Seeherrschaft auszunutzen sei, sehr zum Unmut von Maltzahn und anderen kritischen Geistern, in der Zeit nach 1897 von Tirpitz nicht mehr the1895 matisiert wird, während in den wichtigen taktischen Denkschriften 1892– die Art und Weise, wie eine Flotte nach der Seeschlacht offensiv wirken kann, sogar an erster Stelle steht.37 Mit anderen Worten: Vondem Zeitpunkt, als die richtige“Taktik gefunden war und verbindlich feststand, war die Diskussion „ umdie strategischen Möglichkeiten der Flotte für Tirpitz offenbar passé. Woer sich in den Memoranden mit ihnen beschäftigte, dienten ihm der Sinn unddie Verwendung des Gefechtes dazu, seine Art zu determinieren, mithin der erforderlichen Vorbereitung. Der Stenzelsche Zusammenhang zwischen Gefecht und Strategie tritt hier offen zutage: Die Entscheidungsschlacht kann nur deshalb die weitere Erörterung des strategischen Vorgehens überflüssig machen, weil sie den Gegner zu weiteren Gefechten durch Vernichtung außerstande setzt. einzige Mittel der Strategie“zu Dieses setzt freilich voraus, im Gefecht das „ erblicken. Ob dieser Gedankengang bei Tirpitz in der charakterisierten Stringenz vorhanden war, ist allerdings fraglich. Vielmehr wird uns das folgende Kapitel zeigen, daß der Wegfall jeder Erörterung von Seestrategie, als sich Tirpitz’ Plan-Gegner von Frankreich und Rußland (bis Mitte der 90er Jahre) nach Großbritannien (ca. 1896) verschob, vor allem auf die politische Funktion der Flotte weist. Vernichtungs“ Komplementär zur „ -Doktrin ist der hochproblematische Komplex des „ Offensivgeistes“zu sehen. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war sein Kult bereits zu einer Doktrin geronnen, die sich über alle rationalen Zusammenhänge hinweggesetzt hatte. Mit den hochkomplexen Massenheeren der französischen Revolution und ihrem élan konfrontiert, bildete ja gerade das Problem des soldatischen Enthusiasmus, samt seiner Wurzeln und Implikationen einen wesentlichen Anstoß für die maßgeblichen Männer der Reformepoche. Clausewitz, der den preußischen Zusammenbruch aus nächster Nähe [...] daß von allen erlebt hatte, ließ diesen Eindruck in Form der Betonung „ 35 Kirchhoff, Stenzels Leben und Werke, S. XXXI. Über die Parallelbeispiele beim Heer hinauszeigt unsdiese Verknüpfung, daßes sich bei der Niederschrift vonStenzels Gedanken 1881 nicht um eine akademische „ Eintagsfliege“handelte, sondern gerade die Adhä1874– Vernichtungsstrategen“sich in der Zeit der Herausgabe des Werkes renz zur Schule der „ (1913) noch verstärkt hatte. 36 Cit. nach Hassell, Tirpitz, S. 95. Mit dieser von Stosch als „ mustergültig“bezeichneten Denkschrift qualifizierte sich Tirpitz für seinen Einsatz in der Entwicklung des Torpedos, den er als Unterstützungswaffe der eigentlichen Offensivkraft, des Schlachtschiffes, ansah (ibid.).
37 „Unsere maritim-militärische Fortentwicklung“, S. 83; Dienstschrift IX, S. 88; alle Berghahn/Deist, Rüstung.
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kriegerischen Tugenden die Energie der Kriegführung stets am meisten zum 38 in sein Werk einfließen. Die Ruhm und Erfolg der Waffen beigetragen hat“ Formierung undder Ursprung dieses „ Offensivkultes“ , wiemanihn ohne Übertreibung nennen darf, sollen hier unbesprochen bleiben. Umso schärfer gilt es hervorzuheben, daß die deutsche Marine sich in einem besonders engen Verhältnis zu diesen Ideen sah. Stenzel leitet dies funktional her: In einem Landheer springe, durch die Masse zum Angriff zusammengedrängter Menschen, ein Funke der Begeisterung sehr viel leichter über, als an Bord eines Schiffes, wo in Verrichtung eines hochtechnisierten Dienstes jeder Mann diszipliniert an seinem spezifischen Platz zu funktionieren habe, und von Angehörigen der anderen Einheiten streng getrennt sei.39 Überdies könne sich die Begeisterung an Land durch Vorwärtsstürmen leichter entladen und also direkt nutzbar gemacht werden als im gleichsam ritualisierten Gefechtsdienst an Bord. Echter kriegerischer Geist“nun, im Unterschied zu vorübergehendem Enthusiasmus, „ sei für eine Marine demnach sowohl als Basis der Moral als auch als Substitut für die erdverbundene, ephemere Begeisterung eines Landkriegers von Um den kriegerischen Geist zu ermöglichen, muß weit größerer Bedeutung. „ die sittliche Grundlage im Volk vorhanden sein; um ihn vorzubereiten, dient die Ausbildung des Soldaten im Frieden, wenn sie mit beständigem Einblick auf den Kampf in richtiger Weise betrieben wird [...].“40 Läßt dieses schon den Vorgriff auf Tirpitzsche (und übrigens auch für die Flottenpolitik Erich Raeders ganz entscheidende) Gedanken erahnen, so ist der Brückenschlag zwiAlles übrige schen Offensivgeist undSchlachtflotte kurze Zeit später vollzogen: „ sollte auf Schiffe für die Schlacht verwendet werden [...] durch die Offensive allein können wir hervorragende Offiziere und Mannschaften heranbilden, durch sie allein können wir den kriegerischen Geist in unserer Marine wecken 41Offensivund kräftigen, der erstes Erfordernis zu großen Leistungen bleibt.“ geist und militärischer Erfolg bedingten sich gegenseitig. Beim Verharren in der Defensive verflöge der Angriffsgeist unweigerlich.42 Daraus ist bereits zu ersehen, daß schon aus moralischen Gründen nur eine Flotte mit einer echten Offensivkapazität einen militärischen Wert darstelle, wie es die Dienstschrift IX später unumwunden behaupten wird. Daß freilich das Gefecht dann auch gewagt werden mußte, und nicht aus falschen Rücksichten zu vermeiden sei Schonung des Materials, Erhalten (wie schon besprochen), ist nur folgerichtig. „
38 Clausewitz, Vom Kriege, S. 426 (Hervorhebung im Original gesperrt). Häufige Formulierungen dieser Art wurden in der Folgezeit sowohl zur Forderung einer unbedingten Offensive in jeder Situation (s.u.) sowie auch zu der einer möglichst energischen und rücksichtslosen Kriegführung übersteigert. Es sei hier vorsichtig die Vermutung ausgesprochen, daß die Mißinterpretationen, denen Clausewitz in der Folgezeit zum Opfer fiel, absoluter ihren Grund in der Verwechslung der von ihm eingesetzten idealen Prinzipien („ Krieg“ ) mit deskriptiven Kategorien durch die Epigonen lag. Cf. Wehler, Verfall, S. 277f. 39 Stenzel, Kriegführung, S. 70f. 40 Ibid., S. 71 (Hervorhebung vomVerf.). 41 Ibid., S. 120 (Hervorhebungen im Original gesperrt). 42 Ibid., S. 106.
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der Schiffe, solche Gedanken dürfen erst in letzter Linie aufkommen.“43Stosch Unsere Marine mußin Feuer gesetzt, zur Offensive elektrisiert werverlangte: „ , des mêlée, zu Reiterkampfes“ den [...].“44Gerade die Unübersichtlichkeit des „ dem sich die Seeschlacht aller Voraussicht nach im Gefolge des ersten Zusammenstoßes entwickeln würde, machte verwegenes Vorgehen,45 namentlich der Entscheidungsträger, für das Durchfechten und die Vernichtung des Gegners Nur die Marine wird siegen, deren Admirale undKommandanunentbehrlich: „ ten [...] im Kriege den brennenden Wunsch haben, baldmöglichst ihr Schiff oder Fahrzeug zum Angriff führen zu können, um den Feind zu vernichten.“46 Überhaupt seien die Anforderungen, die an einen Kommandanten zu stellen seien, um ein Vielfaches höher als beim Landoffizier.47 Doch nicht nur auf die sittlichen Grundlage im Volk“ ) die Offiziere komme es an. Daß (neben der „ Ausbildung, die kontinuierliche Ausrichtung der Besatzungen auf die Schlacht, hier von außerordentlicher Bedeutung ist, getreu dem von Tirpitz mitgetrage, bestätigte Tirpitz, nen Stoschschen Motto „Menschen fechten, nicht Schiffe“ gestaltete Herausbildung der taktischen maßgeblich ihn durch die über er wenn seiner Zeit während Chef als des Stabes rangée im OK Grundsätze der bataille Jahre umfassen Jene meine Leistung, beste die Erfüllung der Flotte sagte: „ mit militärischem Gehalt.“48 Das aus seiner Torpedozeit herrührende Prinzip, Technik, Taktik, Organisation und Ausbildung organisch und ganzheitlich auf das jeweilige Ziel (in beiden Fällen die Schlacht) abzustimmen und parallel zu entwickeln, weitete er in dieser Zeit auf die gesamte Panzerflotte aus. Aus dem hier vorgestellten Diskursbild läßt sich das Fazit ziehen, daß die Offensivgeistes“ , auch wenn sie bei ihmsehr prominent ist,49 Beschwörung des „ nicht Tirpitz’geistiges Eigentum war. In Abschnitt 1.4 warüberdies die Rede davon, daß auch andere europäische Streitkräfte (am dramatischsten ist sicher der Fall der französischen Armee 1914) diesen Gedanken verfallen waren; ihre besondere Emphase innerhalb der europäischen Marinen allerdings ist ein Punkt, den es herauszustreichen gilt. Undselbst hier scheint die deutsche Marine noch eine Sonderstellung einzunehmen, die sie auf derlei Gedanken, wohl auch eingedenk ihrer anfangs generellen, später auf England bezogenen, materiMoral“wurde schließlich ellen Unterlegenheit, besonderen Wert legen ließ. Die„ als ein die Kampfkraft der 2/3-Flotte ausgleichendes Moment von ebenso hoher, wenn nicht höherer Bedeutung als Standfestigkeit oder Treffgenauigkeit, 43
Ibid.
44 Stosch an Tirpitz, 17. Februar 1896, auszugsweise abgedruckt bei Hassell, Tirpitz, S. 109f, hier S. 110. 45 Stenzel zu Wagemut, Kühnheit, Zögern angesichts unklarer Informationen: Kriegführung, 46. S. 40– 46 Stenzel, Kriegführung, S. 76 (Hervorhebungen im Original gesperrt). 47 Stenzel, Kriegführung, S. 75ff, S. 182. 48 Tirpitz, Erinnerungen, S. 47. Das Motto Stoschs ibid., S. 45. 49 Schulze-Hinrichs, Tirpitz, S. 18; Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 63. „ Im Seekampf ist nicht Geländegewinn, sondern Vernichtung des Gegners das einzige Ziel“(Tirpitz, Erinnerungen, S. 112).
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wahrgenommen. Besonders hinzuweisen ist des weiteren auf die Assoziation dieses Offensivgeistes mit dem Schlachtschiff als dem exklusiven Träger genuiner Offensivkraft. Dieses ist mit Sicherheit als einer der Leitgedanken Tirpitz’ zu verstehen, undeiner, den er der Marine mit allem Nachdruck zu vermitteln bestrebt war. Freilich war ihm von Stenzel dazu schon ein fruchtbarer Boden bereitet worden.
5.2 Seeherrschaft und Kriegführung Kennt man die Schriften Corbetts, so begegnen einem Stenzels Ideen der Reihe nach und in apodiktischer Schärfe als die von ihm bekämpften „Maximen“ . Dreh- und Angelpunkt ist bei Stenzel, in Übereinstimmung mit der deutschen Generalstabslehre“undihrer problematischen Clausewitz-Rezeption, die Ent„ scheidungsschlacht. Keine Seekriegsaktion ist für ihn möglich, ohne vorher die Schlachtflotte des Gegners ausgeschaltet undam besten vernichtet zu haben.50 kriegerischem Geiste“ Sie herbeizuführen, ist jederzeit erste Pflicht des mit „ Kriegführung zur See“ ausgestatteten Seeoffiziers. Der Beginn des Kapitels „ 251) liest sich wie ein „ Kleines Einmaleins“des Seeoffiziers: (S. 198–
Der [nach der Abstellung von Schiffen für andere Aufgaben, d.Verf.] „ verfügbare Rest der Flotte [...] läuft aus, in die Heimats-Gewässer des Feindes, nach dessen Küste, und sucht dessen Flotte. Trifft er sie, bietet sie die Schlacht an, so schlägt er sie undverfolgt möglichst nachdrücklich, um sie zu vernichten.“51 Dieses sehr geradlinige Seekriegsmodell erfreute sich freilich auch in der Royal Navy allgemeiner Anerkennung.52 Umden Zweck, die Schlacht unddie Vernichtung des Gegners, zu erreichen, sei ein Höchstmaß an Konzentration anzustreben.53 Es fehlt eine differenzierte
50 Stenzel, Kriegführung, S. 176. Die„ Ermattungsstrategie“erkennt Stenzel imHandelskrieg (Kriegführung, S. 98), der zwar unter Umständen sinrvoll sein kann, dem jedoch die Vernichtung jederzeit vorzuziehen ist. Hobsons Einschätzung (Origins, S. 21), wonach für Stenzel der Handelskrieg analog der Verfolgung nach der Schlacht bei Clausewitz sei, ist falsch. Man beachte, daß die Unterscheidung zwischen direkter und indirekter Kriegführung hier eine ganz andere als die Corbetts ist: Fürjenen ist das Objekt vorallem vom geographischen Standpunkt ausschlaggebend, d.h. handelt es sich um einen Angriff auf das Mutterland selbst oder einen periphären Teil. Stenzels Ansicht komplementiert die in dieser Zeit im Großen Generalstab vorherrschende Fehleinschätzung, Clausewitz’ Weisheit habe sich allein die Zerstörung der feindlichen Armee zum Ziel des Krieges gesetzt.
51 Ibid., S. 202. 52 Schurman, Education, S. 179. Selborne als Erster Lord (1904): „ We will never adopt any wordor phrase implying defence. The word should be struck out of the Navy’s vocabulary. Offence, always offence, and nothing but offence.“(cit. nach Marder, Anatomy, S. 489). 53 Stenzel, Kriegführung, S. 158f, 230f.
5.2 Seeherrschaft und Kriegführung
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Konzentration“ , dadurch impliziert Stenzel die ZuBetrachtung des Begriffes „ sammenfassung aller verfügbaren schweren Einheiten auf engstem Raum. „ Also nochmals: die Flotte zusammenhalten, um bei erster sich bietender guter Gele54Von der größtmöglichen Dislokation (zur Abschirmung genheit zu schlagen!“ eines möglichst großen Seegebietes) bei Gewährleistung der jederzeit möglichen Kontraktion an einem gemeinsamen Zentrum, die bei Corbett eine so gewichtige Rolle spielt–und die er in ausdrücklicher Korrektur vereinfachter ist nicht die Rede. In Auffassungen vomWesen der Konzentration formuliert– den Tirpitzschen Gedanken zur Konzentration, niedergelegt vor allem in der Dienstschrift IX,55 finden sich die Vorstellungen von Stenzel sehr viel deutlicher umgesetzt als die des später veröffentlichenden Corbett. Auffällig ist, daß Stenzel bei aller Betonung des Unterschieds zwischen dem ihrem Wesen nach“einander sehr See- und dem Landkrieg die beiden doch „ Die Formulierung „ Der Schauplatz für das Wirken der ähnlich betrachtet.56 Flotte ist eben nur eine ungeheure Verkehrsebene, das Gemeingut aller seefahrenden Nationen, auf der nichts Bleibendes zu schützen oder wegzunehmen 57 führt ihn nicht, wie Mahan oder Corbett, zu der Überlegung, daßdie Konist“ trolle der Seeverbindungen im Seekrieg die zentrale Rolle einnimmt, sondern Tödlich getrofläßt die Flotte als Unterstützungswaffe des Heeres erscheinen: „ fen, zumFrieden gezwungen werden kann der Staat eben nur im eigenen Lande [...]“.58Ausnahmefälle gebe es lediglich dort, wodie feindliche Hauptstadt von der Flotte direkt bedroht werden kann oder die Seeverbindungen eines Staates für ihn derart lebenswichtig sind, daß ihre Paralysierung ihn zum Frieden ulterior obzwingt. So lassen sich in seiner Strategie unter den vielfältigen „ jects“ , die Corbett später anführen wird, nur zwei Pole feststellen: Der Angriff auf die feindliche Küste (in der Offensive), oder Verhinderung desselben (für den Verteidiger).59 Dieser Schluß allerdings ist die konsequente Weiterverfolgung des Grundgedankens: „ Die absolute Kriegführung soll zur unmittelbaren Bewältigung des feindlichen Staates führen. Diese mußimmer in erster Reihe angestrebt werden, als eigentlicher Zweck der Kriegführung [...].“,60 und hat seine wichtigste Manifestation in der Tirpitzschen Dienstschrift IX,61 die den primären Wirkungsbereich einer die See beherrschenden Flotte nach wie vor an der Küste des Gegners sieht. Dafür gibt es in der Doktrin der Royal Navy
54 Ibid., S. 231 (Hervorhebungen im Original gesperrt). 55 Berghahn/Deist, Rüstung, Nr. II 2, S. 87– 99, 98. 56 Stenzel, Kriegführung, S. 33. 57 Ibid., S. 24. 58 Ibid., S. 23 (Hervorhebung im Original gesperrt). Die gleiche Ansicht ist in der Denkschrift zumFlottengründungsplan 1873 ausgedrückt (oben S. 35 Anm. 48). 59 Stenzel, Kriegführung, S. 201ff, 226ff. 60 Ibid., S. 96 (Hervorhebungen im Original gesperrt). Die Unterscheidung ist prinzipiell die ErVernichtungsstrategie“gegenüber der „ Strategiestreits“umdie Überlegenheit der„ des„ mattungsstrategie“(cf. Lange, Strategiestreit, S. 13ff). Weitere emphatische Betonungen, absoluten Krieg“anzustreben, passim. unter allen Umständen den „ 61 S. 88.
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making the enemy’s coast our frontier“ eine direkte Entsprechung: „ 62bedeutet nichts anderes, als den geographischen Raum, in dem die Präsenz der Flotte Schaden anrichtet, an die Küste des Gegners zu legen, undso die Möglichkeit, selbst geschädigt zu werden, auszuschließen. Dies kann aber nur unter einer Voraussetzung gelingen: Jede Diskussion der Möglichkeiten, die die Flotte zur Einflußnahme aufdenLandkrieg hat, geht immer vondervorhergehenden Ausschaltung der gegnerischen Flotte aus. Erst damit „ [...] entsteht nundie Frage: wie ist die Lage am besten zur Niederwerfung des Feindes (Kriegszweck) zu 63 Über diese Verwertung vorher nachzudenken, mithin Corbetts verwerten?“ Modell vonder Ausnutzung der umstrittenen Seeherrschaft anzusetzen, hieße, wie es Tirpitz in seiner „ Randbemerkung“zu den Maltzahnschen Ideen kriti64 Ein verglichen siert, „ das Bärenfeil [zu verteilen], bevor der Bär erlegt ist.“ „ dynamischen “ postulierten gleichsam statisches Seeherrmit demvonCorbett schaftskonzept herrscht in der deutschen Marine durchweg vor. Es impliziert, daß der Verlust der Seeherrschaft durch die eine Seite ihren Übergang an die
andere in voller Absolutheit zur Folge hat.65 Die Ausnutzung der Seeherrschaft ist diesem Denken gemäß nur möglich, wenn sie in vollem Umfange gesichert dauernden Seeherrschaft“ ist; die Dienschrift IX spricht hier von der „ .66 Damit ist der Zwang zur Vernichtung der gegnerischen Flotte in der Entscheidungsschlacht gegeben. Anbei sei bemerkt, daß dieser Umstand auch für ein ganz Tirpitzflotte“assoziiertes Vorhaben wichtig ist: Die postuanderes mit der „ im Interesse der lierte Emanzipation von der Küste. Daß dieses Bestreben– Marine selbst, aber auch im wohlverstandenen Interesse des seeabhängigen Deutschen Reiches–ein für Tirpitz’Arbeit konstitutives war, ist in Kapitel 2 und 3 diskutiert und akzeptiert worden. Klar ist aber auch, daß Tirpitz hier nicht einer vonihmmarinepolitisch favorisierten Idee eine gewissermaßen nach ein Konstrukt alderen Bedürfnissen maßgeschneiderte Strategie oktroyierte– so, daßnur Rechtfertigung für Tirpitz’marinepolitische Forderungen sein und ihnen den Schein des Notwendigen geben sollte. Maltzahns Kritik an Tirpitz’ Planungen ließe sich als in diese Richtung gehend verstehen.67 Für ihn stand allerdings die Art der Durchführung zur Diskussion, nämlich die Ausschließlichkeit, mit der Tirpitz den Schlachtschiffbau betrieb; an den strategischen Grundsätzen, denen Tirpitz folgte, hatte Maltzahn nichts auszusetzen, denn beide gehörten der gleichen Schule an. Tirpitz hatte die Flotte von der Küste hin auf die hohe See entwickelt, tat dies aber in Übereinstimmung mit den Prinzipien der Stenzel- und, seit 1889, der Mahan-Schule. Die Frage war nicht, wie ein Historiker formuliert, ob sich die Marine als Aufgabenfeld das
62 Corbett, Principles, passim: Eine weitere von Corbett kritisch hinterfragte, weitverbreitete „ Maxime“ . 63 Stenzel, Kriegführung, S. 202. 64 Cf. dazu den Satz der Dienstschrift IX (s.o. S. 139 Anm. 38). 65 Stenzel, Kriegführung, S. 190. 66 Dienstschrift IX, cit. nach Rahn, Seestrategisches Denken, S. 58. 67 Güth, „Undwas tun Sie, wenn sie nicht kommt?“ , S. 57.
5.2 Seeherrschaft und Kriegführung
171
Tätigkeit für die Entwicklung Mitwirken an einem Festlandskrieg“oder die „ „ Vernichtungsstrategen“der Marine der Seeinteressen“68 auswählte. Für die „ stand fest, daß eine Flotte entweder dazu in der Lage war, einer anderen die Seeherrschaft streitig zu machen, und damit den Schutz der Seeinteressen im höchstmöglichen Maße gewährleistete, oder durch ihre relative Schwäche paralysiert war–und dann auch keinen Beitrag im Küstenkrieg leisten konnte. Die–positiv gewendet–Leistung Tirpitz’ liegt darin, der deutschen Marine dieses Idealziel zuverordnen, undes nicht denetablierten Seemächten zu überlassen, sich diese Kapazitäten zu teilen. So gesehen ist richtig, daß Tirpitz die Emanzipation von der Küste für die deutsche Marine in eine neue Dimension hob–er entsprach damit aber demVerständnis der Großmächte vondem, was Seemacht sei, und wurde strategisch nicht innovativ tätig. Die Gültigkeit der Aussage, die Ausnutzung der See dürfe nicht vor der Ausschaltung69 der gegnerischen Flotte in Erwägung gezogen werden, unterstreicht Stenzel wiederholt; in einer bemerkenswerten Passage erfährt sie jedoch eine Relativierung, die ihr wieder den Charakter einer Faustregel zuweist, von der durchaus Ausnahmen möglich sind. Interessanterweise ist der Gegenstand ein Seekrieg gegen England:
In einem Kriege einer Festlandsmacht gegen England z. B. wird es in „ der Hauptsache darauf ankommen: durch schnelles Vorgehen gegen die Schiffahrt und den Handel alsbald eine Unsicherheit (Panik) herbeizuführen, und durch dauernde Offensive die Lebensmittel-Zufuhr auf das Äußerste zu erschweren, womöglich ganz zu unterbinden. Unter dem Schutz einer Schlachtflotte von Linienschiffen ist Derartiges mit Hülfe von schnellen Kreuzern und Torpedobooten unter Umständen bald zu erreichen; aber nur durch eine kraftvolle Offensive, d.h. also durch ‚Fechten‘.“ 70
Es ist schwer vorstellbar, daß Stenzel hier eine den Engländern überlegene Schlachtflotte zur Deckung des Kreuzerkrieges im Sinn hatte; mithin redet er also dem Krieg gegen die Seeherrschaft im Falle Englands das Wort, wodurch seine bisherigen Auslassungen auf die Qualität allgemeiner Richtlinien relativiert werden undihren Absolutheitscharakter verlieren. Ein Widerspruch besteht hinsichtlich der Träger der Offensive, als die er an anderer Stelle ausschließlich die Schlachtschiffe nennt; hier aber erfüllen Kreuzer und Torpedoboote diese Rolle, wobei allerdings zugestanden werden muß, daß diese ohne die Schlachtflotte ihre Wirkung nicht entfalten könnten.71 Stenzels Modell der Seeherrschaft entbehrt also durchaus nicht gewisser Abstufungen, die räum68 Reinhardt, Flottengedanke, S. 25. 69 Vorzugsweise durch Vernichtung, u. U. könne jedoch die„Einsperrung“durch Minengürtel genügen: Stenzel, Kriegführung, S. 209. 70 Stenzel, Kriegführung, S. 133f (Hervorhebung im Original gesperrt). 71 S.o. Abschnitt 3.2.
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5 Kontinuität und Umbruch: Alfred Stenzel
licher oder zeitlicher Natur sein können.72 Dasselbe Konzept eingeschränkter Seeherrschaft findet sich auch bei Tirpitz, der im Jahre 1896 für den Fall einer halbherzigen englischen Mobilisierung der deutschen Flotte die Chance auf [...] und es eine kurzzeitige Beherrschung der südlichen Nordsee einräumt, „ würde die Frage entstehen können, sollen wir mit allem, was kriechen kann, in die Themse gehen [...]“73 und dort die deutsche Überlegenheit an Kleinund Küstenfahrzeugen ausspielen. Wie Stenzel verspricht sich Tirpitz davon einigen Schaden bei der britischen Handelsflotte, und es fehlt auch nicht der Hinweis auf eine direkte Bedrohung á la Stenzel, nämlich die Bombardierung von Teilen Londons. Allerdings hält Tirpitz dieses Vorgehen für zu tollkühn, [...] es würde sich um einen coup de déseum es ernsthaft zu empfehlen, „ spoir handeln [...]“,74 der überdies den letztendlichen vollkommenen Verlust der Seeherrschaft an England nicht würde abwenden können. Insgesamt entspricht der Vorschlag jedoch ganz der von Stenzel vorgezeichneten Linie, nicht zuletzt, was den Ausnahmecharakter einer solchen Situation angeht. Für die Schrift Stenzels ist weniger bemerkenswert als für Tirpitz, daß hier noch ausgesprochene Ideen der Kreuzerkriegsschule, der Jeune école, zum Ausdruck kommen, die Tirpitz im allgemeinen als gegen England undurchführbar ablehnt; erneuter Beleg dafür, daß Tirpitz der guerre de course durchaus nicht grundsätzlich, wohl aber für die Situation Deutschland-England, ihren Wert abspricht.75 Zweierlei Gedanken kommen dabei zum Tragen: Pragmatischerweise werden die durch ausgedehnten Kreuzerkrieg oder einen Überfall, wieim Tirpitz-Vorschlag, explodierenden Versicherungskosten für die britische Handelsschiffahrt als potentiell ruinös ins Kalkül gezogen.76 Diesen Gedanken äußert Tirpitz einige Male, ohne dafür besondere Originalität zu reklamieren; er darf als (von den Franzosen inspirierte) geistige Konstante einer deutschen guerre de course, gelten. Der zweite Gedanke, ebenfalls prominent bei Stenzel, und oben in der Möglichkeit der Bombardierung Londons ins Auge gefaßt, ist die nicht weniger der französischen Jeune école eigene Idee von der– Geiselnahme der gegnerischen Küste“ , die jevölkerrechtlich fragwürdigen–„ derzeit mit Angriffen durch schnelle Schiffe rechnen muß, wobei sinkende Moral undwirtschaftliche Panik schnell eine Krisensituation auslösen können (guerre absoluten“K riegführung widerspraindustrielle).77 Wenn sie also auch der „
72 Stenzel, Kriegführung, S. 142, verdeutlich dies noch einmal, indem eine hypothetische [...] die englische Flotte den Kanal nicht mehr vollSituation aufgebaut wird, in der „ kommen beherrscht [...].“(Hervorhebung vomVerf.) 73 Tirpitz an Stosch, 13. Februar 1896, cit. bei Hassell, Tirpitz, S. 106– 109, S. 108. 74 Ibid. 75 Cf. auch Dienstschrift IX: „ Daßder ausschließliche Kreuzerkrieg unter Umständen richtig ist, bleibt gewiß zutreffend.“(S. 96). 76 Stenzel, Kriegführung, S. 214. Cf. AUBE, THEOPHILE, A terre et à bord. Notes d’un marin, Paris 1884, S. 151; Stang, Das zerbrechende Schiff, S. 52ff. 77 Einer der maßgeblichen Vertreter der Jeune école, der Journalist GABRIEL CHARMES, [...] comme la richesse publique n’est que la résultante de toutes les richesses darüber: „ particulières, il est clair que, dans les guerres de l’avenir, pour détourner d’un pays un
5.2 Seeherrschaft und Kriegführung
173
chen, so schien es doch auch für Stenzel einige fruchtbare Ansatzpunkte in den Grundsätzen einer guerre de course zu geben. Wollte die deutsche Seemacht [...] so mußsie ihren auf hoher sich dieses Instrumentes allerdings bedienen, „ See operierenden Kreuzern wenigstens einzelne sichere Operationshäfen geben [...]; die Flotte [braucht] feste Stationshäfen als Operationsbasen für Kreuzer oder Geschwader, als Hafen für Prisen, als Zufluchtsort für Handelsschiffe.“78 Damit war bereits die condicio sine qua non formuliert, auf der Tirpitz sein Weltmachtkonzept aufbaute.79 Die Jeune école konnte in Deutschland–trotz einer nicht insignifikanten Anhängerschaft –deshalb keinen wirklich entscheidenden Widerhall finden, weil ihre Auffassung von der Seeherrschaft, wie demonstriert, im Gegensatz zu der seit Stenzel und Stosch gelehrten und später von Mahan und Tirpitz vertretenen stand.80 Tatsächlich gibt es nur eine einzige Ausnahme, in der eine Hinwendung zum Kreuzerkrieg an maßgeblicher Stelle als sinnvoll erachtet wurde: Während bzw. im Gefolge eines Zwischenhochs der Jeune école 81 1884, in dem Torpedorausch“ durch das Marineministerium Aubes und den „ in Vertrauen die das Leistungsfähigkeit der neuartidurch Erprobungserfolge gen Waffen stark gewachsen war (es sollte bis ca. 1890 anhalten, dann wieder zugunsten des Schlachtschiffes umschlagen. Frankreich erwies sich dabei als Schrittmacher für das Bild des Torpedobootes in Europa), verriet Caprivi ein Verständnis von Seeherrschaft, das, wenn es demtraditionellen deutschen nicht widersprach, dann doch eine vorsichtige Relativierung beinhaltete–wenn auch unter der Not der Verhältnisse, und unter Bezug heftiger Schelte von Seiten der blue-water-Schule und ihrer Apologeten: Keine Seemacht kann sich hinfort die Aufgabe stellen wollen, die Mee„
re zu beherrschen. Nurin bezug auf abgeschlossene Meeresteile kann davon noch die Rede sein. Der Sieg über die feindliche Hochseeflotte bleibt
si grand courant commercial, pour lui arracher un monopole, il faudra frapper sans pitié ses proprietés privées et chercher par une série de désastres individuels à atteindre et à detruire sa prosperité générale [...].“(CHARMES, GABRIEL, La réforme maritime II, in: Revue des deux Mondes 1885, Nr. 68, S. 139). Freilich fehlt es in der Jeune école Macht nicht an rechtfertigenden Verweisen auf Clausewitz, von der Goltz, Bismarck („ geht vor Recht“ , etc.), Darwin usw.: Bueb, Junge Schule, S. 18f; Stenzel, Kriegführung, S. 210f. Man wird nicht umhin können, die Tradition dieses Denkens bis zumstrategischen Luftkrieg des Zweiten Weltkrieges unddarüber hinaus festzustellen. 78 Stenzel, Kriegführung, S. 248 (Hervorhebungen im Original gesperrt); nochmals ibid., S. 150.
79 Hierzu auch Stang, Das zerbrechende Schiff, S. 56. 80 Überdies war es der französischen Marine aufgrund der durch die innenpolitischen Verhältnisse der III. Republik bedingten häufigen Kabinettswechsel, die in regelloser Aufeinanderfolge Anhänger und Gegner der Jeune école ins Marineministerium brachten, nicht möglich, einen auch nur ansatzweise koordinierten Flottenbau zubetreiben, wasdie bunte[n] Musterkollektion der verschiedensten Einheiten“ französische Marine mit ihrer „ (Bueb, Junge Schule, S. 147) seit spätestens 1891 zueinem abschreckenden Beispiel ohne jeden Vorbildcharakter herabwürdigte (hierzu Rohwer, Kriegsschiffbau, S. 217ff). 81 Bueb, Junge Schule, S. 48ff.
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5 Kontinuität und Umbruch: Alfred Stenzel indes immer das Moment, welches die Durchführung eines ausgedehnten Kreuzerkrieges und eines wirkungsvollen Küstenkrieges am wesentlichsten erleichtert. Daraufhin kann aber eine kleinere Marine nicht organisiert werden, sie mußsich in denletztgenannten beiden Arten der Kriegsführung auch dann zur Geltung bringen können, wenn sie Grund hat, eine Seeschlacht zu vermeiden. Gegen Mächte mit einem nennenswerten Seehandel kann nach den Fortschritten, welche die Technik im SchiffsundMaschinenbau in den letzten Jahren gemacht hat, der Kreuzerkrieg, wenn auch langsam wirkend, doch wieder entscheidend werden.“ 82
In den Bahnen der herkömmlichen Ansicht bewegt sich der Gedanke, die Seeherrschaft hänge allein von den schweren Einheiten ab. Der von Caprivi geplante Kreuzerkrieg wäre also einer gegen die Seeherrschaft (Corbetts Verständnis nach wäre er die Ausübung von Seeherrschaft selbst), der für Tirpitz niemals eine Alternative sein konnte: Dessen Verständnis nach hatte nurjene Flotte eine Existenzberechtigung, die um die Seeherrschaft kämpfen konnte. Ein Kreuzerkrieg ohne vorhergehende Seeschlacht (auch seinem Überfall auf die Themse wäre ja die Ausschaltung der zeitweise in der Nordsee unterlegenen Royal Navy vorausgegangen) war für ihn von vornherein „ undurchführVerabsolutierung“von bar“ . Dies veranschaulicht die in Kapitel 4 skizzierte „ Schwierigkeiten, die zur völligen Amputation von Handlungsoptionen führt. Allerdings wurde in Caprivis unbedingter Forderung nach Aktivität neben der militärischen Notwendigkeit eines Mindestmaßes von Einsatz auch das bereits sich in die deutsche Geschichte einzukaubesprochene Bedürfnis der Marine „ fen“offenbar. Wenn davon die Rede ist, daß unter Stosch und Tirpitz, nicht aber unter Caprivi die Marine Selbstzweck gewesen sei,83 so bezieht sich das weniger auf die Marine in ihrer langfristig anzustrebenden Rolle, die Marine per se gewissermaßen, sondern lediglich auf die äußeren Zwänge, die in der Zeit Caprivis subjektiv die Unterordnung der Marine unter die Entwicklung des kriegsentscheidenden Heeres zwingender als vorher oder nachher erscheinen ließen. Die von Caprivi geforderte Aktivität sollte ja, wie oben ausgeführt, der Marine erst die Perspektive zur Entwicklung auf ihre eigentlichen Aufgaben hin–die Caprivi nicht anders als Tirpitz und Stosch beurteilte– eröffnen. Geht man von der materiellen-strategischen Umsetzung aus, so ist die Gemeinsamkeit zwischen Stosch und Caprivi größer als die jeweilige zu Tirpitz, was angesichts der Herkunft beider aus dem preußischen Heer auch nicht überraschen kann. Auffällig ist in dieser Hinsicht lediglich die bei Caprivi sichtbare größere Unabhängigkeit von den als überkommen geltenden Lehren des Stenzelschen Werkes. Bei Tirpitz endlich sind vor allem die Caprivi einschränkenden Rücksichten auf den Zweifrontenkrieg „ nächstes Frühjahr“ 82 „ Küstenpanzerdenkschrift“Caprivis, abgedruckt bei Hallmann, Schlachtflottenbau, S. 36. Im Unterschied zu Corbett leitete Caprivi die Unmöglichkeit, die See „ hinfort“zu beherrschen, aus der technischen Entwicklung her; er sah in ihr kein allgemeingültiges Prinzip. 83 Petter, Flottenrüstung, S. 130.
5.3 Stenzel und Tirpitz
175
absolute“Form der Stenzelschen Seekriegslehre, beiseitegewischt, so daß die „ zur Geltung kommen kann. GeraSeeherrschaft, die nämlich der Kampf um de im materiell greifbarsten Unterschied der Konzeptionen, der in Abschnitt 3.1 vorgestellten gestaffelten Verteidigung der beiden Chefs der Admiralität gegenüber dem blue-water-Konzept Tirpitz’, das sich nicht tastend auf die See vorwagte, sondern von Anfang an den Bezug auf die offene See und die Schlachtflotte als Angelpunkt aller militärischen Aktivität zur See forderte, ist das Stenzelsche Erbe als Sprachrohr der deutschen Marinetradition klar faßDie einzige wirksame Verteidigung der Küste besteht darin, daßmanden bar: „ Gegner an der Annäherung hindert, daß man ihm also auf offener See entgegengeht und ihn dort schlägt. Und dies läßt sich nur durch Schlachtschiffe, also durch Bereithaltung einer kriegstüchtigen, achtunggebietenden Schlachtflotte bewirken“.84
5.3 Stenzel und Tirpitz Das wichtigste Resultat unserer Betrachtung der Schriften Stenzels ist die Erkenntnis, daß Stenzel einer aus diffusen Quellen schöpfenden communis opinio der Marine Stimme und Gewicht verlieh. Nicht nur die ubiquitären einzelnen Versatzstücke aus diesen Schriften in den Dokumenten Tirpitz’, sondern auch die großen Eckpfeiler seines Seekriegsbildes lassen sich auf die Tradition der Marine seit den 1870er Jahren zurückführen. Selbst dort, woTirpitz ikonoklastisch wirkte, findet sich der Rekurs auf diese Ideen als Grundimpuls, während andererseits Stenzel selbst undseine Herausgeber die Kongruenz mit den nicht zuletzt durch Tirpitz entscheidend veränderten taktischen und auch strategischen Lehren durch eine Modernisierung des Textes im durchaus technischen Sinne wiederherstellen wollten, und dies nicht nur für nötig, sondern auch für ohne weiteres durchführbar hielten–es waren eben praktisch-technische Entwicklungen, die Stenzels Werk im Detail obsolet werden ließen, ohne seine grundlegenden Prinzipien, auf denen auch Tirpitz aufbaute, in Frage zu stellen oder ungültig werden zu lassen. Damit stellt gerade Stenzels Kriegführung zur See, in der zweiten Hälfte der 70er Jahre im wesentlichen geschrieben, 1913 herausgebracht, eine wichtige Klammer für die Identität einer deutschen Schule“dar. seestrategischen Tradition oder „ Die Funktion einer Flotte sah Stenzel in der letztendlichen Einwirkung auf den Landkrieg, da nur an Land die Lebensgrundlagen eines Gegners wirklich zu erschüttern seien. Während beide von derselben Grundlage für die Funkti, waren onstüchtigkeit einer Flotte ausgingen–den Besitz der Seeherrschaft– bei Stenzel die darauffolgenden Maßnahmen äußerst konkreter Natur; d. h. es folgte auf die Diskussion der Seeschlacht eine Typologie der Ausnutzung der Seeherrschaft, der konkrete Ansatz von Schiffen zur Erreichung eines konkreten Ziels. Es wurde bereits festgestellt, daßTirpitz auf diese Ausnutzung keine 84 Stenzel, Kriegführung, S. 119. Hervorhebungen im Original gesperrt; cf. ibid., S. 106.
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5 Kontinuität und Umbruch: Alfred Stenzel
Gedankenarbeit verwandte; das hing damit zusammen, daß für Tirpitz die Seeherrschaft bereits einen Wert an sich darstellte, nicht eine Zwischenetappe, ein Mittel zum Zweck.85 Das wiederum ist auf den Einfluß eines Autors zurückzuführen, der der Seemacht per se eine formende Kraft zuschrieb, deren Wirksamkeit eine unwiderstehliche, aber langsame und diffuse war. Der konkrete“Kampfmittelansatz Stenzels, bei dem diese Kraft noch keine Rolle „ abstrakten“Seemachtbegriff des Alfred T. spielte,86 wurde so überführt in den„ Mahan. Diese Synthese aus der deutschen Marinetradition, die Tirpitz’FunMahanismus“ , der nun untersucht werden soll, war dament abgibt, mit dem „ das eigentliche novum der Tirpitzschen Gedanken.
85 Auch: Reinhardt, Flottengedanke, S. 7f. 86 Hobson, Origins, S. 21.
Ideologe der Seemacht“: Mahan 6 Der „ 1 The less the fighting, the better the business“ „ Mahan
Vom Erscheinen seines Hauptwerks The Influence of Sea Power upon History2 1890 bis zu seinem Tode 1914 war Alfred Thayer Mahan, zeitweise Präsident des US Naval War College,3 der prominenteste und einflußreichste Marineschriftsteller der Welt.4 Während die Resonanz des Buches innerhalb der US Navy zunächst verhalten blieb,5 wurde es in der übrigen Welt mit hysterische klassisch Züge tragendem Enthusiasmus aufgenommen. Wilhelm II. nannte es „ 6 und hatte der Legende es auswendig zu lernen“ , versuche „ in allen Punkten“ nach immer ein Exemplar auf dem Nachttisch. Auf Veranlassung des gerade
1
HANKE, MICHAEL, Das Werk Alfred T. Mahan’s. Darstellung undAnalyse (=Studien zur Militärgeschichte, Militärwissenschaft und Konfliktsforschung 4), Osnabrück 1974 (Diss. 344. Münster 1972; cit. Hanke, Mahan), S. 149, mit Bibliographie Mahans S. 339– 2 MAHAN, ALFRED T., The Influence of Sea Power upon History, 1660–1783, New York 1890 (heute 61966 [=1957], cit. Mahan, Influence). Die gebräuchliche deutsche Ausgabe ist gekürzt und mit The Influence of Sea Power upon the French Revolution and 1812, Boston 1892, verbunden zu MAHAN. ALFRED T., Der Einfluß der Empire, 1793– 1812. Überarbeitet und herausgegeben von GUSTAVSeemacht auf die Geschichte, 1660– ADOLF WOLTER, Herford 1967 (cit. Mahan, Einfluß). 3 1886– 1889 und 1892– 1896. Mahan, 1840 geboren, trat 1859 in die Marineakademie in Annapolis ein. Während des Sezessionskrieges in der Blockadeflotte der Union eingesetzt, nahm er nach vielfältigen Land- und Seeverwendungen, die ihn allerdings nicht befriedigten, das Angebot des berühmten Gründers des NWC (s.u.), Stephen W. Luce, für einen Lehrauftrag in Seetaktik undSeekriegsgeschichte an der neuen Institution an. Zeitweilige andere Verwendungen, wie die auf der CHICAGO, empfand er von nun an als störend (Schurman, Education, S. 66). Ab 1896, als Kapitän zur See in den Ruhestand getreten, widmete sich Mahan ganz seiner Autoren- und Lehrtätigkeit; er starb, 1906 zum Konteradmiral befördert, am 1. Dezember 1914 (Hanke, Mahan, S. 17ff). Neben einer Fülle von Aufsätzen und Artikeln sind seine meistzitierten, ins Deutsche, Japanische, Französische und Italienische übersetzten Monographien (nach dem genannten Influence of Sea Power upon History): The Influence of Sea Power upon the French Revolution and 1812, 2 Bde., Boston 51894; The Life of Nelson. The Embodiment of the Empire, 1793– Sea Power of Great Britain, 2 Bde., London 1897 und seine Autobiographie From Sail to Steam. Recollections of Naval Life, NewYork 1907 (cit. Mahan, From Sail to Steam). Dem Beispiel anderer Seekriegshistoriker, etwa Corbett und Stenzel, folgend, legte er mit Naval Strategy. Compared andcontrasted with theprinciples andpractice of operations on land, Boston 1911 (Ndr. Westport 1975, cit. Mahan, Naval Strategy), eine Synthese seiner Gedanken zur Seestrategie vor. Wie im Falle Stenzels umfaßte der Band im wesentlichen die Inhalte seiner Strategievorlesungen am NWC. 4 Schurman, Education, S. 60. 5 ZumFolgenden cf. Hanke, Mahan, S. 17ff. 6 Wilhelm II. an Poultney Bigelow, Mai 1894, cit. nach Epkenhans, Seemacht=Weltmacht,
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6 Der „Ideologe der Seemacht“ : Mahan
seit drei Monaten im Staatssekretärsamt befindlichen Tirpitz und des kommandierenden Admirals Knorr wurde das Buch durch Ludwig Borckenhagen ins Deutsche übersetzt7 und im Rahmen der Kampagne für das Flottengesetz in mehreren tausend Exemplaren verteilt.8 Die Times verglich Mahan
mit Kopernikus.9 Neben anderen Ehrungen in vielen Ländern übertrugen ihm die Universitäten von Oxford und Cambridge anläßlich seines Aufenthalts in Europa als Kommandant des Kreuzers USS CHICAGO, des Flaggschiffes des 95), die Ehrendoktorwürde. Ein Aufsatz der europäischen Geschwaders (1893– 10–und widerein neues Evangelium“ Marine-Rundschau nannte das Werk „ sprach damit offensichtlich nicht der allgemeinen Ansicht. Bald zollte ihmauch die US-amerikanische Öffentlichkeit, etwa die Politiker Lodge und Roosevelt, diesen Beifall. In Japan (ein besonders von amerikanischen Autoren gern betonter Umstand) wurden mehr seiner Werke in die Landessprache übersetzt als irgendwo sonst.11 Warum die Welt im ausgehenden 19. Jahrhundert offenbar so sehnsüchtig auf die Seemachttheorie Mahans gewartet hatte, ist hier nicht Gegenstand der Betrachtung. Viel interessanter ist an dieser Stelle der Umstand, daß sie sie, als sie ihr vorgelegt wurden, nicht beherzigte. Ob die russische, britische, französische oder US-amerikanische, alle großen Marinen schienen in den beiden Dekaden vor demErsten Weltkrieg, bei gleichzeitiger unausgesetzter Berufung auf den Verfasser der „Marinebibel“,12 mitunter Operationen durchzuführen und sich an manchen Prinzipien zu orientieren, die den von ihm vertretenen diametral entgegenstanden.13 Vor allem deutsche Historiker und Marinefachleute kritisieren, am schärfsten treffe dies auf jene Marine zu, die Mahan am undin ihr wiederum auf den meisten zuverdanken behauptete: die deutsche– Hauptverantwortlichen, Tirpitz.14
S. 35. Zur Rezeption Mahans in Deutschland S. 67ff.
allgemein Herwig, Influence
of Mahan...,
7 Mahan, Der Einfluß der Seemacht auf die Geschichte, Berlin 21898. 8 Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 179; Deist, Flottenpropaganda, S. 45, 88f. 9 Epkenhans, Seemacht=Weltmacht, S. 35. 10 „ B.“[LUDWIG BORCKENHAGEN], Zum Studium der Seekriegsgeschichte, in: Marine69 (Teil I: Ältere undneuere Literatur), S. 167– 187 (Teil II: Rundschau VI (1895), S. 49– 1783), cit. nach MALTZAHN, CURT Der Einfluß der Seegewalt auf die Geschichte 1660– 486, hier S. 481. FRHR. V., Seeherrschaft, in: Neue Militärische Blätter, Juni 1895, S. 481– 11 Epkenhans, Seemacht= Weltmacht, S. 35. 12 Petter, Flottenrüstung, S. 182. 13 Epkenhans, Seemacht=Weltmacht, S. 39f; HATTENDORF, JOHNB., Alfred Thayer Mahan andAmerican Naval Theory: The Range and Limitations of Mahan’s Thought, in: HATTENDORF, JOHN B., Naval History and Maritime Strategy. Collected Essays, Malabar 75 (cit. Hattendorf, Range andLimitations), 59. Im Falle der amerika(Fl.) 2000, S. 59– nischen Marine soll die Frustration darüber Mahans Tod beschleunigt haben: Schurman, Education, S. 61. 14 HERWIG, HOLGER H., The Failure of German Sea Power, 1914– 1945: Mahan, Tirpitz and Raeder reconsidered, in: The International History Review X (1988), S. 68ff, S. 74ff; BAECKER, THOMAS, Mahan über Deutschland, in: Marine-Rundschau LXXIII (1976), S.
179 Mahans Schriften umfassen elf Monographien undetwa 260 zumTeil in Sammelbänden herausgegebene Aufsätze und Artikel.15 Der Extensivität dieses Werkes entspricht die Streuung seiner Themen–und seiner zentralen Gedanken. Struktur undSystematik sucht manvergebens, methodische oder intentionale Rechenschaft desgleichen.16 Da die Heranziehung des gesamten Materials im hier vorgegebenen Rahmen bei weitem nicht zu leisten war, wird die einzige vollständige Darstellung des Mahanschen Werkes, Hanke, hier intensiv Verwendung finden müssen. Diemeisten Abhandlungen über Mahan beschäftigen sich, wosie nicht biographischer Natur sind, mit seiner Rezeption, seinem Einfluß auf die Strategiegenese oder mit strategischen Detailfragen. Überdies vermissen die Kritiker die intellektuelle Tiefe und den Scharfsinn seines Antipoden Corbett.17 So billigt die Marinegeschichte Mahan, wenn auch nicht den Rang eines Militärtheoretikers á la Clausewitz, heute immerhin zu, wie kein anderer zum Anstoß einer fruchtbringenden, bis heute fortwirkenden Betrachtung der , sowohl Seemacht–unddamit der Theorie des Seewesens unddes Seekrieges– zu haben.18 beigetragen im öffentlichen wie im wissenschaftlichen Diskurs
Die gewaltige Breitenwirkung, die Mahans Ideen erzielten, zwingt allerdings schon per se zu ihrer Berücksichtigung undzur Analyse ihrer Rezeption, ungeachtet des eventuellen Nichtvorhandenseins intellektueller Meriten. Dabei wird sich diese Arbeit, ihrer Zielsetzung gemäß, auf die Seestrategie konzentrieren: Weltbild“Mahans nebst seinen heute obsoleten kulturphilosophischen und Das„ sozialdarwinistischen Grundlagen soll hier nicht Gegenstand der Untersuchung sein. Obwohl, oder gerade weil, diese eine auf eine weitestgehende Übereinstimmung mit demvielbearbeiteten Denken der Zeit hindeutende Zustimmung und Resonanz hervorgerufen haben, können sie hier als im großen und ganzen bekannt ausgeklammert werden, und das Folgende sich auf das konzentrieren, was bei Mahan „neu“war, die Bedeutung der Seemacht für die Politik und den Gang der Geschichte schlechthin–und das, wassich in seinen Schriften in Beziehung zum von Tirpitz, Corbett, Stenzel und den anderen Theoretikern empfohlenen Verfahren zur See–wegbereitend, parallel oder widersprüchlich– setzen läßt.
10ff, S. 15. 15 Herwig, Influence of Mahan..., S. 67
16 Hanke, Mahan, S. 3, 9f. 17 So schon Maltzahn, Beziehungen, S. 885. Fehlende Systematik, häufige Wiederholung, etc., sind ebenfalls schon in der zeitgenössischen Kritik vorhanden, cit. ibid., S. 884. 18 Cf. Epkenhans, Seemacht= Weltmacht, S. 35, 37; Marder, Anatomy, S. 56; Schurman, Education, S. 60; Schurman läßt dies nur für die Strategie gelten (für die er freilich seinen Ruhm einheimste); Mahans (in der Zeit im Hintergrund stehende) Qualitäten als Historiker sind für ihn unbestreitbar (S. 62f).
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6 Der „Ideologe der Seemacht“ : Mahan
6.1 Mahan als Historiker und die Seemacht-„Ideologie“ Schon die Zielsetzung des neuen Naval War College, in dem Mahan ab 1886 lehrte, trug dem Erfordernis der Zeit Rechnung, einer im zunehmenden Maße komplexen und vernetzten Lebenswelt durch den Rekurs auf historische Paradigmen Struktur zu verleihen und den für planerische Arbeit notwendigen Prognosen eine Grundlage zu bieten. Das NWC hatte sich dieser pragmatischen Art der Geschichtsschreibung für das Feld des Seekrieges verpflichtet.19 Mahan hatte 1883 eine Marinegeschichte des Sezessionskrieges20 vorgelegt und sich so für die Lehrtätigkeit empfohlen. Das Gerüst, mit dem Mahan seine Arbeiten zur Seekriegsgeschichte gedanklich strukturierte, und das folglich maßgeblichen Einfluß auf seine Erkenntnisse über Seestrategie gewann, bezog er von dem schweizer Militärtheoretiker Jomini, indem er dessen Methode der Extraktion allgemeiner Prinzipien aus der Geschichte anwandte.21 Dieser durch das utilitaristische Interesse seiner Geschichtsschreibung bedingte, und durch dieses gerechtfertigte, Ansatz verlieh seinem Werk freilich das Antlitz merkwürdige[n] Frucht des Historismus“ einer „ ,22das seinen Erfolg als Marineschriftsteller nicht weniger als seine Fragwürdigkeit aus der rein historiographischen Perspektive begründete.23 Schwierigkeiten bereitete auch das Verhältnis Systematik“ zwischen–hier sei wieder Droysen zu Hilfe genommen–Mahans „ und seiner „Topik“ : Seine Darstellung verfolgte die doppelte Zielsetzung eines Gewinns historischer Erkenntnisse–seien sie nunin die Form allgemeingültiger Prinzipien gegossen oder nicht–und, gleichzeitig, desdidaktischen Anspruches einer durch bestimmte Schlüsselerfahrungen geprägten amerikanischen Öffentlichkeit gegenüber. So mag beispielsweise der Schlachtschiffgedanke, das heißt die Einsicht, daß das auf See ausschlaggebende Mittel das in der rangierten Seeschlacht verwendbare Schiff sei, objektiver historischer Analyse entsprungen sein. Gleichzeitig mußte Mahan aber auf sein Publikum achten, das, von denErfolgen der konföderierten Kaper im Sezessionskrieg–berühmt etwa CSS verwöhnt, dem Kreuzerkrieg zuneigte. Ohne das Werk mit einem ALABAMA– Zug der Programmatik zu belasten, war dies schlecht möglich.24 Mahans unbestreitbare historische Leistung liegt in seiner Identifikation der
19 Schurman, Education, S. 65. 20 The Gulf andInland Waters (=Campaigns of the Civil War 8), NewYork 1883. 21 Hobson, Origins, S. 23; Schurman, Education, S. 69, 71; Hattendorf, Range and Limitations, S. 63. Cf. die Einleitung zu Influence of Sea Power upon History, in der deutschen 20; zumErkenntnisinteresse Hanke, Mahan, S. 58ff. Ausgabe stark gekürzt: Einfluß, S. 17– Imponderabilien“der Kriegführung Allerdings versäumte es Mahan nicht, angesichts der„ diese als Handlungsanweisungen für denkonkreten Fall abzulehnen, sondern forderte, wie Theoretiker von Clausewitz bis Corbett, sie als Entscheidungs- oder Identifikationshilfen, zu verstehen (Hanke, Mahan, S. 149f). 22 Hubatsch, Realität undIllusion..., S. 55. 23 Schurman, Education, S. 69f. 24 Hattendorf, Range andLimitations, S. 67; Schurman, Education, S. 74. Cf. auch Stang, Das zerbrechende Schiff, S. 50f.
Ideologie“ 6.1 Mahan als Historiker und die Seemacht-„
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Seemacht als wirkungsmächige Kraft in der Geschichte. Die enge Beziehung zwischen militärischen unddiplomatischen Vorgängen warschon durch Jomini an ihn herangetragen worden;25 jetzt war es an Mahan, vielleicht prädeterminiert durch die eigene Anschauung des britischen Einflusses unddes allgemein geringen Kraftaufwandes, den es Großbritannien kostete, diesen Einfluß aufrechtzuerhalten,26 zu zeigen, daß der Seemacht eine wesentlich höhere Bedeutung in der Entwicklung der Völker zukam, als ihr von der Geschichtsschreibung bisher zugebilligt worden war27–und in ihren Beziehungen untereinander, die sich, sozialdarwinistisch gewendet, als Wettbewerb charakterisieren ließen.28 Die ökonomischen Vorteile, die sich aus der Nutzung der See ergaben (vor allem dem Seehandel), ihre Grundlegung durch eine leistungsfähige InduSeeinteressen“ strie, und die Fähigkeit, diese Vorteile, deren Genuß sich als „ eines Staates niederschlugen, gegenüber konkurrierenden Interessen durchsetzen zu können, machten die Elemente der Seemacht aus, das ökonomische und das militärische. Daßder Seemacht dabei mehr undmehr die Rolle nicht einer wichtigen, sondern der entscheidenden Kraft im Völkerverkehr zugeschrieben wurde,29 mag als symptomatische Erscheinung für die Zeit des Imperialismus gewertet werden. Der Mahansche Terminus „ Sea Power“ist Gegenstand ausgreifender Interpretationsarbeit, die hier, da uns primär die von Mahan aufgestellten seestrategischen Grundsätze interessieren, nicht nachgezeichnet werden soll. Entscheidend jedenfalls war, daß aus den Mahanschen Schriften eindeutig hervorging, daß die Stellung eines Staates in der transozeanisch vernetzten Weltgeltung“ –sich prinzipiell nicht ohne die Möglichkeit, SeeWelt–seine „ macht auszuüben (oder, je nach Verwendung des Begriffes, sie zu besitzen oder Seemacht zusein) aufrechterhalten oder verbessern ließ. Ausschlaggebend hierstilles“sei, das Wesen der Seemacht bei ist, daßdas Wirken der Seemacht ein „ nicht eindeutig identifizierbar.30 Sie übe einen, obschon kaum wahrnehmbaren, 25 Schurman, Education, S. 70 Anm. 52. 26 Einführung zu Mahan, Einfluß, S. 7– 13. 27 Mahan, Vorwort zu Einfluß, S. 14f; Hanke, Mahan, S. 91ff. 28 Hanke, Mahan, S. 73. Es ist allerdings hervorzuheben, daß sich Mahans Sozialdarwinismusauf die Existenz dieses Wettbewerbes, eine konjunkturell-zyklische Entwicklung der Völker also, beschränkt; einer Verklärung des Krieges zum reinigenden (und charakterVölkergewitter“ , wie sie in der britischen (cf. Marder, Anatomy, S. 18ff) oder bildenden) „ deutschen Marine (etwa Stenzel, Kriegführung, S. 98, 212f) existierten, verlegt Mahans generell rationalistisches Weltbild den Weg (cf. Hanke, Mahan, S. 148). Zum Folgenden cf. auch Kennedy, Mahan versus Mackinder, S. 39ff. 29 Cf. das Vorwort zur vomOK veranlaßten Übersetzung des zweiten Bandes (Der Einfluß 1812, Berlin 1897): Der Einfluß, „ [...] den die der Seemacht auf die Geschichte, 1783– Macht zur See auf die Geschicke der Staaten jederzeit gehabt hat, [ist] derart, daß ohne sie Staaten und Völker im Wettstreit der Nationen stets unterlegen sind.“(cit. nach Epkenhans, Seemacht=Weltmacht, S. 37). 30 Hanke, Mahan, S. 92; hierzu auch Marder, Anatomy, S. 375. Salewski schreibt über den [...] schwer, fast unmöglich, ihn in historisch-politischen Begriff der Seemacht, es sei “ Zusammenhängen ohne Mißverständnisse zu verwenden.”(Deutschland als Seemacht, S. 12).
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so doch unwiderstehlichen Druck aus, dem sich höchstens ein reiner Binnenstaat entziehen konnte31–obwohl auch ihn die indirekte Seeverbindung über seine Nachbarn in ein Verhältnis zur See brachte. War dergestalt das Bedürfnis eines Staates nach Einfluß auf dem Meer illustriert, so mußten auch bisher maritim unambitionierte Staaten ihre Seemachtpolitik überdenken und letztlich die Etablierung–in dieser aggressiven in der die Dinge hart aufeinanderstoßen“32 schlechthin um des eigenen Zeit, „ Überlebens willen–einer Seemacht fordern. Für diesen Gedankengang sind die Zeugnisse aus Tirpitz’Feder Legion; aber auch Bülow33 stieß ins gleiche Horn, undsogar Hollmann, dessen Marinekonzeption eine völlig andersgeartete war, umwarb in einer seiner letzten Denkschriften den Reichstag mit Mahanschen Argumenten.34 Während das rein militärische Programm der Marine zumZeitpunkt des Erscheinens des Mahanschen Werkes schon im großen und ganzen als feststehend betrachtet werden kann (s.u.), läßt sich ohne Übertreibung feststellen, daß es gerade Mahan war, der die schwammigen Vorstellungen der Reichsspitze endlich in eine konkrete Form goß–und sie überdies noch international konsensfähig machte. Besonders traf dies auf den von jeher marinebegeisterten Kaiser zu, der diese Begeisterung nun mit Mahans Hilfe in eine maritime „ Weltanschauung“gießen konnte.35 Doch vor allem die Marine hatte die vondiesen Konzepten angebotene Einbettung gerne angenommen: Jene aufdie Grand Strategy bezogenen Äußerungen nicht nurTirpitz’, sondern auch anderer Admiräle, in denen Mahansche Gedanken ausgesprochen werden, sind sämtlich jünger als 1890. War aufdiese Weise nunaber auch das Bestreben geweckt, das eigene Land seemächtig zumachen, so mußten sich diepolitisch Verantwortlichen dieFrage stellen, wie dieses zuwege zu bringen sei–anders gesagt, was denn die Determinanten der Seemacht seien. Die Antwort fand sich ebenfalls bei Mahan: „ 1. geographische Lage, 2. physikalische Beschaffenheit, 3. Ausdehnung des Machtbereichs, 4. Bevölkerungszahl, 5. Volkscharakter, 6. Charakter der Regierung und nationale Einrichtungen.“36 Einige dieser Punkte, die hier allerdings nur, soweit es für das Verständnis der Mahanschen Seestrategie notwendig ist, vorgestellt werden sollen, zielen auf strategische Vorteile, etwa die einer bestimmten geographischen Position (1, 2 und 3; dazu später mehr), andere auf die allgemeine ökonomische Leistungs- und Entwicklungsfähigkeit eines Staates37 31 Mahan, Einfluß, S. 22. 32 S.o. S. 30 33 Cf. etwa Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 145. 34 Denkschrift Hollmanns Der Schiffsbestand der kaiserlichen Marine nach dem Flottenplan von 1873 undseine Erhaltung (1897). Das Memorandum verwies auf das englische Handelsmonopol“und die darin liegende Gefahr für Deutschland (cit. nach Maltzahn, „ Taktische Entwickelung
II, S. 19f).
35 So Kühlmann, langjähriger Geschäftsträger in London und Nachfolger Zimmermanns im AA: KÜHLMANN, RICHARD V., Erinnerungen, Heidelberg 1948, S. 291f. 36 Mahan, Einfluß, S. 23. 37 Die ihrerseits wieder ein entscheidendes Kriterium für die Seemachtbildung darstellte
6.1 Mahan als Historiker und die Seemacht-„Ideologie“
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(2, 3, 4, 5), andere wiederum auf das Potential der spezifisch maritimen Ausrichtung dieser ökonomischen Grundsubstanz (3, 5, 6). Großbritannien unddie USA erfüllten, nach Mahans Ansicht, diese Bedingungen fast ideal; sie waren damit die prädestinierten Vorreiter einer maritimen Weltordnung.38 Stellt man diese Aufschlüsselung dem Tirpitzschen Flottenbau und seinen Parallelaktivitäten, also etwa der Propaganda, gegenüber, so ist erkennbar, wie versucht wurde, einige der Punkte, an denen es in Deutschland zu hapern schien (etwa ) anzugehen; hier gestand er nach dem Kriege freimütig Volkscharakter“ den „ Die Deutschen haben die See sein (freilich unverschuldetes) Scheitern ein („ ); andere waren noch schwieriger abzustellen. nicht verstanden“ Grundlegende Bedeutung kam bei Mahan dem Faktor Geographie zu. Dank seiner Insellage sei England imstande, auf den Unterhalt einer bedeutenden Armee zu verzichten undseine Ressourcen demBau einer großen Marine zuzu[...] führen;39 überdies sei dadurch sämtlicher Außenhandel automatisch den „ größte[n] undleistungsfähigste[n] Wegder Erde [...]“40benutzender Seehandel, Volkscharakter“ , der gleichsam und beeinflußte dadurch auch Punkte wie den „ natürlich auf die See ausgerichtet war.41 Gleichzeitig beherrschte Großbritannien die wichtigsten Handelsstraßen des Nordens, Western Approaches und Kanal, was im Frieden seiner ökonomischen Entwicklung nützte, im Kriege die Unterbrechung dieser Linien, der für Mahan zentrale Punkt der Seekriegführung, wesentlich erleichterte.42 Das Vorhandensein guter Häfen und einer langen Küste könne hier ebenfalls von Vorteil sein (physikalische Beschaffenheit); im Kriege allerdings nur, wenn die Bevölkerung zu ihrer Verteidigung ausreiche.43 Ein Punkt, der hier noch nicht angesprochen wird, den Mahan aber später umso nachdrücklicher einführt, ist die Bedeutung von Kolonien und Überseestützpunkten; seine Vorstellung von der ökonomischen Bedeutung der Kolonien richtet sich allerdings ganz an der klassischen Vorstellung des Imperialismus aus, sie als Rohstofflieferanten, Absatzmärkte und Kapitalabflüsse zu verwenden,44 die ja durch die Realität der Kolonialreiche nicht bestätigt wurde.45 Zwischen Handelsinteressen und-partnern (Kolonien oder andere Mächte) sei die Handelsmarine das verbindende dritte Element der ökonomischen Dimension der Seemacht: Die Nutzung der See werde damit zur wichtigsten Quelle nationalen Wohlstandes.46 Sie zu fördern sei die Aufgabe ihrer politi(Hanke, Mahan, S. 93f). 38 Potter/Nimitz/Rohwer, Seemacht, S. 251. 39 Mahan, Einfluß, S. 23. Eine äußerst problematische und historisch unhaltbare (höchstens für Mahans Zeit selbst zutreffende) Einschätzung! 40 Ibid., S. 21. 41 Hanke, Mahan, S. 94. 42 Mahan, Einfluß, S. 24. 43 Ibid., S. 24ff. 44 Hanke, Mahan, S. 96. 45
S.o. S. 31f.
46 Hanke, Mahan, S. 97.
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schen, sie zu verteidigen die ihrer militärischen Dimension, womit die grundsätzliche Aufgabe einer Marine im Kriege–der von den Deutschen lange gebereits feststeht: die Sicherstellung des Verkehrs von suchte Existenzzweck– der eigenen Küste über See zu den Rezipienten (und umgekehrt). Damit ist 47oder das synonym verwendete Mahanismus“ auch geklärt, wasder Terminus „ Ideology of Sea Power“(Rolf Hobson) bezeichnen will: Diese zur allgemeinen „ Gültigkeit überhöhte Lehre von der zentralen Bedeutung der Seemacht im Wettbewerb der Völker–dem Kampf ums Dasein.48
6.2 Mahan, Deutschland und die Seeherrschaft Durch die Erkenntnis, die Sicherstellung des Verkehrs sei die Hauptaufgabe einer Marine, gruppierte sich die militärische Auseinandersetzung um zwei Zentren: Die den Austausch tragenden Küsten und die Seeverbindungslinien (communications).49 Deren ungefährdete Nutzung durch Handelsschiffe konstituiere Seeherrschaft50 (control of the sea), das Mittel, diese zu gewährleisten (oder zu unterbinden), die Kriegsflotte–spezifischer: Die Schlachtflotte.51 Hier führt Mahan einen Zusammenhang ein, der nichts anderes ist, als die später vielzitierte Tirpitzsche „ Funktion der Seeinteressen“ :
The necessity of a navy [...] springs, therefore, from the existence „ of a peaceful shipping, and disappears with it, except in the case of a nation which has aggressive tendencies, and keeps up a navy merely as a branch of the military establishment.“52 Allerdings ist die Kriegsflotte selbst nicht der einzige militärisch bedeutsame Faktor in Mahans Theorie. Für deren Funktionieren nämlich ist die Einrichtung einer überseeischen Infrastruktur, das heißt, von Rückzugs- und Versorgungsstützpunkten in den umkämpften Gewässern (falls diese nicht mit den Heimatgewässern identisch sind) von entscheidender Bedeutung.53 Überdies spielen solche Überseestationen auch imFrieden eine wichtige Rolle als Kohlen-
47 Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 179ff. 48 Hanke, Mahan, S. 111ff; Epkenhans, Griff nach der Weltmacht, S. 122. 49 Hanke, Mahan, S. 98; Hattendorf, Range andLimitations, S. 67. 50 Dieser zentrale Begriff ist in seinem Bedeutungsinhalt schwer zufassen; es ist ein wichtiger Teil dieser Arbeit, die Vorstellung vomWesen der Seeherrschaft, auf dieeine strategische Theorie maßgebend aufbaut, und die sich von Stimme zu Stimme unterscheidet, zu beleuchten. Der Hinweis von Kennedy (Maritime Strategieprobleme, S. 196 Anm. 66) etwa, brilliant definiert“ Corbett habe den Begriff 1907 „ , läßt etwaige divergierende Konzepte außer acht.
51 Potter/Nimitz/Rohwer, Seemacht, S. 251; Hanke, Mahan, S. 98. 52 Mahan, Influence, S. 23. Mahan modifizierte diese Sicht später, indem er zugestand, daß eine Nation auch ohne eigene Handelsmarine vielfältige Überseeinteressen besitzen könne (wie etwa die wiederhergestellte Union nach 1865), wodurch ebenfalls die Notwendigkeit zurAufrechterhaltung einer (Kriegs-)Marine gegeben sein konnte (Hanke, Mahan, S. 99f). 53 Mahan, Influence, S. 24f.
6.2 Mahan, Deutschland und die Seeherrschaft
185
und Etappenstationen etwa für Dampfer. Die Synthese zwischen sicherheitsSeemacht“(und die Notwenund wirtschaftspolitischem Potential im Begriff „ digkeit ihrer Koordination im politischen Handeln) wird an diesem Punkt erneut deutlich. Gerade hier konnte Mahan ganz wesentlichen Einfluß auf bis dahin vage und unförmige deutsche Zielvorstellungen ausüben und ihnen eine entscheidende Artikulationshilfe geben; es sei aber nochmals darauf hingewiesen, daß sich dieses auf die Ziele einer Grand Strategy bezog, während in der rein seemilitärischen Dimension, wie zu zeigen sein wird, keine grundlegenden Übernahmen von Mahan erfolgten, sondern man lediglich das bereits Gewußte bestätigt fand. Ausgehend von der zentralen Bedeutung der Seeverbindungslinien gelangt man direkt zu jener der Seeherrschaft. Sie besteht nach Mahan aus der Fähigkeit zur Nutzung jener Seeverbindungen: Eine Macht, deren Schiffe sich ungestört und ohne Einschränkung in einem Seegebiet bewegen können, beabsolute Größe“ sitzt dort die Seeherrschaft. Diese stellt für Mahan aber keine „ dar: Sie sei sowohl örtlich wiezeitlich beschränkt, erfordere also zuihrer Erhaltung einen kontinuierlichen Kraftaufwand, undsei, selbst wosie bestehe, nicht uneingeschränkt, dergestalt, daß einem maritimen Gegner nie die Nutzung der See vollkommen verwehrt werden könne.54 Die Bedeutung von Überseestützpunkten, die zur überseeischen Machtausübung notwendig seien, unterstreicht den relativen Charakter der Seeherrschaft55: Der Verlust einer lokalen Position schmälere die lokalen Entfaltungsmöglichkeiten der eingesetzten Schiffe (etwa, weil sie längere Versorgungs- und Bereitstellungswege in Kauf nehmen müssen), undverkleinere so denvonihnen ausgeübten bzw. garantierten Grad an Seeherrschaft. Wichtig ist nun die Translation dieser Prämissen in eine seestrategische Theorie. Hier offenbart sich Mahans Schwäche: Aus dem historischen Material kristallisierte er Prinzipien heraus, die seiner eigenen Typologie–zumindest in Teilen–widersprachen. Tragendes Subjekt sowie entscheidendes Objekt des konkret vor sich gehenden Seekrieges ist nach Mahan die Schlachtflotte. Die großen Schiffe, als Träger der größten Offensivkraft „ the true backbone of a seien die wichtigsten sie haben das PoSeekriegsmittel, eigenen sea-service“ ,56 tential, dem Gegner effektiv die Nutzung der See zu verwehren; genau darum sei es ihre erste Priorität, die Schlachtflotte des Gegners, die über ein ebensolches Potential verfüge, auszuschalten.57 Der Unterschied zu Corbett, der diese Beherrschung der Verbindungen durch die Kreuzer ausgeübt und deren Funktionstüchtigkeit nur durch die Schlachtflotte abgedeckt sieht, ist bedeutsam: Er bedingt die unterschiedlichen Vorstellungen von Seeherrschaft. Geradlinig und ohne Abweichung läuft die Mahans Theorie auf die zentrale Bedeutung
54 Hanke, Mahan, S. 151f. 55 Ibid., S. 161ff. 56 Ibid., S. 152.
57 Potter/Nimitz/Rohwer, Seemacht, S. 251.
6 Der „Ideologe der Seemacht“ : Mahan
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der Entscheidungsschlacht zu.58 Dieses Prinzip will er aus der historischen Erkenntnis abgeleitet haben, daß alle anderen Formen des Seekrieges den Gegner zwar schädigen, aber nicht entscheidend schlagen können: DiedenAmerikanern so ans Herz gewachsene Kreuzerkriegführung etwa „ verwundet [...], sie tödtet 59Obwohl nach Mahan gerade die Unterbindung des gegnerischen Seenicht.“ handels einen unerträglichen ökonomischen Druck ausüben mußte, könne man sich–üblicherweise–nicht mit direkten Ansatz einzelner, wenn auch zahlreicher, Schiffe auf diesen Seehandel zufriedengeben: It is not the taking of individual ships or convoys, be they few or „ many, that strikes down the money power of a nation; it is the possession of that overbearing power on the sea which drives the enemy’s flag from
it [...].“60
Denn: Stehen sich zwei Schlachtflotten gegenüber, so wird entweder die eine wesentlich stärker als dieandere sein; die Entscheidungsschlacht kann damit als a priori entschieden gelten, sie wird vermutlich gar nicht zustande kommen, denn der schwächere Kontrahent wird, durch ihre Zurückhaltung im Hafen, seine Flotte der Vernichtung zu entziehen suchen, während dies demstärkeren Gegner dievollständige Nutzung derSee gestattet. Stehen sich zwei annähernd gleichstarke Flotten gegenüber, so komme es zur Entscheidungsschlacht.61 Wichtig ist hierbei zu sehen, wie Mahans Ausgangspunkt, die Relativität der Seeherrschaft, durch die Mechanismen der Schlachtflotten zu ihrer Exklusivität62 führt: Als theoretische Größe mag sie in infinitesimalen Abstufungen existieren. Die–nach Mahans eigener Aussage von Jomini63 übernommene– Erkenntnis, daßmanseinen Einsatz aufdie Streitkräfte, hier dieSchlachtflotte des Gegners zu konzentrieren habe, hebelt diese Relativität aus und ersetzt sie durch einen Ja/Nein-Schematismus.64 In der reinen Theorie also das oben so genannte „dynamische“Seeherrschaftsmodell ansetzend, sieht Mahan in der statische“Modell vorherrschend.65 konkreten Kriegführung das „
58 Inklusive der bekannten, in der Royal Navy wieder deutschen Marine gleichmaßen anerkannten weiteren Implikationen wie der Schlachtflotte als ökonomischster und wirkungsvollster Küstenverteidiungswaffe (Hanke, Mahan, S. 154; cf. Dienstschrift IX!) und der unbedingten Notwendigkeit, die Flotte offensiv einzusetzen (Mahan, Naval Strategy, S. 152; Mahan, Disposition, S. 152; Hanke, Mahan, S. 154f; Hattendorf, Range andLimitations, S. 69). 59 Originalübersetzung von Mahan, Einfluß, S. 130 (cit. nach Epkenhans, Seemacht=Weltmacht, S. 39; cf. Hanke, Mahan, S. 153f). 60 Mahan, Influence, S. 138, cit. nach Hattendorf, Range and Limitations, S. 68. 61 Hanke, Mahan, S. 152. Obwohl die Schlacht nicht mit der vollständigen Vernichtung einer Seite enden müsse, geht Mahan grundsätzlich vonihrem eindeutigen Ausgang, d.h. dem schließlichen Übergewicht einer Seite, aus. 62 Hobson, Origins, S. 24. 63 Mahan, From Sail to Steam, S. 283; cf. Hobson, Origins, S. 23. 64 Diesen erkennt auch Herwig (Influence of Mahan..., S. 72), spricht allerdings ganz allgemein von„ Sea Power“ Seeherrschaft“ . , statt in diesem Zusammenhang richtiger von„ 65 Hierzu auch Hanke, Mahan, S. 152f.
6.2 Mahan, Deutschland und die Seeherrschaft
187
Umschlag“ Nun muß man sich des weiteren vor Augen führen, daß dieser „ des Seeherrschaftskonzeptes den bisher hoch gewichteten geographischen Faktor bis zu einem gewissen Grade bedeutungslos macht.66 So wichtig eine strategische Position auch eingeschätzt werden muß, sie besitzt keinen Wert an sich, sondern entwickelt ihn erst durch die auf sie gestützte Flotte67 (man denke an Gibraltar); genauso wie umgekehrt die Flotte ihr Gewicht erst die ihr durch die Basis zur Verfügung gestellten Einsatzmöglichkeiten erhält. Man spricht desProdukt“der Faktoren Position halb bei der Machtausübung zur See gern vom„ so ist auch das Gesamternull, gegen und Flotte: Geht einer dieser Faktoren die Flotte selbst ist, gerade gebnis null.68 Mahan erkennt aber auch, daß es die die Voraussetzungen für eine Verbesserung der Position69 schaffen kann, indem sie es ermöglicht, etwa Inseln zu besetzen oder Brückenköpfe zu bilden. Geht die Flotte verloren, sind damit üblicherweise auch die Stützpunkte isoliert und nutzlos. Damit scheint implizit ein Primat des Flottenmaterials über die geographisch-strategische Position gegeben zu sein, das wiederum auf statische“Element der Seeherrschaft durch den Flotteneinsatz verweist: das „ Eine durch beliebige Faktoren geschmälerte Seeherrschaft kann wiedergewonnen werden. Eine durch den Verlust der Schlachtflotte verlorene Seeherrschaft nicht. An diesem Bedeutungsunterschied zeigt sich, wie eine Verengung, die gerade für Tirpitz’Denkgewohnheiten typisch schien, auch außerhalb der deutschen Marine Raum griff. Wichtig ist hier der Gedanke Mahans, eine Marine, so solide ihre geographische Position auch sei, sei ohne eine die Seeherrschaft
anstrebende Schlachtflotte handlungsunfähig. Bei der Frage, inwieweit sich nun die deutsche Seestrategie an Mahan angelehnt oder seinem Denken verwandte Konzeptionen hervorgebracht hat, so sei vor allzu schnellen Schlußfolgerungen gewarnt. Zwar weist die Betonung des Schlachtschiffgedankens undder Offensive eindeutig in die von Mahan aufgezeigte Richtung; die vorstehenden Kapitel haben aber bereits gezeigt, daß derlei Gedanken schon lange vor Mahans Erstlingswerk in der deutschen Marine gängig waren. Subtiler wird das Problem bei abstrakteren Fragen der
Strategie. Tirpitz wurde und wird vorgeworfen, sich zwar auf Mahan berufen, sich gar „ als dessen Schüler“70ausgegeben zu haben, wesentliche Teile seiner Theorie aber misinterpretiert oder schlankweg ignoriert zu haben. Nirgendwo wird dies so greifbar, wie in der Diskrepanz bezüglich dieser Punkte, oder genauer: Des Tirpitzschen Ehrgeizes, Deutschland zur Seemacht zu führen, obwohl es– nach Mahans Lehre–dafür aufgrund seiner geographischen Position, des am 66 Levetzow, ganz im Sinne Mahans, noch nach dem Krieg zu Wilhelm II.: Wenn die Seeschlacht geschlagen werde, sei es irrelevant, wo sich dies abspiele, da die Seeherrschaft dann ja absolut errungen sei (Herwig, Influence of Mahan..., S. 74). 67 Hanke, Mahan, S. 162. 68 Hierzu auch Duppler, Seemacht, Seestrategie, Seeherrschaft, S. 19. 69 Hanke, Mahan, S. 164. 70 Kennedy, Maritime Strategieprobleme, S. 188; Epkenhans, Seemacht= Weltmacht, S. 40.
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6 Der „Ideologe der Seemacht“ : Mahan
schwierigsten zu verändernden Faktors, rundweg ungeeignet sei. Um dies zu verstehen, mußmansich vor Augen führen, daßder Faktor „ Geographie“in der Verbindungslinien“in engem Zusammenhang Lehre Mahans mit dem Faktor „
steht.
Es wurde bereits festgestellt, welch großen Wert Mahan im Krieg den Verbindungslinien beimißt, nämlich keinen geringeren als den zentralen: „ War is a business of communications.“71In Analogie zum Landkrieg–aber mit einer im Unterschied etwa zu Stenzel fundierteren Charakterisierung der Besonderheiten des Seekrieges–leitet Mahan her, daß eine intakte Versorgungs- und Rückzugslinie, d. h. eine, an deren Verlauf man die Seeherrschaft besitzt, das A und O einer funktionierenden Flotte und ihrer Operationen sei.72 Daraus folgt, daßeine Linie am Endpunkt, an der Verbindung undan ihrem Ursprung unversehrt sein müsse. Diese Notwendigkeit, die eigenen Seestreitkräfte auch und gerade zum Schutz der eigenen Verbindungen einzusetzen, ergibt eine– zumindest weitgehende–Deckungsgleichheit zwischen zivilen „ Versorgungslinien“ undmilitärischen Linien.73 Zunächst, undrein schematisch gedacht, ergibt der direkte Druckansatz auf Großbritannien, Ursprung bzw. Endpunkt sämtlicher wichtiger Linien sowohl des Empire wieder Royal Navy, der Tirpitzsche , deshalb einen Sinn, weil dadurch mit einem Schlage sämtliche Hebel Nordsee“ „ Lebensadern“Englands bedroht waren–und eine solche Bedrohung verlangt, „ im Land- wie im Seekrieg, Neuorientierung oder Rückzug.74 Hier müssen zwei Einschränkungen gemacht werden, die den Ansatzpunkt für die Kritik liefern, Tirpitz habe Mahan nicht verstanden oder wenigstens seine Lehren nicht berücksichtigt: Erstens besitzt Großbritannien eine sehr lange Küste mit einer Vielzahl guter Häfen (Mahans Kategorie der physikalischen Beschaffenheit), die eine Bedrohung sämtlichen von und nach England gehenden Verkehrs unmöglich machen. Zweitens verliefen die wichtigsten Schiffahrtslinien des Empires durch den Atlantik, wodie deutsche Flotte sie nur hätte erreichen können, wenn sie ihre eigenen Linien in Gefahr gebracht hätte75: Bei einem Flottenvorstoß in den Atlantik (wo die Flotte praktisch unfähig gewesen wäre, sich zu versorgen) hätte die Royal Navy der Hochseeflotte jederzeit den Rückweg verlegen können. Tirpitz schloß deshalb eine Verwendung der Hochseeflotte im Atlantik, solange die britische Flotte eine Gefahr darstellte, aus. Diese Einsicht zog vielerlei Implikationen nach sich: Die Entscheidungsschlacht, die den Faktor britische Flotte ausschalten mußte, sollte in der Nordsee, also unter Verwendung minimalster deutscher Linien erfolgen. Rückzug, Versorgung und Unterstützung waren so jederzeit verfügbar. Fiel die britische Flotte aus, so 71 Mahan, Disposition, S. 139; Mahan, Naval Strategy, S. 36, 127; Hanke, Mahan, S. 163f. 72 Mahan, Disposition, S. 156ff. So war zum Beispiel die Hauptsorge Scheers am Skagerrak, daß die Grand Fleet sich zwischen ihn und seinen Rückzugsweg in die Deutsche Bucht legen könnte, wosie ihm den Rückzug abgeschnitten hätte. 73 Auch: Marder, Dreadnought I, S. 431; Kennedy, Maritime Strategieprobleme, S. 179ff. 74 Mahan, Disposition, S. 157. 75 Ibid., S. 167.
6.2 Mahan, Deutschland unddie Seeherrschaft
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hätten die deutschen Schiffe im Atlantik unbeschränkte Bewegungsfreiheit besessen und den Verkehr der britischen Inseln unterbinden können. Doch es kommen noch weitere Überlegungen hinzu. Manerinnere sich des Mahanschen distanDiktums, Seemacht sei das Produkt aus Flottenstärke und Position („ 76). Üblicherweise wird ce is a factor equivalent to a certain number of ships“ Mahan dahingehend verstanden, daßder Positionsnachteil (Großbritannien als Sperriegel vor der Nordsee) das Gesamtprodukt der deutschen Seemacht immer gegen Null gehen lassen würde. Damit sei ein deutscher Großflottenbau als Versuch, Deutschland eine auch im Krieg zu Bestehen fähige Seemacht zu verschaffen, bereits im Ansatz verfehlt.77 Diese Kritik unterschlägt aber dem Rest der von Mahan selbst fortgeführten Gedankenkette: Sie besagt nichts anderes, als daß Deutschland zum Schutz seiner Küsten diesen Negativfaktor der Gleichung ausbalancieren und also über eine größere Flotte verfügen müsse,78 um die Seeherrschaft79 in der Nordsee und darüber hinaus zu behaupten, spezifischer: Sie durch einen direkten Angriff auf die britische Flotte (dem diese sich stellen würde, da Großbritannien unter einem langen Krieg ebenso zu leiden habe wie Deutschland) zu erzwingen.80 Offenbar hat damit Mahan selbst 1902 eine vollständige Bestätigung des deutschen Flottenbaues geliefert; in der Zusammenschau der Faktoren ergab sich für Mahan allerdings der Zwang, insgesamt eine größere Flotte als die britische zu bauen, eine Anstrengung, die Mahan einem kontinentalen Staat per se zunächst (1902) nicht zutraute. Wie Maltzahn kritisierte, verlor sich Mahan allzu oft im historischen Exempel, ohne die Prinzipien, die dadurch veranschaulicht werden sollen, klar formulieren zu können.81 Auch an dieser Stelle seiner Gedankenführung war eine deutliche Disparität zu spüren, wenn er jetzt sozusagen unvermittelt wie76 Ibid., S. 165. Wobei natürlich unspezifiziert bleiben muß, gleich wie vielen Schiffen eine bestimmte Entfernungsangabe denn nunist. 77 So etwa WEGENER, EDWARD, Die Elemente von Seemacht und maritimer Macht, in: MAHNCKE, DIETER/SCHWARZ, HANS-PETER (Hrsg.), Seemacht undAußenpolitik (= Rü58, S. 29f; vor allem stungsbeschränkung und Sicherheit 11), Frankfurt/M. 1974, S. 25– aber Wegener, Tirpitzsche Seestrategie, bes. S. 251. Es ist darauf hinzuweisen, daß Wegeners Arbeit für die Beurteilung der Tirpitzschen Strategie als grundlegend erachtet und allenthalben herangezogen wird; ausseinen Anmerkungen geht nunallerdings hervor, daß er allein auf der Grundlage des Einfluß der Seemacht auf die Geschichte argumentiert, wenn er Tirpitz ein Nichtverstehen der Mahanschen Gedanken unterstellt. Insbesondere die bei Mahan vorkommende spezifische Diskussion der deutschen Situation ignoriert Wegener; einige seiner Behauptungen zur Strategie Mahans sind unrichtig. Der Beitrag krankt an den eingangs (s. S. 11) erwähnten Methodenfehlern. Die Ungeeignetheit moderner strategischer Maßstäbe für die Beurteilung historischer Theorien, die auch der Marineexperte und Admiral Wegener anlegt, wurde oben als diese Arbeit erschwerend, aber auch berechtigend, erwähnt. 78 Mahan, Disposition, S. 165f; cf. Gemzell, Innovation, S. 75. 79 Hier: „ established naval predominance“(Mahan, Disposition, S. 166). 80 Mahan, Disposition, S. 168f. Die Begründung ibid.: „ [...] the fundamental principles of all naval war [are], that defence is insured only by offence, and that the one decisive objective of the offensive is the enemy’s organized force, his battle-fleet.“ 81 Maltzahn, Beziehungen, S. 885.
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der eine Beschränkung der Seeherrschaft einführte, die implizierte, daß selbst ein Seesieg in der Nordsee für Deutschland nur defensiven Charakter haben könne, indem dieser nämlich die atlantischen Verbindungen Englands unangetastet lasse, während Großbritannien zum Schutz vor einer Invasion jederzeit seine atlantische Flotte in die Nordsee (wo die britischen Geschwader vorher geschlagen worden waren) verlegen könne.82 Deutlich und ohne begründende dynamische“Komponente der SeeherrVorüberlegung rückt hier wieder eine „ schaft in denVordergrund, diedurch die angenommene Schlacht in der Nordsee bereits ausgeschaltet schien: Das Ende einer deutschen Seeherrschaft bei Dover und den Orkney-Inseln, wobei Mahan, so scheint es, allein aufgrund der zahlenmäßigen Stärkeverhältnisse argumentierte (wo er eben noch dargelegt hat, daß die deutsche in bezug auf die britische Gesamtflotte ein Übergewicht haben müsse) undoffenbar nach einer britischen Niederlage in der Nordsee mit einer noch völlig intakten Flotte im Atlantik rechnete. Die in der Schlachtschiffdoktrin inhärente Aushebelung des geographischen Faktors stellt er hier nur für Großbritannien in Rechnung, nicht für Deutschland. Gemäß Mahans eigener Theorie sollte es aber derdieNordsee beherrschenden deutschen Flotte möglich sein, die britische Flotte im Atlantik zu stellen bzw. in die Nordsee zu ziehen (das ist der Hintergrund der Forderung nach einer insgesamt stärkeren deutschen Flotte, s. u.). Dreh- und Angelpunkt dieser etwas verklausulierten undseinen Ausführungen einen allzu deutlichen widersprüchlichen Charakter verleihenden Passage war die Überlegung, in der Geschichte habe noch jeder Inselstaat sich gegen einen einzelnen kontinentalen Konkurrenten zur See durchsetzen können.83 Tatsächlich ist dies der einzige Punkt, an dem Tirpitz Ignorieren“der Mahanschen Lehren vorgeworfen werden kann; weder die ein „ geopolitische Situation, weder strategische noch ökonomische Gesichtspunkte standen dieser Auffassung zufolge einer deutschen Seeherrschaft in derNordsee entgegen, einzig und allein die (durchaus anfechtbare) Behauptung, ein einzelner über Landgrenzen verfügender Staat habe nie in der Geschichte einen Inselstaat, selbst einen unterlegenen, ausdemFelde geschlagen. Überdies, relativierte Mahan seine Aussage, verliere sie angesichts einer Koalition von Kontinentalmächten schnell ihre Gültigkeit.84 In seiner 1911 veröffentlichten Naval Strategy schließlich zog Mahan ein Fazit der bisherigen, mit dem deutschen Flottenbau in Zusammenhang stehenden Ereignisse: Die Einwände, die er in seiner ersten Betrachtung der Situation erhoben habe, seien, so angemessen sie damals schienen, vonder Wirklichkeit widerlegt worden; eine Verschiebung desmaritimen Gleichgewichts, in dem1902 veröffentlichten Aufsatz noch resümierend als eher unwahrscheinlich angesehen, habe sich nunergeben undsetze Deutschland in eine die oben getroffen strategischen Erwägungen praktikabel machende Position.85
82 Mahan, Disposition, S. 170. 83 Ibid., S. 169. 84 Ibid.
85 Mahan,
Naval Strategy,
S. 103f; Maltzahn,
Beziehungen,
S. 883.
6.2 Mahan, Deutschland und die Seeherrschaft
191
Unabhängig von dieser später wiederrufenen Einschränkung läßt sich der Flottenbau mit dem von Mahan angelegten Maßstab beschreiben. Obwohl einige Stellen das Gegenteil zu implizieren scheinen, hielt Mahan eine der britischen Flotte überlegene deutsche Flotte für erforderlich, da andernfalls, wie Mahan 1910 vorhersah, die Royal Navy Deutschland ohne Not der Entscheidung weit blockieren konnte.86 Dabei ging er von gleichartigem Material aus, maß also den Zahlenverhältnissen in dieser Hinsicht absolutes Gewicht zu. Tirpitz versuchte, da gleich aus welchen Gründen ein England quantitativ überflügelnder Flottenbau unrealistisch scheinen mußte, die Überlegenheit durch organisatorische, taktische und andere qualitative Faktoren auszugleichen, ein Vorgehen, das zunächst einen Widerspruch zu Mahans Argumentation zu konstituierten scheint; er sah die Mahansche Gleichung, die in der [...] Germany’s initial disadvantage ausdrücklichen Schlußfolgerung gipfelte, „ of position [is] to be overcome only by adequate superiority of numbers“,87 erweitert durch Faktoren wie Ausbildung, taktischer Zusammenhalt, Hilfswaffen (und nicht zuletzt den aberwitzigen Auftrag an die Diplomatie, die Flotte mit einem Bündnispartner zu versehen). Auch diese Erweiterung wurde von Mahan 1911 in Teilen sanktioniert.88 Daß Tirpitz Mahan in der Frage der für die Nordsee gebauten Flotte mißverstanden habe, ist schlicht eine falsche Aussage: In Mahans Denken war der Flottenbau für Deutschland keineswegs die falsche Wahl zwischen den beiden Alternativen, eine Konfrontation mit England zu riskieren oder die See England zu überlassen, da Handel und Küste ohnehin nicht effektiv geschützt werden konnten. Mahan hat im Gegenteil in der Etablierung einer deutschen Seeherrschaft in der Nordsee die einzige Möglichkeit gesehen, im Krieg Gefahr vondendeutschen Küsten abzuwenden. Das ist die in der Dienstschrift IX vertretene Linie: Tirpitz hat die durchaus simpliscil. algorithmisch–erweitert: stische Mahansche Gleichung eher folgerichtig– ÄraTirpitz“ –wiedasohne weiteres möglich ist– Will mandasScheitern der„ als Beleg nehmen, daß die deutsche Situation nicht mit den Methoden Mahans erschöpfend darstellbar war, so mußman die Fehlerquelle, wie in den voraufgegangenen Kapiteln dargestellt, in der Theorie selbst, nicht in der Adaption Tirpitz’, suchen.89 Die frappierende Übereinstimmung der Gedanken bei
86 MAHAN, ALFRED T., The Interest of America in International Conditions, London 1910, S. 55, cit. nach Stang, Das zerbrechende Schiff, S. 55 Anm. 105. 87 Mahan, Disposition, S. 166. 88 Mahan, Naval Strategy, S. 109. An dieser Stelle strich Mahan vor allem die Vorteile heraus, die Deutschland einer einheitlichen Staatsleitung und –politik, also der hier immer wieder angesprochenen Grand Strategy, verdanke, ein Plus, das Tirpitz ja auch in der einheitlichen Führung durch den Monarchen“(Notizen Tirpitz’ zum Immediatvortrag „ am 28. September 1899, Berghahn/Deist, Rüstung, Nr. III 6, S. 159) für die Flotte verbuchte. Freilich gingen beide damit an der historischen Wirklichkeit des Kaiserreiches spektakulär vorbei.
89 Mit gleicher Ansicht, wenn auch sehr allgemein, Herwig, Influence of Mahan..., S. 76. Herwigs Schlußfolgerung ist allerdings äußerst problematisch: Er konstatiert die Mängel von Mahans Theorie, referiert die Zustimmung Mahans zum Tirpitzschen Flottenbau,
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Mahan und Tirpitz lüde im Gegenteil geradezu dazu ein, eine fast vollständige Übernahme durch Tirpitz zu postulieren, wären nicht inzwischen die in der deutschen Marine gängigen, durchaus in die gleiche Richtung weisenden Gedanken vorgestellt worden–maßgeblich hier etwa wieder das Modell der statischen“Seeherrschaft–bei Mahan des an sich dynamischen, das durch „ die Mechanismen der Hochseeschlacht in der Praxis üblicherweise als statisch (nämlich in eindeutigem Besitz) auftrete. Dieses Bild präjudizierte auch den Verzicht auf eine Atlantikfähigkeit90 der Flotte, da ihr Einsatz dort vor der Entscheidungsschlacht unnötig, nach ihr, doch das bleibt Spekulation, jedoch ungefährlich und (wenn auch unter großem Aufwand) ohnehin durchführbar schien.
Die Übereinstimmung weist jedoch über die der Marine bereits von Stenzel mitgeteilten Gedanken hinaus. Sie erstreckt sich auch auf solche taktischen Einzelheiten wie die zentrale Bedeutung der Artillerie, der Homogenität des Schiffsmaterials und ähnliches, von der Einsicht in die unabdingbare Notwendigkeit des Einsatzes von Schlachtschiffen zur Erringung der Seeherrschaft ganz abgesehen. Daß es in den Marinen lange dauerte, das „ Gewirr von taktischen Anschauungen“zu systematisieren, undden verschiedenen Waffen Rang und Einsatzverfahren zuzuordnen, wurde bereits ausgeführt; in der Gleich91der Mahanschen theoretischen zeitigkeit, dem „ seltsamen Zusammentreffen“ Etablierung des Schlachtflottengedankens und der experimentellen, die gleichen Ergebnisse zeitigenden Arbeit des deutschen Oberkommandos, liegt der Schlüssel zu der Renaissance, die das Schlachtschiff ab der ersten Hälfte der 1890er Jahre erlebte. Tirpitz war freilich bemüht, klar zu machen, daß es sich hierbei um zwei voneinander völlig unabhängige Verfahren gehandelt hatte, wodurch die gegenseitige Bestätigung ihrer Ergebnisse umso mehr Gewicht gewinnen mußte. Daß diese Unabhängigkeit zumindest in Teilen eine konstruierte sein dürfte, erweist die Chronologie: Obwohl die deutsche Flotte 1882 als erste das Mittel des Manövers eingesetzt hatte,92 konnte sie ihre taktische Entrümpelung erst 1895, fruchtbringend betreiben, Geschwadergrundsatz und unter Tirpitz, 1892– Lineartaktik etablieren (das hatte allerdings maßgeblich mit der technischen Entwicklung zu tun, die ab 1890 die Defensivkapazität des Schlachtschiffes vorallem gegenüber demTorpedoboot wieder steigen ließ). Mahans Gedanken waren seit 1890 im Umlauf, auch und erst recht im deutschen Seeoffizierskorps. Tirpitz’ Beteuerung, mit Mahan erst später in Kontakt gekommen zu nur umdann, willkürlich Textstellen herausgreifend, auf die traditionelle Kritik des Tirpitzschen „ Nichtverstehens“von Mahan umzuschwenken.
90 S. o. S. 78ff. 91 „ Während wir auf dem ‚kleinen Exerzierplatz‘vor der Kieler Föhrde diese Dinge empirisch fanden, entwickelte sie gleichzeitig theoretisch ausder Geschichte deramerikanische Admiral Mahan, den ich später [!], als ich sein Buch kennen lernte, auf dies seltsame Zusammentreffen hinwies.“(Tirpitz, Erinnerungen, S. 47). 92 Maltzahn, Taktische Entwickelung I, S. 174– 180.
6.2 Mahan, Deutschland und die Seeherrschaft
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sein, sollte wohl nicht allzu viel Gewicht beigemessen werden. Freilich war diese taktische Arbeit nicht die Laune eines Mannes, und die in den Manövern gefundenen Erkenntnisse scheinen in ihrer Schlüssigkeit unanfechtbar.93 Doch selbst bei objektivster Beobachtung ist das Herantragen einer vorgefaßten Erkenntniserwartung, von der sich ganz zu befreien üblicherweise unmöglich ist, nicht immer ohne Auswirkung auf das zu Erkennende. Es wäre allerdings eine kühne Behauptung, die deutschen Manöver der 1890er Jahre wären ohne Mahan anders verlaufen. Solchermaßen in der Richtigkeit seines Ansatzes in der Nordsee bestätigt, konnte Tirpitz versuchen, aus der Not eine Tugend zu machen. Das RMA wardarauf angewiesen, den Geldbedarf des Flottenprogramms in erträglichen Maßen zu halten. In der Konstruktion der einzelnen Schiffe mußte deshalb äußerste Zurückhaltung geübt werden, die man durch die Konzentration auf die als wesentlich erachteten Eigenschaften zu erreichen suchte: Ging manvon der unumstößlichen Notwendigkeit dieser Schlacht bei Helgoland aus, dann konnte auch die Reichweite der Schiffe gering gehalten werden: Weniger Kohlevorrat schaffte Platz, der für Stärkung der Defensiv- oder Offensivkraft genutzt werden konnte.94 Tirpitz entschied sich für ersteres, und gab der Sinksicherheit und Panzerung der deutschen Schiffe Priorität vor Bewaffnung, Reichweite und Geschwindigkeit (der Grundsatz von der überragenden Bedeutung der Geschwindigkeit in der rangierten Seeschlacht wurde erst durch Lord Fisher eingeführt95). Da die Schiffe überdies für die Schlacht bei Helgoland nicht allzulange in See bleiben mußten, konnte manauf einen Standard vonWohnlichkeit, wieer bei den wochen- und monatelang in See befindlichen Schiffen der Royal Navy üblich war, verzichten. DaßTirpitz letztendlich damit jene Bewegungsfreiheit, dieer imrein operativenSinn der Flotte mit der Erringung der Seeherrschaft verschaffen wollte, von vornherein konstruktionsmäßig zunichte machte, war ihmallerdings wohl nicht ganz unbewußt; die Emphase, alles auf die eine entscheidende Schlacht zu konzentrieren, war auch eine Erwiderung auf Einwände, wie die Flotte denn ihre gewonnene Seeherrschaft ausnutzen solle. Aufden Rahmen der Mahan-Theorie bezogen scheint derdeutsche Flottenbau weniger als dessen Lehren ignorierend, sondern vielmehr als einen Ausweg ausdemhier formulierten Positionsnachteil Deutschlands suchend, interpretierbar. Wichtig ist: Der Nachdruck, mit der die Entscheidungsschlacht gefordert wurde, stellte zwar eine Verkürzung dar; allerdings eine Verkürzung, die auf einer auch in der Mahanschen Seestrategie sichtbaren Kausalkette fußte. 93 Zur Vorgehensweise und dem Problem der Objektivität bei den Manövern Maltzahn, Taktische Entwickelung II, S. 44ff. Die Programme der Manöver betonten auch die Notwendigkeit, nicht „ mit vorgefaßten Meinungen“(S. 48) zu arbeiten, gingen aber beispielsschoben“deshalb das weise von Anfang an von der Überlegenheit der Artillerie aus und „ beiseite“(S. 75). mêlée „ 94 Tirpitz, Erinnerungen, S. 110ff. 95 Marder, Anatomy, S. 515ff.
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Daß Tirpitz’ Vorstellungen von der Entscheidung eines künftigen Seekrieges in der großen „ rangierten Seeschlacht“nicht von Mahan „ übernommen“ , sondern in ihren wesentlichen Teilen ausgeformt waren, bevor das Werk des Amerikaners wirkungsmächtig werden konnte, zeigt sich in der Kontinuität seiner taktischen undoperativen Anschauungen. AusdenTraditionen derdeutschen Marine hervorgehend, fast nicht modifizert, wurden sie nun aber–und in einen strategischen hier ist es plausibel, eine Wirkung Mahans zu sehen– Gesamtzusammenhang eingebettet, der Kriegs- undFriedenswirkung der Flotte vereinigte und im Sinne einer umfassenden deutschen Grand Strategy eine Synthese und Koordination der militärischen, politischen und ökonomischen Zielsetzungen ermöglichen sollte.96 Wenigstens Mahan selbst jedenfalls schien sich durch Tirpitz nicht mißverstanden zu fühlen. Militärische Details stehen hierbei freilich im Hintergrund, demAmerikaner mit demvolksdidaktischen Impetus ging es just umjene Bedeutung der Flotte für eine Grand Strategy, die die deutsche offenbar klarer sah als die amerikanische Öffentlichkeit:
Die deutsche Flottenpolitik bedeutet nicht, daß Deutschland gegen „ England kämpfen will [...]. Es bedeutet nur, daßwenn Deutschland eine auswärtige Politik treibt, gegen die England Einspruch erhebt [...], daß dann England trotz seiner überlegenen Flotte es sich mehr als zweimal 97 überlegen wird, bevor es Gewalt anwendet.“
In Naval Strategy erkannte undwürdigte Mahan sogar den politischen Ansatz Tirpitz’, durch den Flottenbau „ Gleichberechtigung“mit England herbeizuführen: Im Gegensatz zumfrüheren britischen Übergewicht sei nun„ [...] the existence of such a fleet [...] a constant factor in contemporary politics; the part 98 which it shall play depending upon circumstances not always to be foreseen.“ Es folgte eine Aufzählung der Aktivitäten, bei denen die Flotte Deutschland von Nutzen sein würde. Nicht, daß Mahan sich über den deutschen Flottenbau freute: Er sah in ihm im Gegenteil eine höchst unwillkommene Störung des europäischen–und damit globalen–Gleichgewichtes, die auch die USA nicht unberührt lassen würde, da sie die Monroe-Doktrin gefährdete; doch er erblickte in derdeutschen Flottenpolitik keineswegs einseinen Thesen widersprechendes Kuriosum, sondern betonte ihren für die Vereinigten Staaten vorbildhaften Charakter. 96 Den Mangel dieser Koordination beklagte Tirpitz Stosch gegenüber unter deutlicher Zuhilfenahme Mahans: „ Unserer Politik fehlt bis jetzt vollständig der Begriff der politischen Bedeutung der Seemacht.“(Tirpitz an Stosch, 13. Februar 1896, Berghahn/Deist, Rü117, hier S. 114). stung, Nr. II 8, S. 114– 97 Mahan, The Interest of America in International Conditions, S. 47. (cit. nach O’BRYON, LEONARD, Die Beurteilung der deutschen Flottenpolitik in amerikanischen Zeugnissen der Vorkriegszeit (=Historische Studien 257), Berlin 1934 (Ndr. Vaduz 1965), S. 35); cf. auch Herwig, Influence of Mahan..., S. 69f. 98 Mahan, Naval Strategy, S. 105f.
6.2 Mahan, Deutschland und die Seeherrschaft
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Im Lichte der an anderer Stelle erläuterten Fehleinschätzungen und Kurzschlüsse Tirpitz’wird deutlich, wie oberflächlich die Mahans Zustimmung zugrundeliegende Analyse war. Es ging hier jedoch vor allem darum, der fortdauernden Legende vondemlatenten Antagonismus der Mahanschen undTirpitzschen Gedanken ein Ende zu machen. So läßt sich Mahans Bedeutung zumindest für die Person Tirpitz’selbst, wenn auch mit großer Sicherheit nicht für die Öffentlichkeit (seine primäre Zielgruppe) oder auch nur die Marine- und Reichsleitung, mit den Worten charakterisieren, die ROGER DINGMAN für die [Mahan] did not cause things to Rezeption des US-Admirals in Japan fand: „ happen. But he did aid men whoalready knew what must be done to achieve 99 their goals.“
99 DINGMAN, ROGER, Japan andMahan, in: HATTENDORF, JOHNB. (Hrsg.), The Influence of History on Mahan. The proceedings of a conference marking the centenary of Alfred 1783” , Newport 1991, s“The Influence of Sea Power upon History, 1660– Thayer Mahan’ 66, S. 65. S. 49–
Bärenfell“: Maltzahn 7 Streit um das „ 7.1 Die Opposition gegen Tirpitz Weder vor noch während des Wirkens Tirpitz’konnte das deutsche Offizierskorps im Hinblick auf seine strategischen Auffassungen als ein monolithischer Block bezeichnet werden. Während sich Tirpitz in jedem Immediatvortrag bei andere Offiziere dürf[t]en nicht dazwischenreseiner Amtsübernahme ausbat, „ ,1 so rief doch die Ausschließlichkeit, mit der er seine Ziele verfolgte, die den“ Vervon ihm hier gefürchtete Opposition erst auf den Plan. Sein Zugriff zur „ 2 erstreckte einheitlichung der öffentlichen Meinungsäußerungen der Marine“ sich dabei nur auf aktive Offiziere, und auf solche außerhalb des RMA auch allerhöchsten“Autorität. Wo Tirpitz im Korps nur unter Zuhilfenahme der „ 3 robusten“ auf divergierende Ansichten stieß, zögerte er nicht, diesen mit sehr „ Methoden den Boden zu entziehen. Zwei wesentliche Sujets bestimmten die Opposition: Zumeinen die BedenFront“ , vor allem des Oberkommandos, später des Flottenkommandos ken der „ und des Admiralstabes, deren Belange rigoros hinter diejenigen des langfristig angelegten Flottenbaues zu treten hatten. Dies geschah auf Kosten der Kriegsbereitschaft der Marine, eine Schwierigkeit, die Tirpitz schon 1896 vorausgesehen hatte,4 unddie sich mit der Verschlechterung der außenpolitischen Lage Davonziehen“der britischen Flottenrüstung Deutschlands, demgleichzeitigen „ und der zunehmenden Geldnot des Reiches immer mehr vergrößerte.5 Die andere Gruppe seiner Kritiker stellte die Richtigkeit von Tirpitz’strategischem Ansatz in Frage, was der Unterbindung ihrer Aktivitäten besondere Dringlichkeit verlieh. Dieser Gruppe gehörten, neben anderen, drei besonders bedeutende Vertreter an: Valois, Galster und–für Tirpitz besonders schwerwiegend–Maltzahn.6
1 Notizen zumImmediatvortrag, 15. Juni 1897 (wie oben S. 38 Anm. 61), S. 134. 2 Petter, Flottenrüstung, S. 208. Hierzu grundlegend Deist, Flottenpropaganda, S. 88– 93. 3 Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 190ff, hier S. 192. Der damalige Chef des Admiralstabes, Die[...] daßichohne Verlust meiner Selbstachtung derichs, schrieb bereits imSommer 1900, „ gegen Tirpitz nicht mit gleichen Waffen kämpfen kann.“(Diederichs an Senden, 30. Juni 1900, cit. nach Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 289). 4 Notizen zumImmediatvortrag, 28. Januar 1896 (wie oben S. 36 Anm. 51), Punkt 6.
5 Zu den Bedenken der „ Front“cf. Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 286– 296. Personalknappheit, Geldknappheit, Verringerung der Munitionsreserven, Erschwernis der Manövertätigkeit etc. wurden in der nach dem Krieg veröffentlichten Tirpitz-feindlichen Literatur, neben Systems der unmenschlichen Behandlung der Mannschaften, zu Kennzeichen des sog. „ . Tirpitz“ 6 Zu deren Schriften cf. S. 84 Anm. 114, S. 113 Anm. 246.
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Bärenfell“ 7 Streit um das „ : Maltzahn
Maltzahn-Plan“ 7.2 Der „ Nicht ohne Grund reagierte Tirpitz auf die von Kapitän z. S., später Vizead1930) geäußerte Kritik besonders allmiral Curt Freiherr von Maltzahn (1849– ergisch. Sein langjähriger Bekannter und Freund, der ihn offenbar erst auf den Gedanken zumEintritt in die Marine gebracht hatte,7 galt als einer der größten Taktikexperten der Marine. Bei den großen, von Tirpitz initiierten Flottenmanövern der 90er Jahre hatte er sich als Unparteiischer hervorgetan; seit 1895 lehrte er an der Marineakademie Seetaktik und Seekriegsgeschichte,8 seit 1900 warer ihr Direktor. In der Vorbereitungszeit des zweiten Flottengesetzes kam es zu einer erneuten Konfrontation, als Maltzahn die Erlaubnis zur Veröffentlichung seiner gesammelten Vorlesungen beantragte (Seelehre), die Tirpitz in Rominten verhinderte. Die Situation besserte sich nicht mehr, und1903 wurde Maltzahn als Vizeadmiral verabschiedet.9 Im Ruhestand ließ sich Maltzahn allerdings das Schreiben nicht mehr verbieten, undveröffentlichte neben mehreren Aufsätzen seinen historischen Abriß Der Seekrieg (1906), im Auftrag des Admiralstabes entstand die bemerkenswerte Geschichte unserer taktischen 11). Entwickelung (1910– Maltzahn gilt als der wichtigste aus der Marine erwachsene Kritiker des Tirpitzschen Flottenbaues, „ [...] er repräsentiert als einziger die marineinterne Opposition gegen die vom Oberkommando, d.h. insbesondere von Tirpitz 10 Seine vertretene Auffassung über die zukünftige Entwicklung der Marine.“ Schriften aus der Mitte der 90er Jahre, besonders sein Aufsatz in den Neuen Militaerischen Blättern, in dem er Stellung zu dem von Borckenhagen, dem Übersetzer von Mahans Influence of Sea Power upon History, rückhaltlos geäußerten Enthusiasmus für die Lehren des Amerikaners nahm, scheinen darauf hinzudeuten, daß er die Thesen Mahans für überzogen, ihre Annahme durch Tirpitz für Deutschland für verfehlt hielt.11 Bei genauerer Untersuchung des erwähnten Aufsatzes zeigt sich, daß Maltzahn weder die Lehren Mahans in Zweifel zog, noch ihre Gültigkeit für Deutschland. Ziel der Kritik war vielmehr die verschwommene Ineinssetzung der Termini Seemacht, Seeherrschaft, Seegewalt usw., die Borckenhagen vornahm, und die Maltzahn sauber–nämlich im Geiste Mahans–getrennt wissen wollte:
7 Tirpitz, Erinnerungen, S. 1; Petter, Flottenrüstung, S. 143. 8 Hopman, Logbuch, S. 232f. 9 Petter, Flottenrüstung, S. 209. 10 Deist, Flottenpropaganda, S. 45. Außerdem: Petter, Flottenrüstung, S. 208. 11 Maltzahn, Beziehungen. Diese vor allem von Deist, Flottenpropaganda, geäußerte Ansicht ist wohlgemerkt nicht falsch, ist aber ungenügend differenziert und erweckt daher einen falschen, in der Forschung fortwirkenden, Eindruck, der erst weiter unten (S. 45f) relativiert und im großen und ganzen auf sein richtiges Maß zurückgeführt wird. Petter hingegen legt Maltzahn Ansichten in denMund, diedenQuellen diametral widersprechen, wasvermutlich damit zu begründen ist, daß er in den betreffen Passagen grundsätzliche Theoreme unddas Problem ihrer Anwendung auf Deutschland nicht eindeutig trennend kennzeichnet.
Maltzahn-Plan“ 7.2 Der „
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Seemacht“sei die langsam und stetig wirkende Gewalt des dem Meer zu„ gewandten und das Meer nutzenden Staates, im Frieden wie im Krieg auf Seeherrschaft“hingegen sei unterschiedliche Arten nützlich und einsetzbar;12 „ die Fähigkeit, die See noch im Kriege, dank der Überlegenheit der eigenen Seekriegsmittel, zu nutzen. Was die Bedeutung der Seemacht an sich, abseits von rein militärische Erwägungen, für die wirtschaftliche und machtpolitische Position eines Staates, anbelangte, unterstrich Maltzahn noch Mahans Einsichten,13 grundsätzlich auch in ihrem Bezug zu Deutschland. Was allerdings die Tirpitzsche Applikation der Mahanschen Prinzipien auf Deutschland betraf, so äußerte Maltzahn tatsächlich schneidende Kritik. Zunächst stellte Maltzahn fest, daß es sich bei den Flottenprogrammen offenbar nicht um die Erfüllung von Bedürfnissen des Reiches, sondern derer der Marine selbst handelte. Militärisch hielt er Tirpitz’ Rüstung für verkehrt und befürwortete den Ausbau des Küstenschutzes und die Aufstellung einer starken Kreuzerflotte. ist, daßbei derlei tiefBemerkenswert–undhier voneigentlichem Interesse– greifenden Unterschieden in bezug auf die praktische Anwendung bzw. Herbeiführung von Seemacht ihnen zugrundeliegende wichtige Unterschiede in der Theorie und im Seekriegsbild zu finden sein sollten. Das Nachfolgende soll das Kuriosum darlegen, daß Maltzahn auf derselben Grundlage wie Tirpitz zu–vordergründig–völlig entgegengesetzten Resultaten kam. Sowohl, was die Bedeutung der Seemacht per se anbelangte, gab Maltzahn Mahan (und damit Tirpitz) recht, als auch in der Frage des ausschlaggebenabstrakte den Seekriegsmittels. Zwar nannte er 1910 den Schlachtgedanken „ ,14doch bezog sich das auf die willkürlichen Begriffssetzungen vor Spekulation“ 1891; seit den großen Manövern des Oberkommandos, die die Richtigkeit des Schlachtgedankens für ihn eindeutig erwiesen hatten, war Maltzahn überzeugter Schlachtschiffmann.15 Tirpitz’ Rezept für die Seeschlacht konnte der anerkannteste Taktikexperte der kaiserlichen Marine nicht widersprechen, sogar die Notwendigkeit, demDREADNOUGHT-Sprung zufolgen, formulierte er ganz dezidiert.16 Weder die ihmunterstellte Hinwendung zur Kreuzerschule noch die Denn obenan steht Absage an die Entscheidungsschlacht finden sich bei ihm: „ auch heute noch die Erkämpfung der Seeherrschaft durch die Schlacht [...]“,17 12 Maltzahn, Beziehungen, S. 482ff. 13 Ibid., S. 485f. 14 Maltzahn, Taktische Entwickelung I, S. 3. 15 Maltzahn, Der Seekrieg, S. 68, S. 92: „ Auseiner schweren Krise ist das Schlachtschiff [...] als Sieger hervorgegangen. Alle seine Widersacher: dasRammschiff, dasTorpedoboot, das Unterseeboot, werden es nicht vomMeere verdrängen, denn sie können es nicht ersetzen. Sobald aber ein zweckmäßiger Schiffstyp und ein klares, taktisches System da waren, mußte manauch danach streben, diese Errungenschaften strategisch auszunutzen, damit mandie sieghafte Schlachtflotte auch überall da zur Verwendung bringen könne, woman . sie zur Beherrschung des Meeres braucht“ 16 Maltzahn, Der Seekrieg, S. 91f. 17 Ibid., S. 93. Hervorhebung im Original.
7 Streit umdas „Bärenfell“ : Maltzahn
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so daß sich bis hierher Maltzahns Auffassungen, auch das Modell der „ statischen“Seeherrschaft, in nichts von denjenigen Tirpitz’ unterscheiden. Der Antagonismus beginnt erst dort, wo Maltzahn sich, anders als Tirpitz, dem Weiterdenken nicht verschließt; der zitierte Satz fährt fort: „ [...], dann folgt unter Fernhaltung des Restes der feindlichen Flotte von der See [Blockade, d. Verf.] die Ausnutzung des Gewonnenen, sei es, daß man die Herrschaft über die Verkehrswege der See zum Ansetzen des Landkrieges benutzt oder zum Handelskriege.“
Daß die deutsche Marine diese beiden Alternativen nach der gewonnenen Seeschlacht offenstehen sah, wurde oben bereits erwähnt. Tirpitz überließ derlei Überlegungen demAdmiralstab unddemFlottenchef; er sah seine Aufgabe in der Herbeiführung der (siegreichen) Seeschlacht. Maltzahn allerdings machte sich Gedanken über die Modalitäten der Ausnutzung der Seeherrschaft, und der Grund, warum diese ihn in Gegensatz zu Tirpitz brachten, lag darin, daß er diese Überlegungen in schiffbauliche Forderungen kleidete. Maltzahn forderte eine Kreuzerflotte, doch er forderte sie, im Unterschied zur Jeune école, nicht anstatt der Schlachtflotte, sondern als Ergänzung zu ihr.18 Die Kreuzer sollten nach der Schlacht den britischen Seehandel zumerliegen bringen. Vordergründig gleichen diese Gedanken denen Corbetts, der ja auch command, die Absicherung der Seeherrschaft, von der Schlachtflotte, control, ihre Ausnutzung, aber von den Kreuzern verlangt hatte. Im Unterschied zu Maltzahn allerdings ging Corbett davon aus, daß die Ausnutzung der Seeherrschaft, die ja üblicherweise umstritten sei, die Entscheidungsschlacht nicht nötig mache. Maltzahn widersprach dem, was er als unangemessene Schwerpunktverlagerung ansah, imdirekten Bezug auf Corbetts Principles vehement,19 undstellte sein traditionelles statisches Seeherrschaftsbild daneben. Die Ausnutzung der Seeherrschaft folge ihrer Erringung. Die Forderungen, die sich daraus allerdings ergaben, mußten für Tirpitz unerträglich sein. Maltzahn forderte eine ausgewogene Marinerüstung, bei der Küstenwerke den Rückzug der Flotte decken, Schlachtgeschwader die Seeherrschaft erringen und Kreuzer diese dann ausüben sollten. Tirpitz hatte sehr genau begriffen, was Maltzahn wollte, und konnte dieser Zersplitterung jener Kräfte, die er gesammelt für die Schlacht verwenden wollte, nicht zustimmen: Kpt. v. M[altzahn] will beides haben, Entwicklung unserer Flotte auf „ gleichzeitige Führung des Geschwaderkrieges u[nd] des Kreuzerkrieges. 18 Ibid., S. 97. Wenn Maltzahn bei dem Vortrag vom 8. Januar 1898 (Der Kampf gegen die Seeherrschaft, cit. nach Rahn, Seestrategisches Denken, S. 59) feststellte, daßauf den Geschwaderkrieg verzichtet werden müsse, und Kreuzer für den maximal erreichbaren hinhaltenden Widerstand zur Verfügung stehen sollten, so verband sich das mit der Forderung nach demBau auch einer starken Schlachtflotte, waralso nureine vorübergehende, eine Notlösung.
19 Maltzahn, Beziehungen, S. 880.
Maltzahn-Plan“ 7.2 Der „
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Dieses Vorgehen wäre für Deutschland verhängnisvoll, weil wirunsere gesamte Kraft konzentrieren müssen auf die Schaffung der Schlachtflotte gegen England, die uns England gegenüber allein Seegeltung verschaffen kann. Der strategische Fehler des Kpt. v. M. liegt in der Absicht bezüglich] Vorbereitung einer Parallelaktion [...]. Kpt. v. M. verteilt 20 das Bärenfell, ehe der Bär erlegt ist.“
Als Kronzeuge für eine falsche Auffassung Mahans durch Tirpitz eignet sich Parallelaktion“t auchte Maltzahn also nicht; die von ihm gewünschte bauliche „ auch bei Mahan nicht auf. Angelpunkt waren undblieben die Schlachtgeschwader. Allerdings scheint es, als wäre Maltzahn von der Möglichkeit der siegreichen Seeschlacht gegen England bei weitem nicht so überzeugt gewesen wie , Maltzahn-Planes“ Tirpitz.21 Für Tirpitz allerdings war die Umsetzung eines „ der ja noch erheblich mehr Mittel und Zeit benötigt hätte als die gleichsam als Minimallösung–ein Hebel wird da benötigt, woKraft fehlt–gedachte Tirpitzflotte, keine Option. Tirpitz warsich wohl bewußt, daßder Bau einer Großflotte nicht in ein paar Jahren, sondern erst im Laufe einer Generation abgeschlossen werden konnte; recht viel länger durfte es dann aber wohl auch nicht dauern. Der Streit zwischen Maltzahn und Tirpitz gleicht erstaunlich einer Auseinallerhöchsten“Kreuzerforderungen des andersetzung mit demKaiser über die „ in Erinnerungen berichtet. Der Kaiser den Winters 1894/95, von der Tirpitz wollte in einem Vortrag vor einigen Reichstagsabgeordneten in Sanssouci eine große Kreuzerflotte fordern; Tirpitz wies ihn auf die Dienstschrift IX hin, dieja Warum hat denn den Schlachtgedanken in den Mittelpunkt rückte. Wilhelm: „ Weil er eine Schlachtflotte Nelson immer nach Fregatten gerufen?“Tirpitz: „ hatte.“22
20 Randbemerkung Tirpitz’, November 1899 (Berghahn/Deist, Rüstung, Nr. II 11, S. 127). 21 Petter, Flottenrüstung, S. 210. 22 Tirpitz, Erinnerungen, S. 49. Hervorhebung im Original gesperrt.
8 Seeherrschaft und Risiko-Theorie (Teil II) Wir haben in Abschnitt 3.3 den Risikogedanken als strategisches Konzept kennengelernt und seine Meriten für die Seekriegführung beleuchtet. Dabei ergab sich der Eindruck, das Konzept weise in vielerlei Hinsicht gerade nicht auf die Flotte als Mittel des militärischen, sondern des politischen Druckansatzes auf Großbritannien hin. Die Zahlenspiele jedoch, die in der Forschung angesichts der Tirpitzschen Formulierung, mit einer 2:3 unterlegenen Flotte einen hinreiRisikofaktor“gegen einen Angreifer, konkret (wenn auch nicht offen chenden „ ausgesprochen, wie Berghahn immer wieder betont) also die Royal Navy, in der Hand zu haben, werden üblicherweise als Beweis für den letztlich doch militärischen–also offensiven–Charakter der deutschen Herausforderung an England gewertet: Ging man davon aus, daß ein Angreifer über mindestens eine 33prozentige Überlegenheit verfügen mußte, um in einer rangierten Seeschlacht Aussicht auf Erfolg zu haben,1 so impliziere das umgekehrt, daß die unterlegene Flotte, wenn sie den Gegner nur unter für sie günstigen Bedingungen zur Schlacht stellen konnte (d.h. in der Nähe eigener Stützpunkte, im Wirkungsbereich eigener Küstenschutzstreitkräfte, im Besitz einer projektierten qualitativen und moralischen Überlegenheit was das Schiffsmaterial und den Ausbildungsstand der Besatzungen betraf u. ä.m.),2 bei einer quantitativen Lücke von maximal 33% eine reelle Siegchance habe.3 Dieses sei der eigentliche Hintergrund der Tirpitzschen Forderung nach einem Verhältnis der Flottenstärke von 2:3 gegenüber der Royal Navy gewesen, und da in England das Bewußtsein, über schlechtere Artillerie und schlechter ausgebildete Besatzungen zuverfügen, nicht so ausgeprägt war, wiedas deutsche Bewußtsein4 der 1 Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 192ff. 2 S. o. S. 106 Anm. 212.
3 Cf. Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 194. Cf. hierzu auch ibid., S. 224 Anm. 88: Bachem habe offensiven Pferdefuß“der Risikotheorie erkannt; die politischen Implikaschon 1930 den „ tionen der Risikotheorie, wosie noch übernommen wurde, sei nur kritiklose Kolportation Tirpitzscher Verschleierung.
4 Diese qualitative Unterlegenheit wurde als Konstante gesehen. Die Dienstschrift IX bringt dies in eine für die Sorglosigkeit der deutschen Marineplanung charakteristische Formulierung, wenn sie fordert, den Gegner weder zu unter- noch, wie man es unbewußt zu tun pflege, zu überschätzen: „ In den Bestreben, beide Fehler zu vermeiden, wird man in den meisten Fällen der Wahrheit näher kommen, wenn mansich bemüht, die Stärke des Feindesgegen die eigene durch das Gefühl beeinflußte Überzeugung lieber zu unterschätzen.“ (S. 97). Es wirkt hier eindeutig die Stenzelsche Emphase vonKühnheit, Entschlossenheit, [Man] Wagemut, Mißachtung von Hindernissen etc. nach; Stenzel, Kriegführung, S. 43: „ mages sich in einem solchen Fall als Regel dienen lassen: sich vonder Seite der Befürchtung ab undder Seite der Hoffnung zuzuneigen, selbst wenn eine innere Stimme dagegen spricht.“(Hervorhebung im Original gesperrt).
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Überlegenheit in diesen Bereichen, mache sich diese qualitative Kompensation erst während dertatsächlichen Schlacht bemerkbar (anders waresja auch nicht vorstellbar, die englische Flotte zueiner Schlacht stellen zukönnen, vonder sie
Umkehrung“des Risikogedankens wußte, daß sie sie verlieren würde). Diese „ weise also auf eine eindeutig militärische Zielsetzung des Flottenbaues hin, die Schaffung einer Streitmacht, die den Feind nicht politisch unter Druck zu setzen, sondern militärisch zu schlagen vermochte. „ [...] die Seekriegsgeschichvielleicht zufälligerweise, zahlreiche Beispiele te“weise, schrieb Tirpitz später, „ dafür auf, daß auch der an sich Schwächere, wenn ihm besondere Umstände 5 Diese offensive Spitze habe und das Schlachtenglück hold sind, siegen kann.“ Tirpitz bewußt verschwiegen undverschleiert. Noch in derjüngsten Forschung Risikoflotte“ wird eine Dualität zwischen der (offiziell vertretenen) „ , die sich gab, geheimen einer und (im zufrieden Abwehrerfolgs “ des Ziel „ [...] mit dem geplanten) Angriffsflotte, die „ [...] mit dem Ziel aufrüstete, die englische Flot6 angenommen. Schon die Dienstschrift IX allein, erst te schlagen zu können.“ recht aber ihre Einordnung in den Rahmen des seestrategischen Denkens der blue-water-Leute, und hier besonders die dargestellten verschiedenartigen Implikationen hinsichtlich der Natur der Seeherrschaft, erweist aber zweifelsfrei, daß für einen Schlachtschiffmann von Tirpitzschem–und das heißt in diesem Fall: Mahanschem–Zuschnitt diese Dichotomie nicht begreifbar war, weil sie 7 schrieb Tirpitz Nur im Vernichten liegt auf See der Erfolg“ nicht existierte: „ unverdächtigerweise bereits 1877, unddamit ist nicht weniger als der Kernsatz der damals gängigen Seekriegslehre ausgesprochen. Die Vernichtung der gegnerischen Flotte führte, wie an der Marineakademie gelehrt und auch in der Royal Navy–zumÄrger Corbetts–geglaubt wurde, zumVerlust der Seeherrschaft durch die unterlegene und zu ihrem Übergang an die siegreiche Flotte. Ohne den Besitz der Seeherrschaft aber wurde eine Flotte als nicht in sinnvoller Weise handlungsfähig angesehen. Der Sieg in der Schlacht war damit nicht nur das einzige Mittel,8 Schaden von der eigenen Küste abzuwenden, sondern die ihrerseits wiederum unabdingbare Voraussetzung für die eigene Offensive– die einzige Existenzberechtigung einer Flotte sei.9 Eine Flotte habe also den
5 Tirpitz, Erinnerungen, S. 179. Dieser Gedanke kommt auch bei Stenzel vor: Kriegführung, S. 161. 6 Petter, Flottenrüstung, S. 175f. 7 Cit. nach Hassell, Tirpitz, S. 95. Dienstschrift IX: „ [Es gibt] auf See eine taktische Defensive in diesem Sinne überhaupt nicht [...].“(S. 89). 8 Es ist nötig, zu betonen, daß es sich bei diesen Gedanken nicht um arkanes Geheimwissen, sondern gerade im Zuge der Navalismuswellen der Jahrhundertwende um allgemein gehörte und akzeptierte Prinzipien handelte. Hohenlohe am 18. März 1897: „ Wir müssen eine Flotte haben, die unsere Küsten zu schützen im Stande ist, indem sie auf hoher See demAngreifer die Spitze bietet [...].“(cit. nach Aufgaben der deutschen Flotte im Kriege, 42, S. 41; Hervorhebung vomVerf.). in: Nauticus I [1899], S. 29– 9 Dienstschrift IX, S. 88f. Epkenhans, Wilhelminische Flottenrüstung, S. 98, erkennt zwar [...] der Unterschied zwischen der defeneinen richtigen Sachverhalt, wenn er schreibt, „ siven und der offensiven Funktion der Flotte war kaum hinreichend zu definieren [...]“ ,
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Kampf gegen die Seeherrschaft (wie ihn etwa die Jeune école propagierte und wie ihn Corbett, aus einem völlig anderen Verständnis von Seeherrschaft heraus, ermutigte), wenn er überhaupt möglich war–wasTirpitz allen praktischen Kriterien nach, und besonders für die Situation Deutschlands, bestreitet–zu vermeiden; ihr Ziel, ihre Bedeutung und ihre wesentlichste Aufgabe liege vielstatische“Konzept mehr im Kampf umdie Seeherrschaft.10 Dieses gleichsam „ der Seeherrschaft11 ist das eigentlich bemerkenswerte an der Seekriegslehre Alfred T. Mahans, der ihm Breitenwirkung verschaffte, das in der deutschen Marine aber bis in die 1870er Jahre, bis zu den Schriften Alfred Stenzels, zuVerschleierung“12dieses Zusammenfließens von rückzuverfolgen ist. Von einer „ Angriffs- und Verteidigungsflotte kann keine Rede sein; bereits 1899 zählte im Hierbei handelt es sich namentlich um Nauticus zu den Aufgaben der Flotte: „ die Küstenvertheidigung, ferner aber auch um die Möglichkeit, durch strategisches Zusammenwirken von Heer und Flotte Erfolge zu erzielen, für die die 13 Der Nauticus geht sogar Kraft des Heeres allein nicht ausreichen würde.“ uns, diese daß Erfolge „ verrät [...] durch einen noch weiter ins Detail und zu erringen 14 seien, „ [...] nicht Gegenschlag an der feindlichen Küste [...]“ bloß zur Störung feindlichen Seehandels, sondern auch zumAngriff feindlicher Flotten, Küsten und Häfen.“15 Die Frage nach der „offensiven Spitze“des Risikogedankens wendet sich also völlig von der eigentlichen Marinekonzeption ab und der Entscheidung zu, ob die fertiggebaute Flotte zum Mittel einer deutschen Aggression gegen England gemacht werden, oder ob die ihr inhärente Bedrohung Englands erst nach einem englischen Angriff zum Tragen kommen sollte, wobei man sich dessen Verhinderung–so leitet sich das Konzept der Abschreckung her–gerade von dieser Drohung versprach. Mit anderen Worten: Die Tirpitz-Flotte sollte in aller Öffentlichkeit eine Offensiv-Flotte im wohlverstandenen Wortsinne sein, sie sollte und wollte in der Lage sein, die Royal Navy mit einer NiederlaGrauzone“ , impliziert aber damit eine Unschärfe der Tirpitzschen Flottenpolitik undeine „ in dersich die Marine bequem in Richtung einer offensiven Ausrichtung manövrieren ließ, statt imWesen einer damals fast durchweg akzeptierten Seekriegstheorie denUnterschied, offensiven“und einer „ was die Entscheidungsschlacht anbelangte, zwischen einer „ defenAmbivalenz vonTirpitz’Politik“(ibid.), siven“Flotte, aufgehoben zu sehen. Gerade die „ die Epkenhans hieraus folgert, ist, im Rahmen der ihr zugrundeliegenden strategischen Ideen, eben keine. 10 Mit gleicher Ansicht Salewski, Tirpitz, S. 41. 11 VonHobson (Origins, S. 24) „exclusiveness of command“genannt, gemeint ist damit ihre
Unteilbarkeit.
12 Wie sie etwa von Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 108– 248, postuliert und von an129, 205– deren, z. B. DÜLFFER, JOST, Limitations on Naval Warfare and Germany’s Future as a 39, S. 1906, in: War & Society III (1985) 2, S. 23– World Power: A German Debate 1904– 24, übernommen wird. 13 Aufgaben der deutschen Flotte im Kriege (wie oben Anm. 8), S. 29. 14 Ibid., S. 40. (Zitat v. Roons, des um die Jahrhundertmitte mit der Entwicklung der Marine betrauten preußischen Kriegsministers. Hervorhebung
15 Ibid. Hervorhebungen im Original gesperrt.
im Original gesperrt).
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ge in der Entscheidungsschlacht zu bedrohen. Tirpitz’ Äußerungen, der Flottenbau sei defensiver Natur, etwas anderes entnehmen zu wollen (und ihm damit Täuschungsmanöver in dieser Hinsicht zu unterstellen), hieße, die seit 1870 gewachsene strategische Tradition der deutschen Marine, deren leitende Prinzipien, wie gezeigt wurde, sowohl bei Tirpitz wie auch in der Royal Navy maßgeblich und bis Kriegsausbruch größtenteils unwidersprochen16 waren, zu ignorieren. Eine Defensivflotte kam für Tirpitz militärisch gesehen nicht in Frage.17 Die postulierte Defensive war niemals militärischer, sondern immer politischer Natur.18 Dies gilt vor allem für das Flottengesetz von 1900. Sprach allerdings die Begründung des ersten Flottengesetzes 1898 in einem häufig zitierten Satz davon, daß „ Größeren Seemächten gegenüber [...] die Schlachtflotte lediglich die Bedeutung einer Ausfallflotte“19 habe, so ist das Verschleierung“ nun tatsächlich eine „ , eine taktische Finesse, mit der Tirpitz an die Tradition des Flottengründungsplanes von 1873 anzuknüpfen vorgab.20 Ausfallflotte“ Tatsächlich hielt Tirpitz die „ , wie aus ihrer Gegenüberstellung mit Tirpitz’ „ homogener Schlachtflotte“in Abschnitt 3.1 hervorging, militärisch für widersinnig. Daß es mit der nur als solche verwendbaren Flotte des Jede weitergehende Verwendung ersten Gesetzes 1898 nicht getan sein würde („ 21), sonist durch die geringe Stärke, welche das Gesetz festlegt, ausgeschlossen“ dern Tirpitz’Streben bereits damals aufeine viel größer angelegte Entwicklung 16 Ausnahmen waren Julian Corbett und die französische Jeune école, zu beiden siehe Kapitel 4– 6. 17 Siehe die wichtigsten internen Denkschriften. Davon abgedruckt bei Berghahn/Deist, Rüstung: Dienstschrift IX, Emser Memorandum, Entwurf einer Denkschrift zumFlottenbauprogramm des OK, 3. Januar 1896 (wie S. 37 Anm. 55); außerdem: Denkschrift über die Neuorganisation unserer Panzerflotte (s. o. S. 74 Anm. 52). Deutlich in diese Richtung geht auch Büchsels Einspruch gegen die vonKoester vorgenommene Anpassung des Operationsplanes an die Risikotheorie (Weniger, Operationsplan, S. 2), eine Kontroverse, die 1906 hinzog: Koester, Chef der Übungsflotte, wollte der Royal Navy im Sinne sich 1904– des Risikogedankens bei Helgoland die Schlacht anbieten, umsie so zuschädigen (er rechnete nicht mit einem deutschen Sieg), daßsie gegen diemit Deutschland alliierten Flotten die Seeherrschaft nicht behaupten konnten. Büchsel, Admiralstabschef, widersprach: Es sei unklug, denBriten gleich vonvornherein die„ unbeschränkte Seeherrschaft“(ibid.) anzubieten, vonder er annahm, sie würden sie behaupten können. Er plädierte, in Ermangelung hundertprozentiger Erfolgsaussichten, für „ offensive Vorstöße ausder Verteidigung heraus“ , das heißt sporadische Vorstöße der unterlegenen Schlachtflotte, um den Gegner zu schädigen (also den Gebrauch als Ausfallflotte), ein Verfahren, das für Stenzel nur eine Notlösung, eine inferiore Option darstellte, da die unterlegene Flotte üblicherweise paralysiert sei. Diese Inferiorität nimmt Tirpitz in den taktischen Denkschriften auf, cf. oben Anm. 7.
18 Zentral Tirpitz, Erinnerungen, S. 106: „ Der Laie mußhier unterscheiden zwischen taktischer und politischer Offensive. Jedes Kriegsschiff und daher auch jede Schlachtflotte ist technisch und taktisch immer ein offensives Instrument.“ 19 Begründung zum Flottengesetz 1898, S. 5. 20 Cf. auch Salewski, Tirpitz, S. 40. Scheer, Hallmann, Hassell und andere tradierten diese Fiktion weiter.
21 Begründung zumFlottengesetz 1898, S. 5.
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gerichtet war, ließe sich, wenn nicht andere Dokumente eindeutige Belege dafür liefern würden, allein schon aus der Betrachtung seiner taktisch-strategischen Maßstäbe vermuten. Die diese offenlegende Dienstschrift IX war zwar ein internes Dokument, fand in der Marine aber weite Verbreitung und erreichte so einen nicht insignifikanten Grad von Publizität,22 obwohl sie endgültig erst 1926 veröffentlicht wurde.23 So gesehen beschrieb auch die Begründung von 1898 die militärische Verwendung der durch sie konstituierten Flotte durchaus richtig, wenn sie auch die wesentliche Tatsache verschwieg, daß in den restringierten Möglichkeiten dieser Flotte schon die Notwendigkeit zu einer Novelle impliziert war. Daß Tirpitz in der strategischen Diskussion aus seiner Ansicht nie einen Hehl gemacht hat, kann hier freilich nur bedingt ins Feld geführt werden; dem Reichstag vorgetragene Informationen müssen anhand ihrer eigenen Meriten oder Unterlassungen, ihrer Wahrhaftigkeit beurteilt werden, nicht damit, was der aufmerksame Reichstagsabgeordnete hätte wissen können. Die Situation in der Legislative gewinnt damit eine Sonderstellung, denn im Gegensatz dazu kann die Irreführung der Öffentlichkeit, gemessen an ihr zugänglichen Informationen, bestenfalls als halbherzig bezeichnet werden– man erinnere sich des offiziösen Charakters, den die deutsche Übersetzung des Tirpitz’ Schlachtflottengedanken (und dessen Seeherrschaftskonzept samt seiner Implikationen) genau wiedergebenden Mahanschen Werkes24 erhielt, und die eine vordergründige Abkehr von dessen strategischem Gehalt schon allein aus dem Grunde unglaubhaft machen, da der große Trumpf des Staatssekretärs Tirpitz ja gerade der war, daß mit ihm die Marine endlich zu wissen schien, . Die mit Blick auf die Vorbereitung deröffentlichen Meinung für wassie wollte“ „ die Einbringung der Novelle 1900 (des zweiten Flottengesetzes) vorgenommene Veröffentlichung der strategischen Ansichten Tirpitz’ machte der Verschleierung, zumindest, was Ausfallflotte und Gründungsplan 1873 anging, endgültig Das Flottengesetz [von ein Ende. Die Begründung enthielt die Erklärung, „ 1898, d. Verf.] hat der Möglichkeit eines Seekrieges gegen eine große Seemacht größeren nicht Rechnung getragen [...]“.25 Zwar ist im Gesetz von 1898 von „ Seemächten“die Rede, doch eine Ausfallflotte, wie sie als Not-, und (wie nun offensichtlich wurde) als Interimslösung, geplant war, konnte ja–diese Überzeugung belegen die taktischen Dienstschriften–ohnehin den Kampf um die Seeherrschaft nicht führen. Die Begründung des zweiten Flottengesetzes ließ keinen Zweifel daran, daß es umdie Behebung dieses Mangels ging (wenn dieses Vorgehen in Etappen auch, wie heute bekannt ist, von Anfang an geplant 22 Salewski, Tirpitz, S. 40. Der Admiralstab der Marine gab die „Taktisch-Strategischen Denkschriften des Oberkommandos der Marine“und die „ Dienstschriften der Kaiserlichen Marine“ , zurückreichend bis 1893, heraus (Maltzahn, Taktische Entwickelung II, S. 3). 23 Nauticus XVIII (1926), S. 188– 199. 24 Hierzu Deist, Flottenpropaganda, S. 88f; Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 179. 25 SBR, 10. Legislaturperiode, 1. Session 1898/1900, 5. Anlagenband, Nr. 548, S. 3359– 3364, S. 3359.
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war26). Die deutsche Flotte sollte um die Seeherrschaft kämpfen, wenn sie auch nicht in der Lage sein würde, sie allein zuerringen. Die Seeschlacht würde–eine direkte Bezugnahme auf die Vorstellungen von Mahan undStenzel–den Gegner soviel von seiner Präponderanz kosten, daß er die Seeherrschaft verlieren und sie–sozusagen nahtlos–an die Alliierten Deutschlands übergehen werde. defensiv“benutzte, dann im Kontext Wenn Tirpitz für seine Flotte das Wort „ schirmende Wehr“die wirtschaftliche und koloder Grand Strategy, in der die „ niale Expansion Deutschlands decken sollte. Daß diese Expansion freilich, wie oben dargestellt, die Ablösung Englands als maritime Vormacht implizierte, ist durchaus eine offensive Konzeption–aber es ist eine politisch-aggressive, keine militärisch-offensive. Gleichzeitig lassen sich verschiedene Ebenen der politischen Wirksamkeit feststellen: Die Abschreckungsfunktion, die die Flotte wahrnehmen sollte, war eine politische; sie sollte verhindern, daß Großbritannien den Konflikt von der politischen auf die militärische Ebene brachte. In einer zeitlich längeren Perspektive aber erhielt dieses Defensivkonzept, gekoppelt mit der ungebremsten Expansion deutscher Interessen undweltpolitischen Gewichts, den aggressiven Tenor, Großbritannien letztendlich von seiner hegemonialen Stellung verdrängen zu wollen.
26 „ Ich war mir stets klar darüber [...], daß das erste Flottengesetz nicht die endgültige Flotte schuf [...].“(Tirpitz, Erinnerungen, S. 101).
9 Zum Schluß das Von der konstitutiven Arbeit Stenzels abgesehen, seit dessen Werk sich „ Denken“der deutschen Marine als Phänomen greifen ließ, wurden diesem mit Tirpitz-Plan“mündenden deutschen Denken die Ansichten Abstrichen in den„ angelsächsischer Theoretiker gegenübergestellt, da diese in der Zeit als maßgeblich betrachtet undgerade auch vonder deutschen Marine rezipiert wurden. Seestrategische Einflüsse von anderer Seite, aus Osten etwa, waren praktisch unwirksam: Man sah auch in der japanischen Strategie 1904/05 das Wirken Mahans zur See, des deutschen Generalstabes zu Lande, und auch wenn es innerhalb dieses Gesamtbildes gewichtige Kontroversen gab (man denke an die unterschiedlichen Beurteilungen des russisch-japanischen Krieges durch Corbett, Maltzahn und Mahan), so sah doch insgesamt die westliche Hemisphäre das land- und seestrategische Feld für sich monopolisiert.1 Die voraufgegangenen Kapitel haben auf dieser Basis versucht, das strategiTirpitz-Plan“zu verorten ist. sche Terrain abzustecken, innerhalb dessen der „ , deren maßgeblicher GegenDie dabei zutage tretenden strategischen „Pole“ satz in einer letztlich unvereinbaren Auffassung des Wesens der Seeherrschaft gefunden wurde, und die am besten ihren Hauptvertretern Mahan auf der einen und Corbett auf der anderen Seite zuzuordnen sind, konstituieren zwischen sich einen strategischen Raum, dessen größter Anteil vor dem ersten Weltkrieg von der blue-water-Schule eingenommen wurde. Da das Hauptaugenmerk auf diesem Konzept, demdes Schlachtschiffgedankens, ruhte, konnte die Jeune école, voneiner grundsätzlichen Charakterisierung abgesehen, unbeGesprochen bleiben und mit Corbett ein Vertreter des Schlachtschiffes als „ genpol“zu Mahan identifiziert werden, in dessen Werk der wesentliche UnterSeeherrschaft“deutlicher zutage trat. Die Jeune école nämlich schied in der „ gab sich durchaus damit zufrieden, den Kampf gegen die Seeherrschaft für sich zu beanspruchen, womit ihr theoretischer Grundansatz dem Mahanschen Raster verpflichtet blieb. Eine divergierende Auffassung von der Seeherrschaft hatte sie nicht, wohl aber grundsätzlich gegenteilige Ansichten über das Potential, das den Mitteln des zur See–und das hieß auch für sie automatisch: an Schlachtschiffen–Schwächeren eigen war. Auch ihr Bild ging von einer statischen“–Seeherrschaft, und zwar einer im Besitz des Gegpermanenten–„ ners befindlichen, aus. Bei der Positionierung Tirpitz’ in diesem Gedankenfeld war festzustellen, daß er sich viel mehr im Rahmen traditioneller Vorstellungen bewegte, als allgemein angenommen wird. Persönliche Erfahrung hat zu seinem Bild des 1 Cf. etwa Maltzahn, Der Seekrieg, S. 89.
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Seekrieges weniger beigetragen als die herkömmliche, an der Marineakademie gelehrte Seetaktik und-strategie. Weder war es die Tatsache, daß ein mit ihm an Bord befindliches großes Schichau-Torpedoboot im Sturm nicht gesunken war, das sein Bestreben prädeterminierte,2 die Marine von der Küste zu lösen und die Hochseeschlacht zu suchen, noch gelangte er über die Erfahrung von „ Unternehmungsgeist und Angriffsfreudigkeit“ ,3 die ihm bei der Torpedowaffe begegnet waren, zu dem Schluß, auch eine Schlachtflotte müsse in gerade solcher Weise die Offensive suchen und „ rangehen“ . Man ist sich zwar allenthalben bewußt, daß Tirpitz mit diesen Ansichten nicht allein stand; in welchem Maße sie aber bestimmend waren, und daß sie vor allem demorthooffiziellen“Seekriegsbild der Zeit–nicht doxen, institutionell niedergelegten „ nur in Deutschland–entsprachen, ist auffallenderweise, im Gegensatz zu den vergleichbaren Gedanken beim Heer, für die Marine noch nicht eingehend untersucht. Keiner der maßgeblichen Theoretiker, nicht der zumTirpitz-Antipoden stilisierte Maltzahn, nicht einmal der originelle Corbett, wich vonder in der Dienstschrift IX ausgedrückten Auffassung ab, eine signifikante Unterlegenheit hatte in der Schlacht grundsätzlich die Vernichtung zur Folge, so daßeiner unterlegeUntätigkeit“bleibe. Daraus folgt direkt, daß mit der Mögnen Flotte nur die „ Abwehrerfolgs“immer die eines Sieges in der Hochseeschlacht lichkeit eines „ ins Blickfeld rückte, so daß es sich bei dem von Tirpitz verfolgten Ziel des Sieges der auf sich gestellten Hochseeflotte über die britische Flotte zunächst nicht umein mit allen Mitteln der Perfidie verschleiertes Geheimprojekt, sondern einen offen ausgesprochenen und, zumindest für jeden Mahan-Leser, klar Untätigkeit“überdies durch das ersichtlichen Gedanken handelte. Daß diese „ vorherrschende Bild der Seeherrschaft erzwungen wurde, das ja nur Besitz oder Verlust dieser holistischen Größe zuließ, erhob den taktischen Zwang zur Offensive auf die strategische Ebene, denn es gab eben nur die Alternative zwischen der vollständigen Vernichtung–der verlorenen Seeschlacht und der Möglichkeit, strategisch Offensiv gegen Großbritannien vorzugehen, nämlich nach dem Sieg. Daß diese Alternative nie wirklich eine war, illustriert auch Tirpitz’Unverständnis für die für Maltzahn drängende Überlegung, in welcher Weise denn nach der gewonnen Schlacht verfahren werden solle. Die Feststeldaß unklar blieb, waseigentlich mit der lung eines scharfsinnigen Historikers, „ Schlacht erreicht werden sollte“ ,4 trifft deshalb nur sehr bedingt zu: Voraussetzung für alle in diese Richtung weisenden Gedanken sei „ [...] die siegreiche Schlacht [...] Auf das siegreiche kommt es an. Daher auf diesen Sieg unsere 5–keine Verzettelung in sekundären, in Detailfragen. Daß Kraftkonzentration“ es diegeistige undmaterielle Vernachlässigung dieser Details war, die der deut-
2 So jedenfalls scheint es Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 62f, auszulegen. 3 Ibid., S. 63. 4 Rahn, Seestrategisches Denken, S. 60. 5 Randbemerkung Tirpitz’ zu BA-MA, RMA, 2044, PG 66075, RMA-Auszüge aus Maltzahns Schrift (1899), cit. nach Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 191.
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schen Marine einen Großteil ihres im Ersten Weltkrieg geforderten operativen Repertoires nahm, ist die große Tragik des Flottenbaues.
Das Spannungsfeld zwischen Kreuzerschule und Schlachtschiffschule wurde durch eine rasante technische Entwicklung, die einen quer zu allen Fronten verlaufenden Antagonismus zwischen Beharrung und Modernisierung anstieß, in seiner Dynamik zusätzlich erregt. Vor diesem Hintergrund vollzog sich die Ausformung und der Widerstreit verschiedener seestrategischer Konzepte, deren jedes mit einer Prognose größtmöglicher Spannweite verknüpft war, deren jedes eine Ableitung derzukünftigen Gestalt derWelt ausseinem Wirken nicht nur zuließ, sondern sogar dezidiert forderte.
Es ist eine bemerkenswerte Ironie, daß diese gravitätischen Problemstellungen, die Würde dieses selbstgewählten Betätigungsfeldes, einherging mit einer Art undWeise des Diskurses, die, bei aller persönlichen Identifikation mit dem vertretenen Konzept, sich nie von der Aura einer detachierten, fast sportlichen Diskussion freimachen konnte, die in ihrer amateurhaften Naivität immer den Eindruck eines strategischen Salongesprächs erweckte. Das mag mit dem Unbehagen zusammenhängen, das jeder Generalstäbler verspürt, wenn das arcanum mysticum seiner Profession den eingeweihten Zirkeln enthoben und in das unbarmherzige Schlaglicht der Öffentlichkeit gerückt wird, das in jeder militärischen Theorie immer die Unbeholfenheit hell aufscheinen läßt, da Imponderabilien“der militärischen Realität immer nur Apsie angesichts der „ proximation, kein universal einsetzbares Werkzeug, sein kann–eine Einsicht, die ja auch erst dieser Diskussion zu verdanken ist, die dem wie auch immer geistig vergewaltigten Clausewitz zum Durchbruch gegenüber dem mathematische Folgerichtigkeit im Kriege postulierenden Jomini verholfen hat. Eine von Julian Corbett selbst hoch gewichtete Einsicht seiner Arbeit war jene des „ instinktiven“strategischen Denkens, der das England des 16. Jahrhunderts ohne den Besitz einer ausformulierten strategischen Theorie Maßnahmen vonglänzender Rationalität undmilitärischer Effektivität treffen ließ, die nicht anhand von spektakulären Erfolgen darstellbar waren, da sie gerade zur Verhütung spektakulärer Umwälzungen getroffen wurden. Die western squadron etwa, die vonihren Basen im Südwesten aus den gesamten vomeuropäischen Atlantikverkehr benutzten Seeraum kontrollieren undtrotzdem jeder unmittelbaren Bedrohung der Heimatinsel innerhalb kürzester Zeit begegnen konnte, führte im Siebenjährigen Krieg jene Isolierung des kanadischen Kriegsschauplatzes von der Metropole herbei, umderen Definition als Vorbedingung beschränkten Krieges“eine ganze Generation vonSeestrategen hunderteines „ fünfzig Jahre später rang. Ihrer Aufstellung lag keine theoretische Einsicht in die Notwendigkeit jener Isolierung zugrunde. Die britische Seemacht, so lautete Corbetts Folgerung, ruhe nicht zuletzt auf einem instinktiven Zugriff auf die Anforderungen der See, die er bei den leitenden, nicht in den Vordergrund tretenden Männern verortete, jenen Männern, die etwa den Heißsporn Drake zurückpfiffen, der mit seinen Angriffsplänen die wohlausgewogene Mechanik
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zwischen Verteidigung und Vorstoß, zwischen Konzentration und Dislozierung einem hasardeurhaften potentiellen „ Luftstoß“auf die spanische Flotte opfern wollte. Mahan ging einen Schritt weiter und postulierte diese Fähigkeit, das Wesen der See gleichsam empatisch zu erspüren, als demCharakter eines Volkes eigen, das seine Lebensgrundlage aus der See zog und aus der Art seiner Existenz der See zugewandt war. Dieses natürliche Verhältnis zur See fehlte den Deutschen. Es wareine Kontinentalmacht, die stärkste Militärmacht der Welt, die sich in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts daran machen wollte, sich diese Orientierung auf die See hinaus zuverschaffen. Die Propagandaoffensiven desRMAverraten das Erkennen dieser grundsätzlichen Entfremdung von der See, die ein Prozeß mehrerer Jahrhunderte gewesen sei, und postulierten ihre Umkehrbarkeit.6 Es war eine Verankerung des Verständnisses für die See, die die Führungsgremien der Marine in der deutschen Bevölkerung herbeiführen wollten, und die doch so kläglich scheiterte, daß sogar Tirpitz selbst es sich eingestehen mußte: „ Die 7 Deutschen haben die See nicht verstanden.“ Der Grund dafür war das Künstliche, das Gezwungene dieser deutschen Hinwendung zur See. Was war ihre Basis? Die Einsicht in hieb- und stichfeste Theorien, unverdächtigerweise bestätigt von einem Amerikaner, der, dem angelsächsischen stammesverwandt, doch nun wissen mußte, wovon er sprach. Tatsächlich hat Mahan Deutschland nicht in der Weise von seiner Theorie zur grundsätzlichen Befähigung zur Seemacht ausgeklammert, wie es oft behauptet wird. DerTirpitzsche Flottenbau nötigte, wieoben dargestellt wurde, sogar ihm das Eingeständnis ab, seine frühere, ungünstige Prognose für das Wachstum einer deutschen maritimen Stellung revidieren zu müssen. Und perfide daran war der Umstand, daß das Gedankengebäude trug, daß es seine Gül18 die kunstvolle tigkeit behalten konnte, bis ein unparteiischer arbiter 1914– Konstruktion in sich zusammenstürzen ließ. Entscheidend ist, daß sozusagen erst dieser letzte Test das Verdikt über den Tirpitzschen Flottenbau sprechen konnte: Die offensichtliche Nichtigkeit seiner Theoreme und Postulate, über die sich heute so trefflich der Stab brechen läßt, war vorher schlicht nicht gegeben–auch nicht für die versiertesten Experten und intimsten Kenner der Materie. Es war die Furcht vor der Richtigkeit der Tirpitzschen Ideen, die Großbritannien zu einer Reaktion veranlaßte, die einen geradezu unglaublichen Kraftakt darstellte, nicht das Bewußtsein ihrer inneren Widersprüche und Unterlassungen. Wäre die Tirpitzflotte fertiggebaut worden, so hätte sie mit größter Wahrscheinlichkeit sogar den von Tirpitz prognostizierten Effekt gezeitigt, so wie ihn der Aufstieg der Seemacht der Vereinigten Staaten nach dem Krieg bewirkte. Doch das ist kontrafaktische Spekulation, die dem gewenn“keine wissenhaften Historiker nur die eine Aussage beläßt, über das „ Aussage treffen zu können, denn in der Mechanik seiner zukünftigen Flotte lag
6 Salewski, Deutschland als Seemacht, S. 15f. 7 Cit. ibid.
9 Zum Schluß
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nicht Tirpitz’Grundirrtum: Der lag in einer Verkennung der politischen Realität, die es schlicht unmöglich machte, über die unbegrenzten materiellen und zeitlichen Ressourcen zu verfügen, die der große Plan zuseiner Verwirklichung erfordert hätte. Tirpitz schuf einen basalen Anachronismus–eine Zukunftsflotte, die die Gegenwart in einer Weise beeinflußte, diejede Hoffnung aufjene die Flotte berechtigende Zukunft zunichte machte.
Abkürzungsverzeichnis AA ACO a. D. ADB APG
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Namensregister Adalbert, Prinz v. Preußen, 56, 61, 62, 67, 69, 83, 123, 124, 140, 161 ALABAMA, 180 Alexander (der Große), 134 d’Annunzio, Gabriele, 18
Coerper, Carl v., 48, 102 Colomb, Sir John, 138, 157 Colomb, Philip, 140, 157
99, 112, Corbett, Julian S., 7, 14, 19, 97– 170, 156, 158, 162, 164, 168– 131– 174, 177, 179, 180, 184, 185, 200, 211 206, 209– 204– Cornwallis, Sir William, 144
ARCONA, 3
Aube, Théophile, 23, 173 Augstein, Rudolf, 50 AUGUSTA, 3
Bachem, Karl, 203 Balfour, Arthur James, Earl Balfour, 47, 117 Batsch, Karl Ferdinand, 140, 159 BAYERN, 80
Beaumont, Sir Lewis Anthony, 115 Beck, Thomas, 58 12, 37, 43, 55, 60, Berghahn, Volker, 10–
64, 67, 102, 104, 107, 120, 122, 154, 203, 205, 210 Bismarck, Otto v., 6, 10, 33, 42, 45, 63, 65, 83, 84, 87, 94, 125, 173 BLITZ, 33 Borckenhagen, Ludwig, 178, 198 Bouët-Willaumez, Louis Edouard, BOUVET, 3
166, 168, 173, 179, 158, 159, 161– 180, 211
4
BRANDENBURG, 76 BRAUNSCHWEIG, 79, 80
Bridge, Sir Cyprian Arthur George, 140 Brommy (Bromme), Rudolf, 2 Büchsel, Wilhelm, 20, 42, 111, 143, 206 Bülow, Bernhard v., 26, 39, 40, 42, 48,
52, 93, 120, 127, 182
Capelle, Eduard v., 48 71, 81, Caprivi, Leo Graf v., 32, 60, 66–
83, 84, 125, 139, 173, 174 Chamberlain, Joseph, 118 Charmes, Gabriel, 172
CHICAGO, 177, 178 Churchill, Sir Winston S., 15 Clausewitz, Carl v., 17, 19, 66, 67, 84,
138, 142, 144, 154, 156, 94, 131–
Cromwell, Oliver,
140
Cuniberti, Vittorio, 80 Custance, Sir Reginald, 140 Darwin, Charles Robert, 173 Daveluy, René, 140
Deane, Richard, 140 Dehio, Ludwig, 63 Deist, Wolfgang, 198 Delbrück, Hans, 17, 46, 58, 132, 137,
162, 164 DEUTSCHLAND, 80
Diederichs, Otto v., 197 Dingman, Roger, 195 Dönitz, Karl, 6 Douhet, Giulio, 18 Drake, Sir Francis, 211
81, 93, 23, 74, 75, 79– 102, 115, 160, 199 Droysen, Johann Gustav, 11, 180 DREADNOUGHT,
Dülffer,
Jost, 5
Eckardstein, Hermann Frhr. v., 128 Edward VII., 39, 103 ELISABETH, 3 Epkenhans, Michael, 10, 104, 204, 205 ERZHERZOG FERDINAND MAXIMILIAN,
73 Esher, Reginald Baliol Brett, Viscount Esher, 47 Eulenburg, Philipp Graf zu E. und Hertefeld, 49 Fischel, Max v., 110
232
Namensregister
Fischer, Hannibal, 2 Fisher, Sir John Arbuthnot, Lord Kilverstone, 21, 23, 47, 48, 74, 75, 92, 98, 102, 103, 108, 115, 80, 89– 117, 132, 160, 193 Fournier, François, 23, 90 FRIEDRICH DER GROSSE, 77 Friedrich II. (der Große), 66, 134 FRIEDRICH III., 76 Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg, XI Fuchs, C.J., 64 Fuller, J.F.C., 18, 19
Galster, Karl, 88, 197 Gambier, James, Lord Gambier, 103 Gat, Azar, 19, 134 Gauß, Carl Friedrich, 157 Gemzell, Carl-Axel, 9, 55 Goltz, Colmar Frhr. v. der, 173 Goltz, Max Frhr. v. der, 72 Goschen, G.J., 115 Grey, Sir Edward, 47, 92, 93 Güth, Rolf, 159
Halle, Ernst v., 31 Hallmann, Hans, 11, 35, 50, 51, 53, 55,
71, 77, 107, 206 Hanke, Michael, 179 Hassell, Ulrich v., 11, 34, 206 Hatzfeldt-Wildenburg, Paul Graf v., 40,
50
Haushofer, Karl, 18 Heeringen, August v., 101 Heinrich, Prinz v. Preußen, 109 Heinsius, Paul, 2 Herbert, Arthur, Earl of Torrington,
151, 152 Herder, Johann Gottfried, 45, 51 Herwig, Holger H., 9, 31, 53, 58, 186, 191
Hitler, Adolf, 5, 94 Hobson, John Atkinson, 31, 32 Hobson, Rolf, 9, 53, 67, 84, 134, 154,
159, 168, 184, 205
Howe, Richard,
Earl Howe, 144
Hubatsch, Walther, 9, 25, 45, 132 INFLEXIBLE, 155 INVINCIBLE, 155 JEANNE D’ARC, 23
Jellicoe, Sir John R., 15 Jervis, Sir John, Lord St. Vincent, 96, 117 Jomini, Antoine Henri, 17, 19, 180, 181, 186, 211 Kühlmann, Richard v., 92, 182 KAISER, 36 KARL DER GROSSE, 60
11, 55, 64 Kehr, Eckart, 9– Kennedy, Paul M., 91, 184
Kern, Fritz, 11, 51 Kiderlen-Wächter, Alfred v., 92 Kirchhoff, Hermann, 157, 164 Knorr, Eduard v., 3, 26, 54, 55, 72, 178 Koester, Hans v., 77, 206 Kopernikus, Nikolaus, 178 LA GLOIRE, 3 Lambi, Ivo N., 9, 159 Lange, Sven, 156, 162 Lans, Wilhelm v., 38, 39 Laughton, Sir John Knox, 157 Levetzow, Magnus v., 59, 187 Lodge, Henry Cabot, 178 Low, Sidney, 160 Luce, Stephen W., 177 Ludendorff, Erich Friedrich Wilhelm, 129
Mackinder, George Halford, 18 36, 61, Mahan, Alfred T., 9, 14, 19, 34– 91, 97, 98, 110, 67, 68, 84, 89– 133, 139, 117, 122, 123, 129, 131–
140, 147, 149, 154, 155, 159, 169, 195, 198, 199, 201, 170, 173, 176– 210, 212 204, 205, 207– MAJESTIC, 80
Hohenlohe-Schillingsfürst, Chlodwig v.,
Maltzahn, Curt Frhr. v., 70, 72, 73, 75,
Hollmann, Friedrich v., 53, 66, 71, 72,
162, 165, 170, 179, 189, 193, 201, 209, 210 197– Marder, Arthur J., 16, 112, 120, 126 Maria Theresia, 135
38, 204
160, 182
v., 77, 109, 110, 112, 140 Hopman, Albert, 28, 41, 43, 73, 82, 106, 109, 110 Holtzendorff, Henning
77, 88, 95, 96, 99, 126, 134, 140,
Marienfeld, Wolfgang, Meinecke, Friedrich, 9
9
233
Namensregister
METEOR, 3
Metternich, Paul Graf v. Wolff, 40, 48,
99, 102, 121
Michalik, Bernhard, 38 MICHIGAN, 80
Mitchell, Peter Chalmers, 49 Mitchell, William (‚Billy‘), 18 Monck, George, Duke of Albemarle, 140 Monts, Alexander Graf v., 16, 55 Müller, Hermann, 5 Münster-Ledenburg, Georg Herbert Graf
zu, 114, 115 Napoleon (I.), 19, 41, 134 Napoleon (III.), Louis, 125 NASSAU, 80 Nauticus, 31 Nelson, Horatio, Viscount Nelson, 17,
77, 89, 103, 131, 201 Newton, Sir Isaac, 134
Oexle, Gerhard, 58
Palmerston, Henry John Temple, Viscount, 39, 64, 116 A“ ,5 Panzerschiff „ Persius, Lothar, 11, 81 Petter, Wolfgang, 2, 51, 57, 69, 122, 126,
198
Selborne, William Waldegrave Palmer,
Earl of, 92, 168 Selchow, Bogislav v., 59 Senden-Bibran, Gustav Baron v., 88, 114 SIEGFRIED, 70, 82 Slade, Sir Edmond John Warre, 98 SOUTH CAROLINA, 80 St. Vincent, Lord, siehe Jervis, Sir John Stadelmann, Rudolf, 38, 45, 49, 53, 63,
64, 107, 108, 138 Stang, Knut, 159 Steinberg, Jonathan, 37, 49, 55 Stenzel, Alfred, 43, 44, 58, 61, 66, 83, 84, 177, 105, 122, 125, 140, 154, 157– 206, 208, 209 179, 188, 192, 203– Stosch, Albrecht v., 11, 15, 33, 35, 36, 71, 73, 77, 81, 41, 43, 54, 61, 66– 83, 95, 125, 161, 165, 167, 173, 174, 194 Sydenham of Combe, George Sydenham Clarke, Baron, 132 Tegetthoff, Wilhelm v., 3 TERPSICHORE, 132
Thomsen, August, 75 Tirpitz, Rudolf Friedrich, 69 Torrington, Lord, siehe Herbert, Arthur Tourville, Anne-Hilarion de Cotentin, Comte de, 151, 152
Plivier, Theodor, 54 Pohl, Hugo v., 59
Uhle-Wettler, Franz, 10, 44, 49, 50, 53,
Raeder, Erich, 5, 6, 56, 60, 61, 110, 166
Valois, Viktor v., 197
RE D’ITALIA, 73 REGINA ELENA, 81
Richter, Eugen, 54, 71 Richthofen, Oswald Frhr. v., 127, 128 Ritter, Gerhard, 43 Rohwer, Jürgen, 104 Roon, Albrecht v., 205 Roosevelt, Theodore, 178 SACHSEN, 70 Salewski, Michael, 43, 52, 104, 181 Scheer, Reinhard, 57, 60, 62, 68, 77, 109,
188, 206
Schlieffen, Alfred Graf v., 94, 98, 128,
129
Schmoller, Gustav, 31 Schurman, Donald M., 141, 179 Scott, Sir Percy, 74
82
Waldersee, Alfred Graf v., 121 WARRIOR, 3 Weber, Max, 10, 33, 64 Wegener, Edward, 11, 189 Wegener, Wolfgang, 29 Wehler, Hans-Ulrich, 17, 163 Werner, Bartholomäus v., 159, 160 Werner, Reinhold, 54 Whitehead, Robert, 26 Wickede, Wilhelm v., 16 Widenmann, Wilhelm Karl, 48 Wilhelm I., 59 Wilhelm II., 6, 26, 28, 36, 37, 39, 43, 44,
60, 63, 64, 71, 72, 47, 53, 54, 57– 81, 88, 99, 102, 122, 177, 182, 187, 201 Wilkinson, (Henry) Spenser, 140, 159
234 Wislicenus, Georg, 159 WITTELSBACH, 80 Zenker, Adolf, 5, 29 Zimmermann, Arthur, 182
Namensregister
BEITRÄGE ZUR KOLONIAL- UNDÜBERSEEGESCHICHTE Herausgegeben
vonRudolf vonAlbertini undEberhard Schmitt
24. Peter Hablützel / Hans Werner Tobler /
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wart. 1984. XVI, 569 S., kt. 4056-0 27. Emil Schreyger: L’Office du Niger au Mali 1932 à 1982. La problématique d’une
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Vertrieb Paris
in Frankreich
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durch L’Harmattan,
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DasSchicksal dessüdindischen Textilhandwerks im 19. Jahrhundert. Miteinem Vorwort von Dietmar Rothermund. 1984. XII, 302 S. m.70 Tab., 13 Fig., 2 Skizzen, 4 Taf. m.8 Abb., kt. 4195-8
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Die Grundlegung
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derKolonial-
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34. Jörg Fisch: Hollands RuhminAsien. François Valentyns Vision desniederländischen Imperiums im18.Jahrhundert. 1986. 166S. m. 20 Abb., 1 Taf., kt. 4593-7 35. RolfHarald Wippich: Japan unddiedeutsche Fernostpolitik 1894– 1898. VomAusbruch des Chinesisch-Japanischen Krieges biszurBesetzung derKiautschou-Bucht. Ein Beitrag zur Wilhelminischen Weltpolitik. 1987. 440 S., kt. 4641-0 36. UweGranzow: Quadrant, Kompaß und Chronometer. Technische Implikationen
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mit der Levante 1848 bis X, 303 S., kt. 5063-9
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Die niederländisch-indische Kolonialverwaltung undindonesische Emanzipations1927. 1998. XIV, 353 bestrebungen 1901– 7264-0 S., kt. 72. Claudia Linda Reese: Neuseeland und Deutschland. Handelsabkommen, Außen-
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chende europäische Überseegeschichte in Bamberg 1999 in Hamburg. FürEberhard Schmitt zum60.Geburtstag. 1999. XVI, 304
7490-2 S., geb. 76. Hendrik L. Wesseling: Teile und herr1914. sche. Die Aufteilung Afrikas 1880–
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Autoris. Übers. a.d. Niederl. v.A.Pistorius. 1999. 386 S., 136 Abb., 11 Ktn., kt. 7543-7 Rolf Peter Tschapek: Bausteine eines zukünftigen deutschen Mittelafrika. Deutscher Imperialismus unddieportugiesischen Kolonien. Deutsches Interesse an densüdafrikanischen Kolonien Portugals vomausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg. 2000. 475 S., kt. 7592-5
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Maya-Katholizismus. Die katholische Kirche unddie indianischen Dorfgemeinschaf1821 und 1945– ten in Guatemala 1750– 7705-7 1970. 2001. 289 S., kt. 82. Christian Koller: ‚Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt‘. Die Diskussion um die Verwendung von Kolonialtruppen in Europa zwischen Rassismus, Kolonial- und Militärpolitik (1914–1930). 2001. 476 S.,
geb.
7765-0
83. Martin Stäheli: Die syrische Aussenpolitik unter Präsident Hafez Assad. Balanceakte im globalen Umbruch. 2001. 574 S. m. 7867-3 7 Ktn., geb. 84. Cornelia Pohlmann: Die Auswanderung aus dem Herzogtum Braunschweig im Kräftespiel staatlicher Einflußnahme und 1897. 2002. öffentlicher Resonanz 1720– 373 S., kt. 8054-6 85. Carl Jung: Kaross und Kimono. „HottenundJapaner imSpiegel desReisebetotten“ 1828). richts vonCarlPeter Thunberg (1743– 2002. 323 S. m. 5 Abb. u. 2 Faltktn., kt. 8120-8
78. Michael Mann: Bengalen im Umbruch. Die Herausbildung des britischen Kolonial1793. 2000. 469 S., kt.7603-4 staates 1754– 79. Urs Olbrecht: Bengalens Fluch und Segen. Die indische Juteindustrie in spät- und
86. Michael Schubert: Derschwarze Fremde. DasBilddesSchwarzafrikaners inderparlamentarischen undpublizistischen Kolonialdiskussion in Deutschland von den 1870er bis in die 1930er Jahre. 2003. 446 S., kt.
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87. Dawid Danilo Bartelt: Nation gegen Hinterland. DerKrieg vonCanudos in Brasilien: ein diskursives Ereignis (1874–1903). 2003. Ca. 415 S., kt. 8255-7 88. Christian Rödel: Krieger, Denker, Ama-
nachkolonialer Zeit. 2000. 288 S., kt.
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teure. Alfred vonTirpitz unddasSeekriegsbildvordem Ersten Weltkrieg. 2003. XI, 234 S., kt. 8360-X
FRANZ STEINER VERLAG STUTTGART
ISSN0522-6848
Von wahnwitzigem „Griff nach der Weltmacht“ bis reaktionärem, antiparlamentarischem „Sozialimperialismus“ reicht die Palette der Intentionen, die in der Forschung als ausschlaggebend für den Bau einer deutschen Schlachtflotte gesehen werden. Christian Rödel läßt in seiner detaillierten Studie die Marineexperten zu Wort kommen, die den Aufbau der Hochseeflotte aus erster Hand miterlebten und kommentierten, auf deren Arbeit aber auch der hinter ihm stehende Gedankeninhalt gründete. Rödel leistet damit eine lange vermißte Verankerung der Tirpitzschen strategischen Vorstellungen im militärisch-kulturellen Hintergrund seiner Zeit, ohne die alle weitergehenden Interpretationen des Flottenbaues auf einer unsicheren Basis stehen mußten, und setzt sich differenziert mit einer Historiographie auseinander, die die Schlagworte der Flottenpropaganda unkritisch übernahm oder apriorisch verwarf, ohne sie auf ihren zeitgebundenen Bedeutungsinhalt zu überprüfen.