Kürbiskerne. Beiträge zu Politik und Kultur in der BRD. Auswahl aus "Kürbiskern" (1965–1975), Teil 2 [Reprint 2021 ed.] 9783112591383, 9783112591376


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German Pages 296 [295] Year 1978

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Kürbiskerne. Beiträge zu Politik und Kultur in der BRD. Auswahl aus "Kürbiskern" (1965–1975), Teil 2 [Reprint 2021 ed.]
 9783112591383, 9783112591376

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Kürbiskerne Teil 2

Literatur und Gesellschaft Herausgegeben von der Akademie der Wissenschaften der DDR Zentralinstitut für Literaturgeschichte

Kürbiskerne Beiträge Politik und Kultur in der BRD Auswahl aus „.Kürbiskern" (1965-1975) Teil 2

Herausgegeben und mit einer Einleitung versehen von

Ursula Reinhold

Akademie-Verlag • Berlin 1977

Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Str. 3—4 © Akademie-Verlag Berlin 1977 Lizenznummer: 202 • 100/229/77 Gesamtherstellung: IV/2/14 VEB Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 445 Gräfenhainichen/DDR • 4854 Bestellnummer: 753276 8 (2150/56/1 u. 2) • LSV 8090 Printed in GDR DDR 19,50 M für Teil 1 und 2

Kultur im antiimperialistischen Kampf Wozu Literatur, wie, für wen?

Martin Walser

Wovon und wie handelt Literatur? 1. Einteilung im Interesse der Interessen

D e n n die Wirklichkeit ist, wenn sie den Menschen einschließt, nicht nur das, was sie ist, sondern auch alles, was ihr fehlt, alles, was sie noch werden muß . . . Roger Garaudyl

E s wäre in jedem Fall vorzuziehen, für eine Erfahrung, die man immer wieder macht, eine Erklärung nach Art der Naturwissenschaft geben zu können. E s wäre für die Literaturtheorie ein Vorteil, wenn die Biochemie uns schon bestätigen und regelmäßig formulieren könnte, daß unser Gedächtnis sich eher durch negative Eindrücke bildet, also eher durch Verletzung oder Verlust als durch Wohlsein und Besitz. Hätte man alles Nötige andauernd, könnte sich Gedächtnis überhaupt nicht bilden. Und es leuchtet auch noch ein, daß das Gedächtnis als Natur jene Situationen bevorzugt speichert, die einmal Gefahr oder Verletzung bedeuteten. D a s merkt man sich. So entsteht dann Geschichte. Aber auch das Bedürfnis nach Gefahrlosigkeit, Sicherheit usw. Man emanzipiert sich, formuliert das Bedürfnis als ein Recht, als Menschenrecht. Ein entscheidendes Kampfmittel war und ist dabei die Beschwörung, der Vertrag, die Schrift, die Literatur. Als Mythologie, als Theologie, als Psychologie, also Soziologie. Jeweils mit entsprechenden Ausdrucksformen. Die Entwicklung und die Behauptung des Menschenrechts war immer Anlaß und wichtigste Tendenz der Literatur. Aber Literatur nimmt auch an der Herrschaft teil, an deren Erringung sie mitgearbeitet hat. So wird aus fortschrittlicher Literatur zusehends konservative Literatur. Diesen Prozeß hat das europäische Bürgertum in den letzten zweihundert Jahren deutlich demonstriert. „ J e d e neue K l a s s e " , sagt Marx, „bringt . . . nur auf einer breiteren Basis als die der bisher herrschenden ihre Herrschaft

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zustande . . . " 2 Weil also Geschichte bisher sichtbar ein Prozeß der Befreiung ist, ein Prozeß der Annäherung an die Demokratie, deshalb kann man ungeniert von Fortschritt sprechen und, zur Kritik, Literatur einteilen in fortschrittliche und konservative. Die herrschende Literaturkritik teilt auch so ähnlich ein, etwa in avantgardistisch und traditionell, aber grob gesagt soll damit das Gegenteil ausgedrückt werden: Avantgardistisch ist da fast immer der unpolitische Autor, der tendenzlose, also der, der politisch unwillkürlich für das Bestehende Partei ergreift, also Avantgardist ist der Konservative. Und der, der praktiziert, daß Literatur eine Funktion habe in der Veränderung, also im Fortschritt der Gesellschaft, der gilt als der traditionelle oder konservative Schriftsteller. Das ist verständlich. Die herrschende Kritik ist am meisten an der Literatur interessiert, die an der Herrschaft teilnimmt und sie bestätigt, indem sie sich die Ideologie von der schon erreichten Demokratie zu eigen macht, bewußt oder unbewußt. Durch ihre Werke zeigt diese Literatur dann wie von selbst, daß Zukunft nur noch zugelassen ist als vorsichtigste Wiederholung der Gegenwart. Der sogenannte Pragmatiker entscheidet, wieviel Geschichte noch stattfinden darf. Utopie wird durch Science Fiction ersetzt: also Zukunft als pure Multiplikation der Gegenwart, als pure Übertreibung dessen also, was man an Angst und Kitzel schon hat. Wenn es aber wahr ist, daß Anlaß oder Thema der Literatur traditionell immer das war, was dem Autor, bzw. seiner Klasse noch fehlte an menschlicher Bedingung, oder das, worunter er und seinesgleichen deshalb zu leiden hatten, dann fehlt dem Autor als Teilnehmer der Klassenherrschaft jetzt dieser Anlaß. Sein Thema aus der bürgerlichen Aufstiegs- und Kampfeszeit schrumpft zur Nebensächlichkeit. Was jetzt gebraucht wird, sind ganz genaue Verbesserungen der Herrschaftstechniken, und die liefern Medizin und Soziologie viel besser als die Schreiber von Romanen, Stücken und Gedichten. Aber für die Ideologie-Pflege sind die dichtenden Schreiber nach wie vor unersetzlich. Die Ideologie der Endzeit, die Variation und Verbreitung des Eindrucks, daß nichts mehr kommt und nichts mehr geht, eben dieses ganze Endspiel-Spiel ist auf den Schriftsteller als Dichter nahezu angewiesen. Und in Zusam316

menarbeit mit einer alerten Kritik wird die frühere Funktion, bzw. das realistische Thema ersetzt durch einen raschen Wechsel der Perspektiven auf die behauptete Perspektivlosigkeit. Und daher die von Mal zu Mal umwertende Arbeit der Kritik: Ohne politisches Bewußtsein wahrscheinlich, sicher aber ohne das Bewußtsein, politisch zu handeln, einfach um den folgenlosen Wechsel von absurd zu sprachanalytisch-strukturalistisch und von sprachanalytisch-strukturalistisch zur neuen gefühlsechten Innigkeit jeweils nicht nur mitzumachen, sondern, um auch etwas beizutragen, durch rasches Benennen, deshalb bewertet die Kritik die jeweils frische literarische Attitüde als die Literatur überhaupt. Die gerade noch aktuell gewesene Attitüde bezeichnet sie nicht anders als es der Verkaufsstratege tut, wenn er den nachlässig werdenden Konsumenten mit Schreckwörtern, wie altmodisch und up-to-date zur Kasse jagt. Zweifellos sind diese jeweils kunstaktuellen, blickfüllenden, rasch kanonisierten Literaturhaltungen nicht realistisch. Mögen sie sich der „dialektischen Selbsterzeugung neuer Formen" (Viktor Schklowskij) verdanken. 3 Die realistische Schreibart ist die auf ihren Anlaß bezogene. Und dieser Anlaß ist eben nicht in der Literatur zu suchen, sondern in der Realität. Das heißt nicht, daß der Realismus ein unverständlicher Spiegel sei, der über der Realität schwebt, um sie einzufangen. Der realistische Autor antwortet schreibend immer auch auf das aktuelle Stadium der realistischen Ausdruckspraxis. Aber der realistische Autor gibt keine Antwort zweimal. Realismus und Manierismus scheinen mir die zwei Bezeichnungen zu sein für diese zwei Arten, literarisch zu arbeiten. Manierismus scheint mir besser zu passen als Formalismus, weil ja durch die Auffassung von der autonomen Entwicklung der Formen auch das Bewußtsein der Autoren gegenüber der realen Erfahrung verändert wird. Grob gesagt: Es wird erfahrungsunabhängiger, das Bedürfnis nach Erfahrung wird eingeschränkt, alles Inhaltliche wird zum Vorwand, es verliert jede andere Bestimmtheit außer der, Ausdruck der Bewußtseinsattitüde zu sein, also Erfahrung und Ausdruck werden ein und dasselbe, eine Manier. Ein Roman des Autors Ingomar von Kieseritzky gab dem Kritiker Wolfgang Werth Anlaß, diese Praxis in einer ganz unkritischen Kritik, aber eindrucks317

voll, zu beschreiben: die Sprache werde in diesem Roman: „. . . ein tautologisches System, das nichts als sich selbst vermittelt . . . „Rezitation von Wörtern und Sätzen, deren Strukturen mit jeder Wiederholung weniger abbilden, bis der Punkt erreicht ist, wo es gleichgültig wird, ob man spricht oder schweigt 4 ." Eben diese unanläßliche und deshalb auf Wiederholung ein und desselben angewiesene Schreibweise führt in jeder Hinsicht zur Manier. Ein ausgeschriebener Realist kann da sowohl landen wie einer, der, aus welchen Gründen auch immer, sich vor Erfahrung bzw. Arbeit hüten muß. Es gibt diesen Autor, der nur noch der Grammatik oder nur noch sich selbst begegnet, am deutlichsten als PositivismusFan oder als verzückten Belletristen. Als Positivismus-Fan arrangiert er sich mit nicht viel mehr als dem grammatischen und idiomatischen Material. Als verzückter Belletrist wendet er sich selber an. Er läßt seine Sensibilität auf einen beliebigen Wirklichkeitsausschnitt reagieren und führt vor, was sie dabei bzw. was er alles in dieser Wirklichkeit entdeckt. Aber — und das macht den Manierismus — es wird in der Wirklichkeit immer wieder nur die Struktur der Autorensensibilität entdeckt. Die Tendenz ist also tautologisch. Die Tendenz des Realisten: kritisch.

2. Über angemessene und unangemessene an den Realismus

Ansprüche

Die Werke beider Schreibweisen, der selbstgenügsamen und damit zum Manierismus tendierenden und der kritischen und damit realistischen, haben die Entstehungsbedingungen miteinander gemein: Die Schreiber antworten auf einen Mangel, den sie erleben. Aber im einen Fall stellt sich der Mangel dar als etwas, was schlechterdings zum menschlichen Leben gehört, im anderen Fall gilt der Mangel als bedingt und die Bedingung ist zu ändern. Die manieristische Ausdruckspraxis will keinen irgendwoher stammenden Anspruch an sich stellen lassen, da sie sich als Kunst versteht und diese Kunst will sich sowenig mit der Realität vergleichen lassen wie sich früher der Monarch von etwas anderem als unmittelbar von Gott herleiten lassen 318

wollte. Die realistische Ausdruckspraxis stellt an sich selber den Anspruch, nachprüfbar zu sein als Ausdruck eines historischen Moments. Ohne eine gesellschaftliche Funktion sähe sie sich nicht gerechtfertigt, z. B. als Kunst usw. Es ist klar, daß sich nur zu viele Leute finden, die diesen Anspruch der realistischen Schreibweise bereitwillig zu ihrer eigenen Sache machen und sich selbst zu den Prüfern dieses Anspruchs. Der Realismus braucht deshalb andauernd Theorie, damit beantwortet werden kann, welche Ansprüche angemessen sind und welche nicht. In den letzten fünfzig Jahren haben sich fast nur noch Marxisten bzw. Sozialisten um diese Theorie bemüht. In unserem Bereich haben Benjamin und Lukäcs durch ihren unausgetragenen Gegensatz die vorläufig letzten Positionen markiert. Zu Benjamin könnte man noch Brecht und Eisler stellen; zu Lukäcs noch Becher. In der Bundesrepublik ist diese Diskussion, die in den zwanziger Jahren groß begonnen hat, so gut wie ausgestorben. Oder sie war so gut wie ausgestorben, muß man sagen. Auch das Entstehen der „Gruppe 61" und des „Werkkreises Literatur der Arbeitswelt" mußte dazu führen, daß die Realismusdiskussion wieder begann. Zum Beispiel zur Klärung der Frage, was die realistische Praxis leisten kann und was nicht. Fangen wir mit dem Selbstverständnis an. Im Vorwort zur ersten Werkkreis-Anthologie {Ein Baukran stürmt um) steht: „Das Selbstverständnis kein Schriftsteller zu sein, ermöglicht eine weitgehende Befreiung von den Erwartungen, die die Literatur, will sie so anerkannt sein, zu befriedigen hat und die der Schreibende erfüllen will, wenn er sich als Schriftsteller fühlt. Erwartungen, die sich zu einem großen Teil den Bedingungen des Literaturbetriebs unter kapitalistischen Verhältnissen unterwerfen müssen, und die sich zum andern aus dem herrschenden bürgerlichen Geschmack bilden, der weitgehend nur noch geschichtlich gerechtfertigt wird." 5 Inzwischen hat der Werkkreis drei Sammlungen mit Texten von Arbeitern und Angestellten veröffentlicht, was jetzt durch empirisches Urteil begründet werden kann, hätte schon im Vorwort des ersten WerkkrcisBuches erschlossen werden können: Es gibt keinen Anlaß, bürgerliche oder sonstige Autoren, die den ganzen Tag 319

schreiben, Profis und die — vorläufig oder immer — am Feierabend Schreibenden, Amateure zu nennen. Ich halte diese drei Textsammlungen für die wichtigsten Anthologien seit 1945. Ihre wirkliche Bedeutung wird erst dann für alle faßbar werden, wenn wir — durch kein neues 1933 unterbrochen — der Demokratie am Arbeitsplatz nähergekommen sein werden; jeder Schritt dahin wird auf den Kulturbetrieb zurückwirken, die sogenannte Arbeitswelt wird nicht mehr exterritorial sein, und die heutigen Werkkreis-Kollegen werden nachträglich als die wirkliche Avantgarde erkannt werden. Es gibt keinen Qualitätsbegriff, auch nicht in der verschrobensten Ecke des Literaturbetriebs, nach dem die Beiträge dieser drei Sammlungen etwa keine Literatur wären. Das Erstaunliche ist, daß die Werkkreis-Aufforderung zu B e r i c h t e n ermuntern wollte, und was zurückkam, waren verschiedene Arten von Prosa, die so schwer entscheidbar aus Monolog, Erzählung, Studie und Bericht zusammengesetzt sind wie heute alle literarische Prosa. Daß das so wirkt, mag an den literarisch entwickelten Maßstäben der Herausgeber liegen. Sie haben vielleicht das weggelassen, was zu sehr von abgelebten bürgerlichen Literaturvorbildern überlagert war. Daß sie aber diese Beiträge überhaupt fanden, zeigt ja, daß unter Arbeitern und Angestellten moderne Schriftsteller sind. Und es wäre grotesk, wenn es nicht so wäre. Aber das Verdienst des Werkkreises bleibt es, dies wieder bewußt gemacht zu haben, nachdem durch den Faschismus alles, was so schon in den zwanziger Jahren begonnen hatte, ausgerottet worden war. Es gibt sicher inzwischen auch schon Lesebuchkommissionen, die fähig sind, diese WerkkreisLiteratur in den Schulgebrauch zu nehmen, um endlich die Mär von der blinkenden Pflugschar durch die Akkord-Erfahrung zu ersetzen. Nach meiner Meinung wäre es aber falsch, wenn die Arbeiten aus dem Werkkreis unter der vom Werkkreis selber verwendeten Marke „Arbeiterliteratur" bleiben müßten. Die literarische Antwort, die hier erteilt wird der Frechheit der Chefs, der Nötigung zum Betrug durch die Firma, der Hierarchie der Medizinmandarine, dem Zynismus des Kapitalfunktionärs, dem Wortschatz und der asozialen Hygiene des Un320

ternehmers, der perfekten Unterlegenheit der Arbeitslosen in der Perfektion der Arbeitsbeschaffungsorganisation, dem Tod des Arbeitskollegen und . . . und . . . und . . . — zu den meisten dieser Beiträge könnte man ehrenwerte Vergleichsnamen aus der heutigen Literatur nennen —: Diese literarische Antwort empfiehlt, diese Schriftsteller nicht zu Verfassern einer Spezialliteratur zu machen. Wolfgang Röhrer, Horst Kammrad und Harald Schmid stellen in ihrer Programmschrift (Es gibt sie halt, die schreibende „Fiktion" in Gruppe 61, S. 199) fest: „Eine Literaturform, die von vornherein 'bürgerlich' ist, gibt es nicht." 6 So ist es. Und deshalb ist es nicht nötig, im Werkkreis die Ideologie einer Spezialliteratur zu pflegen. Dafür gibt es weitere Gründe. Im Vorwort der letzten Werkkreis-Veröffentlichung (Lauter Arbeitgeber) heißt es: „Die Gründung oder Mitarbeit an einer innerbetrieblichen Werkszeitung ist wichtiger als die Veröffentlichung eines Berichtes in einer bürgerlichen Zeitung." 7 Das steht unter der Überschrift: Nicht beim Literaturmachern stehenbleiben. Andererseits steht in der schon erwähnten Programmschrift von Röhrer, Kammrad und Schmid einleuchtend genug, daß der Werkkreis sich auch als „Selbsthilfe-Organisation" verstehe, weil es „unter den Werktätigen eine große Zahl von Schreibenden oder Schreibfähigen gebe, deren schöpferische Fähigkeit und kritische Phantasie wegen ihrer benachteiligten sozialen Lage und der entfremdeten beruflichen Tätigkeit zu verkümmern drohen". 8 Damit fängt doch einmal alles an. Auf diesen durch die Produktionsverhältnisse gehemmten Ausdruckskräften baut der Werkkreis doch auf. Daß er diese zu befreienden Kräfte dann möglichst schnell politisch aktivieren möchte, scheint sinnvoll, weil die erwünschte Aktivität ja eben das ändern soll, was die Werkkreis-Selbsthilfe nötig gemacht hat: das kapitalistische Produktionsverhältnis. Trotzdem halte ich diesen Aktivismus für einen Irrtum der Werkkreis-Kollegen. Ich muß noch einen Satz aus jenem hitzigen Vorwort zitieren: „Die Solidarisierung von Lohnabhängigen in einem Betrieb mit dem Ziel, einen Betriebsrat zu gründen, den der Unternehmer bisher nicht zugelassen hat, ist wichtiger als beispielsweise die Überlegung, ob man sich dem deutschen Schriftsteller321

verband anschließen solle oder nicht." 9 Nicht nur weil ich am Eintritt dieses Schriftstellerverbandes in die Gewerkschaft mitarbeite, halte ich das für k e i n e Alternative. Ich begreife aber die Befürchtung der Werkkreiskollegen — sie kommt an vielen Stellen zum Ausdruck —, die Befürchtung, daß die schreibenden Arbeiter und Angestellten vom aneignungserfahrenen Literaturbetrieb auf Nimmerwiedersehen entdeckt werden könnten. Hier hat der Werkkreis die Chance, den' einzelnen vor der Schau-wo-du-bleibst-Situation zu bewahren, ihn zumindest zu stabilisieren gegen einen Literaturbetrieb, der mit seinem als Kritik aufgemachten Streichel- und Watschsystem so lange am Autor herummurxt, bis der systemgerecht geworden ist. Man konnte kürzlich in der Süddeutschen Zeitung einen Bericht von Edmund Wolf lesen, der auf fast groteske Weise zu belegen scheint, wie gewaltig das Aneignungsvermögen des Bürgertums entwickelt ist. Schon die Überschrift ist typisch: Die erlösten Stimmen. Proletarier schreiben 'Englands neues Drama. Um Englands neues Drama schreiben zu können, mußten sie offenbar zuerst von ihrer proletarischen Herkunft „erlöst" werden, und zwar mit Hilfe der BBC und des besonders fortschrittlichen Royal Court Theatre. In dem Bericht heißt es z. B. : „David Mercer, der Marxist, sagt, daß es ihm unmöglich s e i , . . . mit Arbeitern zu sprechen . . . Daheim in Wakefield spüre ich noch etwas von der alten Brutwärme, aber sehr bald übermannt mich chronisch-irritierte Langeweile, wir haben einander nichts zu sagen . . . Meine kulturellen Wurzeln und Wahlverwandtschaften binden mich an die Traditionen der Bourgeoisie." 10 David Mercers Vater war Lokomotivführer, und er hat diesen Vater, muß man nach diesem Statement schon sagen, in seinem Haggerty-Stück erfolgreich ausgebeutet. Und ähnliche und noch grotesker klingende Bekenntnisse gibt es von Alan Sillitoc, Ted Whitehcad und anderen. Wird hier eine Art Selbsthaß einfach zurückprojiziert auf die Herkunft? Sind das Karrierenarben? Oder ist es Snobismus? Oder verdankt sich das der suggestiven Fragestellung eines Journalisten, dem an solchen Ergebnissen lag? Eines ist sicher, wo auch immer sie selber ihre Wurzeln sehen mögen, wer die Stücke kennt, sieht, daß die Wurzeln in der proletarisch-kleinbürgerlichen Herkunft liegen; was sie schrei322

ben, ist eine Auseinandersetzung mit den Erfahrungen der Klasse, aus der sie stammen. Und deshalb sage ich auch, dieser selbstgefällige Bericht in der bürgerlichen Zeitung s c h e i n t nur zu belegen, daß sich Werkkreis-Autoren durchweg als Arbeiterschriftstcller verstehen sollten. In Wirklichkeit haben eben diese englischen Autoren in der englischen Gesellschaft eine Wirkung, über die sie selber offenbar nicht Bescheid wissen. Da bekanntlich die Art und Weise, wie man erlebt, sehr früh geprägt wird, ist heute noch viel beweisbarer, was Alexander Alexandrowitsch Bogdanow vor über fünfzig Jahren schrieb: „Hinter dem Verfasser, dem Individuum, steckt das Kollektiv als Verfasser, die Klasse; und die Dichtung ist ein Teil des Bewußtseins dieser Klasse, des Kollektivs." 1 1 Also keine zu große Scheu davor, daß die von Arbeitern und Angestellten geschaffene Literatur ihre W i r k u n g auch dort ausübe, w o traditionell die bürgerliche Kunst herrscht. Im Gegenteil! Die Theater und das Fernsehen z . B . w e r d e n von allen bezahlt, aber einseitig eingesetzt zur Repräsentation und Darstellung der Interessen einer Minderheit. Darauf antwortet man nicht mit Selbstbeschränkung, sondern mit Angriff. Wenn wir, wie die Engländer, alle paar Jahre ein paar junge Stückeschreiber aus dem Ruhrgebiet hätten, hätten unsere Bühnen schon weniger Recht, die Arbeitskraft so vieler Theater zur Herstellung von möglichst feierlich und brutal gemachten Aufführungen historischer Stücke zu verschwenden. Die wichtigere Frage bei einer Diskussion über das Literaturprodukt ist sowieso die Frage, ob es als Ausdruck eines w i r k lichen Verhältnisses genügt, ob es den historischen Moment enthält, der es veranlaßt hat. W e n n diese Frage bejaht werden kann, muß man nicht mehr die W i r k u n g diskutieren, sondern nur noch die Verbreitung organisieren. Trotz einer Fülle marxistischer Erkenntnis darüber, daß das Wichtigste am Realismus seine nie zum Schema, nie zum Mechanismus erstarrende Fähigkeit sein muß, den historischen Prozeß durch alle Verdinglichungen hindurch zu erkennen und darzustellen, hat sich ein linkes Mißverständnis und ein unangemessener Anspruch gegenüber der Literatur gebildet und erhalten: am deutlichsten von GeorgLukäcs ausgearbeitet und verbreitet; am knappsten formuliert in seinem Aufsatz 323

Es geht um den Realismus: Für den „bedeutenden Realisten" sagte Lukäcs, entstehe „eine ungeheure, eine doppelte künstlerische wie weltanschauliche Arbeit: nämlich erstens das gedankliche Aufdecken und künstlerische Gestalten der Zusammenhänge; zweitens aber, und unzertrennbar davon, das künstlerische Zudecken der abstrahiert erarbeiteten Zusammenhänge — die Aufhebung der Abstraktion". 12 Soviel wenigstens ist von diesem Mißverständnis noch übrig geblieben, daß man unter Linken einen völlig unrealistischen Optimismus hinsichtlich der Herstellbarkeit des sogenannten Kunstwerks antrifft. Analytisch aufdecken, künstlerisch zudecken. Die Auswahl der Werkkreis-Anthologien beweist, daß in ihrer Praxis keine Lukäcs-Gestaltungstheorie mehr herumspukt — dazu werden viel zu viel „offene" Formen präsentiert —, aber einen Rest des linken Köhlerglaubens findet man noch in den Werkkreis-Kommentaren; da ist öfter vom Literarischen die Rede, als handle es sich dabei um das Verpackungsmaterial für eine Ware, die es auch ohne Verpackung schon gibt und die man durch die Verpackung besser an den Mann zu bringen hofft. Ich kann nicht eine Ungeduld kritisieren, die ihren Anlaß in den menschenunwürdigen Bedingungen der kapitalistischen Produktion hat. Aber daß Literatur einfach verfehlt werden muß, wenn man sie für nichts als für eine Frage der Verpackung, also der Form hält — denn um nichts anderes als einen negativen Formalismus handelt es sich da —, das kann der Blick in die linke Literaturgeschichte lehren. Aber noch wichtiger als das, scheint mir, daß man von den gerade zum Literaturmachen Befreiten nicht sofort wieder verlangen sollte, ja nicht beim Literaturmachen stehen zu bleiben. In dieser Forderung findet sich jene linke Ungeduld, die im Grunde genommen Literatur für überflüssig hält. Für einen Umweg. Wer selber sein Bewußtsein mit direkter Information und durch politische Praxis entwickelt, für den hat dann Literatur nur noch den Sinn, möglichst schnell Praxis zu ermöglichen oder in Praxis überzugehen. Auch er glaubt, es gibt Kenntnisse, die man noch nachträglich in eine möglichst zündende literarische Verpackung wickelt. Für einen Schriftsteller ist mit dieser Ansicht kein Frieden zu schlie324

ßen, kein Bündnis einzugehen. Schreiben ist für Schriftsteller die Herstellung des Ganzen. „Kunst geht aufs Ganze", hat Johannes R. Becher gesagt. 13 Und sein Landsmann Hölderlin hat gesprochen von der „Vollständigkeit . . . des Bewußtseins", „womit der Dichter auf ein Ganzes blickt". 14 Das heißt doch, was Literatur leisten kann, das kann man nur ganz haben oder gar nicht. Man kann dem Literaturprodukt Informationen, Meinungen, Standpunkte e n t n e h m e n , aber man kann nicht Informationen, Meinungen und Standpunkte nehmen und daraus Literatur machen. Das heißt: man kann Literatur nicht in Dienst nehmen. Literatur ist von Anfang an Befreiungsenergie, als solche dient sie von selbst zum Hcrrschaftsabbau. Und noch ist nirgends eine Gesellschaft entstanden, wo diese Funktion überflüssig geworden wäre. Die nutzlose und übereilte Indienstnahme der Literatur kommt wahrscheinlich daher, daß man erstens die nichts als subjektivistische, in der Tautologie verendende Herrschaftsliteratur vermeiden wollte und daß man zweitens der um ihr Recht kämpfenden Klasse auf schnellem Weg und mit allen Mitteln zum Selbstbewußtsein verhelfen wollte oder mußte. Wir arbeiten jetzt unter anderen Bedingungen. Vor allem kann man jetzt über den Arbeitsvorgang des sogenannten Künstlers nicht mehr mit dem idealistischen Optimismus feudaler und hochbürgerlicher Zeiten sprechen und dafür die aus heruntergekommenem Religionsgut stammenden Wörter wie I n s p i r a t i o n und s c h ö p f e r i s c h verwenden. Jetzt kann man wissen, daß es keine nennenswerten Erfahrungen gibt, die einer allein macht. Also die Kunst hat keine subjektive Wurzel. Erfahrungen machen alle; erleiden alle. Wie man aber vom Erleiden zum Ausdruck, von der Wut zum Wissen kommt, das wiederum ist nicht damit beschrieben, daß man sagt, wer die Begabung hat, wer schöpferisch ist, der kann das eben, der deckt auf und deckt wieder zu, der beherrscht die Form, von dem kann man, wenn man ihn richtig konditioniert, etwas Bestimmtes verlangen. Auch das halte ich für idealistische Denkweise. Ausarbeitenswert wäre vielmehr die Erkenntnis, daß künstlerische Arbeit von selbst durch und durch gesellschaftlich ist, Ausdruck einer Klassensituation. Und weil das von selbst, ohne Auftragserteilung so 22 Rcinhold, Küibistem

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ist, läßt sich daraus auch die gesellschaftliche Funktion und Brauchbarkeit von Literatur erkennen. Wäre es für alle gleichermaßen sinnfällig, was ihre Erfahrungen für sie bedeuten, dann wäre die Spezialarbeit der Literatur nicht notwendig und die Demokratie wäre morgen zu haben. In Wirklichkeit werden uns aber unsere wirklichen Erfahrungen verstellt. Trotzdem beginnen immer einige, ihre Erfahrungen anzuwenden. Warum? Vielleicht sind sie weniger stabil oder sie wurden ermutigt durch die fortschrittliche Literatur oder durch den Werkkreis. Und trotz der Betonung der Technik und des Machenkönnens, der man auch im Umkreis Benjamins und Brechts begegnet — was auch mit deren Herkunft zu tun haben mag —, ich halte die Not immer noch für einen unverächtlichen Produktionsanlaß. Ich halte es immer noch für möglich, daß einer schreibt, weil es ihm sonst zu viel wird, weil er die Schnauze voll hat, weil es ihm jetzt allmählich reicht, weil er sich nicht mehr anders helfen kann, weil er sonst nicht mehr weiter weiß. Meistens gibt das Lesen den letzten Ausschlag. In den Büchern ist ja schon immer mehr Menschenrecht verwirklicht als irgendwo sonst in der Welt. Und wer nicht liest, schreibt auch nicht. Aber diese anfängliche Spontaneität geht rasch über in einen Arbeitsprozeß. Die sich vom Schreibenden entfernenden Sätze stehen ihm gegenüber. Je mehr von ihm selber da steht, desto mehr muß er sich in der Folge danach richten. Es gibt ein Hin und Her zwischen ihm und dem Geschriebenen. Er erfährt durch das Schreiben mehr von sich, als er wußte. Zum Beispiel über die Erfahrungen seiner Klasse. Er hatte das nicht so parat. Aber jetzt wird es aufgerufen, abgerufen, jetzt wird es anschaubar, nachprüfbar. Stimmt es? hält es sich? ist es eine Antwort auf das, was ihm passiert ist? ist ihm so zumute? ist es das, was er immer schon einmal sagen wollte? kann er das dem Kollegen Sowieso zum Lesen geben? kann der das bestätigen? ist es auch nicht übertrieben? man will sich ja nicht lächerlich machen. Erika Ruckdäschel hat in der ersten Werkkreis-Anthologie geschrieben: „Es geht mir aber auch darum, daß ich in letzter Zeit glaube, ich könnte die Dinge und Vorgänge besser verstehen, wenn ich sie ausdrücke." 15 Das heißt, durch das Schreiben verändert sie sich. Es ist ihr durch das 326

Schreiben klar geworden, was in ihren Erfahrungen steckte. Sie hat es herausgebracht. Wenn sich einer ein zweites Mal zum Schreiben hinsetzt, tut er es schon weniger spontan, also schon gewitzter. Er beginnt, sich und seinen schwer durchschaubaren Vorrat von Erfahrungen zu provozieren. Durch sozusagen technische Veranstaltungen. Er teilt sich auf in einen Dialog. Arrangiert etwas als eine Folge von Fragen. Versetzt es in verschiedene Zeiten usw. Bei den einzelnen Veranstaltungen merkt er sehr schnell, was bei ihm zieht und was nicht. So lernt er immer besser dieses Spiel mit sich selbst, dieses Sich-in-Bewegung-bringen, Sich-abklopfen bis in den untersten, d. h. am weitesten abgesunkenen Erfahrungsbereich. Und was er entdeckt: Er ist kein einzelner. Und die wichtigsten Erfahrungen sind offenbar die, die die meisten Leute machen. Natürlich ist es für ihn ganz entscheidend, mit Kollegen diese Schreibarbeit zu diskutieren. Aber soviel er auch dazulernt, so wichtig für ihn das Erlernen alles Methodischen ist: Wirklich lernen kann er nur das Erfahren, nicht das Schreiben. Der Blick auf die Wirklichkeit, der wird trainiert. Aber das Schreiben bleibt ein komplizierter, nicht unmittelbar kommandierbarer Vorgang. Im Gegenteil, je weiter es sich von der anfänglichen Spontaneität entfernt, desto schwieriger wird es. Für jeden. Aber so wie der Schreiber sich durch das Schreiben änderte, so kann sich, weil Lesen nur eine andere Art von Schreiben ist, auch der Leser ändern. Wie kann das vor sich gehen? Der Schreiber macht mit jedem Satz, den er aus sich entfernt, etwas wortfest und anschaubar, was vorher schwankend, unsicher, flüchtig, unentschieden war. Wenn Peter Neuneier in seinem Roman Akkord ist Mord zu dem Satz kommt: „Wenn man für seine paar Kröten so schuften muß wie ich, ist das ganze Leben beschissen!" 16 , dann hat er damit die Stimmung des Ausgebeuteten plakatreif, lesebuchreif, auf jeden Fall überlieferungsreif zum Ausdruck gebracht. Aber der nächste Satz heißt d ann: „Ich habe abends schon Angst vor dem nächsten Morgen." Dieser Satz ist entstanden, weil der Satz vorher anschaubar geworden war, er ist eine Antwort auf ihn. Erst dieser Satz von der Angst, glaube ich, hat eine entdeckerische Funktion. Der Satz vorher faßt etwas exemplarisch zusammen, 22'

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was jeder Ausgebeutete schon so weiß. Der Satz mit der Angst setzt sich der Stimmung des ersten Satzes entgegen. Er setzt diese Stimmung nicht fort. Er springt. Dadurch produziert er eine neue Qualität. Der konstatierende Satz wirkt abschließend, Resignation stiftend. Der entdeckerische Satz wirkt aktivierend. Mit einer beschissenen Lage gibt es eine Vereinbarung: Man findet sich ab. Angst ist unerträglich, zwingt zum Handeln. Und so weiter. Wenn der Schreiber also durch die Tätigkeit des Schreibens auf vollkommen dialektische Weise Bewußtsein gebildet hat, dann kann der Leser nicht umhin, diese Bewußtseinsbildung zumindest im Augenblick mitzumachen. Entdeckt er in der hier produzierten Erfahrung auch noch sein Interesse, dann aktiviert er den Prozeß des Schreibers um so heftiger auch in seinem Bewußtsein. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich dieser Vorgang simulieren läßt. Das heißt, ein Schreiber, der alles schon weiß, oder alles schon besser weiß, der kann nicht mehr so schreiben, daß es zu jener spannenden Entdeckungsfahrt kommt, an der der Leser dann wirklich teilnimmt. Wenn der Autor die Arbeit des Schreibens nicht zur eigenen Veränderung braucht, dann wird er auch keinen anderen verändern. Möchte ich behaupten. Und das, soweit es Literatur betrifft. Pädagogik ist vielleicht (!) etwas anderes. Was für den Autor nicht notwendig ist, wird für den Leser schon gar nicht notwendig. (Ich meine natürlich nicht, daß eine Erregtheit und Bewegtheit, in die man bei der Schreibarbeit geraten kann, die Sätze und damit den Leser in Schwung bringen soll, sondern ich meine die Strecke, die der Autor schreibend zurücklegt. Er ist nachher nicht mehr, wo er vorher war oder nicht mehr der, der er war. Das ist das, was sich mitteilt.) Und dieses ihn selbst verändernde Schreiben, ist das Handeln des Schriftstellers. Es ist schon gehandelt, wenn einer über Monate ein Betriebstagebuch führt, in dem er auf alle Finten eines Chefs dadurch antwortet, daß er sie in Prosa darstellt.17 So behauptet er sich. Und wenn er das anderen anbietet und sie, als Kenner, stimmen zu, dann entfaltet das Literaturprodukt seine organisierende Kraft. Wem die Literatur eine zu langwierige Wirkungsweise hat, der muß sich eine andere Art zu handeln suchen. Aber nur Enttäuschung und Resignation oder Einschüchterung 328

und Entfremdung kann die Folge sein, wenn von der Literatur Wirkungen wie im Hau-ruck-Verfahren erwartet werden. Verglichen mit dem unmittelbaren politischen Handeln wird Schreiben unter allen Umständen eine mindere Art des Handelns bleiben. Brecht eröffnet seine Thesen für proletarische Literatur so: „Kämpfe, indem du schreibst! Zeige, daß du kämpfst! Kräftiger Realismus! Die Realität ist auf deiner Seite, sei du auf ihrer! Laß das Leben sprechen!" 18 Im Gesicht eines auf seine Verlorenheit eher stolzen Schriftstellers können solche Aussprüche schmerzliches Zucken hervorrufen. Das ist das wirklich Erstaunliche, daß den meisten, die in der Kulturindustrie arbeiten, immer mehr verlorengeht, was der Anlaß zu dieser Arbeit war: daß sie L e b e n erh a l t e und m e n s c h e n w ü r d i g mache. Inzwischen fühlt sich einer schon gerechtfertigt, wenn er zur Verdinglichung der Brutalität, zur Verabsolutierung der Verzweiflung, zur Fetischisierung der menschlichen Unmenschlichkeit ein paar neue Zuckungen liefert. Bewußtsein, das von sich keine Arbeit mehr verlangt, sondern sich mit Reaktion begnügt und alle anderen einlädt, die genießbar gemachte Heillosigkeit eben so reaktiv, so passiv zu genießen, dieses Bewußtsein ist vom Bewußtsein, das den Massen den Status quo als heile Welt verkauft, überhaupt nicht verschieden: Beide feiern die Geschichtslosigkeit; beide sind stolz auf ihren antiaufklärerischen Effekt; die Praxis beider, der Virtuosen der Schwärze und der des Vergoldens, wirkt zynisch, verglichen mit der gesellschaftlichen Praxis. Beide dekorieren einen Zustand wie für immer, obwohl sie doch ursprünglich zu dessen Veränderung berufen waren. Das ist, glaube ich, der wichtigste Beitrag des Werkkreises zur gegenwärtigen Szene: In jeder Zeile dieser Literatur werden die Virtuosen der menschlichen Inkompetenz als inkompetent für das Menschliche entlarvt. Als realistische Literatur zeigt sie, was wirklich geschieht, und fordert dadurch, was geschehen muß. (Und zur Fortsetzung der Diskussion im nächsten Medium, dem Film, und als ein Hinweis darauf, daß Walter Benjamin und wahrscheinlich seine ganze ästhetische Fraktion ein unhaltbares Vertrauen auf die Veränderung der Produktionsweise setzten, ein Zitat aus dem Spiegel, das beweist, daß sich 329

beim Film ganz genau der aus der Literatur bekannte Vorgang wiederholt: Vom selbstgenügsamen Macher bis zum Service durch Pseudokritik; da heißt es also: „So existiert nach Kubrick keine Zivilisation ohne Gewalt? Die pure Story, in der Tat, läßt den Autor als reaktionären Pessimisten erscheinen. Seine artifizielle Vollkommenheit jedoch hat ihn schon rehabilitiert: Die Musik ist meist elektronisch verfremdet, die Interieurs erscheinen grotesk stilisiert, und alle Charaktere sind Karikaturen. Der Film, obschon glatt und offensichtlich ohne 'Humanität' (Time), läßt jede Deutung zu." ^ (1972) 3, S. 390-401

Friedrich Hitzer

Literatur heute

Von der „toten"

Literatur

^um nkranken"

Buch

Die im Kursbuch vor zwei Jahren verbreitete Anzeige über den „Tod der Literatur" war in so hohem literarischen Ton vorgetragen, daß die bürgerlichen Kulturredaktionen in Presse, Funk und Fernsehen ihr Publikum noch eine ganze Weile damit unterhalten konnten. So ernst der Anlaß schien — eine feierliche Beerdigung—, trauern wollte kaum einer unter den Wortführern des gehobenen Literaturbetriebs. Warum sollte man sich auch zu Konsequenzen genötigt sehen? Das System subventionierte noch genug geschlossene Anstalten für Gebildete, in denen man die eigene Ratlosigkeit wortreich und in einem für Massen ohnehin unverständlichen Radikalismus beteuern konnte. Selbstkritik blieb hier, wenn sie überhaupt vorkam, nach wie vor Deklamation — „wir können ja eh nichts ausrichten, also machen wir halt weiter, wie es sich ergibt". Also machten die Herrschenden weiter, selbst dort wo sie klar nach rechts 1 steuern, weniger behindert als sie selbst angenommen hatten. Inzwischen verbreiten nicht nur linksradikale Intellektuelle Alarmsignale, sondern auch die Buchhalter der traditionellen bürgerlichen Verlage: „Nicht mehr die verprellten Ästheten wetzen das Messer, damit der alte Schöngeist Rotfront macht, sondern die Verlegerbilanzen präsentieren in der Spalte 'schöne Literatur' gefährlich rote Zahlen und signalisieren, daß gegenüber dem Feuilletonmarkt der Meinungen das Wirtschaftsmarketing der Macher bereits folgenreicher, also diskutabler geworden ist. Kurzum: die Verleger hierzulande werden sich 331

eine bestimmte Sorte Literatur immer weniger leisten können — nicht aus ästhetisch-ideologischen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen." 2 „Autor und Verleger" Peter Härtling, der schon im September 1970 s o r g e n v o l l in die Zukunft blickte 3 , erläuterte in einem Vortrag Das kranke Buch bei der Bayerischen Akademie der Schönen Künste zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse 1971: „Warum sollte das, was für Persil gilt, nicht auch für die Produkte von Rowohlt, Molden, Droemer, S. Fischer gelten? Noch gibt es keine Marktforschung für das Buch. Sie wird es geben, und von da an wird der Markt noch stärker als zuvor in die Verlagsstube dringen und die Programme bestimmen." 4 Härtling verschweigt uns, was er spätestens als Verleger des S. Fischer-Verlags hätte wissen müssen: Literatur für die Massen wird längst wie Persil an den Mann gebracht. Allerdings genügen den Großverlegern selbst die bestehenden Marktmechanismen nicht mehr. Die Kapazitäten sind gewachsen. Die Bewußtseinsfabriken werden sich ihrer systemerhaltenden und -stabilisierenden Funktion immer bewußter. (Nicolaus Neumann weist in seinem Beitrag — Buchmacher oder Büchermacher — darauf hin, daß es sich bei der Buchproduktion nicht mehr nur um Profitmaximietung, sondern zugleich um gesellschaftspolitische Planung und ideologische Steuerung handelt.) Was einen Härtling klagen läßt, ist die dumpfe Erkenntnis, daß die formalistische Ästhetik — in gewisser Hinsicht ein spontaner Planungsvorgang für die Produktion von Büchern ohne gesellschaftspolitischen Bezug — weitgehend abgewirtschaftet hat. Die Krise der bürgerlichen Eliteliteratur ist so offenkundig, daß selbst ihre besten Repräsentanten die vornehme Zurückhaltung der gebildeten schweigenden Minderheit aufgeben und sich öffentlich ausweinen. Keine Ästheten sondern Buchhalter, Marketing- und Sales-Promotion-Manager brauchen die Konzernspitzen. Ob dazu wohl die verfeinerten Antikommunisten aus dem „Geisterreich" — wir werden hierzu noch Joachim Kaiser hören — der CIA-NachkriegsIntelligenzia imstande sind? Peter Härtling war immerhin Chefredakteur der vom „Kongreß für die Freiheit der Kultur" angeleiteten und finanzierten Zeitschrift Der Monat, vor dessen 332

„Tod" er noch rechtzeitig bei S. Fischer hatte Zuflucht nehmen können. Was wird er jetzt tun? Im übrigen meine ich natürlich nicht Härtling, sondern den Typus des Antikommunisten, der auf die Entwicklung der westdeutschen Nachkriegsliteratur nachhaltigen Einfluß nehmen konnte. Bezeichnend für die gegenwärtige Lage ist, daß etwa der CIAIdeologie 9. D. Härtling vom SS-Intellektuellen a. D. HansEgon Holthusen bei der Bayerischen Akademie feinsinnig vornehm — wie sich das gehört — verhöhnt wird: Härtlings Doppelleben bringe ja so eine Art „inneren Klassenkampf" zum Ausdruck 5 , was nichts anderes heißt als — eure feinen Tricks sind zu Ende, wir haben es immer schon gewußt, daß es so nicht lange geht — links blinken und rechts fahren! Das „kranke" Buch signalisiert aber nicht nur den Streit zwischen den verschiedenen antikommunistischen Strategien und Taktiken auf dem Gebiet der Kulturpolitik. Die Krise der bürgerlichen Kultur kommt offen zum Vorschein. „Wenn sich langsam die Einsicht durchsetzt, daß selbst bei der Produktion materieller Güter die Herrschaft eines für öffentliche Bedürfnisse blinden Profitgesetzes die Gesellschaft zugrunde richtet. Wieviel unmittelbarer trifft sie dann auf jenen heikleren Markt zu, auf dem „Tendenzen", auf dem „Bewußtsein" gehandelt wird — eben Literatur." Die Zeitung, die diesen Satz auf der ersten Seite ihrer Buchmessenausgabe 1971 bringt — Die Zeit —, ist nicht dafür bekannt, daß sie das „Profitgesetz" bekämpft (vielleicht das „blinde" und nicht das „sehende"). Dieter E. Zimmer, der Autor dieser Zeilen, bespricht aber nicht dieses Gesetz, sondern den Bestseller, den er nicht mehr nur „für einen Makel an einem sonst wunderschön funktionierenden System" hält. Der Bestseller sei das „hervorstechendste Symptom einer Krankheit, deren Ursachen benennbar sind und die im Begriff ist, die Grundlagen unserer traditionell vom Buch bestimmten Kultur zu zerstören." 6 Welche Ursachen benennt Dieter E. Zimmer? Keine. Er weint. Schließlich führt auch die bedrohliche Überschrift — Die Diktatur der Bestseller — an den Ursachen vorbei, verwischt sie_ sogar, solange der Autor haarscharf an der Diktatur der Bestsellermacher vorbeiredet und solange er diese Symptome, wenn auch nur zweifelnd, nicht als Ausdruck eines Systems 333

ansieht, das die Bedürfnisse der Menschen immer mehr vergewaltigt. Es ist nicht neu, daß Krisen und Verfallserscheinungen des kapitalistischen Systems in der bürgerlichen Kritik als Krise des Menschen, des Buches, des Kinos, des Theaters, des Romans, der Lyrik — kurzum der Kultur schlechthin behandelt werden. Bürgerliche Ideologen „mystifizieren die Entfremdung des Menschen der bürgerlichen Gesellschaft, eine Erscheinung, die aufgrund der wissenschaftlich-technischen Revolution zunimmt, sie dehnen diese Erscheinung auf die gesamte Welt aus und verkünden, das sei die tragische Norm des Daseins unseres Zeitgenossen, ganz gleich unter welcher Flagge er lebe" 7 . Angesichts des Hauptwiderspruchs unserer Epoche zwischen realem Sozialismus und Imperialismus reduziert sich diese Mystifikation auf den einen Nenner: Die Mängel im Kapitalismus sind Folgen der menschlichen Natur, die Mängel im Sozialismus Folgen des Systems, das die menschliche Natur übergehe. Freilich spielt sich diese auf den Kopf gestellte Welt im Bewußtsein vieler Menschen in so komplizierten Widersprüchen ab, daß Marxisten mehr leisten müssen, als auf ihre seit hundert Jahren bekannten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu verweisen und im übrigen die Krämpfe kleinbürgerlicher Radikaler und bürgerlicher Mystifikatoren als lächerliches Schauspiel abzutun. Bürgerliche Literatur wird sich nicht von selbst erledigen, sie zu ignorieren, bedeutet, ein Feld der ideologischen Auseinandersetzung zu räumen. Ausbeutung und Entfremdung im staatsmonopolistischen Kapitalismus reichen so tief, schaffen so komplizierte Probleme, daß die Befreiung davon eine entscheidende Aufgabe sozialistischer Kulturtheorie und -praxis sein muß. Was Hans Magnus Enzensberger und Walter Boehlich — bei allen Fehlschlüssen und Widersprüchen — seinerzeit im kursbuch verkündet hatten, machte wenigstens eines ganz deutlich: So kann es mit der Literatur nicht weitergehen. Aber wie sollte es weitergehen? Wir haben damals im Kärbiskern begründet, daß Literatur und Kunst notwendig sind. Wir haben gegen die Koketterie polemisiert, sich ins Sterbebett zu legen und damit vor der 334

Bourgeoisie zu kapitulieren. Was konnte sich denn die vor so viel Revolte unter Schülern und Studenten unruhig gewordene Bourgeoisie Beruhigenderes wünschen als jene „neuesten Stimmungen im Westen" (Martin Walser), wonach sich die Menschen erst selbst zu befreien hätten, bevor sie die Gesellschaft von den Ausbeutern befreiten? Was konnte Nützlicheres geschehen, als die Propagierung einer pseudorevolutionären Subkultur, die nach der vermeintlichen Beerdigung von Literatur und K u n s t zu einem Verhalten von Zynismus, Melancholie und Ekstase führen mußte? Nicht zu übersehen sind die Spuren jener mit linksradikalen Phrasen geschmückten These — Revolution statt Literatur und Kunst. Hinsichtlich der Kriterien, mit denen wir Literatur messen, hat sich eine Unsicherheit ausgebreitet, die literarische Arbeit beeinträchtigt. Unsere Erkenntnisse auf dem Gebiet soziologischer, medienund kulturpolitischer Zusammenhänge sind den Kenntnissen und vor allem der Anwendung von Ästhetik voraus. Warum, wie und für wen wirken die K ü n s t e ? In einer Zeit, in der die Medien die Möglichkeiten sinnlicher Wahrnehmung permanent vergrößern, wächst die Bedeutung der Wissenschaft von der Formung des Menschen als Produktivkraft. Marx erkennt den arbeitenden Menschen als Hauptproduktivkraft. Wie aber sieht er diesen Menschen konkret? „ D e r Mensch eignet sich sein allseitiges Wesen auf eine allseitige Art an, also als ein totaler Mensch. Jedes seiner m e n s c h l i c h e n Verhältnisse zur Welt, Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen, Denken, Anschauen, Empfinden, Wollen, Tätigsein, Lieben, kurz alle Organe seiner Individualität, wie die Organe, welche unmittelbar in ihrer Form als gemeinschaftliche Organe sind, sind in ihrem g e g e n s t ä n d l i c h e n Verhalten oder in ihrem V e r h a l t e n z u m G e g e n s t a n d die Aneignung desselben." 8 Die soziologische Methode kann die ästhetische nicht ersetzen, die als L o g i k der Kunst auch nicht die gesellschaftlichen Zusammenhänge erklären kann. „ D e r Mensch formiert sich auch nach den Gesetzen der Schönheit." 9 Diese Einsicht läßt sich erfolgreich nur materialistisch und dialektisch umsetzen. Der Katzenjammer mit der idealistischen Ästhetik 335

darf nicht Anlaß sein, die Ästhetik schlechthin abzuschaffen. Wir brauchen Ästhetik, um die künstlerische Aneignung der Wirklichkeit zu bestimmen und von der wissenschaftlichen zu unterscheiden. Unter den Äußerungen über die „tote" Literatur, das „kranke Buch" und die „Diktatur der Bestseller" finden wir nur spärliche Hinweise auf die Ästhetik der hier beschriebenen Literatur. Das hängt mit der Funktion der herrschenden Kritik zusammen.

Abdankung der bürgerlichen Kritik Allein die Zahl der belletristischen Neuerscheinungen verlangt eine Auswahl. Auswahl setzt Kriterien voraus. Kriterien erfordern ständig den Vergleich mit der Praxis der Leser, der Schreiber, der Literatur und der Kritik. Kritiker haben eine Schlüsselfunktion im Informationsfluß vom geschriebenen zum gelesenen Wort. Welchen Stellenwert die großbürgerliche Presse dieser Tätigkeit gibt, zeigt etwa das Büchertagebuch 1971 der Frankfurter Allgemeinen., das auf 304 Seiten eine Auswahl von 218 Rezensionen aus über 1500 Buchbesprechungen (Stand 31. Juli 1971) enthält. Diese Auswahl soll dem Leser eine „umfassende Unterrichtung" sichern. Sie gibt sich als ein verbindliches Informationssystem und liefert zugleich einen Bewertungsraster mit. Ähnliches setzen sich die Redaktionen der gehobenen bürgerlichen Presse zum Ziel. Die Feuilletons für Akademiker in der Zeit, der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter 'Rundschau, der Welt werden zur Zeit der Buchauslieferungen so dick, daß sie in der Regel nur selektiv gelesen werden können. Äußerungen über das „kranke" Buch sind in den Spalten dieser Zeitungen schlecht verhüllte Bekenntnisse einer Kritik, die für die Verleger immer weniger Leser und damit immer weniger Käufer der anspruchsvollen Belletristik sichern kann. Die Literatur für Wissende — jene „fünfzig Leute, die ohnehin Freiexemplare bekommen" (Peter Härtling) — wurde unter anderem von einer Kritik „gemacht", die versagt hat. 336

In einem Gcspräch mit der DDR-Zcitschrift Weimarer Beiträge deutet Hans Magnus Enzensberger an, worum es hier geht: „Junge Leute, die so vor zehn Jahren von literarischen Neuerscheinungen gesprochen haben, sind eine ausgesprochene Seltenheit geworden, man spricht über die letzte Nummer von Argument oder Kürbiskern." 1° Enzensberaer o verzichtet,7 vielleicht aus schelmischer Bescheidenheit, auf die Benennung des Kursbuch. Sein Herausgeber, der noch vor zehn Jahren regelmäßig einen Anteil an literarischen Neuerscheinungen hatte, brachte mit dem Kursbuch das Organ in Umlauf, das das Bedürfnis vieler dieser „jungen Leute" artikulierte: eine radikale Ablehnung der herrschenden kulturellen Maßstäbe, ohne eine Alternative präzise zu benennen. Im Gegenteil: mit der Losung „Revolution statt Literatur" wurde eine falsche Alternative formuliert. Ursachen und Zusammenhänge dieser Revolte und ihres kleinbürgerlichen Charakters sind oft genug erörtert worden. Wer sind aber diese „jungen Leute"? Die Studierenden der höheren Schulen und Hochschulen, die vor zehn Jahren zu Lesungen von Enzensberger, Grass, Boll, Walser u. a. drängten, die kompliziertesten und kritischen poetischen Texte diskutierten, als wäre hier die höchste Form kritischen Denkens zum Vorschein gekommen. Als nach und nach alle dieser Jugend angebotenen Ideale der Nachkriegszeit — die amerikanische „Declaration of Independence" und die „freiheitlich-demokratische Grundordnung" D — O angesichts des Völkermordes der USA in Vietnam, der Notstandsgesetze usw. zusammenbrachen, hatte die Literatur nicht mehr viel zu bieten. Über die „skeptische", „schweigende", „unpolitische" Generation — damit war immer die studierende Jugend gemeint — kam eine Welle der Politisierung, die alle Wertmaßstäbe bisheriger Kritik hinwegschwemmte und damit jegliches Interesse für schöngeistige Literatur. Zum guten Ton des Gymnasiasten und Studenten der fünfziger Jahre gehörte das ästhetisch geprägte Naserümpfen über die roten Transparente, Fahnen und Agitationslosungen der DDR. Benn, Krolow, Eich, etwas Brecht — das war schon sehr links — die expressionistische Menschheitsdämmerung, Wolfgang Kaysers und Emil Staigers Poetik boten so etwas 337

wie ein Korsett fürs Denken, wofür sich der Positivismus der Soziologen schlecht eignete. Kalter Krieg, militanter Antikommunismus, das Verbot der FDJ und der KPD wurden in dieser sensiblen Geisteswelt gar nicht wahrgenommen. Der ästhetische Nachholbedarf war schon Politik genug. Es zählten Theaterpremieren, Filmclubs, Cocteau, Camus, Sartre, Hemingway, die „Kinder des Olymps". Linke Gruppen nutzten dieses Interesse für Kunst. Zu dem Repertoire kamen Eisenstein, Pudowkin, Dowshenko und das Berliner Ensemble. Das Programm hieß: Kunst statt Politik. Als der Olymp auseinanderbarst, hieß es: Politik statt Kunst. Die Arbeiterklasse, die es bis dahin nur — und das war radikal — als Gegenstand von Kunst, aber nicht als gesellschaftliche Kraft gegeben hatte, sollte nun von heute auf morgen die rote Fahne in die Hand nehmen und im Sturmschritt den Kapitalismus hinwegfegen, den man ja auch erst dann entdeckt hatte, als es keinen Olymp mehr gab. Die roten Zahlen beim Verkauf gehobener Belletristik kommen vom Verlust der Leser aus Gymnasien und Universitäten: Der poetische Markt von gestern ist der politische Markt von heute. Die Kritik, die in den fünfziger und bis Ende der sechziger Jahre die literarischen Standards setzte, hörte buchstäblich mit einer Demonstration auf, ihr bis dahin gewohntes Selbstbewußtsein zu demonstrieren. Als im Oktober 1967 der SDS vor der Pulvermühle in Franken die „Gruppe 47" zur Aktion herausforderte, gab es noch eine müde Reaktion von Seiten einiger Prominenter, die — wie Reinhard Baumgart — sich inzwischen vom linksradikalen Diskussionspartner zum Sozialdemokraten gemausert haben und alle Mitstreiter von damals, die nicht SPD-Realpolitik machen in bürgerlichen Zeitungen, natürlich von links, richten. Die „Gruppe 47" befand sich vor der Zusammenkunft in Franken in einem Prozeß der Polarisierung, der sich an denselben Vorgängen entzündet hatte — Vietnam, Notstandsgesetze, Neofaschismus —, die demokratischen und sozialistischen Studenten Anlaß zur Aktion waren. Nach der Demonstration vor der Pulvermühle fanden sich die Reste der „Gruppe 47" nicht mehr zu einer Sitzung zusammen. 338

Von Strauß bis Dufhues stimmte man darin überein, diese Gruppe führe sich auf wie die Reichsschrifttumskammer. Das geschah in einer Zeit, als der Neofaschismus seine Front neu ausrichtete. Die bis dahin unterm Ladentisch gehandelten, im Versandsystem verbreiteten faschistischen Broschüren und Bücher hatten zwar genug Gift ausgelegt, es ging aber nun um die Wiedereroberung hoffähiger, öffentlicher Positionen. Für die qualifizierte Nachkriegsliteratur der BRD ist es charakteristisch, daß sich kein Schriftsteller oder Kritiker von Rang bereitfand, offen für das spätkapitalistische System Stellung zu beziehen. Als völlig ausgeschlossen, geradezu skandalös, galt eine positive Stellungnahme für den Faschismus. Bis heute gibt es keinen Gottfried Benn oder Ernst Jünger, die „mit Niveau" das ideologische Konglomerat des Faschismus anreichern würden. So gescheit sich Springers Elite in der Welt auch gibt, ihre Aggressivität ist (Habe, Schlamm, Zehm, Sander und Konsorten) pure Reaktion ohne den „Geist", auf den ihre Vorläufer immer so großen Wert legten. Die Verbreitung neonazistischer und nationalsozialistischer Demagogie ist, gemessen an Auflagenhöhe und Einfluß auf breite Schichten der Bevölkerung, eine massenhafte. Feststeht aber auch, daß rechtsradikale literarische Intelligenz ästhetisch ganz und gar abgewirtschaftet hat. Das macht sie nicht weniger gefährlich als die Gescheiten vor 1933. Vor allem deshalb, weil die realistischen Bourgeois — die Liberalen und die rechten Sozialdemokraten — den Neofaschismus systematisch bagatellisieren. Die i d e o l o g i s c h e Formierung des Imperialismus — Nährboden des Faschismus — wurde weniger durch geistreiche und gebildete Literaten von rechts begünstigt, als durch eine zielstrebige Isolierung einer im Grunde progressiven literarischen Intelligenz von der Arbeiterklasse und damit vom Masseninteresse. Daran haben die führenden Kritiker und Organisatoren der „Gruppe 47" entscheidend mitgewirkt. Den Ausgangspunkt formulierte Hans-Werner Richter schon 1946: „Die Mechanik der ökonomischen Gesetzmäßigkeit, die das menschliche Sein bedingen und bestimmen soll und die einen so breiten Raum in den geistigen Auseinandersetzungen des vorigen Jahrhunderts einnahm, wird sekundär. 339

Mag diese Mechanik in ihrer Gesetzmäßigkeit die ökonomische Entwicklung bis in das Chaos unserer Zeit vorgetrieben haben, in ihrer letzten Auswirkung atomisierte sie nicht nur den Menschen, sondern auch ihre eigene Gesetzmäßigkeit. Mit der Zerstörung der Dinge und in der Nivellierung des Menschen hob sie die Klassengegensätze auf, zermalmte sie ihre eigene ökonomische Basis und ließ den Menschen mit dem Menschen allein." 11 Hans-Werner Richter wäre überschätzt, wenn wir sagten, er sprach vor, was die Vertreter der kritischen bürgerlichen Literatur der BRD praktizierten. Sie praktizierten das nur zum Teil. Jedenfalls sprach Richter Argumente vor und organisierte damit mit nicht geringem Erfolg die intellektuellen Nullpunktstimmungen der Jahre nach 1945. Mit viel mystischem Nebel artikulierte er das ästhetische und gesellschaftspolitische Engagement eines abstrakten Humanismus, der nur darauf hinauslief: es gibt keine Klassengegensätze, die Ökonomie hat keinen Einfluß auf die Gesellschaft, auf Kultur und Politik, der Mensch ist allein. Richter war natürlich nicht allein, wenn wir an Melvin Laskys Rede beim letzten gesamtdeutschen Schriftstellerkongreß denken (Berlin 1947) und dem Valentin Katajew antwortete: „Heute habe ich mit eigenen Augen einen lebendigen Kriegstreiber gesehen." 12 * Die Philosophie des CIA-Beauftragten Lasky entsprach der von Hans-Werner Richter. Nur konnte der Deutsche noch nicht so offen antisowjetisch auftreten wie der Amerikaner. Zu Richters Spiel gehörte die „unabhängige" Kritik an allen Besatzungsmächten. Die Hauptsache war eine Art hohe Schule des Antikommunismus, die ihren Halt im Renegatenerlebnis fand. Die auf der Tagesordnung stehende Erneuerung der Literatur fand in dem Programm der demokratischen, antifaschistischen Literatur bei breitesten Schichten der Bevölkerung der SBZ und späteren DDR ihre Verwirklichung. Lesen wir aber die Beiträge der führenden Kritiker im Westen durch, gibt es hier fast ausschließlich negative Positionen: Der Mensch ist mit dem Menschen allein und so wie die Kommunisten das machen, geht es nicht. Natürlich waren alle für einen Sozialismus, im Ahlener CDU-Programm auch Adenauer, wie wir wissen. Für viele Literaten verschaffte die Kritik an 340

negativen Erscheinungen der stalinschen Politik das Alibi, sich auf einen d r i t t e n Weg zurückzuziehen. Sie blieben in negativer Parteilichkeit befangen, diskutierten in den höchsten geistigen Regionen, während die Bourgeoisie aus den Kellerlöchern kroch und nahezu ungestört mit der Verbreitung einer Literatur beginnen konnte, die wir heute als imperialistische Massenliteratur bezeichnen. Was bei der Arbeiterklasse in den ersten Nachkriegsjahrcn in Ansätzen vorhanden war — die Ursachen des Imperialismus zu beseitigen —, sollte auf keinen Fall jene Intelligenz zum Bündnis verführen, die anklagte und einen Ausweg suchte, den sie nur an der Seite der Arbeiterklasse finden kann. Wie verführerisch war der Gedanke vom allgemeinen Chaos, von der menschlichen Tragödie. Wie leicht ließ es sich auf Klassenkampf verzichten, wo ja an der Katastrophe gleichermaßen alle schuld waren: Arbeiter und Großkapitalisten — kurzum Menschen. Über zwanzig Jahre später — als der Monat starb — blieb es einem der Starkritiker der „Gruppe 47", Joachim Kaiser, vorbehalten, in zynischer Unschuld, das Neutralisierungsprogramm dieser Intelligenz auszuplaudern: „Als der Monat, mitfinanziert vom amerikanischen 'Kongreß für die Freiheit der Kultur'" — geschmackvoll wie der geschmackbestimmende Kaiser sich nunmal vorgenommen hat zu erscheinen, bekennt er sich sogar öffentlich zu diesem CIA-Unternehmen — „von der Ford-Foundation, getragen vom durchaus optimistischen, anständigen Umerziehungsimpuls des damals so selbstsicheren Amerika (!), kurz nach dem zweiten Weltkrieg — gleichsam im Schatten der Freiheitsstatue — gegründet wurde, da mußte man ihn zwei Jahrzehnte lang lesen, beziehungsweise gelesen haben, wenn man als geistige Person existieren oder zumindest m i t r e d e n können wollte. Da erschienen große Arbeiten von Autoren internationalen Ranges, von Orwell und von Koestlér und, und, und." 1 3 Also: man brauchte Renegaten zur Denunzierung der kommunistischen Parteien und der Sowjetunion; man brauchte das starke Amerika, um nicht „zumindest" sondern überhaupt wieder mitreden zu können. Zweifel, ob Kaiser und Co. überhaupt wissen, was sie tun, für wen und gegen wen sie arbeiten, dürfte der Schluß des köstlichen Klagc23

Reinhold, K ü r b i s k e r n

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liedes über den „ t o t e n " Monat w e g w i s c h e n : „ U n d wie A x e l Springer daran liegt, daß Hertha B S C die Beziehungen zwischen Westberlin und der B u n d e s r e p u b l i k viermal im M o n a t s a m s täglich erfolgreich demonstriert, s o müßte Berlins R e g i e r e n d e r Bürgermeister oder der dortige K u l t u r s e n a t o r sich im letzten A u g e n b l i c k noch überlegen, o b m a n nicht diese S t i m m e wieder zur Berliner S t i m m e machen sollte, daß der Monat, s t r a f f und vernünftig redigiert, wenigstens einmal im M o n a t weiter mitspricht in unserem deutschen Geister-Reich." 1 3 H a n s Mayer überschrieb einen A u f s a t z mit der F r a g e Woran starb die Gruppe 47?, die er recht v a g e b e a n t w o r t e t e : „Gescheitert ist die G r u p p e 47 überdies an ihrer A u f f a s s u n g v o n K r i t i k . " W o r i n diese A u f f a s s u n g bestand, läßt u n s Mayer nicht w i s s e n : „ N i c h t das Nebeneinander v o n T a g u n g s besuchern mit divergierendem G e s c h m a c k , Textinteresse, Alter, E r f a h r u n g s s c h a t z erwies sich schließlich als steril, sondern ihre literarische G e m e i n s a m k e i t : das eben, w a s sie als G r u p p e 47 zusammenhielt." A l s Mayer wieder z u m K a p i t a l zurückfindet, v e r s a g t er sogar in formaler L o g i k . W a s bleibt, sind T a u t o l o g i e n : D i e G r u p p e 47 starb an der G r u p p e 47, Literatur bleibt L i t e r a t u r , G e s c h ä f t ist G e s c h ä f t : „ M a r k t k u n d i g e Verleger ziehen sich aus d e m schlechten literarischen G e s c h ä f t zurück, halten plötzlich nicht mehr arg viel v o m einst so g u t e n literarischen R u f und machen das G e s c h ä f t lieber mit der Wissenschaft als mit der L i t e r a t u r . " 1 4 A b g e s e h e n d a v o n , daß das G e s c h ä f t mit der Belletristik weiterhin geht — mit 19,5 Prozent der B u c h p r o d u k t i o n 1970 größter E i n z e l p o s t e n — ist hier weder b e i der Literatur noch der Wissenschaft die R e d e d a v o n , u m welche Kriterien, welche Inhalte es geht. Bei aller im einzelnen zu w ü r d i g e n d e n D i f f e r e n z i e r u n g gibt es ein durchgehendes M o t i v in der Ästhetik dieser in der B R D nahezu unangefochtenen Literaturkritik: der o f f e n e u n d verdeckte K a m p f g e g e n jedweden R e a l i s m u s , v o r allem g e g e n den sozialistischen R e a l i s m u s . Freilich sind die Wirk u n g e n dieses K a m p f e s vielfach g e b r o c h e n , viele B e t r o f f e n e reagieren auch darauf, als hätte m a n in ihre K ö p f e einen bedingten Reflex eingebaut. Ähnliches spielt sich auch in anderen kapitalistischen L ä n d e r n ab. Vergleiche mit der n o r d -

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amerikanischen, englischen, französischen und italienischen Literatur zeigen jedoch, daß in der Bundesrepublik die literarische Entwicklung spezifisch politisch geprägt war: In keinem Land des staatsmonopolistischen Kapitalismus ist die K l u f t zwischen gehobener und trivialer Literatur so tief wie in der B R D . E s hat nicht nur politische Gründe — ich meine die antideutschen Ressentiments nach den Verbrechen des Faschismus —, wenn auch namhafte Vertreter der westdeutschen Literatur sehr spät in andere Sprachen übersetzt worden sind. 1 »* In Gesprächen fällt hier immer wieder ein Name, der in der fortschrittlichen Literatur unseres Landes kaum eine Rolle gespielt hat: Erich Maria Remarque. D a s kommt nicht von ungefähr. Remarque schrieb eine massenhaft wirksame Literatur, die zugleich progressive — antinationalistische und antimilitaristische Positionen vertrat. Man kann zugespitzt sagen, daß Ideen des Fortschritts, des Humanismus — und das gilt schon für allgemein demokratische Vorstellungen — einem Gebot der Entgegenständlichung, verschlüsselter Erhabenheit im Tonfall des amerikanischen Understatement zu folgen hatten, und sogar wider Willen zu einem reinen Geist des Fortschritts geronnen sind. N u r Eingeweihte begriffen das, während die Millionen von einer leicht verständlichen und unterhaltsamen Reaktion bedient wurden. Der Fortschritt versorgte den reinen Geist, die Reaktion die Sinne. Nach dem Diktat der herrschenden Kritik setzte progressive Literatur den Verzicht aufs Erzählen voraus. Wer das tat, machte 19. Jahrhundert, war altmodisch wie die Russen. Wer Figuren in erkennbare gesellschaftliche und politische Zusammenhänge stellte, auch wenn diese von der Technik des inneren Monologs überfrachtet waren, galt als künstlerisch rückständig. A m Beispiel Heinrich Mann zeigt sich diese Funktion scheinbar objektiver formaler Kriterien besonders deutlich. Weil er einer der entschiedensten Gegner des Imperialismus geworden war, ist einer der revolutionärsten Sprachschöpfer auf dem Gebiet der Prosa — Heinrich Mann — bis heute in der Bundesrepublik ein Fremder geblieben. A u f diese Weise wurden nicht nur die Inhalte ausgetrieben, sondern auch die handwerklichen Fähigkeiten des Erzählens. 23«

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Die herrschende Kritik der Hans-Werner-Richter, Joachim Kaiser, Horst Krüger, Marcel Reich-Ranicki, Hans Mayer, Ivan Nagel, Helmut Karasek und deren Nachplappler pflegen bis heute die Kunst des Antirealismus, den intellektualisierten Antikommunismus für wenige. Diese Namen stehen für das Programm der Feuilletons in der anspruchsvollen bürgerlichen Presse, in deren Spalten die Freiheit der Unabhängigkeit an und für sich herrscht, die aber letztlich nichts anderes sind als Platzwächter für die Spieler bei der Bundesliga Literatur und Kritik. Sie achten darauf, daß alle Finessen des Spiels geboten werden und verweisen jeden erbarmungslos vom Platz, bzw. nehmen ihn erst gar nicht auf, der die Spielregeln verletzt. Daß sich die Literatur dennoch entwickelte, auch gegen den Willen dieser Kritik, spricht für die Wirksamkeit der kulturellen Bedürfnisse, die auch durch Manipulation nicht zu zerstören sind, spricht für die Möglichkeiten und die Notwendigkeit des Realismus.

Über Realismus und Parteilichheit Gegen die Verfügung weniger Monopolisten über die Produktionsmittel aller Medien entwickelt sich eine breite Bewegung für Demokratisierung aller Kulturbranchen. Welche dominierende Rolle Schriftsteller hier einnehmen, erklärt das Gewicht der Autoren im VS bei der Organisierung anderer Kulturproduzenten. Ohne die jeweilige Spezifik und das Neue aller Bild- und Tonmedien, ihres massenhaften Einflusses und ihrer Funktion in Frage zu stellen, bleibt die Sprache nach wie vor Grundelement, das biegsamste Instrument des Menschen zur Aneignung der Wirklichkeit, im Kampf mit der Natur, im Klassenkampf. „Die Wörter sind das Geld auf dem ideologischen Markt der Menschheit." 16 Die Erkenntnis; daß die Literatur der wenigen im Zusammenhang mit dem Lesestoff der vielen gesehen werden muß, ist gewachsen. Sie beherbergt Impulse für einen Lernprozeß von revolutionärer Sprengkraft. Klar ist, daß die Aufhebung dieses hier vorherrschenden Widerspruchs nur einhergeht mit dem Kampf um die Abschaffung des Bildungsprivilegs. 344

Beides ist Teil des gesamten politischen Prozesses, Teil des Kampfes um Demokratie und Sozialismus. Literatur hat aber die Möglichkeit, in den Erziehungsprozeß der Menschen einzugreifen, ohne darauf zu warten, bis sich die von qualifizierter Kultur und Bildung Ausgeschlossenen die bereits geschaffenen kulturellen Güter angeeignet haben. Es geht um einen Prozeß, in dem wir uns bereits befinden, es geht um Probleme, die schon heute alle Aspekte künstlerischer Arbeit zu beachten haben. Diese Arbeit ist nur zu begreifen, wenn wir von den vorhandenen Bedürfnissen der Schreibenden und der Lesenden ausgehen und sie mit den Möglichkeiten der Kunst verbinden: So wichtig Agitpropkunst ist, so notwendig die Förderung der Talente aus der Arbeiterklasse und die Darstellung des Themas Arbeitswelt sind, der Kampf um eine demokratische und sozialistische Kultur muß breiter, tiefer und differenzierter als bisher geführt werden. Wie können Arbeiter gewonnen werden, Kultur nicht als etwas anzusehen, was sich oben abspielt, sondern was sie brauchen und mitbewegt zu kämpfen? Ganz bestimmt nicht, wenn nur ihr Leben und ihre Arbeit fotografiert werden. So wie sie täglich einem Gegner gegenüberstehen — zumeist ohne es zu durchschauen — wird der Arbeiter wenig dazulernen, wenn sich in der künstlerischen Darstellung der soziale Widerspruch nicht wiederfinden, assoziieren läßt. Die Befreiung der Arbeiterklasse erfordert die Befreiung aller Institutionen, Gattungen, Empfindungen und Erkenntnisse. Die Befreiung der Menschen von Ausbeutung verlangt die Eroberung der Träume vom Glück, der Überwindung von Ängsten und Not als wirkliche und mögliche Erlebnisse. Macht erobern nicht Bücher und nicht die Künste, sondern Menschen, deren Denken und Handeln nicht blind und unfrei, sondern zielbewußt ausgerichtet sind. Wissenschaftliche und politische Erkenntnisse erhalten mehr menschliche Energie — Kampfkraft —, in dem Maß, wie sich Menschen die Wirklichkeit ästhetisch aneignen. Woran liegt es, daß Millionen Menschen „imperialistische Massenliteratur" verschlingen, die bekanntlich einer herrschenden Minderheit nützt? 345

Unsere Zeitschrift hat eine Reihe von Untersuchungen über Massenkommunikation, Serienromane, Medienpolitik veröffentlicht. Diese Untersuchungen betreffen zumeist die äußeren Merkmale des Programmangebots. Geläufig ist auch die Bandbreite der Gattungen: Kriminal-, Heimat-, Frauen-, Arzt-, Sex-, Science Fiction-, Abenteurer-Romane. Die Form der Gattungen ist der perfektionierte Kolportageroman. Geringe Beachtung fand bisher die Art der Aneignung von Wirklichkeit. Hier liegt m. E. auch die Achillesferse des Monopolkapitals. Auch in der einfachsten und primitivsten Kolportage steckt ein Quantum menschliche Phantasie im Sinne schöpferischer Arbeit. Computer werden die Schreiber dieser Serien nicht ersetzen können. Die permanente Anpassung an die Interessen des Kapitals gefährdet aber auch die Reste von Phantasie: Das halten auch die besten Zyniker nicht lange durch. Objektiv sind den Marketing-Abteilungen dort Grenzen gezogen, wo ihr I d e a l — nach den Gesetzen der Werbung perfektionierte Belletristik — zum Zuge kommt: Langeweile und Überdruß der Leser werden zunehmen, weil ja hier auch immer weniger geboten wird. Es gibt genug Beispiele dafür, daß auch hohe Werbeetats nicht automatisch einen Bestseller machen oder eine Serie zum Erfolg führen. Die Erfolge sind groß genug, nicht nur wegen der Macht der Monopole, sondern weil die Alternativen noch zu schwach sind. Das massenhafte literarische Angebot enthält Grundelemcnte der Darstellung menschlicher Verhältnisse, die Scheinbezüge zum wirklichen Leben assoziieren lassen. In allen Modellen — den sentimentalen, brutalen, exotischen Serien — werden Figuren von oben und unten vorgestellt. Auf beiden Seiten gibt es ehrliche und hinterhältige Typen. Ob oben oder unten, das Gute siegt, das Böse unterliegt. Verletzte Gerechtigkeit wird immer wieder hergestellt, kommt ins Lot. Konflikte sind scheinbar Konflikte zwischen Individuen. In Wirklichkeit geht es um Charaktermasken verschieden ausgestatteter emotionaler Schemata. Diese Masken erfüllen zugleich soziale Rollen: Berufe, die an Grunderfahrungen der Gegenwart erinnern; etwa Fürsorge (Schwester), Schutz (Polizist, Agent), Alltag (Sekretärin), die mit Traumberufen (Chefarzt, Präsident usw.) den Erfolgsbedarf 346

decken. Die Beziehungen zwischen oben und unten, Alltag und Tagtraum bestehen aus Harmonie trotz Konflikt, Gerechtigkeit trotz Verbrechen, Glück trotz Leid, Liebe trotz Haß, Leben trotz Tod. Die Ansicht, hier herrsche eine „heile Welt", vertauscht Ursache und Wirkung. Die täglichen Erfahrungen verlangen eine überschaubare, spannende Wiedergabe der Welt, in der alles drunter und drüber geht. Ihre Wirkung auf den Leser, nicht die Darstellung selbst, soll den Schein erwecken: die Welt kommt immer wieder in Ordnung — in die Ordnung, wie sie ist, „wie Menschen eben sind". Das verschafft dem Leser zugleich Abstand und Nähe zur eigenen Wirklichkeit. Der Verlust der Erlebnisse durch entfremdete Arbeit braucht den Erlebnisersatz der Scheinwelt. Die Grundelemente der Darstellung bestehen also in einer auf den Kopf gestellten Wirklichkeit, einem „verkehrten Realismus", dessen schädliche Folgen vor allem in der permanenten Fehlleistung und Demoralisierung menschlicher Phantasie liegen. Welche Bedeutung hat dieser ästhetische Mechanismus für uns? Läßt er sich für demokratische und sozialistische Inhalte umfunktionieren? Ich meine, wir sollten die Kolportage nicht der Reaktion überlassen. Es wäre aber m. E. eine Sackgasse, wenn beispielsweise fortschrittliche Autoren aus dem FBIAgenten Jerry Cotton einen Helden der revolutionären Bewegung machten. Der Leser würde — schon an der Schreibe — merken, daß das nicht stimmen kann. Gebraucht werden Helden, die dem Leben vieler begreiflich sind. Entschieden wichtiger als das Experiment mit der Trivialliteratur „aus politischer Einsicht" ist die Beschäftigung mit den Sorgen und Nöten der Autoren dieser Serien. Ihre Arbeit ist so langweilig und ermüdend wie die des Arbeiters am Fließband. Im Bereich gewerkschaftlicher Solidarität kann es zu Kontakten kommen, die unter Umständen einen Könner der Kolportage zum Schreiben eines fortschrittlichen Textes veranlaßt. Es geht hier nicht um das Umfunktionieren von Formen, sondern um die Aneignung und Herstellung realistischer Literatur. Die meisten der gegenwärtig geschriebenen Gedichte, 347

Erzählungen, Romane, Hörspiele, Dokumentarliteratur die, den Anspruch auf gesellschaftskritische Literatur erheben können, haben geringe Aussicht auf massenhafte Verbreitung. (Die Singebewegung stellt eine Ausnahme dar, die aufgrund der spezifischen Wirkungen des Liedes gesondert behandelt werden muß: In einer Gesellschaft, die den Menschen mehr und mehr der aktiven Erlebnisfähigkeit beraubt, wirkt eine mit der Aktion verbundene, kollektiv erlebte und an Emotionalität reiche Kunst am intensivsten.) So sehr auch linke Autoren die „bürgerliche Scheiße" im Theater, Fernsehen, Film usw. links liegen lassen, die meisten sind noch angesteckt von der bürgerlichen Ästhetik, weil ihre Position weitgehend eine Negation dieser Ästhetik geblieben ist. Die Negation einer negativen Parteilichkeit genügt nicht mehr. Es genügen auch nicht gereimte oder ungereimte Deklamationen politischer Artikel. Wenn die bewegende Kraft der Kunst aus Signalen für das Handeln besteht, dann erfordert realistische Literatur Veränderungen der Gefühle. Was ich weiß, bewegt sich durch das, was ich empfinde. Ein großer Teil der fortschrittlichen Literatur von heute ist arm an Emotionen. Gefühle werden verborgen. Das AutorenIch verschanzt sich hinter Zitationen, Deklamationen, Losungen, sprachlich souverän montierten Reflektioncn. Verhältnisse werden entlarvt, seziert, strukturell aufgefächert. Die Funktionen menschlicher Tätigkeit stehen so sehr im Vordergrund, daß es kaum Figuren, wenig handelnde Personen gibt. Die unmenschliche Folge der Gesellschaft, in der Menschen als Ware gehandelt werden, wird zwar beklagt, aber weitgehend als unumstößlich hingenommen. In der Massenliteratur herrschen Personen, die nicht denken, aber handeln, in der qualifizierten zergliederte Figuren, die vor lauter Denken das Handeln vergessen. Menschliche Bedürfnisse und Äußerungen werden auf fortschrittliche Weise, gewiß aus Verzweiflung und syntaxgebändigter Wut atomisiert, während der „imperialistische Massenroman" eine Scheinsynthese der Bedürfnisse besorgt. Die Autoren der Anklage und Ohnmacht verdrängen offenkundig so sehe die Motive ihrer Arbeit — den Haß auf ein unmenschliches System, daß sie gar nicht darauf kommen, wie notwendig der kleine 348

Held ist, der nariienlos, oft unbeholfen aber unbeirrbar die Punkte seiner kleinen Siege zählt. Verständlich, daß hier die proletarisch-revolutionäre Literatur der zwanziger Jahre eine Reihe von Schriftstellern und Kritikern auf den Plan gerufen hat, die jede Beschäftigung mit „privaten" Themen als Hindernis bei der Mobilisierung von Klassenbewußtsein betrachten. Ich meine, hier wie dort sind die Karten durcheinandergeraten. Wir brauchen eine Literatur, die der Wirklichkeit von heute — auch in historischer Vermittlung — angemessen ist. Das heißt: Möglichkeiten der Identifikation und der Erkenntnis für die Mehrheit der Arbeiter, Angestellten, Intelligenz, der Jugend und der älteren Generation offenhält. Stoffe, Themen, stilistische Möglichkeiten sind nicht programmatisch festzulegen, aber daran zu messen, welche Verbindungen zwischen dem Bedürfnis des Autors, seiner Leser und den Anforderungen des Werkes bestehen. Ein Fortschritt, der nur aus Siegern besteht, ist ebenso lebensfremd wie ein Fortschritt, der Bestehendes lediglich entlarvt, seziert, abschreibt. Ich meine, daß es sich lohnt, den Helden unserer Zeit in unserem Land darzustellen. Er kann nicht überschwenglich sein, eher ein verführbarer, ablenkbarer Held, aber er kämpft, träumt und berechnet, liebt und haßt. Und das alles nicht blindlings. Er kennt den Gegner, der Bedürfnisse und Gewohnheiten der Menschen ständig zu mißbrauchen sucht. Dieser Kampf ist reich an Abenteuern, Freuden und Leiden; der Kampf verlangt Kenntnisse und Phantasie und findet täglich tausendfach statt. Auf der Suche nach diesem Helden haben wir vor fünf Jahren begonnen, mit Hilfe des Tonbands die Menschen zum Sprechen zu bringen, die in unserer fortschrittlichen Literatur fast gar nicht vorkamen. Und wenn sie dargestellt wurden, dann standen sie gleichsam als Krüppel vor dem überlebensgroßen „Herrn Krott" Enttäuschung und Mitleid erregend. Das literarische Protokoll ist inzwischen fast als einzige Form der Darstellung von Abhängigen sanktioniert worden. 17 Das Fernsehen benutzt das Dokumentarstück zumeist als Mittel der Verschleierung. Was als Hilfsmittel eingesetzt wurde, ist inzwischen zu dem Verfahren entartet, Kopien von Menschen herzustellen, die dann mit Recht sagen: wozu das ganze, das kennen wir doch schon. 349

Das Tonbandprotokoll bietet sich nach wie vor als ein Mittel an, Solidarität mit einem Interviewten zu dokumentieren. Als Ersatz für die Gestaltung des Lebens der Ausgebeuteten, ist es ein schlechter Aufguß des Naturalismus. Engels schrieb einmal in einem Brief: „. . . unter unseren Verhältnissen [wendet] sich der Roman vorwiegend an Leser aus bürgerlichen, also nicht zu uns direkt gehörenden Kreisen, und da erfüllt auch der sozialistische Tendenzroman, nach meiner Ansicht, vollständig seinen Beruf, wenn er durch treue Schilderung der wirklichen Verhältnisse die darüber herrschenden konventionellen Illusionen zerreißt, den Optimismus der bürgerlichen Welt erschüttert, den Zweifel an der ewigen Gültigkeit des Bestehenden unvermeidlich macht, auch ohne selbst direkt eine Lösung zu bieten, ja, unter Umständen, ohne selbst Partei ostensibel zu ergreifen." 18 Engels plädiert dafür, daß die „konventionellen Illusionen" auch in den Köpfen der „bürgerlichen Kreise" zerrissen werden. Um wieviel mehr brauchen wir heute den Zweifel an „der ewigen Gültigkeit des Bestehenden" in den Köpfen von Arbeitern und Angestellten. Der Zweifel zeigt sich dort am stärksten, wo sich Menschen im Widerstreit befinden, das Neue in Angriff genommen wird und das Alte alle erdenklichen Fallen stellt. Der Alltag und alle Träume vom ewigen Feiertag enthalten in vielfältigen Brechungen immer die ganze Klassengesellschaft, die ganze Epoche. Änderungen, ohne daß das Ganze auch auf das kleinste Erlebnis einwirkt, gibt es nicht. Änderungen kommen nicht von selbst zustande. Menschen verändern Verhältnisse, in unserer Zeit die Mehrheit der körperlich und geistig Arbeitenden. Wie kommen sie dazu? Sie haben ein unendliches Potential von Wünschen und Erlebnissen, nichtausgeschöpfte Begabungen und Leistungen zu ihrer Mitbestimmung und Mitentscheidung, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. Das Kapital nimmt Leistungen, Wünsche und Träume in seinen Dienst: entreißen wir sie ihm! Alle. Mit jedem nur brauchbaren und richtigen Mittel, das den ganzen Menschen anspricht und nicht nur Teilchen seiner Tätigkeit. Kunst als Waffe braucht das ganze Arsenal. (1972) 1, S. 5 4 - 6 8 350

Dieter Süverkrüp

Rede nach meiner Beerdigung

Vielleicht wollten einige Zeitungen mich nur rumkriegen, als sie die Meldung brachten: Der singt nun bald auch nicht mehr! Dankend für so übertriebene Aufmerksamkeit verbleibe ich räsonierend, wie folgt. Es muß doch einen verdammten Grund haben, wenn einer partout nicht aufhören will. Besonders, da alles so deutliche Sprache spricht, jetzt endlich den Schlußstrich zu ziehen unter eine Arbeit, die in einer gewissen Phase der politischen Entwicklung möglicherweise echte Funktionen gehabt haben mag. Jetzt aber, seit diese politische Entwicklung fortgeschritten ist, seit der politische Kampf auf einer neuen Stufe geführt wird, seit die lohnabhängigen Massen nur noch ein wenig aufgerüttelt zu werden brauchen, ehe die Räte alle Macht übernehmen können, seit unserem Lande die sozialistische Revolution gewissermaßen schon vor der Türe steht, zum Greifen nahe ist, wovon sich jeder überzeugen kann, der an beliebigen Sonntagnachmittagen über Düsseldorfs prächtige Königsallee spaziert — seither also ist die Zeit erfüllet; reiß aus, Genosse, dein Saitenspiel und wirf es von dir! Denn was du machest, ist Kunst, bleibt Kunst, ist Scheiße, weil Kunst, klar? Kunst ist systemimmanent, tut niemandem weh, verändert nichts, amüsiert die Unterdrücker, wie die Unterdrückten, ist Opium für's Volk, wird konsumiert, bringt kein neues Bewußtsein, keine Aktion, Feierabend überall, Leute gehen still nach Haus und aus! Genosse, wir sind frustriert! Das muß ausdiskutiert werden!!! Au, fein! Wie wär's mit einem halbwegs dialektischen oder auch nur ambivalenten Kunstbegriff? Kunst ist bekanntlich 351

die Nutte der Herrschenden; gilt das auch für spanische Widerstandslieder? Politische Kunst ist Politik im irrealen Raum; soll man deswegen die Internationale nicht mehr singen? Kunst macht dem Establishment keine Sorgen; warum aber dürfen bestimmte neue politische Chansons einfach nicht gesendet werden? Kunst ist Scheiße; weshalb soll dann ein Sozialist noch die Kunst der Rede (und Gegenrede) lernen? Fragen über Fragen! Warum mußten fortschrittliche Künstler und Schriftsteller 1933 aus Deutschland emigrieren? Vielleicht, weil vor einem Kriegsbild des George Grosz in den prospektiven Soldaten jene irrationale Begeisterung zum Verrecken nicht aufkommen wollte, die bei imperialistischen Kriegsplanungen doch ziemlich unentbehrlich ist. Warum sahen die Nazis sich gezwungen, ihren eigenen Wechselbalg aus Blut und Boden zu zeugen — und zwar als eindeutige Kunstersatzleistung? Vielleicht, weil von der Kunst wichtige Impulse ausgehen können, da im Prinzip allen Menschen die Fähigkeit immanent ist, Kunst (zumindest) zu rezipieren. — Vielleicht also sollte erst einmal unterschieden werden zwischen fortschrittlicher und reaktionärer Kunst; denn K u n s t an sich ist fast ebenso wenig ein politischer Begriff wie etwa P r o d u k t i o n s m i t t e l an sich. Gut, Genosse Süverkrüp. Wie aber stellst du dich zur Frage der Konsumierbarkeit auch von p r o g r e s s i v e r Kunst? Dein Publikum sitzt rum. AugenundOhrenundTürundTor sind weit geöffnet zu verbrauchen, was angeboten wird. Die wissen ja: jetzt kommt Protest. Offensichtliche Konsumhaltung! Das heißt: Realitätsentfremdung! Das heißt: man findet das alles ganz prima, aber man nimmt es nicht ernst. Ist ja nur Kunst! r Ich sage: stimmt! Beziehungsweise stimmt nicht! Natürlich werden heutzutag' selbst Polit-Künste als Ware genommen, nämlich von den Mitgliedern einer Gesellschaft, deren Wirtschaftssystem infantiles Konsumverhalten breiter Massen produziert und existenznotwendig braucht, um weiterhin Waren zu produzieren und verkaufen zu können usw. Aber andererseits können nur Metaphysiker vom Kunstproduzenten verlangen, daß er künstlich Widersprüche auflöst, die gesamtgesellschaftliche Widersprüche sind. 352

Frage: Trotzdem konsumiert das Publikum! Gibt es nicht gewisse Techniken, denen da unten mit dem nackten Arsch ins Gesicht zu springen? Antwort: Gibt es. Man muß aber können. Ist also schon wieder Artistik. Und wenn man das Publikum bewußt an seiner Konsumgeilheit frustiert? Dann reißt es das Maul auf und gähnt. Dergleichen könnte man als Verunsicherung interpretieren. Aber nur, wenn man sich ganz dumm stellt. Konsumbedürfnis ist ja doch platterdings die pervertierte Form eines echten menschlichen Bedürfnisses, das nämlich auf G e n u ß gerichtet ist. Genuß — ein Begriff, den vermutlich erst die Geschichte endgültig (?) definieren wird — setzt Aktivität, entwickelte Sinnlichkeit, Kommunikations- und Kritikfähigkeit voraus, also vor allem: Freiheit. Freiheit bedeutet für uns konkret zunächst: Freiheit von Ausbeutung. Menschliches Genußbedürfnis in seinen zahlreichen historischen Erscheinungsformen ist sicherlich stets eine bedeutende geschichtliche Kraft gewesen, so hoffe ich, ohne Übertreibung nebenbei bemerken zu dürfen. (Warum wurde je die Welt zu ihrem Besseren verändert, wenn nicht mit dem Ziel, sie dem Menschen genießbar zu machen?) — Konsum hingegen bedeutet die Erfüllung k u r z g e s c h l o s s e n e r Bedürfnisse Dennoch hat auch der Vorgang des Konsumierens gewisse Anteile von Genuß. Gerade darin sehe ich eine Chance. Schließlich haben wir's objektiv vorwiegend mit Konsumenten zu tun. Außerdem: abgesehen davon, daß ich die Pauschal-These von der totalen „Konsumierbarkeit" politischer Kunstanstrengungen glattweg bestreiten muß —wenn man einerseits vor Häusermaklern und Verbindungsstudenten gesungen hat, andererseits in Werkskantinen und bei DGBVeranstaltungen, liegt das nahe — abgesehen davon ist der Konsument nicht einfach dem Schwachsinnigen, dem absolut Lernunfähigen gleichzusetzen. Ausgehend von dieser einigermaßen gesicherten Erkenntnis könnte man zu dem Schluß kommen, daß eine auf Konsumenten zugeschnittene Agitation zwar keineswegs so sensationell ist, wie gleichzeitige Unternehmungen des nackten Arsches, dafür aber auf Dauer revolutionärer. 353

Das klingt verdammt nach SPD-Ideologie, mein Lieber! Ein Schrittchen vor, zwei zurück! Immer aktiv und nichts erreichen! Einzig reale Funktion: demokratisches Alibi eines an sich undemokratischen Systems. Feigenblatt! Zugegeben, die Gefahr liegt nahe. Aber eine Agitation, die bewußt zum Zwecke der Abschaffung des Kapitalismus eingesetzt wird, kann nicht gleichzeitig seiner Erhaltung dienlich sein, außer: sie wird völlig dusselig betrieben. Entscheidend ist hier auch die Frage nach der Qualität der Informationen, die vermittelt werden müssen. Konkrete Einsichten in den kapitalistischen Produktionsprozeß, dessen zwangsläufige Nebenprodukte inhumane Lebensverhältnisse (verschiedener Gradation) innerhalb des gesamten Herrschaftsbereiches dieses Systems sind, solche Einsichten und deren weite Verbreitung bilden nun einmal die notwendige Basis für sozialistische Gesellschaftsveränderung. Wir stoßen hier freilich an die Grenzen der Kunst, genauer: an die Grenzen des bürgerlichen Kunstbegriffes, der es ja geradezu verbietet, das Publikum, statt mit Magie mit unmißverständlichen Informationen (womöglich noch Zahlen oder Statistiken) zu belasten. An dieser Ecke, meine ich, sollte weitergearbeitet werden. Wenn das Publikum sich amüsieren will, dann amüsieren wir es doch! Mit Informationen. Die moderne Werbung hat uns auf dem Gebiet schon einiges (erfolgreich!) vorexerziert, auch wenn ihre Informationen natürlich nichts taugen. Kommt ein milder, weltoffener, pragmatisch gebügelter Herr: „Haben Sie das Gefühl, daß Sie mit solchen Liedern, die teilweise ja doch recht kunstvoll gemacht sind — ich wenigstens habe mich gut unterhalten dabei — also, glauben Sie denn nun wirklich, damit etwas erreichen zu können?" Zwar will ich nicht angeben, sehr geehrter Herr, dennoch möchte ich immerhin argwöhnen: E s ist nicht allzu wahrscheinlich, daß die dermaleinstige Abschaffung des kapitalistischen Systems einzig und allein meinen persönlichen Anstrengungen zu verdanken sein wird. Der politische Singsang ist sinnvoll nur im Zusammenhang eines Gesamtkomplexes, den man „politische Agitation" heißt. Dahinein gehören u. a. so wichtige Mittel wie die Rede, das teach-in, wie Demonstration und Kundgebung, Flugblätter, Wandzei-

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tungen usw. Zudem ist, um dem Sozialismus zum Durchbruch zu verhelfen, Agitation nicht das einzige Mittel, wenngleich sie in der augenblicklichen Phase des Klassenkampfes in unserem Lande eine nicht unerhebliche Bedeutung haben dürfte. Deshalb sollte man gerade in dieser Sache nicht sparen an Phantasie, kenntnisreicher Analyse nebst Lust, neue Formen zu entwickeln. — Und was nun z. B. meinen, verschwindend kleinen Beitrag zur sozialistischen Agitation betrifft: Solange es Hinweise darauf gibt, daß man mittels Anfertigung und Absingung geeigneter Lieder wenigstens denjenigen (zweifellos noch geringen) Teil der (werktätigen, konsumierenden, ausgebeuteten) Massen erreichen kann, der bereits sozusagen an der Peripherie von politischer Aufgeklärtheit, von politischem Engagement steht, solange, denke ich, sollte man weitermachen. (1969) 2, S. 1 7 9 - 2 8 1

Martin Walser

Strophen

Die hier abgedruckten Strophen stammen aus einem Büchlein, in dem der Autor seit einiger Zeit versucht, seine eigene Bewußtseinsentwicklung zur Sprache zu bringen und sie dadurch anschaubar und diskutierbar zu machen. Die Strophen tragen hier die gleichen Nummern wie in diesem Büchlein. Der Autor wählte aus den Strophen — bis jetzt sind es 68, es sollen etwa 100 werden — die aus, die ein Beitrag sein können zum Thema dieses Heftes. 21

Dichter-Lizenz-'

Nur zu, Wut, Ekel, Verzweiflung, nur zu, nur buchstabiert unsre Gemeinheit, und mit Genuß, und so, daß man sieht: geborene Krüppel sind wir und: das läßt sich nicht ändern.

Unter uns: 22

Mir ist, ich gesteh's, das Lachen noch nicht vergangen so lang schon gehen wir gut essen und geben unsere Verzweiflung bekannt, darum ihr lieben Mitesser, Mahlzeit.

Korruption: 25

Ich kann mir nicht trauen, zu lang schon lernte ich rechtfertigen, was mich bevorzugt. Wer schlägt mir den andauernd nachwachsenden Kopf andauernd ab?

24 Rrinhold, Kürbiskem

357

Interview mit dem Dichter (1): 27

Wie lang willst du uns noch diesen Schrei verkaufen aus deinem teuren Badezimmer, deinen Aussatz, vor Spiegeln gezüchtet, deine ausgezeichnete Verzweiflung?

28

Möchtest du zuletzt lieber sagen: ich habe die Verzweiflung gepflegt, oder: ich war dabei, als man die Verträge anfocht und bessere Bedingungen erkämpfte für alle.

51

Wir sind in schlechte Schulen gegangen, also sind wir immer noch mit Verlernen beschäftigt. Die Lehrer des Sozialismus müssen Lernende seini ewige Bücher gibt's nicht.

52

Wem es genügt, mit sich selbst übereinzustimmen, hat uns nichts zu sagen. Wer dem Bestehenden widerspricht um der Tendenz willen, der widerspricht auch sich selbst.

53

Wem bist du nützlich und wer nützt dir? Von wem also lebst du? Weißt du also, warum du den Mund nicht aufmachst, wenn Ausbeutet Ausbeuter genannt werden müssen?

54

Wenn nichts bleibt von deinen Fähigkeiten, wenn du sie gebrauchen willst für andere, dann sind es Unfähigkeiten.

55

Feindselig sind sie und süchtig danach, Grau-

Interview mit dem Dichter (2):

Praxis:

Noch mehr Praxis:

Solidarität:

Rechte Kollegen: 358

samkeit hervorzubringen, ein jeder möchte der Schrecklichste sein und andauernd rufen zum Selbstmord. Das, Genossen, ist ein gutes Zeichen.

Arbeitsprogramm : 56

Voller Tendenz zeigen sich, wenn du sie aufschreibst, deine Erfahrungen. Aufmerksam geworden, machst du neue Erfahrungen, die du aufschreibst. Als dein Leser entdeckst du deine Tendenz zum Sozialismus.

Steigerung der Fürwörter: 62

Nichts als ich. Als ich nichts. Mit dir mehr. Aber ohne euch denke ich nicht. Wie finde ich hin, daß beginnen kann, was ohne uns nicht beginnt?

Frage: 44

In wessen Dienst stehen Sie, Kollege, jeden Samstag in der Zeitung? Immer urteilen Sie nur in Ihrem Namen. Halten Sie Ihre Meinung für die Ihre?

Begründung: 45

Mein Auftraggeber sei der, dem es schlechter geht. Die Sprache hab ich von meiner Angst. Mir fällt ein, was mir fehlt. Ich schreibe nicht aus Übermut.

46

Es ist keine Kunst, wenigen verständlich zu sein. Vielen verständlich zu sein, fordert Mut. Was nicht auch ein anderer sagen könnte, sollte man besser verschweigen.

Form und Inhalt:

24*

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Selbstkritik (2): 47 Mich trifft, zeichnet aus, ernennt, mich rühmt der Börsenbericht, weil ich Metaphern mache wie er, ganz dichte Zäune aus Wörtern. Risiko:

48 Unverständlich zu sein sich und anderen, das schützt, du kannst bleiben wie du bist. Wenn du dir aber und anderen verständlich wirst, mußt du dich ändern. An mich gerichtete Warnung: 49 An den Schrecken sich halten, ohne den Schrecken aufzuschneiden, macht den Schrecken mächtig, du dienst ihm. Theorie: 50 Schön blüht und ohne Zweifel rot die Tendenz: dem Bestehenden ziehen wir das Bessere vor: den Sozialismus, wie er im Buche steht: schön und beweisbar. Falls Zweifel auftreten: 63 Daß ich in keiner Demokratie lebe, weiß ich. Wie man eine Demokratie macht, weiß ich nicht. Daß meine Arbeit mir gehören muß, weiß ich: und deine gehört dir noch nicht. Muß das sein: 68 Muß ich, Genossen, alle Bände Marx lesen oder tut es die Hälfte? Viele fürchten, sie müßten dann morgens rote Brötchen essen. Zeigt ihnen weiße! (1971) 1, S. 50 — 53

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Alfred Andersch

Aus der grauen Kladde - Kladde (holländ.), kaufm. Tagebuch zur votläufigen Buchung. (Knaurs Konversationslexikon)

Miniatur-System Anhaltende Lektüre erzählender Prosa, sowie eigene Praxis, lösen einen leichten System-Zwang aus. Auf einen Zettel kritzle ich: form thema Stoff handlung figuren Schauplätze zeit Nach einiger Zeit begreife ich, daß es sich bei dem Zettel nicht um ein abstraktes Signal, sondern um ein praktisches Kontrollsystem handelt. Schreibt man die Tabelle etwa auf die linke Seite eines großen Bogens Zeichenpapier, so läßt sich aus ihr in grafischer Form das Gerüst der ganzen Erzählung entwickeln. Die Qualität einer Erzählung bestimmt sich aus der Genauigkeit, mit der diese sieben Elemente zur Deckung gebracht wurden. Hier sei nur noch das Form-Problem erörtert. E s teilt sich auf in die Probleme von gliederung erzählweise spräche Für die Gliederung stehen im allgemeinen folgende Möglichkeiten zur Verfügung: pointillistischer aufbau 361

in größeren und kleineren textstücken bei simultaner personenführung oder ich-roman (fiktive autobiographie) im kapitelstil I m Rahmen dieses Schemas sind alle Variationen möglich. Seine Zeilen können vertauscht werden. D i e Erzählweise wird v o n drei G r u n d f o r m e n b e s t i m m t : 1. linear 2. linear mit rückblenden (oder vorausblenden) 3. in unaufhörlicher Zeitverschiebung in eins wacht die f i g u r X a m 3. mai in biclefeld auf und schläft a m 7. September in gütersloh ein. erzählt wird, was zwischen diesen punkten liegt. in zwei ergibt sich die notwendigkeit, darzustellen, was die f i g u r X a m 19. februar in b o c h u m erlebte. in drei erscheint diese notwendigkeit ins unendliche gesteigert. Keine der drei Erzählweisen ist den beiden anderen qualitativ unterlegen. E i n fast ausschließlich linearer Erzähler wie Hemingway ist nicht schlechter als ein mit d e m Mittel der unaufhörlichen Zeitverschiebung arbeitender Erzähler wie Beckett. D a s Problem der G e s c h i c h t e einer F i g u r kann auch in der linearen Erzählweise gelöst werden. D i e Sprach-Form ( „ S t i l " ) läßt sich — im Rahmen des g e g e n wärtigen Zustands der Weltliteratur in P r o s a — auf die folgenden Schreibweisen reduzieren: behaviouristischer oder dokumentar-stil (reine verhaltensdarstellung/prototypen: hemingway, h a m s u n , vittorini) reflexionsstil (proust, thomas mann, musil, arno Schmidt) surrealisische ( „ a u t o m a t i s c h e " ) textformen in einschüben o d e r total (breton, peret, kafka, joyce) seriell-mathematische textformen (gertrude stein, queneau, robbe-grillet) Die hier v o r g e n o m m e n e Reduktion hat ausschließlich Modell-Charakter. Eine reine A u s b i l d u n g der F o r m e n findet sich fast nirgends. Bei nahezu allen Autoren treten die genannten Sprach-Strukturen in Mischungen auf. D a s gilt auch f ü r 362

die Auswahl unter den Möglichkeiten einer anderen Seite der Sprachform. Ein Prosa-Text kann rein deskriptiv rein dialogisch dialogisch-deskriptiv angelegt werden. (Ein rein dialogischer Text ergibt noch keineswegs ein Theaterstück!) Hier sind alle Verwandlungs-> künste möglich! Beispielsweise verwendet der Autor Alexander Kluge den Dokumentar-Stil nur zum Schein, als Maske eines Reflexionsstils. Umgekehrt transportiert die anscheinend rein meditative, völlig passive Figur des Detektivs Maigret ununterbrochen Fakten, Dokumente einer Aktion. Die heute viel diskutierte Frage, ob man m i t oder i n der Sprache arbeiten solle, ist ein Scheinproblem. Der Schriftsteller arbeitet immer zugleich mit seinem Sprach-Instinkt und seinem Sprach-Bewußtsein. Faustregeln, primitiv! Hinter ihnen beginnen die Probleme. Kann man auch „drauflos" schreiben? Man muß es, manchmal. Von den Regeln und vom Spontanen abgesehen halte ich mich für überzeugt, daß das Schreiben erzählender Prosa — bei ausreichender Begabung! — gelernt werden kann. Große Prosa ergibt sich zu 90 Prozent aus e r w o r b e n e n Eigenschaften. Für die restlichen 10 Prozent mag ihr Besitzer seinem Schöpfer danken. Unbedingt nötig sind sie nicht! Das Schreiben von Prosa wird in erster Linie von der Intensität des Ver^ hältnisses zu einem m e t i e r bestimmt. Ein guter Techniker ist i m m e r besser als ein schlechter Intuitiver!

Der Erzähler sieht sich in Frage gestellt Es scheint, als ob seine Existenz gerade von denjenigen Richtungen als unnötig betrachtet wird, denen sein stärkstes Interesse gilt. Die führende Gesellschaftslehre der Zeit, der Marxismus, bestimmt den Menschen als ausschließlich gesellschaftlich bedingtes Wesen: Der Mensch ist ein Geschöpf der von ihm selbst geschaffenen Produktionsverhältnisse und der sich aus ihr ergebenden Klassenstruktur. Wenn dies zutrifft, so ist 363

klar, daß der Mensch auf wissenschaftliche Weise vollkommen definiert werden kann: die soziologische Felduntersuchung und die Theorie werden die absolute Wahrheit über ihn liefern. Innerhalb einer Zivilisation, die sich auf diese Formel geeinigt hat, wird man der Erzählung den Platz der Illustration anweisen. (Man wird, soziologisch exakt, feststellen, daß es Gruppen — Frauen, Arbeiter, Bauern, Kinder — gibt, die sich lieber etwas erzählen, als wissenschaftlich erläutern lassen.) Auch die maßgebende Seelenlehre des Zeitalters, die Psychoanalyse, in ihren Verästelungen, ihrer Variationsbreite sowenig mehr zu überschauen wie der Marxismus, ist eine wissenschaftliche Nachricht über den Menschen, ein Stück Aufklärung, welches bedeutet, „daß sich ein Raster über die ungeheure, vielgestaltige, bewegliche Masse unseres Innersten ausbreiten läßt, der sie ganz und gar bedeckt und uns über jede ihrer Bewegungen Rechenschaft gibt" (Natalie Sarraute: Was die Vögel sehen. In: Das Zeitalter des Argwohns. KölnBerlin 1963). Und in der Tat macht die szientifische Strenge der Libido-Theorie, wenn nicht die Erzählung, so doch ganze Klassen von Erzählungen überflüssig. Allerdings nimmt die Psychoanalyse zur Literatur ein anderes Verhältnis ein als der Marxismus: Sie betrachtet die Erzählung, und oft mit großer Ehrfurcht, als M a t e r i a l , als Zeugnis. Sie hat aus einer einzigen Erzählung, der Ödipus-Mythe, ihre Schlüsse übet die Rolle gewisser psychischer Automatismen gezogen. Aber indem sie, ihrem Gesetz als Wissenschaft folgend, Gesetze erforscht und Regeln konstatiert — und die Richtigkeit ihrer Forschung erweist sich daran, daß eie imstande ist, Krankheiten der Seele zu heilen —, verweist sie die Literatur auf den zweiten Platz, macht sie mindestens den „psychologischen Roman" zu einer Beschäftigung für Amateure. Der Analyse kann die Erzählung nichts mehr hinzufügen. Der analysierte Mensch ist der vollkommen erklärte Mensch. (Ich halte den „psychologischen Roman" für eine literarhistorische Schimäre. Sind Rot und ScbwarMadame Bovaty, Der Zauberberg oder die Werke Prousts, Dostojewskis und Joyces „psychologische Romane", nur weil in ihnen die Psychologie ihrer Figuren eine große Rolle spielt? Wenn aber diese Bücher keine „psychologischen Romane" sind — welche dann?) 364

In einem Bewußtsein, welches die Wissenschaft in den Stand versetzt, menschliche Bedingungen aufzuklären, die bisher als Geheimnisse galten, nur von Mythen bezeichnet werden konnten, kann also die Erzählung nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Da es sich bei der Entstehung solchen Bewußtseins nicht einfach um rationale Entschlüsse denkender Subjekte handelt, sondern um einen Vorgang, der Strukturen bildet, muß mit dem Desinteresse gerade avanciertester Teile der Intelligenz an der Erzählung noch auf lange Zeit gerechnet werden. Da nützt es nichts, darauf hinzuweisen, daß sich noch im hochgestochensten Argument für die Ablehnung von Literatur das vulgäre Interesse der „Männer" am „Sachbuch" verbirgt. Auch ist es sinnlos, daran zu erinnern, wie Marx und Freud selber zur Literatur sich verhalten haben. Längst haben wir es ja mit großen scholastischen Systemen zu tun, welche, ungeachtet der Macht- und Richtungskämpfe, die in ihrem Inneren toben, Institutionen gebildet haben, mit denen ein Gespräch aussichtslos ist. Um es zu führen, muß man das ihnen jeweils zugrunde liegende linguistische System akzeptieren, das geschlossene semantische Modell, zu dem jegliche sich zur Schule verfestigende g e i s t e s w i s s e n s c h a f t l i c h e Richtung drängt. (Hingegen gibt es ein lebendiges Wechselverhältnis zwischen der Erzählung und der schöpferischen philosophischen Einzelschrift.) Diesem scholastisch-institutionellen Charakter begegnet der Autor heute nicht nur bei Marxismus und Psychoanalyse, sondern auch bei den jüngsten, gerade erst zu Tage tretenden Spekulationen, dem Strukturalismus etwa. Am Abend des Tages, an dem ich dies geschrieben habe, lesen wir uns Gedichte von Neruda vor. Jede beliebige Zeile Nerudas beweist, daß es keine Aufklärung ohne Dichtung — und damit ohne Erzählung — geben kann. Ich habe eine Flasche aus blauem Glas, in der ich aufbewahre ein Ohr und ein Bildnis: Wenn die Nacht kommt in des Uhus Gefieder,

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wenn der heisere Kirschbaum sich die Lippen zerreißt, wenn er droht mit seiner oft vom Seewind zerfetzten Rinde, spüre ich, daß es große versunkene Regionen gibt, Barren von Quarz, Schlamm, blaue Wasser für eine Schlacht, vieles was schweigt, Flöze des Siechtums, Adern von Kampfer, sinkende Sachen, Schaumünzen, Zärtlichkeiten, Fallschirme, Küsse. Neruda ist ein großer Erzähler. In welche Perspektiven hat er die Revolution gestellt! Die vierte Dimension des Sozialismus! Die Zukunft wird große versunkene Regionen und blaue Wasser für eine Schlacht enthalten.

Was ist ein Buch? Ein Buch ist ein Gegenstand, der aus einer Anzahl von Blättern aus beschnittenem Papier besteht, die durch bestimmte Materialien miteinander verbunden worden sind. Diese Blätter sind bedruckt, und zwar mit Buchstaben oder mit Bildern oder mit beidem. In Büchern, deren Blätter mit Buchstaben bedruckt worden sind, werden die Buchstaben in der Regel zu Wörtern verbunden. Die Wörter werden in der Regel nicht mehr miteinander verbunden, sondern durch Zwischenräume voneinander geschieden. Manchmal werden die Zwischenräume noch durch bestimmte Zeichen betont. Das wichtigste dieser Zeichen ist der Punkt. Mit Hilfe des Punktes werden bestimmte Gruppen von Wörtern von bestimmten anderen Gruppen von Wörtern getrennt. Der Inhalt eines Buches besteht aus einer bestimmten Anzahl voneinander getrennter Wörtergruppen, die hinter- und untereinander und in der Regel in waagerechten Zeilen gedruckt worden sind. Die Gesamtheit der zu Wörtern verbundenen, von anderen Wörtergruppen geschiedenen Buchstaben bildet den Text des Buches. 366

Und so weiter. Es liegt auf der Hand, daß Definitionen dieser Art zu Tautologien führen. Wenn ich aus dem vorher Notierten den Schluß ziehe, ein Buch sei ein Gegenstand, der einen Text enthält, so habe, ich nicht viel mehr gesagt, als wenn ich sagen würde: ein Buch ist ein Buch. Jedoch zähltzum innersten Kern von Literatur heute nur, wer sich solcher Tautologie entziehen möchte. Dabei ist es gleichgültig, ob man wieder beim Buch landet oder es überwindet. Ob einer auf dem Teppich bleibt oder ob er ihn verläßt ist nicht so wichtig wie die Spannung, die sich in seiner Gebärde des Bleibens oder des Verlassens ausdrückt. Was nicht mehr geht, ist: sich's dort gemütlich machen oder einfach weglaufen. Das langweilt.

Talisman oder Lektüre? „Die Schriften, die man hat, ohne sie zu lesen, sondern nur um sie zu haben", schreibt Markus Kutter (in Sachen, und Privatsachen, einem amüsanten Buch), nehmen in den Büchersammlungen zu. Gerstner zum Beispiel kauft Silence von John Cage und besitzt Finnegans Wake von Joyce, wie man einen Talisman aufbewahrt. Max Benses Bestandteile des Vorüber habe auch ich nicht „gelesen" — was man so lesen heißt. Michaux' Infini turbulant gehört dazu, Queneaus Cent mille milliards de Poèmes. Es sind „unbrauchbare" Bücher, die man — merkwürdigerweise — nötig hat." Endlich wissen die Bürger, warum sie ihre Klassiker-Ausgaben ungelesen in ihre Bücherschränke stellen können. Der Artemis-Goethe als Talisman — das dispensiert ein für allemal von der Lektüre! — Ich versichere hingegen, daß es sich bei allen von Kutter genannten Titeln um leicht lesbare Bücher handelt. Finnegans Wake macht vielleicht einige Schwierigkeiten. Aber man liest sich ein.

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Ladenscbild „Für einen Romanschriftsteller hält man ihn", hat Enzensberger über mich geschrieben. loh verstehe nicht recht, was er damit hat sagen wollen. Ich wäre froh, hielte man mich für einen. Abgesehen davon bin ich ein Auftragsschreiber. Man kann bei mir Texte bestellen. Ich habe schon alle möglichen Arbeiten verrichtet, aber Schreiben ist mein Métier. Zum Beispiel habe ich, zusammen mit zwanzig anderen Männern, eine Straßenwalze in einem Konzentrationslager gezogen. Damit ich mein Métier ausüben kann, schreibe ich Texte, von denen ich mir einbilde, sie verhinderten, daß ich eines Tages wieder eine Straßenwalze in einem KZ ziehen muß. Die Leute, die zu mir kommen und Texte bestellen, rechnen mit diesem, meinem einfachen Egoismus. Sie wissen, daß ich, auch wenn ich über Bibliophilie oder Poliakoff oder eine Straße in London schreibe, eine unsichtbare Perspektive bis zu jener Straßenwalze hin ziehe. Daß ich trotzdem noch Kunden habe, die bei mir arbeiten lassen, wundert mich fast.

Jene Wal%e Sie war übrigens gar nicht so schwer. Die stockdummen SS-Leute, die in ihrem Leben nichts gelernt hatten außer ihre Lektion in Sadismus, wußten nicht einmal, daß man die Trommel einer Walze mit Sand oder Wasser füllen muß, damit sie den nötigen Druck auf die Straßendecke ausübt. Darin ähnelten sie gewissen heutigen Schriftstellern, die meinen, mit Sadismus, und mit ihm allein, ließen sich schon Texte herstellen. Ein Buch ist aber eine Straße; wie eine Straße zweigt es irgendwo ab und führt irgendwohin, es muß tragfähig sein, das Gelände ausnützen und Aussichten bieten, wenn nicht hübsche, so doch instruktive. Es kann nicht das Werk eines monomanischen Dilettanten sein. Ich bin überzeugt, daß viele SSLeute onanierten, nachdem sie Gefangene ausgepeitscht hatten. Schade, daß sich einige Autoren der obszönen Literatur so lesen, als trieben sie das, was ein freundlicher Engländer, eines dieser Werke rezensierend, mit dem Ausdruck 'verbal 368

masturbation' näher bezeichnete. Auch ich halte Kälte, Grausamkeit, Perversion, Obszönität für Eigenschaften der künstlerischen Konstitution. Aber ich bin allergisch gegen den latenten Faschismus eines Teils der Avantgarde (wie Walter Heist ihn bei Genet nachgewiesen hat). Ich liebe Queneau, ich hasse Burroughs!

Poetologiscbes aus dem Süden Dort, wo ich wohne, blühen jetzt die stengellosen Enziane. Es gibt kein schöneres Blau, wie schon oft bemerkt worden ist. Sie blühen im Wald an den Hängen neben dem Bach, der in weiß schäumenden Kaskaden über große Granitplatten in grün leuchtende Becken fällt. Jetzt also ist die Zeit der ultramarinblauen Enziane, vorher waren die schmalen weißen Wiesenkrokusse dran, nachher kommen die Liliaceen, und etwas später die Alpenrosen, die in dichten Gebüschen wuchern. Da ich vorhin in gewissen Büchern gelesen habe, hat mich der Anblick der schönen Blumen heute in unschöne Überlegungen gestürzt. Dies ist zweifellos das berühmte „reine Sein", das Heidegger meint, wenn man je herausbekommen sollte, was Heidegger eigentlich meint. Er setzt es, ein ästhetischer Fehlschluß ohnegleichen, als die höchste Qualität der Kunst fest. Das Kunstwerk als Enzian, auf der „Lichtung des Seins" blühend, hervorgebracht durch das artistische Tier oder den Halbgott: den Künstler, dessen hervorragendste Eigenschaft die bewußtseinslose, unbewußt schöpferische Existenz ist, die „keine Wahl hat", wie Nietzsche von sich behauptet, in der berühmten Ecce Äo/wo-Stclle, mit der er den falschen Inspirationsbegriff dekretiert! Die Romantiker würden sich im Grab herumdrehen, wüßten sie, daß die blaue Blume definiert ist: als stengelloser Enzian, Gentiana pax, als „schierer, vom Gedanklichen nicht entwester Lebensvorgang" (Bassermann über Rilke), als „worthafte Stiftung des Seins" (Heidegger über Hölderlin), als „Schwellungscharakter der Schöpfung, in den Fluten, in den Phallen, in der Ekstase" (Benn über sich selbst) — ich zitiere nach Muschgs Zerstörung der deutschen Literatur, deren Pasquille den heiligen Kühen 369

des deutschen Geisteslebens die Schellen anhängen. Darin ist nicht mehr der Vitalismus des Faszinosum, wie in aller bürscro liehen Ästhetik, die geschlossen vor Nietzsche kapitulierte, neue Kategorien festsetzte, denen zufolge dichterische Qualität um so höher bewertet wurde, je weniger objektivierendes Bewußtsein im Werk spürbar wurde — dies natürlich zelebriert von Leuten, die überhaupt nur noch aus Bewußtsein bestanden und daran litten —, die das klassische Bild des großen Dichters als eines Mannes, der nicht nur dichtete, sondern zugleich als allgemeiner theoretischer Schriftsteller hervortrat, wie es doch in Goethe, in Schiller, in Lessing, in Kleist, in den Romantikern und in Heine klar vor Augen lag. glatt vergaßen und verdrängten: der große Dichter als Kraft, die Dichtung erreichte nicht trotz, sondern wegen der Stufenfolge von Objektivationen, die zu beschreiten sie sich auferlegte. Unauflöslich rätselhaft, zu sehen, wie selbst die gelehrtesten Herren die vitalistischen Voraussetzungen von Nietzsches Geniebegriff, von Bergsons „Elan vital", von Heideggers „Sein "akzeptieren. Natürlich lesen sie die modernen Franzosen, natürlich leugnen sie nicht, daß auch der Dichter Bewußtsein hat, aber es hat rein artistisches Bewußtsein zu sein, narzistische Vervollkommnung des „lyrischen Ich", Steigerung des Unbewußten zur magischen Formel, des Zauberns zum Ritual. Das gipfelt in Benns provokatorischen Denk-Grotesken: „Wir werden uns damit abfinden müssen, daß Worte eine latente Existenz besitzen, die auf entsprechend Eingestellte als Zauber wirkt und sie befähigt, diesen Zauber weiterzugeben. Dies scheint mir das letzte Mysterium zu sein." Ist es wirklich das letzte? Ja, denn „es ist ein Irrtum, anzunehmen, der Mensch habe noch einen Inhalt oder müsse einen haben. Der Mensch hat Nahrungssorgen, Familiensorgen, Ehrgeiz, Neurosen, aber das ist kein Inhalt im metaphysischen Sinn." Nichts also mehr von Fragen der Epoche, ewigen Problemen, objektivierender, ja wissenschaftlicher Arbeit, auch des Dichters. Keine Geschichte des Abfalls der Vereinigten Niederlande mehr, kein Aufsatz Über den Granit mehr, keine Hamburgische Dramaturgie mehr, kein Marionettentheater mehr, keine Französischen Zustände mehr, was sind denn Inhalte, 7

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Ideen, Probleme, Handlungen, Überzeugungen, Fakten? E s gibt in der Dichtung nichts mehr als nur sie selbst. Die Dichtung wird endgültig als autonom und sakrosankt erklärt. In dem gelehrtesten aller Werke wird der Begriff des Inhalts zum t o p o s reduziert; amüsiert verfolgt der große Weltmann der l'art-pour-l'art-Theorie die Geschichte von Inhalten in Topos-Reihen ; die Wahl von Themen, von Stoffen, von Handlungen durch Dichter ist nur durch Gegenstand von Statistik, Akribie, Denksport, für die Eingeweihten, die wissen, daß Dichtung Zauber ist, formale Faszination. Schon rächt sich denn auch die Methode an ihrem Schöpfer; der glänzende Curtius-Schüler Gustav René Hocke wendet das Prinzip der Topos-Reihen nicht mehr auf die t o p o i allein an, sondern auf die Stilbildungen, auf die Formen des Zaubers, und verwandelt auf solche Weise die gesamte Kunst-, ja Geistesgeschichte, in eine Geschichte des Manierismus. Die Lehre von der vitalen, unkontrollierten Subjektivität endet im Nachweis gesiebtesten und manchmal geriebensten Bewußtseins. Was ist das „reine Sein"? E s ist Manier. Was zu beweisen war. Schöne Blumen — ich lasse nicht zu, daß man euch in künstliche verwandelt ! Dort, wo ihr wachst, verwechselt man euch, zu eurem Glück, nicht mit der Kunst. Man erfreut sich an euch, wie an einem schönen Gedicht. Doch im Gegensatz zu euch, verlangt man von einem Gedicht, daß es einen Gedanken ausspreche. Man liebt die denkenden Poeten. Für Schamanen hat man keine Verwendung. Deutsche, besucht Italien ! (1975) 2, S. 101-108

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Klaus Konjctzky

Schwierigkeiten beim Dokumentieren der Wahrheit

1 Weil es mir nicht mehr gleichgültig war, wer meine Texte liest und warum, weil ich festgestellt habe, daß nur „Gebildete" — wenn überhaupt — meine Geschichten lesen, weil ich wissen wollte, wie jene Menschen leben, was sie fühlen und hoffen, die keine höhere Schule besucht und nicht studiert haben, jene Menschen, von denen in unseren „revolutionären" Studentendebatten immer als einer konkreten aber anonymen Größe gesprochen wurde: „Die Arbeiter", weil ich schließlich zur Auffassung kam, daß man sich als Autor nur dann sinnvoll mit Problemen einer realistischen Literatur auseinandersetzen kann, wenn man sich neben der Theorieund Ästhetikdiskussion mehr als bisher um den Zustand der Leser kümmert, habe ich mir ein tragbares Tonbandgerät gekauft. Das ist so außergewöhnlich nicht, aber für mich war es ein entscheidender Schritt, aber davon später. Das erste Ergebnis der Tonbandarbeit liegt in Form einer Dokumentation vor, die ich zusammen mit Manfred Bosch erstellt habe und die den Titel trägt: Für wen schreibt der eigentlich? Gespräche mit lesenden Arbeitern, Autoren nehmen StellungA Dokumentation läßt Sachlichkeit und Objektivität vermuten — aber weit gefehlt, sieht man sich z. B. eine Reihe von Kritikern zu diesem Buch an.-* Niederschmetternd ist das, auf jeden Fall bedrückend, wenn ich an die Autoren mit den „ledernen" Aussagen denke, an Autoren wie Wallraff, von der Grün, Kroetz, Fried, Herburger, Maiwald, Scharang, Mechtel, Rinser, Johnson, um mal einige ganz wahllos zu nennen, die wir interviewt haben. 25 Rcinhold, Kürbiskccn

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Die Vorstellung unserer Dokumentation und der Reaktionen auf sie wäre unvollständig, würde ich verschweigen, daß es auch andere Kritiken gab, in denen z.B. zu lesen war: „Was bei der Befragung herauskommt, erscheint dennoch symptomatisch." 3 Obwohl ja jeder wichtige Autor nicht versäumt, irgendwann einmal kundzutun, daß ihm schlechte Kritik der Presse nicht den Schlaf raube und gute Kritik ihn nicht zum Erröten bringe, muß ich die Kritikerreaktion in diesem Falle für wichtig nehmen, verweist sie doch auf tatsächliche Schwierigkeiten beim Dokumentieren der Wahrheit und gibt sie doch Auskunft darüber, wie wenig verbindlich authentisches Material sein kann.

2 Wenn Gerhard Löwenthal in seinem ZDF-Magazin z. B. über Solschenizyn spricht, beschränkt er sich natürlich nicht darauf, einfach zu sagen: Ich halte Solschenizyn für den bedeutendsten lebenden Schriftsteller in der Sowjetunion, oder: ich meine, daß der Kommunismus, oder: ich finde, daß die Kommunisten, sondern er stützt sich beim Meinen, Halten und Finden auf sogenannte Fakten, Dokumente, authentische Aussagen, bemüht die Geschichte, erklärt, wie sie wirklich war, beweist die Wahrheit z. B. durch eine Stellungnahme von Fräulein Gerstenmaier, die sagt, sie halte Solschenizyn für den größten lebenden Prosaschreiber der UdSSR. Löwenthal schleppt Materialien vor die Kamera, die es an den Tag bringen, daß Solschenizyn ein Freiheitsheld ist und die Führer der Sowjetunion unmenschliche Unterdrücker der Freiheit. Löwenthal und ähnliche sind da immer ganz sachlich, lassen andere sprechen, wie z. B. in einer Fernsehdokumentation mit dem Titel Literatur im Untergrund. Samisdat — eine Form der politischen Opposition in der UdSSR, emigrierte Russen in Haifa, Paris oder London, holen sich Auskünfte bei Autoritäten, wie auch in dieser Sendung bei Fräulein Gerstenmaier, die sagen kann, wie schwer es für die Verfolgten in 374

der Sowjetunion ist, das dünne, für die heimliche Vervielfältigung der Untergrundwerke nötige Papier zu bekommen. Jeder Mensch mit einem gesunden Menschenverstand wie Löwenthal wird dann erkennen müssen, wie es dort zugeht. (Genauso wird es sein, wenn Löwenthal in einem sicher noch folgenden ZDF-Magazin die unmenschlichen Verbrechen der chilenischen Militärjunta aufzeigt, wenn er die Greueltaten der chilenischen Faschisten und ihrer Handlanger beim Namen nennt, wenn er dokumentiert, wie es mit der Freiheit z. B. in Griechenland oder Spanien bestellt ist.) Aber zurück zur Realität und zu den Schwierigkeiten, mit ihr zurecht zu kommen. Wenn es offenbar möglich ist, über einen Sachverhalt so oder so zu reden, bzw., wenn es möglich ist, mit Hilfe von Dokumentationsmaterial Meinungen als Sachverhalte darzustellen — und weil auch ich für Freiheit und gegen Unmenschlichkeit bin — genügt es nicht, wenn ich hier feststelle: Löwenthal irrt, oder: Löwenthal lügt. Da wird mir Grundsätzlicheres einfallen müssen.

3 Also komme ich wieder auf meine bescheidenen Erfahrungen zurück, soweit sie etwas mit dem Grundsätzlicheren zu tun haben. Die Dokumentation Für wen schreibt der eigentlich?: Wie sind wir dazu gekommen? Was haben wir da gemacht? 1. Wir wählten Texte und Textauszüge verschiedener Autoren aus, vervielfältigten sie und gaben sie jedem unserer Gesprächspartner ein bis zwei Wochen vor den Gesprächen zu lesen. Es waren dies Heinrich Boll: Anekdote %ur Senkung der Arbeitsmoral-, Günter Wallraff: Industriereportagen; Peter Handke: Die Angst des Tormanns beim "Elfmeter; Jürgen Stelling: Voraussetzungen für einen Arbeitstag-, Luise Rinser: Septembertag ; Peter Maiwald: Epigramme; Hans Magnus Enzensberger: middle class blues. 2. In den Tonbandgesprächen mit Arbeitern und Angestellten fragten wir zunächst danach, wie deren erste Begegnung mit Literatur in Schule und Elternhaus aussah, welche Erfahrungen 375

sie mit Büchern gemacht, welche Anregungen sie erhalten haben, welche Bücher ihnen gefallen haben und warum, welche Lesebedürfnisse sie im Laufe der Jahre entwickelt haben. Im zweiten Teil unserer Gespräche unterhielten wir uns darüber, ob und wie sich die Beziehung zur Literatur durch die Arbeitssituation, deren Probleme und Konflikte, gewandelt hat. Wir fragten, welche Bedürfnisse Literatur erfüllt, bzw. erfüllen könnte, welche formalen und inhaltlichen Kriterien Bücher bestimmen müßten, die nach einem acht- bis zehnstündigen Arbeitstag noch lesbar sind; es ging also um die Erwartungen, Forderungen und Fragen unserer Gesprächspartner an Literatur und Autoren. Schließlich diskutierten wir darüber, wclche Voraussetzungen ein Autor haben muß, damit er diesen Erwartungen gerecht werden kann, fragten, ob Intellektuelle — das sind ja fast alle bekannten Autoren — oder eher Arbeiter selbst dazu in der Lage sind, welche Chancen z. B. der „Werkkreis für Literatur der Arbeitswelt" hat und wo da die Schwierigkeiten liegen und welche Möglichkeiten bestünden,7 damit Intellektuelle von ö Arbeitern, Arbeiter von Intellektuellen und schließlich Autoren von Lesern lernen und profitieren können. Im viertel Teil unserer Gespräche baten wir die Befragten um eine konkrete Kritik an den vorgelegten Texten. 3. Sämtliche Gespräche schrieben wir vom Tonband ab, vervielfältigten Auszüge dieser Protokolle und schickten sie an über dreißig deutschsprachige Autoren mit der Bitte und Aufforderung, sich damit auseinanderzusetzen und einige zusätzliche Fragen zu beantworten, e t w a : „Inwieweit ist für Ihr eigenes Schreiben die Frage wichtig: Wer liest meine Texte?" oder: „Sollte sich ein Autor die Frage stellen: W e m dient, was ich schreibe?" oder: „Wie stehen Sie zu dem Bemühen einiger Arbeiterkollegen, die z. B. im Rahmen des Werkkreises für Literatur der Arbcitswclt selber über ihre Arbeitssituation schreiben?"

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3a Ich komme zum vorcntschcidendcn und schwierigsten P u n k t : die Auswahl der Befragten — ein grundsätzliches Problem. Wir gingen z. B. nicht an ein Werkstor, um dort einfach mal irgendwelche von der Arbeit kommenden Leute anzusprechen, wir gingen auch nicht mit dem Mikrofon auf die Straße, wir bemühten uns nicht um einen statistischen Querschnitt an Meinungen und Lesegewohnheiten von Arbeitern (das wäre — wenn überhaupt — eine Aufgabe für ein Meinungsforschungsinstitut) ; wir wollten, und das bedauert wohl die kritische Kritik, nicht hören, was wir schon wußten, daß nämlich die breite Masse der Lohnabhängigen vor allem Heftchen liest und überhaupt lieber fernsieht als Bücher liest. Uns interessierte a) warum das so ist, warum z. B. in der B R D jährlich an die 250 Millionen Heftchenromane auf den Markt kommen können und warum man schon von einem Erfolg sprechen kann, wenn von einem fortschrittlichen Buch 40 000 Exemplare verkauft werden (dabei frage ich noch gar nicht, an wen verkauft), uns interessiert, ob das vielleicht an der fortschrittlichen Literatur liegt? b) ob und wie daran etwas geändert werden kann, c) wclche Erfahrungen Arbeiter und Angestellte gemacht und wclche Hilfen sie erhalten haben, um so etwas wie Klassenbewußtsein entwickeln zu können und zu einem veränderten, neuen Verhältnis zur Kultur und speziell zur Literatur zu kommen. Wir gingen davon aus, daß sich die Widersprüche dieser Gesellschaft und dieses Systems, daß sich die herrschende Ideologie auch in der Arbeiterklasse festgesetzt haben, und daß es deshalb wenig sinnvoll ist, einfach irgendeinen Arbeiter zu fragen, um etwas über den Zusammenhang zwischen Literatur und Arbeiterklasse zu erfahren. Wir wandten uns demzufolge an Arbeiter und Angestellte, die eine bestimmte Entwicklung durchgemacht haben und 'die diese Entwicklung auch artikulieren können und die durch ihr Bewußtsein auch über die Bewußtseinslosigkeit vieler Kollegen etwas sagen können. Ja, ich bin mir der Problematik dieses Verfahrens bewußt. Ich bin mir klar darüber, wären wir anders vorgegangen, wären andere Probleme entstanden. Ich sehe auch, 377

wie gefährlich es ist, von bewußten und unbewußten Arbeitern zu sprechen.

4 W i e stellten die Autoren Bosch und Konjetzky überhaupt den Kontakt zu Arbeitern her? Wie sprachen sie mit ihren Gesprächspartnern und wie kamen sie zu ihnen? Stiegen sie vielleicht, wie Frieder meinte, einfach durch den Kamin in Arbeiterwohnungen, oder wie? Gesucht werden Arbeiter und Angestellte, mit denen wir uns über Literatur unterhalten können! In meiner Verwandtschaft finde ich schon mal keinen. Auch Bosch schaut ratlos um sich. Beim Durchforsten des Bekanntenkreises: Studenten — jede Menge, Autoren, Journalisten, Beamte, ein Architekt, drei Ärzte, ein Mantelfabrikant, drei Schauspieler, fünf Lehrer, sieben Chemiker. Da fällt mir der Maler ein, der im Parterre wohnt. Aber der ist im Urlaub und hat außerdem einen Malerbetrieb mit sieben Angestellten. Nirgends ein richtiger Arbeiter. Nachdem der Gang in die Fabrik oder ans Fabriktor ausschied, aus oben erwähnten Gründen, telefoniereten wir mit unseren Freunden und fragten, ob sie nicht jemanden kennen, der jemanden kennt, der einen Arbeiter kennt. Ich kürze a b : Dieser nennt eine ihm bekannte Arbeiterfamilie, jener einen Bekannten, der da Beziehungen hätte, der dritte rät die Gewerkschaft anzurufen, dort nennt man uns Namen von Kollegen und Betriebsräten, die uns weiterhelfen könnten. Der Reihe nach riefen wir die empfohlenen Leute an. Meistens meldete sich erstmal niemand, oder aber die Frau, weil ja der Mann arbeitet, wir riefen abends wieder an, sagten: Grüß Gott, Sie wurden uns von Ihrem Kollegen genannt, wir sind Schriftsteller und machen eine Dokumentation über die literarischen Erfahrungen und Bedürfnisse von Lohnabhängigen, können wir uns mit Ihnen mal darüber unterhalten usw. Viele sagen nein und wollen nicht, weil sie sich darüber

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noch keine Gedanken gcmacht haben, manche lachen und fragen, ob sie denn da die richtigen wären, einige empfehlen uns, Kollegen von ihnen zu fragen, einige stört das Tonband, aber etliche sind bereit. Wir verabreden uns nach Dienstschluß vor dem Betrieb oder bei mir zuhause oder in deren W o h n u n g . Die meisten kommen zu uns. So ging das fast ein Jahr lang. Das Schneeballsystem funktionierte, und gegen Ende des Jahres hatten wir mit etwa hundert Arbeitern und Angestellten gesprochen. Wir tranken Kaffee oder Bier, Bosch und ich erzählten, was wir so machten, und dann stellten wir das Tonbandgerät an. Der Anfang ist schwierig, die meisten haben noch nie auf Band gesprochen, das Mikrofon macht sie nervös. Und weil wir noch hinzufügen, daß wir den einen oder anderen Teil der Gespräche auch für Rundfunksendungen verwenden wollen, bemühen sich einige, nicht so sehr im Dialekt zu reden. Viele reden so, wie sie im Betrieb nie reden würden, sagen z. B. „nach Absolvicrung der Volksschule" oder „der Arbeiter will auch mal ein anderes Genre kennenlernen" oder „diese intellektuelle Sensibilität". Einige können während des ganzen Gesprächs nicht das Tonband vergessen, gehen immer wieder zu nahe ans Mikrofon, andere aber verlieren ihre Verkrampftheit und unterhalten sich so mit uns, wie sie sich vielleicht auch mal mit Kollegen unterhalten würden. Und auch wir, Manfred und ich, hatten am Anfang Sprechprobleme, glaubten irgendwie arbeitergemäß reden zu müssen, gaben uns einfach, vermieden Fremdwörter — manchmal biederte ich mich mit einem mir sonst nicht eigenen Dialekt an (bairisch), sprach, als spräche ich mit Kindern, verhielt mich, als hätte ich ein Leben lang mit Arbeitern zu tun gehabt, als gäbe es da gar keine Schwierigkeiten, hätte am liebsten verleugnet, daß ich sechs Jahre lang die Universität besucht habe. Die Drucker, Schreiner, Textilarbeiter, Maschinensetzer und Techniker, die mir in meiner W o h n u n g gegenüberstanden, initiierten bei mir einen Lernprozeß, halfen mir, das arrogante und elitäre Bild, das ich vom Arbeiter hatte, zu verändern. Nach und nach wurden aus den Befragungen wirkliche Ge-

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spräche, deren Ziel nicht mehr ein exotisches A r b e i t e r p o r t r a i t war, sondern das Zusammentragen von Erfahrungen, der Austausch von Erkenntnissen und der Versuch, Solidarität zu entwickeln. Deshalb war ich auch bald nicht mehr enttäuscht, daß da Arbeiter nicht so redeten wie in manchen Fernsehsendungen, in denen z. B. Kumpel am Stammtisch belauscht wurden, diese Leute, „mit ihren schwieligen Händen und ihren ausgemergelten Gesichtern und diesem brutalen Dialekt". Mit einigen verbindet mich heute etwas, das ich ruhig als Freundschaft bezeichnen darf und was mehr ist, als vielleicht mal in einer Wirtschaft mit Arbeitern an einem Tisch zu sitzen, so wie vielleicht auch mal der Krüger vom katholisch, unabhängig-liberalen, konservativen Isarauen-Kurier unheimlich gesellig und offen mit „einfachen Leuten" ein Bier trinkt, aber dann doch froh ist, wenn er wieder unter seinesgleichen ist. Inzwischen habe ich neue dokumentarische Arbeiten begonnen, bei deren Verwirklichung ich auf die Hilfe von Betriebsangehörigen angewiesen war; z. B. zusammen mit Dagmar Ploetz eine Reportage über Werkbüchereien, die Teil eines Buches ist mit dem Arbeitstitel Literatur in Betriebsnähe (erscheint 197.5 im Raith-Verlag), z. B. ein Funk-Feature zusammen mit der Wortgruppe München über das Freizeitverhalten, die Freizeitchancen und -bedingungen verschiedener Gcsellschaftsschichten, z. B. eine Dokumentation über Gefängnisse und Zuchthäuser in der BRD. Keines dieser Projekte erfüllt den Anspruch, repräsentativ zu sein, im statistischen Sinne, keine der Dokumentationen ist neutral, allen Berichten und Untersuchungen liegt die Frage nach den objektiven Bedürfnissen und Bedingungen der Arbeiterklasse zugrunde, immer kann der Isarauen-K.tügcc sagen: „Mein Lieber, die Mehrheit der arbeitenden Menschen in der BRD denkt nicht so, die Mehrheit hat doch kein Klassenbewußtsein, der Mehrheit geht es doch nicht schlecht, jedenfalls ist es ihr noch nie besser gegangen. Das ist doch die Wahrheit, oder?"

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5 Es läßt sich nichts dokumentieren ohne ein bestimmtes Interesse. (Das ist eine grundsätzliche Feststellung.) Nehmen wir z. B. die bürgerliche Geschichtsschreibung, die große Sachwalterin der Vergangenheit, die vorgibt, neutral, objektiv, unparteiisch, also wissenschaftlich festzustellen, was war. Unschwer ist es an Beispielen der Darstellung bestimmter historischer Ereignisse, wie etwa der Revolution von 1848 in Deutschland, nachzuweisen, daß ganz bestimmte Interessen die Feder der Geschichtsschreiber geführt haben. Das Interesse bestimmt die Sichtung und Auswertung der Quellen. Das Interesse bestimmt die Methode. Das Interesse bestimmt auch das Ergebnis. An Löwcnthal denkend, heißt das: ich sehe sein klares, eindeutiges Interesse daran, die Errungenschaften sozialistischer Länder, wo und wie auch immer abzuurteilen, Sozialismus und Kommunismus in Verbindung zu bringen mit Unterdrückung und Unfreiheit. Solschenizyn ist ihm dabei ein willkommener Gehilfe. Löwcnthal ist durch diese Voraussetzungen gar nicht mehr in der Lage, z. B. den „Fall Solschenizyn" objektiv zu beantworten. Er steht auf der anderen Seite, auf der Seite derer, die ein vitales Interesse daran haben, daß hierzulande alles so bleibt, wie es ist. Amen. Hätten diese Männer recht, ich wäre ohne Hoffnung; stünde nur die Freiheit auf dem Spiel, von der jene Weißmacher reden, ich hätte nichts zu verlieren. Spreche ich von der Situation der Arbeiterklasse in der Bundesrepublik, wird der Isarauen-Krüger frühzeitig dagegensprechen, weil ich ja „bloß mal mit einem normalen Arbeiter reden bräuchte", um zu erfahren, daß mir der „glatt ins Gesicht lachen" würde, wenn ich ihn fragte, „ob er sich ausgebeutet fühle" — und weil es zweitens für ihn (Krüger) eine Arbeiterklasse in der BRD gar nicht gibt. (Übrigens: Krüger und Isarauen-Kurier sind fiktiv aber repräsentativ). Auch die Frage Für wen schreibt der eigentlich? stellt sich dem Krüger so nicht — denn Kunst ist ihm für alle da und „niemandes Herren Knecht". Oder wie Herbert Rosendorfer in 381

unserer Dokumentation spricht: „Die Frage ist für mich gar nicht wichtig. Beim Schreiben denke ich nicht daran, wer das Geschriebene lesen wird. Ich bemühe mich nur — und bin noch längst nicht am E n d e dieses Bemühens — so zu schreiben, daß ein durchschnittlich gebildeter Mensch des 20. Jahrhunderts, der die deutsche Sprache beherrscht, d e n Text versteht. . . Ich bin sehr altmodisch und meine, daß die Literatur niemandem dienen kann. Literatur ist untauglich, die Welt zu ändern." Ich habe Rosendorfer einmal ganz gerne gelesen, aber hier müßte ich mich mit ihm streiten. Ich erlaube mir einen ersten Schluß: E i n e Dokumentation, eine Reportage, ein Bericht, ja überhaupt alles Geschriebene, ist wesentlich bestimmt und geprägt von dem, der dokumentiert und schreibt. Auch und gerade eine Dokumentation gibt Auskunft darüber, auf welcher Seite der Verfasser steht. Schon die Fragestellung verweist auf Parteinahme, Vorverständnis, auf Erwartungen, Anliegen, Einsichten, auf das Selbstverständnis. ( E s kennzeichnet den bürgerlichen Journalismus, daß er das bestreitet.) Dieser Schluß meint nicht: es ist eben alles relativ, man kann's eben so oder anders sehen, sondern er öffnet die T ü r , an der auf goldenen Schildern geschrieben steht: hier wohnt ein neutraler, unparteilicher, unabhängiger und neutraler Beobachter. Hinter der T ü r werden wir das Mobiliar und die Bilder an der Wand sehen und bei vielen U n a b h ä n g i g e n die Honoraranweisungen der Auftraggeber.

5a Die Wahrheit in einem Land wie die Bundesrepublik ist nicht repräsentativ. Repräsentativ in einem kapitalistischen Land ist die Meinung der Herrschenden. Die Herrschenden haben bestimmte eindeutige Interessen. Diese Interessen bestimmen weitgehend die meinungsbildenden Massenmedien. Die Mehrheit der Bevölkerung hat keine alternativen Informationsmöglichkeiten zu den Massenmedien. Die Meinung der Herr-

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sehenden kommt als objektive Wahrheit getarnt in die W o h n stuben des Volkes. D a fällt mir zum letzten Mal Gerhard Löwenthal ein. W e m dienen, frage ich, mit einer gewissen Schwäche für Vereinfachungen, seine Berichte? V o n welcher Menschlichkeit spricht er eigentlich? Und Menschlichkeit für w e n ? U n d wer verhindert eigentlich in diesem Land und anderswo, daß alle Menschen menschenwürdig leben k ö n n e n ?

6 Ich kenne nicht alles, was in den letzten Jahren Richtiges, Wichtiges, Schlaues und Falsches über die Dokumentarliteratur geschrieben wurde — und von dem, was ich kenne, verstehe ich nicht alles. Aber ich begreife, daß eine Dokumentation — über was auch immer — den Verfasser nicht in die Neutralität entläßt bzw. gar nicht entlassen kann. Das meinte Scharang mit seinem Satz: „ W o es eine Klassengesellschaft gibt, k o m m t kein Autor umhin, sich auf die eine oder andere Seite zu stellen." Damit habe ich ein Kriterium für die Bewertung nicht nur von Dokumentarliteratur gewonnen. A b e r : die Probleme ästhetischer und praktischer Natur sind damit noch lange nicht v o m T i s c h . Ich frage mich: kann ich als Intellektueller mit Abitur und Studium — zwar immer noch ohne erkennbaren akademischen Abschluß, aber immerhin (einem mir bekannten sechsundachtzigjährigen Bauern im Bayerischen Wald vermag ich einfach nicht klarzumachen, daß ich weder ein D o k t o r noch ein Beamter bin — ich bin ein Studierter und damit D o k t o r und sogar ein höherer Beamter), ich frage also, kann ich Probleme, Fragen, Erfahrungen und Bedürfnisse der Arbeiterklasse überhaupt dokumentieren — und zwar so, daß damit der Arbeiterklasse selbst gedient ist ? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt werden, damit meine Dokumentationen nicht letztlich nur Auskunft geben über mein (intellektuelles, bürgerliches) B e wußtsein, sondern den Emanzipationsprozeß der Arbeiterklasse unterstützen und vorantreiben?

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Im Rahmen einer Rundfunksendung mit dem Titel Arbeiter und Uteratur (zusammen mit M. Bosch) unterhielt ich mich mit dem Soziologen Prof. Dr. Horst Hölzer.''

7 Davon leuchtet mir manches ein. Und es ist mir klar, daß ich die Verbindung zwischen meiner individuellen Arbeitssituation und dem Kommunikationsbedürfnis der „unteren und mittleren Schichten der Lohnabhängigen" nicht an meinem Schreibtisch werde herstellen können. Die Anschaffung des zu Beginn erwähnten Tonbandgerätes schafft mir da einige Voraussetzungen, gewisse Erkenntnisse und notwendige Erfahrungen nicht allein an meiner Schreibmaschine zu gewinnen und festzuhalten. Mein Schreibtisch, der Stoß Schreibmaschinenpapicr, die Schreibtischlampe, der Aschenbecher, immer kalter Kaffee, kennzeichnen meine Lage: Ich sitze da bei geschlossenem Fen^er, weil ich geräuschempfindlich bin, rauche zuviel und trinke zuviel Kaffee, schreibe immer erst mit der Hand, bevor ich es in die Maschine tippe, transpiriere, vergesse, trotz Genie, nicht meinen Appetit auf das Geräucherte im Kühlschrank, denke an Monika, stehe auf, mache Musik, die mich stört, gehe ans Klavier und wieder weg, bin unzufrieden, kann mich nicht konzentrieren, ärgere mich über meine Großmutter, die zum Essen ruft, anschließend über die Zeitungsfrau, die zum Kassieren kommt, immer wieder über Telefonanrufe, ohne die ich doch nicht leben könnte, esse immer zu schnell und zu heiß, „schling nicht so", habe einen Einfall, gerate unversehens auf Seite sieben meiner Erzählung über eine Witwe — und im Glücksfall gegen Mitternacht in Ekstase. Und lange Zeit wunderte ich mich, warum von meinem Erzählband Verlopeis ist eine isländische Blume, den ich für außergewöhnlich halte, noch keine 1000 Exemplare verkauft wurden.

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8 Eigentlich denkt mein Doppelgänger dauernd an einen großen Roman. Mit groß meine ich, es soll alles drin sein: Geschichte, eine ganze Epoche, Gesellschaft, Entwicklung, Menschen, Individuen und Massen, Konflikte, Widersprüche, Psychosen, Hysterien, Idylle, Leidenschaften, Revolution, Glück, Solidarität, Einsamkeit, Kämpfe, Wahnsinn, Exzesse, Chaos, Isolation, Brutalität, Zärtlichkeit und die Hölle. Ich denke an einen breiten, totalen Roman, in dem sich Abgründe auftun, Landschaften und Bilder aus der Erinnerung auftauchen, ein Roman, in dem die Zukunft denkbar wird. A c h , und es müßte ein schöner Roman werden, bei dem der Leser von der mörderischen Sonnenglut eines Stadtnachmittags versengt wird, oder das Heu auf frischgemähten Wiesen riecht, oder Fichtennadeln, feiner Leute Parfüm, Schweiß, den Fischmarkt, den Schlachthof, Bordelle und Weihnachten oder den Geschmack gebrannter Mandeln auf der Zunge hat. Wichtige Verben dieses Romans müßten sein: kämpfen, morden, hassen, lieben, leiden, verzweifeln, lachen, arbeiten, saufen, weinen, huren, hoffen. Und dann sehe ich das fahle, leidgeprüfte, vom Schicksalsschweiß gezeichnete Gesicht meines Doppelgängers — unrasiert, dunkle Augenringe, Lebenszeichen auf der Stirn — im Studio einer Fernschanstalt an die Rückwand projiziert, und ein Kritiker sagt: In diesem Roman vereinigt sich die Tradition abendländischen Geistes, er zeigt die Fülle eines Dante, die Phantasie eines Grimmelshausen, die K o m i k eines Cervantes, die Abgeklärtheit eines Goethe, die Leidenschaft eines Turgenjew, die Schönheit eines Puschkin, die Unerbittlichkeit eines Dostojewski, das Gigantische eines Tolstoi, die Faszination eines Joyce, die Systematik eines Musil und die Menschlichkeit eines Heinrich Boll. Meine Phantasie ist grenzenlos, aber meine Erfahrungen sind noch gering. Deswegen das T o n b a n d !

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9 Ich bin immer noch bei den Schwierigkeiten beim Dokumentieren der Wahrheit. Und mein großer „Schicksalsroman" kommt nach den Schwierigkeiten. In dem Maße, in dem ich zu begreifen beginne, wer hierzulande Schicksal macht, wer eigentlicht zuständig ist für die Trauer, das Unglück, die Unterdrückung, die Einsamkeit, die Verzweiflung und Not, 2. B. von Frau Mertens aus dem dritten Stock, deren Mann — bis er starb — jeden Samstag besoffen nach Hause kam, dem zweimal gekündigt wurde, weil er am Montag nicht rechtzeitig am Arbeitsplatz war, die mit ihren vier Kindern in einer Dreizimmerwohnung lebte, in dem Maße, in dem ich zu begreifen begann, aufgrund welchen Schicksals z. B. die Familie Bemer in ihrer Zwölf-Zimmer-Villa am Starnberger See leben, die Berners, die im Winter in Gstaad Ski laufen und im Sommer die Karibik kreuzen (oder im Sommer Ski fahren und im Winter kreuzen), in dem Maße begriff ich die Unverbindlichkeit meiner Phantasie. Die Berners am Starnberger See hätten meinen Roman vielleicht gelesen, die Mertens im dritten Stock nie.

10 Ich sehe schon, die Diskussion über Dokumentarliteratur gerät mir aus dem Blickfeld. E s fällt mir schwer, wie ich feststelle, zu trennen zwischen dokumentarischer Literatur und anderer Literatur. Das eine kommt ohne das andere nicht aus, bzw. nicht mehr aus — jedenfalls bei mir. Ich plane einen Roman und erarbeite verschiedene Dokumentationen: vielleicht letzteres wegen ersterem. Das Tonband erschließt mir eine neue Wirklichkeit, eine, von der ich bislang abgeschnitten war, von der mich meine Lehrer in der Schule und auf der Universität getrennt haben. Ich habe gelernt zu differenzieren, zu abstrahieren — aber ich habe nie erfahren, wie Menschen in einer anderen Gesellschaftsschicht leben als in derjenigen, der ich angehöre. 386

Ja, eigentlich lebten sie überhaupt nicht. Wenn ich mich so erinnere, muß ich sagen: es war so ziemlich alles falsch, was man mir z. B. über „die Arbeiter" erzählt hatte. Aber es ist auch wieder nicht so, daß ich das Dokumentieren nur als eine Durchgangsphase verstehe, nur als Vehikel zur Literatur. Die Arbeitssituation, in die ich beim Dokumentieren zwangsläufig gerate, entfernt mich von meinem ekstatischen Selbstmitleid, stellt Außenbeziehungen her, die durch meine geschlossenen Fenster nicht möglich waren, bringt Luft in meinen Tempel, zwingt mich zum Reagieren, öffnet mir den Weg in die Wirklichkeit und hilft mir bei der Entwicklung von Solidarität. Das ist viel — und es läßt die großen Schwierigkeiten beim Dokumentieren der Wahrheit, Schwierigkeiten, die ich z. T. noch nicht einmal erwähnt habe (etwa: die Analyse der Wirkungsgeschichte von Dokumentarliteratur, die Entwicklung einer leserorientierten Ästhetik, Untersuchungen über die Beschaffenheit des Vermittlungs- und Verteilerapparats, die Konzeption neuer Kooperationsmodelle, usw.) lösbar erscheinen. (1974) 2, S. 6 0 - 7 0

Peter Schütt

Literarische Parteiarbeit

1 Wer in bürgerlichen Buchhandlungen ein- und ausgeht, regelmäßig die Zeit und den Spiegel liest und seinen Marcuse brav geschluckt hat, nimmt die Arbeiterklasse literarisch nicht wahr. Für Arbeiter zu schreiben, halten die meisten Autoren für vergebliche Liebesmüh. Sie meinen, Arbeiter haben keine Literatur und brauchen auch keine, und wenn schon, dann höchstens politische. Belletristik kommt nur für die höheren Stände in Frage, sie ist eine bürgerliche Angelegenheit. Ich habe andere Erfahrungen gemacht. Ich bin im Arbeitsprozeß der vergangenen Jahre zum Ergebnis gekommen: die westdeutschen Arbeiter und Angestellten brauchen eine eigene Literatur, sie brauchen realistische, zum Nachdenken und zum Handeln ermutigende Gedichte, Glossen, Reportagen, Erzählungen, Romane und Theaterstücke. Und zwar so viel wie möglich. Natürlich ist mir die Arbeiterklasse nicht gleich um den Hals gefallen, als ich ihr meinen ersten Text gewidmet hatte. Im Gegenteil: das erste Gedicht, das ich einer von Kommunisten gemachten Arbeiterzeitung geschickt habe, erschien, entsprechend zubereitet, einige Wochen später auf der Leserbriefseite. Von einem anderen Gedicht fand ich in der Zeitung nur die gereimten Zeilen wieder, als Vorschläge für Losungen zum bevorstehenden Ostermarsch. Immerhin, das war für mich ein Beweis dafür, daß man für meine Sache Verwendung hatte. Allmählich habe ich mich bemüht, das hochgeschraubte 26

Rejnhold, K ü r b i s k e m

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Agitprop-Pathos meiner Weltverbesserungsvorschläge herunterzudrehen; meine politischen Texte wurden aktueller und konkreter und waren mehr auf den Anlaß hin geschrieben. Wenn sie in der Aussage stimmten, konnte ich darauf hoffen, irgendwo in einer linken Zeitung gedruckt zu werden, gelegentlich sogar auf den politischen Seiten, zwischen Leitartikeln und Korrespondentenberichten. Die Plazierung auf den ersten Seiten, zwischen den wichtigsten Nachrichten und Kommentaren, ist für ein politisches Gedicht, das aufklären, angreifen und zur Aktion aufrufen will, nicht der schlechteste Standort. Während die bürgerlichen Zeitungen literarische Texte allenfalls auf der Feuilletonseite oder in der Wochenendausgabe abdrucken, ist die progressive Presse — Unsere Zeit, die tat und Deutsche Volks%eitung — eher bereit, anstelle eines Leitartikels ein ebenbürtiges Gedicht oder eine Graphik zu bringen. Das dient nicht nur der Auflockerung des Druckbildes, es kommt auch dem Bedürfnis der Leser nach nuancierter Argumentation und Agitation entgegen. Der häufig geäußerte Verdacht, der Arbeiter lese keine Gedichte, beruht auf einem Vorurteil. Wenn beispielsweise im Betrieb während der Frühstücksoder Mittagspause die Meta//-Gewerkschaftszeitung verteilt wird, gucken sich die meisten Kollegen zuerst oder am ehesten die letzte Seite an: Dort finden sie neben einigen Glossen und Karikaturen den regelmäßigen Verskommentar von Herbert Mayer zur Lage der Arbeiter in der Bundesrepublik, und nicht selten findet sich ein Kollege, der die eingängigen Verse laut rezitiert. Die Hamburger Morgenpost, eine sozialdemokratische Tageszeitung, die vor allem von Arbeitern gelesen wird, hat durch Umfragen festgestellt, daß ihre Magazin-Seite von über achtzig Prozent der Käufer regelmäßig gelesen wird und damit mehr Interessenten als die Sparten Lokales, Politik und Sport findet. Im vergangenen Winter hat die Magazin-Redaktion einige Monate hindurch täglich ein aktuelles Kurzgedicht abgedruckt, sie hat mit ihrer Aktion ultrakur£ das höchste Leserbriefecho gehabt und mehrere hundert Leser zur Nachahmung angeregt; ganze Schulklassen haben sich am Gedichtwettbewerb beteiligt. 390

Das Genre, das in der kommunistischen Presse der zwanziger Jahre „Rotes Feuilleton" genannt wurde, ist in der Bundesrepublik z. Z. noch unterentwickelt. Für rote Witze, Glossen und Anekdoten, für alle Formen humoristischer Kleinkunst, besteht ein steigender Bedarf, und es gibt noch viel zu wenige Autoren, die sich mit dieser Aufgabe beschäftigen. Die bunten Seiten selbst fortschrittlicher Zeitungen unter Einschluß der Gewerkschaftspresse dienen allzu oft nur als Schuttabladeplätze für alle möglichen Kultursurrogate des Imperialismus. Sie demokratisch umzufunktionieren und mit rotem Pfeffer zu würzen, sollte sich kein Schriftsteller und kein Arbeiterkorrespondent zu schade sein.

2 Literatur und Kunst sind trotz des enormen und kulturzerstörerischen Einflusses der Monopolmedien auch bei den Jugendlichen nicht gänzlich abgeschrieben. Eine Umfrage der sozialistischen Arbeiterjugendzeitschrift elan bestätigt ein relativ starkes Interesse an literarischen Beiträgen. Von 180 befragten Lesern, in der Mehrzahl Lehrlinge und junge Arbeiter, unterstützten 82 die Forderung „Mehr politische Gedichte und Lieder". Ausdrücklich verlangt wurden Reportagen, Erzählungen und Buchempfehlungen. Ein Hinweis auf literarische Versorgungslücken ist auch der überraschende Verkaufserfolg des von mir im Weltkreis-Verlag für fortschrittliche Lehrlings- und Schülergruppen herausgegebenen Linken Lesebuchs.. Die Auflage von dreitausend wurde in wenigen Monaten zu zwei Dritteln verkauft, obwohl der Vertrieb fast ausschließlich über die Gruppen der SDAJ erfolgte. Zahlreiche Beiträge wurden in Lehrlings- und Betriebszeitungen übernommen, und in Hamburg und Elmshorn konnten es aufgeweckte Berufs- und Realschulklassen mit der Unterstützung aufgeschlossener Lehrer durchsetzen, daß das Lesebuch im Deutschunterricht eingeführt wurde. Von einem Schüler, der das Buch in seiner Deutschstunde kennengelernt hat, erhielt ich einen Brief, in dem er mich um die Klärung 26*

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widersprüchlicher Aussagen bat und nach weiteren Informationen und Literaturangaben fragte. In der SDAJ nimmt die Kultur- und Freizeitarbeit ständig an Bedeutung zu. Konzerte und Kulturveranstaltungen zählen zu den gegenwärtig massenwirksamsten Formen antiimperialistischer und antimonopolistischcr Agitation. Gleichzeitig ist die kulturelle Selbsttätigkeit im Ansteigen. So waren unter 240 Mitgliedern der SDAJ, die im vergangenen Sommer aus allen Teilen der Bundesrepublik in die Sowjetunion gereist sind, 18 spontan bereit, an einem Kulturprogramm für die sowjetischen Gastgeber im Freundschaftslager Noorus bei Narva mitzuwirken. Berichte im Rundfunk und in der Presse bestätigten uns, daß in der Sowjetunion das Wiederentstehen von Elementen sozialistischer Kunst und Literatur in der Bundesrepublik als bedeutsamer Faktor in der ideologischen Auseinandersetzung eingeschätzt wird. Allerdings gibt es hierzulande gerade bei den aktivsten Jugendfunktionären die Tendenz, die Kulturarbeit als v o r p o l i t i s c h einzustufen und sie gegenüber dem S c h w e r p u n k t A r b e i t e r j u g e n d p o l i t i k zu vernachlässigen. Ein gewisser Einfluß ultralinker Kunstfeindlichkeit scheint mir in dieser Haltung unverkennbar.

3 Im Dezember 1969 brachte der Hamburger Quer-Verlag unter dem Reiztitel Sieber in die Siebziger Jahre eine Sammlung meiner Straßentexte heraus. Wir hatten kaum gehofft, die Auflage von zweitausend Exemplaren ohne großen Werbeaufwand absetzen zu können; immerhin kommen Lyrikbände selbst in renommierten Verlagen selten über eine Verkaufsauflage von tausend hinaus. Trotzdem sind meine Straßentexte inzwischen fast vollständig vergriffen, nicht aufgrund werbewirksamer Zeit- oder Spiegel-Veitisse, sondern wesentlich dank der Aktivität einzelner Literaturverantwortlicher in Spartakus-, SDAJ- und DKP-Gruppen. Das Echo der Genossen war für mich sehr ermutigend. In Bottrop, wo ich auf einer Lenin-Liebknecht-Luxemburg392

Feier zu Arbeiterliedern der Hamburger Songgruppe eigene Gedichte und Glossen vortrug, wurden anschließend 93 Exemplare meiner Straßentexte verkauft. Allerdings werden die Möglichkeiten des Literaturvertriebs außerhalb des bürgerlichen Buchhandels noch viel zu wenig genutzt. Ein entsprechender Informations- und Verkaufstisch sollte auf keiner politischen oder kulturellen Veranstaltung fehlen und nicht nur für die Genossen, sondern auch für interessierte Außenstehende ansprechend gestaltet werden. Der weitere Ausbau eines eigenen Literaturvertriebssystems ist eine vordringliche Aufgabe, die man nicht nur den Verantwortlichen überlassen sollte. Auf den Informationsständen, die meine Wohngebietsgruppe in Hamburg-Eppendorf regelmäßig vor U-Bahnhöfen und Kaufhäusern durchführt, fehlt nach Möglichkeit auch die Belletristik nicht. Der Umsatz von Werkheften des Oberhausener Arbeitskreises für Amateurkunst, von Büchern aus dem Quer-Verlag und Heften der Kleinen Roten Reihe der SDAJ übertrifft den Verkauf von Parteimatcrialien um ein Mehrfaches. Damit halten wir gewiß keinen Interessenten vom Studium der DKP-Literatur ab, wir bieten ihm nur einen zusätzlichen Anreiz, sich mit unseren Auffassungen vielseitig auseinanderzusetzen. Wie sehr Literatur, Kunst und Kultur zur ideologischen und moralischen Stärkung der Partei beitragen können, hat die erfolgreiche Lenin-Tournee des Roten Expreß der DKP im April 1970 bewiesen. Die antiimperialistische Revue mit dem Sänger Juri Dementjew vom Bolschoi-Theater, Vera Oelschlegel und ihrem Ensemble aus der DDR, den Düsseldorfer Conrads und dem Straßentheater Interpol aus Köln ist in vierzehn Großstädten vor insgesamt über fünfzehntausend Zuschauern aufgetreten; Agnes Hüfner und ich haben innerhalb des Agitationsprogramms politische Glossen und Gedichte vorgetragen. Für jeden von uns war die dreiwöchige Tournee eine gute Schulung, nicht nur was die gemeinsame Erarbeitung einer überzeugenden und parteilichen Konzeption angeht. Im Anschluß an jede Aufführung stand unser Programm zur Diskussion, und wir haben nach Möglichkeit versucht, Hinweise und Kritik sofort zu verwerten. Am Ende 393

unserer Reise durch die Bundesrepublik hatte sich unsere Revue wesentlich verändert. Meine Textbeiträge habe ich mehrfach überarbeitet, ich habe sie gestrafft und schärfer pointiert und nach Möglichkeit versucht, konkrete, lokale oder aktuelle Anlässe einzubeziehen. Dazu boten informierende Gespräche mit den Genossen Stoff genug. Wie sehr wir schließlich angekommen sind, zeigte sich in Saarbrücken. Im Anschluß an unsere Aufführung kam ein Betriebszeitungsredakteur auf mich zu, wollte mir einen Fünfzigmarkschein 7 o in die Hand drücken und erbat sich dafür meinen DD RAnerkennungssong für die Maiausgabe. Er hat meinen Text auch ohne Honorar bekommen, und seither haben in der nämlichen Betriebszeitung schon mehrere Songs, Gedichte und Glossen aus dem Arbeitsalltag gestanden.

4 Daß es inzwischen über dreihundert regelmäßig erscheinende Betriebszeitungen der DKP gibt, ist kulturpolitisch von außerordentlicher Bedeutung. Allein diese Tatsache widerlegt das verbreitete Gerücht von der kulturellen Unmündigkeit der Arbeiterklasse: dreihundert Betriebszeitungen, das sind in der Praxis einige Tausend Arbeiterkorrespondenten, das ist ein Beweis für die kulturschöpferischen Fähigkeiten der Arbeiterklasse und demonstriert ihre Bereitschaft, der imperialistischen Bewußtseinsindustrie Paroli zu bieten. Oft werde ich von meinen Genossen nach Beiträgen für ihre Betriebszeitungen gefragt. Es fällt mir allerdings nicht leicht, ihre konkreten Wünsche zu erfüllen, weil mir die Arbeits- und Kampfbedingungen in den Großbetrieben nur ungenügend vertraut sind. Kollegen, die den betrieblichen Alltag aus eigener Anschauung und gewerkschaftlicher Kampferfahrung kennen, wie Richard Limpert, Kurt Küther, Josef Büscher, Artur Troppmann oder Günter Hinz sind mir gegenüber klar im Vorteil; ihre Verse kommen der betrieblichen Realität näher und berücksichtigen die Hör- und Denkgewohnheiten der Arbeiter sorgfältiger. Über den Textdienst des Werkkreises Literatur der Arbeitswelt, der in regelmäßigen Abständen 394

aktuelle Reportagen und Agitproptexte aus den einzelnen Werkstätten an Redaktionen weiterversendet, besteht auch für Betriebs- und Gewcrkschaftszeitungen die Möglichkeit, ohne großen Aufwand an literarische Beiträge heranzukommen. Einzelne Werkstätten, z. B. in Düsseldorf, Köln und Hamburg, haben auch schon im Kollektiv Artikel für bestimmte Betriebszeitungen ausgearbeitet, andere haben eigene Basispublikationen herausgebracht. Die Kölner Werkstatt hat im Winter eine Flugblattaktion gegen die Antistreikhetze der B/7i/-Zeitung gestartet. Im Laufe des letzten Jahres ist die Arbeit des Werkkreises wesentlich effektiver geworden, die Kontakte zu den Arbeiterorganisationen, zu den Gewerkschaften, zu Gruppen der Jungsozialisten und Naturfreunde, zur S D A J und zur D K P , haben sich verbessert. Unsere Hamburger Gruppe trifft sich bereits seit einigen Monaten im Gewerkschaftshaus und hat mit dem D G B auch bereits mehrere gemeinsame Veranstaltungen durchgeführt. Für mich ist die Mitarbeit in der Hamburger Werkstatt eine nützliche Hilfe. Die schreibenden Arbeiter und Angestellten wissen oft weit besser als ein Berufsliterat, welche Probleme auf den Nägeln brennen, unter welchen Gesichtspunkten eine Frage diskutiert wird und welche Formulierung am besten ankommt. Von der Zusammenarbeit von Berufs- und Laienschriftstellem in den Werkstätten können ohne Frage beide profitieren.

5 In den vergangenen zweieinhalb Jahren seit Konstituierung der D K P hat auf den meisten Kommunisten ein schönes Stück anstrengender Parteiarbeit gelastet. Sicher war ich nicht immer glücklich über die Fülle der dringend zu erledigenden Aufgaben: Hausbesuche, Flugblattverteilen, Zeitungsverkauf, Demonstrationen, Sitzungen und endlose Diskussionen. Aber im Nachherein muß ich zugeben, daß diese aktive Teilnahme an der alltäglichen Kleinarbeit der Kommunisten zu einem wesentlichen Antrieb und Inhalt meines literarischen und journalistischen Schaffens geworden ist. Jeder Gruppenabend, das 395

Gespräch auf der Straße, die Ausspräche mit den Genossen aus dem Betrieb, die Teilnahme an gemeinsamen Beratungen oder die Ausarbeitung eines politischen Referats gibt mir neue Anregungen, die ich literarisch umzusetzen versuche. Meine zweite Buchveröffentlichung, die im Weltkreis-Verlag erschienenen Faustregeln für Klassenkämpfe, enthalten vor allem solche Versuche, die im Zusammenhang meiner praktischen Parteiarbeit entstanden sind: Gedichte und Glossen für Betriebs- und Wohngebietszeitungen, kurze Reportagen und Flugblatt-Texte. Die Verlagerung der Produktion auf das kleine operative Genre verführt allerdings leicht zum Schludern, sie verleitet zur Vernachlässigung ästhetischer Fragen. Gerade die kurzen und „leichten" Formen der sozialistischen Alltagsliteratur verlangen unsere besondere Aufmerksamkeit und Sorgfalt und vertragen keine Laxheiten in der Gestaltung. Kommunist wird man nicht über Nacht, und um ein kommunistischer Schriftsteller zu werden, braucht man wohlmöglich ein Leben lang. Mein erster Versuch literarischer Parteiarbeit hat mir viel Mühe gemacht, und mit dem Ergebnis war niemand so recht zufrieden. Als die Firma Kampnagel — Willi Bredels berühmte Maschinenfabrik N & K — von der übermächtigen Konzemkonkurrenz übergeschluckt wurde und ein Teil der Arbeiter auf die Straße flog, bedrängten mich die Genossen, aus dem Fall ein Straßentheaterstück zu machen. Jemand besorgte mir eine Dokumentation über das Arbeitertheater der Weimarer Zeit, und ich klaubte mir zusammen, was ich für den speziellen Zweck brauchen konnte. Das klappte leidlich, solang ich den Vorgang darstellte, mißglückte aber völlig, wo ich die Alternativen der Kommunisten szenisch vergegenwärtigen wollte. Eine Aufführung hat das Monstrum deshalb auch nie erlebt, nur eine Veröffentlichung in der von Agnes Hüfner herausgegebenen Straßentheater-Sammlung in der edition suhrkamp. Das nächste Mal, als ich zusammen mit Agnes Hüfner und Gerd Peter für die Kürbiskern-Reihc die Kote- Punkt-Aktion in Hannover darstellen und erläutern sollte, war die Zusammenarbeit mit der Partei schon bedeutend leichter — und ergiebiger. Die Hannoveraner Genossen haben uns vom Anfang an bei der Herstellung unserer Dokumentation geholfen, sie haben 396

uns viele nützliche Tips gegeben, ihre Einschätzung mitgeteilt und uns unermüdlich bei der Zusammenstellung der Flugblätter und Materialien geholfen. Im Gegensatz zu den antiautoritären und ultralinken Gruppen, die uns nur gegen Bezahlung Auskünfte geben wollten, waren die Kommunisten jederzeit bereit, unsere Dokumentation zu unterstützen. Darum darf die DKP in Hannover unseren Bericht über die Aktion Roter Punkt, mit dem wir an einige Reportagebücher der zwanziger Jahre wie Sturm auf Essen oder Barrikaden auf dem Wedding anknüpfen wollten, mit Recht auch als ihre Sache betrachten. Wesentlich von ihrer Aktivität hängt es ab, ob das Buch unter den Arbeitern und Angestellten der Stadt Verbreitung findet und mithilft, daß aus der Bürgerrechtsbewegung vom Juni 1969 Lehren für den gegenwärtigen und künftigen Kampf gegen das Großkapital gezogen werden.

6 Mein Lehrstück über den zehntägigen Streik auf der Kieler Howaldtswerft im September 1969 Wie man einen Streik organisiert geht auf die Initiative der DKP-Betriebsgruppe Howaldt zurück. Der Gruppenvorsitzende und Streikführer Helmut Schlüter hat mir das Thema schmackhaft gemacht, und als er mich von der Sache überzeugt hatte, rief er die ganze Gruppe extra zur Beratung unseres Projektes zusammen. Ursprünglich hatte ich an eine Art Dokumentarstück gedacht, aber die Kieler Genossen haben meine anfänglichen Vorstellungen behutsam korrigiert. Sie fragten, ob es wirklich lohnend wäre, bis ins Detail wiederzugeben, was sich in Kiel abgespielt hatte, und ob es nicht viel mehr darauf ankäme zu demonstrieren, wie man überhaupt einen erfolgreichen Streik organisiert. Wo liegen die Schwierigkeiten? Wie kann man ansetzen? Wo ist der springende Punkt? Wo muß man aufpassen? In diese Richtung ging das Interesse der Genossen; sie wollten nicht bloß wissen, was gewesen war, sondern daraus für die Zukunft lernen. Ein solches Projekt war in der Tat interessanter als ein bloßes Dokumentarstück. Ich konnte die Erfahrungen aus 397

anderen Streikkämpfen einbeziehen und studierte dazu ausgiebig die Streikstudie des Instituts für Marxistische Studien und Forschungen. Die Genossen in Kiel verfolgten meine Arbeit mit Ungeduld und guten Ratschlägen. Im Kommunisten Helmut Schlüter sehe ich den Revolutionär unserer Tage. Er und seine Kollegen in der Streikleitung verkörpern für mich das Menschenbild des streitbaren Humanismus, das wir in den Mittelpunkt unseres literarischen und künstlerischen Schaffens stellen sollten. Genosse Schlüter ist der Typ des selbstlosen Kämpfers, kein blasser Doktrinär, sondern von ausgeprägter Vitalität und Individualität; über seine Witze lacht die ganze Werft. Für mich ist er die gestaltgewotdene Aktionseinheit, listig im Umgang mit der Unternehmerseite, solidarisch und von grenzenloser Güte gegenüber den Kollegen. Den meisten bürgerlichen Autoren ist ein revolutionäres Menschenbild fremd, und dieser Umstand hält sie von der Schaffung positiver Aktionsmodelle ab. Für mich ist klar, daß letztlich nur in der DKP die Menschen und damit auch die Vorbilder für die literarische und künstlerische Gestaltung zu finden sind, die diese Gesellschaft einschließlich der in ihr vorherrschenden Wolfsmoral von Grund auf verändern können. Den Vorsitzenden unserer Wohngebictsgruppe in HamburgEppendorf habe ich im letzten Jahr für eine efan-Stoty porträtiert. Ich habe meinen Bericht Wie Paul dazukommt, den exemplarischen Lebenslauf eines jungen Kommunisten, seitdem mehrfach in Grundorganisationen unserer Partei vorgetragen, und jedesmal hat er lebhafte Diskussion darüber ausgelöst, was eigentlich einen Genossen in der gegenwärtigen Situation auszeichnet. Das ist zweifellos eine für unseren Kampf wichtige Frage, und ihre richtige Beantwortung hilft den Kommunisten im Betrieb konkret, sich gegenüber den Kollegen beispielgebend zu verhalten.

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7 Unsere Grundorganisation hat schon einige Male literarische Produktionshilfe geleistet. Rainer Hirsch, Sprecher der Hamburger Werkstatt, hat mehrfach Alltagserlebnisse unserer Genossen aufgezeichnet. Uwe Friesel und Richard Hey haben für ihr Hörspiel Mitbestimmung, das bereits an mehreren Sendern gelaufen ist, Diskussionen in unserer Gruppe aufgenommen, und auch Uwe Frieseis Auftragshörspiel für die diesjährigen Ruhrfestspiele zum Thema „Chancengleichheit" verwertet Erfahrungen unseres Gruppenvorsitzenden: Er hat anschaulich erzählt, welche Schwierigkeiten sich ihm zu Haus, bei den Kollegen und von Seiten des Arbeitgebers entgegengestellt haben, als er sich die Teilnahme an einem gewerkschaftlichen Schulungskurs in den Kopf gesetzt hatte. Im Frühjahr 1970 haben mich meine Genossen zum DKPKandidaten für die Wahl zur Hamburger Bürgerschaft nominiert. Ich habe mich in den Informationsmaterialien und Nachbarschaftsbriefen als Schriftsteller, der über das Leben der Arbeiter schreibt, vorgestellt und wurde auf Wahlveranstaltungen wiederholt aufgefordert, Proben meiner Arbeit vorzulegen. Während meiner Hausbesuche in meinem Wohngebiet habe ich sogar mehrfach meine Straßentexte verkauft; die Leute waren offenbar überrascht, daß ein Kommunist Bücher schreibt, und wollten wissen, was drin steht. Das Mitverfassen von Wahl- und Informationsmaterialien der Partei, von Aufrufen und Flugblättern verdirbt keinesfalls, wie bürgerliche Kollegen behaupten, den Stil. Es verhilft zu einer klaren und einfachen Sprache und lenkt das Augenmerk auf eine zentrale Frage unserer politischen und literarischen Arbeit: Wie machen wir unsere Position verständlich? Wie überzeugen wir die Menschen? Die Wahlkampfhilfe, die wir Schriftsteller der DKP leisten, sieht anders aus als bei den bürgerlichen Parteien. Während die SPD sich damit begnügt, gegen gutes Honorar prominente Autoren zur Unterschrift unter ihre Wahlaufrufe zu verpflichten, ist unser Einsatz direkt und konkret. Wir schreiben, zusammen mit unseren Genossen, die Flugblätter selber und müssen sie meistens auch selber verteilen. Wir stehen selber Rede und 399

A n t w o r t u n d werden ganz anders gefordert. W i r w e r d e n gebraucht. Es ist nötig, daß wir unsere literarische u n d künstlerische Produktion noch näher an die A u f k l ä r u n g s - und Öffentlichkeitsarbeit unserer Partei heranbringen u n d f ü r eine vielfältige u n d vielfache U m s e t z u n g unserer Politik in Liedern, Gedichten, Erzählungen und Stücken sorgen. Die Schwerpunkte unseres K a m p f e s gegen das Großkapital, f ü r Frieden u n d Demokratie müssen auch z u m Inhalt unseres Schreibens werden.

8 E s ist sicher w e n i g sinnvoll, schon aus ökonomischen Gründen, seine literarische Tätigkeit auf den e n g e n Kreis der Genossen zu beschränken. Ich b e m ü h e mich, alle F o r m e n zu nützen, u n d trage meine Gedichte überall dort vor, w o ich auf interessierte Zuhörer hoffen kann. Das ist außerhalb der D K P und der S D A J v o r allem auf Veranstaltungen der G e w e r k schaftsjugend, der Naturfreunde und der J u s o s der F a l l ; leider habe ich es bisher nur zweimal geschafft, zu VertrauensleuteVersammlungen in den Betrieb eingeladen zu w e r d e n . Die Kollegen im Ruhrgebiet sind da zweifellos weiter. So liest Josef Büscher alle drei W o c h e n z u m Abschluß eines g e w e r k schaftlichen L e h r g a n g s in der IG-Bergbau-Schule Haltern. Die A u t o r e n g r u p p c „ H a m b u r g linksliterarisch", der ich seit ihrer G r ü n d u n g 1967 angehöre, hat in den v e r g a n g e n e n J a h r e n verschiedene Formen der literarischen Basisarbeit entwickelt. W i r haben Flugzettel mit Gedichten u n d A g i t proptexten auf den Straßen u n d vor Betrieben verteilt, immer wieder Straßenlesungcn, oft zusammen mit Fasia J a n s e n , der H a m b u r g e r S o n g g r u p p e oder den Liedermachern, veranstaltet u n d alle Gelegenheiten genutzt, in Schulen, J u g e n d häusern oder Clubs öffentlich aufzutreten. Nicht zuletzt dank unserer kontinuierlichen Literaturpropaganda hat das Publikumsinteresse in H a m b u r g z u g e n o m m e n , und zu den Lesungen, die der Schriftstellerverband regelmäßig „ A u f dem M a r k t " am H a m b u r g e r M ö n c k e b r u n n e n durchführt, k o m m e n meistens über tausend kritische und diskussionsfreudige Zuhörer. A l s ich im v e r g a n g e n e n Sommer mit A r n f r i d Astel 400

zusammen politische Texte rezitiert habe, waren SDAJ-Mitglieder mit roten Fahnen erschienen, und die Polizei protestierte beim Schriftstellerverband gegen die „Politisierung" einer Kulturveranstaltung. Einige Male sind Uwe Wandrey und ich zusammen mit Franz-Josef Degenhardt aufgetreten. Ich halte die Verbindung von Lied und Text für eine ausgezeichnete Methode künstlerischer Massenarbeit. Autoren und Sänger werden in ihren Wirkungsmöglichkeiten gegenseitig gesteigert. Der Quer-Verlag hat mit seinen preiswerten Ausgaben populärer Belletristik, mit seinen Lyrik-Postkarten und Plakaten wesentlich zur Verbreitung unserer demokratischen und sozialistischen Literatur beigetragen. Am meisten Erfolg hatte der Verlag mit den Heften der Eine-Mark-Reihe. Garstige Weihnachtslieder sind 1970 zum dritten Mal aufgelegt worden, und wiederum wurden in einigen Wochen fünftausend Exemplare verkauft. Nachhaltige Wirkungen hatte die Veröffentlichung der Agitprop-Anthologie im Frühjahr 1969. Die Sammlung, wie viele Einzelbeiträge, sind noch ganz vom abstrakt-utopischen Pathos der Studentenrevolte geprägt. Trotzdem war die Dokumentation ein wichtiger Anstoß für die Erneuerung der demokratischen und sozialistischen Literaturtradition in der Bundesrepublik. Ein Teil der jungen Autoren, die in ihren Beiträgen dazu aufriefen, die Schreibmaschine mit dem Gewehr zu vertauschen, sind inzwischen längst den Weg der Anpassung an die Normen der Dritten Programme gegangen. Andere haben ihr Engagement konkretisiert und sich mit der Arbeiterklasse verbündet. Innerhalb der Entwicklung der politischen Literatur der Bundesrepublik war die Gründung der DKP ein Einschnitt: Sie zwang die Autoren zur Entscheidung. Am Weg verschiedener linker Schriftsteller seit der APO-Rebellion 1968 läßt sich die Wichtigkeit einer konkreten Bindung des Literaturproduzenten an die Organisationen der Arbeiterklasse nachweisen. Nur wer aktiv am Kampf der Kommunisten teilnimmt, ist auf die Dauer in der Lage, auch literarisch seine Klassenposition unter Beweis zu stellen. Ein linker Schriftsteller, der kein Hofnarr sein will, gehört in die DKP! (1971) 3. S. 5 0 9 - 5 1 8 401

Gerd Fuchs

Schreiben und Arbeit Die Arbeit des Schreibens

Ist das, was ein Fließbandarbeiter täglich acht Stunden lang tut, beschreibbar? — Sind diese tausende von Handgriffen beschreibbar, von denen einer wie der andere ist? — Läßt sich beschreiben, wie das ist, wenn einer täglich diese tausende von Handgriffen tun muß, von denen einer wie der andere ist? Die überwiegende Zahl der in den letzten Jahren erschienenen Romane und Erzählungen, die Bücher der Fichte, Chotjewitz, Fröhlich, Augustin, Roggenbuck, Piwitt, Herburger, Herhaus oder Zwerenz weisen bei allen Unterschieden doch ein Gemeinsames auf: Es ist kaum feststellbar, wovon die Helden leben. Entweder trifft man sie in Betten oder in Kneipen. Permanente Freizeit herrscht. Niemand arbeitet. Als berechtigte Reaktion auf diesen Zustand wurde die Gruppe 61 gegründet und später der Werkkreis Literatur der Arbeitswelt. Jene Berufsschriftsteller aber, in deren Büchern Arbeit scheinbar keine Rolle zu spielen scheint, wurden entweder als kleinbürgerliche Reaktionäre abgeschrieben, oder es wurde ihnen geraten, in die Fabriken ans Fließband zu gehen. Es setzte sich ein völlig anderer Anspruch an Literatur durch. Verstehbar ist diese neue Funktionsbestimmung von Büchern jedoch nur, wenn sie als Teilresultat jener Politisierung begriffen wird, die seit Ende der sechziger Jahre immer größere Teile der westdeutschen Gesellschaft in Bewegung bringt. Sie macht auch vor den Berufsschriftstellern nicht halt. Eine wachsende Zahl von ihnen sieht die Berechtigung der Kritik an ihren Büchern ein. Doch in demselben Maß, wie ihr Wunsch

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wächst, von der täglichen Arbeit der Massen und für die Masse der Arbeitenden zu schreiben, wächst auch ihr Dilemma, von etwas schreiben zu wollen, was sie nicht kennen, auch nicht kennenlernen können, wie viele sagen, es sei denn, sie hörten auf, Schriftsteller zu sein. Trotzdem wird man den Wunsch dieser Schriftsteller, statt Bücher für eine Elite, Bücher für die Massen und für die Veränderung ihrer Lage zu schreiben, ernstnehmen müssen. Wenn aber das Motiv dafür nicht bloß Mitleid sein soll, wenn es dauerhafte Resultate zeitigen soll, so nur dann, wenn eine objektive Interessenidentität zwischen fortschrittlichen Autoren und den Massen der Lohnabhängigen nachzuweisen ist. Tatsächlich drückt die Politisierung der westdeutschen Schriftsteller und ihr erstes Resultat, ihre massenhafte Selbstorganisierung im Verband deutscher Schriftsteller und der Beitritt des Verbands deutscher Schriftsteller zur I G Druck und Papier mit dem Ziel der Gründung einer einheitlichen Mediengewerkschaft dies aus: Die Autoren glauben, daß ihre materiellen Interessen mit denen der anderen Lohnabhängigen identisch sind. Zusammengebrochen ist die Illusion vom freien Schriftsteller als in sich seliger Monade. Er hat sich erkannt als abhängig von gesellschaftlichen Verhältnissen, als ihr Produkt, als Objekt von Herrschaft und Ausbeutung, als Lohnarbeiter. Er sucht Solidarität. Bringen die Schriftsteller das aber auch in ihren Büchern zum Ausdruck? Sind sie imstande, diese zunächst noch abstrakte Einsicht in literarische Praxis umzusetzen? In der Lyrik und Dramatik ist dies einer wachsenden Zahl von Autoren bereits gelungen, nicht jedoch im Roman. Summarisch ausgedrückt, wurde in den letzten Jahren auf dem literarischen Markt der B R D eine Romanliteratur durchgesetzt, die als Prosa der Vereinzelung charakterisierbar ist. In den meisten Fällen wurde sie aus einem ebenso diffusen wie verzweifelten Gefühl der Ablehnung der herrschenden Verhältnisse heraus geschrieben. Doch zur Verwirrung und oft zum Entsetzen der Autoren wurde sie von den Marktbcherrschern keineswegs als Kritik empfunden, ja sogar offiziell gefördert. Der Grund dafür liegt in der zwieschlächtigen Natur dieser

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Romane, in ihrer Zweideutigkeit aus Halbheit. Die ausschließliche Darstellung der Vereinzelung und Isolation der Individuen gegeneinander machte diese Literatur brauchbar für die Propagierung jenes bürgerlichen Individualismus, von denen Marx und Engels in der Heiligen Familie sagen, daß in ihm „das egoistische Individuum der bürgerlichen Gesellschaft . . . sich in seiner unsinnlichen Vorstellung und unlebendigen Abstraktion zum Atom aufblähen" mag, d. h. zu einem „beziehungslosen, selbstgenügsamen, bedürfnislosen, absolut vollen seligen Wesen". Daß dieses bürgerliche Individuum, daß dieses Atom in der Literatur längst nicht mehr selig, sondern nur noch unselig in sich selbst erscheint, kümmert diejenigen, die den literarischen Markt monopolisieren, solange nicht, wie es weiterhin als Atom und seine Vereinzelung als verhängte erscheint und damit brauchbar wird, die Assoziation der Produzenten gegen das Kapital zu verhindern. Als man den Autoren dies als die objektive Funktion ihrer Bücher erklärte, fühlten sich die meisten zutiefst mißverstanden. Sind denn die Individuen im Kapitalismus nicht tatsächlich vereinzelt und scheinbar unaufhebbar gegeneinander isoliert? Sollte diese überwältigende Erfahrung denn falsch sein? Und hatten sie diesen Zustand nicht beklagt? Waren sie einverstanden damit? Sicher nicht. Daß diese Literatur mißverstehbar war und ist, daß sie ohne Schwierigkeiten den Herrschaftsinteressen des Kapitals dienstbar gemacht werden kann, liegt an ihrer Halbheit. Zweifellos sind die Individuen im Kapitalismus gegeneinander vereinzelt. Doch ist dies nur die eine Seite. Die andere Seite ist: Gleichzeitig stehen sie in einem immer enger werdenden Zusammenhang, und zwar als Produzenten. Daß die Vereinzelung der Individuen im Kapitalismus zunimmt, ist gleichzeitig der Ausdruck dafür, daß die Gesellschaftlichkeit ihrer Arbeit zunimmt, die Teilung der Arbeit, daß aber gerade dadurch der Zusammenhang aller mit allen hergestellt wird. Teilung der Arbeit und die Notwendigkeit, die arbeitsteilig hergestellten Produkte auszutauschen, sind für Marx die Konstituentien der entwickelten Warenproduktion. Es entsteht dabei die paradoxe Situation, daß die Produzenten, je stärker sie durch die Teilung der Arbeit aufeinander angewie27

Reinhold, Kiirbislcern

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sen sind, desto isolierter werden als Individuen; daß sie, je stärker sie im ökonomischen Bereich gezwungen sind, ihre Produkte untereinander auszutauschen, sie desto unfähiger werden, sich ideell auszutauschen. Marx im dritten Band des Kapital-. „Austausch und Teilung der Arbeit bedingen sich wechselseitig. D a jeder für sich arbeitet und sein Produkt nichts für sich ist, muß er natürlich austauschen, nicht nur, um an dem allgemeinen Produktionsvermögen teilzunehmen, sondern um sein eigenes Produkt in ein Lebensmittel für sich selbst zu verwandeln . . . Der A u s tausch als vermittelt durch den Tauschwert und das Geld setzt allerdings die allseitige Abhängigkeit der Produzenten voneinander voraus, aber zugleich die völlige Isolierung ihrer Privatinteressen und eine Teilung der gesellschaftlichen Arbeit, deren Einheit und wechselseitige Ergänzung gleichsam als ein Naturverhältnis außer den Individuen, unabhängig von ihnen existiert. Der Druck der allgemeinen Nachfrage und Zufuhr aufeinander vermittelt den Zusammenhang der gegeneinander Gleichgültigen." Wie es aber kommt, daß dieser Zusammenhang aller mit allen nicht ohne weiteres erkennbar ist, hatte Marx schon im ersten Band des Kapital herausgearbeitet: „ D a s Geheimnisvolle der Warenform besteht also einfach darin, daß sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eigenen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen . . . E s ist nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische F o r m eines Verhältnisses von Dingen annimmt." Phantasmagorien der Verdinglichung waren jene Romane in der Tat, die in den letzten Jahren den Literaturmarkt beherrschten. Ihre Helden verkrüppelten und verzwergten immer spektakulärer, bis Verdinglichung auch die Reste von Subjektivität ergriff, auch sie zum bloßen Objekt degradierte und schließlich gänzlich eliminierte, bis, wie im nouveau roman, eine Welt von Gegenständen, von toten Objekten übrigblieb.

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Daß Arbeit in dieser Literatur keine Rolle spielt, ist deshalb kein Zufall, sondern Notwendigkeit. Mit Recht nannten Marx und Engels jene Vorstellung, in der das Individuum der bürgerlichen Gesellschaft sich zum Atom aufbläht und die Welt sich einzig in seinem eigenen Kopf spiegeln läßt, unsinnlich, unlebcndig, abstrakt. Abstrahiert ist hier von der lebendigen Arbeit,' die allem Schein zum Trotz geleistet wird und O o die die Basis bleibt, aufgrund derer jene Phantasmagorie, jene Nebelregion der Literatur erst entstehen kann. Doch rächt sich das Unrealistische, ja oft bewußt und daher borniert Antirealistische dieser Literatur an ihren Hervorbringern. Immer größer wird die Diskrepanz zwischen dem literarischen und dem empirischen Ich der Autoren. W a s ihren Büchern als Folgerichtigkeit nachgerühmt wurde, die unausrottbare Tendenz antirealistischer Literatur zur Selbstaufhebung des literarischen Subjekts, wiederholt sich nun im Leben: Niemand will für solche Literatur mehr zahlen. Immer weniger sind die Medienkonzerne an antirealistischer Elitelitcratur interessiert. Die Popwelle auch literarisch in Gang setzend, fanden sie Mittel und Wege, jenen Schund für die Massen, den sie immer schon fabrikmäßig produzieren ließen, nun auch jener Intelligenzelite als Pseudoemanzipation aufzuschwatzen, die immer offenkundiger Zeichen von Politisierung an den Tag legte. W o v o n Berufsschriftsteller in der B R D zunehmend leben müssen und was mehr und mehr ihre eigentliche Arbeit ausmacht, das ist Arbeit für die Medien, für Zeitungen, Rundfunk, Film und Fernsehen, vergesellschaftete, arbeitsteilige Arbeit. Immer öfter ist der Schriftsteller an der Herstellung von Produkten beteiligt, die von vielen hergestellt werden, von Redakteuren, Korrektoren, Setzern, Regisseuren, Kameramännern, Layoutern, leistet er Arbeit, die undenkbar ist ohne die Voraussetzungen, die ihm Chemiker, Elektrotechniker geschaffen haben, ohne die Arbeitsmittel, die ihm die großen Konzerne bereitstellen und deren Kontrolle über die Medien er denn auch tagtäglich stärker spürt. Zwar wird immer noch der Schein erweckt, als wäre ein Zeitungsartikel die Äußerung eines einzelnen, die aufgenommen wird von einem anderen einzelnen, als gäbe es hier noch direkte Kommunikation, aber was der Autor sagen wollte,

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wird ergänzt, kommentiert, entwertet, verfälscht durch das Umfeld von Artikeln, in dem sein Artikel steht, durch das Umfeld von Zeitungen, in dem die Zeitung, in der er schreibt, steht, durch das Umfeld, in dem Zeitungen zu Rundfunk, Fernsehen, also dem gesamten Medienmarkt stehen. So wie Fabriken dem Arbeiter als Apparate erscheinen, die unabhängig von ihm Waren ausspuckcn, so erscheinen dem literarischen Lohnarbeiter die Medien als Apparate, die scheinbar unabhängig von ihm ideologische Produkte ausspucken. Die Schreiber wechseln, aber wie ein Ereignis in der Zeit, der Welt, der Süddeutschen, der Frankfurter Allgemeinen, im Spiegel dargestellt wird, das sieht immer gleich aus. Nicht die stets auswechselbaren Schreiber scheinen hier Ideologie zu produzieren, sondern Maschinen: Die Frankfurter Allgemeine, die Welt, ~Panorama, Heute, das ZDF. Der Ausdruck „wie die Frankfurter Allgemeine schreibt" ist deshalb durchaus exakt. Auch dem Schriftsteller treten die Medien als „selbständige Gestalten" (Marx) gegenüber, erscheint ihm ihr Verhältnis zueinander als „Naturverhältnis", erscheint ihm der Medienmarkt als mystisches Gebilde, das sich nach undurchschaubaren Gesetzen regelt, ihm fremde Ausdrucksformen und Ideen aufnötigt und ihn schließlich zwingt, diese ihm aufgenötigten Ideen und Ausdrucksformcn als seine eigenen zu betrachten. Ohne den prinzipiellen Unterschied zwischen Kopf- und Handarbeit, zwischen dem Kern der Arbeiterklasse, der die gesellschaftlich notwendige materielle Arbeit leistet, und Angehörigen der zunehmenden deklassierten Mittelschichten, ohne den Unterschied zwischen Waren- und Ideologieprodukten leugnen zu wollen, muß doch festgestellt werden, daß zwischen Waren- und Ideologieproduktion in den imperialistischen Ländern eine immer enger werdende Parallelität besteht. Nicht umsonst deshalb die gewerkschaftliche Orientierung des Schriftstellerverbandes, der Journalisten-Union, des Berufsverbandes bildender Künstler. Konsequenterweise bildete sich mit den neuen Bedingungen der literarischen Produktion auch ein neuer Typus von Schriftsteller heraus, ein Typus, der sich in den Medienapparaten auskennt, ihre Funktionsweisen und Repressionsweisen und Repressionsmechanismen durchschaut, der zunehmend zu 408

kollektiver Arbeit bereit ist, der weiß, daß er allein verloren •wäre, der an Redaktionsstatuten, neuen Verlagsmodellen, in den Gewerkschaften mitarbeitet, der Gegendruck organisiert, der weiß, was Solidarität wert ist, ein Typus, der seine Arbeit nicht mehr als einsamen Schöpferakt mystifiziert, sondern als Beitrag neben anderen, der realistisch zu denken gelernt hat, weil er die gesellschaftliche Realität als erarbeitete erkennt. Immer mehr Schriftsteller machen also Erfahrungen, die sie instandsetzen, sich realistische Schreibweisen zu erarbeiten. D o c h kann es sich nicht darum handeln, auf irgendwelche kanonisierte und fertig vorliegende Realismusdefinitionen zurückzugreifen. E s gibt sie nicht. Was ein realistischer R o m a n ist, darüber entscheidet nichts anderes als die Realität selbst. D i e Verringerung der Diskrepanz zwischen ihrer Erscheinung und ihrem Wesen als Aufgabe von Literatur wäre deshalb als Prozeß zu begreifen, ebenso wie die Rückeroberung realistischer Schreibpositionen: nämlich Wiedergewinnung von außer der Subjektivität des Schreibenden existierender W i r k lichkeit (Figuren, Beschreibung), von Historizität (Rückeroberung des Imperfekts), vonBewußtsein der gesellschaftlichen Bedingtheit der eigenen Erfahrungen (Kausalität), Zerstörung der Schein-Autonomie der bürgerlichen Individualität (Abbau des Stilluxus), Erarbeitung einer neuen Selbstgewißheit (Humor, Entmythologisicrung der eigenen Frustrationen). Gemäß der historischen Situation wie dem Bewußtseinsstand der Schriftsteller selbst wäre Prosaschreiben sowohl der F o r m wie dem Inhalt nach Lern- und Entwicklungsprozeß. Der Schriftsteller wäre danach jemand, der schreibend lernt, und sein Leser wäre an diesem Lernprozeß lesend beteiligt. Die Arbeit des Schreibens bestünde dann sowohl in der Arbeit an neuen realistischen Ausdrucksformen wie in der Darstellung von Arbeit selbst, in der Herausarbeitung ihres Wesens durch Aufspürung all jener Entfremdungsmomente und Widersprüche in den Beziehungen der Menschen, die im Prozeß des Schreibens systematisiert, zur Quelle der E n t fremdung, zur entfremdeten Arbeit führen. N o c h einmal: Ist das, was Fließbandarbeit insgesamt und objektiv ist, darstellbar durch Beschreibung von Fließbandarbeit? Notwendigerweise nein. In dem Maß wie Fließband-

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arbeit, wie entfremdete Arbeit mehr ist als bloß die Ausführung einzelner Handgriffe, in dem Maß muß auch die Darstellung von Fließbandarbeit mehr sein als bloß die Beschreibung von Handgriffen. Sic muß weit in alle Bereiche der Gesellschaft hineinreichen, und jene Erfahrungen, die die Schriftsteller täglich mit den Medienapparaten machen, reichen durchaus hin als Ansatzpunkt, von dem aus Erfahrungen, wie sie täglich von Millionen in Betrieben gemacht werden, erschlossen werden können. Allerdings kann eine richtige Widerspiegelung der gesellschaftlichen Widersprüche und ihre realitätsgerechte Systematisierung nur gelingen, wenn auch der Schriftsteller sich eine wissenschaftliche, d. h. marxistische Erkenntnismethode erarbeitet. J e konsequenter er das tut, um so dringender wird sich ihm die Frage nach der Parteilichkeit seiner Literatur stellen. Genausowenig wie der wissenschaftliche Sozialismus unparteiisch ist, genausowenig ist es die hier vorgeschlagene Schreibmethode. Sie ist ihrem Wesen nach Parteinahme für die Arbeiterklasse, ihr Ziel ist Beförderung jenes Bewußtseinsprozesses, der sie aus einer Klasse an sich zur Klasse für sich macht. Ihr Ziel ist Veränderung. Daß Fragen der Literatur in Westdeutschland heute so gestellt werden können, ist Ausdruck sowohl der sich verschärfenden Widersprüche im Imperialismus als auch Ausdruck des Stands der Klassenkämpfe in der B R D , Ausdruck der relativen K r a f t der Arbeiterbewegung. In dem Wunsch vieler westdeutscher Schriftsteller, für die Massen zu schreiben, drückt sich der Wunsch der Massen aus, daß für sie geschrieben werde. J e realistischer, je parteiischer aber ein Autor schreiben möchte, desto wichtiger wird für ihn die Notwendigkeit, statt Fließbandarbeit einen Arbeiter zu beschreiben, der sich über das Wesen von Fließbandarbeit bewußt geworden ist. Bewußtheit aber bedeutet für die Arbeiterklasse Organisiertheit. Wer jenen bewußten, jenen klassenbewußten Arbeiter sucht, weil er der eigentliche Gegenstand parteiischer Literatur ist, der wird ihn nur in jenen Organisationen finden, die für die Arbeiterklasse der B R D die wichtigsten sind, in den Gewerkschaften und der Deutschen Kommunistischen Partei. Welche Konsequenzen das für einen Autor hat, liegt auf der Hand. (1973) 3, S. 7 2 8 - 7 3 3 410

Uwe T i m m

Zwischen Unterhaltung und Aufklärung

Wer heute Literatur nicht für die Ewigkeit, für sich oder für den Unternehmerverband der Industrie schreibt, sondern für jene, in deren Macht es steht, sich und uns den „ganzen alten Dreck v o m Hals zu schaffen" (Marx), also die Arbeiter, muß sich vor allem fragen, wie effektiv das ist, was er schreibt, sowohl qualitativ, inwieweit es bewußtseinsverändernd wirkt, als auch quantitativ, wie groß der von ihm erreichte Adressatenkreis ist. Wird über den qualitativen Aspekt unter den politisch engagierten Literaten gestritten, so sehr, daß es zu einzelnen A b g e sängen der Literatur kam und ihr sogar Leichencarmina geschrieben wurden, so herrscht Einigkeit darüber, daß momentan die sozialistische Literatur nicht konkurrieren kann mit den Auflageziffern von Bastei und Pabel, nicht mit Simmel, nicht einmal mit Hagelstange. Falsch wäre es hier abzuwinken und zu sagen, das sei keine Literatur, jedenfalls keine gehobene. Denn die gehobene Literatur ist zumeist die Literatur der gehobenen Stände, aber für die schreibt der engagierte Autor nicht. Also sollte er keine L i t e r a t u r — dafür Trivialliteratur schreiben. Aber ist die nicht gerade darum erfolgreich, weil sie unzulässig vereinfacht, weil sie Klischees reproduziert, weil sie die Wirklichkeit rosarot einfärbt; erfolgreich also darum, weil sie nicht aufklärerisch und emanzipativ wirkt, was die sozialistische Literatur gerade will. Verlangt wird, s o scheint es, die Quadratur des Kreises. Zugleich wird die Aussicht auf einen möglichen A u s w e g durch eine weitere Barriere verbaut: Über die Distributions-

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mittel, die Verlage, Zeitungen und elektronischen Medien verfügen nicht die linken Litcraturproduzenten, sondern mittelbar oder unmittelbar diejenigen, gegen die sie schreiben, die Bourgeoisie, die herrschende Klasse. Ein Trost für jene, die nicht in den großen bürgerlichen Verlagen veröffentlicht werden, also auch für mich, aber doch ein fragwürdiger. Denn — und diese Frage ist berechtigt — wenn die sozialistische Literatur tatsächlich massenwirksam wäre, was sie sich selbst gern nachsagt, warum wird sie dann nicht als profitversprechende Literatur von den bürgerlichen Verlagen vertrieben; diese verkaufen doch,7 wenn sie daran verdienen,' ihren eigenen o Strick. Wahrscheinlich ist, daß viele Verleger die Gefahr einer solchen« Literatur erkannt haben, die sich gegen ihre Interessen richtet und einige werden auch aus dieser Erkenntnis Konsequenzen gezogen haben. Sicherlich übernimmt außerdem hier vor allem die bürgerliche Ideologie in Form ihrer Ästhetik eine Abwehrfunktion, indem sie bestimmt, was Literatur zu sein hat: das Überzeitliche, das Höhere, das Eigentliche, das Allgemeingültige, das nicht auf das Tagesgeschehen Gerichtete usw. Der Verdacht aber, daß die explizit politische Literatur auch deshalb unterrepräsentiert ist, weil sie gar nicht massenwirksam ist oder weil es diese Literatur in einigen Gattungen, z. B. in der Romanform, noch gar nicht gibt, läßt sich nicht von der Hand weisen. Natürlich ist der fein raus, der sich hinter seine Schreibmaschine setzt, ein markiges Agitpropgedicht in die Maschine tippt und dessen Wirkungslosigkeit auf die kapitalistischen Besitzverhältnisse oder das verdrehte Bewußtsein seiner Adressaten schiebt; ebenso derjenige, der seinen Kugelschreiber beiseite legt und sagt: Die Literatur ist tot. Beide aber können nicht verhindern, daß gelesen wird von Ute Ambers Die schönen Schwestern von Gut Wildenberg bis zu Jonkes Geometrischer Heimatroman. Da die gute Absicht des Autors, die Intention des Autors also, offenbar nicht ausreicht, um diese Schwierigkeiten der politischen Literatur zu lösen, wäre zunächst verstärkt nach der L e s e e r w a r t u n g zu fragen. 412

Ist die Qualität des Romans Die schönen Schwestern von Gut Wildenberg quantitativ ablesbar von seinem Verkaufserfolg, so erscheint es bei dem Geometrischen Heimatroman gerade umgekehrt: eine relativ (an dem Trivialroman gemessen) kleine Auflage bestätigt seine Qualität. Das bürgerliche Literaturverständnis ist in seiner Wertung, was zur gehobenen und was zur trivialen Literatur gehört, quantifizierbar. Auflagenstarke Literatur steht immer auch in dem Ruch keine, also Trivialliteratur zu sein. Die Kriterien der Wertung, das Eigentliche, das Höhere, fallen nicht aus dem ewigen Kulturhimmel, wie es zuweilen den Anschein hat. Gehobene Literatur resultiert aus dem Zwang zu dem, was der Literatur wieder als Qualitätsmaßstab zuwächst: der Innovation. Häufigkeit und Radikalität der Innovationen machen diese Literatur so schwerverständlich, daß sie — auch zeitlich — nur bewältigt werden kann von einem kleinen Kreis Eingeweihter, die über die notwendige Muße verfügen, d. h. eine gewisse Freiheit von den unmittelbaren Reproduktionszwängen haben. Der Leseerwartung dieser Eingeweihten entspricht die Forderung des kapitalistischen Literaturmarktes nach ständiger Innovation, deren objektive Ursachen also vor allem im ökonomischen Bereich und nicht in den genialen Einfällen der Dichter zu suchen sind. Dieser Zustand ist Ergebnis einer lang geübten Praxis, in der Literatur von wenigen, für wenige geschrieben wurde. Anders bei jenen literarischen Erzeugnissen (die für das bürgerliche Literaturverständnis keine sind, darum zumeist ausgeklammert werden), die — aus ökonomischen Gründen — einen möglichst großen Leserkreis erreichen müssen. Ihre Innovation ist gleich Null. Das, was Trivialliteratur so erfolgreich werden läßt, sind nicht nur deren formale Konstanten, also ungebrochener Erzählfluß, eine einheitliche Erzählperspektive, eine gleichmäßige Stillage, sondern gleichermaßen ihre Inhalte, in denen geschickt systemkonforme Wünsche mit solchen, die einem echten Bedürfnis entspringen, kombiniert werden. Deren Verfilzung ist die Leistung der Trivialliteratur. Reproduziert wird eine anheimelnde Unmittelbarkeit. Man geht in seiner Mittagspause auf die Straße und trifft zufällig den Mann seines 413

Lebens, einen jungen, braungebrannten Mann, der einen antrazithfarbenen Porsche fährt, Gutsbesitzer oder Fabrikant. Das ist das Leben. Nicht der Mehrwert, der den antrazithfarbenen Porsche ermöglicht. Diese falsche Unmittelbarkeit ist der Stabilisator der kapitalistischen Gesellschaft, die davon lebt, daß man sie nicht durchschaut: die von den Unternehmern gesteuerten antrazithfarbenen Porsche, die bunte Leuchtreklame in den Geschäftsstraßen, die Phrasen von der freiheitlichen Gesellschaftsordnung, der sozialen Symmetrie, dem schönen Spanien, den dynamischen Politikern, den erfolgreichen Unternehmern. Diese falsche Unmittelbarkeit, die sich einerseits aus der Personalisierung aller Ereignisse, andererseits aus einem über alles waltenden Fatum ergibt, diese Unmittelbarkeit als falsche zu entlarven, unternimmt die aufklärerische Literatur; und gerade darum wird ihr immer wieder ihre Lebensferne und ihre Verdrehtheit nachgesagt. Einerseits eine falsche Unmittelbarkeit, die gerade darum erfolgreich ist, weil sie die Wirklichkeit lediglich s p i e g e l t , andererseits die Bemühung des politischen Autors diese Unmittelbarkeit als falsch auszuweisen, wobei er, um erfolgreich, d. h. massenwirksam zu sein, Unmittelbarkeit in seiner Darstellung aufnehmen muß. Das ist jener Widerspruch, den wir schon am Anfang konstatierten und der nur auflösbar ist, wenn man die gesellschaftliche Funktion der Trivialliteratur von dem Gebrauch, der jeweils von der Lektüre gemacht wird, genauer bestimmt, z. B . Unterhaltung, Uberwindung der Isolation, Lebenshilfe usw. Dieser Gebrauch, der von der Literatur T a g für T a g hunderttausendfach gemacht wird, zeigt an, daß viele Bedürfnisse unbefriedigt bleiben. Entscheidend ist, ob diese Problematik, die ihre Ursache in der widersprüchlichen sozialen Wirklichkeit hat, von der Literatur aufgegriffen und dargestellt oder o b sie unterschlagen wird, indem dem Leser suggeriert wird, man könne der monotonen Büroarbeit entfliehen, wenn man in der Mittagspause „ G l ü c k " hat, einen Industrieprinzen trifft und geheiratet wird. Solche Ersatzbefriedigung liefert die Trivialliteratur und induziert damit zugleich ein falsches Bewußtsein, das den Leser abermals auf sich und die Ausweglosigkeit seiner Situation verweist, wenn er das Roman-Heft aus der Hand legt. 414

Der Bastei-Verlag charakterisiert mit Hinblick auf mögliche Interessenten seine Romane: „Das Romanheft ist in hohem Maße geeignet, den Bedürfnissen nach einer heilen Welt, nach Ersatzbefriedigung Rechnung zu tragen." 1 Aufklärerische Literatur, die den Leser von solcher falschen Unmittelbarkeit befreien will, müßte sich zunächst einmal auf die Artikulation solcher Bedürfnisse einlassen, dann aber zeigen, wie solchc Bedürfnisse befriedigt werden können, d. h., sie müßte diese als r e a l i s i e r b a r zeigen. Das aber unterläßt nicht nur der Roman Die schönen Schwestern von Gut Wildenberg, sondern auch Jonkes Geometrischer Heimatroman. Kann man im ersten Beispiel eine Flucht aus der irritierenden Realität von Kurzarbeit und Mietpreiserhöhungen in die beruhigende Fiktionalität einer heilen Welt von Gut Wildenberg mit seinen schönen Schwestern vermuten, zeigt sich im zweiten Beispiel eine Hinwendung zu einer Literatur, die Irritation hervorrufen soll; in beiden Fällen liegt Abstinenz von Wirklichkeit vor. Sowohl in der Fiktionalität als auch in der Irritation der Literatur wird diese als das bessere Selbst der sozialen Wirklichkeit verstanden. Für beide Verfahren — so unterschiedlich sie auf den ersten Blick erscheinen — gilt gleichermaßen, daß die Ursachen der Irritation in der literarischen Präsentation nicht sichtbar werden. Dem Leser der Bastei-Romane wird als Realismus vorgeführt, was die faktische Realität, die er täglich erlebt, konsequent verdreht. Die Widersprüche der gesellschaftlichen Wirklichkeit, unter denen der Leser zu leiden hat, werden in den Romanen als persönliches Versagen deklariert oder auf ein immer waltendes Fatum bezogen.'2 Ähnlich bei Handke und Heißenbüttel, die konsequent die Wirklichkeit aus der Sprache abfiltern und die Irritation nur im sprachlichen Bereich, in der literarischen Methode aufzeigen, ohne daß dabei deren soziale Bedingtheit erkennbar würde. Beides sind die Extreme einer Literaturtendenz, die ich 2usammenfassend systemkonforme Unterhaltungsl i t e r a t u r nenne. Unterhaltung soll dabei keineswegs pejorativ verstanden werden, die Betonung liegt auf systemkonform. Selbstverständlich ist die Intention der Autoren unterschiedlich: einerseits die zynische Schreibe jener Autoren, 415

die seriell die heile Romanwelt als Ersatzbefriedigung für die kaputte Freie Welt herstellen, andererseits die subjektive Überzeugung eines Handke, mit seinen literarischen Innovationen bestimmte Erkenntnisse zu vermitteln. D i e jeweilige Leseerwartung, die Intention des Autors ijnd deren konsequente literarische Realisation heben die Produkte in die luftigen Bereiche der gehobenen Literatur oder stürzen sie in die Tiefe der Trivialliteratur. D e m steht gegenüber eine Literatur, die sich ihrer Intention nach gerade gegen solche Ersatzbefriedigung richtet. Sie will durch Aufklärung bewußtseinsbildend auf den R e zipienten wirken, und zwar in einem emanzipatorischen Sinn. E s erübrigt sich fast, hervorzuheben, daß solche Literatur von den Vertretern der bürgerlichen Ästhetik, von Hegel bis Staiger, als uneigentlich verworfen wurde. Stärkster Exponent dieser „Aufklärungsliteratur" ist heute der Agitprop, der sowohl Lyrik, Epigramm, Kurzprosa, Protestsong als auch dramatische Texte, insbesondere das Stra.ßentheater umfaßt. Die Agitprop-Literatur ist relativ neu in der Bundesrepublik (daß ihre Tradition über die Bewegung der Ostermarschierer bis in die Arbeiterbewegung der zwanziger Jahre hineinreicht, soll hier nur angemerkt werden ; diese Tradition wurde inzwischen schon Dissertationsthema der Literaturwissenschaft) und bildet sich verstärkt mit der einsetzenden Politisierung 1965 heraus. A m Anfang wurden zumeist tradierte Formen der bürgerlichen Literatur, insbesondere das stark wertbesetzte Gedicht u m f u n k t i o n i e r t , d. h. der seinsschwere Sprachgestus wurde durch politisch-alltägliche Informationen ausgewechselt. D i e Provokation lag schon in dem Austausch bestimmter Sprachebenen und Inhalte. Stand am Anfang der Agitpropbewegung ein überzogener Optimismus, mit Hilfe der Literatur eine revolutionäre Veränderung der Gesellschaft bewirken zu können, Resultat der revolutionären Ungeduld bürgerlicher Literaten (was zugleich verständlich ist, da Schreiben die Produktionsweise ist, durch die sich die Literaten selbst verwirklichen), so wurde bald die begrenzte politische Wirkung v o n Literatur erkannt und ihre Funktion im politischen K a m p f realistischer eingeschätzt. Als ein neues Kriterium brachte der Agitprop die Effizienz in der Literätur-

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beurteilung — bis dahin der Trivialliteratur vorbehalten, was auch heute noch das Selbstverständnis der bürgerlichen Literaten verunsichert. (Man lese z. B. die aggressiven Reaktionen Handkes zu diesem Problem nach.) Eine präzise literarische und politische Einordnung des Agitprop fehlt bis heute. W i r d der Agitprop von einigen — zumeist Schriftsteller, die selbst Agitprop schreiben — als einzig mögliche Literatur herausgestellt, was einseitig ist, so wird er von anderen als Inkarnation der Anti-Literatur verdammt. Diese Literatur-Päpste, die zumeist in den Schlüsselstellungen von Rundfunk, Zeitungen und Zeitschriften sitzen, befürchten, daß die Zweckfreiheit der „wahren" Literatur durch ein direktes politisches Engagement befleckt werden könnte. Sie von der Notwendigkeit der Agitprop-Texte zu überzeugen, kann allenfalls über politische Argumentationen erfolgen. Anders bei den Kritikern des Agitprop von links, bei denen sich zumeist zwei Einschätzungen zeigen, die beide ihre bürgerliche Provenienz nicht leugnen können: die einen dulden Agitprop allenfalls als ein Übel, das so lange nicht beseitigt werden kann, solange nicht die „eigentliche" sozialistische Literatur heraufkommt, die anderen glauben, daß Agitprop, überhaupt aufklärerische Literatur, irrelevant, weil unwirksam sei. Prominentester Vertreter dieser Richtung ist Enzensberger: „Die bisherigen Versuche, gleichsam mit Gewalt aus dem Ghetto des Kulturlebens auszubrechen und die 'Massen zu erreichen', etwa mit den Mitteln des A g i t prop-Songs oder des Straßentheaters, sind gescheitert. Sie haben sich als literarisch irrelevant und politisch unwirksam erwiesen." 3 Kein Gedicht kann die Unternehmer enteignen, kein Straßentheater morgen den Generalstreik ausrufen, wer das verlangt, baut eine Scheinproblematik auf. Agitprop ist, will er überhaupt wirksam sein, angewiesen auf eine konkrete politische Bewegung, je besser diese organisiert ist, desto besser läßt sich die literarische Arbeit mit ihr für bestimmte Aktionen und Projekte koordinieren, desto größer ist seine Effizienz. Die. Qualität eines Agitprop-Textes ist davon ablesbar, wieweit es ihm gelingt, sich selbst überflüssig zu machen, d. h. das, was er propagiert, so zu vermitteln, daß es möglichst bald in

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die politische Praxis umgesetzt wird. Damit wird die Information überholt, veraltet, mit ihr der Text, was — im Gegensatz zur bürgerlichen Literatur, die von Dauer und Allgemeingültigkeit her gewertet wird — sein qualitativer Maßstab ist. Wer also am Agitprop dessen Aktualitätsgebundenheit kritisiert, hat ihn nicht verstanden. Das bedeutet aber nicht, daß der Agitprop nicht literarisch kritisierbar wäre, im Gegenteil. Sichtet man die politische Literatur, so fragt man sich oft, warum da überhaupt versifiziert oder gar mühevoll gereimt wurde, was besser — und das meint überzeugender — ein politischer Leitartikel geworden wäre. Die literarische Form erscheint oftmals eher zufällig, eine Laune des Schreibers. Kennzeichnenderweise fehlen bis heute Analysen der unterschiedlichen Medien; was ist z. B. adäquat in einem Gedicht, was in einem Song, was mit dramatischen oder filmischen Mitteln darzustellen. Daß auf diesem Gebiet auch die bürgerliche Ästhetik so gut wie nichts vorweisen kann, sollte uns nicht ent-, sondern ermutigen. Bei einer solchen Medienreflexion muß bedacht werden, daß die Distributionsmittcl zumeist von der herrschenden Klasse kontrolliert werden. Das führt zu einer Distributionsblockade — die wir schon am Anfang erwähnten —, mit der der politische Autor rechnen muß, die er also in der Wahl des jeweiligen Mediums einzukalkulieren hat, denn diese Barriere läßt sich nur an ihren Rändern umgehen, dort, wo progressive Redakteure in Rundfunkanstalten und in den Zeitungen sitzen, sie läßt sich umgehen durch Lesungen in Altersheimen, Krankenhäusern, Bücherhallcn, Gewerkschaftsabenden oder mit Hilfe einiger linker Verlage und Zeitschriften. Dabei läuft die A u f k l ä rungsliteratur immer Gefahr, sich im Kreise zu bewegen, daß also diejenigen erreicht werden, die schon a u f g e k l ä r t sind. In dieser Problematik der Veröffentlichung ist die Ursache zu suchen, warum heute gerade die kleine literarische Form dominiert, das Epigramm, der Aphorismus, das kurze Gedicht, die Politstory. Sie werden auch von bürgerlich liberalen Zeitungen als Lückenfüller genommen. Peter Maiwald und Arnfried Astel haben z. B. diese Lücken literarisch gekonnt mit linken Inhalten gefüllt.

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K a n n der Agitprop-Text — zumeist mündlich vorgetragen — auf den jeweiligen Bewußtseinsgrad des Adressatenkreises abstimmt werden, so ist dieser für eine politische Literatur, die nicht für einen konkreten Anlaß und eine bestimmte Zielgruppe geschrieben wurde, nicht mehr exakt bestimmbar; man kann nur allgemein sagen, daß sie zumeist Sozialisten und — sehr vage — „Sympathisanten" erreicht. Damit verändert sich notwendigerweise die literarische Präsentation, denn diesen Lesern und Hörern muß nicht erst bewiesen werden, daß Flick und Finck Großkapitalisten sind, ihnen soll vielmehr z. B . durch ein Gedicht, eine neue Qualität des Erkennens vermittelt werden, was kein politischer Artikel oder Aufsatz leisten kann; das Gedicht (die Literatur) sollte spielerisch Phantasie und Intellekt ansprechen itnd damit jene Lust erzeugen, die hilft, Durststrecken zu überwinden, im K a m p f für ein menschliches Dasein, dessen Teil die Lust selbst schon ist. Das kann das Gedicht leisten, wenn es sich auf sein Medium konzentriert: die Sprache. Sprache ist nach M a r x 4 das praktische Bewußtsein, durch das der Mensch für sich und für andere ist. Durch die Sprache, durch das Bewußtsein, wird zugleich bestimmt, w a s man für sich ist und w a s man für andere ist. Die Sprache entscheidet also tendenziell mit darüber, wie die gesellschaftliche Realität strukturiert ist und o b diese Struktur überhaupt wahrgenommen wird. W e r über die Sprache verfügen kann, kann auch über das Bewußtsein verfügen, nicht nur über das eigene, sondern auch über das anderer, die nicht im gleichen Maße über Sprache verfügen. Die Beherrschung der Sprache, d. h. der Besitz der Massenmedien, schlägt unmittelbar um in politische Macht. In der Bundesrepublik b e herrscht die herrschende Klasse auch die Sprache. Sie dient ihr nicht nur, indem sie sich darin gewandt ausdrückt, sondern auch um die bestehenden gesellschaftlichen Zusammenhänge zu verschleiern. Die bewußtseinsmäßige Umpolung der eigentlichen Interessen der Lohnabhängigen durch die Massenmedien — was als Entpolitisierung bezeichnet wird, tatsächlich aber eine hochgradige Politisierung ist — zeigt erstaunliche Folgen. Bei Planspielen in den Gewerkschaftsschulen, in

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denen

Gewerkschaftsfunktionäre Tarifverhandlungen proben, zeigt sich bei den neuen Kursteilnehmern, daß diejenigen, die die Unternehmer spielen, so überzeugend argumentieren können, daß sie die Lohnforderungen ihren Kollegen ausreden können. Resultat dessen, was man T a g für T a g zu hören b e k o m m t : da ziehen die Sozialpartner an einem Strang, da dürfen Lohnforderungen den Wohlstand nicht gefährden, da muß der Arbeitsfriede unbedingt gewahrt bleiben, denn schließlich sitzen doch alle in einem B o o t . Hier liegt die Möglichkeit des politischen Gedichts, es muß mit dieser verdrehten Sprache arbeiten, es muß jene Sätze, Sentenzen, Begriffe und Metaphern der kap'talisti sehen Bewußtseinsindustrie spielerisch entlarven, es muß wieder hörbar machen, was einem durch tägliches Hören und Sehen vergeht, was sich hinter diesen Stabilisations-Topoi verbirgt. Dafür müssen neue spezifische Formen gefunden werden, indem das vorgefundene Sprachmaterial neu strukturiert und organisiert wird, durch Antithesen, Parallelismus, durch Parodie und Ironie, Pointe und Klimax. Was der politischen Literatur oftmals noch fehlt, ist die spielerische Phantasie, die — wie schon gesagt — durchaus emanzipativ sein kann, insbesondere da, w o Phantasie mit verchromten Autos, Farbfernsehern oder Spanien-Reisen verstopft wurde, wo im Interesse des Kapitalismus deformiert und entstellt wird, was ihn in Frage stellen könnte: die Vorstellungskraft eines realisierbaren Glücks. Auch in der verlogenen Romanwelt von vorgestern, die bevölkert ist mit Prinzessinnen, Gutsbesitzern und Förstern, zeigt sich noch der Abglanz von diesem Glück und der Wunsch nach einer h e i l e n W e l t ; ein Begriff der durch das larmoyante Gerede konservativer Zivilisationskritiker diskreditiert wurde, hinter dem sich aber ein legitimer Anspruch auf eine befriedete Welt verbirgt, eine Welt ohne Ausbeutung, ohne den K a m p f um das Lebensnotwendige, ohne das brutale Konkurrenzprinzip, eine Welt in der der Mensch zum Menschen wird. Solange solche Wünsche umgeleitet werden in die Fiktionalität einer Roman-Wirklichkcit, die das Glück als blinden Zufall in einer statischen Welt zeigt, das nur erreichbar ist, wenn man sich hineinschickt in das Unabwendbare, d. h. in die Normen der bürgerlichen Gesellschaft —

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solange bleiben dann auch diese Wünsche folgenlos, abgeleitet durch Ersatzbefriedigungen. Wenn der Phantasie aber die Möglichkeit gezeigt wird, ihre Wünsche als realisierbar zu verstehen und wenn deutlich wird, was einer solchen Verwirklichung entgegensteht, dann wird daraus eine politische Kraft entspringen, die all die profitablen Traumfabriken lahmlegen wird. „Der Mensch eignet sich sein allseitiges Wesen auf allseitige Art an, also als totaler Mensch. Jedes seiner m e n s c h l i c h e n Verhältnisse zur Welt, Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen, Denken, Anschauen, Empfinden, Wollen, Tätigsein, Lieben, kurz alle Organe seiner Individualität, die die Organe unmittelbar in ihrer Form als gemeinschaftliche Organe sind, sind in ihrem g e g e n s t ä n d l i c h e n Verhalten oder in ihrem V e r h a l t e n z u m G e g e n s t a n d die Aneignung desselben. Die Aneignung der menschlichen Wirklichkeit, ihr Verhalten zum Gegenstand ist die B e t ä t i g u n g d e r m e n s c h l i c h e n W i r k l i c h k e i t ; menschliche W i r k s a m k e i t und menschliches L e i d e n , denn das Leiden, menschlich gefaßt, ist ein Selb -tgenuß des Menschen." 5 Aufgabe der Literatur wäre es, darzustellen, was der Entfaltung des Menschen zur Betätigung der menschlichen Wirklichkeit entgegensteht, das wäre die aufklärerische Funktion der Literatur, die sie mit der Theorie teilt, zugleich aber könnte sie unmittelbar Phantasie und Emotionen ansprechen — was die Theorie kaum kann; sie könnte zeigen, wie sich die menschlichen Fähigkeiten frei entfalten können, indem sie Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen, Denken, Anschauen, Empfinden, Wollen, Tätigsein, Lieben in ihrer Darstellung aufnimmt und sie der deformierten Wirklichkeit entgegenstellt. Literatur würde damit eine Utopie artikulieren, die sie zwar nicht vorausnehmen kann, die aber durch „Benennung" Stimulanz wird für die konkrete Arbeit an der Veränderung dessen, was solcher „menschlichen Wirksamkeit" entgegensteht. Veränderung wäre ebensowenig als ein Abstraktum zu verstehen, als bloße theoretische Forderung, wie das angestrebte Ziel einer „humanen Wirklichkeit", sondern Veränderung wäre aufzuzeigen auch in der menschlichen Sinnlichkeit, zu konkretisieren in Wahrnehmungen, in Gesten, Gefühlen und Handlungen. 28 Rcinhold, Kücbiskera

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Hier liegt ein von der linken Literatur kaum beachteter Bereich vor, den die Sensibilisten mit ihrem Gefasel in Mißkredit gebracht haben und der immer in Gefahr ist, v o m K o n s u m vereinnahmt zu werden: „Genuß im Stil der neuen Zeit". E s gilt aber gerade zu zeigen, was das für ein Genuß ist, wer wirklich genießt, derjenige, der die Aura des Genießens kauft und sie kaum genießen kann, weil der Genuß an der Oberfläche des Produkts haftet, die verchromten Autos etwa, mit dem eingebauten Verschleißeffekt oder ob der genießt, der an solchen „ G e n ü s s e n " verdient. Dann steht der BriJlantring für eine harmonische Ehe, der Sportwagen für ein befriedigtes Sexualleben, der dreiwöchige Italienurlaub für die ganzjährige Angst um den Arbeitsplatz. Gezeigt werden müßte, daß die meisten Genüsse heute noch keine menschlichen, sondern v o m Kapital bestimmte sind, daß auch sie den Warencharakter tragen, verdinglichte Genüsse sind, so wie auch alle anderen menschlichen Sinne und Tätigkeiten v o m Profitinteresse verdinglicht werden, sowohl in der Produktions- als auch in der Konsumtionssphäre, also das Sehen für A g f a , das Hören für Telefunken, das Riechen für irish m o o s (Jeden Morgen einen Schuß Frische, Freiheit, Abenteuer), das Schmecken für Coca Cola. Deutlich werden müßte, daß auch die Sinnlichkeit, die Gefühle, sowie das, worauf sie sich richten, der Veränderung unterliegen, nicht so statisch und erstarrt sind, wie sie sich heute zeigen. Veränderung, auf das Indivuduum bezogen, kann in der Literatur am deutlichsten in der Handlung realisiert werden, das bedeutet, daß eine Literatur, die aufklären will, die Handlung zurückgewinnen müßte, der heute gern die Plüschtrotteln nachgcsagt werden. Mit der Rückgewinnung einer Erzählhandlung wird auch die große Form wieder zu verwirklichen sein, die sich nicht nur an die kleine Schar der literarischen Avantgarde richtet. Die Handlung müßte zentrieren um die Problematik Individuum und Gesellschaft. Wenn man voraussetzt, daß die politische Bewegung der vergangenen Jahre auch im individuellen Bereich ihre Folgen hinterließ — was sicherlich der Fall ist —, muß man sich fragen, wie diese Veränderungen sich äußern, im Sehen, Hören, Riechen, Denken, Lieben usw. D a v o n ausgehend wird sich 422

auch leichter aufweisen lassen, wo sich noch bürgerliche Relikte bei jenen finden, die ihrem Selbstverständnis nach sich als Sozialisten oder Kommunisten bezeichnen. Diese Relikte finden sich gerade im p r i v a t e n , also individuellen Bereich und sollten nicht hämisch zur Schau gestellt werden, sondern mit dem Versuch, sie bewußt zu machen, damit sie auskorrigiert werden können. Solche bürgerlichen Verhaltcnsmuster sind nicht selten: jener, der präzise die kapitalistische Ausbeutung am Beispiel der Schwarzen in den U S A erläutert, während seine Frau in der Küche abwäscht; jener, der behauptet, Kommunisten seien immer fröhlich und dann bitterböse reagiert, wenn man ihm widerspricht; jener, der stundenlang über die bürgerlichen Meinungsmonopole monologisiert, ohne seinen Gesprächspartner zu Wort kommen zu lassen. In Gesprächen oder Diskussionen unter Linken ist z. B. eine Verkümmerung der Fragesätze zu beobachten, dafür häufen sich Wendungen wie: das ist doch s e l b s t v e r s t ä n d l i c h soundso (abschließende Handbewegung), was, das Buch kennst du nicht (Stirnrunzeln), das ist e i n d e u t i g (entschlossene Miene), das ist n a t ü r l i c h soundso, das hat derundder doch schon längst bewiesen. Die sich daraus ergebenden Konflikte werden heute, wenn überhaupt, nur im p r i v a t e n Kreis diskutiert; sie zu veröffentlichen ist nicht literarischer Voyeurismus, sondern hat eine politische und menschliche A u f g a b e : E s gilt den Blick zu schärfen für Konfliktstoffe, für psychische Verhärtungen oder verbale und gestische Streitmechanismen. Eine solche emanzipative Veränderung wäre, so glaube ich, adäquat darzustellen in einer epischen Form, die sowohl aufklärerisch als auch unterhaltend sein kann, dem Entwicklungsroman. D a dieser Begriff einen typisch bürgerlichen Romantypus bestimmt, müßte es genauer heißen: n e g a t i v e r Entwicklungsroman. Denn der bürgerliche Entwicklungsroman beschrieb die Herausbildung eines Individuums, das durch den katalysierenden Einfluß der Gesellschaft seine Anlagen möglichst optimal entfaltet, also einen extremen Individualismus. Der sozialistische Entwicklungsroman müßte den umgekehrten Weg beschreiben, den Weg eines Individuums, das aus seiner bornierten Ver28»

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einzelung zu einem kollektiven Bewußtsein gelangt, in einem Kollektiv lebt und arbeitet. Die meisten bürgerlichen Intellektuellen, die sich heute um einen Klassenstandpunkt bemühen, haben eine solche Entwicklung durchlaufen (was sie oftmals durch kräftige . Verbalisierung zu verdrängen suchen). Die politische Literatur sollte nicht einfach den Wandel der politischen Einstellung beschreiben, sondern vor allem wie sich Wahrnehmungen, Gesten, Handlungen usw. verändert haben. Selbstverständlich wäre es falsch, wenn man als Autor diese Probleme aufgreifend, sich dazu entschlösse, die vorliegende Aufklärungsliteratur mit der vorliegenden systemkonformen Unterhaltungsliteratur zu kreuzen, in der Hoffnung, die Qualität der einen und den Erfolg der anderen gleichzeitig einheimsen zu können. Das Ergebnis wäre ein literarisches Monstrum. Gemeint ist vielmehr die Verbindung — eine langfristige Arbeit — zweier literarischer Tendenzen, für deren Realisation zugleich eine neue Form der Präsentation entwickelt werden muß. Das Problem der Form kann nicht abstrakt diskutiert werden, aber es gilt sicherlich, daß die sozialistische Literatur formale Momente der progressiven bürgerlichen Literatur tradieren wird, ohne deshalb deren zweiter Aufguß zu werden. Sozialismus ist jedoch — überflüssig das zu betonen, würde es nicht immer wieder vergessen — nicht nur die verbesserte Fortsetzung progressiver Tendenzen der bürgerlichen Gesellschaft, sondern ein qualitativ Neues, das sich auch literarisch nicht nur in neuen Inhalten, sondern davon untrennbar, auch in neuen Formen der Präsentation artikulieren muß. Sie hier abstrakt zu diskutieren, wäre nutzlos, solche neuen Formen der Präsentation müßten von der literarischen Praxis jeweils konkret bestimmt werden, eine Praxis, die nicht am Schreibtischrand halt machen darf. Wer heute noch unter dem Holunderbusch sitzend die erhabenen Gipfel der Alpen besingt, ohne die Skilifte zu sehen, der soll ungestört allein weiter singen; auch wer sagt: „Einen Satz sagen. Einen Satz erzählen. Es gibt Sätze, die sich nicht mit einem Satz sagen lassen", ohne zu fragen, wer über was für wen einen Satz sagt, soll das allein sagen, den wollen wir bei seinen Sätzen 424

nicht stören; wer aber mit dem, was er schreibt, beitragen will zu einer Veränderung, die nicht literarisch, sondern gesellschaftlich sein soll und damit wiederum auch literarisch, wird wissen, daß solche Veränderungen sich nicht allein mit der Schreibmaschine erreichen lassen. Die Autoren, die heute noch zumeist in Heimarbeit an ihren Texten für Verlage und Rundfunkanstalten bosseln, müssen zunächst einmal ihre isolierte Produktionsweise überwinden, denn diese reproduziert die bürgerlichen Literaturdefekte. So ist, wenn man sich mit politischen Autoren unterhält, eine gängige Erklärung für das, woran sie gerade arbeiten: „Ich versuch das mal, vielleicht komm ich damit weiter." Literatur als Experimentierfeld für mögliche individuelle Erkenntnisse ist zwar legitim, läuft aber immer Gefahr, seitab von den wirklichen Problemen zu verkümmern. Denn dabei wird nicht für die konkreten Bedürfnisse geschrieben, sondern der Autor verläßt sich darauf, daß seine momentanen Probleme auch die derjenigen sind, für die er schreibt. Das entspricht einander, solange der Autor als privilegierter Intellektueller für den gleichermaßen privilegierten Kreis der Bildungsbürger schreibt. Seine Idiosynkrasie ist zumeist auch die anderer Bildungsbürger, in der Literatisierung dieser Idiosynkrasie (das „Bannen des Überwältigenden im erträglichen Wort", solche Sentenzen geistern noch heute durch die Literaturwissenschaft), konnten sie sich wiedererkennen und diese genießen, „denn das Leiden, menschlich gefaßt, ist ein Selbstgenuß des Menschen". (Marx) Hier liegt die Ursache für die Esoterik solcher Literatur, die in dem Moment schwinden würde, wenn der Autor tatsächlich für die Bedürfnisse der Massen schriebe und versuchen würde, deren Leiden — aber auch Möglichkeiten ihrer Überwindung — zu artikulieren. Allerdings ist das nicht mehr in der literarischen Einsiedelei möglich, sondern erfordert verstärkt eine Arbeit im O ' Kollektiv, und zwar sowohl bei der Herstellung als auch bei der Veröffentlichung (z. B. gemeinsame Lesungen) von Texten. Das schließt selbstverständlich auch die Bemühungen ein um eine gewerkschaftliche Organisation, um sich den Monopoltendenzen in den Massenmedien entgegenzustellen. Solche Kollektive müßten, damit sie nicht zu „gekrönten Blumen425

ordcn" werden, offen sein auch für Nicht-Schriftsteller und mit einer politischen Organisation zusammenarbeiten. Die Gruppenarbeit schlösse die Diskussion der jeweiligen Texte ein, zu deren neuem Selbstverständnis damit die Korrektur von außen gehörte, (wodurch sie sich schon in ihrer Produktionsweise von den bürgerlichen Texten unterscheiden würden). Erfahrungen mit den Publikationsorganen sollten ausgetauscht werden. (Noch vor fünf Jahren konnte man als literarisches Greenhorn andere Greenhorns nach Veröffentlichungen fragen, ohne daß sie eine ihrer Beziehungen preisgegeben hätten, vor A n g s t einen weiteren Konkurrenten auf dem Marsch zum Parnaß an den Fersen zu haben.) Wichtig wäre schließlich die Koordination der politisch-literarischen Arbeit. (So hat die Gruppe „ H a m b u r g linksliterarisch", die später aufgrund persönlicher Querelen zerfiel, 1968 auf dem Hamburger Literaturmarkt „ H a m b u r g literarisch" eine gemeinsame Lesung veranstaltet und trat zugleich bei den Lesungen reaktionärer Autoren gemeinsam auf, mit Flugblättern und Diskussionsbeiträgen. D a s Material wurde zuvor recherchiert, diskutiert und als Flugblatt oder Erklärung gemeinsam formuliert.) Man sollte aber auch versuchen, über diese organisatorischen Aspekte einer literarischen Gruppenarbeit hinaus eine neue Produktionsweise zu gewinnen. Nach meinen Erfahrungen O ist es durchaus möglich, O , ' Texte kollektiv zu schreiben. Dramatische Arbeiten, Reportagen, Features, auch Prosastücke könnten so beschleunigt und, was entscheidend ist, oftmals qualitativ besser hergestellt werden. Was dem als hinderlich entgegensteht, ist einerseits das auch politischen Autoren noch inhärente Selbstverständnis v o m individuellen Schöpfungsakt und andererseits — Resultat der jahrelang gepflegten isolierten Produktionsweise — persönliche Eigenarten, besser Sonderlichkeiten, die zu Reibungen führen. Der eine Autor kann nur bei Beatmusik schreiben, der andere nur mit Bach-Kantaten im Hintergrund. D a s aber kann nicht durch o Forderungen abgebaut werden, sondern nur durch Praxis und die beginnt sehr bescheiden mit einem jour-fix, auf dem zunächst die eigenen Texte vorgelegt und zur Diskussion gestellt werden. 426

Erforderlich wäre vor allem auch ein Forum, in dem überregional ein Austausch von1 Informationen möglich ist, in dem Publikationsmöglichkeiten veröffentlicht werden (z. B. in welchem Sender progressive Literaturprogramme laufen), in dem die spezifischen Probleme des Schreibens diskutiert werden können (was die Forderung nach einer sozialistischen Ästhetik nicht nur verbalisieren, sondern tendenziell realisieren würde), in dem der jeweils aktuelle Stand der literarischen Produktion vorgestellt wird. Das ist keine rhetorische Schlußformel. Nutzen wir dieses Forum, den Kürbiskern. (1972) 1, S. 79-90

Günter Herburger

Über die Zukunft des Romans

Man sagt und hört es, der Roman sei tot, abgewirtschaftet, ein untaugliches literarisches Instrument geworden. Das stimmt insofern, als Skepsis immer recht behält, wenn sie sich auf ein sicheres Minimum zurückzieht und Wagnisse aufgibt. An die Stelle des Romans sind jedoch keine umfassenderen Disziplinen getreten, die nicht nur, wie es bei Film und Fernsehen möglich ist, breitere und perfektere Oberflächen böten, sondern auch mehr Reflexion. Die Zeit und ihr Verzehr spielt eine entscheidende Rolle. Im Film und im Hörspiel ist sie an den Darbietungsverlauf gebunden, desgleichen im Theater, und kann von dem Konsumenten gewöhnlich nicht unterbrochen werden. Beim Roman ist sie infinitesimal, gleichzeitig bleibt sie interruptiv. Das bietet eine einmalig günstige Gelegenheit. Kein Zwang nötigt den Wahrnehmungsprozeß, der Leser bestimmt Tempo und Auswahl. Diesen Vorteil wollen wir ausnützen. Abstrakt gesehen hieße das: Schönheit der Armut ist die Reflexion darüber. Das bedeutet, daß Selbstbewußtsein und Überlegenheit, also Hochmut und Phantasie immerfort, aufgeblasen zu einem Ballon, die Zukunft, geschildert, bebildert, vertont, erst möglich machen. Was ist, kennen wir alle, was sein wird oder sollte, fordert uns heraus, strengt uns an, berauscht uns, gibt uns Übermut und Koketterie, Wut und Eleganz, Kraft und Trauer. Ich will sagen, warum sollen wir unser Verlangen, unsere Sehnsucht, unsere Lebensgier, unsere brennende Sentimentalität nicht hinausschreien, da wir wissen, daß wir nur einmal leben werden, 429

immer zu kurz kommen, der Kindheit nachweinen, weil die Gegenwart uns zu Kompromissen zwingt und allnächtlich unsere Träume mit Schrecken, Vernichtung und Trotz vollstopft? Die Flugversuche, die wir manchmal wagen, enden im besten Fall kurz vor dem Aufprall. Wem es trotzdem zu fliegen gelingt, der erwacht auf jeden Fall im Bett und nicht in den Wolken.

Spreeben als Selbstentblößung Diese Sperren wenigstens in der Vorstellung zu überwinden, dazu präsentiert sich der Roman als wunderbares Vehikel. Er ist im Grunde ein ständiges Sprechen mit uns selbst, unseren Nächsten, dem Dorf, dem Stadtviertel, der Gemeinde und Gesellschaft, leise stockend oder laut, rechthaberisch verzweifelt oder triumphierend, befehlend oder abwartend, aufzählend oder belehrend, jedenfalls immer von unseren Erfahrungen, Gefühlen und unserem Denken geprägt, das uns weiterzerrt und wieder verwirft. Dieser Überfluß steht jedem zur Verfügung, jeder produziert ihn im Laufe seines Lebens in unzähligen Aspekten und Varianten. Ein Schriftsteller macht nichts anderes, als diese Fülle zu ordnen, notwendigerweise singulär individuell, um Übersicht ¿u wahren. So viel Leidenschaft und Penetranz fordert natürlich Widerspruch heraus, der seinerseits neue und wahrscheinlich noch größere Komplexität zu fabrizieren hofft, im Gegensatz zu den Naturwissenschaften, die auf möglichst kurzem Weg logischen Schlüssen zustreben. Das macht ihre Existenzkraft aus, ihre Verwendbarkeit, während die Literatur unnütz bleibt, federleicht ohne Beweisstrenge, hoffnungslos schön als Überbau der armen Existenz. Sprechend stellen wir uns vor und entblößen uns, Singularetanta wie Durst, Hunger, Überfluß, Ruhe, Schutz sind grammatikalische Stempel objektiver Abhängigkeitsverhältnisse und psychologischer Bedürfnisse. Wer sich ihnen stellt, gewinnt an Selbstverständnis, faselt nicht, sondern bekennt stellvertretend für viele, will ich hoffen, fabuliert nicht, sondern beschwört ehrgeizig, will ich gestehen, konstatiert nicht, 430

sondern spießt auf mit zuversichtlicher Absicht, will ich glauben und ungeduldig fordern. Ich spreche also von der Moral, der Sehnsucht nach Glück und Harmonie in einer Welt voll Arroganz, Wüsten und Hunger. Ich wäre kein bürgerlicher Europäer, wenn ich kein militaner Proletarier sein möchte, der ästhetische Kategorien überspringt, indem er sich rücksichtslos als Instrument von Solidarität und Gerechtigkeit bestimmt, schuldig ein Täter in der Gegenwart, glorifiziert in vergangener Zukunft. Zu so viel Pathetik habe ich keine Kraft mehr. Ich habe mich zur Repression entschlossen, für den Schreibtisch, an dem alles möglich ist ohne Konsequenz. Die Geschwindigkeit der Entschlüsse nimmt leichtfertig zu, Biographie, Wissen, Erfahrung und Wünsche werden rücksichtslos ausgebeutet, manchmal noch von Ironie und Boshaftigkcit durchsetzt, die den zähen Teig erst zum Gären bringen, aber dann das Resultat, ein Buch nach spröder und wollüstiger Anstrengung zugleich, wirkt meistens enttäuschend als Fertigprodukt in seiner stets zu kurzen Länge. Nur der Prozeß des Schreibens, Zusammenstellens und Ordnens war erregend. Ich muß den Leser also daran teilnehmen lassen. Es gibt Historienschreiber, die noch Wißbegier nach Information stillten, was heute andere Medien in großer Vielfalt übernommen haben. Symbolisten, Surrealisten deuteten fabelhaft über sich hinaus und schlössen kurz, was unserer Erfahrung nach nicht zusammengehörte, eroberten durch Schocks neue Dimensionen. Aber gerade unsere Erfahrungen waren es, die nach Kriegen, Massenmorden und Folter uns grausam lehrten, daß das Unmögliche zur selbstverständlichen Praxis wird, sogar zu einem Verwaltungsschema hierarchiert werden kann. Die Realisten, Kahlschläger und Konkreten trübten sie skeptisch ein. Ihre Techniken sind notwendig, jedoch nicht flexibel und umfassend genug. Ausgehend vom Realen, der Basis, die wir alle kennen und in jedem spezifischen Fall erleben, lauerte ein neues Verfahren quasi nur Millimeter entfernt neben dem Bekannten: die Vereinigung des Transitiven mit dem Intransitiven, des Konsumenten mit dem Produzenten. Ich meine eine so simple Technik wie das Präsens. 431

Es behauptet nicht als allwissendes Gottesokkular, sondern läßt vor unseren Augen entstehen. Es erfindet im Moment, zeigt das Zusammensetzen der Bestandteile ohne rückwärtige grammatikalische Sicherung. Es ist wahrhaft demokratisch, weil es massenhaft auftritt und nicht endgültig bestimmend. E s sitzt ohne Sicherung im Satz, ist unschön, hat Kipplage und Spielraum und kann sich nicht auf die Arroganz der Vergangenheit verlassen, die auf ihrem Arsch hockt wie einzementiert. Es assimiliert bedenkenlos, wird in jedem Dialekt am liebsten verwendet, weil es schwach ist, da gegenwärtig und noch nicht historisch ehern, und es lügt nach allen Seiten, um Kampfgefährten anzulocken, denn für die Zukunft braucht es als Feigling Unterstützung. Im Präsens sind alle Lagen möglich. Der Schreiber, nicht listig in Deckung des Vergangenen, sondern bloß und verwundbar, muß sich mit dem Leser verbünden, um überhaupt noch erzählen und entdecken zu können. Diese Beschränkung ist ein Vorteil. Die vieldeutige Gegenwart erstreckt sich über den Horizont hinaus, wo nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft beginnt. Jetzt etwas sagen, heißt von morgen reden, keine Verklärung vielmehr eine Veränderung anzustreben, neue Entwürfe über mögliche Katastrophen hinaus vorzustellen. Ich weiß, dieser Optimismus klingt idealistisch, für Intellektuelle geradezu kindisch. Deren Pessimismus erzeugt jedoch nur ein neues Tabu, um die eigene Person zu sichern. Einen wirklichen Schreiber, also einen Fanatiker, der seine Zurückgezogenheit am Schreibtisch aus Mangel an gesellschaftlicher Wirksamkeit überwinden möchte, darf diese moralische Schüchternheit nicht interessieren. Wo aber ist das kleine Präsens geblieben, der technische Kniff mit den gegenwärtigen Wörtchen? Will ich den Roman tatsächlich daran aufhängen wie einen dicken romantischen Vergleich an einer dünnen Präposition ohne historische Vergangenheit?

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Die Gegenwart einsammeln Der Realismus hilft mir. Ohne ihn kriege ich nichts zustande. Alles, was ist, sich verbündet, umschmeichelt, trennt oder befehdet, geht mich an, reizt meine Produktivität, meine Sehnsucht nach Ordnungsmöglichkeiten, um vielleicht doch eine Art Wille, Prinzip, theologische Schönheit und Zuversicht zu entdecken. Die sinnliche Wahrnehmung, tausendfach gesteigert, gefächert und wieder in Zweifel gebracht, zielt auf •irgendein Resultat, das in Befreiung mündet. Die Gegenwart einsammelnd, meine ich die Zukunft, die Utopie, die phantastische Absicht, ein wenig Ewigkeit einzuatmen, während ich weiß, daß ich sterben muß, tot sein werde, ein Leichnam mit Gestank und Zerfall, doch die anderen leben weiter, sind noch nicht einmal geboren, entfalten sich spielerisch in unserer verzweifelten Vorstellung. Ich wehre mich dagegen mit aller Kraft, türme auf, ramme ein, stoße vor, schlage um mich, weine laut, umarme, so oft ich kann, sage, daß ich traurig bin, einsam, kraftlos, nehme jede Hilfe an wie ein Hund einen Napf voll stinkendem Fressen. Ich habe keinen Stolz. Wenn ich so weit bin, meine ich, hätte ich gewonnen. Denn ich werde ohne die anderen nicht mehr auskommen. Ich lasse nicht mehr los. Ich sage jetzt, was ich will, was ich tun werde. Wird es recht sein? Wird es mir, den anderen, vielen, allen, der Menschheit, dem Weltraum helfen, der sich ausdehnt, wie behauptet wird, als permanente Explosion? Was soll ich da noch mit der Zukunft des Romans anfangen? Ich beginne so bescheiden wie möglich, nämlich im Präsens. Es erlaubt mir die Konzeption der Idealform, den Roman einer Sekunde, in dem dann alles enthalten wäre, was vorstellbar und fühlbar ist. Die Linearität des Schreibens zwingt mich, die geforderte Komplexität vorsichtig zu packen. Die Vertikale muß mit der Horizontalen komponiert werden. Alcxandrinischer Eifer sammelt so lange, bis Synopsis entsteht. Gezieltes teilt Vermischtes; der Zwang sprengt sich selbst in die Luft. Genauer gesagt, die Spekulation teilt sich singulär und kollektiv mit; Biologie, Chemie und Physik werden individuell dargestellt; Objektives und Subjektives schwingt 433

sich zur Abstraktion auf wegen der größeren Übersicht; Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft bleiben auf einer Ebene aktiv; Aktives und Passives enden stets resultativ. Dies wäre der Roman meiner Träume, spannend, unterhaltsam und in seiner Fülle bedenkenlos lang, der, wer könnte jetzt noch widersprechen, den gegenwärtigen Roman auf jeden Fall zukünftig machen würde für jeden, der zweifelt. Und überall beginnen sie schon zu schreiben. (1973) 4, S. 734-737

Warum Theater?

Die folgenden Stellungnahmen und Gespräche sind Antworten auf Fragen, die wir in einem Brief vom Dezember 1972 an Dramatiker, Dramaturgen und Regisseure schickten, die unter kapitalistischen Bedingungen leben und arbeiten: Wir planen für den Kürbiskern 2/1973 (erscheint Anfang März) ein Heft zum Thema Theater. Redaktion tenden^en will vor allem den Bereich Bühnenbild behandeln. Anlaß ist die Situation nach Brecht (zu dessen 75. Geburtstag), unsere Absicht eine kritische Bilanz der Entwicklung der letzten Jahre. In den fünfziger und beginnenden sechziger Jahren war eines der Stichworte der Kritik: Es gibt keine Gegenwartsstücke. Man wartete aufBeckett, Tennessee Williams, Jean Giraudoux, Anouilh, Camus usw. Um Brecht-Aufführungen mußte gekämpft werden, gegen Boykott, Verfälscher, Abendlandsritter. Mitte der sechziger Jahre formulierte Peter Weiss in seinen

10 Arbeitspunkten eines Autors in der geteilten Welt-. „Während

im Ästhetischen keinerlei Grenzen gezogen sind und jede Neuentdeckung auf diesem Gebiet ihre geschäftstüchtigen Zwischenhändler und Konsumenten findet, werden Verstöße im Sozialen genauesten Kontrollen unterzogen. Für den Autor ist das Erkennen der sozialen Grenzen mit größten Schwierigkeiten verbunden, da er die Freiheit, die ihm zugesprochen wird, oft für eine absolute Freiheit hält" 1 . 1968 faßten Barbara Sichtermann und Jens Johler ein Programm zusammen, das den „autoritären Geist des deutschen 29

Rcinhold, K ü r b i s k e r n

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Theaters" überwinden sollte: ,'Es kann nicht darum gehen, einen Schritt zurück zu tun, die Subventionen abzuschaffen und das Theater wieder in die freie Marktwirtschaft zu integrieren, sondern im Gegenteil darum, daß das Theater seine privilegierte Stellung endlich nutzt und seine Struktur umwandelt". 2 Ein Jahr später — 1969 — kam von derselben Autorengruppe der Aufruf Zerschlagt das bürgerliche Theater-. „In dem hohen Kostenaufwand für den raffinierten technischen und bürokratischen Apparat der Thcaterbetriebc manifestiert sich der technologische Entwicklungsstand unserer Gesellschaft und damit die ökonomische Überlegenheit der besitzenden Klassen — so wie ehemals die prunkvolle Ausstattung eines Hoftheaters den Reichtum des Fürsten zur Schau stellte . . . Abgeschafft wird der Überbau innerhalb des Theaters und damit die Arbeitsteilung. Der Produktionsprozeß wird für jeden überschaubar." 3 In dieselbe Zeit gehört die Losung vom Tod der Literatur. Der Kürbiskern hat die Auffassung vom Tod der Literatur und des Theaters nie geteilt, ja bekämpft, nicht zuletzt durch ständigen Abdruck von Literatur. Wir praktizierten dies nicht, um etwa die Tatsache der ideologischen und ästhetischen Krise des bürgerlichen Theaters zu leugnen, sondern weil zumeist durch falsche Fragestellungen die Alternative verdeckt wurde. Tatsache bleibt, daß gerade in den letzten Jahren mehr als zuvor Stücke westdeutscher Autoren geschrieben wurden — und darunter eine Vielzahl von Stücken mit kritischer Absicht. Gerade an dieser Entwicklung läßt sich die Frage überprüfen: sehen sich Stückeschreiber einem Theater der gesellschaftlichen Veränderung oder Anpassung verpflichtet? Wie spiegeln sich ihre politischen Forderungen in den Stücken? Wie verstehen sie Veränderung? Über ein Theater, das verändere, hat Giorgio Strehler in seiner Hamburger Rede gesprochen, jedoch nicht ohne die rasch von Joachim Kaiser aufgeriffene Tendenz auszuschließen, dies würde lediglich ein Theater für die Elite bleiben. Ein Rückschritt? Wir gehen davon aus, daß Überlegungen und Erfahrungen der letzten Jahre das Bewußtsein über Möglichkeiten und 438

Grenzen des Theaters geschärft haben. In diesem Sinn bitten wir Sic um Angaben und Ihre Meinung über folgende Probleme: 1. Welche Zusammenhänge bestehen zwischen einem Theater, das verändert, und der Wahl des Themas, des Stoffes, der handelnden Personen? 2. In einer Reihe von Stücken werden Arbeiter, Angestellte usw. dargestellt. Wenn Ihnen das Thema Arbeiter im Theater, Arbeiter in der Dramatik wichtig ist, welchen Kriterien der Gestaltung von Arbeitern messen Sie zentrale Bedeutung bei? 3. In vielen Stücken nehmen Gewalt und Sexualität eine beherrschende Rolle ein. Welche Funktion erfüllen diese Themen? 4. Man benutzt immer wieder den Begriff „Zielgruppen". Halten Sie es für notwendig, für möglich, für eine definierte Zielgruppe zu schreiben? 5. Die BRD verfügt nach wie vor über ein Subventionstheater. Welche Möglichkeiten bietet es für Sic, für das progressive Theaterschaffen? 6. Welche Rolle spielt für den Theaterbesuch und den Autor die herrschende Kritik in der überregionalen Presse und im Fernsehen? Mit freundlichen Grüßen Redaktion Kürbiskern gez. Friedrich Hitzer

Alle Zellen des Widerstandes miteinander verbinden 1. In einem Theater, dessen Aufgabe es ist, zu verändern — in diesem Fall geht es wohl vor allem um die Frage der Veränderung innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft — hat natürlich a l l e s unterm Zeichen dieser Veränderung zu stehn. Nicht nur die Strukturen der hierarchischen Klassengesellschaft, die sich in den bürgerlichen Stadttheatern offenbaren, sind zu durchbrechen, nicht nur die üblichen Trennungen sind zu überwinden zwischen den „Planern" oben in den Intendanturräumen, den Regisseuren, Dramaturgen, Schauspielern und Technikern (zu denen ich alle rechne, die 29*

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in den Ateliers und mit der Bühnenversorgung arbeiten), sondern grundsätzlich spielt hier die Stückwahl, die Darstellungsart und die Aktivität eine Rolle, mit der Zugang zu einem neuen Publikum gesucht wird. Frage eins enthält also anund für sich schon ein großes Thema, das eine ganze Abhandlung benötigte. Bei Frage fünf werde ich noch einmal darauf zurückkommen. Soviel nur hier an diesem Punkt: Meine persönlichen Erfahrungen mit dem Theater, das verändern will, sind mannigfaltig. Hier muß auch unterschieden werden zwischen Theatern in der Bundesrepublik und Theatern z. B. in Skandinavien. Das Theater für die Elite, so wie es sich in manchen kapitalistischen Ländern darstellt, ist in Schweden schon weitgehend untergraben worden. An den dortigen Stadttheatern besteht keineswegs mehr eine Abtrennung der arbeitenden Bevölkerung, vielmehr gehen hier große Teile der Werktätigen in Theateraufführungen, Ausstellungen und andre kulturelle Veranstaltungen. Staatliche Subventionen, die billige Eintrittspreise ermöglichen, Abonnementvorstellungen sowie traditionelle Bildungsarbeit haben seit langem das Interesse für künstlerische Produktivität stimuliert. In Schweden bestehen außerdem neben den größeren, etablierten Theatern mehrere äußerst effektive kleine Theatergruppen, die ambulierend spielen und in gemeinsamer Arbeit Stückc gesellschaftskritischer Art geschrieben haben z. B. über den Streik in den Erzgruben Nordschwedens, über die Volvo-Automobilwerke, oder über das Attentat gegen die kommunistische Zeitung Norrskensflamman während des zweiten Weltkriegs: ein Ereignis, in dem damals die faschistischen Tendenzen in Schweden zutage traten. Allgemein aber läßt sich, neben der Erwähnung der wichtigen Veränderung der inneren Theaterstrukturen, über Thema, Stoff und Personenwahl an bürgerlichen Theatern sagen, daß hier programmatische Zielsetzungen allein die Lage nicht ändern können, sondern daß wir uns nach wie vor mit einer Universalität von Ideen, Visionen und praktischen Lösungsvorschlägen auseinanderzusetzen haben. Ich meine damit, daß die Dramatiker von den griechischen Tragödien an, bis zu den Elisabethanern, zu den Naturalisten und Symbolikern des 19. Jahrhunderts, zu den Expressionisten und den klar Parteilichen unserer Zeit alle ihren 440

Teil zur Veränderung unsres Bewußtseins geben können. Ausschlaggebend ist hierbei immer die Art und Weise, in der die Aufführung erarbeitet wird, sowohl von der Schulung des Ensembles, als auch von der wissenschaftlichen Vorbereitung. Was an den bürgerlichen Theatern (im Gegensatz zu Theatern in sozialistischen Ländern) weitgehend fehlt, ist eben diese sorgfältige Vorarbeit, in der das Stück auf seinen gesellschaftlichen Gehalt, seine tatsächliche Aussagekraft, seine durch die Personen ausgedrückten Kräfteverhältnisse untersucht wird. Der kommerzielle Druck, der über den meisten Theaterproduktionen in kapitalistischen Ländern liegt, verhindert oft die Analyse des Stücks, an der selbstverständlich alle Mitwirkenden teilzunehmen haben. Die besten Kräfte von Regisseuren, Schauspielern, Bühnenbildnern, Technikern verbrauchen sich allzu oft in den Mühen, die Zeit der Ruhe und Besonnenheit aufzubringen — die dann doch von der ihrerseits hart bedrängten Theaterleitung zunichte gemacht wird. Das Thema eines heutigen Stücks, das eine verändernde Wirkung haben kann, ist also überall zu finden. Wir müssen davon ausgehn, daß wir uns heute überall an Menschen eines aufgeklärten Zeitalters wenden. Die Ansicht daß man Menschen, die tagsüber in Industrie-, Werkstatts- oder Verkaufstätigkeit eingespannt sind, Themen aus ihrem bekannten Milieu anbieten müsse, legt der kulturellen Tätigkeit eine zwangsmäßige Begrenztheit auf. Aus eigener Erfahrung und von Berichten zahlreicher Genossen weiß ich, daß jedes Kunstwerk, das wahre Konflikte, dramatische Situationen, Wünsche, Zielsetzungen usw. aufdeckt, den Zuschauer anrührt und bewegt. Ich sage ausdrücklich: Kunstwerk, denn ich glaube, daß wir unsre Anstrengungen bei der Theaterarbeit auch in Anbetracht der Form, der Ausführung, so hoch wie nur irgend möglich zu spannen haben. Eine Aussage, die sich an eine große Anzahl von Teilnehmern wendet, muß an sich den Anspruch stellen, als Ganzes absolut haltbar, echt und überzeugend zu sein. Nichts kann für den arbeitenden Menschen, der die Kultur in seinen eigenen Besitz bringen will, gut genug sein. 2. Eine der besten Vorstellungen, die ich während der letzten Jahre in diesem Zusammenhang sah, war die Optimistische 441

Tragödie am Halleschen Ufer. Hier war es gelungen, die Haltungen von Arbeitern, von Soldaten, von Revolutionären auf vorbildliche Weise zu konkretisieren. In dieser Schilderung o einer zugespitzten Situation, einer Krise, wurde sowohl durch die mächtige Bühnenlösung als auch durch die genaue Hervorhebung der Beziehungen zwischen den Personen, durch deren Gestik, deren Gruppierung, eine Spannung hergestellt, die so stark war, daß unaufhörlich der Eindruck vermittelt wurde, einem großen historischen Ereignis beizuwohnen. Ich wüßte im Augenblick keine andre Aufführung zu nennen, in der in solchem Maß die innere Kraft vorhanden war, die sich „Kunstwerk" nennen läßt. Aber nochmals: ein Theater, das sich an die lohnabhängigen Menschen wendet, das vor allem für die arbeitende Bevölkerung da sein will und seine Strukturen nach diesem Gesichtspunkt zu ändern versucht, braucht dazu keineswegs Stücke, die sich besonders mit den Verhältnissen auf Arbeitsplätzen befassen. Ebensowenig wie der Schriftsteller nur Schriftsteller, der Philosoph nur Philosophen auf der Bühne sehen will, verlangt der Arbeiter und Angestellte danach, sein Konterfei vorgeführt zu bekommen. Vielmehr empfinden wir dabei manchmal sogar etwas von Peinlichkeit, allzuleicht wird das Dargestellte illustrativ oder klischeeartig, erhält auch manchmal etwas Exotisches, als wären wir etwas Besonderes und würden da in unserem Vorhaben zur Betrachtung ausgestellt. Wichtiger als solch ein Milieu, das konventionell als „ Arbeitermilicu" behandelt wird, ist die Schilderung eines u m w ä l z e n d e n V o r g a n g s , wie z.B. in Frau Carrars Gewehre oder im Galilei geschildert wird. In unsrer heutigen Bestrebung zur Herstellung einer breiten antiimperialistischen Front ist es um so notwendiger, die Grenzen zwischen Berufsgruppierungen zu überwinden und die Zusammenarbeit zu zeigen, die zwischen Menschen der verschiedensten Herkunft besteht. Die Bekämpfung der Klassengesellschaft, der Ausbeutung, des Kolonialismus und die Stärkung unsrer Solidarität: dies ist ein Thema; und bei der Gestaltung dieses Themas kommt es vor allem darauf an, aufzuzeigen, wie sich die verschiedenen Menschen dabei verhalten, welchen gegenseitigen Mißverständnissen sie dabei ausgesetzt sind, auf welche Weise sie lernen, einander zu 442

verstehen, und zu welchen Handlungen sie gelangen. Ich sage, es ist e i n Thema, denn es braucht nicht unbedingt so weit ausgeholt werden: ein Stück von Tschechow, Ibsen oder Strindberg vermag, bei richtiger Inszenierung, ebenso die Perspektiven aufzuzeigen, die zur veränderten Welt führen. 3. Mit der in heutigen Stücken oft dominierenden Gewalt und Sexualität kann ich wenig anfangen. In besonderen Fällen, z. B . in einigen Stücken von Arrabal oder in ein paar Aufführungen des Living Theatre, können solche Entladungen einem Befreiungsversuch dienen, da ist manchmal eine Raserei notwendiger Bestandteil des Themas. Allzu oft aber verdecken diese Arbeiten, in denen das Emotionale überwiegt, die Arbeit des Bewußtseins, man begnügt sich mit den gewonnenen E f f e k ten, die manchmal mitreißend sind, die letzten Endes aber doch alles beim alten lassen. Die Ausbrüche von Gewalt und Sexualität, wie sie notwendigerweise in ein Gescllschaftsbild gehören, in dem Unterdrückung, Zwang, Bedrohung, Brutalität dominant sind, können ihre absolute dramatische Funktion haben, doch muß dabei deutlich gemacht werden, wo die Wurzeln dieser Reaktionen liegen, und was sie bezweckcn sollen. Wird dies nicht geleistet, so werden Gewalt und Sexualität zum Selbstzweck, zur bloßen Unterhaltung. Gelingt es, das Grausame, Wilde und Besessene als eine Kraft darzustellen, die urwüchsig und verzweifelt ist und die, unter andern Bedingungen, zu positiven Zwecken gebraucht werden kann, dann ist solch ein dramatischer Vorgang unter Umständen als ein „Rcinigungsprozeß" zu bewerten. Persönlich ziehe ich jedoch die Brechtsche A b l e h n u n g einer Katharsis vor. Für uns, die wir im Zeitalter der faschistischen Menschenausrottung und der Terrortaten des USA-Imperialismus leben, ist es wichtig, bei der Theaterarbeit (wie bei unsrer gesamten künstlerischen Arbeit), s t ä n d i g d i e V e r n u n f t w a l t e n zu l a s s e n , uns nie dem blinden und fatalistischen Gedankenstrom hinzugeben, sondern bei jedem Handlungsverlauf, dem wir Form geben, an seine direkte Verwendbarkeit im politischen K a m p f zu denken. Das heißt: ohne daß wir dabei propagandistisch zu sein brauchen, müssen wir im A u g e behalten, daß unsre Arbeit zur Klärung und nicht zur weiteren Verdunklung der Verhältnisse beizutragen hat. Wie weit wir dabei auch

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Momente des Traums, des Irrationalen, der Utopie benutzen, ist Sache jedes einzelnen — ich will von all diesem nichts ablehnen — das wesentliche ist nur immer wieder die Gesamthaltung des Herstellers, und der Grad, in dem er seine Tätigkeit den Kräften zur Verfügung stellt, die sich mit der sozialen und politischen Veränderung der Welt befassen. 4. Da die Theaterarbeit eine universale Wissenschaft ist, haben bestimmte Zielgruppen den Charakter von Experimenten, wie sie zu jeder Forschung gehören. Wie das Agitproptheater nach der Oktoberrevolution, wie die Spielgruppen, die in Vietnam die Frontabschnitte besuchen und in den Unterständen kurze aktuelle Stücke zur Aufführung bringen, sind auch unsre Gruppentheater, die in Vorstädten, Fabriken, Schulen usw. spielen, von außerordentlichem Nutzen, nicht nur zur Anregung von Diskussionen, zum Aufruf zu Aktionen, sondern auch zur Vorbereitung einer Wiedererweckung des Theaters als volkstümliches Medium. Selbst habe ich mit Stücken wie Gesang vom Lusitanischen Popan^, Mockinpott und Nacht mit Gästen an zahlreichen Aufführungen teilgenommen, die außerhalb der gewöhnlichen Theater stattfanden, z. B. in Sportarenen, auf offenen Plätzen, in Bibliotheken, in kleinstädtischen Versammlungen oder in Gefängnissen. 5. Das Verhältnis zwischen einem sozialistischen Stückeschreiber und einem bürgerlichen Theater kann nur ein ambivalentes sein. Meine Theaterarbeit richtet sich jedoch nicht ausschließlich an die Institutionen der kapitalistischen Länder, vielmehr konnte ich mit fast allen Stücken auch Erfahrungen aus den sozialistischen Ländern einholen. Ich will mich hier jedoch, Ihrer Frage gemäß, auf die Zusammenarbeit mit bürgerlichen Subventionstheatern beschränken. Das Hauptanliegen aller progressiven Theaterarbeiter ist heute die Erneuerung des Produktionsapparats, seine Veränderung vom starr autoritären Muster zur demokratischen Einheit. Wie schwierig dies ist, darüber wissen alle anspruchsvollen Theaterkräfte zu berichten. Denn natürlich muß sich eine im allgemeinen konservative, zumindest furchtsame und schwer abhängige Stadtverwaltung einer Radikalität von der Bühne her widersetzen. Theater als Zellen des Aufrufs, der direkten Beeinflussung, Weckung und Aktivierung können in der bürgerlichen Gesellschaft nur als 444

gefährlich angesehen werden, es wäre unrealistisch, wollten wir meinen, daß eine Einrichtung, die so viele Steuergelder schluckt, ohne weiteres die Genehmigung erhalten sollte, die ganze alte Scheiße unverhohlen zu bekämpfen. Auf Schleichwegen muß in diesen Häusern gearbeitet werden, mit List und mit außerordentlicher Geduld. Völlig falsch finde ich den Einwand, daß sich ein sozialistischer Autor von bürgerlichen Theatern fernhalten müsse. Mich hat dieser Einwand sehr oft getroffen, vor allem von anarchistischen, doch auch von stark dogmatisch eingestellten Gruppierungen her, die die kulturellen Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft insgesamt verurteilen wollen. Besser finde ich es, wenn es gelingt, ein Stück mit politisch progressivem Thema auf einer solchen Bühne durchzusetzen, selbst wenn ich mir bewußt bin, daß dabei oft Kompromisse geschlossen werden. Vor allem fehlt z. Z. an den meisten dieser Theater noch das Ensemble, das, nach terminmäßigen Bedingungen und nach seiner Schulung, in der Lage wäre, die notwendige wissenschaftliche Vorarbeit zu leisten. Eine meiner Erfahrungen hier ist: daß die besten Möglichkeiten ungenutzt bleiben, daß Regisseur, Bühnenbildner und Schauspieler oft spüren wie sehr sie Opfer einer Industrie sind, und ihre Pläne und Auffassungen nicht richtig zu Ende führen können. In den besten Augenblicken entsteht etwas von der Gemeinsamkeit in einer zeitweise von den Arbeitenden besetzten Fabrik; unter dem Andrang der reaktionären äußeren Situation aber verflüchtigt sich immer wieder das Erreichte, und muß beim nächsten Beginn wieder von rudimentären Ansätzen her gesucht werden. Der Ruf nach einem neuen Publikum, der ständig zu hören ist, er entspricht natürlich der ausgesetzten Lage, in der sich die fortschrittlichen Theaterkräfte befinden, doch ist dieses Problem überhaupt noch vom Theater her zu lösen? Bedarf es nicht einer grundlegenden pädagogischen und sozialen Neuorientierung, ehe überhaupt die verrotteten Vorurteile überwunden sind, daß Äußerungen der Kunst vor allem den Gebildeten, den Bemittelten, den Intellektuellen, den Begünstigten zugehören? Bedarf es nicht zuerst der großen politischen Erneuerung, ehe tatsächliche Erneuerungen an den Theatern stattfinden können?

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Für mich ist das Theater nur eine begrenzte Bastion innerhalb der breiten politischen Front. Hier können Einzelaktionen zuweilen glücken, zumeist nur Anregungen liefern. Häufig vermissen wir im Theater die Menschen, an die wir uns beim Schreiben vor allem richten. Wir schreiben für die Menschen eines wissenschaftlichen Zeitalters, und doch sind wir uns dabei im klaren, daß die Gewalt, die Übervorteilung, die Ausplünderung von Arbeitskraft noch so groß ist, daß die meisten nicht die Energie aufbringen zur Konfrontation mit einem künstlerischen Werk. Zusammenfassend also zu diesem Punkt: das Theater, wie die Universität, die Schule, die Bibliothek, das Museum, muß als Institution ständig bedrängt werden, unaufhörlich haben wir daran zu arbeiten, neue Aspekte in der Ausformung und in der Darstellung von Stücken sowie in der Zusammenarbeit innerhalb des Ensembles durchzusetzen, und dabei nach Wegen zur Erweiterung des Publikums zu suchcn. Wirkungsvoll aber kann unsre Tätigkeit nur sein, wenn wir sie in einem Zusammenhang mit der politischen Arbeit sehen. Der große Wert der Zielgruppen liegt darin, daß sie unmittelbar aktuelle politische Fragen zur dramatisierten Aussage bringen können: Hier ist das Theater ein Forum der direkten Aufklärung, etwa in einem Lohnkonflikt, in den Fragen eines Streiks, in der Erörterung von Wohnverhältnissen, im Zusammenhang mit Straßenaktionen, in einem Appell zur Teilnahme an Protesten usw., während die größeren, etablierten Theater die augenblickliche Problematik in einen weiteren Gesichtskreis versetzen und Werte herausarbeiten, die eine bestimmte gegenwärtige Anforderung überdauern. Damit soll kein qualitativer Unterschied festgelegt werden, die Aufgaben beider Theaterformen, des ambulierenden, in heftiger Konfrontation mit äußeren Ereignissen stehenden Theaters, und des geschlossenen festen Raums, der von den Zuschauern a u f g e s u c h t wird, sind von gleichem Wert, gleicher Wichtigkeit. Sie ergänzen einander, wie in der Bildkunst etwa Graphik und Fresko. Und während diese verschiedenen Techniken innerhalb der Dramatik in einer Wechselwirkung zueinander stehn, steht die gesamte kulturelle Tätigkeit derer, die ihre Gesellschaft verändern wollen, in ständiger enger Beziehung 446

zur politischen Sachlage. Das Theater von sich aus kann die Gesellschaft nicht verändern. Doch kann es, richtig ausgenützt, die Tendenzen stärken, aus denen sich breite Bewegungen in der Bevölkerung ergeben. Es kann, durch Provokation, durch starke bildhafte Zusammenfassung, durch Hervorhebung von Einzelerscheinungen, zur Waffe werden in einer Gesamtheit, die durch Bewußtmachung, Aufklärung und Organisation den Kampf zum Sturz der Klassengesellschaft einleitet. 6. Der Kritik kommt hierbei die gleiche Aufgabe zu, wie sie von den progressiven Theaterarbeitern gewählt wird. Einige Kritiker unterstützen die Bemühungen um ein neues Theater, als Vorbote einer neuen Gesellschaft — viele andre, übersättigt, müde, arrogant, äußern sich im Leerlauf. Kritiker sollten viel mehr an praktischer Theaterarbeit teilnehmen, um die Bedingungen kennenzulernen, unter denen Aufführungen entstehn, sicher würden sie dann die zahlreichen Bemühungen um eine Veränderung des gesamten Kulturapparats auf positive Weise schildern, anstatt — wie heute vor allem üblich — ihrer eigenen Überlegenheit, ihrer besserwisserischen Eitelkeit den Vorrang zu geben. Was die Massenmedien der Presse, des Femsehens betrifft, so stellen natürlich diese riesigen kompakten Machtmittel der Reaktion das größte Hindernis her für die künstlerischpolitische Aufklärungsarbeit. Auch hier muß allerdings unterschieden werden zwischen einzelnen Ländern. Nochmals will ich die Verhältnisse in Schweden in einen Gegensatz zu denen in der Bundesrepublik stellen. Es sei nur genannt, mit welcher Offenheit und Konsequenz hier die Verbrechen des USA-Imperialismus in Indochina angeprangert wurden, zu einem Zeitpunkt, da Nachrichtenvermittlung und Regierung der Bundesrepublik offensichtlich die Politik der USA-Administration verteidigten. Zur Überwindung solcher Einrichtungen, deren Aufgabe es ist, die Bevölkerung von früh bis spät zu betäuben und zu belügen, ist eine Anstrengung notwendig, die nur zu Resultaten führen kann, wenn es glückt, alle Zellen des Widerstands miteinander zu verbinden. Peter Weiss

Stockholm, 30. Januar 1973 447

Erfahrungen, die ich mit Menschen gemacht habe 1. Ich glaube nicht, daß das Theater imstande ist, irgend etwas zu verändern. Dieser Gedanke ist ein Wunschgedanke in den Köpfen einiger Theatermacher, die ihr Illusionsberuf blind gemacht hat für die Realität unserer Zeit. Es ist deshalb nicht von Belang, welches Thema, welchen Stoff und welche handelnden Personen ich wähle. Entscheidend für diese Wahl sind einzig die Erfahrungen, die ich mit Menschen gemacht habe, denn ich werde immer nur das beschreiben können, was ich kenne. 2. Das Thema „Arbeiter im Theater" und „Arbeiter in der Dramatik" ist mir nicht wichtiger als z. B. die Themen „Mensch im Theater" oder „Zeitgenosse im Theater". Daß ich auch jetzt wieder an einem Stück über Arbeiter schreibe, kommt daher, daß ich selber den größten Teil meines Berufslebens in Fabriken, im Bergbau, als Hafenarbeiter u. ä. m. verbracht habe. Da kenne ich mich also aus. Das arrogante Gerede von vielen Kulturmachern über Bewußtseinsveränderung an Arbeitern, mit dem heutzutage eben diese Kulturmacher Tausende verdienen, halte ich für kriminell. Wer von ihnen hat jemals einen Abbauhammer in der Hand gehalten, einen Schraubstock bedient oder mit einem Schweißapparat hantiert? Ich kann doch nichts über einen Menschen sagen, wenn ich seine körperliche Beanspruchung, seine geistige und seelische Verfassung nicht kenne. 3. Nicht in den Stücken, sondern in der Wirklichkeit unserer Tage nehmen Gewalt und Sexualität eine beherrschende Stellung ein. Stücke haben da nur die Funktion eines Brennspiegels. Eine so gestellte Frage zeigt eigentlich nur die Unkenntnis des Fragestellers in bezug auf das, was einen Menschen veranlaßt, ein Theaterstück zu schreiben. 4. Ich halte es nicht für notwendig, für eine definierte Zielgruppe zu schreiben. Der Begriff „Zielgruppe" selbst ist inhuman. Womit zielt man denn herkömmlicherweise auf eine Gruppe? Doch nicht mit einem Theaterstück. Ich schreibe für einzelne Menschen. Das ist besser, als auf sie zu zielen. 5. Das System des Subventionstheaters im deutschsprachigen Gebiet ist eine Errungenschaft, um die uns mit Recht andere 448

Länder beneiden. Es bietet mir mehr Möglichkeiten, als ich sie irgendwoanders hätte. Es hat gewiß Mängel (Verwaltungslastigkeit, Versuchung zum Schauspielbeamten zu werden, Starkult usw.), ist aber, verglichen mit anderen Systemen (z. B. Londoner Westend mit seinem schwachsinnigen Niveau), immer noch das kleinere Übel. Was der Fragesteller unter „progressivem" Theaterschaffen versteht, ist mir ein Rätsel. Gutes Theater ist eo ipso progressives, also auf ein Fortschreiten von Vernunft bedachtes. Und wir sprechen doch von gutem Theater hier, oder? 6. Ich glaube, daß die Rolle der herrschenden Kritik in der überregionalen Presse und im Fernsehen von den Theatermachern weit überschätzt wird. Da mir die praktische und psychologische Seite dieses Berufes mittlerweile kein Rätsel mehr ist, neige ich zu der Annahme, daß Kritiker auch nur Menschen sind. Mit einigen von ihnen kann man sich sogar ganz gescheit über Fontane und Lessing unterhalten. Deshalb sollte dieser Beruf auch nicht vom Arbeitsminister verboten werden. Harald Mueller herlin, 25. Januar 73

. . . über Kanalarbeiter geht nicht nur Kanalarbeiter an 1. Keine unmittelbaren. Thematik, Stoff, Personal können nicht irgendwelchen Beschränkungen unterworfen werden. 2. Keinen anderen, als sie für andere Personen auch gelten. 3. Sie gehen auf ein biologisiertes Menschenbild, Symptom einer inhumanen Gesellschaft. Dabei dann noch der Sophismus: Brutalität, um sich von der Brutalität zu befreien . . . (Das ist Sozialdemokratismus in der Kunst). 4. Nein. Ein gelungenes Stück über, sagen wir, Kanalarbeiter geht nicht nur Kanalarbeiter an. 5. Im Grunde genommen die einzige, von meiner Arbeit evtl. auch zu leben. Allerdings sieht man sich, einmal als p o l i t i s c h e r Autor eingestuft (mit obligatorisch angedichtetem „Studium der Politologie und der Soziologie", ohne die es offenbar nicht geht), beträchtlichen Vorurteilen ausgesetzt. 449

6. Die bürgerliche Kritik ist das Vergrößerungsglas, das Monokel, das Einaug der bürgerlichen Meinungsfreiheit. Es muß schon mit dem Teufel zugehn, wenn eine Sache g e g e n diese Kritik E r f o l g haben soll. Westberlin, Januar 191b Gerhard Kclling

Bewußtsein schärfen 1. Theater kann kaum B e w u ß t s e i n v e r ä n d e r n , dazu sind andere Medien besser geeignet. Aber Theater kann mehr: Bewußtsein schärfen. Zu diesem Zweck sind fast jeder Stoff, jede Person geeignet, sofern man sie nur genau und mit dieser Absicht behandelt und präsentiert. Theater hat gegenüber dem Medium Film die Chance, den aktiven Anteil des Zuschauers am K u n s t p r o d u k t zu vergrößern, es kann ihm mehr Zeit zum Nachdenken lassen, es kann mehr Daten sinnlicher oder rationaler Natur gleichzeitig bieten, aus diesem Grund der Brechtschen Forderung nach Widersprüchlichkeit genügen, es kann den Zuschauer zum Urteilen bringen. Wäre es möglich, diese Tatsache dem Zuschauer wirklich begreiflich zu machen, so — denke ich mir — würde er sicher mehr Neigung verspüren, ein Theater zu betreten. Ein Mensch, der es, wo auch immer, gelernt hat, ein eigenes Urteil zu bilden, wird diese Fähigkeit nicht mehr verlieren, wird versuchen, sie in allen Bereichen seines Lebens anzuwenden. Je weniger Bevormundung, sei es durch falsche Faszination, durch Tempo, Tendenz oder falsche Spannung, desto besser — es ist wichtig, daß der Theaterbesucher durch das Gefühl, eine kritische Funktion zu haben, endlich wieder ein Selbstbewußtsein entwickelt. 2. Bei der Gestaltung von Arbeitern, Angestellten usw. würde ich zuerst versuchen, sie so zu sehen, wie sie selbst sich sehen, und d.h.: äußerst differenziert. Der zuschauende Arbeiter, Angestellte usw. muß seinen Theatervetter zunächst einmal für glaubhaft erklären können. Der zweite Schritt wäre dann, die positiven und negativen Möglichkeiten der Personen in den Handlungsverlauf einzubringen. Auch hier gilt: Je genauer, wahrhaftiger die Person in ihren Lebens450

umständen gezeigt wird, desto sicherer wird der Zuschauer herausfinden können, woran sie leidet und was ihr fehlt. Letzte Instanz w i e d e r u m : der Zuschauer! 3. 4. Ein Theater, das sich beispielsweise nur an den Lehrling richtet, nicht aber an seine Partner oder Gegenspieler in der Realität, stelle ich mir langweilig vor. Ideal wäre es, w e n n bei der Vorführung von Problemen des Lehrlings, sein Meister oder sein Personalchef neben ihm säße. Ideal wäre es auch, wenn es Stücke gäbe, an denen sich — wie seinerzeit an O'Caseys Stücken — neben dem Maurermeister auch der Kleriker, der Militarist, der Gutsbesitzer erhitzt. 5. 6. Die überregionale Kritik kann Neues in Stücken oder Inszenierungen entdecken, das die daran Arbeitenden aus Gründen der Betriebsblindheit nicht mehr entdecken können; kann Stärken (Schwächen) an einem Autor, einem Regisseur entdecken, die dieser aus Gründen der Betriebsblindheit nicht mehr entdecken k a n n ; kann Markttendenzen verstärken (abschwächen); kann den Größenwahn (die Isolation) von Theaterleuten verstärken; birgt die Gefahr der „Kuthatisierung" Gerlind Reinshagen

Ein Ort der Kommunikation 1. Ich schreibe mit meinen Stücken auf, was mich beunruhigt, und zwar auf realistische Weise. Ich möchte die Fragen, die mich beunruhigen und diese Unruhe selbst an das Publikum weitergeben. Soweit Unruhe verändern kann, hoffe ich auch das Publikum zu verändern. 2. Die Arbeiter sollen als Menschen gezeigt werden, d. h . realistisch. 3. Gewalt und Sex kommen in der Gesellschaft, in der w i r leben, vor, also ist es wichtig, daß das Theater sie reflektiert. 4. Eine Montage von Texten, Dokumenten, Musik, Interviews etwa läßt sich sicher für eine bestimmte Zielgruppe herstellen. Es würde mir aber mißlingen, ein realistisches Stück

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für eine Zielgruppe zu schreiben. Ich kann realistisch, d. h. kompliziert und aufrichtig nur etwas beschreiben, wovon ich selbst ein Teil bin. 5. Das Subventionstheater erlaubt es dem Autor, gelegentlich auch gegen das Publikum zu schreiben, progressiv oder auch formalistisch; es hindert aber auch manche Theaterleute daran, über ihr Publikum wirklich nachzudenken. 6. Theater ist für mich vor allem ein Ort der Kommunikation. Ich schreibe für das Publikum, nicht für die Kritik. Jeden Abend läßt sich das Theater auf einen Kampf mit dem Publikum ein, den es zu gewinnen hofft. Unterstützt die Kritik diesen Kampf — gut; unterstützt es ihn nicht — schlecht. Tankred Dorst

Die Lust am hebendigen Für Kürbiskern diskutierten Elvira Högemann-Ledwohn und Friedrich Hitzer mit Franz Xaver Kroetz und Helmut Walbert. Kroet%: Mein Wunsch, daß wir zu diesem Gespräch zusammenkommen und gemeinsam die Probleme überlegen, hat einen ganz einfachen Grund: Aus alten Artikeln ein paar Thesen oder programmatische Sätze herausschreiben und die dann aneinanderreihen — das wollte ich gerade in der jetzigen Situation nicht. Da gibt es manches — siehe den konkret-Artikel3 —, was nur teilweise stimmt; teils wurde gestrichen, ausgebessert, falsch weitergegeben; teils sind die Sachen von mir so geschrieben,1 daß sie nicht verständo lieh genug sind, so daß sie falsche Reaktionen hervorrufen. Das wichtigste war für mich: Die Arbeiterklasse hat ein notwendiges Interesse daran, daß bisher bürgerliche Möglichkeiten und Einrichtungen kulturellen Genusses und kultureller Betätigung in ihre Macht übergehen und nicht zerstört werden. Gesellschaftlich ist das klar. Wie aber ist es, wenn sich das solange hinauszögert, daß sich die Institutionen ganz permanent gegen die Interessen der Arbeiterklasse wenden. Soll man sie dann b e h ü t e n oder a n s c h i e ß e n . Abschaffen war nie meine Absicht. Aber anschießen; und zwar mit der Überlegung: das gehört eigentlich der 452

Arbeiterklasse, aber es kann noch zwanzig oder mehr Jahre dauern, bis der Sozialismus auch um die Bundesrepublik keinen Bogen mehr macht; und immer mit der Absicht, bis dahin die Dinge doch einigermaßen zu verändern. Kürbiskern: Um nicht zu schnell auf möglicherweise falschen Alternativen festzusitzen, haben wir die Frage nach dem Theater, das verändert, vorangestellt. Natürlich hat das Bezüge der Klassensituation. Man kann leicht sagen: Ein Theater, das verändert, ist prima. Aber kann das Theater das überhaupt, und wenn ja, wie? Und was die Institutionen betrifft: Da ist ja die Diskussion, etwa über die mangelnde Demokratie in den Strukturen des Theaters, auch noch nicht zu Ende geführt; auch das ist Gegenstand des Kampfes. KroetAuch auf die Gefahr hin, von ganz links wieder als Unterstützer eines bildungstodbringenden Systems bezichtigt zu werden: Das Stadttheater muß erhalten bleiben. Das Theater wird subventioniert, weil es so Tradition ist — und wir müssen, um unsere Stücke, unsere Probleme, unsere neuen Modelle zu zeigen, diese Mittel und Möglichkeiten nutzen. Walbert: Wobei wir nicht beteiligt sind — KroetNatürlich sind wir beteiligt, weil unsere Stücke aufgeführt werden. Nur sagt man mir: Der Stallerhof ist das Alibi für den Rigoletto, präsentiert als reine EstablishmentVeranstaltung. Ja, ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn man in Hamburg den Stallerhof spielt, und im Großen Haus passieren total andere Dinge. Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn in Heidelberg im Hundert-Mann-Theater Oberösterreich läuft, aber im Stadttheater am gleichen Abend eine Emilia Galotti als schlimmstes feudalgesellschaftliches V e r s a t z s t ü c k gemacht wird. Hier funktioniert etwas, was ich als Theatermacher nicht zu beherrschen vermag. Da bin ich ausgeliefert. Kürbiskern: Dieser Konflikt geht ja noch weiter — wenn z. B. in Regensburg Oper gemacht wird, aber angeblich kein Geld für Kinderhorte in den Arbeitervierteln vorhanden ist. Nur, da liegt eben nicht die wirkliche Alternative, wenn man weiß, daß allein in diesem Jahr die Rüstungsausgaben um mehr als zwei Milliarden erhöht werden sollen. Von 30 Reinholi), Kürbiskern

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daher, mit dem Geld, das in den falschen Taschcn steckt und in die falschen Kanäle fließt, wären die sozialen ebenso wie die kulturellen Bedürfnisse gleichermaßen zu erfüllen. Natürlich, auch das ist noch nicht die Lösung der strukturellen und inhaltlichen Probleme unserer Theater. Und doch machte sich Brecht, als er in den zwanziger Jahren anfing, auch diese bürgerliche Institution Theater zu nutzen, wie Ihr heute. Das scheint uns bei vielen Diskussionen der letzten Jahre der Teil zu sein, der fast immer unter den Tisch fällt. Wie bringt man es fertig, daß qualifizierte Stückeschrciber diesen Apparat dennoch zwingen und dahin bringen, ihre Stücke aufzuführen? Du hast ja das Deine getan — eine Reihe von Bühnen in der Bundesrepublik spielt Kroetz. Walbert: Das muß noch nicht viel bedeuten. Es kann zunächst auch ein Mißverständnis sein. Es müßte geklärt werden: Wen erreichen diese Stücke und wen könnten sie erreichen? Welche Möglichkeiten haben die Theater und welche nutzen sie nicht aus, um gerade mit diesen Stücken und diesen Stoffen eine neue Besucherschicht anzuregen, über ihre Probleme nachzudenken? Oder aber: Man spielt dem alten Theater-Publikum eine exotische Welt vor, die Arbeitswelt — eine Welt, die dieser Besucher nicht kennt. Das ist die große Gefahr bei der gegenwärtigen Struktur des Theaters und seiner Besucherschicht. Nichts gegen Kroetz — nur, seine Wirkung? Kürbiskern: Angenommen, da hat einer ein Schülerabonnement, und der sieht Kroetz. Was passiert mit diesen jungen Leuten? Wird da nicht etwas angerührt und bewegt, was noch kein Ziel haben muß, aber doch eine positive Rolle in der Entwicklung spielt? Sollten wir nicht wünschen, daß möglichst viele Leute ins Theater kommen und diese Stücke sehen? Walbert: Was bei Kroetz, vor allem in seinem Stück Oberösterreich sehr stark herauskommt, ist, daß diese Menschen nicht an sich, als Person zerstört sind; sie sind Systemgeschädigte, sie leiden an den Umständen, die Verhältnisse haben sie zerstört, und sie haben kaum eine Möglichkeit des Ausbrechens, weil ihnen die Voraussetzungen dazu fehlen. So sehe ich das, so können es auch die Leute sehen, 454

die auf Grund ihres Bildungsvorsprungs in der Lage sind, die Bühnenmittel zu begreifen. Für den geschulten Zuschauer ist es unwichtig, ob das Richard III., Romeo und Julia oder der Stallerhof ist. Da wird etwas gesehen von einer bestimmten menschlichen Qualität, von einem Noch-nicht-zurSolidarität-Finden, von dem Wunsch nach Kommunikation, der in allen diesen Menschen da ist. Kürbiskern: Natürlich ist die Chance des Einwirkens hier klein, gemessen an den Möglichkeiten, die die Arbeiterklasse dort hat, wo sie über die Theater und die Massenmedien verfügt. Aber auch eine kleine Chance ist zu nutzen, und sie ist zu vergrößern. Mag sein, daß Kroetz da und dort zunächst wirklich als Alibi dient. Aber damit können doch auch Leute auf den Geschmack kommen, zu deren Vorstellungen vonBildung und Kultur zunächst nur der Repräsentations-R/go/iWo oder die Maske in Blau gehören. Wenn die mehr realistisches Theater haben möchten — wäre das kein Fortschritt? Und hat nicht gerade dabei das Theater eine ganz spezifische Möglichkeit der Denkanstöße, anders als der Fernsehapparat oder das Kino? Walbert: Beim Film sehe ich immer die Gefahr, daß er süchtig macht, d. h. daß der Zuschauer zu sehr hineingerät. Ich möchte, daß er bei sich bleibt, daß er sich im Theater um die Seh-Erfahrung erweitert. Ich schreibe für Zehn- bis Vierzehnjährige. Da kommt Richard III. — ein sehr schönes Stück — deshalb nicht an, weil man einen bestimmten Bildungsapparat im Kopf haben muß, um die eigentliche Thematik des Stücks, die für die Shakespeare-Zeit da war, zu sehen. Soll ein Prozeß einsehbar werden, dann darf ich nicht, wie in vielen Filmen, die Realität abklatschen, sondern ich muß sie durchschaubar machcn und so die Wirkung herstellen. Kürbiskern: Diese Erfahrungen beziehen sich auf eine bestimmte Altersgruppe. Walbert: Ja, ich bin aber der Meinung, daß es sehr schlecht ist, daß man diese Gruppen trennt — Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Verheiratete, Unverheiratete, Alte. Das ist sehr schädlich für unser Leben, diese Gruppen sollten zusammenbleiben, da sie auch zusammengehören. Warum 30»

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gehen nicht Eltern und Kinder gemeinsam ins Theater? Das haben die Theater bisher gar nicht möglich gcmacht, entweder wurde nachmittags oder abends gespielt. Kiirbiskern: Nicht nur gruppenspezifis.ch, sondern generell sagst Du: Um wirksame Stücke zu schreiben, sollte man sie so machen, daß man dem Erkennen von Wirklichkeit entgegenkommt, das Thema also möglichst einfach und klar darstellt, wohl auch, um so der Gefahr einer bloß exotischen Ausstellung entgegenzuarbeiten. Walbert: Was ich über die exotische Wirkung gesagt habe, ist bloß vordergründig. Das ist zwar jetzt noch da, wird aber letztcndlich überwunden werden. Die Leute begreifen nämlich, auch wenn sie nicht so leben wie auf der Bühne in Oberösterreich, welches die menschlichen Probleme sind. Kroet%: Dafür arbeiten wir — und zugleich müssen wir wissen: wir sind gefährdet durch Korruption und Gewinnstreben; die Theater selbst sind von denen, die es am besten meinen, gefährdet durch zuviel Arbeit, durch Leistungszwang; hinzu kommen Anpassung und staatliche Aufsicht. So halte ich das Stadttheatcr auf der einen Seite für unbedingt verteidigungswürdig, da es derzeit noch immer das Beste ist — aber nur, wenn man nicht blind hineingeht. Kürbiskern: Gefahr der Korruption — bezieht sich das auch auf die eigene literarische Arbeit, die Stoffwahl, den Handlungsablauf? Kroet%: Man hat nach einer gewissen erfolgreichen Zeit Angst, daß es so nicht weitergehen kann. Diese Produktionsangst treibt einen hinein in eine große Abhängigkeit — von Kritikerstimmen, von Theaterleuten und Zuschauerzahlen. Als ich erfolglos geschrieben habe, kümmerte mich das alles nicht. Da habe ich sehr unpolitisch, sehr kritisch und mit sehr viel christlichem Mitleid geschrieben, so nach meiner Nase. Mit dem massiven Einstellen des Erfolgs ist das umgeschlagen in massive Angst vor dem Ausbleiben des Erfolgs, an den man sich gewöhnt hat — und ich habe mich daran gewöhnt. Ist man erst einmal davon abhängig geworden, fängt man an, auch in der Themenwahl daran zu denken, ob das richtig in die Zeit und in die Kategorie der gängigen Stücke paßt. Oder ist das vielleicht ein 456

Stück, das dich in die Krise hineindrängt — also läßt du es lieber. Das sind alles schon Korrumpierungsversuche, die in der Luft hängen. Kürbiskern: Wie ist es mit der Gefahr, daß man zu einem Markenartikel wird, gerade wenn man Erfolg hat? Kroet%: Auch damit fällt man sehr leicht aufs Kreuz: Man verbreitet diesen Markenartikel weiter. Wenn man sich mit der Kritik mehr beschäftigt als früher, ist man selbst schuld, das ist das erste. Das zweite ist die finanzielle Abhängigkeit. Man bekommt Aufträge und man braucht sie, weil man aus dem Beruf, den man vorher ausübte und der einen ernährte, heraus ist; man ist Schriftsteller geworden und möchte es auch bleiben. Es kommt dann auch vor, und so erging es mir, daß man aus Existenznot zuvicle Aufträge annimmt; dann merkt man erst: keiner davon ist das, was man sich im innersten Herzen wünscht. Solange mir kein Intendant sagt, das Stück ist so links, daß man es nicht aufführen kann, werfe ich mir immer vor, daß ich zu brav schreibe. Ich will jetzt ein Stück aus der Zeit der illegalen KPD machen. Das beschäftigt mich nun: Kann man mit einem Stück dieses Stadttheater-System so weit treiben, daß es wirklich, von der Bourgeoisie gestützt, '

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der Arbeiterklasse dient — bis hin zu direkter plakativer Wirkung? Viele ermutigen mich zu einem solchen Versuch. Das ist ein Produktionsproblem, für mich ein sehr schlimmes. Du hast sicher andere? Walbert: Ja, das liegt schon in der Natur der Sache. Ich habe ja nicht einmal die Theater, die da sind; erst jetzt versucht man ab und zu, mit Müh und Not eine Abteilung für Kinder oder Jugendliche einzurichten. Mein mögliches Publikum ist eine sehr große Gruppe, aber man kommt fast nicht an sie heran, es sei denn über das Fernsehen. Aber das Fernsehen birgt die Gefahr in sich, daß man sich davorsetzt und schaut und das Leben vergißt. Das Theater könnte ein kommunikationsförderndes Medium sein. Nur, die Jungen kommen von sich aus nicht auf die Idee, ins Theater zu gehen, weil ja auch das Theater normalerweise nichts für sie tut, und sie fürchten, mit Theatermittcln genauso fremdbestimmt zu werden wie zu Hause und in der Schule. 457

Da liegt mein Problem, bezogen auf die Gruppe, für die ich schreibe. Kürbishern: Du hast Dich vorhin gegen die Trennung in Gruppen ausgesprochen, sprichst aber jetzt doch von Deiner „Zielgruppe". Ist es möglich, etwas für eine bestimmte Zielgruppe zu machen? KroetFür mich, mit meinem Produktionsumfang, wäre das absolut unmöglich. Walbert: Ich sehe das nicht so eng. Ich kann eine Gruppe, an die ich mich besonders wende, im Auge haben, und doch etwas machen, was für alle interessant ist. Der Begriff Zielgruppe, der aus der Werbungkommt, ist dafür falsch und mißverständlich. Kürbiskern: Steckt dahinter nicht der sehr anständige Wunsch, eine andere fortschrittlichere soziale Zusammensetzung des Publikums zu haben? Wir wissen doch: Sieben Prozent der Bevölkerung interessieren sich für Theater; in der Masse sind es Angestellte und Beamte, Studierende und sogenannte Freiberufler; der Arbeiteranteil liegt unter zwei Prozent. Walbert: Ich wollte in einem Bereich schreiben, in dem bei uns fast nichts da ist, und ich wollte für eine Sache wirken, für die dringend etwas getan werden muß. Das war mein Ansatz für diese besondere Form des Jugendtheaters. Kürbiskern: Denkst Du, daß durch Deine Stücke andere Leute ins Theater gelockt werden könnten? KroetNein, es geht kaum ein anderer hinein. Selten, daß linke Studenten einmal deshalb ins Theater gehen, weil sie von meiner politischen Arbeit gehört haben und sich nun anschauen wollen, wie das im Theater aussieht. Ins Theater gehen die Theater-Interessierten, und die Progressiven davon gehen in die progressiven Stücke. Kürbiskern: Du weißt das, und Du schreibst weiter fürs Theater, schreibst weiter Stücke. Ist das nur eine Frage des Temperaments, daß Du sagst: das liegt mir am meisten? Kroet Ich habe Schauspieler gelernt, und weil ich zur Literatur über den Dialog gekommen bin, deshalb schreibe ich auch von Anfang an im Dialog. Im Lauf der Zeit wird das auch zu einer Faszination, wenn man sich zehn Jahre 458

lang mit dem Problem auseinandersetzt, wie reden Menschen, wie stelle ich das dar, dann fasziniert doch ein „bitte" in einem Dialog, und dann merkt man plötzlich, ein „bitte" zuviel macht das ganze Gefüge zunichte, und wenn ich es wegnehme, dann sitzt die Szene. Trotzdem würde ich gerne u m s t e i g e n . Ich schreibe seit einem halben Jahr an einem Roman und habe ein Bruchstück von 150 Seiten daliegen, die haben mich mehr Schweiß und Anstrengung gekostet als die letzten zwei Stücke zusammen. Walbert: Bei mir ist es die Lust am Lebendigen. Das Theater ist eben auf eine besondere Weise schon beim Schreiben lebendig. Es ist auch das Herstellen von etwas, das von Menschen dargestellt wird. Was ich aufs Papier bringe, ergibt eine Spreche, nicht eine Schreibe. Es ist die sinnliche Einwirkung, die das konkrete Denken befördert. KroetDas ist für mich nicht befriedigend. Es zeigt auch, wie schwer es ist, das zu fassen, was wir meinen und wollen. Kürbiskern: Wir wollen es ja auch vom Persönlichen her sehen. Stichwort Dialog: In unserer Gesellschaft, das ist in Deinen Stücken sehr stark gezeigt, leiden Menschen darunter, daß sie einsam sind und ihre bekannten und unbekannten Wünsche nicht befriedigen können. Zur Einsamkeit gehört auch ihre Furcht, mit dem anderen zu sprechen. Der Dialog kann also helfen, Kommunikation wiederherzustellen. Kroet%: Der Dialog kann auch das Ende der Kommunikation sein. Die Sprache kann die Aufkündigung eines stillen Einverständnisses zur Folge haben. Kürbiskern: Auch das kann man darstellen, und kann man es nicht am besten auf der Theaterbühne? KroetIch weiß es nicht. Man schreibt, und hat nicht den geringsten Einfluß wer es spielt, wie es inszeniert wird, wie es ankommt. Als bestes Beispiel kann ich da den Wildwechsel nennen: Da hat ein Riesenpublikum einen Film gesehen, von dem behauptet wird, es handle sich dabei um ein Kroetz-Stück. In Wirklichkeit hat dieser Film mit mir genauso viel zu tun wie ein Film über die Kannibalen. 459

Alle Intentionen, die ich in dem Stück hatte, wurden verändert, die Charaktere der Figuren pervertiert und verblödet, die kriminelle Handlung selber war keine s p r a c h l o s e Ersatzhandlung, sondern geile Tötungswut. Schlicht und einfach: Der Film Wildwechsel hat nichts mit mir zu tun, weil er aber mit meinem Namen verknüpft wurde, haben nun die Fernseher ein Bild von mir: Der Kroetz ist der, der die haarsträubenden Sauereien schreibt. Schreckliche, rufschädigende, beleidigende Verunglimpfung. Aber: die entscheidend entstellenden Szenen waren im Drehbuch gar nicht drin, das andere war im Drehbuch so drin, daß niemand darauf schließen konnte, daraus würde eine Sex-Orgie werden. Ich werde mich übrigens anhand dieser Verfälschung darum bemühen, die Rechte der Autoren einmal tatsächlich auszuprobieren und auch, wenn es sein muß, vor Gericht gehen. Dazu kann ich jetzt aber noch nichts sagen. In unserer Lage scheint mir der Roman die viel bessere Form, um Genaues mitzuteilen. Als Stückeschreiber brauchte man wie Brecht ein eigenes Ensemble, mit Schauspielern, die nicht nur ab und zu etwas für dich machen, sondern als Ensemble dauernd mit dir arbeiten. Kiirbiskern: In unserer Wirklichkeit muß das bedeuten, daß man sich als Stückeschreiber alle Faktoren, auf die man Einfluß nehmen kann, umso genauer überlegen sollte: Wie wählt man das Thema, wie baut man die Handlung? Wie setzt Ihr da die Akzente? KroetIch will meinen Stücken die Durchschaubarkcit von Machtverhältnissen mit auf den Wegig ogeben — von MächtVerhältnissen in der Familie, in der Gesellschaft, von Druckvcrhältnissen und Angstverhältnissen. Und immer will ich zeigen, durch wen sie kommen und warum, aus welchen Gründen einer etwas in einem anderen erzeugt und wie es wirkt. Das ist meine Intention. Kürbiskern: Sujet — Stoff — Personen — gibt es da etwas, was mit Erfahrung zu tun hat? KroetBis jetzt habe ich nur über Leute geschrieben, die ich kenne: die sogenannten Randgruppen unserer Gesellschaft. Das sind normalerweise Leute, die nur wenig politi460

sches Bewußtsein h a b e n ; so ist es z. B . g a n z schwierig, in einem solchen Stück einen K o m m u n i s t e n zu etablieren. W e n n ich auf d e m B o d e n bleiben will, m u ß ich s a g e n : K o m m u n i s t e n h a b e ich kennengelernt in der Partei, n o c h nicht in der Familie oder im Betrieb. N u n kann ich aber nicht ein L e b e n lang v o n S p r a c h l o s e n schreiben. I c h m u ß also beginnen, v o n L e u t e n zu schreiben, die ich n o c h nicht wirklich kenne. D a n n habe ich bisher immer nur die A u s w i r k u n g e n gezeigt, A u s w i r k u n g e n auf kleine L e u t e . D a s langt mir auch nicht mehr. E s m ü s s e n A n t i p o d e n da sein, U n t e r n e h m e r , Drahtzieher. Sie b l o ß denunzieren, Unternehmer d r e c k i g , b ö s e und gemein schildern, das ist aber auch sinnlos. N e i n , es m u ß alles stimmen. Wie soll ich aber in Z u k u n f t den H e r r n Siemens darstellen, den ich nie kennenlernen w e r d e ? Ich m u ß also mein bisheriges festes Schreibschema — ich schreibe nur w a s ich kenne — a u f g e b e n und zu machen v e r s u c h e n , w a s ich mir vorstelle, daß es so sei. Ich m u ß also e t w a s erfinden.

Kürbiskern: D e r B e g r i f f des R e a l i s m u s geht doch sicher über das hinaus, w a s m a n an Selbsterfahrenem w i e d e r g e b e n kann. Wie läßt sich das füllen, ohne auf reine E r f i n d u n g , bloße K o n s t r u k t i o n e n zu k o m m e n ? I m L e b e n ist es ja auch so, daß die Menschen D i n g e begreifen, die sie selber nicht, oder nicht g a n z erfahren haben. A l s Arbeiter kann m a n die Rolle des Herrn v o n Siemens in der G e s e l l s c h a f t verstehen, ohne daß m a n weiß, wie er zu A b e n d ißt. D a s k ö n n t e zwar auch bei der E n t w i c k l u n g v o n K l a s s e n b e w u ß t s e i n helfen, aber im N o r m a l f a l l funktioniert es anders. Ist es nicht f ü r den D r a m a t i k e r irgendwie tröstlich? Walbert: Ich g l a u b e schon, daß es sehr wichtig ist, über die Person sagen wir dieses Herrn Siemens G e n a u e s zu erfahren. O b er als Persönlichkeit stark oder schwach entwickelt ist, das hat A u s w i r k u n g e n im Gesellschaftsprozeß. D i e K a p i t a l f u n k t i o n ist nicht völlig leblos, losgelöst v o n den Kapitalisten. KroetAls D r a m a t i k e r m u ß ich über diese D i n g e aus erster H a n d Bescheid wissen. Siemens meine ich bildhaft — gen a u s o w e n i g wie ihn als Person begreife ich, wie eine F u s i o n

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funktioniert. Da muß ich mich aus dem Wirtschaftstcil der Zeitung informieren aus zweiter Hand. Um es realistisch wiederzugeben, brauche ich es aber aus erster Hand. Realismus heißt für mich nämlich „aus erster Hand kommend". An der Person interessiert mich nur: Wie kann der Mann so arbeiterfeindlich sein, so kapitalistisch. Die meisten Unternehmer halten sich doch für „gute Arbeitgeber". Es gibt sicher ganz wenige, die sagen: Wir sind Ausbeuter. Auf der einen Seite Blutsauger, auf der anderen Christenmenschen, die diese Weltordnung zusammenhalten und gegen das Chaos, für sie der Kommunismus, sind — und das glauben sie wirklich. Nur wenn du sie so darstellst, springt der Funke auf den Zuschauer über, so daß er sagt: Ja, so sind sie. Kürbiskern: Du willst also den Bereich Deiner bisherigen Stoffe und Themen überschreiten, darüber hinausgehen. Du hast bisher Leute, Familien, Verhältnisse, die Du genau kennst, umgesetzt. Aber was Du da machtest, waren ja auch Bilder, die Du Dir vorgestellt hast. KroetMir wird von Leuten, die sich für besonders links halten, vorgeworfen, mein Aufzeigen von Realität, von Gesellschaft wäre schon längst überholt; man wisse schon längst, daß das nichts verändert. Meine realistischen Stücke, die ganz klar Bilder der Gesellschaft sind, ohne Kommentar, ohne Anführungsstriche — sind da wirklich nur Fragen drin, die nichts bedeuten? Was in Heimarbeit passiert, die Frau, die mit einer Stricknadel ihr Kind abtreiben muß, weil es den § 218 noch gibt, das muß ich doch nicht lang kommentieren. Wenn ich das ganz hart aufzeige, die Folgen, das Elend, dann passiert doch etwas in dem Menschen, der sich das ansieht. Ich glaube an die Möglichkeit, daß sich durch das Ansehen eines realistisch gestalteten Geschehens im Zuschauenden etwas verändert. Aber ich frage mich trotzdem: genügt das, kann ich nicht mehr leisten? In einem Dutzend Stücke habe ich die Ränder der Gesellschaft der Bundesrepublik ganz klar porträtiert. Das reicht mir. Ich bin bei der DKP. Ich bin politisch tätig; deshalb reizt es mich auch, jetzt Modelle zu liefern, Wege zu zeigen, die weiterführen. Es müssen positive Gestalten auftreten, und die müssen reden können. Wenn sie nicht reden kön462

ncn, ist es schwer, andere zu verlocken, daß sie ihnen f o l gen. D a s ist mein spezielles literarisches P r o b l e m , u n d unser R e a l i s m u s - P r o b l e m .

Walbert: E s ist das zentrale P r o b l e m . KroetJa, es ist die Sache, die aussteht. T o l l p r o g r e s s i v e Stücke gibt es — dramatisierte Leitartikel, der g a n z e L e n i n brav aufgeteilt, und das ganze so unrealistisch, falsch u n d f a d , daß ich keine f ü n f Zeilen d a v o n lesen m a g . N i c h t s mehr stimmt, und z u m G e n u ß , v o n dem Brecht spricht, gehört halt auch die E c h t h e i t ; anders können die M e n s c h e n o 1

in der K u n s t nicht das L e b e n sehen. Walbert: U n d wie es verändert werden kann, d a s ist d a n n der nächste Schritt. E s ist die alte F r a g e : Wieviel V e r ä n d e r u n g kann man im Theater zeigen, ohne d a m i t gleich den d u r c h Theater erreichten A n s a t z im Z u s c h a u e r wieder zu b r e m s e n ? Z e i g t m a n zuviel an Fortschrittlichem, sagt e r : E s l ä u f t ja, o. k. Andererseits g e h ö r t zur W i r k u n g auch der S c h o c k : daß man weiß und auch auf d e m Theater sieht, wie weit wir noch zurück sind. D a s ist nicht alles, wie wir w o h l ü b e r h a u p t nicht versuchen sollten, jetzt eine A r t P r o t o t y p v o n Stück zu fabrizieren. Wir sollten die verschiedenen A n s ä t z e a b k l o p f e n und auf ihre Wirksamkeit f ü r die Verä n d e r u n g ü b e r p r ü f e n . U m diesen politischen A n s a t z g e h t es mir. Politik im Sinne v o n E i n w i r k u n g . D i e täglichen V e r h i n d e r u n g e n sollen sichtbar werden.

Kürbiskern: K a n n s t D u das s o bei der Herstellung s c h o n einbeziehen? Walbert: Bei der Herstellung ist es ungefähr so, wie K r o e t z es beschrieben h a t : M a n ist zunächst allein und hat b e s t i m m te Vorstellungen, dann k o m m t m a n mit seinem A n s a t z an oder m a n k o m m t aus bestimmten G r ü n d e n nicht an. W e n n m a n das merkt, m u ß m a n die D i n g e v e r ä n d e r n , etw a s hinzunehmen, anderes weglassen. Ich h a b e mich z. B . zu sehr auf das Szenische verlassen — die Leute, f ü r die ich schreibe, v e r f ü g e n ja über sehr wenig Sprache, aber über eine sehr starke M o t o r i k , über sehr viel G e s t e n . Ich wollte über b e s t i m m t e Spielsituationen, die auch K i n d e r s p i e l Situationen sind, eine klärende A u s s a g e machen. D a s g e h t nur mit sehr genau gearbeiteten G e s t e n , das Theater d a r f

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nicht schmieren und nicht schlampen, sonst sind meine Stücke im Eimer. Nach meinen Erfahrungen muß ich mir sagen: da mußt du jetzt also mehr Text liefern, und damit mehr Inhalt, d. h. über die nächste Altersgruppe einsteigen, um die Apparate nutzbar zu machen. Kürbiskern: Geht die Darstellung, auch die besonders schwierige des Arbeiters, nicht am ehesten so, daß man einen Lernvorgang auf die Bühne bringt. Auf diese Weise bekäme man ja auch ein realistisches Abbild, und noch etwas, was in den modernen Stücken nur selten zu sehen ist: Es würden Menschen in ihrer Entwicklung gezeigt. Walbert: Ja, nur wird überall diese persönliche Entwicklung sehr stark behindert, wie übrigens auch die gesellschaftliche. Ist es da nicht ehrlicher, diese Behinderung zu zeigen, statt zuviel in die Utopie auszuweichen — und alle klatschen wieder in die Hände und sagen: Ja, ja, wir haben schon eine ganz tolle Ordnung? Kürbiskern: Entwicklung und Utopie — Du würdest das also gleichsetzen. Einen Menschen in der Entwicklung zeigen, hieße dann schon den Boden der Realität zu verlassen, Utopie treiben. Die Gegenthese könnte dann lauten: Wir zeigen die Behinderungen, die Gewalt in all ihren Spielarten, und damit auch unsere Wirklichkeit. Walbert: Nein, ich will nur, daß wir vorsichtig sind, daß wir nicht ein Ricsengemälde von einer gut funktionierenden Welt malen, sondern die möglichen Entwicklungen in ihren kleinen, aber wichtigen Schritten zeigen. Zum anderen meine ich: Wir brauchen sehr viele Antworten auf die Frage, wie der Apparat, den Mcnschen aufgebaut haben und der nicht mehr menschlich funktioniert und dem wir ausgeliefert sind, bewältigt werden kann. Es ist doch so, daß dieses Gesellschaftssystem gewalttätig ist und gewalttätig macht. Kürbiskern: Von dieser Tatsache, daß die Gewalt in dieser Gesellschaft eine solche Rolle spielt, lassen sich zwei Linien ableiten. Die einen wollen zeigen — Du hast es eben gesagt —, wie unmenschlich funktionierende Machtapparate bewältigt werden können. Die anderen spekulieren auf ein verstecktes Verlangen, Gewalt mit anzusehen. 464

Walbert: Ich glaube, damit kann das Theater fertig werden. In Männersacbe wird das lange zähe Ringen von zwei Menschen gezeigt, die einfach nicht zusammenkommen, getrennt durch die Leere zwischen ihnen. Und dann kommt etwas Ungeheures: sie schießen aufeinander, die Waffe wird zum Organ der Verbindung, und das ist absurd. Und da ist in einem ganz genauen Bild gezeigt, wie es dazu kommt. Hier könnte das Theater schon Einsicht vermitteln. Kürbiskern: Wie die Entladung funktioniert? Das wissen die Leute doch selbst, weil sie es täglich erfahren — schon im Auto? KoeNein. Wie Gewalt sich anstaut und entlädt, wissen die Leute nicht. Gewalttätigkeit ist eine anonyme Kraft. Deshalb wollen auch viele zeitgenössische Dramatiker zeigen, wie Menschen dazu kommen, in der Gewalt ihren einzigen Ausweg zu suchen. Mir jedenfalls geht es dabei nicht um die Verteidigung von Gcwaltverbrechen, sondern um die Anprangerung der Gesellschaft: die Tötung des Säuglings in Heimarbeit ist die Spitze des Eisbergs, und die Reflexion auf die hunderttausend Kindesmißhandlungen, die es im Jahr in der Bundesrepublik gibt. Kürbiskern: Aber führt das schon weiter? Ist nicht der Lerngewinn, den man damit erzielt, relativ begrenzt? KroetDas ist wieder das Problem des reinen Vorzeigens. Walbert: Nach dem, was ich beobachtet und erfahren habe, ist die Lust, Gewalt zu sehen sehr groß. Wo sie herkommt ist klar; daß sie so oder so „befriedigt" werden muß, das ist das Schlimme. Es kann bedeuten, den aus der nicht vorhandenen Kommunikation entstandenen Stau durch den erfüllten Wunsch nach dem Sehen von Gewalt abzureagieren. Es kommt dabei darauf an, wie das, was ist, gezeigt wird. Gewalttätigkeit, die sich einer Figur bedient, die siegt, — wirkt sich schädlich aus. Kürbiskern: Und noch eines: für viele ist es doch schon ein Spaß, wenn in einem Western und auch auf der Bühne bis zu einem Dutzend Leichen herumliegen. Das ist im Grunde genommen die Angewöhnung an die Wertlosigkeit von menschlichem Leben. Kroet%: Der Lear von Bond — den ich vollkommen ablehne — 465

ist eine reine B e s c h r e i b u n g v o n G e w a l t auf d e m U n t e r g r u n d einer ganz fatalistischen G e s c h i c h s a n s c h a u u n g . Hier wird mit jeder F o r m v o n G e w a l t auch jede F o r m v o n E n t w i c k lung denunziert. Selbst Sklavenaufstände sind danach verwerflich. Mit seinem g a n z massiven V o r z e i g e n v o n G e walt funktioniert dieses Stück so, daß es einerseits die S c h a u lust befriedigt, andererseits lähmend wirkt. D i e L e u t e gehen raus und s a g e n : J a , so ist es, und es ist unabänderlich, überall. D a s ist ein Fatalismus, der die richtige E i n schätzung v o n politischer G e w a l t und jede politische A k tion u n m ö g l i c h macht. In meinen Stücken wird drückt. U n d derjenige, dadurch in eine solche keitssituation, daß er als ruiniert wird.

normalerweise die G e w a l t unterder sie unterdrückt, b r i n g t sich Außenseiter- und M i n d e r w e r t i g O p f e r der anderen g a n z minutiös

D i e G e w a l t wird d o c h bei uns v o n den K o n z e r n e n a u s g e übt, v o n Gerichten und B e h ö r d e n , Hausbesitzern und W o h n u n g s v e r m i t t l e r n — und die m o r d e n und töten nicht mit d e m Messer, deren G e w a l t ist eine andere. U n d sie darzustellen, ist unser Problem. U n d zwar so, daß diese G e walt eben nicht als unabänderlich h i n g e n o m m e n w i r d .

Kürbishern: W a s D u da sagst, ist die E i n s i c h t eines K o m m u nisten. N u n stellt aber diese Gesellschaft die größten H i n d e r nisse g e r a d e der E n t w i c k l u n g z u m K o m m u n i s t e n entg e g e n — brutal u n d verfeinert, in allen m ö g l i c h e n Varianten, und immer u m junge Menschen daran zu h i n d e r n , K o m m u n i s t zu werden. T r o t z d e m k o m m t zustande, w a s wir kennen: aktive K o m m u n i s t e n . W o ist das G e g e n w a r t s stück, in d e m d a s gezeigt w i r d ? Kroet%: D i e s e n „exemplarischen K o m m u n i s t e n " kannst D u nicht machen, den g i b t es nämlich weder im Bewußtsein meiner Darsteller noch meiner Z u s c h a u e r . Ich kann auch E n t w i c k l u n g e n nur aufzeigen an bekannten G r ö ß e n . Wenn die Modelle, die ich auf die B ü h n e und unter die Z u schauer bringen will, e t w a s b e w i r k e n sollen, b r a u c h e ich dazu B ü h n e n f i g u r e n , die das gleiche politische A n f a n g s Bewußtsein haben, wie die Z u s c h a u e r (Identifikation). D a n n kann ich losmarschieren. V o r h e r nicht! A b e r d a

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liegen wirklich Probleme des Könnens — große Szenen, Massenszenen schreiben, dreißig Arbeitern jeweils eine unverwechselbare Sprache geben, und das innerhalb von zehn Minuten, das ist etwas, was ich — falls ich Glück habe — vielleicht in zwanzig Jahren kann. Heute kann ich es nicht, da sind meine Grenzen. Ich bin froh, wenn ich in zwei Stunden drei oder vier Leuten gerecht werden kann. Walbert: Dreißig Personen, und alle als Individuen — ich glaube das kann der Zuschauer nicht aufnehmen. Das sollte der Autor nicht schreiben. KroetIch kenne die unmöglichen, ermüdenden, fassungslos machenden Massenauftritte auf unsern Theatern. Und auch in den Stücken sind sie schlecht. Umso mehr halte ich das Bewegen von Massen, das Darstellen von Massen für eines der zentralen Probleme unserer Dramatiker, und meiner Meinung nach ist die Lösung nur möglich durch die Darstellung der Summe von Individuen. So könnte am Ende doch dieses wunderbare Stück herauskommen: „Das exemplarische Leben eines Kommunisten". Ein Stück, in dieser Fülle und Größe gemacht, da gäbe es bestimmt auch das Problem des Exotischen nicht mehr. Es wäre einfach deutsche Geschichte. (1973) 2, S. 313-335

Martin Walser

Theater als Öffentlichkeit

Ich kenne Leute, die sind stolz darauf, daß sie nicht ins Theater gehen. Man merkt das daran, daß sie einem ganz unaufgefordert und im Lauf der Jahre immer wieder sagen, wie sehr das Theater sie anöde. Es gibt aber kaum eine HollywoodProduktion, in der sie nicht schauernd Mythisches entdecken. Sie zitieren Walter Benjamin ohne zu bemerken, daß sie ihn widerlegen. Die Filmwerke haben nämlich ganz gegen Benjamins blank kulturrevolutionäre These all das angesammelt, was er dem Ölbild und der Theater-Szene vorwarf: nämlich „Aura", „Echtheit", „Einmaligkeit", „Einzigkeit", „Dauer" und „Autorität"; also so ziemlich alles weswegen Ölbilder und Theaterszenen als „Kunstwerke im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit" 1 von Benjamin zum Veralteten, Verkümmernden und so recht Uninteressanten erklärt wurden. Das heißt, dem Film ist, genauso wie seinen Vorgängern, der kulturelle Mehrwert zugewachsen, der durch pure Überlieferung entsteht. Der Film gehört längst zu unseren Ausdrucksgewohnheiten, zu den Veröffentlichungen, mit deren Hilfe wir uns unsere Geschichte vorhalten, hauptsächlich, um uns zu vergewissern, daß wir nicht in einem IrrsinnsKessel auf- und abfaulen, sondern daß es uns gelingt, Geschichte zu beabsichtigen, wenn nicht gar zu machen. Das Theater übt momentan beides: Samuel Bcckett und Edward Bond, die keine Geschichte mehr erkennen und Brecht, der, als getreuer Mitarbeiter an unserer Geschichte, das Verändern zum höchsten Vergnügen machen wollte, die Dialektik zum Genuß. 31

Reinhold, K ü r b i s k e m

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Man muß zugeben, daß sich Brecht nicht das Leichtere ausgesucht hat. Übrigens kommt die janusköpfige Spannung Beckett—Brecht, entsprechend ermäßigt, auch auf Filmmaterial v o r : Die einen machen vital in Dekadenz, die anderen veröffentlichen so genau als möglich den Sozialbefund. Daß das Theater auf manche antiquiert wirkt, kann also nicht daran liegen, daß das Theater nicht am richtigen Thema laboriere. Und die neuesten Stile des Films zeigen noch dazu, daß die Regisseure eher zuviel als zuwenig Theater gesehen haben. Also auch die Ausdruckspraxis unserer Bühnen ist alles andere als zurückgeblieben. Übrigens ist zu dem blank kulturrevolutionären Einwand der Benjamin-Fans gegen das Theater noch ein scheinbar soliderer getreten: alles Theater sei unrettbar bürgerlich und damit genau zu jener Veränderungsarbeit, die es mit und seit Brecht im Schilde führe, nicht brauchbar. Also die einen finden es schon als pure Veranstaltung, die anderen finden es politisch und auch noch politisch unannehmbar. Das geht mich jetzt nur insofern etwas an, als ich selber gern ins Theater gehe. Ich führe die Einwände gegen das Theater zurück auf Einwände gegen die Form der Öffentlichkeit, die das Theater schafft. Dazu ein paar Erinnerungen an Gehabtes. Das deutsche Bürgertum, also 18. Jahrhundert. In seinen Freimaurergesprächen sagt Lessing (1777) die bürgerliche Gesellschaft „kann die Menschen nicht vereinigen, ohne sie zu trennen; nicht trennen, ohne Klüfte zwischen ihnen zu befestigen, ohne Scheidemauern durch sie hinzuziehen . . . Nicht genug, daß die bürgerliche Gesellschaft die Menschen in verschiedene Völker und Religionen teilet und t r e n n e t . . . Nein; die bürgerliche Gesellschaft setzt ihre Trennung auch in jedem dieser Teile gleichsam bis ins Unendliche f o r t . . . Oder meinest du, daß ein Staat sich ohne Verschiedenheit von Ständen denken läßt? . . . Nun überlege, wieviel Übel es in d e r W e l t w o h l gibt,das in dieser Verschiedenheit der Stände seinen Grund nicht hat.'"Eine andere als eine Klassengesellschaft war also aus der Feudalgcsellschaft nicht zu entbinden. Aber alle Übel einer solchen Gesellschaft waren in Kauf zu nehmen, wenn in ihr nur, wie Lessing es formuliert, „die menschliche Vernunft ange-

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bauet werden kann" 3 . Dem dienen alle progressiven Projekte. Einerseits erfand der progressive Bürger des 18. Jahrhunderts in diesem Kampf um das bürgerliche Selbstbewußtsein den Privatmann mit seinem natürlichen Menschcnrccht, andererseits schuf sich das Bürgertum im Kampf gegen die fortgesetzte feudale Herrschaft in Ergänzung zur Privatsphäre etwas, was man Öffentlichkeit nennt. Auch öffentliche Meinung. Und noch bevor man das Geld für Zeitungen hatte, versuchte man sich Öffentlichkeit im Theater zu schaffen. Im Jahr 1729 sprach Johann Christoph Gottsched in Leipzig vor der „Deutschen Gesellschaft" unter folgendem Titel: Die Schauspiele und besonders die Tragödien sind aus einer wohlbestellten Republik nicht ^u verbannen"4 Und er sagte, er fühle sich eigentlich zu schwach, „zur Behauptung einer gemeiniglich so verachteten Sache, als die Schaubühne ist" 3 . Gute vierzig Jahre später (1771) las Jakob Michael Reinhold Lenz in einer Freundesrunde in Straßburg seine Anmerkungen Ubers Theater vor und sagte da: „Der Wert des Schauspiels ist in unsern Zeiten zu entschieden, als daß ich nötig hätte, wegen dieser Wahl captationem benevolentiae vorauszuschicken." 6 Das Theater war jetzt also als ein Ort bürgerlicher Öffentlichkeit anerkannt; wenn auch noch nicht allgemein vorhanden. In seinem herrlichen Roman Hesperus, erschienen 1795, konnte der herrliche Jean Paul sagen: „Ich setze voraus, der Leser wird doch Höfe genug gesehen haben — auf dem Theater, wo die höheren Stände ihre Begriffe von Landleuten und wir unsere von ihnen abholen —, um zu wissen, was man da hasset." 7 Das Theater war ein Ort des Vergleichs der Bürger mit dem Feudalismus geworden und ein Ort der Selbstfindung und Selbstbehauptung. Für Wilhelm Meister, Goethes Großbürgersohn, ist Theater — und beide Bücher erschienen 1795 — schon ein Genußmittel, um „sich aus dem stockenden, schleppenden, bürgerlichen Leben herauszureißen" 8 . In einer öffentlichen Sitzung der kurpfälzischen deutschen Gesellschaft hielt Schiller im Jahr' 1784 eine Vorlesung über das Thema Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken? Dabei sagte er: „Nur, wenn wir bei uns selbst erst entschieden haben, was wir sind und was wir nicht sind, nur dann 31*

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sind wir der Gefahr entgangen, von fremdem Urteil zu leiden — durch Bewunderung aufgeblasen oder durch Geringschätzung feig zu werden." 3 Diese Bildung bürgerlichen Selbstbewußtseins ist fundiert durch wirtschaftliche Emanzipation und wirkt auf diese zurück. Was 1776 in der Untersuchung über die Natur und die Ursachen des Wohlstandes der Nationen zur Welt kam, war entstanden aus der Erfahrung, daß das jetzt merkantilistisch genannte Wirtschaftssystem des Feudalismus für die bürgerliche Produktionskraft eine immer unerträglichere Fessel geworden war. Karl Marx hat Adam Smith, den Autor jener Untersuchung, den Luther der Nationalökonomie genannt. Dem absoluten Gottesgnadentum, der total protektionistischen Ökonomie der europäischen Monarchien entsprach auf der Bühne am deutlichsten das französische Hoftheater mit seiner speziellen Aristotelesverfälschung, die jene berüchtigten Einheits-Mechanismcn zur Folge hatten. Diderot und Lessing haben dem Bürgertum die Ästhetik erkämpft, mit deren Hilfe das bürgerliche Thema auf der Bühne veröffentlicht werden konnte. Und niemand wird in der Hamburgischen Dramaturgie so ausführlich zitiert wie Diderot. Und so zustimmend. Eines der wichtigsten Diderot-Zitate: „Bisher ist in der Komödie der Charakter das Hauptwerk gewesen; und der Stand war nur etwas Zufälliges: nun aber muß der Stand das Hauptwerk, und der Charakter das Zufällige werden." 10 Am Ende des Jahrhunderts notiert dann Herder nach einer E.milia Galotti-Aufführung: „. . . aber bilden sich die Charakteurc der Menschen nicht in und nach Ständen?" 11 Diese Voraussetzung zur realistischen Veröffentlichung verdanken wir Diderot. Das deutsche Bürgertum war als Klasse zu unentwickelt. Der deutsche Beitrag, der Lessingschc, ist eher psychologischer als soziologischer Art. Lessing weist durch genauere Übersetzung nach, „daß Aristoteles schlechterdings keinen Unterschied zwischen den Personen der Tragödie und Komödie in Ansehung ihrer Allgemeinheit macht" 12. Das ist so wichtig, weil die niederen Stände in der vom französischen Hoftheater stammenden Einteilung nur komödienwürdig waren. Die Tragödie war nur großen Namensträgern vorbehalten. 472

Jetzt konnte der Bürger tragödienfähig gemacht werden. Dazu gehörte auch eine auf aristotelische Autorität gegründete Wirkungsästhetik: Durch genauere Ubersetzung konnte Lessing eine Katharsis-Theorie entwickeln, die vollendete, was mit dem,Realismus-Zuwachs durch Diderot möglich geworden war. Wenn der Dichter, sagtLessing, einen „mit uns von gleichem Schrot und Korn schildere" entstehe nicht, wie die Franzosen und ihre deutschen Nachahmer übersetzten, „ Mitleid und Schrekken", sondern „Mitleid und Furcht"; „die Furcht, daß unser Schicksal gar leicht dem seinigen ebenso ähnlich werden könne, als wir ihm zu sein uns selbst fühlen: und diese Furcht sei es, welche das Mitleid gleichsam zur Reife bringe". 1 3 „Diese Furcht ist das auf uns selbst bezogene Mitleid". ^ So. Damit ist die Einfühlungsästhetik des bürgerlichen Theaters prinzipiell fertig. Erst Brecht wird versuchen, sie hinter sich zu lassen. Aber auch er entwirft noch in der tiefsten Emigration eine „Diderot-Gesellschaft", deren Aufgabe es sein soll „die theatralischen Konzeptionen des Zusammenlebens der Menschen wissenschaftlich zu kontrollieren" )r>. Das zumindest war eine vollkommen bürgerliche Idee. Es wäre nicht sinnvoll, Brecht in Nochbürgerliches und Nachbürgerliches zu zerlegen. Er ist, was das Theater angeht, unser größter Waffenschmied seit Lessing. Waffenschmied des Realismus. Was im 18. Jahrhundert erkämpft werden mußte zur Darstellung und Beförderung des bürgerlichen Interesses, war nach einem Jahrhundert zunehmender bürgerlicher Herrschaft ein Hindernis für weitere Entwicklung geworden. Brecht: „Gerade die Einfühlungstechnik gestattet es, gefühlsmäßige Reaktionen zu veranstalten, welche mit den Interessen nichts zu tun haben. Eine auf die Einfühlung weitgehend verzichtende Darstellung wird eine Parteinahme auf Grund erkannter Interessen gestatten, und zwar eine Parteinahme, deren gefühlsmäßige Seite im Einklang steht mit ihrer kritischen Seite." 16 Das war, auch für Brecht, leichter gesagt als getan. Er hat dann eine schöne Menge Kunstgriffe erprobt und gelehrt, um das Theater aus dem bürgerlichen Selbstbestätigungsdienst zu befreien und es wieder tauglich zu machen 473

zur kritischen Veröffentlichung der Beziehungen zwischen den Mcnschen, wie er sie um sich her studierte. Unsere Bühnen profitieren täglich von seinen Anweisungen. Kein Theatermann, der darauf verzichten könnte, seine Bühnenvorgänge wieder so unauffällig, also natürlich, also wie unbeeinflußbar ablaufen zu lassen, wie das im Realismus der entfalteten bürgerlichen Darstellung der Fall war. Eine Zeitlang ist Natürlichkeit kein Wert mehr auf der Bühne. Allerdings zeigt es sich seit Jahren, daß Brechts Kunstgriffe von bedürfnisloseren, also zu weniger Realismus gedrängten Regisseuren mühelos ihrer Anwendung entzogen werden und zu nichts als ästhetischen Gesten verabsolviert werden können. In Film und Theater. Und es zeigt sich auch, daß Brechts Kanon und Organon viel mehr Regieanweisung enthält als Dramaturgie. Peter Stein kann ununterbrochen auf Brecht bauen. Franz Xaver Kroetz muß eher selber sehen, wie er weiterkommt. Würde ein Autor Brechts Anweisungen beim Schreiben befolgen, so käme als Stück immer nur eine Brecht-Imitation heraus. Oft genug ist das ja auch der Fall. Das Kürbiskern-Wch, das Brecht gewidmet ist, hat diese unsere aktuelle Verlegenheit besonders deutlich gemacht. Hören wir, wie zwei hervorragende Theatermacher die augenblickliche Schwierigkeit ausdrücken. Franz Xaver Kroetz: „In einem Dutzend Stücke habe ich die Ränder der Gesellschaft der Bundesrepublik ganz klar porträtiert. Das reicht mir. Ich bin bei der DKP. Ich bin politisch tätig; deshalb reizt es mich auch, jene Modelle zu liefern, Wege zu zeigen, die weiterführen. Es müssen positive Gestalten auftreten, und die müssen reden können . . . Das ist mein spezielles literarisches Problem, und unser Realismus-Problem." 17 Und Peter Stein: „In den Diskussionen über die Tarifrunde würde man auf dem Theater, und zwar aufgrund der Voraussetzungen des Theaters, die eben an einer möglichst klaren Dramatik interessiert sind, nach kürzester Zeit lediglich mitteilen können, was gerade in solchen Tarifauseinandersetzungen die Arbeiterklasse ohnedies ziemlich genau weiß, daß sie nämlich ausgebeutet wird, während z. B. die Prozentzahlen oder die bestimmten Taktiken im Abwehr474

kämpf für die Darstellung auf der Bühne relativ wenig abgeben." 18 Und ein bißchen hämisch möchte man hinzufügen: Während eines der mäßigsten Ibsenstücke dem Theatermeister Stein und seinem Ensemble jede Menge erfolggewährendcs Theaterfuttcr lieferte; während Ear/j Morning das eher reaktionäre Schauerstück des Edward Bond, dem Peter Stein eine allumjubeltc Inszenierung und prima Schocks ermöglichte. Während, um nun seriöser zu werden, der ganz durchfinsterte und alles verfinsternde Thomas Bernhard mit seinem schönen Schauerstück vom Ignoranten und vom Wahnsinnigen der Bühne eine aktuelle Aufgabe geliefert hat. Das heißt, die fortschrittlichsten Theatermacher sind in der größten Verlegenheit. Bond und Bernhard aber, die sagen, daß es nichts mehr zu sagen gibt, sagen das so, daß unverächtliche Theaterleute daran genau jenen Spaß finden, den Peter Stein bei der Theatralisierung der Tarifauseinandersetzung nicht erhofft. Und ohne Spaß kein Theater. Darüber sind sich alle einig. Aus solchen Eindrücken haben manche den Schluß gezogen, das Theater sei unrettbar bürgerlich und möge mit dieser Klasse aufhören. Da ich kein Nobelpreisträger bin, muß ich nicht Redezeit damit verbrauchen, Gericht zu halten über linke Ungeduld. Ich will positiv sein: So wie im 18. Jahrhundert der Bürger sich das Recht erkämpfte, auf der Bühne zu erscheinen und sein Selbstbewußtsein vor seinesgleichen zu entwickeln und zu behaupten, so wie er damals Corneille und Racine durch eine genauere Darstellung der Wirklichkeit, also durch einen Fortschritt im Realismus überwinden mußte, so will heute der Kleinbürger und Proletarier seine Sache auf der Bühne durchspielen. Das ist keine mechanische Parallele, sondern ein Hinweis darauf, daß auf dem Theater offenbar immer die janusköpfige Spannung herrscht, daß da immer das Alte mit dem Neuen verglichen wird und daß da immer das Alte Würde und Weihe und Raffinement innehat und das Neue es schwer hat. Es ist schwerer und vielleicht sogar weniger vergnüglich, unser Dasein als Geschichte darzustellen; daß das Dasein ein Irrsinn ist, geht viel leichter ein, ist sinnlich auffälliger; Ge475

schichte ist eine Anstrengung; und nicht nur der bürgerliche Rezensent seufzt tiefer auf und ist wohliger berührt, wenn auf der Bühne unser Dasein als ein sinnloses geschildert v/ird; das entlastet ungeheuer. Es ist sogar möglich, daß beide Ausdrucksarten realistisch tendieren können; jenen an nichts als Irrsinn, Endzeit, d. h. an Geschichtslosigkeit interessierten Realismus könnte man kapitalistischen Realismus nennen; den an Sinnfindung, Geschichte und Entwicklung interessierten Realismus kann man sozialistischen Realismus nennen. Weil diese beiden Spielarten auf dem Theater wetteifern, ist das Theater die öffentlichste Öffentlichkeit in unserer Gesellschaft. Und das ist nur möglich, weil das Theater kein sogenannter Werbeträger ist. Es ist wirtschaftlich uninteressant. Also weniger überwacht. Öffentlichkeit ist nicht in erster Linie ein quantitativer Begriff. Ein total überwachtes Fernsehprogramm, das 30 Millionen Zuschauer erreicht, stellt weniger Öffentlichkeit her als ein Theatersaal, in dem 1300 Leute eine Aufführung ablaufen sehen, die auf demokratischere Weise zustandegekommen ist als jenesFernschprogramm. Im Fernsehen wird die Spannung zwischen Beckett und Brecht, zwischen Bond und Kroetz andauernd entschärft, verharmlost, verfälscht, heruntertemperiert. Natürlich gibt es in Fernsehanstalten progressive Büros und den Kampf um die innere Pressefreiheit. Aber praktisch entscheiden die Gesetze der Kapitalverwertung darüber, wie das Medium wirklich funktionieren soll. Und deshalb wirkt es öffentlichkeitszcrstörend. Das Kapital braucht zu seiner Verwertung Herrschaft. Und Herrschaft will keine Öffentlichkeit, in der sie als das, was sie ist, erscheinen würde. Die Gesellschaft, die der Elektronikkapitalist, seinen Sachzwängen gehorchend, entwirft, ist das vollkommene Gegenteil der Öffentlichkeit des Theaters. Da säße der total zivilisierte, d. h., dem Mitmenschen nur noch durch Apparate verbundene einzelne in seiner Zelle und dürfte mit Kabelfernsehen, Kassetten und Satellitenwahltaste aus einer bunten Vielfalt total gleicher Programme wählen. „Jeder sein eigener Programmdirektor" heißt der erlogene Slogan dafür heute schon. Obwohl längst erwiesen ist, daß unter kapitalistischer Regie unsere Nerven dem elektronischen Medium so wenig

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gewachsen sind wie die Halsschlagader dem Stahl, sind die Spitzenfunktionäre des Fernsehens immer noch irrsinnig stolz darauf, wenn es ihnen gelingt, dem Gegenprogramm, mit was für Mitteln auch immer, ein paar Millionen Zuschauer abzujagen und die Fernsehkonsum-Minutc pro Zuschauerjahr um soundso viel Prozent zu steigern. Die Unterhaltungen, die z. B. alljährlich in Mainz unter selbstkritischen Titeln geführt werden, lesen sich angesichts der Eigendynamik des Mediums, wie die Unterhaltungen von Kannibalen, die sich sehr ernsthafte Gedanken über die Verbesserung der Tischsitten machen. Das heißt nicht, Fernsehen sei als Medium Teufelswerk. E s heißt nur, ein Medium kann um so menschenfreundlicher sein, je geringer der zu seinem Betrieb nötige Kapitaleinsatz ist und je weniger Gelegenheit zur Kapitalverwertung es bietet. Kapital läßt sich von seiner verheerenden Kraft vielleicht 10 bis 20 Prozent durch Gremien wegzähmen, der Rest wirkt sich einfach aus. Zum Beispiel eben öffentlichkeitszerstörend. Und diese lähmende Pseudo-Öffentlichkeit, die, unter dem Zwang zur Kapitalverwertung, das Fernsehen jetzt liefert, die ist es, die den Zeitgenossen unfähig machen könnte, seine Sinne auf ein Bühnengeschehen anzuwenden. Das hatte mit dem Film nur begonnen. Das Fernsehen liefert Details nacheinander. Das Einzelne ist nicht sinnvoll. Die Folge macht's. Man muß nur die Augen immer auf dem gleichen Fleck ruhen lassen, den Kopf im Nackenpolster. Ausschlaggebend ist die ungeheure Angstquelle: die nicht sichtbare Umgebung des jeweiligen Handlungszentrums. Die ist das wichtigste Reservoir für Attraktion bzw. Mißhandlungen unserer Nerven, weil aus dem Mangel an Totalen jene Bewußtseinsenge entsteht, auf die von allen Seiten Schrecken andauernd hereinbrechen kann. Es ist keine Kunst, diesen Schrecken zu bewirtschaften, wenn man nur in der Exposition klar gemacht hat, daß der Held in einer Welt ist, in der der Stärkere immer seine Zeitlang tut, was er will. Und das ist regelmäßig der Fall. Wer den Zusammenhang zwischen Kapitalverwertung und sogenannter Fernsehdramaturgie nicht einsehen will, höre sich z. B. die Gewissensbisse der Kollegen an, die im Ausland die berüchtigten TV-Serien einkaufen müssen.

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Der wichtigste Unterschied zwischen diesen beiden Öffentlichkeitsqualitäten scheint mit der zu sein, daß einen Film einer allein machen kann. Das heißt, einer kann mit Hilfe der Technik so recht faustzweihaft über die Mitarbeit von Tausend anderen verfügen, daß deren Beitrag sich selbst völlig entfremdet wird; was Tausend andere an Ton, Geste, Ausdruck, Aufbau, Licht und Farbe liefern, kann e i n e r völlig nach seinem Sinn montieren und verwenden. Es liest sich heute geradezu grotesk, daß Walter Benjamin meinte, die Kamera teste die Leistung des Darstellers und das Publikum teste mit. Benjamin sagt: „Das Publikum fühlt sich in den Darsteller nur ein, indem es sich in den Apparat einfühlt. Es übernimmt also dessen Haltung: es testet. Das ist keine Haltung, der Kulturwerte ausgesetzt werden können." 19 Und solch kulturrevolutionärer Zauber wird über Adorno und Jüngere und Jüngste immer weitergemurmelt. In einer Fußnote hat Benjamin Konsequenzen gezogen aus seinen Feststellungen, die ich wegen ihrer geradezu grotesken Widersprüchlichkeit zitieren will: „ Mit den Neuerungen der Aufnahmeapparatur, die es erlaubt, den Redenden während der Rede unbegrenzt vielen vernehmbar und kurz darauf (heute würden wir sagen: gleichzeitig — M. W.) unbegrenzt vielen sichtbar zu machen, tritt die Ausstellung des politischen Menschen vor dieser Aufnahmeapparatur in den Vordergrund. Es veröden die Parlamente gleichzeitig mit den Theatern. Rundfunk und Film verändern nicht nur die Funktion des professionellen Darstellers, sondern genauso die Funktion dessen, der, wie es die Regierenden tun, sich selber vor ihnen darstellt . . . Das ergibt eine neue Auslese, eine Auslese, vor der Apparatur, aus der der Star und der Diktator als Sieger hervorgehen." 20 Wenn das stimmt, dann wäre es doch ein bißchen verrückt, weiter zu behaupten, die Apparatur teste und mit ihr das Publikum. Sicher aber bleibt, daß einer allein die Apparatur für seine Tendenz einsetzen kann. Und der Zuschauer wird durch die Einwegenergie dieser Präsentation zum puren Empfänger. Kein Theaterregisseur könnte etwas Vergleichbares auf dem Theater tun. In einem Aufsatz Über das Selbstverständnis von Künstlern, die in Institutionen arbeiten, hat Hans Dieter Schwarze, 478

selbst in mehreren Medien erfahren, die Beobachtung mitgeteilt, daß Schauspieler, die im Theater „um einen sinnvollen, mitbestimmten Arbeitsplatz kämpfen" als Mitarbeiter beim Fernsehen ihr Bewußtsein eher an der Kasse deponieren. Auch hätten sich die Demokratieregungen der sechziger Jahre in den Theatern weit mehr bemerkbar gemacht als im Fernsehen. 21 Aber darüber hinaus: Die Theaterarbeit k a n n gar nie eine Einwegarbeit sein,' sie ist von selbst dialektisch. Der Stückig text ist eine Tendenz, die vermittelt wird nur über die sie verändernden Beiträge aller am Produktionsprozeß Beteiligten. Die Erfahrungen aller Schauspieler sind der entscheidende Beitrag. Die Schauspieler erst m a c h e n das Theater. Wenn sie den Stücktext und die Regie-Intention nicht betätigen, korrigieren, widerrufen und verändern und dann spielen, dann findet nichts statt. Nicht umsonst empfiehlt Brecht, der Schauspieler möge alle Widerstände, alles Staunen oder Unverständnis, alles, was er beim Kennenlernen der Rolle empfinde, nicht verloren gehen lassen, sondern einbeziehen in sein Spiel. Erst alle zusammen können hier der Idee die Erscheinung vermitteln. Es handelt sich dabei aber um Darstellung, um Mittel und noch einmal Mittel. Wer Unmittelbarkeit verlangt oder braucht, — etwa den Tarifkampf als solchen — der muß vom Theater enttäuscht werden. Aber die Öffentlichkeit, die durch die kollektive Bürgschaft der vor unseren hin- und herschauenden Augen arbeitenden Schauspieler geschaffen wird, hat jene kritische Kompetenz, die aus einem Parlament um so mehr verschwindet, je mehr Fernsehkameras einziehen. Das heißt: Öffentlichkeit ist ein Wort für mögliche kritische Kompetenz. Die Theater-Öffentlichkeit ist erst voll entfaltet, wenn der Zuschauer daran teilnimmt. Die Aufführung ist andauernd von der Mitarbeit des Zuschauers abhängig. Der Zuschauer sieht das Zusammenspiel, er nimmt durch die Arbeit aller Schauspieler wahr, was sie wollen, was der Regisseur will, was der Autor will. Die Schauspieler nehmen wahr, wie die Zuschauer sich einstellen und stellen sich deshalb wieder auf die Zuschauer ein, die sich wieder auf die neue Einstellung der Schauspieler einstellen: Das ist Entfaltung von Öffentlichkeit. 479

Und so wird an einem Abend mit dem Thema experimentiert, unser Dasein sei ein Irrsinn und am nächsten Abend mit dem Thema, wir seien im Stande, unserer Geschichte Herr zu werden und deshalb hätten wir überhaupt Geschichte und die hätte eben diesen Sinn, daß immer mehr Menschen zu ihrem Recht kämen. Und es ist durchaus vorstellbar, daß durch den Beckett-Abend ein Bedürfnis nach dem Brecht-Abend entsteht. Das Beckett-Stück ist ja entstanden aus gesellschaftlich verfügten Trennungen und Isolierungen, aus Entfremdung. Wir lassen es zu, daß unser Leben entworfen wird nach dem Gesetz der Kapitalverwertung. Das führt zur Idolisierung eines Leistungsprinzips, das in den meisten von uns Schuldgefühle entstehen läßt und uns in mancher Hinicht verkrüppelt. Auf der Bühne sehen wir beides: uns als die Krüppel dieser Welt und uns als die Macher einer besseren. Jeden Tag gibt der Kapitalismus Milliarden aus, um seine Herrschaft als endgültig und vernünftig erscheinen zu lassen: Das Theater, das dieser Herrschaft jeden Abend zeigt, was sie aus Menschen macht — und das zeigen Albee und Bond und Brecht — ist angesichts der zunehmenden Gewaltsamkeit und Automatik der elektronischen Monologe einer der letzten Übungsplätze für Öffentlichkeit und Dialog. Deshalb möchte ich mit dem Titel jenes Vortrags von Johann Christoph Gottsched aus dem Jahr 1729 schließen: Die Schauspiele und besonders die Tragödien sind aus einer wohlbestellten Republik nicht %u verbannen,22 (1973) 4, S. 719-727

Peter Stein/Franz Rueb/Frank-Patrick Steckel

Positionen und Probleme am Halleschen Ufer

Das Gespräch für Kürbiskern führte Oskar Neumann. Neumann: Um zunächst ganz allgemein die Stellung Ihres Theaters in der Gesellschaft zu bestimmen: will es helfen, bestehende Herrschaftsverhältnisse zu stabilisieren? Nach allem, was man von Ihnen weiß, ist das offensichtlich nicht der Fall. Die Frage konkretisiert sich also dahin, wie weit Ihre eigenen Absichten mit der Sie umgebenden Wirklichkeit in einem Spannungsverhältnis stehen, welche Bedingungen und Möglichkeiten Sie sehen, das zu realisieren, was Ihnen selbst als Theatermachern vorschwebt. Stein: Als erstes die Frage, ob wir die bestehenden Verhältnisse stabilisieren wollen. Da haben Sie schon selber geantwortet: Nein, und das ist auch so, in dieser Allgemeinheit festgestellt, bestimmt richtig. Da würden sämtliche Mitglieder der Schaubühne, sämtliche rund hundert, die wir sind in diesem Betrieb, lautstark sagen: Nein, auf gar keinen Fall. Das ist richtig. Was das genau dann im einzelnen heißt, ist unterschiedlich. Da gehen die Meinungen von einem linken SPD-Standpunkt über die Haltung, die die SEW vertritt, bis zu sehr links-radikalen Gruppierungen, und es gibt auch die Position — sie ist sogar vielfältig vorhanden — des Links-Liberalen, sich nirgends parteipolitisch Engagierenden. In unserer Arbeit sieht die Sache natürlich etwas anders aus. Da können wir konkret werden. Unser Medium ist das Theater. Wir sagen, wir spielen in der Gesellschaft, die in Westberlin und in der Bundesrepublik existiert, Theater. 481

Das bedeutet sofort: Wir spielen für ein bürgerliches Publikum Theater. Wir akzeptieren dies zunächst, weil es gar nicht anders geht. Wenn wir sagen, wir spielen nicht für ein bürgerliches Publikum Theater, dann können wir nämlich aufhören, dann können wir zumachen. Wir können uns nicht in ein zynisches Verhältnis zu dem Publikum begeben, das tatsächlich vor unsere Produktionen tritt. Wir möchten darüber hinaus für ein Publikum spielen, oder auf ein Publikum hinarbeiten, das man ganz allgemein als progressiv bezeichnen kann; genauer gesagt, da es sich zunächst ja um ein bürgerliches Publikum handelt: Leute, die sich in ihrer Klassenlage nicht hundertprozentig wohlfühlen, die wissen, gemerkt haben und spüren, daß sie über ihre Klassenlage zu reflektieren und nachzudenken haben, wenn sie überhaupt weitertragende Gedanken in ihre Köpfe hineinbekommen wollen. Das ist, glaube ich, der Ansatzpunkt unserer Arbeit, auch vom Inhaltlichen her, was die Stücke betrifft. Wir spielen auch Stücke, die sich mit Gedanken, Ideen und Ideologien beschäftigen, die nicht bürgerlich sind, und zwar ganz programmatisch, um sie kennenzulernen, um die Zeit, die historischen Voraussetzungen kennenzulernen, die Geschichte der Arbeiterklasse und die Geschichte der Revolution. Auf der anderen Seite behandeln wir, thematisch auch ganz genau gesetzt, das, was man als die Geschichte der Bourgeoisie bezeichnen kann, um zu begreifen und zu verstehen, daß die Klasse, aus der wir zumeist kommen und für die wir im überwiegenden Falle spielen, eine Geschichte hat, daß sie nicht immer so war und daß sie auch nicht immer so sein wird. Rueb: Wenn man annimmt, daß es sich hier zu einem großen Teil selbst um ein kritisches bürgerliches Publikum handelt, das die Sehnsucht hat, sich langsam oder auch schnell von seiner Klasse zu entfernen, so geht das nur, wenn man sich mit der eigenen Geschichte und dem Ursprung der Ideologie der eigenen Klasse beschäftigt, nur dann ist man überhaupt in die Lage versetzt, sie auch zu überdenken und zu überwinden. Stein: Das hat übrigens noch einen sehr günstigen Neben482

effekt: die bürgerliche Klasse hat ja eine ungeheure Kultur hervorgebracht, z. B., was wir gewohnt sind, auch unter anderen ideologischen Voraussetzungen, den Realismus zu nennen, in der Kunst nach wie vor auch in sozialistischen Ländern das große Vorbild, die große Schule. Aus diesem Grunde haben wir, wenn wir sagen, wir beschäftigen uns mit der Geschichte der Bourgeoisie, auch die Möglichkeit, uns mit den hervorragenden Kunstwerken dramatischer Art der Bourgeoisie zu beschäftigen, sie aufzunehmen, sie aus einer falschen Auffassungs- und Denktradition zu befreien. 'Neumann: Sicher, Sie sagen, Sie finden zunächst ein bestimmtes Publikum vor, aber Sie haben sich ja, das ist bekannt, mit diesem vorgefundenen Publikum nicht einfach abgefunden, sondern Versuche unternommen, ich erinnere mich an Ihre Aufführung der Mutter, auch in direkten Kontakt mit der Arbeiterbewegung zu kommen, mit den Gewerkschaften. Steckei: Bei der Mutter ist es so gewesen, daß wir uns einerseits mit dem Publikum, das wir hier vorgefunden haben, unterhalten, andererseits aber den Versuch gemacht haben, mit den Gewerkschaften, also mit einem Publikum in Kontakt zu kommen, von dessen Sache sozusagen in dem Stück die Rede ist. Und zwar ganz direkt. Das ist in einigen Aufführungen hier im Haus mit der Mutter der Fall gewesen, und darüber hinaus in Veranstaltungen, die wir mit Teilen des Stücks außerhalb der Schaubühne gemacht haben. Und da zeigt sich natürlich, daß man die Sache, die man da vorführt, auch auf eine ganz andere Weise sehen kann als mit dem Publikum, das normalerweise zu uns kommt. Kueb: Wir haben die Erfahrungen gemacht, nicht nur mit diesen speziellen Aufführungen für Arbeiter und Lehrlinge außerhalb des Hauses, sondern auch im Theater, bei Diskussionen, daß die Bereitwilligkeit von Arbeitern und Lehrlingen, im Theater Spaß zu entwickeln, d. h. im positiven Sinne naiver in so einer Veranstaltung zu sitzen, viel größer ist. Arbeiter und Lehrlinge haben offensichtlich eine größere Möglichkeit, eine Veranstaltung zu genießen, als beispielsweise linke Studenten. Sie sind bereitwilliger, so etwas auf483

zunehmen, obwohl sie eigentlich die Genußfähigkeit in ihrer Entwicklung und in ihrer Ausbildung nicht so mitbekommen haben wie die privilegierten Schichten der Gesellschaft, und deswegen waren auch diese Gespräche mit Arbeitern und Lehrlingen meistens produktiver, weil sie nicht von vornherein, wie das oft mit Studenten und jungen Linken vorgekommen ist, eine negative Position bezogen haben, von einem totalen Anspruch her. Stein: Was das Sich-nicht-Abfinden mit der Publikumsstruktur betrifft, so würde ich, wenn es einen sehr negativen Klang haben soll, dagegen polemisieren. Neumann: Nein, ich meine es im Sinne der Erweiterung. Stein: Einer entscheidenden Erweiterung. Da haben wir zwei Wege eingeschlagen. Erstens haben wir versucht, uns mit Themen zu beschäftigen, von denen wir sicher sein konnten oder von denen wir hofften, daß sie die Arbeiterklasse in einer unmittelbaren Weise interessieren, und zwar vom Thematischen her, nicht so sehr die Form, die psychologischen, die stimmungsmäßigen und ästhetischen Geschichten, die darin vorkommen, sondern vom Thema her. Und das ist auch der Weg, auf dem man herankommen kann — so war jedenfalls unsere Meinung — an ein Publikum, das sich aus der Arbeiterklasse rekrutiert. Dieser Weg war relativ beschränkt; Stücke, die unserem Anspruch an Tragfähigkeit, an Themenhaltigkeit, an Wahrheit und auch an künstlerischer Brisanz zwecks Empfindung von Form und Empfindung von Spaß genügen — solche Stücke sind unwahrscheinlich selten, gerade über Themen, die die Arbeiterklasse direkt berühren. Wir haben deshalb gesehen, daß wir auch noch einen anderen Weg einschlagen mußten und wollten, und das war der, daß wir ganz spezielle Veranstaltungen gemacht haben, die für ein solches Publikum gedacht waren und das dazu nicht unbedingt in unser Haus hineinkommen mußte, sondern zu dem wir auch hingegangen sind, selbst wenn es nur vierzig oder fünfzig Leute waren. Es waren Stücke wie die Auseinandersetzung von Gerhard Kelling, über Konflikte innerhalb der Gewerkschaft in Bremen; dann ein Stück, das ein Bühnenarbeiter von uns, Johannes Schenk, geschrieben hat, Transportarbeiter Jakob Kuhn hieß das; 484

dann haben wir ein Stück entwickelt, das die Märzkämpfe 1921 im Mansfeldischen Land zum Inhalt hat. Das haben wir unternommen, um ganz gezielt vom Inhaltlichen her an dieses Publikum heranzukommen, es auch dort aufzusuchen, wo es sich befindet und es nicht unbedingt hierherzuziehen. Aber auch das hat seine Grenzen gezeigt. Erstens einmal hat sich herausgestellt, daß es gar nicht leicht ist, Publikum auf so einer Basis zu organisieren, obwohl wir mit diesem Programm relativ viele Leute erreichen konnten. Zweitens, daß die Stückvorlagen den Schauspielern und den Beteiligten immer wieder äußerste Schwierigkeiten gemacht haben, was die libidinöse Besetzung der Sache betrifft. Alle haben mit einer ungeheuren Verve und einem großen Interesse und einem großen Entdeckergeist die Optimistische Tragödie gcmacht, aber mit der Auseinandersetzung, da war man halt relativ rasch fertig damit. Weil das ein sehr schmaler Stoff ist, auch vom Formalen her sehr schmal. Das führt zu dem Moment, wo man sagt, man kann sich damit nicht ausgiebig und voll identifizieren; sobald die Anlässe, die äußerliche Impulse geben und selber eine gewisse Theatralität beinhalten, zurückgehen und nicht so deutlich aufzufinden sind, in dem Augenblick erschlafft auch das Interesse. Neumann: Besteht nicht auch die Gefahr, daß die Erwartungen an die Schaubühne hinsichtlich ihrer politischen Wirksamkeit und ihrer inneren Struktur zu hoch angesetzt werden? Stein: Was wir hier in der Schaubühne machen, ist ein Kurs des Ausgleichs. Das muß man ganz klar sagen. Wir sind keine sozialistische Insel. Wir sind, was das Theater betrifft, eine Insel, ja und eine ziemlich einsame, das muß man schon sagen. Und auch dabei ist es so: Unser Anspruch und das, was wir real machen können, klafft ungeheuer auseinander. Und zwar nicht etwa deshalb, weil uns der Senat da finanziell unterdrückt oder so — das ist alles viel zu kurzschlüssig gesehen. Der Senat zahlt uns die Subventionen und wir schmeißen dafür Produktionen raus, die einen Werbewert haben für West-Berlin. Das ist unser Verhältnis im Augenblick: Der Senat gibt, und wir geben etwas dafür. Das bedeutet natürlich 32

Reinhold, Kürbiskern

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indirekt, daß wir da unter irgendeinem Druck stehen, aber sehr indirekt, nicht aus dem direkten Verhältnis. 'Neumann: Sie würden auch unter gesellschaftlichen Zwängen stehen, wenn Sie vom Senat kein Geld erhielten. Stein: Jedenfalls. Und zweifellos zunächst einmal, also ganz äußerlich gesprochen, unter größeren. Ich sage das so deutlich, weil es manchmal auch die Argumentation gibt, die Schaubühne hat sich eben nicht zum wahren kommunistischen Eiland mausern können, weil eben diese Untcrdrükkung durch den Senat und so weiter existiert. Das ist eine Ausrede, und diese Art von Märtyrertum steht uns überhaupt nicht. Aber es gibt natürlich einen ganz berechtigten Anspruch an die Schaubühne, mit ihren Möglichkeiten, Theater für ein proletarisches Publikum zu machen und sich in dieser Richtung weiter zu profilieren, sich weiterzuentwickeln mit der Entwicklung der Arbeiterbewegung insgesamt. Ich glaube, daß das ganz eng zusammensteht. Rueb: Eigentlich hab ich das als den zentralen Punkt begriffen bei unseren ganzen Bemühungen mit diesem Arbeiter- und Lehrlingsthcatcr, und da sind uns eben auch die Grenzen bewußt geworden. Das heißt, die Schaubühne oder ein Theater überhaupt hat größere Möglichkeiten, sich in Richtung einer sozialistischen Tendenz zu entwickeln, nur im Rahmen einer stärkeren Entwicklung der Arbeiterbewegung, in deren Sog. Sonst werden wir sozusagen auf dem Versuchsfeld permanent stehenbleiben, auf demselben abgesteckten Feld. Das will aber nicht heißen, selbstverständlich, daß wir darauf warten müssen, bis sich die Arbeiterbewegung der Produktionsmittel auch auf dem Kultursektor stärker bedient und sie überhaupt in die Hand nimmt. Wenn man einigermaßen die Geschichte von Theaterbemühungen im Rahmen der Arbeiterklasse oder für die Arbeiterklasse kennt, dann stellt man fest, daß sie immer nur dann eine Höhe der Vcrmittelbarkeit und auch des Umfanges und der Qualität im Klassenkampf erreicht haben, wenn die Arbeiterklasse selber daran ganz direkt aktiv beteiligt war. Und ohne eben diesen Aspekt ist es schwer, wirklich weit 486

zu kommen. Man kann Schritt für Schritt ein bißchcn weiterkommen, das ist klar, aber eine wirklich neue und große Qualität in dieser Richtung wird man nicht erreichen. Stecket: Wir sind ja nicht einmal in der Lage, auf dem Sektor, auf dem wir selber tätig sind, d. h. in der speziellen Kultureckc, Ordnung zu schaffen. Von uns kann, so wie das im Augenblick aussieht, noch nicht einmal ein organisierender, zusammenschließender, Fragen und Perspektiven klärender Impuls ausgehen, der dazu führt, daß Leute, die an anderen Theatern arbeiten, eine Möglichkeit sehen, aus ihrer miesen Situation herauszukommen. Und solange wir in einer so relativ isolierten Situation arbeiten, wo sich zwar alle möglichen Leute darüber unterhalten, was an der Schaubühne passiert und daß das alles ganz fabelhaft sei und daß man die Schaubühne geradezu vorbildmäßig ins Auge fassen müsse, während aber in Wirklichkeit von uns gar nichts unternommen werden kann, um diese Situation zu verbessern, so lange entwickelt man natürlich Hemmungen, von der Rolle des Theaters im Klassenkampf zu sprechen; denn warum soll unsere Rolle in bezug auf die Arbeiterklasse produktiver und impulsgebender sein als es unsere Rolle innerhalb unserer eigenen Organisation, innerhalb unserer eigenen Sparte ist. Natürlich, es ist beim Theater sehr gut möglich — und auch nötig —, immer wieder über progressive Impulse zu reden, weil beim Theater immer wieder solche Wunschvorstellungen, Utopien und Man-möge-doch-Vorstellungen auftauchen und auch eine gewisse Tradition, insbesondere aus der Weimarer Zeit, existiert — und das alles, obwohl die ganze Sache in ihrer quantitativen Auswirkung überhaupt mit dem bloßen Auge gar nicht zu entdecken ist. Neumann: Ich meine, daß Sie jetzt etwas zu pessimistisch formulieren. Natürlich kann man nach keiner einzigen Aufführung hier sagen: jetzt ist das Bewußtsein derer, die aufgepaßt haben, um dieses Stück vorangekommen. Aber das gilt doch unter unseren Bedingungen wohl ziemlich allgemein für jede künstlerische Aktivität, vielleicht abgesehen vom Floh de Cologne, einer Songgruppe oder einer Agitproptruppe, wobei aber auch diese in ihrer Wirksamkeit 32*

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entscheidend abhängen von der Situation: Sie werden unmittelbar wirksam, wenn sie während eines Streiks auftreten, aber sie können nicht in einer Nichtstrciksituation einen Streik machen. Kueb: Das ist ein ganz wichtiger Unterschied, daß man wissen muß, daß diese Gruppen schon eingreifen in einen im Gang befindlichen politischen oder ökonomischen Prozeß. Was sie vorführen, das kann etwas beschleunigen; aber auslösen, wenn nichts vorhanden ist, kann das nicht. Neumann: Die Spannung zwischen Anspruch und Verwirklichung vorausgesetzt, bleibt für die Schaubühne am Halleschen Ufer nun aber doch eine positive Bilanz. Peter Weiss z. B. hat in seiner Antwort auf unsere Fragen zur gegenwärtigen Theatersituation sehr betont auf die künstlerischen und dabei besonders auch auf die starken intellektuellen Potenzen dieses Theaters hingewiesen. Stein: Bitte sehr, immer verglichen mit anderen Theatern, nicht etwa verglichen mit andern Institutionen. Es gibt natürlich wesentlich gescheitere Leute als uns. Neumann: Aber Sie legen ja nun offensichtlich Wert auf die Gescheitheit, auch der Schauspieler. Und das scheint Sie mir eben doch sehr vorteilhaft von anderen Auffassungen zu unterscheiden. Stein: Ja, die Gescheitheit von Schauspielern. Wenn man mich ganz kalt und trocken fragt, dann ist das für mich zunächst einmal, wenn ich einen Schauspieler kennenlerne oder ihm gegenübertrete, nicht die allererste Frage, sondern selbstverständlich ist für mich die allererste Frage, welche Fähigkeiten hat dieser Mensch, mich durch das Inbewegungsetzen seiner Physis, seiner Psyche und auch seines Verstands zu fesseln und zu interessieren; und zwar mehr zu interessieren als z. B. ein Straßenpassant. Und ich meine, daß man da nicht zu stark die Intellektualität in den Vordergrund stellen sollte, sondern die Frage heißt bei uns: Welche Schauspieler interessieren sich über die unmittelbaren Gegebenheiten ihrer Darstellungskunst hinaus, die man natürlich auch ganz ohne eine übermäßige intellektuelle Bewegung machen kann — das können ja schon die Kinder, das ist ja das Tolle — für das Zustandekommen dessen, was 488

sie beschäftigt in ihrer Arbeit; und dieses Interesse verlängert sich in allerkürzester Zeit sofort in gesellschaftliche Tatbestände. Also wir gehen nicht so vor, daß wir sagen: Bist du politisch, was immer das sein mag, dann darfst du hier arbeiten; sondern wir fragen: Bist du daran interessiert, über deine unmittelbaren Gegebenheiten hinaus deine Situation, deine Geschichte, die Voraussetzung für ein Stück, das du spielst oder die Voraussetzungen des Publikums, für das du spielst, dem du gegenübertrittst, zu begreifen und zu verstehen? Hast du dafür Interesse und bist du bereit, dafür auch eine Arbeit zu leisten, auf einem anderen Sektor, als nur direkt auf der Bühne, im Zusammenspiel mit anderen Schauspielern — das ist allerdings ein sehr wichtiger Maßstab. Es hat sich in unserer Arbeit herausgestellt, daß Schauspieler, die einen übermäßig entwickelten Spieltrieb in sich verspüren, es relativ schwer haben bei uns, und dies aus dem einfachen Grunde, weil wir nur drei bis vier Produktionen im Jahr machen und die Schauspieler deshalb z. T. vielleicht nur in zwei Produktionen in einer etwas größeren Rolle drankommen und dann hier an dem Theater überhaupt nichts haben, wenn sie sich nicht über das unmittelbare Spielen hinaus weiterinteressieren. Das führt sowohl in den künstlerisch-intellektuellen, historischen und wissenschaftlichen Bereich, als auch ganz stark natürlich in den gesellschaftlichen und politischen Bereich hinein. Neumann: Man sieht ja an Ihrer Aufführungspraxis, oft auch schon an der Gestaltung Ihrer Programmhefte, wie Sie sich bemühen, zu dem einzelnen Stück den historischen Hintergrund, gesellschaftliche Zusammenhänge herzustellen. Offensichtlich kämen sonst die Aufführungen nicht so zustande, wie sie sind. Ist das ein Prozeß, an dem das ganze Ensemble mehr oder minder stark beteiligt ist? Stein: Es gibt dafür bestimmte Formen der vorbereitenden Arbeit, die wir entwickelt haben für einzelne Projekte, die in der Tat von den Schauspielern z. B. verlangen, daß sie ein Buch selbst über ein Randgebiet des Themas, worüber das Stück handelt, sich vornehmen, durchlesen und darüber den anderen Schauspielern Bericht erstatten. Darüber hinaus 489

haben wir verschiedene Methoden entwickelt, wie gemeinsame Betrachtung von Bilddokumenten zu dem Stück, von Filmen usw. Neumann: Können Sie das nicht am besten an einem konkreten Fall darstellen? Ich kann mir nicht vorstellen, Sic hätten die Optimistische Tragödie so aufführen können, ohne den Charakter der Auseinandersetzungen zwischen Anarchisten und Leninisten zu analysieren, ohne ihn zu kennen in seiner historischen Bedeutung. Rueb: Bei der Optimistischen Tragödie haben wir uns ungefähr ein Dutzend Filme angeschaut, die wir extra besorgt haben, aus dem russischen Bürgerkrieg, alles sowjetische Filme. Dann haben wir natürlich die russische Revolution und insbesondere den russischen Bürgerkrieg studiert. Da haben wir ungefähr zehn Referate gehalten über die Geschichte des Bürgerkrieges, die Schlachten dargestellt, den Kriegskommunismus besprochen, die Geschichte des Anarchismus in Rußland, die Position der Anarchisten während des Bürgerkrieges, die Neue Ökonomische Politik usw. Das lag natürlich daran, daß dieses Stück gerade deshalb ausgewählt wurde, weil man über diese Zeit und über diese Phänomene etwas wissen und weitergeben wollte. Stein: Daß daraus eine ziemlich rabatzhafte Aufführung geworden ist, mit sehr kräftigen Bildern und relativ viel Spaß in den einzelnen Darstellungen, das ist dann auf die Kombination von den Referaten, Filmen und natürlich auch von eigenen Vorstellungen zurückzuführen — z.B., was der Anarchismus darstellt, der ja sehr phantasiebelebend ist, wie wir festgestellt haben, eigentlich viel stärker als die Kommissarsseitc. Das hat natürlich auch seine ganz bestimmten Gründe, weil der Anarchismus ja einen sehr starken bürgerlichen Hintergrund hat. Es gibt aber dann, das möchte ich gleich dazu sagen, allerdings auch von Zeit zu Zeit eine Gegentendenz. Wenn man stundenlang mit dem Kriegskommunismus sich beschäftigt hat, dann ist es so, daß man bei der nächsten Produktion sagt, jetzt wollen wir einmal eine Sache machen, wo wir überhaupt nichts dafür lesen müssen. Zum Beispiel eine Komödie, von der man hofft, daß sie so aus der Hand 490

geht, weil man sich eben in einer Gegenreaktion einmal mit ganz anderen Sachen beschäftigen möchte. Und dem wird dann auch Rechnung getragen. Allerdings oft sehr spät, erst ein Jahr später. So ist es auch bei den Programmheften, sie sind ebenfalls unterschiedlich. Es wurde z. B. für Geschichten aus dem Wienerwald ganz bewußt darauf verzichtet, im Programmheft — das ist dann allerdings intern auch wieder kritisiert worden — nun alles genau auseinanderzulegen und klarzulegen, weil man selbstverständlich berücksichtigen'muß, daß sehr genaue Darlegungen noch lange nicht die szenische Beweisführung auf der Bühne ersetzen. Und dann kommt es dazu, daß man sagt, verdammt nochmal, wir wollen das alles nicht irgendwo im Programm erklären, sondern die sollen das entweder in der Aufführung wahrnehmen oder nicht; dann stellt man fest, daß das Schwierigkeiten hervorgerufen hat, prompt kommt eine Gegcnentwicklung, und man macht z. B. ein Programmheft zu dem Prinzen von Homburg, eine sehr ausführliche Dokumentation der Überlegungen, die man angestellt hat. Wobei ich jetzt schon wieder auf der Gegenlinic liege und sage, vielleicht ist das des Guten zu viel gewesen. Also Vorsicht. In dem Versuch, alles programmatisch zu erklären, heißt es deshalb: Kleists Traum vom Prinzen von Homburg. Das hätte man vielleicht lieber weglassen sollen, dann wären die Leute nicht gleich vorprogrammiert worden, sondern hätten dies vielleicht stärker erlebt, während der Aufführung. Also solche Sachen sind in der Überlegung ungeheuer wichtig. Ich meine: wenn man überhaupt von der Qualität der Schaubühne reden kann (abgesehen von den auch für mich nicht ableugbaren Qualitäten in der Aufführung, wenn man den Schauspielern zusieht), so ist es die Tatsache, daß wir auf unsere Erfahrungen reagieren, daß wir die Widersprüche aufnehmen und versuchen, durch auch widersprüchliches Verhalten ein Spannungsfeld zu schaffen, in dem wir weiter arbeiten können. Neumann: Sie haben von der Wechselbeziehung zwischen der Entwicklung der Arbeiterbewegung im gesellschaftspolitischen Raum und den möglichen weiteren Entwicklungen 491

an ihrem Theater gesprochen. Ich finde diese Perspektive so wichtig, daß wir dabei auch über die Probleme und über mögliche Mißverständnisse sprechen sollten. Ich bin ja der Meinung, daß es in einem weit verstandenen geistig-politischen Sinn eine Tat auch im Interesse der Arbeiterklasse war, am Halleschen Ufer zu zeigen, daß Kleist und der Prinz von Homburg nicht dem Wilhelminischen Deutschland und erst recht nicht den Nazis gehören, sondern daß da etwas ist, was von uns aus gesehen mit Zukunft, mit Vermcnschlichung, mit Sinnerfüllung des Lebens zu tun hat. Stecke/: Ja, das ist richtig, ich finde das sehr freundlich, was Sie da sagen. Neumann: Ich dachte dabei absolut nicht an Freundlichkeit, ich würde ganz unfreundlich das Gegenteil sagen, wenn ich vom Gegenteil überzeugt wäre. Stecke/: Es ist eben ein Tropfen auf den heißen Stein. Es verschwindet sozusagen in dem Augenblick, wo es entsteht, auch schon wieder spurlos. jNeumann: Spurlos verschwindet weder in der Natur noch in der Gesellschaft irgend etwas. Stecke/: Ja, ich meine, wirksam wird die ganze Arbeit ja sowieso nur durch ihre Beharrlichkeit, durch ihre Kontinuität. Neumann: Um im Bild zu bleiben: Steter Tropfen . . . Steche/: Aber das muß schon ein anderer Tropfen sein, als der, den wir hier fallen lassen. Neumann: Es müssen gewiß nicht nur theatralische Impulse sein, aber auch diese. Und gerade, wenn man vom Theater Einflüsse erwartet, die in der Richtung des e i n g r e i f e n d e n D e n k e n s gehen, ist man leicht geneigt, vom Theater eine zu enge, direkte Zuordnung seiner Arbeit zu aktuellen politischen Vorgängen zu verlangen. Ganz praktisch: Selbstverständlich muß sich die Gewerkschaftsorganisation oder die Arbeiterpartei in der gegenwärtigen Lage in der Metallindustrie auf den Lohnkampf konzentrieren. Nur, das kann offensichtlich nicht bedeuten, daß es jetzt auf der Bühne, am Halleschen Ufer bloß noch Lohnarbeit und Kapital in dramatisierter Form geben kann. Stein: In den Diskussionen über die Tarifrunde würde man auf 492

dem Theater, und zwar aufgrund der Voraussetzungen des Theaters, die eben an einer möglichst klaren Dramatik interessiert sind, nach kürzester Zeit lediglich mitteilen können, was gerade in solchen Tarifauseinandersetzungen die Arbeiterklasse ohnedies ziemlich genau weiß, daß sie nämlich ausgebeutet wird, während z. B. die Prozentzahlen oder die bestimmten Taktiken im Abwehrkampf für die Darstellung auf der Bühne relativ wenig abgeben. Vor allem für ein Publikum, das in diesem Augenblick nicht an diesen Auseinandersetzungen beteiligt ist. Etwas anderes wäre es natürlich, wenn z. B. in einer Streiksituation ein Theater für die Kollegen, die streiken, eine theatralische Veranstaltung macht, die ihnen einigermaßen Spaß macht, und wo das, was sie kämpferisch gerade ausfechten, in einer Weise vorkommt, daß sie damit etwas anfangen können. Das ist eine ganz andere Geschichte. Neumann: Ich möchte die Funktion des Theaters, verändernd zu wirken, gar nicht eingeschränkt sehen. Was Sie vorhin gesagt haben über dieses Mithelfen, Geschichte zu verstehen, einzugreifen in die Diskussion um Lebensqualität — ich sehe darin eine sehr große Aufgabe und Möglichkeit. Sicher sind die Resultate nicht in Sekunden und Kilogramm zu messen, aber dennoch, glaube ich, positiv zu bewerten. Stein: Ja, unsere Möglichkeit ist natürlich ziemlich schmal, und noch nicht einmal diese Möglichkeit ist jedem Theater gegeben. Es ist so, daß unsere Konzentration auf ein junges, fortschrittliches, aufgeschlossenes, bürgerliches Publikum eine ganz gute Arbeitsgrundlage darstellt, die man auch über ein paar Jahre hinaus halten kann und die uns tragen kann unter den gegenwärtigen Bedingungen. Steckel: Wenn man sich vergegenwärtigt, in welcher Situation 99,9 Prozent sämtlicher Theater arbeiten, die in der Bundesrepublik und in West-Berlin tätig sind, dann sieht man sofort, daß die Vorstellung von dem im Klassenkampf mehr oder weniger direkt assistierenden Theater eine illusionäre Geschichte ist. Gemessen auch nur an der durchschnittlichen Realität, in der diese Betriebe arbeiten, ist es absurd, davon überhaupt nur zu reden. Und selbst wenn man das so allgemein praktizieren wollte, wie Sie es eben formuliert haben 493

und mit einer so großen Portion guten Willens, wie sie dazu gehört, sich solch eine Entwicklung überhaupt zu wünschen — schon dann würde das eine tiefgreifende und für die Verhältnisse des Theaters radikale Umstrukturierung dieser ganzen Apparate erfordern. Das ist an der Schaubühne eine höchst spezielle und unter den besonderen Bedingungen, unter denen wir arbeiten, diskutable Sache. Da kann man überhaupt darüber reden. Und reden noch viel leichter als was tun. Aber wenn man versucht, das auch nur geringfügig zu verallgemeinern, und schon mal nach einem zweiten Theater zu suchen, an dem das auch möglich sein sollte, hat man sofort die größten Schwierigkeiten; d. h., es ist im Augenblick nichts anderes als eine Vorstellung davon, wie das sein soll. Stein: Es ist so, daß die Theater, die ungefähr so wie die Schaubühne strukturiert sind, alle auch so ähnlich situiert sind wie wir. Jetzt nicht im materiellen, im finanziellen Sinne, sondern in dem Sinne, daß das nur dort möglich ist, wo es ein größeres Theater in einer Stadt gibt, wo sozusagen ein kleineres Gegentheater gemacht wird, z. B. beim „TAT" in Frankfurt oder auch, mit bestimmten Modifikationen, das Theater am Neumarkt in Zürich. Das zeigt schon: will man so etwas überhaupt machen, mit einer realistischen Basis und mit einer ganzen Reihe von Menschen, die ja auch leben wollen, die ja auch ihren Lohn verdienen wollen, dann ist das im gegenwärtigen Zeitpunkt offensichtlich nur in größeren Städten, mit einer bestimmten politischen Konstellation, in einem gewissen Windschatten möglich. Solche Überlegungen an die großen Häuser zu verschwenden, das hat sich schon gezeigt, hat grundlegende Schwierigkeiten, weil in diesen Häusern ja nicht nur böswillige Intendanten abzuschaffen sind, sondern festgefahrene Apparaturen bis hinunter zu der Art, wie eine Technik organisiert ist, oder der Garderobendienst. Dort gibt es in bezug auf die Durchrcflektierung der Arbeit am Theater eine unheilige Allianz , zwischen, was wir immer wieder formuliert haben, den bösartigen Intendanten und z. B. der Interessenvertretung der an den großen Theatern Beschäftigten. Diese unhcilige Allianz hat es früher sehr stark gegeben und erst in letzter 494

Zeit haben sich da Ansätze herauskristallisiert, w o das nicht mehr so einwandfrei funktioniert. Stecket: Man versuche sich vorzustellen, in wclchem A u s m a ß hier gearbeitet wird, vor allen D i n g e n v o n den Schauspielern, was an Mehrarbeit, und zwar nicht nur körperlicher A r t in Probenprozessen, sondern auch darüber hinaus lektüremäßig und beschäftigungsmäßig anfällt, u m die Sache überhaupt an einen Punkt zu bringen, bei dem m a n ernsthaft d a v o n reden kann, daß dieses Theater in der L a g e ist, wenn auch in noch so bescheidenem U m f a n g , irgendwelche K o m m e n t a r e oder R a n d b e m e r k u n g e n z u m K l a s s e n k a m p f zu machen: dann ist das unheimlich viel. E s gibt an anderen Theatern, von denen wir gerade sprechen, dazu unheimlich wenig Möglichkeiten und bei vielen Leuten auch wenig Bereitwilligkeit. A u f der anderen Seite gibt es eine M e n g e junger Leute, die in diesem Sektor tätig sind, die sich alle sofort anheischig machen würden, die höhere Arbeit auch zu leisten, bei denen nur alle möglichen anderen Gesichtspunkte eine Rolle spielen, beispielsweise die Q u a l i f i k a t i o n f ü r den Beruf als Schauspieler, in d e m Sinne, in d e m vorhin Peter Stein d a v o n geredet hat. U n d wenn Sie sich angucken, wie da gewirtschaftet wird, v o r allen D i n g e n v o n den Schauspielschulen, die privat betrieben werden und damit G e l d verdienen, daß sie irgendwelche jungen Leute, die sie f ü r b e g a b t erklären aus Gesichtspunkten, die nicht durchsichtig werden, wie da Leute verantwortungslos auf diesen M a r k t getrieben werden, der bereits v o l l k o m m e n überfüllt, sinnlos überfüllt ist, der aber so etwas wie ein kulturelles I m a g e vermittelt . . .

Neumann: . . . wir haben in München 6000 Schauspieler . . . Steckel: . . . dann wird einem einfach schlecht, u n d wir sind hier i m m e r f o r t konfrontiert mit jungen Leuten, die hierher k o m m e n und mitteilen, wenn sie nicht an der S c h a u b ü h n e eine Arbeitsmöglichkeit bekämen, dann könnten sie sich überhaupt nicht vorstellen, wie sie noch am Theater arbeiten sollten. U n d solange eine solche Situation besteht, in der man damit konfrontiert ist, daß privatwirtschaftliche G e sichtspunkte bei der A u s b i l d u n g v o n Schauspielern dazu führen, daß ein U b e r a n g e b o t v o n eigentlich ganz p r o d u k t i v e n 495

jungen Leuten, die, wenn sie vernünftig hingewiesen würden auf die Arbeitsmöglichkeiten und die Verhältnisse, die auf diesem Markt herrschen, bestimmt etwas anderes machen würden; solange dies noch so ist, ist es außerordentlich luxuriös, von der Rolle des Theaters im Klassenkampf zu reden, weil das Ganze im Grunde eine völlig verschissene Angelegenheit ist. Es gibt gewisse zugespitzte, relativ günstige Arbeitsverhältnisse an so einem Theater wie der Schaubühne, aber die sind weitgehend singulär, vorderhand einzigartig. Sie basieren sehr stark auf einer ganz spezifischen Personenkonstellation, die es ermöglichte, die geforderten Werbeaspekte für West-Berlin zu verbinden mit einer Arbeitsweise, die man bis zu einem gewissen Grade progressiv nennen kann. Rueb: Ich meine, daß solche Forderungen an ein Theater wie die Schaubühne Produktionen zu machen, die direkt im ' politischen Kampf für die Arbeiterklasse verwendbar sind, eigentlich gar nicht von der Arbeiterklasse oder von den Arbeiter-Organisationen gestellt werden. Wenn man beispielsweise die größte Massenorganisation der Arbeiter nimmt, die Gewerkschaften, so wird leider überhaupt nichts gefordert von uns, im Gegenteil: wir machen permanent seit zweieinhalb Jahren an die Gewerkschaften Angebote, die immer zurückgewiesen werden. Bis heute ist es nur gelungen, punktuell da und dort über die Jugendorganisationen der Gewerkschaften einigermaßen voranzukommen. In so kurzschlüssiger, naiver und primitiver Form werden die Forderungen nach meiner Erfahrung meistens von Intelligenzlern erhoben, die sich politisch betätigen, von den Ausläufern der Studentenbewegung. Das stellen wir auch dann fest, wenn wir beispielsweise hier mit der SEW diskutieren; es sind nicht Arbeiter, die mit solchen Postulaten an uns herantreten. Stein: Von Arbeiterseite wird an uns immer wieder die Forderung gestellt, daß das, was wir veranstalten auf der Bühne, einen bestimmten Grad von Verständlichkeit hat, ein bestimmtes Angebot an Einstiegsmöglichkeiten, ein starkes Berücksichtigen von den Elementen, die wichtig sind auf dem Theater wie Fabel, Übersichtlichkeit der Personen496

führung und so etwas. Und da ist es allerdings so, daß wir da manchmal auf Kollisionskurs liegen; bestimmte Neigungen von uns sind, was die künstlerische Realisierung betrifft, in vielen Fällen orientiert an dem angenommenen oder tatsächlichen ästhetischen Wahrnehmungsmechanismus unseres bürgerlichen Publikums, dem wir ganz klar, ja polemisch, immer wieder entgegentreten, indem wir es auffordern, nicht in einsträngiger Weise Dinge zu beurteilen, sondern auf dem ästhetischen Sektor Differenzierungen vorzunehmen, Differenzierungen vorzuschlagen, mit der Maßgabe, daß das wesentlich mehr Spaß macht. Je mehr sich — das ist ja das Entscheidende von ästhetischer Arbeit — alle Beteiligten, sowohl die produzierenden Hersteller wie die Aufnehmenden vereinigen, verabreden können zu einem höchsten Grad von Differenziertheit, umso größer wird der Spaß, umso größer wird das Vergnügen an der Tätigkeit. (1973) 2, S. 335 - 347

Roman Ritter

Das Theater K

K steht für Kollektiv. D a ß eine Amateurtheater-Gruppe, die von Anfang an die konkrete politische Aufklärung der B e völkerung mit geeigneten theatralischen Mitteln anstrebte, im Gegensatz zum bürgerlichen Theaterbetrieb nur auf der Basis einer möglichst breiten gruppeninternen Kooperation funktionieren konnte, stand schon fest, als das „Münchner Theaterkollektiv" sich im Lauf des Jahres 1970 konstituierte. Auch die Einsicht, daß Theater als politisches Instrument zu verstehen sei und sich mit seiner speziellen Dialektik von Unterhaltung und Aufklärung als Träger politischer Inhalte eigne, mußte bislang nicht revidiert werden. U m so interessanter sind die Entwicklungen, Erfahrungen und Lernprozesse, die das Theater K in seiner bald dreijährigen Praxis unter dieser Prämisse gemacht hat. Sic reflektieren auf ihre Weise die politische Entwicklung in der B R D , die ja auch in der theatralischen Arbeit immer wieder thematisiert wurde, und sind daher aufschlußreich für die Entfaltung kritisch-oppositioneller Aktivitäten im Kulturbereich. Ungewöhnlich ist, daß eine Laientheater-Gruppe dieser Art, deren Anfänge in die letzte Phase der antiautoritären Studentenbewegung zurückreichen, heute noch besteht und mit neuen Perspektiven weiterarbeitet. Denn mit der antiautoritären Studentenbewegung — die der Staatsmacht zwar moralisch entrüstet ins Gesicht gespuckt, sie aber nicht umgestürzt hatte, und nur z. T . kontinuierlich in einen organisierten K a m p f an der Seite der Werktätigen hineinwuchs — gingen auch viele der damals agierenden Straßentheater-Gruppen ein. Beflügelt

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von kulturrevolutionärer Emphase hatten sie 1968 vor allem mit den Themen Vietnam, universitäre Konflikte, Notstandsgesetzgebung und Pressekonzentration ein neugieriges Publik u m gefunden. Zum Teil wurde auch der Versuch unternommen, etwa im Verlauf der Streiks vom September 1969, unmittelbar die Widersprüche der Klassengesellschaft vor Werktätigen szenisch zu veranschaulichen oder sich den Lehrlingen als Zielgruppe zuzuwenden. Eine Reihe dieser Versuche scheiterte oder versandete, weil ihnen kein klares politisches Konzept zugrunde lag, das auch die Frustrationen der täglichen politischen Kleinarbeit überdauert hätte. Man operierte isoliert von politischen Organisationen, knüpfte nicht am subjektiven Bewußtsein der Adressaten an und konnte oder wollte ihnen keine konkrete organisatorische Alternative anbieten. Einige der damaligen Akteure zogen freilich eine Lehre aus diesen Erfahrungen — sowohl in bezug auf den eigenen politischen Standort als auch auf eine zukünftige, den gesellschaftlichen Verhältnissen und den Rezeptionsweisen des angesprochenen Publikums adäquate Theaterform. W o l f g a n g Anraths, Initiator des Theater K, der Theaterwissenschaft studiert und Regieerfahrungen an einem Tourneetheater gesammelt hatte, erlebte Aufstieg und Fall einer studentischen Münchner Straßentheatergruppe („Politisches Forum") mit. W a s an kabarettistischem Agitationshappening im studentischen Milieu Applaus erhielt, verfehlte vor Betrieben meist seine W i r k u n g — statt mit Solidarität war nicht selten mit Prügeln zu rechnen. Da es sich als idealistisches Mißverständnis und deshalb als falsche Politik erwies, kurzfristig in die Köpfe der Werktätigen Klassenbewußtsein hineinspielen zu wollen, mußte man langfristig mit Organisationen der demokratischen Opposition zusammenarbeiten. Es bildete sich die „AGIT-Gruppe München", die während des Wahlkampfs 1969 mit einer Straßentheatcr-Polit-Revue drei Monate auf Tournee durch die B R D ging. Man unterstützte mit den Mitteln der politischen Show die A D F als demokratische Alternative zu den Bonner Parteien, vor allem zu den Restaurationsparteien CDU/CSU. Das speziell auf den Wahlkampf zugeschnittene Programm aus Songs, satirischen Dialogen und agitativen Szenen dauerte maximal anderthalb ' Stunden.

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Es eignete sich sowohl für politische Veranstaltungen als auch für die Straße, da jede Nummer einzeln gespielt werden konnte. Die Orientierung der Truppe drückte sich hier darin aus, daß verstärkt Probleme der Werktätigen aufgegriffen wurden. In der dokumentarisch-satirischen Szene Zum Beispiel Rockwell versuchte man, am Fall des wegen seiner konsequenten Interessenvertretung der Kollegen von Entlassung bedrohten Münchner Betriebsrats Hans Koller aufzuzeigen, wie dem Klassenkampf des Kapitals von oben durch die Solidarität der Werktätigen begegnet werden kann. Auch die Ausbeutung der Lehrlinge wurde thematisiert. In der Revue Verhör wurden Fragen der Mitbestimmung, der Rechtsentwicklung und der Außenpolitik in dokumentarisch-dialogischen Szenen veranschaulicht. Diese Art Aufklärung, die weitgehend auf szenische und spielerische Effekte verzichtete und sich auf Sprecher in verschiedenen „Rollen" und „Chor" beschränkte, wurde später von der Gruppe „Interpol" fortgesetzt. Zwar hatte der praktische Bezug auf den Wahlkampf eine Perspektive für geeignete Auftrittsorte und Themen erbracht, dennoch gelang es kaum — was sich vor allem bei Auftritten vor Betrieben zeigte — Arbeiter für diese Form des agitativen Spektakels zu interessieren. Das lag nicht nur an massiven behördlichen und betrieblichen Restriktionen, sondern auch daran, daß die Präsentationen zu sehr auf ein plakatives, simples Darstellen der Endresultate marxistischer Theorie über die Klassengesellschaft verkürzt und insofern zu abstrakt waren, als daß der zuschauende politisch skeptische Werktätige sich mit Figuren und Losungen hätte identifizieren können. Auch das ein Grund, warum die anschließenden Diskussionen, die als integraler Bestandteil des Auftritts verstanden wurden, oft fruchtlos blieben, ja zum erregten Festklammern an antikommunistischen Klischees provozierten. Viele Akteure lernten, daß sie mit ihren politischen Kenntnissen und der Fähigkeit, sie zu vermitteln, noch nicht den Erfordernissen des politischen Kampfes genügten. Neben diesen Aktivitäten von Laiengruppen, die sich selbsttätig organisiert hatten, an aktuellen politischen Gegebenheiten anknüpften und unmittelbar auf kritische Aufklärung und politische Stimulierung der Bevölkerung oder bestimmter 33

Reinhold. K ü r b i s k e m

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Gruppen abzielten, verbreitete sich wie ein Lauffeuer die Kritik am etablierten bürgerlichen Theater. Die Frage, wie das auf den deformierten Geschmack einer schmalen Schicht von Kulturbürgern — deren liberaler Flügel seinerseits einen neuen Reiz am Wehklagen über die kaputte Kultur fand — zugeschnittene „Theatertheater" politisch umzufunktionieren wäre, wie es trotz Subventionen, politischer Abhängigkeit, fehlender Mitbestimmung und allen Varianten der Ignoranz aus dem kapitalistischen Kulturgetriebe zumindest teilweise herausgebrochen werden könnte — diese Frage stand für die AgitpropGruppen nicht im Vordergrund. Denn ihnen konnten in dieser Situation die Bretter der Stadttheater nicht die Welt bedeuten, schon weil sie — und das ist nur ein Aspekt — im Parkett nicht das Publikum gefunden hätten, das aus einer objektiven Interessenlage heraus eine langfristige Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu tragen imstande ist. Trotzdem resultierte das theatralisch-agitatorische Engagement dieser Gruppen nicht aus einer.künstlerischen Naivität, wie sie feingewirkte Kultursensibilisten aus der Schlichtheit des theatralischen Gestus rekonstruieren wollten. I m Frühjahr 1970 bildete sich in München ein Arbeitskreis, der Perspektiven für eine zukünftige politische Arbeit im Kultursektor ins Auge fassen wollte. E r nahm sich das vor, was zuvor schon Intellcktuellenzirkel zur Auflösung, zum hilflosen Aktionismus oder zur utopischen Spintisiererei getrieben hatte, nämlich: zuviel auf einmal. Mit professionellen Schauspielern fanden ausufernde Diskussionen über die Kunst in der kapitalistischen Gesellschaft und die Rolle des Schauspielers im Theaterbetrieb statt, auf der anderen, der praktischen Seite wurden z. B . Flugblätter vor Rüstungsbetrieben verteilt, Agitationen auf politischen Veranstaltungen in B e tracht gezogen und, gegen E n d e des Jahres, Schulungen über marxistische Grundbegriffe angesetzt. Das Spektrum der guten Absichten, individuellen Bedürfnisse und politischen Konzeptionen war zu breit, als daß sich daraus eine kontinuierliche Arbeit dieses Kreises hätte entwickeln können. Daraus zog ein Teil der Interessenten den Schluß, daß wieder eine praktische theatralische Arbeit aufgenommen werden mußte, die dem verstärkten Kontakt mit den Werktätigen und der szeni-

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sehen Aufhellung ihrer Lage in der Klassengesellschaft verpflichtet sein sollte. Initiiert von Wolfgang Anraths, nunmehr Mitglied der DKP, produzierte und probte das Münchner Theaterkollektiv — diesen Namen gab sich jetzt der Kreis der Mitarbeiter — ein Lehrlingsstück und Das Mietenmonstrum. In den Lebr/ingsiibungen ging es um die „Ausbeutung am Arbeitsplatz, die Forderung nach qualifizierter Mitbestimmung und die Notwendigkeit der Selbstorganisation der Betroffenen" (Theater K). Die sechs Spieler verzichteten während des FünfzehnMinuten-Stücks weitgehend auf spielerische Elemente und begnügten sich mit einem von einzelnen Spielern oder im Chor dialogisch vorgetragenen Text. Anschaulicher und mit größerer szenischer Plastizität wurde das Mietenmonstrum angelegt. Auch dieses Stück hat ein konkretes Thema und entstand aus aktuellem Anlaß. Es beschäftigt sich mit der gerade in München für die Werktätigen untragbaren Wohnsituation, hervorgerufen durch extrem inhumane kapitalistische Praktiken, vor allem die Profitinteressen der Konzerne, Grundstücksspekulanten, Hausbesitzer und Makler und die den Konzerninteressen nur allzu willfährige, für die Werktätigen fatale kommunale und staatliche Wohnungspolitik. Aktueller Anlaß war die Selbstorganisation der existentiell betroffenen Bürger in Bürgerinitiativen, die sich gegen die Einführung des „Weißen Kreises" und die „Sanierung" ganzer Stadtviertel zugunsten der Banken und der Großindustrie zur Wehr setzten. Nicht nur der Bezug auf ein für weite Schichten der Bevölkerung drängendes Problem, gegen dessen Ursachen zu opponieren schon bewußtes demokratisches Engagement bedeutete, sicherte dem Stück bei zahlreichen Vorstellungen auf Straßen, Plätzen, bei Demonstrationen und Veranstaltungen großen Erfolg. Entscheidend war auch die eingängige, abstrakte Parolen vermeidende und zur Identifikation der Zuschauer anregende Präsentation: Vor dem visuell attraktiven Requisit eines symbolischen Mietenmonstrums, das dem Publikum seinen weitaufgerissenen Rachen zuwendet, agiert ein „Marktschreier", der die Leute aufmerksam macht und dann in verschiedenen Stationen Mietcrsituationen vorstellt. Gezeigt wird im Rollenspiel die desolate Lage eines 33*

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Studentenchepaarcs, einer Familie mit Kindern und eines Rentners. Das Mietenmonstrum wird konkretisiert in der Person eines Maklers, Bürgermeisters, Richters, Ministers und schließlich des Baron von Finck. Vielen Zuschauern, auch den politisch nicht engagierten, wurde durch dieses Straßentheaterstück, das Aufklärung und Spaß am sinnlichen Spektakel kombinierte, am Exempel der Wohnmisere der Begriff des „staatsmonopolistischen Kapitalismus" anschaulich — die oft geäußerte spontane Zustimmung bewies es. Auch die Lehrlingjiibungen, zum ersten Mal im Oktober 1970 vor der Lehrlingswerkstatt von Siemens gespielt, wurde über hundertmal aufgeführt, z. B. vdr weiteren Lchrlingswcrkstätten, Berufsschulen, in SDAJ- und DKP-Veranstaltungen. Es zeigte sich aber, daß ein nur auf verschiedene Sprecher verteilter Text, der allzuschnell in klassenbewußte Einsicht und Aufruf zum solidarischen Kampf mündete, zu wenig das politische Vorverständnis des Publikums und sein Bedürfnis nach theatralisch-szenischer Unterhaltung berücksichtigte. Das .Stück wurde deshalb mehrfach umgearbeitet und mit spielerischen Momenten angereichert. Mit beiden Stücken gastierte die Truppe auf dem ersten Straßentheatertreffen in Braunschweig im Juni 1971. An der bisherigen Arbeit des Theaters hatte sich bewährt, daß man aus der Motivation des praktischen politischen Engagements heraus aktuelle gesellschaftspolitische Konflikte in Kurzszenen transparent zu machen suchte. Besonders solche Konflikte, an denen einerseits die Widersprüche der Klassengesellschaft deutlich wurden, die andrerseits aber auch schon in den Köpfen der betroffenen Bevölkerungsgruppen rumorten. Nicht mit narzißtischen Revoluzzerhappenings, sondern mit einer Orientierung an der handgreiflichen westdeutschen Wirklichkeit konnte das Bewußtsein der Werktätigen erreicht werden. Diesem Konzept entsprach die enge Zusammenarbeit mit marxistischen Organisationen wie der DKP und der S D A J , die ihrerseits realistische Programme zu einer Demokratisierung und schließlich sozialistischen Umstrukturierung der BRD vorgelegt hatten. Diese Organisationen boten nicht nur im Rahmen ihrer öffentlichen Veranstaltungen Gelegenheit zu Auftritten, sondern leisteten auch organisatorische und propa504

gandistischc Hilfe. Die Integration der Theatcrarbeit in die politische Praxis wirkte auch auf das politische Bewußtsein der Gruppe zurück: Einige Mitglieder traten der DKP bei. Frustrationen und Rückschläge ergaben sich immer wieder aus der typischen Situation einer Laienspielgruppe. Die Akteure, in verschiedenen Berufszweigen bzw. Studienrichtungen tätig, konnten ihren Lebensunterhalt ja nicht durch die theatralisch-politische Arbeit finanzieren, sondern mußten im Gegenteil einen großen Teil ihrer Freizeit opfern. Zahlreiche organisatorische und finanzielle Schwierigkeiten waren zu bewältigen, Probenräume mußten beschafft werden. Die Mitarbeiter fluktuierten, nicht jeder konnte den erheblichen Zeitaufwand für das kollektive Erstellen von Konzeptionen, die Proben und Auftritte erbringen oder sich in den festen Stamm des Ensembles eingliedern. Art und Niveau der spielerischen Fähigkeiten und des politischen Bewußtseins differierten. Rollen mußten kurzfristig umbesetzt und Termine kurzfristig wahrgenommen werden. Daneben kristallisierte sich in Diskussionen und regelmäßigen Wochenendseminaren heraus, daß auch Arbeitsweise und Stückkonzeption des Theater K weiterentwickelt werden mußten. In einer Informationsschrift hieß es unter dem Titel Zum Agitationsinstrument Straßentheater-. „Das Münchner Theaterkollektiv ist eine Straßentheatergruppe mit etwa zehn Leuten, die sich für den Kampf um eine Demokratisierung in allen Lebensbereichen einsetzen. Die Manipulation durch die imperialistische Massenkultur steht den objektiven Interessen der werktätigen Bevölkerung entgegen. Dem versuchen wir eine kritische Analyse der Monopolinteressen in unserer Gesellschaft mit den Mitteln des Straßentheaters entgegenzustellen . . . Wir spielen auf der Straße, vor Betrieben, auf Gruppenabenden und öffentlichen Veranstaltungen. Für uns ist entscheidend, daß nach jeder Aufführung eine intensive Diskussion mit dem Publikum stattfindet, die eine politische Motivierung leisten sollte, um der werktätigen Bevölkerung die Notwendigkeit der Selbstorganisation für ihre eigenen Interessen aufzuzeigen. Organisationen wie Gewerkschaftsjugend, Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend und Deutsche Kommunistische Partei bieten wir dabei als politische Organisationsmöglichkeit an." 505

Nun war der politisch-agitatorische Wert eines gut konzipierten Straßentheaterstücks schon durch die Erfahrung bestätigt worden. Aber auch die Grenzen waren in der spielerischen Praxis deutlich geworden. Nicht immer konnte ein flanierendes Laufpublikum so auf das Spiel aufmerksam gemacht werden, daß es mit dem Spektakel auch den politischen Inhalt rezipierte. In der anschließenden Diskussion, sofern sie überhaupt zustande kam, konnten politische Vorurteile oft nicht ausgeräumt werden. Das Ambiente der Straße und die durch diesen Auftrittsort gegebenen Spielbedingungen lassen nur ein plakatives Skizzieren der thematisierten gesellschaftspolitischen Probleme zu. Prozesse der Erkenntnisse, der Meinungsbildung und der Weg zu einem entschiedenen demokratischen Engagement sind nur simpel und verkürzt rekonstruierbar. Eine Intensivierung der Wirkung auf das Publikum durch differenzierte dramaturgische, szenische und mimische Mittel ist nur beschränkt möglich. Zudem: Man spielte ja nicht nur auf der Straße, sondern im Rahmen von Veranstaltungen auch in Sälen. Hier konnte die szenisch-sinnliche Reduktion der Kurzszenen einem konzentrierteren und homogeneren Publikum nicht genügen. Zwar hatte das Theater K inzwischen sein theatralisches Instrumentarium verbreitert, mit Masken, einfachen Dekorationen und Requisiten gearbeitet und den Spielcharakter seiner Darbietungen verstärkt. Aber es zeichnete sich ab, daß den Bedürfnissen des Publikums nach Information, Aufklärung und Unterhaltung nur mit einem längeren, geschlossenen Dokumentär- oder Spielstück entgegenzukommen war. Solch ein Stück sollte in der Lage sein, Lernprozesse und Einsichten sukzessiv durch einen organisierten Aufbau, das Vorführen typischer Verhaltensweisen und Lebensumstände, durch sinnlich-theatralische Reize und Spannungselemcnte zu vermitteln und das Publikum auf eine sachbezogene Diskussion vorzubereiten. Das Theater stand also vor der Aufgabe, geeignete Spielvorlagen und Präsentationsformen zu finden und mit einem umfangreicheren Programm die politische Effizienz der kulturellen Arbeit zu steigern. Das erforderte freilich von der Truppe die Bereitschaft, sich weiter zu qualifizieren. Im Juli 1971 beschloß das Ensemble, eine Bearbeitung der

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Bottroper 'Protokolle (Erika Runge) für Studio- und Amatcurbühnen ins Programm aufzunehmen. Die Spielvorlage war von der Autorin selbst zusammen mit Werner Geifrig erarbeitet worden. Neben der Probenarbeit liefen die Auftritte mit agitatorischen Kurzstücken auf der Straße und in Versammlungen weiter. Im September 1971, während des Tarifkampfes und Metallarbeiterstreiks, entstand in kollektiver Produktion Der Boß sind wir. Das Stück thematisiert den fundamentalen Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit und propagiert die organisierte Interessenvertretung der Arbeiterschaft. Es wurde u. a. im September 1971 bei den Arbeiterfestspielen in Hannover aufgeführt. Auch zu den Rote-PunktAktionen in München entstand im Januar 1972 ein kurzes Agitationsstück. Inzwischen hatte es sich als nützlich erwiesen, in der Produktion von Stücken eine rationellere Arbeitsteilung einzuführen: Zwar wurden die einzelnen Projekte weiterhin kollektiv geplant, konzipiert und diskutiert, aber dann von einem speziell interessierten Mitglied der Gruppe verfaßt bzw. umgeschrieben. Im Februar 1972 hatte die szenische Dokumentation Zum Beispiel Bottrop Premiere. Acht Sprecher tragen, sich jeweils abwechselnd, die dokumentarischen Lebensläufe von Werktätigen aus dem Ruhrgebiet vor. Spielerische, gestische und mimische Mittel wurden, um den Charakter der Authentizität zu erhalten, nur sparsam eingesetzt. Zwei Sprecher ergänzten diese Protokolle von Schicksalen, die symptomatisch für die Lage der Werktätigen in den letzten Jahrzehnten sind, durch historische Daten und Zitate; zusätzlich arbeitete man mit Bildprojektionen, Plakaten und Fotomontagen. Das Stück erlebte eine Reihe von Aufführungen zu verschiedenen Anlässen. Regelmäßig einmal in der Woche trat das Theater K in einer Gaststätte in der Münchner Maxvorstadt auf. Mit dem Publikum, das sich überwiegend aus Studenten und Intellektuellen, aber auch aus Werktätigen, Lehrlingen und sogar ganzen Berufsschulklasscn zusammensetzte, ergaben sich interessante Diskussionen über die deutsche und insbesondere die Geschichte der Arbeiterbewegung. An Wirkung verlor diese historische Retrospektive, die als Korrektur des bürgerlichen Geschichtsbilds dienen sollte, durch die mangelnde 507

szcnischc Plastizität — es handelte sich eher um ein „Hör"Spiel. Im Juli 1972 veranstaltete das Theater ein Wochencndseminar, an dem die Autoren U w e Timm und Roman Ritter teilnahmen. Es ging darum, ein Fazit aus der bisherigen Praxis zu ziehen und neue Projekte anzuvisieren. Ausgangspunkt der Diskussion war, daß eine selbstorganisierte Theatergruppe, für die theatralische Darstellung ein Medium politischer Aufklärung und Aktivierung unter den Bedingungen des Monopolkapitalismus und seines Kulturbetriebs ist, in ihrer Arbeit Prioritäten setzen und sich auf vorrangige Aufgaben spezialisieren muß, die sie dann auch qualitativ befriedigend erfüllen kann. Eine solche Aufgabe ist offensichtlich die gezielte Theatcrarbeit für ein jugendliches Publikum — J u g e n d theater. Es war kein Zufall, daß das Theater K auch bisher schon überwiegend vor einem jugendlichen Publikum gespielt hatte. Jugendliche sind daran interessiert, ihre Freizeit gemeinsam zu verbringen, wenn sie die Möglichkeit dazu haben. Sie verhalten sich gegenüber dem Angebot politischer Aktivität und für sie relevanter kultureller Abwechslung nicht passiv. Sic erleben oft noch ganz unmittelbar die Inhumanität des kapitalistischen Systems, das ihre Entfaltungs- und Entwicklungschancen destruiert. 8,5 Millionen junge Menschen zwischen vierzehn und fünfundzwanzig sind in der B R D mit desolaten Ausbildungs-, Lehr- und Berufssituationen konfrontiert; selbst in ihrer Freizeit sind sie profitorientierten Verwertungsinteressen ausgeliefert. Der bürgerliche Kulturbetrieb hat speziell den bildungsmäßig unterprivilegierten werktätigen Jugendlichen kaum etwas zu bieten. Frustration und Perspektivelosigkeit treiben Jugendliche massenhaft in die sclbstzerstörerische Revolte der Kriminalität und in die Drogenszene. Bezeichnenderweise gibt es in der B R D kaum Ansätze für eine kritisch-emanzipative Jugendkultur — fast am wenigsten noch auf dem Gebiet des Theaters. Aber gerade das A u f kommen progressiver Strömungen im Kindertheater — etwa Niveau und Erfolge des „Grips" in Westberlin — weisen darauf hin, daß auch das Jugendtheater eine Zukunft haben kann, sofern ihm ein politisch fundiertes und praktikables

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Konzept zugrunde liegt. Das Theater K faßte diese Überlegungen so zusammen: „Wenn das Theater aus seiner bisher zweijährigen engagierten Theaterarbeit für Demokratie und Sozialismus die K o n s e quenz zieht, zukünftige Aufführungen und Programme für ein jugendliches Publikum, insbesondere für die arbeitende Jugend zu gestalten, so stehen hinter diesem Entschluß nicht nur die Analyse der Publikumsstruktur — etwa 70 Prozent kamen aus der Arbeiterjugend — sondern auch die Erfahrungen aus zahllosen Diskussionen mit der Jugend, die unsere Arbeit gestaltend mitträgt. Theater gehört zum Freizeitbereich. Eine Jugend, deren Rechte in Betrieb und Gesellschaft unterdrückt werden, die in unserer monopolkapitalistischen, von Profit bestimmten Klassengesellschaft keine Zukunft hat, eine Jugend, die sich die grundlegenden Rechte ihrer Generation hart erkämpfen muß, sucht im Freizeitbereich persönliches Glück und gerät gerade hier in die Fänge der manipulierenden Massenmedien und ihrer Handlanger, die die Unterdrückung psychisch perfekt zu machen suchen. Konstruktive Theaterarbeit muß hier ansetzen. So arbeitet Theater K in erster Linie für die Vermittlung konkreter Information über die Klassenlage junger Arbeiter, für die notwendige politische Organisierung, die allein eine Verwirklichung der Ziele der arbeitenden und lernenden J u g e n d verspricht, und für die Erkenntnis der Notwendigkeit der Solidarität der Jugend mit dem organisierten K a m p f der gesamten Arbeiterklasse und allen demokratischen Kräften." Spezielle Aspekte, die eine Arbeit im Bereich des Jugendtheaters zu berücksichtigen hätte, sind: W e n n das Theater die Jugendlichen nicht direkt erreicht (Schule, Freizeitheime usw.), müssen sie eine Motivation haben, um Theateraufführungen anzuschauen. Häufig werden geradezu Barrieren gegen das Theater, das verständlicherweise zunächst als bürgerliche Kulturinstitution verstanden wird, abgebaut werden müssen. Das wird am ehesten gelingen, wenn den Jugendlichen deutlich gemacht werden kann, daß es um ihre Lebensverhältnisse und Probleme geht. Ideal wären Kommunikationszentren, in denen Jugendliche ihre Freizcitbedürfnissc realisieren und ent-

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wickeln, sich unterhalten und informieren können — und die Gelegenheit haben, neben und gekoppelt mit politischen Veranstaltungen Filme und Theateraufführungen anzuschauen. Das muß freilich vorerst als langfristige Zielprojektion gelten. Theater-Vorführungen müssen den Erfahrungshorizont, die konkreten familiären, Lern-, Arbeits- und Lebensbedingungen der Jugendlichen aufgreifen und, innerhalb einer realistischen Szenerie, nachvollziehbare Prozesse einer sich wechselseitig bedingenden individuellen und politischen Emanzipation vorführen. Dies aber nicht im Sinn abstrakter Modelle oder eines aufdringlichen Doziertheaters, sondern mit allen verfügbaren und adäquaten theatralisch-szenischen Mitteln, mit einem unterhaltenden Repertoire von sinnlich-anschaulichen Aktionen. Es muß den Jugendlichen nicht lautstark gesagt werden, was ihr und das Interesse der Werktätigen ist, sondern es muß anschaulich gemacht werden. Je eher mit den Mitteln der theatralischen Darstellung die Klassenlage sinnfällig wird, desto eher wird die Konsequenz eines politischen Engagements für die jugendlichen Zuschauer einsehbar. Je genauer das Jugendtheater auf die Rezeptionsweise seines Publikums eingeht, spannende Spicleffekte bietet, je besser die Inszenierung und die von ihr organisierten Ausdrucksformen das legitime Bedürfnis der Jugendlichen nach Spaß und Unterhaltung mit der politischen Intention verbinden können, desto größer wird die Bereitschaft der Zuschauer sein, Lernprozesse nachzuvollziehen. Jugendtheater, das sich seiner politischen Funktion bewußt ist und seine emanzipativen Aufgaben ernst nimmt, darf sich nicht als voluntaristische politische Verhaltenstherapic mißverstehen. Das schließt nicht aus, daß die Chance einer Veränderbarkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse deutlich akzentuiert wird und jene politischen Kräfte beim Namen genannt werden, die sich am konsequentesten für die Interessen der Werktätigen einsetzen. Die Kommunikation mit dem Publikum darf nicht damit enden, daß der Vorhang fällt, sondern muß in Diskussionen und organisatorischen Angeboten weitergeführt werden. Als erstes Stück, das diesen Intentionen entgegenkam, inszenierte das Theater K Die Steppensau, oder: Lehrjahre sind 510

keine Herrertjabre, ein Stück von Uwe Timm. Nicht nur die Spieldauer von einer Stunde, neun verschieden besetzte Rollen, ein einfaches Bühnenbild, und die ausgiebigere Verwendung von Requisiten unterscheidet dieses Stück von herkömmlichen agitativen Straßentheater-Szenen. Der Lernprozeß eines Automechanikerlehrlings wird mit Elementen einer Spielhandlung und an verschiedenen Orten (z. B. Betrieb, Familie, Szenen mit Freundin usw.) dargestellt. Die Hauptperson Peter tritt die Lehre mit den legitimen Erwartungen desjenigen an, der sich Spaß von seiner beruflichen Tätigkeit verspricht und an einer qualifizierten Ausbildung interessiert ist. Statt dessen erfährt er nach und nach die Wirklichkeit des kapitalistischen Betriebs, die durch die Ausbeutung der Ware Arbeitskraft charakterisiert ist. Er erlebt, wovon jeder Lehrling ein garstiges Lied singen kann: die ungenügende Ausbildung, den Mißbrauch der Lehrlinge für berufsfremde Tätigkeiten, die autoritär-hierarchische Struktur, die aggressive Abwehr jeder Kritik. Diese Erfahrungen werden vorgeführt in kurzen Spielszenen, die zwar typische Momente herausgreifen, sie aber aus der Realität entwickeln und nicht an ihr vorbei stilisieren. Auch die Rollen — Besitzer, Meister, Gesellen, Eltern, Freundin, ein weiterer Lehrling — sind nicht psychologisierend, sondern typisierend angelegt, aber nicht als karikierte Marionetten, sondern so differenziert, daß sie anschaulich bleiben. Der Meister schikaniert die Lehrlinge, weil er selbst um seinen Job bangen muß, der Chef kann sich „freundlich" geben, wenn er die Anpassungsbereitschaft fördern will. Der Lehrling Peter ist, im Gegensatz zu einem Kollegen, nicht bereit, zu resignieren und der Berufskarrierc wegen alles zu schlucken. Er lernt zu fragen, zu kritisieren und erkennt, auch mit Hilfe seiner Freundin, daß die Solidarität der Arbeiter — zunächst in der Gewerkschaft — unmittelbare Voraussetzung und erster Schritt für eine Änderung seiner Lage und eine Umwandlung der gesellschaftlichen Verhältnisse ist. Auch dies ein Grund dafür, daß die Gewerkschaft an diesem Stück Interesse zeigte. Es hatte im Dezember 1972 im Münchner Gewerkschaftshaus mit großem Erfolg Premiere. Auch die Kritiker bürgerlicher Zeitungen nahmen von dieser Aufführung Notiz. Wichtiger aber waren die Diskussionen — 511

etwa in Freizeitheimen — mit den Zuschauern. Es bestätigte sich, daß die Wirkung des Stücks auf der spielerisch-szenischen Anschaulichkeit beruht, die Vergnügen schafft und Interesse weckt, auch bei solchen Zuschauern, denen der theoretische Gehalt nicht neu ist. Die Identifikation des angesprochenen Zielpublikums mit dem Stück und seiner Hauptfigur gelingt, weil die Jugendlichen nicht mit plakativ-verkürzten Parolen überfordert werden, sondern in einer spielerisch effektiven Folge von Szenen eine Entwicklung nachvollziehen können. Dadurch entsteht auch eine Motivation für eigenes politisches Engagement. Ein Beispiel: Nach einer von der IG Metall organisierten Aufführung erklärten sich knapp hundert Jugendliche bereit, in einem Arbeitskreis für Jugendarbeitsschutz mitzuarbeiten. Auch Eintritte in die Gewerkschaften oder die DKP sind nach Vorführungen des Theater K nicht selten. Das Ensemble gab mit der Steppensau ein einwöchiges Gastspiel in der Berliner „Zentrifuge" und wurde zu den Internationalen Studententheater-Festspielen in Parma und einem Treffen der Werkstattheater in Nancy eingeladen. Aufgrund auch dieser Erfahrungen konnte das Theater die Perspektiven für die zukünftige theatralische Arbeit auf einer neuen Stufe präzisieren. Ab April 1973 steht dem Ensemble ein eigener Theaterraum in der Münchner Kurfürstenstraße zur Verfügung. Damit ist es möglich, die Spielfrequenz zu erhöhen und die Theaterarbcit kontinuierlicher und effizienter zu gestalten. Freilich stellt diese verbesserte Möglichkeit, die politisch-theatralische Intention zu realisieren, auch höhere Anforderungen an die Truppe. Sie muß sich weiter konsolidieren und neue Mitarbeiter — etwa progressive Autoren und Schauspieler — hinzugewinnen. Die politische und spielerische Qualifikation muß ständig verbessert werden. Geplant ist, einen Artikeldienst für Schüler-, Lehrlings- und Betriebszeitungen herauszugeben, der über die Aktivitäten und Aufführungen des Theaters K informiert. Wie bisher will das Ensemble am Prinzip der Mobilität festhalten und jede Gelehenheit nutzen, um auch außerhalb des eigenen Theaterraums aufzutreten. Wie bisher ist seine weitere Entwicklung nicht denkbar ohne eine enge Zusammenarbeit mit den politischen Organisationen der Werktätigen. 512

Luigi Nono

Musik und Revolution

Das Gespräch mit Luigi Nono führte Lucca Lombardi Lombardi: Du hast voriges Jahr an den Veranstaltungen von musica/realtà in Reggio teilgenommen. Kannst Du etwas über Deine Erfahrungen erzählen, und was sich aus dem Kontakt mit einem neuen — nämlich von den Konzerten meistens ausgeschlossenen — Publikum entwickelt hat? Nono: Alles ist aus Diskussionen mit einer Gruppe von Freunden — Komponisten, Interpreten und Kritikern — über die aktuelle Situation der Musik in Italien entstanden. Wir meinen, daß die traditionell organisierten Verbreitungsformen von Musik überholt sind, daß sich diese Art von Organisation auf ökonomisch-soziale Selektion gründet, und daß es ein Publikum gibt, das größtenteils von diesen Veranstaltungen ferngehalten wird. Uns ging es darum, die Probleme der zeitgenössischen Musik gemeinsam mit diesem anderen Publikum zu diskutieren. Wir wollen dem Publikum die Musik nicht andienen, sondern mit einer viel breiteren Diskussion beginnen, die, von der Musik ausgehend, die Probleme der Kultur im allgemeinen betrifft. Wir fanden sofort die Unterstützung der Stadt, des Bürgermeisters, der Genossen und der Gewerkschafter. (Reggio Emilia, wie überhaupt das Land Emilia Romagna wird von einer linken Koalition verwaltet. — L. L.) Gemeinsam haben wir überlegt, und dann zwei Monate lang eine Reihe von Treffen organisiert, sowohl im Zentrum von Reggio Emilia, als auch in verschiedenen Stadtteilen, in Fabriken, städtischen Vereinen und Bibliotheken. 513

Die Ergebnisse waren z. T. sehr positiv. Nach einem etwas schwierigen Start hat das Interesse aufgrund der Verschiedenartigkeit und der Kontinuität der Veranstaltungen zugenommen. Als Abschluß dieser Treffen fand ein Konzert des Nationalorchesters von Budapest mit Claudio Abbado und Maurizio Pollini statt, in dem die Dritte Sinfonie von Beethoven und eine Komposition von mir gespielt wurden. Der Eintritt war frei und die Proben waren öffentlich; während der Proben und nach dem Konzert hat es ständig Diskussionen gegeben, auch Polemiken, aber alles sehr offen. Dieses Jahr findet das gleiche statt. Wir werden aber versuchen, einige Fehler vom letzten Jahr zu überwinden — so das Stattfinden mancher Treffen in geschlossenen Kategorien: auf der einen Seite die politischen Volkssänger, auf der anderen die sonstigen Musiker, ohne daß zwischen ihnen ein richtiger Kontakt zustande gekommen wäre. "Lombardi: Die Begegnung mit der Volksmusik halte ich für wichtig, zumal die politische Bedeutung einiger Songgruppen unbestritten ist. So hatten chilenische Songgruppen vor und während der Regierung der Unidad Populär eine beträchtliche politische Funktion. Quilapayun und Inti Illimani zogen durchs Land, um das Programm der UP bekannt zu machen. Wie siehst Du eine Zusammenarbeit zwischen sogenannten ernsten Musikern — ich finde keinen anderen Ausdruck — und Volksmusikern allgemein, und auch unter den speziellen italienischen Bedingungen ? Nono: Seit einigen Jahren organisieren wir, auch in Verbindung mit der ARCI (eine kulturelle Organisation der Arbeiterklasse — L. L.), Treffen, um diese Fragen zu diskutieren. Wir müssen uns davor hüten, nur das, was die Songgruppen machen als Kampfmusik anzusehen, und natürlich auch umgekehrt. Wir müssen also die Einteilung der Arbeit nach Kategorien überwinden — eine Folge der Gesellschaft, in der wir leben. Die Begegnung sollte von Anfang an auf einer gemeinsamen ideellen und praktischen Grundlage, im Austausch von Informationen, Forschungsergebnissen und Erfahrungen erfolgen. Das heißt, es geht um die Integration verschiedener Ausbildungsarten. Ich bin der Ansicht, wenn 514

wir dieses Problem anpacken, sollten wir uns in keiner Weise exklusiv verhalten; wir müssen alle uns zur Verfügung stehenden Mittel gebrauchen, von der einfachen Gitarre zu den Songgruppen, den Orchestergruppen, den Solisten, die elektronische Musik mit eingeschlossen. Nun zu Chile: Wir haben in Europa gewisse Informationslücken und wissen nicht, daß es neben Gruppen, die Volksmusik machen, in den einzelnen Ländern Lateinamerikas junge Musiker gibt, die in ähnlicher Weise wie wir arbeiten. Sie verwenden jedes Mittel; wichtig und entscheidend ist die Funktion, die Frage also, wie ein musikalisches Produkt entsteht, wie es organisiert und wie es verbreitet wird. Was mich betrifft, so habe ich mit Gualtiero Berteiii vom Canzoniere Veneto zusammengearbeitet. Wir haben über Musik heute gesprochen, über die Art zu singen. Zum Beispiel können wir nicht mehr gewisse Formeln der Vergangenheit wiederholen. Der Gesang muß erneuert werden, auch unter Berücksichtigung der Sprechweise einer bestimmten Klasse. Es gght hier also auch um das akustische Material, das man verwenden kann. Auch die Gitarre kann man nicht nur in der bekannten einfachen Weise benutzen, sie bedarf ebenfalls neuer Elemente. Berteiii hat eine Schallplatte gemacht mit Gesängen von den Arbeitskämpfen von Porto Marghera (Industriegebiet von Venedig — L. L.), und ich habe ihm ein Band mit Fabrikmaterial gegeben, das ich im elektronischen Studio in Mailand erarbeitet und komponiert habe. Er selber hat mir gesagt, er habe eine andere Art von Gesang entwickelt, da er über dieses Material singen mußte. Ich glaube, auf diesem Gebiet gibt es noch sehr viel Arbeit. Lombardi: Hast Du vor, in dieser Richtung, die mir innerhalb Deiner Arbeit neu zu sein scheint, weiterzuarbeiten, indem Du je nach der besonderen Funktion verschiedene Gattungen benutzt und verschiedene musikalische Mittel einsetzt? Nono: Heute gibt es in der sogenannten ernsten Musik die Mode der Collage: Man vermischt Musik verschiedener Autoren und Zeiten. Meiner Meinung nach bleibt dies in den Grenzen einer konsumistischen und ästhetisierenden 515

Attitüde, da es keine neue musikalische oder inhaltliche Beziehung zu diesem Material gibt. Es handelt sich um ein typisch neoklassizistisches Verfahren. Ich denke dagegen, wir sollten mehr berücksichtigen, daß unsere Folklore heute eher internationalistisch als national ist. Mit Folklore meine ich nicht nur die Gesänge, sondern auch bestimmte Informationszeichen, wie die Slogans und die Sprechchöre von Demonstrationen, auch ihr rein akustisches Geräusch. Man braucht nur an die Demonstration von Metallarbeitern zu denken, die Material aus der Werkstatt oder selbstgemachte Blechinstrumente benutzen. Hier gibt es eine Art von signifikantem akustischem Material, das meiner Ansicht nach eine Grundlage darstellt für das, was man akustische Kampferfindung nennen könnte. ljombardi: Was hältst Du von der musikalischen Folklore in der traditionellen Bedeutung des Wortes? Um auf das Beispiel der chilenischen Gruppen zurückzukommen: Sie gründen ihre Arbeit auf eine Art von Volksmusik, die einem ziemlich großen Gebiet innerhalb Lateinamerikas gemeinsam ist. In Italien dagegen ist die Folklore an die einzelnen Regionen gebunden, so daß — abgesehen davon, daß sie von den Massenmedien immer mehr verdrängt wird — eine bestimmte musikalische Diktion etwa aus Kalabrien im Veneto nicht verständlich ist und umgekehrt. Schon diese Tatsache läßt mir das Einführen bestimmter folkloristischer Modelle in eine Art von Musik, die die neuesten technischen und kompositorischen Mittel berücksichtigt, ziemlich problematisch erscheinen. Aber wie siehst Du die Möglichkeit einer solchen Verbindung? Nono: Das betrachte ich historisch, je nach den Besonderheiten der einzelnen Länder. Die Lage in Lateinamerika unterscheidet sich wesentlich von der unsrigen. Dort ist die Wiedereroberung der ursprünglichen Folklore ein sehr wichtiger kultureller und politischer Vorgang, denn das bedeutet die Überwindung des von den Engländern, Franzosen, Italienern und jetzt von den Amerikanern aufgezwungenen kulturellen Überbaus. Es ist ein wichtiges Moment, um sich des eigenen Ursprungs bewußt zu werden, ohne bei den alten Modellen stehen zu bleiben. Es bedeutet auch eine 516

aktive Bekämpfung jener Art von Folklore, die von der Schallplattenindustrie im banalsten touristischen Sinne mißbraucht worden ist. In Italien ist die Situation anders. Zweifellos ist es notwendig, eine bestimmte Art von Musik zu machen und vor allem ihre Funktion zu kennen. In diesem Sinne würde ich keinen Unterschied machen zwischen dem Studium der älteren oder der neueren italienischen Folklore oder der älteren oder der neueren italienischen Kunstmusik. Ich habe aber einige Zweifel daran, ob diese italienische Folklore neue musikalische Formen bestimmen könnte; denn ich glaube, es handelt sich um musikalische Formen, Sinngehalte und Funktionen, die an bestimmte Entwicklungsphasen gebunden sind. Zum großen Teil sind es Klage- und Anklagelieder, denn es war die Zeit, in der ein Teil der Gesellschaft sein Los passiv ertrug. Es war also zuerst die Zeit der Anklage, dann manchmal der Kampfanweisung, wie etwa 1919 bis 21. Das sind also Ausdrucksformen, die einer anderen Epoche und Situation angehören. Sie können uns aber helfen, zu verstehen, wie bestimmte Mittel mit einer bestimmten Funktion gebraucht werden, nicht um sie heute in der gleichen Form zu gebrauchen, sondern um uns darüber nachdenken zu lassen, was man heute in einer Situation machen kann, die z. T. ähnlich, aber viel fortgeschrittener ist, sowohl was die Analyse, als auch was das Studium und die Anwendung heutiger Mittel betrifft. Das ist natürlich meine Meinung, es ist aber durchaus möglich, daß einige Kompositionen in der Folklore brauchbare Mittel oder Indikationen finden. hombardi: Welche Richtungen der heutigen Musik interessieren Dich, welche Elemente sind für eine politisch fortschrittliche Musik brauchbar? Nono: Ich bin der Meinung, man soll die moderne Entwicklung aufmerksam verfolgen; denn es ist möglich, einige Möglichkeiten, die uns der technische Fortschritt zur Verfügung stellt, in anderer Weise zu gebrauchen. Ich denke z. B., daß das Studium der elektronischen Mittel sehr wichtig ist, nicht nur für die Komponisten, sondern auch für das Verständnis des akustischen Materials (hier spreche ich wirklich 34

Reinhold, Kürbiskern

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als Materialist), d. h. für die Kenntnis des Materials, das dann in der Komposition verwendet wird. Viele wenden heute noch das idealistische Verfahren an, von einer Form oder einer Idee auszugehen, die dann ausgefüllt wird. Es gibt heute viele Kompositionen, die eine bestimmte Form haben, eine bestimmte musikalische Absicht, die aber die Mittel oder das benutzte musikalische Material vergewaltigen. Ein eklatantes Beispiel ist die Komposition Hymnen von Karl-Heinz Stockhausen. Hier benutzt ein Komponist nicht abstrakte musikalische Materialien, sondern bedeutungsvolle, nämlich Nationalhymnen. Dabei vermischt er faschistische, nationalistische Stücke mit sozialistischen und anderen, und er macht somit eine höchst zweideutige Operation. Er manipuliert verschiedene Arten von Material. Stockhausen, der früher einmal zweifellos ein interessantes Moment innerhalb der zeitgenössischen Musik darstellte — vor allem wegen seiner Materialforschung —, drückt sich in letzter Zeit immer mehr aus wie jemand, der nur seinen individuellen Willen durchsetzen will. Aber Du fragst mich nach den Richtungen der europäischen und westlichen sogenannten Avantgarde-Musik. Ich glaube, daß wir seit einiger Zeit in einem Engpaß sind. Zum großen Teil gibt es die Unfähigkeit, den Klang selber zu analysieren. Das elektronische Studio gibt die Möglichkeit, den Klang, die akustischen Beziehungen der musikalischen Materie in neuer Weise zu erforschen. Es scheint mir aber, daß diese neuen technischen Mittel, die das elektronische Studio zur Verfügung stellt, nicht genügend genutzt werden. Dies auch aufgrund der Unfähigkeit, sich der aktuellen Situation zu stellen, und zwar nicht — wie es bei den meisten Komponisten heute der Fall ist — in einer Weise, die einer totalen Unterstützung der offiziellen Institutionen gleichkommt. Ich denke dagegen an junge Musiker, die ich kenne, z. B . in der Sowjetunion (sie leben meistens nicht in den Hauptstädten, sondern in den Republiken), und deren Musik eine technische und ideelle Einheit darstellt. Oder ich denke an junge Musiker in Lateinamerika, die ganz und gar im sozialen Kontext und in den Kämpfen ihrer Länder verwurzelt sind. Ich beschränke mich auf diese jungen Musiker aus 518

der SU und aus Paraguay, Argentinien und vor allem aus Cuba; Musiker, die eine größere schöpferische Kraft und Phantasie besitzen und die nicht nur von einer anderen Gesellschaft geprägt werden, sondern auch sich selber prägen und es schaffen, eine andere Art Musik zu produzieren und vor allem zu lokalisieren. Wenn also auf der einen Seite die Situation der westlichen Musik mir fast durchweg blockiert zu sein scheint — man sucht den Gag, den Sketch oder das pure Divertissement —, gibt es in anderen Ländern junge Musiker (sie sind in Westeuropa natürlich nicht bekannt), die viel fortgeschrittener sind in bezug auf eine positivere, schöpferischere und funktionsgebundene Praxis. Lombardi: In der Geschichte der Kunst gibt es Beispiele, daß Autoren, die auf ideologisch rückschrittlichen Positionen standen, Arbeiten machten, die objektiv über ihr subjektives Bewußtsein hinausgehen. Es gibt den klassischen Fall eines Balzac, von dem Engels spricht. Siehst Du heute etwas ähnliches, daß nämlich konservative oder reaktionäre Komponisten etwas herstellen, was faktisch, vielleicht gegen ihren Willen, der Kritik einer historisch überholten Gesellschaftsordnung gleichkommt? Nono: Wenn man die Werke einiger Komponisten von heute analysiert und die Entwicklung, die diese Komponisten durchgemacht haben, so kann man sehen, wie sie, bewußt oder unbewußt, Opfer der gesellschaftlichen Situation sind. Zum Beispiel Xenakis, ein zweifellos intelligenter und wegen seiner Vergangenheit durchaus respektheischender Musiker, der sich aber nun von einer nordamerikanischen Mode beeinflussen läßt — jenen musikalischen Veranstaltungen, die um fünf Uhr nachmittags beginnen und bis in die Nacht hinein gehen, vom Zentrum einer Stadt zum Strand wandern und bei denen andere, rein kulinarische Dinge geschehen. Das erscheint mir als ein Beispiel, wie eine Gesellschaftsform eine Intelligenz vollkommen vergewaltigt hat. Lombardi: Kommt nicht auch das Gegenteil vor? Das ist bei Stockhauscn, dessen reaktionäre Ideologie immer mehr in seine Musik eingedrungen ist, so daß man in den letzten „meditativen" Kompositionen die ideologische und die rein musikalische Dimension nicht mehr auseinanderhalten kann. 34»

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Nono: Ich möchte noch etwas hinzufügen. Es schcint mir, daß die Interpretation Balzacs richtig ist, aber wir befinden uns heute in einer anderen Situation und ich glaube mehr an eine wie auch immer geartete Teilnahme an dem Kampf, der heute geführt wird, an dem Klassenkampf, dem ideologischen und politischen Kampf, als nur an eine Widerspiegelung. In unserer Zeit, nach 1917, glaube ich mehr an eine Aktivierung, sei es, daß man sich auf die eine oder die andere Seite stellt. Es ist aber natürlich möglich, daß einige Kulturproduzenten auch gegen ihren Willen in eine kommerzialistische Organisationsform, wie sie für eine Seite der kapitalistischen Gesellschaft typisch ist, verwickelt werden. Lombardi: Ich denke auch, daß das Bewußtsein der dialektischen Beziehung zwischen Musik und Wirklichkeit selbstverständlich niemanden von der Verantwortung den aktuellen Problemen gegenüber befreien kann. Nono: Gerade in der Weite des politischen und kulturellen Kampfes wird die Teilnahme, der Beitrag, die Erfindung aller gebraucht. Genauso wie der Arbeiter in seinen Kämpfen, z. B. bei Fiat es vermag, eine andere Organisationsform der Arbeit durchzusetzen, die sich direkt auf die ökonomische Struktur auswirkt und somit die einfache Lohnforderung übersteigt — immer mehr zeigen die Werktätigen Leitungsfähigkeit, d. h., die Fähigkeit herrschende Klasse zu werden —, genauso muß auch derjenige, der Musik, Malerei oder andere Dinge macht, versuchen, immer mehr zu einer Einheit zu gelangen, indem er jede Form von Exclusivität überwindet; er muß im Gegenteil die Vielfalt der Mittel, die wir heute brauchen, berücksichtigen. Lombardi: Um auf die Erfahrungen von Reggio Emilia zurückzukommen, es scheint mir nach dem, was ich darüber hörte (ich konnte die Veranstaltungen letztes Jahr nicht aus der Nähe verfolgen), daß die Musiker, die teilgenommen haben, sich nicht nur in ihrer musikalischen Arbeit, sondern auch in ihren politischen Positionen unterscheiden. Es handelte sich nicht nur um kommunistische Musiker, sondern um demokratische Künstler verschiedener Richtungen. Das halte ich für durchaus positiv. Als ich dieses Jahr an den Diskussionen über die Fortsetzung von musica/realtà 520

teilnahm, hatte ich den Eindruck, daß man es vermeiden wolle, die engagierte Musik zu sehr zu betonen, um nicht Teile des Publikums oder auch einzelne Musikschaffende zu „erschrecken". Das ist aber eine zweischneidige Sache, denn ein Kompromiß, soll er politisch nützlich sein, kann nicht Verzicht auf bestimmte Positionen bedeuten. Ich denke dagegen, daß Bündnispolitik dazu dienen kann, bestimmte politisch und kulturell fortgeschrittene Positionen weiterzubringen und auf einer möglichst breiten Basis zu konsolidieren. Wie siehst Du das ? Besteht nicht, wenn man einigermaßen wahllos, ohne Akzente zu setzen, alles vorstellt, was heute musikalisch gemacht wird, die Gefahr, bestimmte Positionen zu neutralisieren? Nono: Das ist ein Thema, das in linken Kreisen sehr viel diskutiert wird. Meine Meinung ist: Je mehr wir eine bestimmte Position nicht aufzwingen, nicht als ausschließlich hinstellen, sondern die Kraft und den Wert, die Bedeutung und die Funktion dessen, was wir machen, zeigen, ohne also etwas zu verbergen und auf etwas zu verzichten, desto mehr werden unsere Ergebnisse positiv sein, in dem Sinne, daß auch die anderen davon angezogen werden. Was Reggio Emilia betrifft, so glaube ich, daß die Diskussion über die Musik, die vorgestellt werden sdll, genauer werden muß. Ich bin mit den italienischen und nichtitalienischen Genossen nicht einverstanden, die sagen: Wir stellen euch die ganze Musik vor, die es heute gibt. Das ist eine undifferenzierte Öffnung, die zwar zunächst notwendig sein kann als Information, der aber dann die Analyse, das Urteil und die kritische Aussage folgen müssen. Dies ist die Aufgabe unserer Kritik und Analyse. Und hier ist die Situation, abgesehen von einzelnen Fällen, im allgemeinen nicht allzu gut; es gibt zum großen Teil noch die Unfähigkeit zu analysieren, zu verifizieren, zu studieren. Wir müssen noch viele, sehr viele Fortschritte machen. (1974) 4, S. 124-129

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Gespräch mit Hans Werner Henze und der Münchner Songgruppe

Z u einem Gespräch mit Hans Werner Henze hatte ich die Mitglieder der Münchner Songgruppe Eleonore Vosz, Wolf Brannasky und Erwin Jcdamus sowie den Musikkritiker Hartmut Lück eingeladen. H i t l e r : Bürgerliche Kritiker behaupten nach wie vor, Musik sei die Kunst, auf die gesellschaftliche Maßstäbe keine Anwendung finden könnten. Dabei übersehen sie, daß für Millionen Menschen Musik eine stärkere Anziehungskraft hat als die meisten anderen Kunstformen: D a s Schlagerund Pop-Geschäft erzielte schon vor Jahren Umsätze, die denen der Autoindustrie entsprechen. Hier zeigt sich: Musik ist ein massenhaftes Transportmittel für gesellschaftliche, politische, ideologische Beeinflussung. Die genannten Kritiker verweisen freilich diesen Teil der musikalischen Produktion in den Bereich der trivialen Unterhaltung, die mit Musik „an und für sich" nichts zu tun habe. Wir haben hier das in der Literatur bekannte Verfahren: Mit der Abtrennung trivialer Kunstformen von der „eigentlichen" Kunst können und sollen die Gebildeten des herrschenden Systems unter sich bleiben, während die Millionen mit Hilfe dieser Medien von der Erkenntnis der Klassengesellschaft abgehalten werden. In der antiimperialistischen Bewegung ist die Einsicht in diese Zusammenhänge gewachsen — und mit dieser Einsicht haben demokratische und sozialistische Künstler begonnen, ihre Arbeit zu ändern, sie als einen Teil des Klassenkampfes zu sehen. 523

Vor unserem Gespräch hörten wir uns verschiedene Musikstücke an: Lieder der Münchner Songgruppe und Auszüge aus El Cimarrón von Hans Werner Henze. Gibt es hier Gemeinsamkeiten? Zwischen den verhältnismäßig einfachen, rasch lern- und singbaren Liedern und einem Stück, das von Berufsmusikern — und vorläufig nur von ihnen — gespielt wird? Hen^e: El Cimarrón ist ein cubanischer Dokumentar-Roman; Esteban Montejo, ein alter Schwarzer, erzählt Miguel Barnet, einem jungen Revolutionär, sein Leben. Die Geschichte greift auf die erste Revolution Ende des vergangenen Jahrhunderts zurück und endet in der Gegenwart. Hans-Magnus Enzensberger hat aus Bruchstücken des Buches eine Textvorlage für die Musik gemacht. Ich schildere nochmals kurz den Inhalt der zwei kleinen Stücke, die wir vorhin hörten. Im ersten Teil beschließt der Held, sein Sklavenleben aufzugeben., Er greift den spanischen Aufseher an, wirft ihm einen Stein ins Gesicht und rennt davon — in die persönliche Freiheit, wo er feststellt, daß das nicht reicht: Er bleibt weiterhin lohnabhängig. Das zweite Stück findet nach der entscheidenden Schlacht von Mal Tiempo im Befreiungskrieg gegen die Spanier statt. Die Cimarrones, die Sklaven, kämpfen mit den Messern, mit denen sie Zuckerrohr hauen. Nach gewonnener Schlacht ziehen sie in Havanna ein und merken den Betrug der reichen Cubaner, die mit Hilfe der Nordamerikaner die Macht an sich gerissen haben und den Yankees des Land verkaufen. Um diese Dinge bildhaft und eindringlich zu machen (besonders dem „ungebildeten" Publikum) verläßt die Musik ihren traditionellen Spielraum. Lateinamerikanische Rhythmen werden „live" zitiert, die Instrumentalisten, von kurzen Notenzeichen oder auch nur graphischen Parametern angeleitet, improvisieren, werden zu Akteuren. Als bekannt vorauszusetzende Symbole (Melodien z. B.) tauchen auf wie Leitfäden, erlauben es dem Hörer, „einverstanden" zu sein und den Sinn der Sache nicht aus den Augen, oder besser aus den Ohren zu verlieren. Musikinstrumente werden spektakulär zu Arbeitsgeräten, auch zu Foltermaschinen, später verwandeln sie sich in Waffen. Alle Vorgänge, 524

Steine, die fliegen, Machetes, die blitzen und scharf zuschlagen, besoffene Yankees in den Straßen der „befreiten" Stadt Havanna, korrupte Pfaffen, das Ave Maria im Sklavenlager usw. usw., bekamen klanglich-bildhafte Entsprechungen : Man hört und sieht gleichzeitig, man hört mit den Augen, sieht mit den Ohren. Hitler: Ist das Stück für die Opernbühne geschrieben? Heti^e: Gar nicht; es ist ja auch nicht an einen großen Orchesterapparat gebunden. Es ist mein erster Versuch, mit Mitteln zu arbeiten, die sich wie eine Beat-Band in einem VW-Bus transportieren lassen. Nur ein Sänger — Rezitator, Vokalist — und drei Spieler sind erforderlich. Und hier beginnt für mich eine neue Erfahrung, auf deren Ausgang ich gespannt bin. Mit diesem Stück werden wir in Süditalien eine Tournee machen. Wir wollen Kleinstädte und Dörfer besuchen, in denen es praktisch nur eine Kultureinrichtung gibt: die „Casc del Popolo" der KPI. Im ganzen Land wurden für kulturelle Zwecke Klubhäuser gemietet, teilweise gibt es sogar klubeigene Häuser, die der Partei gehören. Das trifft vor allem für die industriellen Zentren zu. Im Norden, in der Emilia z. B., ist das hochentwickelt. In zwanzig Jahren permanenter Kulturarbeit hat die Arbeiterklasse sich dort Kultur zu eigen gemacht: In mühevoller, regelmäßiger Arbeit mit Filmen, Ausstellungen, literarischen Lesungen, Konzerten usw. haben sich die Arbeiter ein höheres kulturelles Niveau erobert, mehr künstlerische Erfahrungen gemacht und Bedürfnisse entwickelt als der Bourgeois, der nicht mehr neugierig ist, der satt ist und sich nicht interessiert, außer für das Fernsehen. So weit sind wir im Süden natürlich noch nicht. Die Arbeit dort ist schwerer, auch die der Cimarrön-Gruppe wird auf viele Probleme stoßen. Wie wird eine solche Musik wirken, die ja nicht leicht eingeht, und die vor allem bei der Landbevölkerung zu einem Publikum kommt, das anders als im Norden so gut wie gar keine Erfahrung mit Kunst gehabt hat? Aber es ist ja die Geschichte eines cubanischen Landarbeiters, dessen Situation von ihrer eigenen gar nicht so weit weg ist. Wir werden es in spanischer Sprache machen, 525

die der Darsteller des Cimarrön beherrscht (italienisch kann er nicht); der dortige Dialekt enthält eine Menge spanischer Elemente, das hilft, aber besser wäre es in italienisch, schade, daß das nicht geht. Wir müssen sehen, ob die Zuhörer, die neue Musik nicht gewöhnt sind und den Text nicht völlig verstehen werden, den Inhalt aufnehmen. (Wir werden jede Szene auf Italienisch erklären.) Und, wie gesagt, sind in dieser Komposition die Dinge so angelegt, daß sie das Verständnis erleichtern. Der Text ist einfach, die bildlichen Elemente dominieren, d. h., die Aufführung der Musik hat mit Sachen zu tun, die das Auge fesseln. Man ist daran interessiert zu sehen, wie die Musik gemacht wird, der Arbeitsprozeß des Musik-Machens soll dem Zuschauer helfen zu verstehen, worum es geht. Wir machen das als politische Arbeit. Finanziert werden nur Verpflegung und Quartier und der Transport. In der Bundesrepublik gibt es so etwas wohl kaum. Lück: Keineswegs; in der Bundesrepublik ist das Musikleben weitgehend klassenspezifisch organisiert. Es gibt Konzerte und Opernaufführungen für die Bourgeoisie, für eine gebildete Elite. Die Mehrheit wird mit Schlagern und bis zu einem gewissen Grad mit Pop-Musik abgespeist. Und es gibt kaum Versuche, diese klassenspezifische Trennung zu durchbrechen. Hierzu kommt, daß es auch unter den jüngeren Komponisten in Westdeutschland kaum Leute gibt, die den Anfang machen und aus dem traditionellen Konzertsaalherausgehen, die verfestigte Bindung mit einem eher konservativen Publikum durchbrechen und sich ihr Publikum in anderen Bevölkerungsschichten erobern, in der Arbeiterklasse, bei der Jugend. Der Grund dafür dürfte darin liegen, daß bei uns fünfundzwanzig Jahre eine systematische Entpolitisierung betrieben wurde, vor allem bei der Arbeiterschaft — durch die etablierten Bonner Parteien, aber auch durch die Politik der Gewerkschaftsspitzen. So gibt es bei uns die politische Brisanz kultureller Programme nicht, und schon gar nicht die politische Brisanz musikalischer Programme, wie sie in Italien gegeben ist. Jedamus: Man sollte dabei die besonders extremen Formen des Kalten Krieges, den Antikommunismus, das Verbot 526

der KPD nicht vergessen. Vor diesem Hintergrund agiert die rechte Sozialdemokratie, die, wie man heute sieht, die Arbeiterbewegung vollends in das System des Spätkapitalismus einpassen will. Das wirkte sich natürlich auch in den Gewerkschaften aus. Trotzdem würde ich sagen, daß es bereits einige Erfolge gibt, etwa mit dem Lied politisch zu wirken. Die Songgruppe hat die Erfahrung gemacht, daß das politische Lied, das Volksliedelemente berücksichtigt, die Leute aufmerksam macht. Wer Kinder auf Straßen singen hört — gerade in Arbeitervierteln — weiß, daß Volkslieder noch durchaus lebendig sind. Ich meine, man kommt auf diesem Weg weiter als mit den Versuchen, sich der Pop-Musik anzugleichen. Die meisten linken Liedermacher verwenden auch mehr und mehr Elemente der Volksmusik. Vos%: Das stimmt, vor allem prägen sich diese Lieder leichter ein. Aber wir dürfen doch nicht übersehen, daß Pop-Musik einen kolossalen Einfluß ausübt. Und das dürfen wir nicht denen überlassen, die mit diesem Einfluß das System stabilisieren wollen. Lück: Auf der anderen Seite zeigen Experimente mit klassischer Musik in der politischen Bildungsarbeit mit Lehrlingen in welchem Maß hier — vor dem Hintergrund ständig einseitiger musikalischer Berieselung — Agrcssionen ausgelöst werden, vor allem bei neuer Musik. Das liegt daran, daß die Menschen nicht gewöhnt sind, Musik bewußt zu hören. Musik — da spielt Pop eine große Rolle wie die ganze Skala der U-Musik — ist für sie Background. Sie wird aufgenommen als angenehme Begleiterscheinung bei anderen Beschäftigungen, während des Essens, beim Rasieren, beim Lesen, bei der Arbeit. Der gedankliche Prozeß, der in der Musik steckt, wird gar nicht wahrgenommen. Musik sollte aber möglichst bewußt und geschichtlich angehört werden. Hen%e: Das ist aber eine große, vielleicht einstweilen zu große Forderung. Um Bewußtsein geschichtlicher und gedanklicher Prozesse zu erreichen, muß man doch wohl anderswo ansetzen als ausgerechnet bei der Musik. Geben wir uns keinen Illusionen hin: Musik geschichtlich hören und ge527

danklich verstehen zu können, bedeutet am Ende eines globalen Prozesses zu stehen. Im übrigen wundert es mich, daß sich bei jungen Menschen Aggressionen gegen neue Musik entladen haben sollen. Vielleicht lag es an den Umständen des Experiments, an den Veranstaltern des Experiments, an der Wahl der Stücke? Wer ist schon gerne Gegenstand von Experimenten, die nicht den gesamten sozialen Zusammenhang sehen? Haben sich die Lehrlinge vielleicht gelangweilt? Vielleicht waren das Unbekannte und Unbequeme derart enorm und haben den Hörer verunsichert, so daß er sich wehrte: „Das will ich nicht, ich will nicht Musik hören, die Sachen enthält, die ich nicht begreife, die nicht in meine Welt gehört. Ich weigere mich, mich anzustrengen, jedenfalls bei Musik will ich ausruhen" usw. Jedamus: Aber das kommt doch auch daher, daß Beat, Pop, Schlager diese Sperren ständig erzeugen: Ich will mich nicht anstrengen. Brauch ich auch nicht, sondern lediglich die zwanzig Mark für die neueste Pop-Langspielplatte. Auf dem Markt kotnmt ja immer eine „Sensation" nach der andern, neue Stücke, neue Bands, neue Moden. Das schafft falsches Bewußtsein. Und dabei tut Pop-Musik so, als sei sie revolutionär. Die Zuhörer meinen dann, oder sollen meinen, daß sie in sind, als finde etwas statt: aber es findet gar nichts statt. Dazu kommt ein künstlich erzeugter Generationskonflikt, der in Wirklichkeit Ausdruck der Klassengesellschaft ist. Und mit einem Jugendkult, der sich revolutionär gibt, wird eine „Freiheit" angeboten — durch Underground und Pop —, die aber nicht weiterführt, sondern betäubt. Lück: Es geht nicht so sehr um den Anspruch dieser Musik, daß sie revolutionär sein will. Natürlich ist das zu einem Markenzeichen gemacht worden. Entscheidend scheint mir folgendes: Wer die Musik hört, wer sie kennt, gehört zu einem Kreis von Leuten, die sich zusammengehörig fühlen, aber einander nicht kennen. Sie wissen Bescheid, haben so eine Art modernes Lebensgefühl, das weiter nicht definiert ist, auch nicht sozial. Vor diesem Hintergrund kommen wir wieder zum Thema. Egal, ob wir Protestsongs oder neue Musik machen: wie können wir die ein528

gefahrenen, musikalischen Hörgewohnheiten durchbrechen? Das gilt sowohl für die Hörgewohnheiten der klassischen und zeitgenössischen Musik als auch für die der Lieder, Songs und Schlager. Zum Beispiel werden Schlager ständig wiederholt,im Rundfunk und Fernsehen, mit Hilfe von Schallplatten und einer hoch entwickelten Schallplattenindustrie. Darin kommen auch Denkgewohnheiten zum Ausdruck, die sich durch massenhafte Wiederholung im Hörer stark festsetzen. Damit werden auch bestimmte Inhalte leicht geschluckt, halbbewußt. Wenn sich in der Masche eines Heintjc oder Udo Jürgens Hörgewohnheiten von Jahrzehnten wiederholen, dann dringen die Inhalte nahezu mühelos ins Bewußtsein ein. Ähnlich verhält es sich bei der Pop-Musik, bloß ist das auf einem höheren technischen Niveau als die alte Schnulzenmusik, obgleich sie, ökonomisch gesehen, dieselbe Funktion erfüllt. Wer heute also Musik macht, steht vor der Frage, inwieweit müssen wir mit diesen Hörgewohnheiten rechnen. Inwieweit lassen sie sich einbeziehen, umfunktionieren. Jedamus: Beat-Musik steht dem auch im W e g ; sie ist doch hauptsächlich auf Betäubung angelegt. Vbs%: Ich bin nicht der Meinung, daß der Beat alles betäubt. Ich hör selber gern Beat, und es macht mir Spaß. Und vom Lennon gibt es auch klasse Texte, der ist halt ein bisserl dezenter als andere. Der Rhythmus begeistert und manchmal auch der Text. Es stimmt nicht, daß da immer betäubt wird. Brannaskj: Ich halte „Hörgewohnheiten" für ein Modewort, das in der letzten Zeit eingeführt wurde. Was ist das? Wir gingen doch von der Frage aus, was wir tun können. Soweit sind wir doch gar nicht voneinander weg: Henze macht neue Musik und wir machen Lieder mit verhältnismäßig einfachen musikalischen Mitteln. Aber beide Male verwenden wir Sprache und Musik nicht gegeneinander, sondern in politischer Absicht. Wenn wir auf der Ebene der musikalischen Mittel weiter diskutieren, kommen wir rasch zu einer formalen Diskussion, die sich auf ästhetische Kategorien und die sogenannten Hörgewohnheiten beschränkt. Wir müßten in beiden Fällen vom Inhalt her 529

definieren. Ein Inhalt, der Klassensituationen hier und heute darstellt, führt zwangsläufig zu neuen Formen. Ich stimme dem zu: einfach dem Beat einen neuen Text unterlegen, führt nicht weiter. Ich weiß nicht, wie der Weg im einzelnen verlaufen wird, stellte mir aber vor, daß es Möglichkeiten geben muß, den Beat mit zu nutzen, ihn aus seiner jetzigen Funktion heraus zu verändern. Es geht nicht mit einer einfachen Übernahme der Rhythmen oder bestimmter Harmoniefolgen, das ist ja nun mal ein festgefügtes Ganzes. Seine Entwicklungsfähigkeit setzt doch theoretische Arbeit voraus. Denken wir nur an die Arbeiten von Dessau und Eisler. Ich sehe nicht ein, warum wir den Weg nicht finden, aus den — ich benutze nochmals den Begriff — Hörgewohnheiten der Gegenwart herauskommen, weiterkommen. In der Negation werden wir den Weg nicht finden, auch wenn wir noch so viel politische Ansprüche erheben. Dem Bedürfnis nach Beat müssen wir uns stellen, aber nicht unbedingt von der musikalischen Seite her, sondern vom Inhalt. Hitler: Ob wir das jetzt Hörgewohnheiten, Konsumverhalten und ähnliches mehr nennen, ist zunächst, für unser Gespräch, nicht entscheidend. An einer Tatsache kommen wir alle nicht vorbei: In diesem System hören Millionen Menschen eine Musik, die die Aufnahme von inhaltlich und formal anspruchsvolleren Stücken stark begrenzt. Das ist zweifellos die Folge der Bildungsbarrieren, hängt zusammen mit der Monopolisierung der Kulturindustrie. Und die Entwicklung, die Veränderung bestehender Formen durch neue — durch die Klassenverhältnisse vorgegebene — Inhalte wird auch nicht alleine in der Musik vonstattengehen. Dort zu politisieren, wo etwa Schlager, Pop und Beat von der Wirklichkeit ablenken, mit einer im Grunde unerträglichen Klassengesellschaft versöhnen, wird nicht nur mit Musik gelingen, ebensowenig wie diese Musik allein die Politisierung verhindert. Jede Tätigkeit, die das Klassenbewußtsein der Arbeiter befördern soll, muß mit geeigneten Mitteln am bestehenden Bewußtsein anknüpfen, natürlich nicht, um es zu bestätigen, sondern um es weiterzuführen. 530

Jedamus: Denken wir an die traditionellen Kampflieder der Arbeiterbewegung: Es waren ursprünglich Soldatenlieder, die für den Klassenkampf umfunktioniert wurden. Beat ist dagegen stark verwurzelt mit dem von der Industrie hergestellten Freizeitsektor. Und das ist doch ein Unterschied. In den Liedern, die ich mache, sehe ich mit Hilfe des Beat keinen Weg. Ich sehe den Beat als eine der stärksten Waffen zur ideologischen Beeinflussung der Jugend — gegen eine Entwicklung von Klassenbewußtsein. Hitler: Werden klassenbewußte Jugendliche durch den Beat abgehalten, weiterzukämpfen? Es gibt auch genug Beispiele, wo Jugendliche aus Protest gegen das Abspielen von militärischen Soldatenliedern in Kneipen Beatplatten auflegten. Vielleicht liegt hier auch das Problem, daß ein großer Teil alter Kampflieder der Arbeiterbewegung — umfunktionierte Soldatenlieder — keine breite Resonanz finden. Sowohl Eisler als auch Dessau versuchten das schon in den zwanziger Jahren weiterzuführen. Außerdem enthält der vom Kapital benutzte Beat, trotz nachhaltiger Kommerzialisierung und Nivellierung, Elemente der Arbeitsund Protestlieder der amerikanischen Neger. Kampflieder müssen nicht unbedingt Marschlieder sein, obgleich man dazu besser marschieren kann als zu Rhythm and Blues. Vor allem dürfen wir nicht vergessen, wie schwierig die Ansätze an deutsche Volkslied- und Arbeiterkampflicdtradition sind, nachdem der Faschismus hier in einer Weise Mißbrauch getrieben hat, die nahezu einer Zerstörung gleichkommt. B ratinas kj: Im Grunde kann jede kulturelle Äußerung mißbraucht, d. h. von der herrschenden Klasse eingesetzt werden. Es geht also nicht nur um Beat. Die machen Geschäfte und ihren Profit, wo sie nur können. Man sollte also keineswegs von den formalen Argumenten ausgehen: dies oder das ist ein Instrument des Imperialismus. Wichtig ist: Welche Möglichkeiten gibt es, um dies oder das in unserem Sinn zu gebrauchen? Hen^e: Du mußt doch dem Feind die Waffen wegnehmen, so ist es doch. Da braucht man sich nicht zimperlich anzustellen in dieser Phase des Kampfes. Vermeiden die Genossen der 531

Befreiungsfront den Gebrauch von Maschinengewehren, weil diese zufällig ein amerikanisches Fabrikat sind? Ich bin für das Umfunktionieren. Kann mir vorstellen, daß Beat-Musik und mit ihr alles, was die Bewußtseinsindustrie auf den Markt wirft, zu solcher Veränderung taugt und daß man ihren ursprünglichen Sinn oder Zweck wie Waffen gegen sie selber richtet. Schaut euch an, was dicCubaner machen, mit Elektronik auf Massen-Meetings, mit ihrer avantgardistischen Graphik. Selbst die ehemalige Rundfunk-Reklame ist geblieben: In der Taktik, mit der früher Warenanpreisungen über den Äther gingen, werden heute Slogans der Revolution ausgestrahlt. Dies nur als Beispiel. Mich haben die Cubaner da sehr ermutigt. Habe gerade ein Stück gemacht — Der langwierige Weg in die Wohnung der Natascha Ungeheuer — auf einen Text von Gastön Salvatore, bei dem ich zahlreiche „Manieren" der systemimmanenten Avantgarde-Musik gebrauche, um das Selbstportrait eines Linksbourgeois mit seinen Utopien und Verzweiflungen zustande zu bringen. Das schwer zu überwindende Element eines bürgerlichen Schönhcitsprinzips, das im Beat genauso steckt, wie in der „ernsten" Moderne, scheint mir der Beobachtung wert: Schön, das ist die Kunst der Reichen, häßlich, das ist die Kunst der Armen. Die bürgerliche Ideologie, und also mit ihr die ganze Kunstauffassung, versteht unter Schönheit ein Streben nach Perfektion, nach dem Kostspieligen, dem Besonderen, sie beinhaltet die Fabrikation von egozentrischen Träumen und sie braucht egozentrische Träumer. Die elektronischen Wunderwerke des Beat gehören in dieses Konzept genauso wie die hochpolierten Sinfonieorchester (mit ihrer so bewunderten militärischen Disziplin), die pausenlos immer die gleiche Literatur (die die Bourgeoisie gestohlen hat) reproduzieren oder die elitären pseudobuddhistischen Meditationen. Die Schönheit ist heute: ausgeflippt sein. Die Armut ist heute: wach werden, skeptisch sein, sich nicht cinfangen lassen. Hitler: Vergessen wir nicht die soziale Zusammensetzung der Beat-Band-Mitglieder. Es sind doch oft gerade Jugendliche aus der Arbeiterschaft, die mit der Technik solcher 532

Bands eine eminent wichtige kulturelle Betätigung finden, ihren Spaß, und in ihrer Freizeit noch etwas Geld zu der mageren Lehrlingsentlohnung dazuverdienen. Mit der Selbstbetätigung setzt doch ein Prozeß ein, der weiterführen kann, als wenn man nur bedient und berieselt wird. Mit der Beherrschung der Technik und des Sounds wird man an Grenzen herangeführt, die auch neue Bedürfnisse wecken, z. B. was Texte betrifft. Vosz-' Es kommt darauf an, daß der Text einfach ist und ihrer Situation entstammt. Die Musik ist ihnen vertraut, sie hören hin. Wenn ein Text dazu kommt, der sie betrifft, der ihre wirkliche Lage schildert, dann mobilisiert das. Brannasky: Sind wir jetzt nicht ein wenig auf den Beat fixiert? In einer Nürnberger Kneipe trifft sich regelmäßig ein Gcsangsvercin. Die Leute haben ein überregionales Zentralorgan — ihre Zeitung über die Bewegung der Gesangsvereine, deutsche Sängerbünde und so. Da waren Fotos von Chören: Die Mitglieder waren Jugendliche zwischen zwölf und zwanzig Jahren. Das sind keine Gruppen von fünf bis sechs Leuten, sondern Chöre. Jetzt frag ich mich: Warum gehen junge Leute, trotz der gewaltigen Bedeutung der Beat-Musik, in solche Gesangsvereine ? Ich nehme schon an, daß sie zu Hause Beat hören, andererseits aber in solchen Chören organisiert sind. Und die sind oft ziemlich reaktionär ausgerichtet. Fahren an die „Schandmauer" nach Berlin, schauen sehnsuchtsvoll in die besetzten Ostgebiete. Dieses Gesangsvereinswesen ist stark ausgebildet, vor allem auf dem Land, in Mittel- und Kleinstädten. Und was die Leute machen, ist Kultur — wie sie sagen, pflegen sie das deutsche Volkslied. Was tun wir hier? Wieviel Arbeiterchöre gibt es denn heute? Welche neuen Lieder singen sie denn? Welche Anregungen erhält z. B. der Münchner Gewerkschaftschor? Hen^e: Nebenbei bemerkt: Einer der größten Komponisten des 20. Jahrhunderts war Chefdirigent der vereinigten Arbeiterchöre in Wien: Anton Webern. Wir haben eine Reihe verschiedener Probleme angesprochen, die sich für uns alle stellen oder besser gesagt, mit denen wir uns auseinanderzusetzen haben. Meine „Bildung", mein 35

Reinhold, Kücbiskem

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M u s i k d e n k e n , mein D a s e i n ist v o n der B o u r g e o i s i e determiniert. D i e Arbeiterklasse hat allen G r u n d , der ganzen K u n s t aus den letzten J a h r h u n d e r t e n u n d aus der G e g e n w a r t mit Mißtrauen zu b e g e g n e n , war u n d ist sie d o c h ein A u s druck der b o u r g e o i s e n Herrschaft. E r s t nach der R e v o l u t i o n kann u n d muß das ganze Material auf seine Brauchbarkeit hin analysiert werden. Ich befinde mich also in einer schwierigen und widerspruchsreichen L a g e , und mit mir befinden sich alle K ü n s t l e r , ausnahmslos, in dieser L a g e . Wer v o n uns d e m V o l k dienen will, m u ß sich verändern, sich und seine Arbeit. Vielleicht kann sie auf verschiedenen Gleisen verrichtet werden, in K o n t e m p l a t i o n , dann kritisch und a g g r e s s i v im reaktionären Ü b e r b a u , u n d v o r allem dienend u n d studierend b e i m Lernprozeß, als Lernender, an der klassenkämpferischen Basis. W a s wir d a aber mit unseren B ü c h e r n , Bildern und M u s i k e n tun können und wie wir diese W e r k e anlegen, das setzt ein tiefes u n d d e m ü t i g e s V e r s t ä n d n i s der intellektuellen P r o b l e m e des Arbeiters v o r a u s . E i n paar F r a g e n , die noch nicht beantwortet sind, gehen in diese R i c h t u n g : W a s können wir einem Arbeiter b e d e u t e n ? W a s können wir ihm s a g e n ? Wie können wir es ihm s a g e n ? W a s teilt sich ihm m i t ? W e n n wir in der K l ä r u n g dieser P r o b l e m e (ich meine noch nicht einmal: L ö s u n g dieser P r o bleme) nicht w e i t e r k o m m e n , leben wir, die K ü n s t l e r , seltsame Einzelfiguren (mit einem H a n g z u m E i n z e l k ä m p f e r tum) weiterhin in diesem V a k u u m , Marxisten vielleicht, aber ohne K o m m u n i k a t i o n mit der K l a s s e , auf die es a n k o m m t . W e n n die K o m m u n i k a t i o n nicht z u s t a n d e k o m m t — u n d ihr Z u s t a n d e k o m m e n hängt nicht v o n der Arbeiterklasse ab, sondern v o n uns, das V e r s a g e n ist unser, nicht der Arbeiter — nützt auch der luzideste Theoretiker nichts. D a s ist das Problem. In der musikalischen Praxis sähe das a l s o so a u s : D e n K o n t a k t mit den Arbeitern suchen (da k ö n n e n die O r g a n i sationen helfen) und herausfinden, w a s gebraucht w i r d , w a s nützlich ist, w a s an H ö r v o r a u s s e t z u n g e n existiert, auf denen man aufbauen kann.

Lück: D a s wirft auch die F r a g e der V e r b r e i t u n g auf. D u r c h welche Medien k o m m t diese M u s i k — egal, o b es ein L i e d

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der Songgruppe oder ein Stück von Henze sei — an den Adressaten Arbeiter heran? Ich meine, die Schallplatte spielt hier für uns eine große Rolle, die man ja auch für Montage von Stücken benutzen kann. Durch Schnitte können dokumentarische Aufnahmen eingeblendet werden, durch die das Bewußtsein sozusagen blitzartig erhellt werden kann. Wenn man also Musik einsetzt und plötzlich ein Zitat von Barzel oder Strauß einschneidet und danach wieder ein Stück Musik bringt, entsteht eine Verfremdung beider Elemente, die Bewußtsein weckt. Brannaskj: Unser gegenwärtiger Kampf geht um die Schaffung eines, wie wir's nennen, demokratischen, antimonopolistischen Bewußtseins. Das gelingt uns mit wechselndem Erfolg. Jedenfalls bedingt es den unmittelbaren Kontakt des Agitators mit dem, der agitiert werden soll. Der Schwerpunkt liegt im Kontakt mit den Menschen. Die Schallplatte hat ihre Funktion. Von blitzartigen Mobilisierungen des Bewußtseins mit der Schallplatte halte ich wenig. Gegenwärtig wird das Bewußtsein in der Arbeiterklasse nur dann blitzartig wach, wenn es um eine 15prozentige Lohnerhöhung geht. Lück: Du hast mich mißverstanden. Ich meine nicht, daß wir mit einem Schnitt den Hörer zu einem Ruck um drei Zentimeter nach links bringen. Es geht um ein technisches Verfahren, mit dem wir rechnen müssen, weil es der Gegner mit Erfolg praktiziert. Hitler: Der hat aber nicht nur das Verfahren, sondern auch die Sendeanstalten und künftig auch Kassetten und Satelliten. Und wir können unseren Kampf nicht nur auf der Straße führen. Fernsehen, Funk, Opernhäuser und das Theater sind genauso Tribünen des Klassenkampfes, in denen heute vor allem die Bourgeoisie herrscht. Warum denn nicht mit allen arbeiten, die von der Politik der Monopole in der Entfaltung ihrer Fähigkeiten und Interessen mehr und mehr beschnitten werden? Warum nicht allen die Dringlichkeit solidarischer Aktion und Organisierung klarmachen? Auch wenn sie noch keine Sozialisten sind. Trotzdem» können sie verstehen, was die Misere und die Krise im Kulturleben bedeuten und wo realistische Ansätze zur Verände35»

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rung zu finden sind, und auch daß ein wichtiger Grund für das Fernbleiben der Arbeiter von höherer Kultur u. a. im Mangel an einem Repertoire liegt, das mit dem Leben zu tun hat. Brannasky: Mir fällt ein Beispiel ein. Es gibt unter Arbeitern Genossen, die mit Kultur nichts zu tun haben wollen. Da war eine Gruppe in Moskau. Die wollte ins BolschoiTheater. Einer aus Rosenheim meinte: I hob gnua Theater dahoam. Das war ein politisch aufgeklärter Mann, der mitten im Klassenkampf steht. Die anderen haben ihn mit Biegen und Brechen mitgeschleppt. Der strahlte, als er wieder rauskam: Das hob i mir ganz anders vorgstellt. In Berlin war ich mit Genossen im Brecht-Ensemble. Die waren noch nie im Theater gewesen. Genauer: das Theater war noch nie bei ihnen. Für sie war das halt ein Prunkbau im Zentrum. Wir haben die Tage der Kommune angesehen. Sie haben hinterher nichts gesagt, schön ihren Wodka getrunken und dann plötzlich: Also morgen gehen wir wieder ins Theater. Sie mußten zunächst eine Aversion überwinden. Ohne Zweifel ist es ungemein wichtig, auch zu den Leuten zu gehen, obwohl das nicht genügt. Ich finde Henzes Idee, bei Cimarrón mit einer kleinen Besetzung zu arbeiten, gut. Gerade wenn auch bekannte Künstler Stücke schreiben, die vielleicht sogar von Laiengruppen gespielt werden können, wäre das ausgezeichnet. In der Bundesrepublik gibt's inzwischen schon eine ganze Reihe solcher Gruppen, die regelmäßig vor Betrieben, in Wirtshäusern, in Parteiversammlungen auftreten. Zumeist sind das Leute, die tagsüber in die Arbeit gehen. Die Lieder — oft Zufallsgeschichten — werden nebenher geschrieben, an einem freien Wochenende. Und man muß auch Glück haben, wenn das dann ankommt. Besteht nicht die Möglichkeit, daß jemand, der sich hauptberuflich mit Musik beschäftigt, mit solchen Gruppen kooperiert? Jedamus: Wir fahren Ende nächster Woche auf ein Seminar. Wir studieren neue Lieder ein und stellen unser nächstes Programm zusammen. Wir haben auch vor, neue Instrumente zu kaufen und damit zu experimentieren.

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Beim Wochenendseminar wurde das Gespräch fortgesetzt. Die Songgruppe probte ihr Programm und diskutierte über neue Wege im Gebrauch ihrer Mittel. Hernie: Die Nummer mit dem Lehrling finde ich fabelhaft. Auch andere Sachen. Etwa das Theodorakis-Lied. Wenn ich so etwas machen sollte, müßt ich mir schon Mühe geben. Das Einfache ist am schwersten. Vielleicht kann ich in einer Sache etwas beisteuern; denn ich könnte instrumentale Mischungen mit dem vorhandenen Instrumentarium machen, auf die man nicht so ohne weiteres kommt. ]edamus: Das wäre sehr wichtig. Eben mit unseren Mitteln. Hen^e: Ich werde mir notieren, was Ihr spielen könnt, auch Stimmumfang usw. Vielleicht kommen wir auf mehr klangliche Abwechslung. Und dann muß ich Texte kriegen, das wäre alles — nein, nicht alles: Es muß mir dann doch noch was einfallen. Beim Theodorakis ist mir eingefallen, ob man nicht so was versuchen könnte, was man in Vietnam macht, wo kleine Gruppen von einem Dorf zum andern gehen und kleine Stücke spielen. Natürlich ohne Kostüme und den ganzen Quatsch. Aber so, daß es verteilte Rollen gibt. Daß Dialoge entstehen, kleine Szenen, Lehrstücke, auf einfachster Basis. Jedamus: Wir haben eine Nummer mit einem Sprechtext. Unsere Kapazität ist begrenzt, auch was die Proben betrifft. Hitler: Da kommen doch sicher auch Gruppen in anderen Städten in Frage, die sich solche szenischen Stücke mit Songs und Dialogen aneignen könnten. (1971) 3, S. 519-528

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Yaak Katsunkc

Präsentation einer Wirklichkeit

A n t h o l o g i e n verdanken ihre E x i s t e n z häufig g e n u g einem b l o ßen Einfall des jeweiligen H e r a u s g e b e r s (manchmal auch n u r seiner Eitelkeit), selten einer N o t w e n d i g k e i t . E i n e b e m e r kenswerte A u s n a h m e v o n dieser R e g e l brachte der L u c h t e r hand V e r l a g zur letzten B u c h m e s s e h e r a u s : Aus der Welt der Arbeit. AJmanach der Gruppe 61 und ihrer Gäste. H e r a u s g e g e b e n v o n Fritz H ü s c r u n d M a x v o n der G r ü n in Z u s a m m e n a r b e i t mit W o l f g a n g P r o m i e s , der in seinem N a c h w o r t den Sinn des U n t e r n e h m e n s so definiert: „ D i e Präsentation einer Wirklichkeit, die bislang nur in den seltensten Fällen G e g e n s t a n d v o n Schriftstellern war, erscheint als das Wesentliche — auch w e n n dieser und jener Beitrag noch nicht den E i n d r u c k m a c h e n sollte, als sei eine B e w ä l t i g u n g tatsächlich g e l u n g e n . D i e s e r erste A l m a n a c h , d e m sich andere in freier F o l g e anschließen sollen, will lediglich A n s t o ß g e b e n , A n s t o ß auch erregen — nicht anders als die G r u p p e 61 s e l b s t . " A n s t o ß e r r e g e n : auch das M o t t o des B a n d e s , H i l d e g a r d W o h l g e m u t h s Wir stören? — Das ist unsere Absicht, g i b t sich martialisch — die F r a g e ist, o b da nicht mehr v e r s p r o c h e n als gehalten wird. Z w e i f e l l o s wirken im H e r r s c h a f t s g e f ü g e der B u n d e s r e p u b l i k bereits reine I n f o r m a t i o n e n u. U . „ s t ö r e n d " , und ein nicht g e r i n g e s Verdienst des B a n d e s besteht darin, T a t b e s t ä n d e zu schildern, die sich in public-relations-Anzeigen der Industrie e b e n s o w e n i g beschrieben f i n d e n wie in Festschriften zu F i r m e n j u b i l ä e n ; nur wird dieser S t ö r f a k t o r — sobald er die B e t r o f f e n e n wirklich zu stören b e g i n n t — recht gründlich reduziert. A l s H . G ü n t e r Wallraff auf einer H e r b s t -

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tagung der 61er zum ersten Mal seine auf eigenen Erfahrungen beruhenden Industrie-Reportagen las, kamen in den Titeln noch Firmennamen vor. Inzwischen haben Schadenersatzforderungen und einstweilige Verfügungen dazu geführt, daß die bewußten Firmen weder in dem (bei Rütten & Loening in München erschienenen) Sammelband der Wallraff-Reportagen noch im Luchterhand-Almanach mehr namentlich genannt werden — folgerichtig bescheinigte Dieter Wellershoff dem Wallraff-Text in seiner Spiegel-Rezension, er sei „bewußt zurückhaltend geschrieben", die Interessen der Industrie und die Stilvorlieben einer etablierten Kritik erweisen sich einmal mehr als zwei Seiten einer Medaille. Allzuviel Anstoß, so scheint es, ist ohne ein zu hohes Risiko also nicht zu erregen. Eine weitere Frage ist, ob sich mit der proklamierten Störfunktion der Gruppe alle ihre Mitglieder ohne weiteres einverstanden erklären würden. Wie die Gesellschaft, in der sie sich zusammenfand, ist auch die Gruppe 61 durchaus pluralistisch. Wenn in Joseph Redings Phasen eines Plans der Herr Direktor mit den privaten Sorgen und der Arbeiter Johann mit der verstümmelten Hand an der Schaschlik-Bude zu unverbindlicher Feierabend-Solidarität gelangen, die sich lediglich in halbgaren Lyrismen ausdrückt und doch (zusammen mit dem Selbstmord des mißratenen Sohnes) den Direktor wieder auf den rechten Weg — nämlich mit dem Auto in die Fabrik — bringt, dann stört das doch wohl wesentlich andere Leute als jene, die Wallraff die Namen aus den Texten prozessierten. Redings Johann stellt sich als „Poet mit der Schwurhand" vor, und die unerträgliche Poetisierung der eigenen Verkrüppelung ist ein deutliches Indiz für den Bewußtseinsstand eines entfremdeten Arbeiters, der die Ideologie der an ihm Verdienenden so voll verinnerlicht hat, daß er sie im Bedarfsfalle sogar mal dem Direktor predigen kann. Wenn der nämlich seine Kindheitsträume nicht alle verwirklicht hat, ist er nach Johanns Worten „selber dran schuld. Du kannst nicht richtig sehen. Mitten drin bist du in deinen Abenteuern." Und weil der Pütt doch so schön ist, arbeitet Johann trotz Rente und abgerissener Finger immer noch weiter, anstatt sich z. B. mal einen Auslandsurlaub zu gönnen: 540

Was brauch ich nach Neapel? — wir haben den Vesuv schon überm nächsten Stapel reimt der Poet mit der Schwurhand, angeblich hat's die Werkzeitung „Querschlag" auch noch gedruckt. Das einfache Leben ist offenbar halt doch das beste — den Direktoren jedenfalls, die ja auch nicht mehr nach Neapel mögen, weil da jetzt schon jeder hinfährt, wird das Leben bestimmt einfacher gemacht, wenn die lyrischen „Querschläge" nicht härter als oben zitiert ausfallen. Redings Anpassungstraktätchen ist allerdings ein Einzelfall. Willy Bartocks Gedicht Sehnsucht zielt z. B. durchaus noch in exotische Fernen, aber seine Savannen und Kakteenfelder wirken doch eher als Chiffren einer resignierten Zivilisationsfeindschaft, die den Kampf gegen die realen Bedingungen zugunsten eines Traumes aufgegeben hat, der seinerseits auch nur Fabrikware ist. „. . . männliche Gier/nach Fladenbrot/ Dörrfleisch und Flasche" sowie die „gewaltige Landschaft" tragen auf der Breitwand-Rückseite vermutlich den Vermerk „made in Hollywood". Die Sehnsucht des zurechtgestanzten Arbeiters reicht nicht mehr weiter als bis zu den gestanzten Kulissen und Helden des Western. Deutlich illusorisch wird der Cowboy-Gestus in Bartocks Wochenbeginn, der mit den Versen schließt: pack ich ihn plötzlich — Montag, den tückischen Stier, pack ihn mit beiden Fäusten, pack ihn an beiden Hörnern, zwing ihn mit knarrenden Muskeln jäh in die Knie. Triumph! Die übrigen Tage sind Kühe, wiederkäuend — mit denen werde ich fertig. Dieser hymnische Aufschwung, in dem — wieder einmal — von Menschen geschaffene Produktionsbedingungen in reine 541

Naturwesen ver-allegorisiert werden, dürfte mit seiner metaphorischen Kraftmeierei hoffentlich niemanden zur Nachahmung verleiten; gefährlicher für eine Literatur über die industrielle Arbeitswelt ist vermutlich die Versuchung, auf dem von Matthias Mander gewiesenen Holzweg in die gute Stube bürgerlicher Kultur zu gelangen. Mander ist Abteilungsleiter in der Schwerindustrie und hat verschiedene österreichische Literaturpreise erhalten: ein Beweis, daß sein Versuch, die soziale Lage des Arbeiters zur existenziellen oder metaphysischen Situation elfenbein turmhoch über wirtschaftlichen Interessen zu stilisieren, gern und voll in die Kulturindustrie integriert wird. Sein Erfolg bei der Gruppe 61 und seine Aufnahme sowohl in eine Gewerkschafts-Anthologie als auch in den Luchterhand-Almanach beweisen außerdem, wie unsicher die Mehrheit der Arbeitnehmer gegenüber den Erzeugnissen dieser Industrie noch immer ist. Interessant scheint in diesem Zusammenhang, daß die Lieblingsart bürgerlicher „Dichtung", das Gedicht, anteilmäßig in der Produktion der 61er zurückgegangen ist. Im Nachwort weist Wolfgang Promies darauf hin, daß noch 1924 Arbeiterdichtung fast ausschließlich lyrische Dichtung war, wohingegen heute die Prosa eindeutigO vorherrscht. Diese o o Entwicklung deutet einesteils wohl eine Distanzierung vom herkömmlichen Poesie-Begriff an, spiegelt zum anderen jedoch auch den Verfall politischer Aktion unter den Arbeitern der Bundesrepublik. In Bruno Gluchowskis Bericht vom belgischen Grubenarbeiterstreik bringt ein amerikanischer Kumpel seinen Kollegen bei Streikbeginn Gewerkschaftsliedcr bei — der vielzitierte Gebrauchswert der Lyrik verwirklicht sich in einem Kampflied, das dann bei den Kämpfen tatsächlich gesungen wird; in Joseph Büschers Beriebt aus einer Stadt an der Ruhr wird das Fazit einer gewerkschaftlichen Protestversammlung gegen eine Zechenschließung etwas anders gezogen: „.Worum handelte es sich eigentlich heute', fragte ein junger Mann, ,war das ein Protest, war das eine Beerdigung?' — ,Eine Beerdigung', sagte jemand. Keiner widersprach." Für Beerdigungen reichen die vorhandenen Kirchenlieder aus. Also wird Prosa geschrieben: Mischformen zwischen Reportage und Bericht überwiegen, Texte, in denen die 542

Menschen eher als Bestandteile der Produktion fungieren, denn daß die Produktionsbetriebe als Bestandteile einer zwar kaum menschlichen, aber immerhin Menschen-Welt wirken. Promies schreibt vom Raum zwischen Sachbuch und utopischem Roman — sofern man den letzteren nicht mit science fiction übersetzt, sondern Utopie in jenem Sinn versteht, der Thomas Morus vorschwebte, steht die Literatur der 61er dem Sachbuch weitaus näher. Begründet wird dieser Standort durch den Mangel an Information beim Publikum ebenso wie durch den Mangel an einem gesamtgesellschaftlichen Gegenkonzept bei den Autoren. Zu oft erschöpft sich ihre Kritik in der Beschreibung des Kritisierten, bleibt in bloßer Phänomenologie stecken ohne Hinweis auf Ursachen oder mögliche Abhilfe. Ein Understatement des Konstatierens herrscht vor, oft erschütternd — ohne Ausweg fast immer. Zwei der ältesten Mitglieder der Gruppe, Joseph Büscher in dem erwähnten Bericht und Gluchowski in der Wasserkanone lassen kämpferische Möglichkeiten anklingen oder — wenn auch im Ausland — sogar verwirklichen. Für das Inland hält dagegen Erwin Sylvanus in seiner Dialogstudie Tack.-Z.ack fast wie in einem Protokoll die politische Bewußtlosigkeit junger bundesdeutscher Arbeiter fest, wie sie sich anhand der Gespräche bei einem wilden Streik zu erkennen gibt. Hier lenkt allerdings der formale Ansatz die Kritik in eine falsche Richtung: Der Text stellt seine Figuren an den Pranger, ohne die Gründe ihres Fehlverhaltcns zu berücksichtigen. Anders Christian Geissler, der in einer Episode aus einem Fernsehfilm ein junges Straßenbahner-Ehepaar in noch weitaus unsympathischeren Aktionen zeigt, jedoch die Determinanten dieses Verhaltens mit einmontiert und so die Inhumanität der jungen Leute als Konsequenz aus inhumanen Lebensbedingungen ableitet. Ähnliches gelingt außer ihm eigentlich nur noch Elisabeth Engelhardt. Ihre Erzählung Zwischen 6 nnd, 6, eine in Thema und Durchführung weitaus konventionellere Arbeit, läßt jedoch auch — über eine bloße Arbeitsplatzreportage hinaus — die Zerstörung eines Menschen als durch eine lediglich nach Produktionserfordernissen ausgerichtete Umwelt verursacht erkennen. Am eindringlichsten dokumentiert diese Zerstörung Max 543

von der Grün in Waldläufer und Brückensteher. Im Gegensatz zu Elisabeth Engelhardt kommt er ohne sensationelle story aus: Seine Waldläufer und Brückcnsteher sind die typischen Invaliden einer Ruhrgebietssiedlung. Männer Mitte fünfzig, vorzeitig wegen Staublunge pensioniert, mit Angst vor Gewittern (wegen der damit verbundenen Erstickungsanfälle), mit grünen Lodenmänteln, mit Hunden, und mit den Angewohnheiten entweder eines täglich gleichen Waldspaziergangs oder des Stehens auf einer Autobahnbrücke. Zwei der Brückensteher lernen wir näher kennen, einer stirbt im Lauf der Erzählung während eines trockenen Gewitters, der andere schließt sich vereinsamt den Waldläufern an. Die Brücke bleibt zwei Wochen lang leer; dann winken dem Erzähler eines Tages wieder zwei von der Brücke her zu: „Nun hatten die Waldläufer wieder ihre Brückensteher. Gott sei Dank, dachte ich, die Ordnung war wieder hergestellt." Die unüberhörbare Bitterkeit, mit der das Wort „Ordnung" hier gesetzt ist, ist die Bitterkeit der Resignation. Durch den gesamten Band artikulieren sich Schmerz, Verzweiflung, Wut, Trauer und Unbehagen — das Fazit aber sind Sätze wie diese: „Wenn ich noch mal zur Welt komme, dann nur als rotes Lämpchen, da weiß jeder wer ich bin und was ich bedeute" (Dieter Forte), „Saufen hilft. Hau dir den Kragen voll" (Detlev Marvig), „Als Fremmcl in die Strafanstalt einrückte und sah, daß die ziegelroten Gebäude nur fünf Stockwcrke hoch waren, hatte er nichts dagegen, für einige Zeit eine Nummer zu werden" (Ernst F. Wiedemann), „Weißt du, was mich interessiert — Ja was — Ist ja auch egal" (Sylvanus), „Ich weiß es nicht, der Milchmann weiß es nicht, die Pastoren wissen es nicht und mein Arzt sagt: Warum ihnen nachspüren, sie wissen es ja selbst nicht" (von der Grün). Es sind Arbeitnehmer, die so denken, so reden, so schreiben: Es ist der zahlenmäßig weitaus größere Teil jener Menschen, die in der „Welt der Arbeit" leben — ein Bild dieser Welt muß jedoch unvollständig bleiben, solange der einflußreiche und weitaus kleinere Teil ihres Personals nicht mit porträtiert wird, dessen Aktivität die Resignation des größeren Teils zur formierten Gesellschaft ergänzt. Gleichzeitig mit Luchterhands Almanach erschien nun ein Buch, das diesem Mangel 544

abhilft: F. C. Delius Wir Unternehmer. Über Arbeitgeber, Pinseber und das Volksgan^e. Eine Dokumentar-Polemik im Verlag Klaus Wagcnbach (Quartheft 13). Delius bezieht sich auf Protokolle des Wirtschaftstages der CDU/CSU 1965 in Düsseldorf und definiert Absicht und Methode der eigenen Arbeit: „Ein Stück Gegenwart, das die Kriterien des bundesdeutschen politischen Schauspiels ordentlich und durchschnittlich erfüllt, soll das Beispiel dieser Gattung theoretischer Politik vorgestellt, zur Erleichterung der Lektüre in falsche Verse gesetzt und der Vergessenheit noch ein wenig vorenthalten werden." Delius hat die Reden gekürzt und mit kommentierenden Stellen durchsetzt, die entweder verdeutlichen, wovon da eigentlich die Rede ist, oder die Material bringen, das der Redner eben zu unterschlagen sucht. Formal ist das sicher einer der interessantesten Ansätze, eine bestimmte "Wirklichkeit zu präsentieren — ebenso wie bei Geisslers Filmszenario zahlt sich die Abkehr von überkommenen Literatur-Kategorien hier aus. Interessanter jedoch als der formale Aufbau des Buches sind die Selbstaussagen deutscher Unternehmer und ihrer politischen Freunde: Der Unternehmer hat einen Stoff, hat oder sucht Kapital und hat Arbeitskraft zur Verfügung; er hat Maschinen und Arbeiter heißt es da (S. 39) an einer Stelle — die Arbeiter kommen an letzter Stelle, aber immerhin, der Unternehmer hat sie, wie Maschinen. Außerdem hat er es schwer. Ein anderer Teilnehmer führte aus: Der Intellektuelle kommt vom Rationalen her, die Sphäre der Wirtschaft ist in hohem Maße irrational. Das Unwägbare, das nicht zu berechnende bestimmt die Beziehungen zwischen den Menschen.

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Die erschrcckendc Fehlbeurteilung junger, evangelischer Pfarrer, welche die Fabrik als furchtbare, bedrückende Welt hinstellten, hat letzten Endes ihre Ursache in einem rationalen Akt, weniger in religiös ethischer Verpflichtung. Die große Erziehungsaufgabe, die dem Unternehmer in seinem Bereich gestellt wird, kann nur gelöst werden, wenn es ihm geliqgt, eine Basis wirklichen Vertrauens herzustellen. Auch hier gilt es wieder, das Irrationale dem Rationalen, dem dialektisch oft überlegenen, gegenüber durchzusetzen. (S. 54) Soweit bekannt, setzen die deutschen Unternehmer ihr irrationales Konzept vorwiegend und erfolgreich mit Rationalisierungsmaßnahmen durch, eine Inkonsequenz, die sie aber weitaus weniger stört als ein gewisser „Slogan": Ein kurzes Wort zu dem Slogan von der sozialen Gerechtigkeit. Da möchte ich einen berühmten Mann zitieren, nämlich Thomas Hobbes: Gerechtigkeit ist ein leeres Wort; was sich ein Mann erwirbt durch Fleiß und Risiko, das ist sein Eigentum und muß es bleiben. — (S. 39) Durch wessen Fleiß und auf wessen Risiko da Eigentum erworben wurde, brauchte auf einem Unternehmertag der CDU/CSU freilich nicht zu interessieren - Hobbes (1588-1679) entwarf im Leviatban die Staatsphilosophie des Absolutismus, die drei Jahrhunderte später in der Ideologie der formierten Gesellschaft fröhliche Urständ feiern darf. Leider sind die dreihundert Jahre nicht spurlos vorübergegangen: . . . Die Sozialisten sind seinerzeit mit den Redensarten Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit 546

auf die Barrikaden gestiegen. Ihr E r f o l g : anstatt den Menschen zu retten, haben sie ihn in ein Unheil gestürzt, das ich Ihnen nicht zu nennen brauche. Ich fürchte, daß die deutsche Sozialpolitik heute wiederum zwei Begriffe verwendet, die einfach nicht wahr sind und die uns vor allen Dingen wieder einen falschen Weg führen können: die Begriffe .soziale Sicherheit' und ,soziale Gerechtigkeit'. D a s gibt es einfach gar nicht! Eine Gerechtigkeit gibt es überhaupt nicht, denn es wird sich immer einer benachteiligt fühlen. Eine Sicherheit gibt es nur auf dem Friedhof; jedes Leben ist mit Risiko behaftet, und wer das Risiko ablehnt, lehnt auch das Leben ab. (S. 43 f.) In diesem brutalen Credo werden Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit „Redensarten" genannt, Gerechtigkeit schlankweg geleugnet, weil sich einer immer benachteiligt „ f ü h l e n " wird — was der genau weiß, der sich bevorrechtigt nicht zu fühlen braucht, weil er es ist! — und denen, die ihn und sein Risiko tragen müssen, empfiehlt der Redner den Friedhof. Tatsächlich dürfte das in einer so organisierten Welt der einzige Ort sein, wo man vor Unternehmern dieses Schlages endlich in Sicherheit ist. Wie Nicht-Unternehmer in dieser Gesellschaft beurteilt werden, resümiert Delius in einem Absatz seiner Einleitung: „ D i e Bevölkerung wird oft nach ihrer ,Schaffensmoral' beurteilt — als sei sie eine überdimensionale Maschine, die allein von den Sekundärtugenden Fleiß, Ruhe, Disziplin, Pünktlichkeit, Ordnung usw. betrieben werde. Der Arbeiter ist ein Neutrum, das lediglich seine .Arbeitskraft' zur Verf ü g u n g zu stellen hat. Alles ist gut und in Ordnung, wenn die Wirtschaft nur läuft, d. h. wenn der Unternehmer mit Betrieb und Ertrag zufrieden ist. Keine Rede davon, für wen man ar547

beitet, mit wem und auf wessen Kosten — eine sehr verständliche, eine inhumane Einstellung." Sehr verständlich und inhuman — die Koppelung beweist, daß Delius kein Pathetiker, sondern ein nüchterner Beobachter ist. Verständlich scheint diese Einstellung, weil sie denen nützt, die sie vertreten, inhuman ist sie, weil sie allen anderen — also der Mehrheit — schadet. Unverständlich hingegen muß die Einstellung einer Mehrheit (oder ihrer Repräsentanten) wirken, die sich gegen diese Inhumanität nicht zur Wehr setzt, sondern im Gegensatz dazu an der Verwischung der Gegensätze eifrig mitarbeitet, also etwa über die Mitglieder der Gruppe 61 befindet: „Nicht der Beruf und die soziale Stellung des Schreibenden ist entscheidend — wichtig allein ist nur das Thema und die Kraft, es künstlerisch darzustellen." Dieser Satz findet sich in Fritz Hüsers Vorwort zum Luchterhand-Almanach, und der Rückzug auf einen ebenso unreflektierten wie sorgfältig von allen gesellschaftlichen Bedingtheiten gereinigten Kunst-Begriff stimmt umso bedenklicher, als Hüser auf der selben Seite mitteilt, daß kritische Autoren noch heute ihre Existenz gefährden, so sie nicht vorziehen, unter Pseudonym zu veröffentlichen, daß sie „kritisch und mit Unruhe" von Vertretern der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen betrachtet, „mehr behindert als befördert" werden. Kann man das wissen, und zugleich zustimmend Wolfgang Rothe zitieren, der angeblich überzeugend bewiesen hat, „daß die alte Arbeiterdichtung vor allem Ausdruck einer sozialen Gruppe war. Die soziale Frage stand im Vordergrund und ist heute Historie." Ist sie das wirklich? Ist sie nicht vielmehr mit Gewalt in den Hintergrund gedrängt und dort künstlich vernebelt worden? Und soll wirklich zu dieser künstlichen nun noch eine künstlerische Vcrnebelung treten wie sie sich z. B. in dem — ebenfalls von Hüser angeführten — Satz von Willi Helf abzeichnet: „Das Glück und das Leid des Bergmannsdaseins, die Weite und Tiefe seiner Existenz, die Geschlossenheit des Milieus, seine Erdnähe, der bei allem technischen Fortschritt verbleibende Rest von Schicksalhaftigkeit, von Ausgeliefertsein an nicht bezähmbare Urgewalten, hat diesen Beruf mit einem Hauch Romantik ausgestattet, der auf das sensible Dichtergemüt besonders stark wirkt." 548

Dem hat Hüser wenig hinzuzufügen, dem widersprechen — zum Glück — einige der besten Texte des Bandes, dem widerspricht vor allem aber ein theoretischer Aufsatz, für dessen Aufnahme in den Almanach man dem Verlag dankbar sein muß. Es handelt sich um die Bemerkungen %um literarischen Schaffen der Dortmunder Gruppe 61 von Wolfgang Friedrich, der als Dozent und Leiter der Abteilung Literatursoziologie am Germanistischen Institut der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg tätig ist. Für Friedrich erfaßt die Gruppe 61 „bewußt oder unbewußt die neue Stufe des Entfremdungsprozesses, und zwar nicht allein in seinen unmittelbaren ökonomischen, sozialen und sozialpsychologischen, sondern auch in seinen politischen Auswirkungen in Gestalt des staatsmonopolistischen Totalitarismus'". Friedrichs Behauptung, die Entfremdung sei „mit dem kapitalistischen Eigentum an den Produktionsmitteln gegeben, sie entsteht mit ihnen und wird mit ihnen verschwinden", ist im letzten Teil wohl etwas zu mechanistisch gesehen — seit einigen Jahren ist ja gerade das Phänomen der Entfremdung auch in sozialistischen Staaten Gegenstand der Diskussion — abgesehen davon weist er aber als einziger damit auf Zusammenhänge hin, die zwischen Literatur und Gesellschaft bestehen. Folgerichtig rät er den Autoren, sie sollten „einen Schritt weiter gehen, nicht nur Fakten nennen, nicht nur das wachsende Unbehagen der westdeutschen Arbeiter wiedergeben, sondern Wege zeigen, dessen Ursachen zu beseitigen." Im Nachwort polemisiert Wolfgang Promies gegen diesen Rat: „Die Autoren der Gruppe 61 scheuen sich, Lösungen feilzuhalten. Wenn ihre Texte also schon literarisch nicht vollendet sein sollten, ehrlich sind sie immer. Und mich dünkt, in dieser Ehrlichkeit liegt die größere Chance zu einer wahrhaft sozialen Literatur als in den landläufigen Entgegnungen von Schriftstellern aus der DDR, die in Diskussionen mit Mitgliedern der Gruppe 61 als ihrer Weisheit letzten Schluß sagen: wenn der Arbeiter nicht mehr weiß, woran und wozu er arbeitet, versuchen wir, es ihm zu sagen." Abgesehen davon, daß auch Ehrlichkeit nur eine Sekundärtugend ist, scheint mir der Versuch der DDR-Autoren nichts Unehrliches zu sein. 36

Reinhold, Kürbiskern

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An dieser — wie an einigen anderen Stellen — schlagen bei Promies die landesüblichen Ressentiments gegen den andern deutschen Staat in etwas undurchdachtcr Art durch: Ressentiments, die sich durch Sätze wie diesen ergänzen: „Die Tatbestände, unter denen der Arbeitende zu leiden hat, zu leiden meint, sind anfechtbar, aber augenscheinlich unangreifbar." Das „zu leiden meint" korrespondiert mit dem „sich-bcnachteiligt-fühlen" des CDU/CSU-Unternehmers, beide Male werden objektive Tatbestände in subjektive Empfindungen abgefälscht, und unangreifbar sind diese Tatbestände mitnichten — es ist nur der Wunsch bestimmter Gruppen und Leute, sie nicht angegriffen zu sehen (oder doch nur in einer Form, die keine Wirkungen hat). Den Überbau liefert Promics im letzten Satz, wenn er schreibt: „Nie hatte der Schreibende mehr Gund, mehr Möglichkeiten, den Menschen zu verwirklichen, disparate Wirklichkeit zu humanisieren." Mehr Grund sei unbestritten, mehr Möglichkeiten aber in einer unangreifbaren Gesellschaftsordnung? Oder soll mit dieser Proklamation die Humanisierung einer „disparaten" Wirklichkeit von eben dieser Wirklichkeit weg und in die Almanache abgelenkt werden? Zitieren wir noch einmal aus Delius' Dokumentar-Polemik: Der Unternehmer steht und fällt mit der Gesellschaftsordnung des Westens. Er haftet in ungewöhnlicher Weise für seine Tätigkeit. (S. 34) Wie wahrhaft ungewöhnlich diese Haftung aussieht, entnahm ich z. B. der Zeit vom 16. Dezember vergangenen Jahres, wo es auf Seite eins hieß: „Der Kanzler hat es angekündigt: Der Tiefpunkt in der Konjunkturkurve steht uns noch bevor. So unerfreulich diese Aussicht sein mag, zur Panik besteht kein Anlaß. Vergessen wir nicht: Es ist nicht so wichtig, ob wir einmal für ein paar Wochen 100000 Arbeitslose mehr oder weniger haben — entscheidend ist, daß der Wirtschaft neue Wachstumsimpulse gegeben und damit die drohende Krise abgewehrt wird." Daß für ein paar 100000 Arbeitslose die Krise mit Beginn ihrer Arbeitslosigkeit nicht mehr „droht", 550

sondern bereits angebrochen ist, ist „nicht so wichtig" — das ist nur die bundesdeutsche Wirklichkeit. Ihre Repräsentation besorgen Wirtschaftstage und die Presse von Springer bis hin zur Zeit — die Schriftsteller dagegen sollten sich vielleicht doch mehr um ihre Veränderung bekümmern. (1967) 2, S. 90-99

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Walter Fritzsche

Werkkreis und Literatur

Als sich vor etwa zwei Jahren der Werkkreis „Literatur der Arbcitswelt" konstituierte, war dem eine heftige Auseinandersetzung mit der Dortmunder „Gruppe 61" vorausgegangen, der die Werkkreisinitiatoren zu einem Teil selbst angehörten oder der sie doch als Gäste verbunden waren. Hatte die Gruppe 61 das Ziel gehabt und auch zu einem nicht geringen Grade zu erreichen vermocht, die Welt der Arbeit aus dem ihr bis dahin verordneten ästhetischen Exil in die Literatur heimzuholen und dem arbeitenden Menschen in den W e r k e n von Schriftstellern einen zentralen Platz zu verschaffen, so genügte das den Begründern des Werkkreises nicht mehr. Arbeiter und Angestellte sollten nicht länger nur Objekt der Literatur sein, sondern ihr Subjekt: Lohnabhängige sollten nicht mehr nur beschrieben werden, sondern schreiben, und das — laut Programm — über die Schilderung der Verhältnisse hinaus zu deren Veränderung. Wie sieht diese Werkkreisliteratur aus, genauer: W a s sind das für Texte, die die Mitglieder der knapp zwanzig örtlichen Werkstätten für Literatur der Arbcitswelt verfassen? Welche Aufgaben stellen sich Werkkreis ( W K ) und W K - A u t o r e n ? Welches literarische und politische Verständnis haben sie von ihrer Schreib-Arbeit? Welches könnten oder sollten sie mit Blick auf die kulturellen Bedürfnisse der großen Zahl der Lohnabhängigen haben, mit Blick vor allem auch auf die O

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notwendige Entwicklung eines kulturellen, und damit auch literarischen Selbstbewußtseins derer, die mit ihrer Arbeit die materielle Kultur produzieren, an Kunst und Unterhaltung

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in ihrer Freizeit aber zumeist nur durch den zweifelhaften Genuß zweifelhafter Massenware teilnehmen?

1 Die Heftigkeit, mit der Mitglieder der Gruppe 61 auf die nach außen als Sezession erscheinende Bildung des W K reagierten (Max von der Grün sinngemäß im Fernsehen: Der Arbeiter kann durch Kunst nicht politisiert werden und kann auch selbst keine Literatur machen!), die ungewöhnliche Aufmerksamkeit der literarischen Öffentlichkeit und vor allem die überraschend große Resonanz der beiden ersten Reportagewettbewerbe des W K bei den zur Teilnahme aufgeforderten Lohnabhängigen zeigen, daß es sich hier um mehr als die willkürliche Vereinsgründung missionarischer Dissidenten handelte, und legen einen kurzen Blick auf die politische und ästhetische Situation nahe, aus der sich diese neue Bewegung schreibender Arbeiter entwickelte. Die Tradition der Arbeiterliteratur als eines lebendigen Teils der veröffentlichten, gelesenen und diskutierten Literatur brach 1933 radikal ab. Zwar wurden einige Werke einzelner Autoren auch weiterhin gedruckt (wobei es sich vornehmlich um Arbeiten aus dem romantisch-heroisch und antizivilisatorisch orientierten Teil der Arbeiterdichtung handelte), die sozialistischen Arbeiterschriftsteller aber und ihre Förderer, jene Autoren, deren Namen sich mit den Begriffen Arbeiterkorrespondenz und Bund Proletarisch-Revolutionärer Schriftsteller verbinden, wurden zum Schweigen gebracht oder mußten in die Emigration gehen. Nach dem E n d e des zweiten Weltkrieges gab es in Westdeutschland anderthalb Jahrzehnte lang allenfalls Ansätze von neuer Arbeiterliteratur. Der Arbeiter fehlte nicht nur als Autor in der Literatur, er war auch als Gegenstand der Literaten-Literatur nicht vorhanden. Dieser Umstand hatte viele Ursachen. Im Vordergrund stand das Kriegserlebnis, türmte sich riesig auf wie auch das Thema der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft; beides war nicht mit den Kategorien der individuellen Schuld und Betroffenheit, noch 554

weniger mit denen einer diffusen Kollektivschuld zu bewältigen, solange ein geeignetes Begriffsinstrumentarium den Autoren nicht zuhanden war oder aber nicht benutzt wurde. Und gerade dazu hätten Fragen gehört nach den Arbeitsplätzen auch im Krieg, wer wann woran und womit wieviel verdiente, wer über wen und was verfügte und wieviele warum was mit sich machen ließen und wieviele das nicht taten. Aber diese Fragen wurden nicht gestellt. (Erst später findet der ökonomische Hintergrund Beachtung in Memorial von Weisenborn, Anfrage von Christian Geissler, Joel Brand von Kipphardt, 'Ermittlung von Peter Weiß, Der Stellvertreter von Hochhuth.) In einigen ihrer besten und erfolgreichsten Prosawerke reagierte die anspruchsvolle bürgerliche Literatur, grobskizziert, so auf den Krieg: in Borcherts Draußen vor der Tür als moralisch humanistische Anklage; in Bolls Erzählung Der Zug war pünktlich als realistische Schilderung unmittelbarer Erfahrung; in Grass' Kat% und Maus mit ironischer Symbolik das Tragische distanzierend; und in Kluges Schlachtbeschreibung als posthumes dokumentarisches Planspiel — Stalingrad als Resultante reiner Funktionen. Die Kriegsproduktion, der Schauplatz Rüstungsbetrieb — das blieb in der Literatur ausgespart. Eine literarische Auseinandersetzung mit diesem Thema hätte zu Fragen führen können, die gesellschaftliche und ökonomische Verhältnisse ins Bild gerückt hätten. An einer Aufdeckung der Zusammenhänge zwischen Großkapital und Faschismus aber war die das geistige Leben der Nachkriegsjahre beherrschende Ideologie des Antikommunismus nicht interessiert. Ein Großteil der fragenden Jugend und ihres kritischen Potentials wurde abgelenkt auf den „Feind im Osten". Dort im Osten aber lebten und arbeiteten — trotz gelegentlicher Reisen ohne breiten Einfluß auf die junge westdeutsche Literatur der fünfziger Jahre — auch jene Autoren, die eine Arbeiterliteratur hätten neu anregen können: Seghers, Becher, Weinert, Marchwitza, Bredel. Das oft angeführte „Nachholbedürfnis" befriedigte sich vornehmlich in der notwendigen Entdeckung oder Wiederentdeckung von nichtsozialistischen Autoren, die von den Nationalsozialisten verboten waren: 555

Bei Kafka faszinierte die metaphysische Parabel (so zumindest die damalige Interpretation), bei Sartre das existenzialistische Räsonnement und bei Hemingway der Mythos vom Abenteuer —, um nur die drei wichtigsten Beispiele zu nennen, die in der westdeutschen Literatur der Nachkriegszeit am erfolgreichsten Schule machten, stilistisch und inhaltlich. Das große Interesse an Brecht kam erst später. Das gesellschaftlich unreflektierte Kriegserlebnis, die antikommunistische Ideologie, der fehlende Kontakt mit den wichtigsten Schriftstellern, die der Arbeiterbewegung schon vor dem Krieg verbunden gewesen waren, und der überragende Einfluß einiger jahrelang vorenthaltener Autoren — diese Hinweise mögen die Richtung andeuten, in der die Gründe dafür zu suchen sind, daß in den Jahren zwischen 1945 und 1960 die Produktionssphäre, die Basis der gesellschaftlichen Realität, in der Literatur der Bundesrepublik nicht vorhanden war. Ganz gewiß hat auch der unerwartete wirtschaftliche Aufschwung, der sich mit dem Wort „Wirtschaftswunder" selbst bestaunte und zugleich in den Bereich des Schicksalhaften entrückte (so wie sich der Begriff „Katastrophe" für die Niederlage des Hitlcrfaschismus in der BRD einbürgerte), eine Art kollektiver Tabuisierung bewirkt. Auch Autoren, die sich kritisch mit der Gegenwart und der kapitalistischen Gesellschaft auseinandersetzten, wie das Koeppen, Walser, Enzensberger, Johnson oder Weiss — auf sehr unterschiedliche Weise taten —, waren nicht die Wiederentdecker der Produktionsstätten als Schauplätze für Literatur — es waren, bei allem Engagement für die dort Tätigen, nicht die Schauplätze ihrer persönlichen Erfahrungen. Bezeichnend jedenfalls ist, daß Zeitpunkt, Ort und Thema einer neu beginnenden Literatur vom Arbeitsplatz genau dort zu lokalisieren sind, wo sich die Krisenanfälligkeit der westdeutschen Wirtschaft am deutlichsten zeigte und erstmals zur Sprache kam. 1959, Ruhrgebiet, Kohlenkrise. Die Zungen lösten sich. Der Arbeiter Max von der Grün schrieb an einem Bergarbeiterroman (Männer in zweifacher Nacht) und der Bildungsfunktionär der IG Bergbau Walter Köpping bereitete eine Anthologie von Bergarbeitergedichten vor ( W i r tragen ein Ucht durch die Nacht). Beide suchten über das von Fritz 556

Hüser geleitete Archiv für Arbeiterliteratur in Dortmund Kontakt zu Kollegen mit ähnlichen Bestrebungen. „Als dann zum 17. Juni 1961 zu einer Diskussion über Mensch und Industrie in der Literatur der Gegenwart eingeladen wurde", schrieb Fritz Hüser, „konnte der Raum die Autoren und Kritiker, Wissenschaftler und Lektoren nicht fassen"J. Es gab öffentliche Lesungen und Diskussionen, die Gruppe 61 hatte sich stabilisiert. (Formell am 31. März 1961.) Die Gruppe bestand zumindest in den ersten Jahren zu einem nicht geringen Teil aus Autoren, die entweder selbst Arbeiter waren oder aus einer Arbeiterfamilie stammten, die meisten lebten in unmittelbarem Kontakt mit der Industrie, viele besaßen gewerkschaftliche Erfahrungen. Ihre Arbeit leistete einige für die weitere Entwicklung der westdeutschen Literatur entscheidende Dinge: 1. Die Wiedereroberung einiger seit langem verlassener Schauplätze (über den zunächst gruppentypischen Bergbau hinaus: Baustelle, Maschinensaal, Druckerei, Packräumc, Kaufhaus usw.) und damit des Menschen im Arbeitsalltag. 2. Die Darstellung des Menschen in seiner ökonomischen Abhängigkeit, die seine Freizeit, Bildung, Unterhaltung, sein Sexual- und Familienleben entscheidend bestimmt. 3. Die Darstellung von Menschen, die sich mit dieser Abhängigkeit reflektierend und handelnd auseinandersetzen oder sie gar zu überwinden versuchen. 4. Ansätze einer literarischen Gestaltung von Motiven aus der Geschichte der Arbeiterbewegung (Gluchowski). 5. Den Gebrauch realistischer Erzählformen, die sich als tragfähig und wirksam erweisen (von der Grün Irrlicht und, Feuer; Gluchowski Der Honighotten). 6. Den Gebrauch der Reportage zur Schilderung konkreter Zustände (Wallraff, Runge, Mechtel). 7. In der Lyrik Vorläufer der späteren Agitationsdichtung (Küther, Büscher, Bartock). 8. Die Benutzung der Gewerkschaftszeitungcn, der SPDParteizeitungen und der Lokalpresse als Publikationsmittel für literarische Produkte und Reportagen und damit Ansätze zur Herstellung einer Basisöffentlichkeit. Die Lohnabhängigen

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selbst werden als Leser erreicht, was auf dem üblichen literarischen Publikationsweg über Buch und bürgerliches Feuilleton kaum möglich war.

2 Diese Momente, die in den ersten Jahren der Gruppe ihre literarische und publizistische Tätigkeit kennzeichneten, muß man sich vor Augen halten, um zu verstehen, daß die ein knappes Jahrzehnt nach der Gründung sich verschärfende Kritik von Mitgliedern und Freunden nur teilweise auf neuen Zielsetzungen beruhte, vor allem die Antwort auf eine spätere Praxis der Gruppe war, die als Fehlentwicklung empfunden wurde und angesichts bestimmter politischer Veränderungen die verbindliche Definition eines gesellschaftlichen Engagements nicht mehr zuließ. Diese Fehlentwicklung wird von den Kritikern der Gruppe als b ü r g e r l i c h - l i t e r a r i s c h e T e n d e n z charakterisiert. Peter Kühne und Erasmus Schöfer weisen auf drei Elemente dieser Tendenz hin: Nach dem Erscheinen von Max von der Grüns Irrlicht und Feuer blieb ein Teil der Gewerkschaftspresse den Gruppenautoren verschlossen, der Kontakt mit lesenden Arbeitern reduzierte sich. Einige Autoren werden mit Äußerungen zitiert, welche den literarischen Aufgaben den Vorrang vor den politisch-emanzipativen zu geben scheinen (Ewert Ewerwyn, Wolfgang Körner, Fritz Hüser u. a.). Die angesehenen bürgerlichen Verlage publizieren 61er Autoren, die mit zunehmender Arriviertheit sich ihren ursprünglichen Zielen entfremden.2 Besonders gravierend war für eine Gruppe, die als Vereinigung von Arbeiterschriftstellern begonnen hatte, ein Vorwurf, den Schöfer, Pachel und Bredthauer so formulierten: „Die Stimme derer, die am unmittelbarsten aus der Alltagserfahrung der Arbeitswelt heraus sprechen können, die Arbeiter selbst, wurden, wenn sie überhaupt den Weg zur Gruppe 61 finden konnten, immer wieder von einer Kritik zum Verstummen gebracht, die weder die besonderen Schwierigkeiten und Möglichkeiten schreibender Arbeiter begriffen hatte, 558

noch in der Lage war, konkrete Arbeitshilfe zu leisten." 3 Inhaltlich hatte sich die Gruppe nie durch einen politisch eindeutigen Programmpunkt festgelegt. Ihre wichtigste Formel hatte gelautet: „Literarisch-künstlerische Auseinandersetzung mit der industriellen Arbeitswelt der Gegenwart und ihrer sozialen Probleme". E s war nach den Krisenerscheinungen in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre, nach der massenhaften Beteiligung von Arbeitern und Angestellten an der Protestbewegung gegen die Verabschiedung der Notstandsgesetze durch die Große Koalition, nach der merklichen Politisierung eines Teiles der Arbeiterschaft auch unter dem Einfluß der Vorgänge an den Universitäten, schließlich nach der Streikwelle des Jahres 1969 und angesichts der zunehmend beschleunigten Monopolbildung in der Wirtschaft nicht mehr möglich, sich ohne eine prinzipielle Parteinahme für den lohnabhängigen Teil der Bevölkerung mit der „industriellen Arbeitswelt auseinanderzusetzen". Wenn auch kein Text eines Gruppcnmitgliedcs je bewußt gegen die Interessen der Lohnabhängigen gerichtet war, so gab es doch genug Beispiele für eine bloß formale, sich in schöner Beschreibung von Maschinen und Arbeitsvorgängen erschöpfenden „Auseinandersetzung", um ein verbindliches Selbstverständnis der Gruppe durch die genannte Formel zu verhindern. Erst recht war ein Engagement im Sinne eines direkt auf gesellschaftliche V e r ä n d e r u n g gerichteten Schreibens in dieser Formel nicht impliziert. Die Kritiker, zu denen Erika Runge, Angelika Mechtel, Wallraff, Schöfer, Büscher, Schütt, Kühne und anfangs auch von der Grün gehörten, versuchten zunächst (1968/69), einen Arbeitskreis von schreibenden Arbeitern und Schriftstellern sowie Kritikern innerhalb der Gruppe 61 zu bilden, als dies aber auf den Widerstand der Gruppenmehrheit traf, wurde am 7. März 1970 außerhalb der Gruppe ein selbständiger „Werkkreis Literatur der Arbeitswelt" gegründet. Im Programm des W K heißt es: „Der Werkkreis Literatur der Arbcitswelt ist eine V e r e i n i g u n g v o n A r b e i t e r n und A n g e s t e l l t e n , die in örtlichen Werkstätten mit Schriftstellern, Wissenschaftlern und Journalisten zusammenarbeiten. Seine Aufgabe ist die

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D a r s t e l l u n g der S i t u a t i o n a b h ä n g i g A r b e i t e n d e r . . . (Der WK versucht), die menschlichen und materiell-technischen Probleme als g e s e l l s c h a f t l i c h e bewußt zu machen. Er will dazu beitragen, die gesellschaftlichen Verhältnisse i m I n t e r e s s e d e r A r b e i t e n d e n zu v e r ä n d e r n . . . Die im WK hergestellten Arbeiten w e n d e n s i c h vor allem an d i e W e r k t ä t i g e n , aus deren Bewußtsein über ihre K l a s s e n a n l a g e sie entstehen . . . Inhalt dieser I n f o r m a t i o n e n , D o k u m e n t a t i o n e n , bes c h r e i b e n d e n und g e s t a l t e n d e n Arbeiten ist die k r i t i s c h e und s c h ö p f e r i s c h e Auseinandersetzung mit den Arbeits- und Alltagsverhältnissen. Alle erprobten und neuen Formen r e a l i s t i s c h e r G e s t a l t u n g werden benutzt . . . (Der WK) arbeitet an der B e s e i t i g u n g d e r K u l t u r - und B i l d u n g s p r i v i l e g i e n . " (Hervorhebung W. F.) Diese Programmpunkte machen deutlich, worin sich der Werkkreis von der Gruppe 61 unterscheidet. Der WK versteht sich ausdrücklich nicht als Gegengründung zur Gruppe 61. Darum lassen die Unterschiede auch nicht einen prinzipiellen Widerspruch zwischen beiden Vereinigungen erkennen, sondern verdeutlichten die spezifische Zielsetzung des W K , deren Momente sich ansatzweise ja auch in der ursprünglichen Praxis der Gruppe 61 ausdrückten. (Daß von einem Antagonismus zwischen der Gruppe und dem WK — anders als es zunächst manche Darstellungen in der Praxis erscheinen ließen — nicht die Rede sein kann, zeigten manche Doppclmitgliedschaften während der beiden vergangenen Jahre und beweist die jüngste Entwicklung der Gruppe 61, die sich in ihrem neuen Programm ebenfalls eindeutig politisch engagiert und die Zusammenarbeit mit dem WK gutheißt). Die bisherige Praxis des Werkkreises entsprach in einem für eine so kurze Anlaufzeit erstaunlich hohen Maße den einzelnen Punkten des Programms. Gegenwärtig arbeiten knapp zwanzig Werkstätten, neue bilden sich. In allen Werkstätten arbeiten Lehrlinge, Arbeiter, Angestellte und Rentner mit Studenten, Redakteuren und Schriftstellern zusammen. Zehn bis zwanzig Personen pro Werkstatt treffen sich im Durchschnitt etwa alle zwei Wochen, um Texte zu lesen, zu diskutieren und gesellschaftliche Fragen zu erörtern. 560

Die publizistische Aktivität zielt vorrangig auf den Abdruck von Betriebsreportagen in der Gewerkschaftspresse, linken Zeitungen, DKP-Betriebszeitungen, der Lokalpresse und einzelnen sozial engagierten christlichen Blättern. Hundertc von Arbeiten konnten durch die einzelnen Werkstätten und den zentralen Textdienst vermittelt werden und erreichten so die Leser, an die sich die schreibenden Lohnabhängigen wenden. Auf diesen Umstand kann man nicht oft genug jene wohlmeinenden Kritiker hinweisen (bei denen es sich zumeist nicht um regelmäßige Leser der genannten Presse handelt), die glauben, die Veröffentlichungen des WK seien auf die inzwischen erschienenen Buchpublikationen beschränkt. 4 Diese Publikationen erreichen auf dem Wege über den Buchhandel zunächst das bürgerliche Lesepublikum, Studenten und interessierte Intellektuelle, informieren und wirken in literarischen Diskussionen als anregendes Korrektiv, indem sie nachdrücklich auf die Erfahrungen Lohnabhängiger und die Notwendigkeit ihrer Darstellung hinweisen und eine deutliche Einladung an Schriftsteller sind, sich in Zusammenarbeit mit den Werkstätten mit den Bedingungen der Lohnabhängigkeit vertraut zu machen — und im Einzelfall auch an den direkten politischen Aktionen teilzunehmen, die — wie bereits einige Beispiele gezeigt haben — als Folge von Veröffentlichungen betrieblicher Mißstände stattfinden können. Ein Beispiel für die unmittelbare Wirksamkeit der WK-Arbeit ist der Fall des Theaterstücks Im Mittelpunkt steht der Mensch von Gerd Sowka. Der Autor, Chemiefacharbeiter, ist Mitglied der Werkstatt Wuppertal. Er wurde 1970 durch einen Arbeitsunfall schwerbeschädigt. Weil er einen kritischen Einakter zum Thema Arbeitsunfälle verfaßt hatte, der von Kollegen uraufgeführt wurde,' hat ihn die Firma Vorwerk & Sohn D O in Wuppertal entlassen. Der Werkkreis versucht, in Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft eine solidarische Hilfe für Sowka zu leisten. Die Presse wurde aufmerksam und beschäftigte sich mit dem Fall. Bei den Arbeiterfestspielen dieses Jahres in Hannover wurde das Stück wiederholt mit großem Erfolg aufgeführt. Schreiben von B e t r i e b s r e p o r t a g e n — B a s i s ö f f e n t l i c h k e i t — A k t i o n : dieses Konzept beherrscht zur Zeit die Praxis des Werkkreises. 561

3 N u r von Literatur wird wenig gesprochen. W e n n im folgenden von der Reportage in Beziehung zur Literatur die Rede ist, so soll damit nicht die alte Kontroverse aus den Jahren der Arbeiterkorrespondenten-Bewegung aufgegriffen werden, in der diese beiden Begriffe oft als unvereinbar empfunden wurden, sondern es soll für eine größere Beachtung der ästhetischen Fragen auch im Bereich der Werkkreisliteratur plädiert werden. Erasmus Schöfer weist mit Recht darauf hin, daß um 1930 die Praxis, während die theoretische Auseinandersetzung andauerte, bereits ihre Formen gefunden hatte: die Arbeiterkorrespondenzen mit 1500 registrierten Korrespondenten, darunter 500 regelmäßige Mitarbeiter der proletarischen Presse, Agitprop, Roter 1-Mark-Roman, Piscatorbühne. 5 Zumindest im proletarischen Massenroman und in den Stücken der Piscatorbühne war ein hohes Maß an G e staltung, Phantasie und realistischer Erfindung am W e r k . Auch die reine Reportage im Sinne einer puren Faktenvermittlung ist schwer vorstcllbar. Die schöne liberale V o r stellung von der w e r t f r e i e n oder o b j e k t i v e n Berichterstattung erweist sich in der Praxis als Illusion, denn die Mitteilung von Fakten geschieht stets in einem gesellschaftlichen und weiteren Informationszusammenhang, der beim Empfänger sogleich eine bestimmte Deutung der mitgeteilten Fakten bewirkt. So wenig wie die i n h a l t l i c h r e i n e Reportage ist eine vollkommen ungestaltete, keinerlei ästhetischer F o r m u n g unterliegende Reportage denkbar (es sei denn als reine Statistik, obwohl auch das noch zu bezweifeln ist). Der Bericht von einer manipulierten Betriebsratswahl etwa kann in seiner Wirkung auf den Leser, in dem Grad, in dem emotional und gedanklich etwas in Bewegung gesetzt wird, sehr unterschiedlich sein, je nachdem, ob der Bericht Dialoge enthält oder nicht, ob er die atmosphärischen Unterschiede eines Direktionszimmers und des Versammlungsraums beschreibt oder nicht. Dies nur als Beispiel dafür, daß auch die Reportage in das weite Gebiet der Literatur gehört. Wenn man eine größere

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Akzentuierung des Literarisch-Ästhctischen in der Werkkreisarbeit für richtig hält, so opponiert man darum also keineswegs gegen die geübte Reportage-Praxis, sondern schließt diese mit ein. Zugleich aber soll damit für eine thematische Erweiterung plädiert werden. Die Situation abhängig Arbeitender ist nicht nur dann beschreibbar, wenn der Mensch bei der Arbeit, an der Maschine, oder bei der unmittelbaren Auseinandersetzung mit seinem Vorgesetzten gezeigt wird, sie wird auch deutlich in einer genauen Darstellung seiner Freizeit, seines Familien- und Sexuallebens, in der Beschreibung seiner Wünsche und Träume, seiner Erinnerungen. Anna Seghers formulierte das 1956 vor dem Deutschen Schriftstellerkongreß so: „Schildert der Autor auch noch so richtig alle Arbeitsvorgänge, aber das Innere der Menschen, ihre Probleme und ihre Konflikte bleiben ihm fern, dann wirkt sein Buch schablonenhaft — darüber klagen gerade unsere bewußtesten Arbeiter, gerade sie, auf denen der Aufbau beruht. Viele Bücher über ihr eigenes Leben, die sie sich doch gewünscht haben, lassen sie kalt . . . Einer der Leser wünschte sich zum Beispiel eine Liebesgeschichte, ein zweiter Abenteuer, ein dritter Jugend, besonders in Westdeutschland, wieder ein anderer Geschichte, besonders der deutschen Arbeiterklasse, einer vermißte die Gestaltung des Meisters in der Fabrik, wieder ein anderer des Lehrers. Diese und viele andere Themen werden oft nur deshalb vermißt, weil infolge der Mängel unserer Literatur die gesamte Darstellung so verarmt. Alle möglichen Elemente wirken auf jeden Menschen. Sie sind nur künstlich in Sektoren getrennt. Und der ganze Mensch steckt in jeder Arbeit. Was die Partei, was das Privatleben, Liebe, Ehe, Freundschaft für einen bedeutet, wirkt sich doch auf den einzelnen aus und alles zusammen auf seinen Charakter. In einem guten Buch sind viele Faktoren vereint. Anders ist es auch gar nicht denkbar: Im Buch und im Leben ergreift der wahre Konflikt den ganzen Menschen in seinem Zusammenhang mit vielen Schichten des Lebens. So war es bei Gorki oder bei Nexö, bei Thomas und Heinrich Mann, so ist es auch heute bei wirklichen Künstlern." 6 Man könnte der Verwendung dieses Zitats entgegenhalten, das sei für professionelle Schriftsteller richtig, die Mitglieder 563

von Werkstätten schreibender Arbeiter aber hätten ganz andere Aufgaben. Gewiß wird der Schwerpunkt des Werkkreises im Bereich der Information und Dokumentation aus der Betriebsphärc liegen, aber der umfassendere Begriff von Literatur — im angegebenen thematischen Sinne, aber auch in der Qualität der Gestaltung — sollte in den Werkstätten bewußt sein, theoretisch diskutiert werden und in Beispielen praktiziert und veröffentlicht werden. (Das Programm des W e r k kreises, das neben die kritische und s c h ö p f e r i s c h e Auseinandersetzung mit den Arbeitsverhältnissen auch die A l l t a g s Verh ä l t n i s s e setzt, schließt damit eine thematische Erweiterung der bisherigen Praxis bewußt nicht aus.) Andernfalls besteht die Gefahr einer Spezialisierung und der Förderung eines verengten dogmatischen Literaturverständnisses. Wenn der Werkkreis die Mitglieder der Werkstätten auffordert, sich an Reportagewettbewerben mit einem bestimmten Thema (Arbeitsplatz — wie könnte er sein?) zu beteiligen oder das Studium der Mitbestimmungsfrage und das Verfassen von Texten zu diesem Thema nachdrücklich anregt, so ist das zweifellos eine richtige politisch-inhaltliche Orientierung und vor allem auch notwendig, viele Mitglieder überhaupt auf ein politisches Thema zu lenken, die sich sonst ausschließlich mit Naturgedichten, Liebesgeschichten in gesellschaftlich unverbindlicher Form beschäftigt hätten. Andererseits ist zu vermeiden, daß diese Mitglieder ihrer schöpferischen Spontaneität, ihren primären Neigungen mißtrauen und nur noch in der Behandlung schulungsartig erarbeiteter Themen die Aufgaben der Literatur sehen. Gerade die schöpferische Lust vieler arbeitender Menschen, Subjektives auszudrücken und zu formen, ist das große Potential des Werkkreises wie jeder demokratischen und sozialistischen Kulturarbeit. Ohne sie wäre eine Kulturpolitik unmöglich, die darauf abzielt, ein kulturelles Selbstbewußtsein der Arbeitermassen zu entwickeln, eine demokratische und sozialistische Kultur aufzubauen, die sich gegen das kulturelle Angebot der in immer größeren Monopolen organisierten Medien behauptet. Erst wenn es den für Demokratie und Sozialismus engagierten Autoren gelingt, Romane zu schreiben, die einen müden 564

Arbeiter besser unterhalten als die Groschenhefte, einfach weil sie wahrer und phantasievollcr sind und den Leser betreffen — erst wenn es einem Werkkreismitglied gelingt, kleinbürgerliches Verhalten eines Kollegen besser satirisch zu beschreiben als es heute viele Literaten tun, einfach weil er die Psychc des Menschen besser kennt, sich differenzierter ausdrückt und die objektiven Gründe ftir kleinbürgerliches Verhalten besser durchschaut — erst wenn die Literatur auf dem Weg über die Stätten der Produktion den Menschen wiedererobert hat und der arbeitende Mensch die Literatur — erst dann werden wir uns gegen die imperialistische Massenkultur behaupten können, und viele Verbündete, Leser und Schriftsteller, gewinnen. Die Probleme müssen diskutiert werden. Fragen des Themas und der gestalterischen Qualität. Wer wird die Zeit haben, die Romane zu prüfen, zu debattieren und zu redigieren, die schon jetzt in zunehmender Zahl vonLohnabhängigen geschrieben werden ? Wer wird sie publizieren? Für die meisten bürgerlichen Verleger werden sich vermutlich weniger Probleme des Marktes als der inhaltlichen Identifikation ergeben (oder der ästhetischen). Die Werkstätten werden, gerade weil sie die Literatur thematisch entscheidend weitergebracht haben, auch an der ästhetischen Diskussion teilnehmen müssen. Demokratische und sozialistische Schriftsteller sollten sich nicht von den Grabreden auf die Literatur irremachen lassen. Auch sollten sie nicht, zu Recht beeindruckt von den Erfolgen einer in den letzten Jahren bei Streiks und Demonstrationen direkt in das Geschehen eingreifenden Flugblatt-„Literatur", im Schreiben nur noch agitatorische Funktionen sehen. Was Literatur vermag, deutet Anna Seghers in ihrem Motto zu den Schönsten Sagen vom Räuber Woynok an: „Und habt ihr denn etwa keine Träume, wilde und zarte, im Schlaf zwischen zwei harten Tagen? und wißt ihr vielleicht, warum zuweilen ein altes Märchen, ein kleines Lied, ja nur der Takt eines Liedes, gar mühelos in die Herzen eindringt, an denen wir unsere Fäuste blutig klopfen? Ja, mühelos rührt der Pfiff eines Vogels an den Grund des Herzens und dadurch auch an die Wurzeln der Handlungen." 7 (1972) 1, S. 6 9 - 7 8 37

Reinhold, Kürbiskcm

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Zu den Autoren

Andersch, Alfred, geb. 1914. Gymnasium, Buchhandelslehre, 1933 KZ Dachau, danach Arbeit als kaufmännischer Angestellter, Wehrmacht, 1944 desertiert, amerikanische Kriegsgefangenschaft, 1945 bis 1947 Mithrsg. der Zeitschrift Der Ruf, später der Zeitschrift Texte und Zeichen, Rundfunkarbeit, Mitbegr. der Gruppe 47. Romancier, Hörspielautor, Publizist. Romane: Die Kirschen der Freiheit (1952), Sansibar oder der letzte Grund (1957), Die Rote (1960), Efraim (1968), Winterspelt (1974). Lebt heute in Berzona bei Locarno/Schweiz. Bredow, Wilfried von, geb. 1944. Studium der politischen Wissenschaft, Soziologie und Germanistik in Bonn und Köln. Assistent für politische Wissenschaft in Köln. Buselmeier, Michael, geb. 1938. Studium der Germanistik und Kunstgeschichte, Regieassistent am Theater. Deumlich, Gerhard, geb. 1929. Gelernter Vermessungstechniker, Mitglied des Präsidiums und Sekretär des Parteivorstandes der DKP. Fried, Erich, geb. 1921 in Wien. Floh nach der Besetzung Österreichs durch die Faschisten nach London. Bis 1965 Kommentator beim BBC. Lyriker und Publizist. Warngedichte (1964), . . . und Vietnam und . . . (1966), Nebenfeinde (1968), Höre Israel (1974), Gegengift (1974). Fritzschc, Walter, geb. 1937. Verlagslektor, Publizistik zu historischen und literarischen Themen, Mithrsg. des Kürbiskerti, Hrsg. von Werkkreisanthologien z. B.: Ein Baukran stürzt um. Fuchs, Gerd E., geb. 1932. Studium von Germanistik und Anglistik. Seit 1963 freiberuflicher Schriftsteller. Davor Feuilletonredakteur bei der Welt und Literaturredakteur beim Spiegel. Landru und andere (1966), Beringet und die lange Wut (1973). Hallenberger, Gerd, geb. 1953. Studium der Soziologie, Anglistik und Politik. Freier Mitarbeitet von Science Ficlion Times. Henze, Hans Werner, geb. 1926. Komponist. Studium in Braunschweig und Heidelberg. 1948 bis 1953 musikalischer Leiter in Konstanz und 37«

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Wiesbaden. Freischaffend, lebt in Italien. Gemeinschaftskomposition: Jüdische Chronik (1966), Giordano Bruno Kantate: Novae de Infinitio Laude (1963), Oper: Der junge Lord (1965), Vokalwerke: Das Floß der Medusa (1968), Versuch über Schweine (1969). Herburger, Günter, geb. 1932. Studierte Literatur- und Theaterwissenschaft, Philosophie und Sanskrit. Trampte mehrere Jahre durch Süd- und Westeuropa. Freischaffender Schriftsteller seit 1963. Romane, Erzählungen, Lyrik, Filmdrehbücher, Fernsehspiele und Publizistik: Eine gleichmäßige Landschaft (1964), Ventile (1966), Die Messe (1969), Jesus in Osaka (1970), Operette (1973), Die Eroberung der Zitadelle(1972), Die amerikanische Tochter (1973). Lebt in München. Hitzer, Friedrich, geb. 1935. Studierte an der University of Oklahoma, Universität München und Lomonossow-Universität Russistik, Geschichte, Germanistik, Hispanistik. Mitbegr. und Hrsg. der Zeitschrift Kürbiskern, seit 1969 Chefredakteur. Veröffentlichungen: Sowjetischer Film der 30er Jahre (mit Ulrich Gregor), Alternativen der Opposition (mit Reinhard Opitz), Hrsg. und Übers, der Briefe von F. M. Dostojewskij. Kulturpolitische und politische Publizistik, Literatur- und Filmkritik in Zeitungen und Zeitschriften. Högemann-Ledwohn, Elvira, geb. 1940. Studium der Slawistik und Germanistik in Frankfurt a. M. 1971 Promotion über die Geschichte der russischen Verserzählung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Seit 1972 Redakteur beim Kürbiskern und Lektor im Damnitz-Verlag. Politische und kulturpolitische Publizistik und Literaturkritik in Zeitschriften und Zeitungen. Bis 1973 Lehrtätigkeit an einer Münchner Fachhochschule. Hohn, Hans Peter, geb. 1932. Studium der Philosophie, Geschichte und Germanistik in München, Freiburg und Bonn. Volksschullehrer, dann Mitarbeiter des Goethe-Instituts. Holzer, Horst, geb. 1935. Studium der Soziologie, Dissertation über „Illustrierte und Gesellschaft". Veröffentlichung: Massenkommunikation und Demokratie (1971). Professor für Soziologie. Prominentes Berufsverbotsopfer. Umfangreiche kommunikationstheoretische und kulturpolitische Veröffentlichungen in Zeitschriften. Karsunke, Yaak, geb. 1934. Studium der Jura, Besuch der Max-Reinhardt-Schule. in Westberlin, Gelegenheitsarbeiter. 1965 Mitbegr. des Kürbiskern, 1969 Austritt aus der Redaktion. Politische und kulturpolitische Publizistik u. a. im Kursbuch. Lyrikbände: Kilroy & andere (1967), reden und ausreden (1969). Keim, Heinrich, geb. 1950. Studiert Anglistik und Germanistik. Veröffentlichung: Klassenkämpfe in Finnland (1974). Kiegeland, Burghard, geb. 1942. Buchhändler, Verlagslektor. Freier Schriftsteller. Populärwissenschaftliche Veröffentlichungen auf dem Gebiet von Naturwissenschaft und Technik.

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Konjctzky, Klaus, geb. 1943. Studium der Geschichte, Germanistik in München. Freischaffender Schriftsteller. Gehört zur „Wortgruppe München", Mithrsg. àzt Literarischen Hefte und seit 1975 Redakteur im Kürbiskern. Veröffentlichungen: Perlo peis ist eine isländische Blume (1971), Für wen schreibt der eigentlich (zusammen mit Manfred Bosch) (1973), Poem vom Grünen Eck (1975). Kroetz, Franz Xaver, geb. 1946. Schauspieler, Gelegenheitsarbeiter. Seit 1969 freischaffender Schriftsteller. Zur Zeit meistgespielter BRDDramatiker. Stücke: Stallerhof, Männersache, Heimarbeit, Wildwechsel, Oberösterreich, Das Nest, Sterntaler, Maria Magdalena, Münchener Kindl, Weitere Aussichten u. a. Verfasser auch vieler Hör- und Fernsehspiele sowie politischer Publizistik. Maase, Kaspar, geb. 1946. Studium von Kunstgeschichte, Germanistik, Soziologie und Kulturtheorie. Lektor beim Damnitz-Verlag. Veröffentlichungen: Volkspartei und Klassenkultur (1974), Leseinteressen der Arbeiter in der BRD (1975). Müller, André, geb. 1925. Arbeiter. Seit 1947 Redakteur bei der Volksstimme in Köln. Tätig in der KPD, Sekretär des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands. Gründer des Arbeitskreises „Bertolt Brecht". Theaterkritiker für Deutsche Volks^eitung, Deutsche Woche und Theater der Zeit. Essays zur Situation des Theaters in der BRD. Neumann, Oskar, geb. 1917. Dipl. Ing. (Fachrichtung Chemie). Sekretär des Hauptausschusses für Volksbefragung gegen die Remilitarisierung der BRD. Seit 1969 Mithrsg. des Kürbiskern und der im gleichen Verlag erscheinenden Kleinen Arbeiterbibliothek. Veröffentlichungen: Hochverrat? (1954), Sicher in das Jahr 2000? (1973). Kulturpolitische und politische Publizistik, Literaturkritik. Nono, Luigi, geb. 1924. Italienischer Komponist. Studierte Jura und Komposition. Chorwerke: Epitaph für Frederico Garcia Lorca (1952/53), Der Sieg von Guernica (1954), II canto sospesol. Nach Abschiedsbriefen hingerichteter Widerstandskämpfer (1956), Oper: Intoranza (1960), 1970 Neufassung als Protest gegen den Vietnam-Krieg der USA. Vokalwerke: Non Consumiamo Marx (1969), Ein Gespenst geht um in Europa (1971). Ploetz, Dagmar, geb. 1946. Studium von Germanistik und Soziologie. Literarische Publizistik in der demokratischen und sozialistischen Presse. Mitglied der „Wortgruppe München" und Mithrsg. der "Literarischen Hefte. Ritter, Roman, geb. 1943. Studium von Germanistik und Geschichte. Dissertation über Georg Herwegh. Mitglied der „Wortgruppe München", Mithrsg. der Literarischen Hefte, Redakteur beim Kürbiskern. Literarische und politische Publizistik. Gedichtbände: Einen Fremden im Postamt umarmen (1975), Zeitgedichte (1975). Schuhler, Conrad, geb. 1940. Diplomvolkswirt und Soziologe. Veröffentlichungen: Zur politischen Ökonomie der armen Welt (1968),

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Black Panther (1969). Publizistik zu kulturtheoretischen, kulturpolitischen und medienthcoretischen Fragen. Schütt, Peter, geb. 1939. Studium von Germanistik und Geschichte. Promotion über Andreas Gryphius. Mitbegr. von „ H a m b u r g linksliterarisch" und der Werkkreisgruppe in Hamburg. Seit 1974 Sekretär des Kulturbundes der BRD. Hrsg. von Agit-Prop (1969). Gedichtbände: Sicher in die siebziger Jahre (1970), Friedensangebote (1971), Zur Lage der Nation (1974). Reportage: Vietnam dreißig Jahre danach (1973). Stein, Peter, geb. 1937. Künstlerischer Leiter der Schaubühne am Halleschen Ufer. Regisseur. Stütz, Hannes, geb. 1936. Studium der Germanistik und Geschichte. Fabrikarbeiter, Erzieher, Texter und Spieler am Münchener Kabarett „Die Zwiebel" und am „Rationaltheater". Liedermacher. Mitbegr. und Mithrsg. des Kiirbiskern. Literarische und politische Publizistik. Süverkrüp, Dieter, geb. 1935. Werbegraphiker. Politischer Liedermacher seit Beginn der Ostermarschbewegung. Schallplatten: Ca ira (Lieder der Französischen Revolution, zusammen mit Gerd Semmer), Lieder der 48er Revolution, Kinderlieder, Garstige Weihnachtslieder, Texte in: Kärbiskern-Songbucb (1968), . . . und wenn der Mond dann rot ist (1972, zusammen mit Hüsch und Degenhardt). Timm, Uwe, geb. 1940. Studium von Philosophie und Germanistik. Mithrsg. der Literarischen Hefte und der Autoren Edition, Mitglied der „Wortgruppe München". Veröffentlichungen: Widersprüche (1971), Heißer Sommer (1974). Literarische und politische Publizistik. Walbert, Helmut, geb. 1937. Autor von Stücken f ü r Kinder, u. a. Oder auf etwas schießen bis es kaputt ist (1970), Besser keine Schule als . . . (1972). Walser, Martin, geb. 1927. Romancier, Dramatiker, Publizist, Essayist. Studium von Literaturwissenschaft, Philosophie und Geschichte. Promotion über Kafkas Prosa. 1949 und 1957 Regisseur beim Süddeutschen Rundfunk. Seit 1957 freier Schriftsteller. Romane: Ehen in Philippsburg (1957), Halbzeit (1960), Das Einhorn (1966), Die Gallistl'sche Krankheit (1972), Der Sturz (1973), Jenseits der Liebe (1976), Erzählungen: Ein Flugzeug über dem Haus. Stücke: Eiche und Angora (1962), Der schwarze Schwan (1964), Überlebensgroß Herr Krott (1962), Das Sauspiel (1975). Weiss, Peter, geb. 1916. Dramatiker, Erzähler, Essayist, Filmautor: Emigration 1934 über England nach Prag. Dort Besuch der Kunstakademie von 1936 bis 1938. 1939 über die Schweiz nach Schweden. Begann als Maler und Graphiker, dann Experimental- und Dokumentarfilme. Seit 1960 freier Schriftsteller. Romane: Abschied von den Eltern (1962), Fluchtpunkt (1963), Die Ästhetik des Widerstands T. 1 (1975). Stücke: Die Verfolgung und E r m o r d u n g des Jean PaulMarat (1964), Die Ermittlung (1965), Der Gesang v o m lusitanischen Popanz (1967), VietnamDiskurs (1968), Trotzki im Exil (1969), Hölderlin (1972).

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Anmerkungen

Abkürzungen FAZ FR SZ MEW

= Frankfurter Allgemeine. Zeitung für Deutschland. Frankfurt/M. = Frankfurter Rundschau. Unabhängige Tageszeitung. Frankfurt/M. = Süddeutsche Zeitung. Münchener Neueste Nachrichten aus Politik, Kultur, Wirtschaft, Sport. München = Karl Marx/Friedrich Engels: Werke. (39 Bde.; Ergänzungsband Teil 1 u. Teil 2; Verzeichnis [Bd. 1] u. Bd. 2). Berlin 1956—1971 (Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED).

Ursula Reinbold Umleitung 1 Martin Walser: Skizze zu einem Vorwurf. In: Ich lebe in der Bundesrepublik. 1960, S. 113/114. 2 Peter Rühmkorf: Die Mord- und Brandsache. In: Der Spiegel (1967) 18. 3 Günter Grass: Ausgefragt. Darin Vers — Essay: Zorn, Ärger, Wut. Gedichte. Neuwied 1966, S. 59. 4 Noch 1962 wurde vom Bundestag ein sogenanntes „Verbringungsverbot" angenommen, das die Einfuhr von Büchern, Schallplatten und Filmen aus den sozialistischen Ländern unter Strafe stellte. 5 Erklärung der Redaktion. In Kürbiskern (1969) 1. S. 210. 6 Hans Magnus Enzensberger: Gemeinplätze, die neueste Literatur betreffend. In: Kursbuch (1968) 15, S. 195. 7 Vgl. dazu Kaspar Maase: Volkspartei und Klassenkultur. München 1974.

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8 Gerd Deumlich: Der Kampf der Arbeiterklasse und die Perspektiven der Literatur in der BRD. In: Arbeitstagung der DKP zu Fragen der Literatur. München 1974, S. 10. 9 Der vom Spiegelinstitut veranlaßte „Autoren-Report" (Hamburg 1972) weist aus, daß nur ein geringer Prozentsatz der freien Autoren von den Buchhonoraren leben kann. Die Mehrzahl der freien Autoren sind Mitarbeifer bei den Massenmedien. Als freie Autoren sind sie sowohl ihrem Verleger als auch den öffentlichen Funk- und Fernsehanstalten gegenüber sozial völlig ungeschützt. Es existieren keine verbindlichen Verträge, nach denen das Honorar berechnet wird, kein einheitliches Recht der Zweitverwertung, keine Alters- und Sozialversicherung. Die freien Autoren werden als unternehmerähnliche Personen besteuert und sind daher nicht tariffähig. Diese soziale Unsicherheit führte besonders im Zusammenhang mit den fortschreitenden Konzentrationsprozessen in der Kulturindustrie zu einer auch ideologischen Abhängigkeit, die das Bild des „freien" Schriftstellers als eine Fiktion offenbar werden ließ. Die Erkenntnis der sozialen Unsicherheit und ideologischen Abhängigkeit führte bei den Autoren zu einer wachsenden Einsicht in eine notwendige Organisierung. 1969 wurde der Verband der Schriftsteller VS gegründet. 1970 fand der 1. Schriftstellerkongreß des Verbandes der Schriftsteller unter dem Motto „Einigkeit der Einzelgänger" statt. Es wurden Vorschläge zur Organisationsstruktur des Verbandes und Entwürfe über die Fixierung einer Sozial- und Rentenversicherung beraten. 1972 beschloß der 2. Kongreß des VS den Anschluß an die Gewerkschaft Druck und Papier. Er unterbreitete unter dem Motto „Entwicklungsland Kultur" der Öffentlichkeit zusammenfassende Berichte über den Notstand der kulturell Tätigen in der BRD. Daraufhin sah sich der Bundestag veranlaßt, Erhebungen über die Lage der Autoren zu beraten. Man empfahl den Kommunen die Einführung eines „Bibliotheksgroschens", aus dem die Alters- und Sozialversicherung der freien Autoren bestritten werden soll. Da jedoch der Kulturetat der Länder zugunsten der Rüstungsausgaben seit 1970 ständig niedriger geworden ist, trägt diese Empfehlung völlig unverbindlichen Charakter. 1974 fand unter dem Motto „Phantasie und Verantwortung" der 3. Kongreß des VS statt. Er brachte ein gewachsenes Maß an Solidarisierungswillen mit der Arbeiterklasse unter den Autoren zum Ausdruck, konnte jedoch in der Bilanzierung der konkreten verbandspolitischen Vorhaben in bezug auf die sozial-ökonomische Lage der Autoren wenig positive Ergebnisse vorweisen. Dennoch hat mit dem Beschluß, einem gewerkschaftlichen Anschluß und einer entsprechenden Organisationsform zuzustimmen, ein wichtiger Bewußtwerdungsprozeß der in der Kulturindustrie Tätigen begonnen.

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10 Fred Schmid: Abwehrbericht über Radikale. In: Deutsche Universitätszeitung v. 2. 5. 1972. 11 Vgl. dazu Ursula Reinhold: Literatur und Klassenkampf. Entwicklungsprobleme der demokratischen und sozialistischen Literatur in der BRD (1965-74). Berlin 1976. 12 Die bildende Kunst spielt im Kürbiskern keine Rolle, weil es hierfür die ebenfalls in München erscheinende Zeitschrift Tendenzen gibt.

Gerd Deumlich Grundgesetz, Freiheit des Geistes, Einheit der deutseben Kultur 1 2 3 4 5

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Vorwärts v. 4. 7. 1974. Bundestagsdrucksache VI/653. Stern (1974) 22. Zit. nach: Neue Gesellschaft (1974) 5, S. 372. Dokumente der deutschen Politik und Geschichte von 1818 bis zur Gegenwart. Bd. 6: Deutschland nach dem Zusammenbruch 1945. Hg. v. Johannes Holfeld. Berlin-München [o. J.], S. 204. Turmwächter der Demokratie. Ein Lebensbild von Kurt Schumacher. Hg. v. Arno Scholz/Walther G. Oschilewski. Bd. 2. Berlin-Grunewald 1953, S. 39. Stern (1974) 22. Konrad Adenauer: Erinnerungen 1945-1953. Stuttgart 1965, S. 34-35. Ebenda, S. 96-97. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und Besatzungsstatut. Textausgabe mit einem erg. Anhang. Zusammengest. u. erw. v. Werner Max. Stuttgart-Köln 1949, S. 106. Ebenda. Rheinischer Merkur v. 20. 6. 1952. Vgl. Kürbiskern (1972) 4: Abhängigkeit in der Kulturindustrie. Die Zeit v. 4. 5. 1973. Ebenda. FAZ v. 12. 7. 1974. Ebenda. Ebenda. FAZ v. 3.12.1973. Die Zeit v. 19. 7. 1974. FR v. 12. 7. 1974. FAZ v. 15. 7. 1974. Ernest J. Salter: Deutschland und der Sowjetkommunismus. Die Bewährung der Freiheit. München 1961, S. 190.

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24 Bertold Martin: Kulturbeziehungen. In: Politik 4, S. 57—58. 25 Protokoll der Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, v. 21. bis 25. 5. 1950, in Hamburg, S. 269. 26 Die Kultur (1955) 1. 27 Dieter Haak: Neue Profile der Deutschlandpolitik. In: SBZ-Archiv (1967) 19, S. 292. 28 Willy Brandt: Streben nach der Einheit Europas. In: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung v. 26. 1.1967, S. 60. 29 Alard v. Schack: Die Koexistenz im Übergang, [o. O. o. J.] 30 Hans Arnold: Das kulturelle Nebeneinander der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. In: Neue Gesellschaft (1973) 10, S. 767. 31 F A Z v . 25. 1.1973. 32 Heinz Kersten: Poesie unter geteiltem Himmel. In: Der Monat 184, S. 83 u. 85. 33 Hans Dietrich Sander: Zwei „DDR"-Literaturen? In: SBZ-Archiv (1967) 3, S. 122. 34 Lothar v. Balluseck: Volks- und Laienkunst in der sowjetischen Besatzungszone. Bonn 1953, S. 6—7 (Bonner Berichte aus Mittel- und Ostdeutschland). 35 Lothar v. Balluseck: „Sozialistischer Realismus". In: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung v. 18. 12. 1954, S. 2206. 36 Vgl. Friedrich Hitzer: Imperialistische Strategie und die Ereignisse in der CSSR. In: Kürbiskern (1969) 1, S. 127. 37 Regierungserklärung v. 18. 1.1973. Zit. nach: Hans Arnold: Das kulturelle Nebeneinander der Bundesrepublik und der DDR. In: Neue Gesellschaft (1973) 10, S. 767. 38 Helmut Kohl: Ideologie und Pragmatismus. Aspekte und Ansichten zu Grundfragen der Politik. Stuttgart 1973, S. 46. 39 Christian Peter Ludz: Deutschlands doppelte Zukunft. München 1974, S. 98 (Reihe Hanser).

Hannes Stütz Kultur und kapitalistische 1 Vorwärts v. 26. 12. 1974. 2 Die Welt v. 31. 12. 1974. 3 Rheinische Post v. 11. 1. 1975. 4 FAZ v. 25.1.1975.

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Krise

Kaspar Maase Amerikanisierung der Kultur in der BRD? 1 2 3 4

F A Z v. 14. 3. 1972. F A Z v. 3. 2. 1973. F A Z v. 19. 9.1972. Spiegel (1971) 30, S. 96. — A m Modellcharakter ändert auch der Rückzug von CBS aus der genannten Konzernehe nichts. 5 Soweit nicht anders vermerkt, stammen die Aufgaben fast vollständig aus folgenden Quellen: Kurt Blauhorn: Ausverkauf in Germany? München 1967; Wolf gang Hahn: USA-Kapital in Westdeutschland. I n : DWI-Forschungshefte (1969) 2; DKP-Arbeitsmaterialien zur Tagung „Internationale Konzerne". I n : Internationale Konzerne und Arbeiterklasse. Arbeitsmaterialien des IMSF 2. F r a n k f u r t / M . 1972, S. 163-179; Kürbiskern (1971) 3, S. 5 3 0 - 5 4 0 ; Wirtschaftsteil der FAZ.

6 Vgl. Ludwig Metzger: Probleme des Satellitenfernsehens. I n : Massenkommunikationsforschung. Bd. 1: Produktion. Hg. v. Dieter P r o k o p . Frankfurt/M. 1972, S. 191-192 (Fischer-Taschenbücher 6151. Bücher des Wissens). 7 F A Z v. 12. 1. 1972. 8 Die Zahlen sind entnommen aus: Filmstatistisches Taschenbuch 1971/ 72. Wiesbaden 1971/72, S. 5; 7; 32 u. 33. 9 Die Zahlen sind entnommen aus: Buch und Buchhandel in Zahlen 1971. Frankfurt/M. 1971, S. 2 1 - 2 6 . 10 F A Z v. 8 . 2 . 1 9 7 2 . 11 Zit. nach: Ekkehart Krippendorff: Die amerikanische Strategie. Frankfurt/M. 1970, S. 319. — Eine Fülle von Material über USIA und die kulturelle Außenpolitik der USA bietet Krippendorff auf den S. 160—168; 312—369. Zur aufschlußreichen Selbstdarstellung von USIA vgl. Thomas C. Sorensen: Auch wenn sie uns nicht lieben. Freiburg 1969; Transatlantischer Austausch — ein Führer durch die am Kulturaustausch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA beteiligten Organisationen. München 1965. Über die Kulturarbeit u. a. S. 118-119. 12 Charles A. Thomson/Walter H . C . L a v e s : Cultural Relations and US Foreign Policy. Bloomington 1963, S. 125. 13 Parlament (1972) 25, S. 12. 14 Fritz Sternberg: In: Bestandsaufnahme. Eine deutsche Bilanz 1962. München-Wien-Basel 1962, S. 72. 15 Die USA im deutschen Schulbuch. Braunschweig 1958, S. 5. 16 Heribert Hilgenberg/Hugo Staudinger/Elmar Wagner: Unsere Ge-

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schichte — Unsere Welt. Bd. 3: Von Napoleon III. bis zur Gegenwart. München 1964, S. 230. Paul Hartig in: Die USA im deutschen Schulbuch. Braunschweig 1958, S. 8. Heribert Hilgenberg/Hugo Staudinger/Elmar Wagner: Unsere Geschichte — Unsere Welt. Bd. 3: Von Napoleon III. bis zur Gegenwart. München 1964, S. 266. Rolf Lasius/Hubert Recker: Geschichte. Ein Lese- und Arbeitsbuch. Bd. 3: Das Zeitalter der Weltmächte und Weltkriege. Weinheim 1963, S.6. Ernst Helms: Die jüngste Geschichte der Vereinigten Staaten. Ein didaktischer Entwurf, [o. O.] 1966, S. 69—70 (Schriftenreihe der Niedersächsischen Landeszentrale für Politische Bildungen. Für die Hand des Lehrers. H. 4). Heribert Hilgenberg/Hugo Staudinger/Elmar Wagner: Unsere Geschichte — Unsere Welt. Bd. 3: Von Napoleon III. bis zur Gegenwart. München 1964, S. 267. Ernst Helms: Die jüngste Geschichte der Vereinigten Staaten. Ein didaktischer Entwurf, [o. O.] 1966, S. 69 (Schriftenreihe der Niedersächsischen Landeszentrale für Politische Bildungen. Für die Hand des Lehrers. H. 4). „Obwohl Kennedys Außenpolitik unter dem Motto 'appropriate response' stand, hatte er, als die Machthaber der Zone die Mauer errichteten, tatenlos zugesehen und damit die deutsch-amerikanische Solidarität . . . auf eine harte Probe gestellt." (Ebenda, S. 66). Heribert Hilgenberg/Hugo Staudinger/Elmar Wagner: Unsere Geschichte — Unsere Welt. Bd. 3: Von Napoleon III. bis zur Gegenwart. München 1964, S. 206. Ebenda, S. 207. Ebenda, S. 213 u. 214.— Diese mit den Anführungszeichen angedeutete Kritik richtet sich gegen jede antifaschistische Maßnahme und hat nichts zu tun mit den berechtigten Einwänden gegen die Praxis der Entnazifizierung, in der die Kleinen gehängt und die Großen laufen gelassen wurden. Vgl. dazu George S. Wheeler: Die amerikanische Politik in Deutschland (1945-1950). Berlin 1958. Helmut Heuer: Zur Problematik des Amerikabildes in den EnglischLehrbüchern der Volksschule. In: Jahrbuch für Amerikastudien. Heidelberg 1967, Bd. 12. S. 229f. Ebenda, S. 230; 238-239. Otto-Ernst Schüddekopf: In: Die USA im deutschen Schulbuch. Braunschweig 1958, S. 104. Das Gegenwartsbild wird vor allem in den Englischbüchern gezeichnet, auf die hier nicht ausführlicher eingegangen werden kann.

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31 Grundzüge der Geschichte. Mittelstufe. Bd. 4: Von 1890 bis zur Gegenwart. Frankfurt/M. 1969, S. 88. 32 Rolf Lasius/Hubert Recker: Geschichte. Ein Lese- und Arbeitsbuch. Bd. 3: Das Zeitalter der Weltmächte und Weltkriege. Weinheim 1963, S. 45. 33 USA. Teil 2. In: Schulfunk, Lübeck [o. J.] (vermutlich 1967), S. 170. 34 Grundzüge der Geschichte. Mittelstufe. Bd. 4 : Von 1890 bis zur Gegenwatt. Frankfurt/M. 1969, S. 137. 35 Ernst Helms: Die jüngste Geschichte der Vereinigten Staaten. Ein didaktischer Entwurf [o. O.] 1966, S. 42 (Schriftenreihe der Niedersächsischen Landeszentrale für Politische Bildungen. Für die Hand des Lehrers. H. 4). 36 Otto-Ernst Schüddekopf: In: Die USA im deutschen Schulbuch. Braunschweig 1958, S. 105. 37 Vgl. Helmut Heuer: Zur Problematik des Amerikabildes in den Englisch-Lehrbüchern der Volksschule. In: Jahrbuch für Amerikastudien. Heidelberg 1967, Bd. 12, S. 236-238. 38 Gerhard Linne: In: Die USA im deutschen Schulbuch. Braunschweig 1958, S. 43. 39 Vgl. die Beiträge von Hagopian/Dolch; Abrams; Moeller; Donelly: In: Amerikakunde im deutschen Lehrbuch. Ergebnisse der 4. Amerikanisch-deutschen Tagung, Braunschweig, 27. Juni bis 1. Juli 1961. Braunschweig 1962. — Dabei geraten solche Schriftsteller auf die Abschußliste wie Caldwell, London und der frühe Steinbeck; Upton Sinclair, Norris oder Lardner, auch Dreiser und Sinclair Lewis gelten als völlig unmöglich, während der Humor von Thurber und Saroyan mehrfach als vorbildlich gepriesen wird. 40 Heribert Hilgenberg/Hugo Staudinger/Elmar Wagner: Unsere Geschichte — Unsere Welt. Bd. 3: Von Napoleon III. bis zur Gegenwart. München 1964, S. 14. 41 Grundzüge der Geschichte. Mittelstufe. Bd. 4 : Von 1890 bis zur Gegenwart. Frankfurt/M. 1969, S. 301-303. 42 Vgl. etwa die Materialien der Reihe im Klett-Verlag „Politische Bildung" Klett (1969) 3: Weltmacht USA u. (1970) 2: Regierungssystem und Gesellschaft in den USA, u. a. die Beiträge v. Ekkehart Krippendorff u. Paul Hartig. 43 Der Ruf. Eine deutsche Nachkriegszeitschrift. Hg. v. Hans SchwabFelisch. München 1962, S. 24 u. 25 (dtv-Dokumente). 44 Bestandsaufnahme. Eine deutsche Bilanz 1962. München-Wien-Basel 1962, S. 72f.; vgl. auch Franz Schonauer in: Ebenda, S. 480. 45 Lucius D. Clay: Entscheidung in Deutschland. Frankfurt/M. 1950, S. 315.

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46 Ebenda, S. 320. 47 Michael Balfour: Vier-Mächte-Kontrolle in Deutschland 1945—1946. Düsseldorf 1959, S. 324. 48 Lucius D. Clay: Entscheidung in Deutschland. Frankfurt/M. 1950, S. 321. 49 Michael Balfour: Vier-Mächte-Kontrolle in Deutschland 1945—1946. Düsseldorf 1959, S. 340. 50 Lucius D. Clay: Entscheidung in Deutschland. Frankfurt/M. 1950, S. 320. 51 Michael Balfour: Vier-Mächte-Kontrolle in Deutschland 1945—1946. Düsseldorf 1959, S. 337-338. 52 Vgl. Karl-Ernst Bungenstab: Umerziehung zur Demokratie. Re-education-Politik im Bildungswesen der US-Zone 1945—1949. Düsseldorf 1971. 53 Auf vielen Gebieten der Wissenschaft wirkten sich allerdings die fehlenden 12 Jahre, die großen Investitionen in den USA und auch die Besetzung von Lehrstühlen mit in die USA Ausgewanderten und Emigrierten (in den wenigsten Fällen identisch mit Antifaschisten!) deutlich aus. Auf dem Gebiet etwa der empirischen Sozialforschung gaben die US-Beispiele und -Theorien lange Zeit die alleinige Norm ab; aachgeholfen wurde z. B. durch eine Einrichtung wie das Institut für Empirische Soziologie der Wirtschaftshochschule Mannheim in Verbindung mit der George-Washington-Stiftung für Vergleichende Sozialwissenschaften. „Das IES ist eine Forschungsstätte, die direkt und indirekt die theoretische Vertrautheit und den praktischen Umgang mit der amerikanischen Gesellschaftswissenschaft und den modernen (vornehmlich amerikanischen) Methoden der exakten Sozialforschung fördert." (Transatlantischer Austausch — ein Führer durch die am Kulturaustausch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA beteiligten Organisationen. München 1965, S. 51.) Die Politische Wissenschaft wurde erst unter der US-Besatzung eingeführt (zur Personalpolitik vgl. Caspar Schrenck-Notzing: Charakterwäsche. Die amerikanische Besatzung in Deutschland und ihre Folgen. Stuttgart 1965, S. 148f.); entsprechend ihrer Rolle im imperialistischen Weltsystem sind die USA hier auch heute noch bestimmend (vgl. Dieter Bergner/Bernd P. Löwe: Philosophische Probleme des Kampfes gegen die Globalstrategie. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie (1970) 9, S. 1030.). 54 Vgl. George Shaw Wheeler: Die amerikanische Politik in Deutschland (1945-1950). Berlin 1958, u. a. S. 148 u. 184. 55 Vgl. ebenda, S. 182-184. 56 Lucius D. Clay: Entscheidung in Deutschland. Frankfurt/M. 1950, S. 327. 57 Punkt 4. Der Schlüssel zum Wohlstand. Hg. v. Information Services

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Division, Office of the US High Commissioner for Germany. [o. O.] 1950, S. 28. Charles A. Thomson/Walter H . C . L a v e s : Cultural Relations and US Foreign Policy. Bloomington 1963, S. 85—86; vgl. Karl Ernst Bungenstab: Umerziehung zur Demokratie. Re-education-Politik im Bildungswesen der US-Zone 1945-1949. Düsseldorf 1971, S. 83 u. 141. Charles A. Thomson/Walter H . C . L a v e s : Cultural Relations and US Foreign Policy. Bloomington 1963, S. 75. Ekkehart Krippendorff: Die amerikanische Strategie. Frankfurt/M. 1970, S. 330, Fußnote 364 . Deutsche Nachrichten v. 18. 11. 1966. Zit. nach: Reinhard Kühnl/ G. Ahrweiler/M. Maessen/R. Rilling/R. Tellers: Die NPD-Struktur, Programm und Ideologie einer neofaschistischen Partei. Berlin 1967, S. 127. Ebenda, S. 232. Ebenda, S. 126. Zit. nach: Caspar Schrenck-Notzing: Charakterwäsche. Die amerikanische Besatzung in Deutschland und ihre Folgen. Stuttgart 1965, S. 213 u. 217. Hans-Egon Holthusen: Deutsch-amerikanische Wechselwirkungen. In: Jahresring (1966/67) S. 289. — Diese Harmonisierung geht nicht ohne amüsante Windungen ab. Rahn-Pfleiderers Spracherziehung muß unter den ,, Sprachsorgen der Gegenwart" auch das Eindringen angelsächsischer Elemente beklagen. Zum Glück ist aber die ostdeutsche Sprachnormung viel schlimmer. „Die sprachlichen Veränderungen im Westen des deutschen Sprachgebietes breiten sich sozusagen 'von selbst' aus unter dem Einfluß vor allem des angelsächsisch bestimmten, allgemeinen westeuropäischen Gedanken-Sprachgutes. Dazu kommt der Spracheinfluß der Reklame und politischer Parteien, verbunden mit der Wirkung allgemein geltender gesellschaftlicher Ziele (z. B. 'Lebensstandard')." (Rahn-Pfleiderer: Deutsche Spracherziehung. Ausg. B, Teil 6. Suttgart 1965, S. 76).

66 Ernst Helms: Die jüngste Geschichte der Vereinigten Staaten. Ein didaktischer Entwurf, [o. O.] 1966, S. 8f. (Schriftenreihe der Niedersächsischen Landeszentrale für Politische Bildungen. Für die Hand des Lehrers. H. 4). 67 Arnold Bergsträsser: Zum Problem der sogenannten Amerikanisierung Deutschlands. In: Jahrbuch für Amerikastudien. Heidelberg 1963, Bd. 8, S. 13. 68 Die Welt v. 2. 3. 1970. Zit. nach: Gunnar Matthiesen: Zur gegenwärtigen Westeuropapolitik der USA. In: Marxistische Blätter (1970) 6, S. 21. 69 Rudolf Münemann: In: Daily Mail v. 24. 10. 1966. Zit. nach: Wolfgang

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Hahn: USA-Kapital in Westdeutschland. In: DWI-Forschungshefte (1969) 2, S. 71. 70 André Rebstock: Pop-Musik oder populäre Musik? In: Kürbiskern (1971) 2, S. 264-271; André Rebstock: Pop-Musik und ihre Entwicklung zur künstlerischen Form. In : Deutsche Volkszeitung v. 27.1.1972, S. 16. 71 Vgl. Klaus Ziermann: Kultur für die psychologische Kriegsführung. Amerikanisierung und Neonazismus im gegenwärtigen westdeutschen Kulturbetrieb. In: Einheit (1969) 1, S. 101-109. 72 Schon stellte die führende Femsehzeitschrift der USA TV Guide, mit Besorgnis fest, den westeuropäischen Fernsehzuschauern werde ein negatives Bild von den USA gezeichnet; die BRD wurde allerdings nicht untersucht (FR v. 12. 2. 1972); Robert Held sieht in der FAZ v. 15. 1.1973 sogar die Linke in der Bundesrepublik aktiv bei der Erzeugung eines Amerikabildes, „das sich an einigen Stellen dem des Völkischen Beobachters nähert".

Horst Holser ¡Conrad Schubler Presse, Funk und Fernsehen in der BRD 1 Potentiell= aufgrund der vorhandenen Geräte. 2 Kulturpolitik und Föderalismus. Bundesverfassungsgericht: FernsehUrteil. 2. Aufl. Bonn 1961 (Veröff. aus Kultur und Politik. H. 1). 3 Günter Gaus in einem Interview mit dem Evangelischen Pressedienst v. 13.2.1971. 4 Ein Beispiel liefert die Pressemitteilung des SFB v. 14. 1.1971: „Dabei wurde zum zwölftenmal in ununterbrochener Reihenfolge Dr. Franz Suchan zum Vorsitzenden des Rundfunkrates gewählt." Die andern „Neugewählten" waren samt und sonders ebenfalls Veteranen. 5 Aschermittwochrede in Vilshofen 1971. 6 Kulturpolitik und Föderalismus. Bundesverfassungsgericht: FernsehUrteil. 2. Aufl. Bonn 1961 (Veröff. aus Kultur und Politik. H. 1). 7 Erwin Stein: Privater Rundfunk in Bayern, [o. O. o. J.]. 8 O. Rydbeck/E. W. Ploman : Broadcasting in the space age. Europäische Rundfunk-Union, [o. J.], S. 28f. 9 Franz Knipping: Fernseh-Visionen. In: Die Weltbühne 66 (1971) 14, S. 428. 10 Vgl. zur Mitbestimmungskampagne in Verlagen, Rundfunkhäusern und Fernsehanstalten der Bundesrepublik: Horst Holzer: Massenmedien oder Monopolmedien. In: Kürbiskern (1970) 4, S. 622—637.

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Oskar Neumann ¡Conrad Schubler Stichworte •¡jir Freiheit 1 Erwin K. Scheuch: Soziologie der Freizeit. In: Handbuch der Empirischen Sozialforschung. Hg. v. René König. Bd. 2. Stuttgart 1969, S. 741. 2 Ebenda, S. 738. 3 Karl Steinbuch: Mensch, Technik, Zukunft. Stuttgart 1971, S. 301. 4 Untersuchung der Mutual Broadcasting Systems. Nationale Studie der Lebensgewohnheiten. In: Sebastian DeGrazia: Of Time, Work and Leisure. New York 1962. 5 Kulturpolitisches Wörterbuch. Berlin 1970. 6 Zit. nach: Erwin K. Scheuch: Soziologie der Freizeit. In: Handbuch der Empirischen Sozialforschung. Hg. v. René König, Bd. 2. Stuttgart 1969. 7 Jürgen Habermas: Soziologische Notizen zum Verhältnis von Arbeit und Freizeit. In: Arbeit, Erkenntnis, Fortschritt. Amsterdam 1970, S. 57. 8 Ebenda. 9 Erwin K. Scheuch : Soziologie der Freizeit. In : Handbuch der Empirischen Sozialforschung. Hg. v. René König. Bd. 2. Stuttgart 1969, S. 742. 10 Jürgen Habermas: Marx in Perspektiven. In: Arbeit, Erkenntnis, Fortschritt. Amsterdam 1970. S. 80. 11 Hans-Joachim Schoeps: Probleme der allgemeinen Bildung im Industriezeitalter. In : das parlament. Beil. : Aus Politik und Zeitgeschichte. Hg. v. der Bundeszentrale für politische Bildung, v. 21. 4. 1965, S. 15. 12 Zit. nach: L. Preller/E. Thier/H. J. Wallraff u . a . In: Mensch und Automation. Hg. v. Wilhelm Bitter. Stuttgart 1965. 13 Hans-Joachim Schoeps: Probleme der allgemeinen Bildung im Industriezeitalter. In : das parlament. Beil. : Aus Politik und Zeitgeschichte. Hg. v. der Bundeszentrale für politische Bildung, v. 21. 4. 1965, S. 7. 14 Ebenda, S. 12. 15 Ebenda, S. 16. 16 Ebenda. 17 Ebenda, S . 2 1 . 18 Arnold Gehlen: Moral und Hypermoral. Eine pluralistische Ethik. Frankfurt/M. 1969, S. 79ff. 19 ZDF „heute" v. 4. 7. 1970. 20 Mensch und Automation. Hg. v. Wilhelm Bitter. Stuttgart 1965, S. 27. 21 Interview. In: Augsburger Allgemeine v. 11. 11.1970. 22 Münchner Abendzeitung v. 17. 11. 1970. 38

Reinhold, Kücbiskem

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23 Ebenda. — Weitere Strauß-Zitate gleicher Richtung in: Das Konzept der deutschen Rechten. Köln 1971. 24 Carlo Schmid: Mensch und Technik. Hg. v. Vorstand der SPD. Bonn 1956, S. i 7 . 25 Ebenda, S. 23. 26 Ebenda, S. 24. 27 Werner Ross: Ein neuer Kulturbegriff und die Folgen. — Zit. nach dem unveröff. Manuskript des Referats vor der Kath. Akad. in Bayern, November 1970. 28 Hannes Stütz: Referat auf dem Kulturpolitischen Forum der DKP in Nürnberg, Juni 1971. 29 Kultur und Kulturpolitik im antiimperialistischen Kampf. Referat Bildungs- und Kulturpolitik beim PV der DKP, 1970. 30 Kursbuch (1971) 25, S. 9 3 - 9 4 .

Michael Buselmeier/ Günter Schehl Die Kinder von Coca Cola 1 Dieter Baacke: Beat. Die sprachlose Opposition. München 1968. 2 Walter Hollstein: Der Untergrund. Neuwied 1969. 3 Peter Stafford: Rock and Revolution. In: Acid. Neue amerikanische Szene. Hg. v. R. D. Brinkmann u. R. R. Rygulla. Darmstadt 1969. 4 Rolf Ulrich Kaiser: Das Buch der neuen Pop-Musik. Düsseldorf 1969. 5 Peter Handke: Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturmes. Frankfurt/ M . 1968. 6 Acid. Neue amerikanische Szene. Hg. v. R. D. Brinkmann u. R. R. Rygulla. Darmstadt 1969. 7 Super Garde. Prosa der Beat- und Pop-Generation. Hg. v . Vagelis Tsakiridis. Düsseldorf 1969. 8 Hans Neuenfels in: Monat (1969) 2. 9 Weitere Zitate wurden folgenden Werken entnommen: La Chienlit. Dokumente zur französischen Mai-Revolte. Hg. im Auftrag eines Komitees der Bewegung des 22. März. Darmstadt 1969; Heinz Oliff: Pop und die Folgen. Düsseldorf 1968; Subkultur Berlin. Hg. v. H. Sander u.U.Christians. Darmstadt 1969; Protestfibel. Formen einer neuen Kultur. Hg. v. Rolf Ulrich Kaiser. München 1968; Joachim Schickel: China. Die Revolution der Literatur. München 1969.

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Uwe Timm Peter Handke oder sicher in die siebziger Jahre 1 Peter Handke: Peter Handke. Frankfurt/M. 1969, S. 270. 2 Wolfgang Fritz Haug: Zur Kritik der Warenästhetik. In: Kursbuch (1970) 20, S. 151 ff. 3 Martin Walser: Über die Neueste Stimmung im Westen. In: Ebenda, S.23. 4 Wolfgang Fritz Haug: Zur Kritik der Warenästhetik. In: Ebenda, S.148. 5 Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen. Frankfurt/M. 1960, S. 342. 6 Peter Handke: Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt. Frankfurt/ M. 1969, S. 78. 7 Ebenda, S. 106. 8 Klaus Roehler: Die Abrichtung. Deutsche Sätze für Schüler und Erwachsene. In: Kursbuch (1970) 20, S. 93. 9 Peter Handke: Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt. Frankfurt/M. 1969, S. 87. 10 Peter Handke: Peter Handke. Frankfurt/M. 1969, S. 281. 11 Ebenda, S. 270. 12 Ebenda, S. 263.

Gerd Hallenberger¡Heinrich Keim Die Zukunft als Ware 1 Beiträge zu der Entwicklung phantastischer Literatur veröffentlicht vor allem die Zeitschrift Quarber Mtrkur, in der bis heute u. a. Aufsätze über die phantastische Literatur Spaniens, Italiens, Rumäniens, Ungarns und der UdSSR erschienen sind. 2 John T. Sladek: Liste der gängigsten SF-Klischees. In: Computerträume. Neue Science Fiction. Hg. v. Frank Rainer Scheck. München 1973, S. 189f. 3 Robert A. Heinlein: Science Fiction — Its Nature, Faults and Virtues. In: The Science Fiction Novel. Imagination and Social Criticism. Ed. by Basil Davenport. Chicago 1969, S. 39. 4 Ebenda, S. 45. 5 Vera Graaf: Homo Futurus. Hamburg-Düsseldorf 1971, S. 37. 6 Manfred Nagl: Science Fiction in Deutschland. Tübingen 1972, S. 173. 7 Ebenda, S. 188. 8 Ebenda, S. 178. 9 Ebenda, S. 185. 10 Michael Pehlke/NorbertLingfeld: Roboter und Gartenlaube. München 1970, S. 149. 38*

583

Wilfried von Bredow Zwischen Kitsch und Krise 1 „Publikumswirksam" ist natürlich ein Euphemismus, leider einer, der kaum jemals als solcher erkannt wird, auch nicht von fortschrittlichen Kritikern. Der Begriff bezieht sich einzig und allein auf die Höhe der Einspielergebnisse. 2 Siegfried Kracauer: Von Caligari bis Hitler. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Films. Hamburg 1958. — Die deutsche Übersetzung ist nicht unerheblich gekürzt. 3 Vgl. z. B. die Bestrebungen des Volksverbandes für Filmkunst, in dessen Vorstand u. a. H. Mann, E. Piscator u. G. W . Pabst saßen. 4 Erwin Leiser: Deutschland, erwache I Propaganda im Film des Dritten Reiches. Reinbek bei Hamburg 1968. Vgl. auch: Gerd Albrecht: Nationalsozialistische Filmpolitik. Eine soziologische Untersuchung über die Spielfilme des Dritten Reiches. Stuttgart 1969. 5 Peter Pleyer: Deutscher Nachkriegsfilm 1946 bis 1948. Münster 1965, S. 159 (Studien zur Publizistik. Münstersche Reihe. Bd. 4). 6 H. P. Kochenrath: Kontinuität im deutschen Film. In: Filmstudio, 50. 7 Ebenda. 8 Peter H. Schröder: Sex and Crime. Die Krise des deutschen Films und die Tendenzen der sechziger Jahre. In: Filmstudio, 39. 9 Vgl. R. E. Thiel: Acht Typen des Kriegsfilms. In: Filmkritik (1961) 11. 10 Urs Jenny: Abschied von Illusionen. In: Protestfibel. Formen einer neuen Kultur. Hg. v. Rolf-Ulrich Kaiser. Bern-München-Wien 1968, S. 99. — Dieser letzte Hinweis Jennys wird erhellt durch eine Berechnung des SPD-Bundestagsabgeordneten Kahn-Ackermann, wonach die Bundesregierung zwischen 1953 u. 1956 mittels der Ausfallbürgschaften ca. 50 Prozent der gesamten Spielfilmproduktion der BRD bis in die Besetzungslisten kontrolliert hat. 11 Walther Schmieding: Kunst oder Kasse. Der Ärger mit dem deutschen Film. Hamburg 1961, S. 7. 12 Lothar Hack: Soziologische Bemerkungen zum deutschen Gegenwartsfilm. In: Frankfurter Hefte 21 (1966) S. 182. - Hacks ausführliche, mit sozialpsychologischen Kriterien arbeitende Studie kommt zu bemerkenswerten Schlüssen über die Parallelen zwischen dem Zustand des Gesellschaftssystems und dem z. T. unterschwelligen Inhalt der in ihm produzierten Filme. Als für den bundesrepublikanischen Film relevante Motive führt Hack an: die Angst vor der Wirklichkeit, die Angst vor sozialen Konflikten, die Hinwendung zu der Kritik enthobenen Führerpersönlichkeiten. 584

13 Vgl. z. B. auch: W. Berghahn: Der Realismus der Traumfabrik. In: Filmkritik (1961) 9; R . E . T h i e l : Acht Typen des Kriegsfilms. In: Ebenda, (1961) 11; H. Ungureit: Filmpolitik in der BRD. In: Ebenda, (1964) 1. 14 Zit. nach: Cinema, Zürich (1962) 31. 15 Klaus Bädekerl: Alles kennen — nichts erkennen. In: Filmkritik (1969) 4. 16 Ulrich Gregor äußert sich im Namen vieler. In: Cinema, Zürich (1962) 31. 17 Urs Jenny: Abschied von Illusionen. In: Protestfibel. Formen einer neuen Kultur. Hg. v. Rolf Ulrich Kaiser. Bern-München-Wien 1968, 5. 99. — Vgl. z. B. die verhaltene Trauer des weniger fortschrittlichen als für Modernes aufgeschlossenen Kritikers Urs Jenny. 18 Wolfram Schütte: Für eine rationale Phantasie im Kino. In: FR v. 18. 11. 1967. 19 Urs Jenny: Abschied von Illusionen. In: Protestfibel. Formen einer neuen Kultur. Hg. v. Rolf Ulrich Kaiser. Bern-München-Wien 1968, S. 96. 20 Wolfram Schütte: Für eine rationale Phantasie im Kino. In: FR v. 18. 11. 1967. 21 Diese Erhebung wurde vom Allensbacher Institut für Demoskopie durchgeführt. Ihre Ergebnisse sind zusammengefaßt in: Spontan (1969) 2. — Die normierende Funktion derartiger Erhebungen sei hier außer acht gelassen. 22 Wolfram Schütte: Für eine rationale Phantasie im Kino. In: FR v. 18. 11. 1967. 23 Urs Jenny: Abschied von Illusionen. In: Protestfibel. Formen einer neuen Kultur. Hg. v. Rolf Ulrich Kaiser. Bern-München-Wien 1968, S. 111. 24 Alexander Kluge: Ungeduld hilft nicht, aber Geduld auch nicht, In: Film (1967) 3. 25 K. J. Fischer: Wer fördert den Film? Ein Seiltanz zwischen Länderkompetenzen und Bundesinitiative. In: Rheinischer Merkur v.l. 2. 1969. 26 Interview mit Volker Schlöndorff. In: action (1967) 1. 27 Urs Jenny: Abschied von Illusionen. In: Protestfibel. Formen einer neuen Kultur. Hg. v. Rolf Ulrich Kaiser. Bern-München-Wien 1968, S. 103. 28 Klaus Kreimeier: Zeit der Flaneure. In: Film (1968) 6. 29 Interview. In: Filmkritik (1967) 11 S. 705. 30 Klaus Kreimeier: Zeit der Flaneure. In: Film (1968) 6. 31 Vgl. Wilfried v.Bredow: Zum 'Filmförderungs-Gesetz'. In: Blätter für deutsche u. internationale Politik 13 (1968) S. 445ff.

585

32 Zit. nach: RolfDewonn: Engelchen macht weiter. In: Die Zeit v. 18. 4. 1969. 33 Detlef Werner: Kommerzieller Film, Kunstfilm, Agitationsfilm. In: Programm des Stud. Filmclubs Bonn, Sotnmersemester 1969, S. 21 ff. 34 Diese romantische Zusammenstellung stammt von dem Italo-WesternRegisseur Sergio Corbucci. Sein „besonders brutaler" Film II grande silenrjo ist diesen drei Toten gewidmet. — Vgl. das Corbucci-Interview. In: Film (1969) 5, S. 26ff. 35 G. P. Straschek: Gegen Moralismus, für Konsum!; H. R. Minow: Zur Orientierung des Films in der oppositionellen und revolutionären Arbeit; H. Bitomsky: Film Wirtschaft und Bewußtseins-Industrie; H. Farocqi: Die Agitation verwissenschaftlichen und die Wissenschaft politisieren. Alle in: Film (1969), 3. 36 G. P. Straschek: Gegen Moralismus, für Konsum! In: Ebenda. 37 Wolfram Schütte: Wo der Hund begraben liegt. Tendenzen des „Anderen Kinos" von Nekes bis zu den Zielgruppenfilmen. In: FR v. 3. 5. 1969. 38 Enno Patalas: Dialog mit der Geschichte. In: Filmkritik (1961) 4 S. 68. 39 Enno Patalas: Plädoyer für die Ästhetische Linke. In: Ebenda(1966) 10 S. 407. 40 Uwe Nettelbeck scheint mir von allen Vertretern dieser Richtung zwar der exaltierteste, aber auch der intelligenteste zu sein. Einzelne, seiner früher in der Zeit erschienenen Kritiken zeichneten sich durch Scharfsinn und bestechende Formulierungen aus. Mit der Anpassung an die Disziplinlosigkeit der Anti-Autoritäten blieben zunächst nur die Formulierungen, während im Augenblick selbst diese nur noch selten in seinen Artikeln aufzufinden sind. 41 Frieda Gräfe: Der Spiegel ist zerschlagen. In: Filmkritik 12 (1968) 11. 42 Herbert Linder: Zum Selbstverständnis der „Filmkritik". In: Ebenda 11 (1967), S. 233. 43 Siegfried Schober: Rossellini und die wiedergewonnene Wahrnehmung. In: Ebenda 13 (1969), S.25. 44 Wolfram Schütte/F. W. Vöbel: Abschied von gestern. Enno Patalas. In: Filmstudio, 5. 45 Th. Kotulla: In: Filmkritik 12 (1968) 10; P.W.Jansen in: Ebenda 13 (1969) 3. 46 Siegfried Schober: Drogen, Filme, Liebe. Gespräch mit R. Thome und Max Zihlmann. In: Filmkritik 13 (1969) 4. 47 An dieser Stelle müßte der Anfang von dem gemacht werden, was eine politische Ästhetik des Films in kapitalistischen Ländern leisten könnte. Diese Arbeit versteht sich als Vorstudie dazu. Eine weiter ausgreifende

•586

Darstellung müßte noch sehr viel mehr Phänomene behandeln, z. B. die internationale Verflechtung der monopolistischen Filmindustrie, das Auftreten bestimmter Genres (Sexfilme, Italo-Western) u. a. Hier steht noch ein großes Stück Arbeit bevor.

Martin

Walser

Wovon und wie handelt

Literatur?

1 Roger Garaudy: Statt eines Nachwortes zu „D'un Réalisme sans Rivages". In: Marxismus und Literatur. Hg. v. Fritz J . Raddatz. Bd. 2. Hamburg 1969, S. 227. 2 Friedrich Engels/Karl Marx: Deutsche Ideologie. Werke. Bd. 3. Berlin 1969, S . 4 8 . 3 Boris Eichenbaum: Aufsätze zur Theorie und Geschichte der Literatur. Frankfurt/M. 1965, S. 47. 4 Wolfgang Werth: Reden über Schweigen. In: Die Zeit v. 14. 4. 1972, S. 33. 5 Ein Baukran stürzt um. Hg. v. Karl D. Bredthauer/Heinrich Pachl/ Erasmus Schöfer. München 1970. S. 17. 6 Wolfgang Röhrer/Horst Kammrad/'Harald Schmid: Es gibt sie halt, die schreibende „Fiktion". In: Gruppe 61. Neuwied 1966, S. 199. 7 Lauter Arbeitgeber. Hg. v. der Werkstatt Tübingen, Jürgen Alberts/ Albert Scherer/Klaus Tscheliesnig. München 1971, S. 14. 8 Gruppe 61. Neuwied 1966, S. 202. 9 Lauter Arbeitgeber. Hg. v. der Werkstatt Tübingen, Jürgen Alberts/ Albert Scherer/Klaus Tscheliesnig, München 1971, S. 14. 10 Edmund Wolf: Die erlösten Stimmen. Proletarier schreiben Englands neues Drama. In: SZ v. 4./5. 3. 1972. 11 Helga Gallas: Marxistische Literaturtheorie. Neuwied 1971, S. 77. Vgl. Igor A. Caruso : Soziale Aspekte der Psychoanalyse. Stuttgart 1962. 12 Georg Lukäcs: Es geht um den Realismus. In: Marxismus und Literatur. Hg. V. Fritz J. Raddatz. Bd. 2. Hamburg 1969, S. 69f. 13 Helga Gallas: Marxistische Literaturtheorie. Neuwied 1971, S. 79. 14 Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. Kleine Stuttgarter Ausgabe. Bd. 4. Stuttgart 1962, S. 162. 15 Erika Ruckdäschel: Der Hohlraum. In: Ein Baukran stürzt um. Hg. v. Karl D. Bredthauer/Heinrich Pachl/Erasmus Schöfer. München 1970, S. 112ff. 16 Peter Neuneier: Akkord ist Mord. Köln 1972, S. 65. 17 Helmut Creutz: Bilanz mit Fünfzig. In: Lauter Arbeitgeber. Hg. v . der Werkstatt Tübingen, Jürgen Alberts/Albert Scherer/Klaus Tscheliesnig. München 1971, S. 67ff.

587

18 Bertolt Brecht: Thesen für proletarische Literatur. In: Schriften zur Literatur und Kunst. Bd. 2. Frankfurt/M. 1967, S. 204. 19 Brutalität in Serie. In: Der Spiegel (1972) 8, S. 129.

Friedrich Literatur

Hitler heute

1 2 3 4 5 6

Vgl. Fernsehen. In: Kürbiskern (1971) 3. Jürgen Kolbe: In: S Z v. 6./7. 2. 1971. Verlagskonzentration in der B R D . In: Kürbiskern (1971) 3, S. 531. S Z v. 9./10. 10. 1971. S Z v. 30. 9. 1971. Alles zit. nach: Dieter E . Z i m m e r : Die Diktatur der Bestseller. In: Die Zeit v. 15. 10. 1971. 7 Alexander Karaganow: Der Künstler in der komplizierten Welt. In: Sowjetliteratur 23 (1971) 10. 8 Karl Marx/Friedrich Engels: Über Kunst und Literatur. Berlin 1967, S. 117.

9 Ebenda, S. 116 10 Interview mit Hans Magnus Enzensberger. In: Weimarer Beiträge 17 (1971) 5, S. 93. 11 Der Ruf. München 1962, S. 32 (dtv 62). 12 Beim Pen-Treffen 1971 in Portorosh übernahm Thilo Koch die Rolle Melwin Laskys, als er in seiner von ihm gewohnten zeitgeschichtlichen Fälschermethode die Existenz neonazistischer Literatur in der B R D leugnete und stattdessen die UdSSR angriff. Alexander Dymschitz sah sich deshalb zu recht zum Vergleich Kochs mit dem Kriegstreiber Lasky veranlaßt. — Vgl. Literaturnaja gaseta Nr. 30 v. 21. 7. 1971. 13 S Z v.21,/22. 8. 1971. 14 Alles zit. nach: Ebenda. 15 Die sozialistischen Länder Europas klammere ich aus. Die Folgen der sozialistischen Revolution und Einflüsse der deutschen Kultur des 19. Jahrhunderts erfordern eine besondere Darstellung. 16 Christopher Caudwell: Bürgerliche Illusion und Wirklichkeit. München 1971, S. 143. 17 Die Entwicklung im Bereich der westdeutschen Arbeiterliteratur behandelt Walter Fritzsche. 18 Karl Marx/Friedrich Engels: Über Kunst und Literatur. Bd. 1. Berlin 1967, S. 156.

588

Klaus Konjetzky Schwierigkeiten beim Dokumentieren der Wahrheit 1 Für wen schreibt der eigentlich? Gespräche mit lesenden Arbeitern. Autoren nehmen Stellung. Hg. v. Manfred Bosch/Klaus Konjetzky. München 1973, 211 S. (Serie Piper 55). 2 „Es wird also ein verzerrtes Bild vom 'lesenden Arbeiter' gegeben." Unsere in der Dokumentation gestellten Fragen sind ein „Katalog stereotyper Modefragen", die „literarisch oder gar literaturwissenschaftlich . . . doch nicht entscheidend" sein können. Was wir fragten, könnte „aus der Zeit vor und nach dem ersten Weltkrieg stammen, als 'Arbeiter' und 'Bauern' romantisch überhöhte Begriffe bildeten. Es dürfte sich ja kein einigermaßen lesenswerter Autor je gesagt haben, er schreibe für eine bestimmte Berufsgruppe nicht, sondern umgekehrt, er schreibe nicht für eine bestimmte Berufsgruppe. Die Möglichkeiten, er schreibe nicht für Krankenpfleger, nicht für Akademiker, nicht für Verkäuferinnen usw. bleiben außer Betracht, denn aus ihnen ergäbe sich sogleich die ganze Unmöglichkeit der Fragestellung." (Wir hatten Autoren u. a. gefragt, wie sie zur Feststellung eines Kollegen stünden, der in einem Interview sagte: „Ich schreibe nicht für Arbeiter.") Unsere Fragen an Leser und Schreiber sind „einfallslos" und „dämlich", sie verweisen auf unseren „begrenzten Interview-Horizont" und die Aussagen der Arbeiter und Angestellten bringen „natürlich nichts grundsätzlich Neues." Unseren „vorprogrammierten Fragen" folgten „lederne Auskünfte" seitens der Autoren, die auch nichts Neues sagen konnten, denn „die meisten, die hier zu Wort kommen, lassen sich auf die übliche Voraussetzung ein, daß der 'bürgerlichidealistische Kunstbegriff zu einem Instrument der Herrschaft' geworden sei." (Das mit dem Kunstbegriff hatten wir in unserer Einleitung geschrieben.) 3 Oder: „Eine nützliche Materialsammlung . . . die durch die Dokumentation der Schwierigkeiten beim Schreiben heute einen Lernprozeß initiieren könnte, der mehr als wünschenswert wäre." Oder: „Endlich einmal wurde die berechtigte Frage gestellt: 'Für wen schreibt der eigentlich?'" Die in dieser Dokumentation festgehaltenen Aussagen sind „aufschlußreich", „lebendig", „beachtenswert", „bedeutsam" und „notwendig". „ Konjetzky und Bosch haben — und das macht die Bedeutung dieses Bandes aus — diejenigen gefragt, über die meistens nur theoretisiert wird, die Arbeiter . . . " Die Stellungnahmen der Autoren „dokumentieren einen notwendigen Dialog, der vor einiger Zeit eingesetzt hat

589

und durch die Arbeit von Bosch und Konjetzky neue Anstöße bekommen hat." Oder: „Dabei ist es ihnen gelungen, mit Fragen nach Milieu, Ausbildung und Betriebspraxis, die an die Begegnung mit Literatur gebunden sind, aufschlußreiches Material für eine Lesersoziologie der Arbeiter zu sammeln." Oder: „Die Gesprächsprotokolle sind in lockerer Montage aneinandergereiht, so daß sich für den Leser jeweils ein guter Überblick über verschiedene Meinungen zu demselben Thema ergibt . . . Der Leser soll an repräsentativen Aussagen selbst die Tendenzen erkennen." 4 „Das heißt, eine solche Literatur muß sich der Mühe unterwerfen, im Bereich von Gewerkschaftsarbeit, von Parteiarbeit, im Bereich von Ausbildungsinstitutionen, im Bereich betrieblicher Arbeit — soweit das möglich ist—Eingang zu finden, und zwar nicht Eingang zu finden, um dort einen Markt zu erschließen, sondern um dort sich mit denen auseinanderzusetzen, für die dann in der Tat geschrieben werden kann . . . Das bedeutet, daß sich eine solche Literatur und die Literaten, die eine solche Literatur praktizieren wollen, sozusagen aufmachen . . . ihre eigene Position und Funktion auszumachen, um von dort her dann an die Konzeption ganz bestimmter formaler und inhaltlicher Momente von literarischen Werken heranzugehen, die dann in diesen Zusammenhang hineingebracht werden können, als Momente, die diesen Zusammenhang nicht befestigen, sondern ihn gerade aufbrechen."

Uwe Timm Zwischen Unterhaltung und Aufklärung 1 Zit. nach: Barbara Weinmayer:

Frauenromane in der B R D .

In:

Kürbiskern (1971) 1, S. 82. 2 Vgl. Ebenda. 3 Hans Magnus Enzensberger:

Gemeinplätze, die neueste Literatur

betreffend. I n : Kursbuch (1968) 15, S. 192. 4 Karl Marx: Die deutsche Ideologie. Frühschriften. Stuttgart 1953, S. 357. 5 Karl Marx: Ökonomisch-Philosophische E r g . Bd. 1, S. 539f.

590

Manuskripte. I n :

MEW

Warum Theater 1 2 3 4 5

Deutsche Volkszeitung v. 17. 9. 1965 Theater heute (1968) 4, S. 3. Theater heute (1969) 2, S. 30. Bertolt Brecht: Werke. Bd. 16. Frankfurt/M. 1967, S. 728. Franz Xaver Kroetz: Reißt die Theater ein. In: Konkret v. 9. 8. 1972.

Martin Walser Theater als Öffentlichkeit 1 Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Schriften. Bd. 1. Frankfurt/M. 1955, S. 366ff. 2 Gotthold Ephraim Lessing: Ernst und Falk. Gespräche für Freimäurer. Werke Bd. 2. Frankfurt/M. 1967, S. 520f. 3 Ebenda, S. 521. 4 Dramaturgische Schriften des 18. Jahrhunderts. Hg. v . Klaus Hammer. Berlin 1968, S. 14. 5 Ebenda. 6 Ebenda, S. 295. 7 Jean Paul: Werke. Bd. 1. München 1970. S. 1194f. 8 Johann Wolfgang Goethe. Gedenkausgabe. Bd. 7. Zürich 1962, S. 37. 9 Dramaturgische Schriften des 18. Jahrhunderts. Hg. v. Klaus Hammer. Berlin 1968, S. 434. 10 Gotthold Ephraim Lessing: Ernst und Falk. Gespräche für Freimäurer. Werke. Bd. 2. Frankfurt/M. 1967, S. 463. 11 Dramaturgische Schriftendes 18. Jahrhunderts. Hg. v. Klaus Hammer. Berlin 1968, S. 245. 12 Gotthold Ephraim Lessing: Ernst und Falk. Gespräche für Freimäurer. Werke. Bd. 2. Frankfurt/M. 1967, S. 476. 13 Ebenda, S. 422. 14 Ebenda, S. 420. 15 Bertolt Brecht: Schriften zum Theater.Bd. 3. Frankfurt/M. 1963, S. 108. 16 Ebenda, S. 30f. 17 Franz Xaver Kroetz/Helmut Walbert: Die Lust am Lebendigen. In: Kürbiskern (1973) 2, S. 332. 18 Peter Stein/Franz Rueb/Frank-Patrick Steckel: Positionen und Probleme am Halleschen Ufer. In: Ebenda, S. 344. 19 Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Schriften. Bd. 1. Frankfurt/M. 1955, S. 380. 20 Ebenda, S. 401f. 591

21 Manuskript. 22 Dramaturgische Schriften des 18. Jahrhunderts. Hg. v. Klaus Hammer. Berlin 1968, S. 14.

Walter Frit^scbe Werkkreis und Literatur 1 2 3 4

Fritz Hüser. In: Almanach der Gruppe 61. Neuwied-Berlin 1966. Vgl. Peter Kühne/Erasmus Schöfer. In: Akzente (1970) 4. Ein Baukran stürzt um. Berichte aus der Arbeitswelt. München 1970. Ebenda; Lauter Arbeitgeber. Lohnabhängige sehen ihre Chefs. München 1971; Wer aber trägt das Risiko. Reportagen aus der Arbeitswelt. Reinbek b. Hamburg 1971; Peter Schütt: Mitbestimmungsbroschüre. Publikation des Werkkreises 1971; Horst Kammrad: GastarbeiterReport. Hg. in Zusammenarbeit mit der Werkstatt Westberlin. München 1971. 5 Erasmus Schöfer: In: Akzente (1970) 4. 6 Anna Seghers: Über Kunstwerk und Wirklichkeit. Bd. 1. Berlin 1971, S. 106-107. 7 Anna Seghers: Die schönsten Sagen von Räuber Woynok. In: Ebenda, Bd. 2, S. 16.

Personenregister

Abbado, Claudio 514 Adenauer, Konrad 40—41 254 301 307 340 Adorno, Theodor W . 17 190 193 197 201 256 478 Albee, Edward 480 Aldiss, Brian W . 232 Allende, Salvador 96 100 Allio, René 261 282 Ambers, Ute 412 Andersch, Alfred 83 Andersen Nexö, Martin 563 Anderson, Paul 238 239 Anouilh, Jean 437 Anraths, Wolfgang 500 503 Antonioni, Michelangelo 261 Aristoteles 472 Arrabal, Fernando 443 Artaud, Antonin 290 Artmann, Hans Carl 197 Asimov, Isaac 227 232-233 238 243-244 Astel, Arnfrid 400-401 418 Attila 248 Augustin, Ernst 403 Baacke, Dieter 188 Baader, Andreas 292 Bach, Johann Sebastian 309 Ballard, J. G. 231 240

Balluseck, Lothar von 52 Balzac, Honoré de 519 520 Barsig, Franz 115 Bartock, Willy 541-542 557 Barzel, Rainer 263 535 Bassermann, Albert 369 Bates, Harry 227 Baumgart, Reinhard 338 Baur, Elke 114 Becher, Johannes R. 319 325 555 Becker, Jürgen 196 Beckett, Samuel 291-292 362 437 469 470 476 480 Bednarik, Karl 144 Beethoven, Ludwig van 514 Bell, Robert R. 187 Bellamy, Edward 239 Benda, Ernst 39 Benjamin, Walter 12 256 319 326 329-330 469 478 Benn, Gottfried 337-338 339 369 370 Bense, Max 367 Berghahn, Wilfried 255 278 Bergmann, Ingmar 279 Bergson, Henri 370 Bergsträsser, Arnold 87 Bernhard, Thomas 475 Berteiii, Gualtiero 515 Biedenkopf, Kurt H. 62 63

593

Bogdanow, A. A.

323

Boehlich, Walter Boll, Heinrich

Corbucci, Sergio

334 64 98 258 337 375

385 555

475

Costard, Hellmuth

274

Cube, Alexander von

Bond, Edward

75

206

Dahrendorf, Ralf

200

59

Däniken, Erich von

Borchert, Wolfgang Bosch, Manfred

555

Dante Alighieri

373 378 379 384

243

385

Daumann, Rudolf Heinrich Degenhardt, Franz-Josef

589-590 Botond, Bolics György

240

Bracher, Karl Dietrich

254

Bradbury, Ray

548 550 Del Rey, Lester

50 7 7 - 7 8 180 181

Brecht, Bertolt 337-338

219 319 326 329

437

454

460

463

Dessau, Paul

530 531

556

Diehl, Karl

Bredthauer, Carlo Breton, André

Dine, Jim

195

179-180 202

Disney, Walt 199-200

232

75

Dominik, Hans

203 196

38 472—473

Disch, Thomas M.

558-559

362

Brinkmann, Jürgen Brock, Bazon

393

Dichgans, Hans Diderot, Denis

396 555

227

Dementjew, J .

4 6 9 - 4 7 0 4 7 3 - 4 7 4 476 479 480 Bredel, Willi

236 238

Dostojewski, F. M. Dowshenko, A. P.

205 Brühl, Heidi

Drachsler, Hans

171-172

Brunner, John Büchner, Georg

227 241

Dschingis Khan

Campbell jr„ John W .

227

338 437

Dürer, Albrecht

178 179 1 8 3 - 1 8 5

Dutschke, Rudi

199 588

Echternach, Jürgen

115

Effinger, Geo. Alee

232

Eich, Günter

12 3 3 7 - 3 3 8

Cervantes Saavedra, Miguel de 385

Einstein, Albert

Chamberlain, Houston Stewart 295

Eisenstein, S. M.

Chotjewitz, Peter O.

Eisler, Hanns

203 403

Arthur Charles

Cocteau, Jean

339

140—141

577

241-242

Clay, Lucius D .

115

248

Dumazedier, Joffre

Dymschitz, A.

195 367

Caldwell, Erskine Preston Camus, Albert

90 577

Dufhues, Josef-Hermann 394 400 542 543

557 559 Cage, John

121

Drescher, Wolfgang

206

bis 242 369 Büscher, Josef

364 385 338

Dreiser, Theodore

232 239

Burroughs, Edgar Rice

238

401

Delius, Franz Carl 544—545 547 bis

231 240

Brandt, Willy

Carter, Lin

305

283-293

4 6 5 - 4 6 6 469 475 476 480 Bongard, Willi

Clarke,

586

Corneille, Pierre

230 239

84

277 338

319 530 531

Ellison, Ralph Waldo Emshwiller, Ed

338

247

Engelhardt, Elisabeth

594

240

274 543 5 4 4

Engels, Friedrich 350 405 407 519 Enzensberger, Hans Magnus 11 12 13 17 194 309 334 337 368 375 417 524 556 Erhard, Ludwig 45 102 181 Ernsting, Walter 237 Eschenburg, Theodor 38 309 Ewerwyn, Ewert 558 Faßbinder, Rainer Werner 64 Fichte, Hubert 403 Fiebig, Eberhard 194 Finck, Wilhelm von 419 504 Fleischmann, Peter 264 Flick, Friedrich 419 Fontane, Theodor 449 Forte, Dieter 544 Franke, Herbert W . 237 239 240 Frenzel, Ivo 29 Freud, Sigmund 365 Fricke, Gerhard 307 Fried, Erich 11-13 25 373 Friedrich, Wolfgang 549 Friesel, Uwe 399 Fritsch, Willy 250 Fritsche, Walter 15 Fritz, Roger 263 264 267 Fritz, Wilhelm 115 Fritzsche, Walter 588 Fröhlich, Hans Jürgen 403 Fulbright, James William 77 Garaudy, Roger 315 Gehlen, Arnold 144-145 Geifrig, Werner 507 Geissler, Christian 9 12 14—15 543 545 555 Geller, Uri 243 244 Genet, Jean 369 Genscher, Hans Dietrich 143 George, Stefan 219 Gernsback, Hugo 226-227

595

Gerstenmaier, Cornelia 374—375 Gerstner 367 Ginsberg, Allen 189-190 Giraudoux, Jean 437 Gluchowski, Bruno 542 543 557 Goebbels, Joseph 84 Godard, Jean-Luc 259-260 Goppel, Alfons 115 Gorki, M. 563 Gosov, Marran 261 264 268 269 271 274 Goethe, Johann Wolfgang von 297 367 370 385 471 Gottsched, Johann Christoph 471 480 Graaf, Vera 233 Gräfe, Frieda 279 Grass, Günter 12 98 309 337 555 Gregor, Ulrich 585 Greulich, Peter 115 Grimmelshausen, Johann Jakob Christoffel von 385 Grosz, George 352 Grundig, Max 179-180 Guevara, Ernesto, gen. Che 275 Haak, Dieter 50 Habe, Hans 339 Habermas, Jürgen 140—141 Hack, Lothar 254-255 584 Hagelstange, Rudolf 411 Hall, Austin 227 Hammerschmidt, Wolfgang 115 116-117 Hammett, Dashiell 268 Hamsun, Knut 362 Handke, Peter 90 197 198 209 bis 222 280 375 415-416 417 Hannibal 248 Harich, Wolfgang 289-290 Harrison, Harry 238 Härtling, Peter 332-333 336 Harvey, Lilian 250

Haug, Wolfgang Fritz

214

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 188 199 290 416

241-242

Hüfner, Agnes

393 396

Hugenberg, Alfred

Heidegger, Martin Heine, Heinrich

Howard, R. E .

369 370

Hüser, Fritz

370

250

539 5 4 8 - 5 4 9 556 bis

557 5 5 8 - 5 5 9

Heinlein, Robert A. 227 228 230 238 Heintje

529

Heissenbüttel,

Helmut

196

197

443 475

Illing, Werner

236 239

Indiana, Robert

200

Ionesco, Eugène

280 415 Heist, Walter

369

Held, Robert

580

Helf, Willi

Jansen, Fasia

548

Helms, Erwin

Jean Paul 87

Helms, Hans G .

90

400 254 261, 262 267 bis

268 584 585

170-171

Jens, Walter

301

Jeschke, Hans

338 362 556 Henle, Günter

Johler, Jens

179-180

Henze, Hans Werner Herbert, Frank

240 437-438

Johnson, Uwe

25

280

373

Johst, Hanns

373 556 218

Jonke, Gert F.

403 Johann

Herhaus, Ernst

79 81

Johnson, Lyndon B.

18

238

Herburger Günter

291—292

471

Jenny, Urs 190-191

Hemingway, Ernest

Herder,

Ibsen, Henrik

Gottfried

472

Joyce, James

412 415 362 364 367 385

Jünger, Ernst

403

339

Herzog, Werner

263

Jünger, Friedrich Georg

Heuss, Theodor

299-300

Jürgens, Udo

Hey, Richard

399

Hinz, Günter

394

Hirsch, Rainer Hitler, Adolf

Kafka, Franz

399 297

Hitzer, Friedrich

12 15

Hobbes, Thomas

546

Hochhuth, Rolf

10 555

Hocke, Gustav René Hölderlin, Friedrich

Holz, Hans Heinz Holzamer, Karl

300 584

213 3 3 2 - 3 3 3 341

344 438 Kammrad, Horst

371 325 369

188

Katajew, V . 87 333

192

45 384 192

2 5 6 - 2 5 7 271

344

Karsunke, Yaak Kästner, Erich

193-194 321

Karasek, Helmut

12 1 4 - 1 5 309

340

Kayser, Wolfgang

337-338

Kellermann, Bernhard

114

Horkheimer, Max Houwer, Rob

Kaiser, Joachim

Kaiser, Rolf Ulrich

Holthusen, Hans-Egon

Holzer, Horst

300-301

194-195

Hollstein, Walter

362 556

Kahn-Ackermann, Georg

265

Höke, Bernhard

142—143

529

236

238

244 Kelling, Gerhard

484

Kennedy, John Fitzgerald Kennedy, Robert

596

275

576

Keynes, John Maynard 191 Kieseritzky, Ingomar von 317 bis 318 Kiesinger, Kurt Georg 179-180 220 263 King, Martin Luther 275 Kipphardt, Heinar 309 555 Kiß, Edmund 236 Kleist, Heinrich von 370 491 bis 492 Kliess, Werner 280 Kluge, Alexander 256-257 258 262 263 266-267 270 271 273 363 555 Knight, Dämon 239 Koch, Thilo 588 Koeppen, Wolfgang 556 Kocstler, Arthur 341 Kohl, Helmut 63 Kolle, Oswalt 158 Koller, Hans 501 Kongo-Müller s. Müller, Siegfried Konjetzky, Klaus 378 589-590 Köpping, Walter 556-557 Korn, Karl 71 255-256 279 Kornbluth, Cyril M. 231 Körner, Wolfgang 558 Kotulla, Theodor 263-264 266 Kracauer, Siegfried 250 256 258 Kreimeier, Klaus 269-270 Krishnamurti, Jiddu 190 Kriwet, Ferdinand 196 Kroetz, Franz Xaver 45 64 373 454-455 474 476 Krolow, Karl 337-338 Krone, Heinrich 48 Krüger 115 Krüger, Horst 344 Kubrick 330 Kuby, Erich 40 213 Kühne, Peter 558 559 Kupferberg, Tuli 190 39

Reinhold, Kürbiskern

Küther, Kurt 394 557 Kutter, Markus 367 Lang, Fritz 250 Lange, Hans-Joachim 115 Lanz s. Lanz von Liebenfels, Jörg Georg Lanz von Liebenfels, Jörg Georg 235 Lardner, Ringgold Wilmer 90 577 Lasky, Melvin 340 588 Laßwitz, Kurd 243 Leary, Timothy 189 190 Leeb, Helga 160 Leinster, Murray 227 Lern, Stanislaw 239 240 Lemke, Klaus 264 268 269 Lengyel, Péter 240 Lenin, W. I. 151 463 Lennon, John 529 Lentz, Michael 267 Lenz, Jakob Michael Reinhold 471 Leonhardt, Rudolf Walter 305 Lessing, Gotthold Ephraim 370 449 470-471 472-473 Lewis, Harry Sinclair 90 Lichtenstein, Roy 200 Limpert, Richard 394 Linder, Herbert 279 Lingfeld 242 Lohmar 296 London, Jack 577 Löwenthal, Gerhard 99 3 7 4 - 3 7 5 381 383 Lubitsch, Ernst 250 Lübke, Heinrich 300 Luft, Friedrich 255-256 Lukäcs, Georg 319 323-324 Lummer, Heinrich 66 Luxemburg, Rosa 235 Maier, Hans 99 146

597

Maiwald, Peter 373 375 418 Malle, Louis 265 Mander, Matthias 542 Mann, Heinrich 343 563 584 Mann, Thomas 95 362 563 Marchwitza, Hans 555 Marcuse, Herbert 17 190 389 Marinetti, Emilio Filippo Tommaso 194 Markopoulos, Gregory 274 Martin 308 Martin, Bertold 49 295 Marvig, Detlev 544 Marx, Karl 105 137 140 143 147 148 188 190 199 289 315-316 335 365 405-407 408 411 419 425 472 Mausner, Klaus 45 May, Karl 254 Mayer, Carl 250 Mayer, Hans 342 344 Mayer, Herbert 390 McCaffrey, Anne 238 McLuhan, Herbert Marshall 195-196 Mechtel, Angelika 373 557 559 Mehden, Heilwig von 171 Meinecke 272 Meinhof, Ulrike 292 Mercer, David 322 Meyers, Franz 39 Michaux, Henri 367 Michel, Hans Petet 11 Michel, Karl Markus 197 Miehe, Ulf 203 Minks, Wilfried 205 Mithriades 248 Möhler, Armin 145 Molotow, W. M. 309 Mommartz, Lutz 274 Mon, Franz 196 Moorcock, Michael 231 240 Moorse George 264

Morus, Thomas 543 Moser, Hugo 307 Moskowitz, Sam 224 Müller, Heiner 289 Müller, Paul Alfred 236 Müller, Siegfried, gen. KongoMüller 295 Murnau, F. W. 250 Muschg, Adolf 369-370 Musil, Robert 265 362 385 Mussolini 248 Myers 78 Nagel, Ivan 344 Napoleon 291 Nekes, Werner 274 Nero 248 293 Neruda, Pablo 365-366 Nestler, Peter 276 Nettelbeck, Uwe 267 279 586 Neuenfels, Hans 205-207 Neumann, Nicolaus 332 Neumann, Oskar 15 Neuneier, Peter 327-328 Newman, George Sheridan 41 Nietzsche, Friedrich 235 369-370 Niven, Larry 239-240 Nono, Luigi 18 Norris, Frank 577 Novalis 188 O'Casey, Sean 451 Oeller, Helmut 116 Oelschlegel, Vera 393 Orwell, George 341 Pabst, Georg Wilhelm 584 Pachl, Heinrich 558-559 Paltock, John 243 Pasolini, Pierre 261 Patalas, Enno 255 278 281 Patton, George Smith 79-80

598

Pehlke 242 Peret, Benjamin 362 Peter, Gerd 396 Peterich, Eckart 303 Pfeiffer, Peter 300-301 306-307 Pfleiderer, Wolfgang 579 Piscator, Erwin 584 Piwitt, Hermann-Peter 403 Ploetz, Dagmar 380 Poe, Edgar Allan 227 Pohl, Fred 231 Pollini, Maurizio 514 Porten, Henny 250 Priller 179 Promies, Wolfgang 539 542 543 549-550 Proust, Marcel 362 364 Pudowkin, W. 338 Puschkin, A. S. 385 Queneau, Raymond

362 367 369

Racine, Jean 475 Raddatz, Fritz 213 Raffalt, Reinhard 303 309 Rahn, Fritz 579 Rahner, Karl 309 Reding, Joseph 540-541 Reich-Ranicki, Marcel 344 Reimann, Max 40 Reitz, Edgar 256-257 264 266 bis 267 Remarque, Erich Maria 343 Renner, Heinz 40 Resnais, Alain 261 Rezzori, Gregor von 266 Ribbentrop, Joachim von 301 Richter, Hans-Werner 339-340 344 Riesman, David 140—141 Rilke, Rainer Maria 369 Rinser, Luise 373 375 Rischert, Christian 264 Ritter, Roman 508 39*

Robbe-Grillet, Alain 362 Rockefeiler, Nelson 8 5 - 8 6 Roggenbuck, Rolf 403 Röhrer, Wolfgang 321 Roosevelt, Franklin Delano 79 Rosendorfer, Herbert 381-382 Ross, Werner 148 306-309 Rosselini, Roberto 279-280 Rossif, Frédéric 276 Rothe, Wolfgang 548 Rothenberger, Anneliese 171 Rottensteiner, Franz 240 Ruckdäschel, Erika 326—327 Rühm, Gerhard 197 Rühmann, Heinz 269 Rühmkorf, Peter 12 Runge, Erika 506-507 557 559 Sade, Donatien-Alphonse-François, Marquis de 289 Salvatore, Gaston 532 Salzinger, Helmut 203-204 Sander, Hans Dietrich 339 Sanders, Ed 190 Saroyan, William 577 Sartre, Jean-Paul 338 556 Sattler, Dieter 296 Schaaf, Johannes 266 267 Schack, Alard von 52 Schamoni, Peter 256-257 258 263 264 266 274 Schamoni, Ulrich 258 263 264 266 267 274 275 Scharang, Michael 373 383 Schatz, Walter 179 Scheer, Karl Herbert 237 239 Schell, Walter 18 Schellemann, Carlo 18 Schenk, Johannes 484 Schenkendorf, Max von 177 Scheuch, Erwin K. 133 134 139 140-141 196 Schickedanz, Gustav 179—180

599

Schiller, Friedrich 205 370 471 bis

Siemens,

472

Ernst

von

Schklowskij, V .

317

Schlamm, William S.

Sillitoe, Allan 145 217 339

Schlegel, Friedrich

188

Schleyer, Hanns-Martin Schlöndorff,

64

Volker

Schmid, Carlo

322

Silverberg, Robert

238

Simak, Clifford D .

227 239

Simmel, Johannes Mario

258

263

Simon

90 577

Sladek, John T .

1 4 6 - 1 4 8 178 180

Schmid, Harald

90 577

Sinclair, Upton

297 398

Smith, Adam

321

231-232 472

Schmidt, Arno

362

Smith, Edward E .

Schmidt, Doris

183

Solonas, Fernando E .

Schmidt, Eckhart

261 264 268

Schmidt, Helmut

182

Schmieding, Walther Schnez, Albert Schöfer, Erasmus

Sowka, Gerd

279

280-281

558—559 562

59

Spengler, Oswald

235

Spieker, Franz-Josef

235

286

291-292 Schoeps, Hans-Joachim

142—144

99 196 342

Stein, Gustav

Schwarze,

Stein, Peter

Hans-Dieter

478—479

191

555 563 565

362 179-180

288 4 7 4 - 4 7 5

Steinbeck, John

90 577

Steinbuch, Karl

99 134 375

Seidel, Heinrich

243

Stelling, Jürgen

Sello, Gottfried

171

Stirner, Max

Seneca, Lucius Annaeus Senft, Haro

287 293

William

92

Storm, Theodor

170-171

Straub, Jean-Marie 283

64 518

519

125

Shakespeare,

190-191

Stockhausen, Karl-Heinz

2 5 6 - 2 5 7 267

Servan-Schreiber, Jean-Jacques Sethe, Paul

251

121-122

Stein, Gertrude

559

Seghers, Anna

190 3 3 7 - 3 3 8 416

Stein, Erwin

195

Schütte, Wolfram 259 261 277 280 Schwendter, Rolf

58 64

Staeck, Klaus

Staudte, Wolfgang

3 9 - 4 0 49

Schumpeter, Joseph Alois Schutt, Peter

231

Springer, Axel C.

Staiger, Emil

15

Schumacher, Kurt

264 269

Spinrad, Norman

Stafford, Peter

117

Schuhler, Conrad

256—257 264

274 Spils, May

Arthur

Schröder, Gerhard

100

561

Spaemann, Robert

117-118

122-123 Schopenhauer,

276

59 96 98

101 374 381 254

Scholl-Latour, Peter

227 247

Solschenizyn, A.

145

Schober, Siegfried

411

206

Sinclair, Lewis

2 6 5 - 2 6 6 268 Schlüter, Helmut

284

Strauß,

Franz

263 270 276

Joseph

119

144

145 146 1 7 9 - 1 8 0 181 339 535

287 289 Shan, Ben

179—180

461-462

Strehler, Giorgio

90

Sichtermann, Barbara

437—438

Streicher, Julius

600

438 178

Stresemann, Gustav 301 307 Strindberg, August 443 Strobel, Hans Rolf 2 6 3 - 2 6 4 266 Struck, Thomas 274 275 Strugatzkij, A. 240 Strugatzkij, B. 240 Stütz, Hannes 12 15 Suchan, Franz 580 Süverkrüp, Dieter 18 58 146 Sylvanus, Erwin 543 544 Tenbruck, Friedrich H. 187 Terson, Peter 206 Theodorakis, Mikis 537 Thiele, Rolf 263 271 Thome, Rudolf 264 Thurber, James 577 Tichawsky, Heinz 263—264 266 Timm, U w e 508 5 1 0 - 5 1 2 Tolkien, John Ronald Reuel 241 ' Tolstoi, L. N. 385 Toussaint, Hans 272 Tremaine, F. Orlin 227 Troppmann, Artur 394 Truman, Harry 85 Tsakiridis, Vagelis 203 Tschechow, A. P. 443 Turgenjew, I. S. 385 Turrini, Peter 64 Ücker, Bernhard 65 Unseld, Peter 213 Varda, A g n e s 267 Verne, Jules 226 227 Vesely, Herbert 2 5 6 - 2 5 7 258 Yialon, Friedrich Karl 3 1 1 - 3 1 2 Viehöver, Joseph 115 116 Vittorini, Elio 362 Vöbel, F. W . 280 Vogt, A . E. van 227 238 V o n der Grün, Max 373 539 5 4 3 - 5 4 4 554 5 5 6 - 5 5 7 558 559 Vosz, Manfred 12 15

601

Wallace, Edgar 254 Wallenreiter, Christian 114 115 Wallraff, H. Günter 12 17 375 377 5 3 9 - 5 4 0 557 559 Walser, Martin 10 18 25 26 68 130 213 335 337 556 Wandrey, Uwe 401 Warhol, Andy 75 90 200 274 Warnach, Walter 46 Wayne, John 171 172 Webern, Anton 533 Weidenmann, Alfred 263 Weinert, Erich 555 Weisenborn, Günther 555 Weiss, Peter 1 1 - 1 3 25 196 206 437 488 555 556 Wellershoff, Dieter 540 Wells, Herbert George 227 Werth, W o l f g a n g 3 1 7 - 3 1 8 Whitehead, Ted 322 Whitman, Walt 90 Wieczorek-Zeul, Heidemarie 3 7 . Wiedemann, Ernst F. 544 Wiener, Oswald 197 212 247 Wilhelm II. 248 296 Williams, Tennessee 437 Wilp, Charles 193 200 Winkelmann, Adolf 274 Wittgenstein, L u d w i g 215 Wohlgemuth, Hildegard 539 Wolf, Edmund 322 Wolf, Ror 196 Wondratschek, Wolf 203 Wyndham, John 238 Xenakis, Yannis

519

Zadek, Peter 2 0 4 - 2 0 5 Zebrowski, George 239—240 Zehm, Günter 64 339 Ziesel, Kurt 64 Zihlmann, Max 2 6 8 - 2 6 9 Zimmer, Dieter E. 333 Zwerenz, Gerhard 403

In ¿er gleichen Schriftenreihe sind u.a. erschienen: Frank Wagner

„. . . der Kurs auf die Realität" Das epische Werk von Anna Seghers (1935-1943) 2. Aufl. 1977 • 318 Seiten • 1 0 - M Heinz Hamm

Der Theoretiker Goethe Grundpositionen seiner Weltanschauung, Philosophie und Kunsttheorie 1975 • 276 Seiten • 8,50 M Anton Hierscbe

Sowjetliteratur und wissenschaftlich-technische Revolution 2. Aufl. 1977 • 244 Seiten • 8,50 M

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Erwartung und Angebot Studien zum gegenwärtigen Verhältnis von Literatur und Gesellschaft in der D D R 1976 • 238 Seiten • 7,50 M Ilse Seebase

Von der Verantwortung der Kunst Dokumente zur tschechischen marxistischen Literaturprogrammatik 1918—1938 1976 • 370 Seiten • 2 4 , - M Silvia Schlenstedt

Wegscheiden Deutsche Lyrik im Entscheidungsfeld der Revolutionen von 1917 und 1918 1976 • 337 Seiten 1 1 , - M

602

Manfred No'ssig

Die Schauspieltheater der DDR und das Erbe ( 1 9 7 0 - 1 9 7 4 ) Positionen — Debatten — Kritiken 1976 • 262 Seiten • 8,50 M

Dostojewskis Erbe in unserer Zeit Neueste Forschungen sowjetischer Literaturwissenschaftler zum künstlerischen Erbe Dostojewskis 1976 • 221 Seiten • 7 , - M Werner henk

„Ketzer"lehren und Kampfprogramme Ideologieentwicklung im Zeichen der frühbürgetlichen Revolution 1976 • 224 Seiten • 7 , - M Christel

Hoffmann

Theater für junge Zuschauer Sowjetische Erfahrungen — sozialistische deutsche Traditionen — Geschichte in der DDR 1976 • 252 Seiten • 8 , - M Simone

Barck

Johannes R. Bechers Publizistik in der Sowjetunion 1935—1945 1976 • 259 Seiten • 8,50 M Gerda Heinrieb

Geschichtsphilosophische Positionen der deutschen Frühromantik 1976 • 261 Seiten • 8,50 M

Positionen polnischer Literaturwissenschaft der Gegenwart Methodenfragen der Literaturgeschichtsschreibung 1976 • 293 Seiten . 9,50 M Frit^

Mierau

Erfindung und Korrektur Tretjakows Ästhetik der Operativität 1976 - 321 Seiten • 10,50 M

603

Werner Mahner Formen, Ideen, Prozesse in den Literaturen der romanischen Völker Band 1: Von Dante bis Cervantes 1977 • 285 Seiten • 9 , - M

Streitpunkt Vormärz Beiträge zur Kritik bürgerlicher und revisionistischer Erbeauffassungen 1977 • 324 Seiten - 10,50 M

Werner Bahner Formen, Ideen, Prozesse in den Literaturen der romanischen Völker Band 2 : Positionen und Themen der Aufklärung 1977 • 292 Seiten • 9,50 M

Ideologie —Literatur — Kritik Französische Beiträge zur marxistischen Literaturtheorie 1977 • 415 Seiten • 1 3 , - M