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German Pages [171] Year 2019
Veröffentlichung des Universitätsverlages Osnabrück bei V&R unipress Krieg und Literatur / War and Literature Vol. XXV (2019)
Herausgegeben von Claudia Junk und Thomas F. Schneider Erich Maria Remarque-Friedenszentrum Erich Maria Remarque-Archiv / Forschungsstelle Krieg und Literatur
Claudia Junk / Thomas F. Schneider (Hg.)
Krieg in Comic, Graphic Novel und Literatur II
Herausgeber / Editor Erich Maria Remarque-Friedenszentrum Erich Maria Remarque-Archiv/Arbeitsstelle Krieg und Literatur Universität Osnabrück, Markt 6, D-49074 Osnabrück Herausgebergremium / Editorial Board Claudia Junk, Thomas F. Schneider Redaktion / Editing Claudia Junk, Deniz Demirtas, Johannes Eickhorst, Stephan Pohlmann, Marcus Weitz Wissenschaftlicher Beirat / Advisory Committee Prof. Dr. em. Alan Bance, University of Southampton, Great Britain Dr. Fabian Brändle, Zürich, Schweiz Dr. Jens Ebert, Historiker und Publizist, Berlin, BR Deutschland Prof. Dr. em. Frederick J. Harris, Fordham University, New York, USA Prof. Dr. Christa Ehrmann-Hämmerle, Universität Wien, Österreich Prof. Dr. em. Walter Hölbling, Karl-Franzens-Universität Graz, Österreich Prof. Dr. em. Bernd Hüppauf, New York University, New York, USA Prof. Dr. em. Holger M. Klein, Universität Salzburg, Österreich Prof. Dr. em. Manfred Messerschmidt, Freiburg/Br., BR Deutschland Dr. Holger Nehring, University of Stirling, Great Britain Prof. Dr. em. Hubert Orłowski, Uniwersytet Poznan, Polska PD Dr. Matthias Schöning, Universität Konstanz, BR Deutschland Prof. Dr. Benjamin Ziemann, University of Sheffield, Great Britain Gestaltung / Layout Claudia Junk, Thomas F. Schneider Titelbildnachweis Cover der Erstausgabe von Art Spiegelmans In the Shadow of no Towers. London: Pantheon, 2004.
KRIEG UND LITERATUR/WAR AND LITERATURE erscheint einmal jährlich. Preis pro Heft EUR 45,00 / Abonnement: EUR 40,00 p.a (+ Porto) © 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Birkstraße 10, D-25917 Leck / Printed in the EU. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-8471-1111-5 | ISBN 978-3-8470-1111-8 (E-Book) ISBN 978-3-7370-1111-2 (V&R eLibrary) | ISSN 0935-9060
Inhalt 7 Karina Bedenbecker Im Schatten keiner Türme Art Spiegelmans künstlerisch-literarische Auseinandersetzung mit dem Terroranschlag 9/11 47
Pia Dittmann Der Comic als Medium des Journalismus
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Brian Murdoch Wishful Thinking and the Feindbild in a German-War Novel of 1916
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Renata Dampc-Jarosz, Paweł Meus Zwei Stimmen für ein »neues Zeitalter der ernsten Arbeit und des Fortschritts« Der Beitrag von Max Herrmann-Neiße und Alfred Hein zur Erziehung der deutschen Jugend nach dem Ersten Weltkrieg
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Claudia Schwierczinski Nach Feinden suchen Kriegspropaganda im Dritten Reich anhand ausgewählter Beispiele aus der nationalsozialistischen Presse
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Inhalt
125 Ursula Meyer Mara Heinze-Hoferichter Friedel Starmatz – (k)ein Kriegsroman und seine Rezeption 135 Rezensionen/Reviews 135 Stephanie Bremerich, Dieter Burdorf, Abdalla Eldimagh. Flucht, Exil und Migration in der Literatur – Syrische und deutsche Perspektiven. (Michele Vangi) 139 Nicholas Stargardt. Der Deutsche Krieg. Zwischen Angst, Zweifel und Durchhaltewillen – wie die Menschen den Zweiten Weltkrieg erlebten. (Fabian Brändle) 140 Ernst Troeltsch. Kritische Gesamtausgabe. Band 21: Briefe IV (1915–1918). (Matthias Schöning)
145 Eingegangene Bücher/Books Received 169 Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe/ Contributors to this Edition
Karina Bedenbecker
Im Schatten keiner Türme Art Spiegelmans künstlerisch-literarische Auseinandersetzung mit dem Terroranschlag 9/11
Mit seinem ersten größeren Werk wird Art Spiegelman dem breiten Publikum bekannt: Die Graphic Novel Maus erscheint 1980 weltweit als differenzierte Auseinandersetzung mit der Holocaust-Katastrophe im Zweiten Weltkrieg und ist preisgekrönt. Als Sohn jüdischer Eltern, die ebendiese Zeit überleben, steht der Künstler solchen und weiteren politischen Ereignissen kritisch gegenüber und äußert seine Meinung als Journalist und Illustrator der Zeitung New Yorker immer schonungslos und ungeschönt, mit scharfer Zunge und kritischem Zeichenwerkzeug. So auch im Jahr 2001, als der Terroranschlag von verheerendem Ausmaß Amerika ereilt. Der Zusammensturz des World Trade Centers versetzt die Bürger der Staaten in ein Trauma, Art Spiegelman verarbeitet dieses in seinem zweiten großen Werk In the Shadow of No Towers.1 Nicht mehr Graphic Novel, sondern 10 sorgfältig ausgearbeitete Comicstrips umfasst dieser literarisch-künstlerische Kommentar, mit dem der Autor das typische Comicformat verlässt.2 Als Literatur- und Kunstform zugleich sind dem Genre viele Freiheiten erlaubt. Nachzuvollziehen, in welcher Relation die einzeln komponierten Sektionen auf dem jeweiligen Comicstrip stehen, ist fester Bestandteil und Hauptaufgabe des Lesers, um den Inhalt in Gänze zu erfahren. Comics sind dafür gemacht, schnell gelesen zu werden, ihre Aussagekraft liegt in der Verkürzung.3 Text und Bild erscheinen sofort plausibel,
1 Im Folgenden wird für die Arbeit synonym der Titel In the Shadow of No Towers und Im Schatten keiner Türme genannt. Dabei beziehen sich beide Titel jeweils auf die in dem Moment erwähnten Ausgaben in deutscher oder englischer Sprache. 2 Vgl. Kristiaan Versluys. Out of the blue. September 11 and the Novel. New York: Columbia University Press, 2009, 50. 3 Vgl. Jospeh Witek. Comic Books as History. The Narrative Art of Jack Jackson, Art Spiegelman, and Harvey Pekar. Mississippi: University Press, 1989, 8.
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dass dahinter aber weitaus mehr Inhalt steht, beweist Art Spiegelman mit seinem 9/11 Comic. Das als Massenmedium charakterisierte Genre ist aus Sicht des Autors mehr als geeignet für die Aufarbeitung der amerikanischen Katastrophe und erscheint auserwählt, um sich Gehör zu verschaffen.4 Im Schatten keiner Türme gilt als großes Gesamtwerk, in welchem unterschiedliche Faktoren zu einem Mehrwert zusammenfließen, sodass die Thematik mit der Struktur, Form, Sprache und dem Stil in Symbiose tritt und sich daraus jener Mehrwert ergibt.5 Demnach ist die Frage zu stellen, wie sich Art Spiegelman mit dem Terroranschlag 9/11 auf literarischer sowie künstlerischer Ebene auseinandersetzt, inwiefern es ihm möglich ist, das Medium Comic überzeugend sowie den Inhalt unterstützend einzusetzen und welches Ziel er dabei verfolgt.
2001 – Das Jahr, in dem entführte Passagierflugzeuge das World Trade Center zum Einsturz bringen und tausende Menschen im Zuge des Terroranschlags in New York ihr Leben lassen, bedeutet auch für Art Spiegelman einen großen Lebenseinschnitt. Als Augenzeuge kann er nur zusehen, wie die Tower in sich zusammenstürzen. Nachdem er sich jahrelang von der Herausgabe weiterer Comics, vor allem der Fortführung der Maus-Geschichte ferngehalten hat, ist 9/11 Zäsur und persönlicher Wake-up-Call zugleich.6 Er sieht sich in der Verantwortung, künstlerisch zu reagieren, die Stimme zu erheben.7 Über sich selbst sagt Spiegelman: »[I] never wanted to be a political cartoonist«,8 der Anschlag jedoch bringt ihn zu einem Ausdruck, den er sonst nie gehabt hätte. Es geht mir in meinen Werken nicht um Politik per se. Sie wissen ja, was man über Politik sagt: Es ist Hollywood für hässliche Menschen. Ich bin nicht an dieser Kategorie interessiert. Aber ich bin interessiert an den Kräften, die unser Leben beeinflussen. Und so lande ich oft bei der Politik.9
4 Vgl. Christina Meyer. »›After all, disaster is my muse‹: Art Spiegelman’s In the Shadow of No Towers«. Frank Kelleter, Daniel Stein (Hgg.). American Studies as Media Studies. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2008, 115. 5 Vgl. Witek, Comic Books, 4. 6 Vgl. Martha Kuhlman. »The Traumatic Temporality of Art Spiegelman’s In the Shadow of No Towers«. The Journal of Popular Culture 40 (2007), 5, 20.09.2007, 849. 7 Vgl. Versluys, Out of the blue, 61. 8 Zitiert nach Spiegelman. Versluys, Out of the blue, 73. 9 Zitiert nach Spiegelman. Lutz Göllner, Stefan Pannor. »›Ein Zustand des Schocks‹. Art Spiegelman über 9/11 und die Folgen«. Spiegel. Kultur, 11.09.2003, www.spiegel.de/kultur/literatur/ art- spiegelman-ueber-9-11-und-die-folgen-ein-zustand-des-schocks-a-265185.html (Zugriff am 19.07.2018).
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Art Spiegelman. Im Schatten keiner Türme
Abb. 1: Cover der Zeitung The New Yorker vom 24.09.2001.
Am 24. September 2001 erscheint The New Yorker mit Cover à la Spiegelman (Abb. 1), komplett in schwarz gehalten. Es grenzt sich ab vom mit sensationsorientierten, dramatischen Bildern gefluteten Rest des Zeitungsmarktes und ist zugleich Startschuss einer noch folgenden, weitreichenden und hochkomplexen 9/11 Abhandlung. Nach der Covergestaltung ist der Illustrator laut eigener Aussagen mit der politischen Katastrophe in New York als Zeichner und besonders als Künstler und Autor noch längst nicht fertig, es folgt die Arbeit an In the Shadow of No Towers.10 Art Spiegelman ist bekannt für seine scharfzüngigen medialen Auftritte.11 In seinem neuen Werk ist und bleibt er besonders auch jetzt nicht bequem 10 Vgl. Andreas Platthaus. »Art Spiegelman. Porträt«. FAZ, 01.02.2008, www.faz.net/aktuell/feuilleton/ comic-spezial/autor/portraet-art-spiegelman-1745763.html (Zugriff am 29.05.2018); Jan Baetens, Hugo Frey. The Graphic Novel. An Introduction. New York: Cambridge University Press, 2015, 207. 11 Art Spiegelman hat als Vorreiter den Comic für das breite Publikum salonfähig gemacht und als literarische sowie künstlerische Erzählform etabliert. In den 1980ern verbreitet er den Comic als autobiografisches und kritisches Genre. Verantwortlich dafür ist die Underground Comix Bewegung in den 1970ern, ein Netzwerk junger, satirischer Künstler und Basis vieler später erfolgreicher Comiczeichner und Autoren. Aus dem belächelten Image wird Dank Spiegelman ein ernstzunehmendes Medium, welches auch in der Lage ist, reflektiert, faktenorientiert und kritisch Themen für ein erwachsenes Publikum darzustellen. Als Bestsellerautor begegnet er nicht mehr nur dem
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und angepasst.12 In the Shadow of No Towers soll kritisieren, problematisieren, politisch kommentieren und hinterfragen.13 Es handelt sich um eine persönliche Trauma-Aufarbeitung als »slow-motion diary« und wird sein komplexestes Werk bis dato.14 Nicht nur die speziellen erzählerischen Chancen des Comics entdeckt der Autor neu, er versteht es ein weiteres Mal, die Sprache des Mediums konsequent und bewusst zu sezieren.15
Im Schatten keiner Türme Autobiografische Aufarbeitung trifft auf sarkastische Kritik Bei den 10 Comicseiten, die unter dem Titel In the Shadow of No Towers zu fassen sind, handelt es sich um Aufzeichnungen der eigenen Erinnerungen an den Terroranschlag 9/11 zusammen mit einer stark subjektiv geprägten, politischen Deutung der Ereignisse und deren Folgen. Persönliche und öffentliche Dimensionen treffen dabei aufeinander.16 Um der Geschichte von In the Shadow of No Towers einen Rahmen zu geben, lässt Art Spiegelman auf den ersten vier Platten der Comicreihe immer wieder Szenen einfließen, die seine Situation während der Anschläge schildern. Art und seine Frau Françoise Mouly sind in den Straßen unweit vom World Trade Center unterwegs, als es passiert. Mit dem Fortschreiten der einzelnen Folgen geraten die Erlebnisse des Protagonisten in den Hintergrund und werden von komplexen Gedankengängen seinerseits ersetzt. Sein Empfinden ändert sich stetig, der persönliche Verarbeitungsprozess schreitet voran. Auf einer Metaebene durchbrechen Kommentare über die Arbeit an den Comicplatten, also über den Zeichenprozess Spiegelmans, die Handlung. Er versucht, das durch 9/11 entstandene Trauma zu durchdringen, und stellt sich dem in seinen Metapanels, die den Comic ebenso zeitlich kontextualisieren, gegenüber.
Undergroundleser, sondern stellt mit seinen Arbeiten eine neue Gegenbewegung vor dem breiten Lesepublikum der dominanten Literatur- und Medienkultur dar. 12 Vgl. Petra Tabeling. »Im Schatten gezeichnet«. Deutsche Welle. Kultur, 06.09.2002, www.dw.com/ de/im-schatten-gezeichnet/a-623036 (Zugriff am 18.05.2018). 13 Vgl. Thomas Schmidtgall. Traumatische Erfahrungen im Mediengedächtnis. Zur Struktur und interkulturellen Rezeption fiktionaler Darstellungen des 11. September 2001 in Deutschland, Frankreich und Spanien. Würzburg: Königshausen & Neumann GmbH, 2014, 201. 14 Vgl. Kuhlman, The Traumatic, 849f. 15 Vgl. Christian Gasser. »Zusammenbrüche, Mäuse und Türme«. FAZ. Feuilleton, 15.12.2008, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/comic-spezial/breakdowns-und-oubapo-zusammenbrueche- maeuse-und-tuerme-1739666-p3.html (Zugriff am 29.05.2018); Platthaus, »Art Spiegalman«. 16 Vgl. Schmidtgall, Traumatische Erfahrungen, 207; Arin Keeble. The 9/11 Novel. Trauma, Politics and Identity. Jefferson, NC: McFarland & Company, 2014, 18.
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No Towers depicts an artist who finds himself navigating multiple systems of representation in order to find one that appropriately captures his lived experience of September 11, 2001.17
Von vorsichtigen Andeutungen über zwischenzeilige, politische wie gesellschaftliche Kommentare gelangt der Comic im Verlauf der einzelnen Folgen schnell zu klaren Verschwörungsgedanken hinsichtlich einer Verantwortung der USRegierung an den Anschlägen und dessen Folgen.18 Das Thema der beidseitigen Terrorisierung gleichermaßen von Al-Kaida und Bush gelangt in den Fokus. Kritisiert werden sowohl die Handlungsweise und Einstellung der Bush Administration im Speziellen als auch die der Medien sowie die Gesellschaft in ihrem blinden Patriotismus im Allgemeinen. Auch im politischen Kommentar bleibt Spiegelman nicht nur beim 11. September, sondern schließt die zu der Zeit aktuelle Tagespolitik rund um die Folgen des Anschlags mit ein und nimmt vor allem den Irakkrieg in den Blickpunkt. Der Comic adressiert sein kriselndes Land und gibt eine explizite, politische Message ab.19 Nicht nur der Anschlag allein und alle zu vernehmenden öffentlichen Debatten sind Themen, sondern ebenso die Paranoia des Protagonisten, Erzählers und Autors, der unter anderem mit unmissverständlicher Ablehnung dem Folgekrieg im Irak gegenübersteht.20 Eingestuft wird dieser Comic deswegen auch als teilweise autobiografische Repräsentation eines postmodernen, erschütterten, mit sich selbst kämpfenden Ichs des Autors und Erzählers im Versuch zu verstehen, was am 11. September wirklich geschehen ist.21 Der selbstironische Amerikaner sucht sein verloren gegangenes Gleichgewicht und findet es auf persönlich-neurotischer Ebene.22 Die Darstellung dabei ist immer fragmentarisch und selbstreflexiv.23 Mit alternativer Erzählweise der Comicmontage bleibt In the Shadow of No Towers nicht innerhalb der literarisch konventionellen Grenzen, sondern schafft ästhetische Innovationen auf formaler und struktureller Weise.24 Das unübliche Großformat und die Kombination aus Autobiografie, Dokumentation, politischer Kritik, Fiktion und einer Collage aus 17 Philip Smith. Reading Art Spiegelman. New York, London: Taylor & Francis/Routledge, 2016, 103. 18 Vgl. Schmidtgall, Traumatische Erfahrungen, 202. 19 Vgl. Versluys, Out of the blue, 66; Smith, Reading Art Spiegelman,103. 20 Vgl. Meyer, »After all«, 111. 21 Ebd., 108. 22 Vgl. Fritz Göttler. »Überlagert vom Grauen des Holocaust«. SZ, 07.09.2011, www.sueddeutsche. de/Kultur/desaster-comic-im-schatten-keiner-tuerme-ueberlagert-vom-grauen-des-holocaust-1.1140107 (Zugriff am 18.05.2018). 23 Vgl. Kuhlman, »The Traumatic«, 850. 24 Vgl. Erin McGlothlin. »›When time stands still‹. Traumatic Immediacy and Narrative Organization in Art Spiegelman’s Maus and In the Shadow of No Towers. Samantha Baskind, Ranen Omer-Sherman (Hgg.). The Jewish Graphic Novel. Critical Approaches. New Brunswick, New Jersey, London: Rutgers University Press, 2008, 100.
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Cartoons im teilweise metanarrativen Diskurs bedingen im Zusammenschluss ein episodisches, chaotisches Zusammentreffen intensiver, traumatischer Impressionen, die es zu sortieren und durchdringen gilt.25
Strategie vs. Praxis: Publikationsprobleme und Wirkungsverlust »Von allen Ereignissen der Weltgeschichte wurde keins so umfassend dokumentiert wie die Anschläge vom 11. September 2001 in New York«26 – Art Spiegelman trägt als Künstler, Autor und Kritiker einen bedeutenden Teil zu jenem Œuvre bei und versucht, sicher zu stellen, dass genau dieser Teil nicht unerhört bleibt. Während der Arbeit an In the Shadow of No Towers ist das Land gespalten und die Politik umstritten. Unterstützt von Medien und Kampagnen beginnt sich ein allgemeiner Patriotismus zu entwickeln, der kritische Stimmen, wie Art Spiegelman sie vorbringt, konsequent ablehnt. Die einzelnen 10 Folgen werden erst ein ganzes Jahr nach dem Anschlag in der deutschen Wochenzeitung Die Zeit im Abstand von mehreren Wochen episodisch erstveröffentlicht. Nicht nur der eigene noch langanhaltende Schockzustand, der ihn hindert, seine Gedanken zeitnah auf das Papier zu bringen, auch die Ablehnung der großen amerikanischen Printmedien, den Comic aufgrund zu hoher USA-Kritik zu veröffentlichen, verzögern die Publikation.27 Besonders auch in den Folgejahren, die angeführt vom amerikanischen Präsidenten einen Feldzug gegen die »Achse des Bösen« hervorbringen, verschärfen sich die politischen Zustände weiter, sodass an eine amerikanische Erstveröffentlichung nicht gedacht werden kann. Besonders weil die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen auf vielfältige Weise in die Arbeit des Künstlers einfließen und eine solch kritische Reaktion des Zeitgeschehens ein Publikum braucht, um echte Wirkung zu zeigen, ist die erste Idee einer Publikationsstrategie beinahe gescheitert. Erst nach vollständiger europäischer Erstveröffentlichung und einer Veränderung des politischen Klimas in den USA ist sein Heimatland ebenfalls bereit, Bilder in amerikanischen Zeitungen und die gebundene Version des Comics zu publizieren. Zwar kann Spiegelmans Comic aufgrund der immer noch fortschreitenden Folgeerscheinungen von 9/11 das europäische Publikum trotzdem durch eine bestehende Korrelation mit den eskalierenden politischen Zuständen in den USA fesseln,28 als tragisch kann es dennoch bezeichnet werden, dass der Comic in dem Land, welches doch in erster Linie vom Künstler adressiert
25 Ebd. 26 Zitiert nach Adrian Kreye. Schmidtgall, Traumatische Erfahrungen, 70. 27 Vgl. Göllner/Pannor, »Ein Zustand des Schocks«. 28 Vgl. Keeble, The 9/11 Novel, 35.
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wird, erst zwei Jahre später der breiten Öffentlichkeit zugänglich wird.29 2004 mit der amerikanischen Buchveröffentlichung der einst publizierten Zeitungscomics ist die Aktualität des Terroranschlags zwar noch nicht in Gänze verflogen, aber sicherlich schon geschwächt, die Intentionskraft von In the Shadow of No Towers damit ebenso?30
Analyseschlüssel: Text-Bild-Kohärenz Im Schatten keiner Türme – eine Allegorie, die das Unsagbare zum Ausdruck zu bringen versucht.31 Als moderne Collage präsentiert der Comic mit auffälligen Farben, klassisch dunklen Umrandungen, einem dynamischen und irregulären Layout »oversized skyscrapers and outsized events«.32 Das Spiel mit einem so offenen Medium kommt der Darstellung einer derartigen, unbeschreiblichen Atmosphäre, wie sie es am 11. September 2001 zu sein scheint, erstaunlich nahe, und das obwohl Art Spiegelman in seinem Comic auf Eigenschaften der Erinnerung aufbaut, die dem Inhalt Fragilität verleihen.33 Art Spiegelman erstellt dabei keinen Comic, der wie ein Roman von einer fortlaufenden Handlung durchzogen wird, sondern kreiert 10 übergroße Cartoons in differentem Stil und unter Hinzunahme von diversen Quellen. Der Erzählfluss ist fragmentiert, was einerseits eine klassische Orientierung an Höhe- und Wendepunkten und einleitenden Worten sowie eine Auflösung mit Happy End kaum noch zulässt, jedoch gerade aufgrund dessen eine Atmosphäre der Unmittelbarkeit erzeugt.34 Eine erklärende Einleitung ist zumindest in der Buchversion von 2004 und 2011 zu finden. Die 10 Seiten aber stehen für sich einzeln und als unabhängiges Statement dar – eine klare Storyline oder lineare Erzählführung sucht man vergeblich, und das durchaus bewusst. Die Diskontinuität in der Erzählung korreliert mit dem Charakter des Traumas und spiegelt den Konflikt wider zwischen dem Willen, die schrecklichen Ereignisse einfach zu ignorieren und zu leugnen 29 Deutschland: Die Zeit (Erstveröffentlichung: 05.09.02 ca. monatlich fortlaufend); Amerika: Jewish Forward (kleines Spezialblatt; 07.09.02 ca. monatlich fortlaufend); Großbritannien: The Independent (11.09.03 einmaliger Sonderbeitrag inkl. Comicauszüge); Großbritannien: London Review of Books (ca. März bis 11.09.2003 alle Folgen fortlaufend); Italien: La Repubblica (keine Angaben); Belgien: De Standaard (keine Angaben); Frankreich; Niederlande. 30 Vgl. Smith, Reading Art Spiegelman, 132. 31 Vgl. Versluys, Out of the blue, 65. 32 Vgl. Art Spiegelman. In the Shadow of No Towers. New York: Pantheon Books, 2004, Vorwort. 33 Vgl. Henry Jenkins. »Archival, Ephemeral, and Residual: The Funktions of Early Comics in Art Spiegelman’s In the Shadow of No Towers«. Daniel Stein, Jan-Noẽl Thon (Hgg.). From Comic Strips to Graphic Novels. Contributions to the Theory and History of Graphic Narrative. Berlin, Boston: De Gruyter, 2015, 312. 34 Vgl. Schmidtgall, Traumatische Erfahrungen, 206.
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und dem Drang, sich laut darüber zu äußern.35 Arin Keeble nennt es »tension between the need for articulation and the inexpressible.«36 It is the organization of the page which seems to dictate the narrative. A particular arrangement generates a piece of narration.37
Die Seiten- und Panelgestaltung scheint dabei spielerisch, ein wesentliches dramaturgisches Mittel für den Erzählfluss, wobei die Erzählung und das Layout immer auch einen unterschiedlichen Nutzen verfolgen können.38 Permanenz, Stabilität und Wiederholung stehen dem Wandel der Veränderung und Transformation gegenüber und erzeugen durch abwechslungsreiche Kompositionen eine Dynamik im Textgegenstand.39 Aber auf welche Art und Weise kann ein Comic unter derartigen Komplexitäten überhaupt entschlüsselt werden? Wie funktioniert der Comic als narratives Medium?40 Inwieweit wirken Text und Bild in Kohärenz und wie wird die Botschaft schlussendlich vermittelt? It’s like shizophrenia, but multiplied: I want to say this, but also that, and sometimes things don’t have anything to do with each other but they are indirectly related. How do I place them next to each other on the page? How can they be linked visually if they are opposed at the same time? What element can travel from one idea to another? And what kind of global collage can incorporate all of this?41
Vier der 10 Platten, die unter Im Schatten keiner Türme zu fassen sind, erfahren bislang noch keine genauere Analyse von Text und Bild und bleiben weitestgehend unerwähnt. Zwei davon sollen hier Erwähnung finden. Folge 4 und Folge 7 entstammen aus zwei stark differenten Stadien der Comicreihe, weshalb sich aus beiden Platten aufschlussreiche Informationen über Intention und Charakter des Comics ergeben können. In der ersten zu analysierenden Folge 4 befinden sich der Autor und auch der Leser noch im Anfangsstadium der Verarbeitung. Art Spiegelman berichtet in Teilen von den Geschehnissen, die ihm am Anschlagstag widerfahren, und beginnt langsam zu hinterfragen. Drei Folgen und fünf Monate später verirren sich reine Nacherzählungen des Septembermorgens nicht mehr 35 Vgl. Keeble, The 9/11 Novel, 19. 36 Ebd. 37 Zitiert nach Benoît Peeters. Baetens/Frey, The Graphic Novel, 113. 38 Vgl. Schmidtgall, Traumatische Erfahrungen, 209. 39 Vgl. Baetens/Frey, The Graphic Novel, 130. 40 Vgl. Witek, Comic Books as History, 11. 41 Zitiert nach Spiegelman im Interview mit Benoît Peeters im Juli 2004. Kuhlman, The Traumatic Temporality, 856.
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in die künstlerisch-literarische Auseinandersetzung. Art Spiegelman wechselt in Folge 7 gänzlich auf die rein analytische Herangehensweise. Es ist demnach die Frage zu stellen, inwieweit sich die beiden Folgen voneinander in ihrer Aussage und Meinungsäußerung unterscheiden und an welcher Stelle sich eine allgemeine Intention des Gesamtwerks abzeichnet. Art Spiegelman fokussiert sowohl die Unmittelbarkeit des Zusammenstoßes als auch die Omnipräsenz der medialen Repräsentationen im Nachhinein.42 Er adressiert George W. Bush als Verantwortlichen und Repräsentanten Amerikas direkt und sieht in ihm eine ständige Erinnerung an das Trauma 9/11, was ihn wiederum daran hindert, dies loszuwerden.43 Ebenso wird der Prozess des Schreibens thematisiert, indem der Autor sich selbst auf der Suche nach den richtigen Fragen und Antworten kommentiert. Intertextuelle und intermediale Anspielungen sorgen für kritische Distanz, da sich der Autor durch die fiktionale Zwischenebene zurücknehmen kann. Besonders Bezugnahmen amerikanischer Comics aus dem 20. Jahrhundert fordern den Leser, für den ohne Kenntnisse jener Referenzen die Serie nur schwer zugänglich ist. Sie hinterfragen den von Bush geführten Krieg gegen den Terror – ein metaphorisch-kritischer Kommentar zu den aktuellen politischen Ereignissen und Entscheidungen.44
Folge 4 Spiegelmans Arbeit an Folge 4 beansprucht den gesamten August und nahezu den kompletten September 2002, veröffentlicht wird sie schließlich am 5. Dezember desselben Jahres in der Zeit. Thema ist der wohl prägendste Moment des 11. Septembers, den Art Spiegelman erlebt: die Rettung der Tochter Nadja aus ihrer Schule nahe des World Trade Centers. Bemerkungen zur derzeitigen Politik, Presse und Gesellschaft finden ebenso ihren Platz auf der Seite, wie zudem Spiegelmans Gedankengänge und allgemeine Überlegungen sowohl zu sich selbst als auch zum aktuellen Geschehen. Es heißt in einleitenden Panels, dass die Erinnerungen verblassen, die Bilder in seinem Kopf allerdings bleiben immer noch präsent und scharf, wenn der Künstler die Augen schließe. Dabei handelt es sich nicht nur um Bilder vom Einsturz des Wolkenkratzers, sondern besonders auch von seiner persönlichen Reise durch die Straßen New Yorks währenddessen. An dieser Stelle sind es im Besonderen die Erinnerungen an die Suche nach seiner Tochter Nadja. Sie beginnen mit dem Weg
42 Vgl. Meyer, »After all«, 108. 43 Vgl. Versluys, Out of the blue, 70. 44 Vgl. Baetens/Frey, The Graphic Novel, 240.
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zur Schule des Mädchens, auf dem die rauchenden Türme bedrohlicher werden. Laut Spiegelman seien die Paparazzi auf der Jagd nach dem Schnappschuss des Tages mindestens ebenso auffällig zu beobachten. In der Schule gestaltet es sich aufgrund der allgemeinen Panik schwierig, Nadja zu finden. Vergleichsweise nüchtern wird nach dem Finderglück der Heimweg von Vater, Mutter und Tochter beschrieben. Unterhaltungsthema Nr. 1: Art Spiegelmans Einstellung zur Stadt des Chaos in seiner Rolle als »verwurzelter New Yorker«. Die gesamte Handlung von Folge 4 ist visuell begleitet vom Konstrukt der glühenden Türme, unterlegt von einem Auszug aus Rudolph Dirks Katzenjammer Kids und überflogen von einem berittenen Adler in Not (Abb. 2). Die einzelnen Handlungsstränge werden einerseits klar durch die Position und den Zeichenstil getrennt, andererseits auf unterschiedliche Art und Weise miteinander verwoben. Das Bild der »Glowing Bones«, die Einleitung der Folge, setzt sich visuell im Erzählstrang in der Schule fort. Die wiederum ist eingeteilt in eine objektive, kritische Rahmenhandlung und einen emotionalen Mittelteil – jeweils differenziert durch Panelgestaltung, Komposition und die Erzählstrategie. Spiegelmans Gedan-
Abb. 2: Art Spiegelman. Im Schatten keiner Türme. Folge 4, 05.12.2002.
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ken und die emotionale Suche nach seiner Tochter erscheinen in handschriftlichen Notizen, der Rest bleibt bei genormten Druckbuchstaben. Dass einzig der Mittelteil des Comicstrips aus der ersten Person Singular verfasst ist, erscheint als Teil der kompositorischen Strategie. Neben Berichterstattung und Erzählung mischen sich vereinzelt Kommentare und kritische Bemerkungen unter. Der ungerahmte Adler am Kopf der Seite ist dem Ganzen schlussendlich nebengeordnet. Rein visuell hat Folge 4 klaren Collagencharakter: Klassische Zeichnung trifft auf Karikatur, aquarellierte Bilder, animierte Panels und einen Hintergrund in digitaler Rasterung. Es ergeben sich vier große Erzählstränge, die hier verkürzt als The Glowing Bones (1), Nadja (2), Katzenjammer (3) und Bush-Cheney-Rumsfeld (4) bezeichnet werden. Das Abstraktum der »Glowing Bones« begleitet den Leser durch den gesamten Comic. Es handelt sich um des Autors sowohl erzählerische als auch bildliche Vision seiner Desintegration, festgehalten in einem zentralen, sich immer wiederholenden Bild der zerfallenden Türme.45 Man kann es als eine Repräsentation des eingefrorenen Moments 9/11 sehen.46 »Wie doch die Zeit vergeht, während sie stillsteht.«47 In Folge 4 schreibt Spiegelman die Intention des zum Leitmotiv avancierten Panels aus. Das World Trade Center-Skelett ist kein Medienbild, sondern sein ganz eigener Sinneseindruck. Als Leitmotiv und Sinnbild für Spiegelmans Ausdruck wirft es sowohl als Bericht, Reflektion und Metapher seines Inneren Grundfragen auf. Durch die »Glowing Bones« liefert er Emotionen und Seinszustände immer in Bezug auf die äußeren Einflüsse.48 Die ironische Bemerkung »Mittlerweile ist der Jahrestag vorüber gegangen – Herzlichen Glückwunsch!«49 lässt beispielsweise jene wertende Einstellung durchscheinen. Der Verweis auf die Zeitgeschichte, man befinde sich nun ein Jahr nach dem Anschlag, kontextualisiert die Folge sogleich politisch und schafft Aktualität. Spiegelmans Tochter Nadja ist Schlüsselfigur, durch sie wird das Ereignis am 11. September zu einem emotionalen und persönlichen Moment. »Er erinnert sich schon wieder an jenen Morgen«50 – Mithilfe der Erzählung über den Morgen des Anschlags reproduziert der Autor die essentiellen Facetten des Chaos, Schocks und der Ungewissheit, die ihn zu der Zeit bedrücken.51 Wie es das Leitmotiv der »Glowing Bones« andeutet, erfüllt die primäre Handlung in Folge 4 den Status
45 Vgl. Meyer, »After all«, 111. 46 Vgl. Kuhlman, The Traumatic Temporality, 851. 47 Vgl. Art Spiegelman. »Im Schatten keiner Türme. Folge 4«. Die Zeit. Leben, 50, 05.12.2002, 63. 48 Vgl. Versluys, Out of the blue, 71. 49 Spiegelman, »Im Schatten keiner Türme«, 50/2002, 63. 50 Ebd. 51 Vgl. McGlothlin, »When time stands still«, 104.
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Abb. 3: Katzenjammer Kids. Art Spiegelman. Im Schatten keiner Türme. Folge 4, 05.12.2002.
der ständigen Erinnerung, ob diese jedoch jemals verblassen wird, weiß wohl nur Spiegelman selbst. Sowohl durch Aussagen seiner selbst als auch seiner Frau und einer metaphorischen Adaption der Katzenjammer Kids übt er außerdem im Rahmen der Handlung um Nadja Kritik an der Sensationslust der Medien. Sowohl als Teil des Haupterzählstrangs um Nadja als auch als Hintergrund des gesamten Comicstrips finden die Hauptcharaktere aus Rudolph Dirks Katzenjammer Kids Eingang in Folge 4 (Abb. 3). Hintergrund ist kaum allein Spiegelmans Nostalgie für alte Zeitungscomics, wie es oft in der Rezeption zu Im Schatten keiner Türme Erwähnung findet, sie spiegeln in ihrer ganz eigenen Erzählweise und Handlung die aktuellen politischen Ängste und Bedenken wider und leisten einen essentiellen Beitrag zur Intention.52 So sind die Zwillinge Hans und Fritz an dieser Stelle als Symbol für Rebellion und Aufstand gegen Autoritäten zu übersetzen. Nach jedem Streich der Zwei folgt gemäß der Comicvorlage stets die Bestrafung, welche im hier abgebildeten Auszug in den Gesichtern der Figuren zu sehen ist. Für den Kontext 9/11 entfremdet, tragen die Zwillinge in Spiegelmans Panels die rauchenden Türme des World Trade Centers, genannt Zwillingstürme, auf dem Kopf. Als Tower Twins sind sie genauso wenig vom World Trade Center zu trennen, wie dasselbige von ihnen. Klar zu charakterisieren sind sie als Personifizierungen jener Gebäude, die buchstäblich außer Kontrolle geraten. Der Comic ist in Im Schatten keiner Türme nicht nur angewandtes Medium selbst, Spiegelman nutzt ihn ebenso als intermedialen Verweis auf weitere, bedeu52 Vgl. Baetens/Frey, The Graphic Novel, 240f.
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tende Werke, wie hier die Katzenjammer Kids mit der primären Funktion eines Kommentars. Powell, Bush, die Neokonservativen um Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, dessen Vize Paul Wolfowitz und Vize-Präsident Dick Cheney: Sie stehen für den neunjährigen Krieg, in dessen Verlauf 4422 US-Soldaten und mehr als 100.000 Iraker starben.53
Dass insbesondere das hier abgebildete Trio um Bush, Cheney und Rumsfeld sich und ihrer Regierung buchstäblich ins eigene Fleisch schneide, macht Art Spiegelman in seiner karikierten Umsetzung des berittenen Adlers (Abb. 4) mehr als deutlich.
Abb. 4: Karikatur des Adlers. Art Spiegelman. Im Schatten keiner Türme. Folge 4. Zürich: Artium, 2011.
Wie ein Titel ist der Adler im Kopf des Comicstrips mit zwei Personen auf seinem Rücken abgebildet. Der Adler, gekleidet mit Hut in amerikanischen Farben und das Wappentier der Vereinigten Staaten, zeigt sich hier als Symbol der Regierung um George W. Bush zur Zeit der Jahrhundertwende. Auf seinem Rücken die beiden oben genannten Politiker aus Bushs Kabinett: Richard Cheney, Vizepräsident der USA, schneidet dem Adler mit einem Cutter die Kehle auf, Donald Rumsfeld, Verteidigungsminister, der für sein robustes Vorgehen bekannt ist, sitzt dahinter und kann es kaum erwarten. Beide sind unter der Führung vom Präsidenten mitverantwortlich für die politischen Folgen des Terroranschlags. Art Spiegelman erkennt Cheney und Rumsfeld als eigentliche »Täter«. Dass Spiegelman hier nicht Jerome Powell, der besonders in den Medien als Sündenbock gehandelt wird, weil er die falschen Beweise und Rechtfertigungen des Irak-Angriffs der Öffentlich-
53 Sebastian Fischer. »Zehn Jahre Irak-Angriff. Was aus den Bush-Kriegern wurde«. Spiegel Online, 22.03.2013, www.spiegel.de/politik/ausland/von-george-w-bush-bis-dick-cheney-was-aus-amerikas -kriegern-wurde-a-890291.html (Zugriff am 16.08.2018).
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keit präsentieren darf, karikiert, zeugt von Hintergrundwissen und stichhaltiger Argumentation des Autors. Im Allgemeinen arbeitet Art Spiegelman mit unterschiedlichen Erzähl- und Handlungssträngen, die nicht nur bei einem Blick auf die Einzelseite, sondern ebenso in der Betrachtung der ganzen Comicserie erst einmal einer erzählerischen Gesamterfassung entgegenwirken.54 Im Kontext der neun weiteren Folgen kann diese Seite dennoch eingeordnet werden. Viele detaillierte Berichterstattungen des morgendlichen 11. Septembers überlagern die immer noch eher unterschwelligen Kritikanstöße und Bemerkungen seitens des Autors. Wenn man den Textbausteinen des Strips Glauben schenkt, verblassen die Erinnerungen zwar, dargestellt werden sie aber immer noch lebendig und vermitteln das Gefühl, dass auch ein Jahr nach den Anschlägen 9/11 stets präsent ist und bleibt. Komplexe Darstellungstechniken unterstützen eine Atmosphäre der Hilflosigkeit, Verwirrung und politischen Empörung.55 Die zufällige Überschüttung von Material gibt dem Ganzen Dringlichkeit, vermittelt gleichzeitig aber auch Ungläubigkeit, Zweifel und Panik.56 Sowohl inhaltlich als auch bildsprachlich zieht Art Spiegelman einige Register: Folge 4 wird aufgeladen durch intermediale Verweise in Form der Katzenjammer Kids, durch Bezüge zum zeitgeschichtlichen und politischen Kontext, eine Fülle von rhetorischen und auch bildsprachlichen Mitteln, unterschiedlichen Charakteren, Settings und Perspektiven sowie differierenden Panelgestaltungen, Kompositionen und Zeichenstilen. Aquarell trifft auf Sketch, digitale Rasterung auf Bildmontage. Unterschiedliche Perspektiven des Erzählers folgern einen instabilen Blickwinkel im ständigen Wechsel der repräsentativen Modi.57
Folge 7 Folge 7 (Abb. 5) von Im Schatten keiner Türme entsteht im März 2003 und wird einen Monat später, Ende April, in der Zeit veröffentlicht. Nicht nur in der Erzählzeit, auch in der erzählten Zeit des Comicinhalts korreliert der Strip mit den aktuellen politischen Geschehnissen im Irak. Spiegelman macht neben blindem Patriotismus der Bush-Anhänger und -Wähler besonders seine eigenen Reaktionen und Einstellungen gegenüber dem Irakkrieg zum Thema. Dabei bleibt er nicht bei allgemeinen Aussagen, sondern seziert das Kernproblem: Rückblickend gefragt, versucht der Strip unter der Oberfläche nach Antworten zu suchen und verbleibt dabei auf metaphorischer Ebene. 54 Vgl. Schmidtgall, Traumatische Erfahrungen, 201f. 55 Vgl. Versluys, Out of the blue, 63. 56 Ebd., 64. 57 Vgl. Jenkins, »Archival, Ephemeral«, 313.
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Abb. 5: Art Spiegelman. Im Schatten keiner Türme. Folge 7. Zürich: Artium, 2011.
Wie auch in Folge 4 machen hier ebenfalls die »Glowing Bones« den Anfang, transformieren sich jedoch auf gedanklicher Ebene visuell zur amerikanischen Flagge, die den Platz um Ground Zero in diesen Tagen schmückt. Spiegelman flüchtet davor, versteckt sich im nächsten Panel jedoch wiederum unter einem Exemplar der Stars and Stripes. Geborgenheit kann er dabei nicht finden. Einen möglichen Grund dafür zeigt der Künstler im nächsten Panel. Die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 spalten das Land in eine Nation »unter zwei Flaggen«. Spiegelman selbst zeigt sich als Demokrat unter abertausenden (Schein-)Republikanern, bleibt neutral aber metaphorisch aufgeladen: Ein graues Individuum zwischen blauen Friedenstauben und roten Adlern. Trotz der scheinbaren Überzahl der Republikaner sprechen die Bilder eher davon, dass so gut wie keiner die Entscheidungen der roten Regierung unterstütze und kaum einen solchen Fortlauf gewählt habe. Die Regierung in ihrer Kriegsentschlossenheit wird im letzten, unteren Panel der Seite zum Thema. In einem Zitat des 20. Jahrhundert-Comics The Upside Downs of Little Lady Lovekins and Old Man Muffaroo von Gustave Verbeek bricht eine Horde Fabelwesen zur Schlacht auf, kopfüber. Aufgebaut ist Folge 7 wie eine Zeitungsseite. Unterschiedliche Blöcke stehen wie Artikel und Berichte neben-, über- und untereinander, sodass sich vier Erzählstränge ergeben, die sich wie folgt betiteln lassen: Alarmstufe Stars and Stripes (1),
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Bush vs. Gore (2), Die Hellblaue Zone (3) und Upside Downs (4). Zu lesen ist der Strip in klassischer Leserichtung von oben links nach unten rechts – die geordneten Sequenzen reihen sich hintereinander ein. Der Titel jedoch ist mittig eingefügt und sowohl visuell als auch inhaltlich Teil des dritten Erzählstrangs. Sowohl auf semantischer als auch auf bildsprachlicher Ebene zeigen sich wenige Sprünge und Ellipsen und kaum auffällige Differenzen zwischen einzelnen Erzählsträngen. Die Panels und Sequenzen gehen trotz ihrer Unabhängigkeit im Layout fließend ineinander über, nicht zuletzt aufgrund der Farbgestaltung. Folge 7 verschreibt sich der Konversation von Rot und Blau.
Abb. 6: »Alarmstufe Rot, Weiß, Blau«. Art Spiegelman. Im Schatten keiner Türme. Folge 7. Zürich: Artium, 2011.
»Hier drunter sollte ich mich sicher fühlen, aber – verdammt! – ich sehe nichts!«58 Die Flaggen, die den einstigen Terrorschauplatz nun mit echter, amerikanischer Präsenz füllen, sind Art Spiegelman mehr als suspekt. Verstanden werden kann das Sternenbanner als patriotischer Bombast, welcher alle Aufmerksamkeit auf das eigene, sich in einer Opferrolle befindliche Land richtet. Jener Patriotismus, unterstützt durch das Einheitsgefühl ausgehend vom Gebrauch der Flaggen, ist damit als eine nun allgemein gebräuchliche Überdeckung der 9/11 Ereignisse entlarvt. Die Ereignisse seien von Beginn an nicht richtig wahrgenommen und statt als menschliche als rein amerikanische Katastrophe aufgefasst worden – es handelt sich um eine Fokusverschiebung, mit der der Künstler nicht übereinstimmt.59 Aber warum mussten aus der Asche von Ground Zero diese provinziellen US-Flaggen hervorsprießen? Warum nicht… ein Globus??!60
58 Art Spiegelman. »Im Schatten keiner Türme. Folge 7«. Die Zeit. Leben, 19, 30.04.2003, 53. 59 Vgl. Keeble, The 9/11 Novel, 30. 60 Spiegelman, »Im Schatten keiner Türme«, 19/2003, 53.
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Visualisiert wird die abzuwertende Handlung vieler Bürger durch die letzten drei Panels der Sequenz. Sie zeigen den Protagonisten auf der Flucht, suggerierte Schweißperlen und Speedlines verdeutlichen dies neben einem panischen Gesichtsausdruck (Abb. 6). Bildsprachliche Gestaltungsmittel unterstreichen eine klimatische Steigerung innerhalb der drei Panels: »Alarmstufe Orange« und damit erhöhte Terrorgefahr weicht der »Alarmstufe Rot« und ernsthafter Terrorgefahr, der Panelhintergrund ist jeweils dem angepasst und blendet jegliche Umgebung aus. Als Höhepunkt und Steigerung der sonst alarmierendsten letzten Warnung (Rot) erscheint die »Alarmstufe Rot, Weiß, Blau« (oder auch Alarmstufe Stars and Stripes) als todsichere und damit höchste Terrorgefahr. Diese wird im Sinne ihrer Bezeichnung allein von der US-amerikanischen Regierung ausgerufen und kann ironisch verstanden werden, da es sich bei den Vorwürfen gegen den Irak bloß um Vermutungen handle, die sicherlich keinesfalls als todsicher zu benennen sind. Da Spiegelman offensichtlich hier schon mit Farbmetaphoriken spielt, kann ebenso die Farbe rot, die später als direktes Symbol für die republikanische Partei eingesetzt wird, in seinen Augen als Indiz dafür gewertet werden, dass es sich weniger um eine reale Handlung handelt, als vielmehr um eine Bloßstellung und Kritik der amerikanischen (republikanischen) Bevölkerung in ihrem blinden Patriotismus. In einem weiteren Schritt lässt Art Spiegelman einfließen, dass doch die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 als weitreichende Ursache dessen gesehen werden kann (Abb. 7). Mit dem verdächtig knappen Ergebnis ist der Wahlausgang bis heute umstritten und die Nation, wie im Panel angedeutet, gespalten. Obwohl sich Al Gore mehr Wählerstimmen sichern kann, gewinnt George W. Bush mit einer Mehrheit von nur einer Stimme seitens der Wahlmänner. Die amerikanische Demokratie nimmt seither einen schweren Schaden.61 Die imaginäre Spaltung des Landes führt Spiegelman metaphorisch anhand der zwei Komponenten der Fahne durch. Die blauen »Stars« stehen für die Demokraten unter Al Gore, die »Stripes« demnach für die Republikaner unter George W. Bush. Beide zusammen sollten zwar symbolisch eine Einheit bilden, sind aber genau auf gegensätzlichen Pfaden unterwegs. Dass Art Spiegelman sich in seiner ersten Sequenz unter der Flagge nicht sicher und geborgen fühlt, wird nach der Erläuterung mittels des Wahlkampfes »Bush vs. Gore« klar. Die verspottete Wahl des Präsidenten und die damit einhergehende Unruhe im Land ziehen sich bis zum 11. September fort und sind mindestens Versuche Spiegelmans, Ursachen zu finden und das Ereignis zu erklären. Der Comic bleibt nicht an der Oberfläche, sondern dringt weiter in die Situation ein: Spiegelman befindet sich im wohl größten und zunächst auffälligsten Panel des Strips mitten in der Menschenmenge, die er vorher nur distanziert 61 Vgl. Uwe Schmitt. »Die Wahl, die nicht enden wollte«. Die Welt, 07.11.2010, www.welt.de/print/ wams/kultur/article10778942/Die-Wahl-die-nicht-enden-wollte.html (Zugriff am 20.08.2018).
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Abb. 7: »Wahlen 2000«. Art Spiegelman. Im Schatten keiner Türme. Folge 7. Zürich: Artium, 2011.
beschreibt. Nicht nur eine Detailaufnahme des vorangegangenen Panels, sondern auch eine Positionierung und Fokussierung des Autors und Protagonisten finden an dieser Stelle statt. Die gerade noch abstrakte Situation erfährt nun eine Personalisierung, einerseits auf Spiegelmans Figur bezogen, andererseits auch aus der direkten Adressierung des Lesers. Rote Adler und blaue Friedenstauben erscheinen nebeneinander im Wechsel. Auf zweiter Ebene und in Bezug auf die fortlaufende Farbmetaphorik der Seite können die Adler den Republikanern und die Tauben den Demokraten zugeordnet werden und dienen der Charakterisierung der beiden Parteien im Vergleich – immer aus der Perspektive, durch die Art Spiegelman das Geschehen betrachtet. Zur negativ konnotierten »roten« Partei und Wählerschaft der Republikaner gehören, ebenfalls metaphorisch gelesen, zwei überdimensional große, rote Skelette, die sich im Hintergrund-Chaos nahtlos einfügen. Beide ebenso mit entschlossenem Gesichtsausdruck sind jeweils bewaffnet mit Dolch und einer Sense. Zusammen fügen sich alle Figuren in blauer, roter und grauer Farbe zu einer undurchdringbaren Fläche, Art Spiegelman als zentraler grauer Charakter befindet sich in der Mitte und wird von allen Seiten eingepfercht (Abb. 8). Neben ihm positionieren sich einer Demonstration gleichend weitere Charaktere mit Schildern, darunter auch der Hauptcharakter aus Frederick Burr Oppers Happy Hooligan in
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Abb. 8: »Peace«. Art Spiegelman. Im Schatten keiner Türme. Folge 7. Zürich: Artium, 2011.
der rechten unteren Ecke. Die Comicfigur in ihrer chaplinesken Opferrolle62 fügt sich lückenlos in die Grundstimmung des Panels. Die Textelemente, die als Schildaufschriften von den Figuren getragen werden, ebenfalls grau eingefärbt, suggerieren eine Antikriegsstimmung – »NO WAR«63 – und appellieren an ein Überdenken der Situation. Die Republikaner werden des Weiteren nicht nur einfach negativ dargestellt, sondern insbesondere als Bürger charakterisiert, denen Spiegelman unterstellt, nicht an die Evolution zu glauben. Der Begriff Evolution meint hier nicht die biologische Evolutionstheorie, sondern vielmehr Strömungen wie den Neoevolutionismus oder die multilineare Evolution als Theorie der gesellschaftlichen und kulturellen Höherentwicklung.64 Die Unterstellung scheint sich also zumindest in Ansätzen darauf zu beziehen, dass unter der Regierung von George W. Bush eine ebensolche Entwicklung weniger stattfindet, sondern vielmehr aus Spiegelmans Perspektive teilweise sogar rückschrittig erscheint – immer wieder der Meinung, dass sich seitdem nun die Weltgeschichte wiederhole.65 Im Allgemeinen
62 Vgl. Spiegelman, In the Shadow of No Towers. 63 Spiegelman In the Shadow of No Towers. New York: Panteon, 2004, und Im Schatten keiner Türme. Aus dem Amerikanischen von Christine Brink und Jürgen von Rutenberg. Zürich: Atrium, 2011. 64 Vgl. Julian H. Steward. Theory of Culture Change. The Methodology of Multilinear Evolution. Urbana, Chicago: University of Illinois Press, 1972, 4f. 65 Vgl. Versluys, Out of the blue, 54.
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begegnet er allen amerikanischen Bürgern mit Unverständnis und kritisiert ihre rasche Rückkehr nach dem ersten Schock der Anschläge in ihre neue Normalität.66 Er ist fast nie in der Roten Zone gewesen, in der sich jene 44% der Amerikaner aufhalten, die nicht an die Evolution glauben. Wenn er doch mal »Republikanische« Staaten besuchte, war es dann doch immer ein hellblauer Wahlkreis… 67
Den Begriff »Republikaner« setzt der Künstler bewusst in Anführungszeichen, denn es handle sich nur augenscheinlich um solche, bei näherem Hinsehen sei der Wahlkreis eher »hellblau« – anders gesagt: Demokraten unter rotem Deckmantel. Auch die visuelle Darstellung unterstützt den Inhalt: Vor oberflächlich als blaue Demokraten und rote Republikaner betitelten Charakteren finden sich auch in der sogenannten Roten Zone neutrale, hier grau dargestellte Persönlichkeiten, die sich gegen eine solche politische Entwicklung positionieren. Jene Position wird, wenn auch zunächst indirekt, durch das Schlagwort »POX AMERICANA«,68 welches ebenfalls auf einem der Schilder steht, ausgedrückt. Spiegelman verweist mit dem mehrschichtigen Begriff auf komplexe amerikanische Werte und Erfahrungen, welche dem politischen Alltag einen Namen geben sollen. POX AMERICANA ist einerseits wörtlich zurückzuführen auf die Pockenepidemie, die 30% der amerikanischen Bevölkerung insbesondere an der Pazifikküste im 18. Jahrhundert dahinraffte. Eine literarische Aufarbeitung entsteht 1980 von Elizabeth A. Fenn mit dem Titel Pox Americana. The Great Smallpox Epidemic of 1775–82.69 »PAX AMERICANA«, eingeführt durch die Bush-Regierung, meint außerdem eine Vision über die Rolle der USA und ihrem Gestaltungsanspruch für die Weltordnung, wie sie sich nach dem Kalten Krieg entwickelt hat. Als Grundlagen gelten Freiheit und Demokratie, westliche Werte, die von den Vereinigten Staaten kopiert und auf andere Länder übertragen werden sollen – Waffengewalt als Mittel für die Durchsetzung jener Werte ist nicht ausgeschlossen. Dass der Begriff »PAX AMERICANA« aus dem Lateinischen übersetzt »Amerikanischer Friede« bedeutet, kann diesbezüglich wohl nur als Ironie betrachtet werden. Besonders die beiden Frontmänner im Irak, Cheney und Rumsfeld, unterstützen die Vision der Wertevermittlung und lassen das Thema direkt nach 9/11 in neokonservativen Think Tanks erneut auftauchen. Zurück im Comicpanel sind beide Begriffsreferenzen nur eine Anlehnung an Spiegelmans eigene Botschaft, die möglicherweise auf den »Befall« der gesamten 66 Ebd., 74. 67 Spiegelman, 19/2003. S.53. 68 Ebd. 69 Elizabeth A. Fenn. Pox Americana. The Great Smallpox Epidemic of 1775–82. Stroud: The History Press, 1980
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Abb. 9: »Eine Welt steht Kopf«. Art Spiegelman. Im Schatten keiner Türme. Folge 7. Zürich: Artium, 2011.
Welt als Folge von unüberlegter und -reflektierter US-Außenpolitik aufmerksam machen möchte. Statt einer »PAX AMERICANA« herrscht laut Spiegelman das genaue Gegenteil: Das Prinzip Frieden wird durch Pest ersetzt.70 Im allgemeinen Gesamtzusammenhang des Panels um die hellblaue Zone spricht Spiegelman wohl vornehmlich von seiner engsten Umgebung, der Stadt New York, die in jeder Hinsicht primär von den Auswirkungen und Folgen sowohl der Bush-Regierung als auch der Terroranschläge zehrt: »Down in the dumps in the dark indigo heart of the Blue Zone... In the Shadow of No Towers«.71 In Anlehnung an Gustave Verbeeks Upside Downs-Comics handelt es sich in der Sequenz »Eine Welt steht Kopf« (Abb. 9) um ein Zitat und intermediale Referenz zu Spiegelmans verehrten Comics aus der Vergangenheit und gleichzeitig um das wohl komplexeste Element der Folge. Spiegelman nutzt Verbeeks spezielle Strategie der Seiten und Panelkomposition, die voraussetzt, dass der Leser den Comic beim vollständigen Erschließen der Panelinhalte auf den Kopf drehen muss. Es eröffnet sich zwangsläufig eine neue Perspektive. In der Anwendung derselben Erzählstrategie wie aus dem Comic-Vorbild werden die Panels in Folge 7 mit ihrem ganz eigenen Inhalt gefüllt. Die Panelreihenfolge in Leserichtung von oben links nach unten rechts bleibt trotz der Drehung beibehalten, sodass der 70 Vgl. zum gesamten Absatz: Alexandra Homolar-Riechmann. »Pax Americana und gewaltsame Demokratisierung. Zu den politischen Vorstellungen neokonservativer Think Tanks«. Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.). Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament 2003, 46, 10.11.2003, 33ff. 71 Spiegelman, In the Shadow of No Towers, 7.
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Teil, der auf dem Kopf zu lesen ist, mit dem dann unteren, rechten Panel beginnt und mit dem oberen linken endet. Inhaltlich sind die zwei Perspektiven in jedem Panel antithetisch aufgebaut und beziehen sich kontextuell aufeinander, beide Parteien – Spiegelman und die Streitmacht im Irak unter republikanischer Führung – vertreten unterschiedliche Auffassungen. Dementsprechend ist jedes Panel allein erst aus der einen, danach direkt aus der anderen Perspektive zu lesen, was bedingt, dass der Comic elfmal gedreht werden muss, um die Sequenz komplett zu lesen. Dass dabei ein Gefühl des Taumelns entsteht, ist sicherlich nicht nur ein Zufallsprodukt, sondern bewusst konstruierte Erzählstrategie, die in ihrer Lesart Spiegelmans zu vermittelnde Atmosphäre erzeugt. Der als Einleitung fungierende Textblock über dem ersten Bild liefert den aktuellen, zeitpolitischen Kontext zur fiktiven Handlung der Sequenz. Spiegelman sortiert seine folgende Komposition zeitlich in die Kriegsgeschehnisse im Irak (Bagdad) ein, welche zum Zeitpunkt der Erstellung des Comics akut werden und auch während der Veröffentlichung von Folge 7 noch nicht beendet sind. Dreht man das erste Panel um 180 Grad, erscheinen zwei stereotype Figuren in Rot: Ein als Cowboy gekleideter Mann mit Schwert in der Hand und dahinter eine korpulente Figur mit dem Kopf eines Schweines in Anzug und Hut gekleidet. Die Sprechblase mit dem Kommando »Rückwärts Marsch!« unterstützt den Eindruck, es handle sich hierbei um die Front eines Feldzuges und unter Hinzunahme des von Spiegelman erwähnten Kontextes dabei keiner geringeren als der US-amerikanischen Front im beginnenden Irakkrieg. In diesem Sinne kann der Cowboy als Präsident der Vereinigten Staaten identifiziert werden, der womöglich von seinem Vize begleitet wird. Neben einem als Priester gekleideten Krokodil marschiert ein drachenähnliches Wesen in Militärkleidung, ein Skelett, ein Geier in Uniform, ein Krabbeltier mit nur einem Auge und eine undefinierbare Figur, ähnlich einem großen Berg oder aber winzigen Virus. Ausgestattet ist die Armee der Fabelwesen mit Schwert, Revolver, Totenkopf-Fahne, einer Bibel, Maschinengewehr und der Flagge der Vereinigten Staaten von Amerika. Jede dieser Figuren und Gegenstände ist symbolisch aufgeladen. Das Krokodil in zweiter Reihe, ist gekleidet in christlicher Robe und erscheint als personifizierte Unterstützung der Kirche, die für die republikanische Partei unter Bush eine große Rolle spielt. Ein Krieg im Sinne der Gerechtigkeit oder doch sogar aus Nächstenliebe? Das Militär als weitere Figur, Haupthandlungsträger im Irakkrieg, folgt dem Präsidenten ergiebig und entschlossen auf dem Fuße, das Gewehr immer im Anschlag. Hinter den beiden genannten Figuren erscheint auf dem ersten Blick ein Beamter mit typischer Polizeimütze und Uniform. Auf dem zweiten Blick versteckt sich inmitten des Panels ein intermedialer Verweis zu Spiegelmans Hauptwerk Maus. Der KZ-Aufseher erscheint im Holocaust-Comic erst in Form einer Katze und später als Geier. Somit wandert im Marsch gegen den Irak nicht nur die Kirche und das Militär als ausführende
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Kräfte, sondern ebenso die vergangene Weltgeschichte mit. Das Skelett als typisches Symbol für Vergänglichkeit und Tod folgt dem Rest. Inwieweit die letzte Figur zu identifizieren ist, bleibt erst einmal nur Vermutung. Die amerikanische Flagge in der Hand und das durchaus gewaltige Auftreten lassen jedoch auf die Großmacht USA schließen – eine Personifizierung der Streitmacht im Allgemeinen. Alle Figuren sind im Begriff, in den Krieg zu ziehen und setzen diese Idee innerhalb der sechs Panels der Sequenz auch in die Tat um und schreiten zum Angriff voran. Inwiefern diese Tatsache polyvalent betrachtet werden kann, verdeutlicht das abschließende Bildelement: Die Figur Spiegelman kehrt dem Leser den Rücken zu und steuert wieder in Richtung Stadt, die er noch im ersten Panel hinter sich gelassen hat. Die Hände in den Hosentaschen geht er untätig oder besser gesagt nicht in der Lage, etwas zu unternehmen, davon. Gleich hinter ihm scheinen die roten Figuren aus seiner Perspektive vom Himmel zu stürzen, dreht man das Panel jedoch wieder um 180 Grad, wie es die Lesestrategie der Sequenz verlangt, ergibt sich ein anderes Bild: »Hallelujah! Wir stürzen hoch!«72 So zumindest nehmen es die Figuren selbst wahr. Das letzte Panel macht also bewusst – es ist alles eine Frage des richtigen Blickwinkels. Ein Zitat in eigener Sache: Art Spiegelman entschlüsselt die amerikanische Publikationsproblematik. Ebenso auf dem Kopf zu lesen ist ein in der unteren rechten Ecke eingeschobenes Panel (Abb. 10), welches auf dem ersten Blick zunächst gar nicht explizit wahrgenommen wird und dem Rest der Seite nicht so recht zugeordnet werden kann. Bei einem Vergleich mit Spiegelmans erstem Erfolgscomic Maus, wird klar, dass es sich um ein Zitat dazu handelt. Einzuordnen in den Verlauf der Graphic Novel ist es zum Zeitpunkt, als die Deutschen nicht mehr nur im KZ »aufpassen« und kontrollieren, sondern sich diese in eine häusliche Kontrolle ausweitet, weshalb die Charaktere der Deutschen an dieser Stelle von Katzen zu Geiern transformiert werden. Dass es sich auch in Folge 7 um eine Kontrolle der Privatsphäre handelt, zeigt die Darstellung des KZ-Aufsehers im mütterlichen Nachthemd. Dass das Panel hier auf die aktuelle Zeit projiziert ist, wird in der Kommunikation von Geier zu Maus deutlich: »Du gehörst EMBEDDED, junger Mann – Ruhe jetzt, oder Mama BEFREIT dich!« Das fett markierte Wort »embedded« wirft einen Bogen zu den Embedded Journalists (Kurz: Embeds), die unter anderem auch im Irakkrieg eingesetzt werden und deren Konzeption der deutschen Propagandakompanien (kurz PK) aus
72 Spiegelman 19/2003, 53.
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Abb. 10: »Maus«. Art Spiegelman. Im Schatten keiner Türme. Folge 7. Zürich: Artium, 2011.
dem zweiten Weltkrieg ähnelt.73 Kritiker warnen vor einer Gefährdung der unabhängigen, neutralen Berichterstattung, die durch die Nähe zu den an der Front eingesetzten Soldaten aufkommen kann. Der Befehl, embedded (Journalist) zu sein, ist also inhaltlich, neben der visuellen Verknüpfung zum NS-Regime durch den Geier und der Zuordnung zu Maus, als Brücke zwischen aktuellen Unruhen im Irak und dem Zweiten Weltkrieg zu verstehen. Dass der Geier nunmehr weniger als KZ-Aufseher zu interpretieren ist, sondern auf die politische Situation in den USA übertragen den Staat und insbesondere die Pressefreiheit und mögliche Zensur pazifistischer Inhalte verbildlicht, ist Teil der Projektion des Zitats. Ähnliche Inhalte werden vor neuem Kontext weiterführend gedeutet. Journalisten wie Art Spiegelman, die der Regierung und dem Irakkrieg kritisch gegenüberstehen und dies auch öffentlich äußern, scheinen durch eine solche Aussage, die im Panel getätigt wird, der Meinungsfreiheit beraubt zu werden. Sicherlich bezieht sich der Autor des doch höchst kritischen Werks, dessen Seite hiermit aufgeschlagen ist, in der Metaebene darauf, dass In the Shadow of No Towers zu dem Zeitpunkt von den großen Konzernen der USA abgelehnt wird und er deshalb auf europäische Zeitungen ausweichen muss. Dass das Panel, wie auch in der Sequenz »Upside Downs«, über Kopf zu lesen ist, bestätigt, dass es sich bei den Äußerungen um solche aus der Perspektive der Regierung handelt und erklärt ebenfalls die visuell dargestellte Hierarchie zwischen Geier und Maus, den Nationalsozialisten und
73 Embedded Journalists: integrierte Zivilisten in kämpfender Militäreinheit an der Front, die als kontrollierte Kriegsberichterstatter arbeiten. Dies gilt als eine Praxis, um den Druck der Massenmedien zu begegnen, welche einen nicht ausreichenden Zugang zum Kriegsgeschehen kritisieren. Embeds vermitteln deshalb unmittelbare Eindrücke aus erster Reihe und sollen ein höheres Interesse auch von politikferneren Zielgruppen erwecken. // Unterschied zu der PK: Bei den Embeds handelt es sich nicht um ausgebildete Soldaten, sondern um »unabhängige« Zivilisten.
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Abb. 11: Seitenaufbau Folge 7.
Juden und nun jetzt zwischen den Maximen des Staates und einem aus dessen Sicht aufsässigen (jüdischen) Journalisten namens Art Spiegelman. Im Vergleich zu Folge 4 beinhaltet der Comicstrip, der rund ein halbes Jahr danach entsteht, nur noch reflektierte und kommentierende Erzählungen. Zwar kann hier ebenso wenig eine erzählerische Gesamterfassung ausgemacht werden, eine sortierte Argumentationsstruktur besteht dennoch. Die direkten Erlebnisse am 11. September, die im Laufe des Comics immer weiter verblassen,74 sind nun im letzten Drittel der Serie von Spiegelmans kritischem Hinterfragen gänzlich verdrängt. Nur die »Glowing Bones«, das Leitmotiv, welches sich seit Anbeginn der Folgezeit in seinem Kopf eingebrannt hat, ist immer noch präsent und bleibt es auch bis zum Schluss. Besonders in Folge 7 (Abb. 11) arbeitet der Künstler nun mit Verdichtungen, Ellipsen, Leserichtungswechseln, Gegenüberstellungen, Andeutungen, Wortspielen, Verweisen und Zitaten und nutzt diese als Mittel, eine »sinnverwirrende Vielschichtigkeit« zu kreieren, die dazu einladen soll, nicht nur an der Oberfläche zu verbleiben, sondern zwischen den Zeilen zu lesen.75 Das Layout ist geclustert, geordnet und harmonisch – letzteres wird sicherlich unter anderem durch einen den Aufbau überlagernden Goldenen Schnitt erzeugt. Dieser verdichtet nicht nur die Stelle, auf die ein scheinbarer Fokus zu setzen ist, sondern trennt zwei Ebenen der Erzählung. Zentrales Element, von dem alles ausgeht, ist demnach der zweite Erzählstrang, der die Wahlergebnisse präsentiert. Von da aus 74 Vgl. Kuhlman, »The Traumatic Temporality«, 861. 75 Vgl. Gasser, »Zusammenbrüche, Mäuse und Türme«.
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entwickeln sich die Panels in Größe und Relevanz. Außerdem kann eine beinahe asymmetrische Einteilung ausgemacht werden, die gemäß des goldenen Schnittes in den oberen zwei Dritteln die vergangene, zu den aktuellen Ereignissen führende US-amerikanische Politikhistorie beschreibt und im unteren Drittel, bestehend aus dem Verbeek-Zitat, auf die aktuellen Entwicklungen besonders der Außenpolitik im Irak eingeht. Darstellerisch also sind auf dieser Seite die Panels zwar klar voneinander getrennt, formale Elemente wie ein einheitlicher Panelrand, Blocktext und Sprechblasenlayout hält Spiegelman streng ein, inhaltlich herrscht eine starke Vernetzung sowie ebenso die Sprengung des Rahmens eines traditionellen Zeitungscomics. Zitate, Verweise und übergreifende Zusammenhänge sorgen dafür.76
Stichwort »Medienadäquanz« Art Spiegelman bleibt mit Im Schatten keiner Türme nicht innerhalb der literarisch konventionellen Grenzen, sondern schafft sich ästhetische Innovationen, die sowohl formal als auch strukturell der reinen Literarizität die Kunst hinzufügen. Unübliche Großformate kombinieren Autobiografie mit Dokumentation, politischer Kritik und Fiktion und argumentieren stets auf metanarrativer sowie intermedialer Ebene.77 Die Aussagekraft entsteht aus der komprimierten Aufmachung aller Eindrücke im Gesamten.78 Die Komposition erscheint dominant und produziert zusammen mit dem Inhalt die Storyline, wobei sie immer auch von der Erzählung abhängig ist, sodass ein produktives Verhältnis beider Komponenten entsteht.79 Niemals ist es aber bloße Spielerei, sondern immer ein bewusstes Darstellungsmittel.80 Dass es sich kaum um eine klar geordnete Wiedergabe handelt, die auch nach Betrachtung gewissermaßen unorganisiert und uninterpretiert bleibt, hängt sicherlich mit der sehr persönlichen, individuellen Note der Argumentationsstruktur zusammen.81
76 Vgl. Ole Frahm. »Dreierlei Schwarz. Art Spiegelmans und Elein Fleiss᾽ Interpretationen des 11. September ´01«. Matthias N. Lorenz (Hg.). Narrative des Entsetzens. Künstlerische, mediale und intellektuelle Deutungen des 11. September 2001. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2004, 178. 77 Vgl. Birgit Däwes. Ground Zero Fiction. History, Memory, and Representation in the American 9/11 Novel. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2011, 345. 78 Vgl. Harriet E.H. Earle. Comics, Trauma, and the new Art of War. Jackson: University Press of Mississippi, 2017, 148. 79 Vgl. Baetens/Frey, The Graphic Novel, 112. 80 Vgl. Frahm, »Dreierlei Schwarz«, 178. 81 Vgl. McGlothlin, »When time stands still«, 104.
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The jostled, helter-skelter design of the pages reinforces the impression, that the artist is still reeling from shock three years later.82
Das Trauma, welches unaussprechlich ist, so auszusprechen, dass es die Sinnlosigkeit der ersten Konfrontation aber auch eine sinngemäße und logische Aufarbeitung des historischen Ereignisses darstellt, bedeutet die größte Schwierigkeit. Für die Aufgabe, dem Phänomen eine Sprache zu geben, das eigentlich durch keine Sprache zu fassen ist, scheint das Medium Comic als geeignet. An der Stelle, wo Sprache an ihre Grenzen kommt, liefert der Comic mit visuellem Zusatzmaterial die Lösung.83 Spiegelmans optische Metaphern versuchen die Lücken der Sprache zu schließen – die Rolle der alten Zeitungscomicklassiker beschränkt sich demnach nicht nur kontextgebend auf die Adaption der Welt als Albtraum der Geschichte, sie übermitteln Werte und transformieren diese in die aktuelle Zeit.84 Ebenso erscheinen die Dingsymbole des Gesamtwerks, die Türme, wie Schatten von Körpern, die noch nicht ganz fort sind, und suggerieren ein Bild des Verlusts, der Trauer und einer ungewissen, fraglichen Zukunft. Die Türme sind ein durch die »Glowing Bones« visualisiertes Ausgangskonstrukt aller Überlegungen, die Spiegelman anstellt. So verblassen sie im Laufe des Comics langsam, werfen aber, obwohl sie nicht mehr materiell existent sind, Schatten über das Werk – Der Titel sagt in der Tat einiges voraus.
9/11-Didaktik nach Spiegelman: Handlungsorientierung Sich in der Pflicht fühlend, einer zu oft schon angedeuteten Missinterpretation und politischen Ausnutzung entgegenzuwirken, versucht Spiegelman eine weitere, platte Wiederholung der Ereignisse zu vermeiden und durch eine analytische sowie direkte Herangehensweise dahingehend aufzuklären.85 Demzufolge erfährt die amerikanische Gesellschaft, Politik und Presse immer wieder direkte Ansprachen, sei es in Bezug auf die unmittelbare Reaktion am 11. September, Fotokameras auf die einstürzenden Türme zu richten, ohne sich der Gefahren und Folgen bewusst zu sein oder durch einen erklärenden Rückblick auf die politische Entwicklung der Regierung, die sich aus Spiegelmans Perspektive in der Folgezeit nach 9/11 82 Adam Begley. »Image of Twin Towers Ablaze haunts narcissistic cartoonist«. New York Observer, 13.09.2004, www.observer.com/2004/09/image-of-twin-towers-ablaze-haunts-narcissistic-cartoonist/ (Zugriff am 29.05.2018). 83 Vgl. Versluys, Out of the blue, 62. 84 Vgl. Kenneth Baker. »9/11: Five years later / Art Spiegelman’s ›In the Shadow of No Towers‹«. San Francisco Chronicle, 10.09.2006, www.sfchronicle.com/entertainment/article/9-11-FIVE-YEARSLATER-Art-Spiegelman-s-In-the-2469908.php (Zugriff am 29.05.2018). 85 Vgl. Versluys, Out of the blue, 62.
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unangemessen weit aus dem Fenster lehne. Die Medien erfahren Kritik an ihrer Degradierung der Erfahrungen und Traumata zu banalen Breaking News und brodelnden Sensationsmeldungen – das Fernsehen mache den Anschlag zu einer Abstraktion der amerikanischen Flagge, ohne zu wissen, was diese überhaupt in Wirklichkeit bedeute.86 Ebenfalls kümmert sich Art Spiegelman mehr um seinen eigenen Präsidenten Bush als um denjenigen, von dem die primäre Gefahr laut US-Regierung ausgeht: Osama Bin Laden. Bin Laden? Der hat sich den Bart abgenommen und arbeitet längst als Kellner im Plaza Hotel.87
Kristiaan Versluys fragt nachvollziehbar nach einem eventuellen didaktischen Anliegen Spiegelmans.88 Der Autor und Künstler scheint den Leser mitnehmen zu wollen und ihn dazu zu bringen, aus derselben Perspektive zu schauen und daraus dieselben Schlussfolgerungen zu ziehen.89 Die individuelle, persönliche Note des Comics soll auf das Kollektiv übertragbar sein. Individuen erfahren traumatische Situationen zwar durch unterschiedliche Filter, der Kern von Ängsten, Befürchtungen und Kritik jedoch bleibt immer gleich.90 9/11 bedeutet einen Einbruch des Historischen in private Verhältnisse. Der Cartooncharakter von Spiegelmans Zeichnungen vertritt sowohl Distanz zum Dargestellten als auch eine Personalisierung, die sich jedem Überlebenden und Augenzeugen zu nähern versucht.91 Im Schatten keiner Türme als autobiografisch reflektierte Geschichte vermittelt Distanz mithilfe des stilistischen Einsatzes eines Er-Erzählers und durch die gezeichneten Comicfiguren, die keinen authentischen, echt autobiografischen Anspruch erheben und dem eigentlichen Handlungsgegenstand sowie allen dargestellten Emotionen und Reaktionen den Vortritt überlassen. Unterschiedliche Perspektiven des Autors und Protagonisten durchleuchten das Problem der Instrumentalisierung der Regierung und daraufhin die traumatischen Reaktionen der Zeugen und Opfer.92 Die Intensität der Reaktion auf 9/11 variiert und verstärkt sich parallel mit der Distanz zum Ort des Geschehens, sodass die Reflektion im Laufe des Comics und des gewonnenen Zeitabstands zum 11. September die bloße Berichterstattung
86 Ebd., 75. 87 Zitiert nach Spiegelman. Henryk M. Broder. »Im Schatten der Nicht-Türme. USA-Tagebuch von Henryk M. Broder«. Der Spiegel, 08.01.2002, www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/usa-tagebuch-vonhenryk-m-broder-im-schatten-der-nicht-tuerme-a-175945.html (Zugriff am 29.05.2018). 88 Vgl. Versluys, Out of the blue, 67. 89 Ebd., 73. 90 Vgl. Keeble, The 9/11 Novels, 21. 91 Vgl. Versluys, Out of the blue, 66. 92 Ebd., 76.
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überlagert.93 Die »Neue Normalität« gilt dabei als Konflikt zwischen beidem, den politischen Diskursen und traumatischen Erlebnissen, die sich in einem Status der Desorientierung nicht einigen können. So stellt es Spiegelman zwar als subjektive Empfindung dar, eine objektive Übertragung auf die allgemeinen Zustände jedoch ist ebenso sinnvoll. Die »Normalität« steht in der Kritik, denn »normal« erscheint laut Spiegelman kaum noch etwas.94 Rather than using 9/11 as an impetus for real political change, the text charges, we let others dictate our responses for us.95
Analysebasierte Kernaussagen: Folge 4 und 7 Folge 4 und 7 zeigen, dass es sich bei Spiegelmans Im Schatten keiner Türme um einen Aufruf handelt, der Leser und Gesellschaft zum Nachdenken anregen soll. Beide Folgen, obwohl sie aus zwei unterschiedlichen Stadien stammen und auf differente Weise argumentieren, beinhalten sowohl kritischen Kommentar, als auch die Aufforderung zu handeln und außerdem aufklärerische Gedanken. In Folge 4 versucht der Künstler und Autor vergeblich, seine Erinnerungen und Eindrücke zu ordnen, Wertungen, Impressionen und Kommentare drängen sich immer wieder dazwischen – zu komplex ist das noch längst nicht vergangene Ereignis. Klare Symbole sprechen das ikonografische Verständnis an, rhetorische Fragen stoßen auf gewollte Antworten. Besonders die Politik, die eine tragende Rolle spielt, wird durch visuelle Darstellungen auch für Laien greifbar gemacht und in ihren Systematiken, Zielen und Problemen aufgeschlüsselt. Die Form der Karikatur bringt dies leicht verständlich auf den Punkt. Auch der Bezug zu den Katzenjammer Kids als Personifikation der Türme vereinfacht das doch so theoretische Politikkonstrukt in klare bildliche Botschaften. Als Personifikation der Türme strahlen die Zwillinge die Machtposition der USA aus, welche augenscheinlich schreiend davonläuft. Als direkte Parallele zu den Comicfiguren, die in diesem Fall die Konsequenzen zu spüren bekommen, muss die amerikanische Weltmacht begriffen werden. Spiegelman plädiert mehrfach darauf, dass seine Regierung Fehler macht und nun ebenso die Folgen tragen muss. Der Irakkrieg als Konsequenz daraus sei ein weiterer Folgefehler. Im Allgemeinen wird schon jetzt bewusst, dass der Autor die aktuelle Regierung unter George W. Bush als unfähig betrachtet. Aber nicht nur die Regierung, auch die Medien und Gesellschaft, die aus Perspektive des Autors das
93 Vgl. Däwes, Ground Zero Fiction, 83. 94 Vgl. Keeble, The 9/11 Novels, 18. 95 Tim Gauthier. 9/11 Fiction, Empathy, and Otherness. Lanham u.a.: Lexington Books, 2015, 95.
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Ereignis und die Folgen völlig falsch einschätzen und nicht ernst nehmen, erfahren Kritik. Bürger bestaunen das Ereignis wie Touristen, Paparazzi sehen darin in erster Linie eine neue Story. Spiegelman selbst empfindet 9/11 als beispielloses und alle Zeiten überschattendes, folgenreiches Ereignis, welches auf keinen Fall unterschätzt werden darf. Neben vieler Kritik will er aufrütteln. 9/11 darf nicht abstrakt bleiben, es ist real und nah. Es muss bewusst werden, dass öffentliche Diskurse bis in das Private vordrängen, so tun es auch die Panels in Spiegelmans Comic – eine einzige Collage unterschiedlichster Modi, stark miteinander vernetzt. Drei Folgen später verfeinert Art Spiegelman die schon vorher getätigten Aussagen weiter und geht auf die einzelnen Komponenten genauer ein. Platte 7 von Im Schatten keiner Türme nimmt die Politik und Gesellschaft mit ihrem blinden Patriotismus in den zentralen Blickpunkt. Dabei macht er die Gesellschaft an der zu Unrecht gewählten Regierung verantwortlich, welche momentan ihr Unwesen treibt. Die Wahlen im Jahr 2000 sind Ursache und erster Fehler einer folgenschweren Reaktionskette zugleich. Eine immer wieder aufkommende Empfindung der Personalisierung von jeglichen politischen Auswirkungen dient dem Künstler als Mittel – Ziel ist es, Verantwortungsgefühl und Involvement zu übertragen. Neben einer solch emotionsgeladenen Strategie verfolgt er auch in Folge 7 die Methodik der Vereinfachung von politischen Entwicklungen für das bessere Verständnis. Besonders die immer präsente Farbmetaphorik von Rot und Blau wirkt mit immenser Dringlichkeit versinnbildlichend und positionierend, ohne dabei konkret werden zu müssen. Mit unterschiedlichen medialen Mitteln liefert der Comic eine detaillierte Erörterung des Problems, sodass keine Aussage oder Anschuldigung unbegründet bleibt. Auf Basis dessen fordert er mit Folge 7 den Leser auf, Stellung zu beziehen. Nicht der Patriotismus allein, die gesamte Politik baut auf Lücken. Art Spiegelman macht auf Missstände aufmerksam, die gerne übersehen oder gar nicht erkannt werden und fordert auf, die Perspektive zu wechseln. Unterschiedliche Teile der gesamten Reihe von Im Schatten keiner Türme unterstützen also dieselbe Intention und arbeiten auf eine allgemeine Gesamtaussage hin, welche aus diversen Perspektiven und Blickwinkeln entsteht. Auch in den übrigen Folgen thematisieren Spiegelmans Comicstrips im monatlichen Abstand immer aufs Neue die Dringlichkeit der politischen Aufarbeitung und Handlungsaufforderung nach plötzlichen Terroranschlägen und geplanten Kriegsankündigungen. Dass der Autor dabei multiperspektivisch arbeitet, ist dem Leser spätestens nach den ersten Platten bewusst. Klar ist, es besteht kaum eine echte Storyline, gewisse Strukturen und Analyse- sowie Argumentationsmuster sind jedoch trotzdem zu erkennen. Die Erschließung der vergangenen Ereignisse schreitet voran, am Ende bleibt jedoch immer ein paranoider Spiegelman, der höchstens ein wenig an Gleichgültigkeit dazugewonnen hat.
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Dass eine charakterliche Entwicklung zweitrangig und das Individuum allein, egal in welchem Stadium es sich auch befindet, ein ausschlaggebendes Gestaltungselement sei, thematisiert Erin McGlothlin ausführlich.96 Sich verändernde mentale Zustände bedingen, dass unterschiedliche Panels und Erzählstränge in unterschiedlichen Intentionsmodi gelesen werden. Von Folge zu Folge bedingt sich also eine Mehrschichtigkeit, die der Argumentation und dem Gegenstand Tiefe verleihen. Nicht nur Zitate aus alten Zeitungscomics unterstützen Spiegelmans Aussagen, auch der Einbezug seines eigenen Werkes Maus tragen zum Inhalt bei. Art Spiegelman nutzt Maus-Figuren, um die Präsenz der Weltgeschichte rund um die Holocaust-Katastrophe während der Folgekriege nach dem Anschlag zu verdeutlichen. Die spezielle Darstellungsweise distanziert zwar Vergangenes von Aktuellem, verbindet es aber im gleichen Atemzug miteinander und zieht Vergleiche zwischen den Praktiken. Neben Zitaten zu anderen künstlerischen sowie literarischen Werken bedient sich Spiegelman auch weiterer Quellen, die mit in seine Abhandlung einfließen. Dass man es in der Forschungsliteratur teilweise als chaotisches Zusammentreffen bezeichnet, durch das intensive traumatische Impressionen geschaffen werden, erscheint oberflächlich. Der Begriff chaotisch ist kaum passend und nichtzutreffend, da es sich stets um wohl durchdachte, strukturierte und die Gesamtaussage unterstützende Kompositionen handelt. Ein auf dem ersten Blick suggeriertes Chaos dient der sowohl inhaltlichen als auch metanarrativen Atmosphäre.
Eine einzige, komprimierte Gesamtintention entwickelt aus 10 autonomen Folgen Die einzelnen Folgen in Spiegelmans Abhandlung werden von Monat zu Monat und mit fortschreitender Auseinandersetzung immer komplexer. Sowohl der Analyseumfang, der sich von Folge 4 zu Folge 7 nun auf rein methodischer Ebene verdoppelt hat, als auch die Entwicklung der Nacherzählung und Vermittlung der Ereignisse zur vielschichtigen Erörterung der Problematiken und Hintergründe gelten als Belege dafür. Mit Folge 4 schließt Art Spiegelman mit der erzählerischen Aufarbeitung der Impressionen ab und begibt sich in den folgenden Comicstrips auf eine analytisch, metaphorisch und kritisch hinterfragende Erzählweise. Folge 7 kann dem zweiten, fortgeschrittenen Teil zugeordnet werden. Charakterisieren lassen sich die zehn Folgen demnach in ihrer Erzählstrategie und der dabei unterschiedlichen Intensität und Fokussetzung hinsichtlich einer allgemeinen Intention und Aussagekraft. 96 Vgl. McGlothlin, »When time stands still«, 100f.
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Bis Folge 4 kann der Comic als einleitend charakterisiert werden. Spiegelman bringt den Leser in seine Situation und schildert die Ausgangslage, die als äußerst kritisch zu bewerten ist. Sowohl die politischen Ereignisse als auch seine persönliche Stellung dazu finden Eingang in die Darstellungen, sodass eine Grundlage für die folgenden Erörterungen geschaffen ist. In Folge 5 bis 8 bleibt der Autor stets auf kritisch, hinterfragender Ebene und analysiert auf unterschiedlicher Weise die Hintergründe und Ursachen der seiner Meinung nach so unglücklich verlaufenden politischen Wende seit dem Amtsantritt der Bush-Regierung. Die multiperspektivische Analyse der allgemeinen Problematik wird von den letzten beiden Folgen abgeschlossen. Folge 9 und 10 können gewissermaßen als Fazit gesehen werden, welches aus einer Legitimation der eigenen Arbeit und der Beantwortung der zu Anfang gestellten Frage zusammengesetzt ist. Nicht die Terrormiliz, sondern Vertreter aus den eigenen Reihen sind die Täter eines zweiten, nächsten Schlages. Dass es sich um einen Vergeltungsschlag der eigenen Regierung und nicht um einen erneuten Angriff der Terrororganisation handelt, ist wohl zu Anfang noch niemandem bewusst. Spiegelman entwickelt mit den politischen Ereignissen, die parallel zur Erarbeitung seiner 10 Folgen ablaufen, ein Verständnis dafür. Auch wenn sich die Erzählstrategie im Laufe der Comicreihe ändert, bleibt doch die am Ende komprimierte Intention immer gleich. Alle Episoden stehen für sich genommen autonom, auf die gesamte Komposition ausgeweitet aber verfolgen sie auf unterschiedliche Weise und mit diversen Mitteln und Perspektiven dasselbe Ziel. Die beiden hier genauer untersuchten Folgen sind exemplarisch dafür zu betrachten. Sowohl in ihrer Aussage als auch in der Meinungsäußerung Spiegelmans unterscheiden sie sich nicht. Aus unterschiedlichen Blickpunkten und Zeiträumen gesprochen, von verschiedenen Kontexten geprägt, entwickeln sich die Erzählstränge aus multiperspektivischen Ausgangslagen und auch die daraus zu entnehmenden Aussagen differieren in ihrer Komplexität und Intensität. So bleibt der Autor und Künstler im ersten, einleitenden Teil des Comics, zu dem auch Folge 4 zählt, noch indirekt und macht lediglich Andeutungen, wohingegen Folge 7 als Baustein der ausführlichen Analyse direkter und deutlich roher formuliert ist. Aus in Karikaturen versteckten Symbolen erarbeiten sich klare, unmissverständliche Aussagen und schließlich auch eine verbindliche Aufforderung – die Aufforderung, all die Facetten der aktuellen amerikanischen Situation unabhängig von anderen Maximen und Meinungen zu reflektieren und aus dieser Perspektive heraus zu erkennen, dass es einem Wandel bedarf, um weitaus Schlimmeres abzuwenden.
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Fazit Before 9/11 my traumas were all more or less self-inflicted, but outrunning the toxic cloud that had moments before been the north tower of the World Trade Center left me reeling on that faultline where world history and personal history collide.97
Im Schatten keiner Türme ist ein Werk über die Erfahrung von Verlusten, Traumata, Ängsten und Unverständnis. All das ist in eine Erzählung eingebettet, welche von einem die ganze Welt betreffenden Ereignis 9/11 berichtet.98 Es ist eine Zusammenkunft von persönlicher und öffentlicher Geschichte, um es in den Worten Spiegelmans zu wiederholen. Sowohl die Erlebnisse, die der Autor als Augenzeuge an jenem Septembermorgen erfährt, als auch eine kommentierende und kritisierende Reaktion bezüglich der darauffolgenden politischen Entscheidungen füllen die Comicseiten. Das Hauptanliegen ist klar: Im Schatten keiner Türme will kritisieren, problematisieren, politisch kommentieren und hinterfragen. Die Rolle des Autors und Künstlers erscheint daraufhin mit zorniger, kompromissloser, paranoider und beinahe hysterischer Stimme, stets in dem Versuch sich mit äußerster Dringlichkeit Gehör zu verschaffen. Die durchaus allgemein skeptische Perspektive ist vorgeprägt und sensibilisiert durch die eigene Vorgeschichte des ehemaligen jüdischen Flüchtlings.99 Art Spiegelman hat Großes vor, möchte für die Ewigkeit arbeiten. Das klingt nicht nur ein wenig kitschig, sondern vielmehr nach der Katastrophe in New York im Jahr 2001 beinahe absurd.100 Die Zäsur, die der Anschlag in allen Richtungen fordert, bringt den Autor zum Ausgangspunkt einer gleichzeitig gesellschaftlichen, intellektuellen und wissenschaftlichen Diskussion darüber.101 Carrying through the witness is a way of transmuting pain and guilt into responsibility.102
Sich in der Pflicht fühlend, die Stimme zu erheben, macht Art Spiegelman darauf aufmerksam, dass das gesamte Ereignis 9/11 nicht nur die Politik beeinflusst, sondern ebenso auch die gesellschaftlichen Normen, Werte und Ideale verän-
97 Spiegelman, In the Shadow of No Towers. 98 Vgl. McGlothlin, »When time stands still«, 96. 99 Vgl. Versluys, Out of the blue, 53. 100 Vgl. zum gesamten Absatz: Spiegelman, Im Schatten keiner Türme. 101 Vgl. Schmidtgall, Traumatische Erfahrungen, 66. 102 Zitiert nach Robert Jay Liftou. Versluys, Out of the blue, 61.
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dert.103 Ebendieses Ereignis wird zwar augenscheinlich zum Teil der kollektiven Identität, behält aber lediglich diesen Schein bei. Eine daraus zwangsläufig resultierende Handlungsaufforderung entsteht nicht.104 Das Phänomen fließt ein in das Werk Spiegelmans als eine Metapher unter vielen weiteren, genannt »sleep and awakening«.105 In der Aufarbeitung des Ereignisses durch die Kollision von persönlichem Trauma, politischem Dissens und einem Anflug von satirischer Motivation schließt das Thema der neuen Normalität an die Metapher nahtlos an. Die Normalität, die im Verdrängen und Vergessen, Ignorieren und der Überforderung viel zu schnell wieder aufkommt, steht mit dem Autor im Konflikt, der die politischen Diskurse und traumatischen Erlebnisse nicht einigen kann.106 Unter anderem deswegen ist der Comic, den Art Spiegelman der aufgeschlossenen Öffentlichkeit in einer durchaus intellektuell orientierten, europäischen Zeitung präsentieren darf, keinesfalls als ein solcher zu identifizieren, der primär unterhalten möchte. Im Schatten keiner Türme erschließt sich einer tiefgründigeren Intention. Aus der Feder eines ursprünglichen Underground-Künstlers will der Comic sowohl bestehende Institutionen als auch Ereignisse kritisieren, die Stimme erheben, Mut zur Stellungnahme ja sogar zu einem ungeschönten Vorwurf beweisen und den Leser zur Tätigkeit auffordern. In diesem Fall gilt die Kritik der amerikanischen Regierung und seiner Mitbürger, die die Verantwortung als amerikanische Gesellschaft nicht wahrzunehmen scheinen.107 Auf welche Weise setzt sich Art Spiegelman schlussendlich mit dem Terroranschlag 9/11 künstlerisch sowie literarisch auseinander und welches Ziel verfolgt er mit der gewählten Darstellungsweise? Mit 10 Folgen versucht Im Schatten keiner Türme all das zu komprimieren, was sich um 9/11 und darüber hinaus ereignet. Text und Bildelemente erarbeiten in Kohärenz eine Aussage, die mit nur wenig Aufwand und Umfang vielschichtiger ist, als es klassisch literarischen Gattungen möglich ist. Dass eine solche Darstellung kaum mit einem Roman und auf der anderen Seite auch ebenso wenig mit rein künstlerischem Ausdruck verglichen werden kann, bezeugt noch einmal den Charakter des Comics als eine Kombination aus beidem. Sowohl die sprachlichrhetorischen Mittel als auch eine künstlerisch-darstellerische Prägnanz liegen vor. So viel Aussage, so viel Ausdruck, so viel ästhetisches Vergnügen auf so engem Raum – das schafft nur der Comic.108
103 Vgl. Däwes, Ground Zero Fiction, 342. 104 Vgl. Schmidtgall, Traumatische Erfahrungen, 77. 105 Vgl. Smith, Reading Art Spiegelman, 6. 106 Vgl. Keeble, The 9/11 Novel, 18. 107 Vgl. Eva Baches. Literarische Reaktionen auf den 11. September. Hamburg: Diploma, 2008, 5. 108 Gasser, »Zusammenbrüche, Mäuse und Türme«.
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Dass das Medium Comic vielerseits unterschätzt wird, ist auch einem Art Spiegelman durchaus bewusst. So arbeitet der Cartoonist mit dem Prinzip der Irritation: Statt klaren Fakten erwartet den Leser Fiktion, statt einer Tragödie erscheinen die Geschehnisse als »low pop culture fun« und zu guter Letzt fehlt von Menschen, die aus lauter Verzweiflung aus den brennenden Türmen in die Tiefe stürzen, wie es auf sonst jeder Anschlagsillustration der Fall ist, jede Spur.109 Abstraktion trifft Fiktion. Aber kann Fiktion Authentizität vermitteln?110 An den Stellen, wo Fiktion symbolisch Werte verkörpert, setzt der Autor auf historische Genauigkeit, emotionale Wahrheit und Echtheit. Immer angelehnt an aktuelle, wie auch vergangene politische Fakten und im Einbezug seiner persönlichen Familiengeschichte am Septembertag erzeugt Spiegelman Authentizität. Nicht nur rein fiktive Charaktere, auch Personen des realen Alltags finden sich (natürlich) in gezeichneter, karikierter Version im Comic wieder. Im Gegensatz dazu transportieren wirkliche Comichelden aus vergangenen Zeiten ihre alten Werte und dienen der symbolischen Unterstützung dessen, was im jeweiligen Panel herübergebracht werden soll.111 There’s so much I’ll never be able to understand or visualize. I mean reality is too complex for comix…112
Der Comic nimmt sich dieser Schwierigkeit mithilfe der werkimmanenten TextBild-Kohärenz an. Die formale wie auch inhaltliche Verbindung von Text und Bild ist klare narrative Entscheidung und beeinflusst die Erzählstrategie.113 Die Induktion ist dabei entscheidendes Mittel, den Leser durch ästhetische Angebote aus der passiven Haltung zu locken und ihn aufzufordern, die Handlung mit seiner eigenen Konstruktionsleistung mitzugestalten.114 Dabei entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Autor und seiner vorgegebenen inhaltlichen Herausforderung und dem Rezipienten, der die Lücken mithilfe der persönlichen Erfahrungswerte und Wissensstände füllt. Es handelt sich also in Im Schatten keiner Türme weniger um reine Erzählungen als mehr um reflexives, analytisches Vorgehen.115 Trotz, dass es sich augenscheinlich um 10 Einzelwerke handelt, können diese doch bei einer Gesamtbetrachtung geclustert werden. Neben inhaltlich klar sortierten Abschnittskomponenten kann dem Comic zwar ein immer unregelmäßig
109 Vgl. Baetens/Frey, The Graphic Novel, 115. 110 Vgl. Witek , Comic Books as History, 101. 111 Vgl. Jenkins, »Archival, Ephemeral, and Residual«, 302. 112 Zitiert nach Art Spiegelman. Witek, Comic Books as History, 116. 113 Vgl. Witek, ebd., 100. 114 Vgl. Baches, Literarische Reaktionen, 93. 115 Vgl. Gasser, »Zusammenbrüche, Mäuse und Türme«.
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gestaltetes Layout zugesprochen werden, allgemein betrachtet aber erscheint ein stabiles Gesamtkonzept, welches auf jeder Seite bis ins letzte Detail durchdacht ist.116
Konklusion: Das »Gesamtwerk 9/11« Im Schatten keiner Türme, erstveröffentlicht in der Zeit, In the Shadow of No Towers, Original und in Folge publiziert in Europa sowie auch in Amerika sowohl als Zeitungscomic als auch, drei Jahre nach Erstveröffentlichung als Buch in englischer und zehn Jahre später in deutscher Sprache – Spiegelmans Werk zum Terroranschlag beinhaltet nicht nur unterschiedliche Publikationsmodi, das Projekt um die Aufarbeitung des Terrortraumas beginnt am Tag der Ereignisse, bildet sich vollständig aus mit dem Ende September erscheinenden Zeitungscover beim New Yorker und nimmt nach und nach Gestalt an, während es innerhalb von 10 Jahren in mehreren Zeitungen und Büchern seinen Abschluss findet. Nur von einem Comic oder sogar von einigen wenigen Strips zu sprechen, wird dem »Gesamtwerk 9/11«, das Art Spiegelman über einen so langen Zeitraum begleitet, nicht gerecht. Bei mehr als zehn unterschiedlichen Publikationen seiner eigenen sogenannten »Koalition der Willigen« wird Spiegelmans Arbeit zu 9/11 in mindestens drei unterschiedlichen Medien veröffentlicht, die sich wiederum als eine fortschreitende Entwicklung darstellen. Aus dem ersten Versuch als Kurzkommentar des Ereignisses allein, dem Zeitungscover, entsteht die Idee einer Comicserie, da der Künstler die Aufgabe darin noch längst nicht als beendet ansieht. In Folge der Veröffentlichung als Einzel-Sonntagscomicstrips werden diese schließlich in einem Buch zusammengefasst. Sowohl die Eigenschaften der Medien, der sich der Künstler im Laufe seiner Arbeit bedient, als auch die Arbeit selbst werden mit jeder Weiterentwicklung komplexer. Aus einer Momentaufnahme als Dingsymbol entstehen fragmentierte Micronarrative, die für sich genommen eine abgeschlossene Einheit bilden und auch so publiziert werden. Diese 10 Einheiten werden als aufeinanderfolgende Episoden zusammengefasst und mit angehängtem Zusatzmaterial in einen Gesamtzusammenhang gebracht, aus dem eine analytische Auseinandersetzung mit einer Struktur aus Einleitung, Hauptteil und Schluss hervorgeht. Ich sehe es als ein großes Ganzes. Eine ganzseitige Zeichnung anzufertigen oder eine Comicseite, das mag durchaus verschieden sein. Aber beides ist Teil derselben Idee.117
116 Vgl. Baetens/Frey, The Graphic Novel, 130. 117 Zitiert nach Spiegelman. Göllner/Pannor, »Ein Zustand des Schocks«.
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Sein »Gesamtwerk« muss jedoch einen entscheidenden Schwachpunkt in Kauf nehmen: Spiegelmans eigentliche Intention, die amerikanische Bevölkerung aufzurütteln, auf die Missstände aufmerksam zu machen und zum Handeln aufzufordern, sodass sich vor allem politisch in den USA etwas ändern kann, kommt nicht rechtzeitig an dem Ort an, für den sie in erster Linie bestimmt ist: Amerika. Aufgrund der kritischen Kommentare hinsichtlich des politischen Alltags zur Zeit der Publikationen kann der Comic, gerade als die Inhalte mit den eskalierenden Zuständen korrelieren, nicht großflächig in den USA veröffentlicht werden. Die primären Adressaten bleiben also aus. Zwar kommt der Comic in Europa und verspätet auch in den Vereinigten Staaten an, ein gewisser Teil der Aktualität und Dringlichkeit geht allerdings durch die zeitliche Verschiebung verloren. Auch im Comic selbst kommt das Problem mehrfach und vor allem in seinen reflexiven Ausführungen zum Schluss der Reihe zur Sprache. Auch wenn längst nicht die breite Masse, die er sich wahrscheinlich für das Werk erhofft, in den Genuss des Comics kommt, sieht Spiegelman sich in der Rolle, Menschen mit seinen Worten zumindest aufgeweckt zu haben, eine weitere Instruktion jedoch scheint nicht mehr möglich. Er merkt, dass seine Arbeit damit beendet ist und schläft in Folge 9 buchstäblich selbst wieder ein. Einerseits ist es wohl als Legitimation seiner Arbeit zu verstehen, andererseits scheint der sonst so penetrante Künstler hier in der Hoffnung zu verweilen, dass der Leser die Kritik und Aufforderungen im Sinn behält, sodass es gewissermaßen offen bleibt, wie die Debatten um 9/11, Bush und den amerikanischen Patriotismus weitergehen.118 Das Ziel ist deshalb dann erreicht, wenn in Folge der Lektüre von Im Schatten keiner Türme eine Perspektive eingenommen wird, die mehr aussagt und differenziertere Antworten liefert, als es eine höhere Macht vorgibt: Our memories are not our own – they are produced and reproduced by media, and they are distributed collectively across the population without regard to individual perspectives.119
118 Vgl. Gauthier, 9/11 Fiction, Empathy, and Otherness, 97. 119 Jenkins, »Archival, Ephemeral, and Residual«, 313.
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Kurzbiografie: Art Spiegelman 15.02.1984 Spiegelman wird als zweiter Sohn jüdischer Eltern in Stockholm geboren. 1950
Übersiedelung mit seinen Eltern nach New York
1963
Cartoonzeichner unter Pseudonym »Skeeter Grant« für Long Island Post
1965–1968 Studium auf der High School of Art and Design 1966–89
Kreativberater bei Topps Gum Inc.
1968
Spiegelmans Mutter begeht Suizid.
1970
Underground Comix Zeichner
1975
Spiegelman lernt seine Frau Françoise Mouly kennen.
1975–76
Mitherausgeber des Magazins Arcade mit Bill Griffith.
1977
Spiegelman heiratet Mouly.
1977–83
Mitwirkender und beratender Herausgeber bei Playboy Funnies; arbeitet außerdem für Erotik-Postille Cavalier und Pornoblätter wie Dude, Gent und Nugget.
1980–86/ 1987–91
Herausgeber des Avantgarde Magazins Raw mit Françoise Mouly; Abdruck der Graphic Novel Maus (1980–1991).
1980
Publikation Breakdowns.
1986 Publikation Maus. My Father Bleeds History. 1987
Tochter Nadja kommt zur Welt.
1991
Publikation Maus. And Here My Troubles Began.
1992
Pulitzer-Preisträger für Maus.
1992
Sohn Dashiell kommt zur Welt.
1993–2003 Coverillustrator und mitwirkender Redakteur bei The New Yorker. 1994
Publikation von Illustrationen zu Prosagedicht »The Wild Party« (1928) von Moncure March
Arbeit als Kinderbuchillustrator, Dozent für Geschichte und Theorie des Comics an der New York’s School of Visual Arts und Lektor für Comicbücher an der San Francisco Academy of Art.
2001–2002 Publikation der Antologiereihe Little Lit. 2002–2003 Erstveröffentlichung von Im Schatten keiner Türme in der Zeit. 2003
Publikation Kisses from New York (Sammlung von Titelbildern und Zeichnungen für den New Yorker).
2004 Publikation In the Shadow of No Towers als Comicbuch in den USA. 2008 Neuauflage Breakdowns. A Portrait of the Artist as a Young %@&*!. 2011 Publikation Im Schatten keiner Türme als Comicbuch in Deutschland. 2012 Publikation MetaMaus.
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Primärliteratur Art Spiegelman. »Im Schatten keiner Türme. Folge 1«. Die Zeit. Leben, 37, 05.09.2002, 55. Art Spiegelman. »Im Schatten keiner Türme. Folge 2«. Die Zeit. Leben, 41, 02.10.2002, 55. Art Spiegelman. »Im Schatten keiner Türme. Folge 3«. Die Zeit. Leben, 45, 31.10.2002, 59. Art Spiegelman. »Im Schatten keiner Türme. Folge 4«. Die Zeit. Leben, 50, 05.12.2002, 63. Art Spiegelman. »Im Schatten keiner Türme. Folge 5«. Die Zeit. Leben, 3. 09.01.2003, 46. Art Spiegelman. »Im Schatten keiner Türme. Folge 6«. Die Zeit. Leben, 9, 20.02.2003, 49. Art Spiegelman. »Im Schatten keiner Türme. Folge 7«. Die Zeit. Leben, 19, 30.04.2003, 53. Art Spiegelman. »Im Schatten keiner Türme. Folge 8«. Die Zeit. Leben, 26, 18.06.2003, 55. Art Spiegelman. »Im Schatten keiner Türme. Folge 9«. Die Zeit. Leben, 34, 14.08.2003, 47. Art Spiegelman. »Im Schatten keiner Türme. Folge 10«. Die Zeit. Leben, 38, 11.09.2003, 67. Art Spiegelman. »In the Shadow of No Towers. Folge 5, 7, 8, 9, (10)«. Hannah Cleaver. »Voice in the Wilderness«. The Independent. Review. Special Issue, 11.09.2003, 4–12. Art Spiegelman. In the Shadow of No Towers. New York: Pantheon Books. 2004. Art Spiegelman. Im Schatten keiner Türme. Aus dem Amerikanischen von Christine Brink und Jürgen von Rutenberg. Zürich: Atrium, 2011.
Pia Dittmann
Der Comic als Medium des Journalismus
Das Mischen von Bildern mit gesprochenen und geschriebenen Texten und das Zusammenwirken von Text und Bild nehmen im alltäglichen Umfeld unserer Gesellschaft immer weiter zu. In den bildorientierten Massenmedien und SocialMedia-Accounts ergänzen sich Bild und Text soweit, dass der Text nur unter Berücksichtigung des Bildes verstanden werden kann. In diesem Zusammenwirken funktioniert auch der Comic, bei dem durch die Abfolge von Bildern zusammen mit den begleitenden Texten in Sequenz eine Geschichte erzählt wird. Damit wirkt das Medium auf mehreren Ebenen der Kommunikation, die entsprechend die Narration beeinflussen.1 Die Graphic Novel ist im Vergleich zum normalen Comic länger und auch komplexer, lässt sich aber nur unscharf von der Comic-Serie trennen.2 So scheint es nicht weiter verwunderlich, dass der Comic auch Einzug in den Journalismus gefunden hat und sich dort wachsender Beliebtheit erfreut. Der sogenannte Comic-Journalismus ist ein Genre, das mit dem Medium Comic journalistisch über gegenwärtiges oder zeitgeschichtliches Weltgeschehen berichtet. Die häufig sehr ernsten Themen werden mit einem Medium umgesetzt, das in der Gesellschaft noch immer häufig mit lustigen Bildern, Entertainment und Fiktion assoziiert wird. Dabei hat der Comic-Journalismus nichts mit lustigen Bildern und Fiktion zu tun und bedient sich lediglich der Stilmittel und Erzähltechniken des Comics. Mit Werken wie Palästina und Bosnien hat beispielsweise der Autor Joe Sacco die Comic-Reportage in den 1990er Jahren bekannt gemacht. Seine Darstellungen der damaligen Kriegsgebiete öffneten dem Medium Türen zu neuen Inhalten und erreichen ein neues Publikum. In der Folge werden vor allem in Frankreich und auch den USA Tages- und Wochenzeitungen auf die gezeichneten Reportagen mit wachsender Autorenzahl aufmerksam. Heute bieten Magazine weltweit dem Comic-Journalismus und verwandten Formaten einen Auftritt in der Öffentlichkeit. 1 Vgl. Jacob F. Dittmar. Comic-Analyse. Konstanz: UVK-Verlagsgesellschaft, 2008, 10. 2 Vgl. ebd., 49.
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Auch in Deutschland gewinnt diese Form des Journalismus langsam an Popularität und wird beispielsweise im Berliner Tagesspiegel in einigen Artikeln behandelt. Trotzdem folgen der Erwähnung des Comic-Journalismus meist im Allgemeinen viele Fragen, die darauf hindeuten, dass das Genre in weiten Teilen der Gesellschaft weiterhin eher weniger bekannt ist. Dieser Beitrag will sich aus diesem Grund näher damit auseinandersetzen, wie die Form des Journalismus auf Basis des Comics funktioniert. Dazu sollen drei Bücher im Mittelpunkt stehen, die in den letzten sieben Jahren in Deutschland erschienen sind und als Comic-Reportagen gelten. Mit der Untersuchung von Joe Saccos Reportagen, Olivier Morels und Maëls Die Rückkehrer und Gaby von Borstels und Peter Eickmeyers Liebe deinen Nächsten soll den Funktionen des Comic-Journalismus auf den Grund gegangen werden, indem herausgestellt wird, was die Journalisten mit ihren Reportagen in Comic-Form erreichen wollen. Dabei wird vor allem darauf geschaut, welche Ziele und Umsetzungsweisen die Autoren und Zeichner sich in Bezug auf ihre ComicReportage selbst setzen und wie diese realisiert werden.
Comic-Journalismus Es wird nie behauptet, dass etwas so sei, sondern nur, dass der Zeichner es so sieht.3
In Comic-Form erscheint 1996 die vollständige Reportage Palestine von Joe Sacco, die erstmals als Comic-Journalismus bezeichnet wird und Sacco zum sogenannten Pionier des Genres macht. In Palestine berichtet Sacco über palästinensisch-israelische Verbindungen und die beklemmende Situation der Menschen in den besetzten Palästinensergebieten. Der Autor bezeichnet sich selbst als zeichnenden Journalisten, der den Comic als sein Sprachrohr sieht, um den Menschen das näher zu bringen, was er für wichtig hält.4 Damit zeigt Sacco die Möglichkeit auf, dass die sequenzielle Zeichnung eine differenzierte und glaubhafte Form der Reportage sein kann.5 Es besteht keine Einigkeit darüber, wie der Comic-Journalismus zu definieren ist.6 Festhalten lässt sich jedoch, dass Comic-Journalisten genau wie auch Wort-Journalisten nach den journalistischen 3 So der Illustrator Yves Nussbaum (1963) in: Pierre Thomé, Anette Gehring, Yves Nussbaum. Zeichner als Reporter. Basel: Merian/Hochschule Luzern (Design & Kunst)/Cartoonmuseum Basel, 2015, 17. 4 Vgl. »Comic Journalismus«. Arte, 2017 (https://tracks.arte.tv/de/comic-journalismus [Letzter Zugriff 14.01.2018]). 5 Vgl. Thomé/Gehring/Nussbaum, Zeichner als Reporter, 6. 6 Vgl. »Comic-Journalismus – Ausstellung in Berlin«. CartoonJournal, 23.05.2019 (www.cartoonjournal.de/index.php/meldungen/94-ausstellungen/1059-comic-journalismus-ausstellung-in-berlin [Letzter Zugriff 07.07.2019]).
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Standards arbeiten, aber in Wort und Bild berichten und sich der sequenziellen Kunst bedienen. Trotz dieser künstlerischen Komponente spielen inhaltliche Wahrhaftigkeits- und Authentizitätskriterien eine größere Rolle als ästhetische und formale Kriterien. Die Autoren halten sich an die journalistischen Maßstäbe und sehen den journalistischen Aspekt ihrer Arbeit im Vordergrund.7 Die Offenlegung von Recherchequellen und -methoden, das Integrieren der Reporterperson in den Panels und der deutliche Hinweis auf eine subjektive Berichterstattung gelten als typische Merkmale des Comic-Journalismus. Der Leiter der Studienrichtung Illustration an der Hochschule Luzern–Design & Kunst, Pierre Thomé, behauptet, in der Comic-Reportage bleibe es »stets erkennbar, dass es um die Wiedergabe einer Interpretation geht.«8 Diese Subjektivität bietet den Kritikern immer wieder Angriffspunkte, indem sie die Legitimität von Comics als ernstzunehmendes journalistisches Medium abstreiten. Zeichnungen weisen immer subjektive Züge auf, doch die Comic-Journalisten setzen an die Stelle der Subjektivität und Objektivität die Begriffe Transparenz und Glaubwürdigkeit und sprechen von einer transparenten Subjektivität. Damit soll ein Kontrapunkt zur objektiven, nüchternen und emotionslosen Nachrichtensprache gesetzt und die traditionelle Form des Journalismus aufgebrochen werden.9 Journalismus müsse laut Joe Sacco zwar informieren, was geschehen sei, aber solle, ähnlich wie es Yves Nussbaum in seinem anfangs zitierten Statement beschreibt, auch davon handeln, »was ich selber [Joe Sacco] gesehen habe«.10 Um die Authentizität ihrer Story zu unterstreichen, integrieren viele Comic-Journalisten dokumentarisches Material wie Fotos von Interviewpartnern und Schauplätzen, Landkarten und Infografiken in ihre Werke. Die Recherchequellen werden in Infokästen oder direkt in der Story transparent gemacht, und häufig malt sich der Autor selbst in seiner Rolle als Reporter vor Ort in die Geschichte hinein. So wird der Blickwinkel, aus dem die Reportage erzählt wird, für den Leser klar und die Subjektivität bewusst offengelegt. Die behandelten Themen sind breit gefächert, aber meist ernster Natur und kreisen in vielen Fällen um Krieg und dessen Auswirkungen, Gewalt gegen Frauen, von der Gesellschaft diskriminierte Randgruppen, Menschenrechtsverletzungen und Menschenhandel.11 7 Vgl. Thomas Greven. »Comic-Reportagen: Der amerikanische ›Comics Journalist‹ Joe Sacco und die Folgen«. Freie Universität Berlin, 03.2015 (https://blogs.fu-berlin.de/jfkpol/2015/03/24/ comic-reportagen-der-amerikanische-comics-journalist-joe-sacco-und-die-folgen [letzter Zugriff 04.07.2019]). 8 Thomé/Gehring/Nussbaum, Zeichner als Reporter, 27. 9 Vgl. Wibke Weber. »Comic-Journalismus: Diese Bilder sind nicht lustig«. EJO European Journalism Observatory, 23.06.2014 (https://de.ejo-online.eu/qualitaet-ethik/comic-journalismus-alles-andereals-lustig [letzter Zugriff 06.07.2019]. 10 Joe Sacco. Reportagen. Den Haag/Palästina/Kaukasus/Irak/Malta/Indien. Zürich: Verlag bbb Edition Moderne, 2013, 5. 11 Vgl. Weber, »Comic-Journalismus«.
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Joe Sacco. Reportagen Angefangen mit seinem Werk Palestine hat Joe Sacco über die letzten zwei Jahrzehnte die Comic-Reportage international bekannt gemacht und geformt.12 Saccos Bestreben, die Grenzen des traditionellen Journalismus mit Hilfe des Medium Comic zu sprengen, wird in seinem 2013 im Verlag bbb Edition Moderne erschienenen Buch Reportagen13 von ihm erklärt. Das Werk vereint Comic-Reportagen und Dossiers aus mehreren Jahren Kriegsberichterstattung für verschiedene Zeitschriften und Zeitungen. Die Sammlung kürzerer Reportagen von 1998 bis 2011, die unter anderem im New York Times Magazin, dem Harper’s Magazin, in XXI oder dem Guardian erschienen, behandelt Themen wie die Gerichtsverhandlung am Internationalen Gerichtshof für das ehemalige Jugoslawien, die Unruhen im Gaza-Streifen, die Flüchtlingskrise ausgelöst durch den Tschetschenien-Krieg, die Einsätze des U.S.-Militärs im Irak, die Probleme afrikanischer Migranten auf Malta und die Notlage der ›unantastbaren‹ Bauern in Indien. Im Vorwort sowie in Anmerkungen, die den einzelnen Kapiteln folgen, gibt er nicht nur eine eigene Einschätzung zu seinen journalistischen Arbeiten, sondern reflektiert auch die Zusammenarbeit mit den Zeitungen, in denen die Reportagen erschienen sind, und macht seine Beweggründe und Motivation, mit dem Comic als berichtendes Mittel zu arbeiten, deutlich. Schon der Titel weist auf seine Intention hin. Er möchte als Journalist wahrgenommen werden, der Reportagen erstellt, und nicht ausschließlich als Zeichner.14 Gerade wegen dieser Absicht ist Joe Saccos Werk im Rahmen dieser Arbeit sehr interessant und wird im Folgenden näher untersucht.
Arbeitsweise Die Comic-Reportage beruht, nach Joe Sacco, auf der eigenen, intensiven Recherche vor Ort. Sie sollte ein Ereignis oder eine Entwicklung aus subjektiver Sicht und unter Einbezug der Eindrücke und Erlebnisse Betroffener erklären. In verschiedenen Interviews, sowie im Vorwort zu seinem Werk Reportagen, erklärt Joe Sacco, dass es ihm wichtig sei »den Dingen auf den Grund zu gehen«, um herauszufinden, »was in einer bestimmten Situation wirklich geschah«.15 Es ist ihm
12 Vgl. Jeet Heer. »Book Review: Journalism, by Joe Sacco«. National Post, 17.08.2012 (https:// nationalpost.com/afterword/book-review-journalism-by-joe-sacco [letzter Zugriff 10.07.2019]). 13 Der Originaltitel des Werks lautet Journalism und wird 2012 im Jonathan Cape Verlag publiziert. 14 Vgl. Marc Röhling. »Sacco und wie er die Welt sieht«. Der Tagesspiegel (Berlin), 05.05.2013 (https:// www.tagesspiegel.de/kultur/comics/comic-journalismus-sacco-und-wie-er-die-welt-sieht/7878670. html [letzter Zugriff 10.07.2019]). 15 Thomé/Gehring/Nussbaum, Zeichner als Reporter, 36.
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ein großes Anliegen, die Stimmung und die Gegebenheiten der Orte, an denen er sich befindet und von denen er berichtet, genau einzufangen und »den Leser unmittelbar an einen bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit mitnehmen«16 zu können. Der Comic biete die Möglichkeit, eine Atmosphäre aufzubauen.17 Um auch die Geschehnisse wiedergeben zu können, die Sacco nicht selbst gesehen oder erlebt hat, stelle er »zusätzlich visuelle Fragen«18 an seine Interviewpartner. Er möchte den Leser über bestimmte Augenblicke informieren und auch den Augenzeugen gerecht werden, indem seine gezeichnete Umsetzung die Erlebnisse korrekt wiedergebe.19 Seine Interviewpartner und damit die Menschen und vor allem Betroffenen stehen in seinen Reportagen im Fokus. Er will erfahren, »was sie durchmachen, wie sie überleben, und wie sie Widerstand leisten.«20 In Krisengebieten sei es ihm wichtiger zu erfahren, wie die Menschen vor Ort ihren Alltag gestalten, als über die Kämpfe und politischen Auseinandersetzungen zu berichten. Er wolle Menschen eine Stimme geben, »die zu wenig gehört werden«.21 In Recherchen und Interviews vor Ort sei man als Journalist immer ein Stück weit emotional involviert. Sacco habe Mitgefühl mit den Betroffenen. Gleichzeitig gehe er aber auch »vor wie ein Chirurg, um an eine Story zu kommen«,22 und verhalte sich distanziert, um aufmerksam zu bleiben. Beim späteren Zeichnen jedoch sei es fast unmöglich, sich emotional herauszuhalten.23 Im Hinblick auf das Thema seiner Reportage besteht ein wechselnder Fokus auf private, gesellschaftliche, dokumentarische oder historische Themen. Auch indem er sich selbst als Cartoon-Figur in die Berichterstattung einbringt, verlangt Sacco von seinem Publikum immer wieder, die Perspektive zu wechseln. Durch die Integration seiner eigenen Person in das Werk legt er die subjektive Sichtweise offen und macht seinen Standpunkt als Autor klar.24 Indem er zu einer der Figuren in seinem Werk werde, sei es ihm möglich, die Beziehungen zu den Personen, mit denen er zu tun hat, zu zeigen. Damit dokumentiert Sacco, welchen Einfluss er mit seiner Anwesenheit als Journalist auf die Geschichte hat.25 Joe Sacco möchte zeigen, wie Journalismus funkti16 Ebd., 35. 17 Vgl. Dirk Schneider. »Comic vom Krieg. Graphic-Novel-Tage in Hamburg«. Deutschlandfunk, 10.04.2012 (https://www.deutschlandfunk.de/comic-vom-krieg.807.de.html?dram:article_ id=121559 [letzter Zugriff 07.07.2019]). 18 Thomé/Gehring/Nussbaum, Zeichner als Reporter, 35. 19 Vgl. Sacco, Reportagen, 4. 20 Thomé/Gehring/Nussbaum, Zeichner als Reporter, 36. 21 Sacco, Reportagen, 5. 22 Schneider, »Comic vom Krieg«. 23 Vgl. Alex Burrows. »The Myth of objective Journalism – Joe Sacco interviewed«. The Quietus, 09.12.2012 (https://thequietus.com/articles/10916-joe-sacco-journalism-interview [letzter Zugriff 10.07.2019]). 24 Vgl. Thomé/Gehring/Nussbaum, Zeichner als Reporter, 31. 25 Vgl. Burrows, »The Myth«.
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oniert, und wolle erreichen, dass die Leser seine Arbeit, aber auch die Reportagen und Berichte anderer Journalisten besser einschätzen können.26 Indem er deutlich macht vor Ort gewesen zu sein, teile er dem Leser mit, »dass Journalismus eine von Menschen betriebene Tätigkeit mit Sprüngen und Mängeln ist«.27 Sacco richtet sich klar gegen den US-Mainstream-Journalismus und seine Objektivitäts- und Ausgewogenheitsprinzipien und will mit dem Comic-Journalismus eine Alternative schaffen. Ein Journalist müsse danach streben, die Wahrheit herauszufinden und sie nicht durch eine vermeintlich ausgewogene Berichterstattung zu verfälschen.28
Analyse von Text und Bild In den größtenteils schwarz-weiß gezeichneten Reportagen werden Informationen mit Hilfe von Sprechblasen beziehungsweise viereckigen Kästchen vermittelt. Erstere dienen der direkten Figurenrede und beinhalten häufig kurze Redeanteile innerhalb von Gesprächen, die sich durch alltagssprachliche und ellipsenförmige Aussagen kennzeichnen. Bei seinen Ausführungen ist Sacco, wie für den ComicJournalismus üblich, stets um Authentizität bemüht, die er beispielsweise durch Namensnennungen von Schauplätzen, mithilfe eingearbeiteter Landkarten und durch die direkte Wiedergabe von Aussagen zu erreichen sucht. Zusammen mit historischen Erläuterungen zu den aktuellen Situationen tragen diese dokumentarischen Materialien zur Glaubwürdigkeit der geschilderten Ereignisse bei und versorgen den Rezipienten mit Hintergrundinformationen, die für das Verständnis von unmittelbarer Bedeutung sind. So werden auch Begriffe, die dem Leser unbekannt sein könnten, mit einem Sternchen markiert und unter dem Textfeld in einem kleineren Textfeld und in kleinerer Schriftgröße erläutert. Unter dem Aspekt der genauen Wiedergabe und der damit verbundenen Authentizität schreckt Sacco auch nicht davor zurück, Schimpfwörter oder Fäkalsprache wiederzugeben, um den rüden und respektlosen Umgangston des U.S.-amerikanischen Offiziers gegenüber den irakischen Trainingssoldaten authentisch darzustellen. So heißt es in Auf!Ab! auf Seite 89: »Hey! Heb deinen Schwanz hoch! Oder willst du den Boden ficken?!«. Mit der immer wieder auftauchenden Wiedergabe des harten Tons der Offiziere schafft Sacco auch die für ihn im Comic-Journalismus so wichtige Atmosphäre für den Rezipienten, die die Stimmung vor Ort einfängt. In jeder seiner Reportagen macht er die Umstände, in denen er sich vor Ort befindet, mit bildlichen sowie
26 Vgl. Schneider, »Comic vom Krieg«. 27 Sacco, Reportagen, 4. 28 Vgl. ebd., 5.
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sprachlichen Mitteln für den Leser deutlich und erfahrbar. Auch Menschen und Objekte möchte der Autor so genau wie möglich wiedergeben. Auf Seite 37 oder auch 177 beispielsweise sind Panels zu finden, die jeweils ein Drittel der Seite füllen und Überblicke über ein Lager oder eine Ortschaft geben. Damit dienen sie zum einen der Einordnung der Handlung, sollen zum anderen aber dem Rezipienten genauso einen Eindruck von der Lage vor Ort geben. Dass solche Landschaftsansichten jedoch verhältnismäßig selten in den Reportagen zu finden sind, könnte daran liegen, dass Sacco zur Beschreibung der Lage und der Erlebnisse den Fokus eher auf die Darstellung der Menschen legt. In ihren Gesichtern spiegelt er das Erlebte in all seiner Grausamkeit wider. So wird man häufig über die Gesichtsausdrücke von Erzählenden über einen Fingerzeig erst auf einen sich im Hintergrund befindenden Schauplatz aufmerksam gemacht. Auf Seite 30 erzählt Sami, dass er und seine Nachbarn aus Angst vor der Reaktion der Israelis ihr eigenes Haus zerstört haben, nachdem sie darin einen Tunnel für den Waffenschmuggel entdeckt hatten. Auf dem Bild ist der Mann im Medium Shot29 zu sehen, streckt den Arm und Zeigefinger aus und deutet auf eine Szene hinter sich. Von seinem mürrischen Gesichtsausdruck folgt man als Betrachter seinem Zeigefinger, um dann auf den Schutthaufen im Hintergrund zu schauen. Im Fokus steht nicht das zerstörte Wohnhaus, auf das er deutet, sondern der dazugehörige Gesichtsausdruck und sein anklagender Blick. In solchen Darstellungen wird beim Leser der Eindruck erweckt, als würden die Figuren sich direkt an den Rezipienten wenden. Eine solche Figurendarstellung ist als charakteristisch für den Comic zu betrachten, in dem die Personen und individuellen Erlebnisse für Sacco stets im Vordergrund stehen und die Emotionen über die Gesichter der Figuren widergegeben werden. Auf eine individualisierte Darstellung legt Sacco besonderen Wert. In den Reportagen wird häufig über unterschiedliche Einzelschicksale die Situation der Menschen vor Ort verdeutlicht. Dabei bildet die Namensnennung der interviewten Personen einen festen Bestandteil. Die Personen, die zu Wort kommen, werden meist in einem Textfeld von Sacco vorgestellt, indem er ihre Situation in kurzen Worten beschreibt. Darauf folgt die Geschichte des Interviewpartners, die in eigenen Worten mithilfe von Sprechblasen, wenn die Person während des Interviews gezeigt wird oder in wörtlicher Rede mit Anführungszeichen in Textfeldern, wenn eine in der Vergangenheit liegende Situation beschrieben wird, dargestellt wird. Sacco berichtet beispielsweise über Scherzad Chalid, der in einem Prozess gegen den U.S-amerikanischen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld aussagen will. Dazu erzählt er von seinen Erlebnissen im Camp Bucca, in dem er ohne ersichtlichen Grund vom U.S.-amerikanischen Militär festgehalten wurde. In einer Sequenz 29 Bildeinstellung in der eine Person von der Hüfte aufwärts abgebildet ist.
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Abb. 1: Joe Sacco. Reportagen. Zürich: bbb Edition Moderne, 2013, 110.
von 12 gleich großen Panels (Abb. 1) werden die Ereignisse einer Folter dargestellt. Das letzte Panel zeigt Scherzad wieder in der Interviewsituation. Anhand einer solchen Form der Interviewführung ist es Sacco möglich, den Bericht mit zahlreichen Details sowie persönlichen Nuancen zu versehen. Die Wiedergabe von Meinungen und Einstellungen der Figuren verleiht den Dokumentationen nicht nur eine authentische Komponente, sondern trägt auch zur Identifikation mit der vorherrschenden Situation bei. Wie Sacco es auch intendiert, stehen die Betroffenen in seinen Reportagen im Fokus. Mit den beispielhaft erwähnten Erzählungen stehen vor allem die Menschen in den Krisengebieten, von denen seine Reportagen berichten, im Vordergrund. Die Erzählungen von ihrem Alltag vor Ort und ihren durchlebten Traumata, teilweise gespickt mit historischen Rückblicken, entwerfen ein Bild des Konflikts, welches vor allem die darunter Leidenden in den Blick nimmt. Um besonders starke Emotionen und wichtige und folgenschwere Ereignisse zu beleuchten, benutzt Sacco in allen Reportagen eine bestimmte Technik. Auf Seite 36 (Abb. 2) zum Beispiel wird die Tschetschenin Zura mit einem weißen Schein um ihren Oberkörper hervorgehoben. Dieser steht im starken Kontrast zu dem sonst tief-
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Abb. 2: Joe Sacco. Reportagen. Zürich: bbb Edition Moderne, 2013, 37.
schwarzen Hintergrund des Panels. Der verzweifelte Gesichtsausdruck der alten Frau, die von dem Raketenlärm getrieben ihr Zuhause verlässt, wird so im Bild und auf der Seite fokussiert und verstärkt. Sacco benutzt dieses Mittel häufiger, um meist Emotionen aber auch Situationen hervorzuheben. Die Betroffenen und Leidenden nehmen in den Reportagen eine große Rolle ein, die gepaart mit Saccos Fähigkeit, ihre Emotionen für den Rezipienten greifbar zu machen, und ihren Schilderungen von Krieg, Flucht, Unterdrückung und ihrem mühseligen Alltag Verständnis und Mitleid beim Leser auslöst. Um die ernste Thematik an einigen Stellen aufzulockern, macht Sacco Gebrauch von Ironie und Übertreibung. So stellt er am Anfang der Reportage Welche Flüchtlinge? eine rhetorische Frage, die klare Ironie aufweist. Nachdem er erläutert, dass Wladimir Putin den Tschetschenienkrieg für gewonnen und beendet erklärt, lässt Sacco Zara zu Wort kommen, die erklärt, dass sie ihr Heimatland verlassen musste und nur knapp dem Tod entkommen sei. Ihre Aussage kommentiert der Autor mit einer rhetorischen Frage: »Aber Zara! Willst du etwa Putins Image als Friedensbringer zerstören?«30 In diesem Fall mit sarkastischem Unterton ist die rhetorische Frage auch an anderen Stellen seiner Reportagen ein beliebtes Mittel, um die Aufmerksamkeit des Lesers auf bestimmte Details zu ziehen. Gleichzeitig richtet sich Joe Sacco als Erzähler damit direkt an seine Rezipienten und macht deutlich, dass er derjenige ist, aus dessen Sicht berichtet wird. Dazu dient auch seine Selbstdarstellung als Comic-Figur. Indem er selbst von Anfang 30 Sacco, Reportagen, 76.
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Abb. 3: Joe Sacco. Reportagen. Zürich: bbb Edition Moderne, 2013, 104.
an in seinen Reportagen auftaucht, macht er sofort klar, dass er der Erzähler der Berichterstattung ist. Mit den sehr runden Gesichtszügen, den dicken, fast wulstigen Lippen und der großen Nase wirkt der kleine und schmächtige Mann stärker abstrahiert als die anderen Figuren in seinem Comic (Abb. 3). In unscheinbare Klamotten gekleidet, trägt er eine kleine, helle Umhängetasche. Schuhe und Hose bleiben in der jeweiligen Reportage stets gleich dargestellt und gehören zusammen mit seiner Brille zur Grundausstattung der Comicfigur Saccos. Dabei wird vor allem seine Brille zum Markenzeichen, die den Abstraktionsgrad noch erhöht und ihn stereotypisiert. Die runde Brille mit dem dünnen Gestell ist undurchsichtig. So sind die Augen der Comicfigur nie zu erkennen. Die undurchsichtige Brille des Charakters scheint damit mehr zu sein als eine bloße Darstellungsart. Bei der häufigen und klaren Darstellung der Gefühle in dem Gesichtsausdruck seiner gezeichneten Figuren bleibt also lediglich der Charakter, der ihn selbst darstellen soll, die Ausnahme. In den Interviews verhalte sich Sacco laut eigener Aussage eher professionell distanziert, um möglichst viel von den beschriebenen Umständen und Hergängen aufnehmen zu können. Beim späteren Zeichnen seiner Reportage sei die Distanz für ihn nicht mehr möglich. Er müsse sich in das Gezeichnete einfühlen, um es korrekt wiedergeben zu können. So scheint der Autor sich in Bezug auf seine eigene Gefühlswelt eine gewisse Anonymität zu gewähren, die ihm die Brille mit ihren weißen Gläsern in seinen Comics verschafft. Joe Sacco ist zwar immer präsent, drängt sich aber nie in den Vordergrund. Die Brille dient somit als spiegelhafte Verbindung zwischen dem Autor und den Gefühlen und Erlebnissen der Figuren.
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Dabei nimmt er sich selbst aus dem Mittelpunkt und fokussiert die Empfindungen der Interviewpartner. Er schafft eine Figur, die als Vermittler und Bezugspunkt für die einzelnen Personen dient und die Konflikte somit auch durch seine Wahrnehmung darstellt. Sacco will seine subjektive Sichtweise offenlegen und seinen Standpunkt als Autor klarmachen, wie er es selbst formuliert, und arbeitet so mit der transparenten Subjektivität, die dem Comic-Journalismus anheim ist. Indem er zeigt, wie er mit den Menschen vor Ort und anderen Interviewpersonen in Kontakt tritt, wird seine Beziehung zu ihnen deutlich, und er dokumentiert gleichzeitig, welchen Einfluss er als Journalist auf die Geschichte hat. Deutlich wird das vor allem in seiner Reportage Kushingar. Direkt zu Anfang beschreibt Sacco, dass seine Gespräche mit den Bauern von einem Mann und ein paar Teenagern unterbrochen werden. Aus einer höheren Kaste stammend, halten diese es für ihr Recht, das Treffen des Journalisten mit den Musahar zu stören. Daraufhin bricht der Gastgeber das Gespräch mit Sacco mit dem Bedauern ab, dass der Journalist ihm nicht helfen könne, Arbeit und Essen zu besorgen und die Gespräche für ihn nur Ärger bedeuten würden.31 Die Schwierigkeiten, denen Sacco in seiner Position als Journalist gegenübersteht, werden in seinen Reportagen für den Leser deutlich gemacht. Mit Hilfe solcher Passagen möchte Sacco laut eigener Aussage zeigen, wie der Journalismus funktioniert, und seine Arbeitsweise vor Ort offenlegen. Er beschreibt jedoch nicht nur die Umstände, in denen er sich als Journalist befindet und wie diese sich auf seine Arbeit auswirken, sondern äußert in ironischer Weise auch Kritik an der Arbeitsweise von Journalisten. Dabei nimmt er sich selbst allerdings nicht aus der Kritik heraus und beschreibt im Gespräch mit den beiden Klägern gegen Donald Rumsfeld Journalisten als Fische, die »nach einer Weile zu riechen«32 beginnen, da die beiden seiner Fragen müde werden. Als Journalist müsse man laut Sacco danach streben, die Wahrheit herauszufinden. So kritisiert er in seinen Anmerkungen zum Kapitel Palästina seine Reportage Hebron: Ein Einblick »als ein nicht gelungenes Stück Comic-Journalismus.«33 Hier stellt Sacco die Meinungen der verfeindeten Parteien direkt gegenüber und lässt beide in gleichem Maße zu Wort kommen. Mit dieser Objektivität sei es Sacco nicht gelungen, »die enorme Ungerechtigkeit der Israelis zu vermitteln, die Zehntausende Palästinenser zu ihren Geiseln machen«.34 Generell lässt sich in den verschiedenen Reportagen aus den Jahren 1998 bis 2011 eine Entwicklung des Autors erkennen. Obwohl seine Strichführung und Art zu zeichnen unverändert bleibt, sind Das Kriegsverbrechertribunal aus dem 31 Sacco, Reportagen, 168. 32 Ebd., 111. 33 Ebd., 32. 34 Ebd.
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Jahr 1998 und auch Hebron: Ein Einblick aus dem Jahr 2001 noch farbig. Schon in Gazas Untergrundkrieg aus dem Jahr 2003 weicht die komplette Kolorierung einer schwarz-weiß Zeichnung, die lediglich durch die Farben Beige und Khaki unterstützt wird, um schließlich in allen späteren Werken ganz auf die Farben zu verzichten und Schattierungen durch Linienschraffuren zu ersetzen. Während er im Jahr 2001 mit seiner Reportage aus Hebron noch einen Versuch wagt, seine in der Journalistenschule erlernten Kenntnisse des Journalismus anzuwenden und objektiv über die Geschehnisse vor Ort zu berichten, merkt er schnell, dass er andere Wege einschlagen möchte. Damit ist Joe Saccos Spurensuche stets persönlich und seine Perspektiven sind subjektiv, was er aber genau von den Protagonisten hält, bleibt im Unklaren und dem Rezipienten damit selbst überlassen.
Oliver Morel, Maël. Die Rückkehrer. Wenn der Krieg im Kopf nicht endet Olivier Morel ist ein französischer und amerikanischer Akademiker und Filmemacher. Er ist Regisseur mehrerer Dokumentarfilme, unter denen sich auch die preisgekrönte Dokumentation On the bridge aus dem Jahr 2011 befindet.35 In dem Film berichten junge Soldaten des U.S.-Militärs über die während des IrakKrieges begangenen Verbrechen und den schweren posttraumatischen Stress, den sie erlitten haben. Auf Grundlage dieser Dokumentation erscheint im Jahr 2014 die Graphic Novel Die Rückkehrer. Wenn der Krieg im Kopf nicht endet36 im Carlsen Verlag in Zusammenarbeit mit dem Künstler und Schriftsteller Maël.37 Obwohl Morel schon mehrfach auch als Autor tätig geworden ist, handelt es sich bei Die Rückkehrer um seine erste und bis jetzt einzige Graphic Novel. Sein Werk ist besonders interessant unter der Tatsache zu betrachten, dass der renommierte Filmemacher sich dazu entscheidet, ein bereits in einer Dokumentation verwendetes Thema zusätzlich in Form eines Comic-Journals umzusetzen.
35 Vgl. University of Notre Dame. »Olivier Morel« (https://ftt.nd.edu/faculty-staff/faculty-staff-byalpha/olivier-morel [letzter Zugriff 18.07.2019]). 36 Im Original erscheint das Werk im Futurpolis Verlag auf Französisch im Jahr 2013 und trägt den Titel Revenants. 37 Vgl. Martha Cornog. »Q&A Olivier Morel & Maël«. Library Journal (New York) 140 (2015), 01.12.2015, 92.
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Arbeitsweise Olivier Morels Dokumentation On the bridge besteht fast ausschließlich aus Interviews. Morel selbst ist in diesem Film kaum sichtbar und bleibt als Interviewpartner hinter der Kamera. In der Graphic Novel Die Rückkehrer dreht er das Prinzip in Zusammenarbeit mit dem Comiczeichner Maël um, macht sich selbst zu einem der Protagonisten und erzählt vom Zustandekommen seines Dokumentarfilms. Dabei verarbeitet er seine Erlebnisse beim Filmen, indem er von den Veteranen aber auch von seinem eigenen emotionalen Trauma und Stress hinter der Kamera erzählt.38 In einem Interview mit dem Library Journal, erschienen am 15.12.2015 und im E-Mail-Kontakt mit Olivier Morel erklären Zeichner sowie Autor ihre Beweggründe und Umsetzungsweisen für die Entwicklung der Graphic Novel. So erklärt Maël, dass es zu Beginn ihrer Zusammenarbeit galt, einen Weg zu finden, die unterschiedlichen Erzählungen und Erinnerungen der Veteranen in eine zusammenhängende Erzählung zu bringen. Dabei sei die Idee entstanden, »the subject of ›trauma‹ through the character of ›Olivier‹«39 zu behandeln. Während Morel erklärt, sich selbst als Person in keiner Weise in seinen Film einbringen zu wollen, sei es für ihn sehr interessant gewesen »an avatar of myself« und seine Fantasien in die Graphic Novel einzuarbeiten. Auch mit Hilfe der Figur Oliviers im Werk werden die Mittel der Graphic Novel dazu benutzt, das darzustellen, was für einen Dokumentarfilm nicht darzustellen ist. Besonders um zu zeigen, »what this violence has done to the veterans and how those damages transformed their inner worlds«,40 eröffne die Zeichnung laut Morel so viele Möglichkeiten. So könne er das Thema der posttraumatischen Belastungsstörungen auch in Form von Fantasien, Bildern aus dem Unterbewusstsein und Albträumen dokumentieren – eine Darstellungsmöglichkeit, die ihm der Film nicht biete. Obwohl sich die Graphic Novel natürlich auf den Film beziehe, bleiben Film und Buch für Morel zwei eigene autonome Werke, die eine Thematik auf unterschiedliche Weise behandeln. Die wahn- und traumhaften Einschübe machen die Graphic Novel in ihrer Wirkung aus, trotzdem ist es dem Autor wichtig, dass es sich bei den Veteranen um reale Personen und deren Erlebnisse handelt. Olivier Morel möchte aufmerksam machen auf eine Gruppe von Menschen, that deals with issues that rarely make the headline news, when at the same time, there are millions of individuals, families and communities affected.41 38 Vgl. Cornog, »Q&A«, 92. 39 Ebd. 40 Ebd. 41 Ebd.
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Während auch die Dokumentation schon über die Schwierigkeiten der Veteranen nach ihrer Rückkehr informiert, geht die Graphic Novel auch auf die Hintergründe zur Erstellung der Dokumentation ein. Bei seiner Arbeitsweise an der Graphic Novel sieht sich Olivier Morel, ganz im Gegensatz zu Joe Sacco, keinen journalistischen Maßstäben unterstellt. Er habe sich nie gefragt, »if it was a ›journalistic‹ way of ›documenting‹ or anything else.«42 Für Morel steht das Thema und die Nachricht, die er an die Rezipienten überbringen will, vor jeder Genre-Frage. Die Rückkehrer solle über die Lebensumstände der Veteranen informieren und die Leute zum Nach- aber vor allem auch Umdenken anregen.
Analyse von Text und Bild Wie auch Joe Sacco nutzen Maël und Morel Sprechblasen und viereckige Kästchen, um den Text wiederzugeben. Während Morel als Erzähler in den viereckigen Kästchen selbst erzählt, dienen die Sprechblasen dazu, die unterschiedlichen Charaktere sprechen zu lassen. Vor allem die Sprechblasen kennzeichnen sich durch alltagssprachliche und ellipsenförmige Aussagen. Dies geschieht in den Sprechblasen sowie den Kästchen und verstärkt den Eindruck einer realen Erzählung. Inhaltliche Wahrhaftigkeits- und Authentizitätskriterien spielen im ComicJournalismus eine große Rolle, und auch Morel ist es wichtig deutlich zu machen, dass es sich um die Schicksale realer Personen und um ein reales Problem unserer Gesellschaft handelt, über das er informieren möchte. So ist er, genauso wie Joe Sacco, stets um Authentizität bemüht, die er durch die Ort- und Zeitangaben, die Erwähnung politischer Ereignisse und mit Hilfe eines Fotos zu erreichen sucht. Zum Ende der Graphic Novel befindet sich auf Seite 109 ein Foto. Morel sollte dieses nach Ende der Dreharbeiten von dem Veteranen Ryan machen. Das Foto reißt den Leser recht abrupt aus der Welt des Comics heraus und führt die Realität deutlich vor Augen. Dieses dokumentarische Material trägt zur Glaubwürdigkeit der geschilderten Ereignisse bei und gibt dem Rezipienten Hintergrundinformationen, die für das Verständnis wichtig sind. Aus diesem Grund werden auch unbekannte Begriffe mit einer Fußnote versehen und im Glossar ausführlich erklärt. Dem Rezipienten werden damit Informationen gegeben, die dem Verständnis der Graphic Novel dienen, in einigen Fällen aber sogar darüber hinaus reichen und den Leser inspirieren sollen, sich weiter mit der beschwerlichen Rückkehr der Soldaten zu beschäftigen. Die Bildsprache der Graphic Novel dient dazu, bestimmte Situationen immer wieder hervorzuheben. Der Zeichner Maël hat eine Bildsprache entwickelt, die 42 Ebd.
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Abb. 4: Olivier Morel, Maël. Die Rückkehrer. Hamburg: Carlsen, 2014, 23.
über Farbcodes funktioniert. Die Gegenwartsebene, die von Morel und seinen Dreharbeiten erzählt, ist grau in grau gehalten, die Erinnerungen der Soldaten an ihre Einsätze sind rostrot, eine Färbung, die sowohl an die Eintönigkeit und Hitze der Wüste im Irak, als auch an Blut erinnert. Immer wieder bricht das Rostrot in die graue Alltagswelt der Soldaten ein und symbolisiert damit die Erinnerungen und traumatischen Erlebnisse, die den Alltag beeinflussen. Auf Seite 23 sitzt der alte Marius Estratat allein an seinem Tisch (Abb. 4), nachdem er Olivier Morel von seinen Erinnerungen aus dem Schützengraben im Zweiten Weltkrieg erzählt hat. Im letzten Panel der Seite wirkt es, als würde man von dem eingefallenen Gesicht des alten Mannes mit aufgerissenen traurigen Augen direkt angeblickt werden, während er in einer Sprechblase die letzten Worte seines sterbenden Kameraden wiederholt: »Geh nicht weg!« Dabei macht es den Eindruck, als würde er nun mit dem Rezipienten sprechen und ihn bitten, ihn nicht mit seinen Erinnerungen allein zu lassen, die den Mann in dem rostroten Ton umwabern. Ein Mittel, das im Comic immer wieder benutzt wird. Nachdem die Soldaten von ihren Erinnerungen erzählen, die ganzheitlich in dem rostroten Ton häufig auf mehreren Doppelseiten wiedergegeben werden, wirkt das Rot zurück in der Interviewsituation nach und umgibt die Veteranen. Doch auch Gegenstände wie Fotos aus dem Irak, die Unterschrift von dem ehemaligen Soldaten Vince auf seinem Manuskript, oder das Tattoo von Lisa, die mit dem Abbild ihrer Marke auf der Haut an ihre Taten erinnern will, um sich selbst zu bestrafen, stechen in Rot aus dem Grau hervor. Alles, was an die Kriegserlebnisse der Soldaten geknüpft ist, wird in Rot dargestellt. Der Farbton gilt gleichzeitig auch als die Farbe der Wut. Eine Emotion, die neben Trauer, Fassungslosigkeit und Entsetzen häufig eine weitere Rolle im Comic spielt. Der Vater von Jeff redet sich beispielsweise in einem Interview in Rage und macht seiner Wut über die fehlende Anteilnahme und die nicht erbrachten Hilfsleistungen des U.S-Militärs vor und
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Abb. 5: Olivier Morel, Maël. Die Rückkehrer. Hamburg: Carlsen, 2014, 101.
nach dem Selbstmord seines Sohnes in einem Ausbruch Luft. Dabei färben sich von Panel zu Panel die Augen und der Hintergrund um den Mann herum rot, bis sich zum Schluss auch die Augen des betroffenen Kamerateams und Olivier Morels rot färben (Abb. 5).43 Laut Maëls Aussage soll das Trauma der Soldaten durch den Charakter Oliviers behandelt werden, um eine zusammenhängende Erzählung zu schaffen. So erfahren die Rezipienten nicht nur mehr über die Hintergründe zur Erstellung der Dokumentation und der Graphic Novel, sondern bekommen auch tiefe Einblicke in das Privatleb en und die emotionale Verbundenheit des Autors mit dem Thema. Bereits zum Anfang der Graphic Novel lässt der Autor tief in seinen Seelenzustand blicken und drückt in Form von rhetorischen Fragen seine eigene Unsicherheit im ersten Kontakt mit Irak-Veteranen aus. Dabei stellt er Fragen an sich selbst, wie beispielsweise auf Seite 12, »Angst vor den amerikanischen Soldaten in diesem ›schmutzigen Krieg‹?«, als auch über die Personen, die er trifft. Damit zieht er nicht nur, wie für rhetorische Fragen üblich, die Aufmerksamkeit des Lesers auf einen bestimmten Aspekt, sondern macht auch seine eigenen Berührungsängste und Bedenken, die ihn noch vor Beginn der Dreharbeiten plagen, für den Rezipienten transparent. Morels Einfühlungsvermögen in das psychische und physische Trauma seiner Gesprächspartner lässt ihn selbst emotional tief getroffen zurück. Ein Zustand, den er seinen Lesern näherbringt, indem er sie tief in die Ängste der Betroffenen Einblick haben lässt. Sein Charakter, von ihm selbst Avatar genannt, führt durch das Werk und tritt in den jeweiligen Interviews und Erzählungen der Veteranen zwar etwas in den Hintergrund, bleibt dabei jedoch immer präsent. Damit weist Morel, wie auch Joe Sacco, deutlich auf seine subjektive Berichterstattung hin 43 Olivier Morel, Maël. Die Rückkehrer. Wenn der Krieg im Kopf nicht endet. Hamburg: Carlsen, 2014, 100–101.
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Abb. 6: Olivier Morel, Maël. Die Rückkehrer. Hamburg: Carlsen, 2014, 60.
und erfüllt das für den Comic-Journalismus als typisch geltende Merkmal. Seine dunklen Haare sind zum Seitenscheitel gekämmt und seine kantigen Gesichtszüge weisen im Verlauf des Werks meist einen ernsten Gesichtsausdruck auf. Die kleine Brille mit viereckigen Gläsern lässt seine Augen klar erkennen und die Kleidung des schlanken Mannes besteht meist aus einem hellen, langärmeligen Hemd mit einer dunklen Lederjacke und einer schlichten Hose (Abb. 6). Dazu trägt er eine Kameratasche und ist neben der laufenden Filmkamera meist noch mit einem Klemmbrett ausgestattet. Geschichten wie die des Großvaters aus Frankreich, der im Zweiten Weltkrieg gekämpft hat und später an einer Alkoholsucht gestorben ist, werden dem Leser offengelegt und geben Einblick ins Privatleben, sowie eine Erklärung, warum Olivier Morel sich mit den Belastungen beschäftigt, denen sich Rückkehrer ausgesetzt fühlen.44 Damit fließen solche privaten Informationen immer aus einem bestimmten Zweck in die Geschichte mit ein und ermöglichen es dem Leser gleichzeitig, sich in den Charakter Morels einzufühlen. Um ihre Sicht auf die Unmenschlichkeit des Krieges darzustellen, nutzen Morel und Maël das Mittel der Intertextualität. Bereits auf Seite 58–59 machen sie Gebrauch von diesem Mittel, indem Olivier Morel auf neun Panels bei einem Fall in die Hölle zu sehen ist. Morel schaut im dritten Panel entsetzt einer Inschrift entgegen, die im vierten und fünften Panel in einem Textfeld übersetzt wird. »Lasst, die ihr eintretet…« ist dort zu lesen, »…alle Hoffnung fahren«. Bereits hier wird deutlich, wie stark Morel beginnt, sich emotional in die ehemaligen Soldaten einzufühlen und ihren Schmerz mitzuempfinden. Nachdem die Veteranin Lisa sich wütend und traurig über die Ungerechtigkeit des Krieges auslässt, fällt Morel in ein Loch aus Erkenntnis über die schrecklichen Vorkommnisse in Abu Ghureib und Hoffnungslosigkeit. Der Autor bedient sich hier einer Dichtung mit dem Titel 44 Vgl. ebd., 24.
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Die Göttliche Komödie aus dem Jahr 1306 von Dante Alighieri (1265–1321), die inspiriert ist durch die blutige Auseinandersetzung der Waiblinger und Welfen im Italien der Jahre 1125 bis 1300. Damit zeigt Morel auf der einen Seite, dass die kriegskritischen Haltungen der Werke noch aktuell sind und Zitate heute von ihm genutzt werden können, um seine kriegskritische Haltung deutlich zu machen. Gleichzeitig wird hier Morels Aussage deutlich, nach der beinahe jedes Schriftzeugnis über eine bestimmte Zeit und ihre Ereignisse informieren kann und er deshalb nicht in Genre-Formen denkt, wenn er in seinem Werk auf die Situation der Soldaten aufmerksam machen will. Solche traum- oder wahnhaften Einschübe tauchen im Verlauf des Werkes häufig auf. Maël und Morel sind sich einig, dass die Gewalt, die die Veteranen erfahren haben, und ihre Auswirkungen auf ihre Psyche in der Graphic Novel gut umgesetzt werden können. Die Erlebnisse, von denen die Soldaten erzählen, werden in Bilder umgesetzt und mal mit gar keinem Text, dafür aber mit der Visualisierung von Tönen wie einer Bombenexplosion versehen oder mit Erzählungen unterlegt. Beispielsweise werden die Schrecken aus der Zeit im Irak in Vinces Fall durch bildlich unterlegte Textausschnitte aus dessen Buch dargestellt.45 Über die Gesichtsausdrücke der Beteiligten, die rote Farbe, sowie die hektische und verschwommene Zeichenweise in diesen Abschnitten, werden der Terror, die Brutalität und die Verzweiflung der Situationen mit und ohne Text für den Leser deutlich. Doch auch in die Zeit der Interviewsituationen und Gespräche wirkt das im Krieg Erlebte ein. In die Alltagswelt der Veteranen und ihrer Angehörigen lassen Maël und Morel immer wieder die Schatten ihrer Vergangenheit einfließen. Dabei entstehen Bilder wie der Vater, der seinen erwachsenen Sohn Jeff auf dem Schoß wiegt, während über den beiden schon unheilvoll der Strick hängt, mit dem sich Jeff wenige Stunden später das Leben nehmen wird.46 Diese Panels haben eine ungeheure emotionale Tragkraft und lösen starke Emotionen von Mitgefühl und Trauer beim Leser aus. Die Einschübe zeigen Traumsequenzen, die jedoch aus wahren Erzählungen und Erlebnissen stammen. Wie bereits erwähnt, legt Morel großen Wert darauf, dass die künstlerische Darstellungsweise trotzdem die Realität der betroffenen Soldaten darstellt. Aus diesem Grund werden alle Personen, mit denen er spricht, mit Namen genannt. Darauf folgt eine bildliche Einführung in die Umgebung, in der sich Morel und sein Gesprächspartner befinden, bis schließlich über die Erzählung der Betroffenen in die Geschichte eingetaucht wird. Um zusätzlich Authentizität zu schaffen, erfährt der Rezipient nach Ende der Graphic Novel auf Seite 116 bis 117 die vollen Namen der auftauchenden Veteranen und deren Aufgabe im Krieg sowie deren heutige Lebenssituation. Morel möchte in 45 Vgl. ebd., 74–75. 46 Vgl. ebd., 99.
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Form dieser Gestaltung aufmerksam auf eine Gruppe von Menschen machen, die in der derzeitigen Gesellschaft wenig Wahrnehmung erfährt. Um die Realität seiner Charaktere und deren Leben mit posttraumatischen Belastungsstörungen begreifbar zu machen, taucht er zusammen mit dem Leser in die Hintergründe zu seiner Dokumentation ein. Seine Arbeitsweise sowie auch seine Bedenken und Ängste werden transparent, um die Wahrhaftigkeit der beschriebenen Szenarien zu unterstreichen. So äußert Morel immer wieder Bedenken an seinem Vorgehen oder weist auf Schwierigkeiten hin, die ihm beim Dreh beschäftigen. Die Graphic Novel endet schließlich mit der Veröffentlichung der Dokumentation und könnte gleichzeitig als der Anfang des Comic-Journals verstanden werden. Morel wird gefragt, ob es Szenen gebe, die er bedauere, nicht in den Film aufgenommen zu haben. Daraufhin erinnert sich Morel an den verstorbenen Jeff. Der junge Mann ist nackt im Medium Shot zu sehen und sein Blick ist ausdruckslos. Neben ihm fliegen seine Erkennungsmarken aus dem Bild und in einer Sprechblase stehen die Worte: »Geh nicht weg!«47 Diese Worte hat man bereits von dem französischen Veteranen Marius gehört. Morel und Maël geben hier einem Mann eine Stimme, der eigentlich keine mehr hat, und machen zum Abschluss der Graphic Novel darauf aufmerksam, dass sie hier nun die Möglichkeit haben, Szenen zu zeigen, die in der Dokumentation so nicht möglich waren. Das Schlussbild von Jeff macht deutlich, wer die Hauptpersonen in dem Werk sind, dessen Autor aufmerksam machen möchte auf die Ungerechtigkeit, die er selbst gesehen hat. Wie viele andere Autoren und Zeichner, deren Werke dem Comic-Journalismus zugerechnet werden, greifen Maël und Morel einen gesellschaftlichen Missstand auf und erzählen die Geschichten mehrerer Kriegsveteranen, die nach ihrer Rückkehr feststellen, wie verzichtbar sie tatsächlich sind. In Die Rückkehrer verarbeitet Olivier Morel seine eigenen emotionalen Erfahrungen aus der Zeit der Entstehung seiner Dokumentation On the bridge und schafft damit eine zusätzliche Einsicht in ein bereits hoch emotionales Thema.
Gaby von Borstel, Peter Eickmeyer. Liebe deinen Nächsten. Auf Rettungsfahrt im Mittelmeer an Bord der Aquarius Im Juni 2016 heuert das Ehepaar Gaby von Borstel und Peter Eickmeyer auf der MS Aquarius an und verbringt drei Wochen an Bord. Ihr Ziel ist es, die Arbeit der Seenotrettung zu dokumentieren und in Form einer Graphic Novel über
47 Ebd., 114.
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die Dramen, die sich auf dem Mittelmeer abspielen, zu berichten.48 Die daraus entstandene Comic-Reportage Liebe deinen Nächsten erscheint 2017 im Splitter Verlag und liefert eine Einsicht in die Vorkommnisse auf dem Mittelmeer, die die meisten Beiträge in den herkömmlichen Informationsmedien in kurzen Zeitungs- oder Nachrichtenbeiträgen so nicht geben können. Das Ehepaar bringt damit ihre zweite Graphic Novel heraus, arbeitet jedoch erstmalig in der Form des Comic-Journalismus. Arbeitsweise Mit ihrem Werk Im Westen nichts Neues bringen Gaby von Borstel und Peter Eickmeyer 2014 ihre erste Graphic Novel heraus49 und machen sich damit in der Fanszene, aber auch darüber hinaus einen Namen. Als das Ehepaar dem Historiker, Kapitän und Gründer von SOS Méditeranée, Klaus Vogel, begegnet, sind sie von dessen Engagement beeindruckt und entwickeln die Idee, das Projekt mit künstlerischen Mitteln und damit in Form einer weiteren Graphic Novel zu unterstützen.50 In mehreren Interviews und im E-Mail-Kontakt mit Gaby von Borstel und Peter Eickmeyer erklären Zeichner sowie Autorin ihre Beweggründe und Umsetzungsweisen für die Entwicklung der Graphic Novel. Die Rettung der Flüchtlinge auf dem Mittelmeer solle genau geschildert werden und Einblicke in die Arbeit der Menschen verschaffen. Von der Begegnung mit den Flüchtlingen ist das Ehepaar tief bewegt. Aus diesem Grund baut Peter Eickmeyer in den Comic einen Bruch ein und ersetzt die vorherigen am Computer gezeichneten Bilder durch von Hand gemalte Zeichnungen, da er den Computer als Distanz nicht mehr dazwischen haben wollte.51 Die Zeichnungen seien direkter, da es ab dem Moment der ersten Rettung laut Eickmeyer für das Ehepaar »wirkliches Geschehen« und ein »Einbruch in die Wirklichkeit«52 gewesen sei. Durch die entstandenen Bilder möchte Eickmeyer »dem Betrachter die Menschen und ihre Geschichte nahebringen«.53 Laut Gaby von Borstel, solle Liebe deinen Nächsten zwar ihre Erlebnisse schildern, 48 Vgl. Christian Ströhl. »›Liebe Deinen Nächsten‹: Flüchtlingsrettung als Graphic Novel«. Meller Kreisblatt, 16.02.2017 (https://www.noz.de/lokales/osnabrueck/artikel/851243/liebe-deinen-naechstenfluechtlingsrettung-als-graphic-novel#gallery&0&0&851243 [letzter Zugriff 25.07.2019]). 49 Peter Eickmeyer, Gaby von Borstel. Im Westen nichts Neues - Graphic Novel. Bielefeld: Splitter-Verlag, 2014. 50 Vgl. Ströhl, »Liebe Deinen Nächsten«. 51 Vgl. André Hatting. »Comic über Flüchtlingshelfer im Mittelmeer. Gaby von Borstel und Peter Eickmeyer im Gespräch mit André Hatting«. Deutschlandfunk Kultur, 24.11.2017 (https:// www.d eutschlandfunkkultur.de/graphic-novel-liebe-deinen-naechsten-comic-ueber.1270. de.html?dram:article_id=401523 [letzter Zugriff 25.07.2019]). 52 Ebd. 53 Martina Schwager. »Doku-Comic ›Liebe Deinen Nächsten‹. Rettungseinsatz mit dem Skizzenblock«. Der Tagesspiegel (Berlin), 21.02.2017 (https://www.tagesspiegel.de/kultur/comics/doku-comic-
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aber »die Geflüchteten in den Fokus« rücken.54 Damit solle der Arbeit des SOS Méditeranée geholfen und auf die Situation auf dem Mittelmeer aufmerksam gemacht werden. Eickmeyer und von Borstel sehen vor allem die Komplexität und Langsamkeit der Comic-Reportage als Vorteil, um über ein Thema wie die Seenotrettung von Flüchtlingen zu berichten. Da das Flüchtlingsthema schon lange in den Medien präsent sei, führe die Dauerpräsenz und die Schnelllebigkeit der Nachrichten dazu, dass die Informationen nicht mehr richtig aufgenommen werden können oder aus Eigenschutz nicht an sich herangelassen werden. Wie zuvor beschrieben, soll der Comic-Journalismus einen Kontrapunkt zur objektiven Nachrichtensprache setzen. Die Comic-Reportage solle das Thema deshalb auch laut Eickmeyer »anders angehen, als es kurze […] Nachrichten oder Zeitungsberichte schaffen.«55 Ihr Werk verortet das Ehepaar zwar durchaus im Bereich des Comic-Journalismus, trotzdem spielen diese Genre-Verortungen für sie »keine so große Rolle«. Viel wichtiger sei die »Umsetzung unserer Ideen und Konzepte«. Dadurch sei eine Form von Text und Graphik entstanden, die sie als ihre gemeinsame Arbeitsweise wahrnehmen. Durch dieses entwickelte Format versprechen sich Peter Eickmeyer und Gaby von Borstel »einen nachhaltigen Eindruck« der Situation auf dem Mittelmeer, »der zu einer wirklich tiefen Auseinandersetzung führen kann«, wobei durch das Format Comic auch eine andere Zielgruppe als die herkömmlicher Artikel erreicht werden soll.
Analyse von Text und Bild Die kolorierten Zeichnungen der Graphic Novel werden durch Informationen in viereckigen Kästchen ergänzt. Von Borstel und Eickmeyer treten im Plural als Erzähler auf, berichten über die Umstände an Bord und geben Informationen zu Helfern und Flüchtlingen. Dabei verzichtet die Graphic Novel auf Sprechblasen und macht direkte Reden in kursiven Buchstaben kenntlich. Meist berichten jedoch die Erzähler über die Umstände und auch die Lebensläufe der vorgestellten Personen, sodass diese nur vereinzelt selbst zu Wort kommen. In ihren Erzählungen ist die Autorin Gaby von Borstel, trotz häufigem Verzicht darauf, die Menschen in eigenen Worten erzählen zu lassen, um Authentizität bemüht. Als wichtiges Kriterium einer Comic-Reportage wurden schon bei Joe Sacco und Olivier Morel und Maël verschiedene Mittel festgestellt, die zur Glaubwürliebe-deinen-naechsten-rettungseinsatz-mit-dem-skizzenblock/19408650.html [letzter Zugriff 25.07.2019]). 54 Ströhl, »Liebe Deinen Nächsten«. 55 Hatting, »Comic über Flüchtlingshelfer«.
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digkeit der geschilderten Ereignisse beitragen. Durch die Namensnennung von Schauplätzen, Erwähnung genauer Daten und Einarbeitung großer politischer Ereignisse zu der Zeit wird der Eindruck einer realen Erzählung verstärkt. Generell trägt die Verwendung solcher dokumentarischer Mittel zur Glaubwürdigkeit der geschilderten Ereignisse bei und versorgt den Leser mit wichtigen Hintergrundinformationen, die zum Verständnis der Reportage von unmittelbarer Bedeutung sind. Aus diesem Grund werden auch Begriffe, die dem Rezipienten unbekannt sein könnten, mit einem Sternchen versehen und unter dem Panel genau erklärt. Von Borstel und Eickmeyer ist es ein großes Anliegen, dass der Leser ihren Schilderungen folgen kann. Sie möchten, laut eigener Aussage, die Rettung der Flüchtlinge, wie sie sie erlebt haben, genau schildern und Einblicke in die Arbeit der Beteiligten geben. Dazu beginnt die Zeit der Erzähler an Bord der Aquarius mit einer sehr genauen Darstellung der Umstände, Räumlichkeiten und der Besatzung. In unterschiedlichen großen aber klar abgegrenzten Panels werden in diesen Beschreibungen Schauplätze wie die Brücke und ihre vielen Monitore und Schaltflächen aber auch Waschräume, Toiletten, Flure und die Kabine der Erzähler in eigenen Panels abgebildet. Dem Leser wird ein genauer Eindruck von den Umständen vor Ort gegeben. Zeichnungen wie die des Maschinenraums auf Seite 17 sind unheimlich detailliert und wirken dadurch sehr wirklichkeitsgetreu. Neben dieser im ersten Teil des Werkes durchgehend sehr genauen Darstellung des Schiffes, wird auch die Besatzung der Aquarius vorgestellt. Persönlichkeiten, wie beispielsweise die Ärztin von Ärzte ohne Grenzen, Erna, werden dabei auf einer Doppelseite dargestellt, die sie an ihren Arbeitsplätzen zeigt und die mit einer Beschreibung ihrer Lebensläufe und ihrer Überzeugungen detaillierte Informationen über die Personen und ihre Beweggründe, sich an der Rettung von Flüchtlingen zu beteiligen, gibt. Doch auch der Rest der Besatzung wird namentlich vorgestellt und unter dem Textfeld, in welchem sein Einsatzbereich erklärt wird, abgebildet. Dabei bleibt der Aufbau der einzelnen Seiten, trotz unterschiedlich großer Panels, immer ähnlich und wird im ersten Teil nur gelegentlich durch einen Full page shot oder eine Splash Page, ein doppelseitig abgedrucktes einzelnes Bild, unterbrochen. Diese Seiten lassen den Rezipienten innehalten und stellen Landschaftseindrücke dar. So zeigt Seite 31 (Abb. 7) einen Full page Shot der MS Aquarius auf dem ruhigen und wellenlosen Meer. Der Himmel nimmt die Hälfte des Bildes ein und bietet so genug Platz für ein recht langes Textfeld. Außerhalb der Schilderung über die Abläufe an Bord wird dort über die Seenotrettungen im Allgemeinen informiert und wie diese ablaufen können. So werden Full page shots und auch Splash pages im Verlauf der Graphic Novel immer wieder dazu genutzt, dem Leser atmosphärische Eindrücke der Umgebung zu geben, aber auch um mit Informationen zu versorgen, die nicht direkt in die Handlung gehören. Die erste Rettung wird ab Seite 44 mit erzählerischen Mitteln
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Abb. 7: Gaby von Borstel, Peter Eickmeyer. Liebe Deinen Nächsten. Bielefeld, Splitter, 2017, 31.
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Abb. 8: Gaby von Borstel, Peter Eickmeyer. Liebe Deinen Nächsten. Bielefeld, Splitter, 2017, 56–57.
in ihrer Wirkung auf den Leser unterstützt. Während die Panels einzelne Szenen, wie den Monitor der Brücke, einen vom Himmel suchenden Helikopter oder das Fertigmachen der Rettungsboote abbilden, wird durch die immer wieder in den Textkästchen auftauchenden Uhrzeiten eine große Spannung beim Rezipienten aufgebaut. Die dazu gehörenden kurzen Sätze über die Geschehnisse an Bord erwecken den Eindruck von einem Schiffslogbuch und ermöglichen ein atmosphärisches Eintauchen des Lesers in die routinierten Bewegungsabläufe der Crew. Die aufgebaute Spannung wird auf Seite 51 und 52 durch eine Splash page auf den Höhepunkt getrieben. Riesengroß ist der Sucher eines Fernrohrs abgebildet. Durch die runde Linse erblickt der Rezipient ein winziges Boot, besetzt mit vielen Menschen in den Weiten des Meeres. Durch die Splash page wird außerdem die Illusion hervorgerufen, der Leser habe das Boot selbst auch entdeckt. Eickmeyer und von Borstel erklären die Begebenheiten der Geschehnisse an Bord genau und schaffen anhand solcher Szenen auch eine Atmosphäre für den Rezipienten, in die er sich hineinversetzen kann. Der Bruch, der ab dem Moment der Kontaktaufnahme mit den Insassen des kleinen Bootes stattfindet und den zweiten Teil des Werks einläutet, dient damit ebenfalls der atmosphärischen Darstellung. Wie Peter Eickmeyer am Ende des Werks auf Seite 120 erklärt, handelt es sich dabei um einen »Einbruch in die
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Wirklichkeit«.56 Die Rettung der Flüchtlinge bildet in der Graphic Novel einen Einschnitt. Der Stil der Bilder verändert sich. Sind es in der ersten Hälfte des Buches noch eingescannte und im Computer bearbeitete Tuschezeichnungen, verzichtet Eickmeyer im zweiten Teil auf die Bearbeitung am Computer. Das Treffen des kleinen Rettungsbootes auf das Schlauchboot der Flüchtlinge markiert diesen Umbruch. So ergibt sich auf Seite 56 und 57 (Abb. 8) ein deutlicher Übergang zwischen zwei Bildern, die dennoch zusammengehören. Die Zeichnungen im ersten Teil wirken geordnet und beinahe steril, während die Zeichnungen im zweiten Teil freier, ungeordneter und lebhafter erscheinen. Der Stil der Graphic Novel ändert sich im zweiten Teil. Laut Eickmeyer würden die Zeichnungen direkter, da es sich ab dem Moment der Rettung um die Realität handle. Ausnahmslos ist jede Seite des zweiten Teils eine Splash Page, die teilweise durch eine bis zwei kleinere Panels ergänzt wird, die eine bestimmte Situation noch weiter erläutern. Eickmeyer und von Borstel möchten dem Rezipienten die Menschen und ihre Geschichten mithilfe dieser Bilder näherbringen. Neben Bildern, auf denen das Rettungsboot im Wasser im Einsatz ist oder auf denen die vielen Geretteten sich an Deck in ihre grauen Decken gehüllt ausruhen, gibt es immer wieder große, eindrucksvolle Bilder einzelner Geretteter. Auf zahlreichen Porträts spiegeln sich die Emotionen der Geretteten wider. Darunter ist Erleichterung, Unsicherheit, aber auch Ausdruckslosigkeit und vor allem große Müdigkeit zu erkennen. Eickmeyer und von Borstel wollen über ihre Erlebnisse berichten, dabei jedoch die Flüchtlinge im Fokus behalten. Nur sehr selten erfährt der Rezipient etwas über die Befindlichkeiten des erzählenden Ehepaares. Es ist recht deutlich, dass andere Akteure im Mittelpunkt der Reportage stehen sollen. So finden sich viele Portraits, die unkommentiert für sich wirken, wie die Malerei eines Jungen, der dem Betrachter im Close up in seinen Overall gehüllt mit offenem Mund interessiert und erwartungsvoll entgegenblickt.57 (Abb. 9) Dabei ist er umgeben von der Farbe Blau, die in den Zeichnungen der gesamten Graphic Novel in Form des Meeres und des Himmels immer präsent ist. Als Farbe der Sehnsucht scheint sie auch ab von atmosphärischen Eindrücken des Meeres eine Rolle zu spielen. Die Portraits geben den Menschen eine Individualität und lassen sie nicht in der Masse der überfüllten Flüchtlingsboote untergehen. Andere Portraits sind dazu noch mit einem Textkästchen versehen, in dem die abgebildete Person mit Namen, Alter und Herkunftsland vorgestellt wird. So schaffen die Portraits sowie die genaue Vorstellung einiger Personen Sympathien und Mitgefühl bei dem Leser
56 Gaby von Borstel, Peter Eickmeyer. Liebe Deinen Nächsten. Auf Rettungsfahrt im Mittelmeer an Bord der Aquarius. Bielefeld: Splitter-Verlag, 2017, 120. 57 Vgl. ebd., 94–95.
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Abb. 9: Gaby von Borstel, Peter Eickmeyer. Liebe Deinen Nächsten. Bielefeld, Splitter, 2017, 94–95.
und machen klar deutlich, dass die Menschen in ihrer Individualität in Liebe deinen Nächsten im Vordergrund stehen. Eickmeyer und von Borstel haben sich für die Veröffentlichung der Graphic Novel entschieden, um auf ihre Weise auf die Situation im Mittelmeer und die Organisation, die sich für die Menschen dort einsetzt, aufmerksam zu machen. Schon beim Kauf der Graphic Novel wird der Rezipient darauf hingewiesen, dass damit die SOS Méditeranée unterstützt wird. Die letzte Seite der Graphic Novel bildet zusätzlich ein Aquarell der MS Aquarius ab und informiert den Leser darüber, wie die Organisation mittels Spenden unterstützt werden kann. Während der Handlung der Graphic Novel sind Zeichner und Autor darauf bedacht, die Arbeit der SOS Méditeranée für den Rezipienten transparent zu machen. Aus diesem Grund werden, wie bereits beschrieben, zusätzlich zu den Vorstellungen der Geretteten auch die Helfer an Bord genau vorgestellt. Neben der positiven Darstellung der Crew rechtfertigt von Borstel die Arbeit der Organisation auf Seite 104 und macht nach einem Absatz über die derzeitige Flüchtlingspolitik der EU klar, dass Organisationen wie die SOS Méditeranée auf die Notlage auf dem Mittelmeer reagieren, sie aber nicht verursachen. Vielmehr sei die EU-Politik eine »Politik der
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Abwehr«,58 die die Menschen zwinge, auf nicht legale Wege auszuweichen und so Schleusernetzwerke fördere. Ähnlich kritisch über die Flüchtlingspolitik äußert sich von Borstel im Verlauf der Graphic Novel immer wieder. Eickmeyer und von Borstel möchten, wie zuvor beschrieben, auch anhand solcher Aussagen auf den Leser einwirken. Neben kritischen Passagen werden immer wieder auch allgemeine Informationen und Fakten über die Flucht gegeben, die als Hintergrundinformationen dienen. Da solche Informationen von Gaby von Borstel meist recht ausführlich beschrieben werden, macht es vor allem im zweiten Teil den Eindruck, als wäre durch die Textfülle eine komplexe und kreative Seitengestaltung nicht möglich. Die Bilder geraten auf manchen Seiten zu reinen Illustrationen des Begleittextes und verlieren dadurch an Dynamik des Bildflusses, der dem Comic gemein ist. Autorin und Zeichner halten die Graphic Novel jedoch für vorteilhaft, um über die Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer zu berichten, gerade da Informationen vom Rezipienten besser und in einem anderen Zusammenhang aufgenommen werden könnten, als dies durch alleinige Text-Beiträge oder Nachrichten-Reporte der Fall wäre. Das Ehepaar macht klar, dass es ihnen um die Umsetzung ihrer eigenen Ideen und Konzepte geht und sie dabei weniger auf genretypische Merkmale achten. Wie die meisten Comic-Journalisten möchten Autorin und Zeichner einen Kontrapunkt zur objektiven und nüchternen Nachrichtensprache setzen. Die eindrucksvollen Bilder schaffen Sympathien mit Helfern sowie Betroffenen und schaffen damit eine neue Herangehensweise an die Thematik der Flüchtlingskrise. An den Leser gerichtet werden gegen Ende eine Reihe rhetorischer Fragen gestellt: »Wovor haben wir Angst? Ist diese sogenannte Flüchtlingskrise nicht eher das Symptom einer globalen Krise?«.59 Die direkte Ansprache erfolgt in Wir-Form und nimmt die Erzähler damit mit in die Verantwortung. Die Fragen sollen zum Nachdenken anregen und, wie von Eickmeyer und von Borstel zuvor gewünscht, zu einer tieferen Auseinandersetzung mit dem Thema führen. Die Graphic Novel endet auf Seite 114 mit der Zeichnung einer Geretteten und macht einmal mehr deutlich, wer die Hauptpersonen in einem Werk sind, dessen Autorin und Zeichner den in den Medien dargestellten Massen ein Gesicht geben wollen. Kurz bevor das Schiff in Trapani anlegt, beschreibt von Borstel, wie eine gerettete Frau mit zwei kleinen Kindern aus Dankbarkeit zu singen beginnt, woraufhin das gesamte Schiff mit einstimmt. In Zusammenwirkung mit dem dazugehörigen Bild der Frau löst die Szene starkes Mitgefühl bei dem Rezipienten aus. Wie bereits Joe Sacco und auch Olivier Morel und Maël greifen Peter Eickmeyer und Gaby von Borstel einen gesellschaftlichen Missstand auf und berichten über die 58 Ebd., 104. 59 Ebd., 105.
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Abläufe der Seenotrettungen von Flüchtlingsbooten auf dem Mittelmeer. In Liebe deinen Nächsten geben Autorin und Zeichner der im Auge der Gesellschaft stereotypen Gruppe der Flüchtlinge sowie den Helfern auf See Gesichter, Namen und individuelle Schicksale und schaffen damit ein Zeitzeugnis von hoher Aktualität.
Schlussbetrachtung Ich glaube, heute ist die beste Zeit, um Comic-Zeichner zu sein. Wir bekommen viel Aufmerksamkeit, man nimmt uns ernster, die Medien nehmen uns wahr. Außerdem gibt es im Comic noch so viele Möglichkeiten, die noch nicht ausgeschöpft sind. Als würde man auf eine große Wiese blicken, auf der noch niemand das Gras platt getreten hat.60
Nachdem schon einige Comics und Graphic Novels öffentlich wirkungsvoll den Beweis erbracht haben, dass sich der Comic eines jeden Themas anzunehmen und es in adäquater Form zu verhandeln mag, hat sich der Journalist Joe Sacco des Mediums angenommen, um die herkömmliche Art der Berichterstattung aufzubrechen und eine Alternative zu schaffen. Heute gibt es Comic-Tagebücher, -Reiseberichte, -Biografien, -Dokumentationen oder -Reportagen, und der Comic verfügt über eine große Freiheit, in vielen Bereichen zu erzählen. Dabei ist es nicht neu, Kriege und Konflikte zu illustrieren. Bevor es Fernsehen oder sogar Fotografie gab, marschierten die Truppen mit einem Maler im Regiment in die Kriegsgebiete. Dieser sollte das Leben der Soldaten dokumentieren. Die entstandenen Bilder wurden letztlich jedoch meist zu Propagandazwecken genutzt. Die Comic-Reportage heute hinterfragt, erklärt und deckt Hintergründe auf, wobei die Autoren und Zeichner auch die vielfältigen Möglichkeiten des Mediums ausnutzen. Dabei sind die Grenzen des Comic-Journalismus wohl nicht geografischer, aber formaler Art. Da das Zeichnen ein eher langsamerer Prozess ist als das Schreiben oder Fotografieren, würde es für einen ComicJournalisten wohl nur schwer möglich sein, eine tagesaktuelle Berichterstattung zu übernehmen. Wie bei den drei hier behandelten Werken deutlich wird, erlaubt der längere Entstehungsprozess eine intensivere Recherche, in der Realitäten in komplexer Form wiedergegeben werden. Die klare Stärke von Comic-Reportagen liegt außerdem in der Möglichkeit, eine fremde Atmosphäre für den Rezipienten zu schaffen, in die er eintauchen kann. Die thematisch unterschiedlichen Werke werden alle dem Comic-Journalismus zugerechnet, weisen jedoch bereits bei erster Betrach60 Joe Sacco zit. nach Schneider, »Comic vom Krieg«.
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tung einige Unterschiede auf. Mit einem Blick auf die Ziele und Umsetzungsweisen der Autoren und Zeichner wird neben den unterschiedlichen Ansichtsweisen, die Genre-Verortung betreffend, deutlich, dass sich hinter den Werken durchaus ähnliche Intentionen verbergen. Trotz verschiedener Themenschwerpunkte und Darstellungsweisen sind in den Analysen einige Gemeinsamkeiten der drei Werke aufgefallen. Obwohl Olivier Morel und Maël und Gaby von Borstel und Peter Eickmeyer laut eigenen Aussagen ihre Werke, im Gegensatz zu Joe Sacco, nicht zwingend als Comic-Reportagen wahrnehmen, fällt schnell auf, dass sich die Gemeinsamkeiten, der drei hier vorgestellten Reportagen vor allem auf die dem Comic-Journalismus zugeschriebenen Merkmale beziehen. Mit teilweise sehr unterschiedlichen Darstellungsmitteln in erzählerischer, sprachlicher, sowie bildnerischer Form zielen Autor/innen und Zeichner auf ähnliche Wirkungen beim Rezipienten ab. So ist allen Werken eine große Wertschätzung von inhaltlichen Wahrhaftigkeits- und Authentizitätskriterien gemein, die mit verschiedensten dokumentarischen Mitteln erreicht wird. Die Autoren, die Autorin und Zeichner der Werke greifen gesellschaftliche Missstände auf, legen dabei die subjektive Berichterstattungsweise durch die Erzähler offen und sind darauf bedacht, eine Alternative zu der traditionellen Form des Journalismus zu schaffen. Sie nutzen den Comic-Journalismus als Grundlage für ihre Ausführungen über die Konflikte und stellen das Individuum in den Fokus ihrer Arbeiten, um die Geschehnisse zu verdeutlichen. Damit schaffen sie ein Konstrukt, das durch seine schonungslose Realitätsnähe die Situationen vor Ort widerspiegelt und sich von etwaigen Berichterstattungen der Medien, die nicht die Schicksale des Einzelnen ins Auge fassen, entfernt. Mit unterschiedlich großer Reichweite in der Öffentlichkeit sind diese Werke von Autoren, einer Autorin und Zeichnern, die in der Gesellschaft etwas verändern wollen und hinhören, wo viele andere weghören. Dazu entwickeln sie alle auf ihre Weise eine Darstellungsart, die sich der sequenziellen Kunst bedient. Durch die Analyse der Werke Joe Saccos, Olivier Morels und Maëls und Gaby von Borstels und Peter Eickmeyers lassen sich einige allgemeine vergleichende Beobachtungen zum Genre der Comic-Reportagen machen, aber der Mehrwert von Comic-Reportagen lässt sich nicht vollkommen bestimmen, und die Frage nach Funktionen von journalistischen wie ästhetischen Qualitäten und Besonderheiten muss fallweise beantwortet werden. Vor allem, da die Antwort zu großen Teilen im Auge des Betrachtes liegt. Es ist denn auch der Zeichner selber, welcher entscheidet, und diese Entscheidung findet zwischen seinen Skizzen und Notizen statt.61 61 Pierre Thomé in Thomé/Gehring/Nussbaum, Zeichner als Reporter, 27.
Brian Murdoch
Wishful Thinking and the Feindbild in a German War-Novel of 1916
References to ›the literature of the First World War‹ almost always beg some kind of closer definition. In the case of the novel, certainly those in English or German, the focus is almost always upon works which are about, but which were usually written after the war, and principally those in the anti-war tradition. Even here a further distinction has to be made between the modern historically distanced novel, such as Sebastian Faulk’s Birdsong, and those which, while still in one sense historical, still have a direct author connexion with the events, with different grades of biographical input ranging from – say – Robert Graves’s Goodbye to All That to Remarque’s Im Westen nichts Neues. English and German novels written during the war itself are less frequently studied. This contrasts with what is still regularly seen as ›the poetry of the First World War‹, where emphasis has traditionally (though this is changing), been on the combatant anti-war poets, rather than the huge amounts of patriotic and other verse on all sides, or lyrics by women poets, some of whom were also directly involved. Even the concept of »anti-war« writing is complex: it need not imply an overtly pacifist stance but could nonetheless be critical of the fact of the war as such, or of the motivations behind it, or of attitudes associated with it.1 Plenty of prose was produced, nevertheless, during the conflict itself, in English as well as in German, which could sometimes – though it did not always do so – exaggerate the heroism or play down the actualities of the war, much as was done, say, in patriotic postcards. There is a wealth of popular writing, of Trivialliteratur, which is less frequently examined, although the range of material is extensive. In
1 For a fuller discussion of these issues see Brian Murdoch. German Literature and the First World War: The Anti-War Tradition. Farnham: Ashgate, 2015, 1–21. There were, of course, serious novels written in France in or just after the war by Barbusse, Dorgeles, and (in Spanish) Blasco Ibañez.
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English we may point to actual reportage (by Kipling among others), but also to schoolboy adventure stories.2 Sensationalist writing about the war was produced on a large scale for popular consumption in Germany, too.3 Of more serious warnovels written in German during the war, Fritz von Unruh’s Opfergang and Walter Flex’s earlier Der Wanderer zwischen beiden Welten have received some attention, but these are both special cases, and (for different reasons) neither is easy to interpret. The latter is of particular interest as a novelisation of experiences which, while presented positively, is a patriotic rather than a nationalistic work, expressing love for the homeland without placing it above other countries. Flex is (certainly later in his work) not dismissive of the enemy, in this case Russian soldiers. The attitude of the first-person (and quasi-autobiographical) narrator may be compared with that of Rupert Brooke, thanking God for matching [them] with this hour.4 Novels by non-combatants, written during wartime and concerned with the war, will almost inevitably have had a more or less overt propagandistic purpose beside the desire to entertain, most usually, perhaps, the underlining of straightforward patriotic or nationalistic sentiments, coupled sometimes with a denigration of the enemy. An interesting and unusual German example, however, is provided by a barely known work published in 1916 with the arresting title Hallo Tommy, komm zur Armee, and dubbed a »humoristischer Roman«. Its most immediately striking feature is that it is a German novel in which the central characters are British soldiers, and of which the first part takes place in London. The use throughout of England or English for Britain or British, incidentally, is linguistically usual, however odd the kilted pipers with a banner reading »England wants you« in an 2 English examples include (as reporting): Arthur Guy Empey. Over the Top. New York, London: Putnams, 1917; (as an adventure story): Tom Bevan. Doing His »Bit«: A Story of the Present War. London, Edinburgh, New York: Nelson, n.d. [1918. A version appeared in 1920 as »of the Great War«]. Humour was also employed in English, as in the beautifully printed and produced, if somewhat flat-footed three-volume pastiche by ›Samuel Pepys Jr‹, [Robert Massie Freeman]. A Diary of the Great War, A Second Diary…, A Last Diary… London: Bodley Head, 1917–19; a better, though far earlier, illustrated pastiche, is that by Horace Wyatt. Malice in Kulturland. London: The Car Illustrated, 1914. 3 Such as Robert Heymann. Unsere Feldgrauen Helden. Leipzig: Reclam, 1915. Reclam produced a whole series of similar texts. See J. Knight Bostock. Some Well-Known German War-Novels, 1914–1930. Oxford: Blackwell, 1931, 14 on the image of the enemy in works by Nanny Lambrecht, Otto Ernst and others, works widely read in the early years of the war. Paul Linde is not mentioned, and his work is in some contrast to the adventure tales. 4 Flex’s work was written in 1916, and published in various forms thereafter, since the author was himself killed in 1917; see my translation: The Wanderer between the Two Worlds. London: Rott, 2017. On Flex, see Hans Wagener. »Wandervogel und Flammenengel«. Thomas F. Schneider, Hans Wagener (eds.). Von Richthofen bis Remarque: Deutschsprachige Prosa zum I. Weltkrieg. Amsterdam, New York: Rodopi, 2003, 17–30; Brian Murdoch. »War and the Best-Sellers: Walter Flex and Erich Maria Remarque«. Gislinde Seybert, Thomas Stauder (eds.). Heroisches Elend. Frankfurt/M.: Lang, 2014, II, 1211–1225. Fritz von Unruh’s Opfergang, about the battle of Verdun, was censored and not published until after the war.
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illustration (used also for the cover of the paperback edition) might appear,5 but the work offers a particularly unusual Feindbild.6 With the exception, perhaps, of memoirs by or about prisoners of war on either side, contemporary depictions of Britain or Germany from the opposing side are rare.7 The author of Hallo, Tommy, Paul Linde (1877–1960), although now largely forgotten, was a prolific writer and received prizes for his work. He was born in Magdeburg, but spent much of his life, especially after the Second World War, in Steinfeld in Main-Spessart. He had had military experience with the Bavarian Uhlan regiment (though not in wartime), and wrote various other novels concerned with the First World War, also focussed upon the enemy nations, as well as editing a collection of war-memoirs which has been reprinted. His other works include writing about soccer, in which he was interested, and which plays a major part in Hallo, Tommy. A short piece on him, occasioned by the fiftieth anniversary of his death, appeared (presumably as an item of local interest) in the Main-Post on August 2010 with the title »Schriftsteller mit Hang zur Romantik«, based largely on the reminiscences of his grandson; our novel is not mentioned, but the heading is apposite, and stress was laid also on Linde’s love of nature.8 The British soldiers who are the central characters of Hallo, Tommy are at the end prisoners of war (though not at Ruhleben), but the whole work offers a Feind 5 To be fair, the tomb of the first wartime Prime Minister, Herbert Henry Asquith, in Sutton Courtenay in Oxfordshire famously celebrates him (1928) as »Prime Minister of England«. 6 There are several investigations of the concept of Feindbild in the collection: Franz Karl Stanzel, Martin Löschnigg (eds.). Intimate Enemies. English and German Literary Reactions to the Great War 1914–1918. Heidelberg: Winter, 1993, 181–251. 7 Wallace Ellison. Escaped! Adventures in German Captivity. Edinburgh, London: Blackwood, 1918, appeared before the end of the war, and Bishop Herbert Bury produced a memoir of My Visit to Ruhleben. London: Mowbray, 1917. Donington Hall, the British equivalent of Ruhleben, was described by its sole successful escapee, Gunther Plüschow, in his Die Abenteuer des Fliegers von Tsingtau. Berlin: Ullstein, 1916, much reprinted after the war and translated as My Escape from Donington Hall, and also in the post-war reminiscences, equally often reprinted – of Franz von Rintelen. The Dark Invader. London: Lovat Dickson, 1933. Von Rintelen lived in England after the war. Bostock, War-Novels, 21f. refers to the interesting Prisonnier Halm of Kurt Wilke. Leipzig: Koehler and Amelang, 1929, and to other works involving prisoners of war in various countries. There would be scope for a fuller investigation of such presentations. 8 Paul Linde. Hallo, Tommy, komm zur Armee! Halle/Saale: Mühlmann, 1916. The 210-page novel appeared in the Dreizack Bücherei and has the subtitle Humoristischer Roman mit vielen lustigen Bildern. In this paper citations are given with page-numbers. The work is dedicated to the author’s former regimental commander Hugo Bouhler (1855–1939), who commanded the Bavarian Uhlans from 1899–1903. Linde’s war-period novels include Der russische Sumpf. Dresden: Reißner, 1915, subtitled Roman aus dem Weltkriege von 1914/1915; Zar Nikolaus II und sein Prophet. Leipzig: Schleppengrell, 1917; Heinz Heiligenwald. Heilbronn: Weber, 1917. His edition: Gegen Rennenkampf und Joffre. Kriegserlebnisse von der Ost- und Westfront. Leipzig: Xenien 1915, has been reprinted by Forgotten Books in London and by the Delhi reprint company Pranava Books in 2018. On Paul Linde’s life, see Wolfgang Dehm. »Schriftsteller mit Hang zur Romantik«. Main-Post, 26.08.2010 (and online). I am indebted to Dr Jane Larner for drawing my attention to Linde’s novel.
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bild which is neither hostile nor (for the most part) caricature. It is important that the enemy soldiers concerned are specifically British, however, since there are some ambiguous comments about the French at various points. The novel is light and is indeed in some respects humorous, with a sentimental development of the loveinterest on the part of some of the central figures, although this, too, is also partly connected with the Feindbild. There are some not very detailed depictions of the actual fighting at the front, but overall the novel presents an argument for universal brotherhood during a war in which the Germans are presented as physically, culturally and morally superior, something which the English soldiers recognise and to which they respond. The work does not look towards the end of the war, which is seen as being a long one, but for all that it presents what is in effect a German victory, not by force, but by winning over the in any case unenthusiastic soldiers who are not (for the most part) cowardly, nor lacking in patriotic feeling, but who simply do not relish the idea of war, and simply need to get to know Germany better. The volume is illustrated »mit vielen lustigen Bildern«, and the illustrations are also of (sometimes independent) interest.9 In all honesty the novel is not particularly well written even within its own terms. There is a range of different characters, but even those that are essentially caricatures are not always done very consistently. Beside charting the progress of the (reluctant) soldiers at the centre of the work, various side-issues are also tackled, including those who profit from the war, the bullying of young men to join up, the attacks on businesses presumed to be German, bombing raids by Zeppelins, and the deployment of black soldiers. However, the necessarily positive and optimistic wishful thinking in a Feindbild in which enemy soldiers are won over, rather than defeated, makes this into an anti-war novel in a rather different sense, underlining the idea that the British should not really be fighting the Germans at all. It is a recurrent motif that football is preferable to war10 (and eventually that love outweighs even football). The novel follows the fate of a British soldier – that his name is Tommy hardly needs comment – from his initial marked reluctance to join the army down to his love for a German girl and his ultimate desire actually to become a German. He never has any hatred for the enemy, even though he is aware that this is not an 9 The illustrations by R. Lehmann, while not always lustig, nor indeed always very closely connected with the text; are nevertheless an important feature of the work as a whole. They range from caricatures (of London policeman, of Sir Edward Grey) to some genuinely striking images of the trenches (as on page 103). There are few humorous images in the sense, say, of Bruce Bairnsfather (although his Fragments from France also included straightforward scenes without characters). 10 For a documented example of a relationship based on a shared knowledge of English football teams, see Richard Holmes. Firing Line. Harmondsworth: Penguin, 1986, 369, in a section headed »A Noble Enemy?« Holmes cites the important work by Tony Ashworth. Trench Warfare 1914–1918: The Live and Let Live System. London: Macmillan, 1980, especially 129–52.
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attitude that can be expressed in public. The first half of the work is set in London, and the author has some idea of life in Britain. He knows about football teams, and he introduces some contemporary figures, even if they are sometime oddly named. In a scene in which Sir Edward Grey (known presumably from his role as Foreign Secretary and referred to as »Sir Grey«) is made ridiculous when a Zeppelin’s bomb removes the brim of his top hat, he is accompanied by Lloyd George (with no forename). Lloyd George was presumably still minister for munitions at the time the novel was written; since he became War Minister in 1916, and Prime Minister at the end of that year, the novel was presumably written in 1915 for publication early in the following year. Regular references to and illustrations of German soldiers wearing the Pickelhaube also point to 1915, given that the Stahlhelm was introduced in 1916. The central character, Tommy Dutton is centre-forward (Mittelstürmer) in the fifth team of »Woolwich Arsenal«, the name used by the club between 1893 and 1919. Tommy’s prowess is significant in several respects: he admires German teams, considers football better than war, receives a somewhat unlikely decoration from his commanding officer for his footballing skills, and could earn, he is told, a great deal of money in the Arsenal first team once the war is over. Of the other aspects of wartime British life reflected in the novel, a young woman, who turns out to be a Suffragette, tries to browbeat several young men into joining the army. This seems to be a conflation of two motifs, since the Suffragettes are disapproved of, while the harassing of young men is accepted. The author is aware, too, of the irrational violence in Britain towards supposedly German establishments, but the central character’s employer is implausibly deemed by the mob to be German because his forename is Michael. This permits the central character to muse ironically that this would make the Archangel a German too, but the specific assumption would have been unlikely in reality; possibly the author had the idea of der deutsche Michel in mind. The choice of English names for different characters are usually acceptable, but the regimental commander is called Earl Rivers, echoing either Richard III or the commander of a Regiment of Foot during the English Civil War.11 When after a football-match he awards the main character an unspecified medal (described as a decoration, Orden) it is unclear what this could be. It seems not to be specifically linked with the game and looks more like an equivalent of the Iron Cross, which was awarded without regard to rank. At the start of the work the war is already under way and we are introduced to Tommy Dutton himself, who is a tall, fit footballer of twenty-one who is, however, extremely reluctant to join up. There is none of the supposed mass enthusiasm 11 Richard III seems to have provided more than one name. Another commander named here is Sir William Brandon (a mute role in that play), and Sir John Blunk might be Sir James Blunt.
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for the war, an enthusiasm which was perhaps not always as strong as it has been painted, although it certainly existed and was encouraged by the press. It is depicted regularly in later war novels on both sides – perhaps most vividly in Ernst Glaeser’s Jahrgang 1902 in German – and is used regularly as a contrastive anti-war device in the light of later reality. It is shown too, however, in quasi-autobiographical writings during the war, as in Flex’s Wanderer.12 That it is not shown here, or more specifically, is shown to be rejected by fit young men in Britain is striking. As indicated, a woman does try (in a familiar enough motif) to persuade or shame Tommy and an equally athletic friend to join up and fight against die Germans (thus the formulation for much of the novel, as long as they are perceived as the enemy). That she is a Suffragette, however, who is ultimately taken away in an expensive car, confuses the issue somewhat. She is joined initially by John Blunk, a military supplier who is doing well from the war, who comments Es ist eine schlechte Jugend, Miss […]. Es war die höchste Zeit, daß dieser Krieg kam. Er wird die Menschen bessern. Und es ist ganz in der Ordnung, daß er bei den Jungen beginnt, obgleich es auch den Mädchen nicht schaden könnte, wenn sie diese ernste Schule durchmachen müßten. (11)
In support of this last thesis, however, he refers to the Suffragettes as entmenschte Weiber, which turns the situation round, so that he has to escape from the wrath of the lady in question in a comic scene (which is illustrated), by taking refuge behind a pot plant. However, the underlying image of young and strong men – Tommy and eventually two others – deliberately avoiding being sent to Flanders in the face not just of the young lady, but of Blunk (who is an ambiguous figure) and later a recruiting parade.is the dominant impression. Interestingly, another passer-by also attacks the Suffragette with an ironic aside on the recruiting issue by commenting that he is glad that the wilde Weiber have moved away from the suffrage issue and have now turned their attention to an excessive Vaterlandsliebe: Ja, stecken jetzt andere Brände an, die Weiber! Hetzen Menschen auf andere Menschen, die sie nicht kennen. Geben ihnen Gewehre in die Hand und sagen: »Töte!« Müßten schon längst alle im Schützengraben liegen, die – 12 The point was discussed fully with reference to post-war German novels by Margrit StickelbergerEder. Aufbruch 1914. Kriegsromane der späteren Weimarer Republik. Zurich, Munich: Artemis, 1983. See on the contemporary response Ann P. Linder. Princes of the Trenches. Columbia, SC: Camden House, 1996, 1–16. On British enthusiasm – genuine or engineered – see such standard texts as Paul Fussell. The Great War and Modern Memory. Oxford: OUP, 1975, 22–25 on the rhetoric, and Niall Ferguson. The Pity of War. Harmondsworth: Penguin, 1999, especially chapter 7 on the »Myth of War Enthusiasm«. Compare also Ian Hay [John Hay Beith]. The First Hundred Thousand. Edinburgh, London: Blackwood, 1916.
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wilden Weiber! Wie hat der Dichter gesagt? »Krone der Schöpfung du, zartes Weib!« (13).
At this he makes his own escape. The poetical reference in the curiously pacifist comment, incidentally, is unclear, but it looks more German than English, unless it is loosely biblical (I Cor. 11, 7?). The central character, Tommy, is, he tells us, a freier Brite (34), but his reluctance to join the army and be sent to Flanders, where he is likely to be killed, is unexplained, though it seems not to imply cowardice, but rather rational thought. More importantly, he expressly does not hate the Germans, partly because they play football well – not as well as the English, he thinks, but decently and sportingly. However, he is aware that this notion cannot be expressed except as thought: »Denn er haßte die Deutschen keineswegs… Nur denken durfte man heute so. Hätte man es gesagt – oh weh!« (22f.) He is, however, reluctant to let his employer, the tailor Michael Elson, who is presumed by the mob to be German on account of his forename, send him to the front simply so that he can demonstrate his own patriotism. The mob does attack the shop and the offending name is removed, so that the whole episode is a comically ironic little vignette of the nonsense of the time. Tommy is nevertheless dismissed because of his reluctance to join up. He remains determined, however, »sein Leben so friedlich zu beschließen, wie er es begonnen hatte. Heldenruhm reizte ihn nicht« (38), unless it be on the football field, a career he can take up again, he thinks, because even the longest war has to end sometime. Nevertheless, he becomes depressed about his own situation and the uncertainty of his continued life, which leads to general thoughts about the war, with a pacifist generalisation placed into the mind of this young Englishman in 1915. Tom war im Verlaufe seines Nachdenkens nahe daran, die Sinnlosigkeit aller Kriege zu erkennen und die Ruchlosigkeit zu verfluchen, die bewußt und kalt abwägend immerfort neue erzeugt. (41)
He is brought out of his reverie only when he meets another friend, John, the goalkeeper in his team. He explains that he has lost his job »weil ich nicht einsehe, daß es in Flandern angenehmer sein soll als hier (42), and the pair are then confronted with a group of recruiters, who promise Ehren und Auszeichnungen to those who agree to go. The two men dismiss this as trickery and are about to make off when John is captivated by a young woman amongst the recruiting procession. The recruiting speeches stress that die Germans must not succeed, though their aims are not made clear. Resistance in the crowd is drowned out with military music and the speaker insists that the two men, as healthy young Britons must join the
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army. Interestingly, they feel that they are surrounded by enemies, »Menschen ihres Blutes, die ihnen dennoch schrecklicher dünkten als die Germans, die sie kämpfen sollten« (51). From this predicament, however, they are rescued by John Blunk, whom we last encountered hiding from the Suffragette. At this point the plot becomes less plausible but initiates the love-interest. The young woman who had attracted John’s attention (and who will turn out to be Blunk’s daughter) claims the two as her brothers and says that they are simply on leave, at which the crowd lets them go. The vocabulary used for their escape from the recruiting rally is significant, as they leave »den Kampfplatz, auf dem nun die Schlacht unverdrossen weiter tobte« (52). Blunk is an ambiguous character. His daughter refers to him as Sir John, though others seem not to; he is shown later as seeking honours, and is eventually just Mister Blunk, but he is also a war-profiteer, or at least, derives financial profit from the war. For all that, he is used by the author as a voice against the harassment of young men to join the army: »Ich will Sie nicht fragen, warum Sie sich so beharrlich weigern, sich anwerben zu lassen,« fuhr John Blunk nun fort. »Aber ich möchte gern wissen, ob man Sie in Ihrem Geschäft in Ruhe läßt. Es wird jetzt überall Jagd auf Männer Ihres Alters gemacht. Es ist kein Glück, jung zu sein!« (54)
The young men agree and are soon joined by Tommy’s friend from the first chapter, Bill, who is also running away from a recruiting mob. Blunk comments: »Es ist eine Schande, Gentlemen, wie sie einen freien Briten hetzen! Wohin ist es mit uns gekommen?« (55). The exchange between the young men and Blunk seems unlikely, but the wishful thinking is sustained as the young men ask Blunk: »Sind Sie etwa auch ein Werber, Sir? Möchten Sie die ganze englische Jugend in ein Massengrab bringen?« (56). Blunk now offers them all jobs in his factory, which processes meat for the troops, because he and the young men had stood together against the dreadful Suffragette, however, and again the choice of military vocabulary – they had been faced after all with a single woman – is studiedly ironic: »Ich bin heute morgen Seite an Seite mit Ihnen in einem heftigen Kreuzfeuer gestanden…das bindet für ein ganzes Leben! Ich habe erfahren, was es heißt, ohne Deckung dem schlimmsten Granatenhagel ausgesetzt zu sein… (57)
The young men are relieved, although the narrator-voice tells us that they will nevertheless probably end up in Flanders, precisely because they are freie Briten (58).
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Blunk is a provisions supplier to the army, and the three young men – Tommy, John and Bill – are employed (again perhaps with irony) jointing animal carcases in an establishment where they are well fed. Harder to explain is why the author permits them to enjoy in the canteen tea, coffee or whisky and soda, adding that there is less demand for das helle, bittere Bier (60). Does this make them less British? They are now, we are told, set apart from the world at war, until one day Blunk arrives with some important official visitors, causing Tommy to fear that they are about to be sent after all into the army. He tries to avoid them but fails to do so. The important visitor turns out to be »Sir Grey«, Sir Edward Grey, the Foreign Secretary, a man with an eiskaltes, mitleidsloses Gesicht (65), who does indeed start to quiz Tommy on why he is not in the army. Tommy pleads flat feet but is recognised by one of the other visitors as someone who has played for Arsenal and the excuse fails, as does his claim that not he but his brother is the footballer. Grey tells Blunk to ensure that all three men join up, to which he sycophantically agrees. A sudden explosion, however, causes consternation and panic amongst the party, Grey losing not only the brim of his top hat, but more importantly a great amount of dignity, as do the other two members of the delegation, Lloyd George and Thomas Cliffon (whose identity is unclear: an MP named Thomas Clifton died in 1880). Grey blames Blunk for the incident, and only Tommy and his two friends remain calm, pointing out that this has been a Zeppelin attack. These did of course occur in London from 1915, though placing them at the centre of a comic incident in which dignity is lost, rather than lives, is part of a general concern not to present the German forces in a negative light. This is a war novel in which, even in later scenes at the front, there are not very many deaths, even though there is much talk of it. Seeing his chances of a knighthood (so that presumably he was not really Sir John already) disappearing with the dignity of the visitors, Blunk decides to send the three friends into the army after all. The scene has several points of interest. Zeppelin raids at this stage of the war (assuming the novel was written in 1915) were still unusual, even though the phenomenon as such marks the beginning of aerial warfare on civilian targets (the Zeppelins were dubbed »baby-killers.«) Zeppelins were a cause of considerable concern in Britain, and of pride in Germany from the beginnings of the war.13 The 13 A British wartime poster (1915) urged young men to join up with a picture of a Zeppelin and the (questionable) slogan that »It is far better to face the bullets than to be killed at home by a bomb. Join the army at once and help to stop an air raid«. For some detailed descriptions of Zeppelin raids, see Jim Lewis. London’s Lea Valley and the Great War. Faringdon: Libri, 2014, 14–24 (with the »baby-killer« propaganda postcard). Linde may or may not have been aware of this propaganda response, although the Zeppelins were of course given different publicity in Germany. One of the popular British pictorial histories of the war, of which many were published in series, contained in the 1914 volume a photograph of a Zeppelin in Germany with the caption »they are unspeakably proud of their fleet of airships, which often cruise over their cities to arouse enthusiasm«, and then
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raid portrayed here is, furthermore, on the legitimate target of a supply factory, but the mockery through loss of dignity of the Foreign Minister, who represents the entire state, is the point. So kam es, daß der englische Staat an diesem Vormittag nicht nur an Ansehen bei einigen seiner Untertanen eingebüßt hatte, sondern dazu auch drei neue vornehm eingerichtete Kraftwagen (78).
Grey’s importance was at this stage considerably diminished – the time for his diplomacy was long gone – but his name was familiar throughout Europe, the illustration of Grey, with a brimless top hat, is a direct caricature, but Lloyd George was presumably visually not yet familiar. Tommy and the others are sent to the barracks, but unsurprisingly this particular Tommy is not a model soldier. The grouping and presentation of characters in this new context has a certain familiarity from later war-novels, as the three friends are now joined by der Jude Aaron Silberstein (84), the platoon leader, who becomes close to them. The author shows from time to time an underlying and casual anti-Semitism on the part of other characters, but it is not accepted by the author/narrator himself.14 Tommy clashes with Sergeant Green, another character who later will be developed implausibly into a comic figure very unlike characters such as Remarque’s Himmelstoß in Im Westen nichts Neues, despite some initial superficial similarities. When Tommy is given a field punishment by Green for (patent) insubordination and tied to a tree, for example, there is no plan of vengeance. Rather the author uses this enforced period to allow Tommy to think about an incident in his own past, and this glimpse into his mind is once more of considerable significance. Since he is hungry, Tommy recalls an incident in his childhood in London when a local German family (now längst verschollen, we hear later), assisted by Tommy’s father, slaughter a pig for eating. His situation makes him think positively about Germany, although the author’s conclusion and attribution to Tommy of Sehnsucht already at this stage is a little far-fetched:
later offered detailed and somewhat agitated reports on »the formidable German monster of the third element«, clearly worried about German air superiority, even at an early stage: H. W. Wilson, J. A. Hammerton. The Great War. Vol. I. London: Amalgamated Press, 1914, 44 and 313. Bostock, War-Novels, 20, refers to the description of a Zeppelin raid in the exceptionally bad novel S.M.S. by Leo de Laforgue (1930). 14 When the sergeant mocks Aaron at one point for showing »christliche Nächstenliebe«, Aaron responds that »wir sollen immer menschlich handeln« (91f.). This is the key to his character. The brief editorial Geleitwort at the start of Linde’s novel stresses Menschenliebe.
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Ei, durfte er nicht hoffen, in Deutschland, wo doch jeder Bauer sein Schlachtfest abhalten sollte, recht bald etwas Ähnliches zu erleben? Aber wann kam er dort hin und wie? Ist es ein Wunder, daß Tommy in seiner schmerzlichen Lage, geplagt von Durst und Hunger, mit Sehnsucht an das Land dachte, das er bald mit seinen Waffen bekämpfen würde? Tommy nahm sich vor, recht viel von den Gebräuchen dieses Landes kennen zu lernen, von denen er schon im voraus überzeugt war, daß sie ebenso angenehm seien, wie das Schlachtfest. (90)
The use of the term Schlachtfest without military connotation is of course again ironic. The soldiers, now a Vierverband undergo their training, and there is a set piece familiar in post-war novels too, where the soldiers sit and discuss matters. They do not, in fact, discuss the nature of the war, but Aaron is questioned as to why he – the only one of the four to have volunteered of his own free will – actually did so. There is no real answer, although from the discussion the sentiment of »we’re here because we’re here« emerges, as does the benefit of comradeship, elements which will again appear in the Weimar war novels. In fact there is a significantly close parallel to this discussion at the opening of an English-language work also published in 1916 and written in the previous year, Patrick MacGill’s The Amateur Army: Few men could explain why they enlisted, and if they attempted they might only prove that they had done as a politician said the electorate does, the right thing from the wrong motive.
Of the answers offered by individuals in MacGill’s book, one is that »I enlisted because I am an Englishman,« but the (Irish) author-narrator himself refuses to give an answer at all, »remembering that the Germans despise us because we are devoid of military enthusiasm.« The lack of expressed enthusiasm for the war is significant. The soldiers in MacGill’s tale try to become soldiers »with the minimum of exertion and inconvenience to ourselves.«15 This is not unlike Linde’s Tommy. Here, Tommy points out that Aaron loves his fellow men and even has a German name, so that he cannot understand why he joined up. The name is explained by the fact that he is Jewish, but Aaron stresses that he has joined »weil ich…mein 15 Patrick MacGill. The Amateur Army. London: Herbert Jenkins, 1916, 13f. A full-scale comparison would be interesting, especially in respect of the variety of reasons for joining up, often without enthusiasm. MacGill (1889–1963), originally from Donegal, enlisted as a rifleman in the London Irish Battalion in 1915, and the book consists of the collected articles he wrote during his initial period of service in 1915.
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Vaterland liebe« (94). Knowing that war is always a großes Durcheinander, he claims that he will find ways of helping, rather than killing; and besides, he cherishes the new-found Vierverband (95). The order now comes, however, for them to set off for Flanders (given by their captain, Sir William Brandon, another refugee from Richard III), and the second part of the novel begins at roughly the half-way point, the title making the subsequent plot clear: »In Flandern – Kriegsgefangenen«. This is not a novel of the front line, although the illustrations at this point are of realistic scenes. Although headed »An der Front«, the first chapter of the second part shows the British soldiers looking in vain for the enemy. The rain comes on – so much a feature of life in the trenches – and in another familiar motif, Aaron in particular is agitated by the lack of action: »Das Warten zermartert mein Hirn« (102). Sergeant Green, however, who turns out not to be as brave as he presented himself at home, causes a disturbance, which brings down a hail of fire on them, but which soon dies away. Aaron falls asleep at last, and Tommy stays on watch, which gives the author another opportunity to place a significant sequence of thoughts into the mind of a British soldier. First he imagines green fields (and indeed butterflies), and he thinks that had he stayed in London he would have gazed at the headlines of reports sent over daily by Field Marshal French (another indicator that this is prior to 1916). Those supposed reports have one interesting foreshadowing, however: »In Flandern nichts Neues. Der Feind blieb ruhig« (107).16 Tommy thinks now, however, that he would like to cross the lines and ask the German soldiers what they are waiting for. »Ich nehme an, daß die Deutschen dort ebenso genug haben, wie wir.« (107). This is, we recall, written not too far into the war. He thinks, too, now of die Deutschen, where at home they had been die Germans, and develops a fantasy – an actual pipe-dream, as he is smoking at the time – about visiting the German trenches at night. In his fantasy he hears the German singing, and acknowledges that »die Deutschen haben eine Art, Musik zu treiben, die den Menschen packt.« He even recalls hearing the phrase »Böse Menschen können nicht singen«. (109). The quotation echoes a German one, adapted from a poem by Johann Gottfried Seume and usually given in full as: »Wo man singt, da laß’ dich ruhig nieder/ böse Leute haben keine Lieder«. Although Tommy seems to appreciate music, England was, of course, categorised as »das Land ohne Musik«, a comment cited regularly in evidence of lack of culture in the early years of the war.17 In the ongoing fantasy ascribed to him, Tommy 16 There are occasional hints that this work might have come Remarque’s way at some stage, but the parallels could all equally well be coincidental. 17 Although the prejudice had been expressed earlier, the term is associated with Oscar A. H. Schmitz, the fourth edition of whose work with that title appeared, significantly, in 1914: Das Land ohne Musik. Englische Gesellschaftsprobleme. Munich: Müller, 1914; another edition appeared in 1915. The work was translated after the war, and the original is on-line and has been reprinted. The phrase
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imagines what the German soldiers look like, and this unusually angled propagandistic picture drawn for the benefit of a German audience has him imagining »die großen Männer, mit ihren breiten Rücken den bärtigen Gesichtern«, faces which betray, moreover, none of the »Mißmut und Lebensüberdruß« which typifies the soldier in the British trenches. Such attitudes would be impossible for people who can sing so well, he decides, and his supposed conclusion is the culmination of the propagandistic wishful thinking of Linde’s Feindbild: Und so erkannte Tommy, daß ihm und seinen Kameraden die Deutschen weit über seien. Und er stellte mit Schrecken fest, daß sie noch aushalten würden, wenn sie alle längst zermürbt davongeschlichen wären. (109)
The second sie in the oddly expressed final sentence presumably refers to the British soldiers. Still in his reverie, Tommy is sure that the German soldiers would receive him literally with open arms and embrace his comrades as well. It is at this point that Sir William Brandon, his commander, wakes him up, and however detailed the picture has been, it was all, in the fictionality, just a dream. Brandon, who does not seem especially concerned that Tommy was asleep on watch, tells him that there will be many more long nights, but that for the moment they are being sent back behind the lines. The next chapter shows a football match, though not the celebrated and possibly apocryphal ›Christmas truce‹ match between the two armies. This is behind the lines, organised by the commander, Earl Rivers, who is described, incidentally, as being very small – size seems to play a role in most of Linde’s descriptions. That Tommy himself is tall doubtless predisposes him towards the tall and handsome Germans. The match between two teams of soldiers, each including players from well-known football teams, has in the one team not only Tommy, but his friend John in goal, and Sergeant Green is a linesman. More to the point, the game is to be watched by a delegation from London, including, it turns out, John Blunk (now referred to as ›Mister‹) and his daughter, Maud, whose presence at first makes the enamoured John let in a goal. Her presence strengthens his resolve, however, and their team resists the opposition attacks; the use of military vocabulary is again notable and is used throughout in non-military contexts (»zahlreich wie Gewehrkugeln bei dem Kommando ›Schnellfeuer‹«, 117). Tommy’s team wins, of course, and Blunk is impressed, although his snobbery will not initially permit a relationship between Maud and John, and he tries to persuade himself that Tommy must be related to the aristocracy. When he mentions the Zeppelin attack (with seems to have retained its capacity to irritate, as evidenced by a polemical »personal view« by Boris Johnson in The Telegraph on 19 Oct. 2006 (also available on-line).
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the Foreign Secretary now demoted, incidentally, to Mister Grey), he adds »Es ist eine sehr rücksichtslose Nation, die deutsche« (122), and the adjective is an interesting one. Tommy is promised that his career as a footballer would be very lucrative (a point that acquires significance later) and ponders: »Wenn nun erst einmal dieser schrecklich lange Krieg vorbei sein würde!« (128). He is, however, now given a medal by Earl Rivers for his footballing prowess. While patently ironic – decorations were awarded, though not on the spot, for acts of heroism – the scene is an odd one, and what this medal actually is (it seems as if Rivers has taken off one of his own) is never made clear; the illustration title (127): »Eine unglaubliche Auszeichnung« does seem to sum it up. Of Tommy, we hear »Der jüngste Ordens ritter war fertig! Er hatte sich die Auszeichnung in unblutigem Ringen auf dem grünen Rasen erkämpft« (127). In popular contemporary German stories much is made of the acquiring of the Iron Cross by heroic means, sometimes awarded on the spot, but here that kind of situation is given an implicitly pacifist slant, that the same kind of medal is better won on the field of sport. Blunk offers to get John and Tommy out of the army, but Tommy’s resolve is apparently now strengthened by his decoration, and he (and eventually, with some reluctance, the now-engaged John) decide to stay. The four soldiers are quartered with a French widow and her daughter and help her in the house. In a second sentimental episode Aaron falls in love with the daughter and she with him. even though Maud is somewhat surprised by this: »Aaron sagst du, Eugenie? Es ist nicht zu glauben! Weißt du nicht, daß er Jude ist« (136). The anti-Semitism is of its time, but it is rejected by Eugenie, who stresses Aaron’s humanity. Maud is also interested, however, in why Aaron volunteered (»took the shilling« is the phrase she uses), and Eugenie explains rather imaginatively: »Er mag den dunklen Trieb gefühlt haben, daß er dabei sein müsse. Weniger um zu zerstören, als Zerstörtes wieder aufzurichten« (137). The argument is nevertheless a little opaque, and while the novel explores the minds of the British soldiers, the reasons why the German soldiers are fighting are never questioned. In any case, Linde is less concerned with the war as such than with the superiority of German life in general. Tommy now insists that the soldiers must go to the front for the sake of the fatherland, and as the group prepares to leave, the character of Sergeant Green is developed, as it is made clear that he is in fact unbeschreiblich feig (143). He tries in vain to persuade a doctor that he is unfit, but marching is prescribed as being good for him. John indicates to Maud that he does not want to be placed in the same category as Green. The author now inserts a curious episode, the point of which is not entirely clear. When the soldiers board the train that will take them to the front, they are joined by a group of black soldiers. Given that relatively little attention
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has been paid, at least until fairly recently, to the role of black soldiers in the First World War,18 this vignette in a German novel of 1916 stands out both in respect of authorial presentation and in the sentiments placed in the minds and mouths of the British soldiers. The author presents these soldiers as »Eine zusammengewürfelte Schar, groß, klein, wild und ein Teil bereits mit den gemessenen Bewegungen der Europäer« (146). The central characters react to them in different ways: »Bundesbrüder!« sagte John Bates verächtlich. »Schwarze Bande!« fluchte Bill. »Aber Menschen!« gab Aaron bei. (147)
The new soldiers are uncomfortable, aware that they are unwelcome. Bill comments that »sie riechen wie die Tiere« and Tommy sits behind »dem riesigen Schwarzen und starrte auf dessen dichtes Haar, das nie ein Kamm gebändigt hat« (148). When it turns out that his hair is also full of lice, pandemonium breaks out and the small group of black soldiers is threatened. Aaron, however, points out that they had better get used to lice, and eventually Tommy agrees that this is simply their fate and the situation is calmed. With this, the incident is closed, and these soldiers are (apart from one important incident) not mentioned again, begging the question of why the passage is there at all, although it does highlight Aaron’s humanity once again. The black soldiers themselves are little more than props and do not say anything – it is unclear what language they speak in any case. The illustration on page 147, with the heading »in gemischter Gesellschaft« does not attempt to match the lurid descriptions in the text, and the uniforms of the not especially distinctive, let alone wild, black soldiers look more like those of the French colonial tirailleurs, and the British soldiers regard them with interest. The German forces did not contain colonial troops, and propaganda dismissed those in the allied forces as minderwertiges Kanonenfutter. How much the author actually knew of the deployment of these soldiers is unclear, but the contrast between the attitudes of the British soldiers is interesting: three of the central figures are initially repulsed, but Aaron is again the voice of humanity, and Tommy is won over, even if the subtext is that they had better get used to the lice. Equally inconsequential is the description of the next group of Bundesbrüder, a group of French soldiers (who are also given an illustration), as the march to the front line begins, led by the French, followed by the black soldiers, and then 18 See however Stephen Bourne. Black Poppies. Cheltenham: History Press, 2014, on British recruits from Africa and the West Indies from 1915. The French army also contained soldiers from their colonies, such as Senegal. Soldiers from these tirailleur regiments are occasionally mentioned in post-war novels. The Indian army was a special case, and American troops did not, of course, enter the conflict until well after the period of this novel.
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the British. Now, however, the troops come under serious fire for the first time as their column is hit, killing or wounding soldiers from all groups, »wahllos, wie einmal der Tod ist« (152). One of the black soldiers is killed, prompting Bill, who had earlier been scornful of these soldiers, to ask: »Warum mußte er bis hierher kommen? Und hat es etwas genutzt? ... Sie liegen da wie hingemäht. Für was?« (152). Tommy’s response almost anticipates the thoughts of Remarque’s narrator in Im Westen nichts Neues, who stores away thoughts of this kind for consideration much later, because while the war is still on, that way madness lies. »›Daran darfst du nicht denken!‹ verwies ihm Tommy. ›Den Zweck sollen wir nicht ergründen, Bill, wir sollen ihn erreichen!‹« (152). The us and them attitude of the ordinary soldier is portrayed realistically enough, however, as Tommy protests that they are not even told where they are being sent to die. They are, however, now sent to the absolute front line (die vorderste Linie, 153), so that the work was perhaps written before, or just as the Stellungskrieg began to settle down once and for all. We are told that this is the first time that the regiment had been in a serious situation, although they know that it will not be decisive: Die Entscheidung? Nein, nur ein Teil davon! Das war ja das Entsetzliche an diesem Kriege, daß er nie ein Ende nehmen wollte, Daß jeder neue Sturm einen anderen zur Folge hatte. Daß immer neue Menschen zum Sturm hinausgeführt wurden, von denen nur ein kleiner Teil wiederkam und daß dennoch alles blieb, wie es war. Heute wie morgen, alle Tage immer das gleiche: Opfer von erschreckender Größe, aber nutzlos dargebracht! (154)
It is difficult to recall that this appears in a German novel written probably in 1915, and not in one of the Weimar anti-war novels. The author now gives us a rare glimpse of the German trenches, suffering under heavy drumfire and wondering how long their barbed-wire barriers will hold, but then we return without a clear division to the British lines. The author deliberately merges the two sides in this description of the fighting, one of the few in the novel as such. An order is given for the attack which applies to the British side: »Wir wollen die Deutschen überraschen!« (154), and it is noteworthy that where the first part of the book referred always to die Germans, things have now become serious, even if the author’s predilection for exclamation marks has not diminished. Tommy prepares to advance, aware that they are like chess pieces. But Sergeant Green is terrified, again claiming sickness rather than fear; he knows he is likely to die but would prefer to do so in bed. Tommy’s views are entirely fatalistic:
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Wie wir hier sind, Sergeant, gelten wir keinen Penny! Aber uns ist entschieden. Wenn morgen keiner mehr von uns am Leben ist, so macht es nichts., Denn damit haben die Herren im Hauptquartier bereits gerechnet! (156)
It is once again interesting that these thoughts are placed in the mouth of a British soldier at this period. One wonders whether the readers in 1916 would reapply them to the German side? In a momentary pause, the four friends decide on how they should react if any of them is killed, and what should be said or sent to their families or lovers. Aaron does not want Eugenie to have any details if he dies. John wants Maud to be told that he died a Heldentod, because he is certain – and the point is a nice realistic one – that she will in any case have no idea of what he really is feeling at this point (158). The bullets and shells and shrapnel provide a Höllenkonzert (160) as they storm forward, but we are told that none of the British troops reaches the German positions. Some are killed, some survive, and the chapter ends on this note of suspense. The German troops are not actually shown in action, but the implication is that they are in the ascendency, and the title of the next chapter anticipates the plot: »Die Gefangennahme«. With daylight the German troops emerge from the trenches that the British have not reached and investigate the casualties. Some of course are dead, but others are not, and we are told that »Die Sanitätsmannschaften…bewiesen, daß sie den Feind mit der gleichen Sorgfalt behandelten, wie die eigenen Kameraden«.19 This is followed with a programmatic statement: Denn diese Soldaten hatten ihre Pficht erfüllt, wie sie selbst. Es war ihnen allen klar, daß sie in der gleichen Gefahr geschwebt hatten, daß sie, wäre der Sturm geglückt, jetzt genau so hilflos daliegen würden. (161)
One of the stretcher-bearers, described as a tall, blond and bearded Hüne, finds Tommy, who is only stunned, brings him round and, since he can speak English, answers Tommy’s questions about where he is. Tommy is a prisoner of war, without (he comments) ever having fired a shot. »Wofür bin ich Soldat?« (163). Having instinctively reached for his gun, Tommy now throws it away, and his statement is also programmatic: »Nein, ich kann Sie nicht töten. Es liegt nicht in meiner Art. 19 Allied propaganda regularly stressed German barbarism in general terms, and at the same time often made the point that in contrast, allied soldiers did provide assistance to wounded Germans. Sometimes the points were combined. The 1914 Wilson/Hammerton pictorial volume, The Great War, 158, has a dramatic drawing purportedly showing a British soldier being killed while giving water to a wounded German. On the facing page is a photograph, rather than a drawing, of German troops simply marching down a street, but captioned »The Barbarians in Brussels«.
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Und wenn nun der Krieg für mich zu Ende ist, so sage ich: Gott sei Dank! Ich habe genug.« (163). The echo of the Bach cantata gives layers to his statement; in the mouth of (a quasi-eponymous) Tommy, for whom war is not in his nature, the implications are that he has had enough of it, and that he is content to be out of it. The lily is gilded somewhat when the Hüne, discovering that Tommy’s medal is for football, not fighting, turns out to have played for Bayern Munich and the two shake hands, Tommy first assuring the German that his have no blood on them. Of the three friends, Aaron turns out to have been wounded and will lose a foot. Tommy meanwhile is struck by the well-constructed nature of the German trenches and defences and recalls his pipe-dream about visiting those trenches, noting that his imagination had been accurate. Linde now shows the captured British soldier what he has been up against: »Er sah die breitschultrigen Männer mit den großen Bärten und ihre frische Gesichter und über ihren Köpfen die scharfen Spitzen der Helme in die Luft ragen«. (167). A group of small, clean-shaven men turns out to be of other prisoners, amongst them Bill and John, who are allowed to stay with Aaron, causing a German soldier to comment: »Dö Engländer halten es nit anders wie wir, Bei eahna gibt’s Freundschaft grad a so.« (168.) The point is taken up and developed into a general philosophy: »Es gibt in jedem Staat…die gleichen Menschen. Gute und schlechte.« (168). The sentiment might be expected more in one of the later Weimar novels. Finding it here in 1916 is striking, but we recall it is delivered by one of the patently superior German soldiers. However long the soldiers might feel the war has been going on already – perhaps around a year – we are still a long way from the end, and even (in the novel’s time of writing) still some distance from the major turning point of the Somme. Sergeant Green now turns up and presents himself to the German soldier in charge, causing some surprise. It transpires that he had remained in the British trenches, then surrendered voluntarily on the grounds that he is not allowed to be ill in the British lines and is sure that the Germans (he still speaks of die Germans) will look after him. He is of course a comic figure rather than an example of cowardice pilloried, although when a British shell lands nearby the sergeant scuttles rapidly into the German trenches. Whether Tommy, the others, and the reluctant sergeant are supposed to be representative, and to what extent, is debatable, and the novel is, as indicated, somewhat uneven. Two rather different illustrations in this chapter underline the point. On page 162, over the heading »Im Schutz des roten Kreuzes«, we are given a rather optimistic picture of wounded or (in Tommy’s case) concussed soldiers each being attended to by an individual German orderly with the red cross armband. On page 170, with the caption »Meldung«, a diminutive Sergeant Green (with insufficient stripes) faces a very large German officer, bearded and wearing a Pickelhaube. The first picture is realistically done, the second is more of a caricature.
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Tommy, John and Bill take their leave of Aaron and are to be sent to Germany. Tommy asks – still thinking of the culinary Schlachtfest, whether there are enough animals in Germany, and is told – ironically in view of the blockade at the end of the war – that »England hungert uns nicht aus!« (172). He is even promised the possibility of another such feast of pork. The elements of wishful thinking in Linde’s Feindbild strengthen as Tommy accepts his fate as a prisoner of war not with equanimity, but with positive delight: Ihm war sonderlich leicht zumute. Er fühlte, von dieser Stunde an war er wieder der alte, fröhliche Tommy. Er dachte keinen Augenblick an das Land, dessen Ordensritter er war. All sein Fühlen galt der Zukunft, die nun wieder wolkenlos vor ihm lag. (173)
That Linde’s novel, while of interest as a phenomenon during the early years of the war, is not of any particular literary merit, is made clear in a new and separate chapter which serves to tidy up various loose ends relating to John Blunk (now always either Herr or Mister), his daughter, and the French girl Eugenie. Not only does it resolve at least one aspect of the love-interest, however, but it engages, for the first time and admittedly not very well, with a further problem of the war, namely that some can profit from it. Weimar writers like Remarque or Glaeser would address this issue seriously; here the whole issue is more confused. Blunk himself returns to England, eager to keep his business going, supplying food to the troops. Blunk has observed the huge numbers of troops being moved up the line, has worked out the percentages, and is unable to ignore the fact (the formulation is interesting) that war can be profitable: »er vermochte den Gedanken nicht von der Hand zu weisen, daß der Krieg in mancher Beziehung recht lohnend sei« (174). The question will be raised again at the end of the chapter, also, however, somewhat inconclusively. Maud has decided to wait in France for John, her fiancé. After four months she decides somewhat improbably that she will go and search for him. A small boy now announces to Eugenie that a soldier has sent him, but has forgotten what he was supposed to say, at which point Aaron himself arrives, having been inexplicably and implausibly released after the amputation of his foot and a presumed recovery. The sentimental element is that he had thought that Eugenie would now reject him, but they are reunited. Maud learns from Aaron that John, while a prisoner of war, is safe because the German treat their prisoners well, and she is reassured: »die Deutschen behandeln ihre Gefangenen gut« (183). More realistically, Aaron can make no predictions about when the war will be over and John can come home. With the sentimental point tidied up as far as possible, however, Maud’s reaction
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is interesting; she wants to return to London at once and persuade her father to close his factory and stop supplying food for the troops. Aaron points out to her the pointlessness of this gesture: if he doesn’t supply the food, then others will, since war is good for this kind of business. Maud’s generalised comment »Pfui über die Welt! Pfui über alle, die aus dem Krieg ein Geschäft machen… Niemand dürfte durch den Krieg auch nur einen Schilling verdienen« (184) is as heartfelt as it is surprising. Aaron – probably the most interesting voice in the novel – agrees that if everyone had that view, this would be the last war ever, but he is sceptical about who will teach humanity. Maud decides that she will begin with her father and at least try, stamping her foot petulantly as she hurries out, having determined: »Das Werk der Bekehrung mußte sofort beginnen.« (185). This ends the chapter, and indeed the reader’s involvement with everyone but the three prisoners of war. The general idea has the edge removed by its being placed in a mind of a foot-stamping and presumably powerless young woman, but that it is there at all is important. Hemingway has a soldier say (equally fruitlessly) in A Farewell to Arms: »if every one would not attack, the war would be over«, but that is in a novel of 1929.20 The final chapter of the work is set in Germany and away from the fighting, where the prisoners of war are detailed to assist with the harvest on a farm in northern Germany, having been sent there from Zossen, which was a military centre in both world wars. The whole chapter develops as a kind of pastoral idyll as it comes towards a conclusion which mingles sentimentality (and another love-story) with a general anti-war feeling, while at the same time making clear a German cultural superiority which is accepted by the British soldiers. They are under the supervision of the Großknecht, the head farmhand on an estate, Wilhelm Krusemark, who has an only daughter, Käthe. Krusemark, we discover, had once heard his father speculate that one day if there is a war English soldiers might have to help with the harvest. Could it not be French, the boy had asked, just like 1870? «Die fangen doch sicher den Krieg an« (187). But it is indeed English soldiers who are now in the cart pulled by an obedient, if somewhat slow shire-horse, which immediately becomes a symbol. We hear first that it »folgte gern, wenn man ihm gut zuredete…« In his mind the Großknecht adds: »Wie die Engländer« (187). Krusemark speaks Platt, which he thinks is close enough to English to be comprehensible (»Wie het hei?« he asks, though someone does understand that, 189). This is part of the humour, since his Platt is not especially comprehensible. After an initial stand-off, Tommy subordinates himself to Krusemark, and works well. Everyone trusts each other, we are told, and the prisoners of war are left to their own devices in the evenings. They are observed every night sitting at a table studying, something which baffles the good Krusemark, who is not a great man 20 Ernest Hemingway. A Farewell to Arms. [1929] London: Granada, 1982, 39.
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for books. He does wonder if the soldiers might be up to something, but the line is not developed. He even fails to find out what books they are using, and worries that they might be staatsgefährlich (193). No-one else speaks English on the estate, the upper-class owners of which are away at the war. Time passes, and some of the prisoners of war are transferred back to Zossen, leaving only the three principals plus Sergeant Green (about whom Krusemark is less happy). Christmas comes, and Linde presents to the audience and to the admiring prisoners of war a traditional German Christmas celebration, at which even the English soldiers receive gifts. Tommy and Green discuss how impressed they are, and it emerges that Tommy has an interest in Käthe. They join Krusemark – understanding his invitation remarkably well, it is noted – and Käthe lights the candles on the tree and all sing »Silent Night.« When told that as far as their singing goes they are beinahe wie Deutsche (199), Green even adds: »Wenn ich nicht Engländer wäre… so möchte ich ein Deutscher sein,« to which Krusemark replies a little enigmatically: »Es ist eine gute Sache, Deutscher zu sein… aber darum muss man auch zuerst Deutscher sein wollen und nicht Engländer« (199). It emerges gradually, though Kruse takes a long time to realise it, that the men are all speaking German. Käthe puts it more dramatically: »Hörst du dann nicht,, daß du vier junge Deutsche zu Besuch hast?« (200) The somewhat slow Großknecht grasps eventually that the soldiers have all been learning German, and as part of the comedy, claims all the credit for this. But he points out that after the war they will all go back to England. John and Bill concur, but Sergeant Green and Tommy want to stay, the latter because of his feelings for Käthe, something which pleases her father, who notes that Tommy »ist ja beinahe ein Deutscher geworden.« Tommy considers that he could earn a thousand pounds playing for Arsenal but would give up everything for the sake of Käthe. The story now takes an interesting turn, however, when she declares: »Ich bin ein deutsches Mädchen…. Und ich heirate keinen Engländer.« (204). The estate supervisor or factor, who comes to join the celebrations, delivers a letter to John saying that Aaron and Eugenie are now married and living in London with John Blunk, whose daughter Maud is waiting for him, and that they have sent a package. This prompts from the estate supervisor a further summary of the message of the book: Die Menschen leben gut miteinander, machen sich gegenseitig Freude und denken auch an die, die nicht dabei sein können. Nur immer die anderen hassen sie, die sie gar nicht kennen. Warum? Müßte nicht die Welt eine große Familie sein? Viel Leid und Trauer gäbe es weniger in der Welt. (206)
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Tommy suggests that becoming part of a family might be possible, and the Aufseher notes his interest in Käthe, but still declares that »Englisch ist englisch und deutsch ist deutsch« (206), which leads Tommy to declare: »Ich will ein Deutscher werden!« (206). The writer has made a very clear point about the family of man and has now turned (the) Tommy into a German. For all that, it seems to have been impossible – with the war still in progress – for an author to permit a liaison between a German daughter and an English soldier, even for the sake of fictional tidiness, although it seems inevitable eventually. Tommy is given the instruction: »Aushalten, Tommy….solange der Krieg dauert, wird Käthe kaum zugänglicher werden. Aber nachher, Tommy, nachher!« (207). Even the comic and reluctant sergeant will remain after the war working as a shepherd, something which suits his essentially idle character, even if his character has undergone something of a change from the martinet of the first part.21 Tommy, meanwhile, will wait for Kathe and (by implication) the end of a war in which Germany will have triumphed. Aut prodesse volunt aut delectare poetae, aut simul et iucunda et idonea dicere vitae. In this case the intent is principally to entertain, but in doing so to make a serious point at the same time. For all that, it is an ambiguous and curious work. The series in which it appeared, the Dreizack Bücherei also included (and advertised in the paperback version of this work) Mit der Garde im Westen, letters and diary entries by Eberhard Baumann (1871–1956), a licensed preacher at Halle Cathedral and Protestant theologian who served during the war as a military padre. The advertisement (which may not have been authorised by Baumann) notes that it »zeigt uns in vielen leidenschaftslos geschilderten Zügen die rücksichtslose und brutale Kriegsführung der Feinde«.22 This seems to betoken a more expected Feindbild. Hallo, Tommy, on the other hand does not portray the enemy against which Germany was fighting as brutal in any way, but rather subverts that enemy (at least the British) and allows them to assimilate willingly into German culture. For a war-novel, however, there is very little killing (even in a Zeppelin raid) and certainly no very graphic descriptions of fighting at the front, even though men are killed and wounded, and the noise of the battle is indicated. British politicians are made ridiculous (with Grey as the somewhat passé main target), as are aspects of British society, but there are no arguments about the reasons behind the war like those, say, of Remarque’s soldiers in a similar off-duty situation in Im Westen nichts Neues. The war is accepted as a phenomenon, but its origins are never explored 21 Remarque’s equally strict drill-corporal in Im Westen nichts Neues also reacts in a cowardly manner when first under fire in battle but snaps out of it. Here, however, the sergeant simply becomes a comic figure, whose desire not to be killed is seen as a reasonable one. 22 Eberhard Baumann. Mit der Garde im Westen. Halle/Saale: Mühlmann, 1916. There were of course very many collections of letters or diary entries (on both sides). Baumann was Domprediger in Halle Cathedral, and is of independent interest.
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and there is no speculation on its later course. The British soldiers shown to us are all decent (and even to an extent patriotic) young men, albeit initially reluctant to fight; the German soldiers, however, are physically and culturally superior, as well as being well-fed and well-equipped. But what is striking here it is the optimism of an unusual Feindbild from the German side which imagines and places in the foreground (a) Tommy reluctant to fight at all, and who is moreover predisposed to admire Germany. His own view of the enemy, his personal Feindbild, is never negative, and at the end it is entirely positive. He is fortunate enough to be taken prisoner and is so impressed not only with German soldiery but with Germany as such that he does not need to be defeated in battle. The end of the war is still unforeseeable, but the assumption remains that the German forces are superior, and a blockade is at this stage is expressly unthinkable. German culture, from a (farming, rather than a military) Schlachtfest to a traditional Christmas, exerts an increasing influence, until Tommy actually becomes a German and the very concept of ›enemy‹ has thus effectively disappeared. This is hardly a great work of literature, and presumably was only ever meant as light entertainment, although it does at least acknowledge the trenches. That entertainment aspect is clear in the sentimental love-stories, most of which are satisfyingly resolved, and also in the comic figures of Sergeant Green (in the latter part of the work) and of Großknecht Krusemark (in a different way). The study of popular writing of this kind during the war itself, is nevertheless of interest, even if its reception cannot so easily be determined. In its time the pacifist message of Linde’s novel – or rather the message of the desirability of peace, at least between Germany and Britain – is unusual. Written presumably in 1915, the work appeared, however, in the year of the Somme, and after that, there was little, if any scope for this kind of approach, humorous and humane, to the war.
Renata Dampc-Jarosz, Paweł Meus
Zwei Stimmen für ein »neues Zeitalter der ernsten Arbeit und des Fortschritts« Der Beitrag von Max Herrmann-Neiße und Alfred Hein zur Erziehung der deutschen Jugend nach dem Ersten Weltkrieg
Das im Titel angeführte Zitat1 stammt aus Erich Maria Remarques Tagebüchern. Diese Eintragung wurde 1918 von dem gerade erst von der Front zurückgekehrten jungen Mann gemacht und beinahe wie ein Manifest formuliert: Gestern abend hatte ich eine lange Aussprache mit meinem Kameraden, dem Vzfdw. Ludwig Leigl. Was mir bis dahin unbestimmt vorgeschwebt hatte, bekam festere Gestalt. Nämlich der Gedanke, die Jugend Deutschlands, diese prachtvolle, stahlharte Jugend aufzurufen nach dem Krieg um Kampf gegen das Morsche und Faule und Oberflächliche in Kunst und Leben. Ein neues Zeitalter der ernsten Arbeit und des Fortschritts herbeizuführen auf Gebieten, die bis jetzt in letzter Zeit einen Rückgang zu verzeichnen hatten.2
Remarque, der damals noch nicht davon zu träumen wagte, einmal den weltweit bekanntesten Antikriegsroman zu verfassen, war nicht die einzige Person, die nach dem Ersten Weltkrieg über die Ursachen für dessen Ausbruch, den 1914 im Volk ausgelösten Enthusiasmus, auch unter jungen Menschen, und dann die deutsche Niederlage nachzudenken begann. Die Notwendigkeit einer neuen Erziehung der deutschen Jugend nahmen nämlich sowohl ehemalige Kriegssoldaten als auch
1 Erich Maria Remarques Tagebucheintrag vom 24. August 1918, publiziert in Erich Maria Remarque. Das unbekannte Werk. Band 5: Briefe und Tagebücher. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1998, 253. 2 Ebd.
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Intellektuelle wahr, unabhängig davon, ob sie zum Militär eingezogen wurden, sich freiwillig meldeten oder der Fronthölle, bewusst oder zufällig, entgingen. Auch E. M. Remarque wird bald als Dorflehrer die Kluft zwischen pädagogischer sowie didaktischer Wirklichkeit und den neuen erzieherischen Ansätzen an eigener Haut erfahren.3 Viele Literaten, Schriftsteller, Künstler hegten dabei die Hoffnung, eine neue Gesellschaft aufbauen zu können. Einen Weg zur Realisierung dieses Postulats sahen sie in den publizistischen Formen – in aufklärenden Aufsätzen, Essays oder Reden. Die Gedanken an eine neue Erziehung der Jugend sind freilich schon in der Vorkriegszeit entstanden, als man in der Regel in linksorientierten Intellektuellenkreisen nach einem Gegenpol zu kriegsbejahenden Aufrufen und Erklärungen zu suchen begann. Mit der Veröffentlichung der zweibändigen Abhandlung Die Weisheit der Langeweile. Eine Zeit- und Streitschrift (1913) leistete der Schriftsteller und pazifistische Publizist Kurt Hiller einen Beitrag zum neuen Aktivitätskonzept, in dem er die Ideen von Voluntarismus, Hilfsbereitschaft und Weltverbesserung durch Kunst und Wort verkündete.4 Ähnlich argumentierte der expressionistische Dichter, Literaturkritiker und Essayist Ludwig Rubiner, der ebenfalls nach Erneuerung der Welt rief, für eine Gemeinschaft einer vom Kapitalismus befreiten Menschheit plädierte und in seinem essayistischen Werk Der Mensch in der Mitte (1918), durch K. Hillers Aktivismus und Logokratie inspiriert, die gesellschaftliche Verantwortung des Geistes, der Literatur und des Dichters forderte. Der Publizistik schrieb er die Rolle des erzieherischen Organs zu, das auf junge Menschen, insbesondere aus der Arbeiterschicht, Einfluss nehmen konnte.5 Die schon vor dem Ersten Weltkrieg erhobenen Forderungen nach einer neuen, weltoffenen und durch geistige Kräfte gesteuerten Denk- und Erziehungsweise klangen jedoch abstrakt und utopisch und waren daher auch nicht imstande, die Kriegspädagogik der Wilhelminischen Ära6 aus der Öffentlichkeit zu verdrängen. Erst als die ›Büchse der Pandora‹7 geöffnet wurde und die bisherige Erziehung 3 Vgl. Wilhelm von Sternburg. »Als wäre alles das letzte Mal«. Erich Maria Remarque. Eine Biographie. Köln: KiWi, 2000, 103–109. 4 K. Hiller geht dabei von Nietzsches Konzept des Willens aus, wobei er den Willen in eine Aktivität umwandelt. Hiller behauptete sogar, dass auch der Wille siegen könne, wenn der Voluntarist zum Aktivisten werde. Vgl. Kurt Hiller. »Ortsbestimmung des Aktivismus«. Otto F. Best (Hg.). Theorie des Expressionismus. Stuttgart: Reclam, 1976, 124–131, hier: 128. 5 Vgl. Walter Fähnders. »Ludwig Rubiner«. Autorenkollektiv (Hgg.). Neue Deutsche Biographie. Bd. 22. Berlin: Duncker&Humblot, 2005, 156f. Ludwig Rubiner. Kameraden der Menschheit. Dichtungen zur Weltrevolution. www.rubiner.de/texte_kameraden.html. [Zugriff: 12.08.2019]. Vgl. auch Volker Weidermann. »Weltabschied«. Ders. (Hg.). Das Buch der verbrannten Bücher. Köln: KiWi, 2008, 91–93. 6 Vgl. Eberhard Demm. »Deutschlands Kinder im Ersten Weltkrieg: Zwischen Propaganda und Sozialfürsorge«. Militärische Zeitschrift 60 (2001), 51–79. 7 Vgl. Jörn Leonhard. Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkrieges. München: Beck, 2014.
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der Jugend zum Militarismus und Nationalismus ans Licht trat, versuchte man in Intellektuellenkreisen, vor allem bei den Expressionisten, auf die Notwendigkeit einer Umerziehung aufmerksam zu machen. Die angespannte politische Lage nach 1918 sowie viele andere soziale und kulturelle Faktoren dieser Zeit ließen daraus jedoch kein konkretes Programm werden, so musste man sich lediglich auf publizistische Beiträge beschränken, die eine friedensstiftende Pädagogik verkündeten. Zu Autoren jener Postulate gehörten unter anderem Max HerrmannNeiße8 (1886–1941) und Alfred Hein (1894–1945). Trotz vieler Unterschiede, die sie trennten, haben sie sich in den Zwischenkriegsjahren für ein neues Modell der Erziehung der deutschen Jugend eingesetzt. Die Tatsache, dass Herrmann-Neiße am Krieg nicht teilnahm und Hein freiwillig als Soldat an die Front ging, bildet den Kern ihrer Auseinandersetzung mit dem Krieg und Grundlage für eine pazifistische Haltung beider Autoren.
Der Pazifist Max Herrmann-Neiße Max Herrmann-Neiße – Dichter, Literaturkritiker und Essayist der Weimarer Republik – war im Moment des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges 28 Jahre alt und wohnte in der schlesischen Stadt Neiße. Eine Behinderung machte ihn militärisch untauglich. Vielleicht war das auch der Grund, warum er sich in seinem Werk und mit seiner Haltung konsequenterweise gegen den Krieg geäußert hat. Seine Heimatstadt wurde schon unter Friedrich II. zur Festung, was seit dieser Zeit auf besondere Art und Weise den militärischen Charakter dieses Ortes prägte. Obwohl der künftige Dichter mit Basteien, Zitadellen und Verteidigungsmauern aufwuchs, fanden diese Gebäude in sein Werk nie Eingang.9 Weder in autobiografischen Texten noch in der Dichtung oder Prosa lassen sich nach Jan Pacholski irgendwelche Militärobjekte ausfindig machen; im Roman Die Bernert-Paula (1918) tritt nur ein militärisch geprägtes Wort auf.10 Im Moment des Kriegsausbruchs drückte
8 Der eigentliche Name des Dichters lautete Herrmann, den zweiten Nachnamen hat er sich aus Verehrung für seine Heimatstadt Neiße (heute Nysa) gegeben. 9 Jan Pacholski analysiert das Motiv der Festung und der militärischen Gebäude im Werk von Herrmann-Neiße und bemerkt, dass sie darin gar nicht auftauchen, was nach dem polnischen Literaturwissenschaftler wahrscheinlich auf das Kindheitserlebnis von Herrmann-Neiße zurückzuführen ist, welches mit einem Unfall auf dem Gebiet der alten Festung und der darauf folgenden Behinderung zusammengehangen haben soll. Vgl. Jan Pacholski. »Festung Neisse im epischen Werk von Max Herrmann-Neiße«. Beata Giblak, Wojciech Kunicki (Hgg.). Auch in Neisse im Exil. Max Herrmann-Neiβe. Leben, Werk und Wirkung (1886–1941). Leipzig: Universitätverlag, 2012, 35–50, hier 49. 10 Vgl. ebd., 47. Zu diesem Roman vgl. Jutta Kepser. Utopie und Satire. Die Prosadichtung von Max Herrmann-Neiße. Würzburg: Königshausen & Neumann, 1996, 162–185, und Klaus Schuhmann.
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Herrmann-Neiße Missfallen an der Haltung vieler Dichterkollegen aus, die den Krieg durch ihre enthusiastischen Worte und Engagement unterstützt hatten. Über seine Unzufriedenheit mit »Hauptmann, Heimann, Bie, Musil, Stehr, […], Kerr«,11 berichtete er in einem Brief an Friedrich Grieger, einen Freund aus Neiße. In seinem Werk lassen sich zwar einige Bilder des Kriegsanfangs nachweisen, in denen, wie im Gedicht Kriegsbegeisterung oder dem Roman Die Bernert-Paula, Enthusiasmus und Faszination für den Krieg ausgedrückt wurden, aber sie sind nach Beata Giblak immer durch Groteske und Tragik gekennzeichnet.12 Max Herrmann-Neiße scheint sich vom Krieg und Militarismus völlig distanziert zu haben. Hat ihn in seinem kompromisslosen Pazifismus vor allem die Behinderung bestärkt? Zum Teil ja, aber zu den anderen Faktoren, die den Dichter geprägt haben, gehörten sicherlich auch der Vater, der sich um die geistige Entwicklung des Sohnes gekümmert hat,13 und auch sein Studium der Kunstgeschichte, Literatur und Geschichte, das zu seiner inneren, pazifistischen Entwicklung beigetragen haben soll.14 Auch literarische Freunde und Bekannte aus der Berliner Zeit können zu den Mentoren des aus der schlesischen Provinz stammenden Autors gerechnet werden. Alfred Kerr, Franz Pfemfert sowie andere um die expressionistische Zeitschrift Die Aktion versammelte Schriftsteller, darunter auch Else Lasker-Schüler, Kurt Hiller, Ludwig Meidner, Georg Grosz, René Schickele, Carl Hauptmann,15 Thomas Mann, Stefan Zweig und viele mehr haben ihn innerlich bereichert und seine Weltanschauung beeinflusst.
»Ich gehe wie ich kam: arm und verachtet«. Leben und Werk Max Herrmann-Neisses (1886–1941). Bielefeld: Aisthesis, 2003, 216–232. 11 M. Herrmann-Neiße im Brief an den Freund Friedrich Grieger vom 10.09.1914. Zit. nach Beata Giblak. Wygnaniec i jego ojczyzny. Max Herrmann-Neiße (1886–1941). Życie. Twórczość. Recepcja. Poznań: Wydawnictwo Poznańskie, 2010, 45. 12 Vgl. ebd., 46. 13 Rosemarie Lorenz bemerkt, dass sich Max Herrmann-Neiße zwar über die Rolle des Vaters in seinem Leben positiv geäußert hat, in seinen Gedichten ihn aber, den anderen Dichtern der Epoche ähnlich, wie z.B. Franz Werfel oder Else Lasker-Schüler, voller Abneigung und feindschaftlicher Gefühle darstellt. Vgl. Rosemarie Lorenz. Max Herrmann-Neiße. Stuttgart: Metzler, 1966, 16. 14 M. Herrmann-Neiße studierte ab 1905 in Breslau und dann in München, um in die Hauptstadt Niederschlesiens wieder zurückzukehren. Er hat das Studium nicht abgeschlossen, aber konnte viele anerkannte Hochschullehrer kennenlernen, die seine spätere Entwicklung beeinflussten. Vgl. Beate Störtkuhl. »Die Kunstgeschichte an der Breslauer Universität und ihre Dozenten bis 1945«. Marek Hałub, Anna Mańko-Matysik (Hgg.). Śląska republika uczonych. Schlesische Gelehrtenrepublik. Slezska vedecka obec. Wrocław: Atut, 2004, 635–669. 15 Über die literarische Freundschaft zwischen M. Herrmann-Neiße und Carl Hauptmann vgl. Edith Wack. »›Das schmerzhaft-zwiespältige Mysterium‹. Max Herrmann-Neiße im Briefwechsel mit Carl Hauptmann«. Sibylle Schönborn (Hg.). Exzentrische Moderne. Max Herrmann-Neiße (1886–1941). Bern, Berlin, New York: Lang, 2013, 61–76.
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Als Max Herrmann-Neiße seine Geburtsstadt 1917 verließ16 und in Berlin ankam, verdiente er zusätzlich17 seinen Unterhalt als Autor von Presseartikeln für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften. Nach Kriegsende arbeitete er unter anderem für die Frankfurter Zeitung, das Kölner Tageblatt, Der Strom (Köln, 1919), Das Tribunal (Darmstadt, 1919–1921), Die neue Rundschau und die Breslauer Zeitschrift Die Erde (1919–1920)18, in welchen er vor allem seine Literaturkritiken und Polemiken veröffentlichte. Viele der zeitkritischen Texte resultieren aus der kollektiven Erfahrung des Ersten Weltkrieges und hinterfragen die durch den Krieg entstellten und veränderten Begriffe wie Demokratie, Nation, Treue, Gehorsam oder Untertänigkeit. Der Autor solidarisiert sich mit den sozialdemokratischen Kräften und mit der Feder in der Hand verteidigt er sie vor den vernichtenden Attacken, die sowohl in den Medien als auch auf der Straße stattfanden.19 Auch die Erziehung der jungen Generation lag ihm am Herzen, deswegen widmete er dieser Problematik einen der ersten Texte, Die Beseitigung des Militärischen, der schon im Januar 1918 in der Breslauer Zeitschrift Die Erde erschien. Der Autor richtet sich in dieser Abhandlung nach den von seinen expressionistischen Vorgängern formulierten Postulaten einer Verbesserung der Welt. Diese ist nach Herrmann-Neiße durch Verzicht auf alles Militärische zu erreichen. Wie man dieses Ziel erreichen kann, versucht er seinen Lesern mit entsprechend ausgewählten Argumenten zu erklären. Seine Erläuterungen formuliert er dabei ganz einfach, sie entbehren nämlich jeglicher Metaphern sowie anderer stilistischen Mittel, die die Sprache einer Polemik überzeugender machen. Die im Titel angedeutete Beseitigung des Militärischen bezieht sich nicht nur auf die Auflösung der Armee, sondern bedeutet Liquidierung von Allem, was einen militärischen Charakter besitze. Der Vernichtungsprozess solle dabei bis auf den Grund erfolgen und keine militärisch
16 Für das Verlassen der Heimatstadt entschied sich der Dichter nach dem Tod beider Eltern. Er wurde von seiner um zehn Jahre jüngeren Frau Leni Gebek begleitet. Über diese Beziehung vgl. Klaus Völker. Max Herrmann-Neiße. Künstler, Kneipen, Kabaretts – Schlesien, Berlin, im Exil. Berlin: Edition Hentrich, 1991, 25ff. 17 Nach der Ankunft in Berlin bekam er die Arbeitsstelle eines Sekretärs im Samuel Fischer-Verlag, welche seine Haupteinnahmequelle ausmachte. 18 Giblak, Wygnaniec i jego ojczyzny, 56. Im Rahmen des DFG-Projekts Max Herrmann-Neiße: Digitale Edition der Kritiken und Essays, Publikationen in Zeitungen und Zeitschriften 1909-1939, geleitet ab 2018 von Vera Hildebrandt und Sibylle Schönborn, werden alle publizistischen Texte des Dichters gesichtet, neu ediert und digitalisiert. 19 Vgl. zu diesen Themen z.B. folgende Artikel: Max Herrmann-Neiße. »Der Fluch der Kompromisse«. Die Erde, 01.02.1919 (Heft Nr. 3). Vgl. Max Herrmann-Neiße. »Der Fluch der Kompromisse«. Klaus Völker (Hg.). Die neue Entscheidung. Schriften. Frankfurt/Main: Zweitausendeins, 1988, 20–24; Max Herrmann-Neiße. »Zu Befehl«. Die Erde, 01.05.1919 (Heft Nr. 9). Vgl. M. Herrmann-Neiße. »Zu Befehl«. Völker (Hg.), Die neue Entscheidung, 28–33.
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anmutenden Strukturen und Erscheinungsformen verschonen: »Das muß bis ins Kleinste gehen, denn im Kleinsten nistet sich das Böse am hartnäckigsten ein.20 Der Autor beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Forderung nach der Beseitigung allen Militärischen, sondern er bietet ein konkretes Verbesserungsprogramm an. Als Dichter sieht er in der Sprache und ihrem wenig durchdachten Gebrauch eine Gefahr, die wieder zu einem neuen Krieg führen kann. Die verantwortungsvolle Verwendung jeder Sprache verlange – so Herrmann-Neiße – nämlich danach, alle militärischen Termini zu tilgen. Außerdem solle man nicht nur auf den Gebrauch von Fachwörtern verzichten, sondern auf alle Bezeichnungen, die mit Krieg, Kampf oder Aggression verbunden sind und der Beschreibung von militärischen Objekten oder Schlachtfeldern dienen. Die Aufgabe, dies zu leisten, lastet nach Herrmann-Neiße vor allem auf dem Schriftsteller, der sich »jeder Bezeichnung, die aus dem besonderen Wortschatz militärischer Terminologie stammt, [enthalten solle]«.21 Der Autor kann selber für eine solche Haltung als Muster gelten, worauf bereits hingewiesen wurde.22 Neben den Worten werden in der Abhandlung auch die Taten an den Pranger gestellt, insbesondere der in der Gesellschaft gut etablierte Kult des Heldentums. Es sei nicht mehr zu akzeptieren, dass Soldaten mit Medaillen ausgezeichnet werden, dass man sie würdigt, wenn sie den Kriegsposten bis zum Ende verteidigen, und sie gleichzeitig im Falle von Feigheit tadelt. Kritisch äußert sich der Autor auch gegen andere gesellschaftlich sanktionierte Formen der militärischen Haltung – das Tragen von Säbeln oder öffentliches Ehren von Militärverdiensten. Sie sind alle ein – bewusster oder auch unbewusster – Ausdruck von Militär- und Kriegsbejahung. Die Notwendigkeit der Veränderung der überall geltenden Haltung scheint für Herrmann-Neiße offensichtlich zu sein und er sieht keinen anderen Weg als ein schnelles Umdenken: So lange sich die Soldaten noch dessen rühmen, die Front bis zum letzten Augenblick gehalten zu haben, anstatt sich dessen zu schämen, ist der alte Zustand in Kraft. Wenn die Soldaten in festlichem Triumphzug heimkehren, statt wie ernüchterte Teilnehmer einer Missetat schlechten Gewissens stockstill unterzukriechen, hat der Kriegswahn weiter zu hoffen. 23
Für besonders schädlich hält Herrmann-Neiße die Erziehung der Jugend hin zu einer kriegsbejahenden Haltung und die Verbreitung von militärischen sowie nationalen Losungen. Einer solchen Erziehung solle konsequenterweise ein Ende 20 Herrmann-Neiße. »Die Beseitigung des Militärischen«. Völker (Hg), Die neue Entscheidung, 17–20. 21 Ebd., 18. 22 Vgl. die Anm. 9. 23 Ebd., 18.
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gesetzt werden. Der an dieses Ziel führende Weg ist dem Autor nach ebenfalls einfach und eindeutig: Aus den Schulprogrammen sollen Kriegslieder und Erinnerungstexte über Kriegshelden und Gefallene verschwinden, in erster Linie diejenigen Werke, die diese Taten glorifizieren. Der Name des Autors soll dabei keine Rolle spielen: Sowohl Heinrich von Kleist als auch Detlev von Liliencron sollen für immer getilgt werden. Herrmann-Neiße ist sich dabei dessen bewusst, dass seine Postulate fast revolutionär klingen, aber ungeachtet dessen schlägt er immer radikalere Änderungen im Erziehungsprogramm vor, zuletzt die Beseitigung aller Informationen über die Kriege aus den Schulbüchern und deren Platzierung in eine Zeitungsrubrik mit der Überschrift Kriminaltaten. Sein übergreifendes Denken umfasst fast alle Militärformen, die sich in der Öffentlichkeit erkennen lassen. So greift er z.B. die Institution eines Kriegspfarrers an und kritisiert das Verschweigen von verlorenen Schlachten in den Medien. Alle Probleme, die zur falschen Erziehung der Jugend beitragen, sieht er jedoch in dem »unheilstiftenden Begriff Ehre!«.24 Der pazifistisch gesinnte Autor kann aber ebenfalls auch dieses Argument abwehren, indem er den ethischen Wert der Ehre negiert und die Notwendigkeit deren Verteidigung ablehnt. Seine Haltung diesem Problem gegenüber erklärt er wie folgt: So lange einer noch Anerkennung irgendwelcher Art vom andern braucht, so lange könnte er sich solche Anerkennung auf gewalttätigem Wege suchen; so lange einer noch etwas verteidigen zu sollen glaubt, wird es »gegen« den Mitmenschen geschehen. Nichts ist verteidigenswert.25
Für den Menschen, für sein Wohl und ein glückliches Leben lohnt es sich, ein Risiko einzugehen, eine Niederlage zu akzeptieren und sich zur eigenen Schwäche zu bekennen. Nur dadurch kann der Geist des Militarismus beseitigt werden. Die von Herrmann-Neiße angeführten Argumente scheinen einerseits überzeugend zu sein, sie klingen aber andererseits ziemlich abstrakt, denn sie sind erstens zu allgemein, zweitens verlangen sie nach einer Änderung von fest etablierten Gesellschaftsnormen und Tradition. Vielen Rezipienten hätten jene bahnbrechenden Postulate als zu utopisch und zu wenig konkret erscheinen können. Die Reihen von Freunden und Gegnern hätten in ihrer Länge gleich sein können, zumal nach dem verlorenen Krieg und dem Versailler Traktat die Rufe nach Vergeltung und Verstärkung der militärischen Kräfte genauso laut wurden wie die pazifistischen Parolen. Der aus Schlesien stammende Schriftstellerkollege Arnold Ulitz, selber
24 Ebd., 20. 25 Ebd., 20.
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Lehrer,26 plädierte auch für eine erzieherische Wandlung, aber ganz anders, wie es Robert Rduch festhält, definiert er das Heldentum. Nach Ulitz lässt sich nämlich ein pazifistisches Denken, eine Entscheidung über den kompromisslosen Kampf oder die Niederlage nicht auf die innere Sphäre des Menschen zurückführen, sondern ist eher ein Resultat des irrationalen Handelns eines Einzelnen.27 Diese Komponente des menschlichen Verhaltens hat Herrmann-Neiße in keiner Weise berücksichtigt, denn er ging davon aus, dass eine militärische Haltung das unbedingte Produkt einer geplanten Erziehungsweise ist und ein Element von Habitus, welche stärker als unbewusste, irrationale Vorgänge sind.
Alfred Hein – ein Kompaniesoldat und sein Mahnwort an die Jugend Zu Beginn des Ersten Weltkrieges war Alfred Hein – Dichter, Romanverfasser, Journalist und Leiter der Landesabteilungen der Reichszentrale für Heimatdienst in Königsberg (1923–1929) und Halle an der Saale (1929–1931) – 20 Jahre alt und konnte sich schon einiger in landesweiten Zeitschriften und Zeitungen, u.a. Jugend, Westermanns Monatshefte und Romanzeitung, veröffentlichten Gedichte rühmen. Heins Vorliebe für Kunst stammte schon damals aus der besonderen Atmosphäre seines Familienhauses, wo der Vater – Lehrer und Heimatschriftsteller – für die literarische Ausbildung des Sohnes sorgte und die Mutter seine Sensibilität durch veranstaltete Musikabende entwickelte. Zugleich machte Alfred Hein erste berufliche Erfahrung als Büroarbeiter, die ihm Einblicke in das schwere Schicksal der oberschlesischen Arbeiter und die kapitalistische Jagd nach dem Geld lieferte. Die karge Wirklichkeit seiner industriell geprägten Heimatstadt Beuthen O/S (heute Bytom) und der monotone Alltag des Bürgertums in der Provinz ließen ihn den Kriegsausbruch zuversichtlich begrüßen und 1915 über seine Fahrt nach Berlin, wo er nach der freiwilligen Anmeldung auf den Fronteinsatz vorbereitet wurde,28 begeistert zugeben: Endlich hatte ich die Hoffnung, Soldat zu werden. Hauptsächlich war es Abenteuerlust, der Wunsch: etwas zu erleben!, was mich in den Krieg 26 Vgl. Robert Rduch. Unbehaustheit und Heimat. Das literarische Werk von Arnold Ulitz (1888–1971). Frankfurt a.M.: Lang, 2009, 13. 27 Vgl. Robert Rduch. »Max Herrmann-Neiße und Arnold Ulitz. Eine ästhetische Verwandtschaft zweier schlesischer Dichter«. Giblak/Kunicki (Hgg.), Auch in Neisse im Exil, 141–154, hier: 146. Diese Haltung kennzeichnete Ulitz in den ersten Nachkriegsjahren, dann unterlag sie einer Wandlung, besonders im Dritten Reich. 28 Vgl. Alfred Hein. »Mein Leben«. Der Oberschlesier 8 (1926), 1, 01.1926, 43. Śląska Biblioteka Cyfrowa: https://sbc.org.pl/dlibra/show-content/publication/edition/11155?id=11155 [Zugriff: 21.08.2019].
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trieb, dann aber auch, die deutsche Sache als beste, treueste, reinste der feindlichen gegenüber zu vertreten, und ferner das Wissen: ich werde stark, stählern werden im Kampf. – Da lag nun vor mir die Karte, die mich nach Berlin rief. Nach Berlin! Dem Ort meiner jahrelangen Sehnsucht, die Märchenstadt der Erfüllung ...29
Im Februar 1915 begann er seinen Dienst an der Westfront, den er vor Reims, bei Somme Py in der Champagne als Feldluftschiffer und vor Verdun als Melder leistete. Für einen aufopfernden Meldegang, bei dem er verschüttet worden war, wurde er mit dem Eisernen Kreuz II. ausgezeichnet.30 Im Mai 1916 schrieb Alfred Hein sein bekanntestes Gedicht Eine Kompagnie Soldaten, in dem er Mut, Opferschaft und Kameradschaft hervorhob. Es erschien in der Liller Kriegszeitung und wurde durch andere Feldzeitungen abgedruckt. Schnell wurde es auch zu einem der berühmtesten Soldatenlieder und 1920 mit dem ersten Preis für das beste Marschlied der neuen Wehrmacht gewürdigt.31 Die zugänglichen Materialien lassen feststellen, dass Alfred Heins Texte in der Kriegszeitung der vierten Armee und Champagne-Kriegszeitung veröffentlicht wurden. Hein war auch Mitarbeiter der Garde-Feld-Post,32 wo seine Gedichte und Skizzen vom 8. Januar 1916 bis zum 1. November 1918 erschienen.33 Die überwiegende Mehrheit dieser Dichtung unterstreicht den Mut und die großartigen Taten der deutschen Soldaten. Sie verschweigt dabei die schweren Bedingungen der Front und die zu überwindenden Schwächen während der Kämpfe nicht. Zu ihr gehören u.a.: Sturmlied des ReserveInfanterie-Regiments Nr. 203 (1916), Deutsches Matrosenlied (1916), Heute nacht geht’s nach vorn... (1916), Unsere Helden (1916), Reiterlied (1916), U‑Deutschland (1916), Marschgesang (1916), Sammelnde Trommel (1917), Soldaten (1917), Vaterlandslied (1917), Meinem achtzehnjährigen Bruder, als er Soldat wurde (1918), Vormarsch (1918), Die ohne Ruhm... (1918) und Soldatenlied (1918). Man stößt auch auf eindeutig durch die Kriegspropaganda beeinflusste Verse wie Nur dem Gewaltigen... (1917) oder Ludendorff (1918).
29 Hervorhebung von A. Hein. Alfred Hein. Gruß aus dem Felde gewidmet der besten Mutter. Eintrag vom 17. Januar 1915. (Deutsches Literaturarchiv Marbach, Kasten 1934). Dieses Büchlein bildet die von Alfred Hein während des Fronteinsatzes gefertigte Sammlung der Gedichte und Überlegungen. 30 Vgl. Alfred Hein. Zuhausmusik. Geschichten, Betrachtungen, Briefe und Gedichte. Ein Kranz der Erinnerung an den Dichter und seine oberschlesische Heimat. Hg. von Annke-Margarethe Knauer. Augsburg: Oberschlesischer Heimatverein, 1968, 100. 31 Vgl. Stefan Pioskowik. »Mit musikalischer Sensibilität durchs Leben«. Oberschlesische Stimme 27, 3. 32 Garde-Feld-Post war eine von Major Leopold von Schlözer herausgegebene Kriegszeitung. Sie erschien vom 2. September 1914 bis zum 1. November 1918 in Berlin. 33 Vgl. Garde-Feld-Post 3 (1916), 2, 08.01.1916 bis zum Jg. 5 (1918), 43, 01.11.1918. BnF Gallicia: https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k94065931/f7.item [Zugriff: 21.08.2019].
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Einen Gegenpol zu den militärischen Texten bilden u.a. Gedichte: Meine Seele (1916), Heimat (1916), Fast wie daheim (1916), Im Fesselballon (1916), Die große Stille (1917), Weihnachten im Osten (1917) und Das Ährenfeld (1918). Sie beziehen sich auf flüchtige Augenblicke, die durch Natur, Bräuche, Gemeinschaftsgefühl und Todesanwesenheit geweckt werden. Ihnen ist eine Gelassenheit eigen, die weit weg von pompösen und brutalen Aufrufen der Kriegsrhetorik liegt. In der Garde-FeldPost erschien 1917 neben den Gedichten die Gedankensammlung Die Tornisterphilosophie des Kriegsfreiwilligen Alfred Heins,34 die eine Auseinandersetzung mit der Kriegsrealität darstellt. Hein verband den Schrecken und die Ideale des Krieges miteinander und versuchte dabei eine möglichst objektive Stellung zu nehmen. Er musste zwar zugeben, dass der Krieg zerstörerisch ist, aber er glaubte zugleich, dass Menschen auch angesichts der Katastrophe gut und edel bleiben sollten. Kurz vor Kriegsende schrieb Alfred Hein an seine Freundin und zeigte hier eine stark veränderte Kriegsbeurteilung: Der Krieg beginnt nun sein fünftes Jahr. Ist es überhaupt je ganz auszudenken? Wer bräuchte eigentlich das Gift des Hasses? Warum müssen wir durch soviel Qual hindurch? Wenn man wenigstens eine sichtbare Veredelung der Seele fände. Aber die meisten sind nur noch tierischer geworden. Warum wagt niemand aus dem Friedenswunsch der Völker die Tat zu machen? Der Mammon hat doch eine furchtbare Macht.35
Diese Worte scheinen seine schärfste Kritik gegen den Krieg auszudrücken. In den ersten Nachkriegsjahren suchte Hein besonders nach den verlorenen Werten. Diese nannte er im Gedichtzyklus Der Lindenfrieden (1920) und wies auf die im Laufe der Tradition erarbeitete Lebensweisheit hin. Dabei forderte er auf, Egoismus und Hass durch eine Erneuerung des Lebens zu überwinden. In späteren Jahren revidierte Hein seine Stellung nochmals und kam zu der Überzeugung, dass die Kriegserfahrung Soldaten auch positiv beeinflussen mag. Für wertvoll hielt er die unter den Soldaten in schweren Bedingungen der Front entstandene Gemeinschaft – die Kameradschaft. Sie kommt in vielen den Ersten Weltkrieg behandelnden Werken, sowohl pazifistischer als auch militärisch gesinnter Autoren, vor und manifestiert sich in der selbstlosen Auflösung des Ichs zugunsten der Gruppe, die
34 Vgl. Alfred Hein. »Die Tornisterphilosophie des Kriegsfreiwilligen Alfred Hein«. Garde-Feld-Post 4 (1917), 48, 24.11.1917 bis zum Jg. 4 (1917), 49, 01.12.1917. BnF Gallicia: https://gallica.bnf.fr/ ark:/12148/bpt6k94066689/f2.item [Zugriff: 21.08.2019]. »Tornisterphilosophie« ist auch 1938 als Beilage zur 10. Ausgabe Heins Kriegserzählung Die Erstürmung des »Toten Manns« am 20. Mai 1916 erschienen. 35 Alfred Hein: Brief an Eva Fuhlrott vom 31. Juli 1918, Mitau (Maschinenschrift im Deutschen Literaturarchiv Marbach, Kasten 1934).
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ihren Mitgliedern gegenseitige Gleichheit, Geborgenheit und Verständnis sichert.36 Hein sah sich selbst als Botschafter der Kameradschaft an, die er zu einem der Hauptthemen seines bekanntesten Romans Eine Kompagnie Soldaten. In der Hölle von Verdun (1929) und seiner Kriegserzählung Die Erstürmung des »Toten Manns« am 20. Mai 1916 (1932) machte. Alfred Hein glaubte, dass die in seiner Generation während des Fronteinsatzes entstandene Kameradschaft ein ermutigendes Vorbild für die junge Generation beim Aufbau Nachkriegsdeutschlands werden könne. Am 22. April hielt der Autor in Eisenach den Vortrag Der Sinn der Kriegserlebnisse, den er später am Karfreitag, dem 25. März 1932, mit dem Untertitel »Mahnwort an die Jugend« in der Deutschen Welle Berlin vorlas. Nach der Sendung erreichten Alfred Hein viele Anerkennungsbriefe. In gedruckter Form sollte der Vortrag, laut Heins langjähriger Mitarbeiterin Annke-Margareteh Knauer, 1932 als Broschüre erscheinen.37 Diese Gedankensammlung stellt Heins Einstellung zu nationalen Gefühlen und Bedeutung des Ersten Weltkrieges angesichts des Anwachsens der streng politisch rechten Stimmungen in Deutschland dar. Sie gilt zugleich als Heins Wegweiser für die junge Generation. Zunächst sah sich Alfred Hein selbst als ein an der Front eingesetzter Kriegsteilnehmer berechtigt, den Krieg zu beurteilen, und bezog sich dabei auf die Kameradschaft, die in den Schützengräben entstanden war. Diese Gemeinschaft sollte für Deutsche ein Ziel sein, weil ihr Menschenliebe zugrunde liege. Hein schrieb: Nicht Menschenhaß, Menschenliebe wuchs vorn zart aus dem harten Herzen. Das ist das Frontwunder. Eine Liebe ohne Worte. Die immer alarmbereit war. Die nicht mehr zu überreden, zu überzeugen brauchte – die da war, ungeistig, ach fast unwirklich – jenseitig: ganz – einfach – da.38
Alfred Hein war der Auffassung, dass Disziplin und Parteiprogramme für die Übertragung der Kameradschaft auf Deutschland nicht genügten. Ihm zufolge sollte man die Kameraden nachahmen, die richtig vorgehen. »Sie sind da und erfüllen stumm, verbissen und bleich ihre Pflicht, sie wissen, daß Paraden und
36 Vgl. Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich, Irina Renz (Hgg.). Enzyklopädie. Erster Weltkrieg. Paderborn: Schöningh, 2009, 602–603. 37 Vgl. Annke-Margarethe Knauer. Alfred Hein. Ein Lebensbild aus der Sicht von Annke-MargaretheKnauer. Berlin 1983 (Maschinenschrift im Deutschen Literaturarchiv Marbach, Kasten 1925), 49. Unter den Materialien aus dem Zeitraum 1930–1932 (Deutsches Literaturarchiv Marbach, Kasten 1934) gibt es den Hinweis, dass der Vortrag am 2. Januar 1933 von Alfred Hein auch im Mitteldeutschen Rundfunk Leipzig vorgelesen wurde. 38 Hervorhebung von A. Hein. Alfred Hein. Der Sinn der Kriegserlebnisse. Halle an der Saale 1931 (Maschinenschrift im Deutschen Literaturarchiv Marbach, Nachlass).
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Aufrufe allein die deutsche Not nicht aus der Welt schaffen.«39 Für Hein war also das unauffällige und ausdauernde Wirken, das auf der Kameradschaft beruht, von großer Bedeutung. Er richtete zugleich an die sich für diese Ideen eintretenden Organisationen folgende Bemerkung: Ich will keine der Frontkämpferorganisationen verächtlich machen, ich weiß, daß sie alle der ehrliche Wille zur Neubelebung des Frontkameradengeistes beseelt. Aber sie haben nun einmal ihre weltanschaulichen Vorbehalte, die wir doch von der Front nicht kennen, eine Organisation der anderen gegenüber, und sie sind alle – vielleicht nur einem aufgedrängten Zwange unterliegend – in die Tagespolitik hineingeraten.40
Beim Streben nach einem besseren Vaterland entscheidet – Hein zufolge – die »Seelenhaltung eines Volkes von seinem Vorrang unter den anderen Völkern«.41 Es sind aber nicht die geistigen Gedanken gemeint, die nur zur Herrschaft des Geldes, der Wirtschaft, der Technik oder der Zivilisation beitragen. Der Mensch brauche vor allem »den Ausgleich eines gottverbundenen demütigen Suchens nach den großen Weltdingen«42 und solle dem wahrhaften Guten, das von Gott kommt, in der Selbstentwicklung zur Seelenruhe als erste Bürgerpflicht folgen. Dies wünschte Alfred Hein, der im Namen keiner Partei oder Organisation sprach. Er ermutigte alle, zuerst an sich selbst zu arbeiten.
Resümee Obwohl Max Herrmann-Neiße und Alfred Hein aus Schlesien stammten und zu einer Generation gehörten, gingen sie unterschiedliche Lebenswege. Dies kam auch später in ihren Ansichten über Krieg und Gestaltung der Nachkriegswirklichkeit deutlich zum Vorschein. Herrmann-Neiße blieb unverändert ein verbissener Gegner des Militarismus, dessen Abschaffung er in jeglicher Form einforderte. Er brauchte keine Erfahrungen an der Front zu machen, um den Krieg nüchtern als Gewaltquelle zu beurteilen. Seine Postulate scheinen jedoch zu tiefgreifend zu sein, denn eine völlige Befreiung der Sprache, geschweige denn der Wirklichkeit vom Militarismus, bleibt ein utopisches Verbesserungsprogramm. In Heins Kriegsbeurteilung spiegeln sich hingegen eine anfängliche Kriegsbegeisterung und ihre spätere Revision, die nach der Gegenüberstellung des Schriftstellers mit dem Front 39 Ebd. 40 Ebd. 41 Ebd. 42 Ebd.
Max Herrmann-Neiße und Alfred Hein
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alltag erfolgte. Er gelangte letztendlich zu einer Überzeugung, die das Elend und den Schrecken des Krieges ablehnt, aber gleichzeitig Nutzen aus dieser Erfahrung gewinnt. Hein schlug die Idee der Kameradschaft als Waffe gegen Egoismus und Geldgier vor, die zum Kriegsausbruch geführt hätten. Er glaubte, dass man durch stille und ausdauernde Opferbereitschaft zum Wohlstand der Menschen beitragen kann. Dieser Ansatz war und blieb schwer umzusetzen, weil er leicht verfehlt werden kann. Trotz vollkommen anderer Wirklichkeitsvorstellungen plädierten beide Autoren für die universelle Befreiung von alten Fehlern und ermutigten die junge Generation, in Eintracht zu wirken und eine friedliche Haltung zu entfalten.
Claudia Schwierczinski
Nach Feinden suchen Kriegspropaganda im Dritten Reich anhand ausgewählter Beispiele aus der nationalsozialistischen Presse
Die Propaganda des Dritten Reiches war aus der ideologischen Sichtweise eine der wichtigsten Hauptaktivitäten der NSDAP. Sie diente vor allem der Machtübernahme und ihrem Erhalt. Außerdem spielte die Propaganda eine bedeutsame Rolle beim Aufbau der Ideologie zur Kriegsmobilisierung. In jedem dieser Fälle bediente sie sich folgender Stichworte: Verbreitung des Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, Begriff der nationalen Gemeinschaft und Militarismus; sie verbreitete ebenfalls das nationalsozialistische Bild der Frau sowie den Persönlichkeitskult von Adolf Hilter als Diktator. Ziel der politischen Propaganda ist es, bestimmte Meinungen und Verhaltensweisen von Menschenmassen und Individuen zu formen. Propaganda setzt sich daher oftmals zum Ziel, beständige gesellschaftliche Einstellungen zu verbreiten, die die Empfänger zur erzwungenen Aufnahme bestimmter Inhalte aufrufen sollen.1 Unter dem Begriff der politischen Propaganda versteht man den bewussten emotionalen Einfluss auf die Gesellschaft, dessen Zielsetzung es ist, Einstellungen und Verhaltensweisen gemäß der politischen Interessen zu modifizieren. Am häufigsten wird dies durch das Einsetzen von Überredungskünsten und Manipulation gewonnen. Bei der Übermittlung von Informationen kommt es zu ihrer Verarbeitung und Erzwingung einer Interpretationsweise, sogar bei der Bereitstellung von wahren Informationen.2 Meistens macht man bei dieser Form von Einfluss von
1 Vgl. Anthony Pratkanis, Elliot Aronson. Wiek propagandy. Używanie i nadużywanie perswazji na co dzień. Warszawa: Wydawnictwo Naukowe PWN, 2008, 17. 2 Vgl. Henryk M. Kula. Propaganda współczesna. Toruń: Adam Marszałek, 2005, 35.
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persuasiver Kommunikation Gebrauch, die den Erwerb von einer großen Menge von Befürwortern und die Bestimmung ihrer individuellen sowie kollektiven Denkweise vereinfacht. Manipulation tritt meistens wechselweise mit Schwindelei und Betrug auf und betrifft die Beziehung zwischen dem Absender und dem Empfänger. Die intensive Entwicklung der politischen Propaganda begann parallel mit der Entwicklung der Medien und der Vielfalt der Kommunikation.3 In den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts zählte man die Presse als die wirksamste Form von Propaganda, obwohl man schrittweise versuchte, auch das Kino und Radio als Medium einzuführen. Vor allem Joseph Goebbels profitierte von diesen Medien, da er davon ausging, dass eine propagandistische Übermittlung durch Unterhaltung erzielt werden kann.4 Das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, das von Adolf Hitler am 13.03.1933 gegründet wurde, war formal verantwortlich für die Propaganda des Dritten Reiches. Es beschäftigte sich vor allem mit der Presse sowie Kultur des Dritten Reiches. Ziel der nationalsozialistischen Ideologie war das Streben nach einem gewaltigen Einfluss auf die Menschen und die öffentliche Meinung sowie nach der Übernahme der Kontrolle über die Gesellschaft. Dank Goebbels’ Strebsamkeit stieg die nationalsozialistische Propaganda zu einer neuen Waffe auf und funktionierte auf emotional-psychologischer Ebene, indem sie die ganze Menschenmasse einnahm. Goebbels war der Meinung, dass die Regierung auf eine gut betriebene Propaganda nicht verzichten dürfe, dennoch könne die Nutzung von Lügen mehr Verluste als Profit erzielen.5 Die Propaganda des Dritten Reiches stellte sich als Muster dreier von Adolf Hitler in Mein Kampf aufgestellten Thesen dar: Die Propaganda ist in Inhalt und Form auf die breite Masse anzusetzen und ihre Richtigkeit ist ausschließlich zu messen an ihrem wirksamen Erfolg. In einer Volksversammlung der breiten Schichten spricht nicht der Redner am besten, der der anwesenden Intelligenz geistig am nächsten steht, sondern derjenige, der das Herz der Masse erobert.6
An diese Devise anlehnend stellte man in Hitlers Reich vier Strategien der Durchführung der Propaganda auf. Die erste Strategie war die politische Rhetorik, bei der die Wortwahl und deren Benutzung verändert werden sollte. Begriffe, die einen negativen Ausklang hatten, gewannen an positivem Klang und umgekehrt. Diese Maßnahme benutzte man vor allem im Kampf gegen politische Gegner sowie 3 Ebd. 4 Vgl. ebd., 39. 5 Joseph Goebbels. Rede im Sportpalast, 18.02.1943 [https://www.1000dokumente.de/index.html?c= dokument_de&dokument=0200_goe&object=translation&l=de]. 6 Vgl. Adolf Hitler. Mein Kampf. München: Franz Eher Nachfolger, 1933, 237.
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Juden, indem man sie als Betrüger und Kriminelle darstellte. Das beabsichtigte Ziel dieser Strategie war, eine Abneigung der Gesellschaft gegenüber den Gegnern herzustellen und die Bedrohung und die mit ihr verbundenen Schäden herauszufiltern.7 Der Führerkult Adolf Hitlers war die zweite Strategie der nationalsozialistischen, kriegsorientierten Propaganda. Ihr Prinzip war einfach gehalten, dafür umso wirksamer: es ging hierbei um die Verschönerung des »Führers« und den Gewinn an Vertrauen des Volkes in seine Kompetenzen sowie Hitlers Posten als Anführer des Volkes. Es wurde oft der Slogan wiederholt, der sich nach einiger Zeit zur unstrittigen Wahrheit entfaltete: Wenn der Führer befiehlt, dann gehorchen wir. Dann darf niemand innerlich Bedingungen haben. Niemand darf fragen, hat der Führer recht und ist in Ordnung, was er sagt? Denn noch einmal: was der Führer sagt, ist stets richtig.8
Das Volk sah in dem Führer die Verkörperung des Vaters und empfand gleichzeitig Angst mit Bewunderung. Außerdem versuchte man ihn als Menschen darzustellen, der ebenfalls Gefühle zeigt, normal, aber auch modern leben kann.9 Die nächste Strategie war der Massenkult, den man durch Rituale und die Sakralisierung des Handelns erreicht hat. Die Bildung dieses Kultes war der Vielfalt an Organisationen zu verdanken, beispielsweise der Hitlerjugend, die zu dem Bedürfnis nach Identität mit der neuen Partei beitragen und die Partei ihre Fähigkeiten in Sachen Massenbeeinflussung ausüben lassen sollten.10 Als letzte Strategie der Goebbels’schen Propaganda bezeichnete man das Versprechen von Wohlfahrt und Konsum, sprich Instrumente, die erfolgreich zur Beeinflussung des Volkes genutzt wurden. Zudem wendete man diese Strategie an, um die Menschen mit jüdischem Eigentum, Kleidungsstücken und durch Raub und Zwangsabschiebungen ergatterte Wohnungen zu bestechen. Es kam ebenfalls zur Finanzierung von Erholungsurlaub, welche durch das Programm »Kraft durch Freude« ermöglicht wurde.11 Hierbei muss betont werden, dass die erste Strategie der Propaganda die geeignetste zur Benutzung der Medien war. Durch das Potential der Sprache betrieb man gleichzeitig den individuellen Kult sowie den Massenkult. Die Sprache erwies sich als hervorragendes Werkzeug zur Stimulation von Bestrebungen der 7 Vgl. Lutz Winckler. Studie zur gesellschaftlichen Funktion faschistischer Sprache. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1970, 22f. 8 Zit. nach Léon Poliakov, Joseph Wulf. Das Dritte Reich und seine Denker. Berlin: arani, 1959, 19. 9 Vgl. Heinrich Hoffmann. Hitler was my friend. The memoirs of Hitler’s photographer. Bernsley: RM, 2014, 12f. 10 Vgl. Heinz W. Guderian. Wspomnienia żołnierza. Warszawa: Bellona, 2003, 55f. 11 Vgl. Pierre Dessuant. Narcyzm. Przegląd koncepcji psychoanalitycznych. Sopot: Gdańskie Wydawnictwo Psychologiczne, 2007, 74f.
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Konsumgesellschaft, gerade da sie auf dem Weg der Genesung aus einer ernsthaften Wirtschaftskrise war.
Der Weg zur Vernichtung freier Presse Die Realisierung der Ziele der NSDAP wäre ohne die Nutzung des Potentials der Medien kaum vorstellbar. Zur populärsten und günstigsten Informationsquelle des Dritten Reiches zählte man vor allem die Presse. Gründe für die Popularität der Tageszeitungen waren die entsprechend günstigen Preise sowie ihre Zugänglichkeit. Zeitungen imponierten mit ihrer Vielfalt an Themen; jeder Leser fand etwas Interessantes für sich, was in anderen Medien, beispielsweise in Filmen oder im Radio, gefehlt hat.12 Damit die Presse auf angemessenem Wege ihre Ziele verwirklichen konnte, musste sie vereinheitlicht werden. Die Standardisierung setzte eine Beseitigung aller Elemente, die als unbekannt oder bekannt nur für eine Region gehalten wurden, voraus. Die Gleichschaltung verlief auf drei Ebenen. Zuerst ging man im rechtlich-institutionellen Bereich vor und führte die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat ein, welche am 28. Februar 1933 in Kraft getreten ist und ab 1. Januar 1934 das neue Schriftleitergesetz bestimmt hat. Anschließend wollte man ungünstige Presseorgane beseitigen, indem man sie für bankrott erklärte oder übernahm. Als gutes Beispiel dient hier das am 26. März 1933 in Kraft getretene Gesetz über die Einziehung kommunistischen Vermögens, was sich mit der wirtschaftlichen Ebene überschneidet. Als krönenden Abschluss sah man die inhaltliche Ebene, bei der Presseorgane sachlich auf ihre Funktionalität überprüft wurden. Am 13. März wurde das Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda gegründet, und am 1. Januar 1934 wurden das Wollfsche Telegraphische Bureau (W.T.B.) und die Telegraphen-Union (TU) zwanghaft miteinander verbunden. Diesem Bündnis wurde der Name »Deutsches Nachrichtenbüro GmbH« verliehen.13 Das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda war das Hauptorgan der Presse. Journalisten mussten sich an von ihm errichtete Anweisungen halten. Jegliche Informationen wurden von der Zentrale an das Deutsche Nachrichtenbüro und von dort aus den Verlegern oder Redakteuren der Zeitung weitergeleitet. Große, finanziell unabhängige Zeitungen, die die Möglichkeit hatten, ihr Pressematerial eigenhändig zu erwerben, waren zur Teilnahme an Pressekonferenzen der Reichsregierung verpflichtet. Auf diesem Wege erhielten auch große Unternehmen Anordnungen vom Reichsministerium für Volksaufklärung und 12 Vgl. Joseph Wulf. Presse und Funk im Dritten Reich. Berlin: Rowohlt Verlag, 1983, 25f. 13 Vgl. ebd.
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Propaganda und somit trafen nationalsozialistische Informationen nach jeglichen Umänderungen ihre Zielgruppe, nämlich Journalisten. Alle mussten sich den aus dem Reichsministerium fließenden Anordnungen anpassen. Im Falle von Ungehorsam und Widerstand erfolgten strenge Maßnahmen, z.B. Berufsverbot, Ausschließung aus der Partei und im schlimmsten Fall ein Aufenthalt im Konzentrationslager. Die Reichspressekammer kontrollierte den Inhalt der Zeitungen nach ihrer Ausgabe. Bei der Feststellung einer Gefahr für die nationalsozialistische Ideologie erteilte die Kammer ein befristetes oder gar totales Veröffentlichungsverbot. Konfiskationen wurden meist durch die Sturmabteilung der NSDAP, die Gewalt missbrauchten und oftmals Journalisten beängstigten, befohlen.14 Die Propaganda war im Kriege ein Mittel zum Zweck, dieser aber war der Kampf um das Dasein des deutschen Volkes, und somit konnte die Propaganda auch nur von den hierfür gültigen Grundsätzen aus betrachtet werden. Die grausamsten Waffen waren dann human, wenn sie den schnelleren Sieg bedingten, und schön waren nur die Methoden allein, die der Nation die Würde der Freiheit sichern halfen. Dies war die einzig mögliche Stellung in einem solchen Kampf auf Leben und Tod zur Frage der Kriegspropaganda.15
Kriegspropaganda in der Presse Als gutes Beispiel der Eingriffe der nationalsozialistischen Presse im Rahmen der ersten propagandistischen Strategie (politische Rhetorik) diente die Kriegspropaganda. Der Presse wurde als Ziel gesetzt, dem Volk und dem Ausland zu zeigen, dass die Partei und der Führer Frieden und politischen Kompromiss anstreben. Die NSDAP wurde in der Presse als Vertreter des guten Willens dargestellt; Zeitungen sollten den Anschein pflegen, dass Aufrüstungen und Vorbereitungen auf den Krieg nichts Anderes als ein Handeln zum Schutz und zur Stabilisierung Deutschlands seien. Die »Friedenspropaganda« entwickelte sich in den Vorbereitungen auf den anstehenden Krieg zur Kriegspropaganda und endete im Jahr 1939. Zu dem ersten attackierten Land durch das Dritte Reich zählte man Polen, der Überfall im September 1939 wurde nämlich militärisch und psychologisch überdacht geplant. Diesen Überfall leitete eine Kampagne ein, um jegliche Furcht vor diesem Land zu leugnen und die Andeutung zu verbreiten, dass Deutschland von Ländern umgeben ist, die nach deutschen Medien von Juden regiert wurden. Ziel dieser Propaganda war es, eine Atmosphäre aufzubauen, dass sich das ruhige Deutschland von den gierigen Nachbarn isolierte. Diese Ansicht stand als Kontrast 14 Vgl. ebd., 30. 15 Hitler, Mein Kampf, 132.
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zur im Jahr 1914 gerichteten Kriegspropaganda, bei der man auf Euphorie und Begeisterung zum Krieg setzte.16 Der Völkische Beobachter war vom Dezember 1920 bis zum 30. April 1945 das Presseorgan der NSDAP. Im Gegensatz zu Zeitungen mit linkem, liberalem, aber auch konservativem Profil erschien der Völkische Beobachter als ein Schlachtfeld. Sein Programm konzentrierte sich eher auf den Wahlkampf, anstatt Informationen präsent zu geben. Seine Schlagzeilen sprachen für sich; sie waren sehr relevant und schützten vor allem die Führung der NSDAP. Die Titelblätter sollten den Lesern zeigen, dass das Volk als Gesamtheit angesehen wurde, die Mitspracherecht besaß und vor welcher die Anführer keine Geheimnisse hatten. Vor allem aber wollten die Nationalsozialisten den Staatsbürgern die Unschuld Deutschlands beweisen und eine Vision erstellen, die Nachbarsländer wären aggressiv und würden nach Krieg streben. Um das Volk in der Überzeugung zu bestärken, dass Regierung und Menschen eine Einheit bilden sollten, emittierte der Völkische Beobachter die Schlagzeile »Ein Volk, Ein Reich, Ein Führer!« mit dem Untertitel »Rundfunkpropaganda um das Dritte Reich«. Das Handeln der Regierung sollte eine Situation verhindern, bei der das Volk die Aufrichtigkeit seines Oberhaupts in Frage stellt.17 Es wurde oftmals unterstrichen, dass das Volk Mitspracherecht bei jeglichen Entscheidungen hat. Schlagzeilen wie »Ein historischer Tag: Wir sind Führer«,18 »Wir werden einen Staat aufbauen, zu dem man sich mit Stolz bekennen wird«19 oder »Volksentscheid für den totalen Krieg«20 sollten das Vertrauen zum Reich aufbauen. Die deutsche Sichtweise auf den Krieg wurde verbreitet. Schlagzeilen wie »Das Maß ist voll!«,21 »Der rächende Gegenschlag: Vom Feinde herausgefordert«22 oder »Jetzt wird rücksichtslos durchgegriffen«23 bestärkten das Volk in der Überzeugung, dass der Krieg von Nöten sei. Man hat den Eindruck, dass das Handeln der Nachbarsländer Deutschland zu der Entscheidung zwingt, einen Krieg zu beginnen. Die Aufgabe der Presse war es, dem Volk zu zeigen, dass Deutschland den Krieg nur dann beginnt, wenn ein Nachbarland einen triftigen Grund initiiert. Beispielhafte Schlagzeilen waren »Ganz Polen in Kriegsfieber«,24
16 Vgl. Peter Longerich. Propagandisten im Krieg. München: Oldenbourg 1987, 302f. 17 Vgl. Alfred Rosenberg. Völkischer Beobachter. Berlin: Franz Eher Nachfolger, 1939, 1. 18 Vgl. ebd., 1933, 1. 19 Vgl. ebd., 1939, 1. 20 Vgl. ebd., 1943, 1. 21 Vgl. ebd., 1933, 1. 22 Vgl. ebd., 1944, 1. 23 Vgl. ebd., 1933, 1. 24 Vgl. ebd., 1939, 1.
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»Deutsche Offensive im Westen. Der Gegenschlag«25 oder »Der Schwur der Nation: Das Reich des Führers lassen wir uns nie mehr rauben«.26 Die Kriegspropaganda bildete den Auftakt der Verbreitung von rassistischen Mottos. Als Zielscheibe sah man vor allem die Juden an. Man erstellte eine Reihe von Regeln auf, die keinen arischen, sondern semitistischen Charakter trugen. Eine bedeutsame Rolle spielte die Abstammung; das Blut war das wichtigste Kriterium bei der Unterscheidung zwischen einem Juden und einem Arier. Das deutsche Volk wurde ab dem Jahr 1935 zwischen wahrhaftigen Staatsbürgern des Dritten Reiches und Juden unterschieden und gleichzeitig voneinander getrennt, was zu einem Zusammenstoß der NSDAP mit der Wehrmacht führte. Das Militärwesen besagte, dass gesunde und kämpferische Rekruten von Wichtigkeit seien und nicht Rassenkriterien, die die Partei skrupellos verfolgte. Als Effekt dieser Reibungen war die Antwort auf die Frage, wen man angesichts des antisemitistischen Regimes als Juden klassifizieren kann. Der nationalsozialistische Politiker Hermann Göring beantwortete eindeutig die Frage, dass er darüber entscheidet, wer ein Jude sei.27 Nach der Machtübernahme Hitlers im Jahr 1933 war die Presse zwanghaft antisemitistischen Trends unterlegen, um funktionieren zu können. Somit hat sich das vorher liberal fungierende Berliner Tageblatt an die Anforderungen des Systems angepasst und antisemitische Informationen publiziert. Joseph Goebbels versprach dem Chefredakteur des Berliner Tageblattes, Paul Scheffer, größeren Freiraum als anderen Verlegern. Der starke Antisemitismus der Zeitung reichte aus, um das deutsche Volk von ihrer Überlegenheit Juden gegenüber zu überzeugen. Die Zeitung Schwarze Korps, die mit Slogans, die intensiv das semitische Milieu attackierten, gewann ebenfalls an Erfolg. Ihre Auflage vergrößerte sich mit der Zeit und somit gewann sie mit 750.000 verkauften Exemplaren den zweiten Verkaufsplatz im Jahre 1944.28 Sie wurde zum hetzerischen Organ gegen die Juden. Nach der Reichskristallnacht im Jahr 1938 erschienen Slogans wie »Juden, was nun?«,29 die man nicht nur an die deutschen Juden adressierte, sondern als Warnung an 25 Vgl. ebd. 26 Vgl. ebd., 1944, 1. 27 Adolf Hitler begründete seinen Hass gegenüber Juden in seinem Werk Mein Kampf folgendermaßen: »Greilich daran, daß es sich hier nicht um Deutsche einer besonderen Konfession handelte, sondern um ein Volk für sich, konnte auch ich nicht mehr gut zweifeln; denn seit ich mich mit der Frage zu beschäftigen begonnen hatte, auf den Juden erst einmal aufmerksam wurde, erschien mir Wien in einem anderen Lichte als vorher. Wo immer ich ging, sah ich nun Juden, und je mehr ich sah, umso schärfer sonderten sie sich für das Auge von den anderen Menschen ab. Besonders die innere Stadt und die Bezirke nördlich des Donaukanals wimmelten von einem Volke, das schon äußerlich eine Ähnlichkeit mit dem deutschen nicht mehr besaß. (Hitler, Mein Kampf, 10f.). Vgl. Johannes Schmitz, Norbert Frei. Journalismus im Dritten Reich. München: C.H.Beck Paperback, 1999, 102. 28 Vgl. Christian Kositza. Das Schwarze Korps. Die Zeitung der Schutzstaffeln der NSDAP. Organ der Reichsführung SS über den Judeozid. Norderstedt: Books on Demand, 2013, 34. 29 Vgl. Das Schwarze Korps, Nr. 47, 1968.
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die Einwohner von Nachbarländern. Deutschland wurde dabei im guten Licht dargestellt, die Nachbarländer jedoch im Gegenteil; man versuchte mit der Sprache dem Volk zu vermitteln, dass bei solchen Nachbarn der Krieg von Nöten sei. In diesem Kontext wunderte der Titel »Sag ja zum Krieg!«30 nicht. Die propagandistischen Eingriffe wären ohne angemessene Sprache nicht möglich gewesen. Die Nationalsozialisten entwickelten eine Standardsprache mit Schlüsselwörtern und Slogans, die vom Volk benutzt werden sollte. Auf diese Art und Weise haben sie bei den Empfängern für Misstrauen der Meinung und Kontraargumenten der Opposition gesorgt und ihre Thesen als die einzig Wahren dargestellt.31 Im Vergleich zu Duden-Ausgaben vor dem Jahr 1933 waren die vom Jahr 1934 und 1941 von stark rassistischem Wortschatz geprägt. Dazu gehörten Wörter wie »Rassenschande«, »Volljude«, »Volksschädling«, »Volksgenosse« und viele weitere.32 Das Wochenblatt Der Stürmer, das ebenfalls von radikalem Gebrauch der Sprache geprägt war, übte sprachliche Gewalt aus; Feinde wurden auf rassistische Art und Weise gedemütigt, Juden hat man durch stark ausfallende Worte attackiert. Dies diente natürlich ebenfalls zur Beschönigung des Krieges und sollte dem Volk zeigen, dass dieser von Nöten war. Es fielen Schlagzeilen wie »Der tote Jude«, »Die Fratze des Bösen«, »Der Jude ist unser Unglück«, gar »Jüdischer Mordplan«. Die Presse versuchte, dem Volk etwas zu zeigen, was sie als die Wahrheit bezeichneten. In der Ausgabe vom Jahr 1940 erschien eine stark aggressiv bedingte Schlagzeile: »Vom Juden beherrscht. Der Todeskampf der Blutokratie.« Darunter war eine Karikatur eines gut genährten Juden zu erkennen. In jeder Karikatur des Stürmers war der Jude als ein Monster zu sehen. Man kann daraus schließen, dass der wöchentliche Stürmer als Aufgabe hatte, den Leser mit seinen Texten so zu provozieren, dass eine Art Hass auf das Judentum entstand. Weshalb die Juden so gezeigt wurden, war für die Nationalsozialisten ganz klar: Zur Zeit des Dritten Reiches wurden sie als Hauptschuldige für den Krieg bezeichnet, was auch aus der Schlagzeile aus dem Jahr 1944 herauszufiltern ist: »Die jüdische Kriegsschuld«. Sie wurden als Saboteure dargestellt, die sich gut unter ihrer wahrhaftigen Fassade verstecken konnten.33 Als nächsten Feind attackierte man konkret Polen. Adolf Hitler präsentierte seine Abneigung gegenüber Polen in seiner vor der Armee gehaltenen Rede vom 23. März 1939, in der er sich auch über die politische Situation von Danzig äußerte. Um seine Meinung zu vervielfachen, versuchte die Presse das Volk davon zu überzeugen, dass Danzig wegen seiner großen Anzahl der dort lebenden deutschen Minderheit, die ins Dritte Reich zurückkehren möchte, Deutschland angehören sollte. In einer anderen Rede versuchte Hitler zu erklären, dass es sich nicht um 30 Vgl. ebd., Nr. 27, März 1944. 31 Vgl. Victor Klemperer. LTI. Notatnik filologa. Warszawa: Aletheia 2014, 21. 32 Vgl. Schmitz/Frei, Journalismus im Dritten Reich, 111. 33 Vgl. Julius Streicher. Der Stürmer. Nürnberg: Stürmer Verlag, 1930–1944, 1.
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»Danzig als ein Objekt« handelte, sondern eher um die Vergrößerung des Lebensraums des Dritten Reiches. Um die Legitimierung dieser Äußerung zu bestärken, sollten alle Medien die rassistische Ideologie Hitlers fördern.34 Auch dies war ein Auslöser für das Anfechten eines Krieges, weshalb auch hierbei Kriegspropaganda geführt wurde. In allen nationalsozialistischen Zeitungen tauchten erfundene Informationen über brutal misshandelte, in Polen lebende Deutsche auf. Der Hauptgrund für die gegen Polen geführte Propaganda war die Behauptung, dass Polen einen Expansionskrieg gegen Deutschland plant. Aus diesem Grund redete man dem deutschen Volk ein, dass ein Angriff auf Polen unentbehrlich sei. Der Presse und den Journalisten verbot man, das Wort »Krieg« in Bezug auf Polen zu benutzen, da der Angriff nur als Abwehr angesehen werden sollte. Es erschienen Schlagzeilen über jene Polen in der Presse, die nach einer Separation strebten. Sie besagten, dass sich die deutsche Nation selbstsicher gegenüber Polen präsentieren und keine Bedenken zeigen sollte, dass sie Herrscher im eigenen Land sei.35 Die Presse gab England die Schuld für das Handeln gegen Deutschland. England wurde in der Presse als größter Feind Deutschlands dargestellt, der Polen zu steuern versuchte. England bezeichnete man als »Kriegstreiber«, Polen als »Nachtpiraten«.36 Auch in diesem Fall hat das Organ des Nationalsozialismus die Nachbarsländer mit Schlagzeilen wie »Antwort an die Hetzer in London und Paris. Schluss mit der Moralheuchelei!«37 geprägt. Die NSDAP attackierte ebenfalls andere Länder, die als verdächtig oder feindlich galten. Die nazistische Presse zeigte den charakteristischen Bewohner der UdSSR als unzivilisiertes, primitives und grässliches Monster. Die Presse sollte Russland so darstellen, als würde es alles für die Realisierung seiner Ziele tun, und auf diese Weise wurde die Notwendigkeit eines Angriffs auf die Sowjetunion begründet. Der nächste Schritt war der Versuch, das Mitleid der Soldaten mit den feindlichen Völkern zu tilgen. Man redete ihnen mit Hilfe von Massenmedien ein, dass es einfacher wäre, bolschewistische und sowjetische »Viecher« zu töten als jemanden aus der eigenen, deutschen Armee. Der Heldentum der Soldaten wurde in der Presse oft gepriesen: »Sie starben, damit Deutschland lebe«.38
34 Vgl. Adolf Hitler. www.polskieradio.pl/39/156/Artykul/724251,Gdansk-miasto-potrzebne-Hitlerowi [10.02.2019, 21:05]. 35 Vgl. Jochen August. »Erinnern an Deutschland. Berichte polnischer Zwangsarbeiter«. Ders. (Hg.). Herrenmensch und Arbeitsvölker. Ausländische Arbeiter und Deutsche 1939–1945. Berlin: Rotbuch, 1986, 109–130. 36 Vgl. Wulf, Presse und Funk, 77. 37 Vgl. Völkischer Beobachter. Berlin 1939, 1. 38 Vgl. ebd., 1943, 1.
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Zusammenfassung Die Analyse der ausgewählten Schlagzeilen aus den führenden Presseorganen des Dritten Reiches, dem Völkischen Beobachter und dem Stürmer, soll die Effektivität der Propaganda der NSDAP darstellen. Vom Zeitpunkt der Machtübernahme bis hin zum Krieg blieben die Strategien der Propaganda unverändert. Die Propaganda der NSDAP versuchte vor allem, den Feind im falschen Licht zu zeigen und ihm die Schuld am Krieg zu geben zu können. Bemerkenswert ist ebenfalls die systematische Vorgehensweise der Wahl des Feindes, um den Hass des Volkes auf andere Länder zu stärken und dem Volk die sich annähernde Bedrohung zu zeigen. Somit wurde der Krieg als Notwendigkeit, etwas Gutes, dass seitens der Nachbarsländer angezettelt wurde, dargestellt. Dies sollte die Partei, das Dritte Reich und den Führer stärken, da sie als Beschützer des Volkes angesehen werden sollten. Dank dieser Argumente gewann die Nation an Status des Opfers, das bereit dazu war, für sein Land zu kämpfen. Bewusst wurden Massenmedien und deren Sprache von der NSDAP verwendet, um das Volk zu dem Denken eines höheren Wertes zu verleiten. Eine Analyse des Dritten Reiches ermöglicht eine Sichtweise auf seinen Mechanismus und das Verständnis der durch die NSDAP auserwählten Sprache. Die Verherrlichung der Regierung brachte das Volk dazu, die Schuld bei anderen zu suchen und den Krieg zu befürworten. Die Schlagzeilen weisen eine starke, bedrohliche, verletzende und attackierende Sprache auf, die die Menschen jedoch angesprochen hat. Eine komplexere Analyse von Artikeln und Schlagzeilen liegt jedoch heutzutage immer noch nicht vor und bildet ein Desiderat für künftige Forschungsarbeiten.
Ursula Meyer
Mara Heinze-Hoferichter Friedel Starmatz – (k)ein Kriegsroman und seine Rezeption
Im Verlag Ensslin & Laiblin, Reutlingen, erscheint 1928 Mara Heinze-Hoferichters Buch Friedel Starmatz. Der Titel trägt den Zusatz »Roman eines Kindes« und die Ergänzung »Geschrieben für die Jugend und alle, die Kinder liebhaben«. Das Buch hat somit eine Mehrfachadressierung, wendet sich ausdrücklich sowohl an Jugendliche als auch Erwachsene als potentielle Leser. Mara Heinze-Hoferichter (geb. Emma Luise Margarete Hoferichter, 1887–1958) war Mitarbeiterin verschiedener Zeitungen, wie zum Beispiel des Berliner Lokalanzeigers, und Verfasserin einiger durchaus erfolgreicher Märchen, Erzählungen, Romane, die dem Unterhaltungsgenre zuzuordnen sind. Ihr Debütbuch Friedel Starmatz wurde ein großer, ihr größter Erfolg, ein Bestseller, der bis 1962 immer wieder neu aufgelegt wurde und eine Auflage von ca. 250.000 Exemplaren erreichte.1
1 Erstausgabe: Mara Heinze-Hoferichter. Friedel Starmatz. Reutlingen: Ensslin & Laiblin KG Verlag [1928]. Ill. Karl Mühlmeister. Die Angaben zum Datum der Erstausgabe sind unterschiedlich. Als frühstes Jahr ist 1926 verzeichnet. Ich beziehe mich mit der obigen Angabe auf den Eintrag in Aiga Klotz. Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland 1840–1950. Band 2. Stuttgart: Metzler 1992. Die Ausführungen und alle Seitenzahlen in diesem Artikel beziehen sich auf die Ausgabe: Mara Heinze-Hoferichter. Friedel Starmatz. Reutlingen: Ensslin & Laiblin, 1952; [188.–196. Tsd.]. Textzeichnungen K. Mühlmeister. Ich widme diesen Artikel meinem am 25. März 2018 verstorbenen Mann Dr. Horst Meyer, in dessen Sammlung seiner Jugendbücher sich das oben genannte Exemplar befindet. Mein Mann (Jahrgang 1940) hat die Bücher, die er zwischen 1950 und 1955 bzw. im Alter von zehn bis fünfzehn Jahren geschenkt bekommen, selbst gekauft und gelesen hat, sorgfältig nummeriert, teilweise mit seinem Namen und Datum versehen und Zeit seines Lebens aufbewahrt. Von ungefähr siebzig Büchern sind fünfunddreißig erhalten. Friedel Starmatz ist Buch Nr. 50 und wurde ihm von seiner Mutter geschenkt. (Handschriftlicher Eintrag: »Gewidmet von deiner lieben Mutti«.) Mein Mann verlor
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Ursula Meyer
Abb. 1: Cover der Ausgabe Reutlingen: Ensslin und Laiblin [1952].
Das Buch Friedel Starmatz begeisterte und beeindruckte viele Leser. Im persönlichen Gespräch wie auch im Internet stößt man immer wieder auf Leser, die sich an das Buch erinnern, ihre Leseerfahrungen auf dieses Buch beziehen, wie z. B. die 1942 geborene Autorin von Kriminalromanen, Bärbel Rädisch. »Als Kind las ich den Roman Friedel Starmatz von Mara Heinze Hoferichter. Unglaublich kitschig, aber er hat in mir das Interesse an Literatur geweckt«.2 Eine 1925 geborene Zeitzeugin berichtet: Im Deutschunterricht der Quarta eines Mädchenlyzeums stellte eine Mitschülerin zu dem Aufsatzthema »Mein Lieblingsbuch« das Buch von Hoferichter vor, und sie selbst dachte beim Vorlesen der Arbeit, dass auch sie dieses Buch hätte wählen können. Alle Schülerinnen der Klasse lasen das Buch. Unsere Zeitzeugin berichtet noch, dass eine andere Mitschülerin ihrer Tochter später den Vornamen Silke nach einer der Figuren in dem Buch gegeben habe. Heute gibt es in Berlin in der Bölschestraße 120 ein Kindermodengeschäft mit dem Firmennamen »Friedel Starmatz«. Auf der Homepage des Unternehmens wird auf den Ursprung des Namens hingewiesen, allerdings ohne Nennung der Autorin. Die Inhaberin des Geschäfts schreibt in einer E-Mail:
seinen Vater, als er sieben Jahre alt war. Die Frage, ob seine Mutter ihm das Buch auch aufgrund dieses persönlichen Bezugs geschenkt hat, muss unbeantwortet bleiben. 2 www.weser-kurier.de/region_artikel,-Ein-Krimi-ohne-Mord-und-Totschlag-_arid,280950.html.11. [Mai 2019].
Mara Heinze-Hoferichter. Friedel Starmatz
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Das Buch gehörte bei uns zu den ›Erbstücken‹ der vorangehenden Generation, und ich habe es als Kind so oft gelesen, dass mir heute (unser Familien-Exemplar ist verschollen, aber ich habe ein anderes über Amazon beziehen können) ganze Sätze wieder einfallen.
Obwohl das Buch bei Wikipedia als »Longseller« bezeichnet wird, ist festzuhalten, dass der auf das Lesepublikum bezogene Erfolg des Buchs, seine Beliebtheit, auf ein Zeitfenster von ungefähr drei Jahrzehnten beschränkt ist. Heutige Jugendliche lesen das Buch wohl kaum. In Stadtbibliotheken ist es nicht mehr vorhanden, und Ausgaben sind nur noch antiquarisch erhältlich. Die Handlung des Buchs erstreckt sich über einen Zeitraum von zehn Jahren von 1914 bis 1924, wobei dies aus dem Zusammenhang zu erschließen ist. Der Friedel Starmatz genannte Junge wächst wohlbehütet in einer gebildeten, in gewissem Wohlstand lebenden Familie in Osterburg/Ostpreußen auf. Seinen richtigen Namen und die Stadt, in der seine Eltern leben, kennt er nicht, und seine Herkunft bleibt bis zur Auflösung am Schluss unbekannt und geheimnisvoll. Zu Beginn der Handlung ist er sechs Jahre alt. Die Mutter ist abwesend, weil sie den verwundeten Ehemann im Lazarett besucht. Als der Ort aufgrund der Kampfhandlungen evakuiert wird, bleibt der Junge, bedingt durch unglückliche Umstände, allein zurück und macht sich auf den Weg, seine Mutter zu suchen. Auf abenteuerliche Weise kommt er in das »Geestland«, wo ihn die Familie Grönwold – die Eltern Peter und Ingrid, die Kinder Ingo, Silke und Wittich (später wird noch das Mädchen Christa Maja geboren) – aufnimmt und ihm ein liebevolles Zuhause gibt. Erst nach zehn Jahren finden der nun sechzehn Jahre alte Junge, dessen richtiger Name Winfried Amelungen ist, und seine Eltern Karin und Ulf Amelungen wieder zusammen. Bis auf die letzten vierzig von 250 Seiten spielt die Handlung vor dem Hintergrund des Weltkrieges; der letzte Teil wird von den mittelbaren und unmittelbaren Folgen des Krieges bestimmt. Der Krieg ist zwar immer präsent, bleibt aber letztendlich schemenhaft im Hintergrund. Mit wenigen Sätzen wird die Evakuierung skizzenhaft am Anfang des Buchs beschrieben: Menschen kamen mit schweren Bündeln, mit Taschen und Koffern, Kisten und Kasten. Kinder weinten, Hunde heulten. Alle waren in Angst und stummem Entsetzen und hasteten vorüber, so schnell ihre Bürde es nur zuließ. (10)
Historisch konkrete räumliche und zeitliche Zuordnungen zum Verlauf des Krieges, Hinweise auf bestimmte Kampfhandlungen gibt es in dem Buch nicht. Auf
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die Westfront wird lapidar mit einem Satz hingewiesen: »Vier Offiziere waren auf dem Weg zum Kriegsschauplatz im Westen«. (18) Die Männer sind »im Feld«, werden zeitweilig als vermisst gemeldet oder erleiden Verwundungen, von denen sich die Personen in diesem Buch erholen. Peter Grönwold schreibt in seinem Feldpostbrief nicht über den Krieg; während seines Heimaturlaubs ist der Krieg nie Gegenstand des Gesprächs. »Von seinem Erleben erzählte Peter Grönwold nichts. Er dachte nur, wie köstlich es sei, daheim zu sein und von Schrecken und Grauen auszuruhen«. (120f.) Wieder und wieder wird festgehalten, dass »immer noch« Krieg herrscht. (181, 204) Der Junge weiß, dass sein Vater »im Kriege« ist, (36) und erinnert sich, wie er und seine Mutter geweint hatten »um Vater, der in den Krieg mußte.« (69) Die Freude über das Ende des Krieges und die Rückkehr Peter Grönwolds mischt sich mit der Traurigkeit des Jungen, der nicht mehr hoffen kann, dass seine Eltern noch am Leben sind. Das war ein Leben, das nun durch die bunten Räume flutete! – Für ein wundes Herz, wie Träumerlein es immer noch in sich trug, fast zu laut. Nun war der Krieg beendet; auch Käthes Bruder war gesund heimgekehrt, aber Vater und Mutter meldeten sich nicht. (215)
Es gibt keine Kriegsverherrlichung, keine Feindbilder, keinen Bericht über »Heldentaten«, aber auch keine kriegskritische oder gar pazifistische Annäherung. Der Krieg wird als Schicksal hingenommen. Ingrid Grönwold vermisst ihren Mann in ihrem Heim, »wo sie so glücklich miteinander gewesen, bis der Krieg sie trennte«, kommt aber zu der Einsicht: »Aber jeder hatte Opfer zu bringen« (44) – der einzige Anflug von Patriotismus in diesem Buch. Der Krieg wird mythisch überhöht mit floskelhaften Formulierungen wie »das Kriegsgespenst mit seinen Schrecken«, »der Kriegssturm raste noch immer über die Welt« (101), »während die ganze Welt in Flammen stand«. (81) Das Alltagsleben der Grönwolds wie auch das der auf dem benachbarten Schloss Linden lebenden Menschen bleibt davon gänzlich unberührt. Es gibt nur den knappen Hinweis, dass die Grönwolds den Jungen gern aufnehmen, obwohl sie wegen des Krieges »nur das Nötigste zum Leben« haben. (39) In zwei ausführlicheren Passagen wird die Katastrophe dieses Krieges subsumiert. Als Peter Grönwold zurück an die Front muss, kommentiert der auktoriale Erzähler: Und gut war es, daß kein Schicksalsspiegel ihm die Zukunft enthüllte, sonst wäre es wohl kaum zu ertragen gewesen! Denn Jahre sollten vergehen, Jahre unendlichen Leides, mit allem Furchtbaren, das ein Krieg nur bringen kann, mit Wunden und Schmerzen, Krankheit und bitterer Seelenqual, ehe
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er wieder heimkehren durfte zu seinen Lieben und zu neuem friedlichem Schaffen. (205)
Eine andere Passage nimmt Ingrid Grönwolds Perspektive ein: Ihr schien das Leiden der Welt so unermeßlich, daß ihre starke Seele in Grauen erbebte. Wie hätte sie die Seelen der Kinder aus ihrer Unschuld reißen können und ihre Herzen belasten mit dem Unfaßbaren, das Söhne von Müttern den Söhnen anderer Mütter im grausigen Schlachtenringen antaten! Mußte der Gifthauch des Völkerhasses nicht Herz und Seele der Arglosen zerstören, die noch nicht reif und stark genug sein konnten, das furchtbare Geschehen zu begreifen? (81)
Ingrid Grönwold möchte die Kinder vor seelischen Verletzungen bewahren, indem sie sie im »Paradiese ihrer Kindheit«, (81) in ihrem Haus – »Märchenhaus« genannt – fern von jeglichem Wissen um den Horror des Krieges belässt. Mara Heinze-Hoferichters Buch hingegen setzt sich gerade mit dem durch den Krieg hervorgerufenen Leid auseinander. Es greift das durch den (verlorenen) Krieg verursachte kollektive Trauma der Menschen auf, stillt ihr Bedürfnis nach Geborgenheit und heiler Welt. (so durchaus treffend von einem Leser bei Amazon formuliert). In der Figur des Protagonisten Friedel Starmatz verbinden sich die Erfahrung von Leid, Verlust, Verlorenheit und Einsamkeit mit deren Auflösung, Erlösung. Tiefstes Unglück wird zu einem »atemberaubenden Glück«. (258) Mit der Figur dieses Jungen, der detaillierten Schilderung seiner Emotionen und psychischen Vorgänge – häufig ist die Erzählperspektive die des Jungen – schafft Hoferichter eine Figur, die im Leser Empathie hervorruft, ihm gleichsam ans Herz wächst. Friedel Starmatz, das unschuldige, verträumte, weltfremde Kind, ist mit seinem »leuchtenden Blondhaar« (228) die Lichtgestalt, der Liebe und menschliche Wärme zuteil wird und die gleichermaßen Ressourcen und Kräfte in anderen Menschen freisetzt – die Begegnung mit ihm verwandelt das Gegenüber. Am Ende des Romans wird Friedel als positive Identifikationsfigur für den jugendlichen Leser aus dem »Morgenland« (258) seiner Kindheit heraustreten mit der Erkenntnis »Der Weg bist du selbst«. (257) Friedel Starmatz ist Teil einer in diesem Buch in überbordender Weise geschilderten beseelten Natur, die sich, selbst vermenschlicht, um den Menschen kümmert und mit ihm kommuniziert. Pflanzen, Tiere, die Gestirne sprechen miteinander. Einbezogen sind letztendlich auch tote Objekte wie eine Landstraße oder ein Mäuerchen. Mensch und Natur als Teile eines intakten Universums stehen in einem Liebesverhältnis zueinander. Die Natur gibt den Menschen Ruhe und das
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Gefühl der Geborgenheit und des Beheimatetseins; ihre Schilderung ist in den Goldglanz der Sonne oder das Silberlicht des Mondes getaucht. Bildung, Kultur, Kunst und Musik sind mit ihrer kreativen, einerseits die Vergangenheit bewältigenden, andererseits in die Zukunft weisenden Kraft, mit der Betonung des Schönen, Guten und Wahren der Gegenpol zur zerstörenden Macht des Krieges. Friedels Vater, ein Dichter und Schriftsteller, schreibt Texte, die vertont werden. Peter Grönwold ist ein anerkannter Bildhauer; seine Frau beginnt durch Friedels Ermutigung wieder zu malen und findet nun die Zustimmung ihres Mannes, der zuvor ihre Art des Malens vehement abgelehnt hatte. Am Schluss des Romans lädt Baron von Linden Ingrid und Peter Grönwold zu einem Studienaufenthalt in Rom und Florenz ein – beides klassische Städte der Kristallisation von Kunst und Kultur. Mit den Aussagen zu schulischem Lernen, Bildung und Erziehung reflektiert Hoferichter im Sinne der Reformpädagogik ein bestimmtes, neues Menschenbild. Ingrid Grönwold hat klare Vorstellungen: Unsere Kinder sollen zu selbständigen, selbstdenkenden, vorurteilsfreien Menschen erzogen werden, zu praktischen Menschen, die sich nicht nur Wissen angeeignet haben, sondern die auch etwas tun können, wenn ihre wissenschaftliche Bildung beendet ist. Überhaupt sollen sie erst einmal ›Menschen‹ werden, um dann – gänzlich unbeeinflußt – den Beruf zu ergreifen, der ihrer Eigenart und Befähigung enstspricht. (174f.)
So soll auch die kleine Eva von Linden, deren Mutter bei der Geburt gestorben ist (in gewisser Weise ist sie das weibliche Pendant zu dem Jungen Friedel), keine Erziehung in einem adligen Stift erhalten, sondern gemeinsam mit den GrönwoldKindern unterrichtet werden, da der Vater, Baron Götz von Linden, unter dem Einfluss der Kriegserlebnisse seinen Standesdünkel abgelegt hat. Vor allem der Musik kommt in diesem Buch die Funktion der Traumaverarbeitung zu. In seinem Elternhaus wächst Friedel mit Musik auf. Er wundert sich, dass die Grönwolds kein Musikinstrument haben, denn er ist daran gewöhnt, dass seine Mutter Klavier spielt und singt, und vermisst dies nun schmerzlich: »Eine heftige Sehnsucht nach Mutter war plötzlich wieder über ihn gekommen – nach ihrem Singen und Spielen –, daß er nicht mehr von Herzen froh sein konnte«. (52) Zu seinem 7. Geburtstag bekommt er eine Geige und findet im Spiel Ruhe und Trost. Bei einem Konzertbesuch und dem Anhören von Beethovens 9. Sinfonie kann sich der jetzt fünfzehn Jahre alte Junge mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass seine Eltern vielleicht nicht mehr am Leben sind.
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Nichts Geringeres als die neunte Sinfonie nahm die Seele dieses Waldkindes in seinen Bann. Und sie wirkte das Wunder! Ihre unausschöpfbare Schönheit erfüllte den Friedel mit einer solchen Kraft, mit einem Überwindertum, daß es ihm möglich war, dem Gedanken ins Auge zu sehen: Ich habe keine Eltern mehr. […] Und merkwürdig: Jetzt drückte der Gedanke ihn nicht zu Boden. Er hatte ihn aufgerüttelt! […] Mochten Vater und Mutter noch auf Erden weilen oder heimgegangen sein: Er wollte wachen Sinnes, tapferen Herzens durch die Welt gehen und ihrem Andenken Ehre machen! […] Mit klaren, wachen Augen kehrte Friedel Starmatz zum Heim am Walde zurück, mit erhobenem Haupt und sicheren Bewegungen, und eine sieghafte Fröhlichkeit ging jetzt von ihm aus. (216 f.)
So ist es auch die Musik, die ihn und seine Eltern wieder vereint. Bei einem Konzert trägt die Sängerin als Zugabe ein Wiegenlied vor – es ist das Häschenlied, das Friedels Mutter ihm immer vorgesungen hat, und jetzt erkennt Friedel Starmatz in der Sängerin seine Mutter und stürzt auf die Bühne. »Was schreit so? – Ein Tier? – Horch: ›Mutter! Mutter! Du bist meine Mutter!‹« (239) Am Ende des Romans sind (mehrere) in der Handlung angelegte schuldhafte Verstrickungen und Verschattungen aufgelöst. Götz von Linden hatte aufgrund seines früheren Adelsstolzes den Kontakt zu seiner Schwester abgebrochen, als diese einen Bürgerlichen heiratete. Seit langem bereut er seine Vorurteile und sein damaliges Verhalten zutiefst. Es ist nun eine Volte des Romans, dass Karin Amelungen nicht nur Friedels Mutter, sondern auch Götz von Lindens Schwester ist, so dass am Ende des Konzerts auch eine Versöhnung der Geschwister stattfindet, in die natürlich Karins Mann einbezogen ist. Zu guter letzt ist in diesem Mikrokosmos die Ordnung einer durch den Krieg aus den Fugen geratenen Welt wieder hergestellt. Eine in Gold gezeichnete Welt glückhafter menschlicher Beziehungen und überwundener sozialer und gesellschaftlicher Schranken steht als Kontrapunkt den Verheerungen des Krieges gegenüber. Eine »vergoldete«, emotional und auch religiös aufgeladene, mit lyrischen Elementen versetzte Sprache unterstützt die inhaltliche Aussage. Das Buch ist in einem hochromantischen, expressionistischen Stil, der Sogwirkung hat, geschrieben. Sequenzen sind traumartig und märchenhaft. Durchgehend ist der Stil von Verkleinerungen, Verniedlichungen und romantischen Klischees geprägt. Immer wieder spiegeln die Naturbeschreibungen seelische Zustände. Aus den Tiefen der Erde aber steigt ein anderer Gesang empor und verschmilzt im Silberlicht des Mondes mit den Himmelsklängen zu einem betörenden Wohllaut. Erst zart wie Quellengeriesel schwillt es an zu einem
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geheimnisvollen Rauschen, das die Seele des einsamen Jungen in den Untiefen packt, das heilige Schauer der Ergriffenheit in ihm auslöst und eine bange Traurigkeit, ein unaussprechlich leidvolles Glück in seinem Herzen weckt. (255)
Der Leser kann in Distanz zu dem in der Tat unsäglichen Kitsch und der Sentimentalität dieser Sprache gehen – siehe die Aussage der Autorin Bärbel Rädisch (ähnlich äußerte sich auch die Inhaberin des Kindermodengeschäfts). Stilistisch spricht dieses Buch aber auch tiefere Bewusstseinsebenen an, so dass sich beim Leser ein Wohlfühleffekt einstellen mag. In einem gewissen Sinn nimmt das Buch Friedel Starmatz in seinem Bezug zum Ersten Weltkrieg eine singuläre Stellung ein. In der Kinder- und Jugendliteratur der Weimarer Republik zum Weltkrieg überwiegen mit hohen Auflagen glorifizierende und revanchistische Publikationen wie z. B. Paul von Lettow Vorbecks Roman Heia Safari. Deutschlands Kampf in Ostafrika (Leipzig 1920) oder Felix von Luckners Beschreibung seiner Abenteuer auf dem Hilfskreuzer SMS Seeadler in dem Buch Seeteufel (Leipzig 1923). Kriegs- und militärkritische Texte , wie z. B. Rudolf Franks Erzählung Der Schädel des Negerhäuptlings Macaua (Potsdam 1931), sind in der Minderheit. Adrienne Thomas‘ Tagebuchroman Die Katrin wird Soldat (Berlin 1930) schildert Kriegsbegeisterung und Desillusionierung der Protagonistin, die als Krankenschwester das Leid der verwundeten Soldaten erlebt.3 Thema des Buchs Friedel Starmatz ist nicht der Weltkrieg selbst, sondern es ist das unendliche Leid, das mit dem Krieg verbunden war. Mara Heinze-Hoferichter spricht mit diesem Buch die Bedürfnisse der Menschen der Nachkriegszeit an, die Urkatastrophe des Ersten Weltkriegs psychisch zu verarbeiten. Unter dieser Perpektive mag das Buch auch nach dem Zweiten Weltkrieg eine sinnstiftende Funktion gehabt haben. Dem Buch kann eine kathartische Wirkung zugesprochen werden. Es wirkt heilend und lindernd auch in einem universellen, über die Erfahrung des Kriegs hinausgehenden Sinn, hat Trost- und Entlastungsfunktionen, teilweise auch eine eskapistische Tendenz. Eine Rezension des Buchs in der Niederschlesischen Allgemeinen Zeitung hebt dies deutlich hervor. Das ist aber nicht ein Buch, das man nur so zur Unterhaltung liest, nein, es bewegt uns im Innersten. Wie dieser scheue Starmatz ein warmes Nest findet, wie er mit seinem sonnigen Gemüt sorgenvolle Herzen aufrichtet, mit seiner Liebe und Güte das Leben zwingt, das ist unsagbar zart und fein
3 Siehe Ausstellungskatalog Carola Plogmann, Friedrich C. Heller (eds.). Das Kinderbuch erklärt den Krieg. Berlin: Staatsbibliothek Berlin, 2014
Mara Heinze-Hoferichter. Friedel Starmatz
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Abb. 2: Porträtfoto Mara HeinzeHoferichter und Rezensionsausschnitt (Verlagsankündigung Ensslin & Laiblin Nr. 8 20.1.1935 Mara Heinze-Hoferichter. Friedel Starmatz, Beiblatt).
geschildert. Die Verfasserin hat ihr ganzes Herz in das Buch gelegt, das erhebt, stärkt und froh macht.4
Nach Inhalt und Sprache steht das Buch im Gegensatz zur Literatur der Neuen Sachlichkeit der 1920er Jahre. Es lässt sich auch ein kaum größerer Gegensatz denken als der zwischen Friedel Starmatz und zum Beispiel dem fast gleichzeitig erschienenen Buch Das Fliegende Klassenzimmer (1929) von Erich Kästner oder auch Erika Manns Stoffel fliegt übers Meer (1932). Auch mit Erich Maria Remarques Antikriegsroman Im Westen Nichts Neues (1929), das den Krieg in seiner ganzen Brutalität zeigt, hat Friedel Starmatz kaum etwas gemein. Und dennoch ist der Krieg die Klammer, die beide Bücher verbindet.
4 Verlagsankündigung Enßlin & Laiblin Nr. 8, 20.1.1935; Beiblatt zur Ausgabe des Buchs von 1935.
Rezensionen Reviews
Stephanie Bremerich, Dieter Burdorf, Abdalla Eldimagh. Flucht, Exil und Migration in der Literatur – Syrische und deutsche Perspektiven. Berlin: Quintus, 2018, 272 pp., 35,00 € [978-3-947215-06-5]. Die Begriff-Triade »Flucht, Exil und Migration« scheint sich im öffentlichen Diskurs etabliert zu haben, wenn es um die Beschreibung der massiven Migrationsbewegungen geht, die aufgrund der weltweiten geopolitischen Krisen in den letzten Jahrzehnten entstanden sind. Vor allem um die Differenzierung zwischen den Termini Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten entfaltet sich eine agonale Dynamik in der politischen Debatte in Europa, die häufig zu Engpässen führt. Mit der erwähnten »Triade« setzt sich auch die Welt der geistes- und sozial wissenschaftlichen Forschung immer häufiger auseinander, indem sie nach neuen Verständnisparadigmen für das epochale Phänomen sucht. Aus neuen Blickwinkeln wird das Phänomen durch den Band Flucht, Exil und Migration in der Literatur – Syrische und deutsche Perspektiven beleuchtet, der von Dieter Burdorf – Lehrstuhlinhaber für neuere deutsche Literatur an der Universität Leipzig – und seinen Mitarbeitern Stephanie Bremerich und Abdalla Eldimagh herausgegeben worden ist. Der Band ging aus einer Konferenz hervor, die im Oktober 2016 am Institut für Germanistik der Universität Leipzig stattfand. Die durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst geförderte Veranstaltung brachte deutsche Germanistinnen und Germanisten mit Kolleginnen und Kollegen aus Syrien zusammen, die überwiegend in Deutschland leben und arbeiten. Der Universitätsstandort Leipzig war schon zur DDR-Zeit ein Referenzpunkt für die kleine Community der Syrischen Germanisten und wurde es in den letzten den letzten Jahren noch mehr – nicht zuletzt dank eines gemeinsamen Postgraduierten-Programms mit dem Institut für Germanistik der Universität Damaskus. Der Ausbruch des Bürgerkriegs im
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Rezensionen
Jahr 2011 verhinderte leider nicht nur Weiterführung und -entwicklung der akademischen Beziehungen, sondern erodierte die existentiellen Grundlagen vieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Syrien. Die Themen »Flucht, Exil und Migration« hatten aus diesem Grund für viele unter den Tagungsteilnehmern eine persönliche Brisanz. Im Band wird dieser Kontext vor allem durch die Beiträge syrischer Autorinnen und Autoren gut sichtbar. Die literaturwissenschaftlichen Aufsätze Luna Amers und Emad Alalis sind durch die Suche nach einem Aktualitätsbezug gekennzeichnet: Im ersten werden die Themen »Heimat«, »Identität« und »Migration« in Erich Maria Remarques Romanen Die Nacht von Lissabon und Schatten im Paradies untersucht; es wird dabei ihre Brisanz in Zeiten von Massenfluchtbewegungen, die durch Kriegskonflikte ausgelöst werden, aufgezeigt; im zweiten wird eine aktualisierende Lektüre von Brechts Mutter Courage und ihre Kinder vorgeschlagen, indem das Drama der Exilliteratur mit einem Roman des palästinensischen Schriftstellers Ghassan Kanafanis, Männer in der Sonne (1963), verglichen wird, der ähnlich wie Brechts Klassiker die unmenschliche Logik des Kriegs aufdeckt. Beide Beiträge stechen aufgrund ihres appellativischen Duktus hervor. Sowohl Amer als auch Alali scheuen sich nicht, der Literatur eine ethisch-politische Funktion zuzusprechen und zwar die, sich zu den Grundwerten der Verständigung und der Toleranz zu bekennen. Folglich werden auch die Geisteswissenschaften und insbesondere die Sprach- und Literaturwissenschaft auf den Plan gerufen. Es liegt darin womöglich ein Potential der jetzigen immer intensiver werdenden literaturwissenschaftlichen Beschäftigung mit Flucht, Exil und Migration: ein Ausweg aus der Neutralitätszone der Fachdiskurse, die eine Auseinandersetzung mit sozialrelevanten Themenbereichen oft als dilettantisch abtun und dabei die ethisch-politische Funktion des Literarischen ausblenden. Wenn der in Alalis Aufsatz zitierte Anglist Rüdiger Heinze sich für »The Return of the Repressed« ausspricht, plädiert er für eine Rückkehr zu einer ethischen Dimension literarischer Formen, die auf der Annahme basiert, »dass literarischen Texten ein Sonderstatus zukommt, der sich bei weitem nicht notwendig und hinlänglich mit ideologischer Verfangenheit bzw. Funktion erklären lässt«. Nicht zufällig werden von den syrischen Germanisten Autoren untersucht, wie Brecht oder Remarque, die eine kompromisslose Darstellung von Kriegsverhältnissen nicht scheuten und dafür den Preis eines jahrelangen Exils bezahlten. Den theoretischen Horizont dieser Beiträge bilden dabei Studien wie Edward Saids Orientalism, ein Meilenstein der Kritik an kolonialen Machtprojektionen Europas oder Frantz Fanons Les damnés de la terre, in der eine Reflexion über die sozio-politischen Implikationen der stigmatisierenden Sprache der Kolonialmächte entwickelt wird.
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Der Bürgerkrieg in Syrien und die daraus entstehende Welle von Flüchtlingen lassen selbst diese klassisch gewordenen Untersuchungen in einem neuen Licht erscheinen. Dies zeigt der Aufsatz Abdalla Eldimaghs über »Die Massenmediale Repräsentation des Fluchtphänomens«, der neue Einblicke in eine nicht differenzierende und tendenziöse Berichterstattung gewährt. Selbst den Begriff »Flüchtlingskrise« hält Eldimagh für irreführend: Die Medien vermitteln den Eindruck, dass die Migration bzw. die Flucht ein Ausnahmezustand sei, hingegen ist sie ein »immer wiederkehrendes Motiv in der Menschheitsgeschichte«. Einseitige Medienreportagen – vor allem die, die in Folge von Schockereignissen wie etwa der Kölner Silvesternacht entstehen – zielten zudem auf die Entwerfung immer desselben Phantombildes eines Straftäters, der männlich, muslimisch und machohaft ist. Daraus wird die verallgemeinernde Schlussfolgerung über den Islam gezogen, der mit den westlichen Werten der Freiheit, der Toleranz und der Geschlechtergleichheit inkompatibel sei. Die Wahrnehmung von Menschen in Not – den Flüchtlingen – wird durch die Verbreitung solcher Bilder und Schlussfolgerungen unvermeidbar verzerrt und jede Voraussetzung eines interkulturellen Dialogs dadurch zunichte gemacht. Die Beiträge, die einen unmittelbaren Bezug zur aktuellen öffentlichen Diskussion über Flucht und Migration enthalten, werden durch Aufsätze flankiert, die sich des Themas Exil aus historischer Perspektive annehmen, namentlich des Phänomens der deutschen Exilliteratur in der Zeit zwischen 1933 und 1945. Einen Überblick bietet dabei der Beitrag Irmela von der Lühes, der nicht nur Fakten zur Einordnung des Phänomens des deutschen künstlerisch-literarischen Exils liefert, sondern auch rekurrierende Deutungsmuster und Darstellungsmodi in den literarischen Werken des Exils untersucht: vom »Warten« als prägender Erfahrung des Exildaseins (Feuchtwanger, Seghers) bis hin zur Bekenntnis zur deutschen geistigen Emigration sowie zu den demokratischen Werten des Gastlandes (Klaus und Erika Mann), von der zum Teil selbststilisierenden Abschottung gegenüber der Barbarei (Musil) bis hin zur satirischen Attacke gegen den Nationalsozialismus (Brecht). Wie weit aufgefasst in diesem Band die literarischen Darstellungen von Flucht, Exil und Migration sind, zeigen weitere Beiträge, die sich mit Werken befassen, die nicht in den benannten zeitlichen Rahmen fallen, der in der Germanistik als Epoche der Exilliteratur kanonisch gilt. Stephanie Bremerich zeigt beispielsweise, wie Flucht bei dem 1915 in die Schweiz emigrierten Dichter und Essayist Hugo Ball ein Kontinuitätselement darstellt: Flucht in die Fremde, Flucht in die anti rationalistische Avantgarde, Flucht zu einem asketischen Katholizismus. Bremerich zeigt, wie »Flucht« in Balls autobiographischem Projekt auch als Denkfigur des steten Infragestellens eigener Überzeugungen zu betrachten sei.
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Den Beiträgen gilt das Verdienst, den zeitgenössischen Blick zu erweitern, indem die literarischen Darstellungen von Flucht- und Umsiedlungsbewegungen der jüngsten Vergangenheit – viele von denen fanden im Europa des 21. Jahrhunderts statt – untersucht werden. Durch den Kontext der syrischen Krise, der direkt und indirekt den hermeneutischen Rahmen der Tagung und des Bandes bildet, stimulieren selbst die Analysen, die sich mit dem deutschen Exil auseinandersetzen, neue Lektüren der Aktualität. Insgesamt bildet das Werk eine »kaleidoskopische« Darstellung des Themenkomplexes »Flucht, Exil und Migration« in der heutigen Forschung über Literatur, Graphic Novels und Medien; lässt sich das Buch aufgrund der Heterogenität der angewandten Ansätze kaum in einen einheitlichen theoretischen Horizont einordnen, so bildet gerade diese Heterogenität eine Stärke, die die Lektüre anregend macht. Michele Vangi, Loveno di Menaggio
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Nicholas Stargardt. Der Deutsche Krieg. Zwischen Angst, Zweifel und Durchhaltewillen – wie die Menschen den Zweiten Weltkrieg erlebten. Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff. Frankfurt/Main: Fischer, 2018, 848 pp., Paperback 16,99 € / Hardcover 26,99 € [978-3-596-18639-6]. Der am Magdalen College in Oxford lehrende australische Historiker Nicholas Stargardt legt eine voluminöse, umfassende Sozial-, Politik- und Alltagsgeschichte des Zweiten Weltkriegs aus deutscher Perspektive vor. Stargardt verwendet dabei mit Gewinn Selbstzeugnisse wie Tagebücher und Korrespondenz (auch Feldpostbriefe) »kleiner Leute«, die er unter anderem im Deutschen Tagebucharchiv Emmendingen oder im Kempowski-Archiv gefunden hat. Das ist eine aufwändige Arbeit, die viel Zeit erfordert hat. Stargardt saß denn auch lange Zeit hinter seinem flüssig geschriebenen Text. Für das akademische Publikum enthält das Buch indessen erstaunlich wenig Quellenkritik. Selbstzeugnisse sind nämlich nicht einfach Erfahrungsquellen, sie bilden immer auch einen gewissen Diskurs ab, sind »Quellen zwischen Erfahrung und Diskurs« (Kaspar von Greyerz). Das zeigt sich an verschiedenen Beispielen. Stargardt kennt zum Beispiel die »lingua tertii imperii« (Victor Klemperer) gut. Diese Sprache bildet sich auch in den Selbstzeugnissen ab. An dieser Stelle wäre es interessant gewesen, nach Redewendungen oder Metaphern zu suchen. In Feldpostbriefen schließlich kommen erotische Passagen nur sehr selten vor. Der Autor bringt eines der raren Beispiele. Doch insgesamt gehört die Sexualität zum Unsagbaren, allenfalls Verklausulierten. Solche Beispiele meine ich mit Quellenkritik. Stärken hat das Buch freilich auch. Es ist, wie gesagt, zügig und fesselnd geschrieben, und die unbekannten Quellen eröffnen neue Perspektiven, mehr als der ebenfalls häufig zitierte Goebbels. Die Propagandaschlacht um das Massaker von Katyn, verübt von der sowjetischen Armee, ist ein Glanzstück des Buches und ein Erfolg des Goebbelschen Propagandaapparates. Dass die meisten Deutschen schon 1943 vom Holocaust wussten und mehr oder weniger offen darüber sprachen, ist auch keine neue Erkenntnis, überrascht aber dennoch, denn nun werden Belegstellen »kleiner Leute« angeführt. Der Bombenterror schließlich zermürbte die Deutschen, namentlich der so genannte »Hamburger Feuersturm« führte kurzfristig zu einem Zusammenbruch der Moral. Das Buch sei einem breit interessierten Publikum empfohlen, für Spezialistinnen und Spezialisten sind allenfalls die neuen Quellen und Quellentypen von Interesse. Fabian Brändle, Zürich
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Ernst Troeltsch. Kritische Gesamtausgabe. Band 21: Briefe IV (1915–1918). Hg. Friedrich Wilhelm Graf in Zusammenarbeit mit Harald Haury. Berlin/Boston: de Gruyter, 2018, 612 pp., 229,00 € [978-3-11-058124-9]. Ernst Troeltsch (1865–1923) ist ein Patriot in der Zwickmühle. Er möchte Deutschland gerne gegen Anfeindung und Bedrohung von außen verteidigen. Genauso wichtig aber erscheint es, das Land vor den Illusionen der Obersten Heeresleitung (OHL) und auch vor den Annexionisten unter den eigenen Kollegen Professoren in Schutz zu nehmen. Wie der in die Philosophie entlaufende protestantische Theologe bei verschiedenen Gelegenheiten bewiesen hat, ist er jederzeit bereit, seinen Beitrag für das im Krieg befindliche Land zu leisten. 1914, noch in Heidelberg, hält er in den Wochen der Mobilmachung zahlreiche Reden. Wiederholt lässt er sich vom Reichsinnenministerium einspannen (vgl. 280ff. u.ö.) und wirkt an offiziösen Publikationen mit, die das Ansehen der deutschen Wissenschaft im Ausland verbessern sollen. Zunehmend jedoch wächst seine Sorge, dass ein Versagen der preußischen Eliten Deutschland an den Rand des Bürgerkriegs bringt. Der vorliegende Band gibt die Briefe aus der Berliner Zeit Ernst Troeltschs bis zum Ende des Ersten Weltkriegs wieder. Er ist glänzend editiert und vorzüglich ausgestattet. Wie bei anderen Bänden der Kritischen Gesamtausgabe lohnt sich auch hier die Lektüre der stets zuverlässigen Anmerkungen. Dort findet man manches Detail, das zu der schwierigen Epoche einen signifikanten Einzelbaustein beiträgt. Das ist immer interessant, auch wenn es mit Blick auf die Hauptfigur der editorischen Unternehmung manchmal nebensächlich erscheinen mag. Diese Hauptfigur, Ernst Troeltsch, war ein wichtiger Verfechter der »Ideen von 1914«, jenem Beitrag der Intellektuellen zur Mobilmachung, der den Deutschen den Krieg als gesellschaftliche Gesundkur empfahl. Troeltsch war 1915 von Heidelberg nach Berlin gerufen worden. Er wechselte im Zuge dessen nicht nur von der Theologie zur Philosophie, sondern rückte von der badischen Peripherie näher ans Zentrum der Macht. Von dort übermittelt er dem späteren Reichskanzler der letzten Kriegstage in langen Briefen seine Lageeinschätzung und verabredet in kurzen Billetts Treffen mit Walter Rathenau, um sich abzustimmen. Der diesem Band vorhergehende Band 20 der KGA dokumentiert in seinem letzten Teil die mit der Berufung einhergehenden Erklärungen, während das erste Kriegsjahr nur auf wenigen Seiten von Gewicht ist. Die Briefe der Jahre 1915–18 sind von stärker historischem Interesse. Sie beleuchten den Intellektuellen im Alltag. Universitätssachen spielen eine untergeordnete Rolle. Rein persönliche Briefe sind ganz selten. Der Austausch mit Kollegen berührt immer auch die Kriegslage. Daher gilt es hier vor allem den intellektuellen Publizisten Ernst Troeltsch zu besichtigen, der von zunehmender Sorge um sein Land erfüllt ist.
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Die Briefe dokumentieren jedoch nicht nur Sorgen, sondern auch Taktiken des Sprechens. Troeltsch ist sich bewusst, dass der öffentliche Intellektuelle sein in Wissenschaft oder Kunst erworbenes Renommee entweder selbst vor einen Karren spannt oder instrumentalisiert wird. Während er auf ›den Neutralen‹ Albert Einstein, seit 1901 Schweizer Bürger, zurückhaltend reagiert und auf staatliche Anfragen kalkuliert, kann er erstaunlich appellativ werden, wenn er »herzlich« grüßend an einen offensichtlich vertrauteren Kollegen schreibt und ihn bittet, »dringend jede Unbesonnenheit zu vermeiden« (495). Die Mahnung gilt Heinrich Weinel, einem evangelischen Theologen, seit 1907 Professor für Neues Testament in Jena – wie den Biogrammen (vgl. 511–531) zu entnehmen ist. Da der Brief an Troeltsch verloren ist, kann man leider nicht lesen, mit welcher Bitte Weinel an diesen herangetreten ist. Jedoch kann man der Antwort entnehmen, dass Weinel noch am 19. Oktober 1918 Illusionen über den Kriegsausgang hegt, die Troeltsch schon lange hinter sich gelassen hat: Jetzt vertrauen Sie, bitte, der gegenwärtigen Regierung. Sie ist die einzig mögliche. Es gilt Frieden zu bekommen u[nd] Revolution zu verhindern. Alles muß dahinter zurückstehen. Jede Komplizität mit den Konservativen u[nd] dem Militär hindert den Frieden. (494f.).
Interessant ist auch der Austausch mit Johann Plenge, dem Nationalökonomen und Soziologen, der »die Parole von den ›Ideen von 1914‹« geprägt hat (vgl. 188ff.). Troeltsch war seit 1915 mit ihm in Briefkontakt und »warb, von Plenge gebeten, bei verschiedenen Anlässen öffentlich für dessen Kriegspublikationen« (523). Im Februar des Jahres 1918 sind die Differenzen allerdings erheblich. Hier liegt der Antwortbrief einmal vor, mit dem Plenge eine kritische Reaktion Troeltschs bzgl. eines zugesandten Aufsatzes repliziert. Schön zeigt sich der Kontrast im intellektuellen Selbstverständnis selbst unter jenen, die noch miteinander im Gespräch sind. Plenge nimmt insbesondere Anstoß daran, dass Troeltsch zweimal schreibt: »Wir werden ja sehen« (429 und 431). Für Plenge ist das ein Einknicken des Denkens vor der Wirklichkeit, die durch Anstrengungen des Willens bezwungen werden will. Troeltsch dagegen ist ein erklärter Realist, der zwar gelegentlich auf einer Euphoriewelle mitschwimmen kann, im Wesentlichen aber nüchtern abwägt, wie Deutschlands Chancen stehen und welchen Eindruck das Gebaren der OHL auf Kriegsgegner und Neutrale machen dürfte. Troeltsch und Plenge wollen gleichermaßen wirken, ihre Vorstellungen von Aufgabe und Reichweite des Intellektuellen könnten jedoch nicht größer sein. Troeltsch vermittelt zwischen der realen Lage und den ideellen Beständen der deutschen, durchaus national verstandenen Kultur. Plenge ist ebenso nationaler wie sozialistischer Ideologe. Er sucht nach dem richtigen Leit- und Weltbild, ohne
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dessen Projektionen Zukunft nicht gestaltet werden könne. Was Plenge schreibt, ist methodisch genauso abenteuerlich wie zwanzig Jahre später der Sozialistische Realismus von Georg Lukács, der hier übrigens auch seinen kleinen Auftritt hat (vgl. 248f. u. 269), aber für das Verständnis des abgeklärten Charakters von Troeltsch ist es gerade hilfreich, solche vergleichenden Einblicke zu erhalten. Kurz darauf stößt der Leser in den Anmerkungen auf Friedrich Meinecke, der einen erstaunlichen Romantizismus an den Tag legt, als er beklagt, dass Troeltsch sich nicht für eine levée en masse, eine Volkserhebung als letzte Maßnahme eines Krieges, der verloren zu gehen droht, erwärmen will: Den Leuten wie Troeltsch und Alfred Weber scheint eine heroische Erhebung jetzt Unsinn zu sein. Es trennt mich innerlich von ihnen etwas. Wir verlieren, indem wir durch diesen skeptischen Kritizismus alles Instinktive ertöten und abweisen, den letzten Zusammenhang mit unserer Geschichte. Das alte System wird bis auf den innersten Nerv, der doch auch etwas Lebendiges war, dabei abgetötet. Der Held wird abgetan und der Händler bleibt übrig. (489, Anm. 4)
Anhand solcher Stellen erst erahnt man, was Troeltsch und seine Mitstreiter sich abgerungen haben, als sie am 4. Dezember 1917 den »Volksbund für Freiheit und Vaterland« gründen, um der Vaterlandspartei etwas entgegenzusetzen. »Das bloße Machtgerede in seiner Geistlosigkeit u[nd] Brutalität führ[e]« die deutschen Hoffnungen nur »irre u[nd] gieß[e] Öl in das Feuer des Moralkriegs« (406), erläutert Troeltsch seine Intentionen in einem langen Brief an Max von Baden. Der unverminderten Propaganda der Vaterlandspartei soll als realistische Zielvorgabe ein Frieden ohne Annexionen entgegengesetzt werden. Leider finden sich von diesem Komplex – trotz einem Protokoll der Vorstandssitzung vom 5. April 1918 im Anhang (vgl. 503–509) – lediglich geringe Spuren in den Briefen, da die Absprachen vor Ort mündlich erfolgt sind, wie etwa Entschuldigungen, zu einem Sitzungstermin nicht erscheinen zu können, dokumentieren. Etwas mehr Aussagekraft haben die erhaltenen Briefe zu einem anderen Thema, das für Troeltschs Entwicklung als Intellektueller während des Ersten Weltkriegs wichtig ist. Gemeint ist der Streit um »Das Ethos der hebräischen Propheten«, den er zunächst mit einem Vortrag dieses Titels, dann mit dessen Veröffentlichung in der Zeitschrift Logos vom Zaun gebrochen hat. Die Brisanz seiner Ausführungen, die letztlich bestreiten, dass die jüdischen Propheten dank einer Art Proto-Universalismus als Vorläufer Kants anzuerkennen sind, wie Hermann Cohen wiederholt argumentiert hatte, erwächst auch aus dem Kontext. Ausgerechnet im Jahr der so genannten Judenzählung stellt Troeltsch die deutsch-jüdische Kultursynthese in Frage. Fast zeitgleich mit einem ähnlich gelagerten, aber ungleich schärferen Streit
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in den Kant-Studien betont auch er die Grenze zwischen wesentlich deutschen und jüdischen Denktraditionen. Hier zeigt sich deutlich Leistung und Grenze der erhaltenen Dokumente. In dem wenigen Material zu diesem Komplex findet man eine Stelle, die man als Revision der kulturnationalistischen, inklusiven »Ideen von 1914« zugunsten eines stärker völkischen Gemeinschaftsdenkens auslegen kann. Troeltsch schreibt am 9. Januar 1917 an Heinrich Rickert, der stellvertretend für die im Kriegseinsatz befindlichen Herausgeber die Geschäfte der Zeitschrift führt, zum Streit in den Kant-Studien: Um einseitige philosophische Schulrichtung handelte es sich dabei gar nicht, sondern um jüdische Empfindlichkeit oder besser jüdischen Terrorismus. Wir werden davon immer mehr erleben, je mehr die durch den Krieg vertiefte Selbstbesinnung über deutsches Wesen uns mit Notwendigkeit zur Erkenntnis der Inkongruenz des jüdischen Rationalismus (dieser Zweige des Judentums) mit ihm führen muß. (252f.)
Das ist schon starker Tobak, hinterlässt aber ähnlich viel Interpretationsspielraum wie der Aufsatz selbst. Ob Troeltsch sich geläufiger Vorurteile schuldig macht oder bewusst mit der Möglichkeit einer völkischen Radikalisierung der Ideen von 1914 spielt, ist nicht zu entscheiden. Wer sich von den Briefen eine Art Klartext über tatsächliche Beweggründe dieser oder jener Wendung seiner Publizistik erhofft, wird enttäuscht. Dafür fehlt es nicht zuletzt an einem Briefpartner, demgegenüber Troeltsch rückhaltlos sprechen würde. Wer sich an der finsteren Formulierung vom »jüdischen Terrorismus« stößt, dem sei verraten, dass Troeltschs Briefe auch einen »Terrorismus der ›guten Patrioten‹« kennen: »Namentlich die Professoren sind in ihrem Unverstand fürchterlich« (390), schreibt er im November 1917 an Max von Baden. Gut zu sehen ist allerdings, wie die Skepsis über den Kriegsausgang und der Unmut über den realitätsvergessenen Propagandismus vieler offizieller Stellen wachsen, so dass in den letzten beiden Kriegsjahren ein selbstkritischer Realismus dominiert. Troeltsch beobachtet genau die Verletzungen, die die adeligen und bürgerlichen Eliten, zu denen er selbst gehört, der deutschen Gesellschaft zufügen, indem sie ihr Handeln und Reden an nationalistischen Ideologemen ausrichten, die den Realitätstest seit dem Stillstand der Westfront Ende September 1914 und deren Verfestigung zu Stellungskrieg und Materialschlacht schon lange nicht mehr bestehen. Weil Deutschland ebenso wenig untergehen wie beherrschend werden wird in Europa, mahnt Troeltsch zur Mäßigung: »Wir haben mehr gewollt, als wir konnten, und müssen uns auf das natürliche Maß unseres Könnens zurückziehen« (363), schreibt er im September 1917. Einen Monat später beklagt er resignativ: »Der Rausch geht nun einmal durch Deutschland u[nd] die Leute scheinen einen
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moralischen Bürgerkrieg neben der schweren Sorge des Frontenkriegs nicht zu fürchten, manche zu wünschen. Das ist sehr traurig, aber nicht zu ändern« (373f.). Troeltsch stellt sich der Realität, auch wenn sie den eigenen Wünschen widerspricht. In einem ebenso breiten wie fein abgestuften Milieu von Demagogen und Ideologen ist das eine kaum zu überschätzende Stärke. Auch wenn Troeltsch manchmal mutlos klingt, rafft er sich immer wieder auf zu ehrlicher Lageeinschätzung. Sein Realismus erklärt, wie aus dem Verfechter der »Ideen von 1914« der Verfasser der Spectator-Briefe werden konnte, der idealtypische VernunftRepublikaner, der die Bedrohung der Weimarer Republik durch den sich immer weiter verhärtenden Nationalismus genau registriert. Matthias Schöning, Konstanz
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Athanasios Anastasiadis, Ulrich Moening (eds.). Trauma und Erinnerung. Narrative Versionen zum Bürgerkrieg in Griechenland. Köln: Böhlau (Griechenland in Europa; 4), 2018, 350 pp., 60,00 € [978-3-412-50122-8]. The collection is the result of the research project »Narrative mediation of collective traumatic experiences using the example of the Greek Civil War«. As part of the memorial discourse on the Greek Civil War (1946–1949), the studies focus on competing narratives in the form of novels and autobiographical texts. The authors approach the process from a change in public discourse to the Greek Civil War and investigate narratives relevant to the culture of memory. In addition, the analyses focus on the central literary theoretical questions concerning the authenticity of autobiographical texts and the connection between personal experiences and fiction. The contributors concentrate on the different aspects of the mediation of traumatic experiences using literary texts as an example. To this end, for example, the competing civil war narratives and core questions of the remembrance discourse on the Greek Civil War are illustrated in chronological order. Theoretical concepts, collective memory / culture of memory and politics of history are also taken into account, as is the psychological and cultural-scientific basis of the term »trauma«. Furthermore, the narrative mediation of traumatic experiences as well as the exemplary description of the process of narration are addressed. Numerous novels, in which different »narrative versions« of the Greek Civil War are reflected, and their reception are being considered, shedding light on the political, memory-theoretical and memory-cultural aspects of dealing with civil war trauma. Der Sammelband entstand als Ergebnis des Forschungsprojekts »Narrative Vermittlung kollektiver traumatischer Erfahrungen am Beispiel des Griechischen Bürgerkriegs«. Als ein Teil des Erinnerungsdiskurses zum Griechischen Bürgerkrieg (1946–1949) stehen konkurrierende Narrative in Form von Romanen und autobiographischen Texten im Mittelpunkt der Studien. Die Anliegen der Autor*innen sind die Darstellung des Prozesses vom diskursiven Wandel zum Griechischen Bürgerkrieg und die Untersuchung der erinnerungskulturell relevanten Narrative. Überdies stehen die zentralen literaturtheoretischen
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Fragen zur Authentizität der autobiographischen Texte und zum Zusammenhang zwischen Erlebtem und Fiktion im Fokus der Analysen. Die Beiträger*innen konzentrieren sich auf die unterschiedlichen Aspekte der Vermittlung der traumatischen Erfahrungen am Beispiel von literarischen Texten. Zu diesem Zweck werden z.B. die konkurrierenden Bürgerkriegsnarrative und Kernfragen des Erinnerungsdiskurses zum griechischen Bürgerkrieg chronologisch abgebildet. Theoretische Konzepte, Kollektives Gedächtnis bzw. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik finden ebenso Beachtung wie die psychologische und kulturwissenschaftliche Grundierung des Begriffs »Trauma«. Desweiteren geht es um die narrative Vermittlung traumatischer Erfahrungen sowie darum, den Prozess des Erzählens exemplarisch zu deskribieren. Dabei werden zahlreiche Romane und auch deren Rezeption thematisiert, in denen unterschiedliche »narrative Versionen« zum Griechischen Bürgerkrieg enthalten sind, die die politischen, gedächtnistheoretischen und erinnerungskulturellen Aspekte beim Umgang mit dem Bürgerkriegstrauma beleuchten. Anne Bieschke. Die unerhörte Friedensbewegung. Frauen, Krieg und Frieden in der Nuklearkrise (1979–1983). Essen: Klartext (Frieden und Krieg. Beiträge zur Historischen Friedens- und Konfliktforschung; 25), 2018, 277 pp., 29,95 € [978-3-8375-2020-0]. The NATO Double-Track Decision of December 1979 triggered a series of peace demonstrations and protests in the Federal Republic of Germany as well as in other European countries. Under the motto »Women for Peace«, numerous women demonstrated against nuclear armament and militarization. With her work, the author tries to prove that this »women’s peace movement« was an independent political movement that felt that it belonged to the peace movement in its entirety as well as the »New Women’s Movement« without being identical with them. The book first outlines the central themes and contentious issues of the movement in order to subsequently classify them in the historical context within the Federal Republic of Germany. The social profile of the activists is highlighted, their group structures and networks as well as their relationship to other social institutions such as political parties, trade unions and churches. In addition, relations with other movements in Western Europe, the GDR and the USA are analyzed. Subsequently, the author devotes herself to the practices and forms of action of the women’s peace movement, researching and working up its own story. The concluding chapter deals with the sometimes more, sometimes less constructive arguments of the women’s peace movement with the women’s movement on one and the peace movement on the other hand, as well as their integration into the same. This is followed by a final analysis and a list of the sources and literature used. Der NATO-Doppelbeschluss vom Dezember 1979 löste in der Bundesrepublik Deutschland ebenso wie in anderen europäischen Ländern eine Reihe von Friedensdemonstrationen und Protesten aus. Unter dem Motto »Frauen für den Frieden« demonstrierten auch zahlreiche Frauen gegen nukleare Aufrüstung und Militarisierung. Mit ihrem Werk versucht die Autorin nachzuweisen, dass es sich bei dieser »Frauenfriedensbewegung« um eine eigenständige politische Bewegung handelte, die sich sowohl der Friedensbewegung in ihrer Gesamtheit
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als auch der »Neuen Frauenbewegung« zugehörig fühlte, ohne mit ihnen identisch zu sein. Das Buch stellt zunächst die zentralen Themen und Streitpunkte der Bewegung heraus, um diese anschließend in den historischen Kontext innerhalb der Bundesrepublik Deutschland einzuordnen. Das soziale Profil der Aktivistinnen wird herausgearbeitet, ihre Gruppenstrukturen und Vernetzungen ebenso wie ihr Verhältnis zu anderen gesellschaftlichen Institutionen wie Parteien, Gewerkschaften und Kirchen. Darüber hinaus werden die Beziehungen zu anderen Bewegungen in Westeuropa, der DDR und den USA analysiert. Anschließend widmet sich die Autorin den Praktiken und Aktionsformen der Frauenfriedensbewegung, inklusive der Erforschung und Aufarbeitung der eigenen Geschichte. Das abschließende Kapitel beschäftigt sich mit den, teils mehr, teils weniger konstruktiven Auseinandersetzungen der Frauenfriedensbewegung mit der Frauenbewegung einer- und mit der Friedensbewegung andererseits, sowie ihrer Integration in die selbigen. Es folgt eine Schlussbetrachtung und ein Verzeichnis der verwendeten Quellen und Literatur. Stephanie Bremerich, Dieter Burdorf, Abdalla Eldimagh. Flucht, Exil und Migration in der Literatur – Syrische und deutsche Perspektiven. Berlin: Quintus, 2018, 268 pp., 35,00 € [978-3-947215-065]. The topic of exile and exile literature is often directly connected with the 20th century. Writers like Bertolt Brecht and Erich Maria Remarque are classic representatives of exile literature, especially in Germany. While Remarque’s and Brecht’s icon status is, without a doubt, well deserved, a connection to contemporary times is rarely made. Today, around 40 million people are displaced, 25.4 million are refugees, around half of which are Syrians or Palestinians. This means that exile literature is even relevant in this decade, most importantly from an Arab, especially a Syrian perspective. »Flucht, Exil und Migration in der Literatur« discusses exile literature not just as a historic phenomenon, but also views it from the perspective of a S yrian refugee. Iconic authors like Brecht and Remarque are not left out completely, but instead incorporated into the topic. The 13 authors each have a section in the book, in which flight and migration are seen from different viewpoints. The authors come from different backgrounds, some are Syrians, which means that there are also personal relations to the matter. Besonders eines kommt beim Thema Exilliteratur in den Sinn: das 20. Jahrhundert. Autoren wie Bertolt Brecht und Erich Maria Remarque sind vor allem in Deutschland klassische Vertreter der Exilliteratur. Während Brecht und Remarque durchaus berechtigt einen ikonischen Platz in der Exilliteratur einnehmen, fehlt häufig der akteullere Bezug. Es leben weltweit etwa 40 Millionen Menschen im Exil, von 25,4 Millionen Flüchtlingen sind etwa die Hälfte Syrer oder Palästinenser. Exilliteratur ist also besonders aus arabischer, vor allem aus syrischer Perspektive auch in diesem Jahrzehnt relevant und sollte auch ein Thema sein. »Flucht, Exil und Migration in der Literatur« behandelt Exilliteratur nicht nur als historisches Phänomen, sondern betrachtet diese auch aus syrischer Perspektive. Ikonische Autoren wie Brecht und Remarque werden jedoch nicht außer Acht gelassen, sondern in die Thematik mit einbezogen. Die insgesamt 13 Buchautoren haben alle jeweils einen eigenen
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Buchabschnitt, in denen Flucht und Migration auf verschiedene Weisen betrachtet werden. Die Autoren haben verschiedene Hintergründe, einige stammen aus Syrien. Es gibt also auch persönliche Bezüge. Florian Brückner. In der Literatur unbesiegt. Werner Beumelburg (1899–1963) – Kriegsdichter in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. Berlin: LIT (Zeit und Text. Neuere deutsche Literatur, Medien, Kultur; 23), 2017, 533 pp., 49,90 € [978-3-64313546-9]. Despite his successful writing career from 1914 to 1945, the war poet Werner Beumelburg fell into oblivion in the immediate post-war period. Beumelburg’s warmongering interpretations of conflict and his profascist ideas of society set him apart from the writers who opposed the war, such as Erich Maria Remarque. Florian Brückner now examines the question of whether and to what extent Beumelburg contributed culturally and mentally to the emergence or consolidation of a fascist social order with his war novels, of which more than two million copies were sold. The analysis focuses on how such cultural products, which appreciated the »creative power of war« and advocated a transfer of the military hierarchy even to society, fostered the rise of National Socialism. The first five chapters describe the important stages in Beumelburg’s life from his childhood to the experience of war, with special consideration of the emergence of his ideas of society. The following chapters focus on his literary activities, in particular the literary politicisation of the experience of war between 1919 and 1923, the development of his writings and individual works, and their reception. In addition, the books, publications and appearances of the right-wing conservative author Beumelburg in the »Third Reich« are discussed. His respected status and his »service« as a writer during National Socialism are also portrayed. Finally, Brückner discusses his life and activities in the post-war period. The book ends with an extensive appendix including a list of sources, illustrations and an index of persons. Der Kriegsdichter Werner Beumelburg ist trotz seiner erfolgreichen Schriftstellerkarriere von 1914 bis 1945 in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Vergessenheit geraten. Durch seine bellizistischen Kriegsdeutungen und profaschistischen Gesellschaftsvorstellungen unterscheidet Beumelburg sich von den kriegsgegnerischen Schriftstellern wie z.B. Erich Maria Remarque. Brückner geht der Frage nach, ob und inwiefern Beumelburg durch seine über zwei Millionen verkauften Kriegsromane zur Entstehung oder Festigung einer faschistischen Gesellschaftsordnung kulturell und mental beitrug. Im Fokus der Analyse steht, wie derartige kulturelle Produkte, die die »Kreativkraft des Krieges« würdigten und eine Übertragung der militärischen Hierarchie auf die Gesellschaft befürworteten, das Aufkommen des Nationalsozialismus begünstigten. In den ersten fünf Kapiteln werden die wichtigen Stationen im Leben Beumelburgs von seiner Kindheit bis zur Kriegserfahrung mit besonderer Berücksichtigung der Entstehung seiner Gesellschaftsvorstellungen beschrieben. In den darauffolgenden Kapiteln steht seine literarische Tätigkeit im Vordergrund, insbesondere die literarische Politisierung des Kriegserlebnisses zwischen 1919 und 1923, die Entstehung seiner Schriften und einzelner Werke sowie deren Rezeption. Darüber hin-
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aus werden die Bücher, Veröffentlichungen und Auftritte des rechtskonservativen Autors Beumelburg im »Dritten Reich« thematisiert. Sein angesehener Status und sein »Dienst« als Schriftsteller während des Nationalsozialismus werden ebenfalls zum Gegenstand der Darstellung gemacht. Zum Schluss behandelt Brückner Beumelburgs Leben und Tätigkeit in der Nachkriegszeit. Umfangreicher Anhang mit Quellenverzeichnis, Abbildungen und Personenregister. Ute Daniel. Beziehungsgeschichten. Politik und Medien im 20. Jahrhundert. Hamburg. 2018, 464 pp., 38,00 € [978-3-86854-317-9]. In democratic societies, the independence of the media from political institutions is generally seen as highly important. The historian Ute Daniel’s object of investigation in this respect is the interrelation between the media and politics. Her main interest lies in examining the mutual dependency between both groups of actors. She asks specifically about the conditions under which the interdependence of media and politics develops, and about the extent to which conflict situations arise between the two parties. The author examines this in a comprehensive manner using the examples of Germany and Great Britain, beginning with the First World War and continuing up to the 1990s. After focusing in the first chapter on the press and politics of the First World War, in the second chapter she takes a look at the interwar period. The third chapter illustrates the instrumentalisation of the media for the purpose of propaganda in the »Third Reich«. As case studies for the period 1962/63, the so-called Profumo Scandal and Spiegel Affair are compared. Finally, the decentration of public broadcasting is similarly investigated and made subject of the comparison. In den demokratischen Gesellschaften wird der Unabhängigkeit der Medien von der Politik große Bedeutung zugeschrieben. Der Untersuchungsgegenstand der Historikerin ist diesbezüglich die Wechselbeziehung zwischen den Medien und der Politik. Ihr Interesse besteht vor allem in der Untersuchung des Bedarfs beider Akteursgruppen aneinander. Sie fragt konkret sowohl nach den Bedingungen, unter denen die wechselseitige Abhängigkeit von Medien und Politik besteht, als auch inwiefern Konfliktsituationen zwischen beiden Gruppen entstehen. Dieses untersucht die Autorin flächendeckend am Beispiel Deutschlands und Großbritanniens beginnend mit dem Ersten Weltkrieg bis zu den 1990er Jahren. Nachdem sie im ersten Kapitel die Aufmerksamkeit auf die Presse und Politik des Ersten Weltkriegs richtet, wendet sie im zweiten Kapitel den Blick auf die Zwischenkriegszeit. Im dritten Kapitel wird die Instrumentalisierung der Medien zum Zweck der Propaganda im »Dritten Reich« illustriert. Als Fallbeispiele im Zeitraum 1962/63 werden der so genannte Profumo-Skandal und die Spiegel-Affäre verglichen. Zum Schluss wird die Dezentralisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zum Gegenstand des Vergleichs gemacht.
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Frauengeschichtswerkstatt Sauerland. Das Kriegsende 1945 in der Erinnerung heutiger Sauerländerinnen und Sauerländer. Meschede: Frauengeschichtswerkstatt Sauerland, 2018, 119 pp., 10,00 €. On May 8 1945 the Second World War in Europe ended with the surrender of the German troops. Some contemporaries saw the »Stunde Null« as their return into reality, for other people it was the liberation and a moment of utter relief. But how did individuals perceive the end of the »Third Reich«? To answer this question and give the German defend loss an individualpersonal mark, the Frauengeschichtswerkstatt Sauerland has interviewed many women and men from all parts of the German Reich – living in the Sauerland region today – about their memories. This book is the result of historical-social commitment and contains not only the accounts of the reporting contemporaries, but also a map of the Second World War between 1942 and 1945 and general historical information about the military conflicts between German soldiers and the Allies within the Ruhrkessel. Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa mit der Kapitulation der deutschen Truppen. Für einige war die sogenannte »Stunde null« die Rückkehr in die Realität, für andere die Befreiung und der Moment des Aufatmens. Doch wie wurde das Ende des »Dritten Reiches« von den Individuen wahrgenommen? Um diese Fragen zu beantworten und der gesamtdeutschen Niederlage auch eine individuell-persönliche Note zu geben, hat die Frauengeschichtswerkstatt Sauerland sowohl Frauen als auch Männer, welche zwar heute im Sauerland leben, aber 1945 über ganz Deutschland verteilt waren, nach ihren Erinnerungen befragt. Das Buch ist das Ergebnis dieses historisch-gesellschaftlichen Engagements und beinhaltet nicht nur die zum Teil selbst verfassten Berichte der sich Erinnernden, sondern auch eine Karte zum Zweiten Weltkrieg von 1942 bis 1945 und allgemeine historische Informationen über die militärischen Auseinandersetzungen zwischen deutschen und alliierten Soldaten im Ruhrkessel. Hildegard Frübis, Clara Oberle, Agnieszka Pufelska (eds.). Fotografien aus den Lagern des NS-Regimes. Beweissicherung und ästhetische Praxis. Wien: Böhlau (Schriften des Centrums für Jüdische Studien; 31), 2019, 325 pp., 50,– € [978-3-205-20647-7]. Photography is now used as a source for research into the Holocaust. The photos taken by private photographers among the SS members and the so-called »Erkennungsdienst« (Recognition Service) or by the concentration camp prisoners are the subject of this collection. In »The Pictures of the Erkennungsdienst at Mauthausen Concentration Camp«, for example, Lukas Meissel analyses the depiction of camp life on the basis of photographs taken by the Recognition Service. The special feature of this source is that it was used for the self-staging of the perpetrators and for depicting the order in the camp and that it was therefore far from the reality of life of the concentration camp prisoners. In her contribution »Photographs as Witnesses – Prisoner Photographs from the Women’s Concentration Camp Ravensbrück«, Andrea Genest focuses on five photographs taken illegally by a Polish prisoner. These photographs make it possible to see the reality of the prisoners‘ lives from the perspective of the victims. Other authors also
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deal, for example, with everyday life in the ghetto in Lodz, traces of resistance, or the visual structures of photo albums. An extensive list of illustrations and detailed information on the authors round off the volume. Die Fotografie wird inzwischen als eine Quelle zur Erforschung des Holocaust in Anspruch genommen. Die Aufnahmen von privaten Fotografen unter den SS-Angehörigen und vom sogenannten Erkennungsdienst oder den KZ-Häftlingen sind Thema dieses Sammelbandes. Lukas Meissel beispielsweise analysiert in »The Pictures of the Erkennungsdienst at Mauthausen Concentration Camp« die Darstellung des Lagerlebens anhand der Aufnahmen des Erkennungsdiensts. Die Besonderheit dieser Quelle besteht darin, dass sie zur Selbstinszenierung der Täter und zur Darstellung der Ordnung im Lager gedient haben und sie mithin weit entfernt von der Lebensrealität der KZ-Häftlinge gewesen sind. Im Beitrag »Fotografien als Zeugen – Häftlingsfotografien aus dem Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück« dagegen rückt Andrea Genest fünf Fotografien in den Vordergrund, die illegal von einer polnischen Gefangenen aufgenommen wurden. Diese Fotografien ermöglichen es, die Lebensrealität der Häftlinge aus der Opferperspektive zu sehen. Darüber hinaus beschäftigen sich weitere Autoren zum Beispiel mit dem Gettoalltag in Lodz, Spuren des Widerstandes oder visuellen Strukturen von Fotoalben. Ein umfangreiches Abbildungsverzeichnis sowie ausführliche Informationen zu den Autor*innen runden den Band ab. Thomas Geiger, Norbert Miller, Joachim Sartorius (eds.). Holocaust als Kultur. Zur Poetik von Imre Kertész. Köln: Böhlau (Sprache im technischen Zeitalter; 228; 12.2018), 2018, 594 pp., 14,00 € [978-3-412-51301-6; 0038-8475]. The focus of the volume is on the doing of Jewish-born Hungarian writer Imre Kertész, but subsequently there are contributions about the Russian-born, and since his fourth year of age in New York living, poet Matvei Yankalevich, and also about the project »Atelier NRW«. The contributions originate from different authors. The book contentwise begins with the upper topic »Holocaust as culture – About the poetics of Imre Kertész« and provides deep insights in the life and doing of the author. Afterwards follows the for the series of booklets typical rubric »Auf Tritt Die Poesie«, which this time grants insight in life and works of the poet Matvei Yankalevich. Some of his poems of »From a Winter Notebook« are also printed. The book contentwise closes with pieces about the »Atelier NRW«, a project that is supported by the Kunststiftung NRW, and which frequently gathers writers to reflect about texts and writing. The contributions of the book regarding this project are essays, which originated in connection with a local convention there. On the convention participants held pulse lectures about poetological, social and literary issues and the essays approach the very same thing. Im Fokus des Bandes steht das Werk des jüdisch-stämmigen ungarischen Schriftstellers Imre Kertész, im Anschluss sind aber auch Beiträge zu dem in Russland geborenen und seit seinem vierten Lebensjahr in New York lebenden Dichters Matvei Yankalevich, sowie zum Projekt »Atelier NRW« zu lesen. Die Beträge stammen von verschiedenen Autoren. Das Buch beginnt thematisch mit der Oberthema »Holocaust als Kultur – Zur Poetik von Imre
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Kertész« und verschafft tiefe Eindrücke in das Leben und Werk des Schriftstellers. Danach folgt die für die Heftreihe typische Rubrik »Auf Tritt Die Poesie«, die Einblick gewährt in Leben und Schaffen des Dichters Matvei Yankalevich. Es sind auch einige seiner Gedichte aus From a Winter Notebook abgedruckt. Das Heft schließt inhaltlich mit Beiträgen über das »Atelier NRW«, einem Projekt das von der Kunststiftung NRW unterstützt, und das immer wieder Schriftsteller*innen versammelt, um über Texte und das Schreiben zu reflektieren. Die Beiträge aus dem Heft bezüglich des Projekts sind Essays zu poetologischen, sozialen und literaturbetrieblichen Fragestellungen, die im Anschluss einer Tagung entstanden sind. Albrecht Hagemann. Hermann Rauschning. Ein deutsches Leben zwischen NS-Ruhm und Exil. Köln: 2018, 645 pp., 40,– € [978-3-412-51104-3]. Herrmann Rauschning was the author of the bestseller »Gespräche mit Hitler« (Conversations with Hitler), which was long accepted by international readers as an authentic piece of work. Since the 1980s, however, it has been assumed that these conversations are pure fiction. Between 1932 and 1934 Rauschning was a member of the NSDAP. After he resigned his office as Senate President of the Free City of Gdansk, he had to leave Gdansk. His exile life led him first to Switzerland, France, Britain and finally to the USA, where he died in 1982. Albrecht Hagemann describes the landmarks in the life of the politician and writer of the time in an overview-like manner and then goes into the »entry into politics« by including the superordinate political-geographical contexts in Rauschning’s biography. The phase of moving from Poland to the Free City of Gdansk and the political career are presented as well as Rauschning’s life and writing in exile. In the following, his return to the USA as a result of a failed attempt to make a comeback in the Federal Republic of Germany is illustrated. Herrmann Rauschning war der Verfasser des Bestsellers Gespräche mit Hitler, welcher lange Zeit vom internationalen Leserpublikum als authentisches Werk angenommen wurde. Seit den 1980er Jahren jedoch wird davon ausgegangen, dass es sich bei diesen Gesprächen um reine Fiktion handele. Zwischen 1932 und 1934 war Rauschning Mitglied der NSDAP. Nachdem er sein Amt als Senatspräsident der Freien Stadt Danzig niederlegte, musste er Danzig verlassen. Sein Exilleben führte ihn erst in die Schweiz, nach Frankreich, nach England und schließlich in die USA, wo er 1982 starb. Albrecht Hagemann beschreibt die Prägungen im Leben des damaligen Politikers und Schriftstellers überblicksartig und geht anschließend den »Eintritt in die Politik« ein, indem er die übergeordneten politischgeographischen Zusammenhänge in Rauschnings Biographie mit einbezieht. Die Phase der Übersiedlung aus Polen in die Freie Stadt Danzig und die politische Karriere werden ebenso dargestellt wie Rauschnings Leben und Schreiben im Exil. Im Darauffolgenden wird seine Rückkehr in die USA als Ergebnis des gescheiterten Versuchs eines Comebacks in der Bundesrepublik illustriert.
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Christian Hardinghaus. Ein Held dunkler Zeit. Berlin, München, Zürich, Wien: Europa Verlag, 2018, 367 pp., 19,90 € [978-3-95890-119-3]. Christian Hardinghaus’ latest novel portrays the life of the German physician Wilhelm Möckel during the »Third Reich« and the Second World War, in which Wilhelm was a volunteer in order to save his wife Annemarie who was classified as half-Jewish. Wilhelm had to become a hero of the war, for Annemarie to be »aryanised«, to get protection against the National Socialist persecution. This book describes not only the battle in the South of the Ukraine in the winter 1941/42 but also the love story between Wilhelm and Annemarie, which urges Wilhelm to volunteer for war, protecting his family while being sent to the eastern front. But Wilhelm has to hurry to become a hero, because his family is strained by the National Socialists stronger and stronger. This novel is based on true events and on true persons, which is why it can provide realistic evidence about the darkest era of German history. Christian Hardingshaus’ neuester Roman schildert das Leben des deutschen Arztes Wilhelm Möckel in der Zeit des »Dritten Reiches« und während des Zweiten Weltkrieges, zu dem sich Wilhelm freiwillig gemeldet hatte, um seine »halbjüdische« Frau Annemarie mithilfe heldenhafter Leistungen im Kriegsdienst »arisieren« zu lassen und damit gegenüber der nationalsozialistischen Verfolgung zu schützen. Dieses Buch beschreibt nicht nur die Kämpfe in der Südukraine im Winter 1941/42, sondern auch die Liebesgeschichte zwischen Wilhelm und Annemarie, die Wilhelm sogar dazu bringt, sich zum Schutze seiner Familie freiwillig für den Krieg zu melden, in dem er letztlich an die Ostfront geschickt wird. Wilhelm muss sich anstrengen, um so schnell wie möglich zu einem deutschen Helden zu werden und seine von Nationalsozialisten immer stärker bedrängte Familie noch rechtzeitig retten zu können. Dieser Roman basiert auf einer wahren Begebenheit und auf wahren Personen und vermag deshalb umso eindringlicher ein realistisches Zeugnis über die dunkelste Epoche deutscher Geschichte zu geben. Alexander Honold. Einsatz der Dichtung. Literatur im Zeichen des Ersten Weltkrieges. Berlin: Vorwerk 8, 2018, 838 pp., 48,– € [978-3-940384-65-2]. With the beginning of the First World War, German poetry experienced an intensive new climax, because it could propagandistically be used as a part of mobilization and reinforcement of the war fever as well as the national pride. Alexander Honold’s book examines for the first time what value the First World War had for the historical and aestethic development of literature. To this end, the great writers of this time like Robert Musil, Thomas Mann, Gerhart Hauptmann and many more and both their personal and artistic relation to the war will be considered. Moreover, the impacts of new technologies and military tactics, new shapes of war perception and the possibly service in the trench war itself not only on the physical, but also on the mental-creative health of young up-and-coming writers, who had lived in this time, will be discussed. In doing so the author can clarify how obvious this war has shaped both the 20th century in general and the German literature in particular. The appendix includes an acknowledgement, a bibliography and an index of persons.
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Mit Beginn des Ersten Weltkrieges erfuhr die deutsche Dichtung einen intensiven neuen Höhepunkt, konnte sie doch propagandistisch im Rahmen der Mobilmachung und der Stärkung der Kriegsbegeisterung sowie des nationalen Stolzes genutzt werden. Alexander Honold untersucht nun erstmalig, welchen Stellenwert der Erste Weltkrieg für die historische und ästhetische Entwicklung der Literatur hatte. Hierbei werden einerseits die großen Literaten der Zeit wie Robert Musil, Thomas Mann, Gerhart Hauptmann und viele andere und ihr sowohl persönliches als auch künstlerisches Verhältnis zum Krieg betrachtet. Andererseits werden auch die Einflüsse neuer Technologien und militärischer Taktiken, neuer Formen der Wahrnehmung eines Krieges und des möglicherweise eigenen Einsatzes im Grabenkrieg nicht nur auf die körperliche, sondern auch auf die psychischkreative Gesundheit damaliger, vorwiegend junger Nachwuchsautoren behandelt, um zu verdeutlichen, wie stark der Erste Weltkrieg sowohl das 20. Jahrhundert allgemein als auch spezifisch die deutsche Literatur geprägt hat. Im Anhang befinden sich eine Danksagung, ein Literaturverzeichnis und ein Personenregister. Anja Huber. Fremdsein im Krieg. Die Schweiz als Ausgangs- und Zielort von Migration, 1914–1918. Zürich: Chronos, 2018, 336 pp., Ill., 58,00 € [978-3-0340-6411-8]. From 1914 to 1918, the First World War, being the first industrial war, devastated large parts of Europe. Being on all sides surrounded by the several parties of the conflict, Switzerland got to maintain its neutrality in this war due to the treaty of Den Haag in 1907, making it a destination for huge, transnational, military, political and civil waves of migration that changed the Swiss mindset fundamentally. In this dissertation, Anja Huber begins with an elucidation of the meaning of war and migration and a view on the latest state of research. In the main part of her book, the author deals with the pre-war migration, various migration groups and the treatment of migrants in Switzerland, but also with the treatment of Swiss people in foreign countries. All this leads to a final summary. The volume concludes with annotations and an annex, including a cromprehensive index of illustrations, tables and literary sources. Ab 1914 erschütterte der als erster industrialisierter Krieg geltende Erste Weltkrieg fast ganz Europa. Vollständig von Kriegsparteien umgeben, schaffte es die in Mitteleuropa gelegene Schweiz durch das Haager Abkommen von 1907, ihre Neutralität im Kriegsfall zu wahren. Durch diesen Status wurde der Kleinstaat zum Zielpunkt massiver, transnationaler, sowohl militärischer und politischer als auch ziviler Migrationsbewegungen, die den Umgang der Schweizer mit Migranten grundlegend veränderte. In dieser Dissertation beginnt Anja Huber mit einer Erläuterung der Begriffe »Krieg« und »Migration« sowie einer Betrachtung des aktuellen Forschungsstandes. Im Hauptteil des Buches behandelt die Autorin die Vorkriegsmigration, unterschiedliche Migrantengruppen sowie die Behandlung von Flüchtlingen in der Schweiz und von Schweizern selbst im Ausland quellenbasiert und ausführlich, was schließlich zu einer Zusammenfassung leitet. Das Buch schließt mit Anmerkungen und einem Anhang, der ein umfangreiches Abbildungs-, Tabellen-, Quellen-, und Literaturverzeichnis umfasst, ab.
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Karin Jabs Kiesler. Warum Erinnern? Texte zum Nachlesen. Eine Auswahl von Reden an Orten des Gedenkens 2003–2016. Osnabrück: sec / secolo Verlag, 2017, 276 pp., 18,50 € [978-3-943213-16-4]. The book »Warum Erinnern?« by the former mayor of Osnabrück, Karin Jabs-Kiesler, is an appeal for the continual critical analysis of the National Socialist past and contains many speeches given at places of commemorate in Osnabrück between 2003 and 2016. The speeches were on occasion of diverse commemoration events and they are connected to places of National Socialist crimes, for example at the Gestapokeller of Osnabrück. The speeches inform about themes, institutions, events and specific persons, who guarantee with their work and their efforts, that the time of the National Socialists and their crimes will never be forgotten. Das Buch Warum Erinnern? der ehemaligen Osnabrücker Bürgermeisterin Karin JabsKiesler stellt einen Appell für die immerwährende kritische Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit dar und enthält eine Auswahl der von ihr gehaltenen Reden an Orten des Gedenkens in Osnabrück zwischen 2003 und 2016. Die Reden wurden anlässlich verschiedenster Veranstaltungen im Bereich des Gedenkens an die Zeit des Nationalsozialismus gehalten und stehen im Zusammenhang mit den jeweiligen Orten nationalsozialistischer Verbrechen wie beispielsweise dem ehemaligen Gestapokeller in Osnabrück. Sie informieren über Themen, Institutionen, Ereignisse und spezifische Personen, die mit ihrem Wirken und Schaffen dafür einstehen, dass die Zeit des Nationalsozialismus und die damit zusammenhängenden Verbrechen niemals vergessen werden. Jaroslav Láník, Tomáš et.al. (eds.). Léta do pole okovaná 1914–1918. Band 2: 1915 – Noví nepřátelé, nové výzvy. Prag: Ministerstvo obrany České republiky – VHÚ Praha, 2018, 718 pp. [978-80-7278-715-9]. The volume includes the contributions to the conference »1917 – New Enemies, New Challenges«, which was organised in September 2015 by the Military History Institute Prague in the Chamber of Deputies of the Czech Republic. The conference was part of a series of conferences on the history of the First World War from 2014 to 2018. The 40 contributions of the volume focus exclusively on the war year 1915, which is considered from military, cultural, media, art and literary historical points of view by contributors from more than 15 countries. A list of abbreviations and a register of names complete the volume. Der Band vereinigt die Beiträge zur Tagung »1917 – New Enemies, New Challenges«, die im September 2015 vom Militärhistorischen Institut Prag in der Abgeordnetenkammer der Tschechischen Republik veranstaltet wurde. Die Tagung ist Teil der von 2014 bis 2018 ausgerichteten Tagungsreihe zur Geschichte des Ersten Weltkrieges. Die 40 Beiträge des Bandes fokussieren ausschließlich auf das Kriegsjahr 1915, das unter militärhistorischen, kultur-, medien-, kunst- und literaturgeschichtlichen Gesichtspunkten von Beiträgern aus mehr als 15 Staaten betrachtet wird. Ein Abkürzungsverzeichnis sowie ein Namensregister vervollständigen den Band.
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Elmer Luchterhand. Einsame Wölfe und stabile Paare. Verhalten und Sozialordnung in den Häftlingsgesellschaften nationalsozialistischer Konzentrationslager. Wien: new academic press (Mauthausen-Studien, Schriftenreihe der KZ-Gedenkstätte Mauthausen; 11), 2018, 285 pp., 24,90 € [978-3-7003-2055-5]. In his book the sociologist Elmer Luchterhand tries to investigate the behavior and the social order within the communities of detainees of National Socialist concentration camps. Luchterhand was able to interview liberated detainees and eyewitnesses since 1945, as he was involved in the liberation of concentration camps. He concludes that the detainees did not have the best chances of survival when they behaved selfishly, but instead when they included themselves into little solidarity groups or pairs. The appendix includes the thematic statements and the interview guidelines, a list of literature and an index of persons. In seinem Buch versucht der Soziologe Elmer Luchterhand Schlüsse hinsichtlich des Verhaltens und der Sozialordnung innerhalb der Häftlingsgemeinschaften von nationalsozialistischen Konzentrationslagern zu ziehen. Hierfür hat Luchterhand bereits seit 1945 im Rahmen der US-Army befreite Häftlinge und Augenzeugen der Konzentrationslager mithilfe eines soziologischen Interviewleitfadens befragt. Aufgefallen ist ihm bei der Interviewauswertung vor allem, dass nicht egoistisches Einzelgängertum maßgeblich beim Überleben innerhalb von Konzentrationslagern geholfen habe, sondern die Einbindung in kleine solidarische Gemeinschaften und Paare das Überleben verlängern konnte. Im Anhang befinden sich außerdem die thematischen Aussagen und der Interviewleitfaden, ein Literaturverzeichnis und ein Personenverzeichnis. Hans-Jürgen Lüsebrink, Manfred Schmeling (eds.). Romain Rolland. Ein transkultureller Denker – Netzwerke, Schlüsselkategorien, Rezeptionsformen. Stuttgart: Franz Steiner (Vice Versa – Deutsch-französische Kulturstudien; 6), 2016, 333 pp., Ill., 59,00 € [978-3-51511547-6]. This volume contains essays on the life and work of French writer and pacifist Romain Rolland (1866–1944). The articles, written either in German or French, are grouped in chapters, each focusing on one particular aspect of Rolland: first of all, the transcultural networks he maintained, such as his correspondence with the German writer Herman Hesse (1877–1962), hereafter his use of transcultural topoi, key categories and stereotypes. The third chapter examines the relationship between his work and his concepts of pacifism and culture beyond national borders, while the last chapter explores Rolland’s reception. The essays are preceded by a German and a French introduction. The appendix contains summaries for all contributions in German and French as well as a list of authors, including brief biographies and photo credits. Der vorliegende Sammelband enthält Aufsätze zu Leben und Werk des französischen Schriftstellers und Pazifisten Romain Rolland (1866–1944). Die entweder auf Deutsch oder Französisch verfassten Beiträge sind dabei in Kapitel zusammengefasst, die jeweils einen besonderen Aspekt Rollands in den Mittelpunkt stellen: zunächst die von ihm unterhaltenen
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transkulturellen Netzwerke, etwa seine Korrespondenz mit dem deutschen Schriftsteller Herman Hesse (1877–1962), im Folgenden seine Verwendung transkultureller Topoi, Schlüsselkategorien und Stereotype. Das dritte Kapitel untersucht den Zusammenhang zwischen seinem Werk und seiner Vorstellung von Pazifismus und Kultur jenseits nationaler Grenzen, während das letzte Kapitel sich mit der Rezeption Rollands auseinandersetzt. Den Aufsätzen vorangestellt sind eine deutsche und eine französische Einleitung. Im Anhang finden sich Zusammenfassungen für alle Beiträge auf Deutsch und Französisch sowie ein Autorenverzeichnis inklusive Kurzbiographien und Bildnachweise. Linda Maeding, Marisa Siguan (eds.). Utopie im Exil – Literarische Figurationen des Imaginären. Bielefeld: Transcript-Verlag, 2017, 240 pp., Ill., 39,99 € [978-3-8376-3749-6]. When researching German authors and writers who lived in exile, one deals with the circumstances of the fleeing, life in general and many more aspects of the lives of German exiles. More often than not, the research is limited to facts, for example, events that happened in the past. However, German exile literature deals with the future just as it deals with the past. The writers often wrote about utopian, but also about dystopian possibilities for the future. »Utopie im Exil« is possibly the first systematic workup of utopias in German exile literature. The methods used present the works in a way that makes it possible for the reader to understand the respective point of view. The book ends with a description of each author involved in its making. Bei der Exilforschung, besonders in Hinsicht auf das deutschsprachige Exil, wird sich in erster Linie mit den Umständen der Flucht und des Lebens und weiteren Aspekten des Lebens deutschsprachiger Exilanten befasst. Oft ist die Forschung jedoch auf das Faktische begrenzt, d.h. auf Ereignisse, die in der Vergangenheit stattfanden. Die Autoren der deutschen Exilliteratur erzählten jedoch, genau wie über die Vergangenheit, auch über die Zukunft, sowohl aus utopischem, als auch aus dystopischem Blickwinkel. Utopie im Exil ist womöglich die erste systematische Aufarbeitung von Utopien in der Exilliteratur. Die angewandten Methoden stellen die beinhalteten Werke so dar, dass ein Verstehen des jeweiligen Blickwinkels dem Leser ermöglicht wird. Das Buch endet mit einer Beschreibung jedes Autors, der am Buch beteiligt ist. André Maertens (ed.). Krieg im Comic? Grafisches Erzählen zu Militarismus und Gewalt. Eine Textsammlung von Gerhard Mauch und André Maertens. Norderstedt: BoD, 2017, 90 pp., Ill., 6,00 € [978-3-743136502]. Although graphic literature has established itself as a respected art genre in German-speaking countries, comics with a political content are regarded as a more marginal phenomenon. This volume discusses some of the works, investigating how graphic narratives can work, in which artistic and social context the work is to be seen, and how the comics were received by their readers. Specifically, comics on crises and wars were selected for the collection. Individual topics include weapons and violence, crime and injustice – when dealing with warfare and war participation, arms trade and arms production, one almost always finds the reflection of
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injustice. The war in Afghanistan, military and war criticism, Uncle Sam and Crazy Horse, reports and documentaries, comics against the Nazi regime (Donald Duck, Superman and others) are taken into account as well as, for example, fight mangas from Japan. An index of links and literature completes the volume. Grafische Literatur hat sich zwar auch in deutschsprachigen Ländern zu einer angesehen Kunstgattung etabliert, jedoch werden Comics mit politischem Inhalt eher als Randerscheinung betrachtet. Im vorliegenden Band werden einige Werke besprochen, wobei auch immer mitbetrachtet wird, wie grafisches Erzählen funktionieren kann, in welchem zeichnerischen und gesellschaftlichem Kontext das Werk zu sehen ist und wie die Comics vom Leser aufgenommen wurden. Speziell ausgesucht wurden Comics zu Krisen und Kriegen. Themen sind Waffen und Gewalt, Unrecht und Ungerechtigkeit. Bei der Beschäftigung mit Kriegsführung und – beteiligung, Waffenhandel und -produktion findet sich auch fast immer die Reflexion des Unrechts. Der Afghanistan-Krieg, Militär- und Kriegskritik, Uncle Sam und Crazy Horse, Reportagen und Dokus, Comics gegen das NS-Regime (Donald Duck, Superman…) finden ebenso Berücksichtigung wie beispielsweise Kampf-Mangas aus Japan. Eine Link- und eine Literaturliste vervollständigen den Band. Wolfgang Menzel. Erinnerungen – Wilhelm Lehmann und der Krieg. Göttingen: Wallstein, 2016, 91 pp., Ill., 14,00 € [978-3-8353-1866-3]. As a German citizen, Lehmann had to serve for Germany in both world wars. The teacher/ writer served in the German infantry in the First World War, starting 1917. He deserted, thus being taken prisoner of war by England in the following year. Based on the horrifying experiences of war, Lehmann wrote the novel »Der Überläufer«, which was not released until 1962, because of the controversial topic of desertion. Out of fear for his personal future and his hard earned title as an official, Lehmann joined the NSDAP, although he later daimed to have strongly disagreed with its values. These experiences and more lead to Wilhelm Lehmann’s biography being a controversial, but interesting one. »Erinnerungen« is a collection of encounters with Lehmann himself, which gives the reader an insight into a great mind caught up in the wars of its time. This is especially interesting coming from Wolfgang Menzel, someone who lived through the Second World War himself. Als deutscher Bürger musste Lehmann in beiden Weltkriegen Wehrdienst leisten. Der Lehrer und Autor wurde im Ersten Weltkrieg ab 1917 in der Infanterie eingesetzt. Schon im darauffolgenden Jahr desertierte Lehmann und wurde von England als Kriegsgefangener festgenommen. Von den Erfahrungen des Krieges gezeichnet schrieb Lehmann Der Überläufer. Aufgrund des heiklen Themas der Desertion wurde der Roman bis 1962 nicht veröffentlicht. Lehmann trat aus Zukunftsfurcht der NSDAP bei, da Desertion mit Entziehung des Beamtentitels strafbar war. Nach eigener Aussage widersprach dies seinen Werten in vollem Umfang. Diese Erfahrungen führen zu einer kontroversen, aber doch sehr interessanten Biografie. Erinnerungen ist eine Sammlung von Begegnungen mit Wilhelm Lehmann selbst, was dem Leser eine Einsicht in ein großartiges Genie, welches in den Kriegen seiner
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Zeit verfangen ist, erlaubt. Besonders interessant ist, dass dem Autor Wolfgang Menzel das Thema nicht fremd ist, da er den Zweiten Weltkrieg selbst durchlebte. Friederike Mönninghoff. »Irgendwie fuhr ein Krieg auf«. Die rumänische Revolution 1989 im individuellen und kollektiven Erinnern von Siebenbürger Sachsen. Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2018, 288 pp., Ill., 45,00 € [978-3-412-50790-9]. In 1989, the end of the Cold War and the collapse of the Soviet Union were inevitable. One by one the real socialist regimes of the Soviet satellite states were overthrown and also Romania went through this process. In this dissertation, Friederike Mönninghoff begins with an extensive review on theories about the culture of remembrance of war and further analyses the history of the Transylvanian Saxons, a German minority in Romanian Transylvania. She proceeds with an investigation of their individual and collective remembrance of the 1989 revolution and mass migration to the Federal Republic of Germany during and after the overthrow of Nicolae Ceausescu’s regime as well. The volume concludes with an annex, a comprehensive index of literary sources, abbreviations and illustrations and a register of topics covered. Im Jahr 1989 waren das Ende des Kalten Krieges und der Zusammenbruch der Sowjetunion nun mehr unabwendbar. Der Reihe nach fielen die realsozialistischen Regime in den sowjetischen Satellitenstaaten und auch Rumänien durchlief diesen Prozess. In diesem als Dissertation veröffentlichten Buch beginnt Friederike Mönninghoff mit einer umfassenden Bearbeitung von Theorien über die Erinnerungskultur des Krieges und behandelt fortführend die Geschichte der Siebenbürger Sachsen, einer deutschen Minderheit in Rumänien, sowie ihr individuelles und kollektives Erinnern, also der einzelne beziehungsweise gesellschaftliche Umgang mit der Revolution 1989 und der massiven Migrationen in die BRD während und nach dem Regime Nicolae Ceausescu. Das Buch schließt mit einem Anhang und einem umfassenden Verzeichnis von Quellen, Abkürzungen, Abbildungen und Literatur sowie einem Sach- und Themenregister ab. Enrique Moradiellos. Franco. Anatomy of a Dictator. London, New York: I. B. Tauris, 2018, 246 pp., 30,00 $ [978-1-78453-942-9]. The book »Franco« by Enrique Moradiellos, one of the most distinguished historians of twentieth-century Spain, describes the life of the Spanish dictator General Francisco Franco and how he shaped not only Spain but also all of Europe in the twentieth century. The book is divided in three main sections: a fundamental biography of Franco as one man under many others, a description of him as a dictator or »Caudillo« – a Spanish word for leader –, and an account of the Franco-regime and the dictatorship which influenced Spain and Europe for almost 40 years. The appendix includes annotations, a list with further reading and an index. At the beginning you can also find a list of illustrations and a map. Das Buch Franco des spanischen Historikers Enrique Moradiellos, einem der bewandertsten Kenner Spaniens im 20. Jahrhundert, beschreibt das Leben und die Führerschaft des spanischen Diktators General Francisco Franco und wie dieser nicht nur die Politik in Spanien,
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sondern auch in ganz Europa entscheidend mitgestaltet und geprägt hat. Das Buch gliedert sich hierbei in drei Abschnitte: Als erstes wird das Leben des Menschen Franco detailliert beschrieben, wobei der Fokus eher auf die Person denn auf die politischen Auswirkungen gelegt wird. Daraufhin wird die Führerschaft Francos, in spanischsprachigen Ländern oft auch als »Caudillo« bezeichnet, näher analysiert und im dritten und letzten Abschnitt wird das unter Franco geschaffene diktatorische Regime ausführlich untersucht. Im Anhang befinden sich ein Anmerkungsapparat, eine Liste mit weiterführender Literatur und ein Orts- und Personenregister. Am Anfang des Buches sind außerdem noch eine Liste von Illustrationen und eine Karte zu finden. Christian Palm. Exil und Identitätskonstruktion in deutschsprachiger Literatur exilierter Autoren. Das Beispiel SAID und Sam Rapithwin. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2017, 640 pp., 65,00 € [978-3-8253-6730-5]. The term »exile literature« is mostly used in connection with the Nazi regime and the flight of German writers during the »Third Reich«. This study broadens the view to the literary texts of exiled authors who are German-speaking and have a connection to Iran. The presumption of the study is that identity is constructed and therefore its narrative and portrayal is a necessity. On the basis of historisation it is possible to gain a detailed overview of the political events in Iran as the cause of exile. Following the presentation of the terminological and historicalpolitical substrates, the primary texts of two exiled writers, SAID and Sam Rapithwin, are used as the subject of the empirical part in order to describe the process of identity construction in the German-language literature of exiled authors. The author discusses in detail the connection between exile and identity construction, examines political and family exile of SAID as well as the image of Iran and Germany in Sam Rapithwin’s works. Bibliography, illustrations and chronological indexes complete the volume. Der Begriff »Exilliteratur« wird meist im Zusammenhang mit der NS-Herrschaft und mit der Flucht deutscher Schriftsteller während des »Dritten Reichs« verwendet. Diese Studie weitet den Blick auf die literarischen Texte exilierter Autor/innen, die deutschsprachig sind und einen Bezug zum Iran haben. Die Vorannahme der Untersuchung ist, dass Identität konstruiert wird und mithin deren Erzählung und Darstellung eine Notwendigkeit ist. Anhand der Historisierung gelingt es, einen recht ausführlichen Überblick zu den politischen Ereignissen im Iran als Ursache des Exils zu gewinnen. Nach der Vorstellung der terminologischen und historisch-politischen Substrate werden die Primärtexte von zwei exilierten Schriftstellern, SAID und Sam Rapithwin, als Gegenstand des empirischen Teils herangezogen, um den Prozess der Identitätskonstruktion in deutschsprachiger Literatur exilierter Autoren beschreiben zu können. Der Autor diskutiert ausführlich den Zusammenhang zwischen Exil und Identitätskonstruktion, untersucht politische und familiäre Exilsituationen bei SAID ebenso wie das Iran- und Deutschlandbild bei Sam Rapithwin. Literaturverzeichnis, Abbildungen sowie chronologische Werkverzeichnisse vervollständigen den Band.
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Birgit Peter, Gabriele C. Pfeiffer (eds.). Flucht – Migration – Theater. Dokumente und Positionen. Göttingen: V&R unipress (Manuscripta theatralia. Schriftenreihe zu raren Dokumenten und Archivalien im Fokus kulturhistorischer Grundlagenforschung; 1), 2017, 564 pp., Ill., 74,99 € [978-3-8471-0667-8]. This collections is based on the lecture series »Flucht Migration Theater«, which was held on the occasion of the »long summer of migration« 2015 in the winter semester 2015/16 at tfm|Institute of Theater, Film and Media Studies at the University of Vienna. In addition to scholarly contributions on the relationship between migration and theatre, it also contains numerous interviews with refugees and artists as well as illustrated documentaries of theatre and photo projects. Further, contributions seek to critically examine, classify and question the public debate on topics of flight and migration. The aim of the editors and the series of publications is to make new sources and documents accessible to cultural-historical research as well as to social discourse. The volume is accompanied by the picture credits and a complete list of participating authors and interviewees, including brief information texts on their respective biographies and academic or artistic activities. Der vorliegende Sammelband basiert auf der Ringvorlesung Flucht Migration Theater, die anlässlich des »langen Sommers der Migration« 2015 im Wintersemester 2015/16 am tfm|Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien gehalten wurde. Er enthält neben wissenschaftlichen Beiträgen zur Beziehung zwischen Migration und Theater auch zahlreiche Interviews mit Geflüchteten und Kunstschaffenden sowie illustrierte Dokumentationen von Theater- und Fotoprojekten. Des Weiteren erscheinen Diskussionsbeiträge, welche den Versuch unternehmen, die öffentliche Debatte über die Themen Flucht und Migration kritisch zu beleuchten, einzuordnen und zu hinterfragen. Ziel der Herausgeber*innen und der Schriftenreihe ist es, neue Quellen und Dokumente der kulturhistorischen Forschung ebenso wie dem gesellschaftlichen Diskurs zugänglich zu machen. Dem Band sind die Bildnachweise und eine vollständige Liste der beteiligten Autor*innen und Interviewten inklusive kurzer Informationstexte zu deren jeweiligen Biographien und akademischen beziehungsweise künstlerischen Tätigkeiten angehängt. Viktoria Pötzl. Nation, Narration und Geschlecht. Eine feministische Literaturanalyse der Werke Yael Dayans. Berlin: Neofelis (Jüdische Kulturgeschichte in der Moderne; 15), 2018, 191 pp., 25,00 € [978-3-95808-049-2]. Yael Dayan was born in Nahalal in 1939. In addition to her work as a successful writer and journalist, Dayan has been an advocate of refugee rights, women’s rights and LGBT rights. She was also a member of the Knesset between 1992-2013. Viktoria Pötzl provides a discourseanalytical reading that views Dayan‘s works as historical narratives in order to recognise Jewish national identity constructions. In doing so, Pötzl is particularly interested in outlining the connection between Jewish-Israeli identity constructions and gender discourses in Jewish-Israeli historical narratives. To this end, Pötzl’s analysis focuses on gender as the central analytical category of her investigation. Topics such as theories and discourses on the Holocaust, nation,
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sexuality, love, religion, death and war form the thematic framework of her work. A bibliography rounds off the volume. Yael Dayan wurde im Jahr 1939 in Nahalal geboren. Neben ihrer Tätigkeit als erfolgreiche Schriftstellerin und Journalistin setzte Dayan sich u.a. für Flüchtlingsrechte, Frauenrechte und LGBT-Rechte ein. Zudem war sie Abgeordnete der Knesset zwischen 1992 und 2013. Im Mittelpunkt des Interesses der Autorin steht eine diskursanalytische Leseart, die die Werke Dayans als Geschichtsnarrationen betrachtet, um die jüdisch nationalen Identitätskonstruktionen zu erkennen. Insbesondere interessiert Pötzl sich für die Beleuchtung des Zusammenhanges zwischen den jüdisch-israelischen Identitätskonstruktionen und Genderdiskursen in den jüdisch-israelischen Geschichtsnarrativen. Zu diesem Zweck rückt Pötzl das Geschlecht in den Vordergrund und macht es zur zentrale Analysekategorie ihrer Untersuchung. Themen wie z.B. Theorien und Diskurse zu Holocaust, Nation, Sexualität, Liebe, Religion, Tod und Krieg bilden das thematische Gerüst ihrer Arbeit. Eine Bibliografie rundet den Band ab. Michael Rohrschneider, Anuschka Tischer (eds.). Dynamik durch Gewalt? Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) als Faktor der Wandlungsprozesse des 17. Jahrhunderts. Münster: Aschendorff, 2018, 342 pp., 48,00 € [978-3-402-14766-5]. This volume, which is based on an international interdisciplinary conference in Würzburg, was created in order to draw attention to a barely researched aspect of the Thirty Years’ War. In contrast to the contrast between war and peace in older research, the contributors are interested in researching the dynamics that arose as a result of the war. The hypothesis is that there is a close connection between war and social developments as well as the emergence of new forms of governance, and that for this reason armed conflicts in the early modern period brought about numerous transformations in many areas of society. Consequently, the question becomes relevant to what extent the Thirty Years’ War could have had innovative consequences, for example in terms of the formation of stable empires. In order to answer this question, 15 contributors deal with individual aspects of the Thirty Years’ War. The emergence of new dynamics through violence and the classification of the Thirty Years’ War in the processes of change of the early modern period play just as important a role as, for example, the interrelation between war and political change. Furthermore, the political actors and their possibilities to shape society, the actions of rulers and estates, and possible ways to the self-government of rural estates are analysed. In addition, the book deals with »military actors and practices«, e.g. changes in warfare with regard to financing, politics and strategy. The last chapter deals with cultural representations and communication. A register of persons concludes the volume. Der auf eine international-interdisziplinäre Würzburger Tagung zurückgehende Band erhebt den Anspruch, die Aufmerksamkeit auf einen kaum erforschten Aspekt des Dreißigjährigen Kriegs zu richten. Im Gegensatz zur Krieg-Frieden-Kontrastierung in der älteren Forschung besteht das Interesse der BeiträgerInnen in der Erforschung der Dynamiken, die als Folge des Krieges entstanden sind. Die vorangenommene These ist, dass es einen engen Zusam-
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menhang zwischen Krieg und gesellschaftlichen Entwicklungen sowie der Entstehung neuer Herrschaftsformen gibt, und aus diesem Grund kriegerische Auseinandersetzungen in der Frühen Neuzeit zahlreiche Transformationen in etlichen Bereichen der Gesellschaft mit sich brachten. Demzufolge wird die Frage relevant, inwiefern der Dreißigjährige Krieg innovative Folgen beispielsweise im Sinne von Herausbildung stabiler Reiche gehabt haben könnte. Zur Erforschung dieser Fragestellung befassen sich 15 Beiträger*innen mit den einzelnen Aspekten des Dreißigjährigen Kriegs. Die Entstehung neuer Dynamiken durch Gewalt und die Einordnung des Dreißigjährigen Krieges in die Wandlungsprozesse der Frühen Neuzeit spielen ebenso eine Rolle wie beispielsweise die Wechselbeziehung zwischen Krieg und politischem Wandel. Auch die politischen Akteure und ihre Gestaltungsmöglichkeiten sowie das Handeln der Fürsten und Stände oder mögliche Wege zur Selbstregierung von Landständen werden analysiert. Darüber hinaus geht es um »militärische Akteure und Praktiken«, hierbei z.B. um den Wandel bei der Kriegführung hinsichtlich Finanzierung, Politik und Strategie. Im letzten Kapitel werden dann die kulturellen Repräsentationen und Kommunikation behandelt. Ein Personenregister beschließt den Band. Birgit Schwarz. Hitlers Sonderauftrag Ostmark. Kunstraub und Museumspolitik im Nationalsozialismus. Wien, Köln, Weimar: Böhlau (Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung; 7), 2018, 236 pp., 35,00 € [978-3-205-20621-7]. Birgit Schwarz’ newest book about the cultural dimensions of the National Socialist regime closely investigates the art heist, which was ordered by Adolf Hitler, with the following distribution of the stolen objects and the character of the National Socialist policy of museums during the »Third Reich«. At this the regional focus lies on the Eastern March. Adolf Hitler often decided personally on the use and the distribution of the stolen Jewish art treasures, after he had enacted the »Führervorbehalt« in 1938. Especially the Austrian museums profited from Hitler’s prerogative. In detail the author describes the National Socialist mechanisms at the heist of Jewish art treasures from 1938 until 1943: from the theft of Jewish art collections to the trips of inspection of the special representative Hans Posse and the subsequent distribution of the Nazi »plunder« to German cultural institutions it she explains how Adolf Hitler pursued his ideologically motivated cultural policy. With the aid of this policy Hitler wanted to present himself as a patron and an art lover after the expected final victory in Europe. The the appendix includes an acknowledgement, several transcripts, an index of abbreviations, a register of illustrations, a list of literature plus an index of persons and a topographical index. Birgit Schwarz’ neuestes Buch über die kulturellen Dimensionen der nationalsozialistischen Herrschaft befasst sich intensiv mit dem von Hitler befohlenen Kunstraub, die anschließende Verteilung der geraubten Gegenstände und die damit zusammenhängende Ausgestaltung der nationalsozialistischen Museumspolitik während des Dritten Reiches, wobei der regionale Fokus auf die Ostmark gelegt wird. Mithilfe des sogenannten »Führervorbehalts« von 1938 sicherte sich Hitler das Vorrecht, über die Verwendung und Zuteilung gestohlener jüdischer Kunstschätze persönlich zu entscheiden, wobei insbesondere österreichische
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Museen von der Oberhoheit Hitlers in diesem Bereich maßgeblich profitierten. Detailliert zeichnet die Autorin die nationalsozialistische Vorgehensweise bei dem Raub jüdischer Kunstschätze von 1938 bis 1943 nach: Von dem Diebstahl jüdischer Kunstsammlungen über die Inspektionsreisen des Sonderbeauftragten Hans Posse bis zu den daran anschließenden Verteilungen der Raubkunst an deutsche Kulturinstitutionen wird verdeutlicht, auf welche Art und Weise Adolf Hitler museologisch und ideologisch motivierte Kulturpolitik betrieben hat, um so sich nach dem erwarteten Endsieg in Europa als Mäzen und Kunstfreund präsentieren zu können. Im Anhang des Buches befinden eine Danksagung, mehrere Abschriften, ein Abkürzungsverzeichnis, ein Abbildungsverzeichnis, ein Literaturverzeichnis sowie ein Personen- und ein Ortsregister. Tobias Strahl. Kultur. Erbe. Konflikt. Kulturgutzerstörung in Kroatien, Bosnien-Herzegovina und Kosovo 1991–2004. Köln: Böhlau, 2018, 715 pp., 80,00 € [978-3-412-50975-0]. The destruction of cultural heritage as a result of the political upheavals in South-Eastern Europe between 1991 and 2004 is the thematic focus of Tobias Strahl’s work. According to Strahl, the connection between politics and culture produced in European nationalism between the 18th and 19th centuries makes cultural heritage the target of politically motivated violence. This is derived from the ideas of European nationalism, which appears almost possessed by a fiction of homogeneity. Strahl specifically investigates former Yugoslavia. With the help of the critical-historical discourse analysis, diverse and partly competing victim-perpetrator observers‘ perspectives are analysed, providing the basis for a depiction of the strategies and the size of the destruction of cultural heritage. To this end, regional and international documents are evaluated by means of discourse analysis. Die Zerstörung kultureller Erbe als Folge der politischen Umwälzungen in Südosteuropa zwischen 1991 und 2004 ist der thematische Schwerpunkt des Werkes von Tobias Strahl. Der im europäischen Nationalismus zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert produzierte Zusammenhang zwischen Politik und Kultur macht laut Strahl das kulturelle Erbe zum Ziel der politisch motivierten Gewalt. Diese leitet sich aus dem Gedankengut des europäischen Nationalismus ab, der von einer Homogenitätsfiktion besessen ist. Der Gegenstand von Strahls Analyse ist das ehemalige Jugoslawien. Mithilfe der kritisch-historischen Diskursanalyse werden diverse und teilweise konkurrierende Opfer-Täter-Beobachter-Perspektiven analysiert, die zur Darstellung der Strategien und der Größe der Zerstörung des kulturellen Erbes dienen sollen. Zu diesem Zweck werden regionale und internationale Dokumente diskursanalytisch bewertet. C. Bernd Sucher, Stefan Fischer (eds.). Jenseits der Frontlinien. Texte zum modernen israelischen Film. Berlin: Bertz + Fischer, 2016, 140 pp., Ill., 14,90 € [978-3-86505-248-3]. It was not until four Israeli films were nominated for the Oscar for Best International Feature Film between 2008 and 2012 that Israeli cinema was discovered by international audiences. It is important not to equate or confuse Israeli film with Jewish film, as both genres have their
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own history and content. Israeli films are often strongly oriented towards the political events of the country, but they also tell stories that are understood outside Israel. In this collection, the authors follow the development of Israeli film and examine such different aspects as »ethics and responsibility«, »Israeli war films«, »problem and genre films«, the organisation of film festivals, assisted suicide depicted as a comedy, a comparison between an Israeli and a Palestinian film on the same story, documentaries, and films about dance and music. A filmography and an index complete the volume. Erst mit der Nominierung von vier israelischen Filmen für den Auslands-Oscar zwischen 2008 und 2012 wurden das israelische Kino vom internationalen Publikum entdeckt. Wichtig ist hierbei, den israelischen Film nicht mit dem jüdischen Film gleichzustellen oder zu verwechseln, da beide Genres ihre eigene Geschichte und Inhalte haben. Israelische Filme sind häufig stark am politischen Geschehen des Landes orientiert, erzählen dabei aber auch Geschichten, die außerhalb Israels verstanden werden. Im vorliegenden Sammelband gehen die Autoren der Entwicklung des israelischen Films nach und beleuchten dabei so unterschiedliche Gesichtspunkte wie »Ethik und Verantwortung«, »israelische Kriegsfilme«, »Problem- und Genrefilme«, die Organisation von Filmfesten, Sterbehilfe als Komödie, einem Vergleich zwischen einem israelischen und einem palästinensischen Film zur selben Story, Dokumentarfilmen oder Filmen über Tanz und Musik. Eine Filmografie sowie ein Index komplettieren den Band. Vorstand des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück (ed.). IMIS-Beiträge 50/2016. Osnabrück: Levien, 2016, 174 pp. [0949-4723]. The book represents a booklet about the topic of migration threshold trough language development. Contentwise it begins with the fundamental differentiation of language and migration and therefore goes into details of linguistic registers, development of speech, multilingualism and the historic dimension of linguistic reflection. Following are excursions about writing and writtenness, differentiation of language and linguistic variety, transitional forms, codeswitching and methodic control. It continues with the upper topic of language development, approached are topics like development concept, as well as literal, lateral and oral development of lingual structures, furthermore an excursion about the language-cultural dimension of different writing systems using the example of Arabic/German. Afterwards the author addresses structural questions regarding migration and the staging of migration policy. It follows an analysis of the topic of socio-theoretical modeling, especially of the concept of authoritarian state, school in the modern state, the dynamic between welfare state and asylum, the system, as well as the critical theory. Contentwise the book ends with a conclusion and lookout and is equipped with a bibliography and also information on the author. The volume can be downloaded for free as a PDF-document, or ordered for free at the IMIS. Das Buch stellt ein Themenheft zur Migrationsschwelle Sprachausbau dar. Es beginnt inhaltlich mit der grundlegenden Differenzierung von Sprache und Migration und geht dabei ein
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Eingegangene Bücher
auf sprachliche Register, die Entwicklung der Sprache, Mehrsprachigkeit und historische Dimension der Sprachreflexion. Es folgen Exkurse zur Schrift und Schriftlichkeit, zur Abgrenzung von Sprache und sprachlicher Varietät, Übergangsformen, zum Codeswitchen und zur methodischen Kontrolle. Weiter geht es mit dem Oberthema des Sprachausbaus, behandelt werden hier Themen wie Ausbaukonzept, sowie literaler, lateraler und orater Ausbau sprachlicher Strukturen, außerdem ein Exkurs zur schriftkulturellen Dimension verschiedener Schriftsysteme am Beispiel arabisch/deutsch. Danach beschäftigt sich der Autor mit Strukturfragen der Migration und der Inszenierung der Migrationspolitik. Es folgt eine Auseinandersetzung mit dem Thema der gesellschaftstheoretischen Modellierung, speziell mit dem Konzept Obrigkeitsstaat, Schule im modernen Staat, die Dynamik zwischen Wohlfahrtsstaat und Asyl, der System- sowie der kritischen Theorie. Thematisch schließt es mit pädagogischen und sprachpolitischen Maßnahmen, wie dem Januscharakter des Pädagogischen und der schriftkulturelle Dimension der Sprachpädagogik. Das Buch endet mit einem Schluss und Ausblick und verfügt über ein Literaturverzeichnis sowie Angaben über den Autoren. Es kann als PDF heruntergeladen werden oder ist kostenlos zu bestellen beim IMIS. Norbert Christian Wolf. Revolution in Wien: Die literarische Intelligenz im politischen Umbruch 1918/19. Wien: Böhlau, 2018, 364 pp., Ill., 29,00 € [978-3-205-20077-2]. The year 1918 does not only mark the end of the First World War and the fall of the Austrian monarchy but also the creation of the First Austrian Republic and radical changes in its society. These changes influenced the contemporary literature that reflects them strongly. After a short factual introduction, Nobert Christian Wolf deals with all the political changes from 1918 to 1919 and the directly linked literary revolutions from Musil’s disillusioned activist hopes to Kisch’s »Red Guard«. The volume concludes with a comment on the »revolutionary literature of Vienna«, annotations, an index of literature and illustrations and a register of persons. Das Jahr 1918 markierte nicht nur das Ende des Ersten Weltkriegs und den Sturz der österreichischen Monarchie, sondern auch das Ausrufen der Ersten Österreichischen Republik und den massiven Wandel ihrer Gesellschaft. Dieser Wandel beeinflusste die zeitgenössische Literatur und spiegelte sich umgekehrt in ihr wider. Nach einer kurzen Sacheinführung ins Thema behandelt Norbert Christian Wolf alle politischen Umbrüche von 1918 bis 1919 sowie die damit verbundenen literarischen Revolutionen von den desillusionierten aktivistischen Erwartungen Musils bis zu Kischs »Roter Garde«. Am Ende des Buches befinden sich eine Schlussbemerkung zur »Wiener Revolutionsliteratur« sowie Anmerkungen, ein Literaturverzeichnis, Abbildungsnachweise und ein Personenregister.
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Erika Wottrich, Swenja Schiemann (red.). Ach, sie haben ihre Sprache verloren. Filmautoren im Exil. München: edition text + kritik im Richard Boorberg Verlag (CineGraph), 2017, 190 pp., 30,00 €, Ill. [978-3-86916-635-3]. Among the people who fled Germany after 1933, there were numerous filmmakers. They now had to try and work in an unfamiliar environment and, more significantly, in a foreign language. This collection of contributions by film historians and other scholars deals primarily with screenwriters and writers, their careers and fates, placing their works in a contemporary context. Authors such as Friedrich Hollaender, Irène Némirovsky, Alfred Kerr, Friedrich Torberg and Siegfried Kracauer, as well as Lotte Eisner, Willy Haas, Anna Gmeyner and Gina Kaus, are investigated, and special situations in the various exile countries of France, the Netherlands, Great Britain and the USA are discussed. An index of persons and information on the authors complete the volume. Zu den nach 1933 aus Deutschland geflüchteten Menschen gehörten auch zahlreiche Filmschaffende. Auch sie mussten in einer ungewohnten Umgebung und vor allem in einer fremden Sprache weiterarbeiten. Der vorliegende Sammelband mit Beiträgen von Filmhistorikern und -wissenschaftlern beschäftigt sich in erster Linie mit Drehbuchautoren und Schriftstellern, ihren Werdegängen und Schicksalen, wobei ihre Werke in den zeitgenössischen Zusammenhang gestellt werden. Autoren wie beispielsweise Friedrich Hollaender, Irène Némirovsky, Alfred Kerr, Friedrich Torberg und Siegfried Kracauer finden dabei ebenso Beachtung wie Lotte Eisner, Willy Haas, Anna Gmeyner oder Gina Kaus, wobei auch auf Besonderheiten in den verschiedenen Exilländern Frankreich, die Niederlande, Großbritannien und den USA eingegangen wird. Ein Personenregister sowie Informationen zu den Autoren vervollständigen den Band.
Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe Contributors to this Edition Karina Bedenbecker, MA; [email protected]. Fabian Brändle (CH); [email protected]. Renata Dampc-Jarosz, Prof. Dr., Instytut Filologii Germańskiej, Uniwersytet Śląski, ul. Grota Roweckiego 5, 41-200 Sosnowiecz (PL); [email protected]. Pia Dittmann, MA; [email protected]. Paweł Meus, Mag., Uniwersytet Śląski, Wydział Humanistyczny, ul. Grota Roweckiego 5, 41-200 Sosnowiec (PL); [email protected]. Ursula Meyer, Studienrätin a.D. (D); [email protected]. Brian Murdoch, Prof. Dr. em. (UK); [email protected]. Matthias Schöning, PD Dr., FB Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaften, Universität Konstanz, 78457 Konstanz (D); [email protected]. Claudia Schwierczinski, Mag., Uniwersytet Śląski, Wydział Humanistyczny, ul. Grota Roweckiego 5, 41-200 Sosnowiec (PL); [email protected]. Michele Vangi, Dr., Villa Vigoni, Centro Italo-Tedesco per l’Eccellenza Europea, Via Giulio Vigoni 1, 22017 Loveno di Menaggio (I); [email protected].