Konstruktionen christlichen Lebens im populären Frühmittelalter-Roman: Eine Untersuchung zum Verhältnis von Geschichte und Gegenwart [1 ed.] 9783737011952, 9783847111955


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German Pages [495] Year 2020

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Konstruktionen christlichen Lebens im populären Frühmittelalter-Roman: Eine Untersuchung zum Verhältnis von Geschichte und Gegenwart [1 ed.]
 9783737011952, 9783847111955

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Deutschsprachige Gegenwartsliteratur und Medien

Band 26

Herausgegeben von Carsten Gansel und Stephan Pabst Reihe mitbegründet von Hermann Korte

Eva Rünker

Konstruktionen christlichen Lebens im populären Frühmittelalter-Roman Eine Untersuchung zum Verhältnis von Geschichte und Gegenwart

V&R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der Philosophie (Dr. phil.) bei der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Duisburg-Essen Erstgutachter: Prof. Dr. Dr. Hubertus Lutterbach Zweitgutachter: Prof. Dr. Markus Tiwald Datum der Disputation: 22. 3. 2018 © 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Ü Bonifatius (Winfried), 672/673 - 5.6.754, Heiliger, Apostel der Deutschen, Ganzfigur, die heilige Eiche bei Gesmar fällend, Holzschnitt, koloriert, von Ludwig Richter (1803– 1884), aus »Geschichte des Deutschen Volkes«, von Eduard Duller, Leipzig, 1840, Privatsammlung, © INTERFOTO / Bildarchiv Hansmann Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2198-6304 ISBN 978-3-7370-1195-2

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I.

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Einleitung: Das Vorhaben und die Quellen . . . . . . . . . . . . . . 1. Roman, Religion, Rezeption – Ausgangspunkt der Untersuchung . 2. Fragestellung und Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kurzvorstellung der Romane: Autoren, Inhalte, christliche Schwerpunktthemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Die Karolinger – und ihre Frauen . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die Missi Dominici ermitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Komplott gegen Karl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Bedrohung durch die Franken – Tod oder Taufe? . . . . . . 4.5 Mönche auf abenteuerlicher Reise . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 Normannen – Geißel Gottes oder auch Menschen? . . . . . . 4.7 Eine Frau auf dem Papstthron . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8 Frauen im Kampf um Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . 4.9 Die Macht der Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

II. Charakterisierung und Verortung der Quellen: Die Romane im Spannungsfeld von Literaturwissenschaft, Geschichtswissenschaft und Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historische Romane: Die Perspektive der Literaturwissenschaft . 1.1 Das Quellenmaterial – historische Romane? . . . . . . . . . 1.2 Grundlegend: Definitionen aus der Literaturwissenschaft . . 1.3 Ergänzend: Neue Perspektiven aus der Rezeptionsforschung 1.3.1 Der historische Roman in der Postmoderne . . . . . . . 1.3.2 Der historische Roman als Teil der Populärkultur . . . 1.3.3 Historische Romane zum Mittelalter . . . . . . . . . . . 1.4 Gattungsmerkmale: Literarische Charakteristika der Quellen 1.5 Das Quellenmaterial – populäre historische Romane! . . . .

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Inhalt

2. Mittelalterbilder: Die Perspektive der Geschichtswissenschaft . . . 2.1 Mittelalterrezeption in der Wissenschaft . . . . . . . . . . . 2.2 Mediävistik und Mittelalterroman . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Mittelalterrezeption in der Populärkultur: Zusammenhänge und Forschungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Religiöse Aspekte in der Literatur: Die Perspektive der Theologie . 3.1 Das Forschungsfeld Theologie und Literatur . . . . . . . . . 3.2 Theologie und historische Romane . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Literarische Rezeption christentumsgeschichtlicher Themen . 3.3.1 Ein Beispiel: Mönchtum im Roman . . . . . . . . . . . 4. Fazit: Untersuchungsprofil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausdrucksformen christlichen Lebens: Das Themenspektrum der Romane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundlegung: Die Oberthemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Tabellarische Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Auswertung und Erläuterung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kloster/Mönchtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Tabellarische Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Auswertung und Erläuterung . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Tabellarische Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Auswertung und Erläuterung . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Missionierung/Christwerdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Tabellarische Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Auswertung und Erläuterung . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Liturgie/Sakramente/Symbole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Tabellarische Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Auswertung und Erläuterung . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Theologie/Glaube . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Tabellarische Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Auswertung und Erläuterung . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Fazit: Drei Themen für die weitere Untersuchung . . . . . . . . IV. Der Zugang zum christlichen Leben: Das Thema Missionierung . 1. Romanebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Überblick zum Thema »Missionierung« in den Romanen 1.2 Von Heilssorge bis Machtstreben: Die Motivation der Missionare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

1.2.1 Was denken die Missionare über die Heiden? . . . . 1.2.2 Weg und Motivation der einzelnen Missionare . . . . 1.3 Taten und Worte: Das Vorgehen bei der Missionierung . . 1.3.1 Machtdemonstrationen und Zwang . . . . . . . . . . 1.3.2 Integration heidnischer Bräuche . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Überzeugungsarbeit, praktische Hilfe und Gespräche 1.3.4 Rolle des Herrschers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Der stärkere Gott und die schwächere Frau: Die Inhalte der christlichen Verkündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Gottesbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Christliche Lebensgestaltung . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3 Frauenbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Abwehr und Annahme des Christentums: Misserfolg und Erfolg der Missionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.1 Was denken die Heiden über die Missionare/ die Christen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.2 Mangelndes Verständnis für christliche Glaubensinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.3 Kampf gegen die Christen . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.4 Interesse für den christlichen Glauben . . . . . . . . . 1.5.5 Freiwillige Entscheidung für die Taufe . . . . . . . . . 1.5.6 Die Taufe – und dann? . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Zwischen Rückkehr zum Heidentum und Leben als Christ: Brüchigkeit und Beständigkeit der christlichen Lebensform 1.6.1 Christ nur nach außen hin . . . . . . . . . . . . . . . 1.6.2 Heidnische Relikte bei Christen . . . . . . . . . . . . 1.6.3 Zusammenführung religiöser Gegensätze . . . . . . . 1.6.4 Ein Leben aus christlicher Überzeugung . . . . . . . . 1.7 Und die anderen Religionen? . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Forschungsüberblick Missionierung . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Entwicklung der Forschung zur Mission im Frühmittelalter 2.2 Die Missionare und ihre Motive . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Ablauf des Verkündigungsgeschehens . . . . . . . . . . . . 2.4 Harte Christianisierungsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Beteiligung von Frauen an der Mission . . . . . . . . . . . 2.6 Verbesserte Lebensqualität von Frauen (und Männern) durch das Christentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7 Lebendigkeit heidnischen Glaubens und Zusammentreffen mit dem Christentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

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V. Entfaltungen christlichen Lebens 1: Das Thema Mönchtum . . . . 1. Romanebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Überblick zum Thema »Mönchtum« in den Romanen . . . 1.2 Zugang zum Mönchtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Kinder im Kloster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1.1 Oblation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1.2 Uneheliche und unversorgte Kinder . . . . . . 1.2.1.3 Geiseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Erwachsene im Kloster . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2.1 Versorgung von Mitgliedern des Hofes . . . . 1.2.2.2 Verbannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2.3 Freiwilliger, bewusster Eintritt . . . . . . . . . 1.3 Ausgestaltung des Lebens als Mönch/Nonne . . . . . . . . 1.3.1 Kennzeichen des Mönchtums . . . . . . . . . . . . . 1.3.1.1 Kleidung und Tonsur . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1.2 Leben nach der Regel und Berufung auf einen Gründer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1.3 Gutes Irland – böses Rom . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Aufgaben der Mönche (und Nonnen) . . . . . . . . . 1.3.2.1 (Stunden-)Gebet . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2.2 Verschiedene geistige und körperliche Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2.3 Versorgung von Gästen und Kranken . . . . . 1.3.2.4 Schreiber und Bibliothekare . . . . . . . . . .

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2.8 Konturen des frühmittelalterlichen Heidenbildes . . . . . 2.9 Missionierung in Sachsen und deren Beurteilung . . . . . 2.10 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Perspektive der Romane und Umgang mit der Geschichte 3.2 Vorstellungen von Missionaren . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Missionare mit historischem Vorbild . . . . . . . . 3.3 Vorstellungen von Heiden . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Christliche Verkündigung und Beständigkeit des Heidentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Soziale Vor- und Nachteile durch Christianisierung . . . 3.6 (Naturverbunde) Frauen und das Christentum . . . . . . 3.7 Individuelle Glaubenswege . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

1.3.2.5 Erzieher und Lehrer . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2.6 Berater und Beichtväter . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Klosterbewohner unterwegs . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3.1 Mönche als Ermittler . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3.2 Klosterbewohner auf Pilgerschaft . . . . . . . . 1.3.3.3 Einschränkungen für reisende Nonnen . . . . 1.4 Beständigkeit und Brüchigkeit der mönchischen Lebensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Vorbildliche Asketen und Eremiten . . . . . . . . . . 1.4.2 Verstöße gegen die mönchische Lebensweise . . . . . 1.4.2.1 Genuss im Übermaß . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2.2 Klöster als Orte von Unmoral . . . . . . . . . 1.4.2.3 Gleichgeschlechtliche Aktivitäten . . . . . . . . 1.4.2.4 Verführung durch Frauen . . . . . . . . . . . . 1.4.2.5 Mönche als Verführer . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2.6 Liebesbeziehung und Glaubensverlust . . . . . 1.4.3 Aufgeben der mönchischen Lebensweise . . . . . . . 1.4.3.1 Entscheidung für das Leben mit einer Frau . . 1.4.3.2 Verlassen des Klosters aus anderen Gründen . 1.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Forschungsüberblick Mönchtum . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Entwicklung der Forschung zum Mönchtum im Frühmittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Das Modell des Gottesmenschen . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Einwirkung von Reinheitsvorstellungen . . . . . . . . . . . 2.4 Mönche als besondere Gotteskinder . . . . . . . . . . . . . 2.5 Mönchwerdung von Kindern und Erwachsenen . . . . . . 2.6 Die Benediktsregel auf dem Weg zur Norm . . . . . . . . . 2.7 Gebet und Memoria als Hauptaufgabe der Klöster . . . . . 2.8 Arbeitsethos und Schriftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . 2.9 Verbindungen zum Adel und Verstrickungen in die Politik 2.10 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Unreine Gottesmänner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Kennzeichen mönchischer Identität . . . . . . . . . . . . . 3.3 Zwischen Reglementierung und individuellen Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 »Historische« Orte und Personen – zwischen Romanwelt und Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

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VI. Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe . . . . . . . . . 1. Romanebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Überblick zum Thema »Ehe« in den Romanen . . . . . . . . 1.2 Die Anbahnung einer Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Ehen im karolingischen Herrscherhaus: Zwischen Vorgabe durch die Eltern und freier Wahl . . . . . . . 1.2.2 Adelige und Menschen aus dem Volk: Im Zweifel für die Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Gestalt und Gestaltung einer Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Umbruchszeit: Ein altes und ein neues Verständnis von Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Der Primat des Konsenses: Bedingungen für das Zustandekommen einer Ehe . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Die Eheschließung: Recht, Liturgie, Brauchtum . . . . . 1.3.4 Der Vollzug der Ehe: Sexualität und Reinheitsvorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Beständigkeit und Brüchigkeit des Lebens in der Ehe . . . . 1.4.1 Die karolingische Herrscherfamilie und ihr Verhältnis zur ehelichen Treue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Könige, Adelige, Bauern – Unterschiedliche Haltungen zur ehelichen Treue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3 Frauen unter dem Verdacht des Ehebruchs . . . . . . . 1.4.4 Heidnische Umgebung als Gefährdung einer christlichen Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.5 Möglichkeiten zur Beendigung einer Ehe und erneuten Heirat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.6 Ein Beispielfall: Lothar – Waltrada – Teutberga . . . . 1.5 Alternativen zur Ehe: Nicht-eheliche Liebesbeziehungen . . 1.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Forschungsüberblick Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Entwicklung der Forschung zur Ehe im Frühmittelalter . . . 2.2 Abschied von der Friedelehe? Die Diskussion um verschiedene Eheformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Weltliches Recht oder biblische Norm? Vorgaben für die Ehe(schließung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3.5 3.6 3.7 3.8

Gebildete Mönche – zwischen Romanwelt und Forschung Fragen nach Leben und Tod . . . . . . . . . . . . . . . . Randfiguren: Klosterfrauen und Stiftsherren . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

2.4 Was konstituiert Ehe? Unterschiedliche Konsens-Vorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Abwertung der Ehe aufgrund von Sexualität? Der Einfluss der kultischen Reinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Grenzen der Eheschließung: Inzest-Vorschriften . . . . . . . 2.7 Lebenslange Einehe? Die schwierige Durchsetzung christlicher Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8 Eigene Regeln für den Herrscher? Die politische Relevanz von Ehefragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8.1 Von den Merowingern zu Karl dem Großen: Konkubinate trotz Verchristlichung . . . . . . . . . . . 2.8.2 Ludwig der Fromme: Unterordnung unter das christliche Eheideal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8.3 Lothar II.: Ehestreit als Politikum . . . . . . . . . . . . 2.9 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Die Ehe im Spannungsfeld von Heidentum und Christentum 3.2 Freie Entscheidung aus Liebe versus Verwandtschaftsdenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Sexuelle Selbstbestimmung versus Reinheitsdenken . . . . . 3.4 Die Ehen der Karolinger zwischen Politik, Gefühl und Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Darstellung des Scheiterns versus Forderung nach einem idealen Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Zusammenführung: Die Romane zwischen Geschichte und Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Reizvolle Geschichte: Die Romananalysen im Spannungsfeld von Literaturwissenschaft, Geschichtswissenschaft und Theologie . . . 2. Fremde und vertraute Geschichte: Das Ergebnis der Synthesen . . 3. Signaturen der Gegenwart: Religionssoziologische Vergewisserung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Überblick: Transformation und Fluidität der Religion . . . . 3.2 Sicherung biographischer Kontinuität in Lebenskrisen . . . . 3.3 Frauen als Akteurinnen von Religion und Spiritualität . . . . 3.4 Individualisierung und Sehnsucht nach Gemeinschaft . . . . 3.5 Ganzheitlichkeit und Erfahrungsbezug . . . . . . . . . . . . 3.6 Selbstermächtigung und Institutionendistanz . . . . . . . . .

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Inhalt

4. Die Gegenwart in der Geschichte: Das Spezifikum der Frühmittelalter-Romane . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Brüchigkeit und Scheitern von Lebensformen . . 4.3 (Selbst-)Ermächtigung der Frauen . . . . . . . . . 4.4 Individualität, Freiheit und Selbstbestimmung . . 4.5 Naturverbundenheit und Ganzheitlichkeit . . . . 4.6 Kritik an Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Bestimmtheit der Frühmittelalter-Forschung durch die Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . 1. Quellen . . . . . . . . . . . 1.1 Untersuchte Romane 1.2 Weitere Romane . . . 2. Sekundärliteratur . . . . . 3. Internetseiten . . . . . . .

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Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2017/18 von der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Duisburg-Essen als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung habe ich im Schlussteil das Kapitel »Die Bestimmtheit der Frühmittelalter-Forschung durch die Gegenwart« hinzugefügt, kleinere Ergänzungen vorgenommen und aktuelle Literatur in den Fußnoten eingearbeitet. »Konstruktion von (Lebens-)Geschichte« – diese Überschrift verbindet meine theoretische Forschung zur Christentums- und Kulturgeschichte und meine praktische Tätigkeit in einem Hospiz. Nach Theologiestudium und Krankenpflegeausbildung begann ich, berufsbegleitend meine wissenschaftlichen Interessen zu vertiefen. Die Vorstellung, eines Tages dieses Vorwort zu schreiben und dieses Buch in den Händen zu halten, hat mich über viele Jahre in schwierigen Phasen zum Weitermachen motiviert. Mein erster Dank gilt Prof. Dr. Dr. Hubertus Lutterbach, der als Betreuer und Erstgutachter von Anfang an bereit war, diesen ungewöhnlichen und langen Weg zu begleiten und sich auf meine Ideen einzulassen. Von seiner Kenntnis der Frühmittelalter-Forschung, seinen Brückenschlägen zwischen vergangenen und gegenwärtigen Lebenswelten sowie seinem Interesse für die »gelebte« und »populäre« Religion durfte ich in zahlreichen Gesprächen profitieren. Seine Forderung nach Präzision und Stringenz und der kontinuierliche Austausch mit ihm haben meiner Arbeit zu klarer Form und inhaltlicher Schärfung verholfen. Für die Erstellung des Zweitgutachtens danke ich Prof. Dr. Markus Tiwald. Prof. Dr. Martin Schubert, dem Vorsitzenden der Prüfungskommission, verdanke ich einige sprachliche Anregungen. Mit Frau Prof. Dr. Ines Weber und Prof. Dr. Georg Langenhorst, aus deren Schriften ich viel gelernt habe, durfte ich in persönlichen Gesprächen mein Projekt diskutieren. Den Frauen vom Soroptimist International-Club Essen, die meine Dissertation mit ihrem Förderpreis 2018 prämiert haben, bin ich für diese Anerkennung zu großem Dank verpflichtet. Für die Aufnahme meiner interdisziplinär angelegten Untersuchung in die Reihe »Deutschsprachige Gegenwartsliteratur und

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Vorwort

Medien« danke ich den Herausgebern Prof. Dr. Carsten Gansel und PD Dr. Stephan Pabst. Carla Schmidt vom Verlag V&R unipress hat sich sehr für meine Publikation eingesetzt – herzlichen Dank dafür. Dem Erzbistum Paderborn und den Bistümern Augsburg, Essen und Münster danke ich für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Viele Freunde, Verwandte und Kollegen haben meine Promotion mit Interesse begleitet und waren für mich da. Die wichtigsten Unterstützer möchte ich namentlich nennen. Prof. Dr. Stefan Schreiber war an der Konzeption der Untersuchung beteiligt und hat sie immer wieder mit mir diskutiert, am Inhalt und Ausdruck gefeilt, fachliche und formale Hinweise eingebracht und mich bei der Literaturbeschaffung unterstützt. Miriam Sprekelmeyer und Dr. Ulrich Sprekelmeyer haben ihre Kompetenzen aus Literaturwissenschaft, Theologie und Coaching beigetragen, mich motiviert, aufgebaut und abgelenkt. Auch Christina Fischer war mit ihren literaturwissenschaftlichen und theologischen Kenntnissen und ihrem Dasein eine Bereicherung für mich. Dem Team und der Leitung des Johannes-Hospizes sowie des AllgäuHospizes danke ich für Anteilnahme und Freiräume. Mit Dr. Andreas Stähli und P. Hubertus Deuerling CO hat mich das oft mühsame Zusammenspiel von wissenschaftlicher Betätigung und Hospizarbeit verbunden. Meine Mutter Mechtild Rünker hat mir immer die Freiheit gelassen, meinen persönlichen und beruflichen Weg zu gehen, und mich mit Liebe, Essen und vielem mehr umsorgt. Ich widme diese Arbeit meinem 2006 verstorbenen Vater Ferdinand Rünker, der ein begeisterter Leser historischer Romane war. Er hat mir Sorgfalt, Geduld und die Liebe zu Büchern vermittelt. Kempten, Ostern 2020

Eva Rünker

I.

Einleitung: Das Vorhaben und die Quellen

1.

Roman, Religion, Rezeption – Ausgangspunkt der Untersuchung

Einer der größten Erfolge der deutschen Nachkriegsliteratur ist ein historischer Roman: Die Vermessung der Welt von Daniel Kehlmann aus dem Jahr 2005. Dieser ab 1828 spielende Roman über Carl Friedrich Gauß und Alexander von Humboldt wurde mittlerweile in 46 Sprachen übersetzt.1 Betritt man eine größere Buchhandlung, fallen sofort mehrere Regale oder Tische mit solchen historischen Romanen auf. Sie sind sogar in Lebensmittelgeschäften erhältlich! Dabei sieht man schnell, dass viele historische Romane nicht im 19. Jahrhundert, sondern im Mittelalter spielen. Die Initialzündung für diese neue Mittelalterbegeisterung und dieses neue Interesse am historischen Roman stellte Der Name der Rose von Umberto Eco dar, 1980 erschienen und über die Vorgänge in einer Abtei im Jahr 1327 handelnd. – Auf Platz 10 der Lieblingsbücher der Deutschen steht laut einer ZDFUmfrage aus dem Jahr 20042 ein Roman, der im Frühmittelalter spielt, in der Epoche, die für diese Arbeit entscheidend ist: Die Päpstin von Donna W. Cross. Dieser Roman ist nicht nur, wie die beiden erstgenannten, verfilmt worden, sondern es sind inzwischen eine illustrierte Sonderausgabe, ein Hörbuch, ein Theaterstück, ein Musical und ein Ballett entstanden.3 Die erfolgreichste Serie historischer Kriminalromane auf dem deutschen Markt ist ebenfalls im Früh1 Vgl. z. B. I. U. Paul, Geschichte und Literatur – Organon der Selbsterkenntnis. Über Daniel Kehlmanns Roman Die Vermessung der Welt (2005), in: I. U. Paul/R. Faber (Hg.), Der historische Roman zwischen Kunst, Ideologie und Wissenschaft, Würzburg 2013, 159–178. 2 Vgl. http://www.zdf-jahrbuch.de/2004/programmarbeit/arens.htm, eingesehen am 4. 3. 2017. Der Name der Rose findet sich auf Platz 18. 3 Vgl. z. B. http://www.medienprofile.de/articles/article/die_paepstin_der_film, eingesehen am 13. 5. 2011; http://www.paepstin-hameln.de, eingesehen am 7. 8. 2012. – Mit Bezugnahme auf Die Päpstin wird auch für zwei Romane über Marozia, Die heimliche Päpstin sowie Die Herrin der Päpste, geworben.

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Einleitung: Das Vorhaben und die Quellen

mittelalter angesiedelt: die Schwester Fidelma-Reihe von Peter Tremayne.4 Des Weiteren gehört – nach Auskunft eines Buchhändlers bei Poertgen Herder in Münster im Sommer 2009 – eine mehrbändige Reihe von Bernard Cornwell, im Frühmittelalter in England spielend, zu den Bestsellern. Neben aktuellen Bestsellern wie Die Kathedrale des Meeres von Ildefonso Falcones gingen nach Aussage des Buchhändlers auch illustrierte Ausgaben wie der in Köln angesiedelte Krimi Tod und Teufel von Frank Schätzing gut. »Klassiker« wie Die Säulen der Erde von Ken Follett, im 12. Jahrhundert in England spielend, verkauften sich immer noch relativ gut, auch dank des Nachfolgers Die Tore der Welt.5 Der Name der Rose werde nicht mehr so häufig gekauft – besitzen diesen Roman vielleicht schon alle Käufer oder ist er vielen zu komplex? Was sich gut verkauft, wird schon durch die Cover vieler Romane deutlich: Sie zeigen eine Frauengestalt und tragen Titel wie Die Tochter der Wanderhure. Viele Romane, etwa dieser und weitere Bestseller von Iny Lorentz,6 haben weibliche Hauptfiguren, die gegen Widerstände ankämpfen müssen – als Widersacher treten zum 4 In den Jahren 2000 bis 2010 verkaufte der Aufbau-Verlag von den bis dahin 18 in deutscher Übersetzung erschienenen Bänden mehr als 700000 Exemplare. Vgl. P. Tremayne, Schwester Fidelma und das frühchristliche Irland, in: Miroque. Lebendige Geschichte 4 (I/2011) 10–13, 10. – Zur Schwester Fidelma-Reihe vgl. http://www.sisterfidelma.com, eingesehen am 17. 9. 2012. 5 Die Säulen der Erde steht in der ZDF-Umfrage auf Platz 3 und dreht sich, wie Die Kathedrale des Meeres, um den Bau einer Kathedrale. Laut D. Fulda, Zeitreisen. Verbreiterungen der Gegenwart im populären Geschichtsroman, in: S. Horstkotte/L. Hermann (Hg.), Poetiken der Gegenwart. Deutschsprachige Romane nach 2000 (Spectrum Literaturwissenschaft 37), Berlin/ Boston 2013, 189–211, 196, hat Folletts Roman die Hochkonjunktur populärer Mittelalterromane zu Beginn der 1990er Jahre initiiert. Vgl. auch C. Knust, Historische Realität und Fiktion in Ken Folletts Romanen Die Säulen der Erde und Die Tore der Welt, in: M. Herweg/S. KepplerTasaki (Hg.), Rezeptionskulturen. 500 Jahre literarischer Mittelalterrezeption zwischen Kanon und Populärkultur (Trends in Medieval Philology 27), Berlin/Boston 2012, 308–327, und J. Dannbauer, Brutale Mittelalterinszenierung als Bestsellergarantie in Ken Folletts Roman »Die Säulen der Erde«, in: C. Rohr (Hg.), Alles heldenhaft, grausam und schmutzig? Mittelalterrezeption in der Populärkultur (Austria: Forschung und Wissenschaft, Geschichte 7), Zürich/ Münster 2011, 61–71. – Im Winter 2010 und 2012 zeigte Sat.1 die jeweils vierteiligen Verfilmungen von Die Säulen der Erde, vgl. http://www.sat1.de/die-saeulen-der-erde, eingesehen am 13. 5. 2011, und Die Tore der Welt, vgl. http://www.sat1.de/tv/die-tore-der-welt, eingesehen am 16.11.12. 6 Vgl. C. Rauen, Spektakuläre Geschichtsverbesserung. Iny Lorentz, Die Wanderhure (2004), in: H.-E. Friedrich (Hg.), Der historische Roman. Erkundung einer populären Gattung (Beiträge zur Literatur und Literaturwissenschaft des 20. und 21. Jahrhunderts 23), Frankfurt am Main 2013, 229–243. – Die Verfilmung von Die Wanderhure (in Konstanz im Jahr 1414 beginnend) bei Sat.1 war mit 10 Millionen Zuschauern das erfolgreichste TV-Movie 2010, vgl. http://www. sat1.de/filme_serien/die-wanderhure, eingesehen am 13. 5. 2011. 2012 wurden Die Rache der Wanderhure, basierend auf Motiven des Romans Die Kastellanin, vgl. http://www.sat1.de/ film/die-rache-der-wanderhure, eingesehen am 1. 3. 2012, sowie Das Vermächtnis der Wanderhure, vgl. http://www.sat1.de/film/das-vermaechtnis-der-wanderhure, eingesehen am 16. 11. 2012, gezeigt. – Ein Roman des Ehepaars spielt auch im »anbrechenden Mittelalter«: Die Rose von Asturien (erschienen 2009).

Roman, Religion, Rezeption – Ausgangspunkt der Untersuchung

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Teil Priester oder Mönche auf –, aber letztlich ihren Weg gehen. Der unterhaltende Charakter vieler historischer Romane war schon immer ein Grund dafür, dass Leser zu diesen Werken gegriffen haben. Aktuell zeigt sich, dass populäre historische Romane, die den Unterhaltungsaspekt betonen, besonders großen Anklang finden. Die genannten Romane sind Teil der Mittelalterrezeption in der Populärkultur. Aus mehreren Perspektiven zeigt sich heute ein Interesse am Mittelalter: Einerseits gibt es ein wissenschaftliches Interesse, etwa an mittelalterlichen Erfindungen, die noch heute Bedeutung haben, oder auch an Lebensformen und Werten, unter der Fragestellung, was wir dem Mittelalter verdanken. Hier geht es um die Wirkung des Mittelalters in der bzw. bis in die Gegenwart: Wir leben in einem nach-aufgeklärten Zeitalter der Rationalität, zum Teil finden sich aber immer noch Erklärungsversuche und Deutungsmuster aus dem mittelalterlichen, vor-aufgeklärten Denken. Andererseits ist ein populärwissenschaftliches bzw. -kulturelles Interesse zu beobachten: Menschen gehen von der Gegenwart aus zurück ins Mittelalter, indem sie z. B. Mittelaltermärkte oder Ritterfeste besuchen. In Bahnhofsbuchhandlungen fallen verschiedene Zeitschriften für »Mittelalterbegeisterte« ins Auge. Die Handlung diverser Filme und Computerspiele ist im Mittelalter angesiedelt. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Phänomenen hat erst begonnen. Oft werden sie von wissenschaftlicher Seite mit Scheu betrachtet, manchmal gar belächelt. Für viele Menschen nehmen solche Beschäftigungen aber einen großen Teil ihrer Freizeit ein, und häufig dürfte das ihre einzige Berührung mit dem, was sie für Geschichte halten, sein. Die vorliegende Arbeit antwortet auf diese Aktualität des Mittelalters in der Gegenwart. Im (Früh-)Mittelalter spielende Romane enthalten stets – mehr oder weniger ausgeprägt – religiöse Themen und Aspekte. Ein Mittelalter ohne Religion ist nicht denkbar. Die Leser eines Romans, in dessen Mittelpunkt Karl der Große († 814) oder seine Familie steht, lernen nicht nur etwas über die Feldzüge gegen die Sachsen, sondern auch über deren Missionierung. In Romanen über Alfred den Großen († 899) geht es in erster Linie um die Verteidigung der englischen Königreiche gegen die Normannen, aber zugleich um Alfreds Selbstverständnis als »König und Priester«. Immer wieder sind Mönche, die in Kriminalfällen ermitteln oder große Reisen unternehmen, die Hauptpersonen von Romanen, wobei der Leser auch etwas über den Alltag im Kloster und das Scheitern von Lebenswegen erfährt. Selbst wenn religiöses Leben nicht im Zentrum eines Romans steht, bevölkern doch immer wieder Heilige und ihre Reliquien die Szenerie.7 Menschen, die kaum (mehr) einen Bezug zu Kirche und Christentum 7 Vgl. den jüngst erschienenen Roman Die Eispiraten: Wikinger sollen im Auftrag des Dogen von Vendig die Gebeine des heiligen Markus aus Alexandria herausschmuggeln.

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Einleitung: Das Vorhaben und die Quellen

haben, tauchen lesend ein in die religiöse Welt des frühen Mittelalters, ob sie diese Konfrontation nun bewusst suchen oder nicht. Die (religiösen) Erfahrungen der Leser prägen ihren Leseeindruck, und etwas von dem, was sie lesen, wird hängenbleiben, das vermeintliche Wissen über das Frühmittelalter bereichern oder ihr Bild des (mittelalterlichen) Christentums prägen. Indem Menschen (historische Romane) lesen, setzen sie sich – vermittelt über die Lebensgeschichten fiktiver Figuren – auch mit der Gestaltung ihres eigenen Lebens auseinander. Die Suche nach Antworten auf existentielle Fragen wie die Veränderungen des menschlichen Körpers, das Zugehen auf den Tod oder die Brüchigkeit sozialer Beziehungen, mag die Leser zu solchen Romanen greifen lassen.8 Vielleicht fragen nicht nur die Moraltheologie und die Pastoralpsychologie nach der Gestaltung christlichen Lebens, sondern auch historische Romane, die mit kritischem oder suchendem Blick das Leben von Menschen schildern, die im frühen Mittelalter Christen waren bzw. wurden. Die Art und Weise, wie Autoren historischer Romane das Gelingen oder Scheitern christlichen Lebens beschreiben, erlaubt möglicherweise Rückschlüsse darauf, wie das Christentum heute wahrgenommen und gelebt wird. Diese schlaglichtartig benannten Perspektiven – historische Romane über das Mittelalter, das gegenwärtige Interesse am Mittelalter, die Rolle der Religion, die Fragen der Gegenwart – verbindet die vorliegende Arbeit, die sich mit der Darstellung und Thematisierung christlichen Lebens in Romanen über das Frühmittelalter beschäftigt.

2.

Fragestellung und Methodik

Die vorliegende Studie untersucht 43 historische Romane, die im Frühmittelalter, genauer gesagt zwischen dem Beginn des achten und dem Beginn des zehnten Jahrhunderts, spielen, daraufhin, wie in diesen Werken christliches Leben beschrieben wird. Wie werden christliche Ideale und Lebensformen in den Romanen dargestellt und bewertet? Welche Funktion hat Religion im Roman? Im Mittelpunkt steht die Frage nach dem (Geschichts-)Bild, das die Romane von Christentum und Kirche im frühen Mittelalter vermitteln. Wofür ist das mittelalterliche Christentum Projektionsfläche? Sagen die Romane womöglich auch etwas über das Christentum heute aus? 8 M. Riesebrodt, Cultus und Heilsversprechen. Eine Theorie der Religionen, München 2007, 139, sieht die natürliche Umwelt des Menschen, den menschlichen Körper sowie zwischenmenschliche Beziehungen als Dimensionen von Heil und Unheil. Übermenschlichen Mächten wird ein Einfluss auf solche Dimensionen des Lebens zugeschrieben, die sich direkter menschlicher Kontrolle entziehen. Religiöse Praktiken erbitten bei diesen Mächten die Abwehr von Unheil und die Gewährung von Heil.

Fragestellung und Methodik

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Da es für diese Arbeit keine direkten Vorbilder gab, musste ein eigenes methodisches Vorgehen entwickelt werden. Grundsätzlich steht die inhaltliche Untersuchung von Texten im Mittelpunkt; auch in der Literaturwissenschaft gibt es Entwicklungen hin zu einer solchen Text-Fokussierung. In die Frage, welches Bild des Mittelalters dargestellt, konstruiert und vermittelt wird, spielen natürlich Überlegungen zu Autoren und Lesern mit hinein. Immer wieder wird im Verlauf der Arbeit auf Methoden der Sozialwissenschaften und auf kulturgeschichtliche Interpretamente zurückgegriffen, um einen interdisziplinären und Epochen übergreifenden Blickwinkel einzunehmen. In diesem Kapitel (I), der Einleitung, erfolgt zunächst eine Kurzvorstellung sämtlicher näher untersuchten historischen Romane anhand von Grunddaten, Autoren, Inhalten und christlichen Schwerpunktthemen. Im folgenden Kapitel (II) werden diese Quellen charakterisiert und – anhand der Fragen nach historischen Romanen, Mittelalterbildern sowie religiösen Aspekten in der Literatur – im Spannungsfeld von Literatur-, Geschichtswissenschaft und Theologie verortet. Anschließend wird das grundsätzliche Vorkommen von Ausdrucksformen christlichen Lebens in den Romanen tabellarisch anhand verschiedener Kategorien (Personengruppen wie Priester und Bischöfe, Lebensformen9 wie Ehe und Ehelosigkeit, Lebensäußerungen wie Liturgie und Caritas usw.) quantifiziert (III). Diese Übersicht zum Themenspektrum der Romane zeigt Tendenzen an, welche die Richtung für das weitere Vorgehen weisen. Den größten Teil der Arbeit machen dann die Einzeluntersuchung von Themen und Motiven in den Romanen sowie der Vergleich mit den entsprechenden Ergebnissen der Frühmittelalter-Forschung aus. Im Zentrum werden dabei der Zugang zu einem christlichen Leben – das Thema Missionierung (IV) – sowie die Entfaltungen christlichen Lebens – die Themen Mönchtum (V) und Ehe (VI) – stehen. Jedes dieser Themen wird zuerst auf der Romanebene in einem Dreischritt analysiert: Zunächst wird nach dem dargestellten Zugang und der Motivation zu einer bestimmten Lebensform gefragt, dann nach der inhaltlichen Füllung und konkreten Ausgestaltung dieses Lebens, schließlich nach der Beständigkeit oder Brüchigkeit der jeweiligen Lebensweise. Zu den einzelnen Aspekten werden Grundtendenzen und Systematiken aufgezeigt, die sich durch alle Romane ziehen, und mit Beispielen oder Zitaten belegt.10 Auffällige Ausnahmen oder Besonderheiten werden ebenfalls berücksichtigt. Der Blick auf eingenommene Perspektiven, verwendete Begrifflichkeiten, die Gut-Böse-Verteilung der Figuren 9 Zum Thema der mittelalterlichen Lebensformen vgl. A. Borst, Lebensformen im Mittelalter, Neuausgabe Berlin 42004. Laut Borst lässt sich das Mittelalter als »Zeitalter verwirklichter und wirksamer Lebensformen« kennzeichnen (21). 10 Romantitel sind immer kursiv gesetzt, Seitenangaben finden sich im laufenden Text.

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Einleitung: Das Vorhaben und die Quellen

oder das Ende der Romane hilft, Wertungen und Schwerpunktsetzungen zu erkennen. – Zu den einzelnen Themen erfolgt dann jeweils ein Forschungsüberblick anhand wichtiger und aktueller Sekundärliteratur aus den Bereichen der historischen Theologie und der Mediävistik.11 Der Gang der Forschung wird ebenso aufgezeigt wie entscheidende Charakteristika der Missionierung, des Mönchtums und der Ehe im frühen Mittelalter. – Am Schluss steht immer eine Synthese, der Romanbefund wird im Licht der wissenschaftlichen Perspektiven betrachtet. Dabei ist eine kleinteilige Suche nach historischen Fehlern zu vermeiden. Es geht nicht um richtig und falsch oder um Vergleiche im Detail, sondern darum, die großen Linien aufzuzeigen und zu untersuchen, was die Romanautoren akzentuieren oder weglassen. Vor allem anhand der Diskrepanzen und »Überbleibsel« bieten sich Möglichkeiten, in den Romanen enthaltene Aussagen über heutige religiöse Wirklichkeit und deren Deutung zu entdecken. Vielleicht geben die Romane ja weniger Einblick ins frühe Mittelalter als in die eigene Gegenwart der Autoren und Leser. Wie deutlich Gegenwartsbezüge in einigen Romanen hervortreten, zeigt z. B. Der sechste Tag aus dem Jahr 2006: Eine vorangestellte Bemerkung des Autors Edgar Noske besagt, dass es sich bei dem Buch um einen Roman handelt, dessen Handlung frei erfunden, aber zugleich im historischen Umfeld eingebettet ist. Bezüge zu Ereignissen des aktuellen Zeitgeschehens und Anspielungen darauf seien gewollt und unverzichtbar, selbst wenn sie zu Lasten einzelner historischer Genauigkeiten gingen.12

Im letzten Kapitel (VII), der Zusammenführung, werden die Romananalysen auf das Spannungsfeld von Literatur-, Geschichtswissenschaft und Theologie bezogen, und die Ergebnisse der Synthesen zusammengefasst. Eine religionssoziologische Vergewisserung, die Signaturen der Gegenwart aufzeigt, verhilft dazu, 11 Nach einer ersten ausführlichen Angabe der Sekundärliteratur werden Kurztitel aufgeführt (Nachname des Autors und erstes Substantiv des Titels, soweit für die Eindeutigkeit nicht anderes erforderlich ist). 12 Folgt man dieser Spur, lässt die Geheimhaltung des päpstlichen Gesundheitszustandes an das lange Schweigen zur Parkinson-Erkrankung von Johannes Paul II. denken. In der Aussage, der maßgebliche Einfluss des Papstes sei moralischer Natur, klingt die heutige Diskussion über die Rolle des Papstes als moralische Instanz für die Welt an. Die Weise, wie Thomas Ravennus sich nach seinem Zusammenbruch verständlich macht, evoziert Bilder aus dem Buch Schmetterling und Taucherglocke. Das Thema des Wechsels der Geschlechterrolle, darunter Tariqs Überzeugung, Johanna habe sich zeitweise selbst für einen Mann gehalten, weisen in Richtung heutiger Überlegungen zu »sex and gender«/»transgender«. Dass um Johanna Trauernde Kreuze und Blumensträuße ablegen, erinnert an die Blumen, Bilder und Briefe, die nach dem Tod von Lady Diana zu deren Wohnsitz gebracht wurden. Die für den Roman zentrale Auseinandersetzung zwischen Christentum und Islam lässt an die heutige Diskussion über einen möglichen »Clash of Civilizations« denken. Tariqs Plan, das Christentum in seinem Zentrum zu treffen, könnte dann eine Anspielung auf den 11. September 2001 und den Angriff auf das World Trade Center als Symbol der westlichen Welt sein. – Zum konkreten Inhalt des Romans vgl. die Kurzvorstellung am Ende dieses Kapitels.

Gegenstand der Untersuchung

21

die Präsenz der Gegenwart in der Geschichte als Spezifikum der populären Frühmittelalter-Romane herauszuarbeiten. Auch die Frühmittelalter-Forschung ist durch die Gegenwart bestimmt. Mögliche Gegenwartsbezüge sind natürlich sehr vorsichtig zu formulieren. Die Religion bzw. religiöse Situation in der Gegenwart gibt es nicht, aber vielleicht Tendenzen im derzeitigen kirchlichen, religiösen oder spirituellen Suchen und (Er-)Leben in Deutschland, Westeuropa und Nordamerika, die sich womöglich in irgendeiner Weise in den Romanen niederschlagen. Untersucht man Gegenwarts- oder Fantasyromane bzw. -filme, ist eine Gegenwartsdiagnose in Bezug auf die Rolle, Sicht und Wertung der Religion relativ leicht möglich. Im historischen Roman oder Film hingegen sind vermeintliche Aussagen zur religiösen Gegenwartssituation gebrochen über die Schilderung der Vergangenheit. Deshalb ist das genannte zweischrittige Vorgehen aus Textuntersuchung der Romane und Vergleich mit den Ergebnissen der historischen Wissenschaft erforderlich. Durch die Untersuchung von Themen anhand einer breiten Quellengrundlage lassen sich gewisse Tendenzen und sich fortsetzende Auffälligkeiten in den Romanen aufzeigen.

Die grundlegende hermeneutische Perspektive in dieser Arbeit ist die einer Theologin und Christin, aus einer Gegend stammend, die im Frühmittelalter Sachsen hieß – heute in einer Gegend lebend und in einem Beruf tätig, die eine große Affinität zum holistischen Milieu aufweisen. Während das Christentum im Frühmittelalter in die Fläche, z. B. ins ländliche Sachsen, ging, geht es heute heraus aus der Fläche. Aus einer heutigen Perspektive des endenden oder sich neu formierenden christlichen bzw. religiösen Lebens gilt das Interesse der literarischen Darstellung der Anfänge des Christentums in unseren Breiten. Selbst in anderen Gegenden des karolingischen Reiches oder in England und Irland, wo es schon länger christliches Leben gab, musste sich dieses im Frühmittelalter erst festigen, und es ging Verbindungen mit »heidnischen« Elementen ein. Eine Hochreligion traf auf Einfachkulturen und deren spezifische Logiken.13 Durch die Konfrontation mit den Heiden mussten die Christen sich und ihren Glauben erklären. Heute ergeht es in Europa vielen Christen ähnlich.

3.

Gegenstand der Untersuchung

Das Quellenmaterial dieser Arbeit stellen Romane aus einem Zeitraum von ca. 15 Jahren dar, die im Frühmittelalter, konkret zwischen dem Beginn des achten und dem Beginn des zehnten Jahrhunderts n. Chr., spielen und auf Deutsch oder in deutscher Übersetzung erschienen sind. Es handelt sich insgesamt um 43 Romane von 22 Autoren.14 Viele Romane sind unabhängige Ein13 Näheres hierzu in Kapitel IV zur Missionierung. 14 Vgl. die folgenden Kurzvorstellungen.

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Einleitung: Das Vorhaben und die Quellen

zelwerke; Titus Müller hat zwei völlig unterschiedliche Romane geschrieben; Thomas R. P. Mielke oder Martina Kempff erzählen die Geschichte verschiedener Angehöriger einer Familie, zum Teil verknüpft, zum Teil mit großem zeitlichen Abstand zwischen der Handlung der einzelnen Romane. Schließlich gibt es mehrere Reihen (z. B. von Marc Paillet, Catharina Sundberg oder Bernard Cornwell), die sich um die gleiche(n) Hauptperson(en) drehen, aber einzeln gelesen werden können. Es ist im Blick auf die Rezeption (populärer) historischer Romane kaum ein Zufall, dass bereits eine Reihe von Internetseiten15 zu diesem Literaturgenre existiert. Diese dienten bei der Erstellung einer Liste von im Mittelalter spielenden Romanen im Sommer 2009 als erste Orientierung. Eigene Recherchen kamen hinzu. Selbst wenn trotz intensiver Recherche möglicherweise einzelne Romane dem Blick entgangen sein sollten, wird darunter das entstandene Gesamtbild nicht leiden. Vor 1995 scheinen deutlich weniger historische Romane zum Frühmittelalter erschienen zu sein; solche sind nirgendwo erwähnt oder nicht mehr erhältlich. Nach 2009 wurde der Buchmarkt weiter verfolgt, die später erschienenen Romane wurden in Grundtendenzen in die Untersuchung einbezogen. Was den Inhalt und den Religionsbezug der Romane angeht, werden nur Romane für Erwachsene mit einer klaren zeitlichen Verortung im historischen Kontext des Frühmittelalters einbezogen. Romane, die zum Genre Fantasy gehören, die stark von Mythen oder Sagen geprägt sind, oder in denen die Protagonisten eine Zeitreise unternehmen, sind nicht Teil der Untersuchung. Da diese Arbeit nach Aspekten christlichen Lebens fragt, finden jene Romane keine Berücksichtigung, die sich vor allem auf den Islam konzentrieren. Hinsichtlich des Zeitbezugs ist vorauszuschicken, dass die zeitliche Abgrenzung des Frühmittelalters durchaus umstritten ist. Diese Arbeit folgt grundsätzlich der Einteilung des Kirchenhistorikers Arnold Angenendt, der den Zeitraum von ca. 400 bis 900 n. Chr. untersucht.16 Als grobe Gliederung lässt sich sagen, dass nach einer Achsenzeit 1000 Jahre Mittelalter folgen; darin sind drei 15 Auf von Lesern oder Redakteuren gestalteten Seiten, die häufig Rezensionen und Kurzbeschreibungen der Romane und Porträts der Autoren enthalten, finden sich Einteilungen der Romane nach Autoren, Leserbewertungen, behandelten Themen, bevorzugten Orten oder Kulturräumen, Epochen oder Jahrhunderten, in denen die Handlung spielt. Vgl. http://www. historische-romane.de, Stand 2009, sehr professionell aufbereitete Seite, große Bandbreite von Epochen und Romanen, später unter www.droemer-knaur.de/historische-romane zu erreichen und leider verändert, verzeichnet nur noch Romane aus dem eigenen Verlag; http:// www.histo-couch.de, sehr aktuelle Seite, viele Hintergrundinformationen, Rezensionen, Autoreninterviews; http://www.geschichte-im-roman.de, sehr einfache, private Seite eines Lesers, Sortierung nach Ländern und Jahrhunderten. 16 Vgl. A. Angenendt, Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400–900, Stuttgart 32001.

Gegenstand der Untersuchung

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wichtige Entwicklungsstufen enthalten: die Zeit um das Jahr 800 (Zeit Karls des Großen), das 12. Jahrhundert, und das 15. Jahrhundert. Das Hochmittelalter ist für die Handlung eines Romans eine sehr beliebte Zeit: Von Anfang der 1990er Jahre bis 2009 waren nach eigener Internetrecherche über 100 Romane erschienen, die zwischen 900 und 1250 n. Chr. spielen. Für das Spätmittelalter (ca. 1250 bis 1500 n. Chr.) sind die Zahlen vergleichbar. – In Bezug auf die darauf folgende Zeit explodiert die Produktion von Romanen sogar regelrecht: allein im 16. Jahrhundert spielen etwa 150 Romane. – Die Zahl der im Frühmittelalter spielenden Romane ist, trotz der Länge der Epoche, dagegen vergleichsweise überschaubar, sie liegt bei ca. 70 Romanen. Während jedes Jahr mehrere Dutzend neue, im Hoch- oder Spätmittelalter angesiedelte Romane erscheinen, sind es für das Frühmittelalter nur eine Handvoll. Dadurch lassen sich gut Vergleiche ziehen, sowohl zwischen den einzelnen Romanen, in denen oft die gleichen Motive, historischen Personen und Ereignisse vorkommen, als auch zu den Ergebnissen kirchengeschichtlicher und mediävistischer Forschung. Bei einer Entscheidung für die Bestseller des Mittelalterromans hätte es nur Schlaglichter auf einzelne, zum Teil sehr disparate Themen, Epochen und Ereignisse geben können. Zudem sind die Besteller schwer zu ermitteln, weil viele Verlage die Verkaufszahlen und Auflagenhöhen ihrer Bücher nicht veröffentlichen oder auf Nachfrage mitteilen. Um ein Bild von der Breite der Rezeption einzelner Werke zu erlangen, wurden alle Verlage angeschrieben, in denen die zu bearbeitenden Bücher erschienen sind. In den wenigen Fällen, in denen nähere Auskünfte zu bekommen waren, sind diese in der Kurzvorstellung der einzelnen Romane enthalten. Die erste »Renaissance« um das Jahr 800 mit der Wiederentdeckung der Schriftlichkeit bietet eine gute Möglichkeit für eine nähere Eingrenzung der Epoche, in der die Romane spielen. Die Zeit Karls des Großen bildet das Kernstück, aber es gibt auch einen Blick darüber hinaus auf die gesamte Zeit karolingischer Herrschaft: Der erste untersuchte Roman, Karl Martell, spielt ab 714, und ist eine 718 Seiten starke Romanbiographie über den »ersten Karolinger« († 741). Der letzte untersuchte Roman, Die Herren von Buchhorn, ein 323-seitiger historischer Kriminalroman, spielt um 919 und handelt von einer Inkluse bzw. Gräfin, der Nichte des ostfränkischen Königs Heinrichs I.; ihr Vertrauter, ein Fürstbischof und Abt, war Kanzler von König Ludwig dem Kind, dem letzten Karolinger († 911). Während vor allem zwei Autoren, Robert Gordian (Reihen über Langobarden und Merowinger) und Peter Tremayne (Reihe über Schwester Fidelma), über die Zeit zwischen 500 und 700 n. Chr. schreiben, ist das Bild für die Jahre von etwa 700 bis 900 n. Chr. als Handlungszeitraum eines Romans deutlich breiter und vielschichtiger. Eine Eingrenzung auf bestimmte Orte oder Gegenden, an denen die Romane spielen, bot sich nicht an, weil in vielen Romanen zahlreiche Orte vorkommen

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Einleitung: Das Vorhaben und die Quellen

und die Protagonisten weite Reisen unternehmen. Nur eine bestimmte Lebensform zu betrachten wäre zu einseitig gewesen und birgt außerdem die Gefahr eines Zirkelschlusses. Durch die Entscheidung für eine Epoche kommen nun verschiedenste Orte (hauptsächlich in Westeuropa) und Lebensräume vor, an und in denen die Romane spielen, dadurch wird das Bild facettenreich. Deshalb werden auch sowohl auf dem Kontinent als auch auf den Inseln England und Irland spielende Romane berücksichtigt. Der im Mittelalter spielende historische Roman ist nicht allein ein deutsches Phänomen. Auf Deutsch oder in deutscher Übersetzung erschienene Romane auszuwählen, konzentriert die Arbeit aber auf einen einheitlichen, sprachlich geschlossenen Rezeptionsraum, über den sich ein guter Überblick erlangen ließ.

4.

Kurzvorstellung der Romane: Autoren, Inhalte, christliche Schwerpunktthemen

In der folgenden Übersicht sind sämtliche näher untersuchte Romane aufgeführt. Mehrere Romane eines Autors in einer Reihe werden gemeinsam behandelt. Zu jedem Roman erfolgen bibliographische Angaben zu Autor, Titel, Untertitel, Verlag, Erscheinungsort, Erscheinungsjahr, Seitenzahl, eventueller Originalausgabe und weiteren Ausgaben, und, soweit bekannt, Auflagenhöhe (Informationen der Verlage vom Herbst 2009). Paratexte in den Romanen wie Karten, Sachregister oder ein Nachwort des Autors zur Historizität werden erwähnt.17 Nach kurzen Hinweisen zum Autor und, soweit gegeben, dessen Äußerungen zum Umgang mit Fakten und Fiktionen erfolgt eine Skizze des Inhalts. Sie benennt neben dem Setting (Ort und Zeit) die Hauptcharaktere und die Handlung. Schließlich werden Schwerpunkte der christentumsgeschichtlichen Bezugnahmen dargestellt. Insgesamt decken die Romane ein breites Themenspektrum ab, wobei Schwerpunkte und Tendenzen erkennbar sind. Die Einteilung und Vorstellung der Romane erfolgt unter konkret-ereignisgeschichtlichen Gesichtspunkten. Sie wäre grundsätzlich auch anders bzw. unter anderen Gesichtspunkten möglich. Dies ist ein Versuch, eine Übersicht zu geben. Es lassen sich Themen und Überschriften finden, die jeweils mehrere Romane hinsichtlich des leitenden Aspekts ihrer Handlung miteinander verbinden. Unter einer Überschrift sind die einzelnen Romane oder Reihen dann in einer chronologischen Reihenfolge (entsprechend der Zeit, in der sie spielen) aufgeführt. Einzelne Romane lassen sich mehrfach zuordnen. Sie sind unter allen Überschriften erwähnt, zu denen sie 17 Die angegebenen Seitenzahlen und Paratexte beziehen sich jeweils auf die herangezogene Ausgabe, die auch im Literaturverzeichnis aufgeführt ist.

Kurzvorstellung der Romane: Autoren, Inhalte, christliche Schwerpunktthemen

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passen, aber nur an jeweils der Stelle ausführlich vorgestellt, deren Thema im Roman überwiegt. Zu Beginn stehen Romane über die Karolinger und ihre Frauen, dann geht es um die Ermittlungen der Missi Dominici, anschließend um ein Komplott gegen Karl den Großen im Roman. Die folgenden Romane thematisieren die Bedrohung verschiedener Völker durch die Franken, danach werden Mönche auf abenteuerlicher Reise begleitet, als nächstes stehen die Normannen im Mittelpunkt von Romanen. Des Weiteren geht es um eine Frau auf dem Papstthron, um Frauen im Kampf um Selbstbestimmung, sowie schließlich um die Macht der Bildung als Themen von Romanen.

4.1

Die Karolinger – und ihre Frauen

T. R. P. Mielke, Karl Martell. Der erste Karolinger. Roman, Original Schneekluth Verlag: München 1999; Lizenzausgabe Bastei Lübbe Taschenbuch: Bergisch Gladbach 2002, 718 S., Karl Martell. Retter des Abendlandes, Hardcover Weltbild Buchverlag: Augsburg 2004, überarbeitete und ergänzte Ausgabe Karl Martell. Roman eines »Königs«, Emons Verlag: Köln 2011. Mit Nachwort; Erläuterungen: Themen und Begriffe; Glossar zu Personen; zu Völkern, Stämmen und Familien; Stammtafel zu Familienbanden: Arnulfinger, Pippiniden, Karolinger, Irminen, Agilolfinger, Alamannen; Quellenauswahl.

T. R. P. Mielke, Karl der Große. Der Roman seines Lebens, Schneekluth Verlag: München 1992, 742 S., Hardcover Bertelsmann Club: Rheda-Wiedenbrück 1993, Rowohlt Taschenbuch Verlag: Reinbek bei Hamburg 1994 und 1996, Hardcover Weltbild Buchverlag: Augsburg 1993 und 2003, überarbeitete und ergänzte Ausgabe Emons Verlag: Köln 2013. Mit einer Art Vorwort; zwei Karten: wichtige Länder und Völker, wichtige Orte, Klöster und Königspfalzen; Nachwort, Glossar zu Völkern, Orten und Personen; zwei Stammtafeln: Vorfahren Karls, Geschwister und Nachkommen Karls; Literaturliste.

Autor: Der 1940 in Detmold geborene Thomas R. P. Mielke hat lange in Deutschland und Italien in der Werbebranche gearbeitet und schreibt neben Krimis und Science Fiction-Romanen auch historische Romane.18 Er betont, dass bereits zu Lebzeiten Karls des Großen aus unterschiedlichen Blickwinkeln über ihn erzählt wurde, sein Leben sei auch später immer wieder umgeschrieben und mit unterschiedlichen Absichten gedeutet worden. Mielke findet, dass Karl, über 18 Vgl. http://ego.trpm.de, eingesehen am 9. 7. 2013.

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Einleitung: Das Vorhaben und die Quellen

den es weltweit nur eine Handvoll Romane gebe, nun das Recht haben sollte, auch einmal ein ganz normaler Mensch zu sein (Karl der Große, 7f.). Inhalt: Karl Martell wird im Jahr 714 von seiner Stiefmutter Plektrud im Kapitol in Köln gefangen gehalten. Nach dem Tod des Hausmeiers Pippin von Heristal will Plektrud selbst die Macht behalten bzw. nach dem Tod ihrer eigenen Söhne an ihre Enkel weitergeben. Karl, der Sohn von Pippins zweiter Frau, kann befreit werden und sich bei Abt Willibrord in Echternach erholen, Verbündete sammeln und sich auf seine neue Aufgabe vorbereiten. Auch vom schwarzen Abt Milo wird er unterstützt. Karl kann Köln einnehmen und Plektrud ins Kloster schicken. Später sorgt Karls Sohn dafür, dass Plektruds Nachkommen, die gemeinsam mit anderen Verschwörern versuchen, Karl zu vergiften, ums Leben kommen. Karl kann sich gegen die Neustrier und deren Hausmeier durchsetzen und immer wieder einen Merowingerkönig ausfindig machen, als dessen Hausmeier er regieren kann. Für eine gewisse Zeit regiert er sogar allein. Er erringt Siege gegen die Friesen, die Sachsen, und, besonders bedeutsam, die Sarazenen. Bonifatius und dessen Bindung an Rom steht Karl eher skeptisch gegenüber, mit dem Papst hat er immer wieder Auseinandersetzungen. Karl der Große, der Enkel Karl Martells, erlebt 753 als Junge mit, wie der Papst über die Alpen zu seinem Vater Pippin kommt. Pippin, der der mächtige Mann im Frankenreich ist und den letzten Merowingerkönig ins Kloster schickt, wird gemeinsam mit seinen Söhnen vom Papst gesalbt. Nach Pippins Tod muss sich Karl die Herrschaft mit seinem Bruder Karlmann teilen, dieser geht aber schließlich ins Kloster. Karls Jugendfreundin Himiltrud gebiert ihm einen Sohn, Pippin, der nicht am Hof aufwachsen darf und sich später gegen ihn erhebt. Auch seinen Vetter, den Baiernherzog Tassilo, kann er vertreiben, indem er ihn der Fahnenflucht anklagt. Die von seiner Mutter Bertrada ausgesuchte Langobardenprinzessin verstößt Karl bald. Später kann er die Langobardenkrone erringen. Roland, Karls heimlicher Sohn mit seiner Schwester, stirbt im Kampf in der spanischen Mark. Nach zahlreichen Feldzügen gegen die Sachsen lässt sich schließlich der Sachsenherzog Widukind taufen. Karl sieht sich als Förderer und Verteidiger des Glaubens. Er geht Bündnisse mit den Päpsten ein, die ihn als Unterstützer anrufen und schließlich zum Kaiser krönen. Als Hauptstadt seines Reiches lässt Karl Aachen ausbauen. Eginhard hat er als Baumeister an den Hof geholt, Alkuin und andere Gelehrte unterstützen ihn an der Hofschule bei der geplanten Bildungsreform. Christliches: Diverse Bischöfe und Äbte kommen vor, die Klöster Echternach, Stavlot-Malmedy, Fulda, das Missionskloster Osnabrück und die Reichsabtei Lorsch spielen eine Rolle. Kirchenmänner wie Willibrord und Milo unterstützen den Aufstieg Karl Martells. Der Herrscher spielt eine wichtige Rolle bei der Missionierung durch Iren und Angelsachsen. Viele von ihnen, besonders Bonifatius, sind stark nach Rom orientiert. Erfolge wie die Taufe Widukinds können

Kurzvorstellung der Romane: Autoren, Inhalte, christliche Schwerpunktthemen

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verbucht werden. Die Ehen beider Herrscher sind Thema, auch der Inzest Karls des Großen mit seiner Schwester Adalheid. Das Verhältnis von Papst und König/ Kaiser ist ein dominierendes Thema, die Pippinsche und Konstantinische Schenkung sowie Karl Martells Stellung zu Kirchengut kommen vor. Es geht um theologische Fragen wie den Adoptianismus und die Bilderverehrung, um die Auslegung der Bibel und um die Bildungsreform. Die Feier der Eucharistie und christlicher Feste und der Bau der Pfalzkapelle in Aachen werden beschrieben.

M. Kempff, Die Königsmacherin. Roman über die Mutter Karls des Großen, gebundene Ausgabe Piper Verlag: München 2005; ungekürzte Taschenbuchausgabe 2006, 459 S. Mit Personenverzeichnis, Karte des Fränkischen Reiches beim Herrschaftsantritt Karls des Großen, Nachwort, Glossar, Quellenverzeichnis, Stammbaum von Bertrada.

M. Kempff, Die Beutefrau. Roman um die letzte Liebe Karls des Großen, gebundene Ausgabe Piper Verlag: München 2006, ungekürzte Taschenbuchausgabe 2007, 429 S. Mit Karte: s. o., zusätzlich Eroberungen Karls des Großen; Personenverzeichnis, Nachwort, Glossar, Quellenverzeichnis.

M. Kempff, Die Welfenkaiserin. Historischer Roman, gebundene Ausgabe Piper Verlag: München 2008, ungekürzte Taschenausgabe 2009, 415 S. Mit Verzeichnis der nicht im Stammbaum aufgeführten Personen, Karte: Teilung des Frankenreiches nach dem Vertrag von Verdun, Stammbaum, Glossar, Quellenverzeichnis.

Autorin: Martina Kempff, Jahrgang 1950, arbeitete viele Jahre in Deutschland als Redakteurin und Reporterin, verfasste während eines mehrjährigen Aufenthalts in Griechenland Kurzgeschichten und Reiseberichte, arbeitete dort als Übersetzerin, Sprachlehrerin und Führerin. Sie lebte für einige Jahre als Übersetzerin, Sprecherin und freie Journalistin in Amsterdam. Zurück in Deutschland, hat sie mehrere Krimis und historische Romane veröffentlicht.19 Kempff hält fest, dass sich Romanautoren mehr erlauben können als Historiker. So zieht sie Schlussfolgerungen, bindet einige Legenden in die Romanhandlungen ein und entscheidet sich bei historischen Streitfragen für eine, ihr plausibel erscheinende Variante. Sie habe sich einige Freiheiten herausgenommen, der Leser solle sich aber auf ihre historische Genauigkeit verlassen können (Die Königsmacherin, 443–447; Die Beutefrau, 415–417). 19 Vgl. http://www.martinakempff.de, eingesehen am 9. 7. 2013.

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Einleitung: Das Vorhaben und die Quellen

Inhalt: Die junge Grafentochter Bertrada von Laon soll im Jahr 741 Pippin, den Sohn Karl Martells, heiraten, doch die Tochter ihrer Amme nimmt ihre Identität an. Bertrada flieht, unterstützt vom entlaufenen Sklaven Teles, unerkannt zu ihrer Großmutter Berta, der Stifterin des Klosters Prüm. Dort arbeitet sie im Genitium, lernt Bonifatius und Pippins Bruder Karlmann kennen. Eine Heirat mit Karlmann lehnt sie ab, da Pippin sie unerkannt geschwängert hatte. Als Pippin nach Prüm kommt, klärt Bertada alle über ihre Identität auf. Die Tochter ihrer Amme und deren Komplizen werden beseitigt, Bertrada nimmt nach der Geburt Karls, dem später weitere Kinder folgen, heimlich ihre Stelle ein. An Pippins Seite wird Bertrada zur Königin gesalbt. Mit Fulrad von Saint Denis ersinnt sie die Konstantinische Schenkung. Dieser lässt Bertrada glauben, Pippin wolle sich von ihr scheiden lassen und die Tochter des Langobardenkönigs heiraten, woraufhin Bertrada Pippin vergiftet. Nach einer Entfremdung von ihrem einstigen Lieblingssohn Karlmann berät Bertrada ihren Sohn Karl. Sie verheiratet ihn trotz seiner (Friedel-)Ehe mit Himiltrud mit der Tochter des Langobardenkönigs. Nach Karlmanns Tod verstößt Karl seine Frau und stellt sich gegen seine Mutter. Er heiratet Hildegard, die Freundin seiner Schwester Gisela. Bertrada zieht sich mit Teles nach Prüm zurück. Gerswind, die Tochter Widukinds, wächst ab 785 als Geisel am Hof Karls des Großen auf. Teles soll im Auftrag ihres Vaters dafür sorgen, dass sie ihre Herkunft in Erinnerung behält. Gerswind deckt ein von Pippin dem Buckligen und anderen Verschwörern geplantes Attentat auf Karl auf. Da ihre Rolle aber nicht allgemein bekannt ist und sie als Sächsin für gefährlich gehalten wird, flieht sie nach Prüm, wo sie unter falschem Namen im Genitium arbeitet und sich mit Pippin anfreundet, der ihr unterwegs geholfen hat. Karls Ehefrau Fastrada holt Gerswind als Näherin zurück an den Hof, ihre Identität wird aufgedeckt. Nach Fastradas Tod heiratet Karl Luitgard, er geht allerdings auch zu verschiedenen Konkubinen. Gerswind war immer in Karls Sohn »Carolino« verliebt, wird aber von dessen Bruder Ludwig dem Frommen vergewaltigt. Als Carolino sie schließlich heiraten will, lehnt Gerswind ab, weil sie erkennt, dass sie seinen Vater Karl, der sie schon lange umworben hatte, liebt. Sie setzt sich bei ihm für ihr Volk ein, erlebt die Kaiserkrönung mit und bekommt ein Kind. Gerswinds Mutter Geva hatte Karl einst verflucht und ihm ein einsames Alter gewünscht. Viele seiner Kinder sterben vor ihm, sein Sohn Ludwig wird zum Mitkaiser gekrönt. Zur Heirat von Karl und Gerswind kommt es nicht mehr, weil er stirbt. Im Jahr 818 wird eine neue Frau für Ludwig den Frommen gesucht. Er erwählt Judith: Die Tochter des Grafen Welf von Altdorf und der Schwester Gerswinds ist ebenfalls als Geisel am Hof aufgewachsen. Die vom Hof vertriebene und in Prüm lebende Gerswind wünscht mithilfe des Rings der Fastrada, dass Ludwig Judith immer begehren, aber nie besitzen möge. Dadurch kann er keine Kinder mit ihr zeugen. Judith bekommt zwei Kinder vom späteren Kämmerer Bernhard, einem

Kurzvorstellung der Romane: Autoren, Inhalte, christliche Schwerpunktthemen

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Enkel Karl Martells, die sie als Ludwigs ausgibt. Es ist ihr wichtig, den Einfluss ihres Sohnes Karl des Kahlen gegenüber seinen älteren Halbbrüdern zu sichern. In den Auseinandersetzungen Ludwigs mit seinen Söhnen wird Judith des Ehebruchs und der Zauberei angeklagt und in einem Kloster untergebracht. Zunächst erhält sie ihre Position zurück, wird später aber durch ihre Feinde gefangen gesetzt. Nach ihrer Befreiung versteckt sie sich in Prüm. Als Ludwig stirbt und ihr Sohn Karl den Kontakt zu ihr abbricht, will Judith Ruadbern heiraten, den Sohn Hruodhaids, der Tochter Karls des Großen und seiner Schwester Gisela, der sie immer unterstützt hatte. Irmingard, die Frau von Ludwigs Sohn Lothar, die bei der Brautschau Judith unterlegen war, vergiftet allerdings Judith und Ruadbern. Christliches: Die Ehen, (Liebes-)Beziehungen und Affären der karolingischen Herrscher (und ihrer Frauen) stehen im Mittelpunkt, in diesem Zusammenhang auch Ehebruch und Zauberei, die Planung von Ehen aus politischen Erwägungen sowie das inzestuöse Verhältnis Karls des Großen mit seiner Schwester Gisela. Die Abtei Prüm hat eine zentrale Rolle, vor allem als Zufluchtsort. Judith muss sich zeitweilig im Nonnenkloster Poitiers aufhalten. Der alt gewordene Bonifatius kommt vor, auch viele andere Bischöfe, Äbte und Päpste. Es geht um das Verhältnis von Papst und König, um die Konstantinische Schenkung, das Attentat auf Leo III. und die Kaiserkrönung Karls. Im Zusammenhang mit der Sachsenmission werden die Taufe Widukinds, heidnische Überbleibsel, Magie und Aberglaube thematisiert. Die Bilderverehrung, der Adoptianismus, der Bau der Pfalzkapelle in Aachen, der Reliquienraub Einhards sowie die Frömmigkeit, Sünde und Buße Ludwigs spielen eine Rolle.

J. Kröhn, Das Geständnis der Amme. Roman, btb Verlag: München 2008, 639 S. Jedem der sieben Teilen des Romans ist ein Zitat vorangestellt: von Ermentarius von Noirmoutier, Paulus Diaconus, aus einem Liebesbrief des 9. Jhd., dem Rolandslied, den Annalen von Saint-Bertin; mit Personenverzeichnis; Zeittafel; Glossar; historischer Anmerkung der Autorin mit Erläuterung, was aus den Hauptpersonen wurde.

Autorin: Die 1975 in Linz geborene Julia Kröhn studierte Geschichte, Philosophie und Theologie und absolvierte eine Ausbildung zur Fernsehjournalistin. Sie war als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Salzburg sowie bei der Katholischen Fernseharbeit angestellt. Inzwischen hauptsächlich als Schriftstellerin tätig, hat sie mehrere historische Romane verfasst.20 Kröhn erklärt, dass sich vieles in ihrem Roman an historischen Tatsachen orientiert und vieles erfunden ist. Zeitgenössische Quellen würden nur ein ungenaues Bild zeichnen, 20 Zur Autorin vgl. http://www.juliakroehn.at, eingesehen am 17. 9. 2012.

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Einleitung: Das Vorhaben und die Quellen

vieles nicht erwähnen, über manches gebe es widersprüchliche Aussagen. Judith werde in den Quellen zunächst als tatkräftige, am Beginn einer später einflussreichen Dynastie stehende Frau wahrgenommen, dann zunehmend zum Spielball eines der heroischen Männer Flanderns degradiert. Diesem Trend zu einer männlichen Geschichtsschreibung will Kröhn bewusst entgegenwirken (637f.). Auf ihrer Homepage gibt es zu jedem Roman ein »Making of«, in dem Kröhn die Idee zum Buch, die Entwicklung der Geschichte und ihre Recherche erläutert. Sie hat auch einen Roman über die im siebten Jahrhundert lebende merowingische Königin Bathildis, Die Regentin, und eine Normannen-Trilogie verfasst. Die ersten Ideen dazu stammen aus der Zeit der Recherche zu Das Geständnis der Amme. Der erste Teil, Die Tochter des Nordens, spielt ab 910, die Norwegerin Runa muss gemeinsam mit der fränkischen Prinzessin Gisla gegen viele Widersacher ums Überleben kämpfen. Inhalt: Der 842 geborene Balduin wächst beim Grafen von Laon auf. Johanna, die aus ihrem von Normannen zerstörten Dorf fliehen musste und dabei ihr schwer verletztes Kind ins Feuer geworfen hatte, ist seine Amme. Balduin wird zum Krieger und kämpft gegen die Normannen. Er lernt Königin Judith, die Tochter Karls des Kahlen, kennen und verhilft ihr zur Flucht aus Senlis. Johanna will die Beziehung von Judith und Balduin verhindern, begleitet das Paar aber gemeinsam mit dem Mönch Wunibald über die Alpen nach Rom, wo der Papst ihre Ehe, die im Frankenreich nicht anerkannt wird, bestätigen soll. Besonders Hinkmar von Reims hatte sich gegen diese Ehe ausgesprochen, es entbrennt ein Streit darum, wer über die Rechtmäßigkeit einer Ehe entscheidet. Unterwegs treffen Judith und Balduin auf König Lothar II., dessen Ehe ebenfalls zum Streitfall geworden ist. Schließlich wird Judiths und Balduins Ehe im Jahr 863 vom Papst anerkannt. Judiths Damen Joveta und Madalgis, mit denen Balduin Affären hatte, kommen zu Tode, woran Johanna Schuld trägt. Johanna kann die Schuld, die sie auf sich geladen hat, nicht mehr ertragen. Sie handelt mit Gott und gibt ihr Leben für das von Judith, die bei der Geburt ihres Kindes um ihr Leben kämpft. Christliches: Zentral geht es um Ehe, Liebe und Begehren, um Ehen aus politischen Erwägungen, besonders um den Konsens, den Raub, die Gültigkeit und die Bedingungen für Trennung und Wiederheirat. Die Rolle von Königen und Päpsten bei der Entscheidung über Ehen wird thematisiert, vor allem die Ansichten von Papst Nikolaus I. sowie Bischof Hinkmar von Reims werden dargestellt; auch weitere Bischöfe kommen vor. Unter den Mönchen im Roman sind der asketische Bruder Ambrosius und besonders der aus dem Kloster entlaufene, lebensfrohe Bruder Wunibald von Bedeutung. Die Themen Schuld, Sühne und Opfer spielen eine zentrale Rolle.

Kurzvorstellung der Romane: Autoren, Inhalte, christliche Schwerpunktthemen

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E. W. Wies, Bei meiner Seele Seligkeit. Lothar II. und sein Traum vom karolingischen Reich. Historischer Roman, Bechtle Verlag: Esslingen 1998, 283 S., Auflage von 4000 Stück. Mit Vorwort des Autors; Epilog über die weiteren Geschehnisse nach Lothars Tod; Zeitstenogramm; Auflistung von Quellen und Nachschlagewerken; Bemerkung zur Historizität der Personen; Glossar.

Autor: Der aus Köln stammende Autor Ernst W. Wies verstarb im April 2012. Nach einem Studium der Geschichte, Kunst- und Theatergeschichte war er als Historiker, Publizist und Mitarbeiter deutscher und internationaler historischer Zeitschriften tätig. Er beschäftigte sich vorwiegend mit dem Mittelalter und verfasste populärwissenschaftliche Biographien über Karl den Großen, Otto den Großen, Friedrich Barbarossa, Heinrich IV. und Elisabeth von Thüringen.21 Inhalt: Hugo, der Sohn von König Lothar II. von Lotharingen und seiner geliebten »Friedelfrau« Waldrada, wird nicht als legitimer Nachkomme anerkannt. Um seinen Traum vom karolingischen Reich zu verwirklichen, verstößt Lothar Waldrada und geht auf Drängen seiner Berater im Jahr 855 eine »Muntehe« mit Teuthberga, der Schwester des Laienabtes Hucbert von Saint Maurice d’Agaune ein, über den er auch Zugang zu den Alpenpässen erlangt. Als der Thronfolger ausbleibt, versucht Lothar, sich von Teuthberga zu trennen. Vom Vorwurf der widernatürlichen Unzucht mit ihrem Bruder kann sich Teuthberga zunächst durch ein Gottesurteil reinigen, wird dann aber gedrängt, die falschen Vorwürfe zuzugeben. Eine Synode erlaubt Lothar Trennung und Wiederheirat, wogegen Hinkmar von Reims und andere Bischöfe Einspruch erheben. Auch Papst Nikolaus beansprucht Entscheidungsgewalt über die Rechtmäßigkeit der Ehe. Lothars Onkel sind daran interessiert, dass Lothar keine legitimen Nachkommen hat, weil dann sein Reichsteil an sie fallen würde. Lothar und Waldrada heiraten. Die vom Papst entsandten Legaten, die die Legitimität der Ehe überprüfen sollen, werden bestochen. Daraufhin maßregelt der Papst einige fränkische Bischöfe, ein neuer Legat fordert die Verstoßung Waldradas und die Wiederaufnahme Teuthbergas. Als Waldrada nach Rom gebracht werden soll, kann sie fliehen. Vergebens bittet Teuthberga auf Lothars Aufforderung hin den Papst, aus der Ehe entlassen zu werden. Erst der neue Papst Hadrian hebt die Exkommunikation Waldradas auf. Als Bedingung für eine Wiederaufnahme des gesamten Verfahrens schwört Lothar einen (Mein-)Eid, sich des Umgangs mit Waldrada enthalten zu haben. Vor einer weiteren Entscheidung stirbt Lothar. Die beiden Frauen versöhnen sich und gehen ins Kloster. Christliches: Es geht vorrangig um die Ehe(n), vor allem König Lothars, konkret um verschiedene Eheformen, die Möglichkeit von Scheidung und Wie21 Informationen zum Autor sind dem Paratext des Romans entnommen.

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Einleitung: Das Vorhaben und die Quellen

derheirat, die Frage, wer über die Rechtmäßigkeit einer Ehe entscheidet, sowie um die Rollen und Ansichten verschiedener Päpste und Bischöfe, besonders Hinkmars von Reims. Dabei spielt das (Selbst-)Verständnis des christlichen Herrschers ebenso eine Rolle wie das Spannungsfeld von Liebe, Ehe und Politik. Die Frauen werden zum Spielball der Männer und der Kirche. Der junge fromme Kaplan Bertholdo aus dem Kloster Monte Cassino steht König Lothar als Beichtvater zur Seite, während der wortgewaltige und verschlagene Benediktinermönch Asmodi als Berater fungiert und Lothar durch politische Ränkespiele unterstützt.

4.2

Die Missi Dominici ermitteln

R. Gordian, Odo und Lupus. Kommissare Karls des Großen. Demetrias Rache, Bleicher Verlag: Gerlingen 1995, 207 S. R. Gordian, Odo und Lupus. Kommissare Karls des Großen. Saxnot stirbt nie, Bleicher Verlag: Gerlingen 1995, 212 S. R. Gordian, Odo und Lupus. Kommissare Karls des Großen. Pater Diabolus, Bleicher Verlag: Gerlingen 1996, 224 S. R. Gordian, Odo und Lupus. Kommissare Karls des Großen. Die Witwe, Bleicher Verlag: Gerlingen 1996, 223 S. R. Gordian, Odo und Lupus. Kommissare Karls des Großen. Pilger und Mörder, Bleicher Verlag: Gerlingen 1997, 215 S. Jeweils mit Karte des fränkischen Reiches um 800; Personenverzeichnis.

R. Gordian, Tödliche Brautnacht. Ein Odo- und Lupus-Krimi, KBV: Hillesheim 2008, 213 S. Mit Glossar.

Autor: Der 1938 in Sachsen-Anhalt geborene Robert Gordian arbeitete nach einem Studium der Geschichte und Politik als Redakteur beim Fernsehen und Dramaturg am Theater. Als freier Schriftsteller verfasste er Hör- und Fernsehspiele für den DDR-Rundfunk und das DDR-Fernsehen. Nach dem Mauerfall schrieb er vor allem historische Erzählungen und Romane.22 Gordian hat auch 22 Vgl. http://www.histo-couch.de/robert-gordian.html, eingesehen am 9. 7. 2013.

Kurzvorstellung der Romane: Autoren, Inhalte, christliche Schwerpunktthemen

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zwei Romane über eine langobardische Königin verfasst, Rosamunde, Königin der Langobarden, und Die Mörderin Rosamunde, sowie vier Romane über die Merowinger: Die schrecklichen Königinnen, Aufstand der Nonnen, Der Wolfskönig sowie Die Heilige und der Teufel. Inhalt: Der junge Adelige Odo aus Reims, ein Vasall des Königs und Nachkomme der Merowinger, und der Diakon Lupus, ein aus Ostfranken stammender Mönch des Klosters Fulda und Rechtsgelehrter in der Kanzlei der Ingelheimer Pfalz, sind ab dem Jahr 788 als Königsboten Karls des Großen unterwegs. Karl, der Zucht, Bildung und Gottesfurcht wünscht, sendet Missi dominici aus, weil es in seinem Reich zahlreiche Missstände gibt: Adelige sind bestechliche Willkürherrscher, in den Klöstern wird die Regel nicht beachtet, Äbte missbrauchen die Immunität der Klöster, Mönche stellen verheirateten Frauen nach und prassen in Wirtshäusern, Bischöfe lesen betrunken die Messe, Priester kennen das Vaterunser nicht, die Menschen nutzen den Kirchgang für Geschäfte und Schwatz, üben heidnische Bräuche aus, sündigen gegen die Natur oder vergehen sich gegen Arme, Witwen und Waisen. Der Erzkaplan wirkt bei der Auswahl der Missi dominici mit und erteilt ihnen besondere Aufträge wie z. B. die Überprüfung der Amtsführung des Bischofs Pappolus. Zunächst wird Odo und Lupus ein Mandatsgebiet in Sachsen zugeteilt, später sorgen sie auch in Thüringen, im Grenzgebiet zu den wendischen Obodriten sowie in Odos Heimat im Namen Gottes und des Königs für Recht und Ordnung. Sie überprüfen die Amtsführung von Grafen, schlichten Besitzstreitigkeiten, halten Gerichtsverhandlungen ab und klären nebenbei einige Mordfälle auf. Mit ihnen reisen ihr Diener und Sekretär Rouhfaz – ein ehemaliger Mönch, der es in keinem Kloster lange aushielt –, Helko, der Anführer ihres Schutztrupps, sowie Fulk und zwei weitere Recken. Christliches: Lupus will unterwegs gottgefällige Werke tun, wobei Odo hofft, dass er nicht zu kleinlich ist, wenn auch einmal ein paar Sünden dabei sind. Lupus’ Schwächen und Fehltritte spielen eine Rolle, während Odo sich oft über religiöse Dinge lustig macht und Abenteuer mit Frauen sucht. Die Missi dominici begegnen unterschiedlichen Mönchen, Bischöfen, Äbten, Chorherren etc. Sie erleben viele negative Entwicklungen: in einem Kloster leben falsche Mönche (eine Mörderbande und Erbschleicher), eine Canonica entpuppt sich als Mörderin, in einem Nonnenkloster verfällt die Moral. Der Alltag und die Aufgaben in Klöstern, Eheschließungen und Ehebruch, Betrug mit Reliquien und anderen heiligen Dingen, die Sachsenmission sowie Sünde und Buße werden thematisiert.

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Einleitung: Das Vorhaben und die Quellen

M. Paillet, Mit Dolch und Gift. Abt Erwin und der Tote von der Festtafel. Roman. Aus dem Französischen von Martin Schoske, Fischer Taschenbuch Verlag: Frankfurt am Main 1998, 314 S., französische Originalausgabe 1995. M. Paillet, Der Salamander. Abt Erwin und die Verschwörer von Lyon. Aus dem Französischen von Stefan Linster, Fischer Taschenbuch Verlag: Frankfurt am Main 1998, 272 S., französische Originalausgabe 1995. M. Paillet, Der Säbel des Kalifen. Abt Erwin im Reich der Sarazenen. Roman. Aus dem Französischen von Stefan Linster, Fischer Taschenbuch Verlag: Frankfurt am Main 1999, 285 S., französische Originalausgabe 1996. M. Paillet, An der Teufelsfurt. Abt Erwin im Land der Nibelungen. Roman. Aus dem Französischen von Stefan Linster, Fischer Taschenbuch Verlag: Frankfurt am Main 1999, 299 S., französische Originalausgabe 1996. M. Paillet, Im Zeichen des Neumonds. Abt Erwin und die verschwundenen Frauen. Roman. Aus dem Französischen von Stefan Linster, Fischer Taschenbuch Verlag: Frankfurt am Main 2000, 249 S., französische Originalausgabe 1997. Jeweils vorangestelltes Zitat aus einer Handschrift der Kanzlei Karls des Großen über die Missi dominici; mit Karte der Gegend, in der der Roman spielt; Personenverzeichnis; Nachwort zur karolingischen Gesellschaft: Kaiserreich, Herrschaft, Gesellschaft, Alltagsleben/in Der Säbel des Kalifen stattdessen geschichtlicher Abriss zum Islam; Danksagung; Glossar.

Autor: Der im Jahr 2000 verstorbene französische Historiker und Journalist Marc Paillet war Direktor des Wirtschaftsdienstes der französischen Nachrichtenagentur Agence France Presse. Er veröffentlichte Sachbücher, Romane und Essays.23 Inhalt: Die Romane spielen zwischen 796 und 804 in den Grafschaften Autun und Auxerre in Burgund, in Lyon, in der Grafschaft Bourges in der Brenne, und in Bagdad. Der Abt Erwin und der Pfalzgraf Childebrand sind als Missi dominici im Auftrag Karls des Großen unterwegs, in ihrem Gefolge finden sich ein Mönch, ein Diakon und ein ehemaliger Mönch. Sie sollen z. B. einen Streit zwischen einem Grafen und einem Bischof um unrechtmäßig angeeignete Güter schlichten, in Klöstern und Bistümern die Heiligen Schriften auf ihre Richtigkeit prüfen und Soldaten für den Feldzug gegen die Awaren ausheben oder das Verschwinden mehrerer Menschen aufklären. Erwin und Childebrand beenden eine Auseinandersetzung zwischen den Adelsgeschlechtern der Nibelungen und 23 Informationen über den Autor sind den Paratexten der Romane entnommen.

Kurzvorstellung der Romane: Autoren, Inhalte, christliche Schwerpunktthemen

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Geroldinger, kommen einer von einem Vogt und einem Erzpriester angeführten Geheimbruderschaft auf die Schliche, lösen verschiedene Kriminalfälle und klären Morde auf. Als sie in Lyon die Ankunft Karls vorbereiten sollen, der auf dem Weg zur Kaiserkrönung nach Rom ist, decken sie eine Verschwörung gegen ihn und Papst Leo III. auf. Oft sind die Mächtigen wie Grafen, ihre Verwalter, manchmal auch Geistliche, in unlautere Machenschaften verwickelt. Es geht um Machtmissbrauch und Ungerechtigkeiten gegenüber Untergebenen. Die Gesandten sollen außerdem die politischen Verhältnisse im Nahen Osten und die tatsächliche Macht des Kalifen von Bagdad erkunden sowie eine Botschaft überbringen. Die Missi dominici erleben Überfälle, Hindernisse und Morde, welche sie ebenso aufklären können wie eine geplante Verschwörung gegen den Kalifen. Christliches: Unterwegs und am Hof begegnen Erwin und Childebrand unterschiedliche Priester, Bischöfe, Äbte und Chorherren mit verschiedenen Aufgaben, Ansichten und Lebensweisen. Einige Geistliche sind in Verbrechen verwickelt. Der ermittelnde angelsächsische Abt Erwin hat einen außergewöhnlichen Charakter, er scheut z. B. keinen Kampf. Der Alltag und die Aufgaben im Kloster kommen vor, ebenso Mönche unterwegs und ehemalige Mönche. Erwähnt wird Benedikt von Aniane. Die Geschehnisse um Karl den Großen und Papst Leo spielen eine Rolle. Wichtige Themen sind außerdem die Ehe, die von einer Bruderschaft betriebene Unzucht, der Glaube und Aberglaube der Menschen, die Sorge um ihr Seelenheil, theologische Themen, Bildung, die Überprüfung von Bibeln und der Kontakt mit dem Islam.

4.3

Komplott gegen Karl

J. Kehrer, Mord im Dom. Eine Kriminalgeschichte aus der Zeit Karls des Großen (Waxmann Schwarze Serie), Waxmann Verlag: Münster/New York 1999, 168 S. Autor: Jürgen Kehrer, Jahrgang 1956, arbeitete nach einem Pädagogikstudium zunächst als Journalist. Heute lebt er als freiberuflicher Schriftsteller in Münster. Neben Sachbüchern zu Kriminalfällen hat er einige historische sowie zahlreiche in der Gegenwart spielende Kriminalromane verfasst, die zum Teil auch für das Fernsehen verfilmt wurden.24 Der Roman Mord im Dom entstand auf Anregung des Erzbistums Paderborn zum 1200jährigen Bistumsjubiläum. Inhalt: Der im Kloster Corbie lebende junge Mönch Hathumar begleitet seinen Abt Adalhard im Jahr 799 nach Paderborn, wo Karl der Große in der Kaiserpfalz Papst Leo III. empfängt. Hathumar soll übersetzen und ein Epos über dieses 24 Zum Autor vgl. http://www.juergen-kehrer.de, eingesehen am 17. 9. 2012.

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Einleitung: Das Vorhaben und die Quellen

Treffen verfassen. Dort begegnet er dem Marschall Giselher bzw. Thorbald wieder: In ihrer Kindheit wurden die beiden von fränkischen Soldaten als Geiseln aus Sachsen verschleppt. Als in Paderborn mehrere Mordfälle geschehen, ermitteln die beiden Männer gemeinsam, bis Hathumar entdeckt, dass Giselher selbst hinter den Morden steckt: Er hat dem König nahestehende Menschen getötet, um diesen zu quälen; die Getöteten waren zudem für Vergehen an den Sachsen verantwortlich. Giselher sammelt sächsische Kämpfer, um einen Krieg gegen die Franken zu beginnen, und will den König töten. Dies kann Hathumar aufdecken und verhindern. Christliches: Hathumar kam als Geisel ins Kloster. Es geht um den Alltag dieses Mönchs in Corbie sowie um seine Erlebnisse und Ermittlungen in Paderborn, wo er zudem in Versuchung gerät. Auf einer Synode dort treffen sich verschiedene Bischöfe, die unter anderem den Adoptianismus verurteilen. Das Verhältnis von Papst und Kaiser spielt eine große Rolle: die Vorwürfe gegen Leo III. und ihre Untersuchung, der Reinigungseid des Papstes sowie die Kaiserkrönung. Die Folgen der Missionierung für die Sachsen werden thematisiert, ebenso der Dombau in Paderborn.

R. Kramp, … denn sterben muss David! Ein Kriminalroman aus der Zeit Kaiser Karls des Großen, KBV-Verlag: Hillesheim 2001, 229 S. Mit Dank des Autors; Vorab-Worten; vorangestelltem Zitat eines Schreibers eines westgotischen Rechtsbuches des 8. Jhd.; Glossar.

Autor: Der in der Eifel lebende Autor Ralf Kramp, 1963 geboren, arbeitet als Karikaturist, schreibt Kriminalromane und veranstaltet Krimi-Erlebniswochenenden. Er führt in Hillesheim eine Buchhandlung, ein Krimicafé, das Deutsche Krimi-Archiv und den KBV-Verlag.25 Angesichts seines Romans … denn sterben muss David! fürchtet er sich vor unbarmherzigen Historikern; es gebe keine Zeugen und Tatorte mehr, aber alles habe sich so zugetragen. Kramp denkt über das schwierige Vorhaben nach, einen vor 1200 Jahren spielenden Roman zu schreiben, und fragt sich, worauf er sich stützen kann, da von den Bauwerken wenig übrig geblieben und über das Alltagsleben wenig bekannt ist. Historiker hätten zwar viel Vorarbeit geleistet, würden einander aber oft widersprechen (6f.). Inhalt: Im Jahr 800 lebt der junge Enno nach dem Tod seiner Eltern in Dalaheim in der Eifel auf dem Gehöft seines Onkels und seiner Tante, welche ihn schlecht behandeln. Diese sowie ein durchreisender Bote werden von zwei 25 Zum Autor vgl. http://www.ralfkramp.de, eingesehen am 17. 9. 2012.

Kurzvorstellung der Romane: Autoren, Inhalte, christliche Schwerpunktthemen

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Männern getötet. Da im Dorf alle glauben, Enno hätte wegen des Erbes die Morde begangen, flieht er, zunächst zum Einsiedler Bruder Frodulf. Auf der Suche nach den Mördern gelangt Enno schließlich nach Aachen. Es sind Theodo und Theodbert, die beiden Söhne Tassilos von Bayern, des Vetters des Kaisers, der wegen Untreue und Meuterei mit seiner Familie verbannt und zu Klosterhaft verurteilt wurde. Thedo und Theodbert planen einen Giftanschlag auf Karl den Großen in der Kaiserpfalz, den Enno mithilfe seines neuen Freundes, des sich blind stellenden Bettlers Romuald, verhindern kann. Christliches: Zu den wenigen christlichen Aspekten gehören das Leben des Einsiedlers Frodulf, der sein Kloster verlassen hat und nach dem Vorbild des heiligen Antonius lebt, sowie das erzwungene Leben (Gefangenschaft) einiger Menschen in den Klöstern Jumièges und Prüm. Enno sieht in Aachen unzüchtige Mönche, ein von Mönchen betreutes Hospitalium sowie die Pfalzkapelle.

M. Winter, Das Erbe des Puppenspielers. Roman, Wilhelm Heyne Verlag: München 2003, 496 S., Taschenbuch Heyne Verlag: München 2007, Taschenbuch Magma Verlag GbR: Cronskamp (Rieps) 2012. Mit Glossar.

Autorin: Die 1961 in Lübeck geborene Maren Winter ist ausgebildete Puppenspielerin und hat ein eigenes Figurentheater gegründet. Sie lebte mit ihrem Mann im Finnland, wo sie eigene Stücke übersetzte und für die Tourismusbranche tätig war. Seit sie zurück in Deutschland ist, schreibt sie historische Romane.26 Inhalt: Gegen Ende des achten Jahrhunderts schwört der junge Meginhard, die Mörder seiner Mutter zu finden. Vom Tokkenspieler Berengar erlernt er dessen Kunst. Beim Heereszug Karls des Großen gegen die Sachsen kann Meginhard seine Jugendgefährtin Gisela befreien, die unter den Gefangenen ist. Um ein freies Leben mit ihr zu führen, tötet Meginhard Berengar und nimmt dessen Identität an, doch Gisela entscheidet sich für Meginhards Bruder Ansgar. In Thüringen schließt Meginhard sich Verschwörern gegen Karl an. Mit dem Diener Burchard lebt er als Mönch getarnt im Kloster Fulda; Abt Baugulf zwingt ihn, die Familie des gefangenen Herzogs Tassilo zu entführen und dessen Schatz zu rauben. Danach zieht Meginhard weiter mit Lügengeschichten, Betrügereien und Aufführungen umher. Begleitet vom Sänger Adalram und dem Mädchen Hadelinda entdeckt Meginhard in Aachen, dass er der Sohn Karlmanns ist. Die Magd Madalgard, seine zeitweilige Begleiterin, trifft er als Geliebte des Königs wieder. Meginhard soll Aufrührern helfen, Pippin den Buckligen auf den Thron 26 Vgl. http://www.maren-winter.de, eingesehen am 9. 7. 2013.

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Einleitung: Das Vorhaben und die Quellen

zu bringen. Bei Ansgar erfährt Meginhard, dass Giselas Tochter sein Kind ist, muss aber den Hof verlassen, als Adalram sich dem Mädchen nähert. Adalram hat den Ritter Meginher, einen Schuldigen am Tod von Meginhards Mutter, getötet. In St. Riquier rät Meginhard Karl, den angeklagten Papst Leo einen Reinigungseid schwören zu lassen; Karl geht dadurch aber nicht wie erhofft zugrunde, sondern wird zum Kaiser gekrönt. In Köln wird Meginhard gefangen genommen, weil Berengar (als der er ja auftritt) dem Grafen Gerrich einst Lebenswasser versprochen hatte. Gerrich, ebenfalls schuldig am Tod der Mutter, nimmt einen Trank Meginhards zu sich, mit dem dieser sich im Gefängnis töten wollte. Vor Gericht weigert Meginhard sich, dem König einen Treueeid zu leisten, und erzählt stattdessen seine Geschichte. Christliches: Unter den wenigen christlichen Bezugnahmen sind Meginhards zeitweiliges Leben als falscher Mönch im Kloster Fulda, der Auftrag von Abt Baugulf sowie die Bewegung einer Marienfigur, die Meginhard inszeniert. Meginhard nutzt häufig den Glauben und die Heilssorge der Menschen aus und verkauft z. B. selbst hergestellte Reliquien. Eine gewisse Rolle spielen die gegen Papst Leo III. erhobenen Vorwürfe, der Reinigungseid sowie die Kaiserkrönung Karls, außerdem die Sachsenmission.

Der Salamander (s. o.)

4.4

Bedrohung durch die Franken – Tod oder Taufe?

S. Kraus, Das Amulett der Seherin. Historischer Roman, Lübbe Verlagsgruppe: Bergisch Gladbach 2008, 606 S. Mit Glossar, Verzeichnis der Götter und mythischen Wesen, Nachwort, Hinweisen, Literatur zum Weiterlesen.

Autorin: Susanne Kraus, Jahrgang 1966, wuchs in Westfalen und im Rheinland auf, studierte Osteuropäische Geschichte, Slavistik und Französische Philologie. Sie war in der Öffentlichkeitsarbeit tätig, zuletzt als Pressesprecherin bei der Stadtverwaltung in Kaiserslautern. Inzwischen arbeitet sie in der dortigen Stadtbibliothek und schreibt historische Romane, Das Amulett der Seherin ist ihr dritter.27 Im Nachwort betont Kraus, dass es aufgrund der dürftigen Quellenlage mehr Mutmaßungen als gesicherte Erkenntnisse gebe und sie sich bei widersprüchlichen Angaben für eine Variante entscheiden musste. Oft habe sie ihre 27 Vgl. http://www.histo-couch.de/susanne-kraus.html, eingesehen am 9. 7. 2013.

Kurzvorstellung der Romane: Autoren, Inhalte, christliche Schwerpunktthemen

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Phantasie bemühen müssen, um Lücken zu füllen. Allerdings seien Romane fiktionale Literatur, die selbst bei noch so guter Recherche Sachbücher nicht ersetzen könnten und sollten (597). Inhalt: Im Jahr 747 findet die sächsische Seherin Veleda bei einer Quelle Zwillinge, Ava und Walram: Er wird später Krieger und Gaufürst, sie Seherin. Für die Tötung der Pferde im Heiligen Hain wird der Missionar Egbert ausgepeitscht, sein Begleiter Finnian gefangen genommen. Ava befreit ihn, als Karl der Große die Eresburg erobert und die Irminsul fällt. Der Edeling Gibicho hatte den Franken mithilfe von Walrams Frau Roswitha Zugang verschafft. Als die gefangene Ava die Taufe verweigert und in die Sklaverei verkauft werden soll, folgen Walram, sein Freund Bero, die junge Witwe Liebhild und Finnian ihr. Der inzwischen getaufte Gibicho fängt die geflohene Ava ein, vergewaltigt sie und verkauft sie an den Trierer Gastwirt Radbod. Gibicho behauptet, Ava habe ihn verhext und den Vater der Wirtin ermordet. Walram und Finnian bringen Gibicho in die Sklaverei, er kann jedoch fliehen, wird Graf und heiratet Roswitha. Durch ein Gottesurteil kann Ava sich von den Vorwürfen reinigen, nach der Taufe schenkt Radbod ihr die Freiheit. Walram wird Freiheitskämpfer und Widukinds rechte Hand. Finnian und Ava heiraten in Sachsen und bekommen Kinder; nach seiner Weihe zum Priester muss er sich der körperlichen Liebe zu ihr enthalten. Gibicho und Egbert wollen das Paar aus dem Weg räumen; Gibicho tötet Roswitha, die ihn betrügt. Wie Walram und Ava erfahren, waren ihre Eltern Sklaven und Christen; Egbert und Gunda, deren sächsische Dienerin, tragen Schuld am Tod der Mutter. Weil Ava als Christin ihre seherischen Fähigkeiten nicht für die Sachsen einsetzt, will Gunda sie töten, Ava wird aber gerettet. Vor ihrem Tod hatte Gunda noch Egbert getötet. Finnian, ein Gegner der von Karl für Sachsen erlassenen Kapitularien, lebt wieder bei seiner Familie. Er und Ava können Walram aus Gibichos Gewalt befreien und diesen töten. Sie alle reisen gemeinsam mit Liebhild und Widukind ins Land der Dänen, wo Altgläubige nicht verfolgt werden. Christliches: Der Schwerpunkt liegt auf der Sachsenmission und der Frage nach dem stärkeren bzw. dem liebenden Gott. Der hinterhältige Mönch Egbert aus dem Kloster Friedeslar geht dabei gewaltsam vor. Der Mönch Finnian aus Nothumbrien hat seine Berufung nur vorgetäuscht, um als Gelehrter an Karls Hof zu gelangen. Er ist friedlich und hilfsbereit, verliebt sich in Ava und setzt sich für die Sachsen ein. Unterwegs sucht er Hilfe im Kloster Friedeslar. Ava lässt sich nach einem bestandenen Gottesurteil taufen. Finnian kann Liebhild mithilfe einer falschen Marienerscheinung für das Christentum gewinnen. Als er Priester wird, geht es um den Zölibat, um Reinheit und die Bußbücher. Ava hat eine Vision vom Sieg Karls und der Taufe Widukinds, aber auch vom Zusammenwachsen der Sachsen und Franken.

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Einleitung: Das Vorhaben und die Quellen

T. Vanek, Die Träume der Libussa. Historischer Roman, Ullstein Taschenbuchverlag: Berlin 2008, 557 S. Mit Nachwort zum Libussa-Mythos.

Autorin: Die 1966 in Prag geborene und mittlerweile in Deutschland lebende Tereza Vanek studierte Anglistik, Romanistik und Slawistik. Sie promovierte über die Darstellung verbrecherischer Frauen im englischen Drama des 17. Jahrhunderts. Vanek arbeitete als Fremdsprachenlehrerin, Übersetzerin, Call Center Agent und Teamassistentin. Die Träume der Libussa ist ihr zweiter Roman.28 Inhalt: Mitte des achten Jahrhunderts wird Libussa Stammesfürstin der Cechen und Hohe Priesterin aller Behaimen, ihr Onkel Krok ist Stammesführer. Beim Kupala-Fest hat sie mit dem Bauernjungen Premysl die heilige Hochzeit vollzogen. Durch eine List offenbart die Göttin selbst ihn als ihren vorherbestimmten Ehemann, obwohl eine Stammesfürstin eigentlich den Sohn eines fürstlichen Clans wählt. An der Moldau gründen die beiden eine Siedlung, die durch Handel Wohlstand ins Land bringt. Die Cechen unterstützen zusammen mit anderen Anhängern des alten Glaubens die Sachsen gegen die Franken. Für die Freilassung gefangener Kämpfer muss Libussa ihren Sohn Lidomir als Geisel stellen. Er wird christlich erzogen und heiratet in Regensburg Radegund, die ihn zu seinem Volk begleitet. Auf Radegunds Bitte hin werden die Missionare Frederik und Gundolf geholt. Gundolf erpresst Radegund mit seinem Wissen darum, dass sie Lidomir mit einem verfeindeten Fürsten betrogen hat, und verspricht, ihre Schwester als Äbtissin ins Land zu holen. Er erhält von Radegund, die zusammen mit ihrem Mann herrschen will, Namen von Fürsten, die Libussas Herrschaft kritisch gegenüber stehen; bei einem Umsturz wird Libussas Schwester, die Heilerin Kazi, getötet. Die schwer kranke Libussa will bei der keltischen Priesterin sterben. Nach dem Tod ihres Onkels wollte sie ihren awarischen Adoptivsohn Mnata, der mit ihrer Tochter Scharka, ihrer potentiellen Nachfolgerin, zusammen lebt, zum Stammesführer machen. Durch den Widerstand dagegen erkennt Libussa, dass die Zeit der Frauenherrschaft vorbei ist, und macht Premysl zum Stammesführer. Sie ernennt aber noch ihre kriegerische Nichte Vlasta zur Hohepriesterin. Christliches: Radegund wurde bei den Nonnen auf der Insel im Chiemsee erzogen. Ihre Schwester, die als Nonne dort geblieben ist, wird in ihrer schriftstellerischen Betätigung eingeschränkt. Lidomir wurde vom Priester Vater Anselm christlich erzogen und getauft, verehrt aber im Herzen immer noch die Götter seiner Mutter. Radegunds und Lidomirs Ehe spielt eine große Rolle. 28 Vgl. http://www.tereza-vanek.de, eingesehen am 9. 7. 2013.

Kurzvorstellung der Romane: Autoren, Inhalte, christliche Schwerpunktthemen

41

Radegunds Ehebruch belastet sie und veranlasst sie zur Beichte. Der junge und sympathische Frederik, der als Missionar zu den Cechen kommt, versucht, das Volk kennen zu lernen und friedlich für die christliche Botschaft zu werben, er verliebt sich. Der ältere und machtversessene Gundolf will mithilfe des Christentums den Einfluss der Frauen beschneiden. Libussa, die vor ihrem Tod noch eine Vision vom Bau einer Kirche in Prag hat, wird klar, dass den Christen die Zukunft gehört.

J. Kastner, Widukinds Wölfe. Historischer Roman, Hardcoverausgabe Ehrenwirth Verlag: München 1998, Taschenbuchausgabe Bastei Lübbe: Bergisch Gladbach 2000, 477 S. Dem Roman und seinen einzelnen Teilen jeweils vorangestellt: Zitate von Widukind von Corvey, Heinrich Heine, Friedrich Ludwig Jahn, August Kopisch; mit Personenverzeichnis, Nachwort, Glossar, Zeittafel.

Autor: Jörg Kastner, Jahrgang 1962, stammt aus dem Weserbergland und entschied sich nach dem Jurastudium dafür, als Schriftsteller zu arbeiten. Er schrieb Bücher und Beiträge über die Raumpatrouille Orion und über Karl May, eine fünfbändige Germanen-Saga, eine Reihe von Vatikan-Thrillern sowie weitere Fantasy-Romane und historische Romane.29 Kastner erklärt im Nachwort von Widukinds Wölfe, die Handlung seines Romans sei zum Teil Historie, Sage sowie Phantasie des Autors. Kritische Leser fordert er auf, zu beachten, dass auch die sogenannten historischen Quellen nicht unbedingt die Wahrheit wiedergeben. Sie könnten durch das häufig mangelhafte Wissen oder durch die propagandistischen Absichten der Chronisten, die dem Geistlichenstand angehörten, verfälscht sein (459). Inhalt: Der Sachsenherzog Widukind lässt sich 785 nach Jahren des Widerstands taufen, um Frieden zwischen Sachsen und Franken zu schaffen. Sein Sattelmeier Wolfhard flieht jedoch von der Zeremonie in Minden, weil er den germanischen Göttern nicht abschwören will, und lebt im Wiehengebirge unter Wölfen. Jahre später gerät auch sein Sohn Wolfger in die Auseinandersetzung zwischen Sachsen und Franken und steht wie viele andere vor der Frage, ob er den alten Göttern treu bleiben will. Er verliebt sich in die Fränkin Gisla. Seit Wolfhard bei der Wahl zum Herzog aller Sachsen für Widukind statt für Asmund stimmte, ist dieser ein Feind von Wolfhards Familie und will sie vernichten. Asmund läuft zu den Franken über und wird Wikgraf. Schließlich gibt er sich als zurückgekehrter Widukind aus, um die Macht über ganz Sachsen zu erlangen.

29 Zum Autor vgl. http://www.kastners-welten.de/joerg, eingesehen am 17. 9. 2012.

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Einleitung: Das Vorhaben und die Quellen

Als schwarzer Reiter und Anführer von »Wikukinds Wölfen« stürzt er das Land in einen blutigen Aufruhr. Christliches: Grundsätzlich geht es um die Sachsenmission. Der Priester Rutinus geht dabei gewalttätig und eifernd vor, er will die Sachsen mit Zwang bekehren und zerstört heidnische Stätten. Taufen finden zwar statt, aber letztlich sind viele getaufte Sachsen noch halbe Heiden. Die Frage nach dem stärkeren Gott wird gestellt. Am Rande wird die Ehe behandelt, vor allem die Themen Eheschließung, Inzest sowie das Gegenüber von arrangierter Ehe und Liebesbeziehung.

T. Müller, Die Priestertochter. Historischer Roman, Aufbau Taschenbuch Verlag: Berlin 2003, 458 S., Neuausgabe 2008. Mit einigen Worten zu Rethra und Dank des Autors.

Autor: Titus Müller, 1977 in Leipzig geboren, hat Neuere deutsche Literatur, Mittelalterliche Geschichte und Publizistik studiert. Mit Der Kalligraph des Bischofs legte er seinen ersten Roman vor. Er gründete eine Literaturzeitschrift, moderierte eine Literatursendung, veröffentlichte Lyrik und Prosa und ist Mitbegründer des Arbeitskreises Historischer Roman »Quo Vadis«.30 Inhalt: Liutbert, der Erzkapellan Ludwigs des Deutschen, und der Markgraf Ratolf rücken im Jahr 874 mit Heeren ins Land der Slawen ein. Als das Pferdeorakel von Rethra ein Menschenopfer für den dreiköpfigen Gott Svarozic fordert, verlassen Alena, die Tochter des Hochpriesters Nevopor, und einige Männer die slawische Tempelburg, um bei den Franken einen Mann zu fangen. Gleichzeitig ist der Mönch Tietgaud zusammen mit zwei Dutzend gerüsteten Männern ausgezogen, um den Orakelkult Rethras zu beenden. Alenas Gefährten fallen bald dieser übermächtigen Feindesschar, der sie begegnen, zum Opfer. Alena selbst überlebt und verliebt sich in den Anführer der Feinde, der Svarozic geopfert werden soll. Der Gruppe auf dem Weg nach Rethra schließt sich Uvelan an, der vor vielen Jahren von Nevopor vernichtete Priester des durch Svarozic verdrängten Gottes Svarogh. Uvelan will Nevopor herausfordern und Rache üben, gleichzeitig nähert er sich Tietgaud und dessen Glauben an. Alena wendet sich gegen ihren Vater, es kommt schließlich zum Menschenopfer und zum Kampf um Rethra. Christliches: Im Mittelpunkt steht der Mönch Tietgaud aus Corvey, dessen Vorbild der heilige Ansgar ist. Tietgaud sieht die Bekehrung der Wenden als seinen Auftrag, er will in Rethra Christus predigen. Auf dem Weg dorthin erzählt 30 Zum Autor vgl. http://www.titusmueller.de, eingesehen am 17. 9. 2012.

Kurzvorstellung der Romane: Autoren, Inhalte, christliche Schwerpunktthemen

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er Alena und Uvelan vom christlichen Glauben und kann ihr Interesse wecken. Tietgaud kann in Rethra zu den Menschen sprechen, wird aber dann auf dem Opfertisch für die Götter getötet. Letztlich geht es um den stärkeren Gott, aber auch um den Gott der Liebe. Weitere Themen sind die Liebe zwischen Christen und Heiden, die daraus resultierenden Probleme und der Treuebruch.

4.5

Mönche auf abenteuerlicher Reise

C.-P. Lieckfeld, Das Buch Haithabu. Die Aufzeichnungen eines Mönchs aus der Wikingerzeit. Roman, Goldmann Verlag: München 1999, 445 S., Originalausgabe Albrecht Knaus Verlag: München 1997. Mit Aufstellung wichtiger Daten, vor allem aus dem Leben des Agrippa; Dank des Autors; Karte mit den Reisen des Agrippa.

C.-P. Lieckfeld, Das Buch Glendalough. Roman, Goldmann Verlag: München 2000, 349 S. Mit vorangestelltem Zitat von George Bernard Shaw; Karte: der Osten Irlands.

Autor: Das Buch Haithabu und Das Buch Glendalough sind die ersten Romane von Claus-Peter Lieckfeld. 1948 in der Lüneburger Heide geboren, studierte er Deutsch und Sozialkunde für das Lehramt, war Lokaljournalist, freier Mitarbeiter beim NDR, Gründungsmitglied und Redakteur des Umweltmagazins natur. Nach mehreren Jahren als Chefredakteur des pro futura-Verlages schreibt er nun als freier Autor für verschiedene Magazine, vertont Tier- und Naturfilme, verfasst Hörspiele, Kabarettbeiträge und Theaterstücke.31 Inhalt: Der 849 in Speyer geborene Mönch Agrippa muss von Corvey in das Stift Ramsolano ziehen, weil er das Keuschheitsgelübde verletzt hat. Als es auch dort zu Verfehlungen kommt, wird er von Bischof Ebo aus Hammaburg in das Land der Bärenanbeter geschickt, um dort zu missionieren. Später wird Agrippa zu den Dänen nach Haithabu gesandt. Der junge Herward, der den Tod seiner Familie durch den Jarl Rangar rächen will, begleitet ihn. Nachdem Herward Ragnar auf Bornholm getötet hat und Baldur, ein Christ, neuer Jarl wird, beginnt Agrippa ein Verhältnis mit dessen in der Gemeinde engagierter Frau Klia. Der Dänenkönig entführt Klia und zwingt Agrippa, für ihre Freilassung seine Heilkünste zu nutzen und Baldur zu vergiften. Anschließend bricht Agrippa mit dem Mönch Kevin nach Glendalough auf, wo er zum Vertrauten des Abtes wird. In 31 Zum Autor vgl. http://www.autoren-reporter.de/index.php?option=com_content&task=view &id=22&Itemid=64, eingesehen am 17. 9. 2012.

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Einleitung: Das Vorhaben und die Quellen

Dublin versucht er, dem heiligen Patrick eine Kirche zu bauen. Von Irland aus wandert Agrippa als Bettelmönch ins Heilige Land und wird schließlich oberster Scriptor im Kloster zu Wik am Holze. Nachdem er einen Arm verloren hat, kommen viele Menschen zu ihm, um Heilung zu erbitten. Unterstützt von Lioba, zieht er in eine Klause im Wald, wo er im Jahr 922 stirbt. Christliches: Hauptthema ist, dass der Benediktiner Agrippa ständig mit Frauen sein Gelübde bricht. Während seiner Zeit im Stift Ramsolano geht es auch um die Verfehlungen der anderen dortigen Mönche. Das Thema der Missionierung kommt hinzu, als Agrippa zur Strafe nach Haithabu geschickt wird. Dort baut er, ebenso wie später in Dublin, eine Kirche. Weiterhin geht es um Agrippas Leben im vom heiligen Kevin gegründeten Kloster Glendalough, in dessen Umfeld sich auch Eremiten aufhalten. Agrippas Vorbild ist der heilige Ansgar, auch der heilige Patrick wird ihm wichtig. Vom Kloster Wik aus zieht Agrippa ebenfalls in eine Klause und wird schließlich selbst als Heiliger verehrt.

S. Lawhead, Die Reise nach Byzanz. Roman. Aus dem Englischen von Marcel Bieger und Barbara Röhl, ungekürzte Taschenbuchausgabe Piper Verlag: München 2001, 590 S. Vorangestelltes Gebet; mit zwei Karten: Stadt Byzanz, Europa und Kleinasien; Glossar mit wichtigen Begriffen.

S. Lawhead, In geheimer Mission für den Kaiser. Roman. Aus dem Englischen von Marcel Bieger und Barbara Röhl, ungekürzte Taschenbuchausgabe Piper Verlag: München 2001, 511 S. Mit Karten und Glossar, s. o.; zusätzlich Überblick über das bisher Geschehene; Epilog: wie es mit den Hauptpersonen weiterging; Überblick und Hintergründe zu »Aidans Welt« vom Übersetzer Marcel Bieger.

Englische Originalausgabe Byzantinum 1996 in einem Band; deutsche Ausgabe in zwei Bänden Aidan. Die Reise nach Byzanz und Aidan in der Hand des Kalifen, Piper Verlag: München (Verlagsprogramm Kabel) 1999. Autor: Der 1951 in den USA geborene und heute bei Oxford lebende Autor Stephen Lawhead ist mit Fantasy- und Science Fiction-Romanen international bekannt geworden. Er hat mehrere historische Romane, Sachbücher und Kinderbücher geschrieben. Lawhead hat einen Universitätsabschluss in Fine arts und hat am theologischen Seminar der Baptisten studiert, er erhielt die Ehrendoktorwürde für Humane letters der Universität von Nebraska. Häufig beschäftigt er sich mit christlichen Inhalten, von ihm stammt auch ein ab 405 n. Chr.

Kurzvorstellung der Romane: Autoren, Inhalte, christliche Schwerpunktthemen

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spielender Roman über das Leben des heiligen Patrick, Der Sohn der grünen Insel.32 Inhalt: Der irische Mönch Aidan begibt sich im Jahr 885 mit elf Mitbrüdern und einem Bischof auf eine Pilgerreise, um dem oströmischen Kaiser das in Irland verfasste Book of Kells zu übergeben und ihn damit als Unterstützer gegen den Papst und dessen Forderungen an die Kirche in Irland zu gewinnen. Der Zug wird von Nordmännern überfallen und Aidan von seinen Mitbrüdern getrennt. Als Sklave des Gunnar gelangt Aidan nach Skane, wo er schließlich Sklave des Jarls Harald Stierbrüller wird. Diesen und seine Männer begleitet er auf einem Beutezug nach Byzanz, wo er bis vor den Kaiser gelangt. Als dessen Spion reist er mit den Nordmännern nach Trapezunt, welche als Leibwache des kaiserlichen Gesandten dienen, der einen Friedensvertrag mit einem Gesandten des Kalifen aushandeln soll. Durch den Verrat eines Beamten des Kaisers sterben viele Menschen und Aidan kommt mit einigen der Nordmänner als Arbeitssklave in die Silberminen des Kalifen, wo er die wenigen überlebenden Mönche des Pilgerzuges trifft. Aidan wird vom Gesandten des Kalifen befreit und gesundgepflegt; er verliebt sich in Kasimene und will sie heiraten. Mithilfe dieses Gesandten kann Aidan seine Freunde befreien. In Byzanz wollen sie einen Mordanschlag auf den Kaiser verhindern, kommen aber zu spät. Zurück in Irland, wird Aidan im Kloster nicht wieder heimisch und reist schließlich mit den Nordmännern, um in Skane als Missionar tätig zu sein. Christliches: Unter den Erlebnissen des Mönchs und Priesters Aidan, die den Roman bestimmen, ragen besonders seine Missionsbemühungen bei den Dänen – mit dem Erfolg einiger Taufen und der Bekehrung des Gunnar –, seine zeitweiligen Glaubenszweifel und seine Gottesferne, sowie in diesem Zusammenhang seine Liebe zur Muslima Kasimene heraus. Aidan kommt in Kontakt mit dem Islam. Grundsätzlich wird der Gegensatz zwischen Irland und Rom stark gemacht, die bedrängten irischen Mönche suchen Hilfe beim Kaiser in Byzanz, werden aber enttäuscht. Das Klosterleben in Irland, besonders die Tätigkeit als Schreiber und die Liturgie, sind von Bedeutung, ebenso die Pilgerfahrt der Mönche, geleitet von Bischof Cadoc, der sich schließlich opfert.

Das Amulett der Seherin (s. o.)

32 Zum Autor vgl. http://www.stephenlawhead.com, eingesehen am 17. 9. 2012.

46 4.6

Einleitung: Das Vorhaben und die Quellen

Normannen – Geißel Gottes oder auch Menschen?

C. Sundberg, Wikingerblut. Historischer Roman. Aus dem Schwedischen von Friederike Buchinger, Verlagsgruppe Random House: München 2004, 349 S., schwedische Originalausgabe 1995. C. Sundberg, Wikingersilber. Historischer Roman. Aus dem Schwedischen von Friederike Buchinger, Verlagsgruppe Random House: München 2005, 409 S., schwedische Originalausgabe 1997. C. Sundberg, Wikingergold. Historischer Roman. Aus dem Schwedischen von Friederike Buchinger, Verlagsgruppe Random House: München 2005, 412 S., schwedische Originalausgabe 1999. Alle Romane in einem Band: Die Wikingerin, Blanvalet Verlag: München 2006. Jeweils mit Nachwort mit Literaturhinweisen; Wikingersilber mit Danksagung.

Autorin: Catharina Sundberg, Jahrgang 1948, stammt aus Schweden, studierte Geschichte, Ethnologie, Archäologie und Kunstgeschichte, und absolvierte eine Taucherausbildung. Sie arbeitete als Marinearchäologin und in Schifffahrtsmuseen in Skandinavien und Australien. Nach einem Studium an der Journalistenhochschule schreibt sie nun historische Romane und populärwissenschaftliche Sachbücher und arbeitet als Journalistin bei einer schwedischen Tageszeitung.33 Inhalt: Der Mönch Ansgar von Corbie reist im Jahr 830 an Bord von Eriks Schiff nach Birka, um dort zu missionieren. Nach einem Schiffbruch findet er Zuflucht bei der Bäuerin Estrid, die er schwängert. Nach ersten Missionserfolgen und dem Bau einer Kirche in Birka, unterstützt vom Häuptling Hergeir, kommt Estrid mit ihrem Sohn Toste zu Ansgar, der sie zunächst wegschickt, dann aber aufnimmt. Erik versucht zusammen mit einigen Freunden, Ansgars Erfolg zu verhindern. Mit ihrem Sohn zieht Estrid zu Erik. Jorrun, die Erik heiraten wollte, war während seiner langen Abwesenheit gezwungen worden, seinen Bruder Harald zu heiraten, welcher sie tötet, nachdem sie noch einmal mit Erik zusammen war. Harald, Hergeir und andere lassen sich taufen, Ansgar kauft Sklaven frei, aber letztlich erkennt der König die christliche Gemeinde nicht an. Ansgar, dem viel Feindseligkeit entgegen schlägt, zieht weiter, da nördlich der Elbe ein Stift gebaut wird und er Erzbischof werden soll.

33 Vgl. http://catharinaingelman-sundberg.com, eingesehen am 9. 7. 2013.

Kurzvorstellung der Romane: Autoren, Inhalte, christliche Schwerpunktthemen

47

Während Erik auf Wikingerfahrt ist, führt Estrid, die ein Kind von ihm bekommen hat (Rurik), eine Schänke. Ihr Sohn Toste verschwindet, sie lernt den russischen Händler Orfrim kennen. Neue Missionare kommen in Birka an, der freundliche junge Priester Nithard und sein Onkel, Bischof Gautbert. Die Frauen wehren sich gegen dessen Versuch, ihre Freiräume zu beschneiden. Erik lebt unterwegs mit Tennia, die ihn gesund gepflegt hat. Nithard lässt sich mit einer schönen jungen Frau ein, und eine neue Kirche aus Stein wird gebaut. Der zurückgekehrte Erik sucht Toste. Als die Christen die heidnischen Götterbilder zerstören, regt sich immer mehr Widerstand. Eine aufgebrachte Menschenmenge tötet Nithard und verjagt Gautbert. Estrid lässt Rurik bei Erik und reist mit Orfrim in dessen Heimat, will ihn aber verlassen, als er sie schlecht behandelt. Sie soll als Sklavin verkauft werden, kann aber fliehen und bleibt für einige Zeit bei Ragnar, der sie gerettet hat. Erik lässt sich mit der Sklavin Ysja ein, die Toste geraubt hatte; davon erfährt Erik allerdings erst nach ihrem Tod. Gemeinsam mit Ragnar kommt Estrid nach Birka. Als Harald mit einer dänischen Flotte Birka angreift, kann er geschlagen werden. Estrid entscheidet sich dafür, bei Erik und ihren Söhnen zu bleiben. Christliches: Zentral geht es um den Versuch des charismatischen Mönchs Ansgar und seiner Nachfolger, die Menschen in Birka zum Christentum zu bekehren. Ansgar selbst sucht nach Macht und Belohnung. Die Missionierung hat politische Hintergründe, dem Kaiser und den örtlichen Machthabern geht es um den Handel. Es kommt zwar zu Taufen und zum Kirchbau, einige Heiden sabotieren aber immer wieder die Arbeit der Christen. Die Frauen, deren Rechte beschnitten werden sollen, wehren sich unter anderem mit falschen Aussagen in der Beichte. Das ehelose Leben gelingt den Geistlichen nicht: Ansgar zeugt mit einer Frau ein Kind, zu dem er nicht steht, und Nithard verfällt einer Frau aus der Gemeinde.

B. Cornwell, Das letzte Königreich. Historischer Roman. Deutsch von Michael Windgassen, Rowohlt Taschenbuch Verlag: Reinbek bei Hamburg 2007, 475 S., englische Originalausgabe 2004. B. Cornwell, Der weiße Reiter. Historischer Roman. Deutsch von Michael Windgassen, Rowohlt Taschenbuch Verlag: Reinbek bei Hamburg 2007, 510 S., englische Originalausgabe 2006. B. Cornwell, Die Herren des Nordens. Historischer Roman. Deutsch von Karolina Fell, Rowohlt Taschenbuch Verlag: Reinbek bei Hamburg 2008, 476 S., englische Originalausgabe 2006.

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Einleitung: Das Vorhaben und die Quellen

B. Cornwell, Schwertgesang. Historischer Roman. Deutsch von Karolina Fell, Rowohlt Taschenbuch Verlag: Reinbek bei Hamburg 2009, 479 S., englische Originalausgabe 2007. Gesamtauflage von 600000 Stück zu gleichen Teilen auf die vier Bücher verteilt. Jeweils mit Karte zur Gegend Englands, in der der Roman spielt; Liste mit Ortsnamen und heutiger Entsprechung; Nachwort des Autors.

Autor: Bernard Cornwell, 1944 als Kriegskind geboren, »was adopted by a family in Essex who belonged to a religious sect called the Peculiar People (and they were), but escaped to London University«. Nach dem Studium arbeitete als Journalist bei der BBC, heute lebt er als Schriftsteller in den USA.34 Im Nachwort von Das letzte Königreich benennt Cornwell die Anglo-Saxon Chronicle und Asser’s Life of King Alfred als seine Hauptquellen. In seiner Erzählung basiere so viel wie möglich auf tatsächlichen Ereignissen (474). Von 2010 bis 2019 erschienen die nächsten Bände Das brennende Land, Der sterbende König, Der Heidenfürst, Der leere Thron, Die dunklen Krieger, Der Flammenträger und Wolfskrieg auf Deutsch. Weitere sollen folgen. Ab 2015 wurde die Uhtred-Saga von BBC bzw. Netflix für das Fernsehen verfilmt.35 Dazu erschienen die ersten drei Bände gemeinsam als Sonderausgabe. Inhalt: Der Mitte des neunten Jahrhunderts geborene northumbrische Fürstensohn Uhtred von Bebbanburg fällt als Kind bei der Eroberung Englands durch die Dänen in deren Hände, wächst bei ihnen auf und lernt – an ihrer Seite – zu kämpfen. Uhtred wurde zwar christlich getauft und erzogen, aber mit seiner Liebe zu den Nordmännern wächst auch die Liebe zu ihren Göttern. Als der Däne Kjartan Uhtreds Zieheltern tötet, wird dieser zu seinem Todfeind. Zusammen mit Ragnar, dem Sohn seiner Zieheltern, dem er immer wieder begegnet, will Uhtred die von Kjartan besetzte Burg erobern, Ragnars Schwester Thyra aus dessen Gefangenschaft befreien und Kjartan töten. Wiederholt macht Uhtred sich auf den Weg nach Northumbrien, um die heimatliche Burg zurückzuerhalten, die mittlerweile sein Onkel an sich gerissen hat. Da Uhtred nun Schwurmann und einer der wichtigsten Krieger des Königs Alfred des Großen von Wessex ist, der ihn entführt und zu den Engländern zurückgebracht hatte, wird er allerdings häufig in den Süden zurückgerufen. Uhtred ist immer wieder versucht, die Seiten zu wechseln. Nach vielen Raubzügen und einer ersten Niederlage gegen die Engländer unter der Führung Uhtreds können die Dänen fast das ganze Gebiet der fünf englischen Königreiche erobern. König Alfred sammelt von seinem Rückzugsort in einem kleinen Sumpfgebiet aus Kämpfer für die entscheidende 34 Zum Autor http://www.bernardcornwell.net, eingesehen am 17. 9. 2012. 35 Vgl. https://www.netflix.com/de/title/80074249, eingesehen am 17. 4. 2020.

Kurzvorstellung der Romane: Autoren, Inhalte, christliche Schwerpunktthemen

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Schlacht zur Rettung Englands. Nach der Rückeroberung von Wessex schließt sich Uhtred in Northumbrien König Guthred an, welcher ihn als Rudersklaven an die Dänen verkauft. Alfred kann ihn jedoch befreien. Uhtred erobert die Stadt Lundene von den Nordmännern zurück und befreit Alfreds Tochter aus deren Hand. Christliches: Die Romane enthalten ein breites Spektrum christlicher Aspekte. Im Zentrum steht die (teils auch kriegerische) Auseinandersetzung zwischen Heiden und Christen. Große Bedeutung hat der christliche Herrscher, es geht um seine Rolle bei der Missionierung, seine Förderung der Bildung und um die Geistlichen, mit denen er sich umgibt. Generell kommen zahlreiche Priester, Äbte, Bischöfe und Mönche vor. Verschiedenste Themen aus dem Bereich der Ehe, der Liturgie und der Theologie spielen eine Rolle, besonders die Heiligenverehrung.

Das Buch Haithabu (s. o.)

Die Reise nach Byzanz (s. o.)

4.7

Eine Frau auf dem Papstthron

D. W. Cross, Die Päpstin. Roman. Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Neuhaus, Rütten & Loening: Berlin 1996, 566 S., amerikanische Originalausgabe 1996; bis Herbst 2009 im Aufbau-Verlag 60 Auflagen, 5 Millionen verkaufte Exemplare; Weltbild Verlag: Augsburg 2000, Sonderedition mit CD Rütten & Loening: Berlin 2006, illustrierte Sonderausgabe Aufbau Taschenbuch Verlag: Berlin 2009, Buch zum Film Aufbau Taschenbuch Verlag: Berlin 2009. Mit Anmerkungen der Verfasserin unter der Frage, ob es Päpstin Johanna gab.

Autorin: Die Päpstin ist der erste Roman der 1947 in New York City geborenen Autorin Donna W. Cross. Sie hat englische Literatur studiert, in der Verlagsbranche gearbeitet, kreatives Schreiben an einem College unterrichtet und vorher bereits einige Sachbücher, vor allem über Kommunikation, veröffentlicht.36 Inhalt: Die Hauptperson des Buches ist Johanna von Ingelheim, zu Beginn des neunten Jahrhunderts geboren. Sie ist bereits als Mädchen sehr intelligent und wird gegen den Willen ihres Vaters, eines Dorfpriesters, und ihrer Mutter, einer 36 Vgl. http://www.popejoan.com/author.htm, eingesehen am 9. 7. 2013.

50

Einleitung: Das Vorhaben und die Quellen

heidnischen Sächsin, von dem Griechen Aeskulapius unterrichtet und an der Domschule in Dorstadt ausgebildet. Nach einem Massaker durch Normannen bei ihrer arrangierten Eheschließung tritt Johanna als Mann verkleidet ins Kloster zu Fulda ein, erwirbt dort medizinische Kenntnisse und wird zum Priester geweiht. Als sie erkrankt, verlässt sie das Kloster und pilgert nach Rom, wo sie als Arzt arbeitet und schließlich Leibarzt von Papst Sergius wird. Nach dessen Tod wird sie zum Nomenclator, dem für die Wohlfahrt zuständigen Minister, des neuen Papstes Leo ernannt. Als dieser stirbt, wird sie schließlich selbst zum Papst gewählt. Seit ihrer Jugendzeit kennt und liebt Johanna den Markgrafen Gerold, den sie in Rom wieder trifft und der zum Superista, dem Befehlshaber der päpstlichen Garde, ernannt wird. Johanna wird von Gerold schwanger, er stirbt durch eine Intrige von Johannas Widersacher Anastasius und sie stirbt bei der Frühgeburt des Kindes. Christliches: Eine Fülle christlicher Themen kommt vor. Es geht um Priester, Bischöfe und Äbte, das Gegenüber von Heiden und Christen, den Kontrast zwischen Verpflichtungs- und Liebesehen bzw. -beziehungen, das Leben im Kloster Fulda mit einem Schwerpunkt auf Bildung und Heilkunde. Ein Schwerpunktthema ist das Papsttum, besonders die Wahl des Papstes, seine Aufgaben, seine Auseinandersetzung mit dem Kaiser und Intrigen am päpstlichen Hof. Des Weiteren finden sich liturgische Themen wie die Sakramente, christliche Feste und das Gebet, karitative Tätigkeiten, theologische Fragen wie die Prädestination, die Kindsoblation, das Opfer, das Verhältnis von Glaube und Vernunft oder die persönliche Gottsuche.

E. Noske, Der sechste Tag. Ein Kriminalroman aus dem Mittelalter, Emons Verlag: Köln 2006, 255 S., Lizenzausgabe Das Erbe des Papstes. Ein Krimi aus dem Mittelalter, Goldmann Verlag: München 2007. Mit Karte: Karolingerreich nach Teilung durch Vertrag von Verdun 843; Epilog mit weiterem Verlauf des Lebens der Hauptpersonen; Liste der authentischen Figuren.

Autor: Edgar Noske, Jahrgang 1957, verstorben 2013, arbeitete nach einer Ausbildung als Industriekaufmann und einem abgebrochenen Studium (Italienisch, Geschichte und Philosophie) als Taxifahrer, Hilfskrankenpfleger, Aushilfskoch, Verkäufer von Traktoren, Betreiber eines Hemden- und Krawattengeschäfts und Vertreter von Masten für Flutlichtanlagen. Schließlich lebte er als freier Autor zahlreicher Eifelkrimis und einiger im Mittelalter spielender Krimis im Rheinland und in der Eifel.37 37 Zum Autor vgl. http://www.edgar-noske.de, eingesehen am 23. 4. 2012.

Kurzvorstellung der Romane: Autoren, Inhalte, christliche Schwerpunktthemen

51

Inhalt: Nach der Niederlage seines Lehnsherrn Kaiser Ludwig des Frommen gegen seine Söhne auf dem Rotfeld flieht der Ritter Gernot von Besslingen im Jahr 833 nach Cordoba. Jahre später kehrt er in Begleitung seines Freundes, des muslimischen Kaufmannes Tariq, ins Frankenreich zurück, um sich im Kampf gegen seinen Erzfeind Kaiser Lothar dessen Brüdern anzuschließen. Durch seinen alten Magister Thomas erfährt Gernot, dass sein für tot gehaltener Sohn am Leben ist. Im Kloster Fulda findet er ihn wieder und nimmt ihn mit auf sein neues Lehen Soissons. Konrads Freund Johannes, ein illegitimer Sohn Lothars, begleitet Thomas von Fulda aus nach Rom, wo er ausgebildet wird und in der Kurie Karriere macht. Über Thomas erhält Konrad eine Einladung von Johannes nach Rom, wohin er mit Gernot aufbricht. Als die beiden unterwegs von Lothar gefangen genommen werden, kann Tariq sie befreien, indem er Lothar von seinem Sohn erzählt und verspricht, für dessen Wahl zum Papst zu sorgen. Nach vielen Verwicklungen wird Johannes schließlich im August 855 zum Nachfolger von Papst Leo IV. gewählt, worauf Tariq im Auftrag des Emirs von Cordoba jahrelang hingearbeitet hatte. Tariq weiß, dass Johannes in Wahrheit eine Frau ist, und will durch diese Enthüllung die Christen in ihrem Glauben erschüttern und ihre Macht endgültig brechen. Christliches: Zentral geht es um die Themen Mönchtum und Papsttum. Eine junge verkleidete Frau wird Mönch und schließlich Papst. Die Klöster Aniane, Fulda und Prüm kommen vor, ihr Aufbau und die Aufgaben der dortigen Mönche. Der Benediktiner Magister Thomas fungiert als Lehrer und Berater. Das Verhältnis von Papst und Kaiser, die Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Papstwahl sowie die Konfrontation von Christentum und Islam spielen eine entscheidende Rolle.

4.8

Frauen im Kampf um Selbstbestimmung

G. Ruch, Genovefa. Roman aus dem frühen Mittelalter, Rhein-Mosel-Verlag: Alf/ Mosel 2002, 207 S., zu Günter Ruchs Zeit Verkauf von 4000 Exemplaren. Mit Übersichtskarte Mayen im Jahr 732.

Autor: Günter Ruch, 1956 geboren und 2010 verstorben, lebte im Rheinland und arbeitete als Werbegrafiker, Pressefotograf und Journalist. Neben historischen Romanen hat er auch Romane aus den Genres Fantasy und Science Fiction sowie Romane zu zeitgenössischen Themen verfasst.38

38 Zum Autor vgl. http://www.guenter-ruch.de, eingesehen am 17. 9. 2012.

52

Einleitung: Das Vorhaben und die Quellen

Inhalt: Genovefa, eine Grafentochter aus Brabant, wird von ihrem Vater mit Sygifrid, einem Pfalzgrafen aus der Eifel, verheiratet. Ihre Amme Bertrada begleitet sie dorthin. Als Sygifrid im Jahr 732 gegen die Sarazenen in den Krieg zieht, spinnt sein Verwalter Golo eine Intrige gegen Genovefa: Er behandelt sie abfällig und versucht, sich ihr zu nähern, aber sie weist ihn ab. Bei Sygifrids Rückkehr bezichtigt Golo Genovefa der Untreue mit einem Küchengehilfen, welcher auch der Vater ihres Kindes sein soll. Sygifrid verurteilt seine Frau daraufhin zum Tod, doch die Männer, die sie und ihr neugeborenes Kind töten sollen, haben Mitleid mit ihnen. Genovefa lebt mit ihrem Sohn sieben Jahre lang in einer Höhle im Wald, nur unterstützt von der alten heilkundigen Amalaswintha. Als Sygrifrid die beiden durch Zufall entdeckt und von Golos Intrige erfährt, wird dieser hingerichtet. Genovefa kann das Zusammenleben mit ihrem Mann, der seinen Sohn immer mehr auf seine Seite zieht, allerdings nicht mehr ertragen und lässt ihn glauben, sie sei bei einem Brand der Burg umgekommen. Mit dem Kaufmann Desiderius will sie in dessen Heimat Byzanz ein neues Leben beginnen. Christliches: Im Mittelpunkt stehen Genovefas Ehe und ihr vermeintlicher Ehebruch. Ihrem Glauben an Gott und ihrer Verehrung für Maria steht der Aberglaube einiger anderer Menschen gegenüber. Außerdem spielt Genovefas karitative Tätigkeit eine gewisse Rolle.

B. Erwin/U. Buchhorn, Die Herren von Buchhorn. Historischer Roman, GmeinerVerlag: Meßkirch 2008, 323 S., Auflage 2500 Stück. Mit Danksagung; Nachwort zu Örtlichkeiten und historischen Personen.

Autoren: Birgit Erwin, Jahrgang 1974, ist Gymnasiallehrerin und Autorin von Kriminalromanen und Kurzgeschichten. Ulrich Buchhorn, Jahrgang 1961, unterrichtet als Althistoriker Latein und schreibt Kriminalkurzgeschichten.39 Im Nachwort geben sie die Chronik Ekkehards IV. von Sankt Gallen aus dem elften Jahrhunderts als wichtigste verwendete Quelle an. Inhalt: Als ihr Mann Graf Udalrich Anfang des 10. Jahrhunderts nicht vom Feldzug gegen die Ungarn zurückkehrt und für tot erklärt wird, schließt sich Gräfin Wendelgard von Buchhorn in Sankt Gallen einer Inklusengemeinschaft an, die von der Gründerin Wiborada geleitet wird. Der Schmied Gerald und seine Frau Mechthild, Diener des Grafen, begeben sich aufgrund einer Nachricht nach Bregenz zu Adalbert, Udalrichs Knappen und Begleiter beim Feldzug, den sie nur noch tot vorfinden. Sie wollen Wendelgard informieren, aber Gerald wird unterwegs ermordet und Mechthild stirbt im Hospiz von Sankt Gallen. Durch Ge39 Zu den Autoren vgl. http://www.gmeiner-verlag.de/autoren/autor/267-Ulrich_Buchhorn__ Birgit_Erwin.html, eingesehen am 17. 9. 2012.

Kurzvorstellung der Romane: Autoren, Inhalte, christliche Schwerpunktthemen

53

rald, den in Bregenz lebenden Sohn der beiden, erfährt Wendelgard davon und reist nach Buchhorn. Dort will sie die jährliche Armenspende anlässlich des Todestages ihres Mannes durchführen und darf zudem am Begräbnis ihrer ehemaligen Diener teilnehmen. Auf der Burg wirbt der Junker Ludowig von Bregenz um sie, der bereits früher um ihre Hand angehalten hatte. Auch die Inkluse Agnes, die Begleiterin Wendelgards und Schwester Ludowigs, kommt zu Tode. Zusammen mit Bischof Salomo, einem väterlichen Freund Wendelgards, und dem Mönch Eckhard entdeckt Gerald, dass Udalrich noch lebt und Ludowig für alle Morde verantwortlich ist. Mit Hilfe der Welfen, der Feinde des Grafen, wollte er die Herrschaft über die Grafschaft von Buchhorn erlangen. Während der Armenspende wird Ludowig überführt, Udalrich gibt sich zu erkennen, tötet Ludowig im Zweikampf und kann Wendelgard in die Arme schließen, welche durch Salomo von ihrem Gelübde entbunden wird. Christliches: Der Gegensatz von Kloster und Welt, von geistlichen und weltlichen Pflichten ist zentral. Im Mittelpunkt stehen das Leben der Gräfin Wendelgard und anderer Inklusen bei Wiborada in der Nähe von Sankt Mangen, und Wendelgards Wunsch, von ihrem Gelübde entbunden zu werden, als sie erfährt, dass ihr tot geglaubter Mann lebt. Weiterhin spielt das Leben der Benediktiner im Kloster Sankt Gallen eine wichtige Rolle, bedeutsam sind der Abt, der zugleich Bischof von Konstanz ist, und sein Sekretär, der ermittelnde Mönch Eckhard.

Die Päpstin (s. o.)

Das Pergament des Himmels (s. u.)

4.9

Die Macht der Bildung

M. R. Kaiser, Die Abbatissa. Historischer Roman, Rowohlt Taschenbuch Verlag: Reinbek bei Hamburg 2008, 508 S. Mit vorangestelltem Zitat von Arno Borst, Epilog mit Erklärungen der Autorin, Glossar, Zeittafel, Stammtafel.

Autorin: Die 1952 in Trier geborene Autorin Maria Regina Kaiser studierte Alte Geschichte, Archäologie und Hispanistik und promovierte über die Münzprägung des Kaisers Commodus. Darüber schrieb sie auch Sachbücher. Sie war an der Universität Frankfurt/Main in der Forschung tätig, inzwischen arbeitet sie als

54

Einleitung: Das Vorhaben und die Quellen

freie Autorin und Lektorin und verfasst historische Romane, Kinder- und Jugendbücher, Krimis, Kurzgeschichten und journalistische Arbeiten.40 Inhalt: Die junge Imma weiß nicht, dass sie die Tochter Karls des Großen und seiner Schwester, der Laienäbtissin Ada, ist. Im Kloster in Trier wird sie Ende des achten Jahrhunderts zusammen mit der Sächsin Gerwind, Karls Tochter Rotrud und anderen unterrichtet. Imma erlernt die Schreibkunst und reist als Cancellaria mit der Äbtissin umher. Nachdem sie gegen Adas Willen die Gelübde abgelegt hat, bekommt sie ein Kind von Wikbert, der sie für seine Verlobte Gerswind gehalten und nach seiner Taufe in Attigny geschwängert hatte; das Kind wächst bei Pflegeeltern auf, Gerswind wird Karls »Friedelfrau«. Als Imma im Aachener Skriptorium an der Ausgestaltung eines von Bertrada in Auftrag gegebenen Evangeliars arbeitet, lernt sie Alkuin und Einhard kennen. Einhard kommt sie näher und stiehlt mit ihm in Rom einen Kameo für den Einband des Evangeliars. Als Imma selbst Äbtissin werden soll, flieht sie nach Bagdad, wo sie Karls Übersetzer Yussuf treffen will. Sie hatte sich in ihn verliebt, durch ihn den Islam kennenlernt und Arabisch gelernt. In Bagdad wird Imma Muslima, den gefangenen Yussuf kann sie nur noch einmal vor seiner Hinrichtung besuchen. Sie kehrt mit einer Kopie des Kameo zurück und vernichtet den echten, der vielen Menschen Unglück bringt. Imma erfährt das Geheimnis ihrer Herkunft und wird von Karl begnadigt. Sie, die die Dreieinigkeit bestreitet, soll für den Kalifen von Bagdad das Werk des Augustinus über den dreieinigen Gott auf Arabisch übersetzen. Offen bleibt, ob Imma das Buch selbst dorthin bringt, in Aachen oder bei Einhard bleibt. Christliches: Eine große Rolle spielt das Leben im Kloster St. Irminen in Trier: der Unterricht für die Schülerinnen, die Aufgaben der Nonnen, vor allem im Skriptorium, der Ein- und Austritt. Mehrere Nonnen brechen ihre Gelübde und werden schwanger, unter anderem von einem Mönch. Die Heilssorge wird thematisiert, indem eine Nonne stellvertretend für die Laienäbtissin Ada büßt. Diese hat sogar Inzest mit ihrem Halbbruder Karl begangen. Auch Karls weitere Ehen und Liebschaften spielen eine Rolle. Außerdem geht es um das Verhältnis von Papst und Kaiser, konkret um den Überfall auf Papst Leo, den folgenden Prozess, die Kaiserkrönung, die Konstantinische Schenkung. Weitere Aspekte sind die Taufe Widukinds, der Reliquienraub Einhards, der Bau der Pfalzkapelle in Aachen. Als theologische Themen werden die Bilderverehrung und im Zusammenhang mit dem Islam und dem Koran die Trinität diskutiert.

40 Vgl. http://www.histo-couch.de/maria-regina-kaiser.html, eingesehen am 9. 7. 2013.

Kurzvorstellung der Romane: Autoren, Inhalte, christliche Schwerpunktthemen

55

A. Garrido, Das Pergament des Himmels. Roman. Aus dem Spanischen von Anja Lutter, Rütten & Loening: Berlin 2008, 571 S., Auflage 50000 Exemplare, spanische Originalausgabe 2008. Mit einigen Worten des Autors über »Anfänge«, »Arbeit« und »Wünsche«.

Autor: Der Spanier Antonio Garrido, 1963 geboren, ist Ingenieur und Professor an der Polytechnischen Universität in Valencia. Das Pergament des Himmels ist sein erster Roman.41 Inhalt: Theresas Meister will im Jahr 799 verhindern, dass sie in Würzburg Pergamentmacherin wird. Auf ihren Vater Gorgias, der im Skriptorium des Grafen Wilfred arbeitet, wird ein Attentat verübt. Nach einem Brand der Werkstatt muss Theresa fliehen. Gorgias wird von Wilfreds Sekretär Genserico eingesperrt, um an einem geheimen Dokument zu arbeiten. Theresa findet in Fulda im Gasthaus der Prostituierten Helga Unterschlupf. Der kranke Haldor Larsson, der Theresa unterwegs geholfen hat und in den sie sich verliebt, wird im Kloster gepflegt. Dort lernt Theresa Alkuin kennen und wird seine Schreiberin. Gorgias kann fliehen und sich verstecken. Alkuin und Theresa finden heraus, dass der Bischof von Fulda für den Verkauf von vergiftetem Getreide verantwortlich ist. Dafür belohnt Karl der Große Theresa mit einem Stück Land; sein Ingenarius Izam von Padua hilft ihr bei der Bewirtschaftung. Theresa begleitet Alkuin und eine päpstliche Delegation nach Würzburg. Gorgias wird beschuldigt, Genserico und einige junge Männer ermordet zu haben. Theresa soll seine Arbeit an einer Kopie der »verloren gegangenen« Konstantinischen Schenkung fortsetzen. Sie erkennt, dass Haldor ein Komplott gegen sie schmiedet. Auch der Pergamentmeister wird ermordet. Alkuin vermutet, dass Wilfred für einige der Morde verantwortlich ist. Theresa sieht ihren schwer kranken Vater wieder, der eingekerkert wird und in ihrem Beisein stirbt. Er hatte erkannt, dass die angeblich verschwundene Urkunde nie existiert hat und ein ganz neues Dokument erstellt werden soll. Theresa wird eingesperrt und misshandelt, ihre Verbrennung kann Izam durch ein Gottesurteil verhindern, bei dem er gegen Haldor kämpft, den Theresa erschießen kann. Der päpstliche Gesandte, der mit Haldor und Genserico kooperiert hat, wollte im Auftrag der Kaiserin von Byzanz das Pergament an sich bringen. Wilfred tötet diesen, er wird von seinen Verbrechen freigesprochen und zieht sich in ein Kloster zurück. Theresa geht mit Izam nach Nantes, und Alkuin findet das von Gorgias versteckte Pergament wieder. Christliches: In erster Linie geht es um Kirchenpolitik, um die Fälschung der Konstantinischen Schenkung. Der Benediktinermönch Alkuin von York, Karl der Große und der Papst sind dafür verantwortlich. Ihr Gegenspieler ist ein 41 Vgl. http://www.aufbau-verlag.de/index.php/autoren/antonio-manuel-garrido, eingesehen am 9. 7. 2013.

56

Einleitung: Das Vorhaben und die Quellen

päpstlicher Legat, der für die Kaiserin von Byzanz arbeitet. Führende Kirchenmänner wie der Bischof von Fulda und der Graf von Würzburg, der auch Priester ist, werden als Verbrecher geschildert. Alkuin kann hier seine kriminalistischen und heilkundigen Fähigkeiten unter Beweis stellen. Er soll eigentlich für die Verbreitung von Bildung und Gottes Wort sorgen. Das Domstift und das Kloster in Fulda kommen vor. Eine Kreuzreliquie und ein (falsches) Auferstehungswunder spielen eine Rolle.

T. Müller, Der Kalligraph des Bischofs. Historischer Roman, Aufbau Taschenbuch Verlag: Berlin 2002, 421 S.; gebundene Ausgabe Weltbild Verlag: Augsburg 2003; gebundene Ausgabe Brunnenverlag: Gießen 2005, Abverkauf von 4100 Exemplaren, mittlerweile vergriffen. Mit Nachwort darüber, wie es mit den Hauptpersonen weiter ging; Dank des Autors.

Autor: s. Die Priestertochter. Inhalt: Der Roman spielt ab dem Jahr 818 in Turin, wo Claudius sein Amt als neuer Bischof antritt. Durch das, was er tut und lehrt, macht er sich viele Feinde. Er ist ein Gegner der Bilderverehrung und entfernt allen Schmuck aus seiner Bischofskirche. In seinem ehemaligen Schüler, dem Abt Theodemir von Psalmody, hat er inzwischen einen erbitterten Gegner. Auf Claudius’ Seite sind der heilkundige Rechtsgelehrte Odo, Claudius’ friedliebender und gelehrter Schreiber Biterolf, der Dieb und Mörder Germunt, den Claudius am Bischofshof aufnimmt, ausbilden und in Tours Kalligraphie erlernen lässt, sowie die blinde Stilla, in die Germunt sich verliebt. Christliches: Der Schwerpunkt der christlichen Themen liegt auf dem Leben des Bischofs Claudius und seiner Bediensteten im Bischofspalast in Turin, auf seiner Haltung zur Bilderverehrung und dem von ihm durchgeführten »Bildersturm«. Über seine Lehre muss er sich mit einigen Äbten und anderen Gegnern auseinandersetzen. Auch Claudius’ Bibelauslegung, seine Haltung zu Gewalt und Vergebung und seine Auseinandersetzung mit dem Grafen spielen eine Rolle. Des Weiteren ist das Kloster Tours wichtig, wo der exkommunizierte Mönch Aelfnoth Germunt das Schreiben lehrt.

Die Päpstin (s. o.)

II.

Charakterisierung und Verortung der Quellen: Die Romane im Spannungsfeld von Literaturwissenschaft, Geschichtswissenschaft und Theologie

Die vorliegende Untersuchung ist zwar in der historischen Theologie verortet, greift aber interdisziplinär weit darüber hinaus. Sie berührt einige andere Forschungsbereiche, die zu berücksichtigen sind und wichtige Impulse bereithalten: die literaturwissenschaftlichen Forschungen zum historischen Roman, die (hauptsächlich geschichtswissenschaftliche) Erforschung der Mittelalterrezeption in der Populärkultur, sowie das aus theologischer Perspektive untersuchte Feld von Theologie und Literatur. Deshalb werden im Folgenden diese drei Bereiche mit ihren Fragestellungen und einigen relevanten Forschungsergebnissen vorgestellt und auf die eigene Arbeit bezogen, deren Profil sich dadurch deutlich abzeichnet. Im Mittelpunkt steht dabei immer die Frage nach Bezügen zwischen Geschichte und Gegenwart, nach Geschichts- und Mittelalterbildern, nach der Rolle des historischen Romans und nach der Thematisierung von Religion. In diesem Zusammenhang geschieht auch eine Charakterisierung und Einordnung der zu untersuchenden Romane.

1.

Historische Romane: Die Perspektive der Literaturwissenschaft

1.1

Das Quellenmaterial – historische Romane?

Der Kalligraph des Bischofs. Historischer Roman; Widukinds Wölfe. Historischer Roman; Das letzte Königreich. Historischer Roman: Drei Beispiele von vielen für (Unter-)Titel der in dieser Arbeit untersuchten Romane. Autoren und Verlage charakterisieren ihre Werke klar als »historische Romane«. Damit ordnen sie sie zu einer Gruppe zusammen und stellen sie in eine bestimmte Tradition. Beim Stichwort »historischer Roman« mag man an einen seiner Begründer, Sir Walter Scott, und dessen Romane wie Ivanhoe denken oder, aus jüngerer Zeit, an Umberto Ecos Der Name der Rose. So leicht sich ein Werk als historischer Roman

58

Charakterisierung und Verortung der Quellen

charakterisieren lässt, so schwierig ist es, diese Zuschreibung inhaltlich zu füllen. Also: Was zeichnet einen historischen Roman aus?42 Die Literaturwissenschaftler Hans Vilmar Geppert und Ansgar Nünning bezeichnen den historischen Roman als »hybrides Genre« (s. u.). Über die Jahrzehnte und Jahrhunderte war er vielen Wandlungen unterworfen, hat sich mit anderen Gattungen verbunden und Untergattungen erzeugt. Von Scott und weiteren Vorläufern wie Alessandro Manzoni und Achim von Arnim an über Romane eines Adalbert Stifter und Leo Tolstoi, den »Professorenroman«, Romane von Alfred Döblin oder Alexander Kluge bis zu Eco und der historiographischen Metafiktion ist er in vielen Gestalten aufgetreten. Was aber ist das Verbindende? Zwei wichtige Definitionen können hier helfen, an die sich eine eigene anschließt.

1.2

Grundlegend: Definitionen aus der Literaturwissenschaft

Der Germanist Hans Vilmar Geppert stellt in einer aktuellen, umfassenden Gattungsgeschichte des historischen Romans fest, das Hybride dieses Erzählens habe es so vital und faszinierend für immer neue Leser werden lassen.43 Der historische Roman sei zuerst Roman, er könne sich aller Erzählformen bedienen, werde aber zusätzlich durch seinen historischen Diskurs bzw. Fokus geprägt. Das Besondere seiner Poetik sei »die immer neu Geschichte auserzählende ›replikativ-iterative‹ Spirale, die ›nur wenn-dann/dann nicht-Dynamik‹ von Fiktion, Historie, Fiktion und so fort«.44 Man könne den historischen Roman so definieren, »dass mindestens ein ›Handlungskern‹, also ein für das Ganze unverzichtbares Element der geformten Erzählung (›plot‹, ›fabula‹, Teilgeschichte, Erzählstrang etc.) historisch wiedererkennbar ist. Mindestens eine ›Erzählsequenz‹ muss […] von einem historiographisch-kulturellen Code ›markiert‹ sein«.45

42 In dieser Arbeit geht es um Romane aus der Gegenwart, die im Mittelalter spielen. Bemerkenswert ist zugleich, dass die Anfänge der Erzählgattung Roman in das Mittelalter zu setzen sind, vgl. D. Klein, Der Roman, in: Dies. (Hg.), »Überall ist Mittelalter«. Zur Aktualität einer vergangenen Epoche (Würzburger Ringvorlesungen 11), Würzburg 2015, 195–220. 43 Vgl. H. V. Geppert, Der Historische Roman. Geschichte umerzählt – von Walter Scott bis zur Gegenwart, Tübingen 2009, 1. – Bereits H. V. Geppert, Der »andere« historische Roman. Theorie und Strukturen einer diskontinuierlichen Gattung (Studien zur deutschen Literatur 42), Tübingen 1976, brachte wesentliche neue Erkenntnisse. 44 Geppert, Der Historische Roman, 5. 45 Geppert, Der Historische Roman, 159.

Historische Romane: Die Perspektive der Literaturwissenschaft

59

Der historische Fokus konstituiere den historischen Roman, lege ihn aber keineswegs fest. Alles könne im Roman zur Historie hinzu erfunden werden, jede noch so freie Fiktion könne historisch interessant erzählt werden. Der Anglist Ansgar Nünning arbeitet mit einer Definition der historischen Romane als fiktionaler Erzähltexte, in denen »narrative Sinnbildung über Zeiterfahrung im Zentrum steht und die sich durch jenes Spannungsverhältnis zwischen verschiedenen Zeitebenen auszeichnen, das in der Rhetorik des Damals-und-Heute zum Ausdruck kommt«.46 Auf einer oder mehrerer der Kommunikationsebenen würden mit einem Spektrum von Vermittlungsformen dominant Themen behandelt, die dem Bereich der Historie, der Historiographie, des Geschichtsbewusstseins, der Geschichtswissenschaft zuzuordnen sind. Ein Anliegen Nünnings ist es, über Definitionen, die den historischen Roman auf das Modell Scotts eingrenzen, hinauszugehen, und auch innovative Ausprägungen des Genres einzubeziehen. Für die vorliegende Untersuchung soll mit der folgenden Definition gearbeitet werden, die sich an Geppert und Nünning anschließt: Beim historischen Roman handelt es sich um eine Gattung von fiktionalen, literarischen Texten, die sich verschiedener Erzählformen bedienen können, aber immer durch einen historischen Fokus oder Diskurs bestimmt sind. Sie beinhalten eine Dynamik von Historie und Fiktion und ein Spannungsverhältnis verschiedener Zeitebenen. Diese Definition erfasst die untersuchten Romane. Der historische Fokus liegt bei ihnen auf dem Frühmittelalter, dort sind die Erzählungen verortet. Sie stehen immer auch in einer Spannung zur Gegenwart, die von ganz anderen oder doch ähnlichen Fragen und Themen geprägt ist, und für die das Frühmittelalter als Vorläufer oder als Schreckensbild geschildert wird. In den Romanhandlungen treten gänzlich fiktive Figuren neben solchen auf, für die es historische Vorbilder gibt, historische Ereignisse werden ebenso erzählt wie das Alltagsleben. Die Erzählperspektive nimmt durchaus den Blick der Herrscher, aber immer wieder auch den von Außenseitern ein. Manche Figuren erscheinen sehr modern und zeigen wieder die Spannung zur Gegenwart.

46 A. Nünning, Von historischer Fiktion zu historiographischer Metafiktion. Band 1: Theorie, Typologie und Poetik des historischen Romans, Band 2: Erscheinungsformen und Entwicklungstendenzen des historischen Romans in England seit 1950 (Literatur – Imagination – Realität 11.12), Trier 1995, Band 1, 122.

60 1.3

Charakterisierung und Verortung der Quellen

Ergänzend: Neue Perspektiven aus der Rezeptionsforschung

Zum historischen Roman liegen zahlreiche Untersuchungen vor. Viele davon befassen sich mit Scott und den Anfängen des historischen Romans, dem historischen Roman in einem bestimmten Land, darin vorkommenden Themen und der Bedeutung für eine bestimmte Epoche.47 Neben der bereits erwähnten Gattungsgeschichte von Geppert sind für die vorliegende Untersuchung Arbeiten zu Romanen aus der jüngeren Zeit wegweisend, die sich mit dem historischen Roman in der Postmoderne befassen,48 mit dem historischen Roman als Teil der Populärkultur sowie mit im Mittelalter spielenden Romanen. Die Erkenntnisse dieser Arbeiten können für die vorliegende Untersuchung fruchtbar gemacht werden. Diese kann außerdem im Forschungsfeld »historischer Roman« verortet werden.

1.3.1 Der historische Roman in der Postmoderne Ansgar Nünning hat 1995 auf der Basis von 250 Werken die Gattungsgeschichte des historischen Romans in England seit 1950 rekonstruiert. Er sieht eine Renaissance »jenes hybriden Genres, das Themen der Geschichte mit Mitteln der Fiktion darstellt«. In den vorherigen 20 Jahren seien historische Romane häufiger als alle anderen Romangenres zusammen mit dem Booker Prize prämiert worden. Seit Ende der 1960er Jahre sei es zu einem sprunghaften Anstieg eines neuen Typus von revisionistischer, metafiktionaler und selbstreflexiver Geschichtsfiktion gekommen, zu einem »Wandel von historischer Fiktion hin zu historiographischer Metafiktion«.49 Inhaltlich sieht Nünning eine Ausweitung der herkömmlichen Grenzen des historischen Romans durch die Erschließung jener neuen Themenbereiche, die in der Historiographie durch Ansätze wie die Alltags-, Mentalitäts- und Frauengeschichte ins Blickfeld gerückt worden sind. Die restriktiven Konventionen des realistischen Erzählens seien formal durchbrochen worden. Nünning geht davon aus, »dass narrative Darstellungsformen 47 Es gibt auch ein »Projekt historischer Roman« an der Universität Innsbruck, das in einer Datenbank deutschsprachige historische Romane aus der Zeit von 1780 bis 1945 erfasst hat, http://www.uibk.ac.at/germanistik/histrom, eingesehen am 6. 10. 2013. 48 Auch F. Grimm, Reise in die Vergangenheit – Reise in die Fantasie? Tendenzen des postmodernen Geschichtsromans, Frankfurt 2008, hat sich der Postmoderne zugewandt und will »anhand von Beispielen Entwicklungstendenzen der Gattung historischer Roman in der Postmoderne« beleuchten, mit dem Hauptaugenmerk auf der deutschsprachigen Literatur der 1980er Jahre. Er erwartet, »dass der historische Roman der Postmoderne zu einem Mentalitätswandel gegenüber dem Thema Geschichte beiträgt und diesen reflektiert« (14). Mit der Einzelinterpretation von vier Romanen will er die vielfältigen Möglichkeiten der Gattung aufzeigen. 49 Nünning, Fiktion. Band 1, vii (Vorwort).

Historische Romane: Die Perspektive der Literaturwissenschaft

61

einen relevanten Indikator für implizit vermittelte Geschichtsauffassungen darstellen«.50 Indem er Kategorien von Geschichtstheorie und Narratologie einbezieht, kann er die These von der Fiktionalisierung der Geschichtsschreibung widerlegen51 und Merkmale und Privilegien narrativ-fiktionaler Geschichtsdarstellung systematisch ermitteln. Nünning beschränkt seine Untersuchung aber nicht auf jenen neuen Typus metafiktionaler Geschichtsfiktion, der seit den Arbeiten der Literaturtheoretikerin Linda Hutcheons als »historiographic metafiction«52 bezeichnet wird und die Aufmerksamkeit »von der Darstellung von geschichtlichen Ereigniszusammenhängen auf die Metaebene der Reflexion über deren Aneignung, Rekonstruktion und Darstellung«53 verlagert. Er unterscheidet fünf Typen des historischen Romans: den dokumentarischen (»Fiktion als Geschichtsschreibung«), realistischen (»Fiktive Handlung im historischen Raum«) und revisionistischen (»Fiktive Gegengeschichten«) historischen Roman, den metahistorischen Roman (»Selbstreflexive Geschichtsfiktion«) und die historiographische Metafiktion (»Fiktionen der Historiographie«).54 Bei dieser graduellen Skalierung von Gattungsausprägungen würden sich die Dominanzverhältnisse zwischen Heteround Autoreferentialität, zwischen Geschichtsdarstellung und Reflexion über Geschichte und Biografie sowie zwischen der Schilderung von Geschichte auf der diegetischen Ebene zur metafiktionalen Reflexion über Probleme der Historiografie auf der extradiegetischen Ebene verlagern. Außerdem »verringern sich sowohl der Grad an Kongruenz zwischen dem jeweils entworfenen fiktionalen Geschichtsmodell und dem Wissen der Historiografie über die geschichtliche Wirklichkeit als auch die Intensität der Primär- und Erlebnisillusion«.55 50 Nünning, Fiktion. Band 1, 8. 51 Nünning wendet sich u. a. gegen Hayden Whites Gleichsetzung von fiktionalen und historiographischen Erzählungen. Vgl. z. B. H. White, Auch Klio dichtet oder Die Fiktion des Faktischen. Studien zur Tropologie des historischen Diskurses. Einführung von Reinhart Koselleck. Aus dem Amerikanischen von Brigitte Brinkmann-Siepmann und Thomas Siepmann (Sprache und Geschichte 10), Stuttgart 1986 (englisches Original 1978), sowie H. White, Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa. Aus dem Amerikanischen von Peter Kohlhaas, Frankfurt 2008 (englisches Original 1973). Vgl. auch A. Nünning, Art. Historiographie und Literatur, in: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie4, 2008, 288f. 52 Vgl. A. Nünning, Art. Historiographische Metafiktion, in: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie4, 2008, 289f. 53 A. Nünning, Literarische Geschichtsdarstellung: Theoretische Grundlagen, fiktionale Privilegien, Gattungstypologie und Funktionen, in: B. Bannasch/C. Holm (Hg.), Erinnern und Erzählen. Der Spanische Bürgerkrieg in der deutschen und spanischen Literatur und in den Bildmedien, Tübingen 2005, 35–58, 44. 54 Nünning, Fiktion. Band 1, ii (Inhalt). Unterscheidung anhand der Selektionsstruktur, des dominanten Zeitbezugs, der Ebenen und Formen der Geschichtsvermittlung sowie des Verhältnisses eines fiktionalen Geschichtsmodells zum Wissen der Historiografie. 55 Nünning, Geschichtsdarstellung, 47f.

62

Charakterisierung und Verortung der Quellen

Nünnings Erkenntnisse lassen sich in mancher Hinsicht auch auf deutschsprachige Romane übertragen. Die in dieser Arbeit untersuchten Romane (einige davon im Original auf Englisch geschrieben) sind wohl am ehesten den realistischen oder revisionistischen historischen Romanen zuzuordnen. Einzelne metafiktionale Elemente lassen sich zwar entdecken, aber eine vertiefte Selbstreflexion und Reflexion über Geschichte und Geschichtsschreibung dominiert nicht in den Romanen. Wo diese aber vorkommt, ist näher zu untersuchen und bringt sicher interessante Erkenntnisse. Wie es Nünning als typisch für den revisionistischen Roman beschreibt, erzählen auch einige der untersuchten Romane »Gegengeschichten«, z. B. Das Erbe des Puppenspielers: Dort wird aus der Sicht eines umherziehenden Puppenspielers auf die Weltereignisse um Karl den Großen geblickt; der Puppenspieler versucht, den Mord an seiner Mutter zu rächen und Karl zu töten. Die Ansätze der Mentalitäts-, Alltags- und Frauengeschichte sind in jedem Fall in die behandelten Romane eingegangen, wie schon an vielen Buchcovern, die Frauen zeigen, und an Titeln wie Die Päpstin oder Das Geständnis der Amme deutlich wird. Nünnings Annahme, dass narrative Darstellungen einen Indikator für implizit vermittelte Geschichtsauffassungen darstellen, ist auch für diese Arbeit leitend. Der Literaturwissenschaftler Erik Schilling analysiert zwischen 1980 und 2010 entstandene, repräsentative deutschsprachige historische Romane und vergleicht sie mit den Romanen Ecos, auf die sie vielfach rekurrieren.56 Trotz des Verschwimmens der Grenzen von »hoher« und »populärer« Literatur seit der Postmoderne und des entscheidenden Zusammenhangs der Renaissance des historischen Romans seit 1980 mit einer Reduktion des Trivialverdachts gegenüber dem historischen Erzählen verzichtet Schilling auf eine ausführliche Untersuchung des populären historischen Romans. »Eine solche müsste, wollte sie aussagekräftig sein, soziologische Methodiken und empirische Daten einbeziehen, was im Rahmen des hier verfolgten literaturwissenschaftlichen Ansatzes nicht möglich ist«.57 Mehrere der zu analysierenden Texte würden sich aber auf der Grenze zum populären Genre bewegen: »Zahlreiche historische Romane seit der Postmoderne spielen mit dem Spannungsverhältnis, das sich ergibt zwischen der Evokation von Vertrautheit, wie sie der populäre historische Roman anstrebt, und der Irritation des Lesers, wie sie etwa selbstreflexive Einschübe im Rahmen metahistoriographischer Fiktion bedeuten«.58

Beispiele sind Der Name der Rose und Die Vermessung der Welt. – Schilling sieht den historischen Roman als ideale Gattung für eine literarische Umsetzung der 56 Vgl. E. Schilling, Der historische Roman seit der Postmoderne. Umberto Eco und die deutsche Literatur, Heidelberg 2012, 11. 57 Schilling, Roman, 17. 58 Schilling, Roman, 17, Fußnote 14.

Historische Romane: Die Perspektive der Literaturwissenschaft

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Prinzipien der Postmoderne: Er könne besonders gut Pluralität und Multiperspektivität veranschaulichen, das Zusammenspiel von Autor, Leser und Text gestalten, das Verhältnis von Realität und Fiktion illustrieren und das Prinzip der Simultaneität literarisch umsetzen. Eco sei dabei ein Wegbereiter.59 Ab etwa 2000 habe sich der historische Roman aber von einer Einbindung postmoderner Theorien ab- und dem »reinen Erzählen« zugewandt. Nun ist das Subjekt »im Gegensatz zur Postmoderne – selbstbewusst und integriert, außerdem – im Gegensatz zum gesellschaftlichen Kollektiv – recht optimistisch gegenüber der (individuellen) Zukunft«.60 Schwerpunkte seien jetzt Identitätssuche, ein prominenter Erzähler und eine Präferenz des Fiktionalen. Die Bezugnahmen auf die Vergangenheit seien nicht Ausdruck einer umfassenden Simultaneität, sondern punktuell und individuell motiviert.61 Durch Offenheit der Texte für verschiedene Lesarten, Verbindung von hoher und populärer Literatur, Identifikationsmöglichkeit durch den mittleren Helden, wird der historische Roman für eine so große Leserschaft attraktiv, dass die Gattung die Wahrnehmung von Literatur in der Öffentlichkeit insgesamt prägt.62 Außerdem bieten diese Texte einen alternativen Erfahrungsraum diesseits der Welt der neuen Medien: »Die Konstruktion einer Identität, die Darstellung bestimmter emotionaler Prozesse, die Konzentration auf spezielle Formen der Wahrnehmung ist gerade im historischen Roman möglich, weil sich die Texte der medialen Überformung der Gegenwart bewusst entziehen«.63

Schilling bilanziert, dass die Postmoderne aus der Sicht des historischen Romans als literarische Epoche selbst zu historisieren sei.64 Interessant ist neben der Rückkehr zum Erzählen und der Rekonstruktion des Subjekts, die sich auch in den hier untersuchten Romanen beobachten lässt (viele vermitteln den Eindruck, einfach eine gute Geschichte erzählen zu wollen), die Verbindung von hoher und populärer Literatur, von der Schilling spricht. Einen typischen mittleren Helden, der zur Identifikation einlädt und auf die großen Geschehnisse der damaligen Zeit blicken lässt, stellt z. B. Meginhard in Das Erbe des Puppenspielers dar (s. o.). Dass der historische Roman einen Zugang zu Geschichte und Literatur für ein breites Publikum darstellt, ist eine wichtige Ausgangsbasis für die vorliegende Arbeit. Schillings Ergebnis, dass die Romane einen wichtigen Erfahrungsbereich für die Identitätssuche neben den neuen Medien bieten, verdeutlicht, warum es auch im Internetzeitalter noch wichtig ist, sich mit 59 60 61 62 63 64

Vgl. Schilling, Roman, 277. Schilling, Roman, 285. Vgl. Schilling, Roman, 285. Vgl. Schilling, Roman, 290. Schilling, Roman, 291. Vgl. Schilling, Roman, 292.

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Charakterisierung und Verortung der Quellen

gedruckten Texten zu beschäftigen. Die von Schilling ausgelassene explizite Untersuchung des populären Romans wird gerade Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sein, wenn auch nicht in erster Linie mit soziologischen oder literaturwissenschaftlichen Methoden und einem Fokus auf die Sicht der Rezipienten. Stattdessen erfolgt sie aus einer theologischen Perspektive, die Texte vor allem auf einer inhaltlichen Ebene untersucht und die nicht nur eine bestimmte Gattung in den Mittelpunkt stellt, sondern auch eine konkrete Epoche, in der die Romane spielen, sowie die erzählten Aspekte religiösen Lebens.

1.3.2 Der historische Roman als Teil der Populärkultur Der historische Roman wird auch als Teil der Geschichtsrezeption in der Populärkultur65 gesehen und erforscht.66 Im Wintersemester 2011/12 bot z. B. eine Ringvorlesung (Untertitel: »Erkundung einer populären Gattung«) des Instituts für Neuere Deutsche Literatur und Medien an der Universität Kiel (und der daraus hervorgegangene Aufsatzband) neben Vorträgen zu den Klassikern eines Joseph Victor von Scheffel oder Felix Dahn auch eine Auseinandersetzung mit postmodernen historischen Romanen von Christoph Ransmayr oder Gisbert Haefs sowie populären historischen Romanen von Noah Gordon, Tanja Kinkel oder Iny Lorentz.67 Der Germanist Daniel Fulda hat sich explizit mit dem »populären Geschichtsroman« beschäftigt, dem die Germanistik kaum Beachtung schenke, und 65 Vgl. R. Mayer, Art. Populärkultur, in: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie4, 2008, 581f., und, insgesamt mit ähnlichem Duktus, J. Hauthal, Art. Populärkultur, in: Metzler Lexikon Literatur3, 2007, 599. 66 Im englischsprachigen Bereich gibt es bereits eine stärkere Auseinandersetzung mit Populärliteratur. Speziell zur »Historical Novel«, einem »enduringly popular genre« (Klappentext) vgl. J. de Groot, The Historical Novel (The New Critical Idiom), New York 2010, der neben den Ursprüngen des historischen Romans »genre fiction« (unterteilt in Romane für Frauen und für Männer) und »literary fiction« behandelt und sich auch dem »postmodernism« widmet. – Für K. Gelder, Popular Fiction. The logics and practices of a literary field, New York 2004, sind »industry«, »entertainment« und »genre« Schlüsselwörter zum Verständnis von »popular fiction«, die er der »literary fiction« bzw. »literature« gegenüberstellt. – D. Glover/S. McCracken (Hg.), The Cambridge Companion to Popular Fiction, Cambridge 2012, bietet interessante Aufsätze zum Leser von popular fiction und zu »gender and sexuality«. Betont werden immer wieder die Ausrichtung der Romane an Gattungsmerkmalen, das Phänomen der »serialization« und die »fan culture« mit Magazinen, Internetforen, Veranstaltungen und Marketingartikeln, die eine Bindung der Leser ermöglichen. 67 Vgl. Friedrich (Hg.), Roman. Der Herausgeber gibt eingangs einen kurzen Überblick zur Entwicklung der Gattung im 20. Jahrhundert, vor allem in der Gegenwart, die einzelnen Aufsätze werden dort aber nicht genannt oder eingeordnet. – Auch Paul/Faber (Hg.), Roman, beruht auf einer Ringvorlesung, beschäftigt sich aber wieder vorwiegend mit Hochliteratur, auch aus vergangenen Epochen, und kaum einer der behandelten Romane spielt im Mittelalter.

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auch seine Studenten dazu befragt. Historische Stoffe seien seit den 1980er Jahren auch im Unterhaltungs- und Trivialbereich wichtig geworden, »wo vornehmlich ereignisreiche Schicksale von Underdog-Helden und -heldinnen mit hohem Identifikationspotential in detailreich ›realistischer‹ Weise erzählt werden«.68 Diese Populärromane sind in der Regel intern fokalisiert (Blickwinkel einer Figur wird eingenommen), häufig auch autodiegetisch (Erzähler ist zugleich die Hauptfigur).69 Von Literatur als einer Kunst könne bei diesen Texten, die Schemata auswalzen und nicht die Irritation des Lesers, sondern die Evokation von Vertrautheit anzielen, keine Rede sein. Vor allem die Hörerinnen bezeugen den Erfolg bis ins akademische Milieu hinein. Durch den historischen Populärroman würden auch Leserschichten für das Medium Buch gewonnen, die sich früher mit Heftromanen begnügten. Die Leser würden die Abenteuer und Liebesgeschichten, die der Populärroman traditionell biete, sowie die historiographische Anstrengung schätzen. Stoffliche Plastizität und Reize seien wichtiger als formale Reize.70 Über partielle Historizität lässt sich für diese Texte »ein gesellschaftlich anerkannter Wert reklamieren, auf den der triviale Plot und der Mangel an Sprachkunst keinen Anspruch machen könnten«, so Fulda.71 Die durch ausgestellte Fremdartigkeit der Lebens- und Sozialverhältnisse und durch paratextuelle Hinweise auf die angestrebte Faktentreue demonstrierte Historizität würden die Charaktere der Figuren aber in keiner Weise einlösen. Deren Mentalität, Selbstbild und Lebensziele seien durch und durch heutig. Fulda spricht von »hier und heute lebenden Schauspielern in altertümlichen Kostümen und Kulissen«.72 Das irritierend Fremdartige (Sitten und gesellschaftliche Strukturen) und das scheinbar Ähnliche (menschliche Gefühle und Interessen) der Vergangenheit würden sich in den Romanen als säuberlich ge68 Fulda, Zeitreisen, 193. Vom »populären Historischen Roman oder historischen Populärroman« spricht er »als Sammelbegriff für Gattungsvertreter, die der Trivial- oder Unterhaltungsliteratur zuzurechnen sind« (193, Anmerkung 19). Fulda scheint die von Hans Ulrich Gumbrecht »reklamierte ›Verbreiterung der Gegenwart‹ […] der charakteristische Faktor des populären Geschichtsromans zu sein, denn das bedingungslose Einfühlungsangebot macht aus jeder Vergangenheit eine Gegenwart ›bloß im historischen Kostüm‹« (204). Indem die weit zurückreichende, meist mittelalterliche Vergangenheit als festgefügt und eindeutig strukturiert dargestellt wird, schafft sie auch ein Gegengewicht zur (Hermann Lübbes These der Gegenwartsschrumpfung belegenden) beschleunigten Produktion und rauschhaften Lektüre (199). – Wie D. Fulda, Literarische Thematisierungen von Geschichte, in: S. Horn/M. Sauer (Hg.), Geschichte und Öffentlichkeit. Orte – Medien – Institutionen (UTB 3181), Göttingen 2009, 209–218, feststellt, bieten Identifikationsmöglichkeiten für viele Leser einen zentralen Anreiz, wobei es weniger um »Verständnis für das Leben anderer« geht als um das »emotionale Durcharbeiten eigener Konfliktlagen im Spiegel von Stoffen, auf deren Historizität es gar nicht ankommt« (213). 69 Vgl. Fulda, Zeitreisen, 201. 70 Vgl. Fulda, Zeitreisen, 194f.198. 71 Fulda, Zeitreisen, 208. 72 Fulda, Zeitreisen, 202.

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Charakterisierung und Verortung der Quellen

schieden darstellen. Das sei »einem historischen Verstehen, das die Fremdheit der Vergangenheit weder leugnet noch aufzuheben versucht, sondern als solche offenbar machen möchte«,73 nicht dienlich. Fulda merkt an, dass die Figuren Religiosität meist nur in verbalen Floskeln oder als Maske, die ihre Grausamkeit und ihr Machtstreben verbirgt, zeigen. Die Leser, die sich mit einer Figur identifizieren und Geschichte miterleben wollen, würden den fundamentalen Mentalitäts-Anachronismus nicht durchschauen. Historische Romane seien attraktiv, weil die Leser ihre Ich-Ideale und Überzeugungen sogar dort wiederfinden. Die scheinbare Historizität würde den Reiz noch erhöhen, da sie eine Bestätigung des Eigenen sogar durch das scheinbar Fremde vermittle und die Zirkularität des Verfahrens verdecke.74 Einer Untergattung des historischen Romans, dem »historischen Kriminalroman«, widmet sich ein aus einem Symposium von 2006 hervorgegangener Sammelband von Barbara Korte (Anglistik) und Sylvia Paletschek (Neuere und Neueste Geschichte). Historische Kriminalromane könnten als Teil einer populären Geschichtskultur verstanden werden. Auch wenn sie nicht ausdrücklich und absichtlich historisches Wissen vermitteln wollten, würden sie doch nebenbei mehr oder weniger gesichertes Wissen über die Vergangenheit transportieren, besonders angesichts detailreicher Texte und Glossare, die den Eindruck sorgfältiger Recherche erwecken.75 Historische Krimis seien als Unterhaltungsliteratur meist nicht dezidiert, sondern nur implizit postmodernistisch, aber es gebe auch Beispiele mit einem stärker ausgeprägten metahistorischen und intertextuellen Gestus. Die wenigen Vorarbeiten oder wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Themenbereich Krimi und Geschichte seien stark auf den angloamerikanischen Kontext konzentriert. Bei der in den letzten Jahren intensivierten Erforschung der historischen und metahistorischen Romane seien

73 Fulda, Zeitreisen, 203. 74 Vgl. Fulda, Zeitreisen, 201f.207–209. 75 Vgl. B. Korte/S. Paletschek, Geschichte und Kriminalgeschichte(n): Text, Kontexte, Zugänge, in: Diess. (Hg.), Geschichte im Krimi. Beiträge aus den Kulturwissenschaften, Köln u. a. 2009, 7–27, 9f. Im Mittelalter spielende Romane sind nicht Thema eines eigenen Beitrags, sie werden nur in der Einführung kurz angesprochen. Wesentlich besser als das Mittelalter ist die Antike, eine ebenso beliebte Epoche im Kriminalroman, erforscht. Vgl. aus dem deutschsprachigen Bereich vor allem K. Brodersen (Hg.), Crimina. Die Antike im modernen Kriminalroman, 2., durchgesehene Auflage Berlin 2009, darin besonders die allgemeineren Aufsätze J. Fündling, Perlen vor die Säue oder Einäugige unter Blinden? Was (Alt-)Historiker an historischen Krimis reizt, 49–108, und D. Deppert, Der historische Kriminalroman als hybrides Genre, 127–142. Vgl. außerdem A. Saupe. Effekte des Authentischen im Geschichtskrimi, in: E.-U. Pirker et al. (Hg.), Echte Geschichte. Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen (Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen 3), Bielefeld 2010, 173–193.

Historische Romane: Die Perspektive der Literaturwissenschaft

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vielfach die populären Romane und somit auch die Krimis ausgeblendet worden.76 Der »Mittelalter-Krimi«, der sich in Deutschland steigender Beliebtheit erfreut, ist häufig in einen regionalhistorischen Kontext eingebettet, so Korte und Paletschek. National bekannt geworden seien etwa Tod und Teufel von Frank Schätzing, in Köln spielend, und Rungholts Ehre von Derek Meister, in Lübeck angesiedelt.77 – Für die Literaturwissenschaftlerin Maike Schmidt vereint der »historische Regionalkrimi« zwei besonders populäre und erfolgreiche Subgenres zu einer neuen Mischform. Historische Romane und Regionalkrimis würden beide mit Geschichtssignalen und Paratexten arbeiten, die als Authentizitätssignale dienen. Gleichzeitig würden diese Romane, in denen Belehrung, Erinnerung und Unterhaltung Hand in Hand gehen, Fiktionssignale aussenden. Poesie und Regionalgeschichte würden zusammengeführt. Historische Regionalkrimis würden aktuelle Fragestellungen wie Identitätsfragen und die Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen, politischen und sozialen Umbrüchen in die Geschichte transportieren.78

Korte und Paletschek sehen Bereiche, die sich für die Vertiefung der Forschung zum historischen Kriminalroman und zum Verhältnis von Geschichte und Krimi anbieten. Der historische Krimi könne »als Quelle für gesellschaftliche Bedürfnisse und Problemlagen sowie für herrschende Geschichtsbilder zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt gelesen werden«. Weiter ausgelotet werden sollten die »Chancen und Beschränkungen des Genres für die historische Wissensvermittlung, d. h. sein didaktisches Potenzial, Geschichtsarbeit als Faszinosum und Abenteuer zu vermitteln und so ggf. auch Interesse an Geschichte überhaupt zu wecken«, ebenso die Möglichkeit, »über historische Krimis die ›Erkennbarkeit‹, ›Wahrhaftigkeit‹ beziehungsweise Konstruierbarkeit von Geschichte zu thematisieren«.79 Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit kommerziellen Geschichtsinszenierungen betreibt unter anderem die DFG-Forschergruppe »Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen der Gegenwart«80 an der Universität Freiburg. Hieraus ist eine Reihe im transcript Verlag hervorgegangen. Die einzelnen Studien untersuchen interdisziplinär oder aus der Perspektive einzelner Fachrichtungen populäre Geschichtsdarstellungen mit Blick auf Inhalte, Medien, Genres und Funktionen heutiger und vergangener Geschichtskulturen. Themen sind Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen,81 das Verhältnis von Archäologie und Öffentlichkeit,82 Themenparks und Living History83 oder populäre Geschichte und Ge76 77 78 79 80 81 82

Vgl. Korte/Paletschek, Geschichte und Kriminalgeschichte(n), 21f. Vgl. Korte/Paletschek, Geschichte und Kriminalgeschichte(n), 14. Vgl. M. Schmidt, Der historische Regionalkrimi, in: Friedrich (Hg.), Roman, 245–256. Korte/Paletschek, Geschichte und Kriminalgeschichte(n), 26f. Vgl. http://www.portal.uni-freiburg.de/historische-lebenswelten, eingesehen am 29. 10. 2013. Vgl. Pirker et al. (Hg.), Geschichte. Vgl. M. Kircher, Wa(h)re Archäologie. Die Medialisierung archäologischen Wissens im Spannungsfeld von Wissenschaft und Öffentlichkeit (Historische Lebenswelten in populären

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Charakterisierung und Verortung der Quellen

schlecht.84 Einige der Untersuchungen oder Aufsätze sind, auch wenn es um andere Genres oder andere Epochen geht, sehr anregend für die eigene Untersuchung.

In zwei wichtigen Arbeiten kommt auch der historische Roman vor. Grundlegend ist ein Sammelband von Korte und Paletschek (Sprecherinnen der Forschergruppe), »der eine Schneise in das Untersuchungsfeld der populären Geschichtskultur schlägt, indem verschiedene Präsentationsformen, Medien und Genres, die einer populären Verbreitung von Geschichte in besonderer Weise entgegenkommen, analysiert werden«.85

Wie sie resümieren, wurden in den bisherigen Forschungen zur Erinnerungsund Geschichtskultur »vornehmlich die Geschichtspolitik von Staaten, Eliten und Bildungsinstitutionen sowie ›hochkulturelle‹ Geschichtsrepräsentationen (z. B. historische Romane kanonisierter Autoren, […]) untersucht«.86 Populäre und massenmediale Geschichtsprodukte werden erst seit relativ kurzer Zeit analysiert. Der Historiker Rudolf Vierhaus mahnte bereits 1977 an, die Erforschung der Geschichte der Geschichtsschreibung sollte mehr als bislang üblich die Repräsentation in Museen, in der populären historischen Literatur oder durch Denkmäler berücksichtigen und das Geschichtsbewusstsein untersuchen.

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Wissenskulturen 7), Bielefeld 2012; H.-J. Gehrke/M. Sénéchau (Hg.), Geschichte Archäologie Öffentlichkeit. Für einen neuen Dialog zwischen Wissenschaft und Medien. Standpunkte aus Forschung und Praxis (Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen 4), Bielefeld 2010. Vgl. J. Schlehe et al. (Hg.), Staging the Past. Themed Environments in Transcultural Perspectives (Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen 2), Bielefeld 2010; W. Hochbruck, Geschichtstheater. Formen der »Living History«. Eine Typologie (Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen 10), Bielefeld 2013. Vgl. E. Cheauré/S. Paletschek/N. Reusch (Hg.), Geschlecht und Geschichte in populären Medien (Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen 9), Bielefeld 2013. – Darin enthalten ist z. B. J. Nowoitnick, Tschingis Khaan aus weiblicher Perspektive: Zur Re-Evaluierung etablierter Geschlechterrollen und Geschichtsbilder in populären historischen Romanen, 173–188. B. Korte/S. Paletschek, Geschichte in populären Medien und Genres: Vom historischen Roman zum Computerspiel, in: Diess. (Hg.), History Goes Pop. Zur Repräsentation von Geschichte in populären Medien und Genres (Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen 1), Bielefeld 2009, 9–60, 13. – Einblicke in die Arbeit von Romanautoren sind selten, teilweise in Interviews möglich oder auf den Internetseiten einzelner Autoren. P. Prange, Zehn Thesen zum historischen Roman, in: Korte/Paletschek (Hg.), History, 61–64, hat ein »sehr persönliches, durch und durch subjektives Bekenntnis« formuliert, »Warum ich trotz meines mangelhaften Interesses an Geschichte historische Romane schreibe, und zwar mit stetig wachsendem Vergnügen« (61). Für ihn ist ein historischer Roman 1. kein Geschichtsbuch, 2. keine popularisierte Wissenschaft, er handelt 3. nicht von Geschichte, sondern vom Leben, er ist 4. dramatisiertes Leben, 5. ein realistischer Roman, 6. ein Entwicklungsroman, 7. ein Seelenspiegel, 8. ein Gegenwartsroman, 9. kein Abbild, sondern Sinnbild, und ist 10. zuerst und vor allem – ein Roman. Korte/Paletschek, Geschichte in populären Medien, 11.

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Erst unter dem Einfluss von cultural turn, Geschlechtergeschichte und New Intellectual History bzw. neuerer Wissenschaftsgeschichte fragten in jüngster Zeit Arbeiten dezidiert nach populären Formen der Geschichtsschreibung und der Interaktion von akademischer und außerakademischer Geschichtsproduktion.87 Der historische Roman ist laut Korte und Paletschek »eines der langlebigsten Erfolgsgenres der populären Geschichtsrepräsentation«.88 Die Literatur- und Geschichtswissenschaft hätte das unterhaltungsliterarische historische Erzählen, das sich im 20. Jahrhundert endgültig vom hochliterarischen trennte, höchstens abwertend zur Kenntnis genommen, aber gerade in populären Formen habe der historische Roman für ein Breitenpublikum bis heute überlebt und erfülle Geschichtsbedürfnisse.89 Ein weiterer Sammelband zur Geschichtsrezeption stammt von den Historikern Wolfgang Hardtwig und Alexander Schug. Er setzt bei der wissenschaftlichen Reflexion über die Produktion von Geschichtsbildern an und will »das stark ausdifferenzierte Feld populärer Geschichtsangebote ohne Verzicht auf Qualitätsansprüche sichten und probehalber ordnen«, wobei der Terminus »Angewandte Geschichte« als begriffliche Klammer dient.90 Hardtwig und Schug stellen die mehr auf ein männliches Publikum abzielenden sogenannten Wissenszeit-

87 Vgl. Korte/Paletschek, Geschichte in populären Medien, 12. – Der Sammelband enthält nur einen Aufsatz zum Mittelalter: N. Eisele, Kleiner Hobbit und großer Artus: Populäre mittelalterliche Mythen und ihr Potential für die Förderung historischen Denkens, in: Korte/ Paletschek (Hg.), History, 83–102. Die herkömmliche schulische Vermittlung mittelalterlicher Geschichte würde häufig als frustrierend empfunden, aber historische Lebenswelten, die mythologische Stoffe mittelalterlicher Prägung aufgreifen, seien bei Jugendlichen populär. Das hänge mit dem entwicklungspsychologisch dominanten Thema der Identitätssuche zusammen. Eisele plädiert für eine Mittelalterdidaktik, die die Kompetenzen historischen Denkens mithilfe des populären Geschichtsbewusstseins fördert. 88 Korte/Paletschek, Geschichte in populären Medien, 17. 89 Vgl. Korte/Paletschek, Geschichte in populären Medien, 23. 90 W. Hardtwig/A. Schug, Einleitung, in: Diess. (Hg.), History Sells! Angewandte Geschichte als Wissenschaft und Markt, Stuttgart 2009, 9–17, 12. – Auch hier kommt eine Romanautorin zu Wort: Für T. Kinkel, Wenn es nicht wahr ist, ist es wenigstens eine gute Geschichte, in: Hardtwig/Schug (Hg.), History, 345–351, impliziert die Frage, wie viel an ihren Romanen wahr ist, »dass es so etwas wie eine unumstrittene, objektive Wahrheit über eine Person oder eine Epoche gibt und dass diese reine Wahrheit in Quellen wiedergegeben wird, an die sich der Autor eines Romans halten oder von der er abweichen kann« (345). Das hält sie für fragwürdig. Sie demonstriert anhand der Entstehung eines Romans, wie sie mit Fragen von Faktentreue oder schriftstellerischer Freiheit umgeht. Für die Entwicklung der Charaktere recherchiert sie in Bibliotheken anhand von Biographien, zeitgenössischen Quellen und deren Analysen. Sie will »verkleidete Fußnoten« (349) vermeiden. Zeitgenössische Zitate und überlieferte Anekdoten oder Äußerungen baut sie in Dialoge oder Romanszenen ein. Für einen historischen Roman sei die Kunst des Weglassens unentbehrlich, zu viel Handlungspersonal verwirre den Leser. Reale und erfundene Handlungselemente fließen am Ende ineinander.

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Charakterisierung und Verortung der Quellen

schriften91 den seit Jahren ebenfalls erfolgreichen historischen Romanen gegenüber, die sich vor allem an weibliche Leser richten. Die unübertroffenen Bestseller wie Der Name der Rose oder Illuminati seien aber nicht geschlechtsspezifisch zuzuordnen. 2009 stellen die Autoren fest, dass in den letzten fünf Jahren in Deutschland jährlich etwa 1300 historische Romane aufgelegt wurden. Sie führen eine Studie des Börsenvereins des deutschen Buchhandels an, laut der sich 10 Prozent aller Leser explizit für dieses Genre interessieren, das in der Publikumsgunst nur von den heiteren Romanen und den Krimis übertroffen würde.92 Bei den in dieser Arbeit untersuchten Romanen handelt es sich um populäre historische Romane, sie sind auf die Unterhaltung eines breiten Publikums ausgerichtet, auch wenn sie vereinzelt metafiktionale Elemente enthalten und über Geschichte reflektieren. In Bezug auf den historischen Kriminalroman sind manche Epochen gut erforscht, aber nicht das Mittelalter. Zur Gattung des historischen Kriminalromans zählen einige der herangezogenen Werke, und gerade sie eignen sich gut für die Frage nach Bezügen zur Gegenwart, die eine wesentliche Rolle bei der Analyse der Romane spielen wird. Inwiefern in den Romanen moderne Figuren in einer authentischen historischen Kulisse agieren, wird Gegenstand der Untersuchung sein.93

91 Kircher, Archäologie, 42f., führt Bild der Wissenschaft, National Geographic, Geo, P.M. oder Spektrum der Wissenschaft als etablierte, multithematische Wissensmagazine auf, welche monatlich eine verkaufte Auflage von 50000 bis 500000 Exemplaren erreichen und in unterschiedlicher Intensität historisch-archäologische Themen im Repertoire haben. Außerdem existieren themenspezifische, vorrangig von Wissenschaftsjournalisten verfasste Zeitschriften wie G/Geschichte, GeoEpoche, P.M.History oder Karfunkel. Die Geschichtszeitschriften würden gegen den allgemeinen Trend stark nachgefragt. Diese sowie Wissenssendungen im Fernsehen und andere Formate würden eine Prägung der gegenwärtigen Gesellschaft durch eine Pluralisierung der Wissensformen, Wissensakteure und Orte der Wissensproduktion bestätigen. 92 Vgl. Hardtwig/Schug, Einleitung, 10f. 93 T. M. Buck, Das Mittelalter zwischen Vorstellung und Wirklichkeit, in: Ders./N. Brauch (Hg.), Das Mittelalter zwischen Vorstellung und Wirklichkeit. Probleme, Perspektiven und Anstöße für die Unterrichtspraxis, Münster 2011, 21–54, 34, meint, ein moderner Mittelalterroman wie Die Päpstin wolle nicht in erster Linie historisch belehren, sondern unterhalten. Dabei diene das Mittelalter häufig nur als Kulisse zur Verarbeitung moderner Themen und Fragestellungen.

Historische Romane: Die Perspektive der Literaturwissenschaft

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1.3.3 Historische Romane zum Mittelalter Bestseller des Mittelalterromans wie Die Säulen der Erde werden in manchen Untersuchungen zur Mittelalterrezeption als Beispiel angeführt, außerdem sind viele Aufsätze zu Ecos Der Name der Rose geschrieben worden.94 Die Päpstin ist einer der wenigen im Frühmittelalter spielenden Romane, die in der Wissenschaft Beachtung gefunden haben.95 Insgesamt gibt es nur wenige ausführliche Untersuchungen zum Mittelalter im historischen Roman. Zwei größere Arbeiten beschäftigen sich ausdrücklich mit dem Mittelalter, allerdings in historischen Romanen bzw. Geschichtsdarstellungen für Kinder und Jugendliche. Der Literaturwissenschaftler Sebastian Schmideler versucht, in annalistischchronologisch präsentierten sowie exemplarischen Analysen die Spezifika der in deutscher Sprache erschienenen, mittelalterbezogenen geschichtserzählenden Kinder- und Jugendliteratur vom 18. Jahrhundert bis 1945 im Wandel zu konturieren. Er sieht diese Literatur in besonderer Weise vom Phänomen der popularkulturellen Mittelalterrezeption, die ein All-Age-Phänomen sei, erfasst. Schmideler geht davon aus, »dass die populäre Mittelalterrezeption, die auf den ersten Blick gewissermaßen als eine popularkulturell und medienspezifisch bedingte Signatur der unmittelbaren Gegenwart erscheinen könnte, auf einer ›langen Dauer‹ […] weiterentwickelter Traditionen beruht. Sie ist Ergebnis eines erstaunlichen Prozesses des Gestaltwandels von Kontinuitäten«.96

Darin habe die Kinder- und Jugendliteratur Geschichtsbilder des Mittelalters auf je spezifische Weise vermittelt. Die kinder- und jugendliterarischen Perspektivierungen historischer Ereignisse, Phänomene und Gestalten würden auf denselben jahrtausendealten spezifischen Traditionen basieren wie die Geschichtsdarstellungen für Erwachsene: 94 Vgl. z. B. den im weiteren Verlauf erwähnten Aufsatz von Goetz; vgl. die Literaturhinweise bei H. Fuhrmann, Das Mittelalter des Umberto Eco, in: Ders., Überall ist Mittelalter. Von der Gegenwart einer vergangenen Zeit, München 1996, 227–243. 95 Vgl. z. B. E. Gössmann, »Die Päpstin Johanna«. Der Skandal eines weiblichen Papstes. Eine Rezeptionsgeschichte, Berlin 42000; A. Langenhorst, Die Päpstin Johanna beim Friseur, in: Katechetische Blätter 128 (2003) 413–418; B. Schimmelpfennig, Die Päpstin Johanna – Realität oder Legende?, in: V. Dotterweich (Hg.), Mythen und Legenden in der Geschichte (Schriften der philosophischen Fakultät der Universität Augsburg), München 2004, 39–46; H. Fuhrmann, Die Päpste. Von Petrus zu Johannes Paul II. (Beck’sche Reihe), München 22005; M. Kerner/K. Herbers, Die Päpstin Johanna. Biographie einer Legende, Köln u. a. 2010. – Das Fehlen von Sekundärliteratur zu den anderen untersuchten Romanen wird mit deren geringer Auflage und Breitenwirkung in der Öffentlichkeit sowie weniger medienwirksamen und brisanten theologischen Inhalten zusammen hängen. 96 S. Schmideler, Vergegenwärtigte Vergangenheit. Geschichtsbilder des Mittelalters in der Kinder- und Jugendliteratur vom 18. Jahrhundert bis 1945 (Epistemata Würzburger wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft 740), Würzburg 2012, 9.

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Charakterisierung und Verortung der Quellen

»Fiktionale Einflüsse des Mythos, der Legende, der Sage und des Märchens einerseits vermischten sich mit quellenorientierten, wissenschaftspropädeutisch-kritisch und aufgeklärt-rationalen Geschichtsdarstellungen sowie didaktisch-moralischen Aspekten einer systematisch vermittelten Tugendlehre andererseits«.97

Die Germanistin und Historikerin Melanie Rossi widmet sich historischen Jugendromanen, deren Protagonisten eingebettet in eine ökonomische Struktur und politische wie soziale Umgebung handeln, die durch deutliche Hinweise auf das Mittelalter geprägt sind. Bei der Untersuchung von Kontinuitäten und Fremdheit des Lebens dieser Epoche befasst sie sich zuerst mit individuell relevanten anthropologischen Konstanten, wie sie sich im Alltag der fiktiven Protagonisten der Romane manifestieren. Im Anschluss geht es um die Darstellung des Einzelnen als Teil eines vielfach strukturierten sozialen bzw. herrschaftlich auch institutionalisierten Bezugssystems. Die Reflexion über die Bedeutung der Romanlektüre für jugendliche Leser und über Perspektiven des Umgangs mit Jugendliteratur zum Mittelalter in Didaktik und Unterricht stehen im Mittelpunkt.98 Nur acht der untersuchten 78 Romane (erschienen bzw. verlegt zwischen Anfang der 1980er Jahre und 2006) spielen im früheren Mittelalter. Rossi führt Themen wie Liebe und Sexualität, Tod und Trauer, Mobilität und Kommunikation ihrem Vorkommen nach tabellarisch auf. Weitere Kategorien sind Stadtleben und Bürgertum, Burg, Rittertum und weltliche Herrschaft, Kirche und Klöster, Krankheit und Heilkunde, Judentum, Verfolgungen, Kreuzzüge, Frauen und Mädchen, sowie Romane mit betontem Abenteuer- bzw. Krimicharakter. In den Romanhandlungen würde, so Rossi, die Darstellung alltagsund sozialgeschichtlicher Gegenstände überwiegen.99 Rossi stellt fest, die am häufigsten in den Texten ins Zentrum gestellten Persönlichkeiten seien nicht Kaiser, Papst und Könige, sondern gänzlich fiktive oder historisch nur vage belegte Figuren. Zentrale Personen des Mittelalters würden als aktive Figuren keine bzw. keine größere Rolle spielen, sie seien nur in drei Romanen die Protagonisten.100 Rossi geht davon aus, »dass eine respektvoll eingeführte historische Persönlichkeit als Besonderheit wirken und durch ihre Handlungen die Neugier der Leser zu wecken vermag. Je mehr Autoren diese Prominenz in ihren Romanen agieren lassen wollen, umso mehr sind sie zu deren fiktiver Ausgestaltung aufgerufen – und mit wachsender Detailliertheit wird die Persönlichkeit letztlich doch zur fiktiven Figur«.101 97 Schmideler, Vergangenheit, 10. 98 Vgl. M. Rossi, Das Mittelalter in Romanen für Jugendliche. Historische Jugendliteratur und Identitätsbildung (Kinder- und Jugendkultur, -literatur und -medien 64), Frankfurt am Main 2010, 13–16. 99 Vgl. Rossi, Mittelalter, 17f.23–25. 100 Vgl. Rossi, Mittelalter, 25. 101 Rossi, Mittelalter, 74.

Historische Romane: Die Perspektive der Literaturwissenschaft

73

Karl der Große z. B. kommt gerade einmal in drei Romanen am Rande vor, wobei er nicht spricht und kaum handelt. Der Befund für die im Frühmittelalter spielenden Romane für Erwachsene ist ein anderer: Historische Persönlichkeiten, allen voran die Herrscher,102 aber auch ihre Frauen,103 weitere Familienmitglieder, Kirchenmänner oder »Verlierer« wie Widukind spielen in einigen Romanen durchaus eine zentrale Rolle oder sind sogar Protagonisten. Die historischen Figuren handeln, sprechen, denken und fühlen. Der Leser bekommt mitunter einen deutlichen Einblick in ihr Innenleben. Das Personal der Romane wird jeweils ergänzt durch fiktive Personen.104 In mehreren Romanen wird die Sicht von weniger bekannten Personen auf die Herrscher eingenommen. Dass in Romanen sehr unbefangen mit historisch belegten Personen umgegangen wird und diese erzählerisch ausgestaltet werden, könnte einerseits der Versuch der Autoren sein, mit bekannten Namen Aufmerksamkeit zu er102 T. Leiendecker, Authentizität als literarischer Effekt: Auf der Suche nach dem echten Shakespeare, in: Pirker et al. (Hg.), Geschichte, 195–213, hier 201, betont, dass vor allem im (populären realistischen) historischen Roman reale und pseudo-reale Instanzen oft ohne metafiktionale und -historische Distanz vermischt würden und gleichermaßen zum Geschehen beitrügen. In der Regel werde ein fiktiver Plot in einen realen Rahmen eingebettet, größere historische Ereignisse und Hintergründe seien authentisch, während die einzelnen Figuren gänzlich fiktiv oder pseudo-real seien. – T. Scharff, Wann wird es richtig mittelalterlich?, Zur Rekonstruktion des Mittelalters im Film, in: M. Meier/S. Slanicˇka (Hg.), Antike und Mittelalter im Film. Konstruktion – Dokumentation – Projektion (Beiträge zur Geschichtskultur 29), Köln u. a. 2007, 63–83, 69f., stellt eine sehr beschränkte Auswahl der im Film auftauchenden großen Männer und Frauen fest. Das Mittelalter im Film sei vor allem als Zeitalter der Ursprungsmythen der europäischen Nationen angesehen worden, weshalb in erster Linie nationale Stoffe verfilmt wurden. »Angesichts der derzeit herrschenden Betonung der gemeinsamen europäischen Wurzeln müsste dann Karl der Große zukünftig stärker in Filmen beachtet werden«. Grundsätzlich würden aber meistens Leben und Taten der Herrscher und Helden inszeniert. 103 In Bezug auf Bertrada von Laon, die Hauptfigur ihres Romans Die Königsmacherin, hält Martina Kempff im Nachwort fest, die männlichen Schreiber des Mittelalters hätten es wohl für ratsam gehalten, »dem Einfluss einer Frau kein allzu großes Gewicht beizumessen«. Frühere Geschichtsschreiber hätten dafür gesorgt, »dass von dieser einstmals so einflussreichen Frau nur wenige Fakten überliefert wurden« (443). Heute würde ihre Bedeutung für die Politik des achten Jahrhunderts etwas stärker hervorgehoben. 104 Im Personenverzeichnis einiger Romane unterscheiden die Autoren, etwa durch Kursivsetzung oder ein »H«, historische und fiktive Personen, z. B. in Das Geständnis der Amme (625f.) bzw. Widukinds Wölfe (9–11). »Authentische Figuren« listet Edgar Noske am Ende von Der sechste Tag auf (255). Andere Autoren schreiben im Nachwort darüber, welche Gestalten ihrer Romane historisch sind, so Bernard Cornwell (z. B. in Das letzte Königreich, 473f.) oder Birgit Erwin und Ulrich Buchhorn, die außerdem betonen, der geschilderte Kriminalfall und die übrigen Figuren seien fiktiv, würden sich aber in die historischen Abläufe einfügen (Die Herren von Buchhorn, 320–323). Ernst Wies dagegen zählt die Gestalten auf, die, neben den vielen historisch belegten handelnden Personen, »Figuren des Autors« sind und »dem Handlungsablauf, dem dramatischen Geschehen« dienen und das Zeitkolorit spiegeln (Bei meiner Seele Seligkeit, 278). Simone Neumann betont, dass auch die fiktiven Helden ihres Romans »in ihrem Denken und Handeln allesamt Kinder ihrer Zeit und des sie umgebenden gesellschaftlichen Umfeldes sind – zumindest nach meinem besten Wissen und Gewissen« (Die Schlüsselträgerin, 478).

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Charakterisierung und Verortung der Quellen

regen und die ferne Zeit, in die sie die Leser versetzen, zu veranschaulichen. Andererseits könnte die freie Ausgestaltung der historischen Personen auf eine geringe Distanz zu ihnen bzw. zur Geschichte hinweisen, und somit auf den Wunsch, Geschichte darzustellen, nachzuerzählen, und nicht über sie zu reflektieren. Dies zeigt einmal mehr den unterhaltenden Charakter vieler Roman an.

Die Beiträge der zweiten Tagung des »Arbeitskreises Mittelalterrezeption« um die Germanisten Mathias Herweg und Stefan Keppler-Tasaki, die einen Bogen vom Ende des Mittelalters bis zu aktuellen hoch- und populärkulturellen literarischen Adaptionen schlug, gingen in den Band »Rezeptionskulturen. 500 Jahre literarischer Mittelalterrezeption« ein. In seinem Tagungsbericht merkt Simon Maria Hassemer an, dass für eine Erfassung der populärkulturellen und kanonisierten Mittelalteradaptionen in größerer Dimension eine Vernetzung des Arbeitskreises mit anderen Kulturwissenschaften wie Geschichte, Kunstgeschichte, Musikwissenschaft, aber auch der Theologie wünschenswert wäre. Mathias Herweg habe hier von bisher wenig beachteten »diskursive[n] Linien wie Religion und Frömmigkeit« gesprochen.105 Es gibt eine große Lücke in Bezug auf die Erforschung von im Mittelalter spielenden Romanen.106 Die beiden genannten Arbeiten beschäftigen sich mit Romanen für Kinder und Jugendliche. Bei Schmideler sind Romane sogar nur ein Teil der geschichtserzählenden Literatur, er beschäftigt sich auch mit Sachbüchern. Nur Rossi betrachtet überhaupt in den letzten Jahren entstandene Romane. Der Fokus von Rossi und Schmideler liegt auf Fragen der Didaktik. Schmideler berührt allerdings Fragen nach Geschichtsbildern. Eine umfassende Untersuchung von aktuellen Mittelalterromanen für Erwachsene existiert bislang nicht. Diese Lücke will die vorliegende Arbeit schließen und dabei vor allem die Rolle der Religion untersuchen. Mit welch disparaten Quellen man es zu tun hat, wenn man das gesamte Mittelalter in die Betrachtung einbezieht, sieht man an der Untersuchung von Rossi. Die Kategorien, die sie aufführt, beinhalten zwar auch interessante Aspekte der Sozialgeschichte, wirken aber uneinheitlich, auf 105 S. M. Hassemer, Tagungsbericht Mittelalter in Kanon und Populärkultur 2. Studientag des Arbeitskreises Mittelalterrezeption. 10. 10. 2009–11. 10. 2009, Passau, in: H-Soz-u-Kult 02. 11. 2009, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2846, eingesehen am 15. 11. 2013. – Vgl. Herweg/Keppler-Tasaki (Hg.), Rezeptionskulturen. Unter den Rubriken »Klassische Moderne und Postmoderne« bzw. »Vermittlungen: Zugriffe der Jugendliteratur und Didaktik« enthält der Band neben mehreren Thematisierungen von König Artus auch Aufsätze über Die Säulen der Erde (s. o.) und The Da Vinci Code. 106 Wenig hilfreich ist C. Zdolsek, Der Mittelalter-Roman. Literarisch-historische Tendenzen der letzten beiden Jahrzehnte, in: J. Grabmayer (Hg.), Das Bild vom Mittelalter (Schriftenreihe der Akademie Friesach NF 3), Klagenfurt 2013, 63–78. Sie zitiert vor allem andere Forscher sowie Autoren historischer Romane und kommt zu sehr oberflächlichen Ergebnissen, da sie lediglich einige Besteller auswählt und in erster Linie deren Handlung wiedergibt.

Historische Romane: Die Perspektive der Literaturwissenschaft

75

verschiedenen Ebenen angesiedelt und sehr allgemein. Natürlich wird in den Medien häufig von »dem« Mittelalter gesprochen, aber dass in manchen Untersuchungen aus dem Bereich der Rezeptionsforschung ein sehr diffuses Mittelalterbild herauskommt, liegt vielleicht auch an dem sehr weit gefassten Untersuchungszeitraum.107 Deshalb wird in dieser Untersuchung ein konkreter Abschnitt von etwa 200 Jahren, der als Mittelpunkt die »karolingische Renaissance« umfasst, herausgegriffen und in seinem Vorkommen in historischen Romanen untersucht, und zwar hinsichtlich klar festgelegter Aspekte christlichen Lebens.

1.4

Gattungsmerkmale: Literarische Charakteristika der Quellen

In der Frage nach Erkennungszeichen des historischen Romans stellt der Germanist Hugo Aust fest, dieser sende für gewöhnlich Geschichtssignale aus, »Daten, Namen (von Personen, Stätten, Ereignissen, Epochen), kultur- und sittengeschichtliche Einzelheiten, amtliche Dokumente«.108 Zeit-Zeichen seien im Text an beliebiger Stelle verstreut, würden aber typischerweise oft schon in Titel, Untertitel bzw. Gattungsbezeichnung, Buchausstattung oder am Romananfang begegnen. Auch das Vorwort gehöre zum Bild des historischen Romans. Oft knipse »schon der erste Satz das Licht im Geschichtsraum an« und beleuchte, »was sich hier alsbald zu regen beginnt«; er könnte auch »eine Brücke zwischen Gegebenem und Erfundenem« schlagen und so den Daten eine poetische Funktion verleihen. Manchmal fühle man die Hand, »die der Erzähler um die Schulter des Lesers legt, um ihn gelinde in den Vergangenheitsraum einzuführen«.109 Das Romanfinale enthüllt laut Aust »Art und Sinn des Geschichtsendes«. Weiterhin würden Fußnoten und Anmerkungen das Bild des historischen Romans von den Anfängen bis zur Gegenwart prägen; die Anmerkungspraxis erweise sich »als lehrreiche Schnittstelle zwischen poetologischem Kalkül, wissenschaftlicher Enzyklopädie und didaktischer Pflege des Leseverständnisses«.110 Wie Hans Vilmar Geppert feststellt, präsentieren sich historische Romane immer wieder vielfältig und doch vergleichbar. Sehr oft wisse man von den ersten Sätzen an, dass man es mit einem historischen Roman zu tun hat.111 Geschichte werde im historischen Roman als immer schon erzählte vorausgesetzt und immer umer107 Vgl. z. B. C. Heinze, Mittelalter Computer Spiele. Zur Darstellung und Modellierung von Geschichte im populären Computerspiel (Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen 8), Bielefeld 2012. 108 H. Aust, Der historische Roman (Sammlung Metzler 278), Stuttgart/Weimar 1994, 22. 109 Aust, Roman, 27. 110 Aust, Roman, 31. 111 Geppert, Der Historische Roman, 1.

76

Charakterisierung und Verortung der Quellen

zählt. »Wenn die Romane beispielsweise in Fußnoten oder in Quellenhinweisen den Text-Charakter der Historie offenlegen, erkennen sie auch dessen Lese- und Deutungsvarianten an«.112 Ansgar Nünning nennt eine Reihe von typischen Gattungskennzeichen des realistischen historischen Romans, welche zeitgenössische englische Romane aufweisen: Mit der Geschichtlichkeit der Stoffe, der Präsenz oder Thematisierung historischer Figuren, der Bezugnahme auf authentische Ereignisse und der Zeitdistanz zwischen der dargestellten Epoche und der Entstehungszeit des Romans würden viele Romane der Gegenwart wesentliche Merkmale enthalten, durch die der traditionelle historische Roman üblicherweise definiert werde. »Diese Zuordnung zum macrogenre des historischen Romans besagt freilich noch nichts über mögliche Besonderheiten der Geschichtsdarstellung im zeitgenössischen Roman«. Außerdem dürfe sie nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Autoren signifikante thematische und formale Akzentverlagerungen vorgenommen und den historischen Roman zu einem Medium weiterentwickelt hätten, »das revisionistischen Geschichtsauffassungen Ausdruck verleiht und im Rahmen der Fiktion Reflexionen über geschichtstheoretische Grundprobleme anstellt«.113 Wie bereits festgestellt wurde, enthalten die in der vorliegenden Arbeit untersuchten populären historischen Romane nur in begrenztem Maß solche revisionistischen Geschichtsauffassungen und Reflexionen über geschichtstheoretische Grundprobleme.114 Es handelt sich vielmehr häufig um realistische historische Romane, die sich anhand der Kennzeichen wie Geschichtssignale, Zeitdistanz oder Bezug auf historische Figuren und Ereignisse dem Macrogenre des historischen Romans zuordnen lassen. Schon vor dem ersten Satz oder in den ersten Sätzen findet sich in vielen der untersuchten Romane eine Jahreszahl. Selbst wo keine Zeitangabe steht, wird 112 Geppert, Der Historische Roman, 165. 113 Nünning, Fiktion. Band 2, 4. Kursivsetzung im Original. 114 C. Eykman, Entwurf der Vergangenheit. Geschichtsphilosophische Positionen im deutschen historischen Roman, Berlin 2011, untersucht ausgewählte historische Romane aus dem deutschen Sprachraum, z. B. von Stifter, Raabe, Döblin, Kluge und Grass, auf ihren geschichtsphilosophischen Gehalt. Er versucht, »aus der jeweiligen Fabel mit allen ihren konkreten Einzelzügen eine sie bestimmende und tragende sinnhafte Auffassung von der Art geschichtlichen Geschehens herauszudestillieren, auch wenn solche impliziten philosophischen Fundierungen den Romanautoren nicht immer voll bewusst gewesen sein mögen« (7). Er fragt, welche geschichtlichen Inhalte in den Romantext eingehen und welche philosophische Anschauung von Geschichte den Text durchwirkt und trägt. Natürlich gebe es »zahllose sogenannte ›historische Romane‹, die in den meisten Fällen der Unterhaltungsbzw. Trivialliteratur zuzurechnen sind und die eine Kulissen- und Kostümwelt des Historischen aufbauen, die beinahe etwas Exotisches hat«. Diese Romane kennzeichne aber in der Regel »gerade der Mangel an Einblick in geschichtsphilosophische Fragestellungen« (227, Kursivsetzung im Original).

Historische Romane: Die Perspektive der Literaturwissenschaft

77

dem Leser durch bereits zu Beginn genannte Personen, Ereignisse oder Umstände deutlich gemacht, dass die Handlung in einer fernen Zeit spielt, in die er hineingezogen wird. In der gesamten Handlung kommen dann historische Persönlichkeiten vor, die in einer konkreten Zeit situiert sind, oder, wenn es sich um fiktive Personen handelt, Ereignisse, Lebensumstände, Ansichten, Orte oder Bauten, die auf eine bestimmte Zeit und Situation hindeuten. Häufig bietet bereits der Klappentext Hinweise; Abbildungen auf dem Buchcover weisen ebenso in die Vergangenheit. Deutlich wird die Verortung des Geschehens in einem ganz konkreten Zeitpunkt und -raum der Vergangenheit. Die Zeittafeln oder die Karten, welche die geographische Situation in einem bestimmten Jahr oder zur Zeit eines bestimmten Herrschers anzeigen, vermitteln dem Leser zusätzliche Kenntnis über die Zeit und die Umstände, in denen die Handlung spielt, und ermöglichen es, die (teils) fiktive Handlung in einem geschichtlichen Umfeld zu situieren. Zugleich suggerieren die Zeitangaben historische Authentizität.115 Viele der betreffenden Romane sind linear erzählt, in einigen finden sich auch Einschübe und Rückblenden. Die ersten einführenden Sätze eines Romans bilden häufig eine offene Rahmung, die in einigen Romanen durch die letzten Sätze oder Abschnitte geschlossen wird. Auch wenn ein Roman keine vertieften Reflexionen über Geschichte enthält, kann das jeweilige Ende doch anzeigen, ob der Autor den Geschichtsverlauf eher optimistisch oder pessimistisch sieht. Das Erzählen in Zeitsprüngen oder Rückblenden belegt, dass die Autoren, bei aller Eingängigkeit des Schreibens, durchaus literarische Techniken verwenden, die das Lesen spannend und abwechslungsreich machen. Brüche im Geschichtsverlauf werden deutlich. So wird außerdem eine bestimmte Perspektive auf die Handlung bzw. manchmal auch ein Perspektivwechsel ermöglicht.116 Wie Barbara Korte und Sylvia Paletschek betonen, richten sich historische Romane und Romanzen heute vor allem an eine weibliche Leserschaft, der neben Unterhaltung häufig eine andere Geschichtsschreibung mit weiblichen Handlungsräumen im Zentrum angeboten wird. Mithilfe der weiblichen Romanfiguren, die in ihren Meinungen und Verhaltensweisen oft modern wirken und sich in ihrem historischen Szenario als Rebellinnen erweisen würden, werde für die Leser eine Brücke in die Vergangenheit geschlagen.117 Um die Leser zu unterhalten und auf dem populärkulturellen Markt erfolgreich zu sein, 115 Wenn Daniel Fulda recht damit hat, dass Romane von Iny Lorentz u. ä. bisherige Leser von Heftchenromanen ansprechen (s. o.), stellt sich allerdings die Frage, ob diese Leser mit solchen Angaben überhaupt noch etwas verbinden. 116 Vgl. grundlegend M. Fludernik, Einführung in die Erzähltheorie (Einführung Literaturwissenschaft), Darmstadt 2006. 117 Vgl. Korte/Paletschek, Geschichte in populären Medien, 24. – Vgl. hierzu auch K. Skow, The »Women-in-Trade« Novel – Popular Historical Fiction in Germany: By, About and For Women, in: D. Richter (Hg.), The German Historical Novel since the Eighteenth Century: More than a Bestseller, Newcastle upon Tyne 2016, 245–259. Die meisten Protagonistinnen würden aber letztlich ihre Karriere für Ehemann und Kinder opfern.

78

Charakterisierung und Verortung der Quellen

würden historische Kriminalromane Geschichte in spannender und lebendiger Form anbieten. Über alltagsweltliche Details werden Anknüpfungspunkte für die Leser geschaffen, über fiktionale Figuren wird die vergangene Welt für sie erfahrbar. Historische Krimis würden häufig eine Geschichte aus der Sicht von Außenseitern und einfachen Menschen erzählen, so Korte und Paletschek.118 Für den Literaturwissenschaftler Christoph Rauen geht der Siegeszug des historischen Unterhaltungsromans seit Ende der 1970er Jahre mit dem Aufstieg des Subgenres »Abweichler-Geschichtsroman«119 einher. Dessen Sympathieträger seien sozial Marginalisierte und Unterdrückte, die nicht den damals geltenden – so unterstellen die Texte – gesellschaftlichen Normen entsprechen. Durch das Infragestellen vermeintlicher historischer Wertesysteme vor dem Hintergrund heutiger Überzeugungen würde den Verlierern der Geschichte wenigstens nachträglich und im Reich der Fiktion zu Erfolg und Anerkennung verholfen. Romane mit weiblichen Hauptfiguren wie Die Päpstin würden das Geschlechterverhältnis einseitig wertend darstellen. Strahlende Heldinnen brechen aus ihrem engen vorgegebenen Aktionskreis aus, beschreiten einen für ihre Zeit sehr ungewöhnlichen Lebensweg und müssen sich gegen männliche Bösewichte durchsetzen.120 Dem Literaturwissenschaftler Hans-Edwin Friedrich fällt auf, dass sich viele Romane »nicht mehr auf die großen Namen als Träger der Geschichte, sondern auf eine Authentifizierung nach dem Muster einer Rekonstruktion der Lebenswelt vergangener Epochen, in denen erfundene Figuren erfundene Geschichte erleben«, konzentrieren. »Überblickt man die Vielfalt an Abweichler-Geschichtsromanen […], scheinen Anregungen der Mentalitäts- und Alltagsgeschichte eine Domäne der Unterhaltungsliteratur geworden zu sein«.121

In den untersuchten Romanen kommen durchaus Figuren mit historischen Vorbildern vor (s. o.). Wenn Bezug auf Institutionen und Herrschaft genommen wird, geht es immer um die Menschen in den Institutionen und um die menschliche Seite des Herrschers. Häufig wird der Alltag der Menschen beschrieben, große Ereignisse streifen die Romane punktuell. Ähnlichkeiten zu Tendenzen in der Mediävistik122 sind hier erkennbar. In einer Gruppe von Romanen stehen fiktive oder teil-fiktive Personen im Vordergrund, aus deren Blickwinkel auch etwas über die Großen ihrer Zeit und über bedeutende Ereignisse gesagt wird. Zum Teil handelt es sich dabei um Menschen, die unter Karl dem Großen leiden müssen und ihn sogar töten wollen. An Umberto Ecos 118 Vgl. Korte/Paletschek, Geschichte und Kriminalgeschichte(n), 16f. 119 Rauen, Geschichtsverbesserung, 229. 120 Vgl. Rauen, Geschichtsverbesserung, 229f. Im Aufsatz wird das Erscheinungsjahr von Cross’ Roman fälschlicherweise mit 1977 angegeben (230). 121 H.-E. Friedrich, Die Wiederkehr des historischen Romans seit den 1980er Jahren, in: Ders. (Hg.), Roman, 1–13, 9. – Zu dieser Perspektive der Geschichtswissenschaft vgl. B.-U. Hergemöller, »Randgruppen« im späten Mittelalter. Konstruktion – Dekonstruktion – Rekonstruktion, in: H.-W. Goetz (Hg.), Die Aktualität des Mittelalters (Herausforderungen 10), Bochum 2000, 165–190. 122 Vgl. z. B. aus der Entstehungszeit vieler Romane H.-W. Goetz, Moderne Mediävistik. Stand und Perspektiven der Mittelalterforschung, Darmstadt 1999.

Historische Romane: Die Perspektive der Literaturwissenschaft

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Baudolino und an den aktuellen Bestseller Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand von Jonas Jonasson erinnert die Konstruktion des Romans Das Erbe des Puppenspielers: Der Ich-Erzähler Meginhard, der »kleine Mann«, ist durch seine Ideen an Weltereignissen wie dem Reinigungseid von Papst Leo III. und der Kaiserkrönung Karls beteiligt, aber seine Rolle hierbei wird nicht anerkannt, er wird sogar bestraft. So bittet Karl der Große Einhard, aus seinen Aufzeichnungen über Tassilos Prozess vorzulesen, die sich von Meginhards »Behauptung« unterscheiden. Einhard sagt daraufhin zu Meginhard: »Hier kannst du die Wahrheit nachlesen, wir nehmen die Geschichtsschreibung ernst, und du kommst nicht darin vor« (344). Dies zeigt, dass letztlich immer die Sieger die Geschichte schreiben. Viele Romane räumen hingegen den Verlieren ihren Platz ein und lassen sie zu Wort kommen. So sind die Romane, in denen es um Missionierung geht, oft aus der Sicht der eroberten Völker geschrieben. Die (oft sehr modern wirkenden) »Ermittler« in den meisten Krimis sind fiktive Gestalten, ebenso die Helden der Abenteuerromane, die Mönche Agrippa und Aidan sowie der Krieger Uhtred. Die meisten Protagonisten der Romane sind Laien. Die Zahl der Frauen als Hauptfiguren liegt leicht unter der der Männer. Oft ist schon am Buchtitel und Titelbild zu erkennen, dass es sich um Liebesromane oder »Frauenliteratur« handelt, in der starke Frauengestalten gegen alle Widerstände ihren eigenen Weg suchen und gehen.123 Zu den wenigen Geschichtsreflexionen in den untersuchten Romanen gehören die Paratexte, darunter Zeittafeln, Glossare (wichtige, in den Romanen verwendete Begriffe), Karten (einzelne Orte und Regionen), Verzeichnisse (Personen, Volksgruppen, Ortsnamen, Götter) und Stammbäume.124 In einigen Romanen finden sich sogar vereinzelte Anmerkungen,125 vor allem mit Erklärungen von Begriffen und Hintergründen. Besonders ausführliche Erläuterungen zur 123 Vgl. aktuell z. B. den Roman Die Tochter des Klosterschmieds. – Der Autor T. Müller, Historische Romane schreiben, in: Horn/Sauer (Hg.), Geschichte, 203–208, hier 208, meint, historische Romane würden viel gelesen (sie seien in Deutschland erfolgreicher als in jedem anderen Land, begeistern weite Teil der Bevölkerung für historische Themen) und gleichzeitig von Feuilletonjournalisten belächelt. Dazu trage bei, dass sich Autoren und Verlage beim Versuch, erfolgversprechende Romane zu publizieren, mitunter zu Einseitigkeit verlocken ließen. Starke Frauen im Mittelalter würden als am besten verkäufliches Thema gelten, etwa, weil statistisch mehr Frauen als Männer historische Romane lesen. Bei einer Umfrage von Quo Vadis (Autorenkreis historischer Roman) hätten 2007 aber fast 90 % der Leser angegeben, das Geschlecht der Protagonisten spiele für sie beim Kauf keine Rolle; auch die Lesepräferenzen in Bezug auf das Zeitalter seien breit gestreut. »Sicher würde dem Genre mehr Mut für Experimente gut tun«. 124 Zu Einzelheiten vgl. die Übersicht zu allen Romanen in Kapitel I. 125 Vgl. z. B. Das Buch Glendalough, 13.28.40.138.211; Demetrias Rache, 8.11.13.29.32.40.78.97. 104.113f.182; Der Salamander, 10f.13.16.24.27–30.32.36f.51.53.55.65f.69.72.76.81.85.87.94. 96.101.105.127.148.176.206.244.295.

80

Charakterisierung und Verortung der Quellen

»karolingischen Gesellschaft« bietet Marc Paillet im jeweiligen »Nachwort« zu seinen Abt Erwin-Romanen. Während die Vorworte, ein vorangestelltes »Motto« oder Zitat oft eine Leserichtung vorgeben, geben die Autoren im Nachwort häufig Rechenschaft über ihre Arbeitsweise und nehmen Stellung zur Historizität des im Roman Erzählten.126 Manche Autoren geben die Quellen und die Sekundärliteratur an, mit der sie gearbeitet haben. Der von vielen Autoren erhobene und begründete Anspruch auf Historizität gehört eindeutig zum Genre des historischen Romans. Hieran müssen sich die Autoren dann auch messen lassen – wissenschaftliche Anfragen können hier ansetzen. Beispiele für vereinzelte Reflexionen über Geschichte(n) und Geschichtsschreibung sind auch die in einigen Romanen verwendete »Handschriftenfiktion« (bekannt aus Der Name der Rose) und das direkte Ansprechen des Lesers durch den (Ich-)Erzähler. Weitere Thematisierungen von Überlieferung lassen sich entdecken: Agrippa (Das Buch Glendalough) sucht eine Predigt des heiligen Patrick über die Frauen, findet Pergamente in einem sehr schlechten Zustand vor, verliert seine Abschrift und kann zum Schluss nicht mehr zwischen Patricks und seinen eigenen Worten unterscheiden. Ruadbern (Die Welfenkaiserin) will eine Geschichte über Kaiser Ludwig und dessen Söhne schreiben. Als er dem Tode nahe ist, übergibt er der »Astronoma« seine Aufzeichnungen, die damit ihre Chroniken vervollständigt.127 In Die Beutefrau sowie in Karl der Große kann der Leser Einhard beim Nachdenken über das beste Vorgehen bei seinem Werk über die großen Taten Karls beobachten.

126 Müller, Romane, 204f, sieht ein Nachwort, das zwischen Wahrheit und Erfundenem unterscheidet und dem Leser erklärt, wie es wirklich war, als Lösung für den Widerspruch zwischen dem »Wunsch der Leser, in einem historischen Roman die Fakten zu erfahren«, und den handwerklichen Kniffen, »die ein Autor anwendet, um spannend und glaubwürdig zu erzählen«. Er gibt zu bedenken, dass namhafte Historiker oft ganz unterschiedliche Schlüsse aus den gefundenen Zeugnissen und Quellen ziehen. »Wahrheit ist ein relativer Begriff, wenn man über etwas schreibt, das man nicht miterlebt hat«. 127 Die Autorin Martina Kempff erklärt 2009 in ihrem Gästebuch: »Ja, die Chroniken der Astronoma sind meine Erfindung, waren quasi ein Kunstgriff, um die vielen Geschehnisse dieser wilden Zeit zusammenfassen zu können, ohne den Erzählfluss des Romans zu stören. Und um dem Leser das Angebot zu machen, sich historisch gründlicher informieren zu können, als es sonst im Rahmen eines Romans möglich gewesen wäre. Ludwig der Fromme hatte einen Biografen, der Astronomus genannt wurde, da lag es nahe, seiner Gemahlin ein weibliches Pendant zuzuordnen«, http://www.martinakempff.de/gaestebuchaltebeitraege. htm, eingesehen am 21. 1. 2014.

Mittelalterbilder: Die Perspektive der Geschichtswissenschaft

1.5

81

Das Quellenmaterial – populäre historische Romane!

Bei aller Schwierigkeit der Definition, bei aller Vorsicht gegenüber (Ab-)Wertungen der literarischen Qualität, und angesichts der Annäherung zwischen Hoch- und Populärkultur in der Postmoderne, lässt sich doch festhalten, dass die untersuchten Romane der Unterhaltungsliteratur zuzuordnen sind. Sie können als »populäre historische Romane« bezeichnet werden. Viele Autoren betonen, dass sie unterhalten möchten, und man merkt den Romanen an, dass sie ein großes Publikum erreichen und zur Identifikation einladen wollen. Die Romane weisen keine völlige Vereinfachung auf wie die Trivialliteratur, aber sie tendieren zu einem eindeutigen Weltbild mit einer klaren Verteilung von Sympathien, von Gut und Böse, und nur wenigen Entwicklungen der einzelnen Charaktere. Die Figurenzeichnung ist oft schemenhaft, Stereotype treten häufig auf, vielfach gibt es ein Happy End. Metafiktionale Elemente zeigen sich nur vereinzelt und von einem »Spielen« mit Elementen der Unterhaltungsliteratur wie bei Eco ist wenig zu spüren. Es wirkt, als ob die Eingängigkeit des Schreibens bewusst kalkuliert ist. Aber gerade der große Markt, den es für diese Romane gibt, und ihre Breitenwirkung machen sie für diese Arbeit interessant. Auch wenn sich viele Arbeiten zum historischen Roman noch vornehmlich der Hochliteratur widmen, gibt es doch gemeinsame Merkmale aller historischen Romane und Ergebnisse, die sich übertragen lassen. Die wissenschaftliche Untersuchung der populären historischen Romane wird mittlerweile gefordert und hat begonnen.

2.

Mittelalterbilder: Die Perspektive der Geschichtswissenschaft

2.1

Mittelalterrezeption in der Wissenschaft

Schon ein kurzer Überblick zeigt, aus welch unterschiedlichen Perspektiven in den letzten Jahren von geschichtswissenschaftlicher Seite das Mittelalter und seine Aktualität thematisiert wurden. Einige wichtige und exemplarische Veröffentlichungen aus diesem Bereich seien an dieser Stelle genannt. Verschiedene Historiker fokussieren die Wirkungen des Mittelalters in der Moderne. Die Mediävistin Chiara Frugoni führt Entdeckungen und Erfindungen des Mittelalters an und geht Sprichwörtern, Redensarten und Bräuchen dieser »stets lebendigen Vergangenheit« nach. Ihr Buch ist »als Hommage an das Mittelalter gedacht, an die vielen damals eingeführten Erleichterungen des Lebens, in deren Genuss wir noch heute kommen«.128 Der Mittelalterhistoriker 128 C. Frugoni, Das Mittelalter auf der Nase. Brillen, Bücher, Bankgeschäfte und andere Erfindungen des Mittelalters. Aus dem Italienischen von Verena Listl, München 22004, 8.

82

Charakterisierung und Verortung der Quellen

Horst Fuhrmann wandte sich schon vor einigen Jahren mit seiner »Einladung ins Mittelalter« explizit an Nichthistoriker, die den derzeitigen Stand der Forschung kennenlernen wollen. Indem er das Andersartige und Fremde betont, will er heutigen Menschen verdeutlichen, dass die eigene Lebensform nicht die einzig mögliche ist und es andere gab und gibt, welche den Menschen mehr erfüllen. Ein Beitrag thematisiert speziell »Das Interesse am Mittelalter in heutiger Zeit«.129 In »Überall ist Mittelalter« bemüht Fuhrmann sich, »die Augen zu öffnen für historische, für mittelalterliche Hintergründe«. Er will davon reden, »Wieviel vom Mittelalterlichen sich bis zu uns gehalten hat«.130 Fuhrmanns These greift ein aktueller Sammelband auf, der aus einer Ringvorlesung an der Universität Würzburg im Wintersemester 2014/15 hervorgegangen ist. Anhand von Institutionen, Sprache oder Technik, die wir dem Mittelalter verdanken, wollen die mediävistischen Beiträge die Präsenz und Aktualität des Mittelalters wieder verstärkt ins Bewusstsein heben.131 Die Frage des Wirtschafts- und Sozialhistorikers Michael Mitterauer nach dem Sonderweg der Entwicklung Europas zielt »auf die Erklärung von spezifischen Prozessen, die in Vergangenheit und Gegenwart zu Unterschieden gegenüber anderen Kulturen geführt haben«, es geht ihm »um die Interpretation historischer und aktueller Kulturerscheinungen aus ihrer Genese«.132 Bedingungsfaktoren reichen dabei bis in Spätantike und Frühmittelalter zurück. Der Politik- und Kulturwissenschaftler Hans Maier fragt grundsätzlicher nach der weltgestaltenden Leistung des Christentums. Er versucht, Spuren des Christentums in Geschichte und Gegenwart sichtbar zu machen, die auf Wechselwirkungen zwischen Kirche und Welt zurückgehen, und skizziert, was in einer Welt ohne Christentum anders wäre.133 Arnold Angenendt will darüber informieren, was die neueren religions-, kultur- und allgemeingeschichtlichen Forschungen zu den sogenannten »Todsünden« des Christentums erbracht haben.134 Wirkungen in der Moderne hat das Mittelalter auch über mittelalterliche Vorstellungen, wie sie sich etwa beim Tod von Johannes Paul II. gezeigt haben. Der Kirchenhistoriker Hubertus Lutterbach hat untersucht, ob es berechtigt ist, »von

129 Vgl. H. Fuhrmann, Einladung ins Mittelalter, München 1987, 9–11; vgl. darin Das Interesse am Mittelalter in heutiger Zeit. Beobachtungen und Vermutungen, 262–280. 130 Fuhrmann, Überall ist Mittelalter, 10.13. 131 Vgl. Klein (Hg.), Mittelalter. 132 M. Mitterauer, Warum Europa? Mittelalterliche Grundlagen eines Sonderwegs, München 5 2009, 8. 133 Vgl. H. Maier, Welt ohne Christentum – was wäre anders? 4., erweiterte Ausgabe (Herder Spektrum 6068), Freiburg i. Br. 2009. 134 Vgl. A. Angenendt, Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert, Münster 2009.

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frühchristlicher bzw. mittelalterlicher Religiosität im neuzeitlichen Personenund Totenkult von Päpsten und Idolen zu sprechen«.135 Einige Wissenschaftler betonen die Aktualität des Mittelalters und der Mediävistik – gerade angesichts von Stellen- und Mittelkürzungen und der Frage nach der Relevanz ihres Fachs. Für den Mediävisten Hans-Werner Goetz sorgen die zeitspezifischen Mittelalterbilder für eine immer neue Aktualität des Mittelalters. In der Mittelalterrezeption begründe sich die Relevanz der Mediävistik, was eine notwendige Analyse des Mittelalterbildes bedeute, die zu einer Selbstanalyse des Fachs gerate.136 Im Geschichtsbewusstsein werde das Mittelalter heute als anderes und fremdes Zeitalter von der Moderne abgegrenzt: »Das heutige Interesse am ›Fremden‹ unterstützt geradezu eine ›Aktualität‹ des Mittelalters in unserer Zeit – und was eignet sich besser zu seiner Erfassung als die uns inzwischen wirklich fremd gewordene und oft nur schwer zu verstehende (Gedanken-) Welt des Mittelalters?«

Das Mittelalter könne und müsse mit den vielen sich bietenden Vergleichsmöglichkeiten und -materialien zu aktuellen Fragestellungen und Vorstellungen in Bezug gesetzt werden. Es gehe darum, »die mittelalterlichen Verhältnisse gerade in ihrer epochenspezifischen und entwicklungsgeschichtlichen Zeitbedingtheit zu erfassen«.137 Goetz meint, um der Gegenwart und der Vergangenheit gerecht zu werden, müsse die Mediävistik sowohl das Moderne als auch das damals Zeitgemäße aufdecken und berücksichtigen. Sie erfülle durch das Herausarbeiten des Mittelalterlichen am Mittelalter und das Erklären des Schritts von den mittelalterlichen zu den heutigen Verhältnissen eine wichtige Funktion in Geschichtswissenschaft und Gesellschaft. Beleg für ein von außen kommendes Interesse breiter Schichten am Mittelalter seien die Besucherzahlen historischer Ausstellungen, die Massenproduktion von Sachbüchern und wissenschaftlichen Veröffentlichungen sowie die Beliebtheit von Mittelaltermärkten, -filmen und -romanen. Das unwissenschaftliche Mittelalterbild enthalte sowohl Klischees vom finsteren als auch vom allzu hellen Mittelalter. Die Mediävistik müsse das Mittelalter

135 H. Lutterbach, Tot und heilig? Personenkult um »Gottesmenschen« in Mittelalter und Gegenwart, Darmstadt 2008, 8. 136 H.-W. Goetz, Einführung: Die Gegenwart des Mittelalters und die Aktualität der Mittelalterforschung, in: Ders. (Hg.), Aktualität, 7–23, 9f. Der Band versammelt Aufsätze, die auf Beiträge zu einer Ringvorlesung an der Universität Hamburg 1998 zurückgehen. Diese wollte »Stand und Perspektiven der derzeitigen Mediävistik« beleuchten (21). Vgl. auch H.-W. Goetz, Geschichtswissenschaft und Geschichtsbewusstsein. Gegenwärtige Tendenzen der Mediävistik, in: R. Ballof (Hg.), Geschichte des Mittelalters für unsere Zeit, Wiesbaden 2003, 265–278. 137 Goetz, Einführung, 14f.

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Charakterisierung und Verortung der Quellen

lebendig erhalten und zugleich verhindern, dass es zum Mythos wird und Flucht aus der Gegenwart in eine Gegenwelt bedeutet.138 Bei vielen der untersuchten Romane wird direkt zu Beginn über die Beschreibung der Dunkelheit – zum Teil verbunden mit dem Aspekt des Geheimnisvollen – und des winterlichen Wetters eine bestimmte Atmosphäre und ein Klischee vom harten, entbehrungsreichen, dunklen und schmutzigen Mittelalter erzeugt. Indem in anderen Romananfängen die Bedrohung, Verfolgung oder Gefangenschaft des Protagonisten angesprochen wird, wird den Lesern vermittelt, dass die Menschen im Frühmittelalter ständig um ihr Leben fürchten mussten.139 In Bezug auf Die Päpstin meint Philip Steiner, die Autorin Donna Cross wolle das Mittelalter so dunkel, schmutzig und grausam wie möglich skizzieren; schon die ersten Seiten würden in die fürchterliche Welt des Mittelalters führen. Der Historiker Christian Rohr resümiert, dass in Romanen, Filmen oder Computerspielen immer wieder Mittelalterklischees von Grausamkeit und Schmutz transportiert werden.140

Wie der Mittelalterhistoriker Johannes Fried festhält, ist menschliches Handeln heute nicht der Geschichte entrückt; die Menschen lernen vielmehr nur aus ihr. Die Forscher müssten aber über den mediävistischen Tellerrand hinaus auf die Gegenwart schauen, sonst seien sie nutzlos für das Leben. »Wer über das Mittelalter nicht hinausdenkt, versteht vom Mittelalter nichts«.141 Die gut besuchten Ausstellungen der letzten Jahrzehnte würden häufig zum Beweis für öffentliches Interesse angeführt. Der Blick auf das Mittelalter bereite anscheinend ästhetisches Vergnügen und befriedige die Lust auf Archaisches und Exotik. Fried sieht für die Forscher die Chance, ihr Wissen sichtbar zu machen, mahnt jedoch: »Mit solcher Aktivität konkurrieren wir Vergangenheitsforscher mit der seriösen und weniger seriösen Unterhaltungsbranche, mit Vergnügungsparks und Anbietern für Abenteuer-Urlaube, mit Fanclubs für Ritter- oder Fußballvereine, mit Turnierspielen,

138 Vgl. Goetz, Einführung, 16f. 139 Scharff, Wann wird es richtig mittelalterlich?, hier 73–77, sieht Gewalt und Dreck als Chiffren, die in neueren Filmen in besonderer Weise für das Mittelalter stehen. – Laut M. Clauss/C. Grieb, »FSK-Freigabe« für das Mittelalter? Gewalt und Krieg in der geschichtlichen Wahrnehmung der Epoche, in: Buck/Brauch (Hg.), Mittelalter, 141–155, ist der Krieg ein unverzichtbarer Bestandteil des populären Mittelalterbildes. 140 Vgl. P. Steiner, Wider die mittelalterliche Misogynie. Mittelalterrezeption im Roman »Die Päpstin« von Donna W. Cross, in: Rohr (Hg.), Alles heldenhaft, 89–101, 92. Das späte Frühmittelalter sei aber nicht dauernd von schlechtem Wetter und Umweltkatastrophen heimgesucht worden, sondern habe bereits von den ersten Auswirkungen des im neunten Jahrhundert einsetzenden Klimaoptimums profitiert (99). – Vgl. C. Rohr, Alles heldenhaft, grausam und schmutzig? Wie das Mittelalter in einem Nebel von Klischees versinkt, in: Ders. (Hg.), Alles heldenhaft, 343–350. 141 J. Fried, Die Aktualität des Mittelalters. Gegen die Überheblichkeit unserer Wissensgesellschaft, Stuttgart 2002, 13. Der Essay beruht auf einem Festvortrag zum 50jährigen Jubiläum des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte.

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Mittelaltermärkten und dergleichen mehr und rechtfertigen schwerlich die teuren staatlichen Zuwendungen an uns«.142

Einblicke ins Mittelalter, so Fried, konfrontieren mit dem ganz Anderen, das in seiner Fremdheit zur Auseinandersetzung herausfordert und so die Maßstäbe der Gegenwart relativiert.143 Das Mittelalter sei ein kollektiver Erfahrungsspeicher, die Geschichts- eine Erfahrungswissenschaft. Die Kenntnis einstiger Möglichkeiten und die Auseinandersetzung mit diesem Wissen würden die geistige Flexibilität erhöhen144 und den Blick für gleichartige Prozesse der Gegenwart schulen.145 Fried zeigt, dass gerade das europäische Mittelalter eine Wissensgesellschaft war, in der der Rationalismus als Kennzeichen der abendländischen Kultur geboren wurde und eine Verwissenschaftlichung des Denkens stattfand.146 Der Historiker Valentin Groebner beschäftigt sich mit den Mittelalterbildern verschiedener Jahrhunderte, er behandelt die Bilder und Inszenierungen »einer fernen und manchmal komplett fiktiven Epoche«, »die mit der Gegenwart durch dicke Bücher, starke Kabel und farbenprächtige, bewegte Bilder verbunden ist«.147 Für ihn heißt, über das Mittelalter zu reden und zu schreiben, Wünsche zu verhandeln. Drei führt er als Zugänge zum Mittelalter auf: Das entfernte Zeitalter wird zur Distanzierung von einer ungenügenden Gegenwart genutzt; Errungenschaften, Komplexität und Würde der vormodernen Vergangenheit werden gegen die Herablassung der Moderne verteidigt; die im Mittelalter entstandenen Grundlagen der europäischen Kultur werden als prägend für die eigene Gegenwart gesehen.148 Parallel zu einer Krise des Fachs beobachtet Groebner ein Erstarken des Mittelalters in der Populärkultur, womit sich aber die wenigsten deutschen Mediävisten beschäftigen würden. In vielen Büchern über das Fesselnde und Faszinierende am Mittelalter sei von der populären Mittelalterrezeption nur am Rande, als Kuriosität, die Rede.149 Groebner unterscheidet drei Erzählmodi, die unterschiedlich vermischt bei jedem Reden über das Mittelalter präsent sind: vertikal (zeitliche Abfolge als Abstammungsgeschichte), biographisch (subjektive Bindung des Autors an das historische Material) und horizontal (Fragmentierung und Rekombination von exotischem Material). »Das Mittelalter ist kein Ort, an den man sich zurückbe-

142 143 144 145 146 147 148 149

Fried, Aktualität, 15. Kursivsetzung im Original. Vgl. Fried, Aktualität, 23. Vgl. Fried, Aktualität, 26–30. Vgl. Fried, Aktualität, 52f. Vgl. Fried, Aktualität, 33–40. V. Groebner, Das Mittelalter hört nicht auf. Über historisches Erzählen, München 2008, 9. Vgl. Groebner, Mittelalter, 11–13. Vgl. Groebner, Mittelalter, 17f., 21–23.

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Charakterisierung und Verortung der Quellen

geben könnte«, so Groebner.150 Rekonstruktionen mittelalterlicher Vergangenheit würden immer über die Mittelalterspezialisten selbst, ihr Publikum und kollektive Wünsche ihrer Entstehungszeit Auskunft geben. Am Ende des 20. Jahrhunderts hätten Mittelalteranrufungen im Modus 3 solche im Modus 1 zu ersetzen begonnen. Mittelalterliches Material erscheine »als heterogener Fundus, in dem alles je gleich weit entfernt ist und miteinander zu verschiedenen Zwecken kombiniert werden kann«.151 Groebner plädiert dafür, die wissenschaftsfernen kommerziellen Mittelalterinszenierungen »nicht einfach als vulgär und banal abzutun, sondern ernst zu nehmen«. Sie seien »genau das wirkmächtige Mittelalter, das uns umgibt, und vorgibt, was Mittelalter denn genau ist«.152 Der historische Roman wird also, neben anderen Darstellungsformen, von verschiedenen Wissenschaftlern immer wieder als ein Beispiel für das Interesse am Mittelalter und für dessen Aktualität genannt. Im Gegensatz zu den häufigen bloßen Nennungen als Beleg will diese Arbeit den populären historischen Roman, wie von Groebner angemahnt, ernst nehmen, und, als ein exemplarisches Geschichtsprodukt, aus wissenschaftlicher Sicht untersuchen. Dabei ist zu fragen, in welchem Modus die Romane vom Mittelalter erzählen und welche Wünsche dort an das Mittelalter herangetragen werden.

2.2

Mediävistik und Mittelalterroman

In Hans-Werner Goetz’ Aufsatz zu Der Name der Rose lässt sich Grundsätzliches zum Verhältnis von Mediävistik und historischem Roman entdecken. Er betont, dass die Geschichtswissenschaft im Unterschied zum Roman ein wissenschaftlich fundiertes, sowie, was beide verbindet, gegenwartsgeleitetes Geschichtsbild entwirft.153 Die Neuausrichtung der Geschichtswissenschaft als einer historischen Kulturwissenschaft schlage sich auch im historischen Roman nieder. Dass sowohl wissenschaftliches als auch vor- oder außerwissenschaftliches Mittelal150 Groebner, Mittelalter, 126. 151 Groebner, Mittelalter, 136. 152 Groebner, Mittelalter, 144. Prägnant zusammengefasst sind seine Aussagen in V. Groebner, Geht’s ein bisschen echter?, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagzeitung vom 19. 9. 2010, Nr. 37, 63f., und V. Groebner, Arme Ritter. Moderne Mittelalterbegeisterungen und die Selbstbilder der Mediävistik, in: Buck/ Brauch (Hg.), Mittelalter, 335–345. Darin wird er deutlich: »Wir armen Ritter der Mediävistik haben heute gar keine andere Wahl, als uns mit den künstlichen historischen Welten der Unterhaltungsindustrie und des Tourismus zu befassen; einfach, weil sie da sind« (343). 153 Vgl. H.-W. Goetz, Umberto Eco und das Interesse am Mittelalter: Zum Umgang der Mediävistik mit historischen Romanen und populären Mittelalterbildern, in: T. Kindt/K.-H. Müller (Hg.), Ecos Echos. Das Werk Umberto Ecos: Dimensionen, Rezeptionen, Kritiken, München 2000, 37–52, 43.

Mittelalterbilder: Die Perspektive der Geschichtswissenschaft

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terbild den Interessen der Gegenwart entspringen, ergebe eine gewisse Nähe eines Mittelalterromans zu geschichtswissenschaftlichen Ergebnissen.154 Auch die Mediävistik sei in Zeitströmungen eingebunden, was eine größere Aufgeschlossenheit gegenüber dem historischen Roman schaffe. »Historische Darstellungen sind ihrerseits ›Literatur‹, auch wenn man sicherlich nicht so weit gehen muss, sie mit Hayden White […] als ›Fiktion‹ zu bezeichnen«. Sie seien aber keine Romane, und Romane würden trotz aller Annäherungen nicht zur Geschichtswissenschaft, sie können nicht Quellen einordnen und auswerten. Romane könnten aber »gerade dort unbefangen mit der Vergangenheit umgehen, wo die Geschichtswissenschaft passen muss (ohne dass sich beides einfach zu einem Gesamtbild ergänzen ließe)«.155 Aufgabe der Mediävistik ist es nach Goetz’ Meinung nicht, einzelne Irrtümer zu korrigieren, sondern verbreitete Klischeebilder und allzu Fiktives nach heutigem Wissen zurechtzurücken und das vermittelte Mittelalterbild zu überprüfen. Populäre Mittelalterbilder würden zugleich dazu zwingen, die wissenschaftlichen zu überprüfen. Goetz wünscht sich populäre, wissenschaftliche Bücher, die dann statt der historischen Romane oder neben ihnen gelesen werden. Romane seien aber meist weit einflussreicher für die Meinungsbildung, was die Aufgabe für die Geschichtswissenschaft umso dringlicher mache.156 Der Anlage vieler historischer Romane nicht unähnlich ist die neue EinhardBiographie des Mittelalterhistorikers Steffen Patzold. In deren Mittelpunkt steht eine Persönlichkeit aus dem Umfeld der Herrscher Karl und Ludwig, aus deren Perspektive auf die Ereignisse am Hof und im Reich geblickt wird. Anders als der Titel »Ich und Karl der Große« vermuten lässt, geht es sehr stark um Einhards eigenes Leben und um die Herrschaftsjahre Ludwigs des Frommen († 840). Thematisiert wird etwa, wie die Vita Karoli entstanden und angelegt ist und was Einhard († 840) damit bezweckt hat. Patzold hält fest, dass Einhard die Persönlichkeit des neunten Jahrhunderts ist, mit der er sich gerne einmal in einem Café treffen würde; Einhard könnte ihm so viel über diese Zeit erzählen.157 Patzold betont: »Ich erzähle über den Einhard, den ich geschaffen habe«. Dieser Einhard sei ein Mensch gewesen, habe verschiedenste Gefühle gehabt, »Herzklopfen – und wenn es sein musste, auch Durchfall«.158 Er bekennt: »Der Held dieses Buches ist mein Geschöpf. Er kommt nicht ohne Voraussetzungen aus, die aus meiner Gegenwart erwachsen sind […]«. Phantasie sei notwendig, 154 Vgl. Goetz, Umberto Eco, 45f. 155 Goetz, Umberto Eco, 49, 50. 156 Goetz, Umberto Eco, 50–52. – Fulda, Thematisierungen, 215, hat den Eindruck, dass Kenntnisse über den mittelalterlichen Kathedralbau in den letzten Jahren vor allem durch Die Säulen der Erde verbreitet wurden. 157 Vgl. S. Patzold, Ich und Karl der Große. Das Leben des Höflings Einhard, Stuttgart 2013, 9. 158 Patzold, Ich, 18f.

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Charakterisierung und Verortung der Quellen

um die wenigen aus Einhards Zeit erhaltenen Splitter zueinander in Beziehung zu setzen und die Leerstellen zu füllen. Das Material aus dem Frühmittelalter spreche niemals von sich aus zu uns, sondern nur anhand von Fragen und Vorannahmen. Patzold setzt sich deutlich von Romanautoren ab: Sein Held sei »mehr als ein lupenreines Phantasieprodukt, mehr auch als eine Figur eines historischen Romans. Mein Einhard war ein Mensch«.159 Dieser habe bis heute wahrnehmbare Spuren außerhalb des Textes hinterlassen. Der wissenschaftliche Apparat, der auf Texte anderer Historiker verweise sowie Überreste aus Einhards Welt zitiere, bedeute eine nicht nur symbolische Trennung vom Poeten. Da wir in unserer Lebenswelt Menschen ganz selbstverständlich Emotionen, Ideen und Überzeugungen zuschreiben, musste Patzold, wie er erklärt, auch seinen Einhard mit all dem ausstatten. Diese Zuschreibungen mögen für Leser der Gegenwart plausibel sein, sind als historische Phänomene des achten und neunten Jahrhunderts jedoch nicht zu beweisen. »Doch wie könnte Einhard sonst ein Mensch sein?«160 So weit, wie Patzold selbst betont, ist er bei näherem Hinsehen gar nicht von historischen Romanen entfernt. Viele Romanautoren gehen ähnlich vor: Sie versehen ihre Werke mit Anmerkungen, verweisen auf Quellen und Arbeiten von Historikern. Ein großer Unterschied mag zwischen Patzolds Biographie und einem Roman mit gänzlich fiktiven Figuren bestehen; in zahlreichen populären historischen Romanen kommen jedoch Einhard und Karl vor – und zwar nicht nur als Erinnerte, sondern als Handelnde. Bei einigen Romanen wie Karl Martell oder Karl der Große handelt es sich sogar um Romanbiographien. Patzold baut einen Gegensatz zwischen »Romanfigur« und »Mensch« auf – Thomas R. P. Mielke hingegen schreibt im Vorwort zu seinem Roman (!), Karl sollte 1250 Jahre nach seiner Geburt »das Recht erhalten, auch einmal Mensch zu sein – ein ganz normaler Mensch« (Karl der Große, 8). Zuvor hatte Mielke bemerkt: »Vieles von Karl und seinen Kampfgefährten, seinen vielen Frauen und Kindern wurde bereits zu ihren Lebzeiten aus unterschiedlichen Blickwinkeln weitererzählt«. Schreibweisen von Namen und Orten, die Jahreszahlen und »das Würdigen beziehungsweise Verschweigen bestimmter Ereignisse von damals sind auch heute noch in einem fast mystisch-liebenswerten Unschärfennebel und von mehrfachen Wahrheiten umhüllt«. Bereits die Reichsannalen des Klosters Lorsch seien »›geschönte‹ Hofberichterstattung« und Eginhard »als einziger Zeitzeuge Karls« würde in seiner Vita Caroli Magni mehrfach Frauen, Kinder, Jahreszahlen und Zusammenhänge verwechseln (7).

Johannes Fried erklärt direkt im ersten Satz seiner neuen Karl-Biographie, dieses Buch sei kein Roman, aber dennoch eine Fiktion. Sie beschreibe das Bild, das er 159 Patzold, Ich, 287f. 160 Patzold, Ich, 288.

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sich von Karl dem Großen mache. Trotz des Heranziehens der Zeugnisse jener Zeit sei es subjektiv geformt und gefärbt. »Die Tiefe eines Lebens vor 1200 Jahren ist heute nicht mehr auszuloten. So bleibt nur die eigene Imagination«.161 Eine objektive Darstellung des großen Karolingers sei nicht möglich. Von Karl sei kaum Privates und nichts Persönliches zu fassen. Kein einziger Ausspruch könne mit letzter Gewissheit auf ihn zurückgeführt werden. Fried betont die Fremdheit der Welt vor 1200 Jahren. Wissen, Sprache und Denkweise der Menschen seien uns Heutigen fremd geworden. »Ihre Emotionen teilen wir nicht mehr, ihr Können steht uns nicht mehr zur Verfügung, ihr Wollen und Planen mutet uns rückständig an, ihre Werte und Ethik sagen uns […] kaum noch etwas«.162 Diese Welt, so Fried, lässt sich nur vage und hypothetisch erschließen und darstellen. Im Anschluss an Goetz lässt sich sagen, dass historische Romane ebenso Bilder von Karl oder Einhard entwerfen wie die wissenschaftlichen Biographien von Fried und Patzold. Diese Bilder sind jeweils von Voraussetzungen geprägt, die unserer Gegenwart entstammen. Romanautoren und Historiker sind gleichfalls »Schöpfer« von Karl und Einhard. Beide nutzen – in unterschiedlicher Intensität – die frühmittelalterlichen Quellen und füllen die Leerstellen der Überlieferung mithilfe ihrer Phantasie. Vor allem die Historiker bringen ihr Wissen über das Frühmittelalter und damalige Vorstellungen ein. Angesichts der fehlenden Quelleninformationen sind Erzählungen über das persönliche Leben Karls und seiner Familie, ihre Empfindungen oder Worte eingeschlossen, ein gewagtes Unternehmen. Fraglich ist, ob sich die Romanautoren bewusst sind, dass ihre Erzählungen über eine vergangene Epoche auch ihre eigene Gegenwart spiegeln. In den Romanen scheinen viele Figuren Emotionen zu haben, die unseren sehr vergleichbar bzw. für uns nachvollziehbar sind. Die von den Historikern betonte Fremdheit des Frühmittelalters wird – zumindest hinsichtlich der Empfindungen der Figuren – in den Romanen weniger deutlich. Auch Umberto Eco hat Überlegungen zur Denk- und Handlungsweise von Figuren historischer Romane angestellt. In Bezug auf Kennzeichen des historischen Romans meint er, man könne »aus alten Zeiten auf dreierlei Weise erzählen«: In der »Romanze, im Sinne von englisch romance« diene Geschichte »als Bühnenbild, als Vorwand und phantastische Konstruktion, um der Einbildung freien Lauf zu lassen«. Deshalb brauche die Romanze gar nicht in der Vergangenheit zu spielen, es genüge, dass sie nicht im Hier und Jetzt spielt oder

161 J. Fried, Karl der Große. Gewalt und Glaube. Eine Biographie, München 2013, 9. Fried will mit seiner Darstellung nicht nur wissenschaftliche Kreise erreichen. Bei seiner Karl-Biographie handelt es sich um ein Buch mit Anmerkungen und Literaturhinweisen, das Stationen von Karls Leben vom Anfang bis zum Ende behandelt und anhand dieser Lebensgeschichte verschiedenste Themen des Frühmittelalters sowie Erinnerungsbilder einspielt. 162 Fried, Karl der Große, 10.

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Charakterisierung und Verortung der Quellen

davon redet; sie sei »die Geschichte eines Woanders«.163 Der »Mantel-und-Degen-Roman« nehme einen »›realen‹ und erkennbaren Abschnitt aus der Geschichte«, bevölkere ihn, um ihn erkennbar zu machen, mit Persönlichkeiten aus den Geschichtsbüchern, und lasse sie einige Dinge tun, die nicht dort stehen, diesen aber auch nicht widersprechen. Um den »Eindruck der historischen Realität« zu bekräftigen, müssten die Persönlichkeiten natürlich dann auch das tun, was sie den Historikern zufolge wirklich getan haben. In dieses »›wahrheitsgemäße‹ Tableau würden nun Phantasiegestalten eingefügt, die aber »Gefühle und Reaktionen bezeugen, wie man sie auch Gestalten aus anderen Epochen zuschreiben könnte«. Im »wahren historischen Roman« bräuchten keine »›bekannten Persönlichkeiten‹ aus den Geschichtsbüchern« aufzutreten.164 Hier diene das Handeln und Denken der Romanpersonen zum besseren Verständnis der Geschichte. Ereignisse und Personen seien erfunden, würden aber Dinge über die damalige Zeit klarer sagen als die Geschichtsbücher. Die in der vorliegenden Arbeit untersuchten Romane sind wohl eher Ecos Kategorie des »Mantel-und-Degen-Romans« zuzuordnen.

Bislang fehlt eine Arbeit, die sich einem Querschnitt von aktuellen Romanen, die in der Epoche des Mittelalters spielen, widmet, und, wie von Goetz gefordert, nach dem vermittelten Geschichtsbild sowie den enthaltenen Aussagen über die Entstehungszeit fragt – diese Lücke will die vorliegende Untersuchung schließen.

2.3

Mittelalterrezeption in der Populärkultur: Zusammenhänge und Forschungen

Zur Mittelalterrezeption in der Populärkultur sind bereits erste grundlegende Sammelbände erschienen. Der Mittelalter- und Klimahistoriker Christian Rohr hat unter dem Titel »Alles heldenhaft, grausam und schmutzig?« aus einem Seminar hervorgegangene Aufsätze von Studenten veröffentlicht, die sich mit der Mittelalterrezeption in Belletristik, Film, Gesellschaftsspiel und den neuen Medien sowie mit Mittelalterfesten und ihrem Umfeld beschäftigen. Der Sammelband soll »erstmals in vergleichender Betrachtungsweise die verschiedenen Medien, in denen populärkulturelle Mittelalterrezeption stattfindet, näher unter die Lupe nehmen« mit der Grundfrage, »warum sich Mittelalterstereotype von Kindheit an so nachhaltig entwickeln können und wie diese Klischees in weiterer Folge gefördert werden«.165 Viele der Beiträge ließen sich auf den gemeinsamen Nenner »Das Mit163 U. Eco, Nachschrift zum »Namen der Rose«. Deutsch von Burkhart Kroeber, München 8 1987, 86. Kursivsetzung im Original. 164 Eco, Nachschrift, 86f. 165 Rohr (Hg.), Alles heldenhaft, 9. Ein Qualitätsunterschied im Reflexionsgrad und in der Darstellungsweise wird beim Vergleich dieser Aufsätze von Studenten mit den Aufsätzen in anderen Bänden deutlich.

Mittelalterbilder: Die Perspektive der Geschichtswissenschaft

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telalter als Spiel«166 bringen. Der spielerische Umgang mit der Vergangenheit, das freiwillige und zeitlich begrenzte Eintauchen in eine weit entfernte Anderswelt würde wohl den Reiz der Mittelalter- und Fantasystoffe ausmachen. Der Sammelband »Das Mittelalter zwischen Vorstellung und Wirklichkeit« von Thomas Martin Buck und Nicola Brauch (Geschichtsdidaktik) geht auf ein Mittelalter-Symposion an der Pädagogischen Hochschule Freiburg 2009 zurück, das einen Dialog zwischen den verschiedenen historischen Disziplinen, die sich mit der Epoche an Schule, Hochschule und Universität befassen, einleiten wollte. Der Band zeigt Möglichkeiten und Grenzen des Umgangs mit der mittelalterlichen Populärkultur in Hochschule, Schule und Unterricht auf. Die populäre Aufarbeitung des Mittelalters berge ein bisher weder angemessen analysiertes noch erschlossenes geschichtswissenschaftliches und -didaktisches Potential.167 Zwischen den verschiedenen Lebensbereichen und Genres der Mittelalterrezeption gibt es zahlreiche Verbindungen und Überschneidungen. Diese sollen im Folgenden aufgezeigt werden. Besonders interessant sind dabei Thematisierungen des Frühmittelalters und Verbindungen zum historischen Roman, außerdem die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Geschichtsprodukten. In wissenschaftlichen Aufsätzen zur Mittelalterrezeption werden immer wieder die großen Ausstellungen der letzten Jahrzehnte als Beleg für eine Begeisterung vieler Menschen für das Mittelalter genannt.168 In jüngster Zeit sind noch einige hinzugekommen: Zwei der bekannten und etablierten Mittelalterausstellungen in Paderborn haben sich ausdrücklich dem Frühmittelalter gewidmet (799, Credo169). Im Jubliäumsjahr 2014 gab es in Aachen Ausstellungen zu Karl dem Großen und seiner Zeit – inklusive Museumsneubau und Route Charlemagne, die wichtige Stätten miteinander verbindet; 500 Karl-Figuren schmückten den Katschhof. Ebenso wie bei der Credo-Ausstellung wurde der Bezug zum Europa-Gedanken betont. Zum Rahmenprogramm der Aachener Ausstellung gehörten sowohl wissenschaftliche Beiträge als auch solche aus dem 166 Rohr, Alles heldenhaft, 350. 167 Vgl. T. M. Buck/N. Brauch, Vorwort, in: Diess. (Hg.), Mittelalter, 5–13. Die Aufsätze sind gegliedert in die Bereiche Mittelalterwissenschaft, populäre Geschichtskultur und Mittelalterdidaktik. – Vgl. im Sammelband besonders die grundlegenden Aufsätze Buck, Mittelalter, und H.-W. Goetz, Aktuelles Mittelalter zwischen Vorstellung und Wirklichkeit: die Perspektive der Mittelalterforschung, 73–92, außerdem S. M. Hassemer, Das Mittelalter der Populärkultur, 29–139. – M. Nolte, Das Mittelalter zwischen Wille und Vorstellung, in: FAZ vom 30. 12. 2009, Nr. 302, S. N3, bezieht sich vor allem auf diese Tagung. 168 Vgl. C. Bumiller/H. Krieg, Das Mittelalter in historischen Ausstellungen und Museen, in: Buck/Brauch (Hg.), Mittelalter, 201–216; M. Puhle, Die Vermittlung von Mittelalterbildern und -kenntnissen in Historischen Ausstellungen (Rückblick und Ausblick), in: Ballof (Hg.), Geschichte, 300–307. 169 Vgl. http://www.credo-ausstellung.de, eingesehen am 29. 10. 2013.

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Charakterisierung und Verortung der Quellen

Bereich der Populärkultur: Johannes Fried stellte seine neue Karl-Biographie vor, Martina Kempff präsentierte bei einer Veranstaltung unter der Schirmherrschaft des Dombaumeisters ihren neuen Roman Die Gabe der Zeichnerin (über die Rolle einer jungen, als Mann verkleideten Frau beim Bau des Domes). Als der »große Roman zum Karlsjahr 2014« wurde Der letzte Paladin von Richard Dübell über Roland von Roncesvalles angekündigt.170 Sogar Thomas R. P. Mielkes Roman Karl der Große von 1992 wurde neu aufgelegt. Neben klassischen Ausstellungen werden mittlerweile neue Wege gesucht, um den Menschen das Mittelalter nahe zu bringen und erfahrbar zu machen: Zum Jubiläumsjahr 2014 wurde z. B. das Weltkulturerbe Kloster Lorsch renoviert; die dortige Museumspädagogik bietet »Mittelalter zum Mitmachen«, im karolingischen Freilichtlabor Lauresham kann man Experimentalarchäologie erleben.171 In zahlreichen Städten finden Mittelaltermärkte und -feste statt – manche sehr verkaufsorientiert, andere Zusammenkünfte von Insidern.172

170 Vgl. http://www.karldergrosse2014.de, eingesehen am 29. 10. 2013; vgl. http://www.routecharlemagne.eu/Startseite/index.html, eingesehen am 29. 10. 2013; vgl. Fried, Karl der Große; http://www.duebell.de/6.html, eingesehen am 30. 12. 2013. 171 Vgl. http://www.kloster-lorsch.de, eingesehen am 29. 10. 2013. – Im Histotainment Park Adventon (Osterburken), dem »Park und Museum für Re-enactment, Experimentalarchäologie und Geschichtsvermittlung«, kann man miterleben, »wie eine mittelalterliche Stadt entsteht«, http://www.mittelalterpark.de, eingesehen am 29. 10. 2013. – In Meßkirch am Bodensee soll mit den Mitteln der damaligen Zeit eine Anlage nach dem St. Galler Klosterplan entstehen, die Besucher können »zuschauen und mitmachen«, http://www.cam pus-galli.de, eingesehen am 29. 10. 2013. – Der Geschichtspark Bärnau-Tachov, ein archäologisches »Freiland- und Mitmach-Museum«, zeigt mittelalterliches Leben vom 9.– 13. Jahrhundert, http://www.geschichtspark.de, eingesehen am 29. 10. 2013. M. Bernstein, Das andere Mittelalter, in: SZ vom 5./6. 5. 2012, Nr. 104, S. V2/6, vergleicht das Kaltenberger Ritterturnier (bediene »so ziemlich jedes Klischee, das wir vom Mittelalter haben« und sei »ein Cocktail, schmackhaft und bunt und spektakulär«) und diesen Geschichtspark (bedeute stattdessen »das Ende der Romantik«, man versuche, ein möglichst authentisches Mittelalter aufleben zu lassen). 172 Vgl. S. Kommer, Mittelaltermärkte zwischen Kommerz und Historie, in: Buck/Brauch (Hg.), Mittelalter, 183–200; E. Lehner, Ein Fest dem Mittelalter. Was Menschen an Mittelalterfesten fasziniert, in: Rohr (Hg.), Alles heldenhaft, 291–302; P. Hauser, Die Angebotspalette auf Mittelaltermärkten. Ein Spiegelbild der Mittelalterrezeption in der Populärkultur?, in: Rohr (Hg.), Alles heldenhaft, 325–332. – Der Veranstalter des »Mittelalterlich Phantasie Spectaculum« bewirbt einen der größten reisenden Mittelaltermärkte gerade mit »nicht authentisch, sondern phantastisch«, vgl. http://www.spectaculum.de, eingesehen am 29. 10. 2013. – J. Dörmann, Die Schandtat der Schankmaid, in: FAZ vom 14. 6. 2012, Nr. 136, S. R2, hat an einem LARP, »einer Art Mittelaltercampen«, teilgenommen. Mit einer »manchmal etwas befremdenden Ernsthaftigkeit« würden die Larper ihre »Mittelalterpartys« zelebrieren. »Einmal aus einem normalen Leben schlüpfen und sich ein Wochenende lang nicht um Konventionen kümmern« sei der Grund für viele Menschen, »Mittelalter zu spielen«. Sie spricht von einer »Alltagsflucht« und einer »unsichtbaren Parallelwelt« für die nicht zur Szene gehörenden.

Mittelalterbilder: Die Perspektive der Geschichtswissenschaft

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Einige Gruppen spielen konkrete historische Ereignisse nach, weitere betreiben Geschichtsvermittlung in Museen.173

In Zeitschriften wie »Karfunkel« (»erlebbare Geschichte« mit Schwerpunkt Mittelalter) und »Miroque« werden – neben CDs und DVDs – auch regelmäßig historische Romane vorgestellt.174 Die Zeitschrift Zillo Medieval widmet sich dem Thema Mittelalter und Musik; eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema fand z. B. 2013 in Freiburg auf dem Symposium »Medievalism and Music« statt.175 Die »Codex-Konzerte« der »Mittelalter-Rockband« TOTUS GAUDEO nach Motiven der in 14 Sprachen übersetzten Teufelsbibel-Trilogie von Richard Dübell verbanden 2013 als »Literarical« Musik und Literatur.176 Wie oben erwähnt, wurden einige Romane für das Kino oder Fernsehen verfilmt, Fernsehfilme werden durch Dokumentationen ergänzt.177 Drei Sammelbände beschäftigen sich mit »(Antike und) Mittelalter im Film«, dem »Blockbuster Mittelalter«.178 Einiges über die Filme Gesagte lässt sich auch auf 173 Themen der Zeitschrift »AFAKTOR« sind »lebendige Geschichtsdarstellung, Kultur und Reenactment«, http://www.afaktor.de, eingesehen am 29. 10. 2013; »Tempus vivit!« ist »die deutsche Seite rund um Living History, Re-enactment und historische Darstellung«, http:// www.tempus-vivit.net, eingesehen am 29. 10. 2013. Die Zeitschrift »Pax et gaudium« bzw. »Pax Geschichte« (Geschichte und Reenactment mit Schwerpunkt Mittelalter), deren Erscheinen 2008 eingestellt wurde, lebt weiter als »Pax et gaudium. Das Online-Magazin für Geschichte«, vgl. http://www.paxetgaudium.com/de/home.html, eingesehen am 29. 10. 2013. – Vgl. T. Schmid, http://www.dasmittelalter.at. Populärkulturelle Rezeption des Mittelalters auf ausgesuchten österreichischen Homepages, in: Rohr (Hg.), Alles heldenhaft, 275–287. 174 http://www.karfunkel.de, eingesehen am 29. 10. 2013. – Laut Groebner, Mittelalter, 141, hat Karfunkel nach eigenen Angaben eine Auflage von 22000 Exemplaren. Keine einzige wissenschaftliche historische Zeitschrift komme auch nur in die Nähe solcher Zahlen. – Vgl. http://www.miroque.de, eingesehen am 29. 10. 2013. Unter dem Titel »Miroque« werden auch diverse CD-Kompilationen mit Mittelaltermusik herausgebracht und ein Festival veranstaltet. 175 Vgl. http://www.zillo-medieval.de/template.cgi?page=start, eingesehen am 29. 10. 2013; vgl. http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=19974, eingesehen am 29. 10. 2013. – Vgl. auch F. Althuber, Beruf Mittelaltermusiker, in: Rohr (Hg.), Alles heldenhaft, 303–313. 176 Vgl. http://www.duebell.de/19.html, eingesehen am 30. 12. 2013. 177 Sogar das ZDF zeigte Anfang 2014 die zweiteilige Verfilmung eines Romans von Iny Lorentz: In Die Pilgerin bricht die junge Tilla im 14. Jahrhundert als Mann verkleidet (!) auf, um das Herz ihres Vaters nach Santiago de Compostela zu bringen. Die Dokumentation »Der Weg der Pilgerin – Unterwegs nach Santiago de Compostela« schloss sich an. Auf der Internetseite zum Film werden die Zuschauer aufgerufen, Berichte und Fotos ihrer eigenen Pilgerreise einzusenden, vgl. http://www.pilgerin.zdf.de, eingesehen am 22. 1. 2014. 178 Vgl. Meier/Slanicˇka (Hg.), Antike; C. Kiening/H. Adolf (Hg.), Mittelalter im Film (Trends in Medieval Philology 6), Berlin/New York 2006; M. Fischer/M. Pölzl (Hg.), Blockbuster Mittelalter. Akten der Nachwuchstagung Bamberg, 11.-13. 06. 2015 (Bamberger interdisziplinäre Mittelalterstudien 12), Bamberg 2018. Vgl. auch C. Kuchler, Von Mönchen, Rittern und einer Päpstin: Das Mittelalter im aktuellen Spielfilm. Das Kino als Lernort für Geschichte, in: Buck/Brauch (Hg.), Mittelalter, 157–170. – An der Universität Gießen gab es im SFB Erinnerungskulturen ein Projekt zum Mittelalter im Film, das sich vor allem mit Jeanne d’Arc

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Charakterisierung und Verortung der Quellen

Literatur übertragen bzw. damit vergleichen: Filme werden als wichtige Quellen für Umsetzung, Verarbeitung und Transport (un)bewusster, in spezifische Zeitkontexte eingebundener Mittelalterbilder gesehen; zugleich würden Filme diese Bilder mit generieren.179 Mehrfach wird betont, dass sich Filme zum Mittelalter häufig an literarischen Vorlagen orientieren und ein begrenztes Spektrum an Themen und Gestalten immer wieder aufgegriffen wird. Bestimmte Bezüge, die im allgemeinen Bewusstsein als mittelalterlich gelten, garantieren einen Wiedererkennungswert.180 Religiöse Themen würden in den Filmen nur selten explizit gemacht; Volksfrömmigkeit, Magie, Hexen und Nonnen seien hier attraktive Sujets.181 Diverse Computerspiele sind in einer mittelalterlichen Kulisse angesiedelt: Häufig geht es um Ritter, die Spieler müssen Kämpfe bestehen oder auch Städte bauen.182 Der Historiker, Literaturwissenschaftler und Informatiker Carl Heinze will klären, »mit welchen repräsentativen Strategien das Historische im Computerspiel erscheint und wie die Vergangenheitsbilder beschaffen sind, die dadurch evoziert werden«.183 Er nimmt an, »dass die Inhalte und Strukturen, die durch Computerspiele vermittelt werden, die Geschichtsvorstellungen seiner Spieler beeinflussen und so zum kollektiven Geschichtswissen beitragen«.184 Heinze fragt nach dem vermittelten Mittelalterbild, nach der Verbindung der Spielmechanik mit der Mittelalterdarstellung und nach deren Traditionen und Diskursen, an die die Spiele anschließen. Geschichte als Marke und Geschichte als Universum sieht Heinze als die zentralen Motive für den Einsatz von Geschichte im Computerspiel. Dass sich

179 180 181

182

183 184

beschäftigt hat, vgl. http://www.uni-giessen.de/erinnerungskulturen/home/teilprojekt-14. html, eingesehen am 29. 10. 2013. Vgl. S. Slanicˇka/M. Meier, Einleitung, in: Diess. (Hg.), Antike, 7–16, 13. Vgl. Slanicˇka/Meier, Einleitung, 14; Scharff, Wann wird es richtig mittelalterlich?, 68–72; H. Röckelein, Mittelalter-Projektionen, in: Meier/Slanicˇka (Hg.), Antike, 41–62, 48–50, 57f; C. Kiening, Mittelalter im Film, in: Ders./Adolf (Hg.), Mittelalter, 3–101, 37–39. Vgl. Röckelein, Mittelalter-Projektionen, 46–48. – Kiening, Mittelalter, stellt europäische Filme, die das religiös-spirituelle Moment immer wieder betonen, amerikanischen gegenüber, in denen das laikal-feudale im Vordergrund steht (13). – C. Kiening, Ingmar Bergman: Das siebente Siegel (1957) und Die Jungfrauenquelle (1960), in: Ders./Adolf (Hg.), Mittelalter, 249–281, ist ein singulärer Aufsatz über einen Film, der im Frühmittelalter spielt, am Übergang vom Heiden- zum Christentum, und theologische Fragen behandelt. Vgl. F. Schwarzwald, Mord, Pest und Verrat. Das Mittelalter in Computerspielen, in: Rohr (Hg.), Alles heldenhaft, 251–262; C. Sitter, Die Eignung von Computerspielen mit mittelalterlicher Thematik im Geschichtsunterricht, in: Rohr (Hg.), Alles heldenhaft, 263–274. – Im Frühjahr 2011 erschien eine Mittelalter-Version des meistverkauften PC-Spiels, der Alltagssimulation SIMS: http://www.ea.com/de/die-sims-mittelalter, eingesehen am 13. 5. 2011. Heinze, Mittelalter Computer Spiele, 13. Es geht ihm um das Mittelalter und die Situation in Deutschland. Heinze, Mittelalter Computer Spiele, 120.

Mittelalterbilder: Die Perspektive der Geschichtswissenschaft

95

Geschichte gut verkauft, so Heinze mit Aleida Assmann, gelte auch für historische Bücher, Museen, Filme und architektonische Denkmäler. Auch Romane und Filme würden von interessanten Hintergründen und Schauplätzen profitieren, der Autor könne den Leser oder Zuschauer führen und selbst über die gezeigten Sachverhalte entscheiden. Computerspielentwickler müssten sogar vollständige, funktionsfähige, aus zahlreichen Spielelementen zusammengesetzte Umgebungen entwerfen, die ein stimmiges Gesamtkonzept ergeben. Hierfür biete sich besonders ein historisches Universum wie das Mittelalter an.185 Das historische Computerspiel profitiere hier »sowohl von den Verdichtungen der populär-unterhaltenden Geschichtskultur als auch von den Differenzierungen der historischen Forschung«.186 Die historischen Wissensbestände, auf welche die Spiele verweisen, seien zum Teil den Beständen der Geschichtswissenschaft entlehnt, teilweise auch in anderen gesellschaftlichen Wissensfeldern wie Romanen, Filmen oder Erlebnisangeboten etabliert worden. Heinze sieht die Tendenz, das Mittelalter im Computerspiel vermehrt über seine materiale Dimension zu erschließen.187 Religion ist laut Heinze häufig nur ein nachgeordneter Spielaspekt. »Ein Grund für die Säkularisierung des Mittelalters im Computerspiel ist sicherlich die […] Zurückhaltung gegenüber religiösen Themen, um ein Spiel weltweit verkaufen zu können«.188 Auch wegen der Bedingungen des Simulationsspiels gelinge eine differenzierte und umfassende Repräsentation der Bedeutung der Religion nicht. Man werde der Vergangenheit aber eher im Modus der Erzählung als mit den Methoden der Modellbildung gerecht. Hierzu könnte auch »eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Mittelalter […] der Geschichtswissenschaft«189 hilfreich sein. Das Mittelalter wird, wie sich gezeigt hat, in den verschiedensten Genres der Populärkultur thematisiert, die deutliche Verbindungen aufweisen. Trotz der verstärkten Beschäftigung mit anderen Medien hat auch die Romanlektüre als Freizeitbeschäftigung noch Bedeutung. Immer wieder kommen Romane vor: Sie werden verfilmt, in Zeitschriften vorgestellt, im Rahmenprogramm von Ausstellungen gelesen oder für die Handlung von Computerspielen genutzt. Interessant ist, dass einerseits ein persönlicher Zugang zum Mittelalter gewählt wird und die Auswahl einzelner Themen bestimmt. Andererseits tauchen klar umrissene Stoffe immer wieder in unterschiedlichen Medien auf und werden weiter tradiert. Nicht nur persönliche Vorlieben des »Produzenten« bestimmen die Auswahl der Stoffe, auch der Umgang mit Rezeptionserwartungen ist zu be185 186 187 188 189

Vgl. Heinze, Mittelalter Computer Spiele, 298f. Heinze, Mittelalter Computer Spiele, 299f. Kursivsetzung im Original. Vgl. Heinze, Mittelalter Computer Spiele, 301–304. Heinze, Mittelalter Computer Spiele, 240. Kursivsetzung im Original. Heinze, Mittelalter Computer Spiele, 305.

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Charakterisierung und Verortung der Quellen

denken. Der Autor eines Romans bedient die Erwartungen der Leser. Unterschiedliche Medien schüren bestimmte Erwartungen bezüglich des Mittelalters, so steht bei Romanen eher das Scheitern im Mittelpunkt, bei Rollenspielen oder Mittelaltermärkten das Perfekte. Zugleich gibt es den übergreifenden Aspekt des Zugangs zu neuen Welten, einerseits in wissenschaftlicher, andererseits in literarisch-fiktiver Hinsicht. Die vorliegende Arbeit will einen Beitrag zur Erforschung der populären und massenmedialen Geschichtsprodukte leisten. Hier existieren inzwischen einige Arbeiten, neben solchen zu Romanen und Filmen auch zu Comics, zu Reenactment, zunehmend auch zu »neueren« Geschichtsprodukten wie Computerspielen und Internetplattformen. Der populäre historische Roman ist aber noch nicht hinreichend erforscht, erst recht nicht der im Mittelalter spielende. Selbst wenn einzelne Romane näher untersucht oder zumindest erwähnt werden, werden weder sie noch andere Geschichtsprodukte jemals unter dezidiert theologischer Perspektive betrachtet. Niemand fragt ausdrücklich nach Religion, wie es in dieser Arbeit geschehen soll.190

3.

Religiöse Aspekte in der Literatur: Die Perspektive der Theologie

3.1

Das Forschungsfeld Theologie und Literatur

Die vorliegende Arbeit, die aus einer theologischen Perspektive literarische Erzeugnisse untersucht, gehört in das weite Forschungsfeld von Theologie und Literatur. Um zu verdeutlichen, worum es dabei geht und wie sich diese Arbeit darin einordnet, erfolgt zunächst ein Überblick. Anschließend wird nach dem Vorkommen historischer Romane in den Untersuchungen zu Theologie und Literatur gefragt. Sodann wird Hinweisen auf die literarische Rezeption von Kirchengeschichte nachgegangen. Gibt es Arbeiten, die eine ähnliche Fragestellung verfolgen wie diese Untersuchung? Schließlich wird eine Arbeit näher vorgestellt, die sich einer christlichen Lebensform im Roman widmet, die auch in der eigenen Untersuchung eine zentrale Rolle spielen wird: dem Mönchtum und Klosterleben. Der Dogmatiker Karl-Josef Kuschel – auch die evangelische Theologin Dorothee Sölle und der Ethiker Dietmar Mieth haben wegweisende Vorarbeiten verfasst – und dessen Schüler, der Religionspädagoge Georg Langenhorst, sind seit Jahren wichtige Protagonisten im Spannungsfeld von Theologie und Lite190 Im Internet gibt es inzwischen »TheoPop«, einen Blog für Religion und Popkultur, vgl. http://www.theopop.de, eingesehen am 21. 11. 2013.

Religiöse Aspekte in der Literatur: Die Perspektive der Theologie

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ratur. Sie suchen nach Spuren christlicher Themen und Figuren in der Gegenwartsliteratur. Ausgangs- und Schwerpunkt ihrer Arbeiten ist oft Jesus; wiederkehrende Themen sind Hiob und weitere Gestalten der Bibel, die Gottesfrage, außerdem der Papst.191 Bei den untersuchten Werken handelt es sich meist um »Hochliteratur« und um die Werke bekannter Schriftsteller (zum Teil der jüngeren Vergangenheit, aber meist der Gegenwart). Auch die Auseinandersetzung um die »christliche Literatur« wird aufgegriffen. Filme werden stellenweise in die Betrachtung einbezogen. Neben Analysen existieren auch Lesebücher, die als Textsammlungen, teilweise mit Einführungen versehen, für die Praxis hilfreich sind.192 In einer Überblicksdarstellung zum Arbeitsfeld hat Langenhorst zahlreiche Einzelarbeiten vorgestellt.193 Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive hat der Komparatist und Germanist Daniel Weidner jüngst ein Handbuch herausgegeben, das sich anhand der Stichworte Zugänge, Diskurse, Konfessionen, Epochen, Gattungen und Figuren den Wechselbeziehungen von Literatur und Religion widmet und einen Überblick über die kulturellen Wirkungen von Religionen auf dem Feld der Literatur gibt.194

Der Ausgangspunkt der Literaturanalyse liegt häufig bei einzelnen Autoren und deren Gesamtwerk oder einem ihrer Hauptwerke zum Thema.195 An anderen 191 Vgl. K.-J. Kuschel, Jesus in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Mit einem Vorwort von Walter Jens (Ökumenische Theologie 1), Zürich/Köln und Gütersloh 1978; G. Langenhorst, Jesus ging nach Hollywood. Die Wiederentdeckung Jesu in Literatur und Film der Gegenwart, Düsseldorf 1998; G. Langenhorst, Hiob, unser Zeitgenosse. Die literarische Hiobrezeption im 20. Jahrhundert als theologische Herausforderung (Theologie und Literatur 1/Religion und Ästhetik), Mainz 21995; G. Langenhorst, Gedichte zur Bibel, Texte – Interpretationen – Methoden. Ein Werkbuch für Schule und Gemeinde, München 2001; vgl. auch C. Gellner, Schriftsteller lesen die Bibel. Die Heilige Schrift in der Literatur des 20. Jahrhunderts, Sonderausgabe Darmstadt 2010; G. Langenhorst, Gedichte zur Gottesfrage, Texte – Interpretationen – Methoden. Ein Werkbuch für Schule und Gemeinde, München 2003; K.-J. Kuschel, Stellvertreter Christi? Der Papst in der zeitgenössischen Literatur (Ökumenische Literatur 6), Zürich/Köln und Gütersloh 1980. 192 Vgl. K.-J. Kuschel, Der andere Jesus. Ein Lesebuch moderner literarischer Texte, Zürich/ Gütersloh 1983; K.-J. Kuschel, Jesus im Spiegel der Weltliteratur. Eine Jahrhundertbilanz in Texten und Einführungen, Durchgesehene, überarbeitete ppb-Ausgabe Düsseldorf 2007; K.-J. Kuschel, … und Maria trat aus ihren Bildern. Literarische Texte (Reihe Frauenforum), Freiburg i. Br. u. a. 1990; K.-J. Kuschel, Wie im Himmel, so auf Erden. Geschichten von Gott (Gütersloher Taschenbücher Siebenstern 761), Gütersloh 1985; G. Langenhorst, Hiobs Schrei in der Gegenwart. Ein literarisches Lesebuch zur Frage nach Gott im Leid (Religion und Ästhetik), Mainz 1995. 193 Vgl. G. Langenhorst, Theologie und Literatur. Ein Handbuch, Darmstadt 2005. 194 Vgl. D. Weidner (Hg.), Handbuch Literatur und Religion, Stuttgart 2016. Darin findet sich auch ein Beitrag von Georg Langenhorst. 195 Vgl. K.-J. Kuschel, »Vielleicht hält Gott sich einige Dichter…«. Literarische Skizzen. Band 1, Stark erweiterte Neuausgabe Kevelaer 2005; K.-J. Kuschel, Gott liebt es, sich zu verstecken. Literarische Skizzen von Lessing bis Muschg, Ostfildern 2007.

98

Charakterisierung und Verortung der Quellen

Stellen werden einzelne Aspekte des Themas aufgefächert und dazu entsprechende Werke verschiedener Autoren untersucht, die nach Epochen oder konfessioneller Verortung gegliedert sein können.196 Häufig wird zunächst ein Überblick über die Einstellung eines Autors zu Glaube, Religion und Kirche gegeben, Inhalte der Werke werden zusammenfassend beschrieben, Figuren charakterisiert und Zitate angeführt. Der Schwerpunkt liegt auf Einordnungen, Analysen und Wertungen. Untersucht werden sowohl Drama, Epik als auch Lyrik. Die Theologen fragen, in welcher Form religiöse Aspekte in der Literatur aufgegriffen und behandelt werden. Sie sehen bei den Literaten neue Wege, über die Situation und Fragen des Menschen, über Jesus, Gott und Glaube zu sprechen, und dies in Gesellschaft und Kirche einzubringen. In der Literatur entdecken sie neue Blickwinkel auf alte Fragen sowie das Aufwerfen ganz neuer Fragen.197 Wie deutlich wurde, beschäftigen sich die bisherigen Arbeiten überwiegend mit »Hochliteratur«. Die Biographien und Ansichten der Autoren spielen dabei eine wichtige Rolle, ebenso die Sprache und die in den Romanen verwendeten Bilder, die eine Anregung für Theologie und Kirche darstellen können. – »Ernsthafte Literatur« hat nur ein sehr kleines Publikum. Damit ein Buch ein großer Erfolg wird und mit einer hohen Startauflage produziert werden kann, muss es sich an ein breites Publikum richten und dafür bestimmte Auflagen erfüllen (wie einfache Sprache, klare Personenzeichnung, nachvollziehbarer Verlauf). Mit »Populärliteratur« hat sich die Wissenschaft bislang wenig befasst, sie wird aber von vielen gelesen, besitzt ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten und ihre Berechtigung. Um solche »Unterhaltungsliteratur« handelt es sich beim Quellenmaterial der vorliegenden Arbeit. Hintergrundinformationen zu einzelnen Autoren der untersuchten Romane, zur Herkunft ihrer Kenntnisse des Mittelalters sind schwer zu erlangen.198 Über 196 Vgl. K.-J. Kuschel, Im Spiegel der Dichter. Mensch, Gott und Jesus in der Literatur des 20. Jahrhunderts, ppb-Ausgabe Düsseldorf 2000; G. Langenhorst, »Ich gönne mir das Wort Gott«. Gott und Religion in der Literatur des 21. Jahrhunderts, Freiburg i. Br. 2009. 197 Zum Thema gibt es als interessante Informationsquelle auch eine Internetseite, vgl. http:// www.theologie-und-literatur.de, eingesehen am 16. 3. 2013, ein Angebot der Deutschen Bibelgesellschaft in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl von Georg Langenhorst an der Universität Augsburg. 198 Einzelne Autoren betonen in Interviews ihr akribisches Quellenstudium, so Martina Kempff, deren Fachkenntnis immer wieder Historiker bei ihr anfragen lasse, welche auf der Suche nach Beweisen für einige ihrer Hypothesen sind. Sie lege immer offen, an welchen Stellen sie sich auf ihre künstlerische Freiheit beruft, vgl. C. Badke, Blick zurück ins Mittelalter, Kölner Stadtanzeiger, 17. 1. 2007, http://www.ksta.de/html/artikel/1162473274372. shtml, eingesehen am 23. 4. 2012. In ihrem Gästebuch schreibt Kempff 2009 allerdings auch: »Bei aller Sorgfalt ist es natürlich dennoch nicht möglich, das Leben der Ahnen gänzlich korrekt wiederzugeben. Ich vermute, ein historischer Roman verrät eine Menge über die Zeit desjenigen, der ihn geschrieben hat« (http://www.martinakempff.de/gaestebuchaltebei

Religiöse Aspekte in der Literatur: Die Perspektive der Theologie

99

die Biographien einiger Autoren kann man erfahren, dass sie Historiker sind. Manchmal wirkt es so, als ob die Autoren voneinander abschreiben. Ihre Haltung zum Christentum lässt sich teilweise aus der Art der Darstellung in den Romanen erschließen. Das Interesse dieser Arbeit gilt in erster Linie den Texten. Untersuchen lassen sich die in den Romanen transportierten Geschichtsbilder christlichen Lebens im frühen Mittelalter, die, so die Vermutung, auch eine Aussage über die gegenwärtig gesellschaftlich vorherrschenden Bilder von Christentum und Kirche erlauben. Bei der Untersuchung der weit verbreiteten historischen Romane zum Frühmittelalter ist auch nach dem Gewinn für den (theologischen) Leser, nach dem Reiz, der von dem Phänomen für die Kirchengeschichte ausgeht, und deren Umgang damit zu fragen.

3.2

Theologie und historische Romane

Für die vorliegende Untersuchung von besonderem Interesse sind einige Hinweise aus Georg Langenhorsts Buch »Jesus ging nach Hollywood« von 1998. Im Erfolg historischer Romane, in denen einfühlsam bewegende Einzelschicksale geschildert würden, spiegle sich sicherlich »die tiefe Sehnsucht nach einer – in die Historie verlegten – Gegenwelt, die plastisch wird, riechbar, hörbar, sehbar, fühlbar, die den Leser ganz in ihren fiktiven Bann und aus seinem Alltag herauszieht«.199 Langenhorst kritisiert, dass im Bereich des Films und der Literatur (im kirchlichen Raum) häufig keine ästhetische und inhaltliche Auseinandersetzung mit den Werken selbst stattfindet, sondern schnell nach definitorischer Klärung, Abgrenzung und Festlegung von Wahrheit gerufen würde. Für das »Mode-Genre« historischer Roman, das »vielschichtige, von der Trivialliteratur bis in die anspruchsvolle Literatur reichende Phänomen« und seinen Erfolg habe Ecos Der Name der Rose als Katalysator gewirkt, der bereits vorhandene Strömungen aufgegriffen habe. Langenhorst spekuliert über den großen Erfolg historischer Romane: »Drücken sie eine Sehnsucht nach anderen Zeiten aus, sind also Indiz für eine gewisse Gegenwartsflucht? Konkretisieren sich in ihnen der Wunsch nach Heldentum, abentraege.htm, eingesehen am 21. 1. 2014). – Catharina Sundberg betont ihre sorgfältige Recherche, auch an Originalschauplätzen, vgl. http://catharinaingelman-sundberg.com, eingesehen am 15. 11. 2013. – Robert Gordian vertieft sich in die Quellen und gestaltet den Spielraum, den sie ihm lassen. Er gewinnt die Informationen nicht nur aus seiner umfangreichen Bibliothek, sondern zum großen Teil aus dem Internet, vgl. K. Bischoff, Dem Leser Licht machen, Märkische Allgemeine, 22. 04. 2009, http://www.maerkischeallgemeine. de/cms/beitrag/11486853/62129/Die-Germanin-ist-der-Roman-des-Eichwalders-Robert. html, eingesehen am 23. 2. 2010. 199 Langenhorst, Jesus, 12.

100

Charakterisierung und Verortung der Quellen

teuerlichen Erlebnissen und der Glaube an Veränderbarkeit, die der Alltag […] gerade nicht bieten und einlösen kann? Finden sich in der fiktiv erschlossenen Vergangenheit jene spannenden Stoffe, die von den Schriftstellern in unseren westlich-übersättigten Gesellschaften gerade nicht mehr gefunden werden […]?«200

Langenhorsts Bewertungskriterien für einen guten Jesus-Film oder -Roman lassen sich auf historische Romane und die (Kirchen-)Geschichte übertragen: Er nennt die Kriterien der »ästhetischen und der theologischen Stimmigkeit«, der »Originalität« und der »Wirkung des Werkes auf die Leser oder Zuschauer«. Langenhorst meint, nicht alle in sich kontrovers diskutierten Ergebnisse moderner Exegese müssten lückenlos in einen Roman oder Film eingearbeitet sein, ein vollständiges Ignorieren exegetischer Problematik zeige aber einen Mangel an. Er fragt, was ein moderner Roman oder Film heutigen Lesern sagen will, dessen Autor nicht einmal den gegenwärtigen Diskussionsstand zur Kenntnis nimmt: »Wie wir allgemein von dem Verfasser eines guten historischen Romans erwarten dürfen, dass er die historischen Quellen gut studiert, so darf man mit Fug und Recht eine ähnliche Erwartung auch an die Verfasser von Jesus-Romanen stellen«.201

Mögliche binnentheologisch umstrittene Ergebnisse, bewusst provokative Aussagen oder Gegenversionen seien dann das gute Recht, wenn nicht sogar Aufgabe von Literatur und Film. Für problematisch hält Langenhorst gegenwärtige JesusFilme oder -Romane, deren Produzenten oder Schriftsteller sich »als objektive Sachwalter des historischen Geschehens begreifen«.202 Die Kirchen hätten in der postmodernen pluralen Gesellschaft das jahrhundertelange Deutungsmonopol über Jesus verloren. Den Christen bliebe nur der Weg, »im Dialog die Plausibilität und Tragfähigkeit der eigenen Deutung auszuprobieren und als sinnvolle Möglichkeit anzubieten«.203 In der vorliegenden Arbeit ist zu untersuchen, was die Frühmittelalter-Romane ausdrücken und transportieren; ebenso ist, soweit möglich, nach dem Umgang der Romanautoren mit historischen Quellen und wissenschaftlichen Erkenntnissen zu fragen. Weiterhin stellt sich die Frage nach einer möglichen Reaktion der Kirche auf die Konjunktur des Mittelalters in der Populärkultur.

200 Langenhorst, Jesus, 237. 201 Langenhorst, Jesus, 245. – Auch Goetz, Umberto Eco, 37, meint, ein guter Romanautor sollte, wenn er einen historischen Roman schreibt, »wohl mit dieser Zeit und letztlich auch mit einigen Ergebnissen der Mediävistik vertraut sein, wenn er dem historischen Hintergrund ein gewisses Flair von Authentizität verschaffen will, während die Handlung natürlich frei erfunden und insofern ›unhistorisch‹ ist«. 202 Langenhorst, Jesus, 247. 203 Langenhorst, Jesus, 256.

Religiöse Aspekte in der Literatur: Die Perspektive der Theologie

3.3

101

Literarische Rezeption christentumsgeschichtlicher Themen

Georg Langenhorst stellte 2005 fest, dass aus kirchengeschichtlicher Sicht insgesamt nur wenige Studien zur literarischen Rezeption vorliegen, obwohl kirchengeschichtliche Themen einen festen Platz im Boom des historischen Romans haben. Diese Zurückhaltung sei nicht auf mangelndes Material zurückzuführen, sondern eher »auf die hermeneutische Unsicherheit im Blick auf den erkenntnistheoretischen Stellenwert derartiger Texte«.204 Bei vielen (Kirchen-)Historikern würden sich ein wissenschaftlich-historischer Anspruch auf Objektivität und eine Abwertung literarischer Texte als für den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess irrelevant gegenüberstehen. Es gebe bisher nur erste Ansätze ernsthafter Betrachtungen. »Eine spezifische Hermeneutik der historisch-literarischen Begegnung ist – im Gegensatz zu klar profilierten Ansätzen im biblischen oder systematischen Feld – noch nicht einmal in Grundzügen erkennbar«. Als »doppeltes reizvolles Betätigungsfeld« sieht Langenhorst die Aufgabe, »in konkreten Einzelstudien die Lücken in der Erfassung und Deutung zu schließen« sowie den Entwurf einer »allgemeinen Hermeneutik der Bedeutung von literarischen Texten im kirchengeschichtlichen Diskurs«.205 Langenhorst nennt einen Aufsatz der Theologin und Literaturwissenschaftlerin Annegret Langenhorst (unter anderem zum Roman Die Päpstin), wobei er betont: »Die wissenschaftliche Erfassung und Auswertung solcher keineswegs ausschließlich populistischen Literatur steht noch aus«.206 Annegret Langenhorst beobachtet: »Das Mittelalter ist ›in‹ […], in jeder noch so schlecht sortierten Buchhandlung präsentiert sich das christliche Mittelalter einem inzwischen religiös distanzierten Massenpublikum«. Für das unverhoffte Comeback der Gattung des historischen Romans hätten die postmodernen Einsichten in die Intertextualität und die Fragwürdigkeit des Objektivitätsanspruches sowie die Diskussion um die strukturelle Nähe zwischen Geschichtsschreibung und Literatur den Boden bereitet. Nach dem Erfolg von Der Name der Rose hätten viele Plagiatoren Mittelalterromane geschrieben, darunter viel Durchschnittsware für den populären Markt, aber auch qualitativ herausragende Texte. Von einem kirchenkritischen Standpunkt aus würden die Autoren vor allem berüchtigte Kapitel der Kirchengeschichte beleuchten. »Skandale, Tragödien und Legenden sind der Stoff, der ein Massenpublikum an der Kirchengeschichte interessiert«.207 Für Annegret Langenhorst ist offensichtlich, dass »christentumsspezifische The-

204 205 206 207

Langenhorst, Theologie und Literatur. Ein Handbuch, 176. Langenhorst, Theologie und Literatur. Ein Handbuch, 189. Langenhorst, Theologie und Literatur. Ein Handbuch, 186. Langenhorst, Päpstin, 413f.

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Charakterisierung und Verortung der Quellen

men durchaus eine Existenzberechtigung im Kontext kritisch aufgeklärter Postmoderne« haben. Sie deutet »religionspädagogische Anknüpfungspunkte der subversiven Art« an, welche die »massenhafte Präsenz dieser historischen Romane« bietet: »Annäherung durch Verfremdung« (über spannende Themen Zugang finden zu religiösen Fragestellungen der Geschichte), »Konkretion und Exemplarität« (Alltagsgeschichte im Roman sorgt in Phantasie der Leser für Verortung historischer Zugänge in Zeit und Raum), »Empathie« (über Begleitung der Lebensentscheidungen von Figuren Schlüsse für die eigene Wirklichkeit ziehen), »Kritische Reflexion« (kritisches Nachfragen lernen bezüglich Qualität und Glaubwürdigkeit der Literatur sowie dunkler Kapitel der Kirchengeschichte) und »Möglichkeitssinn« (es war wahrscheinlich nicht so, aber es hätte so sein können).208

Im Hinblick auf mögliche Adressaten beobachtet Georg Langenhorst, dass kirchengeschichtliche Themen in Form von Thrillern wie Dan Browns The Da Vinci Code oder Illuminati Jugendliche faszinieren würden und spannend seien, »wenn es um vermeintliche Machenschaften, Skandale, Intrigen und die kriminelle Energie der vorgeblich ›düsteren Institution Kirche‹ geht«. Historisch verankerte Kirchenkrimis würden hingegen durchaus warmherzig kriminalistisch begabte Ordensleute und Priester darstellen. Überaus spannend wäre es, nachzuforschen, wie viele »kirchengeschichtliche Zerrbilder und Stereotypen […] in den Köpfen heutiger Jugendlicher herumschwirren, die von solchen Romanen und Filmen angeregt sind«. Es sei zu befürchten, dass sich diese »als weit nachhaltiger erweisen als jeder noch so gute kirchengeschichtlich orientierte Religionsunterricht«.209 Auf dem Feld der Begegnung von Literatur und Theologie, Religions- und Literaturdidaktik sieht er Chancen für ein zukünftiges kirchengeschichtliches, erinnerungsgeleitetes Lernen. Er plädiert dafür, »die Chancen der Fiktion als Zugang zu Fakten zu nutzen«, ohne die Differenz zwischen beiden zu verwischen. So ließe sich ein »motivational offener Zugang zu Geschichte«210 erreichen. Langenhorst zeigt (anhand der Prinzipien Substitution, Exemplarität, Personalität, Authentizität, Multiperspektivität, Beitrag zur Lebensorientierung, Regionalität, Berücksichtigung der Alltagsgeschichte, Genderbewusste Geschichtsbetrachtung, »Gefährliche Erinnerung«) auf, »warum und wie das Lernen aus Geschichte über das Lernen aus Geschichten möglich sein kann«.211

Die Annahme, dass durch Romane geprägte kirchengeschichtliche Stereotype sehr nachhaltig sind, ist eine wichtige Voraussetzung der vorliegenden Arbeit. Inwiefern in den Romanen ein kirchenkritischer Standpunkt dominiert, ob sie 208 Langenhorst, Päpstin, 418. 209 G. Langenhorst, Abschied von der Kirchengeschichtsdidaktik. Plädoyer für ein integrales Verständnis von erinnerungsgeleitetem Lernen, in: KERYKS 10 (2011) 197–232, 204. 210 Langenhorst, Abschied, 209. Langenhorst verweist auf Hayden White. 211 Langenhorst, Abschied, 212.

Religiöse Aspekte in der Literatur: Die Perspektive der Theologie

103

vor allem die »dunklen Kapitel« der Kirchengeschichte beleuchten oder welche anderen Aspekte christlichen Lebens behandelt werden, wird Gegenstand der Untersuchung sein. Sie will einen Beitrag zur Erfassung und Auswertung der literarischen Rezeption kirchengeschichtlicher Themen und zur Hermeneutik der historisch-literarischen Begegnung leisten. Gibt es insgesamt schon wenige Untersuchungen zur Kirchengeschichte im Roman, gilt das erst recht in Bezug auf das Mittelalter. Das Fehlen von Arbeiten zu Theologie und Literatur aus dem Blickwinkel der historischen Theologie bestätigt ein neuer Aufsatz von Georg Langenhorst, der einen Überblick zur Entwicklung des Dialogfeldes in den letzten zehn Jahren gibt.212 3.3.1 Ein Beispiel: Mönchtum im Roman Zu den wenigen Ansätzen im Forschungsfeld »Historische Theologie und Literatur« gehören laut Georg Langenhorst unter der Rubrik »Historische Gestalten« Untersuchungen zu Heiligen, katholischen Glaubenszeugen und Reformatoren. Bestimmten »Typen und Repräsentanten« wie Pfarrern und Ordensleuten sowie Päpsten haben sich Forschungen gewidmet. »Historische Epochen«, über die Arbeiten vorliegen, sind die Conquista Amerikas213 und der Milieukatholizismus.214 Langenhorst erwähnt auch die Arbeit von Herbert Märzhäuser, der 200 »moderne«, ab 1900 erschienene Romane auf ihren monastischen Gehalt überprüft, den er im Anhang katalogartig darbietet und statistisch auswertet.215 Elf repräsentative Romane untersucht er detailliert, sowohl »literarisch anspruchsvolle Romane« (darunter dezidiert christliche Literatur) als auch »Trivialliteratur«. Märzhäuser versteht den modernen deutschen Roman als spezifische Form von Wirklichkeitsanalyse, weshalb man bei der Untersuchung nach dem Phänomen Mönchtum als einem Teil der analysierten Wirklichkeit fragen müsse. Für ihn lässt sich der Roman »als ein indirektes Dokument zur Geschichte des 212 Vgl. G. Langenhorst, Theologie und Literatur: Aktuelle Tendenzen, in: Theologische Revue 5 (2013) 355–372. 213 Vgl. die anregende Arbeit von A. Langenhorst, Der Gott der Europäer und die Geschichte(n) der Anderen. Die Christianisierung Amerikas in der hispanoamerikanischen Literatur der Gegenwart (Theologie und Literatur 10/Religion und Ästhetik), Mainz 1998. 214 Vgl. Langenhorst, Theologie und Literatur. Ein Handbuch, 176–189. 215 Vgl. H. Märzhäuser, Die Darstellung von Mönchtum und Klosterleben im deutschen Roman des zwanzigsten Jahrhunderts (Würzburger Hochschulschriften zur Neueren Deutschen Literaturgeschichte 1), Frankfurt am Main/Bern 1977. – Die Romane sind unterteilt in historische, Gegenwarts- und utopische Romane, sowie erbauliche, humoristische, ironische, kritische, realistische und satirische Romane. Die Rubriken sind Bezeichnungen, Ordenszugehörigkeit, Historizität der monastischen Personen, Bedeutung im Gesamt des Romans, Namen und Historizität der Klöster, Ort und Zeit der Handlung, Wertung und Stimmigkeit der Monastika.

104

Charakterisierung und Verortung der Quellen

Mönchtums und der in ihm wirkenden Ideen und geschichtlichen Kräfte behandeln«.216 Er will »gemeinsame Wesenszüge der Darstellung des Monastischen im deutschen Roman« und »die Einstellung der Gesamtheit der in die Untersuchung einbezogenen Autoren des 20. Jahrhunderts zum klösterlichen Leben«217 transparent machen. Wie Märzhäuser resümiert, kennt das Thema des Monastischen »weder quantitativ noch qualitativ eine kontinuierliche Entwicklung, sondern nur differenzierte Darstellungen und variierte Motive. Das Mönchtum wird als historische Faktizität sowie als Fiktion dargestellt. Innerhalb des Fiktionalen hat die funktionale Verwendung, besonders in den anspruchsvollen Romanen, große Relevanz«.218

Mönchtum werde in vielen Romanen nur kursorisch erwähnt. In den historischen Romanen sei es geschichtsgestaltete und -gestaltende historische Realität der Vergangenheit. »Weisen die Gegenwartsromane u. a. die Kontinuität der historischen Bedeutung des Mönchtums auf, so offenbaren sie zugleich den Rückgang seiner geistigen und politischen Signifikanz im 20. Jahrhundert«. Viele Autoren, auch die utopischer Romane, schienen das Mönchtum zwar als geeignetes Medium für die Demonstration der Präsenz der katholischen Kirche in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft anzusehen, »doch als eigenständiges geistiges Phänomen figuriert das Mönchtum nicht mehr«.219 Märzhäusers singuläre Arbeit ist spannend und hilfreich, da sie aus theologischer Perspektive in literarischen Texten, welche nicht ausschließlich zur Hochliteratur gehören, das Vorkommen eines Aspektes religiösen Lebens – der christlichen Lebensform »Mönchtum« – analysiert.220 Während Märzhäuser das Phänomen Mönchtum in verschiedenen Arten von Romanen aus einem Zeitraum von fast 80 Jahren untersucht, stehen in der vorliegenden Arbeit allein historische Romane im Mittelpunkt, die zudem innerhalb von ca. 15 Jahren erschienen sind. Den Roman als »Wirklichkeitsanalyse« zu verstehen, ist ein wichtiger Ansatzpunkt für die eigene Arbeit. Märzhäuser kann für das gesamte 20. Jahrhundert keine klaren Linien in der Darstellung des Monastischen erkennen. Durch ein homogeneres Quellenmaterial und einen kürzeren Untersuchungszeitraum lassen sich womöglich leichter Vergleiche zwischen einzelnen Romanen ziehen und Bezüge zur gesellschaftlichen und kirchlichen Situation der Entstehungszeit herstellen. Die vorliegende Arbeit gewinnt ihr Profil einerseits 216 217 218 219 220

Märzhäuser, Darstellung, 26. Märzhäuser, Darstellung, 29. Märzhäuser, Darstellung, 317. Märzhäuser, Darstellung, 319f. Zur filmischen Darstellung von Mönchen und Priestern in der Populärkultur vgl. T. Heimerl/L. Kienzl (Hg.), Helden in Schwarz. Priesterbilder im populären Film und TV (Film und Theologie 27), Marburg 2014, darin insbesondere T. Heimerl, Bibliophile Mönche und machtgierige Intriganten. Priesterfiguren im Historiengenre (13–38).

Fazit: Untersuchungsprofil

105

durch die Beschränkung auf im Frühmittelalter spielende Romane, andererseits durch die Ausweitung auf andere Aspekte und Erscheinungsformen christlichen Lebens.

4.

Fazit: Untersuchungsprofil

Wie sich gezeigt hat, handelt es sich bei den zu untersuchenden Werken um historische, überwiegend realistische und revisionistische, Romane, die wenige metafiktionale Elemente enthalten. Es sind populäre historische Romane mit unterhaltendem Charakter. Obwohl seit der Postmoderne – deren Prinzipien sich besonders gut im historischen Roman umsetzen lassen – die Grenzen zwischen Hoch- und Populärliteratur zunehmend verschwimmen, sind solche Romane bislang kaum untersucht worden. Auch das Mittelalter im historischen Roman wurde eher wenig erforscht. Beidem widmet sich diese Arbeit. Die Romane sind Teil der Populärkultur. Wenn sie Geschichte(n) erzählen, transportieren sie nebenbei mehr oder weniger gesichertes Wissen über die Vergangenheit. Sie können als Quellen für herrschende Geschichtsbilder zu ihrer Entstehungszeit gelesen werden. Geschichtswissenschaft und historische Romane weisen insofern eine Verbindung auf, als beide Geschichtsbilder entwerfen, die jeweils gegenwarts- und interessengeleitet sind. Die Geschichtsbilder der Mediävistik sind allerdings quellengestützt und wissenschaftlich fundiert. Diese Arbeit stellt sich der Aufgabe, die Mittelalterbilder der Romane zu überprüfen – ebenso wie dies grundsätzlich mit denen der Wissenschaft geschehen sollte. Schon seit einigen Jahren lassen sich eine Aktualität des Mittelalters und ein Interesse am Mittelalter, sowohl auf wissenschaftlicher als auch auf populärwissenschaftlicher und populärkultureller Seite, beobachten. Unterschiedliche Zugänge bewegen sich zwischen dunklem und hellem Mittelalter, Fremdheit und Vertrautheit des Mittelalters, Abstand und Kontinuität in Bezug auf die eigene Gegenwart. Allmählich kommt es zu einer stärkeren Auseinandersetzung mit populärkulturellen Geschichtsprodukten. Der historische Roman zeigt sich als vielfach eingebunden in das weite Feld der verschiedenen Mittelalterinszenierungen. Dieses Feld und die einzelnen Geschichtsprodukte sind einerseits durch persönliche Vorlieben der jeweiligen Akteure, andererseits durch etablierte Stoffe und Wissensbestände geprägt. Religiöse Aspekte werden bei der Untersuchung von Produkten der Populärkultur im Allgemeinen und bei der Analyse historischer Romane im Besonderen nur selten berücksichtigt. Dem Aufeinandertreffen und dem Zusammenhang von Theologie und Literatur widmen sich zwar eigens Forschungen, welche aber hauptsächlich Hochliteratur, kaum historische Romane und somit auch selten das Mittelalter fokussieren.

106

Charakterisierung und Verortung der Quellen

Die vorliegende Arbeit will diese Lücken schließen. Sie fragt nach verschiedenen Aspekten christlichen Lebens in populären historischen Romanen über das frühe Mittelalter. Eine Besonderheit dieser Arbeit besteht darin, nicht nur Religion in aktueller Literatur oder eine bestimmte Epoche im historischen Roman zu untersuchen, sondern beides zu kombinieren. Die Beschränkung auf einen überschaubaren Zeitraum ermöglicht einen Vergleich aller Romane über das Frühmittelalter, eine Epoche des Umbruchs für das Christentum. Die Charakteristika dieser Epoche können von wissenschaftlicher Seite als Folie herangezogen werden. Bestimmte Themen, Strukturen, historische Personen und Ereignisse, die wiederholt vorkommen, können untersucht und verglichen werden. Zentrale Fragen für die Analyse lauten: Welche Bilder über das Christentum im frühen Mittelalter werden vermittelt? Wie verhalten sich Romansicht und historisch-theologische Sicht zueinander? Welche Gegenwartsfragen beinhalten die Romane? Darum wird es im Folgenden gehen.

III.

Ausdrucksformen christlichen Lebens: Das Themenspektrum der Romane

1.

Einführung

Um zu Beginn der Analyse einen Überblick zum Inhalt der herangezogenen Quellen zu geben, wurden die Romane in mehrere Tabellen eingefügt und das quantitative Vorkommen verschiedener Ausdrucksformen christlichen Lebens aufgeführt. Zu klären ist, welche Aspekte christlichen Lebens in welchem Ausmaß vorkommen, welcher »Typus« und welche Lebensform in den Romanen dominant ist oder in welchem Verhältnis »hohe« Theologie und (Alltags-)Religiosität (der »einfachen« Menschen) stehen. Mehrere Romane eines Autors, die eine Reihe bilden oder inhaltlich eng zusammen gehören, sind immer gemeinsam genannt. Die Reihenfolge der Romane ist aus der Kurzvorstellung in Kapitel I übernommen worden. Die Zeichen in der Tabelle bedeuten Folgendes: (+) heißt, dass der Aspekt nur sehr am Rande vorkommt, steht + dort, wird der Aspekt durchaus in einem gewissen Maße thematisiert, bei ++ spielt der Aspekt eine wichtige, zentrale Rolle im Roman. Wenn kein Zeichen in der Tabelle steht, kommt der Aspekt (so gut wie) nicht vor. Feststellungen zur Art und Qualität der Darstellung oder zur Wertung, d. h. zur Frage, ob die Autoren den Aspekt positiv oder negativ darstellen, werden hier nicht getroffen. Dies wird in den thematischen Einzeluntersuchungen in Kapitel IV, V und VI behandelt. Am Anfang steht die übergeordnete Tabelle zum Christlichen in den Romanen, konkret zu Aspekten, Ausdrucksformen und Funktionsträgern christlichen Lebens. Dann folgt die weitere Aufschlüsselung einzelner Bereiche in fünf Tabellen: Mönchtum, Ehe, Missionierung/Christwerdung, Liturgie/Symbole/Sakramente sowie Theologie/Glaube werden hier näher betrachtet. Caritas ist in vielen Romanen nur ein untergeordneter Aspekt und lässt sich, ebenso wie die Funktionsträger christlicher Herrscher, Papst, Priester und Bischof, nicht mehr weiter auffächern. Zudem liegt der Schwerpunkt der Untersuchung auf den christlichen Lebensformen. Im Folgenden kann eine Richtung für die weitere

108

Ausdrucksformen christlichen Lebens: Das Themenspektrum der Romane

Untersuchung angezielt sowie ein kurzer Einblick in Aspekte gegeben werden, die im weiteren Verlauf nicht vertieft werden können. Zwischen den einzelnen Tabellen ergeben sich Überscheidungen, einzelne Aspekte wurden bestimmten Tabellen zugeordnet, aber Seitenblicke und die Zusammenschau sind hier angebracht. Bei der Festlegung der zu (unter)suchenden Aspekte stellten die Romantexte die Basis dar. Natürlich handelt es sich bei der Suche nach Elementen christlichen Lebens in den Romanen schon um ein von außen an die Romane herangetragenes Raster. Der erste Blick galt aber dem, was in den Texten zum Tragen kommt. Im zweiten Schritt wurden diese Befunde in eine Sortierung gebracht, wobei die Oberbegriffe für die Befunde dann teilweise der wissenschaftlichen Sphäre entnommen sind. Ob in der übergeordneten Tabelle »Christliches« hinsichtlich der Aspekte Mönchtum, Ehe, Missionierung, Liturgie und Theologie (+), +, ++ oder gar nichts steht, ist nicht einfach das Ergebnis einer Addition der Zeichen, die in den jeweils weiter untergliederten Tabellen stehen, sondern entspringt auch dem Leseeindruck über das Vorkommen des Aspektes im Gesamt des einzelnen Romans bzw. der Reihe. Dabei ist zu bedenken, dass eine größere Breite an Themen und Aspekten in Romanen mit mehreren Bänden zu je ca. 500 Seiten vorkommen kann als in einem einzelnen Roman von ca. 200 Seiten.

2.

Grundlegung: Die Oberthemen

2.1

Tabellarische Übersicht

Siehe S. 109.

2.2

Auswertung und Erläuterung

Die Themen Mönchtum, Ehe, Missionierung, Liturgie/Sakramente und Theologie/Glaube werden in eigenen Tabellen weiter aufgeschlüsselt und im Anschluss erläutert (s. u.). Caritas ist in den meisten Romanen ein sehr untergeordneter Aspekt oder kommt gar nicht vor. In manchen Romanen wird kurz erwähnt, dass einzelne Menschen Bettlern Almosen geben, auch die Verpflichtung der Klöster zur Aufnahme von Gästen, Reisenden und Kranken kommt vor, die in der Gesetzgebung niedergelegte Forderung Karls des Großen, Almosen zu geben oder die regelmäßigen, festgelegten Gaben von Reichen an Bedürftige. In einigen wenigen Romanen gibt jemand sein Leben für einen Freund oder einen geliebten Menschen oder ist zumindest zu einem solchen Opfer bereit (Bischof Cadoc für seine

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Das Geständnis der Amme

Bei meiner Seele Seligkeit

Odo und Lupus

Abt Erwin

Mord im Dom

… denn sterben muss David! +

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Die Königsmacherin etc.

Das Erbe des Puppenspielers

Das Amulett der Seherin

Die Träume der Libussa (+)

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Die Priestertochter

Das Buch Haithabu etc.

Die Reise nach Byzanz etc.

Wikingerblut etc.

Das letzte Königreich etc.

Die Päpstin

Der sechste Tag

Genovefa

Die Herren von Buchhorn

Die Abbatissa

Das Pergament des Himmels

Der Kalligraph des Bischofs

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Widukinds Wölfe

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Bischof

Grundlegung: Die Oberthemen

109

110

Ausdrucksformen christlichen Lebens: Das Themenspektrum der Romane

Mitbrüder in In geheimer Mission für den Kaiser, die Amme Johanna für Judith in Das Geständnis der Amme; ein Opfer ist mehrfach Thema in Die Päpstin). Weitergehende Ausführungen oder Reflexionen sind aber nicht zu finden. Der christliche Herrscher – es handelt sich um Gestalten mit historischem Vorbild wie Karl den Großen oder Ludwig den Frommen, auch Lothar II., Karl der Kahle oder Alfred der Große treten auf – spielt vielfach eine bedeutende Rolle und kommt immer vor. Hervorzuheben sind hier die Romane, die sich um die karolingische Familie drehen: die Romanbiographien von Thomas R. P. Mielke über Karl den Großen und Karl Martell oder von Ernst Wies über Lothar II., die Romane von Martin Kempff über die Frauen der Karolinger, außerdem Die Abbatissa von Regina Kaiser. Historische Ereignisse wie die Anschläge auf Karl den Großen, seine Kaiserkrönung, der Ausbau von Aachen oder die Auseinandersetzung zwischen Ludwig dem Frommen und seinen Söhnen werden beschrieben. Der christliche Herrscher wird oft als Förderer der Bildung, Beschützer des Christentums, Förderer der Ausbreitung des Glaubens, oberster Herr der Kirche und Bekämpfer der Häresie gezeichnet. In der Tabelle zur Missionierung wird die Rolle des Herrschers erneut aufgegriffen. In vielen Fällen wird der Herrscher dem Papst gegenübergestellt, beide streiten um ihre Rollen und um Privilegien, es geht darum, ob der König oder Kaiser dem Papst militärisch zu Hilfe kommt, ob der Papst diesen krönt oder salbt, wer Bischöfe einsetzt, über die Rechtmäßigkeit von Ehen entscheidet etc. Thematisiert werden auch die Konstantinische bzw. Pippinsche Schenkung, der Gegensatz zwischen Rom und Irland, der Überfall auf Papst Leo III. und die Folgen oder der Prozess gegen Papst Formosus. In den Romanen, die sich in erster Linie mit Missionierung und Christwerdung befassen, spielt der Papst interessanterweise keine Rolle. In Bezug auf das Thema Papsttum sind zwei Romane noch besonders zu erwähnen, in denen eine als Mann verkleidete Frau Papst wird: Die Päpstin sowie Der sechste Tag. Priester kommen in zwei Dritteln der Romane vor, aber nicht an herausragender Stelle. Oft sind die Übergänge zwischen Priestern und Mönchen fließend. Ein Bischof kommt nur in zwei Romanen nicht vor. In etwa gleichem Maße werden Bischöfe in Romanen nur am Rande erwähnt und sehr stark eingebracht, aber in der Mehrzahl der Romane spielen sie eine gewisse Rolle und sind deutlich konturiert. Die Hauptrolle spielt ein Bischof, Claudius von Turin, in Titus Müllers Roman Der Kalligraph des Bischofs. Es gibt auch Bischöfe, die zugleich Äbte sind, wie Salomo in Die Herren von Buchhorn, der Fürstbischof von Konstanz und Abt von Sankt Gallen ist. Weitere historisch verbürgte Bischöfe kommen in mehreren Romanen vor, in erster Linie Bonifatius (sehr nah geschildert in Die Königsmacherin; seine besondere Rombindung und das zwiespältige Verhältnis zu Karl Martell im gleichnamigen Roman, sein Tod und seine Verehrung in einigen weiteren Romanen), dann Hinkmar von Reims (in Das Geständnis der Amme

Kloster/Mönchtum

111

und Bei meiner Seele Seligkeit als zentraler Akteur im Ehestreit von Lothar II. bzw. von Judith und Balduin) sowie weitere Bischöfe, die – ebenso wie verschiedene Äbte – als Berater und Vertraute der Herrscher fungieren, als Gelehrte an den Hof kommen, Erzkanzler werden, Kriegszüge begleiten. Bischof Felix von Urgel spielt in mehreren Romanen eine Nebenrolle, er wird der Ketzerei angeklagt. Auch Claudius von Turin muss sich mit Vorwürfen auseinandersetzen. Die Missi dominici treffen bei ihren Reisen in den entsprechenden Romanen (Odo und Lupus-, Abt Erwin-Reihe) auf diverse fiktive oder unbekannte Bischöfe, sie untersuchen deren Amtsführung: Manche sind in Verbrechen verwickelt, andere führen ein vorbildliches Leben. In den Romanen, die sich mit der Missionierung befassen, kommen Bischöfe häufig am Rande vor: Sie senden selbst Missionare aus oder sind in einem neu erschlossenen Missionsgebiet bzw. vom Herrscher neu gegründeten Bistum als Bischof eingesetzt worden.

3.

Kloster/Mönchtum

3.1

Tabellarische Übersicht

Siehe S. 112.

3.2

Auswertung und Erläuterung

Das Thema Mönchtum ist ein absolut dominierendes Thema, es kommt in allen Romanen vor (in Widukinds Wölfe wird Rutinus als Archidiakon bezeichnet, es ist aber auch vom seinem Eintritt ins Kloster die Rede), in etwa der Hälfte der Romane oder Romangruppen spielt es eine entscheidende Rolle. Häufig ist es sogar das Hauptthema, Mönche sind vielfach die Hauptpersonen oder spielen zumindest eine wichtige Rolle. Zahlreiche Aspekte des Mönchtums und Klosterlebens werden in den Romanen beschrieben. Die Mönche werden vielfach durch Kleidung, Tonsur, Leben nach einer bestimmten Regel gekennzeichnet und in den Romanen dadurch auch von Außenstehenden erkannt. Bekannte Klöster wie Fulda, Prüm, Tours oder Sankt Gallen kommen immer wieder vor. Der Aufbau eines Klosters, der Tagesablauf und die Tätigkeiten der Mönche nehmen breiten Raum ein, auch einzelne Ämter werden differenziert beschrieben, vor allem der Abt spielt vielfach auch innerhalb der Handlung eine große Rolle. Historisch bezeugte Äbte wie Rhabanus Maurus, Alkuin oder Angilbert kommen in mehreren Romanen vor. Laienäbten oder -äbtissinen wurde für ihre Verdienste eine Abtei verliehen oder sie stammen aus dem Herrscherhaus und wurden mit der Abtei versorgt. Auch

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Bei meiner Seele Seligkeit

Odo und Lupus

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Mord im Dom

… denn sterben muss David! +

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Das Geständnis der Amme

Das Erbe des Puppenspielers

Das Amulett der Seherin

Die Träume der Libussa

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Die Päpstin

Der sechste Tag

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Der Kalligraph des Bischofs

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Das Pergament des Himmels

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Die Abbatissa

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Das letzte Königreich etc.

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Die Reise nach Byzanz etc.

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Die Priestertochter

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Ein-/ Austritt

Widukinds Wölfe

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Die Königsmacherin etc.

Aufbau, Tagesablauf, Tätigkeiten

Karl Martell etc.

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Bruch der Gelübde

112 Ausdrucksformen christlichen Lebens: Das Themenspektrum der Romane

113

Ehe

der Ein- und Austritt kommen in fast allen Romanen vor: Viele Menschen wurden schon als Kind einem Kloster übergeben, einige entscheiden sich bewusst für ein Leben dort, nicht wenige wurden ins Kloster verbannt oder sind dort in Haft. Diese sind froh, wenn sie das Kloster wieder verlassen können. Während häufig das Leben in einer Mönchsgemeinschaft mit klaren Regeln geschildert wird, stehen in einigen Romanen umherreisende Mönche im Mittelpunkt. Aidan (Die Reise nach Byzanz) ist unterwegs, um mit seinen Mitbrüdern das Book of Kells nach Byzanz zu bringen, dann wird er Sklave und später Missionar bei den Nordmännern. Auch Agrippa (Das Buch Haithabu), Ansgar (Wikingerblut), Finnian (Das Amulett der Seherin) oder Tietgaud (Die Priestertochter) verlassen, oft mit einem Begleiter, ihre heimatlichen Klöster, um zu missionieren. Abt Erwin und der Diakon Lupus (Abt Erwin-, Odo und LupusReihe) reisen als Missi dominici durch das fränkische Reich. Wunibald (Das Geständnis der Amme) ist aus seinem Kloster geflohen, um die Welt zu erkunden. Für einige Mönche wird ein Leben in strenger Askese beschrieben. Einzelne Mitglieder einer Gemeinschaft ziehen sich für ein Leben als Eremiten an ihrem Rand zurück, andere gehen dafür an einen einsamen, weit entfernten Ort. Nonnen und Frauen im Kloster sind längst nicht Teil aller Romane, in einigen Romanen spielen Ordensfrauen aber sogar die Hauptrolle, so in Die Abbatissa oder in Die Herren von Buchhorn (wobei es sich hier um Inklusen handelt). Der Bruch der Gelübde, vor allem des Keuschheitsgelübdes, passiert in fast jedem Roman und ist in mehreren Romanen ein zentrales Element der Handlung.

4.

Ehe

4.1

Tabellarische Übersicht

Siehe S. 114.

4.2

Auswertung und Erläuterung

Das Thema (christliche) Ehe kommt in der überwiegenden Zahl der Romane vor, in zwei Romanen jedoch gar nicht. In vielen Romanen spielt der Aspekt Ehe eine gewisse Rolle, in einigen Romanen wie Das Geständnis der Amme, Bei meiner Seele Seligkeit, Die Königsmacherin und Genovefa ist Ehe sogar das Hauptthema. Ein Thema, das in einigen Romanen hervorsticht, ist der Ehebruch bzw. die Ehescheidung. Nicht das gelingende Eheleben wird geschildert, sondern das Scheitern. In Die Welfenkaiserin wird erzählt, wie Judith, die zweite Ehefrau Ludwigs des Frommen, öffentlich des Ehebruchs angeklagt und verurteilt wird.

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Das Geständnis der Amme

Bei meiner Seele Seligkeit

Odo und Lupus

Abt Erwin

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Der Kalligraph des Bischofs

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Die Abbatissa

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Das Pergament des Himmels

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Die Herren von Buchhorn

Genovefa

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Die Päpstin

Der sechste Tag

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Das letzte Königreich etc.

Wikingerblut etc.

Die Reise nach Byzanz etc.

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Das Buch Haithabu etc.

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Spannungsfeld zwischen Ehepaar + Familie

Die Priestertochter

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Die Träume der Libussa

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Eheschließung

Das Amulett der Seherin

Das Erbe des Puppenspielers

… denn sterben muss David!

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Die Königsmacherin etc.

Mord im Dom

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Karl Martell etc.

Eheformen

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Reinheit

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Inzest

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Verpflichtungs-/ Liebesehe

114 Ausdrucksformen christlichen Lebens: Das Themenspektrum der Romane

Missionierung/Christwerdung

115

Auch weniger bekannte Frauen sehen sich mit Vorwürfen des Ehebruchs konfrontiert und können bzw. müssen sich durch ein Gottesurteil reinigen. Reinheit ist ein sehr untergeordnetes Thema, Das Amulett der Seherin ist ein singuläres Beispiel für eine intensivere Auseinandersetzung. Zahlreiche Autoren greifen in den Romanen das Konzept von verschiedenen Eheformen auf. Die Eheschließung wird auch mehrfach beschrieben, in einigen Romanen wie in der Odo und Lupus-Reihe, in Widukinds Wölfe und in Das Geständnis der Amme, sogar ausführlich. Inzest kommt nur in wenigen Romanen vor, herausgehoben aber ist in einigen Romanen die intime Beziehung Karls des Großen zu einer seiner (Halb-) Schwestern, Ada oder Gisela, aus der auch Kinder hervorgehen. Das Spannungsfeld zwischen Eheleuten und Familie wird durchaus thematisiert, noch stärker das (damit zusammenhängende) Gegenüber von Verpflichtungs- und Liebesehe, sowohl im Volk, aber noch stärker in den herrschaftlichen Familien. Die Ehen und die sexuellen Beziehungen Karls des Großen nehmen einen großen Raum in vielen Romanen ein: die Friedelehe mit Himiltrud, die von seiner Mutter Bertrada arrangierte Ehe mit der Tochter des Langobardenherrschers Desiderius, die Ehe mit Hildegard, aus der zahlreiche Kinder hervorgehen, die Ehe mit Fastrada, von der Karl fast besessen ist, und die letzte, kinderlose Ehe mit Luitgard. Weiterhin erhalten die Konkubinen Karls, vor allem die Sächsin Gerswind, in Die Abbatissa und den Romanen von Martina Kempff, eine zentrale Rolle. Auch die Verbindungen von Karls Töchtern, das Verhindern ihrer Verheiratung, die Ablehnung von Bündnissen mit Byzanz durch Heiraten, werden in mehreren Romanen beschrieben. In Das Geständnis der Amme und Bei meiner Seele Seligkeit werden zwei große historische Ehe-Streitfälle verhandelt, dabei geht es darum, wer über die Rechtmäßigkeit einer Ehe entscheidet, welche Rolle der Konsens der Eheleute spielt und unter welchen Umständen Trennung und Wiederheirat möglich sind.

5.

Missionierung/Christwerdung

5.1

Tabellarische Übersicht

Siehe S. 116.

5.2

Auswertung und Erläuterung

Um Missionierung und Christwerdung geht es speziell in einer Gruppen von Romanen, die sich diesem Thema widmen: Das Buch Haithabu, Wikingerblut und Wikingersilber, Widukinds Wölfe, Die Träume der Libussa, Die Priester-

Die Königsmacherin etc.

Der Kalligraph des Bischofs

Das Pergament des Himmels

Die Abbatissa

Die Herren von Buchhorn

Genovefa

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Die Päpstin

Der sechste Tag

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Wikingerblut etc.

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Die Reise nach Byzanz etc.

Das letzte Königreich etc.

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Das Buch Haithabu etc.

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Die Träume der Libussa

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Das Amulett der Seherin

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Aberglaube

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Rolle des Herrschers ++

Das Erbe des Puppenspielers

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(Wander-) Missionare +

… denn sterben muss David!

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Mord im Dom

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Abt Erwin

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Taufe

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Kreuzigung/ Kreuzesopfer (+)

Odo und Lupus

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Trinität

Bei meiner Seele Seligkeit

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Karl Martell etc.

Das Geständnis der Amme

Der stärkere Gott +

116 Ausdrucksformen christlichen Lebens: Das Themenspektrum der Romane

Missionierung/Christwerdung

117

tochter und Das Amulett der Seherin. Andere Romane fallen für dieses Thema ganz aus. In einer weiteren Gruppe von Romanen ist Missionierung zwar nicht das zentrale Thema, kommt aber durchaus vor. Die Darstellung der einzelnen Missionare, ihrer Motive und ihres Vorgehens spielt in vielen Romanen eine zentrale Rolle. Zum Teil sind die Missionare auf sich allein gestellt; in den Romanen Wikingersilber, Die Träume der Libussa und Das Amulett der Seherin steht ein Team von zwei sehr unterschiedlichen Missionaren im Mittelpunkt. Bekannte Missionare wie Willibrord, Bonifatius und Ansgar kommen vor. Der Herrscher spielt eine wichtige Rolle bei der Missionierung, wie sich besonders in den Romanen von Bernard Cornwell (Alfred der Große) und Thomas R. P. Mielke (Karl Martell/Karl der Große) zeigt: Er sieht sich in der Verantwortung dafür, dass seine Untertanen und die Menschen in den eroberten Gebieten Christen werden, ein christliches Leben führen und so das Heil erlangen. Die Vorbereitung und der Vollzug der Taufe spielen in fast allen Romanen eine Rolle, die sich mit der Missionierung und Christwerdung befassen. Mehrfach werden die Taufe des Sachsenführers Widukind, die Sachsenkriege mit dem Blutbad von Verden und der Fällung der Irminsul beschrieben. Widukind steht exemplarisch für den Kampf der Sachsen gegen die Franken, ihr Festhalten am alten Glauben, die Zwangsbekehrung, und letztlich die Einsicht, verloren zu haben und sich besser den Franken und Christen anzuschließen. Viele Menschen werden zur Taufe gedrängt. Bei der (schwierigen) Vermittlung des Glaubens kommen die Themen Trinität und Kreuzigung zum Tragen. Diverse Heiden meinen, dass die Christen an drei Götter glauben, und verstehen nicht, warum der christliche Gott den Kreuzestod seines Sohnes zuließ. Grundsätzlich wird in vielen Romanen um den stärkeren Gott gerungen, besonders deutlich in Die Priestertochter, Das Amulett der Seherin und Widukinds Wölfe. Mit der Macht ihres Gottes versuchen die christlichen Missionare, die Heiden von sich und ihrer Botschaft zu überzeugen. Den Heiden kommen Zweifel an der Macht ihrer Götter, wenn die Franken Schlachten gewinnen und ihr Land erobern. Manche erkennen an, dass den Christen die Zukunft gehört, andere sind fasziniert von der neuen Religion der Liebe und ihrem einzigen Gott. Auch in Romanen, in denen bereits viele Menschen Christen sind, geht es immer wieder um Aberglaube. Heidnische Relikte sind noch vorhanden bei Menschen, die gerade erst Christen geworden sind, beides vermischt sich. Selbst Karl der Große, der sich als Vorkämpfer und Bewahrer des Glaubens sieht, hat heidnische Praktiken noch nicht ganz überwunden. Besonders in den Romanen von Martina Kempff spielen Magie und Aberglaube – bei den karolingischen Frauen – eine große Rolle. Fränkische Christen bitten (ehemalige) Heiden, z. B. Sachsen, um Hilfe, weil sie ihnen Kompetenzen in diesem Bereich zutrauen.

118

Ausdrucksformen christlichen Lebens: Das Themenspektrum der Romane

6.

Liturgie/Sakramente/Symbole

6.1

Tabellarische Übersicht

Siehe S. 119.

6.2

Auswertung und Erläuterung

Außer im Roman Das Erbe des Puppenspielers werden Liturgie, Sakramente und Symbole überall thematisiert, in etwa der Hälfte der Romane nur sehr peripher, in der anderen Hälfte deutlich. In den Romanen Der Kalligraph des Bischofs und in den Romanen von Thomas R. P. Mielke wird das Thema sogar sehr ausgeprägt behandelt. Die einzelnen Aspekte zum Bereich Liturgie sind in den Romanen breit gestreut. Manche Romane setzen Schwerpunkte und lassen andere Bereiche aus. In der Abt Erwin-, der Odo und Lupus-Reihe sowie der Reihe von Bernard Cornwell kommen, abgesehen von der Priesterweihe – insgesamt eher ein Randthema – alle untersuchten Aspekte in etwa gleicher Ausprägung vor. In Die Reise nach Byzanz und Die Päpstin sind sogar sämtliche Aspekte vorhanden. In mehreren Romanen sind Kirchen und Kirchbau ein sehr zentraler Aspekt: In solchen mit dem Thema Missionierung wird der Bau von Kirchen in bislang heidnischen Gebieten beschrieben; Romane, in denen der karolingische Hof dargestellt wird, thematisieren den Bau der Pfalzkapelle in Aachen. Die Feier der Eucharistie wird besonders in Der Kalligraph des Bischofs und den Romanen von Thomas R. P. Mielke beschrieben. In jedem Roman wird, mehr oder weniger deutlich, das Kreuz oder das Kreuzzeichen benannt, oft erscheint es als Kennzeichen der Christen. Von drei Romanen abgesehen, sind der Beistand für Sterbende, entsprechende Riten und das Begräbnis immer ein Thema (am Rande oder als deutlicher Aspekt). Die christlichen Riten werden oft den heidnischen gegenübergestellt oder mit diesen vermischt. Unter den christlichen Festen, die zum Teil gar nicht vorkommen, zum Teil am Rande, manchmal deutlich, und herausragend in den Romanen von Thomas R. P. Mielke (Karl Martell/Karl der Große und Familie begehen in einer Pfalz die Festtage), stechen besonders Ostern und Weihnachten hervor – hier wird vereinzelt auf heidnische Ursprünge oder Ähnlichkeiten zu heidnischen Festen verwiesen. Einzelne Heiligenfeste werden erwähnt. In mehreren Romanen kommen Wallfahrten zu Heiligengräbern und an Festtagen stattfindende Prozessionen vor. Dass Menschen beten, kommt nur in ganz wenigen Romanen nicht vor, meist wird es deutlich beschrieben (Stoßgebete, Ausrufe/Anrufungen, stummes Gebet auf Knien, Gebet vor wichtigen Vorhaben/

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Karl Martell etc.

Die Königsmacherin etc.

Das Geständnis der Amme

Bei meiner Seele Seligkeit

Odo und Lupus

Abt Erwin

Mord im Dom

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Genovefa

Die Herren von Buchhorn

Die Abbatissa

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Der sechste Tag

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Der Kalligraph des Bischofs

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Die Päpstin

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Wikingerblut etc.

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Priester-/ Bischofsweihe (+)

Das Pergament des Himmels (+)

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Das Buch Haithabu etc.

Das letzte Königreich etc.

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Die Reise nach Byzanz etc.

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Widukinds Wölfe

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Die Träume der Libussa

Die Priestertochter

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Das Amulett der Seherin

Das Erbe des Puppenspielers (+)

… denn sterben muss David! (+)

Kreuz/ Kreuzzeichen +

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Sterberiten/ Begräbnis (+)

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Gebet

Liturgie/Sakramente/Symbole

119

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Ausdrucksformen christlichen Lebens: Das Themenspektrum der Romane

Kämpfen), in wenigen Romanen nur am Rande. Die ausführliche Zwiesprache mit Gott, das Ringen um den rechten Lebensweg, wird z. B. in den Romanen von Stephen Lawhead geschildert. In zwei Dritteln der Romane kommen die Aspekte Beichte und Buße zum Tragen, häufig in deutlicher Form. In Bei meiner Seele Seligkeit spielt Bertholdo, der junge Beichtvater Lothars II., eine zentrale Rolle. Ausführlich kommen Art und Vorgang der Beichte kaum vor. In den Romanen Das Geständnis der Amme und Die Abbatissa tragen Bruder Wunibald bzw. Schwester Laurentia stellvertretend die Buße für einen anderen. In Wikingersilber nutzen die Frauen in Haithabu die Beichte, um den Bischof lächerlich zu machen.

7.

Theologie/Glaube

7.1

Tabellarische Übersicht

Siehe S. 121.

7.2

Auswertung und Erläuterung

Aspekte von Theologie und Glaube spielen außer im Roman … denn sterben muss David! immer eine Rolle. In Der Kalligraph des Bischofs und den Romanen von Thomas R. P. Mielke ist das Thema wiederum dominant, ebenso in Das Geständnis der Amme und Die Abbatissa; zahlenmäßig folgen dann die Romane, in denen Theologie und Glaube nur ein Randthema ist, und die Zahl der Romane, in denen es ein deutliches Thema ist, ist am höchsten. In den meisten Romanen sind sehr viele bis alle Aspekte des Themas vertreten. In mehreren Romanen werden Aspekte wie das Gottesbild, die Verehrung von Heiligen und Reliquien (insgesamt das dominierende Thema, kommt nur in zwei Romanen nicht vor), die Bibel und die Bildung sogar ausführlich behandelt. Besonders häufig kommen der heilige Martin und sein Mantel vor, kürzlich verstorbene Heilige wie Ansgar und Bonifatius, die einzelne Romanfiguren noch gekannt haben, sowie andere Missionare, die den Märtyrertod erlitten haben. Auch Maria wird von vielen Romanfiguren verehrt, in Das Amulett der Seherin inszeniert Finnian eine Marienerscheinung. Mehrfach wird beschrieben, dass Menschen, besonders die Herrscher, Reliquien bei sich tragen. Einhards Reliquienraub in Rom ist ein Thema mehrerer Romane. Zum Thema Gottesbild ist besonders Die Abbatissa interessant: Da sich die Hauptperson Imma dem Islam zuwendet, nimmt die Reflexion über die Trinität großen Raum ein.

Die Königsmacherin etc.

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Mord im Dom

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Die Priestertochter

Das Buch Haithabu etc.

Die Reise nach Byzanz etc.

Wikingerblut etc.

Das letzte Königreich etc.

Die Päpstin

Der sechste Tag

Genovefa

Die Herren von Buchhorn

Die Abbatissa

Das Pergament des Himmels

Der Kalligraph des Bischofs

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Widukinds Wölfe

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Die Träume der Libussa

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Das Amulett der Seherin

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Bibel

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Bildung

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Das Erbe des Puppenspielers (+)

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Heilssorge

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Heilige/ Reliquien +

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Abt Erwin

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Häresie

Theologie/Glaube

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Ausdrucksformen christlichen Lebens: Das Themenspektrum der Romane

Der Glaube an Auferstehung und ein Leben nach dem Tod, in vielen Romanen durchaus ein Thema, kommt in manchen auch nicht vor. Die Sorge um das Seelenheil kommt bis auf einen Roman immer vor, etwa je zur Hälfte als Randthema oder als deutliches Thema, in zwei Romanen sogar als hervorgehobenes Thema. Hierbei geht es häufig auch um die Sündhaftigkeit und Erlösungsbedürftigkeit des Menschen. In Bezug auf das Thema Häresie weist die Hälfte der Romane eine Lücke auf, in zwei Romanen ist dies aber ein zentraler Aspekt der Handlung: Der Adoptianismus des Felix von Urgel, die Prädestinationslehre des Mönchs Gottschalk und der Streit mit Byzanz um die Bilderverehrung werden mehrfach verhandelt. Für das Thema Bilderverehrung ist besonders der Roman Der Kalligraph des Bischofs zu nennen, der sich mit der Haltung des Bischofs Claudius von Turin befasst. – Der Aspekt der Taufe findet sich in der Tabelle zur Missionierung und Christwerdung, weil er dort eine zentrale Rolle spielt; die Eheschließung ist in der Tabelle zur Ehe zu finden.

8.

Fazit: Drei Themen für die weitere Untersuchung

Wie sich gezeigt hat, decken die Romane insgesamt ein weites Spektrum an christlichen Themen und Aspekten ab. Aus den Auswertungen und Erläuterungen der tabellarischen Übersichten ergeben sich nun drei Themen für die weitere Untersuchung der Romane: die Missionierung als Form des Zugang zu einem christlichen Leben sowie die Ehe und das Mönchtum als mögliche Entfaltungen eines christlichen Lebens. Dabei geht es weniger um Riten, Gebräuchlichkeiten, heilige Zeiten und Orte als um Menschen – für die natürlich diese Formen symbolischer Kommunikation von Bedeutung sind. Das Thema der Missionierung und Christwerdung ist von hohem Interesse für eine vertiefte Untersuchung, weil es einerseits charakteristisch für die Zeit ist, in der die Romane spielen, andererseits einen Blick auf das Christentum, seine Wirkung und Wahrnehmung von außen erlaubt, sowie den Blick der Christen auf ihre Umwelt widerspiegelt. In der Untersuchung der Gruppe der Romane mit dem Schwerpunktthema Missionierung dürfte sich ein besonderes Charakteristikum historischer Romane zeigen: ihre Fähigkeit, eine Annäherung an die Verlierer der Geschichte zu ermöglichen. Es ist fast zwingend, ein Hauptaugenmerk dieser Arbeit auf das Mönchtum und das Leben im Kloster zu richten, da dieses Thema in jedem einzelnen Roman vorkommt und Mönche (oder seltener Nonnen) häufig sogar die Hauptfiguren sind. Hier lässt sich fragen, warum das so ist. Verschiedenste Typen von Mönchen und Nonnen werden in den Romanen vorgestellt, ihr Leben im Kloster oder unterwegs, ihr Aussehen, ihr Alltag und ihre Aufgaben werden in zahlreichen Facetten beschrieben. Klischees und Besonderheiten der einzelnen Religiosen

Fazit: Drei Themen für die weitere Untersuchung

123

sowie die generelle Rolle und der Stellenwert des Mönchtums im Roman einschließlich der religiösen Hintergründe sind zu untersuchen. Das in fast jedem Roman vorkommende Leben in der Ehe bietet sich als weiteres großes Thema neben dem Leben im Kloster an. Die Untersuchung wird zeigen, wie das Verhältnis von Ehe und Mönchtum sowie von Kirche und Welt in den Romanen beschaffen ist. Das Leben in der Ehe und im Kloster ist in den Romanen über die häufige Schilderung des Scheiterns verbunden. In der Analyse der Romane wird es besonders um das Christliche an der Ehe, um Sexualität sowie um die gesellschaftliche und kirchliche Stellung und die dargestellten Sichtweisen von Mann und Frau gehen.

IV.

Der Zugang zum christlichen Leben: Das Thema Missionierung

1.

Romanebene

1.1

Überblick zum Thema »Missionierung« in den Romanen

In sechs der untersuchten Reihen bzw. Einzelromane ist Missionierung ein deutliches Thema (vgl. dazu die Tabelle in Kapitel III). Neben der ausdrücklichen Thematisierung in einigen wenigen Romanen wird vor allem die Missionierung der Sachsen in vielen Romanen wie Saxnot stirbt nie oder Die Päpstin im Verlauf der Handlung nebenbei erwähnt. Besonders aufschlussreich sind die in den Romanen verwendete Perspektive und Begriffswahl. Insgesamt dominiert in den Romanen, in denen Missionierung ein größeres Thema ist, in erzählerischer Hinsicht die Perspektive der »Heiden« (hier jeweils gemeint: der Menschen aus nichtchristlichen Völkern) auf die geschilderten Ereignisse. Das zeigt sich häufig schon am Romantitel, an den Hauptfiguren sowie an der Art des Romananfangs und -endes: Im Mittelpunkt von Wikingerblut, -silber und -gold stehen Erik und Estrid aus Birka, die verschiedene Auseinandersetzungen durchleben, etwa mit christlichen Missionaren. Diese, Ansgar und Witmar sowie Gautbert und Nithard, werden letztlich abberufen bzw. vertrieben. Der in Sachsen spielende Roman Widukinds Wölfe handelt von der Familie des getauften und zugleich kämpferischen Wolfger. Der brutale Missionar Rutinus, selbst ein Sachse, stirbt am Ende des Romans. Der mit einer sächsischen Seherin beginnende und endende Roman Das Amulett der Seherin ist die Geschichte der Zwillinge Ava und Walram. Während er die Franken bekämpft, lässt sie sich nach einigem Widerstand taufen. Der früh in der Handlung hinzukommende Mönch Finnian ist eine positive Gestalt, sein Mitbruder Egbert hingegen ein Bösewicht, der zum Schluss stirbt. Ähnlich ist der bei den Behaimen spielende Roman Die Träume der Libussa angelegt: Er beginnt und endet bei einer keltischen Priesterin, am Schluss steht, wie in Das Amulett der Seherin, eine Vision über die Zukunft des von den Franken bedrohten bzw. eroberten Volkes. Erst nach der Hälfte bzw. im letzten Drittel des Romans tauchen eine Christin,

126

Der Zugang zum christlichen Leben: Das Thema Missionierung

Radegund, sowie die gegensätzlichen Missionare Gundolf und Frederik auf. Die Priestertochter, in und auf dem Weg nach Rethra spielend, beginnt und endet mit der Titelheldin Alena. Sie begegnet unterwegs dem Mönch Tietgaud, der vor seinem Opfertod noch den redarischen Priester Uvelan bekehren kann, was Alena nachhaltig beeindruckt. Die Autoren der erwähnten Romane stellen häufig Figuren in den Mittelpunkt, die unter den Eroberungs- und Missionsbestrebungen der Franken leiden. Diesen Hauptfiguren stehen in einigen Romanen zusätzlich negative Figuren aus ihrem eigenen Volk gegenüber, die Christen geworden sind. Bei Asmund in Widukinds Wölfe sowie bei Gibicho und Roswitha in Das Amulett der Seherin (außerdem bei Volz in Saxnot stirbt nie) handelt es sich um Sachsen, die nur aus Opportunismus Christen geworden sind. Weil sie nach Macht streben, wenden sie sich gegen ihr eigenes Volk. Dafür trifft sie – innerhalb der Logik der Romane – jeweils die verdiente Strafe. Die »bösen« Missionare Rutinus und Egbert arbeiten mit ihnen zusammen. Asmund gibt sich sogar als Widukind aus und schürt Aufstände, obwohl der echte Widukind mittlerweile Frieden will.

Einige Abenteuerromane, die das Thema Missionierung beinhalten, bieten die Perspektive eines Ich-Erzählers: eines Kriegers und zweier Mönche. Während in den oben erwähnten Romanen verschiedene Völker durch die Franken bedroht werden, werden in der Uhtred-Saga die Engländer durch die bei ihnen einfallenden und sich niederlassenden Dänen bedrängt. Im Krieg geht es auch um die vorherrschende Religion. Dank wechselnder Machtverhältnisse sind zeitweise Missionsversuche der Engländer bei den Dänen möglich. Uhtred selbst ist christlich aufgewachsen, wird dann aber von den Dänen und ihrem Glauben geprägt. Die beiden Mönche Aidan (Die Reise nach Byzanz; In geheimer Mission für den Kaiser) und Agrippa (Das Buch Haithabu; Das Buch Glendalough) sind neben anderen Erlebnissen und Aufgaben zeitweilig auch missionarisch tätig. Aidan hält sich bei den Dänen (auf ihren Schiffen und in Skane) auf, Agrippa verschlägt es in das »Land der Bärenanbeter«, nach Bornholm und nach Haithabu. Beide haben ihr Missionar-Sein nicht angestrebt, sind aber erfolgreich. Mit den in den Romanen eingenommenen Perspektiven ist häufig eine bestimmte Begriffswahl verbunden bzw. erklärbar. Teilweise ist von »Heiden« die Rede, häufig in einem neutralen Sinn. In wörtlicher Rede der Missionare taucht vor allem das Adjektiv »heidnisch« mit einer negativen Konnotation auf (s. u.). Überwiegend werden jedoch die Namen der Völker wie »Sachsen«, »Dänen« oder »Behaimen« verwendet. Vielfach werden die einzelnen Menschen, um die es geht, lediglich bei ihrem Namen genannt. Im Roman Das Amulett der Seherin ist im Zusammenhang mit einem Fest zu Ehren der Göttin Holda von »Gläubigen« die Rede (13). Ava wird sogar von Karl dem Großen und Finnian als »oberste Hüterin ihres Glaubens« bezeichnet (115.119). Einige Einwohner von Hollenhus wollen nach Norden gehen, weil »Altgläubige« dort nicht verfolgt werden (532). Uhtred

Romanebene

127

erklärt in Das letzte Königreich, dass die Engländer je nach Situation verschiedene Bezeichnungen verwenden: »Wir nannten sie Wikinger, wenn sie brandschatzten, Dänen oder Heiden, wenn sie als Händler kamen« (27). Die Männer, die als »Missionare« unterwegs sind, werden in den Romantexten oft als solche und noch häufiger als »Mönche« bezeichnet und angesprochen. Manche Heiden nutzen die Attribute der Missionare für mehr oder weniger spöttische Bezeichnungen, wie die verwendeten Begriffe »Geschorener«, »Kuttenträger« oder »Kreuzträger« (auch insgesamt für die Christen verwendet) zeigen.221 In der folgenden Untersuchung werden, wo es um Grundsätzliches oder um eine idealtypische Gegenüberstellung geht, die prägnanten Begriffe »Heiden« (in der Regel mit der Bedeutung Nichtchristen bzw. Menschen, die an die nordischen/germanischen Götter glauben) und »Missionare« (Christen – in der Regel Mönche –, die anderen Menschen das Christentum vermitteln) verwendet. Soweit möglich, werden in Bezug auf Einzelszenen oder konkrete Textbeispiele die Namen und zum Teil die Volkszugehörigkeiten der Figuren verwendet. Zur gegenseitigen Sicht (und Benennung) der Heiden und der Missionare/Christen in den Romanen wird im Verlauf der Untersuchung ein Überblick erfolgen. Dass in den meisten Romanen »Verlierergeschichte« geschrieben wird, bringt es mit sich, dass die Geschichten über die Götter der verschiedenen Völker sowie die praktizierten Rituale wie Opfer, Weissagung oder Zauberei ausführlich dargestellt werden. Beispiele hierfür sind das Pferdeorakel in Rethra (Die Priestertochter), die Feste der Behaimen (Die Träume der Libussa) oder die Rituale und der Glaube der Dänen (Uhtred-Saga, wobei es dort heißt, die Dänen würden ihren Glauben weniger ernst nehmen als die Engländer – vgl. Das letzte Königreich, 90). Die Dinge, welche die verschiedenen Völker als heilig verehren, wie die Irminsul oder bestimmte Haine, spielen ebenfalls eine Rolle. All das kann in dieser Arbeit aber nicht näher untersucht werden, weil der Fokus auf den christlichen Lebensformen, bzw. in diesem Kapitel auf dem Weg dorthin, liegt. Bei der inhaltlichen Analyse steht die Frage im Vordergrund, auf welche Weise Missionierung in den populären Romanen über das Frühmittelalter geschildert wird. Welche Vorstellungen und Bewertungen des Christentums kommen vor? Grundsätzlich werden die Seite der Missionare und die der Heiden berücksichtigt. Im Folgenden wird zunächst der Frage nachgegangen, wie die christlichen Missionare in den Romanen zu ihrer Aufgabe kommen und was sie dazu motiviert. Anschließend werden deren Vorgehen und die Inhalte ihrer Verkündigung untersucht. Sind somit die Botschaft(en) und ihre Überbringer bestimmt, stellt 221 Ein Zeichen der Heiden ist in vielen Romanen der Thorshammer, so wie das Kreuz das Zeichen der Christen ist. Manche Romanfiguren tragen beides, entweder zur Sicherheit, weil sie sich nicht entscheiden können, oder weil sie ihren alten Göttern auch nach der Taufe treu bleiben wollen.

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Der Zugang zum christlichen Leben: Das Thema Missionierung

sich nun die Frage, wie diese Botschaft ankommt, also welchen Erfolg die Missionare haben. Nehmen die Heiden die Botschaft an oder nicht? Wenn ja, warum und auf welche Weise werden sie Christen? Werden sie dazu gezwungen? Wie wirkt sich das auf ihr Leben aus? Am Schluss steht die Frage, wie beständig oder brüchig die neue christliche Lebensform ist.

1.2

Von Heilssorge bis Machtstreben: Die Motivation der Missionare

1.2.1 Was denken die Missionare über die Heiden? Zunächst ist zu untersuchen, wie die Missionare (bzw. die Christen allgemein) die Heiden sehen, denn dies bestimmt ihre Motivation und ihr konkretes Vorgehen. Die Sicht der Missionare auf die Heiden fällt im Einzelnen sehr unterschiedlich aus und kann sich im Laufe eines Romans wandeln. Wie der Priester Beocca in Das letzte Königreich sagt, haben die Dänen einen schändlichen Irrglauben, irren immer, »beugen sich vor ihren Götzen und leugnen den wahren Gott« (44). In der gesamten Uhtred-Saga wird das gängige Urteil zur Sprache gebracht, dass es sich bei den Dänen um Heiden handelt, die von Gott und den Menschen verachtet sind, und bekehrt oder besiegt werden müssen; die christliche Nächstenliebe gilt ihnen gegenüber nicht. Im Roman Die Priestertochter bezeichnet der Mönch Tietgaud die Wenden als »barbarische Götzendiener« (138), deren Priester nicht einmal lesen und schreiben können. Rethra ist für ihn eine Teufelsstätte, »der Kern dieser Götzendienerei, der Kopf der Schlange« (97), die endlich ihr Leben aushauchen soll. Alena, die Tochter des Hohepriesters, die ihm nicht verraten will, wo Rethra liegt, bezeichnet er als »Teufelshure« (44) und Hexe mit dem bösen Blick. Er nennt Uvelan eine »Kreatur des Bösen« (89). Beim Anblick Rethras nimmt Tietgaud sich allerdings vor, mit dem höchsten Priester zu sprechen. Wer so etwas Prächtiges errichtet habe, könne kein wilder Barbar sein. Der Mönch Gundolf (Die Träume der Libussa) will Lidomir, den getauften Sohn der Fürstin Libussa, bei der »Durchsetzung des einzig seligmachenden Glaubens hier unter den Wilden« unterstützen (438). Die »Sitte der Weiberherrschaft« scheint ihm bei aller »Verderbtheit der heidnischen Völker« das Ungeheuerlichste, was ihm je zu Ohren kam (439), eine »Verkehrung der gottgewollten Ordnung«. Gundolf spricht vom »heidnischen Unglauben« (454), Libussa ist für ihn ein »Weib« (439) und eine »heidnische Hure« (444), ihr Onkel Krok der »alte Heide« (471), ihre Schwester Kazi die »alte Hexe« (474). Wie der Mönch Ansgar in Wikingerblut meint, leben die Heiden »im Aberglauben, opfern ihren Göttern Tiere und Menschen« (18). Er kennt ihre »Verehrung für Abgötter« (19), sie würden sündigen und unfreie Sklaven haben.

Romanebene

129

Trotzdem seien sie noch keine schlechten Menschen, sondern nur im Glauben irregeleitet. Für Bischof Gautbert (Wikingersilber) sind sie Wilde. Er ist der Ansicht, diese Menschen würden in Sünde leben, ihre Scherze mit ihnen treiben, sie seien unzuverlässig und gewalttätig. Sein Neffe, der junge Priester Nithard, mag die Menschen in Birka, die Nordmänner seien das gleiche Volk wie im Frankenreich, nur größer gewachsen, heller und mit einem anderen Glauben. Er findet es unvorstellbar, dass sich der Gott der Asengläubigen an Lust und Vergnügen erfreut, während sein eigener Gott das für die größte Sünde hält. In Das Amulett der Seherin heißt es ganz zu Beginn: »Heiden waren wild, grausam und unberechenbar, das wusste jedes christliche Kind« (21). Dem Mönch Finnian fallen alle Strafen ein, mit denen Missionsprediger wie die beiden Ewalde, Liafwin oder Bonifatius von Heiden wegen angeblichen Religionsfrevels belegt oder bedroht wurden (29). Er meint, dass die Heiden mit teuflischen Pflanzen unheilvollen Zauber und Wahrsagerei betreiben (31) und die heidnischen Seherinnen Unzucht treiben. Für den Mönch Egbert ist die sächsische Seherin Ava »der leibhaftige Satan« (62), eine »Teufelsdienerin« (74), eine von diesen »heidnischen Hexen« (122). Er sieht das Heidentum als Satansdienst und spricht von der Eresburg als einer »heidnischen Brutstätte« (129). Die Befragung der Runen hält er für Unsinn. Bemalte Holzstäbchen könnten nicht die Wahrheit herausfinden oder Recht sprechen. Wie Finnian gehört hat, sollen die Sachsen »Menschen opfern und kleine Kinder schlachten, um sie ihren Götzen darzubieten«. Die Christen warten darauf, dass die Sachsen freiwillig »den einzig wahren Glauben annehmen«, aber die Heiden sind »verstockt« und widersetzen sich jeder friedlichen Mission (108). Da es »kein Heil außerhalb der christlichen Kirche« gibt, fragt Finnian sich, ob es nicht die Pflicht eines frommen Mannes ist, ihnen »notfalls mit einem starken Heer im Rücken die Frohe Botschaft zu predigen, damit ihnen die ewige Hölle erspart blieb« (108f.). Finnian denkt in Bezug auf den kranken Walram, dass Gott einem verstockten Heiden nicht zur Hilfe eilen wird. Später kommen Finnian Zweifel an den gängigen Ansichten, denn die Sachsen, die er kennenlernt, wirken ganz anders. Ava hat ihr Leben riskiert, um seines zu retten, während Egbert brutal gegen die Sachsen vorgegangen ist. Als Finnian von Ava als einer »gottlosen Heidin« spricht, entgegnet Walram ihm: »Ich kenne keine frommere Frau als sie. Nur weil sie nicht deinem Christus dient, ist sie noch lange nicht gottlos!« (134). Finnian sieht seine sächsischen Reisegefährten schließlich als die Schäfchen, die Gott ihm anvertraut hat, ob sie nun Heiden oder Christen sind. Auch Jesus habe nicht zwischen Gläubigen und Ungläubigen unterschieden, sondern sich um jeden gekümmert, der seine Hilfe brauchte. Wie es in diesem Roman heißt, handelt es sich für Karl den Großen bei den Sachsen um Heiden, die die allein seligmachende Lehre nicht kannten, bis ihnen das Licht der Frohen

130

Der Zugang zum christlichen Leben: Das Thema Missionierung

Botschaft gebracht wurde. Wer sich aber nach intensiven Missionsbemühungen immer noch dem einzig wahren Glauben widersetze, tue dies willentlich und in böser Absicht. Wenn Langmut nichts bewirke, könnten nur Strafen die verirrten Schafe auf den rechten Weg führen. Es gehe um die Rettung von Seelen, die Menschen müssten den Klauen des Teufels entrissen werden, damit sie nicht auf ewig in der Hölle gequält werden.

Der Mönch Agrippa ist in Das Buch Haithabu der Meinung, dass Heiden auch Menschen sind – solche in Erwartung, die noch nicht glauben. Ein Regenbogen erinnert ihn an Gottes Bund mit Noah, der auch für die noch im Heidentum gefangenen Menschen gelte. Agrippa beobachtet, dass es Gott zuweilen gefällt, »christliche Liebe in Heidenherzen zu senken, so als wolle er die Taufchristen beschämen« (419). Wie er erlebt hat, halten auch die Heiden, die sich verstockt weigern, Jesus anzunehmen, es für möglich, dass der Gottessohn Macht hat, ihnen zu schaden. Agrippa glaubt, dass die Heidengötzen den »Heiligen Krieg aber gegen Jesus und seine Himmlischen Heerscharen verlieren werden« (Das Buch Glendalough, 116). Die gänzliche Niederlage der Heiden, welche Agrippa am Ende seines Lebens mitbekommt, bedauert er, weil der Mensch Vergleiche braucht und nichts besser die Erhabenheit des christlichen Gottes zeigt als die Nichtigkeit der heidnischen Götter. In Die Reise nach Byzanz wird der sächsische Knecht Odd von einem Abgesandten des dänischen Königs getötet, als er eine Magd vor diesem beschützen will. Der Mönch Aidan begräbt Odd und spricht ein Gebet für ihn. Er meint, Odd sei zwar kein Christ, aber trotzdem ein »Kind des ewigen Vaters« gewesen und habe verdient, dass man ihm die letzte Ehre erweise. Außerdem habe er selbst versäumt, Odd von Gottes unsterblichem Sohn zu erzählen und ihn zum Glauben zu führen. Aidan bittet Gott um einen Platz für Odd beim himmlischen Hochzeitsmahl. Dieser habe die von Jesus erwähnte größte Liebe gezeigt, indem er sein Leben für einen Freund hingab (218). Die alten Götter hält Aidan für »leere Gefäße«, die den wahren Glauben der Menschen nicht in sich aufnehmen können. Ihre Macht rühre vom Willen derer her, die hartnäckig dem Glauben an sie anhingen. Seit der Kreuzigung des Herrn sei Licht über die Erde gekommen, weshalb man eine Verehrung der »Wesen der Dunkelheit« nicht länger hinnehmen dürfe (252). In Die Träume der Libussa will der junge Missionar Frederik für die Seele des sterbenden Behaimen Krok beten, der sich zwar weigern würde, den wahren Glauben anzunehmen, aber tapfer und anständig sei. Wenn es der ausdrückliche Wunsch eines Menschen ist, als Heide zu leben und zu sterben, obwohl er von der Botschaft des Heils erfahren hat, sieht Frederik keinen Grund, Zwang auszuüben. In der Bibel stehe, dass vor Gott Mann oder Frau, Christ, Jude oder Heide gleich seien (473).

Romanebene

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Die eigene Erfahrung prägt die Einschätzung des Kriegers Balduin (Das Geständnis der Amme): Er hat gehört, dass die Normannen, die gottlose Heiden sind, ihre Feinde den heidnischen Göttern opfern und Menschenfleisch verzehren. Das unschuldige und helle Lachen der normannischen Kinder verhindert jedoch, dass Balduin daran denkt, dass sein Seelenheil inmitten dieser Heiden gefährdet ist. Außerdem ist kein Priester zugegen, der ihn ermahnt, so dass das einzige Urteil, das er über diese Menschen fällen kann, von ihm selbst stammt. Angesichts der kunstvollen Drachenschiffe denkt Balduin, dass ihre Erbauer keine Tiere, sondern Menschen mit Verstand, Tatkraft und einem Sinn für das Schöne sind.

1.2.2 Weg und Motivation der einzelnen Missionare Wie kommen die Missionare in den Romanen zu ihrer Aufgabe? Was motiviert sie dazu? Im Folgenden werden die Missionare betrachtet, die in den Romanen eine größere Rolle spielen.222 Zur Zeit Karl des Großen stehen viele Missionsbemühungen im Kontext der Expansion des Frankenreiches in Richtung Sachsen und weiter in den Osten. Unter Karls Sohn Ludwig stehen Handelsbeziehungen mit dem Norden im Vordergrund. Die Motivation der Missionare reicht von Neugierde oder Sorge um das Seelenheil der Heiden bis zum Wunsch nach Macht.223 Besonders auffällig ist, dass einige Missionare ihre Aufgabe gar nicht angestrebt haben, schließlich aber doch annehmen. In Das Amulett der Seherin kommen die Missionare Egbert und Finnian mit einem Heer im Rücken zu den Sachsen. Finnian stellt sich ihnen als Sachse aus Nordhumbrien vor. Ihre Völker seien von einem Blut und Bein. Er und Egbert seien gekommen, um die Frohe Botschaft des Herrn Jesus Christus zu verkünden, und die Sachsen zu warnen, bevor der fränkische König mit seinem Heer eintreffe. Gott, so meint Finnian, ist auf Karls Seite. Finnian erzählt Ava, Gott habe ihn in seinem Heimatkloster Ingyruum zur Mission beauftragt und sei ihm vor einigen Tagen wieder im Traum erschienen: Finnian solle sofort zu den Sachsen gehen; ihm werde nichts geschehen, weil er unter Gottes Schutz stehe. Finnian meint, man müsse dem Befehl Gottes gehorchen, sonst verwirke man sein Seelenheil und lande im ewigen Feuer. 222 In einigen Romanen kommt z. B. auch Bonifatius vor. Über sein ursprüngliches Motiv, sich zur Missionierung aufzumachen, wird dabei wenig deutlich. 223 Die ungewöhnlichste Motivation hat der Mönch Odo in Das Buch der Sünden: Er fälscht eine Urkunde, die ihn als von Ansgar eingesetzten Priester ausweisen soll, und begibt sich als Missionar nach Haithabu, das er für das »Babylon des Nordens« (97) hält. Dort will er die sieben Todsünden sühnen, indem er Menschen tötet, die diese verkörpern. Dadurch, so glaubt er, wird, wie im »Buch der Sünden«, einer Apokalypse, angekündigt, die heidnische Welt untergehen. Im Gegensatz dazu schildert Ansgar, dass der Herr selbst ihm den »Auftrag für die heilige Mission« erteilt hat (392). Er hat alles wieder verloren, das er erreicht hatte. Schließlich trägt er dazu bei, dass Odo das Handwerk gelegt wird. Ansgar ist zunächst vorurteilsbehaftet gegenüber Heiden, freundet sich dann aber mit ihnen an. Hier liegt erneut eine Gegenüberstellung von bösem und gutem Missionar vor.

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In Wahrheit hätte sich Finnian allerdings nie im Leben »aufgemacht, anderer Leute Seelen zu retten und dafür das eigene Leben zu riskieren, mochte eine solch edle Tat auch noch so paradiesisch belohnt werden. Finnian liebte Heldengeschichten – aber nur solche, die auf dem Pergament stattfanden« (25).

Finnian wurde von einem »sündhaft gierigen Wissensdurst« getrieben. Dem weltlichen Leben hat er nur in der Hoffnung auf lebenslanges Forschen und Lernen entsagt. In seinem Kloster hat er aber keine Gelegenheit, noch mehr Wissen zu erlangen. Weil es ihm an Demut mangelt, darf er nicht Diakon werden. Da er im Skriptorium mit seiner Schreibkunst und seinen Sprachkenntnissen unentbehrlich ist, darf er nicht an die Kathedralschule von Eoferwic gehen. Wie er hört, will der fränkische Herrscher Gelehrte um sich scharen und umfassende Bildungsreformen durchführen. Finnian will sich einen sicheren und warmen Platz an Karls Hof erobern, wo er mit interessanten Männern diskutieren und interessante Bücher lesen kann. Dazu muss er Karls Aufmerksamkeit und sein Wohlwollen gewinnen. Finnian behauptet gegenüber seinem Abt und seinem Bischof, er wolle zur Buße für seine Sünden die sichere Heimat verlassen und als Missionsprediger in der Fremde, in Sachsen, wirken. Dem vermeintlichen Ruf Gottes kann sich der Abt nicht widersetzen. Finnian absolviert die Missionsschule in Ultra Traiectum. Mit Egbert geht er nach Sachsen und verlässt schließlich sogar die fränkischen Truppen, mit denen sie bisher gereist waren, um den König auf sich aufmerksam zu machen. Den Sachsen erklärt Egbert, sie seien gekommen, um ihre verdorbenen Seelen vor der ewigen Verdammnis zu retten. Er droht, dass König Karl sie mit Gewalt bekehren werde. Egbert ist bereit, als Blutzeuge für seinen Glauben zu sterben. Als junger Mann hatte er eine Vision mit dem Auftrag Gottes, den Satan zu bekämpfen. Egbert kann wahre von falschen Christen unterscheiden. Er meint, der König und der Klerus gingen nicht entschieden gegen die Anhänger des Teufels vor; Zauberinnen dürfe man nicht leben lassen. Im Kloster Friedeslar, wo Walrams schwangere Mutter einst Hilfe suchte, hatte Egbert eine Totenmesse für sie gelesen, damit sie stirbt. Er hielt sie, eine Seherin, für eine Gespielin des Teufels. Später gibt Egbert eine Pilgerreise zum Kloster Fulda vor, will aber in Wahrheit Ava ebenfalls töten. Er meint, Ava und Finnian würden arglose Seelen heimtückisch täuschen. Finnian sei ein Ketzer, ein halber Heide und eine Gefahr für die junge sächsische Kirche. Niemand nehme Ava die plötzliche Bekehrung ab. Die beiden hätten sicher Ausschweifungen begangen. Indem man dieses »Unkraut im Garten des Herrn« (405) ausmerze, erwerbe man sich Verdienste im Himmel. Im Roman Widukinds Wölfe geschieht die Missionierung der Sachsen ebenfalls zusammen mit ihrer Eroberung. Rutinus folgte zusammen mit seinem Bruder Beatus freiwillig dem Ruf der Missionare und trat in das Kloster Sankt

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Bonifatius ein. Er ist noch jung, hat sich aber im Kloster an der Hamel so bewährt, dass er die neue Mission an der Sandfurt leiten soll. Andere Romanfiguren spekulieren über seine Motivation: Wolfger fragt sich, ob Rutinus’ glühender Zorn auf diejenigen, die er Heiden nennt, daher rührt, dass Wolfhard seinen Bruder Beatus in die Weser gestoßen hat. Gerhild vermutet, dass Rutinus selbst zweifelt, vielleicht, weil auch er ein Sachse ist. Gunda meint, Rutinus suche in ihnen die Sünde und glaube, damit seine eigene Schuld zu töten. Als sie sich entkleidet und Rutinus auffordert, die Sünde anzunehmen, der er doch nicht entfliehen könne, bekreuzigt er sich und meint, der Satan sei in Gunda, das Böse müsse ihr mit geweihtem Wasser ausgetrieben werden. Die Sachsen bezeichnen Rutinus als »Blutpfaffen«, weil er mit Kreuz und Schwert in der Hand an der Spitze der bewaffneten Frankenschar reitet, wann immer es einen Hain der alten Götter zu zerstören oder aufgespürte Sachsen die Wahl zwischen Taufe und Tod haben. Als ein Blitz die Kirche in Brand setzt und das Kreuz des einstürzenden Turmes Rutinus’ Brust durchbohrt, meint seine Schwester Heidrun, Donar habe nun ihn und das Heiligtum seines Gottes vernichtet. Wolfger vermutet, Rutinus habe unwissentlich die Vergebung seines Vaters gesucht, aber dieser entgegnet, eher hätte er ihn mit Taufwasser oder Blut bekehren wollen. In Die Träume der Libussa unterstützen die Behaimen die Sachsen im Kampf gegen die Franken. Lidomir kommt als Geisel zu den Franken, seine christliche Frau Radegund geht mit ihm zurück zu den Behaimen, wo sie darum bittet, dass Missionare geholt werden. Der Regensburger Bischof schickt Frederik und Gundolf aus dem Kloster Sankt Emmeran. Sie haben sich in Fulda kennengelernt, wo man sie »in der Kunst des Missionierens unterwiesen« (437) hat. Gundolf will, dass die »Gesetze unseres Herrn« bei den Behaimen Einzug halten (459). Der einzig wahre Glaube soll verbreitet, die Menschen sollen vor der ewigen Verdammnis bewahrt werden (475). Gundolf ist streng gläubig, von sich überzeugt, und nicht bereit, eine andere Denkweise zu verstehen. Wenn er aus dem Volk der Behaimen ein christliches gemacht hat, könnte er Bischof von Prag werden und die Gunst des Königs gewinnen. Frederik hingegen ist neugierig wie ein Kind. In Die Priestertochter versuchen die Franken, die Slawen zu unterwerfen. Von den fränkischen Herrschern ausgesandte Missionare kehren zunächst nicht zurück. Der Mönch Tietgaud ist auf eigene Faust unterwegs nach Rethra. Sein Abt hat ihn nach Magdeburg gesandt, wo er im fränkischen Kastell Unterstützung für seine Unternehmung in Form gepanzerter Männer gesucht hat. Deren Anführer Embricho hält Tietgaud für einen lebensmüden Dummkopf, der nur die Belohnung im Himmel sieht und vergisst, dass es Menschen gibt, die noch Pläne auf der Erde haben. Tietgaud entgegnet, er komme aus Corbeia Nova, das sei eine Verpflichtung. Ansgar habe wie er die Wälder der Heimat verlassen und sei in den hohen Norden gereist, wo er den Jütländern, Schweden und Dänen den wahren Glauben brachte. Ihm, Tietgaud würde es nicht um Macht und Ansehen

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gehen, sonst wäre er in Corbeia Nova geblieben. Die Bekehrung der Wenden sieht Tietgaud als seinen Auftrag, von dem ihn nichts abbringen wird. Er ist überzeugt, dass Gott sie während der Mission der Heiden bewahren und ihm deren höchstes Heiligtum in die Hände geben wird. Sie würden dort predigen, das köstliche Lebenswasser der Wahrheit mitbringen, die Dunkelheit Rethras zerstören und sein Volk ins Licht bringen. Tietgaud meint, dass Gott seine Nachfolger dazu erzieht, jeden Menschen zu lieben; wen man liebe, den wolle man auch retten. Vor seiner Rückkehr zum Vatergott habe der Herr befohlen, in alle Welt hinauszugehen und von ihm zu sprechen. Wie es in Wikingerblut heißt, hat Ludwig der Fromme den Mönch Ansgar von Corbie rufen lassen und ihn nach seiner Bereitschaft gefragt, unter den Heiden das Evangelium zu verkünden. Ludwig rät Ansgar, seine Tonsur zuwachsen zu lassen. Er gibt ihm ein Gefolge und Geschenke für den König in Birka mit, der des Handels wegen um die Sendung eines Missionars gebeten hatte. Ansgars Mitbrüder haben ihn für seinen Wunsch, »Christi Evangelium unter den Heiden zu verkünden« (14), verachtet. Er will die Heiden vor dem Wahn des Teufels erretten. Wenn ihm das mit Gottes Hilfe gelingt, wird ihn der Kaiser sicher reich belohnen. Ansgar ist überzeugt, dass sich die Einwohner Birkas über die Götzenanbetung, die nichts für vernünftige, aufgeklärte Menschen sei, erheben können. Wenn sie das Wort Gottes annehmen, werden sie ein besseres Leben führen können. Es ist Ansgars Traum, die Schar der Gläubigen zu vergrößern, bis der ganze Norden christlich ist. König Björn hat den Eindruck, dass nicht die Liebe zu Gott, sondern der Wunsch nach Macht Ansgar antreibt.224 Der Mönch Witmar meint, dass Ansgar viel für seinen eigenen Vorteil tut, aber sich auch um andere sorgt. Nach Ansgars Weggang schickt Ludwig die Missionare Gautbert und Nithard (Wikingersilber). Über Gautberts Motivation wird wenig gesagt. Nithard fesseln die unterschiedlichen Vorstellungswelten der Menschen. Er mag es nicht, zu kämpfen oder zu pflügen. Ihm gefällt es, Menschen aller Arten zu begegnen, sich zu unterhalten und Gedanken auszutauschen, weshalb er Priester geworden ist. Agrippa (Das Buch Haithabu) wird von Bischof Ebo zur Buße für seine Vergehen mit Frauen als Missionar in das »Land der Bärenanbeter« geschickt, wo er den Heiden das Evangelium predigen soll. Diese Reise erscheint Agrippa wie eine Höllenfahrt, auf der er den Märtyrertod erleiden wird. Er hat Angst, vor seinem Tod noch keine Missionserfolge zu haben, die er Gott dem Herrn melden könnte.225 Agrippa meint, dass Menschen ihm seine Würde nicht nehmen

224 Der Christ gewordene Häuptling Hergeir will mit dem Papst und der Kirche hinter sich die Macht in Birka übernehmen. Wenn die ganze Stadt christlich geworden ist, kann er mit Hilfe der Christen den König vertreiben. 225 Weil Finnian (Das Amulett der Seherin) beim jüngsten Gericht greifbare Erfolge vorweisen muss, will er versuchen, ein erstes zartes Glaubenspflänzchen in das Herz der Magd Liebhild

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könnten, weil Gott ihm sein Amt und seine Würde verliehen habe. Wem er das Amt der Predigt für die Heiden gebe, dem gebe er auch die Zunge, es in ihrer Sprache zu tun. Dass ihm das Schreiben und das Erlernen fremder Sprachen leicht fällt, sieht Agrippa als Geschenk des Herrn. Die christlichen Bringer des wahren Glaubens, so Agrippa, könnten immer dann Wunder wirken, wenn sie bedrängt würden. Der Novize Thomasius meint, Agrippa sei »zur Heidenmission […] gepresst« worden, worauf dieser entgegnet, Bischof Ebo habe »alle weltlichen und geistlichen Mittel« eingesetzt, um »Jesu Auftrag zu erfüllen« (110), allen Völkern zu predigen. Der Bischof schickt Agrippa schließlich nach Haithabu, um im Norden »in Ansgars Spuren« (182) Gottes Wort zu verkünden. Agrippa dankt Gott für die ihm übertragene Aufgabe. Er fühlt, dass ihn der Herr als seinen Diener dorthin gerufen hat. Aidan (Die Reise nach Byzanz) gerät auf seiner Reise mit dem Book of Kells in Gefangenschaft der Seewölfe und wird ein Sklave der Dänen in Skane. Er hat Mitgefühl mit den »Barbaren«, die »jenseits aller Erlösung« und »ohne die geringste Hoffnung auf himmlische Errettung« leben. Aufgrund seiner Bildung und seines »zivilisierten Auftretens« fühlt er sich ihnen überlegen. Als Aidan sich an den heiligen Pátraic erinnert, der denen, die ihn gefangen genommen hatten, die frohe Botschaft Jesu verkündigte, will er »der Pátraic dieser Seewölfe werden« und sich »ewigen Ruhm erwerben« (162). Als Beispiel für die Motivation eines Herrschers, der eine wichtige Rolle bei der Missionierung spielt, sei Alfred der Große genannt (Uhtred-Saga): Er versteht sich als christlicher und gesalbter König, als Stellvertreter Gottes. Alfred sieht den Kampf um England nicht nur als Kampf um Land, sondern auch um den wahren Glauben. Wenn die Dänen siegen würden, sei auch Christus besiegt. Mithilfe christlicher dänischer Könige will Alfred die Dänen für die Lehre Gottes und die Liebe zu Jesus Christus gewinnen. Er betet täglich, vor allem um die Bekehrung der Dänen. Der Glaube soll durch Missionare verbreitet werden. Neben zahlreichen Mönchen und den christlichen Herrschern ist auch eine Frau, Radegund (Die Träume der Libussa), im Feld des Missionierens aktiv; ihre Schwester, die Nonne Anahild, tritt für Offenheit und Überzeugungskraft gegenüber den Heiden ein: Radegunds Freundin meint, wenn sich eine Christin mit einem Heiden vermähle, müsse sie ihn und sein Volk zum wahren Glauben bekehren. Radegund befürchtet, dann Lidomirs Liebe zu verlieren. Anahild bemerkt, dass Radegunds Bitterkeit verschwunden ist. Ein Mann, der sie so verändern konnte, könne kein schlechter Mensch sein, egal, welcher Religion er anhänge. Es sei vielleicht gar nicht so wichtig, wen man anbete, so Anahild: »Jesus sprach von Liebe und Barmherzigkeit, nicht von regelmäßigen Kirchenbesuchen. Vielleicht wird man uns nach unserem Tode danach beurteilen, wie wir gelebt haben. Ob wir unseren Mitmenschen Gutes taten oder sie nur benutzten. Auch ein Heide vermag vielleicht, nach den Vorstellungen Christi zu handeln, ohne je getauft zu sein« (339). zu setzen, die fasziniert von der Mutter Gottes ist. Die Bekehrung vieler Heiden erhöht seine Aussichten auf den Himmel, wo er sich endlich sicher fühlen kann.

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Anahild rät Radegund, ihrem Mann zu helfen, den rechten Weg zu gehen, ihn an das Gebot der Nächstenliebe zu erinnern, aber weder ihn noch sein Volk zum christlichen Glauben zu drängen. »Gewalt und Zwang vermögen keine Herzen zu öffnen« (340). Bei einem Fest der Behaimen lässt Radegund sich mit Slavonik ein. Anschließend hält sie sich für eine abgrundtief schlechte Person; die heidnischen Bräuche seien aber an allem schuld. Lidomirs Leute würden keine Gesetze der Moral und des Anstands kennen. Radegund wünscht sich, dass Missionare ins Land kommen und sie einen Beichtvater erhält. Wenn Lidomirs Leute den Glauben freiwillig annähmen, könnten sie einen Angriff der Franken vermeiden und ihre Unabhängigkeit wahren. Libussa schlägt vor, Anahild zu holen, aber Lidomir erklärt ihr, dass bei den Christen das Missionieren nicht Aufgabe der Frauen ist.

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Taten und Worte: Das Vorgehen bei der Missionierung

Auf welchem Weg wollen die Missionare in den Romanen die Heiden für das Christentum gewinnen? Wie gehen sie vor?226 Welche Formen hat ihre Verkündigung? Besonders eindrücklich wird geschildert, dass Missionare den Heiden die Macht ihres Gottes demonstrieren und sie zur Annahme des christlichen Glaubens zwingen wollen. Einige Missionare zerstören heidnische Kultstätten, andere überbauen sie oder versuchen, heidnische Bräuche in die christliche Praxis zu integrieren. Einige verständnisvolle Missionare wählen den Weg, die Heiden durch gute Taten, Predigten und im Gespräch vom Christentum zu überzeugen. Grundsätzlich spielen die strategischen Planungen und der Auftrag der christlichen Herrscher bei der Missionierung eine große Rolle. Viele Missionare wenden sich an den Vorsteher ihres Wirkungsortes und versuchen, diesen als ersten zu taufen, damit ihm andere nachfolgen. 1.3.1 Machtdemonstrationen und Zwang Besonders den Menschen, die noch nie Kontakt mit dem Christentum hatten, wollen die Missionare durch Taten die Machtlosigkeit der alten Götter zeigen. Das ist das, was in den Romanen den nachhaltigsten Eindruck hinterlässt – nicht unbedingt von der Wirkung her, dass sich alle Heiden gleich taufen lassen, aber vom Bild her, dass diese Christen erzeugen: Mit ihnen wird dauerhaft Brutalität und fehlendes Verständnis für die andere Kultur assoziiert. Den Heiden kommen aber doch Zweifel an der Macht ihrer Götter.

226 Über Bonifatius wird in Karl Martell und Die Königsmacherin gesagt, dass er sich um einen Schutzbrief von Karl Martell bemüht und sich vom Papst beauftragen lässt. – In einigen Romanen fungiert ein Kloster wie Fulda als Basis der Missionare. Häufig sind diese alleine unterwegs oder mit dem Heer Karls des Großen.

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Von der Zerstörung heidnischer Kultstätten erzählt z. B. eindrucksvoll der Roman Das Amulett der Seherin: Direkt zu Beginn tötet Egbert die heiligen Pferde der Sachsen. Damit will er ihnen die Machtlosigkeit der Götter vor Augen führen, die ihre angeblichen Vertrauten nicht schützen können. Als Karl der Große dann die Irminsul fällen lässt, aus deren Holz er eine Kirche errichten will, reckt Egbert triumphierend das Kreuz in die Höhe. Ava fühlt sich, »als träfe jeder Axthieb auch ihr eigenes Herz«. Das Ächzen vor dem Fall klingt, »als trüge die Irminsul das ganze Leiden ihres Volkes« (128). Anschließend denkt Ava: »Die Zerstörung des Allerheiligsten, das die Engern besaßen, war unverzeihlich. Niemals konnten sie das widerstandslos hinnehmen« (129). Sie fragt sich zugleich, warum die Götter das tatenlos mit ansehen. In Friedeslar, so erinnert Walram sich, haben die Anhänger des rechten Glaubens ihre schlimmste Niederlage erlitten: Bonifatius wollte die Macht seines Gottes zeigen und fällte die uralte Donareiche. Aus dem Holz baute er eine dem heiligen Petrus geweihte Kirche. – Für Tietgaud (Die Priestertochter) hingegen hat diese Tat Vorbildcharakter: »Schon Bonifaz hat bei den Hessen eine Götzeneiche gefällt und daraus eine Kirche bauen lassen« (265). Rutinus (Widukinds Wölfe) wettert in der Predigt gegen die heidnischen Götter und fordert alle wahrhaft Gläubigen auf, ihnen bekannte Heiden, heilige Haine und heidnische Opfer anzuzeigen. Graf Asmund und er überfallen eine Versammlung im Totenhain, einem »Ort des Satans«, an dem Dämonen hausen und die Menschen verleiten, ihnen Pferdeopfer zu bringen und ihre Toten in ungeweihter Erde zu bestatten. Sie befehlen, die Gräber zu öffnen – für die Sachsen eine Störung der Totenruhe und eine Missachtung der Götter. Als zu sehen ist, dass anstelle zweier vermeintlich Toter ihre Pferde bestattet wurden, nennt Rutinus das »heidnisches Zauberwerk« (266) und fleht den Allmächtigen um Gnade für die ungläubigen, verirrten Schafe an. Die Eiben, »Bäume des Bösen« (267), werden gefällt, und der Hain verbrannt. Rutinus fordert, nicht Bäume sollten den Menschen heilig sein, sondern der Allmächtige und sein Sohn Jesus Christus. Die Männer wollen auch »Saxnots Schwert«, eine von den Sachsen als heilig verehrte Felsnadel, zerstören. Rutinus sieht diese als »Brutstätte des falschen Glaubens« (278), die er ausräuchern will. Nachdem sie zur Taufe gezwungen wurden, müssen die Sachsen selbst Saxnots Schwert zu Fall bringen. – Im Roman Saxnot stirbt nie wollen der irische Mönch Theofried und seine drei Gefährten nach dem Bau einer Kirche in Sachsen alle Einwohner des Dorfes taufen und die Saxnoteiche fällen. Selbst wenn Missionierung nicht das Hauptthema eines Romans ist oder dieser an einem anderen Ort spielt, werden immer wieder die Fällung der Donareiche oder die Zerstörung der Irminsul erwähnt. Diese in Erinnerung bleibenden, für die Sachsen traumatischen Ereignisse, werden häufig aus dem Rückblick erzählt (z. B. in Mord im Dom; Die Träume der Libussa).

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Auch im Norden versuchen Missionare, heidnische Kultstätten zu »übernehmen«: In Das Buch Haithabu wollen die Mönche und Männer von Ramsolano beweisen, dass ein als Altar Wotans verehrter Stein »eitles Menschenwerk« (65) ist. Als sie ihn nicht wegziehen können, erzählt Agrippa von einem Traum, dass es Gottes Wille ist, über dem Stein eine Kirche zu errichten, die Ansgarkapelle, so wie das Pantheon in Rom in einen heidnischen Tempel hinein gebaut wurde. In Thorsberg hängen die Heiden Opfergaben für Thor in eine Eiche. Bischof Ebo behauptet, von Gott im Traum die Weisung erhalten zu haben, dort die Zweitkirche von Haithabu zu erbauen. Nachdem der Mönch, der dort predigt und den Gottesdienst hält, erhängt an der Eiche gefunden wird, übernimmt Agrippa die Kirche; er verabredet mit den Thorsanbetern, nicht an den Tagen zu predigen, die ihnen heilig sind (388f.). – Bischof Gautbert (Wikingersilber) will auf dem Opferplatz der Erdgöttin in Birka eine neue Kirche aus Stein bauen. Wer baue, zeige große Macht; wenn die Christen ein größeres Heiligtum als die anderen errichten, kommt das Volk sicher zu ihnen. Die Christen zerstören die Götterstatuen auf den Opferplätzen und schließlich sämtliche Götterstatuen. In einigen Romanen wird von »Tricks« und falschen Behauptungen der Missionare erzählt: Verhungernde Sachsen (christliche Soldaten hatten ihre Häuser und ihr Getreide verbrannt) erhielten von Missionaren Nahrungsmittel als Gegenleistung für das Versprechen, ihren Predigten zuzuhören (Die Päpstin, 89). – Bruns (Das Buch Haithabu, 41–43) verweigert die von Ansgar verlangte (erneute!) Taufe, lässt sich aber auf eine Probe ein. Ein Jahr lang opfert er weiter den alten Göttern und hat eine sehr gute Ernte. Im nächsten Jahr versucht er es mit dem neuen Gott, betet in der Kirche und folgt den christlichen Umzügen um die Felder; nun ist seine Ernte die schlechteste im Dorf. Er kehrt zu den alten Göttern zurück; als er seine nächste gute Ernte einholen will, brennen sein Feld und sein Haus, seine Frau und Kinder sterben. Ein Gottesmann, der sich Gottgesandter nennt, sagt Bruns, Gott lasse sich nicht versuchen, mit Flammenschrift male er Zeichen auf sündige Leiber. – Egbert (Das Amulett der Seherin) behauptet nach der Fällung der Irminsul, der Herr habe ein Wunder gewirkt und eine Quelle sprießen lassen – die jedoch längst bekannt war. Finnian überredet eine Prostituierte, sich als Maria zu verkleiden und der labilen Liebhild zu erscheinen. »Maria« sagt, Liebhilds totes Kind sei bei ihr gut aufgehoben; Liebhild hätte nichts zu seiner Rettung tun können. Sie muss versprechen, nicht noch einmal zu versuchen, sich zu töten. – Der Priester Hrothweard (Uhtred-Saga) hat die Legende verbreitet, der heilige Cuthbert sei erschienen, habe den Engländern zum Sieg verholfen und für seinen Schrein die Erhebung des Zehnten auch von den Dänen gefordert. Abt Eadred behauptet, Cuthbert habe ihm im Traum den Dänen Guthred als neuen König von Northumbrien gezeigt. König Alfred verbreitet, der Heilige Cuthbert habe ihm gezeigt, wie er den Sieg über den Dänen Guthrum erringen könne (Die Herren des Nordens, 32–34).

In Das letzte Königreich wird König Edmund von Ostanglien als Märtyrer verehrt, als gesegnete Seele, die auf ewig in Gottes Gemeinschaft lebt. In einer Kirche ließ er sich von den Dänen wie der heilige Sebastian mit Pfeilen beschießen, um

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durch sein Überleben die Allmacht Gottes zu beweisen und somit die Dänen zu bekehren. Dabei starb Edmund jedoch. Immer wieder erzählen die Romane vom Versuch, Heiden zur Taufe zu zwingen. Wenn diese sich weigern, werden sie hart bestraft. Der ehemalige Mönch Ossos (Das Buch Haithabu) kritisiert, dass die allerchristlichsten Fürsten brutal gegen die vorgehen, welche sich trotz eindringlichem Versprechen des Himmelreichs nicht taufen lassen: Die Sachsen sollen ins Wasser oder in ihr eigenes Blut tauchen. So hat ein Graf einen Mann auf einen Pfahl spießen lassen, der zu Freya gebetet und nicht vor dem Kreuz abgeschworen hat. Der christliche Kaiser und die Markgrafen haben versucht, den »Bärenanbetern« mit Feuer und Schwert das Christentum zu bringen (125). In Die Päpstin heißt es, dass in Sachsen »Karls Armeen einmarschiert waren und mit Flamme und Schwert das Wort Christi gebracht hatten« (20f.). In Verden an der Aller seien Tausende von Sachsen lieber gestorben als den christlichen Glauben anzunehmen. Libussa (Die Träume der Libussa) sieht in einer Vision die Hinrichtungen von Verden. Alle Sachsen, die nicht Christen werden wollten, wurden geköpft. Von Lidomir, der als Geisel der Franken in ein Kloster kommt, fordert der Abt, dass er sich taufen lässt, und bestraft Lidomirs Weigerung. Als Jorrun in Wikingerblut die Taufe ablehnt, bedroht und schlägt ihr Mann Harald sie. Er, erst kürzlich bekehrt, betrachtet sich als wahren Christen, rechtfertigt jede Handlung mit Gottes Wort und will jene vernichten, die nicht zur neuen Lehre übertreten. Ausführlich wird die unmittelbare Wahl zwischen Tod und Taufe in Widukinds Wölfe geschildert: Im Dorf um Saxnots Schwert hält Asmund den Menschen vor, Gott gelästert und die falschen Götter angebetet zu haben. Dem sofortigen Tod könnten sie nur durch den augenblicklichen Empfang der Taufe entgehen. Buddo, der Dorfvorsteher, erklärt sich als erster bereit. Alle fallen an einem kleinen Weiher auf die Knie, während Rutinus das Credo und das Vaterunser vorbetet. Auf Buddos Frage nach dem Teufel, dem er widersagen soll, antwortet Rutinus, dieser sei der Feind Gottes und tausendmal schlimmer als Loki. Zögernd beantwortet Buddo die übrigen Fragen nach dem fremden Glauben. Rutinus fordert ihn auf, ins Wasser einzutauchen, damit er als Getaufter daraus hervorgeht und das ewige Leben hat. Als Buddo erfährt, dass er im Himmel nicht seinen Vater und seine Brüder treffen wird, da sie nicht getauft waren, will er lieber mit ihnen in Walhall einziehen.227 Rutinus enthauptet ihn – weil er die Taufe mit dem 227 Ähnliches wird von Ava erzählt (Das Amulett der Seherin). Sie hatte bisher geglaubt, die christliche Hölle sei nur eine Verunglimpfung von Holdas Totenreich. Die Vorstellung, für eine Verfehlung auf ewig bestraft zu werden, ängstigt sie. Egbert meint, Ava verharre in der Finsternis einer Religion, die ganz auf das irdische Leben fixiert sei. Wenn sie sich zum Licht des christlichen Glaubens führen lasse, sei ihr der Himmel sicher. Weil aber die Menschen, die im falschen Glauben verharren, nicht dorthin gelangen, will Ava lieber mit ihren Angehörigen im Feuer sein als alleine im Himmel.

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Wasser des Herrn verweigert hat, muss er die Bluttaufe nehmen. Danach meint Rutinus, das Blut eines Heiden, das seine Hände beflecke, werde vielleicht zur Bekehrung der anderen führen. Er fragt die Sachsen, ob Wodan, Donar oder Saxnot etwa Buddo beigestanden hätten. Vielmehr habe Gottvater seine Macht bewiesen und den Frevler auf der Stelle bestraft. Er fordert die Menschen auf, ihren Göttern abzuschwören, Wasser statt Blut zu wählen, dann werde ihnen Gottes Gnade zuteil. Die Sachsen nehmen die Taufe schließlich an.

1.3.2 Integration heidnischer Bräuche Verschiedene Weisen des Umgangs der Kirchenvertreter mit heidnischen Bräuchen und Aberglauben finden sich in den Romanen. Viele Missionare versuchen, heidnische Bräuche oder Plätze in den christlichen Glauben zu integrieren, oder diese umzudeuten bzw. umzunutzen. Dies geschieht meist bei Menschen, die seit kurzem getauft, aber noch nicht »durch und durch« Christen sind. In Das Geständnis der Amme heißt es, dass die Männer der Kirche Lagerfeuer, bei denen es oft zu wüsten Orgien kommt, verteufeln, weil sie an heidnische Bräuche erinnern, die längst ausgemerzt sein sollten. Agrippa (Das Buch Haithabu) entfernt die heidnischen Knochen, die manchmal über Kruzifixen hängen, unbemerkt unter leisen Gebeten. In Ramsolano begehen alle die christliche Eheschließung in der Stiftskirche, aber im Wald finden sich noch Orte heidnischer Hochzeitsbräuche. Diese überwacht Agrippa mit einem Kreuz in der Hand, belegt sie mit einem Bann oder reinigt sie mit Gebeten. Er mag den alten Brauch, bei dem Mann und Frau durch ein loderndes Feuer sprangen, um allen ihre Verbindung anzuzeigen. Auf seinen Vorschlag, der Bischof zu Bremen solle diesen wieder zulassen und danach einen heiligen Segen spenden, wird Agrippa zu einem dreitägigen Bußfasten verurteilt (25f.). Er dichtet außerdem ein heidnisches Frühlingslied um. Die Brüder in Glendalough (Das Buch Glendalough) sind, wie es heißt, in Bezug auf den Aberglauben des Volkes klug genug, einen überwundenen Feind nicht tot zu schlagen, der in seinen letzten Zuckungen noch Wunden verursachen könnte. Das keltische Fruchtbarkeitsfest Imbolc z. B., an dem verheiratete Paare auseinander gehen und neue Paarungen erproben dürfen, wurde christianisiert auf den Namen der Äbtissin und Heiligen Brigid von Kildare. In Das Amulett der Seherin hat Finnian diese als Patronin für die Kirche in Hollenhus ausgewählt; er wollte den Dörflern, die besonders eine weibliche Gottheit verehren, eine vorbildliche Frau zur Seite stellen, die in ihrer Heimat fast wie Maria verehrt wurde und deren Name auf eine Kriegs- und Weisheitsgöttin zurückging. In Die Päpstin wird gesagt, dass in Rom heidnische Bauwerke zum Bau von Kirchen genutzt wurden, und verschiedene christliche Feste bis auf heidnische Wurzeln zurückverfolgt werden können.

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Karl der Große (Widukinds Wölfe) erfüllt Widukinds letzten Wunsch, eine Trauerfeier nach christlicher und eine Bestattung nach sächsischer Weise (zusammen mit seinem Schimmel in der Wolfsschlucht), was zur Versöhnung von Franken und Sachsen beitragen soll. Der König meint, wenn die Sachsen Christen werden sollten, würden sie sich wundern, warum ihr getaufter berühmter Herzog nicht auf einem Friedhof bestattet sei. Widukind entgegnet, Karl solle überall im Land Kirchen bauen und ihnen Gebeine stiften, die als die seinigen gälten. Die Menschen werden diese verehren, und aus ihm wird der Größte aller bekehrten Christen werden. Die sächsische Kräuterfrau Heidrun meint, die Franken würden sich nicht scheuen, das angebliche Heidentum ihrem Christengott zuzuschreiben, wo sie die alten Bräuche nicht ausrotten könnten. So errichteten sie an den heiligen Plätzen Wodans, Donars und Saxnots Kirchen und Kapellen. Bei den Christen sei die Wintersonnenwende der Geburtstag ihres Gottessohnes, und zum Frühlingsfest, an dem der Göttin Ostara gehuldigt würde, solle dieser Jesus Christus von den Toten auferstanden sein.

1.3.3 Überzeugungsarbeit, praktische Hilfe und Gespräche Neben zahlreichen Menschen, die Heiden zur Taufe zwingen wollen, werden in einigen Romanen auch einzelne freundliche Seelsorger vorgestellt, die überzeugen möchten. In Die Träume der Libussa zeigt Vater Anselm Lidomir die guten Seiten des christlichen Glaubens, erzählt vom Gottessohn, der zu den Armen und Rechtlosen sprach und Liebe statt Härte predigte. Als heimlicher Gegner gewaltsamer Bekehrungsversuche will er ein Beispiel geben, wie es anders gehen kann. Frederik lernt von Radegund die Landessprache und fragt sie nach der Lebensweise der Behaimen. Radegund vermutet, dass Gundolf den naiven Jungen mitgenommen hat, weil er ihm den Weg zu den Herzen der Menschen ebnet und leicht zu lenken ist. Wie die Jünger Jesu, so Frederik, müssten sie zu den einfachen Leuten in den Dörfern sprechen, ihnen die Botschaft des Heils überbringen, und sie auf friedliche Weise überzeugen. Er hofft, bei Kazi leben und sich mit Tschastawa um die Kranken kümmern zu können, wie es Jesus tat. Dessen Botschaft möchte er verbreiten und vielleicht eine kleine christliche Gemeinde gründen. Schließlich kehrt Frederik zu Tschastawa, die er liebt, zurück und berichtet von Gundolfs Plan, Libussa abzusetzen und einen Mann an die Macht zu bringen, auf den er Einfluss hat. Jesus habe niemals gesagt, dass sich gute Christen so verhalten sollten. Nithard (Wikingersilber) meint, man müsse nur Geduld haben, die Predigten einige Winter fortsetzen, dann würde bald ganz Birka christlich sein. Er ist wiederholt gegen Gautberts Pläne, aber dieser droht, ihn in seine Heimat zurückzuschicken. Als Gautbert eine getaufte Frau bestrafen

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will, die ihren Körper verkauft, ist Nithard beschämt und hat Mitleid mit ihr. Er meint, Strafe würde die Menschen nur vom christlichen Glauben abschrecken. Vater Egilschalk (Das Amulett der Seherin) erzählt Ava werbend vom christlichen Glauben. Finnian hätte gerne mit der Sächsin Sonnhild in Ruhe bei einem Becher Bier oder Met über die Frohe Botschaft gesprochen. Könnte man sie für das Christentum gewinnen, würden die anderen Dorfbewohner folgen. Er will Ava von den Vorzügen des christlichen Glaubens überzeugen, und hofft, dass Gott das Herz einer Heidin für das Evangelium öffnet. In Hollenhus stört Finnian das Alltagsleben nicht, weil er niemanden zwangsweise bekehren will. Auf der Reichsversammlung spricht er sich gegen den Kirchenzehnten und für eine Abmilderung der Kapitularien aus. Finnian hilft seinen heidnischen Mitmenschen auch ganz praktisch: Er kann die Magd Liebhild vor einer Vergewaltigung durch Krieger wie vor der Selbsttötung bewahren. Mithilfe einer Reliquie unterstützt er die Heilung des kranken Walram. Der durch eine Vergewaltigung schwangeren Ava bietet Finnian an, sie zu heiraten. Er weigert sich, dem Grafen die Dorfbewohner auszuliefern, die sich nicht taufen lassen wollen. Diese unschuldigen Menschen würden lediglich der Religion, in der sie erzogen wurden, treu bleiben. Finnian schämt sich für die Kirche, die sich nicht – wie Christus – auf die Seite der Armen und Unterdrückten stellt. Die Kirche und der König würden in Sachsen das Christentum missbrauchen, um ihre Herrschaft zu festigen. Ihnen gehe es nicht um die Rettung der Seelen. Wenigstens er muss den wahren, friedliebenden Gott bezeugen, auch wenn er dafür mit dem Leben bezahlt. »Vor Gott war eine Zwangstaufe ungültig, denn er sah in die Herzen und nicht auf die Lippen, mochten diese auch widerwillig den sächsischen Göttern abschwören und die heilige Dreifaltigkeit bekennen« (502). Dem Grafen erklärt Finnian, er sei nur seinem Herrn im Himmel verpflichtet, der die Nächstenliebe und die Geduld mit den Sündern gepredigt habe. Gott wolle nicht den Tod der Gottlosen, denn dann könnten sie nicht umkehren. Als die Heiden die Männer des Grafen angreifen, beteiligt sich auch Finnian. Bei Agrippa mischen sich praktisches Engagement, Predigt und gute Taten (Das Buch Haithabu, Das Buch Glendalough): In Haithabu will er segnen, taufen, zur Buße aufrufen und ermutigen. Er hält es für ratsam, sich sowohl um das Seelenheil als auch um das leibliche Wohlergehen der Heiden zu sorgen. Agrippa kann den Wikingern nicht die reine Lehre verkünden, wie sie an anderen Orten vorgetragen wird. Er will sie nicht mit Bibelworten verwirren, die sie nicht fassen können. Zunächst wendet Agrippa sich an die Christen, die es bereits in Haithabu gibt. Durch seine Bußpredigten trägt er dazu bei, dass das bei den Heiden übliche Aussetzen von Kindern seltener vorkommt. Er kauft die Glocke, welche Ansgar zur Begründung der ersten Christengemeinde in Haithabu aufhängen ließ. Später erbaut er eine neue Kirche. Mit dem Erlös aus dem Verkauf eines Sil-

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berkreuzes erwirbt Agrippa Holz für einen Glockenturm und kauft Sklaven frei. Im Sklavenhaus feiert er Gottesdienste. Ein eher negatives Beispiel ist Ansgar (Wikingerblut): Er hat mit Estrid gesündigt und ist nicht besser als die Heiden, die er bekehren will. Weil ihm sonst niemand mehr vertraut und Zweifel an ihm verhindern würden, dass das Volk sich der neuen Lehre zuwendet, muss er seine Tat leugnen. Sein Mitbruder Witmar rät ihm, gute Taten zu vollbringen, damit die Menschen ihn achten. Vom Erlös seines Silberkreuzes kauft Ansgar Sklaven frei. Auch Agrippa (Das Buch Glendalough, 9f.) meint, die gottlosen Wikinger, denen er den einzig wahren Gott bringen und denen er predigen soll, ihren Leib, die Wohnung des Herrn, rein zu halten, hätten mehr Zucht als er.

Aidan (Die Reise nach Byzanz) führt bei den Dänen zunächst einfach seine Rituale weiter, später erzählt er ihnen von seinem Gott: In Gefangenschaft der Seewölfe rezitiert er die Psalmen und betet, soweit sie das dulden. Als Sklave Gunnars widmet sich Aidan seiner Arbeit so gewissenhaft wie einst der Arbeit im Kloster. Damit will er vor allem Gott gefallen, denn die heilige Schrift sagt, dass ein Sklave seinem Gebieter wohl dienen und ihn so für das himmlische Königreich gewinnen soll. In Gunnars Haus betet Aidan das Stundengebet und die Psalmen und spricht regelmäßig ein Tischgebet, was die Familie akzeptiert. Als Aidan während des Things mit Tolar Bier holt, spricht er ihm das Gebet der Bierbrauer vor; Tolar erklärt den Übrigen, Aidan habe das Bier mit einigen geheimnisvollen Worten an seinen Gott gesegnet. Auf König Haralds Schiff spricht Aidan das Kyrie und betet um Gottes Beistand für seine kämpfenden Freunde Gunnar und Tolar. Mit Gunnar und einigen Anderen kommt Aidan ins Gespräch über Gott, wobei er die Sprache und die Bilder der Dänen verwendet (s. u.). In mehreren Romanpassagen ist das Erzählen von (biblischen) Geschichten eine Strategie der Missionare, die gut aufgenommen wird: Agrippa (Das Buch Haithabu, 356) erzählt den Menschen in Haithabu von der Stillung des Seesturms durch Jesus, von seinem Gang auf dem Wasser und vom Zug der Israeliten durch das Rote Meer. Die Menschen in Hollenhus (Das Amulett der Seherin) hören gebannt zu, wenn Finnian alte Göttersagen, Geschichten von Königen und biblische Ereignisse vorträgt. Abt Wala (Die Schlüsselträgerin, 404) rät dem Mönch Agius, den Sachsen Geschichten, vor allem von den Heiligen, zu erzählen, denn sie würden diese und ihre Reliquien lieben. Deren Verehrung komme ihrem Brauchtum sehr nahe. Agius soll seine »Ratio« überwinden und »volkstümlich« werden. Sein Gefährte Melchior erzählt einer alten sächsischen Kräuterfrau, mit der er sich angefreundet hat, aus der Bibel. Sie ist dafür offen, obwohl sie sonst dem Christentum sehr skeptisch gegenübersteht.

Tietgaud (Die Priestertochter) plant, in Rethra zu predigen. Unterwegs trifft er auf Alena und Uvelan, denen er Fragen stellt und von seinem Gott erzählt. Schließlich beeindruckt er durch seinen Tod: Da sie zu viert nicht das Schwert sprechen lassen können, will Tietgaud den Priestern in Rethra Christus predigen.

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Diese würden sie, wenn sie in Frieden kämen, wie Gäste behandeln und erkennen, dass sie leblosen Götzen gehuldigt haben. Tietgaud erinnert sich an den Wunsch des Herrn, die Feinde zu lieben, und bittet Alena, ihm von ihrem Glauben zu erzählen. Er will ihrem Volk den wahren Gott bringen, den Glauben an das, was Wirklichkeit ist. Damit die Menschen ihn verstehen können, muss er begreifen, was sie an den »Teufelstempel« fesselt (113). Als klar ist, dass es ein Menschenopfer geben wird, bittet Tietgaud Gott, dass die Wenden ihn wählen. Wie Ansgar bei den Heiden gestorben ist, will auch er für seinen Glauben den Tod erleiden. Wenn das der Preis dafür ist, um zu den Wenden zu sprechen, wird er ihn bezahlen. Tietgaud glaubt, dass sein Gott, ein Herr über Tod und Leben, ihn am Jüngsten Tag wieder lebendig machen wird. Er schenkt Uvelan in Freundschaft sein Kreuz. Nach seinem Tod soll Uvelan nicht vergessen, dass Tietgauds Gott stärker war und ihn hat predigen lassen. Als Tietgaud auf dem Altar Hände, Füße und der Kopf abgetrennt werden, singt er bis zuletzt lateinische Psalmen.

1.3.4 Rolle des Herrschers An einigen Stellen in den Romanen wird deutlich, inwiefern Planungen durch den christlichen Herrscher hinter Missionsbemühungen stehen. In Das Amulett der Seherin schwört Karl der Große, das Land mit Krieg zu überziehen, bis die Sachsen getauft oder ausgerottet sind. In Paderborn gibt es eine Reichsversammlung und Massentaufen. Auf einer Reichsversammlung in Lippspringe teilt Karl das sächsische Land zwischen Bischöfen, Äbten und Priestern auf, damit sie taufen und predigen können. Um den Sachsen die Machtlosigkeit ihrer alten Götter vor Augen zu führen, will der König in einem wichtigen Quellgebiet die neue christliche Gesetzgebung für das eroberte Land verkünden. In Widukinds Wölfe heißt es, dass Franken und unterworfene Sachsen in Minden einen Königshof mit Missionsstation bauen, von der aus Christenprediger ihren Glauben tiefer ins Sachsenland tragen wollen. Karl erhebt Minden schließlich zum Bistum, um es zum Symbol des Friedens und des christlichen Glaubens zu machen. Der aus Sachsen stammende Mönch Hathumar (Mord im Dom) findet, dass unfähige Geistliche zu seinem Volk geschickt wurden, die eher Räuber als Prediger waren. Karl ist der Meinung, dass fränkische und britische Missionare zwar ihr Bestes täten, aber vor allem sächsische Priester vonnöten seien, die Verantwortung übernähmen. Deshalb ernennt er Hathumar zum Bischof von Paderborn. Eine typische Strategie in vielen Romanen besteht darin, dass sich die Missionare an den Herrscher bzw. Vorsteher des Volkes wenden, das sie bekehren wollen. Mehrfach wird beschrieben, wie die Taufe eines hochrangigen und einflussreichen Menschen weitere Taufen nach sich zieht bzw. ziehen soll.

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In Wikingerblut wendet Ansgar sich direkt an den König der Svear, auch wenn die Geschenke von Ludwig dem Frommen verloren gegangen sind. Der König erlaubt Ansgar, eine Kirche zu bauen, Häuptling Hergeir gibt ihm schließlich sogar ein besseres Grundstück. Ansgar meint, wenn er die Reichen für sein Anliegen gewinnen kann, würden diese dafür sorgen, dass alle anderen auf ihren Höfen auch getauft werden. Hergeir entscheidet, dass sich jeder am Markttag taufen lassen kann. Das große Schauspiel, bei dem auch er die Taufe empfängt, soll andere dazu bringen, es ihm gleichzutun, und den Kaufleuten zeigen, dass Birkas Führer der neuen Glaubenslehre wohlgesonnen sind. – Gautbert und Nithard (Wikingersilber) versuchen, den Großbauern Snemun zu bekehren. Der König duldet, dass Gautbert auf dem Opferplatz der Erdgöttin eine Kirche baut, und gibt den Heiden neues Land. Er meint, dass sie das Christentum wegen des Handels brauchen. – In Das Buch Haithabu, 287, heißt es, Agrippa wolle in Haithabu entsprechend Ansgars Weg Oberhäupter wie Rangar für den rechten Glauben gewinnen, denen das Fußvolk dann folgen wird. Die erste von Ansgar mit Genehmigung des Dänenkönigs gebaute Kirche wurde von dessen Nachfolger, der den zunehmenden Einfluss der Christen fürchtete, niedergebrannt. Eine unauffällige Verkündigung des Wortes Gottes wurde jedoch geduldet. Rangar lässt Agrippa und den Christen relativ freie Hand und schützt sie. Gundolf und Frederik (Die Träume der Libussa) wenden sich an Libussa bzw. ihren Sohn Lidomir. Sie dürfen von ihrem Gott reden, sich aber nicht in gängige Rituale oder Lebensgewohnheiten einmischen. Lidomir fragt Gundolf, ob der Gottessohn gesagt habe, man solle die Bräuche anderer Völker beleidigen und die eigene Überzeugung gewaltsam durchsetzen. Gundolf zitiert Paulus: Frauen sollten in der Kirche schweigen. Lidomir meint, noch gebe es diese Kirchen nicht. Der Missionar müsse die Behaimen auf friedliche Weise zum Christentum bekehren. Gundolf will Radegund, die gerne Fürstin wäre, dazu bringen, Lidomir zu lenken. Sie, die der »Versuchung heidnischer Sitten erlegen« (458) ist, soll Gundolf helfen, dieses Übel auszurotten. Er erpresst von ihr Namen von Männern, die mit der Herrschaft der Frauen unzufrieden sind. Diese will er mit der Aussicht auf Geschenke und Macht locken. Als Frederik Libussas unzufriedenen Neffen Vojen aushorchen soll, weigert er sich, aus einem solchen Grund die Freundschaft eines Menschen zu suchen. Gundolf meint, das heilige Ziel, der Botschaft des Heils den Weg zu den Menschen zu ebnen, erfordere manchmal falsch erscheinende Mittel. Er will Anhänger unter den Herrschern finden. Sobald diese getauft seien, würden sie ihre Untertanen dazu bringen, ihrem Beispiel zu folgen. Gundolf unterrichtet Vojen, der sich nach Gelehrsamkeit sehnt. Um Libussas Absetzung zu erreichen, soll Vojen eine Versammlung gegen sie aufhetzen. Gundolfs Plan scheitert jedoch. Karl der Große will in Das Amulett der Seherin erreichen, dass die gefangene Seherin Ava sich taufen lässt und sich ihm unterwirft. Er geht davon aus, dass sie

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als Vorbild dient und auf Herzog Widukind einwirken kann. Wenn dieser oder andere sächsische Edle sich taufen lassen, müssen sich ihre Untergebenen anschließen. In Widukinds Wölfe streift im Anschluss an Widukinds Taufe, als dessen Pate Karl fungiert, ein edler Sachse nach dem anderen das weiße Taufkleid über, entsagt den alten Göttern und bekräftigt den neuen Glauben. Abt Faroch (In geheimer Mission für den Kaiser) zeigt den Seewölfen bei ihrem Besuch das gesamte Kloster Kells und lädt sie am Karfreitag ein, sich taufen zu lassen. Die übrigen Wikinger sind von der Zeremonie bei Gunnars Taufe so beeindruckt, dass sie sich ebenfalls taufen lassen. Auch in der Uhtred-Saga lassen einige Dänen sich taufen, allen voran die Könige Guthrum und Guthred, und in der Folge viele ihrer Untertanen. Da Ludwig der Fromme ihm helfen soll, auf dem Thron zu bleiben, stimmt der Dänenkönig Harald Klak (Die Welfenkaiserin) zu, dass Erzbischof Ebbo von Reims unter Haralds Schutz Dänen zur Taufe bewegt. Harald lässt auch sich und sein Gefolge schließlich taufen. Ludwig wird sein Taufpate, Judith Patin seiner Frau, Ludwigs Sohn Lothar Pate von Haralds Sohn. Ludwig krönt Harald, Ebbo salbt ihn. Später setzt Ansgar Ebbos Missionsarbeit im Norden fort. In Das Geständnis der Amme ist Rorik von König Lothar I. mit Friesland belehnt worden, um einen Schutzwall gegen noch unberechenbarere Krieger aus dem Norden zu haben, und weil er sich bereit erklärt hat, sich wie sein Bruder, der dänische König Harald, taufen zu lassen.

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Der stärkere Gott und die schwächere Frau: Die Inhalte der christlichen Verkündigung

Welche Inhalte hat die Verkündigung der Missionare in den Romanen? Was vermitteln sie den Heiden über das Christentum und über eine christliche Lebensführung, z. B. über christliches Leben in der Ehe? Großes Gewicht legen die Missionare auf die Botschaft, dass der christliche Gott über die heidnischen Götter triumphiert. Viele betonen, dass Gott den Menschen zur Seite steht, ohne dass sie ihm opfern müssen. Einige legen den Akzent darauf, dass Gott auf der Seite der Schwachen steht. Einzelne Elemente des Gottesbildes wie Schöpfung, Trinität, Menschwerdung oder Gericht kommen in der Verkündigung der Missionare zum Tragen. Was ein christliches Leben für den einzelnen Menschen bedeutet, erscheint weniger wichtig. Hierzu finden sich kaum direkte Aussagen von Missionaren, einiges kann über Äußerungen von (bekehrten) Heiden erschlossen werden: Vorkommende Aspekte sind Nächstenliebe, Vergebungsbereitschaft, Sonntagspflicht, lebenslange Einehe. Auch über die Kapitularien für Sachsen werden Anforderungen an Christen vermittelt. Auffällig ist, dass einige Missionare die untergeordnete Rolle der Frau betonen.

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1.4.1 Gottesbild Grundlegend in der Verkündigung der Missionare sind Aussagen über die Nichtigkeit oder die Nichtexistenz der heidnischen Götter und über die Stärke des christlichen Gottes, der keine Opfer fordert und die Menschen schützt. Dies drücken die Missionare sowohl durch ihre Taten als auch in Form von Worten in ihren Predigten und Gesprächen aus. In Das Amulett der Seherin sagt Finnian zu Ava, ihre Götter seien Erfindungen ihrer Ahnen, nur der Christengott sei wahrhaftig und allmächtig. Im Roman Widukinds Wölfe verkünden einige christliche Missionare, dass die alten Götter und die Wesen der Zwischenwelt nur Einbildung sind. Manche Christen glauben an die Existenz dieser Wesen, verteufeln sie aber als Dämonen. Rutinus nennt in der Predigt »Wodan einen der Hölle entsprungenen Dämon, Donar einen verdammungswürdigen Wetterzauberer und Saxnot den Stammvater eines verachtungswürdigen Heidengezüchts« (187f.). Der Mönch und Königsbote Lupus (Saxnot stirbt nie, 121) erklärt einem früheren sächsischen Gauvorsteher, seine Stammesbrüder würden jetzt einem stärkeren Gott dienen, dem allmächtigen Gott der Christen, der keine anderen Götter neben sich duldet und die gläubigen Menschen vor deren Nachstellungen schützt. Bei der Weihe einer neu errichteten Kirche tauft Agrippa (Das Buch Glendalough) ein gerade geborenes Kind, küsst dessen Füße und sagt, der Herr frage jeden Menschen irgendwann, ob er in seinen Fußspuren gehen will. So wie die Menschen im neuen Gotteshaus vor Sturm geschützt seien, solle die Hand Gottes schützend über ihnen sein. In Wikingerblut predigt Ansgar, dass alle Menschen vor Gott gleich sind und frei sein werden, dass Gott sie schützt, keine Blutopfer fordert und sie keine anderen Götter mehr brauchen. Sein Nachfolger Gautbert (Wikingersilber) warnt die Menschen auf Snemuns Hof vor dem Unheil, dass sie durch die Hand des Teufels töten kann. Opfern würde nicht helfen. Gottes Sohn fordere keine Opfer, denn er habe sich selbst geopfert. Die Menschen sollten zu ihm beten und es werde ihnen wohlergehen. Einige Missionare betonen die Menschenfreundlichkeit Gottes und seinen Beistand für die Schwachen. In diesem Zusammenhang wird auch die Verehrung Marias thematisiert. Kazi (Die Träume der Libussa) hört Frederik staunend zu, der vom Einsatz Jesu für die Wehrlosen spricht; Gott liebe die Schwachen mehr als die Starken. Tschastawas Mutter, die lange Sklavin war, versteht, als Frederik ihr erklärt, dass Jesus Menschen ihrer Art als Erste im Himmelreich empfangen wird. Weil die Götter seines Volkes Vojen keinen Trost bieten, will Frederik ihm vom christlichen Gebot erzählen, seinen Nächsten zu lieben, das auch die Selbstliebe enthalte. Vater Egilschalk (Das Amulett der Seherin) ermutigt Ava bei ihrer Verhaftung, auf Gott zu vertrauen. Wenn sie unschuldig sei, werde Gott ihr beistehen – wenn er

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wirklich menschenfreundlich sei, auch ohne Taufe. Da Ava einen Mönch verschont habe, werde Gott sie in seinem Urteil verschonen. Egilschalk erklärt ihr, dass Gott keine Blutrache kennt, jedes Menschenopfer ablehnt und seinen einzigen Sohn für die Sühne aller Schuld auf Erden hingegeben hat. Finnian ist überzeugt, dass Gott alle Kinder liebt, auch die ungetauften, die nichts für ihre unwissenden heidnischen Eltern können. Er sagt Liebhild, dass ihr Kind schon bei Maria, der Himmelskönigin, ist, die als heilige Frau verehrt wird. Sie habe dasselbe durchgemacht wie Liebhild und mitansehen müssen, wie man ihren Sohn hinrichtete. Liebhild soll zu Maria beten, diese werde ihre Trauer lindern und sie erhören, weil sie sie liebe, auch ohne Opfergaben. Vor Gott, so erklärt Finnian, sind alle Menschen gleich viel wert. Sein Sohn Jesus habe sich am meisten um die gekümmert, die am niedrigsten stehen. Frederik (Die Träume der Libussa) berichtet Radegund, dass Gundolf falsche Dinge über den christlichen Glauben erzählt: Christliche Herrscher hätten das Recht, hohe Abgaben von ihren Untertanen zu verlangen, und sie als Sklaven zu verkaufen. Es höre sich an, als stünde Gott auf der Seite mächtiger Männer.

Einige Missionare entwerfen den Heiden ein detailliertes Bild des christlichen Gottes, das Schöpfung, Menschwerdung, Kreuzestod, Auferstehung und Gericht beinhaltet. Hathumar (Mord im Dom, 124) erklärt seiner Schwester, die noch Heidin ist, dass Gott der Schöpfer der Welt ist, die Menschen sieht und ihre Taten lenkt. Er, der für das Gute steht, habe aus Liebe zu den Menschen seinen Sohn gesandt, der ihnen die richtige Lehre verkündete. Aidan (Die Reise nach Byzanz, 269–275) sagt den Dänen, dass die Christen zu Gott, dem Schöpfer und Beherrscher von allem, aus Dankbarkeit beten, weil er sich um sie kümmert. Die anderen Götter seien bedeutungslos. Gott sei vor vielen Jahren aus seiner Halle herabgestiegen und als Säugling geboren worden. Als Mann voller Weisheit habe er viele Wunder gewirkt, und viele Menschen seien ihm gefolgt. Die Jarls und Skalden seines Landes, die ihn fürchteten, hätten ihn ergriffen und von den Römern für ihn die Todesstrafe gefordert. Seine Gefolgsleute, Fischer, waren geflohen. Gott hatte die Form eines Menschen angenommen und konnte nur das tun, was ein Mensch vermag. Aidan erzählt, dass Gott drei Tage nach seinem Tod ins Leben zurückgekehrt ist, nachdem er zuvor die Sklaven aus Hel befreit hat. Er sei ein Gott der Rechtschaffenheit, Liebe und Güte, und der Herr des Lebens. Laut Aidan zeigt Gott sich denen, die ihn voll Demut und Hingabe suchen. Im Himmel baut er eine riesige Halle für alle Menschen seines Glaubens, wo eine Hochzeitsfeier stattfinden wird, wenn Gott bald auf die Erde zurückkehrt, um sich eine Braut zu holen. Dann würden auch die Toten aus ihren Gräbern aufstehen und Gott werde Gericht halten. Die, die ihn verraten haben, würden nach Hel geschickt, und die ihm treu waren, dürften ewig in der

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Himmelshalle feiern und trinken. Aidan nennt seinen Gott Jesus oder Christus, was in der Sprache der Griechen Jarl bedeute. Tietgaud (Die Priestertochter) hält Svarozic für eine Erfindung der Priester, einen Götzen, der den Menschen nicht helfen kann. Er erklärt Alena und Uvelan, Gott sei nicht in Bäumen, sondern habe selbst den Wald und die Menschen erdacht und geschaffen. Gott sei stark, dennoch habe er seinen Sohn, der Mensch geworden war, um sterben zu können, für die Menschen in den Tod gegeben. Christus sei den Tod der Menschen – die Strafe, weil sie dem Gesetz nicht genügten – gestorben, und damit sei das Gesetz erfüllt, während die Menschen frei ausgehen und fortan ewig leben dürften. Gott, so Tietgaud, liebt die Menschen und tut alles für ihre Rettung. Christus, von den Menschen umgebracht, ist von Gott zu neuem Leben erweckt worden. Gott belohne gute und bestrafe schlechte Taten. Es genüge dem Allmächtigen nicht, dass ein Mensch seine Existenz akzeptiert, er erwarte völlige Unterwerfung, dulde keinen Stolz und keine anderen Götter. Wenn der Herr eines Tages auf diese Erde zurückkommt, wird er, so kündigt Tietgaud an, wählen, wer ihm treu war, und seine Nachfolger reich belohnen. Christus, der Nächstenliebe gelehrt habe, werde sich die Fehler der Menschen nicht mehr lange ansehen, und die Endlichkeit auflösen. Im von ihm aufgerichteten ewigen Reich werde es keinen Krieg, Krankheiten oder Tod mehr geben. Wenn Gott wieder unter den Menschen leben würde, werde eine neue Blüte des Lebens, eine gute Zeit sowie ewige Zufriedenheit, Neugier und Erkenntnis beginnen.

1.4.2 Christliche Lebensgestaltung Hinsichtlich einer christlichen Lebensführung werden in den Romanen wenige direkte Aussagen von Missionaren dargeboten. In Wikingerblut predigt Ansgar, dass man nur eine Frau haben darf, die Frau, mit der man sein Leben teilt. Die christliche Botschaft sei Wahrheit, Treue und Entsagung. Estrid (Wikingersilber) meint, Gautbert würde sich nicht damit begnügen, das Volk zum Christentum zu bekehren, sondern er wolle Birkas Frauen beibringen, christlich und sittsam zu leben. Sie sollen in ihrem Leben nur einen einzigen Mann haben, ihn heiraten und ihn in allen wichtigen Dingen zuerst befragen. Finnian (Das Amulett) macht deutlich, dass Selbstmord und Abtreibung für Christen zu den schlimmsten Sünden zählen. Der vergewaltigten, schwangeren Ava erklärt er, der wertvollste Schatz ihrer Göttin und seines Gottes seien die Menschen. Um diese solle Ava sich kümmern, sie werde noch gebraucht. Der Körper ihres Kindes sei durch eine schlimme Tat entstanden, aber seine Seele erhalte es allein von Gott. Ein himmlischer Schöpfer liebe es schon jetzt, und deshalb könne auch Ava es lieben.

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Den Aspekt der Caritas stellt Agrippa in einer Beispielgeschichte in Das Buch Glendalough heraus. Er erzählt Klia von Walburga, die wie sie eine gut versorgte Adelige war, aber einen inwendigen Hunger verspürte: Ein herbei geholter Geistlicher denkt, Gebete würden ausreichen, aber Walburga leidet weiter, bis ihr im Traum der Herr erscheint. Er rät ihr, den Hunger der Hungernden zu stillen, die Schmutzigen zu waschen und das Glück der Unglücklichen zu sein. Sie verlässt, in einfaches Leinen gekleidet, ihre warme Kammer, und wird eine Magd des Herrn. Jeder ihrer Tage ist voller Liebe zu den Menschen, sie wird Engel der Elenden genannt und der Hunger nach Sinn peinigt sie nicht mehr. Was ein christliches Leben ausmacht, wird innerhalb der Romane weniger über die Aussagen der Missionare deutlich als darüber, was weitere Christen oder Figuren, die gerade Christen geworden sind, sich merken oder an andere weitertragen. Uhtred z. B. (Uhtred-Saga) erklärt den Dänen Guthred und Erik, dass die Christen nur eine Frau haben dürfen und ein Mann nicht die Frau seines Nachbarn begehren soll. Gott, der die Menschen für ihre Sünden straft, sie auf die Probe stellt und Gebote erlässt, wirkt für die Dänen streng und lieblos. Sie haben den Eindruck, dass die Christen jedes Vergnügen ängstlich beargwöhnen. Wie Jarl Ragnar meint, verbringt König Alfred »die eine Hälfte seines Lebens mit Rammeln und die andere Hälfte damit, seinen Gott um Vergebung für seine Rammelei anzuflehen«. Ragnar fragt sich, »was ein Gott gegen einen guten Stoß einzuwenden haben könnte« (Das letzte Königreich, 88f.). Gibicho (Das Amulett der Seherin) findet, dass alles, was Spaß macht, im neuen Glauben verboten ist. Mit einer Frau darf man nur in der Ehe und nur an bestimmten Tagen schlafen; man darf nicht immer Fleisch essen, muss sonntags zur Kirche gehen und regelmäßig beichten. So etwas könnten sich nur Mönche ausdenken. Gibicho ist froh, dass es im christlichen Glauben keine Göttinnen gibt, denn so kann kein mächtiges weibliches Wesen Ava beistehen, als er sie vergewaltigt. Avas teuflische Macht zu brechen werde seinem neuen Gott gefallen. Roswitha ist froh, dass die Natur im christlichen Glauben leblos ist und man sie ausbeuten kann, statt ihr mit Demut begegnen zu müssen. Als Vorzug des christlichen Glaubens sieht Ava ein einfacheres Alltagsleben: nur ein Gott, eine Rune, zehn Gebote, die Feindesliebe, die Heiligung des Sonntags, der Besuch der Messe, die Beichte. An diese klaren Anweisungen könne man sich halten. Die Christen, so Ava, können sich auf ihren Gott verlassen, denn er liebt jeden Gläubigen und verzeiht in der Regel alle Sünden. Das Leben geht nach dem Tod weiter – im verlockenden Himmel oder in der Hölle. In Widukinds Wölfe erinnert Karl der Große Wolfhard daran, dass Jesus Christus, der Sohn Gottes, die Vergebung gepredigt hat, und die Menschen ihm darin folgen sollen. Für Wolfhard klingen die Worte vom Frieden zwischen Franken und Sachsen, aus denen einst ein neues Volk erwachsen wird, und vom

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wahren Glauben, der über die heidnischen Götter triumphiert, falsch und hohl. Er kritisiert, dass Karl gerade erst Gesetze erlassen hat, die die Sachsen versklaven: Jedem Mann droht der Tod, der die Gebote der fremden Priester wie die Fastenzeit missachtet, die Taufe verweigert, weiterhin dem Glauben seiner Väter folgt oder zu den Stammesthingen kommt. Mit diesen Vorschriften sind die Kapitularien für Sachsen angesprochen, die in mehreren Romanen vorkommen. Die Inhalte christlicher Lebensführung werden durch den Herrscher verkündet. Für Abweichungen drohen Strafen bis hin zum Tod. In den Romanen werden die Kapitularien auf Fürsprache von Figuren wie Gerswind oder Alkuin abgemildert. Am Schluss von Mord im Dom erklärt der Mönch Hathumar, der König habe die strenge Capitulatio de partibus Saxoniae abgeschafft und die Sachsen mit dem Capitulare Saxonicum anderen Völkern des Reiches gleichgestellt (129). Auf der letzten Seite von Widukinds Wölfe erinnert sich Wolfger, jetzt Graf von Minden, daran, dass der König die strengen Gesetze für das Sachsenland zurückgenommen hat, wofür er sich eingesetzt hatte (456). 1.4.3 Frauenbild In den Romanen kommen heidnische Frauen mit einflussreichen Positionen wie Seherin, Hohepriesterin oder Tochter eines Hohepriesters vor. Die Frauen können ihre Partner selbst aussuchen oder sogar ohne weiteres wechseln. Einige Missionare gehen dagegen an und verkünden, dass die Frauen anfällig für das Böse seien und im Christentum eine minderwertige Position einnehmen würden. Gautbert (Wikingersilber), der meint, dass die Frauen der Heiden zu viel Macht und Freiheiten haben, will diese beschränken bzw. die heidnischen Männer mit dieser Aussicht zum Christentum locken. Viele Männer wollten sich nicht mehr von ihren herrischen Frauen unterdrücken lassen; die Frauen seien froh, keine schweren Entscheidungen mehr treffen zu müssen und bei einem Gott Schutz zu finden. Eine getaufte Frau, die auf heidnische Weise lebt und ihren Körper verkauft, lässt Gautbert wegen Unzucht auspeitschen. Vojen (Die Träume der Libussa) erklärt in einer Versammlung, dass Schriftgelehrte Frauen allgemein verdammen. Die Christen hätten gewusst, dass durch ein Weib Unglück über die Menschen gekommen war, weil sie einen Mann überredet hatte, in einen Apfel zu beißen, der Wissen brachte. Seine Mutter Kazi hält er für eine böse Zauberin, die bei den Christen schon längst angeklagt und mundtot gemacht worden wäre. Später ist Vojen entsetzt, weil Gundolf nicht angekündigt hatte, Kazi umzubringen, sondern die christliche Sitte der Männerherrschaft einführen wollte. Durch Gundolfs Unterricht hatte Vojen erkannt, dass Frauen in kaum einem anderen Volk als gleichwertig betrachtet werden. Lidomir meint, Gundolf habe sich wohl auf wenige Auszüge aus den Schriften beschränkt, in denen es ausschließlich um die Minderwertigkeit der Frau gegangen sei. Im Roman Das

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Amulett der Seherin meint Egbert, der Teufel bediene sich häufig der Frauen. Die erste Frau habe den ersten Mann zur Sünde verführt und damit die besondere Anfälligkeit ihrer Seele für das Böse bewiesen. Egbert meint beim Anblick Avas, Satan sei wieder auferstanden. Er glaubt, Ava habe Finnian mit einem Liebestrank gefügig gemacht. Für eine Heidin könne es keinen größeren Triumph geben als einen frommen Mann zur Todsünde zu verführen und allen Ungläubigen seine Glaubensschwäche zu zeigen. Da es keine heidnischen Götter gebe, könne nur der Teufel selbst Ava, dieser »Schlange« (122), ihre übermenschliche Stärke verliehen haben. Der britonische Mönch Asser (Der weiße Reiter), schmächtig, klug und heimtückisch, soll die Könige in Cornwalum davon abhalten, die Dänen zu unterstützen, und die Dänen missionieren. Er steigt zum Liebling von König Alfred auf und will Uhtred zur Strecke bringen. Asser bezichtigt Uhtred verschiedener Verbrechen und hält dessen Geliebte Iseult, die britonische Schattenkönigin, die sich schließlich taufen lässt, für eine Hexe, Zauberin und ein Werkzeug des Teufels. Pater Pyrlig erklärt Uthred, dass Mönche nicht heiraten, aber manche, so wie Bruder Asser, Angst vor Frauen hätten, und ihre Macht hassen würden. Karlmann (Die Königsmacherin) erinnert sich, dass Bonifatius mit vielen Frauen korrespondiert und viel dafür getan hat, ihnen den Weg des Herrn zu weisen. Von seiner Cousine Lioba spricht Bonifatius mit größter Hochachtung und einem leisen Bedauern, »dass ein solch begnadetes Geschöpf nur ein Weib war« (114).

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Abwehr und Annahme des Christentums: Misserfolg und Erfolg der Missionierung

Wie reagieren die Heiden in den Romanen auf die Missionare/deren Botschaft? Welchen Erfolg haben die Missionare? Sind die meisten Heiden offen oder abwehrend? Viele Heiden sind zunächst einmal skeptisch. Häufig können sie nicht nachvollziehen, was die Missionare ihnen über den christlichen Gott berichten. Zahlreiche Heiden wollen sich nicht bekehren und erobern lassen, weshalb sie zu Waffen und Argumenten greifen. Zunächst hoffen viele Heiden, dass ihre Götter siegen oder sich rächen werden. Einige beginnen aber bald an ihren Göttern und deren Macht zu zweifeln. Die Herrscherin Libussa muss einsehen, dass der Kampf gegen die Christen nicht mehr zu gewinnen ist. Menschen wie Alena und Uvelan zeigen ein grundsätzliches Interesse am Christentum. Sehr viele Heiden werden gezwungen, Christen zu werden. Einige entscheiden sich freiwillig dafür, weil sie sich ein besseres Leben versprechen oder ihr Leben retten wollen, weil sie die Hilfe Gottes erfahren haben oder weil die Missionare sie durch ihre Taten und Predigten von der Stärke des christlichen Gottes überzeugt haben. Konkrete Schritte in ein christliches Leben spielen keine größere Rolle, lediglich die Taufe

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selbst wird häufig beschrieben. Die Diskussion, ob ein Zwang zur Taufe legitim und eine vorherige Unterweisung notwendig ist, kommt am Rande vor. 1.5.1 Was denken die Heiden über die Missionare/die Christen? Viele der heidnischen Romanfiguren, vor allem die Sachsen, denken kritisch über die Missionare und grundsätzlich über die Christen, denen sie begegnen oder von denen sie gehört haben. Mit den Christen und ihrem Gott assoziieren sie Verbissenheit in Glaubensangelegenheiten und Brutalität. Dies prägt auch ihr Vorgehen gegenüber den Missionaren. So meint Ava in Das Amulett der Seherin, weil die Christen jeden Anhänger des sächsischen Glaubens als Mensch niederen Ranges ansehen, würden sie es als rechtmäßig empfinden, die Heiden zu versklaven und zu töten. Die Sitten und Gebräuche ihrer heidnischen Nachbarn seien den Franken schwer verständlich und deshalb unheimlich. In Avas Heimat erzählt man sich, dass die Mönche der Landbevölkerung die Haare vom Kopf fressen, ohne Amulette, Zaubertränke, Wahrsagerei oder Geburtshilfe als Gegenleistung zu geben. Die Mönche würden schöne Bücher anfertigen, die außer ihnen niemand benötigt (70). Ava meint, nur die Franken könnten so dumm sein, an Reliquien zu glauben. Wahrscheinlich sei nicht einmal die Hälfte der angeblichen Überbleibsel der Heiligen echt. Schweineknochen könnten keine Wunder bewirken. Ava schränkt ein, dass nicht alle Christen und Franken ihre Feinde seien. Den Krieg führe der König und nicht das Volk. Widukind meint ebenfalls, nicht die Christen seien ihre Feinde, sondern die Franken und Sachsen, die zu Karl halten. Finnian etwa habe gehandelt wie ein sächsischer Held. Wie es im Roman Widukinds Wölfe heißt, haben die Sachsen den Eindruck, dass sie hungern müssen, damit sich fränkische Krieger und Priester die Bäuche vollschlagen können. Sie empfinden, dass die Glocken an der Sandfurt das Lied des fremden Gottes läuten, welcher den Menschen Liebe predigt, ihnen aber durch die Eisen der Krieger Leid und Tod gebracht hat. Die bereits getaufte Gerhild weiß, dass von einem Priester des »barmherzigen Christengottes« kein Mitleid und keine Hilfe zu erwarten ist. Als die Franken die Hütten des Dorfes bei Saxnots Schwert anzünden, meint Heidrun, die Franken sollten gleich die ganze Welt in Brand stecken. Ihr Christengott werde erst zufrieden sein, wenn sein Feuer den letzten Flecken Erde verbrannt und sein Schwert den letzten Leib durchbohrt habe. Mehrfach wird dort von Karl dem Großen als »Sachsenschlächter« gesprochen (z. B. 34). Der Behaime Krok (Die Träume der Libussa) hat den Eindruck, dass die Christen gegen die Anhänger eines anderen Glaubens eifern. Die Franken würden als Anhänger des Gekreuzigten nur ihren einen Gott dulden.

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1.5.2 Mangelndes Verständnis für christliche Glaubensinhalte Selbst wenn sich die Missionare Mühe geben, den Heiden christliche Glaubensinhalte zu vermitteln, zeigt sich bei diesen viel Un- und Missverstehen, vor allem in Bezug auf Themen wie Trinität, Kreuzigung und Auferstehung Jesu. Als Agrippa (Das Buch Haithabu, 286) Jarl Rangar erklärt, Gott sei nur einer, entgegnet dieser, ein irischer Mönch habe gepredigt, er sei dreifach. Auf Agrippas Einwand, es heiße dreieinig, stellt sich Rangar das wie Odin, Hel und Freya vor. Rangar glaubt nicht, dass Götter durch Bücher sprechen. Er denkt, dass Agrippa ihn überzeugen will, anstelle von rohem Fleisch Manna zu essen, das vom Himmel regnet. Der Dänenkönig Harald Klak erklärt in Die Welfenkaiserin, der Sohn des Christengottes habe drei Väter: Gott, den menschlichen Ehemann der Mutter, und den Unsichtbaren, der die Mutter geschwängert hat. In Das letzte Königreich heißt es, dass die Religion der Christen die Dänen fasziniert und zugleich abstößt (54). Der dänische Graf Ragnar findet eine Religion verrückt, die nur einen Gott verehrt. Dass dieser Gott dreigeteilt ist, wie er von Uhtred hört, hält er für einen guten, aber unnützen Trick. Er fragt sich, ob die Mutter des dreigeteilten Gottes – Maria, wie er erfährt – ihr Kind in drei Teilen zur Welt gebracht hat (105). Die Franken verehren, so Krok (Die Träume der Libussa, 8f.), die Mutter ihres Gottessohnes, aus der sie eine Jungfrau gemacht haben. Die Christen würden regelmäßig den Leichnam ihres Gottes verspeisen. In Das Amulett der Seherin macht Walram sich lustig, weil Finnian nach den richtigen Worten suchen muss: Wie dieser beklagt, gibt es im Sächsischen keine Ausdrücke für Erbsünde oder Dreifaltigkeit, weil die heidnische Weltsicht ganz anders ist (167). In vielen Romanen wird die Kreuzigung mit der Schwäche des christlichen Gottes assoziiert: Gibicho (Das Amulett der Seherin) findet einen Gott, der sich demütigen und hinrichten ließ, erbärmlich. »Mit dem Jammerlappen von Jesus hatte er einen schlechten Tausch gemacht« (142). In Die Päpstin vermittelt Johannas Mutter ihrer Tochter, dass die heidnischen Götter schrecklicher, stärker und schöner sind als der sanfte, zerbrochene und besiegte Märtyrer-Gott der Christen. Die Dänen in der Uhtred-Saga betrachten das Christentum als sanfte Religion mit einem sauertöpfischen, ans Kreuz genagelten, den anderen Göttern unterlegenen Gott, der armselig ist, seinem Volk nicht hilft und ihnen leid tut, weil er keine Frau hat. Die Heiden in Das Buch Haithabu, 328, finden, einem Gott, der nicht einmal seinen eigenen Sohn schützen könne, könne man sich nicht anvertrauen. Als Agrippa ihnen von der Rettung Jonathans (sic!) aus dem Bauch des Wals erzählt, meinen sie, ein Mann sei in einem Wal so tot wie in einem Wolfsrachen. Ein Gott, der solche Geschichten über sich erzählen lasse, wisse, was die Menschen erheitere. Wie es in Das Buch Glendalough, 44, heißt, haben die Wikinger keine Schwierigkeiten mit der frohen Botschaft, dass Jesus seinen

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Kreuzestod überwand. Sie geben ihren verstorbenen Häuptlingen auch verschiedene Geräte mit auf die Reise in eine bessere, fernere Welt. Die Lehre von der wahrhaft christlichen Auferstehung würden sie aber, so Agrippa, nicht begreifen. Alena (Die Priestertochter) versteht nicht, wie ein Göttersohn sterben will oder muss. Uvelan fragt Tietgaud, auf welche Weise das heilige Zeichen der Christen Rettung bringt, ob es ein Schutzzauber ist und ob ein starker Geist in seinem Inneren wohnt. Er vermutet, dass es eine Erinnerung daran ist, dem über die Tötung seines Sohnes zornigen Gott zu opfern, um ihn zu besänftigen. Als Tietgaud Uvelan erklärt, dass Christus von Gott zu neuem Leben erweckt wurde, fragt Uvlean, ob dieser ein Wiedergänger ist, dessen Geist keine Ruhe gefunden hat. Im Roman Die Reise nach Byzanz überlegen die Dänen im Gespräch mit Aidan, ob es nicht Zeitverschwendung ist, Götter zu verehren, und bei welchen sich diese Verehrung am ehesten lohnt. Sie fragen ihn, ob irgendjemand diesen Gott, von dem er erzählt, schon gesehen habe. Die Geschichte der Wandlung von Wasser in Bier auf der Hochzeit gefällt ihnen. Einige Dänen wundern sich, dass Gottes Gefolgsleute nicht die Waffen ergriffen haben und Gott seine Hinrichtung nicht verhindert hat. Gunnar bewundert Gottes Tapferkeit während der Geißelung und Rägnar erinnert angesichts der Kreuzigung daran, dass sich auch Odin geopfert hat, indem er neun Tage und Nächte am Weltenbaum hing und die Raben und Eulen sein Fleisch fraßen. Ein Däne fragt, wo Gott denn jetzt, nach seiner Auferstehung, steckt. Manche sind noch skeptisch gegenüber einem Gott, an den sich Fischer und Schweinehirten wenden, und wollen nicht zum gleichen Gott beten wie ihre Sklaven, aber Rägnar bewundert, wie gut Aidan für seinen Gott spricht (268–275). 1.5.3 Kampf gegen die Christen In vielen Romanen wird erzählt, wie heidnische Männer und einige Frauen auf unterschiedliche Weise die Franken und Christen bekämpfen. Einige tun dies handgreiflich, andere mit Argumenten oder Sabotageakten. Als erstes sticht der geschilderte bewaffnete Kampf vor allem der Sachsen, einschließlich des Versuchs, Karl den Großen zu töten, ins Auge. Der Sachsenherzog Widukind führt über lange Zeit den Kampf gegen die Franken an, lässt sich aber schließlich taufen. In Das Amulett der Seherin wird der sächsische Gaufürst Walram nach der fränkischen Eroberung der Eresburg Freiheitskämpfer an der Seite Widukinds. In Widukinds Wölfe benennt sich eine Gruppe sächsischer Aufständischer, der sich auch Wolfger anschließt, nach ihrem Herzog. Wolfgers Vater hatte bereits die Taufe verweigert und zwei Priester dabei in die Weser gestoßen. Deren sächsischer Vater versucht, Karl zu töten, denn man habe ihm die Söhne geraubt, und Schuld seien der Christengott und sein König.

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Eine Verwandte Widukinds namens Gerswind spielt in zwei Romanen eine Rolle: In Die Beutefrau wird Widukinds Tochter Gerswind nach dessen Taufe durch den Griechen Teles über die alten Götter unterrichtet, damit sie an ihrem Glauben festhält. Das von den Franken als Geisel genommene und am Hof erzogene Mädchen setzt sich später als Geliebte Karls für ihr Volk ein. Im Roman Die Abbatissa hält Widukinds Nichte Gerswind trotz der Bemühungen, sie als Geisel in einem Kloster christlich zu erziehen, kämpferisch an den alten Göttern, an Zauberei und heidnischen Orakeln fest und versucht sogar, Karl zu töten. Als Geliebte Karls tötet sie später ihre gemeinsamen Kinder und zählt die Jahre, bis sie endlich Widukinds Sohn heiraten kann. Thorbald (Mord im Dom), im Kindesalter von fränkischen Soldaten als Geisel aus Sachsen verschleppt, sammelt sächsische Kämpfer, um einen Krieg gegen die Franken zu beginnen. Er will den König töten und hat, um diesen zu quälen, bereits ihm nahe stehende Menschen getötet, die für Vergehen an den Sachsen verantwortlich waren. Von einer wechselseitigen gewaltsamen Auseinandersetzung erzählt die Uhtred-Saga: Die Dänen zerstören Klöster in Northumbrien, weil sie Gebete, Besinnung und Bildung für nutzlos halten, und glauben, dass die Mönche und Nonnen finstere Riten zur Aufhetzung des Volkes gegen die Dänen pflegen. Sie halten die Christenpriester für Hexer. Die Dänen rauben die vergrabenen Schätze der Klöster und töten die Mönche, so auch den alten Abt Egfrith von Lindisfarena, der die friedlichen Absichten der Gemeinschaft und die Gastfreundschaft, die Sorge für Arme und Kranke und den Gottesdienst als ihre Aufgaben betont hatte. Mönche des Klosters Gyruum haben allerdings auch mehrere Dänen getötet, die den Klosterschatz zu sehen verlangten. Anschließend überfielen sie eine dänische Siedlung, folterten und töteten viele Männer, während Frauen und Kinder unter dem Beifall von Nonnen vergewaltigt und gegen ihren Willen getauft wurden. Sie entschuldigten das mit einem heiligen Krieg, andere Männer und Mönche schlossen sich ihnen an.

Einige Männer kämpfen nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Argumenten gegen die Christen. Walram (Das Amulett der Seherin) sucht nach Beispielen für die Schlechtigkeit der Christen, auf die er seine Gefährtin Liebhild hinweisen kann, und will ihr untersagen, sich taufen zu lassen. Er betont den Gegensatz zwischen den reichen Geistlichen und den armen Bauern, die der Kirchenzehnte drückt. Um diesen aus den Menschen herauszuquetschen, würden die Priester, Äbte und Bischöfe ihnen einen vermeintlichen Platz im Himmel versprechen. Das werde vom König gebilligt. Walram hat das Gefühl, nur Tote und Ungeborene könnten vor den Augen des Christengottes bestehen. In den Messen verstehe niemand die Worte des Priesters. Gewöhnliche Sterbliche könnten es nicht auseinander halten, dass manche Stellen der Bibel nicht wörtlich gemeint seien. Ava wundert sich, dass alles aufgeschrieben ist trotz der Gefahr, dass man sich zu sehr an den Wortlaut klammert, wenn er einmal von der Wirklichkeit überholt wird. Als Ava nach dem Gottesurteil glaubt, der christliche Gott habe ihr bei-

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gestanden, entgegnet Walram, dass es diesen nicht gibt. Die Götter und Avas Glaube an ihre Unschuld hätten sie gerettet. Walram findet eine natürliche Erklärung: Weil Ava sich ihrer Sache sicher war, sei sie zügig über die Kohlen geschritten, ihre vom Morgentau feuchten Füße seien nicht lange genug mit der schwachen Glut in Berührung gekommen, um zu verbrennen. Er meint, der christliche Glaube verblöde seine Anhänger, und die christliche Lehre von der Nächstenliebe tauge nichts. Zuletzt ist Walram immer noch ablehnend, will aber duldsamer sein. Der unterschiedliche Glaube soll nicht mehr für Zwist zwischen Liebhild und ihm sorgen, die Gemeinsamkeiten des Herzens würden viel mehr wiegen. Der Behaime Premysl (Die Träume der Libussa) befürchtet, dass der Siegeszug des Christengottes nicht aufzuhalten ist. Seit Verden verabscheut er alle Franken und Christen. Er treibt seine christliche Schwiegertochter in die Enge, indem er sie z. B. fragt, warum die Christen die Juden, die den gleichen Gott wie sie anbeten, feindselig behandeln. Kazi versteht nicht, warum die gestraft werden, die den Gottessohn opferten, wenn er dieses Opfer freiwillig brachte. Premysl findet eine Religion seltsam, die nur Schriftgelehrte verstehen können: »Wie wollt ihr euch sicher sein, dass sie euch nicht einfach erzählen, was ihnen gerade in den Kram passt?« (361). Der Christengott erscheint ihm so eifersüchtig wie die christlichen Ehemänner. Premysl überlegt, warum es unter den Franken und Christen nicht auch vertrauenswürdige Menschen geben sollte; der aufgeschlossene und gesellige Missionar Frederik sei kein schlechter Kerl. Als Vojen von dem Weib erzählt, das einen Mann überredete, in einen Wissen bringenden Apfel zu beißen, und so Unglück über die Menschen brachte, fragt Premysl, warum es schlecht sein sollte, Wissen zu gewinnen, ob der Christengott etwa nur dumme Geschöpfe wolle. Zudem habe niemand diesen Mann gezwungen, in den Apfel zu beißen. Die »Methode« der Wikinger Erik, Snemun und Estrid (Wikingerblut) im Kampf gegen die christlichen Missionare besteht darin, sie zu sabotieren und lächerlich zu machen. Erik versteht nicht, warum jemand Menschen bekehren will, die glücklich mit ihrem Glauben sind. Die zahlreichen Sünden, die auf Ansgars Gewissen lasten, vermutet er als Grund für dessen Predigten. Erik und Snemun wollen erreichen, dass die Menschen Ansgar misstrauen. Sie sorgen dafür, dass eine Schafherde Ansgar bei einer Predigt zu Fall bringt und dass das Öl für die Salbung bei Hergeirs Taufe grässlich stinkt und Hergeir in das Wasserloch stürzt. Die Plünderung von Eriks Schiff trotz Ansgars Gebeten belege, dass der neue Gott nicht stärker sei als ihre eigenen Götter. Estrid mag den neuen verurteilenden, anspruchsvollen Gott und die unnachgiebige Lehre nicht. Sie fragt sich, wie dieser Gott die Menschen, die ihren Göttern opfern und reich sind, entlohnen soll, und was sie von Frieden im Himmel haben. Ansgar würde die Menschen verführen und nicht ihr Wohl anstreben, sondern eine Machtposition

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in seiner Kirche (217f.). Den König der Svear stört die Unduldsamkeit der Christen. Er möchte, dass beide Glaubensrichtungen nebeneinander leben können. Die Christen können nicht durchsetzen, dass ihre Gemeinde anerkannt wird; sie dürfen nur frei predigen. Ansgar stößt zuletzt auf viel Widerstand, wird bedroht und aufgefordert, zu gehen. Er habe Irrlehren gepredigt und Zwietracht gesät. Ansgar soll Erzbischof in einem neuen Stift nördlich der Elbe werden und alle Völker im Norden führen. Er meint, dass der neue Glaube mit friedlichen Mitteln durchgesetzt werden soll, und will dafür sorgen, dass nicht Hergeir seine Rolle übernimmt, sondern ein Missionar aus dem Frankenreich geschickt wird. In Wikingersilber dichten Erik und Snemun Spottverse auf die neuen Missionare Gautbert und Nithard. Bei ihrem Besuch schiebt Snemun ihnen Pferdefleisch vom Herbstopfer unter. Estrid findet es schlimm, wenn der neue Glauben Familien spaltet, und will verhindern, dass die Kirche die Männer auf ihre Seite zieht. Sie beichtet Gautbert in verführerischem Tonfall, welche Freude ihr das Sündigen bereitet. Die heidnischen Götter würden es gern sehen, wenn Frauen in Lust und Spaß leben. Sie will wie eine freie Frau leben und nie mehr zur Beichte kommen. Auf Gautberts Bitte, von ihren Träumen zu erzählen, sagt sie, sie habe Lust auf einen Bischof, und rennt lachend aus der Kirche. Weitere Frauen bekennen Gautbert ihre erfundenen Sünden. Wenn er Gebete als Mittel zur Buße und Läuterung verordnet, verkünden sie lautstark, zum Asenglauben zurückzukehren. Sie fragen nach seinen eigenen Erfahrungen mit Bettgeschichten, und ob er überhaupt an Frauen interessiert ist (152–157). Estrid und ihre Freundin sorgen dafür, dass die Glocke im Kirchturm nicht läuten kann. Ein Pferderennen zwischen Heiden und Christen wird von beiden Seiten manipuliert, die Heiden gewinnen schließlich. Als die Christen sämtliche Götterstatuen zerstören, fesseln die wütenden Heiden Gautbert und Nithard und plündern den Bischofshof. Ein Mann tötet Nithard, Gautbert wird vertrieben und die Kirche verwüstet. Die Christengemeinde hält sich in Zukunft im Hintergrund. Agrippa (Das Buch Haithabu, 342) erlebt die Auflehnung der Vertreter der alten Religion gegen ihn: Asa, der Seher und Zauberer von Haithabu, verkündet, die Stadt werde abbrennen, wenn Agrippa nicht vertrieben oder getötet würde. Als wenig später einige Hütten brennen, kommt heraus, dass Asa den Brand gelegt hat. Asas Nachfolger Björn fordert Agrippa bei einem Besuch des Dänenkönigs zu einer Trinkwette heraus, indem er sagt, Agrippas wundermächtiger Gott werde diesen schon schützen.

1.5.4 Interesse für den christlichen Glauben In Bezug auf den Widerstand gegen das Christentum zeigt sich bei einigen Romanfiguren eine Resignation bis hin zur Einsicht in den unaufhaltsamen Sieg der Christen, bei anderen entwickelt sich langsam sogar ein Interesse für die christliche Botschaft.

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Im Roman Die Träume der Libussa wird Libussa, die Hohepriesterin der Behaimen, letztlich nicht selbst Christin, muss aber erkennen, dass den Christen die Zukunft gehört. Sie kann versöhnt auf den Tod zugehen, weil ihr die Vision einer guten Zukunft ihres Volkes zuteil wird und sie erkennt, dass die Frauen dabei eine wichtige Rolle spielen werden. Hierbei handelt es sich aber mehr um ein Einsehen auf Libussas Seite als um einen Erfolg der Missionare. Libussa hatte immer an ihren Göttern festgehalten und sich für ihr Volk eingesetzt. Als die Franken ihren Sohn Lidomir als Geisel verlangten, ging sie noch einmal mit ihm zum Schrein der Göttin und ließ ihn einen Eid schwören, sich nicht taufen zu lassen. Weil Lidomir Vater Anselm, der ihm viel Gutes getan hat, nicht bloßstellen will, lässt er sich im Frankenreich schließlich doch taufen und besucht mit ihm Messen. Er selbst will aber kein Geistlicher werden. Im Herzen verehrt er weiter die Götter seiner Mutter. Zu Lidomirs fränkischer Ehefrau Radegund, die er bei der Rückkehr in seine Heimat mitbringt, ist Libussa freundlich und gibt deren Wunsch nach, Missionare ins Land zu holen. Libussas Nichte Vlasta kritisiert das. Als Frederik Gundolfs Plan verrät, Libussa abzusetzen, dankt Libussa ihm; vielleicht seien doch nicht alle Christen ihre Feinde. Libussa ahnt schließlich, dass die Zukunft den Männern und den Christen gehört, und zieht sich zurück. Ihre Nichte Vlasta hat Angst, dass es den Frauen, wenn nur noch Männer das Sagen haben, wie den Christinnen ergehen wird. Libussa ernennt Vlasta zur Hohepriesterin und schaut in die Zukunft: Das von ihr gegründete Prag ist eine prächtige große Stadt geworden. Sie meint, wenn Christen solche Schönheit schaffen können, sei nicht alles, was sie tun, schlecht; sie würden beim Beten nicht anders aussehen als die Anhänger des alten Glaubens, scheinen aber vor diesem Angst zu haben. An der Stelle des von ihr erbauten Schreins entdeckt Libussa eine christliche Kirche. Diese ist zumindest der Mutter des Gottessohnes geweiht, und die Frau des Fürsten, der ein Nachkomme Radegunds zu sein scheint, hat ihren Bau veranlasst. Frauen sind also in der Welt der Christen doch nicht ohne Einfluss. Der Fürst, der die Botschaft des Heils zu seinem Volk gebracht hat, bedankt sich in der Vision bei seiner Gefährtin, die ihm den rechten Weg gezeigt hat. Libussa denkt daraufhin, dass es Radegund vielleicht vorbestimmt war, zum Volk der Behaimen zu kommen. Der Mönch Tietgaud (Die Priestertochter) ist mit seiner Mission letztlich sehr erfolgreich: Er selbst stirbt zwar, hat aber durch die Gespräche mit Uvelan und Alena etwas bewirkt, das über seinen Tod hinaus andauert. Hier stellt sich die Frage, was Christ werden oder sein überhaupt heißt: an Gott zu glauben, sich taufen zu lassen, oder ein christliches Leben zu führen? Alena und Uvelan sind nicht getauft. Trotzdem gibt Uvelan ein starkes Zeugnis für den christlichen Gott, und Alena trägt seine und Tietgauds Botschaft weiter, nach der die Menschen fragen. Im Roman wird einmal mehr in großer Deutlichkeit die Frage nach dem

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stärkeren Gott diskutiert. Ist es Svarozic, Svarogh oder der christliche Gott? Diesen erkennt Uvelan zwar als Allmächtigen, aber wohl nicht als Einzigen an. Der redarische Priester Uvelan will Tietgaud eigentlich die Macht Svaroghs erklären, aber der fremde Gott, von dem Tietgaud erzählt, erregt ihn. Der Bericht des Mönchs vom Göttersohn, der stirbt, klingt so unmöglich, dass er keine Lüge sein kann. Uvelan findet Tietgauds Glauben beachtlich. Den unermesslich kostbaren Schatz, den Tietgaud hütet, will er finden und an sich reißen. Uvelan ahnt, dass es den Christengott gibt, meint aber, er könne den Gott seiner Väter nicht verlassen, dessen Bote er ist. Tietgaud bittet Gott, Uvelans Herz zu erobern, und schenkt ihm vor seinem Tod in Freundschaft sein Kreuz. Uvelan fragt sich, ob es auch ihm Rettung bringt, und bittet den christlichen Gott um den Erweis seiner Macht, indem er ihn zum Volk sprechen lässt. Als er begreift, dass der Hohepriester Nevopor auch seinen Tod vorbereitet, merkt er, wie die fremde Macht zu wirken beginnt. Uvelan erklärt dem Volk, dass der Gott der Franken Svarogh überlegen ist, denn er hat Tietgaud sprechen lassen. Der Allmächtige, der die größte Kraft sei, habe ihm in seiner Gnade gestattet, vor seinem Tod noch zu erkennen, wer die Geister regiert. Der höchste Gott sei nicht in den Bäumen oder im Tempel, sondern im Volk. Svarogh, der das Feld und die Familie bewahre, und Christus, der gekommen sei, um zu retten statt zu töten, seien Götter, denen Ehre gebühre. Bevor der Allmächtige zum Geist geworden sei, habe er seinen Nachfolgern seine Rückkehr versprochen, um ein neues Reich ohne Schwert, Hunger und Kälte aufzurichten. Zusammen mit Tietgaud werde er den Anbruch der Ewigkeit feiern. Uvelan ruft die Menschen auf, sich von Svarozic, dem Blutigen, abzuwenden, und dem Allmächtigen, dem Gott des Friedens, zu dienen. Wer sich der Wahrheit stelle, könne nicht wirklich scheitern. Er sei dafür bestraft worden, dass er die Gebote seines eigenen Gottes mit Nevopors Ehefrau gebrochen habe. Weil er nicht die ganze Schuld tragen konnte, habe der Gottessohn mit seinem Leben den Rest ausgelöst. Dies sei die Bedeutung des Zauberzeichens (d. h., des Kreuzes). Alena, die Tochter Nevopors, stand dem christlichen Glauben zunächst sehr ablehnend gegenüber. Sie wollte verhindern, dass Tietgaud seine »verqueren Gedanken« in Rethra vorträgt, und das »fremde Göttergift« (230) in ihre Ohren gießt. Für sie schien der Glaube der Christen einzig darauf ausgerichtet zu sein, alles durcheinander zu bringen. Während des Kampfes um Rethra erklärt sie, die auserwählt worden war, ein Menschenopfer für Svarozic zu fangen, sie habe unterwegs gelernt, zu lieben, und statt nach Blut nach gegenseitiger Achtung zu dürsten. Die Kraft der Liebe sei stärker, das kalte Rethra werde noch heute fallen. Als Alena die Feldzeichen der Stämme aus dem Tempel holen lässt, erklärt Uvelan, Svarogh und der Christengott seien tausendmal stärker als alles in diesem Tempel. Der schwer verletzte Uvelan stirbt auf seinen Wunsch im heiligen Hain, wo Alena Tietgauds Kreuz in die Zweige der Eichen hängen muss. Schließlich

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trägt sie das Kreuz und schlichtet im neuen Hain Streit, die Menschen stellen ihr Fragen und bitten sie um Rat und Hilfe. Als der Franke Brun sich für ihre Unterstützung bedankt, meint sie, er habe sie reichlich entlohnt, indem er ihr vieles über den Christengott erzählt habe. Die Menschen wollen immer noch davon hören, sie haben Tietgauds und Uvelans Tod nicht vergessen. Indifferent bleibt Jorrun (Wikingerblut, 212) aus Birka: Sie meint, dass die neue Lehre nicht besser oder schlechter ist als die alte. Heiden und Christen würden sich schlagen und auf ihren Heerzügen brandschatzen, der Unterschied sei nur, dass die Christen das mit ihrem Glauben rechtfertigen. Ihr hat keine höhere Macht helfen können, sie muss sich auf sich selbst verlassen.228

1.5.5 Freiwillige Entscheidung für die Taufe Während zum einen zahlreiche erzwungene Taufen in den Romanen beschrieben werden (s. o.), werden zum anderen auch einige freiwillige Entscheidungen dafür erzählt. Unterschiedliche Motive für die Taufe spielen eine Rolle. Ein erstes, ganz praktisches, Motiv ist die Hoffnung auf Verbesserung der Lebensumstände und wirtschaftliche Vorteile: Mehrfach wird geschildert, dass sich besonders Sklaven und Kaufleute taufen lassen (z. B. Das Amulett der Seherin, Wikingersilber). In Das Buch Haithabu, 329, heißt es, die Taufe sei in Haithabu beliebt, weil jeder Getaufte ein Leinenhemd und einen Scheffel Dinkel erhält. Die Seewölfe im Roman In geheimer Mission für den Kaiser wollen nach ihrer Taufe wissen, ob sie jetzt unbesiegbar und bei ihren Geschäften vom Glück gesegnet sind. Ein stärkeres Motiv sind die bereits erfahrene konkrete Hilfe oder Heilung durch Gott, sein Beistand und seine Nähe: Ava (Das Amulett der Seherin) lässt sich nach dem bestandenen Gottesurteil taufen. Dass der Christengott ihr beigestanden habe, beweise, dass er jeden Menschen liebe, auch die Ungläubigen. Da es dem kranken Walram nach der Berührung mit einer Reliquie besser geht, hält Bero Finnians Gott für mächtig und stark und seinen Glauben für brauchbar. In Wikingersilber meint Snemuns Frau, nach einer Missernte könnten sie die Hilfe mehrerer Götter gebrauchen. Vielleicht sei der Asenglaube nicht der einzig mögliche. Als ihr die eigenen Götter, die Seherin und Kräuter bei einer schweren Krankheit nicht helfen können, wendet sie sich dem Heiligen Geist zu und empfängt die Taufe. Bei ihrer Genesung ist sie überzeugt, dass der neue Gott ihre Gebete erhört und ihr geholfen hat. Nachdem Agrippa (Das Buch Glendalough) 228 Einen Vergleich mit ähnlichem Ergebnis stellt auch Radegund (Die Träume der Libussa) an. Sie bemerkt, dass Libussa beim Darbringen der Opfergaben von Seligkeit erfüllt ist, so wie die überzeugten Nonnen während ihrer Gebete. Radegund selbst bleibt gleichmütig. Die Götter haben nie zu ihr gesprochen, und sie hat ihre Botschaft bislang nicht vermisst. Sie hat vor einem Gott am Kreuz gekniet und sieht nun, wie Statuen angebetet werden.

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Jarl Baldur von einem Hautausschlag geheilt und seine bereits heimlich getaufte Frau Klia ihm gedroht hat, ihr nächstes Kind werde christlich empfangen oder gar nicht, lässt auch er sich taufen und mit ihm viele aus seiner Sippe. Gunnar (Die Reise nach Byzanz) staunt, dass man den Herrn Jesus Christus selbst in Byzanz verehrt und sein Zeichen, das Kreuz, überall ist. Er erkennt, dass alles, was Aidan erzählt hat, wahr ist. Es gefällt ihm, dass Gott stets bereit ist, denen zu helfen, die ihn in der Not anrufen. Den Gewinn einer Wette erklärt er damit, dass er eine Kerze für den Herrn Jesus angezündet und zu ihm gebetet hat (In geheimer Mission für den Kaiser). Als Gunnar und ihm der Tod droht, bittet Aidan aus Gewohnheit Gott, er möge sich seiner erbarmen – ohne zu glauben, dass Gott darauf reagiert. Gunnar hält es aber für gut, dass Aidan zu seinem Gott betet, weil nur Christus ihnen jetzt noch helfen könnte. Er verspricht, Jesus auch anzubeten, wenn er sie diesmal rettet. Als das Morden bald darauf aufhört, bemerkt Gunnar, dass Christus schnell arbeitet. Besonders wichtig ist das Motiv des stärkeren Gottes, dem sich die Menschen zuwenden: Seit Bonifatius (Das Amulett der Seherin) die Donareiche fällte, fragten sich viele Menschen, wie Donar diesen Frevel zulassen konnte, ob er schwächer ist als Christus. Die Chatten ließen sich schließlich in Scharen taufen. Nach einem fehlgeschlagenen Wikingerzug spricht Agrippa (Das Buch Haithabu) ein Dankgebet für die nach Haithabu Heimgekehrten und Bittgebete für die Gefallenen. Da die alten Götter den Zug nicht geschützt haben, wollen die Menschen es mit neuen Göttern versuchen, so dass die Kirche einen guten Zulauf hat. Dass die neue Kirche aus Stein einen starken Sturm übersteht, ist für die Heiden ein Zeichen der Stärke des christlichen Gottes. Nachdem Agrippa (Das Buch Glendalough) in Jelling einige Menschen geheilt hat und während eines Gewitters singend über den Platz vor dem Königshaus gegangen ist, füllt sich der kleine Betraum der Christen. Indem Ansgar (Wikingerblut) glühende Kohlen in seinen Händen hält, zeigt er, dass Gott ihn schützt und auch die übrigen Christen schützen wird. Die Menschen sind beeindruckt und folgen ihm. Gautbert (Wikingersilber) beobachtet, dass in Birka immer mehr Menschen einsehen, dass der Heilige Geist allen anderen Göttern überlegen ist. In der Uhtred-Saga überlegen einige Dänen, ob sie bislang auf den richtigen Gott gesetzt haben. Sie sind fasziniert vom gekreuzigten, für das Leben der Menschen und für ihre Sünden gestorbenen und vom Tode wieder auferstandenen Gottessohn, und beeindruckt vom »christlichen Religionszauber«. Die Macht geweihter Dinge wie Reliquien wollen sie für sich nutzbar machen. Einige Heiden kommen durch einen sehr persönlichen Kontakt, durch Freundschafts- und Liebesbeziehungen mit Missionaren, zum Christentum: Nithards Freundin Tora (Wikingersilber) lässt sich ebenso taufen wie Agrippas Geliebte Klia (Das Buch Haithabu). Pater Beocca kann die schöne Dänin Thyra (Die Herren des Nordens), die durch lange Gefangenschaft verrückt geworden

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war, durch einen Exorzismus von ihrer Besessenheit befreien. Sie heiraten, durch Beocca findet sie zurück zum Leben, zur Liebe und zum Christentum. Nachdem sich der Mönch Agius (Die Schlüsselträgerin) und die Sächsin Inga nähergekommen sind, meint Abt Wala, vielleicht sei sie der Schlüssel für Agius’ Zugang zu den anderen Sachsen. Er soll sich nun als befreit von der Angst vor der Berührung mit den Heiden betrachten (405). Der Aspekt der Absicherung in gefährlichen Zeiten, des Friedens und der Feindesliebe, die Gott verkörpert, kommt in Das Amulett der Seherin vor: Liebhild will sich taufen lassen, weil das Christentum ihr Trost spendet. Die christliche Gottesmutter sei ein einfaches Weib gewesen, während die heidnischen Götter unerreichbar seien. Jesus habe Liebe und Frieden gepredigt und sich selbst geopfert. Dieser Gott sei der Verehrung würdig. Ava träumt vom Gottesreich des Friedens, der Liebe und der Freiheit, von dem Vater Egilschalk erzählt hat. Christi Gebot der Feindesliebe erscheint ihr als einziger Ausweg aus all der Not, die Menschen einander bereiten. Ava hält die heidnischen Götter für grausam; sie haben viel Schlechtes zugelassen. Die Menschen in Hollenhus meinen, einen ehemaligen Mönch in ihrer Mitte zu haben, könne nicht schaden: »In diesen verwirrenden Zeiten wusste mancher nicht mehr, welche Götter nun die richtigen waren, und je mehr man von ihnen achtete, desto weniger konnte man falsch machen. Sollte sich Finnians Gott als der siegreiche herausstellen, dann mochte er es dereinst den Dörflern vergelten, dass sie einen seiner Diener pfleglich behandelt hatten« (424).

Sie denken über die Frohbotschaft nach, die Finnian verkündet, und die anders klingt als die Drohbotschaft aus Karls Mund. Ein Gott des Friedens scheint den Menschen in den kriegerischen Zeiten verlockend. Viele lassen sich taufen. »Dass Finnian sich für das Priesteramt und damit auch – trotz seiner für alle sichtbaren Liebe zu Ava – für Keuschheit entschieden hatte, hatte sein Ansehen im Dorf sogar noch gesteigert, denn die Christen ermaßen daran, um wie viel größer seine Liebe zu seinem Gott und seiner Berufung sein musste« (425).

Einzelne Sachsen entscheiden sich für die Taufe, weil sie ihr Volk oder sich selbst retten wollen: Dass Widukind in Widukinds Wölfe dem Christengott Gefolgschaft geloben will, wird nicht als Verrat an den toten Sachsen gesehen, sondern als Tribut an sie, denn sie seien alle vergebens gestorben, falls ihr Stamm und ihr Glaube untergingen – das werde geschehen, falls die Sachsen weiterkämpfen würden. Nur wenn es noch Sachsen gebe, könnten auch die Götter und die alten Bräuche – hinter vorgehaltener Hand – weiterleben. In Das Amulett der Seherin heißt es, dass Widukind sich taufen lässt, weil er den Krieg gegen die Franken nicht mehr gewinnen kann. Gibicho bekam zur Taufe vom König ein goldenes Kreuz geschenkt. Er findet, dass sein alter Glaube viel lustiger war, und das

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Der Zugang zum christlichen Leben: Das Thema Missionierung

Christentum keine Religion für echte Männer ist – aber es ist die Religion der künftigen Machthaber im südlichen Sachsen.

1.5.6 Die Taufe – und dann? Immer gleiche rituelle Schritte in ein christliches Leben finden sich in den Romanen nicht. Für nur wenige Figuren lässt sich ein idealtypischer Verlauf, beginnend mit einer Machtdemonstration oder grundsätzlichem Interesse, einer anschließenden Unterweisung, der darauffolgenden Taufe und einer weiteren Vertiefung, beobachten. Vielen ist gar nicht klar, was das christliche Leben mit sich bringt. Ihnen wird kaum vermittelt, was von ihnen erwartet wird. Einige Romanfiguren diskutieren darüber, ob vor der Taufe eine Unterweisung im Glauben notwendig ist. Die Geschehnisse nach der Taufe werden noch weniger thematisiert als die Vorbereitung, was bei den häufig genannten Massentaufen natürlich auch schwierig ist. Nur selten wird erzählt, dass Menschen, die Christen werden, z. B. das Vaterunser oder das Credo lernen. Lediglich die Taufe selbst, die dort gesprochene Absage und das Bekenntnis, kommen vor. Dass sie Christen geworden sind, scheint die Lebensführung vieler Menschen nicht weiter zu beeinflussen. In Romanen wie Die Schlüsselträgerin wird z. B. deutlich, wie schwierig es ist, die Sachsen zum regelmäßigen sonntäglichen Kirchgang zu bewegen. Mehrfach wird der Ablauf des Taufritus in den Romanen beschrieben (z. B. in Das Amulett der Seherin, Wikingerblut, In geheimer Mission für den Kaiser, Widukinds Wölfe). Typische Elemente, die in diesem Zusammenhang immer wieder vorkommen, sind ein weißes Taufgewand, das Niederknien des Täuflings, die Salbung mit Öl, die Absage an die alten Götter, das Bekenntnis des christlichen Glaubens,229 das Untertauchen oder das dreimalige Übergießen mit Wasser. Vereinzelt werden Gebete, ein Kreuzzeichen, die Übergabe einer brennenden Kerze oder das Singen eines Taufsegens genannt. Auch die Bedeutung und Wirkung der Taufe wird thematisiert. Während Ansgar (Wikingerblut, 194) meint, dass durch die Taufe Hergeirs »heidnische Beflecktheit« weggespült würde, glaubt Agrippa (Das Buch Haithabu, 181), dass die Taufe sowenig die Bosheit abwäscht wie eine Kutte »die Sündhaftigkeit des 229 Der Hofkaplan Angilram (Widukinds Wölfe) fragt Widukind, ob er dem Teufel und dessen Werken und Wünschen, den Blutopfern und den als Gottheiten verehrten Abgöttern und Götzenbildern sowie den falschen Göttern Wodan, Donar und Saxnot widersagt. Widukind bekennt seinen Glauben an Christus, den Sohn Gottes und Erlöser, an den Heiligen Geist, den allmächtigen Gott in seiner Dreifaltigkeit und Einheit, die heilige Kirche Gottes, die Vergebung der Sünden in der Taufe und das Leben nach dem Tod. – Auch in Mord im Dom ist von einem Glaubensbekenntnis die Rede, das eine Abschwörungsformel gegenüber den alten Göttern enthält, hier aber nicht im Zusammenhang mit der Taufe.

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Leibes verhängt«. Im Roman Widukinds Wölfe erfolgt eine ausführliche Diskussion zwischen den Sächsinnen Gerhild und Gunda und dem Geistlichen Rutinus. Als er sie fragt, ob sie dem Teufelsglauben abschwören, entgegnet Gerhild, das hätten sie beim Empfang der Taufe getan. Rutinus meint, sie hätten die Worte der Entsagung gesprochen, aber nicht in ihren Herzen gefühlt, das bewiesen die Rituale im Totenhain. Gerhild weist ihn darauf hin, dass laut Augustinus die Taufe allein durch ihren Vollzug wirkt. Beim Empfang des Taufwassers seien sie zu Gliedern am Leib Christi geworden, und in ihnen sei die Macht der Erbsünde für alle Zeiten erstorben. Auf Gerhilds Feststellung, die Taufe begründe außerdem die Gleichheit von Mann und Frau, meint Rutinus, die Gelehrten hätten inzwischen erkannt, dass diese nur vergeistigt zu verstehen sei. Gerhild sieht dies als Ausrede der Männer an, die Frauen zu unterjochen, von allen Kirchenämtern und dem Altar fernzuhalten. Rutinus meint, Satan spreche mit Gerhilds Zunge. Abt Faroch, der die Dänen einlädt, sich taufen zu lassen (In geheimer Mission für den Kaiser, 573), sagt dem skeptischen Aidan, dies sei der Tag des Herrn. Die Dänen sollten ihren Glauben besiegeln, solange der heilige Geist unter den versammelten Menschen weile; unterrichten könne man sie später immer noch. Agrippa (Das Buch Haithabu) hingegen meint, man könne nur von den Menschen Umkehr zu Christus erwarten, die in Christus unterwiesen worden seien. In Wikingerblut ermahnt Ansgar die Menschen, stark im Glauben zu sein. Es reiche nicht, sich taufen zu lassen, sondern sie müssten eine christliche Gemeinde bilden. Alkuin erklärt in Die Beutefrau Karl dem Großen, dass die Bekehrung nicht Menschenwerk, sondern das Werk Gottes ist, und hat Einwände gegen Umsiedlungen und Massentaufen. Im Roman Die Abbatissa predigt Alkuin bei der Taufe Widukinds und Abbios, dass der Mensch zum Glauben gezogen, aber nicht gezwungen werden kann. Zur Taufe könne man zwingen, aber das sei kein Gewinn für den Glauben. Wer trügerisch den Glauben bekenne, könne sein Seelenheil nicht finden. Johanna betont in Die Päpstin gegenüber Papst Sergius, dass man Jesu Gebot folgend die Völker zuerst lehren und dann taufen sollte und dass eine Missionierung und Bekehrung durch Feuer und Schwert nichts wert ist.

1.6

Zwischen Rückkehr zum Heidentum und Leben als Christ: Brüchigkeit und Beständigkeit der christlichen Lebensform

Was bleibt gemäß den Romanen bei den bekehrten Heiden vom Christentum hängen? Wie gestalten sie ihr religiöses Leben nach der Taufe? Viele Heiden, besonders die zur Taufe gezwungenen, werden nur oberflächlich bzw. äußerlich Christen. Manche Romanfiguren geben nur vor, Christen zu sein, und glauben weiterhin an ihre alten Götter. Andere sind unsicher, auf welchen Gott sie setzen

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sollen. Einige Heiden fürchten die Rache der Götter für die Abwendung der Menschen. Wieder andere setzen bewusst heidnischen und christlichen Glauben bzw. die entsprechenden Praktiken neben- bzw. ineinander. Selbst in Bezug auf den christlichen Herrscher werden heidnische Relikte beschrieben. Ihre neue christliche Überzeugung prägt nur wenige Menschen tiefgreifend. Eine besondere Ausnahme ist der Däne Gunnar.

1.6.1 Christ nur nach außen hin Grundsätzlich ist die Missionierung in vielen Fällen ohne nachhaltige Wirkung, weil und insofern sie mit Zwang erfolgt ist. In einigen Romanen wird geschildert, dass die neu getauften Sachsen sehr unzufrieden sind und sich auflehnen, was bis zur Rückkehr zu ihrem alten Glauben gehen kann. In Mord im Dom (123f.) wird beschrieben, dass viele Menschen wie Hathumars Schwester Gerhild zwar getauft sind, aber den christlichen Glauben nicht richtig verstehen. Viele Sachsen sind unzufrieden mit der Kirche und mögen die christlichen Priester nicht. Dass sie den Zehnten zahlen müssen, der mit Vehemenz eingetrieben wird, bringt viele Menschen auf. So wie Widukind (Widukinds Wölfe), der sich taufen lässt und Karl den Treueeid schwört, werden auch all seine Mannen, seine Krieger und Knechte, zu Christen. Alle Bewohner des Wolfshofes z. B. sind getauft, sie huldigen dem Christengott, aber meist ohne Überzeugung und Inbrunst. Als Karls Untertanen verlieren die sächsischen Bauern ihre Freiheit und ihre Götter, häufig auch ihren Besitz, wenn nach den an König und Kirche zu leistenden Abgaben nicht genug übrigbleibt, um Familie und Gesinde durch den Winter zu bringen. Im Laufe der Jahre schütteln viele Männer den neuen Glauben ab und greifen wieder zu den Waffen. In vielen Romanen wird von Heiden berichtet, die »bekehrt« wurden, aber letztlich nur »halbe« Christen – nach außen hin Christen und im Inneren Heiden – sind.230 Gibicho (Das Amulett der Seherin) tut nach außen hin so, als sei er ein guter Christ. Wie er meint, wird das, was er in seinem Bett treibt, kein Priester je erfahren. Ava vermutet, dass es viele Generationen brauchen wird, bis die Sachsen das Christentum mit dem Herzen annehmen. Was jemand in seinem Herzen fühle und wen er heimlich anbete, müsse niemand wissen, solange er sich nicht erwischen lasse und seinen christlichen Pflichten nachkomme. Paradigmatisch für viele andere Romanfiguren steht Wolfger (Widukinds Wölfe): Er empfindet sich als zwischen zwei Welten stehend. Sein Vater ist für 230 Das gilt auch für Romane, in denen es gar nicht in erster Linie um Missionierung geht. Darunter sind so wichtige und positive Figuren wie Gerold, Johannas Gefährte, in Die Päpstin.

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seinen Glauben, seine Götter und seine Freiheit gestorben. Wolfger bemüht sich, zumindest nach außen ein guter Christ zu sein, um alle Menschen auf dem Wolfshof vor den »Blutschergen des Christengottes« zu schützen (85). Dabei weiß er nicht, woran er wirklich glauben soll. Er kommt sich immer wie ein Verräter vor: an seinem Vater und den alten Göttern oder an Jesus Christus und dem Gottvater, deren Kirche er besucht, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Obwohl Wolfger getauft ist, bedeuten ihm die alten Götter letztlich mehr als die christliche Dreifaltigkeit. Jesus Christus ist für ihn nur »ein aufgezwungener Name. Wer ihm nicht huldigte, starb unter dem Frankenschwert. Aber Christus zu huldigen hieß nicht, ihn wirklich zu verehren« (188). Die von starken Auseinandersetzungen geprägte Romanhandlung endet schließlich relativ versöhnlich: Die Fanatiker auf beiden Seiten sind tot, Widukind hat zur Versöhnung aufgerufen, Wolfger steht im Dienst der Franken und seine Schwester heiratet christlich. Ein weiterer typischer Fall eines Menschen, der letztlich nur ein »halber« Christ ist, steht im Mittelpunkt der Uhtred-Saga: Uhtreds Eltern waren Christen, auf der heimischen Burg gab es einen eigenen Priester. Vor nicht allzu langer Zeit haben Uhtreds Vorfahren und seine eigene Familie allerdings noch die alten Götter verehrt. Uhtred selbst wächst unter Dänen auf, die ihn sehr prägen. Er ist froh, dass die Dänen keine Priester haben; Kirchen, Reliquien und heilige Schriften vermisst er nicht (Das letzte Königreich, 65.76). Später ist er nur äußerlich Christ, im Inneren ist er Heide und glaubt an die alten Götter. Im Grunde war Uhtred überhaupt noch nicht richtig Christ, er kommt aus dem Heidentum und fällt dorthin wieder zurück – wie so viele Romanfiguren. Ein einmaliger Fall liegt bei Ossos (Das Buch Haithabu) vor: Der Mönch lässt sich vollständig auf einen heidnischen Lebenskontext ein (s. Kapitel V). Die in der Uhtred-Saga vorherrschende, überwiegend negative Sicht des Christentums wird dadurch geprägt, dass Uhtred weiterhin den alten Göttern anhängt, obwohl (oder vielleicht gerade weil) er getauft ist und den christlichen Glauben kennt. Einen Einfluss hat auch, dass Uhtred viele Christen und Vertreter der Kirche negativ erlebt: als bösartig, machtversessen oder als Schwächlinge, die ihm Vorschriften machen, nach seinem Geld oder sogar seinem Leben trachten. Ein wichtiges, immer wieder vorkommendes Erklärungsmuster ist für Uhtred das Schicksal, dem niemand entrinnt: Die Nornen sitzen am Fuß des Lebensbaumes Yggdrasil und weben die Schicksalsfäden der Menschen. Uhtred stellt seine und König Alfreds Lebensanschauungen gegenüber: Alfred ist besessen von der Ordnung und der Aufgabe, das Leben in berechenbare Bahnen zu lenken, wozu nach seinem Willen die Kirche und das Recht verhelfen sollen. »Ich aber wollte in den Schicksalsfäden des Lebens ein Muster finden. Am Ende entdeckte ich eines, aber es hatte nichts mit irgendeinem Gott zu tun, sondern mit den Menschen. Mit den Menschen, die wir lieben. […] Wir sind alle einsam und suchen nach einer Hand, die uns im Dunkeln festhält« (Das letzte Königreich, 469f.).

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Meginhard in Das Erbe des Puppenspielers glaubt nicht einmal an das Schicksal: »[…] alles, was ich tat, habe ich selbst entschieden. Jeder Mensch bestimmt allein über seine Taten; selbst Hexen und Zauberer handeln eigenständig, und auch unsere guten Mönche werden von keiner Vorsehung gelenkt«. Er will nur sich selbst Rechenschaft ablegen, »denn es gibt keinen Menschen, keinen Geist und keinen Gott, der in meine Seele eindringen könnte« (9.481).

1.6.2 Heidnische Relikte bei Christen An vielen Stellen quer durch alle Romane wird beschrieben, dass getaufte Heiden weiterhin ihren alten Glauben oder zumindest einige ihrer alten Rituale pflegen. Dies kann verschiedene Gründe haben. Bei manchen ist es eine Gewohnheit, andere sind unsicher oder unentschlossen, auf welchen Gott sie setzen sollen und welcher ihnen hilft. Viele fügen den christlichen Gott einfach den heidnischen Göttern hinzu. Wie es in … denn sterben muss David! heißt, darf das eroberte Volk der Sachsen nicht länger heilige Bäume, Quellen und Haine anbeten und an Zauberei glauben. Trotzdem beobachten die Menschen weiterhin den Krähenflug, feiern Hochzeiten am Freitag, dem Tag der Venus, glauben an einen Wetterzauberer und legen den Toten ein Geldstück für den Fährmann des Totenreichs in den Mund. Sie glauben, dass es an bestimmten Orten spukt oder diese verhext sind. Weil die getauften sächsischen Bauern in Widukinds Wölfe nicht sicher sind, wer der Regenbringer ist, beten sie am Sonntag in der Kirche und beschwören am nächsten Tag auf ihren Höfen Donar. In versteckten heiligen Hainen treffen sie sich weiterhin, um ihren Göttern, denen sie nur mit Worten, nicht aber mit dem Herzen abgeschworen haben, zu huldigen und ihnen Pferdeopfer darzubringen. Nach wie vor glauben sie an Sturm- und Flussgeister und an Frau Hulda. »In der Kirche beteten die Menschen zum Gott der Christen, außerhalb der Gott geweihten Stätte fürchteten sie die Ungeheuer und Schrecknisse der alten Zeit« (227). In der Odo und Lupus-Reihe lobt ein thüringischer Adeliger »den ›Herrn Christus‹ und den alten Gewittergott Donar« in einem Satz für ihre »göttlichen Unternehmungen« (Die Witwe, 31f.). Viele Sachsen, so Lupus, »hängen an ihrem alten Irrglauben, beten Wodan, Donar und Saxnot an und betrachten uns christliche Franken als Räuber und Eroberer« (Saxnot stirbt nie, 5). Ihren Toten geben diese Halbbekehrten Waffen mit ins Grab für den Fall, dass sie nicht im Christenhimmel, sondern in Walhalla ankommen. In Das Amulett der Seherin befürchten manche Sachsen, dass die Götter sie und ihre Ahnen für den Übertritt zum christlichen Glauben strafen werden, und wollen z. B. Holda mit Opfergaben an Quellen besänftigen. Sie meinen, der Christengott würde sich nicht um ihre Ahnen kümmern, weil diese noch die alten Götter verehrt haben. Ava, im heid-

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nischen und christlichen Glauben unterrichtet, weiß nicht mehr, was richtig oder falsch ist, glaubt aber, dass Holda sich um die Vorfahren kümmert, auch wenn die Menschen selbst Christen geworden sind. Christus und Holda würden in ihrem Dorf friedlich zusammen leben. In Das Buch Haithabu, 65, kritisiert der Stiftsherr Sigurd, dass die Einwohner Ramsolanos sich vor dem alleinigen Gott verneigen und den Rosenkranz (!) beten, aber gleichzeitig Wotan die Ehre erweisen und die Orakelknochen werfen. Agrippa befürchtet, dass Heitu nur an der Oberfläche Christ und im Herzen Heide geblieben ist; dieser ist z. B. froh, dass sein Vater in einer Schlacht gestorben ist und somit von den Walküren nach Walhalla geleitet wurde. Baldur (Das Buch Glendalough, 17) bemüht sich in Haithabu nach seiner Taufe um eine Balance zwischen Odin und Christus: Er trägt Kreuze und Thorshämmer, Tieramulette hängen neben dem christlichen Fischsymbol, welches ihm, einem Heringsfischer, gelegen kommt. Nach Baldurs Tod bittet Agrippa den Herrn, dessen zwiegespaltener Seele gnädig zu sein, den christlichen Teil zu erhöhen und den heidnischen zu reinigen. Gisela (Die Herren des Nordens, 376f.) glaubt nicht, dass irgendein Däne ein echter Christ ist, nicht einmal ihr Bruder Guthred, der sich hat taufen lassen; der Christengott sei für sie einfach ein weiterer Gott. Der getaufte Dänenkönig Harald Klak (Die Welfenkaiserin) fragt Kaiserin Judith, in der sächsisches und nordisches Blut fließt, wann sie mehr Ehrfurcht verspürt: »Wenn die Bäume aus dem Morgennebel aufsteigen, du die Wärme von einem Stein in deinen nackten Händen aufnimmst, die Sonne im Meer versinken siehst oder wenn du auf morsche Knochen von toten Heiligen schaust?« (178).

Selbst bei Romanfiguren, die auf den ersten Blick ganz eindeutig Christen sind, finden sich einzelne heidnische Relikte. Ein Beispiel hierfür ist das christliche Herrscherhaus, besonders Karl der Große und einige der karolingischen Frauen. In einigen der Romane erscheint der heidnische Aberglaube als ein Thema vor allem der Frauen. In Mord im Dom wird erzählt, dass Karl der Große die nordischen Sagen liebt. Im Roman Die Beutefrau lässt Karl Gerswind die sächsischen Sagen aufschreiben, um sie für die Nachwelt aufzubewahren und zur Belehrung zu nutzen. Gerswind betet zu Gott und den Göttern gleichzeitig, glaubt, dass Gott alle Götter in sich vereint, und sucht häufig »Stätten der Macht« in der Natur auf. Sie erinnert Karl immer wieder daran, dass er selbst »heidnische Wurzeln« hat. In den »Überbleibseln einer alten Zeit« in ihrem Wesen, aufgrund derer er sie liebt, wurzelt auch sein »Glaube an die Kraft des Weiblichen« (397). Einem Eberzahn spricht Karl mehr Macht zu als dem Mantel des heiligen Martin. Die heidnischen Götter hat er lange für existent gehalten und bekämpft. Jetzt nutzt er den Baustoff der Heiden für christliche Zwecke, z. B. das Holz der Donar-Eiche für seinen Thron in der Pfalzkapelle. Auch seine Eltern Pippin und Bertrada haben gele-

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gentlich heidnischen Bräuchen gehuldigt und heimlich Talismane geweiht. Bertrada, die visionär und heilerisch begabt war, wird von den Heiden als eine der ihren gesehen. Königin Fastrada, Gerswind und Judith haben sich verbotener Zauberei in Bezug auf einen Ring bedient (Die Welfenkaiserin). Gerswind teilt ihr Wissen über Naturmagie mit Judith, diese wird später der Zauberei angeklagt. Karl erntet in Widukinds Wölfe von den Priestern missbilligende Blicke, als er das Gerücht erwähnt, Widukinds Rappe verschmelze nachts mit den dunklen Schleiern und trage ihn fort in ein Versteck hoch in den Wolken. Dies sei natürlich heidnischer Aberglaube. Er schenkt Widukind einen Schimmel als Zeichen für dessen Umkehr und dessen neuen rechten Glauben. In Die Abbatissa heißt es über Karl: »In den Tiefen seiner Seele war er immer noch ein Heide, so wie die meisten. Die Taufe löschte nicht alles aus, […] Reste von Rohheit und Aberglauben hafteten in jeder Seele« (215). 1.6.3 Zusammenführung religiöser Gegensätze Einen Synkretismus, eine Mischung von heidnischen und christlichen Elementen, Symbolen, Göttern und Riten, in der die beiden Religionen relativ ausgewogen erscheinen und beinahe ein neues Ganzes bilden, pflegt Ava (Das Amulett der Seherin). Nachdem die Seherin Ava Christin geworden ist, hat sie den Eindruck, ihren alten und neuen Glauben verraten zu haben, denn weder die alten Götter noch der neue Gott sprechen zu ihr. Sie ist jedoch ihrer geliebten Holda, der sie bei der Taufe nicht namentlich abgeschworen hat, und dem christlichen Gott zu Dank verpflichtet, die ihr beigestanden haben. Als Ava der Tod droht, weiß sie nicht, zu wem sie beten soll: »Sie überließ sich einer unbestimmten göttlichen Kraft und hoffte, diese werde im Jenseits gnädig mit ihr verfahren und sie nicht in die christliche Hölle stecken« (481f.). Bald wird Ava sehen, ob es diese gibt oder ob die Christen sie erfunden haben. Daran, dass ihre Tochter sie retten kann, weil sie ihre seherische Gabe geerbt hat, erkennt Ava, dass die Götter sie doch nicht verstoßen haben, und sie nicht – durch die Vergewaltigung – unrein geworden ist. Ava fühlt sich zeitweise zwischen zwei Religionen zerrissen, erkennt dann aber, dass sie die beiden Religionen verbindet. Die Zukunftsdeutung wird von der Kirche scharf verurteilt, aber Ava glaubt, auch der christliche Gott, der sie nach der Taufe nicht ihrer Gabe beraubt habe, würde es gutheißen, dass sie möglichst viele Leben rettet. Laut der Bibel soll jeder mit den von Gott gegebenen Talenten wuchern. Da Ava weder rein christlich noch rein altgläubig ist, kann sie besser als jeder andere eine Brücke zwischen den verfeindeten Lagern bauen. Mit den »Schätzen der Göttin«, die Ava hüten sollte, seien, so erkennt sie, die Menschen gemeint, außerdem die Gaben der Göttin wie Zauberei, Weissagung und die fruchtbare, körperliche Liebe – all das, was

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»frömmelnde« Christen zutiefst verabscheuten –, sowie die Erkenntnis, dass alles Leben im Universum eine untrennbare Einheit bilde. Magie sei ein Mittel, um die Wunden der Welt zu heilen und das Schicksal im Einklang mit höheren Mächten zu gestalten, und bedeute, in tiefer Verbundenheit mit allen Wesen und Pflanzen zu leben. »Die Menschen spürten, dass sie Teil eines größeren Ganzen waren, und würden deshalb nie aufhören, Sehnsucht nach den für sie unsichtbaren Welten zu verspüren« (581). Dafür müssen jedoch viele mit ihrem Leben bezahlen. Da die Welt der Göttin untergeht, braucht sie Menschen wie Ava, die mutig genug sind, ihre Schätze zu hüten und weiterzugeben. Ava sieht in der Vergangenheit, wie die Sachsen immer wieder die Warnungen der Götter missachtet haben, und in der Zukunft, dass ihre Heimat wieder aufblüht und aus dem Staub der Erniedrigung sächsische Herrscher emporwachsen, die über das mächtige Vielvölkerreich der Franken und Sachsen gebieten. Widukind muss den langen und blutigen Weg dorthin als Erster der unbeugsamen Aufständischen gehen. Er werde glauben, verloren zu haben, doch in Wahrheit gewinnen: »Aus dem sächsischen Herzog, der den alten Göttern huldigte, würde der Förderer des christlichen Glaubens werden und der Versöhner zwischen den Völkern« (586). Mit Finnians Hilfe will Ava ihn auf seine wahre Bestimmung vorbereiten. »Gewiss würde Widukind Finnians liebenden Gott leichter annehmen als den unbarmherzigen Gott des fränkischen Königs« (587). An dieser Stelle muss eine weitere Frau erwähnt werden, die zwischen Heidenund Christentum steht bzw. beides zusammenführt: Johanna, die Hauptfigur des Romans Die Päpstin. Darin geht es weniger um die unmittelbare Schilderung von Missionierung, sondern eher um heidnische Relikte. In diesem Roman begegnet ein Papst, der in Wahrheit eine Frau ist, welche heidnische und christliche Elemente in sich vereint. Johanna ist mit dem Christentum, das durch ihren Vater vertreten wird, und dem Heidentum, für das ihre Mutter steht, aufgewachsen. In sich selbst erlebt sie schließlich die Verbindung des sich bislang Gegenüberstehenden: Beim Gebet in Sankt Michael entdeckt sie auf dem marmornen Sockel des Hochaltars das Symbol der Magna Mater. »Obwohl christlicher Priester, träumte sie noch immer von den heidnischen Göttern ihrer Mutter; in den Augen der Welt ein Mann, musste sie ihr Frausein und ihre weiblichen Gefühle vor eben dieser Welt verbergen; auf der Suche nach dem wahren Glauben, wurde sie hin und her gerissen zwischen dem Verlangen, Gott zu schauen und der Angst, er könnte nicht existieren. Herz und Verstand, Glaube und Zweifel, Wille und Verlangen: Würden diese schmerzlichen Widersprüche ihrer Natur sich niemals miteinander vereinbaren lassen?« (481).

Unmittelbar danach erfährt Johanna, dass sie zum Papst gewählt wurde. Bei Johannas Tod werden diese Gedanken aufgegriffen und in einer Art »Monismus«

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aufgelöst: Als sie in ihrem eigenen Blut auf der Straße liegt, fühlt sie einen inneren Frieden. »Noch einmal wuchs ihr gewaltiger Geist heran, bis er die Leere in ihrem Innern füllte. Sie wurde in ein wundervolles, strahlendes Licht gebadet. Glaube und Zweifel, Wille und Verlangen, Herz und Verstand – endlich, am Ende ihres Weges, erkannte Johanna, dass dies alles eins war und dass dieses Eine Gott war« (550).

1.6.4 Ein Leben aus christlicher Überzeugung Sehr selten wird beschrieben, dass die neue christliche Überzeugung die Lebensweise einer Romanfigur stark beeinflusst. Zu den wenigen Fällen zählen zwei Sächsinnen im Roman Das Amulett der Seherin: Liebhild macht sich Vorwürfe, weil sie in den verheirateten Walram verliebt ist, und hat Angst, in der Hölle schmoren zu müssen, weil das bloße Begehren genauso schlimm ist wie der Ehebruch. Deshalb verlässt sie ihn zunächst. Ava sehnt sich nach Finnians Küssen und Umarmungen, obwohl er inzwischen zum Priester geweiht worden ist. Die Schwäche ihres Leibes zeige, wie wenig gefestigt sie im christlichen Glauben ist; dabei heißt es doch, dass die Taufe das Feuer der Leidenschaften auslöscht. Ava glaubt, das Missfallen Gottes erregt zu haben, da er ihre Gebete, die schändliche Begierde in ihr abzutöten, nicht erhört. Sie überlegt, was ihr tugendhafter Mann, dem die Askese anscheinend nichts ausmacht, von ihr denken wird, wenn er von ihrer Sündhaftigkeit hört. Von einem wirklichen Leben als Christ mit einer tragfähigen Überzeugung kann nur bei einer einzigen Romangestalt, die Christ geworden ist, die Rede sein: bei Gunnar (Die Reise nach Byzanz, In geheimer Mission für den Kaiser). Der Däne ist der einzige, der sich vollständig bekehrt. Die Stärke und die Hilfe Gottes spielen hierbei eine wesentliche Rolle. Gunnar lässt sich taufen und kann sogar den Mönch Aidan, der ihm das Christentum nahegebracht hat, in dessen schwach gewordenem Glauben bestärken. Die Darstellung eines Heiden, der einem Mönch hilft, seinen Glauben wiederzufinden, ist singulär. Gunnar erzählt Aidan bei seinem Besuch in Kells vom Tod seiner Frau und meint, jeder müsse einmal sterben. Außerdem werde er sie im Himmel wiedersehen. Er will Gott eine Kirche bauen und sein Sohn soll Priester werden. Aidan meint, auf diesen Gott könne man sich kaum verlassen, die Menschen seien ihm gleichgültig. Darüber ist Gunnar erschüttert; er hat nie vergessen, wie Aidan von Jesus erzählt hat. Dieser gehängte Gott sei anders als die anderen Götter, die nichts um die Menschen geben. Er, ein Gott der Liebe, nicht der Rache, leide genau wie sein Volk. Christus kenne das Leid und stehe den leidenden Menschen bei. Das empfindet Gunnar als einen tröstlichen Gedanken, als eine frohe Botschaft (In geheimer Mission für den Kaiser, 569–572). Aidan wundert sich, warum dieselben Entbehrungen und großes Leiden dazu geführt haben, dass er sich von

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Christus entfernt hat, während sie bei Gunnar ein Gefühl der Nähe zu Christus erzeugt hatten. Er tadelt sich für seinen Glauben, Gott werde ihn für immer vor der Qual und dem Schmerz der sündengeplagten Welt, vor Zwietracht, Unrecht, Krankheit und Mühe, die andere ertragen müssen, beschützen. Christus habe all dies erlitten. Gott sei Mensch geworden und habe die schwere Last des Leidens auf sich genommen. Gunnar habe diese Wahrheit erkannt, das habe bei ihm Glaube und Hoffnung entfacht, während er selbst trotz seines geistlichen Studiums dies nicht begriffen habe.

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Und die anderen Religionen?

In diesem Kapitel interessiert vor allem, wie ein Mensch im Frühmittelalter Christ wird, was Menschen über das Christentum denken und was ihnen darüber vermittelt wird. Im Zusammenhang mit diesen Fragen kommen in den Romanen in der Regel »Heiden« vor, Menschen, die bislang an die »alten« Götter geglaubt haben. Spielen im Kontext von (gegenseitiger) Missionierung auch Judentum und Islam eine Rolle? Sollen nur die »Altgläubigen« oder auch Juden und Muslime Christen werden? Werden auch diese als Heiden gesehen? Grundsätzlich kommen Juden und Muslime in den meisten Romanen gar nicht oder nur ganz am Rande vor.231 An einigen Stellen (z. B. in Karl Martell) tauchen Juden als Händler auf, die weit herumkommen und viele Dinge erfahren. Sie fungieren außerdem als Sündenböcke (Abt Erwin-Reihe, Odo und LupusReihe). Viele Juden werden von Christen schlecht behandelt. Durch Karl den Großen werden sie geschützt, einige erfahren von Christen Hilfe. Der in Not geratene redarische Priester Uvelan erhält Hilfe durch einen Juden (Die Priestertochter). Karl der Große sendet einen jüdischen Händler zum Kalifen Harun Al Rashid (z. B. in … denn sterben muss David!). Agrippa unterhält sich bzw. diskutiert einmal mit einem Juden und einmal mit einem Muslim über den Glauben (Das Buch Haithabu). Das Verhältnis zu den Muslimen wird als zwiespältig beschrieben. Aidan (In geheimer Mission für den Kaiser) wird als Sklave des Emirs Sadik von dessen Leibarzt behandelt, die Menschen beten vor dem Palast für seine Genesung. Er hatte geglaubt, die Mohammedaner seien Heiden, erfährt dann aber, dass sie denselben Gott anbeten wie Juden und Christen und auch das heilige Wort ehren. Mit seinem Sprachlehrer Machmud diskutiert Aidan über Suren aus dem Koran 231 Weil es in dieser Arbeit um Ausdrucksformen christlichen Lebens in Romanen über das Frühmittelalter geht, wurden bei der Auswahl die Romane nicht berücksichtigt, die in einem vorwiegend jüdischen oder muslimischen Kontext spielen. – In den jüngst erschienenen Romanen Ein Elefant für Karl den Großen und Die Gesandten der Sonne begleitet der Jude Issak den Elefanten, ein Geschenk des Kalifen von Bagdad, ins Frankenreich.

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und besucht eine Moschee. Im Abt Erwin-Roman Im Zeichen des Neumonds lernen die Missi Dominici im Nahen Osten den Islam näher kennen, sie kommen bis nach Bagdad. Die Rose von Asturien thematisiert die Auseinandersetzung zwischen Muslimen und Christen in Spanien. In Mord im Dom wird Bischof Felix von Urgelis vorgeworfen, sich mit Hilfe des Adoptianismus an die Muslime in Spanien annähern zu wollen, die daran glauben, dass Allah einzig ist und keinen Sohn hat. Die »Sarazenen« erscheinen an einigen Stellen als Bedrohung der christlichen Welt, Karl Martell kämpft gegen sie (z. B. in Genovefa). Wie es in Der Kalligraph des Bischofs heißt, bieten die Sarazenen an, die Bewohner der Orte, die sie überfallen, zu verschonen, wenn diese den wahren Glauben verlassen und ihren »Heidengott« (276) anbeten. Der bischöfliche Schreiber Biterolf betet um den Sieg über die Heiden, um ihnen den wahren Gott zu zeigen, der mächtiger als der »Götze« (285) Allah ist. Im Roman Der sechste Tag erfährt Gernot, dass die Mauren in Spanien keine Christen, aber auch keine Heiden sind. Sie seien zwar »der Seligkeit, wie sie der Glaube an Christus verspricht, nicht teilhaftig geworden« (12), kennen aber die Heilige Schrift. Sein Freund Tariq bedauert, dass Gernot noch nicht die Richtigkeit der Lehre des Propheten erkannt und den »einzig wahren Glauben« (20) angenommen hat. Er bietet ihm die Hand seiner Schwestern an. Gegenüber Tariq verteidigt Gernot wortgewaltig seinen Glauben, hat aber schon erwogen, vor dem Vorbeter der Moschee Allah als den einzigen Gott und Mohammed als seinen Propheten anzuerkennen. Das würde für ihn keinen Wechsel des Glaubens, sondern nur seines Bekenntnisses darstellen, denn er sieht trotz unterschiedlicher Begriffe und Vorschriften in den Grundsätzen keine großen Unterschiede. Mit seinem Gewissen könnte Gernot den Übertritt vereinbaren, aber er würde damit vor Gott und sich selbst Andalusien endgültig als seine Heimat betrachten. Der Emir von Cordoba will seinen überlegenen christlichen Feinden ihren Glauben nehmen, und damit die Macht der Ungläubigen für immer brechen. Dazu soll Tariq den illegitimen Sohn Kaiser Lothars, der in Wahrheit eine Frau ist, in Rom, dem Mittelpunkt der christlichen Welt, als Papst einsetzen, und dann ihr wahres Geschlecht enthüllen. Der Versuch, Juden oder Muslime zu Christen zu machen, kommt in den Romanen praktisch nicht vor. In Karl Martell, 143, wird erzählt, dass der Sohn eines jüdischen Händlers Christ wird, um eine »Schöne aus Toulouse« zu heiraten.

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Zusammenfassung

Die wichtigsten Grundlinien, die sich bei der Analyse des Themas Missionierung in den Romanen gezeigt haben, seien zum Schluss noch einmal zusammengefasst: Meist wird die Perspektive der »Heiden«, der Menschen aus verschiedenen Völkern, die mit den Christen und ihrem Glauben konfrontiert werden, eingenommen. Zwei (unfreiwillige) Missionare fallen als Ich-Erzähler auf. Stereotype von Heiden und Christen werden in den Romanen vorgetragen, aber von einigen (positiven) Figuren nach persönlichen Begegnungen überwunden. Einige Missionare bringen schon eine sehr »menschliche« Einstellung gegenüber den Heiden mit, andere verändern ihre negative Sicht durch den Kontakt mit den Heiden. Die Heiden werden meist nicht als schlecht dargestellt, vielmehr wird ihre menschliche Seite gezeigt. Häufig sind sie die Sympathieträger, während viele Christen als sehr unsympathisch gezeichnet werden. Die Missionare sind in den Romanen meist nicht die großen Helden, die allein zu den Heiden aufbrechen, große Taten vollbringen und heldenhaft sterben. Kein einziger zieht aus, um die Seelen der Heiden zu retten, vielleicht sogar mit einem göttlichen Auftrag, und macht es dann richtig gut. Einige haben sich ihre Tätigkeit gar nicht ausgesucht, sind zufällig hineingeraten oder haben diese nur vorgeschoben. Sie gehen dann aber wohlwollend und überzeugend mit den Heiden um – und sind die besten, erfolgreichsten Missionare. Die Beziehung von Missionaren und Frauen spielt in vielen Romanen eine große Rolle. Viele enthalten die Konstellation eines guten und eines bösen Missionars, die zusammenarbeiten (müssen). Auf der einen Seite treten Missionare auf, die die Stärke des christlichen Gottes demonstrieren und fanatisch ihren klaren Weg verfolgen. Sie verkörpern eine negative Seite des Christentums und sind unsympathisch gezeichnet. Einige wollen Einfluss, Macht und Freiheit der Frauen beschneiden und so unzufriedene Männer für das Christentum gewinnen. Diese Missionare glauben, Frauen seien minderwertig, dem Bösen und dem Teufel zugeneigt, und behandeln Frauen schlecht. Sie haben langfristig keinen Erfolg und werden aus dem Land vertrieben oder sterben sogar. Auf der anderen Seite werden sympathische und letztlich erfolgreiche Missionare eingeführt, die Liebe, Friedfertigkeit und Einsatz für Andere verkörpern und verkünden. Sie zeigen großes Interesse und Sympathie für die Heiden und ihre Lebensweise, behandeln Frauen gleichwertig und schützen sie. Das geht bis zur »Vereinigung« mit den Heiden: Diese Missionare verlieben sich in eine Frau, die durch sie bekehrt und getauft wird. Hauptstreitpunkt ist in vielen Romanen das Thema des stärkeren Gottes. Dabei zeigt sich, dass Heiden und Christen als Romanfiguren ähnlich denken. Die vom christlichen Gott und seiner Stärke überzeugten Missionare drücken ihre Haltung über Taten und Predigten aus. Der grundsätzlichen Überzeugtheit der christlichen Romanfiguren stehen beginnende Zweifel der Heiden an ihren

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Göttern gegenüber. Was der christliche Glaube im Einzelnen beinhaltet, ist vielen Heiden nicht zu vermitteln. Immer wieder werden Verständnisschwierigkeiten beschrieben. Über eine ausführliche Unterweisung vor oder eine weitere Vertiefung nach der Taufe sowie mögliche Auswirkungen auf die Lebensführung wird wenig gesagt. Vielfach wird erzählt, dass Heiden, vor allem Sachsen, zur Taufe gezwungen werden, was in zahlreichen Fällen zu einer nur oberflächlichen Annahme des Christentums führt. Einige der Heiden wenden sich allerdings dem Christentum zu, weil sie die Hilfe des christlichen Gottes erfahren haben. Für diese vermeintliche Erfahrung suchen ihre Stammesgenossen eine rationale Erklärung, wie überhaupt Heiden in den Romanen immer wieder dem Christentum mit kritischen Argumenten entgegentreten. Der Gedanke, dass viele, auch schon länger »bekehrte« Menschen letztlich nur »halbe« Christen sind, zeigt sich auch im Aberglauben, in heidnischen Relikten, die selbst für den christlichen Herrscher beschrieben werden, der grundsätzlich eine große Rolle bei der Missionierung spielt. Einzelne Romanfiguren äußern Kritik an dessen zum Teil harschen Vorgehen. Viele Untertanen folgen einem Herrscher nach, der sich bekehren lässt. Einige Menschen werden aus Machterwägungen Christen. Ein großer Teil der Romanfiguren, die mit dem Christentum konfrontiert werden, ist zunächst skeptisch, viele bleiben es auch. Einige, überwiegend Männer, treten auf verschiedene Arten den Kampf gegen das sie bedrohende Christentum und dessen Vertreter, vor allem die Fanatiker unter ihnen, an. Wenige Romanfiguren, meist die weiblichen Hauptfiguren (Repräsentantinnen und geistige Führerinnen ihres Volkes) wenden sich schließlich dem Christentum zu.232 Diese »Bekehrungen« haben in den Romanen großes Gewicht, was besonders angesichts der Tatsache ins Auge sticht, dass das Christentum vielfach als frauenfeindlich dargestellt wird. Diese Frauen können sich auf ein Christentum einlassen, wie es die »guten« Missionare verkörpern (während die »bösen«, die eine frauenfeindliche Haltung an den Tag legen, ihre verdiente Strafe erhalten). Charakteristisch dafür sind zwei erzählte Visionen einer guten Zukunft und eines friedlichen Zusammenlebens von Heiden und Christen. Das Spektrum der Zuwendung zum Christentum reicht von einer grundsätzlichen Sympathie über eine Mischung des alten und neuen Glaubens bis hin zu einer so intensiven Überzeugung, dass sogar der zweifelnde Missionar bestärkt werden kann. In den Romanen treten auch einige Figuren auf, die an gar keinen Gott, sondern nur an das Schicksal oder an ihre eigenen Kräfte glauben.

232 Es handelt sich hierbei wie bei vielen der untersuchten populären historischen Romane um »Frauenbücher« mit einer weiblichen Hauptfigur. In die Reihe dieser Romane gehört trotz eines vordergründig ganz anderen Themas auch der historische Frauenroman schlechthin, in dem es auch um eine frauenfeindliche Kirche geht: Die Päpstin.

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2.

Forschungsüberblick Missionierung

2.1

Entwicklung der Forschung zur Mission im Frühmittelalter

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Der folgende Forschungsüberblick dient der Herausarbeitung von Charakteristika der Mission und Christianisierung im Frühmittelalter, die dem Befund der Romane gegenübergestellt werden können. Der Schwerpunkt liegt auf Entwicklungen des achten bis zehnten Jahrhunderts (z. B. Missionierung der Sachsen) als des Zeitraums, in dem die Romane spielen. Für ein vertieftes Verständnis sind die Grundlegung und der Ausgangspunkt dieser Entwicklungen in früheren Epochen einzubeziehen, etwa die Mission an und durch Angelsachsen. Ebenso hilfreich ist ein Blick auf weitere Wirkungen in späterer Zeit wie die Mission in Skandinavien. Eine Orientierung erfolgt dabei an zentralen, aktuellen Monographien und Aufsätzen, die ein generelles Vorgehen der Missionare, Strukturen des Verkündigungsgeschehens oder damals verbreitete Überzeugungen untersuchen, und weniger an Studien zu Detailfragen. Konkrete Einzelpersonen und -ereignisse der Mission kommen vor, stehen aber nicht im Mittelpunkt. Den Ausgangspunkt bilden Arbeiten von Arnold Angenendt und Lutz E. von Padberg, die grundlegende Einsichten zur Missionsgeschichte des frühen Mittelalters vermitteln und den bisherigen Gang der Forschung sowie neue Herangehensweisen einbeziehen. Daran knüpfen sich, weitgehend chronologisch, wichtige Arbeiten weiterer Forscher an. Aus diesen Arbeiten ergeben sich die im folgenden behandelten Themenfelder: die Motive der Missionare, der Ablauf der Verkündigung, die schwierige Aufgabe der Christianisierung, die Beteiligung von Frauen an der Mission und die Auswirkungen der Mission auf Frauen, die Lebendigkeit des heidnischen Glaubens und das Zusammentreffen mit dem Christentum, das christliche Heidenbild, sowie die Mission in Sachsen. Der Kirchenhistoriker Arnold Angenendt skizziert in der Einführung seines Werkes über das Frühmittelalter die Entwicklung der Forschung. Deren Kenntnis ist notwendig für das Verständnis heutiger Forschungspositionen, die gerade im Hinblick auf die Missionsgeschichte stark von früher vertretenen Ansichten abweichen. Auch in weiteren Monographien und Aufsätzen von Angenendt, der vielfältig zu Mission und Christianisierung im frühen Mittelalter publiziert hat, sowie in den im Verlauf erwähnten Arbeiten anderer Historiker werden die neuen Schwerpunktsetzungen deutlich. Bedeutsam für die Missionsgeschichte waren die konfessionelle und die nationale Geschichtsschreibung: In der konfessionellen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts wurde der Streit zwischen den Konfessionen, so Angenendt, an der Gestalt des WinfriedBonifatius geradezu exemplarisch ausgefochten. Für die Katholiken repräsentierte er »das Urbild des germanisch-deutschen und zugleich römisch-katholischen Christen«, den

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Protestanten galt er als »Zerstörer des romfreien Christentums in germanischen Landen, das erst Luther wiederherzustellen berufen war«.233 Im Rahmen der nationalen Geschichtsbetrachtung (von Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts) sei man bestrebt gewesen, den Anteil von »Romanen« und »Germanen« säuberlich zu scheiden. Die deutsche Geschichtsschreibung habe der Seite der Germanen, die bereits als Deutsche gesehen wurden, alles Positive zugeschlagen, und versucht, mit der Darstellung des über alle Epochen vermeintlich gleichbleibenden »Wesens des Germanischen« die historische Grundlage für »deutsche« Politik und Lebensart zu liefern. Das Konzept der germanischnationalen Geschichtsschreibung habe vielfältig auch auf die Kirchengeschichte eingewirkt (F. W. Rettberg, R. Seeberg, H. von Schubert etc.).

Wie Angenendt festhält, war die Missionsgeschichte durch die Frage nach der »Germanisierung des Christentums« ideologisch sehr stark belastet. Diese von Arthur Bonus stammende Formulierung wurde in der völkischen Religiosität und zuletzt in der nationalsozialistischen Propaganda zum massenpolitischen Schlagwort, bis dahin, dass man die Christianisierung als Verbrechen ansah. »Wesenhaft Germanisches« glaubte man auch von Seiten der Kirchengeschichte zu entdecken. Die Reformation wurde als Konvergenz von Christentum und Germanentum gedeutet. Aus heutiger Sicht lässt sich für Angenendt die Vorstellung vom »wesentlich Germanischen« auch und gerade in der Religiosität nicht aufrechterhalten. Man habe sich sehr weit von der völkisch-religiösen Interpretation entfernt; die Scheidung in germanische und romanische Elemente werde nicht mehr vertreten.234 Nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhr die Geschichtsforschung in Deutschland eine gründliche Befreiung von diesem Germanismus-Komplex, so etwa die germanische Missionsgeschichte, der Beiträge von Hans-Dietrich Kahl235 und Knut Schäferdieck eine neue Ausrichtung verliehen. Die (Frühmittelalter-)Forschung wurde international und interdisziplinär. Angenendt betont, dass sich die deutsche Geschichtswissenschaft mit dem Zerbrechen des nationalen Geschichtsbildes neu auf ihre fortan leitenden Grundlagen und Konzepte besinnen musste: An die Stelle einer germanischen Wesensgeschichte trat eine Entwicklungsgeschichte, die oft mit Hilfe der Sozial-, Mentalitäts- und Religionsgeschichte weiter aufgefächert und gestuft wurde, was die Germanen wieder mit anderen Völkern und deren Entwicklungsstufen vergleichbar machte.236 233 Angenendt, Frühmittelalter, 29. 234 Vgl. Angenendt, Frühmittelalter, 31–34.37–39. 235 Kahl habe als erster die mittelalterliche Missionsgeschichte unter religionsgeschichtlichen und soziologischen Gesichtspunkten untersucht, so A. Angenendt, Mission und Christianisierung im Frühmittelalter, in: W. Berschin/D. Geuenich/H. Steuer (Hg.), Mission und Christianisierung am Hoch- und Oberrhein (6.–8. Jahrhundert) (Archäologie und Geschichte 10), Stuttgart 2000, 11–21, 19. 236 Vgl. Angenendt, Frühmittelalter, 42f.

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Nun stellen sich neue Fragen, etwa, ob sich das Frühmittelalter umfassend charakterisieren lässt und zu welcher Kultur- bzw. Religionsstufe es gehört. Angenendt hält es für erwägenswert, hier statt – wie es vielfach geschieht – einfachhin von einem »archaischen« eher von einem »archaisierenden« Zeitalter zu sprechen.237 Als folgenreichste Neuorientierung der Geschichtswissenschaft sieht er die Hinwendung zur Sozialgeschichte, die wesentlich zur stärkeren Frage nach dem Alltagsleben und dem Leben des gemeinen Volkes beigetragen hat. Zudem legt sie die Wirkungen sozialer, ökonomischer und lebensmäßiger Bedingungen im religiösen Leben dar. Für das frühmittelalterliche Christentum stellt sich z. B. die Frage nach der Auswirkung des Zusammenbruchs des antiken Zivilisationsapparates und besonders des Bildungswesens auf das Glaubensleben. Auch die Wirksamkeit von Geisteshaltungen muss beachtet werden, wozu in der frühmittelalterlichen Welt besonders die christliche Vorstellung der Sorge für Arme, Gefangene etc. gehörte. Die französische Annales-Schule, so Angenendt, gab der Sozialgeschichte eine umfassende Dimension, wobei vor allem das wirtschaftliche und soziale Geflecht unterhalb der großen Ereignisse erfasst werden sollte. Zunächst war diese Strukturgeschichte überwiegend auf die materielle Welt ausgerichtet; später wurden als Strukturen, als eigene Geschichtsmächte, auch die kollektiven Mentalitäten entdeckt, wobei auch die Religiosität, konkret die Religionswelt des einfachen Volkes, zur Sprache kam.238

2.2

Die Missionare und ihre Motive

Mission und Christianisierung im Frühmittelalter sind der Forschungsschwerpunkt des Historikers Lutz E. von Padberg. Mit seiner grundlegenden Studie zur »Mission an und durch Angelsachsen«239 will er »diesen fernen Horizont wieder 237 Vgl. hierzu auch A. Angenendt, Das Mittelalter – eine archaische Epoche?, in: Theologische Quartalschrift 173 (1993) 287–300, besonders 300: »Religionsgeschichtlich konfrontiert uns das Mittelalter, zumal dessen erste Hälfte, mit dem Phänomen, dass eine Hochreligion ›archaisch‹ interpretiert wurde und sich dabei der Prozess der Spiritualisierung und Metaphorisierung teilweise wieder umkehrte: Ethische Forderungen wurden ›vorbewußt‹, historische Tatbestände ›typisch‹ und geistig-bildhafte Interpretationen ›realistisch‹ aufgefasst. Und doch entstand kein wirklich archaisches Zeitalter, sondern ein solches mit archaisierenden Zügen. […] Das Frühmittelalter ist zweifellos die am stärksten archaisch eingefärbte Periode«. 238 Vgl. Angenendt, Frühmittelalter, 43–47. Er möchte den erweiterten Horizont der neuen Fragestellungen und Einsichten auch für die Kirchengeschichte des frühen Mittelalters fruchtbar machen. Für sein Vorhaben, die dem frühen Mittelalter eigenen Religionsformen aufzuspüren und zu verdeutlichen, hält er allein eine religionsgeschichtliche Aufarbeitung und dann das Gespräch mit der Theologie für angemessen (vgl. 50f.). 239 L. E. von Padberg, Mission und Christianisierung. Formen und Folgen bei Angelsachsen und Franken im 7. und 8. Jahrhundert, Stuttgart 1995, 24. Er untersucht in einer umfassenden

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zugänglich und dabei zugleich die Fremdartigkeit dieser Übergangsepoche bewusst« machen240 sowie zur Frage nach der Rolle von »Mission und Christianisierung beim Werden des sich allmählich herausbildenden christlichen Abendlandes« beitragen.241 Methodische Erkenntnisse der neueren Forschung zur Einschätzung der Hagiographie, die einen Schwerpunkt seiner Textbasis bildet, möchte von Padberg für die Beschreibung der Missionsepoche fruchtbar machen.242 Ihn bestätigen »gewisse perspektivische Verzerrungen der Forschung« darin, »die frühmittelalterliche Missionsgeschichte trotz unveränderter Quellenlage neu zu diskutieren«.243 Fruchtbare methodische Anregungen können von der Mentalitätsgeschichte ausgehen, weil sie das Augenmerk von der kirchlichen Ereignisgeschichte auf die Glaubensvorstellungen lenkt. Von Padberg sieht die Notwendigkeit, »den äußeren Ablauf der Christianisierung als vielfältiges Geschehen zu betrachten, das ohne die Kombination sozial- und religionsgeschichtlicher Begründungszusammenhänge nicht erhellt werden kann«.244 Von der mehrschichtigen Wirklichkeit der damaligen Gegenwart ausgehend, und Heiden und Christen in ihrer Bezogenheit aufeinander sowie in ihren je eigenen Bedingtheiten betrachtend, nimmt er den heidnischen Glauben ernst und beachtet die geistliche Grundhaltung der Glaubensboten. Zunächst zur Frage, wer die frühmittelalterlichen Missionare waren. Was trieb sie an und wie gingen sie vor? Welche Rolle spielten dabei der Papst und der christliche Herrscher?

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Funktionsanalyse die konzeptionellen, strukturellen, methodischen und phänomenologischen Elemente der Missionsarbeit, und behandelt anschließend das Veränderungspotential der Christianisierung (vgl. 30f.). Von Padberg, Mission, 22. Von Padberg, Mission, 31. Im Gegensatz zur früheren nationalen Geschichtsschreibung fragen viele neuere Publikationen nach dem Werden und den kulturellen Grundlagen Europas, so z. B. H. Löwe (Hg.), Die Iren und Europa im früheren Mittelalter. 2 Bände (Veröffentlichungen des Europa Zentrums Tübingen. Kulturwissenschaftliche Reihe), Stuttgart 1982. Die Frage, wie Europa zu seinem christlichen Fundament gekommen ist, leitet auch L. E. von Padberg, Christianisierung im Mittelalter, Darmstadt 2006. Vgl. von Padberg, Mission, 25–29. Zu diesen Erkenntnissen gehören die Beachtung des Rahmens der Deutungsschemata und des sich daraus ergebenden Aussagehorizontes der kirchlichen Autoren. – Die Hagiographie bildet auch die Grundlage der Arbeit von I. Wood, The Missionary Life. Saints and the Evangelisation of Europe 400–1050, Harlow u. a. 2001, zur Geschichte der Mission im frühen Mittelalter. Von Padberg, Mission, 17. Einige Arbeiten würden in positivistischer Weise die von der kirchlichen Literatur gebotenen Daten kritiklos zusammenstellen und ein gänzlich deren Deutungsmustern verhaftetes Bild der Missionsepoche entwerfen; an die Überlieferung würden ihr nicht adäquate Fragen herangetragen, so dass geistlich-kirchliche Phänomene lediglich politisch oder ideologisch interpretiert würden; die konfessionell geprägte Sicht der Glaubensboten scheine heute überwunden, vereinzelt würden sich aber Wertungen in Darstellungen mischen. – In seinem Forschungsüberblick bezieht von Padberg sich vielfach auf die erwähnte Einführung von Angenendts Frühmittelalter-Buch. Von Padberg, Mission, 20.

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Eines ist vorauszuschicken: Der Mediävist Hans-Dietrich Kahl meint, es habe nie eine einheitliche christliche Haltung als gemeinsame Voraussetzung missionarischen Vorgehens gegeben, »weder im Hinblick auf die theologische Grundeinstellung zu ›Heidentum‹ und ›Heidenmenschen‹, noch hinsichtlich des praktischen Vorgehens gegen beide«.245 Ludo Milis, ein belgischer Mediävist, verneint die Frage nach einer klar definierten Strategie der Missionare und der Autoritäten, die sie entsandten: Alle dachten, mit Gottes Hilfe würde das Bekehrungswerk erfolgreich enden. »When they could win over the forces of evil, devils, spirits, and the like, Christianity would dominate and reign over the world expecting the upcoming Day of Doom«.246 Von Padberg spricht zwar von »planvolle[n] Missionsvorhaben« im Frühmittelalter; eine »vollständige Missionstheologie« sei aber nicht ausgearbeitet worden. »Die Glaubensboten wie auch ihre Auftraggeber waren Praktiker, und deshalb lassen sich ihre theoretischen Grundlagen wenn überhaupt nur über die Praxis erschließen«.247

Von Padberg sieht die Befolgung des Missionsbefehls Jesu Christi im Rahmen des damaligen theologischen Verständnisses als Beweggrund aller Aktivitäten von Päpsten, Missionaren, Klerikern und Autoren. Das Handeln der Missionsträger sei nur dann sachgemäß erfassbar, »wenn es nicht als politisch, sozial, auch nicht als kirchenpolitisch, sondern genuin und zuerst als heilsgeschichtlich verstanden wird«.248 Angelsachsenmission, Peregrinatio und Christianisierungsarbeit auf dem Kontinent seien zuerst heilsgeschichtlichen Kategorien entsprungen. Irische Mönche nahmen eine altirische Verbannungsstrafe, die auch auf kirchliche Bußstrafen eingewirkt hatte, freiwillig auf sich. Dabei wurde ihnen Abraham zum Vorbild, den Gott aufgefordert hatte, seine Verwandtschaft und sein Vaterhaus zu verlassen und in ein fremdes Land zu ziehen (vgl. Gen 12,1). Laut Arnold Angenendt wurde die asketische Forderung, getrennt von Zuhause bei fremden Völkern zu leben, mit dem positiven Auftrag verknüpft, für das Heil dieser Völker tätig zu werden und ihnen zu predigen, wie für Columban den Jüngeren († 615) und dessen Schüler beschrieben, die ab dem Ende des sechsten Jahrhunderts auf dem Kontinent wirkten. Ohne direkt erkennbaren columbanischen Einfluss habe der Missionsgedanke in Verbindung mit der Peregrinatio in Gallien noch lange weitergewirkt. Auch bei den Angelsachsen wie Willibrord 245 H.-D. Kahl, Die ersten Jahrhunderte des missionsgeschichtlichen Mittelalters. Bausteine für eine Phänomenologie bis ca. 1050, in: Ders., Heidenfrage und Slawenfrage im deutschen Mittelalter. Ausgewählte Studien 1953–2008 (East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450 4), Leiden/Boston 2001, 271–342 (Erstveröffentlichung 1978), 298. 246 L. Milis, The Conversion Process: Strategy, Structure, or mere Events, in: F. J. Felten/ J. Jarnut/L. E. von Padberg (Hg.), Bonifatius – Leben und Nachwirken. Die Gestaltung des christlichen Europa im Frühmittelalter (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 121), Mainz 2007, 9–22, 22. 247 L. E. von Padberg, Grundzüge der Missionstheologie des Bonifatius, in: Felten/Jarnut/von Padberg (Hg.), Bonifatius, 161–191, 191. 248 Von Padberg, Mission, 350.

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(† 739) und Bonifatius († 754) hätten sich Mission und Peregrinatio deutlich verbunden.249 Wie Angenendt betont, gehörte zum Christentum sein Sendungsbewusstsein mit dem Ziel, eine Kirche mit Vertretern aus allen Völkern zu bilden: Die christliche Mission wurde im Frühmittelalter mit Völkern konfrontiert, die sich nach gentilreligiöser Art von anderen abschlossen. Papst Gregor der Große († 604) ergriff als erster die Initiative und schickte Ende des sechsten Jahrhunderts Mönche ins angelsächsische Britannien. Die dort bekehrten Völker hätten sich für eine Verbindung mit Rom geöffnet und sich zudem ihrer kontinentalen Herkunft erinnert, so dass ab Ende des siebten Jahrhunderts Missionare von ihnen dorthin aufgebrochen seien: Willibrord z. B. wurde der »Apostel der Friesen«, Winfried-Bonifatius wollte eigentlich zu den Sachsen, scheiterte aber an ihren Grenzen und wurde zum großen Reformator der fränkischen Kirche, die er mit Rom in Verbindung brachte.250 Die Bindung der angelsächsischen Missionare an das Papsttum, so von Padberg, zog ihre Kraft »aus der Heilsbedeutung der einen Kirche und nicht etwa aus hierarchischen Strukturen eines römischen Zentralismus«. In den Quellen scheint häufig die Bedeutung Gregors des Großen als des »Idealtypus’ eines missionarischen Papstes« auf.251 Eine Kooperation der Missionare mit den jeweiligen Herrschaftsträgern lag aus missionsstrategischen Gründen nahe, denn das Volk war nur über die Oberschicht zu erreichen: »Die in der Forschung manchmal mit kritischer Distanz betrachtete Mission ›von oben nach unten‹ entsprach dem Denken von Heiden wie Christen und wurde deshalb selbstverständlich angewandt«.252 Das von den angelsächsischen Missionaren auf dem Kontinent vertretene Konzept der christlichen Universalität hatte, so von Padberg, einen gewissen Erfolg, weil es in das politische Konzept des karolingischen Vielvölkerstaates passte. Die Kirche besaß hier eine stabilisierende und einende 249 Vgl. A. Angenendt, Die irische Peregrinatio und ihre Auswirkungen auf dem Kontinent vor dem Jahre 800, in: Löwe (Hg.), Iren. Teilband 1, 52–79, 63–66. M. Richter, Der irische Hintergrund der angelsächsischen Mission, in: Löwe (Hg.), Iren. Teilband 1, 120–137, sieht einen starken irischen Einfluss auf die angelsächsischen Missionare auf dem Kontinent. 250 Vgl. A. Angenendt, Die Christianisierung Nordwesteuropas, in: C. Stiegemann/M. Wemhoff (Hg.), 799 – Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn. Band 2, Mainz 1999, 420–433, 422f. – Die Orientierung an Rom wurde auch deshalb gesucht, weil Petrus und seine Nachfolger (in einem dinglichen statt metaphorischen Verständnis von Schriftstellen) als Himmelspförtner gesehen wurden. 251 Von Padberg, Mission, 351. Mitterauer, Europa, 183, hält das Modell der Angelsachsenmission für entscheidend für die Rom-Zentrierung der Westkirche; wesentlich sei seine Übernahme, vertreten durch Missionare angelsächsischer Herkunft, im Frankenreich. Die in der Mission entwickelten neuen Elemente der Kirchenstruktur sieht er als wesentliches Instrument zur Integration der älteren Landeskirchen und ihrer disziplinären und liturgischen Regionalismen in die zentralisierte Papstkirche. 252 Von Padberg, Mission, 352.

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Funktion: Die Missionare trugen zur Formung eines einheitlichen Glaubens im fränkischen Großreich bei, und die Herrscher betrachteten die Ausdehnung des Reiches und der Kirche als eine Sache. Von Padberg schränkt jedoch ein: »Die Zielvorstellung einer Mission auch bei den außerhalb des christlichen Frankenreiches liegenden Heidenvölkern ohne vorherige militärisch-politische Integration blieb bei den Glaubensboten immerhin lebendig, wenn sie auch kaum durchsetzbar war«.253

Wie von Padberg festhält, wurde die Verantwortung der Herrscher für die »Bewahrung des Glaubens im Inneren sowie für seine Ausbreitung nach außen« selbstverständlich akzeptiert. Die Förderung der Missionspredigt wurde »geradezu als eine ihrer vornehmsten Aufgaben angesehen«. Die Missionare waren bereit, den Militärs zu folgen und auf Kritik zu verzichten, wenn »die richtige Reihenfolge von Glaubensunterweisung und Taufe« eingehalten wurde.254 Laut Angenendt verdankte die Christianisierung den Klöstern wie Fulda und Echternach oder den Domklöstern von Würzburg, Mainz und Lüttich viel, schon weil aus ihnen hauptsächlich die Missionare kamen.255 In Sachsen ragte NeuCorbie heraus; Vieles dort Geplante und Geschaffene habe prägend für Sachsen sowie für die Mission in Hamburg, Dänemark und Schweden gewirkt, wo der aus der Mutter-Abtei Corbie mitgekommene Ansgar († 865) Erzbischof und Missionar wurde. Frauenklöster seien von Anfang an zahlreicher gewesen, aber in Ausstrahlung und Effizienz zurückgeblieben.256 Für den niederländischen Mediävisten Rob Meens war die Christianisierung nicht nur die Arbeit der aus Viten so gut bekannten Missionare,257 sondern »auch 253 L. E. von Padberg, Zum Sachsenbild in hagiographischen Quellen, in: H.-J. Häßler (Hg.), Sachsen und Franken in Westfalen. Zur Komplexität der ethnischen Deutung und Abgrenzung zweier frühmittelalterlicher Stämme (Studien zur Sachsenforschung 12), Oldenburg 1999, 173–191, 190. 254 L. E. von Padberg, Die Inszenierung religiöser Konfrontationen. Theorie und Praxis der Missionspredigt im frühen Mittelalter (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 51), Stuttgart 2003, 420f. 255 Zur Rolle der Klöster (nicht einzelner Mönche!) auf dem Kontinent bei der Missionierung vgl. auch J. Semmler, Kloster, Mission und Seelsorge im Frühmittelalter, in: Felten/Jarnut/ von Padberg (Hg.), Bonifatius, 303–325: Die von Iren gegründeten oder beeinflussten Klöster auf dem Kontinent hätten nicht in Mission und Seelsorge gewirkt, die von Angelsachsen gegründeten teilweise schon. Kleriker seien grundsätzlich leichter einsetzbar gewesen als Mönche. Zum Teil habe es eine Aufgabenteilung zwischen klösterlichem Innenund missionarisch-pastoralem Außendienst gegeben. 256 Vgl. Angenendt, Christianisierung Nordwesteuropas, 431f. 257 Von den Einzeluntersuchungen seien nur einige neuere zu Bonifatius, Liudger und Ansgar, geprägt durch eine Einbindung in den zeitgeschichtlichen Kontext und einen Blick auf die Wirkungsgeschichte, genannt: L. E. von Padberg, Bonifatius – Missionar und Reformer (C. H. Beck Wissen in der Beck’schen Reihe 2319), München 2003, sowie die genannten Sammelbände zu Bonifatius; A. Angenendt, Liudger. Missionar – Abt – Bischof im frühen Mittelalter, Münster 2005, und G. Isenburg/B. Rommé (Hg.), 805: Liudger wird Bischof.

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die Sache vieler Kleriker, die predigten, die Beichte hörten und ein mehr oder weniger nachahmenswertes Leben führten. Auch Laien dürften sich an diesem Prozess beteiligt haben, obwohl das für uns in den Quellen schwer zu erkennen ist«.258 Die Verkündigung des Evangeliums war zwar allein den Geistlichen vorbehalten, aber hin und wieder, so von Padberg, traten auch Laien, hauptsächlich angelsächsische und skandinavische Herrscher, als Missionare auf.259

2.3

Ablauf des Verkündigungsgeschehens

Wie lief die Verkündigung der christlichen Botschaft im Einzelnen ab? Welche Informationen über Planungen, Strukturen, Inhalte, Beteiligte und Reaktionen der Betroffenen sind aus den Quellen zu erschließen? Von Padberg versucht in seiner historischen Studie über die frühmittelalterliche Missionspredigt, »die Erstbegegnung von Christen und Heiden möglichst umfassend zu rekonstruieren«. Die Predigt begreift er als Bestandteil »eines komplexen Verkündigungsgeschehens«260 (um dessen »sozial- und mentalitätsgeschichtliche Erfassung« es ihm geht261) und »einer umfassenden Konfrontation zweier Glaubensrichtungen«.262 Aufgrund der Quellenarmut hat die Missionspredigt in der Forschung nur wenig Beachtung gefunden, das Hauptproblem liegt in der »Spannung zwischen dem Verkündigungsgeschehen und seiner Überlieferung«.263 Von Padberg untersucht die Mission bei den Angelsachsen, in den Randgebieten des absterbenden Merowinger- und heranwachsenden Karolingerreichs, im skandinavischen Raum und bei den nordöstlichen Slavenstämmen; als Quellen dienen erzählende Texte (hagiographische Literatur, skandinavische Sagas, Kirchengeschichten einzelner Länder), Quellen offiziöser Natur (karolingische Kapitularien, Zeugnisse des kirchlichen Alltags) sowie die Sachüberlieferung.

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Spuren eines Heiligen zwischen York, Rom und Münster, Mainz 2005; D. Fraesdorff, Ansgar. Apostel des Nordens (Topos-Taschenbücher 633), Kevelaer 2009, und E. Knibbs, Ansgar, Rimbert and the Forged Foundations of Hamburg-Bremen (Church, Faith and Culture in the medieval West), Farnham u. a. 2011. R. Meens, Aspekte der Christianisierung des Volkes, in: Felten/Jarnut/von Padberg (Hg.), Bonifatius, 211–229, 229. – Zur Rolle der Priester vor Ort vgl. auch C. van Rhijn/S. Patzold (Hg.), Men in the Middle. Local Priests in Early Medieval Europe (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 93), Berlin/Boston 2016. Vgl. von Padberg, Inszenierung, 418. Von Padberg, Inszenierung, XI. Er untersucht das Vorfeld des Predigteinsatzes, Praxis und Inhalte, Theorie und Politik sowie Folgen der Missionspredigt. Von Padberg, Inszenierung, 35. Von Padberg, Inszenierung, 21. Von Padberg, Inszenierung, 1.

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Als Voraussetzungen eines Missionseinsatzes nennt von Padberg das Empfinden einer Berufung, die zusammen mit einem Sendungsbewusstsein zum Auszug in die Heidenländer führen konnte, sowie eine entsprechende Ausbildung und schließlich eine Beauftragung durch Kirchenobere oder Herrscher. Kamen die Missionare, mit der notwendigen Ausrüstung versorgt, am Zielort an, war es sinnvoll, eine Predigterlaubnis zu erwirken. Von Padberg glaubt, dass sie sich aus taktischen Gründen durchaus mit dem Polytheismus beschäftigt hätten, um für Auseinandersetzungen gewappnet zu sein. Größere Ansiedlungen, Handelsplätze und Residenzorte waren Anlaufpunkte der in Kleingruppen reisenden Missionare, die dort auf öffentlichen Plätzen sprachen. Mithilfe kirchlicher Prachtentfaltung versuchten sie, Neugier zu wecken, die sie dann in Hörbereitschaft ummünzen mussten. Die Missionare mussten in der Predigt die alleinige Zuständigkeit und die Nützlichkeit des Christengottes deutlich machen. Die Predigt, so von Padberg, konnte werbend oder konfrontativ, ethisch oder dogmatisch ausgerichtet sein, war aber immer herausfordernd. Ihr theologischer Gehalt basierte auf den Kernaussagen des Glaubensbekenntnisses. Grundlage für die Ausarbeitung der Predigten waren die Bibel und sie erläuternde Schriften. Zum Inhalt gehörten die eindeutige Kritik an den Göttern des Polytheismus, die Gottes- und Schöpfungslehre, Jesus als der alleinige, durch die Auferstehung beglaubigte Heilsmittler, die Bestimmung des Menschen, Gott zu suchen, die Absage an die Götzen und die Annahme des Christentums durch den Vollzug der Taufe.264 Für von Padberg gehört auch die »Predigt ohne Worte« zum Verkündigungsgeschehen. Hier habe es genug Möglichkeiten der Auseinandersetzung gegeben. Er nennt die Zerstörung paganer Götterstatuen und Kultstätten und den Kirchbau an deren Stelle, die Einführung von Heiligenverehrung und Reliquienkult als »Sichtbarmachung der neuen Religion«, Wunder und Nützlichkeitsbeweise als »Beleg für die höhere Macht des Christengottes«, religiöse Zweikämpfe als »spezielle Form der Mission von beiden Seiten«, den Einsatz von Amuletten, Bildtafeln und Runensteinen als »Zeichen persönlicher Glaubensüberzeugung« in Gegenden mit Mischbevölkerung, sowie das Beispiel guter Werke durch Christen.265 Von Padberg hat ermittelt, dass von Seiten des Papsttums Aufforderungen zur Zerstörung heidnischer Götterbilder und Kultstätten stets an die Herrscher, nicht aber an die Missionare ergingen. »Ihre Aufgabe war die friedliche Glaubensverkündigung, während die Beseitigung der heidnischen Relikte von den Bekehrten selbst erwartet wurde«.266 In der Praxis habe sich diese idealtypische Sicht allerdings nicht durchhalten lassen. 264 Vgl. von Padberg, Inszenierung, 414–417. 265 Von Padberg, Inszenierung, 419. 266 Von Padberg, Mission, 352.

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Als mögliche Reaktionen der Heiden auf die Predigten nennt von Padberg die sofortige Tötung oder Vertreibung der Missionare, Hörbereitschaft, sofortigen Erfolg mit anschließendem Glaubenswechsel, sowie ein längeres Nebeneinander der konkurrierenden Religionen, etwa in Skandinavien. Der Polytheismus habe sich dort geschickt christliche Glaubensinhalte angeeignet und zum Henotheismus geneigt, um konkurrenzfähig zu bleiben, während das Christentum zur Erleichterung des Übertritts etwa beim Gott Thor eine interpretatio christiana zugelassen habe.267

2.4

Harte Christianisierungsarbeit

Was geschah nach der Erstverkündigung und der Taufe? Mit welchen Anforderungen für eine christliche Gestaltung ihrer Lebensweise waren die Neugetauften konfrontiert? Von Padberg stellt fest, dass die gängige Praxis der Missionsarbeit im Frühmittelalter darin bestand, eine kurze Einführung in die Glaubensgrundlagen (mit den unverzichtbaren Bestandteilen Teufelsabsage und Glaubensbekenntnis) vor der Taufe von der ethisch-dogmatischen Unterweisung danach zu trennen.268 Wie Hans-Dietrich Kahl betont, nahm man in Kauf, dass durch »indirekte Nötigung« oder »indirekte[n] Missionskrieg« erreichte »Bekehrungen« nur unvollkommen sein konnten. Um das bis zur Taufe nicht Erreichte nachzuholen, trat deshalb neben die »außerkirchliche Mission« (im Vordergrund – zum Teil stark verkürzte – Verkündigung der Glaubenslehre) eine verstärkte »innerkirchliche Nacharbeit« (Sittenlehre/Anleitung zu christlichem Verhalten). Neben dem menschlichen Wirken in Predigt, Beichtpraxis und sonstigen Seelsorgeformen sei dabei auf die heiligenden Wirkungen der sakramentalen Gnade, zu denen nur der gültige Taufempfang den Zugang eröffnete, gesetzt worden. Der formale Taufakt als solcher, der für damaliges Empfinden »den Christen macht[e]«, wurde mehr und mehr zur »entscheidenden Ziel- und Grenzmarke missionarischer Arbeit«.269 Wenn es zum Religionswechsel kam, ließ sich in der Regel zunächst die Machtelite und dann das ganze Volk taufen, so von Padberg. Ungeheure Anstrengungen waren erforderlich, um das Erreichte langfristig zu sichern: »Nach der Mission begann die Christianisierung«.270 Die anhaltende Glaubensunterweisung des Volkes, wiederum mit der Predigt im Mittelpunkt, hatte ebenso zu erfolgen wie der Aufbau einer kirchlichen Struktur. Die Kirche mit dem Altar, das 267 268 269 270

Vgl. von Padberg, Inszenierung, 417.419. Vgl. von Padberg, Mission, 356. Vgl. Kahl, Jahrhunderte, 312f.336f. Von Padberg, Inszenierung, 421.

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Zentrum des christlichen Kultes, rückte in die Mitte der Dörfer, das alltägliche Leben der Menschen gliederte nun nicht mehr die Natur, sondern der kirchliche Kalender.271 Rob Meens interessiert, »was Christianisierung konkret für die Gläubigen bedeutete« und »was man die neuen Christen an christlicher Theologie und Moral lehrte«.272 Neben einem vorbildlichen Lebenswandel sei die Kommunikation mit Worten das wichtigste Medium gewesen. In der Seelsorge zur Zeit des Bonifatius seien die Grundsätze des Christentums vor allem über Taufe, Predigt und Beichte tradiert worden. Die von Meens für den Bereich Predigt untersuchten pseudo-bonifazianischen Sermones tradieren dogmatisches Grundwissen (Credo, Vater Unser) sowie Aspekte der Heilsgeschichte (Sündenfall, Menschwerdung Christi, letztes Gericht) und konzentrieren sich daneben auf die Tugenden und Laster. Als Pflichten der Christen werden wiederholt das Fasten, der Zehnt, der Kirchenbesuch und die Verpflichtung von Eltern und Paten zum christlichen Unterricht genannt. Die von Meens für den Bereich Beichte herangezogenen Bußbücher wie das Excarpsus Cummeani geben ausführlicher Aufschluss über konkrete Anforderungen an die Christen. Die Neubekehrten sollen auf wichtigen Gebieten des menschlichen Daseins wie Sexualität, Wahl des Ehepartners, Ausübung und Beherrschung von Gewalt, Beziehung zum Übernatürlichen durch bestimmte Rituale sowie Auswahl von Nahrungsmitteln ihr Leben ändern.273 Meens hält fest, dass auch im neunten Jahrhundert die gleichen Themen diskutiert wurden, »was auf ein beharrliches Festhalten der Bevölkerung an den vor-christlichen Bräuchen schließen lässt«. Predigt und Bußpraxis seien anscheinend von den Karolingern sehr gefördert worden. »Die von Bonifatius und seinen Helfern gelegten ›Keime‹ brachten erst in dem Jahrhundert nach seinem Tod reife Früchte hervor«.274

271 Vgl. hierzu auch M. Wemhoff, Zentralität, Sakralität, Repräsentativität. Auswirkungen der karolingischen Herrschaft in Sachsen, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.), Kaiser und Kalifen. Karl der Große und die Mächte am Mittelmeer um 800, Darmstadt 2014, 116–129: In der Prägung einer karolingischen Landschaft durch Orte besonderer Sakralität, Kirchen, sieht er einen großen Bruch zur heidnischen Religiosität, die mit Plätzen verbunden war, die »aufgrund naturräumlicher Gegebenheiten besonders ausgezeichnet sind« (Quellen, Bäume oder Berghöhen). Deren Zerstörung und Verdrängung sei nahezu vollständig gelungen. »Es scheint eine klare Missionsstrategie gewesen zu sein, die alten Sakralorte nicht durch Inbesitznahme und Überhöhung neu nutzen zu wollen« (123). 272 Meens, Aspekte, 212. 273 Vgl. Meens, Aspekte, 212.218.228. 274 Meens, Aspekte, 228.

188 2.5

Der Zugang zum christlichen Leben: Das Thema Missionierung

Beteiligung von Frauen an der Mission

Wie grundsätzlich von der Forschung stärker nach der Geschichte und Rolle der Frauen im frühen Mittelalter gefragt wird,275 wird auch ihre Teilnahme an Mission und Christianisierung thematisiert. Die Historikerin Cordula Nolte z. B. hat in einer einschlägigen Arbeit »conversio und christianitas in der Zeit vom 5. bis zum 8. Jahrhundert, der […] ersten Phase der frühmittelalterlichen Christianisierung, im Hinblick auf ›weltliche‹, im ›Laienstand‹ lebende Frauen«276 untersucht. Unmittelbar einsichtig sei, »dass ohne die Aufnahmebereitschaft und Mitarbeit vieler Laien, und das heißt auch: vieler Frauen, eine Christianisierung der frühmittelalterlichen Gesellschaft nicht möglich gewesen wäre«.277 Mit der Frage nach dem Verhalten und den Aktivitäten von Frauen wird »ein bislang vergleichsweise wenig berücksichtigter Aspekt des Christianisierungsgeschehens in den Mittelpunkt gestellt«. Die in hagiographischen Texten propagierte, exemplarisch vorgelebte christianitas gottgeweihter Frauen inner- und außerhalb klösterlicher Gemeinschaften sei besser untersucht als die christlich-religiöse Praxis weiblicher Laien. Ihr Quellenmaterial, vor allem Historiographie, Hagiographie und Briefe, befragt Nolte auf das Verhältnis von Darstellung und Realität zueinander. In Noltes Untersuchung wird der vielfältige Einfluss von weltlichen Frauen auf den Christianisierungsvorgang deutlich: durch »gezielte Maßnahmen zur Durchsetzung des christlichen Bekenntnisses und zur Förderung der Missionsträger« wie durch »Verhaltensweisen, die auf den Verchristlichungsprozess langfristig verstärkende Wirkung haben mussten«. Einige Frauen hatten Anteil an den »herausragenden Herrscherkonversionen«, viele zogen ihre Kinder »als Christen auf, bestärkten sie in ihrer religiösen Haltung und unterstützten ihre kirchlichen und asketischen Ambitionen«.278 Frauen hätten zugunsten ihrer Familie von den Heilsmitteln der christlichen Religion Gebrauch gemacht und ihre Kinder damit vertraut gemacht, für geistliche Projekte materielle Grundlagen bereit gestellt, und im Interesse ihrer Familie und zugunsten von Kirche und Christentum mit Kirchenmännern kooperiert. Frühmittelalterliche Missionare hätten im Kontakt mit Frauen vielfältige Unterstützung erhalten.

275 Näheres dazu im Forschungsüberblick des Kapitels VI zur Ehe. 276 C. Nolte, Conversio und Christianitas. Frauen in der Christianisierung vom 5. bis 8. Jahrhundert (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 41), Stuttgart 1995, 1. Kursivsetzung im Original. Sie behandelt im Kontext von Ehe und Familie Religionszugehörigkeit und -wechsel, die Annahme des katholischen Christentums, Frömmigkeit und religiöses Handeln, bekehrerische und Christianisierungsaktivitäten dieser Frauen. 277 Nolte, Conversio, 2. 278 Nolte, Conversio, 303.

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Nolte hält fest, dass das Interesse der Forschung neben den mit Arianern oder Nichtchristen verheirateten katholischen Königinnen vor allem den angelsächsischen Frauen gilt, die Bonifatius aus der Ferne unterstützt oder selbst auf dem Kontinent in der Mission mitgearbeitet haben.279 Die Kirchenhistorikern Gisela Muschiol stellt heraus, dass angelsächsische Nonnen die Mission indirekt durch die Sendung von Büchern oder anderem Material wie Altardecken oder Glocken sowie durch ihr Gebet, und direkt durch ihre persönliche Beteiligung unterstützten. So setzte die angelsächsische Nonne Lioba († um 782), eine Verwandte des Bonifatius, in den 730er Jahren mit einigen anderen Nonnen auf den Kontinent über, um Bonifatius bei seiner Missionsarbeit zu helfen.280 Wie Muschiol erklärt, bedeutete die Peregrinatio in der Germanenmission »gerade nicht die Aufgabe von Heimat und Familie, sondern die Familie ist es, die die Mission personell und materiell unterstützt«.281 Die in Germanien gegründeten Klöster hätten die evangelisierende Funktion der angelsächsischen Frauen- und Doppelklöster übernommen und bereits allein durch ihre Existenz missionierend gewirkt. Muschiol entdeckt in der durch Rudolf von Fulda verfassten Vita Hinweise auf eine Predigttätigkeit Liobas sowie auf Seelsorge durch Zeichen und Wunder, die »zum typischen Missionsprogramm aller angelsächsischen Missionare«282 gehörte. Auch Hans-Werner Goetz betont in seiner Studie über Frauen im frühen Mittelalter, dass die Frauen um Bonifatius direkt oder indirekt sämtlich Anteil am Missionswerk hatten: durch moralische Unterstützung, Gaben und Geschenke, ständigen Kontakt und Austausch, Hilfe gegenüber Freunden, Gebetshilfe, Fürsprache bei den weltlichen Großen. »Den größten Beitrag zum Missionswerk aber leisteten natürlich die Frauen, die selbst auf den Kontinent kamen und in den Missionsgebieten tätig wurden […]. Da ihr Tätigkeitsfeld in Mainfranken in bereits missionierten Gebieten lag, trugen sie vor allem zur inneren Festigung dieser Sprengel bei«.283

279 Vgl. Nolte, Conversio, 6. Vgl. z. B. ihren eigenen Aufsatz C. Nolte, Peregrinatio – Freundschaft – Verwandtschaft. Bonifatius im Austausch mit angelsächsischen Frauen, in: Felten/ Jarnut/von Padberg (Hg.), Bonifatius, 149–160. 280 Vgl. G. Muschiol, Königshof, Kloster und Mission – die Welt der Lioba und ihrer geistlichen Schwestern, in: F. J. Felten (Hg.), Bonifatius – Apostel der Deutschen. Mission und Christianisierung vom 8. bis ins 20. Jahrhundert (Mainzer Vorträge 9), Wiesbaden/Stuttgart 2004, 99–114, 100–105. 281 Muschiol, Königshof, 105. Unterstreichung im Original. Vgl. dazu auch L. E. von Padberg, Heilige und Familie. Studien zur Bedeutung familiengebundener Aspekte in den Viten des Verwandten- und Schülerkreises um Willibrord, Bonifatius und Liudger (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 83), 2., überarbeitete und erweiterte Auflage Mainz 1997. 282 Muschiol, Königshof, 107. 283 H.-W. Goetz, Frauen im frühen Mittelalter. Frauenbild und Frauenleben im Frankenreich, Weimar u. a. 1995, 377. Den entscheidenden Anteil von Frauen aus der Heimat des Bonifatius an der Missionierung der rechtsrheinischen Stämme erwähnt auch E. Ennen, Frauen im

190 2.6

Der Zugang zum christlichen Leben: Das Thema Missionierung

Verbesserte Lebensqualität von Frauen (und Männern) durch das Christentum

Welche Veränderungen ergaben sich für die Menschen, besonders auch für die Frauen, im Frühmittelalter dadurch, dass sie Christen wurden? Die damaligen kirchlichen Autoren, so von Padberg, gehen kaum auf die Reaktionen der betroffenen Menschen ein. Ihnen kam es in ihrer heilsgeschichtlichen Perspektive auf die »Beschreibung der Durchsetzung von Gottes Plänen«, nicht auf »Motivanalysen« an.284 Hinsichtlich der »heute modern gewordenen Fragen nach der Stellung von Frauen und Kindern« erläutert er, dass besonders die erzählenden Texte in erster Linie von kirchlichen Autoren in Klöstern für die Lektüre ebendort verfasst wurden, und diese »schon wegen ihrer Sozialisation ein äußerst reduziertes Interesse« daran hatten.285 Von Padberg stellt das trotz dieses raren Quellenbefundes »umfassende Veränderungspotential der mit der Mission einsetzenden Christianisierung« heraus.286 Es habe sich in sozialfürsorglichem Handeln, z. B. in ersten Ansätzen der Armenpflege und der ärztlichen Versorgung, in rechtlichen Verbesserungen oder in agrartechnischen und wirtschaftlichen Innovationen der Missionare gezeigt. Solche Maßnahmen bewiesen die »Effizienz des neuen Glaubens« und sicherten den »Sieg der Kirche«.287 Angenendt betont, dass sich die frühmittelalterlichen Kirchenleute gerade auch um die Untersten, die Sklaven, bemüht haben. Sie setzten sich für eine Verbesserung ihres Loses ein und kauften zudem junge Sklaven frei, die dann in ihre Heimat zurückkehren, bei dem Freikaufenden verbleiben, oder Mönch bzw. Kleriker werden konnten.288 Ansgar z. B. habe ein eindrucksvolles Beispiel der Armenfürsorge geboten und Fürsorge für Sklaven und Gefangene geübt.289

Die »Erhöhung der Lebensqualität«, so von Padberg, spiegelt sich außerdem besonders deutlich im ethisch-gesellschaftlichen Bereich, in einem besseren Schutz menschlichen Lebens: »Beachtung des Lebensrechtes, Feindesliebe, Verzicht auf Fehderecht und Todesstrafe sowie Verbot von Abtreibung, Kindestötung und -aussetzung gehörten zu den ent-

284 285 286 287 288 289

Mittelalter (Beck’s historische Bibliothek), 5., überarbeitete und erweiterte Auflage München 1994, 77. Von Padberg, Mission, 363. Von Padberg, Mission, 320. Von Padberg, Mission, 358. Von Padberg, Mission, 363. Vgl. Angenendt, Christianisierung Nordwesteuropas, 432. Vgl. A. Angenendt, Die Mission im frühen Mittelalter, in: D. Hägermann (Hg.), Bremen. 1200 Jahre Mission (Schriften der Wittheit zu Bremen. Neue Folge 12), Bremen 1989, 61–86, 84f.

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sprechenden Maßnahmen, mit denen die Kirche ihre ethischen Leitlinien im Alltag umzusetzen versuchte«.290

Dieses christliche Handeln wirkte sicher sehr positiv, selbst wenn es nicht einfach durchzusetzen war. Von Padberg beobachtet in den Quellen einen sehr unbefangenen Umgang der Missionare mit Frauen, was auf ein positives Bild schließen lasse. Die frühkirchliche Inferioritätsthese habe offensichtlich in der Missionsphase keine Rolle gespielt. Vor allem im kirchlichen Bereich konnten sich Frauen aus der Oberschicht viel stärker entfalten als vor dem Glaubenswechsel, was besonders für die angelsächsischen Doppelklöster und für die unmittelbare Beteiligung an der Missionsarbeit auf dem Kontinent gelte. Wie von Padberg betont, hat die allmähliche Durchsetzung der kirchlichen Ehegesetzgebung zur rechtlichen Gleichordnung von Mann und Frau und zu deren besseren Rechtsschutz beigetragen.291 Die von der Kirche vertretenen Ehehindernisse seien allerdings schwer zu vermitteln gewesen. Die aus den germanischen Volksrechten bekannte patriarchalische Struktur sei durch das christliche Personenverständnis abgeschwächt worden. In Ansätzen ist gegenüber den paganen Sozialformen »eine Verbesserung der Stellung der Frau, die Betonung der lebenslangen Treue in der Ehe und der Schutz der Kinder zu beobachten«.292 Die Missionare hätten sich außerdem um den Aufbau eines Bildungswesens verdient gemacht. Die Mediävistin Birgit Sawyer fragt nach der Bedeutung der Hinwendung zum Christentum für Frauen in Skandinavien. Einerseits erhielten Frauen, denen nun ihre Gleichheit mit den Männern in den Augen Gottes vermittelt wurde, »new opportunities to act independently of their families by joining religious communities or by living a chaste life and being generous to the church«. Dies führte anderseits zu »increased restraints on their freedom of action, as the male leaders of families tried to prevent the dissipation of family property by the unchecked generosity of their kinswomen«.293

Für den evangelischen Systematiker Jörg Lauster werfen die frühmittelalterlichen Christianisierungswellen einmal mehr die Frage auf, warum Menschen Christen werden: Von den Bekehrten selbst gibt es keine Äußerungen zu ihren Motiven. 290 Von Padberg, Mission, 364. 291 Angenendt, Christianisierung Nordwesteuropas, 432, meint, die Germanen hätten »wie eben alle ›einfachen‹ Völker« die Sippenvertragsehe praktiziert, »derzufolge die Partner, mindestens aber die jungen Frauen, von den Sippenältesten verheiratet wurden, wie weiter für den Mann ein Nebenverhältnis legitim war, während die Frau bei Untreue getötet wurde«. Die christliche Ehe hingegen habe die Zustimmung beider Partner, lebenslange Treue und Partnerschaft, sowie das Bekenntnis zum Kind erfordert. 292 Von Padberg, Mission, 365. 293 B. Sawyer, Women and the conversion of Scandinavia, in: W. Affeldt (Hg.), Frauen in Spätantike und Frühmittelalter. Lebensbedingungen – Lebensnormen – Lebensformen, Sigmaringen 1990, 263–281, 281.

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Der Zugang zum christlichen Leben: Das Thema Missionierung

Die Missionserfolge sind im Kern »an eine nachweisliche, aber schwer zu erfassende religiöse Überzeugungskraft des Christentums gebunden, die sicher auch mit der persönlichen Ausstrahlung der Missionare zu tun hatte«. Eine andere Dimension ist besser zu greifen, die in der Missionierung der Germanen begann, im Frühmittelalter aufblühte und alle weiteren Missionsprojekte entscheidend begleitete: »Christentum bedeutete im Wesentlichen auch Zivilisierung und Eingliederung in einen umfassenden Kulturzusammenhang«. Besonders der Zusammenhang von Gewalt und Mission macht deutlich, dass es bei der Christianisierung nicht nur um die Verbreitung des christlichen Glaubens ging, sondern die »Aura der Zivilisierung« ebenso wie der »Expansionsdrang der Herrscher« hinzukamen, so Lauster.294

2.7

Lebendigkeit heidnischen Glaubens und Zusammentreffen mit dem Christentum

Von Padberg betont, dass der heidnische Glaube entgegen der Einschätzung der damaligen kirchlichen Autoren sehr lebendig war.295 Über die Konflikte zwischen den konkurrierenden Religionen geben die hagiographischen Quellen verständlicherweise kaum Auskunft. Besonders über das Verhalten des Volkes erfährt man wenig, weil die damaligen Autoren »in der Tradition antiker Biographie sich allein auf die Oberschicht und mehr noch auf die herausragende Einzelpersönlichkeit konzentrierten«.296 Archäologische Forschungsergebnisse würden hier aushelfen. Der Archäologe Heiko Steuer z. B. hält fest, dass abgesehen von der breiten und vielfältigen Quellengrundlage der Bestattungsriten von archäologischer Seite für das Gebiet der kontinentalen Sachsen wenig zu Religion und Kult gesagt werden kann. Für Dänemark und Schweden hingegen erlaubt das vermehrte Quellenmaterial inzwischen »die konturierte Darstellung religiös-kultischer Handlungen anhand archäologischer Überlieferung. Manches mag vielleicht aus dem Norden in Analogie auf das sächsische Gebiet übertragen werden können«. 294 J. Lauster, Die Verzauberung der Welt. Eine Kulturgeschichte des Christentums, München 2014, 157f. Von Padberg, Die Inszenierung religiöser Konfrontationen, 424, sieht die Missionspredigt als »immense Kulturleistung, weil sie den christianisierten Völkern den Anschluss an die entwickelten Länder des Kontinents ermöglicht hat«. Durch die Predigt in den Volkssprachen sei auf lange Sicht der Anstoß zur Entwicklung der Nationalsprachen gegeben worden. Für F. Prinz, Das Mönchtum in fränkischer Zeit. Klöster als Träger der Mission und Bildung, in: Württembergisches Klosterbuch 2003, 3–20, 12, »steht missionarische Überzeugungskraft in einem sehr konkreten Sinn am Beginn der europäischen Nationalliteraturen«. 295 Vgl. von Padberg, Mission, 350.361. 296 Von Padberg, Mission, 362.

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Einen Zugang zu religiösen Vorstellungen der Germanen und speziell der Sachsen könnte es über Pferde- und Tierbestattungen, wenn sie als Opfer erscheinen, und über Tierornamentik geben. »Leichter lässt sich die Ausbreitung und Durchsetzung des Christentums bei den Sachsen beschreiben, als die Götterund Glaubensvorstellungen, die durch die Mission schrittweise überwunden und beseitigt wurden«.297 Lauster meint, die Religionen, die Bonifatius vorgefunden habe, dürften »eine Mischung aus der Verehrung eines germanischen Götterolymps und Formen einer Naturreligion gewesen sein, in denen beispielsweise Bäume und Quellen verehrt wurden«. Dagegen sei Bonifatius mit der Fällung der Donar-Eiche zu Felde geschritten. Seine Tat sei aufschlussreich für einen folgenschweren Prozess. »Das Christentum entdämonisierte zunehmend die Phänomene der Natur, aber nicht nur das, es entheiligte sie damit auch«.298

Die Erforschung heidnischer Lebenswelten soll hier nicht weiter thematisiert werden. Von größerem Interesse für die vorliegende Untersuchung sind das Zusammentreffen von Heiden- und Christentum und dessen Folgen. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gab es zwischen christlichem Mono- und heidnischem Polytheismus in Bezug auf Charakteristika und Voraussetzungen der Religionen und in Bezug auf deren Gottesbilder? Arnold Angenendt führt an, dass Beschreibungen des frühmittelalterlichen Gottesbildes zumeist die strengen, unnahbaren und juridischen Züge hervorheben, wie sie vor allem im göttlichen Gericht hervortreten. Das christliche Gottesbild sei ungeheuren Konflikten ausgesetzt gewesen: in der Antike mit der letztlich unpersönlich gedachten Gottesmacht, dem Fatum, und im frühen Mittelalter mit dem germanischen Schicksalsglauben. »Trotz mancherlei Verhärtungen im frühmittelalterlichen Gottesbild bleibt es doch eine große Leistung, dass sich die christlich-personale Gottesauffassung auch gegen heftigst widerstrebende Tendenzen hat Geltung verschaffen können«.

Der Christengott als Herr des Schicksals war im Religionskonflikt durchaus attraktiv. Die »christliche Korrektur des Schicksalhaften« zeige sich schon darin, dass bei der Aneignung des christlichen Gottesbildes nicht wie bei vielen anderen Ausdrücken der christlichen Religion ein lateinisches, sondern ein germanisches

297 H. Steuer, Archäologische Quellen zu Religion und Kult der Sachsen vor und während der Christianisierung, in: Felten/Jarnut/von Padberg (Hg.), Bonifatius, 83–110, 109f. – Zum Beitrag der Archäologie vgl. auch N. Krohn/S. Ristow (Hg.), Wechsel der Religionen – Religion des Wechsels. Tagungsbeiträge der Arbeitsgemeinschaft Spätantike und Frühmittelalter 5. Religion im archäologischen Befund (Nürnberg, 27.–28. Mai 2010) (Studien zu Spätantike und Frühmittelalter 4), Hamburg 2012. 298 Lauster, Verzauberung, 156.

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Der Zugang zum christlichen Leben: Das Thema Missionierung

Wort als Lehnwort übernommen wurde.299 Für die sprachlich, religiös und psychologisch bereits in der Antike stark ausdifferenzierte Vorstellungswelt der christlichen Frömmigkeit fehlten im Germanischen die Voraussetzungen; um die Übersetzung und Ausdifferenzierung eines jeden Wortes musste gerungen werden. Hier habe das persönliche Gottesbild zu einem religiösen Umbruch in der Geisteswelt der Germanen geführt. Angenendt betont, dass man von den Germanen nur unter der Prämisse einer Mischkultur mit einfachen Sozial- und Religionsformen sprechen kann. Er versucht dennoch eine Gegenüberstellung von Christentum und germanischen Religionsvorstellungen:300 Dem extrem personalen, fürsorglichen, aber auch richtenden christlichen Gott stehen kriegerische germanische Götter gegenüber, von denen keine persönliche Fürsorge zu erwarten ist. Das Christentum verstand sich, anders als die germanische Gesellschaft, als eine streng ethische, auf Sittlichkeit bestehende Religion und als eine Religion der Caritas, während in der Germanenwelt die für Stammesgesellschaften typische Binnensozialität bei gleichzeitiger Feindschaft gegen alles Fremde herrschte. Die christliche Vorstellung eines geistigen Opfers und die damit verbundene Verinnerlichung haben, so Angenendt, der Germanenwelt gänzlich gefehlt. Dort wurden Gegenstände, Tiere und vereinzelt Menschen geopfert.301 Von Padberg hält einen weiteren fundamentalen Unterschied fest: Während die Ausbreitung ihres Glaubens stets das Ziel der Christen darstellte, waren die paganen Religionen an eigener Mission nicht interessiert. Sie glaubten an die »alleinige Zuständigkeit ihrer Götter für ihre Gesellschaft«. Die Begegnung von Heiden und Christen sei eine spannungsreiche Konfrontation gewesen, aus der sich ein »Kampf der Kulturen« entwickelt habe, in dessen Zentrum die Missionspredigt stand.302 Ein Spannungsfeld sieht von Padberg darin, »dass der Polytheismus in Glaubensdingen eher flexibel, in denen des Kultvollzugs aber exklusiv war«,303 während es sich beim Christentum genau umgekehrt verhielt. Das Christentum, so Angenendt, verstand sich als Buchreligion und war als solche wegen ihres hohen zivilisatorischen und argumentativen Niveaus gut für

299 A. Angenendt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 42009, 109f. 300 U. Nonn, Zwangsmission mit Feuer und Schwert? Zur Sachsenmission Karls des Großen, in: Felten (Hg.), Bonifatius, 55–74, 68, spricht in Bezug auf Franken und Sachsen pointiert von einer »tiefen Strukturverschiedenheit der beiden Religionen«, welche die religionswissenschaftliche Forschung herausgearbeitet habe: »hier die eigene, monotheistische Universalreligion mit bevorzugter Blickrichtung auf die individuelle Erlösung, dort eine polytheistische Stammesreligion, der es vorrangig um die Absicherung diesseitigen Heils des Volkes ging«. 301 Vgl. Angenendt, Christianisierung Nordwesteuropas, 421f. 302 Vgl. von Padberg, Inszenierung, 414. 303 Von Padberg, Inszenierung, 419.

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die Mission gerüstet. Im Frühmittelalter stieß es auf Kulturen, die es als kaum kompatibel erfuhr. »Mit seinem ›geistigen Gottesdienst‹ (vgl. Rom 12,1) und seiner hohen Ethik präsentierte es sich als Hochreligion und erforderte die dafür nötigen religiös-kulturellen Vorbedingungen: Gewissenhaftigkeit und Literaturfähigkeit, Selbstreflexion und asketische Disziplin«.304

Die Möglichkeiten für das Christentum in der Missionssituation bestanden darin, sich in den einfachen Kulturen seine Vorbedingungen selber aufbauen oder eine Wesensminderung an sich selbst hinzunehmen; im Frühmittelalter geschah beides. An vielen Stellen sei zu sehen, »wie Christentum und frühmittelalterliche Welt konvergierten und sich dabei auf einem irgendwie mittleren Niveau zusammenfanden«.305 Die von einem übergentilen Denken geprägten Missionare passten sich, so von Padberg, in der Praxis »geschmeidig und effektiv« der gentilen Mentalität (geprägt von Vorstellungen wie Tun-Ergehen-Zusammenhang oder Sakralkönigtum) an. Das sei ihnen durch ihre ethnische Verbundenheit mit den Heiden der germanischen Stämme erleichtert worden, habe für das Erscheinungsbild der Kirche aber auch manche Gefahren mit sich gebracht.306 Wie war die frühmittelalterliche Gesellschaft strukturiert? Wie wurden die Religion betreffende Entscheidungen getroffen? Welche Rolle spielte der Einzelne im Missionsgeschehen? Wie Angenendt für Stammesgesellschaften und somit auch das frühe Mittelalter festhält, wurde das Leben kollektiv geführt und alle Lebensentschlüsse wurden kollektiv gefällt. Der Einzelne konnte nur als Glied einer Gemeinschaft Bestand haben und musste sich als Teil des größeren Ganzen verstehen. Eine Ausgliederung hätte für ihn nicht Freiheit, sondern Ungesichertheit bedeutet. Religiöse Individualität und Vielfalt in der Religionsausübung seien nicht vorstellbar gewesen. Weil die im Frühmittelalter sich bekehrenden Völker (anders als die Christen) keine Trennung von Säkularem und Religiösem kannten, habe ein Religionswechsel das ganze Leben erfasst und konnte nur – nach einem Entschluss der politisch führenden Schicht – kollektiv vollzogen werden. Andernfalls wäre das Leben sozial und religiös auseinandergefallen. In Stammesgesellschaften wurde zudem alles Leben biologisch, brauchtums- und gesetzesmäßig auf die Vorfahren zurückgeführt, weshalb ein Wechsel zum Christentum, der den totalen Bruch mit der Welt der Vorfahren einschloss, gefährlich erschien. Viele Königsgeschlechter hätten daraufhin eine neue Begründung ihres Geblütsvorzugs gesucht und sich einen christlichen Spitzenahn geschaffen. Der 304 Angenendt, Christianisierung Nordwesteuropas, 425. 305 Angenendt, Christianisierung Nordwesteuropas, 427. 306 Von Padberg, Mission, 357.

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Der Zugang zum christlichen Leben: Das Thema Missionierung

Friesenkönig Radbod († 719) hingegen verweigerte laut einer Legende aus Rücksicht auf seine Vorfahren die Taufe.307 In Bezug auf die heutzutage häufig kritisierten Massentaufen (individuelle Entscheidungen seien dabei kaum möglich gewesen, daraus sei ein relativ ungefestigtes Christentum entstanden) hat von Padberg festgestellt, dass sie in den Quellen tatsächlich häufig begegnen, was beim Vorgehen der Missionare und dem gentilen Denken der Heiden durchaus verständlich sei. Die neuzeitliche Betonung der Individualität dürfe aber nicht als Bewertungsmaßstab für diese Massenphänomene einer ganz anderen Epoche herangezogen werden: »Denn erstens waren den Missionaren solche Kollektivtaufen von den Berichten des Neuen Testaments her vertraut und zweitens sagt eine korporative Taufe nichts über die innere Beteiligung der Individuen aus, deren Befindlichkeit demzufolge von wirklicher Überzeugung bis zu widerstrebender Beteiligung aufgrund von Gruppendruck reichen konnte«.308

Von Padberg hebt die Bedeutung der Individualität in der Missionsepoche hervor. Die Glaubensboten hätten »individuelle Leistungen« vollbracht und sich in der Erfüllung des von ihnen als Auftrag verstandenen Missionsbefehls allen Respekt verdient. Die pagane Religiosität sei »aufgrund ihrer Bindung an den Kultvollzug zwar gemeinschaftlich orientiert« gewesen, »aber glauben mussten die Menschen letztlich doch persönlich«. Die Mission war seiner Ansicht nach »nicht nur eine Form der Ausbreitung kirchlicher Strukturen, sondern sie forderte durch die Predigt zuerst zu individueller Entscheidung heraus«.309

2.8

Konturen des frühmittelalterlichen Heidenbildes

Der Mediävist Hans-Werner Goetz legte kürzlich eine Arbeit mit dem Ziel einer umfassenden Analyse der »zeitspezifischen Wahrnehmung anderer Religionen und ihrer Träger oder Anhänger durch christlich-abendländische (›katholische‹) Autoren des frühen und hohen Mittelalters«310 vor. Die Erforschung mittelal307 Vgl. Angenendt, Mission im frühen Mittelalter, 61–65. Letzteres findet sich in der Vita Wulframni. 308 Von Padberg, Mission, 355. 309 Von Padberg, Inszenierung, 424. Die Missionare seien allerdings nicht immer die »strahlenden apostelgleichen Glaubenshelden« des überlieferten Bildes gewesen, sondern hätten Angst gehabt, »durch Versäumnisse bei ihrer Arbeit das eigene Seelenheil zu verlieren« (420). 310 H.-W. Goetz, Die Wahrnehmung anderer Religionen und christlich-abendländisches Selbstverständnis im frühen und hohen Mittelalter (5.–12. Jahrhundert). Band 1, Berlin 2013, 10. Diese Perspektive beinhaltet sowohl vorstellungs- (Vorstellungen von den anderen Religionen) als auch mentalitätsgeschichtliche (Einstellungen ihnen gegenüber) Aspekte. Mit

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terlicher Vorstellungen, die »wichtige Einblicke in Denken, Empfinden und Glauben der Menschen in deren eigener Perspektive und Selbstsicht, in ihre Lebenswelt und ihr darauf basierendes Handeln« gewährt, besitzt einen hohen Stellenwert in einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten Geschichtswissenschaft.311 Die Frage der Wahrnehmungen berührt Bereiche wie das Verhältnis zwischen Darstellung und tatsächlichem Geschehen oder zwischen Text und Inhalt einerseits und zwischen Erinnerung und mangelndem Erinnerungsvermögen andererseits. Als Quellen dienen ihm vor allem theologische Traktate, historiographische und hagiographische Schriften sowie bibelexegetische Kommentare.312 Die heutige Thematisierung des Verhältnisses der Religionen zueinander und ihres (Selbst-)Verständnisses resultiert für Goetz aus einer erneuten Beachtung dieses strukturgeschichtlich und lebensweltlich lange eher verdrängten Aspekts, und aus den Erfordernissen einer multikulturellen Gesellschaft, die religiöse Konfrontationen mit sich bringt.313 Mit der religiösen Vorstellungswelt des Mittelalters würde die zentrale Perspektive einer weithin religiös geprägten Gesellschaft in einer Epoche, in der im Abendland das Christentum vorherrschend war, erfasst. Die stark epochenspezifisch ausgeprägte mittelalterliche Religiosität sei entsprechend zu analysieren.314

Die durch Goetz untersuchte Wahrnehmung der Heiden und der polytheistischen Religionen315 sei bisher, abgesehen von einzelnen Aufsätzen und Beobachtungen, nur bei einzelnen Autoren im Sinne einer religiösen Fremdheit berücksichtigt, sonst aber eher kurz und pauschal abgehandelt worden. »Im Blickfeld der Forschung stehen hier ansonsten vornehmlich Fragen nach den heidnischen Religionen an sich und ihrem Weiterwirken einerseits und vor allem nach Mission und Christianisierung andererseits. Das ›Heidenbild‹ wird dabei zwangsläufig immer wieder gestreift, ist aber noch nicht systematisch aufgearbeitet worden«.316

Mehrfach orientiert Goetz sich an Überlegungen von Padbergs, zugleich grenzt er sich von ihm ab. Von Padberg hat z. B. das Sachsenbild in hagiographischen Quellen untersucht: Darin erfolgen meist keine näheren Angaben hinsichtlich

311 312 313 314 315

316

der Wahrnehmung anderer Religionen erhält man auch Kenntnis über das religiöse Selbstverständnis und die Sichtweisen der abendländischen Christen. Goetz, Wahrnehmung, 8. Vgl. Goetz, Wahrnehmung, 23f. Vgl. Goetz, Wahrnehmung, 1. Vgl. Goetz, Wahrnehmung, 9f. Für die Wahrnehmung von Juden und Muslimen im frühen Mittelalter vgl. die weiteren Teile von Goetz’ Buch sowie z. B. L. Geis, Fremde, Verbündete, Gegner? Muslime und Juden im Verständnis Karls des Großen, in: W. Dreßen/G. Minkenberg/A. C. Oellers (Hg.), Ex oriente. Isaak und der weiße Elefant. Bagdad – Jerusalem – Aachen. Eine Reise durch drei Kulturen um 800 und heute. Band III: Aachen. Der Westen, Mainz 2003, 78–93. Goetz, Wahrnehmung, 15.

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Der Zugang zum christlichen Leben: Das Thema Missionierung

der »religiösen, gesellschaftlichen und politischen Situation der zu missionierenden Stämme oder Völker«. Den Vitenschreibern kam es darauf an, dass »unter Ausschließung jeglicher häretischen Strömung dem Teufel durch den Vollzug möglichst vieler Taufen« geschadet werde.317 Sie stellten die Heiden als wild, furchterregend, und als Bedrohung des friedlichen Frankenreichs dar. Bei Bonifatius, dessen Briefe die gleiche Sprache sprechen, stand ähnlich wie bei den irischen Peregrini das eigene Seelenheil im Vordergrund, »gefolgt vom Motiv der Mission bei den verstockten Heiden«. Vereinzelt wurden einschlägige, zum Heidenbild gehörende Glaubenspraktiken beschrieben, der »tiefere religiöse und soziale Sinn dieses Kultes und seine Benutzungsregeln« waren aber nicht von Interesse. Die heidnischen Gottheiten galten als »von Menschen produzierte, zu nichts taugende Bilder, hinter denen allerdings widergöttliche Mächte standen«.318 Bei der Mission ging es nicht um einen religiösen Dialog zwischen einzelnen Menschen, sondern um eine existentielle Auseinandersetzung zwischen Kulturen mit dem doppelten Ziel der Entpaganisierung und Christianisierung.319 Eine Ursache für das sehr grobe Heidenbild sieht von Padberg in der »von Paulus begründeten und von dem afrikanischen Bischof Vigilus von Thapsus klassisch formulierten Grobeinteilung der Menschheit in Christen, Heiden und Juden […]. Um die ersehnte Wiederkehr Christi auf Erden zu beschleunigen, hatte man sich als Christ mit den Heiden eben nicht näher zu beschäftigen, man musste sie bekehren«.

Die in den Viten als Missionsziele genannten Stämme bezeugen die »weitgespannte Einsatzfreude der Glaubensboten« und ihr universalmissionarisches Denken, welches die »missionspolitische Umsetzung des von Paulus nachhaltig vertretenen Monogenismus« darstellte.320 Wie Goetz betont, scheint eine von vorneherein religiös aufgeladene Begrifflichkeit selbst in Berichten durch, die ethnische Benennungen bevorzugen. Er sieht einen engen Zusammenhang zwischen Mission und Heidenbild, die beide 317 Von Padberg, Sachsenbild, 179f. Angenendt, Mission im frühen Mittelalter, 68, hält für das Frühmittelalter grundsätzlich ein »dualisierendes Welt- und Menschenbild« fest, das einen »Antagonismus von Gottes- und Teufelsreich« bewirkt habe. Alle Nichtgetauften galten den Christen als vom Teufel beherrscht. 318 Von Padberg, Sachsenbild, 181f. 319 Kahl, Jahrhunderte, fordert, dieses »negative« (Ausrottung des Heidentums) und »positive« (Einpflanzung des Christentums) Missionsziel ebenso klar voneinander zu unterscheiden wie »Heidenmission« und »innerkirchliche Nacharbeit«/»Neophytenseelsorge«. Es müsse jeweils überprüft werden, ob ein »außer-« oder ein »innerkirchliches«/»apostatisches« Heidentum vorliege, demgegenüber das Vorgehen der Kirche, mit ihren eigenen Maßstäben gemessen, ganz anders zu beurteilen sei. Kahl mahnt zu großer Zurückhaltung in der Anwendung von Begriffen wie »Gewaltmission« oder »Zwangschristianisierung«. 320 Von Padberg, Sachsenbild, 187f.

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der festen christlichen Überzeugung von der einzig wahren und heilbringenden Religion entspringen. In der Wahrnehmung der mittelalterlichen Autoren grenzten Heiden sich sowohl inhaltlich wegen ihrer mangelnden Gotteskenntnis als auch formal wegen der fehlenden Taufe von den Christen ab. Heidentum wurde als Irrtum, Aberglaube (Verehrung handgefertigter Idole in Hainen und Tempeln, Opferkult, Orakel, Magie, heidnische Tänze/Gesänge/Bestattungsriten) und Teufelskult, die heidnischen Götter als Dämonen betrachtet. Das negative Heidenbild prägten Stereotype, es machte wenig Unterschiede zwischen den verschiedenen Zeiten und Kulten. An einzelnen funktionalen Stellen wurden die Heiden jedoch als aufgrund ihrer natürlichen Anlagen moralisch sittsam, rechtsbewusst und sogar vorbildhaft den schlechten Christen gegenübergestellt.321 Goetz beobachtet bei aller Abgrenzung »immer auch gleiche oder ähnliche, nämlich zeitgemäße Denkweisen« (Glaube an göttliche Machterweise und Entscheidungen, Wunder etc.), die eine kulturelle Vertrautheit gewährleistet hätten.322 Das habe eine Verständigung der Missionare mit den Heiden bis zu einem gewissen Grade möglich gemacht. Wie es scheint, hätten sich die Missionare nicht einfach der gentilen Mentalität angepasst, sondern in vielerlei Hinsicht die gleiche frühmittelalterliche Mentalität besessen. Die ähnlichen Vorstellungen erklären für Goetz auch die nahezu zwanglose Aufnahme heidnischer Elemente in das Christentum und umgekehrt während der Missionsphase. In den Quellen würden sich die Ähnlichkeiten nur indirekt widerspiegeln, denn es sei dort nicht um die ähnliche übermenschlich-magische Handlungsweise, sondern um den richtigen Glauben gegangen.323 Goetz unterscheidet drei Kommunikationszusammenhänge: das missionarische Wirken im Heidenland, heidnische Einfälle rein kriegerischer Natur in christliche Gebiete, die militärische Konfrontationen bewirkten, sowie friedliche Kontakte z. B. im Handel. Bündnisse christlicher Herrscher mit Heiden gegen ihre christlichen Feinde seien nicht gutgeheißen worden.324 Die direkte Konfrontation habe stets mitgeschwungen, sei in den Quellen jedoch nur selten besonders herausgestrichen worden. »Der strikte religiöse Gegensatz verhinderte nicht ein mitmenschliches Agieren, eben weil dahinter ähnliche Vorstellungen standen«. Goetz meint, zwischen Christen und Heiden habe »eine religiöse, jedoch eben keine (generell) kulturelle Konfrontation« bestanden.325

321 322 323 324 325

Vgl. Goetz, Wahrnehmung, 217–219. Goetz, Wahrnehmung, 220. Vgl. Goetz, Wahrnehmung, 223–226.230f. Vgl. Goetz, Wahrnehmung, 227–230. Goetz, Wahrnehmung, 232.

200 2.9

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Missionierung in Sachsen und deren Beurteilung

Forscher haben die frühmittelalterliche Mission in den verschiedensten Regionen des Kontinents untersucht.326 Besonders intensiv war die Beschäftigung mit der Eroberung und Missionierung Sachsens, die durch eine starke Beteiligung des christlichen Herrschers und außergewöhnliche Härten gekennzeichnet, und nicht unumstritten war. Hans-Dietrich Kahl betont in einem zentralen Aufsatz, dass die karolingerzeitliche Kirche an der Grundlegung der königlichen Kriege ihrer Gegenwart nicht auslösend oder führend beteiligt war, sondern mehr dienend, vom Herrscher herangezogen, und die römische so gut wie gar nicht.327 Er sieht die Sachsenpolitik Karls des Großen als »Ergebnis wiederholter wechselseitiger Eskalation, bewirkt durch das Ineinandergreifen mehrfacher Aktion, Reaktion und Antireaktion«, jeweils auf einer profan- (als Fundament) und einer religionspolitischen (entscheidend für konkrete Ausprägung und Profilierung der Vorgänge) Ebene zugleich.328 Arnold Angenendt hält fest, dass es Karl der Große war, der in Sachsen die Christianisierung durchsetzte, dafür die Missionare berief und die Ressourcen bereitstellte. Er habe wie kein anderer Herrscher in der westlichen Geschichte die ungeteilte Hoheit als König und Priester beansprucht: Karl wollte bei seinem ersten Zug gegen die Sachsen 772 durch die Zerstörung der Irminsul von vorneherein die Überlegenheit des Christengottes demonstrieren.329 Er zielte wohl in Richtung Porta Westfalica zu einem zentralen Versammlungsort der Sachsen, bei einem Friedensschluss wurden einige sächsische Geiseln gestellt. Nach einem Racheschlag gegen Kloster Fritzlar und die Büraburg fasste er den Entschluss, die ungläubigen und vertragsbrüchigen Sachsen so lange mit Krieg zu überziehen, bis sie besiegt und der christlichen Religion unterworfen oder ganz vernichtet

326 Vgl. z. B. Berschin/Geuenich/Steuer (Hg.), Mission, oder verschiedene Beiträge zum Anteil der Iren an der Mission einzelner Völker des Kontinents in: Löwe (Hg.), Iren. 327 Vgl. H.-D. Kahl, Karl der Große und die Sachsen. Stufen und Motive einer historischen »Eskalation«, in: Ders., Heidenfrage, 343–407 (Erstveröffentlichung 1982), 401. 328 Kahl, Karl der Große, 398. Nach dem ersten Sachsenzug Karls, der Grenzkrieg und Strafexpedition gegen einen heidnischen Gegner war, habe die erste Eskalationsstufe im Kriegsziel der Christianisierung oder Ausrottung, und einem ersten Verwirklichungsansatz in friedlicher Christianisierung unter bloßer Hegemonie bestanden. Als zweite Eskalationsstufe sieht Kahl die friedliche Christianisierung und Oberherrschaft sowie eine Autonomie unter Vorbehaltsrechten, als dritte Zwangschristianisierung und Annexion mit Aufhebung jeder Eigenständigkeit. 329 Nonn, Zwangsmission, 59, meint, dies sei glänzend gelungen: »Ungestraft konnten seine Diener schalten und walten. Der moralische Erfolg wurde noch verstärkt durch ein angebliches Wasserwunder, von dem die offiziösen Reichsannalen berichten«.

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sind.330 Zum Sachsenzug des Jahres 775 konnten Tod und Taufe vermeldet werden. Infolge eines Überraschungsangriffs Karls verpfändeten die Sachsen an den Lippequellen ihr Land und gelobten Unterwerfung und Christlichkeit. Bei einer Reichsversammlung 777 in der neuen Pfalz Paderborn ließen sich viele Sachsen taufen, verpfändeten wiederum ihr Land und gelobten Treue. Eine Synode beschloss eine Aufteilung in Missionsbezirke. Unter Führung des Westfalen Widukind († um 798) kam es aber zu einem erneuten Gegenschlag, dem für beide Seiten erbitterte und verlustreiche Schlachten folgten. Die Sachsen galten in den Augen der Franken nun gänzlich als »Verräter und Apostaten«, welche »wider besseren Glauben zum Heidentum zurückgekehrt waren und deshalb den Tod verdienten«, so Angenendt.331 Es kam zu Deportationen, und Karl verlangte »von seinen sächsischen Parteigängern die Auslieferung abtrünniger Landsleute«, die er im sogenannten »Blutgericht von Verden« 782 hinrichten ließ.332 Diese blutigen Jahre seien möglicherweise noch durch die Capitulatio de partibus Saxoniae verschärft worden, deren Bestimmungen vornehmlich Religionssachen betrafen und häufig mit der Todesstrafe drohten. Der Mediävist Ulrich Nonn blickt auch auf die Wirkungsgeschichte: Heutige Zeitgenossen würden kaum etwas Konkretes mit Karls Sachsenkriegen verbinden. Wenn überhaupt sei es ein Einzelereignis, das sogenannte »Blutbad von Verden an der Aller«, wobei zum Teil heute noch der (besonders in NS-Historikerkreisen verbreitete) Begriff des »Sachsenschlächters« fallen würde. Für ein objektives Bild sei man auf die relativ reichlich fließenden Quellen der Zeit angewiesen, die allerdings fast ausschließlich »aus der Perspektive der Sieger« geschrieben sind.333 Nach fränkischer Auffassung lag der Tatbestand des Hochverrats vor, auf den die Todesstrafe stand. Das harte Vorgehen Karls lässt sich wohl aus seiner tiefen Verbitterung darüber erklären, dass Sachsen noch immer nicht eingegliedert war. Es spiegelt sich auch im »drakonischen Sondergesetz«, einem weiteren Argument für die »Verteufelung Karls als ›Sachsenschlächter‹«. »Der herrscherliche Wille zur Durchsetzung des Christentums – auch mit staatlichen Zwangsmitteln – ist hier auf einen bis dahin einmaligen Höhepunkt getrieben worden«.334 Nach Auffassung Karls und seines Hofes waren Gottes- und Königsdienst nicht zu trennen. Mit denselben Mitteln und im selben Geist wie für sich habe der König Gehorsam für Gott eingefordert.

330 Vgl. Angenendt, Christianisierung Nordwesteuropas, 427. Letzteres findet sich in den sogenannten Einhards-Annalen. 331 Kahl, Karl der Große, 400f, meint, dass die Feldzüge Karls ab 777 einen als rechtmäßig hergestellt angesehenen christlichen Besitzstand zu wahren suchten. Dazu sei Apostatenrecht eingesetzt worden. 332 Angenendt, Christianisierung Nordwesteuropas, 427f. 333 Nonn, Zwangsmission, 56. 334 Nonn, Zwangsmission, 63.

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Der Zugang zum christlichen Leben: Das Thema Missionierung

Im Jahr 785 tat Karl schließlich, so Angenendt, einen ungewöhnlichen Schritt und traf sich mit seinem Todfeind Widukind und dessen Verwandten Abbo zu Friedensverhandlungen. Nach der Zusicherung von Straffreiheit und Sicherheit für Leib und Leben ließen sich die beiden in der Pfalz Attigny taufen, wobei Karl die Patenschaft übernahm – ebenso wie später Karls Sohn Ludwig über Harald von Dänemark († Mitte 9. Jhd.).335 In seiner Arbeit über die Patenschaft wollte Angenendt die missionarisch-liturgischen Aufgaben des Herrschers klären. Er stellte fest, dass über den Anteil des christlichen Herrschers an der frühmittelalterlichen Mission nur gelegentlich noch kontroverse Äußerungen fallen. Dem Phänomen des kaiserlichen Taufpatronates im Westen habe die deutschsprachige Forschung wenig Beachtung geschenkt. Manche Autoren würden dem Quellenmaterial hilflos gegenüberstehen, liturgische Vorgänge nicht kennen, die wichtigen juristischen Aspekte nicht erwähnen oder es fehle das Vokabular.336 Für Angenendt hat die Patenschaft »eine geistliche und zugleich politische Sohnschaft«337 bewirkt. Mit der geistlichen Vaterschaft hätten sich Formen der Herrschaftsinvestitur und der Waffensohnschaft verbunden, und sich missionspolitische Konsequenzen ergeben. Man hoffte, »dass ein getaufter Heidenfürst seine ›Wildheit‹ ablege und sich im Religiösen wie im Politischen als treuer Sohn erweise«. Erstrebt wurde der Glaube an Gott zugleich mit der Treue zum christlichen Herrscher, wozu die Taufe unter der Patenschaft des christlichen Herrschers genau das richtige Ritual war. Der christliche Patenkönig musste seinem Täufling ein gewisses Maß an Freiheit und Eigenständigkeit belassen. Dass er als Pate seinem Taufsohn Erzieher mitzugeben hatte, habe faktisch die Eingliederung von dessen Herrschaftsgebiet und Volk in die eigene Landes- oder Reichskirche, die »Ausdehnung der eigenen Herrschaftssphäre« bedeutet.338

Dass es sich bei der Christianisierung der Sachsen um das »am eingehendsten diskutierte, aber auch das am dichtesten dokumentierte Kapitel der deutschen Christianisierungsgeschichte« handelt, nahm der evangelische Kirchenhistoriker Knut Schäferdiek zum Anlass, die wesentlichsten einschlägigen Quellen einmal zusammenzustellen. Die evangelische Kirchengeschichtsschreibung sei der Thematik seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs weitgehend ausgewichen, wohl aufgrund der Tendenz, »Kirchengeschichte auf Theologiegeschichte zu reduzieren«, und abgeschreckt durch den »Umgang der völkischen Ideologie mit 335 Vgl. Angenendt, Christianisierung Nordwesteuropas, 428. Wie Nonn, Zwangsmission, 67, erläutert, ist Widukind nach seiner Taufe aus der Geschichte verschwunden, hat aber in Mythos und Legende ein überhöhtes Nachleben geführt. Später sei er einerseits als Freiheitskämpfer und Volksheld verklärt, andererseits als Kirchengründer und Heiliger verehrt worden. 336 Vgl. A. Angenendt, Kaiserherrschaft und Königstaufe. Kaiser, Könige und Päpste als geistliche Patrone in der abendländischen Missionsgeschichte (Arbeiten zur Frühmittelalterforschung 15), Berlin/New York 1984, 1.5.11.17f. 337 Angenendt, Kaiserherrschaft, 310f. 338 Angenendt, Kaiserherrschaft, 313.

Forschungsüberblick Missionierung

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diesem Thema« in der Zwischenkriegszeit.339 Nach Schäferdieks Meinung hat Karl der Große »keinen Religions- oder Missionskrieg geführt und keine ›Schwertmission‹ betrieben«. Sein Ziel war eine »Ausweitung der fränkischen Herrschaft durch die Eingliederung der Sachsen in das Frankenreich«.340 Die Christianisierung war »ein Folge- und Begleitprogramm der machtpolitischen Herrschaftsausweitung des christlichen fränkischen Königtums«, womit sie kennzeichnend für die mittelalterliche christliche Mission überhaupt war. Ihr besonderer Ablauf sei von der »Hartnäckigkeit des sächsischen Widerstandes nicht in erster Linie gegen das Christentum, sondern gegen den fränkischen Herrschaftsanspruch« bestimmt gewesen.341 Laut dem Historiker Matthias Becher hat kein anderer Krieg Karls des Großen »sowohl in den Quellen als auch in der Forschung soviel Beachtung gefunden wie sein Krieg gegen die Sachsen, der mit der gewaltsamen Missionierung dieses Volkes einherging«.342 In der modernen Forschung (die den Krieg für einen Missionskrieg halte) stehe die Kritik an Karls gewaltsamen Vorgehen im Vordergrund, auch wenn konzediert werde, dass die Maßstäbe der Zeit andere gewesen seien als heute. Die zeitgenössischen fränkischen Geschichtsschreiber hätten das Vorgehen ihres Königs ausgesprochen positiv beurteilt, zumindest die spezifisch militärische Seite. »Der Verbindung von Gewalt und Mission standen einige von ihnen allenfalls neutral gegenüber«,343 etwa Karls Biograph Einhard. Wie Becher festhält, ging es Karl wohl zunächst vor allem um die Eingliederung des Landes. »Eine feste Integration in das Frankenreich, eine direkte Herrschaft des christlichen Frankenkönigs, war aber auf Dauer ohne eine Christianisierung der Sachsen nicht möglich. Damit wurden Eroberung und Mission zu den beiden Seiten der gleichen Medaille«. Die Zwänge der Kriegsführung gaben die Art der Christianisierung vor. »Gewalt ging vor Überzeugung, ein erzwungener Taufakt ersetzte den eigentlich notwendigen freiwilligen Entschluss zum Glaubenswechsel«. Wichtiger als die Bedenken einiger weniger Geistlicher war Karl der Zwang zum militärischen Erfolg. Becher kann die Frage, ob Karl bei seiner Auseinandersetzung mit den Sachsen von Anfang an deren Christianisierung beabsichtigte, nicht sicher beantworten, betont aber, »dass dieser immer intensiver und brutaler werdende Kriege zur ersten gewaltsamen 339 K. Schäferdiek (Hg.), Quellen zur Christianisierung der Sachsen. Zusammengestellt, eingeleitet, neu übersetzt und mit Anmerkungen versehen (Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte 33), Leipzig 2010, Vorwort. 340 Schäferdiek (Hg.), Quellen, 38. 341 Schäferdiek (Hg.), Quellen, 39. 342 M. Becher, Der Prediger mit eiserner Zunge. Die Unterwerfung und Christianisierung der Sachsen durch Karl den Großen, in: H. Kamp/M. Kroker (Hg.), Schwertmission. Gewalt und Christianisierung im Mittelalter, Paderborn 2013, 23–52, 23. 343 Becher, Prediger, 24.

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Missionierung eines ganzen Volkes in der Geschichte der Christenheit geführt hat«.344 Von Padberg beschreibt Auseinandersetzungen um die Missionspolitik hinsichtlich der Sachsen: »Liudger, Alchuine und die Vertreter der Utrechter Missionsschule beharrten auf friedlicher Glaubensausbreitung, während Lul im Verein mit Karl dem Großen den offensichtlich härteren Kurs der Unterwerfungsmission verfolgte«.345 Angenendt meint, die Massentaufen, wie sie im Sachsenland stattfanden, hätten selbst noch das frühmittelalterliche Minimum an Taufvorbereitung unterschritten, was Karls Berater Alkuin († 804) im Nachhinein scharf kritisiert habe. Angesichts der Tauffragen des Altsächsischen bzw. Utrechter Taufgelöbnisses stelle sich die Frage, ob die Täuflinge damit überhaupt etwas anzufangen wussten. »Die Schwierigkeiten müssen übergroß gewesen sein, nicht nur beim Taufakt«, denn diesem sollten Veränderungen des gesamten individuellen und gemeinschaftlichen Lebens folgen: »der Sonntag mit Arbeitsverbot und Kirchgang, die Taufe der Kinder in den neuen Kirchen und die Beerdigung der Verstorbenen auf den ebenso neuen Friedhöfen, die oktroyierte Errichtung eines Pfarrhofes und der nur mit Erbitterung abgelieferte Zehnt, die Abschaffung der althergebrachten und mit den tradierten Lebensformen so konformen Riten«.346

Der Mediävist Wilfried Hartmann meint, der in Tours weilende Alkuin könnte über verschiedene Briefe einen gewissen Einfluss auf eine Synode ausgeübt haben, die im Jahr 796 am Donauufer über die Awarenmission beriet: Seinen Freund Bischof Arn von Salzburg († 821) fordert er auf, den Glauben zu predigen und nicht den Zehnten einzutreiben, denn dieser habe den Glauben der Sachsen zerstört. Alkuin beklagt, das Volk der Sachsen habe das Sakrament der Taufe oft verloren, weil es in seinem Herzen niemals das Fundament des Glaubens besessen habe. Er verlangt von Karl, milde Gesetze für die Awaren zu verlassen. Den biblisch begründbaren Zehnten lehnt er ab, obwohl er das Vermögen vermehrt. Es sei besser, dieses zu verlieren, als den Glauben zu zerstören. An den Kämmerer Meginfred schreibt Alkuin, die Auferlegung der Zehntleistung und eines Gesetzes für die allergeringsten Vergehen habe die Sachsen vom Sakrament der Taufe geradezu abgeschreckt.347 Der von Paulinus von Aquileia († 802) formu-

344 345 346 347

Becher, Prediger, 52. Von Padberg, Sachsenbild, 185. Angenendt, Christianisierung Nordwesteuropas, 430. Wie R. Schieffer, Alkuin und Karl der Große, in: E. Tremp/K. Schmuki (Hg.), Alkuin von York und die geistige Grundlegung Europas (Monasterium Sancti Galli 5), St. Gallen 2010, 15–32, 26, betont, sollte sich die Mission im Südosten von den zuvor bei den heidnischen Sachsen ergriffenen Zwangsmaßnahmen unterscheiden. »Als Theologe, der er war, leitete Alkuin aus der Bibel und dem Kirchenvater Augustin das Erfordernis des vorbereitenden

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lierte Beschlusstext der Synode, so Hartmann, macht deutlich, dass dieser direkt von Alkuin beeinflusst oder von ähnlichen Vorstellungen geleitet wurde. Paulinus verlangt vor der Taufe eine sieben- bis vierzehntägige Unterrichtung im christlichen Glauben, die Freiwilligkeit der Taufe und das Vermeiden von Zwang. Es gebe Hinweise auf eine sehr zurückhaltende Auferlegung des Zehnten bei der Mission im Südosten des Frankenreichs. Hartmann überlegt, ob das zweite Sachsenkapitular Karls von 797, welches die harten Bestrafungen von gegen die Franken und das Christentum gerichteten Handlungen stark abmilderte und die Zehntleistung nicht erwähnte, wohl unter Alkuins Einfluss formuliert wurde.348

2.10

Zusammenfassung

Kernpunkte des aktuellen Forschungsstandes hinsichtlich der Mission und Christianisierung im Frühmittelalter, der von einer Abkehr von konfessioneller und nationaler Geschichtsschreibung und einer Hinwendung zur Sozial-, Mentalitäts-, Vorstellungs- und Religionsgeschichte gekennzeichnet ist, seien zum Schluss noch einmal zusammengefasst. Das Handeln der Träger der Missionierung war durch ihre religiöse Motivation bestimmt und im Missionsbefehl Christi begründet, der zu einer übergentilen Orientierung führte. Die Christen prägte das Überzeugtsein von der Wahrheit ihres Glaubens. Die frühmittelalterlichen Quellen, von kirchlichen Autoren verfasst, enthalten eine Sicht des Heidentums als Aberglaube an nichtige Götzen. Die Heiden werden als unter der Herrschaft des Teufels stehend gedacht, der sie entrissen werden müssen. Die durchaus unterschiedlichen Religionen gerieten im Rahmen der christlichen Missionsbestrebungen aneinander, es kam zu Konflikten. Dass Heiden und Christen aufgrund ihrer frühmitteltalterlichen Mentalität in einigen Punkten jedoch ähnlich dachten, mag zu einer gewissen Angleichung beigetragen haben. Die Verkündigung des stärkeren christlichen Gottes geschah nicht nur in der Predigt mit Worten, sondern auch durch Taten. Die Missionsarbeit hatte das doppelte Ziel der Entpaganisierung und der Christianisierung mit der Taufe als zentraler Wegmarke. Zuvor gab es eine Einführung in die wichtigsten Glaubensinhalte wie das Credo und das Vaterunser, wobei die Übersetzung christlicher Vorstellungen in die Volkssprachen und in die Gedankenwelt der Menschen eine besondere Herausforderung darstellte. Die langwierige Einübung in ein und nachbereitenden Unterrichts für alle Täuflinge ab, die ihren Entschluss in Freiheit zu treffen hätten«. 348 Vgl. W. Hartmann, Alkuin und die Gesetzgebung Karls des Großen, in: Tremp/Schmuki (Hg.), Alkuin von York, 33–48, 42–44.

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sittliches christliches Leben, das für die Menschen viele Veränderungen bedeutete, erfolgte nach der Taufe. Die polytheistische Religion muss tatsächlich sehr lebendig gewesen sein. Häufig kam es in einzelnen Gebieten wohl zunächst zu einem konkurrierenden Nebeneinander der Religionen, und heidnische Relikte waren auch später noch lange zu finden. In diesem Prozess veränderte sich auch das Christentum. Typisch für die frühmittelalterlichen Stammesgesellschaften war ein kollektiver Religionswechsel. Die Bedeutung für den und des Einzelnen ist schwer zu beurteilen. Insgesamt brachte das Christentum den Neugetauften wohl durchaus Verbesserungen des Lebens und kulturelle Errungenschaften, z. B. eine rechtliche Besserstellung der Frauen. Die Missionare hatten wohl ein neutrales Verhältnis zu ihnen, und Frauen waren selbst an der Missionierung beteiligt. Im Falle Sachsens zeigte sich eine besonders deutliche Verbindung von Christianisierung und Eroberung, geprägt vom christlichen Herrscher als treibender Kraft, der innerhalb einer wechselseitigen Eskalation die Alternative Taufe oder Vernichtung stellte. Dies wurde von Zeitgenossen durchaus kritisch beurteilt.

3.

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

Nach der Untersuchung der Romansicht und der Darstellung der wissenschaftlichen Sicht in einem Forschungsüberblick zur Mission im Frühmittelalter stellt sich nun die Frage, wo es Überscheidungen und wo es Unterschiede gibt; Wortmeldungen von Romanautoren sind an einigen Stellen aufschlussreich. Zunächst ist festzuhalten, dass in den untersuchten Romanen keine Missionsgeschichte geschrieben und erst recht keine Missionstheologie entwickelt wird – die es auch im Frühmittelalter nicht ausgearbeitet gab, wenngleich sich Grundzüge der Missionierungsarbeit feststellen lassen. Die Verkündigung der christlichen Botschaft ist in vielen Romanen eher ein Thema nebenbei. Dort, wo es eine größere Rolle spielt, geht es eigentlich um weibliche – und einige wenige männliche – heidnische Hauptfiguren, die sich unterschiedlich stark dem Christentum annähern. In den Fällen, in denen ein Mönch als Ich-Erzähler auftritt, ist das Wirken als Missionar nur eine von verschiedenen Tätigkeiten und Phasen in seinem Leben. Trotzdem wird den Lesern ein gewisses Bild von Missionierung vermittelt, wobei die Form der Darstellung den Inhalt prägt. Zu fragen ist, was die Darstellungsweise der Romane bewirkt. Welcher Eindruck von Christwerden im Frühmittelalter wird dort erzeugt? Und wie verhält sich dieser zur Forschungsperspektive?

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

207

Grundsätzlich fällt auf, dass der Inhalt der entsprechenden Romane in vielen Aspekten den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschungen entspricht, sowohl hinsichtlich der Ereignisse und Personen als auch der Strukturen. Historische Ereignisse spielen beim Thema Missionierung eine größere Rolle als in den anderen Themenbereichen.349 Das Thema ist besonders aufschlussreich, da typische Vorgehensweisen populärer historischer Romane deutlich werden. Die Romane zeichnen sich durch eine besondere Perspektive und Schwerpunktsetzung in Bezug auf die vorkommenden historischen Ereignisse, Personen oder Strukturen aus. Auffällig ist außerdem ein fehlendes Verständnis für die frühmittelalterliche Mentalität. Folgende Fragen und Aspekte, die sich als wesentlich herausgestellt haben, werden behandelt: Zu Beginn steht die Perspektive der Romane im Vergleich zur Perspektive der Quellen sowie der Umgang der Romanautoren mit der Geschichte im Mittelpunkt. Im Anschluss stellt sich die Frage, wie sich die in den Romanen gezeichneten Bilder von Missionaren und Heiden zu Forschungsergebnissen verhalten. Dann geht es um die Darstellung der christlichen Verkündigung und der großen Beständigkeit des Heidentums in den Romanen vor dem Hintergrund einer wissenschaftlichen Sicht. Als nächstes wird nach dem Verhältnis von Belastungen und Verbesserungen durch Christianisierung in Romansowie Forschungssicht gefragt. Das weitere Augenmerk gilt der Romansicht der (häufig naturverbundenen) Frauen im Missionierungskontext im Licht einer wissenschaftlichen Perspektive. Zuletzt werden die in den Romanen herausgestellten individuellen Glaubenswege im Verhältnis zur Forschungssicht thematisiert.

3.1

Perspektive der Romane und Umgang mit der Geschichte

Die dominante Perspektive der frühmittelalterlichen Quellen und die der Romane sind grundsätzlich unterschiedlich: Die zeitgenössischen, von Männern der Kirche verfassten Quellen bieten die Sicht der Christen auf die Heiden. Sie zeigen immer nur einen Ausschnitt und sind perspektivisch gebunden. Darin spiegeln sich nicht unbedingt bestimmte Erlebnisse eines einzelnen Missionars, sondern häufig allgemeine Konzepte. Die konkrete religiöse und soziale Situation der Heiden, die Konflikte zwischen den Religionen, das Verhalten des Volkes 349 Einzelereignisse wie konkrete Ehestreitfälle, Reliquientranslationen etc. sowie bestimmte Personen, etwa Könige oder Äbte mit historischem Vorbild, kommen in den anderen Themenbereichen natürlich auch vor, aber nicht in diesem Ausmaß. – Romane über Missionierung sind in der Regel keine Krimis, vielleicht weil sich Romane mit dem Thema Mönchtum besser für dieses Subgenre eignen; hier bietet sich an, dass ein Mönch als Ermittler auftritt.

208

Der Zugang zum christlichen Leben: Das Thema Missionierung

etc. lagen nicht im Blickfeld der Verfasser. Da die Heiden selbst keine derartigen schriftlichen Zeugnisse hinterlassen konnten, sind Aussagen über ihren tatsächlichen Glauben schwer zu treffen. Die Romane hingegen konstruieren nun gerade die Sicht, die Erlebnisse und Empfindungen dieser »anderen« Seite – und sind damit ebenso einseitig.350 Hier wird häufig der Standpunkt der Heiden eingenommen und stark gemacht. Die geschichtlichen Ereignisse werden aus Sicht der Verlierer erzählt, bei ihnen liegen die Sympathien. Leitend ist die Frage, wie die großen Ereignisse auf die Menschen gewirkt haben oder was im Anschluss passiert ist. Dazu erschaffen die Autoren fiktive Personen oder gehen mit den historischen frei um. Die Autoren der Romane scheinen sich zum Teil mit den Quellen beschäftigt zu haben, die sie allerdings kritisch betrachten. Sie erzählen die historischen Ereignisse nach, wobei sie sie ausschmücken, beteiligte Personen, Chronologie und Orte verändern und die Lücken der Überlieferung füllen. Die Autoren gestehen zu, dass Vieles Spekulation ist. Einige Romane enthalten im Nachwort eine entsprechende Stellungnahme des Autors oder Übersetzers. Das dort Gesagte korrespondiert mit der beobachteten Erzählperspektive und den verwendeten Begriffen. Man gewinnt den Eindruck, dass insgesamt eine Parteinahme für die Sachsen oder Dänen, eine gewisse »Ehrenrettung«, erfolgt. Die Romanautoren Jörg Kastner und Susanne Kraus betonen, dass die frühmittelalterlichen Quellen christlichen Ursprungs und damit subjektiv und unvollständig sind. Die dort fehlende Sichtweise der Heiden bieten dann gerade die Romane. Der Übersetzer Marcel Bieger schreibt im Abschnitt »Aidans Welt« (In geheimer Mission für den Kaiser) hinsichtlich der Dänen, diese »wackeren Krieger« würde man heute »Wikinger« nennen, wobei es sie empörte, so angesprochen zu werden, denn dieses Wort leite sich vom altnordischen Wort für »Seeräuber« ab. Zu Aidans Zeit habe man eher von »Nordmännern« gesprochen. Seit einigen Jahren beginne man in England, die kulturellen Leistungen dieser Menschen stärker zu erforschen und »ihren angeschlagenen Ruf richtigzustellen. So ist es sicher auch in diesem Zusammenhang zu verstehen, dass die Dänen in Aidans Geschichte durchaus nicht als Unholde dargestellt werden« (586). Jörg Kastner erklärt im Nachwort von Widukinds Wölfe, die Handlung seines Romans sei »zum Teil Historie, zum Teil Sage und zum Teil die unerlässliche Phantasie des Autors«. Kritische Leser sollten beachten, dass auch die sogenannten historischen Quellen »nicht unbedingt die Wahrheit wiedergeben, sondern durch das oft mangelhafte Wissen oder gar durch die propagandistischen Absichten der dem Geistlichenstand angehörenden Chronisten verfälscht sein können« (459). Widukind verschwinde nach seiner Taufe schnell aus den Quellen und entwickle in den Sagen ein Eigenleben; auch Karl der Große sei zu einer 350 Natürlich stellt sich die Frage, wie ein Gesamtbild aussieht. Hierzu kann die Wissenschaft Entscheidendes beitragen. Auch sie konstruiert ein Bild, aber ein quellengestütztes – im Bewusstsein, dass es auch anders gewesen sein könnte, aber so annähernd wie möglich. Die Aussageabsichten und Einseitigkeiten vieler Quellen werden dabei berücksichtigt, Fehlendes wird erschlossen, Ergebnisse archäologischer Forschungen werden einbezogen.

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Sagengestalt geworden. »Der Sachse hatte mit seiner Bekehrung seine Schuldigkeit getan und wurde von den christlichen Geschichtsschreibern nicht mehr benötigt, ganz so, als hätten sie ihn nur erfunden, um dem großen Karl einen großen Gegenspieler zu geben« (461). In Bezug auf Karl meint Kastner, ob man die Tötung von 4500 Sachsen in Verden als Mordtat oder gerechtfertigte Strafmaßnahme sehe, hänge vom Standpunkt des Historikers ab. Diese Tat gehöre zu Karl wie die Schaffung eines Reiches und andere Leistungen. Kastner gibt an, bei den germanischen Gottheiten und ihrer Mythologie oft auf nordische Namen und Begriffe zurückgegriffen zu haben, weil solche aus dem betreffenden Zeit- und Sprachraum nicht überliefert sind (462f.). Susanne Kraus schreibt im Nachwort zu Das Amulett der Seherin, das Wenige, das über den Glauben der Sachsen mit Bestimmtheit gesagt werden könne, verdanke sich »hauptsächlich fränkischen – und damit christlichen – Quellen, die erstens nicht objektiv und zweitens nicht immer gut unterrichtet waren« (597). Dem altsächsischen Taufgelöbnis könne man entnehmen, welche Götter die Sachsen verehrt haben, diese würden aber gleichzeitig als »Unholde« bezeichnet. Aus der entsprechenden Erwähnung in den Kapitularien zu schließen, dass die Sachsen tatsächlich Menschenfleisch verspeist hätten, sei voreilig, »da die Missionsprediger, die bei den Heiden nicht allzu gut gelitten waren, gewiss keinen fundierten Einblick in deren Glauben erhalten haben dürften« (597f.).

Inwiefern kommen in den Romanen historische Ereignisse, Umstände und Texte vor? Grundsätzlich lassen sich drei unterschiedliche Vorgehensweisen in Bezug auf »historisches Material« beobachten: Zum ersten werden aus Quellen (oder Legenden) bekannte Ereignisse oder Äußerungen inklusive der betreffenden Personen wie Karl oder Alkuin (mit und ohne Kenntlichmachung!) direkt aufgegriffen und in eine Handlung verwoben. Zweitens werden, entsprechend der oben beschriebenen Parteinahme, Ereignisse nicht aus der Sicht der »Täter« und Sieger, sondern der »Opfer« dargestellt – anhand des Eindrucks, den sie auf davon Betroffene machen (Fällung der Donareiche und der Irminsul, »Blutbad« von Verden etc.). Schließlich werden Ereignisse über andere Personen erzählt als die, welche damit in den Quellen verknüpft waren; deren Äußerungen werden jemand anderen in den Mund gelegt. So hat der Friesenherzog Radbod (vgl. Vita Wulframni), der die Taufe ablehnt und auf den Himmel verzichtet, weil seine Vorfahren nicht dort sind, wohl für die Äußerungen des Dorfvorstehers Buddo in Widukinds Wölfe und der Seherin Ava in Das Amulett der Seherin Pate gestanden. Im zuletzt genannten Roman überbringt der Mönch Egbert die Nachricht vom Quellwunder nahe der Eresburg, das aus den Reichsannalen bekannt ist. Das altsächsische/Utrechter Taufgelöbnis wird in mehreren Romanen, etwa bei der Taufe, gesprochen. In vielen Romanen kommt der nur dort genannte Gott Saxnot vor. Als der Dorfpriester in Die Päpstin seine sächsische Frau dabei ertappt, wie sie ihrer Tochter Johanna Geschichten über die alten Götter erzählt, zwingt er sie, »die Worte« (23) zu sagen: das altsächsische Taufgelöbnis! Johanna werden später Gedanken Alkuins in den

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Der Zugang zum christlichen Leben: Das Thema Missionierung

Mund gelegt: wie wichtig das Einhalten der Reihenfolge von Unterweisung und Taufe ist, dass eine Bekehrung durch Feuer und Schwert wertlos ist. Finnian (Das Amulett der Seherin) meint, vor Gott sei eine Zwangstaufe ungültig. Die in mehreren Romanen vorkommende Figur »Alkuin« äußert ihre Kritik nicht, wie aus den Quellen bekannt, im Nachhinein schriftlich, sondern im direkten Gespräch mit Karl während der Christianisierung der Sachsen. So wie er den Zehnten kritisiert und sich für eine Abmilderung der Kapitularien einsetzt, tun dies mit ähnlichen Worten die Romanfiguren Finnian, Wolfger (Widukinds Wölfe), Gerswind (Die Beutefrau) und Hathumar (Mord im Dom). Die frühmittelalterliche Mentalität kommt in den Romanen kaum zum Tragen. Die dargestellten Ereignisse werden häufig nicht in einen historischen Kontext eingebettet. Für damaliges Handeln wird wenig Verständnis aufgebaut, es wird im Gegenteil an vielen Stellen vom heutigen Standpunkt aus kritisiert. Einzelne Phänomene oder Motive des frühmittelalterlichen Denkens kommen zwar vor, werden aber nicht kontextualisiert und erscheinen dadurch unverständlich bis fragwürdig. Dadurch, dass typische Verhaltens- oder Sichtweisen den Bösewichten der Romane zugeschrieben werden, während andererseits gute, sympathische Figuren auftreten, die »modern« denken und handeln, wird ein Kontrast aufgebaut: zwischen Figuren, aber letztlich zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Das Verhalten bestimmter Romanfiguren mit historischem Vorbild erscheint umso problematischer, als es – diesen Eindruck erwecken die Romane – auch damals schon Menschen gab, die über den Horizont ihrer Zeit hinaus denken konnten (vgl. hierzu die Missionarsteams). Auch im Frühmittelalter wird es vielleicht Ausnahmen vom typischen Verhalten gegeben haben; diese werden in den Romanen betont. Mit Daniel Fulda (s. o.) könnte man von authentischen Kulissen und modern denkenden Figuren sprechen – zumindest einigen, die einen scharfen Gegensatz zu den zeitgenössisch denkenden bilden. Somit weisen die Romane Bezüge sowohl zur wissenschaftlichen Deutung der Vergangenheit als auch zu Elementen und Fragen ihrer eigenen Entstehungszeit auf. Beobachten lässt sich außerdem ein historisches Dekor, das einer unpassenden Handlung oder Figurenzeichnung gegenübersteht.351 Neben dem »fundamentalen Mentalitätsanachronismus« (Fulda) fallen in einigen Romanen kleinere Anachronismen auf; so trägt Ansgar in Wikingerblut immer einen Rosenkranz mit sich, Finnian und sein Schützling Liebhild (Das

351 Aufschlussreich ist hier das Nachwort von Das Buch der Sünden: Der Autor Axel S. Meyer bezeichnet seinen Roman als »fiktive Geschichte, die an realen Stätten spielt« (775). Er erläutert die Schauplätze und die Verwendung historischer Ortsnamen, erklärt, welche wenigen Personen historisch sind, wie er Geschehnisse aus verschiedenen Zeiten verknüpft hat. Die Handlung allerdings, vor allem die Darstellung der Figur des Odo, ist völlig überzogen und unrealistisch.

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

211

Amulett der Seherin) sind große Marienverehrer. Hiermit sollen vermutlich katholische identity markers eingebracht werden.

3.2

Vorstellungen von Missionaren

Die von den Forschern betonte religiöse Motivation der frühmittelalterlichen Missionare wird in den Romanen kaum deutlich, selbst ein Auftrag ist dort nicht immer klar zu erkennen. Manche Missionare werden vom Bischof oder vom Herrscher geschickt, andere gehen aber auf eigene Faust los. Dabei werden einige von dem Bestreben geleitet, die Seelen der Heiden zu retten, ebenso viele sind allerdings vom Wunsch nach Macht bestimmt. Der Gedanke, dass sie vor Gott Rechenschaft über ihre Taten und Bemühungen ablegen müssen, kommt immerhin bei einigen Missionaren wie Finnian oder Agrippa vor. Das Thema der Peregrinatio, die nach Ausweis der Forschung ein wichtiges Motiv der irischen und angelsächsischen Missionare war, spielt in den Romanen so gut wie keine Rolle. Kaum ein Missionar, der als wichtige Romanfigur fungiert, kommt ursprünglich von einer der Inseln. Der aus Irland stammende Aidan (Die Reise nach Byzanz) wirkt zwar auf dem Kontinent, aber nicht wie die Iren oder Angelsachsen früherer Jahrzehnte im Frankenreich bzw. in dessen Grenzgebieten, sondern im Norden bei den Dänen. Er ist außerdem nicht zur Mission aufs Festland gezogen, sondern ist während einer anderen »Pilgerfahrt« (!) den Dänen begegnet. Agrippa, der missionarisch bei den »Bärenanbetern«, auf Bornholm und in Haithabu gewirkt hat, geht den umgekehrten Weg aus dem Frankenreich nach Irland, aber nicht als Missionar (Das Buch Glendalough). In Saxnot stirbt nie erfährt der Leser am Rande, dass der irische Missionar Theofried auf eigene Faust mit drei unerfahrenen Gefährten von Fulda aus nach Sachsen aufgebrochen und dort umgekommen ist. Johannas Vater, eine Nebenfigur in Die Päpstin, ist ein Priester aus England, der von seinem Bischof zur Mission bei den heidnischen Sachsen ausgewählt wurde. Ausschließlich für den aus Northumbrien stammenden Finnian wird auf die Peregrinatio angespielt, aber er schiebt sie nur als Begründung für seine Reise ins Frankenreich vor, wo er in Wahrheit Wissen erwerben will. Einschränkend ist allerdings zu sagen, dass das Thema der irischen und angelsächsischen Mission mit dem Motiv der Peregrinatio weniger wichtig für die Zeit war, in der die Romane spielen, sondern bedeutsamer in den vorherigen Generationen war. Vor allem die Romane, in denen Missionierung ein größeres Thema ist, spielen in der Regel erst ab dem Ende des achten Jahrhunderts und später. Die Missionare in diesen Romanen sind bevorzugt in Sachsen, im Norden und im Osten tätig. Die in Die Träume der Libussa und Die Priestertochter erzählten Missionsversuche bei den Behaimen und in Rethra/bei den Wenden kommen in den Quellen für die entsprechende Zeit nicht vor, groß angelegte und erfolg-

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Der Zugang zum christlichen Leben: Das Thema Missionierung

reiche Aktionen fanden dort erst später statt. Die Autoren scheinen deren Vorgeschichte erzählen zu wollen. Interessant ist, in welcher Epoche eine in England spielende Romanreihe angesiedelt ist, in der Missionierung vorkommt: Mitte/Ende des neunten Jahrhunderts ist die Insel schon längst christlich, droht aber, wieder heidnisch zu werden; in der Uhtred-Saga geht es nicht darum, Heiden zur Taufe zu bewegen, sondern die einfallenden Dänen stellen eine Gefahr für die Christen dar. Als zwischenzeitlich Missionsversuche bei den Dänen möglich sind, lassen sich manche von ihnen angesichts neuer Machtverhältnisse oder wegen der Faszination des Christentums taufen.

3.2.1 Missionare mit historischem Vorbild Die Romane setzen überwiegend auf unbekannte Missionare, aber es begegnen auch »bekannte« Missionare, solche »mit historischem Vorbild« wie Bonifatius und Ansgar.352 Deren Personenzeichnung fällt trotz des gleichen historischen Bezugspunktes und der Schilderung ähnlicher Begebenheiten aus dem Leben dieser Männer sehr unterschiedlich aus. Das Auftreten und Handeln von Romanfiguren mit historischem Vorbild – und nicht nur eine Beschreibung aus der Ferne – ist typisch für populäre historische Romane und zeigt sich z. B. auch in Bezug auf Karl den Großen. Ein Name wie Bonifatius scheint oft das Einzige zu sein, was heute noch aus dem Frühmittelalter bekannt ist. Die damaligen Viten tendieren zu einer Verherrlichung der darin vorgestellten Heiligen; in Bezug auf Bonifatius ergänzen seine eigenen Äußerungen in den erhaltenen Briefen das Bild. In den Romanen hingegen wird die menschliche und allzumenschliche Seite der Missionare betont. Dort findet eine »Dekonstruktion« bekannter Gestalten mit einem »großen Namen« statt. In mehreren Romanen findet der bereits verstorbene Bonifatius kurz Erwähnung. Mit Bonifatius wird ein bekannter Name eingebracht, der mit der Zeit der Karolingerherrschaft verbunden ist, ihr eine Signatur verleiht und sie den Lesern nahe bringt. Die Gestalt des Bonifatius erhält allerdings kaum Konturen. Von ihm bleiben lediglich im kulturellen Gedächtnis gespeicherte basale Daten wie die Fällung der Donareiche, seine Tätigkeit als Missionar und sein Märtyrertod übrig. Das Wirken in der Fremde zum Wohl der Heiden wird bei der Romanfigur Bonifatius nicht ausdrücklich als Motiv genannt. Auch der Grund für seine Rombindung (Vorstellung, dass Petrus und seine Nachfolger im Besitz der Himmelsschlüssel sind) wird nicht deutlich. Dass Bonifatius eine Bedeutung 352 Einige irische und angelsächsische Missionare früherer Generationen kommen in Romanen am Rande vor: Vom heiligen Patrick heißt es in Das Buch Haithabu, er habe »die Heiden Irlands der Herde des Herrn zugetrieben« (377). In Die Reise nach Byzanz kommen die Mönche auf dem Weg zur Küste an der Stelle vorbei, an der der heilige Pátraic nach Irland zurückgekehrt sei und die frohe Botschaft mitgebracht habe. (Von Patricks Leben handelt Stephen Lawheads Roman Der Sohn der grünen Insel.) Gallus kommt z. B. am Rande in Die Herren von Buchhorn vor, Willibrord vor allem im Roman Karl Martell.

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

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für die nachkommenden Generationen hatte, machen die Romanautoren klar, indem sie von der Verehrung seiner Reliquien und seiner Vorbildfunktion für andere Missionare erzählen. Dies enthält jedoch einen kritischen Zug, wenn angedeutet wird, dass um seinen Begräbnisort gerungen wird. In zwei Romanen spielt der noch lebende Bonifatius eine größere Rolle: In der Romanbiographie Karl Martell kommt Wynfrith bzw. Bonifatius mehrfach in seiner Auseinandersetzung mit dem karolingischen Hausmeier vor. Der Roman ist von dessen mitunter kritischer Sicht – und der weiterer Zeitgenossen – auf Bonifatius bestimmt. Die Rolle des Herrschers bei der Missionierung tritt so deutlich hervor. Bonifatius tritt auch selbst auf und spricht, aber der Autor gibt wenig Einblick in die Gedanken seiner Figur. Wichtige Lebensstationen des Bonifatius sowie seine Bindung nach Rom werden betont. Wenn Bonifatius im Glossar als Engländer bezeichnet wird, der mit Schutzbrief Karls Missionar und später Erzbischof für Hessen, Thüringen und Baiern war und in Dokkum den Märtyrertod erlitt (693), wird klar, dass der Autor sich auf den »historischen« Bonifatius bezieht. Geht es dort um den Aufstieg des Bonifatius, so ist er in Die Königsmacherin schon ein alter Mann, der den Zenit überschritten hat. Dieser Roman kennzeichnet die Gestalt des Bonifatius wiederum durch Grunddaten wie die Fällung der Donarreiche, die Missionierung Germaniens und den Märtyrertod, durch seine Beziehung zu Karl Martell und dessen Söhnen Pippin und Karlmann sowie durch seine Wirkung auf weitere Zeitgenossen. Hinzu kommt das Einspielen von Bonifatius’ eigenen Gedanken und Eindrücken sowie, passend für einen Roman mit weiblicher Hauptfigur, die Thematisierung der Freundschaft des Bonifatius zu Pippins Ehefrau Bertrada und seine Korrespondenz mit weiteren Frauen. Interessant ist, dass bei aller Betonung der Größe des Bonifatius auch das Schwinden seines Ansehens und Einflusses eine Rolle spielt. In zwei Romanen wird der noch lebende Ansgar am Rande erwähnt. Auch dessen Vorkommen beschränkt sich auf Aufenthaltsorte, missionarische Erfolge und die Vorbildfunktion. Eine größere Rolle, die gegensätzlicher nicht sein könnte, spielt Ansgar in zwei weiteren Romanen: In Das Buch Haithabu erscheint der verstorbene Ansgar als leuchtendes Vorbild für den Mönch Agrippa. Über dessen Erinnerung kommen einerseits Ansgars Lebensstationen vor, andererseits die besondere Bedeutung, die Ansgar für Agrippa hat. Agrippa glorifiziert Ansgar geradezu, wodurch ein besonderer Kontrast zu ihm selbst aufgebaut wird, der immer wieder von seinen eigenen, vor allem sexuellen Verfehlungen erzählt. Ansgar ist nicht nur in Agrippas Gedanken präsent, sondern auch leibhaftig greifbar in Form einer Reliquie, die Agrippa auf einer Reise mitführt. Zugleich wird die Erinnerung an Ansgar im Roman mehrfach gebrochen: Im Roman des Autors Claus-Peter Lieckfeld tritt der Mönch Agrippa als Ich-Erzähler auf, der einerseits die Bedeutung Ansgars für sich persönlich beschreibt, andererseits

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Der Zugang zum christlichen Leben: Das Thema Missionierung

eine längere Passage (zum Wikingerüberfall auf Hammaburg) aus der von Rimbert verfassten Vita Ansgars zitiert (die Agrippa häufig kopiert hat, 226f.). Wurde bereits in Die Königsmacherin ein gewisses Gewicht auf die menschliche Seite und das Scheitern des Bonifatius gelegt, geschieht dies in noch viel stärkerem Maß in Wikingerblut in Bezug auf Ansgar. Hier wird vom Wirken des noch lebenden Ansgar als Missionar im Norden erzählt. Im Mittelpunkt stehen die einmalige sexuelle Verfehlung des charismatischen Mönchs, sein Streben nach Macht und die Feindseligkeit, die ihm entgegenschlägt.353 Dass der »historische« Ansgar der Autorin als Bezugspunkt dient, wird deutlich, wenn Catharina Sundberg im Nachwort schreibt, der Roman schildere die Zeit um 830, als Ansgar in Birka das Christentum predigte. »Der Mönch Ansgar, König Björn, Hergeir und ein Schiffer, der Ansgar nach Birka brachte, existierten wirklich«. Ein Großteil des beschriebenen Geschehens basiere auf historischen Fakten. »Die Hauptpersonen sowie ihre Erlebnisse hingegen sind frei erfunden« (349). Als Lektüre empfiehlt sie unter anderem die Vita des heiligen Ansgar. Im Nachwort zu Wikingersilber erläutert sie, dieser Roman schildere die Zeit, nachdem Ansgar Birka verlassen habe. »Ansgars Nachfolger Gautbert und Nithard existierten wirklich; von dem, was sich in Birka zugetragen hat, wissen wir hingegen nicht viel« (409). Sundberg erklärt, sich eingehend mit den archäologischen und historischen Quellen befasst und versucht zu haben, sich in die Zeit hineinzudenken – ein für Nachworte populärer historischer Romane typischer Hinweis auf größtmögliche Authentizität. Ebenso einschlägig sind die gleichzeitige freie Ausgestaltung der Figuren, die Parteinahme für die Heiden, das Herausstellen negativer Eigenarten und Erfahrungen bekannter Missionare sowie die Konzeption eines Teams aus einem bösen und einem guten Missionar in Sundbergs Romanen.

3.3

Vorstellungen von Heiden

Anders als in den frühmittelalterlichen Quellen werden in den untersuchten Romanen die Rituale der »Altgläubigen« beschrieben, die Lebendigkeit ihres Glaubens wird aufgezeigt. In einigen Romanen heißt es allerdings, dass ihnen ihre Religion nicht wichtig ist. Generell wird die militärische Gegenwehr und die Stärke der Heiden betont. Auch mit Argumenten wenden sie sich gegen das Christentum und seine Vertreter, vor allem Walram (Das Amulett der Seherin) 353 Der Roman Das Buch der Sünden stellt einen alten und schwachen Ansgar vor, der glaubt, Gott enttäuscht zu haben und sich in eine Klause zurückziehen will. Dann mobilisiert er jedoch noch einmal seine Kräfte, um den falschen und mordenden Missionar Odo zu bekämpfen. Ansgar spielt außerdem in Die HamburgSaga, einer Mischung aus Roman und Sachbuch, eine große Rolle.

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

215

übt rationale, »moderne« Kritik am christlichen Gott und an vermeintlichen Erfahrungen mit ihm. Häufig sind die Heiden in der Romandarstellung bessere Menschen als die Christen, zum Teil werden auch beide als gleich schlecht gezeichnet. Als ganz schlimme Bösewichte, als Verräter an ihrer Religion und ihrem Volk – und letztlich doch nur halbe, äußerliche Christen –, treten Volz (Saxnot stirbt nie), Gibicho (Das Amulett der Seherin) und Asmund (Widukinds Wölfe) auf: Sachsen und Heiden, die aus Opportunismus Christen werden und sich den Franken zuwenden, welche sie zu Grafen ernennen. Als frühmittelalterliches Heidenbild aus christlicher Sicht konnte mithilfe der Forschung festgehalten werden, dass Heiden Ungläubige und Teufelsdiener sind, die Gott noch nicht kennen und an Dämonen glauben, Losorakel, Zauberei, Opfer etc. praktizieren. Im Frühmittelalter gängige Haltungen werden in den Romanen zum Teil als allgemein umlaufende Stereotype aufgeführt, aber auch bestimmten negativen Figuren in ihrer Begegnung mit Heiden in den Mund gelegt. Indem sie auf konkrete Menschen treffen, erscheinen die Benennungen wie Schimpfwörter. Gerade die unsympathischen Missionare nutzen in bezug auf Heiden Adjektive wie heidnisch, teuflisch oder böse. Das hinter dem negativen Heidenbild stehende dualisierende Welt- und Menschenbild des frühen Mittelalters wird nicht in seinem ganzen Ausmaß deutlich. Egbert (Das Amulett der Seherin) und Rutinus (Widukinds Wölfe) verkörpern die Position, dass Heiden Teufelsdiener sind und der Herrschaft des Teufels, mit welchen Mitteln auch immer, entrissen werden müssen. Das erscheint kritikwürdig, weil die guten Missionare andere Ansichten vertreten und andere Bezeichnungen verwenden. In Das Buch der Sünden geschieht über die Figur des Odo die perfekte und zugleich völlig absurde Umsetzung der Idee, dass die Heiden von Dämonen bzw. vom Teufel besessen sind: Odo glaubt, die Dämonen vernichten zu können, indem er davon besessene Menschen tötet, womit er den Untergang der heidnischen Welt herbeiführen will. Ansgar, der echte, und er, der falsche Missionar, halten sich gegenseitig für den Teufel und fordern sich gegenseitig auf, diesem zu entsagen – teilweise sogar mit den Worten des altsächsischen Taufgelöbnisses. Während die bösen Missionare also die zeitgenössischen Positionen vertreten, sehen die guten Missionare die Heiden als gleichwertige Menschen an. Sie stehen für ein Interesse an anderen Völkern und ihrem Glauben und vertreten moderne, heutige Positionen von Toleranz, Friedfertigkeit und Offenheit für andere Kulturen. Ein Christentum mit zwei Seiten, einer mittelalterlichen und einer modernen, wird beschrieben, wobei die bösen Missionare die eine, die guten die andere Seite verkörpern. Die Gewichte sind jedoch unterschiedlich verteilt. Das Christentum und seine Repräsentanten werden als überwiegend frauenfeindlich, unnachgiebig, machtversessen usw. dargestellt. Die, die für etwas anderes stehen, sind in der Minderheit – aber es gab sie, so die Romane.

216 3.4

Der Zugang zum christlichen Leben: Das Thema Missionierung

Christliche Verkündigung und Beständigkeit des Heidentums

Das Verhältnis der Götter und Religionen zueinander wird sowohl von wissenschaftlicher Seite als auch in den Romanen über die Kategorien von Vergleich, Kampf und sogar Krieg beschrieben. Mission war im frühen Mittelalter eine Auseinandersetzung zwischen Kulturen. Das wird in Romanen in jedem Fall dargestellt, wobei dort auch ein religiöser Dialog zwischen einzelnen Menschen stattfindet. Zentraler Verkündigungsinhalt der Missionare ist in den Romanen der stärkere einzige Gott, der keine Opfer fordert. Die guten Missionare betonen zusätzlich die Liebe und Gottes Beistand für die Schwachen. Vielfach werden in den Romanen die Strenge des christlichen Gottes und seiner Forderungen an die Gläubigen sowie die Härte bei deren Durchsetzung durch Vertreter der Kirche und christliche Herrscher herausgestellt. Die bösen Missionare drohen den Menschen in erster Linie und fangen, wie im Frühmittelalter üblich, mit ihrer Verkündigung beim Herrscher oder der Oberschicht eines Volkes an. Gute Missionare hingegen wenden sich in den Romanen an die einfachen Menschen, leben mit ihnen, sind für sie da, wollen sie im Gespräch und durch ihr positives Handeln überzeugen und erzählen ihnen biblische Geschichten. Dass frühmittelalterliche Heiden und Christen, wie z. B. von Hans-Werner Goetz unterstrichen wird, ähnlich denken und handeln, kommt in Romanen wie Das Amulett der Seherin und der Uhtred-Saga vor. Beide Gruppen wollen von der Stärke ihres Gottes überzeugen und hoffen auf seine Hilfe. Wer sich am Ende durchsetzt, bleibt in einigen Romanen lange offen. Bei vielen heidnischen Figuren überwiegt zunächst die Skepsis, sie haben höchstens ein zaghaftes Interesse am Christentum, halten an ihren Göttern fest und zeigen Unverständnis für christliche Vorstellungen. Die schwierige »Übersetzung« von Begriffen, die den christlichen Glauben betreffen, wird von Wissenschaftlern und Romanautoren thematisiert. Einige Autoren reflektieren im Romananhang über das Thema der damaligen Sprachen und der Verständigung. Die aus den frühmittelalterlichen Quellen erkennbare standardisierte Predigt der Missionare vor einer größeren Gruppe von Heiden wird in den Romanen eher selten beschrieben, höchstens für Agrippa (Das Buch Haithabu) und Ansgar (Wikingerblut). Häufiger werden ausführliche Gespräche mit Einzelnen erzählt; eine Predigt findet im Roman am ehesten beim Gottesdienst in der schon vorhandenen Kirche statt. Während nach Aussage der Wissenschaftler die Zerstörung heidnischer Kultstätten – die häufig eher durch den Herrscher oder die Bekehrten selbst erfolgen sollte – nur einer von vielen Bereichen der Verkündigung war und von Zwang nur mit großer Vorsicht gesprochen werden kann, wird dies in vielen Romanen in den Mittelpunkt gestellt. Besonders Rutinus (Widukinds Wölfe) und Egbert (Das Amulett der Seherin) stehen, zum Teil im Verein mit Machthabern, für brutale Tatmission und Zwangsbekehrung.

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

217

Romane stellen grundsätzlich das Schicksal von Individuen dar. Die Motive für einen Glaubenswechsel sind in damaligen Quellen nicht von Interesse, in den Romanen aber sehr wohl. Sie fallen dort recht unterschiedlich aus. Die Stärke und Hilfe des christlichen Gottes z. B. kann einzelne Romanfiguren überzeugen. Dem nach Ausweis der Forschung zentralen Stellenwert der Taufe im Verkündigungsgeschehen wird in den Romanen Rechnung getragen. Dass der Ablauf und die Bedeutung einzelner Taufen und teilweise der Weg dorthin in den Romanen häufig ausführlich beschrieben wird, während die herausfordernde Umgestaltung des Lebens und das weitere christliche Leben eine geringere Rolle spielen, passt zum wissenschaftlichen Befund. Ebenso stimmig sind die vielen lediglich »halben« oder rein äußerlichen Bekehrungen, die in einigen Romanen allerdings bis hin zur Rückkehr zum alten Glauben gehen können. Das erzählte Fortbestehen heidnischer Bräuche korrespondiert mit den Ergebnissen mediävistischer Forschungen, ebenso die dargestellte Integration dieser Bräuche in das Christentum – wenngleich es in den Romanen als bewusste Strategie der Missionare erscheint. In vielen Romanen wird stark zwischen Innen (»im Herzen glauben«) und Außen (»mit dem Mund bekennen«) unterschieden, es wird eine Spaltung beschrieben zwischen den Taten der Menschen und ihren wirklichen Überzeugungen. Heidnische und christliche Rituale werden von vielen Figuren auch parallel ausgeübt und gepflegt.354 Der Romanautor Bernard Cornwell (Uhtred-Saga) hat in einem kurzen Online-Aufsatz über die Ausbreitung des Christentums in Europa nachgedacht.355 In diesem spiegeln sich einige Befunde der Romane wider. Cornwell kennt sich offensichtlich mit dem Vorgehen mittelalterlicher Missionare aus. Was grundsätzlich durch zeittypische Denkweisen zu erklären ist – magische Vorstellungen herrschten auf allen Seiten vor –, erscheint bei ihm allerdings als kalkuliertes Vorgehen der Missionare, das einen negativen Beigeschmack erhält: Cornwell schreibt, die christlichen Missionare hätten sich zuerst an die Herrscher gewandt, denen ihre Untertanen dann nachfolgen sollten. Die Machthaber seien mit materiellem Reichtum und Siegen gelockt worden, die sich nach dem Religionswechsel einstellen würden. Da dies aber nicht immer geschehen sei, sei die Magie (Wunder) ein weiterer wichtiger Aspekt gewesen. Heutige christliche Klagen über einen starken Materialismus sollten bedenken, dass dieser für die Ausbreitung des Evangeliums genutzt 354 Die Schlüsselträgerin ist der Roman zum Thema Christianisierung: Zwei Mönche, Agius (klug, schön) und Melchior (hilfsbereit, lustig), vom Kloster Corvey kommend, bauen auf einem heiligen Berg der Heiden eine Kirche, um von dort aus die Sachsen zu christianisieren. Viele von ihnen sind zwar schon getauft, aber leben nicht durch und durch christlich, pflegen weiterhin heidnische Bräuche oder fallen in diese zurück, lassen zwar ihre Kinder taufen und begraben ihre Toten christlich, gehen aber nicht zur Kirche etc. Das »Experiment« Christianisierung wird schließlich abgebrochen. Ein großes Thema ist das Machtstreben der Kirche. Eigenkirchen, Klöster, Bistümer etc. stehen in Konkurrenz zueinander. 355 C. Schluep, Bernard Cornwell, Author of »The Pagan Lord«, Muses on the Path to Christianity, Omnivoracious – The Amazon Book Review 23. 12. 2013, http://www.omnivoracious. com/2013/12/the-path-to-christianity-by-bernard-cornwell.html, eingesehen am 21. 1. 2014.

218

Der Zugang zum christlichen Leben: Das Thema Missionierung

worden sei. Als weiteren zentralen Aspekt im Zusammentreffen von Christen und Heiden sieht Cornwell den Synkretismus. Wie er betont, hat die Kirche das Heidentum nie ganz besiegt: »They co-opted it when they could by building their churches on the sites of pagan shrines and transmuting pagan celebrations into Christian feasts. […] So people had to be seduced into the new religion by proof that it was more profitable than the old, and by co-opting the old when it proved too powerful to destroy«. Cornwell sieht Auswirkungen bis heute: »whatever comes Wednesday will still remain Woden’s day and Thursday will forever belong to Thor. The pagan gods are with us still«.

3.5

Soziale Vor- und Nachteile durch Christianisierung

Die nach Aussage der Forschung bedeutsame Rolle des frühmittelalterlichen Herrschers kommt auch in den Romanen zum Tragen: Sowohl in der Form, dass sich die Missionare an den Vorsteher eines Volkes wenden, als auch im Herausstellen der Funktion, die einem christlichen Herrscher wie Karl dem Großen oder Alfred dem Großen bei der Ausbreitung des Glaubens zukam. Frühmittelalterlichen Vorstellungen entsprechend verstanden sich diese als rex et sacerdos. Die damalige Rolle des Herrschers war womöglich noch größer als in den Romanen beschrieben, die zeitgenössische Kritik an seinem Vorgehen weniger stark. Gedankliche Hintergründe wie das Motiv der Missionare, Herrscher und aller Christen, die Seelen der Heiden vor der ewigen Verdammnis zu retten, ihre Überzeugtheit von der Wahrheit ihrer eigenen Religion oder die Vorstellung des Treuebruchs der Sachsen gegenüber dem König und dem »König der Könige«, die Karls Strafaktionen in Verden in gewisser Weise erklärt, werden in den Romanen allerdings kaum deutlich. In der Darstellung der Romane geht es dem Herrscher und den Kirchenmännern nicht ernsthaft um die Menschen und die Rettung ihrer Seelen, sie schieben dies nur vor. Die Romane enthalten eine deutliche Institutionenkritik: In der Regel ist dort die Kirche in Verbindung mit dem König schlecht, alle streben in erster Linie nach Macht. Die Gebäude, die sie errichten, sind Machtsymbole. Eroberung und Christianisierung sind verbunden, die Taufe wird erzwungen. Den Menschen werden harte Gesetze auferlegt, besonders der Kirchenzehnte drückt sie. Die Abmilderung der Vorgaben geschieht nur auf Fürsprache einzelner guter Romanfiguren wie Alkuin oder Gerswind. Solche gibt es immer wieder, aber sie sind die Außenseiter und haben nur begrenzten Einfluss, so wie der gute Teil des Missionarsteams. Wenn wichtige Romanfiguren Karl persönlich kennenlernen, entpuppt dieser sich zum Teil als umgänglich, freundlich und lernfähig (z. B. in Widukinds Wölfe). Dadurch erscheinen die

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

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Kirchenmänner in einem noch schlechteren Licht. Auffällig ist, dass die Romane heidnische Relikte sogar beim christlichen Herrscher betonen. In der häufigen Thematisierung der Missionierung der Sachsen zeigen sich typische Vorgehensweisen des populären historischen Romans: Karl der Große, der diese Missionsinitiative verantwortet, wird als bekannte historische Gestalt gerne in solchen Romanen verwendet. Überlieferte Aussagen und Abläufe, markante Ereignisse wie die Fällung der Irminsul, das Blutbad von Verden oder die Taufe Widukinds kommen ebenso vor. All dies wird aus der Opferperspektive geschildert. Indem in den Romanen auf die Gegenwehr der Sachsen, den von Widukind angeführten Kampf, Wert gelegt wird, geschieht Verlierergeschichtsschreibung. Über die Auseinandersetzungen zwischen Sachsen und Franken kann spannend erzählt werden. Widukind wird zunächst als Gegenfigur zu Karl aufgebaut, tritt aber schließlich für Versöhnung ein und wird Christ – auf eine typische klare Verteilung von Gut und Böse folgt ein ebenso typisches Happy End. Mit der Christianisierung der Sachsen greifen die Romanautoren den Höhepunkt eines drastischen Vorgehens heraus, das später kritisiert und zurückgefahren wurde. Kritik aus einer heutigen Warte an einer erzwungenen, gewaltsamen Bekehrung kann hier besonders gut angebracht werden. Dass im Hintergrund der Vorgänge stehende Denkweisen kaum einbezogen werden, zeigt sich z. B. daran, dass die Patenschaft Karls bei Widukinds Taufe ebenso wie Ludwigs Patenschaft für Harald Klak zwar genannt, in ihrer Bedeutung aber nicht ganz klar wird. Mittelalterhistoriker sehen durchaus die großen Veränderungen und Belastungen für die Menschen, die Christen wurden, betonen aber zugleich die damit einhergehenden Verbesserungen. Für die überwiegende Zahl der heidnischen Romanfiguren hingegen stellt das Christentum in erster Linie eine Bedrohung dar. Nach der Taufe, die viele nicht freiwillig annehmen, erfahren sie Einschränkungen durch die Aufforderung zum Ändern ihrer Lebensweise und zur Zahlung des Zehnten. Romanfiguren wie Walram (Das Amulett der Seherin) vertreten im Grunde eine Art Priesterbetrugsthese: Die Priester, Äbte und Bischöfe würden den Menschen mit Billigung des Königs einen gar nicht existierenden Platz im Himmel versprechen, um ihnen den Zehnten abzupressen. Der Gedanke, dass das Christentum, wie Lutz E. von Padberg erklärt hat, für die Heiden durchaus attraktiv gewesen sein muss, weil es bessere Hilfen und Erklärungen des Lebens und des Todes bot, scheint in den Romanen an einigen Stellen auf, ebenso der verbesserte Schutz des menschlichen Lebens, vor allem an seinem Beginn. So verhindert Finnian (Das Amulett der Seherin) eine Abtreibung und einen Suizid. Caritatives Engagement der Missionare kommt teilweise vor: Agrippa (Das Buch Haithabu) z. B. beendet die Praxis, dass die Heiden Kinder aussetzen; die Waisen werden von Christen der Gemeinde in Haithabu versorgt. Auch der kirchliche Einsatz für Sklaven wird, wiederum in Bezug auf Agrippa

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Der Zugang zum christlichen Leben: Das Thema Missionierung

sowie auf Ansgar (der aber nicht von selbst darauf kommt; Wikingerblut), erzählt. Missionare wie Finnian und Frederik (Die Träume der Libussa) betonen, dass Jesus sich für die Armen und Unterdrückten eingesetzt hat und nicht auf der Seite der Mächtigen stand. Damit verbunden ist eine Kritik an Kirchenmännern, die sich anders verhalten. Diese stellen in den Romanen die Mehrheit. Dass das Christentum – wie die mediävistische Forschung erwiesen hat – auch als Kulturbringer fungierte, leuchtet am Ende der Romane Das Amulett der Seherin und Die Träume der Libussa auf, wenn Ava plant, dass Finnian Widukind das Lesen beibringen soll, und Libussa eine prächtige Stadt mit Kirche, die die Christen errichten werden, vor sich sieht.

3.6

(Naturverbunde) Frauen und das Christentum

Es fällt auf, dass Romane häufig die in den frühmittelalterlichen Quellen vernachlässigten Frauen in den Mittelpunkt der Handlung stellen. In diesem Zusammenhang begegnet auch der von Historikern betonte Aspekt, dass das Christentum für Frauen interessant war: In Das Amulett der Seherin heißt es, dass vor allem Frauen übertreten, weil ihnen Walhall aufgrund ihres Geschlechts verschlossen ist; Liebhild lässt sich ebenso taufen wie Ava. Diese fasziniert das Gottesreich der Liebe und des Friedens. Der christliche Gott der Liebe wird gegen die grausamen Götter gestellt, Finnians liebender Gott steht aber auch gegen Karls grausamen Gott – eine innerchristliche Differenzierung. Für Alena in Die Priestertochter siegt die Liebe über das kalte Rethra. Ein großes Thema der Romane ist die Rolle der Frauen im Heidentum. Während die weiblichen Romanfiguren dort viele Freiheiten und Wertschätzung genießen – für die Behaimen (Die Träume der Libussa) wird sogar das Matriarchat beschrieben –, erfahren sie im und durch das Christentum Beschränkungen. Dieses wird als überwiegend frauenfeindlich gezeichnet; starke Frauenfiguren lehnen sich gegen die Frauenfeindlichkeit der Kleriker auf. Aus wissenschaftlicher Sicht wird die Stellung der Frau im Frühmittelalter ganz anders beurteilt. Sie habe sich durch das Christentum eher verbessert, die Gleichwertigkeit der Frau sei hervorgehoben worden, diese habe mehr Rechtssicherheit erlangt. – Neben vielen Missionaren, die in den Romanen Frauen sehr feindselig gegenüberstehen, gibt es die besonderen Ausnahmen der jungen, hübschen Missionare, die sich in heidnische Frauen verlieben; dies führt mehrfach zu tragischen Liebesgeschichten und mündet nur selten in eine Ehe. Nach Aussagen der Wissenschaftler wie von Padberg war das Verhältnis der Missionare des frühen Mittelalters zu Frauen neutral bis gut. Der Kontakt wird aber wohl in der Regel nicht so weit gegangen sein, dass sich Missionare mit heidnischen Frauen eingelassen haben. Eine Rolle von Frauen im Missionswerk wird in

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

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den Romanen, z. B. für Anahild in Die Träume der Libussa, klar verneint. Das ist aus historischer Perspektive, gerade hinsichtlich der angelsächsischen Ordensfrauen, nicht haltbar, zumindest was die früheren Generationen betrifft. Die in den Romanen vertretene überwiegend positive Sicht der Heiden zeigt sich auch in der Wertschätzung ihrer naturverbundenen Lebensweise. In Widukinds Wölfe z. B. lebt Wolfhard im Wald unter Wölfen, Heidrun ist eine Kräuterfrau. Die Heiden verehren Haine, Quellen und andere Orte in der Natur, nutzen diese als Opferplätze oder für andere Rituale. Vor allem die heidnischen Frauen kennen sich in der Natur aus und wissen die Wirkungen von Pflanzen zu nutzen. Sie können sogar in der Natur »lesen«, wie die Visionen Libussas (Die Träume der Libussa) oder Avas (Das Amulett der Seherin) verdeutlichen. Für Ava wird von Anfang an ihre Verbindung zur Natur betont, sie trägt ein Gewand aus Tierhäuten und Federn und verströmt einen Pflanzenduft (29f.). Später legt sie gemeinsam mit ihrem Mann, dem ehemaligen Mönch Finnian, einen Kräutergarten an (491).356 Ava ist froh, trotz Vergewaltigung und Taufe ihre seherische Gabe behalten zu haben. Sie befragt die Nornen nach dem Schicksal ihres Volkes. Das Schicksal bleibt für sie auch nach ihrer Taufe eine wichtige Deutekategorie. Die Nornen haben Avas Schicksalsfaden gewoben, was nicht bedrohlich, sondern eher tröstlich erscheint. Von einer Überwindung des Schicksalsglaubens durch das Christentum mit seinem personalen Gottesbild, wie von Arnold Angenendt betont, kann hier keine Rede sein. Magie ist in Avas Augen ein Mittel, um das Schicksal im Einklang mit höheren Mächten zu gestalten, ist Leben in tiefer Verbundenheit mit allen Wesen und Pflanzen. Hier zeigen sich heidnische Relikte, die zu dauerhaften Bestandteilen des Lebens eines Christen werden. Viele Romanfiguren mit heidnischen Wurzeln werden als sehr naturverbunden beschrieben. Dass sie sich diesen Bezug auch nach ihrer Taufe bewahrt haben, wird positiv gewertet. Gerswind (Die Beutefrau) geht zu »Stätten der Macht« in der Natur, hat gelernt, »ein Baum unter Bäumen zu werden«, und betreibt Naturmagie. In Die Welfenkaiserin preist Harald Klak gegenüber Judith Naturphänomene, die wesentlich mehr Ehrfurcht einflößen als Reliquien. Das Christentum entdämonisierte und entheiligte Phänomene der Natur, wie Jörg Lauster sagt. In den Augen der Christen, so die Romane, kann die Natur ausgebeutet werden – was sich vor allem an negativen Figuren zeigt: So ist Roswitha in Das Amulett der Seherin nach ihrer Taufe froh, dass die Natur im Christentum unbelebt ist, man vor ihr keinen Respekt mehr haben muss und sie unterwerfen darf. Männer der Kirche wie Johannas Vater (Die Päpstin) oder Egbert und Gibicho (Das Amulett der Seherin) klagen Frauen wie Hrotrud (Christin, Hebamme, Kräuterfrau) oder Ava als Hexen an, die teilweise lediglich 356 In Die Schlüsselträgerin sammelt der naive und gutmütige Missionar Melchior Insekten und freundet sich mit der alten heidnischen Kräuterfrau Gunda an.

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Der Zugang zum christlichen Leben: Das Thema Missionierung

heilkundige Fähigkeiten, einen besonderen Bezug zur Natur, haben. Weil diese Männer, wie es scheint, Angst vor den Frauen und ihrer Macht haben, greifen sie zu Unterstellungen. Die Romanautorin Susanne Kraus schreibt im Nachwort zu Das Amulett der Seherin, auch die christliche Kirche sei von Wunderglauben und magischen Vorstellungen durchdrungen gewesen. Die Menschen, die stark von der Natur abhängig waren, hätten versucht, sie durch Bräuche und Zaubersprüche zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Im frühen Mittelalter hätten sich bereits Vorstellungen von Schadenszauber gezeigt, der hauptsächlich Frauen nachgesagt wurde (598). Damit begründet sie die Verwendung des Hexenmotivs in ihrem Roman. Mit dem Gottesurteil über eine Hexe357 greift der Roman Die Päpstin ein besonderes (auch von anderen Romanen bedientes) Klischee auf, das, selbst wenn es im Frühmittelalter möglicherweise einen gewissen Glauben an Hexen gab, in seiner drastischen Schilderung einmal mehr die Grausamkeit des Dorfpriesters und somit der Kirche verdeutlichen soll.

3.7

Individuelle Glaubenswege

Während es in den frühmittelalterlichen Stammesgesellschaften keine Trennung von säkular und religiös und keine religiöse Individualität gab, war im Christentum beides ansatzweise schon vorhanden, so Forscher wie Arnold Angenendt. Das gentile Denken der Heiden und die grundsätzlich übergentile Orientierung der Missionare werden in den Romanen nicht immer deutlich. Die Christwerdung ist dort überwiegend eine persönliche Entscheidung, während es im Frühmittelalter tatsächlich meist zu einem kollektiven Glaubenswechsel kam. Letzteres kommt in den Romanen auch vor, ebenso wie Zwangstaufen, aber gerade bei wichtigen Romanfiguren stehen ihre individuellen Lebens- und Glaubenswege im Mittelpunkt. Oben wurde bereits auf das Interesse der Romane an den Motiven für einen Glaubenswechsel hingewiesen. Lutz E. von Padberg hatte dazu gemahnt, die Bedeutung der Individualität in der Missionsepoche nicht zu gering zu erachten. Die von den Quellen kaum berücksichtigte Rolle des Einzelnen, der Effekt der Ereignisse auf ihn und sein Leben, wird in den Romanen stark gemacht, ebenso die Frage nach seinem Glauben. Auch persönliche Glaubenszweifel werden in Romanen beschrieben (Aidan, In geheimer Mission für den Kaiser, Johanna, Die Päpstin), Figuren treten auf, die nur an das Schicksal glauben (Uhtred, Uhtred-Saga) oder die gar nicht bzw. nur an sich selbst glauben (Meginhard, Das Erbe des Puppenspielers, Jorrun, Wikingerblut).

357 Das im Roman vorkommende Gottesurteil der Wasserprobe wurde erst im 16./17. Jahrhundert (!) im Prozess als Hexenbad verwendet, vgl. dazu L. Carlen, Art. Gottesurteil. III. In der Kirchen-und Rechtsgeschichte, in: LThK3 4 (2009), 942f.

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

223

Immer wieder, etwa aus dem Munde Finnians (Das Amulett der Seherin), heißt es in den Romanen, dass die Menschen das sind, was zählt. Die guten Missionare wie er sorgen sich um einzelne Menschen, die es schwer haben, und arbeiten an deren Bekehrung, auch wenn diese keine gesellschaftlich bedeutsame Position innehaben. Tietgaud (Die Priestertochter) will auf direktem Weg in das kultische Zentrum der Redarier gelangen, die Begegnungen und Gespräche mit Alena und Uvelan unterwegs geschehen eher zufällig, aber diese sind letztlich entscheidend. Auch hier lautet die Botschaft: Der einzelne Mensch zählt! Nicht thematisiert wird in den Romanen allerdings die von Historikern hervorgehobene Leistung des Christentums, die zuvor zentralen Blutsbande durch Zölibatsforderung und Ehegesetze (Inzest-Verbot) überschritten zu haben: mithilfe der Idee, dass jetzt alle Christen die Familie darstellen – wenngleich die angelsächsischen Missionare auch Verwandte bei ihrer Arbeit einbezogen haben. Die genannten Vorschriften werden in den Romanen eher als Gängelung der Menschen durch die Kirche gesehen. Viele Romanfiguren zeichnet aus, dass sie nur nach außen hin Christen sind. Einige Romane hingegen beschreiben für ihre weiblichen Hauptfiguren einen Synkretismus, eine Mischung aus beiden Religionen. Ava (Das Amulett der Seherin) z. B. sieht sich als die Mitte, die zwei verfeindete Religionen miteinander verbindet. Auch in Johanna (Die Päpstin) verbinden sich Gegensätze wie Heidenund Christentum. Die entsprechenden Romanfiguren suchen sich das Beste bzw. für sich Passende aus beiden Religionen heraus und fügen es zu einem neuen Ganzen zusammen: Vom Christentum wird besonders der Aspekt übernommen, dass es eine Religion der Liebe ist. Das Heidentum trägt die Naturverbundenheit und ein Streben nach Ganzheitlichkeit bei. Hier geht es nicht um ein EntwederOder, sondern um eine Verbindung. Wie für Ava am deutlichsten ausgedrückt wird, ist es wegweisend, die Kräfte der Natur zu kennen und zu nutzen, sich um die Natur und die Menschen zu sorgen, die Verbundenheit aller Dinge zu sehen, den Körper wertzuschätzen und keine Spaltung in (einen womöglich unreinen) Körper und Geist bzw. in Leib und Seele zuzulassen. Zum Gegenüber von Heiden- und Christentum in Die Päpstin haben sich einige Theologinnen geäußert: Elisabeth Gössmann hält den ersten Teil des Romans, der von einer überzogenen »Reproduktion christlicher Misogynie« sowie »Schwarzweiß-Malerei von Christentum und vorchristlicher Religion« geprägt sei, für eine »im wahrsten Sinne des Wortes ungenießbare Tendenzschrift«.358 Dort werde alles Germanische als »heilvoll, menschenfreundlich und von ›weiblichen Werten‹ geprägt« dargestellt, alles Christliche als »von patriarchaler Strenge, hierarchisch, grausam und frauenverachtend«.359 Gössmann schreibt dazu: 358 Gössmann, Päpstin, 405.407. 359 Gössmann, Päpstin, 396. – Das korrespondiert mit den Ergebnissen dieser Untersuchung.

224

Der Zugang zum christlichen Leben: Das Thema Missionierung

»Nun, Amerika ist weit, und die Indoktrinierung mit Germanenmythos, die meine Generation in der Nazizeit erlebt hat, ist der Autorin wohl nie zu Ohren gekommen; umso gefährlicher für eine junge Generation, die ungewarnt dergleichen liest«.360

Gisela Muschiol meint, die Romanautorin Donna Cross würde mit der Geschichte der Päpstin eine Art von Christentumsfeindlichkeit transportieren. »Dazu verherrlicht sie ›die‹ Germanen, was man ja eher in die Zeit des Nationalsozialismus datieren würde. Mich wundert sehr, dass ein deutscher Lektor das hat durchgehen lassen«.361 Im Kontext einer »Gegengeschichte« – und angesichts der amerikanischen Herkunft der Autorin – erscheinen die von Gössmann und Muschiol kritisierten Punkte aber in einem anderen Licht. Wie in vielen weiteren Romanen geschieht in Die Päpstin Verlierergeschichtsschreibung bzw. -erzählung. Dem von den Franken eroberten und christianisierten Volk der Sachsen wird Raum und Stimme gegeben. Hierfür werden die geschehenen Gräuel und der Zwang zur Bekehrung mit der Folge der nur oberflächlichen Annahme der Religion betont. In der Figur der Johanna finden sich Elemente beider Religionen, in ihr fallen schließlich die Gegensätze zusammen, was der Roman positiv darstellt. Ähnlich sieht es Annegret Langenhorst, die schreibt, Cross würde sich vor allem für den Werdegang ihrer zwischen Intellektualität und Körperlichkeit zerrissenen Protagonistin interessieren. Die Autorin verwurzle deren kritisches Denken fiktiv im Konflikt zwischen dem heidnisch-germanischen Glauben ihrer sächsischen Mutter und dem missionarischen Rigorismus ihres christlichen Vaters.362

3.8

Fazit

Die Untersuchung hat ein differenziertes Bild ergeben. Die Romane repräsentieren durchaus in nicht geringem Maße Ergebnisse der Wissenschaft, weisen allerdings auch spezifische Abweichungen von einer wissenschaftlichen Sicht auf und bieten eigene Perspektiven, welche an Phänomene der Gegenwart erinnern. Das Vorgehen vieler Missionare sowie ihre Erfolge und Misserfolge werden in den Romanen, verglichen mit dem Forschungsstand, angemessen geschildert, aber ihre religiösen Motive werden nicht deutlich bzw. die Missionare sind durch andere Motive geprägt. Bekannte Ereignisse und Personen kommen vor, aber mit eigener Schwerpunktsetzung etwa bezüglich der menschlichen Schwächen von Missionaren wie Ansgar und Bonifatius, und ohne eine Einbettung in die früh360 Gössmann, Päpstin, 399. 361 Vgl. G. Muschiol, Eine gescheiterte Frau. Interview, http://www.medienprofile.de/articles/ar ticle/die_paepstin; eingesehen am 13. 5. 2011. 362 Vgl. Langenhorst, Päpstin, 414f.

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

225

mittelalterliche Mentalität. Die historischen Ereignisse werden außerdem häufig aus dem Blickwinkel der Heiden erzählt. Die Romane lassen ein Interesse für die Heiden und ihre Rituale erkennen, die als durch das Christentum bedroht geschildert werden. Vieles läuft auf eine Auseinandersetzung zwischen den Religionen hinaus, auf den – so ein Forschungsergebnis – die frühmittelalterliche Mission bestimmenden Streit um den stärkeren Gott, wobei die Gegenwehr der Heiden in den Romanen betont wird. Die romanhafte Darstellung der Mission beinhaltet eine Institutionenkritik. Stark gemacht wird in den Romanen das Machtstreben vor allem der Kirchenmänner und meist auch des Herrschers, die kein wirkliches Interesse an der Rettung von Seelen haben und mit Drohungen und Brutalität vorgehen. Dabei kommt es zu einer Aufteilung, so dass böse Missionare zeitgenössische (wie ein negatives Heidenbild – Ungläubige und Teufelsdiener) und gute Missionare moderne Positionen vertreten wie Friedfertigkeit, Einsatz für die Schwachen, Interesse für andere Kulturen. Diese werden als jesuanische Positionen vermittelt, die später korrumpiert wurden. Das Christentum erscheint den heidnischen Romanfiguren ebenso schwer verständlich wie vielleicht heutigen aufgeklärten Lesern. Für viele Romanfiguren, die Christen werden mussten, stellt diese neue Lebensweise eine große Belastung dar, erwähnt werden aber auch die positive Effekte, etwa im caritativen Bereich und beim Lebensschutz, die das Christentum nach Ausweis der Forschung tatsächlich mit sich gebracht hat – ebenso wie die Verbesserung der Stellung der Frau. Insgesamt werden in den Romanen individuelle Glaubenswege und persönliche Glaubensentscheidungen herausgestellt verbunden mit der Botschaft, dass der einzelne Mensch zählt. Der Blick wird hingelenkt zu den Frauen, denen es in der Romansicht überwiegend im Heidentum besser geht. Während viele Vertreter des Christentums als frauenfeindlich dargestellt werden, legen die guten Missionare eine respektvolle Haltung an den Tag und lassen sich sogar mit heidnischen Frauen ein. Einige dieser Frauen lassen sich vom christlichen Gott der Liebe und des Friedens überzeugen, der den grausamen Göttern gegenübergestellt wird. Dabei bewahren sich die Frauen aber ihre Ursprünge wie Naturverbundenheit, teilweise kommt es zu einer Vermischung beider Religionen. Heidnische Relikte, die nach Ausweis der Forschung tatsächlich lange fortbestanden, erscheinen in den Romanen insgesamt positiv.363

363 In jüngster Zeit erschienene Romane thematisieren ebenfalls das Aufeinandertreffen von Heiden und Christen im Frühmittelalter: In Freyas Land geht es um den von Herzog Radbod angeführten Kampf der Friesen gegen die christlichen Franken; die Arnulf-Reihe behandelt den Krieg zwischen Franken und Sachsen mitsamt einer Liebesgeschichte; Mönchsblut thematisiert die abenteuerliche Reise eines Mönchs durch Schleswig-Holstein auf der Suche nach einem verschwundenen Missionar.

V.

Entfaltungen christlichen Lebens 1: Das Thema Mönchtum

1.

Romanebene

1.1

Überblick zum Thema »Mönchtum« in den Romanen

Mönchtum und Klosterleben sind unter allen religiösen Themen, welche die Romane beinhalten, das dominante Thema. Die Hauptfiguren vieler Romane sind Mönche, in mehreren Romanen fungieren Mönche als Ich-Erzähler, die von ihrem abenteuerlichen Leben und ihren Reisen berichten. Das Mönchtum kommt in vielen verschiedenen Facetten vor: Das Leben und der Alltag im Kloster werden geschildert, Mönche werden unterwegs auf Reisen oder bei der Missionierung begleitet, die Autoren erzählen von Mönchen, die in einer Gemeinschaft oder alleine leben. Das Scheitern von Mönchen ist ein großes Thema in den Romanen, viele der Mönche brechen ihre Gelübde oder verlassen ihr Kloster. Mönche gelten häufig als religiöse »Experten«. Sie werden mit Bildung assoziiert, sind als Ermittler in Krimis und aus ihrer Zeit herausragende Leuchtturmgestalten dargestellt. Einige Gestalten mit historischen Vorbildern treten auf. Das Thema Mönchtum durchzieht alle Romane, einige ragen aber durch ihre Hauptfiguren oder den Ort, an dem sie spielen, besonders hervor (vgl. die tabellarische Darstellung in Kapitel III). Einige Mönche reisen viel; insgesamt kommen zahlreiche Klöster in verschiedenen Gegenden des Frankenreichs, in England und Irland vor. Immer wieder genannt bzw. näher beschrieben werden z. B. die Klöster in Echternach, Lorsch, Fulda, Prüm, Trier, Sankt Gallen, Tours, Poitiers, Corbie, Corvey, Monte Cassino, Kells und Glendalough. Grundsätzlich kommen viel mehr Mönche als Nonnen vor, sowohl was die Haupt- und Nebenfiguren als auch was die Erwähnung einzelner Klöster angeht. Ausnahmen, in denen das Leben von Frauen im Kloster großen Raum einnimmt, stellen die Romane Die Abbatissa über das Kloster Sankt Irminen in Trier sowie Die Herren von Buchhorn über die Inklusengemeinschaft der Wiborada in Sankt Gallen dar. In beiden Romanen wechseln Frauen zwischen einem Leben inner-

228

Entfaltungen christlichen Lebens 1: Das Thema Mönchtum

und außerhalb des Klosters. Eine Besonderheit stellen die Figuren namens Johanna bzw. Johannes in Die Päpstin und Der sechste Tag dar, Frauen, die als Mann verkleidet zeitweise als Mönch im Kloster Fulda leben (und später zum Papst gewählt werden) und sich schließlich in einen Mann verlieben. Auch für einige Männer wird ein Wechsel zwischen einem Leben im Kloster und in der Ehe bzw. mit einer Frau dargestellt. Zahlreiche Affären zwischen Religiosen und Laien werden beschrieben. Im Folgenden wird zunächst der Zugang zum Mönchtum (Gründe und Motivation für ein Leben im Kloster) in den Romanen untersucht, sodann die Ausgestaltung dieser Lebensform, also Kennzeichen, Aufgaben, Aufenthaltsorte und Existenzweisen der Mönche und Nonnen, sowie schließlich die Beständigkeit und Brüchigkeit des mönchischen Lebens, vom Ideal über Verstöße bis hin zum Aufgeben dieser Lebensform.

1.2

Zugang zum Mönchtum

Welche Gründe für ein Leben als Mönch oder Nonne werden beschrieben? Wie kommen Menschen ins Kloster? Und wie gehen sie damit um? Welche Motivationen für das Mönchsein werden beschrieben? Selbst wenn jemand nicht freiwillig im Kloster ist: Sieht er einen Sinn in seinem Leben als Mönch oder Nonne? Viele Figuren der Romane kommen im Kindesalter in ein Kloster: aufgrund eines Gelübdes, als uneheliche Kinder, zur Erziehung und Versorgung oder als Geisel der Franken. Später gehen sie unterschiedliche Wege. Auch viele Erwachsene halten sich nicht freiwillig in einem Kloster auf, manche wurden dorthin verbannt. Adelige erhalten Klöster zu ihrer Versorgung, Herrscher finden bei Konflikten dort einen Rückzugsraum. Nur wenige Romanfiguren treten als Erwachsene aus religiösen Motiven in ein Kloster ein. 1.2.1 Kinder im Kloster 1.2.1.1 Oblation Viele Romanfiguren sind bereits als Kinder einem Kloster übergeben worden. Gelübde spielen hierbei eine wichtige Rolle: Agrippas Vater (Das Buch Glendalough) hatte ihn aufgrund eines Gelöbnisses anlässlich einer schweren Krankheit der Mutter der Kirche anvertraut. Die Mutter überlebte zunächst, starb jedoch einige Jahre später, was der Vater als Vertragsbruch ansah. Mehr als der Verlust der Mutter plagte Agrippa die Sehnsucht nach Uda, der Tochter eines Henkers und einer kräuterkundigen Frau, die ihn in die Sexualität eingeführt hatte. Beim Nachtgebet im mit einem Heiligenhimmel bemalten Betsaal denkt er

Romanebene

229

an die Nächte mit ihr im Wald. Von den heiligen Brüdern lernte Agrippa das Lesen, er wurde Mönch in Corvey. Ihm wurde ein Leben in Größe vor dem Herrn zugetraut, aber er konnte die sündige »Wurzel allen Übels« (149) nicht ausreißen und wurde wegen seiner »Weiberei« aus Corvey verstoßen und nach Ramsolano geschickt. – Aidans Vater (Die Reise nach Byzanz) König Cainnech wollte, dass sein zweitgeborener Sohn Priester wird, denn es bringt einem Clan Glück, wenn er einen Geistlichen von edlem Blut hat. Mit fünf Jahren wird Aidan, in Stoff gewickelt, der einmal seine Kutte sein soll, wenn er die heiligen Eide ablegt, nach Kells gebracht. Er lernt schließlich das Klosterleben mit dem Kreislauf aus Arbeit, Gebet und Studium lieben. Später hält er sich für einen schwachen und sündenbeladenen Mönch, er ringt lange und hart darum, ein guter Mönch zu sein und sich der Célé Dé als würdig zu erweisen. – In Die Päpstin wurde Gottschalk von seinen Eltern als »oblatus« (258) in die Obhut des Klosters Fulda gegeben. – Hild (Die Herren des Nordens) wurde zum Dank für das Überleben ihrer Mutter bei ihrer Geburt dem Dienst an der Kirche versprochen. Die Dänen zwingen sie später, als Prostituierte zu arbeiten.364 Uthred kann sie befreien, sie wird seine Begleiterin und Bettgefährtin. Mit Hilfe seines Geldes erbaut sie schließlich in Witanceaster ein Kloster, wo sie, die Äbtissin, für ihn betet und sich um Arme und Kranke kümmert. Nach ihrem Tod wird sie als Heilige verehrt. Teilweise werden Kinder zur Erziehung in ein Kloster gebracht, ohne dass von Oblation die Rede wäre: Clothars Töchter (Die Träume der Libussa) wurden den Nonnen auf der Insel im Chiemsee zur Erziehung übergeben, wo sie Frauenarbeiten und die Schriftkunst erlernten. Radegund verließ später das Kloster, Anahild, die es als ihre Berufung sieht, als Nonne zu leben, blieb freiwillig dort, obwohl die Äbtissin sie nicht mochte. Sie bestrafte sie für ihre schlechten Handarbeiten und dafür, dass sie eigene Gebete verfasste und vortrug. Lidomir sagt zu Radegund, dass es viele christliche Frauen gab, die ihre eigenen Texte schrieben. Bei manchen seien die Namen geändert worden, damit sie männlich klingen. Anahild hat im Kloster neben der von einem Mann verfassten Vita der heiligen Radegund auch eine gefunden, die von einer Nonne stammt. Sie hofft, dass das Kloster wieder eine Gemeinschaft von Frauen wird, die mit Freude der Botschaft Christi folgt, ein frommes Leben ohne ungerechte Schläge und Vorschriften des Bischofs führt. Radegund bedauert, dass Anahilds Güte und ihr Verstand hinter Klostermauern verborgen bleiben, aber Anahild ist unsicher, ob sie in der Welt draußen zurechtkäme. – Ansgars Mutter (Wikingerblut) starb früh, sein Vater schickte ihn auf eine Schule. Seitdem war er im Kloster gewesen und hatte unterrichtet. In Corbie hatte er das Mönchsgelübde abgelegt und geschworen, bis zu seinem Tod zu bleiben. – Willibrord wird nach dem Tod seiner Mutter vom Vater ins Kloster Rippon gebracht, wo der Abt aus ihm einen »guten, kräftigen Streiter Gottes« machen soll (Karl Martell, 50).

364 Um der Vergewaltigung durch die anrückenden Dänen zu entgehen, verstümmeln sich die Nonnen eines Stiftes in der Uhtred-Saga selbst.

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Entfaltungen christlichen Lebens 1: Das Thema Mönchtum

1.2.1.2 Uneheliche und unversorgte Kinder Klöster dienen auch der Unterbringung unehelicher Kinder der Herrscher oder anderer Adeliger (und teilweise der Unterbringung von deren Müttern) sowie im weiteren Sinne der Versorgung von Kindern, die alleine sind oder kein Auskommen haben. Ihnen wird im Kloster vor allem Bildung geboten. Wie es in Die Beutefrau heißt, wurden viele »Früchte von Karls Lenden hinter Klostermauern großgezogen« (128), er hat seine »Bastarde« ins Kloster gegeben (298), so seine Tochter Emma in die Wormser Abtei oder Hruodhaid, die Tochter mit seiner Schwester (Äbtissin) Gisela, ins Kloster Chelles. – Adalhaid und ihr Sohn Roland (Karl der Große), den ihr Bruder Karl während eines gemeinsamen Besuches im Kloster Lorsch gezeugt hat, finden Zuflucht im Kloster Tauberbischofsheim. – Im Trierer Kloster (Die Abbatissa) leben Pippin (der Bucklige) und seine Mutter Himiltrud sowie Imma, die Tochter Karls und seiner Halbschwester Ada, die zunächst bei Pflegeeltern aufgewachsen war. Nach einiger Zeit will Imma Nonne werden. Bei den vorläufigen Gelübden schmerzt sie der Abschied, aber sie freut sich auch, sich entschieden zu haben. Als sie dann ein Kind bekommt, muss sie außerhalb des Noviziats leben. Später will sie die Profess ablegen, sie will durch den Schleier Frieden vor den Männern haben. Äbtissin Ada, die nicht glaubt, dass Gott Imma zur Nonne berufen hat, hindert sie aber daran. Durch ihre Tätigkeit als Cancellaria sei Imma gezwungen, sich in der Welt zu bewegen. Sie könne die Gelübde besser erfüllen, wenn sie alt sei. Karl ernennt Imma zur Abbatissa des Klosters der heiligen Priscilla. Als Laienäbtissin soll sie dort ein neues Skriptorium aufbauen. Sie versteht nicht, warum sie, eine Unwürdige und Sünderin, die den Nonnen kein Vorbild sein kann, zur Äbtissin ernannt wird. Imma flieht daraufhin nach Bagdad, wo sie Yussuf treffen will, in den sie sich verliebt hatte, als er an Karls Hof als Übersetzer arbeitete. Er brachte ihr Arabisch bei, sie lernte den Islam kennen und las den Koran. In Bagdad begegnet Imma Yussufs Schwester und bekennt sich zu seinem Glauben. Nur noch einmal kann sie ihn vor seiner Hinrichtung im Gefängnis besuchen, dann kehrt sie nach Aachen zurück und wird von Karl begnadigt. Sie, die die Dreieinigkeit bestreitet, soll das Werk des Augustinus über den dreieinigen Gott auf Arabisch übersetzen, dieses soll der Kalif von Bagdad erhalten.

In Die Herren von Buchhorn wurde Agnes als Kind eines Edelmannes, der verbergen wollte, dass er seine Magd geschwängert hatte, bei den frommen Schwestern und der Mutter Oberin des Frauenstifts von Lindau abgegeben. Auf den Wunsch Ludowigs, ihres wiedergefundenen Halbbruders, hin verlässt Agnes später das Kloster und schließt sich der Inkluse Wiborada an, um Gräfin Wendelgard unter ihre Kontrolle zu bringen und Ludowig bei seinen kriminellen Plänen zu unterstützen. Sie wirkt eifersüchtig auf Wendelgard, sagt aber, dass sie sich nie nach einem Mann gesehnt habe. Agnes findet, dass ihr mehr zusteht als das enge Leben in einer Klause und das einer Kräuterfrau, Ludowig soll sie zur

Romanebene

231

Äbtissin machen (242.297f.). – Magister Thomas (Der sechste Tag) hat bei der Geburt eines unehelichen Kindes von Prinz Lothar geholfen. Später erfährt er, dass der Knabe (in Wahrheit ein Mädchen) ein Gelehrter werden möchte. Thomas will seinen wachen Geist fördern und bringt ihn deshalb bei seinem Freund Abt Rabanus Maurus im Kloster Fulda unter. Von Lothar hat Thomas den Auftrag erhalten, auch Konrad, den Sohn von dessen Feind Gernot, in ein Kloster zu bringen. Konrad kennt später nur seine überschaubare kleine Klosterwelt und will Mönch werden wie Rudolf und Johannes, nicht Ritter wie sein Vater. Zuhause in Soissons interessiert er sich weiterhin mehr für Lesen und Lernen als für Bogenschießen und Schwertübungen und ist im Grunde seines Herzens ein Mönch. König Alfreds unehelicher Sohn Osferth (Uhtred-Saga) hingegen ist Novize, möchte aber lieber ein Kämpfer werden, wofür ihm eine Bestrafung durch seinen Novizenmeister droht. Umgekehrt verhält es sich im Roman Das Geständnis der Amme: Die Amme Johanna befürchtet, dass Graf Robert seinen Adoptivsohn Balduin in ein Kloster schickt, falls er nicht zum Krieger taugt. Sie wird von Gräfin Alpais gefragt, ob Balduin an Fasttagen wie der heilige Nikolaus die Brust verweigert, womit Gott der Welt zeigen wollte, dass dieser ein außergewöhnlich begnadetes Kind sei. Die Gräfin bedauert, dass Balduin an jedem Tag gleich hungrig ist und wohl nicht zum Stand der Gottesmänner zählen, sondern ein Krieger werden wird (58.61). Weil Roberts Neffe Gerbert mit zehn Jahren aufhört zu wachsen, ist er in einem Kloster besser aufgehoben als kämpfend auf dem Pferderücken (66). – Finnian (Das Amulett der Seherin) will eine Abtreibung verhindern und meint, nach der Geburt könne Ava ihr Kind aus der Vergewaltigung durch Gibicho immer noch in die Obhut eines Klosters geben. – Germunt (Der Kalligraph des Bischofs) erzählt, dass einige seiner Geschwister bereits ins Kloster geschickt worden seien, weil der Acker seines Vaters nicht mehr genug abwerfe.

1.2.1.3 Geiseln Einige junge Männer sind als Geisel der Franken im Kloster erzogen worden. Der Behaime Lidomir kam schon in Kapitel IV vor. Der Sachse Hathumar (Mord im Dom) wurde als Geisel ins Kloster Corbie gebracht, wo ihm eine Bildung zuteil wurde, zu der er sonst keinen Zugang gehabt hätte. Er lernt lesen und schreiben, Griechisch und Latein, beschäftigt sich mit Philosophie und Theologie. Der fromme, bescheidene, schlaue und belesene Mönch lebt gerne im Kloster. Wig (Saxnot stirbt nie), ein sächsischer Mönchspriester, kam in jungen Jahren als Geisel der Franken ins Kloster Prüm, wo er fünf Jahre lang eine gediegene Ausbildung genoss, Benediktiner wurde und die Priesterweihe erhielt, bevor ihn Graf Volz als Priester zurück in seine Heimat holte.

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Entfaltungen christlichen Lebens 1: Das Thema Mönchtum

1.2.2 Erwachsene im Kloster 1.2.2.1 Versorgung von Mitgliedern des Hofes Ada, die Halbschwester Karls des Großen, ist eine Laienäbtissin, »eine weltliche Frau, die, eingesetzt durch den König, ein Kloster führte« (Die Abbatissa, 247). Karls Schwester Gisela hingegen hat alle Weihen. Sie ist »eine vergeistigte Asketin, den Freuden des Lebens abhold« (210). Hochgeborene Franken hatten sich in sie verliebt, aber sie war früh freiwillig ins Kloster gegangen, obwohl es ihren Eltern nicht recht war, in eine Welt, »in der kein Blut floss, wo man freundlich miteinander umging, wo niemand fluchte und keine Köpfe rollten« (211). »Sie wollte nur Gott dienen«, es ging ihr nicht »um die Machtstellung einer Äbtissin«, sie wäre »auch als einfache Nonne glücklich geworden« (212). Karl der Kahle (Das Geständnis der Amme) übergibt seinem Sohn Ludwig das Kloster Saint Martin de Tours als Zeichen, dass Neustrien drei Jahre nach dem Aufstand der dortigen Großen wiedergeboren und Ludwig der Herrscher ist. Ludwigs Schwester Judith meint, er tauge nicht zum Herrscher und hätte Mönch werden sollen wie ihr jüngerer Bruder Lothar, da er gewiss Freude an der Gelehrsamkeit gefunden hätte. Nachdem Ludwig mit der Revolte gegen seinen Vater gescheitert ist, entzieht dieser ihm die Abtei, um sie Hukbert zu übergeben, obwohl alle wissen, dass dieser ein »verheirateter Pfaffe« ist. Ludwig und seiner Frau Ansgard wird die Grafschaft Meaux und die Abtei Saint-Crispin zugeteilt, wo sie »wie Gefangene« leben müssen (167.238.363). In mehreren Romanen wird Alkuin als britischer Abt bezeichnet, dem Karl der Große unter anderem die Abtei Saint Martin in Tours übertragen hat; in diese zieht er sich als älterer Mann nach seiner Zeit am Hof zurück: In Karl der Große willigt Alkuin ein, an den Hof zu kommen, als Karl ihm die Abtei Ferrieres anbietet. Für ein Handelsabkommen mit dem König von Mercien bietet Karl Alkuin als Belohnung ein Kloster an; Alkuin, der seinen Wert kennt, verlangt Tours. Er hat auch die Abteien Saint Loup in Troyes und Saint Josse erhalten. In Die Abbatissa heißt es, dass Karl den geistreichen englischen Kleriker mit vielen Versprechungen zu sich geholt hat. Karl ist stolz auf Alkuin und andere Gelehrte, die er an seinem Hof wie Edelsteine versammelt, geehrt und mit Klöstern ausgestattet hat, wenn sie danach verlangten.365 Wie in Die Königsmacherin beschrieben wird, entsagt der Hausmeier Karlmann, der Bruder Pippins, nach dem Massaker von Cannstatt und der Erkenntnis, dass die Frau, die er liebt, zu seinem Bruder gehört, sowie dem Brand in Prüm allen Ämtern. In Rom will er sich in ein selbst errichtetes Kloster zurückziehen. Bonifatius erklärt das mit Karlmanns »brennendem Verlangen nach 365 In mehreren Romanen heißt es, dass Mitglieder des Hofkreises Abteien erhalten, z. B. Angilbert Saint Riquier oder Einhard Seligenstadt.

Romanebene

233

frommer Hingabe« (264). Schließlich geht Karlmann nach Monte Cassino; er schreibt Bertrada, er verbringe seine Tage im Gebet, arbeite als Küchenhilfe und Gänsehirt des Klosters und wünsche keine Besuche, da er der Welt entsagt habe (277). Später verlässt er sein Kloster und stellt sich an die Spitze von Pippins Gegnern, wird aber aufgehalten. Der Papst verfügt, dass Karlmann ins Kloster nach Vienne gebracht wird, wo er bald darauf stirbt; Karlmanns Sohn Drogo nimmt er ein Mönchsgelübde ab, lässt ihn scheren und ins Kloster Echternach bringen (322). In Der sechste Tag heißt es, dass Kaiser Lothar sich von allem Weltlichen nach Prüm in das Lieblingskloster der Karolinger zurückgezogen hat. Wie der alte Mönch an der Pforte erklärt, muss Bruder Lothar erst seine Gartenarbeit beenden und dann am Essen und am gemeinsamen Abendgebet teilnehmen. Gernot kann verstehen, dass Lothar nach Jahren der Kämpfe die Würden und Vorrechte eines Kaisers aufgegeben hat, um im Schutz der Klostermauern auf seine alten Tage das Leben eines Mönchs zu führen. Er muss sich allerdings erst an den Gedanken gewöhnen, dass aus seinem ehemaligen Todfeind ein friedlicher Klosterbruder geworden ist. Der angeblich allem entsagende Mönch ist aber doch ein umtriebiger Herrscher geblieben, der das Kaiserreich von Prüm aus mit Hilfe von Briefen und Boten lenken will. – Theutberga und Waldrada (Bei meiner Seele Seligkeit), die beiden Rivalinnen um Lothar II., ziehen sich nach dessen Tod in ein Kloster zurück. 1.2.2.2 Verbannung Wie bereits angeklungen ist, wird an vielen Stellen erwähnt, dass Menschen ins Kloster verbannt oder in Klosterhaft geschickt werden, z. B. die Feinde Karls des Großen wie sein Sohn Pippin der Bucklige, sein Vetter Tassilo von Bayern oder der Sachse Widukind. Bereits die letzten Merowinger, so wird beschrieben, wurden durch die Karolinger »geschoren«. In Die Abbatissa werden die Verbannung von Tassilo und seiner Familie sowie von Pippin in ein Kloster genannt. Dort wird beschrieben, dass sich der getaufte Widukind geschoren auf den Weg in die Klosterhaft machen muss. Wolfger (Widukinds Wölfe) fragt sich, ob die Insel im Bodensee, auf die Widukind sich nach seiner Taufe zurückgezogen hatte, ein freiwilliges Exil oder ein von Karl bestimmtes Gefängnis war. In Die Beutefrau schickt Karl Widukinds Frau Geva zu seiner Schwester Gisela ins Kloster Chelles, und Pippin nach Prüm. Dieser schlägt das spätere Angebot Karls aus, »die Kutte ab[zu]legen« und an den Hof zurückzukehren (290). Pippin sieht seinen Platz im Kloster, er genießt sein »unaufgeregtes, stilles Leben im Kreise seiner Mitbrüder, die Andachten und die schlichten Mahlzeiten« (382). Wie in … denn streben muss David! erzählt wird, sind Tassilo und seine Frau »eingegangen zwischen den Klostermauern von St. Jumiége« (11). Ihre Söhne

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Entfaltungen christlichen Lebens 1: Das Thema Mönchtum

Theodo und Theodbert haben dort einen Brand gelegt und sind geflohen. Theodulf (sic!) sagt, er habe kostbare Jahre seines Lebens in kalten grauen Klöstern verbracht, in denen geweint und geflüstert würde, wo man ihn geschoren, seinen Bart gestutzt und seine Manneskraft geraubt habe. Nur der Gedanke an das Scheusal Karl, das ihn aus dem warmen Licht der Welt in ihren kalten Schatten geschleudert habe, und an dessen Tod, den sie herbeiführen wollen, habe ihm Kraft gegeben. Pippin, ein buckeliger Mönch aus Prüm, trifft sich mit den beiden. Karl hat seinen unehelichen Sohn verstoßen und ihn seines Namens beraubt, als er sich auflehnte. Abt Assuer hält ihn zeitweise unter Bewachung und wird misstrauisch, wenn er bei der Matutin fehlt. Pippins Tage sind so mit gottgefälliger Arbeit und frommen Gebeten gefüllt, dass es ihm fast erscheint, als sei das seine endgültige Bestimmung. Dann erinnert er sich aber, dass ihre jahrelange Gefangenschaft der gleiche Mann zu verantworten hat. Die wegen Zauberei und Ehebruchs verurteilte Kaiserin Judith (Die Welfenkaiserin) muss eine Zeit lang im Kloster Poitiers leben. Sie hat mit ihrem Mann Ludwig verabredet, die Klosterhaft als freiwillig zu bezeichnen. Er wird von Mönchen umgeben und gibt vor, ebenfalls ins Kloster gehen zu wollen. Judith fügt sich mühelos in ihren neuen Stand, betet viel und erledigt alle Aufgaben demütig und geduldig. Ihr Freund und Edelknecht Ruadbern schleicht sich durch einen Geheimgang als Mönch verkleidet zu ihr. Durch die Zeit im Kloster, die ihr gut tut, versteht Judith Ludwigs Wunsch, der Welt zu entsagen und ein Leben frei von jeglicher Verantwortung zu führen, »wo jeder Tag dem vorangegangenen glich; wo man sich mit dem besten Gewissen, dem Herrn zu dienen und sich mit Schöngeistigem zu befassen, allen weltlichen Sorgen entzog« (246f.). Sie muss jedoch an ihren kleinen Sohn Karl (den Kahlen) denken. Ihn bringt sie zeitweise im Kloster Prüm in Sicherheit. Ihr Verschwörungsplan gelingt schließlich, Judith wird von allen Vorwürfen gereinigt und lebt wieder mit Ludwig zusammen. Als Judith später in Gefahr ist, begibt sie sich erneut nach Poitiers. Auch Kirchenmänner werden mit Verbannung ins Kloster bestraft: In Mord im Dom wird erzählt, dass Bischof Felix von Urgelis, ein Vertreter des Adoptianismus, auf einer Synode in Paderborn abgesetzt und in das Kloster von Lyon verbannt wird.

1.2.2.3 Freiwilliger, bewusster Eintritt Nur die wenigsten Mönche sind freiwillig als Erwachsene in ein Kloster gelangt bzw. bewusst ins Kloster eingetreten. Der Novize Thomasius (Das Buch Haithabu) wird bald in »Wik am Holze« das Mönchsgelübde ablegen. Er hat einen hellen Kopf, ist eifrig und hofft, zur Heidenmission in den Norden geschickt zu werden. Agrippa, dem er ein guter mitfühlender Freund wird, glaubt, dass aus ihm ein Heiliger wird. Als Thomasius sich mit elf anderen Novizen in Klausur

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begibt, müssen sie die Vorbereitung auf ihre Gelübde unterbrechen, um Agrippa im harten Winter bei der Pflege der kranken Mitbrüder zu helfen. Abt Cormac Mac Fitbrain (Das Buch Glendalough) hat als junger Mann einen seiner Brüder erschlagen, der ihn immer gequält hatte. Als Junge hatte er schon viel Zeit bei einem Mönch verbracht, der Schreiber auf der Burg seines Vaters war und ihm von der Liebe Gottes erzählt hatte. Er flüchtet zu den »Brüdern vom heiligen Tuch«, deren Abt seinen Vater abweisen kann, als dieser ihn zurück fordert. Fitbrains Vater veranlasst schließlich, dass sein Sohn Abt in Glendalough wird, damit dort ein Uí Dún herrscht. Einige Menschen gehen nach anderen Lebensstationen ins Kloster oder überlegen dies zumindest: In Die Reise nach Byzanz heißt es, Dugal, Aidans bester Freund und der größte, stärkste und geschickteste der Mönche, habe vor seiner Berufung zum Klosterleben das Kriegshandwerk ausgeübt. Zu den Tätowierungen seines Clans hat er sich beim Ablegen seiner Gelübde noch ein Kreuz über das Herz stechen lassen. – Eckhard (Die Herren von Buchhorn), der Sohn eines Bodenseefischers, dachte als Knabe, dass die Welt draußen nur darauf warten würde, von ihm erkundet zu werden. Er wollte die Weite sehen und heuerte auf einem Frachtschiff an. Nachdem er als einziger einen Sturm überlebt hat, kehrt er heim und weiht sein Leben Gott, von dem er sich geleitet sieht. Weil er erkannt hat, dass das Heil allein bei Gott dem Herrn liegt und die Welt im Glauben an Gott, wird er ein demütiger Diener des Herrn. In Sankt Gallen lernt er Abt Salomo kennen, der ihn unter seine Fittiche nimmt und zu seinem Sekretär macht (169.182). Gräfin Wendelgard wurde Inkluse, nachdem ihr Mann für tot erklärt worden war. Auf Salomos Fürsprache hin wurde ihr gestattet, den Schleier zu nehmen. – Uhtreds fromme Frau Mildrith (Uhtred-Saga) geht nach dem Tod ihres Sohnes ins Kloster. Gisela begibt sich nach dem Tod ihres Mannes Graf Charibert ins Kloster Chelles, wo sie für ihre Sünden büßen und ihr Leben im Dienst des Herrn beschließen will (Die Königsmacherin, 245). In Das Geständnis der Amme drängt die kinderlose Alpais ihren Mann Graf Robert, seinem Neffen das Erbe zu übergeben und den Lebensabend im Kloster zu verbringen (526). Bei manchen Mönchen und Nonnen wird gar nicht klar, wie sie überhaupt ins Kloster gekommen sind.

1.3

Ausgestaltung des Lebens als Mönch/Nonne

Was heißt es, ein Leben als Mönch zu führen? Was kennzeichnet einen Mönch oder eine Nonne? In dieser Hinsicht stechen in den Romanen besonders deren Kleidung und Haartracht, das Leben nach einer Regel und die Orientierung an einer Gründergestalt hervor. Unterschiede zwischen dem Mönchtum in Irland und auf dem Kontinent werden deutlich.

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Was charakterisiert Mönche hinsichtlich christlicher Lebensgestaltung? Welche Bedeutung hat für die einzelnen Mönche ihre Lebensform? Das Leben der Mönche und Nonnen in den Romanen wird von den verschiedensten Aufgaben bestimmt. An erster Stelle steht das Stundengebet. Diverse Ämter und Aufgaben innerhalb des Klosters werden beschrieben. Hervorgehoben werden die Sorge für Gäste und für Kranke sowie die Tätigkeit im Skriptorium. Die Bildung der Mönche befähigt sie, als Lehrer und Erzieher zu wirken, sowohl an der Klosterschule als auch am Hof. Auch die Tätigkeit als Berater oder Beichtväter der Herrscher führt Mönche aus ihrem Kloster heraus. Viele Mönche sind außerhalb ihres Klosters unterwegs, vor allem die irischen Peregrini sowie die Missi Dominici, welche als Ermittler in Kriminalromanen auftreten. Das Umherziehen von Nonnen wird kritisch gesehen. Vereinzelt reflektieren Mönche und Nonnen über ihre Lebensform oder es finden sich entsprechende Äußerungen anderer Romanfiguren. 1.3.1 Kennzeichen des Mönchtums 1.3.1.1 Kleidung und Tonsur Zur Kennzeichnung von Mönchen wird in den Romanen immer wieder ihre Kleidung beschrieben, ebenso ihre Tonsur. Deren Zustand verweist häufig auf ihren Charakter oder ihre derzeitigen Lebensumstände. An mehreren Stellen gilt das Scheren des Haupthaares als Zeichen für die Mönchwerdung (was besonders oft bei einer Verbannung ins Kloster genannt wird), »den Schleier nehmen« ist die Bezeichnung für die Aufnahme des Ordenslebens bei Frauen. Die Kleidung der Mönche wird teilweise detailliert beschrieben, häufig als »Kutte«, seltener als »Habit« bezeichnet. Deren Ablegen steht für eine Beendigung des Klosterlebens. Thomas Ravennus (Der sechste Tag, 70) trägt den »schwarzen Habit« der Benediktiner, Eckhard (Die Herren von Buchhorn, 151) eine »schwarz-weiße Benediktinerkutte« und eine Kapuze, Agrippa (Das Buch Haithabu) die Tonsur »nach Art des Benedikt von Nursia«, Sandalen und eine Kutte mit Kapuze. An der Kutte erkennt man in verschiedenen Romanen einen Mann Gottes. »Gottesmann« begegnet vielfach als Bezeichnung für einen Mönch.366 – Thedo und Theodbert (… denn sterben muss David!, 10) tragen Kapuzen aus grobem Stoff über ihren kahl geschorenen Schädeln, die ein Geschöpf ausweisen, »das weltlicher Zier nicht länger bedurfte«. Pippin trägt eine Kutte aus aschfarbenem, rauem und schmucklosem Stoff, mit einem Strick verschnürt, sowie Sandalen. – 366 In Die Herren von Buchhorn werden Mönche als »fromme Brüder«, die Inklusen als »fromme Frauen« bezeichnet; Nonnen werden in Die Abbatissa »Sacrata« oder »ancilla dei« genannt. In der Abt Erwin-Reihe werden Mönche und Äbte mit »Ehrwürdiger Vater« angesprochen.

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Finnian (Das Amulett der Seherin) will die gefangene Ava in seinem schwarzen, mehrfach geflickten Habit entkommen lassen. Widukind und Felix verkleiden sich als Mönche, um auf die Eresburg zu gelangen. – Willibrord erklärt Karl Martell (Karl Martell, 52), das Scheren des Haupthaares sei keine Erfindung der Christen, sondern ursprünglich die »Absage an alle Eitelkeiten dieser Welt«. Verschiedene, nach den Aposteln benannte Tonsuren hätten sich entwickelt, erst Papst Gregor I. habe die kahlgeschorene Stelle am Hinterkopf zum Zeichen »für die Aufnahme in den geistlichen Stand« erklärt. Karl und andere Frankenkrieger erhalten von Willibrord zur Tarnung Mönchskutten, Sandalen und Tonsuren. – Alkuin (Das Pergament des Himmels) gibt seiner neuen Schreiberin Theresa eine Mönchskutte, damit sie unbemerkt zu ihm ins Kloster Fulda gelangen kann. – Tietgaud (Die Priestertochter) ist in eine schwarze Kutte gehüllt, trägt um den Bauch einen hellen Gürtel mit Silberschnalle, um den Hals ein silbernes Kreuz an einem Lederband. Als er in Rethra gefangen ist, wird ihm der Gürtel geraubt, nach der Folter hängt seine Kutte in Fetzen. In Die Päpstin kommt recht unspezifisch die Kleidung verschiedener Mönche vor: In Fulda tragen die Mönche die Tonsur und schlichte Ledersandalen; graue lange, weite Umhänge verhüllen den Körper, das »Gefäß der Sünde« (248). Die Mönche schlafen in ihrer Kleidung. Am Totenbett des Papstes beten Mönche in schwarzen Gewändern Litaneien. Beim Angriff der Sarazenen auf Rom versuchen die Mönche von San Giovanni, durch Selbstverletzung und das Zerreißen ihrer Kutten den Zorn Gottes zu besänftigen. Die Mönche aus dem Kloster Sankt Johannes in schwarzen Roben und die Kapuzen tragenden Mönche aus dem griechischen Kloster Sankt Cyril kämpfen gegen das Feuer im römischen Borgo.

Lupus (Odo und Lupus-Reihe) bereut, dass er in einem heidnischen Land leichtfertig sein geistliches Gewand abgelegt und damit vor Gott seinen Glauben verleugnet hat. Mönche wie er werden vereinzelt als »Kuttenbock«, »Schwarzrock«, »Kuttenbrunzer«, »Mönchsfurz« oder »elender, fetter Christenhund« beschimpft (z. B. Pater Diabolus, 175).367 – Wunibald in Das Geständnis der Amme trägt eine graue, zerfledderte, fleckige Kutte, seine Tonsur ist ausgefranst. In Italien empfindet er seine Kutte als zu dick und zu kratzend. Judith meint, die Diener des Herrn sollten sie als Zeichen der Mühsal dieser Welt tragen, dem geringsten Bruder gleichend. – Die Inklusen in Die Herren von Buchhorn kennzeichnen ein Schleier und die sonstige Nonnentracht. Auf ihrer Reise nach Buchhorn legt Wendelgard ihre Nonnentracht ab. – Als Imma (Die Abbatissa) in einer feierlichen Messe die vorläufigen Gelübde für ein Jahr ablegt, nimmt sie aus 367 Grundsätzlich begegnen viele Figuren in den Romanen Mönchen sehr ehrfürchtig, manche haben ihnen gegenüber jedoch Vorurteile oder behandeln sie abfällig. In der Abt ErwinReihe z. B. tauchen die Wertungen auf, Mönche seien faul und verdreckt, würden betteln und stehlen, seien arm, müssten ihr Leben nicht in Schlachten aufs Spiel setzen und führten ein heiliges Leben, einige seien weltfremd.

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Entfaltungen christlichen Lebens 1: Das Thema Mönchtum

Adas Hand das bodenlange klösterliche Gewand mit langen Ärmeln aus rauem naturfarbenen Wollstoff und den Schleier entgegen. Die Laienäbtissin Ada trägt zeitweise ein schwarzes Äbtissinnengewand und hält einen silbernen Abtsstab mit Elfenbeinknauf. Am Hof hat sie jedoch z. B. ein blaues Seidengewand an, während ihre Halbschwester Äbtissin Gisela ihre Nonnentracht trägt. Alkuin trägt als Laienabt keine Tonsur. – In Der Kalligraph des Bischofs genannte Äbte sind in weiße, goldbestickte Gewänder gekleidet, sie wollen würdig behandelt werden und sind weltlichen Freuden zugeneigt. Erwin (Abt Erwin-Reihe) trägt die Tracht angelsächsischer Äbte, ein langes dunkles Obergewand, zusammengehalten von einem Ledergurt, und die dazugehörende irische Haube. – Von den Mönchen an König Alfreds Hof (UhtredSaga) heißt es, dass sie Tonsur und Habit tragen. – Der Mönch Kevin trägt die »große irische Tonsur« (Das Buch Glendalough, 134). Das Zuwachsen der Tonsur von Abt Cormac Mac Fitbrain zeigt, dass er sich nicht um Äußerlichkeiten kümmert. Agrippa trägt in Glendalough die Kutte mit der »Glendalough-Kordel« (330). – Im Roman Karl der Große führt Alkuin einen Tiegel für die lila Augensalbe irischer Mönche am Gürtel, seine Lippen sind geschminkt. – In Die Reise nach Byzanz wird beschrieben, dass die meisten Brüder am Karfreitag ihre Tonsur erneuern, um am Sabbat (sic!), dem Tag der Auferstehung des Herrn, frisch rasiert zu sein: Die Célé Dé tragen den Vorderkopf von einem zum anderen Ohr geschoren, bis auf eine schmale, einen Kreis bildende Linie, welche für die Krone steht, die sie eines Tages aus der Hand des Herrn zu empfangen hoffen. Kutte, Mantel, Übergewand und Kapuze sind die übliche Kleidung, wobei Aidan als Edler seines Clans eine Kutte aus grauem statt aus braunem Stoff trägt. Die Kutte und der Reisemantel der Peregrini sind weiß. Nach einem Schiffbruch zeigt der hilfesuchende Brynach den Menschen in einem Dorf in Armorica seine leeren Hände und spricht den Friedensgruß, damit sie ihn, auch aufgrund seiner Kleidung und der Tonsur, als Mann der Kirche erkennen. Als Aidan auf den Kaiser trifft (In geheimer Mission für den Kaiser), wird ihm bewusst, dass er mit zugewachsener Tonsur, ungepflegtem Bart, zerrissenem Umhang, schmutzigem Gewand und eisernem Sklavenreif um den Hals wie ein Bettler statt wie ein Abgesandter der Kirche von Irland aussieht. 1.3.1.2 Leben nach der Regel und Berufung auf einen Gründer Mönche kennzeichnet in den Romanen ein Leben nach einer Regel, häufig handelt es sich hierbei um die Benediktsregel. Es wird erwähnt, nach welcher Regel eine Mönchsgemeinschaft lebt, in bestimmten Situationen werden einzelne Elemente zitiert, außerdem wird thematisiert, ob ein Mönch diese einhalten kann. Auch von Bestrafungen bei Regelverstößen ist die Rede. Wie z. B. in der Odo und Lupus-Reihe deutlich wird, gelobt ein Mönch Armut, Gehorsam und Keuschheit. Er ist, wie es dort heißt, ein »Auserwählter Gottes«

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und verpflichtet sich zur alleinigen Hingabe an Gott und Jesus Christus. – In Die Priestertochter, 92, erklärt Tietgaud, das Leben als Mönch bedeutete, »unter dem Joch der Regel und unter der Leitung eines Abtes seinen geistlichen Kriegsdienst zu leisten«, wie der »ehrenvolle Benedikt von Nursia« die Mönche zu tun verhieß. Er habe seine »promissio« gegeben, an die er sich auch halten werde. In Corbeia Nova gibt es eine einjährige Probezeit. In der ungeheizten Kirche hauchen die Mönche im Winter weißen Atem und wähnen sich dennoch glücklich. – Im Kloster Corbie (Mord im Dom) leben die Mönche nach der Benediktsregel. Müßiggang und Ungehorsam widersprechen ihr, Mönche und Novizen werden bei Zuwiderhandlungen auch körperlich bestraft. Das Kloster ist eine abgeschlossene Welt, es gibt einen geregelten Tagesablauf. Das lange Stundengebet, die Klosterzelle und die Mönchskutte werden dort als Elemente des Klosterlebens genannt. Während der Fastenzeiten im Kloster gibt es nur eine Mahlzeit am Tag. – Agrippa (Das Buch Haithabu) kann dem benediktinischen Gebot, vor der Sonne aufzustehen, bereitwillig folgen. Die Benediktiner müssen sich nicht um ihrer Seele willen gegen den Wein entscheiden. Unterwegs dürfen sie auch fremde Speisen zu sich nehmen. Agrippa zitiert Benedikt, dass Gott durch die Menschen gute Taten tut und schlechte ein Werk des Menschen und des Teufels sind. Die Mönche von Ramsolano treffen sich in der Kirche zum Konklave (sic!), um über das rechte Verständnis der Lehren des Benedikt oder der heiligen Schrift zu sprechen. Der heilige Ansgar habe neben Ramsolano auch das heilige Kloster zu Corvey gegründet (88).368 Er habe es nach Plänen gebaut, die Gott ihm im Schlaf eingab. In seinem Namen wurde Agrippa das Mönchsgelübde abgenommen. Von Abt Fulrad gefragt, was ein Mönch ist, antwortet der junge Karl der Große im gleichnamigen Roman, 127f., das sage schon der Name: »ein Monachos – ein Einzigartiger, Vollkommener«. Mönche würden radikal und so wie Christus leben wollen. Benedikt von Nursia, so erklärt Abt Fulrad, habe gesagt, ein Mönch trete »stellvertretend für die Menschen betend und rühmend vor Gott«. Benedikts »Ora et labora« werde ebenso unsterblich wie seine Mönchsregeln. Papst Gregor der Große habe nach den Regeln Benedikts überall in Gallien, Italien und England Klöster gründen lassen. In Germanien hätten die Missionars-Mönche Winfried, Willibrord und Liutger aus Northhumbrien im päpstlichen Auftrag das Christentum und die Benediktinertradition verbreitet. – Der Pförtner Bruder Bernhard vom Kloster Aniane (Der sechste Tag) meint, der Wahlspruch des Ordens laute »Ora et labora«, während der heilige Benedikt von gelehrten Streitgesprächen, wie sie Magister Thomas gerne führe, nichts gesagt habe. Die meisten Brüder seien ins Kloster eingetreten, um Gott durch ein einfaches Leben, regelmäßiges Gebet und fleißige Arbeit zu ehren. – Finnian (Das Amulett der 368 Corvey ist aber eine Gründung des Klosters Corbie. Ansgar, dort erzogen, kam als Schulleiter nach Corvey.

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Seherin) ist auch außerhalb des Klosters an die Regel des heiligen Benedikt gebunden. Als Mönch hat er »stabilitas loci« gelobt. Alkuin hingegen erklärt in Das Pergament des Himmels, da Karl der Große ihn zu einer Art Lehrmeister berufen hat, könne er die Regeln des Ordenslebens nicht streng einhalten und stehe zur Zeit außerhalb der Gemeinschaft seiner Brüder. Immer wieder werden die gemeinsamen Mahlzeiten im Refektorium beschrieben, das häufig karge Essen, das im Schweigen, begleitet von einer Tischlesung, eingenommen wird. In einigen Romanen heißt es, dass alle Mönche gemeinsam im Dormitorium schlafen, in anderen, dass die Mönche in Zellen leben. Aidan (Die Reise nach Byzanz) hat z. B. eine Zelle mit einem rindsledernem Vorhang und einem Strohsack, in Lothars karger Zelle (Der sechste Tag) finden sich eine Pritsche, ein Tisch, ein Stuhl und an der Wand ein Kruzifix. In den engen Zellen der Inklusen (Die Herren von Buchhorn) gibt es jeweils eine harte Pritsche und einen hölzernen Altar und draußen einen kärglichen Garten; Zellen und Garten sind von einer Mauer umschlossen. – Äbte wohnen häufig allein in einem eigenen Abtshaus.

Mehrfach werden Bestrebungen zu einer Vereinheitlichung genannt, die nicht unumstritten sind: Im Roman Die Abbatissa will Bischof Angilram von Metz eine einheitliche Regel für alle Klöster des Frankenreichs einführen, die Benediktregel. Bislang würden in einigen Klöstern die Regeln des Caesarius, in anderen die des Aurelianus oder die Regula mixta des seligen Abtes Waldbert gelten. Angilram geht es um eine bessere Kontrolle der Klöster durch den Bischof und um die Aufrechterhaltung einer gemeinsamen Disziplin. Ada ist gegen eine Vereinheitlichung. Sie ist froh, dass die Regula mixta weniger streng als andere Regeln ist (die z. B. das Gebot zu schweigen beinhalten oder die strenge Pflicht, im einmal gewählten Kloster zu bleiben) und mehr Freiheiten lässt. Die Benediktregel regelt zu viel, das Ada lieber von Fall zu Fall entscheidet (96f.). Wie es in Die Königsmacherin heißt, war die Abtei Prüm ursprünglich dem heiligen Columban geweiht. Die Mönche dort ziehen allerdings, so beklagt Frau Berta, Lustgewinn aus den rigorosen Strafen, die Columban für Verfehlungen vorschreibt. Sie hält die Regel des heiligen Benedikt für sinnvoller und menschenfreundlicher. Entsprechend einer Übereinkunft zwischen ihr und dem Abt gilt zunächst die regula mixta, und wenn der letzte Mönch aus der alten Zeit verstorben ist, wird das Kloster dem heiligen Benedikt geweiht (96). Bonifatius hat die Mönche in Prüm dem heiligen Benedikt nahegebracht. Pater Fulrad spricht davon, dass auf einem Konzil nahe Lüttich die alleinige Geltung der Regel des heiligen Benedikt in allen Klöstern festgesetzt werden soll (202). – Die meisten der in der Abt Erwin-Reihe vorkommenden Klöster sind Benediktinerklöster, die Mönche leben nach der 300 Jahre alten Regel des heiligen Benedikt von Nursia. Ein Kloster ist »geweihter Boden« und ein »heiliger Ort«. Benedikt von Aniane, der als Gründer und Vorsteher der Abtei Aniane genannt wird, setzt sich für die Mehrung der Zahl der Benediktinerklöster ein und will die

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Ordensregel wieder in ihrer ganzen Strenge zur Geltung bringen. Im Roman Der sechste Tag wird erklärt, dass ein in einem Tal nahe einem Bachlauf gelegenes Anwesen einst das Gut einer gotischen Grafenfamilie war, bis deren Sohn Witiza, der sich später Benedikt nannte, es zu einem »Vorzeigekloster« (45) machte. Er wurde schließlich Vorsteher des Klosters Inden bei Aachen. Verschiedenste Gründer von Klöstern werden in den Romanen genannt, z. B. mehrfach Bonifatius als Gründer von Fulda. In Der sechste Tag heißt es, das bedeutende Kloster Fulda sei seit den Tagen des Papstes Zacharias keinem Bistum, sondern unmittelbar Rom unterstellt. Indem Karl der Große der Abtei vor über 60 Jahren Immunität verlieh, legte er den Grundstein für die derzeitige Blüte, Größe und Pracht. Herrscher tauchen vielfach als Stifter von Klöstern auf: In Die Königsmacherin heißt es, Karl Martell habe die Gründung von Klöstern gefördert. In anderen Romanen ist die Rede davon, dass Karolinger wie Pippin, Tassilo oder Karl der Große Klöster gegründet oder Klöstern Land geschenkt haben. Im Roman Die Abbatissa wird erwähnt, dass Karl als Buße für seine Sünden (Kinder mit der eigenen Schwester etc.) Klöster und Kirchen gestiftet hat. Auch Stiftungen durch Frauen kommen vor: Frau Berta (Die Königsmacherin) hat Kloster Prüm zum Gedächtnis ihrer verstorbenen Kinder und als Fürbittgebet für sie, sowie für ihren lebenden Sohn und für sich erbauen lassen, womit sie für ihr Seelenheil gesorgt hat. Ihre Mutter hat das Kloster Echternach errichtet, aus dem die ersten Mönche nach Prüm kamen (94f.).

1.3.1.3 Gutes Irland – böses Rom Eine andere Sicht der Regeln Columbans als oben findet sich in Das Buch Glendalough: In Glendalough sei Platz für die Heiligen und für die, »die sich mit geringeren Diensten dem Herrn anempfahlen«. Selbst die sehr Heiligen bräuchten dort weniger Regeln als die Benediktiner. Während die Regeln des Benedikt von Nursia ein Buch füllen würden, fordere Columban nur Armut, Gehorsam, Keuschheit, Gebete zur rechten Zeit und schmale Kost. Im inneren Kreis von Glendalough ist Regeltreue wichtig, aber im äußeren sieht man oft Frauen, die bei Festen zugegen sind und dort übernachten (195). Im »Tal der Heiligen« gibt es viele laute Spiele, über die sich sittenstrenge Pilgerbrüder aus Franken und Sachsen entrüsten. Mit einer wunderbaren Gleichgültigkeit würden die Brüder in Glendalough über Vieles hinwegsehen, das außerhalb der Klostermauern geschieht. Die irischen Brüder singen geistliche und weltliche Lieder mit der gleichen Inbrunst und sind sehr neugierig. Sie würden sich auf die besondere Liebe verstehen, die notwendig ist, um verstehen und verzeihen zu können. Der heilige Kevin gründete die »Mönchsstadt« Glendalough, den »heiligsten Ort« nach Rom. Dort schweben die heiligen Engel des Himmels, die Drosseln singen das Kyrie, die Bienen holen Nektar aus dem Himmelreich. Auf dem Himmelswasser des heiligen Sees ruht für immer Kevins Segen (Das Buch Haithabu, 240f.). Der Abt meint, er trage zwar mehr weltliche Last als die anderen Brüder, aber einige von ihnen stünden Gott und dem Vermächtnis des heiligen Kevin näher als er.

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Entfaltungen christlichen Lebens 1: Das Thema Mönchtum

Ein starker Gegensatz zwischen Irland und dem Kontinent bzw. Rom wird in diesem Roman (ebenso wie in Die Reise nach Byzanz) thematisiert: Als Bischof Radbrod von Trier in Glendalough weilt, tadelt er, dass die Iren anscheinend keinen Bischof benötigen und den Heiligen Vater in Rom nur für einen Heiligen unter vielen halten. Er lobt aber die Mauer, die den heiligen Bezirk mit den Kirchen, Zellen und Gräbern umschließt, und will die große Kirche in Trier mit einer hohen Mauer vom weltlichen Treiben trennen. Agrippa entgegnet, dass die niedrigen Mauern in Glendalough die Gläubigen ermahnen sollen, ruhig und mit reinen Gedanken das Heilige zu betreten, und dass eine hohe Mauer zur Trennung von Kirche und Volk keine gute Idee sei. Der irische Mönch Kevin musste erleben, dass die Geistlichen in Fulda stark im Glauben, rein in den Sitten und vorbildhaft in Gebet und Tat, aber freudlos waren. Er hält es für unangebracht, dass die Brüder feiernden Menschen das »Memento mori« singen sollen, aber Bischof Carolus schickt ihn aus, »unzüchtiges Buhlen« während dieser Feiern mit Worten auszubrennen. Als Kevin heimlich ein bei einem Ehebruch gezeugtes Kind tauft, erklärt Carolus die Taufe für nichtig, weil Sünde keinen kirchlichen Segen auf sich ziehen könne, und verurteilt Kevin zu einem Bußfasten. Carolus fordert Kevin auf, die weltlichen irischen Lieder vorzutragen, die er in einem Schankhaus unterhalb des Klosters vor zweifelhaften Frauen und betrunkenen Fuhrmännern gesungen haben soll. Als Kevin ein Lied wählt, das irische Mönche beim Kopieren singen und welches die poetische Inspiration preist, entgegnet Carolus, dass alle Inspiration von Gott kommt, und jagt ihn fort (Das Buch Glendalough, 154f.134–136). Aidan (Die Reise nach Byzanz) hat gehört, dass sich die gallischen Abteien stark von denen in Irland und Britannien unterscheiden. Die Mönche dort seien keine wahren Mönche, vor allem keine Célé Dé. Eine Gruppe von irischen und angelsächsischen Mönchen reist nach Byzanz, um dem oströmischen Kaiser ein von ihnen angefertigtes Buch zu schenken und ihn damit als Unterstützer gegen den Papst zu gewinnen. Der Mönch Brynach hat jahrelang in den Klöstern die Beschwerden der Äbte und Bischöfe in einem Buch der »Sünden Roms« aufgeschrieben, Kopien davon wurden in Ty Gwyn, in Hy und in Namnetum im Frankenreich hinterlegt. Die Mönche wollten die Brüder auf dem Festland für ihre Unternehmung gewinnen, da alle Klöster und Kirchen im Westen in ähnlicher Weise vom Papst unterdrückt würden. Auf Aidans Einwand, dass sie doch frei und keinem irdischen König untertan seien, entgegnet Brynach, sie seien aber dem Bischof von Rom verpflichtet. Wenn es diesem gelänge, alle Christen »unter sein Joch zu zwingen«, würde es ihnen übel ergehen. Er schmähe sie öffentlich der Häresie. Brynach glaubt, sie ärgerten die Päpste schon lange mit ihren »unterschiedlichen Lebensarten und Auffassungen«. Deshalb wollte sich die Gruppe an den römischen Kaiser, den Statthalter Gottes, über dem niemand

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auf Erden steht, wenden, der allein ihnen Frieden vor dem Papst zu schenken vermag (In geheimer Mission für den Kaiser, 368–372). 1.3.2 Aufgaben der Mönche (und Nonnen) 1.3.2.1 (Stunden-)Gebet Vor Ort im Kloster gehört die Aufmerksamkeit für das Stundengebet in der Kirche oder Kapelle zu den wichtigsten, immer wieder erwähnten Aufgaben der Mönche. Häufig ist von fünf Gebetszeiten die Rede, die in den Romanen unterschiedlich benannt werden. Eine Besonderheit stellen die Inklusen in Die Herren von Buchhorn dar: Sie beten meist alleine in ihrer Zelle und verrichten Näharbeiten und Bußübungen. Regelmäßig treffen sie sich im Garten zur Schriftlesung, die Wiborada durch das Fenster ihrer Zelle hält. Auch gemeinsame Gebete kommen vor, einmal spricht Wiborada abends ein Totengebet für Mechthild und Gerald (50.54.57). Vom Gebet für andere ist insgesamt nur am Rande die Rede. Sygifrid (Genovefa) hat dem Kloster Kessling das umliegende Tal geschenkt, im Gegenzug liest der Abt Hucbert ihm jeden Freitag einen eigenen Gottesdienst, wodurch, so bemerkt Bertrada, gut für sein Seelenheil gesorgt ist. Reiche Christen spenden in Das Buch Haithabu ihren Nachlass an das Stift Ramsolano, damit die Mönche an den wundertätigen und heilsspendenden Gebeinen des Sixtus, Sinnitus und Ansgar das Himmelreich für sie erflehen. An den Namenstagen der Heiligen kommen Kranke von weit her, damit die Mönche sie gesund beten. In Die Welfenkaiserin wird kurz erwähnt, dass die Nonnen in Poitiers für Judith beten. Lothar II. (Bei meiner Seele Seligkeit) wird Mitglied der Gebetsbruderschaft des Klosters Reichenau. Nach Lothars Tod statten Theutberga und Waldrada Klöster mit Geld aus, damit dort für die Seele des Königs gebetet wird. – Für den Herrscher beten Mönche an einigen Stellen der Romane. In Der Kalligraph des Bischofs heißt es, dass im Kloster in Tours alle drei Stunden die Glocke zum Gebet läutet und am Tag hundert Psalmen gefordert sind; der exkommunizierte Mönch Aelfnoth bittet aber stattdessen Gott um Gnade für den Abt, die Mönche, die Stifter und Gönner des Klosters und für andere Äbte. Der »Missbrauch« des stellvertretenden Gebets kommt in Das Erbe des Puppenspielers und Pater Diabolus vor (s. u.). Einzelne Mönche beten für Menschen, denen sie unterwegs begegnen: In das Kloster Ard Marcha nimmt Agrippa (Das Buch Glendalough) ein Händler mit, der als Lohn Agrippas Fürbitte für sein krankes Kind erbittet. Auf dem Weg zu den Uí Neíll, zu denen ihn Agrippa begleitet, wird Abt Fitbrain oft erkannt, die Menschen reichen ihm Nahrung und erbitten eine Heilung oder ein Gebet.

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Entfaltungen christlichen Lebens 1: Das Thema Mönchtum

Ordensleute tun vereinzelt Buße für andere: Indem sie hungert, betet und sich geißelt, büßt Laurentia in Die Abbatissa für die Sünden der Äbtissin, die wegen ihrer Verpflichtungen dazu keine Zeit hat. Wunibald (Das Geständnis der Amme, 401) findet es sehr einträglich, für einen Reichen die Buße zu übernehmen. Zwölf mal drei Tage Fasten habe er für einen Mann übernommen, der sein Weib betrogen hatte, und dabei 26 Schilling verdient. Wunibald hat heimlich gegessen, schließlich sei es nicht sein Ehebruch gewesen, der arme Sünder habe gedacht, seine Schuld sei getilgt, und im Himmelreich werde man ihm daraus schon keinen Vorwurf machen. Nach dem Verlassen des Klosters hat Wunibald sich auch einmal hungrig einige Haare vom Haupt gerissen und ein paar Fingernägel abgeschnitten und behauptet, sie stammten vom heiligen Jonathan. Dafür habe er mehr als nur eine warme Mahlzeit bekommen. 1.3.2.2 Verschiedene geistige und körperliche Tätigkeiten Die in den Romanen vorkommenden Mönche üben unterschiedliche Ämter in den Klöstern aus: Ämter vom Abt über seinen Stellvertreter, den Prior, bis hin zum Novizenmeister, Cellerar oder Pförtner werden immer wieder in den verschiedensten Romanen aufgeführt. Einige Mönche in den Romanen sind Diakon oder Priester: Alkuin (Das Pergament des Himmels, 188) sagt, er sei ein »einfacher Ordensbruder«, er habe »nicht einmal die Priesterweihe empfangen«. Er ging zur Domschule von York, war dann Leiter der Domschule, der Bibliothek und des Skriptoriums, und ist zum Diakon geweiht worden. Auch Lupus (Odo und Lupus-Reihe) aus Fulda ist Diakon. Aidan (Die Reise nach Byzanz) gilt als der fähigste und gebildetste unter den jüngeren Priestern in seinem Kloster. In Karl Martell werden von Willibrord geweihte Priester und Laienmönche im Kloster Echternach unterschieden, auch in der Abt Erwin-Reihe gibt es Laienbrüder und andere Mönche. Als im Roman Die Päpstin im Kloster zu Fulda einer der beiden Priester der Gemeinschaft stirbt, wählt der Abt unter Berücksichtigung der Wünsche der Brüder und des Bischofs aus den Reihen der Mönche Johanna (die er für einen Mann hält) als dessen Nachfolger aus. Zu ihren Aufgaben zählen das tägliche Lesen der Messe, das Abnehmen der Beichte und die Erteilung der Sterbesakramente. Agrippa (Das Buch Haithabu) verrichtet zeitweise die Arbeit im Stift Ramsolano fast alleine, weil die anderen Mitbrüder ausfallen, er tauft, segnet, begleitet Sterbende und hält das Stundengebet. Hathumar (Mord im Dom) hingegen betont seiner Schwester gegenüber, dass er Mönch und kein Priester ist. Finnian (Das Amulett der Seherin) wird erst zum Priester geweiht, nachdem er das Ordensleben aufgegeben und geheiratet hat. Einige Mönche versehen Dienste in Frauenklöstern: Im Kloster Sankt Irminen (Die Abbatissa, 53) nimmt der Mönch Marso, der »die priesterlichen Weihen hatte, […] die

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Handlungen vor, die Brot und den Wein verwandelten, und teilte das Brot an die Klosterbewohnerinnen aus«. Die Predigt hält jedoch Äbtissin Ada. Sie nimmt zudem allen im Kloster die Beichte ab. In Pilger und Mörder, 134f., heißt es, dass einige alte und hässliche Brüder aus der Männerabtei in der Nachbarschaft im Frauenkloster der drei Marien schwere Arbeiten und den Altardienst verrichten. Früher bildeten beide Gemeinschaften ein Doppelkloster und verrichteten das officium gemeinsam, wobei es dem Herrn Jesus als eifersüchtigem Bräutigam nicht gefiel, dass seine Bräute »mit den hübschen jungen Mönchen schöntaten«. Die Mönche des Gallusklosters (Die Herren von Buchhorn) wie Bruder Matthias versorgen die Inklusen mit Essen, diese sollen aber nicht mit ihnen sprechen.

Viele der in den Romanen beschriebenen Klöster besitzen Felder, Vieh, Fischteiche, eine Küche, ein Backhaus, Brauhaus und zahlreiche Werkstätten. Die Brüder in Glendalough (Das Buch Glendalough) arbeiten als Steinmetz, Pergamentmacher, Schmied, Weber, Wagenbauer oder Küfer; viele dieser berühmten kunstfertigen Brüder sehen ihre Arbeit als Gottesdienst, sie unterweisen die besten Handwerker. Im Klostergarten in Prüm arbeiten Pippin in Die Beutefrau und Lothar in Der sechste Tag. Magister Thomas (Der sechste Tag) hatte sich auf das Pflanzen von Gemüse im Klostergarten von Aniane und das Züchten von Karpfen fernab vom städtischen Trubel gefreut, vermisste dann aber das Lesen und die Streitgespräche über die Schriftauslegung und die Gedanken des Aristoteles, und beschaffte viele Bücher für die Bibliothek des Konvents. Die Célé Dé (Die Reise nach Byzanz, 462), »Diener Gottes«, werden als kleine Gemeinschaft von Mönchen beschrieben, die einfach leben, beständig beten, mit ihrer Arbeit sich selbst und ihr Kloster Cennanus na Ríg, eine frühere Königsburg, unterhalten und den Menschen in der Umgebung auf verschiedene Arten behilflich sind. – An einigen Stellen der Romane heißt es, dass Mönche Land kultivieren, besonders bei der Neugründung von Klöstern. Langfristig erledigen die Feldarbeit auf den Ländereien etc. allerdings Leibeigene oder Hörige. Klöster müssen teilweise den Hof versorgen oder den Herrscher bei einem Besuch verköstigen. 1.3.2.3 Versorgung von Gästen und Kranken Fast alle in den Romanen beschriebenen Klöster besitzen ein Gästehaus, teilweise gibt es getrennte Gästehäuser für Arme und für Vornehme. Vielfach wird ein Klostermedicus, ein Krankenbruder o. ä. genannt. Mönche müssen sich um Pilger kümmern, welche die Heiligengräber im Kloster besuchen und den Klöstern auch Einnahmen verschaffen. Bertram (Odo und Lupus-Reihe), der Abt des Klosters des heiligen Dionysius, beklagt, dass viele hohe Herren nach Klostergut gierten und es ständig schmälerten, während die Mönche durch viele Gäste wie Pilger, Kranke, Bettler und reisende Mönche, zu deren Aufnahme Gott sie beauftragt habe, immer ärmer würden. In Das Geständnis der Amme heißt es, Klöster müssten dem Gebot der

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Gastfreundschaft folgend jeden Reisenden aufnehmen und im »Hospitium« schlafen lassen (324). Im Roman Das Amulett der Seherin wird die Verpflichtung der Klöster zur Gastfreundschaft und zur Sorge für die Kranken betont. Ein Ordensbruder sei als Gast besonders zu ehren. In Aachen (… denn sterben muss David!, 86–89) gibt es in einiger Entfernung zur Pfalz ein von Mönchen betreutes »Hospitalium«, wo Reisende und Pilger übernachten können und Bettler und Sieche Essen und einen Schlafplatz erhalten, manchmal auch die abgelegte Kleidung der Mönche. Ein Erlass des Kaisers besagt, dass alle Klöster verpflichtet sind, Arme und Kranke zu speisen, dies sei eine Christenpflicht. Vor dem Essen müssen die Bedürftigen erst das Kreuzzeichen schlagen. Der Bettler Romuald bittet einen der Mönche, auch den jungen Enno zu speisen; der Herr werde am jüngsten Tag seine Taten belohnen, denn er habe diesen selbst aufgenommen. Genovefa hilft im gleichnamigen Roman den Mönchen des Klosters Sankt Vitus, indem sie Lebensmittel für die Kranken und Alten bringt, die von den Mönchen gepflegt werden. Sie hält das für richtig, gut, christlich und gottgewollt. In der Uhtred-Saga gibt es auch Klöster, die sich um Geisteskranke kümmern. Mönche sind vielfach heilkundig, verfügen bei Krankheiten über besondere Kenntnisse und Fähigkeiten. Manche werden als Wundertäter dargestellt, einige nehmen Reliquien zu Hilfe. Agrippa (Das Buch Glendalough) kennt sich mit Kräutern und Heilmitteln aus, weiß aber auch, dass die Kraft der Pflanzen ohne Gottes segnendes Dazutun nichts vermag. In Glendalough kümmert er sich um den Kräutergarten; seine Achtung dort steigt, weil er viele Heilerfolge erlebt, die er allerdings Gott zuschreibt. Ein sächsischer Pilger, dessen kranker Familie ein irischer Mönch im Namen des heiligen Kevin beigestanden hat, reist nach Glendalough, um Kevin zu danken. Agrippa weiß, dass das Gebet mehr heilt als Trank und Kräuter; als Einsiedler (Das Buch Haithabu, 361–363) betet er mit einer hohen jungen Frau, deren Gesicht von Warzen entstellt ist. Das Silber, welches sie ihm nach ihrer Heilung geben will, schickt er mit der Bitte zurück, den Rest ihres Lebens den Kranken und Armen Gutes zu tun. Sie will ihr erstes Kind nach Agrippa benennen und in Magdeburg ein Stift für von Krankheit Gezeichnete bauen. Im Roman Mord im Dom verwendet der Krankenbruder Heilkräuter aus dem Klostergarten. In Das Pergament des Himmels ist der Apotheker des Klosters Fulda, der »Kräuterbruder« (171), plötzlich verstorben. Zum Glück kennt sich auch der angelsächsische Mönch Alkuin, der sich gerade dort aufhält, mit Kräutern und Arzneien aus. Im Hospital des Klosters befinden sich sowohl Mönche als auch Kranke von außerhalb. Der Bruder Infirmarius des Klosters Friedeslar (Das Amulett der Seherin) sitzt in der Herberge für Pilger und Arme an Walrams Krankenbett und denkt, diesem könnten nur noch Gebete helfen. Finnian überlegt, ob Gott die Fürbitte eines Mönchs erhört, der mit vielen Sünden beladen ist. Da er überzeugt ist, dass die Berührung einer Reliquie Heilung spenden kann, gibt er Walram den Abend-

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mahlskelch in die Hand, mit dem der selige Wigbert ein Wunder gewirkt hat. Finnian macht das Kreuzzeichen, spricht ein Gebet und ruft Wigberts Hilfe an, woraufhin es Walram bald besser geht. – Abt Eadred will die fiebernde Gisela mit einem Tuch berühren und heilen, das über dem Gesicht des heiligen Cuthbert liegt (Die Herren des Nordens, 196). König Alfred schenkt der Äbtissin Hild etwas vom Staub aus dem Grab Sankt Heddas; mit Sauermilch vermischt, heilt dieser viele Kranke in Obhut der Nonnen (301). – In Die Päpstin nimmt Bruder Benjamin, der Arzt des Klosters Fulda, Johanna als Lehrling auf. Er unterrichtet sie über die Heilkräfte der Pflanzen, die beiden pflegen im Spital. Johanna erkennt, dass eine vermeintliche Aussätzige (Abt Rabanus Maurus spricht von »sichtbaren Malen der Sünde«, 272) gar keine ist: Die Frau, die finanziell und sozial abgestiegen ist, leidet an einer anderen Hautkrankheit, die durch Verbesserung der hygienischen Verhältnisse behoben werden kann. Außerdem wird Johanna klar, dass die Lungenpest durch körperlichen Kontakt übertragen wird und nicht, wie der Prior glaubt, die »verderblichen Geister« (313) schuld sind. Sie ändert deshalb den Messablauf und führt die »intinctio«, das Eintauchen der Hostie anstelle des Trinkens aus dem Kelch, ein. 1.3.2.4 Schreiber und Bibliothekare Eine wichtige Tätigkeit der Mönche und Nonnen ist in vielen Romanen die Arbeit im Skriptorium. Viele Mönche, die Hauptfiguren in Romanen sind, arbeiten als Schreiber oder Übersetzer. Mönche gelten als Schriftkundige und geben ihre Kenntnisse an andere weiter. Selbst verstoßene Mönche stehen immer noch für Bildung. Das Schreiben ist besonders ein Thema der irischen und angelsächsischen Mönche: Aidan (Die Reise nach Byzanz) arbeitet im Skriptorium unter Aufsicht des Vorstehers der Bibliothek am Kopieren von Texten. In den Skriptorien der drei Klöster Cennanus, Hy und Lindisfarne wurden Teile des »Buchs von Colum Cille« (des Book of Kells) gefertigt, das einige Mönche zum Kaiser nach Byzanz bringen wollen. Das »Cumtach«, der Einband des Buches, ist von den Mönchen von Hy aus Silberblech mit Ornamenten und Edelsteinen gefertigt worden. Auch in Glendalough (Das Buch Glendalough) wird Vieles kopiert, sowohl die Bibel als auch die Kirchenväter und Schriften der Griechen und Römer. Der von dort stammende Mönch Kevin trug in seinem Reisebündel heilige Schriften, die er in fränkischen und sächsischen Klöstern kopiert hatte. Er ist begabt in Schrift und Übersetzung und leitet auch junge Brüder an, etwa in der Schnellschrift, welche die irischen Brüder beherrschen. In Lindisfarena (Uhtred-Saga) werden ebenfalls Texte kopiert und ausgeschmückt. Am Hof Alfreds halten sich viele Mönche auf, die Psalmen singen, das Stundengebet feiern und Bücher kopieren. Die Tätigkeit der Buchmalerei wird in Die Abbatissa ausführlich beschrieben: Ältere Nonnen erstellen unter Aufsicht des Mönchs Marso, später der Nonne

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Leontina aus Rom, in der Schreibhalle von Sankt Irminen in Trier Abschriften von heiligen Büchern. Marso beaufsichtigt auch die Goldmalerinnen. Die Farben stellen die Nonnen selbst im Kloster her. In Wik kopiert Agrippa (Das Buch Haithabu) »den Benedictus«, malt Vignetten und übersetzt die Taten des heiligen Sebastianus von Latein ins Fränkische. Auf einer Holztafel über dem geheizten Skriptorium werden die Mönche, »die die Worte des göttlichen Gebotes und die geheiligten Worte der Kirchenväter kopieren«, davor gewarnt, eigene Gedanken hinzuzufügen (126f.). Lupus (Odo und Lupus-Reihe) fertigt in der Kanzlei wie auch früher im Skriptorium in Fulda Abschriften juristischer Werke an, die er unterwegs als Missus Dominicus braucht. Karl Martell erfährt im gleichnamigen Roman (59) im Echternacher Skriptorium von unterschiedlichen Schriften und Büchern, wo er zu verstehen beginnt, wie viel Mühe, Arbeit, Kraft, Geduld, Schmerz und Pein das »von Willibrord und seinen Mönchen gewählte Leben« bedeutet. Mönche, besonders auch ausgestoßene oder ehemalige, geben ihre Kenntnisse an andere weiter: Ein Mönch auf dem Weg nach Aachen hat auf dem Gehöft von Ennos Onkel übernachtet und Enno erklärt, was Schrift ist (… denn sterben muss David!, 24). Als der Kaiser später Enno einen Wunsch erfüllt, möchte dieser gerne schreiben lernen. Der fahrende Sänger Raymond der Ginsterbekränzte (Das Buch Glendalough), der illegitime Sohn eines Bischofs und einer Prinzessin aus Narbonne, wurde von einem alten, wegen einer geringen Verfehlung aus dem Kloster verstoßenen Mönch im Lesen und Schreiben unterrichtet. Biterolf (Der Kalligraph des Bischofs) hat als junger Mann in Sankt Gallen die neue Schrift erlernt, die Kaiser Karl dem Reich geboten hatte. Als Germunt bei einem Diebstahl erwischt wird, schickt Bischof Claudius ihn zur Läuterung nach Tours, wo er die Kalligraphie erlernen und den Nachstellungen des Grafen entkommen kann. Im Kloster des heiligen Martin lebt Germunt in der Zelle des alten Mönchs Aelfnoth und lernt von ihm. In diesem Kloster, das Abt Alkuin zu einem Zentrum der Schriftkunst gemacht hatte, gibt es eine Bibliothek, eine Schreibstube und eine Klosterschule. In Die Beutefrau überwacht Alkuin als Abt in Tours zahlreiche Mönche, die Abschriften der lateinischen Kirchenväter und Klassiker anfertigen. In Die Abbatissa heißt es, Alkuin wolle für einen fehlerfreien Text des Evangeliums sorgen. In der Abt Erwin-Reihe überprüft und berichtigt Erwin auf seinen Reisen anhand einer von Alkuin erstellten, vollständigen, korrekten, für alle verbindlichen Fassung der Vulgata andere Bibelhandschriften der Priester und Mönche in den Klöstern und Bistümern des Reiches. – Die Figur »Alkuin« kommt in mehreren Romanen (z. B. als Lehrer der Figuren Rabanus Maurus, Angilbert, Erwin, Aelfnoth oder Frodulf) vor. Manchmal ist seine Zuordnung nicht klar, aber an einigen Stellen wird er als »Mönch« betitelt: In Die Beutefrau wird Alkuin als angelsächsischer Mönch eingeführt, der als Leiter der Hofschule und Berater Karls tätig ist. Die gleichen Positionen hat Alkuin im Roman Karl der Große inne, wo er als »Reichsmönch«,

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der »weiseste aller Mönche im Frankenreich« (491) oder »Fürst aller Frankenmönche« (627) bezeichnet wird. In Das Pergament des Himmels führt der angelsächsische Mönch Bruder Alkuin eine königliche Gesandtschaft an und soll überprüfen, wie es in Fulda um die Einhaltung der Benediktsregel bestellt ist, wobei er einige Mängel erkennen muss.

Der begabte Hathumar (Mord im Dom) ist Bibliothekar in Corbie. Ein von diesem verfasstes Epos gibt Abt Adalhard als sein eigenes Werk aus, um den König zu beeindrucken. Johannes (Der sechste Tag) hat schon als Kind durch die Bibellektüre herausgefunden, dass das Jesaja-Buch von mehr als einem Verfasser stammt. Bald ist er der lateinischen, griechischen, hebräischen und arabischen Sprache mächtig. In Fulda ist er bereits zum stellvertretenden Leiter der Bibliothek aufgestiegen, in der es über 2000 Handschriften gibt. Das Kloster, in dem 600 Mönche leben, gilt trotz der Randlage im Osten als »wissenschaftlicher Mittelpunkt des Reiches« (125). Papst Leo ernennt Johannes zu seinem dritten Bibliothekar; er muss ständig lesen und studieren, die Bände erfassen, ihren Zustand überprüfen, kopieren und vorlesen. Für das Untermauern einer brieflichen Argumentation oder das Erlassen eines neuen geistlichen Gesetzes müssen die Bibliothekare dem Papst die richtigen Bände bringen und die entsprechenden, für eine Entscheidung hilfreichen Stellen kennen. Schließlich macht Leo Johannes zu seinem ersten Sekretär und Berater. – Die Bibliothek von Sankt Gallen spielt eine wichtige Rolle im Roman Das Buch der Sünden.369 Die große Bibliothek von Fulda und der Stellenwert von Bildung (Johannas Fähigkeiten werden dort geschätzt und gefördert) werden auch in Die Päpstin erwähnt. Dort heißt es außerdem, der Abt des Klosters Corvey habe eine Schrift über die Realpräsenz verfasst. In mehreren Romanen ist von den Schriften Alkuins die Rede. Gedichte verfassen Walahfrid Strabo in Die Welfenkaiserin, Abt Marcellus in Der sechste Tag oder Abtbischof Salomo in Die Herren von Buchhorn.

1.3.2.5 Erzieher und Lehrer In vielen Romanen wird beschrieben, dass Klöster Schulen unterhalten. Die gebildeten Mönche fungieren dort als Lehrer, manche sind Erzieher von Königssöhnen. Für diese und weitere Tätigkeiten müssen Mönche ihr Kloster verlassen. In Der sechste Tag leitet Rudolf von Fulda, der Verfasser der Vita der heiligen Lioba, die dortige Klosterschule. Diese wird auch in Die Päpstin erwähnt. Ansgar, so heißt es in Die Priestertochter, war der erste Leiter der Klosterschule von Corbeia Nova. Die junge Nonne Lilia (Die Abbatissa, 54) unterrichtet zusammen mit weiteren Nonnen im Trierer Kloster. Sie erklärt ihren Schülerinnen: »Das 369 Anklänge an Der Name der Rose sind enthalten, wenn Odo z. B. ein Zahlenrätsel lösen muss, um den Standort eines bestimmten Buches in der Bibliothek zu finden.

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Evangelium ist mit Buchstaben geschrieben, schon deshalb müsst ihr sie alle lesen und schreiben können. Nur wenn Gott das richtig gesprochene Wort hört, öffnet sich sein Ohr«. Alkuin ist der Ansicht, dass »die Frauenklöster wohltuend von den von Äbten geführten abstachen, was Bildung und Fleiß anging« (210). In Glendalough (Das Buch Glendalough, 166) sitzen zur »Stunde des Wissens« die Mönche und Gelehrten aus aller Welt vor ihren Zellen und beantworten die Fragen der Pilger. Agrippa, glücklich über den Anblick lehrender und lernender Menschen, denkt, dass die Welt vom Bösen befreit werden könnte, wenn das Lernen allgemein würde. Er bringt Ailil und anderen Frauen, die im Kloster als Wäscherinnen arbeiten, das Lesen bei. Von den irischen Brüdern erhält er nur gutartigen Spott, aber hohe fränkische Geistliche schelten ihn, weil er die Einteilung durch den Allerhöchsten in hoch und niedrig durcheinander bringt, und die Frauen in ihren Augen unvollkommenere Geschöpfe als die Männer sind. In Das Geständnis der Amme, 157, soll ein Mönch, »vierschrötig und rotgesichtig«, dem kleinen Prinz Ludwig, dem Sohn Karls des Kahlen, beibringen, wer er ist, welch ehrwürdiger Familie er entstammt. Bruder Godhard unterbreitet Ludwigs Schwester Judith stets neue Schriften, die sich mit ihrem Seelenheil befassen, aber sie wünscht anstelle von »Speculae«, welche die Laien ähnlich belehren sollen wie die Ordensregel die Mönche, geographische Schriften. Sein Vorgänger, der das Fassungsvermögen des Kopfes einer Frau ebenfalls für sehr begrenzt hielt, habe ihr schließlich Schriften von Plinius dem Älteren, Martianus Capella und Isidor von Sevilla gebracht. Godhard meint, die Beschäftigung mit solchem sollte nur vom Wunsch, Gottes Wirken besser zu verstehen, und nicht von Neugierde getrieben sein (181f.). In Die Welfenkaiserin wird Walahfrid Strabo als Erzieher Karls des Kahlen genannt. Der Benediktiner Magister Thomas (Der sechste Tag), sehr gelehrt und mit einem staatsmännischen Verständnis ausgestattet, ist Schriftausleger und Erzieher der Söhne Ludwigs des Frommen. 1.3.2.6 Berater und Beichtväter Verschiedene Mönche werden als Berater oder Beichtväter von Herrschern genannt: Der alte, taktierende und grimmige Abt Eadred von Lindisfarena (Uhtred-Saga) fungiert als Berater König Alfreds. – Abt Adalhard (Mord im Dom), ein Vetter von König Karl dem Großen, berät diesen in Fragen der Bildung und hält sich häufig am Hof auf. – In Bei meiner Seele Seligkeit dient der Mönch Asmodi Lothar II. als Berater, während der Mönch Bertholdo sein Beichtvater ist. – Benedikt von Aniane (Der sechste Tag) steht Ludwig dem Frommen als enger Berater zur Seite; Magister Thomas wird von Karl dem Kahlen zu seinem Gesandten in Rom ernannt. Marcellus, jetzt Abt in Paris, war Berater Karls des Kahlen und zuvor Leibseelsorger von Kaiser Lothar. Er hat vergeblich versucht, Lothar an der Schleifung von Gernots Burg und der Tötung von Gernots Frau Mechthild zu hindern. Lothar entgegnete, Marcellus’ einzige

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Aufgabe sei, ihm nach vollendeter Tat die Beichte abzunehmen. Direkt anschließend hat Marcellus sein Amt niedergelegt. – Bruder Ambrosius (Das Geständnis der Amme) ist Beichtvater der Gräfin Alpais. Wunibald will ein herrschaftliches Paar wie Judith und Balduin als Geistlicher, der über ihr Seelenheil wacht, begleiten und ihnen die Erfahrungen aus seiner Alpenüberquerung anbieten. – Finnian (Das Amulett der Seherin) gibt sich im Kloster Friedeslar als Hausgeistlicher aus, der ein bekehrtes sächsisches Ehepaar auf der Pilgerreise zum Grab des heiligen Bonifatius in Fulda begleitet. 1.3.3 Klosterbewohner unterwegs Wie bereits anhand einzelner Tätigkeiten deutlich wurde, sind Mönche in vielen Romanen unterwegs und befinden sich außerhalb ihres Klosters. Die wenigsten Mönche, besonders die Hauptfiguren, leben »fest« im Kloster. Manche halten sich phasenweise inner- und außerhalb eines Klosters auf. Eine bestimmte Aufgabe führt viele Mönche für eine bestimmte Zeit heraus aus ihrem geregelten Klosteralltag. Zu nennen sind hier zuallererst Abt Erwin und (Odo und) Lupus in den gleichnamigen Romanreihen, die als Missi Dominici im Auftrag Karls des Großen auf Reisen gehen. Nebenbei betätigen sie sich als Ermittler in Kriminalfällen, wie überhaupt das Aufdecken von Morden und anderen Verbrechen in den Romanen eine Domäne der »Mönche unterwegs« ist. Mönche werden mit hoher räumlicher und geistiger Beweglichkeit assoziiert. In Kapitel IV zur Mission hatte sich bereits herausgestellt, dass viele Mönche als Missionare unterwegs sind, einige auf einen Auftrag hin, andere auf eigene Faust, getrieben von einer göttlichen Berufung oder von niederen Motiven. Das Unterwegssein wird insgesamt unterschiedlich beurteilt. Von ganz verschiedenen Motiven für das Verlassen eines Klosters sowie für das Aufgeben des Lebens als Mönch wird weiter unten die Rede sein. 1.3.3.1 Mönche als Ermittler Die beiden Teams aus einem Mönch und einem Adeligen, die in den Romanen während ihrer Reisen als Missi Dominici Verbrechen aufklären, sind sehr gegensätzlich: Während Lupus und Odo recht skurril und etwas rückständig wirken, werden Erwin und Childebrand als gebildet und gesittet beschrieben. Die weiteren ermittelnden Mönche Alkuin, Eckhard und Hathumar werden mit ähnlichem Durchblick, rational und fortschrittlich denkend, dargestellt – sie erinnern an den Franziskaner William von Baskerville in Der Name der Rose. Lupus (Odo und Lupus-Reihe) ist ein kleiner dicklicher Mönch aus Fulda, Odo spricht von seinem »friedlichen Mönchsgemüt« und nennt ihn »ängstliche Pfaffenseele«. Eitelkeit, Ehrgeiz und heldisches Gehabe, so Lupus, sollten ihm eigentlich fremd sein, manchmal sei er aber nur ein neidischer, blutleerer Got-

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tesmann, der Freude daran habe, wenn Menschen an ihren Leidenschaften zugrunde gingen. Er überlegt, ob es in seiner Seele nicht einen trüben Bodensatz gibt, und ob die Mittel, die er zur Klärung von Fällen ersinnt, christlich oder eher teuflisch sind (Demetrias Rache, 190f.). Oft sieht Lupus Gott als letzten Ausweg, wenn er als schwacher Mensch nicht weiter weiß, und bittet ihn um ein Zeichen. Im alten heidnischen Volksrecht spielt die Blutrache eine zentrale Rolle. Der alte Volksglaube hält Gottesurteile für unfehlbar, sie kommen vor Gericht zum Tragen. Bei besonders schwierigen Fällen, so Odo, steigt Gott vom Himmel herab, setzt sich unsichtbar auf den Richterstuhl und fällt selbst das Urteil. Gottesurteile würden fast immer so ausgehen, wie man es wünscht. Odo versucht, solche alten Bräuche zur Urteilsfindung durch andere, zwar auch nicht vernünftige, aber weniger unmenschliche wie einen Zweikampf zu umgehen. Lupus meint, eine direkt unter dem Eindruck eines Verbrechens vorgebrachte Anklage und Verteidigung sei glaubhafter und ehrlicher als eine nach Verschleppung des Verfahrens mit großem Zeitabstand ausgeklügelte, bei der man sich auf Gottesurteile verlassen muss. Odo und Lupus sehen oft einen Widerspruch zwischen dem, was richtig und was gerecht ist. So kann nur der König eine Untersuchung anordnen und den verbrecherischen Laienabt Agilhelmus vor das Hofgericht zitieren, aber dieser ist ein Freund des Erzkaplans. Für die Verletzung der Immunität eines Kloster, eines heiligen Ortes, muss man sich vor einem Klostergericht verantworten. Odo nimmt Agilhelmus in einer Truhe versteckt an den Hof mit, welche beim Überqueren eines Flusses versinkt, worin er ein Gottesurteil sieht. Als Lupus ihn kritisiert, weil Gottesurteile roh und heidnisch seien, entgegnet er, der Abt sei auch kein Christ gewesen (Pater Diabolus, 222–224). Abt Erwin (Abt Erwin-Reihe) hat den König auf verschiedenen Feldzügen begleitet und nutzt manchmal noch sein Schwert. Gott habe seinen Kampf geführt, sein Mönchsstand hindere ihn nicht daran, die Wahrheit im Kampf zu suchen. Als er einmal Räuber, die seinen Tross überfallen, töten muss, hält er diese, die wohl Elende oder Hungernde waren, für weniger schuldig als viele Mächtige der Gesellschaft. Als Missus dominicus verfügt Erwin über Vollmachten auf kirchlichem und weltlichem Gebiet. Zusammen mit Childebrand steht er für Recht und Ordnung und will die in seinen Augen verabscheuungswürdigen alten Bräuche wie die Blutrache bekämpfen. Erwin trinkt gerne Met, ist groß, hager, zurückhaltend, geradlinig, scharfsinnig und warmherzig. Durch Befragung und logische Schlussfolgerungen löst er die verschiedensten Kriminalfälle, wobei er oft eine List ersinnt. Er hat andere Wege, um die Wahrheit herauszufinden als das Gottesurteil. Beweise sind ihm mehr wert als unsichere und häufig widersprüchliche Zeugenaussagen. Schuldige finden als Sühne für ihre Verbrechen den Tod, denn ihre Opfer im Himmel und auf der Erde verlangen Gerechtigkeit. Erwin ist aber gegen die Folter, da Unschuldige darunter alles

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Mögliche gestehen und Verbrecher mit ihrem Geheimnis zu sterben verstehen. Selbst wenn jemand dem Gesetz gemäß zur peinlichen Befragung verurteilt wurde, bemüht Erwin sich, die Marter nur vorzutäuschen. Er versucht auch, die Qualen von zum Tode Verurteilten bei ihrer Hinrichtung abzukürzen. Eckhard (Die Herren von Buchhorn) sieht zwar aus wie ein ältlicher Mönch, hat aber ganz besondere Talente. Der sehr kluge Mönch mit dem kühlen Kopf sagt, dass die Mönche viel mehr über die Welt wüssten als das gemeine Volk glaubt, seine Mitbrüder in Sankt Gallen würden sich etwa mit Astronomie beschäftigen. Er redet, wenn er etwas zu sagen hat, und hört ansonsten lieber zu. Bei der Aufdeckung mehrerer Mordfälle arbeitet Eckhard mit dem jungen Schmied Gerald zusammen, dessen Eltern getötet wurden. Als sie gemeinsam auftauchen, wird Gerald von vielen Menschen scherzhaft gefragt, ob er sich geistlichen Beistand mitgebracht habe. Ein Lederer, bei dem sie Erkundigungen einholen, findet, dass Eckhard für einen Mann Gottes scharfe Reden führt (168.172). – Der Mönch Alkuin in Das Pergament des Himmels wirkt auf seine Mitmenschen manchmal wie ein Hellseher, zieht aber lediglich logische Schlussfolgerungen. Dadurch kann er Licht in einige merkwürdige Todesfälle bringen. Unterstützt wird er von der jungen, sehr gebildeten Pergamentmacherin Theresa, die sogar Griechisch kann. Weil er sie nicht in alles einweiht, kommen ihr zeitweise starke Zweifel an ihm. Alkuin hat seine eigenen Motive, er betreibt auch Kirchenpolitik und hat mit der Erstellung der Konstantinischen Schenkung zu tun. Hathumar (Mord im Dom) arbeitet als einziger Mönch alleine an der Aufklärung von Morden. Er hat Angst vor der Reise aus seinem Kloster nach Paderborn und ist fasziniert von allem, was er dort sieht. Unterwegs verwendet er bei einer Gerichtsverhandlung Befragung und logische Schlussfolgerung als Mittel der Wahrheitsfindung370 anstelle eines Gottesurteils, welches dem zu Unrecht Angeklagten droht. Seinen Einfluss als einer der Lieblinge seines Abtes Adalhard nutzt Hathumar, um sich für einen ungerecht behandelten Novizen einzusetzen. Nachdem Hathumar dem König das Leben gerettet hat, nutzt er auch dessen Gunst und bittet um Freiheit für seinen Freund Odo, der ein Verhältnis mit einer Konkubine des Königs hatte. 1.3.3.2 Klosterbewohner auf Pilgerschaft Eine Wanderexistenz wird vor allem für irische Mönche beschrieben, so Die Reise nach Byzanz der 13 »Peregrini« (ihre heilige Zahl entspreche der Jesu und seiner Jünger, 90) mit dem Book of Kells. Da die Reise selbst als eine Form des Gebets gilt, sind den Mönchen auf Pilgerfahrt (von denen, die unterwegs den Tod finden, heißt es später, sie hätten das »weiße« gegen das »rote Martyrium« eingetauscht) 370 Ein Musterbeispiel für logisches Denken bietet auch Johanna in der Gerichtsverhandlung gegen Gerold in Die Päpstin (532–540).

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die täglichen Pflichten erlassen. Als Aidan nach seiner Rückkehr (In geheimer Mission für den Kaiser, 560f.) seinem »Secnab« (geistigen Führer) Ruadh von seinem Traum erzählt, in Byzanz zu sterben, meint dieser, die Pilgerschaft würde auch das weiße Martyrium genannt; es heiße, der Pilger suche nicht den Ort seines Todes, sondern seiner Auferstehung, was bedeuten würde, dass er vorher tot war. Der Mönch Kevin (Das Buch Glendalough, 133) ist wie viele seiner Brüder aus Irland »fortgeschickt« worden. Von Bischof Carolus aus Fulda vertrieben (s. o.), geht er nach Rungholt, um eine Kirche zu erbauen, wie Gott ihn angewiesen hat. Mit kräftiger Stimme predigt er im Hafen den Seefahrern und droht, Gott werde eine große Flut an diesen sündigen Ort schicken, wenn sie kein Geld für ein Waisenhaus geben; damit will er aber den Grundstock eines Klosters legen. Ein geschwungenes Kreuz, hinter einem Bogentor in den Stein gezeichnet (der heilige Kevin soll es, den nachlassenden Glaubenseifer seiner Brüder spürend, mit drohendem Finger hinein geschrieben haben), besagt, dass dort das durch den Abt verkörperte Recht der Brüder von Glendalough gilt. Dieses Kreuz zu berühren bedeutet die Wiedereingliederung der heimkehrenden Mönche in die Gemeinschaft. Die Sitte verlangt, dass alle neu ankommenden Brüder den Stamm des Kevin-Kreuzes umarmen (144f.). »Wandernde Gottesmänner« genießen in Irland in besonderer Weise das Privileg der Gastfreundschaft. Auf dem Weg nach Dublin wohnt Agrippa bei zwei Brüdern, die ihn »Heiligkeit« nennen und glauben, dass Mönche »Heilige Männer« sind, die mit Engeln und Toten reden können. Agrippa entgegnet, er sei kein Heiliger, sondern ein »Diener Gottes«, und Sünde krieche auch über Klostermauern (284.287). Der König der Uí Neíll begrüßt Agrippa und den Abt von Glendalough auf seiner Burg als »heilige Männer«. Der heilige Columban, ein Königssohn aus dem Geschlecht der Uí Neíll, ein »Glaubensriese«, die »Taube unserer Kirche« (Das Buch Glendalough, 176), verließ Irland und wurde zum Missionar Schottlands. Kurz vor seinem Tod habe er Bobbio gegründet, für Agrippa eines der wunderbarsten Klöster überhaupt, in dem er als junger Mönch eine Zeit lang lebte.371 Für die Mönche in Kells (Die Reise nach Byzanz) ist der Tag von Sankt Colum Cille, der als ihr Schutzpatron gilt, ein hoher Feiertag. – In der Abt Erwin-Reihe ist davon die Rede, dass die Abtei von Luxeuil durch den irischen Heiligen Columban gegründet wurde und viele von den Britischen Inseln stammende Mönche beherbergt.

371 Damit werden Columban von Hy und Columban von Luxeuil in eins gesetzt.

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1.3.3.3 Einschränkungen für reisende Nonnen Kritisch wird das Unterwegssein von Nonnen beurteilt. Im Roman Die Päpstin werden Nonnen überhaupt nur zweimal kurz erwähnt: Aus einem Feuer gerettete Kinder werden Nonnen zur Betreuung übergeben; Frauen, die als Nonnen oder Pilgerinnen nach Rom gekommen sind, müssen als Prostituierte arbeiten, weil sie kein Geld für die Unterkunft oder die Rückreise haben. In der Odo und LupusReihe will der König das Umherziehen von Nonnen unterbinden und fordert deren Überwachung. Die Königsboten sollen Äbten, Äbtissinnen und Bischöfen in dieser Hinsicht strenge Weisungen erteilen. Viele »Bräute Christi« landeten bei einer Pilgerreise nach Rom schließlich im Bordell und wurden »ihrem himmlischen Bräutigam für immer untreu« (Pilger und Mörder, 6). Der heilige Bonifatius riet dem Erzbischof von Canterbury, dass eine Synode Frauen und Nonnen häufige Reisen nach Rom verbieten solle. Wie es in Die Königsmacherin heißt, finden sich in vielen Städten angelsächsische Ehebrecherinnen oder Huren, die ursprünglich als ehrbare Frauen zu einer Pilgerfahrt nach Rom aufgebrochen waren. Gestrandete angelsächsische Rompilgerinnen sind den Mönchen aus Prüm für Brot, Wein, Bier oder ein paar Münzen am Flussufer zu Willen (13). Bonifatius kann Frau Berta berichten, dass er ihrem Wunsch nachgekommen ist und den Pilgerreisen angelsächsischer Frauen nun Einhalt geboten wird. Die Angelegenheit wurde einer angelsächsischen Synode vorgelegt, woraufhin ein königliches Gebot erlassen wurde, das weltlichen Frauen und Nonnen eine Reise nach Rom untersagt, sofern sie sich nicht einer großen Reisegesellschaft anschließen (225f.).

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Beständigkeit und Brüchigkeit der mönchischen Lebensweise

Wie dauerhaft und beständig ist die klösterliche Lebensform bei den einzelnen Mönchen und Nonnen? Werden Verstöße, Brüche oder das Aufgeben des klösterlichen Lebens erzählt? In den Romanen werden einige Mönche und Nonnen vorgestellt, die ein vorbildliches und konsequentes Leben im Kloster führen. Sie leben eine besondere Askese, wobei einige von ihnen nicht nur sich selbst, sondern auch anderen gegenüber sehr hart sind, andere hingegen erweisen sich als verständnisvoll. Insgesamt dominieren die Verstöße gegen die mönchische Lebensweise, vor allem was die Keuschheit angeht. Einigen Mönchen scheint dies nur wenige Probleme zu bereiten, andere verlassen deswegen das Kloster. Ein Aufgeben des Klosterlebens aus anderen Gründen wird ebenfalls berichtet. Die »gefallenen« und ehemaligen Mönche erscheinen in den Romanen nicht als die schlechteren.

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1.4.1 Vorbildliche Asketen und Eremiten In verschiedenen Romanen tauchen Mönche auf, die eine besondere Askese betreiben und oft alleine an ungewöhnlichen Orten leben. Askese mit besonderen, schwierigen Übungen ist vor allem ein Thema der irischen/angelsächsischen Mönche und der Inklusen. Vielfach gelten sie als Vorbilder durch die besonderen Leistungen, die sie vollbringen. Einige Asketen und Eremiten fallen jedoch negativ auf. Die Brüder in Das Buch Glendalough erzählen Agrippa viele Geschichten über den heiligen Kevin, für sie der größte Heilige Irlands: Seinen hoch aufgerichteten Zeigefinger benutzte er regelmäßig als Kerze. Ein Tierleben war ihm heilig; als er erwachte und eine Amsel in seiner halb geöffneten Hand ein Nest erbaut hatte, wartete er, bis sie Eier gelegt und die Brut aufgezogen hatte. Vor der Gründung des Klosters lebte er in einer sehr kleinen Felshöhle über dem See, wo ihn eines Tages die schöne Kathleen aufsuchte; durch das nackte Wälzen in giftigen Nesseln hatte Kevin bereits versucht, die von ihr ausgehende Anfechtung zu bekämpfen. Als er sie nun, von heiligem Zorn gepackt, wegstieß, stürzte sie die steile Felswand herab und verwandelte sich sterbend in einen Schwan. Agrippa zweifelt an diesen Berichten (160–162). Am Geburtstag des heiligen Kevin stehen die Brüder, ihn nachahmend, knietief im kalten Wasser des oberen Sees, die Hände offen und aneinander gewinkelt zur Sonne erhoben. Wer am längsten durchhält, gilt ein Jahr lang als Günstling des Heiligen (277). Alle sieben Jahre werden sieben Brüder ausgewählt, die drei Tage und Nächte in der heiligen Einsiedlerzelle Kevins, in der er betete und fastete, verbringen. Wer das Singen und Beten nicht länger als für die menschliche Notdurft unterbricht, auf den geht ein Glanz von Kevins Heiligkeit über. Er wird als Zeichen von Gottes Gnade lebenslang gesund sein und darf als Zeichen Kevins Namen und ein Abbild des weißen Alabasterkreuzes, das die von ihm gegründete Kirche in Glendalough birgt, tragen. Da der Mönch Kevin wenige Stunden vor Ablauf der Zeit eingeschlafen ist, fehlt an seinem Kreuz ein kleines Stück (Das Buch Haithabu, 242).372 Ähnliches wird in Die Herren des Nordens, 91, über Cuthbert, den wichtigsten Heiligen Northumbriens, der Abt und Bischof auf Lindisfarena war, erzählt: Er lehrte Seehunde das Psalmensingen, ein Adler versorgte ihn mit Nahrung, er konnte Stürme und Feuer zum Erliegen bringen und ganze Nächte im kalten Meer beten, ohne nass zu werden. Abt Cormac Mac Fitbrain (Das Buch Glendalough, 165) stellt über Kevin den heiligen Columcille, »von königlichem Geblüt, zu weltlichem Tun bestimmt, und doch eine helle Fackel Gottes«. Ein Mönch aus dem Kloster des heiligen Columcille in Iona meint, die Liebe

372 Im Roman Das Buch Haithabu, vom selben Autor wie Das Buch Glendalough, wird für den Heiligen sowie für den Mönch die Namensform »Kelvin« verwendet.

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zu den einzelnen Heiligen werde durch Verteilung der Verehrung auf mehrere Heilige nicht geringer. Als er den heiligen Patrick in den Augen einiger Mönche in Glendalough aber zu sehr lobt, verprügeln diese ihn. Der Abt verurteilt sie dazu, den Verletzten zu versorgen und ein Gebet des heiligen Patrick mehrfach zu kopieren (244–247). Agrippa hält Patrick für den heiligeren Heiligen, weil auch er die Frauen als gleiche Geschöpfe Gottes geliebt habe (196).

Wie es in Das Buch Glendalough heißt, verlassen in fränkischen Klöstern Brüder mit einem zu schwachen Glauben die Gemeinschaft. Währenddessen verlassen in Glendalough Brüder, die jeglicher Versuchung entgehen möchten, ihren gesamten Leib und Geist Gott weihen wollen und sich durch die vielen Pilger in ihrem Bestreben, Gott nahe zu sein, gestört fühlen, das Kloster und wählen das »grüne Martyrium«: Etwas vom Kloster entfernt liegt die Erlöserkirche inmitten von hohem Farnkraut, dorthin haben sich Brüder in roh gefügte Zellen zurückgezogen und verbringen den Tag in Gebet und stiller Andacht, die Brüder aus dem Kloster versorgen sie mit Speisen. Wenn die Einsiedler in den Geruch der Heiligkeit geraten, sammeln sich Jünger um sie; einzelne, denen das Treiben zu bunt wird, ziehen wiederum tiefer in den Wald und die Entwicklung setzt sich fort. Manche magern zu wandelnden Skeletten ab. Agrippa denkt daran, dass Jesus Brot und Fisch vermehrt hat und fragt sich, ob Hunger ein gottgefälliger Zustand sein kann. Die meisten grünen Märtyrer berufen sich auf Kevin, andere auf Patrick (158f.195f.). Am beliebtesten Fest der Iren geben sich auch sittenstrenge Brüder großzügig, denn der frühere Abt Daniél hatte gesagt, es sei besser, zu Beltaine hätte jeder Mann den Kopf unter Weiberröcken als das übrige Jahr nur Weiberröcke im Kopf; die grünen Märtyrer aber fliehen dann noch tiefer in den Wald und stimmen ein Wehklagen an. Für die Reise nach Byzanz sollen im gleichnamigen Roman fünf Brüder aus Hy, drei aus Lindisfarne und drei aus Cennanus ausgewählt werden. Sie wachen, fasten und studieren über Monate hinweg. Aidan, der sich vor Gott und den Brüdern als würdig erweisen will, betet voller Hingabe, nimmt eifrig die Arbeit anderer auf sich und erlegt sich Bußen auf. So übergießt er sich nachts im Fluss mit eiskaltem Wasser (9f.). In einer Grotte versammelt Abt Fraoch die Mönche vor einem kleinen Steinaltar, wo sie eine Nacht lang Gottes Führung für die Entscheidung erbitten. Brocmal, ein Meister des Wissens und der Buchkunst, und Libir, bekannt für Weisheit, Langmut, Frömmigkeit und Glaubenseifer, beide Schreiber, sowie Aidan werden vom Abt als Auserwählte Gottes benannt. Aidan will sich an einem freien Tag, den er erhält, mithilfe von Fasten auf die Reise vorbereiten, aber Ruadh rät ihm stattdessen, als geistige Bußübung Frieden mit den Menschen zu machen, die er zurücklässt. Er erlaubt Aidan, vor seiner Abreise die Nachtwache am Altar zu halten, und verspricht ihm, jeden Morgen und Abend für ihn zu beten. Dass Aidan später als Gefangener der Seewölfe

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zunächst nichts zu essen bekommt, kümmert ihn wenig, da er Fasten gewohnt ist. Bei Gunnar zu Hause missachtet er allerdings oft die Regel der Mäßigung. In der Uhtred-Saga wird König Alfred als jemand beschrieben, der eher wie ein Priester als wie ein König aussieht. Für Alfred gibt es nichts Höheres als die Berufung zum Priesteramt. Die Menschen glauben, dass Geistliche näher bei Gott sind als sie selbst. Priester und Mönche werden hier zunächst in die Sphäre des Heiligen gehoben, ihr Fall ist dann umso tiefer. Viele Romane setzen ein Idealbild von Priestern und Mönchen voraus und konzentrieren sich in ihrer Darstellung auf die Abweichungen davon. Dieses Idealbild wird selten so deutlich formuliert und erklärt wie in Cornwells Romanen. – In einem der Abt Erwin-Romane betont Bischof Martin II. von Autun den hohen Rang des Priesteramtes, Abt Erwin hält dem aber die Gleichheit aller vor Gott entgegen.

Wiborada (Die Herren von Buchhorn), die geistige Mutter der Inklusen, ist adliger Herkunft und soll alle Psalmen auswendig kennen. Sie hat ein herbes Gesicht, knotige Hände und trägt einen Büßergürtel. Askese und das strenge Leben der Inklusen haben sie vor der Zeit altern lassen. Für sie ist Überschwang des Teufels. Aus dem Fenster ihrer Zelle riecht es nach Schweiß, Urin und Kot. Abtbischof Salomo bezeichnet Wiborada als Heilige und sich als unwürdigen Mann. Die strenge Klosterregel gönnt den Inklusen wenig Schlaf. Sie müssen allen weltlichen Genüssen entsagen, denn sie haben ihr Leben Gott geweiht und sollen sich auf ihre geistlichen Pflichten besinnen (52.56.76f.). Ein sehr verständnisvoller Asket mit einer kleinen Schwäche ist Bruder Ambrosius (Das Geständnis der Amme): Balduin weiß, dass dieser kein Heuchler ist, »der Wasser predigte und Wein trank, sondern dass er sich selbst redlich um ein gottgefälliges Leben bemühte« (120). Ambrosius isst, trinkt und schläft nie zu viel, hat aber das eine körperliche Laster, die Sonne zu suchen. Er gehört »zu jener Minderheit an Asketen, die mit dem eigenen kargen Leben so durch und durch versöhnt waren, dass sie es nicht auch anderen aufhalsen mussten« (148). Ambrosius leidet nicht am Fasten, sondern hat ein gewisses Misstrauen gegen alles Menschliche und Weltliche und einen angeborenen Widerwillen gegen alles Fleischliche. Er ist streng und zurückhaltend, aber nicht unangenehm und kalt. Ambrosius zweifelt, ob den geistlichen Herren ob ihrer Auctoritas gleiche Privilegien zustehen dürfen wie den weltlichen ob ihrer Potestas. Zu einem Mann Gottes passe es nicht, auf weichen Daunenkissen sitzend und in kostbarste Seide gekleidet die besten Sänger und Musikanten kommen zu lassen, um wie ein weltlicher Herr Feste zu feiern (204). Zwei der vorkommenden Eremiten stellen Negativbeispiele dar: In Das Geständnis der Amme, 414, lebt in den Bergen in einer Klause ein bärtiger Mann, der sich einen »gottesfürchtigen Eremiten« nennt, der auf alles Irdische verzichtet, tatsächlich aber von allen Reisenden auf dem Weg nach Italien viel höhere Zölle nimmt als vorgeschrieben – eine »schwere Sünde«. Jeder Einsiedler, der nach

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dem Vorbild von Gallus, Sigisbert und Placidus in die Berge flieht, um dort »der menschlichen Gesellschaft entrückt« zu leben, ist verpflichtet, Gäste aufzunehmen. Die Lust des Bärtigen am Geld bedarf nicht der Möglichkeit, es auch auszugeben. In Die Herren des Nordens, 69f., lebt in einer alten römischen Festung ein verdreckter nackter Eremit, der sein Bischofsamt, seine Frau und sein Vermögen aufgegeben hat. Willibald bezeichnet ihn als »Kind Gottes«, der alte, für heilig gehaltene Mann berührt aber Hild, die seinen Segen wünscht, dabei unsittlich. Der freigelassene Sklave Patrick (Das Amulett der Seherin) würde gerne Priester werden, was aber nicht möglich ist, da er entmannt wurde; Priester müssen körperlich unversehrt sein und aus freiem Stand kommen. Er meint, vielleicht könne er Gott als Einsiedler in Abgeschiedenheit und Stille dienen. Wenigstens der Herr im Himmel schaue auf das Herz und nicht auf den Körper. Später gibt er den Plan auf, als Einsiedler zu leben.

1.4.2 Verstöße gegen die mönchische Lebensweise Wie stehen Mönche zu ihren Gelübden? Halten sie diese ein? Während einige das mönchische Ideal in besonderer Weise verkörpern, scheitern die meisten Mönche zeitweise oder ganz an diesem Ideal. Viele Ordensleute werden in den Romanen als unmäßig im Essen und Trinken dargestellt. Einige Leitungspersonen pflegen einen luxuriösen Lebensstil, andere begehen sogar Verbrechen. Im Mittelpunkt der Romane stehen Verfehlungen in Bezug auf die von den Mönchen und Nonnen verlangte Keuschheit. 1.4.2.1 Genuss im Übermaß An diversen Stellen der Romane ist von Mönchen die Rede, die zu viel Wein trinken: Abt Adalhard in Mord im Dom, der Cellarius des Klosters Fulda in Der sechste Tag sowie auch Thomas Ravennus, von dem es dort heißt, seine kartoffelförmige, von dunklen Adern durchzogene Nase weise ihn als Liebhaber der Früchte des Weinbergs aus. Der Mönch Johannes aus Sankt Gallen, den Eckhard und Gerald (Die Herren von Buchhorn) bei ihrer Überfahrt über den Bodensee schlafend und schnarchend im Boot vorfinden, hat am Abend zuvor zu viel getrunken, er ist plump, ängstlich und mürrisch (157f.). Vater Assuerus (Die Königsmacherin) liebt das Bier der eigenen Brauerei in Prüm. In Das Pergament des Himmels lässt sich der feiste Cellerar des Klosters in Fulda mit Fleisch bestechen. Bruder Antonius (Abt Erwin-Reihe) aus einer Abtei in Dijon, einer der Gefolgsleute der Missi dominici, ist derb, leutselig, kennt die verschiedenen Rechtssysteme und Dialekte Burgunds und viele lustige Geschichten. Da er große Mengen essen und trinken kann und ein vor Lebenskraft strotzender Genussmensch ist, wird er »Dickbauch« genannt. Er ist der Meinung, dass Gebete ohne Waffen nichts taugen (er kann gut mit Pfeil und Bogen umgehen, trägt ein

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Kurzschwert und vier Messer am Gürtel) und dass sich Frömmigkeit und gutes und üppiges Essen nicht ausschließen. Antonius trägt, wie er sagt, das Wort des Allmächtigen auf den Lippen und das Schwert des Glaubens an der Seite (Mit Dolch und Gift, 12). Die Laienäbtissin Ada (Die Abbatissa) isst zu viel Fleisch und trinkt zu viel Wein, sie liebt den Prunk und die Schönheit, worin sie keinen Widerspruch zu ihren Gelübden sieht. – Im Kloster der drei Marien (Pilger und Mörder, 136– 138.144.149) scherzen einige betrunkene Nonnen mit Helko, dem Anführer von Lupus’ Schutztrupp, und nähern sich ihm. Die »ehrwürdige Mutter« Äbtissin Marcovefa schminkt sich, ist trinkfest und berührt eine junge Nonne unsittlich.373 Sie lebt in einem üppig ausgestatteten Zimmer mit einigen Heiligenbilder und einer geschnitzten Maria mit Jesuskind und hält nicht viel von monastischer Askese. Lupus, der sie befragt und mit ihr trinkt, gesteht sie, eine schlechte Hirtin und Sünderin zu sein, die sich vor Gottes Altar in den Staub werfen muss. Eine Häufung von Verfehlungen findet sich bei den Brüdern im Stift Ramsolano (Das Buch Haithabu): Alkuin, der ein schlichtes Gemüt hat und ein verworrenes Latein spricht, ist ein Stift mit einigen »missratenen Brüdern« anvertraut.374 Die Mönche konnten aus mangelnder Geisteskraft oder selbst verschuldeter Sündhaftigkeit ihre Gelübde nicht halten und wurden zur Besserung abgesondert »von der großen Herde der Hirten« (45f.). Sie teilen die Alltagssorgen einer kleinen wankelmütigen Christengemeinde. Solanus legte sein Gelübde im Kloster Speyer ab und durfte mit seiner Engelsstimme in Anwesenheit des Bruders des Kaisers, der ihm einen Ring schenkte, die heilige Messe singen. Er kann das Fastengebot der Benediktsregel nicht halten. Als der regeltreue heilige Segorius Abt wurde, schickte er Solanus nach Bremen, der aber wegen seiner Leibesfülle nicht an der Bekehrung der Friesen teilnehmen konnte; auch in Hammaburg hatte man keine Verwendung für ihn. Bruder Sergius wurde aus seinem Heimatkloster Sankt Gallen verstoßen, als er betrunken wertvolles Messgeschirr zerstört hatte. Auch in anderen Klöstern wie im strengen Mainz, wo er in Ketten gelegt wurde, konnte er sich nicht bessern. Er kann zupacken und ist im Herzen fromm, trinkt aber immer wieder so viel, dass er gewalttätig wird. Anschließend reinigt er sich in harter Arbeit und langen Gebeten und bemüht sich um Wiedergutmachung. Wegen seiner körperlichen Stärke will Bischof Ebo ihn als Leibwächter einsetzen, aber kurz vor dem Namenstag des heiligen Ansgar trinkt Sergius allen für das Abendmahl der Kaufleute und Seefahrer vorgesehenen Wein. In Ramsolano erhängt er sich schließlich in seiner Zelle, weil der Dämon nicht von ihm weicht. Er weiß, dass keiner, der sich selbst richtet, ins 373 Hierbei handelt es sich um das einzige gleichgeschlechtliche Verhalten einer Frau in den Romanen. 374 Dieser hat nichts mit dem »Alkuin« der anderen Romane zu tun.

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Himmelreich gelangt, empfiehlt sich aber der Gnade Gottes und bittet seine Brüder in einem Abschiedsbrief um ihr fürbittendes Gebet. Bruder Wunibald (Das Geständnis der Amme), klein und von nicht geringem Umfang, ist das Klosterleben nicht bekommen. Den Prior der Benediktiner in Luzern hat er fast in den Wahnsinn getrieben. Sein Abt stellt sich die Hölle so vor, dass einer wie Wunibald ihm keinen Moment der Stille und Andacht gönnt, weil er sich ständig beschwert, dass er zu müde, zu hungrig oder zu durstig ist, um eine Sache ordentlich zu Ende zu bringen. Statt im kalten Skriptorium zu arbeiten, war Wunibald lieber im Garten, der viele Versuchungen bot. Er musste oft vor das Kapitel treten und zugeben, sich der Sünde der Maßlosigkeit schuldig gemacht zu haben. Das Gemeine an der Buße sei, so Wunibald, dass sie meist jene Gier zu beschneiden versucht, die die Sünde erst angerichtet hat. Das Kloster hat er verlassen, ohne es dem Abt zu sagen. Wenn ein Mönch kein Empfehlungsschreiben seines Abtes oder Bischofs vorweisen kann, wird man ihn nicht lange in Freiheit leben lassen. Wunibald findet es gemein, dass ein vogelfreier, heimatloser Mönch wie er ständig verdächtigt wird, Irrlehren zu verbreiten wie einst Bruder Gottschalk, so dass ihm Verhaftung und Auslieferung an das Heimatkloster drohen. Wenn es hart auf hart kommt, kann Wunibald das, was ein Mönch können sollte: Er kennt das Credo und das Vaterunser, weiß Psalmen in Verse zu modulieren und die Bibel zu lesen. Es macht ihm aber nicht wirklich Spaß, zu predigen. In seiner Jugend hat Wunibald eine Pilgerreise nach Rom gemacht und meint, ein Leben in der Wärme des Südens stehe ihm besser an. Es gelüstet ihn nach Essen, Wärme und schöner Kunst. Er will sein Gelübde nicht für alle Zeit brechen, sondern in einem Kloster Unterschlupf finden. Schließlich wird er in einem römischen Kloster die Stellung eines Cellerars einnehmen (396– 399). 1.4.2.2 Klöster als Orte von Unmoral Ein Verstoß gegen das Armutsgelübde kommt weniger bei »einfachen« Mönchen vor, sondern eher bei Äbten, was vielfach an deren Kleidung und Lebensstil deutlich wird (s. o.). Immer wieder begegnen in den Romanen Mönche, die keine Sympathieträger sind. In der Uhtred-Saga wird vermittelt, dass viele Äbte und Bischöfe sehr reich sind, aber nach außen hin die Armut der Kirche behaupten und allen mit der Exkommunikation drohen, die das Geld antasten, welches Gott gehört. Uhtred tötet den verschlagenen Mönch Jaenberht, der aus dem Hausstand seines Onkels kommt, ihn zum Sklaven gemacht hat und verhindern will, dass er Guthreds Schwester Gisela heiratet. – In der Abt Erwin-Reihe werden viele Äbte als reich und geldgierig beschrieben. Ambroise, Abt von Saint-Martin-d’Ainay in Lyon, wird als Helfer von Verschwörern verhaftet. Die Nonnen des Stiftes Saint-Pierre in Lyon haben keinen guten Ruf, ihre Äbtissin versteckt die an der Verschwörung

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gegen den Kaiser beteiligte Tante Pippins des Buckligen. – Im Roman Bei meiner Seele Seligkeit steht der verschlagene Mönch Asmodi, der z. B. von Theutberga das falsche Geständnis erpresst, Unzucht mit ihrem Bruder begangen zu haben, und politische Ränke für Lothar II. schmiedet, dem naiven Mönch Bertholdo gegenüber, der immer an das Gute im Menschen glaubt und sich untadelig verhält.375 Einige Romanfiguren geben sich lediglich als Mönche aus, sie verstecken sich im Kloster: Der Puppenspieler Meginhard (Das Erbe des Puppenspielers) lebt, zusammen mit dem Diener Burchard, einige Zeit mit Billigung des »mausgesichtigen« Dekans als Mönch getarnt im Kloster Fulda. Als Dank für seine Arbeit lässt der Dekan Meginhard sogar in ein Gedenkbuch eintragen. Meginhard muss eine Marienfigur erschaffen, die sich bei einer Prozession bewegt und so die Gläubigen beeindruckt. Dann zwingt der Dekan Meginhard, die Familie des gefangenen Herzogs Tassilo zu entführen und seinen Schatz zu rauben, sie werden schließlich in Klöster verbannt. – In die Abtei von Longoret (Abt ErwinReihe) schleicht sich ein falscher Mönch ein, versucht, einen Mord zu begehen und tötet sich anschließend selbst. – Im Kloster des Abtes Agilhelmus (Pater Diabolus) lebt eine Mörderbande: falsche Mönche, ehemalige Sklaven und Diebe, die vorher als griechische Heilkünstler auf Jahrmärkten aufgetreten sind und jetzt Menschen um ihr Erbe bringen wollen. Die Männer haben drei Adelige und sieben ihrer Söhne getötet. Sie tragen das Ordenskleid, machen dem Mönchtum aber wenig Ehre, halten nichts von mönchischen Tugenden, lärmen fröhlich, anstatt ernst zu schweigen, sind bestechlich und kümmern sich kaum um die Kranken. Abt Agilhelmus schickt den schönen Pater Fabiolus, genannt Diabolus, aus, um Besitz zu raffen. Als der Sohn des Herrn Ebrachar stirbt, erklärt Fabiolus, dies sei eine Strafe für sein sündiges Leben; um Gott zu versöhnen, müsse Ebrachar Buße tun und der irdischen Vertretung des Himmels, dem Kloster, Geschenke machen. Er hat Gott gelobt, die armen Diener Gottes, die für das Seelenheil seines Sohnes beten, in seinem Vermächtnis zu entschädigen. Fabiolus hält als Jesu Brautwerber um Ebrachars Tochter Ingunde an, in die der Herr Jesus Christus verliebt sei. Die Mönche wollen sie zur Nonne machen, um ihre Mitgift zu erlangen. Ebrachar selbst möchte, dass sie als Opfer den Schleier nimmt, damit sich Gott mit ihm versöhnt, überlegt aber später, es sei Gott genauso wohlgefällig, wenn sie heirate und Kinder bekomme. Die Männer verschleppen den kranken Ebrachar unter dem Vorwand, ihn im Kloster besser pflegen zu können, wollen ihn aber in einer modrigen Zelle vergiften.

In den Romanen wird immer wieder gesagt, dass es in einzelnen Klöstern schlecht um die Moral bestellt ist. Einige Klöster sind Orte des Verfalls. Hier wird 375 Hiermit liegt wieder eine Gegenüberstellung von bösem und gutem Mönch vor, die schon bei den Teams der Missionare begegnet ist.

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das Thema Unkeuschheit auf einer eher allgemeinen Ebene angesprochen, ohne dass Hauptfiguren betroffen wären. In der Odo und Lupus-Reihe heißt es grundsätzlich, dass in düsteren Krypten und schummrigen Klostergängen Vieles versteckt und verschwiegen wird. Diverse »Skandale« werden erzählt: Drogdulf z. B., ein Advokat von Klöstern und Kirchen, wurde vom Bischof entlassen, weil er in einem Nonnenkloster Unzucht getrieben hat. Bruder Medardus aus Fulda, der in ein neu gegründetes Kloster ging, das erfahrene, regelfeste Mönche brauchte, ist jetzt Cellerar im Kloster des heiligen Dionysius. Im Vorratskeller genießt er mit dem ermittelnden Lupus Wein. Er sorgt sich um den Ruf des Klosters, das als Ort von Nächstenliebe und Frieden gelten soll, an dem es keinen Mord gibt. Im Gästehaus vergnügen sich Männer mit Prostituierten, während sich der Mönch, der zwischen den Räumen der Männer und Frauen Wache halten soll, schlafend stellt und Geld erhält, damit der Klosterpatron im Himmel ein Auge zudrückt. Einige Schwestern, die dort übernachten, lassen sich mit adeligen Männern ein, die sie zu Trinken und Unzucht verführen, und fallen dem »Teufel der Wollust« zum Opfer. Zwei Schwestern beten zur heiligen Jungfrau und zum heiligen Martin von Tours, wehren sich und bleiben standhaft. Sie wollen die anderen nicht mehr kennen und hoffen, dass diese, welche von mitreisenden Mönchen gezüchtigt werden, ewige Strafe erleiden (Pilger und Mörder, 147f.). Der falsche Mönch Fabiolus gibt der jungen Ingunde gegenüber vor, dass ihm der Erzengel Gabriel im Traum angekündigt habe, der Heilige Geist wolle in Gestalt des Fabiolus mit ihr einen Papst zeugen. Dafür müsse er 200 Mal in den gesegneten Leib eingehen, weshalb sie sich sechs Wochen lang in der Kapelle einschließen lässt. Als sie und Fabiolus beim 198. Mal unterbrochen werden, weil ihr zukünftiger Ehemann und ihr Bruder sie entführen, erklärt Odo der untröstlichen Ingunde, auch ein gewöhnlicher Ehemann könne die Zeugung des Papstes vollenden, ihm würden dann nur einige Kleinigkeiten fehlen, die er als Papst sowieso nicht bräuchte (Pater Diabolus, 181f.). Laienabt Agilhelmus, der drei Klöstern vorsteht und den das Keuschheitsgelübde nicht betrifft, will die begüterte Witwe Basina heiraten, die eigentlich als Verehrerin der heiligen Radegunde ins Kloster nach Poitiers gehen möchte. Fabiolus betet mit ihr und tritt als Brautwerber für Agilhelmus auf. Nach der Hochzeit soll Basina in einem Doppelkloster verschwinden, dem Agilhelmus vorsteht (159–161). Um in die Kaiserpfalz zu gelangen, erpressen der Bettler Romuald und der junge Enno (… denn sterben muss David!) den jungen Mönch Alardus, der als Lumpensohn verkleidet einmal pro Woche in einem Gasthaus eine Prostituierte aufsucht. Wie Romuald Enno erklärt, glaubt niemand, dass die Mönche im Kloster in der ihnen von Gott auferlegten Keuschheit leben. Stattdessen würden sie Dinge treiben, von denen es gut sei, dass niemand je davon erfährt. Einen lockeren Umgang mit dem Keuschheitsgelübde erlebt Agrippa (Das Buch Glen-

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dalough) in Glendalough, Verhältnisse der Mönche scheinen dort normal zu sein: Er erfährt, dass viele Mönche lieber vor den Mauern als in ihren Zellen schlafen; viele gesunde Kinder im Umkreis haben Mönchsgesichter und werden von wohlgenährten Frauen in Gefäßen gewaschen, die eigentlich für Weihwasser bestimmt sind. Als Agrippa und Abt Fitbrain einmal einen Mitbruder mit einer Hirtin im Gras liegen sehen, geht der Abt großzügig darüber hinweg. Er meint, der Bruder würde sicher sein Bestes tun, um der Anfechtung zu widerstehen, und selbst wenn dieses nicht genug sei, würde die Bruderliebe weiterhin für ihn gelten. Agrippa verspricht dem Bruder, nichts über das Gesehene weiter zu erzählen. 1.4.2.3 Gleichgeschlechtliche Aktivitäten In den Romanen wird auch gleichgeschlechtliches Begehren von Mönchen geschildert, wobei auch Verhältnisse zwischen zwei Religiosen vorkommen. An erster Stelle ist hier Alkuin zu nennen. Es wird mehrfach angedeutet, dass er sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlt und sich mit schönen Knaben umgibt, gleichzeitig kritisiert er die Sitten am Hof. Er wird meist als schlanker und gebrechlicher älterer Mann beschrieben. Der Mönch Alkuin, so heißt es im Roman Karl der Große, »hält es ziemlich offensichtlich mit den jüngsten der Mönche« (396), aber das sage nur etwas über sein schwaches Fleisch, nichts über das Funkeln seines Geistes aus. Als er einmal von Tours aus nach Aachen kommt, lässt er sich »von zwei starken, jungen Mönchen führen, denen er Hände und Wangen streichelte« (621). Ihn stört, dass es am Hof zu laut ist, die Hofschüler falsch singen und Karl zwei Bettgefährtinnen hat. Um Karl nach Luitgards Tod zu trösten, schreibt Alkuin, »der nie in seinem Leben eine Frau in seinen Armen gehalten hatte« (623), diesem, er habe gewusst, dass er eine Sterbliche geliebt habe. Alkuin freut sich, als Karl die Prostitution und die Friedelfrauen an seinem Hof verbieten will; beide wissen jedoch, dass ihr Geist willig, jegliches Fleisch aber schwach ist. Als Karl vom Tod Alkuins erfährt, hat er für ihn nur ein Schulterzucken übrig, und hofft, dass er im Himmel genügend Mönche und kleine Engelsknaben vorfindet. Im Roman Die Beutefrau ist der Mönch Alkuin auch mit 64 Jahren den schönen Seiten des irdischen Lebens nicht abgeneigt: »Das edle Antlitz eines Amtsbruders hatte ihn schon mehr als nur einmal bewogen, die Regungen seines Herzens in wohlgesetzten Versen einem Stück Pergament anzuvertrauen. Wenn dann ein derart Geehrter Alkuin inständig darum bat, ihn doch auch das Malen solch kunstvoller und doch deutlich lesbarer Minuskeln zu lehren, zierte sich der Mönch nicht lange« (127).

Die Talentierten erhalten einen Platz im königlichen Skriptorium. Die Schreiber sind von höchst anziehendem Äußeren, zierlich von Gestalt, haben weiche Gesichtszüge und zarte Finger. Alkuin versteht menschliche Schwächen und ver-

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sucht, die stark ausgeprägte Sinnenfreude Karls zu erklären. Da ihm das hemmungslose Treiben am Hof missfällt, bittet er Karl schließlich um die Versetzung in eine für seine Seele weniger aufreibende Umgebung. In Die Abbatissa hat der Laienabt Alkuin »eine seltsame Art, jungen Mönchen tief in die Augen zu sehen und sie ohne jeden Grund abzuküssen« (205). Er trinkt etwas mehr, als ihm guttut, und erzählt in elegantem Latein schlüpfrige Witze. Die Umgebung des Frankenkönigs sei von zu viel Wein, Bier und Fresserei geschädigt; überall taumeln Alkuin Geistliche in schmutzigem Gewand mit rotem Kopf entgegen. Er überschätzt »die geistigen Fähigkeiten junger, gutaussehender Männer« (342); die hübschen Jünglinge, mit denen er sich umgibt, berührt er freudig und küsst sie, wenn der Abend fortgeschritten ist. Im Roman Das Pergament des Himmels wird hingegen betont, dass Alkuin in Keuschheit lebt. Auch bei anderen Mönchen und vereinzelt bei Laien376 wird deren gleichgeschlechtliches Verhalten beschrieben. Einige Äbte mögen Jünglinge, lassen sich diese zuführen und führen sie anderen Männern zu. In Das Buch Haithabu, 207, heißt es, dass der junge Herward sehr schön ist, weshalb Agrippa jene Brüder versteht, »die ihre weichen Hände lieber auf Männerleiber legen denn auf blankgewetzte Schreibpulte«. Karlmann (Die Königsmacherin) ertappt einen älteren Mönch in der Kapelle von Prüm dabei, wie er einen jüngeren wegen eines Vergehens auspeitscht, woran die beiden offensichtlich Gefallen finden. Abt Gregorius hat eine Vorliebe für Knaben; im Abtshaus entdeckt Karlmann ihn auf dem Bärenfell vor der Feuerstelle auf Frau Bertas jüngstem Pferdeknecht liegend (255f.). Dem alten, von Gicht geplagten Abt Fridugis (… denn sterben muss David!, 121f.) bereitet es Schmerzen, an den Gebeten in der Kapelle teilzunehmen. Da er Knabenkörper schätzt und seine Zelle kaum noch verlassen kann, empfängt er dort junge Männer. Durch einen Kellereingang am südlichen Ende der Pfalz gegenüber dem Bischofspalast gelangen diese mit einem dort deponierten Schlüssel in den Lateran (sic!) und zu den Unterkünften der Mönche. Der Laienabt Agilhelmus (Pater Diabolus, 161) leitet Symposien, an denen Bischöfe und Grafen mit dem schönen Fabiolus, seinem Liebling, verkehren dürfen. Auch am als Pilger verkleideten großen Sünder und schönen Edelmann Odo findet Agilhelmus Gefallen und will ihn nach Rom begleiten, wobei er zuerst noch die Sünde begehen will, für die er dann das Kreuz auf sich lädt. Ein Amtsbruder, der zusammen mit Bischof Pappolus an den Symposien teilnahm und die gleichen Sünden beging, war bei Pappolus’ letzter Beichte nachsichtig. – Der belesene thüringische Graf Rothari wurde als Knabe für den geistlichen 376 In Die Rose von Asturien von Iny Lorentz liebt Edward, der angebliche Halbbruder Karls des Großen, Hildiger; im Roman Demetrias Rache begeht der Sänger Siegram auf einer Blumenwiese Unzucht mit seinem jungen Knecht Aimo.

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Stand ausersehen. Im Erfurter Petruskloster lernte er einen dort lehrenden Chorherren kennen und durfte ihn als Sekretär und vermutlich Geliebter auf einer Mission an den Heiligen Stuhl, mit der ihn sein Bischof betraut hatte, begleiten. Der Chorherr wurde päpstlicher Legat und nahm Rothari, inzwischen Subdiakon, auf seinen weiten Reisen mit. Statt einer glänzenden Zukunft in der Hierarchie der Kirche musste Rothari jedoch nach dem Tod seiner Brüder nach Hause zurückkehren und den Besitz übernehmen (Die Witwe, 70f.). Ein nur vermeintlicher Fall von gleichgeschlechtlicher Betätigung begegnet in Der sechste Tag: Gernot entdeckt auf dem Dach des päpstlichen Palazzo zwei eng umschlungene, sich leidenschaftlich küssende Menschen. Er vermutet, einer der Bediensteten des Papstes habe sich zum »Stelldichein« mit irgendeinem Weibsbild getroffen, erkennt dann aber seinen Sohn Konrad und Johannes (von dem Gernot nicht weiß, dass er eine Frau ist) bei einem »widernatürlichen Treiben« und stürzt davon (232). Er fragt den Herrn, was er verbrochen habe, dass er ihm so etwas antue. »Johannes« hatte Konrad eines Abends in seine Privatgemächer im päpstlichen Palast gebeten. Indem er nackt aus dem Bad kam, teilte er Konrad sein wahres Geschlecht mit. Konrad fand sie wunderschön, sie fand sich selbst zu mager. Auf ihre Aufforderung hin küsste Konrad sie und blieb die ganze Nacht (202f.).

1.4.2.4 Verführung durch Frauen Manche Mönche erscheinen als Opfer von Verführung. Sie sind zum Teil sehr unbedarft und haben wenig Erfahrung mit Frauen; sie begegnen diesen, wenn sie ihr Kloster verlassen und sich z. B. am Hof aufhalten. Dabei handelt es sich um einmalige Abenteuer. Rotrud, die Tochter Karls des Großen, behauptet in … denn sterben muss David!, 62f., ihre Schwester Bertha habe einem Mönch eine anzügliche Geschichte erzählt, um ihn in Verlegenheit zu bringen. Bertha entgegnet, der »lüsterne, kleine Wicht« verstricke sie gerne in Zwiegespräche über das, was Männer und Frauen miteinander treiben. Der Vater ermahnt beide, die Mönche in Frieden zu lassen und nicht in Versuchung zu führen. Die Mönche erinnern sich, dass Abt Alkuin sie immer vor diesen durch den Palast flatternden Tauben gewarnt habe. Hathumar (Mord im Dom) gibt zu, öfter von Jungfrauen zu träumen, als ihm lieb ist. Die Befriedigung der Lust sei aber nur ein schales, rasch vergehendes Vergnügen, welches ihn von seiner eigentlichen Bestimmung ablenke. Da Frauen nur am Sonntag die Klosterkirche betreten und die Mönche nicht mit ihnen sprechen dürfen, hat Hathumar keine Erfahrung mit ihnen. Als er zwei Konkubinen des Königs begegnet, bemerkt er erneut seine Empfänglichkeit für weibliche Schönheit und wird sehr verlegen. Madelgard erlebt ihn als keusch und liebenswürdig. Regina kommt er näher, sie berühren sich, er träumt von ihr und sie pflegt ihn nach einem Angriff. Später ist Hathumar über Nacht nicht im Kloster.

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Lupus (Odo und Lupus-Reihe) kennt sich als Mönch nicht mit Frauen aus und ist voller Vorurteile, er erstrebt die Liebe Gottes und nicht die Bewunderung der Frauen. Weil er der irdischen Liebe entsagt hat, kann er, so Odo, auch ihren Wert nicht ermessen. Einmal hat Lupus ein sündiges Abenteuer mit Prisca, die ihn verführt, als er sie in einem Mordfall als Verdächtige befragen will. Sie stellt es nachher so dar, als habe Lupus ihr nachgestellt und sie seiner »schändlichen Lust geopfert«. Lupus schämt sich seiner fehlenden »Frömmigkeit und Gelöbnistreue« und fürchtet die Auseinandersetzung mit »Gott und seiner irdischen Statthalterschaft«, zugleich hat er einen »Vorgeschmack der himmlischen Seligkeit« erhalten (Pater Diabolus, 124–130). Er legt sich selbst die Bußübung auf, dreimal täglich einen Spruch Salomos wider die Unzucht zu rezitieren. Zufällig sieht Lupus die »Pfaffenhure« Romilda, die mit Odo badet, in der »sündigen Pracht ihres nackten Fleisches«. Als er bei ihr das »Pförtchen« erblickt, »das heilige Männer als den wahren Eingang zur Hölle bezeichnen«, ist kein Dornenstrauch in der Nähe, in den er sich nach dem Vorbild des heiligen Benedikt stürzen könnte, um den »Aufruhr« unter seiner Kutte zu töten (Pilger und Mörder, 53). Danach fragt er sich in der Kirche, wie es Gottes Wille sein kann, dass er sich um sein Seelenheil sorgt, während Odo sich unbekümmert mit Gottes Schöpfung vergnügt. In Die Päpstin heißt es, die stadtbekannte römische Prostituierte Marozia habe schon viele Priester verführt. Sie sieht die Gefühle als »ganz natürlich und von Gott gegeben« an und zitiert aus der Bibel, dass Mann und Frau sich »zu einem Fleische vereinigen« sollen (362). Marozia soll »Johannes Anglicus« (= Johanna) im Auftrag ihrer Gegner verführen; diese »ertappen« sie in einer vermeintlich kompromittierenden Situation. Johanna wird für ihre angebliche Unkeuschheit mit Kerkerhaft bestraft. Papst Sergius meint, »Johannes Anglicus« habe unreine Hände, er sei im Bett einer Hure gewesen. Er sieht die Keuschheit als das höchste, edelste und gottgefälligste der priesterlichen Gelübde an.

1.4.2.5 Mönche als Verführer Andere Mönche in den Romanen sind eher Täter und Verführer als Opfer. Einige von ihnen wurden in jungen Jahren von Frauen in den Bereich der Sexualität eingeführt. Der Mönch Ansgar (Wikingerblut) hat sein Leben Gott gewidmet, aber Frauen lassen ihn nicht unberührt. Die Bäuerin Estrid, die ihn auf einer Missionsreise versorgt, lässt er nicht aus den Augen. Sie unterhalten sich, er zeigt ihr sein Silberkreuz. Ansgar kann sich nicht mehr beherrschen und presst Estrid an sich, obwohl sie zurückweicht. Danach schämt er sich seines »tierischen Triebes«, betet die ganze Nacht und erforscht sein Gewissen. Seit er »sein Leben und seine Liebe Gott geschenkt hatte«, hatte er geglaubt, allen irdischen Sünden widerstehen zu können. Nur ein einziges Mal hatte er als junger Mann »im Wahn gehandelt«: Auf dem Weg ins Kloster Corbie hatte sich eine üppige Bäuerin um

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ihn gekümmert. Nachdem sie sich unterhalten und getrunken hatten, half sie ihm in seiner Kammer beim Ausziehen, und er rief nach ihr. Sie lehrte ihn, »Freude und Verzückung im Körper einer Frau zu finden«. Er hatte geglaubt, »dem Herrn in Seinem größten Geschenk begegnet zu sein«, später begriff er, »dass solches Entzücken Sünde und das größte Vergehen war« (59f.). Nach Fasten und Beten fand er seinen inneren Frieden wieder. Ansgar redet sich ein, Estrid habe ihn verführt. Die Einsamkeit kann er schwer ertragen. Als die von ihren Eltern vom Hof gejagte Estrid mit ihrem Kind zu ihm kommt, soll sie es im Wald aussetzen, woraufhin sie ihm ins Gesicht spuckt. Später schämt Ansgar sich und will verhindern, dass sie ihn verrät; sie gibt ihm ihr Wort. Als er bei ihr sitzt, wird er wieder von Verlangen erfüllt. Vor seiner Abreise möchte Ansgar, dass das Kind getauft wird, und überlegt, sich zu ihm und Estrid zu bekennen. Da er sie und das Kind einst verleugnet hat, lehnt Estrid die Taufe ab und wirft ihn hinaus. Im Roman Die Abbatissa wird ein Verhältnis von zwei Religiosen miteinander geschildert: Die Nonne Lilia glaubt, im Schutz des Klosters könne man in Gesundheit alt werden, während Frauen die Freuden der Ehe und das Glück, Kinder zu haben, mit einem frühen Tod bezahlen. »Es gab nichts Höheres als das Leben im Kloster« (84). Dann bekommt Lilia allerdings ein Kind vom Mönch Marso. Dieser hatte vorgegeben, Lilia dabei zu helfen, ihren Bruder aus der Hölle zu befreien. Zudem hat Lilia »das Gold des Herrn« gestohlen und Marso zukommen lassen. Marso, der auch andere Nonnen verführt und geschwängert hat, wird mit dem Tod bestraft. Für Lilia sucht die Äbtissin Ada einen Mann, dessen Eheweib sie werden kann, und verschafft ihr eine Mitgift. Ada behauptet gegenüber Lilia, ihr Kind sei tot, aber in Wirklichkeit wächst es im Kloster auf. Später wird Lilia und ihrem Mann Immas Kind mit dem Sachsen Wikbert übergeben. Auf die meisten Affären bringt es der Mönch Agrippa in Das Buch Haithabu und Das Buch Glendalough (zu seiner »Initiation« durch eine Frau s. o.): Im Gefängnis in Jelling sieht er im Traum eine Prozession aller Frauen auf sich zukommen, mit denen er jemals gesündigt hat. Im Gegensatz zu vielen anderen Kirchenmännern ist er ein großer Freund der Frauen und bringt ihnen viel Wertschätzung entgegen. Inspiriert wird er durch die positive Sicht des heiligen Patrick auf Frauen und Sexualität. Agrippa tritt nicht aus dem Kloster aus, muss aber immer wieder aufgrund seiner Verfehlungen seinen jeweiligen Ort verlassen. Eine große Eigenständigkeit sowie eine räumliche und ideelle Entfernung vom Kloster zeichnen ihn aus. Nachdem Agrippa in Ramsolano sein Kind mit der Sklavin Moira hat abtreiben lassen, hofft er, sich auf einer Bußreise reinigen zu können. Er erklärt seine Verfehlungen mit der Schwäche seines Fleisches und bittet Gott, ihm in seinen vergeblichen Kämpfen gegen seine lodernden Lenden, die aufschießende Lust und die Abgründe unter Weiberröcken zu helfen. Nur in Zeiten großer Gottesnähe und Erfüllung kann Agrippa, wie manche Mitbrüder, Frauen mit

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Gleichmut betrachten. Mit der kleinen »Rute aus Fleisch und Haut« als Geißel ist sein »unreiner Geist besinnungslos geschlagen« worden. Sein Leben ist eines »Gottesdieners«, eines Mannes, »der dem heiligen Benedikt seine reinen Lenden geweiht hat«, unwürdig (Das Buch Glendalough, 9). Die schöne Klia unterstützt Agrippa bei der Verkündigung in Haithabu, anschließend ziehen sich beide in die hintere Kammer der Kirche zurück. Um Klias Leben zu retten, lässt Agrippa sich auf eine Erpressung ein und tötet ihren Mann. Nach langen Gebeten gelobt er, sich nicht zu töten, sondern seine Schande zu bekennen und andere Gottsucher zu warnen, indem er seine Beichte (= seine Erzählung im Roman) niederschreibt. In Glendalough beschützt Agrippa die junge Ailil vor einer Verheiratung, die ihren Tod zur Folge haben könnte. Er ist stolz, Ailil geliebt zu haben, ohne sie zu beflecken. Seinen Traum von der Liebe erzählt Agrippa Abt Fitbrain: Er empfindet diese als zerteilt in Menschen- und Gottesliebe. Frauen hält er für den »besseren Teil der Schöpfung«, weil sie Leben geben statt zu nehmen. Agrippa kann Gott in seinen Geschöpfen spüren und hält »auch die fleischliche Liebe für eine Annäherung an die wahrhaftige Liebe«. Da Gott auch das Fleisch erschaffen habe, könne die fleischliche Liebe nicht allzu sündig sein. Wenn er eine Frau »mit dem ganzen Leib« umarmt, fühlt er den Zusammenhang von Gottesund Menschenliebe, Welt und Himmel (268). In Dublin übernachtet Agrippa manchmal in der Höhle der Prostituierten Christina, die den Dieb des Silbers für den Bau der Kirche des heiligen Patrick überzeugt hat, es wieder herzugeben. Der Agrippa erscheinende Patrick beklagt, dass die »neuen Heiligen« die Schöpfung in »hoch und niedrig« und den schönsten von Gott gemachten Leib, den der Frau, in gebotene und verbotene Bereiche einteilen wollen (333). Patrick schickt Agrippa in sein Kloster Ard Marcha, wo er eine Abschrift seiner Predigt über die Frauen finden soll: Darin werden Männer und Frauen als gleichwertig angesehen, sie sollen sich lieben und unterstützen; ihr Leib sei nicht verflucht, sondern von Gott; körperliche Liebe und Lust seien nichts Schmutziges, sondern eine Quelle von Freude. Ob Patricks Worte durch seine Feder geschrieben wurden oder Agrippa seine eigenen Worte einem Heiligen untergeschoben hat, bleibt offen (342–349). Auch als alter Mann im Kloster zu Wik am Holze (Das Buch Haithabu) besucht Agrippa, als Köhler verkleidet, das Rote Haus vor der Stadt, ein Badehaus und Bordell; die Geilheit und die Freude am Verbotenen würden die Männer dorthin treiben. Die des Ehebruchs angeklagte Lioba rettet er vor dem Spottgalgen, woraufhin ihr untreuer Ehemann ihm einen Arm abschlägt. Als sie Agrippa pflegt, tauschen sie Zärtlichkeiten aus. Einfache, fromme Menschen verehren Agrippa wie einen Heiligen (Liobas Mann wurde angeblich von einem Arm in einer Mönchskutte erwürgt), bringen ihm Gaben, bitten um Fürsprache bei Gott und erhoffen sich Heilung durch die Berührung des Stumpfes. Agrippa sieht sich als »Reliquie, an der noch zu viel Fleisch hängt« (251). Er fühlt sich unheilig und

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hat immer noch »Lust, über verbotenes Fleisch zu streicheln« (288). Seine von Gott geschenkte Heilkraft soll Agrippa in den Dienst des Klosters stellen. Er schuldet seinem Kloster zwar mehr als Gehorsam, denn der Abt hatte ihn trotz vieler Gegenstimmen, die seine Unkeuschheit höher ansetzten als seine Missionserfolge, aufgenommen, kann sich aber nicht von Lioba losreißen. Lioba schlägt Agrippa vor, im Wald, wo nur Gott sein Herr ist, eine Einsiedelei zu bauen: Das Kloster sei schon reich genug, dort würden vielleicht nicht alle Bedürftigen zu ihm gelassen, und sie braucht Geld für die Versorgung ihrer Kinder. Sie erzählt von Eremiten, die sich in Höhlen mit nur einem kleinen Loch für gelegentliche Speisen einmauern ließen. Eine Stimme weist Agrippa an, auf einem herzförmigen Stein, den er unter einer umgestürzten Tanne entdeckt, seine Klause zu erbauen. Zimmerleute tun dies für Gottes Lohn – einem »Heiligen den Ort richten schafft Eintritt bei Gott« (270). Agrippa fragt sich, ob die Zeit mit Lioba nicht der Lohn Gottes für die vielen Wege ist, die er in seinem Namen gegangen ist. Da es sich nicht schickt, wenn ein Einsiedler beweibt ist, bringt Lioba ihm lediglich täglich Essen. Agrippa sagt, er sei ein »sündiger, abgestoßener Krug, nur mehr mit einem Henkel«, in den der Herr »wundertätigen Wein« gefüllt habe (441). In der Hauptkirche zu Wik wurde das Grabmal des heiligen Niccolo neben dem Hochaltar für Agrippa geräumt, aber er bittet Thomasius, ihn an einem geheimen Ort zu begraben, damit seine Mitbrüder nicht seine Gebeine holen, die über die ganze Christenheit verstreut Wunder wirken sollen. Als der Abt und die Mönche nur noch einige Linnen auf Agrippas Sterbebett sehen, fallen sie mit frommen Gesängen nieder. 1.4.2.6 Liebesbeziehung und Glaubensverlust Aidan (Die Reise nach Byzanz, In geheimer Mission für den Kaiser) ist der einzige Mönch, für den ein zeitweiliger Verlust des Glaubens ausführlich thematisiert wird (s. Kapitel IV). Durch seine Erfahrungen beim Scheitern der Pilgerreise (Betrug, Gefangenschaft, Folter, Tod) zweifelt Aidan an Gott, hält ihn für unzuverlässig, fühlt sich im Stich gelassen und getäuscht. Das Gottvertrauen anderer Menschen macht ihn wütend. In diesem Kontext sind auch Aidans Kontakt zum Islam, seine (relativ gleichberechtigte!) Beziehung mit Kasimene sowie die Tatsache, dass er sich nicht mehr als Priester sieht und das Kloster verlassen will, zu sehen. Ein Kontakt mit Frauen bahnt sich langsam an: Aidan bewundert die weißen wohlgestalteten Schenkel der badenden jungen Magd Ylva in Skane (Die Reise nach Byzanz). Er beschützt sie vor zwei Männern, die sie bedrängen. Beim Abschied schenkt sie ihm Honigkuchen und küsst ihn auf die Wange. Auf dem Markt in Trapezunt will Aidan sich der Dienste einer Prostituierten bedienen. Er hat nie zuvor bei einer Frau gelegen und wird von Erregung befallen, als er von einer schönen jungen Frau angelockt wird. Aidans Geld reicht aber nur für eine alte hässliche Frau, vor der er schließlich davonläuft. Er fühlt sich

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gedemütigt und ekelt sich vor sich selbst, weil er sich auf ein so schamloses Unterfangen einlassen wollte.

Kasimene (In geheimer Mission für den Kaiser), die Nichte des Emirs, pflegt den aus der Sklavenarbeit in den Minen befreiten Aidan. Er unterhält sich gerne mit ihr und findet sie sehr schön. Kasimene ist überzeugt, dass ihr Zusammensein Allahs Wille ist. Nachdem Aidan sie gebeten hat, ihn zu heiraten, küssen sie sich und liegen beieinander. Aidan glaubt, dass nur eines auf der Welt Bestand hat: »Mann und Frau sollen in Liebe zueinander finden«. Als sie sich berühren, erkennt er, dass er in seinem ganzen Leben nie etwas mehr gewollt hat. Er fragt sich, wie er so lange hat existieren können, »ohne dieses so einfach zu bewerkstelligende, gleichwohl unvergleichliche Vergnügen jemals kennengelernt zu haben« (227.230). Hinsichtlich seines Keuschheitsgelübdes und der anderen priesterlichen Schwüre hat Aidan keine Gewissensbisse, da er Gott ebenso verstoßen habe wie dieser ihn und dieser Teil seines Lebens unwiederbringlich vorüber war. Aidan erwirkt das Einverständnis des Emirs, der ihm zudem die Freiheit schenkt. Da ein Moslem keinen Ungläubigen heiraten oder der Hochzeit wegen vom Islam abfallen darf, ist Aidan bereit, Moslem zu werden. Er liebt Kasimene aus tiefstem Herzen. Zugleich sieht er sie als Werkzeug für seine Rache am kaiserlichen Beamten Nikos, der sie in die Sklaverei gebracht hat, und für die Rettung seiner Freunde. Als Aidan diese aus den Silberminen befreien will, folgt Kasimene ihm, aber unterwegs entfernen sie sich immer mehr voneinander. Schließlich löst Kasimene die Verlobung, weil Aidan sich sehr verändert hat und nicht mehr an Gott, sondern nur noch an sich selbst glaubt. Eine islamische Frau dürfe keinen Ungläubigen heiraten. Sie will zu Gott um Frieden für Aidan beten. Dieser muss ihr rechtgeben; er weint um den Verlust seines Glaubens und seiner Liebe (529– 531). Zurück im Kloster, ist Aidan verzweifelt und fühlt sich leer. Seine Arbeit im Skriptorium und die täglichen Pflichten erscheinen ihm trocken und langweilig; er kniet in der Kapelle, öffnet Gott aber nicht sein Herz. Ruadh fragt ihn, was er in Byzanz finden wollte. Aidan hatte geglaubt, Gott werde zu seinem Wort stehen, aber die Wahrheit existiere nicht; trotz ihres Gebetes, Gott möge sie retten, ereile die Unschuldigen der Tod. Die heilige Kirche Christi sei eine »Schlangengrube«, die Wächter des Glaubens »wankelmütige Lügner«, der Kaiser, Gottes Mitregent auf Erden, ein »gemeiner, unchristlicher Mörder« (561). Der Secnab antwortet, Gott habe auch nichts unternommen, als sein geliebter Sohn am Kreuz starb. Wenn die Menschen das Elend der Welt teilten, seien sie Christus am nächsten. Der Herr sei nicht erschienen, das Leiden der Menschen zu beenden, sondern um ihnen durch den Schmerz hindurch den Weg zur jenseitigen Herrlichkeit zu weisen. Ruadh meint, niemand, der so gelitten habe und empfinde wie Aidan,

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solle im Kloster bleiben, er möge aber noch bis zum Osterfest warten. Ein Besuch Gunnars bringt Aidan, der zudem an die Ermahnungen des toten, ihm erschienenen Bischofs Cadoc (»Alles Fleisch ist wie Gras«) denken muss, jedoch zu einer neuen Sichtweise (s. Kapitel IV). Während des Ostergottesdienstes bereut Aidan seine Blindheit, Zweifel und Ängste, erkennt, dass Gott ihn selbst in seiner Verzweiflung behütet hat, und erneuert seine Priestergelübde. Mit den Dänen geht er nach Skane, später begründet Bischof Aidan den Sitz der Célé Dé an der Schule des Patriarchen von Konstantinopel.

1.4.3 Aufgeben der mönchischen Lebensweise 1.4.3.1 Entscheidung für das Leben mit einer Frau Einige der Romanfiguren, die Mönche werden wollen oder es bereits sind, entscheiden sich für ein Leben mit einer Partnerin, statt sich mit Frauen nur zu vergnügen. Frederik (Die Träume der Libussa) hat sich in die schöne Tschastawa verliebt. Von Radegund auf das Keuschheitsgelübde angesprochen, antwortet er, er sei als Waisenkind ins Kloster gekommen und habe noch kein Gelübde abgelegt. Er zweifelt, ob er diesen Weg gehen soll. Außerdem hätten viele Gottesmänner »in heiliger Keuschheit mit Frauen zusammengelebt […], bevor es für alles Vorschriften der Bischöfe gab. Sie nahmen sich unseren Herrn Jesus und Maria Magdalena als Beispiel«. Wenn diese so ausgesehen habe wie Tschastawa, würde Radegund für die Keuschheit Jesu nicht die Hand ins Feuer legen. »Sollte Kazis Tochter je bereit sein, ihren braunen Leib an Frederiks dürre, blasse Gestalt zu pressen, würde der Junge der Fleischeslust ebenso selbstverständlich frönen wie ein Vogel dem Fliegen« (508). Frederik bleibt schließlich bei Tschastawa. – Der Novize Thomasius (Das Buch Haithabu) verrät Agrippas Affären nicht, weil es eine Sache zwischen ihm und Gott ist. Auf Agrippas Frage nach dem Keuschheitsgelübde entgegnet Thomasius, er habe keinen Anlass zu glauben, dass es ihm so schwer fällt wie Agrippa; mit Gottes Hilfe werde es gelingen. Einer der anderen Novizen in Wik überlegt es sich kurz vor dem Gelübde wegen einer brünetten Jungfrau anders. Abt Fitbrain (Das Buch Glendalough) hilft der Sippe der Uí Neíll gegen eine Hungersnot, indem er Getreide, Tiere und einen Mitbruder schickt, der die Getreidelager gegen Mäuse verschließen kann. Dieser Bruder kehrt dem Kloster schließlich den Rücken, um zusammen mit einer drallen Frau ein gottgefälliges Leben als Mäusebekämpfer zu führen. Viele edle Frauen haben sich bemüht, dem schönen Mönch Agius (Die Schlüsselträgerin) zu gefallen. Er hatte ein Verhältnis mit Irmingard, der Gemahlin Ludwigs des Frommen, deren Berater er war. Inga weiß als Sächsin nicht, was mit Frauen geschieht, die einen »christlichen Gottesmann von seinem Keuschheitsgelübde« abbringen, vermutet aber, es

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sei »nicht weniger schändlich, als mit einem verheirateten Mann die Ehe zu brechen« (270). Nachdem Agius und Inga sich auf dem Waldboden geliebt haben – beide hatten sich dies schon länger vorgestellt und verboten – sind sie bestürzt. Schließlich beginnen die beiden ein neues Leben in Agius’ Heimat.

Der sächsische Mönchspriester Wig (Saxnot stirbt nie) sah es als Zeichen göttlicher Gnade, dass er nach der Hinrichtung seines Vaters Höriger des Grafen Volz wurde. Später fastet er jedoch und geißelt sich, weil er seinen Vater Bertmund, der (wie er mittlerweile erfahren hat) ein wahrer Christ war, verdammt und dem Grafen vertraut hatte. Wig bittet Lupus, ihm weitere Bußen wie eine Pilgerfahrt oder ein Schweigegelübde aufzuerlegen. Dieser rät ihm, dem Priesterberuf, für den ihm die caritas fehle, zu entsagen, das Mönchsgewand abzulegen und, wie sein Vater, im täglichen Leben unter Bauern zu wirken. Ein Priester des Nachbarsprengels übernimmt daraufhin den Gottesdienst. Er traut Nelda und Wig, der dieser bereits als Junge einmal versprochen war. Die beiden lieben und streiten sich heftig, was Lupus als härtere Buße ansieht als das Erfüllen möglicher anderer Gelübde (203). Der Mönch Finnian kommt in Das Amulett der Seherin377 allmählich zu einer positiven Sicht der Frauen und der Sexualität und wählt die Ehe mit Ava: Nach 18 Jahren im Kloster ist er »den Umgang mit verführerischen Frauen nicht gewöhnt«. Als Heranwachsender hatte er sich nie besonders für Frauen interessiert, auch als Mönch war ihm ein enthaltsames Leben nicht schwer gefallen. Seine Liebe galt den Büchern. Erst nach einer Begegnung mit der Seherin Ava, »schön wie eine Elfe« (30), hatte er die teuflische Begierde in seinem Leib gespürt. Finnian bittet Gott, ihn vor den »sündhaften Verlockungen des Fleisches« zu bewahren (66). Als eine schöne Frau den heiligen Eremiten Coemgen (Kevin) verführen wollte, warf dieser sie in einen See und wälzte sich nackt in Brennnesseln, so erinnert sich Finnian. Auch Ava hat Gefallen an Finnian gefunden, aber keiner von beiden darf sich einem anderen körperlich hingeben. Nachdem Ava Finnian aus dem Gefängnis befreit hat, küssen sie sich versehentlich. Finnian kasteit sich auf dem harten Boden und geißelt sich, um die Gefühle für Ava aus seinem Körper zu vertreiben, er fastet und hält an der Reliquie des heiligen Martin die Nachtwache, aber seine Sehnsucht bleibt. Er meint, Gott habe ihn hässlich erschaffen, damit er sein Keuschheitsgelübde einhalten kann. »Eine Frau zu lieben, war noch keine allzu schwere Sünde, solange keine körperlichen Taten folgten« (385). Um nie mehr eines dieser »absonderlichen Geschöpfe« wieder zu treffen (387), will er sich in seinem Kloster vergraben.

377 Dieser Roman gehört zu den wenigen, welche die Bußbücher erwähnen. Die Bußbücher und die Beichte kommen auch vereinzelt in Die Schlüsselträgerin vor.

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Um die vergewaltigte Ava von einer Abtreibung abzuhalten, bietet Finnian an, aus dem Orden austreten und sie zu heiraten. Er will ihre Ehre retten und meint, er wäre ganz anspruchslos. Als Ava sein selbstloses Angebot nicht annehmen will, antwortet er, es sei höchst eigennützig, er könne sich ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen. Hinsichtlich ihrer Sorge, nicht mehr rein zu sein, entgegnet er, dass er sie liebt, woraufhin sie sich küssen. Im Gegensatz zu seiner Befürchtung, dass etwas Schlimmes passiert, spürt Finnian eine »Befreiung«. Er fragt sich, wie die Bußbücher es wagen können, Strafen für einzelne Vergehen aufzulisten, »als wäre das, was zwischen Mann und Frau geschah, ein Geschäft«. Die Worte des Paulus, es sei besser »zu heiraten, als sich in Begierde zu verzehren« (397), kommen ihm in den Sinn. Er meint, die Liebe sei die Stütze der Welt, die wahre Irminsul; durch ihre Liebe würden sie Avas Heiligtum wieder aufbauen. Nach ihrer Hochzeit im fränkischen Reich reisen Ava und Finnian ins sächsische Hollenhus, wo die Menschen sie aufnehmen, obwohl sie Christen sind. Einen ungewöhnlichen Fall stellt die Inkluse Wendelgard dar (Die Herren von Buchhorn): Weil diese nachts in Erinnerung an den Tod ihres Mannes in Alpträumen stöhnt, befürchtet Wiborada, der Teufel sei in ihr. Wendelgard glaubt, Gott prüfe mit den Träumen ihre Standhaftigkeit, und betet um Erlösung und Vergebung, wobei sie der Sünde eigentlich bereits abgeschworen hatte, indem sie sich Wiborada anschloss. Diese rät ihr, eine Nacht lang nicht zu schlafen. Sie soll die Weltlichkeit und die sündige Liebe zu ihrem Mann aus ihrem Herz reißen und nur noch Gott lieben. Weil sich Wendelgard nicht in ihre Rolle als Inkluse einfügen kann, fragt Wiborada Salomo um Rat, welcher Wendelgards Reise zum Begräbnis ihrer Diener nach Buchhorn befürwortet. Wiborada ermahnt Agnes und Wendelgard, nicht vom Weg der Inkluse, den Gott vorgegeben hat, abzuweichen, sich gottesfürchtig und sittsam zu verhalten, und sich weiterhin einzuschließen. Auf Buchhorn, wo sie oft als Gräfin angesprochen wird, scheint Wendelgard den weltlichen Dingen wieder sehr zugeneigt, sie spürt die Verantwortung für ihre Kinder und die Menschen dort. Als der Junker Ludowig sie auffordert, sich als fromme Frau aus weltlichen Angelegenheiten herauszuhalten, entgegnet sie, Gott gehe alles etwas an. Wendelgard hat vor Gott und Christus ein Gelübde abgelegt, das sie an die Weisungen des Bischofs und der Synode bindet. Schließlich empfiehlt Salomo der Synode jedoch, sie davon zu entbinden, denn es hat sich herausgestellt, dass Wendelgards Mann gar nicht tot ist.

1.4.3.2 Verlassen des Klosters aus anderen Gründen Neben den Mönchen, die das Kloster wegen einer Frau verlassen, gibt es solche, die aus anderen Gründen, etwa wegen theologischer Streitigkeiten, ausgegrenzt werden oder weggehen (müssen). In einigen Romanen ist von ehemaligen Klosterbewohnern die Rede, die im Herzen Mönche geblieben sind und noch so leben. Sie erscheinen als die besseren Mönche. Der in Tours lebende Mönch Aelfnoth (Der Kalligraph des Bischofs) ist alt, ausgemergelt, fast kahl, hat eine kränklich gelbe Haut und wirkt zerbrechlich. Sein Leben lang hat er die Heilige Schrift gelesen. Er ist mehrmals exkommu-

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niziert worden, darf die Kapelle nicht betreten und nicht zusammen mit den übrigen Mönchen essen, denn er hat die Reform und Kanonisierung des Klosters nicht mitgetragen. Die anderen Mönche meiden ihn und dann auch seinen Schützling Germunt. Als der mürrische Mönch, der den beiden das Essen bringt, meint, er müsse wegen einer zweiten Portion erst den Abt um Erlaubnis fragen, entgegnet Aelfnoth, sie seien zur Gastfreundschaft verpflichtet. Den feindseligen Verwalter muss Germunt lange um Pergament und Tinte bitten. Aelfnoth spricht dem Dieb und Mörder Germunt zu, dass Gott ihm vergeben hat. Dass er bald sterben wird, sieht Aelfnoth als gottgegebenen Lauf der Dinge. Er ist froh, nicht allein zu sein. Auf seinen Wunsch hin trägt Germunt ihn in die Kapelle, was die anderen Mönche ehrfürchtig tolerieren. Obwohl Germunt als Laie diesen Bereich der Kirche eigentlich nicht betreten darf, legt er Aelfnoth vor dem Altar nieder. Sterbend dankt Aelfnoth für diesen Tod und für Germunt; er bittet Gott um Germunts Rettung und die Löschung seiner Schuld. In Dublin trifft Agrippa (Das Buch Glendalough) Bruder Barres, der aus dem Kloster der Heiligen Dreifaltigkeit vertrieben wurde, weil er nicht zu den vorgeschriebenen Zeiten betete, sondern dann, wenn er sich Gott nahe fühlte. Im Hafen lebt er nun als Schreiber und Zähler mit einer taubstummen Frau zusammen. Um zu zeigen, dass er im Herzen Mönch geblieben ist, trägt Barres weiterhin die Kutte. Als Agrippa eingeladen wird, mit ihm und seiner Gefährtin Weihnachten zu feiern, entscheidet er sich, dass sein Platz am Fest bei den Ausgestoßenen ist. Schließlich kommen auch die beiden und bringen Süßmilch. Später pflegt Barres den verletzten Agrippa, während seine Gefährtin einen roten Flicken, der auf dem Herzen seiner Freundin Christina lag, über Agrippas Herzen auf seine Kutte näht. In der Nähe von Ennos Heimatdorf (… denn sterben muss David!) lebt in einem Forst der Einsiedler Bruder Frodulf in einer Höhle. Er trägt eine zerlumpte Mönchskutte, geht gebeugt und sieht sehr alt aus. Der »Gesang der Kirchenmänner«, den er anstimmt, schallt durch die Höhle »wie durch eine Kathedrale«. Im Kloster, so Frodulf, ist ihm im Traum der heilige Antonius aus Ägypten erschienen und hat ihm den Weg gewiesen, wie er ein Leben »in Einsamkeit und Demut« zu führen. Er erzählt, Antonius habe ein Schwein an seiner Seite gehabt, welches mit ihm ins Himmelreich eingezogen sei. Frodulf erklärt Enno, dass die Brüder in einem Kloster in »Frömmigkeit, aber auch in Bequemlichkeit und Wohlstand« leben. Antonius forderte von ihm »absolute Armut« (44.52f.). Es betrübt Frodulf, dass ein Klosterbruder eine gefälschte Urkunde erstellt hat, und bestätigt ihn in seiner Entscheidung für das Verlassen des Klosters. Bruder Titus (Das Buch Haithabu, 37f.) im Stift Ramsolano erfüllt viele benediktinische Tugenden wie das Fasten und Schweigen, kümmert sich um Kranke und Notleidende, leugnet aber bei der Erforschung durch einen Bischof die Existenz der Hölle: Es gebe nur die Hölle in den Menschen und die, die sich

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Menschen bereiten würden; außerdem habe Jesus dem Teufel, der als Schlange kam, den Kopf zertreten. Einmal im Jahr besucht Bruder Gelasius aus Corvey im päpstlichen Auftrag das Stift, zeigt den Brüdern, vor welchem Abgrund sie stehen, und führt sie zum Kreuz zurück. Dem Titus erlegt er eine lange Bußpilgerschaft auf. Als dieser vom Aufenthalt bei Bruns (s. Kapitel IV) zurückkehrt, verabschiedet er sich nur von Agrippa und verlässt das Kloster. Titus stiehlt die Reliquien des Sixtus und Sinnitius und verkauft sie an ein berühmtes Kloster. Vom Erlös baut er ein Waisenhaus, ersetzt das Haus des Bruns (das wohl ein »Gottesmann« angezündet hat) und kauft Sklavinnen frei. Im »Land der Bärenanbeter« nennt er sich »Ossos« und fungiert als heiliger Mittler zwischen zwei Bären, die als Götter verehrt werden, und den Bewohnern von »Irminsul« – so nennt er das Land, in dem er lebt. Ossos lässt die Einwohner glauben, die Missionare Agrippa und Heitu seien – wie vom Knochenorakel entschieden – den Bären geopfert worden, ließ sie aber entkommen. Doremus (Abt Erwin-Reihe), ein Gefolgsmann der Missi Dominici, wird als ehemaliger Mönch und Aufständischer, der in den Wäldern lebte, »Markgraf der Lichtungen« genannt. Im Herzen ist er ein halber Mönch geblieben. Nach einem Streit um den Zehnten und Frondienste war er aus dem Kloster in Saulieu geflohen, und einige Pächter hatten sich ihm angeschlossen. In seinen Predigten rief er seine Gefolgsleute zur Verehrung des Erlösers, der Mutter Gottes oder eines Heiligen auf (deswegen »Doremus«). Er kann gut Latein. Seine Bande führte er mit Fingerspitzengefühl und Autorität. Sie plünderten nur selten und die Bevölkerung fühlte sich mit ihnen verbunden (Mit Dolch und Gift, 107f.). Ein anderer Mönch, der sein Gelübde gebrochen hatte, war einer seiner wichtigsten Hauptmänner. Gottschalk (Die Päpstin) ist nicht aus eigenem Entschluss Mönch geworden, sondern kam als Kind ins Kloster Fulda. Als Erwachsener will er es wieder verlassen, was Abt Rabanus jedoch verweigert: Gott ein solches Geschenk wieder fortzunehmen, hält er für eine unverzeihliche Sünde. Johanna pflegt Gottschalk nach der von Rabanus angeordneten Geißelung und hilft ihm, die Freiheit zu erlangen. Sie meint, jeder Mensch sollte die Freiheit haben, so zu leben, wie er möchte. Die radikalen Thesen zur Prädestination, die Gottschalk vertritt, werden durch seinen Lebensweg erklärt. Als Johanna bei einer Bischofskonferenz in Rom erfährt, dass Rabanus, jetzt Bischof in Mainz, Gottschalk wegen dessen Thesen ins Gefängnis werfen ließ (seine Häscher hatten ihn zuvor halb tot geschlagen), verwundern sie die »Grausamkeiten, die vorgeblich fromme Männer wie Rabanus Maurus ihren Mitchristen antun ließen […]. Die Greueltaten heidnischer Normannen erregten bei Menschen wie Rabanus weniger Zorn als ein christlicher Gläubiger, der auch nur den kleinsten Schritt von dem Weg abwich, den die strengen kirchlichen Doktrinen ihm vorschrieben« (494).

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Die Bischöfe verdammen Gottschalks Thesen, beschließen aber auf Johannas Drängen, Rabanus »seiner ›harten und unchristlichen Behandlung eines irrigen Mönchs‹ wegen zu tadeln« (496). Johanna selbst ist aus dem Kloster geflohen, als aufgrund einer Krankheit ihr wahres Geschlecht entdeckt zu werden drohte. In Das Buch Glendalough wird ein unverschuldeter Verlust des Klosterlebens beschrieben: Während Bodo, Novize im Kloster des heiligen Eustachius nahe Carcassone, im Wald Pflanzen sammelt, wird das Kloster von Sarazenen in Brand gesteckt. Er kann nur noch seine Brüder beerdigen und Totenlieder singen. Die Sarazenen vergewaltigen ihn und verschleppen ihn in die Sklaverei. In einer Wikingersiedlung dient er wie Patrick, der größte Heilige der Iren, als Schafhirte. Als sein Wolfshund stirbt, liest er ihm eine lateinische Totenmesse. Bodo, inzwischen freigelassen und Bader des Königs von Jelling, macht Agrippa mit der kleinen Christenschar dort bekannt.

1.5

Zusammenfassung

Wie sich herausgestellt hat, sind viele der Mönche in den Romanen nicht freiwillig im Kloster, sondern wurden etwa dorthin verbannt. Religiöse Motive für einen Eintritt werden nur vereinzelt geschildert. Manche Figuren, die z. B. als Kinder in ein Kloster gebracht wurden, finden sich jedoch in dieses Leben ein und können einen Sinn darin entdecken. Die Rolle der Herrscher als Stifter und Förderer von Klöstern, die klösterlichen Aufgaben bei der Versorgung des Hofes sowie die Unterbringung von Herrschern oder ihren Kindern in einem Kloster werden behandelt. Vielfältige Kontakte zwischen Kloster und Welt werden beschrieben. Mönche werden über äußere Kennzeichen – Kleidung und Tonsur – definiert, sie werden häufig als »Gottesmänner« tituliert. Die meisten Mönche in den Romanen sind »Benediktiner«. Verschiedene Elemente der Regel, um deren Geltung gerungen wird, werden genannt. Punktuell tauchen Reflexionen darüber auf, was einen Mönch ausmacht. Das irische Mönchtum wird in einer sehr positiven Weise als frei, offen und verständnisvoll bewertet. Es wird vom Mönchtum auf dem Kontinent abgesetzt und als durch Rom bedroht dargestellt. Gleichzeitig wird die besondere asketische Prägung der irischen Mönche thematisiert. Grundsätzlich werden Mönche, vor allem die Hauptfiguren, als sehr gebildet dargestellt (sie sind Schreiber, Lehrer, Bibliothekare). Wegen ihrer Intelligenz, ihres Geschicks und ihrer außergewöhnlichen Methoden gelten sie als fortschrittlich. Deshalb eignen sie sich besonders gut als Ermittler in historischen Kriminalromanen, worin ein wichtiges Genremerkmal besteht. Klöster wirken in vielen Romanen skandalumwittert, wenn die Autoren sie als Krimi-Schauplätze wählen. In zwei Romanreihen treffen Mönche bei ihren Reisen als Missi Dominici auf machtgierige und verbrecherische Äbte und Mönche, wobei auch Grafen in Verbrechen verwickelt sind: Gute Ermittler (wenn auch allzu menschliche, toll-

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patschige, durch Leidenschaften gesteuerte wie Odo und Lupus) treten jeweils, unterstützt durch ein Team, gegen böse Verbrecher an. Bei Abt Erwin, der sich für die Schwachen oder gegen Folter einsetzt, findet sich ein stark sozialkritischer Zug. Mönche zeichnen sich im Roman durch eine hohe Mobilität aus. Einige leben in ihrer abgeschlossenen klösterlichen Welt oder ganz für sich als Eremit, manche wirken naiv und unerfahren. Viele sind jedoch sehr weltgewandt und in Politik involviert, einzelne leben eine regelrechte Wanderexistenz. Aidan geht von Irland aus auf Pilgerfahrt nach Byzanz, ist Sklave und Missionar der Dänen, gerät in Gefangenschaft, wird Spion, verliebt sich in eine Muslima, verliert seinen Glauben und findet ihn wieder. Agrippa erlebt Strafversetzungen aufgrund seiner Frauengeschichten, gelangt dadurch als Missionar ins Land der Bärenanbeter, nach Bornholm und Haithabu, flieht nach Irland, ist Heilkundiger, Kirchenbauer, Lehrer der Frauen, Einsiedler, schließlich sogar (ein ungewöhnlicher) Heiliger. Der Aufbau eines Klosters, die Ämter, der Alltag und die Tätigkeiten wie Stundengebet, Handwerk oder Landwirtschaft werden wiederholt beschrieben (über Nebenfiguren, zeitweiligen Aufenthalt/Besuche der Hauptfiguren). All dies bildet den Hintergrund, vor dem sich die Erlebnisse des einzelnen Mönchs abspielen, die oft außergewöhnlich sind und ihn aus dem Kloster heraus führen. Einzelnen herausragenden Gestalten unter den dargestellten Mönchen und Nonnen steht eine Vielzahl von Figuren gegenüber, die am mönchischen Ideal scheitern. Um vorbildliche Asketen handelt es sich nur bei wenigen, zahlreicher sind die Verstöße gegen die mönchische Lebensform, etwa Unkeuschheit. Manche, so wird geschildert, bemühen sich ehrlich um Standhaftigkeit, wobei einige schließlich doch, durch eine Frau verführt, schwach werden. Bei anderen Mönchen und Klöstern erscheinen kurzfristige oder dauerhafte Beziehungen zu Frauen (oder Männern) als fast selbstverständlich. Manche nutzen die Frauen aus und lassen sie alleine zurück, die gezeugten Kinder werden getötet, wachsen bei der Mutter auf oder werden in einem Kloster abgegeben. Wegen einer Frau oder aus anderen Gründen entscheiden sich einige Mönche für ein Verlassen des Klosters. Einzelne kommen zu einer großen Wertschätzung von Frauen und Sexualität, sie stellen sich gegen kirchliche Vorschriften. Da sich auch die Kirche versündigt, fühlen sie sich frei, selbst einen anderen Weg zu gehen. Mehrfach werden in einem Roman verschiedene Typen von Mönchen, etwa innerhalb einer Gemeinschaft, gegenübergestellt. Mönche als Hauptfiguren sind vielfach Sympathieträger, durch ihre Schwächen wirken sie sehr menschlich. Die Ich-Erzähler unter ihnen gehen durchaus kritisch bis schonungslos mit sich selbst um und legen dem Leser vieles offen. Sie verbindet eine Kritik gegenüber Mächtigen wie Bischof, Papst oder Kaiser, sie kämpfen gegen Starrheit und Dogmatismus. Durch Gastfreundschaft, Heilungen (häufig durch ihre enge Verbindung zur Natur oder naturwissenschaftliche Kenntnisse) oder Aufklärung

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von Mordfällen bewirken Mönche in den Romanen viel Gutes. Unsympathische oder böse Mönche treten hauptsächlich in den Romanen zur Missionierung auf. Einige ehemalige Mönche werden als die »wahren« Mönche dargestellt, welche gute Gründe hatten, das Kloster zu verlassen. Während Mönche häufig unterwegs sind, wird das bei den wenigen vorkommenden Nonnen kritisch gesehen. Auch Ordensfrauen sind in Skandale verwickelt. Vor allem der Roman Die Abbatissa zeigt auf, dass Frauen im Kloster Zugang zu Bildung haben. In Die Päpstin und Der sechste Tag wird diese Möglichkeit allerdings gar nicht in Betracht gezogen: Johanna/Johannes muss sich als Mann ausgeben, um Bildung zu erlangen und eine kirchliche Karriere zu machen. Das Leben von Inklusen wird in Romanen ebenso thematisiert wie der Wechsel von Frauen zwischen einem Leben inner- und außerhalb eines Klosters.

2.

Forschungsüberblick Mönchtum

2.1

Entwicklung der Forschung zum Mönchtum im Frühmittelalter

In diesem Forschungsüberblick zum Mönchtum im Frühmittelalter stellt sich die grundsätzliche Frage, womit Forscher sich beschäftigt haben und zu welchen Ergebnissen sie gekommen sind. Welche Kontroversen gab es? Welche Charakteristika des Mönchtums und Klosterlebens im frühen Mittelalter lassen sich aktuell festhalten? Aus der Vielzahl von Arbeiten werden besonders jene herausgegriffen, die sich solchen grundsätzlichen Aspekten widmen, Entwicklungslinien aufzeigen, für das Frühmittelalter charakteristische Aspekte in den Mittelpunkt stellen (etwa die Dominanz einer vor-aufgeklärten Weltsicht), sich verstärkt mit der Zeit der karolingischen Renaissance befassen, in anderen wissenschaftlichen Disziplinen besondere Beachtung gefunden haben, oder in jüngerer Zeit publiziert wurden. Im Bereich der Forschungen zum Mönchtum, hier konkret zum Frühmittelalter, haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten sowohl die Protagonisten als auch ihre Fragen und Themenfelder verändert. Die Herkunft der Forscher bestimmte häufig auch ihre Fragen und Perspektiven. Zunächst haben sich vor allem Mönche, besonders Benediktiner, mit Aspekten der Ordensgeschichte, und so mit ihrer eigenen Tradition, befasst. Im Mittelpunkt stand hier die Erforschung der Benediktsregel und des benediktinischen Mönchtums. Adalbert de Vogüé, der zu Benedikt und seinen Quellen forschte, konnte die Abhängigkeit der Benediktsregel von der Magisterregel erweisen und gab verschiedene Regeln heraus.378 Forschungen zum alten Mönchtum und zur 378 Vgl. A. de Vogüé, Unter Regel und Abt. Schriften zu Benedikt von Nursia und seinen

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Benediktsregel, z. B. zur Darstellung des Antonius als Gottesmann, stammen von Basilius Steidle.379 Von Angelus Häussling kamen Erkenntnisse zur Tagzeitenliturgie, außerdem zur Eucharistiefeier in der Klosterliturgie.380 David Knowles erforschte die Geschichte des christlichen Mönchtums, besonders in England. Der Franziskaner Karl Suso Frank untersuchte den Begriff des engelgleichen Lebens im frühen Mönchtum, gab verschiedene Regeln heraus und verfasste eine Überblicksdarstellung zur mönchischen Lebensweise von den Anfängen in der Antike bis hin zur Gegenwart.381 Nach den Ordensmännern widmeten sich Laien, sowohl Kirchen- als auch Profangeschichtler, darunter immer mehr Frauen, der Erforschung des monastischen Lebens. Besonders die Kirchenhistoriker fragten nach Selbstverständnis und Antriebskräften des Mönchtums, außerdem nach liturgischen Aspekten des Klosterlebens: So untersuchte Arnold Angenendt die Vorstellung der kultischen Reinheit, Hubertus Lutterbach die Mönchwerdung und die Idee der Gotteskindschaft, Gisela Muschiol die Liturgie in Frauenklöstern und das Konzept der Famula Dei (s. u.). Wesentlich stärker als etwa liturgische Aspekte sind sozialgeschichtliche Aspekte untersucht, denen sich in erster Linie die Profanhistoriker zuwandten: Friedrich Prinz befasste sich vielfältig mit der Entwicklung des Mönchtums im Frankenreich, darunter auch mit ökonomischen Aspekten wie dem Arbeitsethos und der Klostergrundherrschaft; Josef Semmler arbeitete zur karolingischen Klosterreform; Franz Josef Felten widmete sich der politischen Frage nach den Laienäbten und fragte, ebenso wie Thomas Schilp, nach der Norm und Wirklichkeit religiösen Gemeinschaftslebens (s. u.). Zuletzt wurde verstärkt das religiöse Leben von Frauen in den Blick genommen.382

379 380 381

382

Quellen. Ins Deutsche übertragen von Hagia Witzenrath (Weisungen der Väter 10), Beuron 2010. Vgl. B. Steidle, Beiträge zum alten Mönchtum und zur Benediktusregel. Mit einem Vorwort und einer Einführung hg. von U. Engelmann, Sigmaringen 1986. Vgl. A. A. Häußling, Mönchskonvent und Eucharistiefeier. Eine Studie über die Messe in der abendländischen Klosterliturgie des frühen Mittelalters und zur Geschichte der Messhäufigkeit (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen 58), Münster 1973. Vgl. K. S. Frank, Geschichte des christlichen Mönchtums. 6., bibliographisch aktualisierte Auflage Darmstadt 2010 (1. Auflage 1975), besonders 1–65 zum Weg von der christlichen Askese über Frühformen des östlichen Mönchtums in der ägyptischen Wüste bei Antonius und Pachomius bis hin zur Vorherrschaft der Regel Benedikts. Im Forschungsüberblick beklagte G. Muschiol, Famula Dei. Zur Liturgie in merowingischen Frauenklöstern (Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinertums 41), Münster 1994, Lücken im Wissen über weiblichen Monastizismus, die nach einer Aufarbeitung verlangen, und kritisierte, dass in einigen Arbeiten zur Geschichte der Frauen im frühen Mittelalter Wissen und ideologischer Blickwinkel in ihrer Qualität nicht übereinstimmen würden. – K. Bodarwé, Frauenleben zwischen Klosterregeln und Luxus? Alltag in frühmittelalterlichen Frauenklöstern, in: H. Brandt/J. K. Koch (Hg.), Königin, Klosterfrau, Bäuerin. Frauen im Frühmittelalter (agenda Frauen 8/Frauen – Forschung – Archäologie 2),

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Insgesamt ist eine große Ausweitung der Fragen festzustellen, es erschienen sowohl neue Überblicksdarstellungen, aktuell z. B. von Gert Melville,383 als auch Einzeluntersuchungen zu den verschiedensten Themenfeldern, etwa zu bestimmten Klöstern, Klosterregionen oder zum Selbstverständnis von Äbten und Mönchen. Untersucht wurden neben den Mönchsregeln verstärkt auch andere Quellen wie die Heiligenviten oder die Verbrüderungsbücher, letztere vor allem durch Karl Schmid und Joachim Wollasch. Außerdem entstanden neue methodische Ansätze wie die Vergleichende Ordensgeschichte. Eine entsprechende Forschungsstelle unter der Leitung von Gert Melville zielt eine vergleichende Analyse der institutionellen Formen klösterlichen Lebens, wie sie sich zwischen Antike und früher Neuzeit herausgebildet und weiterentwickelt haben, an. Ihre Forschung widmet sich der umfassenden gesellschaftlichen und kulturellen Bedeutung des Klosterund Ordenslebens und setzt den Untersuchungsschwerpunkt auf das komplexe Beziehungsgefüge von Kloster und Gesellschaft.384 In diesem Rahmen entstand auch ein Band zur weiblichen vita religiosa, dessen Aufsätze sich unter anderem dem Zusammenleben und Kontakt von männlichen und weiblichen Religiosen widmen.385 Im Kontext dieser

Münster 1996, 117–143, forderte ein stärkeres Sichtbarmachen der historischen und kulturellen Bedeutung der Frauenklöster, die als geistiges Brachland gelten würden. Sie selbst zeigt die historische Entwicklung des Phänomens auf und versucht, trotz der schwierigen Quellenlage – sie nennt die erhaltenen Klosterregeln als wichtigste Quellen für den Klosteralltag – das Leben in einem Frauenkonvent vorzustellen. Dieses sei von den Lebensgewohnheiten der fränkischen Adelsschicht bestimmt worden. Bodarwé bietet auch erstmals eine Karte aller fränkischen Frauenklöster des fünften bis neunten Jahrhunderts. 383 Melville zeichnet die vielfältige und komplexe Geschichte der klösterlichen Lebensformen und ihre Wirkungsfelder von der frühen Christenheit bis ins hohe Mittelalter nach und macht deutlich, wie sie unsere Kultur nachhaltig geprägt haben. Er erläutert auch die wichtigsten Grundelemente klösterlichen Lebens wie das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft, Recht, Organisation, wirtschaftliche Grundlagen, Bildung, und die Wechselbeziehungen von Kloster und Welt. Vgl. G. Melville, Die Welt der mittelalterlichen Klöster. Geschichte und Lebensformen, München 2012, besonders 13–52 (1. Die Anfänge; 2. Die Benediktsregel und ihr Fortleben) sowie 271–317 (17. Grundstrukturen der Vita religiosa im Mittelalter). 384 Zunächst an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingoldstadt angesiedelt, befindet sie sich jetzt an der Technischen Universität Dresden, vgl. dazu grundlegend G. Melville/ A. Müller (Hg.), Mittelalterliche Orden und Klöster im Vergleich. Methodische Ansätze und Perspektiven (Vita regularis 34), Münster 2007; vgl. auch http://www.fovog.de, eingesehen am 11. 11. 2015. 385 Vgl. G. Melville/A. Müller (Hg.), Female vita religiosa between Late Antiquity and the High Middle Ages. Structures, developments and spatial contexts (Vita regularis 47), Münster 2011, darin besonders S. Haarländer, Innumerabiles populi de utroque sexus confluentes […]. Klöster für Männer und Frauen im frühmittelalterlichen Irland, 137–150 (anhand von Brigida von Kildare); S. Foot, Flores ecclesiae. Women in Early Anglo-Saxon Monasticism, 173–185 (am Beispiel des Doppelklosters Barking); S. Weinfurter, »Überall unsere Heiligste Mutter Walburga«. Entstehung, Wirkkraft und Mythos eines europäischen Heiligenkults, 187–206 (Walburga hatte das Doppelkloster Heidenheim geleitet).

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Entfaltungen christlichen Lebens 1: Das Thema Mönchtum

Forschungen ist auch ein Band mit Aufsätzen von Franz Josef Felten zu verorten, der sich intensiv mit dem Leben weiblicher Religiosen beschäftigt hat.386

All diese und weitere Forschungsergebnisse sind zusammen zu betrachten, um ein forschungsgestütztes Gesamtbild des Mönchtums im frühen Mittelalter zu erlangen, das dem Befund der Romane gegenübergestellt werden kann. Zeitlicher Schwerpunkt hierbei ist, wie in den Romanen, die Epoche vom Beginn des achten bis zum Beginn des zehnten Jahrhunderts, die Karolingerzeit und -herrschaft. Der lokale Fokus liegt auf der Entwicklung auf dem Festland, wobei ein Seitenblick auf das Leben in Irland und England gerichtet wird. In der folgenden Darstellung ist als Basis zuerst das Selbstverständnis des frühmittelalterlichen Mönchtums zu klären: die Vorstellung des Gottesmenschen, das Einwirken kultischer Reinheitsvorstellungen sowie die Idee der Gotteskindschaft, und damit zusammenhängend Motive für den Eintritt ins Kloster. Danach steht die Benediktsregel im Mittelpunkt, welche im Laufe des Frühmittelalters, auch gelenkt durch die Karolinger, immer mehr zur Norm klösterlichen Lebens wurde. Im Kontext der Normierung gemeinschaftlichen Lebens zu sehen ist auch die allmähliche Trennung von Kloster und Stift. Zuletzt werden die Lebensinhalte der Religiosen untersucht, die auch sozialgeschichtliche Wirkungen zeigten: Gebet und Memoria als Hauptaufgaben der Mönche und Nonnen, sowie das klösterliche Arbeitsethos und die damit zusammenhängende Schriftlichkeit, welche im Kontext der karolingischen Renaissance steht. Schließlich werden Bezüge des Mönchtums zum Adel und politische Verstrickungen einmal mehr das gesellschaftliche Eingebundensein der Klöster verdeutlichen. Aspekte des Klosterlebens von Frauen werden an den entsprechenden Stellen einbezogen. Insgesamt wird sich an verschiedensten Stellen zeigen, wie einfachkulturelle Logiken Einfluss auf das Mönchtum des frühen Mittelalters nahmen. Hintergrund ist ein zivilisationsgeschichtlicher Prozess: In der Folge des militärischen und zivilisatorischen Zusammenbruchs des Imperium Romanum im Westen ab dem vierten Jahrhundert n. Chr. wurden Städte entvölkert und antike Schulen und Universitäten aufgeben. In die aufgelassenen Regionen gelangten weithin schriftlose Germanenvölker. Der Hoch- und Buchreligion Christentum fehlten durch den gesamtgesellschaftlichen Rückgang an Bildung nun wichtige Voraussetzungen, was zu einem Niedergang der Reflexionstheologie führte. An deren Stelle traten im Rahmen des Zusammentreffens mit den Einfachkulturen 386 Vgl. F. J. Felten, Vita religiosa sanctimonialium. Norm und Praxis des weiblichen religiösen Lebens vom 6. bis zum 13. Jahrhundert. Hg. von C. Kleinjung aus Anlass des 65. Geburtstags von F. J. Felten (Studien und Texte zur Geistes- und Sozialgeschichte des Mittelalters 4), Korb 2011. Er gibt einen Überblick zur Entwicklung der Frauenklöster im Frankenreich bis zum Beginn des neunten Jahrhunderts.

Forschungsüberblick Mönchtum

283

der Völkerwanderung primärerreligiöse Überzeugungen und Praktiken, die das Neue Testament bereits überwunden hatte. Unter anderem wurde die Entsprechung von menschlicher Leistung und göttlicher Gegenleistung nun wieder hochgeschätzt, die kultische Reinheit dominierte erneut gegenüber der ethischen Reinheit. Solche Logiken lebten die Mönche allen Christen vor.

2.2

Das Modell des Gottesmenschen

Zum Verständnis des Mönchtums sind zunächst mentalitätsgeschichtliche Hintergründe wichtig. Was ist ein Mönch bzw. eine Nonne? Warum lebt ein Mensch im Kloster? Was lässt sich über das Selbstverständnis des Mönchtums sagen? Welche Rolle spielte das Mönchtum in der frühmittelalterlichen Gesellschaft? Dabei muss auch auf Verstehensmodelle aus der Spätantike zurückgegriffen werden, zuallererst auf das Ideal des Gottesmenschen. Ein wichtiges Muster, nach dem Heilige »inszeniert« wurden, und das besonders das Mönchtum bestimmt hat, ist das religionsgeschichtliche Modell des Gottesmenschen, des Vir Dei. Dabei handelt es sich um einen Menschen, in dem Gottes Kraft und Wahrheit wohnt.387 Die antike Gestalt des Heros wirkte auf das Christentum ein. Im Vergleich zum antiken Heros gehen die Christen allerdings davon aus, dass der christliche Gottesmensch seine Kraft nicht aus sich selbst bezieht, sondern von Gott erhält. Wichtig ist die Vorstellung einer Äquivalenz: Gebet wie Askese, überhaupt alle gottgefälligen Werke gelten als Verdienste bei Gott, der daraufhin als Lohn die Wunderkraft gewährt. Bereits das Alte Testament spricht vom Gottesmann, und auch Jesus wird als Gottesmensch gedeutet. Verehrt wurden in der frühen Kirche zunächst die Märtyrer, die Christus bis in den Tod gefolgt waren. Als das blutige Martyrium nach dem Ende der Verfolgungen nicht mehr zu erlangen war, rückte – im Sinne eines »Äquivalents« – die Abtötung durch körperliche Askese in den Mittelpunkt. In diese Abtötung konnten dualisierende Ideen und Praktiken einfließen: Nahrungs- und Schlafentzug, Kasteiung, Vernachlässigung der Körperhygiene, Unterdrückung des Geschlechtsempfindens. Als sich im vierten Jahrhundert das Mönchtum herausbildete, wurde die geschlechtliche Enthaltsamkeit, eine »Voraussetzung für ein übendes, eben asketisches Leben«, so Arnold Angenendt, dabei ungefragt übernommen, und war vom allgemeinen Geistesklima her so selbstverständlich, »dass etwa Benedikt oder auch andere monastische Regelverfasser diesen Ver387 Vgl. zum Gottesmenschen z. B. die entsprechenden Kapitel in Angenendt, Geschichte, 160– 166, oder A. Angenendt, Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, 2., überarbeitete Auflage Hamburg 2007, 69–88.

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Entfaltungen christlichen Lebens 1: Das Thema Mönchtum

zicht gar nicht erst erwähnten«.388 Wegen ihres Radikalverzichts galten die Asketen als besondere Freunde Gottes, welche die Himmelskraft vergegenwärtigten. Deshalb wurden sie verehrt und angefleht. Der Althistoriker Peter Brown389 hat herausgearbeitet, dass bereits die Spätantike nach außergewöhnlichen Menschen, Trägern göttlicher Macht auf Erden, Ausschau gehalten und bei ihnen Fürsprache und Schutz gesucht hatte. Beim Zusammenbruch der antiken Zivilisation und ihrer staatlichen Organe blieb nur die Kirche als Institution erhalten. Die Heiligen fungierten als Patrone: Sie rückten in das Vakuum ein, wobei die säkularen Klientelverhältnisse auf sie übertragen wurden. Der Gottesmann auf Erden bzw. der Patron im Himmel steht zwischen Gott und den Menschen. Als Heilsmittler – Interzessor – stellt er sich vor den Sünder, auch um die Strafe Gottes von ihm abzuwenden, und steht als Fürbitter mit seinen Verdiensten für ihn ein. In der ersten christlichen Mönchs- und Heiligenvita überhaupt wird der ägyptische Einsiedler Antonius, im Jahr 356 verstorben, als Gottesmann vorgestellt: Athanasius († 373) sieht in ihm die Vollkommenheit der alttestamentlichen Propheten, der Apostel und der Märtyrer vereinigt. Durch Weltflucht und Askese erlangt er vollkommene Herzensreinheit, durch sein unerschütterliches Vertrauen auf Gott Verdienste bei ihm. Antonius steht nahe bei den Engeln und bei Gott und darf sich Großes von ihm erbitten. Auf sein Gebet hin erhält Antonius von Gott die Virtus, so dass er alle Anfechtungen von Teufeln und Dämonen bestehen und Wunder wirken kann. – Im Westen beschreibt Sulpicius Severus († um 420) den 397 verstorbenen Martin von Tours in seiner dem ganzen Mittelalter vorbildlichen Vita als Gottesmann: Martin betet vor seiner ersten Totenerweckung. Er spürt die Kraft des Herrn, erwartet die Frucht seines Gebetes und der göttlichen Barmherzigkeit. Im Toten regt sich schließlich wieder Leben. Martin tut das Wunder nicht aus eigener Kraft, es ist Gottesgabe, aber zugleich Frucht des Gebetes und des Vertrauens auf Gottes Hilfe, es beruht auf menschlichen Voraussetzungen. Da die Wundermacht immer der zuvor geleisteten Askese entsprach, galt Verdiensterwerb als vorrangig, sogar in der Leistung abzählbar und bei Gott einklagbar. Stellte Brown besonders den heiligen Mann heraus, hat Gisela Muschiol (in Bezug auf die Merowingerzeit) erarbeitet, dass heilige Frauen nicht weniger mächtig waren. Asketinnen, sofern sie nur verdienstvoll lebten, konnten in 388 A. Angenendt, Kloster und Stift. Das Motiv der kultischen Reinheit als Ferment ihrer Entwicklung (Xantener Vorträge zur Geschichte des Niederrheins Heft 6), Duisburg 1992, 4. 389 Vgl. z. B. P. Brown, Aufstieg und Funktion des Heiligen in der Spätantike, in: Ders., Die Gesellschaft und das Übernatürliche. Vier Studien zum frühen Christentum. Aus dem Englischen von Martin Pfeiffer (Kleine kulturwissenschaftliche Bibliothek), Berlin 1993, 21– 47; P. Brown, Die letzten Heiden. Eine kleine Geschichte der Spätantike. Aus dem Englischen von Holger Fliessbach, Frankfurt am Main 1995.

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gleicher Weise wundertätig werden wie Männer. »Durchaus gleichgestellt mit dem vir Dei und seiner Rolle als dem Vermittler göttlicher virtus übernimmt auch die famula Dei genau jene Aufgaben, die vom vir Dei bekannt sind: Heilungen, Segnungen, sogar Totenerweckungen«.390 Wie Martin von Tours hätten sich Genovefa († um 502) und Radegundis († 587) zu Gebet und Fasten zurückgezogen, um wieder neu göttliche Kraft zu speichern, und ihre »virtus« mittels Handauflegung, Gebet, Kreuzzeichen und Segen übermittelt. Das Bild des Vir Dei und der Famula Dei wurde im weiteren Verlauf besonders für das irische Mönchtum zentral. Die Vita des aus einer Königsfamilie stammenden Columban des Älteren († 597) z. B. stellt ihn als universalen Helfer dar. Jonas von Bobbio († nach 659) zeichnet Columban den Jüngeren († 616) als Gottesmann. Aufgrund ihrer harten Askese wie Fasten, Nachtwachen, Kniebeugen, Stehen mit ausgebreiteten Armen oder im kalten Wasser, und aufgrund ihres hohen Gebetspensums erwiesen sich die irischen Mönche als die besseren und wirkmächtigeren Fürbitter und Heilsmittler. Deshalb wurden ihre Klöster als mächtige Heilstätten zu Seelsorgezentren und zur Konkurrenz für die bischöflichen Diözesen. Wie bereits in Kapitel IVangesprochen, nahmen die irischen Mönche in ihrem asketischen Eifer zudem die Peregrinatio, die Heimatlosigkeit um Christi Willen, freiwillig auf sich. Indem die Iren ihre Insel verließen, trugen sie die Eigenarten ihres Christentums zu den übrigen abendländischen Christen, etwa das irische Bußwesen, niedergelegt in Bußbüchern. Kennzeichnend sind die Wiederholbarkeit der Buße, das Fasten als Hauptbuße, der hauptsächlich strafende statt bessernde Charakter der Buße sowie die Verknüpfung jeder Sünde mit Bußtarifen, die auch umgerechnet oder durch einen bezahlten Stellvertreter wie einen Mönch abgeleistet werden konnten. Die Tat wog bei der Bußzumessung insgesamt schwerer als die Intention. Wurde Gott im Neuen Testament noch als gnädig und alles verzeihend gezeichnet, kehrt das irische Bußsystem zu einer ursprünglicheren Auffassung von göttlicher Gerechtigkeit zurück, bei der vor allem die Vergeltung für eine Tat zählt. Das äußere Werk und die zählbare Leistung beginnen nun zu überwiegen. Columban der Ältere gelangte bis zu den Pikten, wo er das Kloster Iona gründete, das zum Zentrum eines Klosterverbandes wurde. Columban den Jüngeren und seine zwölf Gefährten führte die Peregrinatio sogar bis auf den Kontinent. Dort entstanden Klöster und es kam in der Folge zu Missionsinitiativen.391 390 Muschiol, Famula, 373, Kursivsetzung im Original. 391 Zur Peregrinatio vgl. A. Angenendt, Monachi Peregrini. Studien zu Pirmin und den monastischen Vorstellungen des frühen Mittelalters (Münstersche Mittelalter-Schriften 6), München 1972. Speziell zu Columban vgl. K. Schäferdiek, Columbans Wirken im Frankenreich (591–612), in: Löwe (Hg.), Iren. Teilband 1, 171–201; F. Prinz, Die Rolle der Iren beim Aufbau der merowingischen Klosterkultur, in: Löwe (Hg.), Iren. Teilband 1, 202–218.

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Entfaltungen christlichen Lebens 1: Das Thema Mönchtum

Die »Gottesmänner« Martin von Tours und Columban der Jüngere wurden zu entscheidenden Gründungsgestalten und Vorbildern für das westliche Mönchtum. Der Mittelalterhistoriker Friedrich Prinz hat eine Phaseneinteilung des frühen Mönchtums im Frankenreich unternommen, die den beiden genannten Persönlichkeiten eine prominente Rolle zuweist: Die erste, bis 590 reichende Phase, das altgallische Mönchtum, unterteilt er in das martinische Mönchtum, das sich auf Tours und Aquitanien erstreckt, und das Rhonemönchtum, mit Lérins als Zentrum, eine Hochburg spätantiker Aristokraten. Als zweite Phase, die bis ca. 690 reicht, und als Beginn des Mittelalters im monastischen Bereich, sieht Prinz das durch eine Verbindung mit dem fränkischen Adel gekennzeichnete iro-fränkische Mönchtum. Die dritte Phase, das angelsächsisch-karolingische Mönchtum, bis ca. 768 anzusetzen, charakterisiert er als benediktinisch bestimmt und politisch eng an die aufsteigenden Karolinger gebunden, wobei Klöster als missionarische Stützpunkte dienten.392 Die Verbindung des Mönchtums zum Adel und zur Herrscherfamilie sollte die weitere Entwicklung begleiten und in der Zeit der karolingischen Renaissance zur vollen Ausprägung gelangen. Bis zu dieser Zeit sollte sich auch die Benediktsregel als führende Norm des Klosterlebens durchgesetzt haben.

2.3

Einwirkung von Reinheitsvorstellungen

Bestimmend griffen auf das Mönchtum kultische Reinheitsvorstellungen über, die auch für andere Bereiche des frühmittelalterlichen Lebens prägend wurden. Während das Neue Testament vom Konzept der ethischen Reinheit geprägt ist (nur das, was aus dem Herzen kommt, macht den Menschen unrein – vgl. Mt 15,17f.), hat sich, trotz anders lautender Anweisungen etwa von Papst Gregor dem Großen († 604), zum Frühmittelalter hin eine ursprünglichere, schon in der antiken Kultpraxis vorfindliche Auffassung von »Befleckung« (Pollutio) und Reinheit durchgesetzt. Das Motiv der kultischen Reinheit sieht Arnold Angenendt als »Ferment« der Entwicklung des Klosters und später des Stifts. Im Alten Testament ebenso wie in vielen antik-heidnischen Riten finde sich die Vorstellung, dass Kult nur von »unbefleckten« Menschen ausgeübt werden darf. Der Kontakt etwa mit bestimmten Speisen, Geburt, Tod und vor allem Sexualität wirkt befleckend, macht kultunfähig und muss entsühnt werden. Archaische Vorstellungsweisen zeigen sich darin, dass die Sexualstoffe wie das weibliche 392 Vgl. F. Prinz, Frühes Mönchtum im Frankenreich. Kultur und Gesellschaft in Gallien, den Rheinlanden und Bayern am Beispiel der monastischen Entwicklung (4. bis 8. Jahrhundert), 2., durchgesehene und um einen Nachtrag ergänzte Auflage Darmstadt 1988 (1. Auflage 1965).

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Menstruationsblut oder der männliche Samen an sich als verunreinigend gelten.393 Hubertus Lutterbach betont, das Selbstverständnis der mittelalterlichen Mönche habe weitgehend in der Überzeugung der zu wahrenden kultischen Reinheit gewurzelt: »Die Mönche waren um die Beachtung der sexuellen Reinheit bemüht, suchten seit ihren Anfängen eine von aller Pollution freie vegetarische Lebensweise zu verwirklichen und waren bestrebt, die Liturgie ohne – durch Tabuübertretungen zustande gekommene – kultische Verunreinigungen zu feiern«.

Für Lutterbach vermag besonders das Mönchtum zu veranschaulichen, »dass sich das Mittelalter in grundlegenden Hinsichten als ›pollutio-ridden system‹ charakterisieren lässt«.394 Der Mediävist Albrecht Diem bilanziert entsprechend: »Das Kloster als Kampfarena entwickelte sich zum Ort garantierter und weithin sichtbarer Abwesenheit von Sex, sicher gestellt durch Architektur, strenge Grenzen zur Außenwelt und maximale gegenseitige Kontrolle«.395 Im Postulat der »reinen Hände« sieht Arnold Angenendt eine Zuspitzung der sexuellen Reinheitsvorschriften. Wie in vielen Religionen erscheint auch in der Antike das Gebot, vor Gebet und Opfer die Hände zu waschen. Von den Altardienern wurde eine besondere Reinheit, meist sexuelle Enthaltsamkeit, verlangt. Während sich mit steigender Ethisierung die Rede von den »reinen Händen« zur Metapher wandelte und eine Reinheit des Herzens verlangt wurde, kam in der Spätantike und besonders zum Frühmittelalter hin ein fast verdinglicht-archaisches Verständnis auf, wonach jede Art von sexueller Berührung die Hände verunreinigt und kultunfähig macht. In diesem Kontext sieht Angenendt auch die Einführung einer Handsalbung während der Priesterweihe in karolingischer Zeit, den Brauch des Händewaschens während der Messfeier sowie die Mundkommunion.396 Dass alles Heilige nur mit reinen Händen berührt werden dürfe, habe zur Verpflichtung der Priester auf Reinheit, letztlich zum Zölibat, geführt: »Die ideale Erfüllung dieser Erwartungen bot das Kloster, und tatsächlich ge393 Vgl. Angenendt, Kloster, 4–8. – Ausführlich zur Pollutio und besonders zu ihrer Einwirkung auf die Eucharistiefeier vgl. A. Angenendt, Pollutio. Die »kultische Reinheit« in Religion und Liturgie, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 52 (2010) 52–93. 394 H. Lutterbach, Das Mittelalter – Ein »Pollutio-Ridden System«? Zur Prägekraft des kultischen (Un-)Reinheitsparadigmas, in: P. Burschel/C. Marx, Reinheit (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Anthropologie e.V. 12), Wien u. a. 2011, 157–176, 158. 395 A. Diem, Die Wüste im Kopf, Askese und Sexualität in Spätantike und Frühmittelalter, in: R. Ammicht-Quinn (Hg.), »Guter« Sex: Moral, Moderne und die katholische Kirche, Paderborn u. a. 2013, 31–42, 37. Ausführlich dazu vgl. A. Diem, Das monastische Experiment. Die Rolle der Keuschheit bei der Entstehung des westlichen Klosterwesens (Vita regularis 24), Münster 2005. – Siehe auch unten zur Thematik der strengen Klausurvorschriften für Frauen. 396 Vgl. Angenendt, Kloster, 13–15.

288

Entfaltungen christlichen Lebens 1: Das Thema Mönchtum

wann das klösterliche Lebensideal bald auch für die Priester allgemeine Verbindlichkeit«.397

2.4

Mönche als besondere Gotteskinder

Eine weitere, für das Klosterleben wichtige Vorstellung ist die vom Mönch als besonderem Gotteskind, zumal sie von der kultischen Reinheitsidee deutlich durchzogen ist. Über die zuvor dargestellte »Verwirklichung der engelgleichen und sexualitätsfreien Lebensweise« hinaus habe das Ideal der Mönche und Asketen seit altkirchlicher Zeit in der »Revitalisierung der neutestamentlichen Gotteskindschaft« bestanden, so Hubertus Lutterbach. »Während die einmal getauften Christen in der Welt die Gotteskindschaft im ursprünglich-neutestamentlichen Sinne in der Grundhaltung der Empfangsbereitschaft zu verwirklichen suchten«, sahen die Mönche ihre Gotteskindschaft »umso wirkkräftiger umgesetzt, je mehr sie sich in den von ihnen obenan gesetzten Ausdrucksformen der Weltverneinung […] leistungsasketisch bewährten«.398 Das Mönchsgelübde sei als zweite Taufe gesehen worden, da sowohl bei der ersten als auch bei der zweiten Taufe die Zusage erst auf die dreifache Absage hin gefolgt sei. Die Mönche hätten in Anspruch genommen, dass die zweite Taufe, Ausdruck der Weltdistanzierung, die erste an Heilswirkung weit übertrifft. Somit verstanden sie sich als die per se besseren Christen, als besondere Gotteskinder. Ihre Mitmenschen schätzten diese »christiani perfecti« als himmelsnahe und daher besonders wirkmächtige Heilsmittler. Eine zeitlich frühere Parallele zu dem um Weltdistanz bemühten monastischen (Gottes-)Kinderideal sieht Lutterbach darin, dass Kinder im Hellenismus als Träger heidnischer Liturgien fungierten, wofür sie äußerlich schön und vom Kontakt mit Sexualität und Tod frei sein mussten. Der damaligen Vorstellung nach erhörte Gott erstrangig die Bitten der reinen Kinder. Die enge Verbindung der gottgleich gestimmten Kinder mit dem Himmel erklärte die vielfältige Aufnahme von Kindern, die den Vorzug sexueller Unberührtheit aufwiesen, in die

397 Angenendt, Kloster, 17. Als wichtige Stationen sieht Angenendt Augustinus und seine für das klerikale Gemeinschaftsleben vorbildliche Regel, außerdem Caesarius von Arles, der seine Kleriker hauptamtlich mit dem Gottesdienst befasste, sowie das Modell der englischen »Kathedralklöster«, das auf den Kontinent übertragen wurde. 398 H. Lutterbach, Das Mönchtum – Zwischen Weltverneinung und Weltgestaltung, in: J. Fried/ O. B. Rader (Hg.), Die Welt des Mittelalters. Erinnerungsorte eines Jahrtausends, München 2011, 433–447, 438.

Forschungsüberblick Mönchtum

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Klöster.399 Dem Ideal kindlicher sexueller Reinheit blieben ebenso die alten Mönche verpflichtet. In der besonderen Gotteskindschaft sieht Lutterbach auch die Wurzel der seit dem Hochmittelalter sogenannten Evangelischen Räte, die den Mönchen als Verwirklichung der Weltferne gegolten hätten: Der Mönch sollte im Sinne der Gütergemeinschaft arm sein wie ein Kind, sexuell rein und gehorsam wie ein Kind. Auch äußerlich, anhand der Tonsur, eines Ritus der ersten und der zweiten Taufe (des Mönchsgelübdes), und der Kapuze, Kinderund Taufgewand zugleich, habe sich die besondere Gotteskindschaft der Mönche gezeigt.400

2.5

Mönchwerdung von Kindern und Erwachsenen

Wuchsen Kinder schon seit Beginn des Mönchtums im Kloster auf, kam es zum Frühmittelalter hin zu ihrer verstärkten Aufnahme. Die Benediktsregel kennt einen eigenen Ritus für die »Aufopferung« von Kindern. Als Vorbild und Rechtfertigung diente die im Alten Testament geschilderte Darbringung des Samuel im Tempel (vgl. 1 Sam 1,1–28).401 Entsprechend einer archaischen Opferlogik, hinter der wiederum die Logik des kosmischen Gleichgewichts zwischen Himmel und Erde steht, können die Eltern durch Oblation ihres Kindes ihre Sünden tilgen und Gnade erlangen. Das Erbteil des Kindes wurde dem Kloster ausgehändigt. Neben der Gewährleistung ihrer kultischen Reinheit im Kloster ist zu bedenken, dass Kinder lernfähiger als Erwachsene waren, z. B. in Bezug auf das fremde Latein und die notwendige Schreibtätigkeit. Gisela Muschiol erläutert: »Kinder zumeist adeliger Eltern wurden von diesen ins Kloster gegeben, um dort eine Ausbildung zu erhalten, so dass sie entweder nach ihrem Eintritt ins Erwachsenenalter im Kloster bleiben und den Gebetsdienst für die Familie übernehmen oder dank der im Kloster genossenen Erziehung für die Familie tätig sein konnten«.402

399 Laut Muschiol, Famula, 371f., hat das »Institut der puella oblata« im merowingischen Gallien eine weite Verbreitung gekannt. Kraft ihrer »von Kindheit an bewahrten ›Reinheit‹« sei der Dienst dieser Mädchen besonders wichtig für das Kloster und die von ihm zu leistende Fürbitte gewesen. Kursivsetzung im Original. 400 Vgl. Lutterbach, Mönchtum, 439–441. 401 Die Oblation hat besonders die niederländische Mittelalterhistorikerin Mayke de Jong untersucht, vgl. M. de Jong, In Samuel’s image. Child oblation in the Early Medieval West (Brill’s studies in intellectual history 12), Leiden u. a. 1996. Vgl. des Weiteren M. K. von Pföstl, Pueri oblati. Eine historisch-anthropologische Untersuchung des Reifealters. Band I Spätantike und frühes Mittelalter, Kiel 2011. 402 Muschiol, Königshof, 101.

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Das Leben im Kloster sei auch ein Garant für ein einigermaßen versorgtes und längeres Leben gewesen, da die Ressourcen der Klöster normalerweise auch in schwierigen Zeiten ausgereicht hätten. Trotz vereinzelter Kritik wird im Frühmittelalter an der Verbindlichkeit des elterlichen Versprechens im Blick auf das Leben der geopferten Kinder festgehalten: Hrabanus Maurus († 856) z. B. betont angesichts der Kontroverse mit dem Mönch Gottschalk († um 866), der das Kloster als Erwachsener wieder verlassen will, dass dieses Geschenk Gott nicht wieder weggenommen werden kann.403 Erst zum Hochmittelalter hin wird die Kindsoblation grundsätzlich diskutiert; als Ausdruck einer wieder vermehrten Orientierung an der Antike rückt der Aspekt der freien Entscheidung erneut in den Mittelpunkt. Die freiwillige Mönchwerdung von erwachsenen Kandidaten im Bereich des westlichen Frühmittelalters hat Hubertus Lutterbach anhand von Klosterregeln, Rechtsquellen, Heiligenviten, Briefen, Kommentaren und Urkunden untersucht. Drei Beweggründe würden dort genannt, »die Verlegung eines seit Kindheit gottesfürchtigen Lebens als puer senex in das Kloster, die unvorhergesehene Begegnung mit einem Gottesmann, vor allem aber die Erinnerung an die biblischen Berufungsworte«.404 Nahezu alle Zeugnisse würden die Schilderung der Klosteraufnahme mit dem Doppelschritt einer Abkehr von der Welt und einer Hinkehr zum Kloster einleiten. In Bezug auf Details zur Eigentumsentäußerung und zur monastischen Einkleidung sei die Überlieferung lückenhaft. Im Gegensatz zu den Regeln werde das klösterliche Kleid in den Viten keineswegs eindeutig als monastisches Signum angesehen. Die Tonsur sei im Frühmittelalter zum wichtigsten Zeichen für den Eintritt in das Mönchtum und allgemein in den klerikalen Stand avanciert und habe sich in unterschiedlichen Formen ausgeprägt. Im iro-fränkischen Mönchtum tonsurierten sich Asketen selbst. Eine einfach-kulturelle Logik zeigt der Streit im angelsächsischen Mönchtum über die richtige, heilsentscheidende Form der Tonsur: Gemäß des in einfachen Kulturen üblichen Gedankens »Ein Gott, ein Glaube, ein Ritus« konnte nur eine Form der Tonsur die »richtige« sein. Diese wurde im Gegensatz zur keltischen Form auf den Apostel und »Himmelpförtner« Petrus zurückgeführt. Zu den durchgängig bezeugten »Leitideen der frühmittelalterlichen Mönchwerdung« gehört laut Lutterbach, dass sie dem Eingreifen Gottes zugeschrieben wird. Die geschilderten Motivationen für einen Klostereintritt würden theo403 Vgl. S. Haarländer, Hrabanus Maurus und die Verbindlichkeit des Klostereintritts von »Kindermönchen«, in: F. J. Felten/B. Nichtweiß (Hg.), Hrabanus Maurus. Gelehrter, Abt von Fulda und Erzbischof von Mainz (Neues Jahrbuch für das Bistum Mainz. Beiträge zur Zeitund Kulturgeschichte der Diözese 2006), Mainz 2006, 159–176. 404 H. Lutterbach, Monachus factus est. Die Mönchwerdung im frühen Mittelalter. Zugleich ein Beitrag zur Frömmigkeits- und Liturgiegeschichte (Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinertums 44), Münster 1995, 334. Kursivsetzung im Original.

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zentrische Tendenzen spiegeln, wobei asketische Beweggründe die Oberhand behalten: »Mit dem Blick auf das Gesamtziel ihres Klostereintritts – das ewige Leben – sagten sich die zukünftigen Mönche los von ihrer eigenen Habe sowie von ihrem Eigenwillen und erfüllten im Kloster den Willen Gottes, der ihnen im Willen des Klostervorstehers gegenübertrat«.405

Insgesamt zeige sich in den Quellen ein Gottesbild, das die Furcht vor dem Gericht stärker akzentuiere als die neutestamentlich noch empfohlene Liebe gegenüber Gott und den Menschen.

2.6

Die Benediktsregel auf dem Weg zur Norm

In den bisherigen Ausführungen wurde die Benediktsregel bereits mehrfach genannt. Deren zunehmende Relevanz für das Klosterleben im frühen Mittelalter, auch gelenkt durch die Karolinger und ihre Klosterreform, ist nun näherhin zu erläutern. Für das abendländische Mönchtum wurde die Gestalt des Benedikt von Nursia bzw. dessen Regel zentral. Der Einsiedler, Abt und Klostergründer soll um 555 verstorben sein. Aufgrund des Problems, dass nur eine einzige Quelle, die »Dialoge« Gregors des Großen, Benedikt erwähnt, hat Johannes Fried in Frage gestellt, ob Benedikt überhaupt gelebt hat.406 Im Unterschied dazu verteidigen monastische Kreise und viele Forscher Benedikts Existenz. Große Bedeutung für die Entwicklung des Klosterlebens erlangte in jedem Fall die Benedikt zugeschriebene Regel. Wie sich gezeigt hat, ist diese abhängig von der zeitlich etwas früheren und vermutlich gleichfalls in Italien beheimateten Magisterregel. In die Benediktsregel gingen außerdem andere Regeln wie die östlichen von Pachomius († 347) und Basilius († 379) ein, auf Augustinus († 430) und Johannes Cassian († ca. 430) wird ebenfalls Bezug genommen. Im Abendland existierte seit dem vierten Jahrhundert eine Vielfalt von Mönchsregeln; erst im Laufe der Jahrhunderte sollte es zu einer Vereinheitlichung kommen. So verfasste der Ire Columban der Jüngere z. B. eine Regel, die im iro-fränkischen Mönchtum Geltung erlangte. Eben diese Regel Columbans wurde wohl bald mit der Benediktsregel kombiniert, die von einem ähnlichen Gehorsamsverständnis geprägt war. In einer solchen »Mischregel«, wie diese Vereinigung genannt wurde, konnten noch weitere mündlich oder schriftlich überlieferte »Regeln«, etwa 405 Lutterbach, Monachus, 341. 406 Vgl. J. Fried, Der Schleier der Erinnerung. Grundzüge einer historischen Memorik, München 2004, 344–357.

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Anteile einer Regel des Caesarius von Arles, enthalten sein. Der 542 verstorbene Bischof hatte die erste abendländische Nonnenregel verfasst. Benedikt und seine Regel gelangten keineswegs unmittelbar nach Benedikts Tod zu großer Bedeutung. Wie lange es dafür brauchte, hat Hubertus Lutterbach am Beispiel der Mönchwerdung gezeigt: Er hat herausgearbeitet, dass der eigentliche Akt der Aufnahme ins Kloster in der Magister- (differenziertes Aufnahmeversprechen) und der Benediktsregel (mündliche Promissio und schriftliche Petitio mit Akzentuierung des Gehorsams) am ausführlichsten geschildert wird. Davon ließen sich in den folgenden Jahrhunderten allerdings nur dünne Spuren nachweisen. Die benediktinische Weise der Klosteraufnahme habe sich wahrscheinlich erst mit den monastischen Reformbewegungen ab dem zehnten Jahrhundert mehr und mehr durchgesetzt.407 Je stärker sich die Benediktsregel durchsetzte, desto mehr wurden andere Formen verdrängt. Doppelklöster, das Umherziehen von Mönchen oder das Einsiedlertum waren mit der Benediktsregel kaum vereinbar. Zuvor hatten für längere Zeit unterschiedliche Auffassungen zwischen Irland und dem Kontinent bestanden. Den irischen Asketen hätte als Verwirklichung der Peregrinatio neben dem dauerhaften Ausharren in einem Kloster fern der Heimat auch der Wechsel von einem zum anderen Kloster (vor allem die iro-fränkische Hagiographie belege nicht selten mehrere Klostereintritte eines Bewerbers) oder gar das fortwährende Umherziehen gegolten, so Lutterbach. Letzteres »läuft allen untersuchten Mönchsregeln und Konzilsbeschlüssen entgegen, die das dauerhafte Verharren im einmal gewählten Kloster fordern«.408

Entscheidendes Movens für die Durchsetzung der Benediktsregel wurde die Romorientierung der angelsächsischen Mönche bzw. Missionare und der mit ihnen verbundenen Karolinger. Rom galt als Martyriumsort des Apostels Petrus, wichtig deshalb, weil man ihn im Besitz der Himmelschlüssel sah (vgl. Mt 16,19) und ihm somit heilsentscheidende Bedeutung zuschrieb. Durch die Erwähnung Benedikts in den »Dialogen« galt er als römischer und somit vorbildlicher Abt. Seine Regel wurde von Gregor dem Großen propagiert und deshalb als päpstlichrömisch herausgestellt. Auch die im Vergleich zu anderen Regeln große Ausgewogenheit der Benediktsregel mag zu ihrer Verbreitung beigetragen haben. Be407 Vgl. Lutterbach, Monachus, 335–341. Bei der Gestaltung des klösterlichen Alltags im Frühmittelalter habe man sich nicht nach schriftlichen Vorgaben gerichtet, sondern sich auf die »lebendige Autorität des Klostervorstehers« verlassen. – In Bezug auf die angelsächsischen Doppelklöster z. B. bemerkt D. B. Baltrusch-Schneider, Die angelsächsischen Doppelklöster, in: K. Elm/M. Parisse (Hg.), Doppelklöster und andere Formen der Symbiose männlicher und weiblicher Religiosen im Mittelalter (Berliner Historische Studien 18/Ordensstudien VIII), Berlin 1992, 57–79, diese seien keltischen, benediktinischen, fränkischen und römischen Einflüssen ausgesetzt gewesen, wobei die Äbtissinnen große Freiheiten gehabt hätten, ihre Regel auszugestalten. 408 Lutterbach, Monachus, 339.

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reits die Reformkonzilien des Bonifatius auferlegten jedenfalls den Klöstern die Benediktsregel. Karl der Große und besonders sein Sohn Ludwig der Fromme unternahmen sodann den Versuch, durch Synoden und Reichsgesetze der Benediktsregel reichsweit alleinige Geltung zu verschaffen. Eine wichtige Rolle spielte dabei der 821 verstorbene Benedikt von Aniane, der ein Kloster auf seinem Besitz gegründet hatte und schließlich einem Musterkloster bei Aachen vorstand, welche nach der Benediktsregel lebten. Nach ihm wurde die »anianische Reform« benannt. Kritik an diesem Begriff übt der Mittelalterhistoriker Dieter Geuenich. Seine kritischen Anmerkungen beziehen sich auch auf die Quellenbasis des Wissens von der monastischen Reformtätigkeit unter Ludwig dem Frommen und auf die Auswirkungen der Reformen Benedikts und seiner Mitstreiter. Er hält es für besser, den Begriff aufzugeben. Der Mittelalterhistoriker Josef Semmler selbst, der viele Erkenntnisse zu diesem Themengebiet erbracht hat, würde inzwischen von »karolingischer Klosterreform« sprechen. Geuenich meint, Benedikt sei nicht der Initiator der karolingerzeitlichen Verbrüderungsbewegung oder der karolingischen Klosterreform gewesen.409

In den frühmittelalterlichen Quellen lassen sich Mönche, Kleriker und Kanoniker insgesamt nur schwer unterscheiden. Sowohl in ihrer gemeinschaftlichen Lebensweise als auch in ihrer Funktion (mit dem Gottesdienst als zentraler Aufgabe) waren die verschiedenen Personen(gruppen) geistlichen Standes stark miteinander verzahnt, nicht zuletzt aufgrund der oben erläuterten Reinheitsvorstellungen, des für Klerus und Mönchtum gleichermaßen verbindlichen Ideals des asketisch-enthaltsamen Lebens.410 Eine deutliche Scheidung in rein klösterlich lebende Mönche und kanonisch lebende Seelsorger strebten bereits Bischof Chrodegang von Metz († 766) sowie Karl der Große an; festgelegt wurde sie schließlich – im Rahmen der Aachener Reformsynoden 816 bis 819 – durch Ludwig den Frommen, zusammen mit Benedikt von Aniane. Die Benediktsregel spielte hierbei eine wichtige Rolle, denn sie sollte das alleingültige Gesetz für die Mönche sein. Der gesamte nicht-monastische Klerus sollte sich einer einheitlichen Norm in Liturgie und Lebensführung unterstellen, der neugeschaffenen 409 D. Geuenich, Kritische Anmerkungen zur sogenannten »anianischen Reform«, in: D. R. Bauer et al. (Hg.), Mönchtum – Kirche – Herrschaft 750–1000 (FS J. Semmler), Sigmaringen 1998, 99–112. 410 Zur generellen Entwicklung vgl. J. Semmler, Mönche und Kanoniker im Frankenreiche Pippins III. und Karls des Großen, in: Max-Planck-Institut für Geschichte (Hg.), Untersuchungen zu Kloster und Stift (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 68/Studien zur Germania Sacra 14), Göttingen 1980, 78–111, sowie J. Semmler, Monachus – clericus – canonicus. Zur Ausdifferenzierung geistlicher Institutionen im Frankenreich bis ca. 900, in: S. Lorenz/T. Zotz (Hg.), Frühformen von Stiftskirchen in Europa. Funktion und Wandel religiöser Gemeinschaften vom 6. bis zum Ende des 11. Jahrhunderts (FS D. Mertens) (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 54), Leinfelden-Echterdingen 2005, 1– 18.

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»Institutio Canonicorum«. Eine Vergemeinschaftung des Klerus wurde betrieben, um so die kultische Reinheit zu garantieren, denn durch Unreinheit sah man das Heilshandeln als gefährdet an. Die Reglementierung der Lebensformen der Kanoniker und der Mönche entsprang einem Einheitswillen der karolingischen Herrscher und Reformer; sie sahen die Einheit des Reiches als Konsequenz der christlich gebotenen Glaubens- und Kircheneinheit an. Erst allmählich gelang eine Ausdifferenzierung und Scheidung in Klöster für die Mönche und Stifte für die Kanoniker, wie verschiedene Forschungsarbeiten deutlich machen.411 Unschärfen in Bezug auf Formen, Begriffe und Umsetzungen zeigen sich für Männer- und erst recht für Frauenkommunitäten. Der Mittelalterhistoriker Thomas Schilp konnte herausarbeiten, dass die Aachener Reformsynoden für die Differenzierung der Kommunitäten in Frauenklöster und -stifte lediglich eine normierende Orientierung gaben, deren praktische Ausgestaltung und Wirksamkeit nur als langfristiger historischer Prozess möglich war.412 Auch Franz Josef Felten, ebenfalls Mittelalterhistoriker, stellt heraus, dass es lange Zeit schwierig war, Konvente als Kanonissenstift oder Nonnenkloster zu identifizieren. Eine 813/816 gefundene Distinktion sei in der Sorge um den sittlichen Zustand der Frauenkonvente schlechthin zurückgetreten. Nach Feltens Eindruck ging es Bischöfen und Äbten vor allem darum, dass die Konvente nicht durch die Verletzung der Klausur in Verruf gerieten.413 Die Schwierigkeit einer Übertragung der Benediktsregel auf das religiöse Frauenleben im Frankenreich des neunten und zehnten Jahrhunderts hat Katrinette

411 Das zeigen z. B. viele Aufsätze des Sammelbandes Lorenz/Zotz (Hg.), Frühformen: Mehrere Regionen wie Schwaben, die Bistümer Konstanz und Chur oder die Reichenau werden beispielhaft untersucht in diesem Tagungsband zu frühmittelalterlichen Formen religiöser Gemeinschaften klerikal-kanonikaler wie monastischer Ausrichtung, vgl. besonders S. Lorenz, Frühformen von Stiften in Schwaben, 287–313; R. Kaiser, Das Bistum Chur und seine Frauenklöster und Klerikergemeinschaften, 315–337; H. Maurer, Ländliche Klerikergemeinschaft und Stift in karolingischer Zeit. Vergleichende Beobachtungen an Beispielen aus der Diözese Konstanz, 339–356; A. Zettler, Klösterliche Kirchen, Cellae und Stifte auf der Insel Reichenau, 357–376. 412 Bereits in den Quellen würden klare begriffliche Unterscheidungen fehlen. Der Status einer bestehenden Gemeinschaft könne häufig nicht eindeutig geklärt werden. Schilp empfiehlt, zunächst neutral von »religiöser Frauengemeinschaft bzw. -kommunität« zu sprechen. Vgl. T. Schilp, Norm und Wirklichkeit religiöser Frauengemeinschaften im Frühmittelalter. Die Institutio sanctimonialium Aquisgranensis des Jahres 816 und die Problematik der Verfassung von Frauenkommunitäten (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 137/Studien zur Germania Sacra 21), Göttingen 1998, 209–216. 413 Vgl. Felten, Vita, besonders Frauenklöster im Frankenreich. Entwicklungen und Probleme von den Anfängen bis zum frühen 9. Jahrhundert, 11–70, hier 70; Auf dem Weg zu Kanonissen und Kanonissenstift. Ordnungskonzepte der weiblichen vita religiosa bis ins 9. Jahrhundert, 71–92, hier 90–92.

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Bodarwé untersucht; sie kann dort keine durchgreifende Befolgung der Benediktsregel feststellen.414 Dass es im Laufe des Frühmittelalters zu strengen Klausurvorschriften kam, betonen mehrere Forscher: Gisela Muschiol stellt z. B. heraus, dass noch Lioba neben dem Kontakt zu ihrem Verwandten Bonifatius auf dem Kontinent Beziehungen zu Bischöfen und zum karolingischen Hof hatte. Ein Erfolg der bonifatianischen Reformen, die mit Hilfe der Missionarinnen in Gang gesetzt wurden, und in ihrer Nachfolge ein Erfolg der karolingischen Reformen sei allerdings die Zurückdrängung der Nonnen aus der Öffentlichkeit der Mission und Evangelisierung in die Privatheit der Klausur. Schon vor ihrem Tod habe Lioba ihr eigenes, gemeinsam mit Bonifatius praktiziertes Missionskonzept überlebt.415 – Auch die in der Einleitung genannten Aufsätze des Bandes »Female vita religiosa« analysieren verschiedene Versuche, nach einer relativ offenen und in ihren Formen vielfältigen Anfangszeit des Klosterlebens Kontakte zwischen religiösen Männern und Frauen zu unterbinden; Frauen sollten auf das Kloster beschränkt werden, sich nicht außerhalb bewegen oder dort Beziehungen pflegen.416

2.7

Gebet und Memoria als Hauptaufgabe der Klöster

Im Anschluss an diese Überlegungen zu den grundlegenden Organisationsnormen des Klosterlebens ist nun weiter nach der spirituellen Ausrichtung zu fragen. Wie war das Leben der Mönche und Nonnen, das sich immer stärker an der Benediktsregel orientierte, gefüllt? Was waren ihre Aufgaben? Die bereits für den Gottesmenschen zentrale Bedeutung des Gebets setzt sich fort, wobei die Entwicklung insgesamt vom Gebet des Einzelnen über das gemeinsame Stundengebet als Gotteslob hin zur Konventseucharistie als asketischem Dienst einer Mönchsgemeinschaft für die frühmittelalterliche Gesellschaft verlief.417 Fundamental für das Leben der Mönche war von Anfang an die neutestamentliche Forderung, ohne Unterlass zu beten (vgl. Lk 18,1; 1 Thess 5,17). Der dabei grundlegende Gedanke besagte, dass auf das Hören des Wortes Gottes die Antwort des Menschen im Gebet erfolgt. Die Anachoreten beteten jeder für sich den ganzen Tag bei der Arbeit. Die Zönobiten trafen sich außerdem zweimal täglich zum gemeinsamen Gebet, das vor allem aus einer Lesung der Psalmen und später noch weiterer Schrifttexte bestand, woran sich das private Gebet anschloss. Diese Form wurde von Johannes Cassian an den Westen überliefert. Aus dem syrischen Mönchtum kannte er weitere Gebetszeiten, woraus sich die 414 Vgl. K. Bodarwé, Eine Männerregel für Frauen. Die Adaption der Benediktsregel im 9. und 10. Jahrhundert, in: Melville/Müller, vita, 235–272. 415 Vgl. Muschiol, Königshof, 107f.111f. 416 Vgl. Melville/Müller (Hg.), vita. 417 Zum Folgenden vgl. Angenendt, Frühmittelalter, 101f.107–109.401–403.

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monastische Gebetsordnung der Zukunft entwickelte. In der Benediktsregel wird nun das gemeinsame Stundengebet anhand fester Texte zur wichtigsten Tätigkeit der Mönche, zum »Dienst Gottes«, wobei es nicht mehr um den Nutzen des Einzelnen, sondern um die Ehre Gottes geht. Der Psalm wird nicht länger vorgelesen, sondern gemeinsam gebetet. Überdies verdrängt er das persönliche stille Gebet. Daran, dass der alte Rhythmus von Hören und Antworten zerstört wird, zeigt sich der Wandel des Gebets zum geschuldeten Dienst. Im beschriebenen Rahmen erlangte das stellvertretende Gebet der Mönche immer stärkere Bedeutung. Zu vermehrten Gebetsleistungen sah sich das Kloster durch die Verbundenheit mit den Christen in der Welt verpflichtet. Dabei ging es um Fürbitte für die Obrigkeit, Sühne für die Sünden der Lebenden und Läuterungshilfe für die Verstorbenen.418 Mit der Zunahme der geistlichen Leistung der Totenmemoria und der stellvertretenden Buße in karolingischer Zeit vermehrten sich als materielle Gegenleistung auch die Zahlungen und Stiftungen an die Klöster. Ausdruck einer verstärkten Totensorge waren Gebetsbünde wie der von Attigny. Auch einzelne Klöster wie Sankt Gallen und Reichenau schlossen sich zu Gebetsverbrüderungen zusammen. Deren Ziel war ein gegenseitiges Eintreten für die verstorbenen Mitglieder, für Äbte, Bischöfe, Mönche, Kleriker und auch Laien, wofür die Mitglieder in Gedenkbücher eingetragen wurden.419 Vom privaten Laiengebet im alten Mönchtum ging die Entwicklung hin zur hochoffiziellen Liturgie im karolingischen Kloster, die wie in der Bischofskirche, sogar wie in Rom gefeiert werden sollte. Das Kloster sah sich nun im Mittelpunkt der offiziellen Kirche und ihrer Liturgie. Im Zentrum klösterlicher Liturgie standen nun das verfeierlichte Stundengebet und die Konvents-Eucharistie.

418 Vertiefte Kenntnisse zur Memoria haben insbesondere die Mittelalterhistoriker Karl Schmid und Joachim Wollasch erarbeitet, vgl. K. Schmid/J. Wollasch (Hg.), Memoria. Der geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter. Bestandteil des Quellenwerkes Societas et fraternitas (Münstersche Mittelalter-Schriften 48), München 1984. Schmid und vor allem Wollasch haben sich besonders mit der Erinnerungskultur in Cluny, aber auch in früheren Jahrhunderten, etwa mit den Verbrüderungsbüchern von Sankt Gallen und Reichenau, befasst. Beispiele dafür finden sich in K. Schmid, Gebetsgedenken und adliges Selbstverständnis im Mittelalter. Ausgewählte Beiträge. Festgabe zu seinem sechzigsten Geburtstag, Sigmaringen 1983, und J. Wollasch, Wege zur Erforschung der Erinnerungskultur. Ausgewählte Aufsätze, hg. von M. Sandmann, A. A. Häußling OSB und M. Black-Veldtrup. Bestandteil des Quellenwerkes Societas et fraternitas (Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinertums 47), Münster 2011. Als neueren Beitrag vgl. auch R. Berndt (Hg.), Wider das Vergessen und für das Seelenheil. Memoria und Totengedenken im Mittelalter (Erudiri sapientia 9), Münster 2013. 419 Mitterauer, Europa, 161.191–193, stellt die Verbindung der Papstkirche und des abendländischen Klosterwesens durch ihre überregionale Organisationsform heraus. Eine frühe Form des Zusammenschlusses von Mönchsgemeinschaften seien die Gebetsbünde zum Zweck des Totengedenkens. Als wichtige Voraussetzung für eine Verbandsbildung sieht er die Festlegung der Klöster des Karolingerreiches auf die Benediktsregel.

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Das gemeinschaftlich vollzogene Chorgebet war auch die wichtigste Aufgabe der Kanoniker-Stifte. Die Kanoniker durften Eigentum besitzen, sie mussten nicht lebenslang in der Gemeinschaft verbleiben oder dem Leiter, dem Propst, gehorchen. An den Bischofssitzen führte das Bemühen um eine Klaustrierung zur Bildung von Domstiften, Stifte entstanden auch an Heiligengräbern420 oder wurden von den Herrschern gegründet, die für ihre Hofkapelle eine Liturgie haben wollten und die Stiftskleriker die schriftliche Administration abwickeln ließen.421

Im Hintergrund steht die »Klerikalisierung der Klosterleute« – ein Parallelvorgang zur oben angesprochenen »Monastisierung des Klerus«, so die von Arnold Angenendt verwendete Begrifflichkeit. Gemeint ist: Während sich die monastischen Gemeinschaften zu Beginn als asketische Laiengruppen verstanden, die beim regulären Pfarrklerus die Sakramente empfingen, konstituierte sich mit Benedikt die Klostergemeinde als eine »selbständige Gottesdienst-Gemeinde«, die dem zuständigen Bischof untersteht.422 Am Ende eines Prozesses der »Verpriesterlichung« vom siebten bis zum neunten Jahrhundert habe es kaum noch Mönche ohne Priesterweihe gegeben. Das Priestertum war hoch angesehen, weil die Weihe in eine göttliche Sphäre versetzte und besondere Gnadengaben vermittelte. Dass eine Priesterweihe nun auch ohne direkten Bezug auf eine Seelsorgeaufgabe erlaubt war, sieht Angenendt in der vermehrten Wertschätzung der Messfeier begründet. Die alte Religionsvorstellung von Gabe und Gegengabe wirkte insofern auf die Eucharistie ein, als das dargebrachte Opfer erlaubte, Bitten an Gott zu stellen. Die Messfeier galt als intensivste Form der Fürbitte, sie vermittelte Gnade. Da die Messfeier »aber in ihrer Erlaubtheit und vielfach auch in ihrer Wirkung als abhängig von der Reinheit der Hände galt, mussten die Mönchspriester als die idealen Zelebranten erscheinen«.423 In der klösterlichen Liturgie sei nunmehr die Messfeier an die erste Stelle getreten, die großen karolingischen Klöster hätten bereits täglich zwei Konventsämter sowie zahlreiche Privatmessen der einzelnen Priestermönche gekannt. Dieser Prozess hatte auch Auswirkungen auf die weiblichen Religiosen: Gisela Muschiol hat den »Kern der monastischen Lebensform von Frauen«, »das tägliche Gotteslob, die Liturgie« in Bezug auf die merowingischen Frauenklöster in Gallien anhand von Klosterregeln, Konzilsentscheidungen, Bußbuchbestimmungen sowie Viten heiliger Frauen untersucht.424 Sie kommt zum Ergebnis, 420 Vgl. dazu D. Geuenich, Religiöse Gemeinschaften an Heiligengräbern, in: Lorenz/Zotz (Hg.), Frühformen, 19–30. Er unterscheidet Gemeinschaften, die sich am Grab eines Heiligen bilden, von solchen, die ihren Stifter oder Gründerabt zum Heiligen stilisieren. Auch Reliquientranslationen waren möglich. 421 Vgl. Angenendt, Kloster, 23f. 422 Angenendt, Kloster, 19. 423 Angenendt, Kloster, 20. 424 Muschiol, Famula, 1.

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dass die Beteiligung an der Liturgie in vielfältigen Formen unter den Schwestern selbstverständlich war. Die Verpflichtung zum Gebet sei der geschuldete Dienst der Schwestern für die Gesellschaft gewesen, welche den Frauen im Gegenzug militärischen Schutz und materielle Versorgung geboten hätte. Die innere Haltung der beständigen »meditatio« würde zusammen mit der äußeren Verpflichtung eine Überformung des Alltags mit Gebeten bedingen. An der Fürbitte füreinander und für Außenstehende scheine deutlich der Gedanke der »memoria« auf.425 Wenngleich Männer und Frauen im Bereich der spätantiken und mittelalterlichen Askese grundsätzlich als spirituell gleich und ebenbürtig angesehen wurden, kam es mit dem aufkommenden Ideal des Priestermönchtums zu Veränderungen für die weiblichen Religiosen. Die Totengebete der Frauen konnten mit den Totenmessen der Priestermönche nicht mehr konkurrieren. Während die Männerklöster in sakramenteller und liturgischer Hinsicht autonom wurden, waren die Frauenklöster nun auf die Sorge durch geweihte Männer mit priesterlichen Vollmachten angewiesen.426

2.8

Arbeitsethos und Schriftlichkeit

Zum Gebet kam als weiterer wichtiger Lebensinhalt der Mönche die Arbeit. Was in diesem Bereich in den Klöstern geschah und entstand, beeinflusste die kulturelle Entwicklung Europas, besonders gut erkennbar in der karolingischen Renaissance. Das bekannte Schlagwort »ora et labora« steht zwar nicht in der Benediktsregel, eine besondere Einstellung zur Arbeit, ein christliches »Arbeitsethos«, wie es Friedrich Prinz genannt hat, wurde jedoch wesentlich durch das Mönchtum gefördert.427 Wurde körperliche Arbeit in der aristokratisch geprägten Spätantike gering geschätzt und den Sklaven überlassen, pflegten bereits die Wüstenmönche permanente Handarbeit als Teil ihres Tagesablaufs. In der Benediktsregel heißt es, dass Müßiggang der Seele Feind ist (RB 48,1) und die Brüder dann wirklich Mönche sind, wenn sie von ihrer Hände Arbeit leben (RB 48,8). Arbeit wird hier 425 Vgl. Muschiol, Famula, 367–370. 426 Vgl. C. Nolte, Frauen und Männer in der Gesellschaft des Mittelalters (Geschichte kompakt), Darmstadt 2011, 97–107. – Baltrusch-Schneider, Doppelklöster, 75, meint, in der Epoche der angelsächsischen Doppelklöster seien Frauen mehr in die Liturgie eingebunden gewesen als in späteren Jahrhunderten. »Mit zunehmender Ausschließung der Frauen vom liturgischen Dienst verschwinden auch die Doppelklöster«. Als mögliche theologische Begründung der Doppelklöster sieht Baltrusch-Schneider die »Idee der Engelgleichheit, nämlich, dass durch das keusche Leben im Kloster alle Geschlechtsunterschiede aufgehoben sind«. 427 Vgl. F. Prinz, Askese und Kultur. Vor- und frühbenediktinisches Mönchtum an der Wiege Europas, München 1980, darin besonders den Abschnitt Mönchtum und Arbeitsethos, 68– 74.

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nicht als Mühsal, sondern grundsätzlich positiv gesehen. Als ein Mittel geistiggeistlicher Bildung dient sie dazu, die Seele des Mönchs zu formen. Zusammen mit dem Gebet füllte die Arbeit den Klosteralltag aus. Für die europäische Kulturgeschichte hat das Kloster eine große Bedeutung: In der mönchischen Arbeit, in einem asketischen, disziplinierten Leben, das eine ständige Selbstprüfung beinhaltete, liegen die Wurzeln der abendländischen Methodisierung der Lebensgestalt. Laut Jörg Lauster flossen »die vornehmsten Motive antiker Lebensphilosophie, asketischer Spiritualität und ernsthafter Christusnachfolge« in das Kloster ein. Diese Synthese habe ihm eine Kraft verliehen, »die es über Jahrhunderte zu einem der wichtigsten Antriebszentren der abendländischen und christlichen Kulturgeschichte machte«.428 Friedrich Prinz sieht die unaufhebbare Spannung zwischen mönchischer Weltentsagung und Wirken in der Welt als geheime Kraftquelle für die Möglichkeit und Wirksamkeit des Mönchtums.429 Er beobachtet, dass das bewusst am Rande der Gesellschaft angesiedelte und von einer christlich-asketischen Protesthaltung gegen die spätantike Weltzivilisation ausgehende Mönchtum »gleichsam wider Willen und entgegen dem eigenen asketischen Selbstverständnis in den Mittelpunkt der merowingischen und karolingischen Gesellschaft vorrückt«. Es wurde ein »tragendes Element der frühmittelalterlichen Adelsgesellschaft wie auch der materiellen Landesentwicklung«. Das benediktinische Mönchtum habe »die Kluft zwischen Römern und Barbaren geschlossen und damit das Jahrtausend mittelalterlicher europäischer Kultur mit heraufgeführt«.430

Zumindest in den Anfängen der iro-fränkischen Klosterbewegung legten die vielfach dem Adel entstammenden Mönche bei der Kultivierungsarbeit, die zum Landesausbau führte, selbst mit Hand an. In der Folge flossen den großen Klöstern als »Gegenleistung« für ihr Gebet immer mehr Landschenkungen von König und Adel zu. Das Kloster wurde zu einem Wirtschaftsunternehmen. In der Karolingerzeit waren die riesigen Ländereien der großen Klöster an den einzelnen Orten in Grundherrschaften mit Herrenhof und dienstpflichtigen Unter-

428 Lauster, Verzauberung, 142. 429 J. Wollasch, Mönchtum des Mittelalters zwischen Kirche und Welt (Münstersche MittelalterSchriften 7), München 1973, hat unter einem entsprechenden Titel eine Arbeit vorgelegt, die »als Entwurf auf das Ganze des Mönchtums im Mittelalter zielt« und sich den Grundfragen »Die Herrschaft der Äbte«, »Die klösterlichen Gemeinschaften« und »Die mönchische Bewegung«, sowie deren Zusammenhang und Entwicklung widmet (5). 430 Prinz, Askese, 90f. – L. J. R. Milis, Angelic Monks and Earthly Men. Monasticism and its Meaning to Medieval Society, Woodbridge 1999, hingegen ist der Meinung, die Rolle des Mönchtums als treibender Kraft der mittelalterlichen Welt und ihr Einfluss auf die Gesellschaft werde überschätzt. Weil das Mönchtum den eigentlichen Wert des Erdenlebens verneint und das Leben im Jenseits betont hätte, sei es als Kraft für sozialen Wandel fast wirkungslos gewesen.

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höfen organisiert.431 Die Klöster des Frankenreichs waren Zentren agrarischer Innovationen, z. B. in Bezug auf den für die Liturgie wichtigen Weinanbau, die Küchen- und Arzneipflanzen in ihren Gärten, die Imkerei, die Verbreitung der Wassermühle oder die Schriftlichkeit der Güterverwaltung.432 Die Erträge der Ländereien wurden im Kloster weiterverarbeitet. Dass dort Laien als Handwerker tätig waren, entsprach der karolingischen Klosterreform, welche die Mönche zuerst als Beter sehen wollte. Entsprechend ihrem Aufstieg zu Wirtschaftsbetrieben nahm auch die Sozialverpflichtung der Klöster zu. Aus einem Teil ihres Einkommens bestritten sie die stetig zunehmende und immer besser organisierte Armenfürsorge in ihren Hospitälern. Ein bis heute folgenreicher Ausdruck des klösterlichen Arbeitsethos ist die Schriftlichkeit, wodurch die Klöster zu besonderen Trägern, ja zu »Motoren« der karolingischen Renaissance wurden. Zuerst leisteten die irischen Mönche in der Buchkunst Großes. Bereits vor der Ankunft des Christentums hatte Irland eine Schriftkultur von hohem Rang besessen. Eine besondere Verehrung galt der Bibel, welche die Mönche auslegten und deren Handschriften sie mit Evangelistensymbolen, Ornamenten und ausgestalteten Initialen verzierten. Die Iren brachten ihre Schriftkultur auf den Kontinent. Die bedeutende Schreibtätigkeit, welche die iro-fränkischen Klöster entfalteten, wurde zu einem wichtigen Vorbild der karolingischen Renaissance.433 Die karolingische Bildungserneuerung ging vom Hof Karls des Großen aus, fand in den Klöstern aber sehr effektive Förderer. Vom archaischen Gedanken ausgehend, dass man Gott in rechter Weise dienen muss, um dadurch in genauer Entsprechung sein Wohlwollen für Reich und Kirche zu erlangen, sorgte sich Karl der Große um den rechten Gottesdienst und die richtigen Bücher. Aufgrund der religionsgeschichtlich urtümlichen Furcht, Gott beim Gottesdienst durch jeden kleinsten formellen und inhaltlichen Fehler zu beleidigen, erfolgte die Korrektur der heiligen Texte, die letztlich zu einem Formalismus führte. Das Schreiben, zu Beginn im Mönchtum noch als eine nebensächliche Aufgabe angesehen, wurde in den karolingischen Klöstern erstrangig. Die Produktion von Bibeln, Litur-

431 Zur Klostergrundherrschaft vgl. F. Prinz (Hg.), Herrschaft und Kirche. Beiträge zur Entstehung und Wirkungsweise episkopaler und monastischer Organisationsformen (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 33), Stuttgart 1988. 432 Mitterauer, Europa, 53, sieht einen großen Beitrag dieser agrarischen Innovationszentren, welche die fränkischen Königsklöster waren, zur Ausbildung der klassischen Grundherrschaft. 433 Mitterauer, Europa, 249, stellt den wichtigen Einfluss heraus, den die Iren über die Bußpraxis und die Buchproduktion, die eng mit ihrer Wander- und Missionspredigt verbunden waren, auch auf die mittelalterliche Predigtentwicklung hatten.

Forschungsüberblick Mönchtum

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giebüchern, theologischen Werken etc. erforderte große ökonomische Ressourcen.434 Unter den Musterkodizes, die Karl in Auftrag geben ließ, findet sich neben Sakramentaren, Rechtstexten oder der Benediktsregel auch die Vulgata. Für die Verbreitung dieses durch den Angelsachsen Alkuin († 804) korrigierten Bibeltextes sorgte auch das bedeutende Skriptorium des Klosters Tours. Alkuin, der als größter Gelehrter seiner Zeit galt, war der Leiter der Hofschule und formulierte als Karls wichtigster Berater in Staats- und Kirchenfragen auch dessen Regierungskonzept aus. War das frühe Mönchtum noch von einer Skepsis gegenüber antiken Schriften geprägt, verringerten sich mit größer werdendem zeitlichem Abstand die Vorbehalte. Die Skriptorien der Klöster waren an der Überlieferung und dem Erhalt vieler antiker Werke beteiligt, denn als Vorbild für die Berichtigung von Schrift, Sprache und Gottesdienst dienten die Quellen aus der christlichen Spätantike. Somit trug eine vor-aufgeklärte Logik maßgeblich zu einer der größten Bücher- und Textüberlieferungen aller Zeiten in Europa bei. Laut Friedrich Prinz spielten Sankt Gallen und die Reichenau eine wichtige Rolle für die Überlieferung sowohl antiker Bildung als auch des Althochdeutschen.435 Die korrigierten Texte fanden in den Klöstern ihren Einsatz, damit die Mönche auch dort die Liturgie mit den richtigen Texten feierten. Der Stellenwert von Bildung und Erziehung im Kloster wurde schon oben im Zusammenhang mit der Aufnahme von Kindern angedeutet. Klosterschulen waren im frühen Mittelalter wichtige Bildungsstätten.436 Grundlegende literarische Kenntnisse waren seit den Anfängen für das Mönchsleben erforderlich, etwa Kenntnisse des Lateinischen für die Liturgie. Lebten zur Zeit des frühen Mönchtums und Benedikts Kinder einfach in der Gemeinschaft mit, entstanden in karolingischer Zeit ein Erziehungssystem und ein Schulbetrieb für den eigenen Klosternachwuchs wie außerdem für angehende Kleriker und die Söhne Adeliger und politisch einflussreicher Familien. Das Drängen der Aachener Synode von 817 auf eine rein monastische Schule wurde nicht überall streng befolgt. Neben dem elementaren Unterricht in Lesen, Schreiben, Rechnen, Gesang und Fertigkeiten für die Liturgie wurden das Trivium und zum Teil das Quadrivium, die sieben freien Künste, unterrichtet, wobei es stets um die Erfordernisse des Klosters, um das gründliche Verständnis der heiligen Schrift und des christlichen 434 Zur karolingischen Bildungs- und Wissensoffensive vgl. J. Becker/T. Licht/S. Weinfurter (Hg.), Karolingische Klöster. Wissenstransfer und kulturelle Innovation (Materiale Textkulturen 4), Berlin u. a. 2015. 435 Vgl. Prinz, Mönchtum in fränkischer Zeit. 436 Zum Thema »Mönche und Bildung« vgl. U. Nonn, Mönche, Schreiber und Gelehrte. Bildung und Wissenschaft im Mittelalter, Darmstadt 2012, der die Schriftbildung als Domäne der Klöster, die Verbindung von Kloster und Schule im Westen, und die karolingische Bildungsreform behandelt.

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Entfaltungen christlichen Lebens 1: Das Thema Mönchtum

Glaubens ging. Eine der bedeutendsten Klosterschulen entwickelte sich in Fulda, das auch eine der umfangreichsten Bibliotheken des neunten Jahrhunderts besaß. Als Lehrer wirkte dort der spätere Abt Hrabanus Maurus, ein Schüler Alkuins.437

2.9

Verbindungen zum Adel und Verstrickungen in die Politik

An verschiedenen Orten im Westen lassen sich enge Verbindungen zwischen Klöstern und dem Adel bzw. den Machthabern ihrer Umgebung und ihres Landes beobachten. Vom zunächst abgeschiedenen Leben bewegte sich das Mönchtum schon im Frühmittelalter in die Mitte der Gesellschaft, für die es wichtige Funktionen erfüllte, sowohl auf den Inseln als auch auf dem Kontinent. Diese Kontakte zur Außenwelt konnten freilich auch zur Verstrickung in politische Belange und Machtfragen führen, was anhand der Laienäbte deutlich wird. Beispielsweise hatten bereits die irischen Klöster zahlreiche Verbindungen zur Außenwelt. Sie wurden häufig von einer Magnaten-Familie gegründet, die mit ihrer Stiftung verbunden blieb und bei der Abtsbestellung mitwirkte. Die Klöster wurden seit dem siebten Jahrhundert zu Zentren des kirchlichen Lebens, wobei der Abt kirchenrechtlich die Jurisdiktion ausübte. Ein kirchliches Macht- und Bildungszentrun im frühchristlichen Irland war beispielsweise Clonmacnois.438 – Die Doppelklöster in England waren ebenso wenig zur Welt hin abgeschlossen. Sie wurden in der Regel von Frauen königlicher, manchmal auch adeliger Herkunft geleitet und die Konvente setzten sich wahrscheinlich aus ebensolchen Frauen zusammen; arme Frauen scheinen eher ein religiöses Leben innerhalb ihrer 437 Vgl. hierzu zahlreiche Veröffentlichungen, etwa die Sammelbände Felten/Nichtweiß (Hg.), Hrabanus Maurus, darin M. Dreyer, Alkuin und Hrabanus Maurus: Wozu Wissen?, 35–49; M.-A. Aris, Hrabanus Maurus und die Bibliotheca Fuldensis, 51–69; R. Schieffer, Hrabanus Maurus: Der erfolgreichste Autor des 9. Jahrhunderts, 177–187, oder G. Schrimpf (Hg.), Kloster Fulda in der Welt der Karolinger und Ottonen (Fuldaer Studien 7), Frankfurt am Main 1996, darin J. Fried, Fulda in der Bildungs- und Geistesgeschichte des früheren Mittelalters, 3–38; M.-A. Aris, Nostrum est citare testes. Anmerkungen zum Wissenschaftsverständnis des Hrabanus Maurus, 437–464, sowie M.-A. Aris/S. Bullido del Barrio (Hg.), Hrabanus Maurus in Fulda (Fuldaer Studien 13), Frankfurt am Main 2010, außerdem die Monographie H.-C. Picker, Pastor Doctus. Klerikerbild und karolingische Reformen bei Hrabanus Maurus (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung für abendländische Religionsgeschichte 186), Mainz 2001. 438 A. Kehnel, Clonmacnois – the Church and Lands of St. Ciarán. Change and Continuity in an Irish Monastic Foundation (6th to 16th Century) (Vita regularis 8), Münster 1997, hat dessen Geschichte als Institution des religiösen, kulturellen und ökonomischen Lebens untersucht und bis hin zum Niedergang verfolgt. – L. M. Bitel, Isle of the saints. Monastic Settlement and Christian Community in Early Ireland, Ithaca 1990, hat mithilfe der zwischen 800 und 1200 verfassten irischen Hagiographie die klösterliche Welt erklärt und die Beziehungen zwischen Heiligen, Mönchen und Laien sowie die klösterlichen Interpretationen dieser Beziehungen erforscht.

Forschungsüberblick Mönchtum

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Dorfgemeinschaften geführt zu haben. Dagmar Beate Baltrusch-Schneider ist der Ansicht, »dass Königin und Äbtissin, die ja der gleichen sozialen Gruppe entstammten, auch die gleiche gesellschaftliche Position einnahmen, und zwar in der Welt zuständig für das Religiöse allgemein, im Kloster zuständig für Beratung, Hilfe und Schutz der Mitglieder ihrer Familien sowie der klösterlichen Gefolgschaften«.439

Auf dem Kontinent begann die Verbindung von Klöstern und Adel mit dem Rhonemönchtum. Später unterstützen der König und grundbesitzende Adelige unter anderem die Gründung der iro-fränkischen Missionsklöster. Ob sogar im Frühmittelalter hauptsächlich Adelige in Klöster eintraten, wie von vielen Forschern vertreten wird, sieht Franz Josef Felten zumindest in Bezug auf Frauenkommunitäten skeptisch. Er hat herausgearbeitet, dass die frühen weiblichen Gemeinschaften keineswegs exklusiv dem Adel vorbehalten waren, sondern idealiter wie realiter Frauen aller Stände offenstanden.440 Klöster waren im frühen Mittelalter vielfach in Herrschaftsaufgaben einbezogen. In der Karolingerzeit hatten die ertragreichen Grundherrschaften der großen Reichsklöster Verpflichtungen im Reichsdienst, sie mussten z. B. den König beherbergen und bewirten sowie Heeresfolge leisten. Besonders die Königsklöster waren zum Gebet für König und Reich verpflichtet, wofür sie mit Königsgut ausgestattet wurden. Äbte waren neben den Bischöfen die Hauptträger der Reichsverwaltung. Das Verwaltungspersonal für den Herrscher wurde in den Klöstern ausgebildet. Das stellenweise durchaus problematische Verhältnis von weltlicher Herrschaft und Kirche im Frühmittelalter hat Franz Josef Felten beispielhaft an der Frage nach den Laienäbten behandelt. Besonders in der späten Karolingerzeit wurden Abtsstellen vermehrt an nichtklösterliche oder sogar laikal-weltliche Inhaber vergeben. Einem einseitig negativen Bild hält Felten entgegen, dass es Zeugnisse über »materielle Fürsorge und Bemühen von Laienäbten um monastische Reformen« gebe.441 Er stellt fest, »dass eine moralisch akzentuierte Verdammung einer Gruppe von Klosterleitern, die durch ein in Bezug auf die Klöster und deren Schicksal im Einzelnen eher sekundäres Merkmal ausgegrenzt wird, der vielgestaltigen kirchlich-staatlichen Wirklichkeit des neunten und zehnten Jahrhunderts nicht gerecht wird«.442

439 Baltrusch-Schneider, Doppelklöster, 77f. 440 Vgl. Felten, Vita, darin Weg, 92, sowie Wie adelig waren Kanonissenstifte (und andere Konvente) im frühen und hohen Mittelalter?, 93–162. 441 F. J. Felten, Äbte und Laienäbte im Frankenreich. Studie zum Verhältnis von Staat und Kirche im früheren Mittelalter (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 20), Stuttgart 1980, 3. 442 Felten, Äbte, 305.

304

Entfaltungen christlichen Lebens 1: Das Thema Mönchtum

Die im wesentlichen von den Gegnern der Laienäbte artikulierten Reformforderungen, die das Interesse von Klöstern und Kirchen ganz in den Vordergrund rücken, müssten oder sollten nicht a priori als (sach)gerecht gewertet und der ihnen entgegenstehenden gesellschaftlichen Wirklichkeit vorgezogen werden, zumal die Klosterpolitik der Bischöfe selbst Anlass zur kritischen Differenzierung gegeben habe. Grundsätzlich ist zu bedenken, dass im karolingischen Herrschaftskonzept Politik und Religion nicht voreinander getrennt werden konnten. Karl der Große übte eine auch geistliche Kirchenherrschaft aus. Als »rex et sacerdos« sah er es als seine Aufgabe, die Kirche gegen äußere Feinde zu schützen und im katholischen Glauben zu festigen. Zur guten Regierung gehörte die Hinführung zu einem gottgefälligen Leben. Nur so war Gottes besonderer Segen für das Reich zu erlangen. Von der Merowinger- zur Karolingerzeit hin, so Felten, wurden die Äbte immer stärker in die militärische und politische Sphäre eingebunden und ihre aristokratischen Lebensformen wurden immer stärker kritisiert. Äbte und Bischöfe, als hoher Klerus zur weltlichen Oberschicht gehörend, wurden staatlichen Interessen dienstbar gemacht, konnten aber zugleich eigene Herrschaften aufbauen. Die Privilegienpolitik Karls des Großen zeige eine Bevorzugung von Klöstern mit einer langen Tradition im Dienst des Herrschers, unabhängig von der monastischen Qualität.443 Ludwig der Fromme, so Felten, wollte möglicherweise eine »umfassende königliche Klosterherrschaft« aufbauen. Die Zusammenarbeit von Staat und Kirche sei von der nicht zuletzt mit Ludwigs Hilfe erstarkenden Reformbewegung grundsätzlich in Frage gestellt worden. Sie habe die spezifischen Aufgaben von Kirchen- und Klostergut, Bischöfen und Äbten so stark betont, dass sie mit der Realisierung ihres Ideals zugleich das Gegenteil hervorgetrieben habe, da die Herrscher auf diese Ressource nicht verzichten konnten. »So erschien die Politik maßgeblicher Kreise des hohen Klerus als wesentliches Moment für die Entstehung und zunehmende Verbreitung des Laienabbatiats neben und zum Teil in Konkurrenz anderer Formen irregularer Klosterherrschaft«.444

2.10

Zusammenfassung

Grundlegend für das frühmittelalterliche Mönchtum war die Vorstellung des Gottesmenschen. Durch ein Leben des Gebets und der Askese erlangte dieser eine besondere Verbindung zu Gott, die er anderen Menschen zugute kommen 443 Vgl. Felten, Äbte, 305f. 444 Felten, Äbte, 307.

Forschungsüberblick Mönchtum

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lassen konnte; das brachte ihm eine besondere Verehrung ein. Aufgrund ihres höheren Verzichts beanspruchten die Mönche für sich eine im Vergleich zu den Laien höherwertige Christusnachfolge. Sie verkehrten die neutestamentliche Geschenkspiritualität in eine Leistungsspiritualität, auch das ursprüngliche Geschenk der Gotteskindschaft wandelte sich zu einer menschlich herstellbaren Verzichtsleistung. Durch ein Mehr an irdischer Leistung wollten sich die Mönche für ihr ewiges Leben empfehlen, etwa durch den Verzicht auf die Ausübung von Sexualität. Die Ehelosigkeit war von Anfang an selbstverständlich mit dem Mönchtum verbunden. Gottesmänner wie Martin von Tours oder Columban der Jüngere waren entscheidende Gründungsgestalten des Mönchtums im Frankenreich. Mit Columban und anderen Mönchen aus Irland gelangten die dortigen Vorstellungen wie eine besonders strenge Askese, die Peregrinatio und ein speziell geprägtes Bußwesen auf den Kontinent. Statt der Intention überwiegt als Maßstab für Missetat und Buße nun die Tat, an die Stelle des verzeihenden Gottes tritt ein nach Vergeltung verlangender Gott. – Zunächst mischten sich im Frankenreich noch mehrere Klosterregeln wie die Columbans und Benedikts, und die Autorität des einzelnen Klostervorstehers galt sehr viel. Im weiteren Verlauf nahm die Benediktsregel, befördert durch romorientierte angelsächsische Missionare und die mit ihnen verbundenen Karolinger, einen immer höheren Stellenwert ein, zumal Karl der Große sie als vermeintlich römische Klosterregel in seinem Reich zur Norm erhob. In der damit zusammenhängenden Vorstellung von Petrus als Himmelspförtner zeigt sich ein wörtliches anstelle des neutestamentlichen metaphorischen Verständnisses von Bibeltexten. Ein kultisches Reinheitsdenken, welches sich gegenüber der neutestamentlichen Vorstellung der ethischen Reinheit durchgesetzt hatte, beeinflusste das Mönchtum stark. Vermittler des Heils konnte nur sein, wer rein und sexuell enthaltsam lebte. Als Ideal galt dabei die besondere Reinheit der Kinder, die im Frühmittelalter vielfach von ihren Eltern im Kloster »aufgeopfert« wurden. Auch von Klerikern und Mönchen wurde bald verlangt, so sexuell rein wie die Kinder zu leben. In der karolingischen Klosterreform wurde der Versuch unternommen, das Leben von Mönchen und Klerikern umfassend zu regeln und zu vereinheitlichen. Das Gebet, welches von Beginn an das Leben im Kloster bestimmt hatte, wurde im Laufe des Frühmittelalters immer stärker organisiert und durch Leistungsfrömmigkeit sowie Ausgleichsdenken bestimmt. Mit dem Gebet für ihre Familien, den Herrscher und die Toten erfüllten die Klöster eine wichtige Aufgabe in der frühmittelalterlichen Gesellschaft. Die Gegenleistung für das Gebet der Mönche und Nonnen bestand in Stiftungen an die Klöster. Als der Opfercharakter der Messfeier stärker betont wurde und diese als Instanz besonderer Gnadenvermittlung immer höher geschätzt wurde, sollten Mönche idealerweise

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Entfaltungen christlichen Lebens 1: Das Thema Mönchtum

auch Priester sein. In der Konsequenz verlor das Gebet der Nonnen an Bedeutung, denn ihnen fehlte die Priesterweihe. Frauen wurden zudem immer mehr aus der Öffentlichkeit in die Klausur zurückgedrängt. Nicht zuletzt trugen die Klöster durch ihr besonderes Arbeitsethos zum Landausbau und zur Entwicklung der Grundherrschaft bei. Schließlich beteiligten sie sich – im Rahmen der karolingischen Renaissance und ihres Ringens um die richtigen Texte – mit ihrer Schriftkultur an der Bildungserneuerung und retteten antike Schriften für die kommenden Generationen. Nur durch den rechten Gottesdienst auf der Basis perfekt korrigierter Texte war Gottes Wohlwollen für Reich und Kirche zu erlangen, so die frühmittelalterliche Denkweise. – Schon sehr früh sind Kontakte des fränkischen Mönchtums zum Adel festzustellen. Adelige und Herrscher wurden nicht nur zu Gründern und Förderern von Klöstern, sondern die Klöster wurden auch in Herrschaftsaufgaben einbezogen und Äbte waren immer stärker an der Politik beteiligt. Weil der Herrscher zu einem gottgefälligen Leben hinführen musste, beanspruchte er, auch die inneren Kirchenangelegenheiten zu lenken. Insgesamt stellt das Mönchtum einen Schlüsselfaktor im religiösen und sozialen Leben des frühen Mittelalters dar. Es förderte in besonderem Maße die kulturelle Entwicklung Westeuropas, trug zum Erhalt und zur Weitergabe von Bildung bei und brachte zivilisatorische Fortschritte. Gleichzeitig war das frühmittelalterliche Mönchtum Ausdruck eines vor-aufgeklärten Weltverstehens und Denkhorizonts und blieb einfach-kulturellen Logiken verhaftet, die teils noch bis heute in kirchlichen Vorstellungen nachwirken.

3.

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

Nach der Untersuchung der Themen Mönchtum und Klosterleben in den Romanen und einem Forschungsüberblick zum frühmittelalterlichen Mönchtum folgt nun eine Zusammenschau dieser beiden Blöcke. Was sticht direkt ins Auge, wenn man beide Blickrichtungen auf das frühmittelalterliche Mönchtum miteinander vergleicht? Wo gibt es Übereinstimmungen und Unterschiede, wo liegen Schwerpunkte oder Lücken? Bei einem Vergleich fällt als erstes auf, dass die Romane einem nach-aufgeklärten Denken folgen. Das vor-aufgeklärte Weltverstehen, das als mentalitätsgeschichtlicher Hintergrund das Mönchtum des Frühmittelalters prägt, ist in den Romanen nicht präsent. Stattdessen spiegeln sich viele gegenwärtige Fragestellungen und Ansichten in den Romanen wider. Wegen der im Vergleich zu heute abweichenden Logiken müsste uns gerade das Frühmittelalter mit seinen teil-

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

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weise archaischen Elementen eigentlich sehr fremd sein. Die Romane vereinnahmen jedoch stellenweise das (Früh-)Mittelalter, ohne seine Fremdheit überhaupt anzuerkennen. Und wenn sie einzelne Phänomene als fremd darstellen, werden diese meist nicht in einem Kontext verortet und bleiben damit unverständlich, oder sie werden direkt negativ bewertet bzw. als missbräuchliche Form geschildert. Die folgende Darstellung beginnt mit dem Thema Mönchtum und Sexualität, bei dem das Gegenüber von vor- und nach-aufgeklärtem Denken besonders auffällig ist: Die in den Romanen beschriebene Fehlbarkeit und Freizügigkeit auf der einen und die frühmittelalterlichen Sexualtabus auf der forschungsbezogenen anderen Seite bilden einen großen Gegensatz. Bei der anschließenden Frage, was in den Romanen mönchische Identität bestimmt, fallen identity markers wie Kleidung und Stundengebet auf; mittelalterliche Denkweisen und Triebkräfte des Mönchtums werden kaum zur Erklärung herangezogen. Die Bewegung einzelner Mönche und Gemeinschaften in den Romanen zwischen Fremd- und Selbstbestimmung und die Frage, inwiefern dies mit aus der Forschung bekannten frühmittelalterlichen Phänomenen übereinstimmt, wird im Folgenden behandelt. Dann wird das Vorkommen von Mönchen und Klöstern mit historischem Vorbild in den Romanen mit der entsprechenden wissenschaftlichen Sicht konfrontiert. Anschließend wird das Phänomen des Auftretens von gebildeten Mönchen analysiert, das besonders im Genre des historischen Kriminalromans auffällt. Nicht nur im Kriminalroman wird die Schilderung des frühmittelalterlichen Mönchtums mit der grundsätzlichen Thematisierung von Leben und Tod verbunden – dies wird als nächstes untersucht. Zuletzt stellt sich die Frage nach dem Vorkommen von religiösen Frauen- und von Kanonikergemeinschaften in den Romanen, da beiden ein besonderes Augenmerk der neueren Forschung gilt.

3.1

Unreine Gottesmänner

Unmittelbar ins Auge sticht die Behandlung des Themas Sexualität in den Romanen zum Mönchtum. Gerade hier zeigt sich ein eklatanter Gegensatz zu frühmittelalterlichen Denkweisen: Während sexuelle Enthaltsamkeit die Voraussetzung für ein asketisches Leben darstellte und die Keuschheit dem frühmittelalterlichen Mönchtum so selbstverständlich war, dass sie in der Benediktsregel und anderen Regeln gar nicht als Inhalt eines Gelübdes erwähnt wird, stehen in vielen Romanen die Schwierigkeiten damit im Zentrum. Entwickelte sich das Kloster im Frühmittelalter zum Ort der Abwesenheit von Sexualität, ist Sexualität für die Mönche in den Romanen im Gegenteil sehr präsent. Gerade

308

Entfaltungen christlichen Lebens 1: Das Thema Mönchtum

Mönche sollten im Frühmittelalter heilige Personen sein – in den Romanen sind sie es vielfach nicht. Die Einstellung der Mönche zur Sexualität wird in den Romanen ebenso behandelt wie ihr Umgang damit – bis hin zum vielfachen Bruch des Keuschheitsgelübdes. Das Verhältnis von Mönchen zu Frauen (und vereinzelt zu Männern) steht im Mittelpunkt einiger Romane bis dahin, dass einzelne Mönche in erster Linie über ihre Beziehung zu Frauen definiert werden. Besonders im Rahmen von Missionsbestrebungen begegnen christliche Mönche (ehemals) heidnischen Frauen, auf die sie sich einlassen. Viele Mönche werden als von Begierden bestimmt gezeichnet. Ein Ideal mönchischer Lebensweise wird in den Romanen zwar deutlich, im Vordergrund steht aber das Scheitern daran, was für Romane natürlich einen interessanteren Stoff darstellt als das gelingende Leben. In diesem Kontext fallen die individuellen Lebenswege vieler Mönche auf. In einigen Romanen wird beschrieben, dass Mönche der Versuchung durch Frauen widerstehen wollen und sich schließlich über ihr Versagen grämen, wenngleich sie dabei die Schönheit der Sexualität entdecken durften. Andere stellen sich bewusst gegen die Vorschriften der Kirche. Viele Ordensleute gehen ihren eigenen Weg und scheinen dies als Befreiung zu erleben, so Finnian und Ava (Das Amulett der Seherin) oder Johanna und Gerold (Die Päpstin). Die heutige Wertschätzung einer freien Entscheidung über Sexualität, ein Übereinkommen zwischen zwei Personen, bei dem die Vorschriften der Kirche nicht berücksichtigt werden, könnte in die Darstellung mit hinein spielen und auf die Figuren in den Romanen übertragen worden sein. Wie bereits im Kapitel IV zur Mission deutlich wurde, sind sehr keusche Mönche in den Romanen tendentiell Frauenfeinde und werden als unsympathisch gezeichnet. Einer bestimmten Gruppe von Mönchen gelten Frauen in erster Linie als Verführerinnen, oder sie »benutzen« die Frauen im Rahmen von Affären. Die Mönche, welche schließlich eine Partnerschaft eingehen, betrachten Frauen als gleichwertig und begegnen ihnen entsprechend. Besonders Agrippa und sein Vorbild, der heilige Patrick (Das Buch Glendalough), treten für eine Wertschätzung und Gleichstellung der Frau ein. In den meisten Fällen lässt ihre Unkeuschheit die Mönche in den Romanen menschlich und somit sympathisch erscheinen – ein für das Frühmittelalter unvorstellbarer Gedanke. Wie verhält sich der häufig beschriebene Bruch des Gelübdes zur frühmittelalterlichen Wirklichkeit? Verfehlungen sind nicht Thema der Forschung. Aussagen lassen sich lediglich über Ansprüche an eine Lebensform und über bestimmte Skandale treffen. Dagmar Beate Baltrusch-Schneider stellt in ihrem Aufsatz zu Doppelklöstern in England fest, Klagen der Konzilien hätten gleichermaßen Männer- wie Frauenklöstern während der ganzen angelsächsischen Epoche gegolten. Ein berichteter Skandal aus einem Doppel-

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

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kloster zeige eher das allgemeine Problem adeliger Lebensweise in den Klöstern.445 Hubertus Lutterbach verdeutlicht in seinem Buch »Sexualität im Mittelalter« (s. u.), wie damals bestimmte Formen sexuellen Fehlverhaltens beurteilt und bestraft wurden. Im Rahmen der Themen Beichte und Buße geht es dort auch um eine grundsätzliche Sicht auf die Sexualität. Über die quantitative Verbreitung eines Fehlverhaltens kann hingegen nichts ausgesagt werden.

Die Vorstellung der kultischen Reinheit, wofür eine sexuell enthaltsame, mönchische Lebensweise die beste Versicherung darstellt, kommt in den Romanen kaum zum Tragen. Einige der beschriebenen Mönche scheinen diesbezüglich keine Bedenken zu haben. Hubertus Lutterbach stellt heraus, dass in den frühmittelalterlichen Bußbüchern Unzucht zwischen einem Kleriker und einer Nonne als besonders gravierendes und verunreinigendes Delikt gesehen wurde, ebenso wie das Zusammensein eines Klerikers und einer Frau in einer Kirche.446 Genau dies aber findet sich mehrfach im Roman: So haben der Mönch Marso und die Nonne Lilia (Die Abbatissa) ein Verhältnis; Agrippa vergnügt sich wiederholt mit einer Frau im Hinterraum der Kirche (Das Buch Glendalough), Nithard in der Sakristei (Wikingersilber). An den wenigen Stellen, die das Reinheitsdenken einspielen, setzen sich Mönche und Laien schließlich darüber hinweg. Diese Figuren erleben es als Befreiung, hier eigene Wege zu gehen. Neben dem sexuellen Verzicht war im frühen Mittelalter auch der Nahrungsverzicht ein Ausdruck der Abkehr eines Mönchs von der Welt. Der in Bezug auf Nahrung, Sexualität etc. asketisch lebende Mönch galt als idealer Mittler zwischen Gott und den Menschen. In den Romanen hingegen wird als weitere menschliche Schwäche vieler Mönche beschrieben, dass sie beim Essen und Trinken sehr genussfreudig und gerade keine Asketen sind. Der Gegensatz könnte größer nicht sein. Vorbildlich und sympathisch ist in den Romanen nicht der strahlende, perfekte, der Welt enthobene Mönch. Ein Mönch darf dort ruhig schwach und fehlbar sein, solange er (mit)menschlich, nachsichtig und natürlich nicht als Verbrecher auftritt. Der das frühmittelalterliche Mönchtum prägende Begriff »Gottesmann« kommt in den Romanen durchaus vor. Aufmerken lässt jedoch, wie er dort inhaltlich gefüllt wird: »Gottesmann« scheint häufig einfach eine Bezeichnung für einen Mönch zu sein. Dass dieser aufgrund seiner Askese und Gottesnähe als Heilsmittler fungieren kann, wird kaum einbezogen. Grundsätzlich sind die Asketen in den Romanen in der Minderheit. Selbst diese sind meist nicht vollkommen, sondern weisen kleine Schwächen oder sogar negative Züge auf. Dass ein Mönch ein großer Beter ist, kommt ebenso selten vor. Das Gebet, der Kontakt 445 Vgl. Baltrusch-Schneider, Doppelklöster. 446 Vgl. H. Lutterbach, Sexualität im Mittelalter. Eine Kulturstudie anhand von Bußbüchern des 6. bis 12. Jahrhunderts (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 43), Köln u. a. 1999, 143f.

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Entfaltungen christlichen Lebens 1: Das Thema Mönchtum

zu Gott, ist für die Romanautoren nur ein Randthema. Für einige wenige Figuren wie Aidan (Die Reise nach Byzanz) und Johanna (Die Päpstin) wird ein persönliches Ringen mit Gott im Gebet geschildert. Formen von »Hochleistungs«Askese der irischen Mönche werden jedoch eher wie eine Kuriosität beschrieben. Die Bedeutung dieser Askese im Vir Dei-Konzept tritt dabei nicht zutage. Stattdessen verhalten sich »Gottesmänner« in den Romanen immer wieder unsittlich: So hat Agrippa (Das Buch Glendalough), der ausdrücklich Gottesmann genannt wird, zahlreiche Affären; ein Einsiedler in der Uhtred-Saga, der als heiliger Mann bezeichnet wird, berührt die ehemalige Nonne Hild beim Segnen unzüchtig. Aus der Frühmittelalter-Forschung wissen wir, dass der Vir Dei und die Famula Dei ihre Wunderkraft aufgrund von Gebet und Askese erhalten, womit sie Zugang zu Gott bekommen. Zwar treten in einigen Romanen Mönche wie Agrippa (Das Buch Haithabu) als Heiler und Wundertäter auf, aber gerade dieser lebt alles andere als asketisch und sucht immer wieder die Gesellschaft von Frauen. Fraglich ist allerdings innerhalb der Logik des Romans, ob die Menschen, die sich durch ihn Heilung erhoffen und ihn verehren, von seinem tatsächlichen Lebenswandel wissen. In jedem Fall passt der Ablauf nicht in das frühmittelalterliche Weltbild. Zwingt der frühmittelalterliche Mönch durch seine Askese die Hilfe des Himmels geradezu herbei, heilt Agrippa trotz seiner sexuellen Aktivitäten. Heilungen, an denen Mönche beteiligt sind, geschehen in den Romanen des weiteren weniger durch Reliquien, welche zum Teil kritisch beurteilt werden, als durch Gebete, häufig in Verbindung mit der Kraft der Natur. Heilkundige Mönche suchen ihre Hilfsmittel oftmals im Kräutergarten. Johanna (Die Päpstin), die in besonderer Weise als moderne, aufgeklärt denkende Figur gestaltet ist, heilt (als Mönch im Kloster Fulda) dank ihres medizinischen Wissens und logischer Schlussfolgerungen. Daniel Fulda hat festgestellt, dass sich weibliche Hauptfiguren im populären Segment trotz prekärer sozialer Stellung durch Charakterstärke, Sensibilität, taktisches Geschick und medizinische Kenntnisse als überlegen erweisen. Für ihn trägt die Heilpotenz, mit der Romanautoren wie Donna Cross ihre Heldinnen ausstatten, durchaus Züge einer weiblichen Machtphantasie: »Während männliche Helden ihre Macht über die Körper beweisen, indem sie sie mit ihren Waffen zerfetzen, stellt sich die fast obligatorische Heilkompetenz der Heldinnen als ebenso traditionell weibliche wie politisch korrekte Alternative dar«.447

447 Fulda, Zeitreisen, 197. – Ähnliches hebt Knust, Realität, in Bezug auf die im Hochmittelalter spielenden Bestseller Die Säulen der Erde und Die Tore der Welt von Ken Follett hervor: die publikumsorientierte Darstellung starker Frauenfiguren, die zum Teil heilkundige Fähigkeiten haben, sowie einen kritischen Umgang mit der Reliquienverehrung.

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

3.2

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Kennzeichen mönchischer Identität

In den Romanen werden Mönche vorwiegend durch Äußerlichkeiten wie ihre Kleidung gekennzeichnet. Das Klosterleben wird durch einzelne Elemente wie die Benediktsregel, das Gebet oder bestimmte Ämter beschrieben, ohne dass ein historisch fundierter Erklärungshintergrund angeboten würde. Viele Dinge werden vereinfacht dargestellt. Im frühmittelalterlichen Denken machte die Lebensweise einen Mönch oder eine Nonne aus: die Absage an die Welt und die Hinwendung zu einem Leben des Gebetes und der Askese. Dieses führte in eine besondere Nähe zu Gott, die den Mönch aus der Welt der Laien enthob, ihn aber auch befähigte, für diese einzutreten. In den Romanen hingegen findet diese religiöse Dimension – wie bereits angesprochen – insgesamt wenig Berücksichtigung. Hier macht häufig die »Kutte« den Mönch. Um die eigentlich entscheidende »richtige« Lebensführung geht es gerade nicht. In die gleiche Richtung zielen die Glossare, die einige Romane enthalten. In vielen beschränken sich die Stichworte, die das Klosterleben betreffen, auf die Erklärung der Zeiten des Stundengebets, der Räume oder Ämter im Kloster.448 Darüber hinaus gibt es nur an wenigen Stellen vertiefte Hinweise auf religiöses Leben: Im Glossar von Bei meiner Seele Seligkeit (280) werden die »Gebetsverbrüderungen« erläutert, in Mord im Dom (158) die »oblati«, in Die Abbatissa »Ancilla Dei« (496) und »Novize/Novizin« (502).

Verschiedene Arten der Tonsur werden in den Romanen genannt, wie überhaupt Mönche durch Merkmale wie Tonsur und Kleidung bestimmt und von anderen Romanfiguren erkannt werden. Art und Zustand dieser äußeren Zeichen sagt in den Romanen etwas über Gesinnung und Gemütsverfassung ihrer Träger aus. Angesichts der in den Romanen detaillierten Beschreibung der Klosterkleidung stellt sich die Frage, ob man überhaupt wissen kann, wie die Klosterbewohner damals genau aussahen. In jedem Fall verwenden die Romanautoren dabei immer wieder für das Frühmittelalter historisch unzutreffende Begriffe wie »Kutte«. Zumindest in den frühmittelalterlichen Viten wird die Kleidung nicht als eindeutiges monastisches Signum betrachtet. Das Gebet der Mönche ist in den Romanen ein ebensolcher identity marker wie ihre Kleidung und ihre Tonsur. Unter den Aufgaben der Mönche kommt das Gebet als Hauptaufgabe zwar vor, aber die zentrale Bedeutung gerade des stellvertretenden Gebets, das im Verlauf des Früh- und Hochmittelalters offizieller und feierlicher wurde, und grundsätzlich die Rolle der Memoria für das Klosterleben im frühen Mittelalter, werden nicht deutlich. Es wird lediglich an vielen 448 So in … denn sterben muss David!, 229; Das Erbe des Puppenspielers, 483–496; Das Geständnis der Amme, 631–634; Die Reise nach Byzanz, 508–511; Im Zeichen des Neumonds, 310–314.

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Entfaltungen christlichen Lebens 1: Das Thema Mönchtum

Stellen erwähnt, dass Mönche (auch jeder für sich, aber häufig gemeinsam) beten. Indem die Bezeichnungen der einzelnen Gebetszeiten genannt werden, zeigt sich ein reines Faktenwissen. Auch wenn immer wieder der Tagesablauf im Kloster mit dem Gebet als herausragender Aufgabe geschildert wird, geht es doch vorwiegend um einzelne Mönche und deren Darstellung. Somit lässt sich eine »Biographisierung des Mittelalters« als dominanter Aspekt der verschiedenen Romane benennen. Um sich des fürbittenden Gebets der Mönche zu versichern, gaben Gläubige im Frühmittelalter – so wissen wir aus der Forschung – Almosen an Klöster, die angesichts hoher Gedenkpflichten eine ideale Gebetsgemeinde darstellten. Bereits im irischen Bußsystem überwogen entsprechend einem archaischen Denken das äußere Werk und die zählbare Leistung, wobei Buße und Strafe aufgerechnet wurden. Zur Ableistung langer Bußzeiten konnte ein Mönch als betender Helfer herangezogen werden, der entlohnt wurde. Wenn eine solche Stellvertretung in den Romanen überhaupt einmal vorkommt, dann vor allem in missbräuchlicher Form. Dem frühmittelalterlichen Denken völlig fremd ist die Schilderung des Romans Das Geständnis der Amme, nach der ausgerechnet Wunibald eine stellvertretende Buße übernimmt – ein Mönch, der das Kloster verlassen hat sowie faul und gefräßig ist. Die karitative Tätigkeit der Klosterbewohner, ihre Gastfreundschaft, der Dienst an den Armen sowie die Krankenpflege findet in den Romanen durchaus Erwähnung. An einigen Stellen wird das vielfältige Handwerk in den Klöstern beschrieben, wobei allerdings fraglich ist, ob die Mönche, wie etwa in Das Buch Glendalough dargestellt, zur entsprechenden Zeit noch selbst in diesem Bereich tätig waren. Zumindest im Rahmen der karolingischen Klosterreform auf dem Festland – so die Mediävisten – wurde allmählich von den Mönchen immer mehr Gebet und weniger Handarbeit verlangt. Wenn Mönche an anderen Stellen der Romane als faul dargestellt werden, passt das also gar nicht zum klösterlichen Arbeitsethos und zur »Arbeitsteilung« der mittelalterlichen Gesellschaft, wobei den Mönchen als Aufgabe das Gebet für den Herrscher, dessen Familie und Reich zukam. Die Einbindung der Klöster in weltliche Belange und ihre Beziehungen zur Außenwelt, welche gerade die Karolingerzeit prägten, also die politischen Aktivitäten der Klöster, ihre Rolle im Frankenreich, der Einfluss des Herrschers, die Aufgabe der Versorgung des Hofes, die Mitwirkung der Mönche und Äbte in der Verwaltung des Reiches sowie die Institution der Laienäbte/-äbtissinnen, werden in den Romanen insgesamt sachgemäß dargestellt. Die vielfältig erforschten Verbindungen zwischen Mönchtum und Adel nicht nur auf dem Kontinent, sondern auch in Irland und England, machen die Romane ebenfalls deutlich. Dass eine Klostergründung der adeligen Hauspolitik und der geistlichen Wohlfahrt diente, weil dort für das Wohlergehen der lebenden und verstorbenen

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

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Mitglieder der Gründer- und Herrscherfamilien gebetet wurde, wird in einigen Romanen zumindest angedeutet. Zu bedenken ist, dass das Herrschaftsverständnis Karls des Großen, der »Böses berichtigen«, »Gutes bestärken« und damit zu einem gottgefälligen Leben hinführen wollte, zutiefst in den innerkirchlichen Bereich eingriff. Der König sah sich nicht nur als Verteidiger der Kirche, sondern auch als Leiter und Verkündiger, während die Priester und Mönche Opfer darbringen und Fürbitte bei Gott einlegen mussten. Mit ihren hohen Gebets- und Askeseleistungen mussten die Klöster das in der Welt vorhandene Böse abgleichen. Solche religions- und sozialgeschichtlich erforschten Zusammenhänge tauchen in den Romanen nicht auf. Diese orientieren sich stark an der Ereignisgeschichte, beziehen allerdings wenige sozial- und kaum religionsgeschichtliche Aspekte und Erkenntnisse ein. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Melanie Rossi in Bezug auf Romane für Jugendliche: Das Leben in Klöstern bzw. deren Bedeutung im Gefüge der mittelalterlichen Weltordnung sei als Thema in eine kleine, aber beachtliche Zahl von Romanen eingegangen. Nur im Roman Judith, die junge Priorin stehe ein Leben vom Eintritt in eine Klostergemeinschaft an im Mittelpunkt. In Pagan und die schwarzen Mönche, Der Mönch ohne Gesicht,449 Tödliche Äpfel und Die Maske des Wolfes würde das Leben im Kloster eher zu einer Folie gestaltet, die als Handlungshintergrund jeweils Kriminalgeschichten trage. Insgesamt würden die Klöster nicht näher in ihrer Rolle als Träger christlicher und antiker Kultur vorgestellt. Die geistige Leistung der großen Klöster für die innere Entwicklung der Kirche bleibe dem Leser weitgehend verschlossen, ebenso die Aufgaben der Klöster in der Krankenpflege und ihre Leistungen in der Seelsorge. Die Rolle der Klöster beim Landesausbau und die in diesem Zusammenhang erfolgende christliche Missionierung werde kaum angedeutet.450

3.3

Zwischen Reglementierung und individuellen Entscheidungen

Des Weiteren werden Mönche und Nonnen in den Romanen durch ein Leben nach der Regel charakterisiert. Auch wenn das Erscheinungsbild und die Lebensgestaltung vieler Mönche als relativ einheitlich beschrieben werden, scheinen immer wieder Eigenheiten und individuelle Schwerpunktsetzungen auf. Die zentrale Bedeutung der Gestalt Benedikts und seiner Regel wird insofern deutlich, als in den Romanen vielfach einzelne Elemente der Regel zitiert werden und von »Benediktinern«, »Benediktinerklöstern« und der »Benediktinerkutte« die Rede ist. Es wirkt so, als habe Benedikt direkt einen »Orden« gegründet und als sei dieser der einzige im Frühmittelalter geblieben. Dass im Grunde erst ab dem frühen neunten Jahrhundert mediävistisch korrekt von Benediktinern gesprochen werden kann und die Benediktsregel erst 449 Dieser Roman spielt zur Zeit Karls des Großen! 450 Vgl. Rossi, Mittelalter, 196.202.204f.

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Entfaltungen christlichen Lebens 1: Das Thema Mönchtum

durch die karolingische Klosterreform zur Norm des klösterlichen Lebens wurde, kommt in den Romanen ebenso wenig zum Tragen wie die Rolle Benedikts von Aniane in diesem Prozess. Benedikt von Aniane kommt nur in wenigen Romanen wie Der sechste Tag ganz am Rande vor. Die Romorientierung der angelsächsischen Missionare und der Karolinger als ein Grund für die Hochschätzung und die verstärkte Geltung der Benediktsregel bleibt unklar. Etwas ausführlicher wird der Einsatz des Bonifatius hinsichtlich Reformen, die auch den monastischen Bereich betreffen, beschrieben. So kommt in Die Königsmacherin eine Synode vor, die Pippin und Karlmann diesbezüglich in Prüm abhalten, und Bonifatius sowie Frau Bertha bringen den Mönchen in Prüm die Benediktsregel nahe. Betont wird dort auch das Anliegen dieser beiden, die Romfahrten angelsächsischer Frauen und Nonnen einzuschränken. Der Kontakt des Bonifatius zu angelsächsischen Frauen wird kurz thematisiert, wobei die Bedeutung und Leistung etwa einer Lioba nicht angemessen gewürdigt wird. Neben Elementen der Benediktsregel kommen in einigen Romanen auch andere Regeln vor, etwa die Columbans. Im Vordergrund stehen die darin enthaltenen Strafen, deren Ausführung einige Mönche sexuell erregt (vgl. Die Königsmacherin). Die Vereinheitlichung des Klosterlebens hin zur alleinigen Ausrichtung an der Benediktsregel wird meist mit einer bestimmten Wertung versehen: So empfindet die Laienäbtissin Ada (Die Abbatissa) die durch Angilram von Metz und andere vorangetriebene Vereinheitlichung als Bevormundung und als Beschneidung ihrer Entscheidungsfreiheit. Hier könnte man zumindest die frühmittelalterliche Vorstellung vom Klostervorsteher als »lebendiger Klosterregel« aufscheinen sehen. Wiederum bestätigen die Glossare den Befund. Interessant ist, was diese herausstellen: »Benedikt von Nursia« wird z. B. in den Erklärungen zu Karl der Große (707) und Im Zeichen des Neumonds (310) als »Begründer (des Ordens) der Benediktiner« vorgestellt. Unter dem Stichwort »Kolumban« wird in Die Abbatissa (500) die Strenge seiner Mönchsregel betont, auch das Glossar zu Die Königsmacherin (453f.) nennt die »Regel des Columban« eine »außerordentlich strenge Mönchsordnung«.

Das Thema der Freiheit und Selbstbestimmung leitet in den Romanen auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Kirche und Mönchtum in Irland und in Rom bzw. auf dem Kontinent. In den Romanen Das Buch Glendalough und Die Reise nach Byzanz/In geheimer Mission für den Kaiser, die sich stark auf das Mönchtum in Irland beziehen, wird dieses in positiver Weise als besonders menschlich und menschenfreundlich dargestellt; die Freiheit und Eigenart der irischen Kirche wird durch römischen Einfluss bedroht, dem es um Durchsetzung der eigenen Gebräuche und Ausbau von Macht geht.451 Dass die irischen 451 Unter der Überschrift »Aidans Welt« erklärt Marcel Bieger, der Übersetzer von In geheimer

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

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Eigenarten durch die Randlage und Abgeschiedenheit der Insel historisch zu erklären sind und es beim Gegensatz zwischen Irland und dem Kontinent, der sich etwa in verschiedenen Tonsuren zeigt, auch um die Berufung auf verschiedene Spitzenapostel, z. B. auf Petrus für Rom, geht, wird als Hintergrund nicht thematisiert. Im Mönchtum des frühen Mittelalters hatte der Klostervorsteher, der Abt, eine überragende Stellung und galt als »lebendige Regel«. Das Thema des Gehorsams der Mönche nimmt in den Regeln Benedikts und Columbans gemäß der monastischen Forschung eine zentrale Position ein. Gerade dieser Gehorsam aber wird in den Romanen infrage gestellt: Kann man Äbten gehorchen, die sich selbst unmoralisch verhalten? Manche Mönche verlassen das Kloster, weil sie es als einen Hort der Unmoral empfinden, und kritisieren damit ihre Oberen und die Institution; einzelne Mönche wollen selbst über ihre Leben bestimmen, z. B. Gottschalk in Die Päpstin, der als Kind ins Kloster gegeben wurde, oder Wunibald in Das Geständnis der Amme, dem viele Vorgaben zu anstrengend sind. Sie kämpfen darum, ihren eigenen Weg gehen zu können, auch wenn dies mit zeitweiligen Härten verbunden ist und sie dann auf sich allein gestellt sind. Nach Ausweis der Forschung wurde im frühen Mittelalter die Verbindlichkeit des elterlichen Versprechens betont; auch bei Erreichen des Reifealters bestand für pueri oblati keine realistische Möglichkeit einer Rückkehr in die Welt. – Ein Einfluss der heutigen Wertschätzung individueller Lebensentscheidungen auf die beschriebene Darstellung der Romane ist vorstellbar. Dies könnte sich auch darin zeigen, dass manche ehemaligen Mönche als die wahren Mönche gezeichnet werden: Sie tragen weiterhin die Kleidung eines Mönchs und leben teilweise noch wie Mönche, aber losgelöst von einer Institution. Andere Figuren verbleiben im Kloster, distanzieren sich aber innerlich von bestimmten Vorgaben und treffen ihre eigenen Entscheidungen. Kritik an der Institution Kirche wird in einigen Romanen explizit formuliert. Zum einen üben Mönche Kirchenkritik, z. B. Finnian (s. Kapitel IV zur Mission) Mission für den Kaiser, am Ende des Romans, warum die irischen Mönche nach Byzanz gereist sind: »Wie Aidan erfährt, fürchten die Mönche, und nicht nur die seines Ordens, vom Papst wieder einmal vereinnahmt zu werden – alle Träger des Glaubens sollen auf Linie gebracht werden, wie wir heute sagen würden; ein Prozess, der sich auch später wiederholt hat und selbst in unseren Zeiten nicht völlig fremd ist. Deshalb wenden sich die Pilger an die einzige Institution, die dem Papst Einhalt gebieten könnte – den Kaiser nämlich« (584). – Innerhalb des Romans Das Buch Glendalough findet sich die folgende aufschlussreiche »Anmerkung des Übersetzers«: »Im frühen zehnten Jahrhundert benötigten die Iren noch keine Bischöfe. Auch der Papst war für sie nur der Abt eines – vermutlich – besonders großen und heiligen Klosters in Italien. Die Verknöcherung der irischen Kirche, die Zementierung einer menschenfeindlichen Sexualmoral und vieles andere Römisch-katholische, wurde zu einem späteren Zeitpunkt besiegelt: mit der Synode von Rathbreasail 1110 und der Synode von Kells 1152« (211).

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oder Patrick. In Das Buch Glendalough spricht dieser Heilige »Reformforderungen« aus, die sehr stark von heutigen Positionen in Bezug auf die Gleichwertigkeit von Männern und Frauen, den positiven Wert des Körpers und der Sexualität bestimmt erscheinen. Auf der anderen Seite werden, wie sich herausgestellt hat, in Romanen zur Missionierung wie Widukinds Wölfe oder Das Amulett der Seherin Mönche hauptsächlich als Vertreter der Kirche angesehen und stellvertretend für diese kritisiert bzw. mit negativen Zuschreibungen konfrontiert. In vielen Romanen wird zunächst dargestellt, wie Menschen ins Kloster gelangen. Während die im Frühmittelalter übliche Oblation und die unterschiedlichen Wege von Kindern ins Kloster anhand der Schicksale verschiedener Romanfiguren beschrieben werden, bleiben die Motive für den Eintritt Erwachsener unklar. Es werden kaum religiöse Motive für den Eintritt geschildert, ebenso wenig Leitideen des Klosterlebens, etwa die biblischen Berufungsworte, das Gotteskinderideal oder biblische Vorlagen der Oblation. Gemäß dem aktuellen Forschungsstand diente diese den Eltern zur eigenen Sündentilgung oder Gnadenerlangung, wobei die Vorstellung einer besonderen Reinheit der Kinder eine wichtige Rolle spielte. Einseitig herausgestellt werden von den Romanautoren der Zwang zum Eintritt ins Kloster bzw. die Verbannung ins Kloster, wobei dies im frühen Mittelalter durchaus vorkommen konnte. So erscheinen die Klöster in den Romanen vielfach als Abgabestelle für uneheliche Kinder, Geiseln und Feinde oder als Zufluchtsort für bedrohte Adelige und Herrscher. Häufiger als die Frage, wie Menschen ins Kloster gelangen, thematisieren die Romane die Frage, wie es dazu kommt, dass Menschen das Kloster wieder verlassen. Der im Frühmittelalter zunehmenden Forderung nach Stabilitas, dem Verbleiben im einmal gewählten Kloster, steht das Unterwegssein vieler Mönche in den Romanen gegenüber. Statt des Doppelschritts aus Abkehr von der Welt und Hinwendung zu einem religiösen Leben werden in den Romanen die vielfältigen Kontakte der Mönche zur Welt, die letztlich oft zu einer Abkehr vom Kloster führen, in den Vordergrund gerückt. Grundsätzlich werden in den Romanen für die Mönche Aufgaben innerhalb des Klosters beschrieben sowie Aufgaben, die aus dem Kloster heraus führen. Dass Mönche unterwegs sind, hat allerdings nicht immer mit der Erledigung solcher Aufgaben zu tun, die ihnen etwa von ihren Oberen oder vom Herrscher übertragen werden, sondern viele machen sich auf eigene Faust auf den Weg. Mönche als Hauptfiguren (wie Aidan und Agrippa) sind meist unterwegs und leben nicht dauerhaft »stabil« im Kloster – sonst würden sie womöglich auch zu wenig für einen spannenden Roman erleben. Aus heutiger Sicht wird Mönchen das Unterwegssein wohl eher zugetraut als ihren Mitmenschen, es passt eher zu ihnen als z. B. zu Bauern. Für viele Mönche und Nonnen wird jedenfalls ein zeitweiliges oder sogar dauerhaftes Verlassen des Klosters beschrieben. Die

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Motive hierfür reichen vom mehrfach genannten Wunsch nach Freiheit und Eigenständigkeit über das Eingehen einer Partnerschaft bis hin zur Ermöglichung von Verbrechen. Am ungewöhnlichsten ist der Weg des Bruders Titus (Das Buch Haithabu), der das Stift Ramsolano verlässt und als »Ossos« zwischen zwei heiligen Bären und den Menschen vermittelt. Statt die Menschen im »Land der Bärenanbeter« zum christlichen Glauben zu bekehren, wird er ein wichtiger Vertreter von deren Religion. Wie Ossos unterwegs in Kontakt zu Heiden kommt, treffen andere Klosterbewohner auf Muslime. Diese Kontakte mag es im frühen Mittelalter vereinzelt gegeben haben, aber dass sie so weit gehen, dass ein Mönch (Aidan, In geheimer Mission für den Kaiser) und eine Nonne (Imma, Die Abbatissa) sich in Muslime verlieben und sich selbst zu deren Glauben bekennen wollen, ist wirklich außergewöhnlich. Wie leicht bzw. üblich war ein Klosteraustritt, wenn man der monastischen Forschung folgt? Es ist fraglich, wie häufig ein Mönchsleben außerhalb einer Gemeinschaft, das Umherziehen oder das beschriebene Weggehen aus dem Kloster, zum Teil ohne Konsequenzen, in der Karolingerzeit vorkam. In der Peregrinatio lag zwar eine bedeutsame Verwirklichung des Mönchtums im Frühmittelalter, besonders in Irland und England, aber es stellt sich die Frage, unter welchen Umständen ein Mönch sein Kloster überhaupt verlassen konnte. War die Erlaubnis des Abtes notwendig? Am ehesten werden Mönche im Rahmen von Missionsbemühungen unterwegs gewesen sein. – Wie sich im Kapitel IV zur Mission gezeigt hat, kommt die Peregrinatio nur an wenigen Stellen der Romane vor und ist zudem als Motiv zur Erreichung anderer Ziele oft nur vorgeschoben. Auch aus historischer Perspektive dürfte die Peregrinatio in den Romanen eigentlich kein allzu großes Thema sein angesichts der Zeit, in der die meisten von ihnen spielen. Besonders auf dem Kontinent war das Umherziehen von einem Kloster zum anderen im frühen Mittelalter eher negativ angesehen und es gab Versuche, dies zu unterbinden.

3.4

»Historische« Orte und Personen – zwischen Romanwelt und Forschung

Wie bereits beim Thema Mission finden sich auch beim Thema Mönchtum in den Romanen Bezüge auf historische Orte und Personen, hier auf einzelne Klöster und Mönche. Der Kontext, die Details der Darstellung sowie die Glossare und Nachworte der Romane machen deutlich, dass es sich nicht um zufällige Namensgleichheit handelt, sondern um bewusste Bezugnahmen, die an mögliche Kenntnisse der Leser anknüpfen wollen. Interessant ist nicht nur dass, sondern auch wie in den Romanen »Historisches« dargestellt wird. Zunächst einmal wird eine historische Szenerie aufgebaut, indem einige bekannte Klöster wie z. B. die Reichsklöster erwähnt werden. Im Roman wird eine große Abtei wie Fulda oft strahlend gezeichnet, was wohl eher ein Idealbild darstellt. Gänzlich fiktiv sind nur relativ wenige Klöster. Mönche als Hauptfiguren sind meist fiktiv, als Ne-

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benfiguren kommen hingegen auch Mönche mit historischem Vorbild vor. Im Mittelpunkt der Romane stehen jedenfalls die einfachen Mönche, die unbekannt bzw. fiktiv sind, nicht die Leitungspersonen. Äbte, auch historisch bezeugte, tragen eher zur historischen Kulisse bei, vor der die anderen agieren. Deutliche historische Vorbilder haben z. B. einige Mönche, Klöster und Vorkommnisse, mit denen die Abenteuerromane ausgestattet sind: In Das Buch Haithabu handelt es sich um Ansgar und dessen Mission in Haithabu, um Kevin und das von ihm gegründete Kloster Glendalough sowie um Patrick. In Die Reise nach Byzanz begegnen Columban, die Klöster Kells, Hy und Lindisfarne sowie das Book of Kells. Alle erwähnten Personen handeln nicht selbst, sondern es wird nur an sie erinnert, da sie bereits verstorben sind. Bei einer solchen Erinnerung an historische Gestalten kann es sich um ein erzählerisches Mittel handeln oder um ein Aufgreifen des für das Frühmittelalter typischen Motivs der Memoria. Die Erlebnisse der beiden fiktiven Mönche Agrippa und Aidan, welche die Hauptfiguren der genannten Romane darstellen, ihr häufiges Unterwegssein, ihre stellenweise modernen Gedanken oder ihr freizügiges sexuelles Verhalten sind dann jedoch – gemessen an den Erkenntnissen der Mediävistik – sehr ungewöhnlich, wie in den obigen Ausführungen deutlich wurde. Dieselbe Spannung zwischen historischer Szenerie und ungewöhnlicher Handlung zeigt sich hinsichtlich der Missi Dominici:452 Die Romane mit diesem Thema greifen eine »historische« Institution auf, die ein Beispiel für die Organisation des Reiches Karls des Großen im Rahmen seiner Reformen darstellt und der Geschichte somit eine zeittypische Signatur verleiht. Die Verbindung von weltlicher und geistlicher Macht bzw. Autorität tritt hier zutage. Dieser Rahmen der historischen Verortung wird dann, vor allem in der Odo und Lupus-Reihe, mit skurrilen Erlebnissen der fiktiven Romanfiguren gefüllt (sie begegnen falschen und verbrecherischen Mönchen und Nonnen, werden von diesen verführt etc.). In einzelnen der untersuchten Romane findet sich ein von Barbara Korte und Sylvia Paletschek beschriebenes Vorgehen: Bei einem Untertyp des historischen Kriminalromans werden »reale Figuren der (Kultur-)Geschichte […] zentral als Ermittlerfiguren in der fiktiven Handlung« eingesetzt und somit bereits auf der Figurenebene historische Realität und Fiktion vermischt. Korte und Paletschek erläutern: »Historische Krimis sprechen über solche Metaebenen eine Leserschaft an, die nicht nur durch Krimis spannend unterhalten sein will, sondern aus der Intertextualität und

452 Dieses Stichwort findet sich auch in den Glossaren verschiedener Romane, z. B. in Im Zeichen des Neumonds, einem Beispiel aus der Abt Erwin-Reihe, 312 (»Missus dominicus«), sowie ausführlich erklärt innerhalb des dortigen Nachworts Die karolingische Gesellschaft, 296, außerdem in Die Beutefrau, 424 (»Königsboten«) sowie in Das Erbe des Puppenspielers, 488 (»Missis«).

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dem Spiel mit Fakten und Fiktionen […] intellektuelles und ästhetisches Vergnügen zieht«.453

In Das Pergament des Himmels tritt z. B. »Alkuin« auf, der im Zuge der Visitation des Fuldaer Klosters mit mysteriösen Todesfällen konfrontiert wird, an deren Aufklärung er sich begibt. Nebenbei verfolgt er geheime Pläne in Bezug auf die Konstantinische Schenkung. Indem als Alkuins Partnerin bei den Ermittlungen die junge Pergamentmacherin Theresa, eine sehr selbstständige Frau, fungiert, kommt ein weiteres (anachronistisches) Charakteristikum vieler Mittelalterkrimis zum Tragen. – Im Kriminalroman Mord im Dom ist »Hathumar« die Hauptfigur. Hierbei handelt es sich um den späteren ersten Bischof von Paderborn, wie der Autor Jürgen Kehrer im Nachwort betont (157). Der junge Mönch steht für die Wahrheit ein und klärt Verbrechen auf, versucht aber zugleich, seinen fanatisch gewordenen Jugendgefährten zur Umkehr zu bewegen, und bittet den König um Milde für einen Freund, der einen Fehler begangen hat. Durch Frauen wird Hathumar in Versuchung geführt. In Franken ausgebildet, hat der gebürtige Sachse seine Wurzeln nicht vergessen und übernimmt schließlich in seiner Heimat kirchliche Verantwortung. Im Gegensatz zu vielen anderen Romanen, in denen die Missionierung und damit einhergehend die Konfrontation von Heiden und Christen Thema sind (s. Kapitel IV), ist der Mönch, der hier die Hauptrolle spielt, ein »Guter«, ein »verlässlicher« Charakter, der für Versöhnung und Neuanfang steht. Des Weiteren begegnet im Hinblick auf einige Mönchsfiguren mit historischen Vorbildern eine Dekonstruktion großer Namen. Im Kapitel IV zur Mission wurde bereits die Darstellung der Mönche Bonifatius und Ansgar thematisiert. Hier handelt es sich nun vor allem um Hrabanus Maurus sowie um den gerade erwähnten Alkuin, welche in mehreren Romanen eine Rolle spielen.454 Indem die menschliche bzw. private Seite der vermeintlich Großen ihrer Zeit gezeigt wird, wird ein Zugang zu und eine Vertrautheit mit ihnen ermöglicht. Hiermit liegt ein typisches Vorgehen populärer historischer Romane vor, wohingegen in anderen, eher »literarischen« Romanen historische Gestalten nur aus der Ferne dargestellt 453 Korte/Paletschek, Geschichte und Kriminalgeschichte(n), 21f. 454 Weitere historische Gestalten kommen nur sehr am Rande vor. Immerhin in mehreren Romanen (Die Abbatissa, Die Beutefrau, Karl der Große) spielt Äbtissin Gisela von Chelles, die Schwester Karls des Großen, eine Rolle, ebenso wie Einhard, der kurz im Kloster Fulda lebte, später heiratete und Laienabt wurde. Der Fuldaer Abt Baugulf wird erwähnt in Das Erbe des Puppenspielers, die strenge Inkluse Wiborada in Die Herren von Buchhorn. – Wiborada kommt bereits im 1855 erschienenen Ekkehard, einem Klassiker des historischen Romans von Joseph Victor von Scheffel, vor. Die Heilige ließ sich zu Beginn des zehnten Jahrhunderts in einer Zelle im Schatten des Gallusklosters einschließen, begründete dort das Inklusentum und starb 926 beim Einfall der Ungarn; vgl. T. Flury et al., Frauen im Galluskloster, St. Gallen 2006, darin besonders K. Utz Tremp, Frauen im Galluskloster?, 9–26, sowie E. Tremp, Wiborada und andere heilige Frauen, 51–63.

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Entfaltungen christlichen Lebens 1: Das Thema Mönchtum

werden. Durch eine nahe Schilderung werden historische Personen letztlich wieder zu fiktiven. Der Fuldaer Abt und Lehrer »Rabanus Maurus« (wie er in den Romanen genannt wird) wird in Die Päpstin nicht als großer Denker gezeichnet, sondern ist Johanna geistig unterlegen. Nur mithilfe von Gewalt kann er seinen Willen durchsetzen. Dadurch, dass vor allem sein hartes Verhalten gegenüber dem Mönch Gottschalk thematisiert wird, wirkt Rabanus unsympathisch und sehr streng.455 Er hält am Althergebrachten fest, erklärt Widerfahrnisse mit dem Willen Gottes, setzt auf einen formelhaften Glauben und vertraut auf Reliquien. Als die Pest wütet, unternimmt er eine Pilgerreise zum Grab des heiligen Martin, um dessen Beistand zu erbitten; manche Brüder meinen gar, er wolle sich nur in Sicherheit bringen. Rabanus Maurus bewegt sich gerne auf dem sicheren Boden der Autorität: »Sein Verstand war zwar scharf, doch abgestumpft durch Dogmen und Doktrinen, phantasielos und unbeweglich« (315). In Der sechste Tag ist Rabanus Maurus nicht sehr profiliert dargestellt: Er ist ein Freund von Magister Thomas Ravennus, ein Gefolgsmann Kaiser Lothars, stolz auf die Kloster-Bibliothek und überaus geizig. Tariq kann ihn allerdings mit seinem Wissen über Johannes’ Geschlecht erpressen, so dass Rabanus Maurus Johannes nach Rom schickt und seine Ausbildung bezahlt. In Bezug auf Alkuin stellt sich die Frage, ob dieser überhaupt Mönch war und somit hier eine Rolle spielen sollte. Aus wissenschaftlicher Sicht lässt sich sagen, dass der Gelehrte wohl Diakon und kein Mönch war (womit er immerhin auch zölibatär leben musste). Im höheren Alter wurde er Laienabt verschiedener Klöster.456 In einigen Romanen wird er jedoch eindeutig als Mönch bezeichnet, was seine Behandlung in diesem Kapitel rechtfertigt: Die Romanfigur »Alkuin« wird grundsätzlich als sehr gebildet geschildert, Alkuins wichtige Rolle am Hof als Berater Karls wird herausgestellt. Er wirkt aber häufig lächerlich durch sein Benehmen, sein Äußeres oder sein Verhalten gegenüber jungen Männern. Insgesamt wird seine allzu menschliche Seite akzentuiert. Im Kriminalroman Das Pergament des Himmels ist Alkuin sogar wie oben angedeutet eine sehr zwielichtige Gestalt.

455 In der Verfilmung des Romans ist seine negative Darstellung noch weiter getrieben, so hat er ein furchteinflößendes Äußeres. In der Filmkritik von Michael Kohler (FIMDIENST) heißt es, den Heuchlern würde man das Heuchlerische an der Nasenspitze ansehen (vgl. http:// www.medienprofile.de/articles/article/die_paepstin_der_film; eingesehen am 13. 5. 2011) – das Gleiche gilt für die Bösen wie Rabanus Maurus. 456 Zu Alkuins Person, seiner geistigen Leistung und seiner Rolle in der karolingischen Reform vgl. D. Dales, Alcuin. Theology and Thought, Cambridge 2013; Tremp/Schmuki (Hg.), Alkuin von York; L. A. J. R. Houwen/A. A. MacDonald (Hg.), Alcuin of York. Scholar at the Carolingian Court (Mediaevalia Groningana 22), Groningen 1998.

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Aufschlussreich ist, wie sich einige Romanautoren hinsichtlich ihrer Figur »Alkuin« äußern. Im Glossar zum Roman Karl der Große von Thomas R. P. Mielke wird die historische Gestalt als Vorbild klar erkennbar: Alkuin wird als angelsächsischer Gelehrter, Benediktiner-Mönch, Priester, wichtigster geistlicher Berater Karls und Gründer der Hofschule bezeichnet. Interessant ist, dass Mielke des Weiteren die Einführung der Hofnamen durch Alkuin herausgreift (704f.). – Regina Kaiser lässt als Einzige ein Wissen darüber erkennen, dass Alkuin wahrscheinlich kein Mönch war; sie äußert sich auch über seinen Lebensweg: Im Epilog von Die Abbatissa schreibt sie, Alkuin habe eine hervorragende Ausbildung in der Klosterschule in York genossen, begeistert Vergil gelesen und erstaunliche pädagogische Talente entwickelt. Er sei unter Karl so etwas wie ein Kultusminister gewesen. Viele seiner über 200 Briefe stammten aus seinen letzten 20 Lebensjahren als Laienabt des Martinsklosters in Tours. Sie seien erfüllt von Altersweisheit und tiefer Spiritualität und zeigten nicht den lebenslustigen jüngeren Mann an Karls Hof. »Alkuin war wohl kein Geistlicher, er hatte lediglich die Weihen eines Diakons, und war in seinen jungen Jahren den Freuden der Welt durchaus aufgeschlossen« (494). – Am Schluss von Das Pergament des Himmels äußert sich Antonio Garrido zu den Figuren seines historischen Romans, darunter Alkuin: Diese müssten trotz der zeitlichen Distanz ebenso glaubhaft und greifbar sein wie der Nachbar. Wenn die Notwendigkeiten des Romans es nahelegen, »kann auch der große mittelalterliche Gelehrte und Theologe Alcuinus zu dem ambiguen Alkuin werden, der in Das Pergament des Himmels Theresa so viele Rätsel aufgibt« (569). – Es geht also offenbar nicht nur darum, Leerstellen im historischen Wissen romanhaft zu füllen, sondern Figuren werden gleichsam neu geschaffen.

Neben vielen Affären von Mönchen mit Frauen (und vereinzelt von Nonnen mit Männern) werden in einigen Romanen auch homosexuelle Verfehlungen unter Mönchen erzählt. Besonders ins Auge sticht die Verbindung der Figur »Alkuin« mit homosexuellem Verhalten. Worin könnten die Gründe dafür liegen, dass gleich mehrere Autoren diese Verknüpfung herstellen? Womöglich legen einzelne Formulierungen in Alkuins schriftlichen Äußerungen, etwa in Briefen an seine Freunde, dies nahe bzw. verleiten zu solch einer Deutung, wenn man nicht von einer Intertextualität zwischen Romanen ausgehen möchte. Auch die Vermutungen des Historikers John Boswell gehen in die beschriebene Richtung. Er erwähnt die milden Vorschriften der Admonitio generalis zur Homosexualität. Alkuin habe mit dem Entwurf dieses Kapitulars zu tun gehabt und es sei vorstellbar, »that his own inclinations disposed him to treat homosexuality leniently«.457 Boswell spricht von einem »distinctly erotic element«458 im Kreis klerikaler Freunde unter Vorsitz Alkuins am Hof Karls des Großen, das besonders zwischen Alkuin und seinen Schülern bestanden habe. Viele ihrer Kosenamen würden von Vergils Eklogen herkommen, die offensichtliche ho457 J. Boswell, Christianity, Social Tolerance, and Homosexuality. Gay People in Western Europe from the Beginning of the Christian Era to the Fourteenth Century, Chicago/London 1980, 178 Anm. 31. 458 Boswell, Christianity, 188.

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moerotische Elemente enthielten. »The prominence of love in Alcuin’s writings, all of which are adressed to males, is striking«.459 In Gedichten würde Übertreibung nicht überraschen, aber sogar Alkuins Korrespondenz in Prosa enthalte ein Element »which can scarcely be called anything but passionate«.460 Im Alter hat Alkuin die Sünden seiner Jugend, wie er in einem Brief schreibt, bitter bereut, und seinen alten Freund Angilbert, der dieselben Sünden begangen hat, beauftragt, sie dem Papst persönlich zu erklären. Boswell meint dazu, »possibly Alcuin had given physical expression to his ardent love und regretted his indulgence as he faced death. Since he felt personally obligated to a life of celibacy, his remorse would not indicate any misgivings about homosexual relations per se«.461

Wie Johannes Fried schreibt, herrschte am Königshof in Aachen ein eigentümlich erotisches und homoerotisches Treiben. Im engsten Umfeld des Königssohnes Karl (diesen mit eingeschlossen) und des Hofes habe es homoerotische Verbindungen gegeben. Homoerotische Erfahrungen seien diesem Hof neben aller Freundschaft unter Klerikern nicht fremd gewesen. Alkuin selbst habe möglicherweise aus Erfahrung gesprochen.462 Peter Dinzelbacher hingegen ordnet die Schriften Alkuins den Freundschaftsbriefen karolingischer Mönche und Nonnen zu, die durch geistliche Geschwisterliebe gekennzeichnet sind, wobei individuelles Fühlen manchmal aufleuchtet. In Alkuins Briefen und Gedichten – bestimmt durch eine affektive Sprache mit beinahe mystischen Formulierungen – werde diese Kommunikationsform besonders intensiv deutlich. Alkuin war der Hauptträger des primär zwischen Männern bestehenden »karolingischen Freundschaftskultes«. Seine Ankündigung, Erzbischof Arno von Salzburg beim Wiedersehen leidenschaftlich zu küssen, zeigt, »dass man sich innerhalb der gebildeten Oberschicht der Epoche freundschaftlich eine demonstrative Emotionalität erlaubte – das intensivste an Zuwendung, was wir aus dem frühen Mittelalter kennen«.463 Dinzelbacher betont, dass diese Vorstellungen und Ausdrucksweisen in christliche Caritas eingebettet, und die Freundschaftsbeziehungen den familiären Beziehungen nachgestaltet waren. Er zitiert Heinrich Fichtenau, dass eine Zeit, die keine Liebeslyrik kannte, die poetische Freundschaft im Männerbund mit Leidenschaft gesucht und dabei wohl im allgemeinen die Grenzen des Erlaubten nicht überschritten habe.464 459 460 461 462 463

Boswell, Christianity, 189. Boswell, Christianity, 190. Boswell, Christianity, 191. Vgl. Fried, Karl der Große, 377.383. P. Dinzelbacher, Liebe im Frühmittelalter. Zur Kritik der Kontinuitätstheorie, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 19/1989 Heft 74: Konzepte der Liebe im Mittelalter, Hg. Wolfgang Haubrichs, 12–38, 27. 464 Vgl. H. Fichtenau, Das karolingische Imperium. Soziale und geistige Problematik eines Großreiches, Zürich 1949, 101–103.

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Die Frage, ob und in welcher Form Homosexualität im Kloster vorkam, ist aufgrund fehlender Belege kaum zu beantworten. Hier kann wieder nur etwas über den Anspruch und kaum über die Wirklichkeit ausgesagt werden. Wie Lutterbach festhält, gilt gleichgeschlechtliches sexuelles Verhalten den frühmittelalterlichen Bußbüchern als stark verunreinigend, es läuft dem von Gott vorgesehenen gegengeschlechtlichen Miteinander zuwider und ist für die Zeugung untauglich, weshalb es eine besonders drastische Form der iniquitas, pollutio und fornicatio darstellt, die von manchen Bußbüchern als menschenunwürdig und tierisch eingestuft wird. Das übergroße Maß an kultischer Verunreinigung muss durch eine entsprechende Tarifbuße ausgeglichen werden; nur so lassen sich die drohende Zerstörung der individuellen Seele durch Gott und die Vernichtung des von der Verunreinigung mitbetroffenen Gemeinwesens verhindern.465 Das Konzil von Paris 829 ahndet homosexuelles Vergehen und Bestialität und fordert hierfür unter Rückgriff auf das altkirchliche Konzil von Ancyra eine Abkehr von den geringeren Tarifbußen der Paenitentialien. Anhand alttestamentlicher Schriftzitate, etwa aus dem Buch Levitikus, werden diese Vergehen als kultisch relevante Befleckung beschrieben.466 – Wird gleichgeschlechtliches Verhalten an sich schon negativ beurteilt, gilt dies wohl erst recht, wenn es unter Mönchen vorkommt. Unzuchtdelikte von Klerikern und Nonnen wiegen besonders schwer, und generell gelten höhere Bußtarife für Kleriker als für Laien.

3.5

Gebildete Mönche – zwischen Romanwelt und Forschung

Die herausragende Schreib- und Lesefähigkeit vieler Mönche nimmt grundsätzlich einen großen Raum in den Romanen ein. Interessant ist, welche Aspekte die Romanautoren im Bereich des Themas »Kloster und Bildung« aufgreifen und welche sie weglassen: Dass die Klöster nach Ausweis der Mittelalterforschung durch die Buchproduktion in den Skriptorien eine große Rolle in der karolingischen Renaissance spielten und zum Erhalt antiker Schriften beitrugen, findet angemessene Berücksichtigung. Das Erstellen und Verzieren von Bibelhandschriften durch Mönche und Nonnen, sogar die Herstellung von Farben, wird in den Romanen detailreich geschildert. Dass Klöster Schulen unterhielten oder Mönche als Erzieher von Königssöhnen fungierten, wird ebenso deutlich wie die Tatsache, dass ein Kloster Möglichkeiten für Schwache, Behinderte etc. eröffnete und einigen Kindern Förderung und Bildung bieten konnte, die sie an anderen Orten nicht hätten erlangen können. Nur in ganz wenigen Romanen wie der Abt Erwin-Reihe kommt hingegen ein Musterkodex wie die Alkuin-Bibel vor, der in klösterlichen Skriptorien abgeschrieben wird – und somit ansatzweise die Idee der authentischen Texte. Die frühmittelalterliche Vorstellung, dass nur richtiges Sprechen, Lesen und Schreiben Gott wohlgefällig ist, wird kaum deutlich. Oft scheint in den Romanen 465 Vgl. Lutterbach, Sexualität, 160f. 466 Vgl. Lutterbach, Sexualität, 231–233.

324

Entfaltungen christlichen Lebens 1: Das Thema Mönchtum

nur das aufgegriffen und fortgeführt zu werden, was in das Konzept der Autoren passt. So wird etwa das herausragende Denken eines Alkuin, des größten Gelehrten seiner Zeit, so weit ausgebaut, dass er wie einer unserer Zeitgenossen wirkt. Dass auch er im Horizont seiner Zeit hinsichtlich wichtiger Fragen voraufgeklärt dachte, wird nicht klar. Sein Kerngedanke, nur rechte Lebensführung bei Herrscher und Volk finde Gottes Wohlgefallen und erhalte im Gegenzug Frieden und Wohlergehen, trägt z. B. den Tun-Ergehen-Zusammenhang in sich; dies bleibt in den Romanen unberücksichtigt. Während viele der in den Romanen erwähnten Mönche als sehr gebildet und in ihrem Denken herausragend beschrieben werden, wirken einzelne eher wie Karikaturen. Einige sind zwar von Bildung, aber zugleich von Dogmatismus geprägt, wie Rabanus Maurus in Die Päpstin (s. o.) oder Godhard in Das Geständnis der Amme. Aufschlussreich ist, wofür die Mönche ihre Bildung einsetzen: Einige wie z. B. Wunibald (Das Geständnis der Amme) nutzen ihre Schlauheit zu ihrem eigenen Vorteil. Die Romanautoren schildern nur wenige Mönche oder Äbte, etwa Odo in Das Buch der Sünden, als verbrecherisch; diese Figuren gebrauchen ihre intellektuelle Überlegenheit, um sich auf Kosten anderer zu bereichern oder ihnen sogar massiv zu schaden. Die Mehrzahl der Mönche hingegen gibt ihre Kenntnisse an andere weiter oder löst mithilfe ihrer geistigen Fähigkeiten Kriminalfälle. In den untersuchten historischen Kriminalromanen spielt die Bildung der Mönche, welche dort die Hauptfiguren darstellen, eine große Rolle. Besonders in diesen Romanen fallen »modern« denkende Figuren auf. Dass Mönche im Frühmittelalter in der Tat Träger von Bildung und Schriftkultur waren, prädestiniert sie als Verbindungsglieder zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Außerdem zeigt sich in den Kriminalromanen ein ganz bestimmtes Verhältnis von Fremdheit und Vertrautheit mit dem Mittelalter. Bereits der erste wirkliche Publikumserfolg unter den historischen Kriminalromanen drehte sich 1977 um einen mittelalterlichen Mönch, Bruder Cadfael, worauf Korte und Paletschek verweisen.467 Sie betonen, dass Genrekonventionen des Kriminalromans häufig die Anachronismen bedingen, die verstärkt auftreten würden, je weiter die geschilderte Epoche von der Entstehungszeit eines 467 Vgl. Korte/Paletschek, Geschichte und Kriminalgeschichte(n), 12f. Zur Mode seien die im 12. Jahrhundert spielenden Romane von Ellis Peters um diesen Mönchsermittler (z. B. Im Namen der Heiligen) allerdings erst nach dem internationalen Erfolg von Ecos Der Name der Rose geworden, der mit dem Prestige eines literarisch anspruchsvollen Werkes ausgestattet war. Zum weiteren Erfolg der Bruder Cadfael-Reihe hätten in Großbritannien auch die Adaption als Fernsehserie in den 1990er Jahren sowie die touristische Vermarktung der Abtei von Shrewsbury und eines Themenparks beigetragen. – Zu Bruder Cadfael vgl. auch Geppert, Der Historische Roman, 186–189 (unter dem Stichwort des pluralen Erzählens im unterhaltenden historischen Roman).

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

325

Krimis entfernt sei. Urbane Spurenleser nach Art von Sherlock Holmes würden in Krimis zu vor- oder frühmodernen Epochen als ahistorischer Fremdkörper erscheinen. Der forensische Blick des heilkundigen Bruders Cadfael sei historisch sehr wahrscheinlich so nicht vorstellbar. Auf solche Figuren würden oft moderne Mentalitäten projiziert. Anachronismen seien nicht per se negativ zu werten, könnten aber ein problematisches Geschichtsbild erzeugen. Sie gehörten »zu den Strategien, durch die Lesern Zugänge zur Geschichte erleichtert werden, und sie können auch Teil des metahistorischen und intertextuellen Spiels sein, das in vielen historischen Kriminalromanen gespielt wird«.468 Die Mönchsermittler in den untersuchten Romanen sind vielfach definitiv als »Leuchtturmgestalten«, die aus ihrer Zeit herausragen, gezeichnet. Figuren wie Abt Erwin (Abt Erwin-Reihe) oder die Mönche Eckhard (Die Herren von Buchhorn), Hathumar (Mord im Dom) und Alkuin (Das Pergament des Himmels) sind nicht nur gebildet wie viele andere Mönche in den Romanen, sondern geprägt von geradezu heutigen Denkweisen und Methoden bei ihren Ermittlungen. Sie arbeiten mit logischen Schlussfolgerungen, bringen ihre naturwissenschaftlichen Kenntnisse an und legen eine kritische Haltung zu Folter, Blutrache und Gottesurteilen an den Tag. Somit stellen sie Anknüpfungspunkte für gegenwärtige Leser dar, die sich mit ihnen identifizieren und gespannt ihre Ermittlungen verfolgen können. Gleichzeitig ist das Eintauchen in die exotische Kulisse einer fremden Zeit möglich, vielleicht sogar ein Lernen über die Vergangenheit. Die Mönche, die als Ermittler fungieren469 und zum Teil gemeinsam mit Adeligen als Missi Dominici unterwegs sind, begegnen dem Verbrechen an Adelshöfen ebenso wie in Klöstern. Skandale in Klöstern scheinen sich gut für eine Krimihandlung zu eignen, wie sich besonders an der Odo und Lupus-Reihe zeigt; die Erlebnisse der Figuren sind kaum an Skurrilität zu überbieten. Lupus wirkt wie die Karikatur eines Mönchs, seine Darstellung erscheint überzogen und typisierend: Der Ich-Erzähler ist klein, dick, gemütlich, naiv und verführbar. In der Abt Erwin-Reihe stehen die Verletzung und Wiederherstellung der sozialen Gerechtigkeit im Vordergrund. Hierfür setzt sich der hagere, große, intelligente und besonnene Abt Erwin ein, für den Alkuin Pate gestanden haben könnte.470 Die Darstellung von »sex and crime«, welches, wie es scheint, besonders mit den

468 Korte/Paletschek, Geschichte und Kriminalgeschichte(n), 19. 469 Zu Mönchen bzw. Priestern als Ermittlern im (filmischen) populären Genre vgl. grundsätzlich auch C. Hatzenbichler, Geweihte Kriminalisten. Pater Brown und seine Erben, in: Heimerl/Kienzl (Hg.), Helden, 63–82. 470 Eine Nonne kommt in keinem der untersuchten Romane als Ermittlerin vor. Zu nennen ist hier natürlich die im siebten Jahrhundert spielende, sehr erfolgreiche Krimireihe um die irische Anwältin Schwester Fidelma von Peter Tremayne, vgl. z. B. Ein Gebet für die Verdammten.

326

Entfaltungen christlichen Lebens 1: Das Thema Mönchtum

»dunklen Gängen« mittelalterlicher Klöster assoziiert wird, erzeugt den zu einem Kriminalroman gehörenden Schauer.

3.6

Fragen nach Leben und Tod

In seiner »Nachschrift zum ›Namen der Rose‹« bezeichnet Umberto Eco den Kriminalroman als das »metaphysischste und philosophischste« Handlungsmuster. Er führt die Beliebtheit des Krimis darauf zurück, dass dieser »eine Konjektur-Geschichte im Reinzustand darstellt«:471 Mithilfe von Vermutungen und Annahmen, die sie dann überprüfen, würden ein Arzt, Forscher oder Metaphysiker ebenso vorgehen wie ein Detektiv. – In ähnlicher Weise sehen Korte und Paletschek in der Arbeit sowohl von Historikern als auch von Detektiven Elemente des Rückwärtsdenkens und der Detektion. Beide Praxen wollten anhand von Fakten, Spuren und Indizien zu einer wahren Aussage über die Vergangenheit kommen. Der Kriminalroman eigne sich daher gut zur Thematisierung epistemologischer und ontologischer Fragen.472 Angesichts dieser Aussagen erscheint die festgestellte Verbindung des Kriminalromans mit dem Thema des (früh)mittelalterlichen Mönchtums besonders treffend und naheliegend, denn eine Beschäftigung mit dem Mönchtum führt zu grundsätzlichen Fragen in Bezug auf Menschsein, Christsein, Lebensgestaltung, Tod und Jenseits. Der – häufig unnatürliche und grausame – Tod spielt im Krimi selbstverständlich eine große Rolle: Die ermittelnden Mönche müssen nicht nur den Tod anderer aufklären, sondern auch ihr eigenes Leben ist vielfach bedroht. Lupus z. B. (Odo und Lupus-Reihe) oder auch Abt Erwin geraten bei ihren Reisen und Ermittlungen immer wieder in Lebensgefahr. Seinem Vetter, dem Prior Volbertus, erklärt der Ich-Erzähler Lupus wiederholt brieflich, wieviel mehr er erlebt als dieser in seiner abgeschieden lebenden Gemeinschaft. In einer bedrohlichen Situation wird Lupus, der große Angst vor dem Fegefeuer hat, einmal von einer Vision desselben heimgesucht. Die Thematik von Sterben und Tod spielt aber nicht nur in den untersuchten Krimis eine Rolle. Auch in Romanen, die Missionsaktivitäten beschreiben, ist das Leben vieler Mönche währenddessen bedroht oder findet sogar ein Ende. In einigen anderen Romanen wird Gewalt gegen Mönche und Nonnen, etwa in Form von Zerstörungen von Klöstern durch Normannen, beschrieben, was teilweise zu einem unverschuldeten Verlust des Klosterlebens führt. In den Abenteuerromanen wird das mögliche Sterben ebenfalls thematisiert: Der IchErzähler Aidan (Die Reise nach Byzanz/In geheimer Mission für den Kaiser) 471 Eco, Nachschrift, 60.63. Kursivsetzung im Original. 472 Vgl. Korte/Paletschek, Geschichte und Kriminalgeschichte(n), 20f.

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

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spricht wiederholt von seinem drohenden Tod, den er entsprechend einer Vision in Konstantinopel erwartet. Letztlich stirbt er zwar dort, allerdings hochbetagt und somit erst viel später als befürchtet. Auch Agrippa (Das Buch Haithabu) entrinnt immer wieder dem Tod und wird schließlich sehr alt. In seinem in der Ich-Form verfassten Bericht finden sich besonders viele Anmerkungen hinsichtlich des Alters und Verfalls, direkt zu Beginn erzählt er dem »Leser fernerer Zeiten« (24) z. B. vom Verlust seines letzten Zahns (7f.). Erwähnenswert ist in diesem Kontext der im zehnten und elften Jahrhundert angesiedlte Roman Das Geständnis des Mönchs. Alter und Verfall spielen darin eine ebenso große Rolle wie im Roman um Agrippa. Das Geständnis des Mönchs weist das gleiche Konzept auf wie die beiden erwähnten Abenteuerromane: Ein Mönch, Hroswith, erzählt seine bewegte Lebensgeschichte, darunter seine Begegnungen mit anderen Religionen, mit Heiden, Muslimen etc. Einiges an diesem Mönch ist allerdings sehr ungewöhnlich: Er ist erst spät ins Kloster gelangt, er schabt eine Bibelhandschrift ab, um seine Erinnerungen aufzuzeichnen, als Kind wurde er selbst für den Antichrist gehalten, außerdem glaubt er nicht an ein Leben nach dem Tod.

Mit der Schilderung der Bedrohung des Lebens greifen die Romanautoren einen das Mittelalter bestimmenden Faktor auf. Inwieweit wird aber die im Mittelalter ebenso zentrale Vorsorge für das Leben nach dem Tod thematisiert? In den Romanen spielt die Sorge für das eigene Seelenheil eine gewisse Rolle und macht Mönchen und Nonnen immer wieder zu schaffen, wohingegen die Sorge für das Seelenheil anderer weniger thematisiert wird (s. o.). Nur wenige Mönche werden als Gottsucher dargestellt, so z. B. Aidan (Die Reise nach Byzanz/In geheimer Mission für den Kaiser), der von vielen Zweifeln geplagt wird und erst durch den von ihm bekehrten Heiden Gunnar zum Glauben zurück findet. Neben Aidan macht sich Johanna (Die Päpstin) die meisten Gedanken über Gott und den Weg, den dieser mit ihr vorhat. Auch Lupus (Odo und Lupus-Reihe) ist durchaus selbstkritisch und besorgt um sein Seelenheil. Die Frage des Seelenheils kommt noch am ehesten bei den Mönchen vor, die sich bemühen, die Heiden zum Heil zu führen. Einzelne Mönche in den Romanen glauben sogar mehr an sich selbst und ihre eigenen Kräfte als an Gott und dessen Wirken.

3.7

Randfiguren: Klosterfrauen und Stiftsherren

In der Wissenschaft wird in letzter Zeit sehr stark nach Frauen im Kloster gefragt, etwa nach deren Bildung, nach den liturgischen Aufgaben der Nonnen oder nach der Macht der Äbtissinnen. In den Romanen hingegen spielen diese Frauen kaum eine Rolle. Lediglich in Die Abbatissa steht das Klosterleben von Frauen im Mittelpunkt; Die Herren von Buchhorn widmet sich der Lebensform der Inklu-

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Entfaltungen christlichen Lebens 1: Das Thema Mönchtum

sen. Imma und Wendelgard, zwei Hauptfiguren dieser Romane, leben nicht durchgehend als Religiose, sondern wechseln die Lebensform. Wendelgard z. B., die sich den Inklusen anschloss, weil sie ihren Mann für tot hielt, möchte zu diesem zurückkehren, als sich herausstellt, dass er lebt. Ein skurriler Wechsel zwischen verschiedenen Lebensformen inklusive eines Wandels von einer Verbrecherin zur Heiligen wird für Fausta im Roman Pilger und Mörder beschrieben: Zunächst lebt sie als »canonica« im Kloster der drei Marien, wo sie sich zur »abbatissa canonica« aufspielt, auf eine Stufe mit der Äbtissin stellt, harte Strafen für die kleinsten Vergehen einführt und mit einer kleinen Gruppe die ganze Gemeinschaft tyrannisiert. Angeblich erkennt sie dann, dass sie nicht zum Leben der Gottgeweihten bestimmt ist, und will stattdessen das ihr als Wittum gehörende Gut verwalten und im weltlichen Leben fromme Werke tun. Als Fausta schließlich als Mörderin eines Bischofs entlarvt wird, entsagt sie der Welt, nimmt den Schleier und legt die Gelübde ab. Sie lässt das Herrenhaus ihres Wittums zu einem Kloster umbauen, überlässt ihr Eigentum der Gemeinschaft der frommen Schwestern und lebt zur Sühne für ihr bisheriges Leben als Klausnerin in einer kleinen, an eine Kirche angebauten Hütte. Die Nonnen ihres neu gegründeten Klosters, das zum Ziel von Wallfahrten wird, folgen ihrem leuchtenden Beispiel frommer Askese und gottgefälliger Werke. Wundergläubige strecken ihr die Hände hin, damit die ihr nachgesagte Kraft, den Teufel zu bezwingen, auf sie übergehe.

Johanna bzw. Johannes in Die Päpstin und Der sechste Tag, die beiden Frauen, die verkleidet in einem Männerkloster leben und schließlich Papst werden, stellen einen Sonderfall dar.473 Sie sind keine Nonnen, aber im Grunde auch keine wirklichen Mönche. Sie wechseln die Geschlechterrolle und ansatzweise auch die Lebensform. Das klösterliche Leben, das sie in Fulda begonnen hatten, kommt mit ihrem Weggang nach Rom an ein gewisses Ende. Sie gehen keine Ehe ein, sondern leben, während sie dabei sind, Papst zu werden, eine freie Beziehung zu einem Mann. Dass Johanna (Die Päpstin) die vor ihrem Klostereintritt begonnene Beziehung zu Gerold fortsetzt, wird innerhalb des Romans nicht als Bruch des mönchischen Keuschheitsgelübdes problematisiert. Gegen eine Flucht mit Gerold aus Rom entscheidet Johanna sich, weil sie als Papst die ihr anvertrauten Menschen und Aufgaben nicht im Stich lassen will.474

473 Der Kunsthistoriker und Verleger M. Imhof, Die Päpstin Johanna. Wahrheit und Mythos, Petersberg 2011, 32–40, sieht Parallelen zwischen der Vita der legendären Päpstin und den Lebenswegen der heiligen Radegunde, der heiligen Lioba und der Hildegard von Bingen, etwa in Bezug auf ihre Ausbildung, auf die Lehr- und Reisetätigkeit. Der ungewöhnliche Lebenslauf der 1170 geborenen heiligen Hildegund von Schönau, die als Junge verkleidet reiste und ins Kloster eintrat, zeige sogar erstaunliche Parallelen. – Die Autorin Donna W. Cross erwähnt Hildegund auch im Nachwort zum Roman Die Päpstin (566). 474 In seiner Filmkritik spricht Michael Kohler davon, dass Johanna der »letzten Versuchung Christi« widersteht, vgl. http://www.medienprofile.de/articles/article/die_paepstin_der_ film; eingesehen am 13. 5. 2011.

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

329

Mit Ausnahme von Die Abbatissa bleiben die Bildungschancen von Frauen im Kloster unklar. Gisela Muschiol kritisiert, dass Johanna in Die Päpstin nur Bildung erlangt und Karriere macht, indem sie sich als Mann ausgibt, obwohl durchaus Zeugnisse über Bildungs- und Einflussmöglichkeiten für Frauen im Frühmittelalter, besonders in Klöstern, vorliegen.475 Innerhalb des Romans werden die fehlenden Möglichkeiten mit Johannas Geschlecht und nicht mit ihrer niedrigen Herkunft (sie ist die Tochter eines Dorfpriesters) erklärt, denn auch ihr Bruder, dessen Identität sie annimmt, sollte ja ins Kloster gehen. Katrinette Bodarwé ist der Ansicht, dass das Klosterleben im frühen Mittelalter für viele adlige Frauen eine Lebensalternative darstellte. »Sie konnte frei gewählt oder durch die Familie aufgezwungen sein, bedeutete jedoch immer – verglichen mit dem Leben als Laiin – eine Veränderung der Lebensbedingungen und des sozialen Umfelds«:476 Den Klosterfrauen blieb die lebensbedrohende Phase der Mutterschaft erspart; in einem gut geführten Kloster wohnten sie in geheizten Räumen und verfügten über eine gute Lebensmittelversorgung. Die ständigen nächtlichen Gebete und asketischen Übungen konnten allerdings die Gesundheit beeinflussen. Das Kloster bot eine neue Lebensgemeinschaft und im Falle eines Äbtissinnenamtes auch eine gesellschaftliche Karriere; die familiären Bande bestanden aber trotz der kirchlichen Forderung, diesen zu entsagen, weiter, so Bodarwé.

Das Phänomen der Doppelklöster wird in den Romanen, etwa in der Odo und Lupus-Reihe oder in Die Welfenkaiserin, nur kurz angedeutet. Betont wird in diesem Zusammenhang lediglich das Thema des gefährlichen Kontaktes zwischen Männern und Frauen. In den Odo und Lupus-Romanen liegt der Fokus grundsätzlich darauf, dass Frauenklöster genauso verkommen sind wie Männerklöster. In Die Welfenkaiserin findet das bekannte Kloster der heiligen Radegundis in Poitiers als Zufluchtsort Erwähnung. Dass es aufgrund einer verstärkten Wertschätzung der Messfeier im frühen Mittelalter zu einem allmählichen Ausschluss der Frauen von liturgischen Diensten kam, wird in den Romanen genauso wenig deutlich wie die zunehmende Trennung der Geschlechter und die immer strenger werdenden Klausurvorschriften für die Frauen. Die Abgrenzung von Mönchen gegenüber Klerikern bzw. Kanonikern im frühen Mittelalter stellt eine wichtige Forschungsfrage dar. In den Romanen 475 Vgl. Muschiol, Frau. Ähnlich äußert sich E. Gössmann, »In Benedikt XVI. setze ich große Hoffnungen«. Interview von Barbara Just (KNA) zur Diskussion über »Die Päpstin«, auf: http://www.katholisch.de/36234.html; eingesehen am 13. 5. 2011. – Auch für die begabte Arnalda, die von Johanna gefördert wird, existieren im Roman nur die Alternativen, einen Mann und Kinder zu haben oder sich selbst als Mann auszugeben; sie wird später Bischof. 476 Bodarwé, Frauenleben, 117. – Goetz, Schluss, 178, betont, nur im Hinblick auf die religiöse Lebensform dürfe das Klosterleben als Alternative zur Ehe betrachtet werden; es als Flucht vor dem Ehemann zu deuten, unterschätze die beiden Geschlechtern gemeinsamen religiösen Motive sowie die Bindungen zwischen Kloster und Welt.

330

Entfaltungen christlichen Lebens 1: Das Thema Mönchtum

werden Kanoniker und Kanonissen grundsätzlich wenig thematisiert. Nur einige der beschriebenen Mönche sind Priester. Die frühmittelalterlichen Prozesse der Monastisierung des Klerus und der Klerikalisierung des Mönchtums werden in den Romanen kaum deutlich, ebenso wenig die allmähliche Trennung von Kloster und Stift. Nur ganz am Rande werden in den Romanen das Leben von Chor- bzw. Stiftsherren und der Unterschied zum Mönchtum behandelt. Die Bedeutsamkeit des Bischofs, der Eucharistiefeier und der karolingischen Reformen treten hierbei hervor: In der Abt Erwin-Reihe werden Chorherren erwähnt, die oftmals im Bischofspalast leben. Alkuin, der in Das Pergament des Himmels vorübergehend in der Abtei Fulda untergebracht ist, wohnt während seiner Visitation eigentlich im Domstift. Dieses, so die Aussage des Romans, orientiere sich an den letzten Reformen Karls, der »Institutio Canonicorum«. In der Odo und Lupus-Reihe heißt es, dass Bischof Pappolus den Sallustus als einzigen der Chorherren der Bischofskirche unter seinem Dach duldete, er hatte dort eine Kammer. Andere Chorherren zelebrieren in der Bischofskirche, einer kahlen, lang gestreckten Basilika mit einem Hochaltar und Seitenaltären, die Messe oder ministrieren dort. In Das Buch Haithabu geraten – gemessen an den Erkenntnissen der Geschichtswissenschaft – einige Bestimmungen durcheinander: Agrippa erklärt, dass in einem Stift eigentlich gelehrte Laien leben, die Gott näher sein wollen als es im gemeinen Leben möglich ist, während die Orte der Mönche die Klöster sind, »geheiligt durch Gott und in Zucht gehalten durch die Regula Benedicti« (34). Er hofft, dass das Stift Ramsolano zum Kloster aufsteigen wird. Die im hinteren Teil des Stiftshauses in Zellen lebenden Mönche spenden den Stiftsherren den Morgensegen und lesen ihnen dreimal am Tag die Messe.

3.8

Fazit

Wie wird in den Romanen ein Mönch gezeichnet? Wofür steht er dort? Warum ist er für einen Romanautor interessant? Und was zeichnete im Gegensatz dazu nach Ausweis der Forschung einen frühmittelalterlichen Mönch aus? Wie lebte er? So sei resümierend gefragt. Im Roman werden die Räumlichkeiten, Ämter oder Gebetszeiten eines frühmittelalterlichen Klosters vordergründig forschungsgemäß dargestellt. Konkrete Ausprägungen des Lebens von Mönchen und Nonnen wie Kleidung oder Aufgaben werden beschrieben, aber die Idee hinter ihrer Lebensform tritt stark zurück. Unklar bleiben die geistesgeschichtlichen Hintergründe und die Leistungen des Mönchtums. Das frühmittelalterliche Mönchtum zeigte nach Ausweis der Forschung in vielerlei Hinsicht eine Abkehr von neutestamentlichen Denkweisen und wurde stattdessen zu einem Ausdruck eines vor-aufgeklärten Weltverstehens. In den Romanen hingegen spielen solche archaischen Vorstellungen wie der Tun-Ergehen-Zusammenhang oder die gezählte Frömmigkeit kaum eine

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

331

Rolle. Die Denkweise vieler Mönchsfiguren ist vielmehr von einer heutigen, nach-aufgeklärten Sicht geprägt. Das Konzept des Vir Dei bzw. der Famula Dei, die Vorstellung der kultischen Reinheit oder der besonderen Gotteskindschaft waren nach Ausweis der Forschung wichtige Triebkräfte des Mönchtums. Viele Mönche und Nonnen in den Romanen leben hingegen »unrein«, sind genussfreudig und haben Affären. Damit ein Mönch im Roman eine positive und wirkmächtige Gestalt ist, muss er gerade nicht enthaltsam leben. Der frühmittelalterliche Gedanke, dass die sexuelle Reinheit des Mönchs eine Bedingung für die Wirkung seines Gebetes darstellte, wird so ins Gegenteil verkehrt. Die tiefere Bedeutung des (stellvertretenden) Gebets der Mönche und Nonnen, welches ein Ausdruck von Leistungsfrömmigkeit und Ausgleichsdenken war, wird in den Romanen nicht klar. Die Mönche heilen dort mithilfe der Natur und naturwissenschaftlicher Kenntnisse statt als Gottesmänner aufgrund ihres asketischen Lebenswandels Gottes Kraft zu erhalten, welche sie für andere einsetzen können. In den Romanen stellen sich zwar im Zusammenhang mit dem Mönchtum grundsätzliche Fragen nach Leben und Tod, dabei gilt die Sorge der Mönchsfiguren aber mehr dem eigenen Seelenheil als dem anderer. In Bezug auf den Eintritt ins Kloster werden in den Romanen Zwang und äußere Umstände betont, während die Ausrichtung am Willen Gottes, ausgedrückt in den biblischen Berufungsworten, als Motivation kaum eine Rolle spielt. Manche Mönchsgestalten zweifeln sogar an Gott, andere glauben mehr an sich selbst. In den Romanen werden zwar viele Kinder ins Kloster gebracht, dabei werden deren besondere Reinheit und die Vorstellung von Gabe und Gegengabe als historischer Denkhintergrund aber höchstens angedeutet. Sahen sich die frühmittelalterlichen Mönche aufgrund ihres Verzichts als besondere Gotteskinder und als die besseren Christen an, gelingt den Romanfiguren der Verzicht kaum. Nicht das Ideal klösterlichen Lebens steht im Mittelpunkt der Romane, sondern das Scheitern daran. Anstelle einer Abkehr von der Welt und eines dauerhaften Lebens im Kloster beschreiben die Romane das Unterwegssein vieler Mönche und letztlich ihren Weg aus dem Kloster heraus. In den Romanen werden einige negative Zuschreibungen an Mönche aufgeführt, die von Faulheit, Luxus, Bereicherung, Eigennutz, sogar Verbrechen bis hin zu fehlender geistiger Flexibilität reichen – neben der Herausstellung der denkerischen Leistungen vieler Mönche. Vielfach erscheint der Mönch in den Romanen als Exot, der auf außergewöhnliche Weise lebt und Unverständnis auslöst, gerade aus einer heutigen Warte. Die Darstellungsweise kennzeichnet ein bestimmtes Verhältnis von Fremdheit und Vertrautheit: Die exotische Kulisse einer fernen Zeit, der ungewöhnliche Schauplatz Kloster und die fremde Lebensform Mönchtum üben einen Reiz aus. Zugleich bieten Figuren, die denken und fühlen wie heutige Menschen, Identifikationsmöglichkeiten. Hierfür eignen sich be-

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Entfaltungen christlichen Lebens 1: Das Thema Mönchtum

sonders die gebildeten Mönche, welche etwa in Kriminalromanen als Ermittler fungieren, ausgestattet mit naturwissenschaftlichem Denken und nach-aufgeklärten Logiken. Die vor-aufgeklärte Wurzel der klösterlichen Schriftproduktion – das Streben nach korrekten Texten, um Gott in rechter zu Weise zu dienen und so sein Wohlwollen zu erlangen – wird in den Romanen kaum deutlich. Ebenso wenig wird das vor-aufgeklärte Denken eines Alkuin hinsichtlich wichtiger Fragen thematisiert. Mönche werden in den Romanen mit einer großen geistigen sowie räumlichen Mobilität assoziiert. Dort kommt durchaus der wissenschaftliche Befund zur Geltung, dass gerade die Klöster der Karolingerzeit in vielfältigem Kontakt zur Gesellschaft standen und in politische Belange eingebunden waren. Dennoch werden wohl die wenigsten Mönche im Frühmittelalter so gelebt und soviel erfahren haben wie einige der Romanfiguren z. B. auf ihren Reisen. Der Gedanke des gesellschaftlichen Austausches von Gebetsleistungen gegen Stiftungen oder Schutz kommt wenig vor. Zwar dient in den Romanen neben der Kleidung die Benediktsregel als Identitätsmerkmal der Mönche, aber wichtig ist den einzelnen Mönchen oder Gemeinschaften Selbstbestimmung. Dass in den Romanen der Einzelne zählt, auch wenn er ganz für sich lebt, oder ausgetretene Mönche die Lebensform weiterführen, passt nicht zum selbstverständlichen sozialen Eingebundensein des frühmittelalterlichen Menschen. Statt den in frühmittelalterlichen Klosterregeln bedeutsamen Gehorsam positiv zu betonen, wird in den Romanen Kritik an Leitungspersonen und an der Institution Kirche geübt. Die vor-aufgeklärten Denkhintergründe der Reglementierung des Lebens von Mönchen und Klerikern (wie Einheitswille und Romorientierung der karolingischen Herrscher) werden nicht klar. Die Forschungsfragen nach Frauen im Kloster oder nach der Unterscheidung zwischen Mönchen und Kanonikern finden keinen Eingang in die Romane. Bildungsmöglichkeiten für Frauen im Kloster kommen kaum vor. In den Romanen wird nicht deutlich, dass Frauengemeinschaften zunächst als spirituell ebenbürtig gesehen wurden, während später das Aufkommen des Klerikermönchtums und die damit zusammenhängende Hochschätzung der Eucharistiefeier ihren Einfluss beschnitten.

VI.

Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe

1.

Romanebene

1.1

Überblick zum Thema »Ehe« in den Romanen

Das Leben in der Ehe kommt in einigen Romanen vor, ist aber nur in wenigen Fällen ein Hauptthema. Gegenstand dieser Romane sind überwiegend die Ehen des Herrschergeschlechts der Karolinger: Der Roman Bei meiner Seele Seligkeit thematisiert die Ehe von Lothar II. mit Waldrada bzw. Teuthberga, Das Geständnis der Amme wirft einen Seitenblick auf diese Beziehungen, hat aber in erster Linie die Ehe von Judith, der Tochter Karls des Kahlen, und Balduin zum Inhalt. Die in den Romanen beschriebenen Ehen der Herrscher sind besonders aufschlussreich hinsichtlich der Fragen, wie eine Ehe zustande kommt – ob es eine Verpflichtungs- oder Liebesehe ist – und was eine Ehe konstituiert, wobei vor allem nach dem Konsens der Ehepartner gefragt wird. In den Romanen von Martina Kempff (Die Königsmacherin, Die Beutefrau, Die Welfenkaiserin) stehen die Ehefrauen und Konkubinen mehrerer Karolinger im Mittelpunkt. Die Herrscher werden dabei aus der Perspektive der Frauen geschildert. Die Ehen bekannter Herrscher spielen in den Romanen eine größere Rolle als die Ehen unbekannter Adeliger und des Volkes. Letztere werden eher nebenbei angesprochen, vor allem in der Odo und Lupus-Reihe, der Abt Erwin-Reihe oder der Uhtred-Saga. Die Konzentration auf die Beziehungsgeschichten der Mächtigen beim Thema Ehe ist ungewöhnlich im Vergleich zu den anderen Themen: Hinsichtlich Missionierung und Mönchtum hatte sich gezeigt, dass in den entsprechenden Romanen »einfache« Menschen, häufig gänzlich fiktive Personen, im Mittelpunkt stehen. Unter den für das Thema Ehe zentralen Romanen ist des Weiteren Die Träume der Libussa zu nennen. Darin geht es um die Ehe des (getauften) Heiden Lidomir aus dem Land der Cechen und der fränkischen Christin Radegund sowie um die damit verbundenen Probleme bis hin zum Ehebruch Radegunds. Ehen bzw. Beziehungen von Menschen solch unterschiedlicher Herkunft kommen in eini-

334

Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe

gen Romanen vor. Bereits im Kapitel IV zur Mission wurde der Frage nachgegangen, was die heidnischen Romanfiguren über die christliche Ehe erfahren. Einige Romane bieten einen Seitenblick auf die Ehe in anderen Kulturen oder Religionen. Dabei wird die christliche Eheauffassung stellenweise einer »alten« Auffassung gegenübergestellt. Aufgrund der Fokussierung auf christliche Lebensformen in der vorliegenden Arbeit werden Ehen von zwei Heiden in der Untersuchung keine Rolle spielen. Genovefa, ein weiterer wichtiger Roman zum Thema, begleitet die Ehe der jungen Grafentochter Genovefa und des Pfalzgrafen Sygifrid vom Beginn bis zum Ende. Genovefa wird zu Unrecht des Ehebruchs angeklagt – dies geschieht Frauengestalten in mehreren Romanen. Grundsätzlich wird dem Scheitern von Ehen in den Romanen viel größerer Raum gegeben als dem Gelingen. Die Affären vieler Männer, der Ehebruch, eine mögliche Scheidung und Wiederheirat sind häufige Themen. In der Mehrzahl der Romane zum Thema Ehe spielen Frauen die Hauptrollen. Das Verhältnis der Geschlechter, die Rolle der Frau in der Gesellschaft und der Kirche, »Unterdrückung« und Emanzipation der Frauen werden angesprochen. (Wahl-)Freiheit in Bezug auf eine Eheschließung sowie – grundsätzlicher – Selbstbestimmung und -verwirklichung werden in den Romanen für Männer und für Frauen gefordert. Das zeigt sich auch daran, dass kein breites Vorkommen der Ehe zu verzeichnen ist, sondern vielmehr andere Formen des Zusammenlebens im Mittelpunkt der Romane stehen. Wichtige Romanfiguren leben in einer »freien« Partnerschaft und setzen sich von kirchlichen Forderungen in Bezug auf Ehe und Sexualität ab. Grundsätzlich stellt die Ehe in den Romanen kaum ein Gegenüber zum Mönchtum bzw. eine Alternative zum Klosterleben dar. Die Ehe ist selten eine eigenständige Form christlicher Lebensgestaltung, sie wird kaum als Verwirklichung des Christseins in der Welt gezeichnet. Wie bereits im Kapitel V zum Mönchtum angesprochen, thematisieren einige Romane allerdings den Wechsel der Lebensform ihrer Figuren. So wird der Mönch Finnian (Das Amulett der Seherin) zum Ehemann und schließlich zum Priester; die Gräfin Wendelgard (Die Herren von Buchhorn) lebt zunächst als Ehefrau, dann als Inkluse und zuletzt wieder als Ehefrau. Wie bereits die Kapitel IV und V zur Missionierung und zum Mönchtum ist auch dieses Kapitel zunächst dreiteilig aufgebaut; aufgrund von Besonderheiten beim Thema Ehe ist zusätzlich ein vierter Schritt notwendig: Als erstes wird nach der in den Romanen dargestellten Anbahnung einer Ehe gefragt. Wie kommt es zu einer Eheschließung? In einem zweiten Schritt sind Gestalt und Gestaltung einer Ehe in den Romanen zu untersuchen. Worin bestehen die Kennzeichen einer christlichen Ehe? Schließlich ist die Beständigkeit und Brüchigkeit von Ehen in der Darstellung der Romane – anhand der Aspekte eheliche Treue,

Romanebene

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Ehebruch, Bedingungen für Trennung und erneute Heirat – einer Analyse zu unterziehen. In einem vierten Schritt müssen in diesem Kapitel zudem nichteheliche Liebesbeziehungen als Alternativen zur Ehe thematisiert werden, weil diese in den Romanen einen großen Raum einnehmen.

1.2

Die Anbahnung einer Ehe

Wie entsteht aus der Perspektive der Romanautoren eine Ehe? Welche Motive für eine Eheschließung werden den Romanfiguren zugeschrieben? Zunächst ist die Ehepraxis der Herrschenden ein wiederkehrendes Thema vieler Romane. Eheschließungen haben hier oft politische Gründe. Dabei treffen Eltern Entscheidungen für ihre Kinder und arrangieren eine Ehe. So folgt z. B. in vielen Romanen auf die Friedelehe Karls des Großen mit Himiltrud, welche teilweise als seine erste große Liebe geschildert wird, eine von seiner Mutter arrangierte Ehe mit Desiderata. Neben dem Zwang zur Heirat werden in vielen Romanen auch Liebe oder Begehren als Motive für eine Eheschließung dargestellt. Die jeweilige Familie hat auch einen großen Einfluss auf die verschiedensten Beziehungen »unbekannter« Menschen. Viele Romanfiguren werden als fremdbestimmt dargestellt, einige können bei der Wahl eines Partners selbst entscheiden, andere verweigern sich dem Willen ihrer Eltern oder den äußeren Umständen. Das geschilderte Spektrum reicht von einer Verpflichtungs- bis hin zur Liebesehe. 1.2.1 Ehen im karolingischen Herrscherhaus: Zwischen Vorgabe durch die Eltern und freier Wahl Zunächst fällt auf, dass viele der in den Romanen beschriebenen Ehen arrangiert werden. Als Gründe dafür werden z. B. dynastische und machtpolitische Erwägungen der Herrscherfamilie angeführt. Im Roman Bei meiner Seele Seligkeit benennt der Mönch Asmodi das Grundschema: Die meisten Menschen würden nicht aus Liebe heiraten, sondern weil ihre Eltern ihnen den Ehepartner unter bestimmten Kriterien auswählen. Dabei gehe es um eine Mehrung von Gütern oder Macht. In verschiedenen Romanen wie Mord im Dom, der Odo und Lupus-Reihe oder den Romanen von Martina Kempff (Die Königsmacherin, Die Beutefrau, Die Welfenkaiserin) wird erzählt, dass Karl der Große für ein Bündnis die Tochter des Langobardenkönigs Desiderius heiratet, woran seine Mutter Bertrada mitgewirkt hat. Im Roman Die Königsmacherin etwa äußert Bertrada in diesem Zusammenhang die Ansicht, dass es um Wichtigeres geht als Liebe. Später, so beschreiben es verschiedene Romanautoren, verstößt Karl jedoch Desiderata. Karls

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Tochter Rotrud wird mit dem byzantinischen Thronfolger verlobt, die Verlobung wird aber schließlich gelöst. Zeitweise gibt es Überlegungen für einen Ehebund zwischen Karl dem Großen und Kaiserin Irene von Konstantinopel. Mehrere arrangierte Ehen im Herrscherhaus stehen im Mittelpunkt der Romane von Martina Kempff: In Die Königsmacherin tritt Graf Fulco als Brautwerber für Pippin, den Sohn Karl Martells, auf. Graf Charibert von Laon hat bislang alle Bewerber um die Hand seiner Tochter Bertrada abgewiesen. Sie wird nun um ihre Zustimmung zur Ehe mit Pippin gefragt. Als sie einwilligt, soll sie nach Saint Denis gebracht werden. Leutberga, die uneheliche Tochter Chariberts mit Bertradas Amme, gibt sich während dieses Brautzuges allerdings als Bertrada aus und heiratet Pippin. Bertrada selbst wird unterwegs – ohne dass sie sich kennen – von Pippin vergewaltigt. Sie muss sich in Prüm verstecken, wo sie sich in Pippins Bruder Karlmann verliebt. Eine Heirat mit ihm lehnt sie jedoch ab – durch die Vergewaltigung ist sie schwanger. Nach einiger Zeit wird die Verschwörung aufgedeckt und Bertrada nimmt ihre Position an Pippins Seite ein. Jahre später liebt sie Karlmann noch immer, aber, wie sie feststellt, nur als Freund. Judith, die am Hof aufgewachsene Tochter des Grafen Welf, hat, wie es in Die Welfenkaiserin heißt, viele Bewerber um ihre Hand ausgeschlagen. Sie widersetzt sich ihrer »Bestimmung«, verheiratet zu werden; sie will keinesfalls »Magd eines Mannes werden« (23) oder ein Leben führen wie ihre Mutter. Diese schützte sie vor den Heiratsplänen des Vaters. Graf Welf hatte schon überlegt, Judith in ein Kloster zu geben. Der verwitwete Kaiser Ludwig möchte sich eigentlich in ein Kloster zurückziehen. Schon während der Ehe mit Irmingard hatte er dies erwogen, Irmingard weigerte sich aber, den Schleier zu nehmen. Ludwigs Berater drängen ihn nun dazu, aus einer Familie der Großen des Landes eine neue Gemahlin zu wählen. Sein Sohn Lothar meint, eine Heirat diene dazu, Besitz und Einfluss zu mehren und zu festigen; Ludwig halte Eheweiber und Wohlstand hingegen für gottgesandt. Zusammen mit anderen Mädchen wird Judith an den Hof gebracht und auf eine »Brautschau« vorbereitet; dabei ist wichtig, dass die Reinheit der Mädchen gewährleistet ist. Ludwig wählt Judith aus, die schließlich doch heiraten will, um nicht schutzlos zu sein. In Die Rose von Asturien von Iny Lorentz zwingt Karl der Große seinen Halbbruder Edward, für ein Bündnis mit Asturien Ermengilda, die Nichte des Königs Silo, zu heiraten. Karl droht, ihn sonst in ein Kloster zu schicken. Das würde Edward aber von seiner »großen Liebe« Hildiger trennen (360). Mönche belegen die enge Freundschaft der beiden Männer mit schlimmen Ausdrücken. Hildiger nutzt Edwards Vorliebe für Männer allerdings nur aus, um Macht auszuüben. Edward, der eine Abscheu gegen das weibliche Geschlecht hat, muss dazu gedrängt werden, mit Ermengilda die Ehe zu vollziehen.

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Diverse Beziehungen von Mitgliedern des Herrscherhauses zwischen Arrangement durch die Eltern und freier Wahl der Kinder werden im Roman Das Geständnis der Amme beschrieben: Irmintrud, so wird als Vorgeschichte erzählt, wurde früh mit Karl dem Kahlen, dem Sohn Kaiser Ludwigs des Frommen, verlobt. Dabei habe es sich um eine passende Verbindung gehandelt, wenngleich sich Irmintruds Vater zeitweise nicht sicher war, ob sich die Ehe für seine Tochter lohnen würde und es Karl gelänge, sich gegen die Übermacht seiner älteren Brüder durchzusetzen. Als sich König Ethelwulf von Wessex auf einer Pilgerreise nach Rom befand, gab Karl der Kahle ihm zum Schutz eine Eskorte mit; auf dem Rückweg bot er ihm seine Tochter Judith als Braut an. Die Ehe war wichtig für die Allianz zwischen Wessex und der Gallia. Judith war nicht geschlechtsreif, hatte aber das »kanonische Mindestalter« von 12 Jahren, als sie, so Judith selbst, »auf dem heiligen Altar der Ehe geschlachtet wurde« (188). Irmintrud hat ihrer Tochter nicht verziehen, dass diese vor der Hochzeit mit Ethelwulf drei Tage geweint hat. Sie fragte, warum es Judith besser gehen sollte als ihr selbst. Judith hatte von ihr keinen Protest gegen die Eheschließung erwartet, die beschlossene Sache war, aber sie war verletzt und entsetzt über die Kälte ihrer Mutter. Als Witwe kehrte Judith in die Gallia zurück und lebt nun mit ihrem Brautschatz in Senlis, das sie kaum verlassen darf. Man gewährt ihr nicht einmal ein Kloster als Zufluchtsort, denn dann wäre sie für die hohe Politik und ihre Bündnisse verloren. Judith befürchtet, dass ihr Vater sie einem seiner Verbündeten zur Gattin geben wird, denn die Ehe mit einer Königstochter verspricht Glanz und Gloria. Seinen Sohn Ludwig hat Karl der Kahle mit der Tochter des Bretonenhäuptlings Erispoe verlobt. Zur Eheschließung kommt es aber nicht, weil Erispoe ermordet wird. Von Ludwigs späterer Gattin Ansgard weiß sein Vater zunächst nichts. Ludwigs Schwester Judith vermutet, dass Ansgard aus einer aufrührerischen Adelsfamilie stammt, die dem König ihre Macht vor Augen halten will, indem sie einem aufrührerischen Prinzen die Tochter anvertraut. Judith erinnert Ludwig daran, dass laut der »Ordinatio Imperii« selbst die Brüder des Kaisers diesen um Erlaubnis bitten müssen, um den Bund der Ehe einzugehen. Dass Ludwig gegen König Karls Willen geheiratet hat, versteht dieser als Akt der Auflehnung. Judith meint, dass Karl Ludwig über kurz oder lang eine Braut zuführen wird, die einer ihm treuen Familie entstammt, und er Ansgard verstoßen muss. Ludwig bietet dem Krieger Balduin die Hand seiner Schwester dafür an, dass dieser in ein Bündnis einwilligt, aber Balduin lehnt ab. Judith ist verärgert darüber, dass auch Ludwig glaubt, er könne über sie verfügen. Auch ihr Bruder Karl hat sich heimlich mit der Witwe des Grafen Humbert von Bourges vermählt. Judith meint, sie sollte sich als Dritte im Bunde eigenmächtig einen Gatten nehmen, damit alle Großen des Landes erkennen, dass selbst die engste Familie

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Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe

nicht mehr zum König steht. Später geht sie aus freien Stücken eine Ehe mit Balduin ein. Daraufhin sagt ihr Irmintrud, dass sich ihr Vater mit ihr und Balduin versöhnen wird, weil Balduin sich sonst mit den Normannen verbündet. Sie aber wird diesen Bund nicht segnen und bezeichnet Judith als »Schande« für ihr Geschlecht. Judith sieht sich, die »glückliche, befreite Tochter«, als »Stachel« in der Seele ihrer verbitterten Mutter (590f.). Balduins Ziehvater Graf Robert hat die junge Ovida aus Noyon als Frau für seinen Neffen Gerold auserwählt. Ovida begegnet ihrem Gatten ohne echte Zuneigung. Weil sie von der Vorstellung angetan ist, »dass sich zwei Menschen fanden, die nicht dem Kalkül anderer folgten, sondern sich frei gewählt hatten«, will sie erfahren, wie genau Judith »ihr Herz an Balduin verloren hatte« (558). 1.2.2 Adelige und Menschen aus dem Volk: Im Zweifel für die Liebe In den untersuchten Romanen planen auch Adelsfamilien (sowie deren Untergebene) Ehen für ihre Kinder. Damit sind diese, so die Darstellung der Romane, allerdings häufig nicht einverstanden. Im gleichnamigen Roman ist Genovefa froh, dass ihr Haus durch ihre Heirat mit Pfalzgraf Sygifrid einen starken Verbündeten gewinnt. – In der Abt ErwinReihe werden Ehen häufig aus Machtstreben geschlossen, manchmal auch aus Liebe: Gräfin Oda (Mit Dolch und Gift) spricht von der Grundregel, dass die Leidenschaft des Einzelnen dem Interesse der Familie nachgeordnet ist. In An der Teufelsfurt spielt die schwierige Liebe zwischen den Kindern zweier verfeindeter Adelsfamilien eine Rolle; die beiden fliehen gemeinsam, letztlich führt ihre Liebe zu einer Versöhnung der beiden Familien. – In der Odo und LupusReihe werden vielfach Ehehandel eingefädelt, etwa um verfeindete Familien miteinander zu versöhnen, so von Graf Rothari und dem Adeligen Garibald. Rothari löst die Verlobung seiner Tochter allerdings wieder, um ihr einen unwürdigen Ehemann zu ersparen (Die Witwe). In manchen Gegenden, so heißt es, müssen die Jungfrauen ihrer Vermählung zustimmen; vereinzelt wird auch eine Ehe aus Liebe eingegangen. – In der Uhtred-Saga dienen Ehen oft dem Bündnisschluss und der Sicherung von Machtverhältnissen; manche Frauen müssen als »Friedenskuh« fungieren. Dabei wird ein Brautpreis gezahlt. Nur selten heiraten Menschen aus Liebe. König Alfred arrangiert z. B. Uhtreds Ehe mit der frommen Mildrith. Gisela, die durch einen Stellvertreter mit Uhtreds Onkel Aelfric verheiratet worden ist, heiratet später Uhtred; dessen Frau Mildrith ist nach dem Tod ihres Sohnes ins Kloster gegangen. In Der Kalligraph des Bischofs wird als Vorgeschichte erzählt, dass ein Mitarbeiter des kaiserlichen Kämmerers seine Tochter mit dem Sohn des Mundschenks verheiraten wollte, um ihren sozialen Aufstieg zu sichern. Adia weigerte sich aber und floh, da sie Claudius liebte. Mit diesem hatte sie sich oft heimlich

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getroffen; er hätte sie geheiratet, auch wenn die Kirche es ungern sieht, dass »geweihte Priester heiraten« (378). Als Magd kam Adia an den Hof des Grafen Udalbert. Während dessen Ehefrau als unfruchtbar galt, gebar Adia ihm als sein »Kebsweib« einen Sohn, Germunt (221). Nachdem die Gräfin schließlich auch einen Sohn bekommen hatte, wurden Adia und Germunt verstoßen und an einen Truchseß verkauft. Nach ihrer Flucht von dort bat Adia Claudius um Hilfe. Dieser brachte sie in einem Kloster unter, um sie vor ihrem wütenden verschmähten Bräutigam, dem Sohn des Mundschenks, der inzwischen ein mächtiger Mann geworden war, zu schützen. Als Adias Sohn Germunt später in Gefahr ist, schickt sie ihn zu Claudius, der inzwischen Bischof in Turin ist. Germunt überbringt Claudius einen Brief Adias mit einem Baum, dem Zeichen ihrer Liebe. Adia und Claudius beginnen einen intensiven Briefwechsel, sehen sich aber nie wieder. Im Roman Die Herren von Buchhorn finden sich Verknüpfungen der Themen »arrangierte Ehe« und »Liebe«: Gräfin Wendelgard und Graf Udalrich von Buchhorn waren sehr glücklich miteinander. Bischof Salomo erinnert sich, dass die beiden zuerst nichts gemeinsam hatten, aber doch eine tiefe Liebe zueinander entwickelt haben. Sie habe ihn angebetet und er habe mit ihren kindischen Launen umgehen können. Als Udalrich nicht vom Feldzug gegen die Ungarn zurückkehrt, will der Junker Ludowig Wendelgard aus Machtstreben heiraten. – Wendelgards Untergebene, der Schmied Gerald und seine Frau Mechthild, haben eine gute Ehe mit allen Höhen und Tiefen geführt, selbst als sich Vater und Sohn zerstritten haben. Mechthild erinnert Gerald daran, dass er vor Gott geschworen hat, für sie zu sorgen und ihr zu dienen, worauf er entgegnet, dass die Frau dem Mann untertan sei. – Mechthild versucht, eine Ehe ihres Sohnes Gerald mit Fridrun zu arrangieren. Geralds Vater verteidigt Fridrun und schlägt sich im Gasthaus, in dem diese arbeitet, mit einem Mann, der sich ihr nähern will. Fridrun betont, trotz ihrer Arbeit und ihres Umgangs ein anständiges Mädchen zu sein, um das Gerald werben müsse. Schließlich wollen Gerald und Fridrun aus Liebe heiraten. – Ebenso ergeht es Hilbert und Berta. Hilbert führt Botengänge aus und verkauft Diebesgut, unter anderem an Bertas Vater, einen Gastwirt, um damit Geld für die Hochzeit zu verdienen. Die gottesfürchtige Berta, deren Mutter verstorben ist, muss im Badehaus arbeiten, wo sie dann ermordet wird. In Die Päpstin entscheidet sich eine junge Frau vor Gericht gegen den Willen ihrer Eltern zur Ehe mit einem Sklaven, womit sie selbst zur Sklavin wird. Markgraf Gerold, der dem Gericht vorsteht, entdeckt in ihren Augen eine tiefe Liebe. Den arrangierten Ehen der meisten Menschen steht die Ehe bzw. Beziehung aus Liebe gegenüber, die Johanna und Gerold eingehen wollen. Die Hochzeit von Gerold und Richild, »das sorgsam ausgehandelte Geschäft zweier einflussreicher Familien« (230), war ebenso arrangiert wie die Ehe ihrer Tochter Gisla mit dem Grafen Hugo. Gegen Johannas Willen und ohne Gerolds Wissen plant Richild eine Heirat Johannas mit dem Sohn des Schmieds, wofür sie

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Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe

– mithilfe ihres Wissens um dessen Unkeuschheit – die Zustimmung des Bischofs erpresst. Beim Massaker während der Eheschließung stirbt Richild und Johanna kann als Mann verkleidet fliehen; in Rom treffen sich Johanna und Gerold wieder. – Im Roman Der sechste Tag, der eine ähnliche Geschichte erzählt, hat Konrad Johanna geliebt. Nach ihrem Tod flieht er aus Rom und heiratet schließlich in Soissons eine Adlige aus der Nachbarschaft, mit der er fünf Kinder hat; Johanna vergisst er nie. In weiteren Romanen treten Menschen auf, die sogar über Volksgrenzen hinweg für ihre Liebe einstehen. Ihre Anstrengungen sind nicht immer von Erfolg gekrönt. Die »Beziehungswirren« der Fränkin Radegund (Die Träume der Libussa) münden schließlich in die Erfahrung der Liebe: Sie ist im Kloster aufgewachsen und strebt eine Ehe zunächst nur an, um nicht dorthin zurück zu müssen. An die Möglichkeit, von einem Mann wirklich geliebt zu werden, denkt sie dabei nicht, denn sie glaubt, der Mann habe die Macht, ihr Schicksal zu bestimmen. Einige schlechte Erfahrungen prägen sie: Ein Händler, der bereits verheiratet ist, hat ihr die Ehe versprochen; der König und die Bischöfe haben allerdings verboten, ein zweites »Weib« zu nehmen (305). Radegund ist zu stolz, den Händler zu bitten, eine »Kebse« aus ihr zu machen. Weil er sich bereits mit ihr vergnügt hat, befürchtet sie, dass sie jetzt niemand mehr zur Frau nimmt. Ein anderer Händler aus Rom bietet an, Radegund zu heiraten und mit ihr zusammen zu arbeiten – er hat erkannt, wie geschickt sie im Herstellen von Kleidung ist. Radegund lehnt ab, weil sie sich inzwischen in den getauften Behaimen Lidomir verliebt hat, der sie mit Verständnis und Gefühl umwirbt und ganz anders ist als andere Männer; sie will nun um ihr eigenes Glück kämpfen. Radegund heiratet Lidomir und begleitet ihn sogar zu seinem heidnischen Volk. Ihre Schwester, die Nonne Anahild, ist froh, dass nun auch Radegund ihre Bestimmung im Leben gefunden hat. Lidomirs Schwester Scharka meint, dass es vielleicht keine Kriege mehr gibt, wenn Menschen aus verschiedenen Völkern einander lieben. Wolfger (Widukinds Wölfe), der Sohn des sächsischen Sattelmeiers Wolfhard, und die Fränkin Gisla verlieben sich und treffen sich heimlich. Er fragt sich, ob sie schon einem fränkischen Jüngling versprochen ist, und ob die Verbindung zu ihr Verrat an seinem Vater ist, der die Franken bekämpft hat. Gisla weiß, dass der Sohn des Heiden Wolfhard nicht gerade der Mann ist, den ihr Vater, der fränkische Kaufmann und Christ Brunold, sich als Schwiegersohn wünscht. Sie will aber auf keinen Fall einen Mann heiraten, den ihr Vater und ihre Schwester Teida aussuchen und den sie nicht liebt. Nachdem Gisla dann allerdings Wolfger nach dessen Flucht aus dem Gefängnis für tot hält, wird die von ihrem Vater geplante Hochzeit mit ihrem Cousin Anwan vorverlegt. Als sie sich später wieder treffen, ist ihre Beziehung gestört: Gisla kann Wolfger nicht verzeihen, dass ihre Schwester bei einem sächsischen Überfall auf Minden, an dem er beteiligt war,

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getötet wurde. Wolfger befürchtet, dass ihre Liebe erloschen ist. Schließlich setzt er sich bei Karl dem Großen für die Freilassung Gislas und ihrer Familie ein, deren Tätigkeit als Waffenschieber für die Sachsen inzwischen bekannt wurde. Sie müssen Minden verlassen; Gisla will tun, was ihre Pflicht ist, und Anwan eine treue Frau sein. Entgegen Wolfgers Hoffnung werden er und Gisla sich nie wiedersehen.

1.3

Gestalt und Gestaltung einer Ehe

Im folgenden Schritt soll untersucht werden, welche Kennzeichen in den Romanen eine Ehe bestimmen. Welche Bedeutung und welche Form hat in der Sicht der Romane das Leben in der Ehe? Grundsätzlich werden in den Romanen ein altes und ein neues, d. h. ein christliches, Verständnis von Ehe berücksichtigt (welches die Vorstellung der lebenslangen Einehe beinhaltet), außerdem werden verschiedene Arten von Ehe unterschieden. Es wird auch der Frage nachgegangen, welchen Stellenwert der Konsens der Brautleute hat und wie dieser ausgestaltet ist. Vielfach wird die Feier der Eheschließung beschrieben, welche rechtliche Aspekte, kirchliche Riten sowie Elemente aus dem Brauchtum beinhaltet. Der Vollzug der Ehe und das grundsätzliche Thema Sexualität (sowie stellenweise Reinheit) sind in den Romanen weitere Aspekte des ehelichen Lebens. 1.3.1 Umbruchszeit: Ein altes und ein neues Verständnis von Ehe Hinsichtlich der Frage, was eine Ehe ausmacht, fällt auf, dass in den Romanen eine sich allmählich entwickelnde christliche bzw. kirchliche Auffassung einer »alten« Auffassung gegenübergestellt wird. Diese Unterscheidung wird in den Romanen nicht immer genauer erklärt, impliziert aber rechtliche und religiöse Aspekte. Tendenziell wird die alte Auffassung mit dem Heidentum assoziiert. Von den meisten Romanautoren werden Munt- und Friedelehe unterschieden, wobei die Friedelehe als ältere, »freiere« Form der Ehe dargestellt wird; auch Kebsverhältnisse, die sich der Mann erlauben darf, kommen wiederholt vor. Für die Christen gilt in der Sicht der Romane, dass ein Mann nur eine Frau haben soll, der er treu zu sein hat und von der er sich nicht trennen kann. Teilweise wird der christlichen Ehe ein sakramentaler Charakter zugeschrieben. Im Roman Die Königsmacherin ist von einer Synode in Prüm die Rede, die rechtsgültige Regeln für den Lebenswandel der Christen verfassen soll. Bislang wisse keiner, was eigentlich erlaubt oder verboten ist. Fest stehe, dass die Frau der Munt des Mannes unterstellt ist, wodurch dem »Weib« weniger Rechte zukommen als dem Gatten. Dass der Mann nach den »alten Gesetzen« nicht zur ehe-

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Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe

lichen Treue verpflichtet ist und sich »Kebsverhältnisse« erlauben darf, steht im Gegensatz zur »christlichen Auffassung« über die Ehe (132). Deswegen beschweren sich viele Frauen bei Vater Gregorius, dem Abt von Prüm, über den Lebenswandel ihrer Männer; manche versuchen, sie durch einen Liebeszauber an sich zu binden. Die Synode beschließt, dass einer Eheschließung künftig eine Verlobung vorangehen soll. Wie es in Die Träume der Libussa heißt, wünschen die Christen, dass ein Mann in seinem Leben nur eine einzige Frau hat. Eine Nonne sagt Radegund, dass die Ehe ein heiliges Sakrament ist und, anders als zu heidnischen Zeiten, nicht wieder aufgelöst werden kann. – In Das Buch Haithabu betont der Schirrmeister, dessen Frau wegen Ehebruchs am Spottgalgen steht, dass Gott das Sakrament der Ehe geschaffen hat, welches geheiligt werden soll. Während die Heiden ihre untreuen Frauen töten, würden die Christen diese nur dem milden Spott aussetzen; dies könne nicht zu viel Strafe sein. – Im Roman Das Amulett der Seherin hält Ava Finnian vor, zwar anderen das heilige Sakrament der Ehe zu spenden, es aber selbst zu missachten. – In der Uhtred-Saga wird die Ehe als heilig und von Gott gewollt dargestellt. In der Odo und Lupus-Reihe kommen Eheformen wie die »Muntehe« und die »Friedelehe« sowie »Kebsverhältnisse« vor. Lupus meint, Karl der Große werde dafür sorgen, dass die Heiden, die oft mehrere Frauen haben, eines Tages gute Christen werden und sich ihre Großen dann mit einer Frau begnügen. In Mord im Dom hingegen heißt es, Karl lehne die katholische Moral ab, die einem Mann nur eine Frau erlaube. Er führe mehrere »Friedelehen« und wolle die Freuden des Leibes genießen. In der Abt Erwin-Reihe wird ebenfalls erzählt, dass der Kaiser viermal verheiratet war und mehrere »Friedelehen« führte. Man sagt, so heißt es darin, Karl sei im Bett ebenso eifrig und tüchtig wie auf dem Schlachtfeld und ein großer Liebhaber hübscher Mädchen. Karls erste »Friedelfrau« Himiltrud und der gemeinsame, schließlich verstoßene Sohn Pippin der Bucklige sind ein Thema in vielen Romanen. Himiltrud wird von Karl ebenso verstoßen wie die Langobardin Desiderata. Später geht Karl eine neue Ehe jeweils erst nach dem Tod einer Ehefrau ein; immer wieder begibt er sich aber, so wird erzählt, zu Konkubinen. Im Roman Karl der Große erlaubt Pippin seinem Sohn Karl, Himiltrud zu heiraten, aber nur als »Friedelfrau«, »das heißt: pünktliche Morgengaben, keine Verträge, keine Verpflichtungen! Und wenn es Kinder geben sollte, gelten sie nicht« (125). Jahre später stellt Karl fest, dass er vier Ehefrauen gehabt hat, »einschließlich der schönen, wunderbaren Friedelfrauen nach altem Frankenrecht sogar sechs« (633). In Die Königsmacherin sieht Bertrada Himiltrud als »unbedeutende Friedelfrau« an (406). Ab der Heirat Karls mit Desiderata muss Himiltrud im Kloster Nivelle ihr Leben fristen. In diesem Roman wird erklärt, dass sich ein mächtiger Mann häufig eine zweite Frau, eine Friedelfrau, nimmt,

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vor allem, wenn seine Frau keine Kinder gebiert. Im Roman Die Abbatissa werden Karls Liebschaften und seine Kinder mit Konkubinen thematisiert. Himiltrud wird seit Karls Heirat mit Desiderata im Kloster in Trier festgehalten. Als ihr Sohn Pippin an den Hof geholt wird, erhängt sie sich. Da Karl glaubt, die Sächsin Gerswind habe ihn vor einem Attentat gerettet, macht er sie zu seiner Friedelfrau. Gerswind tötet allerdings die gemeinsamen Kinder und hofft fortwährend auf die Rückkehr zu ihrem sächsischen Verlobten Wikbert. Nach ihrem Weggang wird Madalgard Karls Friedelfrau. In Bei meiner Seele Seligkeit geht Lothar II. mit Waldrada eine Friedel- und mit Teuthberga eine Muntehe ein (s. u.). Der Edeling Clothar (Die Träume der Libussa) hat zuerst das Bauernmädchen Gudrun als »Friedelweib«. Sie heiraten aus gegenseitiger Zuneigung, »der Ritus der Friedelehe ließ Gudrun alle Freiheiten«. Dann zwingt seine Familie Clothar zu einer Ehe mit einer Adligen, die Mitgift einbringt. Nach deren Tod heiratet er seine Jugendliebe »nach christlichem Ritus«; Gudrun schwört ohne Murren, Clothar in Zukunft »untertan zu sein« (308). – Als der Ritter Gernot (Der sechste Tag) von Kaiser Ludwig in Aachen mit Besslingen belehnt wird, begegnet Lothar, Ludwigs Sohn, Mechthild und begehrt sie als »Friedelfrau«. Diese lehnt aber mit dem Hinweis ab, bereits Gernot, den sie in Köln kennen gelernt hat, »die Ehe versprochen zu haben« (40). Lothar versucht daraufhin, Gernot ermorden zu lassen. 1.3.2 Der Primat des Konsenses: Bedingungen für das Zustandekommen einer Ehe Besonders im Roman Das Geständnis der Amme wird anhand des Paares Judith und Balduin ausführlich die Frage thematisiert, welche Charakteristika eine Ehe konstituieren und wer über die Geltung und Erfüllung dieser Kriterien entscheidet. Im Zentrum der Debatte steht der Konsens der Brautleute. In diesem Roman wird beschrieben, dass Judith, die Tochter König Karls des Kahlen, und der Krieger Balduin gemeinsam aus Senlis fliehen. Obwohl Balduin bei vielen Frauen gelegen hat, hat er nie ein solches Maß an Vertrauen und Nähe gespürt wie gegenüber Judith. Da er sie als seine Königin ansieht, ist er bereit, alles für sie aufs Spiel zu setzen. Judith will Balduins Leben schützen und ihn heiraten, denn wenn er zur Familie des Königs gehört, wird dieser ihn nicht hinrichten lassen. Manche behaupten, dass Balduin »gewaltsam die Königstochter entführt hätte«, andere, dass Judith »den armen Krieger verführt hätte wie die listige Eva ihren Adam« (294). Bischof Hinkmar von Laon erinnert Judith daran, dass die Voraussetzung für eine »echte Ehe« die »Verlobung«, »Dotierung« und »Trauung« ist, wobei die Zustimmung der Eltern unverzichtbar ist. Die Väter der Brautleute müssten den »Konsens« erklären. Judith hält ihm entgegen, dies sei die Vorstellung des Bi-

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Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe

schofs von Reims über die christliche Ehe. Hinkmar von Reims sieht die Ehe von Judith und Balduin als Auflehnung gegen Gott und den König an. Papst Nikolaus, so Judith, sei aber anderer Meinung, er stelle den »Konsens« der Eheleute in den Vordergrund. Wenn dieser fehle, sei jede »eheliche Vereinigung« nichtig (303). Wie ihr Cousin Lothar II. Judith ins Gedächtnis ruft, bekämpft die Kirche seit vielen Jahren den »Brautraub«, einen Brauch, der bei den heidnischen Vorfahren noch weit verbreitet war. Jeder Bischof Karls des Kahlen würde erklären, dass ihre Ehe darum nicht gültig sei. Judith erinnert daran, dass sich eine Schwester Lothars von Graf Giselbert ins Reich Karls des Kahlen entführen ließ, weil ihr Vater diesen nicht als Bräutigam akzeptierte. Die Synode von Ver, so entgegnet Lothar, habe beschlossen, dass alle Weltlichen, ob adelig oder nicht, ihre Hochzeit öffentlich feiern sollen. Er fragt Judith, wie viele Zeugen sie hatten, und hält es für ratsam, den Ehebund erneut zu schließen. Lothar glaubt aber nicht, dass es an seinem Hof einen Kleriker gibt, der sie trauen würde. Nach ihrer Eheschließung gehen Judith und Balduin nach Rom, um den Segen des Papstes für ihre Ehe zu erbitten. Kaiser Ludwig, Judiths Cousin, hält sie unterwegs auf und will sie Judiths Vater übergeben. Judith will Ludwig auf ihre Seite ziehen, indem sie ihm erklärt, wenn Papst Nikolaus den »Konsens« zwischen ihr und Balduin anerkenne, sei dies ein deutliches Zeichen dafür, dass eine auf noch so wackeligen Beinen stehende Ehe nicht einfach gelöst werden dürfe. Ludwig erhoffe sich Ähnliches für die Ehe zwischen seinem Bruder Lothar und Theuteberga: Wenn sie für gültig erklärt wird, ist dessen einziger Sohn Hugo ein »Bastard«, Lothar steht ohne Erben da und Ludwig kann sich dessen Reich aneignen. Für Papst Nikolaus ist die entscheidende Frage, wer die Entscheidung über Judiths und Balduins Ehe treffen darf. Er fühlt sich geschmeichelt, von Balduin zu hören, dass der Papst mehr Macht haben sollte als jeder König dieser Welt. Bei der Entscheidung, in welchen Fragen die Päpste den Königen zu Willen sein sollten, müsse aber jeder Schritt wohl überlegt sein. Balduin hält ihm entgegen, dass der Papst seine Entscheidungen nicht mit Rücksicht auf die Mächtigen dieser Welt, sondern auf das Wort Gottes trifft, welches besagt, dass der Mensch »nicht trennen soll, was der Allmächtige verbunden hat«. Nikolaus fragt Balduin, ob Gott denn ihre Ehe »gesegnet« habe oder nicht ebenso empört wie der König über ihre Anmaßung sei, einen solchen Bund »ohne jeglichen Respekt vor Stand und Sitte« zu schließen. Eine Entscheidung des Papstes, so Balduin, würde sie, nachdem die fränkischen Bischöfe sie wegen der Eheschließung »exkommuniziert« haben, davor bewahren, in einem »Zustand der Sünde« zu leben (484f.). Judith erklärt Papst Nikolaus, sie sei gekommen, um vor dem Heiligen Vater als wichtigstem Zeugen zu bekennen, dass sie Balduin über alles liebt und nicht von ihm entführt wurde, sondern ihm freiwillig gefolgt ist. Ebenso habe sie aus freien

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Stücken den Bund der Ehe mit ihm geschlossen; sie ist bereit, diesen Schwur zu wiederholen. Im Hof des Papstes erzählen junge Kleriker die Geschichte der Grafentochter Engeltrude, die mit Graf Boso vermählt war, aber den Gatten für einen anderen Mann verließ. Als Hinkmar von Reims ihr befahl, zu Boso zurückzukehren, verschanzte sie sich bei ihrem Verwandten Lothar II. Als der Bannfluch des Papstes sie traf, verjagte Lothar sie, und nun schweift sie in der Welt umher. – Von Engeltrude wird auch in Bei meiner Seele Seligkeit berichtet.

Nikolaus erklärt schließlich vor dem versammelten Klerus, dass Judiths und Balduins Ehe gültig ist, weil sie »aufgrund von freiem Willen, nicht von gewaltsamem Brautraub« zustande kam (Das Geständnis der Amme, 520). Das werde er Karl dem Kahlen und Hinkmar von Reims in einem offiziellen Schreiben mitteilen. Hinkmar will eine Versöhnung zwischen Judith und ihrem Vater hinauszögern: Für den Fall, dass Karl sich der Bitte des Papstes, die Tochter wieder mit offenen Armen zu empfangen, beugt, sieht Hinkmar seinen Einfluss schwinden; deshalb versucht er, sich gegen Rom zu behaupten. Karl will Balduin allerdings sein Lehen zurückgeben und seine Ehe akzeptieren, wenn Balduin sich verpflichtet, sein Bündnis mit Rorik von Dänemark zu brechen und gegen diesen zu kämpfen. Daraufhin ist Balduin bereit, für Judith ein Opfer zu bringen und sich Karl zu beugen, weil er sonst Schande über sie bringt. Judith erhält keine Mitgift; die beiden müssen noch einmal heiraten. Im Roman Bei meiner Seele Seligkeit heißt es, dass Judith der »väterlichen Zucht« mit Graf Balduin entfloh; dieser ist ein »Kraftmensch, der die Frauen mit seiner Stärke zu verzaubern weiß« (118). Bei Lothar II. fanden sie Zuflucht. Dieser berichtet später, der Papst habe Judith – »so männertoll wie ihre welfische Großmutter Judith« – und Balduin »vom Banne gelöst und ihre unrechtmäßige Ehe als rechtens anerkannt« (126). Auch in weiteren Romanen wird die Frage gestellt, ob eine Ehe aufgrund von »Raub« zustande kommen kann. Wie im Fall von Judith und Balduin besteht aber bei genauerem Hinsehen jeweils zwischen den Partnern ein Konsens, auf den es ankommt: In Mord im Dom wird vor Gericht der Fall einer entführten und geschändeten Jungfrau verhandelt, deren Familie eine Entschädigung verlangt. Die Familie des Mannes behauptet, das Mädchen sei willig gewesen. Es entscheidet sich schließlich für diese Familie und fällt dem Mann in die Arme, so dass die beiden heiraten können. – Die Familien der getauften sächsischen Bauern Inga und Rothger (Die Schlüsselträgerin) sind verfeindet. Auf einem Frühlingsfest lässt sie sich von ihm beeindrucken, trifft ihn heimlich und lässt sich schließlich von ihm entführen. Ingas anfängliche Liebe schlägt aufgrund ihrer Erfahrungen allerdings bald in Gleichmut und dann in Hass um. – Im

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Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe

Roman Tödliche Brautnacht interessiert sich der Königsbote Odo für Hiltrud, die Tochter Karls des Großen; er plant, sie zu entführen. An einzelnen Stellen der Romane wird der von der Kirche verbotene und bekämpfte Inzest als Argument gegen eine Eheschließung angeführt – von Frauen wie Judith, die sich mit der Begründung der zu nahen Verwandtschaft gegen eine Ehe wehren, welche nicht auf dem Konsens des Brautpaares beruht. Judith (Das Geständnis der Amme) war zunächst mit dem viel älteren König Ethelwulf von Wessex verheiratet, und nach dessen Tod mit seinem Sohn Ethelbald. Das Urteil mancher Kirchenmänner, es sei »nichts Geringeres als die Sünde des Inzests, wenn ein Sohn seines Vaters Gattin zur Frau nehme«, schien, so Judith, ihrem zweiten, unbeholfenen Mann während der Hochzeitsnacht »stets im Ohr zu rauschen« (377). Wie Judith Bischof Hinkmar von Laon erklärt, kann sich eine Frau nach den Gesetzen ihres Landes ab dem sechzehnten Lebensjahr gegen eine Ehe wehren. Sie will Balduin zum Mann nehmen und nicht irgendeinen Adeligen, den ihr Vater für Bündniszwecke vorgesehen hat. Bei ihrer Heirat mit Ethelbald habe sich niemand empört, obgleich sie kirchlichem Recht zuwider lief. Besonders der Bischof von Reims habe diese Ehe geduldet, weil so das Königreich von Wessex als Bündnispartner gehalten werden konnte. – In Bei meiner Seele Seligkeit heißt es, dass Judith von ihrem Vater Karl mit Aethelwulf verheiratet wurde. Als sie nach dessen Tod ihren Stiefsohn heiratete, kam es zur Entrüstung der Geistlichen und des Volkes über die »öffentliche Blutschande«, woraufhin Judith ihr »Wittum« verkaufte und reich in die Heimat zurückkehrte (118). Als der fränkische Kaufmann Brunold (Widukinds Wölfe) von der Beziehung seiner Tochter Gisla zu dem Sachsen Wolfger erfährt, setzt er für den Tag des heiligen Martin ihre Hochzeit mit dem Schiffsführer und Kaufmann Anwan an. Gisla entgegnet ihm, dass sie ihn, den Neffen ihres Vater, gar nicht heiraten kann, denn der Papst habe »die Ehe innerhalb der Familie verboten«. Brunold hingegen meint, der Mindener Archidiakon Rutinus und seine »Pfaffen« würden nicht schlecht von dem Zehnten leben, den er ihnen abliefere; da er außerdem einiges »von den geheimen Vorlieben der angeblich so frommen Brüder« wisse, würden diese in Bezug auf die Eheschließung ihre »barmherzigen Augen« schon zudrücken (222).

1.3.3 Die Eheschließung: Recht, Liturgie, Brauchtum In vielen Romanen werden die Feier der Eheschließung, dazugehörige Elemente und Riten geschildert. Detailliert werden einzelne Elemente wie der Brautlauf, die Morgengabe, das Wittum oder die Übergabe des Rings beschrieben, ebenso die Beschreitung des Ehebettes vor Zeugen – womit ein Fokus auf das Vollziehen der

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Ehe gelegt wird. Eine kirchliche Einsegnung ist in vielen Romanen fester Bestandteil der Eheschließung. In Die Träume der Libussa vollzieht Vater Anselm die bescheidene Trauung von Radegund und Lidomir. – Bischof Salomo (Die Herren von Buchhorn) will persönlich den Segen für den Ehebund von Gerald und Fridrun sprechen. – Im Roman Die Päpstin spricht der Bischof in der Hochzeitsmesse von Gisla und Graf Hugo einen Segen, danach tauscht das Paar die Eheversprechen und die Ringe. Die Eheschließung von Johanna und dem Sohn des Schmieds durch den Bischof im Dom (im Anschluss an die Feier des Festes der ersten Märtyrer der Stadt Rom) wird durch ein Massaker von Normannen beendet. – In Mit Dolch und Gift stellt der Missus Dominicus Graf Childebrand fest, dass die Ehe die Kirche nichts angeht. Bischof Martin von Autun beklagt daraufhin, es fehle leider oft am kirchlichen Segen. Der Franke Brunold (Widukinds Wölfe) hat im Hof seines Hauses alle Mindener Kaufleute versammelt, welche die »Unterzeichnung des Ehevertrags« bezeugen sollen. Darin sind die »vom Brautvater zu leistende Aussteuer« sowie »Wittum und Morgengabe des Bräutigams« festgehalten. Rein rechtlich reiche es zum Schließen einer Ehe immer noch aus, wenn, wie früher nach altem Brauch, beim Eheversprechen von »Mann und Weib« der Vater die Tochter »aus seiner Munt in die des Gemahls« übergibt. Aber Brunold folgt als bedeutendster Kaufmann von Minden dem »neuen Brauch« und begeht die Vermählung seiner Tochter »im Angesicht Gottes« (286f.). Als die Hochzeitsgesellschaft aufbricht, schwenkt ein Knecht ein buntes Tuch, woraufhin Diakone in der Mission die Glocken läuten. Gisla fühlt nur »Schlacke im Herzen«, als sie ihrem Cousin Anwan »im Angesicht des Priesters« das Eheversprechen gibt. Das Geläut betäubt sie, und der goldene Ring, den Anwan ihr überstreift, brennt auf ihrem Finger heiß wie »aus dem Ofen gezogene Schlacke«. Sie denkt mit Schrecken an die »Heimführung der Braut in das Haus des Bräutigams und in sein Bett« (289). An einem Sonntag, der auf Maria Magdalena fällt, wird in der neuerbauten dreischiffigen Kirche von Minden die Hochzeit der Sachsen Gunda und Anscher gefeiert. Der Missionsbischof Erkanbert erteilt dem glücklichen Brautpaar seinen Segen. In Die Witwe heißt es, dass Eddilia, die Tochter des Grafen Rothari, und Irmo, in der Kapelle unter einem Altartuch kniend, von einem Bischof getraut werden. Gottes Segen für den Ehebund wird erbeten. Der anschließende »Brautlauf« soll daran erinnern, dass sich ein Mann »in alter Zeit seine Eheliebste durch Raub beschaffte«. Während der vorangegangenen »Verlobungsfeier« wurde vom Bräutigam an die Familie der Braut der »Brautpreis«, die Brautgabe in Form des Muntschatzes, entrichtet (115f.). Bei einem Lichtertanz auf der Hochzeitsfeier symbolisieren zwei Kerzen das Leben und die Zukunft der Eheleute. Damit die Ehe gültig ist, muss das zuvor geweihte Ehebett vor den Augen aller Gäste be-

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stiegen werden. Da der Bischof und drei andere Kirchenmänner zu betrunken sind, übernimmt der Mönch und Diakon Lupus das Sprechen des Segens, während sein Diener und Sekretär Rouhfaz das Weihrauchfass schwingt und Helko, der Anführer des Schutztrupps, das Weihwasser versprengt. Die erste Hochzeit Judiths, der Tochter Karls des Kahlen, mit dem viel älteren König Ethelwulf von Wessex (Das Geständnis der Amme) wurde mit großer Pracht in der Hofkapelle der Pfalz in Verberie gefeiert. Bischof Hinkmar von Reims hatte den »Ritus der Einsegnung« selbst entworfen. Vor der Eheschließung wurde Judith zur Königin gekrönt und mit Öl gesalbt, das der Legende gemäß, die Hinkmar verbreitet, bei der Taufe des ersten Merowingerkönigs Chlodwig eine Taube vom Himmel herab in die Kirche von Reims gebracht hatte. Hinkmar belehrte Judith in der Krönungspredigt über ihre »Pflichten als Frau und Herrscherin« (304). Ethelwulf übergab Judith einen Ring. Da der Vater des Bräutigams schon tot war, übernahm Judiths Vater die Aufgabe, sie ins Brautgemach zu begleiten. Ein Priester segnete das Lager, damit die »Ehe fruchtbar« und ihr »Zusammenliegen frei von Sünde« sei (317). Nach Ethelwulfs Tod und ihrer Flucht aus Senlis wollen nun Judith und Balduin vor Zeugen das Ehegelübde ablegen und ein Priester soll einen Segen sprechen. Bischof Hinkmar von Laon möchte dies nicht selbst übernehmen, wird sich aber einem anderen Priester nicht in den Weg stellen. Bruder Ambrosius erklärt sich schließlich bereit. Die Eheschließung in einer Kapelle ist schlicht und kurz; zwei Novizen, die Ambrosius überredet hat, fungieren als Zeugen. In Bei meiner Seele Seligkeit sind bei der Heirat von König Lothar II. und Teuthberga in einer Kirche in Köln verschiedene Bischöfe anwesend. Die beiden werden durch Erzbischof Gunthar von Köln gesalbt, er legt eine Stola um ihre Hände und segnet sie. Lothar und Teuthberga streifen sich goldene Eheringe über, Gunthar erklärt sie zu Mann und Frau und fragt, ob sie einander ehren und hochhalten wollen ein Leben lang. Die spätere Heirat von Lothar und Waldrada (nach Lothars Trennung von Teuthberga) findet ebenfalls im Dom zu Köln statt. Sie spenden sich gegenseitig das »Sakrament« (125). Als Elemente werden das Umlegen der Stola, der Austausch von Ringen, die Fragen an das Paar und der abschließende Kuss genannt. 1.3.4 Der Vollzug der Ehe: Sexualität und Reinheitsvorstellungen Die Romane akzentuieren als kirchliche Haltung, dass Sexualität nur in der Ehe, nur an bestimmten Tagen, nur zur Kinderzeugung und möglichst ohne Lustempfindung ausgeübt werden soll. Ansonsten wird (gewaltlose) sexuelle Betätigung in den Romanen im Allgemeinen überwiegend positiv gesehen. Für sich persönlich gelangen z. B. die Romanfiguren Genovefa und Sygifrid sowie Ava und Finnian zu einer solchen Bewertung.

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Im Roman Die Päpstin verkörpern einige Romanfiguren eine kirchliche Sichtweise, nach der die Frau als grundsätzlich sündig und unrein eingestuft wird: Wie viele andere Kirchenmänner ist Johannas Lehrer Odo der Meinung, dass die Frau dem Mann von Natur aus unterlegen ist. Dies habe schon der heilige Paulus als unumstößliche Wahrheit befunden. Johanna kann Odos Argumentation widerlegen. Einen Kuss zwischen Johanna und Gerold sieht Odo als Beweis der Behauptung, dass eine gelehrte Frau niemals keusch ist. Am Beispiel von Judith, der Gattin des Barons Waifar, wird die Vorstellung illustriert, dass die Geburt eines Kindes eine Frau für eine gewisse Zeit »unrein« macht, so dass sie keine Kirche betreten darf: Judith ist sehr gelehrt und fromm und hat einen Kommentar zum Leben der Esther geschrieben. Nach der Totgeburt ihrer Tochter will sie in der Fuldaer Klosterkirche eine Kerze entzünden. Als sie sich nähert, ermahnt Bruder Thomas die anderen Novizen, beim Erscheinen einer Frau die Augen stets voller Keuschheit gesenkt zu halten. Wegen Judiths »Unreinheit« – nach der Geburt eines Mädchens doppelt so lange wie nach der eines Sohnes, so der Sakristan Bruder Hildwin – verwehrt Hildwin ihr den Zutritt zur Kirche. Er hält ihr vor, durch ihren Hochmut selbst schuld an ihrem Unglück zu sein: Dass eine Frau liest und schreibt statt zu nähen sei wider die »natürliche Ordnung«, was gegen den »Willen Gottes« verstoße (251f.). Dafür, dass Johanna an Judiths Stelle die Kerze entzündet, wird sie zu strengem Fasten verurteilt. Des weiteren heißt es in diesem Roman, dass Geschlechtsverkehr für Eheleute an etwa 220 Tagen des Jahres untersagt ist. Deshalb ist es nicht einfach, für die Eheschließung Gislas einen passenden Tag zu finden, der den sofortigen Vollzug der Ehe erlaubt. Vater Gregorius (Die Königsmacherin) äußert die Ansicht, dass Frauen nur »Werkzeug und Gefäß« sind; eine mächtige Frau widerspricht für ihn dem Willen Gottes – das »Weib« habe dem Mann »untertan zu sein« (171). Graf Robert (Das Geständnis der Amme) sagt zu seinem Waldhüter Audacer, das Begehren des Mannes könne die Frau töten, denn die Strafe für die Lust, die mit dem Sündenfall kam, sei, dass die Frau unter Schmerzen gebären muss. Judith erklärt, die Kirchenmänner seien auf Tränen erpicht: Sie würden glauben, dass dadurch die Körperflüssigkeiten schwinden, sodass man sie später nicht an die Lust verschwenden kann. Madalgis’ Vater hat sich oft betrunken und sie dann gezwungen, zu ihm ins Bett zu kommen; sie musste seine Lust ertragen. Dies, so heißt es im Roman, ist eine so große Sünde, dass man sie nicht aussprechen darf. – Einen Händler aus dem Frankenland spricht Agrippa (Das Buch Haithabu) in Haithabu von der schweren Sünde frei, mit den Frauen seiner drei Brüder insgesamt sieben Kinder gezeugt zu haben. Als Buße muss er für jedes Kind zwei Fässer Wein abgeben.

Nach der Vergewaltigung durch Pippin hat Bertrada (Die Königsmacherin) Angst, wegen Unzucht zum Tod verurteilt zu werden. Als sie ihn heiraten muss, fügt sie sich in das Unvermeidliche. Um sich an ihm zu rächen, verbietet sie ihm jedoch, sie zu berühren. Pippin will Bertradas ganzes Wesen besitzen, nicht nur ihren Körper. Er hat sich nach einer Gefährtin gesehnt, die er nun in ihr gefunden

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hat. Nachdem Bertrada Pippin besser kennengelernt hat, will sie ihm schließlich doch nahe sein. Nach der Geburt mehrerer Kinder setzt sie Mittel zur Verhinderung einer Schwangerschaft ein, was jedoch von der Kirche strengstens verboten wird. Schließlich habe der Herr, so Pippin, »Mann und Frau allein deshalb zusammengeführt, damit sie Kinder in die Welt setzen«. Für ihn ist dies aber kein Grund, »dabei nicht auch Freude zu empfinden« (386). – Auch in Die Schlüsselträgerin heißt es, dass die Kirche sich entschieden gegen Praktiken ausspricht, die ein Kind im Mutterleib töten. – Gerswind, eine Konkubine Karls des Großen, legt sich häufig auf ihn; diese »Art der Begegnung, die von der Kirche streng verboten war«, bereitet beiden besonders viel Freude (Die Beutefrau, 386). Für Genovefa hat der Vollzug der Ehe ein unsichtbares Band zwischen ihr und Sygifrid gesponnen. Einmal gerät dieser in den Zustand einer »großen, gottgewollten Lust«. Genovefa empfindet ihr Zusammensein als »Geschenk Gottes«. Sie verspürt Liebe, aber auch »pure Lust, die Herrschaft des Körpers über den Geist. […] Sie waren Mann und Frau, und brauchten sich nicht zu schämen für das, was sie zusammen erlebt hatten« (Genovefa, 48.50). Die Romanfiguren Ava und Finnian setzen sich in Das Amulett der Seherin über eine Bewertung der sexuellen Betätigung als Befleckung und Unreinheit hinweg. In Kapitel V zum Mönchtum wurde bereits thematisiert, dass der Mönch Finnian sein Klosterleben für die Ehe mit der getauften sächsischen Seherin Ava aufgibt. Als Finnian dann zum Priester geweiht wird, halten sich die beiden zunächst voneinander fern, bis er sich für ein Leben mit seiner Frau entscheidet, das auch die Ausübung von Sexualität einschließt.477 Ein Bischof weiht Finnian trotz der Bedenken gegen dessen Person zum Priester, da für ihn die Behebung des Priestermangels stärker wiegt. Die getauften sächsischen Dorfbewohner haben einen Anspruch auf kirchliche Versorgung und müssen in ihrem Glaubenseifer bestärkt werden, und nur Finnian ist bereit, sein Leben mitten im Feindesland zu riskieren. Weil dieser Gott viele Seelen zugeführt hat und hervorragend gebildet ist, erlegt der Bischof ihm lediglich eine kleine Buße auf und spricht ihn von seinen Sünden los. Der Mönch Egbert, Finnians früherer Begleiter und jetziger Feind, erklärt, dass Männer, die vor der Priesterweihe geheiratet haben, ihre Gattin behalten können, sich allerdings der körperlichen Liebe enthalten müssen. »Aber durch die fleischlichen Gelüste, denen sie sich zuvor hingegeben haben, sind ihre Leiber für immer besudelt« (405). Egbert glaubt, Finnian habe dem Leben als Mönch entsagt, um seinen Gelüsten nachzugehen. Weil er seine Gelübde gebrochen und bewiesen habe, dass ihm sein gieriger Leib wichtiger sei als die Liebe zum Herrn, sei er nicht würdig, Priester zu sein und in der Nachfolge Jesu zu stehen. 477 Dieser Roman spricht als einer der wenigen das Thema der Reinheit sowie die Bußbücher näher an.

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Weil ihr Feind Gibicho bei einer Vergewaltigung Avas »Geschlechtsteile besudelt« hat, kann sie ihre »ehelichen Pflichten« nur widerwillig erfüllen und fühlt sich danach noch mehr »beschmutzt« (420), obwohl Finnian sehr einfühlsam und sanft zu ihr ist. Dieser fragt sich, ob er als Ehemann versagt hat, und warum er ihre Wunde nicht heilen konnte. Da Ava keine Leidenschaft für Finnian empfinden kann, ist sie zunächst froh, nach seiner Priesterweihe unter Verzicht auf körperliche Nähe mit ihm verheiratet bleiben zu können. Weil sie sich später doch nach ihm sehnt, fordert sie ihn auf, sich zwischen ihr und dem Zölibat zu entscheiden. Ava versteht nicht, dass Priester zwar verheiratet sein dürfen, sich aber von ihren Frauen fernhalten müssen. Es heißt, die »Körpersekrete, die bei einer fleischlichen Vereinigung abgesondert wurden und an denen Dämonen klebten, die mit Gott nicht in Berührung kommen durften« (421), seien unrein; Ava meint, bei einem harmlosen Kuss seien sicher keine Dämonen zugegen. Sie hat gehört, dass manche Priester trotz eines Verbots sogar nach der Weihe heiraten; viele Kleriker sollen sich Konkubinen halten. Nur Finnian lege die Gebote der Kirche peinlich genau aus. »Ava hatte sich nicht zuletzt wegen der Reinheit seines Herzens in Finnian verliebt, mittlerweile allerdings wünschte sie sich lieber einen unverbesserlichen Sünder an ihrer Seite und vor allem in ihrem Bett« (422). Sie überlegt: »Christus will die Kirche angeblich rein und ohne Makel wissen, weil er ihr Bräutigam ist! Das bin ich also als Gattin eines Priesters: nichts als ein Makel« (500). Finnian wird eifersüchtig auf den Hasen Josef, der Ava nahe sein darf.478 Er sehnt sich nach seiner Familie und hat nachts unzüchtige Träume. Ava ist für Finnian natürlich kein Makel, sondern das Wunderbarste, was ihm je passiert ist. Als er das mit einem Kuss in der Kirche beweisen soll, ist er dazu nicht in der Lage; solange er die Sakramente spendet, darf er seine Frau nicht unkeusch berühren. Finnian denkt, dass die Priester der Kirche, welche sie willfährig machen möchte, ohne familiären Rückhalt leichter uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Ihm fällt ein, dass eine Kirche, die an den Sachsen ein Verbrechen begeht, welches der Heiligen Schrift zuwiderläuft, auch beim Zölibat Unrecht haben könnte. »Spiegelte sich nicht in jenem unaussprechlichen Augenblick, in dem Mann und Frau in ihrer Verzückung eins wurden, das Mysterium Gottes? Hatte es dem Herrn in seiner Gnade nicht gefallen, just jene Form der Fortpflanzung zu wählen, die ohne Lust nicht möglich war?«,

so überlegt Finnian und folgert: Wenn die körperliche Liebe nicht »unrein« ist, kann er seinen Dienst an den Gemeindemitgliedern auch nicht »besudeln«, indem er seiner rechtmäßig angetrauten Gattin beiwohnt (503). Weil Ava ihm 478 Eine Anspielung auf die »Josefsehe« von Ava und Finnian?

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wichtiger als das Priesteramt ist, kehrt er zu ihr zurück, wofür seine Gemeinde viel Verständnis aufbringt. Finnian spürt eine »sehr anständige Begierde« und gelangt zur Erkenntnis: »Eine solche Liebe, wie er sie für Ava empfand, konnte nur von Gott selbst stammen und von ihm gesegnet worden sein« (507).

1.4

Beständigkeit und Brüchigkeit des Lebens in der Ehe

In den Romanen werden wenige positive Beispiele lange bestehender, glücklicher Ehen dargestellt. Am ehesten gelingen noch die Ehen, die aus Liebe statt aus Verpflichtung geschlossen wurden. Positive eheliche Beziehungen enden allerdings mehrfach durch den Tod eines Ehepartners; dies nimmt in den Romanen jedoch keinen größeren Raum ein. Wesentlich häufiger wird das Scheitern und Zerbrechen von Ehen beschrieben. Vielfach verstoßen Romanfiguren gegen die kirchliche Forderung der ehelichen Treue. Besonders häufig werden Fälle von Ehebruch in der Familie der Karolinger beschrieben. Vor allem Männer, etwa Karl der Große, nehmen sich viele Freiheiten, sie leben mit »Friedelfrauen« zusammen oder gehen zu »Konkubinen«. Manche untreue Romanfiguren plagen Gewissensbisse, andere setzen sich bewusst über die Vorschriften der Kirche hinweg. Frauen werden mehrfach zu Unrecht des Ehebruchs angeklagt. Ehebruch geschieht auch, weil sich Menschen durch heidnische Sitten verführen lassen. In einigen Romanen wird nach den Bedingungen von Trennung und Wiederheirat gefragt und danach, wer über das Bestehen einer Ehe entscheidet. Dies geschieht besonders ausführlich anhand des Falls von Lothar II. und seinen Ehefrauen.

1.4.1 Die karolingische Herrscherfamilie und ihr Verhältnis zur ehelichen Treue In verschiedenen Romanen wird beschrieben, dass Karl der Große Friedelfrauen hat, sich auch während seiner Ehen zu Konkubinen begibt und Inzest begeht. Das Zusammensein und -leben mit mehreren Frauen erscheint als Sonderrecht der Herrscher. Zur Zeit von Karls Sohn Ludwig gelten dann allerdings strengere Maßstäbe. Ehebruch und »lockere« Beziehungen im Herrscherhaus sind vor allem ein großes Thema in den Romanen von Martina Kempff. In ihrem Roman Die Königsmacherin tötet Sophia, eine Freundin von Karls Schwester Gisela, sich selbst aus Liebe zu Karl, als dieser ihre Freundin Hildegard heiratet. Zuvor hatte Sophia versucht, Karl durch einen Liebeszauber an sich zu binden. Als Karl davon erfährt, meint er, in seinem Herzen wäre auch noch Platz für Sophia gewesen. Sie hätte ihn ganz allein gewollt, aber ein König gehöre allen.

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Im folgenden Roman Die Beutefrau sieht Karl den frühen Tod seiner fürsorglichen Gefährtin Hildegard, die ihm neun Kinder geboren hat, als Gottes Ratschluss an. Als die nackten Frauen der Sachsen diese beim Kampf gegen die Franken anspornen, folgt die fränkische Grafentochter Fastrada ihrem Beispiel, um die eigenen Krieger anzutreiben. Aus Scham will sie anschließend ins Kloster gehen; trotz der Warnungen vieler Freunde heiratet Karl sie jedoch, geleitet von der Begierde nach ihrem Körper. Er bedient sich auch anderer Frauen, z. B. Luitgards. Als Karl sich von Fastrada trennen will, kann diese ihn durch die Kraft eines Rings an sich binden: Er soll sie ewig begehren. Somit wendet sich Karl von Luitgard ab, die sich mit gebrochenem Herzen in das Kloster Chelles zurückzieht. Nach Fastradas Tod muss Karl gewaltsam von deren Leiche weggezogen werden. Nun will er niemandem mehr solche Macht über sich zugestehen und bittet Gott um Vergebung seiner Sünden. Diese empfängt er: Gott sendet ihm die gebildete Luitgard, die aus dem Kloster geholt wurde und nun bereit ist, ihn zu heiraten. Ihre Weigerung, »das Bett mit ihm zu teilen«, nimmt Karl »dankbar als Buße« an. Die »Freuden der körperlichen Liebe« findet er an anderen Orten; Luitgard erlaubt ihm, zu anderen Frauen zu gehen. Karl ist treu – nicht einem einzigen Menschen, das ist »ungesund und für keinen der beiden erfreulich«, sondern allen, »die er in sein Herz gelassen hatte« (176f.). Er hat nie eine Frau genötigt, alle sind freiwillig zu ihm gekommen. Es heißt, dass Karl Mädchen in der ersten Blüte ihres Lebens besonders liebevoll begegnet. Seine »Bastarde« kann er nicht offiziell anerkennen, weil er sich zum Hüter christlicher Werte aufgeschwungen und angeordnet hat, Ehebruch und außereheliche Verhältnisse seiner Untertanen streng zu bestrafen. Die Sächsin Gerswind liebt seit ihrer Kindheit am Hof Carolino, den Sohn Karls des Großen, fürchtet allerdings, dass für ihn die Erbin eines schönen Landes als Ehefrau vorgesehen ist. Sie will Carolino ewige Liebe schwören und sich mit der Rolle als Friedelfrau zufrieden geben. Als sich die beiden Jahre später näherkommen, empfindet sie allerdings keine Freude. Gerswind hat inzwischen erkannt, dass sie Carolinos Vater liebt. Karl, der dies erwidert, verwehrt Carolino die Heirat mit Gerswind. Diese erlebt ihre erste Liebesnacht mit Karl. Sie möchte Luitgard keine Schmerzen bereiten; diese weiß jedoch alles und bittet Gerswind vor ihrem Tod sogar, auf die Seele des Königs acht zu geben. Obwohl Gerswind nicht in den »Reigen der Beischläferinnen« (Die Beutefrau, 250) eingereiht werden will, zieht sie zu Karls anderen »Friedelfrauen« in ein »Frauenhaus« (327). Später lebt sie mit Karl zusammen, sie zeugen Kinder. Karl begehrt Gerswinds Körper und ihre Seele. Sie sei die erste Frau, bei der er sich einfach fallenlassen könne. Während er die anderen Beischläferinnen besitzt, gehört Gerswind nicht ihm, sondern zu ihm. Vor der geplanten Hochzeit stirbt Karl. In Die Beutefrau wird erzählt, dass der junge Ludwig mehr betet als alle anderen Kinder Karls des Großen zusammen, und seinen Schwestern dauernd

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ihr lasterhaftes Verhalten vorhält. Zugleich vergewaltigt er Gerswind, gibt die Kinder seiner »Kebse« (188) als die seiner Ehefrau Irmingard aus und schlägt seine Frau. Als Karl stirbt, vertreibt Ludwig in Die Welfenkaiserin seine Schwestern vom Hof und sperrt sie in Klöster, ihre Liebhaber werden festgenommen: Wegen Unzucht soll ihnen der Prozess gemacht werden. Karls Friedelfrauen werden aus dem Frauenhaus vertrieben, seine unehelichen Kinder in Verliese gebracht. Nach dem Tod seiner ersten Frau Irmingard wählt Ludwig bei einem »Wettbewerb« Judith als Ehefrau aus. Er heiratet, liebt und begehrt sie, kann den Geschlechtsverkehr mit ihr aber nicht vollziehen. Judith bzw. ihre Tante Gerswind hatten ihn aus Rache für die Vergewaltigung mit dem Ring der Fastrada verzaubert: Ludwig soll Judith immer begehren, aber niemals besitzen. Judith lässt sich auf eine Liebschaft mit dem Kämmerer Bernhard ein. Dieser, ein Enkel Karl Martells, will, dass Judith ihm erliegt. Über die Liebe der Kaiserin möchte er an der Macht teilhaben. Judith hätte ihren Ehemann gerne nicht betrogen, »aber so willig der Geist auch war, ihr Fleisch blieb hoffnungslos schwach« (Die Welfenkaiserin, 111). Als Judith von Bernhard schwanger wird, gibt sie die Kinder als Ludwigs aus. Bernhard hat bald auch ein Verhältnis mit Irmingard, der Frau von Ludwigs Sohn Lothar, die bereits Judiths Rivalin um Ludwig war. Später heiratet Bernhard Dhuoda, Judiths Halbschwester aus einer außerehelichen Verbindung ihres Vaters. Kaiser Lothar vertreibt schließlich seine Ehefrau Irmingard und lebt mit der unfreien Magd Doda »in Sünde« zusammen (384). Ludwig bittet den Herrn, ihm Judiths Leib nicht länger als Strafe für seine Sünden zu entziehen, und verspricht, Buße zu tun. Frustriert von seinen vergeblichen sexuellen Bemühungen bei Judith, stürzt er sich eines Tages auf eine den Flur putzende Magd und dringt »von hinten augenblicklich in sie ein« (119); von da an sucht er diese jeden Morgen auf. In der Kirche von Attigny bekennt Ludwig später öffentlich seine Sünden, die er z. B. gegenüber seinen Verwandten begangen hat, und lässt sich bestrafen; Judith will ihrerseits am Petrusgrab in Rom für ihre Ehe bitten. Ludwig glaubt, sie habe sich damit abgefunden, wie eine Schwester mit ihm zu leben. Er denkt, sie sei ihm zur Beherrschung seiner Triebe geschickt worden, zur Begleichung seiner Sünden und der seines lüsternen Vaters. Von nun an will auch er enthaltsam leben und sich nicht länger der Magd bedienen. Judiths Feinde werfen ihr öffentlich Ehebruch und Hexerei vor; sie wollen erwirken, dass sie und Ludwig ins Kloster gehen. Als über Judith ein Todesurteil ergeht, wird sie von Ludwig begnadigt. Ihre Klosterhaft bezeichnet sie entsprechend einer Vereinbarung mit ihm als freiwillig. Der Papst erklärt später die Verschleierung Judiths für ungültig; sie und Bernhard schwören einen Reinigungseid. Als Judith und Ludwig bald erneut getrennt werden, versprechen sie einander, sich der Mönchung entgegenzustellen bzw. den Schleier nicht zu

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nehmen. Judith wird von ihren Feinden eingesperrt, die sie zugleich Ludwig gegenüber für tot erklären. Ruadbern, der die 15 Jahre ältere Judith liebt, seit er mit ihr zusammen am Hof aufgewachsen ist, kann sie befreien. Er meint, Liebe finde Erfüllung in sich selbst, sie müsse nicht erwidert oder in die Tat umgesetzt werden. Judith stellt fest, dass sie Ruadbern auch liebt; sie hat versucht, das Lodern in ihrem Herzen einzudämmen, aber die Sehnsucht brannte weiter. Schließlich zeigt sie Ruadbern, wie Mann und Frau sich lieben. Um Judiths Leben zu schützen, müssen sie sich eine Zeitlang als Ehepaar ausgeben. Als die Gefahr vorüber ist, kehrt Judith zu Ludwig zurück. Sie und Ruadbern müssen ihre Liebe nun »unabhängig von jeglicher Körperlichkeit weiterleben« (337). Nach Ludwigs Tod finden die beiden auch körperlich wieder zusammen. Judith bittet Ruadbern, sie zu heiraten; er will es »aus reiner, unverrückbarer Liebe« (388). Sie planen, den ehelichen Bund ohne Aufsehen in der Abtei Saint Martin in Tours segnen zu lassen, werden aber von Judiths Feindin Irmingard vergiftet. Vor ihrem Tod hat Judith noch erkannt, dass die Liebe erstrebenswerter ist als jedes Kaiserreich. In Das Geständnis der Amme heißt es, Judith habe ihren Mann Ludwig den Frommen mit heimtückischen Zaubermitteln und teuflischen Kräften verhext und ihn mit dem Kämmerer Bernard betrogen. In diesem Roman werden auch die strengen Maßstäbe Ludwigs deutlich: Viele Frauen suchen in Laon die Gunst des Kriegers Balduin und schenken ihm, gleich, was die Kirchenmänner mahnend verbieten mögen, ihren Körper; er nimmt auch oft eine der Huren, die das Heer begleiten, mit in sein Zelt. Prinz Ludwig hingegen bedauert, dass die Regel seines Großvaters Ludwig (des Frommen) nicht mehr gilt, nach der ein Mann, der bei einer Hure angetroffen wurde, diese auf den Schultern bis zum Marktplatz tragen und dort auspeitschen lassen musste; wenn er sich weigerte, wurde er zusammen mit ihr ausgepeitscht.

Im Roman Das Erbe des Puppenspielers findet Meginhard durch eine wertvolle Kreuzfibel, die seine Mutter »als reichen Lohn für Hurendienste« erhalten hatte, heraus, dass er der uneheliche Sohn von Karlmann, dem Bruder Karls des Großen, ist. Beide mussten »für des Königs Allmacht sterben« (397); auch Meginhards Leben ist bedroht. Dabei geht es um das Thema Erbe bzw. Nachfolge. 1.4.2 Könige, Adelige, Bauern – Unterschiedliche Haltungen zur ehelichen Treue Auch in Bezug auf weitere Herrscher und »einfache« Menschen werden in diversen Romanen Verstöße gegen die Verpflichtung zur ehelichen Treue erzählt. Diese belasten einige der Betroffenen stark, andere weniger stark, und werden in den Romanen insgesamt unterschiedlich beurteilt.

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In der Uhtred-Saga wird hinsichtlich der Ehe ein Idealbild vorausgesetzt; die Romane beschreiben dann die Abweichungen von diesem Ideal. So beichtet der jung verheiratete König Alfred von Wessex seine Verhältnisse mit Mägden; ihm wird auch ein Verhältnis mit einer Nonne nachgesagt. Alfred sieht sich als elendigen Sünder und denkt, dass er besser Mönch geworden wäre. Er glaubt, Gott habe ihm die Versuchung geschickt, um ihn zu erproben, und eine Krankheit (Durchfall), um ihn zu strafen; durch diese Krankheit kann Alfred der Versuchung schließlich widerstehen. Der verheiratete Krieger Uhtred unterscheidet zwischen Liebe und Wollust. Iseult, die mit ihm zusammenlebt, wird als Ehebrecherin beschimpft. In … denn sterben muss David! ist Karl der Große der »Unzucht« am Hof überdrüssig. Der Seneschall Ricbald, der mit Karl und seinen Männern von der Kaiserkrönung in Rom nach Aachen zurückkehrt, lehnt die Einladung des jungen Liudulf ab, mit ihm eine Prostituierte zu besuchen. Auch der Kaiser kann nichts daran ändern, dass Ricbald »fleischlichen Gelüsten« nicht abgeneigt ist, aber er ist erschöpft und sehnt sich nach Schlaf an der Seite seiner Ehefrau (47). In Das Amulett der Seherin finden der Mönch Finnian und seine sächsischen Begleiter am Straßenrand einen Mann, der die große Schuld tilgen muss, die Frau seines Nachbarn begehrt zu haben. Deshalb hat er in seiner Dorfkirche ein Gelübde abgelegt, nur mit einem Lendenschurz bekleidet, fastend, betend und singend zum Grab des heiligen Martin zu gehen. Obwohl er sich bereits ein Auge ausgerissen hat, begehrt er die Frau noch immer; sein »verdammenswerter Leib« will nicht klein beigeben. Der Leib sei nur die »schmutzige Hülle«, die die Seele bedecke (312f.). Weil der Mann eine Vision vom Paradies hatte, glaubt er, dass Gott ihm inzwischen verziehen hat. Der sächsische Gaugraf Walram begehrt die frisch getaufte Magd Liebhild; die strengen sächsischen Ehegesetze, so heißt es, würden aber wegen ihrer unterschiedlichen Herkunft keine Ehe zwischen ihnen erlauben. Liebhild macht sich Vorwürfe wegen ihrer Verliebtheit in Walram. Wie sie gelernt hat, ist das bloße Begehren genauso schlimm wie der Ehebruch; deshalb hat sie Angst, in der Hölle schmoren zu müssen, und verlässt die Gruppe. Finnian erklärt daraufhin, Christus habe das mit dem Ausreißen des Gliedes nicht wörtlich gemeint. Da Inga in Die Schlüsselträgerin ihrem Mann Rothger keinen gesunden Erben schenken kann, ist sie für ihn wertlos. Von einem Trinkgelage bringt er als »Friedelweib, seine Nebenfrau« Uta mit nach Hause. Dass »die Kirche diese Unsitte verbot«, kümmert ihn nicht; auch Kaiser Karl »habe es mit den Weibern nicht anders getrieben« (14). Nicht etwa weil er sich »nach den Regeln des christlichen Glaubens richtete, wonach der Stand der Ehe unauflöslich war« (20), sondern weil er sie als Verwalterin, als Inhaberin der Schlüsselgewalt in seinem Haus, braucht, verstößt Rothger Inga nicht. Sie betrachtet ihn als Ehebrecher und versucht, ihm mithilfe eines Liebeszaubers die Manneskraft zu rauben. Nach

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Rothgers Tod steht Inga unter der Munt ihres Schwagers Ansgar. Während Uta gehen muss, darf sie auf dem Hof bleiben und wird Ansgars Geliebte. Später beginnt Inga ein neues Leben mit dem Mönch Agius. Gerolds Ehebruch mit Johanna schmälert nicht das positive Bild, das der Roman Die Päpstin von ihm vermittelt: Er will sich von seiner Frau Richild trennen, auch wenn dies kostspielig wird. Beide haben eine Zeitlang »fleischliche Lust« verspürt, sich aber nie geliebt. Als Richild von der Beziehung Gerolds mit Johanna erfährt, vermittelt sie Johanna in Gerolds Abwesenheit, nur eine weitere seiner vielen Gespielinnen zu sein. Gerold hat aber nicht vor, Johanna zu seiner »Geliebten« zu machen; er will mehr als die »körperliche Vereinigung« und möchte vielmehr, dass sie seine Frau wird (230). Der Roman Im Zeichen des Neumonds erzählt von »schändlichen Orgien« der »Bruderschaft des Neumonds« (139f.): Eine Frau namens Agnes hatte sich zunächst mit ihrem Ehemann in »hemmungsloseste Unzucht« gestürzt und wurde dann die Gefährtin des Bandenoberhauptes sowie die Anführerin der »Götzenfeiern« in den Sümpfen (242). Sie erklärt Abt Erwin gegenüber, dass die Bruderschaft weder Götzen angerufen noch Höllenmächte beschworen, sondern Geistern, Nymphen und Feen, welche die Natur bewohnen, gehuldigt habe. Die Mitglieder wollten die vom Schöpfer geschenkten Freuden des Leibes auskosten; Orgien seien nicht nur den Mächtigen vorbehalten. Erwin wirft Agnes vor, andere zur Sünde verleitet sowie die Gebote Gottes und die vom Kaiser geschaffene Ordnung missachtet zu haben. In Agnes’ Augen hingegen hat jeder das Recht, seinen Sitten und Bräuchen entsprechend zu leben. Sie berichtet, im Namen von Glaube und Ordnung seit ihrer Kindheit vieles erlebt zu haben: Ihre Mutter wurde vom Hauptmann eines fränkischen Trupps geschändet, zwei ihrer Tanten durch Mönche aus dem Norden – so oft und mit solcher Gewalt, dass sie daran starben. 1.4.3 Frauen unter dem Verdacht des Ehebruchs Mehrere Frauenfiguren werden in den Romanen der Untreue gegenüber ihren Männern bezichtigt. Die Vorwürfe stellen sich im Verlauf der Handlung nicht immer als gerechtfertigt heraus. In Die Königsmacherin erklärt Bertrada, dass ein Mann, der seine Frau beim Ehebruch ertappt, sie und seinen Nebenbuhler töten darf. Wenn ein Fall vor Gericht gelangt, sei die Frau durch Verdächtigungen und Verleumdungen oft schon so gut wie verurteilt. Selbst bei einem Freispruch bleibe der Mann in seiner Ehre gekränkt und sinne auf Rache. Bischof Erkenwald von Lundene (Uhtred-Saga) wird als Eiferer dargestellt, der König Alfreds Tochter Aethelflaed, welche er für eine ungehorsame Ehebrecherin hält, in einer Predigt öffentlich diffamiert, sie einer entwürdigenden

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Prüfung unterzieht und von ihr als Frau Unterordnung und Gehorsam verlangt. Er begründet das mit dem in der Bibel niedergelegten Willen Gottes. Ihr Mann muss in einer Kirche Gerste und Silber als Opfer darbringen. Im Roman Die Witwe tut Graf Rothari der schönen, kräuterkundigen Luitgard Gewalt an und verspricht ihr später die Ehe, obwohl seine Frau noch lebt. Zur »Friedel« will er Luitgard nicht machen, weil das »gegen die christliche Lehre« ist (198). Luitgards verarmter Vater ist froh, sie mit dem älteren, vermögenden Bardo verheiraten zu können. Weil sie keine »Mitgift« in die Ehe bringt, erhält sie keine »Morgengabe« als Geschenk Bardos nach der Hochzeitsnacht und nach seinem Tod auch kein »Wittum«; der »Ehevertrag« beinhaltet, dass die »Munt« über Luitgard nach Bardos Tod nicht wie üblich an ihren Vater zurück fällt, sondern an Bardos Bruder (90). Rothari lässt den »Verkauf« an Bardo zu, in dessen Familie Luitgard misshandelt und gedemütigt wird; Bardo vergnügt sich vor ihren Augen mit Mägden. Als Luitgard von ihm des Ehebruchs angeklagt wird ( jemand will sie mit einem Liebhaber beobachtet haben) und leugnet, muss sie im Rahmen eines »Gottesurteils« über glühende Pflugscharen laufen (200f.). Obwohl sie sich dabei erheblich verletzt, wird sie von Rothari freigesprochen. Sie verrät nicht, dass dieser selbst ihr Liebhaber war. Er dankt es ihr nicht, sondern nennt den Ehebruch einer Frau eine »unverzeihliche Missetat« (94). Zurück bei Bardo, muss Luitgard den Männern seiner Familie zu Willen sein; er selbst verstümmelt ihr Gesicht. Nach Bardos Ermordung will Luitgard schließlich Rotharis Sohn heiraten, liebt Rothari aber noch immer. In Wik steht Lioba (Das Buch Haithabu), die Frau des Schirrmeisters, wegen Ehebruchs am Pranger. Der Mönch Agrippa will ihr helfen und singt einen Fürbitte-Psalm, bis der Henker sie freigibt. Lioba sagt zu Agrippa, sie habe längst nicht so viel gesündigt wie ihr vor Gott angetrauter Gemahl. Abt Theophilus meint, Mönche sollten sich nicht in die Dinge niederer weltlicher Gerichtsbarkeit einmischen, sondern das Gericht Gottes künden, und gibt Agrippa auf, sich eine Nacht lang zu geißeln. Der Schirrmeister möchte Agrippa auch durch ein Gericht verurteilt wissen. Aus Unzufriedenheit darüber, dass Agrippa nur für einen Tag und eine Nacht am Spottgalgen stehen muss, schlägt er ihm einen Arm ab. Als der Schirrmeister kurz darauf erwürgt im Bett seiner Konkubine gefunden wird, sagt man, ein abgeschlagener Arm in einer Benediktinerkutte, der Arm Agrippas, habe dies getan; sein Tod sei ein Gottesurteil. Lioba nimmt Agrippa bei sich auf. Sie dankt ihm, dass er einen Arm geopfert hat, um ihr, einer Sünderin, Gutes zu tun so wie der Heiland der Sünderin Magdalena. Der Abt, der Agrippa besucht und mit ihm betet, spricht Lioba auf Agrippas Wunsch von ihrer Schuld frei. Die verheiratete Genovefa sehnt sich nach Freiheit, spürt aber, dass dies nicht Gottes Willen entspricht. Sie fühlt sich in einem Zustand der Sünde, auch weil sie Begierde für den Kaufmann Desiderius empfindet; deswegen hat sie ein schlechtes Gewissen. Ihre Amme Bertrada meint, Genovefa dürfe sich ruhig

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freuen, begehrt zu werden, solange sie ihrem Mann Sygifrid dabei treu bleibe. Desiderius schöne Augen zu machen sei allerhöchstens eine »hässliche [sic!] Sünde« (Genovefa, 72). Als Genovefas Mann gegen die Sarazenen in den Krieg ziehen muss, wird sie durch dessen Verwalter Golo belästigt. Er preist ihre Schönheit und meint, sie beide treffe das Los der Einsamkeit, welches Gott den Menschen ersparen wollte, indem er Adam Eva gab. Angesichts von Golos »Gotteslästerung« (87), ein Gott finde das wahre Glück nur bei seiner Göttin, erlangt Genovefa endlich die Kraft, sich zu wehren. Als sie in einer erneuten Bedrängnis Gott und die heilige Mutter Maria bittet, ihr und ihrem ungeborenen Kind zu helfen, kühlt sich Golos »unbeherrschbare Wollust« ab (98). Den nächsten Annäherungsversuch sieht Genovefa als weitere Station ihres Kreuzweges; eine Vergewaltigung wäre dann ihr »Golgotha« (102), ein von Gott verlangtes Opfer für eine Schuld, die sie auf sich geladen hat – vielleicht die, eine einsame und verlassene Frau zu sein. Golo behauptet, Genovefa mehr zu lieben als Sygifrid dies getan habe. Er will ihr Kind verschonen, wenn Genovefa an seiner Seite steht, aber diese hofft nur auf Gottes Strafe für Golos Untaten. Bei Sygifrids Rückkehr bezichtigt Golo Genovefa der Untreue; die Küchenmeisterin Richildis behauptet, diese habe mit dem Küchengehilfen Martinus einen Sohn gezeugt. Genovefa glaubt, Richildis sei von einem bösen Dämon besessen und habe ihre Seele an den Teufel verkauft. Diese erklärt, es sei Brauch, Ehebrecherinnen zusammen mit ihren Kindern zu ertränken. Genovefa fühlt sich so verlassen wie Hiob in seinen schlimmsten Prüfungen und fragt, warum Gott ihr das antut. Richildis meint, es sei abzuwarten, wie der ewige Richter sie und Genovefa beurteilen würde. Genovefa glaubt, Gott habe eigentlich ein glückliches Leben für sie und Sygifrid zusammen mit ihrem Sohn vorgesehen. Sie hält Sygifrid für besessen vom »Dämonen der Mannesehre« (118), der ihm einflüstert, alle Frauen seien von Grund auf schlecht und verdorben. Deshalb entscheidet er, dass sie sterben muss. Die Männer, die Genovefa und ihr neugeborenes Kind töten sollen, haben jedoch Mitleid und verschonen sie. Genovefa und ihr Sohn Schmerzensreich leben von nun an in einer Höhle im Wald. Sygifrid lebt mit Judith, der schönen Tochter eines Kaufmanns, zusammen, die bereits früher seine »Geliebte« (36) gewesen sein soll; sie gilt als kluge Frau, die ihre körperlichen Reize geschickt einzusetzen weiß. Nach sieben Jahren entdeckt Sygifrid Genovefa zufällig im Wald, ohne sie zu erkennen. Als die anderen Männer der Jagdgesellschaft Genovefa für verfügbar halten und entkleiden, bedeckt Sygifrid ihren Körper. Für Genovefa ist er »vor Gott noch immer ihr Gemahl«, den dieser an ihre Seite gestellt hat. Sie bittet die Muttergottes darum, das auch empfinden zu können (159). Als Sygifrid von Golos Intrige erfährt, lässt er ihn hinrichten. Nach ihrer Rückkehr bleibt Sygifrid Genovefa fremd. Als sie ein Gespräch zwischen ihm und Judith belauscht, erkennt sie, dass ihre Ehe in

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Wirklichkeit nicht mehr besteht. Genovefa kann das Zusammenleben mit ihrem Mann, der seinen Sohn immer mehr auf seine Seite zieht, nicht mehr ertragen und lässt ihn glauben, sie sei bei einem Brand der Burg umgekommen. Mit dem Kaufmann Desiderius will sie in dessen Heimat Byzanz ein neues Leben beginnen.

1.4.4 Heidnische Umgebung als Gefährdung einer christlichen Ehe Das in den Romanen häufig beschriebene Gegenüber von Heiden- und Christentum spielt auch eine Rolle für das Thema des Ehebruchs: Der Bruch einer bestehenden oder geplanten Ehe scheint in einigen Romanen zu geschehen, wenn ein Christ in eine heidnische Umgebung gelangt und durch die dort herrschenden Sitten – wie eine gewisse sexuelle Freizügigkeit – verführt wird. Die Fränkin Radegund (Die Träume der Libussa) hat gehört, dass die Frauen der Heiden keinen Anstand haben, sich wahllos mit Männern einlassen und ihre Kinder den blutrünstigen Götzen opfern. Die Äbtissin, in deren Kloster Radegund eine Zeitlang lebte, hat mächtige Frauen als bösartig und gottlos bezeichnet und abfällig über die Frauen der Heiden gesprochen. Eine Nonne, die bei den Heiden aufwuchs, ist nun froh, hinter den steinernen Klostermauern in Sicherheit zu sein. Sie meint, bei den Heiden würden Frauen sich Rechte anmaßen, die ihnen nicht zustehen; dafür habe Gott sie gestraft. Wie Radegunds Ehemann, der getaufte Behaime Lidomir, erklärt, gelten Frauen bei ihnen nicht als minderwertig und unrein, sondern können großen Einfluss ausüben, ohne sich dafür an Männer zu verkaufen. Für die Behaimen ist es ungewohnt, dass ein Mädchen seine Familie verlässt, um einem Mann zu folgen. Viele sind verwundert, dass Lidomir eine Christin geheiratet hat. Er weiß jedoch, was bei den Christen einer Frau blüht, die ein Verhältnis eingeht, ohne sich vorher vermählt zu haben: Im Haus von Vater Anselm, seinem christlichem Lehrer, hat sich ein junges Dienstmädchen erhängt, weil es ledig und schwanger war. Radegund hat den Eindruck, dass die Heiden ihren Trieben folgen, die sie für heilig halten. Zugleich findet sie selbst Gefallen an Slavonik, einem Kroatenfürsten. Lidomirs Tante Kazi erklärt ihr, das Volk der Behaimen kenne und verehre die Gesetze der Natur, und der menschliche Körper sei ein Teil dieses Ganzen. Sie meint, man solle sich nicht für seine Sehnsüchte schämen. Lidomirs Schwester Scharka findet, dass dieser sich wie ein christlicher Ehemann benimmt, der jeden Schritt seiner Frau überwacht. Bei einem heidnischen Fest, zu dem Lidomir sie nicht begleiten wollte, lässt Radegund sich mit Slavonik ein. Anschließend plagen sie Schuldgefühle. Sie überlegt, ob sich Fäulnis hinter scheinbar harmloser Freizügigkeit verbirgt, oder ob die Fäulnis in ihr selbst ist.

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Radegund hofft, dass Missionare ihr den rechten Weg zeigen werden; sie sehnt sich nach Erlösung durch die Beichte. Der junge Missionar Frederik verrät später, dass Radegund seinem Begleiter Gundolf, der Libussa stürzen wollte, den Rat gab, sich an den unzufriedenen Slavonik zu wenden – Gundolf hatte Radegund mit seinem Wissen aus der Beichte erpresst. Lidomir tritt für Radegund ein: Er habe sie nach christlichem Ritus geheiratet; es stehe ihm nicht zu, sie zu verstoßen. Radegund erzählt ihm schließlich alles. Sie denkt, dass sie das viel früher hätte tun sollen; zur Ehrlichkeit ratende, gläubige Menschen wie ihre Schwester Anahild und Frederik seien vielleicht doch keine Narren. Als Radegund um Vergebung bittet, kann Lidomir ihr zwar die Begegnung mit Slavonik verzeihen, nicht aber den Verrat an seiner Familie; Radegund darf in seinem Land bleiben, aber Lidomir will sein Lager nicht mehr mit ihr teilen. Als der fränkische Krieger Embricho (Die Priestertochter) den Missionar Tietgaud nach Rethra begleitet, lernt er Alena, die Tochter des redarischen Hohepriesters, kennen und kommt ihr näher. Dann erzählt er ihr jedoch von Heilwich: Als sie noch Kinder waren, haben sich die beiden die Ehe versprochen. Heilwich ist eine Leibeigene, deren Herr bestimmt, wen sie heiratet, und dem auch die Kinder aus dieser Verbindung gehören. Embricho hat mit ihm verhandelt und will Heilwich freikaufen, wenn er genug Geld hat. An Heilwich liebt er ihre Treue und Geduld, ihr Wissen um ihren eigenen Wert, ihren stillen, ruhigen Stolz und dass nichts sie brechen kann. Embricho preist jedoch auch Alenas Schönheit und ihren Körper, den Traum eines jeden Mannes, und ist gefangen von ihren Küssen. Damit hat er allerdings Heilwichs Vertrauen enttäuscht; er will ihr nicht wieder die Treue brechen. Alena liebt Embricho und möchte seine Frau sein, aber er liebt sie nicht. Er kehrt schließlich nach Magdeburg zurück, um Heilwich zu heiraten. 1.4.5 Möglichkeiten zur Beendigung einer Ehe und erneuten Heirat In einigen Romanen wird die Frage thematisiert, ob und wann eine Ehefrau verstoßen und eine Ehe aufgelöst werden kann, und welche Bedingungen für eine neue Eheschließung bestehen. Eine große Rolle spielen hierbei die Wünsche des Mannes und das Thema Kinderlosigkeit. Im Roman Mit Dolch und Gift überlegt Aldrich, seine Frau Anne wegen vermeintlichen Ehebruchs zu verstoßen. Er beharrt schließlich auf ihrer Unfruchtbarkeit und erstattet die Mitgift zurück. Bischof Martin von Autun hatte ihn an die Worte Jesu erinnert, »wonach der Mensch nicht trennen könne, was Gott zusammengefügt hat«. Im Alten und Neuen Testament stehe genau, was für Eheleute gelte. Der Bischof sieht sich nicht als »Berater in Scheidungsfragen« (39). Letztlich erweist sich die Verstoßung als nichtig: Anne hat ein Kind geboren;

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zuvor hatte Aldrich bei einer Kräuterfrau ein Mittel besorgt, mit dem er sie zur Abtreibung zwingen wollte – er wollte sich von ihr trennen und durch eine weitere Ehe mit Oda gesellschaftlich aufsteigen. Die schwangere Oda betrügt er später mit der verheirateten Gertrude. Als im Roman Die Königsmacherin bekannt wird, dass Leutberga, die Tochter ihrer Amme, sich als Bertrada ausgegeben und Pippin geheiratet hat, erklärt Vater Gregorius, der Abt von Prüm, diese Ehe für nichtig, da sie unter falschen Vorzeichen geschlossen wurde. Pippin nimmt vor Zeugen die echte Bertrada zur Frau, Vater Gregorius segnet sie. Als Pippin Bertrada näher kennenlernt, verlieren zunächst alle anderen Frauen ihren Reiz. Es gefällt ihm nicht, dass nur eine Frau sein Herz und seinen Körper beherrscht. Nach einigen Jahren möchte er sich von Bertrada trennen und die Tochter des Langobardenkönigs Desiderius heiraten, aber der Papst verbietet ihm eine erneute Eheschließung, solange seine Frau noch lebt: Die Paradiesgeschichte zeige, dass Gott die Einehe wünscht. Im Nachhinein ist Pippin froh darüber, zumal er selbst die Heiligkeit der Ehe beschworen und sich bemüht hatte, seinem Volk christliche Grundsätze zu vermitteln. Er wendet sich Bertrada schließlich wieder zu, wobei ein Liebeszauber eine Rolle spielt. Jahre später lässt Fulrad von Saint Denis mithilfe eines Schriftstücks aus dieser Zeit Bertrada glauben, Pippin wolle sich gegenwärtig wegen Desiderata von ihr trennen. Daraufhin führt Bertrada Pippins Tod herbei; zu spät erkennt sie ihren Fehler. Karl der Große heiratet nach dem Tod seines Vaters Pippin in aller Stille die 15 Jahre ältere Himiltrud. Diese Ehe wird für nichtig erklärt, als Karl auf Wunsch seiner Mutter Desiderata heiratet. Die Ehe mit Himiltrud war »in aller Form« geschlossen worden: »Mit dem Segen Abt Fulrads und allen dazugehörigen Unterschriften auf Pergamenten, deren Vernichtung später keine sonderlich große Mühe gekostet hatte«. Vor Gott war Himiltrud Karls »angetraute Ehefrau« (Die Beutefrau, 184). Nach einem Jahr verstößt Karl Desiderata mit der Begründung der Unfruchtbarkeit und heiratet die 13jährige Hildegard. Bertrada wirft Karl vor, sich mit einer neuen Ehe an Gott zu versündigen und gegen seine eigenen Gesetze zu verstoßen. Der Wildhüter Audacer wundert sich, dass Graf Robert (Das Geständnis der Amme) an seiner Ehe festhält, obwohl er keinen Sohn hat und seine Frau Alpais darum verstoßen könnte. Nicht einmal die Priester würden es ihm vorwerfen, wenn er seine Ehe auflösen würde; sie würden nur laut schimpfen, wenn manche Männer sich mehrere Frauen halten. Alpais ist Robert nicht besonders wertvoll, aber er läuft vor keiner Prüfung davon. Es gelte, sich dem Willen Gottes zu beugen, auch wenn Robert in seinen Gebeten manchmal damit hadert. Er erinnert sich außerdem, dass der Gelehrte Jonas von Orléans scharf kritisiert habe, Ehen bei Kinderlosigkeit zu beenden. Robert hält an Alpais fest, weil der Allmächtige selbst diesen Bund geschlossen habe. Bruder Ambrosius erklärt ihm,

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dass Unfruchtbarkeit nicht Ausdruck von Sünde sein muss, sondern ein Zeichen der Prüfung sein kann. Gibicho (Das Amulett der Seherin) verführt Roswitha, die Frau des sächsischen Gaugrafen Walram. Einige Zeit nach der Eroberung der Eresburg durch die Franken und Walrams Flucht von dort möchten sie heiraten. Aus Opportunismus werden die beiden Sachsen Christen. Damit Roswitha nach christlichem Recht geschieden werden kann, wollen sie behaupten, dass Walram sich geweigert habe, Nachwuchs zu zeugen. Bei den Franken ist Ehebruch kein todeswürdiges Verbrechen. Roswitha hat den Franken erzählt, dass Walram sie vom christlichen Glauben abhalten würde. Der Bischof annulliert schließlich die Ehe von Walram und Roswitha, weil Walram angeblich durch giftige Tränke Nachwuchs verhindert und Roswitha verboten habe, sich taufen zu lassen. 1.4.6 Ein Beispielfall: Lothar – Waltrada – Teutberga In zwei Romanen geht es ausführlich um den »Fall« Lothar II. – Waltrada/ Waldrada – Theuteberga/Teuthberga. Dabei werden neben den Kriterien für das Zustandekommen einer Ehe vor allem die Bedingungen für Scheidung und Wiederheirat thematisiert. Außerdem kommt es zur Unterstellung eines Ehebruchs. Im Mittelpunkt steht die Frage, wer über die Rechtmäßigkeit bzw. Gültigkeit und das Bestehen einer Ehe entscheidet – der Papst oder der Kaiser? In Das Geständnis der Amme wird als Vorgeschichte erzählt, dass Lothar II. einst mit »Waltrada« zusammen lebte; »die einen sagen, wie Mann und Frau, die anderen, dass sie nichts weiter als eine Konkubine war« (337). Sie gebar ihm einen Sohn. Dann konnte Lothar eine politisch viel bedeutsamere Ehe schließen: Ihm wurde die Hand von »Theuteberga«, einer Schwester des Abtes Hukbert von Saint-Maurice d’Agaune, angeboten. Deshalb verstieß er Waltrada und bekundete, er habe sie ohnehin niemals kirchlich geheiratet. Als Lothars Ehe mit Theuteberga kinderlos blieb, verstieß er diese, nahm Waltrada zurück und betrachtete seinen Sohn Hugo nicht länger als »Bastard«, sondern als rechtmäßigen Erben. Lothar bat die Bischöfe seines Reiches, seine Ehe mit Theuteberga für nichtig zu erklären, da er ja zu diesem Zeitpunkt mit Waltrada verheiratet gewesen sei. Die Aachener Synode stimmte der Trennung zu. Karl der Kahle und Ludovicus Germanicus wollen nun bewirken, dass ihr Neffe Lothar ohne Erben dasteht, um sein Reich für sich beanspruchen zu können. Deshalb betreiben sie, dass Lothar an seiner Ehe mit Theuteberga festhalten muss und Hugo folglich nur sein illegitimer Sohn ist. Darüber zu entscheiden, ist Sache der Kirche. Judith meint allerdings, dass die Männer der Kirche niemals unparteiisch sind und in jedem Kampf um Macht in der vordersten Reihe mitwirken wollen. Bischof Hinkmar von Reims wettert am lautesten gegen Lothar. Dieser verkündet schließlich, er habe sich nicht von Theu-

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teberga getrennt, weil sie keine Kinder bekommen konnte, sondern weil sie Unzucht mit ihrem Bruder getrieben habe. Als die Großen des Reiches ein Gottesurteil verlangen, hat sich die vom Kampf zermürbte Theuteberga, so Judith, wohl gedacht, sie könne durch das Ablegen eines Geständnisses dieser Prozedur entgehen und sich in ein Kloster zurückziehen. Karl der Kahle überredet sie jedoch zur Flucht in seinen Reichsteil, wo sie ihr Geständnis widerruft und an Papst Nikolaus appelliert. Dieser beraumt eine Synode in Metz an, auf der verschiedene Bischöfe sowie zwei päpstliche Legaten gemeinsam erklären sollen, dass Lothar Waltrada verstoßen und Theuteberga wieder aufnehmen muss. Lothar besticht die Legaten, woraufhin seine Ehe mit Theuteberga für nichtig erklärt wird. Der wütende Papst will die Erzbischöfe von Trier und Köln in Rom zur Verantwortung ziehen. Nikolaus möchte, so Judith, aller Welt beweisen, dass die Macht des Papstes in vielen Fällen über der eines Königs liegt. Auch Hinkmar von Reims wolle, wenn er sich einmischt, die Macht der Kirche sowie seine eigene unter Beweis stellen. Über die Rechtmäßigkeit einer Ehe zu urteilen, dürfe nicht im Ermessen der Laien oder des Königs liegen. Judith und Balduin treffen Waltrada in einem jämmerlichen Zustand an. Sie meint, dass die Männer der Kirche Judith und Balduin genauso verfluchen wie sie sie verflucht haben. Judith glaubt, dass Lothar nur wegen seines Sohnes, nicht wegen Waltrada, um ihre Ehe kämpft, und dass alle Männer – der Papst, Lothar und die Könige – Waltrada nur benutzen. In Bei meiner Seele Seligkeit geht Lothar II. mit Billigung seines Vaters eine »Friedelehe« mit »Waldrada« ein, die er liebt; sie stammt aus einer edlen Grafenfamilie im Elsass. Ihr gemeinsamer Sohn wird allerdings nicht anerkannt, weil, so König Karl von Westfranken, die Mutter ein »Kebsweib« ist und das Kind nicht in vollgültiger »Muntehe« gezeugt wurde. Lothar träumt vom wiedererstandenen fränkischen Gesamtreich; seine Brüder sind tot und ohne Erben, seine Onkel wollen sein Reich einnehmen. Weil Lothar einen Thronfolger braucht, heiratet er auf Drängen seiner Berater in gültiger Muntehe »Teuthberga«, ein Edelfräulein aus gräflichem Geblüt, von Benediktinerinnen erzogen. Von ihrem Bruder, dem Laienabt Hucbert, erhält sie eine Mitgift. Die Beziehung zwischen Lothar und Teuthberga ist zunächst nicht von Liebe, aber von Wohlwollen geprägt; später wandelt sich dieses in Hass. Als es den beiden nicht gelingt, die Ehe zu vollziehen und Teuthberga nicht schwanger wird, kehrt Lothar zu Waldrada zurück. Er will die Scheidung. Teuthberga wird der »verbotenen inzestuösen Liebe« zu ihrem Bruder bezichtigt (78), in der angeblich der Grund für ihre Unfruchtbarkeit liegt. Bei einem Gottesurteil kann Teuthberga sich durch einen Stellvertreter von den Vorwürfen reinigen. Da sie unschuldig ist, weigert sie sich, in der Beichte ihre Sünden zu bekennen. Als sie jedoch mitansehen muss, wie ihre Zofe gefoltert wird (deren Brust wird verbrannt), gesteht sie, ihr Bruder habe mit ihrem Körper »widernatürliche Unzucht getrieben« (106).

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Lothars Berater, der Mönch Asmodi, hat mit der inszenierten Folter »das Weib mit seinem weichen, lockenden Fleisch, diese wollüstige Verführung des Mannes« gestraft für alle Versuchung, die er als Mönch erlitten hat (96). Teuthberga bittet um Auflösung der Ehe und Zuflucht hinter Klostermauern. Bischof Hinkmar von Reims verfasst daraufhin eine Streitschrift. Lothars Waffenmeister Erkembald erinnert daran, dass die Heiratspolitik zu Zeiten Karls des Großen nie in den Händen der Priester lag, sondern zu den selbstverständlichen Rechten des karolingischen Hauses gehörte. Bischof Adventius von Metz hat den Eindruck, dass es in erster Linie um einen Thronfolger geht; ihren sexuellen Appetit hätten die Karolinger immer mit Frauen ihrer Wahl gestillt. Lothars Beichtvater Bertholdo ist froh, dass seine Mutter ihn zu »Reinheit, Keuschheit und Priestertum von Jugend an erzogen« hat. Er sieht immer wieder, »wie der Geschlechtstrieb den Menschen mehr Leid als Lust verschafft« (117), und erlebt die »starke karolingische Sinnlichkeit« (118). Alles, was als moralische Frage aufgebauscht werde, sei eine Sache der Politik. Der »Mann Gottes« wird hineingestoßen in die Händel der Welt; die heilige Religion werde von allen Seiten missbraucht für Macht. Nach einigem Hin und Her spricht eine Synode die Scheidung aus und erlaubt Lothar die Wiederheirat. Lothar stellt gegenüber zwei Legaten des Papstes seine erste Ehe als rechtmäßig dar: Waldrada war eine freie Jungfrau, es gab die Zustimmung ihrer Eltern und seines Vaters sowie eine Morgengabe. Als bekannt wird, dass die Legaten bestechlich sind, werden sie exkommuniziert. Der Papst verlangt, dass Lothar Waldrada verstößt und Teuthberga wieder aufnimmt; auch Waldrada wird exkommuniziert. Einem neuen Legaten hält Lothar entgegen, dass die Frage der Heirat nie eine Frage der Kirche, sondern immer eine Angelegenheit des Königs war. Dieser entgegnet, die fränkischen Stammesgesetze, Heidengesetze, würden heute weder von der Kirche noch vom Volk toleriert. Ein Volk könne nicht in Züchten leben, wenn sein König, der Vorbild im christlichen Leben sein soll, in Hurerei verfalle. Teuthberga hat erfahren, dass sie allen Beteiligten gleichgültig ist. Es geht nicht um Gerechtigkeit; sie ist in das »unheilvolle Räderwerk der Macht« geraten (185). Der Legat Arsenius erlässt Lothar »huldvoll die Kirchenbuße für seinen öffentlichen Ehebruch« (186). Der Papst will »das Sittengesetz der Kirche durchsetzen und seine Macht als Weltenrichter über Kaiser und Könige erweisen« (196). Als Teuthberga auf Lothars Drängen hin den Papst bittet, sie aus dieser Ehe zu befreien, schlägt er das ab: Lothar dürfe Waldrada selbst nach Teuthbergas Tod nicht heiraten. Der Papst verbietet Lothar, mit Waldrada zu verkehren. Erst ein neuer Papst befreit Waldrada vom Bann. Lothar muss gemeinsam mit Eidhelfern schwören, dass er sich an das Verbot gehalten hat – damit begeht er einen Meineid. Eine vom Papst einberufene Synode soll ein abschließendes Urteil fällen. Auf dem Weg nach Rom sterben viele seiner Männer sowie Lothar selbst

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an Fieber, was als Strafgericht für die falschen Eide gesehen wird. Das Leben der beiden Frauen ist an Lothar zerbrochen, sie seien immer Opfer gewesen: der Krone, der Dynastie, des männlichen Machtanspruchs. Beide ziehen sich ins Kloster zurück.

1.5

Alternativen zur Ehe: Nicht-eheliche Liebesbeziehungen

Viele wichtige Figuren in den Romanen befinden sich nicht in einer Ehe, sondern leben unverheiratet als Liebespaar zusammen. Die Ehe erscheint vielfach als eine erzwungene Gemeinschaft im Gegensatz zur frei gewählten Liebesbeziehung. Manche Paare können nicht heiraten, viele wollen es nicht. Einige Romanfiguren waren bereits verheiratet, für andere ist eine Ehe überhaupt kein Thema. Von diesen »freien« Beziehungen scheitern einige aufgrund der Umstände, manche enden durch den Tod eines der Partner, andere gelingen. Als christliche Lebensform werden diese Beziehungen in den Romanen in der Regel ebenso wenig beschrieben wie viele der Ehen. Einige der betroffenen Romanfiguren werden als durchaus gläubig dargestellt, sie stellen sich aber gegen kirchliche Vorschriften. Für die Töchter Karls des Großen besteht ein »Heiratsverbot«: Im Roman Die Beutefrau heißt es, dass er sie immer bei sich haben will. Von möglichen Ehemännern geht eine Gefahr aus; Karl will diese nicht mit Macht ausstatten. Er verbietet seiner Tochter Berta, den Sohn des Königs Offa von Mercien zu heiraten. Offa hatte eine Doppelhochzeit vorgeschwebt – nun kann auch Karls Sohn Karl die Tochter Offas nicht heiraten, in die er sich verliebt hatte. Bertas Liebhaber wird schließlich der Kaplan Angilbert, ein Freund und Berater ihres Vaters sowie Laienabt von Saint Riquier; sie haben gemeinsame Kinder. Rorico, den Partner seiner Tochter Rotrud, ernennt Karl zum Grafen. Karl schätzt die Klugheit dieser Männer und ist der Ansicht, dass der »Schmerz einer heimlichen Liebe« mehr Verbundenheit schafft als das »warme Bad des ehelichen Einerleis« (136). Rotrud meint, wenn man sich liebe, sei eine Heirat gar nicht notwendig; Heiraten wäre nur sinnvoll, um Ländereien zu gewinnen. – Hruodhaid, die Tochter Karls des Großen und seiner Schwester Gisela, war, wie ihr Sohn Ruadbern sagt, »großer Liebe fähig und musste dies nicht durch eine Heirat bestätigt sehen« (Die Welfenkaiserin, 252). Judith entgegnet ihm, dass Hruodhaid nicht heiraten durfte; sie lebte mit dem Waffenmeister Hedoin zusammen. – Seinem Schreiber und Baumeister Einhard gestattet Karl in Die Beutefrau allerdings, seine uneheliche Tochter, die kluge Emma, zu heiraten, die zunächst im Kloster Worms aufwuchs und dann als Schülerin an den Hof kam – aber nur unter der Bedingung, dass ihre Herkunft nicht bekannt wird.

Romanebene

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In …denn sterben muss David! darf Bertha ihren Liebhaber Angilbert nicht begleiten, weil ihr Vater Karl der Große sie immer an seiner Seite haben will. Als der junge Enno in der Pfalz von einem Wächter ergriffen und verletzt wird, stellt Bertha sich schützend vor ihn und versorgt anschließend seine Wunden. Sie und ihre Schwestern betrachten den schönen Bauernjungen interessiert, und auch Enno findet Gefallen an den attraktiven jungen Frauen. Bertha befreit ihn schließlich aus dem Kerker, wo sie mit ihm flirtet. Stattlich gebaute Bauernsöhne verabscheut sie grundsätzlich nicht, aber ihr Liebhaber würde es nicht gut heißen, wenn sie sich während seiner Abwesenheit mit anderen Männern vergnügte.

In einigen Romanen ist von einer »Geschwisterliebe« in der karolingischen Familie die Rede: Mehrfach werden Karls des Großen inzestuöse Beziehungen zu seiner Schwester bzw. Halbschwester, einer späteren Nonne, und die gemeinsamen Kinder, die zunächst heimlich im Kloster und später am Hof erzogen werden, beschrieben. Im Roman Karl der Große verbringt Karl während eines Ausflugs eine Nacht mit seiner jungen Schwester Adalhaid im Kloster Lorsch. »Wärme und Geschwisterliebe« haben sie »schwach gemacht« (386). Daraus geht ihr gemeinsamer Sohn Roland hervor. Nicht einmal Karl erfährt zunächst, dass die beiden im Kloster Tauberbischofsheim versteckt werden. – In Die Abbatissa zeugt »Karolus« zwei Kinder mit seiner Halbschwester Ada: Ruoland und Imma. Ada ist die Tochter von König Pippins »Friedelfrau« Swana. Karolus war Adas erste Liebe; danach konnte sie sich nie mehr länger in einen Mann verlieben. Später wird sie Laienäbtissin; sie und Karl stehen sich auch im Alter noch sehr nahe. Ada genießt die Zeit mit ihm, träumt aber heimlich davon, im Falle seines Todes die Regierung zu übernehmen. Die beiden Kinder wachsen zunächst bei Pflegeeltern auf; Imma kommt später zu Ada ins Trierer Kloster und dann an den Hof, wo sie schließlich erfährt, wer ihre Eltern sind. Sie ist die »Frucht einer blutschänderischen Beziehung« (487). Als sie sich kennenlernten, wussten Karolus und Ada allerdings nicht, dass sie Geschwister sind; beide haben Buße getan. Im Roman Die Königsmacherin hofft Gisela, dass ihre Freundinnen einmal ihre Brüder Karl und Karlmann heiraten werden. Karl mustert diese, Hildegard und Sophia, wohlwollend, doch keine kommt seiner Schwester Gisela gleich. Sie gewährt ihm einen »gar nicht so schwesterlichen Kuss« (415) und lässt ihn in ihr Schlafgemach. Das Band zwischen ihnen ist fester als jedes Ehegelöbnis. Karl verhindert die Eheschließung Giselas mit dem Bruder Desideratas. Wenn Karl Gisela schon nicht heiraten kann, dann ist Hildegard für ihn eine gute zweite Wahl. Gisela legt keinen Wert auf eine Eheschließung. Ihre Mutter Bertrada fragt sich, warum sie so viel liest und studiert, wenn sie mit ihrem Wissen keinem Mann zur Seite stehen will und somit kaum Einfluss ausüben kann. Gisela meint, sie könne sich diesen vielleicht einst als Äbtissin verschaffen – so kommt es später

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Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe

auch. In Die Beutefrau heißt es, dass aus einer gemeinsamen Nacht, in der Karl und Gisela um Bertrada und Hildegard trauerten, ein Kind entstand, Hruodhaid. Es wächst zunächst bei Gisela im Kloster Chelles und dann am Hof auf. Als Hruodhaid später von ihrer Herkunft erfährt, sucht sie mit ihrer Freundin Gerswind in der Bibel und Büchern der Antike nach Beispielen für »Blutschande« (281). Gerswind sagt der verzweifelten Hruodhaid, sie sei das Kind einer »ganz besonderen Liebe« (288). Einige Hauptfiguren der Romane führen bewusst Liebesbeziehungen, ohne eine Ehe einzugehen: Die gebildete Pergamentmacherin Theresa (Das Pergament des Himmels) schwärmt zunächst für Haldor und lässt sich auch auf eine körperliche Beziehung mit ihm ein. Später erkennt sie jedoch dessen schlechten Charakter und beginnt mit Izam, einem Ingenarius Karls des Großen, der sie gut behandelt und unterstützt, in Nantes ein neues Leben. – In Der Kalligraph des Bischofs verlieben sich der ehemalige Verbrecher Germunt, den Bischof Claudius in Kalligraphie ausbilden lässt, und die blinde Waise Stilla, die Ziehtochter des bischöflichen Schreibers Biterolf. Sie leben schließlich unverheiratet auf einem Sennerhof in den Bergen und besuchen häufig Claudius in Turin, der ihre Kinder segnet. – Der Puppenspieler Meginhard (Das Erbe des Puppenspielers) führt eine Zeitlang ein freies Leben unterwegs mit seiner Jugendgefährtin Gisela, diese entscheidet sich aber schließlich für Meginhards Bruder Ansgar. – Im Roman Die Abbatissa lernt die Cancellaria Imma zuerst den Schreiber Einhard näher kennen, woraus sich eine Freundschaft entwickelt. Dann verliebt sie sich in den Übersetzer Yussuf, einen Muslim, der ihr auch seine Religion näherbringt. Sie folgt ihm in dessen Heimat, wo er jedoch stirbt. Ob Imma später eine Beziehung mit Einhard eingeht, bleibt am Ende des Romans offen. Johanna (Die Päpstin) beschließt als Kind, nicht zu heiraten. Dem Rat ihrer Mutter folgend, will sie sich keinem Mann unterordnen; mit der Ehe geht die Frau »eine unauflösliche Bindung ein, die sie von einem Tag auf den anderen praktisch zur Leibeigenen machte« (178). Gemeinsam mit Gerold gelangt Johanna später zu einer positiven Sicht auf Sexualität. Sie versteht nun nicht mehr, warum ihre Mutter sie davor gewarnt hat, sich einem Mann hinzugeben: »Aber das war kein Sich-Aufgeben, sondern eine wundersame und wunderschöne Erweiterung des Selbst – ein Gebet, das nicht mit Worten, sondern mit den Augen und den Händen, mit den Lippen und der Haut gesprochen wurde«. Als Johanna im Augenblick der Ekstase ruft, dass sie Gerold liebt, sind ihre Worte »keine Entweihung, sondern ein Sakrament« (507). Johanna und Gerold sehen sich schließlich auch ohne Eheschließung als wahre Frau und »wahrer Gatte« (510) an.

Romanebene

1.6

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Zusammenfassung

In der Zusammenschau zeichnen die Romane folgendes Bild von der Anbahnung, Gestalt und Gestaltung sowie Beständigkeit und Brüchigkeit des Lebens in einer frühmittelalterlichen Ehe: Meist kommt es dadurch zu einer Eheschließung, dass Eltern für ihre Kinder eine Heirat arrangieren. Dies wird als der Normalfall geschildert und dient dem Schließen von Bündnissen, der Mehrung von Ländereien oder Macht. Viele Figuren versuchen aber, sich einer von der Familie oder von Ratgebern geplanten Ehe zu entziehen, die sie unglücklich machen würde. Sie wollen selbst über ihr Schicksal bestimmen und den Partner heiraten, den sie lieben. Zum einen wird in den Romanen ein »früheres« Verständnis von Ehe angeführt, das mit alten Gesetzen und mit dem Heidentum zusammenhängt; dabei wird besonders die Friedelehe als »freiere« Form der Ehe hervorgehoben. In früheren Zeiten hätten zudem die Herrscher noch selbst über ihre Ehen bestimmen können. Zum anderen tritt ein neues, christliches Verständnis von Ehe zutage, das die lebenslange Einehe in den Vordergrund stellt. Dieses kann sich erst allmählich durchsetzen, bindet aber mehr und mehr den Herrscher in seiner Ehepolitik. Insgesamt wird der Konsens der Ehepartner als für eine Eheschließung zentral herausgestellt, was auch von einigen Vertretern der Kirche gefördert worden sei. Sogar mithilfe des Raubes einer Braut versuchen einige Romanfiguren, einer von den Eltern geplanten Ehe zu entgehen. Dass der Inzest von der Kirche verboten sei, wird von einigen Frauengestalten zudem als Argument gegen eine arrangierte Ehe mit einem Verwandten angeführt. Die Feier der Eheschließung mit verschiedensten Riten und rechtlichen Wirkungen wird in vielen Romanen beschrieben, häufig beinhaltet sie eine Einsegnung in der Kirche. Entscheidend für das Zustandekommen einer Ehe ist vielfach zudem der Vollzug des Geschlechtsaktes. Kirchliche Beschränkungen von Sexualität, etwa durch Reinheitsvorschriften, werden in den Romanen zwar vereinzelt benannt, aber von Romanfiguren übertreten. Diese nehmen für sich eine freie Ausübung von Sexualität in Anspruch und stellen sich damit gegen die frauen- und sexualitätsfeindlichen Kirchenmänner und deren Vorschriften in Bezug auf das (Liebes-)Leben der Menschen. Die Schilderung des Scheiterns von Ehen spielt in den Romanen eine bedeutsame Rolle. Einen Ehebruch begehen eher die Figuren, die in einer arrangierten Ehe leben. In Bezug auf die Forderung nach ehelicher Treue wird in den Romanen herausgestellt, dass sich viele Männer, besonders die mächtigen, nicht daran halten und Beziehungen zu Konkubinen pflegen. Grundsätzlich können sich die Männer in den Romanen mehr erlauben als die Frauen. Diese werden für Ehebruch stärker bestraft als Männer, bis hin zur Tötung. In einigen Fällen beschuldigen Männer ihre Frauen sogar fälschlicherweise des Ehebruchs. Ten-

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Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe

denziell sind in den Romanen die Frauen eher die guten, die Männer hingegen die bösen Figuren. Frauen emanzipieren sich immer wieder von der Opferrolle, sie setzen sich durch, auch gegen die Männer und die Kirche, und gehen schließlich selbstbewusst ihren eigenen Lebensweg. Aus Gründen wie Kinderlosigkeit wollen männliche Romanfiguren sich von ihren Frauen trennen. Die beschriebene Diskussion um die Beurteilung von Ehen dreht sich um die Frage, ob die weltlichen oder die geistlichen Machthaber über die Kriterien für das Zustandekommen einer Ehe sowie für Scheidung und Wiederheirat entscheiden. Beim Streit um Eheschließungen und Trennungen geht es, so der Tenor der Romane, mehr um Politik als um Moral. Nicht-eheliche Liebesbeziehungen kommen in den Romanen sehr häufig vor. Neben Besonderheiten wie inzestuösen Beziehungen in der karolingischen Herrscherfamilie oder Heiratsverboten für die Töchter der Karolinger zeigt sich hier wiederum die Tendenz, frei gewählte und individuell gelebte Beziehungen, die sich außerhalb eines institutionellen Rahmens abspielen, darzustellen.

2.

Forschungsüberblick Ehe

2.1

Entwicklung der Forschung zur Ehe im Frühmittelalter

Das Ziel dieses Forschungsüberblicks besteht darin, anhand der Forschungsgeschichte bis hin zur aktuellen Forschungslage Charakteristika der Ehe im frühen Mittelalter zu verdeutlichen. Hierbei geht es um das Verständnis von Ehe, um Anforderungen an die Ehe und die Ehepartner, um Einflussfaktoren sowie die Ehe betreffende Vorschriften. Hedwig Röckelein bezeichnet den Gegenstand der Ehe als einen der »kompliziertesten, die das frühe Mittelalter zu bieten hat, da in dieser Zeit in Europa unterschiedliche Ehevorstellungen, -normen und -praktiken miteinander konkurrierten«.479 Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die frühmittelalterlichen Quellen weniger Einblick in das Ehe-Verhalten des gemeinen Volkes als in das des Adels und der Herrscher geben. Aufgrund der Quellenlage ist die Eheschließung wesentlich besser erforscht als der Ehealltag. Die Strukturen der frühmittelalterlichen Ehe(schließung) waren lange Zeit eine Domäne der Rechtsgeschichte (und später zudem der Frauen- bzw. Geschlechtergeschichte). Bis in die jüngste Zeit wurde die Existenz verschiedener, einem germanischen Erbe geschuldeten, Eheschließungsformen angenommen. Wie beim Thema Missionierung könnte man sagen, dass es hier inzwischen zu einer Überwindung des »Germanismuskomplexes« gekommen ist. 479 H. Röckelein, Rez. zu: I. Weber, Ein Gesetz für Männer und Frauen, in: Das Mittelalter 17/1 (2012) 205f., 205.

Forschungsüberblick Ehe

371

Für das Thema Ehe ist auch die in den letzten Jahrzehnten verstärkte Frauenforschung zum frühen Mittelalter bedeutsam. Grundlegende Arbeiten stammen etwa von der Historikerin Edith Ennen480 oder dem Berliner Arbeitskreis für Frauengeschichte der Spätantike und des Frühmittelalters um den Mediävisten Werner Affeldt.481 Für unseren Zusammenhang problematisch ist allerdings, dass das Augenmerk teilweise allein den Frauen galt und versucht wurde, eine allzu exklusive Frauengeschichte zu schreiben; wichtiger wäre jedoch, nach den Rollen von Frauen und Männern zu fragen: Schließlich beeinflusste in der frühmittelalterlichen Gesellschaft, in der jeder seinen zugewiesenen Platz hatte, wohl eher die Gesellschaftsschicht als das Geschlecht eines Menschen dessen Lebensmöglichkeiten.482 – Hans-Werner Goetz fragte in seiner Untersuchung zu Frauen im frühen Mittelalter (1995) anhand vorstellungsgeschichtlicher Grundlagen nach Frauenbild und Frauenleben, nach dessen Norm und Wirklichkeit; seine Kapitel zum Eheleben widmen sich Vorstellungen von der Ehe in theologischen Traktaten, konkreten Möglichkeiten der Lebensgestaltung von Ehefrauen sowie dem Geschlechterverhältnis in der familiären Gemeinschaft.483 Nach der Dominanz eines rechtlichen Denkens in Ehefragen macht aktuell eher ein sozial- und religionsgeschichtlicher Ansatz von sich reden. Eine wichtige neuere Arbeit stammt von der Kirchenhistorikerin Ines Weber (2008), welche die Ehe als Institution und Handlungsraum im Beziehungsgeflecht der Personen und Gruppen vor dem Hintergrund der frühmittelalterlichen Lebenswelt entschlüsseln will. Sie ist entsprechend ihrem gesellschafts- und kulturgeschichtlichen Ansatz interessiert an sozialen und religiösen Fragen und müht sich um einen Konnex zwischen Norm und Wirklichkeit. Ihre Quellengrundlage sind die normativen Texte des frühen Mittelalters, also die Konzilien und Kapitularien 480 Vgl. Ennen, Frauen. 481 Vgl. W. Affeldt/A. Kuhn (Hg.), Frauen in der Geschichte VII. Interdisziplinäre Studien zur Geschichte der Frauen im Frühmittelalter. Methoden – Probleme – Ergebnisse (Geschichtsdidaktik: Studien, Materialien 39), Düsseldorf 1986; darin findet sich auch ein Forschungsüberblick: W. Affeldt, Bemerkungen zum Forschungsstand, 32–42. 482 Vgl. I. Weber, Ein Gesetz für Männer und Frauen. Die frühmittelalterliche Ehe zwischen Religion, Gesellschaft und Kultur (Mittelalter-Forschungen 24/1), Ostfildern 2008, 394: Jedem Einzelnen sei sein Platz in der Gesellschaft zugewiesen worden, wozu Frauen ebenso gehörten wie sozial Schwache, Witwen und mittelalterliche Herrscherinnen. – H.-W. Goetz, Schluss: Ergebnisse und Probleme, in: Ders. (Hg.), Weibliche Lebensgestaltung im frühen Mittelalter, Köln u. a. 1991, 177–183, 177, betont, die Möglichkeiten und Grenzen der Lebensgestaltung von Frauen seien – stärker als vom Geschlecht – abhängig vom jeweiligen Stand und der Funktion der Frauen gewesen. 483 Vgl. Goetz, Frauen; außerdem H.-W. Goetz, »Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei …«: Ehe und Familie zwischen weltlichen und geistlichen Zwängen, in: G. Althoff/Ders./ E. Schubert, Menschen im Schatten der Kathedrale. Neuigkeiten aus dem Mittelalter, Darmstadt 1998, 115–138. – Sein Vorgehen weist eine Nähe zu mentalitäts- und alltagsgeschichtlichen Ansätzen auf.

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Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe

der karolingischen Epoche, die Bußbücher, Volksrechte und Formulae-Sammlungen (Mustertexte für Urkunden und Briefe).484 Schon 1999 hat Hubertus Lutterbach für den Zusammenhang von Sexualität und Ehe mithilfe eines religionsgeschichtlichen Instrumentariums die frühmittelalterlichen Bußbücher als wichtige Primärmaterialien ausgewertet und zum Vergleich auch die merowingischen und karolingischen Konzilien- und Synodenbeschlüsse herangezogen. Seine Untersuchung zur Vorstellung der kultischen (Un-)Reinheit, die verschiedene eheliche Vorschriften erklären kann, erbrachte weitreichende Erkenntnisse zum Einfluss vor-aufgeklärter Denkweisen auf das Verständnis der Ehe.485 Im Folgenden wird zunächst die Diskussion um verschiedene Eheformen dargestellt, bevor weltliches Recht und biblische Normen als mögliche Vorgaben für die Ehe(schließung), sowie unterschiedliche Vorstellungen des die Ehe konstituierenden Konsenses thematisiert werden. Anschließend wird das kultische Reinheitsdenken als Einflussfaktor vorgestellt, mit dem die Abwertung der Ehe (aufgrund der Ausübung von Sexualität) ebenso zusammenhängen könnte wie die frühmittelalterliche Reglementierung des als Ehehindernis bekannten Inzests. Anhand der Themen Ehebruch,486 Trennung und Wiederheirat erarbeitete die Forschung, wie schwierig sich die Durchsetzung christlicher Forderungen wie der nach lebenslanger Einehe gestaltete. Zuletzt geht es anhand der Frage, ob für den Herrscher eigene Regeln gelten, um die politische Relevanz von Ehefragen;487 in der Diskussion des Eheverhaltens von Karl dem Großen, Ludwig dem Frommen und Lothar II. bündeln sich einige der zuvor genannten Themen.

484 Vgl. Weber, Gesetz. – Verschiedene Rezensionen urteilen sehr positiv über Webers Arbeit, vgl. Röckelein, Rez. zu: I. Weber, Ein Gesetz für Männer und Frauen; H. Kümper, Rez. zu: I. Weber, Ein Gesetz für Männer und Frauen, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 129/1 (2012) 516f.; H. Lutterbach, Rez. zu: I. Weber, Ein Gesetz für Männer und Frauen, in: Theologische Revue 108 (2012) 172f.; K. Ubl, Rez. zu: I. Weber, Ein Gesetz für Männer und Frauen, in: Historische Zeitschrift 292 (2011) 757f., hingegen kritisiert Webers Methode, die aber trotzdem zu interessanten Ergebnissen führe. 485 Vgl. Lutterbach, Sexualität. – Für eine religionsgeschichtliche Perspektive vgl. auch A. Angenendt, Ehe, Liebe und Sexualität im Christentum. Von den Anfängen bis heute, Münster 2015 (besonders 81–97 zum Mittelalter). 486 Das Thema Konkubinat wurde besonders von A. Esmyol, Geliebte oder Ehefrau? Konkubinen im frühen Mittelalter (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 52), Köln/Weimar/ Wien 2002, untersucht. 487 Um eine hilfreiche Arbeit handelt es sich bei S. Konecny, Die Frauen des karolingischen Königshauses. Die politische Bedeutung der Ehe und die Stellung der Frau in der fränkischen Herrscherfamilie vom 7. bis zum 10. Jahrhundert (Dissertationen der Universität Wien 132), Wien 1976.

Forschungsüberblick Ehe

2.2

373

Abschied von der Friedelehe? Die Diskussion um verschiedene Eheformen

Für die wissenschaftliche Sicht der Ehe im Frühmittelalter im Allgemeinen und möglicher Eheformen im Besonderen war lange Zeit die (sich auf die frühe germanische Kultur beziehende) These von der Friedelehe bedeutsam, die der Rechtshistoriker Herbert Meyer 1927 bzw. 1940 in seinen Werken »Friedelehe und Mutterrecht« sowie »Ehe und Eheauffassung«488 vortrug. Er nahm an, dass eine Friedelehe nur zwischen zwei Ledigen freien Standes geschlossen werden konnte, die das Bündnis aufgrund beiderseitiger Übereinstimmung und mit Zustimmung des Vormundes der Frau eingingen. Diese Ehe, so Meyer, war undotiert und muntfrei. Die Frau und ihre Kinder standen nicht unter der Munt des Mannes, sondern blieben in der Familie der Frau. Die Frau erhielt eine Morgengabe; die Ehe war von Seiten der Frau leichter zu scheiden. Vielfach wurden Meyers Ansichten in der deutschsprachigen rechtswissenschaftlichen Literatur übernommen, wie Literaturüberblicke bei der Philologin Else Ebel (1993) und der Historikerin und Linguistin Andrea Esmyol (2002)489 zeigen. Beispielhaft sei auf Arbeiten des Rechtshistorikers Paul Mikat von 1971 und 1974 verwiesen, der zwar Meyers Thesen anfragt, aber für das germanische Recht die Einteilung der Eheschließungsformen in Muntehe, Raub- bzw. Entführungsehe, Friedelehe und Kebsverhältnisse übernimmt.490 Erst durch Ebel und Esmyol wurden die von Meyer genutzten Quellen und seine Schlussfolgerungen einer gründlichen Überprüfung unterzogen und die Friedelehe schließlich nachvollziehbar als Mythos und Konstrukt dargestellt. Bereits 1976 konnten Silvia Konecny (in ihrer historischen Dissertation) die Versuche, nicht durch Sippenkonsens begründete germanische Eheformen nachzuweisen, nicht überzeugen. Meyers Definition der Friedelehe hält sie für nicht konsistent: Er betone einerseits den wirtschaftlichen Aspekt, welchen eher die Begriffe »Einheirat« und »Erbtochterehe« berücksichtigen, andererseits bestimme er den Konsens der Frau als Voraussetzung der Friedelehe. Dieser Hervorhebung liege eine den germanischen Stämmen nicht entsprechende Vorstellung individueller Freiheit zugrunde. Die Munt werde als 488 Vgl. H. Meyer, Friedelehe und Mutterrecht, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 47 (1927), 198–286; vgl. H. Meyer, Ehe und Eheauffassung der Germanen, in: Festschrift Ernst Heymann, Band 1: Rechtsgeschichte, Weimar 1940, 1–51. 489 Vgl. E. Ebel, Der Konkubinat nach altwestnordischen Quellen. Philologische Studien zur sogenannten »Friedelehe« (Reallexikon der germanischen Altertumskunde. Ergänzungsbände 8), Berlin/New York 1993, 6–12; vgl. Esmyol, Geliebte, 16–22. 490 Vgl. P. Mikat, Artikel Ehe, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte 1 (1971), 809–833; vgl. P. Mikat, Ehe, in: Ders., Religionsrechtliche Schriften. Abhandlungen zum Staatskirchenrecht und Eherecht, hg. von J. Listl (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen 5,2), Berlin 1974, 847–868.

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Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe

willkürliche Bevormundung der Frau missverstanden und nicht als Garantie für die Wahrung ihrer Rechte gesehen. Konecny hält dem entgegen: »In einer Kultur jedoch, die die Rechte des einzelnen nicht abstrakt formuliert, sondern sie im Zusammenhang mit ihrer faktischen Durchsetzbarkeit durch die Gruppe sieht, nimmt die Munt die Funktion des Rechtsschutzes wahr. So sichert gerade die Ehe im Rahmen der Sippe eine freiere Stellung der Frau, weil deren Angehörige den Anspruch auf ein Wittum auch praktisch vertreten können«.491

Else Ebel stellt fest, noch in allerjüngster Zeit werde in der deutschen Forschung für die Germanen die Existenz einer Friedelehe vertreten, welche auf freier gegenseitiger Zuneigung der Partner beruhe – dieser Gesichtspunkt mute sehr modern an. Forscher seien außerdem der Ansicht, der im Norden herrschende Individualismus sei dieser freieren Form der Ehe entgegengekommen.492 Für den Norden, so Ebels eigenes Ergebnis, würden – mit fließenden Übergängen – die Entwicklungsstufen unfreie Nebenfrau, freie Nebenfrau (»frilla«) niederer Herkunft und schließlich die Prostituierte sichtbar. Neben der legalen Eheschließung, welche standesgemäß eingegangen wurde, hätten das »fridlulag« und die Prostitution, welche im Norden mit dem Fernhandel in Verbindung zu stehen scheine, existiert. Ebels Fazit lautet: »Eine weitere echte ursprünglichere Eheform, die sich durch Sittlichkeit und Freiheit auszeichnet, wie sie Herbert Meyer und seine Nachfolger im Norden in der sogenannten ›Friedelehe‹ sehen wollten, hat es dort nie gegeben«.493

Andrea Esmyol hält Meyer entgegen, aus sprachhistorischer Sicht deute nichts darauf hin, dass »Friedel« eine dem Mann in der Ehe gleichgestellte Frau bezeichne. Seine Kernthesen würden nur auf Rückschlüssen beruhen, die er aus strittigen Quellenaussagen viel späterer Zeit gezogen hätte. Esmyol kommt zu folgendem Ergebnis: »Meyer kann nicht damit überzeugen, dass die ›Friedelehe‹ eine Eheform unter Freien und Gleichberechtigten war, die auf gegenseitigem Konsens beruhte, in der die Frau

491 Vgl. Konecny, Frauen, 11. – Konecny selbst unterscheidet im Königshaus fünf Typen von Eheverbindungen: Vollehe, Konkubinat mit einer Freien, Konkubinat mit einer Unfreien, Erbtochterehe, Witwenehe (vgl. 28f.). 492 Vgl. Ebel, Konkubinat, 9. Sie selbst untersucht die Quellen, aus denen die Institution der Friedelehe bei den Nordgermanen abgeleitet wird, betrachtet die sozialen Verhältnisse in Island zur Zeit der Niederschrift der Quellen im 12./13. Jahrhundert sowie die spätere Weiterentwicklung der Institution des »Frillenwesens« in Norwegen und Island einschließlich der Rolle der Kirche, und analysiert den altwestnordischen Wortschatz zum Bedeutungsfeld »fridlulag« (vgl. 172f.). 493 Ebel, Konkubinat, 175. Kursivsetzung im Original.

Forschungsüberblick Ehe

375

eine Morgengabe erhielt und den Status einer Hausfrau mit Schlüsselgewalt besaß. Die ›Friedelehe‹ ist ein Konstrukt«.494 Esmyol differenziert nur zwei zur Verfügung stehende Beziehungsformen, Ehe und Konkubinat; beides konnte auch nebeneinander bestehen. Die Qualität frühmittelalterlicher Konkubinate sei im Bereich der sexuellen Leidenschaft (in den Quellen »amor« genannt) zu suchen und mit einer fürsorglichen ehelichen Beziehung (»caritas«, »dilectio«) kaum vergleichbar, da ein Mann dem Empfinden der Zeit gemäß seine eheliche Liebe zu einer Frau in der Höhe ihrer Dotierung und einer respektvollen Behandlung als Familienmutter bewies. Das gesellschaftliche Ansehen einer »concubina« und einer »uxor« korrespondiere mit dem zwischen einer Freien und einer Unfreien herrschenden rechtlichen Gefälle. Esmyols Fazit lautet: »Es war für eine Frau viel erstrebenswerter, die rechtlich und ökonomisch abgesicherte Position einer Ehefrau zu erlangen, als innerhalb eines ›Liebesverhältnisses‹ eine vollkommen rechtlose Konkubine zu sein. In einer Gesellschaftsordnung dieser Ausprägung konnte es die ›Friedelehe‹ nicht geben«.495

2.3

Weltliches Recht oder biblische Norm? Vorgaben für die Ehe(schließung)

Zunächst wieder zur Forschungsgeschichte: Von den Annahmen ausgehend, dass im frühen Mittelalter verschiedene Eheformen existierten und dass die Frau innerhalb einer patriarchal organisierten Gesellschaft handlungs- und rechtsunfähig unter der Vormundschaft des Mannes stand, wurde in der Forschung nach der Beteiligung der Frau am Eheabschluss gefragt. Darin sah man einen Gradmesser für eine Wertschätzung und mögliche Emanzipation der Frau in der frühmittelalterlichen Gesellschaft. Die Eheschließung im frühen Mittelalter war, so die gängige Forschungsmeinung, eine rein weltliche Angelegenheit. Auf die verschiedenen Eheschließungsformen, so die Annahme, musste die Kirche in Richtung einer christlichen Eheschließung einwirken, wobei der alleinige Kon494 Esmyol, Geliebte, 36. Der Begriff »Friedelehe«, den Meyer für die Beschreibung frühmittelalterlicher spezifischer Geschlechtsverhältnisse wählte, korrespondiere nicht mit dem Begriffsinhalt des lediglich erschlossenen althochdeutschen Lexems »fridulia«. Esmyol erscheint das Heranziehen des sehr selten belegten mittelhochdeutschen Terminus »friedel«, welcher in dieser Form erstmalig im Hochmittelalter auftrete, zur Benennung von Verhältnissen früherer Zeiten unverständlich. Meyer problematisiere die Quellen, welchen der Terminus entnommen wurde, nicht ausreichend (vgl. 11). 495 Esmyol, Geliebte, 254f. – Weber, Gesetz, 35f., betont, dass weder die Texte der Konzilien, Kapitularien und Bußbücher noch die der Leges und Formulae auf unterschiedliche Eheformen wie Sippenvertrags-/Munt- oder Dotalehe, Friedelehe, Raubehe und Kebsverhältnisse/Konkubinat schließen lassen. Sie hält als Ergebnisse von Ebel und Esymol fest: »Neben der Muntehe als einzig rechtmäßiger Eheform hält sich lediglich das Konkubinat als außereheliches Geschlechtsverhältnis beständig, ohne dass sich die Kirche massiv für eine Abschaffung eingesetzt hat«.

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Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe

sens der Eheleute und die Unauflöslichkeit der Ehe die Norm darstellen sollten. Des Weiteren wurde nach einer Pflicht zur Einsegnung und nach dem sakramentalen Charakter der Eheschließung gefragt.496 Im Blick auf diese Entwicklung kritisiert Ines Weber, die Ehe als Forschungsobjekt sei »aus dem Blickwinkel des aktuellen Eheverständnisses gelesen worden, sodass moderne Kategorisierungen auch zum Maßstab für das frühe Mittelalter geworden sind. Zum anderen wurden die frühmittelalterlichen Verhältnisse durch Rückprojektionen der Zustände späterer Epochen entschlüsselt«.497

Sie vermisst den Blick auf die komplexen gesellschaftlichen Verflechtungen, die wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten, das Gruppengefüge, die religiösen und biblischen Vorgaben – all das habe sich auf die Art der Eheschließung ausgewirkt. Der Abschied von der Existenz verschiedener Eheschließungsformen ermöglichte schließlich eine den gesellschaftlichen Rahmen und die familiären Gruppenbeziehungen einschließende Betrachtungsweise: Diesen Gruppenbeziehungen geschuldet, entwickelte sich im frühen Mittelalter ein Eheschließungsverfahren mit dem Konsens aller Beteiligten, der Überschreibung einer Braut- bzw. Ehegabe und der öffentlichen Eheschließung (einschließlich schriftlichem Schenkungsvertrag) als wesentlichen, für die Rechtmäßigkeit notwendigen Elementen – so Webers aus den normativen Texten des Frühmittelalters abgeleitetes Ergebnis.498 Wie sie festhält, sind – entsprechend dem allgemeinen Trend der Mediävistik – auch »im Kontext der Erforschung von Ehe, Familie und Verwandtschaft kulturgeschichtliche Fragestellungen verfolgt worden, innerhalb derer der Faktor Religion […] ins Blickfeld gerückt ist«.499 Vor allem Weber selbst hat dann auch im Kontext der normativen Texte die religiösen

496 Vgl. I. Weber, »Wachset und mehret euch.« Die Eheschließung im frühen Mittelalter als soziale Fürsorge, in: A. Holzem/Dies. (Hg.), Ehe – Familie – Verwandtschaft. Vergesellschaftung in Religion und sozialer Lebenswelt, Paderborn u. a. 2008, 145–180, 146f. – Zur Ehe(schließung) in der fränkischen Kirche, besonders zur karolingischen Reform, welche den Frauenraub ablehnte und öffentliche sowie kirchliche Heiraten forderte, vgl. P. L. Reynolds, Marriage in the Western Church. The Christianization of marriage during the patristic und early medieval periods (Supplements to Vigilae Christianae 24), Leiden u. a. 1994, 386–412. 497 Weber, Wachset, 147. 498 Vgl. I. Weber, Die Bibel als Norm! Eheschließung und Geschlechterverhältnis im frühen Mittelalter zwischen biblischer Tradition und weltlichem Recht, in: I. Fischer/C. Heil (Hg.), Geschlechterverhältnisse und Macht. Lebensformen in der Zeit des frühen Christentums (Exegese in unserer Zeit 21), Wien u. a. 2010, 257–304, 260f. – Esymol, Geliebte, 165, führt folgende Merkmale auf: »Die rechte Ehe ist erkennbar an der freien Herkunft der Braut, der Zustimmung der Eltern, der Dotierung und der Öffentlichkeit der Eheschließung«. 499 Weber, Bibel, 262.

Forschungsüberblick Ehe

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Einflüsse analysiert. Den Stellenwert der biblischen Vorgaben für ehebezogene Orientierungen hält sie für viel höher als bisher angenommen. Sie kann herausarbeiten, »dass auf dem gesamten Gebiet des Eheschließungsgeschehens in hohem Umfang biblische Texte direkt oder indirekt zitiert wurden«, bevorzugt solche, »die dezidiert die Würde der Frau, die Gleichrangigkeit der Geschlechter sowie die Ehe als gottgewollte, gute und gesegnete Einrichtung herausstellten«.500 Die Schreiber wählten gezielt einzelne Kapitel oder Verse aus, vor allem aus den Schöpfungsberichten, dem TobitBuch, Jesus Sirach, dem Johannes-Evangelium und den (deutero-)paulinischen Briefen, ordneten sie neu an und bauten sie in ihre Argumentation ein. Das führte zu einem Bild der Gleichwertigkeit und Ebenbürtigkeit der Geschlechter. Mann und Frau »gelangten überhaupt nur zur Vollendung der Schöpfungsabsicht Gottes, wenn sie sich in der Ehe verbanden, einander treu waren und sich die Liebe erwiesen«.501

Weber resümiert, die rechtlichen Vorgaben seien von biblischen Argumentationen bestimmt gewesen, welche das eheliche Handeln begründet hätten: »Mit Hilfe einer selektiven Textauswahl […] wurde nicht nur das Eheschließungsgeschehen gerechtfertigt, sondern auch das Gattenverhältnis sowie das Verhältnis der Verwandten zur Braut neu geordnet und damit der Umgang der Geschlechter und Generationen miteinander normiert«.502

Die Beziehungen der am Hochzeitsgeschehen Beteiligten untereinander wurden ethisch ausgestaltet, da innerhalb des angestrebten Regelwerks jedes gegen die Norm gerichtete Handeln als sündhaft identifiziert wurde. Die rechtmäßige Eheschließung richtete sich schließlich am weltlichen Recht und an der biblischchristlichen Tradition als den beiden Autoritätspolen aus. Indem die Vorgaben neben dem innerehelichen Gattenverhältnis auch den öffentlichen Raum des Vertragsgeschehens betrafen, wurde, so Weber, »auf gesellschaftliche Verhältnisse reagiert, die der Frau mindestens im öffentlichen Rechtshandeln ursprünglich eine nachgeordnete Position zuwiesen«.503 So sollten ihr neue Handlungsspiel- und Rechtsräume eröffnet und erobert werden, welche innerhalb der frühmittelalterlichen Gesellschaft eher dem Mann eigen waren.

500 501 502 503

Weber, Bibel, 300. Weber, Bibel, 301. Weber, Bibel, 302. Weber, Bibel, 303. – Auch wenn die Frau im öffentlichen Rechtsakt in der Regel wenig präsent ist, hat sie im Gesamtsystem von Ehe und Verwandtschaft doch eine bedeutende Rolle, so Weber, Gesetz, 385: Sie wird als für eine funktionierende Wirtschaftsgemeinschaft unerlässliche Partnerin des Gatten dargestellt. Über den ehelichen Besitz verfügen sie gemeinsam, bei seinem Tod darf ihr das Vermögen aber nicht streitig gemacht werden. Sie erbt vor den Kindern, muss das Vermögen aber für sie erhalten. In vielen Fällen übernimmt sie die Vormundschaft und wird bei ihrer eigenen Wiederheirat zur Konsenspartnerin. Insoweit komme ihr in der Verwandtengruppe eine stabilisierende Funktion zu.

378 2.4

Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe

Was konstituiert Ehe? Unterschiedliche Konsens-Vorstellungen

Einen zentralen ehebegründenden Faktor stellte der Konsens dar. Besonders Papst Nikolaus I. († 867) hob diesen hervor und formulierte damit einen Gegensatz zur Ansicht des Erzbischofs Hinkmar von Reims († 882), der den Vollzug der Ehe in den Mittelpunkt rückte.504 Der Konsens steht auch im Zentrum der Forschungsdiskussion: Hier wird der Frage nachgegangen, um welche Art von Konsens es sich bei der Eheschließung im frühen Mittelalter überhaupt handelt. Eine neue Sicht der Ehe, die das Vertragsgeschehen und das Verwandtschaftsdenken berücksichtigt, bestimmt diesen Konsens näherhin als Sippen- statt als Personenkonsens. Um den Stellenwert des Konsenses zu klären, muss bedacht werden, wie eine Ehe zustande kam. Ines Weber vertritt die These, dass die Eheschließung im frühen Mittelalter sehr wohl bestimmten Formvorschriften genügte und gerade keine fluide Angelegenheit gewesen sei, die je nach Status des beteiligten Personenkreises mehr oder weniger schwach war: »Vielmehr entsprach sie jenem rituell ausgestalteten Vertragshandeln, das schon für andere Bereiche nachgewiesen werden konnte und bei dem christliche Wertvorstellungen die Art und Weise des Vertragsabschlusses ebenso mitgestalteten wie sie die Begründungen für derartiges Handeln lieferten«.505 Der Ablauf der Eheschließung stellte einen gestuften Heiratsprozess dar: Zunächst bittet, die Zustimmung seiner eigenen Familie vorausgesetzt, der Bräutigam den Vater der Braut um die Hand seiner Tochter. Wenn dieser das Einverständnis seiner Familie und seiner Tochter erhalten hat, kann das Paar heiraten. Zur Bestätigung des Konsensgeschehens erhält die Braut eine Verlobungsgabe in Form eines Rings oder einer kleinen Geldsumme, womit der Vertrag als geschlossen gilt. Dann handelt ihr Vater eine vom Bräutigam bzw. seinen Verwandten an die Verwandten der Braut bzw. an sie selbst zu zahlende Braut- bzw. Ehegabe aus. Falls diese Güterübertragung fehlt, sind die aus einer solchen Beziehung hervorgehenden Kinder nicht erbberechtigt. Ab dem Hochzeitstag wohnen Braut und Bräutigam in einem Haus. Die Hochzeit kann von einem kirchlichen Segen begleitet sein, dies ist aber nicht Voraussetzung oder Konstitutivum.506

Weber erläutert, dass das in der Öffentlichkeit greifbare Geschehen Ausdruck und Bestätigung des im Vorfeld in Konsultations- und Beratungsverfahren innerhalb der Verwandtengruppe zustande gekommenen Konsenses ist. In diesem prozesshaften Geschehen werden die beteiligten Parteien weitestgehend irreversibel und paritätisch aneinander gebunden. Soziale und rechtliche Un504 Zur Ansicht Hinkmars vgl. Reynolds, Marriage, 353–361. 505 Weber, Wachset, 149. 506 Vgl. Weber, Gesetz, 372.

Forschungsüberblick Ehe

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gleichheiten fallen innerhalb des Vertragsgeschehens auf der Personenebene nicht ins Gewicht, da auch Abhängige so heiraten; bei weitestgehend besitzlosen Personen wird auf die Übertragung größerer Vermögensgegenstände verzichtet. Im herrschaftlichen Rahmen wird das »consensus«-Geschehen erweitert: Der Herr tritt als Konsenspartner in das Geschehen ein, da er als »pater familias« fungiert und seine besitzrechtlichen Ansprüche tangiert sind; die Anforderungen an die Formvorschriften werden auf Seiten des Paares gesenkt.507 Mit dem Leben unfreier Frauen (und Männer) im Frühmittelalter haben sich besonders die studierte Germanistin und Historikerin Monika Obermeier (in ihrer sozialgeschichtlich ausgerichteten Dissertation bei Friedrich Prinz) sowie die studierte Historikerin und Philosophin Christiane Walter (in ihrer Qualifikationsarbeit bei Dieter Hägermann/Cordula Nolte) beschäftigt: Das Eingehen einer dauerhaften Partnerbeziehung war, so Obermeier, für die »ancilla« lange Zeit problematisch. Der Wille des Grundherrn, der ein Paar jederzeit trennen und einzeln veräußern konnte, war lange ausschlaggebend für das Bestehen einer Geschlechtsverbindung zwischen Unfreien, auch wenn der zunehmende Einfluss der Kirche sich positiv auf die Entwicklung ihrer Ehefähigkeit auswirkte. Der Aufbau des Hufenwesens, welches die wirtschaftliche Grundlage für ein selbstständigeres, auf relative Eigenversorgung ausgerichtetes Leben bildete, begünstigte die Entwicklung zu vermehrten Eheschließungen von Abhängigen. Die Unfreienehe als dauerhafte Lebensform wurde erst im ausgehenden achten und neunten Jahrhundert anerkannt.508 – Auch Walter betont, dass die Möglichkeiten der »servi« und »ancillae« zur Eheschließung lange vom Willen und den Interessen des Herrn abhingen. Eine allmähliche Verbesserung der Situation schreibt sie ebenfalls kirchlichem Einfluss sowie wirtschaftlichen Entwicklungen zu. Ehen mit standesungleichen (oder auswärtigen) Partnern seien vielfach verboten, aber teilweise geduldet worden. Walter stellt die eingeschränkte Autorität des unfreien Familienvaters heraus, der seine Frauen und Töchter z. B. nicht vor sexuellen Ansprüchen des Herrn schützen sowie Belästigungen und Vergewaltigungen durch Dritte nicht eigenständig ahnden konnte.509

Um der genauen Bestimmung von »Konsens« näher zu kommen, ist die Einordnung der Haltung von Papst Nikolaus I. durch die Forschung zu berücksichtigen: In der Literatur ist seine Aussage »Matrimonium non facit coitus, sed voluntas« vielfach zitiert worden, die sich in einem Antwortschreiben auf Anfragen des bulgarischen Klerus aus dem Jahr 866 findet. Diese Anschauung wandte der Papst im Fall der Ehe von Judith († nach 862), der Tochter König Karls des Kahlen († 877), und Balduin († 879) an. Sie ließ sich, nachdem sie in

507 Vgl. Weber, Gesetz, 372f. 508 Vgl. M. Obermeier, »Ancilla«. Beiträge zur Geschichte der unfreien Frauen im Frühmittelalter (Frauen in Geschichte und Gesellschaft 32), Pfaffenweiler 1996, 261. 509 Vgl. C. Walter, Ehe – Familie – Arbeit. Zum Alltagsleben unfreier Frauen und Männer im Frühmittelalter (Studien und Texte zur Geistes- und Sozialgeschichte des Mittelalters 5), Korb 2012, 257–259.

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England zwei Mal Witwe geworden und ins Frankenreich zurückgekehrt war, wahrscheinlich von ihm entführen; das Paar floh an den Hof Lothars II. († 869). Besonders Hinkmar von Reims empörte sich darüber. Das Hofgericht Karls erklärte, Balduin würde wegen Frauenraubs seine Lehen verlieren; die Bischöfe exkommunizierten das Paar. Nikolaus I. ließ sich in Rom von Judith überzeugen, dass sie Balduin über alles liebe und bei ihm bleiben wolle. Er erkannte daraufhin die Ehe an und veranlasste Karl zum Einlenken.510

Weber kritisiert, der kontextuelle Rahmen der päpstlichen Aussage sei zu wenig beachtet worden. Das Schreiben sei verkürzt und auf Rechtsnormen ausgerichtet rezipiert worden, was zu den vorherrschenden Zuschreibungen mit bestimmten Kausalzusammenhängen geführt habe: »Grundsätzlich und genuin sei es das Christentum, das gestützt auf seine spezifische die Gleichheit aller Menschen (und demnach auch von Mann und Frau) postulierenden Anthropologie den Konsens der Partner einfordere. Da dieser Konsens immer einhergehe mit der freien subjektiven Willensäußerung der Eheschließenden, spiegele er in letzter Konsequenz sogar die Gleichheit der Geschlechter wider«.511

Weber findet diese inhaltlichen Zuschreibungen des consensus-Begriffes bis zum frühen Mittelalter, vielleicht sogar bis in die frühe Neuzeit, unzutreffend; sie seien zu dekonstruieren. Die frühmittelalterlichen Texte greifen weder streng das aus den profanen Rechtsverhältnissen bekannte, auf durchaus patriarchalen Strukturen beruhende Konsensprinzip auf, noch betonen sie allein den Konsens der Partner, so Weber. Sie berücksichtigen vielmehr die sozialen und damit familiären Gegebenheiten der frühmittelalterlichen Lebenswelt. Hier diente die arrangierte Ehe mehr der Sicherheit und Wohlfahrt der nachfolgenden Generationen; dies konnte Einschränkungen oder Verletzungen der persönlichen Freiheitsrechte des einzelnen, besonders der Frauen, mit sich bringen. Weber betont, es sei den frühmittelalterlichen Autoren an keiner Stelle um eine Stärkung der männlichen Vorherrschaft gegangen. Beim consensus handelt es sich nicht um einen Personenkonsens im heutigen Sinn (eine freie und subjektive Entscheidung der Eheschließenden selbst), sondern um einen Sippen- oder Familienkonsens, welcher den Willen der beteiligten Verwandten spiegelt und den Konsens der Heiratenden nicht völlig ausschließt. Nach Webers Meinung lässt sich von einem mangelnden 510 Vgl. Angenendt, Frühmittelalter, 446. 511 I. Weber, »Consensus facit nuptias!« Überlegungen zum ehelichen Konsens in normativen Texten des Frühmittelalters, in: Zeitschrift des Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 87 (118/2001) 31–66, 32f. – Esmyol, Geliebte, 253, bestreitet, dass die Kirche bis zum Ende des neunten Jahrhunderts die Konsensehe gefördert hat. Die einzige Stellungnahme zu diesem Aspekt von Papst Nikolaus I. sei von der Forschung überbewertet und zu wenig auf dessen sonstige Aussagen und auf die Haltung der Kirche zum allgemeinen Eherecht bezogen worden.

Forschungsüberblick Ehe

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Subjektkonsens nicht – wie es die frühere Forschung getan hat – auf das Fehlen einer Gleichheit von Mann und Frau schließen: »Ein Gleichheitsbewusstsein der Geschlechter kann durchaus vorhanden sein, obwohl der Konsensgedanke im Sinne eines Subjektkonsenses nicht auf allen Ebenen präsent ist«.512 Das beschriebene Verständnis von Konsens zeigt sich auch beim Thema Frauenraub: Weber stellt fest, dass die entsprechenden Bestimmungen deutlich auf den übereinstimmenden Willensakten der Parteien insistieren. Die faktisch herbeigeführte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau ohne Zustimmung der Verwandten führt zu keiner rechtmäßigen Ehe – somit stellt der Frauenraub keine spezifische Eheform dar. Die Paare werden in der Regel wieder getrennt; nur in Ausnahmefällen kann die erzwungene Lebensgemeinschaft in eine rechtmäßige Ehe überführt werden. Weber kommt zu folgendem Schluss: »Da der Frauenraub in allen Texten abgelehnt wird und dadurch das Konsensprinzip im engen Sinne eines Subjektkonsenses der Eheleute keine Bestätigung findet, zementiert sich immer mehr der für das Frühmittelalter konstitutive Verwandtenkonsens. Zugleich wird der Frau ähnlich wie bei der Eheschließung und Trennung Selbstverantwortung zugeschrieben und eine Gleichbehandlung im Straffalle auf ganzer Linie gewährleistet«.513

2.5

Abwertung der Ehe aufgrund von Sexualität? Der Einfluss der kultischen Reinheit

Die frühmittelalterlichen Gesetze zeigen ein großes Interesse an der Eheschließung, kaum aber am anschließenden Eheleben, das sich der öffentlichen Kontrolle weitgehend entzog. Wie Hans-Werner Goetz betont, wissen wir »relativ viel über Hintergründe und Stiftung der Ehe, manches auch über die theologischen und moralischen Anforderungen an die Eheleute, wie sie Jonas von Orléans in seinem Traktat beschreibt und kirchliche Verbote bezeugen, aber wenig über den Ehealltag, die Frage also, wieweit solche Erwartungen und Normen in der Praxis erfüllt wurden und ob sie überhaupt bestimmend auf den Alltag einwirkten«.514

Als einziger Aspekt des Ehealltags ist die Frage der Sexualität in der bisherigen Forschung gründlicher behandelt worden. Durch Gesetze und theologische Traktate, besonders aber durch die Bußbücher sind wir hier etwas besser unterrichtet. Da diese ausschließlich Verbote in den Blick bringen, berühren sie eher die moralischen Grenzbereiche als die Normalität des Sexuallebens. Goetz benennt die frühmittelalterliche Norm: »Sexualität wurde unmittelbar mit der Ehe 512 Weber, Consensus, 65. 513 Weber, Gesetz, 76. 514 Goetz, Frauen, 200.

382

Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe

verbunden und war nur hier erlaubt; alles andere galt als ›Unzucht‹ (fornicatio)«.515 Selbst innerhalb der Ehe war Geschlechtsverkehr nur zu bestimmten Zeiten und auf bestimmte Weise gestattet. Im Hintergrund steht die Vorstellung von heiligen Zeiten und Räumen, die zu schützen und zu achten sind, und besonders das kultische Reinheitsdenken, welches das Leben der Eheleute ebenso beeinflusste wie das der Klosterbewohner.516 Hier ist eine Bewegung weg von der im Neuen Testament verankerten ethischen Reinheit festzustellen; trotz anders lautender Ansichten von Papst Gregor dem Großen dominierte im frühen Mittelalter eine archaische Pollutio-Vorstellung, die sich in den Bußbüchern oder im Ehetraktat des Bischofs Jonas von Orléans († 842) zeigt: Während ihrer Menstruation, nach einer Geburt oder nach dem Geschlechtsverkehr durften Frauen (und Männer) nicht ohne eine besondere Reinigung eine Kirche betreten oder kommunizieren.517 Jonas forderte sexuelle Enthaltsamkeit für die Zeit der Schwangerschaft und Menstruation, die Bußbücher und Synoden außerdem für Sonn- und Feiertage, bestimmte Wochentage, die Fastenzeit, einige Tage vor der Kommunion und die Zeit nach einer Geburt. Verboten waren bestimmte Arten des Geschlechtsverkehrs, außerdem Abtreibung und der Einsatz empfängnisverhütender oder sexuell stimulierender Mittel. Hinsichtlich der Bußbücher erläutert Hubertus Lutterbach: »Die Kontrazeption ist wie jede andere sexuelle Handlung, die sich außerhalb der Ehe vollzieht und nicht der Zeugung als dem alleinigen Sinn der Sexualität dient, als unzüchtig und sündhaft anzusehen, indem sie auch die kultische Reinheit polluiert«.518

Das kultische Reinheitsdenken kann auch einen Erklärungshintergrund für das Verhältnis von Ehe und Jungfräulichkeit liefern: Lutterbach stellt fest, dass die frühmittelalterlichen Bußbücher die Ehe dadurch bestimmt sehen, dass Mann und Frau der in Gen 2,24 überlieferten Schöpfungsordnung entsprechend »ein Fleisch« werden, wobei dieser Zustand im Vergleich zu einer zölibatären »Geistexistenz« als defizitär, weil befleckend, gilt. Die Bußbücher würden mit einer vielschichtigen alttestamentlichen Sicht der Ehe, welche die Innigkeit einer personalen Beziehung von zwei Menschen beinhaltet, zugunsten eines dualisierenden Verständnisses brechen. Folglich wird die Ehe als »fleischverhaftet«, unrein, allenfalls um der Zeugung willen zu dulden, gesehen. Die eheliche Vereinigung, das grundlegende »Ein-Fleisch-Werden«, gilt als in jedem Fall verunreinigend: Um die erste Hochzeit und den ersten ehelichen Vollzug herum gibt es 515 Goetz, Frauen, 232. Kursivsetzung im Original. 516 Vgl. den Forschungsüberblick zum Mönchtum in Kapitel V. 517 Vgl. Angenendt, Pollutio, 69f., darin Grundsätzliches zur Einwirkung der Pollutio-Vorstellung auf das Leben der Laien, besonders zum Bereich der Liturgie. 518 Lutterbach, Sexualität, 214.

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383

asketisch und rituell geprägte Schutzmaßnahmen, weil die Ehe zum unwiederbringlichen Verlust der allein dem Geist ergebenen Jungfräulichkeit und dem Zuziehen der Befleckung führt. Zudem ist dieser Verlust für die Frau, so Lutterbach, »mit dem Zeichen des ›Blutflusses‹ verbunden, der wie jeglicher Kontakt mit Blut an sich schon verunreinigend wirkt; der Ausfluss des allein Jahwe gehörenden Blutes sowie eine offenbar ebenfalls verunreinigende Schwangerschaft können der ungemein hohe Preis der ersten ehelichen Vereinigung sein«.519

Das Gleichnis vom Sämann (Mt 13,3–23) deutete die Alte Kirche so, dass die Märtyrer (laut Hieronymus auch die Mönche aufgrund ihrer täglichen Abtötung des Fleisches) den 100-, die Asketen und Jungfrauen den 60- und die verheirateten Weltchristen nur den 30fältigen Lohn erhalten. Die in Mt 19,29 geforderte Entsagung verstand man im Frühmittelalter besonders als Verzicht auf jegliche Ausübung der Sexualität, »die man als Zeichen der Verhaftung an die weithin real-physisch interpretierten ›Werke des Fleisches‹ auffasste«.520 Wie Lutterbach zusammenfasst, gestehen die Bußbücher zwar die Ehe als Band des einen Fleisches zu, als ideal gilt ihnen aber »die allein geistverhaftete Beziehung zwischen dem Menschen und Gott«, vorliegend »in der Hinordnung des Presbyters auf seine Kirche oder im bräutlichen Verhältnis der gottverlobten Jungfrau zu Christus«.521 Für ihn ist fraglich, ob sich das Diktum von der »guten Ehe und der besseren Jungfräulichkeit« für das Mittelalter tatsächlich so grundsätzlich aufrechterhalten lässt. Für die karolingischen Konzilien ist ebenfalls eine klare Scheidung von »Dienern am Heiligtum« und Laien feststellbar, die in dem jeweils unterschiedlich geforderten bzw. realisierten Maß an kultischer Reinheit wurzelt. Diese Unterscheidung drückt sich auch hinsichtlich der Sitzordnung bei der Feier der Heiligen Messe aus. Da vor allem die Frauen als kultisch unrein gelten, wird ihnen der Zutritt zum Altar, das Berühren der heiligen Gefäße oder das Darreichen des Leibes und Blutes Christi an das Volk verboten; ähnliche Verbote gelten sogar für Nonnen. Lutterbach resümiert, dass auch die kirchenrechtlichen Normen stark von der Idee der kultischen Reinheit geprägt sind, was sich an terminologischen Besonderheiten und an einer Wertung der Sexualität im Allgemeinen und der Frau im Besonderen, die einem dualistischen Weltbild entspricht, zeige. Die in den Bußbüchern breit behandelte Sexualmoral der Laien spielt aber auf den Synoden eine weniger große Rolle.522

In Bezug auf den Ehetraktat des Jonas von Orléans stellt Hans-Werner Goetz fest, dass die Ehe dort grundsätzlich als gut und wertvoll angesehen wurde, da sie von 519 520 521 522

Lutterbach, Sexualität, 97f. Lutterbach, Sexualität, 109. Lutterbach, Sexualität, 113f. Vgl. Lutterbach, Sexualität, 236–239.

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Gott bereits mit der Schöpfung erschaffen worden sei (und nicht erst aus dem Sündenfall erwachsen, womit sie allein Kennzeichen des irdischen Lebens gewesen wäre). Als gut galt die Ehe allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sie der Fortpflanzung diente und Unzucht verhinderte; der Sexualverkehr wurde sogar als eheliche Pflicht gewertet. Jonas sowie andere frühmittelalterliche Autoren und Schriften zeugen, so Goetz, »von einer großen, auch kirchlicherseits getragenen sozialen Wertschätzung der Ehe, die als die gewöhnliche und erstrebenswerte Lebensform der Laien aller Stände und Schichten galt«.523 Die merowingischen und karolingischen Gesetzgeber hätten die Ehe so wichtig genommen, dass sie die Eheschließung und deren Bedingungen gründlich regelten und die Ehe vor Ehebruch zu schützen suchten. Im theologischen Sinn war die Jungfräulichkeit jedoch noch vollkommener und wertvoller als die Ehe. Dem Kloster kam vom religiösen Standpunkt aus ein höherer Wert zu als dem laikalen Leben.524

2.6

Grenzen der Eheschließung: Inzest-Vorschriften

Eheschließungen waren im Frühmittelalter nicht unbegrenzt, mit einem jeglichen Partner, erlaubt, sondern es bestanden unter anderem Heiratsverbote bei zu naher leiblicher und auch geistlicher Verwandtschaft. Als Erklärungen für diese Inzest-Vorschriften sind von religionsgeschichtlicher Seite der Einfluss des kultischen Reinheitsdenkens ebenso eingebracht worden wie das Verwandtschaftsdenken des frühen Mittelalters. Grundsätzlich haben sich neben der Rechtswissenschaft vor allem die Soziologie und die Sozialanthropologie mit dem Thema Inzest befasst und ihn als allgemeinmenschliches Phänomen betrachtet. In Bezug auf das Frühmittelalter waren die Arbeiten Paul Mikats bedeutsam, der die vielfältigen Inzest-Vorschriften der merowingischen Epoche in den Traditionen des Alten und Neuen Testaments und des römischen Rechts verankern und so ihre Besonderheiten hervorheben konnte.525 Ines Weber vermisst jedoch auch bei Mikat eine befriedigende Erklärung für den sprunghaften Anstieg der Inzest-Gesetzgebung in der merowingischen Epoche und für die Beweggründe der Verbote. Sie hält es für

523 Goetz, Frauen, 191. – Zur Wertung der Ehe bei Jonas vgl. auch Angenendt, Frühmittelalter, 372; Esmyol, Geliebte, 197–200. 524 Vgl. Goetz, Frauen, 168–172.192.236. 525 Vgl. z. B. P. Mikat, Die Inzestgesetzgebung der merowingisch-fränkischen Konzilien. 511– 626/27 (Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft. Neue Folge 74), Paderborn u. a. 1994.

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unabdingbar, nach der Verwandtschaftskonstruktion zu fragen, die dem InzestTabu zugrunde liegt.526 Hubertus Lutterbach weist darauf hin, dass sich in den Kanones des Konzils von Tours (567) die ausführlichsten Bestimmungen der Merowingerzeit zur Bekämpfung inzestuöser Ehen finden. Zur Begründung sei auf alttestamentliche Vorschriften in Bezug auf kultische Reinheit zurückgegriffen worden, vor allem auf das Heiligkeitsgesetz in den Büchern Levitikus und Deuteronomium. Im Hintergrund stehen, so Lutterbach, im Vergleich zum Neuen Testament (in dem Inzest-Verbote kaum eine Rolle spielen) und der Alten Kirche gewandelte Mentalitäten, hin zu einer Aufwertung der kultischen Reinheit. Auch in die karolingische Inzest-Gesetzgebung, die sich durch einen zunehmenden Hang zum Grundsätzlichen auszeichne und nun auch die Ehe mit der geistlichen Mutter, der Taufpatin, verbiete, sei die kultische Terminologie eingegangen. Um bei der Rekonstruktion der für eine Eheschließung erlaubten bzw. verbotenen Verwandtschaftsgrade keinem Irrtum zu unterliegen, seien dort öffentlich vorgenommene Eheschließungen gefordert worden.527 Die Bußbücher, so Lutterbach, führen die Inzest-Vorschriften in kasuistischer Manier sehr detailliert auf: Sie berücksichtigen die Blutsverwandtschaft, die angeheiratete Verwandtschaft, die geistliche Eltern- und Kindschaft sowie die geistliche Verwandtschaft der gottverlobten Jungfrau und des Klerikers mit Gott bzw. der Kirche. Die Ausdifferenzierung vom sechsten bis zum 12. Jahrhundert wurzle in den irischen Bußbüchern und fächere sich in den angelsächsischen und kontinentalen Bußbüchern weiter auf.528

Im Anschluss an Mayke de Jong sieht Lutterbach das Inzest-Tabu im Mittelalter als Teil eines »pollutio-orientierten Moralsystems«.529 In den Bußbüchern zeige sich das Inzest-Delikt im Kern wiederum als Tatbestand, »der vor allem das reine Blut beschmutzt; mit der Befleckung des Blutes geraten zugleich die darin enthaltenen Seelen der beiden an dem Inzest-Delikt Beteiligten in Gefahr«.530 Die mit dem Inzest unter Blutsverwandten und Verschwägerten verbundene Weise der »iniquitas«, d. h. Schuld, ist aufgrund ihrer Widernatürlichkeit sehr stark verunreinigend: Durch inzestuöse sexuelle Kontakte begibt sich der Mensch »auf eine Stufe mit den ohnehin als unrein geltenden Tieren, die sich aufgrund ihrer Vernunftlosigkeit ohne Rücksicht auf die Blutsbande gegenseitig

526 527 528 529

Vgl. Weber, Gesetz, 192–197. Vgl. Lutterbach, Sexualität, 216–220.223–227. Vgl. Lutterbach, Sexualität, 191f. Lutterbach, Sexualität, 173. Vgl. M. de Jong, To the limits of kinship. Anti-incest legislation in the early medieval west (500–900), in: J. Bremmer (Hg.), From Sappho to De Sade. Moments in the History of Sexuality, London/New York 1991, 36–59. 530 Lutterbach, Sexualität, 169.

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begatten«.531 Hinter der Geltung der Heiratsverbote auch für die Verbindung durch Verschwägerung stehe die Vorstellung, dass Mann und Frau »durch Heirat und ehelichen Vollzug im durchaus physisch zu nennenden Sinn ›ein Fleisch‹« werden und »aus den ursprünglich zwei Blutkreisläufen ein einziger Blutkreislauf«532 wird. Somit entfällt jede Unterscheidung zwischen direkter Blutsverwandtschaft und angeheirateter Verwandtschaft. Die Inzest-Vorschriften in Bezug auf die geistliche Verwandtschaft begründe folgender Gedanke: »Wenn schon die Eheschließung oder die Unzucht unter Blutsverwandten […] als Schande gilt, um wieviel mehr erst muss die aufgrund der iniquitas bewirkte Beschmutzung eines geistlichen Bandes mittels sexuellen Kontakts und verbotener Heirat Unheil bewirken?!«533 Lutterbach hebt die zivilisatorische Funktion des Inzest-Tabus hervor: Laut den Bußbüchern würde die Kirche auf diese Weise zu einem geordneten, zivilisierten Zusammenleben der Menschen beitragen und sehr konkret der Schöpfung neuen Lebens dienen. Im frühen Mittelalter herrschten widrige Alltagsbedingungen und ein einfaches, auf den Stamm bezogenes Weltverständnis. Hier sieht Lutterbach die Inzest-Vorschriften als Schritt hin zur neutestamentlich geforderten Universalisierung und zur Überschreitung der eigenen Clangrenzen. Indem Ehen unmittelbar jenseits der verbotenen Verwandtschaftsgrade gesucht wurden, blieben die Optionen einer gentilistisch ausgerichteten Gesellschaft aber berücksichtigt. So konnten die durch Abstammung und Heirat errichteten Blutsbande im Blick auf zukünftige Fortpflanzung ausgeschaltet und die Gens dennoch vor dem Zerfall bewahrt werden.534

Ines Weber erkennt an, dass Lutterbach erstmals eine annähernd zufriedenstellende Erklärung für den Inzest liefert, indem er ihn in den großen Kontext der rituellen Unreinheit stellt. Ihrer Meinung nach reicht die Berücksichtigung der kultischen Dimension allein aber nicht aus; sie sieht für das Erklärungsmodell des »Ein-Fleisch-Werdens« und des gemeinsamen Blutkreislaufs nur einen begrenzten Anhaltspunkt in den Texten. Weber selbst geht vom verwandtschaftlichen Denken des frühen Mittelalters, besonders von der Frage nach dem Geschlechterverhältnis, und ebenso von der Frage nach der Befleckung aus.535 Sie hebt hervor, dass sowohl in der konziliaren bzw. kapitularen als auch in der paenitentialen Gesetzgebung nicht nur die eigenen Blutsverwandten, sondern auch die angeheirateten Verwandten vom Inzest-Tabu betroffen sind. Durch die Eheschließung von je einem Angehörigen ihrer Familien, so die Vorstellung, werden zwei ursprünglich nicht miteinander verwandte Familien ein Leben lang 531 532 533 534 535

Lutterbach, Sexualität, 174. Lutterbach, Sexualität, 179. Lutterbach, Sexualität, 188. Kursivsetzung im Original. Vgl. Lutterbach, Sexualität, 191–195. Vgl. Weber, Gesetz, 194–198.

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zu einem Verwandtenkreis; die Angehörigen beider Kreise sind dann insgesamt von den Inzest-Regeln betroffen. Zwischen direkten und angeheirateten Verwandten wird dabei ebenso wenig unterschieden wie zwischen Blutsverwandten mütterlicher- und väterlicherseits. Das bereits bilineare frühmittelalterliche Denken zeige sich auch an der gleichen Buße für die Ehe mit den genannten Personen.536 »Innerhalb der inzestuösen Vergehen ist weder das Geschlecht des Verwandten noch die ursprüngliche Familienzugehörigkeit Bewertungsmaßstab, sondern erneut nur sein Status. Dieser aber ist gleichbedeutend mit seinem numerischen Verwandtschaftsgrad und eben nicht mit der Zugehörigkeit zur männlichen oder weiblichen Linie der Familie«.537

Dass die Quellentexte das Geschehen aus der Sicht des Mannes schildern und sich an ihn wenden, erklärt Weber mit der männlichen Dominanz im Hochzeitsgeschehen. Grundsätzlich wurden die Verwandtschaftsgrade geschlechtsunabhängig gezählt und Mann und Frau für Inzest-Vergehen (Kapitalverbrechen, die härter bestraft wurden als außereheliche Geschlechtsverhältnisse) mit der gleichen Buße belegt.538 Auch die geistliche Verwandtschaft (durch Tauf- und Firmpatenschaft) sieht Weber als Teil des frühmittelalterlichen Verwandtschaftsdenkens. Pate und Patenkind kreieren neue Bündnisse, also müssen auch hier Eheschließungen ausgeschlossen werden: zwischen dem Paten und seinem Täufling sowie zwischen geistlichen und leiblichen Eltern. Die Nennung dieses Ehehindernisses in einem Zuge mit dem der »Brautschaft Christi«, d. h. des Klostereintritts, zeige, dass es sich um ein ganz besonderes geistliches Verhältnis handle: um ein durch Patendienst bzw. »Zweite Taufe« intensiviertes. Die geistliche Verwandtschaft sei mindestens so real gedacht worden wie ein verwandtschaftliches Verhältnis zwischen Eltern und Kindern bzw. Schwiegereltern. Die meisten Vorschriften zur geistlichen Verwandtschaft richten sich an den Mann, zugleich werde deutlich, dass wiederum nicht das Geschlecht, sondern der Verwandtschaftsgrad der inzestuösen Partner entscheidend sei.539

536 Zum bilateralen Verwandtschaftssystem, zur geistlichen Verwandtschaft sowie zur gattenzentierten Kleinfamilie, die sich, zumindest in bestimmten Regionen, bereits im Frühmittelalter ausbildete, vgl. Mitterauer, Europa, 70–108; M. Mitterauer, Mittelalter, in: A. Gestrich/J.-U. Krause/Ders., Geschichte der Familie (Europäische Kulturgeschichte 1), Stuttgart 2003, 160–363. 537 Weber, Gesetz, 221. 538 Vgl. insgesamt Weber, Gesetz, 219–233.242–244. Da die vom Inzest betroffenen Personen nicht geschlechtsspezifisch beschrieben werden können, befleckt sich nicht der Mann aufgrund ihres Geschlechts an der Frau, vielmehr »schaffen beide gemeinsam mittels ihrer Tat eine Situation, die sie mit einem Makel belastet« (247). 539 Vgl. Weber, Gesetz, 233–242.

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Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe

In der Frage nach den Entstehungsbedingungen der frühmittelalterlichen Inzest-Gesetzgebung ist der Mittelalterhistoriker Karl Ubl der Ansicht, dass als Erklärung weder die Besitzgier der westlichen Kirche (Jack Goody) noch die ursprüngliche Abstammungsfeindlichkeit des Christentums (Michael Mitterauer) oder die von vielen Historikern vorausgesetzte Abwehrhaltung der Kirche gegen die endogamen germanischen Völker herangezogen werden können.540 Er wertet die Inzest-Verbote, welche Regeln für Eheschließungen zur Verfügung stellten und die Etablierung eines überregionalen Heiratsmarktes erzwangen, vielmehr als Zeichen dafür, »dass Staat und Kirche im Frühmittelalter den Versuch unternahmen, nach dem Zerfall römischer Staatlichkeit die Regionalisierung der Eliten zu unterbinden«. Im Hintergrund sieht er ein »Bedürfnis nach der Herstellung einer öffentlichen Ordnung in einem Zeitalter ihrer zunehmenden Erosion«, das besonders stark war, »weil Ehe und Familie unter den Bedingungen der Entdifferenzierung des Rechtswesens in höherem Maße als Grundlagen der sozialen Integration angesehen wurden und infolgedessen einer höheren Aufmerksamkeit und Regulierung in moralischer, theologischer und auch juristischer Hinsicht für nötig befunden wurden«.541

2.7

Lebenslange Einehe? Die schwierige Durchsetzung christlicher Forderungen

Die Themenfelder des Ehebruchs, der Ehescheidung und der möglichen Wiederheirat sind miteinander verwoben. Hier wird deutlich, dass sich christliche Vorstellungen hinsichtlich der Ehe erst allmählich durchsetzten; auch Ausnahmen kamen vor, etwa die Möglichkeit von Trennung und Wiederheirat bei Ehebruch des Partners oder eine gewisse Toleranz des vorehelichen Konkubinats. Verschiedene Begründungen der Forderung nach lebenslanger Einehe sind möglich und werden diskutiert. Im Rahmen der Forschungen zu außerehelichen Geschlechtsverhältnissen wurde das Frühmittelalter von rechts- und geschlechtergeschichtlicher Seite als patriarchal organisierte Gesellschaft aufgefasst, in der die Frau unter der Munt des Mannes steht. Zur Klärung des kirchlichen Ringens um eine Gleichbehandlung der Geschlechter in Ehebruchsfragen, welches in einer neutestamentlich angelegten Spur gesehen wurde, wurde vornehmlich gefragt, wer welche Ehe bricht, und ob dem Mann nun – durch christlichen Einfluss – auch der Bruch der eigenen ehelichen Gemeinschaft verboten ist (was der Frau im griechisch-römischen Kulturkreis schon immer untersagt war; ein verheirateter Mann konnte 540 Vgl. K. Ubl, Inzestverbot und Gesetzgebung. Die Konstruktion eines Verbrechens (300– 1100) (Millenium-Studien zu Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends n. Chr. 20), Berlin u. a. 2008, 477. 541 Ubl, Inzestverbot, 498. Ubl sieht die Kirche dabei als »Zufluchtsort des römischen Rechts« (494).

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nur die fremde Ehe brechen, während eine Frau sich auch gegen ihre eigene Ehe wandte). Einige Studien sahen den Ehebruch vor dem Hintergrund eines sakramentalen Eheverständnisses als Verletzung des Ehesakraments. Von religionsgeschichtlichen Fragen herkommend, konnte Hubertus Lutterbach nachweisen, dass die Bußbücher den Ehebruch als Verstoß gegen die kultische Reinheit sehen, womit sie ebenso weit entfernt von einem ethisch bestimmtem neutestamentlichen Verständnis des Ehebruchs wie von einer Vorstellung ehelicher Sakramentalität sind. Ines Weber tritt für eine Kombination der rechtsund religionsgeschichtlichen Studien mit einer an sozialen Verhältnissen und Lebenswelten ausgerichteten Fragestellung ein.542 Der Theologe und Historiker Philip Lyndon Reynolds sieht die Lehre von der Unauflöslichkeit (und nicht die Hochzeitsliturgie) als das wichtigste Mittel, durch das die westliche Kirche die Ehe verchristlichte und von anderen Formen der Gemeinschaft unterschied. Als zentrale Merkmale der maßgebenden westlichen Haltung zu Scheidung und Wiederheirat benennt Reynolds, dass eine Scheidung nur aufgrund von Ehebruch erlaubt ist, wobei Mann und Frau gleiche Rechte zukommen; zu Lebzeiten des Partners darf niemand erneut heiraten, damit wäre er zudem ungültig verheiratet. Die karolingischen Reformer hätten die Durchsetzung dieser Regeln, die sich im späten vierten und frühen fünften Jahrhundert etabliert hatten, in der westlichen Kirche betrieben.543 Lutterbach stellt gegenüber, dass auf den karolingischen Konzilien die Fragen nach der Unauflöslichkeit der Ehe und nach der Wiederverheiratung Geschiedener wieder in den Blick gerieten, während die merowingische Synodalgesetzgebung dazu weitgehend geschwiegen und sich vor allem der Bekämpfung des Inzests gewidmet hatte. Insgesamt erteilen die karolingischen Konzilien nur sehr selten die Erlaubnis zur Wiederheirat, solange der frühere Ehepartner noch lebt: im Einzelfall für den unschuldigen Teil und auch dann nur unter bestimmten Voraussetzungen. Außer bei Vorliegen eines Ehebruchsdeliktes ist es verboten, dass ein Ehemann seine Ehefrau entlässt. Geregelt wird weiterhin die Trennung der Eheleute aufgrund einer unabänderlichen Notwendigkeit (wie Flucht oder Raub des Ehepartners); eine erneute Heirat gilt aber wohl trotz der Notlage als Ehebruch.544

In seiner Untersuchung der Bußbücher stellt Lutterbach fest, dass diese sich hinsichtlich des Umgangs mit ehelicher Untreue unterscheiden: Besonders die ältesten irischen Bußbücher schließen eine Wiederheirat zu Lebzeiten des Partners auch für den schuldlosen Teil aus. Mit Erzbischof Theodor von Canterbury († 690) verbundene Bußbücher hingegen erlauben dem Mann und teilweise der Frau bei Unzucht des Partners mit bischöflicher Zustimmung die Wiederheirat; diese hat wohl für die Betroffenen trotzdem Ehebruch bedeutet. 542 Vgl. Weber, Gesetz, 151–159. 543 Vgl. Reynolds, Marriage, 384.417f. 544 Vgl. Lutterbach, Sexualität, 227–230.

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Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe

Wenn Ehepaare durch Sklaverei oder Kriegsgefangenschaft gewaltsam getrennt werden, sind Scheidung und Wiederheirat ebenfalls möglich. Die Möglichkeit der Wiederheirat habe somit nicht nur in einer politisch verursachten, sondern auch in einer pastoralen Notsituation Anwendung finden können. Man ging davon aus, dass die einander untreu gewordenen Eheleute nicht mehr zueinander finden. Diese Ausnahmeregelungen änderten aber nichts am grundsätzlichen Verpflichtungsgrad der einmal eingegangenen Ehe, was auch die besondere Ahndung der Konkubinatsverhältnisse von Ehemännern zeige.545 Wie Lutterbach betont, billigen die Bußbücher der leiblichen Einheit der Eheleute eine hohe Bedeutung zu und fordern, dass diese sich uneingeschränkt gegenseitig treu sind, womit die Ehe auch ein rechtlich geschützter Raum wird.546 Ihm fällt auf, dass das Delikt der ehelichen Untreue in den Bußbüchern seit dem Ende des siebten Jahrhunderts sprachlich immer mehr als ein Vergehen gegen die kultische Reinheit herausgestellt wird.547 Seine Erklärung: »Ebenso wie die mit der ehelichen Lebensform einerseits gegebene sexuell-kultische Beschmutzung dazu führt, dass die Eheleute den hundertfältigen Lohn […] nicht zu erlangen vermögen, so basiert andererseits der Schutz der Eheleute vor dem Eindringen Dritter auf dem offenbar auch kultisch mitbegründeten Bemühen, die (weitere) Befleckung des einen ehelichen Fleisches zu verhindern«.548 Von der Geschlechtsvormundschaft – für sie das wesentliche Merkmal sexueller und ehelicher Beziehungen zwischen Personen freien Standes – und von der Frage her, wer welche Ehe bricht, denkt z. B. Andrea Esmyol; das Konkubinat erklärt sie mit den patriarchalischen Gesellschaftsverhältnissen: »Ein Mann, besonders ein mächtiger, konnte sich unter Beachtung gewisser Regeln quasi nehmen, wen er wollte, um seine Sexualität auszuleben. Verboten war es freien Männern nur, in die Verfügungsgewalt anderer Freier einzubrechen und sich fremden Ehefrauen und Töchtern zu nähern«.549 Die Kirche habe versucht, ihre vom sexuellen Aspekt bestimmten Ansichten zum Konkubinat gesellschaftlich durchzusetzen. Mit ihrer Beschränkung von Sexualität auf den Raum einer lebenslangen, monogamen Beziehung zu Fortpflanzungszwecken habe sie sich außerhalb jeglichen Bezugs zu einer Realität gestellt, in der sie sich erst noch als gesellschaftliche Machtkomponente etablieren musste. Sie sah zunächst – außer in vereinzelten Äußerungen – von einem radikalen Verbot außerehelicher sexueller Kontakte ab, stellte die

545 Vgl. Lutterbach, Sexualität, 130–139. 546 Vgl. Lutterbach, Sexualität, 98–102. Lutterbach stellt dessen Wert »im Umfeld einer archaischen und zum Teil von barbarischer Grausamkeit geprägten Gesellschaft« (102f.) heraus. 547 Vgl. Lutterbach, Sexualität, 123. 548 Lutterbach, Sexualität, 139. 549 Esymol, Geliebte, 251.

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Minimalforderung der Monogamie ohne Rücksicht auf die Form der Beziehung und beschränkte sich sonst auf die Bekämpfung der schlimmsten Missstände, Inzest und Wiederheirat zu Lebzeiten eines Gatten. Für Esmyol liegt das größte Problem der Kirche hinsichtlich der Durchsetzbarkeit ihres moralischen Verständnisses »denn auch in den von ihr prinzipiell mitgetragenen, patriarchalisch geprägten gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen«.550

Einen anderen, vom Vertragsbruch herkommenden Ansatz vertritt Ines Weber: Sie betont, dass vor- und außereheliche Geschlechtsbeziehungen in höchstem Maße als ablehnenswert gelten, weil sie einen Eingriff in die minuziös austarierten vertraglichen Vereinbarungen innerhalb des Eheschließungsprozesses darstellen. »Gerade weil bei der überwiegenden Anzahl der Fälle die Braut- bzw. Ehegabe zu zahlen ist, kann weder die kultische Verhaftung allein noch der Bruch einer fremden Ehe ins Feld geführt werden«.551 Dass vornehmlich der Mann ins Blickfeld der Bestimmungen gerät, liege nicht an einem Gesellschaftsbild mit einem Machtgefälle zwischen den Geschlechtern, sondern an den dem Frühmittelalter eigenen Kommunikationsstrukturen. Andrea Esmyols Ansicht, die von der Kirche angestrebte Einschränkung der sexuellen Vorrechte auch verheirateter freier Männer sei Makulatur geblieben, während die Keuschheit auch unverheirateter freier Frauen ein bedeutender sozialer Topos nicht nur in Schriftbelegen kirchlicher Provenienz gewesen sei, kritisiert Weber. Sie sieht die Ursachen in der Besonderheit der Quellengattungen und in den frühmittelalterlichen Lebensverhältnissen, welche bestimmte Handlungsweisen eher zugelassen hätten als andere.552 Weber betont, dass die Kapitularien, Konzilien und Bußbücher nicht bereits die Entlassung des Ehepartners als Vergehen ansehen, sondern erst eine neue Eheschließung, wodurch das Gesamtverhalten zum Ehebruch avanciert.553 Wiederholt verhandeln diese frühmittelalterlichen Texte das Konkubinat im Kontext des Ehebruchs: Es wird abgelehnt, wenn ein Mann neben seiner Ehefrau eine Beziehung zu einer Konkubine pflegt. »Anders gesagt: Das Konkubinat als monogame, eheähnliche Lebensgemeinschaft ist gestattet, als nebeneheliches Verhältnis jedoch bußwürdig, weil es unerlaubt und höchst verwerflich ist, ›zur gleichen Zeit zwei Ehefrauen zu haben‹«.554

550 Esmyol, Geliebte, 254. 551 Weber, Gesetz, 168. – Mit der Vorstellung vom Verstoß gegen das konsensuelle Vertragsgeschehen erklärt sich auch, warum der Frauenraub in den Quellen als »Ehebruch« bezeichnet werden kann: Er widerstrebt dem Zustimmungsrecht der Verwandten zur Eheschließung (vgl. 159). 552 Vgl. Weber, Gesetz, 168f.; entgegen Esmyol, Geliebte, 96–105. 553 Vgl. Weber, Gesetz, 182–186. 554 Weber, Gesetz, 187.

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Das wird mit der Exkommunikation viel härter bestraft als andere Fälle von außerehelichen Geschlechtsverhältnissen. Solche bigamistischen Verhältnisse sind gegen die Ehre der Frauen und ihrer Familien gerichtet, was zeigt, »dass die soziale Wirksamkeit des Deliktes mindestens eine genauso entscheidende Rolle spielt wie eine auch immer geartete kultische Verhaftung des Vergehens«.555 Wie Weber zum Faktor Religion im ehelichen Kontext feststellt, halten die frühmittelalterlichen Texte bis auf wenige Ausnahmen an der Untrennbarkeit der Ehe fest, die das Neue Testament geprägt und die Vätertheologie weiter ausgebaut hat. Beim Ehebruch werde aber ebenso wie in verschiedenen wirtschaftlichen Notlagen auf die strenge Durchsetzung des Trennungsverbots verzichtet; nicht in allen Fällen sei geklärt, ob deshalb eine neue Eheschließung erlaubt ist. Eine solche Symbiose von biblischen und juristischen Argumentationen mit der Lebenswelt zeigt sich für Weber auch darin, dass das Delikt des Ehebruchs grundsätzlich auf dem »consensus-Geschehen« basiert, wobei die entsprechenden neutestamentlichen Textstellen begründend hinzutreten: Als Ehebrecher gelten Personen, die verheiratet ein außereheliches Geschlechtsverhältnis unterhalten, solche, die ihren Ehegatten verlassen haben und einen anderen heiraten, und die, welche einen von seinem Ehegatten verlassenen oder selbst als Ehebrecher geltenden Partner heiraten. »Beide Argumentationslinien – die rechtliche wie die theologische – zielen letztlich auf die Unauflöslichkeit der Ehe, sodass in einer Gesellschaft, die dringend auf Stabilität von Gruppenbeziehungen angewiesen ist, das Verbot von Trennung und Wiederheirat streng mit dem biblischen Textbefund belegt wird«.556 Die »große Bedeutung der ehelich verbundenen Familie und die Notwendigkeit ihres Zusammenhalts und Zusammenwirkens in der frühmittelalterlichen Gesellschaft« hatte bereits Hans-Werner Goetz betont.557 Hinsichtlich des Ehebruchs hat er sich besonders für das Verhältnis von Norm und Wirklichkeit interessiert und dabei den Ehetraktat des Jonas von Orléans untersucht: Goetz meint, der Ehebruch sei ursprünglich wohl eher eine Familienangelegenheit gewesen, Gesetze und Synoden hätten sich aber zunehmend damit befasst. Nach weltlichem Recht scheint der Ehebruch einer Frau härter bestraft worden zu sein, während kirchlicherseits eher eine Gleichstellung angestrebt wurde. So verlangt Jonas von Männern ebenso wie von Frauen Jungfräulichkeit vor der Ehe und – mit Berufung auf die christlicherseits vorgeschriebene Einehe – Treue in der Ehe. Goetz nimmt an, dass voreheliche Beziehungen aber wohl durchaus üblich waren; Jonas ermahnt in erster Linie die Männer, die anscheinend stärker zur Untreue neigten. Auch wenn die Unauflöslichkeit der Ehe immer strikter gehandhabt wurde, setzten sich Scheidungsverbote in der Praxis nur zögerlich durch. Jonas’ Ehetraktat – am geltenden Recht orientiert, aber stärker auf 555 Weber, Gesetz, 188. 556 Weber, Gesetz, 387. Diesem Denken seien auch die Bußauflagen geschuldet, die nach einer entsprechenden Zeit der Enthaltsamkeit der Eheleute eine Trennung obsolet machen. 557 Vgl. Goetz, Frauen, 242.

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eine moralische Eheführung abzielend – belege, so Goetz, wie kirchliche Kreise die herrschende Ehepraxis und das Eherecht unter christlichem Einfluss zu verändern suchten. Die neue kirchliche Norm habe aber noch längst nicht der Wirklichkeit entsprochen.558

2.8

Eigene Regeln für den Herrscher? Die politische Relevanz von Ehefragen

Anhand des Verhaltens der Herrscher (und ihrer Familien) wird deutlich, in welcher Form in der Karolingerzeit die Themen Ehe und Politik miteinander verbunden waren. Von den Merowingern über Karl den Großen bis zu dessen Nachfolgern zeigt sich ein zunehmender Einfluss christlicher Vorstellungen – auch in Bezug auf die Ehe. Wählte der Herrscher zunächst seine Beziehungsform selbst und nahm sich Sonderrechte, etwa in Bezug auf das nebeneheliche Konkubinat, heraus, musste er im Laufe der Zeit in seiner eigenen Lebensführung immer mehr eine Vorbildfunktion erfüllen. Es genügte nicht länger, dass er christliche Ehevorstellungen förderte – die er auch zu seinen Gunsten einsetzte –, sondern er selbst musste sich ihnen unterordnen. Ein (vermeintlicher) Ehebruch konnte nun zum Politikum werden, der Wunsch nach Scheidung und Wiederheirat einen Streitfall auslösen, in den sich Adelige, Bischöfe und sogar der Papst einmischten. 2.8.1 Von den Merowingern zu Karl dem Großen: Konkubinate trotz Verchristlichung Die Forschungsgeschichte analysierend, hält die Mittelalterhistorikerin Martina Hartmann es nicht für Zufall, dass man lange an die Friedelehe glauben wollte: Auf diese Weise habe man zahlreiche Verbindungen der Karolinger nicht als Konkubinat bzw. Polygamie werten müssen – dies sei konservativen Forschern schon im Hinblick auf die merowingischen Könige und ihre zum Teil zahlreichen Frauen schwer gefallen. Das konservative 19. Jahrhundert habe das Bild von der karolingischen Familie sehr geprägt: In Bezug auf Karl und Fastrada sowie auf Ludwig den Frommen und Judith existierte das Bild eines bedauernswerten alten Mannes in den Händen einer durchtriebenen jungen Frau. Die Gelehrten habe es empört, dass Lothar, der Sohn Ludwigs des Frommen, sich nach dem Tod seiner Frau Irmingard zwei Konkubinen nahm; mit einer von ihnen hat möglicherweise schon zu Lebzeiten Irmingards ein Verhältnis bestanden. Der Ehestreit Lothars II. wurde als kleinbürgerliches Familiendrama gesehen, »hier der lasterhafte

558 Vgl. Goetz, Frauen, 177–179.189f.238.

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König und seine ehrgeizige Geliebte, dort die verfolgte Unschuld Theutberga und der für die kirchliche Ehepraxis kämpfende Erzbischof Hinkmar«.559 Aktuell wird von Mittelalterhistorikern unter anderem in diversen Karl-Biographien, die auch dessen eheliches Verhalten (sowie am Rande das seiner Vorgänger und Nachfolger) thematisieren, ein ausgewogeneres Bild gezeichnet: So besteht heute weitgehend Konsens darüber, dass Karl der Große mindestens dreimal verheiratet war (mit der Tochter des Langobardenkönigs Desiderius, der Alemannin Hildegard sowie der ostfränkischen Grafentochter Fastrada) und mindestens im Alter Konkubinate führte. Fastrada heiratete er erst nach Hildegards Tod, während er für die Ehe mit Hildegard die Tochter des Langobardenkönigs verstieß. Die Heirat mit dieser war auf Betreiben von Karls Mutter Bertrada zustande gekommen. Karls Cousin Adalhard († 826), der spätere Abt von Corbie und Gründer von Corvey, zog sich vermutlich aus Verärgerung über dessen Trennung von der Langobardin vom Hof zurück.560 Karls frühe Verbindung mit Himiltrud wird meist ebenfalls als Ehe angesehen: Matthias Becher stellt gegenüber, dass Einhard die adlige Himiltrud als Konkubine bezeichnete, während Papst Stephan III. Karls Verbindung mit ihr als rechtmäßige Ehe ansah und folglich protestierte, als Karl auf Anraten seiner Mutter eine Tochter des langobardischen Königs heiratete.561 Auch Martina Hartmann ist der Ansicht, dass Karl der Große »mit einer adeligen Frau namens Himiltrud verheiratet war, die später dann als Konkubine bezeichnet wurde«.562 Stefan Weinfurter meint, Karls Vater Pippin habe die Ehe mit Himiltrud in die Wege geleitet. Am Hof sei Himiltrud als Konkubine ausgegeben worden, um das Handeln Karls bei der Trennung zu legalisieren, wobei die Grenzen zwischen

559 M. Hartmann, Die Königin im frühen Mittelalter, Stuttgart 2009, 128. Vgl. insgesamt 91.108.114f. Die besondere Sympathie der damaligen Gelehrten habe Hemma, die Ehefrau Ludwigs des Deutschen, eines Sohnes Ludwigs des Frommen, gefunden: Mit ihr war Ludwig, der einzige karolingische König, für den keine Konkubinate oder illegitime Kinder bezeugt sind, 38 Jahre verheiratet. 560 Vgl. z. B. M. Becher, Karl der Große (C. H. Beck Wissen in der Beck’schen Reihe 2120), München 1999; W. Hartmann, Karl der Große (Kohlhammer Urban Taschenbücher 643), Stuttgart 22015; S. Weinfurter, Karl der Große. Der heilige Barbar, München 2013. – Die Beziehungssituation der karolingischen Königinnen und Königstöchter wird besonders in Konecny, Frauen, und Hartmann, Königin, berücksichtigt; in Esymol, Geliebte, spielt auch der Ehestreit Lothars II. eine Rolle. 561 Vgl. Becher, Karl der Große, 108. Aus politischen Gründen habe Karl nach einem Jahr auch die Langobardin zu ihrem Vater zurückgeschickt und sei eine politisch bedeutsame Verbindung mit Hildegard eingegangen, die seine Position in den ostrheinischen Gebieten stärkte. 562 Hartmann, Königin, 97. Sie wurde ins Kloster Nivelles eingewiesen. Nach Karlmanns Tod habe Karl, der wohl genug vom politischen Einfluss von Frauen hatte, mit der Verstoßung der Langobardin auch Bertrada politisch ausgeschaltet. – Auch Hartmann, Karl der Große, 51, sieht Himiltrud als rechtmäßige Gattin Karls.

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Konkubinen und legitimen Ehefrauen fließend gewesen seien.563 Silvia Konecny schließt Polygamie für Karl nicht aus: Vielleicht habe die Verbindung mit der adligen Himiltrud bei der Heirat mit der Tochter des Desiderius weiter bestanden oder letztere habe sich gleichzeitig mit Hildegard am Hof aufgehalten.564 Umstritten ist, ob Karl mit der Alemannin Luitgard verheiratet war: Konecny, Esmyol, Becher und Weinfurter gehen – nach einem längeren Zusammenleben im Konkubinat – von einer förmlichen Eheschließung aus (wohl wegen des bevorstehenden Treffens mit Papst Leo III. in Paderborn 799), während Martina Hartmann und Wilfried Hartmann glauben, dass das Verhältnis nicht legalisiert wurde.565 In Bezug auf die Konkubinen wird, etwa von Becher, Hartmann und Hartmann, vermutet, dass es mehr waren als die von Einhard in der Vita genannten und dass Karl mit ihnen auch nicht erst nach dem Tod seiner Ehefrauen zusammen lebte.566 Laut Konecny ist Karl in seiner Jugend und im Alter Konkubinate eingegangen, lediglich die Verbindung zur möglicherweise adligen Mutter der Hruodhaid falle in die Zeit zwischen den oder während der Ehen mit Hildegard und Fastrada. Die Konkubinate seines Alters seien nicht durch den Tod der drei Frauen – die unbedeutender oder unfreier Herkunft waren –, sondern durch Scheidung gelöst worden.567 Wie ist Karls Verhalten – in Bezug auf seine eigenen Ehen und Beziehungen und die seiner Kinder – zu bewerten? Vielfach hatte die Macht des Herrschers, die bei Karl stärker ausgeprägt war als bei seinen Nachfolgern, einen Einfluss auf seine ehelichen Entscheidungen. Karls Verbindungen stellten wohl »eine Sonderform der ›Ehe‹ dar, die nur dem Herrscher zukam«, so Konecnys Einschätzung. »Polygamie und willkürliche Trennung aber standen im gleichen Gegensatz zur christlichen Eheauffassung, wie ja der Konkubinat selbst auch«.568 Nur die Stellung der Königin habe wohl christlichen Vorstellungen entsprochen: Eine Ehe mit ihr bedeutete eine gegenseitige Verpflichtung und wurde nicht gelöst. Hierzu bemerkt Hans-Werner Goetz: 563 Weinfurter, Karl der Große, 157–159. Es habe keinen Protest gegen die Verstoßung der Langobardin gegeben. 564 Vgl. Konecny, Frauen, 66f. 565 Vgl. Konecny, Frauen, 69f.; Esmyol, Geliebte, 246; Becher, Karl der Große, 109; Weinfurter, Karl der Große, 163f.; vgl. Hartmann, Königin, 103, und Hartmann, Karl der Große, 57.60, die meinen, dass Karls Verhältnis zu Luitgard vielleicht schon zu Lebzeiten Fastradas bestand. 566 Vgl. Becher, Karl der Große, 108f. Für die Zeit der Ehe mit Hildegard vermutet er eine Verbindung Karls mit einer adligen Konkubine. – Vgl. Hartmann, Königin, 103f., und Hartmann, Karl der Große, 61, die annehmen, dass Karl mit seinen Konkubinen bereits zu Lebzeiten Fastradas verkehrte. 567 Vgl. Konecny, Frauen, 65–70. 568 Konecny, Frauen, 70.

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»Die Stellung der Königin und der Adligen in der Familie wurde in karolingischer Zeit dank der kirchlicherseits vorangetriebenen Durchsetzung der Muntehe als einzig rechtmäßiger Eheform und dank der immer stärker eingeschränkten Möglichkeiten zur Ehescheidung oder Verstoßung der Frau seitens des Mannes sicherer«.569

Johannes Fried hingegen meint, Karl sei jede Ehe nach Opportunitätsgesichtspunkten eingegangen; er habe seine Frauen, ohne das kirchliche Eherecht zu respektieren, nach dem Kalkül der Macht erkoren oder verstoßen.570 Becher hebt hervor, dass Karls Umgang mit Frauen in seiner Familie Tradition hatte (s. Pippin der Mittlere, Karl Martell). Nur Karls Vater Pippin der Jüngere habe sich in seiner Ehe mit Bertrada an kirchliche Weisungen gehalten. Von einer zeitweise geplanten Scheidung hätten diesen wohl die Ermahnungen des Papstes abgehalten. Pippins Gesetzgebung sei in Ehefragen ebenfalls den kirchlichen Vorstellungen gefolgt; so habe er uneheliche Kinder vom Erbe ausgeschlossen. Karls Handlungsweise dagegen widersprach »diametral der christlichen Eheauffassung«. In deutlicher Diskrepanz zu kirchlichen Vorschriften stehen das »zeitweise Nebeneinander von mehreren Frauen und die willkürlichen Trennungen«. Wie die merowingischen Könige lebte Karl »polygam in rechtlich nicht genau definierten Verbindungen«.571 Eine vollgültige Ehe sei er nur mit Frauen aus mehr oder weniger ebenbürtigen Geschlechtern eingegangen, womit diese Familien noch enger an das Herrschergeschlecht gebunden werden sollten. Weinfurter sieht im Einspruch von Papst Stephan III. gegen die Trennung Karls von Himiltrud eine Parallele zum Protest von dessen Vorgänger Stephan II. gegen Pippins Trennungswunsch von Bertrada. Die durch Pippin eingeleitete strengere Ehegesetzgebung habe am Hof seines Sohnes Karl allerdings wenig Wirkung gehabt.572 Wie Andrea Esmyol festhält, waren die sexuellen und ehelichen Beziehungen der Herrscher des achten Jahrhunderts teilweise schwer zu durchschauen und kaum in regelhafte moderne Schemata zu pressen; die von einem Herrscher gewählte Art der Beziehung wurde wohl allein von diesem selbst und der Familie der Frau bestimmt und hatte keine erbrechtlichen Konsequenzen. Erst seit Karl dem Großen sei die kirchlicherseits erwünschte rechtmäßige Ehe von Herrschern für den Ausschluss nun illegitim genannter Söhne auf das Nachfolgerecht instrumentalisiert worden. Dass Ehe und Konkubinat zunehmend deutlicher differenziert wurden, hängt damit zusammen. So wuchs der kirchliche Einfluss auf das Eherecht. Auch wenn im neunten Jahrhundert das kirchliche Eheverständnis zunehmend akzeptiert wurde, hat sich das außereheliche Sexualverhalten freier Männer kaum verändert, so Esmyols Annahme: Wie die Merowinger pflegten die karolingischen Herrscher (auch neben einer Muntehe) Konkubinate mit Frauen niedrigeren Standes, diese 569 570 571 572

Goetz, Schluss, 178. Fried, Karl der Große, 378f. Becher, Karl der Große, 109. Vgl. Weinfurter, Karl der Große, 158f.

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konnten aber nun nicht mehr über ihre Funktion als Konkubinen zu Ehefrauen aufsteigen; die Ehefrauen der Karolinger waren ausschließlich guter Herkunft und setzten Standards für den Umgang mit einer Ehefrau fest.573

Dass Karl nach dem Tod Fastradas keine Ehe mehr einging, sondern verschiedene Konkubinen hatte, zeige ihn, so Martina Hartmann, »auf der Höhe seiner Macht, so dass er es nicht mehr nötig hatte, Familien oder Teile des Reiches durch Heirat an sich zu binden«.574 In den nachfolgenden Generationen hätten die karolingischen (Unter-)Könige durch Eheschließungen wieder Verbindung zum regionalen Adel ihres Teilreiches gesucht. Wilfried Hartmann glaubt, dass Karl nach Luitgards Tod keine weitere Ehe schloss, weil er die Zahl seiner legitimen Erben nicht vergrößern wollte.575 Wie Becher meint, diente auch Karls Heiratspolitik für seine beiden jüngeren Söhne der Herrschaftskonsolidierung. Seine Töchter hingegen habe Karl in seiner Munt behalten, da eine Heirat den etwaigen Ehemann und dessen Familie zu sehr aufgewertet hätte. Karls Töchter durften sich am Hof aufhalten, sie lebten in eheähnlichen Verhältnissen (so Berta mit Angilbert oder Rotrud mit Rorico) und hatten Kinder.576 Auch Konecny ist der Ansicht, Karl habe bei seinen eigenen Ehen und denen seiner Söhne ein politisches Konzept verfolgt; nur soweit es nötig und nützlich war, habe er sich seinem Adel verbunden. Die Eheform seiner Töchter habe ebenfalls der überragenden Stellung entsprochen, die Karl als Herrscher einnehmen wollte. Er ließ sie keine Muntehen schließen, bestimmte sie allerdings auch nicht zu einem klösterlichen Leben: »Durch eine Verbindung mit seinen Töchtern band er deren Partner vielmehr besonders eng an den Königshof und wusste sie seinen Zwecken dienlich zu machen, ohne sich selbst sonderlich zu verpflichten«.577 Esmyol betont, dass nur von den Karlstöchtern die Toleranz 573 Vgl. Esmyol, Geliebte, 246–250. – Für Angenendt, Frühmittelalter, 371f., war der alte Gedanke, dass nur Kinder aus legitimen Ehen Erben sein konnten, eine tief in die dynastisch bestimmte Politik des Mittelalters einschneidende Forderung. Ohne legitime Erben ging die Dynastie unter und es gab einen Erbkrieg um Herrschaft und Besitz. Weil zu viele Kinder wegen der vermehrten Erbansprüche auch problematisch sein konnten, ging Karl nach 800 bewusst »keine weitere Vollehe« mehr ein und untersagte seinen Töchtern »eine Vollehe, nicht aber Friedelverhältnisse« (372). 574 Hartmann, Königin, 143. 575 Vgl. Hartmann, Karl der Große, 60. 576 Vgl. Becher, Karl der Große, 110f. – Weinfurter, Karl der Große, 153f., nennt als Grund für die Töchtergesellschaft am Hof, dass keiner aus dem Kreis der mächtigen Adligen sich durch die Heirat mit einer von ihnen einen Vorteil verschaffen sollte. Weinfurter führt einen Neufund von Versen eines Gedichts von Theodulf von Orléans an, die Homophilie in der engsten Begleitung Karls des Jüngeren andeuten. Für die Annahme, auch dieser zweitälteste Sohn Karls des Großen selbst sei homophil gewesen, gebe es keine Gewissheit, sie würde aber das Fehlen von Hinweisen auf Kontakte zu Frauen oder auf eheliche oder außereheliche Kinder und das Zögern Karls, ihn zum Nachfolger zu bestimmen, erklären (171f.). 577 Konecny, Frauen, 74.

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außerehelicher sexueller Kontakte vornehmer Frauen überliefert ist, was wohl mit Karls Zustimmung und im Zusammenhang mit seinem Interesse, die Töchter dynastisch zu neutralisieren, geschah. Wenn sich ansonsten eine Frau ihren Ehemann selbst aussuchte, sich entführen ließ oder eigenmächtig ihren Mann verließ, seien dies Skandale gewesen.578

2.8.2 Ludwig der Fromme: Unterordnung unter das christliche Eheideal Stärker als Karl der Große fühlte sich sein Sohn Ludwig der Fromme (gemeinsam mit seinem Adel) dem christlichen Eheideal verpflichtet, ordnete sich selbst diesem unter und förderte es. Ludwigs geistliche Ratgeber hatten hier großen Einfluss. Die intensivierte Kirchenreform führte zu tieferen Fragen nach Art und Verpflichtung der christlichen Ehe. In diesem Kontext ist auch der Ehefragen enthaltende Laienspiegel zu sehen, den Bischof Jonas von Orléans auf Bitten von Graf Matfried abfasste (s. o.).579 Für Silvia Konecny findet sich bei Ludwig eine Synthese aus christlichen Ideen und Staatsinteresse. Die Vertreibung seiner Schwestern vom Hof direkt nach seinem Regierungsantritt geschah wohl nicht aus moralischer Entrüstung, sondern um sich des Staatsapparates zu bemächtigen. Mithilfe »kanonisch«-rechtlicher Argumente hätten andere Eheformen abgewertet und das Vorgehen gegenüber den Schwestern gerechtfertigt werden können.580 Ludwig selbst unterhielt wohl nur vor, nicht aber während seiner Ehen Beziehungen zu Konkubinen, und nichts deutet bei ihm auf Polygamie hin; seit seinem Regierungsantritt entschied er weder die Form noch die Auflösung einer Verbindung kraft seiner Herrscherstellung. »Ludwig der Fromme war der erste karolingische Herrscher, der christliche Vorstellungen nicht nur benützte, soweit sie seinem politischen Konzept entsprachen, sondern sich ihnen auch selbst unterordnete. Einen Verstoß dagegen büßte er als verwerfliche Tat«.581

Dadurch habe er sich aber selbst eines wichtigen politischen Instruments beraubt und sei in den Erbstreitigkeiten Opfer seiner eigenen Konsequenz geworden. Karls Frauen, seine gebildeten Töchter und seine Schwester Gisela, die Äbtissin von Chelles († 810), hatten Anteil am kulturellen Leben des Hofes, während unter Ludwig dem Frommen nur dessen Ehefrauen dort eine Funktion ausübten. 578 Vgl. Esmyol, Geliebte, 247. 579 Vgl. Angenendt, Frühmittelalter, 372. 580 Vgl. Konecny, Frauen, 88. – Auch Becher, Karl der Große, 111, meint, dass Ludwig seine Schwestern wohl bei seinem Regierungsantritt des Hofes verwies, um ihren politischen Einfluss zu beschneiden. 581 Konecny, Frauen, 97.

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»Vielleicht ist diese Konzentration in einer Person mitverantwortlich dafür, dass Ludwigs zweite Frau Judith politischen Einfluss gewann, wie er zur Zeit Karls des Großen kaum möglich gewesen wäre«,582 vermutet Konecny. Die moralische Diffamierung des Gegners war unter Ludwig zu einem politischen Instrument ersten Ranges geworden. Judith († 843) war die erste der karolingischen Ehefrauen, die der Unzucht oder des Ehebruchs beschuldigt wurden; gegen Lothar II. wurde der Vorwurf unzulässiger Eheschließung erhoben. »Solche Verdächtigungen sollten den Vorwand liefern zu ›kanonisch‹-rechtlich zulässigen Lösungen von Ehen«.583 Durch den Verdacht des Ehebruchs wollte man Judiths und Bernhard von Septimaniens politische Aktivität unterbinden. Martina Hartmann weist darauf hin, dass die ersten Kinder Ludwigs des Frommen ihm von ein oder zwei Konkubinen geboren wurden. Auch seine Söhne mit Irmingard kamen bereits zur Welt, bevor Ludwigs Beziehung oder Verlobung mit ihr in eine förmliche Ehe überging. Weil für Ludwig mit seinen kirchlichen Reformbestrebungen besonders in Bezug auf das Eherecht nach Irmgards Tod eine Konkubinatslösung wie bei seinem Vater nicht in Frage kam, waren die aus seiner zweiten Eheschließung mit Judith resultierenden Nachfolgeprobleme nicht zu vermeiden. Den Vorwurf eines Ehebruchs von Judith und der Impotenz von Ludwig sieht Hartmann als Methode, eine mächtige Königin zu attackieren und die Regierungsfähigkeit des Kaisers in Frage zu stellen. Ähnliche Vorwürfe seien in spätkarolingischer Zeit erneut erhoben worden.584 Für die Karolinger hält Martina Hartmann grundsätzlich fest, dass sie »auswärtige Ehen für ihre Töchter vermieden und teilweise sogar – wohl aus Angst vor zu mächtigen Schwiegersöhnen – überhaupt keine Ehen für ihre Töchter anstrebten« (s. o.).585 Die späteren Ehen der Karolingerinnen mit dem fränkischen Adel sieht Silvia Konecny ebenso wie extraterritoriale Heiraten als Indikator für den Niedergang des Königsgeschlechts: Die Söhne Ludwigs des Frommen hätten versucht, Eheverbindungen ihrer Töchter zu vermeiden, aber manchmal seien diese von Adligen erzwungen worden – begünstigt durch die Gegensätze zwischen den Königen, welche der Entführer einer Königstochter ausnutzen konnte. So war Karl der Kahle entrüstet, als seine Tochter Judith und Balduin (mit dem sie seiner Munt entflohen war) von Lothar II. aufgenommen wurden; zudem wusste Karls Sohn Ludwig der 582 Konecny, Frauen, 99. – Hartmann, Königin, 91, hingegen meint, dass Gisela, die Schwester Karls des Großen, im 19. Jahrhundert für die Äbtissin des Kloster Chelles gehalten wurde, dort aber wohl nur eine einfache Nonne war. 583 Konecny, Frauen, 97. Judith wurde nicht nur Ehebruch, sondern auch Zauberei vorgeworfen. 584 Vgl. Hartmann, Königin, 106–111. – Auch für Goetz, Frauen, 238, hat der Vorwurf, Judith habe sich mit Bernhard von Septimanien eingelassen, als Vorwand gedient, um sie politisch zu entmachten und ins Kloster zu schicken. 585 Hartmann, Königin, 189. Zwei Vorhaben einer Verheiratung Giselas, der Schwester Karls des Großen (mit dem Sohn des Kaisers von Byzanz und mit dem Sohn des Langobardenkönigs), scheiterten, ebenso eine Verheiratung von Karls Töchtern Rotrud nach Byzanz und Berta sowie ihres Bruders Karl des Jüngeren nach Mercien (190).

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Stammler († 879) ebenfalls von dieser Ehe. Zuvor hatte Karl der Kahle als erster karolingischer Herrscher seine Tochter mit einem ausländischen Fürsten, König Aethelwulf von Wessex, welcher die Normannen besiegt hatte, verheiratet – für Karl vermutlich ein Prestigegewinn, für Aethelwulf eine Unterstützung seines universalen Anspruch gegenüber dem angelsächsischen Adel. Da Judith als Königin geachtet wurde und sich an der Herrschaft ihres Mannes beteiligte, hielt Aethelwulfs Sohn nach dessen Tod die Einheirat bei der Stiefmutter für günstig; vor allem bei den angelsächsischen Geistlichen stieß dies jedoch auf Widerstand.586

2.8.3 Lothar II.: Ehestreit als Politikum Das Reich König Lothars II. wurde durch einen Streit um die Rechtmäßigkeit seiner Ehe schwer erschüttert: Lothar strebte eine Trennung von Theutberga, der Schwester des Markgrafen Hukbert, und später eine Ehe mit Waldrada (beide † nach 869) an. Die Herrscher-Ethik war mittlerweile so stark verchristlicht, dass ein König in einer illegitimen Ehe nicht mehr zu dulden war. Vielfältige Fragen nach Konkubinat, Unfruchtbarkeit, legitimen Nachkommen, Scheidung, Wiederheirat sowie Inzest spielen in den Streit mit hinein. Wie dieser allerdings im Einzelnen verlief und zu welchem Zeitpunkt welche Argumente eingebracht wurden, ist in der Forschung umstritten. Einige in der Forschung diskutierte Fragen werden dazu dienen, die folgenden Ausführungen zu strukturieren. Warum wollte sich Lothar von Theutberga trennen? Welche Argumente wurden eingebracht? Silvia Konecny ist der Meinung, der ganze Ehestreit habe auf propagandistische Wirkung abgezielt. Sie teilt ihn in mehrere Phasen ein: In einer ersten Phase sei der Ehestreit wohl Ausdruck der Bestrebungen Lothars nach Unabhängigkeit von seinem Adel gewesen: Lothar könnte von diesem (oder zumindest durch die politische Situation) bei seinem Herrschaftsantritt 855 zu einer Ehe mit Theutberga gezwungen worden sein; grundsätzlich besaß er für seine Entscheidungen nicht dieselbe Machtfülle wie Karl der Große. Theutbergas Bruder Hukbert gehörte zu den engsten Beratern Lothars. Der Grund für eine Verstoßung Theutbergas bereits nach zwei Jahren Ehe könnte darin bestanden habe, dass Lothar den Einfluss Hukberts nicht mehr benötigte bzw. diesem nicht mehr ausgesetzt sein wollte. Wie Konecny glaubt, sollte Theutberga, die möglicherweise an der Politik ihres Bruders beteiligt war, dabei als Werkzeug für einen Angriff gegen ihn dienen und seine moralische Verworfenheit bezeugen: Als Argument für eine Trennung wurde der Verdacht einer widernatürlichen Un586 Vgl. Konecny, Frauen, 150–155. Nach dem Tod dieses zweiten Ehemannes kehrte Judith ins Frankenreich zurück. – Auch Hartmann, Königin, 193, sieht die Bekräftigung eines Bündnisses gegen die Normannen im Hintergrund stehen. Sie hebt hervor, dass Judith bei ihrer Hochzeit gesalbt und gekrönt wurde.

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zucht zwischen Theutberga und ihrem Bruder eingebracht. Der Vorwurf gegen sie habe einer auch gegen Judith und Bernhard angewandten Praxis entsprochen (s. o.). Zunächst konnte Theutberga sich durch ein Gottesurteil vom InzestVerdacht reinigen; stark unter Druck gesetzt, bezichtigte sie sich schließlich doch selbst. Zwei Aachener Synoden des Jahres 860 schieden daraufhin Lothars Ehe und verwiesen Theutberga ins Kloster.587 Becher sieht die Heirat Lothars II. mit Theutberga im Zusammenhang mit dessen Kampf um ein eigenes Teilreich: Theutbergas Bruder Hukbert beherrschte wichtige Alpenpässe und schirmte damit Lothars Reich gegen dessen Bruder Ludwig ab. Durch eine Einigung mit seinem Bruder war Lothar, so Becher, bald nicht mehr auf Hukbert angewiesen, weshalb er sich von der kinderlos gebliebenen Theutberga trennen und seine Geliebte Waldrada, die ihm bereits einen Sohn geboren hatte, heiraten wollte. In einem weltlichen Gerichtsverfahren warf er Theutberga Inzest mit dem eigenen Bruder und die Abtreibung des dabei gezeugten Kindes vor.588

In einer zweiten Phase, so Konecny, nahmen die beiden anderen Könige, Lothars Onkel Karl der Kahle und Ludwig der Deutsche, den Ehestreit zum Anlass für eine Einmischung in die internen Reichsangelegenheiten ihres Neffen. Für den Fall, dass dieser ohne Erben versterben sollte, hofften sie auf sein Reich. Lothar wollte seinen Erben Hugo, den Sohn mit Waldrada, legitimieren und ihm die Nachfolge sichern. Konecny ist der Ansicht, dass Lothar womöglich erst nach Theutbergas Verstoßung die Verbindung zu einer anderen Sippe des Reiches suchte und Waldrada heiratete. Theutberga war inzwischen zu Karl dem Kahlen geflohen und widerrief ihr Geständnis. Erzbischof Hinkmar von Reims verfasste ein Rechtsgutachten, in dem er der Rechtmäßigkeit von Lothars Scheidung widersprach und einen rein kirchlichen Standpunkt vertrat, wie Konecny meint. Karl der Kahle habe die Argumentation wohl aufgegriffen, um damit die Legitimität von Lothars Nachkommen zu bestreiten. Im Verlauf habe Karl aus moralischen Gründen ein Bündnis mit seinem Neffen Lothar abgelehnt, genauso wie es Lothar in Bezug auf Hukbert getan hatte.589 Wer war Waldrada? Seit wann führte Lothar eine Beziehung mit ihr, welcher Art war diese? Andrea Esmyol meint, Waldrada habe in der Forschung als »Paradebeispiel einer ›Friedelfrau‹«590 gegolten; Quellen würden aber die deutliche Differenzie587 Vgl. Konecny, Frauen, 104–107.114f. – Zum Inzest im Kontext der Eheaffäre Lothars II. vgl. Ubl, Inzestverbot, 345–352. 588 Vgl. M. Becher, Merowinger und Karolinger (Geschichte kompakt), Darmstadt 2009, 122. 589 Vgl. Konecny, Frauen, 104.107f.116f. 590 Esmyol, Geliebte, 162. So meint Angenendt, Frühmittelalter, 387, Lothar habe vor seiner förmlichen Vollehe mit Theutberga zunächst »in einer Friedelehe mit einer aus unbekannter Adelsfamilie stammenden Waldarada gelebt«.

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rung zwischen Ehe und Konkubinat zeigen, während eine dritte Beziehungsform nicht existiert habe. Vor ihrer Heirat sei Waldrada Lothars Konkubine gewesen. Hinsichtlich der Motive der Protagonisten meint Esmyol, dass die Gefühle Lothars eine große Rolle spielten: »Nicht die fehlenden Nachkommen Theutbergas oder die Legitimation des vielleicht schon vorhandenen Sohnes der Waldrada, Hugo, sondern die Leidenschaft des Königs für Waldrada einerseits und die gefühlsmäßige Ablehnung Theutbergas andererseits scheint der Auslöser des Ehestreits gewesen zu sein«.591

Dieser könnte eskaliert sein, weil Lothar, anders als seine Vorgänger, erstmals seine Leidenschaft zu einer Frau über seine machtpolitischen Interessen gestellt hat; die Gefühle Waldradas und Theutbergas gegenüber Lothar werden hingegen kaum offenbart. Martina Hartmann vermutet, dass Lothar wohl noch zu Lebzeiten seines Vaters ein Konkubinat mit Waldrada einging, die einer moselländischen Adelsfamilie entstammte. Nichts anderes habe Ludwig der Fromme getan; wie dessen Beziehung zu Irmingard hätte auch Lothars Beziehung in eine Ehe übergehen können, aber Lothar heiratete zur Stabilisierung seiner neuen Herrschaft nach dem Tod seines Vaters Theutberga. Hartmann nimmt an, dass sein Sohn Hugo geboren wurde, als er die Beziehung zu Waldrada noch als dauerhaftes Konkubinat ansah.592 Welche Rolle spielten Adel, Bischöfe und Papst? Wer richtete über eine Ehe? Konecny betont, dass der Adel Lothars Versuch, sich von Theutberga zu trennen, nicht unwidersprochen hinnahm. Eine ähnlich demonstrative Verstoßung sei bislang nur durch Karl den Großen in Bezug auf die Tochter des Desiderius – bei einer Ausländerehe zu Bündniszwecken – erfolgt. Lothar verstieß eine Königin, was sogar Karl mit seinem sehr freien Eheverhalten vermieden hatte. Die Trennung wurde bald zu einem großen Politikum; Lothars innere und äußere Feinde spielten sich zu Beschützern der Königin auf. Durch die Berufung von Geistlichen zu Richtern in dieser Angelegenheit habe Lothar sich vollends in eine sein Königtum infrage stellende Abhängigkeit begeben.593 Angenendt, Esmyol und Becher vertreten die Ansicht, dass Hinkmars Rechtsgutachten eine politische Absicht hatte und ganz im Sinne seines Königs Karls des Kahlen (und dessen Erbaussichten) war. Hinkmar habe an das altchristliche Verbot einer erneuten Heirat zu Lebzeiten des rechtmäßigen Partners erinnert, so Angenendt und Becher. Wie Esymol hervorhebt, verurteilte Hinkmar das nebeneheliche Verhältnis Lothars mit

591 Esmyol, Geliebte, 167. 592 Vgl. Hartmann, Königin, 128f. 593 Vgl. Konecny, Frauen, 104f.

Forschungsüberblick Ehe

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Waldrada als Ehebruch, räumte allerdings ein, dass die Ehe mit Theutberga ungültig wäre, falls sich die Inzestanklage beweisen ließe.594

Martina Hartmann meint, in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts sei eine Ehetrennung des Königs offenbar eine Machtfrage gewesen. So habe Lothar II., der sich von der Schwester eines sehr mächtigen Adeligen seines Reiches trennen wollte, bei den führenden Kirchenmännern seines Reiches Unterstützung gesucht. Hartmann erinnert daran, dass für die Nachkommen Karls des Großen zwar wiederholt, zumindest vor der Ehe, Konkubinate bezeugt sind, die teilweise in Ehen übergingen, aber erst Lothar versucht habe, sich von seiner legitimen Ehefrau zu trennen – allerdings nicht wie Karl der Große in Form einer einfachen Verstoßung, sondern in Gestalt einer von der Kirche gebilligten Scheidung. Dies misslang hauptsächlich durch die Intervention von Papst Nikolaus I., der zugleich mit der Durchsetzung der Unauflöslichkeit der Ehe die Chance gesehen habe, die päpstliche Gerichtsbarkeit in Ehesachen zur Geltung zu bringen. Dieser Ehestreit habe zwar, wie in der Forschung betont werde, die Durchsetzung der Unauflöslichkeit der Ehe gefördert, allerdings gab es auch nach Lothar Ehescheidungen sowie Konkubinate, und Söhne aus solchen Verbindungen gelangten zum Königtum.595 Nach Konecnys Darstellung strebte erst eine Aachener Synode 862 eine Nichtigkeitserklärung der Ehe mit Theutberga an, wodurch man eine Berechtigung Lothars zu einer neuen Ehe feststellen wollte. Papst Nikolaus I., der das Urteil dieser Synode bestätigen sollte, war nun in die Lage geraten, über einen fränkischen König zu richten. Sowohl Karl der Kahle als auch Lothar wollten den Papst für ihren Standpunkt gewinnen, um ihre Politik zu legitimieren. Nikolaus kassierte das Urteil und exkommunizierte die Erzbischöfe, die zur Bestätigung nach Rom gereist waren. Selbst als Theutberga persönlich ihn darum bat, verweigerte er eine Ehetrennung. Konecny vermutet, dass erst in dieser späten Phase des Streits mit der Unfruchtbarkeit Theutbergas als Scheidungsgrund argumentiert wurde, diese aber nicht den Tatsachen entsprochen haben muss. Bevor es unter Nikolaus’ Nachfolger Hadrian II. († 872) zu einer Neuverhandlung kommen konnte, verstarb Lothar, worin Zeitgenossen eine Strafe Gottes sahen.596 594 Vgl. Angenendt, Frühmittelalter, 387; Esmyol, Geliebte, 169; Becher, Merowinger, 122f. 595 Vgl. Hartmann, Königin, 128–131.153f. – Auch Esmyol, Geliebte, 168, meint, Nikolaus habe den Ehestreit zur Verstärkung der päpstlichen Einflussnahme auf eherechtliche Angelegenheiten instrumentalisiert. 596 Vgl. Konecny, Frauen, 108–111. – Becher, Merowinger, 123, bemerkt, Papst Nikolaus I. habe Lothar, der Waldrada gegenüber den päpstlichen Legaten als seine von Anfang an rechtmäßige Gattin dargestellt hatte, zunächst gezwungen, Theutberga wieder aufzunehmen. Später habe er eine Trennung Lothars von Theutberga nur unter der Bedingung erlaubt, dass beide zukünftig ehelos lebten – damit habe er die Unauflöslichkeit betont. Zudem habe er Waldrada exkommuniziert.

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Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe

Hans-Werner Goetz sieht den Ehestreit als Beleg für eine Reduzierung der Scheidungsmöglichkeiten: Das Kirchenrecht habe die vielen Scheidungsgründe des weltlichen Rechts allmählich eingeschränkt; weltliche und kirchliche Bestimmungen des neunten Jahrhunderts hätten als Grund nur noch Unzucht anerkannt, aber die Wiederheirat zu Lebzeiten des Partners verboten. Für Lothar II. habe es nur noch die Möglichkeiten gegeben, Theutberga Blutschande mit ihrem Bruder vorzuwerfen oder sie zum Klostereintritt zu bewegen, um eine Scheidung zu erwirken. Selbst damit habe er keinen Erfolg gehabt, wobei politische Gründe ebenfalls eine Rolle spielten. Dass im späteren neunten Jahrhundert selbst der Ehebruch keinen Scheidungsgrund mehr bot, zeige neben synodalen Bestimmungen die Argumentation Papst Nikolaus’ I.: Er hielt Lothar II. vor, entweder bestreite dieser die Rechtmäßigkeit der Ehe mit Theutberga, dann könne es auch keinen Ehebruch geben; wenn er seiner Frau aber Ehebruch vorwerfe, erkenne er sie als rechtmäßige Gattin an und müsse sie behalten.597

Die Ehe Lothars II. mit Theutberga dient Karl Ubl als Beispiel für Prozesse der Politisierung von Ehe und Sexualität im karolingischen Frankenreich. Deren Ursache sieht er in der stark religiös geprägten Logik und Kommunikation der Karolingerzeit: Die Thematisierung von eherechtlichen Streitfällen und Sexualdelikten wurde im Rahmen öffentlich geführter Diskurse und rechtlicher Entscheidungen während des neunten Jahrhunderts deutlich intensiviert. Da Sünden des Einzelnen als öffentliche Sünden galten, die in ihrer Wirkung die gesamte christliche Gemeinschaft involvierten, wurden die Eheverstöße und Sexualdelikte karolingischer Großer als unmittelbare Auslöser des göttlichen Zorns begriffen, der das Frankenreich in Form von Naturkatastrophen, Ernteausfällen und normannischen Plünderungszügen ereilte. Die Vorstellung von einer Intimität des Sexuellen war dem neunten Jahrhundert folglich unbekannt, da »die Qualität des königlichen Regiments nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch im Ehebett entschieden wurde«.598

2.9

Zusammenfassung

Vor allem die Rechtsgeschichte ging für das Frühmittelalter lange von der Existenz verschiedener Ehe(schließungs)formen und von einer patriarchal organisierten Gesellschaft aus: Entsprechend fragte sie, gemeinsam mit der Frauenund Geschlechtergeschichte, nach der Beteiligung der Frau am Eheabschluss, 597 Vgl. Goetz, Frauen, 185–189.238f. 598 Claudia Esch und Heiko Hiltmann referieren Ubls Vortrag in einem Tagungsbericht: C. Esch/H. Hiltmann, Tagungsbericht: Intimität und die Grenzen des Erlaubten im Mittelalter. Frühjahrstagung des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte e. V., 19.–22. 03. 2013 Reichenau, in: H-Soz-Kult, 20. 06. 2013, http://www.hsozkult.de/conference report/id/tagungsberichte-4868, eingesehen am 21. 4. 2016.

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worin ein Gradmesser für eine mögliche Gleichberechtigung gesehen wurde; das Hinwirken der Kirche auf eine christliche Eheschließung mit dem Konsens der Eheleute und der Unauflöslichkeit als Norm wurde angenommen; beim Thema des Ehebruchs wurde gefragt, ob dem Mann nun nicht nur das Brechen einer fremden, sondern auch seiner eigenen Ehe verboten wurde, und ob das Ehesakrament verletzt wurde. Mittlerweile haben sich neue Perspektiven entwickelt: Besonders von philologischer Seite (Else Ebel und Andrea Esmyol) ist der Nachweis erbracht, dass es neben der Muntehe nur den Konkubinat gab und keine »freiere« Eheform wie die Friedelehe. – Für Ines Weber, die von der Gesellschafts- und Kulturgeschichte herkommt, zeigt sich das Bewusstsein einer Gleichheit von Mann und Frau im frühen Mittelalter eher am Einspielen entsprechender biblischer Texte im Rahmen der Eheschließung, an gleichen Strafen für Männer und Frauen bei ehelichen Vergehen oder an der geschlechtsunabhängigen Zählung der Verwandtschaftsgrade in der Frage des Inzests. In Bezug auf die rechtmäßige Eheschließung, ein rituell ausgestaltetes Vertragshandeln, fungierten das weltliche Recht und die biblische Tradition als Autoritätspole. Die Ehe konstituierte ihrer Ansicht nach nicht ein Personen-, sondern ein Sippenkonsens. Hubertus Lutterbach, der religionsgeschichtlich arbeitet, erkennt besonders in den Bußbüchern eine Abwertung der Ehe aufgrund der befleckenden Ausübung von Sexualität: Die Ehe galt als fleischverhaftet und somit gegenüber einer zölibatären Geistexistenz als defizitär. Grundsätzlich war Sexualität, beeinflusst durch das kultische Reinheitsdenken des frühen Mittelalters, nur in der Ehe und zur Kinderzeugung, nur in bestimmten Formen und zu festgelegten Zeiten erlaubt. Wie Hans-Werner Goetz in Bezug auf den Ehetraktat des Jonas von Orléans herausgestellt hat, wird die Ehe dort im sozialen Sinn als gut und wertvoll angesehen, wobei die Jungfräulichkeit theologisch für noch vollkommener gehalten wurde. Auch das Inzest-Tabu, mit dem sich die merowingischen Konzilien stark befassten, verortet Lutterbach im Kontext des kultischen Reinheitsdenkens: Durch den Ehevollzug, so die Vorstellung, entsteht ein Blutkreislauf, der nicht beschmutzt werden darf. In der Folge sind leibliche, angeheiratete und geistliche Verwandte von Heiratsverboten betroffen. Weber führt als weitere Erklärung an, dass durch eine Eheschließung ebenso wie durch eine Patenschaft ein Verwandtenkreis entsteht, so dass nun die Angehörigen beider Verwandtenkreise tabuisiert sind. Insgesamt haben die Inzest-Verbote möglicherweise dazu beitragen, über Clangrenzen und enge Adelskreise hinweg neue Heiratsmöglichkeiten zu erschließen. – Im Ehebruch, der auf den karolingischen Konzilien ein wichtiges Thema wurde, hat Lutterbach ebenfalls einen Verstoß gegen die kultische Reinheit gesehen: Eine weitere Befleckung des einen ehelichen Fleisches sollte verhindert werden. Für Weber stellte der Ehebruch vor allem einen Verstoß

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Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe

gegen den minutiös ausgehandelten Vertrag dar und gefährdete die Stabilität der im Frühmittelalter so wichtigen Gruppenbeziehungen. Die Forderung nach lebenslanger Einehe, die biblisch begründet wurde, setzte sich wahrscheinlich nur langsam durch, da sich die Kirche erst als Machtfaktor etablieren musste. Schließlich hat sich die hohe politische Relevanz von Ehefragen erwiesen. Ein mächtiger Herrscher wie Karl der Große entschied wohl relativ frei über eheliche Fragen, verstieß Ehefrauen, führte neben seinen Ehen Konkubinate und verhinderte Eheschließungen seiner Töchter. Hier zeigt sich eine große Diskrepanz zu kirchlichen Vorstellungen, auch wenn die Karolinger diese zum Ausschluss illegitimer Erben nutzten. Ludwig der Fromme hingegen ordnete sich stärker dem christlichen Eheideal unter und stand für eine Synthese aus christlichen Ideen und Staatsinteresse, wie es Silvia Konecny formuliert. Seit seiner Regierungszeit wurde allerdings die moralische Diffamierung zur Ausschaltung von Gegnern benutzt, wie am Vorwurf des Ehebruchs gegenüber Ludwigs Ehefrau Judith und am Ehestreit seines Enkels Lothar II. erkennbar ist. Da sich die Herrscher-Ethik inzwischen stärker verchristlicht hatte und Lothar weniger Macht besaß, konnten die Adeligen seines Reiches gegen Lothars Trennung und Wiederheirat protestieren, seine Rivalen sich einmischen, und fränkische Bischöfe sowie der Papst in die Rolle von Richtern geraten. Unzucht wurde hier als möglicher Scheidungsgrund zwar eingebracht, letztlich standen aber die Betonung der Unauflöslichkeit einer Ehe und das Verbot einer Wiederheirat zu Lebzeiten des Partners im Vordergrund.

3.

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

Im Rahmen eines Vergleichs von Romansicht und wissenschaftlicher Perspektive auf die Ehe im frühen Mittelalter ist zunächst als grundlegender Befund festzuhalten, dass die Ehe in den Romanen kaum als christliche Lebensform, als Verwirklichung des Christseins in der Welt, beschrieben wird. Die Forschung hingegen hat die Ehe als die Lebensform der christlichen Laien erwiesen, wenngleich umstritten ist, ob im Frühmittelalter die Ehe als gut und die Jungfräulichkeit als besser angesehen oder die Ehe aufgrund der befleckenden Ausübung von Sexualität stärker abgewertet wurde. Immerhin weist die Ehe in der Darstellung der Romane christliche Züge auf. Worin diese bestehen und wie sie sich zu den Ergebnissen der Frühmittelalter-Forschung verhalten, wird Gegenstand dieser Auswertung sein. Folgende fünf Punkte werden behandelt: Bei einem Vergleich von Romanund Forschungsteil zeigt sich erstens die Schwierigkeit, die frühmittelalterliche

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

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Ehe bzw. Eheschließung klar im Spannungsfeld von Heiden- und Christentum zu verorten, wobei in besonderer Weise die Rolle der Frau in den Blick kommt. Zweitens fällt eine Gegenüberstellung von Selbstbestimmung über die Partnerwahl in den Romanen und dem Einfluss von Verwandtschaftsdenken als Ergebnis der Forschung auf. Drittens zeigt sich ein ähnliches Gegenüber von Selbstbestimmung über die Ausübung von Sexualität auf der Romanseite und dem Einfluss von kultischem Reinheitsdenken auf der Forschungsseite. Viertens ist den Ehen und Beziehungen der Herrscher, einem zentralen Thema diverser Romane, nachzugehen und zu untersuchen, auf welche Weise darin mit »historischen« Personen und Fällen umgegangen wird. Fünftens wird die in vielen Romanen geschilderte Brüchigkeit von Ehen und Beziehungen thematisiert – ein solches »Scheitern« konnte ebenso für die Lebensform »Mönchtum« festgestellt werden – und nach dem Verhältnis dieses Befundes zu Forschungsergebnissen gefragt.

3.1

Die Ehe im Spannungsfeld von Heidentum und Christentum

Sowohl in den Romanen als auch in der Forschung wird der Einfluss des frühmittelalterlichen Christentums auf die Ehe und auf die Beziehungen der Geschlechter thematisiert, wobei ein Vergleich zeigt, dass dieser Einfluss in den Romanen eher negativ und in der Forschung eher positiv gesehen wird. Dies zeigt sich erstens in unterschiedlichen Ansichten zu möglichen Eheformen, zweitens in unterschiedlichen Einschätzungen zu Aspekten der Verchristlichung der Ehe sowie drittens in verschiedenen Sichtweisen der Rolle der (Ehe-)Frauen im Heiden- und Christentum. In den Romanen wurde eine Gegenüberstellung von verschiedenen »alten« und »neuen« Formen der Ehe und der Eheschließung deutlich, wobei das alte Verständnis überwiegend mit dem Heidentum assoziiert und als positiv dargestellt wird, da es der Frau (vermeintlich) mehr Freiheit und Mitsprache bot. Als Beispiel ist hier die »Friedelehe« zu nennen: Häufig ist in den Romanhandlungen von »Friedelfrauen« die Rede; wenn die besprochenen Romane ein Glossar aufweisen, werden fast immer die Begriffe »Munt(ehe)« und »Friedelehe/-frau«, zum Teil auch »Kebsverhältnisse/-ehe«, erläutert.599 Das neue, christliche Verständnis der Ehe und der wachsende Einfluss der Kirche wird für die Romanfiguren tendenziell als einschränkend gezeichnet und ist mit einer schlechteren Stellung der Frau verbunden. 599 Beispiele hierfür finden sich in den Glossaren der Romane Das Erbe des Puppenspielers (486.491), Bei meiner Seele Seligkeit (280–282) und in den Romanen von Martina Kempff (Die Königsmacherin, 450–453; Die Beutefrau, 422–425; Die Welfenkaiserin, 408–411).

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Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe

Die Auswertung der Frühmittelalter-Forschung hat ergeben, dass es in der Tat erst allmählich zu einer Verchristlichung der Ehe kam. Die Vorstellung von verschiedenen (germanischen) Eheformen, darunter die Friedelehe, muss aber mittlerweile als überholt gelten. Da stattdessen lediglich die Ehe und das Konkubinat differenziert werden konnten, würde es sich bei den »Friedelfrauen« der Romane nach Ausweis der Forschung wohl überwiegend um Konkubinen handeln.600 Das (nebeneheliche) Konkubinat wurde nach frühmittelalterlicher Vorstellung im Kontext von Ehebruch verortet. Das Vorkommen verschiedener Eheformen wie Munt- und Friedelehe in den Glossaren und in der Handlung zahlreicher Romane lässt darauf schließen, dass den Autoren die frühmittelalterlichen Eheformen so geläufig waren, wie sie auch die wissenschaftliche Sicht lange Zeit beherrschten. Dass die neuesten Erkenntnisse, die die Existenz dieser verschiedenen Eheformen in Frage stellen, noch nicht in die Romane eingegangen sind oder den Autoren bekannt waren, ist nicht überraschend. Die herangezogene Forschungsliteratur ist teilweise jünger als die untersuchten Romane. Manche Romanautoren suchen vielleicht im Frühmittelalter Anknüpfungspunkte zu heutigen Fragen und Entwicklungen. Der Eindruck drängt sich auf, dass ältere Forschungspositionen wie die Vorstellung einer Friedelehe den Romanautoren und ihrer Botschaft womöglich gelegen kommen, weil sie dort eine vermeintlich freie, gleichberechtigte Eheform, die unabhängig von kirchlichen Sichtweisen und ihrem einschränkenden Einfluss ist, vorgebildet sehen. Forscher haben Elemente des frühmittelalterlichen Eheschließungsprozesses herausgearbeitet. Diese werden durchaus in den Romanen benannt, auch wenn die Zusammenhänge nicht immer klar werden. Dass ein Vertrag geschlossen und die Ehe dotiert wird, wird von den Romanautoren beschrieben. In Bezug auf manche Elemente und Riten der Eheschließung lassen die Autoren allerdings ihre Phantasie spielen, einiges erklären sie mit früheren Traditionen. Die Rolle des weltlichen Rechts bei der Eheschließung wird deutlich, während der Einfluss der biblisch-christlichen Tradition unklar bleibt. Beschrieben wird vielfach die Feier der Eheschließung mit bestimmten Riten wie einer Ringübergabe, besonders die nun angeblich geforderte Einsegnung in der Kirche unter Mitwirkung eines Priesters. Letzteres korrespondiert mit älteren Forschungspositionen. Die neuere Forschung hat hingegen betont, dass die Ehe im Frühmittelalter noch nicht als Sakrament angesehen wurde und eine kirchliche Einsegnung keine Pflicht darstellte. Als Aspekte der Verchristlichung sieht z. B. Ines Weber viel600 Andrea Esmyol hatte herausgestellt, dass Waldrada in der Forschung lange als Paradebeispiel einer Friedelfrau galt. Wie von einigen Historikern wird von den Romanautoren ein Zusammenleben Lothars II. mit Waldrada bereits für die Zeit vor seiner Ehe mit Theutberga angenommen. Während Waldrada in Bei meiner Seele Seligkeit als Friedelfrau bezeichnet wird, heißt es in Das Geständnis der Amme, dass sie wohl eine Konkubine war.

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

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mehr die kirchliche Forderung nach Konsens (der Familien mit Einbezug der Eheleute), das Einspielen von Bibelstellen zur Gleichheit der Geschlechter im Rahmen der Eheschließung, den Schutz der Frau gegen das Konkubinat, den Einsatz für die Beständigkeit der Ehe sowie die gleiche Beurteilung der Geschlechter im Deliktfall. In den Romanen wird eher das Gegenteil erzählt. Während die (Beziehungssituation der) Frau im Heidentum in den Romanen als relativ frei dargestellt wird, werden christliche Ehefrauen oft als von Männern dominiert beschrieben. Die männlichen Figuren nehmen sich alle möglichen Freiheiten, während der Spielraum der weiblichen sehr beschränkt ist. Sie leiden unter arrangierten Ehen, erfahren härtere Bestrafungen für Vergehen, werden unschuldig des Ehebruchs angeklagt und müssen die Untreue ihrer Ehemänner erleben. In der Regel erhalten die Frauen von Seiten der Kirche keine Unterstützung, sondern haben im Gegenteil unter dem von der Kirche vertretenen negativen Frauenbild und einer konkreten Herabsetzung zu leiden. So vertreten in Die Päpstin Kirchenmänner wie der Dorfpriester, einige Mönche in Fulda oder kirchliche Würdenträger in Rom die Unterlegenheit und Sündigkeit der Frau, die sie aus der Bibel und der Tradition herleiten. Wenn die Romanheldinnen der kirchlichen und gesellschaftlichen Unterdrückung entkommen, dann durch ihren eigenen Mut und Einsatz und mit der Hilfe einzelner guter Menschen.601 Für Philip Steiner z. B. agiert Johanna (Die Päpstin) »als Verfechterin der Frauenrechte« und vertritt »Forderungen der modernen Emanzipationsbewegung«.602 Viele dieser starken Frauenfiguren weisen ein enges Verhältnis zu den Naturkräften auf. Ihre entsprechenden Fähigkeiten helfen den Frauen, zu überleben, ermächtigen sie und machen sie unabhängig von den Männern und der Ehe: 601 In Bezug auf historische Mittelalterromane für Kinder und Jugendliche stellt Rossi, Mittelalter, 95, fest, dass »berühmte Frauenfiguren […] nicht ausführlicher geschildert werden und historische Verhältnisse für Frauen vor allem aus einer Perspektive der Unterlegenheit oder Rechtlosigkeit vermittelt werden«. Die Protagonistinnen würden sich aber auch als Handelnde zeigen, vor allem wenn sie in ihrem Denken und Verhalten nicht wie historische, sondern bereits wie moderne junge Frauen agieren würden, wodurch sie aber Ähnlichkeit mit einigen männlichen Protagonisten hätten. 602 Steiner, Misogynie, 98. Laut Michael Imhof und Philip Steiner schildert die Autorin Cross eine zumeist frauenverachtende und männerdominierte mittelalterliche Gesellschaft: Indem Cross den negativen Äußerungen des Dorfpriesters (= Johannas Vater) und des Domschullehrers Bischof Fulgentius und Bruder Benjamin als positive Figuren entgegenstelle, veranschauliche sie die Bandbreite denkbarer Verhaltensmuster und Ansichten innerhalb der frühmittelalterlichen Lebenswelt, so Imhof, Päpstin, 15–17; die Verfilmung des Romans zeige anhand von Johannas Vater, dass die Frau gewöhnlich rechtlich und finanziell vollständig abhängig vom Ehemann war, der sie nach Belieben züchtigen und verstoßen durfte. Für Steiner, Misogynie, 98, ist die katholische Kirche im Roman durch das Verhalten individueller Personen oder im Kollektiv eine Organisation der Intrigen, Frauenfeindlichkeit, Verschwendungssucht, Dekadenz und Unmoral.

410

Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe

So wendet die getaufte Sächsin Inga (Die Schlüsselträgerin) einen Liebeszauber gegen ihren untreuen Ehemann an; als ihre Schwägerin sie von ihrem Platz im Haus vertreibt, lebt sie als Kräuterfrau. Der unschuldig des Ehebruchs angeklagten Grafentochter Genovefa (Genovefa) gelingt es, unterstützt durch die alte heilkundige Amalasvintha, ihr bedrohtes Leben im Wald zu retten. In den Romanen von Martina Kempff werden besonders den Frauen der Karolinger Kenntnisse in Naturmagie zugeschrieben: Bertrada, die ebenfalls im Wald überlebt hat, nutzt ihre magischen Fähigkeiten, als ihr Mann Pippin sie für die Tochter des Langobardenkönigs verlassen will;603 die Kraft eines Ringes setzen Fastrada, Gerswind und Judith gegenüber Karl dem Großen und Ludwig dem Frommen ein. Die lebensgestaltende und befreiende Kraft, welche die Natur für diese Frauen bereithält, ist häufig mit deren heidnischen Wurzeln verknüpft. Dies stellt in den Romanen ein Gegenkonzept zur beschränkenden und lebensverneinenden Ausstrahlung von Christentum und Kirche dar. Die für viele Frauenfiguren typische Naturverbundenheit scheint in den Romanen für das weibliche Rollenverständnis zum Teil wichtiger zu sein als die Ehe.604 Einige weibliche Romanfiguren suchen in ihrer Not nicht (nur) Hilfe in der Natur, sondern wenden sich an Maria, womit in anachronistischer Weise ein 603 Martina Kempff betont im Nachwort zu Die Königsmacherin, dass sich um ein »dunkles Geheimnis« Bertradas bereits im Mittelalter zahlreiche Legenden rankten: Die »Geschichte der vertauschten Braut« sei mit ihr verbunden worden und ins Märchengut eingegangen, in englischen Quellen werde sie als »Flora of Hungary« geführt, schließlich sei sie als Verkörperung der »Göttin Berchta mit dem großen Fuß« gesehen worden (443f.). – Wie Hartmann, Königin, 219, erläutert, machte die Ende des 13. Jahrhunderts entstandene Romanfigur der »Berta aus grans piés« aus Bertrada, der Ehefrau Pippins I., die Tochter des Königs von Ungarn: Berta soll in der Nacht ihrer Hochzeit mit König Pippin verschleppt und Mördern übergeben worden sein, welche sie jedoch aus Mitleid im Wald aussetzten. Später habe Pippin sie bei einer Jagd in der Gegend wiedergetroffen, wo sie im Haus eines Ritters lebte, und die Nacht mit ihr verbracht, wobei der spätere Karl der Große gezeugt worden sei. Nach der Aufdeckung des Betrugs habe Berta den ihr gebührenden Rang am Hof wieder eingenommen. – Kempff glaubt, mit ihrem Roman sogar Fragen von Historikern zu beantworten: Die Liebesgeschichte zwischen Karlmann und Bertrada sei zwar nirgendwo dokumentiert, würde aber Karlmanns Rücktritt als König und seinen Rückzug ins Kloster sowie die Anwesenheit der Frau seines Bruders Pippin bei seinem Tod erklären. Zur Frage, ob Karl der Große (un)ehelich geboren wurde, hat sie alle drei »stark voneinander abweichenden historischen Versionen über den Zeitpunkt der Eheschließung von Pippin und Bertrada« (445) in ihren Roman eingebaut und Karls Geburt für das Jahr 748 in Prüm angesetzt. 604 So heißt es in Das Geständnis der Amme, dass Rotrude, eine Verwandte Karls des Kahlen, in Jugendjahren beschloss, weder zu heiraten noch ins Kloster zu gehen, sondern den dritten Weg erwählte, der einer Frau offen stand, nämlich ihre Jungfräulichkeit Gott zu weihen, ansonsten aber der Welt verbunden zu bleiben. Im Gegensatz zu anderen Frauen ihres Standes nutzt sie die Fülle an Lebenszeit jedoch nicht, um frommen Pflichten wie dem Gebet, dem Erlernen von Psalmen oder den mildtätigen Gaben nachzugehen, sondern ihrer Leidenschaft für die Heilkunde. Ihre Liebe zu den Kräutern ist größer als die zu den Menschen.

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

411

katholischer identity marker aufgerufen wird: Genovefa (Genovefa) betet in bedrängenden Situationen wie einer drohenden Vergewaltigung zur Muttergottes; Teuthberga (Bei meiner Seele Seligkeit) vertraut angesichts ihrer problematischen Ehe mit Lothar II. auf Maria. Maria verkörpert inmitten der vielen »bösen« Kirchenmänner eine positive weibliche Seite des Christentums und bietet den Frauen einen Zufluchtsort. Forscher skizzieren die Lebenssituation der frühmittelalterlichen (Ehe-)Frauen weniger negativ als die Romanautoren: Der Handlungsspielraum der Frauen sei in der Regel nicht so groß wie der der Männer gewesen, sie wurden aber nicht einfach von ihnen unterdrückt oder waren gewaltsamen Übergriffen schutzlos ausgeliefert, so Ines Weber. Verschiedene Texte würden zwar diese Missbräuche thematisieren, jedoch vielfache Schutzbestimmungen verordnen, die von den Herrschenden ebenso aufzugreifen sind wie von der Kirche, »sodass es gerade nicht die Kirche ist, die die Frauen und sozial schlechter gestellte Personengruppen langfristig unterdrückt wissen will. Demnach stellt sich die frühmittelalterliche Welt weder als promisk noch als männerdominiert, verbunden mit einer zielstrebigen Minderstellung und Nachordnung der Frau, dar«.605

Im Gegensatz dazu wird der Einfluss des Christentums auf die Ehe in den Romanen insgesamt als negativ dargestellt; besonders für die Frauen ist dieser Einfluss mit Einschränkungen verbunden. Eine Konzentration auf Riten der Eheschließung ist in den Romanen zu beobachten, während deren Prägung durch die gesamte biblisch-christliche Tradition weniger thematisiert wird. In Bezug auf die Effekte des Heidentums hingegen zeichnen die Romanautoren – älteren Forschungspositionen entsprechend – ein positives Bild von freien Beziehungsformen sowie starken, naturverbundenen Frauen.

605 Weber, Gesetz, 394. – Wie Goetz, Schluss, 182, betont, führten spezifische Funktionen, welche die Frauen in der Gesellschaft erfüllten, zur Aufgabenverteilung unter den Geschlechtern, wiesen den Frauen von daher spezifische Tätigkeitsfelder (z. B. die Textilarbeit) zu und stellten sie neben den Mann. Die beiden Geschlechter seien eher als verschiedenartig denn als verschiedenwertig angesehen worden. Goetz meint, das Verhältnis der Geschlechter sei im frühen Mittelalter von keiner Krise bedroht gewesen: »Die Quellen bezeugen keinerlei Wünsche nach weiblicher Selbstverwirklichung in Abgrenzung vom Mann und von den seitens der Gesellschaft gebotenen Möglichkeiten; Selbstverwirklichung bewegte sich und gelang im Rahmen des gemeinsamen Lebens und der gesellschaftlichen, alltäglichen Gegebenheiten«.

412 3.2

Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe

Freie Entscheidung aus Liebe versus Verwandtschaftsdenken

Wie sich bei einem Vergleich von Romansicht und Forschung in Bezug auf Gründe und Abläufe von Eheschließungen zeigt, spielt das Vertrags- und Verwandtschaftsdenken, das die Forschung als wichtigen Faktor herausgestellt hat, in den Romanen zwar eine Rolle, wird aber, ebenso wie das Phänomen der arrangierten Ehe, negativ bewertet. Im Mittelpunkt steht hier der Personenkonsens: Die jungen Romanfiguren orientieren sich bei ihren Entscheidungen in Bezug auf eine Heirat nicht am Familieninteresse, sondern an ihrem eigenen Gefühl der Liebe. Viele von ihnen möchten selbst über ihren Ehepartner bestimmen, einige wollen sogar grundsätzlicher über ihren Partner entscheiden und überhaupt keine Ehe eingehen. Die Frage nach dem Konsens der Ehepartner und damit zusammenhängend nach der Rolle der Frau bei der Eheschließung spielt sowohl in der Forschung als auch in den Romanen eine zentrale Rolle, jedoch mit unterschiedlicher Konkretisierung: Während die ältere Forschung der Frage nachging, ob die Kirche sich für den Konsens der Ehepartner und damit auch für eine Beteiligung der Frau am Eheabschluss eingesetzt hat, hat die jüngere Forschung die Bedeutung der Familie und der Verwandtengruppe hervorgehoben, die zu einem ehelichen Konsens finden musste. In den Romanen entscheiden die Eltern zwar oft – etwa mit dem Ziel, ein Bündnis zwischen zwei Familien zu stärken – über die Ehe ihrer Kinder, aber von der Einbeziehung weiterer Verwandter und der Öffentlichkeit bei der Eheschließung ist nur am Rande die Rede. Die Romane beschreiben, dass Kinder von ihren Eltern in Ehen gezwungen werden, die ihren eigenen Wünschen widersprechen. In den Romanen geht es generell um einen Personen- statt um einen (von der Forschung für das Frühmittelalter herausgearbeiteten) Sippenkonsens.606 Selbstbestimmung über ihr eigenes Leben ist ein großes Anliegen der Romanfiguren, die frei sein wollen von den Vorgaben der Eltern, der Familie und der Kirche und sich eine Ehe aus Liebe statt einer arrangierten Ehe wünschen. Aus der Sicht der Forschung ist ein solcher Gegensatz zwischen Verpflichtungsund Liebesehe nicht haltbar, da auch die Ehepartner von den Familien um ihre Zustimmung gefragt wurden; zudem ist der Stellenwert der Kategorie »Liebe« für das Frühmittelalter fraglich. Viele Romanautoren scheinen davon auszugehen, dass menschliche Gefühle wie Liebe in allen Epochen gleich beschaffen und bestimmend waren. Diesbezüglich stellt Peter Dinzelbacher heraus: »Auch der historische Roman von Scheffel bis Eco, d. h. also auch von sehr guten Kennern der Originalquellen, projiziert ja nach wie vor die jeweils gegenwärtige Men606 Neben diesem Konsens der Ehepartner wird in den Romanen aber auch der Vollzug der Ehe als wichtig für das Zustandekommen herausgestellt.

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talität in die Vergangenheit und setzt voraus, dass Ekkehart genauso geliebt habe wie ein romantischer Jüngling des 19. Jahrhunderts oder William von Baskerville […] genauso kausallogisch vorgehe wie der Kriminalist der Gegenwart«.

Dieses Phänomen zeigt sich noch deutlicher in den untersuchten populären historischen Romanen. Dinzelbacher kritisiert die von einigen Literaturwissenschaftlern »ohne Auseinandersetzung mit der (mentalitäts)geschichtlichen Forschung« vertretene Kontinuitätstheorie in Bezug auf die Liebe im Frühmittelalter, und setzt sich mit den als Beleg herangezogenen Quellen auseinander.607 Hinsichtlich der frühmittelalterlichen Ehe betont er: »Die in unserem Denken unwillkürlich immer im Hintergrund stehende ursächliche Verbindung von Liebe und Ehe war bekanntlich sowieso noch nicht existent, da die Ehe keine Eigengründung eines Liebespaares war, sondern fast immer die Sippe bzw. die Eltern die Kinder gemäß ihrer wirtschaftlichen und sozialen Interessen verheirateten«.608

In manchen Quellen klinge zwar an, dass es auch damals Paare gab, die in unsentimentaler Zuneigung und freundschaftlicher Vertrautheit zusammen lebten. Aus Erwähnungen von Paaren, die in schwierigen Situationen zusammenhielten, auf Liebesbeziehungen in unserem Verständnis zu schließen, wie dies etwa für Judith und Balduin geschieht, scheint Dinzelbacher allerdings nicht beweisbar.609 Von wissenschaftlicher Seite gibt es keine Grundlage dafür, das heutige Verständnis von Liebe und Ehe ohne weiteres mit dem des frühen Mittelalters

607 Dinzelbacher, Liebe, 13. Dinzelbachers eigene Untersuchung profaner Texte des Frühmittelalters ergibt, dass »amor« in lateinischen Texten nicht »Liebe«, sondern »sexuelle Begierde« bedeutet; auch im Altenglischen und Altnordischen ist nicht »sehnsuchtsvolle Liebe«, sondern »sexuelles Begehren« und »ganz unmittelbares Haben-Wollen« gemeint (22). Die von Literaturwissenschaftlern für Liebeslyrik gehaltenen volkssprachlichen Texte seien wahrscheinlich keine Liebeslieder in unserem heutigen Verständnis. Die angelsächsischen Elegien seien für viele Interpretationen offen; die erst sehr spät überlieferten südromanischen Jarchas könnten nicht als Beweis einer eigenen Liebestradition im christlichen Europa gelten. 608 Dinzelbacher, Liebe, 32. 609 W. Hartmann, Über Liebe und Ehe im früheren Mittelalter. Einige Bemerkungen zu einer Geschichte des Gefühls, in: P. Landau (Hg.), De Iure Canonico Medii Aevi (FS Rudolf Weigand) (Studia Gratiana 27), Rom 1996, 189–216, besonders 208–215, versucht, einige Ansichten Peter Dinzelbachers (und George Dubys), unter anderem zum Begriff und der Bedeutung der Liebe im Frühmittelalter, zu widerlegen, indem er sie mit Quellentexten konfrontiert. Er tritt der Vorstellung entgegen, »dass wir es im Bereich einer Geschichte des Gefühls mit einer ständigen Aufwärtsbewegung zu tun haben, die vor allem im 12. Jahrhundert einen entscheidenden Impetus erhalten habe«. Hartmann meint, dass auch schon das frühe Mittelalter, vor allem das neunte Jahrhundert, »Feinheit des Gefühls und psychologisches Einfühlungsvermögen gekannt hat, daneben sicherlich auch Brutalität und Barbarei – wie jede Epoche der menschlichen Geschichte« (215f.).

414

Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe

gleichzusetzen, wie es in den Romanen geschieht. Viele wichtige Romanfiguren wie Theresa und Izam von Padua (Das Pergament des Himmels), Germunt und Stilla (Der Kalligraph des Bischofs), Meginhard und Gisela (Das Erbe des Puppenspielers), Johanna und Gerold (Die Päpstin) bzw. Johanna und Konrad (Der sechste Tag) leben sogar in nicht-ehelichen Liebesbeziehungen statt in einer Ehe. Genovefa (Genovefa) und Inga (Die Schlüsselträgerin) beginnen nach einer einengenden, gescheiterten Ehe schließlich an einem anderen Ort ihr eigenes Leben mit einem neuen, ungewöhnlichen Mann, den sie sich selbst ausgesucht haben.610 Hier liegt eine Zuspitzung vor: Diese Romanfiguren wollen nicht nur selbst über ihren (Ehe-)Partner entscheiden, sondern lehnen die Ehe gänzlich ab bzw. eine Eheschließung ist durch bestimmte Umstände nicht möglich. Während die Forschung herausgearbeitet hat, dass die Menschen im frühen Mittelalter auf die Stabilität von Gruppenbeziehungen angewiesen und allein auf sich gestellt extrem gefährdet waren, gehen diverse Romanfiguren ganz allein bzw. als Paar ihren Weg fernab der Verwandtschaft, geleitet vom Gefühl der Liebe. Hierin ähneln sie heutigen Menschen, sie denken und handeln nicht »mittelalterlich«.

3.3

Sexuelle Selbstbestimmung versus Reinheitsdenken

Hinsichtlich des Themas der (ehelichen) Sexualität zeigt sich bei einem Vergleich von Romansicht und wissenschaftlicher Sicht, dass die Romanfiguren selbst über die Ausübung von Sexualität bestimmen wollen und sich diesbezüglich viele Freiheiten nehmen, wohingegen in der Forschung der große Einfluss des kultischen Reinheitsdenkens betont wurde, welches viele Vorschriften im Kontext der Ehe erklären kann. Sucht man, von der Forschung sensibilisiert, in den Romanen nach solchen Pollutio-Vorstellungen, fällt erstens auf, dass sie in vielen Romanen gar nicht vorkommen. Zweitens werden sie, wenn sie denn vorkommen, negativ bewertet und den unsympathischen Romanfiguren zugeschrieben, was ein klischeehaftes, negatives Kirchenbild verstärkt. Drittens wird ein solches Denken von einigen sympathischen Romanfiguren wie Ada und Finnian in Das Amulett der Seherin überwunden, was als positive Entwicklung dargestellt wird. Das Thema Reinheit und Unreinheit wird in den wenigsten Romanen ausführlich behandelt. In diesen Begrifflichkeiten wird meist nicht gedacht, sondern es geht eher allgemein um Sexualität, die von den Menschen gelebt wird, teilweise auch gegen die Vorschriften der Kirche. Vereinzelt wird geschildert, dass Men610 Im Klappentext von Genovefa heißt es, der Autor Günter Ruch adaptiere eine in der Eifel weit verbreitete Legende und erzähle sie aus der Sicht des Opfers. »Jedoch definiert Ruch die Rolle der schicksalsergebenen jungen Gräfin aus Brabant ganz neu und bringt den Roman zu einem verblüffenden Ende«.

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

415

schen zur Beichte gehen, wobei die Priester eine negative Haltung zur Sexualität an den Tag legen. Detaillierte Beschreibungen der Befragung, der Schilderung der Sünden und der Bußauflagen kommen aber nicht vor. Die alttestamentlichen Wurzeln des Gedankens der kultischen Unreinheit und die tiefere Bedeutung von Sexualtabus werden nicht deutlich. Da diese mentalitätsgeschichtlichen Spezifika, welche sich der Forschung aus frühmittelalterlichen Quellen wie den Bußbüchern erschließen, keinen Eingang in die Romane finden, wird ein sehr einseitiges und bruchstückhaftes Bild der christlichen Sicht auf Sexualität vermittelt: Die Kirche gibt den Menschen rigide Regeln vor, bestimmt somit über ihre Sexualität und verurteilt diese weitgehend. Einzelne Romanfiguren, besonders in den Romanen von Martina Kempff, vollziehen bewusst von der Kirche verbotene Sexualpraktiken (bestimmte Stellungen, Verhütungen, Magie). Einige positive Figuren überwinden ein von den negativen Charakteren vertretenes kultisches Reinheitsdenken und denken eher in Kategorien von ethischer Reinheit (bei Ava und Finnian in Das Amulett der Seherin fällt das Stichwort »Reinheit des Herzens«). Bei einer solchen Darstellungsweise kann es zu keiner Anerkennung der kulturellen Leistung des frühmittelalterlichen Christentums im Kontext der Ehe kommen. Diese Leistung stellt Hubertus Lutterbach heraus: Er gesteht zu, dass »die mit dem kultischen Reinheitsdenken im Verein mit philosophischen und jüdischen Traditionen einhergegangene Abwertung der Sexualität im Frühmittelalter aus neutestamentlicher wie aus heutiger Perspektive«611 zu beklagen ist. Diese Abwertung sei aber im Rahmen einer vor-ethischen, von dualisierenden Vorstellungen geprägten Gesellschaft konsequent, sie habe sogar in ihren Auswirkungen die Disziplin innerhalb der Gesellschaft befördern können: So erhob die Beachtung der Inzest-Vorschriften die friedliche Überschreitung der Clangrenzen zur Verpflichtung und wertete die Ehe von einem Privatbündnis zu einem öffentlichen Akt auf. Während das von Lutterbach erwähnte Thema Inzest in den Quellen und bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Ehe im Frühmittelalter eine große Rolle spielt und es hierbei in erster Linie um das Problem der Grenzen von Eheschließungen geht, ist Inzest in vielen Romanen nur ein Randthema. In den wenigen Romanen, in denen das Thema stärker im Fokus steht, geht es mehr um den sexuellen Aspekt und weniger um Eheschließungen. (Ehe-)Frauen werden in den Romanen zwar insgesamt als benachteiligt dargestellt (s. o.), die frühmittelalterlichen Denkhintergründe werden aber nicht klar: In den Romanen kommt kaum vor, dass Frauen (aufgrund von kultisch belastenden Vorgängen wie Menstruation oder Schwangerschaft) als unreine Personen angesehen wurden. Eine Ausnahme bilden lediglich einige Andeu611 Lutterbach, Sexualität, 256f.

416

Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe

tungen in Die Päpstin, welche die Unreinheit nach der Geburt aufgreifen. Für die Abwertung der Frauen und der Sexualität machen die Autoren besonders die Kirchenmänner verantwortlich. Die Forschung sieht dies differenzierter: Lutterbach betont, »dass die frühmittelalterliche Beurteilung der Sexualität keineswegs primär von der Machtgier sexual- und frauenfeindlicher Kleriker dominiert war«.612 Die die Frau umgebenden frühmittelalterlichen Sexualtabus dürften nicht als Ausdruck intendierter Knechtung verstanden werden. Die Inferiorität der Frau widerspreche der Option Jesu, aber die Sorge um die kultische Reinheit habe sich nicht nur zum Nachteil der Frau ausgewirkt. Lutterbach hebt Errungenschaften hervor: »Ebenso wie sich das Tabu des Geschlechtsverkehrs während der Menstruation, in der letzten Phase einer Schwangerschaft und im Anschluss an eine Geburt in der Konsequenz zugunsten ihrer Gesundheit auswirkte sowie die Männer gewissermaßen ›nebenbei‹ in der Ausübung ihrer Sexualität disziplinierte, bewirkte die una caro-Idee, dass der Mann seine Frau um der kultischen Reinheit ihrer ehelichen Blutsbande willen nicht verlassen durfte«.613

Dieses kultische Reinheitsdenken kommt in den Romanen also, wenn überhaupt, nur in negativer Qualifizierung vor; die damit verbundenen Errungenschaften, welche sich nach Ausweis der Forschung besonders für die Frauen ergaben, werden nicht vermittelt. Die in den Romanen dem Reinheitsdenken gegenüberstehende positive Darstellung des freien Auslebens von Sexualität erstreckt sich an einigen Stellen nicht nur auf den ehelichen, sondern sogar auf den außerehelichen Bereich.

3.4

Die Ehen der Karolinger zwischen Politik, Gefühl und Religion

Im Kontext des Themas Ehe zeigen sich in den Romanen verschiedene Weisen des Umgangs mit historischen Personen und Fällen, mit denen sich die Forschung ebenfalls beschäftigt hat. Die politische Dimension der Ehe erscheint bei einem Vergleich von Roman- und Forschungssicht als das Verbindende; der Aspekt der menschlichen Gefühle (Romane) und die religiöse Ebene (Forschung) bilden die beiden Pole. Wenn in den Romanen überhaupt eheliche Beziehungen vorkommen, dann die der Herrscher – viele andere Figuren leben in nicht-ehelichen Liebesbeziehungen (s. o.). Besonders das Beziehungs- und Sexualleben der Karolinger und 612 Vgl. Lutterbach, Sexualität, 256. Er grenzt sich deutlich von Forschungspositionen ab, die in ihrer Bewertung des frühmittelalterlichen Denkens über Sexualität stark von der Gegenwart geleitet sind. 613 Lutterbach, Sexualität, 257. Kursivsetzung im Original.

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

417

ihrer Familien wird ausgebreitet. Zwei Romane treten hier besonders hervor: So ist Bei meiner Seele Seligkeit dem Ehestreit König Lothars II. um dessen Trennung von Teuthberga und die Heirat mit Waldrada gewidmet; Das Geständnis der Amme beschäftigt sich mit dem Streit um die Ehe von Judith, der Tochter König Karls des Kahlen, mit Balduin, der sich auf den Konsens bei der Eheschließung bezog. In dieser starken Fokussierung auf den Herrscher zeigt sich, so könnte man mithilfe geschichtswissenschaftlicher Einordnungen formulieren, eine Nähe zur Institutionengeschichte. Das politische Kalkül, welches, wie die Wissenschaftler betonen, vor allem hinter den Eheschließungen der Herrscher und hinter vielen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Ehe steht, wird auch in den Romanen thematisiert. Vereinzelt wird dieses Kalkül jedoch verkannt: Nach Ansicht von Historikern verbot Karl seinen Töchtern eine Heirat aus Angst vor der Macht möglicher Schwiegersöhne. Die Romanautorin Maria Regina Kaiser hingegen interpretiert deren Beziehungssituation (im Epilog zu Die Abbatissa) als Beleg für Emanzipation: »Wenn es überhaupt emanzipierte Frauen zur Zeit Karls gab, so waren es die privilegierten Damen des Hofes, insbesondere seine Töchter […], die sich ihre Liebhaber selbst aussuchten und mit ihnen unter den Augen des Frankenkönigs Kinder in die Welt setzten« (492).

In den beiden einschlägigen Romanen Bei meiner Seele Seligkeit und Das Geständnis der Amme kommen neben den oben genannten Paaren auch die jeweiligen Päpste, die Herrscher und die Bischöfe vor – mit unterschiedlichen Positionen zu Eheschließung, Konsens, Scheidung und Wiederheirat und mit je eigener Motivation.614 Während es in vielen Romanen hinsichtlich der Ehe um Verhandlungen zwischen zwei Familien oder unterschiedliche Ansichten von Eltern und Kindern ging, treten hier also weitere Instanzen auf, die um Deutungshoheit und Entscheidungskompetenz über die Ehe streiten. Im Gegensatz zu dieser (kirchen-)politischen Relevanz von Ehefragen wird die tiefere religiöse Dimension in den Romanen weniger thematisiert: Nach frühmittelalterlichem Denken – so die Forschung – war das Eheleben dem Tun-Ergehen-Zusammenhang entsprechend keine Privatangelegenheit, sondern das rechte Leben des Herrschers, auch in ehelichen Fragen, war bedeutsam für das Wohlergehen des Reiches, sonst drohten der Zorn und entsprechende Strafen Gottes. Zur Zeit Lothars II. etwa war die Herrscherethik so stark verchristlicht, dass ein Herrscher in einer illegitimen Ehe nicht mehr geduldet wurde. In den Romanen hingegen

614 Beiden detailreichen Romantexten merkt man das Hintergrundwissen ihrer Autoren an: Ernst Wies hat zuvor mehrere Herrscherbiographien verfasst, Julia Kröhn hat unter anderem Theologie studiert.

418

Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe

bleibt der Faktor Religion undeutlich, das Christliche an der Ehe spielt eigentlich kaum eine Rolle. Wie die Historikern Silvia Konecny herausgearbeitet hat, konnten im Rahmen dieser verchristlichten Herrscherethik bestimmte Vorwürfe mit dem Ziel der moralischen Diffamierung des politischen Gegners erhoben werden. Dieses Ziel ist in den Romanen nicht erkennbar, etwa beim Inzest-Vorwurf gegenüber Theutberga und ihrem Bruder Hukbert (Bei meiner Seele Seligkeit, Das Geständnis der Amme). In Übereinstimmung mit der Forschung erscheint der Ehebruch Judiths, der Ehefrau Ludwigs des Frommen, mit dem Kämmerer Bernhard in Das Geständnis der Amme nur als Gerücht, wohingegen er in Die Welfenkaiserin detailliert als Fakt erzählt wird, ebenso wie die vermeintliche Impotenz Ludwigs – der frühmittelalterliche Vorwurf des Ehebruchs wird so zur heutigen Erzählung des Ehebruchs. In Bezug auf (Ehe-)Männer wie Karl den Großen und Ludwig den Frommen ist in den Romanen eine Dekonstruktion großer Namen zu beobachten: Lücken der Geschichtsschreibung werden von den Romanautoren genutzt, um die »private« Seite der großen Gestalten zu zeigen, die somit auf ein menschliches Maß gebracht werden. Karl der Große vertritt als Romanfigur zwar nur nach außen hin die kirchliche Ehemoral und tut selbst, was er will, ist aber immerhin ein zärtlicher Liebhaber. Er ist seinen Ehefrauen untreu und verteilt seine Gunst auf viele Frauen, gibt aber jeder das Gefühl, ihm alles zu bedeuten (vgl. z. B. Die Beutefrau). Ihm werden in den Romanen nicht nur – wie aus der Forschung bekannt – Konkubinate (seine Konkubinen werden in den Romanen in der Regel als »Friedelfrauen« bezeichnet) und uneheliche Kinder zugeschrieben, sondern sogar Inzest mit seiner (Halb-)Schwester Ada bzw. Gisela (in Karl der Große, Die Abbatissa und den Romanen von Martina Kempff). Zu einer solchen skandalträchtigen Romanhandlung hat die Autoren möglicherweise die bereits nach Karls Tod – im Rahmen eines negativen Karl-Bildes – aufgekommene Kritik an seinem Sexualleben inspiriert.615 Die Romanautoren nehmen sich die Freiheit, 615 Aspekte dieses negativen Karl-Bildes erläutert Hartmann, Königin, 220: In spanischen und französischen Epen des 14. Jahrhunderts seien Karl und seine Tochter Berta zu Eltern des Helden Roland gemacht worden. Bereits zuvor sei dieses Motiv auf Karls Schwester Gisela bezogen worden. Hartmann ordnet diese Behauptung eines Inzests als »Reflex auf die Berichte über das Leben von Karls unverheirateten, aber in eheähnlichen Verhältnissen lebenden Töchter sowie seine zahlreichen Ehefrauen und Konkubinen« ein. Schon in der Visio Wettini des neunten Jahrhunderts sei Kritik an Karls Sexualleben geübt worden: Darin heißt es, dass in der Hölle zur Strafe ein Vogel Karls Scham pickt. – Vgl. hierzu auch Hartmann, Karl der Große, 255–257. Karl sei nicht nur ein Idealherrscher im positiven Sinne gewesen, sondern war auch »das Vorbild eines sündigen Herrschers, wie sich an der Kritik an seinem Sexualleben zeigt, die schon kurz nach seinem Tod begann« (255). Vgl. grundsätzlich auch G. Kapfhammer, Sagenhafte Geschichte. Das Bild Karls des Großen durch die Jahrhunderte, München 1993.

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

419

die (geschichtlich dokumentierte) Behauptung eines Inzests Karls zur Erzählung desselben umzugestalten. Skandalgeschichten werden von den Autoren offensichtlich gerne für die Romanhandlung aufgegriffen, auch wenn sie nur auf Gerüchten beruhen. Klar herausgestellt wird in vielen Romanen, dass Ludwig der Fromme sich christlichen Vorgaben zur Ehe stärker unterordnen musste als noch sein Vater und Vorgänger Karl der Große; dies ist ebenfalls von verschiedenen Historikern betont worden. Zugleich wird, besonders in den Romanen von Martina Kempff, an der Dekonstruktion der Gestalt Ludwigs gearbeitet, indem eine große Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit dargestellt wird: Ludwig gibt sich fromm, geht aber schlecht mit Frauen um. Als junger Mann vergewaltigt er Gerswind und stellt sie bloß, er gibt die Kinder seiner Konkubine als die seiner Ehefrau Irmingard aus, vertreibt später seine Schwestern vom Hof und benutzt eine Magd für den Beweis seiner Männlichkeit. Der Betrug durch seine zweite Frau Judith und sein Versagen beim Ehevollzug erscheinen da als passende Strafe, was letzteres ja in der Logik des Romans Die Welfenkaiserin auch ist: Gerswind hatte Ludwig wegen der Vergewaltigung verflucht. Gegenüber dieser Thematisierung des ehelichen Verhaltens der Männer dominiert in den Romanen allerdings die Sicht der (Ehe-)Frauen auf die Herrscher und ihre Ehen bzw. Beziehungen: So spielen die Königin(mutter) Bertrada bzw. die Kaiserin Judith die Hauptrollen in Martina Kempffs Romanen, mit Gerswind ist sogar eine sächsische »Friedelfrau«/Konkubine des Frankenkönigs Karl die Hauptfigur in einem ihrer Romane; Gerswind, Karls Schwester Ada und die gemeinsame Tochter Imma sind zentrale Figuren in Die Abbatissa von Maria Regina Kaiser. In den frühmittelalterlichen Quellen hingegen sind Frauen und ihre Äußerungen wenig präsent und ihre Gefühle bleiben weitgehend verborgen; die jüngere Forschung versucht verstärkt, diesen auf die Spur zu kommen. Der Fokus vieler Romane liegt auf dem konkreten ehelichen Leben – bis hinein ins Schlafzimmer. Somit weisen die Romane auch einen Bezug zur Alltagsgeschichte auf. Aufgrund mangelnder Quellen – so demgegenüber die Geschichtswissenschaft – sind Aussagen über den ehelichen Alltag der Herrscher im frühen Mittelalter (und erst recht der Menschen aus dem Volk) aber nur schwer zu treffen. Johannes Fried schreibt in Bezug auf Karl den Großen: »Kein Wort seiner vier oder fünf Ehefrauen ist überliefert, keines seiner bekannten und unbekannten ›Beischläferinnen‹ […], keines seiner Söhne und Töchter. Schweigen hüllt sie alle ein«.616 Karls emotionales Verhältnis zu seinen Gemahlinnen verberge sich hinter dürftigsten Informationen. Man erfahre nichts darüber, ob Karl die Frauen, mit denen er das Lager teilte, liebte, ob diese ihn liebten, ob er das von ihnen erwartete, und müsse es eher bezweifeln. 616 Fried, Karl der Große, 21.

420

Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe

»Subjektiv-emotionale Bindungen in der Hofgesellschaft verschwanden hinter den objektiven Verpflichtungen christlicher Gatten- oder Freundesliebe. […] Die Sprache der Liturgie und des Gebets, die Sprache der Vernunft, die Sprache des Rühmens wurden bei Hofe gepflegt und geübt, nicht aber die Sprache der menschlichen Liebe«.617

Heute ist es unvorstellbar, dass die Gefühle des Einzelnen einmal so wenig Beachtung erfuhren. Im Mittelpunkt vieler Romane stehen gerade die Gefühle von Menschen wie Karl dem Großen oder seinen Verwandten. Liebe und Hass werden ebenso beschrieben wie sexuelles Begehren. Es geht nicht nur um die politischen Hintergründe von Eheschließungen oder Trennungen, sondern es wird erzählt, was diese Vorgänge womöglich für die einzelnen (historischen) Personen bedeutet haben und was sie dabei empfunden haben. So wird in Bei meiner Seele Seligkeit und Das Geständnis der Amme ein besonderes Augenmerk auf das Gefühlsleben der Paare gelegt (Liebe zwischen Lothar und Waldrada; sich entwickelnder Hass zwischen Lothar und Theutberga; sich entwickelnde Liebe zwischen Judith und Balduin). Lothar ist im Roman bereit, für seinen Traum eines vereinten karolingischen Großreiches bis zum Äußersten zu gehen. Während Waldrada und Theutberga als Spielball der Herrscher und der Kirche gezeichnet werden und sich nach Lothars Tod ins Kloster zurückziehen, wird Judith als recht eigenständig und für ihren Weg kämpfend dargestellt. – Von wissenschaftlicher Seite hatte Andrea Esmyol die Gefühle Lothars als wichtiges Motiv in dessen Ehestreit hervorgehoben. – Man könnte in Bezug auf die Romanhandlungen von einer »Biographisierung« der Ehe(diskussion) sprechen. Mit ihren Empfindungen wirken die Romanfiguren insgesamt wie heutige Zeitgenossen, durch Generationen verbindende und unveränderliche Gefühlsketten werden Vergangenheit und Gegenwart verknüpft.

3.5

Darstellung des Scheiterns versus Forderung nach einem idealen Leben

Während sich, wie die Forschung hervorgehoben hat, im frühen Mittelalter die christliche Eheauffassung mit der Forderung nach lebenslanger Einehe immer stärker durchsetzte, wird in den Romanen dieser Anspruch mit der ehelichen Wirklichkeit konfrontiert, zu der auch das Scheitern gehört. Vielfach wird der Ehebruch beschrieben; ebenso brüchig ist in zahlreichen Romanen die klösterliche Lebensform. Während das Kloster in den Romanen grundsätzlich als Ort für die Verwirklichung des christlichen Lebens gezeichnet wird, wird die Ehe kaum als christliche Lebensform dargestellt. Die von Wissenschaftlern vertretene Ansicht, dass Herrscher (und freie Männer) für lange Zeit relativ frei über Art und Dauer ihrer Beziehungen und 617 Fried, Karl der Große, 378f.

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

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Beziehungsformen entschieden, durchzieht auch die Romane: Dort wird erzählt, dass einige der (karolingischen) Könige nicht nur mehrere Ehefrauen nacheinander haben, sondern sich auch von diesen trennen und neu heiraten wollen oder zu diversen Konkubinen gehen. Erst im Laufe des Frühmittelalters setzte sich das kirchliche Verbot von Scheidung und Wiederheirat durch, das letztlich auch dem Schutz der Frauen diente. Die Herleitung der Unauflöslichkeit der Ehe aus dem Neuen Testament kommt in den Romanen allerdings ebenso wenig zum Tragen wie die Beurteilung des Ehebruchs als Sünde, verbunden mit der Forderung, ein nachlässiges christliches Leben zu vermeiden. Die frühmittelalterliche Vorstellung vom (vor Befleckung zu schützenden) Ein-Fleisch-Werden von Mann und Frau durch die eheliche Vereinigung kann – ebenso wie die Sorge um stabile Gruppenbeziehungen – eine Erklärung für die negative Bewertung von außerehelichen Geschlechtsbeziehungen, Ehescheidung und inzestuösen Ehen bieten. Diese von der Forschung herausgearbeiteten Hintergründe werden in den Romanen nicht klar. In den Romanen besteht eine große Diskrepanz zwischen dem impliziten hohen Anspruch an eine (christliche) Ehe und der beschriebenen Wirklichkeit des konkreten ehelichen Lebens. Die christliche Eheauffassung, zu der die lebenslange Einehe gehört, wird in den Romanen zwar deutlich, aber viele Romanfiguren können oder wollen solche Forderungen nach Beständigkeit, die vereinzelt auch wertend einer »alten«, freieren Zeit gegenübergestellt werden, nicht einhalten. Das Gegenteil, die Brüchigkeit bzw. das Scheitern von Ehen, wird häufig beschrieben. Ehebruch begehen dabei eher die Figuren, welche in einer arrangierten Ehe leben. Viele Romanfiguren streben nach Selbstverwirklichung, deshalb brechen sie auch aus dem von ihren Eltern vorgegebenen Lebensweg aus und entscheiden sich für eine neue Partnerschaft. Stellenweise wird der in den Romanen beschriebene Ehebruch gar nicht problematisiert: So wird in Die Welfenkaiserin die Beziehung zwischen Judith, der Ehefrau Ludwigs des Frommen, und dem jungen Edelknecht Ruadbern als große Liebesgeschichte dargestellt, die allerdings ein tragisches Ende findet (als die beiden nach dem Tod Ludwigs heiraten wollen, werden sie ermordet). Unter das Thema der Brüchigkeit von Ehen und Beziehungen fallen auch die in einigen Romanen beschriebenen engen Kontakte zwischen Angehörigen verschiedener Religionen. Dabei steht infrage, ob solche Beziehungen für das frühe Mittelalter überhaupt denkbar waren, oder ob die Romandarstellungen nicht vielmehr unserer heutigen multikulturellen westeuropäischen Gesellschaft entstammen, die von Toleranz und Religionsfreiheit geprägt ist. Die Romane enthalten grundsätzlich ein Plädoyer für ein Miteinander der Religionen, allerdings wird mehrfach ein Scheitern konkreter Beziehungen zwischen Christen und (»halben«, gerade getauften) Heiden (Radegund und Lidomir, Die Träume der Libussa; Embricho und Alena, Die Priestertochter; Gisla und Wolfger,

422

Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe

Widukinds Wölfe) erzählt. Zu den wenigen Beispielen gelingender Beziehungen in diesem Kontext gehört die zwischen der Sächsin Gerswind und Karl dem Großen (Die Beutefrau): Der christliche Kaiser fühlt sich durch sie mit seinen heidnischen Wurzeln verbunden. Bevor die beiden Liebenden heiraten können, stirbt er jedoch.618 Beziehungen zwischen Christen und Muslimen (Aidan und Kasimene, In geheimer Mission für den Kaiser; Imma und Yussuf, Die Abbatissa) enden ebenfalls tragisch. Nach Ausweis der Frühmittelalter-Forschung fokussierte sich das religiöse Leben auf die Gewinnung bzw. den Verlust von Heiligkeit, wobei die Ehelosigkeit als die heiligere Lebensform galt. Die Ehe stellte die übliche Lebensform der Laien dar, in der diese ihr Christsein verwirklichen konnten, wenn sie auch als weniger vollkommener Heilsweg betrachtet wurde – durch die Ausübung von Sexualität galt die Ehe als kultisch belastet. In den Romanen hingegen stehen Ehe und Mönchtum nicht als christliche Lebensformen nebeneinander: Die Verwirklichung des christlichen Lebens in der Ehe wird kaum angesprochen. Das Thema »christlich leben« spielt eher bei den Mönchen als bei den Eheleuten eine Rolle, jedoch werden nur einige wenige Mönche in den Romanen tatsächlich als Gottsucher dargestellt. Den Darstellungen der Ehe und des Mönchtums in den Romanen ist gemeinsam, dass nicht die Verwirklichung eines Ideals, sondern die Gebrochenheit im Vordergrund steht. Viele Eheleute und Mönche sind verbunden im Scheitern und auf der Suche nach dem für sie stimmigen Lebensweg. Zahlreiche Affären und Beziehungen zwischen Religiosen und Laien werden beschrieben, was jedoch häufig zu tragischen Liebesgeschichten führt und selten in eine Ehe mündet. Direkt gegenübergestellt oder verglichen werden das Leben in der Ehe und im Kloster nur in wenigen Romanen; Das Geständnis der Amme enthält vereinzelte Andeutungen.619 Eine Höherwertung der Jungfräulichkeit gegenüber der Ehe ist 618 Gerswind spiele im Gegensatz zu den »historischen Frauengestalten« ihrer früheren Romane »keine besondere Rolle in der Geschichte«, so die Autorin Martina Kempff. Sie werde bei den meisten Historikern als eine der vier letzten Konkubinen Karls, als Sächsin und Mutter der Adeltrud erwähnt. Kempff knüpft an die Theorie des Historikers Gerd Treffer (in seinem Buch »Die französischen Königinnen«) an, »das Sachsenmädchen sei die Tochter Widukinds gewesen, als Geisel an den Hof Karls des Großen gekommen und zur ›Gefährtin des alternden Königs aufgestiegen‹«. So habe sich ihr die Möglichkeit geboten, »am Beispiel dieser ›Beutefrau‹ aufzuzeigen, wie Karls Hof und Reich Gestalt annahmen, und darzulegen, wie eng Heidentum und Christentum noch miteinander verwoben waren« (Die Beutefrau, 415). Treffers These, Karl habe Gerswind sogar geheiratet, hält sie allerdings für sehr gewagt. 619 Wie es darin heißt, hält Judith es für eine Dummheit, dass Joveta, die sie in Senlis aufgenommen hat, sich dem Krieger Balduin an den Hals wirft; Joveta wisse in ihrer Verzweiflung nicht, was sie tue, nach der Revolte ihres adligen Vaters gegen den König werde kein Mann ihres Standes sie noch heiraten und selbst die Klöster würden sie aus Angst vor dem Zorn des Königs nicht aufnehmen. Außerdem wird erzählt, dass eine Cousine Judiths zu alt ist, um zu heiraten, und zu unwillig, um in ein Kloster zu gehen.

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

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in den Romanen nur selten erkennbar. Die Ehe stellt vielmehr für einige Romanfiguren eine Rettung vor dem Kloster dar. Mit dem Kloster wird jungen Menschen gedroht oder sie werden sogar dorthin geschickt, wenn sie sich nicht den Wünschen ihrer Eltern entsprechend verhalten und z. B. statt einer arrangierten Ehe eine heimliche Liebesbeziehung eingehen. Die Lebensalternativen für viele Romanfiguren lauten nicht Kloster oder Ehe und womöglich noch Alleinleben in der Welt,620 sondern Fremd- und Selbstbestimmung: Entweder sie werden von den Eltern, oft schon als Kind, ins Kloster gegeben bzw. verheiratet, oder sie entscheiden sich, das Kloster zu verlassen bzw. sich selbst einen Partner auszusuchen. In den Romanen werden die Grenzen als durchlässig dargestellt, wenn Romanfiguren – teilweise aus Notwendigkeit, häufig aufgrund ihrer eigenen Wünsche – die für sie vorgesehene Lebensform verlassen. Solche Möglichkeiten müssen für das Frühmittelalter eher bezweifelt werden und sind wohl modern gedacht.

3.6

Fazit

Grundsätzlich greifen die Romane beim Thema Ehe eher ereignis- als sozial- oder religionsgeschichtliche Bezüge auf. Die Rolle der Religion wird häufig nicht gewürdigt, die Ehe kaum als christliche Lebensform dargestellt. Klar wird immerhin, dass sich die christliche Sicht der Ehe erst durchsetzen musste. Dagegen bleibt eigentümlich unscharf, worin die Aspekte der Verchristlichung bestanden. In den Vordergrund stellen die Autoren hier die kirchliche Einsegnung der Ehe oder ein Gegenüber von alten, freien, und neuen, einschränkenden Formen der Ehe(schließung). Aus den Quellen und der Forschung ist viel über Themen wie die Eheschließung bekannt, aber nur wenig über den Ehealltag und die Gefühle der Menschen. Die Romanautoren nutzen diese Leerstellen und beschäftigen sich genau mit 620 Goetz, Schluss, 180, betont: »Ehe- und Klosterleben – die beiden grundlegenden (nicht die einzigen) Lebensformen – standen, in all ihrer Vielfalt, Männern und Frauen gleichermaßen offen«. – D. B. Baltrusch-Schneider, Klosterleben als alternative Lebensform zur Ehe?, in: Goetz (Hg.), Lebensgestaltung, 45–64, 64, deutet neben Kloster und Ehe noch das Alleinleben in der Welt als dritte Möglichkeit an: Sie kommt in Bezug auf die Frühzeit des angelsächsischen Christentums – als das Kloster noch »integraler Bestandteil des Lebens in der Welt war, im Besitz der Stifterfamilien mit weitgefassten Aufgaben« – für die soziale Elite zu dem Schluss, »dass das Kloster nur für wenige Frauen eine Alternative zur Ehe gewesen sein kann, aber umgekehrt für sehr viele eine Alternative zum ehelosen Leben, zum Alleinsein in der Welt«. Sie führt die jungen Mädchen an, die nur zur Erziehung ins Kloster gingen, die Kranken und Witwen, die dort ein tätiges Leben in einer Gemeinschaft führen konnten, welche ihnen Rückhalt und Schutz bot, sowie die Nonnen, die aus dem Kloster in die Welt zurückkehrten, um zu heiraten.

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Entfaltungen christlichen Lebens 2: Das Thema Ehe

Aspekten wie Sexualität, dem Umgang mit Verboten, dem konkreten Verhältnis der Geschlechter oder dem Scheitern von Ehen. Themen, welche die Wissenschaft nur auf einer allgemeinen Ebene behandeln kann, werden in den Romanen anhand von Einzelschicksalen veranschaulicht. Indem die Sichtweisen und Gefühle der einzelnen Personen, besonders der Frauen, dort zum Tragen kommen, wird eine Verbindung zu heutigen LeserInnen geschaffen, die ähnlich empfinden mögen. Frei gelebte und individuell gewählte Beziehungen außerhalb eines institutionellen Rahmens werden in den Romanen in den Fokus gerückt und als positiv und erstrebenswert dargestellt. Eine enge Verbundenheit mit der Natur scheint für viele der starken, häufig im Heidentum verwurzelten Frauenfiguren charakteristischer als ein Leben in der Ehe. Die in den Romanen vertretene Selbstbestimmung des Individuums, auch über die eigene Sexualität, und die Orientierung am Gefühl der Liebe stehen in deutlichem Gegensatz zum Eingebundensein des frühmittelalterlichen Menschen in seine Sozialbezüge (z. B. Einfluss der Verwandten auf die Eheschließung), zur Bedeutung von Ehe und Familie für die Gesellschaft sowie zur Rolle der Pollutio-Vorstellung, die von wissenschaftlicher Seite hervorgehoben werden. In der Beschäftigung mit der Forschung zur Ehe sind, wie bereits beim Mönchtum, für das Frühmittelalter Aspekte eines vor-aufgeklärten Denkens sichtbar geworden: Die Vorstellung, dass entsprechend dem Tun-Ergehen-Zusammenhang das rechte Leben des Herrschers von großer Bedeutung für die Wohlfahrt des Reiches ist; kultische Reinheitsvorstellungen (und das damit verbundene Bußwesen), welche Inzest- und Scheidungsverbote sowie eine Höherwertung der Jungfräulichkeit erklären können; außerdem eine Clanverhaftung der Menschen, die allerdings schon anfanghaft aufgebrochen wurde. In den Romanen hingegen herrscht ein nach-aufgeklärtes Denken vor, geprägt von Kategorien wie Rationalität, Freiheit, Selbstbestimmung oder der Gleichwertigkeit von Lebensformen. Die differenzierte Sicht auf Konzeption und Praxis christlicher Ehe im frühen Mittelalter, wie sie die Forschung entwickelt hat, schlägt sich in den Romanen nicht in dieser Weise nieder. Hier dominiert eine Übertragung heutiger Vorstellungen und Erfahrungen von Ehe auf das frühe Mittelalter, etwa beim Thema Eheschließung. Frühmittelalterliche Phänomene wie die arrangierte Ehe oder das kultische Reinheitsdenken kommen in den Romanen durchaus vor, werden aber als negativ qualifiziert. Das dahinter stehende Weltbild und Denken wird nicht vermittelt. Die Romanautoren zeichnen durch eine bruchstückhafte Darstellung häufig ein einseitiges Bild von frauen- und lustfeindlichen Klerikern, einer männerdominierten Gesellschaft, Paaren, die gezwungen waren, sich gegen die Bestimmung durch ihre Familien und die Kirche zu wehren, und Frauen, die versuchen mussten, aus ihrer Opferrolle auszubrechen. Kulturelle Errungen-

Synthese: Der Romanbefund im Licht wissenschaftlicher Perspektiven

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schaften des frühmittelalterlichen Christentums wie der Schutz der Frau, die Gleichbehandlung der Geschlechter, öffentliche Eheschließungen oder die Überschreitung der Gens, werden nicht deutlich. In den Romanen treten diverse Figuren mit historischen Vorbildern auf. Politische Verstrickungen der Herrscher hinsichtlich der Ehe und unterschiedliche Ansichten zu Ehefragen werden hierbei deutlich, aber der Fokus liegt auf dem »Privatleben«, auf den Gefühlen dieser bekannten Gestalten. Romanautoren bedienen sich bei verschiedenen Arten von »historischem Material«, sowohl bei historisch belegten Ehestreitfällen als auch bei Sagen oder Gerüchten, und entwickeln aus all dem eine Romanhandlung. Über diese transportieren sie ihre Botschaft wie die Emanzipation der Frauen gegenüber Familie und Kirche, das Streben nach Liebe oder die Erfahrung der Brüchigkeit der Lebensformen von Eheleuten (und Mönchen), die womöglich auf heutigen Erlebnissen und Vorstellungen beruht.621

621 Zwei in jüngster Zeit erschienene Romane verweben Beziehungsthemen mit einer Krimihandlung, der Autor Eric Walz versteht beide als »Historienkrimi« und »Psychodrama«, vgl. http://www.ericwalz.eu, eingesehen am 30. 11. 2013: Der Roman Die Giftmeisterin handelt von einer Gräfin am Hof Karls des Großen in Aachen, die im Dezember 799 einen Mord aufklärt und selbst einen Mord begeht; die kinderlose Frau sieht ihre Ehe durch die Konkubine ihres Mannes bedroht. Der Roman Die Sündenburg thematisiert die dramatischen Ereignisse rund um einen Mordfall und eine Liebschaft in einer Burg am Oberrhein im Jahr 912.

VII. Zusammenführung: Die Romane zwischen Geschichte und Gegenwart

Gegenwärtig findet sich auf dem deutschen Büchermarkt eine Fülle populärer historischer Romane, fiktionaler Texte mit unterhaltendem Charakter, die beanspruchen, im frühen Mittelalter zu spielen. Diese kommerziell höchst erfolgreichen historischen Romane erwiesen sich als Zugang zu Geschichte und Literatur für ein breites Publikum sowie als Teil der Mittelalterrezeption in der Populärkultur, mit der sich die Wissenschaft noch viel zu wenig beschäftigt. In der vorliegenden Arbeit wurden diese Romane zum frühen Mittelalter hinsichtlich des Faktors Religion, konkret hinsichtlich ihrer Darstellung christlicher Lebensformen, untersucht. Zunächst wurde herausgearbeitet, welche Aspekte christlichen Lebens überhaupt in welchem Ausmaß in den Romanen vorkommen. Aus der Auswertung dieser tabellarischen Übersicht ergaben sich drei Bereiche für die weitere Untersuchung: der Zugang zum christlichen Leben – das Thema Missionierung – sowie die Entfaltungen christlichen Lebens – Mönchtum und Ehe. Hinsichtlich dieser drei Lebensbereiche wurde dann jeweils die Romansicht mit der aktuellen Forschungslage zum Frühmittelalter verglichen. Angezielt war dabei das Aufzeigen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Im Schlussteil wird es nun darum gehen, die Ergebnisse dieser Vergleiche zu deuten. Mithilfe der Religionssoziologie werden Kriterien für die Auswertung etabliert. Alle Perspektiven auf Geschichte tragen Züge der Zeit, in der sie entstanden sind; das gilt für die Werke von Historikern ebenso wie für die von Romanautoren, wobei sich die Historiker ihrer eigenen Voraussetzungen wohl stärker bewusst sind. Von dieser Beobachtung ausgehend, will der Schlussteil zeigen, dass und wie sich Geschichte und Gegenwart in den Romanen durchdringen. Untersucht wird, inwiefern sich Phänomene und Trends der Gegenwart in den Romanen über das Frühmittelalter – ebenso wie in der FrühmittelalterForschung – spiegeln und welche Schlüsse daraus zu ziehen sind. Das Vorgehen erfolgt in sechs Schritten: Zunächst werden unter dem Stichwort »Reizvolle Geschichte« grundsätzliche Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst: Mit einem Bogen vom Beginn der Untersuchung bis hin zu den Synthesen der drei Hauptthemen werden die Romananalysen auf das eingangs skizzierte

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Zusammenführung: Die Romane zwischen Geschichte und Gegenwart

Spannungsfeld von Literatur-, Geschichtswissenschaft und Theologie bezogen. In einem zweiten Schritt werden anhand des Themas »Fremde und vertraute Geschichte« die Synthesen der drei Themenbereiche Missionierung, Mönchtum und Ehe zusammengeführt. Leitend ist dabei die Frage, auf welche Weise Ergebnisse der Frühmittelalter-Forschung in den Romanen aufgegriffen werden; daran knüpfen Überlegungen an, welche Darstellungsweisen der Gegenwart entsprungen sein könnten. In einer religionssoziologischen Vergewisserung, dem dritten Schritt, werden dazu »Signaturen der Gegenwart« aufgezeigt. Im vierten Schritt wird die Konvergenz dieser von Religionssoziologen beschriebenen Phänomene der religiösen Gegenwartssituation mit den Darstellungsweisen der Romane deutlich: Die Präsenz der »Gegenwart in der Geschichte« erweist sich als Spezifikum der Frühmittelalter-Romane. Daran schließt sich als fünfter Schritt der Nachweis von Gegenwartsbezügen der Frühmittelalter-Forschung an. Im letzten Schritt erfolgt ein Resümee der gesamten Arbeit.622

1.

Reizvolle Geschichte: Die Romananalysen im Spannungsfeld von Literaturwissenschaft, Geschichtswissenschaft und Theologie

Blickt man zurück auf den Beginn der Arbeit und schlägt einen Bogen bis hin zu den Synthesen der drei näher untersuchten Themen, wird deutlich, wie die analysierten Romane im zu Anfang der Untersuchung skizzierten Spannungsfeld von Literaturwissenschaft, Geschichtswissenschaft und Theologie verortet sind. Zudem zeigt sich, wie die Erkenntnisse aus der eigenen Untersuchung mit den Ergebnissen aus den drei genannten wissenschaftlichen Feldern einhergehen. Bei der Beschäftigung mit dem historischen Roman aus literaturwissenschaftlicher Perspektive ergab sich eine Definition, die besagt, dass diese literarischen Texte eine Dynamik von Historie und Fiktion sowie ein Spannungsverhältnis verschiedener Zeitebenen kennzeichnet (vgl. II.1.2). Diese Mischung von Zeitebenen hat sich auch in den untersuchten Romanen gezeigt: Die Romane spielen im frühen Mittelalter, durch verschiedene Merkmale wird die Romanhandlung zeitlich und räumlich klar verortet. Dabei erzeugen die Romanautoren durch ihre Darstellungsweise ein bestimmtes Mittelalterbild. So erscheinen die Kirche und Gesellschaft des Frühmittelalters als dunkel, männerdominiert und sexualitätsfeindlich.623 Zugleich weisen die Romane Bezüge zur Gegenwart, zur 622 An verschiedenen Stellen erfolgt dabei ein Blick auf die Romanbestseller, da sich viele Ergebnisse dort in besonderer Weise bestätigen. 623 In den untersuchten Romanen wird das Frühmittelalter überwiegend mit dem Label der Ursprünglichkeit belegt und als dunkel, schmutzig, grausam, bezugs- und vorausset-

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Zeit ihrer Entstehung, auf. Dies wird besonders deutlich beim Vergleich der romanhaften Darstellung des Mittelalters mit den Ergebnissen der Frühmittelalter-Forschung (s. u.). Die untersuchten Romane ließen sich als »populäre historische Romane« charakterisieren. Literaturwissenschaftler heben hervor, dass in solchen Romanen, die auf die Unterhaltung eines breiten Publikums ausgerichtet sind, vor allem Frauen, Außenseiter und einfache Menschen im Mittelpunkt stehen (vgl. II.1.4). Geschichte wird aus deren Sicht, aus der Sicht der Verlierer, erzählt, was an den »mittleren Helden« der frühen historischen Romane erinnert. Auch für die untersuchten Romane wurde herausgearbeitet, dass darin das Frühmittelalter mit einer bestimmten Perspektive dargestellt wird: Der Fokus der Romane liegt auf den Heiden, den Frauen, und zum Teil auf den einfachen Leuten. Manche Figuren haben erkennbare historische Vorbilder, andere sind gänzlich fiktiv. Die Feststellung des Germanisten Daniel Fulda, dass in populären Geschichtsromanen heutige Schauspieler in altertümlichen Kostümen und Kulissen auftreten (vgl. II.1.3.2), trifft auf die in dieser Arbeit herangezogenen Romane zu. Diese Beschreibung betrifft nach den eigenen Ergebnissen vor allem die einzelnen positiven Figuren, die als Identifikationsfiguren für die Leser gestaltet sind. Populäre historische Romane arbeiten mit Schemata und enthalten eine klare Verteilung von Gut und Böse, wobei in den untersuchten Romanen die guten Figuren häufig modern denken und handeln, während die vielen bösen Figuren die mittelalterlich denkenden sind.624 Wie Literatur- und Geschichtswissenschaftler betonen, stellen historische Romane einen Zugang zu Geschichte und Literatur für ein breites Publikum dar. Sie können Interesse für die Vergangenheit wecken. Die untersuchten Romane erwiesen sich als Teil der Mittelalterrezeption in der Populärkultur. Die Literazungslos charakterisiert. Sie enthalten kaum Reflexionen darüber, wie es zu den Zuständen gekommen ist, etwa durch den Zusammenbruch der Zivilisation der Antike oder das Zusammentreffen der Hochreligion Christentum mit einfachen Kulturen, welche archaisierende Elemente mit sich brachten. Kulturelle Errungenschaften dieser Zeit wie Bücher und deren Abschriften, Erfindungen oder die Differenzierung zwischen privat und öffentlich kommen in den Romanen nur vereinzelt vor. Auch positive Effekte des frühmittelalterlichen Christentums bleiben unklar, so dass das negative Kirchenbild der Romane verstärkt wird. 624 I. Karg, Fantasy – das neue Mittelalter?, in: Grabmayer (Hg.), Bild, 43–61, 51, beobachtet in Fantasy mit Mittelalterbezug für Kinder und Jugendliche Ähnliches: Die Handlungsmotivation der (positiven) Figuren sei nicht mittelalterlich, sondern gegenwärtig; sie würden Identifikationsangebote für die heutigen Leser darstellen, sich nachvollziehbar und politisch korrekt verhalten. »Wo das Mittelalter dann tatsächlich aktiviert wird, ist es entweder Kulisse oder wird für vermeintlich überzeitliche Werte bzw. Klischeevorstellungen davon vereinnahmt« (52). – Diese Beobachtung teilt N. Brauch, Die vergessenen Fragen an die mittelalterliche Geschichte. Mittelalterbilder im Geschichtsbewusstsein Jugendlicher zwischen populärer Vorprägung und dem Anspruch wissenschaftsorientierter Bildung, in: Grabmayer (Hg.), Bild, 169–198, 193f.

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Zusammenführung: Die Romane zwischen Geschichte und Gegenwart

turwissenschaftlerinnen Barbara Korte und Sylvia Paletschek sehen die Möglichkeit, über historische (Kriminal-)Romane die Konstruierbarkeit von Geschichte zu thematisieren, und Romane als Quellen für gesellschaftliche Bedürfnisse und Problemlagen sowie für herrschende Geschichtsbilder zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt zu lesen (vgl. II.1.3.2). Dies wurde in der vorliegenden Arbeit unternommen. Gegenwärtig ist ein starkes Interesse am Mittelalter zu beobachten, das verschiedenste Medien und Genres umfasst; Geschichte verkauft sich gut. Das Erstarken des Mittelalters in der Populärkultur wird jedoch von vielen Historikern kritisch gesehen, nur einzelne beschäftigen sich so damit, wie es in der vorliegenden Arbeit geschehen ist. Der Historiker Hans-Werner Goetz sieht immerhin eine gewisse Nähe zwischen Mittelalterroman und Mediävistik, da beide ein gegenwartsgeleitetes Geschichtsbild entwerfen, wobei das Mittelalterbild der Mediävistik stärker wissenschaftlich fundiert ist; Romane könnten gerade dort unbefangen mit der Vergangenheit umgehen, wo die Geschichtswissenschaft passen muss (vgl. II.2.2). Auch in den untersuchten Romanen werden die Leerstellen und Unklarheiten, welche die vorhandenen Quellen und die Forschung lassen, genutzt, um den Alltag, Einzelschicksale, die Gefühle der Menschen oder ihr Scheitern darzustellen. Die Romanautoren bedienen sich bei verschiedenen Arten von »historischem Material«, z. B. sowohl bei historisch belegten Ehestreitfällen als auch bei Sagen oder Gerüchten über einzelne Herrscher, und entwickeln aus all dem eine Romanhandlung. Auffällig sind intertextuelle Bezüge: Die Autoren greifen, so der Eindruck, auf etablierte »Wissensbestände« und Chiffren aus anderen Romanen, Filmen oder sonstigen Medien zurück – ein »Medievalismus des Medievalismus in Perpetuation«, so die Germanistin Ina Karg.625 Gründe für das gegenwärtige Interesse am Mittelalter sehen Historiker und Theologen in der Lust auf Archaisches und Exotik sowie im Wunsch nach Abenteuer. In den Angeboten der Populärkultur, die ein zeitweiliges Eintauchen in eine andere Welt ermöglichen, wird das Mittelalter mit Geschlossenheit assoziiert und dient als Fluchtpunkt. Der Erfolg solcher Angebote spiegelt die Sehnsucht nach einer Gegenwelt zum Alltag, die durch ihre Anschaulichkeit in ihren Bann zieht (vgl. II.2.1, II.2.3., II.3.2).626 In den untersuchten Romanen 625 Karg, Fantasy, 51. Sie betont, dass Vorstellungen vom Mittelalter bedient oder auch erst geschaffen werden. 626 Für Korte/Paletschek, Geschichte und Kriminalgeschichte(n), 9, reflektiert die derzeitige Geschichtskonjunktur »das Bedürfnis nach Orientierung und Identitätsstiftung in einer komplexer werdenden und sich schnell verändernden Gegenwart« und bietet »Zerstreuung, Entspannung und ein unterhaltsames Abtauchen in fremde, vergangene Welten«. – T. Andre, Historische Romane: Hauptsache Mittelalter, in: Hamburger Abendblatt vom 16. 6. 2012, http://www.abendblatt.de/kultur-live/article2309584/Historische-Romane-Hauptsa

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erscheint das Frühmittelalter fremd und vertraut zugleich: Es hat sich als exotische Kulisse für eine spannende Handlung erwiesen, als fremde und reizvolle Gegenwelt mit ungewöhnlichen Schauplätzen und Lebensformen wie dem Mönchtum. – Diesem Ziel einer exotischen und spektakulären Handlung scheint auch die Verwendung mittelalterlicher Sagen, Gerüchte oder Skandalgeschichten in den Romanen zu dienen. – Gleichzeitig wirkt diese andere Welt der Gegenwart ähnlich und durch vertraute Figuren, die wie Zeitgenossen denken und fühlen und somit Identifikationsmöglichkeiten bieten, verstehbar. Die Romanautoren scheinen von einem konstanten Humanum auszugehen, das sie mit mittelalterlicher »Ausstattung« garnieren: Vor der Kulisse der damaligen Zeit klären Figuren, die uns ähnlich sind, vermeintlich überzeitliche Fragen und Konflikte. In Bezug auf historische Romane, Mittelalterfilme und -computerspiele haben Literaturwissenschaftler und Historiker wie Daniel Fulda oder Carl Heinze festgestellt, dass religiöse Themen dort selten explizit gemacht werden und Religiosität nur in verbalen Floskeln oder als Maske von Figuren vorkommt (vgl. II.1.3.2, II.2.3). In den meisten der untersuchten Romane gehört Religion aber auf vielfältige Weise dazu: Die Romanbestseller, Die Päpstin sowie die Uhtred-Saga, bieten – mit einer durchaus kritischen Haltung zur christlichen Religion und ihren Erscheinungsweisen – alle untersuchten religiösen Themen und Aspekte in etwa gleicher, deutlicher Ausprägung (vgl. die tabellarische Übersicht in III.2).627 Womöglich macht genau die »Einwebung« dieser religiösen Thematiken den besonderen Reiz dieser Romane aus. Laien sind zwar am häufigsten die Hauptfiguren der Romane, doch insgesamt hat sich der Mönch als dominanter Typus herausgestellt (vgl. III.3); der Mönch erscheint in vielen Romanen als Exot, der auf außergewöhnliche Weise lebt und Unverständnis auslöst, gerade aus einer heutigen Warte. Die Forschung hat die fundamentale Bedeutung der Religion für das Leben der Menschen im Frühmittelalter herausgestellt; im Gesamt der untersuchten Romane wird diese Bedeutung jedoch nicht transportiert: Während die Feier der Liturgie und die Sakramente häufiger beschrieben werden, sind bestimmte Bereiche wie die Caritas kaum ein Thema (vgl. III.6, III.2). Komplexe theologische Themen kommen nicht in allen Romanen in gleichem Maße vor (vgl. III.7) – besonders die Handlung vieler Kriminalromane ist eher »flach«. In einigen Romanen taucht Religion eher als exotisches Element und Kuriosum auf. che-Mittelalter.html, eingesehen am 20. 2. 2013, schreibt: »Die Gründe für die Empfänglichkeit für die Vergangenheit sind vielfältig und nicht nur romantisch: Das Früher ist ja nicht nur kostümierte Gegenwart, sondern auch ein Fluchtpunkt aus aktueller Tristesse«. 627 In der Uhtred-Saga fehlt lediglich das Thema Papsttum. Ebenfalls sehr erfolgreich sind die Romane von Iny Lorentz, von denen bislang nur einer, Die Rose von Asturien, im frühen Mittelalter spielt. Dieser enthält auffälligerweise kaum religiöse Bezüge – ein Frühmittelalter ohne Religion!?

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Zusammenführung: Die Romane zwischen Geschichte und Gegenwart

Die (historische) Theologie hat sich kaum zum Phänomen der (populären) historischen Romane geäußert. Nach Ansicht von Literaturwissenschaftlern und Historikern beeinflussen die in Romanen, Filmen oder Computerspielen vermittelten Inhalte die Geschichtsvorstellungen der Rezipienten und tragen zum kollektiven Geschichtswissen bei (vgl. II.1.3.2, II.2.3). Die in dieser Arbeit analysierten Romane transportieren ebenfalls ein bestimmtes »Wissen« über einen Abschnitt der Christentumsgeschichte, welches sich womöglich festsetzt. Die Theologin Annegret Langenhorst hat festgestellt, dass Autoren historischer Romane von einem kirchenkritischen Standpunkt aus vor allem berüchtigte Kapitel der Kirchengeschichte beleuchten. Skandale, Tragödien und Legenden seien der Stoff, der ein Massenpublikum an der Kirchengeschichte interessiert (vgl. II.3.3). Für den Theologen Georg Langenhorst sind manch nachhaltige kirchengeschichtliche Zerrbilder und Stereotype in den Köpfen von Romanen angeregt. Er erwartet, dass die Autoren die historischen Quellen gut studieren und den wissenschaftlichen Diskussionsstand zur Kenntnis nehmen, ohne alle Einzelergebnisse aufgreifen zu müssen. Im Feld der Begegnung von Literatur und Theologie sieht er Chancen wie die Fiktion als Zugang zu Fakten oder das Lernen aus Geschichte über das Lernen aus Geschichten (vgl. II.3.2., II.3.3). Der Befund bestätigt sich in den untersuchten Romanen: Auch diese vermitteln häufig ein negatives Kirchenbild, Kirchengeschichte erscheint als Skandalgeschichte.628 Immer wieder werden Verbrechen in Klöstern beschrieben; die Grausamkeit der Missionierung wird herausgestellt; Kirchenmänner werden als machtbesessen und frauenfeindlich gezeichnet. Dennoch können diese Romane einen ersten Zugang zum Frühmittelalter ermöglichen und Interesse für eine weitere Beschäftigung mit dieser Epoche der Christentumsgeschichte wecken, wobei idealerweise auch Darstellungsweisen hinterfragt werden.

2.

Fremde und vertraute Geschichte: Das Ergebnis der Synthesen

Nach Ansicht des Soziologen Hartmut Rosa können wir fremde Kulturen und Lebensformen nur verstehen, wenn wir annehmen, dass sie etwas Wertvolles enthalten, das potentiell unserer eigenen Kultur in nichts nachsteht, und wenn 628 Die Autoren historischer Romane arbeiten mit Vorlagen. Worum es sich dabei handelt, lässt sich zum Teil nur vermuten. Die promovierte Historikerin (!) Brigitte Riebe gibt am Schluss ihres im zehnten Jahrhundert spielenden Romans Liebe ist ein Kleid aus Feuer Karlheinz Deschners »Kriminalgeschichte des Christentums« als Literaturempfehlung an (648). Ein Zusammenhang ist nicht in jedem Fall so deutlich nachweisbar, aber in anderen Romanen zeigt sich durchaus eine ähnliche Vorgehensweise und Sicht auf Geschichte: Auffällig sind die nach-aufgeklärten Maßstäbe, unsere Zeit wird für absolut erklärt.

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wir die signifikanten Kontraste so artikulieren, dass das Andere in seiner Eigenart bestehen bleibt.629 Um das Frühmittelalter zu verstehen, wäre also ein Auswandern in ein vor-aufgeklärtes Bewusstsein erforderlich. Sowohl die Mittelaltervorstellungen der Wissenschaft als auch die der Populärkultur sind von Interessen geleitete Konstruktionen aus heutiger Sicht. Während Mediävisten und historische Theologen allerdings versuchen, kulturgeschichtliche Phänomene, »das Mittelalterliche am Mittelalter«, herauszuarbeiten, enthalten viele historische Romane kaum Reflexionen und Erklärungen der damaligen Zeit und ihres zum Teil archaischen, uns eigentlich fremden Denkens.630 Die Fremdheit des Frühmittelalters wird in einigen Romanen zwar thematisiert und für eine spannende Handlung genutzt, aber sie wird nicht in Gänze deutlich. Das zeigt sich anhand der folgenden Ergebnissicherung der Synthesen zu den drei Hauptthemen Missionierung, Mönchtum und Ehe. In vielen Romanen wird ein zum Genre gehörender Anspruch auf Historizität erhoben, an dem sich die Autoren messen lassen müssen.631 Beim Vergleich von Romansicht und Forschung hat sich für alle drei näher untersuchten Themenbereiche herausgestellt, dass einige wissenschaftliche Ergebnisse in den Romanen rezipiert werden, andere gar nicht und wieder andere nur verzerrt. Als grundlegendes Fazit der Synthesen ist festzuhalten, dass das frühmittelalterliche Mönchtum sowie die Ehe und die Missionierung nach Ausweis der Forschung vielfach Ausdruck eines vor-aufgeklärten Weltverstehens waren und von religiösen Hintergründen bestimmt wurden; prägend waren archaische Vorstellungen wie Tun-Ergehen-Zusammenhang oder Leistungsfrömmigkeit. In den Romanen hingegen herrscht zumindest bei den Guten, den Hauptfiguren, eine heutige, nach-aufgeklärte Sicht vor: An die Stelle der sozialen Einbindung der frühmittelalterlichen Menschen und der Forderung nach sexueller Reinheit treten Selbstbestimmung und Rationalität, Mönche besitzen trotz der Ausübung 629 Vgl. H. Rosa, Weltbeziehungen im Zeitalter der Beschleunigung. Umrisse einer neuen Gesellschaftskritik (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1977), Berlin 22013, 38–52 (im 1. Kapitel »Lebensformen vergleichen und verstehen. Eine Theorie der dimensionalen Kommensurabilität von Kontexten und Kulturen«). Rosa orientiert sich hierbei an Charles Taylor. 630 Der Historiker J. Grabmayer, Unser Mittelalter – Das Denken über das Mittelalter heute, in: Ders. (Hg.), Bild, 11–41, 25, schreibt (in Bezug auf Mittelalterspektakel): »Eigentlich geht es nicht um ein Interesse an der Epoche ›Mittelalter‹, es geht um ›Entzeitlichung‹, die letztlich aber sinnentleerte Verflachung sein muss, wenn man Geschehen ohne die dazugehörige Vorstellungswelt anbietet«. 631 Gössmann, Päpstin, 396, kann dem Nachwort des Romans Die Päpstin, in dem Donna W. Cross die Historizität der Päpstin behauptet, kein historisches Profil bescheinigen. Zur Frage, ob Cross als Romanautorin überhaupt eine gute Historikerin sein müsse, meint Gössmann: »Die Frage könnte man getrost hintanstellen, wenn sie selbst nicht so großen Wert darauf legen würde, dass der historische Hintergrund und das Zeitkolorit ihres Romans stimmen«.

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Zusammenführung: Die Romane zwischen Geschichte und Gegenwart

von Sexualität Heilkraft, die Ehelosigkeit wird nicht als religiös höherwertig dargestellt usw.632 Das von der Wissenschaft eruierte mittelalterliche Denken und Handeln kommt zwar vor, wird aber in negativer Weise dargestellt und den Bösen zugeschrieben. Innerhalb der Romane heben sich einzelne, positive Gestalten in ihrem Denken und Handeln von ihrer Umwelt, dem als finster und grausam beschriebenen Mittelalter, ab, und gehen ihren eigenen Weg. Von der Forschung beschriebene Phänomene wie das kultische Reinheitsdenken oder die arrangierte Ehe werden in den Romanen zwar erwähnt, aber oft negativ qualifiziert und nicht in das frühmittelalterliche Weltbild eingeordnet, so dass sie unverständlich oder sogar skurril wirken. Besonders am Thema der Heiligen- und Reliquienverehrung zeigt sich, wie in vielen Romanen mit mittelalterlichen Ideen gespielt wird, teilweise in einer das Mittelalter verachtenden Weise: In einer kritischen Haltung werden die missbräuchlichen Formen dieser Praxis in den Vordergrund gerückt.633 Die Verteilung von gegenwärtigen und mittelalterlichen Positionen und Denkweisen auf die Figuren zeigt sich sehr deutlich in Bezug auf die guten Missionare (Friedfertigkeit, Einsatz für die Schwachen, Interesse für andere Kulturen) und die bösen Missionare (Zwang, Brutalität, negatives Heidenbild). Das von der Forschung herausgearbeitete Vorgehen der Missionare sowie der Streit um den stärkeren Gott findet sich häufig auch in den Romanen. Die religiöse Motivation der Missionare, etwa das für die frühmittelalterlichen Missionare leitende Konzept der Peregrinatio, wird hingegen kaum dargestellt. Viele der missionierenden Romanfiguren sind stattdessen von Machtstreben geleitet.

632 Erst seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil werden Ehe und Ehelosigkeit als gleichwertig betrachtet. Bis heute gewinnt man jedoch den Eindruck, dass die frühmittelalterliche Kategorie der kultischen Reinheit im Hintergrund mancher kirchlicher Haltungen steht, auch wenn dies nicht ausdrücklich benannt wird; vgl. O. Fuchs, Die Macht der Reinheit. Praktischtheologische Kritik gegenwärtig kirchenleitender Realitäts- und Humanitätsdefizite, in: R. Ammicht-Quinn (Hg.), »Guter« Sex. Moral, Moderne und die katholische Kirche, Paderborn u. a. 2013, 98–122, der sich mit Reinheitsdenken und -rhetorik bei Benedikt XVI., unter anderem in Bezug auf die Missbrauchsfälle, befasst. 633 Mittelalterliche Ideen und Phänomene werden häufig in absurder Weise dargestellt: Im Roman Saxnot stirbt nie bezahlt ein Adeliger Gaukler dafür, dass sie am Schrein eines Missionars, den er selbst getötet hat, Geheilte spielen, womit er eine einträgliche Wallfahrt begründen will. In Das Buch Haithabu beschreibt der Ich-Erzähler, der trotz vieler Affären als wundertätig verehrt wird, dass er sich wie eine noch zu lebendige Reliquie fühlt; er sorgt dafür, dass sein Leichnam nach seinem Tod verschwindet, damit sich sein heimatliches Kloster nicht auf seine Kosten bereichern kann. – Nach Ausweis der Mittelalterforschung war Heiligenverehrung nicht nur »Volksglaube«, sondern vielmehr ein Teil des kirchlichen Lebens. Die alltägliche Bedrohung des Lebens erklärt die Bedeutung der Religion für die frühmittelalterlichen Menschen. Da das Frühmittelalter nicht von Theologie, sondern von Religiosität geprägt war, hat die Forschung hinsichtlich dieser Epoche von einem »ritengestützten Christentum« gesprochen.

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Mönche werden in den Romanen vor allem über Äußerlichkeiten definiert, die als identity marker dienen: Kleidung oder Aufgaben der Mönche wie das Stundengebet werden vordergründig forschungsgemäß geschildert, während Leitideen des Klosterlebens wie das Konzept des Vir Dei bzw. der Famula Dei oder die Vorstellung der besonderen Gotteskindschaft so gut wie nicht deutlich werden. Die frühmittelalterliche Praxis der Oblation wird in den Romanen behandelt, religiöse Motive für den Eintritt ins Kloster werden hingegen kaum benannt. Die Kontakte der Klöster zur Gesellschaft, die nach Ausweis der Forschung durchaus bestanden, werden in den Romanen thematisiert, nicht jedoch, dass das Mönchtum grundsätzlich eine Abkehr von der Welt bedeutete. Anstelle des Ideals steht das Scheitern dieser Lebensform im Mittelpunkt der Romane. Statt den für das frühmittelalterliche Mönchtum bedeutsamen Gehorsam in den Fokus zu nehmen, werden Austritte aus dem Kloster beschrieben und die individuellen Lebenswege und Entscheidungen einzelner (ehemaliger) Mönche thematisiert. Anregungen der Mentalitäts- und Religionsgeschichte werden von den Romanautoren also kaum aufgegriffen. Geistesgeschichtliche Hintergründe erschließen sich häufig nicht. Unter den Mönchen, die in den Romanen forschungsgemäß meist als sehr gebildet beschrieben werden, finden sich viele nach-aufgeklärt und naturwissenschaftlich denkende Figuren; besonders die, die in den Kriminalromanen als Ermittler fungieren, lehnen vor-aufgeklärte Methoden wie Folter, Blutrache oder Gottesurteile ab. Johanna, die zeitweise als Mönch lebende Hauptfigur des Bestsellers Die Päpstin, wird in besonderer Weise als Mensch der Gegenwart gezeichnet. Einige negative Zuschreibungen an Mönche bis hin zu Überzeichnungen finden sich in den Romanen jedoch auch (Faulheit, Luxus, Bereicherung, Eigennutz, Verbrechen, fehlende geistige Flexibilität). In den Romanen wird häufig mit Polaritäten und klaren Aufteilungen gearbeitet: Die Heiden erscheinen gegenüber den Christen oft als die Guten und werden als vorbildlich dargestellt. Die Frauen werden deutlich positiver gezeichnet als die Männer. Außerdem werden die einfachen Menschen im Vergleich zu den Machthabern positiv hervorgehoben. Wenn sich die Romanautoren immer wieder mit den frühmittelalterlichen Herrschern beschäftigen und historische Ereignisse aufgreifen, befinden sie sich nahe an der wissenschaftlichen Perspektive der Institutionen- und Ereignisgeschichte. Die in den Romanen durchaus vorkommenden Institutionen werden jedoch oft kritisch gesehen, Herrscher und Kirchenmänner werden mit ihren Schattenseiten dargestellt. Bei den Romanfiguren mit historischem Vorbild wie Missionaren (Ansgar, Bonifatius), Äbten (Hrabanus Maurus, Alkuin) oder Herrschern (Karl der Große, Ludwig der Fromme, Alfred der Große) wird deren (allzu)menschliche Seite mitsamt ihrer Schwächen gezeigt, wobei eine große Diskrepanz zwischen dem christlichem Anspruch und der Lebenswirklichkeit vermittelt wird. Auffällig ist

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Zusammenführung: Die Romane zwischen Geschichte und Gegenwart

in den Romanen, dass bei der Beschreibung einiger Könige und ihrer Taten die Sicht der Frauen eingenommen wird. Besonders beim Thema Missionierung wird auf historische Ereignisse Bezug genommen, diese Ereignisse werden allerdings oft aus der Sicht der Heiden geschildert. Der Blick der Romanautoren fokussiert das Menschliche, das Leben hinter den großen Ereignissen, den Einfluss dieser Ereignisse auf die Menschen, vor allem auf die Verlierer der Geschichte. Frauen und Heiden, die in den frühmittelalterlichen Quellen vergleichsweise wenig Berücksichtigung finden, werden in den Romanen in den Mittelpunkt gestellt. In der Mittelalterforschung zeigt sich in den letzten Jahrzehnten ebenfalls die Tendenz, stärker nach der Geschichte von Frauen, Außenseitern und einfachen Menschen zu fragen. Während in den Romanen die frühmittelalterliche Gesellschaft und das Christentum allerdings als sehr frauenfeindlich dargestellt werden, schätzt die Forschung die Situation anders ein: So boten die Klöster den Frauen des frühen Mittelalters Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten – dies kommt in den Romanen so gut wie gar nicht vor. Das Leben von weiblichen Religiosen wird von den Romanautoren kaum thematisiert. Kulturelle Errungenschaften, die das frühmittelalterliche Christentum laut den Ergebnissen der Forschung auch den Frauen gebracht hat (wie Lebensschutz, Gleichbehandlung der Geschlechter oder öffentliche Eheschließungen), werden in den Romanen kaum deutlich. In der Darstellung der Romane bietet das Heidentum den Frauen wesentlich mehr Freiheiten als das Christentum. Wenn die Frauenfiguren ihren widrigen Lebensbedingungen entkommen, dann aus eigener Kraft oder mit der Hilfe einzelner guter Menschen. Betont werden eher die negativen Aspekte des Christentums. Für viele heidnische Romanfiguren erscheint das Christentum als Bedrohung und Belastung. Im Gegensatz zu den Christen stehen die Heiden in den Romanen für eine naturverbundene Lebensweise. Die Wertschätzung für die Natur und ihre Kräfte wird besonders bei den (ehemals heidnischen) Frauen hervorgehoben. Für viele Figuren, die Christen werden mussten, werden in den Romanen heidnische Relikte beschrieben, die nach Ausweis der Forschung tatsächlich lange Zeit Bestand hatten. Die individuellen Glaubenswege der Figuren stehen im Fokus der Romane, auch wenn der Forschung gemäß angedeutet wird, dass im Frühmittelalter ein kollektiver Religionswechsel üblich war. Viele Romanfiguren bleiben ihren Wurzeln im Heidentum treu, oft beschreiben die Autoren eine Mischung aus verschiedenen Religionen. Aus dem Bereich des Heidentums wird in den Romanen auch die Friedelehe positiv hervorgehoben. Nach Darstellung der Romane bot sie – im Vergleich zur christlichen Ehe – besonders den Frauen mehr Freiheit. Die Vorstellung verschiedener Eheformen, darunter die Friedelehe, gilt nach Ansicht der neueren Forschung als überholt. Die Romanautoren greifen hier eine Vorstellung auf, die

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zu ihrer Botschaft passt. Für die Ehe und andere Themenbereiche werden in den Romanen häufig heidnische oder christliche Rituale beschrieben. Welche Aspekte die allmähliche Verchristlichung der Ehe bestimmten, bleibt jedoch unklar. In der Forschung beschriebene politische Verstrickungen der Herrscher hinsichtlich der Ehe sowie unterschiedliche Ansichten zu Ehefragen kommen in den Romanen zur Geltung. Zwei bekannte historische Ehestreitfälle werden ausführlich aufgegriffen. Deren in der Forschung beschriebene religiöse Dimension, etwa die moralische Diffamierung als Ziel von Vorwürfen, wird in den Romanen jedoch kaum deutlich. Im Vordergrund stehen vielmehr die Gefühle der Beteiligten, woran sich erneut das Bestreben der Romanautoren zeigt, hinter die Kulissen der bedeutenden Ereignisse zu blicken. Während von der Forschung die soziale Einbindung der frühmittelalterlichen Menschen sowie die Bedeutung der Ehe und der Familie für die Gesellschaft betont werden, wollen viele Figuren in den Romanen ihren Partner selbst wählen und selbst über ihre Sexualität bestimmen. Eine Orientierung am Gefühl der Liebe ist für sie kennzeichnend. Ähnlich einer Tendenz in der Mediävistik zur Alltagsgeschichte, liegt das Augenmerk vieler Romane auf einer Schilderung des (Beziehungs-)Alltags, auf dem Umgang der Menschen mit Vorgaben, auf der Brüchigkeit von Beziehungen und Lebenswegen bis hin zum Scheitern. Natürlich kommt dabei etwas sehr Anderes heraus: Die Romane stellen – mit einem Umweg über das Mittelalter – dar, wie der heutige Mensch Liebe etc. wahrnimmt, während die Forschung die Fremdheit des Mittelalters und der damaligen Vorstellungen deutlich machen will. – Ob in den Romanen und in der Forschung das Mittelalter nun als fremd oder als vertraut gezeichnet wird – bei beiden Blickwinkeln handelt es sich um Zuschreibungen an das Mittelalter aus einer heutigen Warte.634 Das Verhältnis von fremder und vertrauter/eigener Geschichte thematisiert Steffen Patzold, wenn er die beiden klassischen Antworten auf die Frage nach der Relevanz der mittelalterlichen Geschichte vorstellt. Die Position »Überall ist Mittelalter!« betont, dass bis heute viele Dinge, Praktiken und Institutionen aus dem Mittelalter unser Leben prägen. Um unsere eigene Welt zu verstehen, müssen wir ihre Ursprünge und die lange Geschichte bis zu uns selbst kennen. Die Sichtweise »Nirgendwo ist Mittelalter!« erklärt das Mittelalter als fremde Welt, die zutiefst anders war als unsere Moderne. So lernen wir, nichts für selbstverständlich zu halten und immer auch Alternativen zu denken.635 Beide Antworten setzen eine Dichotomie von Moderne und Mittelalter voraus. Die zentralen Oppositionen, mit deren Hilfe die Mediävisten das Mittelalter von der Moderne abgegrenzt haben, ließen sich aber heute weniger einfach heranziehen, da gegenwärtige Entwicklungen Kernzuschreibungen an die Moderne infrage stellen würden. Patzold ergänzt deshalb eine dritte 634 Grabmayer, Mittelalter, 41, betont: »Das Mittelalter ist in unseren Köpfen, das heißt, wir produzieren es selbst«. 635 Vgl. S. Patzold, Das eigene Fremde. Ein Versuch über die Aktualität des Mittelalters im 21. Jahrhundert, in: Klein (Hg.), Mittelalter, 1–18, 2–4.

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Zusammenführung: Die Romane zwischen Geschichte und Gegenwart

Antwort: Das Mittelalter ist heute relevant, »weil sich unsere eigene Welt verändert – und in vielerlei Hinsicht in merkwürdig interessante Analogien zum Mittelalter gerät, ohne sich deshalb einfach historisch dorthin zurückzuentwickeln«.636

3.

Signaturen der Gegenwart: Religionssoziologische Vergewisserung

Der Vergleich von Hauptlinien der Romansicht und der Mittelalterforschung hat für alle Themenbereiche gezeigt, dass viele Darstellungsweisen der Romane frühmittelalterlichen Lebens- und Denkweisen nicht angemessen sind. Bedeutet diese Differenz, dass diese Darstellungsweisen stattdessen von der Gegenwart geprägt sind? Tatsächlich lassen die Beobachtungen vermuten, dass die untersuchten historischen Romane weniger Auskunft über das Frühmittelalter als vielmehr über gesellschaftliche und religiöse Trends der Gegenwart geben. Mit den Fragen, wie es in der Gegenwart in Westeuropa um christliches Leben bestellt ist, in welcher Gestalt Religion in der heutigen Gesellschaft präsent ist oder wodurch gegenwärtige Spiritualität und die Suche nach einem gelingenden Leben charakterisiert sind, beschäftigen sich aktuelle Arbeiten aus der Religionssoziologie und der Religionswissenschaft. Diese religionssoziologischen Deutungsperspektiven können helfen, Kriterien für die Auswertung der Romanbefunde zu etablieren. Zunächst schließt sich im Folgenden ein Überblick zur Gegenwartssituation an, die nach Ansicht verschiedener (Religions-)Soziologen durch eine Transformation und Fluidität der Religion gekennzeichnet ist. Im Anschluss werden Lebenskrisen als Auslöser der spirituellen Suche heutiger Menschen identifiziert, und Frauen als Hauptakteure von Religion und Spiritualität vorgestellt. Als bedeutsame Merkmale des Formwandels der Religion erweisen sich sodann Individualisierung und Sehnsucht nach Gemeinschaft, Ganzheitlichkeit und Erfahrungsbezug sowie Selbstermächtigung und Institutionendistanz.637

636 Patzold, Fremde, 18. Das Mittelalter werde als »ein eigenes Fremdes« für die Gegenwart interessant, für das die Mediävisten »ureigene Kompetenz und Zuständigkeit haben« (14). Sie sollten auch »die neuen, komplexen Bezüge zu ihrer sich wandelnden Gegenwart ernster nehmen und genauer zu beschreiben suchen« (18). 637 Zu den aktuellen gesellschaftlichen Trends, die auch den Bereich des religiösen Lebens beeinflussen, vgl. auch H. Lutterbach, Vom Jakobsweg zum Tierfriedhof. Wie Religion heute lebendig ist, Kevelaer 2014, 14–16.

Signaturen der Gegenwart

3.1

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Überblick: Transformation und Fluidität der Religion

Nachdem die These eines Verschwindens der Religion in der Moderne von der Annahme einer Rückkehr der Religion638 abgelöst wurde, ist gegenwärtig vielfach von einem (Form-)Wandel der Religion die Rede. Ausgewählte Erklärungen und Facetten dieses Transformationsprozesses werden nachstehend aufgezeigt. Grundlegend ist dabei das Phänomen der Individualisierung bzw. Subjektivierung, das sowohl die Gesellschaft allgemein als auch speziell die Religion betrifft. Besonders eröffnend für die vorliegende Arbeit, in der zur Populärkultur gehörende Romane hinsichtlich des Faktors Religion untersucht wurden, ist das Phänomen der »populären Religion«. Darunter versteht der Soziologe Hubert Knoblauch die Schnittmenge zwischen Religion und Populärkultur. Knoblauch, auf den dieses Theorem zurückgeht, beobachtet in der europäischen Gegenwart eine »Transformation der Religion«, grundlegende Veränderungen hin zu Spiritualisierung und Popularisierung. Ein sehr bedeutender Motor dieser Transformation sei die »New-Age-Bewegung«. An die Stelle dieses Begriffs trete allerdings zunehmend der Begriff der »Spiritualität«, der auch die »christlichen erfahrungsorientierten Bewegungen« mit einbeziehe. Wesentliche Inhalte und Praktiken des New Age seien nicht mehr auf ein ausgegrenztes Milieu beschränkt, sondern populär geworden, in das Bewusstsein der Gesamtgesellschaft hinein diffundiert. Diese »populäre Spiritualität« sieht Knoblauch als Teil der »populären Religion«. Dabei handelt es sich um eine neue Form von Religion, welche sich durch einen populärkulturellen Grundzug sowie eine Ausweitung über das Feld der Religion hinaus auszeichnet.639 Die populäre Religion gründet laut Knoblauch auf dem Zusammenspiel von Öffentlichkeit, Markt und Medien und besteht wesentlich aus Kommunikation.640 Die Popularisierung der Religion geht für Knoblauch einher mit der Globalisierung: Durch die globale Vernetzung der Kommunikation kommt es zur Wanderung von Symbolen, Formen und Themen. Die Grenzen von sakral und profan, zwischen dem als religiös markierten Spirituellen und dem Nicht-Religiösen bzw. zwischen dem Religiösen und anderen Aspekten der Kultur werden 638 Vgl. dazu Buchtitel wie M. Riesebrodt, Die Rückkehr der Religionen. Fundamentalismus und der »Kampf der Kulturen« (C. H. Beck Paperback 1388), München 22001, oder F. W. Graf, Die Wiederkehr der Götter. Religion in der modernen Kultur (C. H. Beck Paperback 1779), München 2007. 639 Vgl. H. Knoblauch, Vom New Age zur populären Spiritualität, in: D. Lüddeckens/R. Walthert (Hg.), Fluide Religion. Neue religiöse Bewegungen im Wandel. Theoretische und empirische Systematisierungen (Sozialtheorie), Bielefeld 2010, 149–174. 640 Vgl. H. Knoblauch, The Communicative Construction of Transcendence: a New Approach to Popular Religion, in: J. Schlehe/E. Sandkühler (Hg.), Religion, Tradition and the Popular. Transcultural Views from Asia and Europe (Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen 12), Bielefeld 2014, 29–50.

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Zusammenführung: Die Romane zwischen Geschichte und Gegenwart

zunehmend durchlässiger. Diese »Entgrenzung des Religiösen« zeigt sich daran, dass spirituelle Anbieter auch medizinische und psychologisch-therapeutische Dienste leisten, dass religiöse Organisationen populäre kommunikative Formen und Inhalte übernehmen, und dass die Populärkultur Themen der religiösen Kommunikation aufnimmt und eigenständig behandelt. Zum einen treten heute in den Kirchen Formen auf und sind anerkannt, die man eher in der außerkirchlichen Spiritualität vermuten würde; auch für die Kirchen sind Werbung und Marketing inzwischen selbstverständlich. Zum anderen werden die Themen der Kirchen außerhalb ihres Jurisdiktionsbereiches aufgenommen; außerhalb der Kirchen werden Transzendenzerfahrungen gemacht und als solche anerkannt.641 Auch die Religionswissenschaftler Dorothea Lüddeckens und Rafael Walthert konstatieren für die Gegenwart in Westeuropa einen Formwandel von Religion. Sie bezeichnen ihn als »fluide Religion«: Charakteristisch sind ein hoher Grad von Beweglichkeit sowie eine Diffusion von Religion in einen weiteren sozialen Kontext. Lüddeckens und Walthert beobachten, dass dauerhafte und umfassende Zugehörigkeiten »durch unverbindliche, zeitlich beschränkte und spezifischere Beteiligungen abgelöst werden, zentrale Vorgaben und Hierarchien an umfassender Bedeutung verlieren und die Religiosität der Individuen durch eine Vielzahl sozialer Beziehungen und eine diesbezügliche Dynamik geprägt wird«.642

Die Soziologen Franz Höllinger und Thomas Tripold haben für Österreich ein solches fluides Phänomen, das »holistische Milieu« – alternative therapeutische und spirituelle Aktivitäten, auch als New Age, Esoterik oder Selbstverwirklichungsmilieu bezeichnet –, untersucht: Sie betrachten dieses Milieu erstens als »neue Form von Religiosität«: Der authentischen spirituellen Erfahrung wird dort große Bedeutung beigemessen. Fast alle befragten Anbieter und Angehörige der holistischen Kerngruppe nehmen sich selbst als spirituelle Menschen wahr. Für Höllinger und Tripold stellt das holistische Milieu zweitens trotz einer gewissen Kommerzialisierung eine »Gegenkultur« dar: Zumindest die stark in dieses Milieu eingebundenen Akteure neigen zu einem alternativen, wenig konsumorientierten, zum Teil gegenkulturellen Lebensstil. Die Annäherung zwischen holistischer Bewegung, Psychotherapiebewegung und Bereichen des Gesundheitswesens (Wellness- und Fitnessbewegung) bezeichnen Höllinger und Tripold drittens als »Psychologisierung der Spiritualität«. Das holistische Milieu ist für sie viertens »Ausdruck des postmodernen Lebensstils«, denn charakte641 Vgl. H. Knoblauch, Populäre Religion. Auf dem Weg in eine spirituelle Gesellschaft, Frankfurt am Main 2009, 263–273. 642 Vgl. D. Lüddeckens/R. Walthert, Fluide Religion: Eine Einleitung, in: Diess. (Hg.), Religion, 9–18, 10.

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ristische Merkmale dieses Lebensstils wie das Streben nach Autonomie, Authentizität, Expressivität, Reflexivität, Toleranz, Flexibilität und Spontaneität sind in diesem Milieu in besonderer Weise präsent.643 Viele Akteure des holistischen Milieus kennzeichnet eine Distanz zur kirchlichen Religiosität, einige aber auch ein Nahverhältnis, worin diese keinen Gegensatz sehen. Holistische Praktiken werden inzwischen sogar von kirchlichen Institutionen angeboten. Wenn man als Vergleichspunkt wöchentlichen Kirchenbesuch und regelmäßiges Gebet auf der einen und die wöchentliche Ausübung holistischer Praktiken auf der anderen Seite nimmt, zeigt sich für das jüngere und mittlere Erwachsenenalter in Österreich eine deutliche Annäherung der Größenverhältnisse des kirchlichen und holistischen Milieus, so Höllinger und Tripold.644 Zu ähnlichen Ergebnissen kommen der Religionswissenschaftler Christoph Bochinger und die Soziologen Martin Engelbrecht und Winfried Gebhardt bei ihrer Untersuchung der Veränderungen von spirituellen Orientierungen unter katholischen und evangelischen Kirchenmitgliedern in Oberfranken: Sie stellen fest, dass sich die Individualisierung bzw. Subjektivierung des Religiösen nicht außerhalb der Kirchen abspielt, sondern die Kirchen erreicht hat und die institutionellen Ausdrucksformen des Christentums transformiert. Kirchenmitglieder befriedigen ihre religiösen und spirituellen Bedürfnisse auf individuelle Art und in eigener Verantwortung: Sie gehen souverän mit christlichen Traditionen, Lehren und Wahrheitsansprüchen um, rezipieren spirituelle Ideen und Praktiken aus dem vielfältigen Angebot religiöser Gegenwartskultur und fügen diese je individuell zu einer einheitlichen religiösen Weltsicht zusammen. Da immer mehr alternative Vorstellungen und Praktiken in der Gesellschaft und im kirchlichen Raum salonfähig werden, entstehen in den Kirchen ständig neue Glaubenswirklichkeiten.645 Als »Idealtypus« gegenwärtig zu beobachtender, subjektiver christlicher Religiosität sehen Bochinger, Engelbrecht und Gebhardt den »spirituellen Wanderer«. Die in diesem »Prototyp« spätmoderner Religiosität verdichteten Elemente werden sich unter evangelischen und katholischen Kirchenmitgliedern weiter ausbreiten, so ihre Vermutung. Der Grundmodus der Wanderer besteht laut Engelbrecht im Dreischritt von »Ausprobieren« – dies führt zu authentischer Erfahrung, welche eine Begegnung mit Amtsträgern auf Augenhöhe ermög643 F. Höllinger/T. Tripold, Ganzheitliches Leben. Das holistische Milieu zwischen neuer Spiritualität und postmoderner Wellness-Kultur (Kulturen der Gesellschaft 5), Bielefeld 2012, 15–17. 644 Vgl. Höllinger/Tripold, Leben, 269. 645 Vgl. C. Bochinger/M. Engelbrecht/W. Gebhardt, Einführung, in: Diess., Die unsichtbare Religion in der sichtbaren Religion – Formen spiritueller Orientierung in der religiösen Gegenwartskultur (Religionswissenschaft heute 3), Stuttgart 2009, 9–34, 9–13.

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Zusammenführung: Die Romane zwischen Geschichte und Gegenwart

licht –, »Auswählen« – unter dem Kriterium: was tut gut? – und »Verknüpfen«.646 Wie die Autoren der Studie festhalten, ist individueller Religiosität und Frömmigkeit ein anarchistischer, anti-institutioneller Zug eigen, sie steht immer in einem Spannungsverhältnis zu jeder Form von institutionalisierter Religion. Inzwischen ist sie allerdings zu einem Massenphänomen mit kultureller Breitenwirkung geworden: Das »Wandern« ist nach Bochingers Einschätzung nicht mehr allein Sache der Eliten, sondern der Alltagskultur bzw. -religion. Gegenwärtig sei eine Rückkehr der Religion in den öffentlichen Raum sowie eine neuerliche Wahrnehmung durch die Medien zu beobachten.647

3.2

Sicherung biographischer Kontinuität in Lebenskrisen

Wie Martin Engelbrecht betont, enthalten viele biographische Erzählungen der spirituellen Wanderer ein hohes Maß an Leid, Krisen und Erfahrungen des Scheiterns – die »vielen Wege« sind Prozesse der spirituellen Reifung. Oft erweisen sich »biographische und/oder spirituelle Krisen als Auslöser für das Gehen eines ›eigenen Weges‹«.648 Die strukturelle Pluralisierung und Individualisierung der spätmodernen Lebenswelt hat zu einer Schwächung der Orientierungsfunktionen traditioneller religiöser Institutionen geführt, so Christoph Bochinger; entsprechend stärker sei die Konstruktionsleistung des Individuums zu bewerten. Das Ergebnis des Individualisierungsprozesses ist für ihn keine individualistische, asoziale Privatreligiosität, sondern ein komplexes Konstrukt aus neuen Sozialformen, die den Bezug zur jeweiligen Herkunftsreligion ergänzen oder ersetzen.649 Ein Ergebnis der Studie von Franz Höllinger und Thomas Tripold lautet, dass in den Biographien der spirituellen Akteure häufig Brüche auftreten, die zur Revision gewohnter und eingefahrener Handlungs- und Deutungsmuster veranlassen. Die oft am Beginn einer holistischen Karriere stehende Lebenskrise führt zu einer Reflexion und Suchbewegung, gefolgt von einem Basteln mit Sinnelementen aus verschiedenen Traditionen (Bricolage). Aus einem breiten Angebot wird ausgewählt und adaptiert, was der Lösung der aktuellen Problemlage dient und sich bewährt. So wird die eigene Biographie in einen sinnvollen Zusammenhang gestellt, die infrage geratene Identität und Position in der 646 Vgl. Bochinger/Engelbrecht/Gebhardt, Einführung, 31–34; M. Engelbrecht, Die Spiritualität der Wanderer, in: Bochinger/Ders./Gebhardt, Religion, 35–81, 45–47. 647 Vgl. Bochinger/Engelbrecht/Gebhardt, Einführung, 22f.; C. Bochinger, Religion ohne Orthodoxie, in: Ders./Engelbrecht/Gebhardt, Religion, 145–161, 148f. 648 Engelbrecht, Spiritualität, 43. 649 Vgl. Bochinger, Religion, 147.

Signaturen der Gegenwart

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Gesellschaft neu bestimmt und der Handlungsfluss wiederhergestellt, was als eine kreative Leistung zu bewerten ist.650 Der systematische Theologe und Religionsphilosoph Hans-Joachim Höhn kommt bei seiner Erkundung säkularer und religiöser Szenen, in denen Menschen nach ihrem »wahren Ich« suchen, zum Ergebnis, dass Religion heute dort gefragt ist, »wo sie zur Sicherung biographischer Kontinuität trotz zahlreicher Brüche und Fragmente auf Seiten des Individuums beiträgt«. Daher richte sich die Nachfrage nach religiösen Riten und Symbolen auf Formen, die »im Institutionellen das Individuelle akzentuieren«.651

3.3

Frauen als Akteurinnen von Religion und Spiritualität

Wie der systematische Theologe und Ethiker Friedrich Wilhelm Graf herausstellt, wurde in den sozial- und kulturwissenschaftlichen Debatten der letzten 40 Jahre zunehmend das hohe Gewicht des Themas Geschlechtersensibilität für die Erschließung der Religionsgeschichten in der Moderne deutlich. Seit 1800 seien in Europa und Nordamerika Frauen zumeist sehr viel stärker religiös aktiv gewesen als Männer. Anstelle der bisherigen androzentrischen, oft patriarchalisch geprägten Forschungspraxis werden nun verstärkt die Lebensentwürfe, Erfahrungen, Gottesbilder und Glaubenspraktiken von Frauen thematisiert. Die Frage, »wie in religiösen Bildwelten, Symbolsprachen, Riten und Zeitordnungen das Verhältnis der Geschlechter entworfen und der Ort der Frau in der Gesellschaft konstruiert wird«, ist für Graf von grundlegender Bedeutung.652 Franz Höllinger und Thomas Tripold haben herausgefunden, dass holistische Akteure mehrheitlich im mittleren Lebensalter (40 bis 55 Jahre) stehen, überproportional weiblich sind und der höher gebildeten urbanen Bevölkerung entstammen. Sie haben eine Neigung zu alternativen, postmodernen Lebensformen, viele sind unverheiratet oder geschieden.653 Woran liegt es, dass Frauen 650 Vgl. Höllinger/Tripold, Leben, 147–150.160–178. – Auch F. W. Graf, Götter global. Wie die Welt zum Supermarkt der Religionen wird, München 2014, 34f., beschreibt unter dem Stichwort »Bricolage«, dass heute viele Menschen »Sinnbastler« sind, »die sich aus Elementen ganz unterschiedlicher Religionen eine eigene, ihre höchst private Glaubenswelt bauen«. Beispiele dafür benennt er mit einem despektierlichen Unterton: »Wieder andere predigen Gesundheit als religiösen Letztwert und sehen in ihrem selbstkomponierten BioMüsli eine heilige, gleichsam eucharistische Speise«. 651 H.-J. Höhn, Auf der Suche nach dem »wahren« Ich. Erkundungen in säkularen und religiösen Szenen, in: Internationale Katholische Zeitschrift Communio 45 (2016) 288–298, 293. 652 Graf, Götter global, 64. In religiösen Überlieferungen würden zudem »ganz unterschiedliche Bilder des Körpers und des Umgangs mit der eigenen Körperlichkeit« entworfen und tradiert. Das »gendering« in der Religionsforschung führe auch zu Fragen nach »Religion und Körper« oder »Religion und Sexualität« (65f.). 653 Vgl. Höllinger/Tripold, Leben, 127f.130f.

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Zusammenführung: Die Romane zwischen Geschichte und Gegenwart

eine erheblich höhere Affinität zu ganzheitlichen Lebenshilfen haben als Männer? Laut der Religionssoziologin Linda Woodhead ruft der Trend zu De-Traditionalisierung und der damit einhergehende Wandel der Geschlechterrollen bei Frauen stärkere Spannungen und Identitätskonflikte hervor, so dass sie ein höheres Bedürfnis nach Hilfen zur Identitätsfindung und Selbstverwirklichung haben als Männer. Die Identitätssuche von Frauen konzentriert sich trotz des Geschlechterrollenwandels nach wie vor stärker auf die traditionell weiblichen Bereiche der Sorge um ein attraktives Äußeres, die Gesundheit und das Wohl Anderer, wie auch auf den Bereich der Religion.654 Höllinger und Tripold vermuten darüber hinaus, dass die Männer, die über Jahrtausende hinweg für den Produktionsprozess, die technologische Entwicklung und die politische Steuerung des Gemeinwesens verantwortlich waren, stärker als Frauen davon überzeugt sind, das Geschehen in der Welt lenken und kontrollieren zu können. Da sie einen rationaleren Zugang zur Welt haben, sind sie weniger empfänglich für »Welterklärungen und Praktiken, die davon ausgehen, dass unser Leben von Kräften bestimmt ist, die wir nur zum Teil beeinflussen können«.655 Hubert Knoblauch sieht einen Zusammenhang zwischen der Spiritualisierung der Religion und der De-Industrialisierung bzw. Transformation zur Wissensgesellschaft. Die Ausweitung der Bildung hatte auch eine veränderte gesellschaftliche Rolle der Frau, ihre Gleichberechtigung, zur Folge. Während die kirchliche Religion für lange Zeit der mustergültige Ort der Frauen war, führt der Zugang zu Wissen bzw. Wissensarbeit sowie die Selbstbestimmung über ihr Leben und ihre Sexualität zur Abwendung der Frauen von der kirchlichen Religion. Sie legen jedoch nicht jegliche Religiosität ab, sondern neigen zur Spiritualität, so Knoblauch: Frauen sind die wichtigste Trägergruppe der Spiritualisierung, (überdurchschnittlich gebildete) Frauen bilden die deutliche Mehrheit der Anbieter alternativer Spiritualität. Im Bereich des Spirituellen zeige sich generell eine starke Betonung des Weiblichen.656

3.4

Individualisierung und Sehnsucht nach Gemeinschaft

Für Martin Engelbrecht sind spirituelle Wanderer religiöse Individualisten, die – auch wenn dies auf den ersten Blick paradox klingt – zugleich deutliche Bedürfnisse sozialer Vergemeinschaftung mit anderen Wanderern entwickeln und befriedigen. Das »Konzept der vielen Wege« ermöglicht diese Vergemeinschaf654 Vgl. L. Woodhead, Why so Many Women in Holistic Spirituality? A Puzzle Revisited, in: K. Flanagan/P. C. Jupp (Hg.), A Sociology of Spirituality (Theology and Religion in Interdisciplinary Perspective Series), Aldershot 2007, 115–125. 655 Höllinger/Tripold, Leben, 130. 656 Vgl. Knoblauch, Religion, 278f.281f.

Signaturen der Gegenwart

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tung: Bei den »vielen Wegen« handelt es sich um individuell zu gehende und zu verantwortende Wege. Im Gegensatz zum einen Weg oder zur einen Wahrheit darf hier jeder seinen eigenen Weg gehen. Die Wanderer suchen sowohl Offenheit als auch Heimat: Sie schätzen Gemeinschaftserlebnisse wie positive Erfahrungen in und mit Gruppen, möchten akzeptiert werden, sich wohl fühlen und Hilfe erhalten, jedoch ohne Verpflichtungen einzugehen.657 Die Individualisierung des Lebens weckt laut Hans-Joachim Höhn eine »neue Bereitschaft zur Interaktion«: Die Menschen möchten von außergewöhnlichen, unverbindlichen Gemeinschaftserlebnissen gefesselt werden, deren Deutung sie sich nicht vorgeben lassen. Als Bündelung der Trends, welche die Suche nach dem »wahren Ich« prägen, versteht Höhn das Pilgern: Hierbei soll die Individualität – ein wesentliches Element neben Freiheit im Denken und Glauben sowie Erfahrungsbezug – gleichzeitig bestärkt und überschritten werden; die idealen Pilger seien »Beziehungssingles«.658 Die subjektive Erfahrungsdimension und die Sehnsucht nach Gemeinschaft prägen auch »situative Event-Vergemeinschaftungen«: Für Winfried Gebhardt sind Flashmobs, Weltjugendtage oder Public Viewings der soziale Ausdruck einer Entwicklung der Hybridisierung und Verflüssigung kultureller Rahmungen bzw. der Individualisierung und De-Institutionalisierung. Solche flüchtigen Veranstaltungen mit vielen Teilnehmern hätten sowohl an Zahl als auch an Bedeutung in allen Bereichen des kulturellen Lebens, auch im religiösen Bereich, zugenommen. Gebhardt sieht situative Event-Vergemeinschaftungen als »äußerst attraktive Art, unter spätmodernen Bedingungen Gemeinschaftsgefühle extensiv zu erleben und auszuleben« (Wärme, Nähe, Direktheit, Unmittelbarkeit, Authentizität, Enthusiasmus, Ekstase). Sie stellen »Fluchtpunkte oder außeralltägliche Sicherheitszonen« dar, welche dem im Alltag zunehmend als Einzelkämpfer auftretenden Individuum die Chance bieten, sich für den Moment als Teil eines größeren Ganzen zu fühlen.659 Als ein Beispiel für die situative (zeitlich begrenzte und spielerische) Umsetzung der gemeinschaftlichen Vision eines sinnvoll geordneten Ganzen führt Gebhardt das Treffen von Gleichgesinnten auf Mittelaltermärkten an.

657 Vgl. Engelbrecht, Spiritualität, 38; M. Engelbrecht, Vergemeinschaftungsformen der Wanderer, in: Bochinger/Ders./Gebhardt, Religion, 121–143, 121–128.136–143. 658 Höhn, Suche, 294. Als Risiko der »Ego-Mystik« sieht Höhn, »dass einem Menschen die bereichernde Begegnung mit dem Anderen in sich selbst und mit sich selbst im Anderen vorenthalten bleibt« (297). 659 W. Gebhardt, Flüchtige Gemeinschaften: Eine kleine Theorie situativer Event-Vergemeinschaftung, in: Lüddeckens/Walthert (Hg.), Religion, 175–188, 186. Letztlich handle es sich hierbei aber um »Gemeinschaften ohne Gemeinschaft«.

446 3.5

Zusammenführung: Die Romane zwischen Geschichte und Gegenwart

Ganzheitlichkeit und Erfahrungsbezug

Als Kriterium für die Zugehörigkeit zum holistischen Milieu dient Franz Höllinger und Thomas Tripold die Ausübung von Praktiken bzw. Inanspruchnahme von Therapien und Lebenshilfen, die auf einem ganzheitlichen Welt- und Menschenbild beruhen. Mittels komplementärmedizinischer Verfahren, Körper-Bewusstseinsübungen oder »esoterischer« Praktiken soll die körperliche und psychische Befindlichkeit von Menschen verbessert werden – wie Höllinger und Tripold betonen, ist »Heilwerdung« grundsätzlich in vielen Kulturen ein zentrales Anliegen von Religion. Als Hauptanliegen der holistischen Bewegung sehen sie Authentizität und Ganzheitlichkeit. Das Bedürfnis nach Ganzheitlichkeit identifizieren sie als Reaktion auf die Vorherrschaft des Rationalitätsdenkens und die damit verbundenen Fehlentwicklungen in der westlichen Welt. Im holistischen Milieu geht es vorwiegend um die Förderung der Autonomie des Individuums, um die Entwicklung einer authentischen Persönlichkeit und um Selbstverwirklichung, allerdings oft mit einer solidarischen Grundhaltung.660 Für die spirituellen Wanderer, die Martin Engelbrecht beschreibt, ist die Erfahrungsdimension von zentraler Bedeutung: Die Mehrheit der Angebote ist körperorientiert, zwischen körperlicher und spiritueller Erfahrung besteht für die Wanderer eine enge Verbindung. Angenommen wird eine Einheit von Körper, Geist und Seele. Neben dieser Ganzheitlichkeit ist ein intensiver Naturbezug kennzeichnend, viele Wanderer sehen eine Konvergenz von Natur und Göttlichem.661 Hubert Knoblauch benennt als Kennzeichen von Spiritualität unter anderem Ganzheitlichkeit, den Bezug zum Körper sowie die Betonung der eigenen Transzendenzerfahrung. Für ihn stellt die religiöse Ausprägung der Subjektivierung in Form der Spiritualität eine Antwort auf die gegenwärtigen wirtschaftlichen Anforderungen dar: Die Selbstverantwortung des modernen Individuums für seine Gesundheit ist eng mit der Neigung zu ganzheitlichen Vorstellungen verbunden.662 Besondere Bedeutung im Blick auf die Romane hat das Phänomen des »Neuheidentums«, welches den gegenwärtigen Trend zu einer hochgradig individualisierten, erfahrungsbezogenen Religion bzw. Spiritualität spiegelt. Bis heute übt die vorchristliche Religion der Germanen eine große Anziehungskraft auf manche religiös suchende Menschen aus. Die Religionswissenschaftlerin Ann-Laurence Maréchal beobachtet im Feld des deutschsprachigen Neugermanischen Heidentums bemerkenswerte Ausdifferenzierungsprozesse: In den 1960er bis 1980er Jahren ist zunächst der »Wunsch nach Überwindung der ein660 Vgl. Höllinger/Tripold, Leben, 83f.280–284. 661 Vgl. Engelbrecht, Spiritualität, 50–57.73f. 662 Vgl. Knoblauch, Religion, 277f.

Signaturen der Gegenwart

447

heitlich erfahrenen Krise der industrialisierten Gesellschaft«, verbunden mit Christentumskritik, prägend. Elemente aus dem Bereich Esoterik bzw. New Age, vermeintlich keltischer und schamanischer Traditionen sowie der Ökologie- und Frauenbewegung werden in die eigenen Glaubensvorstellungen integriert, und die eigene Religion wird im Sinne einer der Landschaft eigenen Naturreligion verstanden. Seit den 1990er Jahren positionieren viele Gemeinschaften ihren Glauben innerhalb der sogenannten Asatrú-Religion, wobei nun die »Suche nach einer individuellen religiösen Erfahrung, die als Heil bringend verstanden wird«, im Vordergrund steht.663 In ähnlicher Weise sieht der Soziologe René Gründer das Neuheidentum des 21. Jahrhundert durch drei Prozesse bestimmt: »pluralisation of the neo-pagan field«, »experiential turn within neo-pagan spirituality« sowie »polytheistic shift of religious knowledge«.664 Diese religiöse Weltsicht habe weniger mit dem Glauben und den Riten der Menschen in vor-christlichen Kulturen zu tun als mit der Erfahrung persönlicher Entfremdung (auch von traditionellen christlichen Glaubensvorstellungen) in modernen funktional differenzierten Gesellschaften. Auch Christoph Bochinger betont, dass es in neuheidnischen Religionsformen (z. B. bei den »neuen Hexen«) »nicht um die Revitalisierung vorchristlicher Religionen, sondern um die Konstruktion von etwas Neuem« geht.665 Diese Religiosität oder Spiritualität lasse sich nicht von fremden Autoritäten bestimmen.

663 A.-L. Maréchal, Konstruktions- und Ausdifferenzierungsprozesse neugermanisch-heidnischer Religiosität, in: Lüddeckens/Walthert (Hg.), Religion, 189–213, 209. Nach dem Zweiten Weltkrieg stellten sich viele Gemeinschaften in eine ariosophisch-völkische Tradition und unterhielten Verbindungen zur rechtsradikalen Szene; im Laufe der Zeit distanzierten sich viele Gemeinschaften aber von solchem Gedankengut (vgl. 208). – Zum Germanischen Neuheidentum/Asatrú und dessen problematischen Allianzen vgl. auch S. v. Schnurbein, Germanic Neo-Paganism – A Nordic Art-Religion?, in: Schlehe/Sandkühler (Hg.), Religion, 243–259. 664 R. Gründer, Neo-pagan Traditions in the 21st Century: Re-inventing Polytheism in a Polyvalent World-Culture, in: Schlehe/Sandkühler (Hg.), Religion, 261–281, 262. Er versteht das gegenwärtige Neuheidentum als »a consequence of spiritual tribalisation within a polyvalent world-culture«, »an expression of, and functional answer to, globalisation: as a patchwork of new religions with ›ancient roots‹« (263). Vgl. auch R. Gründer/M. Schetsche/I. SchmiedKnittel (Hg.), Der andere Glaube. Europäische Alternativreligionen zwischen heidnischer Spiritualität und christlicher Leitkultur (Grenzüberschreitungen 8), Würzburg 2009. – Gründers Aufsatz entstammt einem von zwei Ethnologinnen herausgegebenen Band, der den Zusammenhang von Religion, Tradition und Populärkultur thematisiert, vgl. J. Schlehe/ E. Sandkühler, Introduction: Religion, Tradition and the Popular in Asia and Europe, in: Diess. (Hg.), Religion, 7–25. 665 Bochinger, Religion, 151.

448 3.6

Zusammenführung: Die Romane zwischen Geschichte und Gegenwart

Selbstermächtigung und Institutionendistanz

Wie Hans-Joachim Höhn resümiert, kann in der Moderne nur ein eigenes Leben ein gutes, gelungenes Leben sein. Zu diesem gehören Freiheit, Selbstbestimmung und Ganzheitlichkeit. In Ratgebern und Seminaren zur Lebensführung werden – auch von Vertretern des religiösen Bereichs – Hilfsmittel zur Selbsterforschung und -optimierung angeboten, um den Abstand zwischen dem »faktischen Ich« und dem »wahren Selbst« zu verkürzen. Spirituell aufgeschlossene Menschen suchen »im Dienste der Selbstvergewisserung« auch nach religiösen Erfahrungen, die sie dann eigenständig deuten. Dies enthält laut Höhn einen deutlich institutionen- und traditionskritischen Akzent. Als Phänomen beobachtet er die »spirituelle Selbstmedikation«: Menschen erkennen selbst, was ihnen in spiritueller Hinsicht fehlt, und wählen dann aus einem Angebot von religiösen Inhalten das aus, was zu ihnen passt.666 Nach Franz Höllinger und Thomas Tripold kennzeichnet das postmoderne Individuum eine Skepsis gegenüber der modernen Idee der Allmacht wissenschaftlicher Rationalität und Objektivität sowie die Ablehnung eines universalistischen Wahrheitsanspruchs. Weil sich solide Institutionen und soziale Bindungen auflösen, kann und muss das postmoderne Individuum aus einer Vielzahl von Optionen wählen und verschiedene Sinnfragmente zu einem Ganzen zusammenfügen. Das holistische Milieu weist eine Nähe zu einer solchen Weltsicht auf.667 Zu den Merkmalen der Spiritualität gehören für Hubert Knoblauch ihr tendenziell anti-institutioneller bzw. -kirchlicher Charakter, ihr Anti-Dogmatismus und Subjektivismus. Eine gewisse Distanz zur vorherrschenden Form der Religion komme in der Aufnahme alternativer oder marginalisierter Glaubensinhalte und Praktiken sowie in der Abwendung von den bekannten religiösen Organisationsformen zum Ausdruck.668 In den Kirchen selbst zeigt sich heute laut Martin Engelbrecht eine Tendenz zur »Selbstermächtigung der religiösen Subjekte«. Ihre Auflehnung gegen jedwede spirituell-religiösen Herrschaftsansprüche sehen die spirituellen Wanderer als vom Göttlichen gebilligt.669 Auch wenn sich die Haltung der Wanderer gegenüber den Kirchen nach Winfried Gebhardts Ansicht eher als Institutionenindifferenz denn als -feindschaft charakterisieren lässt, haben viele Wanderer ein eindeutig negatives Kirchenbild. Sie schreiben den Kirchen ein negatives Menschen- und Gottesbild zu, von dem sie ihre eigene Spiritualität und Religiosität 666 Höhn, Suche, 292f. Wenn in Zeiten permanenter Veränderungen viele Menschen Halt in Traditionen archaischen Ursprungs mit festen Regeln suchen, dient auch dies nur der Identitätsvergewisserung (vgl. 296f.). 667 Vgl. Höllinger/Tripold, Leben, 85f. 668 Vgl. Knoblauch, Religion, 124, sowie Knoblauch, New Age, 167. 669 Vgl. Engelbrecht, Spiritualität, 77–80.

Die Gegenwart in der Geschichte

449

absetzen.670 Für Christoph Bochinger führt die Selbstermächtigung zur Aushöhlung des Stellenwerts der Rechtgläubigkeit, aus der sich das Lehramt bzw. die theologische Dogmatik der kirchlichen Institutionen legitimiert. Er beobachtet einen Stilwandel in der Religiosität und der dazugehörigen Selbstreflexion der Kirchenmitglieder: Sie lassen sich von den Kirchen keine Vorschriften für das eigene Leben machen, weshalb sie Enzykliken und theologische Gutachten in ihrer Verbindlichkeit gering schätzen oder völlig ignorieren. Die Legitimationsund Kontrollinstanz für die Wahrheitsfrage wird in das religiöse Erleben im Innenraum des Subjekts verlagert, an die Stelle der Rechtgläubigkeit tritt die Frage nach der Authentizität (in der eigenen religiösen Lebensdeutung).671 Die Zusammenschau wichtiger Studien von Religionssoziologen wie Knoblauch, Höllinger/Tripold und Bochinger/Engelbrecht/Gebhardt hat ergeben, dass sie die Gegenwart in Westeuropa als durch eine Transformation und Fluidität der Religion gekennzeichnet sehen. Fünf bedeutsame Merkmale dieses Formwandels konnten herausgearbeitet werden: Lebenskrisen als Auslöser der spirituellen Suche heutiger Menschen; Frauen als Hauptakteure von Religion und Spiritualität; Individualisierung und gleichzeitige Sehnsucht nach Gemeinschaft; das Streben nach Ganzheitlichkeit und Erfahrungsbezug; Selbstermächtigung der religiösen Subjekte und damit einhergehende Distanz zu Institutionen. Auf der Folie dieser fünf Aspekte lassen sich abschließend noch einmal die Romane betrachten.

4.

Die Gegenwart in der Geschichte: Das Spezifikum der Frühmittelalter-Romane

4.1

Hinführung

Wichtige Prägekräfte unserer gegenwärtigen Gesellschaft und Religion haben sich durch die Beschäftigung mit der Religionssoziologie herausgeschält. Die soziologischen Deutungsangebote und Kriterien werden im Folgenden herangezogen, um die Ergebnisse der Synthesen aus Romansicht und Mittelalterforschung zum Sprechen zu bringen. Dabei wird deutlich, wie stark die beschriebenen Merkmale des religiösen Transformationsprozesses mit den Darstel670 Vgl. W. Gebhardt, Die Kirchenbilder der Wanderer und ihr Verhältnis zur Herkunftskirche, in: Bochinger/Engelbrecht/Ders., Religion, 83–120, 92–118. 671 Vgl. Bochinger, Religion, 150–153. In der Konjunktur des Begriffs »Spiritualität« sieht Bochinger einen Hinweis darauf, dass es zu einer Verselbstständigung der subjektiven gegenüber der objektiven Seite der Religion gekommen ist, die sich der systematischen Einordnung in religiöse Symbolsysteme grundsätzlich widersetzt (vgl. 158).

450

Zusammenführung: Die Romane zwischen Geschichte und Gegenwart

lungsweisen der Romane korrespondieren. Die historischen Romane erweisen sich als Schnittstelle zwischen unserem Wissen bzw. unseren Vorstellungen über die Geschichtsepoche des frühen Mittelalters auf der einen und heutigen Erscheinungsformen christlichen Lebens auf der anderen Seite. Gegenwärtige Fragen zur Lebensgestaltung und zur Gestalt von Christentum und Kirche werden, so scheint es im Blick auf die Romane, (bewusst oder unbewusst) ins Frühmittelalter versetzt und dort abgehandelt. Hierbei treten nicht nur heutige religiöse Entwicklungen zutage, sondern es scheint auch Kritik an der heutigen Kirche auf. Somit bestätigt sich die in der Einleitung der Arbeit formulierte These, dass die Romane mehr über die Gegenwart als über das Frühmittelalter aussagen. Wenn die Romanautoren die Kirche und das christliche Leben des Frühmittelalters auf eine Weise darstellen, die eine Verbindung zur heutigen religiösen Situation nahelegt, muss dies nicht mit Absicht geschehen; die Autoren sind von ihrer Zeit und ihrer Umwelt geprägt, die bestimmte Signaturen aufweisen. Dazu ein Beispiel: In den Erzählungen der Romane erscheinen den christlichen Figuren (und heutigen Lesern) die heidnischen Rituale fremd und faszinierend zugleich – für viele Völker im Frühmittelalter mögen die christlichen Rituale genauso fremd gewesen sein, was die Romane ebenfalls thematisieren. Die romanhaft dargestellte schwierige Vermittlung christlicher Inhalte wie Trinität, Kreuzestod und Auferstehung an die Heiden spiegelt womöglich ein heutiges Thema: Während sich gegenwärtig viele Menschen aus Westeuropa für »fremde« Religionen und fernöstliche Praktiken interessieren, ist ihnen die eigene Religion und Tradition fremd geworden, sie sind nicht mehr in christlichen Denk- und Sprechweisen beheimatet. Viele Zeitgenossen kombinieren die verschiedenen Traditionen auch auf eigenständige Weise; dies wird ebenfalls für die Romanfiguren beschrieben.

Folgende fünf Aspekte, die an gesellschaftliche Phänomene und religiöse Tendenzen der Gegenwart erinnern, zeichnen sich bei der Untersuchung der Romane ab: Brüchigkeit und Scheitern von Lebensformen; (Selbst-)Ermächtigung der Frauen; Individualität, Freiheit und Selbstbestimmung; Naturverbundenheit und Ganzheitlichkeit; Kritik an Institutionen. Dem Erfolg eines Romans dient es womöglich, wenn wenigstens einer der fünf genannten Aspekte bereits im Buchtitel vorkommt; der Titel des Bestsellers Die Päpstin enthält fast alle Aspekte. Wie nun zu zeigen ist, durchziehen diese Aspekte alle näher untersuchten Themenbereiche der Romane (Missionierung, Mönchtum und Ehe).

Die Gegenwart in der Geschichte

4.2

451

Brüchigkeit und Scheitern von Lebensformen

Religionssoziologen haben betont, dass eine spirituelle Suche und das Gehen eines eigenen religiösen Weges bei den Menschen der Gegenwart häufig durch Lebenskrisen und Erfahrungen von Brüchen ausgelöst wird. – In vielen Romanen werden die Brüchigkeit und das Scheitern vorgegebener Lebensformen sowie das Beschreiten eigener, ungewöhnlicher Lebenswege beschrieben. Einige Romanfiguren suchen nach biographischer Kontinuität und Wegen über das Scheitern hinaus. Die Brüche in deren Leben sind stellenweise mit einer Abkehr von der verfassten Religion und der Konstruktion einer eigenen, individuellen Religiosität verbunden. In den Romanen geht es grundsätzlich um heilige Zeiten, Orte und Menschen auf der einen sowie deren Missbrauch und Pervertierung auf der anderen Seite. Christliche Ideale werden in den Romanen zwar dargestellt, aber zugleich grundlegend infrage gestellt – sie erscheinen an vielen Stellen als per se verdächtig und nicht lebbar. Im Bereich der Mission ist als Ergebnis der Romane festzuhalten, dass diverse Missionare scheitern: Sie müssen das Land verlassen oder werden sogar getötet. Einige junge sympathische Missionare lassen sich mit heidnischen Frauen ein. Vereinzelt kommt es zwar zu Missionserfolgen, wobei vor allem Frauen christlich werden, im Endeffekt sind viele ehemalige Heiden aber nur zur Hälfte bzw. nur äußerlich Christen. Priester und Ordensleute werden in den Romanen zunächst in die Sphäre des Heiligen erhoben, ihr Fall ist dann umso tiefer: Bei den Mönchen und Nonnen dominieren die menschlichen Schwächen, etwa in Bezug auf Essen und Trinken. Das Klischee des dicken Mönchs wird vielfach bedient. Häufig brechen Ordensleute ihr Keuschheitsgelübde, einige verlassen zeitweilig oder für immer das Kloster. Trotz oder vielleicht gerade wegen der Gebrochenheit ihrer Existenz dienen die weltgewandten und lebenstauglichen Mönche der Romane ihren Mitmenschen als Ratgeber; mit dem Mönchtum wird also die Funktion von Religion als Hilfe zur Lebensbewältigung verknüpft. An der Figur des Mönchs, der den üblichen sozialen Beziehungen der »Welt« entsagt, werden in den Romanen grundsätzliche Fragen nach Mensch- und Christsein, Lebensgestaltung, Tod und Jenseits virulent. Heutige Sorgen vor dem Alter und dem Verfall des Körpers spielen womöglich in die Romandarstellung mit hinein.672 Medial begegnen

672 Riesebrodt, Cultus, 243, versteht Religion als ein System von Praktiken, das sich mit der Abwehr und Bewältigung krisenhafter Situationen befasst und – durch die Kommunikation mit übermenschlichen Mächten – die Handlungsfähigkeit des Menschen erhält. Angelehnt an Sigmund Freud unterscheidet er drei Domänen, die von Religionen angesprochen werden, »die Mortalität des menschlichen Körpers, den Mangel an Kontrolle über die den Menschen umgebende Natur sowie die in Machtunterschieden begründete Fragilität menschlicher Beziehungen« (254).

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Zusammenführung: Die Romane zwischen Geschichte und Gegenwart

den Menschen heute Mönche wie Anselm Grün oder Notker Wolf, die mit ihren Büchern, Vorträgen oder Auftritten im Fernsehen – auch mithilfe der Benediktsregel, die in den Romanen quasi zum Signum der mönchischen Lebensform gemacht wird – Weisungen für alle Lebenslagen bieten.673 Wenn ein Kloster im Roman stellenweise als friedlicher Ort, abgeschieden von den Sorgen der Welt, erscheint, erinnert das an Auszeiten, die sich gestresste Menschen heute im Kloster nehmen.674

Auch hinsichtlich der Ehe leuchtet kurz ein Idealbild auf, von dem die Romanfiguren dann direkt wieder abweichen: Viele Ehen in den Romanen erscheinen fragil, besonders die arrangierten Ehen werden gebrochen, geschieden oder für nichtig erklärt. Von den mehrfach beschriebenen Beziehungen zwischen Angehörigen verschiedener Religionen scheitern viele. In den Romanen werden diverse Affären oder Partnerschaften zwischen Religiosen und Laien beschrieben. Hierbei kommt es nur selten zu einer Eheschließung, einige Beziehungen enden sogar tragisch mit einer notwendigen Trennung oder dem Tod eines der Partner. Auf den ersten Blick scheinen in den Romanen sowohl die Lebensformen von Mönchen als auch die von Eheleuten zu scheitern. Betont wird jedoch, dass viele Figuren schließlich den für sie stimmigen Lebensweg finden. Die Romanautoren bringen, wie es scheint, die Erfahrung ihrer heutigen Zeit ein, in der immer mehr Ehen und zölibatäre Lebenswege scheitern, und viele Menschen kein lebenslang bindendes Versprechen abgeben wollen. Im Frühmittelalter waren Austritte aus dem Kloster oder die eigene bzw. neue Wahl eines (Ehe-)Partners nach Ausweis der Forschung wohl eher selten und nicht leicht durchführbar. Die Abweichung vom Ideal der Ehe und der Ehelosigkeit stellt sicher einen interessanteren Stoff für eine Romanhandlung dar als das gelebte Ideal; immerhin waren sexuelle Kontakte zwischen Laien und Priestern bzw. Ordensleuten schon im Frühmittelalter aufgrund des Heiligkeitsideals brisanter als illegale Beziehungen zwischen Laien. 673 Die Benediktsregel findet z. B. in vielen Vorträgen, Kursen und Büchern als Leitfaden zur Mitarbeiterführung Verwendung, vgl. etwa A. Grün, Menschen führen – Leben wecken. Anregungen aus der Regel Benedikts von Nursia, München 82014. Laut Lutterbach, Jakobsweg, 125, wird der »klösterliche Bestseller-Autor« Anselm Grün »nicht als Vertreter einer Institution, sondern als ein geistlicher Vater wertgeschätzt, der für seine spirituelle Botschaft auf die (Christentums-)Geschichte zurückgreift und sie – wie auch sich selbst – gezielt in den Dienst heutiger biografischer Suchprozesse stellt«. 674 Vgl. z. B. N. Nonn, Tage im Kloster, Ostfildern 2002. Das Angebot reicht von Urlaub im Kloster über vielfältige Kurse wie z. B. Fasten und Schweigen oder Exerzitien bis hin zu einem zeitweiligen Mitleben. Auch dem Interesse für östliches Mönchtum und dessen Praktiken wird mit entsprechenden Angeboten Rechnung getragen. Vgl. grundsätzlich auch P. Altmann, Die 101 wichtigsten Fragen. Orden und Klosterleben. Mit Antworten von Abtprimas Notker Wolf (Beck’sche Reihe), München 2011, die heutigen Menschen das Klosterleben nahe bringen will und sie einlädt, einmal hinter die Klostermauern zu schauen.

Die Gegenwart in der Geschichte

4.3

453

(Selbst-)Ermächtigung der Frauen

Wie Religionssoziologen herausgestellt haben, sind die meisten Akteure im Bereich gegenwärtiger Spiritualität Frauen, und das Weibliche wird dort stark betont. – In den Romanen treten selbstbestimmte Frauen häufig als Hauptfiguren auf; ihre religiöse Suche wird thematisiert. Der gesellschaftliche und kirchliche Umgang mit Frauen wird in den Romanen negativ dargestellt. Handlungsmacht und Teilhabe erlangen die weiblichen Romanfiguren schließlich aus eigener Kraft. In den Romanen ist Frauen das Missionieren untersagt. Bei den Heiden hingegen, so die Romandarstellung, hatten die Frauen einflussreiche Positionen als Herrscherin, Seherin oder Inhaberin der häuslichen Schlüsselgewalt. Die christlichen Missionare wollen – mit der Begründung der Inferiorität der Frau im Christentum – deren Freiheit beschneiden und auf diese Weise heidnische Männer werben. Während manche Heidinnen kämpferisch gegen das Christentum antreten, lassen sich einige vom christlichen Gott der Liebe und des Friedens überzeugen. Einige Romane enthalten ein Plädoyer für Liebe, Friedfertigkeit, Offenheit und Gewaltlosigkeit. Diese Eigenschaften werden besonders den Frauen (sowie einigen jungen, freundlichen Mönchen) zugeschrieben, und einer von Gewalt und Grausamkeit bestimmten »männlichen«, »mittelalterlichen« Umwelt gegenübergestellt. Weibliche Religiosen kommen in den Romanen kaum vor. Johanna kann in Die Päpstin nur in ihrer Rolle als Mann im Kloster Wissen erwerben und schließlich bis in den Vatikan aufsteigen. (Ehe-)Frauen stehen hingegen häufig im Mittelpunkt der Romane. Während sich die heidnischen Frauen ihren Mann selbst aussuchen können, sind die Christinnen von Verheiratung betroffen. Mehrere Frauen werden in den Romanen fälschlich des Ehebruchs beschuldigt. Diese benachteiligten Frauen wollen nicht länger Opfer sein und entkommen dank ihrer Stärke und ihres Geschicks der Unterdrückung durch Männer und Kirche. Gegenüber den zahlreichen bösen Kirchenmännern verkörpert Maria in den Romanen eine positive, weibliche Seite des Christentums. Wenn in den Romanen von machtbesessenen, frauenfeindlichen Klerikern und starken, gegen Einschränkungen ankämpfenden Frauen erzählt wird, wirkt das wasserzeichenartig wie eine Kritik an der heutigen kirchlichen Situation. Bis heute hat sich kaum etwas geändert hat, obwohl Frauen in Führungspositionen der Kirche doch so gut täten – diese Botschaft vermitteln Bestseller wie Die Päpstin. Die in den Romanen geforderte Teilhabe von Frauen erinnert an die heute bereits vielfach verwirklichte Emanzipation und das Streben nach stärkerer Einflussnahme von Frauen auch in der Kirche; sie tragen das religiöse Leben bereits in weiten Teilen. Die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen bedeutsame Rolle von Frauen in der frühmittelalterlichen Mission wird in den Romanen nicht

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Zusammenführung: Die Romane zwischen Geschichte und Gegenwart

deutlich. Die Bildungs- und Lebensmöglichkeiten, die die Klöster frühmittelalterlichen Frauen boten, bleiben unklar. Eine ausführliche Thematisierung der Lebenswelt weiblicher Religiosen hätte womöglich die Romanbotschaft von einer sexualitäts- und frauenfeindlichen Kirche und Gesellschaft gestört. Die Romanautoren »benötigen« eine solche Kulisse, damit ihre starken und kämpferischen Heldinnen sich dagegen auflehnen können. Wissenschaftler betonen hingegen, dass sich die Stellung der Frau im Frühmittelalter durch das Christentum eher verbessert hat.

4.4

Individualität, Freiheit und Selbstbestimmung

Viele Menschen, so der Befund aus der Religionssoziologie, sind heute religiöse Individualisten, sehnen sich aber zugleich nach Gemeinschaftserfahrungen. – Innerhalb der drei untersuchten Themenbereiche werden in den Romanen immer wieder die Schicksale von Individuen beschrieben sowie individuelle Lebens- und Glaubenswege in den Mittelpunkt gestellt. Grenzen erscheinen als durchlässig, so dass Menschen ihre bisherige Lebensform verlassen oder selbst über ihren Glauben entscheiden können. Ebenso tragen die Romane in ihrer Darstellung der Sehnsucht nach Gemeinschaft und Geschlossenheit Rechnung, welche einen wesentlichen Grund für das gegenwärtige Interesse vieler Menschen am Mittelalter darstellt. In den Romanen stehen die eigenständige Wahl des Partners, das Streben nach Liebe und die Riten der Eheschließung im Vordergrund. Diese Darstellungsweise erinnert daran, dass gegenwärtig bei allem Streben nach Individualität und aller Erfahrung des Scheiterns eine starke Sehnsucht nach gelingenden Beziehungen besteht: Alle verfügbaren Medien werden für die Partnersuche genutzt; Hochzeiten werden in großem Stil geplant und gefeiert – viele Menschen wünschen sich eine aufwändige kirchliche Eheschließung, selbst wenn sie den religiösen Hintergrund nicht teilen; Fernsehsendungen über die Suche nach der großen Liebe, über romantische Heiratsanträge und Traumhochzeiten finden ihr Publikum.675

Innerhalb des Themas Mission werden Motive für den Glaubenswechsel des Einzelnen dargestellt. Die Botschaft an vielen Stellen der Romane lautet: Der einzelne Mensch zählt. Die »guten« Missionare verkünden den Gott der Liebe und des Friedens, sie werben für den christlichen Glauben und wenden sich gegen die brutalen Zwangsmethoden, welche ihre Begleiter vertreten. Hieran zeigt sich die Forderung nach einer freien Entscheidung über Religion.

675 Vgl. dazu Lutterbach, Jakobsweg, 47–64 (Kapitel »Aktuelle partnerschaftliche Selbstinszenierungen – Liebesschlösser«).

Die Gegenwart in der Geschichte

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Im Kontext des Themas Mönchtum werden in den Romanen immer wieder Austritte aus dem Kloster aufgrund des Wunsches nach Selbstbestimmung über das eigene Leben beschrieben. Einige ehemalige Mönche führen ohne eine Gemeinschaft die klösterliche Lebensweise weiter und werden als die wahren Mönche dargestellt. In den Romanen geht es vorwiegend um die Schicksale und Erlebnisse einzelner Mönche. Eine solche Fokussierung auf Einzelschicksale zeigt sich auch für die Ehe(diskussion), so dass man von einer »Biographisierung« des Mittelalters in den Romanen sprechen könnte. Beim Thema Ehe steht grundsätzlich die Selbstbestimmung der Romanfiguren über Partnerschaft und Sexualität im Mittelpunkt. Statt einer arrangierten Ehe wird eine Ehe aus Liebe gefordert und der Konsens der Ehepartner betont. Wenn in den Romanen historische Ehestreitfälle thematisiert werden, liegt der Fokus auf den Gefühlen der beteiligten Menschen und der Frage, welche Bedeutung die politischen Entscheidungen bezüglich der Ehe für den Einzelnen hatten. Diese Darstellungsweisen der Romane stellen wohl ein Echo heutiger Hochschätzung des Individuums und seiner Entscheidungen dar. Für die einzelnen Romanfiguren erscheint ihr Eingebundensein problematisch und belastend. Nach Ausweis der Forschung waren die sozialen Bezüge im Frühmittelalter aber selbstverständlich und überlebenswichtig: Da die Menschen auf die Stabilität von Gruppenbeziehungen angewiesen waren, konnten sie keine Entscheidung ohne die Familie treffen; wer alleine lebte, führte eine randständige, gefährdete Existenz.

4.5

Naturverbundenheit und Ganzheitlichkeit

Als Kennzeichen gegenwärtiger Spiritualität haben sich durch die Auseinandersetzung mit der Religionssoziologie Ganzheitlichkeit und Erfahrungsbezug erwiesen. Den Trend zu einer hochgradig individualisierten, erfahrungsbezogenen Religion bzw. Spiritualität spiegelt auch das Phänomen des Neuheidentums.676 – Viele Frauenfiguren der Romane sowie einige Mönche sind durch eine besondere Naturverbundenheit und eine ganzheitliche Lebensweise gekennzeichnet. Für Ganzheitlichkeit stehen in den Romanen vorrangig die Heiden, denen im Rahmen einer Verlierergeschichtsschreibung die besondere Aufmerksamkeit und Sympathie gilt. Im Kontext des Themas Mission kommt in den Romanen eine Wertschätzung der naturverbundenen Lebensweise der Heiden (bzw. der Romanfiguren mit 676 Zum Neuheidentum im Roman vgl. S. von Schnurbein, Neuheidentum und Fantasyroman, in: V. Mertens/C. Stange (Hg), Bilder vom Mittelalter. Eine Berliner Ringvorlesung (Aventiuren Sonderband), Göttingen 2007, 137–154.

456

Zusammenführung: Die Romane zwischen Geschichte und Gegenwart

heidnischen Wurzeln) zum Ausdruck. Die von einigen weiblichen Figuren ausgeübte Naturmagie und Zukunftsschau wird in positiver Weise dargestellt. Mehrere Romane enthalten ein Plädoyer für ein Miteinander der Religionen; in manchen Romanen kommt es – nach vielen Auseinandersetzungen – zu einer gewissen Versöhnung zwischen Heiden- und Christentum: Dies zeigt sich im Entstehen von Paaren aus Heiden und Christen oder im Synkretismus weiblicher Hauptfiguren, die eine Mischung aus beiden Religionen leben. Johanna und Uhtred, die beiden Hauptfiguren der absoluten Bestseller, verkörpern jeweils die Verbindung bzw. Konkurrenz von Heiden- und Christentum: Johannas Vater ist christlicher Missionar, ihre Mutter Heidin, sie glaubt an deren Götter; sie lebt zeitweise als Mönch und wird Papst, in ihr verbinden sich schließlich Heiden- und Christentum (Die Päpstin). Uhtred, der christliche Eltern hat, wird von Heiden geraubt und erzogen, deren Götter beeindrucken ihn; er arbeitet für den christlichen Herrscher und hat wiederholt Auseinandersetzungen mit Kirchenmännern, letztlich glaubt er nur an das Schicksal und den Zusammenhalt der Menschen (Uhtred-Saga).

Von den Mönchsfiguren der Romane wird die Kraft der Natur – oft in Verbindung mit dem Gebet – für Heilungen genutzt. Einige Mönche erlangen besondere Kräfte, obwohl sie unkeusch leben. Ihre Heilmittel suchen diese Mönche im Kräutergarten; Reliquien nehmen sie weniger zu Hilfe. Johanna (Die Päpstin) lernt als Mönch in Fulda, dank medizinischer Kenntnisse und logischer Schlussfolgerungen zu heilen. Vielen Mönchen wird in den Romanen eine besondere Verbundenheit und Liebe zu Tieren zugeschrieben.677 Das Mühen um Ganzheitlichkeit tritt auch heute im Kontext des Klosterlebens auf und wird z. B. mit der Hildegard-Medizin oder den Wellness-Angeboten des Dominikanerinnenklosters Arenberg assoziiert.678

In den Romanen, die sich mit der Ehe beschäftigen, weisen viele Frauenfiguren (mit heidnischen Wurzeln) einen engen Bezug zu den Naturkräften auf, welche ihnen beim Überleben helfen und sie unabhängig von den Männern und der Ehe machen. Die lebensgestaltende Kraft, welche die Natur für die Frauen bereithält, steht im Gegensatz zur lebensverneinenden Ausstrahlung des Christentums und der Kirche. Immer wieder kommen in den Romanen als Hexen verdächtigte Frauen vor, die eigentlich als Kräuterfrauen oder Hebammen tätig sind.

677 Besonders auffällig ist die Darstellung in Das Buch Glendalough: Der in die Sklaverei verschleppte Novize Bodo liest seinem verstorbenen Wolfshund die lateinische Totenmesse. – Vgl. Lutterbach, Jakobsweg, 263–297 (Kapitel »Verstorbene Haustiere – Was sie mit verstorbenen Menschen teilen«). 678 Vgl. http://www.abtei-st-hildegard.de/?p=546, eingesehen am 8. 12. 2016; http://www.klos ter-arenberg.de, eingesehen am 30. 8. 2015.

Die Gegenwart in der Geschichte

457

Diese Sichtweisen der Romane erinnern daran, dass die Vorstellung der Ganzheitlichkeit sowie ein verstärktes Bewusstsein für die Bedeutung der Natur für den Menschen zu den auffälligen Entwicklungen in der Religiosität bzw. Spiritualität unserer Gegenwart gehören. Die Verbundenheit von Körper und Geist, Mensch und Natur, welche in den Romanen hervorgehoben wird, bildet einen Gegenpol zur gegenwärtig erlebten Fragmentierung des menschlichen Lebens und der Gesellschaft. Der in den Romanen dargestellte Synkretismus spiegelt das heutige Phänomen des Auswählens aus verschiedenen religiösen Angeboten, die individuell neu zusammengestellt werden. Die Nutzung des Hexen-Klischees in den Romanen dient wohl dem negativen Kirchenbild und passt zur Botschaft der Autoren, die von naturverbundenen, marginalisierten Frauen erzählen, denen es gelingt, gegen Widerstände ihren eigenen Lebensweg zu gehen. Die systematische Verfolgung von Hexen ist jedoch nach wissenschaftlichen Erkenntnissen ein Phänomen der frühen Neuzeit, auch wenn ein entsprechender Glaube möglicherweise schon im Frühmittelalter vorhanden war.

4.6

Kritik an Institutionen

Für die Gegenwart beobachten Religionssoziologen eine Selbstermächtigung der religiösen Subjekte, die zu einer Distanzierung von Institutionen führt. – In den Romanen tritt eine kritische Sicht unterschiedlicher Institutionen und Vorgaben zutage, der die Selbstbestimmung des einzelnen Menschen gegenübergestellt wird. Romanfiguren wie Johanna (Die Päpstin) verkörpern in charakteristischer Weise eine solche Kritik an Institutionen wie der Kirche und deren Führungspersonen sowie das Streben des Einzelnen nach Authentizität. Beim Thema Mission wird in den Romanen die Kirche in Verbindung mit dem König negativ dargestellt, Missionaren und Herrschern geht es nur um Macht und um den Zehnten statt um die Rettung von Seelen. Das gewaltsame, von Brutalität und Zwang bestimmte Vorgehen dieser Figuren wird von den wenigen positiven Figuren kritisiert. Für verschiedene Klöster werden in den Romanen Genusssucht, Prunksucht und Reichtum der Äbte und Äbtissinnen, große Klosterschätze oder die Einrichtung einträglicher Wallfahrten beschrieben. Manche Mönche werden stellvertretend für die Kirche kritisiert, viele üben allerdings selbst Kritik, etwa an Äbten, die sich unmoralisch verhalten. Einige Mönche verlassen deswegen sogar das Kloster, andere stellen sich wiederholt gegen kirchliche Vorschriften. Auffällig ist eine Idealisierung der freien und menschenfreundlichen irischen Klöster, welche durch den bösen, machtgierigen Papst bedroht sind, der die römischen Gebräuche durchsetzen will.

458

Zusammenführung: Die Romane zwischen Geschichte und Gegenwart

Die Darstellung von Prunksucht der Äbte und Klosterschätzen mag heutige Vorwürfe gegenüber einer reichen Kirche widerspiegeln. Wenn in den Romanen weltliche Probleme bis ins Kloster vordringen und dort Intrigen und Verbrechen stattfinden, kommen heutige Skandale wie die Missbrauchsfälle an Klosterschulen in den Sinn. In der negativen Bewertung Roms im Gegensatz zu Irland könnte sich eine heutige Rom-Kritik niedergeschlagen haben. Das kritische Potential einiger Mönche in den Romanen lässt daran denken, dass sich auch gegenwärtig Mönche in Bezug auf Kirchenreformen zu Wort melden.679

Die arrangierte Ehe wird in den Romanen häufig in einem schlechten Licht dargestellt, während Ehen aus Liebe positiv gewertet werden. Viele Romanfiguren wünschen sich »freie« Beziehungen, einige leben sogar bewusst in nichtehelichen Liebesbeziehungen. Institutionen wie die Kirche (mit den Bischöfen und dem Papst) und die Familie werden von diversen Romanfiguren kritisiert, welche sich gegen deren Vorgaben hinsichtlich Ehe und Sexualität stellen. In den Handlungen und Begriffen der Romane spiegelt sich eine Tendenz zur De-Institutionalisierung wider. So wirkt die »Friedelehe« – welche es nach Ausweis der neueren Forschung gar nicht gab – in den Romanen wie ein Vorläufer der »wilden Ehe«: In der Friedelehe erscheint eine freie, gleichberechtigte Ehe- bzw. Beziehungsform vorgebildet, die unabhängig von kirchlichen Sichtweisen und deren einschränkendem Einfluss ist. Die deutliche Institutionenkritik vieler Romane ist vermutlich unserer Gegenwart entsprungen, in der viele Menschen Institutionen wie die Kirche mit Skepsis betrachten. Wenn in den Romanen stattdessen der Einzelne, der sich von den Institutionen abhebt, im Fokus steht, stellt dies das Gegenteil der Heiligsprechung der Kirche dar: Nicht herausragende Vertreter der Institution wie Priester und Bischöfe, sondern Laien und Außenseiter sind die Helden der Romane. Nach Ausweis der Forschung waren institutionelle Vorgaben für die Menschen des Frühmittelalters der Normalfall und sicherten das gefährdete tägliche Leben, auch wenn es vereinzelt zu Kritik an Herrschern oder Kirchenführern gekommen sein mag.

5.

Die Bestimmtheit der Frühmittelalter-Forschung durch die Gegenwart

Das eigentliche Thema der vorliegenden Arbeit sind die Frühmittelalter-Romane. Bei der Untersuchung einzelner Themen in den Romanen wurde als Vergleichspunkt jedoch immer wieder die Forschung zum frühen Mittelalter her679 Vgl. M. Werlen, Miteinander die Glut unter der Asche entdecken, Einsiedeln 2012. Werlen war Abt der Benediktinerabtei Einsiedeln.

Die Bestimmtheit der Frühmittelalter-Forschung durch die Gegenwart

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angezogen. Als Charakteristikum populärer Frühmittelalter-Romane konnte die in den Text eingeschriebene Verbindung von Geschichte und Gegenwart herausgearbeitet werden, welche auf der Folie der Religionssoziologie besonders deutlich wurde. Im Verlauf der Arbeit wurde die Gegenwart als wichtiger Einflussfaktor auch für die Forschung mehrfach benannt. Zum Schluss sollen diese Beobachtungen noch einmal gebündelt werden. Mutatis mutandis spiegeln sich die vorgestellten Gegenwartstrends auch in der Frühmittelalter-Forschung wider. Vielleicht sind die Bezüge eher entfernter als bei den Romanbefunden, aber die Stichworte aus der Religionssoziologie können doch Verstehenshinweise bieten. Als Nebeneffekt der vorliegenden Arbeit ergibt sich somit eine kritische Sicht auch auf die Forschung. Bereits zeitgenössische Quellen sind aus bestimmten Perspektiven geschrieben, sie enthalten Wertungen, transportieren Gerüchte etc. Manche Gruppen und deren Sicht fehlen in den Quellen gänzlich. Somit erzeugen sie jeweils Bilder des frühen Mittelalters. Diese Quellen müssen wiederum interpretiert und bewertet werden. Fachhistoriker erstellen ihre Konstruktion der damaligen Lebensweisen und -bedingungen und treten mit ihren Interpretationen historischer Prozesse in Diskurs untereinander.680 Der Titel der vorliegenden Arbeit – »Konstruktionen christlichen Lebens« – gilt also nicht nur für die Frühmittelalter-Romane, sondern auch für die Forschung. Eine eigentliche Rekonstruktion des Lebens im frühen Mittelalter ist nicht möglich, wir können nicht in diese Zeit zurückgehen und sie dann beschreiben. Alle Auseinandersetzungen mit dem Mittelalter, auch die der Forscher anhand von Quellen, sind Konstruktionen aus heutiger Sicht, bestimmt durch die aktuellen Lebenshorizonte und die Fragen des jeweiligen Historikers, Theologen oder Germanisten. Ein bestimmtes »Verhältnis von Geschichte und Gegenwart«, wie es im Untertitel dieser Untersuchung heißt, zeigt sich nicht nur in den Frühmittelalter-Romanen, sondern auch in den Forschungsarbeiten aus den verschiedenen Disziplinen. Die Wirkung der Aktualität zeigt sich für Romanautoren und Historiker unterschiedlich: Bei den Romanautoren prägen die gegenwärtigen Lebenshorizonte die Darstellung, was womöglich unbewusst geschieht und sie nicht offenlegen müssen. Bei den Historikern wird die Fragestellung beeinflusst, dies sollten sie sich bewusst machen und offenlegen. An die historische Wissenschaft wird der Anspruch gestellt, dass sie redlich, quellengestützt und mit möglichst offenen Forschungsfragen arbeitet, tatsächlich gibt es aber keine absolute Objektivität, sondern jeder Forscher geht mit seinen Interessen und Vorannahmen an die Beschäftigung mit Geschichte. Auch die Forschung ist von gegenwärtigen 680 Zu diesem Vorgehen vgl. z. B. Brauch, Fragen, 186. »Dass Einsichten über Geschichte stets vorläufig, aber dennoch nicht beliebig – weil quellenbasiert – zustande kommen, gehört zu den wichtigsten Erkenntniszielen historischen Lernens«, so fasst Brauch zusammen.

460

Zusammenführung: Die Romane zwischen Geschichte und Gegenwart

Trends, von veränderten Fragen an die Quellen bestimmt, was zu neuen Sichtweisen und Erkenntnissen führt, sonst gäbe es auch keine Entwicklungen und Kontroversen in der Forschung. Dies hat sich in den einzelnen Forschungsüberblicken dieser Arbeit gezeigt. Besonders deutlich wird dies beim Thema Ehe: Lange dominierte die Rechtsgeschichte die Forschungen zur Ehe im Frühmittelalter, dann trat die Frauengeschichte hinzu, schließlich boten Sozial- und Religionsgeschichte sowie Kulturgeschichte neue Perspektiven. Entsprechend viele Forschungsdiskussionen gab es, etwa zur Frage nach verschiedenen Ehe(schließungs)formen, nach der Stellung der Frau, nach der Art des Konsens bei der Eheschließung, nach Erklärungen für Vorschriften zu Inzest und Ehebruch oder nach dem Verlauf des Ehestreits von Lothar II. Moderne Kategorien bezüglich Ehe und Sexualität wurden stellenweise zum Maßstab für das Frühmittelalter (vgl. VI.2). Die Forschung zum Thema Mission wiederum entwickelte sich von der konfessionellen und nationalen Geschichtsschreibung über die Frage nach der Germanisierung des Christentums hin zur Öffnung im Rahmen der Sozial-, Religions- und Mentalitätsgeschichte mit ihrem Interesse für den Alltag, das Leben des Volkes und die Glaubensvorstellungen. Diskutiert wurde besonders über die Einordnung von Gestalten wie Bonifatius oder Widukind sowie über die Sachsenkriege (vgl. IV.2.1, IV.2.9).681

Die fünf Gegenwartstrends, die aus religionssoziologischen Arbeiten entnommen wurden, können nun helfen, den Aktualitätsgehalt heutigen historischwissenschaftlichen Treibens deutlich zu machen. Das erste Phänomen war die Erfahrung von Brüchigkeit und Scheitern. – Bezüglich der historischen Wissenschaft fällt auf, dass zunehmend nach dem Verhältnis von frühmittelalterlicher Norm und Wirklichkeit gefragt wurde, nach dem Ideal auf der einen und dem möglichen Scheitern daran auf der anderen Seite. Unterschiede zwischen christlichem Anspruch und möglichem Verhalten der Menschen lassen sich besonders für das Themenfeld Ehe (Sexualität, Ehebruch, Trennung und Wiederheirat) diskutieren. Die Forschung kann zwar anhand der Quellen etwas über die im frühen Mittelalter geltenden rechtlichen oder biblischen Normen sagen, aber weniger über die damalige Wirklichkeit, zu der sie keinen Zugang hat. Die Eheschließung etwa kann aufgrund der Quellenlage viel besser erforscht werden als der Ehealltag, die Quellen geben zudem mehr Einblick in das Ehe-Verhalten der Herrscher und des Adels als des gemeinen Volkes (vgl. VI.2.1). – Die Romane hingegen konstruieren eine »Wirklichkeit« des Lebens im frühen Mittelalter, sie beschäftigen sich stark mit dem alltäglichen Leben der Menschen aus dem Volk mit all seinen Brüchen. – Zudem lässt sich aus der 681 »Was mit einem Quellentext von wenigen Zeilen geschieht, wenn er in die Strudel des Zeitgeistes gerät, zeigt das ›Blutbad von Verden‹«, so Angenendt, Toleranz, 384, der ganz unterschiedliche Deutungen und Bewertungen durch Frühmittelalter-Historiker aufführt (384–387).

Die Bestimmtheit der Frühmittelalter-Forschung durch die Gegenwart

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Forschung zur Ehe im frühen Mittelalter entnehmen, dass es erst allmählich zu einer Verchristlichung der Ehe kam; lange zeigten die herrschenden Karolinger und die Adligen wohl ein sehr »freies« Verhalten hinsichtlich der christlichen Ehe (vgl. VI.2.7, VI.2.8). In den Forschungen zur Mission wurde des weiteren der Frage nachgegangen, was nach der Erstverkündigung und Taufe geschah; über einen langen Zeitraum kam es wahrscheinlich noch zu einem Nebeneinander oder einer Vermischung der heidnischen und der christlichen Religion (vgl. IV.2.4). Beim zweiten Aspekt handelte es sich um Frauen als Akteurinnen. – Die Frühmittelalter-Forschung hat sich immer mehr mit der Geschichte von Frauen sowie grundsätzlicher mit Gruppen befasst, die in den Quellen weniger vorkommen, die darin keine Stimme haben. Im Fokus des Interesses stehen zunehmend Verlierer, Abweichler und Randgruppen. Die drei Forschungsüberblicke haben gezeigt, wie in den letzten Jahrzehnten im Rahmen der Frauenforschung zum frühen Mittelalter verstärkt nach der Mitwirkung von Frauen in der Mission (vgl. IV.2.5.), nach dem Leben von Frauen im Kloster (vgl. V.2.1) sowie nach der Rolle von Frauen in der Ehe (vgl. VI.2.1) gefragt wurde. Mittlerweile wird aber eher das Verhältnis beider Geschlechter zueinander erforscht. Womöglich angeregt durch heutige Konfrontationen von Religionen, wurden auch frühmittelalterliche Vorstellungen wie das Heidenbild der christlichen Quellen thematisiert. Auch in der Archäologie spielte diese Perspektive eine Rolle, wenn sie nach Erkenntnissen zum heidnischem Leben und Glauben suchte (vgl. IV.2.7, IV.2.8). Als dritte Gegenwartssignatur wurde die Individualisierung benannt und untersucht. – Grundsätzlich haben bereits Profanhistoriker andere Zugänge zur frühmittelalterlichen Geschichte und stellen andere Fragen als Kirchenhistoriker. In den letzten Jahrzehnten zeigt sich in beiden Disziplinen zunehmend die Individualität der Forscher. Sie prägen die Forschung durch ihre je eigenen Interessen und Voraussetzungen, was insgesamt zu einer Ausweitung der Fragen und zu neuen methodischen Zugängen führt. Mittlerweile gibt es nicht mehr nur eine, klar definierte Methodik eines Faches; eine Fragmentierung in einzelne Bereiche und Zugangsweisen löst die eine übergeordnete Welterklärung ab – ein Charakteristikum der Postmoderne. Im Forschungsüberblick zum Mönchtum (vgl. V.2.1) wurde deutlich, dass Mönche besonders die Benediktsregel und das benediktinische Mönchtum erforschten, Profanhistoriker sozialgeschichtliche Aspekte, Kirchenhistoriker vor allem Selbstverständnis und Antriebskräfte des Mönchtums sowie liturgische Aspekte, (nicht nur) Frauen stärker das Leben in den Frauenklöstern etc. In den Forschungen zur frühmittelalterlichen Mission (vgl. IV.2.7) wird, etwa beim Thema »Massentaufen«, konkret nach der Individualität, nach dem Glauben des Einzelnen, gefragt, und die individuelle Leistung

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Zusammenführung: Die Romane zwischen Geschichte und Gegenwart

der Glaubensboten anerkannt. Gleichzeitig erfolgt die Mahnung, die heutige Sicht nicht zum Maßstab für das Frühmittelalter werden zu lassen.682 Am in der Arbeit erwähnten Beispiel »Ich und Karl der Große« von Steffen Patzold (vgl. II.2.2) ist bereits der Titel sehr aussagekräftig – er lässt an eine auch für die untersuchten Romane geltende »Biographisierung« des Mittelalters denken. In Patzolds Einhard-Biographie wird der Blick eines Einzelnen auf den Herrscher eingenommen. Patzold benennt im Vorwort auch sein persönliches Interesse an Einhard, den er als sein Geschöpf mit menschlichen Gefühlen und körperlichen Beschwerden ausstattet – nur so kann von der heutigen Zeit aus eine Verbindung zu ihm entstehen. Ein solches Vorgehen – ansatzweise ebenfalls in Johannes Frieds Biographie Karls des Großen (vgl. ebd.) zu finden – weist eine Nähe zu vielen Romanen, besonders den Romanbiographien, auf. Es gibt ein breites Spektrum zwischen den Extremen »schlechte Romanautoren skurriler Werke« und »objektive, methodisch transparent arbeitende Wissenschaftler«. Dazwischen finden sich z. B. historische Romane studierter Autoren, die mit Anmerkungen versehen sind, oder von Historikern verfasste Biographien, welche persönliche Aspekte zu historischen Gestalten enthalten.

Der vierte Aspekt Ganzheitlichkeit und Erfahrungsbezug ist am schwierigsten zu übertragen. – Ein Bezug könnte darin bestehen, dass in den letzten Jahrzehnten eine Untersuchung aller Lebensbereiche stattgefunden hat, beispielsweise in der Mentalitätsgeschichte. Neue Quellengattungen wie Alltagszeugnisse wurden im Rahmen der Alltagsgeschichte der Analyse unterzogen. Die Historische Anthropologie stellte den Menschen in den Mittelpunkt, bei ihrer Frage nach Grundphänomenen des menschlichen Daseins wurden verschiedene Ansätze und Sichtweisen verknüpft. Die (Neue) Kulturgeschichte mit ihrem umfassenden Kulturbegriff interessierte sich besonders für kommunikative Prozesse. Persönliche Erfahrungen der Forscher konnten zum Auslöser historischer Studien werden.683 Quellen, die in den Forschungen zum Frühmittelalter auf neue Weise untersucht wurden, waren z. B. für das Thema Mission die Hagiographie (vgl. IV.2.1), zum Mönchtum ebenfalls die Heiligenviten sowie die Verbrüderungsbücher (vgl. V.2.1), schließlich hinsichtlich der Ehe die Bußbücher (VI.2.1). Beim letzten Gegenwartstrend Selbstermächtigung und Institutionendistanz zeigt sich ein enger Zusammenhang mit zuvor genannten Aspekten. – Nach einer langen Dominanz der Ereignis-, Institutionen- und Herrschergeschichte gilt das Interesse der jüngeren Forschung stärker den Lebensformen der Vielen, den religiösen und sozialen Randgruppen sowie dem Thema Alltagskultur. Die 682 So betont Angenendt, Toleranz, 380–384, die Vorstellung vom stärkeren Gott sowie gentilische Einstellungen als Hintergründe der Kollektiv- und Gewaltmission mit der Alternative Taufe oder Tod. Zugleich habe es Brechungen und Korrekturen gegeben: Beda Venerabilis forderte eine bewusste Annahme des christlichen Glaubens mit je individueller Einwilligung (392); Alkuin beharrte auf Freiwilligkeit der Taufe (403). 683 Als Überblick vgl. Grabmayer, Mittelalter, 19–21.

Resümee

463

Wissenschaften sind inzwischen nicht nur durch die individuellen Zugänge und Interessen der Forscher geprägt, sondern allmählich gestehen Fachleute auch »Laien« deren Zugänge zu Geschichte zu – die sich sowieso von der historischen Wissenschaft emanzipiert haben. Zumindest beschäftigen sich einige Forscher auch mehr mit Geschichtsrezeption in der Populärkultur, wie es in dieser Arbeit geschieht.684

6.

Resümee

Erstens: Blicken wir noch einmal zurück. In der vorliegenden Untersuchung wurde die Darstellung christlichen Lebens in neueren populären Romanen, die im frühen Mittelalter spielen, mit den Ergebnissen der Frühmittelalter-Forschung verglichen. Dabei zeigte sich, dass in den Romanen ein Bild des Frühmittelalters entworfen wird, das von Dunkelheit und Skandalen geprägt ist und mit Religion garniert wird. Historische Ereignisse und Personen kommen ebenso vor wie einzelne religiöse Elemente, aber die frühmittelalterliche Mentalität – so wie sie uns die Frühmittelalter-Forschung vor Augen führt – wird bestenfalls in Ansätzen deutlich. Die Fremdheit des Mittelalters wird von den Romanautoren genutzt, um eine spannende und exotische Handlung zu konstruieren. Zugleich stellen sie das Mittelalter als vertraut dar, indem diverse Romanfiguren wie Menschen der Gegenwart denken und handeln und damit den Lesern als Identifikationsfiguren zur Verfügung stehen. Die frühmittelalterliche Geschichte übt, wie die Romane eindrücklich belegen, einen besonderen Reiz auf Autoren und Leser aus. Als Spezifikum der Frühmittelalter-Romane konnte schließlich – abgestützt durch eine religionssoziologische Vergewisserung – die Präsenz der Gegenwart in der Geschichte herausgearbeitet werden. Zweitens: Aktuelle hermeneutische Diskussionen konnten in dieser Arbeit aufgegriffen und angewendet werden. Die Einsicht, dass hinsichtlich der Arbeitsweise, der Konstruktion der jeweiligen Mittelalterbilder sowie der Interessenschwerpunkte eine deutliche Nähe zwischen Romanautoren und Wissenschaftlern besteht, führt zu Anregungen für Historiker und Theologen. Wie die Untersuchung erwiesen hat, sind Romanautoren und Wissenschaftler durchaus verbunden und können voneinander lernen: Beide entwerfen von ihrer 684 Vgl. hierzu aktuell die Sammelbände Grabmayer (Hg.), Bild, sowie aus der englischsprachigen Literatur, die sich schon länger mit populären Mittelalterinszenierungen beschäftigt, G. Ashton (Hg.), Medieval Afterlives in Contemporary Culture, London 2015 (Untersuchung verschiedenster Medien wie Film, Theater, Roman, Comic, Computerspiel; Stoffe wie Beowulf, die Canterbury Tales, König Artus, Robin Hood), oder L. D’Arcens (Hg.), The Cambridge Companion to Medievalism, Cambridge 2016 (verschiedenste Epochen; Genres wie Literatur, Architektur, Film, Musik, Rollen- und Computerspiel).

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Zusammenführung: Die Romane zwischen Geschichte und Gegenwart

Gegenwart geprägte Bilder der Vergangenheit, wobei die Bilder der Historiker stärker reflektiert und quellengestützt sein sollten. Die Diskussion um Fakt und Fiktion hat eine Nähe zwischen Geschichtsschreibung und -erzählung aufgezeigt. Auch Lehrpläne und Schulbücher wandeln sich und spiegeln gesellschaftlich vorherrschende Mentalitäten. So prägen sie – allerdings weniger nachhaltig als die populären Mittelaltererzählungen – das Geschichtsbewusstsein und können Stereotype zum Mittelalter verstärken, denn sie enthalten, ebenso wie Romane, eine notwendige Verknappung und Fokussierung.685 Die festgestellte Perspektivität kann (Kirchen-)Historiker anregen, auch die eigenen Mittelalterbilder immer wieder zu überprüfen und zu ergänzen, den Kontakt zu den »Mittelalterbegeisterten« zu suchen und die eigenen Forschungsergebnisse auf neue Weise zu vermitteln. Das Interesse, welches die Autoren der analysierten Romane für den Alltag, für Frauen, Außenseiter und die Verlierer der Geschichte aufbringen, korrespondiert mit gegenwärtigen Tendenzen in der Mediävistik. Während die Darstellung von Ereignissen und Institutionen in den Romanen bereits stark ausgeprägt ist, bleibt bei den durch die historische Forschung herausgearbeiteten mittelalterlichen Mentalitäten und religiösen Deutungen eine sichtbare Lücke. Darin zeigt sich die Schwierigkeit, die Eigenart des Mittelalters aus heutiger Sicht angemessen zu erfassen und darzustellen. Den Romanautoren gelingt es, Themen, welche die Geschichtswissenschaft auf einer allgemeinen Ebene behandelt, anhand von Einzelschicksalen zu veranschaulichen und den Lesern so nahe zu bringen. Die untersuchten Romane zeigen, wie durch Narration die fehlenden Übergänge zwischen den einzelnen frühmittelalterlichen Quellen gefüllt und ein Gesamtbild christlichen Lebens mit all seinen Akteuren geschaffen werden können. Somit führt die Auseinandersetzung mit historischen Romanen zu einem Plädoyer für eine »narrative Geschichtsschreibung«.686 Drittens: Über diese hermeneutischen Anregungen hinaus ergab sich durch das Profil der vorliegenden Arbeit ein charakteristisches Ergebnis. Die spezifische Vorgehensweise lag in der Beschäftigung mit dem Thema Religion, konkret mit Ausdrucksformen christlichen Lebens – Missionierung, Mönchtum und Ehe – in populären historischen Romanen zum frühen Mittelalter. Als Ergebnis der 685 Vgl. Brauch, Fragen, besonders 171–174. Fachwissenschaftliche Diskurse würden allerdings sehr viel schneller auf gesellschaftliche Probleme reagieren als Schulbücher und Curricula (185). 686 Auch Hubertus Lutterbach, der sich mithilfe des »Creative Writing« Bonifatius und seiner Zeit angenähert hat, betont die Nähe zwischen Historikern und Literaten sowie die Verbindung zwischen Gegenwart und Vergangenheit; vgl. H. Lutterbach, Bonifatius – mit Axt und Evangelium. Eine Biographie in Briefen, Freiburg i. Br. 22005, 278. – P. Brown, Wissenschaft und Phantasie, in: Ders., Gesellschaft, 7–20, 7f.19f. sieht die ungelöste Spannung zwischen Phantasie und Wissenschaft als treibende Kraft der Arbeit des Historikers; um andere Zeiten und Menschen zu verstehen, müsse die Phantasie ausgebildet werden.

Resümee

465

Untersuchung kann festgehalten werden: Die Romane sagen häufig mehr über die Gegenwart als über das Frühmittelalter aus. Für die (historische) Theologie – ebenso wie für die Literatur- und Geschichtswissenschaft – können populäre historische Romane somit eine wichtige »Quelle« darstellen, und zwar für Fragen der Rezeption: Sie geben Auskunft darüber, was die Menschen mit dem Mittelalter verbinden, und welche Fragen sie gegenwärtig umtreiben. Hier besteht Dialog- und Entwicklungspotential. In der Populärkultur wird das Gros des gemeinsamen Wissens erkennbar, das die verschiedenen Glieder der hochgradig arbeitsteiligen Gesellschaft verbindet; weil Religion ein Teil der Gesellschaft ist, sind religiöse Veränderungen ein Ausdruck gesellschaftlicher Veränderungen.687 Daher ist es angebracht und ertragreich, sich mit Produkten der Populärkultur zu befassen, z. B. zu fragen, wie populäre historische Romane unsere christliche Vergangenheit darstellen und beurteilen. Gebrochen über diese Vergangenheit, sagen die Romane auch Wesentliches über (christliche) Religion und Spiritualität in der Gegenwart aus. In auffälliger Weise konvergieren die Romanbefunde – ebenso wie die Forschungsperspektiven – mit Ergebnissen der Religionssoziologie, die in Bezug auf gegenwärtige Religion eine Transformation, Fluidität und Popularisierung beobachtet. Auch wenn sich das »holistische Milieu« oder der Typus des »spirituellen Wanderers« nicht direkt in den Romanen finden lassen, spiegeln sich darin doch verschiedene Merkmale spät- bzw. postmoderner Religiosität wie Individualisierung und Sehnsucht nach Gemeinschaft, Ganzheitlichkeit und Erfahrungsbezug, Institutionenkritik und Authentizität. Gegenwärtig sind Frauen wichtige Akteurinnen von Religion und Spiritualität, welche der Sicherung biographischer Kontinuität in Lebenskrisen dient – diese Aspekte finden ebenfalls in den Romanen einen Widerhall, denn die (Selbst-)Ermächtigung von Frauen sowie die Brüchigkeit und das Scheitern von Lebensformen sind zentrale Themen. Diese Befunde können Theologen und Kirchenvertreter nicht nur zur Frage nach einer adäquaten Vermittlung der christlichen Vergangenheit, sondern auch zur Frage nach dem Umgang mit der religiösen Suche heutiger Menschen führen. Nur wer wahrnimmt, welche spirituellen Wege die Menschen gegenwärtig beschreiten, kann ihnen die reichhaltigen Angebote aus der christlichen Tradition wieder näher bringen.

687 Vgl. Knoblauch, Religion, 237.273.

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Weitere Bände dieser Reihe Band 24: Britta C. Jung

Band 21: Miriam Schumacher

Komplexe Lebenswelten – multidirektionale Erinnerungsdiskurse

Erzählen vom Widerstand als Erzählen von Gemeinschaft

2018. 310 Seiten, gebunden € 45,– D ISBN 978-3-8471-0866-5

Band 23: Monika Wolting (Hg.)

Identitätskonstruktionen in der deutschen Gegenwartsliteratur 2017. 362 Seiten, gebunden € 50,– D ISBN 978-3-8471-0741-5

Band 22: Thomas Hardtke / Johannes Kleine / Charlton Payne (Hg.)

Literarische Repräsentationen des Widerstands gegen den Nationalsozialismus in (West-) Deutschland (1945–1989) 2016. 375 Seiten, gebunden € 50,– D ISBN 978-3-8471-0585-5

Band 20: Bianca Weyers

Autobiographische Narration und das Ende der DDR Subjektive Authentizität bei Günter de Bruyn, Monika Maron, Wulf Kirsten und Heiner Müller

Niemandsbuchten und Schutzbefohlene

2016. 412 Seiten, gebunden € 55,– D ISBN 978-3-8471-0572-5

Flucht-Räume und Flüchtlingsfiguren in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur

Band 19: Aija Sakova

2017. 326 Seiten, gebunden € 50,– D ISBN 978-3-8471-0681-4

Denkbilder des Erinnerns und der moralischen Zeugenschaft im Werk von Christa Wolf und Ene Mihkelson

Ausgraben und Erinnern

2016. 177 Seiten, gebunden € 35,– D ISBN 978-3-8471-0557-2